PASTOR
REMMER JANSSEN
Ein Brief Christi
Von
Günther Maske
und
Johannes Mindermann
Auf der Grundlage der Ausgabe von 1973
neu herausgegeben
von
Roland Sckerl
Durmersheim
2007
Inhaltsverzeichnis
Sein Ringen nach einem heiligen Leben
Liebe zu Christus im Sakrament des Altars
Der Mann mit dem weiten Blick und dem großen Herzen
Ein Bericht über das Strackholter Missionshaus
Vorwort
„Darum auch wir, dieweil wir eine solche Wolke von
Zeugen um, uns haben, lasset uns ablegen die Sünde und
aufsehen auf Jesum.“ (Hebr. 12, 1 u. 2)
Zeugen unseres Herrn Jesus Christus hat es zu allen Zeiten gegeben. Durch ihr Leben und Wirken gaben und geben sie Zeichen für viele, und der Herr gibt Gnade, daß sie vielen anderen Wegweiser werden auf dem schmalen Wege zur seligen Ewigkeit.
Ein solcher Zeuge war Pastor Remmer Janßen von Strackholt. Als achtzehnjähriger Schüler erlebte er unter dem gesegneten Direktor Reuter als Schüler des Gymnasiums in Aurich seine Bekehrung und Wiedergeburt. Die Furchtbarkeit der Erbsünde trieb ihn zum Lobpreis der Versöhnung durch Jesus.
Er erzählte: „Gott hat mich aus einem Satanskind zu einem Gotteskind gemacht.“ Seine Lebenslosung war: „Ich nichts, Jesus alles.“ Im Jahre 1877 wurde er zum Pastor der Gemeinde Strackholt gewählt. Diese Gemeinde erfuhr unter der vollmächtigen Verkündigung ihres jungen Hirten eine durchgreifende Wandlung. Der neue Pastor stand auf der Kanzel wie ein Löwe und war doch im Umgang mit den Menschen von großer Güte und Zartheit. „Er war wie ein Engel“, sagte ein Schiffer von seinem Seelsorger. Wie es nicht anders sein konnte, war Remmer Jarißen ein inniger Beter. Er hat durch schwere Anfechtungen gehen müssen. Diese inneren und äußeren Nöte machten ihn demütig und gaben ihm Verständnis für seine Brüder, die er innig liebte. Er durfte die Siegeskraft Jesu Christi erfahren. Auf seinem Sterbebett wußte er: „Ich gehe zu den Lebendigen.“ Am 18. Mai 1931 wurde er heimgerufen.
Dürfen die segensreichen Jahre der Erweckung in Strackholt der Vergessenheit anheimfallen?
Es hat sich einem Manne wie ein Befehl Gottes auf das Herz gelegt: Erforsche, was in Erfahrung gebracht werden kann, ehe die Menschen, die Pastor Janßen noch persönlich kannten, ihre Augen schließen. So ist er fünfundzwanzig Jahre lang den Spuren dieses Erweckungspredigers nachgegangen und hat sich von vielen berichten lassen. Mit herzlichem Dank seien hier besonders genannt: Kirchenvorsteher Cassen Ackermann in Strackholt, Lehrer G. Baumfalk in Fiebing, Landessuperintendent Theodor Elster, Pastor Georg Elster, Landschaftspräsident Georg von Eucken, Frau Martha Köppen‑Bode, Heinrich Lambertus, Pastor Johann Lambertus (USA), Superintendent Linnemann, Pastor Möhlmann, Pastor A. Ottersberg, Waverly (USA), Superintendent Orten, Altschiffszimmermann Johann Piepersgerdes, Pastor Reuter, Pastor Riedielmann, Generalsuperintendent W. Schomerus, Missionsdircktor C. Schomerus sowie Justizrat Steinbömer.
Um der Wahrhaftigkeit willen glaubte der Sammler, nicht auf die Festhaltung auch der Schattenseiten in diesem Lebensbilde verzichten zu dürfen.
Der Leser wolle erwägen, ob nicht das Heilige in diesem Freunde Gottes in Wirklichkeit vielleicht herrlicher gewesen sein mag, als Feder und Papier es wiederzugeben vermögen. Die Erinnerungen sprechen über Remmer Janßen. Hier spricht nicht Remmer Janßen selbst.
„Es mag nicht menschenmöglich sein, die apostolische und prophetische Persönlichkeit Remmer Janßens in ihrer Einmaligkeit genau zu treffen. Es ist die Unzulänglichkeit des Menschen gegenüber der Frage: Was sollte er, was wollte er! Die Ewigkeit wird es lehren“ (Th. Elster).
Viel ist für immer in das Meer der Vergessenheit hinabgesunken.
Worin das Geheimnis dieses Lebens gelegen hat, hat den Sammler zweieinhalb Jahrzehnt bedrängt. Er legt nun vor, was ihm unter dem Beistand des Höchsten deutlich geworden ist. Voll Furcht und Scheu, mit viel Gebet zu dem Heiligen Geist, unter gutem brüderlichem Beistand ist er an die Aufgabe gegangen, die Augenzeugenberichte zu sammeln und zu sichten.
Der Herausgeber der 1. Auflage des Lebensbildes, Günther Maske, hat von Canada aus den Weg des Buches treu begleitet und schrieb: „Leider ist es mir bei dem Lebenstempo Canadas nicht möglich, diese Biographie weiter zu bearbeiten. Dies würde mir auch heute noch viel Freude und Befriedigung bereiten, wenn ich die zeitliche Möglichkeit dazu sähe. Ich freue mich, daß das Buch so eifrig verbreitet wird. Gott gebe weiterhin seinen Segen.“
Superintendent Otten, der früher in Janßens Missionshause Inspektor und später Pastor und Ephorus im 9. ostfriesischen Kirchenkreise, zu dem Strackholt gehört, war, schreibt: „Ich glaube sagen zu können, daß das Lebensbild in bezug auf Wahrhaftigkeit jeder Kritik standhält. Es spricht daraus nicht Menschenehrung, sondern die Herrlichkeit Gottes über einem Menschen.“ (17. 5. 1953)
Jan Berghaus, ostfriesischer Regierungs- und Landschaftspräsident, schrieb: „Das in dieser Schrift dargestellte Lebensbild ist so gezeichnet, wie ich es im wesentlichen in Erinnerung habe. Pastor Rernmer Janßen war als Mensch, Prediger und Seelsorger einzig in seiner Art. Es ihm gleichzutun, schien völlig unmöglich. Ich habe ihn in Weene 1889 über den Gnadenstrom predigen hören. Es dauerte zwei Stunden, und er war zuletzt wie in Schweiß gebadet. Aber selbst wenn er noch eine Stunde gepredigt hätte, meine Aufmerksamkeit wäre nicht erlahmt.“ Wenige Wochen vor seinem Heimgang sagte Jan Berghaus: Remmer Janßen hat vor einem halben Jahrhundert unserem Ostfriesland sein Gepräge gegeben."
Möchte die Arbeit eine rufende Stimme in der Wüste der Gegenwart sein, mitten in der Wüste der ungelösten Schuld, der Unruhe, der gesteigerten Technik, die uns so todeinsam macht und die doch nach Gottes guten Gedanken über uns die Bestimmung in sich trägt, eine glückliche Wüste zu werden, die uns hungrig macht nach Jesus.
Dies Buch möchte, darum betet der Herausgeber, helfen, daß in uns die Stimme Gottes, des guten Vaters, hörbar werde, der uns freundlich zuruft: Ich will euch locken und in eine Wüste (die Stille vor ihm) führen und freundlich mit euch reden, damit ihr wieder singet wie zur Zeit eurer Jugend, und ich will mich mit euch verloben in Ewigkeit, ich will mich euch vertrauen in Gericht, in Gnade und Barmherzigkeit. Ihr werdet mich erkennen. Ich, der Herr, will euch erhören!« (Hosea, Kap. 2, Vers 16‑19)
So möchte das Buchwerk ein kleines Lichtlein sein auf dem Wege der Nachfolge des armen Lebens Jesu, der doch so reidi macht und der zusammenführt zum gemeinsamen Leben in IHM.
Ich will von meinem Jesu singen,
von seiner Gnade, Lieb und Treu,
von seinem bittern Todesleiden,
von seiner Blutskraft, die macht frei!
Am Ende grüßt der Herausgeber alle lieben Leser mit den Worten des Apostels Paulus: Nicht, daß wir Herren seien über euren Glauben, sondern wirsindGehilfen eurerFreude" (2.Kor. 1,24) und Jrüder! Betet für uns« (l. Thess. 5, 25).
Johannes Mindermann Pastor i. R.
Spetzerfehn
Der junge bekehrte Christ
Wenn du dich dermaleinst bekehrst,
so stärke deine Brüder!
(Lukas 22, 32)
Elternhaus und Schule
Im nordwestlichsten Zipfel Deutschlands liegt im satten Grün der Marschen, umzogen von einem Netz aus Gräben, Kanälen und Hecken, das Dorf Werdumer Altendeich. Zwei knappe Wegstunden nur trennen es vom Meer, dessen herber Atem, vom Winde landeinwärts getragen, bis in die Bauernstuben dringt und die Menschen an die immerwährende Nähe höherer Gewalten erinnert.
In Werdumer Altendeich wurde dem Bauern Johann Rernmer Janßen und dessen Ehefrau Tina, geborene Janßen, das zweite Kind geboren (6. 11. 1850). Es war ein Sohn, sie nannten ihn Remmer und ließen ihn am 4. Dezember taufen.
Gevatter war der Vater selbst. Janßens Elternhaus war ein kirchlich-weltliches Haus. Bekehrung und Wiedergeburt waren darin fremd (Linnemann). Die Eltern schickten den jungen Remmer ins Gymnasium nach Aurich. Er war ein lebenslustiger Schüler. Mit dem Alkohol befreundete er sich soweit, daß er an einem Kommersabend ein Bierfaß erklomm und den Geistern des Rausches eine zündende Rede widmete.
Alle seine Mitschüler kannten ihn. Er war beliebt und der Sprecher seiner Klasse, und es ist bezeichnend, daß der selbst noch junge Remmer denen, die ihm näherstanden, ein treuer und zuverlässiger Freund wurde, in einem Maße, daß sie ihm weit über seine Jahre hinaus Achtung entgegenbrachten.
Und Remmer selbst? Er urteilte späterhin: „Es war eine böse Zeit.“ Auch daß er nach eigenem Zeugnis „in tiefe Laster“ geriet, soll hier, wo es darum geht, die Hand Gottes sichtbar werden zu lassen, nicht verschwiegen sein. Sein naiver Unglaube, von den Eltern übernommen, vertiefte sich stetig durch den Religionsunterricht, in dem, wie Jarißen später erzählte, das Gebet aus dem Unterricht verbannt war und in dem sich keine Gelegenheit bot, den drängenden religiösen Fragen der Schüler entgegenzukommen.
Doch als der Sekundaner Janßen achtzehn Jahre alt wurde, trat in sein Leben ein Mann von fünfundfünfzig Jahren, Rektor Reuter, ein Bruder des Göttinger Professors der Kirchengeschichte Hermann Reuter, Großvater des späteren Berliner Oberbürgermeisters.
Nun pflegt in Lebensbeschreibungen großer Männer Gottes derjenige Abschnitt am schönsten und eindrucksvollsten zu sein, der uns den tiefsten Einblick in ihre Seele vermittelt: die Geschichte ihrer Wandlung. Denn wo könnte die Allmacht Gottes sichtbarer werden als hier, wo Sein Geist sich eines sündigen Menschen bemächtigt und ihn zu Seinem Knecht erhebt? Doch da Janßen zu den keuschen Seelen zählt, die über ihre eigene Bekehrung ebenso ungern sprechen wie über ein zartes, uneingestandenes Herzensgeheimnis, bleibt in unserem Bericht notgedrungen eine Lücke, die dadurch nicht geringer wird, daß wir aus Andeutungen schließen dürfen, wie sehr sd-imerzhaft und plötzlich jene Umkehr vonstatten ging. Wissen wir nur wenig darüber, wie Janßen bekehrt wurde, so hat er doch deutlich gesagt, daß er mit 18 Jahren bekehrt wurde. Jarißen hat später gesagt:
„Gott hat mich aus einem Satanskind zu einem Gotteskind gemacht“ (J. Piepersgerdes). Gewiß ist, daß der ebengenannte Rektor Reuter sein junges und ungläubiges, aber empfängliches Herz wie eine Fackel in Brand setzte und ihm zeigte woran er krankte und wo es zu suchen gelte, um zu finden.
Hierbei bewies ihm Reuter große Geduld. Der junge Remmer, heißblütig wie er war, hat eine Zeitlang die Schule verlassen. Reuter ging ihm nach und holte ihn zurück. Er verstand es, dem ungestümen Jüngling ohne Zwang ein geistiger Vater zu werden. Janßen erzählte: „Der diensteifrige Rektor zog mich langsam zu sich hin, so daß ich nach und nach zu der Überzeugung kam, daß er es gut mit mir meinte.“ Remmer hing mit solcher Leidenschaft an seinem Munde, daß ihm jede Silbe wie ausschließlich für ihn gesprochen, jeder Gedanke nur wie für ihr gedacht erschien und jede Erkenntnis sein sofortiges, festes Besitztum wurde.
In der Prima, als Reuter die Klasse und damit Janßen verließ, war ihm das Gotteswort längst ein lebendiger Brunnen, und der achtsam gelegte Same trug bereits manche, wenn auch oft noch wilde Frucht. So zeigte sich das ungewöhnliche jeden herkömmlichen Rahmen sprengende Bild: Der Primaner Janßen steht gegen einen glaubensfernen Lehrer auf und verficht mit einem Eifer, der das Rot in seine Wangen trieb, mutig das teuer gewordene Evangelium. Von seinen Mitschülern haben viele das erregte Wortgefecht nicht vergessen.
Georg von Eucken-Addenhausen schreibt von seinem Mitschüler Janßen: „In meiner Auricher Zeit war mir Janßen Vorbild männlicher Tugend. Er war Überwinder! Er schämte sich des Evangeliums von Christo nicht, auch als ein Lehrer anders dachte. Gegen denselben trat der Primaner Jarißen mutig auf. Das haben ihm alle seine Mitschüler zutierst gedankt. Noch heute danke ich es ihm über das Grab hinaus.“
Sie vergaßen auch anderes nicht: So galt Janßen z. B. lange Zeit als der geschickteste Werfer im „Klootschießen“, einem auch heute noch beliebten Bauernsport. Und der Erinnerungen, wie selbstverständlich und erfolgreich der kräftige Remmer den Schwächeren zu Hilfe kam, sind viele. Mut offenbart sich früh und vielgestaltig.
An den Sonntagen wanderte Janßen, anstatt nach Hause zu reiten, oft nach Westerholt hinüber, wo der Methodistenprediger Klüsner in einer billigen Bretterscheune herzandringend predigte. Janßen hat ihm für das damals Empfangene bei mancher späteren Gelegenheit gedankt. Klüsner in Neuschoo war der gesegnete Typus eines Urmethodisten. Es wird von ihm berichtet, daß Menschen, in denen sein Zeugnis arbeitete, ihn vor dem Gericht verklagten. Der Prozeß sollte stattfinden. In der Gerichtsverhandlung reichten seine Ankläger ihm die Hand zur Versöhnung. Lebenslängliche Freundschaft verband ihn mit Klüsner. Es muß schon damals eine eigenartige Kraft von dem jungen gläubigen Christen ausgegangen sein; denn sein Mitschüler Steinbömer berichtet: „Wer irgendeinen Kummer hatte, brauchte sich nur an Janßen zu wenden, und er fand Ruhe.“
In seinem Arbeitszimmer stand ein Schrank. An dessen Seitenwand malte er ein fußgroßes „ICH“ und ein gleichgroßes „ER“. Jedesmal, wenn Remmer erneut in einen alten Fehler verfallen war oder Zeichen des Ungehorsams wider den Herrn an sich entdeckte, trieb er mit heftigen Hammerschlägen einen Nagel in das „ICH“. Binnen kurzem wurde es offensichtlich: Sein ICH war unter den rostigen Nägelkuppen völlig verschwunden - was blieb, war „ER“: Jesus allein!
Studium der Theologie
Nach bestandenem Abitur kam für Janßen nunmehr kein anderes Studium als das der Theologie in Frage. Es wurde erzählt, daß er sich dieses Studium von seinem Vater habe schwer erkämpfen müssen. Janßen studierte zunächst an der Universität Leipzig und dann in Göttingen.
An der Theologischen Fakultät in Göttingen wirkte Albrecht Ritschl. Janßen hielt ihn für ein Irrlicht und wollte sich nicht von ihm blenden lassen. In seinem Werke „Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung“ bestritt Ritschl die stellvertretende Bedeutung des Heilstodes Christi. Er hatte zunächst ja bei Ritsch1 eine Vorlesung belegt. Bald sah er ein, daß er diese nicht weiter besuchen könne, ohne mit seinem Gewissen in Zwiespalt zu geraten. Er wollte jedoch nicht stillschweigend fernbleiben. So ging er kurzerhand in Ritschls Wohnung und bat um die Rückgabe des Kolleggeldes. Ritschl war über das vermeintlich ungebührliche Verhalten sehr aufgebracht. Er gab ihm das Geld zurück.
Ob das ehrliche Zeugnis des Studenten Janßen vergeblich geblieben ist? Als Ritschl im Sterben lag, betete er, sein theologisches System beiseite werfend:
,Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid.
Damit will ich vor Gott bestehn, wenn ich zum Himmel wird’ eingehn!’
Das war es, was Remmer Janßen gemeint hatte.
In welchem Geist Janßen sein Studium auffaßte, zeigt folgender Brief an Pastor Linnemann (den Vater des späteren Superintendenten Linnemann in Leer):
Es hat sich in den letzten Wochen noch ein sehr trauriger und beklagenswerter Todesfall zugetragen, der Ihnen in seinem Detail vielleicht noch nicht bekannt sein dürfte. Vor einigen Wochen nämlich hieß es eines morgens, der stud. theol. W. ist gestorben, und zwar hat er diese Nacht mit der Lampe Unglück gehabt und ist sozusagen bei lebendigem Leibe verbrannt. Die Sache soll sich nun so verhalten, daß W. nachts um ½ 2 Uhr von einer Tour nach Nörthen betrunken zurückgekommen ist, sich dann, nachdem er das Licht angezündet hat, ins Sofa gelegt hat. Hier scheint er eingeschlafen zu sein, und so ist das Licht (Talgkerze) auf ihn gefallen und hat seine Kleider angezündet. Wie er aufgewacht ist, muß der Brand schon ziemlich weit um sich gegriffen haben, denn man hat beim Sofa am Boden die Nägel und Haut seiner Fingerspitzen gefunden. Dann hat er sich nach den Blutspuren an der Wand nach der Stubentür hinfühlen wollen, aber ist in die Schlafstube hineingerathen und hat sich mit den angebrannten Kleidern; ins Bett geworfen. Hier findet ihn Morgens um 4 Uhr der Stiefelputzer noch am Leben und bei vollem Bewußtsein. Man ruft sogleich einen Arzt, aber wie dieser ihn untersucht, stellt sich heraus, daß er unrettbar verloren ist, weil die ganze Haut gleichsam verkohlt ist. Nach 3 Stunden gewiß schrecklicher Qual ist er dann um 7 Uhr gestorben.
Richten über diesen Fall steht uns nicht zu, aber trauern soll man gewiß darüber, daß ein zukünfliger Diener am Wort auf solche Weise seinen Tod gefunden hat und daß überhaupt auf Hochschulen von den Theologen so wenig in der Zucht des Geistes gelebt wird, daß ein Fall wie dieser sich ereignen kann. Hiermit habe ich meine Rundschau, die nur Trauriges zum Resultat hatte, beendet und ich kann Ihnen jetzt nur noch Einiges über meine Verhältnisse in diesem Semester mitteilen. Da ich dieses letzte Semester von Anfang an zur Repetition ausersehen hatte, so war es natürlich, daß ich die Zahl der Vorlesungen beschränkte. Ich hatte beschlossen, nur die prakt. Theologie bei Ehrenfeuchter zu hören, aber derselbe ist noch immer durch Krankheit verhindert. Daher habe ich ein anderes Kolleg belegt, nämlich Dogmengescbichte bei Wagenmann. Ich höre dieselbe jetzt mit großer Selbstüberwindung, denn der Inhalt ist so sehr in Einzelheiten zersplittert, daß man vor lauter Einzelheiten die Entwicklung des Ganzen der kirchlichen Dogmen nicht erkennt. Außer diesem Colleg habe ich noch eine dogmatische Sozietät bei Schöberlein, die sehr anregend ist, und eine exegetische bei Wiesinger, die nur für das Examen fast Wert hat und deshalb eben nicht sehr interessant ist. Hieraus können Sie leicht schließen, daß ich in diesem Semester an der Universität wenig zu genießen habe, sondern daß ich fast ganz auf eigene Beschäfligung angewiesen bin ...
Soll ich nun ein Gesamturteil über meinen jetzigen Studienstand aussprechen, so muß ich sagen, daß es mir große Freude macht, soweit es sich wirklich auf die Erkenntnis der Wahrheit und des Lebens bezieht, aber daß es mir langweilig und unerträglich wird, wenn es in die schwankende Kritik und lebensleere Schulweisheit übergeht. Da nun die letztere Art des Studiums an der hiesigen Universität fast nur Nahrung findet, so werden Sie begreifen können, daß ich mich unendlich freue, daß ich Ostern meine Studien an der Göttinger Universität beschließen kann ...
Ich glaube doch, daß es fürs Examen auf ein bißchen Wissen mehr oder minder nicht ankommt, daß auch diese kleine Unterbrechung nicht so gefährlich sein kann. Überhaupt ist es meine Ansicht, daß ein festes Vertrauen auf den Herrn und Mut mehr im Examen hilft als ein Gedächtnis voll Zahlen und Fakta, obgleich ich letzteres natürlich nicht verachten will. Wenn der Herr nicht hilft, dann hilft alles nichts, und wenn er hilft, dann genügt das Kleinste. Darum sei ihm alles befohlen. Auch glaube ich, daß nach dem Examen das eigentliche und schwerste Examen erst beginnt, ich meine das Examen in der Ausführung des Dienstes am Wort. An dieses denke ich jetzt fast mehr als an das wissenschaflliche Examen in Hannover ...
Meine liebste Wahl geht nun dahin, daß ich eine Prädikantenstelle in Ostfriesland übernehmen könnte, bei der es mir dann nicht so sehr auf Gehalt als auf die Möglichkeit der eigenen Weiterbildung und einigermaßen ersprießlicher Wirksamkeit ankäme ...
Professor Wagenmann, bei dem Remmer Janßen Dogmengeschichte gehört hat, war bekannt dafür, daß er über ein enormes Einzelwissen verfügte. Er galt in Göttingen seiner Zeit als wandelnde „Realenzyklopädie“. Es ist also durchaus möglich, daß den Studenten aus seinen Vorlesungen die Gesamtschau nicht so deutlich geworden ist und daß Janßen das vermißt hat. (So schrieb sein Enkel an den Herausgeber 1970.)
Examina und Hilfspredigerzeit
Remmer Janßen ist 26 Jahre alt. Mit ruhigen Augen sitzt er im Jahre 1876 vor der Prüfungskommission in Hannover, vor der er sein erstes theologisches Examen abzulegen hat. Seine Personalakte enthält das Urteil:
„Er macht durdi seine Bescheidenheit und Gediegenheit einen recht günstigen Eindruck. In seiner Predigt besonders zeigt er eine zu erfreulichen Hoffnungen berechtigende Art“
Nach diesem Examen endlich geht Janßens lebhafter Wunsch, ohne Verzug in die Gemeindearbeit zu gelangen, in Erfüllung. Er wird dem Superintendenten Schatteburg in Nesse, Kreis Norden, zur Seite gegeben und wirft sich hier mit schonungslosem Eifer auf die Arbeit, obenan die Predigt. Die Kanzel ist sein Element. Scharf ist seine Predigt. Der bedeutend ältere und darum maßvollere Superintendent nimmt oft genug daran Anstoß und ist recht ungehalten, wenn sein junger Freund nach seiner Meinung des Guten zuwenig und des Bösen zuviel predigt. „In seinem großen Ernst erkannte Janßen die Gefahr des Tanzes. Als auf einer Familienfeier im Haus seines Vorgesetzten getanzt wurde, schwieg Janßen nicht dazu. Er wurde aus dem Hause verwiesen. Einen befreundeten Bauern bat er, daß er ihn in seinem Hause wohnen lassen möchte. So geschah es.“ (Dr.).
„Um sük mal wär utschellen to laten“ (um sich einmal wieder ausschelten zu lassen), besuchten bislang völlig unkirchliche Menschen seinen Gottesdienst.
Und Janßen sorgte dafür, daß sie nie enttäuscht nach Hause gingen. Der Kirchenbesuch stieg an, es war, als riefen die Glocken von Mal zu Mal eindringlicher und als hallte ihr dunkles: Komm, Komm, Komm! weit über die Gemeinde hinaus bis in die entlegensten Häuser der Nachbardörfer. Remmer Janßen erlebte seine ersten beglückenden Erfolge. Die Kirche füllte sich of, bis zum letzten Platz, und manche ungläubige Seele fand durch ihn ihren Heiland und kam zur Ruhe.
Einer jener früh Bekehrten war Bauer Steffens, der sich ihm in lebenslänglicher Freundschaft verband. Als später die Missionsfeste regelmäßig stattfanden, konnte man Janßen unter der Menge suchend umherirren sehen, und dann erst verklärte die Freude sein Antlitz, wenn Steffens, der Langentbehrte, ihm schmerzhaft fest die Hände drückte.
In der Gemeinde herrschte damals viel Armut. Täglich zogen Bedürftige von Haus zu Haus, baten um Pfennige und bettelten um Brot oder Suppe. Am Pfarrhaus des Superintendenten klopfte selten jemand vergeblich an; doch eines Tages geschah es, daß nichts vom Mittagstisch übrig blieb. An der gedeckten Tafel saß die Familie, das Essen dampfte auf den Tellern, und in der Tür stand ein hungriges altes Weiblein.
Janßen bat den zögernd zustimmenden Superintendenten um Erlaubnis, führte die Frau auf seinen Platz und drückte ihr die Gabel in die zittrige Rechte. Dann ging er in die Küche, und während er an einer Handvoll Brotrinde knabbert, sieht er durch das Fenster nach draußen, wo der Regen dichte Schnüre durch den naßkalten Herbsttag zieht.
In der Gemeinde war ein alter Kapitän, der einst Gold aus Australien geholt hatte. Er war im Alter so verbittert, daß er auf Kinder, die ihm begegneten, mit seinem Stock schlug, wenn er diese erreichen konnte. Es dauerte kein Jahr, da war unter Janßens Zeugnis aus dem Wolf ein Lamm geworden. Er kam unter Janßens Predigt zum Frieden mit Gott und Menschen.
Remmer Jarißen sagte in Nesse: „Das Wort Sünde besteht aus fünf Buchstaben und das Wort ‚Gnade’ ebenfalls.“ Dann nahm er zwei Untertassen, drehte die eine um und legte diese auf die andere, so daß sich beide mit den Rändern deckten. „Sehen Sie“, so sagte er, „es ist nichts mehr da, was von der oberen Untertasse nicht bedeckt ist. So deckt die Gnade der Sünden Menge vollkommen. Dasselbe kann man mit dem Wort ‚Satan’ machen. Der Name JESUS deckt ihn völlig zu.“ So schlicht und einfach sprach Janßen (J.D. 1960).
Der Ruf des jungen Predigers drang auch nach Strackholt. Dort war die Pfarrstelle im Sommer 1877 vakant geworden. Obwohl die „Wahlpredigten“ schon gehalten waren, konnte die Gemeinde sich nicht zu einer endgültigen Wahl entschließen, weil sich die Gedanken auf den jungen Hilfsprediger in Nesse gerichtet hatten. Da wurde von den stimmberechtigten Gemeindegliedern der Beschluß gefaßt, mit der Wahl so lange zu warten, bis der Kandidat Janßen sein zweites theologisches Examen abgelegt hätte und damit wählbar geworden sei. Das Konsistorium in Hannover gestattete daraufhin Janßen, sein Examen vorzeitig abzulegen.
Es ist anzunehmen, daß Janßen zur eigentlichen wissenschaftlichen Vorbereitung, schon wegen des vorzeitigen Termins, nicht die erforderliche Muße gefunden hat. So erklärt es sich auch wohl, daß er die Prüfung nur mit „genügend“ bestand. Es wurde ihm nahegelegt, sich wissenschaftlich weiterzubilden, was er später in hohem Maße auch getan hat.
Wie ist das Urteil über die Predigt ausgefallen? Der Vorsitzende urteilte: „Eine eigentümliche Predigt, textmäßig, eindringlich, warm, aber durch und durch subjektiv und besonders das Gefühl anregend. Es geht ein pietistischer Zug durch die Predigt. Ohne diesen gar zu stark hervortretenden subjektiver. Zug würde ich zu ‚fast gut’ kommen.“ „Fast genügend!“
Das zweite Gutachten schloß sich dem ersten an: „Den Fleiß und das Wohlwollen verkenne ich nicht. Aber die Ausführung ist doch wenig geschickt, gar nicht predigtmäßig. Daher komme ich zu ‚genügend’.“
Dem dritten Prüfenden muß Janßen dagegen geradezu das Herz abgewonnen haben. Denn sein Urteil lautete entgegengesetzt den vorigen: „Ich habe die Predigt mit größter Befriedigung gelesen. Klarer Anfang, richtige und vollständige Schriflauslegung, verständige Durchführung, Ruhe, Sicherheit und Popularität und dabei ein Zug seelsorgerlicher Liebe. Ich kann nicht weniger geben als ‚gut’.“
Den Einblick in Janßens Prüfungsakten erlangte der Herausgeber (P. Mindermann) unter unvergeßlichen Umständen: Ende September 1943 erhielt er als Soldat bei der Wehrmacht zur Sammlung dieser Erinnerungen vom Landeskirchenamt in Hannover die gütige Erlaubnis, die Personalakten Janßens einzusehen. Die Einsichtnahme geschah nur einige Tage vor jenem schwarzen Tage, dem 9. Oktober 1943, an dem ein großer Teil der Provinzialhauptstadt und auch das Landeskirchenamt durch einen Bombenangriff in Asche sank.
Janßen eilte nach Ostfriesland zurück, voll Sehnsucht, in einer eigenen Gemeinde dem Herrn dienen zu können. Sein Sehnen sollte bald in Erfüllung gehen.
Berufung nach Strackholt
Strackholt ist ein „Loog“, eine Mischung von Straßen- und Haufendorf, im Unterschied zu den langgestreckten „Fehnen“, jenen an Kanälen entlang gelegenen, aufgelockerten Siedlungen. Zur Kirchengemeinde Strackholt gehörten ferner die Ortschaften Voßbarg, Fiebing, Zwischenbergen und die Fehngemeinden Auricher-Wiesmoor II, Spetzerfehn, Wilhelmsfehn IL
Die Strackholter Kirche, ein frei stehender Bau aus roten Backsteinen, mit hohen Fenstern im gotischen Stil und spitzgiebliger Bedachung, weist einen kreuzförmigen Grundriß auf. Da der Turm fehlt, erhebt sich neben ihr ein Glockenstuhl im gleichen sparsamen, etwas nüchternen Stil.
Drinnen schmückt den Altar eine zwar anspruchslose, trotzdem aber.eindrucksvolle Plastik der Kreuzigung Jesu, das erstaunliche Werk des Dorfkünstlers Kloppenburg aus der Zeit um 1850. Am Ende fällt der schweifende Blick auf die weißleuchtende Kanzel, über der das Wort steht: „Erhebe deine Stimme wie eine Posaune. Rufe laut und schone nicht!“
Die Gemeinde
Strackholt war kein unbearbeiteter Boden. Janßen hatte treue Vorgänger im Amte gehabt. Von 1. 805 bis 1852 amtierte dort Willrath. Eigenartig ist es, daß dieser Mann die Erweckung, die Gott später schenken sollte, vorausgeahnt hat. In seiner Amtszeit ist einmal eine schreckliche Dürre zur Sommerzeit gewesen. Die Erde wurde rissig. Die Ernte drohte verlorenzugehen. Das Vieh dürstete auf den verbrannten Weiden nach Wasser.
Willrath hatte einen Amtsbruder ersucht, eine Bußpredigt zu halten. Am Schluß des Gottesdienstes fühlte der fremde Prediger (sein Name konnte nicht mehr ermittelt werden) sich getrieben, eine innige Bitte um Regen zu Gott emporzusenden in einem Gebet, das kniend gesprochen und von der Gemeinde mitgebetet wurde. Zu Hause angekommen, meinte Pastor Willrath dem Gaste gegenüber, ein solches Gebet sei doch immer ein kleines Wagnis. Ob man nicht lieber in Geduld die Züchtigung Gottes hinnehmen sollte, als daß die Leute in Verzweiflung kämen, wenn Gott nicht erhören würde? Er hätte es eben nicht anders können, war die Erwiderung des Predigers.
Und es geschah als ein Wunder. In der folgenden Nacht trieben schwärzliche Wolken heran. Das Klopfen schwerer Tropfen trommelte einen verheißungsvollen Auftakt, und als der rauschende Regen auf die sonnverdorrte, glühmüde Erde niederströmte, wurden die Bauern hellwach. Selbst wer keine Hände faltete, schickte doch ein „Gott sei Dank!“ zum Himmel.
Auch im Pfarrhaus ermunterten sich die Schläfer und lauschten dem nächtlich rinnenden Segen, als plötzlich eine Stimme in der Diele schallte: „Herr, nun sendest Du einen gnädigen Regen und erquickest das Erdreich, das durstig ist!“
Am anderen Morgen begrüßte Pastor Willrath ernst seinen Gast: „Du hast mir heut nacht nicht nur den Text für meine nächste Predigt in den Mund gelegt, sondern auch eine Vision ausgelöst, die mein Herz sich froh erregen läßt!“
Und es war am folgenden Sonntag, als er von der Kanzel herab die ahnungsschweren Worte sprach: „ ... welch ein erschütterndes Erlebnis! So wird dereinst auch über Strackholt der erquickende Wolkenbruch einer Erweckung niedergehen, hundertfach mehr Leben weckend als dieser Regen. Jene Erweckung wird wie ein Sturmwind durch die Gemeinde fahren, der Morsches niederreißt und lange Verschüttetes freilegt. Und folgen wird der stillere Mahnruf gleich einem sanften beständigen Säuseln.
Das empfinde ich im Geiste!“
Auf Willrath folgte Karl Heinrich Schaaf (1852 bis 1857). Als Schaaf seine Wirksamkeit begann, glaubten einige, diese Erweckung sei schon gekommen, weil er ein begnadeter Prediger war, aber dafür war sein Wirken zu kurz. Janßen schrieb von ihm: „Während seiner Zeit wurden zunächst die Sonntagsmärkte und die sogenannten Löskoopen (Loskaufen: z. B. bei Hochzeiten und dergleichen mußte der Gefeierte ein Trinkgeld geben) abgestellt. Es entstand in der ganzen Gemeinde ein Fragen nach dem ‚einen, das not ist’. Besonders die konfirmierte Jugend zeigte Empfänglichkeit für Gottes Wort. Der Zudrang zu seiner Predigt wurde so groß, daß die Kirche die Besucher nicht zu fassen vermochte und man dieselbe durch einen Anbau an der Langseite des Schiffes vergrößern mußte. Diese Vergrößerung wurde im Jahre 1853 ausgeführt und durch einen Aus- bzw. Aufbau des westlichen Giebels vervollständigt. Schaaf selber hat bezeugt, daß er Gemeindeglieder gehabt habe, die ihn in der christlichen Erfahrung überragt hätten, und daß er durch diese innerlich gewachsen sei. Auch habe er gewußt, daß unter der Kanzel treue Beter gesessen hätten, deren Blicke voll Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet gewesen seien.“
Über seinen letzten Vorgänger, Ludwig Valentin Köppen, berichtete Janßen: „Er hat sein Amt nach menschlichen Forderungen in Treue ausgeübt und ist von seiner Gemeinde wegen seiner Freundlichkeit und Einfachheit im Umgang sehr geliebt worden . . .“
Im Jahre 1877 wurde der junge Pastor Remmer Janßen von der zweitausend Einwohner zählenden Gemeinde Strackholt einstimmig zu ihrem Seelsorger gewählt. Viele rieten ihm ab und führten gewichtige Gründe an. Das Kirchspiel sei zu groß, zu weit verstreut, und selbst wenn seine Kräfte den Aufgaben, die seiner harrten, gewachsen sein sollten, bekäme er doch immer nur mehr Arbeit als Geld. Einem Freunde erwiderte Pastor Janßen lakonisch: „Du siehst es verkehrt - die Seelen sind meine Einnahme, das Geld ist mir Arbeit!“ Er sagte zu.
Die Strackholter zeigten aller Welt, was der neue Pastor ihnen wert war. Mit der besten Kutsche, die sich nur auftreiben ließ, gezogen von blankgestriegelten Pferden in glänzendem Geschirr, so holten sie ihren Pastor vom Wohnort seiner Eltern ab, daß ein kleiner Triumphzug daraus wurde. In Schirum stießen fünfundzwanzig Reiter zu der Kutsche, die zu viert vorantrabten und das Ehrengeleit gaben. Cassen Ackermann, Janßens späterer Kirchenvorsteher, waltete seines Amtes als Vorreiter in würdigster Weise. Vor der Pastorei war eine ansehnliche Menschenmenge versammelt. Kinder sangen ein von Hauptlehrer Thaden verfaßtes Gedicht, das schloß:
„Zieh froh herein, du Gottesmann,
zum Heil uns zugesandt,
du, den das Herz schon liebgewann,
eh wir dich ganz gekannt.“
Von der Treppe des Pfarrhauses legte Janßen in kurzer Ansprache dar, wer er sei, was er für sich und die Gemeinde erhoffe, und bekannte sich am Ende warm zu seinem Heiland: „Ihr Strackholter, Ihr habt mich weit her geholt, aus Damsum aus dem Harlingerland, Gott hat mich weiter her geholt, aus dem Abgrund der Hölle.“
Superintendent Bode führte Remmer Janßen ein mit Hes. 3, 17-21: „Du Menschenkind, ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel; du sollst aus meinem Munde das Wort hören und sie von meinetwegen warnen.
Wenn ich dem Gottlosen sage: Du mußt des Todes sterben, und du warnst ihn nicht und sagst es ihm nicht, damit sich der Gottlose vor seinem gottlosen Wesen hüte, auf daß er lebendig bleibe: so wird der Gottlose um seiner Sünde willen sterben; aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern.
Wo du aber den Gottlosen warnst und er sich nicht bekehrt von seinern gottlosen Wesen und Wege, so wird er um seiner Sünde willen sterben; aber du hast deine Seele errettet.
Und wenn sich ein Gerechter von seiner Gerechtigkeit wendet und tut Böses, so werde ich ihn lassen anlaufen, daß er muß sterben. Denn weil du ihn nicht gewarnt hast, wird er um seiner Sünde willen sterben müssen, und seine Gerechtigkeit, die er getan hat, wird nicht angesehen werden; aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern.
Wo du aber den Gerechten warnst, daß er nicht sündigen soll, und er sündigt auch nicht, so soll er leben, denn er hat sich warnen lassen; und du hast deine Seele errettet.“
Superintendent Bode war ein priesterlicher Beter. Johann Piepersgerdes sen. berichtet von ihm: „Wenn ich unseren Superintendenten besuchte, pflegte er zum Schluß sein Käppi abzunehmen und zu sagen: Nun wollen wir noch eben miteinander beten. Dann beteten Gastgeber und Gast und waren gesegnet.“
Superintendent Bode hielt Jarißen in der Einführungspredigt an, die Gottlosen und die Gerechten zu warnen.
Remmer Janßen hat später das Wort Hesekiels treulich beachtet und meisterlich das Wort Gottes zu teilen versucht, indem er die, die noch keinen Anfang der Bekehrung gemacht hatten, zur Versöhnung mit Gott rief, die anderen, die dem Herrn gehörten, zur Heiligung zu führen suchte, ohne die niemand den Herrn sehen wird.
Bei seiner Einführung sprach er über das Wort Ap-. 2, 42: „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre, in der Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet.“ In fesselnden Worten zeigte er der neuen Gemeinde, wie unsere Kirche ein Haus Gottes und eine Pforte des Himmels werden könne.
Wie kann unser Gotteshaus eine Pforte des
Himmels werden?
(Aus der Antrittspredigt über Apg. 2, 42 am 11. 12. 1877)
„Wenn ich jetzt nach meinem Gang vom Altar zur Kanzel, euch zurufen soll, was mein Herz bewegt, so muß ich ausrufen: 0 wie heilig ist diese Stätte, hier ist nichts anderes denn Gottes Haus und die Pforte des Himmels. Ja wirklich, dieses Gotteshaus ist ein Gottes-haus, ein Beth-el. Das Gotteshaus ist für uns die Pforte, die enge Pforte des Himmels. Aber damit ist nicht gesagt, daß alle, die in dies Gotteshaus gehen, damit in den Himmel eingehen. Nein, dies Gotteshaus ist ja nur die Pforte des Himmels, die enge Pforte des Himmels, die uns hier geöff riet wird. Wer hier nicht eingeht durch die enge Pforte, sondern vor der engen Pforte, obwohl sie weit genug geöffnet ist, stehenbleibt, geht hier nicht zum Himmel ein, wenn er auch sein Leben lang jeden Sonn- und Festtag zur Kirche geht. Nicht jeder geht in den Himmel ein, der ins Gotteshaus geht, aber wer gern einmal in den Himmel eingehen möchte, der geht sein Leben lang gern ins Gotteshaus. Die Kirche bringt uns nicht in den Himmel, aber der Himmel bringt uns in die Kirche, und wen der Himmel nicht in die Kirche bringt, den bringt die Kirche nicht in den Himmel. Darum kommt denn von heute an in die Kirche mit dem Himmel im Herzen, mit einem himmlischen Verlangen und Sinn, sooft die Kirchentüren geöffnet werden, dann wird dies Gotteshaus für uns zur Pforte des Himmels werden. Ich kann mir denken, daß ihr in der ersten Zeit fleißig und zahlreich zur Kirche kommen werdet. Denn in der ersten Zeit, wenn ein neuer Pastor kommt, kommen viele aus Neugierde zur Kirche. Wird aber diese Neugierde nicht zur Begierde, dann ist es mit der Neugierde bald vorbei. Die Neugierde ist eine Eintagsfliege und hat ein kurzes Leben, gewöhnlich nur einen Tag lang. Darum ist’s nicht genug, wenn ihr heute und in der ersten Zeit ins Gotteshaus kommt. Ihr müßt von heute an immer kommen. Nicht genug, daß wir heute einen guten Anfang machen, es muß auch so bleiben und auch immer besser werden. Hierzu haben wir nichts nötig als Beständigkeit. Zu solcher Beständigkeit ermahnt unser Text. So laßt euch denn, Geliebte, nach Anleitung unseres Textes heute bei meinem Eintritt zur Beständigkeit erniahnen und euch unter Gottes Gnadenbeistand zurufen:
Bleibt beständig!
1. Bleibt beständig in der Apostel Lehre!
2. Bleibt beständig in der Gemeinschaft!
3. Bleibt beständig im Brotbrechen!
4. Bleibt beständig im Gebet!
1. Bleibt beständig in der Apostel Lehre - so heißt es in unserem Text von den ersten Christen. Aber bevor dies von den ersten Christen gesagt werden konnte, war etwas anderes mit ihnen vorgefallen. Sie hatten Pfingsten gefeiert, sie hatten Buße getan über ihre Sünden, waren gläubig geworden an den Herrn Jesum, sie hatten Vergebung der Sünden und den Heiligen Geiste empfangen. Dies alles muß erst mit Euch geschehen sein, bevor ich Euch sagen kann: Bleibet in der Apostel Lehre, denn solange dies nicht an Euch erfüllt ist, solange seid Ihr nicht in der Apostel Lehre, und wie könnt Ihr dann drin b1eiben? Sagt an: Habt Ihr denn alle ohne Ausnahme Buße getan? Seid Ihr alle gläubig geworden? Habt Ihr alle Vergebung der Sünden und den Heiligen Geist empfangen? Alle? ‚Ach nein’, müssen die meisten klagen, ‚was wollten wir wohl?’ Bekennt’s nur gerade so, wie’s ist: Laßt’s Euch nur sagen, wie’s mit Euch steht. Nicht wahr, Ihr seid alle getauft, konfirmiert, seid auch einmal mit Christi Leib und Blut gespeist, weil’s so Sitte ist, aber ohne gründliche Buße, ohne lebendigen Glauben an den Heiland, an Vergeltung und Gericht habt Ihr so in den Tag hinein gelebt und ganz nach Eurem Fleischessinn in dem alten Naturzustand Euer bisheriges Leben hingebracht, ohne einmal auch nur zu fragen: ‚Was will das werden?!’ 0, Ihr armen unglücklichen Seelen, bleibet stehen und höret doch und vernehmt der Apostel Lehre! Die Apostel lehren uns, daß wir allesamt Kinder des Zorns sind von Natur, daß wir allzumal Sünder sind, daß wir ohne den gekreuzigten und auferstandenen Heiland ewig verloren und verdammt sind. Sie lehren uns aber auch, daß Jesus für uns gestorben und auferstanden ist, daß wir durch ihn von allen unseren Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels erlöst sind. Darum tut Buße und glaubet an den Herrn Jesum Christum, so werdet Ihr empfangen Vergebung der Sünden und die Gabe des Heiligen Geistes. Ist das große Wunder der Pfingsten an Euch geschehen, dann: ‚Bleibet in der Apostel Lehre!’ Es ist ein großer Unterschied, ob ich in einem Hause als Eigentümer oder a1s Mietsmann wohne. Ich kann der Apostel Lehre angenommen haben als bloße Lehre, als leere Lehre oder als volles Leben, als Redensart oder als Lebensart, und das ist ein großer Unterschied. Darum bleibet in der Apostel Lehre, aber bleibet recht drin. Bleibet nicht so drin, daß der Apostel Lehre ein toter Buchstabe ist, der Euch tötet, oder eine laue Redensart, die Ihr im Munde führt, bei der aber weder Hand noch Fuß sich rührt. Nein, bleibet so drin, daß Euch der Apostel Lehre zur Lebensart wird. Es ist der Krebsschaden der heutigen Christenheit, daß das Christentum jetzt keine Lebensart sondern nur eine Redensart ist. Der apostolische Glaube wird mit dem Munde in allen Gotteshäusern bekannt, aber nicht mit dem Herzen geglaubt. Man glaubt seinen Glauben nicht und lebt seines Glaubens nicht. Man redet im Leben von Weltverleugnung und lebt in aller Weltförmigkeit und Weltseligkeit dahin. Man redet von Opferfreudigkeit und lebt im ärgsten Geiz. Wollt Ihr so in der Apostel Lehre bleiben, dann seid Ihr noch nie drin gewesen. Nein, bleibet recht in der Apostel Lehre. Wenn ich Euch in Zukunft der Apostel Lehre predige, daß ihr verdammt seid ohne den Heiland, dann tut Buße und glaubet an den Heiland, dann g1aubt Euren Glauben und lebt Euren Glauben in Welt- und Selbstverleugnung in Opferfreudigkeit. Weiter bleibt beständig in der Apostel Lehre. Wenn der Teufel Euch die Buße anfechten will mit Zweifel, Unglauben, wenn die Welt Euch verfolgt mit Spott und Hohn, wenn Euer eigenes Fleisch Euch quält mit Trägheit und Unlust, bleibet beständig! Ganz besonders auch, wenn Leute kommen und wollen Euch mit Menschenpfündlein von der reinen Apostellehre ablocken, bleibet beständig! Wenn Ihr aber fühlt, daß Ihr allein nicht standhalten könnt, so hört denn
2. Bleibet beständig in der Gemeinschaft!
Es wird in unserer Zeit viel darüber geklagt, daß es so viele Spaltungen und Sekten in unserer Kirche gibt. Die Klage ist begründet. Aber worin liegt der Grund? Es fehlt an der Gemeinschaft in den Gemeinden. Jeder Christ ist ein Christ für sich. Daher kommt das tote Wesen, das kalte Wesen. Wenn ein Feuer auseinandergeworfen wird, so ist’s bald ausgegangen, bleibt’s aber zusammen, so brennt’s länger. Darum, meine Lieben, mehr Gemeinschaft! Lasset uns mehr Gemeinschaft pflegen in Versammlungen, im täglichen Umgang. Damit Ihr aber zum Bleiben in der Apostel Lehre und zur Gemeinschaft möget gestärkt werden, höret
3. Bleibet im Brotbrechen!
Es gibt so viele Christen, die gerne an der Himmelsleiter hinaufsteigen möchten, aber sie können nicht hinauf - sie haben keine Kraft. Woher kommt das? Sie bleiben nicht im Brotbrechen. Das Brot gibt Kraft. Darum bleibet im Brotbrechen: Seid ihr bis jetzt im Brotbrechen geblieben? Ich fürchte, die meisten werden bekennen müssen: Ach ja, ich habe einmal, als ich korfirmiert wurde, das gesegnete Brot des Abendmahls genossen, aber seitdem nicht wieder. 0 mein Christ, wärest Du doch drin geblieben! Denn ich weiß, es ist mit Dir zurückgegangen, seitdem Du das gesegnete Brot nicht gebrochen, Du bist kraftlos und schwach geworden, darum kehre wieder und komme zum Tisch des Herrn, das Brot zu brechen. Sieh, wenn Dein Heiland seinen Leib hat für Dich brechen lassen im Tode, so solltest Du nicht kommen, das Brot zu brechen in seinem Abendmahl? Sieh!, wenn Du hier auf Erden das Brot nicht essen wirst, so wirst Du es auch nicht essen im Reiche Gottes. Darum kommt und bleibet im Brotbrechen! Ja, wenn Ihr einmal geschmeckt habt und gesehen, wie freundlich der Herr ist, so werdet Ihr bleiben im Brotbrechen, Ihr werdet nicht wieder den Tisch des Herrn verlassen. Wenn Ihr auch manchmal Euch unwürdig fühlen möget, so betet, daß ihr würdig werdet und kommt. Bleibt nicht weg vom Tisch des Herrn sondern: Bleibet im Brotbrechen bis an Euer Ende, bis Ihr droben das große Abendmahl halten werdet. Wenn Ihr so die Gnadenmittel des Worts und Sakraments in rechter Gemeinschaft gebraucht und beständig bleibet in der Apostel Lehre, in der Gemeinschaft und im Brotbrechen, so wird Euch das Gotteshaus gewiß zur Pforte des Himmels. Damit Ihr aber diese Gnadenmittel recht gebrauchen könnt, möchte ich Euch noch ein Mittel empfehlen, das auch zum rechten Gebrauch helfen kann, nämlich das Gebet, und sagen
4. Bleibet beständig im Gebet!
Ihr betet gewiß alle, denn Beten ist das erste, was ein Sünder tut, und das letzte, was er läßt, d. h., solange Gottes Geist in ihm wirkt. Aber Beten und Beten ist zweierlei. Manche beten wie der Prophet klagt: Ihr nahet Euch zu mir mit den Lippen, aber mit dem Herzen seid Ihr ferne von mir. Das ist so, wie der Heiland sagt, daß sie plappern wie die Heiden und meinen, daß sie erhört werden, wenn sie viele Worte machen. Darum recht beten! Der Apostel sagt: ‚Ohne Unterlaß.’ Ihr betet vielleicht am Abend und am Morgen, wenn Ihr Euch niederlegt und aufsteht, aber bei der Arbeit wird das Beten unterlassen. Das ist verkehrt. Beten und arbeiten heißt nicht, erst beten und wenn das Beten abgemacht ist, dann arbeiten, nein, sondern beten und arbeiten zugleich. Wer bei der Arbeit Gott ruft an, wird finden, daß er wohlgetan. Darum bleibet im Gebet. Aber für wen denn? Da mögt ihr mit Euch selber anfangen. Dann betet für die Euren, für Mann und Weib und Kind, für Knecht und Magd, für Freund und Nachbar, für die Gemeinde, für die Kranken, Armen, Alten und Sterbenden, für Prediger und Lehrer, für Heiden, Juden und Türken, für Verfolger und Feinde, für alle Menschen. Ganz besonders bitte ich einen jeden von Euch- Betet für mich! So laßt uns bleiben im Gebet, damit täglich Tausende von Gebeten zum Gnadenthron Gottes emporsteigen. Dann wird das Gebet auch zur Himmelsleiter und das Gotteshaus zur Himmelspforte. Darum bleibet im Gebet! Tut Ihr das, so werdet Ihr das andere nicht lassen können, Ihr werdet auch bleiben in der Apostel Lehre, in der Gemeinschaft und im Brotbrechen.
So laßt uns denn zum Schluß die Hände ineinanderlegen - legt Eure Hand in meine Hand - ich lege meine Hand in des Herrn Hand und laßt uns geloben:
Ja, wir wollen beständig bleiben in der Apostellehre,
in der Gemeinschaft,
im Brotbrechen
und im Gebet, ja, mit Gottes Hilfe!
Laßt uns darauf singen: Die wir uns allhier beisammenfinden, schlagen unsere Hände ein, uns auf deine Marter zu verbinden, Dir auf ewig treu zu sein, und zum Zeichen, daß dies Lobgetöne deinem Herzen angenehm und schöne, sage Amen und zugleich:
Friede! Friede! sei mit Euch! Amen! Amen!“
Erweckung in Strackholt
Was Pastor Willrath geahnt hatte, wurde Wirklichkeit. Eine Erweckung brach in der Gemeinde aus. Die Zahl der Gottesdienstbesucher stieg auf 1000 an gewöhnlichen Sonntagen, auf 1500 an Festtagen. Zu den Mittwochs-Bibelstunden kamen etwa 700 Menschen. Schon nach drei Jahren mußte die unter Janßens Vorgänger Schaaf vergrößerte Kirche nochmals erweitert werden. Dabei erhielt sie ihre heutige Gestalt als Kreuzkirche. Bei der Einweihung sprach Janßen die denkwürdigen Worte: „Wir haben nun eine Kreuzkirche. Möge nicht einmal ein Kirchenkreuz daraus werden.“
Nach einem Jahr konnte Janßen auch eine Reform des Gottesdienstes vornehmen. Neues Leben bedarf auch der neuen Form. Die Gemeinde gewann die Liturgie lieb. Man sang dem Herrn ein neues Lied!
Über die Erweckung in Strackholt berichtet Janßen in der Chronik der Kirchengemeinde in seiner Demut das Folgende:
„Mit Furcht und Zittern wage ich es, an die Beschreibung des kirchlichen Lebens in hiesiger Gemeinde heranzutreten. Der gnädige Gott gab einen gesegneten Anfang. Der Zudrang wurde von Sonntag zu Sonntag größer, so daß die Sonntagsbänke auf den Gang gestellt werden mußten ... Es wurden Hausandacht und Tischgebet eingeführt. Auch wurden Betstunden an sechs bis sieben verschiedenen Stellen am Sonntagabend und in der Woche gehalten. Die kirchliche Zucht und Ordnung wurde nach und nach eine würdige. Die Gemeinde versammelte sich vor dem Altardienst und blieb auch bei den Kindtaufen und nach der Predigt ausnahmslos zugegen ... Eine sittliche Förderung erfuhr auch das tägliche Leben der Gemeinde: Der Branntweinverbrauch kam sehr in Abgang ... Nacheinander gingen fünf Branntweinschenken in der Gemeinde ein ... An Sonntagabenden wie auch sonst herrschte Ruhe und Ordnung. Ebenso wurde alle Sonntagsarbeit unterlassen. Am auffälligsten war die Umwandlung unter der Jugend. Am 1. Advent 1878 gründeten ungefähr 50 Jünglinge einen Posaunenchor und einen Sängerchor (unter der Leitung des rühmlich bekannten Hauptlehrers Thaden). Im folgenden Jahr kam noch ein Jungmännerverein von 20 bis 30 Mitgliedern hinzu. Auch entstanden unter Frauen und Jungfrauen Nähvereine.“
Die Erweckung blieb nicht auf die Gemeinde Strackholt beschränkt. Ein Bauer sagte, Janßens Auftreten habe wie ein Glockenschlag gewirkt und die Menschen zusammengeläutet. Besonders die seit 1882 eingeführten Strackholter Missionsfeste wirkten wie ein Feuerbrand. Nach Strackholt kamen die Kinder Gottes aus ganz Ostfriesland zusammen.
Zwei Zeugnisse statt vieler:
„Von Wiesens gingen in der Erweckungszeit sehr viele Menschen sonntäglich zu Fuß 15 Kilometer nach Strackholt zur Kirche. Sie opferten ihre Schmucksachen für die Mission. Das war ganz selbstverständlich“ (Frieda Focken). „Meine Schwester war in Schortens verheiratet. Sie machte sich an Sonntagen um vier Uhr früh mit dem Fahrrad auf den Weg, um den Gottesdienst in Strackholt zu besuchen.“ (Frau Bleß aus Spetzerfehn, 1970).
Der „Gottesdienst“ beschränkte sich nicht bloß auf den Sonntag. Auch auf der Arbeit des Alltags lag eine frohe Weihe. „Im Sommer zogen wir morgens um halb vier Uhr ins Moor zum Torfstechen. Da bildeten sich Gruppen von zwei oder drei Leuten, und wir sangen Lieder aus der ‚Frohen Botschaft’“ (Witwe Hinrichs, Spetzerfehn).
Sein Ringen nach einem heiligen Leben
Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig!
(l. Petrusbrief 1, 6)
Ein Bekehrter war Janßen. Die Bekehrung ist nur der Anfang des geistlichen Lebens, ein Durchgangspunkt. „Christus ist uns von Gott zur Heiligung gemacht“ (l. Kor. 1, 30). Janßen wollte selber sein, was er andere lehrte. Er selbst würde freilich tief erschrocken gewesen sein, wenn man ihn einen „Heiligen“ genannt hätte, er, der für seinen eigenen Leichenstein die Worte bestimmt hatte:
In seinen Augen war er klein,
durch Christi Blut von Sünden rein.
Janßen war ein Mensch, der von sich selbst sagte. „Was bin ich, wenn es mich betrifft? Ein Abgrund voller Sündengift“, der aber auch mit Woltersdorf rühmen durfte: „Was bin ich, wenn ich IHN betracht'? Ein Goldrubin in seiner Pracht.“ Gibt es ein heiliges Leben?
Wir müssen zum biblischen Sprachgebrauch des Wortes „Heiliger“ zurückkehren, wenn wir die rechte Vorstellung von dem Begriff „Heiliger“ haben wollen. Es ist nicht biblisch, zu sagen: „Es gibt keine Heiligen.“ Paulus redet in allen seinen Briefen, vom Römerbrief bis zum Kolosserbrief, mit Ausnahme des Galaterbriefes, die Empfänger als Heilige an (Römer 1. 7, 1. Kor. 1, 2; Eph. 1, 1; Phil. 1, 1; Kol. 1,2). Heilige sind Menschen, die in der göttlichen Gnade stehen, die der Welt entnommen und für Gott geweiht sind, ohne daß ihre Fehler und Gebrechen damit auch schon von ihnen ganz genommen wären. Auch Jesus sagt, daß Er uns heilig machen will: „Ich heilige mich selbst für sie, daß auch sie geheiligt werden“ (Joh. 17, 19). In diesem Sinne war Remmer Janßen ein Heiliger.
Der gesegnete Erweckunsprediger Finney hat einmal gesagt: „Eine geistliche Erweckung ist die natürliche Folge eines geheiligten Lebens.“ So war es auch bei Janßen. Worte belehren, Beispiele ziehen. Das gab seinem Zeugnis den nachhaltigen Eindruck, daß auch sein Wandel eine Predigt war.
Söderblom hat das schöne Wort geprägt: „Heilige sind Menschen, durch die es anderen leichter wird, an Gott zu glauben.“ Remmer Janßen lebte aus Christus für Christus, er lebte die Bibel in seinem Wandel, er war die lebendige Bibel selbst, Lehre und Leben waren bei ihm eins. Er pflegte zu sagen: „Ich stehe nicht allein! Mein König steht hinter mir.“ „Jaget nach der Heiligung, ohne welche niemand kann den Herrn sehen“, so mahnt der Apostel (Hebr. 12, 14). Janßen hat nach diesem Worte gehandelt. Er äußerte einmal, er kenne kein Predigtbuch, das ihn in seinen Ausführungen über den inneren Zusammenhang von Rechtfertigung und Heiligung ganz befriedigt habe. Den ganzen Ernst seines Strebens nach Heiligung vermag diese Darstellung nicht wiederzugeben; sie kann nur versuchen, ein wenig davon nachzuempfinden und ahnen zu lassen.
Remmer Janßen konnte unter der Allgewalt der göttlichen Gnade, die Wollen und Vollbringen schafft nach Gottes Wohlgefallen, schaffen, daß er selig wurde mit Furcht und Zittern und in voller menschlicher Verantwortung Gott und den Seelen dienen.
Liebe zu Christus im Sakrament des Altars
So will ich das Abendmahl mit ihm halten
und er mit mir!
(Offenbarung 3, 20)
Ob einer wohl glühender den Heiland im heiligen Mahl lieben konnte? Sonntag für Sonntag teilte janßen das heilige Abendmahl aus. Der leiblichen, wahren und wirklichen Gegenwart Christi war er sich so bewußt, daß er, wenn er das gesegnete Brot und den gesegneten Kelch in den Händen hielt, nach Aussagen von Gemeindegliedern gesagt hat. „Ich trage Jesus in meinen Händen.“ Menschen, die dies berichteten, sagten, daß sie durchschauert gewesen seien von der Gegenwart Gottes. Janßen machte dann den Eindruck des greisen Simeon im Tempel, der das Kind Jesus in seinen Armen hielt als den von ihm erkannten Christus Gottes und vor Freude in die Worte ausbrach: „Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“
Janßen machte suchenden Seelen Mut, zum heiligen Abendmahl zu gehen: „Das heilige Mahl ist für aufrichtige arme Sünder da. Jesus will sie von allen Sündenschäden heilen. Aber die Selbstgerechten sollen lieber fernbleiben, die da glauben, Gott müsse sich freuen, daß sie so fromm wären. Deshalb sei es eine schreckliche Ehrfurchtslosigkeit, daß manche aus bloßer Sitte kommen und die anderen, die kommen dürften, fernbleiben.“
Fernbleiben vom heiligen Mahl sah er ebenso als einen Schaden an wie unwürdigen Empfang. So sagte er: „Manche verdursten ohne das heilige Abendmahl. - Andere vergiften sich am heiligen Abendmahl.“
Der Abendmahlsbesuch zeigt sich in den folgenden Zahlen. Es gingen in Strackholt zum Tisch des Herrn:
1876 531 1880 2947 Menschen.
1878 1579
Was diese Zahlen bedeuten, kann nur der ermessen, der die ostfriesische Abendmahlsscheu kennt, die nur den Menschen, die wirklich „mit Jesus gehen“, den Abendmahlsgang gestatten. Die Kommunikanten bildeten in Ostfriesland - und darin ist in lutherischen und reformierten Gemeinden kein Unterschied - die Kerngemeinde.
(Dazu ist heute, 1970, zu sagen, daß diese ostfriesische Eigenart jetzt abgeschliffen ist.)
Es war kein Wunder, daß die Gemeinde von der Liebe des Hirten zum Tisch des Herrn erfaßt wurde. „Janßen mußte dazu übergehen, das heilige Abendmahl erst monatlich, dann allsonntäglich auszuteilen. An keinem Sonntag ist in den 44 Jahren von Janßens Amtstätigkeit das heilige Abendmahl ohne Gäste, und somit ist nie der Tisch des Herrn vergeblich gedeckt gewesen.“ Der, den er trug, der trug ihn! „Die Abendmahlsfeier war ein Ruheort zu Jesu Füßen.“
Mut zum Dienen
Haltet fest an der Demut!
(l. Petrusbrief 5, 5)
Er war ein Mann, „vor Könige stolz, doch still vor Gott zu treten“, wie Ernst Moritz Arndt es dem Freiherrn vom Stein nachgesagt hat. Klein war er vor sich selbst, groß aber in seinem Herrn. Janßens Demut war nicht eine „bucklige Demut“, welche die echte Demut in Mißkredit gebracht hat. Demut ist „Mut zum Dienen“ in der Kraft dessen, der uns allen Diener gewesen ist. Von dieser Art war auch Janßens Demut. Janßen wußte sich wirklich mit Paul Gerhardt eins, der singt:
„An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd’.
Was Christus mir gegeben, das ist der Liebe wert.“
Persönlichen Ehrgeiz liebte er nicht. In seinem Gartenhäuschen, in dem er des Sommers oft ganze Tage verbrachte, finden wir wieder auf einer Papptafel die beiden Worte „ICH“ und „ER“, das erste dick durchgestrichen, das zweite dick unterstrichen. Er hielt sich an des Täufers Wort wie an eine heilige Verpflichtung: „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen“ (Joh. 3, 30). Hochmütige Gedanken an menschliche Sündlosigkeit blieben ihm fremd. Derb und drastisch sagte er einmal: „Ein Christ wächst wie ein Kuhschwanz. Der Sündendreck zieht ihn nach unten.“ Öffentliche Ehrungen fürchtete Janßen wie alle wahrhaft Großen im Geist. Während des Krieges hatte Janßen einen Orden mit einem persönlichen Schreiben Kaiser Wilhelms II. erhalten. Er sagte aber niemandem etwas darüber. Dem Vaterlande zu dienen war ihm Selbstverständlichkeit. Seinen Pflegekindern war es nun durchaus nicht recht, daß er die Auszeichnung verheimlichte. „Onkel Pastor müßte doch seinen Orden tragen!“ sagten sie. So trugen sie einfach seinen Gehrock zum Schneider Lubinus, um das Ordensband an den Rock nähen zu lassen. Janßen bemerkte das Band nicht einmal. Als er zu einer Pfarrkonferenz nach Aurich fuhr, wurde er dort von den Pfarrbrüdern sehr herzlich begrüßt und zu seiner Auszeichnung beglückwünscht. Da fragte er ganz erstaunt: „Woher habt ihr denn das gehört?“ Strahlend wiesen die Amtsbrüder auf das Ordensband am Rock. - Als er wieder zu Hause angekommen war, ließ er es sofort abnehmen. „Watt geiht dat annere Lüe an“, schalt er (und das kräftig). - Wie konnte dieser Mann nur so demütig bleiben angesichts des in Ostfriesland beispiellosen Vertrauens? Wie manchem wäre dieser Zulauf von Tausenden zu Kopf gestiegen! Janßen jedoch nahm keine Ehre von den Menschen, die seinem Herrn gebührte. Er erachtete das alles mit dem Apostel für „Schaden und Dreck“. Zu sehr lebten Himmel und Hölle vor seiner Seele, als daß er die Vergänglichkeit irdischer Ehren nicht durchschaut hätte. „Nicht uns, Deinem Namen gib Ehre um Deiner Wahrheit willen“, das war sein Anliegen. Gott ist darin wirklich streng mit uns. Er segnet niernana, der Ehre von den Menschen nimmt. Er spricht: „Ich will meine Ehre keinem andern geben!“ Aber er ist bereit, mit Segen zu überschütten den, der Gott alle Ehre gibt. Mit Thomas a Kempis hätte Janßen sagen können: „Willst du etwas Rechtes lernen und wissen, so lerne die große Kunst, gerne unbekannt und für nichts gehalten zu sein“ (Nachf. Christi 1, 2). Ihm war das Wort dieses Einsamen von Kempen aus der Seele gesprochen: „Wie sollte eitles Ruhmgeschwätz ein Herz noch in die Höhe treiben können, das die Wahrheit einmal tief genug unter Gott gebeugt hat“ (Nachf. Chr. 111, 14). Janßens Demut könnte in dem alten Gebet ihren Ausdruck finden: „Herr, nimm mir alles, was mich trennt von Dir. Herr, gib mir alles, was mich führt zu Dir. Herr, nimm mich mir und gib mich Dir“ (N. v. d. Flüe).
In seiner Schlichtheit vermied Janßen alles Auffällige. Einst holte ein junger Mann den alten im Ruhestand in Egels wohnenden Pfarrer mit einem Wagen zu einem Dienst ab. „Ich kann noch gehen“, sagte Janßen. Auf Bitten des Mannes bestieg er jedoch den Wagen mit den Worten: „Besser demütig gefahren, als stolz gegangen.“
Ein Mann der Christusliebe
Die Liebe Gottes ist ausgegossen
in unsere Herzen durch den Heiligen Geist
(Römer 5, 5)
„Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts“, sagt der Apostel. Einmal wurde ein Mann nach Janßens Konfirmandenstunden gefragt. Da wurde dem Mann warm ums Herz, und er sagte: „He wör nett so (gerade so) wie min Vader.“ Janßens Lehrer, Direktor Reuter, besuchte ihn in Strackholt und fand die Wirksamkeit Janßens ganz außerordentlich. Reuter fragte: „Woher kommt das?“ und gab sich die Antwort: „Das kommt von der Liebe!“ Man sagte von Janßen, er sei auf der Kanzel ein Löwe, unter der Kanzel ein Lamm gewesen. Ein Schiffer aber meinte: „Nein, nicht ein Lamm, ein Engel.“ Janßen hatte ein scharfes Auge. „Die Brille, die er trug, konnte freilich nicht die Ursache dieser Schärfe sein. Ich glaube vielmehr, daß seine große Menschenliebe ihm dazu verhalf. In seinen Augen lag sein ganzes Herz, und das war wie ein klarer, tiefer See, in dem der Sonnenglanz des Himmels sich widerspiegelte. Es war geradezu erstaunlich, daß er Menschen, die er nur einmal im Leben kennengelernt hatte, sofort wiedererkannte und persönlich zu benennen wußte, wenn sie ihm nach zehn oder zwanzig Jahren wieder begegneten. Auf meine erstaunte Frage, wie so etwas möglich sei, erwiderte er, daß das Bild des betreffenden Menschen sich gleichsam auf seiner Netzhaut eingeprägt habe.“
Ein Mann, der Janßen kannte, schreibt: „Ich sehe noch das freundliche, gütige Gesicht des lieben Pastors Janßen, wie seine Augen durch seine Brille strahlten, und höre den Ton seiner Stimme, in dem sich die ganze Tiefe seines kindlich gläubigen Herzens erschlossen hatte. ja, die Liebe war die Macht, die in seinem Herzen lebte, die heilige Unruhe, die ihn zur unermüdlichen Tätigkeit anspornte und die jeden erfaßte, der mit ihm in Berührung kam. Es war die Macht einer brennenden Liebe, die aus einem kindlichen, felsenfesten und gewissen Glauben geboren wurde. Man gewann den Eindruck von Pastor Janßen als einer Persönlichkeit, die tief im christlichen Glauben steht, liebenswert und in jeder Hinsicht original. Er gab sich ganz hin im Gespräch und gab sein ganzes Herz. Besonders eindrücklich wurde dabei seine kindliche Offenheit und Demut. Er suchte nicht sich selbst. Ihm war es nur um die Sache zu tun, der er sein Leben geweiht hatte. Er wollte nicht herrschen, sondern dienen, ein Mitgehilfe der Freude sein. Darum fühlte man sich so wohl in seiner Nähe. Dabei war er voll Geist und Feuer in der Unterhaltung. Aus seinen Augen sprühte förmlich das Leben. Er hatte nichts Steifes und Gezwungenes an sich, und darum konnte man sich auch so ungezwungen bei ihm geben. So konnte es auch gar nicht anders sein, als daß er die Herzen der Menschen gewann und der Segen Gottes spürbar auf seinem Wirken lag.“
„Janßens Wirken, durchglüht von Heilsfreude, das lodernde Feuer seiner Rede, das ihm so zahlreiche Herzen warb, eines vermochte es lange nicht: den heißgeliebten Vater zu überzeugen und zu gewinnen. Der Vater, der es seinem Sohne lange nicht verzeihen konnte, daß er gegen seinen väterlichen Willen das Studium der Theologie ergriff, lehnte es rundweg ab, eine Predigt seines Sohnes zu hören.
Den fortwährenden Bemühungen der Frau war es schließlich doch gelungen, ihren Mann zu bewegen, einer Predigt seines Sohnes beizuwohnen. Nur mit innerem Widerstreben gab er den Bitten nach.
Schon während der Predigt, bei der Janßen mit gewohnter Eindringlichkeit sprach, wurde der Vater unruhig und konnte nur mit größter Mühe von seiner Gattin an seinem Platz festgehalten werden. Aber am Schluß des Gottesdienstes verließ er, der wahrscheinlich jedes Wort als eine gegen sich gerichtete Spitze empfunden hatte, in stürmischer Eile die Kirche.
Draußen angelangt, befahl er dem Knecht, sofort heimzufahren. Er war gerade im Begriff davonzurollen, als sein Sohn, der das Gotteshaus nicht eher hatte verlassen können, da es wie immer gedrängt voll war, zu ihm trat. ‚Geh mir aus dem Wege!’ schrie Jarißens Vater in höchstem Zorn, als Remmer ihn bescheiden bat, wie verabredet, das Mittagessen in der Pfarre einzunehmen. Als der Sohn tiefgekränkt in Erregung vorsprang und den Pferden in die Zügel griff, schlug der Vater, erbittert und jeder Besinnung bar, mit der Peitsche auf die Pferde ein, so daß diese sich hochbäumten, den Sohn fast meterhoch emporrissen. Nach Berichten von Augenzeugen war der sich abspielende Vorgang so gefährlich anzusehen, daß der Vater selbst erschrocken vom Wagen sprang, um Unheil zu verhüten. Er war aber kein Mensch, der jemals an ein Nachgeben dachte - - und fuhr trotzdem.“
Alle weiteren Bemühungen der tiefbekümmerten Mutter, dennoch eine Versöhnung herbeizuführen, schlugen fehl. An dem Herzeleid, das dieser Sonntag brachte, hatte Remmer noch lange zu tragen. Das Herz des Vaters wurde später milder und milder. Er sah es gerne, als noch ein zweiter Sohn Pastor wurde. Wenn Christus Janßen auch höher stand als Vater und Mutter, so hielt er es doch allezeit mit dem 4. Gebot: „Ehre Vater und Mutter!“ Er liebte seine Eltern mit der Liebe, die Jesus schenkt. Obgleich sein Vater fortan selten nach Strackholt kam, erlebte Janßen die große Freude, daß seine Mutter selig heimgehen durfte. Er war darüber so froh, daß er in einer Predigt sagte: „Meine Mutter ist glücklich aus dieser Welt geschieden.“
Ein rechtes Pfarrhaus
Ich muß in deinem Hause einkehren
(Lukas 19, 5)
Das Pfarrhaus in Strackholt (die Ostfriesen sagen Pastorei) war ein Haus in der Sonne. Weil man einen Menschen am ungeschminktesten in seiner Häuslichkeit kennenlernt, ist es diesen Besuch wohl wert. Riechelmann hat davon erzählt: „Wer Janßen daheim in seiner stillen Klause besuchte, hatte Gelegenheit, ihn noch intimer zu sehen. Dicht neben seinem Hause befand sich ein kleines Wäldchen, vom Garten aus zugänglich. Dort hatte er sich eine schöne, solide Laube errichten lassen, mit Schreibtisch, bequemen Stühlen und Bücherbord versehen. In günstiger Jahreszeit studierte er dort gern seine Predigten und konferierte mit seinen Besuchern. Bei ihm habe ich manche traute Stunde verbracht und dabei nähere, mir unvergeßliche Einblicke getan in sein weitherziges Gemüt voll Liebe und Güte.“
Wenn wir über Janßens Heim berichten, darf seine treue Haushälterin, Gretje Ottersberg, nicht vergessen werden. Nachdem sich seine erste Wirtschafterin verheiratet hatte, führte Gretjemöh über fünfzig Jahre lang den Haushalt. Ihr zu Seite stand Anna Schmidt, die er Annamöh nannte; sie verrichtete die gröberen Arbeiten und versorgte das Vieh. Glaube und Humor standen im Pfarrhaus in frohem Bunde. Einer von Janßens Neffen, Remmer, hatte von Pastors Gretje den Auftrag bekommen, einen steinernen Krug mit Honig zu holen. Das Gefäß war auf die Straße gefallen und entzweigegangen. Den Rest drückte der junge fest an seine Brust. So erschien er vor Gretie. Diese wurde sehr böse und rief den Pastor, damit er einmal ordentlich schelte. Janßen kam aus seiner Studierstube. „Sieh, Gretje, das ist nun ein Schatz im irdenen Gefäß“, sagte Janßen, zog sich freundlich wieder zurück, und alles war gut.
Janßen, der unverheiratet war, hat insgesamt 31 Waisenkinder in seinem Hause aufgezogen. Darunter war auch sein Neffe Fooke Janßen mit sechs Geschwistern. Die Mutter dieser Kinder war früh gestorben.
Rührend war es, wie Janßen für seine vielen, vielen Pf1egekinder sorgte. Wo Not war, griff er zu. So kamen zwei Schwestern, Hilde und Paula, zu ihm, deren Vater, ein Arbeiter in Elberrfeld, seine Frau verloren hatte. Die stillere Hilde, die stundenlang über ihren Konfirmandenaufgaben sitzen konnte, nannte er Maria, die mehr lebhaftere Schwester Martha.
Paula erzählte: „Janßen liebte uns :innig. Er wollte uns so viel wie möglich um sich haben. Bei uns ging es immer fröhlich zu.“ Paula heiratete aus seinem Hausstand fort. Als die Inflationszeit kam, fragte Janßen bei den Schwestern an, ob nicht eine zu ihm ziehen möchte. Beide waren in einer kaufmännischen Stellung. Da entschied der Vater: „Der gute alte Pastor hat euch so viel Liebe erwiesen. Nun dürft ihr ihn nicht allein lassen.“ Paula erzählte: „Ich habe ihn bis zu seinem Tode pflegen dürfen. Das war die glücklichste Zeit in meinem Leben.“
Janßen suchte alle Kinder zum Herrn zu führen. Als sein Neffe Fooke Kaufmann werden wollte, schrieb ihm der Onkel ins Album:
„Ein Kaufmann suchte mit Fleiß und Verstand,
Bis er die kostbare Perle fand.
Darob verkaufte er all sein Gut
Und suchte die Perle mit frohem Mut.
Mein lieber Fooke, mach’s ebenso,
Dann wirst Du glücklich und selig und froh.
Dies wünscht Dir Dein Onkel,
Der Dich herzlich liebt,
Und Dir nun diesen Segen gibt.“
Ein Zeugnis seiner Liebe zu seinen Pflegekindern ist der Brief, den Janßen 1893 aus einem Kuraufenthalt in Langeoog schrieb:
Langeoog, den 14. Septbr. 1893
Herzliebe Kinder Reinder und Johann!
Ihr wißt, daß ich jetzt auf einer Insel bin, die Langeoog heißt, um mich hier gesund zu baden. Ihr habt mir nach hier ja beide einen Brief geschrieben, und Johann hat seinen Brief mit „Langeoog“ überschrieben. Ihr wollt gewiß gerne etwas von mir über diese Insel Langeoog hören oder lesen. Ich will Euch jetzt deshalb ein wenig über Langeoog schreiben.
Langeoog ist durch das tiefe Meer von dem Festland, auf welchem Ihr wohnt, getrennt, so daß ohne Schiff kein Mensch vom Festland nach Langeoog und von Langeoog kein Mensch nach dem Festlande herüberkommen kann. Ihr denkt hierbei vielleicht an das ernste Evangelium von dem reichen Mann und dem armen Lazarus, in welchem uns von einer Kluft zwischen Himmel und Erde erzählt wird. Über diese Kluft kann auch niemand herüber und hinüber. Wenn hier auf Langeoog nur lauter fromme Leute wären, so wäre Langeoog der Himmel, und wenn auf dem Festlande lauter böse Leute wären, so wäre das Festland die Hölle. Aber hier auf Langeoog sind auch viele böse, gottlose Leute, und besonders unter den Badegästen. Deshalb ist der Himmel auf Langeoog noch nicht. Es ist auf Langeoog gerade wie bei uns auf dem Festlande. Es gibt hier böse und gute Leute, auch böse und fromme Kinder, wie ich glaube. Ich wohne hier bei frommen Leuten und habe es hier gut, so daß der Himmel mir nicht ferne ist. Auch Euch wird der Himmel nicht ferne sein, wenn Ihr fromm seid und fleißig betet. Ihr wißt, daß ich hier auf Langeoog bin, um gesund zu werden. Ich kann Euch zu meiner Freude mitteilen, daß ich hier wirklich gesund geworden bin. Das hat der liebe Vater im Himmel getan, den wir ja in der 4. Bitte des Vaterunsers nach Luthers Erklärung täglich um Gesundheit bitten. Jetzt denke ich noch daran, was der Name „Langeoog“ heißen mag: Langes Auge, das heißt ein Auge, das weithin sehen kann. Ich kann nicht sehen, ob Ihr jetzt Böses oder Gutes tut, aber denkt an den lieben Gott im Himmel, der hat ein langes Auge und sieht alles. Wenn Ihr einmal Böses tut und ungehorsam seid, so bittet um Vergebung und bessert Euch mit Gottes Hilfe. Wenn Ihr aber gut und fromm seid, so wird der liebe Gott mir sagen, daß ich Euch allerlei Gutes und Schöne mitbringe, wie Ihr es gewünscht habt. Hier gibt es gar vieles, was Ihr noch nicht gesehen habt. Am Strande liegen schöne Muscheln, Schneckenhäuschen, Spiegelchen und dergleichen. In den Läden gibt es Spielsachen, Schreibzeug, Musikinstrumente, Bälle, Armbrüste zum Schießen und dergleichen zu kaufen, aber freut Ihr Euch auch selbst darüber, daß ich wiederkomme? Ich freue mich, Euch wiederzusehen.
Grüßt alle und seid gegrüßt
von Eurem Onkel und Pflegevater Remmer Janßen.
Ein Zeugnis neueren Datums über den Geist der Liebe in Janßens Haus ist der folgende Brief an den Herausgeber (P. Mindermann):
San Francisco, den 5. Oktober 1966
Sehr geehrter Herr Pastor!
Es war in der Tat eine freudige Überraschung, als das Buch „Vorn Geheimnis Christi“ in unseren Besitz gelangte. Wir danken Ihnen von ganzem Herzen! Es ist für mich eine doppelte Freude, da es mir vergönnt war, meine Kinderjahre vom 8. bis zum 15. Lebensjahre unter Onkel Remmers liebevoller Erziehung zu verleben. Viele liebe Erinnerungen werden wach, wenn ich das Buch zur Hand nehme.
Es mag Sie interessieren, Herr Pastor, zu wissen, daß ich als erster die Ehre hatte, eins von den von Onkel neugedichteten Liedern ihm vorzusingen, sofern mir die Melodie bekannt war. So sang ich damals „Mara“, „Manna“, „Die heilge Weihnacht“, „Der Herr ist auferstanden“ und verschiedene andere, an die ich mich erinnere.
Oftmals weilen meine Gedanken in Strackholt, im Sommerhaus im Hilligen Holt und auf dem Friedhof, wo Onkel ruht.
Dem lieben Onkel habe ich viel zu danken. Ich denke manchmal: Da der Herr über Leben und Tod meine liebe Mutter zu sich nahm, als ich zweieinhalb Jahre alt war, gab der gütige Gott mir einen Erzieher, der nicht allein für mein leibliches Wohl, sondern vor allem und zuerst für meine Seele Sorge trug.
Auf meinen Wunsch gab er mir als Konfirmationsspruch: Sprüche 23, Vers 26 und als Vers: „Für dich sei ganz mein Herz und Leben.“
...Man hat einen gläubigen, überzeugten Diener Gottes begraben, und mir war er mehr.
Herr Pastor, mit diesem Brief geht durch das hiesige Hauptpostamt eine Postanweisung an Ihre werte Adresse ab. Wir bitten Sie, diese Anweisung gütigst anzunehmen und nach Gutdünken zu verwenden (50 Dollar).
Nochmals bestens dankend zeichnen
hochachtungsvoll
Gerhard Janßen und Frau
„Wer es fassen kann ...“
Um des Himmelsreichs willen
(Matthäus 19, 12)
Remmer Janßen ist unverheiratet geblieben. Er fragte seinen Herrn und Meister, was er tun sollte.
Eines Tages fuhr der junge Pfarrer mit seinem treuen Kirchenvorsteher Cassen Ackermann zu einer Familie, wo er um die Hand der Tochter anzuhalten erwog. Während der Unterhaltung mit der Mutter wurde Janßen innerlich deutlich: „Eine Ehe ist nicht Gottes Weg für mich. Es kann nicht sein.“ Zu Ackermann sagte Janßen: „Gott hat es gut mit mir gemeint - ER hat mich bewahrt.“
Es ist auch nach dem Beweggrund gefragt worden. Von Janßen selbst liegt eine Antwort nicht vor. Wir sind hier auf Vermutungen angewiesen. Als seine erste Haushälterin, Fräulein Seehusen, sich verehelichte und ihm der freundliche Rat gegeben wurde, den gleichen Schritt zu tun, antwortete er in aller Bescheidenheit und Demut: „Ich habe soviel zu tun mit meinem alten Adam! Wenn ich jetzt noch eine Eva bekäme, wo sollte ich da wohl bleiben?“
Janßens Ehelosigkeit bleibt das Geheimnis seines Lebens und Wirkens, sein eigenes Geheimnis, das er gehütet hat und in das wir nicht so sehr einzudringen versuchen sollten.
Augustin sagte einmal vor seiner Gemeinde in einer Predigt. „Ich vereinige in mir gleichsam zwei Personen: Ich bin Christ und ich bin Seelsorger. Christ bin ich meinetwegen, Seelsorger bin ich euretwegen.“ Vielleicht darf man sagen, daß für Janßen ein gleicher Beweggrund entscheidend gewesen ist. Ihm war es offenbar nicht genug, nur für seine Person Gott zu dienen, sondern er wollte auch andere zu diesem Dienst führen unter Aufopferung seiner ganzen Persönlichkeit. Er war wohl der Überzeugung, daß er ehelos dieser seiner Lebensaufgabe am besten und treuesten dienen könnte. Die Art und Weise wie Janßen seinen Beruf ausübte, berechtigte wohl zu dieser Meinung. Für ihn waren Ehe und Jungfräulichkeit nur zwei Seiten des einen Lebens in Christus (gemäß dein Worte des Herrn: „Wer es fassen kann, fasse es“ [Matth. 19,12]).
Janßens Seele war viel zu demütig, als daß er auf die herabgeschen hätte, die es „nicht fassen“.
Wer Pastor Remmer Janßen kannte, wußte, daß dessen Ehelosigkeit in edlen Motiven ihre Wurzel hatte, und empfand nichts Anstößiges oder Bedenkliches in dem Entschluß ihres Seelsorgers.
Bauer Kobus Buhr in Fiebing gab auf die Frage nach dem Grunde von Janßens Ehelosigkeit als Antwort die geheimnisvolle Bibelstelle in Matthäus 19, 12, wo der Herr von denen spricht, die um des Himmelreiches willen auf die Ehe verzichtet haben. Er fügte die Worte Christi hinzu: „Das faßt nicht jedermann, sondern dem es gegeben ist.“ Ein anderer Zeuge erklärte: „Bei Pastor Janßen hätte vielleicht eine Ehe sehr leicht zu einer Katastrophe führen können, wenn er so, wie er es tat, in dem Dienst Gottes aufgehen wollte, daß alles andere für ihn nur zweitrangigen Wert hatte, - wie es auch tatsächlich bei ihm der Fall gewesen ist“ (M. Köppen-Bode).
Diese Beurteilung spiegelt in ihrer Einfachheit und Schlichtheit sehr gut die Auffassung der Zeitgenossen Pastor Janßens wider. In ihnen findet sich weder begeisterte Zustimmung noch einseitige Kritik, wohl aber positives Verständnis für den Schritt Janßens. Wenn auch das evangelische Kirchenvolk im allgemeinen die Ehe für seine Pastoren wünscht, so hat es doch auch ein feines Verständnis für die Haltung eines Pastors, der wie Janßen sich um des Himmelreiches willen anders entscheidet.
Janßen hat so herzlich an dem Zustandekommen guter Ehen Anteil genommen, daß Brautleute, die ihr Aufgebot bei ihm bestellten, spürten, wie er sich mit ihnen freute. Man würde Janßen in einem wichtigen Punkt verkennen, wollte man annehmen, daß er sich leichtsinnig und oberflächlich in dieser Angelegenheit entschieden haben könnte. Schließlich gleicht kein Mensch dem anderen. Was für den einen ein Segen sein kann, braucht es für den anderen nicht zu sein. Der Weg der Treue ist kein Schema, er wird von der besonderen Veranlagung, den Gaben und Fähigkeiten eines Menschen, von seinem Gewissen vorgezeichnet. Janßens Ehelosigkeit war demnach durchaus nicht einer negativen Auffassung von Ehe und Familie entsprungen, als hätte er sich auf eine bequeme Weise den Sorgen und Mühen eines Familienvaters entziehen wollen, sondern war - so dürfen wir wohl mit Recht annehmen - in seiner persönlichen Auffassung von seinen Aufgaben als Seelsorger begründet.
Einige Worte bedeutender Theologen hierzu:
Wilhelm Löhe, der mittelfränkische Gründer der Neuendettelsauer Werke, schreibt: „Ehe und Ehelosigkeit sind zwei Stände, die nur durch einander gehalten werden. Der Ehestand soll in Würden bleiben. Aber Paulus nennt es doch etwas Edles, ehelos zu bleiben, gottgewollt und hingegeben in Christi Dienst.“ (Aus Löhe, Der ev. Geistliche)
Der Erlanger Professor Paul Althaus sagt: „Die vollständige Enthaltung einzelner von der Ehe, die natürlich in einem besonderen ‚Berufe’ begründet sein muß, bedingt für die ganze übrige Gemeinde eine spürbare Kraft zur reinen Ehe. Wir erkennen zwei Pole, die einander fordern...“ (Relig.-Sozialismus, S. 98)
Martin Luther hat einmal gesagt: „Es gibt etliche Menschen, die ehelos geblieben sind, um dem Evangelium und der Kirche besser zu dienen. Solche haben ein engelisches Leben, nur daß sie sich keinen Ruhm daraus machen.“ Pastor Remmer Janßen tat nach Dr. Martin Luthers Rat.
Und schließlich - hat Janßen nicht 31 Kindern Behausung, Erziehung und Charakterbildung gegeben? Schon diese Tatsache zeigt zur Genüge, wie weit er von dem bequemen Dasein eines Junggesellen entfernt war, der die Ruhe über alles liebt. Doch wenn man Pastor Remmer Janßen gerecht werden will, so muß man den Blick noch weiter werfen, über seine Häuslichkeit hinaus. War nicht die ganze Gemeinde „seine Familie“, war nicht jeder in seiner Gemeinde - ob Mann, Frau oder Kind - ein Stück seines Herzens und dessen Freude auch seine Freude und dessen Leid auch sein eigenes Leid? Wurde er nicht so der Vater vieler? Hier enthüllt sich vor uns vielleicht das Geheimnis der geistigen Vaterschafc, dessen sich seine Pfarrkinder ihm gegenüber immer bewußt gewesen sind.
Arm wie Christus
Verkaufe, was du hast, und gib es den Armen,
so wirst du einen Schatz im Himmel haben;
und komm und folce mir nach!
(Matthäus 19, 21)
„Janßen stand über dem Gelde.“ Auf einen Teil seines Erbes verzichtete er zugunsten von Geschwistern. Traf er wirkliche Not, so ließ er auch wohl sein eigenes Bett zu bedürftigen Menschen tragen. Als einmal eine solche Liebestat bekannt wurde, brachte ein befreundeter Kaufmann ihm ein neues Daunenbett. Er schenkte manchmal buchstäblich „das Hemd vom Leibe weg“. Er lebte in der Nachfolge dessen, der nichts hatte, da er sein Haupt hinlegen konnte. An einem Sonntagmorgen mußte er wirklich seine Alltagshose anziehen. Die neue, für den Sonntag bestimmte, hatte er einem aus dem Zuchthause entlassenen Manne gegeben. Im Laufe der Woche mußte der Schneider Lubinus eine neue Sonntagshose anfertigen.
Eine Lehrerstochter erzählte: „In Zwischenbergen war ein Arbeiter, der fleißig und treu schaffte und gottesfürchtig war, so daß er kein Stück Brot ohne Gebet aß. Er hatte ein Stück Moorland kultiviert und ein Darlehn von 300 Mark aufgenommen. Nun wurde ihm dieses gekündigt. Janßen kam zu meinem Vater und sagte: ‚Jakobohms Land wollen sie verkaufen. Da müssen wir helfen.’ Niemand wollte dem Manne Geld leihen. Lehrer und Pastor sprangen beide ein. So wurde dem Mann geholfen, er konnte sein Land behalten.“
„Eine Frau hatte Typhus. Darauf wurde früher wenig geachtet. Pastor Janßen erfuhr davon. Er begab sich in die Wohnung der Kranken. Es sah entsetzlich darin aus. Die Eltern lagen zu Bett. Die Kinder waren sich selbst überlassen. Als er alles gesehen hatte, eilte er zum Nachbarn und sagte: ,Klaasohm, da möt wi helpen!’ Der Nachbar ging mit. Bald war frisches Bettzeug zur Stelle. Wie sah es in der Küche unordentlich aus! ‚Nu, Klaasohm, möt wi ok de Kök fegen un Ordnung maken un Sand streuen.’ Nun war es Sitte, dort, wo die Stühle in der Reihe standen, keinen Sand zu streuen und eine Kante zu machen. Weil nun Klaasohm den Sand nur so hingeworfen hatte, sagte Janßen: ‚Ne, Klaasohm, wi möten ok kantjen’ (d. h. der Sand muß fein gestreut werden und der Raum unter den Stühlen frei bleiben und mit Trockensand eine Schlangenform abgekantet werden). Und so geschah es.“
In der Gemeinde war ein Mann, der schon lange Jahre die Gicht hatte. Er hatte ein schlechtes Unterbett. Janßen kam von dem Besuch in diesem Hause heim und erzählte seiner Haushälterin, wie er den Epkeohm angetroffen habe. Ob wir nicht noch ein Unterbett haben?“ fragte er ganz treuherzig und unschuldsvoll. Dabei hatte er die Frau des Kranken schon für den nächsten Tag zu sich bestellt. Die Haushälterin entgegnete: „Nein, Herr Pastor, das geht nicht, wenn Ihre Mutter kommt, kann sie doch nicht ohne Unterbett schlafen.“ Janßen sagte nichts. Am folgenden Morgen, als Antjemöh des Pastors Bett machen wollte, war das Unterbett verschwunden. Janßen hatte kurzerhand sein eigenes Unterbett der Frau gegeben, ihr gesagt, sie solle aus der Seitentür gehen, denn Antjemöh dürfe es nicht wissen! Nun müssen Sie eben auf Stroh schlafen!“ war Antjemöhs Antwort.
Als einmal ein Kollektant einer im Kreise Aurich gelegenen Kirchengemeinde für die Anschaffung von Hörnern für einen Posaunenchor sammelte, wurde Janßens Herz so warm, daß er gleich 300 Mark dem Manne mitgab, so daß ihm nicht einmal etwas Geld für das Brot geblieben war. Es mußte erst jemand zu seinem Neffen, der Kaufmann war, gehen, um Geld zu leihen. Als Janßen später im Ruhestande lebte, sagte er einmal zu einem Freunde: „Ich wußte das Datum noch nicht, an dem mein Gehalt kam, da kamen schon Leute, die um Geld baten.“ Daß Janßens Haushälterin, Gretje Ottersberg, im ostfriesischen Platt „Pastors Gretje“ genannt, es nicht immer leicht hatte und daß es manchmal im Haushalt knapp zuging, ist zu verstehen. Janßen gab ja sogar den Speck und die Räucherwaren weg, die unter der Küchendecke hingen. Es ist oft vorgekommen, daß Gretje nichts zum Kochen hatte. In ihrer Not ist sie einmal zum Kirchenvorsteher Jann Harbers gegangen, um ihre Not zu klagen. Die Kirchenvorsteher machten daraufhin einen Rundgarig und brachten der Haushälterin Geschlachtetes. Als Janßen die Schätze an der Decke hängen sah, spürte man ihm die Freude an, nun wieder etwas für die Armen zu haben. Die Kirchenvorsteher jedoch kannten ihren Pastor zu genau und sagten energisch: „Herr Pastor, dat is Ihrs nicht, dat gehört Gretje! Wenn Se dorbi gahn, sünd Se en Deew!“ Dieser Sprache bedurfte es, um der Haushälterin ihr Recht zu belassen, und diesen von Liebe eingegebenen Worten wagte Jarißen nicht zu widersprechen. Das Geschlachtete blieb zu Gretjes Verfügung. Wie es nicht anders bei seiner Mildtätigkeit zu erwarten war, ist er auch oft ausgenutzt worden. Er hatte eben den einen großen Fehler: „Die Liebe glaubt alles, hoffet alles!“ (l. Kor. 13). Janßen ist in seinem Optimismus gewiß oft weit gegangen. „Aber er ist mit seinem Optimismus doch auch weit gekommen und hat viele Herzen gewonnen.“
Einmal hatte Janßen sein Haus voller Gäste, als ein kranker Schriftenbote erschien und um Aufnahme bat. Ein gerade anwesender Schiffer vom Fehn sagte: „Herr Pastor, dat is tau völ.“ Die Haushälterin meinte, daß sie keinen Platz mehr habe und das Haus voll sei. Janßen sagte darauf: „Wo dat Water een leeg Stell find't, dor löpt tohopen" (Wo das Wasser eine tiefe Stelle findet, da läuft es zusammen). Darauf der Schiffer: „Man bloot, Herr Pastor, wenn dat Water aber kien Aftog hätt, dann fangt' an to stinken“ (Nur, Herr Pastor, wenn das Wasser aber keinen Abzug hat, dann fängt es an zu stinken). „Hast recht“, entgegnete Janßen und besorgte dem Gast ein gutes Quartier im Gasthof.
Janßen ließ seine linke Hand nicht wissen, was die rechte tat.
„Seine Hilfe wurde auch mißbraucht. Ich selbst war (etwa 1907) Zeuge eines Gesprächs in der Kleinbahn. Ein Kolonist aus Iheringsfehn erzählte einem anderen leise, ihm sei eine Kuh verendet, er sei bei Pastor Janßen in Strackholt gewesen, der ihm Geld zum Ankauf einer Kuh gegeben habe, die er sich dann auch bereits beschafft habe. Doch er gehe jetzt wieder zu ihm und werde ihm die Geschichte der toten Kuh noch einmal erzählen. Er werde dann noch einmal von ihm Geld bekommen, da Janßen einfach jedem Bittsteller gäbe und bestimmt nicht wüßte, daß er schon einmal bei ihm gewesen sei. - Ich bin dann in Strackholt ausgestiegen und habe Janßen mein Erlebnis erzählt, so daß er nicht auf diesen Mann hereinfiel“ (Otten, 1952).
In großer Freigebigkeit schenkte Janßen, wie die Frau des Lehrers Holzenkämpfer in Spetzerfehn bekundet hat, buchstäblich manchmal das Hemd vom Leibe weg, so daß er nicht wechseln konnte.
Janßens Eltern zürnten ihm wegen seiner entschieden christlichen Haltung und wegen seiner Liebe zur Armut Christi, die sie für den Sohn eines reichen Marschbauern als anstößig empfanden. Die Mutter tadelte ihn, er gebe alles weg, er behielte keine Hose, Janßens Eltern nannten ihn einen Judas, weil er sein Erbe weggäbe. Er entgegnete, es sei zwischen ihm und Judas doch ein Unterschied. Er gebe sein Geld aus der Tasche, aber Judas habe es in die Tasche gegeben.
Mancher Jünger Jesu hat den zehnten Teil seines Einkommens Gott gegeben nach dem Wort: „Bringet die Zehnten ganz in mein Kornhaus und prüfet mich, ob ich euch nicht des Himmelsreichs Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle“ (Maleachi 3, 10). Janßen aber hielt es mit dem Zöllner Zachäus. „Als der Herr bei diesem eingekehrt war, sprach er: Die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen“ (Luk. 19, 8).
Ein Mann nannte Janßen mit innigem Dank seinen Vater. Seine Einnahme hatte er auf Janßens Anweisung in drei Teile geteilt. Den ersten Teil brauchte er zum Lebensunterhalt, den zweiten lieh er aus, den dritten Teil gab er den Armen. Nun war die Inflation gekommen. Was er ausgeliehen hatte, war entwertet. Mit Tränen in den Augen erzählte er Janßen seinen Kummer. Darauf Janßen: „Das ist schade. Aber vielleicht hast du noch zuwenig gegeben. Versuche es einmal: gib die Hälfte Gott, und dein Gott wird dann fürs Alter sorgen.“ Später konnte dieser Mann erklären: „Das habe ich geglaubt, getan und erfahren. Ich bin Rentner und darf noch Freude am Geben haben. Obwohl ich in Wilhelmshaven ausgebombt bin, habe ich es doch sehr gut.“
Janßen klagte in seiner großen Liebe sich selbst bitter an, nicht genug für die Armen getan zu haben. In Fiebing wohnte ein armer Schlucker, Lübbert Stein. Er war verlottert, verlaust und bettelte, ein Spott der Leute, besonders der Kinder. Die Leute boten ihm nicht gern einen Stuhl an, aus Furcht vor Ungeziefer.
Er kam zum Pastor mit der Bitte, ganz bei ihm wohnen zu dürfen. Janßen konnte sich nicht entschließen „ja“ zu sagen. Ein halbes Jahr darauf starb Lübbert Stein. Mit schmerzerfüllter Stimme rief Janßen an dem Grabe: „0 Lübbert Stein, wenn auch sonst niemand mich am jüngsten Tage verdammt, du bist es vielleicht, weil ich dir die Aufnahme verweigert habe.“ (H.)
„Habt ihr je Mangel gehabt“, so fragte der Heiland seine Jünger, und sie antworteten: „Herr, nie!“ So hat der Herr auch seinen treuen Jünger Janßen die lichtvolle Kehrseite der Armut um „des Meisters willen“ reichlich erfahren lassen.
Als in der Inflation die große Geldentwertung viele aus ihrem Reichtum in eine schwer zu ertragende Armut gestürzt hatte, sagte Janßen: „Alle Menschen, die früher Geld hatten, sind jetzt unglücklich, weil sie ihr Geld verloren haben. Wie glücklich bin ich, daß ich alles verschenkt habe, nun brauche ich nicht zu sorgen.“ Es kamen die Hungerjahre der Nachkriegszeit. Der alte Pastor, der bereits im Ruhestande lebte, hungerte. Janßen. gebot seinem Dienstmädchen streng, nichts davon verlauten zu lassen. Das Mädchen aber erzählte bei einem Besuch in Strackholt, wie der alte Pastor darben müsse. Als die Strackholter das erfahren hatten, hieß es: „Unser alter Pastor muß hungern. Wir müssen helfen.“ Da hatte alle Not ein Ende. Mit Wagen kamen die Leute aus der alten Gemeinde und brachten Mehl, Butter, Brot, Käse, ja sogar Torf zum Brennen. Die Strackholter haben ihn in diesen Notjahren ganz unterhalten. Hinter seinem Hause floß ein Bach. Öfter pflegte er zu sagen: „Das ist mein Bach Krith! Ich lebe wie Elia am Bache Krith. Die Raben Gottes kommen und versorgen mich!“ Diese Raben kamen sogar von weit her geflogen. Es waren Dollarscheine aus Amerika von dankbaren Schülern seiner Missionsschule.
Im Geiste der Zucht
Die Zucht halten ist der Weg zum Leben
(Sprüche 10, 17)
Für Janßen gab es keinen Bereich, in dem er nicht dem Geiste Gottes gehorchen wollte. Christus will unser Leibesleben ebenso heiligen wie unsere Gedankenwelt. So sagt der Apostel: „Ich zähme meinen Leib, damit ich nicht anderen predige und selbst verwerflich werde“ (l. Kor. 9. 27). Janßen wußte, daß Leib und Geist aufeinander einwirken und daß manche Versuchungen des Geistes daher rühren, daß das Leibesleben nicht in der Zucht des Geistes steht. „Remmer Janßen wollte dem Bösen, das im Körper aufsteigt, durch Fasten wehren. Er ließ seinem Körper in der ersten Zeit nur das Nötigste zukommen.“ Er wußte auch von der Bedeutung des Fastens für die Seelsorge, wovon der Herr in dem Worte spricht: „Diese Art fährt nicht aus, denn durch Fasten und Beten“ (Matth. 17, 21). Es besteht ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen dem Fasten eines Seelsorgers und dem Weichen des bösen Feindes aus den Seelen. In der Lebensbeschreibung von Johann Christoph Blumhardt (+ 1880) tritt das deutlich hervor. Dieser schwäbische Pfarrer erlebte oft überraschende Gebetserhörungen, wenn er mit dem Beten das Fasten verband. Ohne Zweifel hat Janßen in der ersten Zeit das gesunde Maß überschritten. Die ernste Strenge hielt er nur wenige Jahre aus. Der Preis, den er zahlen mußte, war ein gänzlich ruinierter Magen und ein mit bösen Schmerzen verbundenes Nervenleiden.
Er war damals ein Mensch mit bleichen Zügen, hohlen Wangen und tiefgebetteten Augen.
„Wer ihn sah, sprach mit dem Ausdruck tiefsten Bedauerns von ihm, ja, man sprach sogar von seinem baldigen Ende. Diese Finger! Zum Durchsehen! Dies schmale Gesicht ... ! Wir erschraken. Dabei stand der große Umfang seiner Arbeit in gar keinem Verhältnis zu seiner Leibesschwachheit. Er war manchmal zum Erschrecken müde und matt, geradezu hinfällig. Doch dann konnte er nach kurzer Zeit wieder frisch und fröhlich sein. Er selbst meinte ja von sich: ‚De Inholten sünd goot.’ (Das Innere, Herz und Lunge, sind gut.) Daß aus diesem Asketen noch eine kräftige Männergestalt geworden ist, erscheint wie ein Wunder.“ (v. Zwietering, Rustenburg, Transvaal.)
Einige Male warnten ihn seine Nerven. Er litt es ohne Murren. Doch schließlich empörte sich der Magen. Janßen krümmte sich, lag zu Bett und mußte dem Gottesdienst fernbleiben. Dieses Muß schmeckte bitter! Sicher war es ein göttliches Halt.
„Längere Zeit konnte er mit der rechten Hand nicht schreiben und war gezwungen, linkshändig zu schreiben. In der ersten Zeit seines Amtes, als Remmer noch ein ‚Renner’ war, konnte er überhaupt nicht im Bett schlafen. Die Nerven machten ihn in der Bettwärme ruhelos. Da ließ er sich vom Tischler den Schreibtisch in der Mitte ausbuchten. Zur Nacht stellte er seinen Stuhl hinein; legte die Ellenbogen auf die beiden Seiten, die der Tisch nun bekommen hatte. jetzt konnten sie den Kopf halten. So hat er geschlafen! - Die Magennerven machten auch seine Ernährung schwierig. Er zeigte uns einmal geröstete Feldbohnen, die er stets in den Manteltaschen hatte. Mit ihnen stillte er ohne Beschwerden seinen Hunger.“
Janßens Arzt, Doktor Jilden in Remels, verordnete ihm eine Kur in Wiesbaden. Janßen jedoch entgegnete ihm: „Dazu brauche ich nicht zu verreisen. Hinter dem Hause habe ich Wiesen und Wasser zum Baden: Da habe ich Wiesbaden.“ Er sagte zu seiner Haushälterin: „Der Arzt kann viel verordnen! Ich kann es nicht verantworten, so viel Geld für mich auszugeben.“ Die Haushälterin klagte ihre Not dem Arzt. Dieser erklärte ihm aber kategorisch: „Herr Pastor, Sie haben gesagt, Sie könnten die Ausgaben für Ihre Gesundheit nicht verantworten. Ich aber sage Ihnen: Wenn Sie nicht das Nötigste für Ihre Gesundheit tun, liegen Sie mit Ihren 30 Jahren bald in der Erde und faulenzen. Können Sie das verantworten?“ Das schlug durch. Etwas Schlimmeres konnte sich Janßen wirklich nicht denken, als schon so früh abtreten zu müssen. Ein Vierteljahr tat er keinerlei Dienst. Sein Körper hat es ihm gedankt!
Im Jahre 1893 finden wir Janßen - seltsamerweise - einmal im Nordseebad Langeoog. Das dürfte immerhin eine Ausnahme gewesen sein. „Solange ich Janßen kenne, hat er weder Ferien gemacht, noch Kurorte besucht“, schreibt C. Schomerus. „In der Kirche gibt es keine Ferien“, sagte er. Wohl ging er im Sommer ein paar Sonntage weg, um auf Missionsfesten zu reden. Sonst nahm er keinen Urlaub.
Seine Härte gegen den Körper sollte vor allem der Seelsorge dienen. Für die Armen sparte er sich manche Genüsse vom Munde ab. Die Kräfte des Leibes wurden rückhaltlos in den Dienst Gottes und der Menschen gestellt. Er verwendete das ersparte Geld für die Heidenmission. Wie oft sah man ihn unterwegs für andere, auf Gängen zu den Kranken. In der weitverstreuten Gemeinde ist dies sicher sehr anstrengend gewesen. Wie oft auch wurde er nachts herausgerufen zu den Kranken und Sterbenden! Wo er Not sah, half er sofort.
Janßens Freund Christoph Schomerus erzählt: „Als ich, noch ein Student, Janßen zum ersten Male in der Bahn sah, erblickte ich einen Menschen mit bleichen Zügen, abgezehrten Wangen und tiefliegenden Augen. Wie ganz anders ist das Bild des späteren Janßen - das Bild eines freundlichen, gutgenährten Mannes, voller Milde und innerlicher Güte.“
Die Zucht hat Janßen letzten Endes nicht geschadet, im Gegenteil: „Seine körperliche Rüstigkeit setzte später selbst seine ostfriesischen Bauern in Erstaunen, z. B., wenn er sich, ohne den Steigbügel zu benutzen, auf sein Reitpferd schwang. Er hat es lange Zeit benutzt auf den Sandwegen seiner zerstreuten Gemeinde. Bei seiner Lebensweise ist er über 80 Jahre alt geworden."
„Sein Gesundheitszustand war im allgemeinen gut. Er hatte eine breite, kräftige Brust. Der muskulöse Hals trug einen schönen, wohlgeformten Kopf, der von geistiger Kapazität zeugte. Sein Blut war gesund und pulsierte in seinen Adern mit großer Lebhaftigkeit. Seine Lebensweise war durchaus frugal (einfach) und kräftig. Sein kleiner Haushalt, den eine Wirtsdiafterin leitete, bot ihm einfache ländliche Kost. Aber es gab auch nahrhafte und kräftige Speisen. Alkoholika mied er sehr streng“ (Riechelmann).
Wie viele Pastoren seiner Zeit, war auch er ein starker Raucher. Als sein Arzt ihm riet, das Rauchen zu lassen, gab er dies von einem zum anderen Tage auf. „Eine ganze Nacht durchbetete er. Dann hatte er den Sieg.“ Diese Willensleistung setzte seinen Arzt in Erstaunen. Jaiißen verschenkte den restlichen Tabak an den Vater zweier seiner Pflegekinder, einen Arbeiter in Elberfeld. Bald jedoch hatte er wieder Rauchwaren in seinem Zimmer stehen für seine Gäste. Er selbst verzichtete. So hat sein Körper ihm gedient, wie ein edler Renner seinem Herrn.
Daß dieser Mann nie „den Pastoren ablegte“, sei gleichsam am Rande vermerkt. „Er war immer Pastor.“ „Geheiligt dem Herrn“ war er auch in so äußeren Dingen wie der Kleidung. Es gibt eben nichts Äußeres, das nicht ein Spiegel des Inneren wäre. „So trug er auch immer den schwarzen, oben zugeknöpften Gehrock mit weißer Halsbinde. Auf keinem Bild sicht man ihn anders. Das war für ihn eine selbstverständliche Äußerlichkeit.“
Glaube und Wissen
Christus ist uns gemacht von Gott zur Weisheit
(l. Korinther 1, 30)
Was Janßen als Student geschrieben hatte, ist ihm Lebensregel geworden: „Das Studium macht mir große Freude, soweit es sich wirklich um die Erkenntnis der Wahrheit und des Lebens handelt. Es wird mir langweilig und unerträglich, wenn es in eine schwankende Kritik und lebensleere Schulweisheit übergeht.“ Janßen studierte bis in sein hohes Alter hinein. Seine Theologie war gebetete Theologie. „Er besaß alle wichtigen theologischen Bücher.“ „Auf seinem Schreibtisch lagen die neuesten Werke.“ „Er beherrschte das jeweilige theologische Gespräch vollkommen.“ In einer dem Leben aus Gott entfremdeten Theologie sah er eine Wegbereiterin kommender Gerichte Gottes und sagte: „Wenn diese Eier, die viele Professoren, Pastoren, Doktoren und andere Toren gelegt haben, einmal ausgebrütet sein werden, werden wir sehen, was für Basilisken herauskommen.“ Aber ehrfürchtige Theologie liebte er. „Manchen Examenskandidaten hat er bei seinen Prüfungsarbeiten beraten.“ Professor Ihmels äußerte, man könnte sich mit janßen über jede theologische Frage gewinnbringend unterhalten. „Auf den Pfarrkonferenzen bildeten Vorträge Janßens Glanzpunkte wegen ihrer Durchsichtigkeit. Nach einem Vortrag Janßens auf der Konferenz der 9. Ostfriesischen Inspektion, zu der Strackholt gehört, sagte Generalsuperintendent D. Süßmann, er käme jedesmal mit großen Erwartungen nach Großefehn, wenn Janßen ein Referat habe, aber diesmal sei seine Erwartung noch übertroffen worden."
Man hatte bei Janßen den Eindruck: „Dieser Mann sieht mehr als andere Menschen.“ Er hat oftmals gesagt: „Der Glaube ist ein sechster Sinn, weit über alle Sinne hin.“ So lebte Janßen im Angesichte der oberen Gemeinde, die den Kampf überstanden hat und nun am Ziel ist. Er wußte aber auch um die Realität eines Reiches der Finsternis, verkörpert in Satan und seinem Anhang. Ab und zu schenkte Gott ihm solch einen „prophetischen“ Blick. Als der Familie Sikke Lambertus der siebente Sohn geboren wurde, sagte Janßen: „Der wird Pastor.“ Aus der Arbeiterfamilie Lambertus mit zehn Kindern wurden zwei Söhne Pfarrer.
Ein Mann äußerte einmal gegenüber Janßen, daß ihm erst eine Ader im Gehirn springen müßte, ehe er an die Geburt des Heilands von der Jungfrau Maria glauben könne. „Ganz recht“, entgegnete Janßen, „die Vernunftader muß Ihnen noch springen.“ Dann sagte er weiter, daß Gott noch viel Trübsal über ihn verhängen und ihn so zum Glauben bringen würde. Janßens Voraussage ist wunderbar in Erfüllung gegangen. Aus dem Kritiker wurde ein gläubiger Bekenner, der im Dritten Reich seine Glaubenstreue bewiesen hat und dessen Andenken in Liebe und Verehrung fortlebt. Das ist der tieffromme ehrwürdige Konsistorialrat Friedrichs in Aurich gewesen.
Da liegt in Spetzerfehn ein Konfirmand im Sterben. Er freut sich über den Heimgang. Janßen bittet ihn: „Wenn du oben bist, dann bete für mich, daß ich das Netz recht vollkriege.“ „Das will ich tun“, antwortete der Sterbende (wie die Mutter des bald Entschlafenen später erzählte). Dieses Bewußtsein von der langen, langen und zugleich so nahen Ewigkeit, der Wirklichkeit von Himmel und Hölle, gab Janßen in seiner Arbeit die Dringlichkeit, aber auch jene letzte Klarheit und Sicherheit.
Seine Grenzen
Wir haben aber solchen Schatz in irdenen
Gefäßen, damit die überschwengliche Kraft sei
Gottes und nicht von uns
(2. Korinther 4, 7)
Janßen hatte - wir wir alle - seine Schranken und Grenzen! Was ihm zu fehlen schien, war der Sinn für die Kunst. Wie herrlich ist ein Gotteshaus, das mit guter Kunst geziert ist! Janßen ließ zwar gleich im ersten Jahr seiner Wirksamkeit den „Ort, wo Gottes Ehre wohnt“, erneuern. Aber er hatte keinen Ratgeber, und so glückte die Erneuerung nicht ganz.
Janßen hat in den späteren Jahren bedauert, daß er leichte Singweisen alten kernigen vorgezogen habe. „Hätte ich doch mehr Musik und Kunstgeschichte studiert“, sagte er zu seinem Lehrer Baumfalk. - An echter Kunst hatte er aber auch seine Freude. Über eine von Gott losgelöste Kunst äußerte er: „Die Künstler verderben die Kunst.“
Eine merkwürdige Erscheinung bei dem eifrigen Seelsorger war, daß es ihm am 0rtssinn fehlte. So stand er einmal in dem gewiß doch sehr übersichtlichen Bahnhof Leer, ohne sich durchfinden zu können. Einen Amtsbruder, den er sah, begrüßte er mit Freuden: „Du kommst mir wie ein Retter. Wie komme ich hier nur heraus?“ Als er in Ochtelbur im Ruhestand war, besuchte er öfter in dem nahen Riepe die Pastorei. Das Pfarrhaus war durch eine Baumallee vor dem Hause und auch sonst leicht zu erkennen. Aber immer fragte Janßen doch ein Kind: „Sag einmal, Kind, wo wohnt hier euer Pastor?“
Ein Gewährsmann sagte in dieser Hinsicht: „Merkwürdig war, daß er sich in ganz bekannter Umgebung nur schwer zurechtfinden konnte. Er irrte oft in den Wegen, die er einschlug, selbst in den Zimmern ihm gut bekannter Häuser. Man erzählte davon kuriose Einzelheiten.“
Janßen selbst bemerkte einmal scherzend: „Es gibt Innen- und Außenmenschen, und wir Janßens sind Innenmenschen.“ Sein mangelnder Ortssinn war in Wahrheit der Zeuge einer straffen, inneren Sammlung. Bei Janßen war eben sein Beruf alles, so daß er manches andere Wichtige darüber vergessen konnte. Es klingt unwahrscheinlich und ist doch die Wahrheit: Dieser sehr gütige Erzieher führte einen schweren Kampf gegen seine Anlage zur Heftigkeit, zum Jähzorn und gegen seine Nervosität. „Konnte ein Kind im Unterricht nicht folgen oder störte es, so konnte Pastor Jarißen sich gewaltig aufregen. Wir merkten es ihm an, wie er dann darunter litt und danach einem Kinde, das er gestraft hatte, mit doppelter Liebe entgegenkam. Wir liebten ihn.“
„Auf Remmer Janßen konnte man das Wort des Apostels Paulus anwenden: Wir haben unseren Schatz im irdenen Gefäß, damit die überschwengliche Kraft sei Gottes und nicht von uns' (2. Kor. 4,7).“
Das ostfriesische Volk spricht ein hohes Lob für einen Prediger aus, wenn es sagt: „He steiht darachter.“ (Er steht dahinter.) Dieses Zeugnis stellten ihm alle aus, seine Gegner nicht weniger als seine Freunde und Anhänger. Ein Gemeindeglied erzählte, daß Janßen einmal mit strahlenden Augen in einem Gottesdienst gesagt habe: „Ich stehe nicht allein, mein König steht hinter mir.“ Seine schlichten, von oben eingegebenen Worte schlugen oft wie Blitze ein. Er hatte eben „Vollmacht“. Das Konsistorium in Aurich sah gewiß richtig, wenn es ihm das Zeugnis ausstellte: „Janßen hat offenbar die Gabe, den einfachsten Worten und Gedanken einen solchen Nachdruck zu verleihen, daß sie die Einwirkung auf Herz und Gemüt nicht verfehlen.“ Er war einer von den gesegneten Menschen, die erkennen, wie Großes Gott in ihnen und durch sie wirken wird, wenn sie sich ganz der Führung durch Gott überlassen.
Der Zeuge
Ihr werdet meine Zeugen sein
(Apostelgeschichte 1, 8)
Es gibt einen gewaltigen Unterschied zwischen einem Zeugen und einem Referenten. Ein Zeuge ist mehr als ein Referent. Letzerer kann die biblischen Wahrheiten zwar wiedergeben, aber sein Wort zündet nicht. Ein Zeuge sagt, was er persönlich erfahren hat. Ein solcher war Janßen. Es lag in seinem Wesen etwas Ganzes, er kannte keine Halbheiten. Sein Lebensziel war, Christus in sich Gestalt gewinnen zu lassen. Alle seine reichen geistigen Gaben setzte er schonungslos ein, um auch seine Mitmenschen für Christus zu gewinnen. Dieses Herzensanliegen war irgendwie seinem Gesicht abzulesen. Wer immer diese Schrift zu lesen verstand, wurde erfüllt von einem ehrfurchtsvollen Staunen; er fühlte sich angetrieben zur Nacheiferung oder Ablehnung – oder sogar zum Haß. Wer die Finsternis mehr liebt als das Licht, meidet das Licht und möchte es verdunkeln und ihm die Leuchtkraft nehmen. So ist es nicht verwunderlich, daß man auch bittere Kritik an Janßen übte. Man warf ihm vor, er sei weltfremd, voreingenommen gegen abweichende Ansichten anderer, zu einseitig in seinem Urteil, ja geradezu verletzend und taktlos in seinen unbesonnenen Außerungen. Indessen ließ sich Janßen durch solche Vorwürfe keineswegs irremachen. Wo die innere Stimme ihm gebot, zu reden, redete er kühn und mutig und nahm zuweilen auch kein Blatt vor den Mund. Aus schwarz machte er nicht weiß, aus sauer nicht süß. Wo er glaubte, im Dienste seines Herrn zeugen zu müssen zu Gottes Ehre und nach dem Worte der Heiligen Schrift, scheute er kein Ansehen der Person und strafte weltliches Leben und Treiben mit den schärfsten Worten, ohne es mit dem „Mantel der Liebe“ zuzudecken.
Sein Verhalten wäre nur dann kritikwürdig und verletzend gewesen, wenn er sich selbst dabei zum bloßen Richter über andere gesetzt hätte und wenn nicht sein persönliches Leben hinter seinen Worten gestanden hätte, wenn er selbst ein Mann nur des Wortes, nicht aber der Tat gewesen wäre. Doch in diesem Ruf stand er wahrhaftig nicht. Er fühlte tief und schmerzlich die Macht der Sünde im eigenen Herzen und litt unsäglich unter dem Zweikampf der beiden Seelen in der eigenen Brust. „Ich habe ihn oftmals, bevor er zum Gottesdienst oder zur Amtshandlung ging, auf den Knien liegen sehen. Seine Worte waren echt und wahr.“ „Alle Gaben Gottes konzentrierte er gewissermaßen zuerst auf sich selbst im ständigen Kampf wider das eigene Fleisch und Blut, um sie dann geläutert und rein einsetzen zu können für die Arbeit an den Seelen. Sie zündeten wie Sonnenstrahlen, wenn sie in einem einzigen Brennpunkt vereinigt sind. Er selbst trug die selige Gewißheit in sich, durch Christi Blut erlöst zu sein. Die Liebe zu seinen Mitmenschen wurde die treibende Kraft, die ihn unablässig anspornte, sich für die Rettung ihrer Seelen einzusetzen und zu opfern. Mit welchem Eifer er sich diesem Werke hingab, ist mit Worten nicht zu schildern. Man muß ihn selbst gesehen und gehört haben. Er war ganz Feuer und Flamme. Aus seinen Augen glühte helle Begeisterung. Über seine Lippen ergoß sich wie ein Lavastrom die vernichtende Glut des Verdammungsurteils über die Sünden und Schändlichkeiten der gottfernen Welt. Wenn es galt, zu warnen, ging ein Zittern und Beben durch alle Glieder seines Leibes. Seine ganze Natur war dann in größter Aufregung.“ „Oft raste sein heiliger Zorn wie ein Sturm daher, so daß sich die Leute duckten.“ „Oft konnte er aber auch so sonnig predigen, daß Leute fröhlich auflachten, und es konnte sein, daß sie im nächsten Augenblick wieder tieferschüttert waren“ (Schw. 1962). Das schlichte Gebet, das sich an die Predigten anschloß, war wie ein Widerschein der inneren Kämpfe, die er selbst durchlebt hatte, und der geistigen Geburtsschmerzen, die der Predigt vorangegangen waren. Janßen erfuhr an sich selbst die Schmerzen, von denen Paulus als von geistigen Geburtswehen spricht, „damit Christus in euch Gestalt gewinne“ (Gal. 4, 19). Er sagte öfter, sein Körper sei nach dem Sonntagsgottesdienst erst am Mittwoch wieder in Ordnung. Man mag das kaum glauben. Eine Hausgehilfin aber bezeugt: „Es war schrecklich. Erst am Mittwoch oder am Donnerstag war er für seine Hausgenossen zu gebrauchen.“ Nach jeder Predigt war er ganz durchgeschwitzt. Zwischen Predigt und Schlußliturgie brachte ihm ein Kirdienvorsteher frische Wäsche in die Sakristei, die Janßen dann anzog, um sich vor einer Erkältung zu schützen.
Janßens Predigten waren die Frucht eines außerordentlichen Fleißes. Manche Predigt hat er dreimal aufgeschrieben. Von Sonnabendmittag an schloß er sich ganz ein. Im Sommer studierte und betete er draußen in seinem Gartenhäuschen, das im benachbarten Gehölz, nahe dem Friedhof stand. Dann war er - außer in dringenden Fällen - für niemanden zu sprechen. Janßens Nachfolger, Pastor Schnuis, konnte feststellen: „Jede Predigt hat Janßen in Kladde geschrieben und dann in Reinschrift, jede Konfirmandenstunde ist bis zum Eingangs- und Schlußgebet ausgearbeitet. In seinem Schrank lagen sauber geordnet 44 Jahrgänge Predigten und Konfirmandenstunden.“ „Vor jeder Leichenrede nahm er sich zwei bis drei Stunden Zeit, in denen er für niemanden zu sprechen war.“ Dabei stand Janßen über dem Konzept. Er hielt sich nicht daran, sondern er predigte frei, so daß die Zuhörer manchmal den Eindruck hatten: Es wird ihm von oben gegeben’.“
„Kehrt um“
Tut Buße!
(Markus 1, 15)
Drei Predigtanliegen bewegten Janßen: Erstens Buße und Erweckung, dann Bekehrung, drittens Heiligung und Mission. Die Predigt „Sauli Bekehrung“ zeigt dies deutlich. „Ich habe nie wieder eine Anrede an die Hörer gehört, die so von heiligem Ernst und strahlender Liebe zeugte, wie bei Pastor Janßen. Er fing die Predigt so an: Geliebte in dem Herrn! Liebe Brüder und Schwestern in Christo Jesu!“ So berichtete ein Fünfundsiebzigjähriger vierzehn Tage vor der Drucklegung dieses Buches (1973).
Sein erstes Anliegen war die Erweckung aus dem geistlichen Schlaf. Dazu dienten ihm Gesetz und Evange1ium. „Gesetz und Evangelium waren ihm Nadel und Faden.“ Erst muß die Nadel vorangehen, muß stechen, ehe der Faden folgen, verbinden kann. Wo keine Nadel vorangegangen ist, kann der Faden nichts ausrichten. Wo die Seelen nicht durch die Predigt vom Gesetz, von der Heiligkeit und dem Gericht Gottes erschüttert sind, richtet auch das Evangelium nichts aus. Das Gesetz allein wiederum kann wohl Wunden verursachen, aber nicht heilen. Darum predigte Janßen die frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu den Sündern in Christus Jesus.
Er predigte also zunächst das Gesetz zur Buße und Erweckung. Dabei war das Thema die Hölle und ihre Entsetzen erregende Furchtbarkeit. Himmelreich, Hölle, Glut und Teufel waren ihm keine mittelalterlichen Märchen, sondern Dinge, so gewiss wie die irdischen Zuchthäuser. Da sind die Dämonen, deren satanisches Wirken unsere Tage verfinstert, die sich der Menschen bemächtigen und Besessene aus ihnen machen. Er sah sie allerdings im Kampf mit den heldischen, gottestreuen Engeln stehen. Wie verwahrte er sich dagegen, auch nur eine Partei verniedlicht zu sehen. Pausbäckige, geflügelte Engel und überlistete dumme Teufel? Wer die hintergründige Welt so sah, der kannte weder die Bibel, noch wusste er um den Kampf des Lichtes gegen die Finsternis.
Janßen predigte also das heilige Gesetz Gottes, um zur Buße und Erweckung zu führen. Über die Hölle und ihre Schrecken und über das jüngste Gericht predigte er so ernst, daß der Zuhörer ahnte, dieses alles könnte morgen schon für ihn hereinbrechen. Sünden deckte er schonungslos auf und zeigte, wie der heilige Gott sie ansieht. Was in der Gemeinde an Ungerechtigkeit vorgefallen war, kam schonungslos auf die Kanzel, auch wenn es sich um einen Reichen handelte. „Wer also ein schlechtes Gewissen hatte, scheute sich, zur Kirche zu gehen. Doch konnte er auch nicht wagen, wegzubleiben, weil das die Sache nur verschlimmerte.“
Er blieb auch in den Leichenreden bei der Wahrheit. Für jeden Prediger können Leichenreden leicht eine Versuchung zur Lobrednerei und Schönfärberei werden, von denen es darum im Volke heißt: „Leichenreden - Lügenreden!“ Die Furcht vor Gott legte sich nach Leichenreden Janßens auf die Versammlung, oft so erschütternd, daß Menschen bange wurde. In Janßens erste Amtszeit fallen die folgenden Begebenheiten. In Strackholt fand einmal in Gegenwart von Vertretern der Behörden die Leichenfeier für einen angesehenen Einwohner statt, dessen Leben wenig christlichen Geist verraten hatte. Janßen klopfte an den Sarg und rief: „Er brennt schon!“ Pastor Möhlmann, Emden, berichtete: „Bei einer Beerdigung im Jahre 1882 klopfte Janßen hart auf den Sargdeckel und sprach dabei recht harte Worte, so daß wir entsetzt waren. Am 28. Januar 1882 wandte sich Janßen auf einer Trauerfeier an die einzelnen Trauergäste und rief, herumzeigend: ‚Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht lebendig bleiben.’ Ein Mann, den er namentlich anredete, wurde totenblaß. Das Entsetzen wurde auch nicht geringer, als Janßen fortfuhr: ‚Ich meine es ja gut’.“ Diese Predigt trug Janßen eine Anzeige beim Landeskirchenamt ein. Sein Superintendent Bode trat aber ritterlich für ihn ein.
„In späteren Jahren hat Janßen manches anders gemacht. In seiner ersten Zeit mußte er so handeln.“
Ein Mann hatte während seiner Krankheit Janßens Besuche als nicht passend abgewiesen. Die Leichenfeier war stattlich. Der Landrat und andere Herren waren zugegen. Jarißen predigte über Apg. 24, 25: „Gehe hin auf diesmal, wenn ich gelegene Zeit habe, will ich dich wieder rufen lassen.“ Er sprach von der Gelegenheit, die nicht wiederkehrt, und von dem Ernst der Ewigkeit.
Seine Predigtregel hieß:
„Das ‚Du’ und ‚Ihr’ wend’ öfters an.
Mit Nathan sprich: ‚Du bist der Mann’.“
In einer seiner Predigten sagte Janßen: „Du Heuchler kommst des Sonntags in die Kirche, um dich in der Woche darüber lustig zu machen und deine fromme Frau zu peinigen! Du brauchst dich nicht zu wundern, wenn deine gute Frau plötzlich von dir genommen wird. Dann wirst du dir herzzerreißende Vorwürfe machen. ‚Oh, hätte ich besser an ihr gehandelt!’“
Ein Mann, von dem Janßen gar nichts wußte, sah sich durch diese Worte demaskiert. Der Eindruck wurde noch vertieft, als seine Frau unerwartet verschied.
Janßen predigte in einer Vakanzzeit in Timmel. Da er die Sünden deutlich beim Namen nannte, waren verschiedene Leute so beleidigt, daß sie unter der Predigt aus der Kirche gingen. In einer Wirtschaft zogen sie dann über Janßen her. Ein Mann, der davon erfahren hatte, wollte am nächsten Sonntag auch in die Kirche gehen. Er wurde gewarnt. In der Predigt rief Janßen, der den Gast nicht kannte: „Du, lieber Mann, bist in den besten Jahren. Deine Bosheit ist so groß, daß du bald in die Hölle gestoßen wirst.“ Das hat den Mann so getroffen, daß er mit Tränen zu ihm kam, Janßen betete mit ihm, und dieser Mann kam zum Glauben an Christus. Fortan pilgerte er mit Freuden den langen, einige Stunden weiten Weg von Timmel nach Strackholt zu Janßens Gottesdiensten.
Rücksichtslos ging der Pastor auch dein Alkohol zu Leibe. Es gab damals acht Branntweinstokereien in der Gemeinde, in denen Schnaps gebrannt wurde. Alle Stokereien gingen ein. „Janßen ging in die Gaststätten und fegte die Gläser vom Tisch herunter. Er predigte oft: ‚Alkohol - Teufelstrank – Höllenwasser’.“ Der Alkohol wurde auch von Frauen aus Teetassen getrunken, daher ‚kalter Tee’ genannt. Trat Janßen in eine Stube ein, in der Frauen um die Teekanne saßen, dann fragte er wohl: Wat hewt ji in'n Teepott?' (Was habt Ihr im Teetopf?) und forderte: ‚Schenkt mir auch davon ein.’ So kam der Betrug zuweilen ans Licht. Es war dann meist der letzte Alkohol, den diese Frauen tranken.
Zwei Brüder gab es, die nicht arbeiten wollten. Sie bettelten und vertranken dann das erbettelte Geld. Als einer von den beiden starb, ließ Janßen singen: ‚0 Ewigkeit, du Donnerwort’.“
„Ein andermal hatte sich ein Trinker im Rausche das Genick gebrochen. Janßen predigte: ‚Er brennt in der Hölle!’ Das war gewiß für die Angehörigen sehr schwer. Später hat Jarißen solche Härten vermieden.“
„Einst trat er in eine Stube, in der drei Frauen ihren ‚kalten Tee’ - den Alkohol - tranken. Er begrüßte sie: ‚Guten Abend, Ihr vier!’ ‚Aber’, entgegneten diese, ‚wir sind doch nur drei!’ Jarißen antwortete: ‚Der Teufel sitzt mitten unter euch’.“
Ein Gastwirt in Voßbarg war durch eine Predigt Janßens recht erschüttert worden. Er erkannte, daß er mit seinem Geschäft viel Tränenschuld auf sich geladen hatte. Zu Hause angekommen, ging er in den Keller, zog den Hahn am Alkoholfaß auf und ließ den Alkohol in den Keller laufen. Die Wirtschaft gab er auf. – „Den Alkohol nannte Janßen Teufelsblut.“ (-r-)
Mit großem Ernst warnte Janßen vor den Schlichen des Satans. Einmal rief er in der Kirche von Rhaude: D“er Teufel sitzt heute auf der Kirche und paßt auf, daß ihr euch nicht bekehrt. So sitzt er immer auf der Kirche und steht am Ausgang und geht mit euch fort. Nur in N. nicht (dabei nannte er den Namen der Gemeinde). Da sorgt der Pastor schon dafür, daß die Menschen sich nicht bekehren.“ Seine Amtsbrüder schonte er nicht. So konnte er einmal sagen, daß schlechte Pastoren in der Hölle den untersten Platz haben würden.
Kein Wunder, daß er als ein Mann galt, der Vollmacht hatte. „An einem heißen Sommertage, an dem man die Kirchentür offengelassen hatte, geschah es unter der Predigt, daß eine arme Frau, offenbar eine Geistesgestörte, hereinkam, die sonst im Dorf viel Lärm machte. Die Arme lief den Gang entlang. Janßen hörte im Reden auf, faßte den Eindringling scharf ins Auge, aber sagte kein Wort. Gegen ihre Gewohnheit war die Frau völlig still. Sie stieg zum Erschrecken der dichtgedrängten Gemeinde zur Kanzel und reichte Jarißen ein paar Eier. Jarißen nickte ihr zu, als wollte er sagen: ‚Danke schön.’ Alles ohne Worte. Die Frau stieg ruhig die Kanzel hinab und ging ebenso ruhig aus der Kirche heraus. Jetzt setzte Janßen da wieder ein, wo er aufgehört hatte, als wenn nichts Besonderes vorgekommen wäre. Viele glaubten, Jarnen habe Macht über die Geister, und in gewissem Sinne stimmte das auch.“
„Bei einer Kirchenvisitation war Landrat Neupert zugegen. Diesem entfuhr das Wort: ‚Herr, Jes . . .’ Jarißen entgegnete: ‚Herr Landrat, das ist ein unbedachtes, unpassendes Wort!’ In der Unterhaltung fiel wieder dieses Wort. ‚Herr Landrat, Sie haben wieder geflucht.’ Als der Landrat auf dem Heimwege war, sagte er: ‚Ich konnte dem Manne nicht böse sein, so freundlich war er’.“
Gelegentlich traf er ein Kind, das für den Vater Schnaps geholt hatte und denselben unter der Schürze trug. Janßen griff die Flasche und schleuderte sie weg. Man spürte die rettende Liebe und beugte sich. Ein Neffe, der 1899 ein Jahr in Janßens Hause war, erzählt: „Das war die schönste Zeit meines Lebens. Ich kam aus einer Gegend, in der der liebe Gott verlacht und verspottet wurde. Das ‚Herr Jes . . .’ habe ich nur einmal gesagt. ,Mien Jung, mut lew Gott darünner lieden? Kannst du dat denn nich ook anners segen?’ sagte Onkel in solcher Liebe, daß ich mich schämte und dieses Wort nie mehr unbedacht und leichtsinnig aussprach.“
Man warf Janßen vor, er mache es zu schlimm. „Wenn er in Fahrt kam, ging er oft zu weit. Die Leidenschaft ging mit ihm durch. Sein hitziges Temperament riß ihn mit.“ Janßen meinte: „Es sei besser, aus Liebe zu Jesus mit Petrus ein Ohr abzuschlagen, als nichts zu tun. Der Heiland habe das Ohr wieder geheilt.“ Doch siegte zuletzt die Liebe über sein Temperament.
„In einem Witzblatt war Janßen abgebildet als ein Mann, der mit einer großen Schaufel in der Hand vor dem Feuer der Hölle stand und mit der Schaufel die Seelen aus dem Feuer holte und in den Himmel warf.“
„In den Gottesdiensten wurden zuweilen Regierungsbeamte aus Aurich gesehen. Da Beschwerden eingegangen waren, sollten sie die Predigt überwachen. Sie fanden nichts. Es war nichts einzuwenden“ (A. v. Halle).
Lic. Ludwig Thimme hörte Janßen vor etwa 85 Jahren. Er schrieb um 1945 an den Herausgeber (P. Mindermann): „Fast alle Predigten, die ich vor Jahrzehnten hörte, habe ich vergessen, die von Janßen nicht. Er predigte von den Saatkrähen, die hinter dem Samen herfliegen und den Samen stehlen. Es war beängstigend, wie er predigte. Die Leute bekamen es mit der Angst zu tun, so predigte er Buße und Gericht. Es gab keinen Landstrich in Deutschland, wo man solche Sorge um das Seelenheil trug wie in Ostfriesland.“
Die Angesprochenen seiner Bußpredigten waren nicht nur die unbekehrten Menschen, sondern auch die bekehrten Christen. Heftig zog er gegen den Geiz zu Felde. „Den Schnapsteufel habe ich euch ausgetrieben, der Geldteufel aber ist eingekehrt.“ Auch gegen die Putzsucht eiferte er mit Macht. Über 1. Petrus 3, 3: „Der Frauen Schmuck soll nicht auswendig sein mit Haarflechten und Goldumhängen“ predigte er so eindrücklich, daß eine Frau aus Ostgroßefehn ihre Haarflechten abschneiden ließ, sie verkaufte und den Erlös an die Mission gab. Es ist aber kennzeichnend für Janßen, daß er vor besonders ernsten Predigten dieser gehorsamen Frau bedeutete: „Diesmal mußt du zu Hause bleiben, das ist nicht für dich!“ So wußte er den Ernst zu mäßigen. Das Haus, in dem dieses Opfer des Gehorsams gebracht wurde, das möchte der Herausgeber (P. Mindermann) persönlich bezeugen, ist bis heute (1973) ein Haus gewesen, in dem vielen Gästen Jesus begegnete.
Remmer Janßen hat in seiner Jugend in hitzigem Eifer und Überdruß die Schule, das Gymnasium in Aurich, eine Zeitlang verlassen. Sein Direktor Reuter holte ihn mit Liebe und Güte zurück. Janßen hat seinem guten Direktor zeitlebens gedankt und gesagt: „Im Himmel werde ich meinen frommen Lehrer wiedersehen.“ Später hat Reuter seinen Schüler in Strackholt besucht. Staunend stand er vor dem, was unter Janßen geschah. Auf Fragen nach der Ursache solchen Segens gab er die Antwort: „Das kommt von der Liebe.“
Der jüngere und der ältere Janßen müssen füglich auseinandergehalten werden.
Jarißen ist seinem eigentlichen Wesen nach immer der gleiche geblieben. „Sein Charakter war ‚indelebilis’, d. h. unzerstörbar“, sagte sein Amtsbruder Paul Köppen von ihm, der jahrzehntelang im gleichen Kirchenkreis war und mit ihm zusammenarbeitete. Aber Janßen selbst sagte später: „Früher habe ich mehr das Gesetz gepredigt, jetzt predige ich mehr das Evangelium.“ Man braucht nur ein Bild des jungen Pfarrers neben ein Bild des alten Janßen zu halten, um dies zu erkennen. Sein Jugendbildnis zeigt die tiefliegenden Augen eines Eiferers für seinen Herrn, das des Siebzigjährigen sonnige Güte. Der junge Janßen erinnert noch an den Donnerssohn Johannes (Markus 3, 17), der ältere an den Liebesjünger Johannes.
Nehmen wir nun noch die Jugendzeit Remmer Janßens hinzu, so erkennen wir drei Gesichter.
Da steht seine unbekümmerte Jugend vor uns: sorgenlos und problemlos. Er ist ein lebensprühender, begabter Schüler, der den Lehrplan spielend bewältigt und in der Freizeit seine überschüssige Kraft in die üblichen Bahnen lenkt. Sinn und Leib sind dem irdischen Leben völlig verhaftet, und wie allen jungen Menschen, so steht auch ihm die Welt mit märchenhaften Schätzen und Möglichkeiten offen. Bis - jäh wie ein Hagelschlag - der Geist Gottes ihn erfaßt, ihn durchleuchtet, durchglüht - ihn vom „Satanskind zum Gnadenkind“ erhebt, um Janßens eigene Worte zu gebrauchen.
Und damit zeichnet sich der neue Mensch ab, der Bekehrte und Eiferer. Sein Gesicht ist blaß, streng seine Züge. Aus der Tiefe brennen die hellen und klaren Augen. Er fastet. Er ringt. Er ist Angeklagter und Kläger zugleich. Seine Worte sind schneidend wie Glas. Er führt den Menschen vor Augen, wessen sie im Jenseits so oder so gewiß sein werden, und worum es in diesem vergänglichen Erdendasein letzten Endes geht. „Seht her!“ ruft er ihnen zu. „Dies ist das Bild, wie ich es sehe!“ Und sie schauen in grelle, schreiende Farben, daß ihre Augen gepeinigt sich schließen und ängstlich forschend nach innen sehen. Wer ihn mit beschwerten Gewissen zu hören kam, der gewann seine Ruhe nicht eher zurück, bis daß er sich sein Last entledigt und der Gnade Gottes vergewissert hatte.
Das ist der Janßen, den wir oben zu schildern versuchten. Und etwas von dieser Art wird weiterhin sichtbar bleiben, wenngleich sich das Bild allmählich verschiebt. Was sich jetzt formt, ist „Pastor Janßen“, der weise, ältere Mann, dem die Güte aus den Augen leuchtet, der lauter Liebe und guter Helfer ist. Jener Hirte, dem die verkommenste Seele für Jesus zu gewinnen höchste und schönste Aufgabe ist. Und dieser gereifte, um alles Menschliche wissende Seelsorger ist es, an dem die Gemeinde mit der gleichen Liebe und Inbrunst hing wie er an ihr und dessen sich mancher später noch erinnerte, wenn es hieß „Damals, als Pastor Janßen ...“
Ein Leisetreter ist Pastor Janßen nie geworden. „Gegen den alten Adam und dessen Lebensäußerungen wurde er in seiner Verkündigung stellenweise so ausfällig, daß gewiß die Hörer diese Äußerungen von anderen Predigern nicht entgegengenommen hätten. Ihm gestand man diese Freiheit zu – und – kam wieder, zu hören. Die Wirksamkeit dieses Zeugen beruhte darauf, daß auf ihm die Salbung des Heiligen Geistes lag.“
Gesetz und Evangelium sind beide Gottes Gabe,
die wir zu unserm Christentum beständig nötig haben.
Doch bleibt ein großer Unterschied,
den nur ein solches Auge sieht,
das Gottes Geist erleuchtet.
So wurde Janßen auch zum Prediger des beglückenden Evangeliums von Jesus, der den Sünder annimmt.
„Kehrt heim“
Ich will ausgießen meinen Geist über alles Fleisch,
wer des Herrn Namen anrufen wird, soll errettet
werden
(Joel 3, 1.5)
Janßen konnte wirklich Menschen aufrichten, die in Sündennot waren! Kobus Buhr in Fiebing erzählte aus seiner Jugendzeit: „Ich wollte nicht zur Kirche, aber ich mußte hin. Es zog mich dorthin, wie ein Magnet. Ich trug mich mit Selbstmordgedanken und hatte den Strick oftmals in der Tasche. Satan stand neben mir. In der Predigt rief Janßen: ,Und wenn Satan vor dir steht und zeigt auf den Strick, hier ist Jesus der Sieger!’ Erschüttert ging ich aus der Kirche und fragte: ‚Woher wußten Sie, Herr Pastor, was ich vorhatte?’ Janßen entgegnete: ‚Ich habe nichts davon gewußt, aber der Heilige Geist.’ Dann haben wir zusammen auf den Knien gebetet. Der Herr hat mich angenommen. Seitdem sind 70 Jahre vergangen. Janßen hat mich später ermutigt mit den Worten: ‚Der Geist Gottes sagt mir, daß du Gottes Kind bist. Daß du immer Gottes Kind bleiben wirst, darüber gibt er mir keine Gewißheit’.“ „Das treibt mich viel in das Gebet hinein“, so fuhr der Erzähler fort.
Janßen konnte sich herzlich freuen, wenn Menschen in Jesus den Frieden gefunden hatten. „Wenn ein Mensch zum Frieden kommt, dann ist das wert, daß mit allen Glocken geläutet werde.“
Janßens Predigten brachten viele suchende Menschen in sein Haus. Oftmals kniete der Pfarrer mit ihnen nieder, betete ihnen die Worte vor, die sie nachsprachen. Wie glücklich waren Besucher und Pastor, wenn Friede mit Gott das Herz erfüllte. In dieser Freude ließ der treue Hirt of[ Essen und Trinken stehen.
„Unvergeßlich ist mir eine Predigt über den Text. ‚Wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll errettet werden’ (Joel 3, 5). Die Predigten Janßens hatten drei Titel: 1. Die allumfassende Einladung: ‚Wer’, 2. die allergeringste Forderung: ‚seinen Namen ruft’, 3. die allergrößte Verheißung: ‚soll selig werden’. Janßen brachte ein packendes Beispiel, um den Sinn seiner Worte recht anschaulich zu machen. Ein Mann, so führte er aus, gerät im Dämmerlicht in einen großen Sumpf. Verzweifelt bemüht er sich herauszukommen. Sein Mühen ist vergeblich. Da sieht er plötzlich einen Mann daherkommen. Er kennt ihn und ruft ihn bei seinem Namen. ,Gerd’, ‚Jakob’, „Jann’ ruft Janßen ganz laut durch die Kirche, kein Wort weiter. Eine spannunggeladene Stille herrscht in der ganzen Kirche. Nun sieht der Mann den Ertrinkenden in seiner Not und eilt zu Hilfe. Und nun kommt die Anwendung: ‚Rufen auch wir den Namen des Herrn an - eine geringe Forderung nur, und doch, wieviel Segen und Kraft schenkt uns der Herr in seiner Liebe und Güte!’
Ein Mann stenographierte die folgenden Worte der Einladung zu Jesus mit:
„Wenn eure Sünde gleich blutrot ist, soll sie doch schneeweiß werden. Jener Schächer dort, der so schwarz wie die Hölle war, glaubte, und er ist weiß und rein wie der Himmel selbst geworden. Das Blut Christi entfernt alle Sünden in dem Augenblick wo du an Christus glaubst. Der Geist Gottes macht Wohnung in dir, um dich vor Sünden in Zukunft zu bewahren, und das Blut Christi legt Fürsprache für dich ein. Warum warten? Kommt nur heute, denn euer Herz mag nie wieder so empfänglich sein. Kommt nun! Morgen mögt ihr nicht mehr in der Welt sein. Kommt nun, denn morgen mag dein Herz härter sein als Stein. Heute ist Gottes Zeit. Morgen ist des Teufels Zeit. Warum wollt ihr eure Glückseligkeit hinausschieben? Wollt ihr euren Hochzeitstag hinausschieben? Kommt nur! Das Herz Gottes sehnt sich nach euch. Das Auge des Vaters sieht euch von ferne und er eilt euch entgegen. Kommt nun! Die Gemeinde betet für euch. Es ist die Zeit der Erweckung. Komm nun, sterblicher Mensch, denn du wirst sterben und nicht lebendig bleiben. Oh, hätte ich die Kraft, diese Einladung wie einen Pfeil in deine Seele zu schleudern. Aber ich muß ihn in meines Meisters Hand lassen. Doch wenn es der innige Wunsch meines Herzens vermöchte, wie sollte ich euch mit Bitten bestürmen. Sünder, ist dir die Hölle zu angenehm, daß du sie durchaus erdulden willst? Ist der Himmel so eine Kleinigkeit, daß du ihn durchaus verlieren mußt? Ist der Zorn Gottes, welcher bleiben wird, kein Grund, daß du dich nicht bemühen solltest, ihm zu entrinnen? Was, ist eine völlige Vergebung nicht des Habens wert? Ist das teure Blut Christi so wertlos für dich? Hat es nichts zu bedeuten, daß der Heiland sterben mußte? Mensch, bist du ein Narr? Bist du von Sinnen? Wenn du durchaus den Narren spielen willst, so ehe hin und treibe Mutwillen mit deinem Gold und Silber, aber nicht mit deiner unsterblichen Seele. Kleide dich wie ein Toller, trage eine Maske und male deine Wangen. Gehe zum Gelächter durch die Gassen. Mache dich selbst zum Gespött, aber warum willst du deine Seele zum Scherz in die Hölle werfen? Warum willst du dein ewiges Heil für ein wenig Bequemlichkeit hienieden drangeben? Sei weise! O Geist Gottes, mache Sünder weise! Wir predigen wohl, aber du mußt es auf die Herzen anwenden. Herr, laß es in die Herzen dringen! Erscheine, großer Geist; Wind, komme herzu aus den vier Winden und blase die Toten an, daß sie lebendig werden. O Geist Gottes, erscheine! Bei der Stimme des, der einst dem Winde gebot und ihn und die Wogen des Meeres verstummen ließ, komm, du Geist des lebendigen Gottes.
In dem Namen Jesu, der einst gekreuzigt ward, glaubet, Sünder, und betet! Ich predige nicht in meinem Namen, sondern im Namen dessen, der sich selbst dahingab am Kreuz. Tut Buße und glaubet an den Herrn Jesus, und ihr werdet selig.“
Janßen wollte ein Diener am Wort sein, das Wort Gottes zum Leuchten bringen. In einer Predigt über Jesaja 45, 22: „Wendet euch zu mir, so werdet ihr selig“, fing ein Junge an zu zählen, wie oft dies Textwort in der Predigt vorkam, und zählte es dreiundsechzigmal. Vielleicht, daß es nun saß! In seinen Bibelstunden hat er das ganze Alte Testament behandelt; Kapitel für Kapitel wurde durchgepredigt. Diese Mittwoch-Bibelstunden zogen 700 Menschen an. Die Liebe, die retten will, trieb Janßen zu größter Einfachheit: „Ich predige für die Dummen; wenn die mich verstehen, dann verstehen die Klugen mich mit.“ Das konnte auch ein einfacher, schlichter Mann, ein Fischer, fassen, wenn Janßen z. B. über Abrahams Glauben so predigte:
„Glaube blind, glaube wie ein Kind,
glaube aufs Wort, glaube sofort.“
Das wurde seine geistliche. Geburtsstunde (de Wall).
„Geduld ist euch not.“ Über dies Wort sagte er so treffend: „Geduld ist ein Heilkraut für alles und jeden. Man kann es in der Apotheke nicht kaufen, es wächst nur an einer Stelle, unter dem Kreuze Jesu! Man entdeckt es schlecht im Stehen, besser, wenn man sich bückt, am besten auf den Knien.“
Über Bileams Eselin sprach er: „Das dünkt euch wohl ein Wunder, daß ein Esel einen Engel sieht? Aber - daß ein Mensch dümmer sein kann als ein Esel und den Engel nicht sieht, das ist auch ein Wunder!“
Ein Schiffer, der dem Alkohol frönte, hat einmal gehörig über Janßens Predigt gescholten: „Der mann ist ja kein Pastor, der ist ja ein schwarzer Polizist.“ Dennoch saß der Stachel in seinem Herzen und es wurde ihm schwer, wider denselben zu löcken (Apg. 9,5). Der Herr wurde ihm zu stark. Er brach zusammen, fiel auf seine Knie und betete unter heißen Tränen: „Ich will von nun an absagen der Sünde bis hin an mein Grab und in ein neues Leben gehen.“ Dies kostete einen bitteren Kampf gegen die alte Gewohnheit. Der Arzt riet, ganz allmählich dem Körper das Gift zu entziehen. Er aber sprach: „Keinen Finger mehr der Sünde, und wenn ich darüber sterben müßte.“ Nach seiner Bekehrung bat er Janßen, ihm Arbeit zu geben. Der Pastor, der die musikalische Begabung des Mannes kannte, drückte ihm das Liederbuch „Frohe Botschaft“ in die Hand: „Nun gründen Sie einen Kirchenchor!“ Mit Gebet wurde der Chor begonnen und geleitet. Wie freute sich der glückliche Leiter, als er eines Abends an seinem Fehn entlangging und die Lieder, die er eingeübt hatte, aus den Häusern erschallten! Der Chor besteht heute noch, nach 70 Jahren (1955). Janßen gab diesem Mann den Rat, täglich kniend mit seiner Familie zu beten: „Vater gib uns um deines lieben Sohnes Jesu Christi willen deinen Heiligen Geist. Gib diesen Segen unseren Kindern.“ Dies Gebet wird in jenem Hause noch heute (1955) täglich auf den Knien gebetet.
Ein wörtlicher Bericht: „Großvater war ein treuer Kirchgänger. In Strackholt predigte ein Pastor Janßen, der sehr berühmt war. Alle Welt ging hin, ihn zu hören. Das stand Großvater aber gar nicht an. Er sagte: ‚Laß die Leute nur in unsere Kirche gehen und unseren Pastor S. hören.’ Eines Sonntags predigte Pastor Janßen in Timmel. Da hörte Großvater eine Predigt von der Samariterin am Jakobsbrunnen von ihm. Am nächsten Morgen kam Großvater zu uns. Ich sah, wie bewegt er war. Mutter fragte ihn: ‚Vater, was fehlt dir? Bist du krank?’ Er antwortete: ‚Ich habe Pastor Janßen predigen gehört und was er von dem lebendigen Wasser gesagt hat. Ich habe Verlangen nach dem Wasser, das Jesus geben will.’ Tag und Nacht hat er Gott gebeten um einen Tropfen solchen Lebenswassers. Dankbar bekannte er noch kurz vor dem Tode: ‚Ich habe von dem lebendigen Wasser getrunken’.“
Kein Wunder, daß Janßen einmal mit erhobenen Händen ausrief: „Predigen, predigen, das ist das Schönste, was es gibt!“ Neben dem Frieden in Jesu predigte Janßen von dem Danke gegen Gott und von der Arbeit für den Herrn. Er wurde zum Missionsprediger.
„Danket dem Herrn“
Ich will einen neuen Geist in euch geben und
solche Leute aus euch machen,
die meine Rechte halten
(Hesekiel 36, 27)
Der Heilige Geist wirkte durch Janßens Zeugnis als der Geist des Gehorsams. Menschen, die anderen Schaden zugefügt hatten, konnten nicht eher Ruhe finden, bis sie Abbitte getan und die Sache wiedergutgemacht hatten. Janßen drängte auch auf das Sündenbekenntnis, wo es nottat: „Willst du nur Gott beichten? Ebenso kannst du einem grauen Torf beichten!“ „Eine Bekehrung ohne Bekenntnis und ohne die Schuld, wenn man kann, wiedergutzumachen, ist, wie er es einmal recht drastisch ausführte, als wenn jemand auf seinen Schuhen den Dreck sitzen lasse und doch versuche, mit Bürste und Schuhkreme sie blank zu putzen. Der Dreck breche doch wieder durch.“ (L.)
Wenn Petrus gesagt hat, daß die Weiber sich nicht schmücken sollen mit Haarflechten und Goldumhängen, so drängte auch ihn der Geist Gottes, die Frauen aufzufordern, ihren Goldschmuck dem Herrn zu opfern. Oftmals konnten sie nicht anders: Sie rissen ihre Ohrringe ab und gingen ohne ihren Schmuck heim. Fand er nicht gleich Gehör, konnte er auch sehr deutlich in seiner Predigt werden! „Da sehe ich vor mir die Damen mit ihren Schlössern um den Hals und ihren goldenen Armbinden. ich rate euch, verkauft sie. Wie bald bist du eine Leiche! Wenn du keinen anderen Reichtum hast bist du auf ewig beim Teufel in der Hölle! Heute verfügst du noch über deinen Reichtum! Wirf darum deinen Flitter von dir. Gib ihn deinem Gott. Er schenkt dir ein seidenes Kleid und eine Krone, diese behältst du in Ewigkeit.“ In der ganzen Gemeinde Strackholt wurde so gut wie kein Goldschmuck mehr getragen, und viele goldene Trauringe wurden geopfert, insbesondere für die Heidenmission. Es gab Eltern, die ihren Töchtern nur unter der Bedingung die Erlaubnis gaben, zum Strackholter Missionsfest zu gehen, daß sie allen Goldschmuck zu Hause ließen; wußten sie doch, daß der Schmuck sonst in die Kollekte gegeben wurde.
„Auf einer Haustaufe in Holtland trugen einige Strackholter Frauen doch noch Goldschmuck. Auf die erstaunte Frage: ‚Ihr Strackholter tragt noch Gold?’ entgegneten diese: ,In Strackholt dürfen wir das nicht tun’.“ Im allgemeinen wurde also kein Gold getragen.
Pastor A. Ottersberg in Iowa (USA) erzählte aus seiner Kindheit in Strackholt: „Mein Vater hat oftmals bei einem Juwelier in Emden in Janßens Auftrag Goldschmuck abgeliefert. Einmal hielt Janßen nach einem Fest einen Briefumschlag hoch und rief: ‚Eben habe ich diesen Briefumschlag bekommen mit 400 Mark von einem Dienstknecht aus Engerhafe. Wird zur Nachahmung empfohlen’.“
„Nun habe ich so viel gegeben, daß ich nicht mehr Geld genug habe, um nach Hause zu fahren“, so erklärte ein Missionsfestteilnehmer. „Er hat mir alles abgeholt“, sagte ein Bauer, dem es Janßens gewaltiger Weckruf angetan hatte.
Ein Bauer war von einer Predigt so erschüttert, daß er nach Hause ging und mit 20 Hundertmarkscheinen zurückkam, die er Janßen gab.
Besonders auf Missionsfesten wurde die Ankündigung der Kollekte mit Spannung erwartet.
Wat nu woll kumt?, dachten seine Zuhörer im stillen. Dabei kam oft Janßens liebevoller, schalkhafter Humor zum Vorschein. Einmal warb er so für die Kollekte: „Ich ging an einer Weide vorbei. Die Kühe brüllten. Ich dachte: Warum brüllen die wohl? Sie hatten gute Weide und frisches Wasser. Da merkte ich: Sie wollen gemolken werden.“ Dann folgte die naheliegende Anwendung auf die Hörer: sie hätten sich an geistiger Speise nun gelabt und den Durst ihrer Seelen nunmehr gestillt; aber sie würden erst dann recht zufrieden sein können, wenn sie reichlich zur Kollekte beigesteuert hätten.
„Schmeißt nur hinaus das ganze Portemonnaie“, rief Janßen bei der Empfehlung der Kollekte. „Junge“, sagte ein Vater, „du hättest doch etwas Geld nach Hause bringen können.“ „Vater, du hättest ihn hören müssen. Ich konnte nichts behalten. Ich mußte alles in die Kollekte geben.“ „Wir hatten die Taschen leer, wenn wir hinausgingen“, sagten viele. Einmal wurde das Drängen auf das Geld einem Amtsbruder doch zuviel: „Janßen! Diesmal hast du es aber zu arg gemacht“, rief er ihm nach einem Missionsfest in Timmel erregt zu. Darauf Janßen, eine Weile auf und ab gehend: „Hast recht, wer mit keinem Worte fehlet, der ist ein vollkommener Mann.“ Dann nach einer Weile des Stillschweigens: „Wenn es um das Geld geht, dann gehe ich auf den Geldbeutel los wie ein Ziegenbock auf den gefüllten Hafersack.“
382 642 Mark und 25 Pfennig wurden in 31 Jahren für die Mission gespendet, die anderen Gaben ungerechnet. Das göttliche Siegel unter Janßens Predigt war eine in die Augen fallende Erweckung.
Die Gewissen erwachten und kamen oft nicht eher zur Ruhe, als bis sie ihr Seelenleben in Ordnung gebracht hatten. Er verstand es, vor allem die Gewissen zu schärfen. Ein Mädchen hatte bei der Konfirmation auf die Frage nach dem Konfirmationsgelübde unbesonnener- oder leichtfertigerweise statt mit „Ja“ mit „Jahr“ geantwortet. Unter der Predigt Janßens wurde dem Mädchen dies Wort zu einer schweren Gewissenslast. Es wurde auf seine Bitte vor der versammelten Gemeinde noch einmal konfirmiert. Janßen gab ihm nun den Text Römer 8, 14: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ Nun fand es Ruhe.
Ein Küster der Ludgerikirche in Norden, früher Arbeiter in Berumerfehn, erzählte, daß er öfter von Berumerfehn nach dem etwa 25 Kilometer entfernten Strackholt zu Fuß gewandert sei. Es habe sich gelohnt, fügte er hinzu.
Unter einem solchen Zeugnis des Seelsorgers war der Sonntag in Strackholt in der Tat ein Tag des Herrn. Von Ostern bis zum Herbst versammelte sich eine halbe Stunde vor dem Gottesdienst der Posaunenchor und ließ seine Weisen über das Dorf hin erschallen. Die Wagen rollten an, und dies nicht nur aus der Gemeinde! An gewöhnlichen Sonntagen zählte man 30 bis 40 Wagen, an besonderen Tagen 60 bis 70. Die Menschen kamen sogar aus der Norder Gegend. Um zwei oder drei Uhr mußten sie aufbrechen. Der Gottesdienst währte bis 12.30 Uhr. Nachmittags war dann Kinderlehre und Kindergottesdienst. Zuerst hielt Janßen eine Predigt für die Gemeinde, und nach dem Liede folgte die Kinderlehre der Konfirmanden, die zwei bis drei Jahre lang noch nach der Schulentlassung kamen. Es folgte der Kindergottesdienst. „Wir gingen auch nach der Konfirmation noch weiterhin zur Kinderlehre, bis um Martini der neue Konfirmandenlehrgang anfing. Janßen nahm mit uns den Heilsweg durch, die Buße, den Glauben, die Heiligung und die Vollendung. Am Ende veranstaltete er eine Entlassungsfeier. Wir gingen gerne hin.“
Den Kindergottesdienst wußte er anziehend zu machen. „Wir gingen vom. 7. Lebensjahre hin. Pastor Janßen war uns alles.“ Wir fragten uns oft: „Was würde Pastor Janßen wohl in unserer Lage tun?“ „Wir mußten den sonntäglichen Gedankenreim über die Sonntagsevangelien lernen.“ „Er sprach ernst über die Hölle, aber lieblich kam der Name ‚JESUS’ über seine Lippen. Pastor Janßen hat es mir einmal in meiner Jugendzeit schwer gemacht. Wir hatten ‚Schwarzer Peter’ gespielt. Ich war tief erschrocken, als Pastor Janßen dann so ernst über die Hölle sprach. Ich faßte Mut und gestand meinem Vater alles. Er mußte mich wieder beruhigen. Wir liebten Pastor Janßen über alles. Wir hatten eine große Ehrfurcht vor ihm, aber auch ein kindliches Vertrauen. Nach der Kinderlehre gab er uns Bücher zum Lesen.“ So erzählte eine nun bejahrte Lehrerstochter aus Zwischenbergen. An die Konfirmanden richtete er oft die Frage: „Bist du bekehrt?“ Er wollte, daß der Christ danach strebte, seines Heils froh zu sein.
„Ein Ausspruch Janßens ist mir aus dem Kindergottesdienst im Gedächtnis geblieben: ‚Fürchte dich vor dem allergefährlichsten und allergräßlichsten Untier - nämlich vor der menschlichen Vernunft in göttlichen Dingen’“« (J. M. 1961).
Wie freute Janßen sich, wenn Menschen aufrichtig waren.
„Zwei Schulmädchen hatten Janßen eine Botschaft überbracht. Als er einen Augenblick sich entfernt hatte, hatten die Kinder den Kakao ausgetrunken, der in einer Tasse auf dem Tisch stand. Sie kamen zu Janßen zurück und bekannten ihre Tat. Janßen freute sich und schenkte jedem Kinde eine Mark für die Ehrlichkeit und Offenheit.“ (D.)
Ein alter Mann von 84 Jahren berichtete noch 1944, eine Stunde vor seinem Ende: „Einst hielt Janßen eine erschütternde Konfirmationspredigt über den Text: ‚Einer unter euch wird mich verraten.’ Er hatte jedem Konfirmanden einen Liedvers ausgesucht, mir und drei anderen den Vers: ‚Ich habe nun den Grund gefunden.’ Dann fragte er: ‚Könnt ihr das nun auch schon von euch sagen?’ Wir hatten es alle vier verneint. Darauf Janßen: ‚Dann sollt ihr den Vers haben: ‚Es ist das ewige Erbarmen . . .’ Als ich aber den Lehrschein erhalten habe, stand darauf doch das erstere Lied. Janßen sagte: ,Hinrich, bete darum, und Gott wird dir Frieden schenken.’ So ist es auch gekommen. Bald darauf ist in einer Predigt über den Gichtbrüchigen bei der Auslegung des Wortes: ‚Dir sind deine Sünden vergeben!’ auch mir klargeworden, daß der Heiland auch meine Sünden getragen hat. Diese Freude hat mich getragen mein Leben lang.“ So erzählte der Bauer Hinrich Gronewold in Spetzerfehn vor seinem Sterben.
Die Erweckung kam um das Jahr 1890, wie bereits erwähnt, langsam zum Stillstand. Eine Erweckung ist eine Durchgangszeit. Das Ziel ist das stille Hineinwachsen in Christus. So ist es auch ein ganz natürlicher Vorgang gewesen, daß sich die Unruhe der ersten Erweckung in ein stilles und friedvolles Wachstum verwandelte. Die Arbeit des Heiligen Geistes nahm seinen Fortgang. Kamen zuerst Massenbekehrungen, so folgten später Einzelbekehrungen. Das stille Leben der Bekehrten im Gehorsam des Heiligen Geistes aber ging weiter. Strackholt blieb eine „Stadt auf dem Berge“, die nicht verborgen blieb.
Als die Erweckung nachließ, fragte sich Janßen, welches der Grund sein mochte. War die Gemeinde zurückgegangen? Er schrieb: „Wenn ich den gegenwärtigen kirchlich-sittlichen Zustand der Gemeinde (er schrieb dies 1890) mit dem von vor acht bis zehn Jahren vergleiche, so will es mir scheinen, als wenn meine Gemeinde aus dem Munde des Heilandes, der da hält die sieben Sterne in seiner Hand, der wandelt mitten unter den sieben goldenen Leuchtern, das Wort hören müßte ,Ich bin wider dich, daß du die erste Liebe verlässest.’ Doch eine längere und tiefere Beobachtung und Überlegung läßt mich jetzt ein anderes Urteil fällen. Es ist wahr, daß das kirchliche Leben vor acht bis zehn Jahren reger oder, ich möchte es ausdrücklich sagen, geräuschvoller war als gegenwärtig. Es ist auch wahr, daß einzelne Seelen aus der ersten Liebe gefallen sind, aber doch darf auch gegenwärtig der in der Stille sich entwickelnde Zustand der Gemeinde ein recht befriedigender genannt werden. Vor etwa zehn Jahren war es in hiesiger Gemeinde, wie es in einem Bauernhause ist, wenn die Hausbewohner des Morgens aufstehen, sich ankleiden usw. Dann gibt’s Geräusch. Wenn aber später im Laufe des Tages die Leute an die Arbeit gegangen sind, dann wird es still in der Küche, daß man das Tick-Tack der Wanduhr hört und das Brodeln des Kochtopfes. In diesem Gleichnis ist die Stille gewiß ebensohoch zu werten. wie das Geräusch. So ähnlich möchte ich auch die stille Entwicklung meiner Gemeinde im allgemeinen beurteilen.“
Janßen wußte auch, daß es besondere Gnadenzeiten gibt, die man nicht versäumen darf. Es sei damit, so sagte er, wie mit einem Eisenbahnzug. Man müsse die Stunde ausnützen, wenn ein Gnadenzug fahre. Nachher fahre oft lange Zeit kein Zug mehr. Wer in der Erweckungszeit in den Gnadenzug gestiegen sei, der sei wohl dran.
Janßen war ein gesuchter Festprediger auf Festen der Mission. Hier suchte er die Liebe zu dem Herrn und zur Mission zu entfachen. Dabei hütete er sich vor jeder Zersplitterung seiner Kräfte. Seine erste Liebe galt seiner Gemeinde Strackholt. So schlug er viele Rufe nach auswärts aus. Aber in der Woche und Sonntagnachmittags diente er viel auswärts. „Stand der Name Janßen auf der Rednerliste, so war ein guter Besuch des Festes gesichert.“ Gewöhnlich übertrug man ihm die letzte Predigt. Seine Predigten waren Bußrufe.
„Dieser Prediger hatte etwas Besonderes an sich“, äußerte ein Festteilnehmer, der noch 15 Jahre später ausführlich den Inhalt der Rede niederzuschreiben wußte. Sein Name sei hier genannt. Es war der liebe Bauer Tietje Cordes in Bockhorst bei Bremen. In diesem Hause lernte der Sammler dieser Erinnerungen als junger Student, was geistliche Wiedergeburt und Leben aus Jesus ist. Hier hörte er auch zum ersten Male von Remmer Janßen.
Damals erregte ein Buch des Professors Adolf von Harnack, des großen Berliner Gelehrten, Aufsehen. In diesem seinem Buch, „Das Wesen des Christentums“, stand unter anderem auch der ungläubige Satz: „Der Sohn Gottes gehört nicht in das Evangelium, wie Jesus es verkündet hat.“ Der Strackholter Pastor stellte dem Wort des Professors ausführliche Stellen aus der Heiligen Schrift gegenüber. Bei einem Strackholter Missionsfest rief er in die Menge der Hörer hinein: „Nehmt einen Hund, hackt ihm den Schwanz ab - er bleibt ein Hund. Schneidet ihm die Ohren ab - er bleibt ein Hund. Nehmt ihm aber das Herz aus dem Leibe - so bleibt nur ein Aas ... Das ist ein Evangelium ohne Christus, den Sohn Gottes.“
Janßen predigte einmal in einer Hamburger Kirche. Seine Predigt über Römer 1,17: „Ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht“, hatte die folgenden drei Teile: 1. Ihr Hamburger, schämt euch, dessen ihr euch nicht schämt (eurer Sünden), 2. Schämt euch nicht, dessen ihr euch schämt (des Evangeliums), 3. Ihr Hamburger, schämt euch. Das Wort saß schmerzhaft fest wie ein Widerhaken, und nach der Predigt traten viele zu ihm, die der Vorwurf getroffen hatte, und baten um ein persönliches Wort und seinen Segen. „Dieser hat uns derb die Meinung gesagt!“ hörte Jarißen einen Zirkuskünstler, der in der Kirche gewesen war, auf der Straße von sich sagen. Von einem einheimischen Hamburger wurde Janßen nach der Predigt gefragt. „Herr Pastor, woher kennen Sie unser Hamburg so genau?“ – „Ich kenne ja mein eigenes Herz“, entgegnete der Gefragte.
Über ein Missionsfest in Hesel möge der Bericht eines Janßen-Schülers, des späteren Pastors J. Lambertus aus Amerika, folgen, der anschaulich erzählt: „Als ich im Jahre 1912 nach 20jähriger Abwesenheit die Heimat wieder besuchte, hatte Janßen auf einem Missionsfest in Hesel zu predigen. Vor Janßen sprachen zwei andere Festredner. Die Predigten waren gut und durchaus nicht kurz. Als Janßen als dritter Redner drankam, dachte ich: Nun wird es auch dem besten Prediger schwer werden, die Aufmerksamkeit zu gewinnen, denn alle waren übersättigt und saßen auf niedrigen, harten langen Brettern. Pastor Janßen las den Text vor: „Gott sei mir Sünder gnädig“. „Ihr wundert euch gewiß, liebe Missionsfreunde, daß ich diesen Tert für ein Missionsfest gewählt habe. Aber ich dachte, wenn hier viele arme Zöllnerseelen wären, so würden sie nichts lieber hören als das Gebet: ‚Gott sei mir armen Sünder gnädig!’ Und wenn hier viele hochmutige Pharisäer sind, dann haben sie nichts nötiger, als daß sie anfangen zu beten: ‚Gott sei mir Sünder gnädig.’ Und wenn Gott etwas noch lieber hört als das Gebet eines armen Sünders: ‚Gott sei mir Sünder gnädig!’, dann ist's, daß ein hochmütiger Pharisäer anfängt zu beten: ‚Gott sei mir Sünder gnädig!’ Nach dieser originellen Einleitung hatte er die Aufmerksamkeit der Hörer gewonnen und steigerte sie im Laufe seiner Rede zu hinreißender Gewalt. Es war, als wenn er die Menge in die Hölle hinunterdonnerte und in den Himmel emporhob. Wir erlebten etwas von der Gewalt der menschlichen Rede und vor allem von der Gewalt des Wortes Gottes, wie man es selten erlebt. Kein Wunder, daß die Menschen von weit her kamen, um Pastor Janßen zu hören.“
Da war am 5. August 1885 ein Fest in Westerholt, das im Harlinger Land liegt, der Heimat Janßens. „.3000 Menschen waren erschienen, um den 35jährigen ‚Wunderprediger’ zu hören. Der erste Festprediger brachte die Leute zum Lächeln. Ein junger Mensch beobachtete Janßen während der Predigt und sah, wie Janßen saß und zitterte und die Zeit nicht erwarten konnte, bis er an die Reihe kam. Als es soweit war, sprang Janßen auf die Kanzel. Auf der Kanzeltreppe schon sprach er den Kanzelgruß und dann rief er: ‚Wir wollen beten!’ Janßen betete so furchtbar ernst, so gewaltig, daß rauhen Viehhändlern die Tränen über die Wangen rollten. Die eben noch gelacht hatten, weinten jetzt: Janßen führte sie in die Hölle mit ihren Schrecken und in Jesu Gnadenarme mit ihrer Seligkeit.“ Der nun neunzigjährige Erzähler berichtet weiter: „Auf dem Nachhauseweg hatten die Menschen auf ihren Pferdewagen noch Tränen in den Augen. Es waren Tränen, über die Freude bei den Engeln Gottes im Himmel ist, wenn Sünder sich bekehren.“
Am Upstalsboom, jener alten ostfriesischen Thingstätte, predigte er erschütternd von dem Ernst und der Heiligkeit Gottes, der das von uns verdiente Gericht an Christus vollzogen hat. Es war, als stände der Hörer selbst unter dem für ihn errichteten Galgen vor seiner Hinrichtung und erlebte die Freude des Freispruchs.
In Hollen predigte er über Offb. 2, 27: „Halte, was du hast.“ „Hollen heißt halten. Man kann Christus aber nicht halten, wenn man nicht vorher Christus ergriffen hat. Hollen, hast du Jesus ergriffen? Sonst kannst du ihn nicht halten.“
In Filsum wirkte Pastor Meyer, durch dessen Predigten Gott eine Erweckung schenkte, die heute (1973) noch spürbar ist. (Meyer starb 1900.) Wenn Janßen predigte, war der Zustrom zum Missionsfest so gewaltig, daß die Leute fast erdrückt wurden. Die Kirchenfenster standen offen, damit auch die Draußenstehenden die Predigt hören konnten. Inmitten seiner Rede wandte sich Janßen an den Ortspfarrer mit den Worten: „Und du, Bruder, bist auch wieder lau geworden.“ Der Geist Gottes hatte Macht. Pastor und Gemeinde beugten sich dem Zeugnis des Geistes Gottes.
Pastor Ubbo Paulus Voß in Resterhafe, vor etlichen Jahren gestorben als der älteste evangelische Pastor Deutschlands, erzählte: „Ich hatte vor gut 60 Jahren das Glück, in Hermannsburg Janßens Predigt über die Eroberung von Jericho zu hören. Als er den ersten Teil, der über die sieben Mauern handelte, beendet hatte und zu den sieben Posaunen übergehen wollte, war ich versucht, nach der Uhr zu sehen. Ich wagte es aber nicht, aus Furcht, ein Wort zu verlieren. Gegen Schluß war ich doch auf dem Sitz steif geworden und dachte: ‚Ich muß doch eben nachsehen, ob er schon eine Stunde gepredigt hat.’ Versteckt, um niemanden zu stören, sah ich nach - es waren: zwei Stunden.“
Auch Moordorf, eine Ansiedlung alter Soldaten (im Volksmund bezeichnet als der „schwarze Weg“), hatte ihn zum Missionsfestredner gebeten. Janßen predigte: „Ihr Leute vom ,schwarzen Weg!’ Wir wohnen alle am ‚schwarzen Weg’. Wir Leute vom ‚schwarzen Weg’, wir können alle schneeweiß werden von unseren Sünden durch das Blut Jesu Christi.“ Da rief einer unter ihnen: ‚Bröer, du hast recht!’ (,Bruder, du hast recht!’)
Als Janßen bereits im Ruhestand lebte, hatte ihn der Jugendbund für entschiedenes Christentum in Aurich zu einer Ansprache auf seinem Jahresfest gebeten. Sein Text war 1. Mos. 49, 14: „Isaschar wird ein knochiger Esel sein und sich lagern zwischen den Hürden.“ Er sprach über den Fluch der Halbheit und wünschte: 1. daß die Unentschiedenen entschieden, 2. die Entschiedenen entschiedener würden. Gewiß eine feine Losung für ein Jahresfest eines Bundes für entschiedenes Christentum.
Janßen verstand es meisterhaft, sich allen Situationen geschickt anzupassen und die jeweilige Situation treffend und sicher zu erfassen.
Ein Urteil des Konsistoriums in Aurich über Janßens Arbeit lautete: „Die vorgelegten Akten ergeben den erfreulichen Beweis, daß die Frucht des gepredigten Wortes nicht fehlt. Wir rechnen dahin die ungewöhnliche Beteiligung an Gottesdienst- und Abendmahlsfeiern, nicht weniger die durchweg vorhandene Sitte der Hausandachten sowie den im allgemeinen erfreulichen Stand der Sittlichkeit in der Gemeinde. Insbesondere haben wir davon Kenntnis genommen, welch ein gutes Zeugnis der ledigen Jugend ausgestellt wird. Mit Recht wird großes Gewicht darauf gelegt, daß die jungen Leute nicht nur in der Kinderlehre möglichst lange unter dem heilsamen Einfluß des göttlichen Wortes gehalten werden, sondern auch in Mußestunden in den Jünglings-, Posaunen- und Gesangvereinen gesammelt werden.“
Was zu einer guten Predigt gehört, hat Janßen öfters so zusammengefaßt:
„1. Texteszwang,
2. logischer Zusammenhang,
3. psychologischer Fortgang,
4. heiliger Liebesdrang,
5. fröhlicher Gemeindegesang,
6. guter Predigtklang,
7. das Ganze nicht zu lang.“
„Das ‚ich’ und ‚wir’ brauch nicht zu gern,
besonders nicht, um dich zu ehr’n.
Das ‚du’ und ‚ihr’ wend öfters an,
mit Nathan sprich: ‚Du bist der Mann!’
Das ‚er’ und ‚sie’ brauch nicht zuviel,
denn sie führen nicht zum Ziel.
Das Fürwort ‚man’ ist gar zu unbestimmt,
und rühret niemand, der’s vernimmt.“
Das Zeugnis eines Gemeindegliedes aus Firrel lautet: „Ich gäbe gern hundert Mark aus, wenn ich Pastor Janßen noch einmal predigen hören könnte.“
Die Schriftstellerin Martha Köppen-Bode schreibt: „Als ich dreizehn oder vierzehn Jahre alt war (1878/80), bin ich an einem Wintertag von Aurich-Oldendorf nach Strackholt zur Bibelstunde gewandert. Mir ist im Gedächtnis geblieben, daß die Kirche - sie war wohl damals schon baulich vergrößert bis auf den letzten Platz voll war. In den Bänken standen oft doppelte Reihen, so daß das beim Schlußgebet übliche Knien oft schwierig war.“
Als Gattin des Pastors Köppen, der jahrzehntelang im gleichen Kirchenkreise Janßens Amtsbruder gewesen ist, lernte sie diesen aus nächster Nähe kennen: „Janßen war ein Prediger, dem die Stimme gehorchte und dem man den innersten Drang, das seelische Wollen und Müssen stets anmerkte. Ich hörte ihn einmal mit erhobenen Armen sagen. ‚Predigen, predigen! Das ist das Schönste, was es gibt!’ Zunächst war ich gewiß noch unreif, aber sooft ich ihn gehört habe, fesselte er mich vom ersten bis zum letzten Wort. Es konnte vorkommen, daß er danebenschlug in sseiner temperamentvollen Weise – zur Freude derer, die ihm nicht wohlwollten -, aber meistens traf er ins Schwarze. Wie beglückt war Janßen an dem großen Festtag der Gemeinde Strackholt, dem Missionsfest, auf dem er stets die erste Predigt hielt. Königlich war er in all seiner Bescheidenheit anzusehen. Und wenn er dann das Dankgebet sprach und der Goldglanz des Abendsonnenscheins durch die hohen Eichen schimmerte – unvergeßlich! Er war ein glücklicher Mann, und viele werden ihm in der Ewigkeit danken.“
Geschriebene Predigten und lebendig dargebotene verhalten sich zueinander wie Eisblumen zu lebendigen Blumen. Erst recht können Predigteinteilungen nur einen schwachen Widerhall vermitteln. Doch möchten die folgenden Dispositionen eine leise Ahnung davon wahrnehmen lassen, was Janßens Anliegen war.
Predigteinteilungen:
Röm. 8,18-23: Wieviel das Leid wert ist:
1. Mehr als alle Eitelkeit der Welt, 2. aber weniger als die Herrlichkeit des Himmels
Luk. 2,15-20: Kommt, laßt uns kindlich sein:
1. kindlich glauben an das Kind, 2. kindlich eilen zu dem Kind, 3. kindlich reden von dem Kind, 4. kindlich danken für das Kind.
Hebr. 7,23: Jesus kann selig machen:
1. Er lebt immerdar, 2. er bittet immerdar, 3. darum kommt immerdar.
Joh. 16,16-23: Über ein Kleines:
1. Welt, freust du dich nicht mehr, 2. Kind Gottes, weinst du nicht mehr, 3. Seliger, fragst du nichts mehr.
Joh. 16, 5-15 Komm, Heiliger Geist, Herr Gott:
1. tröste die betrübten Sünder, 2. strafe die sicheren Weltkinder, 3. leit die schwachen Gotteskinder.
Mt. 24,14-18 Das Ende wird kommen:
1. wenn der Greuel der Verwüstung kommt, 2. wenn die große Trübsal kommt, 3. wenn der wahre Christus kommt.
Mt. 6, 23-29 Das geteilte Herz:
1. halb dem Herrn, 2. halb der Welt, 3. ganz dem Teufel.
Mt. 24, 42 Wachet:
1. denn ihr wisset, daß der Herr kommt, 2. denn ihr wisset nicht, wann der Herr kommt, 3. darum wachet, wenn der Herr kommt.
Neujahr Ins neue Jahr in Jesu Namen,
das walte Gott in Gnaden, Amen!
In Jesu Namen Trübsal leiden
kann nicht von seiner Liebe scheiden.
In Jesu Namen alles tun,
darauf wird Gottes Segen ruhn.
Matth. 2 Laßt uns mit den Weisen zum Christkind reisen:
1. Sind wir noch von Christus fern, Gottes Wort ist unser Stern; 2. sind wir dann am rechten Ort, finden wir das Christkind dort; 3. endlich führt uns Gottes Hand in das rechte Vaterland.
Lukas 17 Wo bist du?
1. Mit den 10 Aussätzigen auf dem Wege nach Jesu?
2. mit den Undankbaren fern von Jesu?
3. mit den Dankbaren zu den Füßen Jesu?
Hes. 33, 10 Silvester. Bekehret euch:
1. Ihr müßt euch bekehren, weil ihr gottlos seid!
2. Ihr könnt euch bekehren, weil Gott euch bekehrt!
Lukas Jesus ruft die Verkehrten, die sich nicht bekehren wollen,
die Unbekehrten, die sich bekehren wollen,
die Bekehrten, die gerne oben sitzen wollen.
Mt. 8, 1 Der angefangene Glaube spricht: „Herr, Du kannst, wenn Du willst.“
Der wachsende Glaube spricht: „Herr, Du kannst und Du willst."
Gal. 4, 1-6 Gesetz und Evangelium:
1. Das Gesetz macht Kinder zu Knechten,
2. das Evangelium macht Knechte zu Kindern.
Unbekannter Text:
Gott kommt uns zuerst mit dem Guten, dann mit den Ruten, zuletzt mit dem Bluten.
Auf einem Jubiläumsfest nahm Janßen als Thema: „Jubiläum - Heucheläum.“
Der Seelsorger
Wir sind mütterlich gewesen bei euch,
gleichwie eine Amme ihre Kinder pflegt
(1. Thessalonicher 2, 7)
„Janßen war ein großer, schlanker Mann, ebenmäßig gebaut und kräftig. Sein Gang war lebhaft und rasch. Wer ihn in seinem schwarzen Anzug mit unter dem Halse zugeknöpftem Gehrock und dem viereckig geformten Barett im Dorfe einherschreiten sah, erkannte in ihm schon von weitem den Pastor loci (Ortspfarrer), den pflichtbewußten Seelsorger einer großen Gemeinde, den treuen Seelenhirten. Er machte nicht etwa Spaziergänge, sondern war meist auf dem Wege, um seiner Gemeinde zu dienen. Jedermann öffnete ihm gern das Haus, weil er stets als Freund kam, niemals als Feind. Oftmals sah man ihn auch mit Chorrock und Abendmahlgerät über die Straßen und Wege ziehen, um an Krankenbetten seines Amtes schönsten Dienst zu verrichten: Denen Wegzehrung zu bringen, die durch das Tal des Todes schreiten mußten. Für jeden aber, der ihm begegnete, hatte er ein freundliches Wort. Wer ihm in sein treues Auge sah, fühlte seinen Blick bis ins tiefste Herz hineindringen. Sein Blick war forschend und tief, aber zugleich liebevoll, so daß er in allen redlichen Seelen Liebe erweckte.“
„Wurde er zu einem Kranken gerufen, so kam er sofort, selbst bei einem schlimmen Unwetter. Ging er nach Zwischenbergen, so benützte er nicht den Sandweg - der ein Umweg, doch bequemer und leichter war -, sondern er ging gerade durch, indem er über Wasserzüge und Erdwälle hinweg sprang. In seiner Hilfsbereitschaft war Janßen vorbildlich.“
Da konnte es vorkommen, daß der nachtblinde Seelsorger plötzlich stehen bleiben mußte. Eine innere Stimme hinderte ihn, weiter zu gehen. Vorsichtig tastete er den Weg ab. Da stand er oft vor einem tiefen Wasser! – „Der Engel des Herrn lagert sich um die hier, die ihn fürchten“ (Ps. 34, 8).
„Brich dem Hungrigen dein Brot.“ Dieses Wort wußte Janßen durch Betonung des Wortes „dein“ zu einem eindringlichen Gottesbefehl zu machen. Er war durchaus nicht zaghaft, wenn er Gemeindeglieder dazu anhielt, diesem Wort der Schrift nachzukommen.
So erzählen die „Ostfriesischen Nachrichten“ in Breda (Nordamerika), das „Heimatblatt der Ostfriesen“ in Amerika, unter dem 11. Juli 1931, das Folgende: Ut de olle Dörpschronik. In’t Harfst weer’t, in de Tuffelrüdertied, do kweem de Pastor mal van’n arm old Minske her, de dat man schra und schofel gung. He doch daröber na, dat oll Blood muß hulpen worn. Nu kehrte he ok eben bi’n Bur in, woar sien erste Blick up de Wiem fullt, de vull Speck und Wursten hing. Mann und Frau wörn nett beid in de Köken und de Pastor wör in Hörn nögt. ‚Och, Herr Pastor’, säh dat Ollske, ,wat ist dat got, dat ji kamen. Wi woll’n all hen, us to bedanken vör de moje Prädigt von Sünndag. As ji Sünndag in de Prädigt uns dat so moje an’t Hart leggt hebbt, dat wi dankbar wesen müssen fär all dat Gode, wat uns leew Hergott uns weer so riekelk tokamen let, do hewt wie uns fort vörnehmen, wie wullen an de armen Heiden godmaken un’n Rieksdaler an de Mission gäwen.’ ‚So’, see de Pastor, ‚dat ji dankbar sünd, dat mag ik lieden. Kennt ji ok das Spreckwort: Dat Hemd is mi nader as de Rock?’ ‚Ja, Herr Pastor’, see de Ollske, ‚dat Wort kennen wi god, un darum löw ik, wi laten dat erst bi een Daler bewenden, wi möten ja ok vör uns Husholgen und vör uns Lii sörgen.’
‚Nee’, reept de Pastor, ‚so is dat nich gemeent. Ji möten so’n Spreckwort b’etje minschelker utleggen:. De Rock, dat sünd de armen Heiden. Man nu kummt dat Hemd! Dat sünd ji nich sühnst; wo kann een Minske sien eegen Hemd wäsen? Ne, dat Hemd, dar meen ik jor Nabers mit, de hier üm jo to wohnen, de in Sörg und Not sitten. Un nu kam ik nett von Tinamöh her, de all hör Lefend arbeit het as en Perd. Nu se old is un nich mehr arbeden kann, geiht hör dat man naar. De Ollske mut hulpen worn! Mi dücht, ji künn. de Ollske twee Tünn Tuffels henbringen, denn wohlzutun und mitzuteilen vergesset nicht. Denn solche Opfer gefallen Gott wohl.’ De Pastor drünk sien Köppke Tee ut, un darbi fullt hum’t Oog up de Wiem: Wenn ji de Saak vullständig maken willt, denn mut't Ollske ok noch In Siet Speck hebben!' Darmit greep de Pastor een Stohl, klauterde derup un - - nehm ’n Siet Speck van de Wiem herunter mitsamt de Spiel un güng mit de Siet Speck to de Dör ut un brodi ein sühnst na oll Tinamöh hell.
Vergäten is dis Geschicht nich worden, bit up dissen Dag.“
Ins Hochdeutsche übersetzt, lautet der Bericht so:
„Es war im Herbst, da die Kartoffeln gerodet werden. Der Pastor hatte eine alte Frau besucht, der es übel ging. Sie war weder auf dem Posten, noch hatte sie ausreichend zu essen. Auf seinem Rückwege kehrte er bei einem in der Nähe wohnenden Bauern ein, wurde von ihm in den ‚Sorgenstuhl’ genötigt, und sein Blick fiel sogleich auf die Küchendecke, die voller Speck und Würste hing. „Ach, Herr Pastor, wie gut ist’s, daß Ihr kommt. Wir wollten Euch schon immer mal aufsuchen“, sprach die redselige Bauersfrau. „Ihr habt es uns am letzten Sonntag so schön ans Herz gelegt, für all das Gute dankbar zu sein, das uns der liebe Herrgott tut. Und wir haben uns auch gleich vorgenommen, es an den armen Heiden wettzumachen, indem wir der Mission einen Reichstaler geben.“
„So“, entgegnete erfreut der Pastor, und in seinen Augen blitzte es auf, „Daß ihr dankbar seid, das mag ich leiden. Kennt ihr auch das andere Wort: ‚Das Hemd ist mir näher als der Rock’?“
„Ja, Herr Pastor“, sagte die Frau, „das Wort kennen wir gut; darum glaube ich, wir lassen es erst mit einem Taler genug sein, denn wir müssen ja auch für Haus und Hof und unsere Leute sorgen.“
„Nein!“ rief da der Pastor, „so ist es nicht gemeint. Ihr müßt so ein Sprichwort ein bißchen menschlicher auslegen. Der Rock, das sind die armen Heiden; aber nun kommt das Hemd. Das seid ihr nicht selber. Wie könnte ein Mensch sein eigenes Hemd sein? Nein, das Hemd sind eure Nachbarn, die hier um euch herum wohnen und in Sorge und Not sitzen. Soeben komme ich von Tinamöh her, die ihr ganzes Leben lang wie ein Pferd gearbeitet hat. jetzt, wo sie alt ist und sich nicht mehr mühen kann, geht es ihr gar schlecht. Der Alten muß geholfen werden. Mich dünkt, ihr könntet ihr zwei Zentner Kartoffeln hinbringen - wohlzutun und mitzuteilen vergesset nicht, denn solche Opfer gefallen Gott wohl.“
Dann trank er sein „Köppke Tee“ aus und blickte wieder auf den nahrhaften Deckenbehang. „Wenn ihr die Sache vollständig machen wollt, dann muß die Alte auch eine Seite Speck bekommen.“ Mit diesen Worten stand er auf, langte aus dem Tischauszug ein Messer heraus, rückte sich einen Stuhl zurecht und schnitt eine Seite Speck herunter. Freundlich, aber schnell, ging er dann zur Tür hinaus, Tinamöh das große Geschenk zu bringen. - Diese Episode ist bis auf den heutigen Tag unvergessen.
Der eifrige Seelsorger gab bei seinen Besuchen den Kranken vor allen anderen den Vorzug. „Wurde abends nach 10 Uhr an die Tür geklopft, dann wußten wir, es liegt jemand krank oder im Sterben.“
„Es ging eine Kraft von Janßen aus. Als siebzehnjähriges Mädchen ging ich des Sonntags von Nortmoor nach Strackholt zur Kirche. In Strackholt verheiratet, lag ich einst todkrank am Kindbettfieber. Janßen legte mir bei seinem Besuch das Wort aus: ‚Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.’ Der Heiland habe mich und meine Sünde miteingeschlossen. Aller Druck wich von meiner Seele, ich wurde auch körperlich gesund.“ So berichtete eine Frau aus Strackholt.
Janßen konnte auch recht herb sein. Dafür das folgende Beispiel: „Eine Frau aus Großefehn, die keine Kartoffeln mehr besaß, war in ihrer Not nach Strackholt gekommen. Hier hoffte sie, durch christliche Nächstenliebe einige Lebensmittel zu erhalten. Als sie aber die Hand auf die Türklinke eines Hauses legte, schämte sie sich einzutreten. Schließlich faßte sie sich ein Herz, trat ein und brachte ihre Bitte vor. Nachdem der Bauer sie angehört hatte, nötigte er sie in die Scheune. Dort überschüttete er sie mit Schimpf, Vorwurf und Zorn: ‚Ihr wollt faulenzen, wir sollen arbeiten.’ Er vergaß sich so weit, daß er die Frau schlug.
Janßen erfuhr von dieser Untat durch einen Nachbarn, der Zeuge dieser Roheit gewesen war. Sofort ging er zu dem Bauern ins Haus und forderte von ihm, der Geschlagenen fünf Zentner Kartoffeln zu bringen, ferner zehn Pfund Speck, zwei Pfund Butter und zwanzig Mark Schmerzensgeld. Der Mann versprach, gerne noch mehr zu geben, wenn Janßen die Sache nur nicht auf die Kanzel brächte.
,Daß Sie der Frau die Sachen bringen, ist Gerichtssache. Daß ich die Angelegenheit auf die Kanzel bringe, ist Gottessache.’ So geschah es. Am nächsten Sonntag kam die Sache auf die Kanzel.“
Man muß Janßens Verhältnis zu seiner Gemeinde kennen, um zu verstehen, daß er sich solche Dinge erlauben durfte. Hätte er in diesem Falle geschwiegen, wäre es ihm von dem größten Teil seiner Gemeinde als ein Zeichen der Menschenfurcht und Schwachheit ausgelegt worden. So gesehen, verlieren mandie Schroffheiten in seinem Verhalten und in seinen Predigten viel von ihrer Härte und Rücksichtslosigkeit. Jeder wußte, wie es gemeint war.
Der Pastor besuchte auch die verhältnismäßig wenigen, die ihn ablehnten. Er hatte erfahren, daß ein Mann, der ihm kritisch gegenüberstand, krank war. Janßen ging hin und meldete sich durch die Klingel. Die Frau öffnete und antwortete auf seine Bitte, den Kranken besuchen zu dürfen: „Ich muß erst meinen Mann fragen, ob er Besucher empfangen kann.“ Sie kam mit dem Bescheid zurück: „Mein Mann läßt sagen, er sei zu krank. Wenn ein Löwenbändiger ihn besuche, würde es ihn aufregen und die Krankheit würde sich verschlimmern.“ Der so Angeredete war erst traurig über diese Antwort. Still seufzte er zum Herrn. Dann erwiderte er nach einigem Schweigen: „Sagen Sie Ihrem Mann einen herzlichen Gruß. Wenn er den Löwenbändiger abwiese, darin könnte der Löwe selbst kommen (1. Petri 5, 8) und sich seine Beute aus der Herde holen; der beste Raub aber könnte der Hirte selbst sein.“ - Auf dem Heimwege kam ihm ein freudiger Trost: Wenn er ein Löwenbändiger sein sollte, dann wollte er auch dafür danken, daß er, wie David, der dem Löwen ein Schäflein aus dem Rachen riß (1. Sam. 17, 34), so dem Teufel Seelen entreißen dürfe. Und so ging er still getröstet heimwärts.
Von wundervoller Milde war Janßen gegen Menschen, die in Sündennot saßen. Schlichten Menschen betete er einfach vor, wie in folgendem Falle: Mardjemöh hielt sich gern zu Gottes Volk und ging in die Betstunde. Da wurde sie einmal krank, und in ihrer Seele wurde es dunkel. Auf die Frage, wie es um ihre Seele stehe, antwortete sie: „Ach, Herr Pastor, für mich gibt es keine Rettung, der Teufel plagt mich so sehr. Da denke ich: Ich kann es in der Hölle auch aushalten, wie so viele. Da habe ich gesagt, der Teufel möge dann meine Seele nehmen.“ Daraufhin Janßen: „Aber Mardjemöh! Ihr könnt doch dem Teufel gar nicht Eure Seele überlassen, die gehört doch dem lieben Heiland. Der hat sie doch auf Golgatha durch Leiden, Bluten und Sterben erkauft.“ Sie glaubte, die Anfechtung wich. Es wurde wieder hell in ihrer Seele.
Im persönlichen Verkehr war Janßen ganz anders als auf der Kanzel. „Er konnte einem anderen eigentlich kein unfreundliches Wort sagen.“ Janßen selbst sagte, sein größter Fehler sei die Menschenfurcht. Der Mann, der von Stahl und Eisen sein konnte, wenn es galt, für Gottes Ordnungen zu kämpfen, war gegen suchende Seelen wie ein Lamm, „nein, mehr- wie ein Engel“.
„Hart wie ein Diamant, doch wie eine Mutter so weich, das war Remmer Janßen. Da hatte sich seine Schwester Frieda, die früher wohlhabend, aber in der Inflation völlig verarmte und von Remmer Janßen seitdem mit stillen Geldgaben unterstützt worden war, das Leben genommen. Durch seinen Neffen wurde dem Pastor die traurige Kunde überbracht. Er befand sich gerade auf einer Missionskonferenz in Aurich. Seine barmherzigen, in Tränen fast erstickten Worte waren nur: ‚Wir wollen Gott danken, der uns vor solchem Schritt in Gnaden bewahrt hat. Wir wollen Gott bitten, er möge uns vor einem solchen Schritt fernerhin in Gnaden bewahren. Wir wollen nicht richten und Gott das Urteil überlassen.’“ (-ss-)
Bußfertige Sünder wußte Janßen zu ermuntern: „Kein Mensch geht durch seine Sünden verloren, sondern nur durch seine Selbstgerechtigkeit. Der Mensch denkt von Natur: Ich bin gut. Wenn er nur erst einsieht, daß er ein Sünder ist und in Reue und Glauben zu Christus kommt, kann er gerettet werden. Dafür hat Christus sein Blut vergossen. Christus nimmt sich der Sünder an.“ Mancher ging traurig zu Janßen, um froh heimzukehren.
Dafür die folgenden Selbstzeugnisse: „Mir fehlte der innere Friede. Meine Mutter sagte: ‚Wir wollen nach Strackholt zu Pastor Janßen gehen.’ Wir trafen ihn in seinem Gartenhäuschen. Es war gar nichts Besonderes, was er sagte. Aber alles war so schlicht und herzlich bei ihm. Zuletzt knieten wir gemeinsam nieder; im Gebet legte er mich in Jesu Hand. Ich sagte in seiner Gegenwart mein ja zu Jesus. Da wurde ich froh und frei.“ (-r-)
Ein Schiffer berichtete: „Ich war einmal von Jesus ergriffen gewesen, dann hatte die Welt mich wieder umstrickt, und die Verbindung mit dem Herrn war gelöst. Mich quälte das Wort: ‚Es ist unmöglich, die, so einmal geglaubt haben und geschmeckt die Kräfte der zukünftigen Welt, wo sie abfallen, wiederum zu erneuern zur Buße’ (Hebräer 6, 4-6). Ich glaubte, eine Lästerung gegen den Heiligen Geist begangen zu haben, die nicht mehr vergeben werden könne. Ich ging zu meinem Ortspastor, dann zu einem Nachbarpfarrer; ohne Erfolg. Da machte ich mich auf zu Pastor Janßen nach Strackholt. Seine erste Frage war: ‚Was treibt dich hierher? Der Teufel?’ ‚Nein’, sagte ich, ‚der kann kein Interesse daran haben.’ ‚Dann ist es der Heilige Geist, dann siehst du, daß der Heilige Geist nicht von dir gewichen ist.’ Wir beteten miteinander auf den Knien. Da wurde es wieder hell in meinem Herzen.“
Inzwischen ist dieser Zeuge an einem 2. Weihnachtstag abgerufen worden. Seine letzten Worte waren: „Euch ist heute der Heiland geboren.“
Ein anderer Bericht lautet: „Ein junges Mädchen, verlobt, wurde an den Herrn Jesus gläubig. Ihr Verlobter aber wollte den Weg mit Jesus nicht gehen. Eine Möglichkeit, das Verhältnis zu lösen, konnte diese Braut nicht sehen. Da bat sie Pastor Janßen um seinen Rat. Der riet zum Beten und sagte: ,Gott weiß einen Weg.’ Sie betete hernach viel um innere Klarheit. Da wurde sie ganz plötzlich von einer tödlichen Krankheit befallen. Nach drei Tagen war sie ihr erlegen. Janßen. sagte in der Leichenpredigt: ‚Lieber tot im Grabe und selig in der Ewigkeit als lebend ohne Jesus in der Ehe.’“ (-r-)
Als guter Seelsorger war Janßen auch ein rechter Tröster der Betrübten.
„Im ersten Weltkrieg war mein Mann - Hausvater in Janßens Missionsschule - gefallen. Meine alten, gebrechlichen Schwiegereltern baten mich, zu ihnen zu ziehen, um sie zu pflegen. Ich sah gegen die neue Aufgabe an und bat Pastor Janßen um Rat. Er entschied: ‚Wo Gott eine Aufgabe stellt, reicht er auch die dazu nötige Kraft dar.’ So ging ich gestärkt.“ (-r-)
Wie Janßen sich in die Lage der Menschen einfühlte, zeigt folgende Erzählung: „Ich war etwa 16 Jahre alt. Da wurde einem Lehrerhause zu seiner großen Kinderschar noch ein Mädchenzwillingspaar geschenkt. Ich habe der Taufe beigewohnt, die Herr Pastor Janßen hielt. Er hatte als Tauftext das Wort genommen aus Joh. 17: ‚Ich bitte nicht, daß du sie von der Welt nehmest, sondern daß du sie bewahrest vor dem Übel.’ Diese Taufrede hat mich so beeindruckt, daß sie mir bis heute, 70 Jahre danach, unvergeßlich geblieben ist.“
Bei „Sterbebettbekehrungen“ war Janßen sehr vorsichtig. Bekehrungen auf dem Sterbebette seien meistens Leichenbekehrungen. Von fünfzig Menschen, die sich sterbend bekehrt hätten, wie sie sagten, und die nachher gesund wurden, sei nicht einer treu geblieben.
„Der alte G. war schon seit langem bettlägerig. Er wollte nur gern gerettet werden. Janßen fragte ihn: ‚Gerdohm, könnt Ihr mir wohl versprechen, zu beten: Vater, gib mir um deines lieben Sohnes Jesu Christi willen deinen Heiligen Geist?’ Der Alte entgegnete. ‚Ja, das will ich tun.’ Jarißen hat ihn noch oft besucht und die Freude erlebt, daß der Alte zum Frieden kam.“
Janßen hatte in seiner Gemeinde einen Geistesschwachen, Rolf, der so beschränkt war, daß er sich nicht allein anziehen konnte. Als dieser 20 Jahre alt war, wurde er sterbenskrank. Eines Tages sagte er zu seiner Mutter: „Ich sterbe, willst du daß er kommen möchte und mir das nicht dem Pastor sagen, heilige Abendmahl reichen?“ Wiederholt drängte Rolf. Die Mutter dachte: Wenn es auch keinen Wert hat, daß er das Abendmahl bekommt - denn er kann ja den Sinn nicht verstehen -, so will ich doch seinem Wunsche nachkommen, um wenigstens meine Pflicht getan zu haben. Als sie Janßen die Sache erzählt hatte, sagte dieser: „Richtet alles für das heilige Abendmahl her! Ich komme gleich.“ Auf dem Hinwege betete er, Gott möge doch dem Geist dieses Unglücklichen ein Licht geben. An dem Krankenbett fragte janßen: „Rolf, mußt du sterben?“ „Ja.“ „Weißt du das?“ „Gott hat zu mir gesagt:,Rolf, komm!’, dabei bin ich so froh. Denn wenn mir ein Mensch das sagt, dann glaube ich es nicht. Wenn es mir aber von oben zugerufen wird, muß es doch wahr sein.“ Während der Feier war Rolf ganz verständig. Sein Angesicht strahlte. Er meinte, daß er zu den glücklichsten Menschen gehörte. Nun konnte er die Zeit kaum abwarten, bis der Herr ihn abholte. Janßen aber bekannte: „Dieser Besuch ist mir selber eine Glaubensstärkung gewesen.“
Mit einem Kranken zu beten, war ihm das wichtigste Anliegen. Wußte er doch, daß der Heilige Geist der rechte Seelsorger ist. Es kam vor, daß die Krankenstube voll von Besuchern war. Sobald er am Krankenbett erschien, kniete er nieder und begann zu beten. Alle knieten mit.
Der Pastor und die Jugend
Wieviel Mühe und Liebe hat Jarnen auch auf die Jugend angewandt! 44 Jahrgänge bis ins Eingangs- und Schlußgebet ausgearbeitete Konfirmandenstundenmanuskripte legen Zeugnis dafür ab. Sonntags ließ er die Konfirmanden am Gottesdienst teilnehmen. Was sie von der Predigt behalten hatten, schrieben sie in ein Heft, das Jarißen von Zeit zu Zeit nachsah und zensierte. In vielen Häusern werden diese Hefte noch heute aufbewahrt. An jedem Sonntagnachmittag war Kinderlehre für Konfirmanden, die noch zwei bis drei Jahre nach der Schulentlassung kamen. Die große Schar versammelte sich in der Pastorei und zog dann unter dem Gesang „Jesu, geh voran“ in die Kirche. Die Kinder standen in den Gängen („vör de Banken“). Die Eltern aus dem Loog (dem Dorf Strackholt) gingen dann auch zur Kirche. Janßen fragte gelegentlich auch die Alten. Der Konfirmandenunterricht war so geachtet und begehrt, daß z. B. aus dem 30 km entfernten Middels ein junger Mann sich nach Strackholt verdingte und vom Anfang bis zum Ende daran teilnahm. Der Unterricht dauerte von Martini (11. November) bis zum Sonntag Estomihi, dem Beginn der Fastenzeit (Passionszeit). Die Konfirmanden waren bei der Einsegnung durchweg 17 bis 18 Jahre alt. Viele von ihnen kamen bald nach der Konfirmation zum Militär. Für jeden Sonntag ließ Janßen einen Gedenkreim über das Sonntagsevangelium lernen. „Ich konnte schon viele, als ich sechs Jahre alt war, denn ich lernte sie von meinen Eltern. Zum Beispiel den für den ersten Adventssonntag:
Kommst du, mein König, auch zu mir?
Oh, siehe meines Herzens Tür,
die steht dir ganz offen.
Dir soll, o liebster Jesu mein,
das Herz ganz übergeben sein.
Doch kann ich von dir hoffen, daß du,
Jesu, Licht und Leben werdest geben und
dem schenken, den Trübsal und Sünde kränken.
Der Gedenkreim für den 10. Sonntag nach Trinitatis und das Evangelium von Jesu Tränen über Jerusalem (Lukas 19) hieß:
Können Jesu Blut und Tränen
nicht erretten, nicht versöhnen,
so folgt darauf eine Flut,
die ganz andere Wirkung tut.
Dann kommt Gott mit den Gerichten,
zu verwüsten, zu vernichten
Tempel, Städte und Land und Leut’,
weil das Blut um Rache schreit."
Im Jahre 1944 erinnerten sich viele an diesen prophetischen Gedenkreim, den sie von ihrem Seelsorger einst gelernt hatten und der im Bombenkrieg eine schaurig-ernste Erfüllung fand.
Wie eindrucksvoll Janßen sich um den einzelnen Konfirmanden mühte, berichtet einer von ihnen selbst:
„Als Janßen mir nach der Konfirmation meinen Konfirmationsschein überreichte, stellte er mir die Frage: ‚Hast du dich für oder gegen Gott entschieden?’ Ich wurde verlegen. ,Ja’ durfte ich nicht sagen. ‚Nein’ wollte ich nicht sagen. Ich weinte. ‚Gott gebe’, sagte Janßen, ‚daß es Bußtränen sind. Das ist das Notwendigste, daß wir uns selbst erkennen.’ Ich ging in die Welt. Neun Jahre waren vergangen, da fand mich der Herr. Ich glaube, daß die Gebete der Eltern nebst denen von Janßen es waren, denen ich den Frieden des Herzens zu verdanken habe."
Der Mann mit dem weiten Blick und dem großen Herzen
Gehet hin in alle Welt
und predigt das Evangelium aller Kreatur!
(Markus 16,15)
„Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte! Es liegt ein Zwang auf mir.“ So sagt der Apostel Paulus. Dasselbe konnte Janßen auch von sich sagen.
Sein „Gemeindesprengel“ war die Welt!
Sein Missionseifer aber zeigte zwei Früchte:
1. Das Strackholter Missionsfest,
2. Das Strackholter Missionshaus.
Das Strackholter Missionsfest
Selten hat ein Missionsfest eine solche Volkstümlichkeit erreicht wie das Strackholter. Es hatte bald für Ostfriesland und Teile des angrenzenden Oldenburgischen Landes eine ähnliche Anziehungskraft wie das Hermannsburger Missionsfest für die Lüneburger Heide und das übrige Hannoverland. DasFest war ein „Erweckungsherd“. Hier kamen Menschen zur Bekehrung. Auf diesem Feste, wie überhaupt auf den Missionsfesten kreuz und quer im Lande, sprach janßen von der Mission nur im allgemeinen. Er sah die, die gekommen waren, nicht einfach als glückliche Besitzer des Heils an, sondern als solche, deren Herzen er erst gewinnen mußte für den Herrn. Nach seiner Überzeugung waren die Menschen, die vor ihm saßen, noch lange nicht wahrhafte Christen, sondern solche, von denen der größte Teil noch bekehrt werden mußte, weil sie noch längst nicht Christus angenommen hatten. So gab er nicht eigentliche Missionsberichite, sondern hielt Buß- und Erweckungspredigten. Gefragt, warum er so wenig von der Mission erzähle, antwortete er: „Das kommt ganz auf die Gemeinde an. Hat man einen lebendigen Kreis derer, die an den Herrn gläubig sind, dann kann man von der Mission erzählen. In der Regel ist das aber nicht der Fall. Da ist es besser, erst die Menschen für Christus zu gewinnen.“ So war ihm die Bekehrung der Menschen zu Christus erstes und wichtigstes Anliegen. Er betonte immer und immer wieder, wir könnten erst dann Mission treiben, wenn wir selbst Christen seien. So waren seine „Missionspredigten“ in Wirklichkeit evangelistische Wortverkündigungen. Auch hier erwies sich Janßen als Meister und Psychologe.
Auf dem Strackholter Missionsfest konnte man es erleben, wie fröhlich das Wort von Christus macht. Dieses Fest war ein Freudentag für Tausende. Es fand immer am letzten Mittwoch im August statt. Dieser Tag galt als Feiertag. Dienstboten schlossen ihren Dienstvertrag nur mit der Bedingung, zum Strackholter Missionsfest frei zu haben!
Von allen Seiten rollten an diesem Tage die Wagen heran. Die Pferde trugen Kränze um den Hals. Die Wagen waren mit Grün und Blumen geschmückt, gleichsam als führen sie zu einem Hochzeitsfest. Eine Woche vor dem Feste machte die Jugend Strackholts Ehrenbogen. An mehreren Stellen wurden Kränze zum Schmuck der Kirche gewunden.
„Meistens war schönes Wetter, das eigentlich unbedingt dazu gehörte, um der großen Menschenmenge das Wort Gottes zugänglich zu machen, denn die Festpredigten mußten wegen der großen Zahl der Teilnehmer im Freien gehalten werden. Wie schön war abends die Heimfahrt, wenn die Scharen bei ihrem Abschied von der Segensstätte ihre Kirchenlieder anstimmten, um noch einmal der Freude ihres Herzens Ausdruck zu geben und dem Herrn ihren Dank für seine gnadenvolle Huld zu bekunden. Und wie demütig und bescheiden blieb trotz allem Janßen bei allen seinen Erfolgen. Man darf es ruhig sagen: Ihm war es allein darum zu tun, Seelen für den Herrn zu gewinnen. Sein großer Ernst, gepaart mit liebenswerter Freundlichkeit, hat viel dazu beigetragen, bei diesen Festen aus vielen ‚Gegnern’, viele ‚Freunde’ zu machen.“
Die Gastfreundschaft allein war schon etwas Herrliches. Jedes Haus nahm ungefähr 10 bis 15 Gäste auf, so daß Janßen mit Recht sagen konnte: „Unsere Strackholter sind gastfrei ohne Murren.“
Janßen selbst ging in der Gastfreundschaft mit leuchtendem Beispiel voran. An die 100 bis 200 Gäste bewirtete er in seinem Pfarrhaus. Stets kündigte er dies so an: „Die Pastoren mit ihren Familien lade ich zu mir ein. Das ist mein Missionsopfer.“ Natürlich hatte er noch andere Gäste in seinem Hause.
Wer nicht in den Stuben Platz fand, kam auf die Diele. Hier war für viele Platz. Janßen ließ zu dem Fest eine Kuh schlachten. Für die Vorbereitung des Missionsfestes sowie für die Bewirtung der vielen Gäste wurde tagelang vorher gearbeitet. Vom Montag an wurden den ganzen Tag Kartoffeln geschält. Die Töchter der Nachbarn halfen während dieser Tage. Das Kalbfleisch wurde immer von dem gleichen Schlachter geliefert. Im Konfirmandensaal, im Speisesaal und auf der Diele mußten Tische gedeckt werden. Hatten die ersten gegessen, so trat Janßen freundlich an sie heran und sagte: „Wer da gegessen hat, der möge sich erheben und sich den Garten und das Gehölz ansehen gehen, damit die nächsten essen können.“
Ein Beobachter erzählte:
„Janßen ging während des Essens durch die Reihen, es war ganz wundervoll, wie er sich als Hausvater betätigte. Er begrüßte jeden und sorgte, daß jeder einen guten Platz und seinen vollen Teller bekam: Hausvater und Hausmutter in einer Person.“
Strahlende Augen folgten ihm überall. Hier und da ging er auf einen ihm in Christo innig verbundenen Bruder zu, umarmte ihn und gab ihm den Bruderkuß, nach dem Wort: „Grüßet alle Brüder mit dem heiligen Kuß“ (l. Thess. 5, 26). überall spürte man seine warme Liebe, die dem ganzen Feste seine Seele einhauchte.
In einem Jahr hatte es wochenlang vor dem Missionsfeste geregnet. Das Korn stand noch draußen. Wenige Tage vor dem Fest trat endlich Sonnenschein ein. Es war vorauszusehen, daß die Versuchung groß werden könnte, am Missionsfest das Korn einzufahren. Natürlich hätte das Missionsfest darunter zu leiden gehabt. Wie betete der treue Hirte, daß die Menschen trotzdem kommen möchten! Da ging in der Nacht vor dem Feste ein wolkenbruchartiger Regen auf Strackholt und Umgebung hernieder. Das war Gottes Antwort! Der Pastor sang, laut: „Lobe den Herren.“ Das Korn konnte am Festtage nicht eingefahren werden, und das Fest hatte einen großen Zulauf. Nach dem Missionsfeste konnte das Korn bei schönstem Sonnenwetter geborgen werden.
Einst war Janßen vor dem Fest krank. Es hieß: „Der Pastor wird nun nicht selbst beim Fest zugegen sein können.“ Diese Aussicht stimmte allgemein recht traurig. Einige Brüder und Schwestern in Christo kamen bei Janßen am Abend vor dem Missionsfest an seinem Krankenlager zusammen und befahlen Gott dem Herrn diesen Tag an. „Der Pastor wird morgen da sein“, so sprachen sie auf dem Heimwege; sie waren der Erhörung ganz gewiß. Welch ein Freudenrausch ging durch die Menge, als die Posaunen den Pastor und die Redner zum Festplatz geleiteten und unser Janßen voranging. Durch die Missionsgaben konnten zwei Missionsstationen der HermannsburgerMission ganz unterhalten werden!
Ein Bericht über das Strackholter Missionshaus
Janßens Missionsliebe drängte stets zur Tat. Zwei Nöte legten sich diesem Gottesmann auf die Seele: das Elend der Heiden und die seelsorgerliche Not der Deutschen in Amerika, die ohne genügende geistliche Versorgung waren. Der deutsche Pastor Wynecken war damals aus den Vereinigten Staaten in die Heimat gekommen mit dem Notruf: „Sendet uns Seelsorger. Ihr schickt Missionare zu den Heiden, die Eingeborene für Christus gewinnen, und laßt ganze Scharen von Christen dem Unglauben und den Sekten anheimfallen.“ Wynecken wandte sich an das Konsistorium in Hannover. Man verhandelte. Ein Mann handelte.
Janßen erbaute in Strackholt eine Missionsschule zur Ausbildung von Missionaren in der Heidenmission und von Pastoren, die einmal unter den Deutschen in Amerika wirken sollten. In der Missionsschule sollten die Anwärter eine dreijährige Vorbildung erhalten, nach deren Abschluß sie zur weiteren Ausbildung dem Missionsseminar in Hermannsburg oder dem Predigerseminar in Dubuque (lowa) oder in die Innere Mission überwiesen werden sollten.
Das ist alles so einfach erzählt, aber welche Kämpfe sollte das Missionshaus dem armen Pastor bringen! Es war oft ein Kampf um Leben und Tod!
Die geplante Eröffnung der Missionsschule mußte unterbleiben. Es fehlten die Schüler! Janßen bat die Missionsfreunde, täglich den Herrn zu bitten, Arbeiter in seine Ernte zu sdücken. Aber er mußte lange warten. Er schrieb einmal: „Wegen eines schweren inneren Kampfes um unsere Missionssache habe ich in den letzten Jahren nur das Allernotwendigste über unsere Missionsschule veröffentlichen können. Ich konnte die Missionssache eineinhalb Jahre lang nicht mehr in der bisherigen Gewißheit und Freudigkeit fortführen. Die besten und liebsten Missionsfreunde kündigten mit die Freundschaft und Mitarbeit. Die Missionsgemeinde drohte sich zu spalten. Was sollte ich machen? Ich war ungewiß. Aus diesem Grunde habe ich etwa 100 bis 150 Briefe, die die Missionssache betrafen, unbeantwortet lassen müssen. Aufrichtig konnte ich sie nicht beantworten. ich bat den Herrn, mir die Zuversicht und Gewißheit wiederzugeben.“ So erzählte Janßen, in seinem Blatt „Der Missionsfreund“. Es kam hinzu, daß die Missionsanstalt in Hermannsburg von der Notwendigkeit der Gründung einer Missionsschule in Strackholt nicht überzeugt war. „Man könnte die Ausbildung in der Hauptausbildungsstätte Hermannsburg billiger und gründlicher machen“, sagte Superintendent Linnemann in Leer.
Janßen stand in dieser Zeit mit seinem Gott allein. Seinem vertrauten Freund Sikke Lambertus hat er erzählt, wie ihn der Teufel angefochten habe. Er habe oftmals nachts nicht schlafen können vor Sorge. Er sei aus dem Bett gesprungen, um im Gebet Kraft zu suchen. Dann seien die Verzweiflungsgedanken ihm wie ein Sturmwind durch den Kopf gegangen. Das Wort habe ihm in den Ohren geklungen: „Remmer, gib deine Sache auf! Du wirst noch wahnsinnig werden.“ Die Stimme habe so herzlich geklungen, als spräche sein liebster Freund. Es war aber die Stimme des Satans, der sich in einen Engel des Lichts verkleidet hatte. Nach langem, langem Kampfe sei ihm eine tröstende Stimme geworden: „Du ungeduldiger Remmer, 21 Jahre habe ich dich in Geduld getragen, jetzt willst du dir diese kleine Probe nicht gefallen lassen?“ Da sei es still in ihm geworden. Nach diesem Sturm wartete Janßen voll Vertrauen auf die Hilfe des Herrn.
Schwierigkeiten aller Art dauerten jedoch noch lange an. In jeder Nummer des Missionsblattes bat er, es möchten sich Zöglinge melden. Monatelang war es ihm wegen großer Abgespanntheit nicht möglich, den „Missionsfreund“ zu schreiben. Er schrieb: „Ihr lieben Missionsfreunde, habt mit meiner Schwachheit ein wenig Geduld! Ich will meine betrübte Seele damit trösten, daß ich ihr zurufe: ‚Harre auf Gott.’ Ich darf mich der Fürbitte meiner Missionsfreunde empfehlen.“
Im Frühjahr 1889 hoffte Janßen die Eröffnung der Missionsschule bestimmt in Aussicht stellen zu können. Am 2. Pfingsttage 1889 konnte die feierliche Einweihung endlich stattfinden, eineinviertel Jahr nach dem geplanten Zeitpunkt. Durch welche Tiefen der Anfechtung war Jarißen geführt worden! Nun brach die Sonne durch. Der Einweihungstag gestaltete sich zu einem Freudentag. Mit fünf Schülern fing die Schule an. Hilfreich war dabei die Hand, die sich ihm von Amerika aus entgegenstreckte.
Professor Fritschel von der lowa-Synode schrieb: „Es ist der Herr selbst gewesen, der uns zueinander geführt hat.“ Als Janßens Brief an die Synode angekommen sei, um den Dienst seiner Zöglinge in Amerika anzubieten, sei gerade ein Brief an Janßen unterwegs gewesen, um ihn um seine Mitarbeit zu bitten. Darin könne man des Herren Wink erkennen. Wir schlagen freudig und voll herzlichen Vertrauens ein. Jesus segne unsern Bund.“ So schließt der Brief Fritschels.
Ein anderer Brief von drüben lautet: „Hier ist die Ernte zum Abfallen reif. Allerdings winken keine Pfründen, sondern Arbeit und immer wieder Arbeit. Aber auch nirgends hat Gott die Arbeit so gesegnet wie hier. Das zeigt die Geschichte unserer Kirche zur Genüge.2
96 Schülern hat Janßen durch die Missionsschule den Weg in den besonderen Dienst Gottes geebnet. Einer ging in die Hermannsburger Mission, die übrigen zur weiteren Ausbildung nach Amerika und in die Innere Mission.
„Das Missionshaus war ein Kind seiner Liebe, aber auch ein Kind steter Sorge“, so urteilte Gerhard Otten, Janßens Missionslehrer und später Superintendent in Aurich-Oldendorf.
Das Missionshaus wurde im übrigen einen stillen Weg geführt. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde es, weil die Schüler in den Heeresdienst traten, geschlossen. Nach dem Kriege war Janßen ein alter Mann geworden. Das Missionshaus wurde verpachtet und schließlich verkauft (1951). In einem vom Erlös gebauten Haus wohnt ein Hermannsburger Volksmissionar.
Warum, so könnte man fragen, predigt dieses Haus nicht mehr? Gott läßt es zuweilen zu, daß Werke, die von seinen Dienern erbaut sind, vergehen. „Wer hat den Sinn des Herrn erkannt?“ (Röm. 11, 34). Janßen selbst antwortete auf die Frage, warum das Missionshaus nicht erhalten geblieben sei, demütig: „Was von Menschen gebaut ist, geht auch mit Menschen zugrunde.“ Uns genüge es zu wissen: Pastor Janßen hat zu seiner Zeit, wie einst von Daniel gesagt wurde, dem Willen Gottes gedient. Etwa im Jahre 1965 wurde das Missionshaus abgerissen, um einem Schulneubau Platz zu machen.
Aus der Heidenwelt und der „Neuen Welt“ und aus unserem deutschen Land werden viele in der Ewigkeit dem Manne danken, der ihnen Boten des Friedens gesandt hat.
Geblieben ist das Strackholter Missionsfest. Als es 1955 zum 73. Male mitten in der Woche und in der Erntezeit stattfand, waren nicht weniger als 3000 Menschen herbeigeströmt. Es wurde bis 1968 alljährlich am letzten Mittwoch des Monats August gefeiert, 1969 wurde es zum erstenmal auf einen Sonntag verlegt, 1970 fand das Missionsfest zum 89. Male statt.
Der Beter
Bittet, so wird euch gegeben!
(Matthäus 7, 7)
Es war an einem Neujahrsniorgen. Wieder stand der Pastor auf der Kanzel. Die Spuren seines nächtlichen Gebetskampfes waren noch in seinen Gesichtszügen zu lesen. Wie ging es aber den Menschen durchs Herz, als er sagte: „Ich habe die ganze Nacht gerungen um eure Seelen.“
„Wie manche Nacht hat Janßen auf den Knien zugebracht, um in den vielen Widerständen und Anfechtungen den Sieg zu erflehen.“
Kein Wunder, dass seine Worte wie Blitze in regelloser Wucht einschlugen.
„Wer andern vieles sagen soll,
schweigt viel in sich hinein.
Wer Blitz und Donner senden soll,
muss vorher stumme Wolke sein.“
Aus dem Munde seiner Haushälterin hören wir: „In den ersten Jahren ist der Pastor fast nicht von den Knien gekommen.“
Auf Besucher machte es einen tiefen Eindruck, wenn sie ihn in seinem kleinen Gartenhäuschen im Gehölz aufsuchten und ihn betend auf und ab gehen sahen.
Gewiß, in das innere Heiligtum seines Gebetslebens ist uns der Blick verwehrt. Denn wer recht betet, schließt die Tür hinter sich und redet mit seinem Gott im Verborgenen Die Quellen für unsere Darstellung fließen hier nur spärlich. Wir können nur entfernt ahnen, wie viel dieser Mann gebetet hat. Für seine Predigten hatte das Gebet ebensoviel Bedeutung wie der fleißig gebrauchte Studiertisch.
Ein Hauch des Friedens von einer anderen Welt umgab ihn. Wer mit besonderem Anliegen zu ihm kam, wußte da von zu erzählen, daß sein Pastor jedesmal mit ihm nieder kniete und sein Anliegen dem Herrn vortrug.
Einige Beispiele mögen die kindlich vertrauensvolle Art von Janßens Gebet zeigen. Ein Mann erzählte: „Es liegt wohl 40 Jahre zurück. Meine Mutter lag an Lungenentzündung hoffnungslos darnieder. Mein Vater schickte mich eilends zu Pastor Janßen. Es war Abend, als ich bei ihm ankam. Nachdem ich alles mitgeteilt hatte, fragte Jarißen: ,Wieviel Kinder seid ihr?’ ‚Wir sind zehn Geschwister.’ ‚Meint der Arzt, es sei lebensgefährlich und wenig Hoffnung auf Genesung?’ ‚Ja, der Arzt sagt, sie wird nicht durchkommen.’ ,Nun, mein Junge, jetzt müssen wir auf die Knie, um zu erfahren, was der Herr will.’ Nach dem Gebet sagte Janßen: ,Gott wird deine Mutter wieder gesund machen!’ Danach gab er mir Geld für eine Flasche Wein und sagte: ‚Jetzt gehst du nach Hause zurück, und morgen früh sagst du mir Bescheid, wie es um deine Mutter steht.’ Als ich zurück, kam, hatte sich das Fieber gelegt. Es war um die Stunde des Gebets gewesen, daß das Fieber sank, und meine Mutter war nach ein paar Tagen wieder gesund.“
Janßen wußte, daß Gott im Kleinsten oft am größten ist. So brachte er auch die natürlichsten Dinge des täglichen Lebens im Gebet vor Gott, selbst wenn es sich um ein Tier handelte. Eines Tages kam ein Bauer aus Fiebing und klagte Janßen, daß er einen Ochsen eingebüßt habe. (Damals wurde mit diesen meist gepflügt, Pferde gab es noch wenige.) Janßen machte dem Mann Mut. Dieser fragte: „Meinen Sie, daß ich um einen neuen Ochsen beten darf?“ „Warum denn nicht, wenn wir nur gläubig beten!“ Der Besucher meinte, dann wolle er es versuchen. Doch er hätte mehr Mut, wenn der Pastor auch für die Sache betete. Gern willigte Janßen ein. Der Erfolg jedoch blieb aus. Ein halbes Jahr verging, der Mann war inzwischen unruhig über sein Seelenheil geworden und kam zur Kirche. Er fand seinen Heiland. Sein Ochse war ihm nun zur Nebensache geworden. Beim Fortgehen fragte Janßen: „Wie ist es geworden mit dem Ochsen?“ „Ach, darüber bin ich hinweg, das hilft sich schon.“ „Nun, ich merke, wir haben die Sache unsererseits versäumt. Wir wollen nun niederknien und dies dem Herrn anheimstellen.“ Janßen schloß die Tür ab. Mitten im Gebet wurde geklopft. Janßen schloß auf. Herein trat der Geldbriefträger und überbrachte Janßen 500 Mark, mit folgendem Begleitschreiben: „Da ich in der letzten Zeit viele Pferde verkauft und ungewöhnlich hohe Überschüsse erzielt habe, möchte ich davon abgeben an Leute, die Hilfe brauchen. Da ich niemanden kenne, sende ich Ihnen 500 Mark, weil ich weiß, daß Sie das Geld besser unterbringen werden.“ „Sehen Sie“, sagte Janßen, „unser Gebet ist erhört. Hier haben Sie das Geld, kaufen Sie den besten Ochsen, den Sie bekommen können.“ Nach kurzer Zeit brachte der Mann 200 Mark, die er übrigbehalten hatte, zurück. Der Pastor könne sie anderweitig verwenden. Beide waren nun glücklich. Beim Abschied sagte Janßen: „Hier sehen wir, wir haben einen wunderbaren Gott, der sich auch um die Ochsen kümmert, ja, der einen Ochsen benutzen kann, um einen Menschen zu sich zu führen.“
Einmal war Janßen in arger Verlegenheit. Er hatte all sein Geld weggegeben. So trug er sein Anliegen dem himmlischen Vater im Gebet vor: „Himmlischer Vater, der Teufel hat mich eingefangen. Du mußt mir wieder heraushelfen.“ Er ging zu einem Landwirt, um Geld zu leihen. Dieser gab ihm die Antwort: „Nein, Herr Pastor, ich gebe Ihnen nichts, denn ich möchte nicht, daß Sie als Schuldner im Grabe liegen.“ Das war ein Schlag! Janßen fragte: „Wem bin ich etwas schuldig geblieben?“ Der Bauer: „Sie sehen manchmal Not, und wenn Sie nicht gleich helfen können, borgen Sie. So könnte es kommen, daß ich das Geld nicht wieder zurückbekäme.“
Nun war Janßen noch mehr in die Enge, ins Gebet getrieben. Nach ein paar Tagen bekam er Besuch von einem Domänenpächter, der ihn beim Abschied fragte, ob er wohl mal in Geldverlegenheit stecke? Treuherzig bejahte Jarißen das und erzählte ihm sein Erleben. Da überreichte ihm der Päditer 700 Mark. Auf das Erstaunen Janßens, wie er dazu komme, erklärte der Besucher: „Unser gemeinsamer Freund, Jesus, schickt mich zu Ihnen.“
Morgens, mittags und abends wurde auch hier die Betglocke geläutet. Dann nahm Janßen seine Kopfbedeckung ab und betete. Schlug die Betglocke während des Unterrichts, so hielt er inne und rief: „Lasset uns beten.“
Dann betete er das ‚Christe, du Lamm Gottes’, oder das Vaterunser oder:
„Herr, die Stunde schlägt nun wieder,
denk an uns und unsere Brüder,
die mit uns im Glauben stehn.
Leite uns, die wir hier wallen,
Herr, nach deinem Wohlgefallen,
bis wir in den Himmel gehn.“
Janßen schätzte auch das gemeinsame Gebet. In der Gemeinde Strackholt bildeten sich acht sonntägliche Betstunden. Janßen nahm, soviel er konnte, daran teil. Manchmal kam er erst nach der Betstunde oder auch erst gegen Schluß, besonders wenn er viel Arbeit hatte. Er wollte dann doch gerne wenigstens „Amen“ sagen. In den zehn Tagen vor Pfingsten, „der Wartezeit“, versammelte sich eine Schar von Menschen zum täglichen Gebet um die Gaben des Heiligen Geistes. „Da war Janßen in seinem Element!“ Da konnte er denn auch wohl sagen: „Sind wir eigentlich schon im Himmel oder nicht?“
Remmer Janßen war eine priesterliche Seele, ein Mann, der Fürbitte leistete für das Volk. Wie hätte da im Gottesdienst sein Mund nicht überfließen sollen, besonders wenn er am Altar stand in Lob und Dank, Bitte und Gebet! Es drängte Janßen, in der großen Gemeinde Gott zu loben und zu preisen. Er wollte wieder zu den Schätzen der vergessenen Liturgie greifen und sie seiner Gemeinde lieb machen. Ein Jahr nach seinem Einzug in Strackholt führte er daher die volle Liturgie mit den von der Gemeinde gesungenen Responsorien (Wechselgesängen) ein. Gebetet wurde stets kniend. Dem Glaubensbekenntnis fügte Janßen die Worte bei: „Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben. Mehre mir den Glauben.“
Den Pastor Janßen zog es immer mit Gewalt auf die Knie. Die Gemeinde folgte ihrem Hirten. In den späteren Jahren gingen einige Gemeindeglieder - meist wohl die Gebrechlichen - dazu über, sich lediglich nach vorn zu beugen. Von der Mehrzahl wurde jedoch das kniend gesprochene Gebet vorgezogen. „War die Predigt zu Ende, so brauchte Janßen kaum erst zum Beten aufzufordern. Es war wie ein Schlag und alle lagen auf den Knien.“
„Janßen wußte sich selbst im Gottesdienst von dem Gebet der Gemeinde getragen.“
Das „allgemeine Kirchengebet“ war mit dem vorgeschriebenen Inhalt gefüllt. Janßen betete sonst auch im Gottesdienste frei. Sein Gebet war dabei natürlich, einfach und schlicht. Er brachte vor den Herrn, was die Gemeinde und ihn bewegte. Als einmal eine Mutter aus Spetzerfehn, die kein Kindermädchen hatte und doch den Gottesdienst nicht versäumen wollte, ihr Kind auf dem Rücken mit in die Kirdie genommen hatte, fing das Kind an zu weinen. Janßen fügte seinem Gebet die treuherzigen Worte hinzu: „Und das Kind, das weint, laß auch dereinst selig werden.“ Das Vaterunser wurde bei dem an jedem Sonntag gefeierten heiligen Abendmahl von dem Liturgen gesungen. Hier belebte ihn die besondere Nähe seines Heilandes, der seinen Leib und sein Blut gab.
Bruder unter Brüdern
Habt die Brüder lieb!
(l. Petrusbrief 2,17)
„Wir wissen aber, daß wir aus dem Tode zum Leben gekommen sind, denn wir lieben die Brüder“ (l. Joh. 3, 14).
Liebe zu denen, die durch Gottes Wort zu Gottes Kindern wiedergeboren waren, das war Janßen eine Herzenssache. Schon als Göttinger Student verkehrte Remmer in einer Schuhmacherfamilie; hier hatte er ein lebendiges Christentum vorgefunden. So mußte Janßen ja ein Mann werden, der die Gemeinschaft mit christlichen Brüdern suchte und brauchte. Wenn Zinzendorf sagte: „Ohne Gemeinschaft statuiere ich kein Christentum“, so war dies Wort des Begründers der Brüdergemeine dem jungen Theologen aus dem Herzen gesprochen.
„Janßen war im tiefsten Grunde ein einsamer Mensch. So wie er war, so wie er an Jesus hing - wen fand er so?“
„Unser lieber Pastor Janßen war ein einsamer Mensch. Er war ja immer allein: Allein mit sich, seinen Gedanken und Nöten; allein auch mit seinen körperlichen Leiden und Schmerzen. Niemand war da, mit dem er sich einmal ganz aussprechen konnte. Immer allein, das war sein Los. Trotzdem war Janßen zugleich ein fröhlicher Mensch unter Fröhlichen.“
„Als Janßen in Strackholt auftrat, wirkte das wie ein ,Glockenschlag’ durch ganz Ostfriesland.“ Die „Stillen“ im Lande schlossen sich ihm gleich an. Sie sagten das nicht. Sie organisierten sich nicht. Aber auf jedem Missionsfest in Strackholt trafen sie sich. Es hat in Ostfriesland immer Kreise von gläubigen Menschen gegeben. Diese waren nicht durch Janßen erweckt, aber sie wurden durch ihn angezogen. Beim Strackholter Missionsfest rollten von überall her die Wagen an, auch aus dem reformierten Rheiderland und aus Krummhörn. Janßen war nicht der Meinung, daß der sonntägliche Gottesdienst und die Bibelstunden für den gläubigen Christen genügten. Er sagte: „Von den vier Dingen, die zu einer lebendigen Gemeinde gehören, nämlich der Apostel Lehre, der Gemeinschaft, dem Brotbrechen und dem Gebet, ist unserer Kirche das zweite weithin verlorengegangen: die Gemeinschaft.“
Wie stand Janßen zu seinen Amtskollegen? Ein Freund bezeugte: „Etliche Amtsbrüder schlossen sich von ihm hermetisch ab.“ Die Kehrseite seiner brüderlichen Verbundenheit war so die völlige Einsamkeit unter anderen.
„In seinen ersten Amtsjahren hat Pastor Janßen durch harte Äußerungen bei den Amtsbrüdern Anstoß erweckt und Spannungen verursacht. In späteren Jahren fielen die Spannungen völlig fort, weil er milder in seinem Urteil geworden war, durchaus ein Mann des Friedens, mit dem keiner Streit haben konnte und mit dem auch seine Amtsbrüder in freundlichem Einvernehmen gelebt haben“ (Köppen).
„Remmer Janßen gab unseren Konferenzen irgendwie eine unvergeßliche Weihe. In seiner Gegenwart war es einfach unmöglich, lieblose Worte zu reden oder unzufriedener Kritik Luft zu geben. Seine Herzensgüte umschlang alle mit dem Band brüderlicher Liebe. Sein apostolischer Bruderkuß (vgl. 1. Thess. 5, 26) hatte symbolische Kraft. Sein Andenken seil und bleibe gesegnet für allezeit.“ So erzählt Janßens Pfarrbruder Riechelmann, der von 1895 bis 1911 sein Nachbar in Ostgroßefehn war.
Besonders herzlich war Janßen mit Pastor Linnemann in Weene verbunden. Eine Predigt Linnemanns hatte beide zusammengeführt. Janßen hatte aufgehorcht, er hatte einen Prediger entdeckt, dem Jesus als Retter begegnet war und ihm nachfolgen hieß. Gleich nach Linnemanns Predigt ging er auf diesen zu, bot ihm das vertrauliche Du an und gab ihm den Bruderkuß. Linnernann hat Janßen später treu beigestanden, besonders dann, wenn Janßen mit Arbeit überhäuft war, krank daniederlag oder unter Anfechtungen litt. Konnte Janßen das Missionsblatt nicht fertigschreiben, dann mußte sein Freund Linnemann herbeieilen und das Blatt vollenden.
Gleichsam ein geistliches Kleeblatt waren die Pfarrbrüder Janßen in Strackholt, Voget in Holthusen, der in seiner Studierstube eine große Zeichnung des himmlischen Jerusalem hängen hatte, und Janßen in Holtland. Letzterer konnte um eine abgeirrte Seele stundenlang beten und erfuhr dann oft die Macht des Geistes Gottes, der Sünder zurechtbringt. Von ihm wurde gesagt, seine drei Anliegen in fast jeder Predigt seien Buße, Glaube, Heiligung gewesen, während es dem Strackholter Janßen mehr um Buße, Glaube und Mission gegangen sei. Dieser demütige Jünger und Zeuge seines Heilandes erlitt einen so bitteren Todeskampf, daß es Menschen, die Jesus nicht kannten, ein Anstoß werden wollte. In der dunklen Anfechtung im Sterben rief er: „Remmer, Bröer, kumm, help mi!“ (Remmer, Bruder, komm, hilf mir!), um endlich im Anblick der himmlischen Gottesstadt preisen zu können: „Ich gehe in Immanuels Land.“ Pastor Voget wurde in der Hitlerzeit an einem hohen Geburtstag von einem Zeitungsberichterstatter um seine Meinung über das Zeitgeschehen gefragt. Er antwortete nur: „Suche Jesus und sein Licht, alles andre hilft dir nicht.“
Ein anderer Mitbruder war Pastor Schomerus aus Weene. Er trat als Hausvater in das Missionshaus in Hermannsburg ein, wurde später Direktor und bezeichnete Janßen als Werkzeug Gottes, der ihn in die Mission führte. Janßen hatte seinem Freund erklärt: „Ich bete jeden Tag für dich, daß du Missionsdirektor wirst.“ Schomerus hatte Janßens Bild in seinem Arbeitszimmer hängen.
Sodann Pastor Hermann Immer: In seiner Gemeinde Manslagt hatte Gott eine Erweckung geschenkt. Es trieb ihn, Janßen zu besuchen. Unvergeßlich blieb es ihm, daß dieser ihn beim Abschied bat: „Möchten Sie noch mit mir beten?“
Auch mit Prediger Paulsen von der ostfriesischen landeskirchlichen Gemeinschaft war Janßen durch das Band der Gotteskindschaft verbunden. Wenn beide sich verabschiedeten, dann war der Kuß der Liebe - wie bei den ersten Christen das Zeichen, daß ein Höherer sie verband.
Gern erzählte Prediger Johannes Hasselhorn, 1966 hochbetagt heimgegangen in Heilbronn, wie er von dem im Ruhestande in Egels wohnenden alten Bruder Remmer Janßen gestärkt wurde. Als Hasselhorn einmal sein Herz ausschüttete in Trauer darüber, daß er oft den untersten Weg gehen müsse, tröstete Janßen ihn: „Us Herr Jesus brukt ok Asels.“ (Unser Herr Jesus braucht auch Esel.), bezugnehmend auf den königlichen Einzug in Jerusalem, nach Matth. 21.
Ein katholischer Pfarrer aus Aurich äußerte sich nach einem Dienstbesuch in Strackholt glücklich über die Ehrerbietung und Herzlichkeit von Gemeindegliedern ihm gegenüber (Mitteilung von Agnus Cassem, dem Sohn des Erbauers des Strackholter Missionshauses).
Die sonntäglichen privaten Betstunden, diese „Kirchlein in der Kirche“ hatte Janßen besonders lieb. Gern setzte er sich als Gast unter die Brüder. In seinen Ankündigungen lud er oft zu dem Besuch dieser Versammlungen ein. Auch nach Firrel oder Ostgroßefehn kam er in die Versammlungen und erklärte: „Ich muß die Brüder grüßen.“ Das Konsistorium in Aurich schrieb nach einer Kirchenvisitation in Strackholt: „Es finden in manchen Häusern erbaulicheZusammenkünfte statt, die von Laien geleitet werden. Auch in diesen freien Zusammenkünften erblicken wir erfreuliche Zeichen des Lebens und kirchlichen Sinnes, der die dortige Gemeinde beseelt.“
Eine dieser Betstunden besteht nunmehr (1973) 80 Jahre.
Es ruft zur Anbetung der Gnade Gottes, wenn wir erfahren, daß bei fast allen Besuchern die Eltern, Großeltern und gar Urgroßeltern durch Janßens Wirksamkeit zum lebendigen Heilsglauben gekommen sind! So kann man von Pastor Janßen mit den Worten der Heiligen Schrift sagen: „Er lebt, wiewohl er gestorben ist. Was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt.“
Das Strackholter Pfarrhaus war ein stilles Heiligtum, über dem das Wort Gottes leuchtete: „Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen“ Ps. 133, Vers 1).
Remmer Janßen war wie ein Magnet, zu dem sich alle in gleicher Weise hingezogen fühlten: die durch Gottes Gnade bekehrt waren, die in den Sakramenten lebten, die das Gotteslob in der Liturgie mit Freuden sangen und die den wiederkommenden Herrn erwarteten. Eins konnte hier in das andere greifen, eins durch das andere wachsen und reifen.
Ihm stand Tersteegens Wort im Herzen geschrieben:
0 wie lieb ich Herr die Deinen,
die dich suchen, die dich meinen;
o wie köstlich sind sie mir!
Du weißt, wie mich's oft erquicket,
wenn ich Seelen hab erblicket,
die sich ganz ergeben dir.
Der Angefochtene
Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet
(Jakobus 1, 12)
Bedrängnis von außen
Wie noch fast jeder Diener Gottes, der in Satans Reich hineingriff, die Mächte der Finsternis gegen sich in Bewegung setzte, so auch Janßen. Diese dunklen Gewalten stürzten ihn in manche Anfechtung.
Sollen wir die Abgründe von Janßens Anfechtungen andeuten? Wird es nicht manchem anstößig sein, zu erfahren, durch welche Tiefen dieser Diener des Herrn ging? Verbirgt die Bibel die Anfechtung ihrer Gottesmänner? Nein. Ein 80jähriger Christ meinte: „Ja, es müssen auch die Dunkelheiten in Janßens Leben dargestellt werden. Denn als ich von Janßens Kämpfen hörte, habe ich in meinen eigenen Anfechtungen Mut bekommen, an die Durchhilfe des Herrn zu glauben.“
„Wenn ich gewußt hätte, welcher massiven Kampffront des Fürsten der Finsternis ich begegnen würde, hätte ich es vielleicht nicht gewagt, das Predigtamt zu übernehmen.“ Dies Wort des Kirchenvaters Johannes Chrysostomus (+ 407) konnte auch Janßen auf sich anwenden. Ein Theologe, in Satans Sieb gesiebt, das wurde er. „Wo Gott seine Kirche baut, da baut der Teufel seine Kapelle daneben.“ Wenn Paulus sagt: „Mir ist eine große Tür aufgetan“, fügt er bezeichnenderweise hinzu: „Auch sind viele Widersacher da.“ Wie hätte Janßen ohne Anfeindungen bleiben sollen, aber gerade nach solchen Kämpfen pflegte er Wunder zu erleben.
„Remmer Janßen ist auch durch viele Anfechtungen gegangen, die ihm von Menschen bereitet wurden. Aber ich glaube, daß die Zahl seiner Freunde größer war, als die seinet Feinde.“
Daß seine offene Predigtweise - ohne jede Schönfärberei - Widerspruch erweckte, ist nur zu verständlich. Ein paar junge Burschen aus seiner Gemeinde beschlossen einmal, sich an ihrem Pastor für seine Offenheit zu rächen. Sie schickten des Nachts zu ihm einen Boten und ließen ihm sagen, er möge - weit weg vom Pfarrhause - zu einem Kranken kommen. Janßen forderte den Boten auf, hereinzukommen, er komme gleich mit. Der Bote aber gab an, er müsse zur Apotheke. Die Haushälterin fand die Sache verdächtig und riet ab. Aber janßen ließ sich nicht abhalten. An dem etwa eine Stunde von der Pastorei entfernten Hause vernahm Janßen ein lautes Geräusch. Es war verursacht von jungen Leuten. Das Haus selbst lag still und dunkel da. Janßen klopfte. Die Leute machten auf. Der Mann aus dem Hause sagte, als er plötzlich Pastor Janßen vor sich erblickte: „Ich kann es mir schon denken! Die jungen Leute sind Ihnen böse. Ich will mit Ihnen kommen und Sie nach Hause begleiten.“ „Ach, mein Freund“, sagte Janßen, „es ist ja gut gemeint. Doch ich gehe in Gottes Namen. Der Spaziergang tut mir gut, ich gehe allein zurück.“ Der Rädelsführer wurde bald bekannt. Da kam er zu Janßen und bat um Verzeihung. Dieser aber begegnete ihm so freundlich, daß er für den Jugendverein gewonnen wurde.
Es wird ein anderer Fall erzählt: Drei Männer, die sich von Janßens Predigt persönlich bloßgestellt glaubten, hatten vereinbart: Wir werden ihm im Dunkeln auflauern und ihn verprügeln. Schon waren die Stöcke erhoben, um auf den unbewaffneten Seelsorger loszuschlagen. Dieser verharrte jedoch unbeweglich auf seinem Platz. Da ließen die Schläger plötzlich ihre Arme sinken. Sie traten stumm zur Seite und gaben dem Pastor den Weg frei. Sagt nicht der 34. Psalm: „Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten“ (Ps. 34).
Am nächsten Tage suchten sie ihn in seiner Studierstube auf, stammelten eine Entschuldigung und fragten, was für ein Licht es gewesen wäre, das am vergangenen Abend um ihn herum gestrahlt hätte: „Ein Licht?“ fragte Janßen aufs höchste erstaunt. jawohl, versicherten sie einstimmig, von seiner Schulter sei ein heller Lichtglanz ausgegangen. Der habe sie erschreckt und zugleich so ernüchtert, daß sie von ihrem Vorhaben abgelassen hätten. Alle drei baten ihn mit Tränen in den Augen um Verzeihung. Janßen konnte sie fortan zu seinen Freunden zählen.
Der Psalmist klagt einmal: „Auch mein Freund, der mein Brot aß, tritt mich mit Füßen“ (Psalm 41, 10). Solche bitteren Erfahrungen sind auch ihm nicht erspart geblieben. Mit einem nahen Freunde war er einst in froher Eintracht zusammen, während in der Mitte sein Schriftenbote Sikke Lambertus saß. Strahlend rief der Freund aus: „Uns drei bringt doch kein Teufel auseinander.“ „Der kann noch viel mehr“, erwiderte Lambertus ernst. Superintendent Linnemann bezeugte später traurig: „Der einstige Freund hat ihn bis aufs Blut gequält.“ Janßen vertraute seinen Schmerz nicht Menschen an, sondern trug ihn in das Heiligtum des Gebets. Gutes reden und alles zum Besten kehren, war seine Waffe. Einmal schüttete Janßen sein Herz gegen einen Freund aus mit den Worten: „Ich hatte eine Schlange an der Brust, und ich meinte, einen Freund am Herzen zu haben.“ Selbst nahestehenden Menschen gegenüber pflegte er liebevoll vom Feinde als Freund zu sprechen. Kobus Buhr gewann in einem solchen Falle die Überzeugung- „Das war ein lieber Mann.“ Das ist ein Zeugnis, wie in Janßen das 8. Gebot lebte.
Eine schmerzliche Anfechtung war es für den treuen Seelsorger, daß auch Pfarrer, die in hohem Ansehen standen, seinem Werben unzugänglich blieben.
Seine Wirksamkeit hat Janßen viel Kampf eingetragen. Oft hat er sich sogar dem Gericht in Aurich stellen müssen! Dort aber achtete und ehrte man ihn schließlich. Besonders in den Anfangsjahren fand Janßen zumal unter Amtsbrüdern heftigen Widerspruch. Ein Pfarrer hatte erfahren, daß eins seiner Gemeindeglieder sonntags nach Strackholt in den Gottesdienst ginge. Bissig und voller Abneigung bemerkte er, er habe von diesem Manne doch nicht gedacht, daß er von der Strackholter Seuche angesteckt sei. - Aber nach und nach wurde doch die Zahl seiner Freunde größer. Janßen wurde auch später milder und rücksichtsvoller in seinen Ausdrücken, ohne jedoch ein Leisetreter zu werden. Sein Amtsbruder Happach, ein ehemaliger Studienfreund, stand dem Strackholter Nachbarn und seinem Wirken zuerst recht ablehnend gegenüber. Janßen hielt ihm vor: „Ihr mit euren Kuhaugen könnt das Reich Gottes nicht erkennen.“ Dies harte Wort hatte Happach so getroffen, daß er am folgenden Sonntag nicht zum Gottesdienst kam. Er hatte nicht mehr die Kraft, an diesem Sonntag im Gottesdienst zu predigen. Die Gemeinde sang ein Lied, zwei Lieder. Der Pastor kam nicht. Dann ging sie erschüttert nach Hause. Unter Janßens Wort hatte Gott Happach die Augen geöffnet. Im ehrlichen Ringen mit Gott drang er zur Wahrheit durch. Am anderen Sonntag stand er als ein anderer Pastor auf der Kanzel und bezeugte mit neuem Geist das Heil in Christus. Nun begann ein neues Leben auch in der Gemeinde Ostgroßefehn, und noch heute, nach 70 Jahren, werden alten Leuten die Herzen warm, wenn sie von ihrem jungen Hilfsprediger Happach erzählen. Nunmehr pilgerte jeden Mittwoch der Hirte mit seiner Herde im Winter zu den Bibelstunden nach dem sechs Kilometer entfernten Strackholt, es mochte schneien oder regnen. Er saß nun unter Janßens Kanzel mit den etwa 700 Zuhörern. Singend kam die Schar oft erst um halb zehn Uhr abends heim. Fahrräder gab es damals noch nicht. Happach wurde Janßens Mitarbeiter, der den Büchervertrieb leitete.
Ein Mann in Oldersum meinte, als er einen Spetzerfehner Schiffer auf der Ems traf und erfuhr, daß er aus Janßens Gemeinde stamme: „Dann kommen Sie also von dort, wo der Strackholter Freifechter steht.“ „Ja“, entgegnete Andreas Meinen, „aber nicht einer, der in die Luft streicht“, anspielend auf ein Wort des Apostels Paulus (l. Kor. 9, 27). Der Kritiker wurde zum ehrlichen Bewunderer, zum frohen Besucher des Strackholter Missionsfestes. Viele haben Janßen erst gehaßt. Nachher hatten ihn alle gleich lieb, wenn sie den Frieden in Jesus gefunden hatten.
Befürchtungen von innen
Vielleicht die schlimmste Anfechtung erlebte Janßen darin, daß nach zehnjährigem Wirken die Erweckung langsam zum Stillstand zu kommen schien. „Der Wind weht, wo er will“ (Joh. 3). Eine Erweckung ist ganz Gottes Werk und Fügung. Kein Prediger kann sie bewirken aus seiner Macht, wenn es nicht Gottes Wille ist. Einmal trauerte er, daß er lange Zeit in seiner Gemeinde keine Bekehrung erlebt hatte. Da trat eine Frau auf ihn zu und erzählte, der Herr habe sie begnadigt. Das war ein Licht nach dem Dunkel der inneren Verzagtheit. Oft meinte er, daß er Blätter sähe, aber wenig Früchte.
„Jetzt fährt ein Gnadenzug durch die Gemeinde, wer einsteigt, tut wohl.“
So hatte er früher sagen können. Nun mußte er erleben, daß manche sich von ihm abwandten und andere Wege gingen. Wenn die Gemeinde im Gottesdienst auf die Knie fiel, mußte er zu seinem Schmerz feststellen, daß ein paar Leute auf den Emporen nicht hinknieten, weil sie ihren Widerstand auf diese Weise offen zum Ausdruck bringen wollten. Manche Blüte edler Hoffnung sah Janßen zu Boden sinken. Auch er mußte den schweren Weg des Verzichtens gehen. Ein Lehrer berichtete: Einmal sagte Janßen zu mir: „Gott beurteilt uns nicht nach dem, was wir erreicht haben, sondern nach dem, was wir ehrlich erstreben. Wer sich durch Widerstände zu Boden zwingen läßt, verdient Verachtung und ist des Kampfes nicht wert.“
Ein Lieblingswort Janßens war: „Wir werden siegen durch Unterliegen.“
Immer wieder war es für ihn ein besonderes Erleben, wenn er sah, daß gerade dann, wenn sich die Schwierigkeiten häufen und Zweifel aufkeimen, Jesus Sieger bleibt!
Ein Erlebnis:
Bei einer Konfirmation im Jahre 1910 wollte ein Mann, namens H., zum heiligen Abendmahl gehen. Er trieb aber finstere Dinge der Zauberei, die Gottes Wort ein Greuel nennt. Er ging auf den Altar zu, kam aber nur bis zur Kanzel - dann blieb er wie gebannt stehen. Er konnte nicht weiter, schwankte, brach zusammen und wurde vor den Augen der tiefergriffenen Gemeinde hinausgeleitet. Ein Höherer war gegenwärtig.
Merkwürdiger- oder besser bezeichnenderweise stellten sich Schwierigkeiten oft kurz vor Segnungen ein. Satan zeigte auf diese Weise dem Diener Gottes es an, wenn Hechte ins Netz gingen.
Und noch ein Beispiel:
Vor einer Reise nach Hermannsburg, wo er eine Missionsfestpredigt zu halten hatte, wurde Janßen von so heftigen Zahnschmerzen geplagt, daß ihm jede geistige Sammlung unmöglich war. In seiner Glaubenszuversicht bat er Gott ganz einfach und schlicht: „Nimm mir meine Schmerzen.“ Als er den Zug in Filsum bestieg, schwanden die Schmerzen, und während der ganzen Reise hatte er keine Not. Gott hatte geholfen. Als Janßen auf der Rückreise dem Zuge entstieg, stellten sie sich wieder ein.
In seinen Anfechtungen schenkte Gott Remmer Janßen in den Jahren um 1882 die Lieder: „0 wie traurig ist mein Herz“, „Mara“ und „0 wie fröhlich ist mein Herz“. (Sie finden sich im „Schwarzbrot Gottes“.) Der Herausgeber (P. Mindermann) wurde mit ernsten Worten auf die Zeile, in der Janßen klagt: „Ach, ich möcht erhangen sein“, aufmerksam gemacht.
Ja, das ist Janßen in seiner Not. Auch seine Kinder läßt der Herr durch die Schule der Leiden und Anfechtungen gehen. Uns zum Trost! Ist es zu verstehen, daß Janßen oft in seelischem Elend wie begraben lag und grauenvolle Versuchungen ihn quälten, während Gott ihm Segen um Segen in einer gewaltigen Erweckung rings um ihn schenkte? Er glich auch hierin dem Apostel Paulus, der, obwohl er verzückt war in das Paradies und unaussprechliche Worte hörte, von des Satans Engeln mit Fäusten geschlagen wurde, damit er sich nicht überhebe (2. Kor. 12, 1-9), und dem doch die Gnade ausreichte.
Der englische Erweckungsprediger John Wesley sagt: „Diese tiefen Depressionen (Niedergeschlagenheit) machen den Glauben unabhängig von Stimmungen und bewirken, daß er ruht im vollbrachten Werk Christi. Wohl ist Friede und Überwindung der Sünde wesentlich verbunden mit dem Glauben an den obersten Führer der Seligkeit. Was aber die Entzückung und Freude betrifft, so hat Gott dieselbe sich vorbehalten, zu schenken oder aufzubewahren nach seinem Wohlgefallen“ (Rößler, Wesley, S. 23).
Ein Siegel unter seinem Leben
Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein
(Johannes 12, 26)
Wenn auch unser äußerer Mensch verdirbt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert. (2. Kor. 4,16)
Feier-Abend
Im Jahre 1921 trat Janßen in den Ruhestand. Der 70jährige fühlte, daß seine Kräfte den Anforderungen der auf 4000 Seelen angewachsenen Gemeinde nicht mehr gewachsen waren. „Als Janßen auf einer Pfarrkonferenz seinem Superintendenten sein Pensionsgesuch gab, baten wir ihn, im Dienste zu bleiben. Er sei noch frisch genug. Janßen entgegnete: ‚Jetzt mit 70 Jahren habe ich noch so viel klaren Verstand, daß ich einsehe, daß ich in den Ruhestand gehen soll. Mit 80 Jahren könnte ich nicht mehr so viel Verstand besitzen’.“
Den Entschluß, in den Ruhestand zu treten, faßte Janßen in einsamem Gebet vor Gott, dann kündigte er seinen Entschluß den Kirchenvorstehern an. Er blieb auch fest, als diese, wie dem Herausgeber (P. Mindermann) 1970 berichtet wurde, „erst recht böse waren“ (J. Sch.). Gebeten, in der Gemeinde wohnen zu bleiben, sagte er freundlich ernst: „Das ist nicht gut für den Nachfolger“ (A. H.).
Als er im Gottesdienst ankündigte, er werde seine Abschiedspredigt halten, traten vielen harten ostfriesischen Männern die Tränen in die Augen. Der Text seiner Abschiedspredigt, am 25. Oktober 1921, war 2. Kor. 7,2-4: „Fasset uns: Wir haben niemand Leid getan, wir haben niemand verletzt, wir haben niemand übervorteilt. Nicht sage ich solches, euch zu verdammen, denn ich habe droben zuvor gesagt, daß ihr in unsern Herzen seid, mitzusterben und mitzuleben. Ich rede mit großer Freudigkeit zu euch. Ich rühme viel von euch. Ich bin erfüllt mit Trost. Ich bin überschwenglich in Freuden in aller unserer Trübsal.“
Eine junge Hörerin berichtet aus dem Inhalt dieser Predigt folgendes:
„Zum Abschied fasset dreierlei:
1. Mein Amtswirken unter euch
In den 44 Jahren meiner Amtswirksamkeit unter euch habe ich niemandem Leid angetan. In Liebe habe ich euch gestraft. Ich habe nicht nur den Stab ‚Sanft’, sondern auch den Stab ,Wehe’ gebraucht. Soviel ich weiß, habe ich niemand durch Irrlehre verletzt. Ich habe euch beides gepredigt, Buße und Glauben. Müßt ihr mir nicht bezeugen, daß ich nie jemand verletzt habe? Ich bin auch der guten Zuversicht, daß ihr mir das Zeugnis ausstellt, daß ich niemand übervorteilt habe.
2. Mein Hirtenherz für euch
Wie der Apostel Paulus habe ich euch in mein Herz in Liebe eingeschlossen. Was wäre mir wohl lieber gewesen, als in eurer Mitte zu sterben. Doch auf den Ort kommt es nicht an. Auf das Herz kommt es an.
3. Mein letztes Urteil über euch
Ihr seid Unbekehrte und Bekehrte, Ungläubige und Gläubige, Verlorene und Gerettete. Ihr Unbekehrten habt die Gnade Gottes vergeblich empfangen, verachtet die Gnadenmittel, arbeitet nicht für den Heiland, wollt nicht, daß Jesus über euch herrsche. Euer Urteil wird am jüngsten Tage lauten: ‚Ihr habt es nicht gewollt.’ Doch ich kann euch an meinem Abschiedstage nicht fahren lassen. Nicht zur Linken, sondern zur Rechten unsers Heilandes sollt ihr einst stehen. Bekehret euch von Herzen zu eurem Herrn und Heiland. Ihr Bekehrten und Geretteten, ihr seid Könige auf Erden. Wenn euer letztes Stündlein kommt, ist droben alles für euch bereit. Ihr lieben Brüder und Schwestern in Christo, mit euch bleibe ich verbunden. Wir werden uns alle wiedersehen am jüngsten Tage. Lebet wohl, auf Wiedersehen!“
Janßen hielt diese Predigt unter vielen Tränen der Gemeinde. „Lasset euren Tränen nur freien Lauf „, sagte er.
Der demütige Mann wünschte, Gott möge der Gemeinde einen Hirten senden, der sein Wort treuer verkündete, als er es getan hätte. Danach stieg er zum letzten Male als Pfarrer von der weißen Kanzel der Strackholter Kirche hernieder. Es war ein Augenblick, der allen Gottesdienstbesuchern unvergeßlich geblieben ist. Noch 1970 berichtete ein Hörer, daß bei der Abschiedsrede auch Janßen sich der Tränen nicht habe enthalten können.
Über den Eindruck dieser Predigt berichtete ein Hörer: „Mir wurde es klar, so wie Janßen predigt, so ist es, und nicht anders. Das habe ich noch nicht. Wenn ich ein Christ sein will, will ich es ganz sein. Das ließ mir keine Ruhe. Janßen hat noch einmal ganz ‚klassisch’ gepredigt, d. h., er hat von zwei Klassen gesprochen: von solchen, die noch keinen Anfang der Bekehrung gemacht hatten, und von solchen, die in Jesu Frieden gefunden hatten. Am Ende aber strahlte das Evangelium über alle, indem er einlud: Komm zu dem Heiland. Es ist alles bereit.“
Janßen übernahm die kleine Pfarrstelle Ochtelbur! Ob er klug handelte, als er nach seinem großen Pfarrdienst noch den neuen Pfarrdienst übernahm? Er hat einsehen müssen, daß die Eingewöhnung für einen alten Mann nicht leicht war. Als er gefragt wurde, welchen Lohn er fordere, antwortete er mit freundlichem Lächeln, anspielend auf ein Wort des Herrn Jesus: „Umsonst habt ihr’s empfangen, umsonst gebt’s.“
Er blieb dort drei Jahre.
Als er von Ochtelbur fortziehen sollte, wußte er nicht, wo er nun seine Bleibe finden würde. Mit Tränen in den Augen sagte er mir: „Nun muß ich wie Jesus sagen: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel haben Nester, aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlegt.“ (H. Lambertus.) Ein Verwandter seiner Haushälterin, Ehme Gronewold, holte ihn in sein Haus nach Großefehn.
Die Inflationszeit machte ihn völlig arm. Gott erweckte die Liebe ehemaliger Missionsschüler, die nun Pastoren in Amerika waren, ihrem geistlichen Vater zu helfen. Sie sandten ihm Dollars, und Janßens Neffe, Fooke Janßen, der Kaufmann in Aurich war, kaufte ihm ein kleines bescheidenes Häuschen in Egels bei Aurich. Dort verbrachte er seine letzten Lebensjahre. Gefragt, wie ihm das Häuschen gefiele, antwortete er: „Es ist klein, fein, rein, aber mein.“
Janßen liebte besonders die Blumen. „Blumen sind Grüße aus dem Paradiese“, meinte er. Vor dem Hause pflanzte er ein Beet mit Vergißmeinnicht. „Das ist Strackholt“, sagte er. In seiner Hausandacht betete er kniend für Strackholt. „Im Geiste weile ich Nacht und Tag in meiner lieben Gemeinde Strackholt“, schrieb er aus Egels im Jahre 1927.
Allsonntäglich saß Janßen, der einst auf der Kanzel so treuen Dienst getan hatte, nun unter der Kanzel der St.-Lambertus-Kirche in Aurich, ein Beter mehr unter der Kanzel. Welche Stärkung mag das für den jeweiligen Prediger gewesen sein! Daß er auch über eine Predigt gelegentlich hat seufzen müssen, deutet ein Wort von ihm an: „Es kommt auch wohl eine Predigt von der Kanzel wie ein kalter Wasserstrahl.“ Wie mag Janßen Seufzer des Gebets zu Gott gesandt haben für den Diener am Wort und den ganzen Gottesdienst, der demütige Beter.
Janßens Kräfte ließen nach. Seine letzten Jahre waren ein Sterben vor dem Sterben.
Zum 50jährigen Jubiläum des von ihm gegründeten Posaunenchors predigte er zum letzten Male in Strackholt. Jene, die ihn noch in seinen ersten Amtsjahren gekannt hatten, waren erschüttert. Unser Pastor ist alt geworden, dachten sie, als Janßen die Kanzel erstieg. „Drei Männer mußten ihn hinaufgeleiten.“
Der einst Gefeierte, dem Tausende gelauscht hatten, mußte nun lernen, in stiller Demut, nur ein „unnützer Knecht, der getan, was er schuldig ist“ (Lukas 17, 10), zu sein.
„Als Pastor Janßen in der letzten Zeit seines Lebens in Egels wohnte, besuchte ihn, oft alle acht Tage, ein alter Bruder, Fooke Saathoff. Zu diesem hat er einmal gesagt: ‚Es tut mir leid, daß ich in all den Jahren meines Amtes in Strackholt vieles nicht gesagt habe, was ich hätte sagen sollen.’ (L.) Remmer Janßen dürfte dabei an die Offenbarung Johannis gedacht haben. Welche uns beschämende Demut dieses treuen Zeugen! Wie ernst er sein Wächteramt bis zuletzt nahm, darüber ein letzter Bericht:
Die ersten Anfänge des aufkommenden Nationalsozialismus mußte Janßen noch erleben. Es ist bezeichnend für seine Hirtentreue, daß er einem Pfarrer, der sich von dieser Bewegung einfangen ließ, mit betender, suchender Liebe treu nachging. Derselbe hat später, nachdem er zum alten zurückgefunden hatte, seinem Wohltäter eifrigst gedankt.
Es ist gefragt worden: Wie wäre es Remmer Jarißen wohl im Dritten Reich ergangen? Die ihn kannten, waren überzeugt, daß er wahrscheinlich in ein Konzentrationslager geschafft worden wäre, aber auch dort nicht von Jesus geschwiegen hätte.
„Gern benutzte Janßen zu seinen Spaziergängen die Straße, die von Aurich über Wiesens durch das schöne Egelser Gehölz nach Strackholt und seinen Fehnen führt. Hier konnte er auch hoffen, Bekannte zu begrüßen.“ Ich begegnete Janßen dort in Begleitung meines Vaters. Mein Vater sagte mir: „Junge, dort geht Pastor Janßen, das ist ein Diener Gottes.“ ich empfand dabei: „In diesem Wanderer lebt Christus.“ Dieser Eindruck hat mich nie mehr losgelassen, bis ich selbst von Jesus überwunden wurde, berichtete ein Zimmermann.
Ein Geschäftsreisender aus Emden erzählte: „Ich fuhr einmal mit dem Rade durch den schönen Wald bei Egels. Um die Güte Gottes in mich aufzunehmen, stieg ich vorn Rade ab. Vor mir schritt ein einsamer Fußgänger. Ich kannte Pastor Janßen - denn der war es - damals noch nicht. Eine innere Eingebung verband mich blitzartig mit diesem Mann. Es drängte mich zu fragen: ‚Bist du auch mit Jesus von Nazareth?’ Ich sagte, daß ich mich freute, die Nähe Gottes hier zu spüren. Janßen erwiderte froh: ‚Gott ist überall zugegen, wenn wir nur die Augen aufmachen, ihn zu sehen, und das Ohr öffnen, ihn zu hören.’ Diese Begegnung blieb mir unvergeßlich, und ich habe oft, wenn mein Weg mich durch Strackholt führte, am Grabe Janßens verweilen dürfen."
Remmer Janßen wußte: „Wo der Mensch horcht, redet Gott, wo der Mensch gehorcht, handelt Gott.“ (Frank Buchman.)
Der greise Seelsorger war bis zuletzt schlicht und natürlich. An seinen Geburtstagen besuchten ihn in Egels die 30 Gymnasiasten der Schülerverbindung „Braga“ aus Aurich, der er selbst als Gymnasiast angehört hatte. Janßen dichtete dann jedesmal ein Lied. Alle fühlten sich bei ihm wohl.
„Retractationes“ (= Zurücknahrnen) hatte einst Augustin ein Werk seines Alters genannt, in dem er von Worten und Taten schrieb, die er zurückzunehmen wünschte. Es war auch Janßen. ein Bedürfnis, vertrauten Freunden zu bekennen, daß er durch sein hitziges Temperament und durch einseitig,Urteile manchmal seinen Mitmenschen Unrecht getan hätte, und daß er seine Christen doch nicht immer so hätte selbständig machen können, wie die schweren Jahre es erforderten. Letzter Trost bei all seinen Sünden und Fehlern, Lieblosigkeiten und Ungerechtigkeiten waren ihm die Hoffnung auf die Barmherzigkeit Gottes und die erlösende Kraft des Blutes Christi. So blieb ihm nichts als das Blut Christi, das für Sünder floß:
"Ach, mein Herr Jesu, wenn ich dich nicht hätte,
Und wenn dein Blut nicht für mich Sünder red’te,
Wo sollt’ ich Ärrnster unter den Elenden
Mich sonst hinwenden?“ (Christian Gregor)
Gute Nacht, ihr Toten!
Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden
fahren, denn meine Augen haben deinen
Heiland gesehen
(Lukas 2,29.30)
Was Pastor Janßen einmal in einer Predigt sagte, das erfuhr er an sich selbst: Der Meister macht mit seinen Werkzeugen sein Meisterstück.
Sein Ende sollte ein Siegel unter seinem Glauben werden.
Vor seinem Sterben erhielt Janßen den Besuch seines Freundes Kobus Buhr aus Fiebing. Dieser war in seiner Jugend einst durch Janßen zum Glauben gekommen und Mitglied des Jungmännervereins gewesen. Als er am Krankenbett seines früheren Seelsorgers stand, fand er ihn in den letzten Zügen liegend. Voll Ergriffenheit erlebte er den letzten Kampf des Sterbenden. Da fragte er ihn: „Herr Pastor, halten Sie nun fest an dem Glauben, den Sie uns gepredigt haben?“ Da rief der Sterbende noch einmal laut: „Er hat alles vollbracht. Sage, Seele, ist’s nicht so?“ Er sprach so laut, daß der Hund, der neben dem Bette lag, anfing zu bellen. Fest, wie er geglaubt im Leben, mit festem Glauben ging er seinem Herrn entgegen.
Ein anderes Vorkommnis aus seinen letzten Tagen ist gleichfalls bezeichnend: „Kurz vor seinem Tode war es. Janßen lag zu Bett. Sein Gesicht hatte er der Wand zugekehrt. Nun kamen zwei Frauen, die Janßens Person wie seine Predigt schier vergötterten. Daß sie sich selbst bekehren müßten, hatten sie bislang nicht ernstlich bedacht. Sie wollten den lieben Janßen doch noch einmal sehen. Ihnen wurde gesagt, sie könnten nicht vorgelassen werden. Doch nach langem Bitten wurde es ihnen erlaubt, mit der Bedingung, sie müßten ganz leise sein, so daß der Kranke nicht gestört werde. Die Frauen schlichen sich leise an sein Bett heran. Als sie nun eine Weile ihn beobachtet hatten, flüsterte eine der anderen zu: ‚Es wäre doch schade, wenn er sterben müßte.’ Der schwerhörige Kranke konnte diese Worte mit seinem schlechten Gehör unmöglich aufnehmen. Durch den Geist Gottes wurden ihm wohl die Gedanken der Besucherinnen geoff enbart. Er wandte sich um und sprach mit lauter Stimme: ‚Gute Nacht, ihr Toten, ich gehe zu den Lebendigen!’ Dann drehte er sich wieder um zur Wand. Diese Worte schlugen wie ein Blitz in die Herzen der beiden Frauen ein. Sie sind die ersten gewesen, die sich nach Janßens Tode bekehrt haben.“
Der Herr wollte seinem treuen Diener noch im Sterben einen besonderen Erweis seiner Huld geben. Es war der letzte Sonntag in Janßens Leben, der Sonntag Kantate 1931. An diesem Sonntag hatte sich der Schiffszimmermann Joh. Piepersgerdes aus Ostgroßefehn auf den Weg nach Hannover gemacht. Bei der Mühle in Großefehn ließ es der Geist Gottes nicht zu, daß er seinen Weg fortsetzte (Apg. 16, 6). Er mußte rechts abbiegen auf Aurich zu, fuhr mit dem Rade über Aurich-Oldendorf, Holtrop und Wiesens und kam so bis nach Egels. Nun dachte er: „Der alte Pastor pflegt um diese Zeit sich im Auto zur Kirche bringen zu lassen, ich kann ihn noch antreffen.“ Er begab sich zu Janßen. In der Tür stand die Haushälterin Gretje Ottersberg, zitternd und weinend. Sie erzählte: „Der alte Pastor hat einen Schlaganfall bekommen.“ Sie ließ den Gast herein. Als dieser die Tür auftat, sah er den alten Pastor im Todeskampfe, der Mund war fest geschlossen, die Augen waren fest auf den Besucher gerichtet. Dieser sprach: „Herr Pastor, wir feiern heute den Sonntag Cantate. Cantate heißt singet. Nicht lange mehr, dann singen Sie das neue Lied droben beim Herrn, wo alle Freunde sind: Pastor Happadi und Siegmund Bode und Rolf Trauernicht.“ Da tat der alte Pastor den Mund auf. Die Haushälterin stand daneben und zitterte: Janßen rief: „Und Renkohm und Hinnertjemöh auch!“ Das waren die beiden Eltern des Besuchers. Dieser fuhr fort:
„Dort in der Ferne, dem himmlischen Land,
treff ich die Freunde, die hier ich gekannt.
Dennoch wird Jesus, nur Jesus allein,
Grund meiner Freude und Anbetung sein.
Das wird allein Herrlichkeit sein,
wenn frei von Weh ich sein Angesicht seh.“
Der Sterbende bedeutete seinem Freunde, er möge sich zu ihm neigen. Er umarmte ihn und gab ihn einen Abschiedskuß. „Dort, vor dem Throne Gottes, sehen wir uns wieder“, das waren die Abschiedsworte, die der Besucher im Fortgehen dem Sterbenden zurief.
Am Morgen seines Sterbetages sang Janßen das Lied:
Morgenglanz der Ewigkeit,
Licht vom unerschöpften Lichte,
führ uns diese Morgenzeit
deine Strahlen zu Gesichte
und vertreib durch deine Macht
unsre Nacht.
Leuchte uns selbst in jene Welt,
du verklärte Gnadensonne,
führ uns durch dies Tränenfeld
in das Land der süßen Wonne,
da die Lust, die uns erhöht,
nie vergeht.
Am 18. Mai 1931 ging Pastor Janßen heim. Als die Leiche von Egels nach Strackholt gebracht wurde, läuteten die Glocken in den Gemeinden, die der Leichenzug berührte. Wenn der Trauerzug die Grenze einer Gemeinde verlassen hatte, wurde sofort telefonisch die Nachbargemeinde benachrichtigt, so daß auch hier rechtzeitig mit dem Geläut begonnen werden konnte. Es war ein tiefes Trauern weit und breit.
Vor dem Altar der Kirdie in Strackholt wurde der Sarg aufgebahrt. Er war über und über mit Blumen bedeckt. Am Beisetzungstage folgten dem Sarge dreißig Pastoren im Talar. Unübersehbar groß war die Trauergemeinde, die zusammengekommen war, um ihrem Seelenhirten die letzte Ehre zu erweisen. Die Trauerrede hielt Pastor Johannes Remmers aus Strackholt. „Möge nie eine Zeit kommen, wo gesagt werden könne: ‚Hier kann kein Remmer Janßen gewirkt haben’“, rief er aus.
Des Pfarrers Nachlaß reichte nicht aus, um aus dem Erlös ihm einen Gedenkstein zu setzen. In der Armut seines Heilandes, in der er allezeit gelebt hatte, war er auch gestorben. Die dankbare Gemeinde Strackholt veranstaltete eine Sammlung, um einen Grabstein zu errichten. Auf dem Gedenkstein steht die von Janßen selbst verfaßte Inschrift:
"Hier ruhet in geweihter Erde
Inmitten seiner teuren Herde,
Nachdem er suchte das Verirrte,
Der Pastor oder Seelenhirte
Remmer Janßen
geb. 6. November 1850
gest. 18. Mai 1931
In eigenen Augen war er klein,
Durch Christi Blut von Sünden rein,
Hat er auf dieser armen Erde
Geweidet seine teure Herde
In Gnaden 44 Jahre,
Bis ihn zum Grabe trug die Bahre.
Sein Leib ruht hier ohn’ Ungemach
Bis an den lieben Jüngsten Tag.“
Pastor Janßens Grab ist unvergessen. Immer wieder stehen Menschen in stiller Andacht vor diesem Gedenkstein. Wer sie nach dem Grunde fragt, erhält wohl die Antwort: „Ich mußte an diesem Stein Gott danken für das, was er durch Janßen an mir getan hat“ (-gen). Menschen aber, die die Zeit Janßens erlebt haben, bekennen es offen: „Man bekommt so Heimweh angesichts des kalten Leichensteins, Heimweh nach der alten Segenszeit, aber auch Heimweh nach der oberen Heimat, in der der treue Hirte jetzt droben bei Jesus im Licht anbetet.“
Hier noch ein neuerliches Zeugnis über Remmer Janßen, das in der „Jeverländer Zeitung“ Nr. 264 von 1967 zu lesen war:
„An einem strahlenden Sonntagnachmittag fuhren wir von Neermoor aus durchs ostfriesische Land. Es war ein schönes Fahren durch die weite Ebene, die sich mit ihren fruchtbaren Wiesen und Ackerflächen vor unseren Blicken aufrollte. Die Baumreihen längs der guten neuen Straßen beleben das landschaftliche Bild in seiner herben Schönheit. Fremdartig und schön muteten uns die Windmühlen an, die es hier noch gibt und von denen auch noch manche in Betrieb sind. Auf den Weideflächen, die von niedrigen Laubhecken begrenzt sind, weidete das schwarzbunte ostfriesische Vieh.
Strackholt heißt der Ort, den wir besuchen wollten. Von der Dorfstraße fuhren wir einem grünen Gehölz entgegen, hinter dem der Friedhof von Strackholt liegt. Links hinter dem Eingang, in einem grünen stillen Winkel, liegt Remmer Janßens Grab mit dem breiten steinernen Kreuz. Der Hügel ist vonliebendenHänden mitleuchtendenBlumengeschmückt.
Wir stehen in stiller Ergriffenheit und lesen die von Rernmer Janßen selbst verfaßte Grabschrift: ‚Hier ruhet in geweihter Erde . . .’ Diesen Leichenstein hat die dankbare Gemeinde einst ihrem Pfarrer errichtet. Pastor Janßens Nachlaß war so gering, daß eine Sammlung veranstaltet werden mußte, um den Grabstein zu bezahlen. Er hatte sich keine Güter erworben ...
Hinter dem Friedhof sahen wir im Walde einen großen Platz, der von weitem wie ein Heldenfriedhof aussah. Das, was wir aus der Ferne für Grabsteine angesehen hatten, waren Stützen, über die bei dem im ganzen Land bekannten Strackholter Missionsfest Bretter gelegt wurden, um Sitzplätze für die vielen Menschen zu schaffen, die von nah und fern kommen ...
Segen ging von diesem Mann durchs ganze Land. Ich mußte daran denken, wenn abends in Neermoor die Menschen das Wort Gottes mit einer Aufmerksamkeit, Stille und inneren Sammlung hörten, wie es selten zu erleben war. Ob das nicht auch zurückzuführen ist auf solche Männer, die Gott für dieses Ostfriesland gesetzt hat, zum Segen für ganze Generationen.“ (Ernst Decker)
Pastor Janßen ist in die triumphierende Gemeinde eingegangen. Er wird vor dem Throne Gottes sein Strackholt und die Gemeinde Gottes hin und her nicht vergessen.
„Wer sind diese, mit den weißen Kleidern angetan, und woher sind sie gekommen? Diese sind’s, die gekommen sind aus großer Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider helle gemacht in dem Blute des Lammes. Darum sind sie vor dem Stuhl Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel“ (Offb. 7, 13-15).
Was ist geblieben von Janßens Wirken? Der Zeitgeist der Technik will Menschen in die hektische Unruhe hineinziehen, die das Gehör für Gottes Stimme ertöten möchte, aber es ist heute noch zu spüren, daß einmal der Pflug der Buße das Feld aufgelockert hat. Oft hört man Menschen, die ihn gekannt haben, fragen: „Kommt die alte Zeit wohl je wieder?“ Gottes Wort und Sakrament bleibt. Die Glut unter der Asche ist noch nicht erloschen, und es gibt Gotteskinder, die zum Herrn seufzen: „Wach auf, du Geist der ersten Zeugen.“ Dies Sehnen wird nicht ungehört bleiben. „Was aus Gott geboren ist, überwindet die Welt.“
Wo einmal ein Vorfahr einen Brunnen gegraben hat, da können die Nachfahren noch lange Wasser schöpfen. Remmer Janßen hat einen Brunnen gegraben, aus dem lebendiges Wasser kam. Noch lange kann das heutige Geschlecht aus dem von Janßen gegrabenen Brunnen schöpfen das Wasser dessen, der gerufen hat:
„Wen da dürstet, der komme und trinke
das Wasser des Lebens umsonst.
Ja, ich komme bald.
*
Amen, ja komm, HERR JESU!“
(Offb. 22, 25).
Anhang
SAULI BEKEHRUNG
PREDIGT
gehalten am 9. Sonntage nach Trinitatis 1882
von Pastor Remmer Janßen
„Zwar mein Leben von Jugend auf, wie das von Anfang unter diesem Volke zu Jerusalem zugebracht ist, wissen alle Juden, die mich vorhin gekannt haben, wenn sie es wollten bezeugen. Denn ich bin ein Pharisäer gewesen, welche ist die strengste Sekte unsers Gottesdienstes. Und nun stehe ich und werde angeklagt über der Hoffnung auf die Verheißung, so geschehen ist von Gott zu unsern Vätern; zu welcher hoffen die zwölf Geschlechter der Unsern zu kommen mit Gottesdienst Tag und Nacht emsiglich. Dieser Hoffnung halber werde ich, lieber König Agrippas, von den Juden beschuldigt. Warum wird das für unglaublich bei euch gerichtet, daß Gott Tote auferweckt? Zwar ich meinte auch bei mir selbst, ich müßte viel zuwider tun dem Namen Jesu von Nazareth. Wie ich denn auch zu Jerusalein getan habe, da ich viele Heilige in das Gefängnis verschloß, darüber ich die Macht von den Hohenpriestern empfing; und wenn sie erwürgt wurden, half ich das Urteil sprechen. Und durch alle Schulen peinigte ich sie oft und zwang sie zu lästern und war überaus unsinnig auf sie, verfolgte sie auch bis in die fremden Städte. über welchem, da ich auch gen Damaskus reiste mit Macht und Befehl von den Hohenpriestern, mitten am Tage, lieber König, sah ich auf dem Wege, daß ein Licht vom Himmel, heller denn der Sonne Glanz, mich, und die mit mir reisten, umleuchtete. Da wir aber alle zur Erde niederfielen, hörte ich eine Stimme reden zu mir, die sprach auf hebräisch: Saul, Saul, was verfolgst du mich: Es wird dir schwer sein, wider den Stachel zu löcken. Ich aber sprach: Herr, wer bist Du? Er sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst; aber stehe auf und tritt auf deine Füße. Denn dazu bin ich dir erschienen, daß ich dich ordne zum Diener und Zeugen des, das du gesehen hast, und das ich dir noch will erscheinen lassen; und ich will dich erretten von dem Volke und von den Heiden, unter welche ich dich jetzt sende, aufzutun ihre Augen, daß sie sich bekehren von der Finsternis zu dem Licht und von der Gewalt des Satans zu Gott, zu empfangen Vergebung der Sünden und das Erbe samt denen, die geheiligt werden durch den Glauben an mich.“
Apostelgeschichte 26, 4-18
Nichts liegt unserm Sünderheiland mehr am Herzen als die Bekehrung des Sünders. Das können wir sehen auf Golgatha, wo er für alle unbekehrten Sünder sein Blut vergießt, wo er am Kreuz noch einen Sünder am Kreuz, den Schächer, bekehrt. Wie dem Sünderheiland, so sollte auch jedem bekehrten Sünder die Bekehrung des Sünders am Herzen liegen. Sagt, ihr bekehrten Sünder, liegt euch die Bekehrung des Sünders am Herzen? Sagt, könnt ihr keinen unbekehrten Sünder vor euch sehen, ohne zu beten: 0 Herr, bekehre diesen Sünder doch! Sagt, betet ihr mit mir, wenn ich hier im Gotteshause oftmals bete: 0 Herr, bekehre doch einen Sünder! Ja, wenn der Herr auch alle Sünder bis auf einen bekehrte, so sollten wir noch einmal seufzen: 0 Herr, bekehre noch einen Sünder! Wenn uns die Bekehrung des Sünders nun wirklich sehr am Herzen liegt, dann ist dies gewiß ein willkommener Gegenstand unserer andächtigen Betrachtung. Damit wir aber diesen wichtigen Gegenstand bei dem hellsten Licht betrachten mögen, laßt mich die Bekehrung eines Sünders wählen, der unter den Unbekehrten der Unbekehrteste war und unter den Bekehrten der Bekehrteste wurde, nämlich die Bekehrung Sauli.
Diese Bekehrung laßt mich nach unserm Texte in drei Teile zerlegen und zeigen,
1. Daß Saulus bekehrt wurde.
2. Wie Saulus bekehrt wurde.
3. Wozu Saulus bekehrt wurde.
1. Daß Saulus bekehrt wurde. Laßt mich in diesem Satz zuerst das Wort bekehrt betonen und euch sagen, was bekehren heißt. Das Wort bekehren hat bei der unbekehrten Welt eine sehr üble Bedeutung. Wenn ich jemandem sage: Du mußt ehrbar leben, du mußt zur Kirche gehen, du mußt beten und zum Abendmahl gehen, so läßt er sich das alles sagen, aber wenn ich ihm sage: Du mußt dich bekehren, dann ist’s, als wenn ich ihm sein Todesurteil gesprochen hätte. Ja, Geliebte, bei der Welt heißt bekehren ungefähr so viel als zum Tode verurteilen, aufhängen und hinrichten. Aber heißt denn das bekehren? Nein, tausendmal nein! Das lügt der Teufel den Weltkindern vor, und die Weltkinder glauben des Teufels Lügen. Nein, bekehren heißt das gerade Gegenteil von dem, was die sündige Welt glaubt. Soll ich euch sagen, was bekehren heißt? Seht, wenn da ein todeswürdiger Verbrecher zum Tode verurteilt ist und wird begnadigt, das heißt bekehren. Oder wenn da jemand zappelnd am Strick hängt und wird noch gerade im rechten Augenblick losgeschnitten, das heißt bekehren. Oder wenn da einer mit entblößtem Halse unter dem Richtbeil liegt und empfängt Pardon, das heißt bekehren. Bekehren heißt für den zum ewigen Tode verurteilten Sünder: leben, ewig leben, wie auch der Herr in seinem Worte schwört: So wahr als ich lebe, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre und 1ebe. Ferner heißt bekehren, umkehren auf dem breiten Höllenwege ,und eingehen durch die enge Pforte zum ewigen Leben. Noch mehr! Bekehren heißt, nicht bloß umkehren auf seinem Wege, sondern auch umkehren in seinem Wesen, sich umkehren oder richtiger sich umkehren lassen. Sünder, wenn du bekehrt wirst, so wirst du der umgekehrte Mensch von dem, der du warst. Warst du ein selbstgerechter Pharisäer, nun wirst du ein armer Sünder, warst du ein Spötter, nun wirst du ein Beter, warst du ein Feind Gottes, nun wirst du ein Freund Gottes, warst du ein Verfolger Jesu, nun wirst du ein Nachfolger Jesu, warst du ein Weltling, nun wirst du ein Fremdling und sprichst:
Was vormals meine Freud
Macht mir jetzt Herzeleid.
Warst du ein Satanskind, nun wirst du ein Gotteskind und singst:
Ich bin Gottes Bild und Ehr,
Ja, sein Kind, was will ich mehr?
Warst du ein Höllenbrand, nun ist der Himmel dein Vaterland, und mit dem Pilgerstab in der Hand ziehst du deine Straße fröhlich und fragst triumphierend:
Mein Leben ist ein Pilgrimstand,
Ich reise nach dem Vaterland!
Willst du mit? Willst du mit?
Das heißt bekehren, und so wurde Saulus bekehrt.
Aber, höre ich einen Unbekannten fragen, muß denn jeder Mensch bekehrt werden, er sei gut oder böse, hoch oder niedrig? Auf diese Frage will ich euch keine Antwort geben, hört, was Paulus in unserm Text von sich sagt:. „Zwar mein Leben von Jugend auf wissen alle Juden - denn ich bin ein Pharisäer gewesen, welche ist die strengste Sekte unsers Gottesdienstes.“ Also von Jugend auf hatte Saulus so ehrbar gelebt, daß alle Juden es wissen durften. Auch hatte er dem Gott seiner Väter mit Beten, Fasten und Almosengeben gedient wie einer. Was sollte der gute Saulus noch mehr? Man sollte sagen, wenn der gute Mensch nicht in den Himmel kommt, dann kommt kein Mensch hinein. Doch hört, was Saulus weiter von sich sagt: „Zwar ich meinte auch, ich müßte viel zuwider tun dem Namen Jesu von Nazareth, wie ich die Heiligen ins Gefängnis verschloß, wie ich das Urteil sprechen half, wenn die Heiligen erwürgt wurden, wie ich sie durch alle Schulen peinigte und zwang zu lästern, ja überaus unsinnig war und sie verfolgte bis in die fremden Städte.“ Nun sagt, muß der Saulus noch bekehrt werden, wenn der Jesus ihn in den Himmel bringen soll, den er so blutig verfolgte, wenn er bei den Christen im Himmel sein will, die er so unsinnig verfolgte? Sagt, muß der gute Saulus noch bekehrt werden? Eure Antwort kann mir nicht fraglich sein.
Aber wenn der gute Saulus bekehrt werden mußte, so müßt ihr guten Männer und Frauen oder wer ihr seid auch bekehrt werden. Ihr mögt auch von Jugend auf ebenso ehrbar und noch tausendmal ehrbarer gelebt haben, ihr mögt getauft und konfirmiert sein, ihr mögt zur Kirche gegangen und mit Christi Leib und Blut gespeist sein, es hilft euch das alles nichts, gar nichts, so gut als es sonst ist, wenn ihr nicht bekehrt seid. Es geht euch in eurem unbekehrten Zustande mit eurem Kirchen- und Abendmahlgehen wie einem Schlafenden, wenn er im Traum ißt und trinkt. Er ißt und ißt, er trinkt und trinkt, aber je mehr er ißt und trinkt, je hungriger und durstiger wacht er auf. ja wirklich, so lange ihr in eurem Sündenschlafe liegt, meint ihr, daß ihr mit eurem Kirchen- und Abendmahlgehen oder Ehrbarleben in den Himmel kommt, aber wenn ihr aufwacht, dann wird's euch schrecklich klar, wohin es mit euch ohne Bekehrung gegangen wäre. Oh, fragt die bekehrten Seelen, sie werden euch alle sagen, daß sie mit ihrem früheren ehrbaren Leben, mit all ihrem Kirchen- und Abendmahlgehen, ohne die Bekehrung, ewig verlorengegangen wären. Aber wenn diese ehrbaren Kirchen- und Abendmahlsgänger ohne Bekehrung ewig verlorengehen müssen, was soll dann aus euch werden, die ihr nicht einmal ehrbar gelebt habt, sondern in Saufen und Fressen, in Kammern und Unzucht, in Hader und Neid gewandelt habt, die ihr von Jugend auf nur dann und wann einmal in das Gotteshaus gegangen Seid, die ihr seit eurer Konfirrnation nicht ein einziges Mal wieder das heilige Abendmahl genossen habt. Oh, ihr unbekehrten Sünder, jung und alt, Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen, was soll aus euch werden? Was sagt ihr von euch selber? Meint ihr, daß ihr so in den seligen Himmel kommt? Nein, das glaubt ihr selber nicht.
Endlich mögen auch noch viele, viele unter euch sein, die mit Saulo meinen, dem Namen Jesu von Nazareth viel zuwider tun zu müssen. Ihr laßt euch gefallen, wenn euch vorn lieben Gott etwas gesagt wird, und den lieben Gott nehmt ihr auch noch wohl einmal selber in den Mund, aber von dem Namen Jesus wollt ihr gar nichts wissen und den mögt ihr lieber mißbrauchen als gebrauchen. Ach, wie viele von euch, die sich Christen nennen, meinen, dem Namen Jesu von Nazareth viel zuwider tun zu müssen. Ihr mögt wohl heute keinen Stephanus mehr öffentlich steinigen, aber wie gerne werft ihr doch einen Stein auf die, welche die Welt die Frommen nennt. Ihr mögt die Heiligen nicht ins Gefängnis werfen, aber wie gerne möchtet ihr ihnen ihre Gemeinschaften und Betversammlungen verbieten. Ihr mögt die Gläubigen eben nicht öffentlich verfolgen, aber du ungläubiger Mann, wie behandelst du dein gläubiges Weib, und du ungläubiges Weib, wie behandelst du deinen gläubigen Mann? Ihr unbekehrten Eltern, wie seid ihr gegen eure bekehrten Kinder? Ihr weltlich gesinnten Herrschaften, wie denkt ihr über eure bekehrten Dienstboten? Ihr unwiedergeborenen Gerneindeglieder, wie urteilt ihr über euren bekehrten Prediger, und ihr unbekehrten Prediger, wie verhaltet ihr euch zu euren wiedergeborenen Gemeindegliedern? Ihr jungen, ihr klugen, ihr weisen, ihr reichen Leute, was dünkt euch von den Bekehrten? Sagt, ihr unbekehrten Sünder, wie steht ihr zu Jesus von Nazareth? Kennt ihr Ihn? Bekennt ihr Seinen Namen? Habt ihr Ihn herzlich lieb? Könnt ihr freudig für Ihn sterben? Könnt ihr selig durch Ihn sterben? 0 Seelen, wenn ihr bei diesen Fragen die Hand auf’s Herz legt und euch aufrichtig prüft, dann werdet ihr gewiß erkennen, daß ein Saulus, ein unbekehrter Saulus in euch steckt. 0 wer fühlte diesen Saulus nicht in seiner eigenen Brust? Aber, Sünder, sag’ ob du ein unbekehrter Saulus oder ein bekehrter Paulus bist. Sag’s frei heraus! Weißt du es nicht? Dann nimm das Schlimmste an und sprich: Ich bin ein unbekehrter Saulus!
Aber was nun? - Was nun? Nun, du mußt dich bekehren, mein lieber Saulus. Bekehre dich oder stirb! Also was mußt du? Ja, sprichst du, ich muß mich bekehren! ich muß mich bekehren! ich muß, ich muß, ich muß mich bekehren! Was willst du? Ja, sprichst du, ich will mich bekehren, ich will mich bekehren! ich will, ich will, ich will mich bekehren! Aber - ich kann mich nicht bekehren! ich kann nicht! ich kann nicht! ich kann nicht!
Gott sei Dank, liebe Seele, daß es so mit dir steht. Nun weißt du, daß du dich bekehren mußt. Nun wi11st du dich bekehren, aber du kannst nicht! Du fragst, wie soll ich’s anfangen, daß ich bekehrt werde. Wie anfangen? Höre:
2. Wie Saulus bekehrt wurde. Beachtet zuerst, Geliebte, daß Saulus sich nicht bekehrte, sondern daß Saul bekehrt wurde, daß Saulus den Saulus nicht bekehrte, sondern daß Jesus den Saulus bekehrte. Als Saul die wunderbare Stimme vernahm: „Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ fragte er:. Herr, wer bist Du? und die Antwort lautete: Ich bin Jesus! Also Jesus war’s, der den Saulus bekehrte. Darum Jesus, Jesus und niemand als Jesus kann und will dich bekehren. Du kannst es nicht, das weißt du. Dein Pastor kann’s auch nicht, das meinst du. Du meinst, wenn wir doch einen solchen Pastor hätten, wie der und der, dann würde ich auch noch bekehrt werden; aber du irrst dich. Kein Pastor, kein Engel und kein Erzengel kann dich bekehren. Wenn es geschähe, so wäre solche Bekehrung dein größtes Unglück. Ein Prediger ging abends aus der Versammlung an einern Stadtgraben vorbei nach Hause. In dem Stadtgraben lag ein betrunkener Mann und schrie aus vollem Halse: „Herr Pastor! Herr Pastor! Sie haben mich bekehrt! Sie haben mich bekehrt!“ „Leider, leider“, sagte der Prediger und ging betrübt weiter. Ich sag dir’s noch einmal: Jesus muß dich bekehren, Jesus und nur Jesus muß dich bekehren. Nun weißt du also, mein Christ, wer dich bekehren muß.
Aber fragst du, wie mag solches zugehen? Das geht ganz verschieden zu. Der Herr Jesus bekehrt den einen auf diese, den anderen auf jene Weise und wohl nicht zwei auf gleiche Weise. Da hat der Herr Jesus die Weisen aus dem Morgenlande durch einen Stern am Himmel und den Apostel Petrus durch Fische im Meer bekehrt; da hat er den Jünger Nathanael unter dem Baum und den Zöllner Zachäus auf dem Baum bekehrt. Da hat er die Emmausjünger nach dem Wege unter Gebet und Brotbrechen und den Saulus auf dem Wege unter Donner und Blitz bekehrt. Ich glaube, wenn alle Bekehrten ihre Bekehrungsgeschichte erzählten, so wären keine zwei da, die der Herr Jesus auf gleiche Weise bekehrt hätte. Aber, Geliebte, die eine Weise ist ebensogut wie die andere. Seht, wir sitzen hier jetzt alle in der Kirche. Die einen sind aus der Ferne, die anderen aus der Nähe gekommen, die einen von Süd, die anderen von Nord, die einen von Ost, die anderen von West. Ist’s nun nicht ganz einerlei, woher die Einzelnen gekommen sind? So ist’s auch mit der Bekehrung und so wird’s auch einmal im Himmel sein. Die Bekehrung ist der einzige Weg zum Himmel, aber der Bekehrungswege gibt es viele. Darum, liebe Seele, wenn der Herr dich auf andere Weise bekehrt hat als andere, so zweifle deshalb nicht an der Richtigkeit deiner Bekehrung.
Gehen wir nun nach dieser tröstlichen Bemerkung wieder zu Sauli Bekehrung über, so müssen wir sagen, daß Saulus auf eine ganz wunderbare Weise bekehrt wurde. Zunächst war bei Sauli Bekehrung dies wunderbar, daß er an einem bestimmten Tage, ja zu einer bestimmten Stunde bekehrt wurde. Mitten am Tage, also an dem und dem Tage, mittags 12 Uhr, konnte Paulus sagen, bin ich bekehrt worden. Vielleicht sind auch unter euch, Geliebte, solche, die ihren geistlichen Geburtstag bis auf Tag und Stunde angeben können. Ihr könnt den Tag und die Stunde angeben, wo ihr, im geistlichen Sinne verstanden, singen konntet:
Nackend lag ich auf dem Boden,
Da ich kam, da ich nahm
Meinen ersten Odem.
Oder wären bekehrte Seelen hier, die ihren geistlichen Geburtstag nicht so genau anzugeben vermöchten, so will ich denen zum Troste sagen: Beim Geburtstag ist die Geburt wichtiger als der Tag. Darum macht euch über den Tag eurer Geburt keine Unruhe. Wenn ihr nur eins wißt, nämlich dies, daß ihr blind waret und seid nun sehend, so wißt ihr gerade genug. Ob dies nun in einer halben Stunde oder in zehn Jahren geschehen ist, das ist ganz einerlei.
Noch wunderbarer als die Zeit der Bekehrung ist das Zeichen, welches bei derselben geschah: „Mitten am Tage, lieber König, sah ich auf dem Wege, daß ein Licht vom Himmel, heller denn der Sonnenglanz, mich und die mit mir reisten, umleuchtete.“ Wär’s mitten in der Nacht gewesen, hätte Saulus auf dem Bette gelegen, so könnte man denken, Saulus hätte sich getäuscht, Saulus hätte geträumt. Aber es war mitten am Tage, auf dem Wege, und deshalb war es keine Täuschung und kein Traum, sondern es war Wirklichkeit und Tatsache. Es kam wirklich, tatsächlich ein Licht vom Himmel, heller denn der Sonnenglanz. Dies Zeichen war ein naturgetreues Abbild von dem Zustand des unbekehrten Saulus. Der unbekehrte Saulus ging dahin in dem Sonnenglanz seiner eigenen Gerechtigkeit und glaubte, ein helleres Licht könnte es im Himmel und auf Erden nicht geben. Nun umleuchtete . ihn ein Licht, heller denn der Sonnenglanz. Nun ging die Sonne seiner eigenen Gerechtigkeit unter und die Sonne der Gerechtigkeit Christi, das helle Licht, ging auf vor seinen Augen. Zwar blendete dies helle Licht anfangs seine Augen so sehr, daß sie erblindeten, aber nach drei Tagen erleuchtete dies Licht seine Augen so sehr, daß sie ihm für alle Ewigkeit aufgetan wurden. Saulus war mit sehenden Augen blind gewesen und wurde mit blinden Augen sehend. Gerade so, Geliebte, muß heute noch jeder unbekehrte Sünder erst blind und dann sehend werden. Aber wir brauchen heute auf kein Licht vom Himmel zu warten, denn wir haben das Licht vom Himmel bereits in unsern Händen, wenn wir singen:
Dein göttlich Wort, das helle Licht,
Laß ja bei uns auslöschen nicht.
Es kommt nur darauf an, daß wir für dies Licht das rechte Gesicht bekommen. Denn von Natur wandeln wir alle wie Saulus in dem Sonenglanz der eigenen Gerechtigkeit oder in dem nächtlichen Mondschein der Ungerechtigkeit, ja wir wandeln in Finsternis. Der natürliche Mensch ist nicht bloß blind geworden, sondern er ist blind geboren. Er ist nicht bloß mit sehenden Augen blind, sondern in seiner Selbstgerechtigkeit meint er, daß er mit blinden Augen sehen kann. Oh, wäret ihr blind! sagt deshalb der Heiland zu den blinden Pharisäern, wäret ihr blind, so hättet ihr keine Sünde, nun ihr aber sprechet: Wir sind sehend, bleibet eure Sünde.
Darum, ihr unbekehrten Sünder, kommet her und werdet blind, daß ihr sehen möget. 0 du unbekehrter Sünder, falle mit deinen blinden Augen nieder auf deine Sündenknie und bete: Jesu, Du Sohn Davids, erbarme Dich meiner. Wenn Jesus dich dann fragt. Was willst du, daß ich dir tun soll? so antworte: Herr, daß ich sehen möge. Ja, Geliebte, laßt uns jetzt doch alle auf unsere Herzensknie niederfallen und mit dem frommen Dichter beten:
Jesu, gib gesunde Augen,
Die was taugen;
Rühre unsere Augen an,
Denn es ist die größte Plage,
Wenn am Tage
Man das Licht nicht sehen kann. Amen.
Wenn dann der Herr Jesus unsere Augen auftut und das Licht des Wortes Gottes in unsere Herzen hineinleuchtet, dann bekommen wir unser ganzes Sündenelend zu sehen, unsere Blindheit, unsere Ohnmacht, unsere Verkehrtheit, dann bekommen wir Jesu Gnade, Geduld und Langmut zu sehen. Dann sind wir blind gewesen und sehend geworden, dann sehen wir niemand denn Jesum allein.
So wunderbar nun das Zeichen bei Sauli Bekehrung war, so wichtig war bei derselben die wunderbare Stimme. Diese Stimme enthält zuerst eine Frage ohne Antwort:. Saul, Saul, was verfolgst du mich? und dann eine Antwort ohne Frage: Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken. In der Frage ohne Antwort nennt der Herr den Saulus zweimal bei seinem Namen: Saul! Saul! Das ist wichtig, wichtig für jeden Hörer des Worts, aber doppelt wichtig für jeden Prediger des Worts. Glaubt es nur, Geliebte, wenn immer gepredigt wird:. Wir und ihr, sie und sie, die und die, aber nie: du und ich, d. h. du bist der Mann, dann geht das Wort nicht bloß über die Köpfe hinweg, sondern, was noch tausendmal schlimmer ist, über die Herzen hinweg. Einmal mit Nathan dem David gepredigt: Du bist der Mann! ist tausendmal besser als zweimal mit Ahitophel dem David und Absalom zugleich gute Ratschläge erteilt. Ich meine durchaus nicht, daß eine Predigt persönlich beleidigend sein soll, nein, aber handgreiflich, d. h. passend und packend soll sie sein, so daß jeder die Schuhe anziehen kann, die ihm passen und jeder greifen kann, was ihn packt. Was hilft es mir, wenn ein Schuhmacher viele schöne Schuhe macht, die keinem passen, die dem einen zu groß, dem andern zu klein sind. Nein, passen muß die Predigt und wenn sie paßt, dann packt sie. Freilich ist es nicht Menschenwerk, so passend und packend zu predigen, aber wenn der Prediger die Sünden und Laster seiner Gemeinde kennt und der Geist Gottes durch den Prediger redet, dann ist es mit Gottes Hilfe möglich.
Und ist es für den Prediger doppelt wichtig, seine Zuhörer beim Namen zu nennen, so ist es für die Hörer nicht unwichtig, ihre Namen zu hören, d. h. einmal zu hören: Sau1, Sau1, was verfolgst du mich? Sag, lieber Zuhörer, auf welche Weise ist dir einmal ein Wort zu Herzen gegangen? War’s dir nicht, als wenn der Prediger für dich allein predigte, als wenn er dich mit jedem Worte meinte, als wenn er alles wußte, was du nur allein wußtest? So genau paßte alles. Wurdest du auch in dem ersten Augenblick etwas aufgebracht über.diese Art und Weise der Predigt, so ist es dir nachher doch zum großen Segen geworden, denn du mußtest sagen: Es ist alles wahr. Darum laßt mich, liebe Zuhörer, so handgreiflich, so passend und packend predigen, daß ein jeder seinen Namen heraushören und deutlich die wunderbare Stimme vernehmen kann: Saul, Saul, was verfolgst du mich!?
Aber der Herr nennt nicht bloß den Saulus bei seinem Namen, wenn er sagt: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Das hatte Saul nicht geahnt, daß er in den sogenannten Heiligen den längst gekreuzigten Jesum verfolgte und daß er in dem gekreuzigten Jesu den Heiland der Welt verfolgte. Nein, aber als ihm nun seine Sünde beim rechten Namen genannt wurde, da wurde er es gewahr. So ahnen auch wir es nicht, daß unsere Sünden Sünden sind, wenn sie uns nicht beim rechten Namen genannt werden. Darum laßt mich eure Sünden nur beim rechten Namen nennen, euer Fluchen Fluchen, euer Sonntagsschänden Sonntagsschänden, euer Ehebrechen Ehebrechen, euer Stehlen Stehlen, euer Betrügen Betrügen, euer Lügen Lügen, kurz eure Sünde Sünde. Sagt dann nicht, euer Pastor schilt immer, sondern dann sprecht: der Pastor nennt unsere Sünden beim rechten Namen. So höre denn jeder die Frage: Saul, Saul, was verfo1gst du mich? ..Saul, Saul, was fluchst du? was mißbrauchst du meinen Namen, wenn du ein ums andere Wort sagst: Teufel! und Donnerwetter! ach Gott! und ach Herr! Herr Jes! und Herrje! Saul, Saul, was schändest du meinen Sonntag mit Lustbarkeiten und Arbeiten? Saul, Saul, was brichst du deinen heiligen Ehebund? Saul, Saul, was machst du in geheimen Sünden deine Glieder zu Hurengliedern? was stiehlst du? was betrügst du? was lügst du? Oh, ich kann nicht alle Fragen an euch richten, fragt euch selber, ich will für alle Fragen die eine Frage noch einmal wiederholen: Saul, Saul, was verfolgst du mich?
Was verfolgst du mich? Was? d. h. aus welcher Ursache verfolgst du mich? Welche Greueltat habe ich dir zugefügt? Diese, daß ich mein Blut für dich am Stamme des Kreuzes vergossen habe? Oder diese, daß ich dich vom ewigen Tode erlöset habe durch meinen bittern Tod? Oder diese, daß ich dich so lange mit Geduld getragen habe? Sprich! Sünder sprich! Nein, du mußt verstummen, denn du hast durchaus keine Ursache, weshalb du mich verfolgst, nein du verfolgst mich ohne Ursache. Darum laß ab, mich zu verfolgen.
Ich frage dich noch einmal: Was verfolgst du mich? Was meinst du denn? Meinst du, daß du der Mann bist, der mich einholen und töten könnte? 0 Mensch, wenn ich wollte, ich könnte dich hier auf der Stelle mit einem Blitzstrahl zerschmettern und in den Abgrund der Hölle hineinschleudern aber - nun höre auf, mich zu verfolgen, wenn dein Leben dir noch lieb und deine Seele dir noch wert ist.
Ich f rage dich zum letzten Male: Was verfo1gst du mich? Bedenke, daß du mich verfo1gst. Bin ich denn wirklich ein so gefährlicher Feind, daß du mich verfo1gen mußt? Sieh doch auf meinen Wandel, den ich hier auf Erden geführt habe. Sag, kannst du mich einer Sünde zeihen? Sieh, da hing ich einst unschuldig am Kreuzesstamm zu bluten und das für dich! Nun antworte, Sünder, was verfo1gst du mich? 0 Sünder, wie höre ich dich hinter mir schnauben, wie seh' ich dich hinter mir lauf en und rennen! 0 Sünder, doch ein wenig langsamer, noch langsamer und noch langsamer, oh, tritt in ineihe Fußstapfen und verfolge mich nicht, sondern folge mir nach!
0 Wunder der Gnaden, ich höre dich beten; o siehe, er betet: Herr Jesu vergib mir, daß ich Dich so ohne Ursach verfolgt habe und hilf mir, daß ich ablasse, Dich zu verfolgen und anfange Dir nachzufolgen, ja:
Herr Jesu Christ!
Du bist mein Licht!
Du bist rinein Licht!
Ich folge Dir, so irr’ ich nicht!
Ist dies deine Antwort, liebe Seele, auf die Frage ohne Antwort: Saul, Saul, was verfolgst du mich? dann wird es an dir wahr werden, oder ist es an dir wahr geworden, was die folgende Antwort ohne Frage sagt: Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken.
Als Jesus den Saulus fragte: Saul, Saul, was verfolgst du midi? wartete er nicht auf Saulus Antwort oder Gegenfrage, sondern gab selbst eine Antwort ohne Frage: Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken. Ihr wißt's alle, ein Stachel wird bei dem Ochsen angewendet, wenn er nicht vorwärts oder nicht nach der rechten Seite will. Ihr habt’s vielleicht schon gesehen, wie ein Mann einen halsstarrigen Ochsen mit einem Stachel oder Stock bearbeitete. Bei jedem Schlage schlug der Ochse hinten aus gegen den Stachel. Seht, das heißt wider den Stachel löcken. Während ihr dies sahet, habt ihr sicherlich gedacht: ach wenn das dumme Tier doch vorwärts ginge. Aber nein, erst als die Beulen und Striemen faustdick auf der Haut lagen, da ging es vorwärts. Was hatte nun das arme Tier von dem Löcken? Nichts als eine Haut voller Striemen und Beulen. Oh, wie schwer war es doch dem Ochsen geworden, wider den Stachel zu löcken. Wie leicht hätte er es haben können, wenn er nicht wider den Stachel ge1öckt, sondern wenn er den Stachel geleckt hätte, d. h. wenn er gleich nach der rechten Seite vorwärts gegangen wäre.
Nun, Geliebte, Saulus hat nicht wider den Stachel ge1öckt, sondern er hat, wenn ich so sagen darf, den Stachel gleich ge1eckt. Als er das Wort hörte: Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken, hat er gleich gefragt: Herr, wer bist Du? Und als der Herr ihm geantwortet: Ich bin Jesus, den du verfolgst, da hat er sich von Stund an zu Jesu bekehrt, ist aus einem Feinde Jesu ein Freund Jesu, aus einem Verfolger Jesu ein Nachfolger Jesu geworden. Nun ging’s mit ihm vorwärts unter dem sanften Joch des Heilandes, nicht um in Damaskus die Heiligen zu töten, sondern um mit den Heiligen zu beten.
Nun ging’s vorwärts unter dem ermunternden Zuruf des Heilandes: Steh auf und tritt auf deine Füße! So wurde es dem Saulus nicht bloß schwer, sondern unmöglich, wider den Stachel zu löcken. Oh, mein lieber Freund, möchte es dir doch auch in diesem Augenblick unmöglich werden, wider den Stachel zu löcken! Möglich ist es dir, aber wenn du es fertig bringst, dann sage ich dir aus dem Munde meines Heilandes vorher: Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken. Sieh, einen Stachel hast du in deinem Herzen und Gewissen. Vielleicht ist's ein Wort aus einer gehörten Predigt, oder ein Wort aus dem Munde deines sterbenden Vaters oder deiner seligen Mutter, oder ein Gelübde am Sterbebett eines deiner Lieben, ein Gelübde auf deinem letzten Krankenbett, oder ein warnender Traum, oder es ist die Liebe Jesu wie ein Stachel in deine Seele gedrungen. Sag, willst du nun noch länger wider diesen Stachel löcken? 0 glaube mir, es wird dir schwer werden! Es wird dir schwer werden in deinen gesunden und jungen Tagen, denn glaube mir, es wird den Unbekehrten schwerer, in die Hölle zu kommen als den Bekehrten, in den Himme1 zu kommen. Es wird dir schwer werden in deinen kranken und alten Tagen, denn alsdann willst du dich noch bekehren, aber es wird dir sehr, sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich. Es wird dir schwer werden auf deinem Sterbebett, wenn du den Stachel des Todes fühlst, ja, dann möchtest du auch wider diesen Stachel löcken, aber es wird dir nicht bloß schwer, sondern unmöglich, wider den Stachel des Todes zu löcken - du mußt sterben, du mußt sterben, o schrecklich, unbekehrt sterben. Aber am schwersten wird es dir in der Hölle werden, wider den Stachel zu löcken; denn diesen Stachel, wenn auch sonst nichts, nimmst du mit in die Hölle hinein, und dieser Stachel wird dich peinigen bis in die Ewigkeit hinein, so lange bis der Wurm stirbt, der nicht stirbt, so lange bis das Feuer erlischt, das nicht erlischt.
Darum, o Sünder, höre auf, wider den Stachel zu löcken, folge dem langgefühlten Zuge deines Herzens zum Heiland und frage jetzt mit Saulo: Herr, wer bist Du? Und siehe, derselbe Jesus, der dem Saulus geantwortet: Ich bin Jesus, den du verfolgst, antwortet auch dir: Ich bin Jesus, dein Jesus, den du verfolgst. Glaubst du das? 0 glaube jetzt als ein armer, verlorener, verdammter, verfluchter und die Hölle verdienender Sünder, daß Jesus dein Heiland ist. Dann vorwärts unter dem sanften Joch des Heilandes und nicht eher stillgestanden, bis er dich am Feierabend deines Lebens aus diesem Erdenjoch zur ewigen Ruhe der Heiligen ausspannt; dann vorwärts unter dem Schlachtruf des Heilandes:
Fällt’s euch zu schwer,
Ich geh voran,
Ich steh’ euch an der Seite,
Ich kämpfe selbst, ich brech’ die Bahn,
Bin alles in dem Streite.
Ein böser Knecht, der still darf stehn,
Wenn er den Feldherrn sieht angehn.
Ja dann:
"Gott mit uns!" sei uns’re Losung,
Vorwärts! Gloria!
Auf! Uns winkt die Lebenskrone,
Mut, Halleluja!
Vorwärts auf ewig, vorwärts! Wenn wir bei diesem Vorwärts vorwärts schauen, dann drängt sich uns noch eine dritte und letzte Frage auf, nämlich die:
3. Wozu Sau1us bekehrt wurde. Denn dazu bin ich dir erschienen daß ich dich ordne zum Diener und Zeugen - sagt unser Text. In diesen Worten sagt der Heiland dem bekehrten Saulus zunächst, daß er ihn gebrauchen will. Geliebte, der Heiland bekehrt keinen Sünder zum Müßiggang, sondern jeden vom Müßiggang. Wenn er einen Sünder am Markte müßig stehen sieht, so sendet er ihn, in der elften Stunde noch, in seinen Weinberg. Es gibt allerdings faule Maulchristen, die da meinen, daß die Geschichte zu Ende sei, wenn sie einmal bekehrt worden sind; aber nein, dann ist die Geschichte nicht zu Ende, sondern dann fängt sie erst an. Es ist mit den jungen Bekehrten gerade so, wie mit den jungen Rekruten. Wenn die jungen Rekruten den bunten Rock angezogen haben, dann gehen sie nicht nach Mutter zu Hause, sondern dann müssen sie nach geleistetem Fahneneid dienen und unter der Kriegsfahne, wenn’s not tut, sogar ihr Blut für’s Vaterland vergießen. So sollen auch die jungen Bekehrten, wenn sie den Blutrock Christi angezogen haben, nicht zur Mutter Welt zurückkehren, sondern dann sollen sie nach dem geistlichen Fahneneid dem himmlischen König dienen und unter der blutroten Kreuzesfahne ihr rotes Blut für das himmlische Vaterland fließen lassen, indem sie unter Trompetenschall das Streiterlied anstimmen:
Wer will ein Streiter Jesu sein
Und nicht ein Widerchrist,
Der stell’ sich auf dem Kampfplatz ein,
Wie er berufen ist!
Die Kreuzesfahne weht - die Fahne weht -
Wohl dem, der bei ihr steht - der bei ihr steht!
Trompeten schallen weit und breit,
Frisch auf, frisch auf, zum Streit!
Seltsam, sogar diejenigen, ja gerade diejenigen, welche früher dem Teufel und der Welt am treuesten gedient haben, gerade diejenigen will der Heiland gebrauchen. Wir sehen's hier deutlich an Saulus, der erst den Heiland verfolgte, und nachher um des Heilandes willen bis in den Tod verfolgt wurde. Ich denke hier an den Kirchenvater Augustin, der unter den Lasterhaften der Lasterhafteste war, der ein rechtes Sündenkind seiner frommen Mutter war, aber nach seiner Bekehrung wirklich ein Kirchenvater wurde, d. h. ein Vater der Kirche, so daß die gläubigen Väter der Kirche seine Kinder zu nennen sind. Auch denke ich noch an einen Mann, dessen Leben und Wirken ich vor einiger Zeit gelesen habe, an Georg Müller in Bristol. Dieser Georg Müller war in seiner Jugend ein Taugenichts. Als zehnzähriger Junge bestahl er seines Vaters Kasse und versteckte das Geld in den Schuhen. Auf der Schule täuschte er seinen Vater mit falschen Rechnungen, verließ die Schule, vagabundierte herum und zechte in den Wirtshäusern auf Kredit, bis er endlich zu den Dieben ins Gefängnis geworfen wurde. Als er später trotz alledem auf die Universität kam, ging das Sündenleben erst recht an. Er belog und betrog seine Mitstudenten, wo er konnte. Da besuchte er einmal mit einem Freunde eine Betstunde im Hause eines gläubigen Handwerkers, namens Wegener. Hier ergriff die Hand des Herrn den Georg Müller und bekehrte ihn. Später wurde Georg Müller in der Hand des Herrn ein Werkzeug, wie es nur wenige gab. Zweitausend Waisenkinder standen täglich in seiner Pflege und Millionen von Markstücken hat er für Zwecke des Reiches Gottes zusammengeglaubt und zusammengebetet.
Ich könnte euch noch manchen Saulus nennen, der erst dem Teufel und dann dem Heiland aus allen Kräften gedient hat. Ja, Geliebte, wenn ich an die Zeit vor meiner Bekehrung zurückdenke, so muß ich mit wehmütigem Herzen und tränenden Augen sagen: Ich war selber ein solcher Saulus, und gewiß muß mancher von euch mir nachsprechen: Ich war auch einer. Aber, Geliebte, gerade solche Taugenichtse kann der Heiland gebrauchen. Darum sage keiner: Ich bin oder ich war zu schlecht, mich kann der Heiland nicht gebrauchen, nein, gerade die Schlechtesten sind für den Heiland die Besten.
Weiter heißt es am Schluß unseres Textes: Aufzutun ihre Augen, daß sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht. Hier sagt der Heiland dem Saulus ganz bestimmt, wozu er ihn gebrauchen will, nämlich anderen die Augen aufzutun. Ihr wißt, wie vielen Paulus die Augen aufgetan hat. Er war so ein rechter Augenarzt, der es verstand, den alten Star auf den Augen der Heiden zu stechen, daß sie sich bekehrten von der Finsternis zum Licht, zu empfangen Vergebung der Sünden. Dazu will der Heiland uns auch gebrauchen, uns, denen er die Augen aufgetan hat. Ihr wißt, daß die Heiden Jahrtausende in Finsternis gelebt haben. Während dieser Zeit ist der Star auf ihren Augen reif geworden, und es ist jetzt hochnötig Zeit, daß er gestochen wird.
Wollen wir uns nun dazu gebrauchen lassen? Geliebte, denken wir uns, die Heiden wären alle 1eib1ich b1ind und wir hätten eine Salbe, durch welche wir sie alle mit einem Strich sehend machen könnten. Wären wir nicht unbarmherziger als die Heiden, wenn wir ihnen die Augen nicht auftun wollten? Nun sind f reilich die Heiden nicht 1eib1ich b1ind, sondern, was noch tausendmal schlimmer ist: geist1ich b1ind, und wir besitzen die Salbe des Evangeliums, durch welche wir sie alle sehend machen können. Wären wir nun nicht tausendmal unbarmherziger als die Heiden, wenn wir uns nicht gebrauchen lassen wollten, den blinden Heiden die Augen aufzutun? Oder denkt euch, da stände vor unsern Augen bei finsterer Nacht ein Haus in hellen Flammen. Die unglücklichen Einwohner lägen im tiefsten Schlaf. Könnten wir dies Haus von unsern Augen abbrennen lassen, ohne die unglücklichen Einwohner zu wecken? Oh, wenn wir’s täten, wie müßte es uns durch Mark und Bein gehen, wenn wir die armen Einwohner in den Flammen heulen und knistern hörten.
Seht, so liegen die Menschen vor unseren Augen bei finsterer Nacht in einem brennenden Hause. Wenn wir sie nicht wecken, so wachen sie in dem Feuer der Hölle auf. Oh, wie wird es uns dann durch Mark und Bein gehen, wenn wir sie im Feuer der Hölle heulen und knistern hören. Aber, sagt ihr, das ist ja schrecklich, daß alle, welche das Evangelium von Jesu Christo nicht gehört haben, ebenso verlorengehen, und es ist noch hunderttausendmal schrecklicher, daß bekehrte Christen die unbekehrten Christen so gleichgültig verlorengehen lassen. Fragt nicht, wie kann Gott so viele Menschen verlorengehen lassen? Nein, Gott fragt euch: Wie könnt ihr so viele verlorengehen lassen? Wie könnt ihr euer vergängliches Gold und Silber höher schätzen als die unsterblichen Seelen, wie könnt ihr eure guten Tage mehr lieben als die Seligkeit? - Ich habe meinen lieben Sohn und mein Sohn hat sein Blut für die Welt gegeben und was tut ihr für sie?
0 Geliebte, ich fürchte, wenn wir uns nicht gebrauchen lassen, den Verlorenen die Augen aufzutun, so verdammen sie uns. Darum an’s Werk, auf’s neue an’s Werk. Alles, was wir bis jetzt an dem Werk der Heidenbekehrung getan haben, ist gerade so viel, als ein kleiner junge tut, der ein paar Ahren hinter dem Erntewagen zusammenharkt. Wir sammeln kaum 1000 Mark für die Mission, während Millionen für Alkohol und Luxus vergeudet werden. Es stehen zwei bis drei junge Leute im Dienste der Mission, während Tausende im Dienste des Teufels und der Welt stehen. Und endlich, das Gebet für die armen Heiden wird noch tausendfach übertönt vom Gespött über Mission. Das ist die nackte tatsächliche Wahrheit. Deshalb, Geliebte, müssen wir uns schämen, daß wir bis jetzt so wenig für die Heiden getan haben. Nein, schämen ist nicht genug, wir müssen uns bessern. Oh, ihr reichen Missionsfreunde, legt euer Geld bei den Missionskassen auf Zinseszins zu 100000 Prozent. Es soll euch im Himmel tausendfältig vergolten werden. Ihr Witwen und Kinder, legt euer Scherflein für die armen Heiden in den Gotteskasten, dann legt ihr noch mehr ein als alle die anderen zusammen. Ihr jungen Leute, wenn der Herr fragt: Wen soll ich senden? so antwortet: Herr, hier bin ich, sende mich! Geht zu eurem Prediger und fragt ihn, wie ihr's anfangen sollt, daß ihr zu den armen Heiden kommt. - Dann laßt uns alle auf unsere Knie fallen und beten, daß der Herr Jesus allen Heiden und Christen die Augen auftun wolle, auf daß aus jedem Saulus ein Pau1us werde. Dazu wurde Saulus bekehrt.
Zum Schluß kann ich nur beten: 0 lieber Heiland, bekehre doch jeden Saulus in der Christen- und Heidenwelt! - - Und wenn du unbekehrter Saulus dich nicht bekehren willst, dann bekenne jetzt und einst vor Gottes Gericht und Angesicht: Der Mann, der diese Predigt hielt und schrieb, ist unschuldig an meinem Blute! Amen, Amen!