Epistelpredigten Friedrich Locher aus „Predigten über die Episteln des Kirchenjahres zu den Sonn- und Festtagen“

Epistelpredigt zum ersten Adventssonntag ueber Roemer 13,11-14: Das heutige apostolische Adventswort: „Unser Heil ist naeher, als da wir es glaubten“

Epistelpredigt zum zweiten Adventssonntag ueber Roemer 15,4-13: Von der tragenden Liebe als einer notwendigen Bedingung zum Gedeihen der Gemeinde

Epistelpredigt zum 3. Advent ueber 1. Korinther 4,1-5: Wodurch wird das noetige Zutrauen zu einem rechtschaffenen Prediger erlangt und bewahrt?

Epistelpredigt zum vierten Advent ueber Philipper 4,4-7: Von dem Frieden Gottes

Epistelpredigt zum Heiligen Abend ueber Titus 2,11-14: Die Offenbarung Gottes im Fleisch als das kuendlich grosse Geheimnis der Gottseligkeit

Epistelpredigt zum ersten Christfesttag ueber Jesaja 9,2-7: Worauf wird durch Jesajas prophetische Verkuendigung der Geburt Christi unser Blick am heutigen Fest vornehmlich gerichtet?

Epistelpredigt zum zweiten Christfesttag ueber Apostelgeschichte 6,8-15; 7,54-59: Stephanus, der erste Maertyrer

Epistelpredigt zum Sonntag nach dem Christfest ueber Galater 4,1-7: Durch den Glauben an den menschgewordenen Heiland sind die Kinder Gottes nunmehr muendig

Epistelpredigt zum Neuen Jahr ueber Galater 3,23-29: Der dreifache Glueckwunsch des Apostels bei Eintritt in das neue Jahr

Epistelpredigt zum Sonntag nach Neujahr ueber 1. Petrus 4,12-19: Die Leiden, die dem Christen verordnet und welche ihm als solchen nicht verordnet sind

Epistelpredigt zu Epiphanias ueber Jesaja 60,1-6: Der Eingang der Fuelle der Heiden in das Reich Christi

Epistelpredigt zu Epiphanias ueber Titus 3,4-7: Dass wir durch die Taufe aus Heiden Christen, aus Kindern des Zorns Kinder Gottes geworden sind

Epistelpredigt zum ersten Sonntag nach Epiphanias ueber Roemer 12,1: Das priesterliche Opfer der Glaeubigen des Neuen Testaments

Epistelpredigt zum ersten Sonntag nach Epiphanias ueber Roemer 12,2: Die priesterliche Absonderung der Glaeubigen von der Welt

Epistelpredigt zum zweiten Sonntag nach Epiphanias ueber Roemer 12,3-16: Der priesterliche Wandel der Glaeubigen in der Gemeinde

Epistelpredigt zum dritten Sonntag nach Epiphanias ueber Roemer 12,17-21: Der priesterliche Wandel des Christen im taeglichen Umgang, vor allem mit denen, die noch nicht glauben

Epistelpredigt zum vierten Sonntag nach Epiphanias ueber Roemer 13,8-11: Die Liebesschuld der Christen

Epistelpredigt zum fünften Sonntag nach Epiphanias ueber Kolosser 3,12-17: Einiges von der Herrlichkeit glaeubiger Christen

Epistelpredigt zum Verklaerungssonntag ueber 2. Petrus 1,16-21: Das wichtige Vermaechtnis des Petrus an die Christenheit

Epistelpredigt zum Sonntag Septuagesimae (70 Tage vor Ostern) ueber 1. Korinther 9,24-10,5: Vom Ringen um die unvergaengliche Krone

Epistelpredigt zum Sonntag Sexagesimae (60 Tage vor Ostern) ueber 2. Korinther 11,19-12,9: Welches zweifaches, schweres Leiden dem Apostel auferlegt war und wie er sich dabei verhielt

Epistelpredigt zum Sonntag Estomihi (Sei mir ein starker Fels, Ps. 31,3) ueber 1. Korinther 13: Des Paulus Lied von der heiligen Liebe

Predigt zum Sonntag Invocavit (Er ruft mich an, darum will ich ihn erhoeren; Ps. 91,13) ueber 2. Korinther 6,1-10: Die dringende Mahnung des Apostels, Gottes Gabe nicht vergeblich zu empfangen

 

 

 

 

Evangelienpredigten C.F.W. Walther aus „Gnadenjahr“:

Evangelienpredigt zum ersten Advent ueber Matthaeus 21,1-9: Was lehrt uns Christi einstiger Einzug durch die Tore Jerusalems an der Schwelle eines neuen Kirchenjahres?

Evangelienpredigt zum zweiten Sonntag im Advent ueber Lukas 21,25-36: Von der rechten Vorbereitung des Christen auf das Hereinbrechen des Juengsten Tages

Evangelienpredigt zum dritten Sonntag im Advent ueber Matthaeus 11,2-10: Dass Jesus wahrhaftig der Messias ist, der da kommen sollte

Evangelienpredigt zum vierten Advent ueber Johannes 1,19-28: Die rechte Beschaffenheit unseres Zeugnisses von Jesus Christus

Predigt zum Heiligen Abend ueber Jesaja 9,6-7: Von der großen Freude, dass Gott seinen Sohn nicht nur fuer uns Menschen hat geboren werden lassen, sondern ihn uns auch schon gegeben hat

Evangelienpredigt zum ersten heiligen Christfesttag ueber Lukas 2,1-14: Die wahre Weihnachtsfreude

Evangelienpredigt zum zweiten heiligen Christtag ueber Lukas 2,15-20: Was sollen Zuhoerer tun, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehoert haben, sondern den vollen Segen derselben erlangen?

Evangelienpredigt zu Neujahr ueber Lukas 2,21: Wie wahre Christen das neue Jahr im Namen Jesu anfangen

Evangelienpredigt zu Epiphanias ueber Matthaeus 2,1-12: Das Wort Gottes der rechte einzige Leitstern auf dem Weg zum Himmel

Evangelienpredigt zum ersten Sonntag nach Epiphanias ueber Lukas 2,41-52: Wie wichtig der Blick auf Christi Jugend bei der Rueckerinnerung an unsere eigene Jugend sei

Evangelienpredigt zum zweiten Sonntag nach Epiphanias ueber Johannes 2,1-11: Von der Freundlichkeit, welche Christus auf der Hochzeit zu Kana offenbart hat

Evangelienpredigt zum dritten Sonntag nach Epiphanias ueber Matthaeus 8,1-13: Dass nur das der rechte Glaube sei, der sich allein an das Wort haelt

Evangelienpredigt zum vierten Sonntag nach Epiphanias ueber Matthaeus 8,23-27: Von der goettlichen Macht und Herrlichkeit, welche Christus einst auf dem galilaeischen Meer offenbart hat

Evangelienpredigt zum fuenften Sonntag nach Epiphanias ueber Matthaeus 13,24-30: Dass eine Kirche, welche die Ketzer verfolgt und toetet, gewiss Christi wahre Kirche nicht sei

Evangelienpredigt zum Verklaerungssonntag ueber Matthaeus 17,1-9: Die Offenbarung der goettlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi auf dem Berg der Verklaerung

Evangelienpredigt zum Sonntag Septuagesimae (70 Tage vor Ostern) ueber Matthaeus 20,1-16: Von der lohnsüchtigen Froemmigkeit

Evangelienpredigt zum Sonntag Sexagesimae (60 Tage vor Ostern) ueber Lukas 8,4-15: Wie muss man Gottes Wort hoeren, dass man selig werde?

Evangelienpredigt zum Sonntag Estomihi (Sei mir ein starker Fels; Ps. 31,3) ueber Lukas 18,31-43: Warum noch jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erkennen

Evangelienpredigt zum Sonntag Invocavit (Er ruft mich an, darum will ich ihn erhoeren; Ps. 91,15) ueber Matthaeus 4,1-11: Von den drei Hauptversuchungen eines glaeubigen Christen, um welcher willen er stets im Streit sein muss

Evangelienpredigt zum Sonntag Reminiscere (Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit; Psalm 25,6) ueber Matthaeus 15,21-28: Das Gebet im Glauben

Evangelienpredigt zum Sonntag Oculi (Meine Augen sehen stets auf den HERRN, Ps. 25,10) ueber Lukas 11,14-28: Von dem traurigen Rueckfall aus der Gnade

Evangelienpredigt zum Sonntag Laetare (Freuet euch mit Jerusalem; Jesaja 66,10) ueber Johannes 6,1-15: Wie gluecklich diejenigen auch in betreff des Zeitlichen sind, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten

Evangelienpredigt zum Sonntag Judica (HERR, schaffe mir Recht; Ps. 43,1) ueber Johannes 8,46-59: Dass Christi vollkommener Wandel eine oeffentliche Beschaemung des Unglaubens ist

Predigt zum Palmsonntag ueber 1. Mose 19,17b: Was euch bewegen soll, die Rettung eurer Seele immer eure Hauptsorge sein zu lassen

Predigt zum Gruendonnerstag ueber 1. Korinther 11,23-32: Warum sollen wir nimmermehr von dem Glauben abfallen, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaft und wesentlich gegenwaertig seien?

Predigt zu Karfreitag ueber 1. Thessalonicher 5,9.10: Christi Tod – unser Leben

Evangelienpredigt zu Ostersonntag ueber Markus 16,1-8: Dass die Osterbotschaft einst auch an die treulosen Juenger gerichtet war, ein herrliches Zeugnis, dass sie eine Freudenbotschaft für alle, auch für die groeßten Suender, ist

Evangelienpredigt am ersten heiligen Ostertag ueber Markus 16,1-8: Die Auferstehung Jesu Christi, ein Sieg der Gerechtigkeit ueber die Suende

Predigt zum Ostermontag ueber Apostelgeschichte 10,34-41: Der Glaube an den Auferstandenen, das einzige Mittel, das ewige Leben zu erlangen

Evangelienpredigt zum Sonntag Quasimodo Geniti (Wie die neugebornen Kindlein, 1. Petr. 2,2) ueber Johannes 20,19-31: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“

Evangelienpredigt zum Sonntag Misericordias Domini (Die Erde ist voll der Guete des HERRN, Ps. 33,5; Hirtensonntag) ueber Johannes 10,12-16: Warum wir Christus zu unserem Hirten annehmen sollen

Evangelienpredigt zum Sonntag Jubilate (Jauchzet Gott, alle Lande; Ps. 66,1) ueber Johannes 16,16-23: Dass im wahren Christentum ein steter Wechsel von Traurigkeit und Freude stattfindet

Evangelienpredigt zum Sonntag Kantate (Singt dem HERRN ein neues Lied; Ps. 98,1) ueber Johannes 16,5-15: Von dem großen Unterschied zwischen dem Urteil der Welt und dem Urteil des Heiligen Geistes

Evangelienpredigt zum Sonntag Rogate (Betet!) ueber Johannes 16,23-30: Was soll einen glaeubigen Christen erwecken, nicht im Zweifel, sondern im Glauben, dass er erhoert wird, zu beten?

Predigt zu Christi Himmelfahrt ueber 2. Koenige 2,1-13: Die Himmelfahrt Elias[1]

Evangelienpredigt zum Sonntag Exaudi (HERR, hoere meine Stimme; Ps. 27,7) ueber Johannes 15,26-16,4: Von der unzertrennlichen Verbindung der Erkenntnis Gottes des Vaters und seines Sohnes Jesus Christus

Evangelienpredigt zum Pfingstsonntag ueber Apostelgeschichte 2,1-13: Die Mitteilung des Heiligen Geistes durch das Evangelium von Christus, ein unwidersprechlicher Beweis der Wahrheit und Goettlichkeit desselben

Evangelienpredigt zu Pfingstmontag ueber Johannes 3,16-21: Welches ist die Predigt, durch die die christliche Kirche erbaut wird?

Evangelienpredigt zum Fest der heiligen Dreieinigkeit ueber Johannes 3,1-15: Die Wassertaufe, dass kraeftige Mittel der Wiedergeburt

Evangelienpredigt zum ersten Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 16,19-31: Dass der Tod das Urteil der Welt ueber Weisheit und Torheit sowie Glueck und Unglueck widerlegt

Evangelienpredigt zum zweiten Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 14,16-24: Das Gleichnis Christi vom großen Abendmahl

Evangelienpredigt zum dritten Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 15,1-10: Jesus, ein Suenderfreund

Evangelienpredigt zum vierten Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 6,36-42: „Richtet nicht! Verdammt nicht!“

Evangelienpredigt zum fuenften Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 5,1-11: Der himmlisch gesinnte Christ in seinem irdischen Beruf

Evangelienpredigt zum sechsten Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 5,20-26: Dass die Tugend des natuerlichen Menschen ganz unzulaenglich ist

Evangelienpredigt zum siebten Sonntag nach Trinitatis ueber Markus 8,1-9: Wie Gott fort und fort alljaehrlich das Wunder tut, dass er aus Wenigem viel macht

Evangelienpredigt zum achten Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 7,15-23: Christi Warnung vor falschen Propheten

Evangelienpredigt zum neunten Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 16,1-9: Die wahre Klugheit, zu welcher uns selbst das Beispiel der falschklugen Weltkinder ermuntert

Evangelienpredigt zum zehnten Sonntag nach Trinitatis (Israelsonntag) ueber Lukas 19,41-48: Die herzliche und liebreiche Warnung Christi, Gottes Gnadenheimsuchungen nicht zu verachten

Evangelienpredigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis ueber Luk. 18,9-14: Von dem falschen Trost, den viele aus dem Gleichnis vom Pharisaeer und Zoellner nehmen

Evangelienpredigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 18,9-14: Wie und wodurch wird ein Mensch vor Gott gerecht?

Evangelienpredigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis ueber Markus 7,31-37: Von der Wiederherstellung des goettlichen Ebenbildes durch Christus

Evangelienpredigt zum 13. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 10,23-37: Was ein Mensch tun muss, damit er das ewige Leben ererbt

Evangelienpredigt zum 14. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 17,11-19: Was lehrt die Tatsache, dass unter den zehn Aussaetzigen gerade der Samariter im Glauben bestaendig blieb?

Evangelienpredigt zum 14. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 17,11-19: Von der großen Undankbarkeit des menschlichen Herzens gegen Gott

Evangelienpredigt zum 15. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 6,24-34: Wie toericht diejenigen handeln, welche Gott zwar dienen, aber nicht allein dienen wollen

Evangelienpredigt zum 16. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas7,11-17: Der rechte Trost im Sterben

Evangelienpredigt zum 17. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 14,1-11: Die Sabbatfeier, die Gott auch von den Christen des Neuen Testaments fordert

Evangelienpredigt zum 18. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 22,34-46: Welche verderblichen Folgen die Verachtung des goettliches Gesetzes nach sich zieht

Evangelienpredigt zum 19. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 9,1-8: Was muss ein Mensch tun, damit ihm Gott seine Suenden vergibt?

Evangelienpredigt zum 20. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 22,1-14: Das Verhalten der meisten Menschen gegenueber der Einladung Gottes zu seiner himmlischen Hochzeit

Evangelienpredigt zum 21. Sonntag nach Trinitatis ueber Johannes 4,47-54: Von dem Unglauben der Glaeubigen

Evangelienpredigt zum 22. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 18,23-35: Wie maechtig und dringend die bei Gott erlangte Vergebung einen Christen antreibe, auch seinem Bruder seine Suenden zu erlassen

Evangelienpredigt zum 23. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 22,15-22: Das gegenseitige Verhaeltnis des Christen und des Staatsbuergers

Evangelienpredigt zum 24. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 9,18-26: Dass allein der Glaube die Kraft hat, Suende und Tod zu überwinden

Evangelienpredigt [zum vorletzten Sonntag im Kirchenjahr] ueber Lukas 2,22-32: Die noetige rechte Vorbereitung auf einen seligen Tod

Evangelienpredigt zum 25. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 24,15-28: Christi Warnung vor der in der letzten Zeit sich erhebenden Stimme der Verfuehrung: „Siehe, hier ist Christus, da ist Christus“

 

 

Evangelienpredigt zum ersten Advent ueber Matthaeus 21,1-9: Was lehrt uns Christi einstiger Einzug durch die Tore Jerusalems an der Schwelle eines neuen Kirchenjahres?

 

    HERR Jesus! In deinem Namen haben wir mit dem heutigen Tag ein neues Jahr des Kampfes und der Pilgrimschaft deiner Kirche auf Erden begonnen. Mit Bitten und Flehen erscheinen wir daher vor dir, der du unser einziger Trost, unsere einzige Hilfe, unsere einzige Zuflucht bist. Was sollen wir aber bitten? Sollen wir dich darum bitten, dass du auch im neuen Jahr deine Kirche nicht verlassen, in Gnaden wieder zu ihr kommen und sie erhalten und schützen wollest? Warum sollten wir das? Du kommst zu ihr wohl ohne unser Gebet, denn du hast es verheißen, und ehe müssen Himmel und Erde brechen, ehe du dein Wort brechen und deine auf dich gegründete Kirche überwältigen lassen könntest. Du bist bei ihr darinnen, darum wird sie wohl bleiben; du hilfst ihr früh. Darum das ist’s, HERR, warum wir dich anflehen, dass du im neuen Jahr auch zu uns kommen und uns Gnade geben wollest, dass wir das Herz dir auftun, wenn du kommst. Siehe, wir gedenken heute an unsere Sünde; wir denken heute daran, wie oft du in den verflossenen Kirchenjahren zu uns gekommen bist im Wort und Sakrament, und wir taten dir nicht auf, wir machten dir nicht Platz in unseren Herzen und verschütteten den Segen, den du uns zugedacht hattest. Wir wissen es, wir hätten es daher wohl verdient, dass du im neuen Jahr an uns vorüber gingest. Aber, o du Heiland aller Menschen und auch unser Heiland! Allein durch deine Fürbitte leben wir ja noch, allein um deiner Fürbitte willen sind wir ja noch nicht hinweggerissen aus dem Land unserer Gnadenzeit: O, so tue nun auch zu dieser Gnade noch das hinzu, und komm in diesem neuen Jahr wieder zu uns und vollende in uns dein Werk; damit, wenn die Stimme der Mitternacht endlich zur Hochzeit ruft, wir bereit seien, dir, unserem Bräutigam, mit brennenden Lampen und im hochzeitlichen Schmuck zu folgen. Erhöre uns, o König der Gnade, erhöre uns. Amen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

„Und ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden“, als der Name Jesu Christi, so spricht der Apostel Petrus. Nach diesen Worten kann kein Mensch sich selbst selig machen, noch ein Bruder den anderen erlösen, noch ein Engel des Himmels einem Menschen den Himmel erschließen, sondern hiernach ist Christus allein die über den Abgrund des Todes in das ewige Leben geschlagene Brücke, Christus allein die offene Pforte des Paradieses, Christus allein der Weg in den Himmel. Wer immer unter allen Menschen selig werden will, der muss nach diesen Worten durch Christus selig werden, oder alle seine Bemühungen darum sind eitel und vergeblich; und ist je ein Mensch selig geworden, so ist er es durch Christus geworden.

    An dieser Lehre haben sich bisher viele schon deswegen gestoßen, weil Christus erst viertausend Jahre nach Erschaffung der Welt in die Welt gekommen ist. Wie? spricht man, gäbe es außer Christus wirklich für keinen Menschen auf Erden Heil und Seligkeit, würde er dann nicht sogleich nach Erschaffung der Welt gekommen sein? Würde er dann so lange ausgeblieben sein und bis zu seiner Ankunft in der Welt so viele Millionen rettungslos verloren gehen lassen? –

    Aber man irrt sich. Um Christus ist es eine gar wunderbare Sache. Christus war längst in der Welt gewesen, als die heiligen Engel seine Geburt in himmlischen Lobgesängen priesen. Christi Kommen in die Welt ist nämlich ein zweifaches, ein leibliches und ein geistliches. Vor über zweitausend Jahren kam er nun freilich in die Welt, wie er vorher noch nicht gekommen war, nämlich sichtbar und leiblich; aber geistlich war Christus immer in der Welt gewesen, so lange es eine Welt gab. Klar und deutlich schreibt nämlich von ihm Johannes zu Anfang seines Evangeliums: „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschjen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen. Das war das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.“ Daher spricht auch Christus selbst von sich: „Ehe denn Abraham war, bin ich. Abraham ward froh, dass er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich.“

    Des recht zu verstehen, muss man nämlich dies wissen: Als in den ersten Menschen durch den Fall in die Sünde das Licht der ihnen anerschaffenen Unschuld und Gerechtigkeit erloschen war, da rief Gott ihnen alsbald zu: „Der Same der Frau wird der Schlange den Kopf zertreten“, und mit dieser ersten Verheißung fing Christus schon an, als das einige, wahrhaftige Licht der Welt zu scheinen; diese Worte waren gleichsam die ersten Strahlen einer himmlischen Morgenröte, welche die Sündennacht, die sich über die Erde gelagert hatte, bereits durchbrach. Als aber Gott später noch deutlicher zu Abraham von dem sprach, durch den alle Völker der Erde gesegnet werden und der aus dem von ihm abstammenden Volk geboren werden sollte, da leuchtete Christus schon als die Frühsonne in die in Finsternis und Schatten des Todes liegende Sünderwelt mächtig hinein. Und als Hierauf ein langer Zug von Propheten von Jahrhundert zu Jahrhundert in Israel auftrat, die alle wie aus Einem Mund verkündigten, dass die Ankunft des Verheißenen immer näher rücke, und als endlich der letzte unter den Propheten, Maleachi, laut in die Welt hinein rief: „Bald wird kommen zu seinem Tempel der HERR, den ihr sucht, und der Engel des Bundes, des ihr begehrt. Siehe, er kommt, spricht der HERR Zebaoth“: - Da stieg Christus, die unsichtbare Sonne der Welt, immer höher und höher, bis endlich der Himmel zerriss und die himmlischen Heerscharen jauchzend hervorbrachen und der Engel des HERRN, von des HERRN Klarheit umleuchtet, den erstaunten Hirten zurief: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids.“ In diesem Augenblick ging Christus der Welt nicht erst auf, sondern stand nun nur als die helle Mittagssonne über aller Menschen Häuptern.

    Weit entfernt also, dass Christus deswegen erst nach Verfluss von vier Jahrtausenden des Weltalters in die Welt gekommen sein wollte, weil er erst das Werk der Beseligung der Welt hätte beginnen wollen, so erschien er vielmehr gerade darum erst jetzt, weil er gleichsam in der Mitte der Weltzeit stehen und seine rettenden Arme rückwärts und vorwärts zu allen Verlorenen ausstrecken wollte. Die Weissagung von Christus zieht sich daher wie ein immer heller und heller werdender himmlischer Lichtstreifen durch die dunkle Geschichte der Völker. Er war schon der ersten Menschen Trost, als sie, aus dem Paradies vertrieben, die Not der Erde bitter empfinden und unter Schweiß und t5ränen das wüste Feld bauen mussten. Er war schon Israels Hoffnung und aller Völker Sehnsucht; wer daher vor Christi Geburt selig geworden ist, der ist es durch Christus geworden, auf den er hoffte.

    Daher heißt es im 13. Kapitel des Briefes an die Hebräer: „Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.“ Hieraus sehen wir, wie Christus in der Welt war und fort und fort in die Welt kam, ehe er kam; so kommt er hiernach auch noch jetzt, nachdem er bereits gekommen ist, und ist immer im Kommen, bis er kommen wird zur ewigen Festfeier mit den Seinen im Himmel und das ist der tröstliche Adventsgegenstand, mit welchen wir uns in dieser Stunde beschäftigen.

 

Matthäus 21,1-9: Da sie nun nahe an Jerusalem kamen nach Bethphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zwei und sprach zu ihnen: Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine Eselin finden angebunden und ein Füllen bei ihr. Löst sie auf und führt sie zu mir! Und so euch jemand etwas wird sagen, so sprecht: Der HERR bedarf ihrer; sobald wird er sie euch lassen. Das geschah aber alles, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselin. Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und setzten ihn darauf. Aber viel Volks breitete die Kleider auf den Weg; die andern hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das vorging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des HERRN! Hosianna in der Höhe!

 

    Schon seit uralten Zeiten hat sich die rechtgläubige Kirche, so oft sie an der Schwelle eines neuen Kirchenjahrs stand, an der in diesem verlesenen Evangelium enthaltenen Beschreibung des Einzugs Christi durch die Thore Jerusalems ergötzt und sich dabei des gnadenvollen unsichtbaren Einzugs getröstet, den der HERR nun aufs Neue durch die Tore der Kirche, ja, der ganzen Sünderwelt halten wolle. Auch wir wollen daher unserer lieben geistlichen Mutter hierin heute folgen, indem wir uns in gegenwärtiger Stunde die Frage beantworten:

 

Was lehrt uns Christi einstmaliger Einzug durch die Tore Jerusalems an der Schwelle eines neuen Kirchenjahres?

 

    Er lehrt uns hauptsächlich zweierlei:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass und wie Christus auch bei uns im neuen Kirchenjahr seinen Einzug halten könne und wolle, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie sich ein Jeder nach dem Zustand seines Herzens gegen den einziehenden Heiland zu verhalten habe.

 

1.

    Wenn der heilige Evangelist in unserem Text sagt, Christus habe deswegen einst jenen feierlichen Einzug durch die Tore Jerusalems gehalten, „auf dass erfüllt würde, das gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir“, so dürfen wir nicht denken, dass dieser Einzug also nur den Einwohnern Jerusalems gegolten habe. Nein, so gewiss Christus nicht gekommen war, den irdischen Königsthron zu Jerusalem zu besteigen, sondern ein König aller Menschen zu sein, so gewiss geht alle Prediger des Evangeliums, so gewiss geht auch mich der Befehl an: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir.“

    Aber wie? Dürfen wir wirklich glauben, dass Christus noch immer, dass er auch heute noch, auch unter uns seinen Einzug halten könne? Ist er nicht schon längst aus dieser Welt geschieden? Und zeigt es nicht gerade jener armselige Einzug in Jerusalem, dass Christus nichts als ein armer, machtloser, geringer Mensch gewesen sei? Wissen wir nicht, dass wenige Tage nach jenem Einzug auf das Hosiannarufen des Volks das Kreuzige! Kreuzige! und eine Krönung mit Dornen gefolgt und der arme König endlich schmachvoll an das Kreuz geschlagen worden ist?

    Hiernach scheint freilich auf den ersten Anblick nichts törichter zu sein als der Glaube, dass Christus noch heute auch bei uns als König einziehen könne. Allein, lasst euch von diesem Schein nicht irren, denn so armselig auch Christus in unserem Evangelium an unseren Augen vorüberzieht, so groß ist die Herrlichkeit und Majestät, die uns bei genauerem Aufmerken aus aller Niedrigkeit, in welcher jener Einzug geschah, entgegenleuchtet. Denn was hören wir? Von Gal8iläa mit seiner Jüngerschar kommend und nach längerer Abwesenheit Jerusalem sich wieder nahend, hält Christus plötzlich still und gibt zwei seiner Jünger den Befehl: „Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine Eselin finden angebunden und ein Füllen bei ihr; löst sie auf und führt sie zu mir.“ Sagt, wie konnte Christus wissen, dass sich, was er hier so genau und umständlich voraussagte, wirklich so befinden werde? Hiermit bewies Christus nichts Geringeres, als dass er allwissend sei., Sprecht nicht, wie man das hieraus schließen könne, da ja die vorausgesagten Umstände so geringfügige gewesen seien! Je geringfügiger und je zufälliger sie waren, desto mehr beweisen sie, dass vor Christi Augen nichts in der Welt, auch nicht das Geringste, verborgen war. Und noch mehr: Christus setzt hinzu: „Und so euch jemand etwas wird sagen, so sprecht: Der HERR bedarf ihrer; so bald wird er sie euch lassen.“ Ich frage euch hierbei ferner: Wie konnte Christus es wissen, dass der Eigentümer der Lasttiere durch jenen kurzen Bescheid der Jünger bewogen werden würde, dieselben zu lassen? Hiermit bewies Christus nichts Geringeres, als dass er Macht habe, auch die Herzen der Menschen, und zwar selbst in der Ferne, zu lenken, dass er also allmächtig sei. Und noch mehr: Christus zieht hierauf unter dem Zuruf und Jubel von Tausenden durch die Tore Jerusalems ein; die ganze ungeheure Stadt wird erregt; alles, jung und alt, Fremdlinge und Einwohner, strömt zusammen und ruft verwundert aus: „Wer ist der?“ Selbst Säuglinge tun wunderbar ihren Mund auf und rufen laut: „Hosianna dem Sohn Davids!“ Sagt, wie war es möglich, dass Herodes, Pilatus und alle Mächtigen des Landes, welche sich in der Stadt mit großen Scharen gerüsteter Krieger befanden, jetzt ruhig zusahen? Was hielt diese grimmen Feinde Christi fest, dass sie Christus nicht als einen Aufrührer und Rebellen gefangen nahmen? – Erkennt hieraus Christi himmlisches Wirken. Hiermit bewies Christus, dass er auch ohne Schwert und Heeresmacht ganze feindliche Heere bezwingen, ihr Herz verzagt machen, ihre Füße Fesseln, ihre Arme lähmen könne. O, was ist darum ein irdischer König gegen Christus! Eines irdischen Königs Macht ist ein zerbrechliches Schwert, Christi Macht sein allmächtiges Wort; jenes Thron ist von Staub und steht auf Staub, zu dem er selbst endlich zurückkehrt, Christi Herrscherthron ist in den Herzen der Menschen aufgebaut, die er lenkt nach seinem unumschränkten Willen. Kurz, Christus ist ein allwissender, allmächtiger König der Herzen, der ewige wahrhaftige Sohn des lebendigen Gottes. Das hat er bewiesen bei seinem Einzug in Jerusalem und uns damit bezeugt, dass er noch jetzt, dass er noch heute auch bei uns seinen Einzug halten kann.

    Aber wie? sollte er bei uns nicht einziehen können, sondern auch einziehen wollen? Haben wir nicht alle ihm in der heiligen Taufe Treue geschworen, und sind wir nicht alle ihm untreu geworden? Ist er nicht der Allerhöchste und wir ein elender Staub? Ist er nicht der Allerheiligste und wir Unreine, Ungerechte, verdammungswürdige Sünder? Und heißt es nicht in dem Propheten: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir“? – Ja, meine Lieben, so heißt es, aber wer war die Tochter Zion, der diese selige Botschaft gebracht werden sollte? Waren dies etwa Heilige, die des Kommens Christi zu ihnen würdig waren? O nein! Es waren dies die Bürger zu Jerusalem; es waren dies also gerade die, denen Christus schon so oft vergeblich Gnade gepredigt hatte; es waren dies die, die dem HERRN Gutes mit Bösem, Liebe mit Hass, Wohltat mit Übeltat vergolten hatten; es waren dies eben die, welche den HERRN noch jetzt mit Mordgedanken aufnahmen und wenige Tage darauf an das Kreuz schlugen. Ja, die Bürger der mörderischen Stadt Jerusalem, dieser Haufe zur Hölle reifer Sünder, eben diese waren es, zu denen Christus in unermüdlicher Geduld und Liebe und Hirtentreue noch einmal kam, sie heimzusuchen mit allem Reichtum seiner Gnade und Erbarmung, und denen zugerufen werden musste: „Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig“, ein Helfer, ein Heiland, ein Seligmacher. O, wie gewiss kann daher ein jeder sein, in welchem Zustand er sich auch befinden möge, dass Christus auch bei ihm einziehen wolle! Oder wer ist unter uns, der da denken dürfte, Christus wolle und werde im neuen Kirchenjahr nicht zu ihm kommen? Ach, wahrlich! Keiner, keiner darf dies von seinem treuen Heiland denken, und wenn er ihm bisher noch so untreu gewesen, ja, wenn er bisher Christi ärgster Feind gewesen wäre. Schaut hin nach den offenen Toren Jerusalems und seht, wie da der König der Gnade so sanftmütig und voll brennender Sehnsucht nach der Seligkeit einer ganzen in alle Abgründe der Sünde versunkenen Stadt in dieselbe einzieht, und lernt daraus: nichts, keine Unwürdigkeit, keine Sünde, kein noch so tiefer Fall kann ihn abhalten, heute an der Tür des Herzens, auch eines jeden unter uns, anzuklopfen, Einlass zu begehren und bei ihm einzuziehen, so er ihm auftut. Mag unsere Sünde noch so groß, mag sie berghoch sein, seine Liebe und Gnade ist noch größer. Sünder, große Sünder sind es eben, die Christus sucht. Getrost rufe ich darum einem jeden unter uns zu: „Siehe, dein König kommt zu dir“, er kommt, er kommt!

    Aber, werdet ihr nun fragen, wie kommt er denn? – Wollt ihr da wissen, wohlan, so schaut hin auf Christi Einzug zu Jerusalem; da ist es uns abgemalt in einem lieblichen Bild. Da sehen wir aber, Christus steigt nicht selbst auf das Lasttier, seinen Einzug zu halten. Seine Jünger sind es, die ihn darauf heben und unter deren Geleit und Hosiannaruf er einzieht. So hält es Christus noch heute. Wo seine Diener sein Wort predigen, wo seine Diener in seinem Namen rufen: „Seht, euer König kommt“, wo seine Jünger versammelt sind, die ihn anrufen und sprechen: „Hosianna dem Sohn Davids; gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN! Hosianna in der Höhe!“ da ist auch Christus allezeit in ihrer Mitte, da folgt ihnen auch Christus allezeit auf dem Fuß nach, kurz, da hält Christus seinen Einzug: Da ist das Heil und die Seligkeit vor aller Herzen Tür. O wohl daher euch allen, die ihr die Gnade genießt, heute am Anfang des neuen Kirchenjahres Christi Gnadenwort zu vernehmen! Mag die Welt es verachten, mag es ihr Torheit und Ärgernis sein: Unter dem Schall dieses verachteten Wortes geschieht doch das grüßte wunder der Gnade, denn mit ihm zieht Christus, der Herzog der Seligkeit, noch heute überall ein, wo man ihm auftut. O wohl allen, die ihm auftun! Doch das führt mich auf das Zweite, was uns Christi einstmaliger Einzug durch die Tore Jerusalems an der Schwelle eines neuen Kirchenjahres lehrt.

 

2.

    Wie sich nämlich ein jeder nach dem Zustand seines Herzens gegen den in Wort und Sakrament wieder einziehenden Heiland zu verhalten habe.

    Werfen wir nochmals einen Blick auf den feierlichen Zug, der uns in unserem heiligen Evangelium begegnet, so unterscheiden wir darin deutlich zwei verschiedene Chöre. Der erste Chor besteht nämlich aus den Jüngern, welche Christus schon auf seinen Wanderungen begleitet hatten und mit ihm eben von Galiläa ankamen. Was tun nun vorerst diese? Erstlich, sie verlassen jetzt Christus nicht, obgleich ihnen derselbe auf dem Weg bereits wiederholt vorausverkündigt hatte, dass es nun in Leiden und Tod gehe. Sie schließen sich jetzt im Gegenteil nur desto inniger an Christus an. Und nicht nur dies, sie zeigen sich auch eifrig, Christi Willen in allem zu erfüllen. Christus sendet sie, etwas zu tun, was vor der Vernunft höchst töricht zu sein schien; sie weigern sich nicht; eilends gehen sie. Sie begleiten aber Christus nicht nur selbst, sondern suchen auch, so viel sie vermögen, Christi Einzug bei anderen zu fördern; sie heben Christus auf das herbeigebrachte Lasttier, unterlegen ihm ihre Kleider, gehen als seine Herolde ihm voraus und, laut ihn bekennend als den König, der da komme sollte, und ihn laut lobend und preisend, reizen sie so auch andere, Christus zu erkennen und aufzunehmen.

    Seht da, ihr Lieben, dir ihr bis heute schon mit Christus gewandert seid, wie vorerst ihr euch gegen den wieder einziehenden Heiland zu verhalten habt. Das Erste, was von euch gefordert wird, ist, dass ihr doch Christus, zu dem ihr euch bisher gehalten habt, nicht etwa nun im neuen Jahr verlasst. Und warum solltet ihr das auch? Müsst ihr nicht bekennen, dass ihr, so lange ihr es mit Christus gehalten habt, von ihm nur Gutes empfangen, nur Liebe erfahren, nur Friede und Freude im Heiligen Geist genossen und es bei ihm besser gehabt habt als bei der Welt? O, vergesst doch nun auch dies nie und schaut nicht lüstern wieder zur Welt zurück, ihren Gütern, Freuden und Ehren; ihr würdet es sonst zeitlich und ewig bereuen; sondern bleibt bei ihm, wenn ihr auch nach den Stunden der Freude hienieden noch manches Trauerstündlein, ja, eine ganze Marterwoche erfahren müsstet; bleibt bei ihm, dem treuen Heiland, bis er euch bracht hat zum ewigen Vaterland. Doch, wie die Jünger nicht nur im Glauben bei Christus blieben, sondern auch in immer brünstigerer Liebe ihm immer eifriger und williger dienten, so auch ihr. Gelobt es heute dem HERRN, dass ihr euch im neuen Kirchenjahr ihm ganz widmen, von den alten euch noch immer anklebenden und träge machenden Sünden euch im neuen Kirchenjahr mehr losmachen und in der Heiligung des Geistes größeren Eifer beweisen wollt. Das gelobt heute und bittet ihn um Gnade, euer Gelübde zu halten. Wie aber einst die lieben Jünger nicht allein an sich dachten, sondern auch an die, welche Christus noch nicht erkannten und seine Gnade noch nicht genossen, und daher alles taten, was sie vermochten, Christi Einzug in Jerusalem zu fördern und das tote Volk zu beleben und zu entzünden und in ihre geistliche Freude und in ihren Jubel über Christus und seine Gnade hineinzuziehen: so auch ihr. Bedenkt, wie viele noch ohne Erkenntnis Christi nicht nur unter den armen Heiden, sondern auch um und neben euch dahin gehen, wie viele daher täglich durch den zeitlichen Tod in den Abgrund eines ewigen Todes fallen und verloren gehen! Darum lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und den Vater im Himmel mit euch preisen. Hebt für die, welche noch in Finsternis und Schatten des Todes sitzen, fleißig eure Hände zu Gott und betet mit Ernst: „HERR, dein Reich komme“; tut aber auch eure milden Hände auf, damit Christi Boten in die unwirtlichen Wildnisse der irrenden Schafe hinaus gehen und dieselben herzuholen können, und die Eine Herde unter dem Einen Hirten immer größer, der Jubel der erlösten Schar immer lauter und der Name des HERRN in allen Landen immer herrlicher werde, und der Tag bald erscheine, wenn Christus allem Jammer ein Ende machen und mit den Seinen triumphierend einziehen will durch die Perlentore des ewigen Jerusalems zur ewigen königlichen Hochzeit in dem Haus seines himmlischen Vaters.

    Doch, meine teuren Zuhörer, bei dem einstmaligen Einzug Christi durch die Tore des irdischen Jerusalems finden wir außer dem Chor der Jünger, welche bis dahin schon bei Christus gewesen waren, noch einen zweiten Chor von Teilnehmern an dem herrlichen Einzug, die bis dahin von Christus fern geblieben waren.

    Was hören wir aber nun von diesen? Wir hören von ihnen, als sich in Jerusalem die Kunde von dem Nahen des HERRN verbreitet, verlassen sie eilends die Stadt und gehen Christus entgegen, und sobald sie ihn erblicken, huldigen sie ihm sogleich als ihrem wahren König, breiten ihm ihre Kleider auf den Weg, schmücken denselben, so gut sie vermögen, mit Palmenzweigen und Maien und stimmen endlich in die Jubelchöre der Jünger laut jauchzend ein.

    Hier hört nun endlich ihr, wie ihr euch gegen den wieder einziehenden Heiland verhalten sollt, die ihr nicht sagen könnt, dass euer voriges Leben und besonders das verflossene Kirchenjahr eine Zeit der Wanderung mit Christus gewesen ist, die ihr vielmehr gestehen müsst, dass ihr in dem vorigen Jahr euch wenig oder nichts um Christus gekümmert, mehr euch selbst als Christus gedient, mehr irdische Güter und Freuden und Ehren als Christi Gnade gesucht habt. Wie? Solltet ihr in diesem traurigen Zustand auch im neuen Kirchenjahr bleiben wollen? Ohne die Gnade und ohne das Wohlgefallen Gottes, ohne Frieden des Gewissens und ohne Freude des Heiligen Geistes, ohne Hoffnung des ewigen Lebens und ohne Gewissheit der Seligkeit? Solltet ihr auch im neuen Kirchenjahr die Sorge für eure unsterbliche Seele hintansetzen und vor allem für euren sterblichen Leib und die vergänglichen, nichtswürdigen Dinge dieser Welt und für die veränderliche Gunst der Menschen sorgen, die Staub und Asche sind und endlich mit all ihrer Herrlichkeit verfaulen? Nein, nein, das sei ferne! Schon ist in dieser Morgenstunde an euer Ohr die Kunde gedrungen: „Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig!“ O, lasst diese Kunde auch in euer Herz dringen. Auf, auf, euer König, der schon so oft zu euch kam und den ihr immer abwiest, siehe, heute kommt er in Wort und Sakrament wieder zu euch; verlasst das sündenvolle und friedlose Jerusalem dieser Welt und eilt im Geist hinaus, wo die Jünger Christi mit Christus einher ziehen. Zieht die Kleider eurer eigenen Gerechtigkeit eilends aus und legt sie Christus zu Füßen; das heißt, erkennt euch für nackte, arme, verlorene Sünder und werft euch Christus zu den Füßen, bereitet ihm den Weg in euer Herz mit den Palmenzweigen brünstiger Gebete und mit den Maien aufrichtiger Seufzer und Tränen, aber nehmt ihn auch als euren Gnadenkönig im Glauben an und huldigt ihm und stimmt mit allen gläubigen Jüngern auch ein in das brausende Hosianna, damit diese heute in aller Welt ihn begrüßen und beglückwünschen. O selig, selig seid ihr, die ihr dem noch jetzt in dem Zion der neutestamentlichen Kirche erschallenden Adventsruf folgt! Euch tut sich das neue Kirchenjahr wie ein lachendes Tal auf, durch das ihr wandern sollt, an dessen Ende ein von der Sonne der Gnade vergoldeter Berg liegt, auf welchem die himmlische Stadt leuchtet mit für euch Tag und Nacht offenen Toren.

    Auf denn, ihr alle, meine geliebten Zuhörer, lasst uns uns gegenseitig die Hände reichen und gemeinsam, Christus in unserer Mitte, die schöne Wanderung antreten und wie mit Einer Stimme rufen: „Hosianna dem Sohn Davids; gelobt sei, der da kommt, ein König, im Namen des HERRN! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Amen. Amen.

 

Evangelienpredigt zum zweiten Sonntag im Advent ueber Lukas 21,25-36: Von der rechten Vorbereitung des Christen auf das Hereinbrechen des Juengsten Tages

 

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Solange es eine Christenheit in der Welt gibt, so hat es auch Menschen gegeben, welche geglaubt haben, dass das Ende der Welt nahe sei. Zu allen Zeiten ist das der Welt verkündigt worden, aber wohl zu keiner Zeit mehr als in der unsrigen. Besonders in den USA sind ganze Sekten aufgestanden, die von nichts anderem predigen als davon, dass der HERR nun bald in den Wolken des Himmels kommen werde, zu richten die Lebendigen und die Toten. Diese Sekten haben sich jedoch nicht damit begnügt, von einer baldigen Erscheinung Christi zum Gericht zu predigen, sie hat auch in schwärmerischer Einbildung den Tag wiederholt angegeben, an welchem jenes große Ereignis erfolgen werde. Diese Schwärmer sind freilich mit allen ihren Zeitbestimmungen zuschanden geworden; die festgesetzten Termine sind vorübergegangen, und der Lauf der Welt geht fort wie zuvor.

    Was ist nun geschehen? Die Welt ist dadurch nur desto frecher geworden und nun nur in einen desto tieferen Schlaf der Sicherheit verfallen. Überall jubelt und jauchzt man nun, dass die Bibel und das Christentum eine neue große Niederlage erlitten und die Vernunft einen glänzenden Sieg davongetragen habe. Seht, rufen nun ungläubige Prediger und Zeitungsschreiber ihren Zuhörern und Lesern zu, seht, es ist nichts mit den Weissagungen der Schrift, der Apostel und Propheten; alle die Tage, an welchen die Welt untergehen sollte, sind verstrichen, und die Welt steht noch. Lasst darum nur euer Vertrauen auf eure Bibel fahren; ihre Prophezeiungen sind Träume einer aufgeregten Phantasie. Seht, in welche Narrheiten jetzt viele geraten sind und in welches Unglück sie sich dadurch gestürzt haben, dass sie so zuversichtlich die Erfüllung der biblischen Vorausverkündigungen erwarteten!

    Aber, meine Lieben, lasst euch hierdurch nicht irre machen. Nicht Gott mit seinem heiligen Wort, sondern nur Menschen mit ihren Träumen sin d zu Spott und Schanden geworden. Nirgends ist in der Heiligen Schrift der Tag und die Stunde bestimmt, wann Christus wiederkommen wird. Im Gegenteil sagt der HERR deutlich und bestimmt: „Von dem Tag aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel nicht im Himmel, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.“ Und an einer anderen Stelle verwirft er daher alles Forschen danach als etwas Unziemliches und Unchristliches und spricht: „Es gebührt euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat.“

    Vergeblich bürdet also die ungläubige Welt dem Evangelium das auf, was der Vorwitz törichter Menschen verschuldet hat. Aber das ist der Welt Art; missbrauchen sündige Menschen das göttliche Wort und entstehen daraus Sünden, Verkehrtheiten und Unglück, so rufen sie: Seht da, das sind die Früchte eures so hochgepriesenen Christentums!

    Aber mögen sie immer fortfahren, die Liebhaber der Lüge, mit solchen in das Gift der Lüge getauchten Pfeilen wider die christliche Kirche zu streiten. Alle Lüge wird endlich offenbar und zuschanden werden, aber die christliche Wahrheit wird und muss siegen. Mag das Ende dieser Welt immerhin nicht gekommen sein an den Tagen, an welchen es nach menschlicher trüglicher Berechnung eintreten sollte; dass ein solcher Tag doch einmal anbrechen werde, das steht fest. Dass jetzt so viele falsche Weltuntergangspropheten aufgetreten sind, das ist geschehen durch Wirkung des Satans; eben dadurch sucht er die arme Welt immer sicherer und sicherer zu machen, in einen geistlichen Todesschlaf zu versenken und sie zu überreden, dass das Wiederkommen Christi eine lächerliche Fabel sei. Bald wird der Satan sein Ziel erreicht haben; denn wenn nach den vielen unerfüllten falschen Prophezeiungen alle Welt mit den Jüngsten Tag nur ihre Kurzweil treiben und sagen wird: Er kommt nicht; lasst uns essen, trinken und fröhlich sein! Dann wird er kommen, schnell und plötzlich, und alles unbereitet finden; in einem unvorhergesehenen Augenblick wird er auf einmal da sein; da wird Christus erscheinen, die Posaune ertönen, die Toten werden erwachen, die ganze Welt im Feuer stehen, alle Gottlosen heulen und die Frommen, verklärt, hoch in den Lüften zur Rechten des Sohnes Gottes schweben. O, dass dieser Augenblick uns alle recht gerüstet und vorbreitet finden möchte!

    Wie wir uns nun hierauf vorzubereiten haben, davon spreche ich jetzt unter Gottes Beistand zu euch. Lasst uns ihn darum anrufen usw.

 

Lukas 21,25-36: Und es werden Zeichen geschehen an der Sonne und Mond und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein und werden zagen; und das Meer und die Wasserwogen werden brausen. Und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen. Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so seht auf und hebt eure Häupter auf, darum dass sich eure Erlösung naht. Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht an den Feigenbaum und alle Bäume! Wenn sie jetzt ausschlagen, so sehet ihr’s an ihnen und merket, dass jetzt der Sommer nahe ist. Also auch ihr, wenn ihr dies alles seht angehen, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist. Wahrlich, ich sage euch, dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dass es alles geschehe. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht. Aber hütet euch, dass eure Herzen nicht beschweret werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnell über euch; denn wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen. So seid nun wacker allezeit und betet, dass ihr würdig werden mögt, zu entfliehen diesem allem, was geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn.

 

    Nach diesem verlesenen Evangelium lasst mich jetzt zu euch sprechen:

 

Von der rechten Vorbereitung des Christen auf das Hereinbrechen des Jüngsten Tages

 

    Sie besteht nach unserem Text in dreierlei,

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Er soll auf die demselben vorhergehenden Zeichen fleißig merken,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Er soll sich hüten, sein Herz mit dem Irdischen zu beschweren, und

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Er soll nicht müde werden, zu wachen und zu beten.

 

1.

    Gott hat es, meine Lieben, aus großer Liebe so eingerichtet, dass es kein Mensch weiß, was ihm in Zukunft, ja nicht, was ihm in der nächsten Stunde begegnen werde; denn wüsste der Mensch im Voraus, dass es ihm wohlgehen werde, so würde er dadurch sicher und stolz werden; wüsste er hingegen alles sein Unglück voraus, so würde er auch in glücklichen Umständen verzagt sein. Obgleich daher dem Menschen offenbart hat, dass er einmal sterben müsse, so hat er doch die Stunde des Todes vor seinen Augen verborgen. Doch hat uns Gott gewisse Zeichen gegeben, durch welche wir stets an die Gewissheit unseres erfolgenden Todes erinnert werden und an welchen wir seine Nähe erkennen können. Der Mensch wird täglich älter und älter, er sieht, wie schnell die Jugendzeit schwindet, die Kräfte abnehmen, Wange und Haar verbleichen, Sehen und Hören ihre Schärfe verlieren, der Rücken sich beugt, die Hände zu zittern beginnen, immer mehr Krankheiten den Körper aussagen und wie so die Frucht seines Lebens zum Abfallen immer reifer und reifer wird; dies alles sind fortwährende Zeichen und Vorboten des Todes.

    Eine ähnliche Bewandtnis hat es auch mit dem Jüngsten Tag. Er ist ebenso gewiss, wie unsere Todesstunde; Christus spricht daher in unserem Text die Beteuerung aus: „Wahrlich, ich sage euch, dies Geschlecht“, nämlich das jüdische Volk, „wird nicht vergehen, bis dass es alles geschehe. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht.“ Wann aber der Tag dieses Weltuntergangs sei, das weiß keine Kreatur das steht allein geschrieben in den verborgenen Büchern der geheimen göttlichen Ratschlüsse. Gott hat jedoch in seinem offenbarten Wort Zeichen angegeben, an denen der Christ die Nähe dieses großen Tages erkennen kann. Davon spricht Christus in unserem Evangelium: Und es werden Zeichen geschehen an der Sonne und Mond und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein und werden zagen; und das Meer und die Wasserwogen werden brausen. Und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen.“ Dass aber diese merkwürdigen außerordentlichen Erscheinungen in der sichtbaren Natur und in der Menschenwelt lauter Zeichen sind, auf welche der Christ merken muss, als auf Vorboten der Nähe des HERRN, dies sagt er selbst, indem er hinzusetzt: „Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so seht auf und hebt eure Häupter auf, darum dass sich eure Erlösung naht.“

    Es entsteht daher nun die Frage: Was ist von jenen Zeichen zu halten? Sind sie schon geschehen oder sind sie noch zu erwarten? Die christlichen Ausleger sind hier verschiedener Meinung. Einige meinen nämlich, jene Zeichen würden erst kurz vor dem Ende der Welt, vielleicht ein Jahr, vielleicht nur kurze Tage und Stunden zuvor eintreten; da werden Sonne, Mond und Sterne ihren Schein verlieren, das Meer brausen und seine Ufer verlassen, die Erde hin und wieder erbeben, die Sterne ihre Bahnen ändern und unter den Menschen Angst und Verzweiflung herrschen. Diese Auslegung stimmt jedoch, wie es scheint, nicht mit dem ganzen Zusammenhang der Heiligen Schrift.

    Christus gibt nämlich selbst, um uns in dem Verständnis seiner Worte zu Hilfe zu kommen, das Gleichnis in unserem Text: „Seht an den Feigenbaum und alle Bäume. Wenn sie jetzt ausschlagen, so seht ihr’s an ihnen und merkt, dass jetzt der Somme nahe ist; also auch ihr, wenn ihr dies alles seht angehen, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.“ Hieraus müssen wir schließen, dass die Zeichen des Jüngsten Tages langsam erfolgen sollen, wie der Frühling sich allmählich entwickelt und das Grünen und Ausschlagen der Bäume und das Aufbrechen ihrer Knospen und Blüten nur nach und nach, keineswegs aber wie mit einem Zauberschlag geschieht.

    Wir dürfen daher keineswegs meinen, dass die in unserem Evangelium beschriebenen Zeichen noch nie dagewesen und daher alle erst noch zu erwarten seien. Wohllassen sich noch immer in jedem Jahr neue sehen, aber die meisten liegen schon hinter uns und sind bereits durch alle Jahrhunderte der christlichen Zeit hindurch schon erfolgt. Schon oft sind Sonne, Mond und Sterne vor den Augen der Menschen verfinstert worden, schon oft hat die Menschen Bangigkeit und Zagen ergriffen, schon Unzählige sind vor Furcht und Erwartung der kommenden Dinge verschmachtet, das Meer hat schon oft greulich getobt und die Erde gezittert, als wollte sie bersten; dies alles hat daher den Menschen schon oft laut zugerufen: Wacht auf, ihr Schläfer! Das Ende naht.

    Wohl ist es wahr, dass die Astronomen und Naturforscher die natürlichen Ursachen solcher auffallenden Erscheinungen oft nachweisen können, sie sind und bleiben aber darum nichtsdestoweniger von Gott uns gegebene Zeichen des nahen Umsturzes und der Zerstörung des ganzen großen Weltgebäudes. Denn ist es nicht Gott, der die Welt regiert, der den Mond vor die Sonne führt, dass diese uns verdeckt und ihr Licht uns entzogen wird und dergleichen? Bedenkt, wenn wir gleich die natürlichen Ursachen unserer Krankheiten sehen, sind und bleiben sie nicht dem ungeachtet Vorboten unseres gewiss erfolgenden Todes? So hat nun auch die Welt schon 2000 Jahre gleichsam gesiecht und gekränkelt, die Sonne, das Auge der Welt, hat schon oft, so zu sagen, das Licht und die Sehkraft verloren und in dem ganzen großen Körper der Welt sind schon krampfhafte Zuckungen entstanden; dieses alles zeigt uns an, dass die Todesstunde der Welt vor der Tür sei.

    Mögen es daher die Ungläubigen immer als einen Aberglauben verlachen, dass die Christen in den auffallenden natürlichen Erscheinungen Gottes Sprache zu vernehmen glauben, so lasst ihr euch dadurch nicht stören, die ihr glaubt an Gottes heiliges Wort. Bereitet euch vielmehr auf die große bevorstehende Veränderung der ganzen Schöpfung auch dadurch täglich vor, dass ihr ernsthaft merkt auf die Zeichen der Zeit. Lernt Gott immer besser verstehen, so oft er durch allerhand schreckliche, ungewöhnliche Vorfälle in der Welt zu uns deutlich redet. Glaubt es, es ist bereits genug geschehen, es sind bereits genug Vorboten da, noch heute könnte daher Christus erscheinen, noch der heutige Tag könnte der Jüngste Tag, der Tag der Auferstehung, der Tag des Weltgerichts sein. Schon zur Zeit der Apostel durften die Christen nicht sicher sein; schon da waren viele Zeichen geschehen; aber da vor Gott tausend Jahre sind wie ein Tag und ein Tag wie tausend Jahre, so hat sich die Zeit noch 2000 Jahre durch Gottes Geduld verzogen. Jetzt aber, da nun auch der geweissagte große allgemeine Abfall geschehen und auch der Antichrist offenbart ist, jetzt dürfen wir keinen Augenblick mehr sicher sein, noch ehe wir diese Kirche verlassen, ja, schon im nächsten Augenblick kann Christus wie ein Blitz aus heiterem Himmel hervorbrechen, schon im nächsten Augenblick können Himmel und Erde in Flammen und Gottes Richterstuhl vor unseren Augen stehen.

 

2.

    Hört daher nun von dem zweiten Stück der Vorbereitung hierzu, welche darin besteht, dass sich der Christ auch ernsthaft hüten soll, sein Herz mit dem Irdischen zu beschweren. Denn Christus fährt in unserem Evangelium so fort: Aber hütet euch, dass eure Herzen nicht beschweret werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnell über euch.“

    Darin besteht also zwar nicht etwa die rechte Vorbereitung auf den Jüngsten Tag, dass man seinen irdischen Beruf verlässt, nicht mehr arbeitet, sondern allein betet, oder dass man alle seine irdische Habe verkauft und sie unter die Armen austeilt. Das sei ferne! Eben darum hat uns Gott Zeit und Stunde nicht offenbart, dass wir, so lange nicht Gott selbst den Schauplatz dieser Welt zerstört, in unserem Beruf bleiben, unsere Pflichten gegen die Unsrigen und überhaupt gegen unseren Nächsten fort und fort erfüllen und uns von Christus, wenn er wieder kommen wird, auf dem Posten finden lassen sollen, wohin er uns in dieser Welt gestellt hat.

    Nicht das Essen und Trinken und nicht das treue Besorgen dessen, was zu unseres Leibes Nahrung und Notdurft gehört, ist es, was Christus verbietet, sondern das Beschweren des Herzens mit diesen Dingen.

    Du, der du in Essen und Trinken deinen Himmel auf Erden suchst; der du lieber deiner Seele als deinem Leib eine Pflege, Nahrung und Erquickung abschlägst; der du lieber das Brot des Lebens, das Wort Gottes, entbehrst, als an dem irdischen Brot Mangel leidest; der du darauf ausgehst, stets ein ruhiges, behagliches, vergnügliches Leben zu führen; der du daher Gott gerne seinen Himmel ließest, wenn er dir nur immer auf Erden Gesundheit, Geld und gute Tage bescherte; der du dich so mit niedlichen Speisen voll füllst, dass du untüchtig wirst, deine Seele zu Gott zu erheben, oder dich so mit starken Getränken berauschst, dass dein Blut erhitzt wird und deine Zunge lallt: Du bist es, der vor Gott sein Herz mit fressen und Saufen beschwert, wenn du es auch vielleicht nicht denkst. Und du, der du dir vorgenommen hast, reich zu werden, ein Kapitel nach dem anderen zurückzulegen, oder dien Geschäft immer mehr zu erweitern, oder dir ein Haus zu bauen; und der du nun mit diesen Gedanken aufstehst und dich niederlegst; der du dich mit diesen deinen irdischen Plänen beschäftigst, wo du gehst und stehst; der du mit Begierde in die Zukunft blickst und mit Freude schon im Geist siehst, wie alle deine immer größeren Wünsche erfüllt sein werden: Du bist es, der sein Herz mit Sorgen der Nahrung beschwert. Ach, wie viele mag es unter uns geben, die in dieser Beschreibung ihren Zustand, ihr Leben, Sinnen und Wesen finden, und ganz gute Christen zu sein vermeinen!

    Heiß0t das aber, sich auf den Hereinbruch des Jüngsten Tages vorbereiten? O, wahrlich nicht! Wer so handelt, der glaubt gewiss nicht ernsthaft, dass jener große Tag ihm jeden Augenblick bevorstehe; ein solcher denkt gewiss in seinem Herzen: Mein Herr kommt noch lange nicht.

    Ja, ihr alle, die ihr jetzt einen großen Teil unserer Gemeinde ausmacht, deren Herz fast immer mit Gedanken und Sorgen für die Zukunft erfüllt ist, die ihr bei eurem kleinen Geschäft in eurem Gemüt ebenso wohl von euren kleinen Spekulationen eingenommen seid, wie die Besitzer der ungeheuersten Summen, die ihr von Verlangen nach immer größerem Gewinn brennt und euch mehr über die Lebhaftigkeit des Geschäfts vor dem Christfest als über das himmlische Geschenk freut, um welches willen dieses Fest gefeiert wird; o ihr irdisch gesinnten Seelen, ihr beschwerten Herzen, wie schlecht seid ihr bereit auf das nahe Ende dieser Welt! Ihr sprecht, ihr glaubt, dass Gott bald Himmel und Erde mit Feuer verzehren werde, und doch klammert ihr euch immer fester an das Irdische an! Ihr sprecht, ihr glaubt, dass Christus noch heute kommen könne, Gericht zu halten, und doch sorgt ihr nicht nur für den anderen Morgen, sondern sogar auf lange Jahre hinaus! O, wie täuscht ihr euch doch selbst! Wenn es heute noch hieße: „Der Bräutigam kommt, auf, ihm entgegen“, so würde euch das eine Schreckenspost sein; zwischen euch und den Weltkindern würde kein Unterschied sein; ihr würdet eure Häupter nicht freudig emporheben, darum, dass sich eure Erlösung naht; der Weltuntergang würde euch der Untergang aller eurer Hoffnung und alles eures Glücks sein, denn ihr setzt eure Hoffnung nicht auf Christus, sondern auf den ungerechten Mammon. Wollt ihr denn in solchem elenden Zustand verharren? Wollt ihr fort und fort euer Herz voll sein lassen vom Irdischen, dass das Hmmlische darin keinen Platz findet? Wollt ihr denn nicht anfangen, die Welt zu verlassen, ehe sie euch verlässt? O, kehrt um, erkennt euren Irrweg, er führt zur Verdammnis, wenn ihr auch sonst ehrbar lebt; reißt euch los und sucht die himmlischen Güter der Gnade in Christus; dann mag der letzte Tag der Welt kommen heute oder morgen, so werdet ihr nicht erschrecken, sondern fröhlich sein und eingehen zu ewiger Freude und Seligkeit.

 

3.

    Damit dies aber geschehe, ruft uns allen Christus endlich noch zu: „Wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen. So seid nun wacker allezeit und betet, dass ihr würdig werden mögt, zu entfliehen diesem allem, was geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn.“ Wachen und Beten ist also das dritte Stück der Vorbereitung auf das Hereinbrechen des Jüngsten Tages.

    Christus sagt nämlich, der Jüngste Tag werde kommen wie ein Fallstrick über alle, die auf Erden wohnen. Ein Fallstrick wird aber dahin gelegt, wo man es am wenigsten vermutet; ungehindert meint das Wild, seinen gewöhnlichen weg wie immer fortsetzen zu können, und siehe! Unversehens tritt es in den Fallstrick und ist gefangen. Wo du daher gehst und stehst, da sollst du wachen und beten, o Christ; allenthalten sollst du daran denken: Hier liegt vielleicht der Fallstrick, vor dem dich Christus gewarnt hat; hier ist vielleicht der Ort, wo Christus dir erscheinen und wo er dich abholen will in sein ewiges Reich.

    Christus sagt ferner, er werde erscheinen wir ein Blitz; ein Blitz naht aber nicht langsam, sondern schneller, als unser Auge folgen kann, zuckt er von einem Ende des Himmels bis zum anderen. So schnell wird also die große Veränderung geschehen sein. Da wird keine Zeit sein, erst noch um Gnade zu seufzen, eine Zeit, sich zu bekehren, keine Zeit, sich vorzubereiten. Darum wacht und betet jetzt, dass ihr dann schon gerüstet seid.

    Christus spricht aber auch endlich, er werde kommen wir ein Dieb in der Nacht. Ein Dieb aber meldet nicht vorher an, dass er um diese oder jene Stunde kommen werde. Christus wird also kommen, da es niemand meint; der Tag seiner Zukunft wird sich von den anderen Tagen nicht unterscheiden; die Sonne wird ebenso heiter aufgehen wie sonst; der Mensch wird an jenem großen Morgen mit denselben Hoffnungen sein Lager verlassen wie sonst; man wird an seine Arbeit gehen, man wird essen und trinken, man wird lachen und scherzen, man wird fluchen, toben und lästern, man wird sündigen wie sonst; es wird alles seinen gewöhnlichen Gang haben, wie sonst. Niemand wird denken: Heute kommt der HERR; man wird vielmehr denken: Heute ist’s, wie es gestern war, und morgen und übermorgen und fort und fort wird es sein, wie es heute ist; und siehe, während alles wie ein Rad sich unaufhaltsam bisher drehte, da wird urplötzlich alles still stehen, in einem Augenblick wird Gottes Sohn vor aller Menschen Augen sich darstellen, aller Orten und Enden werden die heiligen Engel erscheinen, Gottes schmetternde Posaune in aller Ohren schallen und Berg und Tal und Meer sich öffnen und alle Toten werden auferstehen – wie? ist es daher nicht nötig, dass wir wachen und beten, damit wir jeden Augenblick würdig seien, zu entfliehen diesem allen, und bereit, zu stehen vor des Menschen Sohn?

    O, meine teuren Zuhörer, wenn wir die Lehre von dem Jüngsten Tag nur recht fest und ohne Zweifel glaubten, wie viel wachsamer, wie viel eifriger im Gebet, wie viel ernsthafter in unserem ganzen christlichen Wandel würden wir sein! So bittet denn Gott selbst, dass er euch einen tiefen unauslöschlichen Eindruck davon gebe; setzt darüber eure Betrachtungen nach Anleitung des Wortes Gottes auch zu Hause fort; befehlt jeden Augenblick eure Seele im Glauben eurem barmherzigen Heiland, so werdet ihr auch, ihr mögt dann wachen oder schlafen, arbeiten oder ruhen, lachen oder weinen, doch durch Christus würdig sein, vor ihm zu stehen. Er tue es an uns allen um seiner Liebe willen. Amen.

 

 

Evangelienpredigt zum dritten Sonntag im Advent ueber Matthaeus 11,2-10: Dass Jesus wahrhaftig der Messias ist, der da kommen sollte

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben unserem teuren Heiland, geliebte Brüder und Schwestern!

    „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?“ So ließ nach dem Bericht unseres heutigen Sonntagsevangeliums Johannes der Täufer Christus fragen; Christus sollte also sagen, ob er nicht ein bloßer weiser Mann oder ein bloßer Prophet oder sonst ein bloßer Gesandter Gottes sei, sondern ob er wirklich der Messias sei, der nach den Weissagungen aller Propheten des Alten Bundes kommen sollte, und auf welchen das ganze gläubige Israel nun schon so lange sehnlichst gewartet habe.

    Die Frage geht, meine Lieben, auch uns an; sie war nicht nur einst für die Juden zur Zeit Christi von höchster Wichtigkeit, sondern sie ist dies auch für uns noch heute. Es ist nicht genug, dass wir nur glauben, Jesus sei ein großer Wohltäter der Menschheit, der Stifter einer neuen vortrefflichen Religion oder auch ein Heiland der Welt und der wahrhaftige Sohn Gottes gewesen; soll unser Glaube festgegründet sein, so müssen wir auch wissen und ohne allen Zweifel glauben, dass Christus eben der und kein anderer als der schon den Vätern des Alten Testamentes Verheißene war, kurz, der von allen rechtgläubigen Juden erwartete Messias oder Erlöser der Welt.

    Das Christentum ist auf das Judentum gegründet und daraus als aus seinem Stamm wie ein ästereicher, fruchtbringender Baum hervorgewachsen; das Neue Testament beruht auf dem Alten; dieses enthält die Verheißung, jenes die Erfüllung. Wäre daher das alte Judentum und die Bücher des Alten Testaments, worin es enthalten ist, falsch, so wären auch das Christentum und die Bücher des Neuen Testaments, worin dieses niedergelegt ist, falsch. Fällt das eine, so fällt auch das andere. Daher spricht Christus bei Johannes im fünften Kapitel: „Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben. So ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?“

    Glauben wir daher nicht, dass Christus eben der Messias sei, der da kommen sollte, eben der Same Abrahams, in welchem gesegnet werden sollen alle Geschlechter der Erde, der von den Juden einst und noch heute erwartete König Israels und Erretter der Menschen, so glauben wir entweder an gar keinen Christus oder an einen falschen. In der Zeit des Alten Testaments reichte es zur Seligkeit hin, überhaupt zu glauben, dass Gott den Menschen durch einen Messias oder Erlöser helfen wolle, in der Zeit des Neuen Testaments aber, nachdem Jesus in die Welt gekommen ist, ist es zu unserem Heil unbedingt nötig, dass wir glauben, dass dieser Jesus der Christus sei, der da kommen sollte. Diese Wahrheit, Jesus ist der Messias, ist die Scheidewand zwischen den Christen und den jetzigen Juden; sie ist auch der Grund unserer Hoffnung und Seligkeit. Daher spricht Petrus von dem Namen Jesu: „Und ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden.“ Und daher spricht auch Johannes in seinem ersten Brief: „Wer da glaubt, dass Jesus sei der Christ, der ist von Gott geboren.“

    Ich zweifele nun gar nicht, dass ihr alle, die ihr diese Kirche zu besuchen pflegt, die Lehre für wahr haltet, dass Jesus eben der sei, der da kommen sollte; aber Petrus verlangt von Christen noch mehr als eine solche Überzeugung; er spricht: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in euch ist.“ Um euch nun zu solcher Bereitschaft und Fertigkeit behilflich zu sein, lasst mich euch heute über jene Lehre einen zwar kurzen, aber möglichst gründlichen und vollständigen Unterricht erteilen.

 

Matthäus 11,2-20: Da aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörte, sandte er seiner Jünger zwei und ließ ihm sagen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr seht und hört: Die Blinden sehen, und die Lahmen gehen; die Aussätzigen werden rein, und die Tauben hören; die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, der sich nicht an mir ärgert. Da die hingingen, fing Jesus an zu reden zu dem Volk von Johannes: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her webt? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist denn ein Prophet. Denn dieser ist’s, von dem geschrieben stehet: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.

 

   Johannes der Täufer war ohne Zweifel fest überzeugt, dass Jesus der Messias sei. Er konnte hierin nicht wankend werden, denn Gott hatte zu ihm gesagt: „Über welchen du sehen wirst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, derselbe ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft.“ Und Johannes sah dies, da er Jesus taufte, und er hörte zugleich dabei die Stimme Gottes vom Himmel: „Das ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.“ Daher predigte er auch: „Bereitet dem HERRN den Weg. Er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Johannes ließ daher keineswegs um seinetwillen, sondern um seiner noch schwachen Jünger willen Jesus fragen: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?“ Diese Frage kommt jetzt auch uns zugute; denn Christus hat sie in unserem Evangelium in einer Weise beantwortet, dass wir daran unseren Glauben mächtig stärken können. Ich zeige euch hiernach jetzt:

 

Dass Jesus wahrhaftig der Messias ist, der da kommen sollte

 

    Wir sehen dies nämlich unwidersprechlich nach unserem Text

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Aus den Werken, die er vollbracht hat,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Aus der Lehre, die von ihm gepredigt worden ist,

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Aus den Schicksalen, mich welchen seine Erscheinung auf erden verbunden war, und endlich

4.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Aus der Familie, dem Ort und der Zeit, in welcher er geboren wurde.

 

1.

    Um darüber gewiss zu werden, ob Jesus wirklich der Messias sei, der da kommen sollte, dazu gibt es keinen anderen Weg als diesen, dass wir darüber das Alte Testament um Rat fragen. Dahin weist daher auch Christus die Juden und spricht: „Sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie ist’s, die von mir zeugt.“ Darauf nämlich kommt es bei dieser Sache allein an, ob das in Jesus wirklich eingetroffen ist, was die Propheten von dem zukünftigen Messias vorausgesagt haben. Ist Jesus wirklich so beschaffen, wie die Propheten den Messias schildern, sehen wir die von dem Messias ausgesprochenen Weissagungen, Verheißungen und Hoffnungen in Jesus wirklich erfüllt, dann ist er auch unwidersprechlich die Person, die da kommen sollte, und wir dürfen nun auf keinen anderen warten.

    Das Erste nun, wodurch sich nach den Propheten der Messias auszeichnen und zu erkennen geben sollte, sind seine außerordentlichen Wunderwerke. Dass diese ein unerlässliches Kennzeichen des Messias seien, das war zu Christi Zeit eine unter allen Juden unbestrittene Sache. Daher kam es, dass nicht nur das Volk, sondern auch die Pharisäer und Schriftgelehrten Christus so oft aufforderten, es durch Zeichen und Wunder zu beweisen, dass er der Messias wirklich sei.  Denn so schreibt unter anderem der Prophet Jesaja im 35. Kapitel seiner Weissagungen: „Sagt den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht euer Gott kommt zur Rache (nämlich für die Unbußfertigen); Gott, der da vergilt, kommt und wir euch helfen (nämlich den Bußfertigen). Alsdann werden der Blinden Augen aufgetan werden und der Tauben Ohren werden geöffnet werden. Alsdann werden die Lahmen löcken wie ein Hirsch, und der Stummen Zunge wird sagen.“

    Dieses alles ist buchstäblich in Jesus erfüllt worden. Auf jene Frage des Johannes des Täufers antwortete er daher in unserem Evangelium: „Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr seht und hört; die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören und die Toten stehen auf.“ Damit, will Christus sagen, beweise ich es, wer ich bin; seht, ich schaffe neue Augen; Menschen, vor deren Seele von Geburt an die Schöpfung in Nacht gehüllt war, geht durch meine Hand endlich der Tag auf; getrennte Glieder fügen sich wieder zusammen; erstorbene Hände regen sich auf meinen Wink mit neuem Leben; gelähmte Füße springen plötzlich auf; verschlossene Ohren öffnen sich, laut ertönen vorher gebundene Zungen und alle Krankheiten weichen, ja, auf meinen Befehl fliehen die bösen Ge9ster, die Teufel verlassen die lange bewohnten Seelen der Besessenen, und die Toten steigen lebend wieder aus ihren Gräbern.

    Weit entfernt daher, dass Christus auch nur das Geringste übriggelassen haben sollte, was nach den Weissagungen der Schrift durch den Messias geschehen sollte, so hat er im Gegenteil alle Weissagungen und darum auch alle Erwartungen noch weit übertroffen. Er hat allein mehr Wunder getan, als alle Propheten zusammengenommen, und Werke verrichtet, die bisher unerhört waren; so dass einstmals ein Israelit voll Verwunderung ausrief: „Von der Welt an ist es nicht gehört, dass jemand einem geborenen Blinden die Augen aufgetan habe.“

    Hierzu kommt noch dieses Besondere, dass Christus nicht nur selbst Wunder tat, sondern auch die Macht, in seinem Namen Wunder zu tun, anderen erteilte, die sie wieder anderen mitzuteilen die Gewalt empfingen. In dem unserem Text vorhergehenden Kapitel heißt es: „Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unsauberen Geister, dass sie dieselben austrieben, und heilten allerlei Seuche und allerlei Krankheit.“ Diese Gabe, die Wunderkraft mitzuteilen, hatte kein Prophet. Als Elisa seinem Diener Gehasi gebot, seinen Stab auf des toten Knaben Antlitz zu legen, da erwachte er noch nicht; der Prophet musste erst selbst kommen. Noch weniger aber konnten die Apostel und Propheten in ihrem eigenen Namen Wunder tun oder die Gabe, dieselben in ihrem Namen zu tun, anderen mitteilen. Vielmehr rief Petrus, als alles Volk mit Verwunderung auf ihn sah, nachdem er einen Lahmen gesund gemacht hatte, in heiligem Eifer dem Volk zu: „Was wundert ihr euch darüber? Oder was seht ihr auf uns, als hätten wir diesen wandeln gemacht durch unsere eigene Kraft oder Verdienst? Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat sein Kind Jesus verklärt; und durch den Glauben an seinen Namen hat er an diesem, den ihr seht und kennt, bestätigt seinen Namen.“ Seht da, in seinem eigenen Namen konnte allein Jesus Wunder tun, und er offenbarte damit, dass er dieselben verrichte in seiner eigenen Kraft.

    O, wie fröhlich, getrost und zuversichtlich können wir daher das Geschwätz der Ungläubigen verachten, die Christus zu einem bloßen weisen Menschen machen wollen, dessen Weisheit daher wohl für seine Zeit hervorragend gewesen sei, die aber von jetzigen noch aufgeklärteren Männern verbessert werden müsse! Tretet auf, ihr Weisen dieser Welt, und versiegelt eure Weisheit auch, wie Christus, mit solchen göttlichen Wunderwerken! – Aber ihr Ohnmächtigen könnt nur hoffärtig reden, aber mit nichts euch als Prediger der Wahrheit beglaubigen. Darum wird Christi besiegeltes Wort ewig bleiben, und eure Worte werden verwehen, wie der Staub eurer Leiber.

 

2.

    Doch, hätte sich Christus nur durch Wunder ausgezeichnet, so würden wir daraus noch nicht vollkommen gewiss werden können, dass er der Messias wirklich sei, der da kommen sollte. Wir gehen daher weiter, denn wir sehen dies auch zweitens aus der Lehre, die von ihm gepredigt worden ist. Es ist nämlich auch die besondere Beschaffenheit seiner Lehre schon von den Propheten vorausverkündigt worden. Nach deutlichen Aussprüchen des Alten Testaments sollte der Messias eine ganz andere Lehre führen als Mose, der Mittler des Alten Bundes. Mose sprach nach seiner Lehre nur denen die Seligkeit zu, die das Gesetz vollkommen erfüllen würden; weil aber dies kein Mensch tut, so verkündigte sein Amt allen Tod und Verdammnis. Daher heißt es im 5. Buch Mose, am Ende des 27. Kapitels: „Verflucht sei, wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt, dass er danach tue.“ Von Christus wird hingegen durchgängig geweissagt, dass zu seiner Zeit allen Verschmachteten Erquickung, allen Betrübten Trost, allen Sündern Gnade angeboten werden würde. So spricht unter anderem der Evangelist des Alten Testaments, Jesaja: „Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen“, das heißt, er wird nicht poltern mit Gesetzesdonner. „Das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Er wird nicht mürrisch noch greulich sein.“ An einer anderen Stelle führt derselbe Prophet den Messias so redend ein: „Der Geist des HERRN HERRN ist über mir, darum hat mich der HERR gesalbt“, das heißt, zum Messias oder zum Gesalbten gemacht. „Er hat mich gesandt, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden; zu Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden; zu predigen den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen eine Öffnung; zu predigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen Tag der Rache unseres Gottes; zu trösten alle Traurigen.“ Daher spricht auch Zephanja: „Alsdann“, nämlich zur Zeit des Messias, „will ich den Vätern anders predigen lassen mit freundlichen Lippen, dass sie alle sollen des HERRN Namen anrufen und ihm dienen einträchtig.“

    Seht hier das Bild, welches die Propheten von der Lehre des Messias entworfen haben. Vergleichen wir nun hiermit die Lehre, die von Jesus gepredigt worden ist, finden wir da nicht in ihm die wahre Erfüllung? Er beruft sich selbst darauf in unserem Text, indem er zu seinen Wunderwerken hinzusetzt: „Und den Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Was ist aber das Evangelium? Es ist kein neues Gesetz, nicht eine neue, reine und strenge Moral, nicht eine Lehre von den Werken, die wir tun sollen, nicht eine predigt von der Verdammnis für Sünder, sondern es ist eine Gnadenpredigt, es ist die fröhliche Botschaft, dass Jesus die Sünder annimmt, dass, wer an ihn glaubt, selig werden soll, es ist ein Herzulocken der Elenden und Irrenden und ein Trösten und Aufrichten der Gefallenen und Erschrockenen.

    Nun hat zwar Christus auch das Gesetz ausgelegt, aber das war nicht seine eigentliche Predigt; dies tat er als ein Prophet, um die Sicheren zu erwecken, den Selbstverblendeten und Selbstgerechten ihre Sünden zu zeigen, die harten Herzen zu zerschlagen und zu erweichen und so die Menschenfähig zu machen für den Trost, den er ihnen bringen wollte. Seine eigentliche Amtspredigt war das tröstliche Evangelium. Sein Zuruft an die Menschen war: „Kommt her alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken, und bei mir sollt ihr Ruhe finden für eure Seelen“; und den Inhalt seiner ganzen Lehre gibt er mit den Worten an: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

    Dieselbe Lehre gebot daher auch Christus seinen Jüngern zu predigen, da er die Welt verließ. Er spricht zu ihnen: „Geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ Und was erklären daher auch die Apostel, als Diener und Gesandte Jesu, für den eigentlichen Inhalt der ihnen aufgetragenen Lehre? Sie sprechen: „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“

    Es ist sonach unwidersprechlich: Jesus hat auch durch seine Lehre sich als der Messias bestätigt, der da kommen sollte. Dass er aber dies sei, das sehen wir fernen drittens aus den Schicksalen, mit welchen seine Erscheinung auf Erden verbunden war.

 

3.

    Darauf weist Christus selbst in unserem Text mit den Worten hin: „Selig ist, der sich nicht an mir ärgert.“ Es stehen nämlich in den Propheten viele Beschreibungen des Messias als eine großen Königs mit großer Herrlichkeit; darauf sahen daher die Juden am meisten und das tun sie noch jetzt, und weil sie diese Herrlichkeit des messianischen Reiches von einer leiblichen verstehen, so meinten sie einst und meinen sie noch jetzt, Jesus könne der Messias nicht sein. Aber, o entsetzliche, bedauerungswürdige Verblendung! Dass jene prachtvollen Schilderungen nicht von einer irdischen Herrlichkeit zu verstehen sein können, sehen wir daraus, dass die Schicksale des Messias auf dieser Welt zugleich als höchst kläglich beschrieben werden. Darum ruft Christus aus: „Selig ist, der sich nicht an mir ärgert“; denn schon Jesaja hat von ihm geschrieben: „Viele werden sich über ihn ärgern, weil seine Gestalt hässlicher ist als anderer Leute, und sein Ansehen als der Menschenkinder.“

    Welche Schicksale sind es aber, die von dem Messias vorausverkündigt werden? David sagt von ihm im 118. Psalm, er sei der Stein, den die Bauleute verworfen und der zum Eckstein geworden sei; das ist von den Juden geschehen. Der 41. Psalm sagt, der Freund, dem er sich anvertraute, der sein Brot aß, werde ihn mit Füßen treten; das ist von dem Verräter Judas geschehen. Der 22. und 69. Psalm sagt, er werde verspottet und mit Galle und Essig getränkt werden in seinem großen Durst, man werde ihm Hände und Füße durchgraben, über seine Kleider das Loos werfen, er werde einem Wurm gleich sein und keinem Menschen, und sich von Gott verlassen klagen; Jesaja sagt, er werde seinen Rücken darhalten denen, die ihn schlagen, und seine Wangen denen, die ihn raufen, sein Angesicht werde er nicht verbergen vor Schmach und Speichel. Er werde keine Gestalt noch Schöne haben, er werde der Allerverachtetste und Unwerteste sein, dass man sein Angesicht vor ihm verbergen und ihn nichts achten werde; er werde den Übeltätern gleich gerechnet, gemartert, verwundet und zerschlagen werden; aber wie ein Schlachtschaf verstummen und endlich wie ein Gottloser begraben werden. Sacharja sagt ferner, man werde ihn für dreißig Silberlinge verkaufen und seine Seite zerstechen; der HERR Zebaoth werde sagen: „Schwert, mache dich auf über meinen Hirten und über den Mann, der mir der nächste ist; schlage den Hirten, so wird die Herde sich zerstreuen.“ Endlich sagt auch Daniel, „Christus werde ausgerottet werden und nichts mehr sein.“

    Doch finden wir auch Weissagungen von dem Sieg des Messias und dem endlichen herrlichen Ausgang seiner so tiefen Erniedrigung. Jesaja sagt, wenn er sein Leben werde zum Schuldopfer gegeben haben, so werde er Samen haben und in die Länge leben; dies bestätigt der 16. Psalm, nach welchem des Messias Fleisch sicher liegen, seine Seele nicht in der Hölle gelassen und nicht verwesen solle. Hierzu kommen noch andere Weissagungen Davids im 68. und 110. Psalm, dass der Messias in die Höhe fahren und das Gefängnis gefangen führen und sich setzen werde zur Rechten Gottes. Das Ganze aber beschließen Joel und alle Propheten mit der Verkündigung, dass der Messias dann vom Himmel den Heiligen Geist ausgießen und alle Völker in sein Reich berufen und diese ihm anhangen würden.

    Nun sagt, ist nicht diese alles in der Person Jesu von Nazareth wörtlich in Erfüllung gegangen, so dass es, man möchte sagen, auch ein Blinder sehen muss? Reden nicht alle seine Schicksale laut: Dieser Jesus ist wahrhaftig der Messias, der da kommen sollte? Finden wir nicht in Jesus das Bild des Messias wieder, auch da, wo es die Propheten bis auf die kleinsten und geringsten Züge seiner Lebensumstände entworfen haben? An welcher Person ist das noch einmal geschehen? – O, dass Gott dem verblendeten Israel die Augen auftun und sie erkennen lassen möchte, dass dieser Sohn Davids das Heil sei, nach welchem sie schmachten! Dass sie ausrufen möchten: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN!“

 

4.

    So kommen wir denn nun auf das letzte Kennzeichen, aus welchem wir ersehen können, dass Jesus der sei, der da kommen sollte; wir erkennen dies nämlich viertens auch aus der Familie, dem Ort und der Zeit, in welcher er geboren wurde. Ich kann mich hierbei umso kürzer fassen, da ihr hiervon bereits in der letzten Adventswochenpredigt gehört habt.

    Deutlich ist in den Schriften des Alten Testaments die Familie angegeben, aus welcher der Messias abstammen solle. Mit jedem Jahrhundert offenbarte dies Gott immer deutlicher. Zuerst wurde der Messias als ein Sohn Adams verheißen, hierauf unter seinen Söhnen der Familie Sets, sodann unter den Söhnen Noahs der Familie Sems, ferner unter Sems Nachkommen dem Abraham, Isaak und Jakob, und unter den zwölf Söhnen Jakobs dem Juda und seinem Stamm; und als sich auch dieser Stamm immer weiter und weiter ausbreitete, so gab endlich Gott dem David, dem Sohn Isais aus Bethlehem, die Verheißung, dass sein Geschlecht das auserwählte sein und ein Zweig aus der Wurzel Isais Frucht bringen werde für alle Völker und Zeiten. Endlich tat Jesaja auch noch dieses hinzu, dass eine Jungfrau aus der königlichen davidischen Verwandtschaft die auserkorene Mutter des Heilandes sein sollte. Dass nun dies alles in Jesus erfüllt ist, bedarf keines Beweises. Die Geschlechtsregister, die uns im Alten wie im Neuen Testament aufbewahrt sind, beweisen dies unwidersprechlich.

    Wo aber der Messias das Licht der Welt erblicken sollte, dies sagt Micha; dieser spricht: „Und du Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir kommen, der in Israel Herr sei, welches Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.“ Nicht umsonst steht hier das Wort Ephrata noch bei Bethlehem, denn es gab noch ein anderes Bethlehem im Stamm Sebulon. Wir können also gewiss sein, das Kindlein zu Bethlehem und kein anderes ist es, das Gott uns geschenkt, an das wir glauben und durch das wir selig werden sollen.

    Das Letzte endlich, was uns von dem Messias offenbart ist, ist die Zeit, in welcher er erscheinen sollte. Diese geben uns nämlich Jakob, Haggai und Daniel so deutlich an, dass auch der mindeste Zweifel verschwinden muss. Jakob sagt nämlich erstlich: „Es wird das Zepter von Juda nicht entwendet werden, noch ein Meister von seinen Füßen, bis dass der Held komme; und demselben werden die Völker anhangen.“ Wenn also Juda das Zepter oder die Herrschaft werde verloren haben, dann werde der Verheißene kommen. Haggai sagt ferner, dass aller Heiden Trost kommen müsse, wenn der zweite Tempel noch stehen werde, und endlich sagt Daniel, von dem Befehl an, dass Jerusalem wieder gebaut werden solle, bis zu Christus seien es noch siebzig Wochen, nämlich prophetische Jahrwochen oder 490 Jahre.

    Hieraus ist es denn unwiderleglich gewiss: Der Messis muss gekommen sein, denn schon beinahe 2000 Jahre liegt der zweite Tempel in Schutt und Asche, das Zepter Judas ist dahin und jene 70 Jahrwochen sind nun schon ebenso lange im Meer der Ewigkeit.

    Darum lasst uns fröhlich sein! Unser Glaube an Jesus ist keine Täuschung; er ist dem Gold gleich; je schärfer er geprüft wird, desto heller und klarer erscheint er. Gott ist treu in seinen Verheißungen. O, lasst uns nur alle fest daran halten, so werden wir auch nicht zuschanden werden, sondern einst nach treuem Kampf des Glaubens gelangen zum ewigen Anschauen.

    Das helfe uns allen Jesus Christus, der gekommen ist, selig zu machen das Verlorene! Amen.

 

Evangelienpredigt zum vierten Advent ueber Johannes 1,19-28: Die rechte Beschaffenheit unseres Zeugnisses von Jesus Christus

 

    Gnade, Barmherzigkeit und Friede von Gott, unserem Vater, und dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der Wahrheit und in der Liebe sei mit uns! Amen.

 

    Geliebte in dem HERRN Jesus!

    Nie hat Jesus Christus erst eines menschlichen Zeugnisses bedurft, um zu beweisen, dass er wirklich Gottes Sohn und der Menschen Heiland und Seligmacher sei. Dass er dies sei, davon konnte er selbst sein unumstößliches göttliches Zeugnis ablegen; und er hat es abgelegt ebenso durch seine Worte wie durch seine Taten. Wenn er redete, so redete er gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten, und offenbarte mit seinen Worten nicht nur das, was noch in ferner Zukunft lag, ja, nicht nur den heimlichen Rat menschlicher Herzen, sondern auch den verborgenen ewigen Ratschluss des unsichtbaren und unerforschlichen Gottes, der weder in eines Menschen, noch in eines Engels Herz je gekommen war; und davon spricht er: „Wir reden, das wir wissen, und zeugen, das wir gesehen haben.“ Christus ist nicht bei den Weisen dieser Welt in die schule gegangen, sondern in niedriger Stille aufgewachsen, und hat doch eine Weisheit verkündigt, die alle Gelehrten aller Zeiten, wenn sie auch nicht daran glaubten, doch bewundert und als unübertrefflich angestaunt haben. Christus beurkundete damit selbst, dass er der eingeborene Sohn sei, der in des Vaters Schoß ist. Ein gleich unumstößliches Zeugnis gaben aber auch seine großen göttlichen Wunderwerke, so dass er auf die Frage: „Bist du, der da kommen soll?“ ohne weiteren Beweis mit den Worten antworten konnte: „Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt.“ „Ich habe“, konnte er sein, „ein größeres Zeugnis als des Johannes Zeugnis; denn die Werke, die mir der Vater gegeben hat, dass ich sie vollende, dieselben Werke, die ich tue, zeugen von mir.“ Das größte aber aller Zeugnisse von Jesus, wovor der Unglaube schamrot werden muss und worauf der Glaube sich unbeweglich gründen kann, das ist das Zeugnis, welches Gott selbst gezeugt hat von seinem Sohn. Denn so schreibt der Evangelist Matthäus: „Da Jesus getauft war, stieg er bald heraus aus dem Waser; und siehe, da tat sich der Himmel auf über ihm. Und Johannes sah den Geist Gotts, gleich wie eine Taube, herabfahren und über ihn kommen. Und siehe, – eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich W0hlgefallen habe.“ – Was bedürfen wir weiter Zeugnis?

    So gewiss es aber auch ist, meine Zuhörer, dass derjenige, welcher Zeugnis bekam vom Himmel, ein solches von der Erde nicht bedufte, noch bedarf: so würden wir uns doch sehr irren, wenn wir meinten, dass auch wir eines menschlichen Zeugnisses von Jesus nicht bedürfen, und dass es Christi Wille nicht sei, dass wir Menschen ihn bekennen. Nein, meine Geliebten, Gott hat nicht nur das Predigtamt dazu eingesetzt und Menschen übertragen, dass durch dasselbe ein immerwährendes Zeugnis der Menschen von Christus gestiftet sei; niemand soll auch denken, dass es genug sei, den Glauben an Christus in seinem Herzen zu haben; diejenigen, welche Christen sein wollen, sollen auch „Lichter in dem HERRN“ sein, die vielen leuchten; sie sollen Städte sei, die gebaut sind auf hohen Bergen und niemandem verborgen bleiben. „So du“, spricht der Apostel Paulus, „mit deinem Mund bekennst Jesus, dass er der HERR sei, und glaubst in deinem Herzen, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du selig. Denn so man von Herzen glaubt, so wird man gerecht, und so man mit dem Mund bekennt, so wird man selig.“ Und Jesus Christus selbst ruft uns zu: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich wieder verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“

    Erkennt hieraus, meine Zuhörer, wie notwendig es sei, dass auch ein jeder von uns ein gutes Zeugnis von Jesus Christus ablege, da wir außerdem seine Jünger nicht sein, noch das ewige Leben ererben können.

    Nicht jedes Zeugnis von Christus aber ist auch das rechte; da liegt die Täuschung gar nah; nicht jeder „HERR, HERR“-Sager ist auch der rechte Bekenner des Namens Jesu Christi; hier ist eine ernstliche Prüfung nötig. Da uns nun unser heutiges Evangelium Gelegenheit zu einer solchen Prüfung gibt, so lasst uns in der Furcht Gottes in gegenwärtiger Stunde eine solche Prüfung des rechten Zeugnisses von Christus miteinander anstellen.

    (Es liegt dies dem heutigen Tag, dieser versammelten Gemeinde, wie mir selbst umso näher, da ich, wie euch bewusst ist, heute diese heilige Stätte betreten habe, ein Zeugnis meines Glaubens vor euch abzulegen.)

    Lasst uns zuvor Gott im stillen Gebet um seinen Gnadenbeistand anrufen, wenn wir miteinander werden gesungen haben (Dresdner Gesangbuch) 225,9.

 

Johannes 1,19-28: Und dies ist das Zeugnis des Johannes, da die Juden sandten von Jerusalem Priester und Leviten, dass sie ihn fragten: Wer bist du? Und er bekannte und leugnete nicht; und er bekannte: Ich bin nicht Christus. Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elia? Er sprach: Ich bin’s nicht. Bist du ein Prophet? Und er antwortete: Nein. Da sprachen sie zu ihm: Was bist du denn? dass wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben. Was sagst du von dir selbst? Er sprach: Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Richtet den Weg des HERRN! wie der Prophet Jesaja gesagt hat. Und die gesandt waren, die waren von den Pharisäern und fragten ihn und sprachen zu ihm: Warum taufst du denn, so du nicht Christus bist noch Elia noch ein Prophet? Johannes antwortete ihnen und sprach: Ich taufe mit Wasser; aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Der der nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist, des ich nicht wert bin, dass ich seine Schuhriemen auflöse. Dies geschah zu Bethabara, jenseits des Jordans, da Johannes taufte.

 

    Die Zeit, meine Zuhörer, in welcher der Messias nach den Weissagungen der Propheten erscheinen sollte, war gekommen und schonerwartete das Volk, unter dem Druck der römischen Herrschaft seufzend, den lange Verheißenen mit großem Verlangen. Da geschah es, dass Johannes der Täufer in einer den Meisten rätselhaften Gestalt unter dem jüdischen Volk auftrat: Angetan mit einem Kleid von Kamelhaaren, einem ledernen Gürtel um seine Lenden, sich nährend von Heuschrecken und wildem Honig, tauft und predigt er in der Wüste und lässt sich oft mit den Worten vernehmen: „Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ Es gehen zu ihm hinaus „die Stadt Jerusalem und das ganze jüdische Land und alle Länder an dem Jordan“; sie hören seine erschütternden Ermahnungen zur Buße, sie lassen sich von ihm taufen und bekennen ihre Sünden. So beginnt denn das Volk in seinem herzen nach und nach dem Gedanken immer mehr Raum zu geben: „ob Johannes vielleicht Christus wäre“. – Dieses alles und besonders die Besorgnisse wegen dieser Meinung des Volks von Johannes lenkten bald die Aufmerksamkeit des Hohen Rats zu Jerusalem, welcher in Sachen der Religion zu entscheiden hatte, auf denselben. Man beschloss daher, eine Gesandtschaft an Johannes selbst abgehen zu lassen, und zwar eine Gesandtschaft von Predigern und Leviten, welche zu der Sekte der bei dem Volk hoch stehenden Pharisäern gehörten. Diese sollten den Beruf und das eigentliche Amt des Johannes untersuchen und ihm eine Erklärung über sich selbst öffentlich vor allem Volk abverlangen. Es geschah; - und unser heutiges Evangelium führt uns den Erfolg dieser Gesandtschaft vor. Johannes legt nämlich darin, von sich selbst abweisend, ein herrliches Zeugnis von Jesus Christus ab, ein Zeugnis, welches gewiss uns allen zu einem nachahmungswürdigen Muster dienen kann. Lasst mich daher nach Anleitung dieses unseres Textes euch jetzt vorstellen:

 

Die rechte Beschaffenheit unseres Zeugnisses von Jesus Christus

 

    Wir untersuchen:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wovon man zeugen müsse, oder des Zeugnisses rechten Inhalt, und sodann

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie man zeugen müsse, oder des Zeugnisses rechte Weise

 

    HERR Jesus Christus, der du unser barmherziger Hoherpriester und Fürsprecher für uns bist bei deinem Vater, wenn unsere Sünden uns bei ihm verklagen, wir bitten dich, lehre uns, wie auch wir wieder von dir zeugen und dich so bekennen können, dass deine Ehre und unseres Nächsten Heil daraus erwachse. Lehre du es uns, wir wissen es nicht; lehre es uns aus deinem Wort und mache mich aus Gnade in dieser Stunde zu der Stimme, durch welche du zu uns redest, du großer Prediger, und mache alle diese Zuhörer zu lebendigen und gesegneten Zeugen deiner Herrlichkeit und Gnade durch Worte und Werke. Ach, HERR; erhöre uns um dein selbst willen. Amen.

 

1.

    Fragen wir, meine Zuhörer, zuerst danach, was unser Zeugnis von Christus denn eigentlich enthalten müsse, oder wofür wir Christus bekennen müssen, so sagt uns dies Johannes der Täufer durch seinen Vorgang klar und deutlich. Ich mache euch hierbei nur vorerst auf die Worte aufmerksam, wenn er in unserem Text von Christus so spricht: „Der ist es, der nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist, des ich nicht wert bin dass ich seine Schuhriemen auflöse!“ Welche Sprache, meine Zuhörer! – „Der nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist!“ Ist es nicht uns allen bekannt, dass Johannes älter war als Jesus? Wie konnte er da von Christus sagen, dass er vor ihm gewesen sei? – Aus keinem anderen Grund, als aus welchem der HERR selbst von sich spricht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe denn Abraham war, bin ich!“ Seht also in jenen Worten ein herrliches Zeugnis des Täufers davon, dass Jesus Christus nicht ein bloßer geschaffener Mensch, sondern das Wort sei, welches schon im Anfang war, als Gott Himmel und Erde erst schuf; dass er der ewige Sohn Gottes, des Allerhöchsten sei. – Johannes bekennt aber weiter, dass er jene stimme eines Predigers in der Wüste sei: „Richet den Weg des HERRN!“ wovon schon der Prophet Jesaja geweissagt habe: Damit bezeugt er ferner unumwunden, dass Jesus Christus der verheißene HERR, oder nach der Ursprache Jahwes, sei, der in das Fleisch kommen sollte, der Messias und Heiland aller Welt, der „von welchem alle Propheten gezeugt haben, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen“. Johannes legt also von Christus ein herrliches Doppelzeugnis ab, nämlich erstens, dass Christus der Gottmensch sei, und sodann, dass er der verheißene Heiland sei.

    Das ist ein schönes Muster für alle, welche auch noch heute Christus bekennen wollen. Soll hiernach unser Zeugnis vorerst dem Inhalt nach recht beschaffen sein, so kommt es auf zwei Stücke an: Ob wir nämlich recht von Christi Person und ob wir recht von seinem Amt zeugen.

    Der Hauptgrund, meine Lieben, warum wir überhaupt Christus vor der Welt bekennen sollen, ist, weil sie, wie Johannes von den Pharisäern sagt, ihn nicht kennt und ihn verleugnet; damit nämlich doch Christus bekannt und geehrt und, wo es nur möglich ist, ihm Seelen gewonnen werden mögen. Nun leugnet aber nicht leicht jemand, dass Christus ein wahrer Mensch, gewiss auch nicht, dass er ein guter und weiser Mensch gewesen sei, ein großer Prophet Gottes, der eine Lehre lehrte, so vollkommen, wie sonst kein Mensch. Das, sage ich, verleugnet wohl nicht leicht jemand. Aber daran ärgert sich die Welt, dass dieser Jesus, dieser verachtete Jesus, der in der Krippe lag, der nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegen konnte, und endlich schimpflich und schmachvoll am Kreuz starb, dass dieser „der HERR der Herrlichkeit, der wahrhaftige Gott und das ewige Leben, der Gott über alles, gelobt in Ewigkeit“ sein soll; und dass er nicht gekommen sei, uns nur die Tugend zu lehren, sondern uns durch sein Leiden und Sterben vom zeitlichen und ewigen Tod zu erlösen; dass allein der Glaube an ihn, das Vertrauen aufs ein teuer erworbenes Verdienst uns gerecht und selig machen könne. (Der Gekreuzigte ist es, meine Freunde, der noch heute allen Jüdisch-Selbstgerechten ein Ärgernis und allen Heidnisch-Selbstklugen eine Torheit ist.) Das , das ist es, was die Welt hauptsächlich verleugnet, und das ist es daher auch, was ein wahrer Christ von Jesus Christus vor der Welt bekennen soll.

    Davon müssen wir Zeugnis ablegen, dass wir Christus für mehr als einen Menschen, ja, für mehr als alle Engel und Erzengel halten; für den HERRN, für den Jahwe, vor dem Johannes hergehen musste, ihm den Weg zu bereiten; für den, der ewig ist und eher war als alle, die vor ihm leiblich geboren wurden; für den, vor dem sich alle Propheten, j, auch der, der mehr war als ein Prophet, nämlich Johannes,, beugen musste und sich nicht wert achten durfte, ihm die Schuhriemen aufzulösen; für den eingeborenen Sohn des lebendigen Gottes. Bekennen müssen wir aber dann auch die Wahrheit seiner Wunder, die Wahrheit seiner siegreichen Auferstehung und Himmelfahrt, die Gewissheit seines Sitzens zur Rechten des Vaters und seines Kommens zum Gericht. Bezeugen müssen wir, dass wir von Herzen glauben, „dass in keinem anderen Heil, auch kein anderer Name den Menschen gegeben sei, darinnen sie sollen selig werden“, als allein der teure Name Jesu. Bezeugen müssen wir endlich, dass Christus wahrhaftig die Sünder annimmt, dass wir bei ihm wahrhaftig Vergebung der Sünden, den Trost des Heiligen Geistes, die Gewissheit unserer Seligkeit, eine wahrhafte Ruhe unserer Seelen, ja, alles, alles bei ihm finden, was den Menschen hier und dort, in Zeit und Ewigkeit ganz befriedigen und glücklich und selig machen kann.

    Wenn dies der Inhalt unseres Bekenntnisses von Christus ist, dann ist es biblisch, dann ist es recht beschaffen, dann können wir das tröstliche Vertrauen zu der Kraft des göttlichen Wortes haben, dass es, wie das Zeugnis des Johannes, Christus Jünger zuführen und zu seiner Ehre gereichen werde, und dann dürfen wir endlich auch hoffen, dass Christus auch uns einst wieder bekennen werde vor seinem himmlischen Vater. O, welch unaussprechliche Gnade ist das, dass ein Sünder dem anderen zurufen kann: Freue dich, Gott ist ein Mensch geworden, er will unser Heiland sein, denn wer an ihn glaubt, soll ewig selig werden! Ist einem Menschen ein großes irdisches Glück widerfahren, dass er noch nicht weiß, o, wie gern will da jeder der Erste sein, der ihm die fröhliche Botschaft hinterbringt! Welche Freude sollte es uns daher sein, die allerfröhlichste Botschaft auszubreiten, wo wir nur können, dass Christus gekommen ist, die Schuldigen zu begnadigen, die Verlorenen zu erretten, ja, alle Sünder selig zu machen!

 

2.

    Aber, meine Zuhörer, bisher haben wir nur von dem rechten Inhalt unseres Zeugnisses von Christus gehört; zur rechten Beschaffenheit desselben gehört auch zweitens, dass es auf die rechte Weise geschehe. Auch dies lasst uns an dem Beispiel Johannes‘ des Täufers in unserem Text zu erkennen suchen.

    „Ich taufe mit Wasser“ spricht er, „aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt.“ „Den ihr nicht kennt“, spricht er; er will damit im Gegenteil sagen, den aber ich kenne. Ja, wohl kannte er ihn, und zwar im Glauben. Nicht Fleisch und Blut, sondern der Vater im Himmel hatte es ihm offenbart, dass Christus wahrhaftig sein lieber Sohn sei, an welchem er Wohlgefallen habe, und dass er das Lamm Gotte sei, das der Welt Sünde trägt. Dies wusste er; er hatte es erfahren; darum drang es ihn, des allezeit und allerwärts zu bekennen. – Aber hierzu war er auch berufen. Er tut dies nicht nach eigener Wahl oder in sträflichem Vorwitz. Und dies zu beweisen, verteidigt Johannes in unserem Text seinen Beruf, indem er darauf hinweist, dass er jene Stimme in der Wüste sei, von welcher einst Jesaja geweissagt habe. Und als man ihn fragt: „Warum taufst du denn, so du nicht Christus bist, noch Elia, noch ein Prophet?“ so antwortet er: „Ich taufe mit Wasser.“ Er will sagen: Ich taufe nur auf Befehl, nicht als der HERR, sondern als der Diener und Vorläufer Christi; ich gebe nur das Wasser, aber Christus kann allein durch dieses Wasser mit seines Geistes Gabe und Gnade kräftig sein.

    Diese eigene Erfahrung, dieser eigene lebendige und herzliche Glaube an Jesus Christus, und dieser gewisse Beruf, welchen der Täufer, von Christus zu zeugen, hatte: Dies beides wirkte in ihm die rechte Weise, Christus zu bekennen. Er hatte die göttliche Hoheit seines Meisters und seine eigene Niedrigkeit erfahren; er wusste, dass auch er, wie alle Menschen, nur durch das Opfer Jesu Christi vor Gott bestehen könne; dies machte ihn erstlich so demütig, dass er gern nicht mehr sein wollte, als er war, nämlich nur eine Stimme Gottes in der Wüste, der durch ihn, als sein Werkzeug, redete; er wollte nicht jener Elia oder jener Prophet, welche man damals mit Christus zugleich erwartete, viel weniger Christus selbst sein; ja, er erklärte: „Ich bin nicht wert, dass ich seine Schuhriemen auflöse“; er achtete sich also selbst dazu für viel zu gering, Christus die geringsten Sklavendienste zu tun. Wie gering muss er da erst von allen seinen anderen guten Werken gedacht haben! Er hatte aber auch erfahren die Liebe Jesu Christi, und so war denn diese auch in seinem Herzen ausgegossen, dass er ihn bekennen musste, damit doch alle zu Christus kommen und ´durch ihn selig werden möchten.

    Gab nun dem Johannes sein Glaube an Christus die rechte Demut und Liebe zu seinem Bekenntnis von ihm, so gab ihm sein Beruf auch den rechten Gottesmut dazu, dass er ebenso wenig die Lockungen wie Drohungen der Welt achtete. Das Volk hielt ihn für Christus und war bereit, ihn als solche anzuerkennen und mit ihm Hand anzulegen zur Gründung seines herrlichen messianischen Reiches; die Vornehmen aber hassten sein Zeugnis und sannen auf sein Verderben. – Was tat er? Des Volkes Gunst verachtete er und bedachte, dass ihm Gott unvergleichlich mehr gab als alle Welt ihm bieten konnte, und gegen den Hass der Großen vertraute er auf den, der ihn berufen hatte und der ihm gegen alle Verfolgungen mächtig zur Seite stand; und so bekannte er denn beides unverhohlen gegen das Volk: „Ich bin nicht Christus!“ und setzte unerschrocken gegen die Pharisäer hinzu: Aber „Der ist es, der nach mir kommen wird; der mitten unter euch getreten ist, den ihr nicht kennt.“

    Wollt ihr nun, meine Zuhörer, dies alles, was wir hier von Johannes gehört haben, auf euch anwenden, so lernt daraus Folgendes: Vor allem erkennt, dass es nicht nur darauf ankommt, dass man den rechten und ganzen Christus bekenne, sondern dass man auch selbst ein rechter Bekenner sei. Man kann, sehen wir hieraus, manches Gute und Wahre, ja, lauter Gutes und Wahres von Christus sagen und dennoch vor Gott mit seinem ganzen Zeugnis verwerflich sein. „Ich glaube, darum rede ich!“ muss man mit Johannes dem König David nachsprechen können. Wer seinen Mund zum Bekenntnis Christi vor der Welt öffnen will, der muss den lebendigen Glauben an ihn im Herzen haben. Sonst wird er gleich sein einem tönenden Erz und einer klingenden Schelle, von denen zwar ein lieblicher Klang ausgehen kann, die aber in sich selbst leer und ohne Leben sind. Man würde die Torheit begehen, anderen etwas anpreisen zu wollen, was man selbst der Annahme nicht wert achtet.

    Wer glaubt aber an Christus? Derjenige, meine Zuhörer, der nicht nur den Zeugnissen glaubt, welche wir von Christus in dem göttlichen Wort des Alten wie des Neuen Testamentes finden, sondern [auch dem Heiligen Geist nicht widerstrebt hat, als der ihn seiner Ohnmacht gegenüber Gott, seiner abgrundtiefen Verdorbenheit, der Nichtigkeit seiner eigenen Gerechtigkeit überführte und daher von sich wegsah und im herzlichen Vertrauen auf sein Evangelium Christus und dessen Gerechtigkeit aufnahm, ergriff als den, der auch seine Sünden auf sich nahm, auch für sie das vollkommene Lösegeld bezahlte, Gott auch mit ihm versöhnte und so auch ihm Vergebung der Sünden, Frieden mit Gott und ewiges Leben erworben hat.][2] Wer dies[ im Glauben ergriff][3], als er, seine Schuld vor Gott erkennend, sich zu Gott in Demut wandte, im Verlangen nach Gnade und Befreiung von seinen Sünden: Der glaubt an Christus, der ist und nur der ist fähig, ein gutes Zeugnis von Christus abzulegen.

    Wollen wir nun dies, so müssen wir uns prüfen, ob Christus unser Ein und Alles geworden sei, ob wir mit den Aposteln den Christusfeinden wirklich zurufen müssen: „Wir können es ja nicht lassen, dass wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört“ und erfahren haben; es dringt uns nämlich unsere Liebe zu Christus und zu unseren Brüdern, die mit uns erlöst sind, zu bekennen, wie gut wir’s bei Jesus haben, und sie einzuladen, dass doch auch sie an ihn glauben und bei ihm finden möchten, was sie hier und dort selig machen kann. Gewiss, dann werden wir uns überall, ebenso unter den Unwissenden wie unter den Spöttern, für den ohne eitle Streitlust bekennen, der uns mit seinem Blut erworben hat; wir werden dabei nicht das unsrige suchen, sondern des Nächsten Heil und Seligkeit. Und wie sollten wir dann dabei nicht demütig sein, da wir ja, wenn wir Christus recht bekennen, auch gestehen, dass wir bei ihm Vergebung der Sünden, Gnade, Barmherzigkeit erlangt haben! Gewiss, wir werden es uns anmerken lassen, dass wir uns über niemanden erheben, sondern nur gern alle mit uns gerettet sehen möchten.

    Wie aber, endlich, meine Zuhörer, den Täufer sein Beruf zum Zeugen von Christus so freudig und unerschrocken machte, dass er, im Bewusstsein, in Gottes Diensten zu stehen, gern der Welt den Dienst aufsagte und sich nicht fürchtete vor ihrem Trotzen und nicht erschreckte: So muss es auch mit uns stehen, wenn wir unseren HERRN und Heiland vor seinen Feinden oder Freunden bekennen.

Ohne Furcht und ohne Grauen

Soll ein Christ,

Wo er ist,

Stets sich lassen schauen.

Wollt ihn auch der Tod aufreiben,

Soll der Mut

Dennoch gut

Und fein stille bleiben.

So sang einst Paul Gerhardt, der teure Bekenner Jesu Christi; und so sollen wir auch singen können. Dies können wir aber nur dann, wenn wir wissen: Gott ist mit uns, wenn uns Gott sendet und dann das Zeugnis, was wir ablegen, eigentlich nicht unser, sondern Gottes, des Heiligen Geistes, Zeugnis in und durch uns ist. Ein unberufenes Zeugnis ist, es scheine, wie es wolle, immer ohne Liebe, denn die Liebe kommt von dem, der beruft; ohne Demut, denn es geschieht in eigener Kraft; ohne den rechten Mut, denn man kann sich dabei nicht auf den HERRN HERRN verlassen: Es ist Frevel. Wohl sandte Christus seine Jünger in die Welt; ach, die Schafe unter die Wölfe! – Aber sie konnten getrost gehen; Christus begleitete sie; und siehe, – schnell hat ihr Zeugnis die Welt erfüllt und überall Siege über die falschen Götter davongetragen. Aber wir dürfen deswegen nicht auch aus falschem Bekehrungseifer die Welt aufsuchen und uns vorwitzig mengen unter die Feinde des Kreuzes Christi, um ihnen zu predigen und sie zu bekehren: Wirr würden so sie nicht erretten; wir würden unter und mit ihnen umkommen.

    Mit unseren Werken, durch unsere Gemeinschaft mit wahren Gläubigen, durch unsere Keuschheit, Sanftmut, Demut, Liebe – Christus und dass wir seine Jünger sind, zu bekennen: Dazu sind wir alle und zwar jederzeit berufen, und mag es auch die Welt für Heuchelei achten, dieses Licht sollen wir immer und freudig leuchten lassen. Besonders aber soll der Prediger seiner Gemeinde, und zwar einem jeden Glied derselben, der Lehrer seinen Schülern Christus anpreisen, die Eltern den Kindern, der Gatte der Gattin, sie dem Gatten, der Hausherr seinen Dienstboten, der Freund dem Freunde. Diese alle tun es im Beruf und sollen es tun mit Freudigkeit, ja, ein jeder, bei dem man Grund fordert der Hoffnung, die in ihm ist, den man nach seinem Glauben fragt – sollte auch die Antwort mit Gefahr Leibes und Lebens, der Ehren und Gutes verbunden sein – hier ist Beruf; da soll man allezeit bereit sein zur Verantwortung jedermann; Gott ist es, der uns fragen lässt, er lenkt ja die Herzen wie Wasserbäche. Gereichte es daher auch nicht zur Seligkeit dem, dem wir bekenne, so soll es doch uns nicht an unserer Seele schaden; schadete man uns aber am Irdischen, nähmen sie uns den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib – lass fahren dahin, ruft Luther uns zu, sie haben’s kein Gewinn, das Reich Gottes muss uns bleiben.

    Geliebte Zuhörer! Es kommt eine Stunde, wo wir alle werden versammelt stehen vor dem Richterstuhl dessen, von dem es nur hier hieß: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und demütig; ach, welches Zagen wird dann die ergreifen, welche mit Donnerstimme sich werden zurufen hören müssen: Du hast mich nicht bekannt vor der Welt, du hast mich verleugnet, du hast dich mein geschämt; gehe von mir, ich kenne dich nicht! – O, darum lasst uns alle in der Zeit unserer Seele raten, damit keiner von uns zu Schanden werde in seiner Zukunft.

    Du aber, o Jesus, wollest selbst das, was wir von deinem Bekenntnis gehört haben, in unser Herz schreiben und selbst durch die Macht deiner Gnade uns tüchtig machen, von dir zu zeugen, allezeit mit unserem Wandel, oft mit unserem Mund und, sollte es dein Wille sein, auch einmal gern mit unserem Blut, gewiss aber, es geschehe, wie und wo es wolle, mit unserem durch dich seligen Tod. Amen.

 

Predigt zum Heiligen Abend ueber Jesaja 9,6-7: Von der großen Freude, dass Gott seinen Sohn nicht nur fuer uns Menschen hat geboren werden lassen, sondern ihn uns auch schon gegeben hat

 

(diese Predigt ist entnommen dem Predigtbuch: Festklänge, S. 156 ff.; 176 f.)

 

HERR Jesus, Du eingeborener Sohn Deines himmlischen Vaters, heut erblicken wir Dich als ein lächelndes Kindlein in einer Krippe liegen und hören Dich mit holdseliger Stimme uns zurufen: O Mensch, siehe, hier liege ich um deinetwillen, da hast du mich, nimm mich hin, ich bin dein! O süßes Wort: Ich bin dein! O, dass wir es glauben und Dir antworten könnten: Und Du bist mein! Aber wir vermögen das nicht. So bitten wir denn Dich, freundliches, liebliches Kind, da Du einst den finstern Stall nicht verschmähet hast, darin geboren zu werden, und die harte Krippe nicht verschmähet hast, darin zu ruhen, verschmähe doch heute auch unser armes finsteres hartes Herz nicht, darin auf es neue geboren zu werden und darin auf es neue zu ruhen.  Ja, offenbare es heut an uns allen, dass Du wirklich unser Seligmacher bist, und mache uns zu so seligen Menschen, deren Herzen Deine Herberge sind. So wollen auch wir mit Bethlehems Hirten Dich anbeten als unsern Gott und Heiland und Dein Lob verkündigen, so lange wir leben, bis wir Dich einst droben schauen werden auf Deinem Thron. Amen.

 

Jesaja 9,6-7: Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewig–Vater, Friedefürst, auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich, dass er’s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.

 

Von Gott geliebte, hocherfreute Zuhörer!

 

O, was für ein herrliches, liebliches, freudenreiches Fest ist doch das Weihnachtsfest, welches wir in diesen Tagen wieder feiern! Da hören wir von einem freundlichen Kindlein, welches einst heute vor über 2023 Jahren wunderbarerweise von einer reinen Jungfrau in dunkler Nacht in einem Stalle zur Welt geboren, in Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt worden sei. Da hören wir, dass hierauf alsbald ein Bote vom Himmel herab gekommen sei, die geschehene Wundergeburt den Menschen gemeldet und ihnen zugerufen habe: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids.“ Ja, da hören wir, dass diesem Boten alsbald die unzählbare Menge der himmlischen Heerschaaren gefolgt sei, die, Gott laut lobend, wie mit Einem Munde gesungen habe: „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“  

O, welche Freude! -- Oder wie? -- Gott selbst lässt uns Menschen heut sagen: „Siehe, ich verkündige euch große Freude“; Gott selbst lässt uns sagen: jenes Kindlein in der Krippe sei der „allem Volk“ geborene „Heiland“; Gott selbst lässt uns sagen: dieser Heiland sei „der HERR“, der HERR aller Engel, Gottes hochgelobter eingeborener Sohn selbst, worauf alle Engel des Himmels in lautes Lob Gottes ausbrechen: - und das sollte nicht Freude, nicht große Freude für uns sein?  

Ja, wahrlich, meine Lieben, das ist Freude über alle Freude. Bedenke doch, o lieber Mensch, wer du auch sein magst: Heut hörst du, Gott der Vater hat für alle Menschen, also auch für dich, den HERRN des Himmels, seinen eigenen Sohn, in die Welt gesendet, auf dass alle Menschen, also auch du, einen Heiland, einen Seligmacher habest! Darfst, kannst du also nun noch fürchten, dass Gott dich hasse, dass er dir zürne, dass er dir feind sei? Nein, tausendmal nein; es ist vielmehr hiernach ganz gewiss, Gott liebt dich, Gott liebt dich unaussprechlich, Gott hat dich schon von Ewigkeit geliebt. Oder darfst, kannst du also nun noch fürchten, dass Gott dein Unglück wolle, Lust habe an deinem Tode, dein ewiges Verderben beschlossen habe? Nein, tausendmal nein; es ist vielmehr nun ganz gewiss, Gott will dein Glück, Gott will, dass du lebest, schon von Ewigkeit hat Gott deine Seligkeit gewollt. Und das solltest du heut hören können, und dich doch nicht freuen? Ja, du solltest heute selbst bekennen müssen: Wohl weiß ich es nun ganz gewiss, dass Gott mich liebt, mich unaussprechlich liebt, mich schon von Ewigkeit geliebt hat, dass Gott mich selig machen, mich ewig selig machen will, -- und doch solltest du darüber heute nicht fröhlich werden, nicht frohlocken, jubeln und jauchzen?! -- Das ist unmöglich! - 

Doch vielleicht sagst du: Wohl ist es mir eine große Freude, dass Gott seinen eingeborenen Sohn der ganzen Welt und also auch mir gesendet hat: Aber was hilft es mir, dass ihn Gott für mich in die Welt gesendet hat, wenn er noch nicht mein ist? - Du hast recht, mein lieber Zuhörer, es kann etwas zwar wohl für dich bestimmt, und doch noch nicht dein sein; aber lass dich diesen Gedanken in deiner Weihnachtsfreude nur nicht stören; denn siehe! Gott hat seinen eingeborenen Sohn nicht nur für alle Menschen in die Welt gesendet und geboren werden lassen, sondern Gott hat ihn auch schon allen Menschen gegeben und geschenkt. Denn wie spricht hiervon Christus selbst? „Also hat Gott die Welt geliebt“, ruft er selbst voll Verwunderung aus, „dass er seinen eingeborenen Sohn gab“. Merke wohl, Christus sagt nicht bloß: dass er seinen eingeborenen Sohn sandte, sondern: dass er ihn „gab“! Daher singt denn auch unsere liebe evangelisch-lutherische Kirche an jedem Weihnachtsfest mit Frohlocken:

Lobt Gott, ihr Christen allzugleich,

In seinem höchsten Thron,

Der heut schließt auf sein Himmelreich

Und schenkt uns seinen Sohn.

 

Und noch mehr, meine Lieben! Was Christus einst, als er bereits öffentlich ausgetreten war, beteuert, dass Gott seinen eingeborenen Sohn der ganzen Welt schon gegeben habe, das hat der Prophet Jesaja schon mehr als siebenhundert Jahre vor Christi Geburt beteuert und in unserm Text für alle Zeiten mit den Worten niedergeschrieben: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“ O, hört es, meine Lieben, er sagt: „Gegeben! Gegeben!“ Hiernach lasst mich denn in dieser festlichen Stunde ein wenig künden:

  

Von der großen Freude, dass Gott seinen Sohn nicht nur für uns Menschen hat geboren werden lassen, sondern ihn uns auch schon gegeben hat;

 

wir erwägen hierbei,  

1. was das heiße, dass uns Gott seinen Sohn schon gegeben hat, und  

2. warum gerade dies eine so große Freude für uns ist.  

 

I.

Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben“, so heißt es also in unserm Text. Dass unter diesem Kind und Sohn niemand anders, als das holde Christkindlein, zu verstehen sei, dies geht unwidersprechlich aus den hohen, göttlichen Namen hervor, welche der Prophet Jesaja diesem Kind und Sohn gibt. Denn er fährt so fort: „Und er heißt Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde, und des Friedens kein Ende, auf dem Stuhl Davids, und seinem Königreich; dass er es zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“ Dies alles kann offenbar von keinem bloßen menschlichen Kind, sondern nur von dem von allen Engeln angebeteten Kind in der Krippe gesagt sein.

Was heißt aber das nun erstlich, dass dieses Kind und. dieser Sohn uns nicht nur geboren, sondern auch schon „gegeben“, schon geschenkt sei?  

Wird uns, meine Lieben, sonst ein Kind geschenkt, so wird uns dasselbe nicht wirklich geschenkt, sondern uns eigentlich nur die Sorge für ein solches Kind auf das Herz gelegt, als wäre es unser eigenes. Wir bekommen damit die Verpflichtung, das Kind zu speisen und zu kleiden, es vor Gefahren zu beschützen und aufzuziehen. Hat nun ein solches Kind von seinen natürlichen Eltern etwa ein großes Vermögen geerbt, so wird uns daher auch dieses Vermögen keineswegs zugleich mit dem Kinde geschenkt; vielmehr erhalten wir damit nur das mühevolle Amt, dem Kinde sein Vermögen zu verwalten und ihm zu bewahren.  

Mit dem Jesuskindlein hat es aber eine ganz andere Bewandtnis. Dieses wird uns wirklich gegeben oder geschenkt (denn Gott sagt es); es wird uns daher nicht, wie ein anderes Waisenkind, dazu übergeben, dass wir für dasselbe sorgen und es pflegen, sondern vielmehr dazu, dass dasselbe für uns sorge und uns pflege; und was das Christkindlein hat, das sollen nicht wir ihm bewahren, sondern das will dasselbe vielmehr uns bewahren.  

Doch wie? Hat sich nicht gerade das Christkindlein aller seiner Güter, alles seines Reichtums entäußert? Ist es nicht, ob es wohl reich war, arm geworden, und zwar so arm, dass es nicht hatte, da es sein Haupt hinlegen konnte? hat es nicht, obwohl es vollkommen heilig war, sogar die Sünden aller Sünder auf sich genommen? ist es nicht, obwohl es der König aller Könige war, ein Knecht aller Knechte geworden? hat es nicht, obwohl es der allerhöchste Gesetzgeber selbst war, sich unter das Gesetz tun lassen? hat es sich nicht, obwohl es hätte mögen nur Freude haben, in ein ganzes Meer von Leiden versenken lassen? hat es nicht, obwohl es der HERR der Herrlichkeit war, alle nur erdenkliche Schmach und Verachtung getragen? ja, ist es nicht, obwohl es der Fürst des Lebens selbst war, auch endlich von Tod und Grab verschlungen worden? Was hilft es uns nun, dass uns Gott ein solch armes, nacktes Kind und alles sein Elend „gegeben“ und geschenkt hat?  

O, meine Lieben, das hilft uns gar viel, ja, was sage ich? das hilft uns alles! Christus ist als ein elendes Menschenkind geboren worden, um uns dadurch zu Gottes Kindern zu machen; Christi elende Geburt ist daher ein unaussprechlich köstliches Geschenk, denn mit dieser seiner elenden Geburt hat. uns Gott das Recht, seine Kinder zu sein, geschenkt. Christus ist arm geworden, um uns dadurch reich zu machen. Christi Armut ist daher ein unermesslich großes Geschenk, denn mit dieser seiner Armut hat uns Gott alle Schätze des Himmels geschenkt. Christus hat die Last unserer Sünden auf sich genommen, um dadurch unsere Sünden zu tilgen. Christi schwere Sündenlast ist daher ein unvergleichlich wertvolles Geschenk, denn mit dieser seiner Sündenlast hat uns Gott die vollkommene Tilgung aller unserer Sünden geschenkt. Christus ist ein Knecht aller Knechte geworden, um uns dadurch zu freien Herren zumachen. Christi Knechtschaft ist daher ein unbegreiflich hohes Geschenk, denn mit dieser seiner Knechtschaft hat uns Gott die hohe Würde, Herren über Sünde, Welt, Tod und Hölle zu sein, geschenkt. Christus hat sich unter das Gesetz tun lassen, um uns dadurch von allen Drohungen des Gesetzes zu befreien; Christi Unterwerfung unter das Gesetz ist daher ein unbezahlbar wertvolles Geschenk, denn mit dieser seiner Unterwerfung unter das Gesetz hat uns Gott Freiheit von allen Drohungen des Gesetzes geschenkt. Christus hat sich in Leiden ohne Zahl versenken lassen, um uns dadurch die ewige Freude zu verdienen; Christi Leiden ist daher ein unschätzbar teures Geschenk, denn mit diesem seinem Leiden hat uns Gott schon die ewige Freude geschenkt.  Christus hat alle nur erdenkliche Schmach und Schande getragen, um uns dadurch ewige Ehre und Herrlichkeit zu erwerben. Christi Schmach und Schande ist daher ein über alle Maßen herrliches Geschenk; denn mit dieser seiner Schmach und Schande hat uns Gott ewige Ehre und Herrlichkeit geschenkt. Christus hat sich endlich von Tod und Grab verschlingen lassen, um uns dadurch eine selige Auferstehung und das ewige Leben zu erringen; Christi Tod und Begräbnis ist daher das Geschenk über alle Geschenke, denn mit diesem seinem Tod und Begräbnis hat uns Gott schon die selige Auferstehung und das ewige Leben geschenkt.    

Seht da, das ist es, was die Worte unseres Textes sagen wollen: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“ Es ist wahr: mit dem Christkindlein sind uns also keine irdischen Schätze gegeben, denn diese hatte das Christkindlein selbst nicht; es hatte sich ja aller derselben entäußert und dafür Armut erwählt. Es ist wahr: mit dem Christkindlein sind uns auch keine zeitlichen Freuden gegeben, denn auch diese hatte das Christkindlein selbst nicht; es hatte sich ja aller derselben verziehen und dafür Leiden ohne Zahl erwählt. Es ist wahr: mit dem Christkindlein ist uns auch keine Ehre vor Menschen gegeben, denn auch diese hatte das Christkindlein selbst nicht; es hatte ja aller Ehre vor Menschen entsagt und dafür Schmach und Schande erwählt. Aber wohl uns, dass uns Gott mit dem Christkindlein keinen vergänglichen Erdentand geschenkt hat. Denn so viel das Himmlische größer ist, als das Irdische, das Göttliche größer, als das Menschliche, das Ewige größer, als das Zeitliche, so viel größer ist, was uns Gott mit dem Christkindlein geschenkt hat; denn damit hat er uns gegeben: seine Gnade, Vergebung aller unserer Sünden, vollkommene Gerechtigkeit, Erlösung von allem Uebel, Errettung von Tod und Hölle, ewige Gemeinschaft mit Gott und allen seinen heiligen Engeln, Leben und Seligkeit droben in den Wohnungen des Himmels von Ewigkeit zu Ewigkeit.  

Seht, das, das ist Gottes Weihnachtsbescherung, welche er mit den Worten vor uns ausgebreitet hat: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“

Sollte das nicht Freude sein? -- Ja, wahrlich, meine Lieben; und warum gerade dies, dass uns Gott mit dem Christkindlein dieses alles schon gegeben und geschenkt hat, für uns eine so große Freude ist, davon lasst mich nun noch zweitens zu euch sprechen.

  

II.

Dass das Christkindlein der ganzen Welt geboren sei, das glauben, meine Lieben, alle wahren Christen, denn ohne diesen Glauben kann niemand ein Christ sein; aber dass das Christkindlein der ganzen Welt bereits vor mehr als 2000 Jahren wirklich und wahrhaftig gegeben sei, das glauben nur wenige. Und darum fehlt es auch selbst den meisten wahren Christen an der vollen wahren Weihnachtsfreude. Denn wer zwar glaubt, dass das Christkindlein der ganzen Welt „geboren“, nicht aber, dass es derselben schon „gegeben“ sei, der kann immer noch zweifeln, ob er es nun auch annehmen und sein nennen dürfe. Aber -- Gott sei dafür ewig Lob und Preis! -- in unserm Text heißt es nicht nur: „Uns ist ein Kind geboren“, sondern auch: „Ein Sohn ist uns gegeben.“ O köstliches Wort! Ich behaupte kühnlich, dieses Wort ist das tröstlichste Wort der ganzen Heiligen Schrift. Wie die Sonne unter allen Sternen des Himmels hervorleuchtet, so leuchtet dieses Wort unter allen Bibelworten hervor. Wie das köstliche Rosenöl ein Extract aller süßen Düfte ist, welche die Rosen enthalten, so ist dieses Wort: „Ein Sohn ist uns gegeben“, gleichsam der köstliche Extrakt aller Süßigkeiten des Evangeliums.  

Bedenkt: Wenn uns jemand etwas wirklich und nicht nur zum Schein schenkt, müssen wir da etwa erst etwas tun, damit es unser werde? Nein, denn dann ist es ja schon unser! Dann handelt es sich bei uns nur noch darum, dass wir es nicht verwerfen oder wieder wegwerfen, sondern annehmen und behalten. Schenkt ein Reicher einem Armen wirklich etwas, was erwartet er da von dem Armen? Nichts, als dass derselbe sein Geschenk nehme. Sobald der Reiche fordert, dass der Arme erst etwas dafür tue, so ist sein angebliches Geschenk eben kein wirkliches Geschenk. Nun hat aber Gott bereits vor mehr als 2000 Jahren das Christkindlein und alles, was es hat, allen Menschen schon wirklich geschenkt (denn was Gott sagt, das ist gewiss wahr), daher soll nun auch kein Mensch es sich mit seiner Reue, mit seiner Besserung, mit seinen guten Werken erst verdienen, kein Mensch es sich erst erarbeiten, kein Mensch es sich erst erkaufen, kein Mensch es sich erst erkämpfen und erringen, ja, auch kein Mensch es sich erst erbeten und erflehen. Denn weil es ihm ja schon gegeben, das heißt, frei und umsonst zugesprochen ist, so ist es ja schon sein. Warum? Weil er ein Mensch ist. Sehet da: In den Worten: Ein Sohn ist uns „gegeben“, liegt daher ein wahres Meer von Trost für alles, was Mensch heißt, das nie ausgeschöpft werden kann. Die wenigsten Christen haben kaum eine Ahnung davon, welch ein Schatz des Trostes in den Worten: "Uns ist ein Sohn gegeben", enthalten ist. In wessen Seele diese Worte in ihrer wahren Bedeutung aufgehen, in dessen Seele geht auch erst die volle Sonne der Gnade auf. Ganz kann sie ein Christ hienieden gar nicht fassen. Wer sie schon in diesem Leben ganz fasste, der würde, wie Luther mit Recht sagt, vor Freude sterben, und wenn Gott einen solchen Menschen zur Probe seines Glaubens in die Hölle würfe, so würde derselbe selbst mitten im Ofen der Hölle, wie die drei Männer im feurigen Ofen, voll himmlischen Trostes und voll seliger Hoffnung sein. Ja, wenn die verdammten Geister in der Hölle im Glauben sagen könnten: „Uns ist der Sohn Gottes gegeben“, so würde sich alsbald ihre Hölle in den Himmel, ihre Pein in Seligkeit verwandeln.

Sprich aber nicht: Aber ich bin voll Leiden und Trübsale; mein Haus drückt Krankheit, Armut, Verachtung und Elend. Wie kann ich mich freuen? O, siehe über diesen Jammer hinaus, mein Christ; dein Heiland hat durch seine Armut und Niedrigkeit es dir erworben, dass, je größer hier deine Not ist, desto größer auch dort deine Seligkeit werden soll. Dieser Zeit Leiden ist nicht wert der Herrlichkeit, die an dir um Christi willen soll offenbaret werden. Jede Träne, jeder Seufzer, jeder Kummer ist nun ein köstliches Samenkorn, das du im Himmel wiederfinden sollst, aufgewachsen zu einem großen Baume unaussprechlicher Seligkeit. Wie darfst du also traurig sein?

Sprich nicht: Aber, ich wollte wohl gern alle leibliche Noth tragen, aber ich seufze hier in der Hölle der Anfechtung. Ich fühle nichts als Tod und Verdammnis, keine Empfindung des Trostes kommt in mein elendes Herz; es scheint mir fast immer, als habe mich Gott ganz verlassen und als habe er meiner ganz vergessen, wie kann ich mich freuen? Höre, o Christ, nicht auf dein Herz, das ist ein falscher Prediger; höre auf das Weihnachtswort deines Gottes: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ An dieses Wort halte dich, du Angefochtener, und bedenke: Lässt dich Gott hier seine Gnade nicht fühlen, so kommt doch ein Tag, wo du nicht mehr im Finstern wirst glauben müssen, da wird dein Leib und deine Seele nichts fühlen, als Güte Gottes; da wirst du ausruhen von deinen Kämpfen, da wird die Last dir ewig abgenommen sein, die du hier tragen musst, da wird dein Seufzen in ewiges Jauchzen, dein Weinen in ewiges Lachen, dein Klagen in ewigen Jubel verwandelt sein. O, daran denke, und ein Strahl der Freude wird auch in deine Seele fallen.  

Sprich aber endlich auch nicht, o Christ: Ich stehe an den Pforten des Todes und der Ewigkeit; ich fühle schon den nahen Tod in meinen siechen elenden Gliedern; oder ich bin ein Greis und habe bereits einen Fuß in meinem Grabe; wie kann ich mich freuen? O du, der du in dieser Welt nichts mehr zu fordern hast, siehe über die schwarze Totenbahre und über das dunkle Grab nur hinweg; hältst du dich an das Kindlein in der Krippe, so ist deine Todesnähe ein Nahesein bei der Krone, ein Eilen zur Herrlichkeit; siehe, schon rufen dich die jubelnden Chöre der Engel und aller Seligen in ihren Kreis; wie darfst du traurig sein? --

O, meine Lieben, so freut euch denn, o freut euch! Ihr könnt wahrlich nur dann nicht selig werden, wenn ihr das Christkindlein, das euch schon geschenkt ist, verwerft. Nehmt ihr es im Glauben an, so dürft ihr dann nicht mehr fragen: Was sollen wir tun, dass wir selig werden? Das Christkindlein hat ja schon alles getan und sein Tun euch schon geschenkt; nehmet ihr es an, so habt ihr daher schon auch selbst alles getan, was Gott von euch fordert. Ihr dürft aber dann auch (nicht sprechen: Aber unserer Sünden sind viele und sie sind groß und schwer; wie können wir in den Himmel kommen, in den nichts Unreines und Gemeines eingehen soll? Das Christkindlein hat ja schon alle eure Sünden von dem Angesicht Gottes hinweggetragen und dies ist euch auch schon geschenkt; nehmt ihr es an, so sieht daher Gott keine Sünde mehr an euch. Sprechet aber auch nicht: Aber wie erlangen wir die Gerechtigkeit, ohne welche niemand vor dem heiligen Gott erscheinen und bestehen kann? Die Gerechtigkeit vor Gott hat euch ja das Christkindlein schon erworben und die ist euch schon mit demselben geschenkt; nehmt ihr es an, so seid ihr daher vor Gott gerecht. Sprechet aber auch nicht: Dürfen wir denn auch glauben, dass wir so selige Menschen sind, welche rühmen können: Das Christkindlein und alles, was es hat, ist unser? -- Ihr dürft nicht nur, ihr sollt dies auch glauben, so gewiss ihr nicht nur glauben dürft, sondern auch glauben sollt, dass Gottes Wort wahr ist: „Ein Sohn ist uns gegeben.“ Sprecht aber endlich auch nicht: Aber unser Glaube ist so schwach, denn unser Herz ist kalt, finster und hart, voll von Furcht und Zweifeln. O bedenkt doch, das Christkindlein ist euch schon, mit allem, was es hat, geschenkt; nehmt ihr es nun mit einer wenn auch noch so schwachen Glaubenshand an, so habt ihr es doch, wie das schwache Kind die ihm geschenkte köstliche Perle hat, die es in seinen kleinen Händen hält; und mag dann immerhin sich das Christkindlein nicht an euren kalten Herzen erwärmen, so wird doch euer Herz an dem Liebesfeuer des Christkindleins warm werden, und endlich werdet ihr auch mit freudigem, starkem Glauben triumphierend ausrufen: Ja, ja, es ist wahr: Das Christkindlein ist auch mir „gegeben“. Halleluja!--  

Wohlan, meine Lieben, so habe ich euch denn hingeführt an den himmlischen Weihnachtstisch, den euer Vater im Himmel euch auf Erden gedeckt und wirklich mit dem wahren „heiligen Christ“ geschmückt hat; o steht nun nicht schüchtern von ferne, sondern lernt hierbei etwas von euren Kindern: Hüpft und springt im Geist um den himmlischen Weihnachtstisch und nehmt getrost den auch euch bescherten heiligen Christ in eure Hände. So wird er euch in eurem Herzen zurufen: „Ich bin dein“, und ihr werdet ihm dann antworten können: „Und du bist mein.“  

O seliges Weihnachtsfest, welches so schließt! Da ist auch das härteste Herz zur Krippe geworden, in welcher das Christkindlein liegt, und da ist auch die vertrocknetste Seele zum grünenden bethlehemitischen Feld geworden, über welchem die himmlischen Heerschaaren jauchzen: „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Amen.  

 

Evangelienpredigt zum ersten heiligen Christfesttag ueber Lukas 2,1-14: Die wahre Weihnachtsfreude

 

    „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“, so ließt du, HERR Jesus, einst am Tag deiner Geburt einen himmlischen Boten den erschrockenen Hirten Bethlehems zurufen. O welch ein Zuruf! Welch eine süße Botschaft! Nicht Furcht, nicht Traurigkeit, sondern Freude, große Freude ist es also, womit die Verkündigung deiner Geburt die Herzen der Menschen erfüllen soll. O, so gib denn, dass die Weihnachtsbotschaft auch in diesen Tagen alle Furcht und Traurigkeit von uns nehme und unsere Herzen mit Freude erfülle. Nicht ein Strom, HERR Jesus, nein, ein Tröpflein, nur ein Tröpflein wahrer Weihnachtsfreude ist es, um das wir dich bitten. Das schenke uns, so genügt uns. So wollen wir dann auch mit einstimmen in den Lobgesang deiner heiligen Engel, heute hier auf Erden an deiner Krippe, einst aber droben im Himmel an den Stufen deines Thrones von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

Lukas 2,1-14: Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein. jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Haus und Geschlecht Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seiner vertrauten Frau, die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. und siehe des HERRN Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des HERRN leuchtete um sie, und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!

 

    In dem neugeborenen Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Gibt es je eine Zeit, in welcher es ganz unnötig, ja töricht zu sein scheint, innerhalb der christlichen Welt noch zur Freude aufzumuntern, so ist das ohne Zweifel in der fröhlichen Christfestzeit der Fall. Wer freut sich da nicht schon? Da sehen wir alle Kirchen gefüllt mit ganzen großen Scharen festlich geschmückter Zuhörer, welche alle mit fröhlichen Mienen und mit lauter Stimme ein Freudenlieb nach dem anderen anstimmen und den Jubelgesängen ihrer Sängerchöre mit gleicher Freude lauschen. Da sehen wir, dass alle Wohnungen, die der Armen wie die der Reichen, zu lauter Wohnungen der Freude geworden sind. Selbst manche, welche sonst nichts von Christus wissen wollen, sprechen am Christfest zu ihren Kindern von dem lieblichen Christkindlein, das ihnen heute so viele schöne Sachen vom Himmel herabgebracht habe. So scheint es denn, als ob wirklich die Weissagung des Propheten Jesaja von der Freude am Tag der Geburt Christi an der ganzen christlichen Welt sich auch heute wieder auf das herrlichste erfüllte, die Weissagung nämlich: „Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte; wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.“

    Wohl ist es auch wahr, meine Lieben, Ursache sich zu freuen hat ja freilich heute jeder Mensch. Der Geburtstag Christi ist wirklich der große Freudentag der Menschheit, der ganzen Welt; er ist’s für die Kleinen wie für die Großen, für die Armen wie für die Reichen, für die Knechte wie für die Herren, für die Gefangenen wie für die Freien, für die Kranken wie für die Gesunden, für die Unglücklichen wie für die Glücklichen, für die größten Sünder wie für die größten Heiligen, ja, für die Ungläubigen wie für die Gläubigen. Denn so ruft ja der von Gott selbst aus dem Himmel auf die Erde gesandte erste Christfestprediger aus: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren soll“, worauf die Menge der himmlischen Heerscharen in vollem Chor singt: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Seht da, meine teuren Zuhörer, die Aufforderung zur Freude ergeht also heute an „alles Volk“, ja, an alles, was nur „Mensch“ heißt, also auch an einen jeden unter uns, an mich und dich; keiner, auch nicht einer von uns ist hier ausgenommen. Einem jeden unter uns ruft Gott heute selbst durch seinen himmlischen Herold zu: Freue dich, o Mensch, freue dich! –

    Doch, meine Lieben, nicht jede Freude am Christfest ist darum auch eine Christfestfreude. Damit ihr euch nun heute nicht nur freut, sondern auch recht freut, so lasst mich euch in dieser Stunde vorstellen:

 

Die wahre Christfestfreude

 

    Ich zeuge euch hierbei dreierlei:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Worin die wahre Christfestfreude bestehe,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie sie in das Herz eines Menschen komme, und endlich

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie wichtig es sei, dass jeder Mensch, also auch wir, alle diese Freude in unserem Herzen erfahren.

 

1.

    Wollt ihr, meine Lieben, wissen, ob eure Freude am Christfest die wahre Christfestfreude sei, so kommt bei dieser Frage alles darauf an, erstlich, was der Gegenstand und zum anderen, welches die Art eurer Freude sei, oder mit anderen Worten, erstlich worüber und zum anderen, wie ihr euch freut.

    Ist nämlich erstlich der Gegenstand eurer Freude hauptsächlich dies, dass ihr euch in diesen Tagen an einer mehr als sonst reich besetzten Tafel leiblich ergötzen könnt, oder dass ihre euren Kindern allerlei Schönes beschert und dieselben darum fröhlich jubelnd um euch her springen und singen, oder dass ihre euren Freunden Weihnachtsgeschenke austeilt und solche wieder von ihnen empfangt, oder dass ihr euch von lauter Menschen mit fröhlichen Mienen und Gebärden umgeben seht und mit ihnen fröhliche Gespräche halten könnt, oder dass ihr in diesen Tagen lauter fröhliche Predigten hört und lauter fröhliche Lieder singt: Mögt ihr euch über dies alles noch so sehr am Christfest freuen, eine wirklich, die wahre Christfestfreude ist das noch nicht. Warum nicht? – Weil sie erstlich nicht den rechten Gegenstand hat.

    Worin dieser bestehe, das hat schon der erste Weihnachtsprediger klar und deutlich gesagt. Nachdem nämlich der Engel des HERRN den Hirten zugerufen hatte: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“, da setzte er sogleich hinzu: „Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids.“ Seht da, der Gegenstand der wahren Christfestfreude ist also kein anderer als dieser, dass uns heute „der Heiland“ geboren worden ist, der zugleich Gott „der HERR“ vom Himmel selbst ist.

    Wer es sich also zu Weihnachten nicht nur gern vorpredigen lässt, sondern sich auch vor allem darüber freut, dass Gott uns von ihm abgefallene Menschen nicht, wie er ja hätte tun können, verstoßen, sondern sich unser erbarmt und uns einen Heiland, einen Erretter, einen Erlöser, einen Seligmacher gesendet und gegeben hat; wer sich zu Weihnachten vor allem darüber freut, dass Gott aus unbegreiflicher heißer Liebe zu uns armen Sündern sogar seinen eingeborenen Sohn selbst ein Menschenkind hat werden lassen, damit er die Menschenkinder weder zu seinen lieben Gotteskindern mache; wer sich zu Weihnachten vor allem darüber freut, dass der ewige Sohn Gottes selbst, um uns aus der Tiefe unseres Sündenelendes zu erretten, sich so tief herabgelassen hat, dass er sich von einem armen Mägdlein in einem finsteren schmutzigen Stall mitten unter den Tieren hat geboren werden lassen, in armselige Windeln wickeln und, anstatt auf ein sanftes Ruhebettlein, in einer harten Krippe auf Heu und Stroh legen lassen; wer sich zu Weinachten vor allem darüber freut, dass die heiligen Engel, welche einst den gefallenen Menschen den Eingang zum irdischen Paradies verwehrten, nun, nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist, wider der Menschen Freunde geworden sind und ihnen daher zuerst die Freudenbotschaft von der Geburt ihres Heilandes gebracht haben; wer sich zu Weinachten vor allem darüber freut, dass die himmlischen Heerscharen Christi Geburt mit den Worten besungen haben: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“, dass also durch Christi Geburt Gott die ihm von uns Menschen geraubte Ehre, die Erde den verlorenen Frieden mit dem Himmel und die Menschen das verscherzte Wohlgefallen Gottes wieder erlangt haben; wer zu Weihnachten sich vor allem darüber freut, dass Satan, welcher die Menschen von Gott auf ewig los machen und sie mit sich in die Hölle ziehen wollte, nicht gewonnen, sondern verspielt hat und durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes für immer besiegt ist; wer zu Weihnachten sich vor allem darüber freut, dass durch Christi Geburt alles, was der Mensch böse gemacht, wieder gut gemacht worden, aller Menschen Sündenschuld getilgt, allen Menschen eine vor Gott gültige Gerechtigkeit wieder erworben, allen Menschen die Seligkeit wieder teuer erkauft und allen Menschen der Himmel wieder aufgetan worden ist: Wer, sage ich, zu Weihnachten sich vor allem über dies alles freut, dessen Freude hat den rechten Gegenstand, dessen Freude am Weihnachtsfest ist daher auch die wahre Weihnachtsfreude.

    Vielleicht wird aber nun mancher unter euch sagen: Wohl ist es, Gott weiß es, wirklich das Christkindlein selbst, worüber ich mich in dieser Christfestzeit vor allem freue; aber ach! meiner Freude fehlt die rechte Art; denn wenn ich bedenke, wie groß die Liebe Gottes ist, die sich in Christi Geburt offenbart hat, und wie unwürdig gerade ich dieser Liebe bin, so muss ich mich schämen, dass ich mich noch so wenig darüber freue. Ach, meine Augen sollten heute von heißen Freudentränen überfließen, mein Herz sollte vor lauter Freude wallen wie ein Meer, mein Mund sollte überströmen von Lob und Preis Gottes, meine Füße sollten vor großer Freude hüpfen und springen wie Davids Füße vor der Bundeslade; aber meine Freude über das Christkindlein ist leider nur wie ein unter der Asche von allerlei Sorgen und Zweifeln glimmerndes Fünklein. – O meine teuren Brüder und Schwestern, die ihr so klagt, seid nur getrost! Wohl ist es etwas Köstliches, wenn ein Christ am Christfest so recht mit Maria jubeln kann: „Meine Seele erhebt den HERRN, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes.“ Wohl ist es etwas Köstliches, wenn ein Christ am Christfest mit Paulus sagen kann: „Ich bin überschwänglich in Freuden.“ Allein, solche Freude gibt Gott nicht immer. Darin besteht darum auch die rechte Art der wahren Christfestfreude nur selten. Zwar haben allerdings die reinen Engel sich so gefreut; aber von einer solchen überschwänglichen Weihnachtsfreude der Menschen am Tag der Geburt des Heilandes lesen wir nichts. Das Einzige, was uns von den bethlehemitischen Hirten erzählt wird ist, dass sie nach gehörter Engelspredigt „eilend“ nach Bethlehem gingen, dass also ihre Freude nichts anderes als das  Christkindlein zum Gegenstand hatte, und dass und nicht anderes der Magnet war, der sie mit süßer Gewalt nach Bethlehem zog. Siehe darum, mein lieber Zuhörer, wen auch deine Freude etwa nur darin besteht, dass auch du nach gehörter Christfestpredigt mit deinem Herzen nach Bethlehem eilst, wenn auch du dich an dem Christkindlein nicht satt sehen und über die in ihm offenbarte Liebe Gottes dich nicht genug verwundern kannst, und wenn daher der finstere Stall, in welchem die menschgewordene Liebe Gottes liegt, dir herrlicher und kostbarer erscheint und dir viel tausendmal lieber ist als alle Prachtpaläste der Reichen dieser Welt: Dann ist das Tröpflein deiner Freude die wahre Christfestfreude  und vor Gott schon ein mächtiger Strom, der endlich hineinfließen wird in das unermessliche Meer der Freude des ewigen Lebens.

 

2.

    Doch, meine Lieben, es entsteht nun die wichtige Frage: Wie kommt eine solche Freude in eines Menschen Herz? Dies sei daher auch nun das zweite, was ich euch durch Gottes Gnade zeigen will.

    Wie die wahre Christfestfreude in das Herz eines Menschen komme, das können wir ohne Zweifel wieder am besten und sichersten an den bethlehemitischen Hirten lernen, welchen die Geburt Christi einst unter allen Menschen zuerst verkündigt wurde. Was ist nun aber das Erste, was uns von ihnen in unserem Evangelium erzählt wird? Es heißt da von ihnen, als ihnen der himmlische Christfestprediger, mit des HERRN Klarheit umleuchtet, erschien: „Und sie fürchteten sich sehr.“ Wie merkwürdig! Weit entfernt also, das sie gedacht haben sollten, der Engel werde ihnen eine Freudenbotschaft bringen, so meinten sie vielmehr, dass er gekommen sei, sie zu schrecken. Ach, haben sie ohne Zweifel gedacht, das ist ein heiliger Engel, und wir sind Sünder! Das ist ein Bote des großen Gottes, wir aber haben seine heiligen Gebote, ach! so vielfach und noch heute übertreten und ihn daher ach! so oft beleidigt und erzürnt! Wehe uns! Wehe uns! Wohin sollen wir fliehen, um uns vor ihm zu verbergen? – Doch was geschieht? – Der Engel tut seinen Mund auf, und siehe! Nicht schreckende, sondern die allerholdseligsten Worte gehen über seine Lippen. Er spricht: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der HERR, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ Mit sprachloser Verwunderung hören das die lieben Hirten an. Das Wort „euch, euch ist heute der Heiland geboren“ dringt wie erquickender Himmelstau in ihre von Furcht erfüllten Seelen; dieses Wort erleuchtet ihren Verstand, bewegt ihren Willen und erzeugt selbst in ihren Herzen den Glauben daran; und siehe! Alle ihre Furcht ist plötzlich aus ihren Seelen verschwunden, und Freude, große, unaussprechliche Freude zieht nun in ihre Herzen ein.

    Seht da, meine Lieben, das, das ist die Art und Weise und keine andere, wie die wahre Weihnachtsfreude in eines Menschen Herz kommt. Dieselbe entsteht nicht dadurch, dass sich ein Mensch am Christfest selbst in eine fröhliche Stimmung zu versetzen sucht. Im Gegenteil: Wie man ein schon mit Wasser angefülltes Gefäß nicht auch noch mit köstlichem Wein anfüllen kann, so kann auch in einem mit selbstgemachter Freude erfüllten Herzen die wahre Weihnachtsfreude keinen Raum finden. Der stets Vorläufer derselben ist vielmehr bei jedem Menschen, wie einst bei den Hirten, die Furcht, nämlich die Furcht vor Gottes Ungnade um seiner Sünden willen. Hört dann aber ein solches furchtsames, verlegenes Herz die Weihnachtsbotschaft: „Fürchte dich nicht, denn dir, ja, auch dir ist heute der Heiland geboren“, welch einen Eindruck macht dies dann auf dasselbe! Dann kann ein solches Herz nicht anders, es glaubt dieser Botschaft und mit diesem Glauben dringt dann die wahre Weihnachtsfreude, wie eine Hochflut, mit Macht in dasselbe ein.

    Wohl darum euch die ihr vielleicht heute Morgen an diesem größten Freudenfest der Christenheit mit schwerem Herzen von eurem Lager aufgestanden und daher auch vielleicht mit schwachem Herzen in dieses unser Christfest-Kirchlein gekommen seid, ja, wohl euch, sage ich. Denn meint nicht, dass euch darum von Gott ein freudenloses, trauriges Christfest beschieden sei. Nein, tut nur das Eine: Hört aufmerksam auf die Weihnachtsbotschaft: „Euch, auch euch ist heute der Heiland geboren“, so wird das selbst den Glauben daran in euren Herzen anzünden, es leicht machen, alle Furcht daraus vertreiben und mit Freude über Freude erfüllen. Ihr aber, die ihr schon diesen Morgen mit Freude über den neugeborenen Heiland erwacht und darum auch schon mit Freude hier versammelt seid, o, dankt nicht nur Gott für diese große Gnade, sondern hört auch nur umso begieriger auf das Wörtlein „euch“, „euch“, und verwandelt es in „mir“, „mir“; so wird die geheime Glut eurer heutigen Christfestfreude zur hellen Flamme werden. O selig, selig seid ihr, die ihr heute so Weihnachten feiert!

 

3.

    Doch wie? meine Lieben, ist es denn auch wirklich so wichtig, dass jeder Mensch, also auch wir alle die wahre Weihnachtsfreude in unserem Herzen erfahren? Ja, wahrlich, meine Lieben. Und das ist’s denn, worüber ihr mich endlich noch drittens einige Worte hinzusetzen lassen wollt.

    Mein Hauptgrund für die Wichtigkeit der Weihnachtsfreude ist dieser, weil überhaupt nicht Traurigkeit, sondern Freude das letzte allen Menschen von Gott für Zeit und Ewigkeit gesteckte Ziel ist. Zwar ist die Erde jetzt kein Freuden-, sondern ein Jammertal. Aber nicht darum, weil Gott, sondern weil der Mensch selbst sich durch seine Sünde die schöne Erde zu einem Trauerort gemacht hat. Wäre der Mensch nicht von Gott abgefallen, so würde daher auch die Erde für ihn nur ein Freudenort gewesen und geblieben sein, aus welchem er nach kurzer Prüfung in den Ort vollkommener Freude, in den Himmel, übergegangen wäre. Denn geschaffen ist der Mensch von Gott nicht zur Traurigkeit, sondern zu zeitlicher und ewiger Freude. Und wie der selige Gott, dieser ewig überfließende Brunnen aller Freude, die Menschen allein zu zeitlicher und ewiger Freude geschaffen hat, so hat auch der Sohn Gottes die Menschen allein zur Wiedererlangung dieser zeitlichen und ewigen Freude erlöst. Daher denn auch der erste Bote, welcher von Gott gesandt war, den Menschen die Geburt ihres Erlösers zu verkündigen, ihnen dabei zurufen musste: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude.“ Der Zweck des Christfestes ist nicht dieser, dass wir nur nicht vergessen, dass Christus geboren sei, sondern vor allem dieser, dass wir Christen zur Freude über das Christkindlein erweckt werden. Wer daher das Christfest gefeiert hat, ohne an demselben zur Freude über das Christkindlein erweckt worden zu sein, der hat das Christfest vergeblich gefeiert.

    Auf denn, meine Lieben, auf, freut euch! – Oder warum wolltet ihr euch denn nicht freuen? – Etwa darum nicht, weil ihr Sünder seid? O ihr Toren! Eben darum sollt ihr euch freuen; denn allein um der Sünder willen ist ja Christus einst in Bethlehem geboren worden. Wären die Menschen in der ihnen anerschaffenen Unschuld geblieben und keine Sünder geworden, so wäre auch Gottes Sohn nicht vom Himmel gekommen. Gerade weil ihr Sünder seid, habt ihr auch Ursache, euch zu freuen. – oder denkt und sprecht ihr etwa, dass ihr euch darum nicht über das Christkindlein freuen könnt, weil ihr von der Not dieses Lebens niedergedrückt seid? O ihr Toren! Eben darum solltet ihr euch freuen, damit ihr sagen könnt: Wohl hat die Welt für mich keine Freude, aber wohl mir, im Christkindlein habe ich eine Freude, die mir alles ersetzt, was mir fehlt, so dass ich in aller meiner Not mit jenem gläubigen Dichter sprechen kann:

Warum sollt ich mich denn grämen?

Hab ich doch

Christus noch.

Wer will mir den nehmen?

Wer will mir den Himmel rauben,

Den mir schon

Gottes Sohn

Beigelegt im Glauben? –

Oder wollt ihr endlich etwa darum nichts von der Freude über den Heiland wissen, weil euer Herz an den Freuden dieser Welt hängt? Die ihr vielleicht in diesem Augenblick die Predigt nur mit halbem Herzen hört, weil ihr – ich meine besonders euch, ihr jungen Männer und Frauen, – jetzt an die Weltfreuden denkt, denen ihr euch in diesen Tagen hingeben wollt? O ihr Toren! Die Freuden dieser Welt sind eitel, in Not und Tod verschwinden sie wie bunte Traumbilder und verwandeln sich endlich in ewiges Herzeleid; aber die Freude über den Heiland bleibt auch in Not und Tod, zeigt gerade da ihre selige Kraft und verwandelt sich endlich in ewige Seligkeit.

    Wohlan, meine herzlich geliebten Zuhörer, so nehmt denn in diesen Tagen das Freudenkindlein zu Bethlehem aus seiner Krippe heraus, legt es im Geist auf die Arme eures Glaubens und drückt es an euer Herz. Was gilt’s? – Es wird euch freundlich anlachen. O, lacht es nur dann wieder an; das ist alles, was dieses Kind von euch begehrt. Dann wird eure Weihnachtsfreude auch nicht mit den Weihnachtslichtern verlöschen, sondern in euren Herzen fortleuchten und fortbrennen, euch begleiten durch euer ganzes Leben, alle Bitterkeit desselben, ja selbst den bitteren Tod euch süß machen und euch endlich dahin führen, wo Freude die Fülle und liebliches Wesen zur Rechten Gottes sein wird immer und ewig. Amen.

 

Evangelienpredigt zum zweiten heiligen Christtag ueber Lukas 2,15-20: Was sollen Zuhoerer tun, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehoert haben, sondern den vollen Segen derselben erlangen?

 

    HERR Jesus! Du eingeborener Sohn des lebendigen Gottes, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftiger Gott vom wahrhaftigen Gott, du bist nicht nur um uns Menschen und um unserer Seligkeit willen vom Himmel gekommen und ein Mensch geworden, gleichwie wir; sondern hast auch, um deine vom Himmel gebrachte Seligkeit unter allen Menschen auszuteilen, dies allen Menschen predigen lassen. Und schon haben auch wir in diesen Tagen diese wunderbare, süße, selige Predigt vernommen. Für solche deine unaussprechliche Liebe sei dir darum Lob, Preis und Dank gesagt heute und in alle Ewigkeit. Aber, HERR Jesus, wir bitten dich auch, lass doch diese Predigt auch an unser keinem vergeblich sein. Ach, du weißt ja, dass wir nicht nur aus uns selbst keinen Rat wussten, wie wir selig werden könnten, sondern dass wir, nachdem du für uns Rat geschaffen und uns denselben offenbart hast, ihn nun auch nicht aus eigener Vernunft noch Kraft verstehen und annehmen können. O, so öffne denn unser erblindetes Auge, dass wir die Weisheit deines Rates zu unserer Seligkeit erkennen, und erfülle unser erstorbenes und kraftloses Herz mit Leben und Kraft, dass wir diesem deinem Rat auch folgen. Bewahre uns, dass wir nicht zu denen gehören, über die du klagst: „Mit sehenden Augen sehen sie nicht und mit hörenden Ohren hören sie nicht.“ Behüte uns aber auch davor, dass wir uns nicht schon damit genügen lassen, die Predigt von deiner wunderbaren und gnadenreichen Geburt nur etwa mit einer vorübergehenden freudigen Verwunderung gehört zu haben; sondern hilf, o hilf, HERR Jesus, dass, was uns in diesen Tagen gepredigt wird, wie Licht und Feuer vom Himmel tief in unser Herz falle und das Licht des wahren Glaubens und das Feuer brünstiger Liebe darin anzünde. Ach ja, ist es gestern in unseren Seelen noch finster, öd und tot geblieben, so lass es heute endlich noch Weihnachten werden, Weihnachten voll Licht, Leben und Freude. Amen! Amen!

 

Lukas 2,15-20: Und da die Engel von ihnen zum Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der HERR kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegen. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kind gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

 

    Von Gott hochgeehrte und hochgeliebte Zuhörer!

    Was für eine Predigt ist gestern an unser Ohr gedrungen! – Ach, welch eine Predigt! – Wahrlich, wenn wir heute wieder daran denken, so müssen wir, was Christus einst seinen Jüngern zurief, heute auch uns zurufen: „Selig sind die Ohren, die da hören, das wir gehört haben. Denn wahrlich, viele Propheten und Könige wollten hören, was wir gehört haben, und haben es nicht gehört.“ Denn was war es, was gestern in unser Ohr scholl? – Es war eine Predigt nicht aus Menschen-, sondern aus Engelsmund. Und ihr Inhalt? – Ein Wunder über alle Wunder und eine Freude über alle Freude. Denn wie lautete des Engels Predigt? Sie lautete so: Gott der HERR selbst, der ewige, allmächtige Schöpfer Himmels und der Erde, ist vom Himmel zu euch herab gekommen, hat eure Natur an sich genommen, ist ein Mensch geworden, ein Mensch wie ihr. O des Wunders über alle Wunder! Welches Wunder lässt sich mit diesem vergleichen? Was ist selbst das Wunde der Schöpfung des Weltalls aus Nichts gegen das Wunder, dass der unermessliche Schöpfer dieses Weltalls ein Mensch wird? – Aber noch mehr: Nach der gestern unter uns erschollenen Engelspredigt ist Gott nicht nur ein Mensch geworden, sondern eben dadurch auch unser Heiland geworden. Was heißt das aber? – O Freude über alle Freude! Das heißt: Gott selbst ist durch seine Menschwerdung aller Menschen vollkommener Erlöser geworden aus allem ihrem zeitlichen und ewigen Wehe, aller Menschen Gerechtigkeit wider ihre Sünde, aller Menschen Leben wider ihren Tod, aller Menschen Heil und Seligkeit wider ihre Verdammnis.

    Wie nun, meine Zuhörer? Gehört habt ihr sie ja gestern alle, diese himmlische Wunder- und Freudenpredigt; habt ihr sie aber auch bereits zu eurem Heil gehört? Hat sie auch ihren Endzweck an euch erreicht? – Ach, eine solche Predigt vergeblich hören ist etwas Schreckliches. Da hatte Gott mächtig, mit aller Gewalt seiner Liebe an das Herz geklopft, aber man hat ihm nicht aufgetan; da hatte Gott in freier Gnade den Himmel weit, weit geöffnet, aber man ist durch das weit geöffnete Gnadentor nicht eingegangen.

    Doch, meine Zuhörer, wie immer ihr euch auch gegen die gestern gehörte himmlische Weihnachtspredigt verhalten haben mögt, und wenn ihr dieselbe im Rausch der irdischen Weihnachtsfreude ganz überhört hättet bis zu dieser Stunde: Noch ist die Christfestzeit nicht verflossen, noch fließt ihr Gnadenstrom in unverminderter Stärke, noch sind einige kostbare Stunden dieser gnadenvollen Zeit uns übrig, – o, lasst nur nicht auch sie noch verrinnen, ohne dass ihr den Weihnachtssegen erlangt hättet!

    Wohlan, das gestrige Evangelium enthielt die himmlische Christfestpredigt selbst; in dem heutigen Evangelium werden uns nun in den Hirten von Bethlehem die ersten rechten Zuhörer dieser Predigt vor die Augen gestellt. An ihrem Beispiel lasst mich daher auch heute zeigen:

 

Was sollen Zuhörer tun, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört haben, sondern den vollen Segen derselben erlangen?

 

Ich antworte: Sie sollen nach dem Beispiel der bethlehemitischen Hirten

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dieselbe vor allem im Glauben annehmen, aber

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dieselbe in ihrem Herzen [Frieden und Freude vertiefen][4], und endlich

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Durch dieselbe nun auch selbst lebendige Weihnachtsprediger zu werden anfangen

 

1.

    Hätte es, meine Lieben, uns Gott zwar predigen lassen, dass er selbst ein Mensch und dadurch unser Heiland geworden sei, hätte er uns aber nicht auch offenbart, was wir tun müssten, damit uns jene größte Tat seiner Liebe nicht vergeblich gepredigt werde, so müssten wir uns nur verwundern über das Weihnachtsgeheimnis; aber zu einer wahren Weihnachtsfreude könnten wir dann nicht kommen. Denn dann würden und müssten wir denken: Je größer die Gabe sei, die uns Gott anbiete, etwas umso Größeres und Schwereres werde gewiss auch das sein, was Gott von uns fordere. Aber siehe, in seiner großen Liebe zu uns hat es uns Gott nicht nur gesagt, was wir zu tun haben, sondern uns sogar lebendige Beispiele vor unsere Augen gestellt, an denen wir dies, so zu sagen, mit Augen sehen können; nämlich die lieben bethlehemitischen Hirten in unserem heutigen Weihnachtsevangelium.

    Was ist nun aber das Erste, was wir an ihnen erblicken? Es ist nichts anderes als ein fester, unzweifelhafter kindlicher Glaube an das, was ihnen gepredigt worden war. Wie sprechen sie nämlich, nachdem der Engel des HERRN seine Weihnachtspredigt vollendet hatte, die himmlischen Heerscharen ihr Jubellied ausgesungen hatten und endlich alle diese himmlischen Weihnachtsgäste wieder zum Himmel gefahren waren? Sie sprachen nach unserem Text: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der HERR kundgetan hat.“ Seht, sie sagen nicht zweifelnd und ungewiss: „Lasst uns die Geschichte sehen“, die da geschehen sein soll, sondern: „Die da geschehen ist“; sie sind also in ihrem Herzen ganz gewiss, dass das geschehen sei, was der Engel ihnen gepredigt hatte. Sie sagen daher auch ferner von der ihnen gepredigten Geschichte nicht: Die uns der Engel kundgetan hat, sondern: „Die uns der HERR kundgetan hat“; sie achten also die Predigt des Engels nicht für bloßes Engelswort, viel weniger für Menschenwort, sondern für des „HERRN“ Wort, also für das ewige, wahrhaftige, untrügliche Gotteswort, und den Engel nur für Gottes Botschafter und Diener. Und noch mehr: Die Hirten sagen auch nicht: Die der HERR den Menschen oder der Welt kundgetan hat; sondern, das Wörtlein „Euch“, welches der Engel gebraucht hatte, in das Wörtlein „Uns“ umwandelnd, sprechen sie wie triumphierend: „Die der HERR uns, uns kundgetan hat“, und eignen sich so die ganze wunderbare Freudenbotschaft, die sie gehört hatten, selbst zu und wollen also damit sagen: O wir seligen Leute! Denn „uns“, „uns“ ist die große Freude verkündigt, dass „uns“, „uns“ heute der Heiland geboren ist. – O welch ein herrlicher Glaube! –

    Oder hätten sie etwa, wenn sie ihrer Vernunfthätten folgen wollen, keine Ursache gehabt zu zweifeln? Ja, wahrlich, Ursache genug! Sehen wir doch auch aus den Schlüssen, die sie machten, dass sie, obgleich nicht gebildete Leute, doch zum Zweifel klug genug waren. Nach ihrer Vernunft hätten sie erstlich denken können, als die himmlische Klarheit verschwand und es wieder plötzlich finstere Nacht um sie her wurde: Ach, was wir eben zu hören und zu sehen gemeint haben, ist wohl nur ein liebliches Phantasiespiel oder ein süßer kurzer Traum gewesen, aus welchem wir nun wieder erwacht sind. nach ihrer Vernunft hätten sie auch denken können: Wie wäre es möglich, dass eine solche herrliche himmlische Erscheinung, wenn sie keine Täuschung wäre, nicht vielleicht den Hohen, den Reichen, den Weisen und Klugen, den Priestern und Hohenpriestern zu Jerusalem, oder dem König und seinen Gewaltigen, als gerade uns armen, einfältigen, verachteten Hirten zu Bethlehem geschehen sein sollte? Wie wäre es auch möglich, dass eine so hohe Gnade und Ehre nicht vielmehr etwa einem heiligen Propheten als gerade uns armen, großen, unwürdigen Sündern widerfahren sein sollte, die wir im Gefühl unserer Sündhaftigkeit schon beim Anblick eines Engels erschrecken? Nach ihrer Vernunft hätten die Hirten aber endlich auch denken können: Wie! Ein in elende Windeln gewickeltes, in einer Krippe, also in einem Stall liegendes Kindlein soll der geweissagte Messias und König Israels, ja, soll Gott der HERR selbst und unser und aller Welt Heiland sein!? – Ja, so hätten die lieben Hirten denken und sprechen müssen, wären sie hier nach ihrer Vernunft vorgegangen. Aber was tun sie? Sie geben keinem Zweifel Raum: Sie glauben. Ist das nicht wunderbar? Worin liegt der Grund dieses Geheimnisses? Darin, meine Lieben: Während die Klarheit des HERRN, von welcher der Engel umflossen war, sie nur erschreckt und ihr Auge geblendet, und während die überirdischen Melodien der himmlischen Heerscharen nur ihr Ohr ergötzt hatten, so war hingegen das Wort der Engelpredigt mit so süßer Gottesgewalt in ihr Herz gedrungen, dass keine Vernunftanstöße in ihrer Seele aufkommen konnten, sondern ein durch nichts auszulöschender Glaube wie ein in ihrer Seele angezündetes Himmelslicht in ihnen zu leuchten begann.

    Seht da, meine Lieben, das Erste, was Zuhörer tun müssen, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört haben! Nicht eigene Gerechtigkeit und Heiligkeit ist also das Nötige, nicht irgendein eigenes Verdienst oder eine eigene Würdigkeit, nicht große schwere Werke, ja, gar kein Werk, sei es groß oder klein, sei es leicht oder schwer, sondern allein – Glaube.

    O, beraubt euch denn, meine Lieben, nicht selbst durch Unglauben des Christfestsegens, den Gott einem jeden auch unter uns zugedacht hat. O, lasst es doch darum nicht dabei bewenden, dass ihr die trostvollen Weihnachtspredigten nur fleißig gehört habt oder dass ihr doch durch dieselben mit einer freudigen Verwunderung erfüllt worden seid; denn auch von den ungläubigen Einwohnern Bethlehems heißt es in unserem Text ausdrücklich: „Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten.“ Nein, folgt dem Beispiel der Hirten. Glaubt mit ihnen: Was einst der Engel des HERRN predigte, ist gewiss und wahrhaftig geschehen. Glaubt mit ihnen: Der HERR selbst ist es, der das Wunder über alle Wunder durch den Engel kundgetan hat. Wohl könnt ihr diesen Glauben euch nicht selbst geben; das kann Gott allein tun, aber er will es tun, und ihr, ach, ihr könnt es hindern. O, so folgt denn auch darin den lieben Hirten, dass ihr nicht auf die Stimme eurer Vernunft, sondern allein auf das Wort der Weihnachtspredigt hört, so wird dieses Wort mit göttlicher Gewalt auch in euer Herz dringen und ohne alles euer Zutun das Himmelslicht eines durch keine Welt auszulöschenden Glaubens auch in euch anzünden, so dass auch ihr endlich mit den Hirten jubilieren könnt: O wir seligen Meschen! O der großen Freude! Auch uns, auch uns ist heute der Heiland geboren! Halleluja heute hier in der Zeit, Halleluja einst dort in alle Ewigkeit!

 

2.

    Doch, meine Lieben, aus dem Beispiel der lieben Hirten von Bethlehem ersehen wir, dass diejenigen Zuhörer, welche die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört haben, sondern den vollen Segen derselben erlangen wollen, dieselbe auch an ihrem Herzen zu erfahren suchen müssen. Davon lasst mich daher nun zweitens zu euch sprechen.

    Warum gingen wohl die Hirten nach Bethlehem? Offenbar nicht darum, weil sie erst sehen und dann glauben wollten; sie glaubten ja offenbar schon, ehe sie sahen; sie sprechen ja, wie wir gehört haben, ausdrücklich: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der HERR kundgetan hat.“ Sie sagen also nicht: Lasst uns gehen, um uns nun auch von der Wahrheit dessen, was wir gehört haben, zu überzeugen; lasst uns sehen, ob die Geschichte geschehen sei; nein, im festen Glauben sprechen sie: „Die da geschehen ist.“ Die Hirten sind aber auch nicht darum nach Bethlehem gegangen, weil es ihnen etwa streng geboten gewesen wäre. Denn obwohl es der Engel des HERRN allerdings vorausgesetzt hatte, dass sie das tun würden, indem er sprach: „Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“, so hatte er doch, dass sie das tun sollten, ihnen mit keinem Wort geboten. Sie gingen also ganz freiwillig und ungezwungen, und zwar mit brennendem Verlangen und wallender Herzensfreude; denn es heißt in unserem Text: „Und sie kamen eilend.“ Sie gingen also in dunkler Nacht über Berg und Tal, wie im Wettlauf: keiner wollte zurückbleiben, keiner auch nur der Letzte, vielmehr jeder der Erste sein. Warum aber? Das sagt unser Text, wenn es darin heißt: „Da sie es aber“, nämlich das Kindlein, gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kind gesagt war, … und kehrten wieder um.“ „Sehen“ wollten sie also das neugeborene Wunderkindlein, an dessen gnaden- und freudenreiche Geburt sie schon glaubten, um sich an seinem holdseligen Anblick zu weiden. Dies allein und nichts anderes hatte sie getrieben, ihre Herden zu verlassen und nach der Stadt Davids zu eilen; denn nachdem sie das Kindlein gesehen und ohne Zweifel mit unaussprechlicher Freude betrachtet hatten, kehrten sie, im Glauben mächtig gestärkt, alsbald wieder um.

    Seht da, meine Lieben, das ist also das Zweite, was Zuhörer tun müssen, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört haben, sondern ihres vollen Segens teilhaftig werden. Auch sie müssen nämlich dann nach Bethlehem gehen. – Nicht dass sie also etwa auch, wie die Hirten, mit ihren Füßen an jene heilige Stelle wallfahrten müssten. Ach nein! Das himmlische Kind liegt ja längst nicht mehr dort in der Krippe im finsteren Stall, sondern thront vielmehr bereits zur Rechten der göttlichen Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart und Majestät in der Höhe, auf Gottes Stuhl. Nein, was ein rechter Zuhörer, nachdem er die Weihnachtspredigt wie die Hirten im Glauben angenommen, dann zu tun hat, ist, dass er nun im Geist nach Bethlehem eilt, das ist, dass er nun, was er glaubt, [nun ihm auch von Gott bekräftigt und Frieden und Freude vertieft werden][5].

    Es ist nämlich freilich falsch, wenn man nicht eher glauben will, als bis man das zu Glaubende in seinem Herzen erfahren, gefühlt und empfunden hat; denn das ist es ja, was Christus einst an Thomas mit den Worten strafte: „Dieweil du mich gesehen hast, Thomas, so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Allein nicht weniger falsch ist es, wenn manche meinen, und damit ihr totes Kopfchristentum rechtfertigen wollen, ein wahrhaft Gläubiger sei ein Mensch, der über dem, was er glaube, [nicht Frieden und Freude fühlen und empfinden dürfe][6]; das sei nur Gefühlsschwärmerei. Das wahre Christentum soll also bloß eine Sache des Verstandes sein. Aber so ist es nicht. Das Reich Gottes ist, wie die Schrift sagt, wohl zuerst Gerechtigkeit, aber dann auch Friede und Freude im Heiligen Geist. Wie daher einen wahrhaft Gläubigen hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, so hungert und dürstet ihn auch nach diesem süßen Frieden und nach dieser seligen Freude; wie denn David im Gefühl seiner Sünde ausdrücklich seufzt und fleht, nicht nur: „Gib mir einen neuen gewissen Geist“, sondern auch: „Und der freudige Geist enthalte mich.“

    Wer daher mit den Hirten von Bethlehem die himmlische Weihnachtspredigt gehört und im Glauben angenommen hat, der kann es dann auch nicht lassen, der muss dann auch ungeheißen nach Bethlehem eilen, um das Kindlein Jesus, an das er bereits glaubt, auch im Geist zu sehen, sich an seinem Anblick zu weiden, kurz, [durch Vertiefung in das Wort][7] zu sehen und zu schmecken, wie freundlich der HERR ist. Fühlt er sich nämlich auch nach der Weihnachtspredigt kalt, finster, hart, tot, und leer, so zweifelt er zwar darum nicht daran, dass der Neugeborene auch sein Heiland und er sein Begnadigter sei, er spricht: „Ich glaub‘, was Jesu Wort verspricht, ich fühl‘ es oder fühl‘ es nicht“; aber es tut ihm weh, dass sein Herz so kalt und empfindungslos ist. Er lässt es daher nicht dabei bewenden, dass er von Christi Geburt in der Kirche hat predigen hören, er sucht ihn nun auch, aus der Kirche zurückgekehrt, in seinem Haus, und zwar im geschriebenen Wort Gottes, in freudigen Liedern und andächtigen Betrachtungen, ob er sich von ihm auch fühlen und finden lasse wolle; oder er sucht einen Joseph und eine Maria auf, die Jesus in ihrer Mitte haben, und erquickt sich durch geistliche Gespräche mit ihnen; oder er wirft sich endlich in seinem Kämmerlein auf seine Knie und fleht: „O Jesus, mein Heiland, an den ich glaube, o komm doch auch in mein armes Herz!“ Und siehe! Sein Gebet wird ihm dann zumeist, wiewohl nicht immer, nach seinem Wunsch auch endlich erhört; sein Kämmerlein verwandelt sich in ein Bethlehem, sein Herz in eine Krippe, in der Jesus liegt. Da feiert er denn so selige Stunden, dass ihn däucht, er sei schon im Himmel; Stunden, gegen die er aller Welt Gut, Freude, Ehre und Herrlichkeit für nichts achtet. [Gibt ihm aber Christus solche Empfindungen nicht, so ist er doch zufrieden und hält sich an das Wort und dankt über dem, was er im Wort liest und Gott ihm darin zugesagt hat.][8]

    [Solche Zuhörer haben die Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört.][9]

 

3.

    Doch, meine Lieben, zum vollen Segen derselben gehört noch eins, und das ist: Dass sie durch die Weihnachtspredigt nun auch selbst lebendige Weihnachtsprediger zu werden anfangen. Darüber lasst mich denn nun drittens nur noch einige wenige Worte hinzusetzen.

    Kaum waren die Wechselgesänge der Engelchöre verklungen, da öffneten nach unserem Text nun die Hirten ihren Mund, die bisher nur sprachlos gehört und gestaunt hatten. Und wovon redeten sie nun? Unterhielten sie sich etwa über den strahlenden Glanz des Erzengels, den sie gesehen, oder über die himmlische Musik, die sie gehört hatten? Nein, die Predigt, die sie gehört hatten, ist der Gegenstand ihrer Rede. Die hat ihr Herz so gänzlich erfüllt, dass sie darüber selbst die gesehene und gehörte himmlische Herrlichkeit ganz vergessen oder doch nicht groß achten. Der Engel schweigt, so wird nun ein Hirte des anderen Weihnachtsprediger. Aufmunternd rufen sie einander zu: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist.“

    Nachdem sie aber hierauf alle wie im Flug nach Bethlehem geeilt und daselbst angekommen sind, da ist zwar das Erste, was sie hier tun, dass sie das in der Krippe liegende Himmelskind mit stummer Freude beschauen; „da sie es aber gesehen hatten“, heißt es in unserem Text, „breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kind gesagt war“. Die sonst so verlegenen und nicht redebegabten Hirten werden also nun ganz Bethlehem und selbst Josephs und Marias Weihnachtsprediger, durch die das ganze Städtlein eine mächtige Erweckung der Herzen erfährt; denn es heißt: „Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“

    Dass nun aber die Hirten nicht etwa in geistlichem Stolz oder in schwärmerischem Sinn als Weihnachtsprediger unter sich und gegen andere auftraten, dies sehen wir daraus, dass es am Schluss heißt: „Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, das sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“ Sie geben also allein Gott alle Ehre, den loben und preisen sie, und sie achten sich nun nicht etwa für zu hochbegnadigte Personen, um ferner Hirten zu bleiben; nein, sie kehren zu ihrem irdischen Beruf zurück, um in demselben Christus nun auch mit ihren Berufswerken in einem neuen Leben im Glauben zu predigen. –

    Warum mag nun aber der Heilige Geist gerade hiermit seine Beschreibung der ersten Zuhörer der ersten Weihnachtspredigt auf Erden schließen? – Erstlich ohne Zweifel darum, damit wir Christen, die wir die gnadenvolle Weihnachtspredigt auch gehört haben, darüber schamrot werden, wenn wir nach derselben über das Gehörte darum stumm sind, weil entweder unser Herz so leer geblieben ist, dass es freilich nicht überfließen kann, oder weil wir uns schämen, den Heiland gegen andere, namentlich gegen Ungläubige über unsere Lippen zu bringen. Zum anderen will aber der Heilige Geist uns ohne Zweifel durch das Beispiel der Hirten anfeuern, dass wir nach gehörter Weihnachtspredigt nun auch selbst lebendige eifrige Weihnachtsprediger werden mit Worten und Werken.

    O, so lasst uns denn, meine Teuren, unser diesjähriges Christfest nicht schließen, ohne anzufangen, solche Weihnachtsherolde zu werden. Nachdem die einfältigen Hirten darin vorangegangen sind, kann nun kein Mensch sich damit ausreden, er sei zu einem Weihnachtsprediger zu einfältig, er trage den Segen wohl im Herzen, aber denselben in Worten auszudrücken, das sei nicht seine Gabe. Ach, wenn nur unser Herz voll von Jesus ist, so wird auch unser Mund von ihm übergehen; ja, da werden auch wir, wie die Hirten selbst den himmlischen Glanz und die himmlische Musik über der Weihnachtspredigt vergaßen, über derselben noch vielmehr den irdischen Festglanz vergessen. Dann werden in diesen heiligen Tagen die eitlen Reden in unseren Häusern verstummen, und Vater und Mutter werden zu ihren Kindern, der Gatte zu seiner Gattin, der Hausherr und die Hausfrau zu ihren Angestellten, Brüder und Schwestern zu ihren Geschwistern, Freunde zu ihren Freunden, Nachbarn zu ihren Nachbarn vor allem von dem reden, was ihnen in diesen Tagen gepredigt worden ist. Dann werden wir aber, wie die Hirten, auch nach dem Christfest lebendige Weihnachtsprediger bleiben, indem wir zu unserem irdischen Beruf zurückkehren, und nun nicht allein mit Worten, sondern auch mit den Werken eines neuen Lebens predigen und so unsere Häuser, Gast- und Speisezimmer, Schlafkammern, Werkstätten und Geschäftsplätze zu lauter Kanzeln unseres geistlichen Priestertums machen.

    Nun denn, meine teuren Brüder und Schwestern in dem HERRN, noch wenige Stunden – und unser schönes Christfest ist wieder dahin, und Gott alleinweiß es, wer unter uns noch einmal ein Christfest erleben wird; so rufe ich euch denn am Ausgang dieses zu:

Lobt ihn mit Herz und Munde,

Welchs er uns beides schenkt.

Das ist ein selge Stunde,

Darin man sein gedenkt.

Sonst verdirbt alle Zeit,

Die wir zubringn auf Erden;

Wir sollen selig werden

Und bleibn in Ewigkeit.

    Amen.

 

Evangelienpredigt zu Neujahr ueber Lukas 2,21: Wie wahre Christen das neue Jahr im Namen Jesu anfangen

 

    In deinem Namen, o Jesus, fangen wir heute wieder ein neues Jahr unserer irdischen Pilgerschaft an. In deinem Namen, o Jesus! – Darum gedenken wir heute der tausendfältigen Wohltaten, welche du im vergangenen Jahr uns aus laut er Gnade und Barmherzigkeit nach Seele und Leib hast genießen lassen. Wer kann sie zählen, die Beweise deiner Liebe, die wir Unwürdige erfahren haben! – Aus wie viel Nöten hast du uns errettet, in wie viel Gefahren hast du uns geschützt, in wie viel Bedrängnissen uns geholfen, bei welchem Mangel uns doch allezeit gespeist, getränkt, bekleidet, beherbergt, aus wie viel Irrwegen uns zurückgeführt, wie viel Torheiten und Sünden an uns mit Geduld und Langmut getragen! Wie gnädig hast du besonders deine Hand über dieser teuren Gemeinde gehalten! Wie mächtig hast du den Ratschlag des Satans zunichte gemacht, sie ins Verderben zu führen! Wie kräftig hast du dich dieser teuer erkauften Seelen selbst angenommen! O Jesus, du hast uns wohl gezüchtigt um unserer Sünde willen, aber deine Gnade hast du nicht von uns gewendet. Dafür danken wir dir heute in diesen ersten Stunden des neu uns geschenkten Jahres mit demütigem Herzen und geben deinem heiligen Namen dafür Lob, Preis, Macht und Ehre.

    Aber, o Jesus, wie du im alten Jahr mit uns gewesen bist, so begleite uns nun mit deiner Gnade, Geduld und deinem Segen auch in das neue. Lass vor allem keinen unter uns in Unbußfertigkeit in dasselbe eintreten, und hilf, dass wir in dem neuen Jahr alle, alle ein neues Leben anfangen und nun alle in wahrer Gottesfurcht, in Eifer, in Liebe und Frieden gemeinschaftlich unverrückt dem Weg zum Himmel gehen. O lieber HERR, wovor sollten wir uns dann fürchten? Durch deine Gnade werden wir dann in unserer Schwachheit stark und durch deinen Segen in unserer Armut reich sein. Mag unsere Zukunft dunkel und ratlos scheinen und kein Mensch uns helfen wollen: Auf dich werfen wir alle unsere Sorgen, und da können wir ruhig sein; du wirst uns leiten nach deinem Rat und alles herrlich hinausführen. Du wirst zuschanden machen, die uns Übels gönnen, und zunichte machen die Weissagungen derer, die uns Unglück verkündigen. Nun, HERR, wir trauen auf dich; lass uns nimmermehr zuschanden werden. Amen. Amen.

 

    Geliebte in dem HERRN Jesus!

    Jesus soll aller unserer Dinge A und O, Anfang und Ende sein. Auf seinen heiligen Namen sind wir getauft; wir sind daher nicht mehr ein Eigentum unserer selbst, sondern Jesu Eigentum; ihm haben wir uns in unserer Taufe mit allem, was wir sind und haben, denken, begehren, reden und tun verschrieben und verlobt. In Jesu Namen sollen wir daher alles anfangen, fortsetzen und vollenden. Wir sollen nicht nur nach dem Zeugnis des Wortes Gottes in Jesu Namen beten, nicht nur in seinem Namen uns versammeln; St. Paulus verlangt mehr; in diesem Namen schließt er alles ein; er spricht Kol. 3,17: „Alles, was ihr tut, mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des HERRN Jesus.“ Nichts ist also ausgenommen; in Jesu Namen sollen nicht nur die Werke von uns getan werden, welche sich auf das ewige Leben beziehen, sondern auch die, welche das gegenwärtige Leben angehen, nicht nur die Werke unseres Christentums und der Gottseligkeit, sondern auch die unseres irdischen Berufs, nicht nur die großen wichtigen, sondern auch die kleinsten und geringsten.

    Aber was heißt das: Wir sollen alles in Jesu Namen tun? Das heißt: Wir sollen nichts tun nach eigenem Willen und Gutdünken, sondern allein das, wovon wir gewiss wissen, Christus habe es uns entweder befohlen oder doch vergönnt; es gefalle ihm daher wohl. Ferner heißt dies so viel: Wir sollen nichts anfangen, nichts tun auf unsere eigene Kraft und Weisheit, sondern in Demut, in Verzagen an uns selbst, im alleinigen Vertrauen auf den Beistand und den Segen des HERRN. Denn gleichwie der Mund spricht: „Das walte Gott“, so muss das Herz auch gewiss sein und mit festem Glauben dafürhalten, dass Gott über dem Werk walte und das Gedeihen gebe; wie St. Petrus spricht: „Wer etwas tut, der tue es aus dem Vermögen, das Gott darreicht.“ Weiter heißt „in Jesu Namen alles tun“ so viel: Alle unsere Werke nicht auf eigenen Nutzen oder Ruhm, sondern einzig auf Gottes Ehre und zu des Nächsten Nutzen richten und selbst keine Ehre davon genießen wollen; wie St. Paulus spricht: „Ihr esst nun oder trinkt oder was ihr tut, so tut alles zu Gottes Ehre.“ Endlich heißt „in Jesu Namen alles tun“ auch: Alles unter herzlicher, inbrünstiger und gläubiger Anrufung Christi, unter stetem Bitten und Seufzen um seine Gnade alles vornehmen.

    Wer also etwas tut, was ihm von Christus nicht befohlen oder doch vergönnt ist oder im Vertrauen auf seine Kraft und Klugheit, auch in irdischen Dingen; wie viel mehr in himmlischen! Oder wer etwas tut zu seinem Nutzen und zu seiner Ehre und nicht einzig zu Gottes Ehre und nicht in herzlicher Liebe zu seinem Nächsten, sondern in Hass, Bitterkeit und Feindschaft oder endlich ohne Anrufung Christi, ohne in seiner Gnade zu stehen und von seinem Geist getrieben zu werden: der tut alles in seinem eigenen Namen; an dessen Werken ist nichts Gutes, Gott sieht sie nicht an, sie sind ihm ein Greuel und er verwirft sie, hätten sie auch einen noch so guten Schein und wären sie auch mit noch so großer Arbeit und Mühe verbunden. Was aber auf Christi Geheiß, in demütigem Vertrauen auf seine Hilfe, mit Verleugnung unserer selbst, zu Christi Ehre und unseres Nächsten Heil unter herzlichem Seufzen und Flehen unternommen wird, das geschieht in Jesu Namen, hat unter seinem Beistand guten Fortgang und gefällt Gott in Christus wohl, so klein, gering und unansehnlich auch das Werk sein mag.

    Welch eine große Aufgabe hat also der Christ! Wer vieler Leben und Werke werden an diesem Probierstein zuschanden! Wie wenige tun alles im Namen Jesu! Manchem wird das vielleicht unmöglich schienen. Aber es ist wohl möglich; wer in Christi Gnade steht und Christus in sich wohnen hat, seine Liebe, seine Demut, seine Sanftmut und den Trieb des Heiligen Geistes, dem ist dies alles nicht so schwer, ja, nach seinem neuen Menschen kann er dann gar nicht anders; er müsste erst Christi Gnade, Glauben und gutes Gewissen wegwerfen, ehe er nicht alles im Namen Jesu tun sollte, und übereilt ihn einmal eine Schwachheit kehrt er schnell weinend zu seinem Heiland zurück, klopft wieder an seiner Gnadenpforte und ruht nicht, bis sein Gewissen wieder gereinigt ist.

    Sollen wir nun, liebe Freunde, alles im Namen Jesu tun, wie sollen wir da wohl das neue Jahr anfangen? Auch nicht in unserem, sondern in Jesu Namen. Darauf weist uns das heutige Evangelium.

 

Lukas 2,21: Und da acht Tage um waren, dass das Kind beschnitten würde, da ward sein Name genannt Jesus, welcher genannt war von dem Engel, ehe denn er in Mutterleib empfangen ward.

 

    Das verlesene Evangelium ist ohne Zweifel zuerst darum auf den heutigen Tag verlegt worden, weil Christus gerade heute, nämlich acht Tage nach seiner Geburt, beschnitten worden ist. Aber da Christus hierbei der Name Jesus das erste Mal öffentlich beigelegt worden ist, so sollen wir unstreitig dadurch daran erinnert werden, dass ein christlicher Anfang des neuen Jahres im Namen Jesu geschehen müsse. Damit beschäftige sich daher auch jetzt unsere Andacht:

 

Wie wahre Christen das neue Jahr im Namen Jesu anfangen

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Jesus ist es, dessen sie sich trösten bei der Erinnerung an die Sünden der Vergangenheit;

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Jesus ist es, dem sie sich übergeben bei ihren Entschließungen in der Gegenwart; und

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Jesus ist es, auf den sie hoffen bei ihrem Blick in die Zukunft.

 

1.

    Die Feier des Neujahrsfestes ist, meine Freunde, erst seit ungefähr 800 Jahren in der Christenheit eingeführt worden. In den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung war der heutige Tag kein Fest- sondern ein Trauertag, an welchem man betete, fastete und weinte. An diesem Tag stellten nämlich die Heiden große Opfer, prächtige Gastereien, unzüchtige Tänze und blutige Schauspiele an. Augustinus sagt daher: „An diesem Tag fasten wir Christen und seufzen für die Heiden, die daran fröhlich sind.“ Wir sehen hieraus, welchen großen Ernst und Eifer die ersten Christen gegen die Sünde bewiesen. Selbst bei den Sünden anderer, die in ihrer Nähe vorgingen, begegneten sie ihrem Gott und reifen ihn bußfertig an, dass er sie dieser Sünden nicht teilhaftig werden lassen und dieselben ihnen nicht zurechnen wolle. Sie trachteten mit großem Ernst danach, in das neue Jahr keine unvergebenen Sünden mit hinüber zu nehmen, sondern dasselbe unter Gottes Gnade und Wohlgefallen anzutreten.

    Haben nun die ersten Christen solchen Ernst gegen fremde Sünden bewiesen, wie viel mehr wird es nötig sein, ihn gegen die eigenen zu beweisen!

   Ja, liebe Zuhörer, wollen wir das neue Jahr in Jesu Namen anfangen, so müssen wir vor allem danach trachten, in seiner Gnade es zu beginnen und bei der Erinnerung an die Sünden der Vergangenheit uns seiner trösten zu können. Der wahre Christ weicht heute der Erinnerung an seine vorigen Sünden nicht aus; er denkt nicht, weil es Sünden vergangener Zeiten sind, dass sie darum auch mit jenen Zeiten von selbst vergangen seien; er wähnt nicht, dass die Zeit Wunden des Gewissens heilen könne; er sucht sie nicht zu vergessen und aus seinem Gedächtnis zu vertilgen; er glaubt nicht, wenn er ihrer nicht mehr gedenke, dass sie auch bei Gott in Vergessenheit geraten; er sucht sich nicht darüber zu beschwichtigen. O nein, seine Sünden sind dem Christen die erste Sorge im neuen Jahr. Die Abrechnung seiner Sündenschuld ist die erste Rechnung, die er hält. Damit muss er sogleich aufs Reine kommen. In Jesu Namen will er anfangen, und er weiß, das kann er nur, wenn er durch ihn Gnade hat. Die ersten Fragen, die der wahre Christ daher im neuen Jahr an sich tut, sind diese: Sind mir auch meine Sünden vergeben? Sind mit dem alten Jahr auch alle meine alten Sünden verschwunden? Habe ich keine mit hinübergenommen? Stehe ich in Gnaden? Stehe ich im Glauben? Kann ich gewiss sein, Gott sehe heute auf mich mit Wohlgefallen herab als auf sein Kind? Kann ich gewiss sein, Gott spreche heute auch zu mir: „Fürchte dich nicht und lass dir nicht grauen, ich bin mit dir; ich werde dich, mein Kind, nicht verlassen noch versäumen, ich begleite dich durch das neue Jahr“? Und siehe, auf alle diese Fragen spricht der wahre Christ ebenso freudig wie demütig: Ja, ich weiß es, du bist mein Jesus, mein Seligmacher, mein Heiland, mein HERR, der meine Gerechtigkeit ist; ich habe dich in meiner Sündennot angerufen, und du hast mich erhört und hast mir das Pfand meiner Erlösung und Versöhnung gegeben, nämlich deinen Geist, durch welchen ich rufe: Abba, lieber Vater! Darum ergreife ich auch heute wieder deine Gerechtigkeit und wasche im Glauben mein Gewissen durch dein Blut.

    Nun, meine Geliebten, habt ihr auch so den heutigen Tag angetreten? Sind diesen Morgen auch eure Sünden die ersten Sorgen des neuen Jahres gewesen? Habt ihr auch auf jene Fragen nach eurem Gnadenstand mit Ja antworten und Christus im Glauben ergreifen können? Oder habt ihr an eure Sünden gar nicht gedacht, oder habt ihr sie zu vergessen gesucht, oder habt ihr sie euch selbst vergeben, ohne die Kennzeichen des wahren Glaubens an euch wahrzunehmen? Dann habt ihr nicht in Jesu Namen angefangen, sondern in eurem eigenen Namen. O, wie wollen wir denn dann unsere Sünden loswerden, wen wir sie aus einem Jahr in das andere hinübernehmen? Wenn wir das Werk unserer Bekehrung immer weiter und weiter hinausschieben? Wir wissen ja nicht, ob nicht schon dieses das letzte unserer Lebensjahre sei. Soll der Tod uns ohne Christus ereilen? Nun, noch ist der heutige erste Jahrestag nicht verstrichen; lasst uns noch heute bußfertig zu Christus gehen; wer heute nur den Anfang macht, seine Gnade redlich zu suchen, schon der fängt dann das Jahr in seinem Namen an; seine Gnade geht schon heute über ihn auf, um seine Gefährtin zu sein durch das ganze Jahr, ja, durch das ganze Leben, bis sie ihn durch einen seligen Tod hinüberleitet in das Land der Vollendung und Seligkeit.

 

2.

    Doch wahre Christen zeigen zweitens auch dadurch, dass sie das neue Jahr in Jesu Namen anfangen, da er es ist, dem sie sich übergeben bei ihren Entschließungen in der Gegenwart.

    Zwar ist an einem Tag, wie der heutige, gewöhnlich auch der Mund der falschen Christen und Weltkinder voll guter Vorsätze und Versprechungen; aber sie haben weder den rechten Grund noch den rechten Ernst noch den rechten Inhalt. Sie fangen daher das neue Jahr darum noch nicht im Namen Jesu an. Der Grund ist bei ihnen: Sie wollen mit ihren Versprechungen ihr Gewissen beruhigen und Gott wieder einmal zufriedenstellen; aber heute versprechen sie, das ganze Jahr ein andres Leben anzufangen, und schon morgen beginnen sie den alten Lauf; ihre Rührungen sind nichts als Bewegungen ihres natürlichen Herzens, die schnell wieder verschwinden; sie wissen auch gar nicht, was sie Gott eigentlich geloben sollen, sie kennen weder sich noch die Erfordernisse des wahren Christentums.

    Ganz anders ist es bei einem wahren Christen. Der Grund seiner Versprechungen und Gelübde an dem heutigen Tag ist der in ihm lebendige Trieb der Gnade, von der Sünde immer mehr befreit zu werden und in der Heiligung zu wachsen, die Liebe zu Christus, zu seinem Wort und Willen und zu allem, was gut, geistlich und himmlisch ist. Daher ist es einem wahren Christen heute mit seinem Vorsatz ein wahrer Ernst, sich in dem neuen Jahr ganz seinem Jesus zu ergeben. Er freut sich, dass sich ihm wieder ein ganzes Jahr öffnet, in welchem er sich seinem Heiland opfern kann. Er freut sich, noch in der Gnadenzeit zu leben, um nach manchem Fallen und Straucheln, nach immer wiederkehrender Untreue Gott aufs Neue beweisen zu können, dass er seine Sünden hasse und gern und wahrhaftig sein Gelübde der Besserung halten und Gott bessere und reichere Früchte seiner Gnade bringen wolle.

    Aber, was die Hauptsache bei einem wahren Christen ist, er verspricht Gott nicht Besserung, ohne recht zu wissen, was er damit meine. Er weiß nicht nur, was zum wahren Christentum gehört, er kennt sich auch selbst; er weiß, worin es anders mit ihm werden muss; er kennt seine Schwachheiten, er kennt seine bösen Lieblingsneigungen, er weiß, was ihn am ersten stürzen und seiner Seele Gefahr bringen kann, er weiß, was es heißt, versucht zu werden.

    Wenn nun der wahre Christ heute das neue Jahr in Jesu Namen anfangen will, so achtet er alles, was er vorher getan hat, für nichts; er hält sich für einen unnützen Knecht und verwirft sein ganzes voriges Leben. Er kündigt heute alles seinen Schwachheiten und Lieblingsneigungen den krieg an; er beschließt, in dem neuen Jahr keiner Trägheit wieder Raum zu geben, dem Willen seines Fleisches auf immer abzusagen, und was seinem Fleisch angenehm ist, gern zu verleugnen, ehe er dadurch die Gnadenwirkungen des Heiligen Geistes an sich hindern sollte; er will sich nie wieder schonen, sich keine Ruhe gönnen und gegen die Sünde kämpfen bis aufs Blut. Er gelobt Gott mit Ernst: In dem neuen Jahr soll kein unnützes Wort über seine Lippen gehen; die Hoffart will er aus seinem Herzen verbannen, seinen Eigenwillen unterdrücken, alles Vertrauen auf Menschen fahren lassen und keine Lust noch Sorge dieser Welt soll sein Herz abziehen und beschweren.

    Hingegen will er nun im neuen Jahr das Evangelium zieren in allen Stücken; nie soll der Eifer in ihm erkalten; stets soll sein Herz dem Heiligen Geist offen stehen; über alle Bewegungen seines Herzens will er wachen; die Flamme des Gebets soll stets in ihm brennen; er will als ein Auserwählter schreien zu Gott Tag und Nacht; das Wort Gottes soll nicht von seinem Mund und nicht aus seinem Herzen kommen; Demut und Sanftmut will er nun allezeit an sich sehen lassen; er will allezeit gering von sich halten, mit den Niedrigen und Verachteten gern umgehen; die Stille suchen und über niemand sich erheben; er will auch gern mit jedermann Frieden halten, soviel an ihm ist; sich liebreich, freundlich und dabei ohne Falschheit gegen jedermann beweisen. Auch seine irdischen Güter sollen ihm nie an seinem Herzen kleben; der Arme soll in dem neuen Jahr ihrer reichlich genießen. Kurzum, der wahre Christ gelobt Gott das Gelübde: Jesus will er seinen Leib, seine Seele, sein Herz, seine Kräfte, seine Zeit, seine Gedanken, Worte, Gebärden und Werke, ja, alles, alles, opfern, was er ist und hat; in sein Bild will er sich jeden Tag mehr verklären lassen; er will den alten Menschen ablegen und den neuen anziehen; im neuen Jahr soll es von ihm heißen: „Er ist eine neue Kreatur, siehe, es ist alles neu geworden.“ Christus soll bei ihm werden alles in allem. Er seufzt heute:

Höchster Priester, der du dich

Selbst geopfert hast für mich,

Lass doch, bitt ich, noch auf Erden

Auf mein Herz dein Opfer werden.

 

Trage Holz zu dem Altar

Und verbrenn mich ganz und gar.

Ach, du allerliebste Liebe,

Wenn doch nichts mehr von mir bliebe!

So fängt der Christ das neue Jahr im Namen Jesu an.

    Nun, meine Zuhörer, fühlt ihr heute auch einen solchen lebendigen Trieb der Gnade in eurem Herzen, euch nun Christus aufs Neue ganz zu übergeben? Freut ihr euch auch darauf, einem neuen Abschnitt eures Lebens entgegenzugehen, in welchem ihr nun eine ganz andere Treue, einen ganz anderen Ernst und Eifer als vorher beweisen wollt? Oder verspürt ihr nichts von einem solchen Drang und von einer solchen Freude? Nichts von einer solchen Liebe zu Christus, seinem Wort und Willen? Schweben eure Vorsätze nur auf euren Lippen; kommen sie nicht aus dem Grund eures Herzens? Dann sucht seine Gnade, so werden bald die ernstlichsten Entschließungen folgen.

 

3.

    Das dritte endlich, wodurch ein wahrer Christ das Jahr in Jesu Namen anfängt, ist dieses: Dass es auch Jesus ist, auf den er hofft bei seinem Blick in die Zukunft.

    Der Ungläubige ist bei dem Blick in die Zukunft, selbst wenn sie noch so trübe ist, oft auch nicht hoffnungslos, aber er baut seine Hoffnung auf etwas Falsches. Auf nichts weiter, als auf Christus zu setzen, ist ihm unmöglich; das dünkt ihm doch zu gewagt, allein im Vertrauen auf ihn in die unbekannte verhüllte Zukunft hineinzugehen. Oft sucht sich aber der, welcher einen toten Glauben hat, zu bereden, er hoffe allein auf Christus, aber ist ein solcher heute getrost, so ist er’s doch im Grund nur darum, weil er sich auf das Gold und Silber verlässt, das er etwa noch hat; oder auf die guten Freunde, von denen er sich Hilfe und Beistand in der Not verspricht; oder er denkt: Was willst du sorgen? Du bist ja gesund und kannst arbeiten, du bist geschickt und hast allerlei Fertigkeiten dir erworben, dir stehen tausend Wege offen, dir dein Brot zu erwerben; oder er denkt: Du bist klug, du wirst schon ein Mittel ausfindig machen, dir zu helfen. Elende Menschen! O des sterblichen und zerbrechlichen Gottes, des sie sich trösten! Wie schnell kann Gott solche Götzen umreißen! Gott sagt hierzu mit großem Ernst: „Verflucht ist, wer sich auf Menschen verlässt und hält Fleisch für seinen arm und mit seinem Herzen vom HERRN weicht!“ O des kläglichen sandigen Grundes, worauf sie ihre Hoffnung bauen! Mit großem Ernst sagt Gott hiervon: „Die Hoffnung des Heuchlers wird verloren sein. Denn seine Zuversicht vergeht und seine Hoffnung ist ein Spinngewebe.“

    O, wie ganz anders blickt hingegen der Christ heute in das vor ihm liegende neue Jahr! Er tut es im Namen Jesu. Er verhehlt sich zwar nicht die kümmerliche Lage, in welcher wir uns befinden; er erkennt unsere völlige Entblößung von aller menschlichen Hilfe gar wohl; er verbirgt sich’s nicht, wie gering die Vorräte und Mittel zu unserer Erhaltung sind; ja, er erwartet von dem neuen Jahr viel neue Leiden, Trübsale, Mangel, Bedürftigkeit und Bedrängnisse; und noch viel größere Anfechtungen erwartet er im Geistlichen und Kirchlichen; mit Wehmut sieht er neuen noch nicht erfahrenen Versuchungen zum Abfall, neuen Ärgernissen, allerlei Zerrüttungen, Entzweiungen und Verwirrungen der Gewissen entgegen; er weiß es: Wo die wahre Kirche Christi gepflanzt wird, da pflanzt sich notwendig auch das Kreuz auf; da kann der Satan nicht feiern; kann er sie nicht überwältigen zur Rechten, so greift er sie zur Linken an.

    Aber um aller dieser trüben Aussichten willen verzagt doch der Christ nicht. Er tröstet sich seines Jesus. Er weiß es: „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.“ Gott wird den Seinen nicht mehr auflegen, als sie ertragen können; er lässt sie nicht versucht werden über Vermögen. Er lässt sie wohl eine kleine Zeit leiden, aber nicht, um sie zu verderben, sondern damit ihr Glaube bewährt werde wie das Gold im Feuer, und damit Gott zeigen könne, dass er sei ein Gott, der da hilft, und ein HERR HERR, der auch vom Tod errettet. Der Christ weiß es auch: Der die Vögel unter dem Himmel nährt, die nicht säen noch ernten, und der die Lilie auf dem Feld so wunderbar kleidet, die doch nicht arbeitet noch spinnt, der wird auch den Seinen geben, was sie bedürfen; so sie aber Nahrung und Kleidung haben, so lassen sie sich genügen. Und warum sollte der Christ sich ängstigen wegen der Gefahren, die der heiligen Kirche Christi drohen? Was vermögen alle List, alle Klugheit, alles Macht, alle Ratschläge der Widersacher wider sie? Hat sie nicht einen unbeweglichen Grund, einen göttlichen Stifter, einen allmächtigen Schutzherrn, der darein sehen und mit starker Hand die Seinen erretten und ihnen das Kleinod des Wortes Gottes, der unverfälschten Sakramente, der Schlüssel des Himmelreichs, des rechtes Gottesdienstes und des wahren Glaubens erhalten wird?

    Oft kommen war dem wahren Christen hierbei die Gedanken ein: Aber seid ihr nicht Sünder? Seid ihr eurem Gott nicht sehr untreu gewesen? Kann nun nicht Gott zur Strafe eurer Sünde den Feinden gestatten, euch in zeitliches und ewiges Elend zu stürzen? Aber auch hierbei ist Jesus sein Trost; er ist gewiss, Gott straft keine vergebenen Sünden. Er spricht daher mit Paulus: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Welcher auch seines eingebornen Sohnes nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben. Wie sollte er mit ihm uns nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes uns vertritt uns.“ Will dennoch das schwache Herz des Christen sich nicht zufrieden stellen, so redet er es mit David an: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ich ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“

    Welch ein getroster, in Gott ergebener und herrlicher Anfang ist also der Anfang des neuen Jahres im Namen Jesu! O, möchten wir alle so anfangen können! So würde gewiss für uns alle das kommende Jahr ein gnädiges Jahr des HERRN sein, und wenn die Sonne dieses Jahres unseren Grabhügel bescheinen sollte, so würden wir doch nur von allem Übel erlöst und uns ausgeholfen sein zu Gottes himmlischem Reich, und dort würden wir angefangen haben das große neue Hall- und Jubeljahr aller Seligen und Auserwählten.

    Nun, das gebe euch allen Jesus Christus, euer Seligmacher. Er segne euch vor allem mit Gnade und Vergebung der Sünden, mit seinem Heiligen Geist, mit Kraft und Licht, mit Beständigkeit und Treue. Er segne euch mit Trost in allen Leiden und Ängsten, mit Friede und Freude in allem Schmerz und aller Unruhe, mit Hilfe in aller Not und mit Erquickung in aller Krankheit. Er segne euch mit seinem Wort und Sakrament, er segne eure Kirche und Schule, er segne eure Kinder, eure Witwen und Waisen; er segne eure Felder, Nahrungen und Hantierungen. Er segne euch im Tod, lasse euch Gnade finden vor seinem Angesicht und schenke euch die Krone der Gerechtigkeit. Amen, in Jesu Namen. Amen.

 

Evangelienpredigt zu Epiphanias ueber Matthaeus 2,1-12: Das Wort Gottes der rechte einzige Leitstern auf dem Weg zum Himmel

 

    Es gibt kein Buch in der ganzen Welt, dessen Verständnis m9it so vielen Schwierigkeiten verbunden ist, wie die Heilige Schrift, Sie ist eine so tiefe und reiche Fundgrube der teuersten, seligmachenden Wahrheiten, dass die Weisesten auf Erden nun schon dreitausend Jahre Tag und Nacht darin geforscht haben, ohne ihren Reichtum ausgeschöpft und ohne alle ihre geheimnisvollen Aussprüche zur vollen Klarheit gebracht zu haben. Über kein Buch der Welt sind so viele Auslegungsbücher geschrieben worden, wie über die Heilige Schrift. Und doch sind alle die vielen tausend Bände nicht hinreichend, sie vollkommen zu erklären.

    Diese Tiefe der Heiligen Schrift wird in der römischen Kirche gewöhnlich als Grund angegeben, warum nicht jeder Laie sie in seiner Muttersprache lesen solle. Man spricht, die Schrift sei dunkel, daher werde sie von keinem Laien recht verstanden werden, wenn nicht die Kirche sie auslegte. Aber hierin verbirgt man nur seine Schalkheit. Denn es ist etwas ganze anderes, zu behaupten, die Schrift sei geheimnisvoll und unerforschlich, als zu sagen, sie sei dunkel. Werdet ihr sagen, die Sonne sei dunkel, weil wir Flecken an ihr wahrnehmen, die noch kein Naturforscher hat erklären können? Gewiss nicht. Ebenso wenig ist auch die Heilige Schrift dunkel. Weil sie Gottes Wort ist, enthält sie freilich unzählige Stellen, über deren Sinn wir immer wieder zu forschen haben, aber der Rat Gottes zu unserer Seligkeit ist darin so klar und helle offenbart, dass auch das einfältigste Kind ihn darin lernen kann. Nein, die Heilige Schrift ist nicht dunkel, sie ist die rechte Sonne aller Seelen, ohne welche sie nur in Nacht und Finsternis liegen können. Daher David von ihr sagt: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte“ usw. Und Jesaja sagt von ihr: „Sucht nun in dem Buch des HERRN und lest, es wird nicht an einem derselben fehlen; man vermisst auch nicht dies oder das.“ Auch Christus spricht zum Volk: „Sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewigen Leben darin; und sie ist’s, die von mir redet.“ Von den Beroensern wird vor allem gerühmt, dass sie forschten in der Schrift, ob sich’s auch so verhielte, wie Paulus ihnen gepredigt hatte. Wird es nun an den Beroensern gelobt, dass sie die Lehre der heiligen Apostel nach der Schrift prüften, wie viel wichtiger ist es daher, dass ein jeder Laie jedes Menschen Lehre nach dem Wort Gottes prüfe! Soll er das aber tun, so erkennen wir hieraus, dass die Schrift nicht dunkel, sondern deutlich, hell und klar auch für den Einfältigsten sein müsse. (Daher Johannes in dem Schlussbuch der Heiligen Schrift schreibt: „Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist.“ Denn wie könnte Gott den Zuhörern nach einem Prüfstein prüfen heißen, den sie selbst nicht verstünden?)

    Gibt es aber irgendeine Geschichte Heiliger Schrift, aus welcher wir erkennen können, dass das geschriebene Wort nicht dunkel, sondern hell und klar, ja, der helle Leitstern ist allen, die den Weg zum Himmel gehen wollen, so ist es unsere Festgeschichte von den Weisen aus dem Morgenland. Diese wurden zuerst durch einen Wunderstern erweckt, aber derselbe konnte sie nicht zu Christus führen, er verschwand bald wieder. Das Wort war es, das sie nicht verließ, sondern ihnen immer hell voranleuchtete, als jener sie längst verlassen hatte. Dies veranlasst mich, euch heute das Wort Gottes als unseren rechten Leitstern zum Himmel anzupreisen.

 

Matthäus 2,1-12: Da Jesus geboren war zu Bethlehem im jüdischen Land, zur Zeit des Königs Herodes; siehe, da kamen die Weisen vom Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten. Da das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm das ganze Jerusalem. Und ließ versammeln alle Hohenpriester und Schriftgelehrten unter dem Volk und erforschte von ihnen, wo Christus sollte geboren werden. Und sie sagten ihm: Zu Bethlehem im jüdischen Land. Denn so steht geschrieben durch den Propheten: Und du Bethlehem im jüdischen Land bist keineswegs die kleinste unter den Fürsten Judas; denn aus dir soll mir kommen der Herzog, der über mein Volk Israel ein HERR sei. Da berief Herodes die Weisen heimlich und erlernte mit Fleiß von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und wies sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass ich auch komme und es anbete. Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen hin, bis dass er kam und stand oben über, da das Kindlein war. Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhen. Und Gott befahl ihnen im Traum, dass sie sich nicht sollten wieder zu Herodes lenken. Und sie zogen durch einen anderen Weg wieder in ihr Land.

 

Das Wort Gottes der rechte einzige Leitstern auf dem Weg zum Himmel

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Das Wort allein lässt uns Christus finden.

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Durch das Wort allein werden wir auch bei ihm erhalten.

 

1.

    Der Stern, meine Lieben, von dem unser Evangelium berichtet, kann kein gewöhnlicher, natürlicher gewesen sein. Er konnte ja nicht wie die anderen am Firmament gestanden haben. Denn dann wäre unmöglich, dass derselbe, wie Matthäus berichtet, gerade oben über dem Haus, da das Kindlein war, gestanden habe. Die natürlichen Sterne stehen so hoch, dass wir bei unseren Bewegungen von einem Ort zum anderen keine Veränderung ihres Standes wahrnehmen können. Dazu kommt noch dies: Bethlehem lag von Jerusalem gegen Süden oder Mittag. Da nun der Stern die Weisen von Jerusalem nach Bethlehem begleitet, so hat er daher von Mitternacht (Nord) nach Mittag (Süd) seinen Lauf genommen. Alle gewöhnlichen Sterne gehen aber ohne Ausnahme nach Morgen (Osten). Mit jenem Stern hatte es daher eine besondere Bewandtnis. Er war von Gott besonders geschaffen und nicht an das hohe Firmament, sondern in den niederen Luftkreis unserer Erde gestellt worden.

    Obgleich nun die erwähnten Weisen aus dem Morgenland höchst wahrscheinlich Gelehrte aus dem sogenannten glücklichen Arabien gewesen sein mögen[10], die hauptsächlich in der Stern- und Naturkunde erfahren waren, denn sie werden in der griechischen Ursprache Magier genannt, womit dergleichen Gelehrte bezeichnet werden, so haben sie doch die Bedeutung jenes Sternes nicht aus der natürlichen Wissenschaft erfahren können. Gott musste daher dieselbe ihnen aus unmittelbarer Offenbarung kundgetan haben.

     Jener stumme Stern war es daher nicht, der ihnen den Weg zu Christus gezeigt. Ohne Offenbarung des Wortes Gottes würde er auch den Weisen ein Rätsel geblieben sein. Das Wort, das sie von Gott vielleicht im Traum gehört, das war der unsichtbare Leitstern, der dem sichtbaren erst Licht gab. Das Wort rieb die Weisen, in das jüdische Land zu gehen und da den neugeborenen König der Juden zu suchen. – Da sie nun noch kein Wort Gottes dafür hatten, an welchem Ort er zu finden sei, gingen sie zuerst in die Hauptstadt des Landes; da, wo der Tempel stand mit allen seinen sichtbaren Heiligtümern, wo ein König in seinem fürstlichen Schloss residierte und die hohe Geistlichkeit, der Hohepriester und die Schriftgelehrten ihren Sitz hatten, da, meinten sie, und nirgends anders sei der erschienene Thronerbe zu suchen. Doch hierher hatten die Weisen nur ihre eigenen menschlichen Gedanken geführt. In Jerusalem wusste man nicht nur nichts von einem neugeborenen König, sondern die ganze Stadt, anstatt von Jubel erfüllt zu sein, erschrak, als sie Kunde davon erhielt. Doch Herodes ließ hierauf alle Schriftgelehrten und Hohenpriester sich versammeln, um aus der Schrift Antwort zu geben, wo nach den Propheten der erwartete König geboren werden müsse. Die Antwort war: in Bethlehem. Denn der Prophet Micha spricht: „Und du Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel HERR sei.“ Diese prophetischen Worte waren der himmlische Leitstern, der ihnen, nachdem der irdische sie verlassen, nun wieder aufging. Auf diesen hellen Stern des göttlichen Wortes wandten nun die Weisen allein das Auge ihres Glaubens, nach diesem richteten sie sich, ohne zu fragen, ob Herodes und seine Großen mit ihnen gingen. Sie achtete nun auf gar nichts mehr, auch nicht darauf, wie die ganze Welt sich gegen den neugeborenen König stellte. Ohne Aufenthalt eilten sie nach dem durch das Wort bezeichnete Bethlehem. Freude durchströmt ihr Herz, da sie auf einmal den Stern wieder erblickten, und mit Jubel und Staunen werden sie erfüllt, da sie ihn über einem kleinen Stall stehen bleiben sehen. Eilends treten sie ein und sehen nun das Kindlein, aus dessen Antlitz unnennbare Milde, gepaart mit göttlicher Majestät, strahlte.

    Wer kann nun ihre Freude beschreiben? – Da sie aus dem Mund der Maria hörten, was schon an diesem Kindlein geschehen, wie der Engel seine Geburt angekündigt und den Namen Jesus ihm gegeben, wie bei seiner Geburt der Engel den Hirten erschienen und die himmlischen Heerscharen ihre Loblieder gesungen; da sie das hörten, fielen sie nieder auf ihr Angesicht und beteten das wunderbare Kind an.

     Seht, da haben wir ein herrliches Vorbild für die, welche den rechten Weg zum Himmel und Christus Jesus in seiner Krippe finden wollen. Wir Menschen sind von Natur alle den Weisen gleich, wir wohnen erst alle auf Erden wie in dem glücklichen Arabien, das heißt, wir suchen in dieser Welt unser Glück, wir durchsuchen wie die Weisen die Erde und finden den rechten Schatz nicht schauen hinauf zum Himmel und finden den rechten Stern nicht, gehen sicher dahin und wissen nicht, was zu unserem Frieden dient, keiner trachtet nach dem Einen, das not ist, und so hängt unser Herz an den Dingen, Freuden, Sorgen und Ehren dieser Welt.

    Doch wenn uns große Not in dieser Welt betrifft, wenn das Gesetz Gottes in seiner Schärfe und mit seiner Drohung gepredigt wird, so geschieht es, dass wir nun durch Gottes Gnade einsehen lernen: In dieser Welt ist nicht das wahre Glück zu finden; wir erkennen uns als arme Sünder, die keinen gnädigen Gott im Himmel haben, in unserem gegenwärtigen Zustand nicht selig werden können. Wenn wir dahin kommen, so wird Gott einen Stern im Morgenland erscheinen lassen, so dass wir in der Welt keine Ruhe mehr finden können, mit den Weisen ausgehen und rufen: „Wo ist der neugeborene König der Juden?“ O, wohl dem Menschen, der durch Gottes Gnade so weit gekommen, dass er in der Welt keine Befriedigung mehr für sein Herz findet! Wohl dem, den Gold, Weihrauch und Myrrhen dieses irdischen Arabiens nicht mehr fesseln! Wohl dem, bei dem die Sünde endlich aufwacht, dass in seinem herzen Verlangen nach Trost, Vergebung der Sünde, nach Gottes Gnade entsteht.!

    Aber was tun nun die meisten in diesem Zustand der Unruhe? Sie gehen mit den Weisen nach Jerusalem, das heißt, suchen sich selbst zu helfen, gehen allerhand eigene Wege, sich Ruhe zu verschaffen, suchen durch eigene Werke Gottes Gnade, deren Mangel sie fühlen, zu erringen. Sie beten, seufzen, kämpfen gegen die Sünde, wollen sie los werden, erst rein werden, ehe sie vor Gott zu treten und sich mit seiner Gnade zu trösten wagen.

    Aber was geschieht dann? Sie fallen nur tiefer ins Elend, fassen tausenderlei gute Vorsätze und können sie doch nicht halten, verlieren so auch diesen Stern wie die Weisen, der sie aus dem Schlaf erweckte, und sehen sich aufs Neue von Finsternis befangen. Woran fehlt es? An dem rechten Leitstern. Dieser ist das Wort Gottes und besonders das Evangelium. Viele finden es wohl wie die Hohenpriester und Schriftgelehrten und hören es wohl, wie Herodes, aber hängen nicht daran mit ihrem Herzen, glauben es nicht einfältig, stellen nicht ihre ganze Herzenszuversicht darauf, sitzen wohl im Tempel des HERRN, wo das Evangelium gepredigt wird, haben Bethlehem vor der Tür, gehen aber nicht hinein. O liebe Seelen, die ihr selig werden wollt, lasst Satan euch nicht betrügen um eure Seligkeit! Es ist wahrlich nicht genug, dass ihr anfangt, euer sündliches Leben und die Welt zu verlassen; es ist wahrlich nicht genug, dass ihr euch nur täglich in einigen gottseligen Übungen, im Beten und Lesen finden lasst; es ist wahrlich nicht genug, nur euer sündliches Elend zu fühlen und darüber zu klagen; seid ihr noch nicht weiter gekommen, noch nicht in Bethlehem angelangt, erst mit den Weisen in Jerusalem, dann ist die Hauptsache noch übrig. Seht ihr nicht den hellen Stern des Evangeliums? Weist derselbe nicht mit jedem von ihm ausgehenden Strahl nach Bethlehem allein zu Christus hin? Seht, das ist nun die Hauptsache, dass ihr das gewisse und wahrhaftige, das teure und werte Wort vernehmt: Jesus Christus ist in die Welt gekommen! Sucht ihr für eure Seelen im mindesten einen anderen Grund, wollt ihr im mindesten etwas dazu tun, euch gewiss zu machen, so irrt ihr, bleibt ungewiss, findet Christus nicht, seid verloren. Hätten die Weisen nicht nach dem Wort Michas nach Bethlehem gehen wollen, so hätten sie immer alle Länder und Meere durchforschen können, den neugeborenen König der Juden hätten sie vergeblich gesucht, ihn nicht gefunden. So ist es auch heute noch. Könnte ein Mensch alle die Tränen der bußfertigen Sünder vergießen, die Reue aller erschrockenen Sünder in der Welt empfinden, die heiligen Werke aller Heiligen in der Welt tun, so würde er dadurch auch nicht einen Schritt näher der ewigen Seligkeit kommen, wenn er nicht alles das für nichts achtet und sein Vertrauen allein setzt auf das Wort des Evangeliums, das den Sündern Gnade verheißt.

    Ja, gerade dann, wenn ein Sünder sich müde gelaufen, in seinen eigenen Werken müde gearbeitet, müde gebetet und gerungen, wenn er nun endlich sieht, dass alles nichts helfen, nicht selig machen könne, wenn er endlich still wird, nichts mehr selbst wirken will, ganz an sich selbst verzagt, sich der Erbarmung Gottes überlässt und sich allein auf das Wort beruft, in dem ja allen Sündern Gnade gepredigt wird, dann kommt der selige Augenblick, da der Sünder endlich in Bethlehem ankommt und hinfällt vor der Krippe seines Jesus, das holde Kind mit Freudentränen benetzt, auf die Arme seines Glaubens nimmt und mit den Küssen seiner Liebe bedeckt.

    O, wie selig der, der das Wort seinen Leitstern sein lässt, der findet Christus gewiss!

    Doch, meine Lieben, das Wort lässt uns als der rechte Leitstern auf dem Weg zum Himmel Christus nicht nur finden, sondern durch das Wort allein werden wir auch bei ihm erhalten und davon lasst uns zweitens reden.

 

2.

    Sobald die Weisen das Wort des Propheten Micha ins Herz fassten, hatten sie auch schon Christus gefunden, obgleich sie noch nicht leiblich in Bethlehem waren. Sobald sie aber Christus gefunden, erfuhren sie auch nicht wenig Anstöße, dadurch sie leicht wieder von Christus hätten losgerissen werden können. Sie waren von ferne gekommen, erwarteten in Jerusalem alles in freudiger Bewegung zu finden, und siehe! Hier ist alles still. Niemand wusste von dem König, und da sie von ihm Nachricht bringen, ist alles bestürzt. Man erklärte ihnen wohl, der verheißene Herzog der Seligkeit solle in Bethlehem geboren werden, aber niemand begleitet sie. Was für ein Kampf muss nun in ihren Herzen entstanden sein! Wird es nicht in ihren Herzen geheißen haben: Vielleicht sind wir betrogen; wäre es möglich, dass der verheißene ewige König der Juden geboren wäre, ohne dass sein auserwähltes Volk etwas von ihm wüsste? Ohne dass vor allen diejenigen, die Priester seines Tempels und in der Heiligen Schrift erfahrenen und ihre bestellten Ausleger sind, ihn längst erkannt und ihm gehuldigt haben? Wodurch werden sie aber diese Anstöße haben abwenden können? Durch nichts anderes als allein durch das Wort. Das ließen sie sich gewisser sein als aller Menschen Zeugnis; daran hielten sie sich, obgleich sie alles dagegen streiten sehen.

    Doch das sind nicht ihre letzten Anstöße. Ohne Zweifel erwarten sie, in dem verkündigten Thronerben einen Königssohn mit aller Pracht eines morgenländischen Fürsten umgeben zu sehen, und doch erblicken sie das alles nicht, sondern nur Armut und Niedrigkeit. Es konnte ja kaum ein Mensch in elenderen, geringeren Umständen gefunden werden als das Jesuskindlein. Was hat sie über alle diese Zweifel erhoben, sie bewegen können, vor diesem Bettelkind niederzufallen und es anzubeten? Wahrlich nichts anderes als das Wort Gottes, das sie fest und unwandelbar ins Herz geschlossen. Da dieser Stern in ihren Herzen aufgegangen war, so war alle ihre Weisheit verdunkelt, in dem Glanz dieses Sterns erschien ihnen die Hütte als das prächtigste Königsschloss in der ganzen Welt. In seinem Licht erkennen sie in dem elenden Kindlein den Herzog der Seligkeit.

    Wie nun, meine Lieben, die Weisen einst, sobald sie Christus gefunden, allerlei Anstößen begegneten, so auch heute alle Sünder, die Christus ergreifen. Sie hören wohl aus dem Wort Gottes, Christus sei der HERR aller Herren, der König aller Könige; aber was erblicken sie, wenn sie sich in der Welt umsehen? Gerade die Mächtigsten, Klügsten und Weisesten, Vornehmsten, Höchsten und Reichsten dieser Welt verachten Christus, und nur ein kleiner, verachteter und verstoßener Haufe armer Sünder bekennt ihn für ihren HERRN und König. O, wie viele haben sich schon an dem Ansehen der Feinde Christi gestoßen und gedacht: Wenn das Evangelium wahr wäre, so würden es gewiss die Gelehrtesten erkennen und mit Freuden annehmen. Aber wir einfältigen Leute, die sich wider die Großen dieser Erde setzen und aller ihrer Weisheit widersprechen, wir sollten sagen können, wir allein hätten die Wahrheit?

    Willst du nun, lieber Mensch, hierdurch nicht Schiffbruch erleiden an deinem Glauben, so tue wie die Weisen aus dem Morgenland. Siehe ab von allen Menschen, denn sie sind nichts vor Gott, voll Irrtum und Torheit, und alle ihre Weisheit ist vor Gott nichts als Narrheit. Siehe allein auf den rechten Himmelsstern, auf das teure Wort Gottes, das sagt dir 1. Kor. 1,26-29: „Seht an, liebe Brüder, eueren Beruf; nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viele Gewaltige, nicht viele Edle sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er die Weisen zu Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er zuschanden mache, was stark ist, und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, und das da nichts ist, dass er zunichte mache, was etwas ist, auf dass sich vor ihm kein Fleisch rühme.“ Darum halte dich an Christus und achte es nicht, dass du, wenn du Christus bekennst, verachtet bist in der Welt. Achte es nicht, wen du siehst, dass das Häuflein der Gläubigen klein ist; es muss so sein, dass die Schrift erfüllt werde. Lass die Hohenpriester und Schriftgelehrten, ja alle Klugen der Welt den verachteten Heiland der Welt verwerfen, du aber bete ihn in Demut an, wirf dich vor ihm nieder, bringe ihm dar das Gold des Glaubens, den Weihrauch des Gebets, die bitteren aber vor Gott köstlichen Myrrhen der Bußtränen, so wirst du ihn auch schon sehen auf dem Thron seiner ewigen Herrlichkeit.

    Doch, meine Lieben, wie bei den Weisen, so ist auch bei uns der Anstoß, dass so viele Christus verwerfen, nicht der größte. Viel größer und schwerer zu überwinden ist dieser, dass sich Christus selbst so arm und schwach gegen uns stellt. Haben wir nämlich Christus das erste Mal gefunden, sind auch wir zu der Gewissheit gekommen: Auch wir sind seine Erlösten und Erwählten, so durchströmt gewiss anfangs unaussprechlicher Friede unser von der Gnade aufgerichtetes Herz. Da meinen wir denn, so lange wir Christus im Herzen haben, werde auch unser Herz den süßesten Frieden und die lebendigste Freude im Heiligen Geist genießen. Aber dem ist nicht so. Je länger ein Mensch im Glauben an Gottes Wort verharrt, desto öfter erfährt er, wie sich Christus in seinem Herzen gleichsam vor ihm verbirgt, sich schwach und elend stellt. Da ist den gläubigen Christen oft, als ständen sie nicht mit dem HERRN der Herrlichkeit im Bund, als ständen sie wie die Weisen zweifelhaft vor einer elenden Hütte, in der ein armes elendes Kindlein liege, das ihnen keine Kraft zum Überwinden geben könne. Kurz, gläubige Christen verlieren oft das Gefühl der göttlichen Gnade aus ihren Herzen, fühlen sich so tot, kraftlos, elend, dass sie es nicht beschreiben können.

    Was ist es, womit sie diese Anfechtung überwinden? Es ist das gewisse und feststehende Wort, das Wort des Gottes des Himmels und der Erde, das ihnen die Seligkeit verheißt. Dieses Wort ist ihnen gewisser als alle Gefühle ihres Herzens, das bleibt mit seinem Trost ihnen unveränderlich, so oft sich auch der Stern ihres irdischen Glücks verändert; das ist immer ihr Licht, wenn es ihnen auch noch so finster in ihrer Seele geworden ist; daher spricht ihr Glaube: Mag es in mir dunkel werden, ich blicke nach dem leuchtenden Stern des Wortes, der verführt uns nicht; mag ich nun denken, ich sei kraftlos, ja tot, so ergreife ich das Wort, das ist lebendig und kräftig, das bringt mir Christus ins Herz und kein Teufel soll mir ihn rauben.

    O, so lernt denn alle, meine Lieben, dies Hauptkunst gläubiger Christen, euch allein an das Wort zu halten. Dieses ist unseres Fußes Leuchte und das rechte einzige Licht auf unserem weg zum Himmel. Wir haben ein festes prophetisches Wort und darum tun wir wohl, wenn wir darauf achten, bis dass der Morgenstern aufgehe in unseren Herzen. Lernt den Kunstgriff des Teufels recht erkennen, der nichts mehr sucht, als uns vom Wort abzuziehen; denn er weiß, wenn wir uns dahin bringen lassen, so hat er gewonnen, wir verloren. Hangen wir mit unserem ganzen Vertrauen nicht am Wort, so lieft uns unser Glaube nichts, denn dann ist es kein wahrer Glauben; dann hilft uns all unser Beten, Seufzen, Tun nichts, ja, wir sind dann ohne Christus, der sich nur in dem Wort finden lässt.

    Luther sagt daher über unser Evangelium die wahren Worte: „Natur will fühlen und gewiss sein, ehe sie glaubt, Gnade will glauben, ehe sie fühlt.“ So sprecht denn zum Schluss mit mir:

Ohne Fühlen will ich trauen,

Bis die Zeit kommt, ihn zu schauen,

Bis er sich zu mir gesellt;

Bis ich werd in seinen Armen

In gar süßer Lust erwarmen

Und er mit mir Hochzeit hält.

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum ersten Sonntag nach Epiphanias ueber Lukas 2,41-52: Wie wichtig der Blick auf Christi Jugend bei der Rueckerinnerung an unsere eigene Jugend sei

 

    Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes, des himmlischen Vaters, und die Gemeinschaft Gottes, des Heiligen Geistes, sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Die schönste Zeit unseres Lebens ist ohne Zweifel die Zeit unserer Kindheit und Jugend. Wie der Frühling mit seinen duftenden Blüten und Knospen und mit seinen noch milden Sonnenstrahlen die lieblichste unter den vier Jahreszeiten ist, so sind Kindheit und Jugend die schönsten unter allen Altersstufen, welche wir in dieser Welt betreten.

    Deutlich bezeugt dies das Wort Gottes selbst. Wenn z.B. über den Stamm Asser ein recht herrlicher Segen ausgesprochen werden soll, so heißt es: „Dein Alter sei wie deine Jugend.“ Ja, Salomo spricht: „Denke an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe denn die bösen Tage kommen und die Jahre herzutreten, da du wirst sagen: Sie gefallen mir nicht.“ Im Vergleich mit der Jugendzeit sind also hiernach die Tage und Jahre des Alters böse Tage und Jahre, die uns nicht gefallen.

    Und wer unter uns, wenn er schon im Mittag oder am Abend der menschlichen Lebenszeit steht, sollte nicht, durch eigene Erfahrung überzeugt, hierzu Ja sagen müssen? Wo gibt es einen Vater oder eine Mutter, wo ein graues Haupt oder eine Greisin, die nicht alle von Herzen ausriefen: O Tage meiner Kindheit und Jugend, lieblich wie ein klarer Bach seid ihr mir dahingeflossen! Goldene Zeit! O, dass du noch einmal wiederkehrtest!

    Und dass wir alle mit solcher Wehmut auf die so schnell dahingeschwundene Jugendzeit zurückschauen, beruht keineswegs auf Täuschung. Dieses Leben wird wirklich für Christen und Nichtchristen mit jedem Jahr ernster, und der Pfad, den wir nach der Ewigkeit gehen, wirklich mit jedem Schritt immer enger, steiler und dornenvoller, bis wir an den dunklen Toren des Todes ankommen.

    Welch ein Vorzug der Kindheit und Jugend ist es vor allen anderen Lebenszeiten, dass man sich da noch nicht mit so vielen Sorgenlasten schleppt, sondern sorglos und fröhlich in die Zukunft blickt! Welch ein Vorzug ist es, dass die Herzen der Kinder und überhaupt der Jugend noch nicht von so großen Wünschen bewegt werden, dass sie noch nicht so unersättlich sind und auch durch etwas Geringes schon erfreut und befriedigt werden können! Der allergrößte Vorzug aber, den die Kindheit und Jugend vor dem Alter hat, besteht darin, dass es viel leichter ist, dem HERRN in frühen als in späten Jahren zu dienen. Junge Herzen sind ein Acker, der noch nicht durch böse Gewohnheiten so festgetreten ist und in welchem noch nicht so viele Dornen und Disteln der Sünde sich festgewurzelt haben wie in alten Herzen. Jugendliche Gemüter sind noch leicht durch Drohungen zu heilsamer Furcht und durch liebliche Lockungen zu heilsamen Rührungen zu bringen. Kinder, Jünglinge und Jungfrauen haben auch noch ein treueres Gedächtnis, das aus Gottes Wort Gelernte zu behalten, und eine lebendigere Phantasie, das ihnen Gelehrte aufzufassen, während das Alter den Verlust eines treuen Gedächtnisses und einer lebendigen Auffassung nur zu oft beklagen muss. Hierzu kommt, dass uns besonders in der frühen Jugend so viel Zeit gegeben ist, Gottes Wort zu treiben und wichtige Kenntnisse für die Ewigkeit einzusammeln, wie wir später nie wieder bekommen. Während ferner Erwachsene, wenn sie den schmalen Weg des Glaubens und der Gottseligkeit gehen wollen, sogleich Spott und Feindschaft vieler, ja wohl ihrer eigenen Hausgenossen auf sich laden, so kann hingegen ein frommes Kind nicht leicht, selbst von Gottlosen nicht, gehasst werden; es genießt Gnade bei Gott und den Menschen. Endlich aber sind auch Kinder und überhaupt junge Seelen nicht nur ein besonderes Augenmerk des heiligen Engel, die ihnen besonders zugesellt sind, sondern Christus selbst trägt um sie, als um seine zarten Lämmer, eine besonders zärtliche Sorge, er hat daher nicht nur einst gesagt: „Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes“; sondern er hat auch das allerschrecklichste Wehe besonders über diejenigen ausgesprochen, welche die Jugend ärgern und ihre ihm so teuren Seelen, die er in der Taufe zu seinen Tempeln gemacht hat, vergiften und verführen.

    O, sie selig ist daher derjenige, der der Ermahnung Salomos nachgekommen ist: „Denke an den Schöpfer in deiner Jugend!“ Wer seine Jugend wohl ausgekauft hat, hat für die bösen Tage einen großen Schatz und ist wohl versorgt auch für die Jahre, die ihm nicht gefallen. Er ist wie ein Baum, der früh gepflanzt wurde an die Wasserbäche, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das gerät wohl. Aber ach, groß und unersetzlich ist hingegen der Verlust derjenigen, die die schönste Zeit ihres Lebens verschwendet und verloren haben. O, wenn sie dann doch wenigstens mit aufrichtiger Reue auf die verlorenen goldenen Morgenstunden ihres kurzen Lebenstages zurückblicken, durch Gottes Gnade umkehren und, was Christus von allen fordert, die in das Himmelreich kommen wollen, wieder Kinder werden möchten! Damit dies nun von uns geschehe, lasst uns jetzt einen Blick tun auf Christi heilige Jugend und damit die unsrige prüfend vergleichen.

 

Lukas 2,41-52: Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem auf das Passahfest. Und da er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach Jerusalem nach der Gewohnheit des Festes. Und da die Tage vollendet waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb das Kind Jesus zu Jerusalem, und seine Eltern wussten’s nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wiederum nach Jerusalem und suchten ihn. Und es begab sich, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antworten. Und da sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Seine Mutter aber sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Was ist’s, dass ihr mich gesucht habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete. Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

 

    Seit dem letzten hohen Fest der Geburt Christi haben wir ihn allein in seiner Kindheit betrachtet; das verlesene Evangelium aber enthält nun dasjenige, was uns Gott in seinem heiligen Wort auch von Christi Jugend hat aufzeichnen lassen. Aufgrund dieses wichtigen Teils der heiligen Geschichte lasst mich euch daher jetzt zeigen:

 

Wie wichtig der Blick auf Christi heilige Jugend bei der Rückerinnerung an unsere eigene Jugend sei

 

    Es ist dies nämlich

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Ein zur Buße auffordernder Blick, wenn wir Christi heilige Jugend mit der unsrigen gebührend vergleichen, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Ein tröstlicher Blick, wenn wir den gnadenvollen Zweck des Jugendlebens Christi reuig und gläubig erwägen.

 

    HERR Jesus, du Sohn Gottes! Auch das Jugendalter hast du einst durchlebt, damit wir an dir das Vorbild einer wahrhaft Gott geheiligten Jugend, aber auch einen mitleidigen Hohenpriester für unsere Jugendsünden hätten. Wir bitten dich daher, lass uns nicht nur an deinem allerheiligsten Vorbild lebendig und mit Scham und Reue erkennen, wie weit wir uns schon in der Jugend von unserem Gott entfernt haben und wie wir schon da vor seinen Augen um unseres tiefverderbten Herzens willen verwerflich waren, sondern, wenn wir darüber gebeugt und zerbrochen sind, o, so schreibe auch den Trost in unser armes Herz, dass du ein Heiland bist auch für eine sündliche und verdammliche Kindheit und Jugend. Diesen Glauben schenke uns, durch diesen Glauben gib uns Frieden des Herzens, durch diesen Glauben erneuere uns hier und mache uns dort ewig selig. Amen.

 

1.

    Es ist ein unvergleichlich bewunderungswürdiges Bild der heiligen Jugend Christi, das wir in unserem heutigen Evangelium erblicken.

    Wir hören darin zuerst im Allgemeinen, dass Christus, obgleich in ihm die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnte, uns Menschen nicht nur durch seine menschliche Geburt, sondern auch in seiner ganzen Kindheit und Jugend völlig gleich geworden sei, alleinausgenommen die Sünde. Denn es heißt von ihm an Schluss unseres Evangeliums: „Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ O welch ein Wunder! – Er, der der Vater der Ewigkeiten war, zählte nun sein Dasein nach irdischen, vergänglichen Tagen und Jahren und nahm zu an Alter, ging durch alle Stufen des langsamen menschlichen Wachstums und durch alle Entwicklungsgänge unserer Natur hindurch, lernte, wie wir, erst sitzen, stehen ,gehen, stammeln, lallen und reden; und redete nun wie ein Kind, spielte wie ein Kind und weinte wie ein Kind, dies alles nur ohne Sünde. Er, in welchem doch alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen lagen, entäußerte sich dieses auch seiner Menschheit mitgeteilten göttlichen Lichtes, und nahm daher täglich, wie wir Menschen, zu an Weisheit und Erkenntnis. Er, der Gottes-Sohn, an welchem Gott von Ewigkeit Wohlgefallen hatte, erwarb sich auch als ein Menschenkind durch die Holdseligkeit aller seiner Gebärden, Worte und Werke immer größere Gnade, immer größeres Wohlgefallen bei Gott und Menschen.

    Außer dieser allgemeinen Beschreibung des Jugendlebens Christi hat uns der Evangelist Lukas, getrieben von dem Heiligen Geist, in unserem Text noch einen besonderen Vorfall darauf aufbewahrt. Er erzählt nämlich, dass die Eltern Christi nach dem Gesetz alljährlich auf das Passahfest nach Jerusalem zu gehen pflegten. Ehe Christus das zwölfte Jahr erreicht hatte, scheinen sie ihn, vielleicht aus Furcht vor dem König Archelaus, dem Sohn des Herodes, nicht mitgenommen zu haben; als aber der heilige Knabe zwölf Jahre alt war, forderten sie ihn auf, sie in die heilige Stadt zur Feier des großen Festes zu begleiten. Und siehe! Obgleich der Weg von Nazareth nach Jerusalem drei starke Tagereisen weit war und über die steilen Gebirge Gilboa, Ebal und Ephraim führte, so legte doch das himmlische Kind den beschwerlichen Weg willig mit Maria und Joseph zu Fuß zurück., Sie kommen in der großen Stadt an; so neu aber auch die Pracht und das große, bunte Menschengewühl dieses Sammelplatzes aller Juden dem jungen Knaben war, so konnte doch dieses alles sein himmlisch gesinntes Herz nicht einnehmen; der Tempel allein, wo sein himmlischer Vater in Gnaden gegenwärtig zu sein verheißen hatte und wo sein heiliges Wort gelesen und gepredigt wurde, dies war die Stätte, wo das göttliche Kind seine Festfreude suchte.

    Doch was geschah? – Das Fest war zu Ende, und Maria und Joseph traten nun den Rückweg nach Nazareth an, und ohne dass sie es wussten, blieb das Kind Jesus in Jerusalem. Da dasselbe nicht in ihrem Zug war, meinten sie, es werde wohl mit Verwandten bereits vorausgeeilt sein, mit denen sie verabredetermaßen in der ersten Nachtherberge wieder zusammentreffen wollten. Als sie aber da ankommen, weiß niemand etwas von dem heiligen Knaben. Welch eine Schreckensbotschaft mag dies für Maria gewesen sein! welche peinigenden Vorwürfe mag ihr jetzt ihr Gewissen gemacht haben, dass sie den Knaben, dessen sorgfältige Bewahrung ihr bei der Flucht nach Ägypten und bei der Rückkehr nach Judäa so ernstlich anbefohlen worden war, so nachlässig und sorglos aus ihren Augen und Händen hatte kommen lassen! Ach, wird sie gedacht haben, vielleicht ist das Kind in die Hände seiner Verfolger gefallen; vielleicht von dann geschleppt in ein fernes Land; vielleicht gar schon ermordet. Und du, du bist schuld daran, dass die ganze Welt ihren Heiland verloren hat. O große, schreckliche Schuld und Sünde! Wie willst du vor Gott bestehen, der das Kind von deinen Händen fordern wird? Das werden für sie tage der bittersten Tränen gewesen sein, und in denselben schon die Weissagung des alten Simeon in Erfüllung gegangen sein: „Es wird ein Schwert durch deine Seele dingen.“ Doch endlich nach drei Tagen des Weinens und Jammerns finden die Eltern den Knaben im Tempel wieder. Und welch ein Anblick! Er sitzt mitten unter den Lehrern. Er, dem alle Menschen und Engel zuhören sollten, hört armen, irrtumsfähigen Menschen zu; er, der groß ist von Rat, bei dem alle Welt nach Wahrheit fragen sollte, fragt sie. Seine Fragen sind jedoch freilich so, dass nur die Weisheit selbst so fragen kann, denn „alle, die ihm zuhörten“, heißt es, „verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antwort“. Doch Maria kann sich nicht halten, sie muss die wichtige Unterredung unterbrechen; zu Jesus sich wendend, spricht sie: „Mein Sohn, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Dies war ein Vorwurf, den Maria in der Bestürzung zu machen wagte. Auf diesen Vorwurf ward nun zwar der heilige Knabe nicht unwillig, doch wies er ihn in heilig ernster Freundlichkeit mit den Worten zurück: „Was ist es, dass ihr mich gesucht habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?“ Christus will sagen: Ihr sprecht von einem Vater, der mich gesucht habe? Wisst ihr nicht, wer mein Vater ist? und wisst ihr nicht, welch eine Tagewerk mir dieser aufgetragen hat? Habt ihr vergessen, was die Hirten, was die Weisen aus dem Morgenland, was Simeon, was Hanna von mir gezeugt haben? – Doch was geschah nun weiter? Es heißt: „Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan.“ Was dies heiße, „er war ihnen untertan“, dies sehen wir daraus, dass später die Feinde sagen: „Woher kommt diesen solche Weisheit und Taten? Ist er nicht eines Zimmermanns Sohn?“ Er also, dem Legionen Engel zu dienen bereit sind, erniedrigte sich bis zum gehorsamen Knecht armer Menschen; er, dessen Willen alle Kreaturen unterworfen sind, unterwarf sich dem Willen zweier Sünder; er, der die Erde gegründet und das Himmelsgewölbe aufgeführt hat, führte als erniedrigter Menschensohn in seiner Hand das Zimmerbeil und aß, Menschenhütten bauend, hier sein Brot mit uns im Schweiß seines Angesichts!

    Seht da, dies ist nur ein flüchtiger Blick auf Christi heilige Jugend, und o! welche Reinheit, welche Unschuld, welche Demut, welchen Gehorsam gegen Gott und Menschen, welche heilige Wissbegierde, welchen Eifer in Erfüllung seines himmlischen Berufs, welche Liebe zu seines Vaters Wort, welche völlige Aufopferung im Dienst des HERRN finden wir da!

    Wenn wir nun hiermit unsere eigene Jugend aufrichtig vergleichen, wie? sollte dann der Blick auf Christi Jugend nicht für uns alle höchst beschämend, strafend und niederschlagend sein?

    Gibt es erstlich nicht manche unter uns, die in vielen offenbaren Sünden, deren die leichtfertige Jugend fähig ist, aufgewachsen sind? in Ungehorsam gegen die Eltern, in Verachtung ihrer Zucht und Ermahnung, in Lügenhaftigkeit, in Naschhaftigkeit und heimlichem Diebstahl, in Faulheit und Müßiggang, in Eitelkeit und schändlichen fleischlichen Lüsten, in Eigensinn, Zanksucht, Hader und Neid?

    Oder wenn Gott hingegen andere vor solchen groben Sünden und Lastern der Jugend bewahrt hat, dass sie nicht dem verlorenen Sohn gleich geworden sind, auf dessen Gewissen unzählige Seufzer und Tränen bekümmerter Eltern lasteten: Sind sie dann nicht vielleicht doch ohne wahre Furcht Gottes, ohne wahre Liebe zu Jesus und ohne Folgsamkeit gegen die Triebe des Heiligen Geistes aufgewachsen? – Die ihr aber endlich in der Jugend zwar nicht offenbar gottlos gelebt, aber doch euer junges Herz nicht dem HERRN aufg4eopfert, nicht in der steten Gegenwart Gottes gelebt, nicht Gottes Wort und Christi Gnade über alles geliebt, nicht fleißig und brünstig gebetet, vielmehr den in der heiligen Taufe über euch ausgegossenen Geist der Gnade aus eurem Herzen verloren habt und in Geringachtung und Vergessenheit Gottes dahingegangen seid: Habt nicht auch ihr dann doch eure Jugend verschwendet und verloren und sie, anstatt Gottes, der Sünde, der Welt und dem Teufel geopfert? Und habt ihr als Kinder nicht vielleicht schon oft Rührungen und Gnadenzüge Gottes an eurem Herzen empfunden, bei welchen in euch der Vorsatz entstand, den HERRN zu suchen, und ihr seid dennoch in eurem jugendlichen, Gott vergessenden Leichtsinn verblieben? –

    Doch, meine Lieben, sollte es auch wirklich einige unter uns geben, die schon als Kinder Gott von Herzen gesucht und ihm mit Abel, Samuel, Josia und anderen frühzeitig gedient haben, die daher auch mit David sagen können: „Du bist meine Zuversicht, HERR HERR, meine Hoffnung von meiner Jugend an; Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt“, müssen sie dann nicht dennoch mit demselben frommen David seufzen: „HERR, gedenke nicht der Sünden meiner Jugend noch aller meiner Übertretung“? Wer unter uns kann sagen, dass nicht auch an ihm erfüllt worden sei, was Gottes Wort bezeugt: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“? Wer unter uns hat seinen Taufbund gehalten, bei welchem er dem Teufel gänzlich entsagte, samt allen seinen Werken und allem seinem Wesen? Wer unter uns kann sagen, dass er das bei seiner Konfirmation vielleicht mit heißen Tränen der Liebe abgelegte Versprechen, Gott allein zu dienen, mit wahrer, unwandelbarer Treue erfüllt habe? Wer unter uns muss nicht klagen, dass sein Herz von Jugend auf böse war und als eine Sündenquelle in unzähligen bösen Gedanken, Worten und Werken übergegangen ist? Wer unter uns muss nicht bekenne, dass er dem Kampf mit Fleisch, Welt und Teufel nicht ohne viele und tiefe Wunden seines Gewissens entgangen ist? Wer trägt nicht an seiner Seele den und jenen geheimen Schandfleck einer Jugendsünde, dass er wohl, wenn große Not hereinbricht, mit Hiob denken möchte: „Du willst mich umbringen um der Sünde willen meiner Jugend“? – Ach, es ist nur zu offenbar, dass die meisten, die dem HERRN jetzt dienen, ihn nicht schon in der Jugend, sondern erst später gesucht und gefunden, und ihre schönste Zeit ihrem Schöpfer geraubt haben! Es ist nur zu gewiss, dass wir heute alle nur mit tiefer Scham auf den heiligen Jesusknaben blicken können, wenn wir uns im Geist neben ihn stellen in der Zeit, da wir noch Kinder, noch Jünglinge und Jungfrauen waren.

 

2.

    Doch, meine Lieben, dieser Blick auf Christi heilige Jugend ist nicht nur beschämend, sondern zweitens auch höchst tröstlich, wen wir nämlich dabei den gnadenvollen Zweck des Jugendlebens Christi reuig und gläubig erwägen.

    Christus ist nicht nur um seinetwillen in die Welt gekommen und ein Mensch geworden, sondern auch nicht um seinetwillen ein Knabe und Jüngling gewesen. Durch seine Gott freiwillig zum Opfer gebrachte jugendliche Heiligkeit und Frömmigkeit hat er auch unsere Jugendsünden vor Gott gut gemacht; durch seinen freiwilligen Gehorsam gegen Gott und Menschen als Knabe, besonders gegen seine armen Eltern, hat er auch unseren jugendlichen Ungehorsam, unsere Störrigkeit und kindischen Trotz gut gemacht; durch seine bewunderungswürdige Kindesdemut hat er gut gemacht auch unsere kindische Eitelkeit; durch seinen Eifer im Hören des Wortes Gottes und im Dienst des HERRN hat er gut gemacht unseren frühzeitigen irdischen Sinn und unsere frühzeitige Verdrossenheit und Trägheit für geistliche und himmlische Dinge. Kurz, was unser keiner war, das wurde der Sohn Gottes, nämlich ein vollkommen reiner, keuscher, heiliger Knabe und Jüngling, damit wir an ihm auch einen Tilger unserer Jugendsünden und einen Heiland und Seligmacher auch für die Zeit hätten, da wir als Kinder, Jünglinge und Jungfrauen Gott unser Herz entweder ganz oder doch zum Teil entwendeten.

    Für euch nun, die ihr euch nicht mit leidtragenden Herzen eurer Jugendsünden erinnert, die ihr euch entweder noch gar nicht von denselben bekehrt habt oder wohl einmal durch Gottes Gnade zu einer seligen Umkehr gekommen, aber wieder zurückgefallen seid und daher jetzt keine Reue wegen der Vergangenheit empfindet; die ihr ohne Abscheu vor eurem vormaligen Leben, ohne wahre Gottesfurcht und Liebe Christi seid; die ihr wohl gar mit Lachen und Scherzen die bösen Stücke erzählt, womit ihr eure Jugendzeit geschändet habt; die ihr leichtsinnig sprecht: Jugend hat einmal nicht Tugend; die ihr euch damit entschuldigt, dass man von jungen Leuten nicht fordern könne, dass sie so ernstlich Gott dienen wie Bejahrte; die ihr meint, es verstehe sich von selbst, dass Gott das vergebe, was man als ein unverständiges Kind oder als ein leichtsinniger Jüngling Böses getan habe: Euch freilich ist Christi heilige Jugend nicht tröstlich, sondern euch ist sie noch nur eine Bestrafung und Beschämung. Lernt erst vor diesem heiligen Bild schuldbewusst niederfallen und einsehen, welch ein Greuel ihr in eurer Jugend Gott wart, da ihr ihn in dieser schönsten Zeit eures Lebens nicht gesucht und nicht ihm, sondern eurem eitlen Willen und den Lüsten eures Fleisches gedient habt; lernt erst, Gott euren frühen Abfall von ihm reuig klagen und nach Vergebung aufrichtig seufzen, sonst bleiben, wie eure jetzigen Sünden, so auch eure Jugendsünden auf euch liegen zu eurer ewigen Verdammnis. Denn denkt ihr noch leichtsinnig von euren Jugendsünden, so denkt ihr auch noch leichtsinnig über alle Sünden; dann hat Gott sein Werk noch nicht in euch, dann werdet ihr noch nicht vom Heiligen Geist regiert, dann liegt ihr noch sicher und tot unter der Herrschaft eurer Sünden und werdet, so ihr nicht erwacht und nicht wahre Buße tut, so gewiss ewig verloren gehen, so gewiss Gottes Wort Wahrheit und Gottes Drohungen kein Scherz sind. Bedenkt es wohl: Ihr seid hiermit nun gewarnt; auf euch liegt nun die Verantwortung, euer Blut ist nun auf eurem Haupt.

    Ihr aber, die ihr, so oft ihr an eure Jugend denkt, euch im Geist vor Gott beugt und im Inneren zu ihm seufzt: „Ach HERR, rechne mir meine Torheiten nicht zu! Gedenke doch nicht der Sünden meiner Jugend! Siehe! Ich gedenke ihrer mit Wehmut, du aber wollest dein Antlitz von ihnen abwenden und sie hinter dich werfen und mich das süße Wort hören lassen: „Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben“; ihr, die ihr oft mit Betrübnis klagt, wie es in jenem Lied heißt:

Ach, dass ich dich so spät erkennet,

Du hochgelobte Schönheit du,

Und dich nicht eher mein genennet,

Du höchstes Gut und wahre Ruh!

Es ist mir leid und bin betrübt,

Dass ich so spät dich hab geliebt –

Ihr gedemütigten und betrübten Seelen: Schaut auf den holden Jesusknaben; dieser hat durch die Heiligkeit seiner Jugend Gott geleistet, was ihr ihm versagt, und durch die Mühsal seines Knabenalters gebüßt, was eure Jugend verschuldet hat, – auf ihn beruft euch daher vor Gott dem Vater und bittet ihn, dass er euch um dieses unschuldigen Knaben willen euren frühen Abfall von ihm vergeben und eure späte Rückkehr und späte Liebe zu ihm annehmen wolle, so wird sich Gott auch euer erbarmen, euch um des Jesusknaben willen die Sünden auch eurer Jugend vergeben und euch so gnädig annehmen, als hättet ihr ihm von Jugend auf eifrig in reiner Heiligkeit und Unschuld gedient wie Jesus.

    Habt ihr aber in Christus Trost gefunden, ihr Lieben, gegen eure Jugendsünden, so trachtet dann auch durch seine Gnade danach, ihm auch nachzufolgen und euch je mehr und mehr in sein heiliges Bild verklären zu lassen. Kehrt um und werdet, wenn ihr auch schon Väter und Mütter wäret, wieder Kinder; wandelt nämlich nach dem Vorbild des holden Jesuskindes stets in kindlicher Zuversicht, Liebe und Treue vor dem Angesicht eures himmlischen Vaters. Könnt ihr Christus auch hienieden nie an Heiligkeit gleich werden, so streitet doch desto eifriger durch seine Gnade gegen alle Sünde, Trägheit und Leichtfertigkeit und haltet ihn fest im Glauben, bis ihr ihn einst selbst schauen werdet, wenn er mit den Seinen das ewige Osterfest feiern wird in dem Tempel des himmlischen Jerusalems. Amen.

 

Evangelienpredigt zum zweiten Sonntag nach Epiphanias ueber Johannes 2,1-11: Von der Freundlichkeit, welche Christus auf der Hochzeit zu Kana offenbart hat

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben unserem teuren Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Dass es einen Gott gibt, das kann zwar ein jeder Mensch schon von Natur wissen; die ganze Welt ist ja ein vor allen Menschen aufgeschlagenes Buch, in welchem es mit leserlicher Schrift geschrieben steht: Es ist ein Gott! Und in dem Gewissen aller Menschen hallt dieses große Wort laut und vernehmlich wieder. Wie aber Gott beschaffen, und besonders, wie er gegen uns Menschen gesinnt sei, davon kann weder der Himmel, noch die Erde, noch die Stimme des Gewissens dem Menschen genaue Kunde geben. Darüber wankt und schwank der Mensch ohne die Offenbarung fort und fort bald nach dieser, bald nach jener Vorstellung. Geht es einem Menschen hier wohl, und blickt er nun mit heiterem Herzen hinauf zum Himmel, und sieht er da Sonne, Mond und Sterne sich wie Himmelsaugen über der Erde freundlich öffnen und die Wolken mit Segen herabregnen, sieht er die allenthalben lachende und mit aller Fülle der Gaben prangende Natur, da ruft auch wohl ei natürlicher Mensch freudetrunken aus: O, es muss ein guter, ein freundlicher Gott diese Welt geschaffen haben und sie, über den Sternen thronend, voll Liebe erhalten und regieren! Geht es hingegen einem Menschen hier übel, und blickt er nun mit zitterndem herzen hinauf zum Himmel und sieht er ihn umwölkt, sieht er zuckende Blitze aus der Wolkennacht herabfahren und da und dort Tod und Verderben bringen, hört er den zürnenden Donner über seinem Haupt rollen und sieht er Hagel und Wasserflut in wenigen Augenblicken die Hoffnung eines ganzen Jahres verwüsten; oder seufzt er in Krankheit, Schmerz, Hunger und Blöße vergeblich schon lange nach Hilfe; sieht er Krieg, Teuerung und Pest wie böse Engel, von oben gesandt, über die Erde schreiten und unter ihren Fußtritten ganze Völker jammern, dann kann der natürliche Mensch nicht mehr ausrufen: Gott ist die Liebe! In seinem grollenden Herzen heißt es dann vielmehr: Gott muss ein finsteres Wesen sein, in dessen Herzen kein Erbarmen wohnt, das sich eine Erde gebaut hat zu einem großen Altar, auf welchem es sich Menschenglück und Menschentränen opfert. Von Natur glaubt daher der Mensch entweder, Gott sei ein Gott der Liebe ohne Zorn, oder ein Gottes des Zornes ohne Liebe.

    Das Erstere ist besonders in unseren Tagen sehr gewöhnlich. Die Vernunftprediger und Apostel einer sogenannten Aufklärung, welche jetzt besonders überhand genommen haben, verkündigen es jetzt von den christlichen Kanzeln herab, eben darin bestehe die Lehre, die Christus gebracht habe. Zur Zeit des Alten Testaments habe man sich Gott als einen zornigen Jahwe gedacht; so habe ihn Mose, so ihn alle Propheten gepredigt; aber da sei Christus gekommen und habe der furchtsamen Welt die Botschaft gebracht, dass Gott nicht zornig, dass er die ewige Liebe, dass er aller Menschen gütiger Vater sei und dass alle ohne Ausnahme seine geliebten Kinder seien, der Keinem weh tun könne und werde, den niemand fürchte dürfe und solle.

    Diese Lehre von Gott glaubt aber wohl derjenige, der noch nicht weiß, dass er ein Sünder ist, oder der doch noch nicht weiß, was Sünde heißt, der ihren Stachel noch nicht in seinem Gewissen empfunden hat. Wird es aber einem Menschen offenbar, dass er ein von Gott abgefallenes Geschöpf sei, wird es ihm offenbar, dass er den allerhöchsten Gott mit seinen Sünden beleidigt und sich ihm zu seinem Feind habe; wacht einem Menschen sein Gewissen auf, heißt es in seinem Herzen: Was hast du getan? Du hast Gottes Gebote nicht gehalten! Dein ganzes vergangenes Leben ist verwerflich gewesen, denn du hast nicht Gott, sondern der Welt, dir selbst, ja, dem Feind Gottes gedient. Gott will und muss dich nun strafen; er hat Tod und Verdammnis allen Übertretern gedroht; diese Drohungen werden dich treffen; Gott kann und wird dich nicht annehmen, sondern – verstoßen, verdammen – : ach, dann verwelken in dem Herzen des Menschen alle Gedanken daran, dass Gott die Liebe sei, wie grüne Blätter vor einer Feuerglut, und der Mensch wagt nicht, sich Gott mit Vertrauen zu nahen, sondern, wenn er könnte, würde er fliehen, um sich vor ihm im entferntesten Winkel der Schöpfung zu verbergen.

    Seht hieraus, meine Lieben, wie nötig es dem Menschen war, dass sich Gott ihm offenbarte! Aber wohl uns, er hat sich uns offenbart. Zwar hat er nicht nur im Alten Testament verkündigen lassen, dass er „nicht ein Gott sei, dem gottloses Wesen gefällt, wer böse ist, bleibt nicht vor ihm“, sondern auch Christus selbst spricht von ihm: „Fürchtet euch vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle“, und auch die Boten Christi reden von einem zornigen Gott, sie sprechen: „Gottes Zorn vom Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen“; aber Gott hat auch zugleich offenbart: Wer unter den sündigen Menschen vor seinem Zorn erschrickt, wer es erkennt, dass um seiner Sünden willen der heilige Gott für ihn ein verzehrendes Feuer sei, der soll nur zu Christus fliehen, dem eingeborenen Sohn Gottes; in diesem ist Gott offenbart im Fleisch; aber in diesem will Gott kein zorniger Gott mehr sein, in diesem soll jeder einen gnädigen Gott finden, in diesem brennt kein anderes Feuer als das Feuer der ewigen Liebe Gottes zu allen Sündern, in ihm ist nicht der Zorn, sondern die Gnade, das Erbarmen, die Freundlichkeit Gottes erschienen.

    O wohl darum allen, die, wenn sie Gott suchen, ihn nirgends als in Christus suchen und sich Gott nirgends als in Christus nahen, denn in Christus kommt uns Gott erst als ein freundliches Kind, sodann als ein freundlicher Knabe und endlich als ein freundlicher Helfer in aller Not entgegen. So erblicken wir ihn auch in unserem heutigen Evangelium; in dieser Gestalt lasst uns ihn daher jetzt betrachten.

Johannes 2,1-11: Und am dritten Tag war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa; und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger wurden auch auf die Hochzeit geladen. Und da es an Wein gebrach, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben nicht Wein. Jesus spricht zu ihr: Frau, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es waren aber allda sechs steinerne Wasserkrüge gesetzt nach der Weise der jüdischen Reinigung, und gingen in je einen zwei oder drei Maß. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser. Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister.  Und sie brachten’s. Als aber der Speisemeister kostete den Wein, der Wasser gewesen war, und wusste nicht, woher er kam (die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten), ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zum ersten guten Wein, und wenn sie betrunken worden sind, alsdann den geringeren; du hast den guten Wein bisher behalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen zu Kana in Galiläa und offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.

 

    Wollen wir, meine Lieben, einen tatsächlichen Beleg dafür, dass der Apostel Paulus in seinem Brief an Titus die Erscheinung Christi mit den Worten beschreibt: „Da aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes“, so finden wir dies in unserem heutigen Evangelium, so zu sagen, vor unsere Augen gemalt. Lasst mich daher jetzt zu euch sprechen:

 

Von der Freundlichkeit, welche Christus auf der Hochzeit zu Kana offenbart hat

 

    Und zwar

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie und warum Christus dieselbe da offenbart habe, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wozu wir diese Offenbarung anwenden sollen.

 

    HERR Gott Vater! Dich erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus, das ist das ewige Leben. Darum bitten wir dich, tue uns auf die Augen unseres Geistes, dass wir nicht blind bleiben, wie wir von Natur sind, sondern voll werden deiner Erkenntnis und darin wachsen, bis wir dich dort schauen von Angesicht zu Angesicht. Lass uns besonders in dieser Stunde in dem Spiegel deines Wortes das freundliche Bild deines eingeborenen Sohnes mit Freuden beschauen und dadurch zum Glauben an ihn und zur Liebe zu ihm gereizt und gelockt werden. Erhöre uns um desselben, unseres HERRN und Heilandes, willen. Amen.

 

1.

    Unser Evangelium beginnt, meine Lieben, mit den Worten: „Und am dritten Tag“; diese Worte weisen uns auf das unserem Text unmittelbar Vorhergehende zurück. Da wird uns aber erzählt, dass kurz nach Christi erstem öffentlichen Auftreten in Judäa eines Tages Nathanael, dieser Israelit, in welchem kein Falsch war, zu Christus gekommen und durch einen Beweis von der Allwissenheit Christi zum Glauben an ihn gebracht worden sei. Christus hatte dem Nathanael aber, als dieser erstaunt ausgerufen hatte: „Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel“, hierauf entgegnet: „Du wirst noch Größeres als das sehen.“ – So finden wir denn Christus drei Tage darauf in Kana in Galiläa. Nathanael, der aus dieser Stadt gebürtig war, mag Christus gebeten haben, mit ihm nebst den anderen von ihm bereits gesammelten Jüngern dahin zu gehen, und Christus hatte ihm auch seine Bitte gewährt. Da es aber in Kana ruchbar wird, dass Christus mit seinen Jüngern in die Stadt gekommen sei, und da hier gerade in diesen Tagen eine Hochzeit gefeiert wird, wie es scheint, bei armen Verwandten der Mutter des HERRN (denn diese hatte sich hier schon vorher eingefunden), so werden „Jesus und seine Jünger auch auf die Hochzeit geladen“. Und was tut Jesus? Er nimmt die Einladung an und erscheint wirklich mit allen seinen Jüngern in dem hochzeitlichen Haus.

    Wüssten wir nun auch von den hierauf erwählten anderen wichtigen Vorgängen auf dieser Hochzeit nichts, sagt selbst, müssten wir nicht schon die Freundlichkeit bewundern, die der Sohn Gottes allein dadurch offenbart hat, dass er sogleich bei dem Antritt seines Lehramtes mit seinen Jüngern auf eine Hochzeit geht? Denn aus welcher anderen Ursache kann dies geschehen sein, als damit seine Freundlichkeit offenbar werde? Oder sollte Christus um seiner selbst willen, um nämlich etwa selbst eine Erquickung zu genießen, auf eine arme irdische Hochzeit gegangen sein? Das sei ferne! War er nicht der Sohn Gottes, der selbst die Quelle aller Freude, bei dem Freude die Fülle und liebliches Wesen zu seiner Rechten ist immer und ewig? Hätte er sich selbst freuen wollen, wäre er nicht vom Himmel, dem Ort der Seligkeit, herabgekommen. Von ihm heißt es vielmehr ausdrücklich: „Ob er wohl reich ist, so ward er doch arm um unseretwillen, auf dass wir durch seine Armut reich würden“, und an einer anderen Stelle: „Welcher, da er wohl hätte mögen Freude haben, erduldete er das Kreuz.“ Es ist hiernach gewiss: Nicht um selbst eine Freude zu genießen, sondern um den Menschen seine Freundlichkeit zu offenbaren, ging Christus mit seinen Jüngern auf die Hochzeit zu Kana.

    Warum hat denn aber wohl Christus gerade diese Weise der Offenbarung seiner Freundlichkeit erwählt? Christus hätte ja denken können: Was werden die Pharisäer sagen? Werden nicht sie und alle Frommen unter den Juden sich daran stoßen, dass ich, der ich eine so heilige Person, nämlich der von den Propheten verkündigte allerheiligste Messias sein will, an den zeitlichen Freuden einer Hochzeit teilnehme? Christus hätte ferner denken können: Was werden die Reiche und Vornehmen im Land dazu sagen, wenn sie mich an dem Festtisch armer Leute sitzen sehen? Wird das nicht in ihnen verächtliche Gedanken von mir erwecken? Christus hätte ferner denken können, seine Jünger seien neu erweckte Leute, diese dürfte er nicht auf ein Freudenfest führen, diese müsse er vielmehr anleiten, sich vor allem in der Buße zu üben und in ihrem Christentum recht tiefen Grund mit Beten, Kämpfen und Ringen zu legen. Christus hätte endlich denken können, da er eben jetzt sein öffentliches Lehramt angetreten habe und zur Verwaltung desselben nur drei kurze Jahre bestimmt seien, so dürfe er seine kostbare Zeit nicht mit Hochzeitsfeiern hinbringen, er habe viel nötigere Dinge zu tun, er wolle lieber die Traurigen, Elenden, Angefochtenen, Kranken und Sterbenden aufsuchen und dergleichen.

    So natürlich nun solche Gedanken uns sind und so gewiss auch Christus an dies alles selbst gedacht hat, so hat er sich doch durch diese Gedanken der Menschen nicht abhalten lassen, der erhaltenen Einladung zu folgen. Warum, das ist nicht schwer zu erraten. Denn, nicht wahr, hätte Christus nur solche werke getan, welche seine hohe Heiligkeit offenbarten; hätte er sich nur mit geistlichen gottseligen Übungen beschäftigt; wäre er nur mit Heiligen umgegangen; hätte er jede weltliche oder doch jede heitere Gesellschaft geflohen und hätte er sich nur im Tempel oder in der Wüste Tag und Nacht fastend und betend aufgehalten; hätte er mit seinen Jüngern und mit anderen Menschen keinen anderen Umgang gepflegt, als dass er ihnen Gottes Wort gepredigt und mit ihnen auf seinen Knien gelegen und gebetet hätte: Welcher Mensch würde dann wohl ihm zu nahen gewagt haben? Welcher Sünde würde dann wohl zu ihm Vertrauen gewonnen haben? Würde sich nicht jeder, den sein Gewissen einer Unheiligkeit und Südhaftigkeit überzeugte, vor Christus, als vor einem heiligen, höheren Wesen, gescheut und gefürchtet haben? Und was für Gedanken würden die Menschen von dem Christentum, nämlich von dem Sinn, leben und Wandel bekommen haben, den Christus fordere? Würde nicht jeder gedacht haben, wer ein Jünger Christi werden wolle, der müsse die schwersten Lasten und das drückendste Joch auf sich nehmen und ein Leben in Geistlichkeit der Engel und in steter saurer Arbeit, in Plage, Angst und Traurigkeit führen? Jeder Beschäftigung mit irdischen Dingen sei etwas Unchristliches, sei eine Befleckung der Seele? Zumal jede irdische Freude sei etwas Sündliches, sei eine Erzürnung Gottes? – Seht, Christus offenbarte sich durch seine Teilnahme an einer irdischen Hochzeit in so holdseliger Freundlichkeit, um erstlich alle Menschen, und auch die größten Sünder zu sich zu locken, und um zu zeigen, dass das Joch, das er den Seinen auflege, sanft, und dass die Last, die er ihnen zu tragen gebe, leicht, dass das Christentum nichts Trauriges, nicht ein saurer Dienst, nicht ein mönchisches, mürrisches, menschenfeindliches Wesen, sondern etwas Leichtes, Liebliches, Fröhliches, Seliges sei. O des treuen Heilandes, der darum selbst auf eine armselige irdische Hochzeit ging, um den Sündern Mut zu machen, dass sie zu ihm kämen!

    Doch es wird uns in unserem Evangelium nicht nur erzählt, dass Christus jener Einladung mit seinen Jüngern Folge leistete; wir hören ferner, als es in Kurzem wegen der Menge der hinzugekommenen ungerechneten Gäste an Wein gebrach und die Mutter des HERRN, die hier heimisch sein mochte, die Verlegenheit des Brautpaares merkte, so lispelte dieselbe Christus zu: „Sie haben nicht Wein.“ Maria, die alle Worte, welche von ihrem Sohn von dem Engel, von den Hirten, von dem Propheten Simeon und der Hanna und von Christus selbst ausgesprochen worden waren, in ihrem Herzen wohl erwogen hatte, wusste wohl, dass es Christus nur ein Wort koste, um dem Mangel abzuhelfen. Doch jetzt hatte sie aus menschlicher Schwachheit Christus zur Unzeit erinnert; Christus antwortet ihr daher: „Frau, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Christus zeigte hiermit, dass in seinem Amt auch seine Mutter keine Stimme habe. Doch Maria nahm auch diese Zurückweisung in tiefer Demut willig an, ward darum in ihrem Glauben an Christi helfende Liebe nicht irre, und sprach daher zu den Dienern: „Was er euch sagt, das tut.“

    Was geschieht? Vor dem Hochzeitshaus standen sechs große steinerne Wasserbehälter zu dem Zweck, dass man nach den jüdischen Gesetzen sich vor und nach Tisch waschen konnte. Diese Wasserbehälter befiehlt Christus mit Wasser zu füllen; die Diener gehorchen. Christus heißt ihnen ferner: „Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister.“ Sie bringen es. Verwundert bemerkt nun der Speisemeister, dass das ihm Dargereichte der köstlichste Wein ist; er ruft daher den Bräutigam und spricht: „Jedermann gibt zum ersten guten Wein, und wenn sie trunken geworden sind“, das heißt, wenn die Gäste zur Sättigung getrunken haben, „alsdann den geringeren; du hast den guten Wein bisher behalten.“ Christus hatte mit Absicht nicht sogleich nach dem Eintritt des Mangels das Wunder getan; die

Gäste hatten erst alle deutlich merken sollen, dass der Wein wirklich zu Ende gegangen sei. Wer mag daher das Erstaunen schildern, dass jetzt die Gäste und unter ihnen besonders die Jünger ergriffen haben mag, da sie sehen und schmecken, welch ein herrliches Wunder Christus in diesem Augenblick getan habe! Daher heißt es denn auch hierauf: „Und seine Jünger glaubten an ihn.“ Hiermit soll angezeigt werden, obgleich die Jünger schon vorher einen schwachen Glauben an Christus gewonnen hatten, so war er doch eben noch sehr schwach gewesen; nun aber, als das in Erfüllung ging, was Christus drei Tage vorher zu Nathanael gesagt hatte: „Du wirst noch Größeres als das sehen“, nun wart ihr Glaube erst recht hell und stark in ihrem Herzen.

    Hierdurch offenbarte, heißt es, Christus seine Herrlichkeit. Diese Herrlichkeit bestand aber nicht allein in der göttlichen Macht, sondern auch, und zwar vor allem, in der wunderbaren Freundlichkeit, welche Christus hierdurch offenbarte. Denn ist es nicht so, liebe Zuhörer: Welch ein freundliches Herz muss Christus damit gegen uns entdecken wollen, dass er nicht nur mit auf die Hochzeit geht, sondern dass er dieselbe auch mit einem Wunder krönt, dass er gerade da das erste unter allen seinen Wundern tut, dass er mit seinem herrlichen Wunder einer Not abhilft, die kaum eine Not zu nennen ist, und dass er gerade ein solches Wunder tut, Wasser in Wein verwandelt, mit welchem er die Gäste erquickt, und zwar so viel Wein verschafft, dass das junge Ehepaar davon eine jahrelange Erquickung haben konnte? Wer mag nun daran zweifeln, dass Jesus ein freundlicher Heiland sein müsse, dessen Herz von Liebe gegen die Menschen brennt und wallt, dessen Lust es ist, uns hier fröhlich und dort selig zu machen, der bereit ist, für uns den bitteren Tränenkelch zu leeren und uns mit dem süßesten Wein der Freude und Seligkeit zu tränken und zu erquicken? Möchten wir nicht, wenn wir heute dies hören, wieder singen, wie an der Krippe des Jesuskindleins:

Er wird ein Knecht und ich ein Herr,

Das mag ein Wechsel sein,

Wie könnt es doch sein freundlicher,

Das Herze-Jesulein!?

 

2.

    Lasst uns daher nun zweitens erwägen, wozu wir diese Offenbarung der Freundlichkeit Christi anwenden sollen.

    Die rechte Anwendung dieser Offenbarung besteht erstlich darin, dass wir uns durch das Gefühl unserer Unheiligkeit und Sündhaftigkeit ja nicht abhalten lassen, zu Christus zu gehen. Denn halten wir Christus für einen „harten Mann“, der, wie jener Knecht spricht, „nimmt, das er nicht gelegt hat, und erntet, das er nicht gesät hat“; halten wir Christus für einen Feind der Sünder, der da gekommen ist, die Sünder zu richten und zu verdammen; glauben wir, dass Christus einen Sünder von sich stoßen oder doch betrübt von ihm weggehen lassen könne: So machen wir uns selbst einen falschen Christus, so werden alle solche Gedanken durch das Verhalten Christi in Kana widerlegt, und als gottlose Gedanken, die unser Herz sich von Christus selbst macht oder die der Satan uns von ihm einbildet, verdammt und verworfen. Darum du, der du gern selig werden möchtest, der du aber wegen deiner Sünden, wegen deines Abfalls, wegen deiner Untreue, welcher du dich bis diese Stunde schuldig gemacht hast, dir nun nicht getraust, zu Christus zu gehen; der du immer denkst, Christus werde nichts von dir wissen wollen: Schaue doch Christus an, wie er in Kana sich mitten unter arme Sünder setzt, wie er ihr Hochzeitsfest sogar mit einem Wunder krönt, wie er da lauter Liebe und Freundlichkeit an sich blicken lässt; so fasse doch daher zu diesem freundlichen Heiland ein Herz, glaube an ihn, mische dich getrost unter seine Jünger, ja, versuche es nur, und du wirst’s erfahren: Er wird dich gewiss nicht unfreundlich von sich stoßen und auch dir gewiss endlich von dem süßen Wein seines Trostes einschenken.

    Es gibt jedoch auch solche Sünder, die sich nicht die Furcht, aber die Furcht vor dem Christentum abhalten lassen, der Welt Valet zu sagen und wahre Christen zu werden. Sie denken, wer die Welt verlassen, ein Jünger Christi werden und nichts anderes in dieser Welt genießen solle als die Freude am Evangelium und die Hoffnung des ewigen Lebens, der müsse auch aller Freude Abschied gegen, der müsse ein unglücklicher Mensch werden und schwermütig und trübsinnig sein kurzes Leben vertrauern. Sind auch vielleicht unter uns solche, die dergleichen Gedanken vom Christentum haben, so frage ich sie: Wer hat solche Vorstellungen von dem wahren Christentum in euch erweckt? Wollt ihr das Christentum nach denen beurteilen, die sich’s mutwillig zu einer steten Mühe, Angst, Arbeit und Traurigkeit machen? In Gottes Wort findet ihr diese Bild nicht. Schaut Christus in unserem heutigen Evangelium an; seht, in welcher freundlichen Gestalt er einhergeht; er zeigt euch hiermit, dass er nicht gekommen ist, die Menschen in einen traurigen, betrübten Zustand zu versetzen, sondern sie zu erquicken und ihnen eine Freude und einen Frieden in das Herz zu geben, den ihr in der Welt und ihren Freuden und Gütern nicht findet. So lange ein Mensch noch eigene Wege geht, so lange er noch nicht wirklich zu Christus kommt und so lange er noch zwischen Christus und der Welt sein Herz teilen will, so lange ist freilich das Christentum ein elendes, trauriges Ding; da ist keine Ruhe, kein Friede, keine Gewissheit, keine Freude, keine lebendige Hoffnung, keine selige Christengemeinschaft, sondern ein stetes Grämen und Härmen, und ein Laufen und Rennen nach ungewissem Ziel, ein Fechten und Ringen mit Streichen in die Luft. Wendet sich aber ein Mensch ohne Umwege zu Christus und tröstet er sich seiner und traut seinem Wort, seinem Herzen, der Welt und dem Satan zum Trotz, da wird er ein fröhlicher Christ, der sich glücklicher dünkt selbst in der Not als der Glücklichste bei seinen guten Tagen sich dünken kann. Darum ihr, die ihr euch bisher vor dem Christentum gefürchtet habt, lasst euch doch durch Christi Freundlichkeit zu ihm locken und ihr werdet es erfahren, was er selbst spricht: „Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“

    Doch zu rechter Anwendung der Freundlichkeit, die Christus zu Kana offenbart hat, gehört auch ferner, dass ein Christ in keiner Not verzage, selbst wenn Christus auch auf das erste Gebet um Hilfe antwortet: „Mensch, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Habt ihr Christen nicht gehört, wie Christus selbst in der geringen Verlegenheit, da es auf der Hochzeit an Wein gebrach, doch endlich durch ein herrliches Wunder Rat geschaffen? Könnt ihr nun glauben, dass Christus euer Gebet unerhört lassen werde, wenn ihr vielleicht in viel größerer Not ihn anruft? O, hört doch nicht auf euer Herz, dass in der Stunde der Trübsal, wenn die Hilfe nicht gleich erscheint, an Christi Liebe zweifeln will. Denkt doch nicht gleich, dass Christus euch um eurer Sünde willen in der Not verlassen werde. Er tut es wahrlich nicht. Er ist ein Freund der Sünder. Wenn er mit seiner Hilfe verzeiht, will er nur euren Glauben, eure Geduld und eure Liebe zu ihm auf die Probe stellen. Folgt daher der Maria und werdet auch nicht an Christus irre. Müsst ihr auch erst ein großes Maß voll Tränen füllen bis obenan: Wenn Christi Stunde schlagen wird, so wird euer Tränenwasser in den Wein der seligsten Freude verwandelt werden. Er legt es selbst an einer anderen Stelle so seinen Jüngern aus, wenn er zu ihnen spricht: „Ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden.“

    Endlich aber, meine Lieben, da Christus, unser HERR, sich so freundlich erwiesen, so lasst uns bedenken, dass er uns auch damit ein Vorbild gelassen hat, dass wir nachfolgen sollen seinen Fußstapfen. Wollen wir Jünger des freundlichen Heilandes sein, so lasst es uns daher auch mit der Tat beweisen, lasst uns so wandeln, dass die Welt sehe, dass wir keine Menschenfeinde sind und dass das Christentum nichts Finsteres und Schwermütiges sei, lasst uns wandeln, wie es fröhlichen und seligen Christen gebührt, freundlich gegen jedermann, im Herzen, in Gebärden und mit Worten und Werken. Auf unserem Antlitz stehe das Wort des Apostels geschrieben: „Als die Traurigen, aber allezeit fröhlich.“ Amen.

 

Evangelienpredigt zum dritten Sonntag nach Epiphanias ueber Matthaeus 8,1-13: Dass nur das der rechte Glaube sei, der sich allein an das Wort haelt

 

    Die Gnade unsers HERRN und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

 

    Es wird gewiss wenige Menschen geben, die, wen sie noch an einen Himmel und an eine Hölle glauben, nicht glauben sollten, dass sie einst in den Himmel kommen werden. Fragt man sie aber, worauf sie denn diesen ihren Glauben gründeten und warum sie denn eine so gute Hoffnung für sich von der Ewigkeit hegten, so geben die Meisten auf diese Frage eine solche Antwort, dass man deutlich sieht: Ihr Glaube ist grundlos, nichts als eine leere Einbildung, in welcher sie sich einst betrogen finden werden.

    Denn was antworten die Meisten auf die Frage: Warum glaubst du denn, selig zu werden? – Der Eine spricht: Ich glaube es darum, weil Gott ein gutes Wesen ist, ein lieber Vater im Himmel, der gewiss nicht so streng und hart sein wird, mich ewig von sich zu stoßen und zu verdammen. Wer aber aus diesem Grund selig zu werden hofft, der bau seinen Glauben darauf, dass Gott bloß die Eigenschaft der Liebe, aber nicht die Eigenschaft der Gerechtigkeit habe, der baut also auf Sand, sein Glaube ist eine leere Einbildung, ein süßer Traum, aus welchem er in der Ewigkeit gewiss, aber dann zu spät, erwachen wird, denn Gott ist ebenso gerecht wie liebevoll.

    Ein anderer spricht daher: Ich weiß wohl, dass Gott nicht bloß liebevoll, sondern auch gerecht und heilig ist; ich glaube aber darum, selig zu werden, weil Gott mir von Jugend auf bewiesen hat, dass er mich liebe und mir gnädig sei. Ich habe oft zu Gott in der Not gebetet, und er hat meine Gebete oft erhört; er hat mich in Zeitlichem gesegnet; ich sehe, wie mir Gott, was ich anfange, gelingen lässt. Hieraus sehe ich deutlich: Gott muss mich liebhaben, warum sollte ich also an meiner Seligkeit zweifeln? Wer aus diesem Grund selig zu werden hofft, der baut seinen Glauben darauf, dass Gott an denjenigen, welchen er viel Wohltaten erweist, schon sein Wohlgefallen haben müsse, der baut daher auch auf Sand. Denn Gott hat nicht nur uns Menschen geboten, auch unseren Feinden Gutes zu tun, sondern er tut dies auch selbst. „Er ist“, wie Christus spricht, „gütig über die Undankbaren und Boshaften.“ Weit entfernt also, dass die gütigen Erweisungen Gottes immer Gottes Wohlgefallen an einem Menschen offenbaren, so sind sie vielmehr bei den meisten Menschen nur Lockungen dazu, dass sie erst Buße tun sollen; denn so spricht der heilige Apostel: „Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“

    Noch andere sprechen daher: Wir wissen wohl, wenn ein Mensch in Sünden lebt, so steht er doch nicht bei Gott in Gnaden, wenn er gleich, wie der reiche Mann im Evangelium, mit göttlichen Wohltaten überschüttet wird und Gott im Schoß zu sitzen vermeint; wir aber glauben darum, selig zu werden, weil wir uns, Gott sei Dank, keiner großen Sünden, wie andere gottlose Menschen, bewusst sind; wir haben uns, so viel in unseren schwachen Kräften steht, von Jugend auf fromm und rechtschaffen gehalten; es kann uns niemand etwas Schlechtes nachsagen; Sünder sind wir freilich alle: Wollte Gott aber alle diejenigen verdammen, die solche Schwachheitssünden haben wie wir, dann könnte ja niemand selig werden. Wer nun darum selig zu werden hofft, der baut seinen Glauben darauf, dass Gott kleingeachtete Sünden nicht strafen könne und dass Gott an ihm nicht mehr Sünden sehe als er selbst; auch der baut daher auf Sand, denn bei Gott sind alle Sünden groß, und wo wir Eine Sünde sehen, da sieht Gott bis in unser Herz dringendes Auge tausend. Daher heißt es auch von jenem Pharisäer, der auch sagte: „Ich danke dir, dass ich nicht bin wie andere Leuchte, kein Räuber, kein Ungerechter, kein Ehebrecher“, und desgleichen, dieser ist nicht gerechtfertigt in sein Haus gegangen, er sei also mit seiner ganzen Ehrbarkeit, Gerechtigkeit und Frömmigkeit verdammt worden.

    Dass man nun dadurch nicht selig werden könne, sehen andere ein. Sie sprechen daher: Ich weiß wohl, dass ich durch meine Frömmigkeit nicht in den Himmel kommen kann, und dass Gott auch meine Fehler und Schwachheiten bestrafen muss, aber ich habe schon in dieser Welt so viel Kreuz, Not und Trübsale ausgestanden; der liebe Gott hat mich für meine Sünden schon hier so hart mit vielen Krankheiten, mit Schmerzen, mit Armut gestraft und mich dieselben abbüßen lassen; ach, ich habe in diesem Leben wenig fröhliche Tage und Stunden gehabt! So denke ich doch, in jener Welt werde ich’s dann desto besser haben. Wer nun darum selig zu werden hofft, auch der baut seinen Glauben auf Sand; denn wenn auch ein Mensch hundert Jahre keine frohe Stunde hätte, so könnte er damit auch nicht Eine Sünde abbüßen und wieder gutmachen, denn Gott hat auf die Sünde den Tod, nämlich den zeitlichen und ewigen Tod, gesetzt. Wer daher auf die Abbüßung seiner Sünden bauen will, der kann sie nicht hier, sondern muss sie in jener Welt abbüßen von Ewigkeit zu Ewigkeit.

    Doch, meine Lieben, es gibt, Gott sei Dank, noch Menschen, welche sagen, sie gründeten ihre Hoffnung, selig zu werden, nicht auf die bloße Liebe Gottes, nicht auf die Wohltaten, die sie schon genossen hätte, nicht auf ihre Ehrbarkeit und nicht auf ihre Leiden in dieser Welt, sondern sie hoffen selig zu werden allein durch Christus. Obgleich aber nun diese Antwort schon besser klingt, so kann doch ein Mensch meinen, er glaube wirklich an Christus, und in der Tat ist sein Glaubensgrund doch etwas ganz anderes. Fragt einen Schwärmer unserer Zeit, der in einem durchaus falschen Glauben steht, wodurch er denn selig werden wolle? So wird auch er euch sagen: durch Christus. Hierdurch darf man sich aber nicht täuschen lassen; denn nur der hat den rechten Glauben an Christus, der ihn auf das Wort gründet.

 

Matthäus 8,1-13: Da er aber vom Berge herabging, folgte ihm viel Volk nach. Und siehe, ein Aussätziger kam und betete ihn an und sprach: HERR, so du willst, kannst du mich wohl reinigen. Und Jesus streckte seine Hand aus, rührte ihn an und sprach: Ich will’s tun; sei gereinigt! Und alsbald ward er von seinem Aussatz rein. Und Jesus sprach zu ihm: Siehe zu, sag’s niemand, sondern gehe hin und zeige dich dem Priester und opfere die Gabe, die Mose befohlen hat, zu einem Zeugnis über sie. Da aber Jesus einging zu Kapernaum, trat ein Hauptmann zu ihm, der bat ihn und sprach: HERR, mein Knecht liegt zu Hause und ist gichtbrüchig und hat große Qual. Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. Der Hauptmann antwortete und sprach: HERR, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn ich bin ein Mensch, dazu der Obrigkeit untertan, und habe unter mir Kriegsknechte; doch wenn ich sage zu einem: Gehe hin! so geht er, und zum andern: Komm her! so kommt er, und zu meinem Knecht: Tue das! so tut er’s. Da das Jesus hörte, verwunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch, solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden. Aber ich sage euch: Viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich sitzen. Aber die Kinder des Reichs werden ausgestoßen in die äußerste Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähneklappen. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Gehe hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast! Und sein Knecht ward gesund zu derselben Stunde.

 

    Nach diesem Evangelium lasst mich euch jetzt vorstellen:

 

Dass nur das der rechte Glaube sei, der sich allein an das Wort hält

 

    Denn

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Nur ein solcher Glaube hat den rechten Grund, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Nur ein solcher Glaube bringt die rechte Frucht.

 

1.

    In unserem heutigen Evangelium finden wir zwei Beispiele von einem Glauben, der durch den Erfolg bestätigt, ja, zum Teil von Christus selbst als ein Musterglaube bewundert und gerühmt worden ist. Wir können daher an diesen Beispielen den rechten Glauben kennenlernen, bei welchem sich ein Mensch gewiss nicht betrogen finden wird.

    Worauf gründen nun die beiden Gläubigen, die uns in unserem Text vorgestellt werden, ihren Glauben, und woran hielten sie sich denn dabei? Was war dies erstlich bei dem Aussätzigen? Von diesem heißt es, er habe Christus angebetet und gesprochen: „HERR, so du willst, kannst du mich wohl reinigen.“ Bei dem ersten Anblick scheint es, als habe der Aussätzige nach dieser Rede gar keinen Glauben gehabt, sondern vielmehr Zweifel und Misstrauen gegen Christus in seinem Herzen getragen. Aber es scheint nur so. Wir müssen nämlich bedenken, dass der Aussätzige nicht um Gnade, nicht um Vergebung der Sünden, nicht um Seligkeit seiner Seele bat, sondern um ein zeitliches, leibliches Gut, um Gesundheit. Nun wusste der Aussätzige wohl, dass Gott manchem Menschen ein leibliches Übel zuschickt zu seinem Seelenheil; er dachte daher daran, dass die Krankheit des Aussatzes, mit der er beladen war, vielleicht auch ihm zu seinem Heil nötig sei; unbedingt um Heilung zu bitten, achtete er daher für eine Vermessenheit; er bittet daher wohl um die leibliche Hilfe, aber mit der Bedingung, so Christus wollte, das heißt, so es Christi gnädigem Willen nicht entgegen wäre. Er will sagen: Christus wisse freilich besser, was ihm gut sei, ob Krankheit oder Gesundheit; er stelle daher die Erfüllung seiner Bitte in seinen Willen; doch dass er, wenn er wolle, ihn auch reinigen könne, das sei ihm gewiss. Seht, meine Lieben, was war es also, was der Aussätzige von Christus begehrte und worauf er seinen Glauben, auch an die wirkliche Hilfe, gründen wollte? Es war Christi ausdrückliche zusage und Wort. Ehe freilich Christus das Wort ausgesprochen hatte: „Ich will es tun, sei gereinigt“, da wagte der Aussätzige nicht, mit Gewissheit die Heilung zu erwarten, dieses Wort wollte er erst in sein Ohr schallen hören, das aber sollte ihm genügen.

    Wie war ferner der Glaube des Hauptmanns von Kapernaum beschaffen? Auch dieser bat um ein leibliches Gut. Was verlangte er nun, um der Hilfe gewiss zu sein? Er lässt, wie wir aus dem Bericht des Evangelisten Lukas erfahren, Christus bitten: „HERR, mein Knecht lieg zu Hause und ist gichtbrüchig und hat große Qual.“ Da nun Jesus sogleich spricht: „Ich will kommen und ihn gesund machen“, was lässt hierauf der Hauptmann Christus sagen? Dieses: „HERR, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst; sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.“ Seht, der Hauptmann begehrt von Christus nicht, dass er irgendein Zeichen gebrauche, etwa die Hand auf den Kranken lege, oder etwas Ähnliches, wie andere oft baten, ja, er begehrt nicht einmal, dass Christus in sein Haus komme; Christus soll nur ein Wort sprechen, mehr begehrt er nicht; das und nichts anderes ist der Grund, darauf er seinen Glauben gebaut hat, und daran er sich so fest hält, dass ihn dann nichts, selbst die leibliche Abwesenheit Christi nicht, irre und in seinem Glauben wankend machen kann. Ja, er stellt es Christus deutlich vor, warum er sich so fest auf sein Wort verlasse, und spricht weiter: „Denn ich bin ein Mensch, dazu der Obrigkeit untertan, und habe unter mir Kriegsknechte; doch wenn ich sage zu einem: Gehe hin, so geht er; und zum anderen: Komm her, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tue das, so tut er’s.“ Der Hauptmann will sagen: Mein Wort ist ein Menschenwort, und doch richtet es so viel aus, dass das augenblicklich geschieht, was ich denen sage, die mir unterworfen sind; wie dürfte ich nun zweifeln, dass, wenn du dein göttliches Machtwort aussprichst, alles alsobald geschehen werde? Ich bin ein Mensch, du bist der Sohn Gottes, dir sind daher nicht nur Menschen, sondern auch alle Mächte in Himmel und auf Erden untertan; auf dein Wort kann man sich verlassen; du sprichst ein Wort, und schnell müssen Krankheit, Tod und Teufel weichen. „Du sprichst, so geschieht’s; du gebietest, so steht’s da.“ Damit wir nun nicht zweifeln können, dass dies der rechte Glaube sei, wie ihn Christus haben will, so wird uns in unserem Evangelium weiter erzählt: Da das Jesus hörte, verwunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch, solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden. Aber ich sage euch: Viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich sitzen. Aber die Kinder des Reichs werden ausgestoßen in die äußerste Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähneklappen. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Gehe hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast! Und sein Knecht ward gesund zu derselben Stunde.“

    Prüfen wir nun hiernach den Glauben derer, die da sagen, dass sie auch durch den Glauben an Christus selig werden wollen, so werden wir bald finden, dass leider nur zu vielen, ohne es zu ahnen, nicht im rechten Glauben stehen. Denn worauf gründen die Meisten diesen ihren Glauben, und zwar oft diejenigen, die sich ihr Christentum einen rechten Ernst sein lassen wollen? Der Eine sagt: Ich glaube, dass auch ich durch Christus selig werde, denn ich habe eine wahre Buße getan, ich bin zu einer lebendigen Erkenntnis meiner Sünden und zu einer großen Reue über dieselben gekommen, darum darf ich gewiss nun auch glauben, dass mir um Christi willen meine Sünden vergeben seien. Ein anderer spricht: Das glaube ich darum, denn ich habe es erfahren an meinem Herzen; ich war einst in großer Angst über meine vielen Sünden, ich wusste keine Ruhe mehr in der ganzen Welt zu finden; meine Missetaten stand wie Berge vor meiner Seele: Da habe ich mich auf meine Knie geworfen und Gott herzlich angerufen, er wolle sich doch meiner erbarmen, und siehe, bald habe ich reichen Trost in meinem herzen empfunden; es war mir, als spräche eine innere Stimme zu mir: Deine Sünden sind wir vergeben; da kehrte süßer Friede und eine himmlische Ruhe in meinem Herzen ein; so bin ich denn nun gewiss, dass ich bei Gott in Gnaden stehe. Ein Dritter sagt: Auch ich war einstmals in großer Seelennot; ich sah, dass ich mit meinem bisherigen ehrbaren Leben nicht vor Gott bestehen könne; Gottes Wort hatte mir wie eine Donnerstimme in das Herz gerufen: Du bist der Mann des Todes! Ich geriet in Verzweiflung und Verzagen. Doch, da fing ich an zu beten und zu seufzen und zu kämpfen und zu ringen mit Gott, und habe darin fortgefahren Tag und Nacht und nicht geruht, bis ich endlich das Zeugnis des Heiligen Geistes in meinem Herzen empfand. Und siehe! Endlich bekam ich auch dieses Zeugnis; ich konnte nun jauchzen: Ich habe das Kleinod errungen! Ich bin nun Gottes Kind! Ich bin ein Erbe des Himmels! Christus ist mein! Ich bin selig! Halleluja! Es gibt ferner solche, die sagen, sie glauben darum, dass sie durch Christus selig werden würden, weil sie ganz andere Menschen geworden seien. Vorher hätten sie nach der Welt Weise in mancher offenbaren Sünde oder doch in mancher Eitelkeit der Welt dahin gelebt und sich um Gott und sein Wort und ihrer Seelen Seligkeit nicht bekümmert, aber seit einer gewissen Zeit seien sie wie umgewandelt; sie hätten die alten Sünden abgelegt, sie machten jetzt die eitlen Vergnügungen der Welt nicht mehr mit, sie lebten jetzt eingezogen, nun verginge bei ihnen kein Tag, an dem sie nicht beteten und etwas in Gottes Wort läsen, sie gingen nun fleißig zur Kirche und zum heiligen Abendmahl, sie hätte nun auch ganz andere Einsichten in Gottes Wort und die ganze christliche Lehre; darum meinten sie, dass sie gewiss glauben könnten, dass auch ihnen ihre Sünden um Christi willen vergeben seien und dass auch sie selig werden würden, wenn sie Gott durch den Tod abfordern würde. Endlich gibt es auch solche, die dies darum glauben, weil sie, wie sie sagen, einmal nach einem heftigen Gebet Christus selbst gesehen, den Heiligen Geist leibhaftig gefühlt oder sonst merkwürdige himmlische Erscheinungen und Offenbarungen gehabt hätten.

    So gewiss nun ist, dass diejenigen, welche von solchen Erfahrungen erzählen können, wie sie nämlich einmal eine tiefe Reue über ihre Sündhaftigkeit, einen süßen Frieden des Herzens, ein  himmlisches Wehen des Heiligen Geistes, eine Umänderung ihres Lebens und dergleichen erfahren hätten, so gewiss es ist, sage ich, dass diese nicht ohne Erweckungen der göttlichen Gnade geblieben sind, dass Gott an ihnen gearbeitet, an ihren Herzen angeklopft und sie heimgesucht hat, sie zum rechten seligmachenden Glauben zu bringen, so haben doch alle, die nun auf solche ihre Erfahrungen ihren Glauben und ihre Hoffnung der Seligkeit bauen, einen falschen, wankenden und schwankenden Grund. Ach und wehe denen, die ihren Glauben auf ihre Buße bauen, denn auch die ernstlichste Buße bleibt unvollkommen und auch die tiefste Reue macht vor Gott nicht würdig! Wehe denen, die auf das süße Friedensgefühl sich verlassen, das in ihnen einmal entstanden ist, denn dieses Gefühl ist vorübergehend! Wehe denen, die ihren Gnadenstand darauf gründen, dass sie das Zeugnis des Heiligen Geistes einmal empfunden haben, denn dieses Zeugnis ist keineswegs immer im Herzen! Wehe denen, die um ihres neuen Lebens willen sich des Rechtes der Kindschaft Gottes trösten, denn auch das beste Leben ist verdammt, wenn es Gott nicht zudeckt mit seiner Gnade.

    Den einzig rechten Grund, den unser Glaube haben soll, zeigt uns das Beispiel des Aussätzigen und des Hauptmanns in unserem Evangelium: Es ist das Wort. Wer sich allein darauf verlässt, dass Gott selbst in seinem Wort sagt: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden“; wer sich allein darauf verlässt, dass Christus selbst spricht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“; kurz, wer aus keiner anderen Ursache es wagt zu glauben, dass auch ihm seine Sünden vergeben seien und dass auch er einst ewig selig werde, als weil es Gott in seinem Wort offenbart hat, dass alle Menschen, alle, auch die größten Sünder, durch Christus mit ihm versöhnt und durch ihn, wenn sie an ihn glauben, selig werden sollen, der hat einen festen, gewissen, unwandelbaren Glaubensgrund; denn des HERRN Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss. Wenn ein solcher Gläubiger auch keine Gnade mehr fühlt, sondern nur Zorn empfindet, so verzagt er doch nicht; er spricht: Mein Herz verkündigt mir Zorn, aber das Wort, das nicht lügen kann, verkündigt mir Gnade. Wenn ferner ein solcher Gläubiger auch in große Not gerät, so dass es scheint, als habe Gott ihn ganz vergessen, so verzweifelt er doch nicht; er spricht: Gott führt mich zwar durch das dunkle Tal der Trübsale, aber das Wort sagt mir, dass er mein Vater ist. Und wenn nun endlich ein solcher Gläubiger in Todesnot kommt, mag dann immer der Satan seine feurigen Pfeile nach seinem Herzen abdrücken, mag er ihn seines ganzen vergangenen Lebens halber verklagen, so ist er doch getrost und spricht: Ich will nicht mit dir streiten, o Satan, ob ich ein guter oder schlechter Christ gewesen bin, aber das Wort sollst du mir nicht nehmen, das allen Sündern, die ihre Zuflucht zu Christus nehmen, Gnade, Vergebung, Gerechtigkeit und Seligkeit verheißt; an dieses Wort will ich mich jetzt im Glauben halten; auf dieses Wort will ich jetzt sterben und mit diesem Wort will ich vor Gottes Gericht getrost treten; Gott kann nicht lügen; was er verheißen hat, muss er halten; er kann mich daher auch nicht verdammen; er muss mich selig machen; er wird auch zu mir sagen: „Wie du geglaubt hast, so geschehe dir, gehe ein zu deines HERRN Freude.“

 

2.

    Doch, meine Lieben, der Glaube, der sich allein an das Wort hält, hat nicht nur allein den rechten Grund, sondern bringt auch allein die rechte Frucht. Davon lasst mich nun noch zweitens Einiges hinzusetzen.

    Wie fruchtbar der Glaube sei, der sich allein an das Wort hält, dies sehen wir vor allem an dem Beispiel des Hauptmanns in unserem Text. Besonders zwei Tugenden sind es, die an diesem Man auf das herrlichste hervorleuchten, nämlich seine große Demut und seine eifrige Liebe. Christus war besonders bei allen Vornehmen sehr verachtet; die meisten der angesehenen Juden schämten sich seiner und meinten, es sei für Christus eine große Ehre, wenn sie ihn zu sich einluden. Wie dachte aber der heidnische Hauptmann? Er achtete sich für so unwürdig, dass er Christus nicht nur nicht zu sich einladen, und, wie Lukas erzählt, nicht selbst zu ihm zu gehen wagte, und daher jüdische Älteste zu ihm schickte, sondern, als der HERR sich bereit erklärte, zu ihm zu kommen, selbst da ließ er es ihm nicht zu, sondern sprach: „HERR, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst.“ Welch eine Demut! – Doch wir hören auch von ihm, dass er mit der Krankheit und der Qual seines Knechtes ein so herzliches Mitleid hatte, wie es nur ein Vater mit der seines eigenen Kindes haben kann. Bedenken wir nun, dass besonders in jener Zeit die Sklaven gewöhnlich auf das gefühlloseste behandelt und kaum für Menschen angesehen wurden, so müssen wir umso mehr das väterliche Herz bewundern, dass dieser alte Krieger gegen seinen kranken Sklaven hier offenbarte. Hierzu kommt noch, dass dieser Hauptmann nach dem Bericht des Lukas bei den Juden wegen seiner Liebe zu dem Volk Gottes und ihrer Religion bekannt und beliebt war, die er unter anderem auch dadurch mit der Tat bewiesen hatte, dass er den Juden zu Kapernaum aus seinen Mitteln eine Schule erbaut hatte. Wir sehen hieraus, dass der Glaube an Christus und an die Gewissheit seines Wortes bei ihm kein müßiger Gedanke, sondern etwas Lebendiges, Geschäftiges, Tätiges und Kräftiges in seinem Herzen war, der ihn zu einem neuen Menschen umgewandelt hatte, der da reich war an christlichen Tugenden und wahrhaft guten Werken.

    Wie sich aber der Glaube, der sich fest an das Wort hält, einst bei dem Hauptmann erwies, so erweist er sich immer bei allen, die ihn in ihrem Herzen tragen. In unseren Tagen zwar hört man nicht selten aus dem Mund der Ungläubigen den Vorwurf, dass der Glaube allen Eifer in guten Werken aufhebe, ja, selbst die Glieder der schwärmerischen Sekten, die sich doch so laut ihres Glaubens rühmen, sprechen es jetzt nicht selten aus, dass ein Glaube, der sich auf das bloße Wort verlasse, ein totes Ding sei, wobei keine Veränderung in dem Herzen des Menschen vorgehe: Aber warum urteilt man so? Man hat es nicht erfahren.

    Ein Glaube, der sich allein an das Wort hält, scheint freilich etwas sehr Leichtes und Bequemes zu sein; aber es scheint nur so. Kein Mensch kann sich solch einen Glauben selbst geben. Viele meinen wohl, dass sie ihn haben, aber in der Stunde der Anfechtung, wenn die Sünden aufwachen, oder in der Stunde des Todes, wenn sie das göttliche Gericht nahen sehen, wird nur zu oft das Gegenteil offenbar. Da zeigt sich’s, dass die Meisten, die sich des Glaubens an das Wort rühmen, ihr vertrauen doch eigentlich auf ihre Werke setzen und daher in jenem bösen Stündlein keinen Trost haben.

    Zu dem rechten Glauben, der sich allein an das Wort hält, kommt der Mensch nur dann, wenn er vorher hat erkennen lernen, dass es sonst keinen Glaubensgrund und Hoffnungsanker für ihn gibt; diesen Glauben senkt daher der Heilige Geist in das Herz eines Menschen dann, wenn dieser anfängt, vor Sünde, Hölle und am meisten vor Gott selbst zu erschrecken. Der Heilige Geist leitet dann einen solchen erschrockenen Sünder dahin, dass er, an allem seinem Können, Wollen, Zubereiten, Werken und Frömmigkeit verzagend, es wagt, sich ganz allein an das Wort zu halten.

    O, wohl aber einem Menschen, der endlich dahin kommt, dass er ausruft: Ach, ich kann mit meiner Buße, mit meinen Vorsätzen, mit meiner Besserung, mit meiner Heiligung nimmer vor Gott bestehen; ich will mich daran halten und anklammern, dass Gott den armen Sündern, die nichts als Sünde haben, Gnade verheißt in Christus; er kann ja sein Wort nicht widerrufen; er muss sich also doch meiner erbarmen! O wohl, sage ich, dem, der vom Heiligen Geist endlich dahin geleitet wird und sich in diesem Sinn und Glauben erhalten lässt bis an sein Ende! Ein solcher Gläubiger wird gewiss dann auch bald herrliche Früchte dieses seines Glaubens zeigen, wie der an das Wort gläubige Hauptmann in unserem Evangelium. Ein solcher Gläubiger fängt dann an, wahrhaft demütig zu werden; er4 führt dann nicht nur, wie die geistlich stolzen Schwärmer, demütige Gebärden und Worte, sondern er steht wirklich vor Gott und Menschen in der tiefsten Armut des Geistes; er achtet sich aller Gnade unwürdig; er achtet sich nicht würdiger als den größten unter allen Sündern und erscheint täglich vor Gott als ein nackter und bloßer Bettler, der nicht Recht, sondern Gnade begehrt.

    Wie wäre es aber nun möglich, dass derjenige, welcher in Wahrheit glaubt, dass ihn nichts als Gottes Barmherzigkeit täglich leiblich und geistlich erhalten und mit unzähligen Wohltaten überschütte, nicht auch mit Liebe zu Gott und seinen Brüdern erfüllt werden sollte? Wie wäre es möglich, dass das lebendige Wort Gottes in ein Herz aufgenommen werden und es nicht lebendig machen sollte? – Nein! Das göttliche Wort, das ein solcher Gläubiger in seinem Herzen trägt, ist wie eine glühende Kohle, die ihn nicht kalt bleiben lässt, sondern auch sein Herz erwärmt und auch ihn göttlich gesinnt macht. Es erweist sich in ihm als der göttliche unvergängliche Same, dadurch er von Gott gezeugt wird zu einem Erstling seiner Kreaturen.

    Möge denn der Heilige Geist selbst in einem jeden unter uns einen lebendigen Glauben, der sich an das Wort hält, wirken, so werden wir nicht nur damit in Not und Tod bestehen, sondern auch leuchten als Lichter in dieser Welt. Das tue er an uns um Jesu Christi, unseres einigen Heilandes, willen. Amen.

 

Evangelienpredigt zum vierten Sonntag nach Epiphanias ueber Matthaeus 8,23-27: Von der goettlichen Macht und Herrlichkeit, welche Christus einst auf dem galilaeischen Meer offenbart hat

 

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heilligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Wir leben in einer Zeit, in welcher viele Prediger ein Christentum ohne Christus predigen und viele Zuhörer ein solches Christentum ohne Christus haben wollen. Man hört daher in unseren Tagen nicht selten den Grundsatz aussprechen: Zu wissen, wer Christus eigentlich nach seiner Person sei, das sei durchaus nicht nötig, und sich darüber viel streiten sei die größte Torheit. Die Hauptsache sei, Christi weisheitsvolle Lehre zu kennen, seinem erhabenen Beispiel zu folgen und seine heiligen Gebote zu halten. Wenn ein Mensch das tue, dann möge er doch immerhin von Christus glauben, was er wolle; man solle ihn bei seinem Glauben lassen; denn dann komme weniger oder nichts darauf an, ob er Christus für eine göttliche oder für eine menschliche Person, für den Sohn Gottes oder bloß für einen frommen Menschen halte.

    Sollte dies wohl wahr sein? Ich meine: Wer nur einige Erkenntnis hat, der sieht wohl, was diejenigen, welche solche Grundsätze aussprechen, damit im Schild führen. Es ist ihnen damit keineswegs ein Ernst; sie achten es ohne Zweifel selbst keineswegs für gleichgültig, ob jemand Christus für den Sohn Gottes oder für einen bloßen Menschen halte; sie erklären dies vielmehr nur darum für gleichgültig, weil sie wünschen, dass jedermann von Christus gering denken und ihn, wie sie selbst, für einen bloßen Menschen halten möge.

    So lasse sich denn niemand durch solche jetzt so gangbaren Reden irre machen. Weit entfernt, dass nichts darauf ankommen sollte, was ein Mensch von Christi Person hält, so kommt vielmehr darauf alles an. Dies lehrt uns schon unsere Vernunft. Christus verheißt uns in seiner Lehre, er wolle uns unsere Sünden vergeben, er wolle uns von Gottes Zorn und Ungnade, vom Tod und von der Hölle erlösen, uns einst am Jüngsten Tag von den Toten auferwecken, uns im Tod den Himmel öffnen und uns dort ewig selig machen. Sollte es nun gleichgültig sein, ob der, welcher uns solche Dinge verheißt, ein bloßer Mensch oder der wahrhaftige Gott und das ewige Leben sei? – Verspricht uns jemand nur tausend Taler, wird es uns dann einerlei sein, ob derselbe reich oder arm sei, ein Besitzer von Millionen oder ein Bettler? Gewiss nicht. Wie? Und Christus verspricht uns, was der allmächtige Gott allein geben kann, und uns sollte es gleichgültig sein, ob Christus der allmächtige Sohn des Allerhöchsten oder ob er ein ohnmächtiger Mensch sei wie wir? – Dies streitet aber auch gegen die ganze Heilige Schrift. Nach derselben ist die Lehre von Christi Person die erste, die wichtigste, die Haupt- und Grundlehre des ganzen Christentums. Die Apostel nennen das Christentum geradezu die Predigt von Christus und besonders von dem gekreuzigten Christus, und sie erklären: „Einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Ein Christentum ohne Christus ist also nach der Schrift ein in die Luft gebautes Haus ohne allen Grund, eine Sonne ohne schein, eine Schale ohne Kern, eine Quelle ohne Wasser.

    Eben dadurch unterscheid sich nämlich Christi Lehre von allen anderen Religionen, dass er selbst den Hauptinhalt seiner Lehre ausmacht. Alle anderen Religionen sind aus der Vernunft herausgesponnene Lehrsysteme, die eine Reihe von Behauptungen und Geboten enthalten, ohne in irgendeiner Beziehung zu denen zu stehen, welche diese Systeme erfunden haben. In der Lehre Christi aber ist Christus selbst der leuchtende Mittelpunkt, von welchem alles ausgeht, um den sich alles bewegt und auf den sich alles wieder zurückbezieht.

    Christus spricht nicht bloß wie andere Lehrer: Ich zeige euch den rechten Weg, ich lehre die Wahrheit, ich führe zum ewigen Leben, sondern er spricht geradezu: „Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, ich bin das Leben.“ Christus spricht ferner nicht bloß: Wer an meine Lehre oder an Gott glaubt, der hat das ewige Leben, sondern geradezu: Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben.“ Christus spricht ferner nicht bloß: Wendet euch zu Gott, sondern er spricht geradezu: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.“ Christus sagt aber auch endlich ausdrücklich, dass es nicht genug sei, Gott den Vater zu erkennen; er spricht: „Das ist das ewige Leben, dass sie dich, dass du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“ Christus erklärt also die Erkenntnis Christi für ebenso nötig wie die Erkenntnis Gottes des Vaters.

    So hat kein Philosoph geredet und so konnte keiner reden; diese konnten sich allein auf ihre Lehre berufen, auf sich selbst aber konnten sie nicht hinweisen, das hat nur Christus getan.

    Was sollen wir also von denen halten, die da sagen: Zu wissen, was Christus eigentlich sei, sei nicht nötig, wenn man nur seine Lehre kenne? Solche sind entweder von anderen Verführte oder selbst Verführer, die Christus aus dem Christentum austilgen möchten, um eben damit das Christentum selbst zu vertilgen und an die Stelle desselben die dem Fleisch freilich bequemere Moral der alten Heiden wieder einzusetzen.

    O, möchte es jetzt nicht so viele, selbst mitten in der Christenheit, geben, die nichts von Christus wissen wollen! In einer solchen Zeit ist es freilich höchst nötig, dass man sich in seinem Glauben an Christus immer tiefer gründen und zu stärken suche. Lasst uns daher unser heutiges Evangelium dazu anwenden, Christi göttliche Macht und Herrlichkeit uns recht lebendig zu vergegenwärtigen.

 

Matthäus 8,23-27: Und er trat in das Schiff, und seine Jünger folgten ihm. Und siehe, da erhob sich ein großes Ungestüm im Meer, also dass auch das Schifflein mit Wellen bedeckt ward; und er schlief. Und die Jünger traten zu ihm und weckten ihn auf und sprachen: HERR, hilf uns, wir verderben! Da sagte er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?  Und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer; da ward es ganz still. Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam ist?

 

    Aufgrund dieses herrlichen Evangeliums lasst mich jetzt zu euch sprechen:

 

Von der göttlichen Macht und Herrlichkeit, welche Christus einst auf dem galiläischen Meer offenbart hat

 

    Lasst mich euch hierbei darauf hinweisen,

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie deutlich und herrlich Christus dieselbe hier einst offenbarte, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wozu Freund und Feind diese Offenbarung anwenden sollen.

 

1.

    Die in unserm heutigen Evangelium erzählte Geschichte enthält, meine Lieben, eine so herrliche Offenbarung Christi, dass es ein Wunder ist, wenn sie ein Gläubiger lesen oder hören sollte, ohne dabei einen innerlichen Drang zu empfinden, laut zu jauchzen und zu jubeln: O, wie groß und mächtig ist doch Jesus Christus! O, wohl mir, dass ich einen solchen Heiland habe! Aber ein Wunder ist’s auch, wenn nicht jeder Ungläubige beim Anhören unseres Evangeliums vor sich selbst erschrickt und um Erbarmen flehend Christus zu den Füßen fällt.

    Denn was hören wir? – Christus hatte einst eines Tages am Ufer des galiläischen Meeres viele Kranke geheilt und dem Volk in vielen Gleichnissen die seligmachende Wahrheit eifrig gepredigt, bis der Abend hereingebrochen war. Christus begab sich daher, dem fernen Zudrang des Volkes ausweichend, endlich in ein Schiff, um hinüber nach dem entgegengesetzten Ufer des Sees zu fahren. Seine Jünger folgen ihm, und noch mehrere andere Schiffe fahren zu derselben Zeit mit ab. Ruhig durchschneiden erst die Fahrzeuge die dunkle Flut. Christus, von den während des Tages verrichteten Wunderheilungen und gehaltenen Predigten ermüdet, legt sich alsbald auf dem Hinterteil des Schiffes, ein Kissen unter seinem Haupt, schlafen.

    Doch was geschieht? Es heißt in unserem Text: „Und siehe, da erhob sich ein großes Ungestüm im Meer.“ Durch das Wörtlein „siehe“ soll angezeigt werden, dass die Veränderung schnell und plötzlich, wider alles Erwarten der Schiffenden, entstanden sei. Das Wort „Ungestüm“ aber bezeichnet nach dem Griechischen eine Erschütterung, wie sie bei einem Erdbeben wahrgenommen wird. Es entstand also plötzlich, da sie auf die hohe See kommen, ein unterirdisches Geräusch, auf welches das Wasser umher in eine ganz ungewöhnliche Bewegung geriet; bald tut sich eine Tiefe auf, als wollte sie das Schifflein verschlingen, bald türmen sich die Wasserberge, die auf das Fahrzeug herabzustürzen drohen. Aber das ist noch nicht genug. Nach dem Bericht von Lukas und Markus kam hierauf noch ein Windwirbel oder eine Windsbraut hinzu, die sich aus der Luft in den See brausend herabstürzte, die bereits empörten Wasser wie eine Schraube erfasste, wie einen Kreisel herumdrehte, und so Welle auf Welle in das Schifflein warf, dass dasselbe in wenig Augenblicken mit Wellen bedeckt und von Seewasser ganz erfüllt war. Lukas sagt daher ausdrücklich: „Und sie standen in großer Gefahr.“

    Wie drohend diese Gefahr gewesen sein müsse, sehen wir daraus, dass alle Jünger jetzt zitterten und zagten. Unter den Jüngern war nämlich wohl keiner, der nicht schon oft auf dem Wasser gefahren wäre; ja, einige waren darunter, welche, wie wir gewiss wissen, als Fischer von Jugend auf auf dem Wasser ihre Geschäfte getrieben hatten und daher mit den Gefahren und Schrecknissen des Meeres wohl vertraut und dagegen abgehärtet waren. Da nun alle, selbst ein mutiger Petrus, von Furcht und Schrecken ergriffen werden, so müssen wir daraus schließen, dass sie jetzt so schreckliche Dinge erlebten, wie sie sie bis dahin noch nicht erlebt hatten. Alle Elemente sahen sie gegen sich in Aufruhr: Unter ihnen war es, als wollte die erbebende Tiefe das Meer selbst verschlingen, über ihnen sauste der Windwirbel wie ein Wetter und auf sie stürzte das Wasser in ganzen Strömen herab; aller menschliche Widerstand zeigte sich völlig vergeblich; dazu war es Nacht. Schon fürchteten daher die Jünger, im nächsten Augenblick werde das Schifflein in Stücke zerschellt und in grausigen Abgrund hinabgezogen sein.

    Doch, da der HERR in ihrer Mitte war, so nahmen sie noch zu ihm ihre letzte Zuflucht, traten vor den Schlafenden hin, weckten ich auf und riefen laut: „HERR, hilf uns, wir verderben!“ Und was tut Christus? Furchtlos schaut er, von seinem Schlummer erwacht, hinaus in den furchtbaren Aufruhr der Natur. Das Erste ist, dass er die zagenden Jünger straft und spricht: „Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?“ Hierauf steht er auf, bedroht den Wind und das Meer und spricht: „Schweig und verstumme!“ Und siehe, augenblicklich wird es ganz still. In dem Griechischen wird hier ein Wort gebraucht, welches so viel bedeutet, dass die Oberfläche des Sees wie eine Spiegelfläche geglättet worden sei und dass sich über die ganze Gegend eine lachende Heiterkeit ausgebrietet habe.

    Als dies die Jünger sahen, da, heißt es, fürchteten sie sich sehr, „verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ Die Jünger erkannten hieraus, dass Christus unmöglich ein bloßer Mensch sein könne, sondern dass er vielmehr der sein müsse, vor dem sich fürchten muss alle Welt, nämlich Gott der HERR selbst.

    Und das müssen auch wir, meine Lieben, noch jetzt aus dieser herrlichen Geschichte erkennen. Ihr wisst ja wohl alle aus Erfahrung, wie es um alle menschenmacht in einem Meeressturm getan ist. Wenn uns Menschen irgendwo unsere völlige Ohnmacht recht lebendig vor die Seele tritt, so ist es gerade auf dem Meer. Wenn da der Sturm über den Häuptern der Schiffenden daher braust, die Segel zerreißt, die Masten krachend zerbricht und die Wellen und Wogen peitscht, dass sie wie große Gebirge auf das schwache Fahrzeug losbrechen und hier Tiefe und da eine Tiefe sich, wie der Rachen des Abgrundes, öffnet, da sieht man, wie doch der Mensch so gar nichts sei. Was tat aber Christus in solcher Lage? Zagte auch er? Ja, ermahnte er auch etwa nur seine Apostel, zu Gott zu flehen und sich in alles, was da kommen würde, ruhig zu ergeben? – Nein! Ruhig steht er auf, bedroht die entzügelten Elemente und, während sonst das wellenschlagende Meer immer nur langsam, nachdem der Wind sich schon längere Zeit gelegt hat, sich beruhigt, so schweigt auf Christi Wort nicht nur augenblicklich der heulende Sturm, sondern in demselben Augenblick verschwinden auch plötzlich alle Wogen und glatt, wie ein Wiesenplan, lacht heiter wieder des Meeres Spiegel.

    Seht hier in Christus denselben HERRN, der einst die Wasser des Roten Meeres trennte, sie für die Kinder Israel zu Rechten und zur Linken zur Mauer machte und ihnen auf der Meerestiefe einen trockenen Fußpfad bahnte. Seht hier in Christus denselben HERRN, der einst dem Jordanstrom gebot, still zu stehen und sich wie ein Berg aufzuhäufen, damit sein Knecht Josua mit seinem ganzen Heer trockenen Fußes hindurchgehen konnte. Hier hat Christus mit der Tat bewiesen, dass es Wahrheit sei, was er von sich selbst sprach: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“, hier erfüllte sich die über den Messias im 8. Psalm ausgesprochene Weissagung: „Du wirst ihn zum Herrn machen über deiner Hände Werk; alles hast du unter seine Füße getan.“

    Sturm und Meer hat noch kein Mensch gezügelt; soll daher Gottes Größe recht lebendig in der Heiligen Schrift vorgestellt werden, so wird besonders seine macht über diese mächtigen, ungebändigten Elemente beschrieben. So fragt zum Beispiel im Buch Hiob im 38. Kapitel Gott den vorwitzigen Menschen: „Wer hat das Meer mit seinen Türen verschlossen, da es herausbrach wie auch Mutterleib? Da ich ihm den Lauf brach mit meinem Damm und setzte ihm Riegel und Tür und sprach: Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen.“ Daher heißt es ferner in dem 89. und 93. Psalm: „HERR, Gott Zebaoth, wer ist, wie du, ein mächtiger Gott? Und deine Wahrheit ist um dich her. Du herrschst über das ungestüme Meer. Du stillst seine Wellen, wenn sie sich erheben. Die Wasserwogen im Meer sind groß und brausen greulich; der HERR aber ist noch größer in der Höhe.“

    Was hat also einst Christus auf dem galiläischen Meer bewiesen? Er hat bewiesen, dass er tun kann, was Gott allein sich vorbehalten hat, dass er ein Herr sei nicht nur über die Erde, sondern auch über die Luft und das Meer, dass selbst die stummen, toten Kreaturen seine stimme hören und ihr gehorchen, dass er gleich sei dem Schöpfer, der da „spricht, so geschieht’s, der da gebietet, so steht’s da“; kurz, dass er sei der HERR Himmels und der Erde, der HERR aller Herren, der wahrhaftige Sohn Gottes und der ewige und allmächtige Gott, mit dem Vater und dem Heiligen Geist gleich groß und herrlich.

 

2.

    Da ist kein Zweifel; lasst mich euch daher nur noch zweitens darauf hinweisen, wozu Freund und Feind diese Offenbarung der göttlichen Macht und Herrlichkeit anwenden sollen. – Wer ist erstlich ein Freund Christi? #Ein Freund Christi ist derjenige, welcher aus Gottes Gesetz erkannt hat, dass er ein Sünder sei, der sich nicht selbst selig machen kann, der daher, gedrückt von der Last seiner Sünde, bei Christus seine einzige Zuflucht gesucht und ihn im Glauben angenommen hat und mit den lieben Jüngern nun bereit ist, Christus nachzufolgen und bei ihm auszuharren bis zum Tod. Wer ein solcher Freund Christi ist, wozu soll der die Offenbarung der Herrlichkeit Christi auf dem galiläischen Meer anwenden?

    Erstlich dazu, dass er recht lebendig erkennt, welchen guten, festen und unerschütterlichen Grund sein Glaube an Christus und an sein Evangelium habe. Siehe daraus, du Freund Christi, du täuschst dich nicht, wenn du Christus für den Sohn Gottes und sein Evangelium für das Wort Gottes hältst; Christus hat es besiegelt durch die herrlichsten Wunder. Alle Königsthrone werden fallen, aber diesen König aller Könige wird nichts von dem Thron seiner Macht und Herrlichkeit stürzen. Himmel und Erde werden vergehen, aber Christi Worte werden nicht vergehen. Alle Reiche der Welt, alle Machwerke der Menschen werden untergehen und zerstört werden, aber Christi Kirche und Reich werden auch die Pforten der Hölle nicht überwältigen, denn er ist allmächtig. „Wenn gleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. Sela. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie wohl bleiben; Gott hilft ihr frühe.“ Bekenne darum nur getrost fort und fort deinen Heiland mit Worten und Werken, du wirst und kannst nicht zuschanden werden.

    Ein Freund Christi soll daher jene Offenbarung seiner Herrlichkeit auch dazu anwenden, dass er nie verzagt, weder in einer leiblichen, noch in einer geistlichen Not. Siehe, weil du an Christus glaubst, so ist auch Christus stets in Gnaden bei dir, wie bei den Jüngern im Schiff. Entstehen nun Stürme der Trübsal, beginnt das Schifflein deines Lebens auf dem bewegten Meer dieser Welt zu wanken und zu schwanken, mit den Wellen der Not und Gefahr oder innerlichen Anfechtungen wegen deiner Sünden bedeckt zu werden, ja, gar zu sinken, o, seid getrost; scheint’s auch, als schliefe dein Heiland und als kümmere er sich nicht um dich: Ist deine Not am höchsten, so ist Christi Hilfe am nächsten. Wecke nur deinen Heiland auf und rufe ihm in festem Glauben zu: „HERR, hilf mir!“ so wird er auch für dich aufstehen und den Sturm deiner Not und die Wogen deiner Anfechtung bedrohen, deinem Herzen und Gewissen Stille, Ruhe und Frieden geben und dir herrlich helfen. Denn Christus kann auch da helfen, wo kein Mensch helfen kann, in den höchsten Nöten, in der Not der Sünde und in der Not des Todes.

    Doch wie sollt ihr endlich jene Offenbarung der Herrlichkeit Christi anwenden, die ihr noch seine Feinde seid? Die ihr nämlich entweder gar nichts von Christus wissen wollt oder ihn doch zu einem bloßen frommen Menschen macht und nicht durch ihn, sondern durch eure eigenen Werke selig werden wollt? Ihr sollt aus jenem Wunder erkennen, was ihr doch tut, indem ihr Christus zu einem bloßen Menschen macht. Habt ihr wohl, nachdem Christus jenes Wunder getan hat, noch eine Ursache, sicher zu sein? Etwa darum, weil es scheint, als sei Christus schwach, weil er zu allen Lästerungen gegen ihn bisher geschwiegen hat, und sich bisher von Tausenden ungestraft hat verachten lassen? O wahrlich nicht! Überlegt doch, wie sich Christus einst im Sturm auf jenem See offenbart hat: Erst schlief er, als ein Mensch wie wir, als Gott schlief noch schlummerte er nicht, sondern wachte; aber endlich stand er auf und bedrohte als Gottmensch die entfesselten Elemente, und Wind und Meer waren ihm gehorsam. So schläft Christus auch jetzt, und es scheint, als sei er ein Mensch wir ihr; aber wisst, es kommt ein Tag, das ist der schreckliche Tag des Weltuntergangs, da wird Christus erwachen und alle Feinde zum Schemel seiner Füße legen. O, darum schließt doch mit diesem König aller Könige in rechtzeitig Frieden, damit ihr einst nicht von ihm als seine Feinde mit Gewalt niedergeschmettert, sondern als seine Freunde zu seiner Rechten erhoben werdet auf immer und ewig. – Sprecht nicht, es sei gegen eure Vernunft zu glauben, dass Christus der wahrhaftige Gott sei. Blickt hin, wie er als ein Herr der Natur im Schiff steht und alles ihm gehorsam ist: Und ihr wollt ihm nicht zu Füßen fallen, ihm, dem Allgewaltigen? Siehe, so wird einst am jüngsten Tag der auf Christi Allmachtswort verstummende Sturmwind seinen Mund öffnen und wider euch zeugen. Wehe euch aber dann! Dieses Zeugnis wird alle eure Entschuldigungen zu Boden schlagen und euren Unglauben verdammen. Und wollt ihr jetzt Christi Stimme nicht hören und ihr folgen; wohl – ihr werdet nicht gezwungen, ihm hier zu gehorchen; aber einst in euren Gräbern werdet ihr doch Christi Stimme hören müssen, wenn sie euch zur Auferstehung des Gerichts rufen wird. O, darum hört jetzt auf Christus, jetzt ist seine Stimme eine Stimme der Gnade auch für seine Feinde; dort aber wird er sprechen: „Jene aber, die nicht wollten, dass ich über sie herrschen sollte, die bringt her und erwürgt sie vor meinen Augen.“

    Nun, Er, dem alle Kreaturen dienen, der unterwerfe sich auch unser aller Herzen durch sein allmächtiges Wort, dass auch wir ihm hier mit Freuden dienen, ihn als unseren Gott und Heiland bekennen und anbeten, ihm in aller Not fröhlich vertrauen, durch seinen beistand einst auch über den Abgrund des Todes glücklich hinübersegeln und fröhlich ankommen an den Ufern der jenseitigen seligen Welt, wo kein sturm der Not mehr brauchst und keine Welle der Anfechtung mehr tost, sondern ewige, selige Friedensstille wohnt. Amen.

 

Evangelienpredigt zum fuenften Sonntag nach Epiphanias ueber Matthaeus 13,24-30: Dass eine Kirche, welche die Ketzer verfolgt und toetet, gewiss Christi wahre Kirche nicht sei

 

    HERR Gott, himmlischer Vater! Du hast dir aus dem verlorenen und verdammten menschlichen Geschlecht eine ewige Kirche deiner Auserwählten gesammelt und nach deiner wunderbaren Gnade auch uns in dieselbe berufen und aufgenommen. O, so schenke uns denn auch die Gnade, dass wir uns durch keinen Schein der falschen Kirche blenden und in ihre Gemeinschaft verlocken lassen, sondern bei deiner wahren Kirche, bei den Schafen, die deine Stimme hören, bei denen, die dich lieben und dein Wort halten, bei deinen wahren Jüngern, die bei deiner Rede bleiben, ausharren und bei ihrer Schmach, auf dass wir einst als Kinder deines Reichs nicht hinausgestoßen, sondern gesammelt werden in die Scheuern des Himmels. Dazu segne dein Wort auch in dieser Stunde um Jesu Christi, deines lieben Sohnes, unseres HERRN und Heilandes, willen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Die sogenannte römisch-katholische Kirche hat so viele und so offenbare Irrtümer, dass dieselben jeder Katechismusschüler leicht erkenne, ja, dass sie, man möchte sagen, ein Blinder mit Händen greifen kann.

    In der römischen Kirche wird durch die Anrufung der Jungfrau Maria und anderer verstorbener Heiliger die offenbarste Abgötterei betrieben, während Gottes Wort sagt: „Du sollst anbeten Gott, dienen HERRN, und ihm allein dienen.“ „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.“ „Verflucht ist, wer sich auf Menschen verlässt“. In der römischen Kirche wird das heilige Abendmahl schändlich verstümmelt und den Kommunikanten der Kelch geraubt, während Christus klar sagt: „Trinkt alle daraus“; in der römischen Kirche wird täglich das sogenannte Messopfer dargebracht, während Gottes Wort sagt, dass zwar im Alten Testament die Priester oftmals einerlei Opfer getan, dass aber nun im Neuen Testament Christus „mit Einem Opfer in Ewigkeit vollendet habe, die geheiligt werden“. In der römischen Kirche wird den Priestern, Mönchen und Nonnen die Ehe verboten, während in Gottes Wort das Verbieten, ehelich zu werden, eine Teufelslehre genannt wird. In der römischen Kirche wird gelehrt, dass sich der Mensch durch seine Werke, Reue, Beichte und Genugtuungen die Rechtfertigung und Seligkeit verdienen könne und solle, während Gottes Wort sagt, „Wer nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit“. In der römischen Kirche herrschen, den Papst an der Spitze, die Priester und Bischöfe über das Volk und über seinen Glauben, während Gottes Wort den Dienern der Kirche warnend zuruft: „Nicht als die über das Volk herrschen, sondern werdet Vorbilder der Herde“; und selbst die Apostel sagen von sich: „Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern Gehilfen eurer Freude“. In der römischen Kirche wird gelehrt, dass es in jener Welt ein Fegfeuer gebe, in welchem die Gläubigen erst gereinigt werden, um in den Himmel eingehen zu können, während Gottes Wort sagt: „Selig sind die Toten, die in dem HERRN sterben, von nun an“; „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“; und ferner: „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, darnach das Gericht“. In der römischen Kirche galt lange das Lesen der Heiligen Schrift für eine dem gemeinen Christen gefährliche Sache, weil die Bibel dunkel und missverständlich sei, während der Prophet Jesaja dem ganzen jüdischen Volk gebietet: „Sucht in dem Buch des HERRN und lest“; ferner Petrus den Christen zuruft: „Wir haben ein festes prophetisches Wort, und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet, als auf ein Licht“; ferner Christus selbst: „Sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin, und sie ist’s, die von mir zeugt.“[11]

    Doch, wann wollte ich heute fertig werden, wenn ich euch auch nur alle die gröbsten Irrtümer der römischen Kirche herzählen wollte?

    Wie ist es nun möglich, dass die römische Kirche trotz ihrer zahllosen so offenbarer Irrtümer und Greuel so viele Seelen dennoch verführt?

    Ihr Hauptmittel zur Seelenverführung ist die Lehre, dass sie die wahre Kirche sei. Sie macht nämlich dabei folgenden Trugschluss: Weil sie die alte, erste, allein wahre Kirche sei, so könne sie sich auch nicht irren, weil sie sich aber nicht irren könne, so könne auch nichts, was sie lehre und was man für Irrtum halte, Irrtum sein, sondern müsse Wahrheit sein. Hat sich nun ein Mensch durch das Geschrei: Die römische Kirche ist die wahre Kirche, verblenden lassen, dann ist er freilich in eine Falle gegangen, aus welcher kein Ausweg ist. Ein solcher Verführer ist einem Menschen gleich, der darum seinen Irrweg gar nicht mehr sehen kann, weil er sich die Augen hat verbinden lassen.

    Worin offenbart sich aber der Betrug? Darin: Man darf nicht etwas für Wahrheit halten, weil es die angebliche wahre Kirche lehrt, sondern man darf vielmehr nur diejenige für die wahre Kirche halten, welche vorher beweist, dass sie die Wahrheit lehrt; Wahrheit ist etwas nicht dann und darum, wenn und weil es die Kirche sagt, sondern umgekehrt, eine Gemeinschaft ist nur dann und darum die Kirche, wenn und weil sie die Wahrheit sagt. Ein Irrtum ist nicht darum Wahrheit, weil ihn die angeblich wahre Kirche lehrt, sondern eine Kirche ist dann eben darum die wahre Kirche nicht, weil sie Irrtum lehrt; wie ein Mensch nicht damit beweist, dass er nicht gestohlen habe, weil er ehrlich sei, sondern damit beweisen muss, dass er ehrlich sei, weil er nicht gestohlen habe.

    Kurz, meine Lieben, eine Kirche, welche Irrtümer lehrt, kann nicht Christi wahre Kirche, sondern muss eine falsche sein. Von einem solchen Kennzeichen der falschen Kirche redet auch unser heutiges Evangelium, indem Christus darin seiner wahren Kirche verbietet, das Unkraut auszujäten, das heißt, die Ketzer oder Irrlehrer zu verfolgen und zu töten.

 

Matthäus 13,24-30: Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Da nun das Kraut wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat der Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du denn, dass wir hingehen und es ausjäten? Er aber sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, so ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um der Ernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuvor das Unkraut und bindet es in Bündlein, dass man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheuern.

 

    Aufgrund unseres heutigen Evangeliums lasst mich euch daher jetzt vorstellen:

 

Dass eine Kirche, welche die Ketzer verfolgt und tötet, gewiss Christi wahre Kirche nicht sei

 

    Und zwar

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Darum, weil sie damit gegen Christi ausdrückliches Wort und Gebot, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Darum, weil sie damit gegen Christi wahren Geist und Sinn handelt.

 

1.

    Christus vergleicht, meine Lieben, in unserem Evangelium sein Himmelreich oder seine Kirche auf Erden mit einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker sät, womit er nach seiner eigenen Auslegung anzeigen will, dass alle Kinder des Reiches, das heißt, alle wahren Glieder seiner wahren Kirche dies durch den guten Samen des Wortes Gottes werden und daher denselben bei sich tragen. Zugleich offenbart uns aber auch Christus, dass hingegen der Teufel darnach trachtet, zwischen den Weizen sein Unkraut auszusäen, womit Christus zum anderen anzeigen will, dass durch Satans Anstiften mitten unter den Kindern des Reiches auch Kinder der Bosheit aufstehen, welche hingegen durch den Unkrautsamen der falschen Lehre entstehen und denselben ebenfalls bei sich tragen, also Ketzer und Irrlehrer sind.

    Was soll nun aber mit diesem Unkraut geschehen? Auf die Frage der Knechte: „Willst du denn, dass wir hingeben und es ausjäten?“ spricht der HERR: „Nein, lasst beides miteinander wachsen bis zu der Ernte.“

    Was will der HERR hiermit wohl sagen? – Manche haben diese Worte so verstanden, als wolle Christus sagen, man solle keine Kirchenzucht, keinen Ausschluss, keinen Bann anwenden, sondern alle Gottlosen, Irrlehrer und Ketzer ruhig in der Kirche bleiben, schalten und walten lassen, bis Christus kommt und ihrem Wesen selbst ein Ende macht. Es ist dies aber ein großer Irrtum und Missverstand. Christus sagt ja nicht: Hegt und pflegt das Unkraut und behandelt es wie guten Weizen, sondern er spricht nur: „Nein!“ Jätet es nämlich nicht aus, sondern „lasst beides miteinander wachsen bis zu der Ernte“. Christus sagt auch nicht, dass der Acker, auf welchem man das Unkraut wachsen lassen soll, seine Kirche sei, sondern er spricht ausdrücklich in der Auslegung seines Gleichnisses: „Der Acker ist die Welt“, also nicht die Kirche. Wenn also Christus das Unkraut der Irrlehrer und Ketzer auszujäten verbietet und spricht: „Lasst es wachsen bis zu der Ernte“, so will er damit ganz offenbar sagen, dass das Unkraut der Irrlehrer und Ketzer zwar aus der Kirche, aber nicht aus der „Welt“ ausgejätet, dass sie also nicht getötet werden sollen.

    Diese Lehre, dass die Kirche das leibliche Schwert nicht gebrauchen und dadurch die Irrlehrer und Ketzer nicht töten solle, findet sich daher nicht nur in unserem Evangelium, sondern in der ganzen Heiligen Schrift sowohl Alten wie Neuen Testaments. Gerade von dem Reich Christi wird es geweissagt, dass Christus darin als ein „Friedefürst“ regieren werde, und von den Gliedern seiner Kirche heißt es im zweiten Kapitel des Propheten Jesaja ausdrücklich: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße Sicheln machen.“ Selbst von dem Antichrist weissagt Daniel im achten Kapitel: „Er wird ohne Hand zerbrochen werden.“

    Gehen wir nun in das Neue Testament, so finden wir dieselbe Lehre. Christus spricht es vor Pilatus feierlich aus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, so würden meine Diener darob kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von dannen.“ Als daher Petrus bei der Gefangennahme Christi sein Schwert zog und dem Knecht des Hohenpriesters Malchus das Ohr abhieb, da strafte ihn Christus und sprach: „Stecke dein Schwert in die Scheide; denn wer das Schwert nimmt, der soll durch’s Schwert umkommen.“ Nachdem daher die heiligen Apostel durch den Heiligen Geist endlich vollständig erleuchtet worden waren, erklärten sie: „Die Waffen unserer Ritterschaft sind nicht fleischlich, sondern mächtig vor Gott, zu zerstören die Befestigungen, damit wir zerstören die Anschläge und alle Höhe, die sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alle Vernunft unter den Gehorsam Christi.“

    Wohl ist es wahr, dass sowohl im Alten wie im Neuen Testament die Kirche Christi als eine stets streitende und gegen ihre Feinde kämpfende dargestellt wird, die vor ihren Feinden nie in Ruhe und Frieden leben könne; aber die Waffen, die sie dabei gebraucht, sind nach der Heiligen Schrift nichts als Gottes Wort, Glaube, Liebe, Geduld, Gebet und Tränen. Wohl wird schon im Alten Testament Christus ein Stab, ja, ein eisernes Zepter zugeschrieben, mit dem er seine Feinde schlage, aber dies wird im elften Kapitel des Propheten Jesaja so ausgelegt: „Er wird mit dem Stab seines Mundes die Erde schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten.“ Was ist aber der Stab des Mundes Christi und der Odem seiner Lippen? Es ist dies nichts anderes als sein Wort. Wohl wird ferner auch den Christen nach dem Neuen Testament ein Schwert und Schild, ein Helm, ein Brustharnisch und ein Gurt, kurz, eine vollständige Waffenrüstung zugeschrieben, damit sie kämpfen, aber nicht ein eisernes Schwert, sondern das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes, und nicht ein stählerner Schild, sondern der Schild des Glaubens, damit sie auslöschen können alle feurigen Pfeile des Bösewichts, ein Helm des Heils, ein Krebs (Panzer) der Gerechtigkeit, ein Gurt der Wahrheit.

    So ist denn kein Zweifel: Wenn Christus in unserem Text von dem Unkraut der Ketzer und Irrlehrer sagt, man solle es nicht aus dem Acker der Welt ausjäten, sondern ausdrücklich gebietet: „Lasst beides miteinander wachsen bis zu der Zeit der Ernte“, so verbietet er damit, Irrlehrer und Ketzer mit leiblichen Waffen zu verfolgen und so mit dem Tod zu bestrafen.

    Eine Kirche, welche dies tut, handelt daher gegen Christi ausdrückliches Wort, kann daher unmöglich Christi wahre Kirche, sondern muss eine falsche, eine widerchristliche oder die Kirche des Antichrists sein. Christus spricht ja klar und deutlich, dass nur die seine wahre Kirche sei, welche sich seinem Wort gehorsam unterwerfe. Er spricht: „Meine Schafe hören meine Stimme. Wer mich liebt, der wird mein Wort halten und mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen. So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Eine Kirche, welche gegen Christi ausdrückliches Wort: „Lasst beides miteinander wachsen bis zu der Zeit der Ernte“, die Ketzer dennoch tötet, ist daher nicht die Herde der Schafe Christi, welche Christi Stimme hören, sie ist nicht die Gottes-Wohnung derjenigen, die Christus lieben und sein Wort halten, nicht die Gemeinschaft der rechten Jünger Christi, die bei seiner Rede bleiben, also nicht die wahre Kirche der Kinder des Reichs, sondern die falsche Kirche, die Satansschule der Kinder der Bosheit.

 

2.

    Doch, meine Lieben, eine Kirche, welche die Ketzer verfolgt und tötet, ist nicht nur darum gewiss Christi wahre Kirche nicht, weil sie damit gegen Christi ausdrückliches Wort und Gebot, sondern auch darum, weil sie damit gegen Christi wahren Geist und Sinn handelt. Und davon lasst mich nun noch zweitens zu euch sprechen.

    Christus verbietet, meine Lieben, nicht nur in unserem Text, die Ketzre zu töten, sondern er gibt auch die Gründe dafür an, indem er hinzusetzt: „Auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet.“

    Christus will sagen: Wie der, welcher das mit einem Weizenacker mitten unter dem Weizen stehende Unkraut ausjäten will, nicht anders kann, als auch zugleich guten Weizen mit auszuraufen, so kann auch der, welcher die Ketzer tötet, nicht anders, als auch Kinder des Reichs zu töten.

    Und so ist es, meine Lieben, Erstlich kann es nämlich gar leicht geschehen, dass diejenigen, welche sich für die wahre Kirche halten, gerade die Zeugen der Wahrheit als Ketzer töten. Oder ist das nicht wirklich laut der Schriften des Alten und Neuen Testaments vielfach geschehen? Haben nicht die Juden, welche sich für die wahre Kirche hielten, alle Propheten als Ketzer leiblich verfolgt und die meisten getötet? Nennt daher nicht Christus die Juden seiner Zeit „die Kinder derer, die die Propheten getötet haben“? Und ruft nicht auch Stephanus dem Hohen Rat zu Jerusalem zu: „Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt und sie getötet?“ Und was haben die Juden zu Christi und der Apostel Zeit selbst getan? Haben sie nicht Christus gerade darum, weil er ihnen die Wahrheit verkündigte, als einen ketzerischen Samariter und Verführer des Volks an das Kreuz geschlagen? Haben sie nicht den heiligen Stephanus gerade darum, weil er ihnen ihren Messias verkündigte, als einen Lästerer Moses und ihres Tempels gesteinigt? Haben sie nicht den Apostel Jakobus gerade darum, weil er Christus nicht lästern wollte, sondern bekannte, als einen Ketzer von der Zinne des Tempels herabgestürzt, gesteinigt und endlich mit einer Keule erschlagen? Seht da, sie wollten das Unkraut ausjäten und haben anstatt desselben den guten Weizen ausgerauft.

    Das geschieht aber zum anderen auch darum, weil mancher, welcher ein wirklicher Ketzer ist, später zur Erkenntnis der Wahrheit kommen und noch ein gesegneter Zeuge werden kann. Saulus war vor seiner Bekehrung ohne Zweifel ein Ketzer, denn er verfolgte die Wahrheit und die Bekenner derselben blutig: Was wäre nun geschehen, wenn Saulus damals von den Christen getötet worden wäre? Es wäre mit dem Unkraut der beste Weizen ausgejätet worden, denn derselbe Saulus bekehrte sich später und wurde ein Paulus, der größte unter den Aposteln, der die ganze Welt mit dem Evangelium erfüllte und durch den Hunderttausende auf den Weg zur Seligkeit gebracht wurden. Auch der Kirchenvater Augustinus war vor seiner Bekehrung Glied der schändlichen Sekte der Manichäer und ein Bekämpfer der christlichen Kirche: Was wäre aber geschehen, wenn Augustinus in dieser Zeit als Ketzer getötet worden wäre? Es wäre mit dem Unkraut der köstlichste Weizen ausgerauft worden; denn Augustinus bekehrte sich später und wurde ein Licht in der Kirche, welches durch alle Jahrhunderte hindurch helle leuchtete und noch heute leuchtet durch seine Schriften. Endlich lesen wir von den Samaritern, dass sie Christus, der bei ihnen eine Herberge begehrte, diese verweigerten, weil er auf dem Weg nach dem, wie sie meinten, ketzerischen Jerusalem war. Entrüstet hierüber sprachen daher Johannes und Jakobus: „HERR, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle und verzehre sie, wie Elia tat?“ Was tat aber Christus? Er bedrohte sie und sprach: „Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern er erhalten.“ Was wäre nun geschehen, wenn Christus die Samariter durch Feuer vom Himmel hätte verzehren lassen? Mit dem Unkraut wäre der Weizen ausgerauft worden; denn im achten Kapitel der Apostelgeschichte lesen wir, dass nach Christi Himmelfahrt viele von jenen Samaritern durch das Zeugnis der dahin geflohenen Christen und durch die Predigt des Philippus, Petrus und Johannes bekehrt und aus ihnen eine herrliche christliche Gemeinde gesammelt wurde.

    So ist es denn gewiss, meine Lieben: Ketzer töten ist nicht nur gegen Christi ausdrückliches Gebot und Wort, sondern auch gegen Christi wahren Geist und Sinn. Denn Christi Geist und Sinn ist nicht, der Menschen Seelen zu verderben, sondern sie zu erretten und selig zu machen.

    Eine Kirche, welche Ketzer verfolgt und tötet, kann daher unmöglich Christi wahre Kirche sein. Mag eine solche Kirche immerhin in greulicher Verblendung meinen, damit Gott einen Dienst zu tun, so offenbart sie gerade durch diese Meinung, dass Christi Geist von ihr fern ist; wie denn Christus ausdrücklich den heiligen Aposteln im Voraus verkündigt hat: „Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, wird meinen, er tue Gott einen Dienst daran. Und solches werden sie euch darum tun, dass sie weder meinen Vater noch mich erkennen.“

    Legt nun, meine Lieben, diesen Prüfstein an die römisch-päpstliche Kirche, welche vor allen anderen die wahre, ja, die allein seligmachende Kirche sein will. Ganze Ströme Christenblutes hat sie unter dem Vorgeben, die Ketzer strafen und ausrotten zu müssen, zu allen, Zeiten, wo sie die Macht dazu hatte, vergossen. Als im 13. Jahrhundert die sogenannten Waldenser und Albigenser gegen die päpstlichen Irrtümer und Greuel auftraten, stifteten die Päpste nicht nur die sogenannte Inquisitionsgerichte, welche dieselben aufspüren, mit Anwendung der schrecklichsten Qualen ihnen beschwerende Geständnisse erpressen und sie richten mussten; sondern sie zwangen auch die Fürsten unter Anwendung des Bannes, die angeblich von der Kirche Verurteilten zu strafen, sie gefangen zu setzen, von Haus und Hof zu vertreiben, ihre Güter einzuziehen, ihnen ihre bürgerlichen Rechte zu nehmen oder auch, sie zu töten. Ja, sie nötigten die Fürsten, förmliche Heere gegen sie auszurüsten, wie gegen die Türken einen sogenannten Kreuzzug zu eröffnen und alle, welche nicht widerrufen und dem Papst und seiner Kirche nicht völligen Gehorsam schwören wollten, hinzurichten. Als im Jahr 1572 eine Hochzeit am königlichen Hof zu Paris gefeiert werden sollte, lud man die vornehmsten Protestanten, dort Hugenotten genannt, dazu ein; aber mitten in der Nacht ertönte eine Glocke, welche verabredetermaßen das Zeichen dazu gab, alle Protestanten zu überfallen und zu ermorden, Mann und Frau, Alt und Jung. Dies war die sogenannte Pariser Bluthochzeit. Als Papst Gregor XIII. davon hörte, ließ er ein Freudenfest anstellen, mit allen Glocken läuten und eine Jubelfestdenkmünze schlagen, auf deren eine Seite sein Brustbild und auf der anderen die Pariser Mordszene abgebildet war. Als ferner um diese Zeit der blutrünstige katholische Herzog Alba in den Niederlanden nach und nach 18.000 Protestanten hatte hinrichten lassen, da sandte ihm Papst Pius V. zur Belobung dafür einen von ihm geweihten Hut und Degen. Nur durch die ausgesuchtesten Martern hat die päpstliche Kirche das Werk der Reformation, welches auch in Italien und Spanien begann, wieder unterdrückt. Zwar suchen die Römischen in den protestantischen Ländern, wo sie geduldet werden, dies alles zu beschönigen, ja, gänzlich zu leugnen, und die Schuld auf die weltliche Obrigkeit zu schieben; aber sie handeln da wie die Juden, welche auch sagen, sie hätten Christus nicht gekreuzigt, obgleich sie es ja waren, welche Pilatus durch ihr „Kreuzige, kreuzige ihn!“ und dadurch, dass sie sagten: „Lässt du diesen los, so bist du des Kaisers Freund nicht“, zur Kreuzigung Christi genötigt haben. –

    So seid denn schließlich gewarnt, meine Lieben, vor dem blutdürstigen Papsttum und vor seiner ihm gehorsamen Kirche. Sie ist die geistliche Hure, von welcher die Offenbarung des St. Johannes geweissagt hat, sie werde trunken werden von dem Blut der Heiligen; während Mohammed und seine Nachfolger, die auch ihre Religion mit Feuer und Schwert ausbreiteten, der morgenländische Antichrist sind außerhalb der Kirche, so sind die römischen Päpste der abendländische, eigentliche Antichrist innerhalb derselben.

    Lasst uns darum bei unserer lieben lutherischen Kirche bleiben, die nicht nur die Kennzeichen der wahren Kirche, reines Wort und unverfälschtes Sakrament, hat, sondern auch sich nicht mit dem Blut der Ketzer befleckt und ihre Waffen nichts anderes sein lässt als das Wort Gottes, ihr Gebet und ihre Tränen.

    Mag das Unkraut noch so hoch wachsen; es kommt endlich ein Tag der Ernte, da wird es in Bündlein gebunden und geworfen werden in den Feuerofen der Hölle; hingegen der gute Weizen wird endlich gesammelt werden in die Scheuern des Himmels. Das helfe uns Jesus Christus, unser Heiland. Amen.

 

Evangelienpredigt zum Verklaerungssonntag ueber Matthaeus 17,1-9: Die Offenbarung der goettlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi auf dem Berg der Verklaerung

 

    HERR Jesus, du ewiger Sohn Gottes! Wie hoch ist in dir unsere sterbliche Menschennatur geehrt und erhoben! Du bist vom Himmel herabgekommen und hast nicht nur in ihr Wohnung gemacht, sondern hast sie auch in deine allerheiligste göttliche Person auf ewig aufgenommen, ihr deine ganze göttliche Majestät und Herrlichkeit mitgeteilt und sie auf deinen Stuhl zur Rechten deines Vaters gesetzt. In dir, mit dir und durch dich ist darum nun auch unsere Menschennatur angebetet im Himmel und auf Erden, von Engeln und Menschen, in Zeit und Ewigkeit. O du wahrhaftiger Mensch, voll göttlicher Herrlichkeit, tue uns doch unser einfältiges Auge auf, dass wir dich auch in der Herrlichkeit deiner Menschheit erkenne, anbeten, als den Schönsten unter allen Menschenkindern über alles lieben, dir dienen und um deinetwillen alles, Gut und Ehre, Leib und Leben, mit Freuden dahingeben, einst aber lass uns mit diesen unseren Augen dich auch in der göttlichen Herrlichkeit deiner Menschheit schauen und bei dir in vollkommener Freude und Seligkeit sein und bleiben immer und ewig. Amen.

 

Matthäus 17,1-9: Und nach sechs Tagen nahm Jesus zu sich Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, und führte sie bei Seite auf einen hohen Berg. Und er ward verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie ein Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia, die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: HERR, hier ist gut sein; willst du, so wollen wir hier drei Hütten machen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Da er noch also redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören. Da das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Da sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und da sie vom Berge herabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt dies Gesicht niemand sagen, bis des Menschen Sohn von den Toten auferstanden ist.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Dieses Evangelium, welches für den Verklärungssonntag bestimmt ist[12], nämlich für den letzten[13] Sonntag nach dem Fest der Erscheinung Christi, dieses Evangelium, sage ich, gehört nicht nur zu den schönsten und lieblichsten, sondern auch zu den reichhaltigsten unter den sonntäglichen evangelischen Texten. Lasst mich euch nur einige der allerwichtigsten Lehren nennen, welche uns darin auf das herrlichste offenbart werden.

    Die erste hochwichtige Lehre, welche in diesem Evangelium offenbart ist, ist die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit; denn es wird uns darin erzählt, wie erstlich Gott der Vater vom Himmel herab gerufen hat: „Dies ist mein lieber Sohn“, wie zum anderen Gott der Sohn in verklärter Menschheit dagestanden, und wie endlich drittens Gott der Heilige Geist in Gestalt einer lichten Wolke die gegenwärtigen Zeugen überschattet hatte.

    Eine zweite in diesem Evangelium enthaltene hochwichtige Lehre ist die Lehre von der Auferstehung des Fleisches und vom ewigen Leben; denn es wird uns darin berichtet, wie nicht nur der einst in einem feurigen Wagen lebendig zum Himmel gefahrene Elia, sondern auch der einst von Gott selbst begrabene Mose aus der Welt der Seligen zurückkehren, leibhaftig erschienen sind und mit Christus geredet haben. Es war dies ein so herrliches Vorspiel der seligen Auferstehung und des ewigen Lebens, dass Petrus, davon entzückt, sogleich ausrief: „HERR, hier ist gut sein; willst du, so wollen wir drei Hütten machen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“

    Eine dritte in diesem Evangelium klar gegründete hochwichtige Lehre ist die Lehre von der Beschaffenheit des Reiches Christi; dass dasselbe nämlich nicht ein leibliches, irdisches und zeitliches, sondern ein geistliches, himmlisches und ewiges Reich sei, eine Kirche, die ihre Glieder ebenso im Alten wie im Neuen Bund, ebenso im Himmel wie auf Erden habe und daher teils eine auf Erden noch leidende und streitende, teils eine bereits im Himmel triumphierende und doch nur Eine ist; denn wir erblicken hier Mose und Elia als die Repräsentanten der alttestamentlichen und triumphierenden und die drei Apostel Petrus, Jakobus und Johannes als die Repräsentanten der neutestamentlichen und streitenden Kirche, und zwar sie alle um Christus, ihr himmlisches Haupt, in seliger Eintracht versammelt.

    Eine vierte in diesem Evangelium uns vor Augen gestellte hochwichtige Lehre ist die Lehre, dass nach Gottes des Vaters unveränderlichem Ratschluss Christus der einige Lehrer aller Menschen und dass daher in keinem anderen Heil und den Menschen kein anderer Name gegeben ist, darin sie sollen selig werden; denn Gott der Vater ruft selbst aus den Wolken feierlich und majestätisch vom Himmel auf Christus herab: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören!“

    Doch, meine Lieben, so klar diese vier hochwichtigen Lehren in unserem Evangelium gegründet sind, so sind es doch ohne Zweifel nicht eigentlich diese Lehren, deren Offenbarung unser Evangelium vor allem zum Zweck hat; es ist dies vielmehr offenbar keine andere als die Lehre von der göttlichen Herrlichkeit auch der Menschheit Christi; denn diese tritt ganz unleugbar in der wunderbaren Geschichte unseres Textes hell wie die sonne vor allen anderen Lehren hervor. Lasst mich euch denn daher heute aufgrund unseres Evangeliums vorstellen:

 

Die Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi auf dem Berg der Verklärung

 

    Wir betrachten herbei:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die wunderbare Beschaffenheit dieser Herrlichkeit und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wozu diese Offenbarung derselben uns auffordere.

 

1.

    Was, meine Lieben, die eigentliche Bedeutung des in unserem Evangelium erzählten wunderbaren Vorgangs gewesen ist, darüber kann darum unter Christen gar kein Zweifel sein, weil dies Petrus selbst, der einer der auserwählten Augen- und Ohrenzeugen desselben war, es ausdrücklich sagt. Denn so schreibt Petrus hiervon im ersten Kapitel seines zweiten Briefes: „Wir sind nicht den klugen Fabeln gefolgt, da wir euch kund getan haben die Kraft und Zukunft unseres HERRN Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selbst gesehen, da er empfing von Gott dem Vater Ehre und Preis, durch eine Stimme, die ihm geschah von der großen Herrlichkeit dermaßen: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel gebracht, da wir mit ihm waren auf dem heiligen Berg.“ Der wahre eigentliche Endzweck der Verklärung Christi schon im Stand seiner Erniedrigung war also mit kurzen Worten kein anderer als die Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit auch seiner heiligen Menschheit.

    Lasst uns denn jetzt vorerst die wunderbare Beschaffenheit dieser Herrlichkeit ein wenig kennen zu lernen suchen.

    Unser Text beginnt mit den Worten: „Und nach sechs Tagen“, nachdem nämlich Christus sein Leiden voraus verkündigt hatte, nahm Jesus zu sich Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, und führte sie bei Seite auf einen hohen Berg. Und er ward verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie ein Licht.“ Welch ein wunderbares Ereignis! Zwar haben manche gemeint, es werde hier etwas erzählt, was nur in dem Geist der Apostel vorgegangen, nicht aber wirklich geschehen sei. Allein, der Evangelist sagt ausdrücklich, Christus sei „vor ihnen“, nämlich vor den Aposteln, verklärt worden. Die Verklärung war also nicht ein Vorgang in der Vorstellung oder in der Phantasie der Apostel, sondern etwas außer ihnen, vor ihren leiblichen Augen wirklich Geschehenes. Andere haben daran erinnert, dass auch Mose der ja nur ein Prophet gewesen, auf dem Berg Sinai etwas Ähnliches widerfahren sei; denn auch dieser sei mit einem so glänzenden Angesicht vom Berg gekommen, dass er, weil das Volk den von seinem Angesicht ausgehenden Strahlenglanz nicht habe ertragen können, sein Angesicht mit einer Decke habe verhängen müssen. Allein was das Schattenbild gegen die wirkliche Sache ist, das was Moses Glänzen gegen Christi Verklärung. Lasst uns nur beide Vorgänge miteinander vergleichen. Von Mose lesen wir erstlich, er habe anfänglich selbst nicht gewusst, dass ein blendender Strahlenglanz von ihm ausgehe. Dass hingegen Christus seine Verklärung schon im Voraus wusste, ersehen wir daraus, dass er die drei Apostel schon vorher zu Zeugen derselben ausgewählt hatte. Von Mose heißt es ferner ausdrücklich, er sei „davon glänzenden Angesichts geworden, dass er mit Gott geredet hatte“; Christus hingegeben verklärte sich selbst, ehe noch Gott der Vater in einer Stimme aus der lichten Wolke erschien. Während also der Glanz Moses nur ein Widerschein, nur, so zu sagen, eine Abspiegelung des Glanzes Gottes war, so war hingegen Christi Klarheit seine eigene Klarheit. Von Mose lesen wir daher ferner, dass nur sein Angesicht glänzte; hingegen von Christus, dass sein ganzer Leib verklärt wurde. Von Mose lesen wir endlich, dass eine Decke seinen Glanz den Augen des Volkes alsbald verhüllte; von Christus hingegen hören wir, dass die Strahlen seiner Majestät selbst die Decke seiner Kleider durchbrachen, also, dass, während Christi Angesicht „wie die Sonne leuchtete“, seine Kleider von den seinem heiligen Leib entströmenden himmlischen Lichtstrahlen „weiß wurden wie ein Licht“, oder, wie Lukas und Markus es beschreiben, dass sie „glänzten und hell und sehr weiß wurden, wie der Schnee, dass sie kein Färber auf erden kann so weiß machen“.

    Seht da, meine Lieben, Christi Verklärung auf jenem hohen Berg, wahrscheinlich dem Berg Tabor, war also wirklich, wie Petrus in seinem zweiten Brief bezeugt, eine Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit seiner heiligen Menschheit. Da geschah wirklich das, was Johannes im ersten Kapitel seines Evangeliums von dem ewigen Wort sagt: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Bei dieser seiner Verklärung offenbarte Christus wirklich schon im Stand seiner Erniedrigung vor den Augen von drei seiner Jünger, was Paulus im Brief an die Kolosser von Christus bezeugt, wenn er daselbst schreibt: „In Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“, das heißt: Wie die Seele eines Menschen in seinem Leib wohnt, so dass beide Eine menschliche Person ausmachen, so wohnt in Christi Menschheit seine Gottheit, so dass beide Eine göttliche Person ausmachen. Während sonst Christi Gottheit in seiner Menschheit im Stand seiner Erniedrigung wie eine in Wolken eingehüllte Sonne sich verbarg, so brachen bei seiner Verklärung Strahlen dieser Sonne wie Blitzesleuchten, wie ein verschlossen gewesenes Feuer, unaufhaltsam auf einmal hervor. Durch seine Verklärung offenbarte Christus zugleich: Wie die Seele dem mit ihr persönlich vereinigten Leib ihre geistigen Eigenschaften mitteilt, nämlich die Eigenschaften zu sehen, zu hören, zu empfinden, zu reden und sich zu bewegen, so hat auch die Gottheit Christi der mit ihr persönlich vereinigten Menschheit ihre göttlichen Eigenschaften, nämlich Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit, mit einem Wort, göttliche Majestät mitgeteilt. Christi Menschheit war daher mit seiner Gottheit vereinigt wie das Feuer mit dem glühenden #Eisen. Wie nämlich das glühende, vom Feuer durchdrungene Eisen ebenfalls des Feuers Eigenschaft erhalten hat und daher wie Feuer leuchtet und brennt, so leuchtete auf Tabor die mit der Gottheit vereinigte und von derselben durchdrungene Menschheit ebenfalls im göttlichen Glanz. Wohl konnten und können Gottes Eigenschaften nimmermehr die wesentlichen Eigenschaften der Menschheit Christi werden; denn die Menschheit Christi ist weder mit der Gottheit vermischt, noch in dieselbe verwandelt worden; allein wie der Mond in dem ihm mitgeteilten Licht der Sonne leuchtet, die ihn bescheint, so leuchtete auf dem Berg Tabor und wird in alle Ewigkeit leuchten die Menschheit Christi in dem ihr mitgeteilten Glanz der mit ihr vereinigten Gottheit. Es war und ist dies die Folge jener Salbung ohne Maß, von welcher schon David weissagt, wenn er im 45. Psalm dem Messias zuruft: „Du liebst Gerechtigkeit und hasst gottloses Wesen; darum hat dich, Gott, dein Gott gesalbt mit Freudenöl, mehr als deine Gesellen.“

    Doch, meine Lieben, so deutlich die Verklärung Christi selbst die göttliche Herrlichkeit seiner Menschheit offenbart hat, so setzt doch dasjenige, was auf Christi Verklärung unmittelbar folgte, dieser Offenbarung erst die Krone auf. In unserem Evangelium wird uns nämlich weiter erzählt, nachdem Christus verklärt gewesen, seien nicht nur Mose und Elia aus der Welt der Seligen, und zwar, wie Lukas ausdrücklich berichtet, in himmlischer Klarheit, erschienen, sondern es heißt hierauf auch weiter: „Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören.“ Es ist das eine unaussprechlich wunderbare Rede; denn Gott der Vater sagt hier von dem Menschen Jesus nicht etwa nur: In diesem Menschen ist oder wohnt mein lieber Sohn; sondern ohne alle Einschränkung: „Dies, dies ist mein lieber Sohn.“ Den Menschen Jesus nennt also Gott der Vater gerade seinen lieben Sohn! Wir befinden uns hier auf dem Gipfel der Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi.

    Seht da, meine Lieben, nachdem der Sohn Gottes ein Mensch geworden ist, ist also nun nicht nur Gott ein Mensch, sondern auch ein Mensch Gott; denn wie im Menschen die Seele den Leib in die Gemeinschaft ihrer Persönlichkeit aufgenommen hat, so hat, wie gesagt, der Sohn Gottes die menschliche Natur in die Gemeinschaft seiner Persönlichkeit aufgenommen, und wie im Menschen der Leib der Seele und die Seele dem Leib sich mitteilt und zu eigen gibt, so ist in Christus die menschliche Natur der göttlichen und die göttliche Natur der menschlichen mitgeteilt und zu eigen gegeben. Wer daher wohl glaubt, dass Gott in dem Menschen Jesus ist, nicht aber, dass nun auch der Mensch Jesus wirklich und wahrhaftig Gott ist, der glaubt das kündlich große gottselige Geheimnis: „Gott ist offenbart im Fleisch“, und: „Das Wort ward Fleisch“, noch nicht. Denn wie Christus nach seiner Gottheit schon von Ewigkeit anbetungswürdig war, so heißt es nun, nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist, auch von diesem Menschen: „Es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.“ Wie Christus nach seiner Gottheit schon von Ewigkeit auf Gottes des Vaters Stuhl thront, so hat Gott der Vater, nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist, nun auch zu diesem Menschen gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ist lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße.“ Wie Christus nach seiner Gottheit schon von Ewigkeit den Namen über alle Namen, nämlich den Namen des HERRN, Jahwehs, Gottes des Allerhöchsten, trug, so hast Gott, nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist, auch diesen Menschen, wie Paulus schreibt, 2erhöht und hat auch ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist, dass ist in dem Namen Jesu sich beugen solle alle derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der HERR sei, zur Ehre Gottes des Vaters.“

 

2.

    Doch, meine Lieben, nachdem wir nun einen Blick in die göttliche Herrlichkeit der Menschheit Christi getan haben, die sich einst auf dem Berg der Verklärung offenbart hat, so lasst uns nun zweitens erwägen, wozu diese Offenbarung uns auffordere.

     Das Erste, wozu sie uns auffordert, ist ohne Zweifel, dass wir daraus die unaussprechlich große Liebe Gottes zu uns Menschen erkennen. Denn bedenkt: Gott hat den Menschen heilig und gerecht nach seinem Ebenbild zum ewigen Leben erschaffen, ihm das Paradies zu seiner Wohnung angewiesen, ihn zum Herrn der Erde und alles dessen, was darin ist, gemacht, ausgestattet mit allem, was sein Herz nur wünschen konnte. Und was ist geschehen? Der Mensch ist von Gott abgefallen, ist ein Knecht der Sünde geworden und hat an die Stelle seines gütigen Schöpfers die Welt, das Sichtbare, das Zeitliche, sich selbst, ja, den Teufel selbst zu seinem Gott gemacht, ist Gottes Feind und damit unaussprechlich elend geworden. Wie sollte, wie konnte nun dem Menschen geholfen werden? Gott hatte auf die Sünde den zeitlichen und ewigen Tod gesetzt; und was der gerechte und wahrhaftige Gott festgestellt und gedroht hatte, das musste geschehen, ob auch die ganze Welt darüber zugrunde ginge. So konnte denn weder der Mensch sich selbst, noch irgendeine andere Kreatur ihm helfen, denn niemand im Himmel und auf Erden konnte der unverletzlichen Gerechtigkeit Gottes für ihn genugtun. So stand denn der Mensch rat- und hilflos am Abgrund eines ewigen Verderbens, während er den großen Gott sich zu seinem Feind gemacht hatte und selbst nichts als Hass und Feindschaft gegen Gott in seinem Herzen trug. Und was tot Gott? Ehe noch der Mensch gefallen war, ja, schon von Ewigkeit hatte Gott beschlossen, wenn der Mensch sein Feind und dadurch aussprechlich elend geworden sein würde, ihn aus diesem verschuldeten Elend zu erretten, nämlich selbst seine Gerechtigkeit zu befriedigen, um so allein seine ewige Liebe und Erbarmen über ihm walten lassen zu können. Und wie führte Gott diesen Ratschluss aus? Um für den Menschen leiden und sterben zu können, wurde Gott selbst ein Mensch, nahm die Gestalt des sündlichen Fleisches an, wurde ein wahrhaftiges Kind des gefallenen Adam, ein Glied der Familie der Sünder und Gottesfeinde, ein Mitgefangener in dem Gefängnis der des ewigen Todes schuldigen Verbrecher, ein Knecht aller Knechte, ja, ein Sünder aller Sünder, der endlich, beladen mit der Sündenschuld der ganzen Welt, als ein Verfluchter unter Schmach und Qual und unter dem Hohngelächter der Hölle und unter dem Spott der verruchten Welt starb. Und noch mehr, meine Zuhörer. Während Gott durch seine Menschwerdung in alle Tiefen der Schmach und Höllenpein hinabstieg, so hat er dadurch hingegen den Menschen, seinen ihn hassenden Feind, in den Himmel, ja, des Menschen Natur über alle Himmel auf den Thron der Majestät in der Höhe erhoben. Denn durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes sind alle Menschen Gottes Brüder und Blutsverwandte, eine menschliche Jungfrau eine Mutter Gottes und Gottesgebärerin, ja, ein Mensch ist ein untrennbarer Teil der zweiten göttlichen Person, und so in die ewige Gemeinschaft und in den Rat der hochheiligen dreieinigen Gottheit selbst aufgenommen, ein Mitregent des Himmels und der Erde und ein Gegenstand göttlicher Ehre und göttlicher Anbetung aller zum ewigen Leben geschaffenen Kreaturen geworden.

    Wer kann hiernach die Breite und die Länge, die Höhe und die Tiefe dieser Liebe Gottes gegen uns Menschen ermessen, ausreden oder ausdenken? Die Große dieser Liebe kann kein Mensch, kein Engel, kein Erzengel fassen; sie kann nur in tiefster Demut bewundert werden und wird einst von allen Engeln und Auserwählten unter dem Klang aller himmlischen Harfen besungen werden von Ewigkeit zu Ewigkeit.

    Aber, meine Lieben, noch eins ist’s, wozu uns daher die Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi auffordert; dazu nämlich, dass, nachdem Gott unsere Menschennatur so hoch erhoben und geehrt hat, auch wir dieselbe auf das höchste ehren. Oder ist es etwa nicht so? Bedenkt: Gott hat unsere Menschennatur so hoch geachtet, dass er zu ihrer Erlösung ein Wunder der Liebe getan hat, das Himmel und Erde in ewiges Erstaunen setzt, was tust du nun, wenn du deine Seele gering achtest? Gott hat unsere Seele nicht mit Gold oder Silber, sondern um den unermesslichen Preis des Todes seines Sohnes wieder erkauft, was tust du nun, der du deine Seele für Gold und Silber, für diesen blinkenden Erdenkot, verkaufst und verschacherst? Muss man dir dann nicht zurufen, wie Petrus dem Zauberer Simon: „dass du verdammt werdest mit deinem Geld“? Gott hat unsere Menschennatur durch seine Menschwerdung in den göttlichen Adelsstand erhoben; was tust nun du, der du dahin lebst, als wärest du ein Tier, das seine Begierde mit Fressen und Saufen stillt? Oder der du doch dahinlebst, als wärest du nur für diese Erde zu einem Kind dieser Welt geschaffen, das auf Erden ist, sich die Zeit mit Spielen und Tanzen zu vertreiben, Schätze zu sammeln, die Rost und Motten fressen und da die Diebe nach graben, mit de Welt lustig zu leben und den Rauch der Menschenehre zu suchen, und dann in das Nichts dahin zu fahren? Gott ist schon von Ewigkeit auf das Heil unserer Seele bedacht gewesen, hat um derselben willen einen ewigen Ratschluss unergründlicher Liebe gefasst und ich auf das herrlichste ausgeführt und geht nun unseren Seelen allenthalben nach und arbeitet an ihnen Tag und Nacht; was tust nun du, der du dahinlebst, als hättest du keine unsterbliche und teuer erlöste Seele, sorgst selbst in der kurzen Spanne deiner Lebenszeit nicht um sie, lässt am Sonntag dir etwas vorpredigen, aber in den Wochentagen ist das Trinkhaus deine Kirche, spielst mit der Sünde, um welcher willen sich Gott selbst am Fluchholz des Kreuzes geopfert hat, ja, dienst durch deine Sünden willig dem Teufel, aus dessen Gewalt dich zu erlösen Gott selbst vom Himmel gekommen ist? Kurz: Gott hat unsere Natur über alle Himmel erhoben; was tust nun du, der du sie zur niedrigsten Sklavin machst und hinab in den Staub und Schmutz der Erde und Sünde drückst? –

    O, meine Lieben, da wir heute im Geist uns auf den Berg der Verklärung gestellt und da im Geist unsere in Christus verherrlichte Menschheit angeschaut haben, so lasst uns nun auch hören auf den Mahnruf des heiligen Apostels: „Ihr seid teuer erkauft; darum so preist Gott an eurem Leib und in eurem Geist, welche sind Gottes.“ Lasst uns keinen Augenblick unseres Lebens vergessen, dass wir mit unserer menschlichen Seele einen Schatz besitzen, der unendlich wertvoller ist als die ganze Welt, und daher unsere Seele mit Furcht und Zittern in den Händen tragen. Lasst uns bedenken: Aus unseren Sünden konnte allein Gott durch seine Menschwerdung uns erretten; verachten wir aber auch diese Errettung, so kann dann auch Gott selbst uns nicht erretten; denn allein der Mensch Jesus ist es, auf welchen Gott der Vater vom Himmel herab gerufen hat: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.“ Nur in dem menschgewordenen Sohn ist also Gottes Wohlgefallen, außer ihm Zorn und ewiger Fluch.

    O so lasst uns mit jenem gottseligen Dichter seufzen:

Drum, o Jesus, du alleine

Sollst mein Ein und Alles sein;

Prüf, erfahre, wie ich’s meine,

Tilge allen Heuchelschein;

Sieh, ob ich auf bösem, betrüglichem Stege,

Und leite mich, Höchster, auf ewigem Wege.

Gib, dass ich hier alles nur achte für Kot,

Und Jesus gewinne: Dies eine ist not.

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Septuagesimae (70 Tage vor Ostern) ueber Matthaeus 20,1-16: Von der lohnsüchtigen Froemmigkeit

 

    Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Was einst die Juden zu dem Propheten Maleachi sprachen, wie wir im dritten Kapitel seiner Weissagungen finden: „Es ist umsonst, dass man Gott dient; und was nützt es, dass wir sein Gebot halten und ein hartes Leben vor dem HERRN Zebaoth führen?“ das ist die Gesinnung unzähliger Menschen zu allen Zeiten gewesen. Und es ist wahr: Hätten die Christen dafür, dass sie Gott dienen, keinen anderen Lohn zu erwarten, als den sie in dieser Welt dafür bekommen, so möchte es wohl scheinen, als arbeite niemand vergeblicher als ein eifriger Christ. Denn was ist des Christen gewöhnlicher Lohn in dieser Welt? Je mehr er Gottes Freundschaft sucht, desto mehr ist die Welt ihm feind; je treuer er Christus nachfolgt, desto weniger wollen Menschen von ihm wissen, ja, desto mehr wird er von ihnen verachtet und verfolgt; kurz, je gewissenhafter er in allem nach Gottes Wort geht, desto schmaler und trübseliger ist sein Weg. Ein Christ werden und sein Kreuz auf sich nehmen; ein Christ werden und alles verleugnen und verlassen, was dem Fleisch angenehm ist; ein Christ werden und dieser Welt Glück verlieren: Das sind unzertrennliche Dinge, ja, ist ganz ein und dasselbe.

    Mag es aber darum so scheinen, als sei es daher umsonst, dass man Gott dient, es scheint nur so. Der Prophet Maleachi setzt zu jenen Worten hinzu: „Aber die Gottesfürchtigen trösten sich untereinander so: Der HERR merkt es und hört es“ (nämlich, was wir tun und leiden); „und ist vor ihm ein Denkzettel geschrieben für die, so den HERRN fürchten und an seinen Namen denken. Und ihr sollt sehen“ (spricht der HERR), „was für ein Unterschied sei zwischen dem Gerechten und dem Gottlosen und zwischen dem, der Gott dient und dem, der ihm nicht dient.“ Seht, es soll also nicht umsonst sein, im Dienst Gottes gestanden zu haben. Einst will Gott den Unterschied zwischen seinen Dienern und den Dienern der Welt so offenbar machen, dass ihn die Welt mit Schrecken und die Gottesfürchtigen mit Staunen und Frohlocken sehen werden. Ein herrlicher Gnadenlohn soll den treuen Knechten Gottes werden. Nichts Gutes, was ein Mensch hier um Gottes willen getan, und wäre es ein Becher kalten Wassers, den er jemandem um Christi willen gereicht hat, soll vergessen werden und ihm unvergolten bleiben. Mag er daher immerhin um Gottes willen arm an irdischen Gütern bleiben müssen, dafür wartet dort seiner ewiger Reichtum an himmlischen Gütern; mag er immerhin hier um Gottes willen verachtet und geschändet, und sein Name als der eines Gottlosen verworfen werden, dafür wartet doch seiner unaussprechliche Ehre und Herrlichkeit vor Gott und vor allen Engeln und Auserwählten; kurz, mag er immerhin hier viel um Gottes willen aufopfern und verlassen müssen, das alles wird ihm dort mehr als tausendfältig ersetzt werden. O, es hat’s kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und ist in keines Menschen Herz gekommen, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben. Wo Christus ist, da soll sein Diener auch sein; wer mit ihm stirbt, soll mit ihm leben; wer mit ihm duldet, soll mit ihm herrschen; wer mit ihm leidet, soll zu der Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit auch mit ihm Freude und Wonne haben.

    Aber wie? Ist es hiernach nicht recht, wenn ein Mensch allein um dieses einstigen Lohnes willen Gott dient? Ist es also nicht recht, wenn ein Mensch nur darum fromm ist, um sich mit seiner Frömmigkeit den Himmel und die Seligkeit zu verdienen? – Nein, meine Lieben, eine solche lohnsüchtige Frömmigkeit hat keinen Wert vor Gott, ja, sie macht vor Gott verwerflich. Christus warnt uns daher davor in unserem heutigen Evangelium. Lasst uns jetzt seine Warnung hören.

 

Matthäus 20,1-16: Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Denar zum Taglohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und ging aus um die dritte Stunde und sah andere an dem Markt müßig stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und neunte Stunde und tat gleich also. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere müßig stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand gedingt. Er sprach zu ihnen:  Geht ihr auch hin in den Weinberg, und was recht sein wird, soll euch werden. Da es nun Abend ward, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Schaffner:  Rufe die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und hebe an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde gedingt waren, und empfing ein jeglicher seinen Denar. Da aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Denar. Und da sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausvater und sprachen: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben. Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht unrecht. Bist du nicht mit mir eins worden um einen Denar? Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem letzten geben gleichwie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem Meinen? Siehst du darum scheel, dass ich so gütig bin? So werden die Letzten die Ersten, und die Ersten die Letzten sein. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.

 

    Was Christus mit dem in diesem Abschnitt enthaltenen Gleichnis eigentlich sagen wolle, darüber herrscht, meine Lieben, eine große Meinungsverschiedenheit. Achten wir jedoch auf den Zusammenhang, in welchem das Gleichnis steht, und auf die Veranlassung, auf welche Christus dasselbe einst vorgelegt hat, so kann über die eigentliche Absicht desselben kein Zweifel sein. – In dem Vorhergehenden hören wir aber dieses, dass Petrus einst die Frage aufgeworfen hatte: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt; was wird und dafür?“ Hierauf erklärt nun Christus nicht nur, dass die lieben Apostel allerdings einen herrlichen Gnadenlohn zu erwarten haben, sondern er legt nun hierauf auch sogleich das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg vor, wodurch Christus hiernach offenbar nicht nur seine Jünger, sondern alle Menschen warnen will, bei ihren Werken nicht erst zu fragen: „Was wird uns dafür?“ also nicht um Lohnes willen ihm folgen und Gott dienen zu wollen. Lasst mich daher aufgrund dieses Gleichnisses Christi jetzt zu euch sprechen:

 

Von der lohnsüchtigen Frömmigkeit

 

    Hört,

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Von welcher Beschaffenheit sie sei und wie sie sich offenbare, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Von welchem Wert sie sei und wie sie daher belohnt werde.

 

    O HERR Gott! Von dir haben wir alles, was wir sind und haben; dir gehört daher auch alles, unser Leib, unsere Seele und unser ganzes Leben. Wenn wir darum auch alles getan hätten, was du uns geboten hast, so wären wir doch selbst dann nur unnütze Knechte, denn wir hätten dann nur getan, was wir zu tun schuldig waren. Aber ach, HERR, unser keiner tut auch nur dies; vor dir ist keiner unschuldig, keiner gerecht. Darum behüte uns vor dem Sinn, dir etwas abverdienen zu wollen, sondern gib uns den Sinn, der nur um freie, lautere Gnade steht, nur um Erbarmen schreit. Dazu segne dein Wert auch in dieser Stunde, so ist uns zeitlich und ewig geholfen. Amen. Amen.

 

1.

    Christus hebt in unserem heutigen Evangelium so an: „Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Denar zum Taglohn, sandte er sie in seinen Weinberg.“ Dasselbe, sagt Christus, tat der Hausvater wieder in der dritten, sechsten und neunten Stunde, das ist, nach unserer Weise, den Tag einzuteilen, früh um neun, mittags um zwölf und nachmittags um drei Uhr; hieraus heißt es: „Um die elfte Stunde aber“, das heißt, um die letzte Tagesstunde, „ging er aus und fand andere müßig stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand gedingt. Er sprach zu ihnen:  Geht ihr auch hin in den Weinberg, und was recht sein wird, soll euch werden.“

    „Da es nun Abend ward, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Schaffner:  Rufe die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und hebe an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde gedingt waren, und empfing ein jeglicher seinen Denar. Da aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Denar. Und da sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausvater und sprachen: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.“

    In diesem Teil unseres Gleichnisses entwirft Christus das Bild der lohnsüchtigen Frömmigkeit mit lebendigen Farben. Zunächst war es ohne Zweifel das jüdische Volk, welches Christus hierbei im Sinn hatte. Die Juden waren es nämlich zuerst, welche Gott in den Weinberg seiner Kirche rufen ließ durch die heiligen Propheten; mit ihnen machte er einen Bund und gab ihnen die Verheißung, ihnen den Messias zu ihrem Heiland zu senden. Die Heiden hingegen wurden gleichsam erst in der elften, in der letzten, Stunde des Welttages in den Weinberg gerufen, aber auch ihnen wurde durch die heiligen Apostel derselbe Anteil an dem Messias und seiner Gnade zugesprochen wie den erstberufenen Juden.

    Was geschah aber nun? Die Juden murrten, als sie sahen, dass die Heiden, mit welchen doch Gott nicht, wie mit ihnen, eins geworden sei um den Taglohn, mit denen er nämlich keinen Bund aufgerichtet und denen er keine Verheißung gegeben habe, dieselbe Gnade erlangen und dass sie, als das erstberufene Volk Gottes, vor ihnen nichts voraushaben sollten. Die Juden dachten: Wie? Wir sollten des Tages Last und Hitze getragen, wir sollten das schwere Gesetz Moses mit seinen Festen und Opfern und Sabbathen und Fasten beobachtet und uns der Beschneidung unterworfen haben, und nun sollten die unbeschnittenen Heiden uns gleich gemacht werden? Haben wir nicht mehr gearbeitet und mehr verdient als sei?

    Obwohl jedoch Christus bei Darlegung seines Gleichnisses gewiss das selbstgerechte, murrende, lohnsüchtige jüdische Volk zunächst im Sinn hatte, so wollte er doch ohne Zweifel damit auch im Allgemeinen die lohnsüchtige Frömmigkeit in ihrer wahren Gestalt bei allen Menschen überhaupt darstellen. Von Natur sind nämlich wir Menschen alle si gesinnt, dass wir nur darum noch hier und da das Gute tun und das Böse unterlassen, also nur darum fromm sein wollen, weil wir dafür einen Lohn von Gott erwarten; von Natur würde daher kein Mensch etwas Gutes tun oder etwas Böses unterlassen, wenn er dächte, dass ihm dies weder in dieser noch in jener Welt etwas helfen oder schaden könne. Hätten die Menschen nicht noch von Natur einige Furcht, dass es für die Gottlosen eine Hölle gebe, und nicht noch einige Hoffnung, dass es für die Frommen einen Himmel gebe, so würde man bald sehen, warum die meisten Menschen manches Gute tun und manches Böse unterlassen, dass nämlich nicht die Liebe zu Gott, ihrem Schöpfer, sie treibe, sondern dass allein die Furcht vor Strafe und die Hoffnung des Lohnes die unlautere Quelle und der faule Grund ihrer sogenannten Frömmigkeit sei.

    Ja, wird es jetzt nicht von vielen Predigern öffentlich verkündigt und von Unzähligen angenommen und ohne Scheu bekannt, dass sich der Mensch durch seine eigenen Werke, durch sein tugendhaftes Leben des Wohlgefallens Gottes würdig machen und ein gutes Los in jener Welt sich verdienen könne und müsse? Niemand gilt ja in unseren Tagen für einen Aufgeklärten, wer diesem heidnischen Grundsatz nicht huldigt und den Himmel nicht für den verdienten Kampfreis unserer Tugend erklärt.

    Recht offenbart wird jedoch die lohnsüchtige Frömmigkeit der meisten Menschen erst dann, wenn das Evangelium gepredigt wird und wenn nun durch das Evangelium auch grobe Sünder bekehrt werden. Als Christus einst alle Mühseligen und Beladenen freundlich zu sich rief und auf seinen Ruf auch große Sünder sich ihm nahten, sich bekehrten, an ihn glaubten, von Christus aufgenommen wurden und nun zum Teil als seine Jünger ihm nachfolgten, da war dies für die selbstgerechten Pharisäer und Schriftgelehrten ein großes Ärgernis. Sie riefen mit Verachtung aus: „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen“; er ist ein Zöllner- und Sünderfreund; sie dachten: Was ist das für ein Messias, der selbst den größten Sündern Gnade und den Himmel verheißt? Wie? die Huren, die Zöllner und die Räuber und Mörder sollten ebenso wohl einst die himmlische Seligkeit genießen wie wir? Soll es denn umsonst sein, dass wir Gottes Gesetz mit großer Mühe und Plage gehalten haben? Hinweg mit einer solchen Religion! Wie aber einst die Pharisäer und Schriftgelehrten und überhaupt die meisten Juden gedacht haben, so denken noch jetzt nicht wenige unter den Christen. Wird das Evangelium von Christus gepredigt und werden dadurch alle Sünder zu Christus gerufen und lassen nun manche Sünder sich das Evangelium zu Herzen gehen, glauben sie an Christus und halten sie sich nun auch zu den wahren Christen, und werden sie von diesen an- und aufgenommen: Dann erheben sich die Weltehrbaren und sprechen: Wie? ein gottloser Mensch, der von Jugend auf in groben offenbaren Sünden dahingelebt hat, der sollte, wenn er des Sündigens müde ist und sich endlich noch vor Gott demütigt und an Christus glaubt, ebenso gut selig werden können wie wir, die wir von Jugend auf unsträflich gewesen sind, von Jugend auf unser Leben der Tugend gewidmet und uns durch so viele edle Taten ausgezeichnet haben? Das sei ferne!

    Die lohnsüchtige Frömmigkeit offenbart sich jedoch nicht immer in einem so auffallenden Kleid; es gibt nur zu viele, welche mit dem Mund sprechen, dass sie allen auf Christus bauen und allein aus Gnaden selig werden wollen, und die im Grund doch nur aus Lohnsucht fromm sind. Warum halten sie viele zu den Christen und nicht zur Welt, warum gehen sie fleißig zur Kirche, warum beten sie täglich des Morgens und des Abends, warum lesen sie in der Heiligen Schrift und in anderen guten Büchern, warum bringen sie manche Opfer zur Erhaltung des Gottesdienstes und zur Ausbreitung des Reiches Gottes und dergleichen? Ist nicht bei nur zu vielen die wahre Ursache nicht die freie Liebe zu Christus und zu dem Nächsten, sondern die Hoffnung, dass sie Gott darum für Christen ansehen und einst selig machen werde? Was ist das aber anderes als eine lohnsüchtige Frömmigkeit? – Ja, noch mehr! Es gibt Christen, welche erst nach vielen Gebeten und Tränen, erst nach Erfahrung großer Traurigkeit und viel Angst und erst nach langem Ringen und Kämpfen zur Gewissheit ihres Gnadenstandes gekommen sind. Wie sind solche oft gegen diejenigen Christen gesinnt, welche durch solche schwere Bußkämpfe nicht erst hindurch haben gehen müssen, die Gott sanfter, leichter und lieblicher geführt und nach dem ersten Erschrecken über ihre Sünden ihnen sogleich die Gnade gegeben hat, sich im kindlichen Glauben Christi, seiner Gnade und seines Wortes trösten zu können? Nicht selten wollen jene Christen diese nicht für wahre Christen anerkennen; sie achten die leichte Bekehrung derselben für verdächtig und denken: Wie? ich sollte so viel erst haben kämpfen und des Tages Last und Hitze haben tragen müssen, ehe ich zum Frieden kam, und dieser sollte ihn so leichten Kaufes bekommen haben? Das kann ich nicht glauben! – Was verraten aber diese Christen hiermit? – Nichts anderes, als dass ihr Christentum eine lohnsüchtige Frömmigkeit sei.

    Ihr seht hieraus, meine Lieben, dass diese Art von Frömmigkeit häufiger ist, als man denkt, und dass selbst die scheinbar gläubigsten Christen von derselben eingenommen und befleckt sein können. Es hat sich daher ein jeder wohl zu prüfen, ob vielleicht auch er Gott allein um des Lohnes willen diene? – Nachdem wir jedoch gesehen haben, wie diese Frömmigkeit beschaffen sei und wie sie sich offenbare, so lasst uns nun zweitens erwägen, welchen Wert sie habe und wie sie daher belohnt werde.

 

2.

    Diejenigen, welche zuerst zur Arbeit in den Weinberg gerufen worden waren, meinten, sich ein großes Verdienst mit ihrer Arbeit erworben zu haben; sie erwarteten daher mehr als diejenigen, welche nicht so lange wie sie gearbeitet hatten, und da sie dies nicht erhielten, murrten sie gegen den Hausvater. Was antwortete aber dieser einem unter ihnen? Er sprach: „Mein Freund, ich tue dir nicht unrecht. Bist du nicht mit mir eins worden um einen Denar? Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem letzten geben gleichwie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem Meinen? Siehst du darum scheel, dass ich so gütig bin?“ Hiermit erklärt also der Hausvater, dass sich die Arbeiter mit ihrer Arbeit um des bloßen Lohnes willen keineswegs ein Verdienst mit ihrer Arbeit um des bloßen Lohnes willen keineswegs ein Verdienst erworben hätten; was er ihnen für ihre Arbeit versprochen habe und worüber er mit ihnen eins geworden war, das sollten sie richtig erhalten; aber damit hätten sie nun auch ihren Lohn dahin, ihre Arbeit habe weiter keinen Wert.

     Hier hören wir, welchen Wert also die Frömmigkeit derjenigen habe, die allein um des Lohnes willen fromm sind, nämlich gar keinen Wert. Alle Werke, die jemand tut, um dafür belohnt zu werden, haben nur den Schein guter Werke, aber in der Tat sind sie nichts weniger als dies; sie sind blinkende Zahlpfennige, die zwar den Goldstücken nach dem äußerlichen Gepräge gleichen, aber nach ihrem innerlichen Gehalt völlig wertlos sind. Denn nur das Werk kann vor Gott, der auf das Herz sieht, Wert haben, das ein Mensch nicht aus Eigennutz, nicht in Absicht auf Vergeltung, sondern allein aus Liebe zu Gott und dem Nächsten tut. Wären das gute Werke, die ein Mensch tut, um dafür einst belohnt zu werden, so müssten alle Werke der Menschen gute Werke sein, denn alle Werke, auch die offenbaren Sünden, werden von den Menschen getan, um sich damit einen Nutzen zu verschaffen.

    Sagt selbst, werdet ihr das für eine edle Tat ansehen, wenn ein Mensch einem Händler sein Geld gibt, um von diesem Waren wenigstens von demselben Wert dagegen zu erhalten? Werdet ihr den für einen Wohltäter seines armen Nachbarn ansehen, welcher für denselben zwar arbeitet, aber für bedingten Lohn? Und was werdet ihr von dem halten, der euch ein kleines Geschenk macht, wenn ihr wisst, dass er euch nur darum beschenkt habe, um euch ein größeres Gegengeschenk abzunötigen? Werdet ihr eines solchen Menschen Freigiebigkeit preisen? Gewiss nicht! Ihr werdet vielmehr einen solchen Schenker als einen Heuchler verachten. Seht, so wenig nun solchen Werken unter Menschen irgendein Wert beigelegt wird, so wenig hat die lohnsüchtige Frömmigkeit irgendeinen Wert vor Gott; ja, sie ist nichts als ein heuchlerischer Schein.

    Was ist daher ihr Lohn? – Christus zeigt es uns in den Worten des Hausvaters: „Nimm, was dein ist, und ehe hin.“ Und in den Schlussworten: „Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“ So war der Lohn, den einst die Juden für ihre lohnsüchtige Frömmigkeit erhalten haben. Sie waren die Ersten und wurden die Letzten. Sie waren erst das Volk Gottes, aber sie sahen scheel dazu, dass die Heiden auch in den Gnadenbund aufgenommen wurden; sie murrten, dass sie denselben gleich geachtet wurden, und sie meinten, mit ihrer Arbeit unter dem Joch des mosaischen Gesetzes mehr verdient zu haben – und was geschieht? – Darüber verloren sie Gottes Gnade; Gott rief ihnen erzürnt zu: „Nimm, was dein ist, und gehe hin.“ – Gottes Angesicht wendet sich nun von ihnen; Jerusalem wurde zerstört, das arme Volk, nach Moses Weissagung, als ein verachteter Pöbel unter alle Völker zerstreut und die Heiden an ihrer Statt angenommen.

    Ihr Schicksal ist aber ein Bild von dem Schicksal aller derer, welche Gott allein um des Lohnes willen dienen, die nämlich ihre guten Werke in der Absicht tun, um einst dafür von Gott belohnt zu werden. Alle ihre Werke werden einst auf Gottes Waage zu leicht befunden werden. Gott wird einem jeden von ihnen einst zurufen: „Nimm, was dein ist, und gehe hin“, das heißt, du hast deinen Lohn dahin, das zeitliche Leben mit seinen Gütern und Wohltaten war der Groschen, den ich dir bereits ausgezahlt habe; ich bin dir nichts schuldig; denn du hast nichts aus lauterer Liebe zu mir getan; weiche von mir, du Heuchler; ich habe dich noch nie erkannt, du Übeltäter! Dann werden die lohnsüchtigen Frommen ewig verstoßen und verworfen, hingegen die armen Sünder, die ihre Hoffnung allein auf die Güte des Hausvaters gesetzt hatten, werden mit dem Groschen zeitlichen Segens nicht abgewiesen werden, sondern auf ewig Aufnahme finden in seinem himmlischen Haus.

    Dies nehmt wohl zu Herzen, liebe Zuhörer! Seid nicht so töricht, mit euren elenden Werken und mit eurer armseligen Tugend und Frömmigkeit Gott seinen Himmel abkaufen zu wollen. Wollt ihr so die Gottseligkeit als ein Gewerbe treiben, so werdet ihr einst erfahren, wie wertlos alle eure Werke waren; Gott wird euch zeigen, dass ihr euer Gutes schon reichlich in dieser Welt empfangen hattet, und euch von sich weisen auf immer und ewig. Ihr aber, die ihr allein aus Gnaden selig werden zu wollen sprecht, prüft euch wohl, ob ihr wirklich alles, was ihr Gutes tut, allein aus Liebe gegen den tut, der euch von Ewigkeit geliebt und durch Christus angenommen hat; ob ihr euch nicht besser achtet als den größten Sünder; ob wirklich das Erbarmen Gottes in Christus der Grund eurer Hoffnung sei und ob ihr nun allein aus Dank für diese Gnade reich zu werden trachtet an guten Werken; ob ihr von Herzen sprecht:

Der Grund, darauf ich gründe,

Ist Christus und sein Blut;

Das machet, das ich finde

Das ewge wahre Gut.

An mir und meinem Leben

Ist nichts auf dieser Erd,

Was Christus mir gegeben,

Das ist der Liebe wert.

    O, wohl euch, die ihr solche Gesinnung habt! Euer Leben gefällt Gott wohl. Ihr achtet eure Werke für nichts, aber freut euch, freut euch! – Gott achtet sie um Christi willen groß, und einst will er sie aus Gnaden ewig und überschwänglich belohnen. Darum ruft nur getrost mit jenem Dichter:

Im Himmel ist gut wohnen,

Hinauf steht mein Begier,

Da wird Gott ewig lohnen

Dem, der ihm dient allhier.

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Sexagesimae (60 Tage vor Ostern) ueber Lukas 8,4-15: Wie muss man Gottes Wort hoeren, dass man selig werde?

 

    Gott gebe euch viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben, unserm teuren Heiland, geliebte Zuhörer!

    Dass Gott den Menschen nicht für dieses Leben und für diese Erde geschaffen haben könne, dies muss selbst die Vernunft einsehen und annehmen. Die größte Anzahl der Menschen geht ja seufzend durch die Welt;  die meisten müssen mit Sirach aus Erfahrung sagen: „Es ist ein elend jämmerliches Ding um aller Menschen Leben, von Mutterliebe an bis sie in die Erde begraben werden, die unser aller Mutter ist. Da ist immer Sorge, Furcht, Hoffnung, und zuletzt – der Tod.“ Wer dürfte daher meinen, dass der Mensch von einem weisen, gerechten und gütigen Gott für dieses flüchtige und nichtige Leben geschaffen sei? Wer dürfte meinen, dass Gott den Menschen auf diese Erde gesetzt habe, um einige sich freuen, andere weinen und endlich alle wieder vernichtet werden zu lassen? – Nein, nein, o Mensch, die vergängliche Zeit kann deinen unsterblichen Geist nicht befriedigen; nicht für diese arme Welt, du bist für den Himmel geschaffen; hier soll nur diene Vorbereitungsschule sein; hier sollst du im Schweiß deines Angesichts deinen Samen säen, dort aber erst ernten; hier sollst du geprüft werden, und wenn du bewährt gefunden sein wirst, dann sollst du Gott schauen von Angesicht zu Angesicht; hier sollst du um die Krone streiten und dem Kleinod nachjagen, jenseits des Grabes aber sollst du gekrönt werden und den Siegerpreis empfangen: Deine Bestimmung ist der Genuss einer ewigen Seligkeit. O, dass wir es nur erkennen und vor allem selig zu werden trachten möchten!

    Auf diese wichtige Wahrheit führt den Menschen schon seine bloße Vernunft, wenn er nur ein wenig in sein Herz einkehrt; wie aber der Mensch selig werden, wie er zu Gott kommen, wie er ein ewiges Leben erlangen könne – die Antwort auf diese Frage sucht der Mensch vergeblich in seinem Herzen oder in seiner Vernunft. Der wahre Weg zur Seligkeit ist ein Geheimnis der göttlichen Gnade, von welchem Fleisch und Blut, das heißt, ein natürlicher Mensch, nichts weiß; das kann Gott allein uns offenbaren. Gott ist der HERR des Himmels, er allein hat daher auch die Schlüssel des Himmels, und er kann auch allein den Weg bestimmen, auf welchem wir ihn finden sollen.

    Wodurch hoffen nun die meisten Menschen, selig zu werden? Sie denken, wenn sie sich, so viel wie möglich, vor allen Sünden hüteten, wenn sie keinem Menschen etwas zu Leide täten, wenn sie gegen jedermann freundlich und dienstfertig seien, wenn sie auf Gott vertrauten und fromm wären, so dürften sie wohl hoffen, Gott werde sie gewiss nicht verstoßen. Das ist offenbar der Weg, den die meisten Menschen in der Welt von Anfang an und noch heutzutage für den rechten unfehlbaren Weg zur Seligkeit halten. Ei, denkt man, das versteht sich ja von selbst, dass der selig werden müsse, der fromm und rechtschaffen gelebt hat! Die Gottlosen können doch Gott nicht lieber sein als die Frommen und Gerechten!

    Aber, meine Lieben, der Mensch mag mit seiner Vernunft über den Weg zur Seligkeit spekulieren so klug, wie er immer kann: So wenig ein Blinder einen Weg auf der Erde zeigen kann, so wenig kann uns die Vernunft den Himmelsweg weisen. So wenig wir haben Gott sagen können, wie er uns ins irdische Leben schaffen solle, so wenig können wir sagen, wie wir zum ewigen Leben kommen können. Das kann Gott allein sagen. – Und wie spricht er? „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“ Hier habt ihr mit kurzen Worten den einzigen wahren Weg zur Seligkeit. Er besteht in dem Hören und Bewahren des Wortes Gottes. Das Wort ist die Brücke, die uns Gott ins ewige Leben geschlagen hat, sonst keine; das ist die Himmelsleiter, sonst keine; das ist das Seil seiner Liebe und die Hand, die uns Gott herabreicht, uns zu ihm hinauszuziehen, sonst nichts anderes. Auf das Hören des Wortes Gottes kommt es allein an; aber nicht [nur] darauf, dass wir es hören, sondern wie wir es hören.

    Ihr hört ja das Wort Gottes alle, denn ich weiß es, dass ich euch nichts predige als das reine, lautere Evangelium Jesu Christi; aber ach, möchte es sich nur nicht zu oft offenbaren, dass viele unter uns doch nicht auf dem Weg zur Seligkeit gehen! Wer kann das leugnen? Viele hören, hören auch wohl mit Freuden zu, aber kommt die Stunde der Prüfung, wo sie eine Frucht davon zeigen sollten, da zeigt es sich, dass sie das Wort vergeblich gehört haben. O, dass sich Gott solcher erbarmen möchte, dass sie durch Erleuchtung seines Heiligen Geistes erkennten, was zu ihrem Frieden dient! Denn wer Gottes Wort hört und doch keine Frucht bringt, der ladet eine noch viel größere Verantwortung auf sich, als der, der es nie hörte. Solche aus ihrem gefährlichen Schlaf zu wecken und uns allen zur Ermunterung, lasst uns daher jetzt betrachten, wie man Gottes Wort hören müsse, dass man selig werde.

 

Lukas 8,4-15: Da nun viel Volk beieinander war und aus den Städten zu ihm eilten, sprach er durch ein Gleichnis: Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen; und indem er säte, fiel etliches an den Weg und ward vertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und etliches fiel auf den Fels; und da es aufging, verdorrte es, darum dass es nicht Saft hatte. Und etliches fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und etliches fiel auf ein gut Land; und es ging auf und trug hundertfältige Frucht. Da er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Es fragten ihn aber seine Jünger und sprachen, was dieses Gleichnis wäre. Er aber sprach: Euch ist’s gegeben, zu wissen das Geheimnis des Reichs Gottes; den andern aber in Gleichnissen, dass sie es nicht sehen, ob sie es schon sehen, und nicht verstehen, ob sie es schon hören. Das ist aber das Gleichnis: Der Same ist das Wort Gottes. Die aber an dem Wege sind, das sind, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort von ihrem Herzen, auf dass sie nicht glauben und selig werden. Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Und die haben keine Wurzel: Eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Das aber unter die Dornen fiel, sind die, so es hören und gehen hin unter den Sorgen, Reichtum und Wollust dieses Lebens und ersticken und bringen keine Frucht. Das aber auf dem guten Land sind, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.

 

    Das in dem Evangelium enthaltene Gleichnis vom Sämann legte Christus, wie wir hörten, zu einer Zeit vor, als „viel Volk beieinander war und aus den Städten zu ihm eilten“, ihn zu hören. Es enthält also eine Ermahnung an die, welche Gottes Wort schon höre, und zeigt ihnen, dass es damit noch keineswegs abgetan sei. Lasst uns daher hieraus die Frage beantworten:

 

Wie muss man Gottes Wort hören, dass man selig werde?

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Man muss darauf ernstlich merken,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Man muss es tief zu Herzen nehmen,

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Man darf nicht auch andere Dinge das Herz einnehmen lassen, und

4.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Man muss es auch sorgfältig bewahren.

 

    Gnädiger und barmherziger Gott! Wir bitten dich demütig und inbrünstig im Namen Jesu Christi, lass diesen Unterricht an uns allen reichlich gesegnet sein, damit dein heiliges Wort, so oft wir es hören, das an uns ausrichte, wozu du es auch uns Unwürdigen gesendet hast, dass wir in uns Sünder, in Christus aber deine Gerechten seien und selig werden. Amen.

 

1.

    Christus beginnt sein Gleichnis mit den Worten: „Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen; und indem er säte, fiel etliches an den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen es auf“; dies erklärt Christus selbst so: „Der Same ist das Wort Gottes; die aber an dem Weg sind, das sind, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort von ihrem Herzen, auf dass sie nicht glauben und selig werden.“ Hier wird uns die erste Klasse derjenigen beschrieben, welche Gottes Wort zwar hören und doch nicht selig werden; es sind die, welche nicht einmal ernstlich darauf merken.

    Es gibt nämlich eine große Anzahl Menschen, welche auch gern selig werden und es, so zu sagen, mit Gott nicht verderben möchten, die daher fleißig zur Kirche gehen, nicht leicht eine Predigt oder Betstunde versäumen, kurz, alle Pflichten eines ehrbaren Christen äußerlich mit großer Sorgfältigkeit erfüllen. Aber sie meinen, Gott eben damit schon einen Dienst zu tun und Christen zu sein, dass sie nur in dem Haus des HERRN erscheinen, dass sie mit dasitzen, gedankenlos die Worte der angestimmten Lieder singend mit aussprechen und die Worte der Predigt wie das Geräusch eines vorüberfließenden Baches in ihr Ohr schallen lassen. Nur dann und wann geschieht es, dass sie auf etwas, was gepredigt wird, merken; die meiste Zeit ist ihre Seele in Schlaf versunken, so dass ihnen die predig tauch oft zu einem Wiegenlied dienen muss, bei dem sie nach und nach selbst in den leiblichen Schlaf fallen. Das sind recht arme unglückliche, beklagenswerte Zuhörer; an ihnen ist Gottes Wort verloren; kein Wort kommt in ihr Herz, sondern ein jedes nimmt der Satan davon hinweg, auf dass sie nicht glauben und selig werden. Sie setzen sich an die Tafel Gottes und sehen das Brot des Lebens nur an, genießen es aber nicht, bleiben in ihrem geistlichen Tod und sterben endlich unselig auf ewig.

    Darum merkt euch, meine Lieben, dass man Gotts Wort zu seiner Seligkeit höre, dazu gehört erstens, dass man ernsthaft darauf merke. Daher spricht Salomo: „Bewahre deinen Fuß, wen du zum Haus Gottes gehst, und komm, dass du hörst.“ So oft also der Christ zur Predigt gehen will, muss er erst in seinem herzen seufzen: O, dass ich doch heute das hören könnte, was ich tun solle, dass ich selig werde! O, dass ich heute erfahren könnte, wo ich noch irre gehe; dass mir heute meine Sünde mehr offenbar und mein Glaube recht erweckt und gestärkt würde; dass doch durch Gottes Wort meine Schläfrigkeit in Eifer oder meine Traurigkeit und Betrübnis in Freude und Friede verwandelt würde! O, dass ich doch heute finden könnte, was meine arme Seele bedarf! – So muss der Christ schon kommen, gerüstet und vorbereitet mit heiligen Seufzern. Hört er dann das Wort erschallen, dann darf er nicht anders denken, als dass Gott selbst mit ihm rede. Bei der strafe darf er nicht an andere denken, sondern er muss in sein eigenes Herz gehen; bei dem Trost aber muss der zu Gott flehen: O, dass ich dieses Trostes fähig sein und mich daran recht möchte erquicken können! Er muss sich das aussuchen, was gerade für seinen Zustand nötig ist; werden gerade seine Sünden getroffen, so darf er sich darüber nicht erzürnen, sondern er muss vielmehr denken: Das hat Gott so gelenkt, mich zur bußfertigen Erkenntnis zu bringen; scheint es ihm zuzeiten, als könnte er sich aus einer Predigt gar nichts nehmen, so muss er desto ernsthafter in der Stille zu Gott flehen, er wolle ihn doch nicht ganz lee4r ausgehen lassen und ihn wenigstens mit einem Bröcklein wahren Lebensbrotes an seiner Seele segnen. Das heißt also, Gottes Wort mit Aufmerksamkeit hören, es so hören, dass man darin begierig danach sucht, dass man selig werde.

    Es ist wohl wahr, meine Lieben, Gott4es Wort dringt oft mit göttlicher Gewalt auch in das Herz eines solchen Zuhörers, der erst ganz leichtsinnig in das Haus Gottes eintrat; es wird ihm oft durch ein einziges Wort, das ihn trifft, ganz klar, dass er in seinem jetzigen Zustand nicht selig werden könne, sondern dass es anders mit ihm werden müsse; sein herz wird voll Kummer, sein Auge voll Tränen, seine ganze Seele voll Seufzer um Erbarmung, und er wird so schnell erweckt, verändert und bekehrt; aber das sind besondere Gnadenheimsuchungen, die Gott niemandem verheißen hat. Wer darum unaufmerksam Gottes Wort hören und warten wollte, bis Gottes Geist mit allmächtiger Gewalt über ihn käme, der könnte gerade dadurch das Gericht der Verstockung über sich herabziehen, dass er, wie Christus in unserem Evangelium von vielen Zuhörern sagt, „das Gleichnis des Reiches Gottes nicht sehe, ob er es schon sehe, und nicht verstehe, ob er es schon höre“. Wohl ist es wahr, ohne Gott kann kein Mensch Gottes Wort verstehen; es bleibt ihm dann eine Torheit, wenn er es auch noch so aufmerksam hören, lesen und studieren wollte; aber doch ruft Christus uns allen zu: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“

 

2.

    Christus fährt jedoch nun fort: Etliches fiel auf den Fels; und da es aufging, verdorrte es, darum, dass es nicht Saft hatte“. Dies erklärt er wiederum selbst, und zwar mit den Worten: „Die aber auf dem Fels, sind die, wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an; und die haben nicht Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.“ Hier hören wir, dass es nicht genug ist, auf das Wort zu merken, man muss es auch zweitens tief zu Herzen nehmen, wenn man es zu seiner Seligkeit hören will.

    Es gibt nämlich viele, welche eine große Freude an Gottes Wort haben und es daher mit großer Aufmerksamkeit hören, und doch in solchem ihrem Zustand nicht selig werden können. Schon Christus haben oft Tausende mit frohlocken gehört, sie sind, um ihn zu hören, mehrere Tagereisen weit ihm nachgezogen und haben bei ihrer großen Begierde oft selbst Essen und Trinken vergessen, und doch haben die meisten von ihnen das Kleinod nicht erlangt. Warum? – Ihre Freude war nur eine bisweilige vorübergehende Aufwallung; ihr Herz wurde gleichsam nur angeschienen von dem Licht des Wortes, aber davon nicht durchleuchtet; ihr                                   Herz blieb, wie der HERR sagt, hart wie ein Fels, so dass das Wasser des Lebens wieder and en Herzen herunterfloss und nicht hineindringen konnte; der Same des Evangeliums ging in dem wenigen guten Land augenblicklicher Rührungen wohl schnell auf, aber die aufgegangenen Pflanzen vertrockneten und verwelkten bald wieder, wenn nur eine kleine Hitze der Anfechtung kam.

    An ihnen haben wir ein Beispiel zum Beweis dafür, dass dazu, dass man Gottes Wort zu seiner Seligkeit höre, auch dies gehöre, dass man es tief zu Herzen nehme. Denn Gottes Wort soll eine ganz andere Wirkung bei uns hervorbringen als die Worte menschlicher Kunst und Weisheit. Das Wort Gottes soll in uns nicht eine bloße Überzeugung des Verstandes von den Wahrheiten, die es enthält, bewirken, sondern – o, merkt es alle! – dadurch sollen wir andere Menschen, neue Kreaturen, der göttlichen Natur teilhaftig, das heißt, göttlich und himmlisch gesinnte Menschen werden. Unser Herz, Sinn und Gemüt sollen dadurch ganz umgekehrt und umgewandelt oder wiedergeboren werden. Damit das aber geschehen könne, so müssen wir vor allem arme Sünder werden, es muss uns nämlich vor allem unser sündliches Verderben, in welchem wir von Natur alle liegen, und unsere große Unwürdigkeit vor Gott durch Gottes Wort aufgedeckt und von uns lebendig erkannt werden. Unser von Natur felsenhartes Herz muss dadurch zerschlagen und erweicht und mit einer innigen Sorge und Bekümmernis um das Heil unserer Seele und um das Seligwerden erfüllt werden, so dass wir dann anfangen, am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit zu trachten und täglich und stündlich Gottes Gnade zu suchen in Christus Jesus.

    Ist es aber nicht gerade dieses, woran es bei vielen unter uns fehlt? Sind nicht viele unter uns noch immer einem Felsen gleich mit wenig Land, in welchem der Same des Worts zwar schnell aufgeht, aber auch ebenso schnell wieder verwelkt? – Ich kann ja freilich nichts anderes sagen, als dass, je mehr mir Gott Gnade gibt, seine Gnade aus dem Evangelium euch anzupreisen, auch ihr mit desto größerer Freude zuhört; aber machen nicht viele diese Freude und dieses Wohlgefallen an der evangelischen Lehre zum Trost ihrer Seele, zu ihrem Ruhekissen, zu ihrem Heiland, durch den sie selig zu werden gedenken?

    O, dass doch solche bedenken möchten, dass jede Predigt, die sie zwar mit Freuden hören, aber ohne dass dadurch der Grund ihres Herzens umgewandelt wird, für sie verloren ist und ihnen vor Gott nur als eine Schuld angeschrieben wird!

 

3.

    Doch lasst uns weiter gehen. Christus spricht ferner: „Und etliches fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s“; Christi Erklärung hiervon ist: „Das aber unter die Dornen fiel, sind die, so es hören und gehen hin unter den Sorgen, Reichtum und Wollust dieses Lebens und ersticken und bringen keine Frucht.“ Hier hören wir: Sollen wir das Wort Gottes zur Seligkeit hören, so dürfen wir drittens andere Dinge das Herz nicht einnehmen lassen.

    Die meisten Menschen nämlich, welche noch einige Sorge für das ewige Leben in ihrem Herzen tragen und daher das Wort Gottes hören, stehen in dem unseligen Gedanken, daneben auch der Welt dienen zu können. Die meisten wollen daher einen Mittelweg einschlagen; sie wollen Gott dienen, aber auch dem Mammon; nach den ewigen Gütern trachten, aber auch an zeitlichen Gütern reich werden; um das Himmlische sorgen, aber auch um das Irdische; sie wollen für Christen gelten, aber auch bei den Gottlosen gut stehen; sie wollen nach dem Geist leben, aber auch nach dem Fleisch; sie wollen Gottes Willen tun, aber auch ihren eigenen; sie wollen dort selig werden, aber die Lust dieses Lebens auch nicht verlieren; kurz, sie wollen Christus und Belial, Licht und Finsternis, Gottes Freundschaft und der Welt Freundschaft verbinden. Das ist die Union, zu welcher alle Menschen von Natur geneigt sind.

    Aber, o unselige Menschen! Das ist ein ganz vergebliches bemühen. Mögen solche Gottes Wort noch fleißig hören, es ist bei ihnen doch fruchtlos, denn das Wort Gottes will den Menschen eben zu nichts anderem bewegen, als dass er sich Gott und Christus ganz ergebe. Christus spricht: „Wer nicht allem absagt, das er hat, der kann nicht mein Jünger sein.“ Gott will den Menschen ganz, nicht halb in den Himmel aufnehmen, der Mensch soll daher auch ganz, nicht halb den Weg zum Himmel gehen. Daher sprach schon Elia zu dem abgöttischen Volk: „Was hinkt ihr auf beiden Seiten? Ist der HERR Gott, so wandelt ihm nach; ist es aber Baal, so wandelt ihm nach.“ Teilen wir mit Gott das Herz, so teilt er mit uns nicht die Seligkeit. Wir können och so viel tun, noch so sehr uns abmühen, noch so eifrig sein, noch so schwere Werke tun, Gott fragt danach nichts; wollen wir nicht ganz Gottes Eigentum sein, so gehören wir ihm gar nicht an, und alle unsere Arbeit ist verloren. Rein ab und Christus an, so ist die Sach‘ getan!

    Vergeblich hört daher derjenige das Wort Gottes, dessen Herz mit den Sorgen, dem Reichtum oder der Wollust dieses Lebens beschwert ist; da kann die Himmelspflanze des wahren Glaubens nicht aufgehen, und wenn sie auch einmal Wurzel schlagen will, wird sie gar bald wieder von den Dornen des weltlichen Sinnes erstickt.

   Dies bedenke darum, o Zuhörer, der du so gern beide Wege gehen möchtest, den schmalen und den breiten, Christi und der Welt, bedenke, so kommst du nie zum seligen Ziel; du machst dir nur dieses Leben sauer und bitter und verscherzt das ewige. Es ist darum kein anderer Rat: Ergib dich Gott ganz, der sich dir auch ganz gegeben hat, so wirst du hier in Gott vergnügt, voll Trostes, Friedens und Hoffnung und einst selig sein.

 

4.

    Doch wir kommen nun an das Letzte, was Christus von dem rechten Hören des Wortes Gottes sagt; er spricht nämlich zum Schluss: „Und etliches fiel auf ein gutes Land; und es ging auf und trug hundertfältige Frucht“; die Erklärung hiervon ist: „Das aber auf dem guten Land, sind, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.“ Das Letzte also, was zum rechten Hören gehört, ist, dass wir das

Wort Gottes auch sorgfältig bewahren.

    So oft nämlich ein Mensch das Wort Gottes mit Andacht hört, so oft bekommt er einen Schatz des ewigen Lebens in sein Herz. Er bekommt entweder eine Erleuchtung über seinen Zustand, über seine Sünden, über Gottes Gnade, über eine Lehre des Heils und dergleichen, oder er bekommt eine neue Erweckung und Ermunterung durch die Kraft des Heiligen Geistes oder einen süßen Trost, eine neuen Mut und Eifer, einen kräftigen Zug zu Gott und zum Himmel und dergleichen. So köstlich nun dieser Segen des Wortes Gottes ist, so leicht und so bald können wir ihn wieder verlieren; dann hat aber Gott vergeblich an uns gearbeitet.

    Wollen wir daher selig werden, so ist es nicht genug, dass wir nur die Lehren, die uns vorgetragen worden sind, in unserem Gedächtnis festzuhalten suchen; ja, wer ein schwaches Gedächtnis hat, wird trotz aller seiner Aufmerksamkeit doch nur wenig behalten; das ist es aber auch nicht, worauf es ankommt; die Hauptsache besteht darin, dass wir die göttlichen Wirkungen bewahren, die das Wort in unserer Seele hervorgebracht hat. Betend sollen wir daher in das Haus des HERRN kommen, betend sollen wir es auch wieder verlassen. Was wir gehört haben, sollen wir nun in unserem Leben sogleich in Ausführung bringen; haben wir neues Licht bekommen, so sollen wir nun auch darin wandeln; ist uns eine Sünde offenbar geworden, sollen wir nun auch dagegen in den Kampf treten; sind wir ermuntert worden, so sollen wir nun auch einen neuen Eifer beweisen; sind wir getröstet worden, so sollen wir uns nun auch der Gnade Gottes desto zuversichtlicher getrösten; kurz, haben wir des HERRN Willen erkannt, dann sollen wir uns auch keinen Augenblick mit Fleisch und Blut besprechen, sondern nun auch nach des HERRN Willen tun.

    Ach, meine Lieben, wenn wir allezeit so das Wort Gottes gehört hätten, wie gut, wie selig würde dann die Verfassung unserer Seele sein! Wie reich an Erkenntnis unserer Selbst und unseres Heilandes, wie reich an Erfahrung, wie stark im Glauben, wie erfüllt mit allen guten Werken würden wir sein!

    Nun, der HERR ist gnädig und barmherzig, geduldig und von großer Güte. Wer daher bis jetzt sein seligmachendes Wort vergeblich gehört hat, der klage es seinem Gott und bitte um Gnade durch Christus, seinen Heiland, so wird ihm Gott seine Sünde verzeihen und gnädig sein. Von nun an aber höre er Gottes Wort recht und behalte es in einem feinen, guten Herzen.

    Das helfe er uns allen durch Jesus Christus, unseren einigen Heiland und Mittler. Amen. Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Estomihi (Sei mir ein starker Fels; Ps. 31,3) ueber Lukas 18,31-43: Warum noch jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erkennen

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben, unserem Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Christi blutiges Leiden gehört nicht nur, wie das Leiden anderer Menschen, zu den besonderen Schicksalen, welche Christus während seines Lebens in dieser Welt betroffen haben, sondern es ist der eigentliche Mittelpunkt des ganzen Werkes, zu dessen Vollendung Christus in die Welt gekommen ist. Hätte Christus nicht gelitten, so wäre alles andere, was er getan hat, sein Lehren, sein heiliges Leben und sein Wundertun, ganz vergeblich gewesen. Hätte Christus nicht gelitten, so wären unsere Sünden noch nicht getilgt, Gott wäre noch nicht versöhnt und das ganze menschliche Geschlecht noch unerlöst. Ohne Christi Leiden wären wir Menschen daher alle noch auch ohne einen Heiland, ohne einen Seligmacher, und darum ohne Trost und ohne Hoffnung in Sünde, Not und Tod. Daher es in jenem Lied heißt:

All Sünd hast du getragen,

Sonst müssten wir verzagen;

Erbarm dich unser, o Jesus!

     Schon in der ersten Verheißung Christi, welche Gott einst den ersten gefallenen Menschen gegeben hat, ist es daher offenbart worden, dass der Heiland der Menschen ein leidender Heiland sein werde, denn es heißt von ihm, die Schlange werde ihn in die Ferse stechen. Lesen wir aber die Psalmen und Propheten, in welchen der schon im Paradies verheißene Erlöser der Welt immer deutlicher abgebildet wird, so erblicken wir ihn immer deutlicher in dem Bild eines Lammes, auf welches der HERR alle unsere Sünden werfen und das zur Schlachtbank geführt werden solle. Und fragen wir endlich, wie die zwölf ersten und größten, von Christus selbst bestellten Herolde Christi Christus vor allem dargestellt haben, so hören wir sie mit Einem Mund rufen, wie St. Paulus im 2. Kapitel seines ersten Briefs an die Korinther schreibt: „Ich hielt mich nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch, als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten“; oder an einer anderen Stelle, im 6. Kapitel seines Briefs an die Galater: „Es sei ferne von mir rühmen als allein von dem Kreuz unseres HERRN Jesus Christus, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist und ist der Welt.“

    Gehen wir nun weiter in die Geschichte der Entstehung und Ausbreitung der christlichen Kirche: Welche Lehre ist es vor allem gewesen, durch welche die vielen Millionen Heiden und Juden, und unter ihnen Gelehrte und Ungelehrte, Reiche und Arme, Hohe und Niedrige, mächtige Fürsten und ihrer Freiheit beraubte Sklaven, irdisch Glückliche und irdisch Unglückliche, ich sage, welche Lehre ist es vor allem gewesen, durch die diese alle bewogen worden sind, Bekenner Jesu Christi zu werden? Nicht das herrliche Beispiel, welches Christus gegeben hat mit seinem Leben, nicht die Heiligkeit, Vollkommenheit und Trostfülle seiner Lehre, nicht die Größe seiner Wunder, sondern vor allem die Botschaft von Christi Leiden und Sterben zur Versöhnung Gottes mit der Sünderwelt war es, was Heiden und Juden so gezogen hat, dass sie nicht haben widerstehen können, dass sie ihre väterliche Religion haben aufgegeben und Glieder der christlichen Kirche haben werden müssen. Gottes Sohn hat für dich unschuldig gelitten, damit du nicht leiden müssest, was deine Taten wert sind; Gottes Sohn hat für dich bis auf das Blut gekämpft, damit du Sünder triumphieren könntest; Gottes Sohn ist für dich am Kreuz gestorben, damit du vom ewigen Tod errettet werden möchtest und ewig leben könnest: Diese Lehre ist es, welche mit göttlicher Gewalt in die Herzen von Millionen gedrungen ist und die allein noch immer dem Christentum den Sieg über das Heiden- und Judentum bereitet.

    Wir dürfen jedoch nicht meinen, dass die Lehre, dass Gottes Sohn für die Sünder gelitten hat, unter Juden und Heiden etwa nur darum einen so tiefen Eindruck gemacht habe und noch mache, weil sie diesen so neu und ungewöhnlich ist. Nein, so oft auch unter den getauften Christen ein lebendig Gläubiger sich findet, der wirklich ein neuer Mensch geworden ist und wirklich eine brünstige Liebe und eine lebendige Hoffnung in seinem Herzen trägt, und man ihn fragt, wodurch er ein anderer Mensch geworden sei, so wird er allezeit sagen: Die Lehre, dass Gottes Sohn für alle Sünder und auch für mich gelitten hat, ist mir durch das Herz gegangen; diese Lehre war es, die in mir wie ein Feuer geworden ist, das mein hartes Herz zerschmolzen und mein Innerstes, meine ganze Seele entzündet hat; und in dieser Lehre lebe ich als in meinem Element; sie ist meiner Seelen Speise und Trank, mein Trost gegen meine Sünde, meine Stärke zu meinen Kämpfen, meine Erquickung in meinen Nöten.

    Doch, meine Teuren, hat das Leiden Christi wirklich eine so große Kraft, woher kommt es doch, dass es diese Kraft an so vielen nicht erweist? Woher kommt es, dass besonders in unseren Tagen selbst vielen getauften Christen gerade der alleranstößigste und ärgerlichste Gegenstand des christlichen Glaubens ist? – Davon lasst mich jetzt noch weiter zu euch sprechen.

 

Lukas 18,31-43: Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von des Menschen Sohn. Denn er wird überantwortet werden den Heiden; und er wird verspottet und geschmäht und verspeit werden; und sie werden ihn geißeln und töten. Und am dritten Tag wird er wieder auferstehen. Sie aber vernahmen der keines, und die Rede war ihnen verborgen, und wussten nicht, was das gesagt war. Es geschah aber, da er nahe zu Jericho kam, saß ein Blinder am Wege und bettelte. Da er aber hörte das Volk, das hindurchging, forschte er, was das wäre. Da verkündigten sie ihm, Jesus von Nazareth ginge vorüber. Und er rief und sprach: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich mein! Die aber vorne an gingen, bedrohten ihn, er sollte schweigen. Er aber schrie viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich mein! Jesus aber stand still und hieß ihn zu sich führen. Da sie ihn aber nahe zu ihm brachten, fragte er ihn und sprach: Was willst du, dass ich dir tun soll? Er sprach: HERR, dass ich sehen möge. Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen. Und alsbald ward er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das solches sah, lobte Gott.

 

    Christus verkündigte, meine Lieben wie ihr gehört habt, einst den lieben Jüngern sein Leiden und Sterben voraus, und was war der Eindruck, den diese Verkündigung auf die Jünger machte? Es heißt: „Sie aber vernahmen des keines, und die Rede war ihnen verborgen und wussten nicht, was das gesagt war.“ Dass uns dies von den lieben Jüngern erzählt wird, kann uns nicht so hoch befremden, da das Leiden Christi damals noch nicht vollendet und der Ausgang desselben ihnen nur dunkel angedeutet war. Aber ist es nicht befremdend, dass selbst jetzt noch so vielen das Leiden und Sterben Christi ein wie mit sieben Siegeln verschlossenes Buch ist, jetzt, nachdem es bereits alle Welt gepredigt und offenbart ist, dass Christus durch sein Leiden zur Herrlichkeit eingegangen ist? Gewiss. So lasst mich euch denn jetzt aus Gottes Wort zeigen:

 

Warum noch jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erkennen

 

    Die Ursachen sind hauptsächlich drei, nämlich

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil so viele das Leiden Christi allein mit den Augen ihrer Vernunft betrachten,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil so viele nicht erkennen wollen, wie sehr sie desselben bedürfen, und endlich

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil so viele sich desselben nicht zu trösten wagen.

 

1.

    Warum blieb wohl einst den lieben Jüngern das Leiden Christi, als es ihnen im Voraus verkündigt wurde, ein unverstandenes Geheimnis? Christus beschrieb es ihnen ja mit so klaren, einfachen, unzweideutigen Worten, dass sie ihn nicht missverstehen konnten. – Die Hauptsache lag bei ihnen darin, dass sie allein fest an dem hielten, was die Propheten von der Größe, macht und Herrlichkeit des Messias geweissagt hatten. Da sie nun einige Strahlen dieser Herrlichkeit auch schon an Christus wahrgenommen hatten, so meinten sie, es sei unmöglich, dass Christus noch in ein so tiefes Leidensmeer hinabsinken oder gar unter Mörderhänden sterben könne. Sie meinten, Christi Worte von einem ihm noch bevorstehenden blutigen Leiden und schmählichen Tod müssten daher wohl anders zu verstehen sein, als sie lauteten. Was taten sie also eigentlich? Sie folgten hier einmal ihrer Vernunft. Da sie das, was sie aus den Propheten schon erkannt hatten, mit dem, was ihnen Christus sagte, nicht zusammenreimen konnten, so gingen sie von dem Wort Christi ab, und die Folge war, dass sie eine Zeitlang über das seligste Gnadengeheimnis Gottes blind blieben.

    Hier haben wir die erste Ursache, warum noch jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erkennen, weil nämlich so viele das Leiden Christi allein mit den Augen ihrer Vernunft betrachten.

    Viele denken nämlich: Wie wäre es möglich, dass Gott um des von ihm abgefallenen Menschen willen selbst ein Mensch geworden sein sollte? Wie wäre es möglich, dass Gott den Menschen ihre Sünden nicht ohne weiteres nach seiner Liebe sollte haben vergeben können? Wie wäre es möglich, dass Gott, um mit uns wieder versöhnt zu werden, seinen eigenen Sohn sollte haben in Leiden und Tod dahingeben und opfern müssen? Hinweg, ruft man aus, mit so unwürdigen Gedanken! Meine Vernunft stellt mir Gott ganz anders dar. Nimmer werde ich annehmen, dass Gott allein durch das Blut seines eigenen Sohnes habe bewegt werden können, uns zu begnaden und selig zu machen. Die Folge hiervon ist denn, dass alle diese das Leiden Christi allein mit den Augen ihrer Vernunft Betrachtenden die herrliche und selige Kraft desselben nie erkennen lernen.

    So klug aber solche Menschen sich achten, so töricht, ja närrisch handeln sie; und so hoch sie über die angeblichen Vorurteile gläubiger Christen erhaben zu sein sich dünken lassen, so sehr sind gerade sie in den grundlosesten Vorurteilen befangen.  Denn sagt nicht einem Jeden schon seine Vernunft, dass die menschliche Vernunft Grenzen haben müsse, die sie nicht übersteigen könne? Lehrt nicht jeden eine vernünftige Betrachtung der Welt, dass es in der Welt unzählige Wirkungen gebe, deren Ursachen niemand erforschen kann? Lehrt nicht einen Jeden die Erfahrung, dass schon unzählige kluge Leute erst etwas im Irdischen für unmöglich geachtet haben, was später sich doch als möglich erwiesen hat? Und sagt endlich nicht jedem seine Vernunft, dass Gott ein unermessliches, und darum für den Menschen unergründliches und unbegreifliches Wesen sein müsse und dass daher nur derjenige Gott erforschen könne, der Gott gleich wäre? Ist es daher nicht töricht, etwas deswegen für unmöglich zu verwerfen, weil man es mit den Gedanken seiner Vernunft nicht zusammenreimen kann? Ist es nicht töricht, wenn ein Mensch sagen will: So oder so muss Gott sein, so oder so muss Gott denken, das oder das kann oder darf Gott tun oder nicht tun? Ist es nicht töricht, ja, ist es nicht Aberwitz und Wahnsinn, wenn sich der Mensch so zu einem Richter über Gottes Willen, Gedanken und Ratschlüsse und also Gott gleich machen, ja, über Gott stellen will?

    O, so lasst euch denn, meine Lieben, durch die unsicheren Schlüsse eurer Vernunft nicht um das Heil betrügen, welches durch das Leiden des Sohnes Gottes allen Menschen und also auch euch bereitet ist! Hört nicht auf den Spott der Spötter und auf die spitzfindigen Reden der Weisen dieser Welt, damit sie euch bewegen wollen, das Leiden eures Heilandes zu verwerfen! Bedenkt: Gottes Geheimnisse wollen von uns erst im Glauben angenommen sein, und dann erst erweisen sie sich in uns als göttliche Kraft und göttliche Weisheit. Wie denn Christus spricht Johannes im 7. Kapitel im 17. Vers: So jemand will des Willen tun, der mich gesagt hat, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei oder ob ich von mir selber rede.“

 

2.

    Doch, meine Lieben, die Ursache, warum noch jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erkennen, liegt nicht nur darin, dass so viele das Leiden Christi allein mit den Augen ihrer im Geistlichen und Himmlischen blinden Vernunft betrachten, sondern auch zweitens darin, dass so viele nicht erkennen wollen, sie sehr sie desselben bedürfen.

    Auch hierzu finden wir ein merkwürdiges belegendes Beispiel in unserem Evangelium. Darin wird uns nämlich erzählt: Als Christus auf seiner letzten Reise nach Jerusalem in die Nähe der Stadt Jericho in Begleitung einer großen Volksmenge kam, da saß ein blinder Bettler am Weg, welcher, als er die große Menge Menschen kommen hörte, begierig forschte, „was das wäre“. Als er nun, von dem Nahem Christi unterrichtet, laut rief: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich mein!“ bedrohten ihn die, welche vorn an gingen, er sollte schweigen. Woher kam es nun wohl, dass zwar der Blinde es Christus zutraute, dass er ihm wunderbar helfen werde, dass aber jene Begleiter das Gegenteil erwarteten? Das kam vor allem daher, dass der Blinde seine Not fühlte und darum bei dem geringsten Strahl der Hoffnung, dass ihm geholfen werden könne, auch alsbald versuchte, ob ihm seine Hoffnung nicht in Erfüllung gehen werden, währen die Begleiter ihre Not nicht fühlen, sondern wohl nur aus Neugierde den Heiland begleiten mochten. So erfuhr denn der blinde Bettler Christi Gnade und Herrlichkeit, während jene Begleiter von dieser Erfahrung leer ausgingen.

    Diesen damaligen Begleitern Christi sind leider in unseren Tagen unzählige sogenannte Christen gleich. Es gibt nämlich unzählige sogenannte Christen, welche entweder noch nie eingesehen haben, dass sie arme Sünder sind, die ohne Christus verloren gehen und von Gott notwendig verstoßen werden müssten; oder die, wenn sie dies auch durch den Unterricht in Gottes Wort haben einsehen müssen, dies nicht lebendig erkennen. Sie sehen nämlich ein, dass ihrer Sünden viel sind, aber sie sind darüber nie von Herzen erschrocken; sie sehen ein, dass ihre Sünden schwer und groß sind, aber sie sind darüber nie von Herzen traurig geworden; sie sehen ein, dass sie Gottes Gnade verscherzt und seinen Zorn und die Hölle verdient haben, aber das macht ihnen keinen besonderen Kummer, keine sonderliche Sorge. Ihre Sünde drückt sie nicht. Sie ist ihnen noch keine unerträgliche Last, noch kein Gegenstand ihrer Abscheu, noch keine Quelle des Seufzens und der Tränen geworden.

    Was ist die Folge dieses Zustandes? Dass sie die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nie erfahren. Sie haben so wenig Ergötzung daran, so wenig der Satte sich an Speise und Trank ergötzt; sie finden so wenig eine Freude darin, so wenig ein Gesunder sich freut, wenn ein Arzt ihm Heilung von seiner Krankheit und Stillung seiner Schmerzen verspricht. Ja, solche Namenchristen, die ihre Sündennot noch nie fühlen gelernt haben, wundern sich, wenn andere Christen erzählen, welchen überschwänglichen Trost, welche Seligkeit, welchen süßen Vorgeschmack des ewigen Lebens sie empfunden haben in Betrachtung des für sie leidenden, blutenden und sterbenden Heilandes. Sie halten solche Leute entweder für Schwärmer, oder sie denken, dieselben müssten wohl besonders schwere heimliche Sünden begangen haben.

    O, merkt euch doch dies, ihr alle, die ihr zwar der geheimnisvollen Lehre von dem Versöhnungsleiden Christi nicht widersprecht, aber von der herrlichen und seligen Kraft derselben noch nichts erfahren habt. Ach, denkt nicht, wenn der Mund anderer Christen überfließt von dem, was sie erfahren haben, dies sei Einbildung, da ihr dergleichen ja nie erfahren hättet. Erkennt vielmehr: Dass ihr nichts dergleichen erfahren habt, das kommt daher, dass ihr noch nie lebendig erkannt habt, wie nötig es auch um euretwillen gewesen ist, dass der Sohn Gottes in das Meer der tiefsten Leiden hineinstieg. Bittet nur Gott, dass er euch dies recht lebendig zu erkennen gebe; bittet ihn darum ernstlich und herzlich; wenn es dann mit euch dahin kommt, dass ihr von Herzen sagen könnt: „Ach, ich Sünder! Ich großer Sünder! Ich verlorener Sünder! Ich verdammter Sünder!“ dann wird auch euch das Leiden Christi ein Paradiesgarten werden, in welchem ihr eure schmachtende Seele erquicken und ausrufen werdet:

Prange, Welt, mit seinem Wissen,

Das du jetzt so hoch gebracht;

Ich kann deine Weisheit missen,

Die der weise Gott veracht’t.

Meines Jesu Kreuz und Pein

Soll mein liebstes Wissen sein:

Weiß ich das in wahrem Glauben,

Wer will mir den Himmel rauben?

 

 

3.

    Doch, meine Lieben, noch eine Ursache habe ich euch zu nennen, warum so viele noch jetzt die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erkennen und erfahren, und das ist diese, weil drittens desselben so viele sich nicht zu trösten wagen.

    Ein merkwürdiges Beispiel finden wir in unserem Evangelium an dem blinden Bettler. Als derselbe Christus entgegenrief: „Jesus, du Sohn Gottes, erbarme dich mein!“ da bedrohten ihn, wie wir gehört haben, die vorne an gingen, er sollte schweigen. Sie mögen ihm wohl vorgehalten haben, wie er so frech und unverschämt sein könne, zu verlangen, dass ein so großer, heiliger Mann, wie Jesus, um seinetwillen einen langen Aufenthalt machen und an ihm seine Wunderkraft verschwenden solle. Er sei blind um seiner Sünden willen; er solle daher nur ja still sein und tragen, was er tausendfach verdient habe. Was tat aber der blinde Bettler? Weit entfernt, dass er nun sollte geschwiegen haben, so heißt es im Gegenteil von ihm: „Er aber schrie viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich mein!“ Und was geschah? – Jesus steht plötzlich still, heißt den Blinden zu sich führen und fragt ihn: „Was willst du, das sich dir tun soll?“ Und als er antwortet: „HERR, dass ich sehen möge“, so spricht Christus: „Sei sehend, dein Glaube hat dir geholfen.“ Und siehe! Alsbald wird er sehend und folgt nun Christus, Gott lobend und preisend und unter dem Jubel des ganzen Volkes, das dies gesehen hatte, nach. Was würde nun aber wohl geschehen sein, wenn der Blinde sich hätte zum Schweigen bringen lassen? Sein Unglaube würde ihn um die herrliche Hilfe betrogen haben, die Christus ihm zu bringen so bereit und willig war.

    Erkennt hieraus die letzte Ursache, warum so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erfahren. Es gibt nämlich nicht wenig Christen, welche durch Gottes Gnade aus seinem Wort ihre Sündhaftigkeit und Unwürdigkeit lebendig erkannt haben, die es lebendig einsehen, dass sie ohne Christus verloren sein müssten. Solche sind recht zubereitet, Christi Leiden in seiner ganzen herrlichen und seligen kraft zu erfahren. Aber es geht ihnen wie jenem blinden Bettler; wenn sie Christus im festen Glauben um Gnade und Erbarmen anrufen wollen, da gebietet ihnen ihr eigenes Herz und Gewissen Schweigen. Da heißt es in ihrem Inneren: Was willst du? – Gnade? – Dir gehört keine Gnade; werde erst ein anderer Mensch! Tue erst bessere Buße! Zeige erst mehr Eifer um deine Seligkeit! Reinige erst dein Herz von seinen bösen Lüsten und Begierden! So, wie du jetzt bist, darfst du keine Gnade zu erlangen hoffen und zu haben meinen.

    Was tun nun diejenigen, die diese Stimme in ihrem Inneren vernehmen? Ach, nur zu viele glauben dann ihrem trügerischen Herzen und hören auf, im Glauben um Gnade zu bitten; sie hören auf, sich Christi und seines Leidens und Sterbens zu trösten; sie wollen nur immer aus Christi Leiden ihre Sünde mehr erkennen und mit Christus erst ihre Sünden an das Kreuz schlagen und töten. Anstatt dass daher Christi Leiden ihnen lieblich und tröstlich, süß und köstlich sein sollte, ist es ihnen ein Bild voll lauter Schrecken, voll Zorn und Drohungen.

    Ihr daher, die ihr in dieser Beschreibung euch selbst wiedergefunden habt, erkennt doch den Betrug eures Herzens und des Satans. Seht doch das Beispiel des blinden Bettlers an und folgt ihm doch nach, denn dazu ist uns ja sein Beispiel im Evangelium aufbewahrt worden. Je mehr euch euer Herz abhalten will, der Leiden eures Heilandes euch zu trösten, desto tiefer drückt den darin liegenden Trost in euer zagendes Herz. Je mehr euer Gewissen euch zuruft: „Schweig, du bist ein unwürdiger Sünder!“ desto zuversichtlicher sprecht: Gerade weil ich ein unwürdiger Sünder bin, weil ich des Leidens mich trösten, das mein Heiland um meiner Sünden willen erduldet hat.

    O, wenn ihr das tut, so wird Christus seine Herrlichkeit an euch offenbaren. Sein Leiden wird euch eine Quelle werden, aus welcher ganze Ströme des Trostes in euer Herz fließen. Euer Mund wird voll Lachens und eure Zunge voll Rühmens werden. Ihr werdet aber auch dann Christus, wie jener Blinde, immer treuer nachfolgen und alle Chr4istgen, die mit euch die breite Straße der Welt verlassen haben, werden mit euch Gott preisen und loben.

    Nun, so helfe denn Gott, dass in der mit dieser Woche beginnenden heiligen Passionszeit alle, die die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi noch nicht erfahren hatten, zu dieser heilsamen Erfahrung kommen, und dass die, welche bereits darin stehen, neue, noch tiefere und süßere Erfahrungen davon machen, und wir so alle durch Christi Leiden endlich zur ewigen Freude kommen. Amen. Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Invocavit (Er ruft mich an, darum will ich ihn erhoeren; Ps. 91,15) ueber Matthaeus 4,1-11: Von den drei Hauptversuchungen eines glaeubigen Christen, um welcher willen er stets im Streit sein muss

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi unseres HERRN. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Da man nicht durch die guten Werke, sondern allein durch den Glauben an Christus ein Christ wird und bleibt und selig wird, so dünkt vielen nichts leichter zu sein, als ein Christ zu werden und zu bleiben. Und in der Tat! Scheint dies hiernach nichts weniger als Mühe zu kosten; ja, es hat das Ansehen, als könne man nach dieser Lehre die Hände ruhig in den Schoß legen und ohne Kampf und Streit doch endlich die Siegerkrone erlangen.

    Dem ist aber keineswegs so. Wohl ist es wahr, die Seligkeit ist kein Werk, zu dem wir etwas beitragen könnten; sie ist ein pures Gnadengeschenk; aber er durch die Gnade wirklich zu dem Herzensglauben gebracht wird, durch welchen er die Seligkeit ergreift, der wird dann nicht nur sogleich auf den Kampfplatz geführt, sondern ihn rüstet auch die Gnade sogleich mit Lust und Kraft aus, zu streiten und zu kämpfen für das Kleinod, das ihm vorhält seine himmlische Berufung in Christus Jesus. Daher es gar recht in jenem alten Lied heißt:

Denn wer nicht kämpft, trägt auch die Kron

Des ewgen Lebens nicht davon.

    Es gab eine Zeit, wo dies recht offenbar wurde; dies war die Zeit der blutigen Christenverfolgungen in den drei ersten Jahrhunderten des christlichen Zeitalters. Da sind wenige ohne große heiße Kämpfe zu dem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe gekommen, das behalten wird im Himmel. Da sah es jeder, der ein Christ ein und selig werden wollte, wohl ein, dass es nicht genug sei, nur in aller Stille den Glauben in seinem Herzen tragen zu wollen, sondern dass derjenige, welcher einst mit Ehren angenommen werden wolle, hier Schmach und Schande tragen müsse, dass derjenige, welcher einst ein Bürger des Himmelreichs werden wolle, hier die Welt verlassen und alle ihre Herrlichkeit verleugnen müsse, und dass derjenige, welcher einst zum Leben eingehen wolle, hier das irdische Leben zu opfern willig und bereit sein müsse. Das war eine Zeit, wo auch der Schwächste sich entscheiden und oft entweder ein Held werden oder verloren gehen musste. Wer es damals zu bekennen wagte: „Ich bin ein Christ und glaube an den Gekreuzigten“, dem riefen die Machthaber der Erde: „Widerrufe und opfere den heidnischen Göttern, oder lege dein Haupt unter den Block, oder reiche deinen Hals dem Schwert dar, oder lass dich von Löwen und Tigern zerreißen und von wilden Stieren zerstoßen, oder besteige den Scheiterhaufen und lass dich die Flammen verzehren, oder lass dich in Stücke zerhauen, oder lass dein Fleisch von den Knochen dir reißen, oder springe in den Kessel, der mit siedendem Öl wallt, oder lege dich auf den glühenden Rost. Als die gläubigen Christen diese furchtbare Wahl hatten entweder Christus zu verleugnen oder unter den ausgesuchtesten Qualen und Martern langsam zu sterben, da wurde es offenbar, dass zwar der Glaube selig mache, dass aber ohne Glaubenskampf kein Sieg und ohne Glaubenstreue keine Krone sei. Denn Christus spricht zwar. „Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben“, aber er sagt auch: „Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert und meinetwillen, der wird es erhalten. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“

    Wohlan, liebe Zuhörer, die ihr euch eures Glaubens tröstet, geht in euer Herz. Wollt ich nicht nur an Christus glauben, seid ihr auch, wie die ersten Christen, durch euren Glauben so gewappnet und ausgerüstet, dass ihr lieber euer Blut unter den schrecklichsten Peinigungen vergießen als Den auch nur mit einem Wort eures Mundes verleugnen wollt, den ihr durch den Glauben im Herzen tragt? Seid ihr jede Stunde bereit, mit Christus in den Tod zu gehen? Für ihn wieder zu sterben, wie er für euch gestorben ist?

    Doch, meine Lieben, sollt ihr auch bei diesen Fragen mit eurer Antwort zaudern und zagen, so wäre dies freilich noch kein Kennzeichen, dass ihr Christus noch nicht im wahren Glauben in euer Herz geschlossen hättet, denn es sind viele die heldenmütigsten Märtyrer später geworden, die erst sehr kleinmütig und mit Angst und Zagen der Stunde dieser großen Versuchung entgegen gesehen haben, während andere abfielen, die sich vorher für unüberwindlich hielten. Es gibt aber einen Kampf mit gewissen Versuchungen, in welchem gläubige Christen zu allen Zeiten sich befinden müssen und ohne w3elchen sie unmöglich die Krone des Lebens erlangen können. Damit sich nun niemand unter uns selbst um sein Seelenheil betrüge, so lasst mich euch jetzt den Kampf vorstellen, den wir alle kämpfen müssen, wollen wir einst gekrönt werden.

 

Matthäus 4,1-11: Da ward Jesus vom Geist in die Wüste geführt, auf dass er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Und er antwortete und sprach: Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot alleine, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht. Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so lass dich hinab; denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: Du sollst Gott, deinen HERRN, nicht versuchen. Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Heb’ dich weg von mir, Satan! Denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten Gott, deinen HERRN, und ihm allein dienen. Da verließ ihn der Teufel; und siehe, da traten die Engel zu ihm und dienen ihm.

 

    Das verlesene Evangelium kann, meine Lieben, von zwei Seiten betrachtet werden. Einmal können wir daraus sehen, wie Christus als unser Erlöser, Heiland und Stellvertreter für uns mit dem Versucher gekämpft und ihn überwunden hat; sodann können wir darin Christus als ein Vorbild ansehen, dem wir, wenn wir seine Jünger sein wollen, nachfolgen sollen. Lasst uns jetzt unser Evangelium von der letzten Seite betrachten, indem ich zu euch spreche:

 

Von den drei Hauptversuchungen eines gläubigen Christen, um welcher willen er stets im Streit sein muss

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Von der Versuchung durch Mangel und allerlei Trübsal;

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Von der Versuchung durch falschen Glauben und falsche Geistlichkeit, und endlich

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Von der Versuchung durch Reichtum und allerlei zeitliche Vorteile.

 

    HERR Jesus Christus! Wer an dich von Herzen glaubt, der hat durch dich einen gnädigen Gott, Vergebung aller seiner Sünden, Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit; dem gibst du aber auch den Heiligen Geist, der ihn erleuchtet, belebt, regiert und ich mit Kraft und stärke ausrüstet, gegen Welt, Fleisch und Satan zu kämpfen und so durch dich zu überwinden. Aber ach, HERRN, wir müssen dir bekennen, dass wir wohl alle deine Gnade und Gerechtigkeit haben wollen, aber in deiner Kraft und Stärke nicht treu und ernstlich kämpfen und streiten wollen. Wie viele haben schon um solcher Trägheit und Untreue willen deine Gnade wieder verloren! Wie viele sind schon der Wolken- und Feuersäule deines Evangeliums eine Zeitlang gefolgt, und haben doch das himmlische Kanaan nicht erreicht! Wie viele sind schon gefallen, noch ehe du ihnen den ewigen Kampfpreis darreichen konntest! O, lass uns nicht unter ihnen sein! Erwecke uns jetzt durch dein Wort, alle Sicherheit zu verlassen, mit Furcht und Zittern zu schaffen, selig zu werden, und zu ringen, bis wir eingehen durch die enge Pforte, die zum ewigen Leben führt. Amen. Amen.

 

1.

    „Wer mir dienen will, der folge mir nach“, spricht Christus; hiermit erklärt der Heiland, dass zu dem wahren Christentum notwendig auch die Nachfolge Christi gehöre und dass sie diejenigen gänzlich betrügen, die da meinen, dass sie sich des Evangeliums im Glauben trösten könnten, auch wenn sie Christus nicht nachfolgten.

    Unser Leben muss also, wollen wir Christen sein, dem Leben unseres HERRN Jesus Christus ähnlich werden. Die Erfahrungen, die er in dieser Welt machte, müssen auch wir in unserem Maß machen. Die Versuchungen, welche er nach unserem heutigen Evangelium erlitt, kommen daher gewiss auch über uns, sobald wir durch einen wahren Glauben mit ihm in Gemeinschaft treten. Wahre Christen haben nämlich nicht nur, wie ihr HERR und Meister, den Satan zu ihrem erklärten Feind, der ihnen besonders nachstellt, sie wieder um ihren Glauben und so um Gnade, Heil und Seligkeit zu bringen, sondern Gott hat auch selbst beschlossen, die Christen, seine Kinder, hier erst eine Zeitlang zu prüfen, ihren Glauben zu üben, zu seiner Ehre Satan, Welt und Fleisch an ihnen zuschanden werden zu lassen, und sie dann erst, wenn sie gekämpft und überwunden haben, in die ewige Ruhe eingehen und aus dem Glauben in das Schauen übergehen zu lassen.

    So leicht es daher ist, ein Christ zu werden, so viele Schwierigkeit gibt es zu überwinden, wenn man es bleiben will. So leicht sich Gott durch den Glauben an seinen lieben Sohn seine Gnade abgewinnen lässt, so schwer ist es, in solchem Glauben und so in Gottes Gnade bis an sein Ende zu verharren. Der Wandel des Christen in diesem Leben ist eine Reise nach der Ewigkeit mit dem Glaubenslichtlein durch finstere Nacht unter Sturm und Regen, auf schmalem Weg und Steg, an vielen Abgründen vorbei und durch dunkle Wälder, in welchen Seelenmörder auf ihn lauern. O, wie leicht kann auf solchem Weg dem Christen sein Glaubenslichtlein verlöschen! Wie leicht kann er von dem schmalen Weg abkommen, in die Abgründe der Sünde, des Unglaubens oder der Scheinglaubens stürzen, geistlichen Räubern in die Hände fallen, und so geistlich umkommen, ehe er das Ziel erreicht hat! Wie viel kostet es, ehe ein Mensch hindurch ist und seine Seele endlich als eine Beute aus dem Schlachtgewühl dieser Welt davonträgt! Ja, wie viele haben angefangen, Christi Jünger zu werden, sind ihm aber nur eine kürzere oder längere Strecke seines Kreuzeswegs gefolgt, – sind endlich müde geworden, wieder stehen geblieben und so endlich doch verloren gegangen! Es gilt wahrlich einen ernsten Kampf.

    Die erste Ursache, um welcher willen ein Christ stets im Streit sein muss, finden wir in der ersten Versuchung, welche unser HERR Jesus Christus nach unserem Evangelium einst erleiden musste. Wir hören nämlich darin: Als Christus 40 Tage und 40 Nächte in der Wüste gefastet hatte und ihn daher hungerte, trat der Versucher zu ihm und sprach: „Bist du Gottes Sohn, so spricht, dass diese Steine Brot werden!“ Mit dieser Rede suchte der Versucher bei Christus zweierlei zu bewirken: Erstens, dass er daran zweifeln sollte, ob er Gottes Sohn sei, da er so verlassen und dem Hunger und Elend preisgegeben sei, oder, dass er ein Wunder aus Kleinglauben tun sollte.

    Hiermit ist uns eine Versuchung beschrieben, welche die Christen um mit ihrem Heiland und Vorgänger sehr häufig gemein haben. Man sollte nämlich meinen, wenn ein Christ durch den Glauben Gottes Gnade erlangt habe, so werde bei ihm auch der zeitliche Segen sichtbar einkehren, er werde mehr als die anderen, sicheren Sünder, von der Not dieses Lebens befreit sein. Gott werde es nun auch durch Überschüttung mit vielen zeitlichen Gütern, mit Gesundheit, Reichtum, Ehre, gutem Fortgang im Handel und Wandel, vor aller Welt zeigen, dass er bei ihm in Gnaden stehe und sein liebes Kind sei.

    Aber dem ist nicht so. Gerade von der Zeit an, dass sich ein Mensch recht ernstlich und eifrig zu Christus hält, muss er sehr häufig seinem Heiland in die Wüste folgen; während andere reich werden, wird er sehr oft nun gerade arm oder bleibt doch arm; während andere mit den Ihren gesund und wohl sind, so zieht in seinem Haus Krankheit und Siechtum ein; während andere zu Ehren kommen, so bleibt er ein verachtetes Lichtlein, ja, fällt wohl in Verdacht bei der Welt oder gar b ei seinen Glaubensbrüdern; während anderen alles, was sie vornehmen, wohl gelingt, so will ihm oft nichts vonstatten gehen, ja, ihn trifft oft Schlag auf Schlag, Unglück auf Unglück; meint er einmal, dass er aus seiner großen Not nun bald errettet sein werde, so bricht oft gerade nun eine noch größere Not über ihn herein. So erging es einem Hiob, so einem David, ja, fast allen Heiligen Gottes.

    Das ist eine harte Versuchung. In derselben spricht gar bald das Herz, wie der Satan zu Christus, entweder: „Bist du Gottes Sohn“, bist du Gottes Kind? Wie? Sollte dich Gott lieb haben und dir gnädig sein, da er dich so hart schlägt? Warum muss es gerade dir so ergehen? Warum anderen nicht so? O, lass deinen Glauben fahren; Gott zürnt ganz offenbar mit dir; du bist ganz offenbar kein Kind Gottes. Oder das Herz ruft dem mit Trübsal heimgesuchten Christen wohl auch dieses heimlich zu: „Sprich, dass diese Steine Brot werden“, das heißt, suche dir zu helfen, wie du kannst; du siehst, bei deiner Nachfolge Christi kommst du zu nichts; mache es wie die Welt; geize, scharre und kratze; lüge und betrüge; du bist einmal in der Not; Not bricht Eisen; Not hat kein Gebot. Warum hat dich Gott verlassen? So bist du nun auch gezwungen, ihn zu verlassen.

    Seht, so spricht das Herz in der Not, so führt da der Satan den Christen in Versuchung, dass er an Gottes Gnade verzagen oder sich, wie er nur kann, gleichviel ob rechtmäßig oder unrechtmäßig, aus der Not zu helfen suchen soll. Wer nun in solchen Zeiten nicht streiten, und zwar nicht ernstlich streiten will, der wird gar bald von seinem bösen Herz überwunden, gibt sich so dem Teufel willig gefangen und ist dann verloren. Wer aber nicht verloren gehen will, muss dann sein Kreuz nicht nach der Vernunft, sondern nach Gottes Wort beurteilen und bedenken, dass Gott das Kreuz ihm nicht darum zuschickt, dass er den Glauben wegwerfe, sondern dass er, wenn ihm auch aller äußerliche Trost genommen wird, die Schwachheit seines Glaubens kennenlerne, von allem falschen, ihm noch anklebenden Vertrauen auf das Sichtbare los gemacht und im Glauben durch immer neue Erfahrungen, wie Gott in der Not tröstet und hilft, stärker werde. Wie Christus das Wort Gottes dem Satan vorhielt und sprach: „Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht“, so muss auch ein Christ dieses Wort seinem Herzen vorhalten, und sich damit trösten, dass eigentlich nicht das Brot und das zeitliche Gut dem Menschen das Leben erhält, sondern das Wort Gottes; denn wenn Gott nicht den Segen über das Brot spräche, so würde es uns ebenso wenig nähren wie der Stein. Sehen wir es doch deutlich in Krankheiten, in welchen der Kranke oft keine Speise genießen kann und allein durch Gottes Wort und Willen erhalten wird; und wenn nun vollends der Tod kommt, so kann kein Brot und kein irdisches Nahrungsmittel den absterbenden Lebensbaum wieder lebendig und grünend machen; denn ist es offenbar, dass allein das Wort aus dem Tod zum Leben hilft. Wohlan, soll ein Christ denken, lebt man vom Wort allein im Reichtum und in der Fülle, so lebt man auch vom Wort in Armut, Mangel und Trübsal. Wer so mit sich selbst kämpft, der überwindet die Versuchung; wer das nicht tun will, dem wird die Not zum Strick, Fall und Tod, die ihm doch zum Heil und zum Leben gegeben war.

 

2.

    Doch gehen wir weiter. In unserem Evangelium heißt es ferner, dass der Teufel hierauf Christus mit sich in die heilige Stadt geführt, auf die Zinne des Tempels gestellt und zu ihm gesprochen hat: „Bist du Gottes Sohn, so lass dich hinab; denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“

    Hier hören wir: Als der Satan merkte, dass Christus durch Mangel und Not nicht zu fällen sei, dass er sich nämlich in dieser Anfechtung an Gottes Wort halte und damit tröste, so dachte Satan: Hält er sich so fest an Gottes Wort, wohl, so will ich ihm auch Gottes Wort vorhalten, nur ein paar Wörtlein weglassen und ihn dadurch zu einem falschen Glauben bringen und bewegen, doch etwas gegen Gott zu tun; habe ich ihn auch nicht können dazu bringen, in der Not sein Vertrauen wegzuwerfen, so will ich ihn nun dazu bringen, außer der Not falsch zu vertrauen. Der Satan hieß nämlich Christus im Vertrauen auf den verheißenen Schutz der Engel von der Zinne des Tempels, nicht auf der Stiege hinabzusteigen, sondern sich in der Luft hinabzulassen. Er berief sich hierbei zwar auf einen Spruch aus dem 91. Psalm, er ließ aber die wichtigen Worte jenes Spruchs listig weg: „auf allen deinen Wegen“, denn nach diesen Worten hat uns Gott zwar den Engelschutz verheißen, wenn wir auf unseren Berufswegen wandeln, aber außerhalb nicht; begeben wir uns mutwillig in Gefahr, so versuchen wir Gott und kommen darin aus eigener Schuld um. Zu solcher Sünde der Versuchung Gottes ließ sich aber Christus nicht bringen, sondern schlug den Angriff mit der Waffe des göttlichen Wortes zurück, indem er sprach: „Wiederum steht auch geschrieben: Du sollst Gott, deinen HERRN, nicht versuchen.“

    Auch dies ist uns, meine Lieben, zur Lehre und zur Warnung geschrieben. Aus diesem zweiten Kampf Christi mit dem Satan lernen wir die zweite Ursache kennen, warum auch alle gläubigen Christen stets im ernstlichen Kampf und Streit sein müssen, wollen sie das Kleinod nicht wieder verlieren. Wir sehen nämlich hieraus erstens, dass sich ein Christ nicht nur vor denen zu hüten hat, welche Gottes Wort gänzlich verwerfen, sondern auch, und zwar viel mehr, vor denen, welche sich auf Gottes Wort berufen, es in Schriften und Predigten häufig anführen und damit alle ihre Lehren und Anstalten beweisen zu können vorgeben. Wer sich durch sein solches bloße Vorgeben schon einnehmen lässt, kann nur zu leicht gefährlich betrogen werden. Lesen wir in unserem Evangelium, dass selbst der Satan Gottes Wort angezogen hat, um Christus, den Sohn Gottes, zu einem falschen Glauben zu bewegen, dürfen wir uns nun wundern, dass menschliche falsche Lehrer Gottes Wort dazu missbrauchen? Nein, St. Paulus selbst spricht daher von den falschen Lehrern zu Korinth: „Solche falsche Apostel und trügliche Arbeiter verstellen sich zu Christi Aposteln. Und das ist auch kein Wunder, denn er selbst, der Satan, verstellt sich zum Engel des Lichts. Darum ist es nicht ein Großes, ob sich auch seine Diener verstellen als Prediger der Gerechtigkeit.“ Gehen wir das Alte und Neue Testament durch, so lesen wir, dass die falschen Propheten sich stets auf Gottes Wort berufen haben. Unter anderem heißt es im 23. Kapitel des Propheten Jeremia: „Gehorcht nicht den Worten der Propheten, so euch weissagen. Sie betrügen euch, denn sie sprechen ihres Herzens Gesicht und nicht aus des HERRN Mund. Sie sagen denen, die mich lästern: Der HERR hat es gesagt.“ So oft daher ein Christ hört oder liest, dass ein Lehrer Gottes Wort für seine Lehre anführt, so muss er sich wohl vorsehen, ob der Lehrer das Wort Gottes auch recht und ganz anführe, oder ob er es, wie der Satan in unserem Evangelium, verstümmle, etwas weglasse oder es falsch anwende. Bringt jemand eine neue Lehre auf und führt er dafür eine dunkle Stelle der Heiligen Schrift an, womit er seinen Irrtum beschönigen will, spricht er: Seht, „es steht geschrieben“, so muss ein Christ sich mit Christus an eine deutliche Schriftstelle halten und antworten: „Wiederum steht auch geschrieben.“ Seid gewarnt, meine Lieben, und lasst mich nicht einen Prediger in der Wüste sein; die Zeiten werden mit jedem Tag bedenklicher, die Schlingen der Verführung immer feiner und verdeckter; es gilt hier Wachens, Betens, Forschens und Kämpfens:

Es wird die Krone, die so schön,

Nur auf dem Haupt der Sieger stehn.

    Doch der Satan wollte bei seinem zweiten Angriff Christus nicht nur überhaupt zu einem falschen Glauben, sondern vor allem zu Versuchen Gottes bringen. Zu dieser Sünde werden, besonders in unseren Tagen, die Christen öfter versucht, als man meint; nicht sowohl in leiblichen, als vielmehr in geistlichen Dingen. Ja, was sage ich? An dieser Sünde liegen  nicht nur die meisten, welche jetzt die eifrigsten Christen sein wollen, krank, sie ist, so zu sagen, das Herz und die Seele des jetzigen neuen Christentums geworden.

    Denn was sind Wort und Sakrament anders als die rechten Himmelsleitern, auf welchen wir allein in den Himmel aufsteigen können? Lehrt man aber jetzt die Christen, wie sie keine anderen Himmelsleitern sich suchen, sondern am Wort und an den heiligen Sakramenten festhalten, sich der darin gegebenen Gnadenverheißungen und Gnadenunterpfänder trösten, dieselben als Gottes nach uns ausgestreckte Hände ergreifen und darauf ihren Glauben gründen und bauen sollen? Keineswegs! Diejenigen, welche jetzt mit großem Eifer predigen, dass sich der Mensch bekehren müsse, wenn er selig werden wolle, weisen, leider, ihre Zuhörer meist gar nicht auf Wort und Sakrament, ja, sie verdammen das Vertrauen darauf als etwas Fleischliches und weisen die betrübten Sünder allein auf die Erfahrungen und Empfindungen des Herzens. Ach, sie eifern um Gott, aber mit Unverstand; sie bedenken nicht, dass sie ihre Zuhörer damit auffordern, Gott zu versuchen, dass sie ihnen gleichsam mit dem Satan zurufen: Seid ihr Gottes Kinder, so lasst euch hinab von der Zinne des Tempels, steigt nämlich hinauf in den Himmel zu Gott ohne die feste Brücke seines Wortes, ohne die sichere Stiege seiner heiligen Sakramente.

    In einer Zeit wie die unsrige, wo so viele selbstgemachte Himmelswege gezeigt werden, ist es ja freilich nötig, große Treue, großen Ernst und großen Eifer zu beweisen, die Wahrheit, die da selig macht, zu finden, sie in reinem Gewissen zu bewahren und bei ihr zu bleiben; und täglich und stündlich zu seufzen:

Ich ruf zu dir, HERR Jesus Christ,

Ich bitt, erhör mein Klagen;

Verleih mir Gnad zu dieser Frist,

Lass mich doch nicht verzagen.

Den rechten Weg, o HERR, ich mein,

Den wollest du mir geben,

Dir zu leben,

Mein’m Nächsten nütz zu sein,

Dein Wort zu halten eben.

 

3.

    Doch wir hören nun endlich, dass der Satan Christus auf einen sehr hohen Berg geführt, ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit gezeigt und gesagt hat: „Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“

    Diese letzte Versuchung des Satans scheint so plump zu sein, dass es uns Wunder nehmen möchte, wie doch ein so listiger Geist dieselbe nur habe wagen können; sie ist jedoch nicht so ungeschickt, wie sie bei dem ersten Anblick zu sein scheint. Da nämlich Christus damals seine Gottheit verbarg, so war auch sicherlich Satan oft im Zweifel, ob er wirklich Gotte Sohn oder nur ein ausgezeichneter Prophet sei. Satan weiß es aber, wie sehr das Herz der Menschen von Natur an dem Zeitlichen, an Reichtum, Ehre und Herrlichkeit hängt; er weiß es, wie schwach auch der stärkste Christ in sich selbst ist und wie leicht er in der Stunde der Versuchung von irdischer Herrlichkeit geblendet und zu Fall gebracht werden kann. Darum versuchte er bei Christus diesen letzten großen Sturm. An diesem göttlichen Herzen zerbrachen freilich alle seine Waffen, aber nicht so ist es mit uns.

    Es hat schon Tausende von Christen gegeben, welche Christus treu geblieben sind, so lange sie verfolgt wurden, die Christi Gnade und Wort über alles liebten, so lange sie arm waren, die arm am Geist blieben, so lange sie verachtet wurden, kurz, die Christus im Glauben nachfolgen, so lange sie unter dem Druck der Not, des Kreuzes und der Trübsal lagen. Aber welche traurige Veränderung ist mit ihnen vorgegangen, als die Welt sich freundlich gegen sie stellte, als sie anfingen, reich und wohlhabend zu werden, als sie hervorgezogen wurden und zu Ehren kamen! Ach, unzählige Christen haben unter allen Stürmen und Ungewittern des Unglücks wie Zedern festgestanden und sind endlich unter dem Sonnenschein des Glücks und der guten Tage verwelkt und verdorrt, endlich ohne Glauben gestorben und im Tod als unfruchtbare Bäume abgehauen und ins Feuer geworfen worden.

    Wer will es nun hiernach wagen und träge werden im Beten, im Wachen, im Lesen und Hörend es Wortes Gottes, im Gebrauch des heiligen Sakraments und im Kampf gegen jede Sünde – und dennoch selig zu werden hoffen? O, möchte doch kein solcher Tor unter uns gefunden werden! Wer ohne täglichen Kampf und Streit die Krone endlich doch zu erlangen hofft, der wird sich einst betrogen finden.

    Doch dies ist alles von Christen gesagt. Wie willst nun vollends du die Seligkeit erlangen, der du sicher und sorglos in offenbaren Sünden dahinlebst, in Zorn und Unversöhnlichkeit, in Unzucht und Unreinigkeit, in Lug und Trug, in Trunkenheit und Völlerei, in Verachtung des Wortes und der heiligen Sakramente und dergleichen? „Die solches tun, werden das Reich Gottes nicht ererben.“ St. Petrus ruft euch zu: „So der Gerechte kaum erhalten wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen?“ „Irrt euch nicht“, setzt St. Paulus hinzu, „Gott lässt sich nicht spotten, denn was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten. Wer aber auf den Geist sät, der wird vom Geist das ewige Leben ernten. Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten ohne Aufhören.“ Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Reminiscere (Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit; Psalm 25,6) ueber Matthaeus 15,21-28: Das Gebet im Glauben

 

    Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes, des himmlischen Vaters, und die Gemeinschaft Gottes, des Heiligen Geistes, sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Ein wahrer Christ sein und beten, dies ist so unzertrennlich mit einander verbunden, dass das Eine ohne das andere nicht gedacht werden kann. Wie das Schreien das erste Lebenszeichen eines jeden neugeborenen Kindes ist, so ist das Beten das erste Lebenszeichen eines wiedergeborenen Christen. Sobald der Christenverfolger Saulus sich bekehrt hatte, da heißt es von ihm: „Siehe, er betet!“ Und als jene Dreitausend die erste Pfingstpredigt des Petrus sich durchs Herz gehen ließen und Buße taten, da heißt es auch sodann von ihnen nicht nur: „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen“, sondern auch: „Und im Gebet“.

    Es kann dies auch nicht anders sein. Durch den Fall in die Sünde ist es dem mit den Menschen dahin gekommen, dass sie nun von Natur ohne Gott dahinleben. Von Natur verhalten sich nämlich die Menschen so, als brauchten sie keinen Gott; von Natur huldigen die Menschen dem besonders hier oft ausgesprochenen Grundsatz: „Hilf dir selber!“ Sie denken, der Mensch sei selbst seines Glückes Schöpfer; wolle der Mensch alles von Gott erwarten, so könne er lange warten. Wer etwas erlangen wolle, der sei ein Narr, wenn er an sich verzage und nach dem Himmel blicke; der müsse vielmehr seinen Verstand und seine Kräfte anstrengen und seine Glieder nur tüchtig regen und „schaffen und wagen, das Glück zu erjagen“: Das sei der rechte Weg; so werde sich schon alles finden. Man denkt, würden die Menschen aufhören, für einen Himmel zu sorgen und allein sorgen für ihr Leben auf Erden, so würde es auch jedermann bald besser werden und das Glück sich wohl finden. So fangen denn die meisten Menschen an jedem Morgen den Tag ohne Gebet an; gehen dann ohne Gebet an ihre Arbeit; beginnen ohne Gebet auch ihre wichtigsten Unternehmungen; essen und trinken, ohne zu beten; legen sich schlafen, ohne zu beten; kurz, gehen aus und ein, ohne zu beten. – Das ist des Menschen Zustand von Natur.

    Was ist aber nun die Bekehrung? Diese besteht eben in nichts anderem, als darin, dass der Mensch, der vorher von Gott abgekehrt war, sein ganzes Herz und seinen ganzen Sinn wieder zu Gott hinkehrt. Sobald daher ein Mensch zu Gott bekehrt ist, so tritt er auch mit Gott in einen heimlichen, verborgenen Verkehr. Ist ein Mensch bekehrt, so ist ihm Gott unentbehrlich in allen seinen Dingen; dann wagt er nicht mehr, auch nur das Geringste ohne Gott anzufangen; dann achtet er nicht nur jeden Tag ohne Gebet für einen Tag ohne Segen, sondern alles, alles achtet er ohne Gebet für ungesegnet. Betend zu Gott verlässt daher der bekehrte Christ des Morgens sein Lager, betend geht er an seine Arbeiten, betend beginnt und schließt er seine Mahlzeiten, kurz, betend geht er aus und ein.

    Während ein natürlicher Mensch das Gebot des HERRN, dass man allezeit beten soll, und die Ermahnung des Apostels: „Betet ohne Unterlass“, für unausführbar hält, so weiß hingegen ein zu Gott wirklich bekehrter Mensch, wie dies recht wohl möglich ist, aus eigener Erfahrung und Übung. Ein bekehrter Christ faltet zwar nicht immer die Hände, er beugt zwar nicht immer die Knie und bewegt zwar nicht immer seine Lippen dazu, ein Gebet zu sprechen, denn er weiß: In dieser Welt hat er noch das Doppelgebot: Bete und arbeite! Aber sein Herz ist immer mit Seufzen, oder doch mit einem geheimen Verlangen nach Gott, nach seiner Gemeinschaft, nach seiner Gnade, seiner Hilfe, seiner Leitung und Regierung erfüllt, und das heißt eben allezeit und ohne Unterlass beten.

    Doch, meine Lieben, es gibt Menschen, welche nicht zu Gott von Herzen bekehrt sind, und die doch viel zu beten scheinen; es ist daher nötig zu wissen, welches Gebet denn eigentlich ein rechtes Gebet und das Kennzeichen eines wahren Christen sei. Das lernen wir aber aus unserem heutigen Evangelium kennen; es ist dies nämlich nach demselben das Gebet des Glaubens. Ja, das, das ist das rechte Gebet, und ein solches Gebet ist daher auch allein das rechte Kennzeichen eines bekehrten Christen. Davon lasst mich daher nun weiter zu euch sprechen.

 

Matthäus 15,21-28: Und Jesus ging aus von dannen und entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon. Und siehe, eine kanaanäische Frau ging aus derselben Grenze und schrie ihm nach und sprach: Ach HERR, du Sohn Davids, erbarme dich mein! Meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten zu ihm seine Jünger, baten ihn und sprachen: Lass sie doch von dir; denn sie schreit uns nach. Er antwortete aber und sprach: Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlorenen Schafen von dem Haus Israel. Sie kam aber und fiel vor ihm nieder und sprach: HERR, hilf mir! Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht fein, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, HERR; aber doch essen die Hündlein von den Brosamen, die von ihrer Herren Tisch fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: O Frau, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter ward gesund zu derselben Stunde.

 

    In dem verlesenen Evangelium erblicken wir offenbar eine gläubige Beterin, wie sie selten gefunden wird. An ihrem bewunderungswürdigen Beispiel lasst mich euch daher jetzt zeigen:

 

Das Gebet im Glauben

    Hört:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Welches Gebet ein Gesetz im Glauben sei,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass nur das Gebet im Glauben Gott gefällig und erhörlich sein, und endlich

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Was dazu gehöre, um im Glauben beten zu können.

 

    O HERR Gott! Wie groß ist deine Gnade, dass du uns Sündern nicht nur erlaubt hast, zu dir zu beten, sondern auch zu beten so ernstlich geboten und zu erhören so liebreich verheißen hast! Wir müssen dir aber klagen, dass die Meisten leider diese große Gnade wenig erkennen und noch weniger treu gebrauchen. Darum bitten wir dich, mache doch die Predigt deines Wortes in dieser Stunde zu einem Mittel, dadurch der Geist der Gnade und des Gebetes über uns alle ausgegossen und wir en5tzündet werden, gläubig und brünstig ohne Unterlass zu dir zu beten und zu flehen und so Gnade um Gnade zu nehmen aus deiner Fülle. Erhöre uns um Jesu Christi willen. Amen.

 

1.

    Dass die kanaanäische Frau, von welcher in unserem Evangelium erzählt wird, im Glauben gebetet habe, dies ist außer Zweifel, den Christus gibt ihr selbst das Zeugnis: „O Frau, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst.“ Die Art aber, wie sie gebetet hat, wird uns so ausführlich beschrieben, dass wir aus ihrem Beispiel deutlich ersehen können, welches denn eigentlich ein Gebet des Glaubens ist.

    Was hören wir aber von ihr? Matthäus erzählt uns, sie habe Christus zuerst nachgeschrien: „Ach HERR, du Sohn Davids, erbarme dich mein; meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt.“ Obgleich also ihre Not sehr groß war (denn welche Not kann größer sein, als wenn das eigene Kind nicht nur von einer schweren Krankheit und vielen Schmerzen beladen ist, sondern selbst vom Teufel übel geplagt wird?), so macht sie doch nicht viele Worte. Sie trägt Christus kurz ihre große Not vor und schreit ihn laut um Hilfe an.

    Wie heißt es nun weiter? – Matthäus spricht: „Und er (nämlich Christus) antwortete ihr kein Wort.“ – Wir können uns wohl denken, was hierbei in dem Herzen der armen Frau vorgegangen sein mag. Sicherlich ist das Schweigen Christi wie eine schwere Last auf ihr um Hilfe bekümmertes Mutterherz gefallen. Was tut sie aber? Sie lässt sich auch dadurch nicht irre machen. Sie schreit fort; was wir daraus ersehen, dass, wie wir hören, die Jünger, sie sich endlich in das Mittel schlugen, eine Fürbitte für die elende Frau einlegend, sprachen: „Lass sie doch von dir, denn sie schreit uns nach.“ Was antwortet Christus aber hierauf? Er spricht: „Ich bin nicht gesandt, als nur zu den verlorenen Schafen von dem Haus Israel.“ Christus wirft ihr also vor, dass sie ja nicht das mindeste Anrecht habe an seiner Gnade. Was tut aber die Kanaanäerin? Sie naht sich Christus dennoch noch einmal, fällt dennoch noch einmal vor ihm nieder und spricht: „HERR, hilf mir!“ Und als Christus auch hierauf spricht: „“Es ist nicht fein, dass man den Kindern das Brot nehme und werfe es vor die Hunde“, als er ihr also ihre gänzliche Unwürdigkeit aller Gnade vorwirft, das gibt sie zwar Christus recht und spricht: „Ja, HERR“; aber sie setzt sogleich hinzu: „Aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein, die von ihrer Herren Tische fallen.“ Trotz ihrer Einsicht in ihre Unwürdigkeit hält sie sich also dennoch an das Wort Christi. Christus hatte sie einen Hund gescholten: Wohlan, spricht sie, das will ich auch sein und nichts mehr; aber gestehst du mir das zu, so hast du mir damit auch zugestanden, dass ich wenigsten an einigen Brosamen deiner Gnade Teil haben soll; mehr begehre ich aber auch nicht; diese schenke mir, so genügt mir; denn wenn du mir auch nur ein Brosamlein deiner Gnade schenkst, so ist meinem Kind, so ist mir geholfen.

    Welches Gebet ist nun hiernach ein Gebet im Glauben? Besteht es etwa darin, dass man viele Worte machen und in einem solchen Fluss mit Gott reden kann, dass die Worte wie ein Strom über die Lippen fließen? Nein, das Beispiel der kanaanäischen Frau lehrt uns, dass ein Gebet ein rechtes Gebet im Glauben sein könne, wobei ein betrübter Mensch vielleicht nur wenig Worte stammeln kann; ja, an dem Beispiel Moses sehen wir, dass ein Mensch in einem Zustand sein kann, in welchem er gar keine Worte findet und nur im Geheimen seufzt, und Gott nimmt dies sein stilles Seufzen doch für ein starkes Glaubensgebet an; denn Mose hatte nur im Stillen nach Hilfe innig verlangt, und doch rief ihm Gott zu: „Was schreist du zu mir?“ (2. Mose 14,15.)

    Gehört also zu einem Gebet im Glauben wenigsten das, dass man in seinem Herzen die süße Empfindung der Andacht, der Würdigkeit und der Erhörung habe? Nein, auch das nicht; denn gewiss hat niemand weniger süße Gefühle bei seinem Gebet gehabt als die arme, tiefbekümmerte Frau; erstlich schon anfangs nicht, als sie von ihrer vom Teufel übel geplagten Tochter hinwegging und zu Christus eilte, und dann gewiss noch weniger als der HERR auf ihr Gebet schwieg und endlich ihr gar nur harte, raue und zornige Antworten gab; sie fühlte dabei wirklich, dass sie kein Anrecht an Gottes Gnade habe, und dass sie mit ihrem Gebet nicht würdig sei, erhört zu werden, sondern nichts als Zorn verdient haben. Es ist also wohl möglich, dass ein Mensch dennoch im Glauben beten könne, obgleich er nichts dabei fühlt als sein Elend und seine Unwürdigkeit, ja, nichts als Gottes Ungnade, Zorn und völlige Verwerfung.

    Worauf kommt es also eigentlich an, wenn man ein Gebet ein Gebet im Glauben nennen darf? – Es kommt nach dem Beispiel unserer Kanaanäerin vor allem darauf an, dass man eben trotz des Gefühls oder des Bewussts4eins seiner Unwürdigkeit doch nicht daran zweifelt, dass Gott unser Gebet gefalle, und zuversichtlich dafür hält, dass es Gott gewiss erhören werde, und dass man sich hierbei fest auf das Wort Gottes gründet, nämlich auf den Befehl Gottes, zu beten, und auf die Verheißung, das Gebet zu erhören. Wer alle Bedenken mit diesem göttlichen Befehl und mit dieser göttlichen Verheißung niederschlägt, wer sich auch dadurch nicht zum Zweifel an der Erhörung seines Gebets bewegen lässt, dass er nicht einsieht, wie ihn Gott erhören könne, ja, dass es nach der Vernunft ganz unmöglich scheint; und wer endlich auch dann den Glauben, dass ihn Gott erhöre, nicht wegwirft, wenn auf sein Gebet um Hilfe Gott nicht nur zu schweigen, sondern die Not nur immer größer zu werden scheint; wer dann, wie die Kanaanäerin, doch fortfährt zu rufen: „HERR, hilf mir!“ und denkt: Hilft mir Gott nicht, wie ich denke und jetzt wünsche, so hilft er mir doch, ja gewiss besser und herrlicher, als ich denke: Dessen Gebet ist ein Gebet im Glauben.

 

2.

    Und nur ein solches Gebet im Glauben ist Gott gefällig und erhörlich. Davon lasst mich nun zweitens weiter zu euch sprechen.

    Es scheint freilich vielen etwas ganz Vergebliches zu sein, die Erhörung ihrer Gebete zu erwarten. Man spr9cht, was geschehen solle, das sei schon von Ewigkeit beschlossen, wer dürfe nur wähnen, durch sein Gebet eine Änderung in dem Plan der göttlichen Weltregierung hervorbringen zu können? Wer dürfe hoffen, durch sein Gebet den unveränderlichen Gott wankend machen und ihn zu einer Änderung seines Willens bewegen zu können? Allein, man bedenkt nicht, dass Gott alle unsere Gebete erhören kann, ohne gegen seine ewigen Ratschlüsse zu handeln; denn da Gott allwissend und allweise ist, so hat er nicht nur von Ewigkeit gewusst, dass und was wir beten werden, sondern er hat auch schon von Ewigkeit alles so geordnet und in den Plan seiner Weltregierung verflochten, dass eben das geschehen muss, was wir von ihm bitten.

    Wohl ist es ferner wahr: Es ist etwas Großes, dass ein armer, sterblicher Mensch, ein Sünder, es wagt zu glauben, dass Gott, der Allerhöchste und Allerheiligste, durch sein Gebet bewogen werden könne, etwas zu tun oder zu unterlassen; wohl ist der Glaube eine große Kühnheit, dass das, was wir auf Erden bitten, im Himmel gewiss geschehen werde, ja müsse. Ja, dieser Glaube scheint eine große Vermessenheit, hingegen der Demut angemessen zu sein, wenn man an der Erhörung seines Gebetes zweifelt. Aber nein, das ist eine falsche Demut, denn sie nimmt nicht nur dem Menschen, sondern auch Gott selbst seine Ehre.

    Wer da betet und doch nicht glaubt, dass er erhört werde, der macht Gott zum Lügner; der spricht, so oft er betet, mit der Tat zu Gott: Du spricht zwar in deinem Wort: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen“; du sprichst zwar: „Bittet, so werdet ihr nehmen; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird auch aufgetan“; du spricht zwar: „Alles, was ihr bittet im Gebet, so ihr glaubt, so werdet ihr’s empfangen“, aber ich kann dies nicht für Wahrheit annehmen; ich kann dir nicht glauben. Wer aber so redet, was tut der anderes, als dass er die göttlichen Verheißungen zu Lügen und also Gott zu einem Lügner macht? Sollte aber das Gebet eines solchen Menschen Gott gefällig und erhörlich sein? Nein, es ist vielmehr gewiss: Wer im Zweifel betet, der macht dadurch sein Gebet ganz zunichte und vergeblich, ja, zu eitel Sünde und Greuel. Daher spricht Jakobus von einem Beter: „Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht; denn wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Wind getrieben und gewebt wird. Solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem HERRN empfangen werde.“ O, wie viele mag es daher geben, die für alle ihre Gebete nichts empfangen werden! Denn wie selten findet sich einmal ein Mensch, der da wirklich glaubt, dass alle seine Gebete bei Gott Ja und Amen sind!

    Aber wohl allen, die im Glauben beten! Deren Gebete sind Gott angenehm und allezeit erhört. Denn wer da glaubt, dass Gott tue, was er bittet, der gibt Gott die Ehre, die ihm gebührt; der erklärt damit Gottes Wort für untrügliche, zuverlässige Wahrheit; der erklärt damit die göttlichen Verheißungen für einen unumstößlichen Grund, auf welchen man sicher bauen und trauen könne; der erklärt damit, dass, wenn auch alle Menschen Lügner sind, doch Gott wahrhaftig sei und bleibe und dass er gewiss halte, was er zugesagt hat.

    Wohl scheint es unserer Vernunft etwas Geringes zu sein, wenn man Gott in seinem Wort fest und unbeweglich traut; aber wie einst der Stand der Unschuld im Paradies hauptsächlich darin bestand, dass der Mensch ein vollkommenes Zutrauen zu Gott und zu seiner unendlichen Güte hatte, und wie hierauf darin der Abfall der Menschen von Gott bestanden hat, dass sie Gott nicht mehr trauen wollten, und wie nun daraus eine knechtische Furcht und ein Fliehen aller Menschen vor Gott von Natur entstanden ist: So besteht nun darin wieder die Rückkehr zu Gott, dass der Mensch Gott wieder zu trauen anfängt. Wer Gott wieder traut, der macht Gott wieder zu seinem Gott, der bringt Gott wieder den rechten Dienst dar und wird wieder erneuert zu dem Ebenbild Gottes, zu welchem wir einst geschaffen wurden.

    Ein Gebet im Glauben ist daher vor Gott einem lieblichen Weihrauch gleich, der auf dem Altar des Herzens angezündet wird und dessen Wohlgeruch bis zum Himmel steigt. Das Gebet im Glauben ist ein Schlüssel, womit ein Mensch den Himmel, ja, das Vaterherz Gottes sich aufschließen kann. Kein Unglück und keine Traurigkeit ist so groß, wofür das Gebet im Glauben nicht reichen Trost gäbe, und woraus man nicht durch das Gebet im Glauben Hilfe und Rettung erlangen könnte. Wie sich einst Christus durch das gläubige Gebet einer armen Heidin und durch das „Ich lass dich nicht!“ eines Jakob überwinden ließ, so will Gott noch jetzt durch das Glaubensgebet aller Christen sich besiegen lassen.

    Darum werden wir auch so oft in Gottes Wort dazu ermuntert und ermahnt, im Glauben zu beten; darum lehrt uns auch Christus unser tägliches Gebet mit dem Glaubenswort: „Vater unser“ beginnen und mit Triumphwort „Amen“ beschließen.

 

3.

    Wer sollte sich nun nicht wünschen, so im Glauben Gott gefällig und erhörlich beten zu können? Was dazu gehöre, um im Glauben beten zu können, davon lasst mich daher nun endlich zum Schluss noch Einiges hinzusetzen.

    Offenbar gehört dreierlei notwendig dazu, um im Glauben beten zu können, nämlich erstens, dass man in keiner mutwilligen Sünde mehr lebt; zweitens, dass man wisse, man habe einen gnädigen Gott; und endlich drittens, dass man nicht mehr auf sich, auf seine Werke, seine Tugend, Frömmigkeit und Gerechtigkeit, sondern allein auf die Gnade baut.

    Wer noch in mutwilligen Sünden lebt, und wenn es auch scheinbar nur eine einzige wäre, der kann nun möglich von herzen glauben, dass Gott tun werde, was er ihn bittet; immer wird ihm sein Gewissen widersprechen; immer wird es in seinem herzen heißen: Was willst du Gott bitten, der du ihn noch mutwillig beleidigst mit dieser oder jener Sünde! Daher spricht David: „Wo ich Unrechtes vorhätte in meinem Herzen, so würde der HERR nicht hören.“ Und im Propheten Jesaja heißt es: „Wenn ihr schon eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen von euch; und ob ihr schon viel betet, höre ich euch doch nicht: Denn eure Hände sind voll Bluts. Wascht, reinigt euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen, lasst ab vom Bösen, lernt Gutes tun; so kommt dann und lasst uns miteinander rechten.“ Dasselbe wird im Neuen Testament mit kurzen Worten ausgedrückt: „Wir wissen, dass Gott die Sünder nicht hört.“

    Hieraus fließt aber notwendig, dass auch derjenige, welcher noch nicht weiß, dass er einen gnädigen Gott im Himmel habe, unmöglich von Herzen glauben könne, dass Gott sein Gebet sich werde wohlgefallen lassen und es erhören. Wer nicht weiß, dass er bei Gott in Gnaden stehe, der wird immer denken: Was willst du bei Gott? Er ist ja noch dein Feind und du bist sein Feind!

    Eine ähnliche Bewandtnis hat es aber auch endlich dann, wenn ein Mensch noch auf seine Werke und Gerechtigkeit baut. Ein solcher Mensch kann wohl in guten Tagen meinen, dass sein Gebet Gott angenehm und erhört sei, aber in der Zeit großer Not, in der Zeit, wenn alle Wetter der Angst und Trübsal einen Menschen überfallen, in der Zeit, wenn der Mensch Gottes Stillschweigen, ja, Gottes Zorn in seinem Herzen fühlt, also in der Zeit, wenn der Mensch das Gebet im Glauben am meisten bedarf, da wird derjenige, welcher auch seine Werke bauen will, verzagen müssen; da wird er sehen, dass er damit vor Gott nicht bestehen könne; da wird er einsehen, dass sein Gebet nicht würdig sei, von Gott erhört zu werden.

    Hieraus geht nun hervor, dass von Natur kein Mensch im Glauben beten könne, denn von Natur leben erstens alle Menschen in wissentlichen und mutwilligen Sünden; zweitens, von Natur weiß niemand gewiss, ob er einen gnädigen Gott habe, und endlich drittens, von Natur baut jeder Mensch auf seine Werke, Gerechtigkeit und Ehrbarkeit. Soll daher ein Mensch im Glauben beten lernen, so muss mit ihm eine große Veränderung vorgehen; er muss erst ein ganz anderer Mensch werden, der von der Herrschaft der Sünde los ist, der seines Gnadenstandes bei Gott gewiss ist und der sich allein auf Gottes Gnade verlässt.

    Willst du nun, lieber Zuhörer ein solcher Mensch werden, so ist das mein kurzer Rat: Suche aus Gottes Wort deine Sünden recht lebendig zu erkennen; falle deswegen auf deine Knie und rufe Gott an, dass er sich über dich selbst erleuchten wolle. Wirst du das tun, so wirst du bald einsehen, was für ein großer Sünder du in Gottes Augen seist, wenn dich die Menschen vielleicht gleich bisher für fromm und rechtschaffen gehalten haben. Je mehr du aber nun deine Sündhaftigkeit erkennen wirst, desto größer wird deine Angst werden und deine Furcht vor Gott. Aber wohl dir, wenn es dahin mit dir kommt! Denn die Traurigkeit und Angst über die Sünde ist der rechte und einzige Weg, zur wahren Freude zu gelangen. Dann musst du nämlich mit deinem zerbrochenen und zerschlagenen Herzen dich zu Christus, deinem Heiland wenden; dann höre nämlich auf das Evangelium, welches sagt, wie Christus allen Sündern, also auch dir, Gnade erworben hat. Daran halte du dich im Glauben; des tröste dich und bitte Gott, dass er doch dein betrübtes Herz durch seinen Heiligen Geist wieder aufrichten und erquicken und des Trost des Evangeliums darin versiegeln wolle.

    Wirst du, lieber Zuhörer, diesen Weg gehen, so wirst du eine große Veränderung an dir erfahren; du wirst auf diesem Weg ein ganz neuer Mensch werden; du wirst dann aufhören, ein Sklave deiner Sünde zu sein; du wirst gewiss werden, dass du bei Gott Gnade gefunden hast; und die Gnade wird dein einiger Trost, deine einige Hoffnung sein. Dann, ja, dann wirst du auch mit der kanaanäischen Frau im Glauben beten können. Du wirst dann zu Gott von Herzen sagen können: Abba, mein lieber Vater! Und am Schluss deiner Gebete getrost ausrufen können: Amen, Amen, das ist, Ja, ja, es soll so geschehen.

    O selige Menschen, die so beten können! Darum auf! Die ihr das bisher noch nicht gekonnt habt, nehmt meinen Rat an und geht den gezeigten Weg. Ihr aber, die ihr schon mit Gott reden könnt, wie die lieben Kinder mit ihrem lieben Vater, erkennt, wie hoch begnadigt ihr seid; seid nicht träge, diese Gnade fleißig zu gebrauchen, und hütet euch vor allem, wodurch ihr dieses unvergleichliche Recht der Kinder Gottes wieder verlieren könntet.

    Prägt das Beispiel der Kanaanäerin tief eurer Seele ein, und in aller Anfechtung und Not nehmt, wie sie, eilends eure Zuflucht zu einem gläubigen Gebet, haltet aber auch, wie sie, aus, so werdet ihr auch allezeit frohlockend überwinden. Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Oculi (Meine Augen sehen stets auf den HERRN, Ps. 25,10) ueber Lukas 11,14-28: Von dem traurigen Rueckfall aus der Gnade

 

    Die Gnade unseres HERRN und Heilandes, Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Zu nichts werden die Christen im Neuen Testament öfter und dringender ermahnt als zur Beständigkeit, und vor nichts mehr gewarnt als vor Abfall. Darum heißt es unter anderem: „Wer beharrt bis an’s Ende, der wird selig.“ „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ „So besteht nun in der Freiheit, damit uns Christus befreit hat, und lasst euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen.“ „Seht euch vor, dass wir nicht verlieren, was wir erarbeitet haben, sondern vollen Lohn empfangen.“ „Bleibe in dem, das du gelernt hast.“ „Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme.“

     Wollte Gott, man könnte dieses alles auch den jetzigen Christen zurufen! Es steht aber leider jetzt mit den meisten Getauften so, dass man sie keineswegs ermahnen kann, im Glauben zu beharren bis an’s Ende; denn wie kann der darin beharren, der noch gar nicht wahrhaft zu glauben angefangen hat? Wie kann man den ermahnen, Christus treu zu sein bis in den Tod, der es noch gar nicht mit Christus hält und noch gar nicht unter der Fahne seines Kreuzes streitet? Wie kann man denjenigen ermuntern, das Erarbeitete nicht wieder zu verlieren, der das Eine, das not ist, noch gar nicht gesucht und gefunden hat? Wie kann man den auffordern, die Krone festzuhalten und nicht aus der Gnade zu fallen, welcher mit der Krone eines wahren Christen noch gar nicht geschmückt ist und noch gar nicht bei Gott in Gnaden steht? – Den meisten Christen kann jetzt nicht zugerufen werden: Fallt nicht ab! Sondern: Steht von eurem Fall wieder auf; kehrt zurück zur Wahrheit, die ihr verlassen habt; kehrt um zu Christus, von dem ihr euch geschieden habt; sucht die Gnade wieder, die ihr verloren habt!

    Vergleicht nun das Wesen und Leben der meisten heutigen Christen mit den Beschreibungen, welche das Wort Gottes von begnadigten Christen macht, so werdet ihr finden, dass es jetzt mit den meisten ganz anders steht und dass die größte Anzahl gewiss den Irrweg gehe, der nimmer zum Himmel führen kann.

    Ein wahrer Christ sucht nach Gottes Wort seinen einigen Trost in Christus; ein wahrer Christ wird nicht mehr von seinem eigenen Geist, sondern von dem Geist der Gnade, nämlich vom Heiligen Geist, regiert; ein wahrer Christ hält die göttliche Wahrheit höher und köstlicher als Gold und Perlen, teurer als die ganze Welt und streitet für sie bis an den Tod; ein wahrer Christ hat eine innige Liebe zu allen seinen Miterlösten, auch zu seinen Feinden, besonders aber zu seinen Glaubensbrüdern und Glaubensschwestern; er freut sich nicht nur mit den Fröhlichen, sondern weint auch mit den Weinenden und hilft ihnen gern mit allem, das er hat und vermag; ein wahrer Christ ist ferner arm im Geist, demütig gegen Gott und Menschen und hält sich daher gern herunter zu den Niedrigen; ein wahrer Christ fürchtet sich vor der Sünde, kämpft daher dagegen, entschuldigt sie nicht und reinigt sich davon täglich in dem Blut der Versöhnung; ein wahrer Christ hat keinen Gefallen mehr an der Welt Eitelkeit, sucht keine guten Tage mehr für sein Fleisch und wird Christus gern gleich auch in seinem Leiden und seiner Erniedrigung; ein wahrer Christ hat endlich ein herzliches Vertrauen zu der Fürsorge seines himmlischen Vaters und wirft daher gläubig auch alle seine irdischen Sorgen in dieses seines lieben Vaters Schoß.

    Nun sagt selbst: Wo sind solche Christen? – Ach, über die ganze Christenheit muss der HERR jetzt klagen, wie über die Gemeinde zu Ephesus: „Ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlässt. Gedenke, wovon du gefallen bist und tue Buße und tue die ersten Werke. Wenn aber nicht, werde ich zu dir kommen bald und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wenn du nicht Buße tust.“ Ja, meine Lieben, so viele es auch jetzt gibt, die durch die Taufe einstmals in Gottes Gnadenbund aufgenommen und wiedergeboren worden sind, so sind doch die meisten wieder abgefallen, haben Gottes Bund verlassen und die Gnade der Wiedergeburt verloren. Wie aber dieser traurige Abfall gemeiniglich geschehe, davon lasst mich jetzt zu unser aller Warnung, Ermahnung und Ermunterung weiter sprechen,

 

Lukas 11,14-28: Und er trieb einen Teufel aus, der war stumm. Und es geschah, da der Teufel ausfuhr, da redete der Stumme. Und das Volk verwunderte sich. Etliche aber unter ihnen sprachen: Er treibt die Teufel aus durch Beelzebub, den Obersten der Teufel. Die andern aber versuchten ihn und begehrten ein Zeichen von ihm vom Himmel. Er aber vernahm ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Ein jegliches Reich, so es mit ihm selbst uneins wird, das wird wüste, und ein Haus fällt über das andere. Ist denn der Satanas auch mit ihm selbst uneins, wie will sein Reich bestehen? Dieweil ihr sagt, ich treibe die Teufel aus durch Beelzebub. So aber ich die Teufel durch Beelzebub austreibe, durch wen treiben sie eure Kinder aus? Darum werden sie eure Richter sein. So ich aber durch Gottes Finger die Teufel austreibe, so kommt je das Reich Gottes zu euch. Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast bewahrt, so bleibt das Seine mit Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seinen Harnisch, darauf er sich verließ, und teilt den Raub aus. Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreuet. Wenn der unsaubere Geist von dem Menschen ausfährt, so durchwandelt er dürre Stätten, sucht Ruhe und findet sie nicht; so spricht er: Ich will wieder umkehren in mein Haus, daraus ich gegangen bin. Und wenn er kommt, so findet er’s mit Besemen gekehrt und geschmückt. Dann geht er hin und nimmt sieben Geister zu sich, die ärger sind als er selbst; und wenn sie hineinkommen, wohnen sie da; und wird hernach mit demselben Menschen ärger denn vorher. Und es begab sich, da er solches redete, erhob eine Frau im Volk die Stimme und sprach zu ihm: Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, die du gesogen hast. Er aber sprach: Ja, selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren.

 

    Als Christus, wie wir hören, einen Teufel ausgetrieben hatte, so machten ihm einige Pharisäer einen gotteslästerlichen Vorwurf: „Er treibt die Teufel aus durch Beelzebuch, den Obersten der Teufel.“ Hierauf zeigt daher Christus erstens, wie er das Reich des Teufels in den Menschen zerstöre und sich also nicht als seinen Freund, sondern als seinen mächtigsten Feind und Überwinder erweise. Zuletzt aber zeigt Christus, wie es auch oft geschehe, dass der Satan aus einem Menschen vertrieben werde, aber mit sieben ärgeren bösen Geistern in den Menschen zurückkehre, wenn dieser nämlich abfalle und ihm wieder in seinem Herzen Raum gebe.

    Ich spreche daher aufgrund des letzten Teiles der Rede Christi zu euch:

 

Von dem traurigen Rückfall aus der Gnade

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie derselbe geschehe, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Welche traurigen Folgen er habe.

 

    O HERR Jesus Christus! Du bist für alle Sünder gestorben und hast sie dir alle zu deinen Schafen mit deinem Blut teuer erkauft, und du weidest nicht nur die, die dich schon für ihren Hirten erkennen, sondern suchst auch diejenigen emsig und ängstlich, die sich von dir verloren haben und in der Irre dahingehen. O, gehe auch allen deinen verlorenen Schäflein unter uns jetzt nach und lass die Predigt des Evangeliums ihnen eine Stimme sein aus deinem Mund, die ihnen zuruft: Kehrt wieder! Und lass diese Stimme mächtig in ihr Herz dringen, dass dasselbe göttlich bewegt werde, noch diese Stunde dich, ihren guten Hirten, wieder aufzusuchen. Und dann, dann erhalte die zu dir Versammelten bei dir, bis du uns alle versammelt haben wirst in deinen himmlischen Schafstall. Amen.

 

1.

    Christus spricht in unserem Evangelium: Wenn der unsaubere Geist von dem Menschen ausfährt, so durchwandelt er dürre Stätten, sucht Ruhe und findet sie nicht; so spricht er: Ich will wieder umkehren in mein Haus, daraus ich gegangen bin.“ Mit diesen Worten will der HERR sagen: Wenn ein Mensch aus der geistlichen Gewalt des Satans gerissen und durch den Glauben in Christi Gnadenreich aufgenommen worden ist, so verzweifelt der Satan nicht etwa daran, einen solchen Menschen doch noch zu verführen und um seine Seligkeit doch noch zu betrügen; nein, er durchwandelt dürre Stätten, das heißt, er wirkt dann in den Herzen der Ungläubigen, die schon von ihm verblendet sind; aber diese Herzen sind dem Satan kein angenehmer Aufenthalt; sie sind ihm wie Wüsteneien; er sehnt sich daher wieder zurück in das frische Herz dessen, der Christus in sich aufgenommen hat. Es liegt dem bösen Geist, so zu sagen, mehr am Herzen, wenn er nur einen wahren Christen wieder herumbringen und von Christus abfällig machen kann, als dass er tausend sichere Sünder schon an seinen

Stricken führt. Er schleicht daher dem wahren Christen Tag und Nacht auf allen seinen Wegen und #Stegen nach und wart et auf einen günstigen Augenblick, wo er sich in seiner Seele wieder auf den Thron schwingen und ihn zum Abfall bringen kann.

    Wenn nun der HERR weiter spricht: „Und wenn er kommt, so findet er’s mit Besemen gekehrt und geschmückt“, so gibt uns Christus hiermit an, wie es möglich ist, dass derjenige, der in Gnaden steht, doch wieder in Gottes Ungnade, in Blindheit und Sünde fallen könne; es geschieht dies nämlich dann, wenn ein Gläubiger sein Herz vor dem Satan nicht wirklich verschließt, ja, es gleichsam mit Besemen kehrt und schmückt, das heißt, es zurüstet und zubereitet, dass der böse Geist wieder eine offene Tür und eine willige Aufnahme als ein erwünschter Gast darin findet. Wir sehen hieraus: Mit Gewalt kann derjenige nicht aus der Gnade gestoßen werden, der Christus im Herzen trägt, denn Christus ist stärker als alles; nichts kann uns aus seiner Hand reißen; er macht seine Gläubigen so mächtig, dass sie durch ihn alles vermögen; werden sie daher wieder überwunden, so sind sie selbst schuld.

    Fragt ihr daher, wie denn der traurige Rückfall aus der Gnade geschehe? Fragt ihr: Wie ist es doch möglich, dass ein Mensch, der auf den seligen Himmelsweg gekommen ist, wieder davon abgehen könne? Und dass der, der das Heil gefunden hat, es wieder fahren lassen und verlieren könne, so antworte ich dieses.

    Es gibt zwar nur Einen Weg, zum Glauben zu kommen, aber tausend Abwege und Arten, auf welchen man wieder von ihm abkommen kann. Manche verlieren Gottes Gnade durch einen allmählichen, langsamen Fall, wie dies bei den Verräter Judas geschehen zu sein scheint; andere hingegen fallen plötzlich, wie David durch Ehebruch und Petrus durch seine Verleugnung. Manche wissen es nicht, dass sie gefallen sind, wie der Bischof zu Laodicea, welchem Christus sagen musste: „Du sprichst: Ich bin reich und habe gar satt und bedarfst nichts und weißt nicht, dass du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß“; andere hingegen wissen es recht wohl, dass sie gefallen sind, wie Kain; diese geraten daher oft endlich in Verzweiflung. Manche fallen äußerlich ab, dass es jedermann sehen kann, sie verlieren den lebendigen Glauben nicht nur aus ihren Herzen, sondern gehen auch öffentlich zu Falschgläubigen oder noch, wie Demas, zur Welt über, sie werden aus rechtgläubigen Christen Schwärmer, aus Bekennern der reinen Lehre Werkzeuge des Antichrists oder sonst Lästerer, Spötter und Verfolger; andere hingegen fallen nur innerlich ab, sie bleiben in der äußerlichen Gemeinschaft der Christen, sie gehen noch immer zur Kirche und zum heiligen Abendmahl; sie reden noch immer, als wären sie die besten Christen, viel von göttlichen Dingen; sie behalten mit einem Wort, wie der Apostel sagt, den Schein eines gottseligen Wesens, aber seine Kraft verleugnen sie, wie der Bischof zu Sardes, welchem Christus sagen ließ: „Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.“ Manche fallen so, dass sie wieder ganz leichtfertig, ja, lasterhaft werden und sich wie das unreinste Tier nach der Schwemme wieder in dem Kot aller Sünden wälzen; andere hingegen fallen so ab, dass sie nur das willige, fröhliche Herz zum Gutestun, das rechte evangelische Wesens verlieren und in ein gesetzliches ängstliches Treiben geraten.

    Ihr seht hieraus, meine Lieben, dass der Rückfall aus der Gnade auf gar verschiedene Weise geschieht; es ist daher freilich eine gar ernste Prüfung nötig, ob man noch stehe; denn bist du nicht gerade so gefallen wie der oder jener, so bist du vielleicht doch gefallen, nur anders; wenn nicht plötzlich, vielleicht allmählich? Wenn nicht bewusst, vielleicht unvermerkt? Wenn nicht äußerlich, vielleicht doch innerlich? Wenn nicht auf eine grobe Weise, vielleicht auf eine subtile Weise? – Ach, wie manche legen die Hand an den Pflug und sehen wieder zurück! Wie manche beginnen im Geist und endigen im Fleisch! Wie manche gehen fröhlich aus dem Ägypten dieser Welt aus, gehen mit durch das Rote Meer der ersten Versuchungen und sehen sich doch endlich wieder nach den Fleischtöpfen Ägyptens, kommen endlich in der Wüste um und erreichen das himmlische Kanaan nicht!

    Wie fängt es denn nun aber Satan an, einen Menschen, der seine Ruhe schon in Christus und seinem Evangelium gefunden hat, aus seiner Festung herauszulocken und ihm seine Krone zu rauben? Um dieses zu erreichen, schlägt der Versucher hauptsächlich zwei Wege ein; entweder sucht er den Menschen in mutwillige und seelengefährliche Irrtümer oder in Sünden gegen sein Gewissen zu stürzen.

    Es ist freilich wahr, dass nicht jeder Irrtum, in welchen ein Gläubiger gerät, sogleich den Gnadenstand umstößt; aber jeder Irrtum ist doch ein Gift für die Seele, das ihr den Tod droht, und wer wissentlich und mutwillig in einem Irrtum verharrt, leidet ebenso wohl an seinem Glauben Schiffbruch wie derjenige, der mutwillig sündigt. Der Glaube hat ja keinen anderen Grund als das Wort Gottes: Wie kann daher der wahre Glaube in einem Menschen bleiben, der wissentlich von Gottes Wort abweicht? Wie kann da die Liebe zu Gott bleiben, wo sich die Liebe zu Gottes offenbarter Wahrheit oder zur reinen Lehre verliert? Ein Mensch, der da aufhört, es mit jedem Wort der Schrift genau zu nehmen, dessen ganzes Christentum ist endlich nicht mehr auf das Wort, sondern auf sein trügerisches Herz gebaut. Ein merkwürdiges Beispiel, wie die besten Christen durch falsche Lehre zum Rückfall aus der Gnade gebracht werden können, sind die Galater, welche nach des Paulus Weggang falschen Lehrern Gehör gaben und sich nur die Lehre von der Rechtfertigung verkehren und verfälschen ließen. Diesen musste der heilige Apostel endlich zurufen: „So auch wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, als das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht. – O ihr unverständigen Galater, wer hat euch bezaubert, dass ihr der Wahrheit nicht gehorcht? – Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid von der Gnade gefallen. – Ihr lieft fein; wer hat euch aufgehalten? – Ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig. – Wer euch irre macht, der wird sein Urteil tragen, er sei, wer er wolle.“ Hier sehen wir: Es ist mit der falschen Lehre nicht zu scherzen; auch ein wenig Abweichen von der Wahrheit kann um Seele und Seligkeit bringen. Darum macht der Satan die Christen oft neugierig, falsche Bücher zu lesen, falsche Predigten zu hören und mit falschen Brüdern vertraute Gemeinschaft zu halten; hat er nun dadurch einen Menschen gegen die Wahrheit gleichgültig gemacht, so macht er ihn auch endlich selbst in den wichtigsten Lehren ungewiss und verwandelt seinen göttlichen Glauben in einen menschlichen; denn ist der Glaube nicht mehr auf das Wort Gottes allein gegründet, so ist der Glaube nur ein Schein, mit dem man verloren geht. Darum werden wir auch so oft ermahnt, bei Christi Rede zu bleiben, ob dem Wort, das gewiss ist, zu halten, uns vor falschen Propheten vorzusehen und nicht einem jeglichen Geist zu glauben, sondern die Geister zu prüfen, ob sie aus Gott sind. Wozu wären alle diese Ermahnungen gegeben, wäre falsche Lehre nicht so verderblich und seelengefährlich? Ein anderer Weg jedoch, auf welchem der Satan die Christen aus der Gnade zu stoßen trachtet, ist dieser, dass er sie entweder plötzlich in grobe Sünden stürzt oder sie nach und nach wieder unter die Herrschaft der Sünde zu bringen sucht; und zwar hauptsächlich zu drei Sünden, entweder nämlich zu Stolz oder zu Wollust oder zu Geiz. Viele hören auf, über ihr Herz zu wachen, da steigt denn die Hoffart wieder empor, sie verlieren die Armut des Geistes und den demütigen Sinn, nach welchem sie sich erst für nichts achteten und über keinen Menschen erhoben; sie betrachteten, was sie tun, mit Selbstgefälligkeit; sie werden aufgeblasen wegen ihrer Erkenntnis; sie verlassen die Einfalt, grübeln über zu hohe Dinge nach und vergessen dabei die Hauptsache; sie verlieren die Erkenntnis ihrer selbst, sie werden blind und rechthaberisch, wollen sich nicht mehr strafen lassen, entschuldigen endlich alle ihre Sünden und fallen so, ohne dass sie es oft wissen, greulich aus der Gnade; sie reden noch immer davon, dass sie an Christus glauben, aber ihr ungebrochenes Herz weiß nichts davon.

    Andere wachen nicht über ihr Fleisch sie fangen wieder an, es zu pflegen und gute Tage in dieser Welt zu suchen; sie werden träge im Beten, Lesen und Hören des Wortes Gottes; sie kommen auf die Gedanken: Da der Mensch ja einmal mit seinen Werken nichts verdienen könne, wozu sei es da nötig, sich so ernstlich selbst zu verleugnen? Sie fangen daher wieder an, die Vergnügen der Welt mitzumachen und sich der Welt gleichzustellen und nennen das christliche Freiheit; um dem Spott der Welt auszuweichen, verleugnen sie Christus und seine Wahrheit häufig und nennen das christliche Klugheit, und ehe sie es denken, sind sie auf diese Weise pure Weltmenschen geworden, die nichts behalten als einige christliche Floskeln.

    Andere endlich fallen aus der Gnade durch Liebe zum Zeitlichen und durch falsches Vertrauen darauf. Erst als wahre Christen achten sie alles Zeitliche nichts, aber sie werden vielleicht gesegnet mit zeitlichen Gütern; anstatt diese nur dazu anzuwenden, den armen Brüdern auf alle mögliche Weise zu helfen und für Kirche, Schule und Gottesdienst damit ein Opfer zu bringen, hängen sie ihr Herz daran; sie werden immer begieriger, mehr zu erlangen, sie machen immer größere Pläne, stecken ihr Kapital in immer neue Unternehmungen, dass sie ja eine Entschuldigung haben, wenn sie einem Armen, der in Not ist, damit helfen sollten; sie werden, je mehr sie zusammenscharren, anstatt freigiebiger, nur karger und geiziger, und so verlieren sie Christus und sie sprechen im tiefsten Grund ihres Herzens endlich zu dem Goldklumpen: „Mein Trost!“ Andere hingegen, die Gott mit Zeitlichem nicht segnet, sondern mit Kummer und Mangel speist, werfen oft alles Vertrauen auf Gott weg, verfallen in Traurigkeit dieser Welt und fallen so endlich in Tod und Verdammnis.

     Seht, so tilgt man selbst seinen Namen wieder aus dem Buch des Lebens, so wird man aus einem Kind der Gnade ein Kind des Zorns und tritt unvermerkt aus dem unsichtbaren Reich Jesu Christi, des Gnadenkönigs, und wird ein Sklave des Satans, des Fürsten der Finsternis.

 

2.

    Lasst mich nun noch einige Worte darüber hinzusetzen, welche traurigen Folgen ein solcher Rückfall aus der Gnade habe. Dieses beschreibt Christus in unserem Text so: „Dann geht er hin und nimmt sieben Geister zu sich, die ärger sind als er selbst; und wenn sie hineinkommen, wohnen sie da; und wird hernach mit demselben Menschen ärger denn vorher.“ Christus sagt also: Wer aus der Gnade fällt, verliert nicht nur die empfangene Gnade, sondern gerät auch in ein siebenmal größeres Verderben als das war, in welchem er vor seiner Bekehrung lag.

    Das ist ja fürwahr schrecklich. Aber die tägliche Erfahrung bestätigt es. Hat ein Mensch vormals die Wahrheit erkannt, und wird er abtrünnig, lässt er sich zu Irrtümern verführen, fällt er von der wahren rechtgläubigen Kirche ab und geht er zu einer irrgläubigen, schwärmerischen Sekte oder gar zu dem antichristlichen Papsttum über, so ist dann ein solcher Mensch ein bitterer Feind der Wahrheit als alle diejenigen, welche im Irrtum aufgewachsen sind. Sieben Teufel ziehen in die Seele eines solchen Abgefallenen ein, wenn zuvor, ehe er die Wahrheit erkannte, nur Ein böse Geist seine Seele beherrschte. Es ist dann mehr Hoffnung, dass der größte Spötter, der von Jugend auf im Unglauben erzogen wurde, endlich noch zur Erkenntnis der Wahrheit komme, als dass ein solcher Verleugner der vormals erkannten Wahrheit wieder erleuchtet werde und umkehren sollte. Siebenfache Finsternis deckt nun seine elende Seele, und schon jauchzt der böse Feind, dass er nun nimmer wieder Gnade finden werde. Die Geschichte berichtet uns auch schreckliche Beispiele genug, wie wissentliche Verleugner der Wahrheit endlich zwar aufgewacht, aber trostlos verzweifelt sind. O, wie nötig ist es also, dass man sein Herz bewahre, dass man von der Pest des Irrglaubens und Unglaubens nicht angesteckt werde, sondern in heller Erkenntnis der seligmachenden Wahrheit bleibe!

    Gleiche Folgen hat es aber auch bei denen, welche durch Sünden wider das Gewissen aus der Gnade fallen. Es ist leichter, dass der gottloseste Weltmensch endlich aus seinem Sündenschlaf erweckt und bekehrt werde, als dass ein Christ, der den Geist der Gnade wieder von sich getrieben hat und ein abgefallener geheimer Heuchler oder offenbarer Verächter Christi und seines Evangeliums geworden ist, wieder zur Gemeinschaft Christi zurückkomme. Entweder ist ein solcher in so großer Verblendung, dass er sich immer noch für bekehrt hält, oder er verzagt gänzlich, dass für ihn noch Hilfe sei, oder endlich er tritt freventlich das Blut der Versöhnung mit Füßen und schmäht den Geist der Gnade, so dass er nun nicht mehr erneuert werden kann. Daher werden solche Menschen in der Heiligen Schrift kahle, zweimal erstorbene Bäume genannt, die schwerlich wieder grünend werden und Früchte bringen und nun reif sind zum ewigen Feuer; und St. Petrus gibt die wichtige Warnung: „So sie entflohen sind dem Unflat der Welt durch die Erkenntnis des HERRN und Heilandes Jesus Christus, werden aber wiederum in denselben geflochten und überwunden, ist mit ihnen das Letzte ärger geworden als das Erste. Denn es wäre ihnen besser, dass sie den Weg der Gerechtigkeit nicht erkannt hätten, als dass sie ihn erkennen und sich kehren von dem heiligen Gebot, das ihnen gegeben ist.“

    O, wer kann daher den Jammer, das Unglück und das Elend mit Worten beschreiben, worein sich derjenige stürzt, der, es sei durch Irrtum oder durch Sünde, das Kleinod, das er schon einmal erfasst hatte, wieder von sich wirft! Beweinenswürdige Menschen! Denn gerade umso kläglicher ist ihr Fall, je weniger sie ihn erkennen und darüber bekümmert sind.

    Nun, meine Lieben, ich habe euch heute einen hellen Spiegel vorgehalten, in welchem diejenigen gewiss ihr Bild finden werden, die entweder abgefallen oder noch nie aufgestanden sind, wenn sie nicht mutwillig die Augen selbst dagegen verschließen.

    O ihr, die ihr von eurem geheimen oder offenbaren Rückfall überzeugt worden seid, ich frage euch: Wollt ihr denn nicht wieder aufstehen? Wollt ihr denn nicht wieder umkehren? Jesus Christus ruft euch jetzt wieder durch die Predigt seines Evangeliums zu sich zurück; säumt doch keinen Augenblick; die Gefahr eurer Seele wächst wie das Wasser einer Überschwemmung mit Macht von Stunde zu Stunde. Entfernt euch nicht immer weiter und weiter, bis ihr vielleicht endlich Christi Gnadenruf gar nicht mehr hört. Meint aber auch nicht, es sei nun zu spät; nein, das flüstert euch nur der Satan ein, nachdem er euch in Irrtum oder Sünde gestürzt hat; lasst euch mit dem Strick der Verzweiflung nur nicht binden; zerreißt ihn durch die Gnade, die euch noch jetzt verkündigt wird. Christus hat Gaben empfangen auch für die Abtrünnigen, also auch für dich. Seufze mit David und weine mit Petrus, so wirst du auch mit ihnen wieder Gnade finden. Ist’s auch schwer, dass ein Gefallener wieder aufstehe, so ist’s doch auch leicht, wenn er nur die Gnade auf’s Neue annimmt und schnell wieder umkehrt, wie der verlorene Sohn, sobald er sein Elend erkennt.

 

Sprich nicht: Ich hab’s zu grob gemacht,

Ich hab die Güter seiner Gnaden

So lang und schändlich umgebracht,

Er hat mich oft umsonst geladen.

Wofern du’s nur jetzt redlich meinst,

Und deinen Fall mit Ernst beweinst:

So soll ihm nichts die Hände binden

Und du sollst noch Genade finden.

Er hilft, wenn sonst nichts helfen kann:

Mein Heiland nimmt die Sünder –

Wohl uns! – er nimmt uns alle, alle an.

 

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Laetare (Freuet euch mit Jerusalem; Jesaja 66,10) ueber Johannes 6,1-15: Wie gluecklich diejenigen auch in betreff des Zeitlichen sind, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten

 

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Jeder Mensch trägt in seinem Herzen schon von Natur ein festes Verlangen, glücklich zu sein. So verschieden aber die Dinge sind, in denen die Menschen von Natur ihr Glück, ihren Frieden, ihre Ruhe suchen, so sind es doch bei allen natürlichen Menschen Dinge dieser Welt oder das Zeitliche. Der Eine sucht sein Glück in einem bequemen, ruhigen, mühelosen und sorgenfreien Leben, ein anderer in täglichem guten Essen und Trinken, ein Dritter in einem großen, weitverzweigten Geschäft, ein Vierter in Sammlung von Schätzen und Vergrößerung seines Vermögens, ein Fünfter in Erlangung von Ehrenstellungen und überhaupt in hohem Ansehen unter den Menschen, ein anderer in den gewöhnlichen Weltvergnügungen, in Tanz und Spiel, in Theatern und Konzerten, in öffentlichen Trink- und Lärmgelagen, ein anderer in modischen, prächtigen und auffallenden Kleidern oder in der Pracht seiner Wohngebäude und Zimmer und in dem Glanz seines Haushaltens, andere wohl gar in der ungestörten Ausübung gewisser Schoßsünden.

    So lange nun ein Mensch noch in solchen Dingen sein Glück in der Welt sucht, so ist das ein Zeichen, dass er nach kein wahrer Christ, sondern höchstens ein bloßer Namenschrist ist. Denn wenn ein Mensch einmal von Gottes Wort erleuchtet und getroffen wird, und wenn er nun anfängt, sich ernstlich um das Eine, das not ist, zu kümmern und zu fragen: Was muss ich tun, dass ich selig werde? Dann sieht der Mensch ein, dass nichts Zeitliches Ruhe und Frieden der Seele ihm geben, und dass nichts Irdisches, kein noch so großer irdischer Reichtum, keine für das Fleisch noch so reizenden weltlichen Vergnügungen und keine noch so große Ehre bei den Menschen ihn glücklich machen könne. Entschließt sich daher ein solcher von Gottes Wort getroffener Mensch, von nun an für das Heil seiner Seele wirklich zu sorgen und ein wahrer Christ zu werden, dann gibt er der Welt und aller ihrer Herrlichkeit, ihren Schätzen, Lüsten und Ehren, einen vollständigen Abschied, sondert sich von der Welt ab, lebt eingezogen und sucht sein Glück und seine Freude in Gott, in seinem Wort und in seiner Gnade. Er spricht von Herzen, wie es in dem Lied heißt:


Weg mit allen Schätzen,

Du bist mein Ergötzen,

Jesus, meine Lust!

Weg, ihr eitlen Ehren,

Ich mag euch nicht hören,

Bleibt mir unbewusst!

Elend, Not,

Kreuz, Schmach und Tod

Soll mich, ob ich viel muss leiden,

Nicht von Jesus scheiden.

Gute Nacht, ihr Wesen,

Das die Welt erlesen,

Mir gefällst du nicht.

Gute Nacht ihr Sünden,

Bleibet weit dahinten,

Kommt nicht mehr ans Lícht!

Gute Nacht,

Du Stolz und Pracht,

Dir sei ganz, du Lasterleben,

Gute Nacht gegeben.


     O selig ist der Mensch, der, von dem Blitzstrahl des Wortes Gottes getroffen und dadurch zum geistlichen Leben erwacht, diesen großen Entschluss fasst! Der hat den breiten Weg zum Verderben, den Millionen Menschen in ihrer Sicherheit wandeln, verlassen und den schmalen Himmelsweg betreten.

    Fängt aber nun ein Mensch ein solches von aller Eitelkeit der Welt zurückgezogenes gottseliges Leben an, so halten ihn die Weltmenschen nicht nur für einen Sonderling und für einen Toren, sondern sie sehen ihn auch für einen recht unglücklichen und bedauernswürdigen Menschen an. Sie denken: Was hat doch ein solcher Christ in dieser Welt? Was dass Leben heiter und angenehm macht, das versagt er sich. Die Plätze des Vergnügens, die auch ihm offen stünden, flieht er und liest unterdessen in der Bibel, betet und singt und quält sich mit den Gedanken an seine Sünden, an Gott, Tod, Gericht und Ewigkeit ab. Der Weg der Ehre wäre ihm auch nicht verschlossen, aber er weicht aus und macht sich durch seine überspannte Religiosität zu einem Gegenstand der Verachtung und des Spottes. Die Mittel, reich zu werden, stünden auch ihm zu Gebot, aber er gebraucht sie nicht, macht sich über alle Kleinigkeiten, die einmal in den Geschäften, bei welchen man etwas Erkleckliches verdienen will, nicht zu vermeiden sind, unnötige Gewissensskrupel. Ein solcher Christ tritt sein Glück mit Füßen, schafft sich die schöne Welt selbst zu einem Jammertal um, macht sich selbst unglücklich.

    So denken Welt5menschen von gottseligen Christen. Aber sollte dieses Urteil wirklich begründet sein? Sollte ein Christ durch sein Christentum, durch seine Absonderung von der Welt, durch seine Gewissenhaftigkeit und Gottseligkeit wirklich wenigsten zeitlich sich unglücklich machen? – Ich sage hierzu: Nein! Und alle wahren Christen werden mit mir hierzu Nein sagen. So viel auch Christen sich versagen, worin ein Weltmensch sein Glück, ja, seinen Himmel auf Erden sucht, so gewinnen sie doch dabei nicht nur das Himmlische, sondern gerade sie sind auch im Zeitlichen die Glücklichsten. Dies lehrt uns unser heutiges Evangelium.

 

Johannes 6,1-15: Danach fuhr Jesus weg über das Meer an der Stadt Tiberias in Galiläa. Und es zog ihm viel Volks nach, darum dass sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber ging hinauf auf einen Berg und setzte sich daselbst mit seinen Jüngern. Es war aber nahe Ostern, der Juden Fest. Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, dass diese essen? (Das sagte er aber, ihn zu versuchen; denn er wusste wohl, was er tun wollte.) Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Pfennig Brot ist nicht genug unter sie, dass ein jeglicher unter ihnen ein wenig nehme. Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das unter so viele? Jesus aber sprach: Schafft, dass sich das Volk lagere! Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich bei fünftausend Mann. Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie den Jüngern, die Jünger aber denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, wieviel er wollte. Da sie aber satt waren, sprach er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, dass nichts umkomme! Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die überblieben denen, die gespeist worden. Da nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll! Da Jesus nun merkte, dass sie kommen würden und ihn haschen, dass sie ihn zum König machten, entwich er abermals auf den Berg, er selbst allein.

 

    Aufgrund dieses Evangeliums lasst mich euch jetzt zeigen:

 

Wie glücklich diejenigen in Betreff des Zeitlichen sind, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten

 

    Sie sind nämlich auch in dieser Beziehung so glücklich, weil sie

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Frei sind von den ängstlichen Sorgen für das Zeitliche, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil sie frei sind von der peinigenden Begierde nach dem Zeitlichen.

 

1.

    Die Geschichte, welche uns in unserem heutigen Evangelium erzählt wird, ist, meine Lieben, nicht nur wunderbar wegen des herrlichen Wunders, das Christus laut derselben einst getan, indem er mit fünf Broten und zwei Fischen bei 5000 Mann, ungerechnet Frauen und Kinder, gesättigt und zwölf Körbe voll Brocken übrig behalten hat; diese Geschichte ist auch deswegen höchst wunderbar, dass so viele Tausende einst Christus nachgezogen sind in eine öde, unfruchtbare, menschenleere Wüste, ohne sich mit Nahrung zu versehen, und dass sie einen ganzen Tag lang bis zu dem Hereinbrechen der Nacht daselbst bei Christus geblieben sind und sein Wort gehört haben, unbesorgt, wie sie den eintretenden Hunger stillen würden. Woher mag wohl diese glückliche Sorglosigkeit um das Zeitliche bei dem Volk gekommen sein? Nicht daher, weil sie schon erfahren hatte, wie Christus auch in der Wüste einen Tisch decken könne, denn die in unserem Evangelium erzählte wunderbare Speisung war die erste, welche Christus einst verrichtet hat. Von dieser wunderbaren Erscheinung können wir den Grund in nichts anderem suchen als darin, dass Christus durch seine Nähe, durch sein Wort jenen Leuten alle Sorgen um das Zeitliche von dem Herzen nahm.

    Und so ist es. Den noch jetzt ist’s so: So lange ein Mensch nichts von Christus weiß, oder doch nicht zu einem lebendigen Herzensglauben an Christus gekommen ist und so lange er es noch mit der Welt hält, so lange kann der Mensch das ängstliche Sorgen um das Zeitliche nicht lassen.

    Betrachtet nur die Welt, so werdet ihr finden: Unter den Kindern dieser Welt ist ein unaufhörliches Sorgen und Grämen für den anderen Morgen, für die Zukunft. Nicht etwa nur der Arme, der wirklich keine Aussicht hat, woher er morgen Brot nehmen solle für sich und seine Familie, sorgt und grämt sich ab, sondern auch der, dem es gegenwärtig an nichts gebricht. Mit bangem Herzen denkt er: Jetzt wärst du wohl versorgt; dien Geschäft ernährt dich gut; aber wenn du nun vielleicht längere Zeit krank werden solltest, wie dann? Wen du alt und schwach sein und wenn du dich dann deiner Hände Arbeit nicht mehr wirst ernähren können, wie dann? Treten nun vollends solche Notzeiten ein, o welche Sorgen, welche Kümmernisse erfüllen und beschweren dann das arme herz! Welche tiefen Seufzer entsteigen dann der beklemmten Brust! Welche schweren, langen, schlaflosen Nächte durchwacht dann der, wie er meint, von Gott und Menschen verlassene Hausvater! Ja, noch mehr! Selbst die Wohlhabendsten und Reichsten sind fort und fort von den ängstlichsten Sorgen um das Zeitliche erfüllt. Haben sie große Kapitale ausstehen, so sorgen sie, sie durch böse Schuldner oder Unglücksfälle verlieren zu können; haben sie prächtige Wohnhäuser, so sorgen sie, durch Feuersbrünste oder anderes Missgeschick darum kommen zu können; haben sie ein großes, weitverzweigtes Geschäft, so sorgen sie, durch ihre Handelswagstücke oder durch diese und jene Verbindung einmal plötzlich gestürzt werden zu können. O, sollten alle Weltkinder, und wenn sie am glücklichsten zu sein schienen, ihre Herzen uns öffnen so würden wir sehen, dass sie alle mit Sorgen aufstehen, und dass die Sorge sie selbst an ihre Vergnügungsplätze hin begleitet und ihnen nirgends Ruhe lässt, wo sie gehen und stehen.

    Die Sorge ist der schwere Stein, den die Weltkinder fort und fort noch selbst auf die Last ihrer Not legen, dass sie ihnen unerträglich wird; und die Sorge ist die bittere Pille, die sie selbst sich in den Kelch aller ihrer Freude werfen und die sie ihnen vergällt und verbittert. Was ist daher alles Glück, das die Kinder dieser Welt genießen? Es sind kurze, süße Träume und Berauschungen, aus denen sie immer nur zu bald mit Schmerzt und Seufzen erwachen.

    Kommt nun ein Mensch zu einem lebendigen Glauben an Jesus Christus, hält er es daher nicht mehr mit der Welt, sondern mit Christus, o, welch eine selige Veränderung geht da mit ihm vor! Ein solcher Mensch hat nun die feste Zuversicht, dass ihm alle seine Sünden vergeben seien, dass ihm Gott gnädig sei und dass er Gott gefalle um Christi willen, dass er Gottes Kind und dass Gott sein Vater sei. Dieser Glaube nimmt ihm auf einmal alle seine vorigen ängstlichen Sorgen für das Zeitliche aus seinem Herzen. Ist er arm, so denkt er: „Was will ich sorgen? Ich diene ja einem reichen HERRN, der wird mich schon versorgen; er ernährt ja die Vögel des Himmels und kleidet die Lilien auf dem Feld, wieviel mehr wird er das mir tun? Hat er bei seiner Armut vielleicht auch eine große Kinderschar, so denkt er: Was will ich sorgen? Nicht ich, sondern Gott ist ihr rechter Vater; ich soll sie nur in seiner Furcht und in der Ermahnung zu ihm erziehen; er wird daher auch als der rechte Vater meiner Kinder für sie sorgen. Ist mein Herz schon voll Mitleid und Erbarmen gegen die mir anvertrauten Kinder, dass ich sie nicht verlassen kann, wieviel weniger wird ihr himmlischer Vater sie verlassen! Kommt nun zur Armut eines Christgläubigen auch noch Krankheit und andere Trübsal, so denkt er auch: Was soll ich sorgen? Gott hat alle meine Haare gezählt, ohne seinen Willen kann mir nichts geschehen, von ihm kommt nicht nur Glück, sondern auch Unglück; nun hat er aber verheißen, er will seine Kinder nicht über Vermögen versucht werden lassen, sondern machen, dass die Versuchung ein solches Ende gewinne, dass sie es können ertragen; wohlan, wenn seine Stunde kommen wird, dann wird er auch zu meiner Not sprechen: Bis hierher und nicht weiter. „Warum betrübst du dich so, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, so werde ich ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“ Geht es hingegen einem Christgläubigen wohl im Irdischen, segnet ihn Gott mit zeitlichen Gütern, so lässt er ebenso wenig ängstliche Sorgen darum in sein Herz. Er sieht alles, was er hat, nicht für sein Eigentum, sondern nur für ein geliehenes Gut an, damit er haushalten soll. Er denkt daher: Was soll ich sorgen? Nimmt mir Gott wieder, was er mir anvertraut hat, so nimmt er mir nur eine Last ab, die ich jetzt tragen muss.

Gut und Blut, Seel und Leben

Ist nicht mein,

Gott allein,

Ist es, der’s gegeben;

Will er’s wieder zu sich kehren,

Nehm er’s hin,

Ich will ihn

Dennoch fröhlich ehren.

    Wie glücklich ist daher der Christgläubige bei diesem Sinn auch in Betreff des Zeitlichen. Er ist einem Wanderer gleich, der, eine leichte Last tragend, fröhlich in die Zukunft blickt und, seines Ziels gewiss, munter dahin eilt über Berg und Tal; Gottes Wort ist sein Stecken und Stab, auf den er sich stützt; Gottes Gnade seine Sonne des Tages und sein Stern des Nachts, der ihm leuchtet; Gottes Geist sein Führer, der den Weg ihm zeigt; Gottes Allmacht seine Bedeckung, die ihn schüt5zt; Gottes Verheißungen seine Speise und sein Trank, damit er sich täglich stärkt, labt und erquickt.

    Darum, liebe Zuhörer, wollt ihr im Betreff des Zeitlichen glücklich sein, so verlasst mit eurem Herzen das Zeitliche und hängt euer Herz an Christus und seine ewigen Güter; so werdet ihr Christus so sorgenfrei überallhin folgen, wohin er euch führt, wie einst das Volk Christus in die Wüste; und wie einst Christus den Glauben des Volkes nicht beschämte, sondern für dasselbe sorgte, so wird er auch für euch sorgen. Die Welt wird euch nicht bei Christus ein Jammertal werden, sondern Christus wird vielmehr das Jammertal dieser Welt euch in eine grüne Aue verwandeln, darauf er euch weidet, so dass ihr täglich bekennen müsst: „Der HERR ist mein Hirte, ich habe keinen Mangel.“ Nie, nie wird es euch an dem fehlen, was ihr bedürft.

 

2.

    Doch, meine Lieben, es ist freilich wahr: Christus hat den Seinen nicht mehr verheißen als Nahrung und Kleidung. Sollten also wohl wirklich alle diejenigen auch im Betreff des Zeitlichen so glücklich sein, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten? Ich antworte auch hierauf getrost mit Ja, und zwar darum, weil sie auch frei sind von der peinigenden Begierde nach dem Zeitlichen. Davon lasst mich nun zweitens zu euch weiter sprechen.

    So lange, meine Lieben, das Herz eines Menschen noch nicht durch einen lebendigen Glauben an Christus umgewandelt ist, so langer stört sein irdisches Glück nicht nur die Sorge um das, was er hat, sondern auch die Begierde nach dem, was er noch nicht hat. Weil nämlich das Herz des Menschen schon von Natur ein brennendes Verlangen hat, vollkommen glücklich zu sein, der Mensch aber das Glück nicht im Irdischen und Zeitlichen finden kann, so denkt der natürliche Mensch immer, dass er nicht glücklich sei, das liege daran, dass ihm noch dieses und jenes von zeitlichen Gütern fehle. Er ist daher nie mit dem, was er schon hat, zufrieden. Ist er wohlhabend, so möchte er reich werden; ist er reich, so möchte er noch reicher werden. Hat er ein einträgliches Geschäft und wohnt er zur Miete, so möchte er auch ein Häuslein haben; hat er ein Häuslein, so möchte er einen Palast haben; hat er einen Palast, so möchte er deren mehrere haben. Ist er ein Pächter, so möchte er ein Stücklein Land haben; hat er endlich ein Stücklein Land, so möchte er einen ganzen Landstrich haben. Steht er in einer Ehrenstelle, so möchte er gerne noch höher steigen. Ist er ein Fürst, so möchte er ein König sein. Kurz, der Mensch ist von Natur unersättlich. Je mehr er hat, desto größer werden seine Wünsche; wie der, welcher Seewasser trinkt, dadurch nur immer durstiger wird.

    Was ist aber die Folge dieser Begierde? Sie lässt die armen Weltkinder nie zur Ruhe und zum Frieden kommen, sondern lässt sie fried- und ruhelos laufen und jagen und das Glück suchen, das doch immer weiter von ihnen flieht. Sie macht, dass der äußerlich Reichste in seinem herzen elender als ein Bettler ist; sie macht, dass der äußerlich Hochgestellteste in seinem Herzen elender als der Geringste und Niedrigste ist; sie macht, dass der, welcher von einem Vergnügen zum anderen eilt, nirgends mehr Vergnügen findet; sie macht, dass selbst dem König seine Krone zur Last wird; kurz, sie macht, dass der äußerlich Beglückteste innerlich der Elendeste ist. Daher spricht denn Salomo im 13. Kapitel seiner Sprüche: „Mancher ist arm bei großem Gut, und mancher ist reich bei seiner Armut.“

    Wer sind aber die, die selbst bei ihrer Armut reich sind? – Das sind die, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten.

    Ein Beispiel hierzu ist das Volk in unserem Evangelium. Christus speiste dasselbe nur mit Gerstenbrot und ein wenig Fischlein. Wie fröhlich sehen wir sie aber unter freiem Himmel auf dem grünen Rasen sich lagern! Wie fröhlich sehen wir sie ihre einfache Mahlzeit halten! Nachdem sie gesättigt sind, da rufen sie jubelnd aus: „Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll.“ Ja, sie sind so hocherfreut, dass sie Christus nahen, um ihn in der Einfalt ihres Herzens zu ihrem König zu machen.

    Seht hieraus, meine Lieben, wie glücklich diejenigen auch im Zeitlichen sind, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten. Solche sind nicht nur von der ängstlichen Sorge um das Zeitliche, sondern auch von der peinigenden Begierde nach dem Zeitlichen befreit. Weil sie das Eine gefunden haben, das not ist, Gottes Gnade und die Gewissheit ihrer Seligkeit, so sind sie von ihrer natürlichen Unersättlichkeit nach dem Irdischen geheilt. Christus gibt ihnen nicht nur genug, sondern sie lassen sich auch damit genügen. In ihrem Herzen wohnt die Zufriedenheit. O, wie glücklich sind daher die gläubigen Christen! Wie viel reicher achten sie sich in ihrer Armut, wenn sie haben, was sie bedürfen, wenn ihnen Gott wieder ein Kindlein schenkt, als wenn das reichste Weltkind sich in Samt und Seide kleiden kann! Wie viel wohler ist ihnen in ihrer niedrigen Hütte und in ihrem ärmlichen Stüblein, wen sie das Wort ihres Gottes bei Lampenlicht lesen, als dem reichsten Weltkind in seinen geschmückten und prachtvoll erleuchteten Zimmern! Wie viel glücklicher fühlen sie sich in ihrer Niedrigkeit und Verborgenheit, als der ehrsüchtige Vornehme im Kreis seiner Neider! Wie viel fröhlicher sind ihre Herzen bei den äußerlich kleinen Familienfreuden, die ihnen Gott schenkt, als die reichen Weltkinder bei allen ihren glänzenden Gastmählern und Festlichkeiten! Ja, wie selige Stunden himmlischen Vorschmacks haben sie oft auf ihren Siechbetten und in ihren finsteren Unglückstagen, während die Weltkinder in ihren beglücktesten Tagen die stimme in ihrem Inneren hören müssen: Du bist doch nicht glücklich!

    O, meine Lieben, so sucht denn euer Glück nicht in der Welt; ihr findet es in der Welt so wenig, so wenig ihr euer Haus mitten in das bewegte Meer bauen könnt. Die Weltkinder genießen von dem, was sie haben, so wenig wahres Glück, so wenig das Lasttier an den schweren Kostbarkeiten sich ergötzt, die es tragen muss. Findet ihr das Glück nicht in euren Herzen durch den Glauben an Jesus Christus, so findet ihr es nirgends. Je ernstlicher ihr aber der Welt und ihrer Eitelkeit Abschied geben, und je treuer ihr Christus im Glauben und in der Liebe nachfolgen werdet, desto glücklicher werdet ihr auch allezeit in Betreff des Zeitlichen sein. ja, in guten und bösen Tagen, in Ehre und Schande, in Reichtum und Armut, im Leben und im Tod werdet ihr bekennen müssen:

Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen,

Wenn ich in deiner Liebe ruh!

Ich steige aus der Schwermutshöhen

Und eile deinen Armen zu.

Da muss die Nacht des Trauerns scheiden,

Wenn nach so angenehmen Freuden

Die Liebe strahlt aus deiner Brust.

Du bist mein Himmel schon auf Erden;

Wer sollte nicht vergnüget werden,

Der in dir suchet Ruh und Lust?

Weg, Welt! mit allen Schmeicheleien;

Nichts kann, als Jesus, mich erfreuen.

    Amen! Amen!

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Judica (HERR, schaffe mir Recht; Ps. 43,1) ueber Johannes 8,46-59: Dass Christi vollkommener Wandel eine oeffentliche Beschaemung des Unglaubens ist

 

    Gott gebe euch viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben, unserem Heiland, geliebte Zuhörer!

    Dass viele die göttliche Wahrheit nicht annehmen, davon liegt die Ursache sehr häufig auch darin, dass sie sich an der Niedrigkeit, Verächtlichkeit oder auch sündlichen Gebrechlichkeit derjenigen ärgern, welche sie predigen oder sich dazu bekennen. Als daher einst der teure Herold des Evangeliums, Paulus, mit ungeschminkten Worten die göttliche Wahrheit auf öffentlichem Markt zu Athen predigte, da nahmen sich die gegenwärtigen Philosophen gar nicht die Mühe, des Apostels Lehre zu prüfen; sie riefen vielmehr sogleich mit verächtlicher Miene aus: „Was will dieser Lotterbube sagen?“ Daher kam es auch, dass vor 500 Jahren viele, besonders Hohe und Gelehrte, die Reformation nicht annahmen; sie achteten es für zu schimpflich, sich von einem elenden Mönch reformieren zu lassen. Dieser Sinn ist uns Menschen angeboren, er wird daher auch noch jetzt an vielen offenbar. Nicht wenige, wenn sie lesen, wie viele und große Sünden von jeher selbst mitten in der Christenheit im Schwange gingen, machen daraus den Schluss, die Wahrheit sei auch in dem Christentum nicht zu finden. Und wie viele stoßen sich noch jetzt daran, wenn sie in solchen Gemeinden, in denen die reine evangelische Lehre gepredigt wird, so viele sündhafte, unredliche Glieder sehen, die, was sie mit Worten bekennen, durch ihre Werke verleugnen! Wie viele wollen vom Evangelium nichts wissen, weil sie immer mehr in Erfahrung bringen, dass die Prediger des Evangeliums auch arme, schwache Menschen sind, wie andere, ja, dass es selbst unter den Predigern Heuchler gibt, deren böse Taten oft wider Erwarten und zur Beschimpfung aller Christen offenbar werden! Wie viele wollen darum lieber dar nichts von Kirche, von Gemeinde, von Predigern und öffentlichem Gottesdienst wissen!

    So gewiss aber viele dazu berechtigt zu sein meinen, dann eine Lehre zu verwerfen, wenn sie von sündhaften befleckten Personen vorgetragen und bekannt wird, so falsch und verwerflich ist der Grundsatz, nach welchem sie hierbei entscheiden. Die Wahrheit bleibt Wahrheit, es bekenne sie nun ein Engel oder ein Mensch, ein Heiliger oder ein Sünder, ein erfahrener Greis oder ein unerfahrenes Kind, ein Kluger oder ein Einfältiger. Gott hat beschlossen, sein seligmachendes Evangelium den Sündern durch Sünder verkündigen zu lassen, und zwar aus großer Weisheit; denn wenn nur heilige Engel uns predigten, so würden wir leicht oft auf die Gedanken kommen: Wüsste der Engel, wie es einem Sünder zumute ist, so würde er nicht so predigen.

    Damit soll jedoch freilich nicht gesagt werden, dass daraus nichts ankomme, ob derjenige, der recht lehrt, auch recht lebe. Das sei ferne! – Erfahrene Christen sehen wohl vor allem auf die Lehre; dass diese rein sei, dies ist wohl ihnen die Hauptsache; aber schwache Christen, und noch mehr Ungläubige sehen hingegen mehr auf das Leben eines Predigers; ist diese unsträflich, so erweckt das in den Ungläubigen Zutrauen auch zu seiner Lehre; lebt hingegen ein Prediger unchristlich, dann reißt er selbst ein, was er mit seiner Lehre bauen will; dann erweckt er selbst den Verdacht, dass er ein falscher Prophet sei, der nicht den Weg zur Seligkeit, sondern zum Verderben zeige. Groß ist daher die Verantwortung aller derer, welche die Wahrheit predigen oder sich doch vor der Welt dazu bekennen. Ihnen besonders wird zugerufen: „Es muss ja Ärgernis kommen, doch wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!“

    Sollten aber nun nicht die Ungläubigen entschuldigt sein, da so viele, die sich zu der göttlichen Wahrheit bekennen, ihnen mit ihren Sünden ein so schweres Ärgernis geben? – Nein, meine Lieben, denn Gott hat den Menschen vom Himmel einen Lehrer gesendet, dessen heilige Lehre mit seinem Leben in der vollkommensten bewunderungswürdigsten Harmonie stand; einen Lehrer, dessen Wandel göttlich hell und rein strahlt, dass auch das allesdurchdringende Auge Gottes, geschweige das eines Menschen, keinen Flecken, auch kein Stäublein menschlicher Schwachheit darin finden kann; und dieser Lehrer ist – Jesus Christus. Wie aber Christi vollkommener heiliger Wandel eine öffentliche Beschämung des Unglaubens sei, davon lasst mich jetzt zu euch sprechen.

 

Johannes 8,46-59: Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen? So ich euch aber die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht? Wer von Gott ist, der hört Gottes Wort. Darum hört ihr nicht; denn ihr seid nicht von Gott. Da antworteten die Juden und sprachen zu ihm: Sagen wir nicht recht, dass du ein Samariter bist und hast den Teufel. Jesus antwortete: Ich habe keinen Teufel, sondern ich ehre meinen Vater, und ihr verunehrt mich. Ich suche nicht meine Ehre; es ist aber einer, der sie sucht und richtet. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich. Da sprachen die Juden zu ihm: Nun erkennen wir, dass du den Teufel hast. Abraham ist gestorben und die Propheten, und du sprichst: So jemand mein Wort hält, der wird den Tod nicht schmecken ewiglich. Bist du mehr denn unser Vater Abraham, welcher gestorben ist? Und die Propheten sind gestorben. Was machst du aus dir selbst? Jesus antwortete: So ich mich selber ehre, so ist meine Ehre nichts. Es ist aber mein Vater, der mich ehrt, von welchem ihr sprecht, er sei euer Gott, und kennt ihn nicht. Ich aber kenne ihn. Und so ich würde sagen, ich kenne ihn nicht, so würde ich ein Lügner, gleichwie ihr seid. Aber ich kenne ihn und halte sein Wort. Abraham, euer Vater, ward froh, dass er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich. Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und hast Abraham gesehen? Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe denn Abraham ward, bin ich. Da huben sie Steine auf, dass sie auf ihn würfen. Aber Jesus verbarg sich und ging zum Tempel hinaus, mitten durch sie hinstreichend.

 

    „Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen?“ so fragt Christus zu Anfang unseres Textes seine Feinde und setzt hinzu: „So ich euch aber die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht?“ Zweierlei behauptet hiermit Christus: Erstens, dass ihn niemand einer Sünde ziehen könne, und sodann, dass sich daher auch niemand entschuldigen könne, wenn er nicht an ihn glaube. Hiernach spreche ich jetzt zu euch davon:

 

Dass Christi vollkommen heiliger Wandel eine öffentliche Beschämung des Unglaubens ist

 

    Hört:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass die Heiligkeit des Wandels Christi so hell leuchte, dass auch die Ungläubigsten sie nicht in Zweifel ziehen können, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass sie daher alle diejenigen beschäme, welche dennoch hartnäckig in ihrem Unglauben verharren wollen.

 

1.

    So wenig es, meine Zuhörer, nötig ist, es einem Menschen erst mit vielen Gründen zu beweisen, dass das Licht nicht finster, sondern hell ist, und dass die Sonne nicht verdunkle, sondern erleuchte, so wenig ist es nötig, es mühsam beweisen zu wollen, dass Christus heilig war. Wie die Sonne, wenn sie über den Horizont heraufsteigt und in ihrer Pracht in unseren Gesichtskreis tritt, durch ihre bloße Erscheinung jedem offenen Auge ihre erleuchtende Kraft selbst beweist, so darf auch das Bild des Lebens Christi einem Menschen nur vor seine Seele gestellt werden, und er wird von selbst genötigt sein, auszurufen: Heilig, heilig, heilig ist Jesus Christus; alle Lande sind seiner Ehre voll. Ja, mit Furcht und Zittern muss ein Mensch daran gehen, wenn er es wagen will, die Himmelsreinheit des Lebens Christi zu beschreiben. Das ist ein Gegenstand, der die Kräfte nicht nur der Menschen, sondern selbst der Engelzungen unendlich weit übersteigt. Keine Kreatur kann davon nach Würden reden. Ich gestehe euch daher, meine Lieben: Da ich von Christi heiligem Wandel zu euch reden will, da ist mir’s, als wäre ich ein Kind das mit seinen Spielfarben den Himmel der Herrlichkeit malen will. Doch, ich erkühne mich nicht, von dem Allerheiligsten so zu reden. Seht, so war er; ich will euch nur einige Züge aus dem Leben des Schönsten unter den Menschenkindern erinnern, um dadurch eure weitere Aufmerksamkeit und gläubige Bewunderung in der Stille auf dieses vollkommenste Muster zu lenken.

    Ein heller Spiegel, in welchem die Krone der Heiligkeit Christi herrlich wiederstrahlt, ist unser heutiges Evangelium. Christus legt darin seinen erbitterten Feinden die Frage vor: „Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen?“ So hat und wird nie ein Mensch reden können. Selbst der liebevolle Freund, der vieles übersieht und vieles zum Besten deutet, sieht doch auch am frömmsten Freund gar manche sündlche Schwachheit, an die er ihn auf eine solche Frage erinnern müsste. Wie gewiss muss daher Christus gewesen sein, dass auch die schärfsten spähenden Augen des Misstrauens, Argwohns, ja, des glühendsten Hasses nichts Tadelnswertes weder in seinen Worten, noch Gebärden, noch Werken entdecken konnten; da er seine geschworenen Feinde öffentlich im Jerusalemer Tempel aufforderte, von ihm Zeugnis zu geben! Diese Reinheit des Gewissens, dieses klare Bewusstsein seiner vollkommensten Unschuld finden wir stets an Christus. Christus betete viel, aber nie um Gnade, nie um Vergebung. Christus demütigste sich tief und stellte sich dar als ein Knecht aller Sünder, aber nie hören wir aus seinem Mund das Bekenntnis einer Schuld oder Reue. So sehr er sich auch erniedrigte, so redet er doch dabei von seiner inneren Würde stets in den höchsten und erhabensten Ausdrücken. Selbst damals, als ihm im zwölften Jahr seines Alters seine Mutter einen Vorwurf machen wollte, da antwortete er ihr mit heiligem Ernst: „Was ist’s, dass ihr mich gesucht habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?“

    Mit welchem Frohlocken würden nun die Feinde Christi auf jene Frage: „Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen?“ Christus Sünden vorgeworfen haben, wenn sie davon auch nur einen Schatten hätten aufbringen können! Aber was tun sie? – Sie verstummen zwar nicht, doch ihre Waffe ist allein Schimpfen, Lästern und Verfolgen. Sie antworten: „Sagen wir nicht recht, dass du ein Samariter bist und hast den Teufel?“ Ja, als Christus ihnen bezeugte: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe denn Abraham ward, bin ich; da“ heißt es, „hoben sie Steine auf, dass sie auf ihn würfen.“ Je mehr aber die Feinde ihn hiermit zu schänden gesucht haben, desto herrlicher haben sie gerade durch diese ihre ohnmächtigen Lästerungen Christi Heiligkeit bestätigt, wie das Licht gerade durch den Schatten am meisten hervorgehoben wird. Denn muss derjenige nicht tadellos sein, der seine Feinde öffentlich herausfordern kann, ihm auch nur das mindeste Unrecht nachzuweisen, wenn die Feinde anstatt der Beweise Schimpfwörter ausstoßen, und anstatt der Tatsachen zu Steinen greifen müssen? Diese Wut, in welche die Feinde auf jene Frage gerieten, ist ein stärkeres Zeugnis für Christi über alle Verkleinerung erhabene Unschuld, als alle für ihn gehaltenen Lobreden. Was aber die Feinde hier verdeckt zugestehen mussten, das haben sie zu anderen Zeiten auch laut aussprechen müssen. Selbst Pilatus, der das Todesurteil über Christus gefällt hat, hat doch nach der strengsten Untersuchung vor dem Volk das Zeugnis ablegen müssen: „Ich finde keine Schuld an ihm; ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten.“ Selbst dem Schächer an Christi Seite war Christi völlige Unschuld bekannt worden und gewiss; er bezeugte daher noch am Kreuz: „Dieser hat nichts Ungeschicktes getan.“ Und als bei Christi Kreuzigung die Sonne ihren Schein verlor, und nach seinem unschuldigen Tod die Erde erbetete, die Felsen zerrissen und die Gräber der Heiligen sich auftaten, da merkte der am Kreuz die Wache habende Hauptmann gar wohl, dass auch die leblose Natur die Unschuld des Hingerichteten bezeugen wolle; er rief daher aus: „Wahrlich, dieser ist ein frommer Mensch und Gottes Sohn gewesen.“ Einen Schatten des Verdachts könnte es nun zwar auf Christi Unschuld werfen, dass einer seiner vertrautesten Jünger, der von allen Reden und Taten Christi Ohren- und Augenzeuge war, ihn verriet, aber auch dieser Schatten wird zerstreut, da wir hören, wie sein Verräter nach vollbrachter Tat in die höchste Gewissensangst geriet, in welcher er sich endlich selbst entleibte, nachdem er noch hatte vor den Feinden bekennen müssen: „Ich habe unschuldig Blut verraten.“ Selbst die elende Leiche dieses Selbstmörders muss daher noch ein redender Zeuge sein von der Unschuld dessen, den er treulos verraten hatte.

    Der lauteste, unwidersprechlichste Zeuge für Christi Unschuld ist aber endlich sein heiliger Wandel selbst. Gerade da, wo kein Mensch von sündlichen Schwachheiten frei bleibt, steht Christus als das höchste Muster der vollkommensten Reinheit da. Er lehrt nicht nur die schwersten Pflichten der Verleugnung und Feindesliebe, sondern übte sie auch selbst auf das vollkommenste aus. Sein ganzes Leben war der heilige Abdruck und hellstrahlende Wiederschein seiner heiligen Lehre. Betrachten wir Christi Verhalten nur, wie es in unserem Text beschrieben wird, so sehen wir ihn unter seinen Feinden wie ein geduldiges Lamm unter reißenden Wölfen, wie eine weiße zarte Rose mitten unter stachligen Dornen. Seine Feinde reden mit Zungen, die von der Hölle entzündet sind, und speien höllische Flammen gegen ihn aus, er aber gerät dabei nicht, wie wir Menschen, in Leidenschaft; mit ernster Milde antwortet er nur: „Ich habe keinen Teufel; sondern ich ehre meinen Vater, und ihr verunehrt mich.“ Und als endlich Christus seine himmlische Freundlichkeit bei allen Lästerungen behält, und gerade dies die Feinde zur äußersten Wurt reizt, dass sie mörderisch Steine gegen ihn aufheben, da gehet er unter dem Schutz seiner Allmacht ruhig von dannen und verbirgt sich vor den Augen seiner Verfolger, da die von seinem Vater bestimmte Stunde seines Todes noch nicht gekommen war.

    So heilig wir aber Christus hier in Worten, Gebärden und Handlungen erblicken. So finden wir ihn immer. Wenn Christus wohltut, so sehen wir ihn nie nach Würdigkeit fragen; wo Not war und wo man Hilfe begehrte, da half er. Nie suchte er Dank, und wenn er mit schnödem Undank belohnt wurde, da beschloss er nun nicht, mit seinen Wohltaten einzuhalten, sondern bleib eine alle Menschen stets offene Quelle der Güte und Liebe. Immer erblicken wir ihn sanftmütig gegen alle seine Feinde, er vergalt nie Böses mit Bösem, er schalt nicht wieder, wenn er gescholten ward, er segnete, wenn man ihm fluchte. Wir sehen ihn wohl oft zornig, aber nie über erfahrene Beleidigungen, sondern über die Verunehrung seines Vaters. Mit welchem liebevollen herzzerschmelzenden Blick sah er Petrus an, als dieser ihn vor seinen Augen noch so schändlich verleugnete! Mit welcher Milde empfing er den Judas, als dieser ihn mit einem heuchlerischen Kuss verriet! Mit welchem kindlichen Vertrauen blieb Christus an seinem himmlischen Vater hangen, als dieser sich gegen ihn in einen Grausamen verwandelte! Mit welcher unbegreiflichen erbarmenden Liebe ruft endlich der blutende Christus noch scheidend für seine Kreuziger und Peiniger vom Kreuz hinauf zum Himmel: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

    Seht, meine Lieben, die Evangelisten haben in Christus einen Menschen beschrieben, wie er nie wieder in der Welt vorkommt. Jene ungebildeten, ungelehrten, einfältigen Männer haben das Bild eines so himmelreinen Lebens gezeichnet, dass wir schon daraus sehen, dass sie eine solche Lebensbeschreibung nie hätten erfinden können; denn ein solches heiliges Bild haben selbst die größten Philosophen aller Zeiten nie malen, geschweige selbst durch ihren eigenen Wandel darstellen können. Wir erblicken in Christus den Menschen, wie er nie ist, und nie in diesem Leben in seinem gefallenen Zustand sein kann, aber wie er sein soll.

    Das haben nicht nur Christi Freunde, sondern selbst seine Feinde wohl erkennen müssen. Unter anderen spricht der jüdische Geschichtsschreiber Josephus von ihm folgendermaßen: „Damals lebte Jesus, ein weiser Mann, so es sich anders geziemt, ihn einen Mann zu nennen.“ Selbst dieser Jude ist also von Christi Erscheinung so tief ergriffen gewesen, dass er kaum wagte, ihn einen bloßen Menschen zu nennen. Diesen Eindruck machte Christus auch auf unbekehrte Heiden; wir lesen daher in der Weltgeschichte, dass der heidnische römische Kaiser Alexander Severus das Bildnis Christi mit in seinem Haus aufstellte. Ja, die Geschichte berichtet uns, dass der heidnische Kaiser Hadrian kurz vor seinem Tod noch den Entschluss fasste, neben den anderen Tempel seiner Götter auch Christus zu Ehren einen Tempel zu bauen.

    So leuchtet denn die Heiligkeit des Wandels Christi so hell, dass auch die Ungläubigen sie nicht in Zweifel ziehen können.

    Was folgt aber hieraus? Dieses, Dass Christi vollkommen heiliger Wandel alle diejenigen beschäme, welche dennoch hartnäckig in ihrem Unglauben verharren wollen.

 

2.

    Davon spreche ich nun zweitens noch einige Worte zu euch.

    Die Heiligkeit des Wandels Christi ist, meine Lieben, erstlich darum eine öffentliche Beschämung des Unglaubens, weil sie ihm alle seine falschen Entschuldigungen völlig abschneidet. Nachdem daher Christus nach unserem Text seine Feinde gefragt hatte, ob sie ihn auch nur Einer Sünde überführen könnten, so setzte er hinzu: „So ich euch aber die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht?“ Er will damit sagen: Was könnt ihr nun für Gründe vorwenden, warum ihr mich dennoch verwerft?

    So kann man nun noch jetzt jedem, der das Evangelium von Christus nicht annehmen will, zurufen: Warum glaubst du nicht? Wie kannst du dich daran stoßen, dass es so viele Heuchler unter denen gibt, die nach Christus sich Christen nennen? Wie kannst du daran Ärgernis nehmen, dass es selbst unter den Dienern Christi Männer gibt, die anderen predigen und selbst verwerflich sind? die anders leben, als sie lehren? Die nur Diener Christi heißen, aber eigentlich nicht Christus, sondern sich selbst, nämlich, wie der Apostel sagt, ihrem Bauch, dienen, dem Geiz, der Hoffart und geheimer Wollust ergeben sind? Wer hat dich auf Menschen gewiesen? Einer ist unser Meister, Jesus Christus; auf ihn haben wir zu sehen, er ist der rechte Hirte, er ist das rechte, vollkommene Vorbild seiner Herde, der ihr vorausgeht und in dessen Fußstapfen wir treten sollen. So groß daher auch die Ärgernisse sind, welche der Welt von falschen Christen durch ihren unchristlichen Wandel gegeben werden, und so viele auch dadurch sich verführen lassen, die christliche Lehre ungläubig zu verwerfen, so werden sie sich doch einst in Gottes Gericht damit keineswegs entschuldigen können; denn auf Christus hätten sie schauen sollen, der sein wahres Wort auch durch heilige Taten bestätigt und geschmückt hat.

    Doch damit werden den Ungläubigen nicht nur alle ihre falschen Entschuldigungen genommen, sondern auch die dringendsten Beweggründe, Christus für den wahren Sohn Gottes zu erkennen, vor ihre Augen und Herzen gelegt. Denn, sagt selbst: Wer es zugeben muss, Christus war heilig, wie kein anderer Mensch, verurteilt der sich nicht selbst, wenn er nicht auch zugesteht, dass er der Sohn Gottes war? Wäre Christus, wie alle anderen Menschen in Sünden geboren, hätte er von Natur ein Herz gehabt, wie wir alle haben, zur Sünde und Ungerechtigkeit geneigt, wie wäre dann das Wunder zu erklären, dass alle Menschen immer auf den Irrweg abweichen, dass hingegen Jesus unverwandt ging den heiligen Weg? Wie wäre das Rätsel zu lösen, dass Christus kurz vor unserem Text sagen musste: „Ihr seid von unten her, ich von oben herab“? Wo fänden wir den Aufschluss zu dem Geheimnis, dass Christus, geboren in einem der geringsten Winkel der Erde, erzogen unter einem gottlosen Volk und lebend in einer greulich verderbten Zeit, dass Christus dennoch vor allen Weisen und Edlen und Besten aller Zeiten so hoch, so beispiellos hervorragt? Wer hat diese Pflanze gesät wer hat sie gehegt und gepflegt, dass sie einzig dasteht auf dem Boden der ganzen Welt? Muss ein Ungläubiger, wenn er Christi Heiligkeit betrachtet wovon es kein zweites Beispiel unter den sterblichen Menschen gibt, muss er da nicht selbst ausrufen: Fürwahr, Christus muss ein anderes Wesen sein als wir Menschen; er muss höheren, heiligeren Ursprungs sein als wir, er muss aus einem erhabeneren Geschlecht abstammen als die Sünder; sein Vater kann nicht ein sündlicher Mensch, es muss der heilige Vater im Himmel selbst sein?

    Hierzu kommt nun endlich dieses: Christus redet ja nicht nur stets die Wahrheit, sondern ist auch so demütig, dass er nirgends Ehre sucht, sich nicht dienen lässt, sondern anderen dient; und dennoch bekennt dieser wahrhaftige und von Herzen demütige Christus selbst deutlich, dass er der ewige Sohn Gottes ist, und stirbt lieber den qualvollen Kreuzestod, ehe er dieses verleugnen sollte. Er tut dies unter anderem auch in unserem heutigen Evangelium, wenn er spricht: „Ehe denn Abraham ward, bin ich.“ Wie? ist es möglich, dass Christus in allem sich als die Heiligkeit und Unschuld selbst bewiesen habe, und dass er doch dann gegen die Wahrheit sich für Gottes ewigen Sohn erklärt haben sollte? Bleibt hiernach den Ungläubigen nicht allein diese Wahl, entweder Christus für heilig und zugleich für den Sohn Gottes zu erkennen oder nicht für den Sohn Gottes und darum, welches schrecklich zu sagen ist, für den verwegensten unter allen Verführern?

    Es ist kein Zweifel: War Christus ein guter Mensch, so muss er auch notwendig der wahre eingeborene Sohn des himmlischen Vaters gewesen sein, gleich ewiger allmächtiger, unendlicher Gott. Da nun das Erste so hell leuchtet, dass es auch die Ungläubigsten nicht leugnen können, so müssen sie sich selbst ihres Unglaubens hier schämen, einst aber werden sie völlig erbleichen und verstummen, wenn sie erscheinen werden vor dem Angesicht Jesu selbst, des heiligen Gottmenschen.

    An diese Stunde lasst uns, meine Teuren, stündlich denken, und darum stündlich bitten:

Erhalt uns, heilger Gottessohn,

Im Glauben an deinen Namen,

Bis wir dich schauen auf deinem Thron;

Erhör uns, O Jesu! Amen.

    Amen.

 

Predigt zum Palmsonntag ueber 1. Mose 19,17b: Was euch bewegen soll, die Rettung eurer Seele immer eure Hauptsorge sein zu lassen

(Konfirmation)

 

    Du sprichst, o Jesus: „Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes.“ Das haben wir getan; wir haben die Kinder auf deinen Befehl schon in der heiligen Taufe zu dir kommen lassen und ihnen nicht gewehrt, und du hast sie aufgenommen in dein Reich. Siehe, sie kommen nun heute auch selbst zu dir und wollen im Angesicht dieser Gemeinde ihren Glauben an dich bekennen, und dein zu sein und dir zu dienen sich auf ewig verschreiben und schwören.

    Herr Jesus, sie klopfen an an der Tür deiner Gnade: O, so tue ihnen auf, o, so heiße sie wollkommen! Nimm sie, diese Küchlein, die bei dir Zuflucht suchen, unter die Flügel deiner Gnade und antworte ihnen auf ihren Eid der Treue und sprich oben im Himmel über ihnen aus: Ja, ihr sollt mein Eigentum sein und bleiben immer und ewig; eure Sünden sollen euch vergeben sein, meine Gerechtigkeit soll euer Schmuck, meine Allmacht euer Schutz, meine Treue eure Hoffnung sein und einst sollt ihr ewig bei mir sein. Denn auch ich will euch halten, was ich euch bei dem Gnadenbund meiner Taufe geschworen habe, und es soll mich nicht reuen; ich will euer Gott, euer Heiland, euer Vater sein und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein. Ja, so sprich, HERR Jesus, über diese Kinder. Amen. Amen.

 

    Meine herzlich geliebten Kinder!

    „Errette deine Seele, und siehe nicht hinter dich!“ (1. Mose 19,17b.) So rief einst ein Engel dem alten Lot zu, als dieser zögerte, aus Sodom zu fliehen. Sodom war nämlich eine zwar reiche und blühende Stadt, in einer Gegend, die sich wie ein Garten Gottes ausbreitete, aber keine Seele fürchtete in dieser Stadt Gott, den HERRN, außer der Familie Lots. Himmelschreiende Sünden gingen hier öffentlich im Schwange, alles Heilige und Göttliche war hier Jung und Alt lächerlich. Da beschloss denn Gott endlich den Untergang dieser ruchlosen Stadt mit allen ihren Einwohnern, um an ihnen ein Beispiel seines Zornes und Gerichtes zur Warnung aller Zeiten zu geben.

    Doch da Lot mit seiner Familie in dem gottlosen Sodom Gott fürchtete, so sendete Gott Engel zu ihm, welche ihm das über Sodom schwebende Gericht verkündigen und ihn aus dieser Stätte des Frevels vor ihrem nahen Untergang herausführen sollten.

    Mit Entsetzen hörte Lot von dem schrecklichen Ratschluss; er eilte sogleich zu seinen nächsten Verwandten, ihnen, was da kommen würde, zu verkündigen; aber niemand glaubte es; es war allen lächerlich. Niemand wollte den fliehenden Lot begleiten. Da war Lot voll namenlosen Schmerzes und Betrübnis; ab, dachte er, soll denn alles verloren sein? – und in diesen Gedanken versunken, zögerte selbst er, dem Befehl zu einer eiligen Flucht zu folgen. Da ergriffen ihn endlich bei Engel bei der Hand samt den Seinen und führten ihn aus der Stadt; und nun rief ihm einer derselben mit großem Ernst jene Worte zu: „Errette deine Seele, und siehe nicht hinter dich!“

    Sodom ist, meine geliebten Kinder, ein Bild dieser Welt, und es wird in der Heiligen Schrift besonders den Menschen, die in der letzten Zeit leben, zum Beispiel gesetzt. Christus spricht, in den letzten Tage werde es sein wie zu den Zeiten Lots, und er setzt hinzu: „Denkt an Lots Frau“, welche nämlich hinter sich sah und zur Salzsäule wurde.

    Das Wort der Engel: „Errette deine Seele, und siehe nicht hinter dich!“ ist daher auch euch, meine Teuren, gesagt. Da ich euch nun bisher immer gezeigt habe, wie und wodurch ihre eure Seele retten könnt, so will ich jetzt in dieser für euch so wichtigen Stunde an euch eine herzliche Ermahnung richten und euch aus Gottes Wort zeigen:

 

Was euch bewegen soll, die Rettung eurer Seele immer eure Hauptsorge sein zu lassen

 

    Das ist nämlich dieses:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil die Seele ein so großes, je euer größtes Gut ist,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil die Gefahren so viele sind, eure Seele zu verlieren, und endlich

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil man die Seele, wenn sie einmal verloren ist, nicht wieder gewinnen kann.

 

1.

    Schon jeder vernünftige Mensch muss den Grundsatz als wahr anerkennen: Das, was unser größtes Gut ist, für dessen Erhaltung sollen wir billig auch die größte Sorge tragen. Wenn ein Vater bei einer entstehenden Feuersbrunst die Wahl hätte, entweder ein Gerät seines Hauses oder sein einziges Kind zu retten, und er nähme das Gerät und ließe sein Kind in den Flammen umkommen, so würde ein jeder vernünftige Mensch meinen, der Vater müsse wahnsinnig geworden sein. So handeln aber alle, die mehr für das Irdische als für ihre Seele sorgen. Denn das größte Gut, das wir Menschen besitzen, ist unsere Seele.

    Eure Seele ist für die Ewigkeit geschaffen; sie soll nie umkommen; sie soll einst in die völlige ewige Gemeinschaft mit Gott kommen; sie ist zu einer ewigen Seligkeit bestimmt. Diese ganze Welt, der Himmel mit seiner Sonne, seinem Mond und allen leuchtenden Sternen, die Erde mit5 allen ihren Gütern, dieses ganze große Haus hat Gott allein darum gebaut, damit ihr hier als in einem Vorhof der unsichtbaren Welt eine Zeitlang wohnt und dass hier eure Seele zur seligen Ewigkeit nur vorbereitet werde. Eure Seele ist also nicht für diese kurze Zeit5 und für diese vergängliche Welt geschaffen, sondern alles muss endlich vergehen, aber eure Seele soll bleiben und endlich in ein Leben in der Vollkommenheit übergehen; alles müsst ihr im Tod hinter euch lassen, aber eure Seele nehmt ihr mit hinüber.

    Und warum ist Christus in die Welt gekommen? – Zu suchen und selig zu machen, das verloren war. Was war das? – die menschlichen Seelen. – Wie hoch muss also die Seele des Menschen vor Gott geachtet sein, dass er zu ihrer Errettung seinen lieben eingeborenen Sohn in die Welt sendet und ihn für sie in den Tod des Kreuzes dahingibt! Wie kostbar muss die menschliche Seele in den Augen des Sohnes Gottes sein! – Da sie verloren war, verließ er den Himmel, kam herab auf die Erde, suchte sie und erkaufte sie mit der Hinopferung seines Lebens und Vergießen seines teuren Gottesblutes! O, welch einen Preis, welch ein Lösegeld hat also Gott für alle Seelen der Menschen und also auch für eure Seelen bezahlt!

    Eure Seele ist daher euer größter Schatz; gäbe euch ein König dafür sein Königreich, ja, könnte euch ein Mensch dafür die ganze Welt schenken, so wäre eure Seele doch noch sehr elend und schlecht bezahlt. Eure Seele ist Millionen mal mehr, ja, unberechenbar mehr wert als die ganze Welt. Was hilft es einem Menschen, wenn er stirbt, dass er reich gewesen ist, geehrt, belobt und geliebt von allen? Was hilft es ihm, dass er ein König gewesen ist oder dass man ihm noch nach seinem Tod Ehrensäulen setzt, wenn die Seele dahin ist? Was half es dem reichen Mann, dass er täglich herrlich und in Freuden hatte leben und sich in Purpur und köstlicher Leinwand kleiden können, als er starb? Da sah er wohl ein, dass alle Güter dieser Welt nichts seien, dass er aber sein höchstes Gut, die Seele nämlich, leider auf ewig verscherzt habe.

    Nun, meine teuren Kinder, hieraus könnt ihr sehen, wie töricht die meisten Menschen in dieser Welt sind. Denn die meisten leben, als hätten sie gar keine Seele, oder als wäre sie doch ihr allergeringstes Gut. Die meisten Menschen sind zwar voll großer Sorge für zeitliche Güter, aber für das ewige Heil ihrer unsterblichen Seele tragen sie keine Sorge. Die meisten Menschen arbeiten und mühen und laufen sich ab alle Tage für das irdische Fortkommen, oder gar, um reich zu werden, aber den köstlichen Schatz, den sie mit ihrer Seele besitzen, achten sie für nichts. Ach, es kann ja keinen traurigeren Selbstbetrug geben als diesen, wenn man für alles, nur für seine Seele nicht sorgt. Das ist die entsetzlichste Verblendung, an das Irdische zu denken, und der Seelen Seligkeit zu vergessen; ja, die Seele hinzugeben, um nur irdisches Glück zu besitzen. Da achtet man sich ja nicht für besser als ein Tier. Solche sind jenen Vögeln gleich, die sich an den roten Beeren ergötzen, die zwischen den ausgespannten Netzen zerstreut liegen, bis diese über ihnen zusammenschlagen.

    Nun, liebe Kinder, wollt ihr etwa auch so töricht sein? Wollt ihr etwa auch, sobald ihr die Schule verlassen habt, nur darauf denken, Geld zu verdienen und reiche und geehrte Leute zu werden, aber nicht daran denken, dass ihr eine Seele habt, die für eine selige Ewigkeit geschaffen, durch Christi Blut teuer erkauft und in der heiligen Taufe mit Christi Blut besprengt und rein gewaschen ist? O, vergesst es nie, was St. Paulus sagt: „Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte.“ Und was St. Petrus sagt: „Führt euren Wandel mit Furcht; und wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem eitlen Wandel nach väterlicher Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.“ O, das lasst euch bewegen, eure kostbare Seele, dieses teure Eigentum Jesu Christi, nicht so schändlich zu verscherzen und sie nicht so wohlfeil für die elenden Dinge dieser Welt zu verkaufen. Ja, das lasst euch bewegen, die Rettung eurer Seele immer eure Hauptsorge sein zu lassen.

 

2.

    Dazu soll euch aber euch zweitens das b3ewwegen: Weil die Gefahren so viele sind, eure Seele zu verlieren.

    Für alle Zeiten und an allen Orten ist, meine lieben Kinder, große Gefahr, seine Seele zu verlieren, denn zu allen Zeiten und an allen Orten hat jeder Christ drei Feinde, die gegen ihn streiten, nämlich Fleisch, Welt und Teufel. Diese drei Feinde sind daran schuld, dass so Unzählige, für welche doch Christus gestorben ist und die schon durch die Taufe in Gottes Gnadenbund gekommen und Kinder Gottes geworden sind, doch ihre Seele nicht erretten und verloren gehen. Christus ist zwar die Versöhnung für aller Welt Sunde, und wer auf ihn sein Vertrauen setzt, soll ewig selig werden, wer aber dabei nach seines Fleisches Willen und nach der Welt Brauch leben will, der schließt sich selbst mutwillig von Christi Erlösung aus. Denn der heilige Apostel sagt: „Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben müssen.“ Es ist daher freilich zu allen Zeiten und an allen Orten nötig, die Rettung seiner Seele seine Hauptsorge sein zu lassen.

    Aber ihr lebt in einem Land und zu einer Zeit, wo, wie nie und nirgends die größten Gefahren, eure Seele zu verlieren, auf euch warten. Ihr seid zwar nicht nur getauft, sondern ihr habt auch einen guten Unterricht in der reinen Lehre erhalten; ihr wisst es, welches der rechte Weg zur Seligkeit ist; aber ihr dürft nicht sicher sein; leicht könnt ihr das Kleinod eurer Seele wieder verlieren. Ihr lebt in einer Zeit, in der die wahre Kirche, die das rechte Evangelium hat, und das ist die evangelisch-lutherische, fast ganz von der Erde verschwunden ist, und wo sie noch ist, da ist sie mit großen Ärgernissen bedeckt und von jedermann verachtet und verworfen. Ihr lebt in einer Zeit, in der das antichristliche Reich des Papsttums wieder mächtig sein Haupt emporhebt und überall die Seelen wieder an den Satan zu verkaufen trachtet. Ihr lebt in einer Zeit, in der sich auch überall immer mehr falsche Kirchen und Sekten erheben, die ihre falschen Lehren durch einen großen Schein von Heiligkeit bedecken. Ihr lebt in einer Zeit, in der fast die ganze Christenheit von dem Evangelium abgefallen ist. Fast alle, die jetzt Bücher schreiben, sind jetzt Feinde des Wortes Gottes und Jesu Christi. Überallsucht man die seligmachende Wahrheit zu verspotten und lächerlich zu machen. Überall ruft man, die Welt sei zu aufgeklärt, jetzt glaube man das nicht mehr, was unsere Voreltern geglaubt hätten; jetzt seien die Leute fortgeschritten und klüger geworden. Und so sprechen und schreiben nicht nur gemeine und offenbar lasterhafte Menschen, sondern auch große, kluge, gelehrte, und, wie es scheint, sehr fromme und gerechte Leute. Da steht ihr denn in großer Gefahr, von solchen Leuten betrogen und verführt zu werden. Wenn ihr das Wort Gottes werdet bekennen wollen, da wird man euch verlachen, verspotten und verfolgen; da könnt ihr nun leicht furchtsam, kleinmütig werden und abfallen. Hierzu kommt noch in diesem Land [USA], dass man allgemein sagt, hier seien die Leute frei, hier könne ein jeder denken, glauben, reden, schreiben und tun, was er wolle; da denken denn viele, sie seien hier auch frei von Gottes Wort und Ordnung, und werden durch diese Freiheit Knecht des Verderbens für Zeit und Ewigkeit. Endlich ist hier auch noch eine große Versuchung, mehr als irgendwo, sein Herz an das Geld zu hängen. Das Feld ist hier fast aller Leute Gott; wer hier Geld gewinnen kann, der schlägt dafür alles in die Schanze, guten Namen, Gewissen, Gott, Gottes Wort und Gnade, Himmel und Seligkeit.

    O teure, herzlich geliebte Kinder, mit Bangigkeit und Wehmut sehe ich in die Zukunft. Meine Seele wird betrübt, wenn ich an die vielen Gefahren denke, denen ihr entgegengeht, eure Seele zu verlieren. Ach, viele haben schon bei ihrer Konfirmation Gott Treue geschworen bis an den Tod, und schon haben sie Christus und sein Wort, den Weg der Wahrheit und Gottseligkeit verlassen, und sie gehen jetzt den Weg aller Welt!

    O, so rüstet euch zu Zeiten auf große Gefahren eurer Seele; seid nicht sicher, sondern lasst die Rettung eurer Seele eure Hauptsorge sein. Ärgert euch nicht daran, dass die wahre evangelisch-lutherische Kirche so klein und so verachtet ist; verlasst sie nicht, denn sie hat doch allein das reine lautere seligmachende Wort Gottes und die unverfälschten heiligen Sakramente. Bedenkt wohl: Es gilt die Rettung eurer Seele. Kommt dem antichristlichen Reich des Papsttums nicht zu nahe. Denkt an die Drohung Gottes: „So jemand das Tier anbetet und sein Bild, und nimmt das Malzeichen an seine Stirn oder an seine Hand, der wird von dem Wein des Zornes Gottes trinken. – Geht aus von Babel, mein Volk, dass ihr nicht teilhaftig werdet ihrer Sünden, auf dass ihr nicht empfangt etwas von ihren Plagen. Denn ihre Sündenreichen bis in den Himmel, und Gott denkt an ihren Frevel.“

    Hütet euch aber ebenso ernstlich vor allen den Sekten, die hier in großer Anzahl und mit großem Schein die Seelen abführen von der Einfältigkeit in Christus. Lasst euch durch nichts täuschen. Was nicht mit Gottes Wort übereinstimmt, ist falsch und führt zum Verderben, habe es auch einen noch so guten Schein. Denkt an das Wort Jesu Christi: „Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, aber inwendig sind sie reißende Wölfe; an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Und wie Christus an anderer Stelle spricht: „So ihr bei meiner Rede bleibt, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Seid darum bereit, lieber zu sterben, als von der Rede Christi abzuweichen. O, bedenkt: Es gilt sie Rettung eurer Seele. „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten können; fürchtet euch aber vor dem, der die Seele verderben kann in der Hölle.“

    Hört darum auch nicht auf das Geschrei derer, die da sagen, die Welt sei jetzt aufgeklärt, das rechte Licht sei jetzt gekommen, die Bibel gelte jetzt nicht mehr. Das ist die Stimme der Apostel des Satans, in denen dieser böse Geist sein Werk hat. Sie schreien: Licht! Licht! Und sie suchen doch die Menschen nur wieder in die heidnische Finsternis und Abgötterei zurückzuführen. Lest ihre verfluchten Lästerungen des allerhöchsten dreieinigen Gottes nicht; sie sind wilde Tiere in menschlicher Gestalt, die eure Seelen zerreißen, töten und mit sich in den Abgrund der Hölle hinabziehen wollen. Bedenkt: Es gilt die Rettung eurer teuer erkauften Seele! Ach, errettet sie, und seht nicht hinter euch!

    Ebenso rüstet euch aber auch gegen die Versuchung, euer Herz an Geld und Gut zu hängen. Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das andere alles zufallen. So oft ihr versucht werdet, um irdischen Gewinnes willen von Gottes Wort zu weichen, so denkt an den Ausspruch unseres Heilandes: „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, dass er seine Seele wieder löse?“

 

3.

    Dies führt mich nun auf unseren dritten Teil, in welchem ich euch noch kurz zeigen will, wie euch auch dieses bewegen solle, die Rettung eurer Seele eure Hauptsorge sein zu lassen: Weil man die Seele, wenn sie einmal verloren ist, nicht wieder gewinnen kann.

    Hätte, liebe Kinder, jeder Mensch zwei Seelen, so möchte vielleicht die Sorge für eine nicht so nötig sein; verlöre er die eine, so bliebe ihm doch immer noch die andere; oder könnte der Mensch, wenn er seine Seele hier verloren hat, sie nach dem Tod wieder lösen, wo wäre doch immer noch Hoffnung. Aber es ist nicht so. Der Mensch hat nur Eine Seele, und hat er diese in dies4er Welt nicht errettet, so kann er sie dort in der Ewigkeit nie, nie wieder gewinnen.

    Nun bedenkt, liebe Kinder: Ist es nicht schrecklich, um zeitlichen, irdischen Wohlseins willen die ewige Seligkeit zu verscherzen? Ist es nicht schrecklich, damit man der zeitlichen Not der Christen entgehe, die ewige Not erwählen und keine Sorge für seine Seele zu tragen? – Ach, wie kurz ist dieses Leben, wenn es auch 80 Jahre währt, gegen die Ewigkeit! – Ja, denkt nicht etwa, dass die Reichen, die Großen in der Welt, die sich schön kleiden, gut essen und trinken, in prächtigen Zimmern wohnen und alle möglichen irdischen Wünsche sich erfüllen können, dass diese darum die Glücklichsten seien. Könntet ihr den reichen Leuten, die man glücklich preist, in das Herz sehen, so würdet ihr mit Erstaunen finden, dass in ihnen nicht als Unruhe, Gram, Kummer, Sorge und Überdruss wohnen. Ist es nicht schrecklich, die Seligkeit auf das Spiel zu setzen, damit man ein solcher reicher und angesehener, aber dabei unglücklicher Mensch sei?

    Und, meine allerliebsten Kinder, was ist alle Not, die die Christen auf der Erde leiden müssen, wenn sie für ihre Seele sorgen, was ist sie gegen den Verlust der Seele? So groß auch oft die Leiden und so schrecklich auch oft die Martern gewesen sind, die manche Christen hier haben erdulden müssen, so hatte dies doch alles nach kurzer Leidenszeit ein ewiges Ende, und ewige Freude und Herrlichkeit folgte dem zeitlichen Schmerz und der zeitlichen Schmach. Ist aber die Seele einmal im Tod verloren, so ist sie auch auf ewig verloren, und nichts, nichts kann sie wieder erretten. Denn Christus spricht, wie ihr gehört habt: „Was kann der Mensch geben, dass er seine Seele wieder löse?“ – Aus der Hölle ist keine Erlösung. Jetzt ist der Tag des Heils. Im Tod schließt sich das Tor der Gnadenzeit auf ewig hinter uns zu und keine Rückkehr ist dann mehr möglich.

    O, darum, meine geliebtesten Kinder, bedenkt, was zu eurem Frieden dient, und lasst die Rettung eurer Seele eure Hauptsorge sein. Denket jeden Tag an das Wort, das die Engel dem Lot zuriefen: „Errette deine Seele, und siehe nicht hinter dich!“

    Doch, meine Geliebten, dies alles habe ich euch nicht darum vorgehalten, um in euch eine knechtische Furcht vor dem Verlorengehen zu erwecken; noch viel weniger, dass ihr nun in eigener Kraft danach trachten sollt, eure Seele zu erretten. Nein, das sei ferne! Ihr wisst es: Ihr könnt eure Seele nicht selbst erretten; sie ist schon errettet durch Jesus Christus; das Evangelium verkündigt euch dies, und in der heiligen Taufe ist es euch schon geschenkt, angeeignet und versiegelt worden. Nur dieses wird von euch gefordert: Ihr sollt die Gnade, die euch in Christus geschenkt ist, nicht wegwerfen, ihr sollt eure Taufe nicht vergessen, ihr sollt bei dem Wort Jesu Christi bleiben, das Wort Gottes eure tägliche Seelenspeise, euer Licht, euren Trost sein lassen und im Glauben Christus treu sein bis an den Tod. O, wenn ihr das tut, so habt ihr eure Seele errettet; so werdet ihr nicht umkommen in dem Sodom dieser Welt, so werdet ihr hier in dem Zoar der wahren Kirche sicher wohnen und endlich eure Seele bringen in das himmlische Jerusalem, wo eure Seele ewig geborgen ist in der Gemeinschaft Gotts und aller seiner heiligen Engel und Auserwählten.

    So, so erhebt denn jetzt eure Simmen und bekennt und gelobt es vor diesen Zeugen, dass ihre eure Seele nicht verscherzen, sondern erretten wollt durch Gottes Gnade. Zuvor aber vereinigen wir uns in einem gläubigen Vaterunser. Amen.

 

Predigt zum Gruendonnerstag ueber 1. Korinther 11,23-32: Warum sollen wir nimmermehr von dem Glauben abfallen, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaft und wesentlich gegenwaertig seien?

 

    HERR Jesus Christus, du Sohn des allmächtigen Vaters! Groß ist diene Liebe, die du gegen uns verlorene Sünder in deinem Herzen getragen hast. Du bist nicht nur uns zugut ein Mensch geworden und hast dich nicht geschämt, uns Sünder deine Brüder zu nennen; sondern, als du eben aufhören wolltest, sichtbar unter uns gegenwärtig zu sein, machtest du ein über alles gnädige Testament, in welchem du alle, die nach dir verlangen, zu Erben deines Leibes und Blutes und damit deiner ganzen Versöhnung und Gerechtigkeit und aller deiner teuer erworbenen himmlischen Güter einsetztest. So bitten wir dich denn, lass uns zur rechten Erkenntnis deines heiligen Abendmahls kommen, schenke uns einen lebendigen und demütigen Glauben an das Wunder dieser deiner gnadenvollen Speisung und lass uns allezeit als durch dich würdige Gäste zu unserem Trost, zu unserer Stärkung und zu unserer Seligkeit daran teilnehmen. Hilf, dass wir dieses teure Gnadenmittel nimmermehr verlieren, sondern es durch deine Gnade erhalten, bis dass du kommst. Hierzu segne auch die heutige Predigt deines heiligen Wortes um deiner Verheißung willen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    An diesem Tag war es einst, als der Sohn Gottes in der letzten Nacht seines geheimnisvollen Leidens und wenige Stunden vor seinem Tod das Testament machte, welches er den Seinigen nach seinem Hingang zum Vater hinterlassen hat.

    Der heutige Tag erinnert uns daher an eine überaus wichtige Wohltat unseres Heilandes.

    Das heilige Abendmahl ist von der rechten Kirche von jeher für ein großes teures Heiligtum geachtet worden.

    Die ersten Christen feierten es fast täglich; besonders in den Zeiten der Verfolgung, um täglich zum Tod bereit zu sein; man erwies sich dabei eine innige Liebe, Reiche und Arme, Hohe und Niedrige gaben sich dabei den Kuss des Friedens als Brüder. Man sah das heilige Abendmahl an als die herrlichste göttliche Rüstkammer, in welcher man die unüberwindlichsten Waffen zum geistlichen Kampf empfange; man hielt es für den besten Zehrpfennig für die Reise in die dunklen Täler des Todes.

    Man zeigte dagegen die größte Ehrerbietung. Kein Ungläubiger, kein offenbarer Sünder wurde zugelassen. Man beobachtete überhaupt gegen die Heiden ein ehrerbietiges Schweigen von diesem geheimnisvollen Sakrament. Nach dem Genuss sprach man sich gegenseitig über das Leiden Jesu Christi aus. Die Christen mussten oft viel leiden wegen des heiligen Abendmahls, weil die heidnischen Verfolger meinten, dass sie nach ihrem Geständnis Menschenfleisch äßen und Menschenblut tränken. Dass man das heilige Abendmahl für eine bloße Gedächtnisfeier des Leidens Christi gehalten habe, davon findet sich in dem christlichen Altertum auch nicht eine Spur.

    Wohl aber finden wir, dass man in dem antichristlichen Papsttum bald anfing, das heilige Abendmahl für ein wiederholtes Opfer des Leibes und Blutes Christi zu erklären, wodurch endlich der furchtbare Greuel des Messopfers aufkam, der noch jetzt in der päpstlichen Kirche getrieben wird.

    Durch die Reformation wurde endlich auch wieder die rechte Lehre und der rechte Gebrauch des heiligen Abendmahls an den Tag gebracht; aber leider wurde dieses Mahl der Liebe bald zu einer Ursache eines großen schrecklichen Risses in der protestantischen Kirche. Ein großer Teil von denen, welche die Irrtümer der päpstlichen Kirche erkannten, fielen auf entgegengesetzte Abwege von der teuren Wahrheit der göttlichen Offenbarung. Hatte man zuvor dem Aberglauben gehuldigt, so fingen jetzt viele an, die göttliche Wahrheit nach den Grundsätzen ihrer blinden Vernunft zu beurteilen und zu richten.

    Daher ist die lutherische Kirche die einzige geblieben, welche die reine Lehre von dem heiligen Abendmahl festgehalten hat; sonst keine Konfession in der ganzen christlichen Welt. Unsere Kirche bekennt viele teure Wahrheiten, welche andere Konfessionen auch festhalten, aber in Bewahrung der unverfälschten Sakramente steht sie jetzt einzig da in der ganzen Welt.

    Gott hast sich unsere teure evangelisch-lutherische Kirche in der letzten Zeit dazu erkoren, dass sie das aufbewahre, was nach Christi Willen geschehen soll, bis dass er kommt; unsere Kirche ist die von Gott erwählte Bewahrerin des göttlichen Siegels der Vergebung der Sünden.

    Der heutige Tag ist daher ganz besonders für lutherische Christen ein heiliger, wichtiger Festtag, der sie teils an große ihnen anvertraute Güter, teils an wichtige, ihnen auferlegte, Pflichten erinnert. Von dieser Seite lasst mich heute von unserem Festgegenstand zu euch reden.

 

1. Korinther 11,23-32: Ich habe von dem HERRN empfangen, das ich euch gegeben habe. Denn der HERR Jesus in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Nehmt, esst; das ist mein Leib der für euch gebrochen wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis! Desgleichen auch den Kelch nach dem Abendmahl und sprach: Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut. Solches tut, so oft ihr’s trinkt, zu meinem Gedächtnis! Denn so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, sollt ihr des HERRN Tod verkündigen, bis dass er kommt. Welcher nun unwürdig von diesem Brot isst oder von dem Kelch des HERRN trinkt, der ist schuldig an dem Leib und Blut des HERRN. Der Mensch prüfe aber sich selbst und also esse er von diesem Brot und trinke von diesem Kelch. Denn welcher unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt sich selber das Gericht damit, dass er nicht unterscheidet den Leib des HERRN. Darum sind auch so viel Schwache und Kranke unter euch, und ein gut Teil schlafen. Denn so wir uns selber richteten, so würden wir nicht gerichtet. Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir von dem HERRN gezüchtigt, auf dass wir nicht samt der Welt verdammt werden.

 

    „Ich habe es von dem HERRN empfangen, das ich euch gegeben habe.“ Mit diesen Worten beginnt, meine Lieben, der heilige Apostel in unserem heutigen Text die Erzählung der Einsetzung des heiligen Abendmahls. Warum setzt wohl der heilige Apostel gerade hier diese Versicherung hinzu? Darum, weil es von unaussprechlicher Wichtigkeit ist, das heilige Abendmahl in seiner rechten Bedeutung und nach der Einsetzung des HERRN rein und unverfälscht zu haben. Es veranlasst mich dies daher, zu euch heute davon zu sprechen:

 

Warum sollen wir nimmermehr von dem Glauben abfallen, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaft und wesentlich gegenwärtig seien?

 

    Ich antworte:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil dieser Glaube auf den gewissesten und unwandelbarsten Gründen beruht,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil uns ohne diesen Glauben das ganze Wort Gottes schwankend und ungewiss werden muss, und endlich

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil uns mit diesem Glauben ein großer und überschwänglicher Trost geraubt werden würde

 

1.

    Die Entscheidung der Frage: Sind in dem heiligen Abendmahl der wahre Leib und das wahre Blut Jesu Christi wahrhaft und wesentlich gegenwärtig, hat, meine Lieben, unaussprechlichen Jammer über die ganze Christenheit gebracht.

    Handelte es sich nun hier um einen dunklen Punkt in der christlichen Lehre, so wäre es gewiss besser, davon zu schweigen und einen jeden seiner besten Überzeugung folgen zu lassen in einer Sache, die niemand mit Gewissheit entscheiden könnte.

    Aber hier gilt es etwas ganz anderes. Es fragt sich hier: Soll es nach Gottes Wort gehen oder nicht? Ist Christus wahrhaft oder nicht? Ist Christus allmächtig oder nicht? Ist Christi Fleisch bloß Menschenfleisch oder nicht? Ist sein Blut kraftloses Menschenblut oder nicht?

    Christus spricht bei Einsetzung seines heiligen Testaments, er, der in die Zukunft schaut wie in die Vergangenheit, der wohl wusste, dass über seine Worte eine große Zwietracht entstehen würde, er spricht, da er seinen Jüngern das gesegnete Brot und den gesegneten Kelch darreicht: „Das ist“ usw. Ist hier eine Dunkelheit? Schwierigkeit? Zweideutigkeit? Bedarf es hier einer spitzfindigen Erklärung, um eine unklare, verdeckte Rede zu enthüllen? – Nein, nichts von alledem. Gewiss, halten wir uns an Christi Wort, so kommen wir auf keinen anderen Sinn, als auf den: Christi Leib und Blut wird in dem gesegneten Brot und Wein den Kommunikanten dargereicht, er ist wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig und wird daher von allen Kommunizierenden genossen. Niemand ist im Zweifel, was ich meine, wenn ich ihm ein Gefäß voll Wasser darreiche und spreche: Nimm, trink, das ist Wasser. Wird er meinen, ich wolle damit sagen, das Gefäß sei in Waser verwandelt oder es bedeute nur Wasser? Sicherlich keines von beiden. Was ist es aber anders, wenn Christus spricht: „Nehmt, esst, das ist mein Leib. … Nehmt, trinkt, das ist mein Blut des neuen Testaments.“ Es ist kein Zweifel: Wollen wir nicht glauben, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaft und wesentlich gegenwärtig sind, so müssen wir von den einfachsten und klarsten Worten Jesu Christi abgehen.

    Doch, spricht man, es mag sein, dass die Worte der Einsetzung darauf hinführen, dass in, mit und unter jenen sichtbaren Elementen jene unsichtbaren himmlischen Güter verborgen liegen und uns mitgeteilt werden, aber wie ist es möglich, dass jener einzige Leib in einer und derselben Stunde in tausend und abertausend Kirchen von Millionen Christen heute und vielleicht auch gestern, ja fast täglich seit beinahe zweitausend Jahren genossen werden konnte und noch immer kann, ohne aufgezehrt zu werden?

    Die, welche so sprechen, sollte man fragen: Sage uns doch, wie es möglich ist, dass die Sonne täglich mit ihrem hellen Schein in tausend und abertausend Täler und Höhlen und Gemächer und Millionen Augen seit über 6000 Jahren dringt, ohne ihren Schein verzehren und zu verlieren? Du schweigst? – Du kannst die Wunder der Natur nicht begreifen und leugnest sie doch darum nicht, und doch willst du jene Wunder der Gnade leugnen, weil du sie gleicherweise nicht begreifen kannst?

    Ihr seht hieraus: Mit der Unmöglichkeit kann man seinen Unglauben nicht entschuldigen, denn bei Gott ist kein Ding unmöglich; dies hat uns Gott schon in der Natur offenbart.

    Ist es nun nicht entsetzlich für einen Christen, von einem klaren, hellen, deutlichen, einfältigen Wort Jesu Christi darum abzugehen, weil es ihm ohne allen Grund nicht wohl möglich scheint?

    Und wer ist es, der diese hellen und deutlichen Worte gesprochen hat? Es ist der Wahrhaftige, der Allmächtige, der Allwissende, der Allweise, der Allgegenwärtige, der Sohn des lebendigen Gottes, der Gott und Mensch in Einer Person, und er spricht diese Wort ein den letzten Stunden seines irdischen Daseins, er spricht sei bei der Einsetzung seines Testaments.

    Es spricht jene Worte der, von welchem es heißt: „Ich bin der Weg“ usw. „Sein Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss.“ Soll Christus überall Wahrheit reden, nur hier nicht? Es spricht jene Worte der, von welchem Petrus sagt: „HERR, du weißt alle Dinge“; sollte Christus alles gewusst haben, und nur das nicht, dass einst über seine letzten Worte die ganze Christenheit zerrissen werden würde, oder sollte er nicht so weise gewesen sein, andere Worte zu gebrauchen, um dieses Unglück zu verhüten? Es spricht jene Worte der, der von sich zeugt: „Siehe, ich bin bei euch“ usw.; soll Christus überall gegenwärtig sein können, aber nur nicht im heiligen Sakrament auf eine besondere, geheimnisvolle Weise? Es spricht jene Worte der, der von sich sagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“; soll Christus alle Gewalt haben, nur die nicht mit seinem Leib und Blut im heiligen Abendmahl zu sein? Christus ist mit seinem Leib durch verschlossene Türen gegangen, durch den versiegelten Stein des Grabes, ohne die Siegel zu verletzen; soll er nicht auch in unseren Leib gehen können unsichtbar? Christus ist leibhaftig zum Himmel gefahren und sitzt nun auch als Menschensohn zur Rechten Gottes; sollte der Leib, der zur Rechten Gottes sitzt, also allenthalben ist mit göttlicher Majestät, sollte der nicht auch im heiligen Sakrament in Gnaden gegenwärtig sein können? Christus speist mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischlein 5000 Mann, und zwölf Körbe bleiben übrig; soll der nicht auch seine Christenheit mit dem Leib speisen können, in welchem die Fülle der Gottheit wohnte leibhaftig, mit welchem die göttliche Natur inniger vereinst ist als die Wärme mit der heißen Luft und dem siedenden Wasser, genauer als das Feuer mit dem glühenden Stahl? Welche herrlichen geistigen Eigenschaften teilt die Seele unserem Leib mit! – soll die göttliche Natur der menschlichen Natur Christi keine herrlichen göttlichen Eigenschaften mitgeteilt haben?

    Es ist kein Zweifel: Wollen wir sagen, dass wir an Christus glauben, so müssen wir auch glauben, dass sein Leib und Blut wahrhaftig und wesentlich in seinem Bundesmahl zugegen sei, denn dieser Glaube wird von drei großen unumstößlichen Säulen getragen: Die erste Säule ist Christi Wort, die zweite seine Wahrhaftigkeit, die dritte seine göttliche Allmacht. Der erste Grund also, warum wir nimmermehr von dem Glauben abfallen sollen, dass der Leib und das Blut Christi indem heiligen Abendmahl wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sei, ist: Weil wir dadurch nicht eine Lehre aufgeben würden, über die sich noch streiten, über die sich non Manches dafür und dawider sagen ließe, sondern eine unwandelbare gewisse Wahrheit des göttlichen Wortes würden fahren lassen.

 

2.

    Doch, meine Teuren, es handelt sich hier nicht bloß um diese Eine Wahrheit, es handelt sich hier um die Gewissheit des ganzen Wortes Gottes, welche wir sogleich aufgeben müssen, sobald wir von dem Glauben abfallen, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sei, und das ist der zweite Grund: Weil ohne diesen Glauben das ganze Wort Gottes schwankend und ungewiss werden muss.

    Geben wir zu, dass man das Wort Christi: „Das ist“ usw., nicht wie es lautet zu nehmen brauche, sondern dafür setzen könne: „es bedeutet“, so ist alle Gewissheit des Wortes Gottes dahin. Dann können andere mit demselben Recht sagen: Christus ist nicht Gottes Sohn, er bedeutet ihn nur, es ist keine Hölle, keine Auferstehung, kein Himmel, kein Gericht, das alles, könnte man dann sagen, sind nur Bilder, nur Zeichen, nur Symbole. Dann ist Gott nicht Mensch geworden. Die Taufe ist nicht ein Bad der Wiedergeburt. Dann ist keine Verheißung, kein Trost mehr gewiss, wenn du dich, o armer betrübter Christ, nicht mehr auf jedes Wort deines Heilandes sicher und fröhlich verlassen kannst.

    Wer die Gegenwart Christi im Abendmahl leugnet, der muss auch die Allgegenwart der menschlichen Natur Christi leugnen, also die Mitteilung der göttlichen Eigenschaften; was ist dann unsere Erlösung und Versöhnung? Dann wäre es nicht wahr, wenn es in der Apostelgeschichte im 20. Kapitel heißt, dass Gott durch sein eigenes Blut uns erkauft hat, dass das Blut des Sohnes Gottes uns rein macht von aller Sünde. Dann ist ein bloßer Mensch für uns gestorben, dann ist das bezahlte Lösegeld nicht göttlich wichtig und alles ist ein Traum, was der Christ glaubt.

    Es ist kein Zweifel: Der Satan sucht durch die falsche Lehre vom heiligen Abendmahl in der Mauer der christlichen Kirche nur eine kleine Lücke zu durchbrechen, um dann mit tausend Irrtümern hineinzuschlüpfen. Hat der Abfall von dem Glauben, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sei, auch nicht immer so schreckliche Folgen, so ist es doch der Weg dazu; es ist der Weg zum Zweifel an allen klaren Worten der göttlichen Offenbarung. (Und wollten nur diejenigen, welche nicht an die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im heiligen Abendmahl glauben, recht aufrichtig sein, so würden sie gewiss meist gestehen müssen, dass sie nie in wahrem Ernst geglaubt hätten, dass die Bibel wirklich in allen Worten das Wort des lebendigen Gottes sei.)

 

3.

    Doch der dritte und letzte Grund, warum wir nimmermehr von dem Glauben abfallen sollen, dass der Leib und das Blut Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sei, ist dieser, weil uns mit diesem Glauben ein großer und überschwänglicher Trost geraubt werden würde.

    Dass uns, meine Lieben, Christus seinen Leib und sein Blut im heiligen Abendmahl zu essen und zu trinken gibt, darin liegt ein unaussprechlicher Trost, der sich mehr erfahren als beschreiben lässt. Was für ein Unterpfand unserer Seligkeit ist das, dass wir gespeist werden mit dem Leib dessen, in dessen Hand alle Seligkeit liegt! Kann der uns seine Gnade versagen, der uns arme Würmlein teilhaftig macht seiner Natur, dass wir sagen können: Wir sind Fleisch von seinem Fleisch? Wer hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst? Wie kann uns Christus vergessen, wenn er sich mit uns so innig vereinigt hat! Wie teuer muss uns der achten, der sich selbst uns schenkt! Welche Sünde kann so groß sein, die das göttliche Fleisch nicht versöhnte! Welche Unreinigkeit so groß, welche dieses Blut nicht abwüsche! Welche Pfeile des Satans können so feurig sein, die in dieser Quelle nicht verlöschen müssten! Welche Bande des Todes so fest, die dieses lebendigmachende Fleisch nicht auflöste! Das heilige Abendmahl mit dem Leib und Blut Jesu Christi ist der neue Baum des Lebens, der im Paradies stand, den Christus nun wieder in sein Gnadenreich gepflanzt hat.

    O anbetungswürdiges, tröstliches Geheimnis! Das heilige Fleisch Gottes, das die Engel anbeten und die Erzengel verehren, wird eine Speise der Sünder! Es freuen sich die Himmel, es frohlocke die Erde, aber mehr noch die gläubige Seele, die solche und so große Geschenke genießt!

    Auch diejenigen, welche nicht glauben, haben zwar ihre Andacht bei der Feier des heiligen Sakraments, aber es ist nichts als selbsterwählte Andacht; sie begnügen sich mit der Schale ohne kern.

    O, lasst uns daher heute an dem heiligen Stiftungstag des Testaments der sterbenden ewigen Liebe einen Bund machen, meine Brüder und Schwestern: Nimmermehr, nimmermehr wollen wir abfallen von dem Glauben, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaft und wesentlich gegenwärtig seien.

     Gott hat dieses Geheimnis uns erkennen lassen aus lauter Gnade, o, so lasst uns daran festhalten und es treu bewahren als ein köstliches Kleinod. Und wenn wir unseren lieben Kindern weiter nichts hinterließen als diese Erbschaft unseres Erlösers, so erben sie unermessliche Güter von uns; darum lasst es uns unseren Kindern einschärfen, sobald sie lallen können. Dieser Glaube ist hier selten, ganz selten, und er ist in großer Gefahr, o, so lasst uns mit allen Kräften dafür sorgen, dass wir diesen Glauben bewahren. Ich bitte euch um Gottes, um eurer Seligkeit willen darum.

    Oder wollt ihr von Gottes klarem Wort abgehen?

    Oder wollt ihr nicht achten, dass durch die falsche Lehre vom heiligen Abendmahl das ganze Wort Gottes, alle darin enthaltenen Verheißungen, Wahrheiten, Tröstungen, Hoffnungen, Warnungen und Drohungen ungewiss werden?

    Oder wollt ihr den überschwänglichen Trost, der in dem unverfälschten heiligen Sakrament liegt, verachten?

    O Jesus, hilf du uns! Wir klagen dir unsere bisherige Untreue, Blindheit, Geringschätzung. Entziehe uns darum dein heiliges Sakrament nicht; mache uns treu, heilige unsere Herzen und Hände; erhalte unserer armen Gemeinde diesen unermesslichen Schatz, den unsere Väter uns vererbt haben; lass uns als Zeugen auch dieser Wahrheit dastehen. O, lass noch recht viele zu dieser Erkenntnis kommen, dass noch recht vielen dadurch verseigelt werde deine Gnade. Ach, bleib bei uns, HERR Jesus Christus! Amen.

 

Predigt zu Karfreitag ueber 1. Thessalonicher 5,9.10: Christi Tod – unser Leben

 

    Ja, HERR Jesus! Vor dir liegen wir heute im Staub, schlagen an unsere Brust und seufzen zu dir: Erbarme dich unser! Lass deines Todes bittere Pein an uns armen Sündern nicht verloren sein. Du riefest einst an diesem Tag: „Mich dürstet“; o, stille heute deinen Durst nach unseren Seelen und errette sie aus ihrem Elend. Du breitetest einst an diesem Tag deine Arme am kreuz aus; o, schließe uns heute in diese Arme deiner Erbarmung. Du ließt dir einst an diesem Tag Wunden schlagen in deine heiligen Hände, in deine heiligen Füße und in deine heilige Seite; o, nimm uns heute darin auf und lass uns darin Zuflucht finden vor dem Zorn deines Vaters. Du vergossest einst an diesem Tag in Strömen dein heiliges teures Blut; o, besprenge unsere verschmachteten Herzen nur mit einem Tröpflein, so genügt uns. Erhöre uns, erhöre uns, du für uns gekreuzigte Liebe. Amen. Amen.

 

    In Jesu Tod getaufte, teure Zuhörer!

    Ein Tag der tiefsten Trauer ist mit dem heutigen uns wieder gekommen. Der traurigste im ganzen Kirchenjahr. Heute möchten wir Himmel und Erde und alle Kreaturen aufrufen, mit uns zu trauen und zu klagen. Heute möchten wir die Sonne bitten, ihr Lichtkleid auszuziehen und sich mit uns einzuhüllen in nächtliche Trauerkleider, und die Wolken, mit uns zu weinen. Heute möchten wir erschrecken vor jedem Laut der Freude, der über unsere Lippen gehen will, ja, vor jedem Gedanken der Freude, der sich in unserem Herzen regen will. Wenn wir während des ganzen Jahres noch nicht geweint haben, so sollten wir doch heute bittere Tränen vergießen, Tränen göttlicher Traurigkeit, die da wirkt eine Reue zur Seligkeit, die niemand gereut.

    Denn was ist es, was uns heute in dem Haus des HERRN versammelt hat? Wir sind heute hier zusammengekommen, um im Geist den Hügel Golgatha zu besteigen. Und was erblicken wir da? Mitten zwischen zwei Missetätern hängt ein Mann hoch am schimpflichen Kreuzespfahl nackt und bloß vor unseren Augen da. Hände und Füße sind ihm mit Nägeln durchbohrt. In das Haupt ist eine Krone von Dornen gedrückt. Der ganze Leib ist zergeißelt. Aus tausend Wunden rinnt stromweis das Blut zur Erde. Die Sonne steht hoch; es ist Mittag; aber siehe! Plötzlich verliert die Sonne ihren Schein, und es wird dunkle, rabenschwarze Nacht. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ so ruft der Mann der Schmerzen durch die grauenvolle Finsternis. Niemand antwortet ihm mit einem Wort des Trostes, sondern höhnend und spottend umschwärmt man das Kreuz. Endlich ruft der Gekreuzigte aus: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Hierauf neigt er sein Haupt – und verscheidet. –

    Und wer ist es, der eben nach namenloser Marter seine gequälte Seele aushaucht? – Ach, der Sohn Gottes selbst, der Heiland aller Sünder, ist es, der da stirbt.

    Da hängt er, der HERR der Herrlichkeit und Herzog unserer Seligkeit, aber er ist tot. Der heilige Leib, in welchem die ganze Fülle der Gottheit wohnt, ist eine Leiche, kalt und starr. Das hohe Haupt, vor welchem sonst die Hölle bebte, ist zur Erde gesenkt. Das holde Antlitz, das sonst allen Unglücklichen wie die Morgenröte leuchtete, ist erblasst. Die Stimme, sie sonst so freundlich allen Mühseligen und Beladenen zurief: „Kommt her zu mir, ich will euch erquicken“, sie ist verklungen. Das Auge, das sonst so mild und liebreich in der Menschen Elend hineinsah, ist gebrochen. Die Hand, die sich auf Kranke legte, und sie wurden gesund; welche den Finger aufhob, und Sturm und Woge schwiegen und der Tod gab seine Toten wieder, sie ist erstarrt. Das treue Herz, ach, das einzig treue Herz, das für die Not aller Sünder so warm und liebend schlug, es steht still.

    Ach, der Menschen einiges Leben ist tot; der Menschen einiges Heil ist gestorben. Und wer ist es, der ihn getötet hat? Ach, unsere Sünden sind die Nägel, die die ewige Liebe ans Kreuz geschlagen; wir selbst sind es, die wir unser Heil, unser Leben, unsere Seligkeit getötet haben.

    O Tag unserer größten Sünde! O Tag unserer schwersten Schuld! O Tag des Jammers, des Klagens, Weinens und Seufzens!

    Seht, darum hat von jeder die Kirche heute gesungen:

O Traurigkeit!

O Herzeleid!

Ist das nicht zu beklagen? –

Gott, des Vaters einig Kind,

Wird ins Grab getragen.

 

Brich entzwei, mein armes Herze,

Mein armes Herze, brich entzwei!

Ach, mein Schmerz, mein großer Schmerze,

Der ist so viel und mancherlei.

Der Himmel zittert,

Die Erde schüttert,

Ach Not! Ach Not! Ach Not! –

Jesulein! Jesulein!

Mein Heil – ist tot!

 

    Doch, meine Brüder und Schwestern, wohl uns, wenn solche Betrachtungen des Todes Jesu in unserem Herzen lebendig werden! Wohl uns, wen wir heute nicht sowohl über Jesus, als vielmehr über uns selbst weinen und klagen! Das ist der Weg, auf welchem uns Jesu Tod endlich auch eine Quelle des Trostes werden muss, denn er, unser Heil, ist gestorben, damit wir das Heil erlangten; er, unser Leben, ist in den Tod gesunken, damit wir das Leben haben könnten. Von dieser Seite lasst uns jetzt seinen Tod andächtig erwägen.

 

1. Thessalonicher 5,9.10: Denn Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen, durch unseren HERRN Jesus Christus, der für uns gestorben ist, auf dass, wir wachen oder schlagen, zugleich mit ihm leben sollen.

 

    Der heilige Apostel bezeugt uns aber in den verlesenen Worten, dass Gott uns nicht zum Zorn, sondern zur Seligkeit bestimmt habe, denn Christus sei für uns gestorben, damit wir mit ihm leben. Hiernach sei der Gegenstand unserer jetzigen Betrachtung:

 

Christi Tod – unser Leben

 

    Nämlich

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Unser geistliches Leben hier in der Gnade und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Unser ewiges Leben dort in der Herrlichkeit.

 

1.

    „Christi Tod – unser Leben“, da soll also heute mein Thema sein. Aber wie? Liegt in diesem Satz nicht ein Widerspruch? Weg mag Leben nehmen von den Toten? Ist das nicht widersprechender, als dass aus Nichts Etwas werden soll? – Tod soll Leben geben, heißt das nicht, die Kälte soll wärmen, die Finsternis soll leuchten, die Leere soll ausfüllen, die Ohnmacht soll Stärke geben, des Lebens Ende soll des Lebens Keim und Anfang sein? Ja! und doch ist es so. Wie das tötende Gift zur Arznei wird und Heilung wirkt, so werden wir durch Christi Wunden heil, so wird sein Tod unser Leben. Und zwar spricht der Apostel in unserem Text: „Christus ist für uns gestorben, auf dass, wir wachen oder schlafen“, das heißt, wir mögen nun noch auf Erden wandeln oder bereits im Grab schlummern, „wir zugleich mit ihm leben sollen“. Christi Sterben gibt uns also schon hier das wahre Leben.

    Als nämlich Gott den Menschen schuf, da war der Mensch nicht nur leiblich unsterblich, sondern es war auch das wahre Leben, ein geistliches, göttliches, himmlisches Leben in ihm. Gott selbst wohnte nämlich in dem Menschen, belebte, erleuchtete und regierte ihn und heiligte alle seine Gedanken, Begierden, Worte und Werke. Aber in diesem seligen Zustand sollte der Mensch nicht bleiben, er hätte denn zuvor eine Probe bestanden. Gott führte ihn daher an einen Baum und sprach: „An welchem Tag du davon essen wirst, sollst du des Todes sterben.“ Und was taten die Menschen? Sie bestanden ihre Probe nicht, sie sündigten, sie aßen von dem verbotenen Baum, und ach, dadurch verloren sie nun das wahre Leben; Gott verließ den entweihten Tempel ihres Herzens; so zog denn der Tod in ihren Leib und alle seine Glieder ein, ja, auch in ihr Herz und in den Grund ihrer Seele. Von Gott getrennt, ohne seine Gnade, ohne sein Licht, ohne seine Kraft, ohne sein Leben, fielen sie nun in den geistlichen, leiblichen und ewigen Tod, und mit ihnen das ganze menschliche Geschlecht, mit ihnen auch wir!

    Wie sollte uns Menschen nun wieder geholfen werden? Wir selbst konnten es nicht. Wir konnten ja den Fall in die Sünde, auf welchen der Tod gesetzt war, nicht ungeschehen machen; und ach, die Menschen wissen es nicht einmal von Natur, dass sie im Tod liegen. Die Menschen sind von Natur alle geistlich tot, und sie meinen, sie leben; sie liegen alle von Natur unter Gottes Zorn, und sie träumen von Gottes Gnade und Lieben; sie stehen alle am Rand eines ewigen Todes, und sie sind gutes Mutes, als habe es keine Gefahr. Die Menschen konnten daher Gott nicht einmal um Errettung aus ihrem Tod bitten, geschweige selbst ihres Todes #Bande zerrreißen und ihres Todes Kerker sich öffnen.

    Doch Gott ist ein Gott, der des Sünders Tod nicht wollte, der uns, wie es in unserem Text heißt, „nicht gesetzt hat zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen“. Er beschloss daher uns aus dem Tod zu erlösen. Da aber Gott auch ein gerechter Gott ist, der die Sünde strafen muss, und da er ein wahrhaftiger Gott ist, der daher seine Drohung: „Ihr sollt des Todes sterben“, in Erfüllung gehen lassen musste: Wie konnte und sollte nun den Menschen geholfen werden?

    Sollte dies geschehen, so konnte es nur dann geschehen, wenn Einer für alle, wenn ein Heiliger für die Sünder, ein Unschuldiger für die Schuldigen starb, und zwar wenn ein Solcher für sie den Tod freiwillig übernahm, dessen Tod ein vollgültiges Opfer war zur Versöhnung aller. Eine solche Person, die dies nicht nur tun wollte, sondern auch konnte, gab es aber unter allen endlichen und geschaffenen Wesen im Himmel und auf Erden keine. Gott selbst war es allein, der dies tun konnte; und siehe, er hat’s nicht allein tun können, er hat’s auch zum Zeugnis seiner grundlosen Sünderliebe tun wollen. Schon von Ewigkeit hat Gott, der Vater, beschlossen, seinen Sohn für uns in den Tod dahin zu geben, und der ewige Sohn sich bereit erklärt, den Tod für uns zu leiden. Sobald daher der Mensch in Sünde und Tod gefallen war, da erschien Gott und gab ihm die Verheißung.: „Der Weibessame soll der Schlange den Kopf zertreten, sie aber wird ihn in die Ferse stechen.“ Und viertausend Jahre lang war das vor allem die Verkündigung aller Boten Gottes an die Menschen, Gott wolle nicht den Tod des Sünders, sondern dass er leben; er habe daher einen Tag bestimmt, an welchem durch Ein Opfer, das Gott selbst bringen wolle, die ganze in Sünden tote Welt mit ihm versöhnt und erlöst werden solle. Daran sollte schon Abels Opfer erinnern, das er von den Erstlingen seiner Herde Gott auf sein Geheiß schlachtete. Daran sollte besonders das Opfer erinnern, welches Abraham durch Darbringung seines einigen geliebten Sohnes Isaak auf Gottes Befehl ihm zu bringen sich bereit zeigte. Daran sollte ferner die Schlachtung des Passahlamms erinnern, mit dessen Blut Israel die Schwellen und Pfosten seiner Türen besprengte, damit der Würgeengel des Todes vorüber ging. Daran sollten ferne alle die blutigen Sühnopfer erinnern, welche die Priester und Leviten täglich nach dem Gesetz darbringen mussten. Daran sollte endlich besonders die alljährliche Erscheinung des Hohepriesters an dem großen Versöhnungstag erinnern mit Opferblut in dem Allerheiligsten. Daher spricht Jesaja von dem zukünftigen Erlöser und Versöhner: „Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, so wird er Samen haben und in die Länge leben, und des HERRN Vornehmen wird durch seine Hand fortgehen.“ Ferner schreibt Daniel: „70 Wochen sind bestimmt, so wird dem Übertreten gewehrt und die Sünde zugesiegelt und die Missetat versöhnt und die ewige Gerechtigkeit gebracht, und Christus wird ausgerottet werden und das Opfer aufhören.“ Endlich schreibt Sacharja: „So spricht der HERR Zebaoth: Ich will die Sünde desselben Landes wegnehmen auf einen Tag. Du lässt durch’s Blut deines Bundes aus deine Gefangenen aus der Grube, da kein Wasser drinnen ist.“

    Dieses alles ist damals auf Golgatha durch Jesu Tod erfüllt worden. Daher sprach er schon vorher, als die Jünger über die Verkündigung seines Todes traurig wurden: „Es ist euch gut, dass ich hingehe“, und an anderen Stellen: „Ich lasse mein Leben für die Schafe. Des Menschen Sohn ist gekommen, dass er gebe sein Leben zur Erlösung für viele. Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele, zur Vergebung der Sünde.“

    Ebenso reden daher auch die heiligen Apostel von Christi Tod. So schreibt unter anderem Paulus: „Christus ist um unserer Sünde willen dahingegeben. Christus hat uns geliebt und sich selbst dargegeben für uns, zur Gabe und Opfer, Gott zu einem Süßen Geruch. Christus ist für uns Gottlose gestorben. Wir sind Gott versöhnt durch den Tod seines Sohnes. Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber.“ Endlich heißt es im Brief an die Hebräer: „Christus ist einmal geopfert, wegzunehmen vieler Sünden. Christus ist durch sein eigenes Blut einmal in das Heilige eingegangen und hat eine ewige Erlösung erfunden.“

    Seht da, meine Teuren, den Beweis dafür, dass Christi Tod unser Leben ist. Gott hatte uns Menschen von Ewigkeit in dem Blut unserer Sünden liegen sehen, wie ausgesetzte, verworfene Kinder; als aber Christus für uns freiwillig am Kreuz gestorben war, da rief er über uns alle aus: „Ihr sollt leben!“ So unermesslich groß auch unsere Sündenschuld ist, die wir bei Gott gemacht haben: Durch Christi Tod ist sie vollkommen und überflüssig bezahlt. So unaustilgbar auch die Handschrift des Gesetzes war, die gegen alle Menschen vor Gott gezeugt und sie verklagt hat: Durch Christi Tod ist sie ausgetilgt; da hat sie Christus aus dem Mittel getan und an das Kreuz geheftet. So hoch vorher auch die Scheidewand war, die unsere Sünde zwischen uns und Gott aufgerichtet hatte: Durch den Tod Christi ist sie niedergerissen und der Zaun abgebrochen, der dazwischen war, und durch seine schmähliche Erhöhung an das Kreuz Himmel und Erde wieder vereinigt. So schrecklich auch der Fluch war, den Gott auf die ganze Welt, nachdem sie von ihm abfiel, legte: Durch den Tod Christi am Holz des Fluches ist unser Fluch nun hinweggenommen und in Heil und ewigen Segen verwandelt. So schwer endlich auch der Zorn war, zu welchem wir den heiligen Gott durch unsere Sünden gereizt hatten: Durch Christi Tod ist Gott nun vollkommen versöhnt; Christi für uns um Barmherzigkeit schreiendes Versöhnungsblut hat das Feuer des göttlichen Zornes ausgelöscht und es in ein hell loderndes, nie erlöschendes Feuer göttlicher Vaterliebe verwandelt. An den verbotenen Früchten des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse in dem irdischen Paradies haben wir den Tod uns gegessen; aber an dem Kreuzesbaum hängt nun Gottes Sohn selbst als eine Frucht aus dem himmlischen Paradies, die uns nicht verboten ist, nach welcher jeder Mensch mit der Hand seines Glaubens greifen, die er genießen und woran er sich das Leben essen soll, das wahre Leben, welches ist Vergebung der Sünden, Gottes Gnade und Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist.

    O wohl allen, die sich gläubig in Christi Tod versenken! Diese erwachen aus ihrem geistlichen Tod und sie können dann mit Paulus sagen: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir; denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dargegeben.“

 

2.

    Doch, meine Teuren, Christi Tod ist unser Leben nicht nur insofern, als uns durch denselben das geistliche Leben in der Gnade wieder erworben worden ist, sondern auch zweitens insofern, als uns dadurch auch das ewige Leben in der Herrlichkeit wieder eröffnet worden ist.

    Dass wir Menschen durch die Sünde in den geistlichen Tod gefallen sind, das erkennen nur wenige, nur diejenigen, welche sich‘s durch den Heiligen Geist haben offenbaren lassen, dass wie von Natur ohne Licht, ohne Kraft und ohne Gnade, finster, ohnmächtig, verloren sind. Aber dass wir Menschen durch die Sünde in den leiblichen Tod gefallen sind, das muss jeder erkennen, wer nur seine Augen auftun will. „Mensch, du musst sterben!“ Dies brauchen wir Prediger nicht erst zu predigen, dieses finstere, schreckliche Wort ruft allen Menschen die ganze alljährlich dahinsterbende Natur, jeder Leichenzug, jeder Sarg, jedes Grab und besonders jede Krankheit und jedes graue Haar des Alters zu. Aber ach, so finster dem Menschen die Gestalt des leiblichen Todes vor seiner Seele steht, so gibt es doch noch einen anderen Tod, welcher auf den zeitlichen Tod folgt, der noch viel schrecklicher ist; das ist der andere oder der ewige Tod, nämlich eine ewige Trennung von Gott, eine ewige Verstoßung von seinem Gnadenantlitz, eine ewige Ausschließung von aller Freude, von allem Licht, von allem Frieden, von aller Seligkeit, in ewiger Not, Qual und Pein. Auf die Sünde ist aber auch dieser Tod gefolgt.

    O, wie elend wären wir daher, wenn es von dem zeitlichen und so auch von dem ewigen Tod keine Erlösung gäbe! Dann müssten wir wünschen, nie geschaffen zu sein, und die Stunde unserer Geburt verwünschen, als den Anfang einer ewigen Not.

    Aber, gelobt und gebenedeit sei der heilige und gnädige, der gerechte und barmherzige Gott! Christi Tod ist unser Leben! und durch Christi Tod sind wir nicht nur von dem geistlichen, sondern auch von dem leiblichen und ewigen Tod erlöst, er ist die Quelle auch unseres ewigen Lebens in der Herrlichkeit. Denn in unserem Text heißt es: „Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen, durch unseren HERRN Jesus Christus, der für uns gestorben ist, auf dass, wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben sollen.“ Dasselbe drückt der Verfasser des Briefes an die Hebräer so aus: „Christus hat durch den Tod die Macht genommen dem, der des Todes Gewalt hatte.“

    Es scheint freilich, als ob der Tod auch nach Christi Tod noch dieselbe Macht hätte. Denn verschlingt sein unersättlicher Schlund nicht noch immer täglich Tausende? Regiert er, dieser König des Schreckens, nicht noch immer mit eisernem Zepter und unwiderstehlicher Gewalt über die ganze Welt? Werden nicht noch immer diejenigen, welche sich Christi Todes trösten, ebenso wohl des Todes Beute wie die, die Christi Tod verwerfen?

    Es scheint freilich so. Aber es ist eben nur Schein. Der Stachel des zeitlichen Todes ist die Sünde, denn der Tod ist der Sünde Sold. Um der Sünde willen hat der Mensch die ihm anerschaffene Unsterblichkeit verloren, dass er nun wieder Erde werden muss, davon er genommen ist. Um der Sünde willen führt der zeitliche Tod den Menschen vor Gottes Gericht und wird ihm so eine Pforte des ewigen Todes. Durch Christi Tod ist aber die Sünde versöhnt und getilgt, denn durch den Tod hat Christus den letzten Sold der Sünde für alle Sünder bezahlt. Darum ist auch durch Christi Tod unser Tod überwunden. Wie eine Biene, wenn sie heftig gegen einen Felsen sticht, ihren Stachel verlieret und sich selbst tötet, so hat auch der Tod, da er Christus, dem Fels unseres Heils, in die Ferse stach, damit seinen Stachel verloren, ja, Christus hat ihm im Augenblick des Stechens seinen Kopf zertreten. Wie ein Gift, wenn es verschlungen wird, seine Kraft nicht verliert, sondern den, der es verschlingt, tötet, so hat auch Christus dadurch, dass er von dem Tod verschlungen wurde, seine Kraft nicht verloren, sondern er hat den Tod verschlungen, den Tod getötet. Daher spricht Christus schon durch den Propheten Hosea: „Ich will sie erlösen aus der Hölle und vom Tod erretten. Tod, ich will dir ein Gift sein; Hölle, ich will dir eine Pestilenz sein.“  Daher jauchzt auch St. Paulus im Hinblick auf den Gekreuzigten: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Aber der Stachel des Todes ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat, durch unsern HERRN Jesus Christus.“

    O, wer mag daher den Reichtum der süßen Früchte aussprechen, welche Christi Tod gebracht hat? Paulus gibt sie mit den kurzen Worten an: „Ist Einer für alle gestorben, so sind sie alle gestorben“; und im Brief an die Hebräer heißt es: „Christus hat von Gottes Gnaden für alle den Tod geschmeckt.“ Wir Menschen sind also nun nach Christi Tod so angesehen, als ob wir schon alle gestorben seien; wir sollen daher nun nicht mehr mit dem Tod die Schuld unserer Sünden bezahlen. Wir Menschen sollen nun nicht mehr des Todes Bitterkeit schmecken, denn #Christus hat für uns den bitteren Todeskelch ausgetrunken, ihn mit seiner Gnade angefüllt und so ihn in einen süßen Kelch des Lebens verwandelt.

     Ob daher auch der, welcher an die Kraft des Todes Christi glaubt, zu sterben scheint, in Wahrheit stirbt er nicht. Für den Gläubigen ist der Tod nun nicht mehr ein Gift, das seinen Leib zerstört, sondern eine Arznei, die seinen Leib zur Verklärung bringt und in ein Kleid der Unsterblichkeit verwandelt. Für den Gläubigen ist nun der Tod nicht mehr ein Bote, der ihn vor Gottes strenges Gericht führt, sondern ein Friedensengel, der ihn zum Gnadenthron und zum Anschauen Gottes von Angesicht zu Angesicht führt. Für die Gläubigen ist nun der Tod nicht mehr ein Schiffbruch aller ihrer Freuden, sondern der Schlüssel, der ihren Kerkere dieser bösen Welt aufschließt und sie in ewige Freiheit setzt. Für die Gläubigen ist der Tod nun nicht mehr ein Eingang zum ewigen Tod und zur Hölle und Verdammnis, sondern eine Tür zum ewigen Leben und zum Himmel und zur Seligkeit.

    O seliger Tag, an welchem Jesus für uns starb! Tag des Heils, des Segens und Lebens! Sein Trauerkleid zieht uns das Feierkleid des ewigen Lebens an. Denn wir singen heute nicht nur:

O große Not!

Gott selbst ist tot!

Am Kreuz ist er gestorben.

Sondern wir müssen auch hinzusetzen:

Hat dadurch das Himmelreich

Uns aus Lieb erworben.

    O liebe Zuhörer, so lasst uns denn Welt und Sünde gänzlich verlassen; denn darin ist doch nur Tod, geistlicher, zeitlicher und ewiger Tod. Lasst uns uns im Glauben versenken in Christi Tod; denn darin ist Leben, das Leben hier in der Gnade und das Leben dort in der Herrlichkeit.

    Wie viel würde mancher Reiche geben, wenn er sich damit vom Tod loskaufen könnte! O, so lasst uns doch nach Golgatha gehen, denn da finden wir Erlösung vom Tod frei und umsonst.

    Besonders lasst uns in der Stunde unseres Todes an Christi Tod im Glauben gedenken, so werden wir den Tod nicht schmecken. Denn gleichwie Mose eine Schlange in der Wüste erhöht hat, so musste auch des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Amen.

 

Evangelienpredigt zu Ostersonntag ueber Markus 16,1-8: Dass die Osterbotschaft einst auch an die treulosen Juenger gerichtet war, ein herrliches Zeugnis, dass sie eine Freudenbotschaft für alle, auch für die groeßten Suender, ist

 

    HERR Jesus! Heute stehen wir nicht mehr seufzend und weinend um dein Kreuz, heute sind wir frohlockend versammelt um dein Grab; denn siehe: Dein Grab ist leer! Du bist auferstanden! Auferstanden in Herrlichkeit! Mit unseren Sünden beladen, blutetest du auf Golgatha; von unseren Sünden losgesprochen und frei, drangst du nach drei Tagen als Sieger über Sünde, Tod und Hölle triumphierend aus deinem Grab hervor. O, welch eine Freude für alle Sünder! Aber, siehe, HERR, auch unser Herz ist ein Grab: finster, öd und kalt. O, halte doch darum in diesen Tagen Auferstehung auch in unseren Herzen, auf dass es sich darin auch rege und dasselbe voll licht, Leben und Freude werde. Dazu segne die Botschaft von deiner Auferstehung auch in dieser Stunde, um dieses deines glorreichen Ostersieges willen. Amen.

 

Markus 16,1-8: Und da der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria Jakobi und Salome Spezerei, auf dass sie kämen und salbten ihn. Und sie kamen zum Grabe ersten Tag der Woche sehr früh, da die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen dahin und wurden gewahr, dass der Stein abgewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Kleid an. Und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist auferstanden und ist nicht hier. Siehe da die Stätte, da sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt’s seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen schnell heraus und flohen von dem Grab; denn es war sie Zittern und Entsetzen ankommen. Und sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.

 

    In dem auferstandenen Christus, geliebte Zuhörer!

    „Entsetzt euch nicht; ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist auferstanden und ist nicht hier. Siehe da die Stätte, da sie ihn hinlegten.“ So rief ein Engel jenen gottseligen galiläischen Frauen zu, welche schon im Morgengrauen zu Christi Grab geeilt waren, um seinen Leichnam zu salben. Wohl war, wie Markus in unserem Evangelium berichtet, diese teuren Seelen bei dem Anblick eines heiligen Engels „Zittern und Zagen angekommen“; allein Matthäus berichtet zugleich, dass mit ihrer Furcht „große Freude“ verbunden gewesen sei. Und o, wie groß mag diese ihre Freude gewesen sein! Die Größe dieser Freude auszusprechen ist ganz unmöglich. Keine menschliche Sprache reicht dazu hin. Hatte zuvor ihr Herz wie im Blut geschwommen, so schwamm es jetzt in himmlischem Entzücken. War ihnen zuvor nicht anders zumute gewesen, als ob Sonne, Mond und alle Sterne des Himmels verloschen und die ganze Welt in eine dichte undurchdringliche Nacht der Hoffnungslosigkeit eingehüllt sei, so war ihnen jetzt nicht anders zumute, als ob plötzlich die Finsternis verschwunden und die Sonne alles Trostes in voller Pracht aufgegangen sei und die ganze Welt in ihren hellen Strahlen ihnen entgegenlache. Die Erde verwandelte sich jetzt vor ihren Blicken in ein neues Paradies, in einen Himmel voll Seligkeit. Mit einem Wort: Sie empfanden jetzt, nachdem sie drei Tage lang wie mit dem Tod gerungen hatten, einen Vorschmack des ewigen Lebens.

    Welch einen ganz anderen Eindruck mag hingegen die Kunde von Christi Auferstehung auf die Feinde Christi, auf die verstockten Hohenpriester und Ältesten gemacht haben! Was mögen sie gefühlt haben, als sie, aufgeschreckt aus ihrem süßen Traum, Jesus, der so oft ihre Heuchelei gestraft hatte, sei nun tot, von etlichen Wächtern des Grabes Christi die Nachricht erhielten, wie am Morgen des dritten Tages nach Christi Tod die Erde plötzlich in ihren Grundfesten erbebt und erschüttert worden sei und das Grab sich plötzlich geöffnet habe, wie sie alsbald vor Schreck wie tot zu Boden gestürzt seien und wie, nachdem sie wieder zu sich gekommen, eine wunderbare Stimme weinenden Frauen zugerufen habe: „Er ist auferstanden und ist nicht hier“! Da wird ihnen nicht anders zumute gewesen sein, als ob Gott selbst zu ihnen spräche: Was habt ihr getan, ihr Christusmörder? Wehe euch immer und ewig! Da werden ihnen die Knie geschlottert und das Herz im Leib gezittert haben. Zwar hat hierauf diese Verstockten nicht des Petrus Reue erfüllt, aber des Judas Verzweiflung ergriffen. Wohl fürchteten sie auch nicht, dass der Auferstandene sich ihnen lebendig darstellen werde, um sich noch einmal von ihnen kreuzigen zu lassen; aber, an Gottes Gnade gänzlich verzweifelnd und Gott und ihre Seligkeit aufgebend, ersinnen sie, um wenigstens nicht vor Menschen zuschanden zu werden, die lächerliche Lüge: Des Nachts, als die Wächter geschlafen, seien die Jünger gekommen und hätten den Leichnam Jesu gestohlen; und sie gaben nun den ruchlosen Soldaten Geld genug, das heißt, so viel dieselben sich dafür ausbedingten, diese Lüge allenthalben zu verbreiten. Ein Gleiches werden, meine Lieben, einst am Jüngsten Tag alle ungläubigen Verächter Christi erfahren, wenn die letzte Posaune erschallen und Christus, der Auferstandene, in seiner Herrlichkeit in den Wolken des Himmels erscheinen wird und alle heiligen Engel mit ihm, und wenn er sich nun vor ihren Augen auf den Stuhl seiner Herrlichkeit setzen wird, zu richten alle Lebendigen und Toten. Dann werden, wie die Schrift sagt, heulen alle Geschlechter der Erde und verzweiflungsvoll sagen zu den Bergen: „Fallt über uns, und zu den Hügeln: Deckt uns, und verbergt uns vor dem Angesicht des, der auf dem Stuhl sitzt, und vor dem Zorn des Lammes. Denn es ist gekommen der große Tag seines Zorns, und wer kann bestehen?“ (Luk. 23,3o; Offenb. 6,16.17.)

    Doch, meine Lieben, so lange Christi Auferstehung noch hier auf Erden in der Gnadenzeit gepredigt wird, da hat dieses nie diesen schrecklichen Endzweck, sondern vielmehr allezeit den gnadenvollen Endzweck, in das Herz eines jeden Zuhörers himmlische Freude auszugießen. Dies sehen wir unter anderem daraus, dass der Engel in unserem Text den frommen Frauen, nachdem er denselben Christi Auferstehung verkündigt hatte, nicht nur zuruft: „Entsetzt euch nicht!“ sondern ihnen auch den Auftrag gibt: „Geht aber hin und sagt’s seinen Jüngern und Petrus.“ Wunderbar! Auch den treulosen Jüngern sollen sie die Freudenbotschaft von Christi Auferstehung bringen!

    Hiernach lasst mich euch denn jetzt vorstellen:

 

Dass die Osterbotschaft einst auch an die treulosen Jünger gerichtet war, ein herrliches Zeugnis, dass sie eine Freudenbotschaft für alle, auch die größten Sünder, ist

 

    Hierbei last mich euch zweierlei zeigen:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie dieses, dass die Osterbotschaft auch an die treulosen Jünger gerichtet war, wirklich ein solches herrliches Zeugnis sei, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass daher auch ein jeder, welcher die Osterbotschaft hört, dieselbe mit wahrer Herzensfreude aufnehmen sollte.

 

1.

    „Da verließen ihn alle Jünger und flohen.“ So schreibt Matthäus, nachdem er berichtet hatte, dass Christus gefangen genommen worden war. Dieses schmähliche Verlassen Christi in seiner höchsten Not war, meine Lieben, eine große, eine ganz schreckliche Sünde. Bedenkt nur Folgendes. Die Jünger glaubten von Herzen, dass Christus Gottes Sohn und der Heiland der Welt sei; sie sündigten daher hierbei nicht in Unwissenheit, sondern ganz offenbar wider besseres Wissen und Gewissen. Christi tiefe Erniedrigung kam ihnen auch nicht unerwartet; Christus hatte ihnen ja sein Leiden nach allen Umständen desselben auf das genaueste und wiederholt vorausgesagt; Christus hatte sogar noch wenige Stunden vorher die Jünger vor Ärgernis gewarnt; sie handelten daher in der sie jetzt treffenden Versuchung auch nicht unvorbereitet, sondern trotz erhaltener treuer Warnung; ihr Fall war sonach in jeder Beziehung ein ganz unentschuldbarer. Hierzu kam: Christus hatte sie drei Jahre lang unterrichtet, unzählige Wunder vor ihren Augen getan und sie selbst mit Wundergaben ausgerüstet, sie allmächtig b4eschützt und ihnen soeben durch seinen majestätischen Befehl: „Sucht ihr den mich, so lasst diese gehen“, sozusagen, einen Freipass ausgewirkt. Und doch heißt es: „Da verließen ihn alle Jünger und flohen!“ O schändlicher Unglaube! O greuliche Undankbarkeit!

    Und wie verheilt sich in dieser Stunde der Versuchung Petrus, der doch schon von Natur ein tapferer, furchtloser Mann war? – Wohl hatte er noch vor wenigen Stunden Christus heilig und teuer versichert: „HERR, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.“ Wohl hatte er sogar, sich in großem Selbstvertrauen über alle seine Apostel erhebend, gesagt: „Wenn sie auch alle sich an dir ärgern so will doch ich mich nimmermehr ärgern.“ Ja, obwohl ihm Christus seinen Fall warnend vorausgesagt hatte, hatte er doch erwidert: „Und wenn ich mit dir sterben müsse so will ich dich nicht verleugnen.“ Und was ist geschehen? Zwar zieht Petrus im Garten Gethsemane in blindem, fleischlichem Eifer sein Schwert, als die Häscher die Hände an Jesus legen, und zwar folgte er seinem gefangenen Meister von ferne. Aber ach, als im Vorhof des hohepriesterlichen Palastes eine Magd mit den Worten vor ihn hintritt: „Und du warst auch mit dem Jesus aus Galiläa“ da leugnet er und spricht: „Ich bin’s nicht. Ich weiß nicht, was du sagst“; und als hierauf eine andere Magd, auf Petrus deutend, spricht: „Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth“, da verleugnet er und gibt die schreckliche Antwort: „Ich kenne den Menschen nicht.“ Ja, als endlich noch andere ihn am Schein des Kohlfeuers wiedererkennen und ihm zurufen: „Wahrlich, du bist auch einer von denen; deine Sprache verrät dich“, und da sich Petrus nun entdeckt sieht, „da“, heißt es, „hob er an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht.“ Wohl geht er nun hinaus und weint bitterlich; aber um kehrt er nicht, um mit seinem HERRN zu sterben.

    O, meine Lieben, was für eine himmelschreiende Treulosigkeit war es also, dass alle Jünger ihren treuen HERRN und Heiland in seiner höchsten Not feig verließen! Und wer kann besonders die Größe der Sünde beschreiben, welche Petrus beging, als er Christus dreimal verleugnete und endlich sprach: „Ich kenne den Menschen nicht“! Wir müssen hierbei ausrufen: Wie? du Unglückseliger du sprichst: „Ich kenne den Menschen nicht“? Hast du nicht einst mit wallendem Herzen ausgerufen: „HERR, wohin sollen wir gehen, Du hast Worte des ewigen Lebens. Und wir haben geglaubt und erkannt, dass du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn“? und nun spricht du: „Den Menschen“? Ja, während dein Heiland gebunden neben dir steht, verfluchst und verschwörst du dich, dass du „den Menschen“ nicht kennst!? O Petrus! Petrus! Wie tief bist du gefallen!

    Wären nicht, meine Lieben, alle Jünger, und vor allen Petrus, wert gewesen, dass ihnen Christus nach seiner Auferstehung nicht erschienen wäre, ja, dass er ihnen seine Auferstehung verhehlt und sich nun andere Jünger ausgesucht hätte? Nahmen doch schon an Christi Begräbnis nur Frauen und Fremde teil, und kamen doch auch nur Frauen zu seinem Grab, aber kein Jünger ließ sich hier sehen; sie verbargen sich vielmehr alle aus Furcht vor den Juden hinter Schloss und Riegel! Erst als die Kunde vor sie kommt, der HERR sei erstanden, was sie für ein Märlein halten, da finden sich nun einige bei dem Grab ein, die Sache zu untersuchen. Hätten sie es darum nicht alle tausendfach verdient gehabt, dass es Christus den Engeln streng verboten hätte, seinen treulosen Jüngern und besonders Petrus von seiner Auferstehung etwas zu sagen? Ja, wahrlich! Aber was hatte Christus getan, sobald er auferstanden war? – Da hatte er Engel ausgesandt, welche den zum Grab gekommenen Frauen nicht nur seine Auferstehung verkündigen, sondern ihnen auch den Auftrag erteilen mussten: „Geht hin und sagt’s seinen Jüngern und Petrus.“ O, welch eine Gnade, welch eine Geduld, welche eine Liebe zu den Sündern, auch zu den größten Sündern, offenbart sich hier!

    Seht da: Dass die Osterbotschaft einst auch an die treulosen Jünger gerichtet war, dies ist wirklich ein herrliches Zeugnis, dass sie eine Freudenbotschaft für alle Sünder, auch für die größten Sünder, ist.

    Bist du also, mein lieber Zuhörer, deinem Heiland untreu geworden, hast du dich vielleicht nach deiner Bekehrung wieder in das Wesen dieser Welt verflechten lassen; bist du träge geworden zum Gebet, lässig im Treiben des Wortes Gottes, furchtsam im Bekenntnis, o, dann denke nicht: Ach, wäre ich nicht untreu gewesen, so könnte ich heute auch an der Osterfreude aller wahren Christen teilnehmen; aber nun ist der Ostertag für mich kein Freudentag, sondern nur ein Buß- und Trauertag. Nein, denke vielmehr daran, wie untreu die Jünger gewesen sind, und doch hat Christus ihnen die Osterbotschaft verkündigen lassen und ist ihnen endlich sogar noch an seinem Auferstehungstag selbst leibhaftig erschienen, und at sie dadurch mit ganz unaussprechlicher Freude erfüllt. O, freue dich denn, auch due Untreuer, mit diesen Untreuen!

    Oder bist du, mein lieber Zuhörer, deinem Heiland etwa nicht nur untreu gewesen, sondern bist du vielleicht sogar gänzlich von ihm abgefallen, nämlich in grobe greuliche Sünden und Schaden gefallen, o, dann denke nicht: Ach, wäre ich nicht so tief gefallen, so könnt4e ich heute auch mit allen Gläubigen fröhlich einstimmen in ihre heiligen Triumphgesänge und mit ihnen der Sünde, des Todes und der Hölle spotten; aber nun kann ich nichts tun als weinen und seufzen: O Jesus, du Gotteslamm, erbarme dich meiner: hilf mir, wenn mir noch zu helfen ist! Nein, denke vielmehr an Petrus, den großen Sünder, der seinen Heiland dreimal verleugnet und sich dabei selbst verflucht und verschworen hatte, und doch hat der Auferstandene gerade ihn vor allen anderen mit Namen genannt, damit er nicht denke, wenn Christus auch alle anderen Jünger annehme, so habe er doch gewiss ihn von den Seinen ausgeschlossen. O, freue dich denn heute auch, du Abgefallener, mit Petrus, dem Abgefallenen! Dieses Osterfest soll auch dein Wiederauferstehungsfest werden.

    Oder bist du, lieber Zuhörer, etwa bis heute noch nie ein gläubiger Christ gewesen? Hast du dich vielleicht bisher nur um das Irdische, aber nicht um das Himmlische, um dein Glück in der Welt, aber nicht um deiner Seelen Seligkeit bekümmert; o, dann denke nicht: Ach, dass ich so spät an meinen Heiland denke! Ach, das sich erst heute aus meinem Sündenschlaf aufwache! O, das sich verlorener Sohn, ich verlorene Tochter doch früher von meinen Sündenwegen umgekehrt wäre! So könnte auch ich heute mit der ganzen Christenheit jubilieren; aber mich geht Christi freudenreiche Auferstehung noch nichts an. Nein, nein, denke so nicht, sondern denke vielmehr so: Da Christus, der Auferstandene, einst diejenigen, welche schon so lange bei ihm gewesen waren und ihn doch schändlich verlassen hatten, vielmehr aufgesucht und zu Gnaden aufgenommen hat, so wird er noch viel mehr dich, der du noch nie seine Gnade geschmeckt hast, wenn du heute dich ihm zu Füßen wirst, nicht von sich stoßen, sondern dich mit Freuden aufnehmen, wie ein Hirte sein verlorenen, aber wiedergefundenes Schäflein annimmt.

 

2.

    Wohlan, meine Lieben, so haben wir denn gesehen: Dass die Osterbotschaft auch an die tiefgefallenen Jünger und selbst an Petrus gerichtet war, dies ist wirklich ein herrliches Zeugnis, dass sie eine Freudenbotschaft für alle, auch für die größten Sünder, ist. Lasst mich euch daher nun auch zweitens zeigen, dass darum ein jeder, welcher die Osterbotschaft hört, dieselbe auch mit wahrer Herzensfreude aufnehmen sollte.

    Wie? wird hier vielleicht mancher sagen, ist es denn nötig, dass du uns dies erst zeigst? Ist es denn möglich, dass ein Sünder die Osterbotschaft für alle Sünder ohne Herzensfreude hörte? Ich antworte: Ja freilich scheint dies unmöglich zu sein; aber es ist dies nicht nur möglich, sondern geschieht auch leider wirklich nur allzu oft. Wohl hören die Meisten so lange mit Freuden zu, so lange ihnen die Osterbotschaft für alle Sünder, auch für die größten, dargelegt wird; aber was geschieht? Es geschieht dann gar oft, was der HERR sagt: „Sie nehmen das Wort mit Freuden an, aber sie haben nicht Wurzel, eine Zeitlang glauben sie, aber zur Zeit der Anfechtung fallen sie ab.“ Selbst von dem gottlosen Herodes sagt die Schrift, dass er Johannes den Täufer, den er später um einer unzüchtigen Tänzerin willen töten ließ, „gerne hörte“. Auch zu den verblendeten Juden sagt der HERR in Beziehung auf Johannes den Täufer: „Ihr wolltet eine kleine Weile fröhlich sein in seinem Licht.“ Ja, von dem in Religionssachen so gleichgültigen König Agrippa sagt die Apostelgeschichte, dass er einst von einer Predigt des Paulus so ergriffen worden sei, dass er endlich ausgerufen hat: „Es fehlt nicht viel, du überredest mich dass ich ein Christ würde.“

    Aber, meine Lieben, dies alles ist noch nicht jene wahre Herzensfreude, mit welcher ein jeder die selige Osterbotschaft aufnehmen soll. Dies alles ist nur ein vorübergehender Rausch, nur ein Strohfeuer, das zwar schnell in hellen Flammen auflodert, aber ebenso schnell wieder verlischt und nichts zurücklässt als Rauch und Asche.

    Die Freude, mit welcher einst die lieben Jünger die Osterbotschaft endlich aufnahmen, war eine ganz andere. Sie war so groß, dass sie, wie Lukas sagt, vor Freude nicht glauben konnten. Die Tatsache der Auferstehung Christi war so sehr gegen alle ihre Erwartungen, übertraf so sehr alle ihre Hoffnungen, war so unausdenkbar herrlich, dass sie waren wie die Träumenden, dass sie nämlich meinten, es könne nur ein süßer Traum sein. Ihr Herz war ihnen viel zu eng, um den Freudenstrom, der sich durch diese Botschaft darein ergießen wollte, fassen zu können.

    Seht, das ist wahre Osterfreude armer Sünder. Sie ist wie die Freude eines zum Tode Verurteilten, der plötzlich von der Botschaft überrascht wird, dass er begnadigt ist. Sie schmeckt nicht nur selbst wie süße Himmelslust, sondern macht auch das Herz süß gegen Gott und alle Menschen. Zwar äußert sie sich nicht immer in lautem Jubeln und Jauchzen, aber, tief im herzen glühend, erquickt sie den Menschen nach Leib und Seele.

    Ist etwas von dieser Freude auch in euren Herzen? – O, selig, selig seid ihr dann; so ist eure diesjährige Osterzeit bereits das Vorspiel einer euch erwartenden seligen Ewigkeit.

    Doch, die lieben Jünger freuten sich nicht nur in jenen ersten Ostertagen, sondern das in ihnen angezündete Freudenfeuer brannte und glühte fort bis an ihren Tod. Diese Freude wirkte in ihnen, dass sie über derselben alle Freuden, Ehre, Güter der Welt nichts mehr achteten, hingegen selbst in den größten Nöten bekannten: „Wir sind überschwänglich in Freuden in all unserer Trübsal“; so dass Paulus mit Freuden sich enthaupten und Pet5rus mit Freuden sich kreuzigen ließ.

    Seht da, die wahre Osterfreude ist also nicht nur eine tiefwurzelnde, sondern auch eine bleibende. Sie begleitet den Menschen sein ganzes Leben hindurch. Sie erfüllt das ganze Herz des Menschen, und wes sein Herz voll ist, des geht dann sein Mund über; sie wandelt sein Herz um, dass er ein anderer Mensch wird, der die Sünde hasst und alles Irdische gering achtet. Diese Freude macht ihn zu einem Wunder vor den Augen aller anderen Menschen; den sie macht, dass er fröhlich ist, wenn andere traurig sind, und dass er dankt und Gott lobt und preist, wenn andere nur heulen und weinen. Er singt mit Paul Gerhardt:

Mein Herze geht in Sprüngen

Und kann nicht traurig sein,

Ist voller Freud und Singen,

Sieht lauter Sonnenschein.

Die Sonne, die mir lachet,

Ist mein HERR Jesus Christ,

Das, was mich singen machet,

Ist, was im Himmel ist.

    O, meine teuren Zuhörer, so hat euch denn Gott heute wieder die selige Osterbotschaft predigen lassen, um euer Herz mit wahrer Osterfreude zu erfüllen! So tut denn auch euer Herz der wahren Osterfreude auf! Lasst euch weder der Welt Freude noch der Welt Sorge, weder eurer Sünden Größe noch eurer Sünden Menge daran hindern. So werdet ihr auch in diesem Leben mit den Aposteln zu eurem Wahlspruch machen können: „Als die Traurigen, aber allezeit fröhlich“; dort aber wird die Freudenquelle, die in euch war, erst recht hervorbrechen und sich in ein tiefes, breites Meer von Freude verwandeln, in ein Meer ohne Grund und ohne Ufer. Das helfe uns allen Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist, gelobt und gepriesen hier in der Zeit und dort von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

Evangelienpredigt am ersten heiligen Ostertag ueber Markus 16,1-8: Die Auferstehung Jesu Christi, ein Sieg der Gerechtigkeit ueber die Suende

 

(aus: Festklänge, S. 221 ff.)

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                               HERR Jesus Christus, in Deinem Namen sind wir hier versammelt, um das Gedächtnis Deiner glorreichen Auferstehung zu feiern, davon zu predigen und davon zu hören und darüber Deinen Namen zu loben und zu preisen.

                                 Aber, o HERR, wie unaussprechlich groß, wie herrlich ist dies Dein Werk! Wie bist Du dadurch vor Himmel und Erde verklärt, wie bist Du dadurch über alles erhöht, wie bist Du dadurch mit unendlicher Majestät bekleidet! Wie teuer, wie köstlich sind die Güter, wie vollkommen der Trost, wie bewunderungswürdig die Herrlichkeit, die Du damit Deinen Gläubigen gebracht hast!

                                   Alle Engel und Menschen sind zu schwach, das Werk Deiner siegreichen Auferstehung in seiner Herrlichkeit zu ergründen oder nach Würden auszureden und zu predigen und zu preisen.

                               Darum bitten wir Dich, gehe, Du himmlische Ostersonne, selbst heute und an allen diesen Festtagen über uns auf und gieße die Strahlen Deiner Auferstehungsherrlichkeit aus über diese ganze Gemeinde.  Lass es uns an unseren Herzen erfahren, dass Du nicht mehr tot, sondern lebendig bist und allenthalben Leben wirkst und Deine Gegenwart bei Deiner Kirche offenbarst.

                                 Kann ich, Dein schwacher Knecht, von Deinen großen Taten auch nicht nach Würden reden, so hilf mir doch davon lallen zur Verherrlichung Deines angebeteten Namens und zum Heil aller dieser Seelen. Amen.

 

Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus, dem auferstandenen Siegesfürsten!

 

                                   Wie unleugbar und gegründet die Tatsache sei, die wir heute festlich begehen, dass nämlich Christus, der Gekreuzigte, von den Toten auferstanden sei, dies sehen wir unter anderem schon aus den herrlichen Wirkungen, welche diese Botschaft hatte.

                                   Wie furchtsam, wie mutlos, wie kleingläubig finden wir die heiligen Apostel vor der Auferstehung Jesu Christi! Wie schnell war diese Herde zerstreut, als der Hirte geschlagen wurde! Judas verrät seinen Meister, Petrus verleugnet ihn und alle anderen Jünger ergreifen die Flucht und wollen nur bei verschlossenen Türen sich zu versammeln wagen.

                              Welche Veränderung nehmen wir aber bei den Jüngern wahr, nachdem sie nicht nur von glänzenden Engeln die erste Lebensbotschaft von Christus erhalten, sondern den Auferstandenen selbst gesehen, wieder mit ihm geredet, ihn betastet und mit ihm gegessen und getrunken hatten! Wir finden sie keineswegs leichtgläubig; sondern es kostete vielmehr große Mühe, ehe sie sich von dem herrlichen freudenreichen Wunder überzeugen ließen.

                                  Aber als sie sich überzeugt hatten, als der Auferstandene endlich in Galiläa einer Versammlung von mehr als fünfhundert Jüngern auf einmal erschienen war: Welche Unerschrockenheit, welcher Muth, welche Stärke des Glaubens zeigte sich dann in ihnen!

                               Hätten die Apostel nicht gewusst, als Augen- und Ohrenzeugen, dass Christus wahrhaftig auferstanden sei, würden sie dann wohl in alle Welt ausgegangen sein und das Evangelium von dem Gekreuzigten gepredigt haben? Was hätte die Apostel bewegen können, Vater, Mutter, Frau, Kinder, Vaterland und alles Zeitliche zu verlassen? keinen Spott, keine Schmach, keine Gefahr, keine Verfolgung, Mühe, Angst, Arbeit, Hunger, Frost und Blöße, keine Banden, ja, nicht den grausamsten Tod zu scheuen? Was hätte in ihnen die Hoffnung rege machen können, etwas mit ihrer Predigt von dem Gekreuzigten in der Welt auszurichten, die Götzen der Heiden zu stürzen und die Völker der Erde zu bekehren, hätten sie nicht den aus dem Grabe zurückgekehrten Heiland selbst gesehen? hätten sie nicht den Juden zurufen können: „Den Fürsten des Lebens habt ihr getötet, den hat Gott auferweckt; des sind wir Zeugen.“ Ja, sie gestehen es selbst, was sie so unwiderstehlich treibe, wenn sie sprechen: „Wir können es ja nicht lassen, dass wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört haben.“

                                   Und was sind die unzähligen Märtyrer in der ersten christlichen Zeit anders, als Blutzeugen für das Wort: „Der HERR ist erstanden!“

                                Doch, meine Lieben, wir brauchen nicht so weit zurückzugehen. Welche Mächte der Finsternis haben sich gegen die Kirche Jesu Christi auf Erden von jeher bis diese Stunde verschworen und erhoben; mit welcher schimmernden menschlichen Weisheit ist die Wahrheit Christi bekämpft worden! Ist aber das heilige Werk Jesu Christi gedämpft worden? Haben die Pforten der Hölle seine Gemeinde überwältigen können? Sind Wort, Taufe und Nachtmahl verloren gegangen? Sind das nicht alles Zeugnisse, dass Christus nicht mehr tot sei, dass er lebe, dass er auf dem himmlischen Thron sitze, herrsche und seine Kirche allmächtig regiere und schütze?  Ja, ohne Zweifel.

                                   Alle die Millionen, die noch jetzt den Namen Christi unter allen Sprachen und Zonen bekennen, sind laute Zeugen für die Wahrheit: „Christus ist erstanden!“ Doch dieses Wort ist nicht nur ein unleugbares und ewig festgegründetes, es ist auch der Jubelruf und das Siegesgeschrei aller Christen. Als ein solches lasst uns dieses Wort in der gegenwärtigen Stunde betrachten.

 

Markus 16,1-8: Und da der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria des Jakobus und Salome Spezerei, auf dass sie kämen und salbten ihn. Und sie kamen zum Grab sehr früh am ersten Tag der Woche, da die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie sahen dahin und wurden gewahr, dass der Stein abgewälzt war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Kleid an. Und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist auferstanden und ist nicht hier. Siehe da die Stätte, da sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt’s seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen schnell heraus und flohen von dem Grab; denn es war sie Zittern und Entsetzen ankommen. Und sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.

 

                              Wovon in diesen Tagen unter uns die Rede sein müsse, darüber kann kein Zweifel sein, nämlich von der Auferstehung unsers HERRN und Heilandes Jesu Christus. Das gemeinsame Thema dieser Tage sei: Das Fest der Auferstehung Jesu Christi – das Siegesfest aller Christen.

Wir beginnen die Betrachtung dieses Gegenstandes, indem ich euch jetzt vorstelle:

 

Die Auferstehung Jesu Christi als einen Sieg der Gerechtigkeit über die Sünde

 

wir erwägen:

1. warum wir die Auferstehung Christi als einen solchen

Sieg anzusehen haben, und

2. wer diejenigen seien, die an diesem Siege teilnehmen können.

 

I.

                             Christus ist, meine Zuhörer, nicht das einzige Beispiel eines von dem Tode Erweckten, das wir in der Heiligen Schrift finden. Schon im Alten Testament hören wir, dass Elia den Sohn der Witwe zu Sarepta auferweckt habe; da hören wir ferner von einem Toten, der plötzlich wieder lebendig wurde, als er in das Grab des Propheten Elisa geworfen worden war. Christus hat auch selbst mehrere vom Tode erweckt, wie den Sohn der Witwe zu Nain, die Tochter des Synagogenvorstehers Jairus, und Lazarus, den Bruder der Maria und Martha. Auch der Apostel Petrus machte, wie wir in der Apostelgeschichte lesen, eine gewisse Tabea zu Joppe lebendig.

                                  Aber zwischen diesen Auferstehungen und der Auferstehung Jesu Christi ist ein so großer Unterschied, dass jene mit dieser nicht verglichen, geschweige ihr an die Seite gesetzt werden können. Jene vom Tode Erweckten sind nämlich nur in dieses zeitliche Leben zurückgerufen worden, und haben daher noch einmal sterben müssen.  Aber „wir wissen“, sagt der Apostel, „dass Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt; der Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen“.  Christus ist aus dem Grab nicht in dieses irdische Leben zurückgekehrt, sondern in seine Herrlichkeit eingegangen.

                                    Wir dürfen auch keineswegs glauben, dass Christus eigentlich darum auferstanden sei, um dadurch die Wahrheit seiner Lehre zu bestätigen. Die Lehre Christi war schon genug bestätigt durch die herrlichen Wunder, welche Christus in seinem Leben verrichtete, und durch eine wiederholte Stimme vom Himmel, welche rief: „Das ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören.“  Darum hat sich der Auferstandene auch nicht seinen Feinden lebendig gezeigt. Sie hatten schon genug Zeichen bekommen, die sie zum Glauben hätten bringen müssen, hätten sie der Wahrheit nicht boshaft widerstrebt. Wohl kann ein Christ gegen die, welche an das Evangelium Christi nicht glauben und die Heilige Schrift nicht für Gottes Wort halten, sich auf das große Wunder der Auferstehung Christi berufen und sagen: Christus ist nach den Weissagungen der Schrift und nach seiner eigenen Vorherverkündigung vom Tode erstanden, warum glaubt ihr also nicht? Womit wollt ihr Ungläubigen nun euren Unglauben rechtfertigen? Christi glorreiche Auferstehung wird einst am jüngsten Tage einen jeden verklagen und verdammen, der auch nur Ein Wort in der Schrift verworfen hat.  Kein Ungläubiger hat nun noch Ursache, sich an der niedrigen Gestalt des Sohnes Gottes zu ärgern; die Ostersonne bestrahlt mit ihrem Glanze die Krippe, den Oelberg und das Kreuz aus dem Hügel Golgatha.  Christus ist, sagt Paulus, kräftiglich erwiesen ein Sohn Gottes, seit der Zeit er auferstanden ist von den Toten.

                                 Aber, so wenig Christi Tod ein Märtyrertod war, so wenig hat auch seine Auferstehung die Bestätigung seiner Lehre zu ihrem eigentlichen Zweck. So sehr sich auch ein jeder Ungläubige seines Unglaubens schämen muss, wenn er an das leere Grab des Gekreuzigten geführt wird, so ist doch die Beschämung des Unglaubens das Geringste, was die Auferstehung Christi wirken soll.

                                 Nein, sie hat eine höhere Bedeutung, eine noch viel wichtigere Kraft und Frucht. In unserem Text ruft der Engel den Frauen zu: „Entsetzet euch nicht.  Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist auferstanden, und nicht hier.  Siehe da die Stätte, da sie ihn hinlegten.“  In diesen Worten ist zwar die eigentliche Kraft und Frucht der Auferstehung Christi nicht angezeigt, aber so viel sehen wir daraus, es müsse etwas Herrliches, Köstliches, Fröhliches sein. „Entsetzet euch nicht“, ruft der Engel; er will also sagen: Seht her, ihr steht an dem leeren Grabe Christi, das ist auch das Grab aller Furcht, aller Trauer, aller Betrübnis, aller Not, alles Elendes, o freut, freut euch!

                              Wollen wir nun die eigentliche Bedeutung der Auferstehung Christi kennen lernen, so dürfen wir dabei nicht nach unseren Gedanken gehen, unser Herz oder unsere Vernunft fragen; das kann uns allein das Wort Gottes sagen.

                          Derjenige aber, den Christus sein auserwähltes Rüstzeug nennt, dass er seinen Namen trage vor den Heiden, und vor den Königen, und vor den Kindern von Israel, nämlich der heilige Paulus, spricht also, Röm. 4.: „Christus ist um unserer Sünde willen dahingegeben, und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt.“  Diese Worte sind die Auslegung unserer heutigen Festgeschichte von Gott dem Heiligen Geiste selbst.

                                   Aus diesen wichtigen, herrlichen Worten sehen wir: Wollen wir die Auferstehung Christi recht erkennen, so müssen wir sie in ihrer Verbindung mit seinem Kreuzestod betrachten; und dann finden wir, dass sie der Sieg der Gerechtigkeit ist über unsere Sünde.

                                  „Um unserer Sünde willen“, sagt Paulus, „war Christus dahingegeben“; Christus hatte unsere, das ist, aller Welt Sünde auf sich genommen, er hatte sie sich zurechnen lassen; was geschah daher? Christus musste nun auch unsere Strafe tragen, er musste leiden, er musste an es Kreuz, er musste sterben, er musste in es Grab. So musste es dem ergehen, der unsere Schuld auf sich genommen hatte. Da kam das Gesetz, und verklagte und verfluchte ihn, da kam Tod, Teufel und Hölle, und erwürgte ihn. Da schien es denn mit uns Menschen aus; da schien denn alles verloren.

                                 Doch was geschah? Drei Tage darauf bringen die Engel den Menschen die Botschaft: „Der HERR ist erstanden!“ -- und schnell geht dies Wort unter Freunden und Feinden von Mund zu Mund: „Er ist erstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“

                                   Was hören wir? Was ist geschehen? Haben unsere Sünden nicht Christum getötet? Haben sie ihn nicht an es Kreuz geschlagen? Haben sie ihn nicht in des Todes Staub gelegt? Hat ihn nicht Gott selbst für uns zur Sünde gemacht? -- Hat ihn nicht Gott selbst verurteilt und dahingegeben? -- Ja!

                             Christus trug unsere Sünden; aber wo sind sie? -- Sie sind hinweg; ohne Sünde kam er heute aus dem Grab. Christus lag für uns in des Todes Banden; aber wo sind sie? Sie sind zersprengt; er ist frei. Christus war für uns verurteilt; aber wo ist die Schuld? Sie ist verschwunden; er ist losgesprochen. Um unserer Sünde willen hat der himmlische Vater seinen lieben Sohn dahingegeben in den Tod, aber als er nun für unsere Sünde sich geopfert und vollgültig dafür bezahlt und genuggetan hatte, da hat ihn nun auch Gott um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt. Um unsertwillen hat ihn Gott verurteilt, geschlagen und getötet, aber nun hat er ihn auch um unsertwillen, da er alles vollbracht hatte, freigesprochen, lebendig gemacht und mit Preis und Ehre gekrönt immer und ewiglich.

                                    „Es ist vollbracht!“ hatte Christus für uns am Kreuz sterbend ausgerufen, und alle Kreaturen, der zerreißende Vorhang im Tempel, die hervorbrechende Sonne, die bebende Erde und die geöffneten Gräber hatten geantwortet: Amen, ja, es ist vollbracht! Die Auferweckung Jesu Christi ist nun die Bestätigung dieses Wortes Christi von dem himmlischen Vater selbst; auch er hat es heute bestätigt; auch er ruft durch die Wiedererweckung seines in den Tod dahingegebenen Sohnes: Ja, höre es, Himmel und Erde, ich, der ewige, lebendige und heilige Gott, gebe nun hiermit auch Zeugnis: „Es ist vollbracht!“ Hört es, ihr Sünder, ich, euer Gott, bin versöhnt, ich bin befriedigt, kommt, kommt, mein Himmel steht euch offen!

                                   Das Gesetz, der Tod und die Hölle hatten kein Recht an Christo, denn er war der ewige Gott und ein heiliger und unschuldiger Mensch in Einer Person; denn nur um unserer Sünde willen, die er, der Gottmensch, auf sich genommen hatte, bekamen das Gesetz, der Tod und die Hölle über ihn Macht und Gewalt. Aber wehe diesen Feinden des menschlichen Geschlechts! Sie griffen den allmächtigen Gottmenschen an, und dieser gab sich ihnen zwar willig hin, er ließ sich zwar willig von dem Gesetz verfluchen und von Tod und Hölle verschlingen, aber um sie für uns zu überwinden und zu verschlingen; denn als sie an Christi heiliger Person sich vergriffen und an ihm unsere Sünden gestraft hatten, da brach er mit seiner göttlichen Gewalt siegreich durch Tod und Hölle, und er, der für uns Erwürgte, kam nun gerecht aus seinem Grabe hervor.

                                   Seht hieraus, welch eine herrliche Botschaft das für die Christen ist: „Der HERR ist erstanden!“ Es heißt nichts anderes, als: Der für uns Gekreuzigte kommt gerecht und ohne Sünde aus dem Grab; unser Erlöser triumphiert.  Ist aber Christus gerechtfertigt, so sind auch seine Christen gerecht; ist Christus frei, so sind auch sie frei; ist Christus losgesprochen, so sind auch sie losgesprochen; triumphiert der Erlöser, so triumphieren auch die Erlösten.  So gewiss der keine Sünde aus dem Grab gebracht hat, der unsere Sünde am Kreuz trug, so gewiss sind auch alle unsere Sünden getilgt und hinweggetragen in die Tiefe des Meeres.

                                      O, welch ein Fest ist also das Osterfest für den Christen! Es ist sein Siegesfest, sein Jubelfest, es ist die Triumphfeier seiner Erlösung. So mag die Welt sich freuen an den Tagen, an denen irdische Freiheit erfochten wurde; ihr, liebe Christen, freut euch heute, jauchzt und lobt Gott; heute ist das Fest eurer Befreiung von der Tyrannei der Sünde, des Gesetzes, des Todes und der Hölle. Zu Weihnachten hört ihr, wie der Held, Jesus Christus, auf den Kampfplatz tritt, für eure Erlösung zu streiten; am Karfreitag seht ihr diesen Helden für euch blutend fallen; aber heute erblickt ihr ihn, wie er über seinem Grabe seine Siegesfahne schwingt und über Welt, Sünde, Tod und Hölle ruft: Triumph.

 

2.

                                      Es entsteht nun die Frage, welche diejenigen seien, die an diesem Siege Teil haben können.  Davon lasst mich nun zweitens zu euch sprechen.

                             Christus selbst will zwar niemanden bei dem Austeilen seiner Siegesbeute vergessen, aber ach, meine teuren Zuhörer, so viele schließen sich selbst von den Früchten der Auferstehung aus.

                              Vorerst schließt ihr euch aus, die ihr das heilige Wort Gottes, die Heilige Schrift nicht als Wort Gottes annehmt, sondern offenbar noch verwerft.  Ihr seid noch offenbare Feinde Jesu Christi, der auch eure Seelen erlöst hat. O besinnt euch, kehrt doch um von dem Weg des Unglaubens; bedenkt doch, was es heiße: Der Gekreuzigte ist auferstanden! O erkennt doch seine göttliche Herrlichkeit, fallt vor ihm nieder und ruft in Demut aus: Mein HERR und mein Gott, erbarme dich mein! O bedenkt, jetzt ist noch Gnade bei Christus zu finden, werdet ihr aber fortfahren in eurer Feindschaft gegen ihn und sein heiliges Wort, so werdet ihr einst das schreckliche Wort hören von seinem Thron herab: Die aber, die nicht wollten, dass ich über sie herrschen sollte, bringt her und erwürgt sie vor meinen Augen.

                                 Doch auch du, o Zuhörer, der du zwar die Heilige Schrift als Gottes Wort anerkennst und Jesus Christus für Gottes Sohn, der du aber noch selbstgerecht bist, der du noch nicht mit den Frauen in unserm Evangelium den Gekreuzigten mit Trauer über deine Sünden suchst, du schließt dich auch noch von der Gnade des Auferstandenen aus.  Du hältst dich für fromm und tugendhaft, du baust auf deine elenden guten Werke, wie du sie nennst, du suchst noch nicht die Reinigung aller deiner Sünden allein in dem Blut Jesu Christi, so bist du auch noch ein Feind des Kreuzes Christi und daher kann sich dir der Auferstandene auch nicht in seiner Herrlichkeit offenbaren. Bleibst du so, so gehst du verloren. O, so schaue doch endlich einmal in den Spiegel des göttlichen Gesetzes und bitte Gott um seines Heiligen Geistes Licht, so wirst du erkennen, dass die Gestalt deiner Seele schrecklich ist, und bußfertig dich allein der Gnade des Auferstandenen überlassen.

                             Endlich schließt auch ihr euch noch von der Freude des heutigen Siegesfestes selber aus, die ihr zwar vorgebt, allein durch Jesus Christus gerecht werden zu wollen, die ihr aber euren Trost, euer Glück, euren Reichtum, eure Ruhe und eure Wohlfahrt noch in dieser Welt sucht. Ihr gehört entweder zu denen, die ruhig und sicher dahingehen und keinen Augenblick vor der Hölle erschrecken; ihr würdet euch über tausend Taler, wenn ihr sie heute geschenkt erhieltet, mehr freuen, als über alle Reichtümer des Auferstandenen. Oder ihr geht dahin mit einem unruhigen gebrandmalten Gewissen, ihr liebt und hegt heimlich gewisse Sünden, von denen ihr euch nicht losreißen lassen wollet. Ach, was hilft euch nun heute die fröhliche Osterbotschaft? Ihr lasst sie doch nicht in euer Herz; die Eitelkeit erfüllt eure Seele; ihr sucht einen andern Trost! -- O, ihr Elenden, denkt an die Jünger; als Christus gestorben war und alle ihre Hoffnung an Christus vergeblich schien, da suchten sie doch keinen Trost bei der Welt.  O, so erkennt doch, wie euer Herz noch von der Sünde und der Welt Eitelkeit gefangen ist, bekennt es Jesus Christus, so wird er euch losmachen und erretten. O, wie bald könntet ihr Gnade finden, wenn ihr nur dem Wort Gottes Gehör gäbt! Tut ihr es nicht, so werdet ihr einst in einer unseligen Ewigkeit wünschen, nur noch Eine, ach, nur Eine solche Stunde, wie die jetzige ist, Gnadenzeit zu haben. Darum bedenkt, was zu eurem Frieden dient! Jetzt, da ihr Gottes Stimme hört, verstockt eure Herzen nicht.

                                 Doch es sind gewiss auch manche unter uns, die von Herzen sagen können: Wenn ich nur Christum habe und seine Gnade, so genügt mir. Solche sollen wissen: So groß und so herrlich auch der Sieg ist, den Jesus Christus durch seine Auferstehung davongetragen hat, so gibt es doch keinen Menschen in der Welt, für welchen er nicht bereitet wäre. Wegen der Sünden aller Menschen ist Christus in den Tod dahingegeben worden, wegen der Gerechtigkeit aller ist er auch auferwecket.

                                    Bei Christus gilt kein Ansehen der Person; bist du auch noch so arm und noch so verachtet in der Welt, die Krone, die der Auferstandene aus dem Grab gebracht hat, will er auch dir schenken. Wem sollten nach unserem Text die Frauen die Siegesbotschaft verkündigen? Die Engel sagen: „Sagt es seinen Jüngern.“ Wer waren aber die Jünger? Arme, schwache, sündige Menschen, die den HERRN in der Not verlassen hatten. Hast du also auch ein böses Gewissen deines Lebens halber, so bist du darum nicht ausgeschlossen, wenn nur Christus dein Verlangen ist. Ja, es ist überaus merkwürdig; die Engel sprechen nicht nur: „Sagt es seinen Jüngern“, sondern sie setzen noch besonders hinzu: „und Petrus“. Warum wohl? Petrus hatte seinen HERRN und Meister dreimal schändlich verleugnet; er war tief gefallen; er bedurfte Trost; er hielt sich wohl für den allerunwürdigsten.

                             Erkennt hieraus die Größe der Gnade des Auferstandenen. Allen soll sie verkündigt werden, aber namentlich den Tiefgefallenen. Wäre also jemand unter uns, der schon alle Hoffnung seiner Seligkeit fast ganz aufgegeben hätte, weil ihm sein Gewissen sagt, er sei der schändlichste unter allen Sündern, so soll ich zwar, als ein Diener Jesu Christi, dieser ganzen Versammlung den Sieg Jesu Christi über ihre Sünden vortragen, aber dem, der sich unter uns für den elendesten, für den unwürdigsten, für den verlorensten achtete, dem soll ich vor allen anderen im Namen Jesu Christi zurufen: O, tiefgefallener Sünder, was willst du verzweifeln? Christus ist allmächtig, er hat durch seine Auferstehung alle Banden der Sünde und der Verdammnis zerrissen; du bist ihm noch nicht zu tief gefallen; er reicht dir auch in die Tiefe deines Verderbens seine rettende Hand; du sollst heute seinen Triumphzug schmücken; er ruft dir zu: Erkenne nur deine Missetat, und nimm mich im Glauben an, so sind kraft meines Todes deine Sünden getilgt und kraft meiner Auferstehung dir eine vollkommene Gerechtigkeit geschenkt.

                                      O, so ruft denn alle mit mir:

Jesu, der du Thor und Riegel

                                    Der Verdammnis aufgemacht,

Und im Grabe Stein und Siegel

                                  Hast so viel als nichts geacht’,

Mache doch mein Herze frei,

                                   Das es nicht verschlossen sei.

                                                                          Amen

 

Predigt zum Ostermontag ueber Apostelgeschichte 10,34-41: Der Glaube an den Auferstandenen, das einzige Mittel, das ewige Leben zu erlangen

 

    In Christus geliebte Festgenossen!

    Nicht nur die christliche, sondern auch andere Religionen lehren, dass es ein ewiges Leben gibt. Dunkle Begriffe und Ahnungen davon haben fast alle Völker gehabt. Deutlich haben von einer erfreulichen Unsterblichkeit mehrere heidnische Philosophen gelehrt und im Islam ist die Lehre von einem zu erwartenden Freudenhimmel eine Hauptlehre. Durch Zweierlei unterscheiden sich aber alle anderen Religionen von der christlichen in diesem Punkt. Erstens können alle anderen Religionen keine lebendige Gewissheit über das ewige Leben geben. Wollen sie auf die Natur hinweisen, wie da alles sich verjüngt, so sehen wir auch im Gegenteil in ihr das Bild der Zerstörung und Vernichtung. Daher denn auch viele sogenannte Naturforscher gerade aus der Natur die Beweise führen, dass alles vergeht. Will man sich auf Gottes Gerechtigkeit berufen mit der Hoffnung des ewigen Lebens, so dürfen wir nicht vergessen, dass der gerechte Gott uns nichts schuldig ist; oder auf Gottes Gute, dass man meint, Gott würde uns gar nicht geschaffen haben, wenn er uns nicht zum ewigen Leben geschaffen hätte, so gibt uns auch das noch keine Gewissheit. Nichts macht uns überhaupt in der Hoffnung des ewigen Lebens gewiss als die Auferstehung Christi von den Toten. Sie lässt keinen Zweifel aufkommen. Dies ist ein Erfahrungsbeweis, wie ihn die allgemeine Religion der Menschen haben soll, den selbst das einfältigste Kind begreifen kann.

    Die anderen Religionen unterscheiden sich aber auch zweitens dadurch, dass sie einen anderen Weg zum ewigen Leben weisen als die christliche. Alle Religionen in der Welt, alle Philosophie, alle durch Menschenweisheit erfundenen Lehren sagen, dass der Mensch durch seine Weisheit, Tugend, Frömmigkeit, durch seinen inneren Wert und dergleichen sich ein erfreuliches Schicksal in jenem Leben selbst verdienen müsse. – Wäre dies die rechte Lehre, was hülfe dann eine noch so liebliche Vorstellung von jener Welt? Dann könnte uns diese Lehre nie tröstlich, lieblich und süß sein. Denn wer kann je glauben, dass er so viele Werke getan, dass er damit den Himmel verdiene? Wer kann es wagen, seine Tugend Gott anzubieten als ein vollgültiges Kaufgeld für eine ewige unaussprechliche Seligkeit? Müsste ich, meine Lieben, damit meine Betrachtung vom ewigen Leben enden, so würdet und müsstet ihr traurig dies Fest beschließen, denn ihr würdet denken: Wohl ist die Aussicht auf das ewige Leben herrlich, aber ich elender, ohnmächtiger Mensch, ich Sünder kann das selige Ziel nie erreichen. Aber wohl uns! Gottes Wort zeigt uns einen Weg zum ewigen Leben, den auch der Schwächste gehen kann, es zeigt uns ein Mittel, durch das auch der elendeste und tiefgefallenste Sünder noch errettet und selig gemacht werden kann, und dies Mittel ist der Glaube. Nun, meine Lieben, wer weiß, wie nahe uns die Ewigkeit ist! Lasst uns daher das Mittel näher kennen zu lernen suchen, durch welches unsere Ewigkeit einst gewiss selig sein wird.

 

Apostelgeschichte 10,34-41: Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich mit der Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht, sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm. Ihr wisst wohl von der Predigt, die Gott zu den Kindern Israel gesandt hat, und verkündigen lassen den Frieden durch Jesus Christus (welcher ist ein HERR über alles), die durchs ganze jüdische Land geschehen ist und angefangen in Galiläa nach der Taufe, die Johannes predigte: Wie Gott denselben Jesus von Nazareth gesalbt hat mit dem Heiligen Geiste und Kraft; der umhergezogen ist und hat wohlgetan und gesund gemacht alle, die vom Teufel überwältigt waren; denn Gott war mit ihm. Und wir sind Zeugen alles des, was er getan hat im jüdischen Land und zu Jerusalem. Den haben sie getötet und an ein Holz gehängt. Denselben hat Gott auferweckt am dritten Tag und ihn lassen offenbar werden, nicht allem Volk, sondern uns, den vorerwählten Zeugen von Gott, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden ist von den Toten.

 

    Dieser verlesene Text gibt mir Veranlassung, zum Schluss unserer Festbetrachtung euch vorzustellen:

 

Der Glaube an den Auferstandenen, das einzige Mittel, das ewige Leben zu erlangen

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass der Glaube das einzige Mittel sei,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Was dieser seligmachende Glaube eigentlich ist und wie man dazu kommt.

 

1.

    Es gibt wohl wenige Stellen in der heiligen Schrift, die so häufig falsch erklärt und missbraucht werden, wie die Anfangsworte unseres Textes. Petrus spricht nämlich: „Nun erfahre ich mit der Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“ Diese Worte werden gewöhnlich von denjenigen als ein schlagender Beweis angeführt, die beweisen wollen, dass man in jeder Religion und bei jedem Glauben selig werden könne, und dass es bei der Seligkeit eigentlich nicht auf den Glauben, sondern auf die Werke, auf das Rechttun ankomme. Dass man aber hiermit gegen den Sinn des Apostels streitet, dies beweisen erstens unzählige andere Stellen heiliger Schrift. Denn was sagt die Schrift anderwärts? Mit Einer Stimme bezeugt sie uns, dass nicht die Werke, sondern der Glaube selig macht. Hebr. 11,6: „Aber ohne Gluaben ist es unmöglich, Gott zu gefallen, denn wer zu Gott kommen will, der muss glauben, dass er sei.“ Mark. 16,16: „Wer da glaubt und getauft wird“ usw. Derselbe Apostel, der in unserem Text redet, spricht Apg. 4: „Es ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, dadurch wir sollen selig werden.“ Und Christus selbst sagt Joh. 14: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater als durch mich.“ Und Joh. 8,24: „So ihr nicht glaubt, dass ich es sei, so werdet ihr sterben in euren Sünden“, und Paulus Eph. 2,8: „Aus Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben; und dasselbe nicht aus euch, Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, auf dass sich nicht jemand rühme.“ Sind das nicht sonnenhelle Zeugnisse? Noch in derselben Predigt, aus der unser Text genommen ist, spricht Petrus: „Von demselben zeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.“ (10,43.) Können wir daher auch den Sinn unserer Textworte nicht erreichen, so sehen wir doch aus tausend anderen Stellen, dass sie den Sinn unmöglich haben können, den die Gottesfeinde ihnen unterlegen.

    Aber lasst uns die Stelle selbst näher betrachten. Der Apostel spricht: „In allerlei Volk“, also sagt er nicht: in allerlei Religion. Wo steht das überhaupt geschrieben? Der Apostel spricht ferner: „Wer Gott fürchtet.“ Was heißt das? Ist da der wahre Gott gemeint oder ein falscher? Der wahre Gott ist der Vater unseres HERRN Jesus Christus. Wer fürchtet aber Gott? Derjenige, der erkennt, dass er sich vor ihm zu fürchten habe, der sich daher nicht getraut mit seiner eigenen Gerechtigkeit vor ihm zu bestehen. Doch der Apostel spricht ferner: „Wer recht tut.“ Wer tut aber recht? St. Paulus sagt: „Was nicht aus dem Glauben geht, das ist Sünde.“ Der Glaube an Christus muss die Flecken zudecken, die auch unsere besten Werke an sich tragen. Noch deutlicher aber wird uns der Sinn unserer Stelle werden, wenn wir nun noch endlich die Umstände erwägen, unter denen der Apostel diesen Ausspruch tat.

    Cornelius war zwar ein Heide, aber er lebte unter den Juden und fürchtete den wahren Gott, der im Alten Testament offenbart war. ER unterschied sich von den gläubigen Juden nur dadurch, dass er noch nicht die Beschneidung angenommen, die auch nur zunächst den Juden gegeben war. Er war ein rechtschaffener Israelit nach dem Geist. Nur Eins war ihm noch nicht offenbar, nämlich dass Jesus Christus der verheißene Messias ist.

    Petrus selbst nun war bis dahin noch nicht dem Missionsbefehl gefolgt, dass auch die Heiden in das Reich Christi sollen eingeladen werden. Deshalb bekam er jetzt eine besondere Offenbarung.[14] Als nämlich einstmals Cornelius betete, da erschien ihm ein Engel, der ihn aufforderte, Petrus holen zu lassen zu weiterem Unterricht. Petrus hatte aber auch ein göttliches Gesicht gehabt, durch das er zu der Einsicht geleitet werden sollte, dass auch die Heiden Erben der Verheißung sein sollten. Er sah nämlich plötzlich ein Tuch mit vielerlei Tieren vom Himmel kommen mit der Anweisung: Schlachte uns iss. Und darunter waren auch unreine Tiere. Und das geschah dreimal. Petrus war bekümmert, was das Gesicht zu bedeuten haben könnte. Doch als er noch darüber nachsann, da kam ein Bote, der ihn zu Cornelius rief. Und, vom Geist Gottes versichert, geht nun Petrus mit zu Cornelius, in der festen Überzeugung: Der HERR selbst sendet ihn. Bei Cornelius findet Petrus nun eine ziemliche Versammlung, aber die ganze Versammlung seiner Zuhörer sind lauter Heiden. Als er nun sieht, wie sehnlich diese das Wort Gottes zu hören verlangen, da tat er, heißt es, seinen Mund auf und sprach die fraglichen Worte. Was will also Petrus damit sagen? Nichts anderes als dies: Dass eben Gott keinen von dem Heil ausschließen wolle, das Christus erworben habe, denn Christus sei nicht nur für die Juden, sondern auch für die Heiden in die Welt gekommen.

    Wie irren sich also diejenigen, die aus diesen Worte Petri schließen wollen, dass der Glaube nicht nötig sei zur Erlangung der Seligkeit, da ja der Apostel das Gegenteil [davon] sagen wolle, dass Gott durch den Glauben einen Jeden selig machen wolle! Was aber dieser seligmachende Glaube sei und wie man dazu komme, das zeigt uns der zweite Teil unseres Abschnittes.

 

2.

    Nicht wenige geraten in großes Erstaunen darüber, dass allein der Glaube selig mache. Sie sprechen: Wie? So kann man also leben, wie man will? Wenn man nur glaubt, so wird man selig? So braucht man also nicht Gott zu fürchten und recht zu tun? Aber man irrt sich, indem man den Glauben für etwas ganz anderes hält, als er wirklich ist. Ein kraftloser Gedanke in unserem Kopf ist keineswegs der Glaube. Der wahre Glaube ist ein göttliches Werk in uns, das uns wandelt und neugebiert aus Gott und macht uns ganz andere Menschen von Herz, Sinn, Mut und allen Kräften, wie Luther in der Vorrede zum Römerbrief schreibt. Der wahre Glaube ist nämlich ein lebendiges Vertrauen auf Gottes Gnade, eine so feste Zuversicht, dass man Leib und Leben darüber lässt, dass man so gewiss ist, als wenn Gott vom Himmel selbst es uns gesagt hätte, dass wir selig werden sollten. Dies sehen wir an allen, von deren Glauben wir in Gottes Wort hören.

    So entsteht die Frage: Wie gelangt man dazu? Kein Mensch kann diesen Glauben sich selbst geben. Das ist Gottes Werk, dass wir glauben. Gott gibt ihn aber so: Er sucht erst den Menschen zum Verzagen an sich selbst [, zu einem herzlichen Erschrecken über seine Sünde und Furcht vor dem Zorn und Urteil Gottes][15] zu bringen, damit er zu der Einsicht kommt, dass er verloren sein müsste, wenn sich Gott seiner nicht erbarmt hätte. Ist ein Mensch dahin gekommen, dann meint er wohl, es sei um ihn geschehen, aber dann steht er vor der Pforte der Gnade, die sich ihm auftut. Dann hört er nämlich das Evangelium anders als vorher. Es wird ihm die allerwichtigste und seligste Botschaft. Es wird sein Paradies, Himmel, Trost, Licht, Kraft. [Denn nun erfasst er lebendig, dass Christus auch für ihn in diese Welt gekommen ist, auch für ihn das Gesetz erfüllt hat, auch dessen Sünden an seinem Leib auf das Holz trug, Gott auch mit ihm versöhnt hat und Gott der Vater durch die Auferweckung des Sohnes auch ihm diese Versöhnung bestätigt hat, in Christus auch ihm die Sünden nicht zurechnet, auch er in Christus also Freispruch im Jüngsten Gericht und ewiges Leben hat, Christus also auch um seiner Sünden willen dahingegeben, um seiner Rechtfertigung willen auferweckt wurde. Diesen Zusagen vertraut er durch das Evangelium von Herzen.][16]

     Nun, meine Lieben, ist das bereits in eurem Herzen vorgegangen? Betrügt euch nicht selbst um eure Seligkeit. Hier spricht vielleicht mancher: Ich fürchte mich davor, mich selbst zu betrügen, ich erkenne mich wohl für einen Sünder, ich suche auch allein in Christus meinen Trost, aber ich bin so untreu. -Wohl dir, wenn du auch dies Elend erkennst; dann sollst du nicht von Christus fliehen, sondern dich desto fester an Christus anklammern.

    O, möchte doch keiner dies Fest beschließen, ohne die Zuversicht erlangt zu haben: Ich glaube auch an den Auferstandenen. Lasst uns darum ihn anflehen: Wir können, o Jesus, nicht aus eigener Vernunft … Du bist der Anfänger und Vollender … o, so erbarme dich! Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Quasimodo Geniti (Wie die neugebornen Kindlein, 1. Petr. 2,2) ueber Johannes 20,19-31: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In diesem, unserem auferstandenen Siegesheld, herzlich geliebte Zuhörer!

    „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“; so spricht Christus in unserem heutigen Evangelium. Dieser Ausspruch unseres Heilandes ist von jeher allen Ungläubigen höchst anstößig gewesen und ist es noch. Sie sagen, eben darum könnten sie sich mit dem Christentum nicht befreunden, weil darin alle vernünftige Prüfung verboten und ein blinder Glaube gefordert werde.

    In diesem Urteil der Ungläubigen liegen aber zwei Unwahrheiten. Erstlich ist es unwahr, dass diejenigen, welche nichts von Gottes Wort wissen wollen, dasselbe darum verwürfen, weil sie nichts ungeprüft annehmen wollten. Vielmehr ist es ganz unleugbar die allgemeine Weise aller Ungläubigen gewesen und ist es noch, dass sie eben die Bibel und das ganze Christentum nicht prüfen, sondern ungeprüft, oder doch ohne gründliche Untersuchung und Abwägung der Gründe dafür und dagegen verwerfen. Hört ein Ungläubiger, dass in der Bibel stehe, Jesus Christus sei wahrhaftiger Gott und Mensch in Einer Person, hört er, dass nach der Schrift Gott dreieinig sei, hört er, dass uns der Heiland durch sein Leben, Leiden und Sterben erlöst habe, dass alle Menschen verlorene Sünder seien, die allein aus Gnaden durch den Glauben um Christi willen selig werden könnten, so prüft er diese Lehren nicht etwa, so überlegt er nicht etwa ernstlich, ob dies doch vielleicht, ohne dass er es bisher geahnt habe, auf unumstößlicher Wahrheit beruhende Lehren seien, sondern ohne weiteres verwirft er sich als unvernünftige Lehren und die Bibel als ein Buch voll Widersprüche und ungereimter Behauptungen. Wo findet man auch nur Einen, der ungläubig geblieben wäre, nachdem er sich zu überzeugen gesucht hatte, dass die Bibel Gottes Wort sei? Wo gibt es ungläubig Gebliebene, die mit dem innigen Wunsch, die ewige feststehende und das Herz wirklich zur Ruhe bringende Wahrheit zu finden, eine gründliche Verteidigungsschrift des Christentums gelesen hätten? Das Gegenteil tut man. Was gegen das Christentum geschrieben ist, liest man begierig und nimmt es ungeprüft in blindem Glauben an; was hingegen dafür geschrieben ist, liest man entweder gar nicht und weist es mit verächtlicher Miene von sich, oder man liest es mit Vorurteilen, indem man es im Voraus annimmt, dass darin alles falsch sein müsse. Diese Unterlassung aller ernstlichen Prüfung der biblischen Wahrheit wird einst an jenem Tag alle Ungläubigen ihre Entschuldigungen nehmen und sie verdammen.

    Doch, sagen sie, nach dem Ausspruch Christi: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, werde ja offenbar der blinde Glaube als der seligmachende gepriesen. Aber auch dieses ist unwahr. Christus will mit jenen Worten keineswegs sagen, dass der Mensch ihn und sein Evangelium, ohne erst zu fragen, warum? annehmen solle. Ein blinder Glaube ist gar kein Glaube, sondern eine bloße Einbildung; der Glaube verdient nur dann den Namen eines wirklichen Glaubens, wenn er auf einem festen, unumstößlichen Grund ruht. Gerade in Gottes Wort wird daher der blinde Glaube gänzlich verworfen. Gerade in Gottes Wort wird an sehr vielen Stellen die ernstlichste Ermahnung gegeben, nichts ungeprüft anzunehmen. Spricht nicht Christus: „Seht euch vor vor den falschen Propheten; an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen“? Spricht nicht St. Paulus: „Prüft alles, und das Gute behaltet“? Spricht nicht Johannes: „Ihr Lieben, glaubt nicht einem jeglichen Geist, sondern prüft die Geister, ob sie von Gott sind“? Wird es nicht ausdrücklich an den Beroensern gelobt, dass sie täglich in der Schrift nachforschten, ob sich’s auch so verhielte, wie Paulus und Silas ihnen gepredigt hatten? Sollte nun jedermann die biblische Lehre ohne alle Prüfung als göttlich annehmen, wie könnte dann in der Bibel selbst zur Prüfung aufgefordert und zur Unterscheidung der wahren von den falschen Propheten so dringend ermahnt werden? Es ist kein Zweifel: Hiermit ist aller blinde Glaube durch die heilige Schrift selbst verworfen. Wer daher bloß deswegen glaubt, dass die Bibel Gottes Wort sei, weil er dies von seinen Eltern, Lehrern und von gelehrten Männern gehört hat, der hat noch gar keinen wahren Glauben. Menschen können und sollen uns wohl Zeugnis geben von der Göttlichkeit der Heiligen Schrift und uns darauf aufmerksam machen; aber einen wahren Glauben haben wir nur dann, wenn wir endlich aus eigener fester Überzeugung und aus eigener Erfahrung unseres Herzens bekennen können, dass das Evangelium wahrhaftig eine Kraft Gottes ist, die da selig macht alle, die daran glauben. So fürchte einst die Samariterin ihre Mitbürger zu Christus; diese sagten aber endlich: „Wir glauben hinfort nicht um deiner Rede willen; wir haben selbst gehört und erkannt, dass dieser ist wahrlich Christus, der Welt Heiland.“ So sollen endlich alle Kinder zu ihren Eltern, alle Schüler zu ihren Lehrern, alle Zuhörer zu ihren Predigern sagen können, wenn der wahre Glaube in ihren Herzen wohnt.

    Die Heilige Schrift will nicht mit blindem Glauben als Gottes Wort angenommen sein; sie gibt vielmehr selbst Kennzeichen an, an denen man sie prüfen kann und soll; diese Kennzeichen sind hauptsächlich die Wunder und Weissagungen, durch welche sie vor aller Welt verseigelt worden ist; und die übernatürliche, himmlische, göttliche  Kraft, die sie an dem aufmerksamen Lehrer und Hörer beweist, den Geist zu erleuchten und zu überzeugen, und das Herz zu trösten und zu beruhigen und mit göttlichem Leben, mit göttlicher Kraft und lebendiger Hoffnung des ewigen Lebens zu erfüllen. Wer um dieser unwiderleglichen Beweise willen die Bibel als Gottes Wort angenommen hat, der hat keinen blinden, sondern einen hellen, auf ewig festem Grund ruhenden Glauben; wer aber trotz jeder Beweise Gottes Wort verwirft, eben der hat einen blinden Glauben, nämlich einen blinden, grund- und bodenlosen Unglauben.

    Es entsteht aber nun die Frage: Wie ist der Ausspruch Christi zu verstehen: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“? Davon lasst mich nun in dieser Stunde weiter zu euch sprechen.

 

Johannes 20,19-31: Am Abend aber desselben Sabbats, da die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten ein und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das sagte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den HERRN sahen. Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und da er das sagte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen, und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Thomas aber, der Zwölf einer, der da heißt Zwilling, war nicht bei ihnen, da Jesus kam. Da sagten die anderen Jünger zu ihm: Wir haben den HERRN gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Es sei denn, dass ich in seinen Händen sehe die Nägelmale und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, will ich’s nicht glauben. Und über acht Tage waren abermals seine Jünger drinnen und Thomas mit ihnen. Kommt Jesus, da die Türen verschlossen waren, und tritt mitten ein und spricht: Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und siehe meine Hände; und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite; und sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein HERR und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Dieweil du mich gesehen hast, Thomas, so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Auch viel andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, dass ihr glaubt, Jesus sei Christus, der Sohn Gottes, und dass ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.

 

    Wir bleiben heute bei dem Ausspruch stehen, den der Auferstandene gegen den schwergläubigen Thomas tut, nämlich:

 

„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“

 

    Hiernach erwägen wir zweierlei:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass es eine wichtige Aufgabe für Christen ist, zu glauben, was sie nicht sehen, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass diejenigen aber auch recht selige Menschen seien, die einen solchen Glauben beweisen.

 

    Gnädiger, treuer und barmherziger Gott! Du hast für alle Sünder deinen Sohn in den Tod dahingegeben und wieder auferweckt und verheißen, dass du um dieses deines einigen Sohnes willen allen Sündern gnädig sein wollest. Du verlangst von uns nichts, als dass wir wieder zu dir umkehren und deiner teuren Verheißung von ganzem Herzen glauben und trauen. O, nimm darum unsere Herzen in diene Hand und wirke selbst in ihnen den Glauben, den du forderst, und erhalte uns darin bis ans Ende. Dazu segne das auch in dieser Stunde gepredigte Wort um deiner ewigen Treue und Wahrhaftigkeit willen. Amen.

 

1.

    Wenn, meine Lieben, Christus in unserem Evangelium dem Apostel Thomas, der nicht eher an seine Auferstehung hatte glauben wollen, als bis er ihn gesehen und betastet haben würde, zuruft: „Weil. Du mich gesehen hast, Thomas, so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, so will Christus damit keineswegs sagen, dass man ihn und sein Evangelium in einem blinden Glauben annehmen müsse, sondern dass die Christen, die schon von der Wahrheit des Wortes und besonders seines Evangeliums überzeugt worden sind, sich dann auch auf das bloße Wort verlassen, und so auf die von Gott gegebenen Verheißungen in kindlicher und fester Zuversicht bauen sollen, auch wenn sie davon nichts sehen, nichts fühlen und nichts empfinden. Dies eben hätten Thomas und alle Jünger tun sollen. Schon im Alten Testament war es ja vorausverkündigt durch Vorbilder und Weissagungen, dass der Messias sterben und auferstehen werde. So spricht z.B. der Messias im 16. Psalm: „Auch mein Fleisch wird sicher liegen; denn du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen, und nicht zugeben, dass dein Heiliger verwese.“ Ferner heißt es von dem Messias im 53. Kapitel des Propheten Jesaja: „Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, so wird er Samen haben und in die Länge leben, und des HERRN Vornehmen wird durch seine Hand fortgehen.“ Christus hatte daher auch selbst nicht nur vor Freunden und Feinden erklärt, dass der Prophet Jona ein Vorbild sei von seinem Begräbnis und seiner Auferstehung, sondern er hatte es auch selbst den Aposteln wiederholt ausdrücklich vorausverkündigt, und zwar noch auf seiner letzten Reise nach Jerusalem, er müsse nach der Schrift leiden, sterben und auferstehen am dritten Tag. „Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem“, sprach er, „und es wird alles vollendet werden, das geschrieben ist durch die Propheten von des Menschen Sohn. Denn er wird überantwortet werden den Heiden; und er wird verspottet und geschmäht und verspeit werden; und sie werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tag wird er wieder auferstehen.“ An diese deutlichen und klaren Zeugnisse des Wortes Gottes in den Propheten und des Wortes Christi selbst hätte sich Thomas halten und daher fest glauben sollen, dass Christus am dritten Tag auferstanden sei, wenn er ihn auch noch nicht gesehen hatte; ja, das Wort Gottes, das er dafür hatte, hätte ihm tausendmal gewisser sein sollen, als selbst die Überzeugung durch seine Sinne; denn selbst die Sinne können und ja täuschen, aber Gottes Wort ist untrüglich.

    Die Aufgabe aber, welche hier Thomas hatte, haben zu allen Zeiten alle Christen. Alle Christen müssen glauben, was sie nicht sehen. Daher lobt es auch Petrus an seinen Zuhörern in Pontus und an anderen Orten im ersten Kapitel seines ersten Briefes an sie, dass sie Jesus „nicht sehen und doch lieb hätten, und nun an ihn glauben, wiewohl sie ihn nicht sähen“. Auch St. Paulus beschreibt daher das ganze Christenleben in dieser Welt mit den Worten: „Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen.“

    Und so ist’s auch. Wer ein wahrer Christ sein will, muss glauben, dass mit Christus seine Sünden begraben worden, und dass er hierauf mit Christus, von Gott gerechtfertigt, los von der Sünde, rein und heilig, auferstanden sei und mit ihm Sünde, Tod, Welt, Teufel und Hölle schon siegreich überwunden habe; und doch sieht er von diesem allen nichts, ja, meist das Gegenteil. Ein Christ sieht, wie die Sünde noch in seinen Gliedern wohnt, ihn täglich befleckt und ein böses Gewissen macht; und doch soll er glauben, dass er mit Christus gerecht und rein vor Gott sei. Ein Christ sieht nur zu deutlich, dass er ein Sünder sei; und er soll doch glauben, dass er in Christus ein Heiliger sei und dass, wenn ein Diener Christi auf Erden zu ihm sagt: „Dir sind deine Sünden vergeben“, diese Absolution auch im Himmel gültig sei. Ein Christ fühlt häufig nichts als Zorn Gottes, sieht nichts an seinem ganzen Leben als Kreuz, Trübsal, Jammer und Not, die ihm Gott zuschickt; und doch soll er glauben, dass er mit Gott versöhnt, ihm angenehm in dem Geliebten, ihm wohlgefällig, lieb und wert, ja, sein teures Gnadenkind sei., Ein Christ sieht, wie es der Welt, die nichts nach Gottes Wort und Gnade fragt, meist so wohl geht, wie sie auch dabei über die Christen in diesem Leben herrscht, sie verachtet und für Toren und Narren hält;: und doch soll der Christ glauben, dass er die Welt längst überwunden habe, und dass er bei Gott in Gnaden und die Welt nicht in Gnaden sei. Der Christ sieht oft keine Mittel, durch welche er sich und die Seinen erhalten soll, alles im Haus ist leer, und es ist auch keine Aussicht auf Verdienst; und doch soll er glauben: Die den HERRN fürchten, haben keinen Mangel. Der Christ sieht oft, wenn er betet, dass es eher schlimmer wird als besser; und doch soll er fest glauben, dass sein Gebet erhört sei, ja, er soll glauben die Verheißung Gottes durch den Propheten Jesaja: „Es soll geschehen, ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.“ Der Christ empfindet oft nichts als Unruhe und Unfrieden in seinem Herzen und laute Anklagen seines verwundeten Gewissens; und doch soll er glauben, was Christus sagt: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“; und was St. Paulus schreibt: „Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren HERRN Jesus Christus.“ Der Christ fühlt sich immer so arm am Geist, es ist ihm immer mehr wie einem elenden Bettler zumute, der jedes Tröpflein Gnade sich erbetteln muss; und doch soll er glauben, dass er sei an allen Stücken reich gemacht; er fühlt sich oft so elend und viel unglückseliger als tausend andere; und er soll doch glauben, er sei der seligste Mensch, den es unter der Sonne geben kann. Der Christ sieht, wie die Kirche Christi wankt und schwankt, gleich einem lecken Schifflein, das jeden Augenblick zu versinken droht; er sieht die Kirche von mächtigen Feinden wie von himmelhohen Meereswellen umgeben; und doch soll er glauben, dass die Kirche eine auf einem ewigen Felsen erbaute Gottesstadt sei, die auch die Pforten der Hölle nicht überwältigen können. Er sieht, dass es dem kleinen Häuflein der Gläubigen, der kleinen Herde der Schafe Christi, so elend ergeht in dieser Welt; und doch soll er glauben, dass auf sie der himmlische Hirte ein besonders Auge seiner Liebe und Vorsicht gerichtet hat, dass diese verachteten Christen Christi geistlicher Leib, seine Auserwählten und seine herrlich geschmückte Braut seien, mit denen er sich auf ewig verlobt hat im Glauben und Gerechtigkeit. Der Christ sieht, wie gebrechlich jede christliche Gemeinde ist, und doch soll er glauben, dass jede geheiligt und gereinigt sei durch das Wasserbad im Wort, dass jede herrlich sei, die nicht habe einen Flecken oder Runzel oder des etwas. Der Christ sieht, wie der Rachen des Todes und der Schlund der Hölle unersättlich noch immer ein Opfer nach dem anderen verschlingt; und doch soll er glauben: Christus hat Tod, Hölle und Teufel überwunden; er sieht, wie der Tod seine Lieben ihm in den Staub legt und ihn mit Tränen an die Stätte der Verwesung stellt; und doch soll er glauben, dass es für Christen keinen Tod mehr gibt; der Tod grinst ihn greulich an, und doch soll er ihn für einen süßen Schlaf, für einen Boten des Friedens halten. Und wenn nun endlich der Christ selbst in Todesnöten liegt, wenn er seinen Stachel empfindet, wenn der Satan ihn hierbei mit Gedanken der Hölle erfüllt, wenn ihm der Himmel wie verschlossen erscheint, wenn die Schrecken des Gerichts in dem bösen Stündlein ihn überfallen, so soll er doch glauben, der Tod sei für ihn verschlungen in den Sieg, die Hölle sei für ihn zerbrochen, der Teufel sei für ihn in Bande der Finsternis gelegt, er sei ein Herr über Sünde, Tod, Teufel und Hölle, er dürfe und solle auch jetzt die Siegesfahne des Glaubens schwingen; schon sei ihm unsichtbar die Pforte des Himmels aufgetan; schon warten die heiligen Engel auf seine sich losringende und losseufzende Seele, sie in die Hände und in den Schoß Gottes zu tragen; schon bei die letzte Träne geweint, der letzte Seufzer ausgestoßen und der ganze Himmel bereit, ihm als einem Überwinder die Krone zu bringen.

    Seht, Sünde sehen und darunter Gerechtigkeit glauben; Elend sehen und darunter Herrlichkeit glauben; Zornwolken sehen und die Gnadensonne glauben; Schwachheit und Ohnmacht sehen und darunter Kraft und Stärke glauben; Niederlage sehen und darunter Sieg und Triumph glauben; Tod sehen und darunter das Leben glauben; Hölle und Verdammnis sehen und darunter Himmel und Seligkeit glauben: Das ist die wichtige Aufgabe, welche Christen, so lange sie in dieser Welt sind, haben. Sie ist zwar schwer, aber wohl denen, die sie lösen, denn, o selige Menschen sind die, die einen solchen Glauben beweisen! – Davon spreche ich nun zweitens zu euch.

 

2.

    So lange, meine Lieben, Thomas nicht eher an die Auferstehung Christi glauben wollte, als er ihn, den Auferstandenen, selbst gesehen und betastet, die Beweise dafür also, sozusagen, in seinen Händen hätte, so lange war dieser Apostel in einem recht elenden, kläglichen Zustand, erstlich in einem sehr sündlichen, aber auch in einem sehr trostlosen.

    Es war erstlich eine große Sünde, dass Thomas nicht eher glauben wollte, er hätte denn vorher in den Händen Christi selbst die Nägelmale gesehen und seine Hand in seine Seite gelegt. Hiermit machte Thomas freilich nicht, wie die ungläubigen Pharisäer und Schriftgelehrten, aus Bosheit, sondern aus Schwachheit, ohne es zu wissen und zu wollen, die Propheten, ja Christus selbst zum Lügner und erklärte, dass man dem Wort Christi und der Propheten nicht trauen und sich darauf keineswegs verlassen könne. In dieser Zeit, in welcher Thomas nicht auf das bloße Wort sein Heil bauen wollte, konnte er aber auch der Vergebung seiner Sünden, seines Gnadenstandes und seiner Seligkeit unmöglich gewiss sein. Er wusste nicht, ob er auch einen Erlöser habe; er musste fürchten, dass sein ganzer voriger Glaube an Christus nichts als eine klägliche Täuschung gewesen sei. Wir können daher wohl denken, von welchen peinigenden Zweifels sein Herz bestürmt, wie unruhig, wie trost- und hoffnungslos er in dieser Zeit gewesen sein müsse.

   Das ist aber die stets unselige Folge davon, wenn ein Mensch erst sehen, erst erfahren, erst fühlen, erst empfinden und dann erst glauben will.

    Die meisten Christen unserer Tage sind aber solche Thomaschristen. Darin besteht eben der große Krebsschaden in den meisten jetzigen, mitunter sehr eifrigen Sekten. Sie predigen zwar auch den Glauben an Christus, aber sie weisen dabei die Leute nicht auf das Wort und die heiligen Sakramente, auf welche sie sich gründen und fest bauen und trauen müssten, sondern sie weisen jedermann auf das, was sie in ihren Herzen erfahren, fühlen und empfinden. Sie leiten sie also methodisch dazu an, ja nicht eher zu glauben, als bis sie gesehen und gleichsam die Wundenmale und das klopfende Herz Christi gefühlt haben. Was ist die Folge hiervon? Diese, dass ein Teil der Christen unserer Zeit entweder stets Gewissheit und Freudigkeit heuchelt oder in stetem Schwanken lebt bald glaubt, bald zweifelt, bald getrost, bald verzagt ist, bald sich für Kinder der Gnade, bald für Kinder des Zorns hält.

    Wie selig sind nun hingegen die Christen welchen jetzt die reine Lehre gepredigt wird, die allein auf Gottes Wort und Verheißung und auf die von Gott selbst dazu gegebenen Siegel gewiesen werden, wenn sie dieser seligen Unterweisung folgen! Wie selig sind die, die, wenn sie die Sünde im Herzen fühlen, sich doch an das Wort im Glauben halten, das ihnen Christi Gerechtigkeit zuspricht; die, wenn sie Zorn und Tod im Gewissen empfinden, sich doch an das Wort im Glauben halten, das ihnen zuruft: Sei getrost, du hast Gnade gefunden, du sollst leben! die, wenn es ihnen so übel geht, als habe sie Gott verlassen, sich doch an das Wort im Glauben halten, das ihnen sagt: Ich will dich nicht verlassen noch versäumen; die ich lieb habe die strafe und züchtige ich! O, wie selig sind die, die selbst an den Gräbern ihrer Lieben und auf ihrem eigenen Sterbebett hinwegsehen von den Schreckbildern des Todes, des Grabes und der Verwesung und sich an das Wort im Glauben halten: Der Tod ist verschlungen in den Sieg!

    Solche Gläubigen stehen in dem rechten Verhältnis zu Gott, in welches wir wieder gebracht werden sollen; sie geben Gott die Ehre; sie zeigen sich als wahre Kinder, die ihrem himmlischen Vater auf sein Wort trauen; sie bestehen die Probe, die ihnen hier aufgegeben ist; sie kommen aus jedem Feuer der Trübsal nur immer geläuterter hervor; immer reiner wird das Gold ihres Glaubens, immer heller die Glut ihrer Liebe, immer fester der Anker ihrer Hoffnung. Mag der Sonnenschein mit Regen, mag heiterer Himmel mit nächtlichem Sturm und Ungewitter, mögen süße Gnadengefühle mit den Gefühlen der Sünde und des Todes wechseln, ihr Trost wechselt darum nicht, sondern bleibt ihnen unverrückt. Sie rufen mit Assaph aus: „Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“

Nimmer will ich selbst mich achten,

Sollte gleich der Leib verschmachten,

Bleib ich Jesus doch getreu.

Sollt ich keinen Trost erblicken,

Will ich mich damit erquicken,

Dass ich meines Jesu sei.

Ohne Fühlen will ich trauen,

Bis die Zeit kommt, ihn zu schauen,

Bis er sich zu mir gesellt:

Bis ich werd in seinen Armen

In gar süßer Lieb erwarmen,

Und er mit mir Hochzeit hält.

    O, möchten doch alle unter uns in einem solchen seligen Glauben stehen! – Bedenkt aber, meine Lieben: Zu einem solchen Glauben kommt kein selbstgerechter und in seinen Sünden sicherer Mensch; zu einem solchen Glauben kommt keiner, der noch reich zu werden trachtet, kein Liebhaber der Welt und ihrer Eitelkeit, kein irdisch gesinntes Herz; zu einem solchen Glauben kommen nur diejenigen, die ihre Sündhaftigkeit erkannt haben und denen es darüber um Trost bange geworden ist; nur diejenigen, denen die Welt nicht mehr süß schmeckt, die da hungern und dürsten nach besseren Gütern, als die sichtbaren sind, nämlich nach Gottes Gnade, nach Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit.

    Gott tue euch allen das Ohr eures Herzens auf, dass ihr alle die Stimme Gottes in seinem gnädigen Wort nicht nur hört, sondern auch vernehmt, versteht und ihr in solchem Glauben folgt; so werdet ihr auch alle die Wahrheit der Worte Christi an euch selbst erfahren: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Einst aber werdet ihr auch, was ihr hier im treuen Glauben festgehalten habt, dort wirklich schauen und ewig genießen in vollkommener Freude. Denn so spricht der heilige Apostel: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stückweise; dann aber werde ich es erkennen, gleichwie ich erkannt bin.“ Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Misericordias Domini (Die Erde ist voll der Guete des HERRN, Ps. 33,5; Hirtensonntag) ueber Johannes 10,12-16: Warum wir Christus zu unserem Hirten annehmen sollen

 

    Gott gebe euch viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    Teure Brüder und Schwestern in Christus!

    Eine Herde Schafe, soll sie sich nicht bald zerstreuen und die Schafe umkommen, bedarf eines Hirten, der vor ihr hergeht, sie weidet, schützt und am Abend in den sicheren Schafstall bringt. Schafe wissen die Plätze nicht selbst, wo sie rechte Weide finden, und die Quellen nicht, daraus sie trinken können; wehrlos, wie sie sind, werden sie daher, wenn sie keinen Verteidiger haben, leicht eine Beute des Wolfes und anderer reißender Tiere; noch weniger können sie sich selbst eine Stätte bereiten, wo sie sicher ruhen können.

    Mit einer solchen Herde Schafe wird in der Heiligen Schrift das menschliche Geschlecht verglichen. Und wer sollte es verkennen, dass wir Menschen unter keinem passenderen Bild dargestellt werden könnten? Ja wir Menschen sind auch eine Herde, die, soll sie sich nicht auf tausend Irrwegen zerstreuen und umkommen, ebenfalls eines Hirten bedarf, der vor ihr hergeht, sie weidet, schützt und endlich in den Schafstall einer ewigen Ruhe bringt.

    Wir Menschen haben alle von Natur einen unaustilgbaren Hunger und Durst nach vollkommenem Glück, aber welcher Mensch weiß, wo das wahre, das vollkommene Glück zu finden ist? Betrachten wir die Menschen in ihrem Tun und Treiben, so sehen wir wohl, wie alles nach dem Glück jagt und sich plagt, sich darum abmüht und absorgt; der eine sucht’s im Reichtum, der andere in der Lust, der dritte in der Ehre; der eine sucht’s in niederen grobsinnlichen Genüssen; der andere in sogenannten höheren und geistigen, in Kunst und Wissenschaft und dergleichen; aber finden die Menschen, was sie suchen? Nein, mag ein Mensch den gesuchten Reichtum, die gesuchte Lust, die gesuchte Ehre gefunden haben, das Glück, danach er hungerte und dürstete, hat er damit nimmer gefunden. Seine unbefriedigten Wünsche sind nur größer, sein Seelenhunger nur heftiger, sein Seelendurst nur brennender geworden.

    Wir Menschen tragen aber auch ferner von Natur alle eine tiefe Sehnsucht nach Wahrheit in unseren Seelen. Was ist Wahrheit? Diese Frage lebt in aller Menschen Herzen, ohne dass sie es oft wissen. Jeder möchte gern gewiss darüber sein, ob es einen Gott gebe, wie die Welt entstanden sei, wozu der Mensch bestimmt sei, wie es nach dem Tod gehen werde usw. Keiner möchte in diesen wichtigen Dingen ein Irrender, keiner ein sich selbst Täuschender oder Betrogener sein. Ab er welcher Mensch hat aus sich selbst die Wahrheit gefunden? Schon sind mehr als 5000 Jahre seit Erschaffung der Welt vergangen, und noch sind die scharfsinnigsten Geister im Suchen und die meisten haben die Hoffnung Wahrheit zu finden, gänzlich aufgegeben und achten den Menschen dem Tier gleich, dessen Seele mit dem Körper wie ein Rauch verfliegt.

    Wir Menschen tragen aber auch endlich alle eine Sorge in unserem Herzen, wie es mit uns in und nach dem Tod werden wird. Wir fühlen alle in uns ein gewisses Nagen des Gewissens; wir fühlen alle, dass eine Sündenschuld auf uns lastet; wir haben daher alle von Natur eine geheime Furcht vor einer einstigen Rechenschaft, zu der wir vielleicht gezogen werden und in der wir wohl nicht werden bestehen können. Wo ist aber der Mensch, der selbst sich Friede gegen die Anklagen seines Gewissens verschaffen und sich selbst die gewisse Hoffnung eines einstigen ewig seligen Lebens geben könnte? Eine Zeitlang kann es wohl ein Mensch dahin bringen, dass sein Gewissen schläft, aber wie oft wacht der Schläfer nur zu bald wieder auf und mahnt immer aufs Neue wegen der alten ungetilgten Schuld!

    O, wie unglückselig wären die Menschen daher, wenn wir in dieser Welt uns selbst überlassen wären! Wenn uns Gott auf diese Erde aus seinem Himmel verbannt hätte, und niemand wäre da, der uns Antwort geben könnte auf die Fragen: Woher kommen wir Menschen? Wohin sollen wir gehen? Wie unglückselig wären wir, wenn unser sterblicher Leib wohl hier seine Nahrung fände, aber unsere unsterbliche Seele verschmachten und Hungers und Durstes sterben müsste! Wenn wohl unser leibliches Auge Licht hätte, aber unser Geist in Finsternis bliebe! Wenn wir wohl durch diese arme Welt kommen könnten, aber keinen Weg wüssten zu einer anderen besseren Welt ewiger Ruhe und vollkommener Freude!

    Aber wohl uns, wohl uns Menschen! Wir sind nicht einer Herde gleich, die keinen Hirten hat und sich daher zerstreuen und umkommen und schutzlos eine Beute der Not und des Todes werden müsste. Nein, wir haben alle einen allgemeinen, großen, mächtigen, gnädigen, liebenden Hirten, der uns leiten und weiden, schützen und verteidigen und endlich in einen himmlischen Schafstall ewiger Ruhe und vollkommener Sicherheit und Freude führen will, so wir ihn nur für unseren Hirten annehmen und seiner Hirtenstimme folgen wollen. Und dieser Hirte ist Jesus Christus, der menschgewordene Sohn Gottes und unser aller Heiland. O, lasst mich euch denn heute, da unser Evangelium mich dazu auffordert, zeigen, warum wir diesen Christus zu unserem Hirten annehmen sollen.

 

Johannes 10,12-16: Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Ein Mietling aber, der nicht Hirte ist, des die Schafe nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht; und der Wolf erhascht und zerstreut die Schafe. Der Mietling aber flieht; denn er ist ein Mietling und achtet der Schafe nicht. Ich bin der gute Hirte und erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen, wie mich mein Vater kennet, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Und ich habe andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle. Und dieselben muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird eine Herde und ein Hirte werden.

 

    „Ich bin der gute Hirte“, so ruft Christus zweimal in unserm verlesenen Evangeliums-Text aus. Er will damit sagen, er sei der gute Hirte, von welchem schon alle Propheten geweissagt haben, das er komme und sich seiner Herde, nämlich der Menschenherde, selbst annehmen und sie suchen werde. Dass Christus dieser uns Menschen verheißene gute Hirte sei, dies zeigt er in allen Worten unseres Textes. So lasst uns denn jetzt erwägen:

 

Warum wir Christus zu unserem Hirten annehmen sollen

 

    Unser Text gibt uns hauptsächlich drei Beweggründe dafür an, nämlich:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil er und nur er der rechte Hirte ist,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil er über seine Schafe eine so sorgsame Aufsicht hält, und

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil er auch gegen die verirrten Schafe freundlich gesinnt ist.

 

    HERR Jesus Christus, du einiger Hirte der ganzen Menschenherde! Wieder willst du jetzt deine Hirtenstimme unser uns erschallen lassen, um uns all zu dir zu rufen. O, so hilf, dass deine Stimme in aller Herzen dringe, dass die Deinigen in deiner Liebe mehr entzündet, die Schwachen gestärkt, die Kranken und Gebrechlichen geheiligt und die noch Verirrten und Verlorenen zu dir gebracht werden. Ich bin ja nicht, o Jesus, der wahre Hirte dieser Schafe; wie könnte ich sie versorgen und führen und schützen und in den Himmel bringen? Du allein bist es und du kannst es und du willst es tun durch deine elenden Diener. O, so mache mich jetzt zu deinem Mund, dass ich rede nach deinem herzen und diese alle zu dir führe durch deine Kraft. Erhöre mich um deiner Hirtentreue willen. Amen. Amen.

 

1.

    Christus zu seinem Hirten annehmen heißt, meine Liebe, nicht nur, Christus für seinen Lehrer erkennen oder ihm als seinem Vorbild auf dem Weg der Tugend nachfolgen. Das versteht man zwar jetzt sehr oft darunter, wenn man Christus noch immer den guten Hirten der Menschen nennt. Aber das heißt nicht, die Worte Christi auslegen, sondern verwässern und verflachen. Nein, Christus zu seinem Hirten annehmen ist unendlich mehr. Dies heißt nämlich: Bei Christus alles das suchen, was Schafe bei ihrem Hirten haben und genießen, also sichere Führung durch die Welt, volle Weide, Schutz und Verteidigung gegen alle Feinde, und endlich Einbringung in die ewigen Hütten vollkommenen Friedens.

    Können wir dies nun wirklich bei Christus alles suchen? Ja, meine Lieben, denn erstlich er und nur er ist ja wahrhaftig unser rechter Hirte. Er spricht in unserem Text: Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Ein Mietling aber, der nicht Hirte ist, des die Schafe nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht; und der Wolf erhascht und zerstreut die Schafe. Der Mietling aber flieht; denn er ist ein Mietling und achtet der Schafe nicht. Ich bin der gute Hirte und erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen, wie mich mein Vater kennet, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe.“

    Um diese Worte recht zu verstehen, müssen wir dies wissen. Als Gott den Menschen schuf, da war Gott aller Menschen Hirt. Gott wohnte in ihren Herzen und leitete sie mit seinem himmlischen Licht; das Paradies war der Weideplatz für ihren Leib, und Gottes Liebe und Güte für ihre Seele. Gottes Macht war ihr Schutz gegen Sünde, Unglück, Not und Tod, und der Himmel war das sichere Gehege, welchem Gott die Menschen entgegenführte. Doch was geschah? – Satan, dieser abgefallene Engel, dieser höllische Wolf, sah es mit Neid, dass es die Menschen unter dem Hirtenstab Gottes so gut hatten. Er lechzte daher nach der Menschen Blut und Leben. Was tat er daher? Er schlich sich heran an den Menschen unter gleißender Gestalt, machte den Menschen ihren himmlischen Hirten verdächtig, als sei seine Gnadenleitung ein hartes Regiment, und spiegelte ihnen vor, wie gut sie es haben könnten, wenn sie sich ganz frei machten und sich selbst führten. Und ach! der Plan gelang. Die Menschen hörten auf, auf Gottes Hirtenstimme zu hören und entzogen sich seiner sanften Regierung. Die Folge davon war, dass die Menschen vertrieben wurden von dem Weideplatz des Paradieses und hinausgetrieben in die Wüste dieser Welt, wo wir nun alle von Natur in Finsternis, Sünde und Gottes Zorn, dahingegeben in Not und Tod, ohne wahren Frieden und ohne Hoffnung des ewigen Lebens umherirren.

    Sollte uns nun wieder geholfen werden, so bedurften wir eines neuen Hirten, der den höllischen Wolf tötete, damit die Sünde und Gottes Zorn über die Sünde tilgte und uns Licht, Gnade, Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit wieder erwarb.

    Von jeher haben nun zwar die Menschen sich selbst zu helfen gesucht und Menschen sich zu rettenden Hirten ihrer Brüder aufgeworfen. Aber haben sie sich und anderen helfen können? Nein, vergeblich haben die Menschen sich selbst aus der Finsternis zu retten und das Licht der Wahrheit sich anzuzünden gesucht; sie haben sich dadurch nur immer tiefer verirrt in die dunklen Wälder ihrer eigenen verkehrten Gedanken. Vergeblich haben die Menschen die Sünde selbst zu überwinden und eine vor Gott gültige Gerechtigkeit sich selbst zu verschaffen getrachtet; sie sind dadurch nur immer tiefer hineingefallen in die Abgründe der Hoffart und Entfremdung von dem Leben, das aus Gott ist. Vergeblich haben die Menschen Gott selbst zu versöhnen und den Himmel selbst sich aufzuschließen bemüht; sie sind dabei in die Greuel der Menschen- und anderer Götzenopfer gefallen. Alle Menschen, besonders alle Weisen dieser Welt, welche die Menschen haben durch die Welt zum Himmel führen wollen, haben sich als Mietlinge erwiesen, die vor dem höllischen Wolf, vor Sünde, Gottes Zorn, Not, Tod und Hölle nicht stehen und dies nicht überwinden konnten, sondern fliehen, die Menschenherde im Stich lassen und sich selbst verloren geben mussten.

    Nur einer war’s, der die Menschenherde dem höllischen Wolf wieder entreißen konnte, derjenige nämlich, der von Anfang an der Menschen Hirt gewesen war, nämlich Gott selbst. Und siehe! Gott hat es getan. Sobald die Menschen vom Wolf erhascht und zerstreut waren, da begann Gott, sie wieder zu sammeln; er gab ihnen nämlich die Verheißung, zu seiner Zeit werde Gott selbst auf Erden erscheinen und der Schlange den Kopf zertreten; die Menschen sollten sich nur des trösten. Und als 4000 Jahre vergangen waren, da erschien denn der Sohn Gottes in der Welt und ließ sich als den verheißenen Hirten sogleich nach seiner Geburt armen Hirten auf den bethlehemitischen Feldern von Engeln verkündigen, nahm unsere Sünden auf sich und ließ sich dafür strafen und als ein Lamm von dem höllischen Wolf verschlingen und töten, stieg aber zugleich hinab in die Hölle, band da den höllischen Wolf, zerstörte da seinen finsteren Hinterhalt, von welchem aus er auf die Schafe gelauert hatte, erstand hieraus als ein Sieger mit Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit wieder von den Toten und errichtete nun das heilige Predigtamt, durch welches er vermittelst des Hirtenhorns der evangelischen Predigt nun bis an das Ende der Tage die ganze in der Welt umherirrende Menschenherde zu ihm, als zu ihrem rechten guten Hirten, gerufen werden soll.

    Seht hieraus, meine Lieben: Christus ist wahrhaftig, und zwar nur er, unser rechter Hirte; alle anderen Menschen sind Mietlinge. Christus allein hat den großen Kampf mit dem höllischen Wolf für uns bestanden und ihn überwunden, indem er sich von ihm zerreißen und verschlingen ließ. Er allein hat unsere Sünde und Gottes Ungnade vertilgt; er allein hat unseren verschmachteten Seelen wieder Brot und Wasser des Lebens zugebracht; er allein ist nun mächtig, uns vor Not, Tot und Hölle zu schützen und uns durch den Tod zum Leben und über die Hölle hinweg in den Himmel einzuführen, als in die Hütte ewigen Friedens. Prediger des Evangeliums heißen zwar auch Hirten, aber nur so, wie die Gläubigen Christen heißen; nämlich nur insofern, als die Prediger nur auf Christus, den einigen guten Hirten, hinweisen und als nur Christus, der einige gute Hirte, durch sie redet; wo das nicht geschieht, so sind alle Prediger Mietlinge, und wen sie sich verbrennen ließen. O, so lasst uns denn auch das Vertrauen auf alles andere wegwerfen; lasst uns wegwerfen unsere eigene Weisheit und Gerechtigkeit, und aller Menschen Lehren oder Werke, als Mietlinge, die im Kampf mit Sünde, Gottes Zorn, Not, Tod, Gericht, Hölle und Satan nimmer bestehen können, sondern flüchtig werden müssen. Christus, Christus allein ist unser rechter guter Hirte; ihn lasst uns annehmen, so ist uns geholfen.

 

2.

    Damit wir nun hierzu noch dringender bewogen werden, so lasst uns zweitens erwägen, wie Christus über seine Schafe auch eine so sorgsame Aufsicht hält.

    Christus drückt dies in unserem Text mit den Worten aus: „Ich bin der gute Hirte und erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen; wie mich der Vater kennt, und ich kenne den Vater.“ Betrachtet man diese Worte nur oberflächlich, so kann man leicht denken, dass Christus damit seine Hirtentreue nicht eben hoch preise. Er sagt ja nur, dass er die Seinen erkenne und wiederum sich den Seinen zu erkennen gebe! Aber erwägen wir den Sinn dieser Worte recht, so finden wir, dass darin mehr liegt, als durch irgendeine andere längere Beschreibung ausgedrückt werden konnte. Denn wenn Christus diejenigen, welche ihn zu ihrem Hirten annehmen, immer für die Seinen erkennt, was können sie mehr begehren, was mehr wünschen? Wie kann es ihnen da je an etwas fehlen, was sie bedürfen? Wovor haben sie dann Ursache, sich zu fürchten? Welche verheißene Seligkeit und Herrlichkeit kann es dann geben, die sie nicht zuversichtlich erhoffen dürften?

    O selige Menschen, welche Christus zu ihrem Hirten annehmen! Sind sie auch große Sünder und darum keiner Gnade, keiner Liebe, keiner Wohltat wert: Christus erkennt sie doch für seine Schafe; er ist ihnen daher gnädig; er liebt sie und überschüttet sie mit zeitlichen, geistlichen und ewigen Wohltaten. Sind sie von der ganzen Welt verachtet und verstoßen, findet sich da keiner, der ihr Freund und Bruder sein will, will sie da niemand für Christen und Kinder Gottes anerkennen, schämen sich ihrer alle Menschen, Fromme und Gottlose: Nehmen sie Christus für ihren Hirten an, so erkennt er sie doch für seine Schafe, schämt sich ihrer nicht, sondern geht vor ihnen her als ihr Hirte und führt sie aus und ein. Sind sie selbst ungewiss, ob sie sich für Christen halten dürfen, klagt sie ihr eigenes Gewissen an, verdammt sie ihr eigenes Herz: Was schadet’s, wenn sie Christus zu ihrem Hirten erwählen? Er klagt sie dann nicht an, er verdammt sie dann nicht, sondern erkennt sie für die Seinen. Ja, scheint es, als seien sie von Gott selbst verstoßen, scheint es, als seien sie schon durch Gottes Wort selbst verdammt und verurteilt, scheint Gott selbst gegen sie zu streiten, da Gott tausend Trübsale über die hereinbrechen lässt: Sie haben doch keine Ursache, zu zagen und zu zweifeln; Christus spricht ihnen zu: Seid getrost! Lasst euch nur nicht grauen und zweifelt nicht! Mein Vater erkannte mich für seinen lieben Sohn, da ich am Kreuz hing als ein Fluch der Welt; wie nun mich mein Vater am Holz des Fluches noch kannte, so erkenne auch ich euch, ob auch alle Wetter seines Zornes über euch sich entladen. Sind sie in Not, in Krankheit, in Armut; Wie fröhlich können sie sein! Der gute Hirte erkennt sie und versorgt sie und hilft ihnen. Tragen sie irgendeine Sorge auf ihrem Herzen, wissen sie sich keinen Rat, sind sie vielleicht durch eigene Schuld in eine tiefe Grube des Elendes geraten, aus der sie sich nicht zu helfen wissen: Wie unverzagt können sie sein! Christus erkennt sie für die Seinen, und darum muss er ihnen Rat schaffen, auf ihn dürfen und können und sollen sie alle ihre Sorge werfen, denn er sorgt für sie, wie ein Hirte sorgt für seine Schafe. Treten sie mit Gebeten und Seufzern vor Gott, und ihr Gewissen sagt ihnen, dass sie nicht würdig sind, dass sie Gott erhöre: Wohl ihnen! Sie dürfen dies nicht beachten; Christus achtet sie ja für die Seinen; und darum sind alle ihre Gebete ihm gefällig und er erhört sie gewiss, noch ehe sie rufen. Liegen sie endlich im Sterben; verlässt sie die ganze Welt; treten die Sünden ihres ganzen Lebens und ihre Untreue in ihrem ganzen Christenwandel vor ihr Sterbelager wie Ankläger: O, wie ruhig können sie da sein! Christus steht dann bei ihnen und spricht: Fürchte dich nicht, du hast mich zu deinem Hirten angenommen; ich erkenne dich auch jetzt; du bist mein und ich bin dein, keine Sünde, kein Tod, keine Hölle soll uns scheiden. Kommen nun endlich solche, die Christus zu ihrem Hirten angenommen haben, vor Gottes Gericht: O, auch da finden sie keine Ursache, zu zittern und zu zagen; denn Christus lässt sie nicht allein vor Gott kommen; er erscheint mit ihnen vor seinem Vater und spricht: Vater, diese Seele ist mein Schäflein; ich habe sie mir erkauft mit meinem Blut, und sie hat mich angenommen, darum tue ihr auf die Tür zu meinen himmlischen Auen, dass ich sie nun ewig darauf weide und hinführe zu dem Strom ewiger Freude und Erquickung.

    Seht, meine Teuren, wer kann demnach seliger sein hier und dort, als wer Christus zu seinem Hirten annimmt? Meint nicht, dass ich hierbei zu viel sage. Hört den David; er redet aus eigener Erfahrung; und wie spricht er? Er ruft freudetrunken aus: „Der HERR ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser. Er erquickt meine Seele; er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, so fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich. Du bereitest mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde; du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang; und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.“

 

3.

    Wer sollte nun hiernach nicht Lust bekommen, Christus zu seinem Hirten anzunehmen? – Nur eins wird vielleicht noch manche hindern, der Gedanke nämlich, dass es wohl nicht so leicht sei, ein Schäflein Christi zu werden und dann mit David sagen zu können: „Der HERR ist mein Hirte.“ Um nun auch dieses Hindernis aus dem Weg zu räumen, so lässt uns endlich noch erwägen, wie freundlich Christus auch gegen die verirrten Schafe gesinnt ist.

    Man sollte freilich denken, da es ein so großes Glück ist, zu Christi Herde zu gehören, so werde es wohl viel, sehr viel kosten, ehe man unter dieselbe aufgenommen werden und ein Anrecht an Christi Hirtensorge erlangen könne. Aber dem ist keineswegs so. Denn so spricht Christus selbst zu Ende unseres Textes: „Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall. Und dieselben muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird Eine Herde und Ein Hirte werden.“ Diese Worte spricht Christus, als er mitten unter der Herde stand, die er sich aus dem jüdischen Volk gesammelt hatte. Er erklärt aber, dass ihm dies nicht genug sei. Er habe noch andere Schafe, die seien nicht aus diesem Stall. Es gingen nämlich noch viele Millionen Heiden irre umher in dieser Welt; diese verlorenen und zerstreuten Schafe lägen ihm auch auf dem Herzen; ja, er sagt geradezu, er müsse, er müsse dieselben auch herzuführen. Da nun die ganze Menschheit damals aus zwei Teilen bestand, nämlich aus Juden und Heiden, so sehen wir hieraus: Es gibt keinen Menschen, den Christus nicht gern zu einem Schaf seiner Herde annehmen und dessen Hirte er nicht sein möchte.

    Wer du also auch bist, lieber Zuhörer, entweder stammst du von Juden oder von Heiden ab; auch dich trägt also Christus auf seinem Herzen; auch dich sucht er; auch dich möchte er gern in seiner Herde haben; auch dein Hirte möchte er gern werden; er hat ja für alle Schafe, also auch für dich, schon sein Leben gelassen.

    Aber noch mehr! Christus sagt auch, wie er die verirrten Schafe sammelt und ihr Hirte wird; er spricht nämlich: „Sie werden meine Stimme hören.“ Er will also sagen: Es ist bei mir, wie bei jedem Hirten; hat sich ein Schaf verlaufen und verirrt, so schreibt der Hirte dem armen Schaf nicht schwere Bedingungen vor, unter welchen er es wieder annehmen will, sondern er geht dem Schaf nach und ruft es aufs allerfreundlichste mit der alten bekannten Hirtenstimme: Komm wieder! Komm wieder! Merkt nun das Schäflein auf die Stimme des Hirten und läuft es ihm wieder nach, oder lässt es sich nur wieder von ihm fassen, so nimmt es der Hirte mit Freuden auf seine Achseln und trägt es frohlockend zur Herde. So, spricht Christus, rufe auch ich durch mein Evangelium allen verirrten Menschen zu freundlich und voll Mitleid: O, kommt doch wieder, ihr Menschen, die ihr euch unter die Welt verlaufen habt; die ihr aus den trüben Quellen der Weltlust getrunken habt; die ihr in die Abgründe des Lasters gestürzt seid; die ihr auf die jähen Höhen der Hoffart gestiegen seid; die ihr in den Irrgärten der menschlichen Weisheit umhergeirrt seid; kommt wieder! Ich, ich bin euer Hirte; bei mir findet ihr die rechte Weide; ich führe euch zu den frischen Wassern des Trostes; ich bringe euch auch endlich in den himmlischen Schafstall, wo Freude die Fülle und liebliches Wesen sein wird immer und ewig.

    Seht hieraus, meine Lieben, wie leicht also ein jeder unter uns ein Schäflein Christi werden und Christus zu dem Hirten und Bischof seiner Seele bekommen kann. Sobald wir auf das Wort des Evangeliums hören, das uns zu Christus ruft, sobald wir nämlich erkennen, dass wir verirrt gewesen sind, und Christi Hirtenstimme nicht mehr widerstreben, sondern die Welt und Sünde verlassen und zu ihm zurückkehren und sprechen: Da hast du mich, mein Hirte, nimm dein armes Schäflein an, – alsobald stehen wir wieder unter Christi Hut, wir sind seine Schafe und er unser Hirte. Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Jubilate (Jauchzet Gott, alle Lande; Ps. 66,1) ueber Johannes 16,16-23: Dass im wahren Christentum ein steter Wechsel von Traurigkeit und Freude stattfindet

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Was ist ein wahrer Christ? Worin besteht das Wesen des wahren Christentums? Diese Frage wird sehr verschieden, und darum natürlich auch sehr oft falsch beantwortet.

    Am sichersten meinen in der Regel diejenigen zu gehen, welche sagen, das Wesen eines wahren Christen bestehe nicht darin, dass er fleißig in die Kirche und zum heiligen Abendmahl gehe und viel bete und singe, sondern dass er rechtschaffen lebe, seinen Nächsten liebe und ihm nützlich sei, kurz, dass er gute Werke tue. Und es ist wahr: Das Christentum ist nichts Totes; es besteht nicht in Beobachtung gewisser äußerlicher gottesdienstlicher Verrichtungen, Zeremonien und gottseliger Übungen; denn der fleißigste Kirchgänger kann doch bei all seinem Eifer ein Heuchler sein.

    Doch ist es ebenso falsch, wenn man meint, dass das Wesen des wahren Christentums in einem ehrbaren Leben, in bürgerlicher Rechtschaffenheit, in einem gemeinnützigen Handeln bestehe. Denn auch bei diesem allen kann man ebenso wohl ein Heuchler sein, der auf sein vermeintlich gutes Herz, auf seine edlen Grundsätze und auf seine guten Werke stolz ist.

    Das Wesen des wahren Christentums ist der wahre Glaube an Jesus Christus; wo dieser Glaube nicht die Hauptsache, das Herz, die Seele unseres ganzen Christentums ist, da ist es im Grunde nichts anderes als ein Heidentum, das etwa noch mit einigen christlichen Wahrheiten übertüncht beschönigt und geschmückt ist.

    Geht die ganzen Evangelien durch, so werdet ihr finden: Das allein war’s allezeit, warum Christus Seelen tröstete, warum er sie für die Seinigen erkannte und ihnen das ewige Leben verheißt: Weil sie an ihn glaubten.

    Ja, spricht man, wie ist es möglich, dass es der Glaube allein tue? Die einfache Ursache ist diese: Weil der Mensch von Natur ein Sünder ist und mit seinen Werken vor Gott nicht bestehen kann, so hat Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, uns erlöst, Gott wieder durch sein Leben, Leiden und Sterben mit uns versöhnt und der Gerechtigkeit Gottes für uns genuggetan. Wer das nun genießen will, der darf diese Erlösung freilich nicht verwerfen, sondern muss sie annehmen; und das ist eben der Glaube.

    Der Glaube ist die offene Himmelstür; wer dadurch nicht eingehen will, der bleibt von Gottes Reich immer und ewig ausgeschlossen. Wohl ist es wahr: Ein Christ tut gewiss gute Werke; wer sich aber auf das, was er für gute Werke hält, verlässt und dadurch vor Gott gerecht und selig werden will, der ist kein Christ und geht mit allen seinen scheinbaren Werken verloren.

    Dass wir elenden Sünder selig werden, davon will Gott allein den Ruhm haben. Unser Ruhm muss ganz in Stücke gehen und zuschanden werden. Auch die Buße und Besserung darf der Grund unserer Hoffnung nicht sein. Wer da denkt: Da ich nun meine Sünde bereue und mich bessern will, so wird sich doch Gott meiner erbarmen, der geht irre und betrügt sich jämmerlich. Willst du vor Gott gerecht und selig werden, so musst du dich auf lauter Gnade und Barmherzigkeit ergeben, denn das ist eben die rechte Buße, dass du an dir ganz verzagst und mit deinem Elend, das du einsiehst, dich zu Christus wendest. So wird man ein Christ, so bleibt man ein Christ, so wird man selig.

    Ein wahrer Christ trägt eine ernstliche Sorge für seiner Seelen Seligkeit in seinem Herzen; er baut sie aber nicht auf ein handwerksmäßiges Verrichten gewisser guter Werke; er lässt vielmehr alles fahren und sieht allein auf Jesus, das Lamm Gottes, das der Welt und auch seine Sünden trägt; ein wahrer Christ kann daher in Wahrheit dem heiligen Apostel nachsprechen: „Es ist gewiss wahr und ein teuer wertes Wort, dass Jesus Christus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin.“

    Seht, meine Lieben, das, ja, das ist der einig rechte Grund; aller andere taugt nichts; alles eigene Wirken, und wenn es mit Millionen Tränen verbunden wäre, ist verlorene Arbeit; nur der Glaube an Christus überwindet Gottes feuerbrennenden Zorn und löscht der Höllen Flammen.

    Es fragt sich nun: Wie sieht es denn aber dann in dem Herzen eines Christen aus, wenn dieser Grund des Glaubens bei ihm gelegt ist? Davon will ich jetzt weiter zu euch reden.

 

Johannes 16,16-23: Über ein kleines, so werdet ihr mich nicht sehen, und abermals über ein kleines, so werdet ihr mich sehen; denn ich gehe zum Vater. Da sprachen etliche unter seinen Jüngern untereinander: Was ist das, was er sagt zu uns: Über ein so werdet ihr mich nicht sehen, und abermals über ein kleines, so werdet ihr mich sehen, und dass ich zum Vater gehe? Da sprachen sie: Was ist das, was er sagt: Über ein kleines? Wir wissen nicht, was er redet. Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen: Davon fragt ihr untereinander, dass ich gesagt habe: Über ein kleines, so werdet ihr mich nicht sehen, und abermals über ein kleines, so werdet ihr mich sehen. Wahrlich, wahrlich, ich, sage euch: Ihr werdet weinen und heulen; aber die Welt wird sich freuen. Ihr aber werdet traurig sein; doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehret werden. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Traurigkeit; denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass der Mensch zur Welt geboren ist. Und ihr habt auch nun Traurigkeit aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. Und an demselben Tage werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinen Namen, so wird er’s euch geben.

 

    Zweierlei sagt in diesem Evangelium Christus seinen Jüngern voraus; er spricht: „Ihr werdet traurig sein; doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden.“ Das ist der Hauptinhalt unseres ganzen Evangeliums. Hiernach spreche ich jetzt zu euch davon:

 

Dass im wahren Christentum ein steter Wechsel von Traurigkeit und Freude stattfinde

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wollen wir diesen Wechsel kennenlernen, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Aus Gottes Wort vernehmen wie man sich dabei zu verhalten habe.

 

    O HERR Jesus Christus! Du willst, dass die Deinigen nicht zur Schmach deines vollgültigen Verdienstes immer ungewiss und zweifelhaft, sondern zur Ehre deines Kreuzes fest und gewiss ihres Heils seien. O, so gib uns allen das köstliche Ding, ein festes Herz, das allein deine Gnade wirken kann. Segne hierzu auch die gegenwärtige Verkündigung deines teuren Evangeliums um deiner selbst willen. Amen.

 

1.

    Es ist wahr, meine Lieben: Das wahre Christentum ist etwas Fröhliches, Herrliches, Seliges; denn sollte das nicht ein seliger Mensch sein, der es weiß, dass er durch Christus einen gnädigen Gott hat und durch den Tod einst gewiss in den Himmel der Seligen eingeht? Doch meinen viele, das Leben im Glauben sei eine immerwährende Fröhlichkeit des Herzens, ein ungestörter Friede, eine stets selige Ruhe und Stille des Seele, und das ganze Christentum ein immerwährendes Schwelgen des Geistes in süßen Gefühlen. Zu dieser Meinung werden viele durch solche Lehrer verführt, welche ihre Zuhörer dadurch zum wahren Christentum zu reizen und zu locken suchen, dass sie ihnen dasselbe erst als ganz leicht und lieblich und überschwänglich herrlich vormalen, als einen Zustand wenigstens oft wiederkehrender geistlicher Entzückungen.

    Andere hingegen verwerfen alle Erfahrungen himmlischer Erquickungen und eines schon auf Erden stattfindenden Schmeckens des gütigen Wortes Gottes und der Kräfte der zukünftigen Welt als Schwärmerei; oder sie stellen das Christentum so dar, als wäre es ein stets Jammern und Seufzen ohne die fröhliche Gewissheit, dass man in Gnaden sei; als müsse auch ein Christ immerfort zittern, zagen und zweifeln, ob er auch einst werde angenommen werden oder nicht; als wäre es schon eine fleischliche Sicherheit, wenn er mit jenem christlichen Dichter spricht:

Was kann mir denn nun schaden

Der Sünden große Zahl?

Ich bin bei Gott in Gnaden,

Die Schuld ist allzumal

Bezahlt durch Christi teures Blut

Dass ich nicht mehr muss fürchten

Der Höllen Qual und Glut.

    Aber, meine Lieben, beide Meinungen sind falsch, gegen Gottes Wort, und gegen die allgemeine Erfahrung aller rechtschaffenen Christen. Das wahre Christentum ist weder eine ununterbrochene Freudigkeit, noch eine immerwährende Ängstlichkeit. Was es eigentlich sei, dies lernen wir aus unserem Evangelium, in welchem der HERR zu den Aposteln spricht: „Über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen; und abermals über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen; denn ich gehe zum Vater.“ Da nun die Jünger diese verblümte Rede nicht verstanden, so legte sie ihnen Christus mit den Worten aus: Wahrlich, wahrlich, ich, sage euch: Ihr werdet weinen und heulen; aber die Welt wird sich freuen. Ihr aber werdet traurig sein; doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehret werden.“ Hiermit hat es Christus nicht nur den Aposteln, sondern allen Christen geweissagt, wie es in ihrem Glaubensleben hergehen werde; es werde nämlich darin ein steter Wechsel von Traurigkeit und Freude stattfinden.

    Als die Apostel zu Christus kamen und ihn als den Heiland der Welt erkannten, da war lauter Freude bei ihnen. Welch einen gütigen, gnädigen, freundlichen, barmherzigen Herrn fanden sie an ihm! Wie freudig verließen sie daher alles und folgten ihm nach! Sie mochten daher wohl denken, so werde es fortgehen, und wenn Christus endlich als Messias sein Reich aufrichten werde, so werde es noch besser werden. Aber siehe! Da er nun bald von ihnen zum Vater gehen wollte, so verkündigte er ihnen nun etwas, was sie jetzt am wenigsten erwartet hatten: Weinen, Heulen und Traurigkeit; doch erklärte er, es sei immer nur um ein Kleines zu tun, so solle sich die Traurigkeit wieder in Freude verkehren.

    So macht es Christus noch jetzt. Wenn Menschen ihn im Glauben annehmen, o, wie ist ihnen da so wohl in Christus! Welche neuen himmlischen Bewegungen empfinden sie da nun in ihren Herzen! Wie selig fühlen sie sich, wenn sie nun ausrufen können:


Ich habe nun den Grund gefunden,

Der meinen Anker ewig hält.

Wo anders, als in Jesu Wunden?

Da lag er vor der Zeit der Welt;

Der Grund, der unbeweglich steht,

Wenn Erd und Himmel untergeht!


    Aber so bleibt es nicht immer. So lichthelle den Gläubigen oft anfangs ihr Gnadenstand ist, dass sie aller Welt und allen Teufeln zurufen möchten: „Wer will verdammen? Christus ist hier, der gerecht macht!“ so ist es doch oft nur um ein Kleines zu tun, so wird es wieder in ihren Herzen dunkel; es stehen wieder Zweifel auf und die feste Zuversicht fängt an zu wanken. Sie denken oft erst, die Sünde wäre durch den Glauben in ihren Herzen wie ausgestorben, und siehe! Sie fängt über ein Kleines wieder an, sich in ihnen mächtig zu regen; sie werden auch dann und wann wieder von einer Sünde hingerissen und befleckt; da sinken denn die Flügel des Glaubens und Vertrauens tief herab. Erst denken die Gläubigen oft: „Und wenn mich der HERR töten wollte, so will ich doch auf ihn hoffen“; aber kommen nun in ihrem Leben viele Trübsale vor, löst bei ihnen ein Unglück das andere ab; ist es ihnen, als stritte Gott ganz gegen sie; führt sie Gott so raue Wege, dass es scheint, als achte er sie gar nicht für seine Kinder, als verfolge er sie wie seine Feinde und habe sie von seinem Angesicht verstoßen und verworfen: Da regt sich denn auch das Misstrauen stark gegen Gott und Traurigkeit und Betrübnis drückt sie nieder.

    Zu Zeiten fühlen die Gläubigen einen so großen Eifer gegen die Sünde, dass sie meinen, sie wollten nie wieder einen sündlichen Gedanken in ihr Herz und kein unnützes Wort über ihre Lippen gehen lassen; und über ein Kleines fühlen sie sich zum Kampf gegen die Sünde ganz matt und verdrossen. Zu Zeiten ist den Gläubigen die Welt mit ihren Eitelkeiten so ein Ekel, dass sie von der Sehnsucht nach der himmlischen Heimat fast verzehrt werden; und über ein Kleines nehmen sie mit Trauer in ihrem Herzen ein geheimes Gelüsten nach der Welt Güter und Freuden wahr. Zu Zeiten sind die Gläubigen mutig in ihrem Bekenntnis der Wahrheit, das sie mit Freuden der Welt entgegentreten und sich freuen, wenn sie um Jesu willen nur recht viel Schmach und Verfolgung leiden; und über ein Kleines ergreift sie wieder Kleinmütigkeit und Furchtsamkeit. Zu Zeiten können die Gläubigen beten, dass sie sich über sich selbst verwundern, sie wissen selbst nicht, woher es komme, dass die Worte brünstiger Andacht wie ein mächtiger Strom aus dem Herzen quellen; und über ein Kleines können sie nur schwächlich seufzen und girren wie Tauben. Jetzt finden sie vielleicht lauter Licht und Leben, unaussprechlichen Trost, Kraft, Stärkung und süßeste Erquickung in Gottes Wort; und über ein Kleines ist es ihnen, als wäre es ganz tot und kraftlos. Zu Zeiten machen sie die seligsten Erfahrungen, wen sie den wahren Leib und das wahre Blut Jesu Christi im heiligen Abendmahl genießen; und über ein Kleines müssen sie betrübt und traurig vom Tisch des HERRN wieder zurückgehen.

    Seht, meine Lieben, ein solcher Wechsel von Traurigkeit und Freude, von Stärke und Schwäche, von Mut und Kleinmütigkeit findet im wahren Christentum statt. Dasselbe finden wir bei den Heiligen, von denen wir in Gottes Wort lesen. Wie wechselte es bei David! Er erzählt es selbst von sich im 30. Psalm mit den Worten: „Ich sprach, da es mir wohl ging: Ich werde nimmermehr darniederliegen; aber da du dein Antlitz verbargst, erschrak ich.“ Jetzt jauchzte er: „Ich kann mit meinem Gott über Mauern springen“, und über ein Kleines seufzte er: „Meine Seele liegt im Staub; erquicke mich nach deinem Wort.“ Jetzt jubelte er: „Lobe den HERRN, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen; lobe den HERRN, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat; der dir alle deine Sünden vergibt und heilet alle deine Gebrechen“; und über ein Kleines hören wir ihn wieder so seufzen: „Aus der Tiefe rufe ich, HERR, zu dir. HERR, höre meine Stimme. – So du willst, HERR, Sünde zurechnen; HERR, wer wird bestehen? – Meine Seele wartet auf den HERRN von einer Morgenwache bis zur anderen. – HERR, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht. Denn der Feind verfolgt meine Seele und schlägt mein Leben zu Boden; er legt mich in das Finstere, wie die Toten in der Welt. – Ich denke an die vorigen Zeiten – meine Seele dürstet nach dir wie ein dürres Land. HERR; erhöre mich bald, mein Geist vergeht.“

 

2.

    Nachdem wir nun hieraus den Wechsel der Traurigkeit und Freude, der im wahren Christentum stattfindet, kennengelernt haben, so vernehmt nun zweitens aus Gottes Wort, wie man sich dabei zu verhalten habe.

    Es gibt, meine Lieben, wenige, die ihres Gnadenstandes bleibend recht gewiss werden. So viele es auch gibt, welche sich als arme Sünder erkennen, die sich selbst nicht helfen können, die Jesus für den einzigen Heiland ansehen, so kommen die Meisten doch zu keiner rechten Festigkeit des Glaubens. Und es ist kein Zweifel: Der Hauptgrund hiervon liegt bei ihnen darin, dass sie erfahren, wie oft sich die Stimmung, das Gefühl ihres Herzens ändere. Empfinden sie Freude, dann denken sie: Jetzt ist dir Gott gnädig, jetzt lacht er dich freundlich an, jetzt gibt er dir das Zeugnis, dass du sein Kind seist; empfinden sie hingegen Traurigkeit, Schwachheit, Mattigkeit und die Regungen des Fleisches und der bösen Lust, ach, denken sie dann, wie hast du doch Jesus so ganz wieder aus dem Herzen verloren! Wie ist doch die Gnade Gottes wieder so ganz von dir gewichen! Ach, du hast Schiffbruch am Glauben erlitten und bist aus dem Leben in den Tod gefallen.

    Dies ist aber, glaubt es, nichts anderes, als ein Betrug unseres Herzens und eine List Satans, der uns von dem ewigen Felsengrund, Jesus Christus, und seinem teuren Evangelium unvermerkt hinwegdrängen, und auf den schwankenden Boden unseres eigenen Herzens führen will.

    Deutlich hat es Christus allen den Seinen vorausgesagt, dass sie nicht nur Stunden der Freude haben werden, sondern auch Zeiten der Traurigkeit, wenn sie weinen und heulen müssen, wenn die Angst sie überfallen werde wie eine gebärende Frau; aber das Ende von allem solle herrlich sein; ihr Herz solle sich freuen und ihre Freude niemand von ihnen nehmen.

    Hieraus seht ihr: So wenig die freudigen Gefühle, die wir zuzeiten haben, der eigentliche Grund unserer Beruhigung sein sollen, so wenig sollen wir auch durch die Erfahrung der Traurigkeit und Schwachheit den Grund unseres Glaubens uns umstoßen lassen. Unser einiger Grund, auf den wir bauen, soll sein Jesus Christus, der Heiland der Welt.

    O, lasst euch daher warnen vor dem falschen Geist, der jetzt ausgegossen ist über alle Welt, und hütet euch daher vor den vielen falschen Lehrern, welche jetzt aufgestanden sind, die unter dem besten Schein des lebendigen Christentums die armen Seelen doch aufs Schlüpfrige setzen, indem sie sie lehren, die Gewissheit ihres Heils nicht in Christus, seinem gewissen Wort und Sakrament, sondern in sich selbst, in ihren Herzen zu suchen!

    Es hat wohl einen guten Schein, wenn man predigt: Ihr müsst das und das erfahren, ihr müsst erst das Zeugnis des Heiligen Geistes fühlen, dann könnt ihr erst glauben und Christi euch trösten; aber dies ist nichts anderes, als eine umgekehrte Heilsordnung. In Gottes Wort heißt es vielmehr: Erst glauben, dann wirst du erfahren. So spricht Christus zu Martha: „Habe ich dir nicht gesagt, so du glauben würdest, du solltest die Herrlichkeit Gottes sehen?“ Ferner spricht Paulus an die Epheser: „Da ihr glaubtet, seid ihr versiegelt worden mit dem Heiligen Geist der Verheißung.“ Ferner spricht Johannes: „Wer da glaubt, dass Jesus sei der Christus, der ist von Gott geboren; und wer da glaubt an den Sohn Gottes, der hat Gottes Zeugnis bei sich.“

    Wohl ist es eine köstliche Gabe Gottes, wenn er seinen süßen Frieden in unser Herz ausgießt, aber nicht dieser Friede, sondern der Friede, den Christi Blut am Kreuz mit Gott im Himmel gestiftet hat, da er ihn versöhnte, soll der Anker unserer Hoffnung sein. Denken wir aber: Weil es so oder so mit mir steht, so will ich mich nun auch Christi trösten, so nehmen wir damit Christus alle seine Ehre, so ist unser Glaube wurmstichig und unser Glaubensauge schielt. Wir müssen vielmehr so denken: Christus ist ein Heiland für Sünder, da ich nun ein Sünder bin und ohne ihn verloren wäre, so nehme ich zu ihm meine Zuflucht; weil ich in mir selbst nackt und bloß bin, so kleide ich mich in das Hochzeitskleid seiner Gerechtigkeit ein.

    Wie nun die Erfahrungen von Freude nicht unser Beruhigungsgrund sein sollen, so sollen auch endlich die Erfahrungen von Traurigkeit und Schwachheit ihn hingegen nicht umstoßen.

    Wir leben, meine Lieben, wie der Apostel sagt, hier im Glauben und nicht im Schauen; hier ist noch nicht die Zeit der Sättigung, sondern des Hungerns und Dürstens nach Gerechtigkeit und des Leidtragens. Darum sollen wir uns nicht irre machen lassen, wenn wir, wie die Jünger, oft weinen und heulen müssen, wenn wir nichts in uns fühlen als Elend, Not und Tod. Wohl steht der Gläubige in Frieden mit Gott, aber er hat noch viele Friedensstörer; wohl hat er die Gerechtigkeit Christi, aber seine eigene Ungerechtigkeit muss er oft noch schmerzlich fühlen; wohl genießt er die Freude im HERRN, aber Sünde, Welt und Teufel werfen viele bittere Galle in seinen Freudenkelch. Wohl ist der Glaube ein gewisses, festes Gründen auf Christus, aber obgleich Christus, der Grund, fest bleibt, so werden doch die Gläubigen oft gar sehr schwach; der Glaube ist nicht immer eine triumphierende Gewissheit, nicht immer das Jauchzen der Überwinder über Sünde, Tod, Teufel und Hölle, sondern er ist oft nur noch ein verborgenes, unter der Asche glimmendes Fünklein, ein geheimes fußfälliges Seufzen um Gnade.

    So lasst euch denn, die ihr in Christus das Heil erkennt, nicht durch euer eigenes Herz und den Satan betrügen; macht euch das Heil nicht selbst ungewiss; Gottes Wort steht fest, ob alles wankt; so lange ihr euch daran haltet, so steht ihr noch aufrecht. Die heilige Taufe ist ein Bund, der nicht hinfällt, der Gott nie gereut; so lange ihr auf diesen Bund euch vor Gott beruft, so kann euch Gott nicht verstoßen. Das heilige Abendmahl ist ein unwidersprechliches Pfand eurer Versöhnung; so lange ihr dieses Pfand im Glauben nehmt, so muss es Gott mit eurer Seligkeit einlösen.

    O, so wehrt euch denn gegen alle Zweifel und behauptet das Recht, das ihr habt, gegen alle Widersprüche eurer Vernunft und eures Herzens. „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig.“

O große Seligkeit!

Wohl allen, die es wissen!

Das Heil ist längst bereit,

Man muss es nur genießen.

Der Glaub an Christi Blut

Macht allen Jammer gut.

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Kantate (Singt dem HERRN ein neues Lied; Ps. 98,1) ueber Johannes 16,5-15: Von dem großen Unterschied zwischen dem Urteil der Welt und dem Urteil des Heiligen Geistes

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben, unserem teuren Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

 

    Der allgemeinste Grund, warum man von jeher und auch in unseren Tagen die Heilige Schrift nicht für Gottes Wort erkennen will und sie als Gottes Wort nicht annehmen zu können behauptet, ist, weil dieselbe den gewöhnlichen Gedanken, Ansichten und Urteilen des Menschen so gänzlich widerstreitet. Man macht sich eine gewisse Vorstellung davon, wie Gott etwa, wenn er sich hätte offenbaren wollen, hätte offenbaren müssen; von dem allem findet man aber das gerade Gegenteil in der Schrift. Das, was die Heilige Schrift von dem Wesen Gottes, von seinem Willen und seinen Ratschlüssen, von der Beschaffenheit und Bestimmung des Menschen, von dem, was Gott zur Seligkeit des Menschen getan, und von dem Weg, auf welchem der Mensch selig werden soll, uns offenbart, das steht in geradem Widerspruch zu dem, was der Mensch von diesen Dingen denkt. Dieselben Wahrheiten hat nicht nur kein forschender Philosoph, der von der Bibel nichts wusste, gefunden, sondern auch denen, welchen die in der Bibel enthaltene Offenbarungen verkündigt werden, ist darin alles so fremd und es erscheint ihnen alles so töricht, dass man das größte Recht dazu zu haben meint, die biblischen Lehren zu verwerfen.

    Aber – sollte dies wirklich ein Grund sein, warum man die Heilige Schrift für keine Offenbarung Gottes halten könne? – Ich sage nein! Im Gegenteil. Könnte der Mensch selbst sagen, wie sich Gott, wenn er sich habe offenbaren wollen, haben offenbaren müssen, so wäre das Wunder einer unmittelbaren Offenbarung Gottes eine unnötige Sache, der Mensch bedürfte ihrer nicht. Enthielte ferner die Heilige Schrift nur solche Lehren, und wären besonders die wesentlichen, wichtigsten Lehren derselben solche, die dem Menschen nicht fremd erschienen und die er selbst mit Hilfe seiner Vernunft finden könnte, so enthielte die Schrift nur eine Wiederholung und Bestätigung der Offenbarung der Vernunft und keine besondere Offenbarung Gottes; denn eine Offenbarung ist eben nur die Bekanntmachung vorher unbekannter Dinge. Endlich aber, erschienen uns die biblischen Wahrheiten nicht widersprechend, könnten wir den gegenseitigen Zusammenhang und die Übereinstimmung derselben mit den anderen unwidersprechlichen Wahrheiten und mit den rechten Vorstellungen von Gott, seinem Wesen, Willen und Werken in allen Beziehungen einsehen, so wäre dies ein deutlicher Beweis, dass diese Wahrheiten nicht aus einer uns unbekannten Welt, nicht aus einem Heiligtum gekommen seien, in welches dem Auge unseres Geistes kein Einblick gestattet ist.

    Nicht der rechte Gebrauch der Vernunft, sondern die natürliche Eigenliebe und die angeborene Feindschaft des Menschen gegen Gott ist es, die ihn bewegt, der Heiligen Schrift um der darin enthaltenen ihm fremd dünkenden und unbegreiflichen Lehren willen ihren göttlichen Ursprung abzusprechen. Das ist eben unsere Sünde, dass wir Gott nicht annehmen wollen, wie er ist und von uns erkannt sein will, sondern dass wir uns selbst einen Gott in unseren Gedanken schaffen, und Gott sein soll, wie wir wollen.

    Schon unsere Vernunft sagt uns: Eine göttliche Offenbarung muss uns vormals unbekannte Gebiete des Wissens entdecken, sie muss nämlich Lehren enthalten, die wir ohne sie nicht hätten wissen und deren Zusammenhang wir hienieden nicht einsehen können. Wunder Weissagungen, den Menschen völlig Neues, ihm unbegreifliche Geheimnisse und Aufdeckungen seiner Irrtümer – das sind gerade Merkmale, die eine göttliche Offenbarung an sich tragen und wodurch sie sich als eine Gottesoffenbarung erweisen muss. Gott selbst beruft sich daher hierauf im Propheten Jesaja; er spricht dort im 42. Kapitel: „Siehe, was kommen soll, verkündige ich zuvor und verkündige Neue; ehe denn es aufgeht, lasse ich es euch hören.“

    Zwar kann eine göttliche Offenbarung auch dazu dienen, Manches, was wir schon von Natur wissen, zu bestätigen und außer Zweifel zu setzen; aber nicht das, sondern gerade die uns gänzlich neuen Lehren, die wir allein durch unmittelbare Offenbarung erfahren konnten, die unsere natürliche Erkenntnis ergänzen und berichtigen, ja, vor allem, die uns aufdecken, worin wir von Natur irrig sind, und die daher unseren gewohnten Gedanken, Ansichten und Urteilen widersprechen: Das sind die wichtigsten Lehren, auf die wir vor allen anderen merken müssen, und das ist der Schatz, in welchem vor allem unsere Seligkeit liegt.

    In unserem heutigen Evangelium nennt uns Christus drei Hauptstücke, in welchen die Offenbarung des Heiligen Geistes unserem natürlichen Urteil widerspricht. Lasst uns daher jetzt hierauf unsere Aufmerksamkeit richten.

 

Johannes 16,5-16: Nun aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand unter euch fragt mich: Wo gehst du hin? Sondern weil ich solches zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns worden. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, dass ich hingehe. Denn wenn ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch; wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. Und wenn derselbe kommt, der wird die Welt strafen um die Sünde und um die Gerechtigkeit und um das Gericht: um die Sünde, dass sie nicht glauben an mich; um die Gerechtigkeit aber, dass ich zum Vater gehe, und ihr mich hinfort nicht seht; um das Gericht, dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist. Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt’s jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht von sich selber reden, sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Derselbe wird mich verklären; denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein; darum hab’ ich gesagt: Er wird’s von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.

 

    Als Christus es den Aposteln eröffnet hatte, dass er sie nun bald verlassen und zum Vater gehen werde, wurden sie alle überaus traurig. Um sie nun zu trösten, sagte er ihnen nicht nur, dass ohne seinen Hingang zum Vater der Tröster nicht zu ihnen kommen könnte, sondern er gab ihnen auch die Verheißung, dass er, zum Vater gegangen, ihnen den Tröster, den Heiligen Geist senden wolle. Dies veranlasste denn Christus, zugleich zu zeigen, was der Heilige Geist tun, dass er nämlich die Welt strafen oder überzeugen werde, dass die Sünde, die Gerechtigkeit und das Gericht in etwas ganz anderem bestehe, als sie denke. Lasst mich daher jetzt zu euch sprechen:

 

Von dem großen Unterschied, zwischen dem Urteil der Welt und dem Urteil des Heiligen Geistes

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Über die Sünde,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Über die Gerechtigkeit, und

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Über das Gericht.

 

    O HERR Gott Heiliger Geist! Wir Menschen alle sind in die Sünde gefallen, und dadurch sind wir in unserem Dichten eitel geworden und unser unverständiges Herz ist verfinstert; da wir uns für weise hielten, sind wir zu Narren geworden: O, so leuchte doch du, himmlisches Licht, hinein in die Finsternis unserer Seelen, und zeige uns unsere Torheit und hilf uns durch dich weise zu werden zur Seligkeit. Gib uns Gnade, dass wir uns in allem deinem Urteil unterwerfen, deiner Weisung folgen und endlich unter deiner Leitung das Ziel erreichen. Erhöre uns, du höchster Tröster in aller Not, um deiner Treue willen. Amen.

 

1.

    Indem Christus in unserem Evangelium den Jüngern den Heiligen Geist verheißt, so spricht er zuerst: „Und wenn derselbe kommt, der wird die Welt strafen um die Sünde.“ Das erste also, spricht Christus, was der Heilige Geist, wenn er in die Welt kommt, tun werde, werde dieses sein, dass er die Welt um die Sünde strafe. Hieraus sehen wir: Die Religion Christi ist nicht, wie man jetzt so oft lehrt, eine Lehre von der Würde des Menschen; sie ist nicht eine Summe von Regeln, wie der Mensch seine angeborene Kraft gebrauchen und tugendhaft leben solle; sie ist nicht eine Anleitung, wie das in dem Menschen liegende und schlummernde Gute zu wecken sei; nein, der erste Gruß, mit welchem Christi Lehre die Welt begrüßt, ist eine allgemeine Bestrafung aller Menschen, es ist die ernste Erklärung: Ihr seid allzumal Sünder! Niemand darf sich hier ausschließen. Wer zu den Menschen gehört, gehört auch zu den Sündern. Wie dich auch die Welt nennen mag, König oder Bettler, reich oder arm, hoch oder niedrig, alt oder jung, weise oder unsere, Sklave oder freier Bürger, heilig oder unheilig, tugendhaft oder mangelhaft – dein Name, dein Stand, dein Wert vor Gott heißt: ein Sünder.

    Schon diese Predigt, mit welcher der Heilige Geist unter den Menschen auftritt, ist eine Predigt, deren sich die Welt nicht versehen hat. Sobald die, welche das Amt des Heiligen Geistes führen müssen, mit dieser Erklärung in die Welt auftreten, so zürnt man schon da, will es nicht Wort haben, dass alle Menschen Sünder seien, und wendet sich entrüstet hinweg als von einer feindseligen, den Menschen entwürdigenden und schändenden Predigt.

    Doch dass alle Menschen Sünde haben, in dieses Urteil des Heiligen Geistes stimmt die Welt oft noch ein; worin aber des Menschen Sünde eigentlich bestehe, das ist es, worin sich vor allem der große Unterschied zwischen dem Urteil der Welt und dem Urteil des Heiligen Geistes offenbart.

    Was erklärt nämlich die Welt für Sünde? Es gibt Menschen, besonders in unseren Tagen, die selbst offenbare Sünde, wie Hurerei, Hass, Rachsucht, Betrug im Handel und dergleichen für keine Sünde mehr halten. Die meisten Menschen haben jedoch noch so viel Gewissen, dass sie die äußerlichen groben Ausbrüche der Sünde, die offenbaren Laster und die Verbrechen, die auch vom Staat gestraft werden, noch für Sünde halten, wie Mord, Ehebruch und Hurerei, Trunkenheit, Raub, Diebstahl, Lüge, Meineid, Fluch, Lästern und dergleichen. Aber wie viele andere nicht so offenbare Übertretungen selbst des allen Menschen in das Herz geschriebenen Gesetzes gibt es, die unzählige Menschen nicht für Sünde halten! Wie fremd ist es den Meisten, wenn ihnen ihre offenbar sündlichen oder doch unnützen Worte zur Sünde gemacht und auch die bösen Gedanken ihres Herzens gestraft werden! Da heißt es alsbald bei ihnen: O ein Wort ist kein Pfeil! Gedanken sind zollfrei!

    Dass der Heilige Geist über die Sünde anders urteilt als solche blinden Menschen, die nur die äußerlichen groben Ausbrüche derselben für Sünde halten, dies bedarf wohl keiner Erwähnung.

    Es gibt aber bekanntlich auch unter der Welt, das heißt, unter den Menschen, welche noch keine wahren Christen sind, solche, die es wissen und bekennen, dass alles Sünde ist, was gegen Gottes Gesetz ist, mag es nun in Taten oder in Worten oder in Mienen und Gebärden oder auch nur in den leisesten Begierden und Gedanken des Herzens bestehen. Kann nun wohl das Urteil des Heiligen Geistes über die Sünde ein anderes sein? Sollte der Heilige Geist nicht auch alle Übertretungen des göttlichen Gesetzes für Sünde erklären und strafen? Ja, meine Lieben, aber dennoch ist das Urteil des Heiligen Geistes über die Sünde ein ganz anderes als das Urteil der Welt. Denn, wie spricht Christus in unserem Evangelium? Er spricht: „Und wenn derselbe kommt, der wird die Welt strafen um die Sünde, dass sie nicht an mich glauben.“ Merkwürdiges Urteil!  Wie? Ist also nach dem Urteil des Heiligen Geistes der Unglaube die einzige Sünde der Welt? In einem gewissen Sinn ja! Der Heilige Geist erklärt nämlich zwar auch jede Übertretung des Gesetzes für Sünde, aber für die Hauptsünde, für die Quelle, Mutter und Wurzel und für den Gipfel der Sünden, für die Sünde aller Sünden erklärt er – den Unglauben, nämlich das Nichtglauben an Christus.

    Aber, werdet ihr sagen, warum? Darum, meine Lieben: Alle Menschen sind zwar Sünder von Natur, aber der Sohn Gottes ist darum ein Mensch geworden, hat gelitten und ist am Kreuz gestorben; und dadurch hat er aller Menschen Sünden gebüßt, die Strafe derselben getragen und getilgt, und er lässt nun alle Menschen im Evangelium einladen, an ihn zu glauben; wer nun an ihn glaubt, dem werden nicht nur alle Sünden so vergeben, dass ihn Gott ansieht, als hätte er nie eine Sünde getan, sondern ein solcher gläubiger Mensch bekommt auch durch den Glauben ein neues Herz, das die Sünde hassen und lassen kann.

    Daher lautet denn nun das Urteil des Heiligen Geistes so: Ihr Menschen, es war eine große Sünde, dass ihr einst in Adam alle von Gott abgefallen seid und das Ebenbild Gottes, nach welchem ihr geschaffen wart, verloren habt, aber siehe da, der Sohn Gottes ist in die Welt gekommen und hat euren Fall gebüßt und euch alles, was ihr in Adam verloren hattet, wieder erworben; mögt ihr daher auch alle Gefallene sein, wenn ihr an Christus glaubt, so soll euch das nicht zugerechnet werden; aber dass ihr nun auch diese seine Hilfe durch euren Unglauben verwerft, das, das ist eure wahre Sünde. Es ist wahr: Es steht mit euch Menschen traurig, sobald ihr in diese Welt kommt; denn ihr seid alle in Sünden empfangen und geboren, und ihr könnt euch aus eurem sündlichen Verderben nicht selbst helfen, ihr seid in Sünden tot; aber das soll euch nicht schaden, denn sobald ihr glaubt an Christus, der für euch als ein Menschenkindlein geboren ward, so werdet ihr wiedergeboren werden, ein neues Herz bekommen und das Gesetz wird in euren Sinn geschrieben werden; dass ihr nun nicht glauben wollt, das das ist die Grundsünde, aus welcher nun alle eure Sünden quellen. Es ist endlich freilich entsetzlich, dass ihr Menschen dahingelebt habt gegen Gottes Gesetz, dass ihr Gottes Liebe, die er euch bei eurer Schöpfung erwiesen hat, verachtet habt und dass ihr bisher den Weg der Hölle gegangen seid, den Himmel verscherzt und Sünden auf Sünden und Schulden auf Schulden bei Gott gehäuft habt; aber Gott hat beschlossen, dass ihr wegen dieser eurer Sünden nicht verloren gehen sollt, denn er hat euch seinen Sohn zu einem Erlöser von Sünden geschenkt, und durch ihn euch einen neuen Himmel der Gnade gebaut, und ihr sollt nur an ihn glauben, so sind alle eure Sünden getilgt und der Himmel euch wieder offen; dass ihr nun auch nicht glauben wollt, das ist eure schrecklichste Sünde. Dass ihr auch diese herrliche Erlösung, auch diese unbegreifliche Liebe und Gnade Gottes in Christus, diese teuer erworbene neue Heil, auch diese Arznei für eure Seelenkrankheit durch euren Unglauben verachtet, von euch stoßt und mit Füßen tretet, dass ihr Gott auch nun, da er eurer Sünden nicht gedenken und sie in die Tiefe des Meeres werfen will, den Rücken kehrt, auch seine rettende Hand ausschlagt, dass ihr nicht nur gegen das strenge Gesetz gesündigt habt, sondern nun auch gegen das süße, gnadenpredigende Evangelium sündigt, das ist zu viel, das ist zu hoch gesündigt, das ist nun eure wahre Sünde, das ist der höchste Gipfel der Bosheit, den ihr ersteigen konntet; kurz, das ist die Sünde aller Sünden, für welche keine Gnade und keine Vergebung ist in Ewigkeit.

    Seht da, so lautet das Urteil des Heiligen Geistes über die Sünde; o, wohl dem, der diese Strafe annimmt und die Sünde des Unglaubens verlässt, so ist ihm von allen Sünden geholfen; aber wehe dem, der in dieser Sünde bleibt; der wird auch nicht von einer errettet. Denn wer da glaubt, der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubt der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.

 

2.

    Doch, meine Lieben, so verschieden das Urteil der Welt von dem des Heiligen Geistes über die Sünde ist, so verschieden ist das Urteil derselben auch über die Gerechtigkeit. Davon lasst mich nun zweitens zu euch sprechen.

    Dass der Mensch eine gewisse Gerechtigkeit haben müsse, um einst vor Gott bestehen zu können, das leugnet selbst die Welt nicht, wenn sie noch an einen Gott und an eine einstige Vergeltung glaubt. Denn schon unsere Vernunft sagt uns: Da Gott heilig und gerecht ist, so kann er freilich nicht die Ungerechten selig machen und die Sünden unmöglich mit dem Himmel belohnen. Aber was ist die Gerechtigkeit, mit welcher die Welt vor Gott zu bestehen hofft?

    Die Welt urteilt so: Wenn ein Mensch die guten Werke tut, die in den heiligen zehn Geboten geboten sind, und wenn er die bösen Werke unterlässt, die darin verboten sind; wenn er so viel Gutes tut, wie in seinen Kräften steht; wenn er sich aller groben Sünden und Ausschweifungen enthält und in keinem Laster lebt; wenn er jedem das Seine gibt und gegen die Armen sich mildtätig beweist; wenn er ein guter Bürger, ein treuer Ehegatte, ein fleißiger Hausvater, ein verträglicher Nachbar, ein gewissenhafter Geschäftsmann und wohl auch ein eifriger Kirchgänger ist, und wenn er in allem so lebt, dass er von anderen nicht gestraft werden kann, sondern für einen ehrlichen, redlichen, braven und tugendhaften Mann angesehen und gerühmt wird, das ist ein gerechter Mann. Die Welt hält also mit kurzen Worten eine untadelhafte bürgerliche Ehrbarkeit und Rechtschaffenheit für die Gerechtigkeit, die einst vor Gott gelten werde.

    Dass dem so sei, ist außer Zweifel, denn Tausende und Millionen trösten sich mit einer solchen Gerechtigkeit, und hoffen dadurch einst gewiss in den Himmel zu kommen.

    Was ist aber hierüber das Urteil des Heiligen Geistes? Christus sagt von ihm in unserem Evangelium: „Er wird die Welt strafen um die Gerechtigkeit, dass ich zum Vater gehe, und ihr mich hinfort nicht seht.“ – Merkwürdiges Urteil!

    Aus diesen fremd klingenden Worten ersehen wir vorerst wenigstens so viel, dass der Heilige Geist eine ganz andere Gerechtigkeit offenbaren müsse als die, worauf alle Welt sich verlässt. Aber wie? Sollte denn der Heilige Geist das strafen, wenn Menschen ein ehrbares, rechtschaffenes, sittliches und tugendhaftes Leben führen, und sollte er es loben, wenn man in offenbaren Sünden dahinlebt? Das sei ferne! Auch Gott will, dass wir gute Bürger, fleißige Hausväter, gewissenhafte Geschäftsleute, verträgliche Nachbarn und dergleichen seien. Aber so löblich und nützlich dies ist für dieses Leben und für die gesellschaftlichen Verbindungen der Menschen, so ist doch dies nach dem Urteil des Heiligen Geistes keineswegs die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Ja, wenn ein Mensch mit seiner bürgerlichen Ehrbarkeit und Tugendhaftigkeit vor Gott treten und damit vor Gott bestehen zu wollen wagt, dann verwirft und verdammt der Heilige Geist eine solche Gesetzesgerechtigkeit als ein beschmutztes, zerrissenes Kleid, in welchem kein Mensch vor dem allerheiligsten Gott erscheinen könne und dürfe.

    Aber, werdet ihr sagen, hat Gott nicht selbst das Gesetz gegeben und gesagt: „Tue das, so wirst du leben“? Und hat dies Christus nicht bestätigt, indem er jenem jungen Mann die Antwort gab: „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote“? Es ist wahr, meine Lieben, aber bedenkt: Gott will zwar dem, welcher seine Gebote hält, das ewige Leben geben, aber nur dem, der sie auch wirklich, der sie vollkommen hält. Das heißt nicht, Gottes Gebote halten, dieses und jenes in den Geboten geforderte Werk tun und diese und jene in den Geboten verbotene Sünde unterlassen. Nein, Gottes Gebote hält nur derjenige, welcher vorerst ein so reines und heiliges Herz hat, wie das Gesetz fordert; nur der, welcher, was er nach dem Gesetz tut oder unterlässt, freiwillig, ohne inneres Widerstreben tut oder unterlässt; nur der, welcher bei dem, was er nach dem Gesetz tut oder unterlässt, weder die Absicht hat, von Menschen gerühmt, noch von Gott dafür belohnt zu werden und seiner Strafe zu entgehen; nur der, welcher, wenn er alles getan hat, sich nicht in seinem Herzen deshalb erhebt, sondern sich dabei vor Gott für einen unnützen Knecht hält; nur der, der keine Ausnahme macht, in keiner Sünde, die er nicht hassen und lassen, und in keiner Tugend, die er nicht lieben und üben sollte; kurz, nur der hält Gottes Gebote, der in Wahrheit sagen kann: Ich bin ohne Sünde, ohne Mängel, ohne Fehler, ohne Gebrechen, selbst ohne Schwachheiten; ich bin heilig, ich bin vollkommen. Nun sagt aber: Welcher Mensch kann so von sich sprechen? Wer hat ein völlig reines Herz? Wer tut alles Gute und unterlässt alles Böse ohne inneres Widerstreben? Wer hat nie die Absicht dabei, von Menschen dafür gerühmt und von Gott belohnt zu werden und seinen Strafen zu entgehen? In wem regt sich kein geheimer Stolz, wenn er etwas Gutes getan oder etwas Böses überwunden hat? Wer macht in keiner Tugend, sei ihre Übung auch noch so schwer, und in keiner Sünde, so ihre Bekämpfung auch noch so hart eine Ausnahme? Kurz: Wer darf mit Christus sagen: Wer kann mich einer Sünde zeihen? Wer kann sagen: Ich bin heilig, ich bin vollkommen? – Kein Mensch! Jeder muss, wenn er sich hiernach prüft, einstimmen in das Bekenntnis, das selbst die Heiligen getan haben: „Es ist hier kein Unterschied, wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den wir an Gott haben sollten.“ „HERR, gehe nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht.“ „Wir sind allesamt wie die Unreinen, und alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätiges Kleid.“

    Seht, darum offenbart denn der Heilige Geist eine andere Gerechtigkeit; er straft nämlich, wie es in unserem Text heißt, die Welt „um die Gerechtigkeit, dass Christus zum Vater geht und wir ihn hinfort nicht sehen“. Was heißt das? Das heißt, der Heilige Geist ruft der Welt zu: Wollt ihr vor Gott gerecht werden, so sucht es nicht in euren Werken, nicht in eurem Wandel, nicht in eurer Gesetzeserfüllung; alles euer Tun ist doch mit Sünden befleckt; vor Menschen könnt ihr damit wohl bestehen, aber vor Gott, der in der das Herz sieht, nimmermehr. O, werft daher die Lappen eurer eigenen Gerechtigkeit hin und seht auf Christus; der hat einen großen, schweren, sauren Gang getan, er ist nämlich durch diese Welt gegangen unter Leiden und Schmach, er ist hierauf nach Golgatha gegangen und hat sich da am Kreuz geopfert, und endlich ist er durch den Tod einer ewigen Versöhnung wieder hinausgegangen aus der Welt und nach seiner glorreichen Auferstehung durch seine majestätische Himmelfahrt eingegangen in das Haus seines Vaters; dieser Gang ist euch zugut geschehen; was Christus auf diesem Gang getan und gelitten hat, das hat er für euch und an eurer Statt getan und gelitten. An diesen Gang haltet euch daher im Glauben, dieses Ganges tröstet euch; dann habt ihr die rechte vor Gott gültige Gerechtigkeit, eine Gerechtigkeit, die niemand tadeln kann, denn sie ist die Gerechtigkeit des Sohnes Gottes. Dann habt ihr die Gerechtigkeit, die euch niemand rauben kann, denn sie ist die Gerechtigkeit dessen, dem gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Dann habt ihr eine Gerechtigkeit, die euch ewig feststeht, wenn ich auch strauchelt und fallt, und die euch gewiss ist, wenn ihr davon auch nichts seht und fühlt, ja, an euch nichts als lauter Ungerechtigkeit seht und fühlt, denn diese Gerechtigkeit ist außer euch, über euch, im Himmel, vor Gottes Thron.

    O, selig ist der Mensch, der sein eigenes Urteil von der Gerechtigkeit verwirft und dafür das Urteil des Heiligen Geistes annimmt! Der kann fröhlich sein in der Anfechtung, fröhlich im Tod, ja, fröhlich am Tag des Gerichts, denn er kann jubelnd mit Jesaja ausrufen: „Im HERRN habe ich Gerechtigkeit und Stärke!“ und mit den lieben Kindlein singen:

Christi Blut und Gerechtigkeit,

Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,

Damit will ich vor Gott bestehn,

Wenn ich zum Himmel werd eingehn.

 

3.

    Doch, meine Lieben, eilen wir zum Schluss.

    Es ist noch Ein Punkt, über welchen nach unserem Evangelium das Urteil der Welt von dem des Heiligen Geistes verschieden ist, nämlich endlich drittens über das Gericht.

    Viele von denen, welche zur Welt, das heißt, zu den Nichtchristen, gehören, glauben gar nicht, dass es überhaupt ein Gericht gebe; besonders in dieser unserer letzten Zeit, in welcher wir nun endlich auf die Hefe der ganzen Weltzeit gekommen sind, ist vielen die Lehre von dem Jüngsten Gericht ein Scherz und ein Spott. Man entblödet sich nicht, es auch öffentlich zu schreiben, dass dort niemand gerichtet werde, dass schon hier jedermann empfange, wie er es verdient habe, das letzte Weltgericht sei die Weltgeschichte, das heißt, das letzte Gericht halte die Nachwelt über die Verstorbenen entweder durch ein ehrenvolles oder durch ein schimpfliches Andenken.

    Mögen aber noch so viele die Lehre von dem schrecklichen Jüngsten Gericht für eine Fabel halten, die man wohl in alten finsteren Zeiten geglaubt und wodurch man sich da habe schrecken lassen, die aber in unseren aufgeklärten Zeiten als ein Kindermärlein verlacht werde: So lange das Wort Gottes gepredigt wird – und dieses soll gepredigt werden bis an das Ende der Tage –, so lange wird auch der Heilige Geist es bezeugen: Es kommt ein Tag des Gerichts, da jeder empfangen wird, was seine Taten wert sind; und Gottes Geist wird fort und fort durch das Wort an die Herzen auch der frechsten Spötter schlagen und sie gegen ihren Willen es fühlen lassen, dass dennoch das Wahrheit sei, was sie so gerne wegleugnen möchten.

    Doch, meine Lieben, auch unter den Kindern dieser Welt gibt es nicht wenige, welche es nicht zu leugnen wagen, dass es einst ein Gericht geben werde über Lebendige und Tote; aber von welchen Menschen glaubt die Welt, dass sie einst werden gerichtet und verdammt werden? Sie glaubt es höchstens von groben Verbrechern, von Dieben, Räubern und Mördern, die ihr Leben auf dem Rabenstein geendet haben; dass aber auch ein ehrbares Weltkind in das Gericht kommen und ewig verstoßen werden könne, das glaubt sie nicht. Aber wie ganz anders ist des Heilligen Geistes Urteil darüber! Von ihm sagt Christus in unserem Text: „Er wird die Welt strafen um das Gericht, dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.“ Was ist also des Heiligen Geistes Urteil? – Indem er es bezeugt, dass der Fürst der Welt schon gerichtet ist, so bezeugt er damit, dass freilich auch alle, die in seinem Reich sind, mit ihm werden gerichtet werden, ja, auch schon gerichtet sind.

    Furchtbares, schreckliches Urteil! Hieraus sehen wir: Mag ein Mensch noch so ehrbar, noch so rechtschaffen, noch so ruhmvoll, noch so untadelhaft vor der Welt wandeln – gehört er noch zur Welt, ist er noch ein Freund der Welt, hält er es noch mit der Welt und lebt er noch mit der Welt und nach der Welt Weise so ist er bereits gerichtet, bereits verworfen mit aller seiner Weisheit, Frömmigkeit und Gerechtigkeit und mit allen seinen hochgerühmten Werken.

    Der Heilige Geist bestätigt also das Wort Christi: „Der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige sind, die ihn finden, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und viele sind, die darauf wandeln. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“

    O, lasst uns darum, meine Zuhörer, nicht sicher sein! Lasst uns nicht unserem eigenliebigen falschen Urteil folgen! Lasst und das Urteil des Heiligen Geistes annehmen, denn alle Menschen und auch unser Herz ist ein Lügner, aber Gottes Geist ist ein Geist der Wahrheit, sein Urteil ist wahr und wird einst wahr werden vor unseren Augen. Lasst uns aber auch darum das Reich dieser Welt, in welchem der Fürst der Finsternis herrscht, verlassen und, damit wir dies können, Gott bitten, dass er uns seinen Heiligen Geist gebe, damit dieser uns nicht nur die Sünde unseres Unglaubens aufdecke, sondern uns auch die Gerechtigkeit zeige, die uns Christus durch seinen sauren Gang zum Vater erworben hat. Hierauf lasst uns ihn in tiefster Erkenntnis unserer Sünden um Glauben bitten, aber auch sodann im Glauben schaffen, dass wir selig werden, mit Furcht und Zittern. Lasst uns endlich den großen Tag des Gerichts nie vergessen, sondern uns bereit halten, damit, wenn dieser Tag einst wie ein Fallstrick schnell und plötzlich die sichere Welt überfallen und der Richter erscheinen wird, wir ihm mit Freuden entgegengehen können.

    Ach, HERR Jesus! Tue du selbst das Beste an uns; errette uns von dieser bösen argen Welt und ziehe uns hinein in deine selige Gemeinschaft; und dann halte uns fest und lass uns nichts, nichts wieder aus deiner Hand reißen. Wenn aber einst die Welt samt ihrem Fürsten öffentlich wird gerichtet werden, dann sprich du uns los kraft deiner Wunden, die dir auch um unseretwillen geschlagen worden sind. Amen. Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Rogate (Betet!) ueber Johannes 16,23-30: Was soll einen glaeubigen Christen erwecken, nicht im Zweifel, sondern im Glauben, dass er erhoert wird, zu beten?

 

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Sehr viele halten nichts für leichter als den Glauben. O, denken sie, wenn es auf den Glauben im Christentum ankommt, so ist es eine schlechte Kunst, ein Christ zu sein. Dieses Urteil hat aber seinen Grund meist darin, dass man nie ernstlich zu glauben versucht oder doch noch keine Versuchung seines Glaubens erfahren hat. In der Zeit der Not und Anfechtung lernt man es erst, wie schwer es sei zu glauben. Da offenbart sich’s, dass es keine größere Kunst gibt, als von Herzen zu glauben.

    Zu diesen Gelegenheiten, bei welchen die Schwierigkeit des Glaubens offenbar wird, gehört unter anderem besonders das Gebet, wenn man nämlich dabei wirklich etwas von Gott begehrt, was man nötig hat und was doch nur Gott geben kann. Wenn man in großer Not ist und alle Menschenhilfe verschwunden ist; wenn man von Mangel gedrückt wird und keine Aussichten mehr da sind, woher nun Brot für sich, für Frau und Kind nehmen; oder wenn die Todesstunde schlagen will und kein menschlicher Trost mehr haftet, und wenn man nun in ledigem Vertrauen auf Gottes Gnade in Christus in die dunkle Ewigkeit hinaustreten soll: Ach, in solchen Stunden, d zeigt sich’s, wie schwer es sei, im Glauben zu beten! Wie zittert und zagt da das arme Herz! Wie möchte es da so gern etwas in den Händen haben, dass es sich nicht so gar allein im Glauben an das, was unsichtbar ist, beruhigen müsste! Da heißt es in der Seele: Aber wie? Ist Gott auch bei dir? Wie still, wie einsam ist es um dich her! Hört auch Gott dein Seufzen und sieht er auch deine Tränen? Ist er nicht weit von dir, oben im Himmel? Wird er sich auch wirklich zu dir in deine Kammer wenden? Sollte der große unermessliche Gott, der alle Welten regiert und der unter dem Lobgesang aller Engel wohnt, sollte er dich elenden Staub, dich Erdenwürmlein auch achten, nach dir fragen, auf dein schwaches Rufen hören? Bist du nicht ein Sünder? Außer der Not hast du Gott so oft vergessen, wird er nun, da die Not dich zu ihm treibt, auch sogleich sein Ohr neigen zu deiner Stimme? Ach, jetzt siehst du es: Du hast Gott nicht entfliehen können, nun bist du endlich einmal in seine Hände gefallen! Da er rief, hörtest du oft nicht, jetzt, da du rufst, wird er dich nun auch nicht hören! – So heißt es in der Not in unserem Herzen. O, da ist Kampf und Streit! Da stehen tausend Zweifel auf! Da wogt es im Herzen wie ein unruhiges Meer; da ist es dem armen Sünder, als würde es ganz finster um ihn da zieht sich’s wie Gewitterwolken über seinem Haupt zusammen, und anstatt einer gnädigen Antwort erwartet er Donner und Blitz, Gottes Strafe, Verlassen in der Not, Tod und Verderben. Ja, in der Not, wenn man sich mit dem bloßen Bewusstsein, gebetet zu haben, nicht beruhigen kann; wenn das Gebet ernstlich werden muss; wenn man es erfährt, dass etwas von Gott wirklich erbeten sein will; wenn man es merkt: Jet5zt gilt es, dass sich Gott wirklich sein Herz bewegen lasse – da wird es offenbar, wie schwer das Glauben sei, wie das Herz gerade an das Glauben nicht gehen will.

    Und doch ist die gläubige Zuversicht bei dem Gebet so unerlässlich nötig! So wenig ein Ruderschiff ohne Ruder den Hafen erreichen kann, so wenig der Weihrauch durftet, wenn er nicht auf feurige Kohlen gestreut wird, so wenig ist ein Gebet Gott angenehm, kräftig und erhörlich ohne Glauben. Was der Kern in der Schale und die Seele im Leib ist, das ist der Glaube beim Gebet. Im elften Kapitel des Briefes an die Hebräer heißt es: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott gefallen; denn wer zu Gott kommen will, der muss glauben, dass er sei und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde.“ Ja, Jakobus sagt: „So jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte von Gott, – so wird sie ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht; denn wer da zweifelt, der ist gleichwie die Meereswoge, die vom Wind getrieben und gewebt wird. Solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem HERRN empfangen werde.“

    Die Schrift versichert uns aber auch, dass die Kinder Gottes wirklich mit gläubiger Zuversicht beten, denn es heißt: „Das Verlangen der Elenden hörst du, HERR; ihr Herz ist gewiss, dass dein Ohr darauf merkt.“

    Da es nun hiernach bei Gebet vor allem darauf ankommt, dass es im Glauben geschehe, und unser Herz doch so schwer glauben will, so lasst mich euch jetzt zeigen, was euch erwecken solle, nicht im Zweifel, sondern in festem Glauben, dass ihr erhört werdet, zu beten.

 

Johannes 16,23-30: Und an demselben Tag werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinen Namen, so wird er’s euch geben. Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei. Solches hab’ ich zu euch durch Sprichwörter geredet. Es kommt aber die Zeit, dass ich nicht mehr durch Sprichwörter mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An demselben Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will; denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, darum dass ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und gekommen in die Welt; wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater. Sprechen zu ihm seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und sagst kein Sprichwort. Nun wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst nicht, dass dich jemand frage. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist.

 

    Dieses ganze Evangelium enthält, meine Lieben, eine Ermahnung Christi an die Apostel und alle Christen an der Erhörung ihres Gebets in seinem Namen nicht zu zweifeln.

    Lasst uns daher hiernach die Frage beantworten:

 

Was soll einen an Christus gläubigen Christen erwecken, nicht im Zweifel, sondern in festem Glauben, dass er erhört werde, zu beten?

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Des dreieinigen Gottes untrügliche Wahrhaftigkeit,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Des himmlischen Vaters allmächtige Liebe,

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Des Sohnes Gottes allezeit kräftige Fürsprache, und endlich

4.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Des Heiligen Geistes Vertretung mit unaussprechlichem Seufzen.

 

    Gott, unser Herz hält dir vor dein Wort: „Wo ich meines Namens Gedächtnis stiften werde, da will ich zu dir kommen und dich segnen“; so erfülle denn auch jetzt deine Verheißung an uns, da jetzt deines Namens gedacht, nämlich dein heiliges Wort gepredigt werden soll; komme zu uns und segne uns um deiner Gnade und Wahrheit willen. Amen.

 

1.

    „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er’s euch geben.“ So spricht Christus zu Anfang unseres Evangeliums. Die erste unter den vier unerschütterlichen Säulen, auf denen die Gewissheit der Erhörung unseres Gebetes beruht, wenn es im Namen Jesu geschieht, das heißt, mit Vertrauen und Berufung auf sein Verdienst und seine Versöhnung, diese erste Grundsäule ist die daher: die untrügliche Wahrhaftigkeit des dreieinigen Gottes.

    Wenn ein frommer und reicher Mann einen Sohn hätte, der zu seiner Betrübnis allgemein verachtet wäre, und er erklärte nun: Wer sich an meinen Sohn wenden und dessen Freundschaft suchen wird der soll dann von mir erhalten, was er nur von ihm bitten kann; wer würde dann noch zweifeln, was er bitte, von dem Vater erlange zu können, wenn er auch vorher sein Feind gewesen wäre, so er nur den Sohn sich zum Freund gemacht hätte? Es könnte nur dann geschehen, wenn er Ursache hätte, an der Wahrhaftigkeit des Mannes zu zweifeln.

    Nun sind wir aber alle zwar von Natur Gottes Feinde und wir haben daher von Natur kein Recht, mit Bitten vor Gott zu erscheinen, und noch weniger, die Erhörung unserer Gebete zu erwarten. Aber Gott hat auch einen Sohn, nämlich Jesus Christus, den alle Welt verachtet und verwirft; und er hat auch den Gnadenbund mit uns Menschen gemacht: Wer an diesen seinen lieben Sohn glaubt, dem soll von ihm alles gegeben werden, was er bittet.

    Auf diese Weise hat nun unser Gebet eine sichere unbewegliche Grundlage bekommen. Wir haben uns nicht zu fragen: Bist du auch heilig, würdig genug, von Gott erhört zu werden? Sondern allein: Glaubst du auch an den Sohn Gottes? Verlässt du dich auf sein Verdienst? Erscheinst du nicht mit deinen Werken, sondern in der Gnadengerechtigkeit deines Heilandes vor Gott? Tun wir dies, so können und sollen wir nicht zweifeln, dass Gott unser Beten angenehm sei und gewiss von ihm erhört werde.

    Deutlich sagt es der dreieinige Gott: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.“ Nun ist aber, wie David spricht, „sein Wort wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss“; er ist, wie ferner Mose bezeugt, „nicht ein Mensch, dass er lüge, noch ein Menschenkind, dass ihn etwas gereue“; und Salomo bezeugt uns: „Es sind viele Anschläge in eines Mannes Herzen; aber der Rat des HERRN bleibt stehen.“ Es wäre sonach eine falsche Demut, wenn ein Mensch in seinem Herzen dächte: Was wird der heilige Gott nach meinem Gebet fragen, das aus unreinem Herzen kommt und mit Sünderlippen ausgesprochen wird? Nein, Gott hat es verheißen, er wolle alle erhören, die im Namen Christi beten; das steht fest und kann durch unsere Unwürdigkeit nicht umgestoßen werden; ja, wenn wir nun noch zweifeln, so begehen wir eine schreckliche Sünde, dass wir Gottes Wahrhaftigkeit leugnen, dass wir erklären, Gott halte nicht, was er verspreche, es reue ihn, dass er sich so gütig erklärt habe, ja, mit einem Wort, er sei ein Lügner.

    Doch Christus kannte das menschliche Herz; er wusste, wie schwer wes uns bei unserem großen Verderbe ist, Gott kindlich zu vertrauen und von unserem Gebet etwas zu hoffen; darum hat er die Verheißung der Erhörung noch mit einem Eid bekräftigt und bestätigt und ausgerufen: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er’s euch geben.“ Wollen wir also Gott nicht glauben, wenn er verheißt, so sollen und müssen wir ihm doch glauben, da er die Verheißung noch beschwört.

    Hört darum, liebe Zuhörer, nicht auf euer Herz, wenn ihr betet; seht nicht auf euch selbst; richtet alle eure Gedanken auf Gottes Verheißung und teuren Eidschwur; daran haltet euch; darauf gründet euch und zweifelt nicht: Gott gibt euch, damit er die Ehre seiner Wahrhaftigkeit behalte, was ihr bittet. Sprecht also zu Gott: Ich bin zwar ein Sünder, der keiner Gnade wert ist, aber ich komme nicht in meinem Namen, sondern in Christi Namen; darum glaube ich fest, du werdest dein Verspreche halten und mich gnädig erhören. So gewiss Gott von seinem Thron nicht herabsteigt, und so gewiss er seine göttliche Herrlichkeit nimmermehr ablegt, sondern Gott bleibt in alle Ewigkeit, so gewiss erhört er auch das elendeste Seufzen eines armen Sünders, der sich auf Christus verlässt. Denn die Schrift sagt: „Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen“; ja, „unser Unglaube hebt Gottes Treue nicht auf“; „glauben wir nicht, so bleibt er treu; er kann sich selbst nicht verleugnen.“ Darauf verließ sich David und sprach: „Mein Herz hält dir vor dein Wort: Ihr sollt mein Antlitz suchen. Darum suche ich auch, HERR, dein Antlitz.“ Hier habt ihr das herrlichste Muster eines erhörlichen Beters: Er gründet sich erstlich auf Gottes Verheißung und seine untrügliche Wahrhaftigkeit.

 

2.

    Doch, nachdem ich euch diesen Hauptpfeiler gezeigt habe, der den Bau unseres Glaubens an die Erhörung unseres Gebetes ohne alles Wanken trägt, so hört nun, wie auch jede Person des dreieinigen Gottes besonders diese Gewissheit unterstützt; ich weise euch daher nun zweitens vor allem hin auf die allmächtige Liebe des himmlischen Vaters; an diese erinnert Christus die Apostel in seiner Ermahnung mit den Worten: „Er selbst. Der Vater, hast euch lieb, darum, dass ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.“

    Dass Gott den Menschen liebe, dies ist außer Zweifel, denn er ist sein Werk und Gott selbst hat es uns in seinem Wort tausendfach versichert. Eine Eigenschaft der wahren Liebe ist aber notwendig diese, dass sie geneigt ist, den Willen dessen zu tun, den sie liebt, und sich ihm gänzlich hinzugeben. Die Liebe des Menschen zu Gott, wenn sie in seinem Herzen durch den Heiligen Geist ausgegossen ist, mag sie noch so gering, noch so schwach sein, offenbart sich allezeit dadurch, dass der Mensch von Herzen begehrt, dem göttlichen Willen in allem gehorsam zu sein. Was ist aber unsere Liebe gegen Gottes Liebe? Weniger als ein Tropfen gegen ein Meer, weniger als ein Fünklein gegen ein Feuer, das Himmel und Erde erfüllte. So gewiss dies nun ist, so gewiss können wir sein, dass die Liebe Gottes brennt, all unsere Bitten zu erhören, all unser Verlangen zu erfüllen. Daher sagt der Psalmist: „Der HERR ist nahe allen, die ihn anrufen, allen, die ihn mit Ernst anrufen. Er tut, was die Gottesfürchtigen begehren und hört ihr Schreien und hilft ihnen.“ Wenn wir daher zweifeln, ob auch Gott unsere Gebete erhöre, so tun wir nichts anderes, als dass wir erklären, Gott liebe uns weniger als wir ihn. Wer muss sich, wenn er dies bedenkt, dann nicht selbst strafen? Wir sehen, wie die Liebe der Mutter eilt, dem bittenden und weinenden Kind zu Hilfe zu kommen, und Gottes Liebe sollte nicht so zärtlich sein wie die einer Sünderin? Das sei ferne! Die Schrift sagt vielmehr: „Kann auch eine Frau ihres Kindleins vergessen, dass sie sich nicht erbarmen sollte über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie sein vergäße, so will ich doch dein nicht vergessen. Siehe! In die Hände habe ich dich gezeichnet.“

    Bedenkt: Wie Großes hat uns Gott schon gegeben, als wir ihn noch gar nicht um etwas bitten konnten! Wer hat Gott bitten können, ihn aus dem Nichts in das Dasein zu rufen? Ohne unsere Bitte gab er uns Leib und Seele, ja, o unermessliche Liebe! ohne alle unsere Bitte gab er uns seinen lieben eingeborenen Sohn; was wird er uns nun nicht geben, wenn wir ihn drum bitten? Dies Größere, was er für uns getan hat, soll uns erwecken, dass wir ihm auch in dem Geringeren trauen. Alles aber, was wir nur bitten können, ist unendlich geringer, als dass uns Gott gewürdigt hat, für uns zu leiden und zu sterben. Damit hat Gott gewiesen, dass seine Liebe gegen die Sünder unendlich, unermesslich, grenzenlos sei. Gewiss, wenn wir an der Erhörung unserer Gebete zweifeln, so muss es vor allem daran liegen, dass wir diese unermessliche Liebe entweder noch gar nicht erkennen oder nicht erwägen. Denn es ist unmöglich, dass Gott, der uns ohne unser Gebet, ja, da wir noch seine Feinde waren, sich selbst und mit ihm das Himmelreich geschenkt hat, uns nun, wenn wir durch den Glauben seine Freunde geworden sind, und uns mit Seufzen und Flehen ihm nahen, etwas abschlagen könne.

    Darum, o Christ, so oft du den himmlischen Vater um etwas bittest, so denke an das Opfer, welches seine ewige Liebe für alle Sünder, also auch für dich, gebracht hat durch die Hingabe seines eingeborenen Sohnes, so werden alle Zweifel schwinden und du wirst mit dem heiligen Apostel ausrufen: „Gott hat auch seines eigenen Sohnes nicht verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben; wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ „Christus ist für uns gestorben, da wir noch Sünder waren; so werden wir je von ihm behalten werden vor dem Zorn, nachdem wir durch sein Blut gerecht geworden sind.“

    Ist nun aber endlich bei Menschen eine noch so große Liebe nicht genug, um alle unsere an sie gerichteten Bitten zu erfüllen, weil der Mensch schwach und ohnmächtig ist, so ist hingegen Gottes Liebe allmächtig. Kein Mangel ist so drückend, dem sie abhelfen, keine Gefahr so drohend, die sie nicht abwenden, keine Not so entsetzlich, aus welcher sie nicht herausreißen, keine Ratlosigkeit so groß, in welcher sie nicht einen Ausweg verschaffen könnte; kurz, der allmächtigen Liebe des himmlischen Vaters ist kein Ding schwer, geschweige unmöglich.

    An diese Liebe halte dich, o Christ, wenn du betest, und zweifle nicht: Sie ist williger, dir zu geben, als du begierig sein kannst, zu nehmen. Sorge nicht, dass sie dir etwas, was dir gut ist, verweigern werde, sondern trage du Sorge, dass du die Erhörung deines Gebets nur erkennst und Gott dafür preist.

 

3.

    Doch wir kommen nun zu dem dritten Grund unseres Glaubens an die Erhörung unserer Gebete, und dieser ist des Sohnes Gottes allezeit kräftige Fürsprache.

    Christus spricht in unserem Evangelium: „Ich sage nicht, dass ich den Vater für euch bitten will.“ Dies scheint zwar beim ersten Anblick den Trost der Fürbitte Christi umzustoßen, aber es scheint nur so. Christus will damit nicht sagen, dass er für uns gar nicht bitten wolle, sondern dass er es nicht allein sei, der da bitten dürfe, dass seine Fürbitte unser Gebet nicht aufhebe, dass sie nicht allein Gott angenehm sei, sondern dass er unser Gebet durch seine Fürbitte nur unterstütze, dass wir darum unser eigenes Gebet nicht unterlassen, sondern desdto zuversichtlicher selbst beten sollen.

    Dass dieses der Sinn der Worte Christi sei, sehen wir daraus, dass Christus wenige Augenblicke nach dieser Rede sein herrliches hohepriesterliches Gebet zu Gott tat, worin er unter anderem sprach: „Vater, ich bitte für die, die du mir gegeben hast; denn sie sind dein. Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, dass sie eins seien, gleichwie wir. Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr Wort an mich glauben werden, auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater, in mir, und ich in dir; dass auch sie eins seien, auf dass die Welt glaube, du habest mich gesandt.“ Seht hier, wie brünstig unser Hoherpriester für die die Apostel und alle Christen bis an das Ende der Welt bittet! Daher bezeugt auch St. Paulus: „Christus ist zur Rechten Gottes und vertritt uns“; und St. Johannes bezeugt uns: „Ob jemand sündigt so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist.“ Und im Brief an die Hebräer heißt es: „Christus bleibt ewig und hat ein unvergängliches Priestertum; daher er auch selig machen kann immerdar, die durch ihn zu Gott kommen, und lebt immerdar und bittet für sie.“

    Hierin liegt ein unaussprechlicher Trost. Wie zuversichtlich können wir beten, da wir wissen, dass uns der Sohn Gottes zur Seite steht! Wenn wir Gott um etwas anflehen, so vereinigt Christus damit sein Gebet und spricht: „Ja, Vater, tue, was dieser Sünder dich bittet; er ist mein Erlöster; er gehört zu den Schafen meiner Herde; erhöre ihn, Vater, um meinetwillen; siehe meine Genugtuung für ihn an und sei ihm gnädig.“

    O, liebe Zuhörer, wenn wir das lebendig glauben, dass Christus also unter Gebet unterstützt, wie können wir dann nur noch an Gottes Erhörung zweifeln? Soll uns der himmlische Vater etwas abschlagen, so müsste er es zugleich seinem geliebten Sohn abschlagen; wird er das tun? O, wahrlich nicht. Was sollte unser gnädigster Heiland durch Kraft und Verdienst seiner vollgültigen Genugtuung bei dem Vater nicht erlangen? Christus steht der Eingang in das himmlische Heiligtum offen, er bringt selbst unsere Wünsche, Seufzer und Gebete in den geheimen Rat des dreieinigen Gottes. Ihn sollte der Vater nicht hören? Sich selbst Gott etwas abschlagen? Denn Christus und der Vater sind eins; der Sohn ist in des Vaters Schoß, er im Vater und der Vater in ihm!

    Noch im Stand der Erniedrigung spricht Christus: „Ich weiß, dass du mich allezeit hörst“; wie, in den Tagen seines Fleisches, da er in Knechtsgestalt einherging, sollte ihn der Vater zwar erhört haben, und im Stand der Erhöhung, jetzt, da er den Thron der Herrlichkeit bestiegen hat und ihm alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, da sollte er von dem Vater nicht erhört werden? Das sei ferne! So gewiss aber der Sohn Gottes erhört ist so gewiss auch wir. Wohl allen, die in Christi Namen vor den Vater treten!

 

4.

    Doch, meine Lieben, Eins ist noch übrig, welches uns auch die letzten Zweifel, dass wir erhört werden, wenn wir bitten, nimmt, und das ist endlich viertens des Heiligen Geistes Vertretung mit unaussprechlichem Seufzen.

    Wer an Gottes Wort glaubt, der wird nämlich freilich nicht leugnen, dass die rechten Gebete gewiss erhört werden; aber das ist es eben, was uns unaufhörlich unsere Zuversicht rauben und unseren Glauben schwächen will, dass wir meinen, wir beten nicht recht, und darum sei auch unser Gebet vergeblich und unkräftig; wir zweifeln nicht sowohl daran, dass Gott nicht gütig genug sei, sondern dass wir zu ungeschickt seien zu einem so hohen Werk. Aber auch gegen diese Anfechtung haben wir einen gewissen, untrüglichen Trost. Diesen gibt Christus uns in unserem Evangelium mit den Worten: „Ich bin vom Vater ausgegangen und gekommen in die Welt; wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater.“ Warum wiederholt dies Christus hier schon wieder, da er vom Gebet redet? Darum, weil er zum Vater ging, um den Tröster zu senden, den Heiligen Geist. Dies erklärt uns Paulus weiter so: „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichem Seufzen.“

    Mögen wir uns also auch noch so ungeschickt fühlen zum Gebet; mögen wir oft nicht wissen, nicht nur wie, sondern auch, was wir beten sollen, sollen wir doch, so gut wir können, unser Herz vor Gott ausschütten. Unsere Seufzer sind nicht vergeblich; sie sind ein Werk des Heiligen Geistes. Sollte nun Gott die Seufzer, die Wünsche, die Begierden, das Flehen nicht erhören, das sein Heiliger Geist selbst in uns wirkt? Dies hieße, sein eigenes Werk verschmähen und verwerfen. Das ist unmöglich. Im Gegenteil, im Propheten Jesaja versichert uns Gott: „Es soll geschehen, ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.“ Noch ist also das Wort des Gebets nicht über unsere Lippen gegangen, so steigt unser Verlangen schon zum Himmel auf, es wird eingeschrieben in Gottes Buch, und wir können und sollen nun von diesen Zweien das Eine gewiss erwarten, entweder, dass uns Gott dasselbe geben, was wir bitten, oder etwas, was uns heilsamer ist, um was nicht wir, aber der Geist Gottes in uns zu Gott geseufzt hat.

    O, so lasst euch denn, meine Teuersten, von euerem Fleisch und Blut nicht betrügen, euer Gebet gering zu achten, das es doch, wenn es im Glauben geschieht, vor Gott so hoch geachtet ist und so viel vermag, wenn es ernstlich ist. Lasst uns allezeit „hinzutreten mit Freudigkeit zu dem Gnadenstuhl, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden, auf die Zeit, da uns Hilfe not sein wird“.

    Das Gebet ist ein herrlicher Vorteil im wahren Christentum; es ist ein vertrautes Gespräch mit Gott; ein köstliches Gegenmittel gegen Verzagung in aller Not; eine Erfrischung in der Hitze der Anfechtung; eine starke Mauer gegen die Versuchung des Fleisches, der Welt und des Satans; eine mit dem Himmel verbindende Kette; ein Schlüssel zu den Schatzkammern Gottes, ja, zu dem Herzen des himmlischen Vaters; ein Labsal in der Angst; eine hilfreiche Zuflucht in Todesnöten; ein Vorgeschmack des ewigen Lebens und ein Mitgenuss von dem himmlischen Manna der Seligen und Engel.

    Betet daher allezeit im Glauben und seid gewiss, dass, wenn ihr euch auch vor Gott nur weinend hinlegen, nur seufzen, ja, nur in großer Schwachheit verlangen könnt, auch dieses Bitten nimmt, auch dieses Suchen findet, auch dieses leise Anklopfen dringt in Gottes Ohr und euch wird aufgetan. Vergesst nur nicht jene vier Säulen: Gottes Wahrhaftigkeit, des Vaters Liebe, des Sohnes Fürsprache und des Heiligen Geistes Vertretung; darauf gründet euch, damit vertreibt alle Zweifel, dadurch stärkt euren Glauben, so werdet ihr, mit Gebet gerüstet, stark sein, täglich Gnade, Kraft und Segen von oben euch holen, bis euer Gebet ein ewiger Lobgesang und eure Freude vollkommen sein wird vor Gottes Thron. Amen.

 

Predigt zu Christi Himmelfahrt ueber 2. Koenige 2,1-13: Die Himmelfahrt Elias[17]

 

2. Könige 2,1-13: Da aber der HERR wollte Elia im Wetter zum Himmel holen, gingen Elia und Elisa von Gilgal. Und Elia sprach zu Elisa: Lieber, bleib hier; denn der HERR hat mich nach Bethel gesandt. Elisa aber sprach: So wahr der HERR lebt und deine Seele, ich verlasse dich nicht. Und da sie hinab nach Bethel kamen, gingen der Propheten Kinder, die zu Bethel waren, heraus zu Elisa und sprachen zu ihm: Weißt du auch, dass der HERR wird deinen Herrn heute von deinen Häupten nehmen? Er aber sprach: Ich weiß es auch wohl; schweigt nur stille! Und Elia sprach zu ihm: Elisa, Lieber, bleib hier; denn der HERR hat mich nach Jericho gesandt. Er aber sprach: So wahr der HERR lebt und deine Seele, ich verlasse dich nicht. Und da sie nach Jericho kamen, traten der Propheten Kinder, die zu Jericho waren, zu Elisa und sprachen zu ihm: Weißt du auch, dass der HERR wird deinen Herrn heute von deinen Häupten nehmen? Er aber sprach: Ich weiß es auch wohl; schweigt nur stille! Und Elia sprach zu ihm: Lieber, bleib hier; denn der HERR hat mich gesandt an den Jordan. Er aber sprach: So wahr der HERR lebt und deine Seele, ich verlasse dich nicht. Und gingen die beiden miteinander. Aber fünfzig Männer unter der Propheten Kindern gingen hin und traten gegenüber von ferne; aber die beiden standen am Jordan. Da nahm Elia seinen Mantel und wickelte ihn zusammen und schlug ins Wasser; das teilte sich auf beiden Seiten, dass die beiden trocken hindurch gingen. Und da sie hinüberkamen, sprach Elia zu Elisa: Bitte, was ich dir tun soll, ehe ich von dir genommen werde. Elisa sprach: Dass dein Geist bei mir sei zwiefältig. Er sprach: Du hast ein Hartes gebeten; doch so du mich sehen wirst, wenn ich von dir genommen werde, so wird’s ja sein; wo nicht, so wird’s nicht sein. Und da sie miteinander gingen, und er redete, siehe, da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, und schieden die beiden voneinander; und Elia fuhr so im Wetter zum Himmel. Elisa aber sah es und schrie: Mein Vater, mein Vater, Wagen Israels und seine Reiter! Und sah ihn nicht mehr. Und er fasste seine Kleider und zerriss sie in zwei Stücke. Und hob auf den Mantel Elias, der ihm entfallen war; und kehrte um.

 

    In Christus, dem triumphierenden Heiland, geliebte Festgenossen!

    Wir feiern heute wieder das Fest der glorreichen Himmelfahrt unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus, einer der großen Wundertaten, welche der HERR zum Heil seiner Gläubigen vollbracht hat, denn nicht allein um seiner selbst, sondern auch um unseretwillen hat der HERR seine glorreiche Himmelfahrt gehalten. Hatte er doch vorher zu seinen Jüngern, als sie über sein bevorstehendes Scheiden von ihnen traurig geworden waren, gesagt: „Es ist euch gut, dass ich hingehe, denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch; so ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden#“, und: „Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten.

    Die Bedeutung und Wichtigkeit der Himmelfahrt Christi geht unter anderem schon daraus hervor, dass in der Schrift des Alten Testaments deutlich auf sie als eine Wundertat des HERRN hingewiesen wird. Denn im 47. Psalm heißt es: „Gott fährt auf mit Jauchzen und der HERR mit heller Posaune. Lobsingt, lobsingt Gott, lobsingt, lobsingt unserem König. Denn Gott ist König auf dem ganzen Erdboden; lobsingt ihm klüglich!“ Der von dem Heiligen Geist erleuchtete Sänger schaut mit prophetischem Blick den HERRN, wie er nach seinem auf Erden vollbrachten Werk, nachdem über die Feinde so herrlich erlangten Sieg, die Stätte seiner Arbeit und seines Kampfes verlässt, im Triumph als Sieger zum Himmel auffährt, und fordert die Gemeinde der Heilligen auf, Gott für diese Tat mit Lobliedern zu preisen, weil er sich durch seine Auffahrt als den König auf dem Erdboden erweist. Ebenso deutlich weisen die Worte im 68. Psalm auf die Himmelfahrt des HERRN hin: „Der Wagen Gottes ist viel tausendmal tausend; der HERR ist mitten unter ihnen im heiligen Sinai. Du bist in die Höhe gefahren und hast das Gefängnis gefangen, du hast Gaben empfangen für die Menschen, auch für die Abtrünnigen, dass Gott, der HERR, dennoch daselbst bleiben wird.“[18] Das dem Psalmisten vorschwebende Bild ist das eines Siegers, welcher auf einem von unzähligen Engeln geleiteten Kriegswagen seinen Triumphzug in den Himmel hält, nachdem er nicht allein die Gefangenen aus dem Gefängnis befreit, sondern auch das Gefängnis selbst von Grund aus zerstört hat.

    Doch, geliebte Festgenossen, die Himmelfahrt des HERRN ist nicht allein in diesen Worten vorher verkündigt, sondern sie ist auch in Vorbildern zur Zeit des Alten Testaments dargestellt worden, nämlich durch die Hinwegnahme des frommen Henoch von dieser Erde, ohne dass er den Tod gesehen hätte, besonders aber durch die Himmelfahrt des großen Propheten Elia. Von jener heißt es 1. Mose 5: „Henoch war 65 Jahre alt und blieb in einem göttlichen Leben 300 Jahre; und weil er ein göttliches Leben führte, nahm ihn Gott hinweg, und er ward nicht mehr gesehen.“ Die Himmelfahrt des Elia aber wird uns als eine besondere herrliche Ehre, die keinem anderen Sterblichen zuteil geworden ist, ausführlicher in unserem verlesenen Text beschrieben. Diese Himmelfahrt des gewaltigen Propheten ist wohl geeignet, sie zum Gegenstand unserer heutigen Festbetrachtung zu machen. Lasst uns denn jetzt in aller Andacht unsere Aufmerksamkeit richten auf:

 

Die Himmelfahrt Elias

    Sie ist

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Der glorreiche Abschluss einer großen Tätigkeit für Elia;

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Ein deutliches Vorbild auf die Himmelfahrt Christi, unseres HERRN;

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Ein tatsächlicher Beweis für die Himmelfahrt eines jeden Gläubigen.

 

1.

    Schon die ersten Worte unseres Textes, in dem HERRN geliebte Festgenossen, deuten es an, dass die großartige Laufbahn dieses Propheten einen großartigen Abschluss finden sollte. Sie lauten: „Da aber der HERR wollte Elia im Wetter zum Himmel holen, gingen Elia und Elisa von Gilgal.“ Nicht sterben sollte Elia, keine schmerzliche Trennung der Seele vom Leib sollte bei ihm stattfinden, sondern der HERR wollte ihn lebend von dieser Erde zum Himmel holen, und zwar sollte dies im Wetter, im Sturmwind, geschehen. Dadurch sollte dem so tatenreichen und gesegneten Wirken des Propheten das göttliche Siegel aufgedrückt werden. Und diese Himmelfahrt sollte nicht ganz in der Stille und Verborgenheit, wie einst der Tod Moses, nicht ungesehen und ohne Augenzeugen geschehen, sondern vor den Augen des Elisa und fünfzig der Prophetenschüler. Deswegen hatte der HERR sie nicht allein Elia vorher kundgetan, sondern auch Elisa und den Prophetenschülern zu Bethel und Jericho, jedoch so, dass Elia nichts davon wusste, dass sie auch diesen offenbart worden sei.

    Die Zeit gestattet es nicht, uns die große, einzigartige Tätigkeit des Elia im Dienst des HERRN jetzt im Einzelnen vorzuführen. Wir müssen uns auf einen kurzen Überblick beschränken. Sein Wirken war teils ein öffentliches, teils ein mehr stilles und verborgenes, jenes mehr gewaltig, niederreißend, zerstörend, dieses sanft, gründend, aufbauend. Gleich bei seinem ersten öffentlichen Auftreten offenbart sich die gewaltige Kraft dieses Propheten in den an den König Ahab gerichteten Worten: „So wahr der HERR; der Gott Israels, lebt, vor dem ich stehe, es soll diese Jahre weder Tau noch Regen kommen; ich sage es denn.“ Das ist die Rede eines Mannes, der es weiß, dass der Geist und die Kraft des allmächtigen Gottes mit ihm ist, der in der Kraft eines Berge versetzenden Glaubens keine Menschenfurcht kennt, der dem König eines ganzen Volkes als Gebieter entgegen tritt. Und von der Art war sein öffentliches Auftreten stets, zumal wenn es sich um die Feinde des HERRN, um Götzendienst und Götzendiener handelte. Er war mit glühendem Hass gegen den abscheulichen Baalsdienst, mit einem brennenden Eifer für den HERRN und seine Ehre erfüllt. Als er wieder aus der Verborgenheit zu Zarpath hervortrat, um sich Ahab zu zeigen, und dieser ihm zurief: „Bist du, der Israel verwirrt?“ entgegnete er ihm: „Ich verwirre Israel nicht, sondern du und deines Vaters Haus, damit, dass ihr des HERRN Gebote verlassen habt und wandelt Baalim nach.“ Man merkt diesen Worten das Gebietende, ich möchte sagen, den göttlichen Stolz an, aus dem sie geflossen. Und welch eine zwingende Macht musste Elia über den König ausüben, da dieser ohne Widerrede seinem Befehl nachkam, das ganze Israel und die 450 Baalspriester auf dem Berg Karmel zu versammeln. Erinnern wir uns an den gewaltigen Schlag, den er gegen den Baalsdiensdt führte, indem er die 450 Baalspriester tötete, auf deren Anstiften so viele Propheten des HERRN gemordet worden waren, an die Art und Weise, wie er Ahab ankündigte, dass die Hunde sein Blut lecken und Isebels, seiner Frau, Fleisch fressen, sein ganzes Haus bis auf den letzten Abkömmling ausgerottet werden würde, und wie diese Ankündigung Ahab niederschmetterte, so erkennen wir in etwa das gewaltige Auftreten dieses Propheten. Daher die Bedeutung, welche im in der Schrift des Neuen Testaments beigelegt wird, der Glaube des Volkes, dass Christus der wiedererschienene Elia sei, als es dessen Zeichen und Wunder sah, und der Vergleich Johannes des Täufers mit diesem Propheten. Wahrlich, ein Mann, der so mit einem König redete, welcher der nach Blut lechzenden Tigerin Isebel die Stirn und einem ganzen abgöttischen Volk offen Trotz bot, hatte in seinem Erscheinen die Art eines feurigen Kometen.

    Aber neben diesem öffentlichen ging sein Wirken in der Stille, gründend auf aufbauend, einher. In unserem Text ist mehrmals von den Kindern des Propheten die Rede, unter denen aber nicht etwa natürliche, sondern geistliche Kinder, d.h. Schüler der Propheten, zu verstehen sind, die wir heute theologische Studenten nennen würden. Solche Prophetenschulen oder Seminare gab es zur Zeit des Elia drei, nämlich zu Gilgal, auf dem Gebirge Ephraim, Bethel und Jericho. Der eigentliche Stifter der Prophetenschulen war Samuel gewesen. In ihnen wurde eine Anzahl frommer, auserlesener Männer im Wort unterrichtet, zum Forschen in der Schrift, heiligem Leben, Gebet und dergleichen angehalten und zu Lehrern des Volkes herangebildet. Als diese Schulen in Verfall gekommen waren, errichtete sie Elia von neuem und stand ihnen mit allem Fleiß vor, ja, er war ohne Zweifel ihr vornehmster Lehrer. Und dies war die stillere Seite seiner Wirksamkeit, welche er als Vater und Freund und Lehrer ausübte. Hier war es nicht das verzehrende Feuer, sondern ein erleuchtendes und erwärmendes Licht.[19] Dies fiel naturgemäß nicht so in die Augen wie die gewaltigen Taten in seiner öffentlichen Wirksamkeit, seiner Bekämpfung des Götzendienstes, war aber nicht weniger wichtig, denn nur so konnte das blinde Volk wieder im Wort des HERRN unterrichtet und zur Erkenntnis des Heils geführt werden. Und weil diese Prophetenschulen Elia am Herzen lagen, wollte er nicht von hinnen scheiden, ohne sie noch einmal zu sehen und zu segnen. So ging sein ganzes Wirken auf dieser Erde, sein ganzes Sinnen und Trachten im Dienst des HERRN auf. In völliger Selbstlosigkeit verzehrte er seine Kräfte für seinen Gott, durch Bekämpfen des Götzendienstes und Erbauen der Kirche. Seine letzte Sorge galt den Prophetenschulen.[20]

    Diesem großartigen Wirken entsprach der Abschluss desselben, die Himmelfahrt des Elia. Der HERR hatte ihm dieselbe kundgetan. Er begab sich von Gilgal nach Bethel, von dort nach Jericho, hatte aber nicht die Absicht, seinem Begleiter und Nachfolger, Elisa, den er wie einen Sohn aufs innigste liebte, sowie seinen Schülern irgendeine Mitteilung von dem zu machen, was ihm der HERR; wie er meinte, allein offenbart habe. Seine Demut ließ das nicht zu. Er wollte auch in den Augen seines Freundes und seiner Schüler nicht groß erscheinen, nicht von ihnen geehrt sein und sie deswegen nicht Zeugen seiner einzigartigen Aufnahme in den Himmel sein lassen. Deswegen forderte er Elisa wiederholt auf, ihn zu verlassen. Aber der HERR hatte es anders beschlossen; er wollte seinen treuen Knecht nicht ohne Zeugen hinwegnehmen, sondern ihn auch vor Menschen verherrlichen. Deswegen hatte er dieses Ereignis Elisa und den Prophetenschülern kundgetan, deswegen durfte sich Elisa nicht von ihm trennen, mussten 50 der letzteren in gewisser Entfernung den beiden folgen. So kamen Elia und Elisa an den Jordan. Elia nahm seinen Mantel, rollte ihn zusammen, schlug damit ins Wasser und dieses teilte sich so, dass sie trocken hindurchgehen konnten. Nachdem Elisa auf die Aufforderung seines Meisters noch die Bitte ausgesprochen hatte, dass sein Geist zwiefältig auf ihm sein möge, gingen sie sich unterredend jenseits des Jordan dahin. Plötzlich aber erschien ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, schieden beide voneinander, und Elia fuhr so im Wetter zum Himmel. Dieses „Wetter“ war das irdisch Sichtbare der Erscheinung Gottes, der feurige Wagen mit den feurigen Rossen die biblische Gestalt, wodurch Elisa angezeigt wurde, dass sein Meister in den Himmel entrückt sei, ohne den Tod gesehen zu haben. Während seiner Himmelfahrt verklärte der HERR seinen Knecht und nahm in als einen der vornehmsten derer in die Herrlichkeit auf, die leuchten wie des Himmels Glanz immer und ewig. So entsprach das einzigartige, herrliche Ende des Elia seinem einzigartigen, großartigen Wirken auf dieser Erde, in solcher Weise bekannte sich der HERR zu seinem treuen Diener.

    Doch, werte Festgenossen, Elias Himmelfahrt hatte nicht allein diese Bedeutung für den Propheten selbst, sondern sie war auch ein deutliches Vorbild auf die Himmelfahrt Christi, unseres HERRN. Das lasst uns zweitens betrachten.

 

2.

    Viel gewaltiger noch und unendlich segensreicher als Elias war das Wirken Christi auf dieser Werde. Das bedarf ja für uns Christen keines Beweises. Was waren alle von Elia verrichteten Wunder im Vergleich zu denen, die der HERR auf Erden getan hat? Was Elias Wort und predigt gegen die Lehre des HERRN, die so mächtig und doch so holdselig von seinen Lippen floss? Aber so schwach und dunkel das Wirken des Elia im Vergleich zu dem Christi auch sein mochte, es war und ist doch in mancher Beziehung ein Abbild. Wie Elia sich unmittelbar vor seinem Scheiden mit liebevoller Fürsorge seiner Schüler annahm, so nahm sich der HERR in unendlicher Liebe seiner Jünger vor seinem Heimgang an. „Wie er hatte geliebt die Seinen, die in der Welt waren“, heißt es Johannes 13,1, „so liebte er sie bis ans Ende.“ Erinnern wir uns nur an seine letzten Reden an seine Jünger und sein unvergleichliches hohepriesterliches Gebet für sie, wie es uns von Johannes im 17. Kapitel aufbehalten ist. Elia ging mit Elisa über den Jordan, der HERR führte seine Jünger auf den Ölberg hinaus. Elia unterredete sich mit Elisa, indem sie beide von Gilgal nach Bethel, von dort nach Jericho und sodann nach dem Jordan gingen; und wovon anders werden sie geredet haben als von dem, was beider Herzen so völlig einnahm, von dem Reich des HERRN, wofür ja die letzte Bitte des Elisa deutliches Zeugnis ablegt; so unterredete sich der HERR mit seinen Jüngern auf dem Weg nach dem Ölberg hinaus, wie uns Lukas im 1. Kapitel der Apostelgeschichte berichtet, vom Reich Gottes, befahl ihnen, nicht von Jerusalem zu weichen, bis sie mit dem Heiligen Geist getauft seien. Dort bat Elisa den Elia, dass ein Geist zwiefältig auf ihm ruhen möge, weil er wusste, dass er dessen als Nachfolger des Meisters zur Fortführung und Ausrichtung seines Werkes durchaus benötigte, und diese Bitte wurde ihm gewährt; hier gab der HERR seinen Jüngern aufs neue die Verheißung von der Ausgießung des Heiligen Geistes, weil auch sie ihr Amt, ihr Zeugen zu Jerusalem, in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde zu sein, ohne die Erleuchtung und Kraft des Heiligen Geistes nicht ausrichten konnten. Dort wurde Elisa durch den ihm von dem HERRN mitgeteilten Geist und den ihm zurückgelassenen Mantel des Elia, der der Träger der unsichtbar wirkenden, göttlichen Geisteskraft war, die den Propheten beseelte, mit der Macht, Wunder zu tun, ausgerüstet, hier erhielten die Jünger des HERRN durch die Geistesmitteilung am Pfingstfest dieselbe macht in reicherem Maß.

    Noch deutlicher aber, Geliebte, tritt das Vorbildliche in der eigentlichen Himmelfahrt selbst hervor. Plötzlich erschien dort ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, trennte Elia von Elisa, nahm Elia auf und führte ihn zum Himmel; bei Christi Himmelfahrt ward der HERR zusehends aufgehoben, eine Wolke erschien und nahm ihn vor den Augen seiner Jünger hinweg. Fragen wir: Was war das für ein feuriger Wagen und für feurige Rosse, mit denen Elia zum Himmel fuhr? So gibt uns die Heilige Schrift klare Antwort, wenn sie Psalm 104, V. 4 spricht: „Du machst deine Engel zu Winden und deine Diener zu Feuerflammen“, wenn sie uns ferner berichtet, wie der Prophet Elisa mit seinem Knecht aus der Stadt Dothan durch das Heer der Syrer entkam. Um den Propheten gefangen zu nehmen, hatte der König von Syrien die Stadt während der Nacht mit einer Macht von Rossen und Wagen umgeben. Als der Diener Elisas darüber erschrak, beruhigte ihn dieser mit den Worten: „Fürchte dich nicht, denn derer ist mehr, die bei uns sind, als derer, die bei ihnen sind.“ Darauf betete er: „HERR, öffne ihm die Augen, dass er sehe.“ Alsbald wurden ihm die Augen geöffnet, „und siehe, da war der Berg voll feuriger Rosse und Wagen um Elisa her.“ Diese den natürlichen Augen unsichtbaren feurigen Rosse und Wagen, was waren sie anders als die heiligen Engel, die himmlischen Heerscharen, die dem Knecht Elisas sichtbar wurden, als ihm auf dessen Gebet die Augen des Geistes geöffnet worden waren. Und so haben wir bei Elias Himmelfahrt an die heiligen Engel zu denken, welche ihn im Triumph als einen mit Sieg gekrönten Kämpfer zum Himmel führten, wobei ein feuriger leuchtender, strahlender Wagen mit eben solchen Rossen für Elisa, dem auch die Augen geöffnet waren, sichtbar wurde.[21] Dass aber Christus, unser HERR, von dem ganzen Heer der himmlischen Heerscharen als der unvergleichliche Siegesheld begleitet zum Himmel aufgefahren ist, bezeugen nicht nur die schon gehörten prophetischen Worte aus den Psalmen, sondern auch die Gegenwart der beiden Männer, d.h. zweier Engel, in weißen Kleidern, welche den Jüngern die geschehene Himmelfahrt in Worten bezeugten. – Dort bei Elias Himmelfahrt waren die Augenzeugen Elisa und die 50 Prophetenschüler zu Jericho, welche bis an den Jordan nachgefolgt waren, hier bei Christi Himmelfahrt waren es die Jünger des HERRN. Dort sah Elisa dem auffahrenden Meister nach, hier taten ein Gleiches die Jünger. Dort maßloses Staunen des Elisa über die einzigartige Erscheinung, in welchem er ausrief: „Mein Vater, mein Vater, Wagen Israel und seine Reiter“, hier sprachloses Erstaunen der Jünger. Dort sah Elisa den auffahrenden Elia nicht mehr, hier nahm den HERRN eine Wolke vor den Augen der Jünger weg. Seht da, wie die Himmelfahrt des Elia ein Vorbild auf die Himmelfahrt Christi war.

    Aber, geliebte Festgenossen, wie das Gegenbild immer größer und erhabener als das Vorbild ist, so war auch die Himmelfahrt Christi unvergleichlich herrlicher und erhabener als die des Elia. Was war Elia bei all seiner Größe nach seiner Person und seinem Werk im Vergleich zu Christus! Elia war ein Mensch, Christus ist wahrhaftiger Gott und wahrer Mensch in einer Person. Elia war einer unter den großen Propheten, Christus war und ist der Prophet; Elia war bei aller Heiligkeit ein sündiger Mensch, Christus ist der Heilige. Elia war der Knecht des HERRN, Christus ist der HERR selbst. Elia verrichtete ein großes Werk, aber doch vermochte er den Götzendienst in Israel nicht völlig auszurotten, Christus hat den Tod und Teufel bezwungen, hat dem Tod die Macht genommen, dem Fürsten der Finsternis den Kopf zertreten, hat die ganze Sünderwelt aus seiner Gewalt befreit. Seine Himmelfahrt war der unvergleichliche Triumph, den er nach seinem völlig vollbrachten Erlösungswerk in den Himmel auf den Thron des HERRN gehalten hat. Darum jubilieren wir heute:

Ach wunderbarer Siegesheld,

Du Sündenträger aller Welt,

Heut hast du dich gesetzet

Zur Rechten deines Vaters Kraft,

Der Feind Schar gebracht zur Haft,

Bis auf den Tod verletzet.

Mächtig, prächtig, triumphierest,

Jubilierest;

Tod und Leben,

ist Herr Christ dir untergeben.

    Endlich ist aber Elias Himmelfahrt auch ein tatsächlicher Beweis für die Himmelfahrt eines jeden Gläubigen. Das lasst uns drittens noch kurz betrachten.

 

3.

    Die Aufnahme des Elia in den Himmel ist zunächst ein Tatbeweis dafür, dass es außer diesem irdischen noch ein anderes Leben gibt. ‚Das Dasein des Menschen ist mit dem Tod nicht abgeschlossen; er tritt vielmehr durch den Tod nur in eine andere Daseinsweise. Und die Heilige Schrift lehrt uns klar und deutlich, dass diese für die Gottlosen eine unaussprechlich schreckliche, für die Frommen aber eine unaussprechlich selige ist. Der reiche Mann starb und war alsbald in der Hölle und Qual, der arme Lazarus starb und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß. Ja, geliebte Brüder und Schwestern, wir sind auch dazu berufen, in den Himmel aufgenommen zu werden. Das haben wir dem Kommen Christi, unseres Heilandes, in diese Welt, seinem Leiden und Sterben, wodurch er uns von allen Sünden, vom Tod und der Gewalt des Teufels erlöst hat, seiner Auferstehung und Himmelfahrt, wodurch er sein Erlösungswerk besiegelt und über alle seine und unsere Feinde triumphiert hat, zu danken. Was Elia war, das war er nur durch den Glauben an denselben Christus, an den auch wir glauben. Er glaubte an den verheißenen, zukünftigen Heiland, wir glauben an den erschienen. Ohne diesen Glauben wäre ihm eine so herrliche Aufnahme in den Himmel nicht zuteil geworden, denn ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Aber an den Gläubigen, den durch den Glauben Geheiligten, hat er, wie es Psalm 16, V 3 heißt, all sein Gefallen. Sie alle werden darum auch von ihm in den Himmel aufgenommen, zwar nicht in so sichtbar herrlicher und majestätischer Weise wie der große Prophet, aber doch wird auch jeder von ihnen von den heiligen Engeln im Triumph in die Wohnungen der Seligkeit eingeführt. Spricht der HERR nicht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, so jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich?“ Wohl wird der Gläubige seiner sterblichen Hülle entkleidet, er muss den sterblichen Leib ablegen, aber durch den Glauben hat er die Bitterkeit der Sterblichkeit überwunden, und wenn die Stunde seiner Heimfahrt gekommen ist, dann stehen die heiligen Engel um sein Bett, bereit, die erlöste Seele, wie die des Lazarus, an die ihr von Christus bereitete Stätte zu führen. So tritt der gläubige Christ in seinem Tod seine Himmelfahrt an, geht aus der Arbeit zur Ruhe, aus den leiden zu Freuden, aus dem Kampf zum Frieden, aus dieser Vergänglichkeit in die Unvergänglichkeit, um für alle seine Dienste, die er hier geleistet, eine göttlich-herrliche Belohnung zu empfangen.

    Das ist die Bedeutung von Elias Himmelfahrt. Sie war so groß, ja größer noch, als sein Leben, die Krönung seines Wirkens, denn in ihr ward er mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, erhielt nach errungenem Sieg die Krone des ewigen Lebens, sie war das leuchtende Vorbild auf die Himmelfahrt Christi, unseres Heilandes, und ist ein Beispiel und Beweis für die Himmelfahrt, die jeder Gläubige nach siegreich beendetem Glaubenskampf halten soll. Lasst sie uns darum als einen Beweis der Gnade und Treue unseres Gottes auch gegen uns wohl betrachten. Lasst uns gleich dem großen Propheten durch des HERRN Gnade in unserem Beruf recht glauben, recht streiten, recht siegen und uns unserer Himmelfahrt freuen, unsere Seele in Gottes treue Hände befehlen, so können wir mit dem Dichter singen:

Im Augenblick wird sie erheben sich bis an das Firmament,

Wenn sie verlässt, so sanft, so wunderlich die Stätt der Element,

Fährt auch Elias Wagen mit engelischer Schar,

Die sie in Händen tragen, umgeben ganz und gar.

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum Sonntag Exaudi (HERR, hoere meine Stimme; Ps. 27,7) ueber Johannes 15,26-16,4: Von der unzertrennlichen Verbindung der Erkenntnis Gottes des Vaters und seines Sohnes Jesus Christus

 

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Keiner Sache rühmt man sich jetzt im Vergleich mit der Vorzeit mehr, als dass man jetzt viel reiner Begriffe von Gott habe als vormals. Man spricht: Vormals, besonders unter dem Heidentum, habe man sich Gott als ein zorniges, racherfülltes Wesen vorgestellt, jetzt aber seien durch das wohltätige Licht der Aufklärung solche finstere Wolken von dem Angesicht des allerhöchsten Wesens vertrieben, nun stehe endlich nach tausendjährigem Kampf des Aberglaubens gegen die Wahrheit Gott da als der Vater aller Menschen, und in jedem Herzen, das sich dem neu aufgegangenen Licht nicht verschlossen habe, lebe nun das frohe Bewusstsein: „Gott ist die Liebe.“

    Durch solche Reden lassen sich jetzt viele betören, die das Truglicht von dem wahren Licht nicht unterscheiden können. Es ist dies auch kein Wunder; was man wünscht, das hofft man. Jeder Mensch hat ein Gewissen, das ihm sagt: Du bist ein Sünder und darum bist du strafwürdig. O, wie lieb ist darum einem natürlichen Menschen die Nachricht, die Lehre von Gottes Zorn und dass er ein Rächer sei alles ungöttlichen Wesens, sei eine Fabel eine falsche jüdische Vorstellung, die jetzt durch eine tiefere Erforschung des Wesens Gottes verdrängt worden sei.

    Aber wie könnte man sich doch bitterer täuschen als damit? Was ist das für ein Vater, der nicht zürnte, der freundlich und wohlgefällig auf seine Kinder herabsieht, wenn sie ihn auch verachten, seine Befehle verhöhnen und von Bosheit zu Bosheit eilen? Was ist das für ein Richter, der nicht eifrig ist, alle Übeltaten zu rächen und ohne Ansehen der Person zu den in dem Gesetz angedrohten Strafen zu verurteilen und sie vollstrecken zu lassen? Solche Väter nennt man Schwächlinge, solche Richter parteiisch. Können wir uns daher unwürdigere Begriffe von Gott machen, als wenn wir ihn für einen solchen schwachen, gutmütigen Vater und für einen solchen parteiischen, ungerechten Richter halten? Ein Gott, der über die Sünder nicht zürnt und die Übertretungen seiner Gebote nicht rächt, ist ein elender Gott, ja, kein Gott. Wohl dürfen wir nicht meinen, dass Gott zürne wie ein Mensch, dessen Zorn immer mit Sünde befleckt ist und, wie die Schrift sagt, nicht tut, was vor Gott recht ist; wir dürfen aber auch nicht meinen, dass Gott rachgierig sei, dass er nämlich schadenfroh sei, das heißt, Freude habe an dem Verderben seiner Feinde. Solches lehrt die Heilige Schrift nirgends, sie sagt, dass Gottes Zorn und Rache heilig sei; wollen wir sie daher leugnen, so leugnen wir Gottes Heiligkeit. Ein Gott aber, der nur Liebe besitzt aber keine Heiligkeit, ist ein elender Götze, ein Machwerk der Menschen.

    Es ist daher wahrlich eine elende Aufklärung, die die Menschen so verblendet hat, dass sie Gottes Zorn und Rache leugnen. Meint nicht, dass dies allein in der Bibel steht. Mit heller Schrift steht es geschrieben in der Chronik aller Zeiten und in dem großen Buch der Natur. Wenn wir hören, dass ganze Völker elendig ausgerottet werden dass ganze Länder schrecklich verheert, Blutbäder in ihnen angerichtet und ganze Gegenden durch Pest und Hungersnot entvölkert worden sind; wenn wir hören, dass die Erde oft ihren Mund auftut und Tausende verschlingt, wie die Wolken oft ihre Schläuche zerreißen und herabstürzen und große Ströme ihre Ufer verlassen, blühende Saatfelder vernichten und alle Habe samt Vieh und Menschen verderbend mit sich fortreißen; wenn wir die Stürme brausen und den Donner über uns hören und durch Blitze friedliche Wohnungen in Flammen aufgehen und in einem Augenblick Menschen erschlagen sehen – wie? Wenn wir das wahrnehmen und noch an einen weltregierenden Gott glauben, können wir es dann noch leugnen, dass dieser Gott nicht nur Liebe, sondern auch Zorn habe müsse über eine Welt, in welcher Sünder wohnen? Ohne Zweifel.

    Doch, wie ich bereits gesagt habe, wir dürfen uns nicht wundern, dass Ungläubige ihre unwürdigsten Begriffe von Gott für Aufklärung und die rechte Erkenntnis halten; denn es ist unmöglich, dass der den himmlischen Vater recht erkenne, der nicht an seinen lieben Sohn glaubt. Davon spricht Christus in unserem heutigen Evangelium. Darüber lasst uns daher jetzt weiter nach Anleitung desselben nachdenken.

 

Johannes 15,26-16,4: Wenn aber der Tröster kommen wird, welchen ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird zeugen von mir. Und ihr werdet auch zeugen; denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen. Solches habe ich zu euch geredet, dass ihr euch nicht ärgert. Sie werden euch in den Bann tun. Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, wird meinen, er tue Gott einen Dienst daran. Und solches werden sie euch darum tun, dass sie weder meinen Vater noch mich erkennen. Aber solches habe ich zu euch geredet, auf dass, wenn die Zeit kommen wird, dass ihr daran denkt, dass ich’s euch gesagt habe. Solches aber habe ich euch von Anfang an nicht gesagt; denn ich war bei euch.

 

    Vor einem Jahr habe ich euch nach diesem Evangelium vorgestellt den Trost des Heiligen Geistes, den die Christen haben in den Verfolgungen, die sie um ihres Glaubens willen von der Welt erfahren. Diesmal wollen wir unsere Aufmerksamkeit richten auf die Worte Christi: „Solches werden sie euch darum tun, dass sie weder meinen Vater noch mich erkennen.“ Hiernach spreche ich zu euch:

Von der unzertrennlichen Verbindung der Erkenntnis Gottes des Vaters und seines lieben Sohnes Jesus Christus

 

    Dies zu erklären, hört:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Was heißt es: Christus erkennen?

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Inwiefern lässt sich diese Erkenntnis von der Erkenntnis Gottes nicht trennen?

 

1.

    Die Erkenntnis Christi ist, meine Lieben, die edelste und seligste unter allen Wissenschaften, die ein armer sterblicher Mensch erlangen kann. Denn in Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Sie ist aber nicht ein bloßes Wissen der Geschichte seines Lebens, Leidens, Sterbens, seiner Auferstehung und Himmelfahrt, sie besteht ferner nicht allein darin, dass man die Lehre von seiner Person, dass er Gott und Mensch ist, und von seinen Ämtern, dass er aller Menschen Hoherpriester, Prophet und König, aller Sünder Erlöser und Heiland sei – gelernt hat und darüber Rede und Antwort geben kann. So wichtig es ist, dass ein Mensch in diesen Lehren von Christus von Jugend auf gut unterrichtet worden ist, so kann es einem solchen bei allen seinen Schulkenntnissen noch an der rechten Erkenntnis Christi gänzlich mangeln. Wenn die Heilige Schrift von einem Erkennen redet, so versteht sie darunter nicht eine bloße durch Verstand und Gedächtnis erlangte historische Wissenschaft, sondern etwas Lebendiges, was der Heilige Geist in uns wirkt; daher spricht Christus in unserem Evangelium: „Wenn aber der Tröster kommen wird, welchen ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird zeugen von mir.“

    Aber, werdet ihr vielleicht sagen, wie mag das zugehen? So, meine Lieben: Von Natur begreift es kein Mensch, dass es mit allen seinen Werken, mit allen seinem Wollen, Tun und Können eine ganz verlorene Sache sei. Jeder Mensch denkt von Natur, dass er sich seiner Seligkeit durch ein frommes, gottgefälliges Leben würdig machen müsse. Es sprechen wohl die meisten Menschen, sie hofften, in den Himmel zu kommen, indem sie auf Gottes Güte, Gnade und Barmherzigkeit bauten; aber wenn sie sich nur ernstlich prüfen wollten, so würden die meisten finden, dass sie ihres Herzens Vertrauen dabei hauptsächlich auf sich selbst setzen.

    So lange nun ein Mensch in diesem Wahn der Selbstgerechtigkeit bleibt, so lange steht er noch nicht in der wahren Erkenntnis Christi, wenn er von ihm auch noch so viel weiß. Es kann auch kein Mensch diese Mauer der Selbstgerechtigkeit selbst durchbrechen. Das ist eben des Heiligen Geistes Werk. Wenn das Wort Gottes nämlich, besonders das Gesetz, gepredigt wird: Du sollst Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen, und dergleichen, da wird in dem Herzen des Menschen die Stimme des Gewissens rege: Das hast du nicht gehalten; du willst und kannst Gott nicht so fürchten, lieben und vertrauen. Darum gefällt du Gott nicht, du bist vor ihm verwerflich.

    Leider widersetzen sich die meisten Menschen dieser Stimme Gottes, die sie beim Lesen und Hören des Wortes Gottes in ihrer Seele vernehmen. Die Meisten suchen sich eines anderen zu überreden; sie denken: O, es steht wohl so schlimm nicht mit dir, wie es dir in trüben Stunden scheint, und sie zerstreuen sich und verscheuchen die schweren Gedanken dadurch, dass sie sich in die Sorgen oder Lüste der Welt versenken.

    Wohl aber dem Menschen, der sich vom Geist Gottes nicht umsonst strafen lässt; wohl dem, der, wenn ihm sein sündliches Verderben etwa offenbar wird, weiter in Gottes Wort forscht und den Heiligen Geist anruft, dass er es ihm immer deutlicher offenbaren wolle, welch ein großer Sünder er sei! Das führt zu keiner falschen Schwermütigkeit und Melancholie, sondern zu einer Traurigkeit, die, wie der Apostel sagt, eine Reue zur Seligkeit wirkt, die niemand gereut. Denn der Heilige Geist lässt den Menschen, der vor Gottes Gesetz in Schrecken und Zagen fällt, nicht sinken und verzweifeln, sondern erinnert ihn dann auch, dass Jesus Christus in die Welt gekommen sei, die Sünder selig zu machen, dass er ein Arzt sei eben für die Kranken, Schwachen und Elenden, und nicht für die, die sich für gesund und stark halten, dass er die Sünder zur Buße rufe und nicht die Gerechten.

    Seht, meine Lieben, wenn nun ein Mensch alles, worauf er sich vormals verließ, dessen er sich tröstete, womit er sich beruhigte, fahren lässt und wegwirft; wenn er anfängt, zu hungern und zu dürsten nach einer anderen Gerechtigkeit, die vor Gott gilt und die er in sich nicht findet; wenn er nun anfängt, mit Sehnsucht nach Christus sich umzuschauen und zu denken: O, dass du doch auch mein Heiland wärst! O, dass doch auch ich Teil hätte an deiner Gnade! Dann, dann dringt die Sonne der Gerechtigkeit mit ihren ersten Strahlen in das Herz des Sünders, da fängt Christus an, dem Menschen erst recht notwendig, lieblich, schön, groß und herrlich zu werden.

    Ein solcher Mensch fängt dann auch an, die Bibel, besonders die Sprüche von Christus, die er vorher betrachtete, ohne besondere Kraft daran zu spüren und ohne seines Herzens Lust daran zu haben, ganz anders zu verstehen. Es kommt endlich mit einem solchen Menschen dahin, dass er nichts wissen will als von Christus, und ihm nichts mehr schmecken will als Christus, und Himmel und Seligkeit ihm gewiss sind. Deutlich sehen wir dies an dem teuren Apostel Paulus, der erst in entsetzlicher Selbstgerechtigkeit gefangen war und als Pharisäer meinte, er sei ein unsträflicher Mann, der durch seine Werke gewiss in den Himmel kommen werde. Wie spricht dieser später, als ihm das Licht des Evangeliums von #Christus ausgegangen war? Er tut dies Bekenntnis: „Nach der Gerechtigkeit bin ich im Gesetz gewesen unsträflich. Aber was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden geachtet. Denn ich achte es alles für Schaden gegen die überschwängliche Erkenntnis Christi Jesu, meines HERRN, um welches willen ich alles habe für Schaden gerechnet, und achte es für Dreck, auf das sich Christus gewinne und in ihm erfunden werde, dass ich nicht habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet wird.“ Phil. 3,6-9. Seht hier: Das heißt Christus erkennen; es ist nichts anderes als an ihn glauben, sicher seiner trösten, ihn für seinen Heiland erkennen, in ihm alles Heil, alle Gerechtigkeit, alle Seligkeit wirklich finden. Wie man zum Beispiel sagt, jemanden für seinen Freund erkannt zu haben, das heißt, in der Tat und Wahrheit erfahren zu haben und inne geworden zu sein, dass er unser Freund sei, es gut mit uns meine und uns in keiner Not verlassen, sondern treu sein werde bis zum Tod.

    Nun, meine Lieben, habt ihr Christus schon alle erkannt, so erkannt? Habt ihr mit Christus schon alle solche Erfahrungen gemacht? Er ist aller Menschen Heiland, darum ist er ja freilich auch der eurige; es handelt sich nur darum, dass ihr ich auch dafür erkennt. O, selig sind, die zu dieser Erkenntnis gekommen sind! Die haben damit den rechten Stein der Weisen, das Eine, das uns allen not tut.

 

2.

    Dies führt mich auf den zweiten Teil unserer Betrachtung, wo wir hören wollten, inwiefern nun diese Erkenntnis sich von der Erkenntnis Gottes des Vaters nicht trennen lasse.

    Darauf weist uns Christus in unserem Evangelium mit den Worten hin: „Solches werden sie euch darum tun, dass sie weder meinen Vater noch mich erkennen.“ Von den Feinden des Evangeliums und den Verfolgern der Christen sagt Christus also, dass sie nicht nur ihn, sondern auch den Vater nicht kennen. Wer rühmt sich aber erst mehr, dass er den Vater kenne, als ein Israelit? „Wir haben einen Vater, Gott“, riefen die Juden einst einstimmig Christus entgegen. Und welches Volk hat sich nun seit Jahrhunderten mehr gerühmt, dass es allein den wahren Gott anbete, als die Moslems? Wer endlich erhebt jetzt mehr seine reine Gotteserkenntnis als der Vernunftgläubige unserer Zeit? Und diese verwerfen doch alle den Sohn Gottes als ihren Heiland.

    Hierauf ist nun dieses zu merken. Dass es einen Gott gebe, dies kann ein Mensch wohl wissen auch ohne die Erkenntnis des Heilandes. Sein Dasein haben die Heiden schon aus der Natur und aus dem dringenden Zeugnis ihres Gewissens erkannt. Aber etwas ganz anderes ist es, zu wissen, dass es einen Gott gebe, und zu wissen, wer und wie dieser Gott sei, was sein Wesen, was sein Wille, was seine Ratschlüsse seien und wie er gegen uns gesinnt sei.

    Diese Erkenntnis aber ist es, welche Christus allen Feinden des Evangeliums, die ihn nicht kennen, abspricht. Daher sagt er an einer anderen Stelle: „Niemand kennt den Vater als nur der Sohn.“ Ähnlich bezeugt Johannes: „Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht.“ Gott wohnt nämlich in einem Licht, dahin niemand dringen kann, das heißt, er ist so tief, dass ihn niemand ergründen, so hoch, dass ihn niemand erreichen, so groß, dass ihn niemand erfassen, so geheimnisvoll, dass ihn niemand begreifen kann.

    Zwar gibt er sich in seinem Werk deutlich kund, und in ihm leben, weben und sind wir, daher wir ihn suchen sollten, ob wir ihn doch finden möchten. Aber diese natürliche Offenbarung soll uns dazu erwecken, uns nach einer wahren Offenbarung umzusehen; sie soll in uns das Verlangen erzeugen: O, dass ich den Gott fände, dessen Dasein ich spüre! O, dass ich wüsste, wie ich ihm dienen und zu ihm kommen könnte!

    Aus seinem unnahbaren Licht ist aber Gott herausgetreten in Christus, seinem lieben Sohn. Schon im Alten Testament; denn schon da war es der Sohn Gottes, der den Heiligen erschien und mit seinem Volk einen Bund aufrichtete. Noch heller aber trat Gott im Neuen Testament aus seinem undurchdringlichen Dunkel. In Christus ist er, der Unsichtbare, da sichtbar geworden; in ihm hat er sein geheimnisvolles Wesen offenbart; in ihm hat er seine ewigen Ratschlüsse und seinen geheimen Willen über uns Menschen kund gemacht. In Christus ist die unermessliche Kluft zwischen uns und Gott ausgefüllt. Christus ist der Spiegel, in welchem sich Gott von uns schauen lässt, denn er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens. In Christus will aber auch Gott allein erkannt sein. Daher spricht auch Christus: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.

    Hier seht ihr, meine Lieben, die unzertrennliche Verbindung, in welcher die Erkenntnis Gottes des Vaters mit der seines lieben Sohnes Jesus Christus stehe. Vergeblich macht der Mensch noch so scharfsinnige Untersuchungen über das höchste Wesen; es bleibt ihm ohne Christus ewig fern und fremd. Vergeblich hat sich die sogenannte Philosophie zur Aufgabe gemacht, die ewige Wahrheit durch die Kräfte der menschlichen Vernunft zu finden; wer sie nicht bei dem sucht, der da bekannte: „Ich bin die Wahrheit!“ der bleibt in Finsternis. Alles, was der Mensch von Gott durch eigene Kräfte findet, bleiben leere Begriffe ohne Wirklichkeit. Gott ist ein Gott, der nicht allein von den Gelehrten erkannt sein will, sondern von Gott und Einfältigen ebenso wohl. Erkennt nun ein Kind und ein ganz Einfältiger Christus, so hat er auch die rechte Erkenntnis Gottes, wie sie kein Weiser der Welt, und wenn er auch Millionen Jahre über das Wesen Gottes nachdächte, erlangen kann.

    Es ist eine schöne Sache, weise sein für die Welt, wer aber darin die wahre Weisheit sucht, bei dem wird sie zur Torheit vor Gott. Den zweiten Artikel von Christus muss der Mensch erst gefasst haben, dann wird er erst den ersten Artikel von Gott dem Vater, dem allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden, verstehen. Alle diejenigen daher, welche das nicht tun, verwerfen nicht nur Christus, sondern auch den Vater. Sie machen sie einen falschen Gott, nicht wie er ist, sondern wie sie sich ihn denken; solche dienen daher nicht dem ewigen, wahren, lebendigen Gott, sondern einem von ihrer Vernunft geschaffenen Gedankenbild. Alle diejenigen daher, die nicht an Christus glauben, dass er der wahre Sohn Gottes sei, und doch einen äußerlichen Gottesdienst halten, halten eigentlich nur einen Götzendienst, wie jene Heiden, welche Sonne, Mond und Sterne anbeten. Ihre Tempel, in welchen Christus nicht angebetet wird, sind Götzentempel, nicht besser als der Götzentempel der Diana zu Ephesus. Christus ist Gott und außer Christus ist kein Gott mehr; wer Christus nicht ergreift, ergreift Gott nicht, und wo er es meint, da ergreift er ein Trugbild seines Herzens. Daher spricht Johannes: Wer nicht bleibt in der Lehre Christi, der hat keinen Gott.

    So niederschmetternd nun diese Lehre für die Christusleugner ist, denn sie erklärt sie für Abgöttische und Gottesleugner, so trostvoll ist sie für die Gläubigen. Hieraus sehen sie, dass die wahre Weisheit auch der Einfältigste haben kann, dass hierin der Gelehrteste nicht den mindesten Vorzug hat vor dem Ungelehrtesten. Hieraus sehen sie, dass sie vor Gottes schrecklicher Majestät nicht knechtisch erzittern sollen; wie sie Christus finden, so sollen sie auch Gott finden; wie Christus gegen sie gesinnt ist, so ist auch Gott gegen sie gesinnt. Wie Christus voll Gnade, voll Freundschaft, voll Geduld, voll ewiger unendlicher Liebe gegen die Sünder ist, so ist Gott. Ist Christus ihr Freund, so ist Gott ihr Freund. Getrauen sie sich, zu Christus zu nahen, so müssen sie sich vor Gott nicht fürchten, denn dann haben sie sich Gott schon genaht. Haben sie Christus, so haben sie Gott, haben sie aber Gott, so haben sie schon den Himmel, das Leben und die ewige Seligkeit, so haben sie alles für Zeit und Ewigkeit. Drum:

Eins ist not!

Seele, willst du dieses finden?

Such’s bei keiner Kreatur.

Lass, was irdisch ist, dahinten,

Schwing dich über die Natur.

Wo Gott und die Menschheit in Einem vereinet,

Wo alle vollkommene Fülle erscheinet,

Da, da ist das beste, notwendigste Teil,

Dein Ein und dein Alles, dein seligstes Heil.

Amen.

 

Evangelienpredigt zum Pfingstsonntag ueber Apostelgeschichte 2,1-13: Die Mitteilung des Heiligen Geistes durch das Evangelium von Christus, ein unwidersprechlicher Beweis der Wahrheit und Goettlichkeit desselben

 

    Gott, der du einst die Verheißung gegeben hast: „Ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf die Dürre“, wir loben und preisen Dich, dass du einst heute diese Verheißung an deinen heiligen Zwölfboten so herrlich erfüllt und deinen Heiligen Geist in Strömen über sie ausgegossen hast. Wir bitten dich aber auch, tränke in diesen Tagen mit jenem himmlischen Wasser auch unsere durstigen Seelen und feuchte damit auch das dürre Land unserer Herzen. Ach, ohne deinen Geist sind wir tot, kalt und zu allem Guten unvermögend: O, so sende ihn denn auch auf uns herab, dass wir im Glauben lebendig, in der Liebe feurig und zu allem Guten stark und fröhlich werden. Ach, schenke uns nur einige Tröpflein, HERR, nur einige Tröpflein, so genügt uns. So wollen wir dich dann auch droben an deinem Thron immerdar loben und preisen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen! In Jesu Namen Amen!

 

Apostelgeschichte 2,1-13: Und als der Tag der Pfingsten erfüllt war, waren sie alle einmütig beieinander. Und es geschah schnell ein Brausen vom Himmel als eines gewaltigen Windes und erfüllte das ganze Haus, da sie saßen. Und man sah an ihnen die Zungen zerteilt, als wären sie feurig. Und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen. Und sie wurden alle voll des Heiligen Geistes und fingen an, zu predigen mit anderen Zungen, nachdem der Geist ihnen gab auszusprechen. Es waren aber Juden zu Jerusalem wohnend, die waren gottesfürchtige Männer aus allerlei Volk, das unter dem Himmel ist. Da nun diese Stimme geschah, kam die Menge zusammen und wurden bestürzt; denn es hörte ein jeglicher, dass sie mit seiner Sprache redeten. Sie entsetzten sich aber alle, verwunderten sich und sprachen untereinander: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn ein jeglicher seine Sprache, darinnen wir geboren sind? Parther und Meder und Elamiter, und die wir wohnen in Mesopotamien und in Judäa und Kappadozien, Pontus und Asien. Phrygien und Pamphylien, Ägypten und an den Enden der Libyen bei Kyrene, und Ausländer von Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie mit unsern Zungen die großen Taten Gottes reden. Sie entsetzten sich alle und wurden irre und sprachen einer zu dem andern:  Was will das werden? Die andern aber hatten’s ihren Spott und sprachen: Sie sind voll süßen Weins.

 

Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

Teure Festgenossen!

    Wir Christen glauben an einen dreieinigen Gott, an Vater, Sohn und Heiligen Geist. Diesem dreieinigen Gott zu Ehren haben wir daher in jedem Jahr drei hohe Feste. Weihnachten ist das Fest des Vaters, Ostern das Fest des Sohnes und Pfingsten das Fest des Heiligen Geistes. An jedem dieser drei hohen Feste feiern wir eine große Tat Gottes zu unserer Seligkeit: zu Weihnachten nämlich die Liebe des Vaters, welcher seinen eingeborenen Sohn zu unserem Erlöser in die Welt gesandt hat; zu Ostern die Gnade des Sohnes, der das Werk unserer Erlösung vollbracht hat; zu Pfingsten endlich die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, der uns zur Erkenntnis und Genießung der Liebe des Vaters und der Gnade des Sohnes bringen und uns der gestifteten Erlösung teilhaftig machen will.

    Der eigentliche Grund, warum wir Pfingsten feiern, ist daher nicht das Wunder, welches der Heilige Geist an den Aposteln ausgerichtet hat. Wohl ist dieses Wunder groß und herrlich und für die ganze Sünderwelt von den allerwichtigsten Folgen gewesen. Denn allein durch die wunderbare Ausgießung des Heiligen Geistes über die heiligen Apostel sind dieselben so erleuchtet, geheiligt und im Glauben gestärkt worden, dass sie als untrügliche und unerschütterliche Lehrer der Menschheit in alle Welt ausgehen und in den Sprachen aller Völker das Evangelium von Christus aller Kreatur predigen, die christliche Kirche gründen und dieselbe über den ganzen Erdkreis ausbreiten konnten. Allein durch die wunderbare Ausgießung des Heiligen Geistes über die Apostel sind dieselben auch ausgerüstet worden, die Bibel des Neuen Testamentes aus Trieb und Erleuchtung des Heiligen Geistes zu schreiben und so schriftlich das Evangelium von Christus allen Menschen noch nach ihrem Tod zu predigen bis an das Ende der Tage.

    Die Ausgießung des Heiligen Geistes über die Apostel am ersten christlichen Pfingstfest hat aber eine noch höhere Bedeutung. Sie war gleichsam das Auftun einer verschlossen gewesenen Quelle, aus welcher ein mächtiger Strom hervorgebrochen ist, der sich nach und nach über die ganze Menschheit ergossen hat, der heute noch fließt und fortfließen wird bis an den Jüngsten Tag. Die Ausgießung des Heiligen Geistes über die Apostel war nur der Anfang dessen, was von da an an allen Menschen geschehen sollte, und gleichsam das vom Himmel herab dazu gegebene Signal. Wohl haben die mit der Ausgießung des Heiligen Geistes über die Apostel verbundenen Wundergaben, welche nur zur Gründung der Kirche nötig waren, mit der Zeit aufgehört; aber die Ausgießung des Heiligen Geistes selbst hat durch alle Jahrhunderte fortgedauert und wird fortdauern, bis Himmel und Erde vergangen sein werden. Daher spricht Petrus, wie wir unmittelbar nach unserem Text lesen, in seiner ersten Pfingstpredigt zu denen, welche mit Erstaunen sahen, was da vorging: „Das ist’s, das durch den Propheten Joel zuvor gesagt ist: Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, ich will ausgießen von meinem Geist über alles Fleisch.“

    Und ist diese Weissagung etwa unerfüllt geblieben? – Das sei ferne! Meine Lieben; sie hat sich allezeit erfüllt und geht noch heute in Erfüllung. Wo und wann immer das Evangelium von Christus gepredigt wird, da ergießt sich der Heilige Geist allerorten und allezeit über die, welche dasselbe hören, und erfüllt alle diejenigen, welche es im Glauben annehmen, und besiegelt es dadurch als göttliche Wahrheit. So sei denn der Gegenstand unserer heutigen Pfingstfestandacht:

 

Die Mitteilung des Heiligen Geistes durch das Evangelium von Christus, ein unwidersprechlicher Beweis der Wahrheit und Göttlichkeit desselben

 

Und zwar

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Für die Gläubigen, welche diese Mitteilung des Heiligen Geistes an ihrem Herzen erfahren, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Für die Ungläubigen, welche diese Mitteilung des Heiligen Geistes an den gläubigen Christen wahrnehmen.

 

1.

    Alle diejenigen, meine Lieben, welche je wahre Christen gewesen sind, sind es allein dadurch geworden, dass ihnen durch das Wort Gottes der Heilige Geist mitgeteilt worden ist. Und zwar hat der Heilige Geist in jedem derselben allezeit dreierlei gewirkt.

    Das Erste, was alle diejenigen erfahren haben, welche wahre Christen geworden sind, ist dieses, dass sie durch Wirkung des Heiligen Geistes, entweder plötzlich oder nach und nach, zu einer lebendigen Erkenntnis gekommen sind, dass sie verlorene Sünder seien, die in ihrem natürlichen Zustand nicht selig werden können. Als Petrus am ersten christlichen Pfingstfest vor vielen Tausenden zuerst das Gesetz gepredigt hatte, da heißt es hierauf: „Da sie das hörten, ging’s ihnen durchs Herz, und sie sprachen: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?“ Dieses Durch-das-Herz-gehen und ängstliche Fragen nach dem rechten Weg zur Seligkeit war aber nichts anders als eine Wirkung des Heiligen Geistes, der mit dem von Petrus gepredigten Wort verbunden gewesen und wie ein zweischneidiges Schwert in die Seelen der Zuhörer gedrungen war.

    Doch der Heilige Geist tut noch ein Zweites, damit ein Mensch ein wahrer Christ werde. Wenn nämlich ein Mensch, welcher über seine Sünden erschrocken und um seine Seligkeit bekümmert geworden ist, hierauf das Evangelium von Christus, dem Sünderheiland, hört, dann ziehen Friede und Freude im Heiligen Geist in sein Herz ein. Und damit entsteht in einem solchen Menschen eine göttliche Gewissheit, dass ihm Gott gnädig sei und ihm alle seine Sünden vergeben habe, und dass er ein aus Gnaden durch den Glauben gerechtfertigtes Kind Gottes und ein Erbe des ewigen Lebens geworden sei. Auch dies sehen wir an den erschrockenen Zuhörern des Petrus am ersten christlichen Pfingstfest. Denn als diesen nun das Evangelium von der Vergebung der Sünden vorgelegt worden war, da heißt es: „Sie lobten Gott mit Freuden und einfältigem Herzen.“ Dieses fröhliche Lob Gottes in getrostem Glauben war aber nichts anderes als eine Wirkung des Heiligen Geistes, der die Predigt des Evangeliums wie ein himmlisches Feuer durchglühte und das himmlische Licht des Glaubens in den Zuhörern angezündet hatte.

    Zu diesen beiden Wirkungen des Heiligen Geistes, nämlich das Erschrecken eines Menschen über seinen verlorenen Zustand und der Freude über die erlangte Gnade, kommt aber, wie gesagt, allezeit noch eine dritte Wirkung hinzu, nämlich diese, dass ein Zuhörer des Evangeliums dann ein ganz neuer Mensch wird. Die Sünden, die er zuvor geliebt hat, fängt er nun an zu hassen. Sünden, die er vorher als Kleinigkeiten gering geachtet hat, erscheinen ihm nun groß und schwer. Auch wenn er nur aus Schwachheit etwas Sündliches begangen hat, so erfüllt ich nun auch das mit Unruhe, und er kommt nicht eher wieder zum Frieden, als bis er Gott seine Schwachheitssünde mit betrübtem Herzen bekannt und Vergebung de4rselben in Christi Versöhnung gesucht und gefunden hat. Sein tägliches Leben ist nun ein täglicher Kampf gegen die Sünde, auch gegen die geheimsten sündlichen Gedanken, Lüste und Begierden. Von den Eitelkeiten, Gütern und Ehren dieser Welt, in welchen er vorher seine Glückseligkeit gesucht hat, reißt er nun sein Herz mehr und mehr los. Er liebt nun Gott und sein Wort mehr als alles, und gibt daher lieber alle irdischen Güter, ja, lieber sein Leben hin als Gott und sein Wort. In seinem Herzen ist dann auch die Liebe zu seinen Brüdern entbrannt, ja, zu allen Menschen, auch zu seinen Beleidigern, und er liebt sie nun wie sich selbst. Kurz, er wird nun ein ganz anderer Mensch von Herz, Mut, Sinn und allen Kräften. Zwar muss auch ein wahrer Christ mit Paulus bekennen: „Nicht, dass ich’s schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei“; er kann aber, ohne zu lügen, sogleich hinzusetzen: „Ich jage ihm aber nach, ob ich’s ergreifen möchte, nachdem ich von Christus Jesus ergriffen bin.“ Diese wunderbare innere und äußere Umwandlung ist aber ebenfalls nichts anderes als eine Wirkung des Heiligen Geistes, der in dem Wort des Evangeliums wie ein himmlisches fruchttreibenden Samenkorn verschlossen liegt.

    Oder ist es nicht so, meine Lieben? Ich frage euch, ihr gläubigen Christen: Habt ihr nicht dies alles an eurem Herzen erfahren? Gab es nicht eine Zeit in eurem Leben, als Gottes Wort wie ein Pfeil in euer Inneres drang, als ihr über eure Sünden unruhig wurdet und sich die Frage eurem Herzen entrang: „Was soll ich tun, dass ich selig werde?“ Gab es aber dann nicht nach längerer oder kürzerer Unruhe auch eine solche Zeit in eurem Leben, als das Evangelium von Christus euch eurer Begnadigung bei Gott und eurer Seligkeit gewiss machte? Und gab es endlich hierauf auch nicht eine solche Zeit, von welcher an ihr Feinde aller Sünde geworden seid und anfangen habt, der Heiligung nachzujagen?

    Seht, dieses alles hat der Heilige Geist in euch gewirkt, und an dieser gotteskräftigen Mitteilung des Heiligen Geistes durch das Evangelium habt ihr einen unwidersprechlichen Beweis der Wahrheit und Göttlichkeit desselben. Denn eine Lehre, welche dem Menschen erstlich den verborgenen Abgrund seines sündlichen Verderbens auftut, muss eine Lehre des Allwissenden sein, welcher allein Herzen und Nieren prüfen kann; das kann keine menschliche Lehre. Eine Lehre, welche den Frieden Gottes in die Seele eines Menschen bringt, den die ganze Welt keinem Menschen zu geben vermag, muss eine Lehre des Allgegenwärtigen sein, welcher allein den Menschen zu seiner seligen Wohnung machen kann; das kann keine menschliche Lehre. Eine Lehre, welche ein neues Herz im Menschen schafft, muss eine Lehre des Schöpfers aller Dinge sein, welcher auch das Herz des Menschen geschaffen hat und dasselbe daher auch allein umschaffen, reinigen und heiligen kann; das kann keine menschliche Lehre.

    O ihr lieben Christen, lasst euch daher in eurem Glauben durch das Gerede der Ungläubigen nicht irre machen, die bald aus den Gesetzen ihrer in geistlichen Dingen blinden Vernunft, bald aus dem lauf der Sterne, bald aus dem Inneren der Erde beweisen wollen, dass die Bibel und besonders das Evangelium von Christus nicht Gottes Wort sein könne. Ihr tragt in eurem Inneren einen Beweis der Wahrheit und Göttlichkeit des Evangeliums, den keine Weisheit dieser Welt umstoßen kann. Und dieser Beweis ist die Mitteilung des Heiligen Geistes durch dasselbe. Gott hat es, ihm sei ewig Dank dafür, nicht so eingerichtet, dass große Gelehrsamkeit dazu gehört, gewiss zu werden, ob das Evangelium wahr und göttlich sei. Nein, da Gott will, dass alle Menschen selig werden, so hat es Gott vielmehr so eingerichtet, dass auch der Einfältigste dessen gewiss werden kann. Dadurch, dass der Heilige Geist selbst im Herzen der Gläubigen für sein Evangelium Zeugnis ablegt, ist unter den Christen allem Streit über die Wahrheit und Göttlichkeit des Evangeliums ein Ende gemacht. Mögen nun noch so viele Zeugen hier unten auf Erden gegen das Evangelium auftreten: Vor dem einen großen Zeugen, der droben im Himmel thront und im Herzen der Gläubigen zeugt, werden alle jene als falsche Zeugen vor Gott und Menschen offenbar. Auf alle noch so scharfsinnigen Gründe der Spötter kann der Christ antworten: Kann ich eure Vernunftgründe auch nicht mit noch stärkeren Vernunftgründen widerlegen, so sollt ihr doch dieses wissen: Dass das Evangelium von Christus göttliche Wahrheit sei, das hat Gottes Heiliger Geist selbst mit Flammenschrift in mein Herz eingeschrieben, und nichts im Himmel, nichts auf Erden, nichts in der Hölle kann diese Schrift darin auslöschen. Einem gläubigen Christen ist die Wahrheit und Göttlichkeit des Evangeliums so gewiss, wie sein eigenes Leben. Eher kann man einem Christen das Herz aus seinem Leib als seine Glaubensgewissheit aus seiner Seele reißen. So wenig sich ein vernünftiger Mensch überreden lässt, dass eine Frucht, deren Süßigkeit er geschmeckt hat und noch täglich schmeckt, bitter sei, so wenig lässt sich ein gläubiger Christ überreden, dass das Evangelium, dessen Gotteskraft er erfahren hat und noch täglich an seinem Herzen erfährt, eine kraftlose Menschenlehre sei.

   

2.

    Doch, meine Lieben, hiernach scheint es, als ob die Mitteilung des Heiligen Geistes durch das Evangelium wohl für die Gläubigen ein unwidersprechlicher Beweis der Wahrheit und Göttlichkeit desselben sei, weil diese es an ihrem Herzen erfahren, aber nicht für die Ungläubigen. Dem ist jedoch keineswegs so. Denn obgleich diejenigen, welche noch keinen wahren Glauben haben, die Mitteilung des Heiligen Geistes und somit die Wahrheit und Göttlichkeit des Evangeliums nicht selbst an ihrem Herzen erfahren haben, so nehmen doch auch sie die Mitteilung des Heiligen Geistes an den Gläubigen deutlich genug wahr. Davon lasst mich daher nun zweitens zu euch sprechen.

    Es ist wahr, meine Lieben: In unserem heutigen Festtext hören wir, dass, als der Heilige Geist einst über die Apostel ausgegossen wurde, etliche Ungläubige es nur „ihren Spott hatten“ und sprachen: „Sie sind voll süßen Weins.“ Allein, was war die Ursache? Es kam dies lediglich daher, dass sie dem Heiligen Geist wissentlich widerstrebten. Denn war es nicht schon gegen die gesunde Vernunft, die Apostel deswegen für trunken zu erklären, weil sie plötzlich so umgewandelt waren, dass sie, die vormals so Furchtsamen, nun plötzlich so löwenmutige Helden geworden waren? Dass sie, die ungebildeten galiläischen Fischer, jetzt plötzlich die gewaltigsten Redner geworden waren, die es je gegeben hat? Dass sie, die vormals kaum ihre eigene Sprache richtig sprechen konnten, jetzt plötzlich fähig geworden waren, in allen Sprachen der Welt Gottes große Taten zu verkündigen? Wehe daher jenen Spöttern! Was sie am ersten christlichen Pfingstfest gesehen und gehört haben, das wird einst vor Gottes Gericht gegen sie zeugen.

    Dieselbe Bewandtnis hat es denn auch mit allen Ungläubigen zu allen Zeiten, auch zu dieser unserer Zeit.

    Bedenkt: Die Ungläubigen sehen täglich mit ihren Augen, dass diejenigen, welchen es ein Ernst mit dem Evangelium ist, durch dasselbe ganz andere Menschen geworden sind als sie. Sie sehen: Die wahren Christen sind keineswegs nur eifrig im äußerlichen Gottesdienst, sie sind auch treu und fleißig in ihrem irdischen Beruf, gewissenhaft in ihrem Handel und Wandel, geben Jedem das Seine, scheuen sich vor jedem unehrlichen Gewinn, trachten, nicht reich zu werden, sind friedfertig, sanftmütig und dienstfertig, keusch und züchtig in Werken, Worten und Gebärden, mäßig im Essen und Trinken, wahrhaftig und zuverlässig in ihren Reden und Versprechungen, freigiebig gegen die Armen, willig zu leihen dem, der in seiner Verlegenheit ihnen abborgen will; sie sind treue, liebreiche Männer und treue, gehorsame Frauen, treue Nachbarn, gute Bürger, die um des Landes wahres Wohl besorgt sind, willig, sich in die Ordnungen ihres Staates zu fügen und dessen Lasten tragen zu helfen; sie mengen sich nicht unter die Aufrührer; sie sind treue Knechte und Mägde und Arbeiter, die ihren Herren und Arbeitgebern dienen, als dienten sie Christus, und zwar das alles, weil ihr Glaube es nicht nur von ihnen fordert, sondern sie dazu auch tüchtig und willig macht. Wie? Müssen daraus nicht auch Ungläubige schließen, dass eine Lehre, welche solche Früchte bringt, von Gott sein müsse?

    Bedenkt ferner: Die Ungläubigen wissen, obwohl das Evangelium ganz und gar gegen den natürlichen Sinn der Menschen geht, dass sich dasselbe dennoch durch die einfältige Predigt der Apostel mit reißender Schnelligkeit über den ganzen Erdkreis ausgebreitet hat. Es gibt kein noch so rohes und tiefgesunkenes und zugleich kein noch so fein gebildetes, in allen Künsten und Wissenschaften heimisches Volk, unter welchem das Evangelium gepredigt worden ist, unter dem nicht ganze Scharen von der Wahrheit desselben überzeugt und durch dasselbe bekehrt worden wären, große Gelehrte ebensowohl wie einfältige Seelen, Reiche ebensowohl wie Arme, Lasterknechte ebensowohl wie Ehrbahre, Hohe, selbst Fürsten, Könige und Kaiser, ebensowohl wie Bettler, irdisch Glückliche ebensowohl wie Unglückliche. Wie? Müssen daraus nicht auch Ungläubige schließen, dass eine Lehre, welche eine solche göttliche Kraft zu überzeugen und zu bekehren hat, von Gott sein müsse?

    Bedenkt endlich: Die Ungläubigen lesen es in den glaubwürdigsten Geschichtsbüchern, wie das Evangelium zu allen Zeiten teils durch ketzerische Lehren, teils durch das gottlose Leben vieler Bekenner desselben geschändet, teils, um es aus der Welt zu schaffen, bekämpft worden ist, ebenso von den Mächtigen wie von den Weisen dieser Welt, bald durch schlaue List, bald durch blutige Gewalt. Und was ist geschehen? Keine noch so vielen Ketzer, keine noch so vielen Ärgernisse, keine noch so furchtbaren Stürme der Verfolgungen haben das himmlische Feuer des Evangeliums auf Erden dämpfen können. Selbst zarte Kinder und schwache Frauen haben sich in den härtesten Verfolgungen als unüberwindliche Glaubensheldinnen erwiesen, die keine noch so schreckliche Qual zum Abfall hat bewegen können. Je blutiger die Kirche verfolgt worden ist, je mehr haben sich zu ihr geschlagen. Das Blut der Märtyrer ist allezeit ein Same gewesen, aus welchem nur umso mehr Bekenner des Evangeliums hervorgewachsen sind. Wie oft hab4en die Feinde des Evangeliums schon „Viktoria!“ gerufen, weil sie meinten, es sei mit dem Evangelium nun aus, und siehe! immer hat das totgeglaubte Evangelium wieder das Ostern seiner Auferstehung gefeiert. Noch vor 200 Jahren schien es, als ob der Rationalismus nun endlich gewiss über das Evangelium triumphieren werde; aber was ist geschehen? Das Evangelium hat selbst in dieser letzten schrecklichen Zeit wieder zu grünen und zu blühen angefangen. Wollte man es in einem Land nicht mehr leiden, so hat es in einem anderen Land seine Wohnung aufgeschlagen. Verwarfen es christliche Völker, so nahmen es Heidenvölker an. Wie? Müssen daraus nicht auch Ungläubige schließen, dass eine Lehre, welche ein so unzerstörbares Leben hat, von Gott selbst sein müsse?

    Sollten nun durch Gottes Schickung heute auch Ungläubige in dieser Kirche sich eingefunden haben, so rufe ich ihnen daher zu: Ihr meint, die Christen seien Toren, dass sie noch an das alte Evangelium glauben; dazu achtet ihr euch für zu aufgeklärt; aber wahrlich! Ihr lebt in einer furchtbaren Verblendung. Die Toren seid ihr! Die Mitteilung des Heiligen Geistes, welche mit der Predigt des Evangeliums verbunden ist, widerlegt, wie mit einem Schlag, alle eure Gegengründe als leere hohle Phrasen. Wohl mögt ihr von der Mitteilung des Heiligen Geistes durch das Evangelium vielleicht noch nie selbst etwas erfahren haben, aber nehmt ihr diese Wirkung nicht an den wahren Christen wahr? Ihr könnt das nicht leugnen. Und das wird einst, wenn ihr euch nicht noch überwinden lasst, vor Gottes Richterthron gegen euch zeugen. O, dass ihr doch darum euer Herz nicht mutwillig verschließen möchtet! O, dass ihr euch doch der Macht der Wahrheit gefangen geben möchtet! Wahrlich, dann würdet ihr die Mitteilung des Heiligen Geistes auch selbst noch an eurem Herzen erfahren. Denn Christus selbst sagt: „So jemand will des Willen tun, der mich gesandt hat“, da ist, so jemand will an mich glauben, „der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei oder ob ich von mir selber rede.“ O, streitet doch ni0cht länger gegen Gott, sondern fallt heute mit dem ungläubigen Thomas vor Christus nieder und sprecht, um Glauben seufzend, zu ihm: „Mein HERR und mein Gott!“ so werdet auch ihr wie Paulus, der aus einem Verfolger der größte Herold des Evangeliums wurde, mit Freuden bekennen: „Ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.“

    Ihr aber, meine Lieben, die ihr schon wahrhaft glaubt und daher schon das Pfingstwunder erfahren habt, o, freut euch heute, dem Triumphfest des Evangeliums; denn der HERR hat Großes an euch getan. O, beharrt nun auch in eurem Glauben bis an das Ende auch in dieser Zeit des Abfalls, wo wird, wenn endlich die Nacht eures Sterbestündleins über euch hereinbrechen wird, das himmlische Licht des Evangeliums auch dann euch leuchten, ihr werdet in Frieden dahinfahren, dort die Krone der Überwinder aus Christi durchbohrten Händen empfangen und euch dann freuen mit unaussprechlicher ewiger Freude.

    Das helfe uns allen der gnädige Gott durch die Mitteilung seines Heiligen Geistes um Jesu Christi, unseres gen Himmel gefahrenen erhöhten hochgelobten HERRN und Heilandes, willen. Amen.

 

Evangelienpredigt zu Pfingstmontag ueber Johannes 3,16-21: Welches ist die Predigt, durch die die christliche Kirche erbaut wird?

 

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Die Christen sind nicht die Ersten, welche ein Pfingstfest feiern. In der Epistel des gestrigen Festtages haben wir bereits gehört, dass schon das jüdische Volk ein Fest dieses Namens in den gegenwärtigen Tagen gefeiert hat. Schon da gehörte es unter die drei größten Feste des Jahres, an welchen alles, was männlich war, vor dem HERRN in dem Tempel zu Jerusalem erscheinen sollte.

    Das Pfingsten der Juden wurde nämlich zum Gedächtnis der wichtigen Begebenheit begangen, dass Gott am fünfzigsten Tag nach dem Auszug der Kinder Israel aus Ägypten ihnen das Gesetz auf zwei steinernen Tafeln auf dem Berg Sinai gegeben hatte.

    So wichtig nun dieses Werk Gottes war, so war es doch keineswegs etwas Tröstliches und Erfreuliches, mögen wir nun auf die Umstände sehen, unter welchen Gott das Gesetz gegeben hatte, oder auf den Inhalt des Gesetzes selbst. Gott erschien zwar selbst auf dem Berg Sinai, aber unter lauter Offenbarungen seines Zornes. Mose musste um den Berg ein Gehege machen mit der Drohung, wer nur das Ende des Berges anrühren würde, der sollte von Gott selbst zerschmettert werden und des Todes sterben. Allein Mose durfte hinaussteigen. Als der Tag der Offenbarung anbrach, erhob sich schon am Morgen auf dem Berg ein furchtbares Donnern und Blitzen¸ eine dicke Wolke bedeckte seinen Gipfel; und der Ton einer sehr starken Posaune wurde hörbar. Das Volk, das in einiger Entfernung davon sein Lager aufgeschlagen hatte, vernahm dies mit Schrecken und Entsetzen. Mose führte es hierauf aus dem Lager Gott entgegen an den Fuß des Berges, und siehe! Der ganze Berg rauchte wie ein großer Feuerofen und bebte in seinen Grundfestgen. Hierauf redete Mose Gott an, und Gott antwortete ihm laut, dass es alle die versammelten Hundertausende hören konnten. Aber erschrocken floh nun alles davon und rief Mose zu: „Rede du mit uns, wir wollen gehorchen; und lass Gott nicht mit uns reden, wir könnten sonst sterben.“

    Diese erschreckenden äußeren Umstände waren aber nichts anderes als der Ausdruck des Inhaltes der Lehre, die damals offenbart wurde. Denn das Gesetz ist eine Lehre, die nichts anderes, als den Sünder schrecken, ängstigen und töten kann. Das Gesetz offenbart uns wohl die Krankheit, aber es heilt sie nicht; es zeigt uns wohl den Mangel, aber es erfüllt ihn nicht; es spricht zwar: „Du sollst, du sollst“, aber es gibt keine Kraft, dass wir’s wollen und können, sondern je mehr uns die Strenge des Gesetzes offenbar wird, desto feindseliger werden wir Gott in unserem Herzen.

    Ach, meine Lieben, hätten wir noch immer kein anderes Pfingstfest als das jüdische war, so wäre unser Pfingsten nicht ein Freuden- sondern ein Trauertag. Aber, gelobt sei der Name des HERRN! Das Pfingsten des Neuen Testaments erinnert uns an die Offenbarung einer ganz anderen Lehre, und diese Lehre ist das gnadenreiche Evangelium von Christus; das ist die Predigt, welche der Heilige Geist in den Seelen der Apostel verklärt und in ihren Mund gelegt und durch die er die Kirche des Neuen Bundes gestiftet hat. Daher spricht der Verfasser des Briefes an die Hebräer zu den Christen: „Ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, den man anrühren konnte, und der mit Feuer brannte; noch zu dem Dunkel und Finsternis und Ungewitter, noch zu dem Hall der Posaune; – sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, zu dem himmlischen Jerusalem, und zu der Menge vieler Tausend Engel, und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel angeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollkommenen Gerechten; und zu dem Mittler des Neuen Testaments, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das da besser redet als Abels.“ O, so lasst uns denn diese Predigt, die in der neuen Stadt Gottes erschallt, jetzt vernehmen; lasst uns hören, wie am Pfingstfest des Neuen Testaments die Donner Sinais verhallt sind, wie sich da die dunklen Wolken verzogen haben, der Himmel sich aufgeklärt und Christus als der helle Morgenstern am Firmament der neuen Bundeskirche erschienen ist.

 

Johannes 3,16-21: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet; denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt kommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr denn das Licht; denn ihre Werke waren böse. Wer Arges tut, der hasst das Licht und kommt nicht an das Licht, auf dass seine Werke nicht gestraft werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt an das Licht, dass seine Werke offenbar werden; denn sie sind in Gott getan.

 

    Der Gegenstand unserer Betrachtung in diesen Festtagen ist: Der Aufbau der Kirche des Neuen Bundes als ein Werk des Heiligen Geistes. Nachdem wir nun gestern die wunderbare Ausrüstung der Arbeiter an diesem Werk betrachtet haben, so lasst uns heute nach dem verlesenen Evangelium erwägen:

Welches ist die Predigt, durch die die christliche Kirche erbaut wird?

 

    Es ist die Predigt:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Von Gottes unaussprechlicher Liebe gegen die Welt und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Von der Menschen Seligkeit aus Gnaden durch den Glauben.

 

    Gott, du sagst in deinem Wort: Wie lieblich sind die Füße derer, die den Frieden verkündigen, die das Gute verkündigen! O hilf mir jetzt ein solcher guter Bote unter diesen meinen Zuhörern zu sein. Lass meinen Mund reden von deiner Liebe, dass sie in die Herzen mit süßer Gewalt dringe und wir alle dein Eigentum werden und bleiben. Das tue um Jesu Christi willen. Amen.

 

1.

    Die Apostel haben, meine herzlich Geliebten, wie wir gestern hörten, in diesen Tagen die großen Taten Gottes geredet. Hieraus sehen wir schon, dass das zu Pfingsten offenbarte und gepredigte Evangelium nicht von unseren Werken handelt, die wir tun sollen, sondern allein von Gottes großen Werken. Fragen wir, welche diese sind, so hören wir dieselben in unserem heutigen Evangelium aus Christi eigenem Mund. Er spricht nämlich: „Gott hat die Welt geliebt.“

    Das ist es, was Gottes Heiliger Geist durch die Apostel offenbart hat! O großes, seliges Geheimnis! Denn wer ist Gott? Wer ist die Welt? Und was heißt lieben?

    Gott ist der Schöpfer aller Dinge, der Allerhöchste, der Allmächtige, der Allgegenwärtige, der Gerechte, der Heilige, das ewige Licht, und in ihm ist keine Finsternis. Die Welt sind die Menschen, der Staub, die Sünder, die geborenen Feinde und Hasser Gottes, die Übertreter seines Gesetzes, die Empörer in seinem heiligen Reich, die von Gott abgefallenen Bewohner der Erde. Lieben aber heißt: Etwas teuer, hoch und wert halten, ihm alles Gute wünschen, sein zeitliches Wohlsein und seine ewige Seligkeit von Herzen wollen, über seine Not Mitleid haben und nach ewiger Vereinigung mit ihm ein sehnliches Verlangen tragen.

    Diese drei Stücke verbindet nun Christus und spricht: „Gott hat die Welt geliebt!“ – O himmlisch süße Lehre! Gott hasst wohl die Sünde, aber den Sünder liebt er also? Die Sünde will er wohl vertilgen, aber den Sünder will er erhalten? Die Feindschaft in dem menschlichen Herzen will er töten, aber mit dem Feind selbst will er sich vereinigen und will ihm Leben, das ewige Leben, geben? O köstliche Predigt! Wohin auch die Pfingstprediger kommen, und wenn sie auch in aller Welt predigen, da sollen sie laut das Pfingstwort verkündigen: Gott liebt euch! – Ach, auch heute, ja, auch unter uns soll ich es verkündigen: Gott liebt uns! O teures Wort: Gott liebt uns!

    Aber noch mehr. Christus spricht: „Gott hat die Welt geliebt.“ Er spricht nicht: Gott liebt sie, oder: Er wird sie lieben, sondern: Er hat sie schon geliebt. O, sagt: Wann, wann hat Gott angefangen, die Welt zu lieben? – Wenn bei Gott von der Vergangenheit die Rede ist, so weist diese in die Ewigkeit hinein. Gott hat also die Welt von Ewigkeit geliebt. Von Ewigkeit sah Gott schon alle Menschen; vor seinem Auge standen sie alle schon da, als wären sie geschaffen; da sah er auch uns alle, die wir hier versammelt sind. Aber Gott hasste keinen, keinen bestimmt er zur Verdammnis, keinen wollte er verwerfen, sondern er liebte sie von Ewigkeit alle; alle, die geschaffen werden sollten, hielt er teuer und wert, wollte aller zeitliches Wohlsein und ewige Seligkeit, hatte Mitleid mit ihrem Elend, das er voraussah, und trug ein göttliches Verlangen nach ewiger Vereinigung mit ihnen. O göttliches Vaterherz, wie süß bist du! Du hast auch unsere Seelen von Ewigkeit in dich eingeschlossen, auch uns von Ewigkeit geliebt.

    Aber wie, wie hat denn Gott die Welt geliebt? Der Sohn Gottes antwortet in unserem Text: „Also, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.“ Er spricht also nicht: Gott hat die Welt sehr, er hat sie hoch, von Herzen geliebt; nein, dies alles wäre viel zu wenig gesagt, die Größe dieser Liebe kann in solche Worte nicht gefasst werden; er spricht nur: „Also“. Der Sohn Gottes will damit sein eigenes Staunen und seine Verwunderung ausdrücken, womit auch er dabei erfüllt wird. Er will aber auch damit sagen: „Hört es doch, ihr Himmel, und du Erde, nimm es zu Ohren: „also, also!“ Vernimm es, o Mensch, merke auf, o Sünder, und falle anbetend nieder in den Staub; denn alle Engel schlagen bei diesem Wort an ihre Harfen und singen durch aller Himmel Himmel hinauf in heiligen Harmonien zum Thron des Vaters: „Heilig, heilig, heilig ist Gott, der HERR Zebaoth; Himmel und Erde sind seiner Ehre voll. Halleluja, Halleluja von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Denn „also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.“

   Ist unser Herz nicht von Stein, so muss uns schon das Herz lachen, wenn wir nur hören, dass Gott die Welt und also auch uns von Ewigkeit geliebt hat; denn glauben wir dies wirklich, was können wir uns da anderes als Gutes zu Gott versehen? Liebt er uns, so kann er uns ja nichts Böses gönnen, sondern er muss ganz freundlich gegen uns gesinnt sein. Aber die Lehre des Evangeliums, wodurch die christliche Kirche erbaut werden soll und die in den Jüngern am ersten Pfingstfest durch den Heiligen Geist verklärt worden ist, lautet noch ganz anders. Sie heißt: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.“ Ach, meine herzlich Geliebten, was für ein Gemälde von Gott ist das! Sehen wir, wie die Erde voll ist seiner Güte, wie er für uns Menschen den Himmel geschmückt und den Erdboden fruchtbar gemacht hat, so müssen wir ausrufen: Gott, wie groß ist deine Liebe! Erfahren wir in der Not eine unerwartete Hilfe von Gott, so sprechen wir wohl mit Freudentränen: O, wie gut ist Gott! Aber wenn wir nun hören, dass Gott die Welt also liebt, dass er ihr seinen eingeborenen Sohn gibt, was sollen wir da sagen?

    Die ganze Welt ist in Sünde gefallen, ist Gottes Feindin geworden und hat sich zu dem Satan geschlagen, hasst, verachtet und flieht Gott. Anstatt dass nun Gott hätte von Zorn entbrennen sollen, da entbrennt er von Liebe und ewigem Erbarmen und gibt seinen lieben eingeborenen Sohn in den Tod des Kreuzes, damit nur die gefallene Welt erlöst, errettet und selig gemacht würde. Wenn also nun auch ein Mensch aller Welt Sünde allein auf seinem Gewissen hätte, so wäre er doch darum noch nicht verloren, denn das ist eben Gottes Liebe, dass er um aller Welt Sünde willen seinen eingeborenen Sohn dahingegeben hat.

    Diese Liebe ist unermesslich. Spräche ich: Sie ist so groß wie ein ganzes Meer, so hätte ich euch nur einen Tropfen dieser Liebe beschrieben. Spräche ich: Sie ist so hoch und glühend wie Feuer, das von der Erde bis in den Himmel reicht, so hätte ich euch nur ein Fünklein dieser Liebe gezeigt. Spräche ich: Sie ist so weit wie Himmel und Erde, so hätte ich euch nur einen kleinen Strahl dieser Liebe vorgebildet. Denn so viel Gott selbst größer ist als alle Kreaturen, so viel ist auch Gottes Liebe größer als alles, denn Gott hat aus Liebe der sündigen Welt nicht die Erde, nicht Sonne, Mond und Sterne, nicht die ganze Welt, nicht bloß den Himmel, sondern seinen lieben Sohn selbst geschenkt.

    O, was für ein herrlicher, bewunderungs-, anbetungs- und liebenswürdiger Gott wird uns in dieser Lehre abgebildet! Wenn diese Lehre nicht Zutrauen zu Gott erweckt, welche Lehre soll es da tun? Wenn diese Lehre uns nicht reizt, getrost zu Gott zu gehen, welche soll uns reizen? Wenn diese Lehre nicht alle Furcht und alles Schrecken vor Gott wegnimmt, welche soll es wegnehmen? Schenkt uns Gott seinen lieben Sohn, wieviel Millionen Mal größer muss da Gottes Liebe sein als unsere Sünde? Schenkt uns Gott seinen lieben Sohn, wer will sich noch vor dem Tod fürchten? Christus ist des Todes Herr; wer will sich noch vor der Hölle und Verdammnis fürchten? Christus hat die Schlüssel der Hölle, wer will an der Seligkeit zweifeln, wer will zweifeln, dass der Himmel ihm offen stehe? Ist der HERR des Himmels uns schon geschenkt, so ist uns ja mit ihm der Himmel auch schon geschenkt mit allen seinen Schätzen und mit aller seiner ewigen Lust, Wonne und Herrlichkeit.

    Seht, so lautet die Pfingstpredigt des Neuen Testaments, womit Christus sein Reich öffentlich in der Welt beginnt; so lautet die Predigt, womit der Heilige Geist sich in der Welt offenbart, dadurch die christliche Kirche erbaut und allen Menschen geholfen werden soll. Sie redet nicht von unseren Werken, sondern von den großen Taten Gottes; sie hält uns nicht vor unsere Pflichten, sondern Gottes uns angebotene Güter. Sie sagt uns nicht, dass wir Gott etwas schenken sollen, sondern, was Gott uns geschenkt hat. Sie zieht die Hülle weg, womit Gottes Antlitz uns Menschen verborgen ist und ruft uns zu: Seht, Gott ist die Liebe! Sie zieht den Vorhang weg von dem Himmel und spricht: Seht, diese selige Stätte ist auch euch bereitet, denn Gott hat euch also geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.

    O, welch ein ganz anderes Pfingsten haben daher wir, die wir in der Zeit des Neuen Bundes leben, als die Kirche des Alten Bundes! Da wurde das verdammende Gesetz offenbart, im Neuen Bund das gnadenvolle Evangelium; dort bebte der Berg und erzitterte vor Gottes schreckender Majestät, im Neuen Bund hüpfen alle Berge und Hügel vor Freuden. Dort erschien Gott als ein verzehrendes Feuer, im Neuen Bund erscheint Gott als ein unermessliches Feuer der Liebe; dort musste alles vor Gott fliehen, im Neuen Bund hingegen heißt es: Kommt, kommt zu Gott, fürchtet euch nicht, er liebt euch, er hat euch schon von Ewigkeit geliebt; Gottes Sohn ist euer, Sünde, Tod und Hölle ist verschlungen. Darum jauchze, lobsinge und sei fröhlich alle Welt!

 

2.

    Doch, meine Lieben, würde uns in der Pfingstpredigt des Neuen Testaments die Liebe Gottes auch noch so groß vorgestellt, so würde uns diese Predigt doch nicht tröstlich sein, wenn uns nicht zugleich gesagt würde, wie wir Gottes Liebe, Gaben, Reichtümer und Schätze, die er uns anbietet, ergreifen können.

    Was hülfe es uns, wenn uns ein Mensch große schätze beschriebe, die unser sein sollten, wenn er aber endlich sagte: Diese Schätze liegen in der Tiefe des Meeres? Oder in dem Mittelpunkt der Erde? Wird uns nun Gotts Liebe gepredigt in Christus Jesus, so fragt freilich unsere Seele: Aber wie soll ich diese Liebe erreichen? Gott wohnt in einem Licht, da niemand zu kommen kann, ich aber liege hier in der Finsternis meiner Sünde. Christus ist aufgefahren über aller Himmel Himmel, ich aber bin hier auf der Erde. Wie kann ich dringen in das unnahbare Licht? Wie kann ich in den Himmel steigen und den ergreifen, der mich bis in den Tod geliebt hat? Wo finde ich Flügel, aufzufliegen zu dem Thron der ewigen Liebe? Wo finde ich die Leiter, an der ich Sünder aufsteigen kann zu dem ewigen Urquell der Erbarmung und Gnade?

    Aber getrost, getrost! Meine Zuhörer, diese Fragen lässt die Pfingstpredigt des Neuen Bundes nicht unbeantwortet. Davon lasst mich zweitens zu euch sprechen.

    So groß, meine Lieben, die in diesen Tagen offenbarte Liebe Gottes ist, so nahe ist sie uns auch; so nahe uns nämlich das Wort ist, so nahe ist uns auch alles, was darin verheißen wird. Denn Christus fährt in unserem Evangelium fort: „Auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Der Glaube, der Glaube gibt uns also die Flügel, womit wir über Sünde und Welt und Tod und Hölle und Verdammnis in den Schoß der ewigen Liebe auffliegen können; der Glaube ist die Leiter, die uns Gott selbst in den Himmel gebaut hat. Der Glaube ist die Hand, die den Sohn Gottes als ein teures unaussprechliches Geschenk des himmlischen Vaters und mit ihm Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit ergreift.

    Der Schatz ist uns also schon geschenkt; er liegt im Evangelium; dadurch wird er allen vorgetragen; wer es nun auch glaubt, wie das Wort es ihm verheißt, der hat’s. Mag nun Himmel und Erde vergehen, das Wort vergeht nicht, so bleibt auch dem die Seligkeit, der an das Wort sich hält. Daher spricht St. Johannes: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“

    Wenn jemand durch Werke Gottes Liebe sich verdienen will, hat das wohl vor der Welt einen schein, aber vor Gott ist es ein entsetzlicher Frevel, der endlich zur Hölle stürzen muss. Daher spricht Christus in unserem Text: „Wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.“ Das heißt: Wer nicht an Christus glaubt, der bedarf nicht erst, gerichtet und verdammt zu werden. Mose, das Gesetz hat ihn schon verdammt; er will nach dem Gesetz gerichtet werden, das wird ihm auch werden.

    Hingegen scheint aber der Glaube etwas sehr Geringes. O, denkt man nach dem Urteil seiner Vernunft, wie sollte es doch der Glaube tun! Aber lasst uns um Gottes und unserer Seligkeit willen nicht nach diesem verkehrten Urteil unserer blinden Vernunft gehen. Wäre der Glaube ohne Gottes Wort und Verheißung, so hülfe er uns freilich so wenig, als wenn wir einen Strohhalm von der Erde aufhöben und dafür den Himmel zum Geschenk begehrten. Aber weil Gott in seinem Wort um Christi willen uns Gnade, Vergebung, Leben und Seligkeit verheißen hat, darum ist der Glaube nicht ein leeres Ding, sondern er ist eine Hand, die Gott, und mit ihm alle seine göttlichen, himmlischen Güter ergreift.

    Ach, was sind wir also doch für selige Menschen, denen Gott die Gnade geschenkt hat, dass wir nun schon so oft und auch heute diese selige Pfingstpredigt haben hören können! Sollte uns nicht dabei das herz schwellen und in Lob und Preis Gottes ausbrechen, dass, wo es möglich wäre, unser Jauchzen Himmel und Erde erfüllte? Wie? sollte es möglich sein, dass einer unter uns, der nun dieses Evangelium gehört hat, noch immer traurig, voll Zweifel, Unruhe und Ungewissheit bleiben könnte? –

    Aber der Glaube ist eben der Berg, über welchen der Pfingstsegen nicht hinüber will. Gepredigt ist das Evangelium, o, dass es nun auch von allen geglaubt wäre! Darüber dürfen wir uns freilich nicht wundern, dass diejenigen nicht glauben, welchen ihre Sünden noch Kleinigkeiten dünken, die über nichts weniger Sorgen haben, als über die Sünden, die da denken: Ach, was Gnade! Hätte ich Geld, hätte ich schöne Kleider, hätte ich ein lachendes Vergnügen der Welt! Solches freilich wird nur in taube Ohren gepredigt. Solche müssen erschrecken lernen vor dem Donner auf Sinai; wenn sie dann anfangen, vor dem verzehrenden Feuer der göttlichen Gerechtigkeit zu verwelken, dann werden sie auch das erquickende Wehen des Heiligen Geistes aus dem Evangelium im Glauben suchen.

    Aber der Glaube ist der Anstoß nicht nur bei diesen, sondern auch bei vielen, die schon vom Gesetz getroffen sind, die gern fromm und selig sein möchten. Der Unglaube, das Misstrauen gegen Gott, ist uns allen angeboren. Viele wollen daher zwar dem Wort Gottes nicht widersprechen, aber sie denken: Ja, wenn du recht glaubtest, so würdest du durch den Glauben wohl das ewige Leben haben, aber wie kannst du den rechten Glauben haben, da es dir so ganz an den Früchten fehlt? Da du so wenig in deinem herzen fühlst? Die Sünde hängt dir noch so sehr an, du bist so träge! Dein Glaube hilft dir nichts. Ach, es ist nicht auszusprechen, wie Unzählige sich dadurch vom Glauben abhalten lassen, dass sie denken, sie könnten nicht recht glauben.

   Ich fürchte gewiss nicht ohne Grund, dass daher viele auch unter uns diesen Zweifel haben, daher sie auch nie und nimmer zu einem bleibenden Frieden und zu einer bleibenden Gewissheit ihrer Seligkeit kommen. Nun, was ist denn eigentlich der Glaube, der selig macht? Der rechte wahre Glaube ist nichts anderes als das feste Für-gewiss-und-wahrhalten, dass Christus mit aller seiner Gnade unser ist. Das macht den Glauben nicht zum wahren, dass er kräftig und fruchtbar ist, sondern dass er den rechten Christus ansieht und sich an den hält. Nicht mein Ernst, Eifer und Andacht, sondern der rechte Christus, den ich ergreife, macht den Glauben aus. Wo das ist, da ist der wahre Glaube. Könnte ein Mensch gewiss für wahr halten: Christus ist auch für mich in den Tod dahingegeben, Gott hat ihn auch mir geschenkt, Gott liebt auch mich in Christus von Ewigkeit, – könnte das, sage ich, ein Mensch für gewiss und wahr halten, so könnte er noch so tief in der Sünde liegen, dieser Glaube macht ihn vor Gott gerecht und selig; ja, wäre ein solcher Mensch schon mitten in dem Abgrund der Hölle, so müsste die Hölle ihn wieder herausgeben. Denn Christus kann nicht lügen, der da sagt: „Auf dass alle, die an ihn glauben“, o hört es! „die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

    Nun, meine teuren Zuhörer, von Gott in Christus hochgeliebte Seelen! Ich trage ein herzliches Verlangen danach, dass keiner von uns verloren werde, sondern dass jeder von euch das ewige Leben erlangen möchte. Darum kann ich nicht anders, ich muss mich nun bei dem heutigen herrlichen Text noch zum Schluss an einen jeden unter euch besonders wenden.

    Zuerst wende ich mich an euch, die ihr noch gar nicht danach trachtet und euch noch gar nicht darum sorgt, dass ihr selig werdet. Ihr habt noch nie überlegt, dass Gott ein gerechter Gott ist, der die Sünder zu strafen gedroht hat. Ihr lebt sicher dahin und achtet das Evangelium für das geringste Gut in der Welt; ihr sucht Geld und Gut, ihr wollt nur gesund sein am Leib und gute Tage haben, geehrt, gelobt und geliebt von jedermann. Danach steht euer Sinnen und Trachten. Die Seligkeit ist bei euch Nebensache. Ich muss gestehen: Das Herz im Leib weint mir, wenn ich an den traurigen Zustand denke, in welchem ihr euch befindet. Ihr seid elend, und ihr wisst es nicht. Ihr geht noch den Weg des Verderbens, aber ihr denkt es nicht. O, dass jetzt meine Zunge Donnerworte zu euch reden könnte! O, dass ich jetzt meine Worte zu Spießen und Nägeln umschaffen könnte, euer schlafendes Gewissen zu verwunden! – Nun denn, es sei euch hiermit bezeugt vor Gott, dem Richter der Lebendigen und der Toten: Ihr liegt noch in euren Sünden! Weil ihr Gottes Gesetz verachtet und seine Drohungen, so ruht Gottes Zorn auf euch. O, wacht auf, wacht auf, die ihr schlaft, und steht auf von den Toten, so wird euch Christus erleuchten. O, erschreckt doch über euch selbst, ihr seid noch Christusverächter, erkennt eure Sünde und ruft: HERR, was soll ich tun? – O, dass ihr dieses Wort euch zu Herzen gehen ließet! O, lasst euch retten! O, lasst euch selig machen! – Aber das sage ich euch: Werdet ihr dies alles fort und fort verachten und auf Gnade fort und fort sündigen, so wird der heutige Text, der so tröstlich ist, einst euch bei Gott verklagen und Rache über euch schreien immer und ewig.

    Doch nun lasst mich auch zu euch wenden, die ihr Gottes Gesetz und Drohungen nicht verachtet, sondern euch davor fürchtet und gerne fromm, gerecht und selig werden möchtet, aber weil ihr euch so verwerflich findet, weil ihr so oft strauchelt, weil ihr euch so kraftlos fühlt, oft so träge und lau, darum wollt ihr keine rechte gewisse und feste Zuversicht zu eurem Heiland und zu eurem Heil fassen. Ihr seht: Es fehlt euch an Kraft, es steht elend und gebrechlich um euch; nun sagt: Wodurch, denkt ihr denn, dass euch endlich noch geholfen werden soll? Meint ihr, es werde da durch eure eigene Kraft besser werden? Meint ihr, ihr werdet euch noch einmal selber aus eurer Ohnmacht herauswinden und -kämpfen? – Ich sage euch: Auf diesem Weg wird es nur immer schlimmer mit euch werden; ich sage euch: Eilt, dass ihr eure Seele rettet, eilt zu Jesus Christus! Fangt doch einmal an, alle eure Sünde allein auf ihn zu werfen und ihn mit fester Zuversicht für euren Heiland und Seligmacher zu erkennen und zu ergreifen. Glaubt es doch: Alles, was euch daran hindern will, ist vom Teufel! Ihr habt es ja gehört: Gott hat seinen lieben Sohn der Welt schon gegeben, also auch euch; es liegt nur daran, dass ihr ihn annehmt, dass ihr das glaubt, in diesem Glauben euch täglich übt und in diesem Glauben verharrt bis ans Ende, so werdet ihr nicht verloren gehen, sondern selig, ja, ewig selig werden. O, bleibt nicht länger zurück! Ihr könnt ja noch heute sterben! Nehmt die große Liebe eures Gottes an, denn in ihr allein ist das ewige Leben.

    Ihr endlich, meine teuren Brüder und Schwestern im Glauben, denen schon nichts mehr schmeckt als Jesus und seine Gerechtigkeit, hört die stimme eures Mitgenossen an der Seligkeit aus Gnaden: Lasst uns einen Bund machen, uns keine Kreatur weder im Himmel noch auf Erden von der Liebe Gottes in Christus Jesus scheiden zu lassen. Lasst uns unsere Krone festhalten, die uns Jesu Blut erworben hat und die uns durch den Glauben in unserer heiligen Taufe geschenkt worden ist. Lasst uns Jesus gern sein Kreuz nachtragen in dieser Welt, gegen Fleisch, Welt und Teufel tapfer streiten; durch Jesus muss es uns gelingen.

    Hier können wir unserem Heiland freilich nicht so dankbar sein, wie wir es gern wünschten, aber einst, einst, wenn das Verwesliche wird das Unverwesliche und wenn das Sterbliche wird die Unsterblichkeit angezogen haben, dann wollen wir Lob und Preis geben dem Lamm, das für uns erwürgt ward, und dem Vater und beider Geist von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

Evangelienpredigt zum Fest der heiligen Dreieinigkeit ueber Johannes 3,1-15: Die Wassertaufe, dass kraeftige Mittel der Wiedergeburt

 

    Dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist! Auf dich sind wir alle einst getauft worden; da ist dien hochheiliger Name auf uns gelegt und da bist du wieder unser lieber Vater und wir deine lieben Kinder geworden; da hast du uns alle unsere Sünden vergeben, unsere Seelen abgewaschen, uns zu deinen Tempeln gemacht, uns wiedergeboren zum ewigen Leben und aufgenommen in ein neues Reich der Gnade und Seligkeit. Siehe doch darum, o du unser Treuer Bundesgott, uns alle in Gnaden auch heute an; zeige denen unter uns, die ihre heiligte Taufe bisher geringgeschätzt haben, welches unvergleichliche und unübertreffliche Gut sie verachtet haben, und regiere sie, mit Reue und Beschämung zu der Quelle des Heils, die du ihnen aufgetan hast, wieder zurückzukehren. In uns allen aber wollest du durch das Wort von deinem gnadenreichen Sakrament Seelendurst und Glaubensmut erwecken, von nun an täglich uns zu dem freien offenen Born gegen die Sünde und Unreinigkeit zu nahen, welchen du allen Bürgern des neutestamentlichen Jerusalems und so auch uns verheißen und geschenkt hast. Erhöre uns, o dreieiniger Gott. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Die Lehre von den heiligen Sakramenten ist es, wie bekannt, hauptsächlich, wodurch nun schon seit mehr als dreihundert Jahren die rechtgläubige evangelisch-lutherische Kirche von allen anderen sogenannten protestantischen Kirchen allem Anschein nach für immer getrennt worden ist. Viele, denen die Wahrheit ziemlich gleichgültig ist, sehen jetzt diesen Trennungspunkt für so unbeträchtlich und geringfügig an, dass sie den Rat geben, man solle doch den Streit über die heiligen Sakramente ganz unterlassen, davon ganz absehen, einen jeden darüber glauben lassen, was ihm das Beste scheine, und, da doch die „protestantischen“ Kirchen in vielen anderen wichtigen Punkten übereinstimmten, sich zu Einer großen „evangelischen“ Kirche vereinigen.

    Beruhte nun die Trennung auf einer gleichgültigen Verschiedenheit gewisser menschlicher Meinungen und Ansichten, wer sollte dann nicht mit tausend Freuden den Vorschlag zur Vereinigung annehmen? Aber, meine Teuren, die Lehre von den heiligen Sakramenten betrifft nicht menschliche Meinungen, auch nicht Nebenlehren, sondern Hauptstücke des christlichen Glaubens. Die Punkte, in welchen wir uneinig sind, sind daher Gegenstände von höchster Wichtigkeit.

    Wir Lutheraner erkennen aus Gottes Wort, glauben, lehren und bekennen es daher auch, dass die heiligen Sakramente, Taufe und Abendmahl, Gnadenmittel sind, durch welche uns das wirklich angeboten und geschenkt wird, was Gott dabei verheißen hat denen, die sie im Glauben gebrauchen. In den anderen sogenannten protestantischen Kirchen hingegen wird teils ausdrücklich, teils der Sache nach gelehrt, dass die heiligen Sakramente nur Gnadenzeichen und Gnadensiegel seien, wodurch der Mensch die Gnadengüter nicht empfange, sondern, was er schon habe müsse, ihm nur gewiss gemacht und versiegelt werde. Das ist es mit kurzen Worten, um was es sich eigentlich handelt, das ist es, was uns von jenen irrgläubigen Kirchen trennt.

    Hierbei werden aber vielleicht manche, denen eine klare Erkenntnis von dem Zusammenhang der christlichen Lehren fehlt, fragen: Ist es denn so wichtig, ob man die heiligen Sakramente für wirkliche Gnadenmittel oder nur für Gnadenzeichen ansieht? Und hierauf muss ich antworten: Allerdings! Dieser Zwiespalt betrifft das wahre Herz des Evangeliums oder der Lehre von dem Weg zum Heil. Er betrifft nämlich die Lehre, wie der Mensch vor Gott gerecht werde, ob durch seine Werke oder durch Gottes Werke; ob der Mensch den ersten Stein zu dem Bau seiner Seligkeit selbst legen kann oder ob ihn Gott legen muss; ob der Mensch sich selbst zu Gott aufschwingen kann oder ob Gott, um ihm zu helfen, sich zu ihm herablassen muss; ob Gott uns armen Bettlern alles frei und umsonst schenkt, oder ob er das Gute, was wir uns selbst errungen haben, nur gutheißt und ihm das Siegel aufdrückt.

    Dass es sich unter anderem mit der heiligen Taufe so verhalte, dies sehen wir deutlich aus einem Ausspruch des heiligen Apostels Paulus. Dieser sagt nämlich Tit. 3,5-7 so: „Nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit machte er uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, welchen er ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesus Christus, unseren Heiland; auf dass wir durch desselben Gnade gerecht und Erben seien des ewigen Lebens, nach der Hoffnung.“ Seht, in diesem köstlichen Spruch setzt der teure Apostel die Erlangung der Seligkeit durch unsere Werke und die Erlangung derselben durch das Bad der Wiedergeburt, nämlich durch die heilige Taufe, einander entgegen. Hier habt ihr daher einen unwiderleglichen Beweis, dass, wer die seligmachende Kraft der Taufe leugnet, das Heil auf Menschenwerke gründet und so die Hauptsäule des Christentums, nämlich unsere Rechtfertigung allein durch den Glauben aus Gnaden, untergräbt. Ist ein solcher Irrtum nun etwa ein geringer, den wir als gläubige Christen leicht übersehen können? O, wahrlich nicht; es wäre denn, dass wir den Grund unserer Seligkeit selbst für eine geringfügige Sache ansehen wollten.

    Da uns nun unser heutiges Evangelium auf den wichtigen Artikel von der heiligen Taufe führt, so lasst mich jetzt davon etwas ausführlicher zu euch sprechen.

 

Johannes 3,1-15: Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster unter den Juden. Der kam zu Jesus bei der Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, dass du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird, das ist Geist. Lass dich’s nicht verwundern, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist. Nikodemus antwortete und sprach zu ihm: Wie kann solches zugehen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bist du ein Meister in Israel und weißt das nicht? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, wir reden, was wir wissen, und zeugen, was wir gesehen haben, und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an. Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie würdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sagen würde? Und niemand fährt gen Himmel, als der vom Himmel herniedergekommen ist, nämlich des Menschen Sohn, der im Himmel ist. Und wie Mose in der Wüste eine Schlange erhöht hat, also muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

 

    Das Hauptwort in diesem verlesenen Evangelium, um welches sich darin alles wie der Zirkel um sein Zentrum bewegt, ist dieses: „Wenn jemand nicht geboren wird aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ Diese Worte führen uns, wie ihr hört, heute am Fest der heiligen Dreieinigkeit auf die Betrachtung der Wassertaufe, die wir schon alle im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes empfangen haben, wie wir nämlich dadurch aufs neue geboren worden sind. Hiernach stelle ich euch vor:

 

Die Wassertaufe, das kräftige Mittel der Wiedergeburt

Hört:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie sich es allezeit sei, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wodurch sie auch uns ein solches werde.

 

1.

    Nikodemus, von welchem in unserem Evangelium erzählt wird, war, meine Lieben, zwar ein Pharisäer, aber er zeichnete sich von den Gliedern seiner Sekte in vielen Stücken vorteilhaft aus. Obgleich nämlich Christus die Pharisäer hart angriff, so zeigte sich doch Nikodemus gerecht, hasste darum Christus nicht, verwarf ich nicht ungeprüft, sondern suchte ihn, obgleich er hohen Standes und gelehrt, hingegen Christus niedrig und verachtet war, vielmehr in der Nacht auf, sich mit ihm über die Religion zu unterreden und gestand es ihm zu: „Meister, wir wissen, dass du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.“ Er war also offenbar ein ehrlicher, ehrbarer, unsträflicher Mann.

    Dich stand er hierbei in der Meinung, dass Christus eben nur ein Gesetzeslehrer sei, dass er auch nur einen solchen Mann bedürfe und durch eine strenge Beobachtung des alttestamentlichen Gesetzes Gott wohlgefällig werden könne und müsse. Er gehörte daher auch ohne Zweifel zu denen, von welchen es Luk. 7 heißt: „Die Pharisäer und Schriftgelehrten verachteten Gottes Rat gegen sich selbst und ließen sich nicht von Johannes taufen“; denn dieser taufte zur Buße und Vergebung der Sünden.

    Was ist nun das erste Wort, womit Christus seinen erwidert? Er spricht zu ihm: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ Fürwahr, eine harte Rede! Hiermit spricht Christus dem Nikodemus nicht nur alle Seligkeit in seinem jetzigen Zustand rund ab, sondern er versichert ihn auch, dass es hier mit Werken des Gesetzes nicht getan sei; diese hülfen hier gar nichts; es müsse eine Veränderung nicht nur mit seinem Leben, sondern mit seiner ganzen Person vor sich gehen, wer müsse mit einem Wort von neuem geboren werden.

    Das war eine Antwort, deren sich Nikodemus von Christus gewiss nimmermehr versehen hatte. Es war ihm, wie es scheint, als hätte er nicht recht gehört; er rief daher ganz befremdet aus: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?“ Da nun hiernach Nikodemus von keiner anderen Geburt wusste als von der natürlichen, so erklärte sie ihm der Heiland nun genauer und sprach: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ Von der Wassertaufe sagt also der Heiland, dass sie das Wunder der Wiedergeburt wirke; das heißt nichts anderes, als dass dadurch der Mensch aus einem natürlichen ein geistlicher Mensch werde, aus einem Kind des Zorns ein Kind der Gnade, aus einem Kind der Finsternis, der Sünde, des Todes, der Hölle, der Verdammnis und des Satans ein Kind des Lichts, der Gerechtigkeit, des Lebens, des Himmels, der Seligkeit und Gottes; dass sie die Tür sei in das Reich Gottes und aus dem irdischen ins himmlische ewige Leben versetze und wiedergebäre.

    „Wie mag das zugehen?“ so rief hierbei Nikodemus verwundert aus, und das ist der Ausruf, der noch jetzt von Tausenden und Abertausenden getan wird, wen sie diese Lehre hören. „Wie kann Waser solche großen Dinge tun?“ ruft alles wie mit Einer Stimme.

    Hierauf kann nun nicht besser geantwortet werden als mit Luther im vierten Hauptstück seines Kleinen Katechismus: „Wasser tut’s freilich nicht, sondern das Wort Gottes, so mit und bei dem Wasser ist.“§ Hätte es Gott freilich nicht geboten und die teure Verheißung dazu gegeben, so könnten wir tausendmal einen Menschen mit Wasser besprengen, indem wir den Namen des dreieinigen Gottes nennen, so würde freilich alles unser Vornehmen vergeblich sein; aber so gewiss Gottes Wort und Verheißung bei der Wassertaufe ist, so gewiss bringt sie die große unaussprechliche Wirkung hervor, dass sie Vergebung der Sünden wirkt, von Tod und Teufel erlöst und die ewige Seligkeit allen gibt, die es glauben, wie die Worte und Verheißung Gottes lauten. Das Wort Gottes, das mit dem Wasser verbunden ist, macht das Wasser so köstlich, so göttlich kräftig, zu einer Seelenarznei, zu einem himmlischen Strom, der aus dem Meer der göttlichen Gnade und Erbarmung fließt. Darum spricht Christus zu Nikodemus noch ferner: „Lass dich’s nicht verwundern, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.“ Christus will sagen: Wie man von dem mächtigsten Sturmwind nichts vernimmt als sein Sausen, so wird auch in der heiligen Taufe nichts mit Sinnen wahrgenommen als das Wasser und Wort; dieses ist das vernehmliche Sausen¸ aber das damit begleitete Wehen des Geistes ist über unsere natürlichen Sinne.

    Aber, spricht man, wie kann ich glauben, dass das natürliche Waser die Seele abwasche? Diese Kraft hat ja nichts Irdisches. Aber, meine Lieben, hier können wir nicht unsere Vernunft um Rat fragen; diese freilich muss sich an Gottes Geheimnissen stoßen; Gottes Wort allein kann hier entscheiden. Dieses aber sagt unter anderem deutlich: „Das Waser macht uns selig in der Taufe, nicht das Abtun des Unflats am Fleisch, sondern der Bund eines guten Gewissens mit Gott.“ Dieses Wasser der Taufe soll also nicht unser Fleisch reinigen, sondern unsere Seele, und uns in den Gnadenbund mit Gott versetzen. Daher sprach Ananias zu Saulus: „Stehe auf und lass dich taufen und abwaschen deine Sünden.“ Wohl ist es wahr: Bloßes Wasser könnte das nicht, aber eben darum sagt Christus in unserem Evangelium: „durch Wasser und Geist; durch das Wort wird nämlich der Heilige Geist mit dem Wasser verbunden, wie er verbunden war mit den feurigen Zungen, die am ersten christlichen Pfingsttag über den Häuptern der heiligen Apostel sichtbar loderten; daher nennt es der selige Luther ein durchgottetes Wasser.

    Finden wir das unglaublich, so lasst uns nur auf die Wirkungen in der Natur sehen, so finden wir, dass es ja hier eine ähnliche Bewandtnis habe. Warum stärkt und vermehrt das Brot unsere Lebenskräft4e? Es geschieht allein darum, weil Gott durch sein Wort diesen Segen ins Brot gelegt hat; denn ist die Stunde der Auflösung nach Gottes Rat gekommen, dann hilft kein Brot mehr, dass der lebendige Kreislauf des Blutes nicht stocke. Warum ist ferner der Schoß der Erde so fruchtbar, dass er ungeheißen Brot und allerlei köstliche Früchte hervorbringt? Es geschieht allein darum, weil Gott sprach: „Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut und fruchtbare Bäume.“ Vergeblich würde die Sonne ihre jetzt belebenden Strahlen auf die Erde herabsenden, wäre über unserem Erdball nicht erst die allein befruchtende Sonne des göttlichen Segenswortes aufgegangen. Wie aber das Wort Gottes: „Die Erde bringe hervor“ noch diesen Augenblick im Reich der Natur unaufhörlich wirkt und belebt und schafft, so ist auch das Taufwasser noch jetzt im Reich der Gnade ein lebendiges und kräftiges Wasser der Wiedergeburt und Erneuerung kraft jener Worte Christi: „Geht hin in alle Welt und macht zu Jüngern alle Völker, indem ihr sie tauft im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wer da dauerhaft glaubt und getauft wird, der wird selig werden. Wenn daher jetzt ein Diener der Kirche spricht: „Ich taufe dich im Namen des dreieinigen Gottes“, so heißt das: Was ich jetzt tue, das tue ich nur als ein Werkzeug; ich bin es eigentlich nicht, der dieses Gnadenwerk verrichtet; Gott ist es, der es durch mich tut, und der dich hiermit aus Sünde, Tod und Hölle reißt und in sein Gnadenreich versetzt.

    Lasst euch darum, meine Lieben, nicht von denen verführen, welche sagen: Dieses alles werde nicht durch die Taufe gewirkt, sondern von diesem allen sei sie nur das Zeichen und Siegel. Sie sprechen: Steht es nicht deutlich in der Heiligen Schrift, dass Gott dem Abraham das Sakrament der Beschneidung zu einem Zeichen seines Bundes und zum Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens gegeben habe? Aber ich frage euch: Was ist das für ein Schluss: In der Heilligen Schrift wird ein Sakrament ein Bundeszeichen und -siegel genannt, also ist es bloß ein Zeichen und Siegel? Kann es einen unvernünftigeren Schluss geben? Es wäre dies gleich, als wenn ich diesen Schluss machen wollte. In der Heiligen Schrift wird der Mensch Erde und Asche genannt, also ist er bloß Erde und Asche, also hat er keine Vernunft, keine Seele und ist nicht unsterblich. Würdet ihr nicht eine solche Beweisführung ganz lächerlich finden, deren Verkehrtheit auch ein Schulknabe nachweisen könnte? Aber seht, so müssen die falschen Lehrer ihre Beweise stellen, um ihre Irrtümer wenigstens scheinbar mit der Schrift zu begründen. Aber ist es nicht auch ein Frevel zu sagen: Weil die Schrift die heiligen Sakramente Zeichen und Siegel nennt, so gilt alles das nichts, wenn sie die heilige Taufe ein Bad der Wiedergeburt, eine Abwaschung von Sünden, eine Taufe zur Seligkeit nennt? Beklagenswerte Menschen! Mit Gottes Wort wollen sie gegen Gottes Wort kämpfen! – Freilich ist es wahr, dass die Sakramente auch Zeichen und Siegel sind, aber darum sind es nicht leere Hülsen ohne Kern, nicht leere Zeremonien ohne Gnadengaben; Gott scherzt nicht mit uns durch Anstellung äußerlicher nichts helfender Gebräuche. Gott tut Dinge, die kein Mensch tun kann; Menschen aber, wenn sie eine Gesellschaft errichten, können sich auch wohl Abzeichen geben, woran sie sich erkennen. Darum lasst euch nicht irre machen, sondern bedenkt: Die Arche Noah war auch ein Zeichen der göttlichen Gnade, aber nicht bloß, sondern sie verhalf zur Errettung von der allgemeinen Sintflut, und eben diese war ein Vorbild der Taufe. So war auch der brennende Busch ein Zeichen der Gegenwart Gottes, aber nicht bloß, sondern Gott war in der Wahrheit in diesem Feuer gegenwärtig. So war ferner die Wolken- und Feuersäule ein Zeichen der gnädigen Führung Gottes für Israel, aber nicht bloß; Gott war darin. So war endlich die Taube ein Zeichen des Heiligen Geistes über Christus, aber nicht bloß, sondern der Heilige Geist war wahrhaftig in der Taube gegenwärtig.

    „Lass dich’s nicht wundern“, spricht Christus zu Nikodemus und so auch zu einem jeden unter uns. Wohl scheint die Taufe viel zu gering zu sein zu so großen Werken, die sie ausrichten soll; aber wir dürfen nicht darauf sehen, was wir tun sollen, sondern wer es uns zu tun befohlen und so herrliche Verheißungen daran geknüpft hat. Dass wir selig werden, davon will Gott allein die Ehre und den Ruhm haben, darum hat er uns eben Mittel dazu vorgeschrieben, bei deren Gebrauch wir uns keines Dinges rühmen können. Hätte uns Gott große schwere Werke geboten, so würden wir viel leichter an ihre Wirkung glauben; da er aber sagt: „Lass dich mit Wasser waschen in meinem Namen, so sollst du selig werden“, das ist uns zu demütigend, da rufen wir selbstgerecht aus: „Also das soll alles sein, was Gott verlangt? Das sollte so große Dinge tun?“ – Beharren wir nun auf dieser stolzen Verachtung, so gehen wir unausbleiblich verloren.

    Ein vortreffliches hierher gehörendes Beispiel finden wir im fünften Kapitel des zweiten Buchs der Könige. Da wird uns erzählt, dass Naeman, der syrische Feldhauptmann, zu Elisa, dem Propheten, kam, um sich von seinem für Menschen unheilbaren Aussatz heilen zu lassen. Elisa gebot ihm, sich siebenmal im Jordan unterzutauchen. Als Naeman dies hörte, wurde er zornig und sprach: „Sind nicht die Wasser Amana und Pharphar zu Damaskus besser als alle Wasser in Israel, dass ich mich darinnen wüsche und rein würde?“ und er wollte nun in der Meinung, dass er einen nutzlosen Rat empfangen habe, wieder heimkehren. Da sprachen aber seine Knechte zu ihm: „Wenn wir der Prophet etwas Großes hätte geheißen, solltest du es nicht tun? Wieviel mehr, so er zu dir sagt: Wasche dich, so wirst du rein.“ Da tat es Naeman, und siehe! augenblicklich wurde er gesund und rief, zum Glauben erweckt, aus: „Es ist kein Gott in allen Landen, außer in Israel!“ Seht, Naeman dachte erst: Wasser ist Wasser; ja, er meinte, sollte es aufs Wasser ankommen, so würden die syrischen Wasser wohl heilkräftiger sein als die in Israel; aber endlich erfuhr er, was für ein Unterschied sei zwischen einem Waser, mit welchem das Wort des HERRN verbunden war, und dem das seine Verheißung nicht hat. So verhält es sich auch mit der Wassertaufe. Spricht man: „Wie kann Wasser so große Dinge tun?“ so ist die Antwort: „Ohne Gottes Wort ist das Wasser schlicht Wasser und keine Taufe; aber mit dem Wort Gottes ist es eine Taufe, das ist, ein gnadenreiches Wasser des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im Heiligen Geist“; das ist sie allezeit.

 

2.

    Lasst uns nun zweitens mit Wenigem hören, wodurch sie auch uns ein solches werde.

    Davon redet Christus am Ende des Evangeliums, wenn er hinzusetzt: „Niemand fährt zum Himmel, als der vom Himmel herniedergekommen ist, nämlich des Menschen Sohn, der im Himmel ist.“ Hiermit sagt der HERR nun zuerst, woher die heilige Taufe, diese Himmelsleiter, ihre selige Kraft habe, nämlich nicht vom Menschen, sondern von ihm; er sei nämlich vom Himmel herabgekommen und habe uns durch sein Leben, Leiden und Sterben allein den Himmel wieder erworben und aufgeschlossen, und von da aus seien nun alle Schätze der Gnade ausgeflossen und in die heilige Taufe gelegt worden; auf Golgatha sei also eigentlich dieser Heilsbrunnen gegraben worden.

    Wenn nun Christus weiter fortfährt: „Und wie Mose in der Wüste eine Schlange erhöht hat, so muss des Menschen Sohn erhöht werden; auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“, so erklärt er hiermit den Glauben als das, wodurch die Taufe uns ein Bad der Wiedergeburt wird.

    Es hat nämlich mit der heiligen Taufe dieselbe Bewandtnis wie mit dem Wort Gottes. Deutlich sagt die Schrift, dass das Wort ohne Glauben ein Geruch des Todes zum Tode werde; denn es heißt im Brief an die Hebräer von vielen Israeliten: „Das Wort der Predigt half jenen nichts, da nicht glaubten die, so es hörten“; und doch heißt es wieder: „Der Glaube kommt erst aus der Predigt; das Predigen aber aus dem Wort Gottes.“ So verhält es sich auch mit der Taufe: Sie ist ein kräftiges Mittel der Wiedergeburt, und doch werden wir ohne den Glauben dieser Wohltat nicht teilhaftig.

    Dieses gibt euch, meine Lieben, Aufschluss über den Einwurf, den man so oft macht: „Wenn die Taufe selig mache, so mache ja der Glaube nicht allein selig.“ Dieses ist nichts anders, als wenn jemand spräche: Wenn das Schwert den oder jenen Menschen getötet hat, so hat es ja nicht der Krieger getan! – Das Schwert ist eben das Werkzeug, womit der Krieger seine Taten tut; so ist es die Taufe mit ihren Schätzen, die eben der Glaube ergreift und warum er selig macht; denn der Glaube muss Verheißungen Gottes haben, darauf er sich gründet.

    Zugleich wird aber auch hiermit ein anderer Vorwurf zurückgewiesen, den man denjenigen so häufig macht, die die heilige Taufe nach Christi und der heiligen Apostel klaren Aussprüchen für das Mittel der Wiedergeburt erklären. Man spricht nämlich: „Also behauptet ihr, dass jeder Mensch wiedergeboren sei, der die Taufe empfing? Also sind alle Getauften Gottes Kinder, mögen sie auch noch so gottlos leben? O, welch ein sanftes Ruhekissen ist also die Taufe auch für den frechsten Sündenknecht!“

    So verkehrt man die reine Lehre nur, um sie verhasst zu machen; denn so hat die rechtgläubige Kirche nie gelehrt. Wohl ist es wahr, dass ein jedes Kind wiedergeboren wird, wenn es getauft wird, denn Kinder widerstreben noch nicht in mutwilliger Boshei5t, so kann denn auch Gott in ihren Herzen in der Taufe den Glauben und die Wiedergeburt ohne Zweifel wirken. Aber andres ist es bei Erwachsenen; widerstreben diese und lassen sie sich nicht zum Glauben bringen, so werden sie durch die Taufe nicht wiedergeboren. Aber so gewiss das Wort Gottes der kräftige Samen der Wiedergeburt bleibt, obgleich viele Zuhörer nicht wiedergeboren werden, so auch die Taufe, wenn sie auch ein Schalk in seinem Unglauben und in seiner Bosheit vergeblich nimmt.

    Woher kommt es denn nun aber, dass man an den Kindern so wenig spürt, dass sie durch die Taufe wiedergeboren seien? Es kommt daher, weil die Wiedergeburt auch verloren werden kann. Wie mancher bekehrt sich, wenn er erwachen ist, und fällt doch wieder ab! So werden noch viel mehr durch die Taufe als Kinder in das Reich Gottes versetzt, die gar bald wieder, was sie empfingen, verlieren. Wie ist es auch anders möglich, da die meisten Kinder nicht erfahren, was die heilige Taufe ihnen für herrliche Güter mitgeteilt hat? Was hilft es den Kindern, wenn sie wohl zur Taufe von ihren Eltern gebracht werden, wenn diese ihnen Gottes Wort nicht frühzeitig einflößen, ihren Glauben zu erhalten und zu stärken? Denn wo der Glaube an die Güter der Taufe erlischt, da sind diese Güter wieder aus den Händen gegeben. Denn Christus spricht: „Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen, wie eine Rebe, und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie muss brennen.“

    Doch, meine Lieben, die Taufe selbst ist darum nicht verloren. Von Gottes Seiten bleibt dieser Gnadenbund fest stehen; „glauben wir nicht, so bleibt er treu; er kann sich selbst nicht verleugnen.“ Wenn daher der Mensch wieder aus seinem verlorenen Zustand erwacht, wenn er durch Gottes Wort zur Erkenntnis seines Elends kommt und er streckt die Hand seines Glaubens wieder nach den Gütern aus, die er in der Taufe empfing, so ist ihm die Taufe auch wieder aufs Neue das kräftige Mittel der Wiedergeburt seiner Seele. Die Buße ist nicht, wie die Römischen sagen, das rettende Brett nasch dem Scheitern des Taufschiffes. Nein, sie ist vielmehr die Leiter, auf welcher der Mensch das nie zerbrechende Taufschiff wieder ersteigt.

    O, dass sich daher doch unter uns ein jeder zum Glauben an die Verheißungen bringen lassen wollte, die auch ihm bei s einer Taufe einst von Gott gegeben worden sind! O ihr, die ihr nicht glaubt und doch getauft seid, welchen Reichtum der Gnade und Seligkeit hat euch Gott schon gegeben, und ihr achtet und ihr mögt ihn nicht! Ihr gehört in Gottes Reich und wollt doch mutwillig im Reich der Finsternis bleiben! Die Taube des Heiligen Geistes hat euch wie ein Ölblatt des Friedens in die Arche der christlichen Kirche getragen, aber ihr wollt lieber verdorren und verwelken. O, öffnet doch eure Augen und kehrt zu eurer Taufe zurück, so ist Gott euer Gott und Vater wieder, eure Sünden sind wieder in das Meer der Gnade versenkt, und einst wird euch eure Taufe eine Tür des Himmels sein.

    Ihr aber, die ihr wohl glaubt, doch in Schwachheit, wisst: Ihr habt in eurer Taufe das herrlichste Mittel zu eurer Stärkung. Bedenkt: Wen euch alles streitig und ungewiss werden will, so steht doch eure Taufe fest; sie ist einmal geschehen, und Gott nimmt nun sein Wort nicht zurück. Gott hat sich da, so zu sagen, zu eurem Gefangenen gemacht. Lasst ihn nur nicht fahren; lasst von diesem Gnadenbund nur eure Glaubenshand nicht los; er kann euch nicht lassen.

Was er teuer euch versprochen,

Wird von ihm niemals gebrochen,

Sein Bund stehet ewig fest.

Lasset euch nur euren Glauben

Nicht von Fleisch und Satan rauben,

Gottes Hand euch nimmer lässt.

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum ersten Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 16,19-31: Dass der Tod das Urteil der Welt ueber Weisheit und Torheit sowie Glueck und Unglueck widerlegt

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben, unserm teuren Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Ein jeder Mensch hast hohe Ursache, täglich, ja stündlich an seinen Tod zu denken, denn jedem Menschen ist in dieser Welt nichts gewisser als sein Tod, nichts ungewisser als die Zeit seines Todes und nichts wichtiger als die Folgen seines Todes.

    Dass wir alle einmal sterben werden, ist gewiss. Mögen vielleicht die meisten unserer Hoffnungen für dieses Leben leere Hoffnungen sein, die sich nicht erfüllen; mögen vielleicht auch die meisten unserer Befürchtungen für die Zukunft leere Befürchtungen sein, die nicht eintreffen: Dass wir sterben werden, ist außer Zweifel. In allem, was euch sonst etwa ein Mensch vorausverkündigen will, kann er an euch zu einem falschen Propheten werden, aber das kann ich ohne alle Gefahr, mich zu irren, das kann ich ohne alle Besorgnis, an euch zum Lügner zu werden, weissagen: Es kommen Zeit und Stunde, da wird keiner von uns allen mehr auf Erden wandeln, da werden endlich auch wir alle ausgezogen sein aus dem Haus dieser Welt und andere werden unsere Plätze hier einnehmen. Von allen den unzähligen Millionen Menschen, die seit beinahe 6000 Jahren in dieser Welt geboren worden sind, ist immer ein Geschlecht nach dem anderen nach kurzem Aufenthalt auf Erden wieder von diesem Schauplatz abgetreten; kein Mensch ist übrig geblieben; keinen hat der Tod vergessen. Unter denen, die da leben sollen, ist endlich die Reihe an uns gekommen, und wie lange wird’s währen? So wird es auch von uns heißen: Sie sind gestorben.

    So gewiss aber uns allen der Tod ist, so ungewiss ist hingegen die Zeit unseres Todes. Kein Mensch weiß, ob er auch nur den morgigen Tag erleben werde, ja, die nächste Stunde ist nicht unser. Ob wir nicht noch heute oder dieses Jahr, sondern erst nach einer längeren Reihe von Jahren sterben werden, dafür kann kein Mensch uns Bürge sein. Bist du bereits betagt, hat die Zeit deiner Wallfahrt vielleicht schon ein halbes Jahrhundert überschritten, so stehst du offenbar bereits mit einem Fuß im Grab, und nichts ist wahrscheinlicher als deines Todes Nähe. Bist du aber noch jung, so blicke um dich, und du wirst wahrnehmen, wie der Tod gar oft schon das blühende Kind aus der Wiege, den Säugling aus der Mutter Schoß nimmt, ja, dass des Todes Sichel immer mehr junge Blumen als fruchttragende Bäume abmäht. Stehst du in dem Alter und in der Kraft des Jünglings oder der Jungfrau? Du darfst darum vor dem Tod dich nicht sicher dünken; schon manchem Blütenbaum ist die Axt des Todes an seine Wurzel gelegt worden; selbst der Brautkranz scheucht den Tod nicht zurück; selbst mitten aus dem Gedränge lachender Gesellschaften holt er sich oft plötzlich und unerwartet seine Beute. Der Tod fragt auch nicht danach, ob dein Leben auch noch so notwendig und unentbehrlich zu sein scheinen mag für deine Familie oder für das allgemeine Wohl in Kirche und Staat; ob auch Tausende für dien Leben bitten; ob auch eine arme Frau mit einer Schar verlassener Waisen an deinem Siechbett klagt und weint; ist diene Stunde gekommen, so hilft kein Widerstreben, der Tod nimmt dich unerbittlich mit sich hinweg aus dem Land der Lebendigen. Sei noch so reich, dein Geld kann den Tod nicht bestechen; magst du immerhin alle Mittel in deinen Händen haben, die sonst Krankheiten heben und die Lebenskräfte stärken, gegen den Tod kein Kraut gewachsen ist.

    So gewiss nun der Tod und so ungewiss die Zeit des Todes uns ist, so wichtig sind seine Folgen. Der Tod ist entweder die Pforte des Himmels oder eine Pforte der Hölle, entweder der Eingang zu einer ewigen Seligkeit oder der Eingang zu einer ewigen Verdammnis; denn die Schrift sagt: „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach das Gericht“; „wie der Baum fällt, so bleibt er liegen“; das ist, wie der Tod uns findet, sei es nun in einem seligen oder in einem unseligen Zustand, in Gottes Gnaden oder in Gottes Ungnaden, in der Sünde oder in der Gerechtigkeit, in dem Frieden Christi oder in der Friedlosigkeit der Welt, so bleiben wir immer und ewig.

    Wie? Haben wir also nicht hohe Ursache, täglich, ja, stündlich an unseren Tod zu denken? Was kann törichter sein, da uns allen der Tod so gewiss, die Zeit des Todes so ungewiss und seine Folgen so unendlich wichtig sind, als wenn wir nun sicher und sorglos dahinleben und nicht daran denken wollen, dass wir vielleicht in der nächsten Stunde, getroffen von einem unsichtbaren Pfeil des Todes, niedersinken können? Was kann aber schrecklicher sein, als vom Tod überrascht zu werden, ohne sich auf ihn bereitet, ja, ohne an ihn gedacht zu haben? Ach, meine Lieben, lernt dem Tod in sein hohles Auge schauen, ehe er euch ins brechende Auge schaut. Lasst es uns jetzt erwägen, wie wichtig das Gedenken an den Tod sei.

 

Lukas 16,19-31: Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären und begehrte, sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tisch fielen. Doch kamen die Hunde und leckten ihm seine Schwären. Es begab sich aber, dass der Arme starb und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß. Der Reiche aber starb auch und ward begraben. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß, rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich mein und sende Lazarus, dass er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme! Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeinigt. Und über das alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, dass, die da wollten von hinnen hinabfahren zu euch, könnten nicht und auch nicht von dannen zu uns herüberfahren. Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, dass er ihnen bezeuge, auf dass sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. Abraham sprach zu ihm: Sie haben Mose und die Propheten; lass sie dieselben hören! Er aber sprach: Nein, Vater Abraham; sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob jemand von den Toten aufstünde.

 

    Christus beschreibt uns, meine Lieben, in dem verlesenen Evangelium erstlich einen Menschen, den die Welt in seinem Leben für weise und glücklich, und sodann einen Menschen, den sie für töricht und unglücklich hält; hierauf nimmt er aber die Decke von der Ewigkeit hinweg und zeigt uns, welches das ewige Los beider nach ihrem Tod sei. Wir sehen hieraus: Diejenigen, welche die Welt weise und glücklich nennt, sind die Toren und Unglücklichen, und die sie für Toren und Unglückliche achtet, das sind die wahrhaft Weisen und Glücklichen, und der Tod ist es, der dieses offenbar macht. Lasst mich euch daher jetzt zeigen:

 

Dass der Tod das Urteil der Welt über Weisheit und Torheit sowie Glück und Unglück widerlegt

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Er widerlegt das Urteil der Welt darüber, wer weise und glücklich sei, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Er widerlegt das Urteil der Welt darüber, wer töricht und unglücklich sei.

 

1.

    Wen achtet die Welt für einen weisen und klugen Menschen? Wer das Leben so viel wie möglich zu genießen trachtet, wer es versteht, reich zu werden und sich Ansehen unter den Menschen zu erwerben, wer mit allen Menschen in Friede und Freundschaft zu leben weiß, und wer sich endlich aller Sorgen wegen der Zukunft und besonders wegen der Ewigkeit entschlägt, den achtet die Welt für einen weisen und klugen Menschen. Wen achtet sie daher auch für glücklich? Wer die Freuden und Herrlichkeiten der Welt genießen kann, wer reich ist, wer gesund ist, wer in hohen Ehren steht, wer viel Freunde hat, wer sich schön kleiden und köstlich leben kann, wer einen prachtvollen Palast bewohnt, nicht zu arbeiten braucht und von einer Schar Diener umgeben ist, die auf seine Winke warten, der gilt für glücklich in den Augen der Welt.

    Ein solcher Mann war der reiche Mann, von dem Christus in unserem Evangelium erzählt: „Er kleidete sich mit Purpur und köstlicher Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden.“ Es ist kein Zweifel: Als er noch lebte, wird alle Welt ihn als einen weisen und klugen Mann, der zu leben verstehe, und als einen Glücklichen, der ein Günstling des Himmels sei, hoch gerühmt und gepriesen haben; viele Tausende werden gewünscht haben, mit ihm tauschen zu können und an seiner Stelle zu stehen.

    Und gewiss, meine Lieben, gäbe es keinen Tod und nach dem Tod kein Gericht, vor welchem alle Menschen erscheinen müssen, auf dass ein jeglicher empfange, nachdem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse, wer möchte dann dem Urteil der Welt widersprechen? Dann könnte freilich niemand die Kinder der Welt tadeln, wenn sie, wie es im Buch der Weisheit heißt, sprechen: „Wohl her nun, und lasst uns wohl leben, weil es da ist und unseres Leibes gebrauchen, weil er jung ist. Wir wollen uns mit dem besten Wein und Salben füllen; lasst uns die Maienblumen nicht versäumen; lasst uns Kränze tragen von jungen Rosen, ehe sie welk werden. Unser keiner lasse es sich fehlen mit Prangen, dass man allenthalben spüren möge, wo wir fröhlich gewesen sind. Wir haben doch nicht mehr davon als das.“

    Aber dem ist nicht so; der Mensch muss sterben, und dann muss er vor Gottes Richterstuhl und Rechenschaft abgeben, wie er das ihm zur Vorbereitung auf die Ewigkeit geschenkte Leben angewendet habe; er muss Rechenschaft gegen von den Gedanken, die er gehabt, von den Worten, die er geredet, von den Werken, die er getan hat; besteht er nun in diesem Gericht nicht, so ist sein ewiges Schicksal schrecklicher als dass es ausgesprochen werden könnte; so wäre es besser, er wäre nie geboren; so erweist sich seine scheinbare Weisheit als Torheit und Narrheit, sein scheinbares Glück als das größte Unglück und Verderben.

    Ein Beispiel hiervon haben wir an dem reichen Mann in unserem Evangelium. Vom ihm heißt es: „Der Reiche aber starb auch und ward begraben. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß, rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich mein und sende Lazarus, dass er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme! Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeinigt. Und über das alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, dass, die da wollten von hinnen hinabfahren zu euch, könnten nicht und auch nicht von dannen zu uns herüberfahren.“

    Hiernach sagt nun selbst, meine Zuhörer: Wie müssen wir von der Klugheit und dem Glück des reichen Mannes urteilen, wenn wir hier sehen, wohin ihn diese seine Klugheit und dieses sein vermeintliches Glück endlich gebracht haben? Sagt, was war nun diese Weisheit, die ihn endlich in das ewige Verderben führte? Was war nun der Reichtum, den er nicht nur verlor, sondern der ihn auch in ewige Armut stürzte? Was war nun die Herrlichkeit seines Purpurs und seiner köstlichen Leinwand, die ihm endlich ausgezogen wurden und anderen Statt er nun die Flammen der Hölle als sein ewiges Gewand tragen muss? Was war nun die kurze Freude, das kurze Lachen und Scherzen und das kurze tägliche Wohlleben, das er auf Erden genossen hatte, auf das nun ein ewiger Schmerz, ein ewiges Wehklagen und Heulen, ewiger Jammer und Herzeleid folgte? Was war nun das Schwelgen in den köstlichsten Speisen und Getränken, welchem er sich in seinem Leben ergeben hatte, auf welches nun ein ewiges Hungern und Dürsten, ein ewiges ungestilltes Lechzen und Schmachten in unaussprechlicher Hitze folge? Was waren nun die lustigen Gesellschaften, in welchen er hier täglich hatte leben können, auf welche nun eine ewige Trennung von allen Fröhlichen und eine ewige Gemeinschaft mit allen Verdammten folgte? Was war nun alles das Gute, das er auf Erden genossen hatte, auf welches er nun die Stimme hören musste: „Du hast dein Gutes empfangen in deinem Leben“; der Freudenbecher, den Gott dir eingeschenkt hat, ist nun ausgetrunken bis auf den letzten Tropfen; andere haben die Hölle auf Erden gehabt, die werden nun getröstet, du hast deinen Himmel auf Erden gehabt: „Du wirst nun gepeinigt“? Meint ihr, der reiche Mann werde jetzt noch sein irdisches Leben in seinem Herzen glücklich gepriesen haben? Ach, wahrlich nicht! In seinem herzen wird es vielmehr geheißen haben: Ich Elender, ich meinte, ich sei weise, aber ach, jetzt sehe ich, ich war ein Narr, ich haben den rechten Weg verfehlt und das Licht ist mir nie aufgegangen; ich achtete mich für glücklich, aber ach, jetzt sehe ich, ich war unglücklich; mein Purpur war nur der blendende Glanz meines Elendes; mein Geld und Gut waren nur Stricke, die mich ins Verderben zogen; meine irdischen Freuden waren nur ein süßes Gift, das meine Seele tötete; die Ehre vor Menschen, die ich hatte, war nur eine Schlinge des Todes, mein ganzes Leben nur ein breiter Weg zur Hölle. Ach, alle Tage meines Lebens waren finstere Tage, Tage des Fluches, Geburtstage einer ewigen Not. O, dass ich nie geboren worden wäre! Mein Teil ist nun Ach und Weh von Ewigkeit zu Ewigkeit.

    Seht da das unwiderlegliche Urteil des Todes über diejenigen, die die Welt Weise und Glückliche nennt.

    Wer das Leben zu genießen trachtet und um die Ewigkeit unbesorgt ist, den erklärt die Welt für weise; der Tod aber zeigt: Wer das Leben zu genießen trachtet und für die Ewigkeit nicht sorgt, der schleudert sein Leben, die kostbare Gnadenzeit, und tritt es mit Füßen, der ist müßig in der Saatzeit und wird am Tag der Ernte das ewige Verderben ernten. Wer der Augenlust, Fleischeslust und dem hoffärtigen Wesen dient, den erklärt die Welt für glücklich; der Tod aber zeigt: Des Menschen Leben ist ein Traum; so wenig nun der reich ist, dem es nur von Reichtum träumt, denn mit dem Traum ist alles verschwunden, so wenig ist der reich, der nur in diesem Leben reich ist, denn im Tod erwacht der Mensch aus seinem Traum und sein Reichtum verwandelt sich in Armut. Der Tod zeigt: Die Erde ist nur eine Bühne, nur ein Schauspielhaus, in welchem alle Menschen nicht in ihrer rechten Gestalt, sondern verkleidet gehen; so wenig nun der in Wahrheit ein König ist, der im Schauspiel nur wie ein König gekleidet ist und nur die Rolle eines Königs spielt, so wenig ist alle irdische Hoheit eine wahre Hoheit; im Tod hat jeder seine Rolle ausgespielt; nach dem Tod ist die einzige Frage: Warst du ein wahrer Christ? Der Tod zeigt: Des Menschen Leben ist ein gang zum Thron des göttlichen Richters; so wenig nun der glücklich ist, der zum Richtplatz geführt wird, wenn man ihm auch auf diesem seinem letzten Weg allerlei Leckerbissen reicht, die er sich wünscht, so wenig ist der Mensch glücklich, der mit dem reichen Mann alle Tage herrlich und in Freuden leben kann; es sind nur Leckerbissen vor der Hinrichtung.

    O ihr, die ihr nun noch nach dem trachtet, was die welt5 Glück nennt, öffnet doch die Augen und erkennt, dass ihr bisher nicht nach Glück, sondern nach Unglück getrachtet habt, ohne es selbst zu wissen und zu wollen. Oder sind etwa nicht viele unter uns, die sich das Los des reichen Mennes in seinem Leben wünschen? Sind nicht viele unter uns, die nach Reichtum trachten und meinen, wenn sie reich sein würden, so würden sie glücklich sein? Sind nicht viele unter uns, die sich, wenn auch nicht in Purpur und köstliche Leinwand, doch schön und kostbar nach der Welt Weise kleiden zu können wünschen? Ja, tun es nicht viele schon, die sich über Stand und Vermögen schmücken und darin ihr Glück suchen? Sind nicht viele unter uns, die da meinen, es gebe kein glücklicheres Leben, als alle Tage herrlich und in Freuden leben, an den Vergnügungen der Welt teilnehmen und ihre Lust genießen zu können? Sind nicht viele unter uns, die, wenn sie nicht hörten, dass der reiche Mann in unserem Evangelium unselig gestorben und nach seinem Tod in den Flammen der Hölle erwacht sei, mit tausend Freuden das ihnen von Gott gescherte Schicksal mit dem Schicksal des reichen Mannes, ihr weniges Erspartes mit seinem vielen Gold und Schätzen, ihre Hütte mit seinem Palast, ihre geringen Kleider mit seinem Purpur, ihre einfachen Mahlzeiten mit seinen glänzenden Gastmählern vertauschen würden? Ach, ihr Lieben, stimmt doch nicht ein in das Urteil der Welt über Glück und Weisheit, beurteilt das Leben des Menschen nach seinem Tod; dieser widerlegt der Welt Urteil und zeigt, dass wahrlich der Welt Reichtum Armut, der Welt Ehre Schande, der Welt Freude Elend, der Wel5t Weisheit Torheit, der Welt Glück Unglück ist.

    Doch, meine Lieben, der Tod widerlegt auch der Welt Urteil darüber, wer töricht und unglücklich ssei, und davon lasst mich nun zweitens zu euch sprechen.

 

2.

    Wen achtet die Welt für einen Toren? Wer die Freude und Lust dieser Welt verleugnet, nicht nach guten Tagen, nicht nach Reichtum, nicht nach Ehre vor Menschen, sondern am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit trachtet, sich nicht um die Freundschaft der Welt bewirbt, sondern lieber alle Menschen als Gott zu seinem Feind haben will, um seines Glaubens und der Wahrheit willen sich gern verspotten und verfolgen lassen und lieber alles, ja, den Tod leiden, als in die geringste Sünde willigen will, den achtet die Welt für einen einfältigen Menschjen, für einen Toren und Narren. Wen achtet sie daher auch für unglücklich? Wer arm, krank, verachtet, verlassen und verstoßen ist, der gilt für unglücklich in den Augen der Welt.

    Ein solcher Mensch war Lazarus, von welchem Christus in unserem Evangelium erzählt: Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären und begehrte, sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tisch fielen. Doch kamen die Hunde und leckten ihm seine Schwären.“ Es ist kein Zweifel: Als er noch lebte, wird ihn alle Welt als einen einfältigen, törichten Mann, der sich nicht in die Welt zu schicken wisse, und als einen Elenden, Unglücklichen, nach dem Gott nicht frage, verachtet und gescholten haben; viele Tausende werden sich gegen ihn glücklich geschätzt und sich im Vergleich mit ihm in ihrem Herzen gesegnet haben; kein Mensch wird mit ihm haben tauschen wollen.

    Und gewiss, meine Lieben, gäbe es keinen Tod und nach dem Tod kein ewiges Leben, keine Seligkeit aus Gnaden, keine Friedenswohnung für die müden Pilger, keine Krone des Lebens für die treuen Glaubenskämpfer, keine Verherrlichung derer, die um Gottes und seines Wortes willen von der Welt geschmäht und geschändet wurden, so wäre das Urteil der Welt freilich ein wahres, das sie über die leidenden Kinder Gottes fällt, so wären diese allerdings die Elendesten unter allen Menschen.

    Aber dem ist nicht so. Wie der Welt Lust und Herrlichkeit vergeht, so vergeht auch der Welt Leiden, Trübsal, Krankheit, Schmerz und Not, ja, dies alles führt im Tod zu Freude und Herrlichkeit, [wenn wir die Trübsal zuvor aus der Hand Gottes genommen und aus seiner Kraft getragen haben; sonst wird das Elend dieser Welt uns nur in ein noch größeres in der Hölle führen.][22] Denn die Schrift sagt [für die Christen]: „Dieser Zeit Leiden ist sind nicht wert der Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden. Selig seid ihr, die ihr hier weint, ihr werdet dort lachen. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden. Die Letzten werden die Ersten sein. Das ist je gewisslich wahr: Sterben wir mit, so werden wir mit leben; dulden wir, so werden wir mit herrschen, leiden wir mit, so werden wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.“

    Ein redendes Beispiel hierzu finden wir an Lazarus; denn von ihm heißt es: „Es begab sich aber, dass der Arme starb und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß.“

    Hiernach sagt nun selbst, meine Zuhörer: Wie müssen wir von der vermeintlichen Torheit und dem vermeintlichen Unglück des Lazarus urteilen, wenn wir hier sehen, wohin ihn diese seine Torheit und sein Unglück vor der Welt endlich gebracht hat? Was war nun seine irdische Armut, die ihn zu himmlischen Reichtümern führte? Was war seine Obdachlosigkeit in dieser Welt, die ihn in die ewigen Hütten der Gerechten einführte? Was war seine kurze Krankheit, die ihn zu ewiger Genesung brachte? Was waren seine kurzen Schmerzen, die ihn zu ewiger Wonne und Seligkeit leiteten? Was war sein Hungern und Dürsten in dieser Welt, das ihn zum ewigen Hochzeitsfest in dem Saal des Himmels brachte? Was waren alle Schmach, Verachtung und Schande, die er hier erfuhr, und die ihn endlich einführte zu unaussprechlichen Ehren, zu himmlischer Herrlichkeit? Was war seine kurze Einsamkeit und Verlassenheit von allen Menschen, die in seinem Tod die Engel herbeirief, die ihn nun in die ewige Gemeinschaft aller Seligen und Engel und des dreieinigen Gottes selbst einführten? Was waren alle Tränen, die er hier geweint, was alle Seufzer, die er hier ausgestoßen, alles Leid, das er hier erduldet, da er endlich die Stimme hörte: „Lazarus hat Böses empfangen, der wird nun getröstet“? Er hat nun die letzte Träne geweint, den letzten Seufzer ausgestoßen; er soll nun ewig mit Wollust getränkt werden wie mit einem Strom, er soll nun trunken gemacht werden von den reichen Gütern des Hauses Gottes; er soll nun Freude die Fülle und liebliches Wesen zur Rechten Gottes genießen immer und ewig. Meint ihr, Lazarus werde jetzt sein irdisches Leben als ein elendes und unglückliches beklagt haben? Ach, wahrlich nicht! In seinem herzen wird es vielmehr geheißen haben: O Gott, das Los ist mir gefallen aufs Liebliche, mir ist ein schönes Erbteil geworden. Was die Welt an mir Armut nannte, das war ein Schatz aus Gottes Hand, der alle Schätze der Erde überwog; was die Welt an mir Schande nannte, das war ein Ehrenkranz, den Gott selbst auf mein Haupt gesetzt, der unendlich herrlicher strahlt als alle goldenen und diamantenen Kronen der Könige und Kaiser; was die Welt meine Krankheit und mein Elend nannte, das war die Quelle der Gesundheit und ewiger Herrlichkeit, die Gott auf meinem Lebensweg mir fließen ließ. O goldener Weg des Kreuzes, den Gott mich geführt hat! O selige Führung! O unaussprechliche Gnade! Ihm sei Ehre und Preis und Dank und Lob und Anbetung von Ewigkeit zu Ewigkeit.

    Seht da das unwiderlegliche Urteil des Todes über diejenigen, die die Welt Toren und Unglückliche nennt.

    Wer die Welt verlässt und Christus nachfolgt und vor allem trachtet, seine Seele zu retten, den achtet die Welt für einen Toren, aber der Tod widerlegt sie und zeigt, dass es wahre Weisheit sei, das Vergängliche zu verlieren und das Unvergängliche zu gewinnen. Wer den schmalen Weg des Kreuzes unter Weinen und Seufzen, unter Wachen und Beten, unter Kämpfen und Streiten geht, den achtet die Welt für unglücklich, aber der Tod wiederlegt sie und zeigt: Der Christen Tränen sind in der Ewigkeit Perlen in ihrer Krone und ein Same, von dem sie dort am Tag der Ernte Garben ewiger Freude in ihre Scheuern sammeln; ihr Kreuz ist ihnen hier eine Himmelsleiter und dort ist es ein Thron ewiger Ehren; ihre bitteren Seufzer sind ihnen hier ein Schlüssel zu dem herzen Gottes und dort werden sie sich in süße Harmonien in dem ewigen Tempel ihres Erbarmers auflösen.

    Ihr darum, die ihr die Welt verlassen und das Eine, was not ist, erwählt habt, die ihr daher von der Welt als unselige Toren bemitleidet und verachtet werdet, lasst euch durch der Welt Urteil nicht irre machen. Blickt hin auf eure letzte Stunde in dieser Welt, das ist die Stunde der Entscheidung; dann wird die Welt zittern und zagen, ihr aber werdet getrost sein und frohlocken; dann wird die Welt weinen und heulen, ihr aber werdet lachen und hüpfen; dann wird die Welt ihr Leben, samt allem Reichtum, Ehre und Lust der Welt verfluchen, ihr aber werdet euer Leben in Armut, Schmach und Trübsal segnen. Alle Herrlichkeit der Welt wird dann zu Ende sein und anfangen ihr endloses Wehe, aber eure Not sich auf ewig schließen. Drum:

Wärn wir doch schon droben,

Mein Heiland, wärn wir da,

Wo sich die Scharen loben

Und singen Halleluja!

Da feiern die Gerechten,

Die ungezählte Schar,

Mit allen deinen Knechten

Das große Jubeljahr.

Da werden unsere Tränen

Ein Meer voll Wonne sein,

Ach, still bald unser Sehnen

Und hole uns hinein!

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum zweiten Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 14,16-24: Das Gleichnis Christi vom großen Abendmahl

 

    In Christus Jesus, herzlich geliebte Zuhörer!

    Von dem christlichen Leben oder von dem Leben nach dem Evangelium macht man sich gemeiniglich die falschesten Vorstellungen. Viele denken nämlich, das christliche Leben sei etwas sehr Trauriges, wobei sich der Mensch auch das Unschuldigste versagen, auf alle Freude in der Welt Verzicht leisten und in steter Furcht der Hölle, in Unruhe und Gewissensmartern dahinleben müsse. Daher wird auch gewöhnlich derjenige, der ganz nach dem Evangelium leben will, für einen elenden, unglücklichen Menschenangesehen, und Unzählige, weil sie der Meinung sind, die Christen seien solche sich selbst unglücklich machenden Menschen, wollen entweder nie Christen werden oder schieben doch ihre Bekehrung von einem Tag zum anderen auf.

    Es gibt jedoch nicht wenige, welche hiervon wieder das gerade Gegenteil denken. Viele meinen, weil das Evangelium lehre, dass der Mensch aus bloßer Gnade, durch den Glauben, nicht durch gute Werke, nicht durch eigene Gerechtigkeit und Heiligkeit selig werde, so sei es daher unnötig und töricht, es so gar streng und genau in seinem Leben zu nehmen. Christus habe ja schon alles durch sein Leben, Leiden und Sterben erworben, darum brauche ein Gläubiger sich weiter nicht besonders anzustrengen, eine Sünde mehr oder weniger habe nicht so viel auf sich, und in guten Werken sich zu üben stehe in des Christen Willkür.

    Doch, meine Lieben, forschen wir in der Heiligen Schrift, so finden wir, dass sowohl die erste wie die zweite Meinung von dem Leben eines gläubigen Christen durchaus falsch und irrtümlich ist. Das Leben eines gläubigen Christen ist weder ein Leben in knechtischer Furcht und steter Ängstlichkeit, noch auch ein Leben in falscher fleischlicher Sicherheit. In Gottes Wort wird uns das christliche leben dargestellt als ein Leben in Friede und Freude im Heiligen Geist, als ein Wandel vor Gott in herzlicher, kindlicher Zuversicht, als ein Leben voll Trost und Hoffnung; zugleich wird uns aber auch gezeigt, wie der Weg schmal sei, den ein Christ gehen müsse, dass er in stetem Kampf mit Fleisch, Welt und Satan liege, mit Furcht und Zittern schaffe, dass er selig werde, der Heiligung nachjage, sich nicht selbst lebe, sondern Gott und seinem Nächsten, und täglich Gott opfere das Opfer eines zerschlagenen und bußfertigen Herzens. Beides setzt daher der Apostel sehr schön zusammen, wenn er von den Christen sagt: „Als die Traurigen, aber allezeit fröhlich.“

    Es ist hier, meine Lieben, ein Irrtum so gefährlich wie der andere. Man verfehlt die Seligkeit, mag man nun von dem Weg zum Himmel zur Rechten oder zur Linken abweichen. Es ist daher nötig, beides zu wissen: des Christen Freiheit und seine Schranken, des Christen Herrlichkeit und gewissen Sieg und seinen Kampf und Streit; des Christen Ruhe und Sicherheit in Christus und die Gefahren, in welchen er hier noch steht; den Trost, der ihm gegeben ist, wie die Warnung und Mahnung, die ihm vorgelegt sind. Beides finden wir nun in dem Evangelium des heutigen Sonntags. Lasst uns daher beides jetzt in der Furcht des HERRN betrachten.

 

Lukas 14,16-24: Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu. Und sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, zu sagen den Geladenen: Kommt, denn es ist alles bereit! Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der andere sprach: Ich habe fünf Joch Ochsen gekauft, und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen, darum kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam und sagte das seinem Herrn wieder. Da ward der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Gehe aus bald auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Krüppel und Lahmen und Blinden herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Gehe aus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, auf dass mein Haus voll werde. Ich sage euch aber, dass der Männer keiner; die geladen sind; mein Abendmahl schmecken wird.

 

    Das verlesene Evangelium ist, meine Zuhörer, ebenso reich an Lehre und Trost wie an Warnung und Strafe. In dem darin vorgelegten Gleichnis eines großen Abendmahls ist uns ebenso Gottes unendliche Liebe gegen die Menschen, wie der Menschen Undankbarkeit gegen den Reichtum der göttlichen Gnaden abgebildet. Lasst uns daher jetzt betrachten:

 

Das Gleichnis Christi vom großen Abendmahl

Wie es uns

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Gottes Liebe und seinen ernstlichen Willen zeigt, dass alle Menschen selig werden, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die Ursache entdeckt, warum dennoch so viele Menschen verloren gehen.

 

1.

    Wovon, meine Lieben, das Gleichnis in unserem Text handle, darüber kann kein Zweifel sein, nämlich von der Beschaffenheit des Reiches, zu dessen Stiftung Christus in die Welt gekommen war. Und womit vergleicht er es? Mit einem großen Abendmahl. Hieraus können wir sogleich erkennen, dass Christus selbst will, wir sollen uns von seinem Reich und von dem Zweck seines Kommens in die Welt nur die lieblichsten und herrlichsten Vorstellungen machen. Sagt selbst: Könnte wohl Christus freundlicher und lockender zu uns reden, als wenn er das, warum ihn der Vater vom Himmel gesandt habe, mit den Worten ausdrückt: „Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu“?

    Sollte Christus wohl umsonst, ohne Absicht, sein ganzes Werk auf Erden mit einem großen Abendmahl vergleichen? Nein, Christus will uns damit sagen, wie wir’s eigentlich anzusehen haben. Christus ist hiernach nicht in die Welt gekommen, dass er uns Gottes Zorn, wie Mose, verkündige, sondern, wie ein Mensch, der Gäste zu einem Abendmahl einladet, dies allein tut, um ihnen dadurch seine Liebe, sein Wohlgefallen zu erkennen zu geben, so hat Gott durch die Sendung seines lieben Sohnes auch uns seine unaussprechliche Liebe gegen die sündigen Menschen offenbaren wollen. Christus ist nicht gekommen, uns, wie Mose, zu sagen, was Gott von uns fordere, sondern, wie die Einladung zu einem Abendmahl uns nicht zum Arbeiten auffordert und uns allein einen Genuss bereiten soll, so ist Christus nicht gekommen, uns zu sagen, was wir mit unseren Werken bei Gott verdienen müssten, sondern was Gott uns schenken und in Zeit und Ewigkeit uns genießen lassen wolle. Christus ist nicht in die Welt gekommen, dass er die Welt richte und ihr den verdienten Tod verkündige, sondern, wie ein köstliches Abendmahl allein darum angestellt wird, dass man sich erquicke und das Leben stärke, so ist Christus in die Welt gekommen, dass die Welt durch ihn selig werde, dass er alle von Sünde und Tod erlöse und ihnen das ewige Leben erwerbe.

    Das Evangelium ist eine ganz andere Lehre als die Sittenlehre der Heiden und als das Gesetz. Die Sittenlehre der Heiden zeigt uns, wie ein Mensch leben solle, damit er ein nützliches Glied der Gesellschaft sei; das Gesetz Moses aber verlangt von allen Menschen eine vollkommene Heiligkeit des Herzens und Lebens und offenbart daher allen Menschen ihre Sünde und verkündigt ihnen Fluch, Tod und ewige Verdammnis. Das Evangelium von Christus hingegen ist die selige Botschaft an die Menschen: „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Das Evangelium zeigt uns also nicht, wie wir uns selbst helfen sollen, sondern wie sich Gott unser erbarmt und uns geholfen habe; wie Gott aus freier Liebe und Gnade seinen lieben Sohn hat Mensch werden und für unsere Sünden hat leiden und sterben lassen, dass er uns von Sünde, Tod und Hölle erlöse, uns mit Gott versöhne und uns die verlorene Seligkeit wieder bereite. Das Evangelium ist mit einem Wort nichts anderes als die Einladung zu einem himmlischen großen Abendmahl, bei welchem uns Gott, der himmlische Hausvater, mit dem Besten, was er hat, speist und tränkt, nämlich mit seiner Gnade, mit Vergebung der Sünden, mit seiner Kindschaft, mit ewiger Gerechtigkeit, ewigem Leben, ewiger Freude und Seligkeit, ja, mit Christus, seinem lieben Sohn, selbst.

    O, welche teure, süße Lehre ist also das Evangelium! Forderte Gott auch nur etwas, womit wir unsere Seligkeit selbst verdienen sollten, so würde niemand je recht gewiss werden können, ob er auch das Wenige erfüllt habe oder nicht, ob er also werde selig werden oder verloren gehen. Aber nein, das Evangelium redet nichts, gar nichts von unseren Werken, sondern schließt sie vielmehr gänzlich aus und spricht nur: „Kommt, kommt, es ist alles bereit!“ Wo ist nun ein Mensch unter der Sonne, der, wenn er solche Lehre hört, nicht Zutrauen fassen könnte zu Gott, und der noch im Zweifel sein könnte, ob auch er selig werden könne oder nicht? Denn sobald ein Mensch fragt: Was muss ist tun? so antwortet das heutige Evangelium: Du kannst und sollst selbst nichts tun; denn was zu tun war für deine Seligkeit, das hat Jesus Christus schon getan. Willst du Gottes Gnade? Hier ist sie. Willst du göttliche Gerechtigkeit? Hier ist sie bereitet. Willst du den Himmel? Er steht dir offen. Komm nur und glaub es nur, nimm es nur an.

    Ja, das Evangelium klagt alle diejenigen an, welche sich selbst abmühen, abarbeiten, laufen und rennen wollen, sich selbst etwas zu erwerben und spricht: Lass ab von deinem eigenen Tun; das ist nicht der Weg, das zu erlangen, was dir durch des Sohnes Gottes Blut teuer erworben und erkauft worden ist; es liegt nicht an jemandes Wollen oder Laufen. Dieses süße Evangelium finden wir schon im Alten Bund, denn so heißt es Jes. 55,1-3: „Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser; und die ihr nicht Geld habt, kommt her, kauft und esst; kommt her und kauft ohne Geld und umsonst beides, Wein und Milch! Warum zählt ihr Geld dar, da kein Brot ist, und eure Arbeit, da ihr nicht satt von werden könnt? Hört mir doch zu und esst das Gute, so wird eure Seele in Wollust fett werden. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir; hört, so wird eure Seele leben! Denn ich will mit euch einen ewigen Bund machen, nämlich die gewissen Gnaden Davids.“

    Doch Christus führt sein Gleichnis vom großen Abendmahl in unserem Evangelium noch weiter aus. Er sagt nicht nur, dass Gottes Gnade zur Seligkeit schon alles bereitet habe, sondern dass Gott auch alle Menschen ohne Ausnahme dazu einlade, dass er sich keines Menschen schäme und an seinen Tisch auch die Armen, die Krüppel, die Lahmen, die Blinden und die auf den Landstraßen und an den Zäunen Liegenden rufen lasse, ja, dass Gott zornig werde, wenn man nicht kommen wolle, und dass er seinen Knechten gebiete, auch die Elenden zu nötigen, herein zu kommen, auf dass sein Haus voll werde.

    Seht, das ist das Evangelium; es stellt uns Gott so vor, dass er von großer, unaussprechlicher Liebe zu allen Sündern brenne, dass sein ganzes Herz von Verlangen walle, dass ja kein Mensch außen bleibe, auf dass auch die Elendesten und Größten unter den Sündern kommen und das annehmen und genießen, was er ihnen bereitet hat.

    Nun sagt selbst, meine Teuren, ist das nicht eine selige Lehre? Ist das nicht eine Lehre, wie sie der arme, gefallene, ohnmächtige Mensch bedarf, dass er nämlich die Hilfe Gottes nur annehmen dürfe? Möchte man nun nicht sagen: O selig, ewig selig sind alle Menschen, welche dieses Evangelium hören, denn warum sollte ein solcher Mensch nicht selig werden, da ja nichts, gar nichts von ihm verlangt wird?

    Und doch, ach! doch gehen viele Tausende und Millionen Menschen, die diese Lehre gehört, oft gehört haben, ewig verloren. Woher kommt das? Wie ist es möglich? Wie kann ein Mensch jemals Hungers sterben, wenn er täglich dringend zu einem herrlichen Mahl eingeladen wird? Kann ein Mensch verdammt werden, den Gott durch seine Boten ermahnen, bitten und flehen lässt: Nimm doch die Seligkeit an; komm, komm, es ist alles bereit? Wer sollte es denken? Und doch geschieht es. Davon wird uns nun zweitens in unserem heutigen Evangelium die Ursache entdeckt.

 

2.

    Dass, meine Lieben, die Ursache nicht darin liegt, weil viele Menschen sich zu schwer versündigt hätten, so dass für sie keine Gnade und Seligkeit wäre, dies sehen wir klar aus unserem Evangelium. Nach demselben ist Raum für alle, auch für die Krüppel, auch für die größten und elendesten Sünder. Als die einzige Ursache, warum so viele nicht zum Abendmahl des Reiches Gottes kommen, wird uns in unserem Evangelium angegeben die Verachtung der Liebe dessen, der sie einladen lässt. Von keinem heißt es, dass er nicht gerufen werden solle und darum ausgeschlossen sei; sondern von allen wird gesagt: Sie wurden geladen, aber sie wollten nicht kommen, die Einladung nicht annehmen. Das ist aber nichts anderes als: Sie wollten nicht glauben.

    Zwar möchte es scheinen, als würden in unserem Evangelium ganz andere Ursachen angegeben, nämlich dass der eine einen Acker gekauft, der andere fünf Joch Ochsen eingehandelt und der dritte eine Frau genommen hatte; aber dies alles wird nicht als die Ursache angegeben, warum sie von dem Mahl ausgeschlossen wurden, sondern als Ursache, warum sie selbst das köstliche Mahl verachteten. Einen Acker oder Zugvieh kaufen oder eine Frau nehmen ist ja keine Sünde; aber das will Christus sagen, dass die meisten Menschen sich dadurch hindern lassen, das teure Evangelium anzunehmen.

    Wohl ist und bleibt es also wahr, dass der Glaube an Christus uns gewiss gerecht und selig macht, aber, meine Teuren, der Glaube ist nicht ein müßiger, leerer Gedanke, dass es einen Himmel und Versöhner gebe, sondern er ist nichts anderes, als ein wirkliches Essen und Trinken und Genießen der Gnadengüter Jesu Christi; er ist ein Kommen zu dem Abendmahl seines Gnadenreichs. Das heißt nicht glauben, wenn man Christi Werke oder die von ihm bereitete Gnadentafel lobt, sondern dass man sich daran setzt und sich daran erquickt und stärkt.

    Seht, so wenig nun die Geladenen in unserem Evangelium zu dem großen Abendmahl kommen konnten, da sie nach der Einladung hingingen, ihren Acker und ihre gekauften Ochsen zu besehen und selbst Hochzeit zu halten, so wenig können diejenigen Christi Gnade mit ihrem Herzen im Glauben genießen, die ihr Herz noch an etwas anderes hängen. Ein jeder, der sein Herz noch an etwas Zeitliches hängt, der sagt, wenn auch nicht mit Worten, doch mit der Tat zu den Boten Christi, die das Evangelium predigen: Ich bitte dich, entschuldige mich; ich habe mit diesem und jenem zu schaffen, darum kann ich nicht kommen. Diejenigen betrügen sich daher sehr, die da meinen, weil sie die Predigt des Evangeliums loben, so stünden sie sicherlich im wahren, seligmachenden Glauben, wenngleich ihr Herz an der Ehre, an den Gütern oder an der Lust der Welt hänge. Nein, wahrlich, das ist kein Glaube. Woran man seine Seele sättigt, worin man seine einige Lust und Freude, seine Ehre und seinen Trost sucht, daran glaubt man. Sättigt man nun sein Herz an den Träbern dieser Welt, so hat man ja offenbar die himmlische Einladung Christi zu seinem Abendmahl ausgeschlagen und schließt sich selbst durch seinen Unglauben aus.

    Wo der wahre Glaube ist, da lässt das Herz Acker, Vieh und Frau, das heißt, Ehre, Güter und Lust der Welt fahren und isst Christus als seine köstliche Speise. Wo man noch nach der Welt hungert, da ist kein Glaube, denn der Glaube ist hungriges Sichsetzen an die mit Gnade, Gerechtigkeit und allen himmlischen Gütern besetzte Himmelstafel Jesu Christi.

    Ja, gewiss, nicht ohne Absicht redet Christus nicht allein von einem Mahl, sondern von einem Abendmahl, anzuzeigen: Christus speist diejenigen, welche durch des Tages Last und Hitze verwundet sind und Stärkung und Erquickung suchen. Müde, matte, über Gottes Horn, über Sünde, Tod und Hölle erschrockene Gewissen sind der Grund und Boden, darin der wahre Glaube allein seine Wurzeln schlägt.

    Was hilft euch also die süße Lehre des Evangeliums, die euch zuruft: Kommt zum großen Abendmahl, es ist alles bereit! Die ihr Hunger und Durst nach ganz anderen Dingen habt? Ach, meine Zuhörer, bringt euch doch nicht selbst mutwillig um eurer Seelen Seligkeit; reißt euer Herz los von den elenden Dingen dieser Welt und kommt zu Christi Mahl. Ihr baut Häuser, ihr erweitert euer Geschäft, ihr freit und lasst euch freien, und das alles ist keine Sünde; aber hängt ihr euer Herz daran, steht darauf euer Sinnen und Trachten, sucht ihr darin eure Freude, Ehre und Lust, so gehört ihr noch zu denen, die sich bei Christus entschuldigen lassen, dass sie nicht kommen können.

    Christus erklärt den Seinen sein Gleichnis deutlich, indem er unmittelbar nach unserem Text hinzusetzt: „So jemand zu mit kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigenes Leben; der kann nicht mein Jünger sein“, das heißt, wer nicht sein Herz losreißt selbst von dem Liebsten, das er hat, und in den Gütern Christi nicht allein seine Ruhe und Seligkeit sucht, der ist nicht geschickt zum Reich Gottes.

    Aber ach, das ist die allgemeine Erfahrung: Wo das reine, lautere Gnadenevangelium von Christus den Menschen gepredigt wird, da freuen sich wohl erst oft viele über diese liebliche Lehre, aber bald entsteht unter den Zuhörern ein Überdruss, eine Geringschätzung, ein Ekel davor. Sie fangen wieder an, desto mehr sich ins Zeitliche zu vertiefen und dem Geiz, der Eitelkeit und der Weltlust nachzugehen. Weil sie hören, dass der Heilsweg so leicht ist, so denken sie, es kann ihnen nicht fehlen, wenn sie auch den leichten und herrlichen Weg nicht gehen.

    O, dass es nicht auch bei uns so der Fall sein möchte! Aber ist es nicht so? Haben nicht schon viele unter Uns die Welt wieder liebgewonnen? Hängt nicht sehr vieler Herz ganz an dem Zeitlichen? Denken nicht sehr viele, weil sie das gnadenvolle Evangelium allsonntäglich hören und es loben, so hätten sie es auch gewiss im Glauben angenommen, während ihr Herz doch nach ganz anderen Dingen steht?

    O hört, hört, ihr Irdischgesinnten, euer Urteil in unserem heutigen Evangelium und fürchtet euch! Christus sagt von dem Menschen, der da hatte einladen lassen, er sei zornig geworden und habe endlich ausgerufen: „Ich sage euch, dass der Männer keiner, die geladen sind, mein Abendmahl schmecken wird.“

    Wollt ihr diese entsetzliche Drohung nicht einst an euch in Erfüllung gehen sehen, so macht euer herz los von der Liebe zum Irdischen; erkennt eure Not, lernt erschrecken über eure Sünden und Gottes großen Zorn. Kommt zu dem Abendmahl des HERRN hier in der Zeit. Lasst Christi Gnade euren Reichtum, eure Ehre und eure Lust sein, so werdet ihr einst auch von der Gnadentafel hinaufrücken an die Himmelstafel; da wird Freude die Fülle und liebliches Wesen zur Rechten Gottes sein immer und ewig. Amen.

 

Evangelienpredigt zum dritten Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 15,1-10: Jesus, ein Suenderfreund

 

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Will David Gottes Liebe recht preisen und ein herzliches Zutrauen zu ihm in den Lesern seiner Psalmen erwecken, so ruft er aus: „Der HERR hat Wohlgefallen an seinen Werken.“ David will hiermit sagen: Was Gott geschaffen hat, das liebt er auch und kann es nicht hassen. Es ist seine Lust, seinen Geschöpfen Gutes zu tun; es ist seine Freude, wenn alles, was er ins Dasein gerufen hat, in ihm fröhlich und selig lebt und webt und ist.

    Wie könnte es auch anders sein! Würde Gott irgendetwas geschaffen haben, wenn er daran nicht sein Wohlgefallen hätte? Hat ihn doch niemand dazu zwingen oder auch nur darum bitten können; und ein Mensch macht5 wohl etwas darum, weil er es bedarf und zu seinem Nutzen gebrauchen will, Gott aber hat nichts bedurft, was er gemacht hat; er ist der Allgenugsame und der allein Seligkeit hat. Was er aus Nichts hervorgebracht hat, das muss er daher allein darum geschaffen haben, damit noch andere Wesen da seien, die sein Leben, seine Güte und seine Süßigkeit schmecken und an seiner Seligkeit teilnehmen sollten.

    Dass dem so sei, beweist Gott durch seine ganze Weltregierung, in welcher sich lauter Liebe und Freundlichkeit Gottes spiegelt.

    Wie schön ist das Haus dieser Welt! – Hat es aber Gott für sich, hat er es nicht für seine Geschöpfe gebaut? Voll Liebe hat Gott den Vögeln die unermesslichen Lufträume geschenkt, in denen sie sich fröhlich auf- und niederwiegen können; voll Liebe hat Gott den Fischen die klaren kühlen Gewässer der Meere und Bäche angewiesen, in welchen sie munter scherzen können; voll Liebe hat Gott den anderen Tieren den Boden der Erde gegeben, daraus sie lustwandeln können; und sie alle speist er täglich an seinem großen Tisch aus seiner milden Hand und sättigt alles, was da lebt, mit Wohlgefallen. Vor allen aber offenbart Gott sein Wohlgefallen an uns Menschenkindern. Für uns hat Gott Himmel und Erde so herrlich, so wundervoll geschmückt. Uns vor allen glüht das purpurrote Morgen- und Abendrot und vergoldet die Säume unserer Berge; uns vor allen leuchtet des Tages die Sonne, und in stiller Nacht zieht vor unseren Augen der Mond mit dem flimmernden Heer unzählbarer Sterne über das Firmament. Über uns wölbt sich der blaue Himmel und vor uns breitet sich die belebte Welt mir ihren Bergen und Tälern, mit ihren Seen und Quellen und Flüssen, mit ihren Auen und Feldern lachend aus, und mit Sehnsucht schauen wir in die Wolken hinein, mit Entzücken in die wonnige allbewegte Schöpfung. Für uns feuchtet der Regen und der Tau die Erde und macht sie fruchtbar, uns sie streckt nun mit jeder Flur, mit jedem Baum, mit jeder rieselnden Quelle, mit jeder Staude und mit jedem Gräslein auf Gottes Geheiß ihre mit Gaben reichgefüllten Hände nach uns aus, um uns beschenken. Uns müssen die Vögel in den Lüften ein stets fröhlich singender Chor sein; uns muss das Tier dienen; für uns liegt das funkelnde Metall in dem dunklen Schoß der Erde. Und noch mehr! Gott hat uns hier zusammengeführt, hat uns einen erkennenden Verstand, ein fühlendes Herz und einen redenden Mund gegeben, und hart die zarten süßen Bande zwischen Gatten und Gattin, zwischen Eltern und Kindern und Freunden und Freunden geknüpft, dass wir hier zusammen seiner Liebe und unserer Liebe untereinander uns freuen können.

    Doch wer mag sie zählen, alle die Beweise, dass Gott Wohlgefallen an uns Menschen hat, dass er uns, wie der Prophet sagt, nicht von Herzen plagt und betrübt; dass es seine Lust ist, uns Gutes zu tun und uns schon hier zu erfreuen! – Und dies alles hat Gott über 6000 Jahre lang getan, obgleich die Menschenwelt unaufhörlich gegen ihn aufgestanden und seinem heiligen Willen feind gewesen ist und ihn fort und fort beleidigt und betrübt hat. Gottes Geduld hat darum nicht aufgehört. Seine Sonne leuchtet noch immer so freundlich über Böse und Gute und sein befruchtender Regen fällt noch immer auf alle ihre Felder so reichlich, als hätte der Mensch Gottes Liebe noch nie verscherzt. Müssen wir da nicht ausrufen: „HERR; was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ Wie groß muss deine Liebe zu uns sein! Ja, du hast Wohlgefallen an allen deinen Werken. Gelobst seist du immer und ewig!

    Doch, meine Lieben, so herrlich Gott sein Wohlgefallen an uns Menschen offenbart hat, so wird es uns doch überaus schwer, es zu glauben, wenn wir daran denken, dass wir Sünder sind. Wird dieser Gedanke in einem Menschen recht lebendig, so meint er, die ganze Welt könne ihn mit allen ihren Schönheiten nicht erfreuen, noch der Liebe Gottes versichern, denn er sei ja nicht eines Sonnenblicks, geschweige des gnädigen Anschauens Gottes würdig. Aber auch gegen diese Besorgnis des Menschen ist in Gottes Wort Trost, denn dieses zeigt uns auch, dass Gott selbst die Sünder liebe, ja, dass Jesus der gnädige Freund aller Sünder sei. Davon redet unser heutiger Text besonders:

 

Lukas 15,1-10: Es nahten aber zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, dass sie ihn hörten. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat, und so er der eines verlieret, der nicht lasse die neunundneunzig in der Wüste und hingehe nach dem verlorenen, bis dass er’s finde? Und wenn er’s gefunden hat, so legt er’s auf seine Achseln mit Freuden. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen. Oder welche Frau ist, die zehn Silberstücke hat, so sie der eines verliert, die nicht ein Licht anzünde und kehre das Haus und suche mit Fleiß, bis dass sie es finde? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freue euch mit mir; denn ich habe mein Silberstück gefunden, das ich verloren hatte. Also auch, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

 

    In dem verlesenen Evangelium erblicken wir Christus in seiner schönsten oder vielmehr in seiner wahren Gestalt, nämlich mitten unter Sündern, denen er nachgeht und die er freundlich aufnimmt. Der Gegenstand unserer Betrachtung sei daher jetzt:

 

Jesus, der Sünderfreund

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Nämlich, wie er den verlorenen und verirrten Sündern mit Erbarmen nachgeht, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie er diejenigen, welche als Sünder zu ihm kommen, gnädig und freundlich aufnimmt.

 

    O Jesus, du süßer Freund der Sünder, der du nicht zürnst über unsere Sünde, sondern sie mit Mitleid ansiehst, und uns alle so gern davon erretten und uns selig machen möchtest, hilf doch, dass jetzt, da uns deine unermessliche Sünderliebe gepredigt werden soll, unsere Herzen aufgetan werden, nach dir zu verlangen. Denn wenn wir nach dir uns nur sehnen, so bist du auch schon bei uns und in uns und erquickst uns mit Gnade, Gerechtigkeit, Friede und Freude. O, so lass keinen jetzt das süße Gnadenwort umsonst hören; ziehe uns alle in deine Gnadenarme und lass uns dann nichts wieder aus deiner Hand reißen, bis wir dort zu seiner Rechten stehen und mit dir leben und herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

1.

    Ein Sünderfreund ist, meine Lieben, kein ehrenvoller Name vor der Welt. In unserem Evangelium wird uns daher erzählt: Als zu Christus einstmals „allerlei Zöllner und Sünder nahten, dass sie ihn hörten, da murrten die Pharisäer und Schriftgelehrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“ An anderen Stellen der Evangelien wird uns dasselbe berichtet. Als es Christus einstmals zuließ, dass die große Sünderin Maria Magdalena seine Füße salbte, sie mit Tränen netzte und mit den Haaren ihres Hauptes trocknete, da dachte ein Pharisäer bei sich selbst: „Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und welch eine Frau die ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin.“ Auch hören wir, dass man Christus, um ihn zu schmähen, einen Zöllner- und Sündergesellen nannte.

    Weit entfernt aber, dass Christus den Titel eines Sünderfreundes von sich abgelehnt haben sollte, so sollte er sich vielmehr diesen vor der Welt so schimpflichen Titel nicht nehmen lassen; er verteidigt sich vielmehr nach unserem Evangelium, wie in anderen Stellen, und gibt die Ursachen an, warum er allerdings ein Sünderfreund sein und bleiben wolle. Er gibt nämlich mehrere Gleichnisse; er spricht: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat, und so er der eines verliert, der nicht lasse die neunundneunzig in der Wüste und hingehe nach dem verlorenen, bis dass er’s finde?“ „Oder welche Frau ist, die zehn Silberstücke hat, so sie der eines verliert, die nicht ein Licht anzünde und kehre das Haus und suche mit Fleiß, bis dass sie es finde?“ Christus will hiermit sagen: Ihr Menschen macht es ja auch so; wenn ein Hirte nur hundert Schafe hat, und er verliert davon eins, so trägt er für den Augenblick mehr Sorge um das eine verlorene als um die anderen alle; er verhält sich nicht anders, als wäre ihm an dem einen mehr gelegen als an den 99 unverlorenen; diese verlässt er und geht dem einen nach. So auch eine Hausfrau; wenn sie von zehn Silberstücken eines verliert, so tut sie nicht anders, als hätte das eine verlorene für sie mehr Wert als ihr ganzes übriges Vermögen; sie vergisst, was sie hat und sucht emsig das Verlorene. Was wundert ihr euch nun, will Christus sagen, dass ich die verlorenen Sünder so eifrig suche und ihnen so eifrig nachgehe? Es sind ja alle Sünder meiner Schafe; sie sind alle mein Eigentum; ich habe sie mir teuer erkauft durch mein eigenes Blut; geht ein Sünder irre, so habe ich ein Schaf aus meiner Herde verloren; so dringt mich mein Hirtenherz, eilends auszugehen und es zu suchen auf allen Bergen, in allen Gründen und Wäldern und Sümpfen der sündhaften Welt.

    O, was für ein zärtliches Herz hat also Christus gegen die verlorenen Sünder! Er ist nicht gesinnt wie ein Mensch. Sieht ein Mensch einen andern tief in Sünden fallen, so denkt er sogleich: Dieser Mensch ist nicht wert, dass sich jemand seiner annehme; er verdient keine Liebe, sondern Hass und Verachtung; bei ihm ist doch alle Ermahnung verloren und alle Liebe verschwendet; es ist keine Hoffnung, dass er sich je bekehren werde. Ganz anders denkt Jesus. Sieht er einen Menschen tief in Sünden fallen, so wird sein liebreiches Herz mit Erbarmen und Mitleid erfüllt; er denkt: Dieses Menschen Seele hast du dir mit Leiden und Sterben teuer erworben; sie ist ein kostbares Gut, das dir gehört. Jesus denkt ferner: Dieser arme Sünder verdient nicht Hass, sondern Mitleid, denn es kann ja kein größeres Unglück für einen Menschen geben, als in Sünden fallen, Gottes Feind werden und die Seligkeit verscherzen. Jesus denkt endlich: Nähme ich mich des Gefallenen nicht an, so wäre freilich für ihn keine Hoffnung; aber ich will ihm mit meiner Gnade in den Weg treten; ich will ihn locken mit meinem Erbarmen, und wenn das nicht fruchtet, will ich ihm drohen, will ihn schrecken mit meinem Zorn, ob ich ihn gewinne. So wendet denn Christus bald leiden, bald Freuden an, den Sünder zur seligen Umkehr zu bewegen.

    Wird ein Mensch besonders von anderen hart und schwer beleidigt, und fallen diese dabei auch in andere große und schwere Sünden, so nimmt sich der natürliche Mensch noch viel weniger seiner gefallenen Feinde an, ja, er sieht es wohl gar mit Lust, wie sie von Sünde zu Sünde dem Verderben zueilen, und denkt, wenn es ihnen übel geht, es geschehe ihnen eben recht, so habe es ihnen um ihrer bösen Stücke willen ergehen müssen. Aber o, wie ganz anders ist Christus gesinnt! Er ist es ja, der mit jeder Sünde beleidigt wird, auch wenn wir, wie es scheint, uns nur an unserem Nächsten versündigen; aber auch dann, wenn ein Mensch Christus ganz verachtet, sein Evangelium verwirft, seine Gnade schmäht oder missbraucht und sich immer feindlicher gegen ihn erweist, so verliert Christus doch nicht die Liebe zu einem solchen armen, verirrten und verlorenen Menschen. Dies sehen wir an mehreren Beispielen. Als Christus wahrscheinlich bei einbrechender Nacht nahe an einen Flecken der Samariter kam und die Jünger hineinsendete, ihm daselbst ein Nachtlager zu bestellen, da schlugen ihm die Einwohner des Fleckens die gebetene Herberge trotzig ab. Die Christus begleitenden Jünger riefen nun sogleich erzürnt auch: „HERR, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle und verzehre sie“? Aber was tut Jesus? Er wendet sich zu den Entrüsteten und spricht: „Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.“ Bedenkt ferner, wie feindselig sich Jerusalem gegen Christus bewies! Und doch sehen wir Christus nicht zürnend, sondern mit heißen Tränen vor der sündigen Stadt stehen und das Unglück beweinen, was dieselbe frevelnd auf sich herabfluchte.

    O. welch ein zärtlicher Sünderfreund ist also Christus! Mag ein Sünder ihn noch so schändlich, noch so undankbar, noch so himmelschreiend beleidigen: Jesus gibt ihn darum doch nicht auf; er überlässt ihn darum doch seinem Verderben nicht; er geht ihm doch nach, bietet seinem nichtswürdigsten Feind und Beleidiger freundlich zuerst die Hand zur Versöhnung und bittet ihn flehentlich, er wolle doch wieder sein Freund sein.

     Jesus hat gegen alle Sünder ein mehr als väterliches und mütterliches Herz. Wie nun ein Vater und eine Mutter ihr Herz nicht verleugnen können, wenn auch das Kind noch so gottlos ist; wie ihnen das Herz auch über den verlorenen Sohn bricht, der ihnen trotzig entlaufen ist, wenn er sich durch seine Sünden und Bosheiten endlich in leibliches und geistliches Elend, in Schande und Not gestürzt hat; wie Eltern auch nach einem solchen elenden Menschen, der aller Welt Verachtung und Abscheu geworden ist, Tag und Nacht seufzen und sein Unglück in der Stille mit bitteren Tränen beweinen, so ist Jesus selbst gegen die zum Scheusal der Menschen gewordenen Sünder gesinnt; auch nach ihrer Rettung sehnt sich sein von Sünderliebe brennendes Herz; auch sie sucht er wieder zu gewinnen, auch ihnen geht er nach; auch sie möchte er gern wie kranke, mit ekelhaften Geschwüren bedeckte Schafe heilen; ja, es wäre ihm gerade das vor allem die größte Freude, solche ganz Verlorenen, die dem Satan schon ganz übergeben zu sein schienen, noch aus seinem Rachen zu reißen, sie noch zu sich zurück zu locken, sie mit seiner Gnade zu erquicken, mit seiner Gerechtigkeit anzukleiden und endlich triumphierend in den Himmel zu tragen.

    Ach, vergeblich suche ich Worte, die Größe der Liebe des Sünderfreundes Jesus Christus zu beschreiben. Unsere Elternliebe gegen unsere verirrten Kinder ist dagegen nur ein winziges Fünklein, während Jesu Liebe größer ist als Himmel und Erde.

    Wer du darum auch bist, lieber Zuhörer, mag auch deine Sünde groß sein; magst du viel und lange gesündigt haben; mag dich jedermann als einen Sünder ansehen, der keiner Liebe mehr wert sei; mag jedermann die Hoffnung aufgeben, dass für dich noch Hilfe und Gnade sei; magst du durch deine Sünde so in Verachtung und Schande geraten sein, dass du unter Menschen keinen Freund mehr hast, der sich deiner annehmen will: Einen Freund hast du doch noch; der ist dir auch mitten in deinen Sünden treu geblieben; und das ist – der Sünderfreund Jesus. Du hast vielleicht ein böses Gewissen, das dich verdammt; dir geht es vielleicht sehr unglücklich in dieser Welt. Daher denkst du, Christus sei zornig auf dich, er strafe dich jetzt für deine Sünde, er lasse dich büßen, und habe dich nun für immer verlassen; aber es ist nicht so; da dir’s um deine Sünde bange wird und da du dich in deiner Not schuldig gibst, so wisse: Eben darin hast du einen Beweis, dass der gute Hirte dir noch immer nachgeht, dich sucht und zu sich zurückruft. Die Bangigkeit deines Herzens, dein Schmerz, dass du so verloren bist und dich so weit verirrt hast, sind nichts anderes als Gnadenzüge des Sünderfreundes, und indem dir Christus in dieser Stunde das Wort von seiner Gnade, Freundlichkeit und Liebe predigen lässt, so steht jetzt Christus vor dir und vor allen verirrten Sündern unter uns und spricht: Kehrt nur um, kommt nur zu mir; ich nehme euch an. Denn es ist gewiss und wahrhaftig, was die Feinde in unserem Evangelium sagen: „Jesus nimmt die Sünder an.“

 

2.

    Dies führt mich auf den zweiten Teilmeiner Rede, in welchem ich euch nun zeigen will, wie Christus diejenigen, die als Sünder zu ihm kommen, gnädig und freundlich annimmt.

    Es könnte vielleicht mancher denken, wenn Jesus ein so großer Sünderfreund wäre, so wäre es ja unmöglich, dass auch nur Ein Sünder verloren ginge. Dies folgt aber keineswegs daraus. Jesus nimmt wohl die Sünder an, aber eben nur Sünder. Daran fehlt es aber bei den Meisten, dass sie sich nicht für Sünder und besonders nicht für große, verlorene Sünder halten wollen. Die meisten Menschen wollen zu Christus gehen als Fromme, Tugendhafte, Gerechte, Heilige, die nur etwa einige Schwachheiten an sich hätten und nur selten einmal in eine etwas größere Sünde gefallen wären. Ein Freund solcher falschen Heiligen, Frommen, Tugendhaften und Gerechten ist Christus nicht. Christus ist gekommen, nicht die Gerechten, sondern die Sünder zur Buße zu rufen; er ist ein Arzt nicht für die Starken und Gesunden, sondern für die Schwachen und Kranken. Die selbstgerechten Pharisäer bleiben daher von Christus fern, aber die armen, mit Sünden beschwerten Zöllner und andere große Sünder versammelten sich um ihn und fanden bei ihm Trost und Seligkeit.

    Wie gern aber Christus sich der Schafe annimmt, dies bezeugt er selbst in unserem Evangelium, wenn er erstlich von dem Hirten mit dem verlornen Schaf, auf den er sich beruft, weiter sagt: „Und wenn er’s gefunden hat, so legt er’s auf seine Achseln mit Freuden. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen.“ Und wenn er von jener Frau, die ihr Silberstück suchte, weiter sagt: „Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freue euch mit mir; denn ich habe mein Silberstück gefunden, das ich verloren hatte. Also auch, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.“

    Seht hieraus, mit welcher Freude Christus alle diejenigen aufnimmt, welche als Sünder zu ihm kommen. Er schämt sich ihrer nicht, wie sich wohl Menschen Tiefgefallener schämen, sondern eben darin sucht er seine Ehre und Herrlichkeit, dass er auch die größten Sünder retten, begnadigen und selig machen kann. Er, der Sohn Gottes, ist ja um keiner anderen Ursache willen in die Welt gekommen, als alle Sünder zu suchen und selig zu machen alles, das verloren ist; das ist ja sein Amt, das ist ja, so zu sagen, sein Tagwerk; wie sich nun ein Arzt freut, wenn Kranke zu ihm kommen und seine Hilfe suchen, denn das ist sein Beruf, so freut sich auch Christus, wenn Sünder zu ihm kommen und bei ihm Rettung suchen, denn er will eben der Sünderarzt sein.

    Aber, wird vielleicht mancher denken, wohl will Christus die Sünder annehmen, wen sie sich gebessert haben; aber ich traue mich eben darum nicht zu Christus zu gehen, weil ich bisher von meinen Sünden nicht habe loskommen können. Der du so klagst, wisse: Christus nimmt die Sünder an, wie sie sind; wenn der Mensch nur in seinem Herzen ein Sünder geworden ist; wenn es der Mensch nur eingesehen hat, dass er auch ein armer Zöllner sei, der ohne Gnade verloren und verdammt sein müsste; wenn der Mensch nur dahin gekommen ist, dass er durchaus keinen anderen Rat für seine Seele weiß als den, er müsse zu Christus gehen, er könne sich nicht selbst bekehren und bessern, Christus müsse sich seiner erbarmen, sonst müsse er verzagen: O, dann finde4t ein solcher an sich verzagender Mensch bei Christus stets eine gnädige Aufnahme. Ja, wenn wir uns erst selbst bessern, selbst reinigen, selbst fromm und würdig machen wollen, so gehen wir gerade immer weiter von Christus hinweg; wenn wir aber erkennen: Dein Wollen, deine guten Vorsätze, deine guten Meinung und all dein Können und Tun ist verloren, Christus muss dir helfen: O, eines solchen Menschen Hoffnung lässt Christus nicht zuschanden werden, einem solchen Menschen muss er, so wahr er ein Jesus, so wahr er ein Sünderfreund ist, helfen und ihn selig machen.

    Ist daher jemand unter uns, der über sich selbst von Herzen klagt; der mit sich selbst zürnt; der sich gebunden und ohnmächtig fühlt, sich selbst zu bessern; der sich auch vielleicht schämt, irgendeinem Menschen sein ganzes Sündenelend zu entdecken, weil er denkt, dann würde kein Mensch mich trösten – ein solcher wisse: Zu Jesus kann er gehen, ihm kann er sein ganzes Verderben offenherzig sagen; dieser ist ein Arzt, der auch die verzweifeltsten Krankheiten heilt; ein ebenso barmherziger wie allmächtiger Freund der Sünder; je größer unsere Sünde ist, je größer ist seine Gnade; je größer unsere Not, je größer sein Erbarmen. Dass so viele nicht selig werden, dies liegt nicht an Christi Willigkeit, allen Sündern gnädig zu sein, sondern an der Menschen Unwilligkeit, Sünder zu sein und an Christi Gnade zu glauben.

    Es gibt aber leider selbst unter denen, die sich schon wirklich für große Sünder ansehen, nicht wenige, welche sich unaufhörlich mit dem Zweifel herumtragen, ob sie auch bei Gott in Gnaden seien, ob sie auch, wenn der Tod sie einmal unversehens übereilen sollte, vielleicht in einer unbewachten Stunde, ob sie auch dann würden selig werden. Sie denken, da sie die Sünde nie ganz los würden, da sie täglich als arme strauchelnde Sünder beschämt vor Gott erscheinen müssten, so könne dies wohl nicht der rechte Zustand sein, in welchem sie sich der Gnade Christi trösten dürften. Müssen sie nun vollends dabei die Verdammungen ihres eigenen Herzens empfinden, so werden sie immer ängstlicher und zweifelhafter. Solche lassen sich von ihrem eigenen Herzen den süßen Trost des Evangeliums verkümmern; und dass sie nicht fröhlicher Fleisch, Welt und Satan bekämpfen können, liegt eben allein daran, dass sie nicht recht getrost täglich und stündlich Gnade um Gnade nehmen aus der Fülle Jesu Christi. Ja, ihr bekümmerten, ängstlichen und verzweifelten Seelen, lernt doch zutraulicher zu eurem Heiland zu gehen; lernt ihn doch besser kennen als bisher; er ist nicht gekommen, euch Lasten aufzulegen, sondern abzunehmen; er ist nicht ein strenger Richter, sondern ein barmherziger Hoherpriester, der es weiß, wie uns zumute ist, der unsere Schwachheit kennt, der versucht ist allenthalben wie wir, doch ohne Sünde. Er ist wahrhaftig ein Sünderfreund; er hört mitleidig eure Klagen und vergibt euch alle eure Sünden täglich und reichlich, haltet euch nur recht fest im Glauben an ihn. Am Glauben liegt es, sonst an nichts; der Glaube empfängt Vergebung, der Glaube erlangt Trost, der Glaube siegt, der Glaube macht selig.

    Wir lesen in den Schriften gottseliger Christen, wie voll Trostes, voll Friedens, voll Seligkeit sie waren; dies haben sie bei sich nicht durch eigene Kraft gewirkt; sie haben ihr Elend, wie wir, empfinden müssen. Aber sie sind mit ihrem Glauben durchgedrungen, sie haben sich Christus, wie die Zöllner und Sünder in unserem Evangelium, genaht, sie haben sich zu ihm gedrängt, sie haben ihn täglich nicht gelassen, bis er sie freundlich angeblickt hat; so haben wie überwunden und sind endlich in Frieden von hinnen gefahren und selig geworden aus Gnaden.

 

Drum, Jesus nimmt die Sünder an,

Mit Einem Wort, die Sünder alle;

Geht hin und sagt es jedermann,

Dass alle Luft davon erschalle.

Es soll von allen insgemein

Nicht einer ausgeschlossen sein.

Sagt’s allen Menschen, allen Christen!

Ach, dass es Groß und Kleine wüssten!

Sagt’s jedem, der nur hören kann:

Ja, Jesus nimmt die Sünder an.

 

Ja, Jesus nimmt die Sünder an,

Wer, wo und wann und wie sie kommen.

Man sei auch immer, wie man kann;

Man wird wahrhaftig angenommen.

Es ist hier gar kein Unterschied.

Das Heil ist allen zubereit‘.

Und weil sie alle Sünder heißen,

Es sollen’s alle zu sich reißen.

Es ist ein Wort für jedermann:

Ja, Jesus nimmt die Sünder an.

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum vierten Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 6,36-42: „Richtet nicht! Verdammt nicht!“

 

    Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem Vater, und von dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der Wahrheit und in der Liebe, sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    „Seid barmherzig, wie euer Vater barmherzig ist. Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr auch nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.“ So spricht Christus in unserem heutigen Evangelium.

    Diese Worte werden in unserer Zeit sehr häufig so verstanden, als wolle Christus damit sagen, dass durchaus jedes Richten und Verdammen, das durch Menschen geschehe, sündlich und unchristlich sei. Dass aber dem nicht so ist, das ist so offenbar, dass es fast überflüssig zu sein scheint, Beweise dafür anzugeben.

    Ich frage euch: Wenn Christus spricht: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ sollte er damit also auch der Obrigkeit verboten haben, ihre Untertanen zu richten, wenn sie schuldig befunden werden, das Verdammungsurteil über sie auszusprechen? Das sei ferne! Gott spricht in seinem Wort zu den Richtern auf Erden: „Seht zu, was ihr tut; denn ihr haltet das Gericht nicht den Menschen, sondern dem HERRN; und er ist mit euch im Gericht.“ Und was das Verdammen betrifft, so spricht der heilige Apostel von der Obrigkeit: „Sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du ab er Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst, sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut.“ Ja, schon im neunten Kapitel des ersten Buchs Mose heißt es: „Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll auch durch Menschen vergossen werden.“

    Ich frage euch ferner: Wenn Christus spricht: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ sollte er damit also den Eltern und Lehrern das Gericht über die ihnen anvertrauten Kinder haben verbieten und ihnen die Rute der Zucht aus ihren Händen haben nehmen wollen? Darf etwa der Sohn oder die Tochter, wenn Eltern und Lehrer sie strafen wollen, zu ihnen sagen: Wisst ihr nicht, dass Christus geboten hat, barmherzig zu sein und zu vergeben? Wie dürft ihr mich richten und verdammen? Das sei ferne! Das Richten und Verdammen durch Eltern und Lehrer ist nicht nur erlaubt, sondern ihnen bei Gottes Ungnade geboten und als eine heilige Pflicht auferlegt. Salomo sagt: „Wer die Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn bald. Lass nicht ab, den Knaben zu züchtigen; denn wenn du ihn mit der Rute haust, so muss man ihn nicht töten. Du hast ihn mit der Rute; aber du errettest seine Seele von der Hölle. Torheit steckt dem Knaben im Herzen, aber die Rute der Zucht wird sie ferne von ihm treiben.“ Wie ernstlich Gott dies geboten habe, dies sehen wir unter anderem an dem Beispiel des Hohenpriesters Eli. Da dieser seine gottlosen Söhne nicht richtete und verdammte, da ließ ihm Gott ansagen: Weil er gewusst habe, wie seine Kinder sich schändlich hielten, er aber hätte nicht einmal sauer dazu gesehen, so habe er geschworen, dass diese Missetat nicht versöhnt werden solle. Und was geschah? Die Söhne kamen elendig im Krieg um und Eli brach sich nach erhaltener Schreckensnachricht durch Gottes Gericht den Hals. Ein gewaltiges Beispiel zur Warnung für alle Eltern, die die nötige ernste Zucht an ihren Kindern unterlassen!

    Ich frage euch aber auch ferner: Wenn Christus spricht: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ Sollt er damit also den Christen gebieten, kein Wort oder Werk eines Menschen zu richten und zu beurteilen, jeden recht zu sprechen, jeden selig zu preisen und keine Sünde zu strafen? Das sei ferne! St. Paulus schreibt vielmehr an die Korinther: „Der Geistliche richtet alles“; und Christus spricht ausdrücklich in der bekannten Stelle Matth. 18: „Sündigt aber dein Bruder an dir, so gehe hin und strafe ihn zwischen dir und ihm allein. Hört er dich nicht, so nimm ein oder zwei zu dir. Hört er die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er die Gemeinde nicht, so halte ihn wie einen Heiden und Zöllner“, das heißt: Halte ihn für einen Nichtchristen, der von dem Reich und der Gnade Gottes ausgeschlossen ist. Weit entfernt also, dass das Richten und Strafen der Sünde den Christen verboten sein sollte, so ist es ihnen vielmehr ernstlich geboten. Und zwar sollen dies die Christen nicht nur unter sich tun, sondern auch gegen die Kinder der Welt, denn Paulus schreibt an die Epheser: „Habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, straft sie aber vielmehr.“ Und damit man nicht meine, dass eine solche Bestrafung gegen die Liebe streite und ein Zeichen von Gehässigkeit sei, so schreibt schon Mose: „Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen; sondern du sollt deinen Nächsten strafen, auf dass du nicht seinethalben Schuld tragen müssest.“

    Aus diesem allen erseht ihr, meine Lieben, deutlich: Wenn Christus spricht: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ So kann er damit unmöglich jedes Gericht und jedes Verdammungsurteil, das von Menschen ausgesprochen wird, verboten haben. Was ist es nun, was Christus hiermit verbietet? Es ist überaus wichtig, das rechte Verständnis dieser Worte kennen zu lernen, da dieselben nicht selten sehr missverstanden und daher auch oft durchaus falsch angewandt werden. Lasst mich euch jetzt zeigen, worin der Missverstand und Missbrauch und der rechte Verstand und rechte Gebrauch jener Worte bestehe.

 

Lukas 6,36-42: Darum seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr auch nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben. Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüssig Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, da ihr mit messt, wird man euch wieder messen. Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Mag auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen? Der Jünger ist nicht über seinen Meister; wenn der Jünger ist wie sein Meister, so ist er vollkommen. Was siehst du aber einen Splitter in deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt stille, Bruder! Ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler! Zieh zuvor den Balken aus deinem Auge und besiehe dann, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst.

 

    Wie schon erwähnt, betrachten wir jetzt die Worte Christi:

 

„Richtet nicht! Verdammt nicht!“

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie diese Worte missverstanden werden, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Worin der rechte Verstand derselben bestehe.

 

1.

    Die Worte Christi: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ werden, meine Lieben, besonders in unseren Tagen, sehr häufig, man kann nicht anders sagen, auf eine recht gotteslästerlicher Weise verkehrt.

    Die erste Verkehrung dieser Worte besteht darin: Predigt ein Prediger, dass alle diejenigen, welche nicht an Christus, den Sohn Gottes und Heiland der Sünder, glauben, gewiss ewig verloren gehen werden, oder bezeugt dies ein christlicher Laie vor der Welt, so ruft man ihnen nicht selten zu: Habt ihr nicht gelesen, was Christus spricht: „Richtet nicht, verdammt nicht!“? Mit diesen Worten meint man klar und deutlich bewiesen zu haben, dass es kein Mensch wagen dürfe, einem anderen Menschen die Seligkeit abzusprechen. Man spricht: Eben deswegen sei Jesus in die Welt gekommen, um den Menschen zu lehren, dass Gott ein Vater sei aller Menschen und alle Menschen seine lieben Kinder, dass Gott mit unseren Fehlern, Schwachheiten und Sünden Geduld habe und dass er keinen Menschen ewig verstoßen und verdammen könne. Dies ist aber ein entsetzlicher Missverstand jener Worte Christi.

    Wohl hat es uns Christus offenbart, dass Gott alle Menschen liebe und dass er keines Menschen Tod und Verdammnis wolle, dass es hingegen sein ernster Wille sei, dass alle Menschen selig werden, aber Christus hat auch zugleich offenbart, dass er selbst der einzige Weg und die einzige Tür zum Himmel sei, dass daher alle, die nicht an ihn glauben, verloren gehen müssen. Christus spricht: „Wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.“ Er spricht ferner: „So ihr nicht glaubt, dass ich es sei, so werdet ihr sterben in euren Sünden.“ Er spricht ferner: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ Wer nun dies vor der Welt bekennt, der handelt keineswegs gegen das Verbot Christi: „Richtet nicht, verdammt nicht!“, denn ein solcher Mensch richtet und verdammt nicht selbst, sondern spricht nur das Gericht und die Verdammnis aus, die Gott schon klar und deutlich ausgesprochen hat. So wenig sich derjenige zu einem eigenmächtigen, unberufenen Richter aufwirft, der einem Mörder sagt dass er nach Gesetzen seines Landes ein Mörder das Leben verwirkt und den Tod verdient habe, so wenig ist derjenige ein unberufener Richter, der einem ungläubigen Menschen sagt, dass er nach den Gesetzen des Reiches Gottes das ewige Leben verwirkt und den ewigen Tod, das ist, die Verdammnis verdient habe und in dieselbe auch gewiss, wenn er sich nicht bekehre, fallen werde. Dies kann aber nicht bloß ein jeder christlicher Laie der Welt verkündigen, er soll es auch; denn da ein jeder Christ schuldig ist, in seinem Beruf mitzuhelfen, dass auch andere zu Christus bekehrt und selig werden, so ist er auch schuldig, es denen, die noch ungläubig sind, ohne Hehl in das Gesicht zu sagen, dass alle, die nicht wahrhaft an Christus glauben, so gewiss verloren gehen, wie ein Gott im Himmel und sein Wort die Wahrheit ist.

    Besonders aber haben die Prediger die Pflicht, es allen denen, die noch unbekehrt sind, die offenbar noch in ihren Sünden liegen und noch nicht wahrhaft glauben, zu sagen, dass sie bei Gott nicht in Gnaden stehen, dass sie unter Gottes Zorn und Fluch ruhen, und dass sie den breiten Weg gehen, der sie unausbleiblich, wenn sie nicht umkehren, in das ewige Verderben führen werde. Eine deutliche Beweisstelle dafür finden wir in dem Propheten Hesekiel. Daselbst wird ein jeder Diener Gottes so angeredet: „Du Menschenkind, ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel; du sollst aus meinem Mund das Wort hören und sie von meinetwegen warnen. Wenn ich dem Gottlosen sage: Du musst des Todes sterben; und du warnst ihn nicht und sagt es ihm nicht, damit sich der Gottlose vor seinem gottlosen Wesen hüte, auf dass er lebendig bleibe: So wird der Gottlose um seiner Sünde willen sterben, aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern.“ Hieraus erseht ihr, dass diejenigen nicht etwa die rechten evangelischen Prediger sind, die niemandem Gericht und Verdammnis predigen; das sind vielmehr Seelenmörder. Solchen wird in der Schrift zugerufen: „Wehe euch, die ihr Kissen macht den Leuten unter die Arme und Pfühle zu den Häuptern, beides Jungen und Alten, die Seelen zu fangen; ihr stärkt die Hände der Gottlosen, dass sie sich von ihrem bösen Wesen nicht bekehren.“

    Predigt daher ein Prediger, dass alle Ungläubigen und mutwilligen Sünder von der Seligkeit ausgeschlossen seien, oder sagt er es zu einem einzelnen Sünder, der entweder seinen Unglauben bekennt oder von einer Sünde nicht lassen will: Du bist der Mann des Todes! So ist es eine gottlose Verkehrung, wenn man spricht, dass ein solcher Prediger gegen den Spruch handele: „Richtet nicht, verdammt nicht!“

    Doch, meine Lieben, dies werden gewiss alle diejenigen von ganzem Herzen zugeben, welchen och an die heilige Schrift glauben; aber nicht wenige gibt es, die die Bibel für Gottes Wort halten, und die, wenn nicht bloß Sünden, sondern auch Irrtümer ernstlich gestraft und verworfen und offenbar halsstarrige falsche Lehrer hart angegriffen, ja, wohl endlich mit dem Fluch belegt werden, die dann alsbald über Lieblosigkeit und Härte klagen und ausrufen: Wie spricht der sanftmütige Heiland? Spricht er nicht: „Richtet nicht, verdammt nicht!“? Man spricht, ein Prediger solle das Wort Gottes predigen, aber es sei gegen die christliche Liebe, andere zu strafen, die es nicht so, wie er selbst, auslegen; ein Prediger könne wohl seinen Glauben und seine Religion zu beweisen suchen, aber es sei lieblos, den Glauben und die Religion anderer zu verachten und zu verwerfen. Ein Prediger des Evangeliums müsse ein Friedensbote sein, es sei daher unrecht, wenn er Andersgläubige Irrgläubige, Irrlehrer und Ketzer nenne und wenn er andere Konfessionen falsche Kirchen und Sekten schelte; die da bekennen, dass die Bibel Gottes Wort und dass Christus der Sohn Gottes sei, die überhaupt in den Hauptlehren der Schrift einig wären, die sollten sich billig auch als Brüder die Hand reichen. Wenn auch einige von der einen oder anderen Lehre etwas abgingen, so dürfe man darum den Frieden mit ihnen nicht brechen; man dürfe es nicht zu genau nehmen; Gott werde ein kleines abgehen von seinem Wort gewiss nicht so hoch anrechnen. Warnend rufe Christus: „Richtet nicht, verdammt nicht!“

    So viele aber, meine Lieben, jetzt diese Worte Christi so verstehen, als wolle Christus damit das Gericht und Verdammungsurteil über falsche Lehren und Lehrer verbieten, so ist doch auch dies ein arger Missverstand. In Gottes Wort wird nicht nur die Sünde, sondern auch das Abgehen von der Bibel für etwas Verdammungswürdiges erklärt. So heißt es z.B. am Schluss der Bibel: „So jemand dazu setzt, so wird Gott zusetzen auf ihn die Plagen, die in diesem Buch geschrieben stehen. Und so jemand davon tut von den Worten des Buchs dieser Weissagung, so wird Gott abtun sein Teil vom Buch des Lebens und von der heiligen Stadt und von dem, das in diesem Buch geschrieben steht.“ Kann es eine schrecklichere Drohung geben als diese, für alle, welche zu Gottes Wort entweder etwas hinzusetzen oder die etwas davon tun? Muss es daher nicht ein jeder Christ damit genau und streng nehmen? Und ist es daher nicht jedes Christen Pflicht, nicht nur die Sünde, sondern ebenso ernstlich das Abgehen von der Bibel zu strafen? Und haben Christus und seine Apostel nicht viele Ermahnungen gegeben, die Geister zu prüfen und sich vor falschen Propheten zu hüten? Wie könnten dies aber die Christen, wenn es ihnen verboten wäre, über solche Lehren und Lehrer zu richten und zu urteilen? Sagt nicht St. Paulus: „Einen Ketzer sollst du meiden, wenn er einmal und abermals ermahnt ist“? Wie könnten dies aber die Christen, wenn sie keine Irrlehrer einen Ketzer nennen dürften?

    Soll dies aber schon jeder Christ tun, so ist freilich ein öffentlicher Prediger des Evangeliums doppelt dazu berufen. Ein Prediger soll ein Hirte der Schafe Christi sein; er tut daher nur dann seine Pflicht, wenn er die Schafe nicht nur mit dem reinen Evangelium weidet, sondern sie auch vor den Wölfen warnt. Ein Prediger soll gleich sein jenen Arbeitern am Tempel zu Jerusalem, die in der einen Hand die Kelle und in der anderen das Schwert führten, die nämlich nicht nur bauten, sondern auch gegen die kämpften, welche sie an ihrem Bau hindern wollten. Daher spricht St. Paulus: „Ein Bischof soll untadelig sein, der da halte ob dem Wort, das gewiss ist und lehren kann, auf dass er mächtig sei zu ermahnen durch die heilsame lehre und zu strafen die Widersprecher. Denn“, setzt er hinzu, „es sind viele freche und unnütze Schwätzer und Verführer, welchen man muss das Maul stopfen, die da ganze Häuser verkehren und lehren, das nicht taugt.“ Prediger, welche das nicht tun, welche für die reine Lehre nicht eifern und die falsche Lehre nicht strafen, die alle Religionen für gleich gut halten und daher alle Irrgläubigen in ihre Brüderschaft aufnehmen, diese werden in Gottes Wort Laue genannt, die weder kalt noch warm sind, und die der HERR ausspeisen will aus seinem Mund. Von ihnen heißt es: „Sie tünchen mit losem Kalk, verführen das Volk und rufen: Friede; so doch kein Friede ist“; ja, in dem Propheten Jesaja heißt es von ihnen: „Stumme Hunde sind sie, die nicht strafen können, sind faul, liegen und schlafen gerne.“

    Lasst euch darum, meine Lieben, nicht von dem Geist einer falschen Liebe, der jetzt über so viele ausgegossen ist, einnehmen. Bedenkt: Gerade das ist Liebe zu seinem Nächstgen, wenn man ihn seinen Irrweg nicht ruhig fortgehen lässt, sondern ihm die Gefahr vorstellt, in welche ich sein Irrtum stürzt. Bedenkt: Christus war die Liebe selbst, und doch deckte er die falschen Lehren der scheinheiligen Pharisäer schonungslos auf, sprach das Wehe über sie aus und nannte sie Kinder des Teufels, Heuchler und Verführer. Bedenkt: Auch Paulus hatte gewiss ein Herz voll von wahrhaft christlicher Liebe, und doch legte er den Fluch auf alle, die das Evangelium anders predigen würden, als er gepredigt habe. Bedenkt: Auch David war ein Mann, der seine Feindesliebe durch die Tat bewährt hat, und doch spricht er: „HERR, ich hasse, die da halten auf lose Lehre. Ich hasse die Flattergeister. Ich hasse ja, HERR, die dich hassen, und verdrießt mich auf sie, dass sie sich gegen dich setzen. Ich hasse sie mit rechtem Ernst; darum sind sie mir feind.“

    So ist es denn gewiss: Weder das Richten und Verdammen offenbarer Sünden, noch des offenbaren Unglaubens, noch offenbarer Irrtümer hat Christus mit den Worten verboten: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ Aber, werdet ihr sagen, was ist es denn, was Christus hiermit verbietet? Welches der rechte Verstand dieser Worte sei, das lasst uns nun zweitens erwägen.

 

2.

    Nehmen wir, meine Lieben, die Worte Christi immer, wie sie lauten, so können wir nie irre gehen und nie auf einen falschen Sinn derselben geführt werden, denn niemand redet klarer, deutlicher und verständlicher als Christus. Nehmen wir aber nun die Worte: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ einfältig, wie sie lauten, so können sie offenbar keinen anderen Sinn haben als diesen: Ihr Menschen habt kein Recht, euch über irgendjemand zum Richter aufzuwerfen; Gott allein ist Richter, und er will diese Ehre keiner Kreatur lassen; jedes Gericht, das ein Mensch fällt, ist daher sündlich, unchristlich und ein Eingriff in Gottes Richteramt, wenn es etwas anderes ist als Gottes Gericht selbst.

    Ihr seht hieraus: Christus will mit jenen Worten ernstlich alle diejenigen strafen, welche andere nicht nach Gottes Wort, sondern nach ihren eigenen Gedanken richten und verdammen. Es gibt Menschen, welche über das Herz anderer richten; sie sehen, dass ein anderer etwas tut, was zwar böse wäre, wenn er es dabei böse meinte; was aber gut wäre, wenn er es dabei gut meinte; sie nehmen es aber dafür an, dass ihr Nächster es bös gemeint habe, und legen es aufs Ärgste aus. Oder sie sehen, dass der Nächste einen bösen Schein gibt; sie können es nun zwar nicht gewiss wissen, ob es mehr als ein bloßer böser Schein sei oder nicht, und dennoch glauben sie das Übelste. Oder sie hören von ihrem Nächsten ein übles Gerücht; sie untersuchen es nicht erst genau, ob es auch Grund habe; die leihen dem Ohrenbläser willig ihr Ohr; sie nehmend das Gerücht sogleich für ausgemachte Wahrheit an und verurteilen den, von dem man Böses sagt, als hätten sie es selbst gesehen. Seht, solchen ruft Christus in unserem Evangelium zu: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ das heißt, hegt kein Misstrauen, keinen Argwohn gegen euren Nächsten in eurem Herzen; glaubt nicht eher etwas Böses von ihm, bis ihr dazu durch die offene Tat in Gottes Urteilsspruch in seinem Wort gezwungen seid; entschuldigt euren Nächsten, so lange ihr könnt, und kehrt alles zum Besten.

    Doch nicht ohne Absicht setzt Christus vor jene Warnung die Ermahnung: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist“ Hiermit zeigt Christus an, dass ein Mensch auch dann sündlich richtet, wenn er es zwar nach Gottes Wort, aber nicht in Barmherzigkeit und Liebe tut. Es gibt Menschen, die strafen wohl Spünde, Unglauben und Irrtum streng nach Gottes Wort, aber nicht aus Hass gegen diese ungöttlichen Dinge und nicht aus Liebe zu den Seelen der Sünder, nicht mit dem Verlangen, die Gefallenen aufzurichten, die Sünder zu besseren, die Irrenden auf den rechten Weg zu leiten und andere zu warnen; sondern sie tragen an dem Gespräch über die Sünden anderer ein Wohlgefallen; von den Gebrechen anderer zu reden, ist ihnen etwas Süßes; sie fühlen dabei Schadenfreude; sie lassen sich dabei, wenn die Gefallenen ihre Feinde waren, von Neid und Rachsucht leiten, und tut ihnen wohl, den Sünder zu beschämen und bei anderen in Schmach und Schande zu bringen. Sie strafen unfreundlich und im Zorn; sie setzen bei ihrer Bestrafung schon voraus, dass der Sünder sich doch nicht weisen lassen werde; sie sprechen dem Gefallenen nicht nur jetzt den Gnadenstand ab, sondern erklären auch sein ganzes voriges Christentum für Heuchelei und Verstellung und hoffen nicht, dass er wieder aufstehen, dass er wieder in sich gehen und Buße tun werde. Solchen ruft Christus zu: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist; richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet; verdammt nicht, so werdet ihr auch nicht verdammt“; das heißt, lasst euer Richten nicht nur nach der Entscheidung des Wortes Gottes, sondern auch in der Liebe geschehen, die alles verträgt, die alles glaubt, die alles hofft, die alles duldet.

    Doch Christus gibt uns zum Schluss unseres Evangeliums noch einen dritten Wink, von welchem Richten und Verdammen er rede. Er spricht nämlich: „Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen? Der Jünger ist nicht über dem Meister; wenn der Jünger ist wie der Meister, so ist er vollkommen.“ Hiermit zeigt Christus an, dass das Gericht auch derjenigen Gott missfällig sei, die, indem sie andere leiten wollen, selbst blind sind, die, indem sie über anderer Sünde richten, ihre eigenen vergessen und, indem sie andere strafen, sich selbst nicht strafen. Daher führt Christus fort: Was siehst du aber einen Splitter in deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr? Oder wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt stille, Bruder! Ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge?“ Christus will hiermit sagen: Wer, indem er andere verurteilt, sich über sie erhebt, sich besser dünkt, und dabei in seinem Herzen spricht, wie der Pharisäer: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie andere Leute, Diebe, Räuber, Hurer, Ungerechte“ und dergleichen; einem solchen ruft Christus zu: „Richte nicht, verdamme nicht!“ denn indem du andere verdammst und dich selbst rechtfertigst, so wird die Sünde deines Stolzes und deiner Hoffart so groß, dass deines Nächsten Sünde vor Gott nur wie ein Splitter und die deinige wie ein Balken erscheint.

    O, wollte Gott, dass nun ein jeder unter uns in sein Herz und Leben ginge, so wird ein jeder finden, dass auch er von Natur zum sündlichen Richten und Verdammen ach! nur zu sehr geneigt sei, und ein jeder wird bewogen werden, sich deswegen vor Gott aufs tiefste zu demütigen.

    Prüft euch aber alle wohl, ob diese Sünde etwa bis jetzt in euch geherrscht habe? Frage sich ein jeder: Pflegst du über deinen Nächsten zu richten nach dienen Gedanken und nicht nach Gottes Wort? Folgst du deinem argwöhnischen Herzen und denkst du immer das Übelste von ihm, oder ist es deine Weise, ihn zu entschuldigen, Gutes von ihm zu reden und alles zum Besten zu kehren? Und wenn du ja nach dem Ur4teil Gottes richtest, richtest du auch in herzlicher Liebe und mit wahrhaft erbarmendem Herzen? Tust du’s in tiefster Demut, in Erkenntnis deiner eigenen Sündhaftigkeit und in dem du dich selbst vor Gott strafst? Oder richtest du unbarmherzig und indem du dich für besser hältst als den Gefallenen?

    Euch ruft Christus am Schluss unseres Evangeliums zu: „Du Heuchler, ziehe zuvor den Balken aus deinem Auge; und besiehe dann, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst“, das heißt, erkenne, dass du ein viel größerer Sünder bist, als die, über die du bisher gerichtet hast; bekenne das mit zerschlagenem Herzen Gott; bitte ihn um Vergebung und um Veränderung deines bösen Herzens; so wird sich Gott deiner erbarmen; er wird den Balken aus deinem Auge nehmen; er wird dich begnadigen; er wird dir seinen Heiligen Geist geben und dein Herz verändern, und dann wirst du nicht mehr selbst richten, sondern Gott richten lassen in seinem Wort, nicht mehr lieblos und in Selbsterhebung deinen Nächsten verurteilen, sondern in Liebe und Demut ihm zurecht zu helfen suchen und so wirst du Christus folgen und endlich dort Barmherzigkeit finden vor seinem Angesicht.

    O, dass keiner, den Gottes Geist jetzt durchs Wort seiner Sünde erinnert hat, ihm widerstrebe, seine Sünde sich selbst zu verbergen suche und so in Sünden bleibe! O, dass ein jeder die Worte: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ sich in sein Herz schreiben lasse und ihnen denke, rede und handle, so werden sie ihn hier vor tausend schweren Sünden bewahren und dort wird er die Stimme hören: Du hast nicht gerichtet, so wirst du auch nicht gerichtet; du hast nicht verdammt, so wirst du nun auch nicht verdammt; wo ich bin, da soll mein Diener auch sein; gehe ein zu deines HERRN Freude. Amen.

 

Evangelienpredigt zum fuenften Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 5,1-11: Der himmlisch gesinnte Christ in seinem irdischen Beruf

 

    Gott gebe euch alles viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben, unserem Heiland, herzlich geliebte Brüder und Schwestern!

    Der Hauptunterschied, welcher zwischen einem wahren Christen und einem Nichtchristen oder falschen Christen stattfindet, besteht nach Gottes Wort nicht sowohl in äußerlichen Werken, als vielmehr in der himmlischen Gesinnung, welche alle wahren Christen haben. Dies sehen wir sowohl aus den Ermahnungen, welche den Christen in Gottes Wort gegeben werden, als in den Beschreibungen und Bekenntnissen derselben, die sich in Gottes Wort finden.

    So ermahnt z.B. Christus selbst seine Christen: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das andere alles zufallen“; und als einst Einer Christus zwar nachfolgen, aber erst seinen Vater begraben wollte, rief ihm Christus zu: „Folge du mir, und lass die Toten ihre Toten begraben.“ So ermahnt ferner Paulus die Christen: „Trachtet nach dem, was droben ist, da Christus ist, nicht nach dem, was auf Erden ist“; und an einer anderen Stelle: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes.“ So ruft auch Petrus den Christen zu: „Liebe Brüder, ich ermahne euch, als die Fremdlinge und Pilger, enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, welche gegen die Seele streiten“; und endlich ermahnt sie auch der heilige Johannes so: „Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. So jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters.“

    Hiermit stimmen denn auch, wie gesagt, die Beschreibungen und Bekenntnisse wahrer Christen, die sich in Gottes Wort finden. So beschreibt z.B. Christus seine Christen: „Sie sind nicht von der Welt, gleichwie auch ich nicht von der Welt bin.“ Dasselbe drückt der heilige Paulus so aus: „Unser Wandel ist im Himmel, von wo wir auch erwarten den Heiland Jesus Christus, den HERRN. Die Welt ist mir gekreuzigt und ich der Welt. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“

     Aus diesem allem sehen wir:; Wahre Christen sind solche Leute, die nur dem Leib nach noch in der Welt sind, aber ihr Geist, Herz, Sinn und Gemüt ist im Himmel. Für die Welt sind sie schon gestorben. Dieses Leben auf Erden betrachten sie nur als eine Reise durch ein fremdes Land nach dem Himmel, als ihrer wahren Heimat und ihrem eigentlichen Vaterland. Ihre Gedanken, Wünsche und Begierden sind auf die selige Ewigkeit gerichtet. Überall erblicken sie Gottes Finger und sein geheimes Walten, Wirken und Regieren. Alles, was ihnen selbst widerfährt, und alles, was in der Kirche und in der bürgerlichen Welt vorgeht, beurteilen sie nach dem Zusammenhang, den dieses alles mit ihrer Seligkeit und mit der Seligkeit der ganzen Welt hat. Es kostet sie keinen besonderen Kampf. Sich von der Welt und ihrer Eitelkeit zurückzuziehen und fernzuhalten; sie haben vielmehr den Geschmack daran verloren; wenn sie daher wider ihre Willen in die Welt hineingezogen werden, so ist ihnen nicht wohl, und so oft sie sich in die Welt einmal selbst wieder verloren und zerstreut haben, da erfasst sie bald ein schmerzliches Heimweh, und es ist ihnen, wie David sagt, wie einem Kind, das von seiner Mutter entwöhnt wird. Ihre Freude ist, wie Assaph singt, dass sie sich zu Gott halten und ihre Zuversicht setzen auf den HERRN HERRN, dass sie verkündigen all sein Tun. Ihr seligster Umgang ist ihr Umgang mit Gott im Gebet und mit ihren gläubigen Brüdern in heiligen Gesprächen und geistlichen lieblichen Liedern. Gottes Wort hören, lesen und betrachten ist ihnen nicht eine Last, sondern eine Lust, wie dem Hungrigen und Durstigen das Essen und Trinken. Den Gedanken an den Tod fliehen sie nicht, er ist ihnen vielmehr eine liebe Beschäftigung. „Wie ein Knecht sich sehnt nach dem Schatten, und ein Tagelöhner, dass seine Arbeit aus sei“, so sehnt sich ihre Seele nach dem Ende des irdischen Lebens.

    Wie nun, meine Lieben? Sollten also die wahren Christen für dieses Leben und für diese Welt nicht recht unbrauchbare Menschen sein? Sollte ihr allein auf das himmlische gerichteter Sinn nicht notwendig zur Folge haben, dass sie in ihrem irdischen Beruf nachlässig und untreu sind? So möchte wohl mancher wähnen, und manche Feinde des Christentums, unter anderem Kaiser Julian der Abtrünnige, haben auch wirklich diesen Einwurf gegen das Christentum erhoben: Es könne dasselbe nämlich darum nicht die wahre Religion sein, weil es den Menschen zur Förderung der Wohlfahrt der Welt im Zeitlichen und Irdischen untüchtig mache. Aber dem ist nicht so. Der Unterschied zwischen einem irdisch gesinnten Weltmenschen und einem himmlisch gesinnten Christen besteht eben nicht in äußerlichen Werken, sondern allein in der innerlichen Gesinnung; wie es denn in jenem schönen Lied heißt:

Es glänzet der Christen inwendiges Leben,

Obgleich sie von außen die Sonne verbrannt;

Was ihnen der König des Himmels gegeben,

Ist keinem, als ihnen nur selber, bekannt.

Sonst sind sie des Adams natürliche Kinder,

Und tragen das Bilde des Irdischen auch;

Sie leiden am Fleische, wie andere Sünder,

Sie essen und trinken nach nötigem Brauch.

In leiblichen Sachen, in Schlafen und Wachen

Sieht man sie vor andern nichts Sonderlichs machen,

Nur dass sie die Torheit der Weltlust verlachen.

    Weit entfernt daher, dass himmlisch gesinnte Christen in ihrem irdischen Beruf untreu sein sollten, so beweisen gerade sie allein darin die rechte Treue. Das sehen wir aus unserem heutigen Evangelium an dem Beispiel des heiligen Petrus. Die Betrachtung seines Vorbildes hierin sei den auch der Gegenstand unserer heutigen Andacht.

 

Lukas 5,1-11: Es begab, sich aber, da sich das Volk zu ihm drang, zu hören das Wort Gottes, und er stand am See Genezareth und sah zwei Schiffe am See stehen; die Fischer aber waren ausgetreten und wuschen ihre Netze; trat er in der Schiffe eines, welches Simons war, und bat ihn, dass er’s ein wenig vom Lande führte. Und er setzte sich und lehrte das Volk aus dem Schiff. Und als er hatte aufgehört zu reden, sprach er zu Simon: Fahre auf die Höhe und werft eure Netze aus, dass ihr einen Zug tut. Und Simon antwortete und sprach zu ihm: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich das Netz auswerfen. Und da sie das taten, beschlossen sie eine große Menge Fische; und ihr Netz zerriss. Und sie winkten ihren Gesellen, die im andern Schiff waren, dass sie kämen und hülfen ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Schiffe voll, so dass sie sanken. Da das Simon Petrus sah, fiel er Jesu zu den Knien und sprach: HERR, gehe von mir hinaus; ich bin ein sündiger Mensch. Denn es war ihn ein Schrecken angekommen und alle, die mit ihm waren, über diesen Fischzug, den sie miteinander getan hatten; desgleichen auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gesellen. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht; denn von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie führten die Schiffe zu Lande und verließen alles und folgten ihm nach.

 

    In diesem herrliche, vor anderen lieblichen Evangelium wird uns von einem wunder erzählt, welches, wenn Christus auch kein anderes als allein dieses getan hätte, schon allein den Unglauben widerlegen und unwidersprechlich beweisen würde, dass Christus kein bloßer Mensch gewesen sein könne, sondern wahrhaftig der allmächtige Sohn Gottes gewesen sein müsse, wofür er sich erklärte; denn niemand kann ein solches Zeichen tun, es sei denn Gott mit ihm und daher alles, was er sagt, göttliche unwidersprechliche Wahrheit. Doch heute wollen wir unser Augenmerk hauptsächlich auf Petrus richten, mit welchem Christus verhandelte. Aufgrund des Vorbildes des Petrus lasst mich euch nämlich jetzt vorstellen:

 

Den himmlisch gesinnten Christen in seinem irdischen Beruf

 

    Und zwar zeige ich euch hierbei zweierlei:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie sich derselbe darin verhalten, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie man ein solcher Christ werde.

 

    HERRN Jesus! Du sprichst: „Wer im geringsten unrecht ist, der ist auch im Großen unrecht.“ Hiermit bezeugst du uns, dass du auch an unserem Verhalten in unserem irdischen Beruf erkennen wollest, ob wir den himmlischen angenommen haben. O, so hilf denn, dass wir uns nicht wegwenden, wenn du jetzt den Spiegel deines Wortes uns vorhältst. Verurteilt uns dein Wort, o, so bewahre uns doch, dass wir uns nicht selbst lossprechen! Du willst ja allein darum, dass wir uns selbst richten, damit du uns einst nicht richten müssest. Du willst allein darum, dass wir hier über unser Elend klagen, damit wir einst in Ewigkeit jauchzen können; dass wir hier uns demütigen, damit wir einst erhöht werden können; dass wir hier weinen, damit wir dort lachen können. O, so mache denn dein Wort uns jetzt allen zu einem Geruch des Lebens zum Leben, zu einer Arznei der Kranken, zu einer Stärkung der Schwachen und zu einer Versiegelung der Starken. Erhöre uns, o Jesus, um deines heiligen, seligmachenden Namens willen. Amen.

 

1.

    Das erste, meine Lieben, was wir in unserem Evangelium an Petrus erblicken, ist, dass er in seinem irdischen Beruf überaus fleißig war. ER war damals zwar schon fast seit einem Jahr zu Christus bekehrt, aber da ihn Christus bis dahin noch nicht in das Predigtamt berufen hatte, war er nicht nur in dem Fischerberuf geblieben, dem sein Vater Jona, welcher auch ein Fischer war, ihn von Kind auf gewidmet hatte, sondern er erwies sich nun auch in diesem seinem Beruf nach seiner Bekehrung nur umso eifriger. Er wurde daher nach unserem Evangelium von Christus nicht nur mit dem emsigen Waschen seiner Fischernetze beschäftigt angetroffen, sondern konnte auch zu Christus von sich und seinen Gesellen sagen: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet“; ja, als Christus ihn nun auch am Tag auf die Höhe fahren und seine Netze auswerfen heißt, entschuldigt er sich nicht damit, dass er ja schon die ganze Nacht gearbeitet habe und nun am Tag der Ruhe bedürfe, sondern folgt dem Ruf zu neuer Arbeit wieder ohne Zögern.

    Seht hieraus: Ein bekehrter Christ offenbart seine himmlische Gesinnung nicht etwa dadurch, dass er nun seinen irdischen Beruf gering achtet und vernachlässigt, dass er, anstatt zu arbeiten, nur betet und Gottes Wort treibt, oder dass er von Haus zu Haus geht und andere zu bekehren sucht. Viel weniger will er müßig gehen und von den Wohltaten anderer zehren oder gar durch Wucher oder allerlei Spekulationen sich Geld und Gut erwerben, um ohne eigene Arbeit von der Arbeit anderer leben zu können. Nein, sein himmlischer Sinn zeigt sich gerade dadurch, dass er nun in seinem irdischen Beruf umso fleißiger ist. Er gönnt sich auch wohl zuweilen eine Erholung, aber das tut er nicht aus Trägheit oder Vergnügungssucht, sondern um dadurch zu neuer Arbeit umso tüchtiger und munterer zu werden. Die Zeit ist ihm nun erst recht kostbar geworden; jede Stunde, in welcher er ohne Not müßig geht, ist ihm ein schwerer Verlust, und er bittet Gott deswegen um Vergebung. Steht nun vollends ein himmlisch gesinnter Christ in fremder Arbeit, so kann sich sein Herr auf ihn verlassen. Es gibt nicht nur keinen besseren Kirchgänger als einen himmlisch gesinnten Christen, sondern auch keinen besseren Knecht und keine bessere Magd, kurz, keinen fleißigeren, sorgfältigeren und treueren Arbeitet als einen solchen Christen. Je himmlischer gesinnt er ist, desto weniger schämt er sich auch der geringsten irdischen Arbeit, und wenn es auch das Waschen schmutziger Fischernetze wäre.

    Doch, meine Lieben, in unserem Evangelium wird uns nicht nur berichtet, dass der bekehrte Petrus fleißig arbeitete, sondern auch, was bei ihm der Grund seiner fleißigen Arbeit war. Als ihm Christus befahl, am hellen Tag auf die Höhe zu fahren und sein Netz auszuwerfen, da war dies seiner Vernunft und Erfahrung durchaus widersprechend. Er wusste nämlich als ein erfahrener Fischer, wenn man mit Erfolg in einem Meer Fischfang treiben wolle, so müsse man das in der Nacht und in der Nähe des Ufers tun. Was tut er aber? Er spricht: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich das Netz auswerfen.“ Dies lässt uns einen Blick darein tun, mit welchem Herzen und Sinn Petrus seine Arbeit überhaupt zu verrichten pflegte. Er arbeitete nämlich darum so fleißig, weil er wusste, dass das Gottes Wort und Wille sei; also allein im Gehorsam und im Vertrauen auf Gott.

    Seht da die andere Eigenschaft, die ein himmlisch gesinnter Christ in seinem irdischen Beruf zeigt; sie besteht darin, dass der Grund seines Arbeitens ist, dass es Gott so befohlen hat und weil er dabei auf Gottes Beistand, Segen und Gedeihen hofft. Was den Fleiß betrifft, so sind darin die Nichtchristen den Christen oft gleich, ja, übertreffen dieselben wohl darin noch; aber was den Grund und die Ursache der Arbeit betrifft, so sind darin die irdisch gesinnten Menschen und die himmlisch gesinnten Christen voneinander so verschieden, wie der Himmel von der Erde. Wenn ein irdisch gesinnter Mensch fleißig arbeitet, so tut er dies entweder aus natürlicher Lust zur Arbeit oder aus Not oder um dadurch reich oder geehrt zu werden, und im Vertrauen auf seinen Fleiß und auf seine Geschicklichkeit. Ein himmlisch gesinnter Christ aber arbeitet darum, weil Gott gesagt hat: „Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen“; und „Du wirst dich nähren deiner Hände Arbeit; wohl dir, du hast es gut.“ Auch ein himmlisch gesinnter Christ hat eine natürliche Lust zur Arbeit, und auch er erwirbt sich damit sein tägliches Brot, aber das ist nicht der eigentliche Grund seiner Arbeit. Viel weniger aber ist sein Grund, weil er reich oder geehrt werden wollte. Er arbeitet vielmehr darum, weil es Gottes Ordnung ist, dass jeder sein eigenes Brot esse und etwas treibe, was seinem Nächsten nützlich ist. Irdisch gesinnte Menschen wählen sich immer den Beruf aus, in welchem sie die geringste Mühe und den höchsten Lohn haben; in unserer Zeit und namentlich in diesem Land wollen daher die Meisten am liebsten Kaufleute werden, weil sie nämlich meinen, sich so auf die leichteste Weise große Schätze erwerben und schnell Herren werden zu können. Ein himmlisch gesinnter Christ aber wählt sich den Beruf aus, worin er der Welt nach seinen Gaben und Neigungen am nützlichsten werden zu können glaubt. Ist er ein Kaufmann, so sieht er sich auch in diesem Beruf, wie in jedem anderen, nur für einen Diener seines Nächsten an und macht so aus seinem irdischen Beruf einen heiligen Gottesdienst. Er hält daher nicht am meisten auf die Waren, die ihm am meisten einbringen, sondern die sein Nächster am meisten bedarf. Während er aber in seiner Arbeit nur Gott und seinem Nächsten dienen will, erwartet er auch allein von Gott Segen und Gedeihen derselben. Er treibt seinen Beruf im Glauben. Erwirbt er durch seine Arbeit viel, so schreibt er dies sich nicht selbst zu, sondern allein der göttlichen Güte und wird deswegen nicht stolz; muss er hingegen mit Petrus selbst ganze Nächste vergeblich arbeiten, so verzagt er darum nicht, ändert deswegen nicht sogleich seinen Beruf, sondern achtet dies für eine göttliche Prüfung seines Glaubens, seiner Liebe und seiner Hoffnung und Geduld, und fährt im Glauben fort.

    Doch noch eins ist es, was wir an Petrus in unserem Evangelium bewundern müssen. Er hatte die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen, sich nur ermüdet und seine Netze verderbt, also nur Schaden gelitten; da kommt Jesus und fordert von ihm, ihm sein Schiff zur Kanzel zu leihen und es zu diesem Zweck ein wenig vom Land zu führen. Petrus denkt nun nicht: Er habe bereits so viel Zeit verloren und könne sich nun unmöglich in seiner Arbeit stören lassen, er müsse notwendig das Verlorene wieder einbringen; nein, sogleich legt er seine Netze weg, tut, was ihm Christus geheißen hat, und hört seiner Predigt andächtig zu. Ja, nachdem er sodann auf Christi Wort einen wunderbar gesegneten Fischzug getan hat und Christus ihm nun zuruft: „Von nun an wirst du Menschen fangen“, ihn also nun in das Predigtamt beruft, da bedenkt sich Petrus keinen Augenblick, verlässt sogleich alles und folgt von nun an Christus nach und bleibt sein Diener bis zum blutigen Märtyrertod.

    Sehr da das dritte Kennzeichen eines himmlisch gesinnten Christen in seinem irdischen Beruf! Es besteht dies nämlich hiernach darin, dass ein solcher Christ, so treu er in seinem irdischen Beruf ist, doch über demselben nicht nur seinen himmlischen Beruf nicht vernachlässigt, sondern dass er den letzteren auch jenem immer vorzieht. Während irdisch gesinnte Menschen um ihres irdischen Berufs willen den himmlischen hintansetzen und, wenn sie zum Eifer im Gebet, im öffentlichen und Hausgottesdienst und in den Sachen des Reiches Gottes ermahnt werden, sich oft gerade mit ihrem irdischen Beruf entschuldigen, und dazu das Sprichwor4t missbrauchen: Herrendienst geht vor Gottesdienst: So kehren himmlisch gesinnte Christen es vielmehr um und gehen nach dem Grundsatz: Gottesdienst geht vor Herrendienst. Solche Christen nehmen daher erstlich schon keinen solchen irdischen Beruf ohne Not an, der sie an dem Gottesdienst hindert und ihrer Seele gefährlich ist, und wenn sie unbedacht darein geraten sind, suchen sie selbst mit Schaden wieder davon loszukommen. Sie sollen nichts treiben, und wen sie ach damit alle Schätze der Welt erwerben könnten, wozu sie nicht jeden Morgen Gott um Segen anrufen und sagen können: HERR, „auf dein Wort will ich mein Netz auswerfen“. Und sodann denken sie: So nötig auch meine irdische Arbeit sein mag, so ist doch die Arbeit und Sorge für meine Seele noch unendlich wichtiger. Zum Hören und Betrachten Wortes Gottes und zum Gebet, meinen sie, müsse Zeit werden. Sie denken: Wenn mich Gott krank werden ließe, müsste ich doch meine Arbeit und meinen Verdienst liegen lassen, warum sollte ich dies nicht auf mit Freuden freiwillig um Gottes und meiner Seele willen tun? Wenn sie, um Gottes Wort zu hören und betrachten zu können, im Irdischen Schaden leiden müssen, so achten sie das daher für gar keinen Schaden, sondern für einen Gewinn. Sie rechnen so: Erst bin ich Christ und ein Glied der Kirche, dann erst bin ich Hausvater und ein Bürger in dieser Welt; erst kommt die Seele, dann der Leib; erst jenes Leben und die Ewigkeit, dann dieses Leben und die Zeit; erst die Seligkeit in jener Welt, dann mein Fortkommen in dieser Welt. Kann sich daher ein himmlisch gesinnter Christ davon überzeugen, dass ihn Gott in das Schul- oder Predigtamt rufe, so verlässt er mit Petrus, ohne sich erst mit Fleisch und Blut zu besprechen, auch seinen einträglichsten irdischen Beruf und seine glänzendste Stellung, und wird mit Freuden ein armer, verachteter Arbeiter in Christi Weinberg.

 

2.

    Doch, meine lieben, wo finden wir solche himmlisch gesinnten Christen? Ach, ihrer sind, leider, nur allzu wenig! Unzählige nennen sich Christen und sind doch in ihrem irdischen Beruf erstlich nicht einmal fleißig und treu, oder sie sind es doch nicht aus dem rechten Grund, oder sie versäumen darüber ihren himmlischen Beruf. Und doch sind nur himmlisch gesinnte Christen wahre Christen und nur sie auf dem Weg zum Himmel! Lasst mich euch darum nun noch zweitens zeigen, wie man ein solcher himmlisch gesinnter Christ werde.

    Zwar wird uns die Bekehrung des Petrus in unserem Evangelium nicht beschrieben, allein nichtsdestoweniger wird uns darin deutlich genug angezeigt, wodurch er ein so himmlisch gesinnter Christ, wie er war, geworden sei. Es wird uns nämlich erzählt: Als er gegen alles sein Erwarten und gegen den Lauf der Natur durch Christi Allmacht einen wunderbar reichen Fischzug getan hatte, da kam ihn ein Schauer und Schrecken an, „fiel Jesus zu den Knien und sprach: HERR, gehe von mir hinaus; ich bin ein sündiger Mensch“. Hiermit ist uns der Schlüssel zu dem Geheimnis der himmlischen Gesinnung gegeben, in welcher Petrus offenbar stand. Diese Gesinnung hatte nämlich offenbar ihren Grund darin, dass Petrus zu einer lebendigen, tiefen Erkenntnis seiner natürlichen Sündhaftigkeit und Unwürdigkeit und der großen Gnade und Freundlichkeit Christi gekommen war. Seitdem Petrus dazu gekommen war, seitdem sorgte er nicht mehr für diese Welt, sondern allein für seine Seele; seitdem war ihm alles Irdische nur eine Nebensache und das Himmlische die Hauptsache; seitdem fürchtete er sich vor jeder Sünde wie vor der Hölle und in seinem Herzen lebte die innige Sehnsucht, ganz seinem Gott zu leben, der ihm so viel vergeben hatte; seitdem hatte er nun keinen höheren Wunsch als den, Gottes Gnade nicht wieder zu verlieren, kurz, seitdem war er ein himmlisch gesinnter Christ.

    Und, meine Lieben, das ist der Weg, und kein anderer, auf welchem auf ein jeder andere Mensch allein ein himmlisch gesinnter Christ werden kann.

     Merkt nämlich ein Mensch durch Gottes Gnade, dass er noch irdisch gesinnt ist und dass er daher in diesem Zustand Gott nimmermehr gefallen und selig werden könne, hat er daher Verlangen, ein irdisch gesinnter Christ zu werden, so hilft es ihm nichts, wenn er sich auch noch so fest vornimmt, von nun an alle irdischen Gesinnungen abzulegen und himmlisch gesinnt zu werden. Solche guten Vorsätze helfen dazu so wenig, so wenig sich durch gute Vorsätze ein Toter selbst lebendig, ein Blinder sehend, ein Taubstummer hörend und redend, ein Lahmer gehend machen kann. Es ist auch nicht genug, dass ein Mensch Gott nur um einen himmlischen Sinn bittet. Soll diese Frucht auf dem Baum eines Menschenherzens wachsen, so muss der ganze Baum erst umgewandelt und veredelt werden, einen anderen Saft, eine andere Natur, ein anderes Wesen bekommen. Diese wunderbare Veränderung geht aber mit einem Menschen nicht eher vor, als bis er lernt, mit Petrus Jesus zu den Füßen fallen und aus der Tiefe seines Herzens auszurufen: „Ich bin ein sündiger Mensch.“

    Willst du also, lieber Zuhörer, ein himmlisch gesinnter Christ werden, wie Petrus war, siehe, so musst du nicht nur fleißig Gottes Wort lesen und hören, sondern auch daraus vor allem zu erkennen suchen, welch ein großer Sünder du bist und wie gnädig und freundlich Christus gegen dich ist. Willst du aber dies erkennen, so darfst du Gottes Wort nicht nur obenhin lesen, sondern musst mit der innigen Begierde um erleuchtete Augen des Verständnisses und mit dem steten Bitten und Flehen: Ach, HERR Jesus, tue mir doch meine Augen auf, dass ich mich und dich recht erkenne. Damit muss es dir aber auch ein wahrer Ernst sein. Es muss in deinem Inneren heißen, wie bei Jakob: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“

    Meint es aber damit ein Mensch aufrichtig, so lässt es ihm auch Gott gelingen, gibt ihm ein seine Sündhaftigkeit lebendig erkennendes, darüber betrübtes und zerbrochenes Herz, und die selige Gewissheit, dass Jesus, der Heiland der Sünder, auch sein Heiland sei. Und o selig ist der Mensch, welcher dies wirklich und wahrhaftig erfährt! Denn ist dies geschehen, dann ist der Mensch auch die Herrschaft seiner von Natur irdischen Gesinnung los und ein wahrhaft himmlischer Sinn zieht dann in seiner Seele ein.

    Ein solcher Mensch mag dann nicht mehr trachten nach dem, das auf Erden ist, denn die Lust am Eitlen ist ihm vergangen; seine Seele dürstet aber nach dem Himmlischen, denn in der Gnade Jesu hat ihm Gott schon einen Vorgeschmack des ewigen Lebens gegeben; wer aber diesen Vorgeschmack genießt, dem ist alle Süßigkeit der Welteitelkeit gallenbitter, und er flieht davor, während die armen weltherzen wie Schmetterlinge von einer Freudenblume zur anderen fliegen, bis der bittere Tod ihren flüchtigen kurzen Freuden ein ewiges Ende macht.

    Ach, meine Lieben, so täuscht euch denn nicht selbst! Bedenkt: Gerade diejenigen, welche einmal Christen gewesen sind, können sich am leichtesten täuschen, weil sie nämlich noch immer äußerlich wie Christen sich zu gebärden, zu reden, zu handeln und zu wandeln wissen, aber bedenkt: Das Reich Gottes kommt, wie Christus spricht, nicht mit äußerlichen Gebärden und steht, wie Paulus schreibt, nicht in Worten, sondern in der Kraft, nämlich in Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Ein Mensch kann daher dann alles tun und lassen, was wahre Christen tun und lassen, er kann eifrig sein in Gottes Wort und Gebet und in tiefer Zurückgezogenheit von der Welt leben – und dabei doch kein wahrer Christ sein. Denn zum Christen macht, wie gesagt keine äußerliche Gebärde, kein christliches Reden, kein Werk, kein Wandel, kurz, nichts Äußeres, sondern allein seine neue himmlische Gesinnung, mit der er nicht nur zur Kirche geht, sondern selbst seinem irdischen Beruf obliegt. Sein Schatz, Christus, ist im Himmel, drum ist auch sein Herz allda.

    So helfe uns denn Gott allen hier zu solchem himmlischen Sinn, einst aber durch Jesu Gnade zu des Himmels Herrlichkeit selbst. Amen.

 

Evangelienpredigt zum sechsten Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 5,20-26: Dass die Tugend des natuerlichen Menschen ganz unzulaenglich ist

 

Matthäus 5,20-26: Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Racha! der ist des Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr! der ist des höllischen Feuers schuldig. Darum wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dir fällt dann ein, dass dein Bruder etwas gegen dich habe, so lass allda vor dem Altar deine Gabe und gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder und dann komm und opfere deine Gabe. Sei willfertig deinem Widersacher bald, dieweil du noch bei ihm auf dem Weg bist, auf dass dich der Widersacher nicht dermaleinst überantworte dem Richter, und der Richter überantworte dich dem Diener, und werdest in den Kerker geworfen. Ich sage dir: Wahrlich, du wirst nicht von dort herauskommen, bis du auch den letzten Heller bezahlst.

 

    In Christus, geliebte Zuhörer!

    Das Wort von Christus ist n och immer, wie in der Apostel Zeiten, allen Selbstgerechten ein Ärgernis und allen Selbstklugen eine Torheit. Keine Lehre hört man in unseren Tagen mit größerem Unwillen als die Lehre, dass der Mensch allein aus Gnaden durch den Glauben an Christus, den Heiland der Sünder, vor Gott gerecht und selig werde. Die Predigten und die Bücher, welche diesen Weg zur Seligkeit zeigen, sind eine Nahrung, die jet5zt nur wenig befriedigt; die Meisten sind mit Ekel und Verachtung dagegen erfüllt.

    Die Lehre, welche jetzt der großen Mehrheit auch derer, die sich noch Christen nennen, wohlgefällt, ist diese, dass sich der Mensch durch seine Tugend, durch seine guten Werke den Himmel verdienen müsse. Wo jetzt das gepredigt wird, da füllen sich die Kirchen, da leiht man dem Verkündiger ein aufmerksames Ohr, da rühmt man, die rechte Speise für die Seele zu empfangen. Die alten Erbauungsbücher, in welchen Christus allein als der Welt, die Wahrheit und das Leben gepriesen wird, liegen im Staub und die meisten schämen sich nun des Glaubens ihrer Voreltern, durch Christi Versöhnung einen gnädigen Gott und Vater im Himmel zu finden; hingegen die tausend und abertausend neuen Erbauungsbücher, in welchen der Mensch angewiesen wird, wie er durch seine eigene Frömmigkeit und Gerechtigkeit Gott wohlgefällig und eines besseren Lebens in der Ewigkeit würdig werden müsse, diese kauft, liest und rühmt man.

    Sollte dies nicht ein gutes Zeichen sein, dass man jetzt die Lehre von der Tugend und guten Werken so hoch hält? Freilich sollte man dies meinen; aber betrachten wir die Welt, wie sie jetzt ist, so müssen wir durchaus gestehen, dass zu keiner Zeit die Tugend weniger geübt, gute Werke seltener vollbracht und Gottes Gebote ungescheuter übertreten worden sind als jetzt. Ja, wir sehen, dass gerade diejenigen, welche die Tugendlehre am meisten empfehlen und das Evangelium von der Gnade am meisten hassen, am zügellosesten dahinleben nach ihres Herzens böser Lust. Wir finden, dass gerade diejenigen, welche mit hoher Begeisterung von Moralität und von der hohen Würde und von dem Adel des Menschjen sprechen können, unmoralisch, unwürdig und unedel wandeln. Wir bemerken, dass viele jetzt laut rühmen, der Mensch sei freu und könne nicht nur das Gute wollen, sondern es auch vollbringen und habe von Natur große Kräfte, als ein Abbild Gottes zu leben, er bedürfe allein einer guten Erziehung; und dieselben, die diese große Willenskraft des Menschen preisen, sehen wir sehr häufig als Sklaven ihrer Leidenschaften und Sünden wandeln.

    Sagt, meine Lieben, woher kann dieser Widerspruch kommen, dass jetzt die meisten durch das Haltender Gebote Gottes selig werden wollen, während doch niemand weniger als sie diese Gebote achten? Der Grund liegt darin: Die falschen Lehrer unserer Tage predigen Gottes Gesetz nicht, wie es ist; sie tun bald hinzu, bald hinweg; sie predigen eine so elende Tugend, die jeder noch zu erreichen hofft, wenn auch in seinem Herzen weder Furcht noch Liebe, noch Vertrauen gegen Gott, noch wahre Liebe zu dem Nächsten wohnt; sie trösten die Leute, wenn sie die Gebote nur äußerlich erfüllen, und verschweigen ihnen, dass Gott heilig und sein Gesetz geistlich ist, und dass auch die geringste Sünde schon fluch und Tod verdiene. So werden Millionen verführt, sie halten sie für gute Menschen, verachten die Versöhnung Christi und gehen so mit ihren Tugendpropheten ewig verloren.

    Vor diesem Gift der neuen falschen Tugendlehrer hütet euch; schon die Pharisäer und Schriftgelehrten haben diesen falschen Weg ihren Zuhörern gezeigt; Christus ist ihnen daher entgegengetreten und hat sie gründlich widerlegt. Dieses finden wir auch in unserem Evangelium. Lasst uns daher uns jetzt zu seinen Füßen setzen und ihn über diesen wichtigen Gegenstand hören, nämlich:

 

Dass die Tugend des natürlichen Menschen ganz unzulänglich ist

Nämlich:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Zur Erfüllung des göttlichen Gesetzes und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Zur Erlangung ewiger Seligkeit.

 

1.

    Was hilft der Glaube, wenn der Mensch nicht tugendhaft ist? „Gott hat die Gebote gegeben, dass wir sie halten sollen; das Halten derselben, das ist daher der rechte Weg zum ewigen Leben, und diesen Weg gehen wir“, so sprachen einst die Pharisäer und Schriftgelehrten, und das ist noch jetzt die Sprache der Ungläubigen unserer Tage. Das klingt nun freilich recht schön, denn wer kann es leugnen, dass wir schuldig sind, das, was uns Gott geboten hat, zu halten? Wer kann es ferner leugnen, dass es Gott wohlgefallen müsse, wenn ein Mensch seine Gebote erfüllt, und dass Gott solche guten gehorsamen Untertanen seines Reiches einst herrlich belohnen werde? Hat Gott nicht selbst gesagt: „Tue das, so wirst du leben“? „Denen, die mich lieben und meine Gebote halten, tue ich wohl bis ins tausendste Glied“?

    Eine so schöne Sache es aber freilich wäre, wenn es Menschen gäbe, die diese von Gott vorgezeichnete Bahn der Tugend wirklich treu gingen, so macht doch Christus in unserem Evangelium den Ruhm aller derjenigen zuschanden, die sich einer solchen Frömmigkeit rühmen, und er tut dies, indem er uns ein einziges Gebot nach seinem wahren Inhalt und Verständnis auslegt, nämlich das fünfte. Denn an keinem Gebot als an diesem, wird es leichter offenbar, dass alle Tugend eines natürlichen Menschen, wenn sie auch noch so sehr vor Menschen leuchtet und scheint, zur wirklichen Erfüllung des Gesetzes ganz unzulänglich ist.

    Christus spricht nämlich: „Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein.“ Christus will hiermit sagen: Eure Väter, die das Gesetz gepredigt haben, haben das fünfter Gebot so ausgelegt: Wer seines Nächsten Blut vergieße, der sei allein ein Übertreter des fünften Gebots, der begehe eine schreckliche Sünde, gehöre vor das Gericht und habe den Tod verdient; wer daher für einen rechtschaffenen Israeliten gelten und in diese schreckliche schuld und Strafe nicht fallen wolle, der solle sich hüten, die Mörderhand gegen seinen Nächsten aufzuheben, so werde er Gott und Menschen gefällig sein.

    Diese Lehre, die die Pharisäer und Schriftgelehrten von den Alten angenommen hatten, geht auch jetzt bei vielen im Schwang. Ist man sich bewusst, keinen Menschen mit Vorsatz und gewaltsam um sein Leben gebracht zu haben, so segnet man sich in seinem Herzen, dass man das fünfte Gebot treu erfüllt habe. Liest oder hört man die Worte: „Du sollst nicht töten“, so denkt man: Gott soll mich davor behüten, dieses wichtige Gebot zu übertreten. Nein, das Leben meines Nächsten soll mir, wie immer, so auch in Zukunft heilig und teuer sein. Alle Tugendhelden unserer Tage wachsen sich bei der Verkündigung des fünften Gebots mit Pilatus die Hände und sprechen: Da sei Gott vor! Wir sind unschuldig an allem Blut, da je unrecht vergossen wurde.

    Aber man irrt sich hierbei gar schwer. Wer sich nicht eines Höheren rühmen kann, als dass er noch nicht Menschenblut vergossen habe, der rühmt sich vergeblich, das fünfte Gebot erfüllt zu haben. Gerade dieses Gebot fasst so große und tiefe Forderungen in sich, dass davor alle Selbstgerechten schamrot werden müssen. Denn kein Mensch ist im Stande, es nach seinem wahren Sinn zu erfüllen.

    Christus spricht nämlich in unserem Evangelium weiter: „Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Racha, der ist des Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig.“ Hiermit erklärt also Christus, dass man das fünfte Gebot schon mit dem Herzen übertreten könne, und dass ein jeder, wenn er mit seinem Bruder zürnt, vor Gott ein Mörder sei, der vor das Halsgericht gehöre.

    Hiermit hat Christus wie mit einem gewaltigen Donnerschlag alle zum Verstummen gebracht, welche sagen: „Wir hoffen auch selig zu werden, denn wir halten Gottes Gebote.“ Nach jener Auslegung des göttlichen Gesetzgebers selbst mögen doch diejenigen auftreten, die es bekennen können, dass sie das fünfte Gebot so erfüllt haben. Wo ist der Mensch, der da sagen könnte: Ich habe nie gegen einen Menschen gezürnt? Es gibt keinen. Denn unser Herz kann von Natur nicht anders; sobald es beleidigt wird, so regt sich darin Groll und Zorn. Wer dies leugnen will, will sich und andere betrügen; die tägliche Erfahrung widerlegt diesen Ruhm unwidersprechlich.

    So lange ein Mensch, der seinen Stolz darin sieht, moralisch zu sein, nicht gereizt wird, so lange scheint er wohl oft ganz tadellos zu sein. Mancher zeigt vielleicht einen großen Hass aller Falschheit und alles unchristlichen Handels, er greift daher den geheimen Bösewicht freimütig an, deckt seine Ränke auf und stellt ihn vor aller Welt an den Pranger; er zeigt sich überaus tätig für die allgemeine Wohlfahrt; er ist menschenfreundlich gegen jedermann, hilfreich und freigiebig gegen Arme und Unglückliche. Jedermann bewundert ihn daher oft als einen Mann von ausgezeichnetem Charakter, man wünscht, dass nur alle so gute Menschen sein möchten, wie er ist, dann, meint man, werde Gerechtigkeit, Liebe und Wohlfahrt in der menschlichen Gesellschaft blühen.

    Beobachtet man aber solche scheinbar musterhaften Menschen, wenn sie beleidigt und gereizt werden, so verlieren sie gar bald den heiligen Schein, von dem sie erst umgeben waren. Da werden die erst so Sanftmütigen schnell zornig; so gerecht sie sich sonst zeigten, so ungerecht verfahren sie nun gegen den, der ihnen als Feind entgegentritt. Ja, betrachtet die Tugendhelden unserer Tage, die sich rühmen, von Gott nicht Gnade, sondern Gerechtigkeit erlangen zu wollen: Können sie Beleidigungen ertragen? Können sie den Zorn über ihre Feinde überwinden? Ja, schämen sie sich ihres Zorns? Nein, sie tragen ihn vor aller Welt zur Schau und zeigen, wenn sie angegriffen werden, dass sie vor Rache glühen; sie sagen, dass sie sich dies selbst schuldig seien, und nennen ihre Rachsucht Männlichkeit und edlen Stolz.

    Am deutlichsten offenbaren sie sich, wen nein Christ ihnen sagt, dass sie mit ihrer natürlichen Gerechtigkeit vor Gott nichts gelten, dass sie Gottes Gebote nicht halten, dass sie mit aller ihrer Tugend doch keine wahren Christen sind; dann kommt es erst recht an den Tag, was in ihrem Herzen verborgen liegt, dann kennt ihr Zorn, ihr Hass, ihre Feindseligkeit keine Grenzen.

    Ein Beispiel hiervon waren einst die Pharisäer und Schriftgelehrten. Sie rühmten sich nicht nur, das Gesetz zu erfüllen, sondern die meisten lebten auch so, dass ihnen niemand etwas nachsagen konnte. Jedermann hielt sie für die Heiligsten und Gerechtesten im Volk. Christus, der HERR, aber sah in ihr Herz und durchschaute ihre Schalkheit. Er strafte sie daher und erklärte sie für Heuchler. Sobald aber Christus so gegen sie aufgetreten war, so offenbarten sie sogleich, wes Geistes Kinder sie waren; denn mit brennendem Hass verfolgten sie den, der ihnen die Wahrheit bezeugt hatte.

    Wie kann nun ein Mensch noch den Wahn hegen, dass er tue, was Gott in seinen Geboten von uns fordere, wenn er zwar keinen Menschen mit der Hand tötet, aber doch noch mit seinem Nächsten zürnt, ja, Hass und Rachsucht in seinem Herzen gegen ihn trägt? Menschen lassen sich dadurch wohl täuschen, aber nicht der allwissende Gott, der Herzen und Nieren prüft. Er spricht: „Du sollst nicht töten“, er spricht nicht: diene Hand, dein Dolch, sondern: du, o Mensch, mit Herz, Mund und Hand.

    Darum glaubt es, meine Lieben: Alle diejenigen, welche meinen, dass sie Gottes Gebote wirklich erfüllen, liegen in einer entsetzlichen Verblendung, die sie, wenn sie darin bleiben, um ihrer Seelen Heil und Seligkeit bringen wird. Du sprichst: Ich bin kein Mörder, und du bist es um deines Zornes willen. Du sprichst: ich bin kein Hurer, und bist es um deiner unkeuschen Gedanken und Begierden willen. Du sprichst: Ich bin kein Dieb, und du bist es um deines Trachtens nach Reichtum, [um deiner Habgier, deines Geizes, deiner Missgunst gegen andere, um deines Wuchers, deiner Ausbeutung anderer, deiner unterlassenen Hilfe, deines zumindest im Herzen mürrischen Gebens für andere] willen. Du sprichst: Ich bin kein Götzendiener, und du bist es, denn Gott ist nicht dein höchstes Gut, [du setzt deine Zuversicht, dein Vertrauen auf dein Geld, auf dein Wissen, dein Können, deine Beziehungen; das, was dein Leben wirklich ausmacht, ist nicht die treue Nachfolge Christi, sondern dein Haus, deine Familie, deine Firma, dein Beruf, dein Hobby, dein Freundeskreis, deine Verwandtschaft]. Du sprichst: Ich bin kein Flucher, und du bist es, denn du missbrauchst noch Gottes Namen[, betest vielleicht gar nicht, oder nur oberflächlich, ohne mit Ernst bei der Sache zu sein, kennst den wahren Gott auch gar nicht].

    Doch, meine Lieben, wer nur will, der kann hieraus wohl erkennen, dass die Tugend eines natürlichen Menschen zur Erfüllung des Gesetzes ganz unzulänglich ist. So hört nun zweitens, wie sie daher auch nicht zur Seligkeit helfe.

 

2.

    Deutlich sagt dies Christus in unserm Evangelium. „Ich sage euch“, ruft er darin, „wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“

    Wohl ist es nämlich wahr, dass in der Heiligen Schrift an vielen Stellen denen die Seligkeit zugesprochen wird, welche das Gesetz halten würden, aber nur denen, die es vollkommen bis zu dem kleinsten Buchstaben halten in Gedanken, Worten und Werken. Seht hieraus, sie schalkhaft die falschen Lehrer unserer Zeit handeln. Sie predigen: Steht es nicht deutlich in der Schrift: „Wer recht tut, der ist gerecht“? Spricht nicht Christus selbst: „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote“? Seht, sprechen sie, es kommt auf das Tun und Halt en der Gebote an, nicht auf den Glauben. Aber sie sind Lügenredner, die die Heilige Schrift nur zum Deckmantel ihrer falschen Lehre nehmen, weil sie fürchten, wenn sie die Schrift geradezu verwürfen, so würde niemand ihnen für ihre Predigten Geld geben; denn das ist es, was sie allein suchen., Daher verschweigen sie es, dass nach der Schrift die Verheißung des Himmelreichs nur solchen Erfüllern des Gesetzes gegeben sei, die es ganz vollkommen erfüllten. „Ihr sollt vollkommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist.“ Und Jakobus spricht: „So jemand das ganze Gesetz hält und sündigt an Einem, der ist’s ganz schuldig. Denn der da gesagt hat: Du sollst nicht ehebrechen, der hat auch gesagt: Du sollst nicht töten. So du nun nicht ehebrichst, tötest aber, bist du ein Übertreter des Gesetzes.“ Das verschweigen die falschen Tugendprediger ihren Zuhörern. Sie stumpfen das scharfe zweischneidige Schwert des Gesetzes ab, indem sie hinzusetzen: „Du bist freilich ein schwacher Mensch und wirst oft fehlen, aber das übersieht Gott. Tue nur, so viel du kannst, so wirst du selig.“ Aber so steht denn das geschrieben? Gott sagt nicht: Der Mensch soll tun, so viel er kann, sondern so viel er, Gott, ihm gebietet. Gott gebietet aber vollkommene Heiligkeit. Wer daher durch Werke selig werden will, der muss ganz heilig und rein auch in seinem herzen sein, oder er kann das ewige Leben nicht ererben.

    Legen nun, meine Lieben, die falschen Propheten das Gesetz aus wie Christus? Spricht Christus etwa, wie die falschen Propheten unserer Tage, Gott sei gütig und übersehe die Schwachheiten der Menschen, er sei zufrieden, wen wir uns nur vor zu groben Übertretungen der Gebote hüteten? Nein, er erklärt uns, wer auch nur im Herzen anders gesinnt sei, als Gottes Gebot fordere, und wer es auch nur mit einem Wort übertrete, den treffe die Drohung des Gesetzes, er sei verurteilt als ein Rebell in Gottes Reich, er habe das Anrecht an Gottes Gnade, an den Himmel und an das ewige Leben verloren und er sei nun eine reife Frucht, nämlich für die Hölle, wo er auch den letzten Heller seiner Schuld bezahlen müsse.

    Nach Christi Ausspruch hast du, o Mensch, wenn du eingestehst, dass du nicht ohne Schuld bist, dich dann selbst verurteilt. Deine Sünden, schienen sie dir groß oder klein, sie sind groß, denn sie beleidigen den großen Gott. Darum, wenn deine Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so wirst du nicht in das Himmelreich kommen. Der Allerhöchste hat diese Worte ausgesprochen, sein Urteil ist unwiderruflich; hiermit ist der Stab über alle die gebrochen, die durch ihre Werke selig werden wollen, sie sind hiermit ausgeschlossen aus dem Reich Gottes.

    Wie? Werden vielleicht manche hierbei ausrufen, weg kann dann selig werden? Sind hiernach alle Menschen, da sie alle Sünder sind, unrettbar verloren? Ja, so lange sie selbst sich retten wollen, sind sie unrettbar. Aber es ist ein Weg, dem Fluch des Gesetzes, der uns alle trifft, zu entgehen. Diesen Weg beschreibt der Apostel so: „Die mit des Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch. Christus aber hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns. Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.“

    Das ist der einzige Weg des Heils. Erschrecken wir vor der Donnerstimme des Gesetzes, geben wir dem höchsten Gesetzgeber aller Kreaturen recht; legen wir uns als Sünder demütig zu seinen Füßen und rufen wir ihn um Erbarmen an, so ruft er uns im Evangelium zu: Das ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören“, an den sollt ihr glauben, denn wer an ihn glaubt, soll nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

    O, so geht denn alle diesen Weg. Wollt nicht eine eigene Gerechtigkeit, Tugend und Frömmigkeit aufrichten, sie gilt vor Gott weniger als nichts. Nur Christi Fürsprache kann euch am jüngsten Tag in Gottes strengem Gericht von ewiger Verstoßung erretten; nur er kann euch mit seiner rechten Gerechtigkeit schmücken, die vor Gott gilt. Darum gleich an ihn, ihn umfasst, und ihn lasst, lasst nimmt, so hat es mit euch keine Not. So werdet ihr im Tod, wenn dieser Welt Trost zerrinnt, noch viel Frieden und Trost singen:

Christi Blut und Gerechtigkeit,

Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid,

Damit will ich vor Gott bestehn,

Wenn ich zum Himmel werd eingehn.

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum siebten Sonntag nach Trinitatis ueber Markus 8,1-9: Wie Gott fort und fort alljaehrlich das Wunder tut, dass er aus Wenigem viel macht

 

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Derjenige, welcher glaubt, dass Gott dem Lauf der Welt nur müßig zuschaue, welcher daher die Zuversicht nicht hat, dass es eine göttliche weise, gerechte und gütige Vorsehung gebe, die alles in der Welt regiert und ordnet, wer darum meint, dass die leblosen und lebendigen Kreaturen und so auch er selbst einem blinden Ungefähr und dem Zufall unterworfen seien, ein solcher glaubloser Mensch ist gewiss höchst unglücklich.

    Unzählig sind ja die Übel, die das menschliche Leben umringen und die unaufhörlich unsere Wohlfahrt, ja, unser Leben bedrohen. Unser Leib ist recht eigentlich ein Sitz von tausend Krankheiten, überall trägt er die Keime des Toes mit sich herum, „mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“, wie es in jenem alten Lied heißt. Wohin wir uns nur wenden, überall sehen wir Pfeile des Todes auf uns gerichtet. Treten wir in ein Schiff, und wir sind kaum einen Schritt von dem Tod entfernt; wir besteigen einen Wagen oder ein Lasttier, und wir sind in Lebensgefahr, wenn es nur mit einem Fuß strauchelt. Eine Waffe in unserer oder in des Freundes Hand kann uns gegen unseren und des Freundes Willen bei einem kleinen Versehen den Tod bringen. Wir gehen durch die Straßen der Stadt, und so viele Ziegel auf den Dächern sich finden, so vielen Gefahren des Leibes und Lebens sind wir unterworfen. Unser Haus steht ständig in Gefahr und droht uns mit Erdrückung durch Einsturz oder mit Tod in den Flammen. Wir bepflanzen unseren Acker mit Mühe und Schweiß, aber Hagel, Überschwemmung, Dürre und Ungeziefer können schnell unsere Arbeit vernichten und uns Unfruchtbarkeit und mit derselben Hungersnot senden. Jeder Stein im Weg, jeder kühle Luftzug, jeder morsche Baum, an dem wir vorübergehen, kann uns dem Tod überliefern. Jedes Gewitter mit seinen zuckenden Blitzen redet mit uns im Donnerton von dem jetzt leicht möglichen letzten Augenblick unseres Daseins. Kurz, der Mensch wandelt auf dieser Erde wie durch tausend entblößte Schwerter, die, an einem Haar befestigt, über seinem Scheitel schweben. O, wie elend ist daher der Mensch, der da meint, sein Leben sei der Herrschaft des Zufalls unterworfen! Über all sieht er den Rachen des Verderbens gegen sich geöffnet, und er fühlt sich keinen Augenblick sicher davor, von ihm verschlungen zu werden. Ängstlich betrachtet er das Gegenwärtige, und voll Sorge, Zweifel und Misstrauen blickt er in die dunkle Zukunft, die er, wie mit Not und Tod gegen ihn bewaffnet, auf ihn zuschreiten sieht.

    Wie getrost, wie ruhig, wie voll seliger Hoffnung kann hingegen derjenige mitten durch alle drohenden Gefahren dieser Welt wandeln, der es weiß und von Herzen glaubt, dass nichts, auch das Geringste nicht, von ungefähr geschehe und geschehen könne, dass sein gnädiger Gott und Vater in Christus alles lenke, dass ohne seinen Willen kein Sperling vom Dach, ja, kein Haar ihm vom Haupt fällt, dass sie alle von Gott gezählt sind, dass Gott für alles sorge, dass alles, was im Großen und Kleinen geschieht, von Gott so bestimmt werde, allein die Sünde ausgenommen! O, wohl dem Menschen, der mit David ausrufen kann: „Der HERR ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der HERR ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen? – Er errettet mich von dem Strick des Jägers und von der schrecklichen Pestilenz. Er wird mich mit seinen Fittichen decken, und meine Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln; seine Wahrheit ist Schirm und Schild, dass ich nicht erschrecken müsse vor den Grauen des Nachts, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die im Mittag verderbt. Ob tausend fallen zu meiner Seite, und zehntausend zu meiner Rechten, so wird es mich doch nicht treffen. – Es wird mir kein Übels begegnen, und keine Plage wird sich zu meiner Hütte nahen. Denn er hat seinen Engeln befohlen über mir, dass sie mich behüten auf allen meinen Wegen, dass sie mich auf den Händen tragen, und ich meinen Fuß nicht an einen Stein stoße.“

    O ihr gläubigen Kinder Gottes, die ihr durch den Glauben liegt in dem Schoß eures himmlischen Vaters, wie selig seid ihr nicht nur im Glück, sondern auch im Unglück, nicht nur in den Tagen der Freude und des Überflusses, sondern auch in den Tagen des Schmerzes und Mangels! Ihr wisst: Alles muss euch zum Besten dienen, denn ein gnädiger Gott und Vater lenkt alle eure Schicksale nach seinem weisen erbarmungsvollen Rat zu eurer Seligkeit. O, dass wir alle in solchem kindlichen Glauben stehen könnten! Wie viele Lasten der Sorgen, die uns oft fast zu Boden drücken wollen, würden und dann abgenommen, wie viele Tränen, die wir fruchtlos weinen, getrocknet, wie viele Seufzer, die wir ausstoßen gestillt, mit einem Wort, wie viel glücklicher und zufriedener würden wir sein! Denn ein kindlicher Glaube an Gottes väterliche Fürsorge macht schon hier selig. Euch hierzu zu erwecken, dazu sei die gegenwärtige Stunde bestimmt.

 

Markus 8,1-9: Zu der Zeit, da viel Volk da war und hatten nichts zu essen, rief Jesus seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Mich jammert das Volk; denn sie haben nun drei Tage bei mir verharrt und haben nichts zu essen; und wenn ich sie ohne zu essen von mir heim ließe gehen, würden sie auf dem Weg verschmachten. Denn etliche waren von ferne kommen. Seine Jünger antworteten ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Wüste, dass wir sie sättigen? Und er fragte sie: Wieviel Brot habt ihr? Sie sprachen: Sieben. Und er gebot dem Volk, dass sie sich auf die Erde lagerten. Und er nahm die sieben Brote und dankte und brach sie und gab sie seinen Jüngern, dass sie diese vorlegten; und sie legten dem Volk vor. Und sie hatten ein wenig Fischlein; und er dankte und hieß diese auch vortragen. Sie aßen aber und wurden satt und hoben die übrigen Brocken auf, sieben Körbe. Und ihrer waren bei viertausend, die da gegessen hatten; und er ließ sie von sich.

 

    Der verlesene Abschnitt des Evangeliums nach Markus, in welchem erzählt wird, wie Christus aus Wenigem viel macht, ist sehr weise für einen Sonntag der gegenwärtigen Jahreszeit ausgewählt, an dem nun alle Felder fruchtbeladen stehen und reif zur Ernte sind. Unser Evangelium soll uns nämlich daran erinnern, dass wir noch jetzt in jedem Sommer dasselbe Wunder erfahren, was einst das Volk in der Wüte erfuhr, wenn wir nur unsere Felder mit den Augen des Glaubens betrachten wollen. Ich spreche daher jetzt zu euch davon:

 

Wie Gott fort und fort alljährlich das Wunder tut, dass er aus Wenigem viel macht

 

     Lasst mich euch

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die Wahrheit dieses Satzes zur Klarheit zu bringen suchen, und euch

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Zeigen, wie wichtig diese Wahrheit für Christen und Nichtchristen ist.

 

    HERR, der du nicht ein Gott bist, der ferne ist, sondern der nahe ist, denn in dir leben, weben und sind wir, segne jetzt die Predigt deines offenbarten Wortes dazu, dass wir lebendig erkennen, wie du als ein Vater über uns wachst, für uns sorgst und unserer in aller Not gnädig dich annimmst. O, gieße durch einen kindlichen Glauben an Deine ewige Vorsicht in unser Herz, dass wir nicht durch törichte Sorge für das Irdische das Ewige verlieren, sondern allein trachten nach dem Einen, was unserer Seele Not tut, und für das Zeitliche dich sorgen lassen. Wirke dies in uns allen durch deinen Heiligen Geist um Jesu Christi willen. Amen.

 

1.

    Dass das ein großes, bewunderungswürdiges Wunder war, das Christus, wie wir in unserem heutigen Evangelium hören, mit sieben Broten und ein wenig Fischlein viertausend Männer, ungerechnet Frauen und Kinder, welche alle sehr verschmachtet waren, vollkommen sättigte, dies sieht wohl jeder verständige Mensch ein. Christus hat sich damals als der Herr der Natur, als der Schöpfer und Erhalter der Menschen, mit einem Wort, als der wahrhaftige So0hn Gottes unwidersprechlich bewiesen. Gewiss, ein jeder von uns wünscht, Zeuge dieses Wunders gewesen zu sein. Wollen wir aber, meine Lieben, unser Auge nur öffnen, so können wir noch immer Zeuge eines solchen herrlichen Wunder sein, denn dasselbe wiederholt sich fort und fort alljährlich vor unseren Augen. Derselbe Mann, der einst aus sieben Broten und wenig Fischlein durch seinen Wundersegen reichliche Nahrung für viertausend Männer machte, verwandelt noch jetzt Jahr aus Jahr ein den geringen Samen, den wir ausstreuen, in große Haufen, die unsere Scheuern füllen, in reichliche Vorrat für das ganze lange Jahr und für Millionen Hungrige. Was ist die Erde besonders während jeden Winters anderes als auch eine öde leere Wüste? Was geschieht aber? Nach wenigen Monaten tut Gott das erstaunenswürdige Wunder: Die kahlen, abgestorbenen Bäume des schneeigen Winters schlagen im Frühling aus, belauben sind und blühen, bis sie endlich Im Sommer ihre Zweige wie volle Hände mit süßen erquickenden Früchten nach uns ausstrecken. So stecken wir auch dass Korn hoffend in den sterbenden Boden des Herbstes, und siehe! das Korn keimt unbeobachtet in dem Schoß der Erde, und gegen Ende des Sommers sehen wir wunderbar das einzelne Korn in eine hundertkörnige Ähre und Kolbe, Brot für wenige in Brot für viele verwandelt. Ist das nicht dasselbe Wunder im Großen, was Christus in der Wüste einst im Kleinen tat?

    Die Ungläubigen und jedes Menschen unerleuchtete Vernunft sprechen: nein, hier ist kein besonderes Wunder, denn hier geht es nach den ewigen, unveränderlichen, notwendigen Gesetzen der Natur. Was ist’s Wunderbares, dass die Erde fruchtbar ist? Sie ist einmal so geschaffen. Aber, meine Lieben, die alljährliche Ernte achten wir nur darum für kein Wunder, weil sie uns etwas Gewöhnliches geworden ist, was uns nicht mehr auffallen kann. Aber sollte etwas deswegen kein Wunder mehr sein, weil es so oft geschieht? Nein, was nur Gott tun kann, ist ein Wunder; wie aber die Erschaffung, so ist auch die Erhaltung und stete Fruchtbarkeit der Erde Gottes alleiniges Werk; betrachten wir sie daher recht, so erblicken wir auch in ihr ein preiswürdiges Wunder der göttlichen Allmacht und Güte.

    Gott sieht, nachdem er die Welt geschaffen hat, keineswegs müßig zu, wie dieses künstlichste Uhrwerk sich selbst fortbewegt; nein, Gott ist selbst die dasselbe stets bewegende Kraft. Gott lässt das Schiff unserer Erde auf dem Ozean des Luftraumes nicht von einem blinden Zufall hin und her schleudern, sondern er, Gott selbst, ist es, der dieses großen Schiffes Ruder führt.

    Beobachtet nur das Weben und Leben der Natur genau, so werdet ihr selbst mit den Augen eurer Vernunft erkennen müssen, dass über derselben kein eisernes Naturgesetz herrsche. Die Erdkräfte setzen, wie wir sehen, die große Maschine der Natur keineswegs in eine so geregelte Bewegung, wie es das Aufziehen eines künstlichen Uhrwerkes tut. Wir sehen vielmehr, wie in der Natur alles so regellos, so unbestimmt, so willkürlich seinen Gang geht, dass wir nicht begreifen könnten, wie dennoch alles bestehen könne, wenn wir nicht wüssten, dass ein weiser Lenker der Natur unsichtbar alles ordnet und leitet und in die allgemeine Verwirrung Zusammenhang bringt. Es ist keineswegs regelmäßig heute Sonnenschein, morgen Regen, übermorgen Wind, sondern wir beobachten vielmehr einen unerklärlichen Wechsel. Wir sehen, wie hier und da die Saaten verderben, die Blüten der Bäume schon mit dem letzten Frühlingsfrost verwelken und die Pflanzen in der Sonnenglut verschmachten. Woher kommt es, dass dies nicht zuweilen auf dem ganzen Erdboden geschieht und dadurch eine allgemeine Hungersnot entsteht, die die ganze Erde entvölkert? Oder, da wir die Wolken so frei dahinziehen sehen, warum bleiben wir nicht manches Jahr über einem einzigen Land stehen, das sie ersäufen, während die anderen Länder einen eisernen Boden bekommen, dessen harte Rinde die zarte keimende Saat nicht durchbrechen kann? Seht da, hier erblicken wir Gottes unsichtbar in der Natur wirkende und waltende Hand, die bald dahin, bald dorthin das Wolkenheer ausführt, und bald da, bald dort der Sonne milde Strahlen hervorbrechen lässt. O, führte Gott nicht den willen- und gesetzlos herumschweifenden und irrenden Wolkenzug an, so würde gar bald die Erde ihre Vorratskammern den Menschen verschließen, und dieselbe in eine ewige leblose, unfruchtbare Wüste verwandelt sein.

    Bedenkt ferner, wie notwendig die Sonne nicht nur überhaupt ist, sondern wie sie auch gerade so und nicht anders auf die Erde wirken muss, wie sie wirkt, damit durch sie das Wunder der Befruchtung der Erde geschehe. Denn nähme die Sonne nicht gerade den Stand ein, den sie gegenwärtig seit beinahe 6000 Jahren einnimmt, und hätte sie nicht gerade den Lauf, den sie hat, so würde sie mehr zerstören als beleben. Stünde die Sonne uns näher, so würde sie die Erde in Kurzem in einen großen Zügel ausgebrannt haben; träte sie hingegen um ebenso viel weiter hinaus, so würde die Erde bald in einem ewigen Winter erstarren. Woher kommt es nun, dass sich die Sonne seit 6000 Jahren noch nie auf ihrer unermesslichen Bahn verirrt hat? Woher kommt es, dass sie bald höher, bald tiefer steigt, aber an bestimmten Punkten stets regelmäßig umkehrt, damit auf unserer Erde der so nötige Wechsel der Jahreszeiten entstehe? Woher kommt es, dass diese Lampe des Himmels noch nicht verlöscht ist, obgleich niemand ihr immer neuen Brennstoff gibt? Diese Fackel Gottes muss ein ungeheures Gewölbe erleuchten, in welchem zahllose Erdkugeln Platz finden könnten; woher kommt es, dass diese Fackel noch nicht abgebrannt ist? Woher kommt es, dass diese große Feuerglut, wie das Meer in seinen Ufern, so in unsichtbaren Grenzen gehalten wird? Da sich nach den Gesetzen der Natur die Wolken von Zeit zu Zeit mit Regen entladen, woher kommt es, dass das Feuermeer der Sonne nicht nach denselben Gesetzen seine Glutströme zur Einäscherung der Welt über sie ausgießt? Vergeblich suchen wir hier den Grund in den Gesetzen der Natur; wir müssen vielmehr zurückgehen auf Gott, der, wie es im Brief an die Hebräer heißt, alles fort und fort trägt mit seinem kräftigen Wort.

    Endlich, sehen wir nicht, dass in der Natur kein Gesetz so gebieterisch herrscht wie das Gesetz des Alterns, der Zerstörung und des Todes? Diesem Gesetz sehen wir alles von dem Grashalm bis zum Menschen hinauf unerbittlich unterworfen. Woher kommt es nun, dass die Erde, diese allgemeine Mutter alles Vergänglichen, selbst nie veraltet, obgleich sich auf ihrer Oberfläche alles nach und nach immer wieder zum Untergang neigt? Woher kommt es, dass diese fruchtbare Erzeugerin alles, was aus ihrem Schoß hervorging, nach einiger Zeit wieder zurücknimmt, aber es in besserer, verjüngter Gestalt wieder zurückliefert, indem sie die verwesten Pflanzen und Körper in Nahrungsmittel zu neuen Früchten verwandelt? Wer ersetzt dem Schoß der Erde die seit 6000 Jahren aufgewendeten Kräfte? Wer macht sie immer aufs Neue jung und fruchtbar? Gott selbst ist die Lebensquelle, aus welcher in allen Kreaturen unaufhörlich die nötige Kraft einfließt. Gott selbst ist das Gewicht an dem großen Uhrwerk der Welt; ließe er seine Hand davon ab, so würde es plötzlich still stehen und zusammenfallen.

    In der Erde selbst liegt keine Kraft, Neues zu schaffen, der Blume ihren Duft und Wohlgeruch, der Frucht ihren süßen Saft, der Zeder ihre bis in die Wolken reichende Höhe und dem Korn sein herz- und lebensstärkendes Mehl zu geben, sondern, wie Christus jene sieben Brote und die Fische segnete und dadurch vermehrte, so spricht Gott noch alljährlich sein Segenswort über den gedeckten Tisch aller Felder und Gärten der Erde, und dadurch verwandelt er das Wenige in Vieles und speist ungezählte Millionen Menschen und Tiere an dieser seiner reich besetzten Tafel. Daher heißt es im 104. Psalm: „Gott, es wartet alles auf dich, dass du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie, wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gut gesättigt. Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub. Du lässt aus dienen Odem, so werden sie geschaffen und erneuerst die Gestalt der Erde.“

    Hierdurch, hoffe ich, ist euch, meinen Lieben, nun die Wahrheit des Satzes zur Klarheit gebracht worden, wie Gott fort und fort alljährlich das Wunder tut, dass er aus Wenigem viel macht; lasst mich euch nun zweitens zeigen, wie wichtig diese Wahrheit für Christen und Nichtchristen ist.

 

2.

    Bist du ein Christ, lieber Zuhörer, so siehst du erstens hieraus, dass es freilich Gott4es Weise ist, gerade seine Christen oft in die Wüste zu führen, wo es scheint, als sei so wenig da, dass sie verschmachten müssten. Du darfst daher nicht denken: Andere sind Heuchler, und doch geht es ihnen immer so wohl, in allem haben sie Glück und kommen vorwärts! Ich hingegen meine es mit Christus und seinem Wort so redlich, warum muss es doch gerade mir immer so übel gehen? Warum spüre doch gerade ich fast nirgends Segen und Gedeihen? Warum bleibe doch gerade ich arm und bedürftig? Das darf dich keineswegs Wunder nehmen, lieber Christ, dass es gerade dir so traurig in dieser Welt ergeht. Wenn du Christus folgst, sein Wort zu hören, so erwarte nur nicht, dass er dich dann schon in diesem Leben in ein Paradies der Freuden und des Überflusses führen werde. Nein, wer sich meldet, dass er in Christi Dienste treten wolle, der meldet sich zum Kampf unter der Fahne des Kreuzes, der mache sich nur sogleich auf manches bange Angststündlein im Voraus gefasst. Der ganze Lohn, den Christus seinen Dienern verspricht, ist nicht mehr als Nahrung und Kleidung. Wer mehr sucht, wer reich werden will, der muss es aufgeben, ein Christ zu sein. Denn gerade je treuer es ein mit seinem Heiland meint, desto mehr muss er erwarten, ihm in seiner Armut und Niedrigkeit in diesem Leben gleich zu werden.

    Doch die Wahrheit, dass Gott noch fort und fort aus Wenigem viel macht, soll die Christen nicht nur ergeben in ihr Schicksal machen, wenn ihnen Gott hier nur wenig irdische Güter verleiht, und sie hingegen mit viel Tränenbrot speist, diese Wahrheit soll ihnen auch in den Zeiten des Mangels das feste kindliche Vertrauen einflößen, dass Gott auch bei ihnen aus Wenigem viel machen und ihnen besser durchhelfen werde, als sie es denken. Bedenkt doch, liebe Christen: Ihr habt nicht nur einen Gott, der sich eurer Seele annehmen will, sondern der auch eine sorgsame Aufsicht auf euren armen Leib und seine Bedürfnisse hat; ihr habt einen Gott, der nicht nur unermesslich reich und allmächtig ist, um euch aus jeder Not augenblicklich erretten zu können, sondern den auch, wie ihr aus unserem Evangelium seht, von Herzen „jammert“, auch wenn ihr nur in einer irdischen Not euch befindet; ihr habt einen Gott, der nicht nur einst Wunder tat, um seine hungernden Zuhörer in der Wüste zu sättigen, sondern der noch fort und fort dieses Wunder alljährlich wiederholt, damit er allen, auch den Bösen und Undankbaren, ihre Speise gebe zu seiner Zeit. Wie? Dürft ihr, wenn ihr dies von Herzen glaubt, noch zagen, wenn ihr euch einmal in Verlegenheit und Not befindet? Denkt doch in solchen Zeiten, dass ihr euch wieder einmal mit Christus in der Wüste befindet; sorgt und grämt euch dann nur nicht ab, woher ihr Nahrung und Kleidung nehmen wollt; seht nur gläubig auf Christi Segenshände, er wird, er kann euch nicht vergessen und er wird, er muss euch geben, was euch not ist, und wenn er Steine in Brot verwandeln sollte. Seid ihr auch noch so sehr von Menschen verlassen und vergessen, so habt ihr doch einen allwissenden reichen Haushalt er und Freund an Christus im Himmel, der in der not an euch denkt, in der Trübsal euch nahe ist und, wenn seine Stunde gekommen ist, euch gewiss und herrlich hilft. Geht hinaus auf die Felder und seht da die wogenden Saaten, seht, wie hier Gott vor euren Augen das Wunder tut, dass er aus Wenigem viel macht, und lernt euch hier eures Kleinglaubens schämen. Wie? Sollte ein Reicher mehr Trost und Hoffnung haben, wenn er einen großen Vorrat irdischer Güter besitzt, die morgen ihm geraucht sein können, sollte dieser mehr Trost haben als ihr, die ihr Christus, den großen Wundertäter und Versorger, zum Freund habt? Das sei ferne? Gottes Segen ist mehr wert als alles Gold und Silber der Erde.

    Ihr Christen werdet aber vielleicht in der Not denken: Ja, wenn wir nicht so große Sünder wären, so wollten wir wohl hoffen, dass uns Gott auch wunderbar versorgen und auch bei uns das Wenige in vieles verwandeln, ja, auch nichts alles machen werde; aber wir sind Gott untreu gewesen und haben Gott oft verlassen, darum fürchten wir, Gott werde uns dafür strafen, uns nun wieder verlassen und nun auch nichts in unserer Not nach uns fragen. Wo steht es aber geschrieben, dass Gott nach Würdigkeit mit uns handeln wolle? Nein, nein, liebe Christen, fallen euch in eurer Not eure Sünden schwer aufs Herz, so bekennt sie nur Gott, denn so wir unsere Missetat bekennen, so ist Gott treu und gerecht, dass er uns alle unsere Sünden vergibt und reinigt und ´s von aller unserer Untugend. Werft aber darum nicht etwa euer Vertrauen auf Gottes Durchhilfe weg; Gott hat euch ja verheißen in der heiligen Taufe, er wolle um Christi willen euer Gott und Vater, euer Erhalter und Versorger sein; diese Verheißung nimmt Gott nicht zurück. Halt et euch nur im Glauben daran, sprecht nur zu Gott im Glauben: „O mein Gott, ich bin jetzt in Mangel und Not, halte mir nun auch dein Versprechen und gib mir, was ich bedarf“, so wird Gott an euch nicht zum Lügner werden. Himmel und Erde werden vergehen, aber Jesu Worte werden nicht vergehen, sondern wahr werden an allein, die sie im Glauben fassen. Je größer ihre Not ist, je herrlicher wird auch ihre Hilfe sein.

    Was habt aber nun endlich ihr hierbei zu merken, die ihr Christus noch nicht in die Wüste folgen, sondern es noch mit der Welt halten wollt? Die ihr von Gottes Wort entweder gar nichts wissen mögt, oder die ihr doch noch auf beiden Seiten hinkt, es weder mit Gott noch mit der Welt verderben wollt? Die ihr noch nicht im wahren, lebendigen Glauben an Christus steht und daher noch nicht gewiss wisst, ob ihr einen gnädigen oder ungnädigen Gott im Himmel habt? Solltet ihr nicht, wenn ihr hört, wie gut es ein Christ hat, wie getrost er alle seine Sorge auf den HERRN werfen und wie ruhig er der Zukunft entgegen gehen kann, solltet ihr nicht dadurch ein Verlangen bekommen, auch in einem so seligen Verhältnis zu Gott zu stehen?

    Wie elend seid ihr, da ihr nicht wisst, wie ihr mit Gott dran seid! Ihr könnt Gott nicht vertrauen, dass er euch in aller Not und in allem Mangel versorgen und euch durchhelfen werde; denn wie könnt ihr dem kindlich vertrauen, der um eurer Sünden willen noch euer Feind ist? O, so geht doch endlich auch ihr als arme Sünder zu Christus und folgt von nun an ihm auch im Glauben nach, so werdet ihr dann auch so glückliche Menschen werden, die mit David sagen können: „Du erfreust mein Herz, ob jene gleich viel Wein und Korn haben. Ich liege und schlafe ganz mit Frieden, denn allein du, HERR, hilfst mir, dass ich sicher wohne.“

    O, dass wir Menschen doch so große Toren und so blind für unser wahres Glück sein können! Gott will so gern hier alle unsere Sorgen uns abnehmen und dort uns ewig und vollkommen selig machen, und doch gehen wir dahin und suchen unseren Frieden in anderen Dingen und finden ihn nicht; mit Tränen und Seufzen, mit Kummer und Unruhe gehen wir durch die Welt, verachten das höchste Gut, nämlich Gottes Gnade, und gehen endlich in ewige Not.

    O, lasse sich doch keiner unter uns so von seinem verderbten Herzen betrügen! Lasst uns doch alle Gott unser ganzes Herz übergeben, so werden wir es zeitlich und ewig gut haben, denn alles andere ist Schein und Trug, Gott aber und seine Gnade ist unser wahres, unser höchstes Gut. Führt er uns auch hier durch mancherlei Not und Trübsal, so tut er’s doch nur, um sich in der Not als ein Gott, der da hilft, und als einen HERRN, HERRN, der auch vom Tod errettet, zu beweisen. Und o! wie werden wir uns freuen, wenn wir einst im Tod den schmalen Weg hinter uns und das leuchtende himmlische Jerusalem, die heilige Ruhestadt, die Wohnungen des ewigen Friedens vor uns sehen! Dann kommt der Augenblick, in dem Gott bei uns nicht nur das Wenige in viel, sondern das Leiden in Herrlichkeit, das Kreuz in Seligkeit, das Weinen in ewiges Lachen verwandelt. Dazu helfe uns Gott allen um Jesu Christi willen. Amen.

 

Evangelienpredigt zum achten Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 7,15-23: Christi Warnung vor falschen Propheten

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Der Hauptgrund, warum es in unserem Land im Blick auf die Religion und das Christentum so traurig aussieht, liegt ohne Zweifel an den Predigern selbst. Schlechte Hirten, schlechte Herden! Zwar zu keiner Zeit und in keinem Land ist der Predigerstand so verachtet gewesen als in den USA, er hat sich aber auch nie und nirgends selbst so verächtlich gemacht. Es ist dahin gekommen, dass ein Prediger, wenn er nicht mit verdacht und Verachtung angesehen und behandelt sein will, es allenthalben lieber verschweigen möchte, dass er ein Prediger sei.[23]

    Wer kann sich aber darüber wundern? Was für Männer sind es, die das heilige Amt, das die Versöhnung predigt, hier suchen und annehmen? Zur Erziehung und Bildung tüchtiger Prediger für unser deutschstämmiges Volk ist leider noch sehr wenig getan, während doch mit jedem Jahr eine große Menge neuer Gemeinden entstehen, welche bald das Bedürfnis eines Predigers fühlen. Was geschieht nun? Es kommen ungläubige und unwissende Menschen hierher, die in Europa kein Fortkommen finden konnten; diese werfen sich hier den Gemeinden zu ihren Predigern auf, lassen sich von ihnen für Geld auf ein Jahr mieten und predigen nun den Leuten, was sie gern hören, um ihre Freundschaft und für sich das Brot zu behalten. Was können solche blinden Leiter der Blinden anderes tun, als dass sie mit diesen in die Grube fallen, ich meine, dass sie ihre Gemeinden mit sich zur Hölle führen? Diese sich hier allenthalben einschleichenden unwissenden und ungläubigen Prediger sind ein wahrer Fluch der hiesigen Bewohner.[24]

    Eine andere Klasse von Predigern dieses Landes besteht jedoch aus solchen, welche von einer besseren Art sind. Manchen ist es nämlich wirklich nicht bloß darum zu tun, durch das Predigen ihren Unterhalt zu gewinnen; sie wollen auch gern das Evangelium predigen; aber es fehlt ihnen nicht nur die rechte Erkenntnis der wahren reinen Lehre des Evangeliums, sie gehen auch oft wissentlich davon ab, weil sie entweder lieber ihrer Vernunft und ihrem Herzen folgen, oder weil sie fürchten, die Zuhörer zurückzustoßen.[25] Sie lassen daher hier und da etwas von der Schärfe des Wortes Gottes nach; sie wollen es ihren Zuhörern so predigen, dass es alle gerne hören, daher verschweigen sie das, was die Zuhörer beleidigen und erzürnen könnte; sie strafen die im Schwange gehenden Sünden nicht ernstlich; sie zeigen nicht, wie ein wahrer Christ beschaffen sein müsse; sie lehren nicht, wie jeder Mensch Buße tun und sich rechtschaffen zu Gott bekehren müsse, der da selig werden wolle. Aber was tun sie damit? Sie verführen sich nur selbst und die ihnen anvertrauten Seelen; dabei bleiben die Zuhörer in ihren Sünden sicher und sorglos; sie lernen nie erschrecken, noch sich wahrhaft und bleibend trösten, sie lernen nie weder ihr Verderben noch Gottes Gnade recht erkennen und gehen so gewiss meistens durch die Schuld ihrer lauen, menschenfurchtsamen, halbierten Prediger verloren. Denn wenn ein Prediger das aus Gottes Wort weglässt, was den Menschen angreift, und ihm sein Elend vor die Augen stellt da führt der Prediger das Schwert des Geistes nur zum Schein, er bricht ihm selbst die Spitze ab und alles sein Predigen ist ein wirkliches Spiegelfechten und gänzlich vergeblich.

    Eine dritte Klasse von Predigern sind die schwärmerischen Sektenprediger. Diese geben zwar vor, nichts anderes als Gottes Wort zu predigen, ja, sie geben sich, so lange es möglich ist, für rechte evangelische Christen aus, um viele in ihr Sektennetz zu locken; sie haben auch den Schein, als wäre es ihnen allein um die Seligkeit ihrer Zuhörer zu tun, aber sie kommen nicht nur, wie alle falschen Propheten, unberufen selbst gelaufen, wie es Jeremia 23 heißt: „Ich sandte die Propheten nicht, dennoch liefen sie“; sie breiten auch das Gift unzähliger falscher Lehren mit Macht aus; sie suchen ihre Zuhörer erst nur in Angst und Schrecken zu setzen und verführen sie dann zu geistlichem Stolz und Schwärmerei, und sie laden durch ihr ganzes schwärmerisches Wesen und Treiben leider die schwere Schuld auf sich, dass die Ungläubigen Recht haben zu meinen, wenn sie alle Religion und Gottseligkeit für lauter Schwärmerei und Heuchelei ansehen.

    Mitten unter diesen falschen Predigern gibt es … nur sehr wenige, welche das seligmachende Wort Gottes in seiner Lauterkeit so verkündigen, dass ein jeder wissen kann, wie er Gottes Gnade erlangen, christlich leben, gottgefällig leiden und selig sterben könne. Es ist daher hier große Gefahr, verführt zu werden und verloren zu gehen. Ist daher irgendjemandem die Warnung Christi nötig: „Seht euch vor vor den falschen Propheten!“ so ist sie gewiss vor allem uns nötig. In unserem heutigen Evangelium hören wir Christus so reden; lasst uns daher diese Warnung jetzt etwas genauer erwägen.

 

Matthäus 7,15-23: Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum bringt gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt arge Früchte. Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Es werden nicht alle, die zu mir sagen: HERR, HERR! ins Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: HERR, HERR! haben wir nicht in deinem Namen geweissagt, haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben, und haben wir nicht in deinem Namen viele Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt; weicht alle von mir, ihr Übeltäter!

 

    Nach diesem verlesenen Evangelium kann der Gegenstand unserer heutigen Betrachtung kein anderer sein als:

 

Christi Warnung vor falschen Propheten

 

    Darin zeigt uns aber Christus dreierlei:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass die falschen Lehrer überaus gefährlich und schädlich sind,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass wir uns nicht durch den guten Schein, den die falschen Lehrer haben, betrügen lassen dürfen; und endlich

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass wir sie an ihren Früchten erkennen sollen.

 

1.

    Durch nichts bekommt ein Feind mehr Macht über uns und durch nichts wird er uns so gefährlich, als wenn wir sicher und sorglos sind, ihn nicht achten und wähnen, er könne uns nicht schaden. Dies ist daher auch bei den falschen Lehrern der Fall; sie würden nimmermehr so häufig Eingang finden und so großen Schaden anrichten, wäre man nicht so gleichgültig in den Sachen der Religion, meinte man nicht, es komme nicht viel darauf an, ob ein Lehrer ganz rein lehre oder nicht.

    Diese Gleichgültigkeit ist aber jetzt fast ganz allgemein. Wir teilen uns besonders in zwei große Hauptteile; deren einer Teil besteht aus solchen, die von dem alten Glauben ganz abgefallen sind, die in Verachtung Gottes und seines heiligen Wortes dahin leben, alle göttlichen Offenbarungen für Fabeln achten, oft sogar das Dasein Gottes und die Hoffnung der einstigen Auferstehung leugnen und daher auch endlich wie die Tiere dahinfahren. Der andere Teil besteht aus solchen, die zwar die Bibel noch für wahr halten, Religion und Gottesdienst für nötig erkennen und vom Glauben nicht abfallen wollen, die aber meinen, man müsse es mit der Lehre nicht gar zu genau nehmen; wenn ein Lehrer nur die Bibel für Gottes Wort, Christus für Gottes Sohn und den Glauben an Christus für das Mittel der Seligkeit halte, so sei das genug, dann müsse man zufrieden sein, dann müsse man sich über andere Punkte, in denen man nicht übereinstimme, nicht streiten, sondern jeden seines Glaubens leben lassen.

    Diese Gleichgültigkeit gegen die reine Lehre hat daher zur Folge gehabt, dass eine Union, das heißt, eine kirchliche Vereinigung zwischen Rechtgläubigen, Falschgläubigen und Ungläubigen entstanden ist, welcher man den schönen Namen der „evangelischen Kirche“ gegeben hat. Der Name ist gut und herrlich, aber was hilft der Name ohne die Tat? Ist das eine evangelische Kirche, wo eine mehr als babylonische Verwirrung herrscht, wo jeder glaubt, was ihm beliebt, wo ein Glied dieser Kirche die Bibel annimmt, das andere sie verwirft? Sagt nicht der heilige Apostel: „Ein HERR, Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater unser aller“? So soll die Gestalt einer evangelischen Kirche sein.

    Mit dieser Gleichgültigkeit in Religionssachen werden die meisten entweder gänzliche Verächter alles Gottesdienstes oder zu einer Beute eines falschen Lehrers. Wenn ein Prediger nur den Text aus der Bibel verliest, kann er dann auch noch so unbiblisch predigen, hat er einige Beredsamkeit, hat er die Gabe, die Zuhörer zu unterhalten, so prüft man ihn nicht etwa erst nach seiner Bibel und nach seinem Katechismus, sondern es heißt sogleich: Ei, das ist ein rechter Prediger! Es ist alles Gottes Wort. Und wenn hundert falsche Lehren in einer Predigt vorkommen, das weiß oder achtet man nicht.

    Aber ich bitte euch, meine Zuhörer, wie spricht denn Jesus Christus? Er spricht: „Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen; inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“ Seht, das ist das Urteil Christi über alle falschen Lehrer; er nennt sie reißende Wölfe; er erklärt sie also für die gefährlichsten und schädlichsten Menschen, vor denen man fliehe solle, wie vor reißenden Tieren, weil sie nämlich nicht unseren Leib, sondern unsere Seele zerrissen und mordeten und in das ewige Verderben führten.

    Und so ist es auch. Die falsche Lehre scheint wohl etwas Geringes, Unkräftiges und Unschädliches zu sein, aber sie ist ein Gift, welches die Seele tötet. Falsche Lehre ist ein falscher Wegweiser auf dem Weg zum Himmel; wer nach einem solchen Wegweiser sich richtet, der kommt auf Irrwege und gerät endlich in den Abgrund des ewigen Todes. Es kommt auch nicht darauf an, ob ein Prediger sehr viel falsche Lehren hat; eine einzige kann den ganzen Grund umstoßen. Wer mag ein Brot essen, in welchem nur ein Quentchen Arsen enthalten ist? „Ein wenig Sauerteig“, spricht St. Paulus, „versäuert den ganzen Teig.“ Der Apostel will nämlich zu den Galatern, welche einem falschen Lehrer Raum gegeben hatten, sagen: Eine einzige falsche Lehre, die ihr angenommen habt, ist schon genug, euch um Seele und Seligkeit zu bringen; daher setzt er hinzu: „Ihr habt Christus verloren und seid von der Gnade gefallen, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt.“

    Es ist mit der falschen Lehre nicht zu scherzen; eine jede ist seelengefährlich. Gibt der Prediger seinen Zuhörern falschen Trost, so werden si sicher und gehen dadurch verloren; entzieht ein Prediger hingegen seinen Zuhörern den vollen Trost, sucht er sie nur in Furcht zu erhalten und weist er sie nicht allein auf Christus und sein Gnadenwort, so kommen die Zuhörer zu keiner Ruhe und zu keinem rechten Glauben, und gehen dadurch verloren.

    Ihr seht hieraus: Es ist recht töricht, wenn man spricht: Man müsse die Liebe walten lassen, nicht so streng sein, und einen Lehrer wegen einiger falscher Lehren nicht gleich verwerfen und die Gemeinschaft nicht mit ihm aufheben. Aber ich frage euch: Werdet ihr aus Liebe das Brot kaufen und essen, von dem ihr wisst, dass es vergiftet ist? Gewiss nicht. So soll auch ein Christ einen Lehrer nicht hören, der mit dem Brot des Lebens das Gift der falschen Lehre austeilt. Ein Christ soll wohl im Leben gegen alle Menschen, auch gegen Ketzer, Ungläubige und Falschgläubige, stets Liebe zeigen, ihnen in aller Not beistehen, wo er nur kann, ihnen freundlich von ihrem Irrtum zu helfen suchen, aber Kirchen- und Glaubensgemeinschaft soll er nicht mit ihnen halten, sondern lieber leiblich sterben, als seine Seele von einem solchen Wolf zerreißen zu lassen.

    Das große Verderben in den Kirchen kommt nirgendwo her als von den falschen Lehrern, die nach und nach die falsche Lehre in Schuld und Kirche, in die Herzen der Jungen und Alten gebracht haben. Wer sich hat zwingen lassen, wissentlich einen falschen Lehrer zu hören und ihn anzunehmen[26], der hat eine Sünde der Verleugnung begangen und sich und seine Kinder in große Seelengefahr gestürzt; wer sich aber selbst falsche Lehre wählt, der tut die Sünde doppelt und zehnfach.

    Hätte Luther in der Lehre wollen die Liebe und nicht die Wahrheit walten lassen, so wären wir wohl noch alle Papisten und ließen uns noch von dem Papst und seinen heuchlerischen Priestern mit ihrer falschen Lehre zur Hölle führen.

 

2.

    Aber hierbei wird vielleicht mancher sagen: Ja, es ist wahr, vor solchen gottlosen Verführern muss man sich freilich hüten, aber soll man denn auch solche als falsche Propheten meiden, welche viel Gutes an sich haben, die aber dabei hier und da in der Lehre abweichen? Ja, lieber Zuhörer, bleibt ein Lehrer, obgleich er seines Irrtums überwiesen ist, darauf bestehen, gibt er dem klaren Wort Gottes nicht Recht, verharrt er bei seinem Zutun und Abtun, so ist er ein falscher Prophet, den du meiden musst. Denn Christus spricht: „Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“ Hier hören wir deutlich zweitens aus Christi Mund, dass wir uns nicht durch den guten Schein, den die falschen Lehrer haben, betrügen lassen dürfen.

    Falsche Propheten sind eigentlich nur solche, die da vorgeben, Propheten Gottes und Christi zu sein, und es nicht sind; diejenigen, welche nicht einmal dieses Schafskleid tragen, die nicht einmal Christi Apostel sein wollen, sind offenbare Boten des Teufels und die Propheten der ungläubigen Welt. Solcher gibt es auch viele. Viele benutzen die gegebene Freiheit, alles Heilige öffentlich zu lästern und das Wort Gottes, die heiligen Sakramente, Christus und seine ganze Gnadenanstalt zu verspotten. Solche unglücklichen Menschen sind von der Hölle verkauft, ihr zu dienen, ihre Zunge ist von der Hölle entzündet, für sie zu reden, ihre Feder von dem bösen Geist regiert, für sein Reich zu schreiben. Wer zu solchen ruchlosen Lästerern des allerhöchsten Gottes sich gesellt, der wird nicht erst verführt, der ist schon verführt; nur wer sich schon von Gott losgesagt hat, wird solche Apostel hören, damit sie sein schlummerndes Gewissen nur in einen Schlaf reden, aus welchem es auch in der Todesstunde nicht erwachen soll.

    Von solchen ist in unserem heutigen Evangelium gar nicht die Rede. Es heißt vielmehr: „Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen.“ Dieses ist, meine Lieben, besonders in jetziger Zeit wohl zu beherzigen. Viele sind es leider gewohnt, solche Prediger zu hören, welche ihr Amt nur suchen, um ein gutes Einkommen zu finden, die sich so viel wie möglich gute Tage machen, ihr Amt treulos verwalten, allenthalben Geiz, Eitelkeit und Weltliebe zeigen, gegen Niedrige und Arme sich stolz zeigen und nach Ansehen der Person reden und handeln, die kaum den Schein des Wortes Gottes, sondern allein eine trockene Sittenlehre predigen. … Sieht und hört so jemand, der bisher solche Prediger hatte, nun die, welche vorgeben, dass sie nichts treibe als die Liebe zu den Seelen, die auch einen großen Ernst und Eifer in ihrem Amt zeigen, die freundlich sind gegen jedermann, nicht geldgeizig sind, dabei vieles aus Gottes Wort scharf predigen, die Leute zur Buße und Bekehrung ermahnen und ihre Herzen erschrecken und erschüttern – hört jemand solche Prediger: Ei, denkt er sogleich, das hast du noch nicht gehört, das ist ein rechter Prediger, das ist ein reiner evangelischer Lehrer.

   Aber, meine Lieben, alles solches Gute, was man an einem Prediger sieht ist noch bei weitem nicht genug, wenn man fragt, ob er ein rechter Prophet, ob er ein reiner Lehrer sei. Ein Prediger kann einen großen Schein haben, er kann äußerlich gewaltig predigen, er kann viele Seelen aus ihrem Sündenschlaf erwecken, und er kann doch selbst noch ein falscher Prophet sein, den man meiden muss. Denn, wie spricht Christus am Ende unseres Evangeliums? Er sagt: „Es werden viele zu mir sagen an jenem Tag: HERR, HERR, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt, weicht alle von mir, ihr Übeltäter.“

    Welch eine ernste Warnung ist dies! Mag hiernach immer ein Prediger in Christi Namen weissagen, ja, in diesem Namen Teufel austreiben und große Taten tun, dass jedermann ihn für ein Rüstzeug Christi halten möchte, so sollen wir uns dadurch doch noch nicht täuschen lassen; er kann dennoch ein falscher Prophet sein, der unter dem besten Schein seine Zuhörer auf falsche Wege führt, auf welchen sie doch endlich das himmlische Ziel verfehlen.

    O, wie töricht handeln also die Gemeinde, welchen den ersten beiden Menschen zu ihrem Prediger annehmen, wenn er nur einen guten Schein hat! Wie töricht, wenn man denkt: Wenn wir nur einen Prediger haben! – Ach, in keiner Sache ist so große Vorsicht, so ernstliche Prüfung nötig, als wenn man sich einen Prediger wählen will. Lehrt dieser uns falsch, leitet dieser uns auf einen Irrweg, so entsteht daraus nicht zeitlicher, sondern ewiger Schade; er verderbt nicht unseren Leib, sondern unsere teuer erkaufte unsterbliche Seele; er bringt uns nicht um das Irdische, sondern um den Himmel.

    Eine so große unaussprechliche Wohltat es ist, wenn eine Gemeinde das reine seligmachende Wort Gottes hört, wäre es auch von dem allereinfältigsten, unbegabtesten und schwächsten Prediger, wofür wir Gott in alle Ewigkeit nicht genug werden danken können, so wir sein Wort als Christi Wort mit Verlangen und Demut aufnehmen, ein so großes unaussprechliches Unglück ist es für eine Gemeinde, wenn sie einen Prediger hat, der ihr den rechten Weg zur Seligkeit nicht lauter zeigt, wenn dieser auch predigen kann wie mit Engelszungen. Denn je mehr ein falscher Lehrer scheinbare Gaben hat, desto gefährlicher ist er und desto verderblicher sein ganzes Werk.

 

3.

    Doch dieses alles führt uns nun endlich zu unserer dritten, nämlich zur Hauptfrage: Woran kann man denn sowohl die falschen wie die rechten Propheten erkennen? Christus beantwortet uns dies in seiner Warnung und spricht: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum bringt gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt arge Früchte. Ein guter Baum kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“

    Christus will sagen: Wenn ein Mensch an einem Baum arge Früchte findet, so wird er sich nimmermehr überreden lassen, dass es ein guter Baum sei; findet er anstatt der Trauben und Feigen Dornen und Distelköpfe, so wird er das Gewächs nimmermehr für einen Weinstock oder Feigenbaum ansehen; hingegen findet er an einem Baum gute Früchte, so weiß er gewiss, es müsse ein guter Baum sein, denn ein arger Baum kann keine guten Früchte bringen. Nach denselben Grundsätzen sollen wir nun auch die Propheten oder Prediger prüfen; bringen sie gute Früchte, so sind sie gewiss rechte, bringen sie arge Früchte, so sind sie gewiss falsche Propheten.

    Welches sind nun diese Früchte? Sind es etwa äußerliche gute Werke? Ist es der Schein eines heiligen frommen Lebens? Sind es große Taten und Wirkungen? Nein, Christus sagt ja: Dies alles kann auch ein falscher Prophet haben, dies kann sein Schafskleid sein, womit er sich und andere täuscht. Welche Früchte sind denn also die, woran die wahren und falschen Propheten zu erkennen sind? Es sind vor allem die Lehrfrüchte. Ist die Lehre recht und rein, so ist auch der Prophet recht und rein; ist die Lehre falsch und unrein, so ist auch der Prophet falsch. Ein christlicher Prediger soll freilich fromm und gottselig, ein Muster und Vorbild seiner Herde sein in Worten und Werken; ein gottloser Prediger mit reiner Lehre reißt durch sein Leben immer wieder ein, was er bei den Zuhörern mit seiner Lehre aufgebaut hat; denn die Zuhörer denken: Wäre des Predigers Lehre wahr, so würde er ja selbst danach tun. Aber, meine Lieben, so gewiss das ist, dass ein rechter Prediger auch fromm sein soll, und dass ein gottloser Prediger gewiss auch bald die reine Lehre wieder verlieren wird, so ist doch auch das gewiss, dass das fromme Leben des Predigers keinen Zuhörer selig machen kann; die Hauptfrüchte, die man von einem Prediger sucht, sind die Lehrfrüchte. Dies sagt schon der Prophet Maleachi im zweiten Kapitel seiner Weissagungen: „Des Priesters Lippen sollen die Lehre bewahren, dass man aus seinem Mund das Gesetz suche; denn er ist ein Engel des HERRN Zebaoth.“

    Aber, werdet ihr sagen, welches ist denn die rechte reine Lehre? Darauf antworte ich dieses: Da ist sie, wenn man sie allein aus dem Wort Gottes schöpft, aus den Schriften der Apostel und Propheten, daran nichts verändert, nichts davon tut und nichts dazu tut; denn so spricht St. Paulus an die Galater: „So auch wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, als das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht.“

    Ich habe euch aber schon oft gesagt: In der ganzen christlichen Lehre gibt es eine Grund- und Hauptlehre, welche wie die Sonne alles erleuchtet, und ohne welche darum alle anderen Lehren finster und nutzlos werden, auf die daher alles ankommt: Das ist die Lehre von Christus oder von der Rechtfertigung eines armen Sünders durch den Glauben an Gott. Wenn diese Lehre rein ist, wenn ein Prediger seinen Zuhörern Christus lauter verkündigt, ihnen zeigt, wie sie allein durch den Glauben an ihn vor Gott gerecht und selig werden, wenn er da nichts hinzu setzt noch davon tut, dass alle erschrockenen Sünder einen bleibenden Trost in aller Not, in Anfechtung und auch im Tod haben, da ist gewiss rechte reine Lehre, denn die reine Lehre von der Rechtfertigung leidet keinen Irrtum, und wo einer entsteht, da wird er bald erkannt; wo diese Sonne leuchtet, da wird und muss alles licht werden; denn das ist der eigentliche Inhalt, der Kern und Stern des Evangeliums.

    Hinwiederum, wo die Lehre von Christus nicht rein ist, wo an diese Lehre Zusätze gemacht, Christus mit seiner Gerechtigkeit verdunkelt, seine Hilfe und Gnade in den Schatten gestellt wird, da ist die Lehre falsch, und wenn sie so heilig und so geistlich und so himmlisch schiene, dass alle Zuhörer in Geistlichkeit der Engel einhergingen.

    So prüft denn hiernach alle Lehre, so werdet ihr von falschen Propheten unverführt bleiben. Seht ihr, dass von dem Buchstaben des Wortes Gottes abgegangen wird, wenn man z.B. Christus nicht glaubt, der da sagt: Das ist mein Leib, das ist mein Blut; sehr ihr besonders, dass das Evangelium so gepredigt wird, dass dadurch Christus verdunkelt wird, dass dem Menschen zum Seligwerden Werke, Übungen und dergleichen auferlegt werden, werden nicht alle armen Sünder stracks zu Christus und seiner Gerechtigkeit gewiesen, werden die erschrockenen Seelen noch aufgehalten, so ist der Prediger ein falscher Prophet und nicht ein treuer Diener Christi und des Evangeliums; und wehe dem, der dies weiß und ihn hört!

    Hingegen, wo ihr hört, dass das Wort Gottes ohne alle Zusätze und Abstriche gepredigt wird, wo auch besonders Christus rein und lauter verkündigt wird und eure Seelen auf die süße Weide seines Evangeliums geführt werden, dann erkennt auch, wie große die Gnade sei, die ihr genießt. Bedenkt, dass Gott für sein teures Wort einst eine schwere Rechenschaft fordern wird. Darum verachtet es nicht, schätzt es nicht gering, hört es mit Fleiß und herzlicher Andacht, nicht mit schläfrigen Ohren und Herzen, nehmt es vielmehr auf von ganzem Herzen und bringt Frucht in Geduld. Denn wo Gottes Wort rein und lauter verkündigt wird, da spricht Christus: „Wer euch hört, der hört mich; wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat.“ Davor behüte euch der liebe himmlische Vater um Jesu Christi willen. Amen.

 

Evangelienpredigt zum neunten Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 16,1-9: Die wahre Klugheit, zu welcher uns selbst das Beispiel der falschklugen Weltkinder ermuntert

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

  

   In demselben, unserem teuren Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

     In Gottes Wort wird die Klugheit nicht nur als eine Pflicht geboten, sondern auch als eine herrliche Sache hoch gelobt. Christus spricht zu seinen Jüngern: „Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben“; und Salomo redet in seinen Sprüchen seine Leser mit den Worten an: „Nenne die Klugheit deine Freundin“, und setzt zu ihrem Lob hinzu: „Klugheit ist ein lebendiger Brunnen dem, der sie hat.“ Zu einem Gott wohlgefälligen Wandel eines Christen gehört daher notwendig auch das, dass er klug und vorsichtig wandle, dass er es bei dem, was er redet und tut, nicht nur gut meine, nicht nur immer einen guten Zweck habe, sondern dass er auch die rechten Mittel zum Erreichen seiner Ziele anwende; dass er nicht nur nicht boshaft und gegen die Liebe Gottes und des Nächsten, sondern auch nicht töricht und gegen die Regeln der Klugheit handle. Einem Christen, der zwar das Gute will, aber dabei unbesonnen verfährt, nicht die passende Zeit erwählt, nicht auf Ort und Umstände Rücksicht nimmt, nicht erst überlegt, ob das, wobei er die besten Absichten hat, vielleicht doch mehr schädlich als heilsam sein werde, einem solchen Christen fehlt noch ein sehr wichtiges Stück, das zu dem Schmuck und der rechten Gestalt eines wahren Christen gehört. Ein solcher unkluger Christ richtet oft, ohne zu wollen, viel Unheil an und muss oft seine bestgemeinten Werke ebenso bitter bereuen wie seine Sünden. Wo aber mit Taubeneinfalt Schlangenklugheit gepaart ist, da offenbart sich eines Christen wahres Bild.

    So sehr nun oft gerade Christen klagen, dass es ihnen noch an der rechten Klugheit fehle, so weit scheinen es die meisten Kinder dieser Welt in der Erfüllung des Gebotes Christi zu bringen: „Seid klug wie Schlangen.“ Weltkinder wissen es nicht nur, dass Klugheit mehr wert ist als Reichtum und Macht, sie verstehen es auch so vortrefflich, bei ihren Handlungen auf alle Umstände Rücksicht zu nehmen und zum Erreichen ihrer Absichten die sichersten Mittel, die passendste Zeit und den bequemsten Ort zu wählen, dass sie selbst die Christen hierin weit übertreffen und beschämen. Wie jedoch die Christen oft zwar ohne Falsch wie die Tauben, aber nicht klug wie die Schlangen sind, so sind die Weltkinder wohl oft klug wie die Schlangen, aber nicht ohne Falsch wie die Tauben. Weltkinder suchen immer das Ihre, ihren eigenen Ruhm, und zum Erreichen dieses ihres höchsten Zwecks verschmähen sie auch das sündliche Mittel nicht, wenn es sie nur zum Ziel führt; sie fragen nicht, ob sie sich dabei gegen Gott oder ihren Nächsten versündigen.

    Die Welt achtet den für einen klugen Christen, der es zwar, wie sie meint, mit Gott, aber auch mit der Welt hält; wer, wie sie es nennt, die Mittelstraße im Christentum geht, nicht zu fromm, aber auch nicht zu gottlos ist; wer bei den Frommen fromm ist, aber auch, wie ihr Sprichwort lautet, wenn er unter den Wölfen ist, mit heult; wer seinen Glauben da bekennt, wo es ihm Ehre einbringt, ihn aber da verschweigt, wo er Schaden, Schande und Feindschaft davon ernten könnte. Die Welt achtet den Prediger für klug, der predigen kann, dass ihn jedermann gern hört, der aus Liebe zum Frieden es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt und den Vortrag der Religion nach Zeit und Umständen umändert. Die Welt achtet auch den Geschäftsmann für klug, der auf die leichteste Weise reich zu werden, gute Ware unter dem Wert zu kaufen und schlechter Ware über den Wert zu verkaufen, kurz, wer so zu betrügen versteht, dass er dabei doch den Namen eines ehrlichen, reelen, soliden Mannes nicht verliert.

    So hoch nun die Welt diese ihre Klugheit achtet und so sehr sie auch die Christen mit Verachtung ansieht und sie für Toren und Narren hält, dass sie nicht so klug handeln, ihr Gewissen nicht beflecken und weder Gott noch ihren Nächsten beleidigen wollen, und daher im Irdischen meist hinter den Weltkindern zurückbleiben und sich von ihnen betrügen lassen, so ist doch die Klugheit der Welt nicht die wahre, sondern eine falsche Klugheit, nichts als eine arglistige Verschlagenheit, deren ein wahrer Christ sich schämen muss; ja, will ein Christ selbst in den Augen der Welt kein Tor mehr sein, blickt er neidisch auf die klugen Weltkinder hin und fängt er an, sich ihrer Klugheit auch gelüsten zu lassen und sie auch anzunehmen, so hört er auch auf, ein Christ zu sein. Die Klugheit der Welt ist das Licht, welches von dem Augenblick an in der Seele des Menschen aufging, als die ersten Menschen von dem verbotenen Baum aßen, den sie mit den Gedanken beschauten: Es sei „ein lustiger Baum, weil er klug machte“.

    So sehr jedoch ein Mensch sich zu hüten hat, nach Art der Welt klug zu sein und ihrem bösen Beispiel zu folgen, so können wir doch daran, wie die Welt aufs Irdische Klug ist, recht wohl lernen, wie wir noch viel mehr auf das Himmlische Klug sein sollen. In diesem Sinn wird auch in dem heutigen Evangelium die Klugheit eines ungerechten Haushalters den Kindern des Lichts als ein nachahmungswürdiges Vorbild vorgestellt. darauf lasst uns daher auch jetzt unsere Andacht lenken.

 

Lukas 16,1-9: Er sprach aber auch zu seinen Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Haushalter; der wurde vor ihm beschuldigt, er hätte ihm seine Güter veruntreut. Und er forderte ihn und sprach zu ihm: Wie höre ich das von dir? Tu Rechenschaft von deinem Haushalten; denn du kannst hinfort nicht Haushalter sein. Der Haushalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt das Amt von mir; graben mag ich nicht, so schäme ich mich zu betteln. Ich weiß wohl, was ich tun will, wenn ich nun von dem Amt gesetzt werde; dass sie mich in ihre Häuser nehmen. Und er rief zu sich alle Schuldner seines Herrn und sprach zu dem ersten: Wieviel bist du meinem Herrn schuldig? Er sprach: Hundert Tonnen Öles. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Brief, setze dich und schreib flugs fünfzig. Danach sprach er zu dem andern: Du aber, wieviel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Malter Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Brief und schreib achtzig. Und der Herr lobte den ungerechten Haushalter, dass er klug getan hatte. Denn die Kinder dieser Welt sind klüger als die Kinder des Lichts in ihrem Geschlecht. Und ich sage euch auch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf dass, wenn ihr nun darbt, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.

 

    Dieses verlesene Evangelium hat schon viele christliche Ausleger in große Verlegenheit gebracht. Viele haben sich nämlich nicht darein finden können, dass Christus hier sagt: Der ungerechte Haushalter, der doch so betrügerisch und gewissenlos gehandelt hatte, sei gelobt worden. Der Kaiser Julian, genannt der Abtrünnige, der aus einem Christen und Heide und ein großer Christusfeind geworden ist, hat es sogar den Christen vorgeworfen, dass in diesem Evangelium ihr gerühmter Heiland selbst die Ungerechtigkeit lobe. Aber man irrt sich. Christus lobt das Verfahren des Haushalters in unserem Evangelium keineswegs, vielmehr nennt er ihn deutlich einen „ungerechten Haushalter“; ist das gelobt? Gelobt und gerühmt wird zwar seine Klugheit, aber auch offenbar getadelt, dass er seine Klugheit zur Ungerechtigkeit anwendete. Christus will durch das Beispiel desselben seine Zuhörer ermuntern, so im Guten klug zu sein, wie der ungerechte Haushalter im Bösen klug war, selbst das Böse sich zum Guten dienen zu lassen, und so in einem gewissen Sinn selbst von den Dornen Trauben und von den Disteln Feigen zu lesen.

 

    Lasst mich euch hiernach jetzt vorstellen:

 

Die wahre Klugheit, zu welcher uns selbst das Beispiel der falschklugen Weltkinder ermuntert

 

    Ihr Beispiel zeigt uns nämlich, dass die wahre Klugheit

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Darin bestehe, dass man nicht sicher und unbekümmert um die ewige Zukunft dahingehe, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass man ernstlich und eifrig sei, alles zu tun, um einst die ewige Seligkeit zu erreichen.

 

    Gnädiger und barmherziger Gott! Wir müssen wir alle klagen und bekennen, dass wir von Natur ohne die wahre Klugheit und Weisheit sind, dass unser Verstand von Natur verfinstert ist und dass wir nicht wissen, was zu unserem Frieden, zu unserem wahren Heil dient, ja, dass dein Ratschluss, dein Weg, deine Führung uns meist töricht zu sein dünkt. Du allein kannst durch dein Wort und einen Heiligen Geist die wahre Klugheit in uns wirken. Darum bitten wir dich, erleuchte uns doch, dass wir weise werden, dass wir nicht den falschen Weg erwählen, der uns ins Verderben führt, sondern die rechte Bahn, die uns bringt zum ewigen Leben. Ach, tue dies an einem jeden unter uns, dass keiner, keiner verloren werde. Erhöre uns um Jesu willen. Amen.

 

1.

    Am Schluss unseres Evangeliums, in welchem uns von einem ungerechten Haushalter erzählt wird, heißt es: „Und der HERR lobte den ungerechten Haushalter, dass er klug getan hatte.“ Worin bestand denn nun eigentlich seine Klugheit? – Erstlich darin, dass er für die Zukunft besorgt war.

    Er hatte die Güter seines Herrn veruntreut. Der gütige Herr, dessen Güter er verwaltete, hatte ihn, ohne seine Rechnungen durchzusehen, lange ruhig dahingehen lassen. Endlich aber, als das Gerückt von seiner bösen Haushaltung vor den Herrn gekommen war, forderte ihn derselbe plötzlich vor sich mit den Worten: „Wie höre ich das von dir? Tue Rechnung von deinem Haushalten; denn du kannst hinfort nicht mehr Haushalter sein.“ Hätte nun der Haushalter auf diese Warnung und Drohung nicht geachtet, hätte er leichtsinnig gedacht: Kommt Zeit, kommt Rat; hätte er gedacht: Wenn es dir nur jetzt wohl geht, was willst du dich wegen der Zukunft sorgen? Hätte er nicht überlegt, dass es j seine Rechnungsbücher ausweisen würden, wie untreu er in seinem Amt gewesen sei; hätte er sich den bösen Zustand, in welchen seine Sachen durch seine schlechte Verwaltung gekommen waren, zu verbergen und sich zu überreden versucht, es gehe alles gut: Wäre dies nicht eine schreckliche Torheit gewesen? – Wäre er auch jetzt sicher und sorglos geblieben, hätte er auch jetzt, ohne an die Zukunft zu denken, gescherzt und gelacht, würde ihn nicht jedermann für einen Narren, ja, für wahnsinnig geachtet haben? Gewiss.

    Aber was tat er? Er ließ sich jetzt aus seiner Sicherheit erwecken und sprach nun, für die Zukunft ernstlich besorgt, „bei sich selbst: Was soll ich tun?“ Er überlegte also ernsthaft, dass es so durchaus nicht fortgehen dürfte, wie er es bisher getrieben habe. Der Gedanke, dass etwas geschehen, dass es mit ihm anders werden müsse, erfüllte seine ganze Seele. Er verhehlte es sich auch nicht, dass es mit ihm auf das Äußerste gekommen sei. Er setzte daher auch hinzu: „Mein Herr nimmt das Amt von mir; graben mag ich nicht, so schäme ich mich zu betteln.“ Er glaubte es also, dass er sein Amt verlieren und so nun bald in die tiefste Schande und in die bitterste Armut fallen werde. Er faste daher einen kurzen Entschluss und sprach endlich: „ich weiß wohl, was ich tun will, wenn ich nun von dem Amt abgesetzt werde, dass sie mich in ihre Häuser nehmen.“

    Seht da, hier lernen wir durch das Beispiel eines falschklugen Weltkindes das erste Stück, das zur wahren Klugheit gehört; es besteht dies nämlich vor allem darin, dass man nicht sicher und unbekümmert um die Zukunft dahingeht, sondern an die Ewigkeit denkt und es sich nicht verhehlt, dass man einst mit seiner Rechnung vor Gott nicht werde bestehen können.

    Wir Menschen sind nämlich auch alle Haushalter, nämlich Haushalter Gottes, des allerreichsten allgemeinen Herrn und Hausvaters der ganzen Welt. Alles, was wir haben an leiblichen und geistlichen Gütern, unser Geld, unser Haus und Hof, unsere Zeit, unsere Sinne, unser Verstand, unsere Kräfte, dies alles ist nicht unser Eigentum, mit dem wir nach unserem Gefallen schalten und walten könnten, sondern Güter, die Gott gehören, die wir nur verwalten und über deren Verwaltung und Anwendung wir einst Gott eine strenge Rechenschaft werden ablegen müssen.

    Ist es nun nicht eine schreckliche Torheit, dass die meisten Menschen so dahinleben, als wären sie Herren alles dessen, was sie haben? Ist es nicht eine schreckliche Torheit, dass die Meisten so leben, als würden sie ewig hier bleiben? Als gäbe es keinen Tod? Als müssten sie nie sterben? Als werde sie Gott einst nicht über ihr irdisches Leben zur Rechenschaft ziehen? Als werde sie Gott einst nicht fragen, wie sie die ihnen verliehenen Güter angewendet haben? ist es nicht eine schreckliche Torheit, dass die meisten Menschen es sich immer zu verhehlen suchen, wie bös es mit ihrer Rechnung steht? Dass sie einst nicht vor Gott werden bestehen und ihm auf tausend nicht Eins antworten können? – Dass der ungerechte Haushalter unklug gehandelt haben würde, wenn er nicht zu Zeiten für die Zukunft besorgt gewesen wäre, dass sieht jeder ein; ist es nicht wunderbar, dass aber gerade diejenigen, welche bei der Welt für die Klügsten gelten und auch wirklich in weltlichen Angelegenheiten oft die größte Klugheit offenbaren, dass gerade dies so sicher und unbekümmert um die ewige Zukunft hinleben, nie daran ernstlich denken, dass sie einmal sterben und vor Gottes Gericht erscheinen müssen und daher nie ernstlich fragen: Wie wird es einst mit meiner Seele werden? Was muss ich tun, dass ich selig werde? – Kann ein vernünftiger Mensch törichter, ja, wahnsinniger handeln? Handels solche Menschen anders als diejenigen, die am Rand eines furchtbaren, grauenhaften Abgrundes stehen und sich dabei, unbesorgt um die Gefahr, niederlegen und ruhig schlafen?

    Ja, meine Lieben, mögen diejenigen sich für klug achten, die sich die ernsten Gedanken an den Tod, an das Gericht und an die Ewigkeit aus dem Sinn schlagen und nur darauf denken, wie sie hier wollen glücklich und fröhlich leben, Reichtümer sammeln und zu hohen Ehren vor Menschen gelangen; sie sind bei aller ihrer irdischen Klugheit doch die größten Toren. Wahrhaft klug handelt nur der, der für die Zukunft sorgt, der sich aus seinem Geistesschlaf wecken lässt und daher denkt: Sterben muss ich einmal; wann ich aber sterben werde, ob erst nach vielen Jahren oder morgen oder noch heute, das ist ungewiss und Gott allein bekannt; darum will ich zu Zeiten für meine Seele sorgen, damit der Tod mich nicht übereile; ich will zu Zeiten mit dem ungerechten Haushalter fragen: „Was soll ich tun?“ und nicht ruhen, bis ich weiß, wie auch ich Gottes Gnade finden und selig werden könne. Mögen diejenigen sich immerhin für klug achten, die sich stets zu überreden suchen, sie seien keine so großen Sünder, wie Gottes Wort die Menschen beschreibt; sie würden schon in Gottes Gericht bestehen, Gott werde sie als ein lieber Vater um ihrer Sünden willen nicht gleich ewig strafen, Gott werde auch das mancherlei Gute ansehen, dass sie auch getan hätten: Alle, die so denken, sind nicht klug, sondern blinde Toren. Wahrhaft klug aber handelt der, der sich die Augen für seine große Sündhaftigkeit nicht mutwillig zuhält; wer es eingesteht, dass es übel mit ihm stehe; wer es bekennt, dass er ein böser Haushalter sei, und wer daher mit dem ungerechten, aber klugen Haushalter in unserem Evangelium es zugibt und spricht: Ja, ja, es ist so; mein Gott und HERR wird einst das Amt von mir nehmen; ich werde nicht vor ihm bestehen; ich werde dort zu leicht erfunden werden; ich muss durchaus darauf denken, meine verlorene Seele noch zu retten und meine verscherzte Seligkeit wieder zu gewinnen.

    Gehört ihr, meine Zuhörer, zu diesen Klugen? Oder gehört ihr noch zu jenen Toren? Haltet ihr euch etwa noch für Eigentumsherren eurer Güter, für deren Anwendung ihr niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen schuldig wärt? Denkt ihr etwa noch: Mit dem, was ich habe, kann ich tun, was ich will? Seid ihr noch sicher? Habt ihr noch nicht angefangen, eure Rechnung, euer Schuldregister vor Gott durchzugehen? Gott hat vielleicht schon oft in Krankheiten, in Nöten und Trübsalen oder auch durch großen Segen und wunderbare Errettungen bei euch angeklopft und zu euch gesagt: „Tue Rechenschaft von deinem Haushalten; denn du kannst hinfort nicht mehr Haushalter sein.“ – Hieß es nicht manchmal schon so in eurem Gewissen? – Habt ihr angefangen, für die ewige Zukunft zu sorgen? Täuscht euch ja nicht! Sprecht nicht: Ihr sorgt ja freilich für die Zukunft, denn ihr gingt ja in die Kirche, ihr betet ja täglich euren Morgen- und Abendsegen, ihr läset ja in Gottes Wort. Das beweist noch keineswegs, dass ihr für die Ewigkeit wahrhaft sorgt. Untersucht euch nur einmal ernstlich: Was für eine Sorge lebt eigentlich in eueren Herzen? Ist es die Sorge fürs Zeitliche oder fürs Ewige? Was liegt auch Tag und Nacht mehr an: Dass eurem Leib in dieser Welt zeitlich wohl sei, oder dass eure Seele in jener Welt selig werde? Was liegt euch mehr an, dass ihr irdische oder dass ihr himmlische Güter sammelt? Dass ihr mit Menschen in gutem Einvernehmen bleibt, oder dass ihr bei Gott in Gnaden steht? Dass ihr glücklich leben oder dass ihr jede Stunde selig sterben könnt? Ich frage euch – es gilt eure Seligkeit, mit der sich nicht scherzen lässt –: Hat die Frage des klugen Haushalters: „Was soll ich tun?“ wirklich euer ganzes Herz eingenommen? Oder müsst ihr, wenn ihr aufrichtig sein wollt, gestehen, dass die Sorge für das Heil eurer Seele wirklich noch eine Nebensache bei euch ist, dass ihr euch allerdings mit zeitlichen Dingen viel mehr zu schaffen macht? Nun, dann wisst, dass es keine törichteren und närrischeren Menschen in der Welt gibt, als ihr seid, denn um nichtswürdige Dinge sorgt ihr euch ab, und um das Allerwichtigste, wovon euer Heil und eure Seligkeit abhängt für alle Ewigkeit, sorgt ihr nicht. So klug ihr auch sonst sein mögt, so seid ihr doch für euer wahres Heil noch blind, die wahre Klugheit wohnt noch nicht in euch, denn diese besteht vor allem darin, dass man nicht sicher und unbekümmert um die ewige Zukunft dahingeht.

 

2.

    Doch dazu gehört auch zweitens, dass man ernstlich und eifrig ist, auch wirklich alles zu tun, um einst die ewige Seligkeit zu erreichen.

    Auch dies lernen wir, meine Lieben von dem ungerechten Haushalter in unserem Evangelium. Derselbe hätte ja freilich überaus töricht gehandelt, wenn er zwar seinen üblen Zustand erkannt und beklagt und darüber nachgedacht hätte, was zu seiner Rettung noch zu tun sei, wenn er aber nicht auch Mittel hierzu angewendet und nicht sogleich ohne Verzug alles getan hätte, was nötig war, ihn aus seiner gefährlichen Lage herauszureißen. Aber der Haushalter war nicht so töricht. Sobald er über den Weg, auf welchem ihn noch zu helfen sei, nachgedacht hatte, so ging er auch sogleich ohne Säumen an das Werk. Er verließ sich nämlich nicht auf sich selbst; er machte nicht den vergeblichen Versuch, seinen Herrn von seiner Unschuld zu überzeugen, da er wohl wusste, dies sei unmöglich; er schmeichelte sich auch nicht mit der Hoffnung, dass sein Herr um seiner sonstigen Anstrengungen willen seine Untreue in seinem Amt und seine greuliche Verschwendung übersehen werde; nein, er nahm das Gewisse für das Ungewisse; er machte sie allen Ernstes darauf gefasst, er werde seiner Untreue deutlich überführt und seines Amtes entsetzt werden; er suchte daher, da dies einmal nicht abzuwenden war, sich wenigstens Freunde zu machen, die ihn in der Zeit der Not aufnehmen würden. Er rief daher eiligst alle Schuldner seines Herrn zu sich und ließ einem jeden von dem, was er seinem Herrn schuldig war, eine namhafte Summe abschreiben. Somit war ihm denn auch wirklich für die Zeit der Not geholfen.

    So schändlich und betrügerisch nun hier der ungerechte Haushalter, um sich selbst zu retten, an seinem Herrn handelte, und so gottlos es wäre, wenn jemand den Haushalter in seiner Art und Weise, sich zu helfen, nachahmen wollte, so ermuntert uns doch sein Beispiel, ebenso im Geistlichen und auf rechte Weise klug zu sein, wie er es im Irdischen und auf unrechte Weise war.

    Wir würden alle den Haushalter einen Toren schelten, wenn er, da er selbst von seiner Untreue überzeugt war, gehofft hätte, seinen Herrn noch zu überreden, er sei treu gewesen: Sind daher nicht diejenigen viel größere Toren, die, da sie sich selbst als Sünder verurteilen müssen, hoffen, einst Gott noch zu überreden, sie seien gerechte, fromme, unverwerfliche Leute gewesen? Wir würden alle den Haushalter einen Toren schelten, wenn er gehofft hätte, sein Herr werde es ihm vergeben, dass er das ihm anvertraute Amt so schändlich verwaltet hätte, da er doch sonst viel Mühe und Plage gehabt hätte: Sind daher nicht diejenigen viel größere Toren, welche hoffen, Gott werde ihnen ihre Übertretung der Gebote Gottes vergeben, da sie doch viel gearbeitet und ertragen hätten in ihrem Leben? Wir würden den Haushalter für einen großen Toren achten, wenn er gemeint hätte, sich selbst helfen zu können, da er doch als ein unvermögender Mann das verschwendete Gut nimmermehr ersetzen konnte: Sind daher nicht diejenigen viel größere Toren, welche sich im Geistlichen selbst helfen und die Hilfe Christi und seiner Gnade nicht annehmen wollen, da sie doch Seele und Seligkeit verloren haben? Wir würden den Haushalter für einen großen Toren achten, wenn er die Mittel, die er zu seiner Rettung wusste, nicht gebraucht und doch gehofft hätte, es werde alles gut gehen: Sind daher nicht diejenigen viel größere Toren, welche aus Gottes Wort wissen, was sie tun müssen, um selig zu werden, die aber dies zu tun unterlassen und doch selig zu werden fest hoffen?

    In Gottes Wort steht, jeder, der selig werden wolle, müsse sich bekehren und Buße tun: Ist’s nun nicht Torheit, die Seligkeit zu hoffen und sich nicht bekehren und Buße tun? Gottes Wort sagt, wer selig werden wolle, müsse an Christus von Herzen glauben: Ist’s nun nicht große Torheit, die Seligkeit zu hoffen und doch nur von Christus hören und nicht von Herzen an ihn glauben? Gottes Wort sagt, wer sich im Glauben zu Christus wendet, und er will das Kleinod nicht wieder verlieren, der müsse Gottes Wort täglich treiben, ohne Unterlass beten, gegen Fleisch, Welt und Satan kämpfen, nicht reich zu werden trachten, sondern alles Irdische gering achten, keine, auch nicht die geringste Sünde über sich herrschen lassen, der Heiligung in allen Stücken nachjagen, demütig, sanftmütig, freigiebig, versöhnlich, keusch und uneigennützig sein und allem absagen, das man hat, sein Herz an nichts in der Welt hängen, sondern am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit trachten: Diesen schmalen Weg zum Himmel zeigt Gottes Wort uns Menschen und keinen anderen; aber wer geht ihn? Die Meisten betreten ihn nie; und viele, nachdem sie ihn eine Zeitlang erwählt hatten, verlassen ihn wieder und sorgen dann wieder für das Zeitliche mehr als für das Ewige, behalten den Schein der Gottseligkeit, aber ihre Kraft verleugnen sie – und doch hoffen sie, selig zu werden! Ist das nicht Torheit über alle Torheit?

    Ach, meine Lieben, lasst uns doch an dem Beispiel des ungerechten Haushalters klug werden. Wie dieser alle Mittel gebrauchte, um sich Freunde zu machen, bei denen er in der Zeit der Not eine Zuflucht fände, so lasst auch uns die in Gottes Wort gezeigten Mittel gebrauchen, Gott zum Freund zu haben, damit er uns, wenn wir einst sterben, aufnehme in die ewigen Hütten. Lasst uns das Gewisse für das Ungewisse nehmen. Lasst uns das Irdische opfern, um das Himmlische, das Zeitliche opfern, um das Ewige zu gewinnen. Lasst uns nicht hoffen, auf dem breiten Weg der Welt das himmlische Ziel zu erreichen. Lasst uns nicht hoffen, ohne gekämpft zu haben, einst die Krone zu erlangen. Lasst uns nicht hoffen, ohne Heiligung den HERRN sehen zu können. Lasst uns nicht hoffen, wenn wir einen bloß historischen Glauben haben, dass wir damit Christus und seine Gnade, Gerechtigkeit und Seligkeit ergreifen. Lasst uns nicht hoffen, es sei genug, einmal ein Christ geworden zu sein und angefangen zu haben; damit wir nicht einst in der Ewigkeit und kläglich getäuscht sehen und ausrufen müssen: „Wir Narren haben den rechten Weg verfehlt, und das Licht der Gerechtigkeit hat uns nicht geschienen, und die Sonne ist uns nicht aufgegangen.“

    Wahrhaft klug ist nur der, welcher immer den wahren Zweck seines Lebens erkennt und vor Augen hat, nämlich dass er selig werde, und dass er auch treu die Mittel hierzu gebraucht. Wahrhaft klug ist nur, wer dem Grundsatz huldigt: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?“ Und wer danach tut. Das helfe uns Gott durch Jesus Christus. Amen.

 

Evangelienpredigt zum zehnten Sonntag nach Trinitatis (Israelsonntag) ueber Lukas 19,41-48: Die herzliche und liebreiche Warnung Christi, Gottes Gnadenheimsuchungen nicht zu verachten

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Es gibt eine göttliche Vorsehung; es gibt einen Gott, der die ganze Welt mit ihren Bewohnern nicht nur erschaffen hat, sondern der sie auch erhält und regiert; der unsere Schicksale leitet und alle seine Geschöpfe, wenn sie sich von ihm lenken lassen, zum Ziel, zur Vollendung führt. Darauf weist uns schon unsere Vernunft hin. Ein Wesen, das sich nicht selbst schaffen konnte, kann sich auch nicht selbst erhalten. Wollte daher Gott nichts mehr an der Welt tun, nachdem er sie geschaffen hat, so würde sie sogleich in das Nichts, woraus sie entstanden, wieder zurückfallen. Und regierte Gott die Welt nicht, lenkte Gott nicht alles, was die Menschen tun, zum Besten, wohin würde es wohl mit den Menschen bei ihrer großen natürlichen allgemeinen Ohnmacht und Sündhaftigkeit gekommen sein? Der Einzelne würde den Einzelnen und Völker wieder ganze Völker zerstört haben und die Erde würde der Schauplatz eines vollendeten Jammers und Elendes, ja, eine Vorhölle geworden sein.

    Aber nein, es gibt eine Vorsehung Gottes, der das Böse entweder hindert oder doch endlich zum Guten wendet, der den einen schützt, den anderen zurückhält, und nach dem Krieg den Völkern den Frieden schenkt, der über alle seine Hand hat, allenthalben wirkt und ohne den nichts geschieht, was geschieht. Gottes Wort sagt es uns: „In Gott leben, weben und sind wir. Von seinem festen Thron sieht er auf alle, die auf Erden wohnen. Er lenkt ihnen allen das Herz, er merkt auf alle ihre Werke.“

    Viele meinen zwar jetzt selbst mitten in der Christenheit, alles in der Welt sei Natur und eine _Wirkung ihrer Kräfte; wie es nun einmal gehe, so lasse es Gott gehen; die Welt sei eine Welt des Zufalls; den einen treffe dieses, den anderen jenes, wie gerade das Los ihm falle. Andere sagen: Es sei alles Bestimmung; die Welt sei eine Maschine, die Gott zwar gebaut habe, die er aber nun, ohne sich um sie zu kümmern, gehen und ablaufen lasse. Noch andere sagen endlich, dass sich Gott wenigstens um Einzelne, um Kleinigkeiten nicht kümmere; ob es heute regne oder ob die Sonne scheine, ob ein Kind krank sei oder gesund, ob ein Armer heute Arbeit finde oder nicht, danach frage Gott nicht, das überlasse er der Klugheit und Sorge der Menschen selbst. An alle diese Kleinigkeiten im menschlichen Leben zu denken sei entweder unmöglich oder doch des großen Gottes unwürdig.

    Aber, meine Lieben, so aufgeklärt solche Zweifler zu sein meinen, so zeigen sie doch gerade durch solche Grundsätze, wie sehr der Unglaube wie verblendet und verfinstert hat. Was kann unvernünftiger sein als eine geordnete Welt dem Zufall zuzuschreiben? Oder was kann törichter sein als zu glauben, dass Gott wohl die Welt als eine Maschine geschaffen habe, aber sich dann seines Werkes gleichsam schäme und es verlasse? Und was kann endlich ungereimter sein als zu glauben, dass Gott zwar das Große besorge, aber um das Kleine in der Welt unbesorgt sei? Sorgt Gott nicht für das Kleine, Geringe und Einzelne, wie kann er für das große Ganze sorgen? Besteht nicht das Ganze aus lauter Kleinigkeiten? Oder sollte eine solche Sorgfalt Gottes unwürdig sein? Ist sie nicht gerade der deutlichste Beweis für Gottes unendliche Größe, Macht, Weisheit und Güte? Was kann Herrlicheres von Gott gedacht werden als dies, dass sein Schöpfer- und Vaterauge auf alles sieht, dass seine Liebe alles umfasst, dass seine Hand alles lenkt?

    O törichter Unglaube! Nein, meine Lieben, lasst uns bei dem Glauben bleiben, den Gottes Wort uns offenbart, dass ohne Gottes Willen kein Sperling vom Dach, kein Haar von unserem Haupt fällt; dass aller Augen in der ganzen Schöpfung auf ihn, den großen Hausherrn, warten, dass er ihnen ihre Speise gebe zu seiner Zeit; dass er seine milde Hand auftue und alles sättige, was das lebt, mit Wohlgefallen; dass er die Vögel unter dem Himmel nähre und die Lilien und das Gras auf dem Feld kleide. Wahre Christen haben die Pflicht, überall, wo sie gehen und stehen, die Fußstapfen Gottes aufzusuchen; es vergeht daher auch bei einem Christen nicht leicht ein Tag, an dessen Schluss er nicht recht deutlich die Spuren der göttlichen Vorsehung während des verflossenen Tages erkennen und preisen müsste.

    Doch, meine Lieben, so nötig es einem Christen ist, auf Gottes Regierung im Reich der Natur zu achten, so nötig und noch nötiger ist es ihm auch im Reich der Gnade; ja, alles unser Heil und unsere Seligkeit hängt davon ab, dass wir mit Sorgfalt auf die Gnadenheimsuchungen merken, deren Gott uns würdigt. Jerusalems Einwohner wollten sie nicht erkennen, und die Folge war zeitliches und ewiges Verderben. Daran erinnert uns unser heutiger Text.

 

Lukas 19,41-48: Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt an und weinte über sie und sprach: Wenn du es wüsstest, so würdest du auch bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient. Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen. Denn es wird die Zeit über dich kommen, dass deine Feinde werden um dich und deine Kinder mit dir eine Wagenburg schlagen, dich belagern und an allen Orten ängstigen und werden dich schleifen und keinen Stein auf dem anderen lassen, darum dass du nicht erkannt hast die Zeit, darin du heimgesucht bist. Und er ging in den Tempel und fing an auszutreiben, die darin verkauften und kauften, und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: Mein Haus ist ein Bethaus; ihr aber habt’s gemacht zur Mördergrube. Und lehrte täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die Vornehmsten im Volk trachteten ihm nach, dass sie ihn umbrächten, und fanden nicht, wie sie ihm tun sollten; denn alles Volk hing ihm an und hörte ihn.

 

    Das verlesene Evangelium enthält, meine Lieben, eine Weissagung von dem 36 Jahre danach erfolgten Untergang Jerusalems. Christus sagt darin, dass dieser Untergang eine Strafe dafür sein werde, dass diese Stadt nicht die zeit erkenne, darin sie von Gott heimgesucht worden sei. Mit Tränen warnt er daher alle davor, welche noch hören und sich retten lassen wollten. Unsere Andacht beschäftige sich daher jetzt mit der

 

Herrlichen und liebreihen Warnung Christi, Gottes Gnadenheimsuchungen nicht zu verachten

 

    Wir betrachten:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Gottes Gnadenheimsuchungen und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Christi liebreiche und herzliche Warnung, sie nicht zu verachten.

 

    O großer, heiliger Gott! Was sind wir, dass du zu uns herabkommst und uns besuchst, die wir Staub und Asche und Sünder sind, die dich verlassen und verleugnen. O, wie groß ist deine Liebe und Herablassung! Aber ach, wir müssen dir klagen und bekennen, dass du, o Unendlicher, oft, oft zu uns kommst und uns heimsuchst, und wir wollen dir bei uns nicht Herberge machen. Ach, HERR; vergib uns diese schwere, unaussprechlich große Versündigung an deiner göttlichen Majestät. Kommt doch wieder zu uns, denn ohne dich sind und bleiben wir unselig; komm in unsere Herzen, mach Wohnung darin, bis wir endlich unzertrennbar mit dir vereinigt seien dort in der Ewigkeit. Erhöre uns, treuester Gott, um Jesu Christi, deines lieben Sohnes, unseres HERRN und Heilandes, willen. Amen.

 

1.

    Gott hat sich, meine Lieben, zwar an keinem Menschen unbezeugt gelassen, sondern allen viel Gutes getan, dass sie den HERRN suchen sollten, ob sie doch ihn fühlen und finden möchten. Und zwar, er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns; denn in ihm leben, weben und sind wir. Aber Gott gibt den Menschen auch zu besonderen Zeiten besondere Gnade und Gelegenheit, zu erkennen, was zu ihrem Frieden dient; da kommt Gott den Menschen gleichsam näher als gewöhnlich; er kommt da gleichsam selbst vor die Tür des Menschen und bietet im dringend alle Güter seiner Gnade und Liebe an; dies wird daher in der Heiligen Schrift eine Gnadenheimsuchung Gottes genannt.

    Solche Heimsuchungen haben unter allen Völkern das jüdische Volk und die Bürger Jerusalems am meisten erfahren. Während die heidnische Welt in Finsternis und Schatten des Todes saß, so leuchtete hingegen in dem jüdischen Land allezeit die Sonne der göttlichen Offenbarung. Während die Heiden von wahrsagerischen Opferpriestern verführt und im entsetzlichsten Aberglauben erhalten wurden, so sandte Gott hingegen unter das israelitische Volk von einer Zeit zur anderen heilige Propheten, welche, erleuchtet vom Heiligen Geist, all die seligmachende Wahrheit verkündigten. Während kein Heide etwas davon wusste, dass einst ein Erlöser der Welt kommen werde, so predigten hingegen unter den Juden alle Propheten klar und deutlich, dass ein Nachkomme Abrahams und Davids geboren werde solle, in welchem gesegnet werden sollten alle Geschlechter Erde. Dies waren lauter Gnadenheimsuchungen, welche das israelitische Volk vor allen anderen erfuhr. Die herrlichste und größte war aber ohne Zweifel die, als der Sohn Gottes selbst unter diesem Volk im Fleisch wandelte und wohnte. Dies war eine Zeit der Gnade, welche außer Israel kein Volk der Erde erfahren hat noch erfahren wird. So viele und so herrliche Wunder sind zu keiner Zeit und vor den Augen keines Volkes getan worden, wie damals vor den Augen der Bürger zu Jerusalem. Ihnen ist am reichlichsten, am überzeugendsten, am erschütterndsten, am trostreichsten gepredigt, sie sind am kräftigsten, am dringendsten, am lockendsten zum Reich Gottes eingeladen und berufen worden. Der Himmel selbst hatte sich auf die Erde herabgelassen, um die Einwohner Jerusalems in den Himmel zu locken. Nicht nur Zacharias war daher gedrungen, in dieser gnadenvollen Zeit im prophetischen Geist auszurufen: „Gelobt sei der HERR, der Gott Israels, denn er hat besucht und erlöst sein Volk; uns hat besucht der Aufgang aus der Höhe“, selbst das Volk musste eine solche Heimsuchung Gottes erkennen, als es die Blinden sehend gemacht, den Tauben und Stummen das Gehör und die Sprache gegeben, die Toten auferweckt sah; es rief daher, Gott preisend aus: „Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und Gott hat sein Volk heimgesucht.“ Diese Heimsuchung geschah aber nicht nur in der Kirche durch Verkündigung des Evangeliums und in dem Haus durch leiblichen Segen, sondern auch in den Herzen durch außerordentliche kräftige Erweckungen der Heiligen Geistes. Durch die Predigten Christi und seiner Jünger war eine große Bewegung in aller Herzen entstanden, die Gewissen waren erwacht; selbst die feindseligsten Herzen konnten der gepredigten Wahrheit nicht ganz widerstehen; selbst den Pharisäern und Schriftgelehrten sagte es ihr Gewissen, was Christus predige, sei Wahrheit, der Weg, den er zeige, sei der einzige, der zur Seligkeit führe. Selbst die rohesten Soldaten mussten bekennen: „Es hat noch nie ein Mensch so geredet wie dieser Mensch“; und erstaunt musste das Volk bekennen: „Er predigt gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten.“ Es wurde daher auch oft offenbar, dass Christus das ganze Volk anhing; es folgte ihm oft zu vielen Tausenden in die Wüste, und als er das letzte Mal in Jerusalem einritt rief es, mächtig überzeugt und ergriffen, aus: „Hosianna dem Sohn Davies; gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN! Hosianna in der Höhe!“

    So oft nun, meine Lieben, Gott einem Volk oder einer Stadt oder Gemeinde sein Wort besonders reichlich und kräftig predigen lässt und dadurch viele zur Überzeugung von der göttlichen Wahrheit bringt, so heißt dies nach der Schrift: Gott habe sie heimgesucht. Solche Heimsuchungen hat auch Deutschland viele erfahren. Als zu Anfang des 16. Jahrhunderts die ganze Welt von der greulichen Finsternis des Papsttums bedeckt war, da suchte Gott besonders Deutschland in Gnaden heim, indem er hier sein herrliches Rüstzeug D. Martin Luther erweckte. Dieser zog die Bibel wieder aus dem Staub hervor und brachte die Wahrheit des Evangeliums und die ganze reine Lehre wieder an den Tag. Da kehrten die ersten apostolischen Zeiten wieder; ganze Scharen von Evangelisten traten auf; Millionen Seelen kamen zur Erkenntnis, und selbst die Feinde der Wahrheit wurden in ihrem Gewissen unruhig und mussten es oft selbst bekennen, dass Luther die reine Wahrheit verkündige. Aber der Stolz ließ es vielen von den großen Bischöfen und Gelehrten nicht zu, sich von einem verachteten Mönch reformieren zu lassen.

    Doch, meine Lieben, solche Heimsuchungen erfahren nicht nur ganze Völker, sondern auch jede einzelne Seele. Es kommen in dem Leben des Menschen Zeiten vor, in welchen Gott besonders laut an die Tür seines Herzens klopft; in denen der Mensch mehr als zu anderen Zeiten Gelegenheit bekommt, Gottes Gnade zu erkennen und zu ergreifen. Gott sucht jeden Menschen nicht nur jederzeit heim, so oft ihm das reine Wort Gottes gepredigt wird, so oft er zum heiligen Abendmahl geht, so oft er die Bibel aufschlägt, so oft er in einem guten erbaulichen Buch liest, so oft wahre Christen über göttliche Dinge mit ihm sprechen: Es gibt auch Zeiten besonderer göttlicher Gnadenheimsuchungen. Wir hören oft viele Predigten, welche wenig Eindruck auf unsere Seelen machen; aber es geschieht auch dann und wann, dass durch irgendeine predigt unser Innerstes ergriffen wird, es werden uns auf einmal dadurch Sünden aufgedeckt, die wir vorher nicht an uns sahen, und wir erschrecken dabei vor Gott Zorn, oder es wird uns auf einmal ein Reichtum der göttlichen Gnade offenbar, den wir vorher nicht erkannten, und unser Herz zerschmilzt dabei vor Freude und fühlt jetzt, wie selten, die Süßigkeit des göttlichen Trostes; das ist nichts anderes als eine Gnadenheimsuchung Gottes. Weir gehen ferner oft zum heiligen Abendmahl und machen dabei wenig besondere Erfahrungen; aber es geschieht auch zuweilen, dass wir vor, bei oder nach dem Tisch des HERRN entweder unsere große Seelennot oder die große Freundlichkeit Christi besonders tief empfinden und schmecken, wir werden mächtig in unserer Seele bewegt und gedrungen, Gott zu versprechen, dass wir allem entsagen und uns nur ihm aufopfern wollen; auch das ist nichts anderes als eine göttliche Gnadenheimsuchung. Wir lesen ferner oft in der Heiligen Schrift, aber wir überlesen manches Kapitel, wobei wir nur wenig von seiner Kraft erfahren; aber es geschieht auch zuweilen, dass ein Spruch eine Geschichte, eine Verheißung, eine Drohung, eine Lehre, eine Warnung und dergleichen, was wir vielleicht sonst oft ohne Überlegung gelesen haben, jetzt unserer Seele besonders eindringlich wird; wir werden gedrungen, unsere liebe Bibel vielleicht mit unseren Tränen zu netzen, wir rufen in unserem Herzen aus: Ja, wahrlich, das ist Gottes Wort! Wir werfen erfüllt mit heiligen Entschließungen, wir werden dadurch entweder in unserer falschen Ruhe gestört oder nach langem Harren kehrt auf einmal durch einen Spruch Ruhe und Friede und Freude in unserem Herzen ein; auch das ist nichts anderes als eine Gnadenheimsuchung unseres Gottes. Wir lesen auch ferner oft in erbaulichen Büchern, und es scheint uns, als könnten wir wenig daraus uns aneignen; aber es geschieht auch zuweilen, dass wir darin auf eine stelle kommen, welche uns allein für unseren Zustand geschrieben zu sein scheint, wir finden darin unser Innerstes verraten und beschrieben, wir werden erweckt und sprechen: Ach, es muss anders mit mir werden; ja, heute, diese Stunde will ich ein anderes Leben anfangen, ich will treuer werden in meinem Christentum, ich will nicht wieder lau und träge werden, weg Sünde, weg Eitelkeit, weg Welt, ich will Christus ergreifen, in ihm meine Seligkeit suchen und ihm nachfolgen. O selig, welche solche Erfahrungen bei der Lesung seiner Erbauungsbücher macht! Das sind nichts anderes als Gnadenheimsuchungen seines Gottes. Wir beten oft längere Zeit täglich, ohne dabei eine besondere Erweckung zu spüren; aber es geschieht auch zuweilen, dass wir, wenn wir erst recht im Gefühl unseres Elendes zu beten angefangen haben, auf einmal mit einem recht heißen Verlangen nach Gott erfüllt werden; unsere Andacht mehrt sich, die Worte, die wir erst suchen mussten, fließen auf einmal von selbst, wir möchten gar nicht aufhören zu beten, wir vergessen ganz, was uns umgibt, es ist uns, als wäre Gott uns ganz nahe, wir empfinden es: Gott hört uns, er spricht zu unseren Bitten sein Ja und sein Amen, wir werden dabei gedrungen, auch recht dringend für unsere Brüdern und Schwestern zu bitten, und schließen unser Gebot mit Lob und Preis Gottes. Auch solche Erfahrungen im Gebet sind nichts anderes als teure Gnadenheimsuchungen Gottes an unseren Seelen, wodurch uns Gott von der Welt ab und zu sich immer näher ziehen will. Wir sind ferner oft allein, wir lesen nicht, wir beten nicht, wir überlassen uns unseren Gedanken; da geschieht es denn nicht selten, dass wir auf einmal eine uns unerklärliche Unruhe in uns entstehen bemerken, es fallen uns manche Stellen der Schrift, die uns strafen, und viele unserer Sünden ein; es entsteht in uns ein inneres Seufzen; wir hören in uns eine Stimme, die da sagt: Bete! Bete! Gottes Geist klopft an unsere Herzen: Das sind alles Zeiten, in welchen uns Gott besonders besucht und an unseren Seelen wirkt, entweder sie zu bekehren und zu Christus zu bringen, oder sie bei Christus zu erhalten, sie vor nahenden Versuchungen zu stärken und vor Gefahren, die da kommen, zu warnen. Zu diesen Gnadenheimsuchungen gehören auch Leiden und Trübsale, Krankheit, Armut, Schande und allerlei leibliche und geistliche Not, welche uns Gott schickt. Ja, wenn das Kreuz in einem Haus oder in einer Familie einzieht, da zieht auch Gott ein; daher sagt man auch in den christlichen Sprichwörtern: Je größer Kreuz, je näher Himmel, je größer Not, je näher Gott. Gerade dann, wenn das geistliche Zion, der arme Christ in seiner Anfechtung klagt: „Der HERR hat mich verlassen, der HERR hat mein vergessen“, da ist ihm Gott am allernächsten, da gedenkt er sein in seiner großen Liebe, da beweist es Gott, dass er uns in seine Hände gezeichnet habe. Wir erkennen dies freilich immer erst, wenn die Not zu Ende ist; „ist die Züchtigung da“, heißt es im Brief an die Hebräer, „so dünkt sie uns nicht Freude, sondern eitel Traurigkeit zu sein, aber danach gibt sie eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind.“

   So haben wir denn, meine Lieben, aus diesem allen gesehen, was die Gnadenheimsuchungen Gottes sind; lasst uns nun zweitens die liebreiche und herzliche Warnung Christi erwägen, sie nicht zu verachten.

 

2.

    Christus spricht, meine Geliebten, seine Warnung zwar mehr mit Tränen als mit Worten aus; aber wo gibt es eine Sprache, die uns flehentlicher mahnen und warnen könnte als die Tränen des Sohnes Gottes? Mit weinenden Augen steht er vor dem unglücklichen Jerusalem kurz vor seinem Leiden und Sterben; aber er weint nicht über sich, sondern spricht: Wenn du es wüsstest, so würdest du auch bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient. Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen. Denn es wird die Zeit über dich kommen, dass deine Feinde werden um dich und deine Kinder mit dir eine Wagenburg schlagen, dich belagern und an allen Orten ängstigen und werden dich schleifen und keinen Stein auf dem anderen lassen, darum dass du nicht erkannt hast die Zeit, darin du heimgesucht bist.“ Zweierlei will also Christus mit seinen Tränen sagen: Einmal, wie groß die Liebe sei, welche Jerusalem verachte, aber auch zweitens, wie gewiss und schrecklich das Unglück sei, welches auf diese Verachtung folgen werde. Christus sagt damit: O ihr Bürger von Jerusalem, so groß auch eure Sünden sind, so hättet ihr dennoch alle, alle selig werden können; denn seht meine Tränen, ich habe euch alle lieb, für euch alle bin ich in die Welt gekommen für euch alle will ich sterben; ich bin gekommen als der Hirte, um euch verlorene Schafe alle zu suchen; ich bin als ein himmlischer Arzt gekommen, um euch Seelenkranke alle zu heilen; ich bin als ein himmlischer Bräutigam gekommen, um euch alle zur ewigen Hochzeit einzuladen; o, wie oft habe ich euch versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel, aber ihr habt nicht gewollt. O, bedenke es, Israel: Nicht die Menge und nicht die Größe deiner Sünden sind schuld, dass du verloren gehst, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich gesucht, ich habe dich zu mir gerufen; du gehst nur darum verloren, weil du meine Liebe, meine Gnade, die ich dir anbot, verachtetest. Aber wisse: Da ich rufe und du weigerst dich; ich recke meine Hand aus, und du achtest nicht darauf, lässt meinen Rat fahren und willst meine Strafe nicht, so schreie auch einst über dich, wenn der Tag der Strafe und Rache erscheinen wird. – Und ach, er ist erschienen; 36 Jahre darauf ist an Jerusalem alles buchstäblich in Erfüllung gegangen, was Christus dieser Stadt voraus verkündigte. An derselben Stelle, auf dem Ölberg, und zu derselben Zeit, nämlich um Ostern, da Christus weinend Jerusalems zukünftigen Jammer beklagt hatte, da schlugen die Römer zuerst ihr Lager auf. Während dieser Belagerung sind mehr als eine Million Juden umgekommen, teils durch Hungersnot und Pest, so dass die Leichname, auf den Straßen Jerusalems aufgehäuft, unbegraben verfaulten, teils kamen sie in den Flammen und durch das Schwert der Römer um oder sie wurden von ihnen an das Kreuz geschlagen. Gern hätte der römische Feldherr, Titus, Stadt und Tempel gerettet, aber die Juden waren nun von Gott in so verkehrten Sinn dahingegeben, dass sie sich zu keinem Friedensvorschlag bewegen ließen und dadurch die Römer reizten, Stadt und Tempel dem Erdboden gleich zu machen. Ein jeder benutze, wo möglich, den heutigen Tag, die Geschichte der Zerstörung Jerusalems zu lesen und die entsetzlichen Gerichte zu erwägen, welche Gott über ein Volk kommen ließ, das seine gnädigen Heimsuchungen nicht erkennen wollte.

    Aber, meine Lieben, Christus hat einst nicht allein über Jerusalem geweint, sondern über alle, welche je in der Welt seine Gnadenheimsuchungen verachten. Niemand wird um seiner Sünden willen verloren gehen, denn für alle ist Vergebung, sondern allein um der Verachtung der Gnade willen. Herodes ist nicht verloren gegangen um seines Kindesmordes willen, denn auch dieser hätte ihm vergeben werden können, sondern weil er Christus verachtete; Judas ist nicht verloren gegangen um seines Diebstahls willen, denn auch dafür hätte er Gnade finden können, sondern weil er Christi Gnade verwarf; Ananias und Saphira sind nicht um ihrer Heuchelei und Lüge willen verloren gegangen, denn auch dafür ist Christus gestorben, sondern weil sie dem Heiligen Geist widerstrebten, der sie zu Christus leiten wollte. Es gibt nur eine Sünde, die den Menschen verdammt, das ist der Unglaube oder die Verachtung des Wortes und der Gnade.

    Wenn ein Mensch fällt, sei es auch noch so tief, so ist Christus bereit, ihn wieder anzunehmen, so oft er mit Reue und Buße zu ihm zurückkehrt; aber wenn er auf sein Wort nicht hören will, wenn er das teure Evangelium verschmäht, was soll ihm dann helfen? Hat ein Mensch das Wort lieb, so hat er auch Christus lieb, verachtet er aber sein Wort, so verachtet er ihn selbst.

    Die Liebe und Gnade, welche Christus einst persönlich durch seine mündliche Predigt Jerusalem anbot, die bietet er jetzt uns an durch das geschriebene und gepredigte Wort; verachten wir nun dieses, so tun wir noch heute dasselbe, was einst Jerusalem an Christus tat. Werden wir durch das Wort Gottes gestraft, so straft uns Christus; werden wir durch das Wort Gottes erweckt, so erweckt uns Christus; werden wir durch das Wort Gottes getröstet, so tröstet uns Christus; nehmen wir nun die Bestrafungen, Erweckungen, die Tröstungen des Wortes Gottes nicht an, so weisen wir Christus von uns, so verschließen wir Christus die Tür zu unseren Herzen, so gelten seine Tränen auch uns.

    Achtet darum wohl darauf, meine Lieben: Wenn ihr aus Gottes Wort von euren Sünden überzeugt, wenn ihr gerührt, wen ihr in eurem Gewissen geschlagen und getroffen, wenn ihr dabei vom Heiligen Geist gezogen und gelockt werdet, dann sucht euch Christus heim, wie er Jerusalem heimsuchte; erkennt dann, was zu eurem Frieden dient; schlag euch dann die göttliche Traurigkeit nicht aus dem Sinn, sucht dann euer Gewissen nicht falsch zu beruhigen, verwerft dann die Strafe nicht, sonst habt ihr auch nicht erkannt die Zeit, darin ihr heimgesucht seid, und Christi Liebe geht an euch verloren.

    So lasst euch denn Christi Tränen bewegen und achtet sein Wort für euren größten Schatz in dieser Welt; denn wenn ihr das Wort annehmt, so nehmt ihr auch Christus an, nehmt ihr aber Christus an, so gibt dieser euch das ewige Leben.

    Aber, meine Lieben, Christus warnt nicht nur darum, Gottes Heimsuchungen nicht zu verachten, weil wir sonst seine Liebe und Gnade verwerfen, sondern weil auch auf eine solche Verachtung zeitliches und ewiges Unglück folgen muss. Zu einem ewigen Warnungsbeispiel hat Gott die herrliche Stadt Jerusalem mit ihrem prachtvollen Tempel in einen Schutthaufen verwandeln und ihre Bewohner teils schrecklich umkommen, teils in die ganze Welt zerstreuen lassen. Warum hat Gott das getan? Weil er diese Stadt mit seinem Wort heimsuchte, diese aber das Wort nicht annahm und nicht erkennen wollte, was zu ihrem Frieden diente. Gott will gern alle selig machen, darum gibt er ihnen sein Wort; wer aber dieses verwirft, den verwirft Gott wieder. Gott hat dies nicht nur an dem jüdischen Jerusalem bewiesen, sondern auch an allen christlichen Gemeinden, welche die Liebe zu seinem Wort verloren haben. So reich Gott einst Vorderasien heimgesucht hat, so arm ist es jetzt; so herrliche Gemeinden einst in Nordafrika blühten, so öde im Geistlichen ist es jetzt; so hoch Gott auch einst Europa begnadigt hat, so verwüstet ist es jetzt.

    O, wie freie ich mich daher, meine Teuren, dass ich euch das Zeugnis geben kann, dass ihr das teure Wort Gottes nicht verwerfen, dass ihr es gern rein und lauter hören und euch demselben unterwerfen wollt. Bedenkt aber, meine herzlich Geliebten: Die besten, begnadigsten Gemeinden sind doch endlich gefallen. Wo sind die eifrigen Römer, Korinther, Epheser, Philipper, Thessalonicher, an welche St. Paulus schrieb? Wo sind die treuen Philadelphier, an welche St. Johannes schrieb? Wo sind die herrlichen deutschen Gemeinden, von denen Luther einst an seinen Kurfürsten schrieb, dass sie einem Paradies glichen, darin Jung und Alt mit Gottes Wort versehen und zugerichtet sei, und von denen wir unsere teuren Bekenntnisschriften und alle die herrlichen Schätze unserer Kirche empfangen haben? Sie waren einst voll Ernst und Eifer für Gottes Wort, aber nun ist er dahin. Wie sie fallen konnten, so können auch wir fallen; unser Fleisch und Blut wird des Wortes Gottes gar leicht überdrüssig; darum lasst uns nicht sicher sein; lasst uns wachen, wenn der Feind uns das Kleinod nehmen will, lasst uns einander reizen und ermahnen, dass ein jeder bei Gottes Wort bleibe und es für seinen größten Schatz in dieser Welt achte. Lasst uns vor allem nicht nachlassen, Gott anzurufen, dass er uns sein Wort und Sakrament rein und lauter erhalte für uns und unsere Kinder, und dass er unsere Herzen durch seinen heiligen Geist regiere, dass wir fest daran halten gegen allen Irrtum, uns damit erwecken in Schwachheit und Trägheit, uns damit rüsten gegen alle Abfall, uns damit trösten in aller Angst und Not, es standhaft bekennen vor aller Welt, danach glauben und danach leben, dass wir endlich auch darauf selig sterben können.

 

Ja, bleib mit deiner Gnade

Bei uns, HERR Jesus Christ,

Dass uns hinfort nicht schade

Des bösen Feindes List.

 

Ach, bleib mit deinem Worte

Bei uns, Erlöser wert,

Dass uns bald hier und dorte

Sei Güt und Heil beschert.

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis ueber Luk. 18,9-14: Von dem falschen Trost, den viele aus dem Gleichnis vom Pharisaeer und Zoellner nehmen

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN! Amen.

    In demselben, unserem teuren Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Kein Mensch kann im Ernst leugnen, dass auch er ein Sünder ist. Will sich ein Mensch davon auch nicht durch das in der Heiligen Schrift offenbarte Gesetz Gottes überzeugen lassen, so überzeugt doch einen jeden davon, er mag wollen oder nicht, sein eigener innerer Richter, sein Gewissen. Die allermeisten Menschen gestehen es daher auch zu, dass sie Sünder sind. Aber die Meisten trösten sich bei dem Bewusstsein der Schuld, die sie gegen Gott, ihren Schöpfer und HERRN haben, selbst. Sie meinen, hierzu nicht erst das Zeugnis eines göttlichen Gesandten, keine Bibel, keine besondere Offenbarung Gottes nötig zu haben. Sie denken, einem jeden Menschen sage es schon seine Vernunft, was er zu tun habe, um von Gott Vergebung der Sünden zu erlangen. Die Einen trösten sich daher damit, dass Gott zu gütig sei, als dass er den Menschen nicht ohne Weiteres ihre Fehltritte vergeben sollte; andere hoffen durch Reue ihre Sünden zu versöhnen; noch andere glauben durch spätere Besserung ihres Lebens oder durch allerlei gute Werke ihr voriges, mit Sünden beflecktes Leben wieder gut machen zu können.

    Abgesehen aber davon, dass es einen Menschen schon seine Vernunft lehren kann, dass es mit den genannten Dingen wenigstens eine sehr unsichere Sache ist: Welche Verwegenheit ist es überhaupt, wenn wir Menschen die Bedingungen selbst bestimmen wollen, unter welchen Gott die ihm von uns zugefügten Beleidigungen uns vergeben werde und müsse! Wer kann ohne eine besondere Offenbarung mit Bestimmtheit sagen, welches die Gedanken Gottes sind? „Wer hat des HERRN Sinn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber gewesen?“ Wer ist in Gottes geheimen Gerichtssaal gestiegen, wer hat da bereits in seinem Buch, in dem Buch der Vergebung, gelesen, oder wer ist da schon Zeuge davon gewesen, sie Gott über die Sünden der Menschen zu richten pflegt? – Oder dürfen wir etwa den Schluss machen: Das hält unsere Vernunft für eine gegründete Ursache zur Vergebung unserer Sünden, also muss auch Gott dies dafür annehmen? Sollten Gottes Gedanken nicht andere, nicht höhere als die Gedanken der Menschen sein? Doch wollten wir dies auch nicht in Anschlag bringen, so frage ich: Wie? wenn wir auch nur einen Menschen beleidigt haben, werden wir es da, als die Beleidiger, wagen, ihm, dem Beleidigten, die Bedingungen der Wiederversöhnung vorzuschreiben? Werden wir dann nicht vielmehr von ihm erwarten, dass er uns sage, was er zu seiner Genugtuung von uns fordere? Gilt es nun schon für eine unverzeihliche Dreistigkeit, wenn der Beleidiger eines Menschen dem Beleidigten die Bedingungen der Versöhnung diktieren will und würde schon der beleidigte Mensch gerade durch ein solches Benehmen gewogen werden, dem Beleidiger die Versöhnung abzuschlagen: Wie viel weniger dürfen wir dem von uns beleidigten allerhöchsten Gott die Bedingungen der Versöhnung antragen zu wollen uns erdreisten, und wie viel mehr würde Gott durch ein solches Benehmen bewogen werden, uns die Vergebung und Versöhnung zu verweigern!

    Es ist kein Zweifel, meine Zuhörer: Diejenigen, welche selbst bestimmen wollen, wie ihnen Gott ihre Sünden vergeben müsse, die, um darüber gewiss zu werden, Gott nicht selbst befragen wollen und, wie sie wähnen, dazu keiner besonderen göttlichen Offenbarung bedürfen, die daher von dem Bibelevangelium nichts hören noch wissen wollen, diese handeln im hohen Grad verwegen und töricht. Ihr Trost ist ein selbstgemachter und darum falscher, nichtiger Trost; einst am Tag des Gerichts werden sie sich mit Schrecken betrogen sehen.

    Aber ach! möchte allein der Trost derjenigen ein falscher, ein nichtiger Trost sein, welche, auf ihre Vernunft bauend, von keiner besonderen Offenbarung Gottes wissen wollen und daher die Bibel mit ihrem Trost ausdrücklich verwerfen! Leider lehrt es jedoch die tägliche betrübte Erfahrung, dass Tausende und Abertausende die Bibel und das darin enthaltene Evangelium hochhalten, und selbst daraus nichts als einen falschen, nichtigen Trost sich herausnehmen. Wie die Spinnen aus denselben Blumen Gift saugen, aus welchen die Bienen den süßen Honig holen, so holen sich viele aus dem Trost des Evangeliums, der andere zum Leben erweckt, den geistlichen Tod. Wie das bittere, salzige Meerwasser durch das süße Wasser aller Ströme nicht süß wird, sondern dieses alles in bitteres, salziges Wasser verwandelt, so wird das sündenliebende Herz vieler durch die Lehre von Christus nicht gereinigt, sondern sie machen vielmehr Christus mit seiner Gnade zu einem Sündendiener und Deckel der Bosheit. Es ist schrecklich zu sagen und doch zu allzu wahr: Viele führen darum ein Scheinchristentum, bleiben darum Heuchler ihr Leben lang, bekehren sich darum nie von ganzem Herzen, weil sie glauben, dass Gottes Wort nicht mehr von ihnen fordere, dass sie nach Gottes Wort nicht anders zu sein brauchten, dass Gottes Wort ihnen in ihrem Zustand Trost gebe. Unselige Menschen! Die predigt des Evangeliums ist an ihnen verloren, ja, die Schrift sagt von ihnen, es werde ihnen ein Geruch des Todes zum Tode, und Christus, der ihnen zum Auferstehen gepredigt wird, werde ihnen zum Fall und zur Verdammnis. Auch heute bekommen wir wieder ein herrliches Evangelium, woraus schon viele einen falschen, seelenverderblichen Trost gezogen haben. Diesen falschen Trost lasst mich daher heute euch zeigen und davor warnen.

 

Lukas 18,9-14: Er sagte aber zu etlichen, die sich selbst vermaßen, dass sie fromm wären, und verachteten die anderen, ein solch Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, zu beten, einer ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei ich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute: Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich habe. Und der Zöllner stand von ferne, wollte auch seine Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig. Ich sage euch: Dieser ging hinab gerechtfertigt in sein Haus im Gegensatz zu jenem. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

 

     Groß ist, meine Lieben, der Trost, welcher in dem soeben verlesenen köstlichen Evangelium liegt; es gibt jedoch einen Trost, welchen viele darin zu finden meinen, und der nur ein eingebildeter, selbstgerechter, falscher, nichtiger Trost ist. Lasst mich daher jetzt zu euch sprechen:

 

Von dem falschen Trost, den viele aus dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner nehmen

 

    Ein solcher falscher Trost ist, wenn man daraus schließen will:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass darauf, ob man fromm oder gottlos lebe, nicht so viel ankomme, da alles Gnade sei, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass es um die Bekehrung eine leichte und geringe Sache sei, da nichts als der Seufzer dazu gehöre: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“

 

1.

    In unserem heutigen Evangelium werden uns, meine Lieben, zwei Menschen vorgestellt, erstlich ein Pharisäer, der sich einer gewissen Frömmigkeit und Gerechtigkeit rühmen konnte, und zweitens ein Zöllner, der von keinen guten Werken, die er getan, und von keinem frommen Leben, das er geführt, zu sagen wusste, sondern vor Gott und Menschen es eingestehen musste, dass er ein Sünder, und zwar ein recht großer, abscheulicher Sünder sei. Wie urteilt aber Christus von beiden? Von dem ersten, von dem ehrbaren Pharisäer, sagt er, er sei von Gott nicht angenommen, sondern verworfen worden, hingegen von dem zweiten, dem gottlosen Zöllner, sagt er, er sei gerechtfertigt, das heißt, von Gott für gerecht erklärt, im Gegensatz zu jenem in sein Haus gegangen.

    Dieselbe Vorstellung macht aber die ganze Heilige Schrift durch Wort und Beispiel. Christus spricht anderwärts zu den Pharisäern: „Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren können wohl eher ins Himmelreich kommen als ihr“; und Paulus bezeugt: „Dem, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit.“ Während daher Christus dem ehrbaren Nikodemus, als er zu ihm kommt, Himmel und Seligkeit sogleich abspricht, so ruft er hingegen der großen Sünderin zu: „Dir sind deine Sünden vergeben; dein Glaube hat dir geholfen; gehe hin mit Frieden.“

    Welches ist nun der Schluss, den viele hieraus ziehen? Viele schließen so: Der Pharisäer nahm es überaus genau mit seiner Frömmigkeit, er enthielt sich nicht nur von Räuberei, Ungerechtigkeit, Ehebruch und anderen groben Sünden, er betete auch fleißig, fastete selbst zweimal in der Woche und gab den Zehnten von allem, das er hatte; was hat ihm dies aber alles geholfen? – Gott hat es nicht angesehen; Gott hat nicht nach seiner Frömmigkeit und seinen guten Werken gefragt; Gott hat ihn doch verworfen. – Hingegen der Zöllner hatte es nicht so genau genommen, ja, er hatte geraubt, wo er es mit einem schein des Rechtes gekonnt hatte; er hatte Tag und Nacht nur darauf gedacht, wie er Geld gewinnen wollte; dabei hatte er sich keine Zeit zum Beten und Fasten genommen, was ist ihm aber geschehen? – Gott hat ihn, sobald er nur um Gnade bat, doch angenommen, doch für gerecht erklärt. Hieraus ist offenbar, so schließen sie: Ein frommes Leben ist eben nicht so nötig; und so viel, wie man gemeiniglich denkt, haben die Sünden offenbar nicht auf sich; Gott fragt wenig nach den Werken der Menschen; es bringt’s doch einmal kein Mensch zur Vollkommenheit; und ob man auch in dieser Schwachheit von der oder jener Sünde nicht loskommen kann, Gott nimmt es offenbar nicht so genau. Es ist doch alles Gnade; Christus ist es doch allein, der alles für uns getan hat und für uns tun muss.

    Seht, das ist der Trost, den nur zu viele aus unserem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner nehmen. Und o, möchten sich so nur solche trösten, welche n9ch nie etwas von der Kraft Christi, seines Evangeliums und seiner Gnade erfahren haben! Aber ach, es geschieht nicht selten, dass dies ein Mensch tut, der sich erst von Herzen zu Gott bekehrte; er erwachte aus seinem Sündenschlag und kam zu einer großen Sorge und Bekümmernis um seiner Seelen Seligkeit, und er fand endlich nicht nur Trost, Frieden und Ruhe in Christus, sondern bekam auch Lust und Kraft, von nun an der Sünde zu widerstehen, die Welt zu verleugnen und in einem neuen, wahrhaft heiligen Leben zu wandeln: Aber er wachte nicht ernstlich, er betete nicht fleißig und gebrauchte Gottes Wort nicht treu, so verlor er die erste Liebe wieder; das Feuer seines ersten Eifers erlosch; er wurde immer träger, kraftloser und ohnmächtiger; er ließ der Sünde wieder Raum; er stellte sich der Welt wieder gleich. Erst wurde er deswegen oft in seinem Gewissen gestraft; erst entstand oft wegen seines Rückfalls in ihm viel Sorge; er beweinte wohl zuzeiten das Elend, in das er wieder geraten war, mit vielen Tränen. Aber endlich verlor sich diese Unruhe, und was geschah nun? Nun fing er eben an, sich jenen Trost aus dem Evangelium zu machen; nun hieß es eben in seinem Herzen: „Was willst du dich doch so sehr abmühen? Wozu wäre denn Christi Verdienst, wenn man es in der Frömmigkeit so genau nehmen müsste? Wozu hätte uns denn Gott die Vergebung in Christus offenbart, wenn man sich um seiner Sünden willen so absorgen müsste? Nein, ich will kein selbstgerechter Pharisäer werden, ich will ein Zöllner, ein armer Sünder bleiben; ich will nicht mit Werken umgehen; es ist doch alles Gnade; er will ich mich trösten.“ –

    Aber wie? meine Lieben, sollte Christus wirklich mit seinem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner einen solchen Trost geben wollen? O wahrlich nicht! Christus ist nicht gekommen, um durch sein Werk und sein Evangelium den Menschen die Erlaubnis zur Sünde zu geben und sie zu beruhigen, wenn sie auch nicht heilig wandeln wollen; Christus ist vielmehr gekommen, um allen Menschen aus ihren Sünden zu helfen, sie zu neuen, heiligen Menschen wieder umzuwandeln und in die Gemeinschaft mit Gott wieder zurückzuführen. Es ist wahr: Christus verwirft den Pharisäer trotz seines vor der Welt unsträflichen Lebens, trotz seines Betens, Fastens und Zehntengebens; aber dies tut Christus nicht darum, weil ein frommes Leben nicht nötig wäre, sondern weil die Frömmigkeit des Pharisäers ein bloß äußerliche, eine scheinheilige, eine heuchlerische war. Christus will also mit dem Beispiel des Pharisäers nicht denen einen Trost geben, die der Heiligung nicht nachjagen, sondern vielmehr diejenigen schrecken, die sich auf eine bloß äußerliche Ehrbarkeit vor der Welt verlassen. Es ist ferner wahr: Christus erklärt den Zöllner für gerechtfertigt vor Gott, obwohl er ein großer Sünder gewesen war, und zieht ihn dem Pharisäer vor. Aber dies tut Christus nicht darum, weil ein sündliches Leben nicht so viel auf sich hätte, sondern weil der Sünder von Herzen Buße tat und sich aufrichtig zu Gott bekehrte. Christus zieht also den Zöllner nicht um seiner Sünden willen dem selbstgerechten Pharisäer vor. Christus will nicht denen einen Trost geben, welche in Sünden bleiben, sondern allein denen, welche sich von Herzen davon bekehren wollen, dazu Mut machen.

    Ihr alle also, die ihr bisher ein rechtschaffen frommes Leben nicht für nötig und euer Leben in dieser und jener Sünde für nicht so verdammlich geachtet und euch dabei mit dem Pharisäer und Zöllner oder überhaupt mit der Lehre des Evangeliums von der Gnade getröstet habt, erkennt doch: Euer Trost ist ein falscher, ein nichtiger Trost. O, werft darum doch diesen Trost eilends wie eine glänzende Schlange weg. Er beruhigt euch wohl jetzt ein wenig, aber endlich führt er euch in ewige Unruhe; er gibt euch wohl jetzt einige Hoffnung der Gnade und Seligkeit, aber er stürzt euch endlich notwendig in Hölle und Verdammnis. Meint nur nicht, dass ihr euch einst vor Gott auf sein Wort werdet berufen können; eben das Wort Gottes, dessen ihr euch fälschlich tröstet, wird euch einst verklagen und verurteilen. Gott wird zu euch sagen: Hörst du, dass selbst der Pharisäer mit aller seiner Gerechtigkeit verworfen worden ist, warum hast du nicht nach einer besseren Gerechtigkeit getrachtet? Und hörst du, dass selbst ein sündiger Zöllner gerecht und selig geworden ist, als er Buße tat, warum hast du dich nicht auch wie er von allen deinen Sünden bekehrt?

    Ach, täusche sich niemand! Wohl wird kein Mensch durch sein frommes Leben selig, sondern allein durch den Glauben an Christus, aber das fromme Leben muss es einst beweisen, ob ein Mensch im seligmachenden Glauben gestanden hat. „Jagt nach“, spricht daher der Brief an die Hebräer, 2der Heiligung, ohne welche wird niemand den HERRN sehen.“ Wohl soll auch ferner niemand um seiner Sünden willen verloren gehen, auch dem tiefgefallensten Zöllner steht die Gnadentür offen, aber die Bekehrung von Sünden muss es einst beweisen, ob ein Sünder Gnade gesucht und gefunden habe. Tröstet euch darum nicht nur des Wortes: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden“, sondern denkt auch an den Spruch: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeglicher empfange, wie er gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse.“ Tröstet euch nicht allein des Wortes: „Aus Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben; und dasselbe nicht aus euch, Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, auf dass sich nicht jemand rühme“, sondern denkt auch an jenen Spruch: „Es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden des Sohnes Gottes Stimme hören; und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übels getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.“

    Seht, falsch, nicht, ja schädlich und verderblich ist also der Trost, dass darauf, ob man fromm oder gottlos lebe, nicht so viel ankomme, da alles Gnade sei.

    Doch es gibt noch einen anderen falschen Trost, welchen viele aus der Geschichte vom Pharisäer und Zöllner nehmen, und das ist dieser: Dass es um die Bekehrung eine leichte und geringe Sache sei, da nichts als der Zöllnerseufzer dazu gehöre: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ Davon last mich nun zweitens zu euch sprechen.

 

2.

    Dass ein jeder Mensch, welcher selig werden wolle, von Herzen frommwerde müsse und durchaus in keiner herrschenden Sünde bleiben dürfe, mit einem Wort, dass sich jeder Mensch bekehren müsse, dies gestehen noch manche zu, und doch machen sie keine Anstalt dazu, sondern schieben dies von ihnen selbst als durchaus nötig erkannte Werk von einer Zeit zur anderen auf. Und warum? Sie trösten sich dabei des Zöllners in unserem Evangelium. Sie denken, an dem Zöllner sehe man recht deutlich, wie es mit der Bekehrung bewandt sei. Sehe nämlich ein Mensch ein, dass er ein armer Sünder sei, so dürfe er dann nur zu Gott seufzen: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ so sei das wichtige Werk abgetan. Gott sei so gnädig, dass er auch ein solches kurzes Gebet alsbald erhöre. So meint man denn freilich, mit einer solchen Bekehrung habe es offenbar keine Eile; so könne man sich ja noch allezeit, und wäre es in der letzten Stunde, bekehren und selig werden. Man denkt, davon sei ja auch nicht nur der Zöllner ein Beispiel; dasselbe suche man ja auch an vielen anderen armen Sündern; wie jener verlorene Sohn rief: „Vater, ich habe gesündigt“, alsbald schloss der Vater ihn in seine Arme; als jene große Sünderin nur weinend zu Jesus kam, alsbald versicherte er sie auch der Vergebung ihrer Sünden; als der Ehebrecher und Mörder David ausrief: „Ich habe gesündigt wider den HERRN“, alsbald sprach der Prophet: „So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben.“

    Seht da, so wenden viele das Beispiel des Zöllners und anderer Sünder, die Gnade erlangten, zu ihrem Trost an. Sollte das wohl ein rechter, wahrer Trost sein? Das sei ferne! Wenn Christus die Buße und Bekehrung des Zöllners in unserem Evangelium mit so wenigen Worten beschreibt, so will er damit keineswegs in uns die Gedanken wecken, dass es um die Bekehrung eine so leichte geringe Sache und dass sie mit einigen demütigen Gebärden und dem Seufzer „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ abgemacht sei. O nein! Jeder wird ja wohl zugeben, dass Christus nicht darum die Gebärden des Zöllners beschrieben habe, um anzudeuten, dass derselbe ein Heuchler gewesen sei; jeder wird zugeben, dass diese seine Gebärde der wahre Ausdruck seiner Gesinnung, seines Herzenszustandes waren und so von uns angesehen werden sollen. Nun heißt es von dem Zöllner erstlich: „Der Zöllner stand von ferne“; warum tat das dieser arme Sünder? Warum blieb er, wie es am wahrscheinlichsten ist, im Vorhof der Heiden stehen? – Er achtete sich nicht würdig, die Rechte eines gläubigen Israeliten zu gebrauchen; er sah sich für einen Bundbrüchigen an, und achtete sich daher nicht besser als einen Heiden, der auch auf die geringste Gnade bei Gott nicht Anspruch machen könne. Es heißt weiter: „Wollte auch seine Augen nicht aufheben zum Himmel“; warum wollte er das nicht? Er schämte sich vor Gott und Menschen. Er erkannte, dass er Gott erzürnt habe, und er fühlte, wie Gottes gerechter Zorn auf ihm liege. Es heißt ferner: „Sondern schlug an seine Brust“; er wollte hiermit anzeigen, wie tief er fühle, dass nicht nur sein ganzes Leben und alle seine Werke vor Gottes Augen verwerflich seien, sondern dass auch sein ganzes Herz verderbt, dass dieses eine böse Quelle sei, daraus nichts Gutes kommen könne. Als er daher sprach: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ da hatte er seine Angst, das Gefühl seiner Sünde und des Zornes Gottes, den höchsten Grad erreicht; da war’s ihm, wie einem Missetäter, der bereits auf dem Richtplatz angekommen ist, der eben die Vollziehung des über ihn bereits gesprochenen Verdammungsurteils erwartet, der aber, überzeugt von der Güte seines Richters, in der höchsten Angst sich noch einmal ihm zu Füßen wirft und um Begnadigung bittet. Nun sagt: Sollte es wohl etwas Leichtes sein, sich in einen solchen Zustand zu versetzen, in welchem wir hier den Zöllner sehen? – Ja, die Worte ihm nachzusprechen: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ und seine Gebärden nachzuäffen, das ist freilich eine leichte Sache; aber eine solche tiefe Erkenntnis seiner Sünde, ein solches lebendiges Gefühl des Zornes Gottes, ein solches heftiges Verlangen und Seufzen nach Gnade aus dem untersten Grund des Herzens heraus, das kann kein Mensch in sich wirken; das offenbart einen Zustand, welchen allein der Heilige Geist in einem Menschenmit den Donnerschlägen des Gesetzes und mit dem Tau des Evangeliums hervorbringen kann.

    O, wie falsch und nichtig ist also der Trost, den ihr euch macht, die ihr denkt, die ganze Bekehrung bestehe nur in jenem Seufzer,, die ihr daher meint, wenn ihr auch jetzt sündigt, ihr wolltet eure Sünden schon schnell wieder wegbeten. Ach, wisst: Und wenn ihr das Gebet „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ auch tausendmal und abertausendmal wiederholt, so könnt ihr damit nicht die allergeringste Sünde verbeten, wenn ihr dabei nicht das zerknirschte, von Reue zermalmte, bußfertige und gläubige Herz des Zöllners habt.

    So seid denn ermahnt, ihr alle, die ihr entweder mit ein paar kalten Lippengebeten, andächtigen Gebärden und armseligen Vorsätzen eure Bekehrung schon vollbracht zu haben meint, oder sie deswegen bisher aufgeschoben habt, weil ihr meint, dass hierzu immer noch Zeit sei, seid ermahnt und gewarnt! Missbraucht zu solchem falschen Trost das teure Wort Gottes nicht länger und bedenkt: Das Werk der Bekehrung ist ein großes, schweres, allein von Gott zu wirkendes Werk. Wartet daher keinen Augenblick länger, euch zu Gott zu wenden, dass er es in euch vollende. Vor allem gebraucht Gottes Wort, daraus eure Sünde zu erkennen und das rechte Zöllnerherz zu bekommen. Sprecht nicht, dazu hättet ihr keine Zeit, sondern bedenkt: Eure Bekehrung ist das Wichtigste und Nötigste, was ihr in dieser Welt zu tun habt; bedenkt: Einmal muss sie doch geschehen, wollt ihr eure Seele nicht auf ewig verlieren, einmal müsst ihr doch durch die enge Pforte hindurch, wollt ihr nicht auf dem breiten Weg dem ewigen Verderben entgegengehen; einmal müsst ihr lernen, nicht allein mit den Lippen; sondern von Grund eures Herzens mit Zittern und Zagen auszurufen: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ sonst werdet ihr einst ewig über euch selbst Ach und Weh rufen.

    Werdet ihr aber den gezeigten Weg gehen, o wohl euch! Dann wird es endlich auch von euch heißen: Seid getrost, eure Sünden sind euch vergeben; ihr habt Gnade gefunden; ihr seid gerechtfertigt; geht hin in Frieden. „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“

    Seid ihr aber bereits durch die enge Pforte der Buße und Bekehrung hindurchgedrungen, so bedenkt: Ihr seid auch dann noch nicht am Ziel; ihr seid dann erst auf dem schmalen Weg zum Himmel, von welchem ihr, wen ihr auf beiden Seiten hinken, Gott und der Welt dienen wollt, unvermerkt abkommen, ja, welchen ihr schnell und plötzlich durch einen einzigen falschen Schritt, nämlich durch eine einzige Sünde, wieder verlassen könnt. Hütet euch daher auch dann vor Sicherheit und falschem Trost, „schafft vielmehr, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern“, und ruht nicht, bis ihr angekommen seid am schönen Ziel. O wohl, ja ewig wohl euch dann, wenn ihr hindurch seid! Denn „selig sind die Toten, die in dem HERRN sterben, von nun an. Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke folgen ihnen nach.“ Amen.

 

Evangelienpredigt zum 11. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 18,9-14: Wie und wodurch wird ein Mensch vor Gott gerecht?

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben, unserem teuren Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Ein jeder Mensch, welcher gerettet werden soll, muss erst vor Gott gerecht werden. Das ist eine unleugbare Wahrheit. Vor Gott gerecht sein heißt nämlich, von solcher Beschaffenheit sein, dass Gottes Gesetz uns nicht verklagen und verdammen kann, sondern dass wir nach demselben vor Gott unschuldig, und wie wir sein sollen, dastehen. Gott ist aber heilig und gerecht. Nach seiner Heiligkeit liebt er nur das Gute, hasst er hingegen alles Böse, und nach seiner Gerechtigkeit kann er nur das Gute belohnen und muss er alles Böse bestrafen. So wenig nun der heilige und gerechte Gott das Böse lieben und belohnen kann, so wenig kann er denjenigen  retten, das ewige Leben ihm schenken und in den Himmel der Herrlichkeit nach dem Tod ihn aufnehmen, der nicht erst gerecht vor ihm ist.

    Diese Wahrheit sieht schon die Vernunft ein. Schon die sonst so blinden Heiden haben sie daher gar wohl erkannt. Denn warum haben einst die Heiden das Laster als etwas so Abscheuliches und die Tugend als etwas so Nötiges und Liebenswürdiges dargestellt? Warum haben so viele unter den Heiden das Laster auch wirklich ernstlich geflohen und die Tugend so mühsam zu erjagen gesucht? Und warum haben endlich die Heiden, wenn sie in Sünde und Laster gefallen waren, oft so viele schwere Opfer zur Sühne dargebracht? Dies alles kam daher, weil selbst bei den Heiden die Wahrheit feststand, dass der, welchen die Götter retten sollten, erst vor ihnen gerecht sein müsste. Dass man für Sünde und Ungerechtigkeit die ewigen Belohnungen erlangen könne, das ist ein Grundsatz, der in keiner Religion auf der ganzen Welt je aufgestellt worden ist.

    Ist aber, meine Lieben, der Satz wahr, dass, wer einst gerettet werden will, erst vor Gott gerecht werden muss, so kann es gewiss für keinen Menschen etwas Wichtigeres und Nötigeres geben, als vor Gott gerecht z sein. Es ist das recht eigentlich das Eine, was allen Menschen not tut. Was hilft es einem Menschen, wenn er zwar reich, fröhlich und geehrt in dieser Welt ist, wenn er aber nicht gerecht ist vor Gott? Ein solcher Mensch ist einem Missetäter gleich, dem man vor seiner Hinrichtung noch allerlei Erquickungen reicht. Was hilft es einem Menschen ferner, wenn er vielleicht gerecht und untadelhaft vor Menschen ist, wenn er es aber nicht vor Gott ist? Ein solcher Mensch gleicht einem Verbrecher, den seine Mitschuldigen lossprechen, den aber der Richter, auf dessen Ausspruch es allein ankommt, verurteilt. O wehe, wehe dem Menschen, der sonst für alles gesorgt, was er bedarf, nur dafür nicht, dass er vor Gott gerecht sei!

    So wichtig und nötig es aber einem jeden Menschen ist, vor Gott gerecht zu sein, eine so selige und herrliche Sache ist es, wenn ein Mensch in Wahrheit sagen kann: Ich bin vor Gott gerecht. Ein solcher Mensch kann mit St. Paulus hinzusetzen: „Ist Gott für mich, wer kann wider mich sein?“ Mag einen solchen Menschen die ganze Welt verdammen und verwerfen, er achtet’s nicht und spricht:

Hab ich das Haupt zum Freunde,

Bin ich geliebt bei Gott,

Was kann mir tun der Feinde

Und Widersacher Rott?

Mag über einen solchen Menschen immerhin alles Unglück hereinbrechen, das kann ich nicht irre machen, das kann sein Glück nicht stören; er weiß, dass, da er vor Gott gerecht ist, es Gott mit ihm nie böse meinen kann, und dass daher alles, was ihm begegnet, lauter Gnadenzeichen, lauter Segen ist. Ja, selbst der Tod kann einen solchen Menschen nicht schrecken, denn, da er vor Gott gerecht ist, kann der Tod ihm nur ein Tor des Himmels werden. Als daher einst unser Luther nach langem vergeblichen Suchen nach der Gewissheit, dass er vor Gott gerecht sei, diese Gewissheit endlich erlangte, da sprach er: „Hier fühlte ich alsbald dass ich ganz und neu geboren wäre und nun gleich eine weite aufgesperrte Tür, in das Paradies selbst zu gehen, gefunden hätte.“

    Ist nun dies, meine Lieben, vor Gott gerecht zu sein, etwas ebenso Wichtiges und Nötiges, wie Seliges und Herrliches, wer unter uns, ja, wer in aller Welt sollte nicht wünschen, dieses unentbehrlichste und köstlichste aller Güter zu besitzen? Wer sollte nicht wünschen, sagen zu können: Ich bin, wie mich Gott haben will? Sein Gesetz klagt mich nicht an und verdammt mich nicht? Ich habe Gott zum Freund? Ich stehe bei ihm in Gnaden? Kurz: Ich bin vor Gott gerecht? – Gewiss, ihr alle tragt den Wunsch in euren Herzen, so in Wahrheit sagen zu können. Aber ihr sprecht vielleicht: Ist es denn aber auch wirklich möglich, so weit zu kommen? Gibt es denn auch einen Weg, den man gehen und auf dem man dieses über alles erwünschte Ziel erreichen kann? Wie und wodurch wird man denn vor Gott gerecht? Gott sei Lob und Preis! Hierauf kann ich euch mit großer Freude und Zuversicht antworten: Ja, meine Lieben, ein jeder Mensch kann vor Gott gerecht werden. Selbst ein solcher Mensch, der lange in Sünde und Gottlosigkeit dahingegangen ist und der daher vielleicht sogar an seiner Rettung schon zu verzweifeln angefangen hat, kann doch noch immer vor Gott so gerecht werden, dass ihn Gott ansieht, als hätte er nie gesündigt. Wie aber und wodurch das geschehe, das lasst mich euch jetzt aus Gottes Wort zeigen. Gott gebe uns allen zum Anhören dieser allersüßesten Lehre offene Ohren und begierige Herzen.

Lukas 18,9-14: Er sagte aber zu etlichen, die sich selbst vermaßen, dass sie fromm wären und verachteten die anderen, ein solches Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, zu beten, einer ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei ich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute: Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich habe. Und der Zöllner stand von ferne, wollte auch seine Augen nicht aufheben zum Himmel sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig Ich sage euch: Dieser ging hinab gerechtfertigt in sein Haus im Gegensatz zu jenem. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

 

    Dieses kostbare, lehr- und trostreiche Evangelium handelt von dem höchsten und wichtigsten Artikel des ganzen christlichen Glaubens, nämlich von der Rechtfertigung eines Menschen vor Gott. Lasst mich euch daher jetzt aufgrund dieses Evangeliums die Frage beantworten:

 

Wie und wodurch wird ein Mensch vor Gott gerecht?

 

    Die Antwort unseres Textes hierauf ist eine zweifache, nämlich:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Nicht durch sein eigenes Werk, sondern durch Gottes Gnade, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Nicht durch die göttliche Gnade überhaupt, sondern durch die im Glauben ergriffene Gnade Gottes in Christus Jesus

 

    Heiliger und gerechter Gott! Vor dir ist kein Lebendiger gerecht; alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätiges Kleid; wer will einen Reinen finden bei denen, da Keiner rein ist? Siehe, unter deinen Heiligen ist keiner ohne Tadel, in deinen Boten findest du Torheit, und die Himmel sind nicht rein vor dir: Wieviel mehr ein Mensch, der ein Greuel und schnöde ist; der Unrecht säuft wie Wasser! O, so erbarme dich denn aller der Verblendeten unter uns, die ihre eigene Gerechtigkeit noch vor dir aufrichten wollen. Gib ihren Augen Augensalbe, dass sie die Nichtigkeit alles ihres eigenen Werkes und Wesens erkennen, als verlorene Sünder mit zerknirschtem Herzen ihre Zuflucht nehmen zu deiner Gnade in Christus Jesus, dieselbe in festem Glauben ergreifen, darin bis ans Ende verharren und so vor dir gerecht und einst selig werden. Erhöre uns, ob du gnädiger barmherziger Gott, um dieser deiner Gnade und Barmherzigkeit willen, die da ist in Christus Jesus. Amen! Amen!

 

1.

    Die gewöhnlichste Meinung von der Rechtfertigung ist, meine Lieben, diese, dass der Mensch durch seine guten Werke vor Gott gerecht zu werden trachten müsse. Man denkt und spricht: Wodurch anders sollte ein Mensch Gott angenehm und gefällig werden können, als dadurch, dass er Gottes Gebote hält, fromm ist, gute Werke tut? – Es ist auch ganz natürlich, dass die Menschen so denken. Die sich selbst gelassene Vernunft des Menschen kann gar nicht anders urteilen. Denn ohne Gottes Wort und Offenbarung weiß der Mensch von keinem anderen Weg.

    Was sagt nun aber Gottes Wort hiervon? Lasst uns darüber unser heutiges Evangelium um Rat fragen. Darin werden uns zwei Menschen vorgestellt. Der eine ist ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Von dem letzteren heißt es am Schluss unseres Evangeliums: „Dieser ging hinab gerechtfertigt in sein Haus im Gegensatz zu jenem.“ Der Zöllner war also vor Gott gerecht, der Pharisäer nicht. An diesen beiden Beispielen können und sollen wir also erkennen, wie und wodurch man vor Gott gerecht werde und wie und wodurch nicht. Wie wird denn nun aber vorerst der Pharisäer, der vor Gott nicht gerecht war, beschrieben? Schildert ihn Christus etwa als einen vor den Menschen gottlosen, lasterhaften Menschen? Nichts weniger als dies. Christus stellt ihn vielmehr als einen vor der Welt überaus frommen, gerechten, unsträflichen und tugendhaften Menschen dar. Er war nach Christi Darstellung ein Freund des Gotteshauses, wo Gottes Wort gepredigt wurde, und er ging dahin nicht, wie viele, aus bloßer Gewohnheit, sondern um daselbst zu beten. Er betete auch nicht erst, wenn eine besondere Not ihm das Beten und Seufzen auspresste, sondern er betete zu Gott, selbst wenn er kein besonderes ihn drückendes Anliegen hatte. Und was betete er? Er sprach: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute: Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich habe.“ Sein Gebet bestand also auch nicht aus bloßen Bitten, sondern enthielt auch Dank und Lob Gottes, und zwar dankte er Gott selbst für das Gute, das er selbst getan hatte und an sich sah. Er war „nicht wie die anderen Leute“, die nichts nach Gewissen, nach Gott, nach Gottes Gebot, nach Religion, nach Himmel und Hölle fragen. Er zeichnete sich vor Tausenden durch seine Ehrbarkeit und Rechtschaffenheit aus. Er war kein „Räuber“ und „Ungerechter“, sondern gewissenhaft gab und ließ er einem Jeden das Seine; er war kein „Ehebrecher“ weder in noch außer der Ehe, sondern hielt sich züchtig. Er tat selbst mehr, als Gott geboten hatte. Gott nur geboten, einmal in der Woche zu fasten und den Zehnten nur von einigen Teilen seines Einkommens zu entrichten; er aber fastete „zweimal“ in der Woche und gab den Zehnten „von allem“, was er hatte. Er war offenbar kein so gemeiner Heuchler, wie viele andere Pharisäer, sondern ließ sich’s mit seiner Frömmigkeit einen großen Ernst sein. Seht, so sieht der Mensch aus, von welchem Christus sagt, dass er ungerechtfertigt den Tempel verlassen habe. Was wird hingegen von dem Zöllner berichtet, der nach unserem Text gerechtfertigt in sein Haus ging? Wird etwa sein Leben noch mehr gerühmt? – Wiederum nichts weniger als dies. Von seinem früheren Leben erzählt Christus gar nichts; alles, was Christus uns darüber wissen lassen will, zeigt er damit an, dass er ihn einen „Zöllner“ nennt, das heißt, einen Menschen, der sein ganzes Leben, ohne nach Gott und seinem Gewissen zu fragen, in Lug und Trug und in aller Ungerechtigkeit hingebracht hatte; alles, was Christus von ihm außerdem sagt, ist, dass ihm endlich nach einem langen Leben in Sünde und Schande sein Gewissen aufgewacht ist, dass er seine Verdammungswürdigkeit endlich eingesehen hatte, und dass er daher voll Furcht vor der Hölle und Verdammnis auch in den Tempel gegangen ist, an seine Brust geschlagen und geseufzt hat: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“

    Seht da, meine Lieben, den Einen stellt Christus als einen Menschen dar, der sich durch allerlei gute Werke und einen vor Menschen unsträflichen Wandel auszeichnete, und der dennoch nicht vor Gott gerecht gewesen ist; den anderen hingegen stellt er als einen Menschen dar, der sich durch ein ganzes Leben voll Ungerechtigkeit zu einem Greuel vor Gott und Menschen gemacht hatte, und dennoch, sobald er um Gnade geseufzt hatte, vor Gott gerecht geworden ist. wie und wodurch wird also ein Mensch nach Christi Lehre vor Gott gerecht? – Heller als mit Sonnenstrahlen steht es in unserem Evangelium geschrieben: nicht durch sein eigenes Werk, sondern durch Gottes Gnade.

    Wohl mag es manchem unglaublich zu sein scheinen, dass also nach Christi Lehre ein tugendhafter Mensch Gott missfällig, hingegen ein gottloser Mensch Gott angenehm und vor ihm gerecht sein könne. Betrachtet man jedoch die Sache nur etwas genauer, so müssen Verwunderung und Befremden bald schwinden.

    Wohl ist es nämlich war: Als Gott den Menschen ist schuf, da war er so beschaffen, dass er nicht nur durch sein eigenes Werk vor Gott gerecht sein sollte, sondern auch gerecht sein konnte. Aber wir Menschen sind gefallen und bringen nun alle ein böses Herz, einen Gott missfälligen Sinn schon bei unserer Geburt mit auf die Welt. Gäbe es nun jet5zt nach dem Fall des menschlichen Geschlechts keinen anderen Weg, auf welchem man vor Gott gerecht werden könnte, als unser eigenes Werk, so könnte auch nicht Ein Mensch vor Gott gerecht werden.

    Ehe sich Gott eines Menschen aus bloßer Gnade erbarmt, kann er nichts, gar nichts wahrhaft Gutes tun. Ein natürlicher Mensch kann wohl so leben, dass kein Mensch etwas an ihm auszusetzen vermag, dass jeder Mensch ihn als einen braven, rechtschaffenen, tugendhaften, gerechten Mann loben und rühmen muss; aber vor Gott, der in das Herz sieht, sind alle glänzenden guten Werke eines durch seine Gnade noch nicht umgewandelten Menschen nichts als äußerlich schöne Früchte, die aber vom Wurm gestochen sind; also nichts als glänzende Laster.

    Beschaut nur die guten Werke des Pharisäers etwas genauer, so werdet ihr’s auch an diesen bald bemerken, Es ist wahr: Der Pharisäer glänzte herrlich vor den Leuten mit seiner großen äußerlichen Frömmigkeit; aber was lebte in seinem herzen und was also die Quelle aller seiner sogenannten guten Werke? Es war dies nichts anderes als die greulichste Hoffart. Wohl dankte er Gott für das Gute, das er an sich zu erblicken vermeinte, aber dieser Dank war nichts als Heuchelei, denn er spricht ja nicht: „Ich danke dir, Gott“, dass du mich frommgemacht hast, sondern: „dass ich nicht bin wie die anderen Leute“; erhebt sich also über alle anderen Menschen; ja, er spricht hernach, auf den Zöllner deutend: „auch nicht wie dieser Zöllner“, er ist also vom Richtgeist erfüllt, in welchem er alle Menschen für unwürdig, sich aber für würdig ansieht.

    So waren aber nicht allein die guten Werke jenes Pharisäers beschaffen, von dieser Beschaffenheit ist alles scheinbar Gute, was diejenigen tun, deren sich Gott noch nicht hat erbarmen und denen er noch nicht ein verändertes neues Herz aus Gnaden hat geben können. Vor Gott ist nämlich nur das gut, was der Mensch aus reiner Liebe zu Gott und zu seiner Ehre und was er aus reiner Liebe zu seinem Nächsten und zu dessen Nutzen tut. Von Natur, das heißt, von seiner Geburt an, hat aber jeder Mensch in Herz voll Selbstsucht und Eigenliebe, voll Eigenehre und Selbstruhm. Aus dieser giften Quelle fließt alles, was ein natürlicher Mensch denkt, redet und tut. Mag nun ein natürlicher Mensch immerhin wieder Pharisäer in den Tempel gehen und da eifrig Gottes Wort hören und eifrig beten und singen; gerade je eifriger er in seinem Gottesdienst ist, desto mehr wird er sich dabei selbst gefallen und über andere in seinem Herzen sich erheben, und so bei allem seinem Gottesdienst Gott ein Greuel sein. Ein natürlicher Mensch kann, ohne zu sündigen, keinem Armen eine Gabe geben; entweder tut er’s aus Scham, weil er sich nämlich vor den Leuten des Geizes und der Hartherzigkeit schämt, oder aus Ehrsucht, weil er vor den Leuten gesehen sein will, oder aus Ungeduld, um den in ihn dringenden Bettler los zu werden, oder endlich aus Lohnsucht, weil er hofft, dass ihm Gott seine Wohltat zehnfach mit ewigen Gütern belohnen werde. Gewöhnlich ahnt ein natürlicher Mensch diese Tücke, Falschheit und Unlauterkeit, womit alle seine guten Werke verderbt sind, nicht; aber mag ein natürlicher Mensch diese seine Falschheit und Tücke bei seinen scheinbar guten Werken immerhin merken und noch so ernstlich gute Vorsätze fassen, besser, aufrichtiger, lauterer zu werden: Alle diese Vorsätze bleiben, wenn sich Gott nicht seiner erbarmt, unausgeführt. Ja, mag ein natürlicher Mensch sich noch so sehr abquälen und abmartern, die Unredlichkeit seines Herzens zu überwinden und das Gute allein aus den reinen Beweggründen der Liebe Gotts und des Nächsten zu tun: Alle seine Bemühungen bleiben fruchtlos. Verstopfen kann wohl der natürliche Mensch die giftige Quelle seines Herzens, dass sie nicht in offenbar bösen Werken ausfließe, aber reinigen kann er seine Herzensquelle nicht; sie bleibt giftig, voll Eigenliebe, Eigenruhm, und verdirbt alles, was der natürliche Mensch denkt, begehrt, redet und tut.

    So lange ein natürlicher Mensch nicht auf sein falsches, unlauteres Herz Acht gibt, so lange kann er wohl meinen, dass er Gottes Gebote aus seiner eigenen Kraft halten und daher durch sein eigenes Werk vor Gott gerecht werden könne; gehen aber einem Menschen endlich die Augen über sein Herz, über sein Inneres, über seine geheimen Triebe auf, so sieht er mit Schrecken, dass er nichts wahrhaft Gutes, nichts, was auch vor Gott gut wäre, aus seinen eigenen Kräften tun kann. Wer daher durch sein eigenes Werk Gott angenehm und vor ihm gerecht werden will, der ist einem Menschen gleich, der mit neuen größeren Schulden alte geringere Schulden bezahlen will, einem Menschen, der, in einen Sumpf geraten, sich an seinem eigenen Haar herausziehen will, aber bei dieser Arbeit nur immer tiefer darein versinkt. Gewöhnlich ist es freilich denen, die durch ihre eigenen Werke vor Gott gerecht zu werden gedenken, damit kein wahrer Ernst; kommt es aber mit einem Menschen dahin, dass er damit wirklich Ernst machen will, so muss er dabei notwendig in Verzagung und Verzweiflung fallen, und anstatt endlich die vollkommene Liebe Gottes in sein Herz zu bekommen, entsteht in ihm Hass und Feindschaft gegen Gott, der, was der Mensch nicht leisten kann, von ihm fordere; wie es zum Beispiel vielen im Papsttum und unter anderen Luther in seinem Kloster erging. Daher denn Luther so singt:

Dem Teufel ich gefangen lag,

Im Tod war ich verloren;

Mein Sünd mich quälte Nacht und Tag,

Darin ich war geboren.

Ich fiel auch immer tiefer drein,

Es war kein Guts am Leben mein,

Die Sünd hat mich besessen.

 

Mein gute Werk, die golten nicht,

Es war mit ihn verdorben;

Der frei Will hasste Gott’s Gericht,

Er war zum Gut’n erstorben.

Die Angst mich zu verzweifeln trieb,

Dass nichts als Sterben bei mir blieb,

Zur Hölle musst ich sinken.

     So ist‘s denn kein Zweifel: Der Mensch wird nicht durch sein eigenes Werk vor Gott gerecht, sondern, soll er dies werden, so muss es durch Gottes Gnade geschehen, aber, meine Lieben nicht durch die göttliche Gnade überhaupt, sondern durch die Gnade Gottes in Christus Jesus, im Glauben ergriffen. Und davon lasst mich nun noch zweitens zu euch sprechen.

 

2.

    So groß, meine Lieben, die Anzahl derjenigen ist, welche in dem Wahn stehen, dass sie durch ihr eigenes Werk vor Gott gerecht werden können, so gibt es doch auch eine nicht geringe Zahl von solchen, die nicht so verblendet sind; die es einsehen, dass ihre eigene Gerechtigkeit zu unvollkommen, zu befleckt ist, als dass sie damit vor dem heiligen Gott, der das Herz ansieht, bestehen könnten; die sich aber nun auf die allgemeine Liebe, Nachsicht und Gnade Gottes verlassen. Sie denken: Wollte Gott mit ihnen nach seiner strengen Gerechtigkeit handeln, so müsste er sie freilich verwerfen, denn bei allem Streben des Menschen nach Tugend und Frömmigkeit bleibe der Mensch doch schwach, voll Fehler, Mängel und Gebrechen. Daher müsse man sich darauf verlassen, dass Gott viel zu gütig sei, als dass er nicht auch etwas übersehen und Gnade für Recht ergehen lassen sollte, wenn der Mensch nur so viel tue, als er nach seinen schwachen Kräften vermöge. Viele, die so denken, trösten sich dabei oft auch mit dem Beispiel des Zöllners, der auch viele Fehltritte getan habe und von Gott doch angenommen worden sie, weil er von Herzen gesagt habe: „Gott sei mir Sünder gnädig!“

    Alle aber, meine Lieben, die so denken, gehen auf einem falschen Weg der Ewigkeit entgegen, haben einen falschen Trost und nähren eine falsche Hoffnung, und wenn sie auf diesem Sandgrund stehen bleiben, stürzen sie im zeitlichen Tod in den ewigen Tod und in die Verdammnis.

    Nein, nein, meine lieben Zuhörer, Gott ist nicht so, wie sich ihn die meisten Menschen vorstellen. Er ist keinem alten schwachen Vater gleich, der die bösen Stücke seiner bösen Kinder übersieht und aus einer weichlichen Liebe dieselben ungestraft lässt. Gott ist die Gerechtigkeit und Heiligkeit selbst; von dem, was seine Heiligkeit und Gerechtigkeit in seinem Gesetz fordert, kann er auch nicht einen Buchstaben, nicht ein Jota nachlassen; ja, er ist und bleibt ein verzehrendes Feuer des Zornes gegen die Sünde, das bis in die unterste Hölle brennt. Kann daher ein Mensch nicht eine ganz vollkommene Gerechtigkeit, an der auch nicht der geringste Mangel ist, aufweisen, so muss Gott den Menschen so gewiss ewig von sich verstoßen und verdammen, so gewiss er Gott ist. So groß Gottes Liebe ist, so kann sie doch seine Heiligkeit und Gerechtigkeit nicht aufheben.

    Aber, werdet ihr vielleicht sagen, wäre dem wirklich so, wie könnte dann och irgendein Mensch vor Gott gerecht werden? Wo ist der Mensch, der der strengen Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes vollkommen Genüge leisten könnte? Wo ist der Mensch, der nicht der Gnade, der Vergebung bedürfte? Hast du, werdet ihr zu mir sagen, nicht selbst eben erwiesen, dass der Mensch nicht durch seine Werke, sondern allein durch Gnade vor Gott gerecht werden könne? Ist’s also nicht ein Widerspruch, wenn du nun dennoch behauptest, dass Gott von seiner Gerechtigkeit nichts nachlassen könne und dass jeder Mensch, wenn er vor Gott gerecht sein wolle, vor Gott eine vollkommene Gerechtigkeit bringen müsse?

    Wohl scheint das ein Widerspruch zu sein. Aber wisst, meine Lieben, Gott hat nach seiner unergründlichen Weisheit einen Weg erfunden, auf welchem er auch den größten Sünder für gerecht annehmen und erklären kann, ohne von den Forderungen seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit auch nur das Geringste nachlassen zu müssen. Gott hat nämlich, o Wunder der göttlichen Weisheit und Liebe! seinen eingeborenen Sohn einen Menschen werden lassen, und dieser hat nun als Gott und Mensch nicht nur alle unsere verdienten Strafen abgetragen und alle unsere Schulden bezahlt, sondern auch, ob er es gleich für sich nicht schuldig war, sich dem Gesetz Gottes unterworfen, es vollkommen erfüllt und dadurch eine Gerechtigkeit erworben, die er selbst nicht braucht. Wer nun an diesen Gottmenschen glaubt, das heißt, wer die von demselben geleistete Bezahlung der Schuld aller Menschen und von ihm für alle Menschen erworbene Gerechtigkeit annimmt, sie sich aneignet und sich darauf verlässt: Den sieht Gott an, als hätte er selbst bezahlt, gelitten und getan, was sein lieber Sohn gezahlt, gelitten und getan hat; dem vergibt er alle seine Sünden und rechnet ihm seinen Glauben zur Gerechtigkeit an. Seht, freilich ist es Gnade, allein Gnade, durch welche der Mensch vor Gott gerecht werden kann und soll, aber es ist dies keine andere als die Gnade Gottes in Christus Jesus, im Glauben ergriffen, denn nur vermöge dieser Gnade kann Gott einen Sünder für gerecht annehmen und erklären und doch selbst gerecht und heilig bleiben.

    Meint auch nicht, dass der Zöllner in unserem Evangelium auf einem anderen Weg gerecht geworden sei; denn was Luther mit dem Wort übersetzt hat: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“, das heißt eigentlich buchstäblich nach dem Grundtext: „Gott, sei mir Sünder versöhnt!“ Nicht die Liebe und Gnade Gottes überhaupt war es also, zu welcher der Zöllner seine Zuflucht nahm, denn daran hinderte ihn das Bewusstsein, dass Gott ja auch gerecht und heilig sei und bleiben müsse, sondern die Gnade, von welcher er Hilfe begehrte und auf die er sich verließ, war die, die der Messias nach dem Zeugnis aller Propheten durch sein Versöhnungswerk erwerben sollte.

    Wohlan, geliebte Zuhörer, die ihr Verlangen in eurem Herzen tragt, vor Gott gerecht zu sein, hier habt ihr den Weg, auf welchem ihr dieses köstlichste aller Güter erreichen könnt. Erkennt, dass ihr verlorene und verdammte Sünder seid, und glaubt dann an Jesus Christus, der die Gottlosen gerecht macht, so ist die Sache geschehen. Dann habt ihr vor den Drohungen des Gesetzes gegen seine Übertreter nicht zu erschrecken, sondern ihr könnt sagen: Was ich zu tun hatte, ist erfüllt: Dann habt ihr euch vor Gottes Gerechtigkeit und Heiligkeit nicht zu fürchten, sondern ihr könnt sagen: Was sie von mir fordern, ist geleistet. Dann habt ihr euch vor dem Tod und dem darauf folgenden Gericht nicht zu entsetzen, sondern ihr könnt jubeln: Gott, der Richter, hat mich nicht nur von allen meinen Sünden losgesprochen, sondern mich auch schon für heilig und gerecht vor ihm erklärt.

    Ach, meine Lieben, diese Lehre von der gnädigen Rechtfertigung eines armen Sünders vor Gott durch den Glauben an Christus ist zwar so einfach, dass sie ein Kind fassen kann, aber sie ist zugleich die höchste Weisheit, die ein Mensch erlangen kann, die von Ewigkeit in Gottes Herzen verborgen war, aber offenbart ist durch den Heilige Geist in seinen heiligen Propheten und Aposteln. Diese Lehre ist der wahre stein der Weisen, ein Geheimnis, das kein Philosoph hat ausdenken, kein Weiser dieser Welt hat erforschen können. Diese Lehre ist das Fundament, worauf die ganze christliche Kirche ruht und womit sie steht und fällt, und zugleich der höchste Schatz, den sie besitzt und der außerhalb der Kirche nirgends zu finden ist. Diese Lehre ist schnell gelernt, aber nie ausgelernt, vielmehr will sie täglich studiert, getrieben und geübt sein, wenn der Mensch sie nicht wieder verlernen und anstatt des süßen Kernes die leeren Schalen behalten will. Ohne diese Lehre ist in der Seele jedes Menschen nichts als höllische Finsternis; wem aber diese Lehre klar wird, in dessen Seele geht die Sonne aller Wahrheit auf, die die Finsternis alles verderblichen Irrtums vertreibt. Diese Lehre, dass der Mensch nicht durch sein eigenes Werk, sondern durch die Gnade Gottes in Christus, durch den Glauben ergriffen, vor Gott gerecht wird, scheint wohl den Menschen träge zu guten Werken zu machen, aber dem ist nicht so: Wer diese Lehre recht in sein Herz dringen lässt, den erfüllt sie mit dem Feuer der Liebe Gottes und des Nächsten und macht ihn willig, ja, lustig und fröhlich, sich Gott und dem Nächsten nun ganz aufzuopfern in einem neuen heiligen Leben und Wandel.

    So laufe sich denn niemand unter uns müde in eigenen Werken und Wegen, eine Gerechtigkeit selbst zu erwerben, die vor Gott gilt; sondern ein jeder gehe den Weg des Zöllners, so wird er, obwohl ein Sünder in sich selbst, doch vor Gott gerechtfertigt aus- und eingehen.

Das helf uns allen der HERR Jesus Christ,

Der unser Mittler worden ist;

Es ist mit unserm Tun verlor’n,

Verdienen doch eitel Zorn. Kyrieleis.

    Amen.

 

 

Evangelienpredigt zum 12. Sonntag nach Trinitatis ueber Markus 7,31-37: Von der Wiederherstellung des goettlichen Ebenbildes durch Christus

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben, unserem Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    „Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei“, das sind die Worte, mit welchen nach dem ersten Kapitel des ersten Buches Mose der dreieinige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, den Ratschluss seiner ewigen Liebe aussprach, das Menschengeschlecht ins Dasein zu rufen. Kurz darauf heißt es daher: „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn.“

    Als also der Mensch aus der Hand Gottes hervorging, trug er das Ebenbild Gottes an sich. Worin dasselbe bestanden haben müsse, ist nicht schwer zu erraten, denn jedermann weiß, dass ein Ebenbild eine solche Nachbildung einer Sache ist, die eine gewisse Gleichheit oder doch eine sichtbare Ähnlichkeit mit derselben hat. Wird uns also offenbart, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat, so heißt das nichts anderes, als dass der Mensch ursprünglich Gott ähnlich, ja, in einem gewissen Sinn Gott gleich gewesen ist. Wer also einst den Menschen sah, der sah in ihm Gottes Eigenschaften leuchten; das ganze Wesen des Menschen war ein treuer Abdruck Gottes und ein lieblicher heller Wiederschein seiner Herrlichkeit., Wie sich die Sonne in einem wellenlosen See spiegelt, so spiegelte sich der Schöpfer ab in dem neugeschaffenen Menschen.

    Wollen wir nun wissen, was sich eigentlich in dem Menschen abgebildet habe, so dürfen wir uns nur die Beschaffenheit Gottes vorstellen, denn alles, was Gott in der höchsten Vollkommenheit besitzt, damit hatte Gott auch den Menschen nach dem Maß eines Geschöpfes aus ewiger Liebe geschmückt. Gott ist nach seinem Wesen ein ewiger, allmächtiger Geist; auch der Mensch, der nach seinem Bild geschaffen war, war daher ursprünglich unsterblich; sein Leib war ewig jung und blühend, ohne Krankheit, ohne Schmerzen, ohne Ermattung und ohne den Keim des Todes und der Verwerfung; keine Hitze noch Kälte konnte ihm schaden. Dabei war er, wie ein Bild der göttlichen Allmacht, stärkere als alle anderen irdischen Kreaturen, beherrschte mit seinem Wink und Willen alle Tiere auf Erden und ging unter ihnen als ihr Herr und König einher. Gott ist ferner nach seinem Verstand die ewige vollkommene Wahrheit und Weisheit; auch der Mensch, der nach seinem Bild geschaffen war, war daher einst voll Wahrheit, Weisheit und himmlischem Licht; ohne allen Irrtum und ohne mühsames Erlernen erkannte der Mensch Gottes Wesen und Willen; ohne Täuschung sich selbst und seine wahre Bestimmung; ohne Decke lag die ganze Schöpfung vor ihm; sein heller Geist drang ungehindert in alle Geheimnisse der Natur und ihrer wunderbaren Kräfte. Nach seinem Willen ist Gott ferner die vollkommenste Heiligkeit; auch der Mensch, der nach seinem Bild geschaffen war, war daher ursprünglich heilig; was Gott wollte, das wollte der Mensch auch; sein Wille stand mit dem Willen Gottes in der schönsten Harmonie; Gott war sein höchstes Gut, er liebte Gott wahrhaft über alles und seinen Nächsten wie sich selbst; keine Sünde, keine böse Begierde, kein unheiliger Gedanke wohnte in des Menschen Brust; auch sein Leib war rein von jeglicher sündlicher Reizung, ein unbefleckter Tempel des Heiligen Geistes; viel weniger ging daher ein sündliches Wort über seine Lippen, und alles eine Werke waren gut, denn sie waren alle in Gott getan. Endlich ist Gott nach seinem Zustand auch vollkommen selig; und auch hierin war der Mensch ein treues Abbild dieses allerseligsten Wesens. Da der Mensch ohne Sünde war, so war auch keine Unruhe, keine Bangigkeit, keine Furcht in seinem Herzen und Gewissen; er liebte nicht nur Gott, er wusste auch, dass er von Gott geliebt, dass dieser sein gnädiger Gott und Vater ist. Friede, Ruhe und die reinste Freude wohnten in seiner Seele. Dazu kam nun noch, dass Gott den Menschen in ein Paradies gesetzt hatte, in welchem nichts war, als was das Herz, das Auge und alle Sinne entzücken konnte; auch lag damals noch kein Fluch auf der Erde, auf ihr wohnte noch keine Not, kein Übel; die Tränen, die die Menschen weinten, waren nur Tränen der Liebe und Freude; kurz, der Mensch war zeitlich selig und seine irdische Wohnung war ein Vorhof des Himmels.

    Seht, meine Lieben, das war der Zustand des Menschen, als er noch das Ebenbild Gottes an sich trug; er war herrlicher als es Menschen beschreiben, seliger, als wir es nur fassen und ahnen können. Aber ach! Was ist geschehen? – Der Mensch ist durch Verführung Satans in die Sünde gefallen, und die Sünde hat uns Menschen des Bildes Gottes wieder beraubt, uns unseres ursprünglichen Schmuckes entkleidet, uns von dem Gipfel des seligsten Glücks in Finsternis, Tod und Verderben herabgestürzt und diese Welt in einen Schauplatz des Elendes verwandelt. Wer muss das nicht gestehen? Wer erfährt das nicht an sich selbst, dass er von Natur nicht mehr glücklich und selig und dass diese Erde kein Paradies, sondern ein Jammertal ist? Wer es leugnen will, der muss sich mutwillig das Auge für die Not, die ihn umgibt und die in ihm selbst wohnt, verschließen.

    Doch wohl allen, die es mit Schmerzen fühlen, was sie verloren haben, und die sich nach Wiedererlangung der verscherzten Herrlichkeit sehnen, denn eben darum ist der Sohn Gottes in der Welt erschienen, um das zerstörte Werk Gottes wieder aufzurichten, um das Verlorene wiederzubringen, mit einem Wort, das uns geraubte göttliche Ebenbild in uns wieder herzustellen. Davon lasst mich daher jetzt weiter zu euch sprechen.

 

Markus 7,31-37: Und da er wieder ausging von den Grenzen Tyrus und Sidon, kam er an das Galiläische Meer, mitten unter die Grenze der zehn Städte. 32 Und sie brachten zu ihm einen Tauben, der stumm war; und sie baten ihn, dass er die Hand auf ihn legte. 33 Und er nahm ihn von dem Volk besonders und legte ihm die Finger in die Ohren und spützte und berührte seine Zunge. 34 Und sah auf zum Himmel, seufzte und sprach zu ihm: Hephatha! das ist: Tu dich auf! 35 Und alsbald taten sich seine Ohren auf, und das Band seiner Zunge wurde los und er redete recht. 36 Und er gebot ihnen, sie sollten es niemand sagen. Je mehr er aber verbot, je mehr sie es ausbreiteten. 37 Und sie verwunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht: Die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.

 

    Alles, meine Lieben, was Christus einst an leiblich Elenden tat, war ein Bild von dem, was Christus überhaupt an den Menschen tun wollte, er wollte nämlich alles Elend von dem Menschen nehmen und ihn zu der verlorenen Herrlichkeit, die ihm Gott einst anerschaffen hatte, zurückbringen, also, mit einem Wort, das Ebenbild Gottes in dem Menschen wieder aufrichten. Lasst mich daher jetzt zu euch sprechen:

 

Von der Wiederherstellung des göttlichen Ebenbildes durch Christus

 

    Und zwar

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie dieselbe schon in diesem Leben beginnt, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie sie aber erst in jenem Leben vollendet wird.

 

    Herr Jesus Christus, der du uns nicht nur die Sünde vergeben, sondern uns auch davon heilen und befreien und uns zu dem göttlichen Bild wieder erneuern willst, zu welchem wir einst geschaffen worden sind, erwecke doch in uns eine heilige Sehnsucht nach vollkommener Freiheit von der Sünde und nach dem verlorenen Kleinod vollkommener Unschuld. Nimm von uns den Sinn, dass wir von der Sünde wohllosgesprochen sein, aber sie dennoch nicht völlig lassen wollen; dass wir nicht durch Betrug der Sünde endlich noch unser Heil verscherzen, sondern uns schon hier verklären lassen in dein Bild von einer Klarheit zur anderen durch deinen Geist, bis wir kommen zum Licht ewiger Vollkommenheit. Amen.

 

1.

    Dass wir, meine Zuhörer, nicht mehr so beschaffen sind, wie Gott den Menschen ursprünglich geschaffen hat, das ist, wie ich bereits in der Einleitung ausgesprochen habe, ganz unleugbar. Es ist schon für unsere Vernunft höchst ungereimt, anzunehmen, dass der allmächtige, allweise, heilige Gott Wesen geschaffen haben sollte, die mit Krankheit, Not und Tod, mit Irrtum, Blindheit und Finsternis, mit Sünde und aller Unreinigkeit und mit Unfrieden, Unruhe, Furcht, Angst und Gewissenspein beladen sind. Ein solches Wesen ist aber der Mensch jetzt. Er ist sich bewusst, dass er für eine andere Welt bestimmt ist, und doch ist er dem Tod, tausenderlei Krankheiten und unzähligen Übeln unterworfen; er ist ohnmächtiger, hilfloser und bedürftiger von Geburt an als viele unvernünftige Tiere; er weiß von Natur nichts Gewisses von Gott und seinem Willen, ja, ist sich selbst ein Geheimnis; sein Dichten und Trachten ist nur böse von Jugend auf; dabei ist er voll Unruhe und geht ohne Frieden der Seele durch die Welt, als durch ein Tal voll Tränen und voll Jammers. Sagst selbst: Hätte Gott den Menschen und die Welt so geschaffen, wie sie jetzt sind, würde es da wohl haben heißen können: „Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“? Keineswegs. Es ist daher außer allem Zweifel: Diese Welt und besonders wir Menschen sind jetzt nicht mehr in unserem ursprünglichen Zustand. Wir haben zwar noch das Licht der Vernunft, wodurch wir uns von den Tieren unterscheiden, aber sie ist gleichsam nur eine stehen gebliebene Ruine von dem vormaligen herrlichen göttlichen Bau; sie ist ein Denkmal eines vormals besseren Zustandes; das wahre Ebenbild Gotts aber haben wir verloren; unser Verstand ist verfinstert und ohne göttliches Licht, das uns den Weg zur Seligkeit weisen könnte; unser Wille ist von Gott abgewendet und unser Herz entfremdet von dem Leben, das aus Gott ist; unser Zustand ist Unseligkeit, und unser Leib eine Wohnung der Sterblichkeit; wir tragen daher nun alle, anstatt des Bildes Gottes, das Bild der Sünde und des leiblichen und geistlichen Todes an uns.

    Aber wohl uns! Wir sollen in diesem Elend nicht bleiben. Eben darum ist Gottes Sohn uns gleich geworden, damit wir wieder Gott gleich würden; eben darum hat er das Bild eines Sünders an sich genommen, damit er uns Sünder wieder zu dem Bild Gottes brächte. Daher spricht Johannes in seinem ersten Brief: „Dazu ist erschienen er Sohn Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre“; und Petrus predigt: „Christus muss den Himmel einnehmen, bis auf die Zeit, da wiedergebracht werde alles, was Gott geredet hat durch den Mund aller seiner heiligen Propheten.“

    Wir dürfen also nicht denken, dass der Sohn Gottes nur darum ein Mensch geworden sei, nur darum für uns mit seinem heiligen Leben das Gesetz erfüllt und nur darum für unsere Sünde gelitten habe und am Kreuz gestorben ist, uns Vergebung unserer Sünden zu erwerben, uns von den verdienten Strafen derselben zu erlösen, uns mit Gott zu versöhnen und uns trotz unserer Sünden den Himmel und die Seligkeit aufzuschließen. Viele danken zwar so von Christus; sie suchen daher auch bei Christus nichts als Trost für ihr unruhiges Gewissen, aber dass sie auch wirklich wieder geheiligt würden, danach fragen sie nicht. Aber solche sind in einem großen, höchst gefährlichen Irrtum.

    Wie nämlich Christus den Taubstummen in unserem Evangelium nicht nur freundlich aufnahm und ihn damit seiner Gnade versicherte, sondern wie er ihn auch, so zu sagen, in seine Kurz nahm, ihn von allen seinen Gebrechen wirklich heilte, ihm Gehör und Sprache wiedergab und einen gesunden Menschen aus ihm machte, so will Christus allen Menschen nicht nur ihre Sünden vergeben, sondern sie auch von ihren Sünden befreien, sie nicht nur aus Gnaden für gerecht erklären, sondern auch wahrhaft gerecht machen, nicht nur ihr Herz trösten und beruhigen, sondern es auch reinigen und heiligen, sie nicht nur mit Gott versöhnen, sondern auch wieder mit Gott vereinigen, sie nicht nur Gott angenehm, sondern Gott ähnlich machen, kurz, das ganze verlorene Ebenbild Gottes in ihnen wieder herstellen, sie zurückführen in den Stand der Unschuld, sie an Leib und Seele vollkommen gesund machen und sie so endlich doch zu dem seligen Ziel bringen, für welches sie Gott von Ewigkeit bestimmt und in das Dasein gerufen hat.

    Das Erste, was Christus an dem Sünder tun muss, ist freilich dies, dass er ihm seine Sünden vergibt, denn kein Mensch kann selbst für seine Sünden büßen und sie wieder gut machen. Täte aber Christus mit der Sünde nichts weiter, als dass er sie vergäbe, so wäre er kein vollkommener Seligmacher; ließe er die Menschen in der Sünde, so ließe er sie auch in der Unseligkeit; zu wahrer Seligkeit gehört notwendig auch, dass die Sünde wirklich in ihnen aufgehoben, ausgetilgt, zerstört und vernichtet werde. Sobald daher ein Mensch an Christus von ganzem Herzen glaubt, so vergibt Christus einem solchen Menschen nicht nur alles eine Sünde, sondern er gibt ihm auch den Heiligen Geist, der nun gegen die Sünde im Fleisch streitet und das Herz je mehr und mehr davon reinigt. Sobald daher ein Mensch Christi Gnade annimmt, so verliert auch die Sünde in ihm die Herrschaft; der Hass gegen die Sünde ist gleichsam der erste Zug von dem göttlichen Ebenbild, das Christus in dem Menschen wiederherstellt. Dieser Hass gegen die Sünde offenbart sich aber darin, dass der Mensch täglich seine begangenen Sünden bereut, beklagt, beweint und sich deswegen vor Gott und Menschen demütigt; dass er aber auch gegen alles ferne Sündigen betet, über die Versuchung zur Sünde wacht, auf die leisesten Regungen der Sünde in seinem herzen merkt, sich gegen die Sünde, auch gegen seine liebste, gegen seine Schoßsünde streitet und mit aller Macht danach trachtet, von jeder Sünde befreit zu werden. So tut jeder, dem die Sünden durch Christus wahrhaft vergeben sind, und wer in diesem Trachten, von seinen Sünden ganz loszukommen, nicht steht, der steht auch gewiss nicht in der Gnade Christi. Denn wem Christus Gnade gibt, dem gibt er auch Kraft, wenn er Vergebung der Sünde schenkt, dem gibt er auch Hass gegen die Sünde und Eifer im Kampf gegen sie. Wen Christus, wie den Taubstummen, gnädig aufnimmt, an dessen Seelengebrechen beginnt er dann auch seine Heilung. Wer aber von Christus bloß Vergebung der Sünde haben, aber manche Sünde noch behalten und von Christus nicht ganz davon geheilt werden will, der macht Christus zu einem Sündendiener, der glaubt gar nicht an den wahren Christus, der hat einen falschen Christus und wird mit seinem selbstgemachten Sündenchristus verloren gehen. O, wie viele Tausende, die ohne täglichen Kampf gegen die Sünde dahingehen, werden sich daher einst betrogen finden!

    Doch zur Wiederherstellung des göttlichen Ebenbildes gehört nicht nur, dass die Sünde im Menschen zerstört, sondern auch dass der Mensch erneuert und geheiligt werde. Es ist wohl wahr, dass kein Mensch eine Gerechtigkeit wirken kann, die vor Gott gilt; Christus hat daher für uns das Gesetz erfüllen müssen, damit wir, wenn wir an ihn glauben, um seinetwillen aus Gnaden für gerecht erklärt werden können. Wir dürfen aber nicht denken, dass Christus durch seine Gnade das Gesetz aufhebe und dass wir es nun nicht zu erfüllen brauchten. Das sei ferne! Das Gesetz ist der erklärte, ewig unveränderliche Wille Gottes; dasselbe ist daher durch das Evangelium keineswegs widerrufen worden; nicht nur von Christus, sondern auch von einem jeden einzelnen Menschen muss es daher bis auf den kleinsten Buchstaben erfüllt werden; und zu dieser endlichen, ganz vollkommenen Erfüllung des göttlichen Gesetzes die Menschen wieder zu bringen, das ist eben der letzte Endzweck der ganzen Erlösung Jesu Christi. Deutlich spricht er: „Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten zu aufzulösen. Ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn ich sage euch wahrlich: Bis dass Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch ein Tüttel vom Gesetz, bis dass es alles geschehe. Wer nun eins von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im Himmelreich.“ Daher spricht auch St. Paulus: „Wie? Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf.“

    Christus schenkt daher zwar zuerst seine Gesetzeserfüllung denen, die an ihn glauben, und macht sie so vor Gott aus Gnaden gerecht, aber nicht darum, dass sie nun das Gesetz ungescheut übertreten könnten, sondern vielmehr darum, damit sie als Kinder Gottes wieder zur Erfüllung des Gesetzes willig und fähig werden und endlich wieder zu dem vollkommenen Ebenbild Gottes kommen, zu welchem sie geschaffen wurden. Sind Menschen begnadigt, dann wird ihnen auch zugerufen, wie es im Brief an die Epheser heißt: „Erneuert euch im Geist eures Gemüts; und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit.“ Ferner, wie es im Brief an die Kolosser heißt: „Zieht den alten Menschen mit seinen Werken aus; und zieht den neuen an, der da erneuert wird zu der Erkenntnis nach dem Ebenbild des, der ihn geschaffen hat.“

    Hiernach prüft euch denn, liebe Zuhörer; ihr sagt, dass ihr durch Christus gerecht seid, nämlich durch den Glauben. Wohl! – aber bedenkt: Ist das bei euch wirklich geschehen, hat euch Christus wirklich seine Gerechtigkeit geschenkt, so wird Christus in euch die sehnliche Begierde geweckt haben, Gottes Gesetz auch selbst zu erfüllen, Gottes Wesen und Willen wahrhaft zu erkennen, Gott über alles zu lieben und Gott in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit zu dienen; dann werdet ihr auch von Christus ein neues Herz bekommen haben, das da Lust hat zu dem Gesetz des HERRN und von seinem Gesetz zu reden begehrt Tag und Nacht. Habt ihr aber keinen Eifer, Gottes Gesetz auch selbst zu erfüllen, so ist euer Glaube an Christi Erfüllung ein fleischlicher Trost, denn wer Christi Gnade wahrhaft ergreift, den verklärt sie auch je mehr und mehr in Gottes Bild.

 

 

2.

    Doch, meine Lieben, dies alles wird uns noch klarer werden, wen wir nun zweitens betrachten, dass die Wiederherstellung des göttlichen Ebenbildes durch Christus erst in jenem Leben vollendet wird.

    So gewiss es nämlich ist, dass Christus durch seine Gnade seine Gläubigen schon hier von ihrer natürlichen Blindheit heilt, das Auge ihres Geistes ihnen öffnet, ein himmlisches Licht in ihnen anzündet und eine wahre Erkenntnis Gottes wieder in ihnen wirkt, so kommen sie doch hier noch nicht ganz zu der Erkenntnis, welche der Mensch einst hatte, da er noch das Ebenbild Gottes an sich trug. Auch die erleuchtetsten Christen müssen bekennen: „Unser Wissen ist Stückwerk.“ So gewiss es ferner ist, dass Christus durch seine Gnade seine Gläubigen schon hier von der Sünde reinigt, ihnen ein neues Herz gibt und andere Menschen aus ihnen macht, Hass gegen die Sünde, wahre Liebe Gottes und des Nächsten und Eifer in der Heiligung und in allen guten Werken in ihnen wirkt, so wird doch hier ihr Wille nie so geheiligt, wie er im Stand der Unschuld war; sie bringen es nie zur Vollkommenheit; vollkommene Heiligung in diesem Leben ist ein Traum verblendeter, hoffärtiger Schwärmer; jeder, auch der eifrigste Christ, muss mit Paulus sagen: „Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christus Jesus ergriffen bin.“ So gewiss es ferner ist, dass diejenigen, welche gerechtfertigt werden durch den Glauben, nun auch Frieden bekommen durch unseren HERRN Jesus Christus; aber zu einem ungestörten Frieden kommen sie hier nie, wie ihn die Menschen im Paradies genossen; gar oft müssen selbst Gläubige, wenn sie ihren Glauben nicht fühlen, mit David seufzen: „Es ist kein Friede in meinen Gebeinen.“ So gewiss es endlich ist, dass Christus seinen Gläubigen schon sein Reich in dieser Welt zu einem Himmelreich macht, so müssen sie doch gar sehr empfinden, dass sie noch im Land der Versuchung, der Tränen und des Todes sind; auch die glaubensstärksten Christen müssen daher oft mit Paulus bekennen: „Wir haben vielmehr Lust, außer dem Leib zu wallen und daheim zu sein bei dem HERRN.“

    Christi Kirche auf Erden ist zwar kein Totenhaus; seine Gläubigen sind alle geistlich lebendig, aber es ist auch kein Haus der Gesunden, sondern ein Krankenhaus, ein Hospital, in welchem jeder auf vollkommene Gesundheit seiner Seele wartet. Christen haben hier nur die Erstlinge der Garben Christi, die volle Ernte ist ihnen noch nicht gekommen. Die Beschaffenheit des Gnadenreiches Christi hier ist das Grünen und Blühen des Frühlings, die Jahreszeit der vollen Reife kommt erst mit dem ewigen Leben.

    Aber wohl allen Christen! Einst wird sie kommen. Wie Christus den Taubstummen in unserem Evangelium nicht nur zum Teil, sondern vollkommen wieder herstellte, so wird er an allen, die an ihn glauben, das Bild Gottes, zu welchem sie einst geschaffen waren, in jener Welt auch vollkommen wieder herstellen, ja, dort werden die Erlösten durch seine Gnade noch herrlicher glänzen, als sie geglänzt haben würden, wären sie nicht gefallen.

    Dort wird das Stückwerk des Wissens aufhören und alle Erlösten Christi durchleuchtet sein mit dem Licht einer vollkommenen Erkenntnis. Dort wird die Sünde gänzlich aufgehoben sein, und die Erlösten Christi erfüllt sein mit vollkommener Liebe und in dem Schmuck vollkommener Unschuld und Heiligkeit prangen. Dort werden auch die letzten Keime der Furcht und Unruhe zerstört sein, und die Erlösten Christi einen vollkommenen Frieden in der heiligsten vollkommensten Gemeinschaft mit Gott genießen. Dort wird alles Leid zu Ende sein, und die Erlösten Christi wieder eingegangen sein durch die erst verschlossenen, nun aber geöffneten Pforten eines schöneren Paradieses, als ihnen einst auf Erden angewiesen gewesen war. Dort wird auch der Tod nicht mehr sein, sondern ewiges Leben, ewige _Freude, ewige Seligkeit vor Gottes Angesicht. Kurz, dort werden die Erlösten Christi wieder ganz erwachen nach Gottes Bild und sie werden sehen und erfahren, dass Christus durch seine Erlösung eine schönere Welt wieder aufgehabt habe, als die war, die durch die Sünde verderbt wurde. Hat es daher bei der ersten Schöpfung geheißen: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe da, es war sehr gut“, so werden noch viel mehr einst alle Erlösten bei dem Anblick der zweiten Schöpfung ausrufen: „Der HERR hat alles wohlgemacht!“

    Sollte wohl jemand unter uns sein, der nicht wünschte, einst auch mit zu dem vollkommenen Bild Gottes wieder zu erwachen? Gewiss keiner. Nun wohlan! Wollt ihr dies, so lasst Christus schon hier eure Seelen heilen. Sei keiner so töricht, nur Vergebung und nicht auch Befreiung von Sünden, nur Gerechterklärung und nicht auch Heiligung bei Christus zu suchen! Dies ist und bleibt ja unzertrennlich: Wer von Christus will begnadigt sein und bleiben, der muss sich auch von ihm heiligen lassen. Wer daher hier Gottes Bild nicht im Anfang an sich wieder herstellen lässt, der wird auch dort nicht zu Gottes Bild erwachen in der Vollendung. Amen.

 

Evangelienpredigt zum 13. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 10,23-37: Was ein Mensch tun muss, damit er das ewige Leben ererbt

 

    Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    „Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben erbe?“ So fragt in unserem heutigen Evangelium ein Schriftgelehrter Christus. Diese Frage treffen wir auch an mehreren anderen Stellen des Neuen Testaments an. Im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte wird erzählt, als Petrus in seiner Pfingstpredigt endlich den versammelten Juden bezeugt hatte, dass Gott den Jesus, den sie gekreuzigt hat5ten, zu einem HERRN und Christus gemacht hat, da gingen ihnen diese Worte durch das Herz und sie sprachen: „Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?“ nämlich damit wir selig werden? Im neunten Kapitel der Apostelgeschichte wird uns ferner erzählt, als Saulus, mit Drohen und Morden schnaubend, auf dem Weg nach Damaskus war, um auch da die Christen zu verfolgen, da umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel, der HERR erschien ihm und rief ihm zu: „Ich bin Jesus, den du verfolgst“; Saulus aber, zur Erde fallend, rief nun mit Zittern und Zagen: „HERR, was willst du, dass ich tun soll?“ Endlich lesen wir im 16. Kapitel desselben Buches, als sich der Kerkermeister zu Philippi in Verzweiflung selbst umbringen wollte und Paulus ihm zurief: „Tue dir nichts Übles“, da fiel derselbe Paulus und Silas zitternd zu Füßen mit den Worten: „Liebe Herren, was soll ich tun, damit ich selig werde?“

    Diese Frage ist, meine Lieben, ohne Zweifel die wichtigste und nötigste, welche ein Mensch nur tun kann. Eben dadurch unterscheidet sich ja der Mensch von dem Tier, dass seine Erwartungen und Hoffnungen über diese kurze irdische Leben hinausgehen; wie kann daher ein Mensch törichter handeln, als wenn er nur fragt, was er tun müsse, um hier eine kurze Zeit glücklich zu sein, wenn er aber um sein Schicksal in einer unendlichen Ewigkeit unbekümmert ist! Ein solcher Mensch, mag er sonst noch so klug für dieses Leben handeln, ist zum vernunftlosen Tier herabgesunken, verdienst selbst den Namen eines Menschen nicht mehr, geschweige denn den eines Christen.

    So wichtig und nötig aber die Frage: „Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben erbe?“ für einen jeden Menschen ist, so selten wird sie im Ernst gestellt. Die Spötter und Lästerer stellen sie nicht, weil sie sich dieser Frage schämen; die in das Irdische Versunkenen stellen sie nicht, weil sie über den Sorgen oder Gütern oder Freuden dieser Welt sie vergessen; die meisten anderen aber, die sich noch mit dieser Frage beschäftigen, tun sie doch nicht ernstlich, weil sie es in ihren Gedanken nicht bedürfen; sie halten die Antwort darauf für eine allbekannte Sache, die sie schon in ihrer Schule gelernt hätten, die ihnen daher schon von Jugend auf bekannt und die daher wenigstens für sie völlig überflüssig sei. Noch andere aber fragen zwar nicht ohne allen Ernst nach dem Weg zum ewigen Leben, aber sie lassen hierbei das Wort Gottes, leider! nicht allein ihres Fuße Leuchte und ein Licht auf ihrem Weg sein; sie machen sie daher die Antwort auf diese allerwichtigste Frage selbst oder nehmen doch in falschem Vertrauen die Antwort von Menschen an, und verfehlen so trotz alles Eifers, den sie anwenden, das selige himmlische Ziel.

    O, möchte ich wenigsten von euch allen, die ihr hier heute wieder erschienen seid, das Wort Gottes zu hören, die gute Hoffnung haben dürfen, dass ihr schon jene wichtige Frage euch ernstlich vorgelegt und die Antwort darauf in Gottes Wort gesucht und gefunden und zu eurer Seligkeit angewendet habt und noch täglich dazu anwendet! Wie viele sind aber unter uns, die schon deswegen die Heilige Schrift und andere christliche Bücher mit ernstlichem Seufzen, Bitten und Flehen zu Gott gelesen haben und noch immer lesen, um darauf auch für ihre Person zu erfahren, was sie tun müssten, um das ewige Leben zu erlangen? Wie viele sind unter uns, die jeden Sonntag mit dieser stillen Frage in ihren Herzen in das Haus des HERRN kommen? Wie viele sind unter uns, die deswegen große Sorge  in ihren Seelen tragen, dass sie nur auf dem Weg nach der Ewigkeit nicht irre gehen, dass sie nur in Betreff ihrer Hoffnungen für jenes Leben sich nicht täuschen, dass sie mit einem Wort  nur ihrer Seligkeit gewiss werden, sein und bleiben könnten? Müssen es nicht vielleicht gar manche unter uns vielmehr, wenn sie aufrichtig sein wollen, eingestehen, dass ihnen die Fragen: Was muss ich tun, dass ich reich werde, dass ich zu einem Haus oder zu einem Stück Land oder zu einem einträglichen Geschäft komme, oder doch, dass ich mein tägliches Brot verdiene – dass ihnen diese Fragen bisher wichtiger gewesen seien und mehr Bekümmernis gemacht haben als die Frage: „Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben erbe?“

    Da nun diese Frage für uns alle, auch für diejenigen, die sie längst ernstlich erwogen haben, von der allerhöchsten Wichtigkeit ist und bleibt, so lasst uns dieselbe bei Gelegenheit unseres heutigen Evangeliums in dieser Stunde wieder einmal in ernstliche Erwägung ziehen.

 

Luks 10,23-37: Und er wandte sich zu seinen Jüngern und sprach besonders: Selig sind die Augen, die da sehen, was ihr seht. Denn ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und haben’s nicht gesehen; und hören, was ihr hört, und haben’s nicht gehört. Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben erbe? Er aber sprach zu ihm: Wie steht im Gesetz geschrieben? Wie liest du? Er antwortete und sprach: Du sollst Gott, deinen HERRN, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt und deinen Nächsten wie dich selbst. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tue das, so wirst du leben. Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster? Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Mörder; die zogen ihn aus und schlugen ihn und gingen davon und ließen ihn halbtot liegen. Es begab sich aber ungefähr, dass ein Priester diese Straße hinabzog; und da er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit: Da er kam zu der Stätte und sah ihn, ging er vorüber. Ein Samariter aber reiste und kam dahin; und da er ihn sah, jammerte ihn sein, ging zu ihm, verband ihm seine Wunden und goss drein Öl und Wein und hob ihn auf sein Tier und führte ihn in die Herberge und pflegte ihn. Am anderen Tag reiste er und zog heraus zwei Denare und gab sie dem Wirt und sprach zu ihm; Pflege ihn; und wenn du was mehr wirst dartun, will ich dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme. Welcher dünkt dich, der unter diesen dreien der Nächste sei gewesen dem, der unter die Mörder gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So gehe hin und tue desgleichen!

 

    Aufgrund dieses verlesenen Evangeliums lasst mich euch jetzt zeigen:

 

Was muss ein Mensch tun, dass er das ewige Leben erbt?

 

Bei genauer Untersuchung werden wir finden, dass uns unser Evangelium hierüber zweierlei lehrt:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Der Mensch muss erkennen, dass er hierzu selbst nichts tun kann,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Er muss an den glauben, der für ihn getan hat, was er tun sollte.

 

    O HERR Gott, wenn du nicht das Gedeihen dazu gibst, so ist das Pflanzen und begießen deiner Diener fruchtlos und verloren, darum bitten wir dich, gib du jetzt deinem Wort Kraft, dass es ausrichte, wozu du es sendest. Lass diesen Seelen den weg zum ewigen Leben jetzt nicht nur einfältig und deutlich gezeigt werden, sondern tritt durch dein Wort auch jetzt mit deinem Heiligen Geist vor eine jede hin, klopfe bei einer jeden an, suche eine jede in Gnaden heim und erleuchte, erwecke und bewege eine jede, dass wir alle nicht nur den rechten Weg kennen lernen, sondern ihn auch betreten und darauf bleiben, bis wir endlich, vom ewigen Tod und von der Hölle vollkommen erlöst, eingehen zum Leben und dich dort loben und preisen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

1.

    Dass sich der Mensch das ewige Leben nicht selbst verdienen könne, dass dasselbe vielmehr ein Geschenk der freien Gnade Gottes ist, dies steht auf allen Blättern der Heiligen Schrift so klar geschrieben, dass es kein aufmerksamer Bibelleser leugnen kann. Es kommen darin jedoch auch nicht wenig Aussprüche vor, die auf den ersten Anblick das Gegenteil zu lehren scheinen, die aber, wenn sie genauer nach ihrem Zusammenhang untersucht werden, die Lehre von der Seligkeit aus Gnaden nicht weniger bestimmt enthalten. Gott redet offenbar darum in seinem Wort oft, so zu sagen, verdeckt, um uns damit zu reizen, in seinem Wort desto ernstlicher zu forschen, um die stolzen Geister, welche sein Wort verdachten und meistern, zu strafen. Denn diesen werden solche scheinbar widersprechenden Reden der Schrift zum Anstoß, ja, ein Geruch des Todes zum Tode.

    Zu diesen Schriftstellen gehört unser heutiges Evangelium. Auch dieses ist daher schon vielen Schriftfeinden ein Geruch des Todes zum Tode geworden. Darin scheint nämlich Christus mit klaren Worten zu lehren, dass sich der Mensch das ewige Leben durch die Liebe, also durch eigene Werke, verdienen könne. Als nämlich einst, erzählt Lukas, ein Schriftgelehrter Christus die Frage vorlegte: „Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Legen erbe?“ so sprach Christus zu ihm: „Wie steht im Gesetz geschrieben? Wie liest du?“ Der Schriftgelehrte antwortet: „Du sollst Gott, deinen HERRN, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“ Was antwortet nun Christus hierauf? Er spricht: „Du hast recht geantwortet; tue das, so wirst du leben.“ Wie konnte Christus so antworten? Widerspricht er sich hier nicht offenbar selbst, da er doch an anderen Stellen vielmehr spricht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe“?

    Die Feinde des Glaubens benutzen freilich Christi Rede in unserem Evangelium dazu, zu beweisen, dass auch nach der Schrift nicht das Glauben, sondern das Tun den Menschen selig mache. Sie sagen, spricht es hier Christus nicht klar und deutlich aus, dass auf die Frage: „Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben erbe?“ dies die rechte Antwort sei: Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst? –

    So scheint es freilich bei einer flüchtigen Betrachtung; aber lasst uns unseren Text genau in seinem Zusammenhang betrachten. Christus hatte, wie Lukas erzählt, vorher seine Jünger selig gepriesen, dass sie ihn sähen und hörten. Unwillig hatte diese Seligpreisung ein Schriftgelehrter mit angehört, Er mochte dabei in seinem Herzen gedacht haben: Wie darf dieser armselige Jesus gerade diejenigen selig preisen, die ihn sehen und hören? Ist es denn nicht genug, Mose und sein göttliches Gesetz zu hören? Was bedarf ich dieses Menschen, wenn ich tue, was im Gesetz geboten ist? Als daher dieser Christus die Frage vorlegte: „Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben erbe?“ so geschah dies nicht etwa aus einem redlichen Verlangen, die Wahrheit zu erfahren, nicht aus Bekümmernis um seine Seligkeit; Lukas sagt vielmehr ausdrücklich, der Schriftgelehrte habe Christus mit dieser Frage nur versuchen wollen; er wollte nämlich sehen, ob Christus so reden würde, dass er ihn hernach als einen Feind und Lästerer des göttlichen Gesetzes anklagen könne. Christus, der ihm in das Herz sah, antwortete ihm daher, wie er gefragt hatte, er wies ihn an das Gesetz; und als er die Hauptsumme desselben angegeben hatte, so antwortet Christus: „Du hast recht geantwortet; tue das, so wirst du leben.“ Hiermit hatte Christus die vollkommenste Wahrheit gesagt, denn es ist allerdings wahr, würde ein Mensch das Gesetz vollkommen halten, so würde er dadurch das ewige Leben gewiss erlangen. Wo spricht aber Christus in unserem Evangelium davon, dass es irgendeinen Menschen in der Welt gebe, der diesen Weg zum ewigen Leben nun auch gehen könne? Davon spricht Christus kein Wort; er spricht wohl davon, dass der Mensch das Gesetz halten soll, aber nicht, dass er es kann; zwischen Können und Sollen ist aber ein so weiter Unterschied wie zwischen Himmel und Erde. Wer daher aus unserem Evangelium beweisen will, dass der Mensch durch seine Werke selig werden könne, der nimmt diese Lehre nicht aus unserem Evangelium, sondern legt sie vielmehr hinein.

    Aber, werdet ihr vielleicht sagen, kann der Mensch nicht durch das Halten des Gesetzes selig werden, warum sollte denn dann Christus zu dem Schriftgelehrten gesagt haben: „Tue das, so wirst du leben?“ Warum sagt er nicht vielmehr: „Glaube an mich, so wirst du eben?“ Christus tat dies, meine Lieben, aus großer Weisheit, um den Schriftgelehrten erst zu der Erkenntnis zu bringen, dass er zur Erwerbung des ewigen Lebens nichts tun kann. Denn hätte Christus zu ihm geradezu gesagt, du kannst durch das Gesetz nicht selig werden, sondern allein durch den Glauben an mich, so würde ihn der Schriftgelehrte verlacht haben, denn dieser meinte ja schon, alles getan zu haben, was er zu tun schuldig sei. Als aber Christus zu ihm sagte: „Tue das, so wirst du leben“, das heißt, versuche es nur, das Gesetz vollkommen zu halten, so musste er gerade dadurch in Verlegenheit geraten und endlich durch die Erfahrung überzeugt werden, dass er dies nicht kann. Dass dies die rechte Auslegung ist, sehen wir unwidersprechlich daraus, dass es im Folgenden heißt: „Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?“ Ist es hieraus nicht offenbar, dass Christus jene Worte gesagt hatte, um dem Schriftgelehrten alle Hoffnung, dass er sich selbst rechtfertigen könne, zu benehmen, und dass dies auch die Ursache war, warum Christus in dem Folgenden das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ihm vorlegte? Ohne Zweifel. Christus wollte ihm hiermit zeigen, dass er selbst das Gebot der Nächstenliebe nicht erfüllt habe, viel weniger das Gebot der Liebe Gottes über alles; dass er also auf diesem Weg das ewige Leben nimmer langen könne und sich daher nach einem anderen Weg umsehen müsse.

    Zu dieser Erkenntnis aber, nichts zum Erwerb des ewigen Lebens selbst tun zu können, zu welcher Christus den Schriftgelehrten bringen musste, muss jeder Mensch kommen. Diese Erkenntnis ist die erste Stufe auf der Leiter, auf welcher der Mensch den Himmel allein ersteigen kann, und die enge Pforte, durch welche ein jeder Mensch, der das ewige Leben erlangen will, hindurchdringen muss. Wer daher zu dieser Erkenntnis nicht kommt, der kommt auch nicht zum ewigen Leben.

    Meint aber nicht, meine Lieben, dass es eine so leichte und gewöhnliche Sache sei, dass ein Mensch erkenne, nichts selbst zur Erlangung des ewigen Lebens tun zu können. Es scheint freilich nichts leichter zu sein, als dass ein Mensch gänzlich an allem seinem Tun verzagte, aber es scheint nur so leicht. So blind der Schriftgelehrte war, dass er meinte, sich selbst rechtfertigen zu können, so blind sind alle Menschen von Natur. Von Natur hofft jeder Mensch, mit seiner Scheinliebe gegen Gott und seinen Nächsten einst auskommen zu können. Selbst die offenbarsten Übertreter des Gesetzes trösten sich gemeiniglich doch damit, das Gesetz doch wenigsten einigermaßen gehalten zu haben, und selbst die, welche mit dem Mund sagen, dass sie ihre Zuversicht allein auf Christus setzen, bauen meist, ohne es zu ahnen, im tiefsten Grund ihres Herzens ihre Seligkeit allein auf ihr Christentum. Das Herz des Menschen ist nach Gottes Wort ein trotziges und verzagtes Ding. Entweder baut daher der Mensch auf seine Werke aus Trotz, das heißt, aus Stolz und Hoffart, weil er sich vor Gott nicht demütigen und kein Bettler sein will; oder aus Verzagtheit, weil er sich nicht traut, aus bloßer Gnade das große Gut des ewigen Lebens zu hoffen und zu erlangen. Es gibt nicht wenige, welche die Lehre zugeben, dass der Mensch nichts zum Erwerb des ewigen Lebens beitragen könne, und die dennoch, ohne es zu wissen, von den Banden der Selbstgerechtigkeit unauflöslich gebunden sind. Was ist die Quelle des schwärmerischen Treibens und Laufens und Meinens der Sekten anderes als die Selbstgerechtigkeit? Darum betet, darum kämpft, darum ringt man; man will sagen können: Das oder das habe ich getan, so oder so habe ich erst gebetet, gerungen und gekämpft, darum glaube ich auch nun, dass ich ein Christ und ein Erbe bin des ewigen Lebens.

    Glaubt es aber, meine Lieben, dies alles ist noch nicht der Anfang des wahren Christentums, ja, nichts als verfeinertes Pharisäertum. Soll ich euch den Anfang des rechten Weges zum ewigen Leben mit kurzen Worten beschreiben, so ist es dieser: Der Mensch muss sich in die Schule des Heiligen Geistes begeben; ihn muss er nämlich anrufen, dass er ihm doch lebendig offenbare, wie er das göttliche Gesetz nicht erfüllen, Gott nicht über alles und seinen Nächsten nicht wie sich selbst lieben und zur Erwerbung des ewigen Lebens gar nichts tun könne. Wem es mit diesem Gebet ein Ernst ist und wer, damit er zur lebendigen Erkenntnisseines verderbten Herzens komme, auch das Wort Gottes treu gebraucht, dem wird der Heilige Geist bald sein Herz auftun und seine Seele mit seinem himmlischen Licht erleuchten. Kommt nun ein Mensch endlich dahin, dass er sich von allen seinen vermeintlichen guten Werken verlassen sieht, wie sich ein Mensch von aller menschlichen Hilfe verlassen sieht, der nicht schwimmen kann und der aus dem Schiff ins Meer geworfen ist; kommt es mit ihm dahin, dass er mit Schrecken einsieht, wenn ihm Gott nicht seine Gnadenhand reiche, so müsse er notwendig ewig verloren sein; scheint es ihm dann, als sei es mit ihm aus, als müsse er zur Hölle sinken: Dann gerade hat die Stunde der Rettung und des Heils für ihn geschlagen, dann ist er auf dem rechten Weg, dann ist er in dem rechten Zustand, in welchem sich Gott seiner nicht nur erbarmen will, sondern auch erbarmen kann.

    Doch dann ist noch eins nötig, und davon lasst mich nun zweitens zu euch sprechen.

 

2.

    Das Nächste, was, meine Lieben, Christus mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter beabsichtige, war offenbar dies: Der Schriftgelehrte sollte sich nach diesem Vorbild prüfen und daraus erkennen, dass es mit seiner Nächstenliebe keineswegs so stehe, wie er sich bisher eingebildet hatte, dass nämlich seine Nächstenliebe keineswegs rein ist, und dass er daher damit nicht vor Gott bestehen könne. Ohne Zweifel hatte aber Christus mit jenem schönen Gleichnis noch eine andere Absicht. Hatte der Schriftgelehrte aus dem Beispiel des barmherzigen Samariters zu seiner Beschämung sein liebeleeres, eigennütziges, parteiisches, kaltes Herz kennen gelernt, so sollte er sodann durch dasselbe Beispiel zur Erkenntnis der Liebe Christi geleitet werden. Denn ein rechter wahrer barmherziger Samariter ist kein Mensch, das ist allein Christus. Dieser sah das ganze menschliche Geschlecht, das Gott nach seinem Ebenbild geschaffen hatte, von dem höllischen Räuber und Mörder, dem Satan, überfallen, nackt ausgezogen und in dem Blut seiner Sünden hilflos liegen. Kein Mensch, ja, keine Kreatur konnte den gefallenen Menschen helfen; sie mussten an ihnen, wie jener Priester und Levit, vorübergehen. Aber der Sohn Gottes ließ sich unseres Elendes jammern; er kann in die Welt zu uns, und indem er für uns litt und starb, verband er die Wunden unserer Sünden; indem er uns sein Wort verkündigen ließ, goss er darein gleichsam das Öl und den Wein seines himmlischen Trostes; und indem er uns durch die heilige Taufe in sein Gnadenreich aufnahm, so führte er uns damit in die Herberge seiner heiligen Kirche, wo wir nun mit Wort und Sakrament verpflegt werden sollen, bis wir entweder durch einen seligen Tod ewig genesen, oder bis er sichtbar wiederkommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten und die Seinen aufzunehmen in sein seliges Himmelreich.

    Seht hieraus Christi unendliche Sünderliebe. Obgleich der Schriftgelehrte ihn nur heuchlerisch nach dem Weg zum ewigen Leben gefragt hatte, in der Absicht, ihn zu versuchen, so antwortete ihm dennoch Christus so, dass er daraus nicht nur seinen Irrtum, sondern auch den Weg des Heils in Christus recht wohl hätte erkennen können. Hätte der Schriftgelehrte sich nicht gegen Christi Wort verstockt, so würde er jetzt als ein Erlöster und Auserwählter im Himmel triumphieren. Aber da er sich erst nicht zu einer lebendigen Erkenntnis seiner Ohnmacht bringen ließ, so kam er auch nicht durch das schöne Gleichnis vom barmherzigen Samariter zu einer lebendigen Erkenntnis der Gnade, durch welches ihm geholfen werden sollte und konnte.

    Möchte dies bei keinem unter uns auch heute der Fall sein!

    Was ist aber nach jenem Gleichnis in unserem Evangelium das Zweite, was ein Mensch tun muss, damit er das ewige Leben erbe? Offenbar nichts anderes, als dieses, dass er sich als ein Hilfloser und Elender dem himmlischen barmherzigen Samariter überlasse; dass er nämlich an Christus glaube, der schon für ihn getan hat, was er tun sollte.

    So wichtig und unerlässlich nämlich die Erkenntnis seiner Ohnmacht ist, um das ewige Leben zu erlangen, so ist diese Erkenntnis doch nicht das Wichtigste; die Hauptsache ist der Glaube. Durch jene Erkenntnis soll der Mensch erst nur leer von dem eigenen falschen Trost werden, durch den Glauben wird er dann erfüllt mit dem wahren Trost; durch seine Erkenntnis soll der Mensch erst nur Gott die Ehre geben lernen, von ihm allein Gnade zu bitten, durch den Glauben soll er sie ergreifen; durch jene Erkenntnis soll er als ein Kranker zum Arzt getrieben werden, durch den Glauben aber soll er, als durch die rechte Arznei, geheilt werden; durch jene Erkenntnis soll er in seinen Gedanken an seiner Seele nackt ausgezogen werden und sich vor Gott schämen lernen; durch den Glauben aber soll er mit den Kleidern des Heils und der Gerechtigkeit angetan werden. Durch jene Erkenntnis soll er hungrig und durstig, mit Sehnsucht und Verlangen der Seligkeit erfüllt werden, durch den Glauben aber soll die Seligkeit ihm zugeeignet werden.

    Auch hierbei werden vielleicht manche denken: O, wenn es hauptsächlich auf den Glauben ankommt, dass man das ewige Leben erlange, so ist es eine leichte Sache! Aber, meine Lieben, so leicht es ist, sich einen Scheinglauben, nämlich einen bloßen Gedanken vom Glauben zu machen, so schwer ist es, wahrhaftig zu glauben.

    Der wahre Glauben ist eine lebendige, gewisse Zuversicht auf Gottes Gnade in Christus, für deren Gewissheit man bereit ist zu sterben; er ist ein himmlisches Licht, das Christus im Herzen verklärt; er ist eine göttliche Kraft, sich auf Christus so fest zu verlassen, dass man Christus nicht fahren lässt, ob auch alle Welt, ja, der Tod und alle Teufel gegen den Gläubigen wüten. Der wahre Glaube ist ein heiliges, geheimnisvolles Band, wodurch der Gläubige mit Christus auf das innigste vereinigt wird, wie die Rebe mit dem Weinstock. Der wahre Glaube ist ein göttlicher Keim, aus welchem in dem Menschjen eine ganz neue, göttliche und heilige Gesinnung hervorwächst, die sich in einem ganz neuen, wahrhaft gottseligen Leben, in Hass und steter Bekämpfung der Sünde, in Überwindung der Welt, in Verleugnung des eigenen Willens und in einem wahren Eifer in der Heiligung vor aller Welt kund tut.

    Einen solchen Glauben bekommt auch der Mensch allein in der Schule des Heiligen Geistes, und niemand bleibt in diesem wahren, lebendigen Glauben, der nicht zugleich in der Schule des Heiligen Geistes bleibt, wer nämlich seinen Glauben nicht durch fleißigen Gebrauch des Wortes Gottes und der heiligen Sakramente und durch tägliches Gebet zu stärken und zu erhalten sucht. –

    So habe ich euch denn den rechten Weg zum ewigen Leben aus Gottes Wort kurz gewiesen. So geht denn hin und tut so. Lernt eure Ohnmacht und Christi Gnadenallmacht lebendig erkennen, in dieser Erkenntnis euch üben und stärken und darin verharren bis an euer Ende. Meint nicht, das alles seien euch alte bekannte Sachen, die ihr längst wüsstet; wer so denkt, der hat gewiss nichts, als die Buchstaben der Erkenntnis, aber seine Seele ist noch in Finsternis und in Sünden tot. Ein Christ, der wirklich auf dem Weg zum ewigen Leben ist, der hat an der Anweisung, diesen Weg zu gehen, bis an seinen Tod zu lernen; er bleibt des Wortes begieriger Schüler, und ihm ist daher immer, als habe er kaum angefangen; er wird des Wortes nie überdrüssig; das alte Wort ist ihm daher auch immer neu, immer teuer, köstlich und lieblich.

    Möge denn Jesus Christus, der barmherzige Samariter, auch einen jeden unter uns mit Erbarmen ansehen; uns alle zum Gefühl unserer brennenden Sündenwunden bringen, und unsere Seelen heilen durch sein Wort und seine heiligen Sakramente, einst aber uns heimholen in seine himmlische Herberge. Amen.

 

Evangelienpredigt zum 14. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 17,11-19: Was lehrt die Tatsache, dass unter den zehn Aussaetzigen gerade der Samariter im Glauben bestaendig blieb?

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN! Amen.

 

    In demselben, unserem teuren Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Die Heilige Schrift berichtet uns zwar, dass Gott, nachdem die Welt 2000 Jahre lang gestanden hatte, von dieser Zeit an immer ein bestimmtes Volk erwählt habe, welchem er sich besonders offenbarte und durch welches er die reine wahre Religion erhalten und fortpflanzen wollte, aber nichtsdestoweniger berichtet uns die Heilige Schrift auch dieses, dass es immer auch außer dem von Gott erwählten Volk Menschen gegeben habe, welche ebenfalls den rechten Gott erkannt, an ihn geglaubt, ihm treu gedient und daher auch das ewige Leben erlangt haben. Ja, die Schrift berichtet uns selbst dieses, dass es außerhalb der sichtbaren rechtgläubigen Kirche Gottes oft gerade die allertreuesten gläubigen Bekenner gegeben habe.

    Durchlaufen wir das ganze Bibelbuch, so werden wir dies bestätigt finden. Im 12. Kapitel des ersten Buches Mose wird uns erzählt, dass Gott den Abraham und seine Nachkommenschaft zu seinem Volk und zu seiner Kirche erwählt hat; man sollte daher meinen, dass es damals außer Abraham und seiner Familie keine wahren Gläubigen auf Erden gegeben habe müsse. Aber keineswegs. Schon in dem zweiten folgenden, nämlich im 14. Kapitel, wird uns erzählt, dass, als Abraham einst aus einem Krieg zurückkehrte, ihm ein König von Salem entgegenkam, mit Namen Melchisedek, von dem es heißt: „Er war ein Priester Gottes des Höchsten.“ Also gab es damals auch außer Abrahams Familie und sichtbarer Kirche noch immer wahre Knechte des wahren Gottes. Ja, Melchisedek wird sogar über Abraham gestellt, denn es wird von ihm gesagt, er habe Abraham gesegnet und dieser habe ihm den Zehnten von aller seiner Habe gegeben.

   Als ferner das Volk Israel als das auserwählte Volk Gottes aus Ägypten ausgezogen war, die herrlichsten Offenbarungen und Taten Gottes gesehen und die wunderbarsten göttlichen Errettungen erfahren hatte und dennoch gegen den HERRN murrte und sich nach dem heidnischen Ägypten zurücksehnte, siehe! da kam auf dem Weg durch die Wüste ein Heide mit Namen Jethro zu ihnen, und als dieser hörte, was Gott an Israel getan hatte, bekehrte er sich sogleich von Herzen zu dem wahren Gott, brach in lautes Lob dieses Gottes aus, brachte ihm seine Opfer dar und sprach unter anderem: „Nun weiß ich, dass Jahwe größer ist als alle Götter.“ 

    Als ferner die Predigten des Propheten Jona im Reich Israel unter dem Volk der wahren sichtbaren Kirche fast ganz ohne Frucht geblieben waren, da sandte Gott diesen Propheten in die große heidnische und gottlose Stadt Ninive, derselben Buße zu predigen. Und siehe! so fruchtlos des Jona Bußpredigten unter dem eigentlichen Volk Gottes gewesen waren, so herrlichen Erfolg hatten sie in jener Stadt. Alle Einwohner der Stadt, vom König bis zum geringsten Bettler herab, taten Buße in Sack und Asche.

    Gehen wir nun weiter in die Schriften des Neuen Testaments, so finden wir wieder dasselbe. Es wird uns nämlich darin erzählt, Christus kam in sein Eigentum, in seine auserwählte Kirche, und sie, die Seinen, nahmen ihn nicht auf, nur wenige glauben an ihn; während oft gerade Heiden oder solche, die aus irrgläubigen Sekten kamen, den allerstärksten Glauben offenbarten. Wer war es z.B. von dem der HERR ausrief: „Wahrlich, ich sage euch, solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden!“? Es war nicht ein rechtgläubiger Jude, sondern der heidnische Hauptmann von Kapernaum. Und wer war die Frau, über deren Glauben selbst der HERR sich verwunderte, so dass er ihr zurief: „O Frau, dein Glaube ist groß! Dir geschehe, wie du willst“? Es war nicht eine Israelitin, sondern eine heidnische kanaanäische Frau. Und wer war endlich jener Barmherzige, von welchem das Evangelium des vorigen Sonntags erzählte, der sich des unter die Mörder Gefallenen so herzlich annahm, während der Priester und Levit aus der rechtgläubigen Kirche harten Herzens an dem Elenden vorüberging? Es war ein Samariter, ein Mensch aus einer irrgläubigen Gemeinschaft.

    Ist es nicht merkwürdig, dass die Heilige Schrift selbst so häufig ausdrücklich berichtet, dass oft gerade solche, die nicht in der äußerlichen Gemeinschaft der wahren sichtbaren Kirche sich befanden, den stärksten Glauben und die brünstigste Liebe gezeigt haben? Warum mag uns dies wohl Gott in seinem Wort vorhalten? Etwa darum, dass wir es für gleichgültig ansehen sollen, zu welcher Religion und Kirche man sich halte? Etwa drum, dass wir denken sollen, dass jeder Glaube, auch ein falscher Glaube, selig mache? – Das sei ferne! – Da wir nun auch in unserem heutigen Evangelium hören, dass gerade ein Samariter fest im Glauben gewesen sei, während seine neun israelitischen Genossen vom Glauben abfielen, so lasst uns jetzt die Antwort auf die Frage suchen: Was lehrt uns die Vorstellung, dass unter zehn gerade in Samariter im Glauben beständig blieb?

 

Lukas 17,11-19: Und es begab sich, da er reiste nach Jerusalem, zog er mitten durch Samarien und Galiläa. Und als er in einen Markt kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer, die standen von ferne und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern. Und es geschah, da sie hingingen, wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, da er sah, dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel auf sein Angesicht zu seinen Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: Sind ihrer nicht zehn rein worden? Wo sind aber die Neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte und, gäbe Gott die Ehre, als dieser Fremdling? Und er sprach zu ihm: Stehe auf, gehe hin! Dein Glaube hat dir geholfen.

 

    Nachdem der Evangelist in dem verlesenen Evangelium erzählt hat, dass von zehn Aussätzigen, welche Christus geheilt hatte, nur einer im Glauben beständig blieb, zurückkehrte, Gott die Ehre gab und Christus demütig dankte, so setzt er mit großem Nachdruck hinzu: „Und das war ein Samariter.“ Ohne Zweifel darum, weil dieser Umstand den Lesern eine höchst wichtige und nötige Lehre gibt. So lasst mich denn jetzt hiernach die Frage beantworten:

 

Was lehrt und die Tatsache, dass unter den zehn Aussätzigen gerade der Samariter im Glauben beständig blieb?

 

    Ich antworte, dies lehrt uns:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass es auch unter den Irrgläubigen Seelen gibt, die da selig werden, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass aber auch sie die Seligkeit nur durch den wahren Glauben erlangen.

 

    HERR Jesus, du bist der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch dich. Du bist die Tür; so jemand durch dich eingeht, der wird gerettet werden, und wird ein- und ausgehen und Weide finden. In dir ruht alles unser Heil. Nichts kann uns verdammen, keine Sünde, kein Irrtum, wenn wir an dich von ganzem Herzen glauben, aber nichts kann uns auch selig machen, kein Werk und keine noch so große Erkenntnis, wenn wir dich nicht im wahren Glauben ergreifen. O, so hilf denn, dass wir alle unsere Hoffnung im Glauben allein auf dich setzen. Behüte uns daher vor dem Betrug eines bloß eingebildeten Glaubens und wirke den wahren Glauben selbst in unserer aller Herzen. Und da du uns die Gnade geschenkt hat, in deiner reinen rechtgläubigen Kirche zu sein und dein reines Wort und Sakrament zu genießen, so hilf, dass wir treu mit dieser großen Gnade umgehen, dass nicht einst irrgläubige Samariter gegen uns auftreten und uns beschämen, sondern dass wir einen guten Kampf hier kämpfen, Glauben halten und endlich die Krone erlangen. Erhöre uns, HERR Jesus! Amen.

 

1.

    In unseren Tagen lehren, meine Lieben, nicht nur die römischen Priester noch immer, dass außer ihrer Kirche kein Heil, keine Seligkeit sei, sondern selbst mitten in der protestantischen, ja mitten in der lutherischen Kirche treten jetzt immer mehr Lehrer auf, welche von ihrer Kirche dasselbe behaupten.[27]

    Wäre dies nun wahr, gäbe es wirklich nur in der sichtbaren rechtgläubigen Kirche Kinder Gottes und wahre Christen, gäbe es nur da Seelen, die selig werden können, so stünde es in der Tat unaussprechlich traurig und betrübt um Christi Reich und Werk. Wie gering ist z.B. die Anzahl der lutherischen Christen gegen die vielen Millionen anderer Christen! Und wie wenig wahre lebendig gläubige Christen gibt es wieder selbst unter denen, die sich Lutheraner nennen! Welch ein armer König der Wahrheit und Gnade wäre also dann unser lieber HERR Jesus Christus!

    Ja, könnten nur diejenigen selig werden, welche sich in der sichtbaren rechtgläubigen Kirche befinden, dann müssten Millionen allein deswegen verloren gehen, weil sie von Eltern geboren wurden, die ihnen frühzeitig manche Irrtümer einflößten; dann käme es bei dem Seligwerden nicht allein auf den Glauben an Jesus Christus, sondern zugleich auch auf eine gute reine vollständige Erkenntnis an; dann wäre es nicht genug, wenn man seiner Seligkeit gewiss werden wollte, zu wissen, dass man einen Heiland habe und sich seiner tröste, dann müsste ein jeder auch notwendig bei Verlust seines Heils wissen, ob er sich auch in der wahren sichtbaren Kirche befinde, und die Kirche wäre daher der einem Christen notwendige zweite Heiland.

    Es ist nun wohl wahr, sagte dies Gott selbst in seinem Wort, so müssten wir es freilich glauben und unsere Hand auf den Mund legen. Aber wo steht es geschrieben, dass niemand selig werden könne, der noch in diesem und jenem Irrtum gefangen ist? Wo steht es geschrieben, dass neben dem Glauben an den HERRN Jesus Christus noch etwas anderes zur Seligkeit unbedingt notwendig ist? Davon finden wir nirgends etwas, weder in den Schriften des Alten noch des Neuen Bundes, weder in den Schriften der Apostel noch der Propheten. Vielmehr werden aber solle solche Gedanken unter anderem in unserem heutigen Evangelium mit den kurzen Worten widerlegt: „Und das war ein Samariter.“

    Mit den Samaritern hatte es nämlich folgende Bewandtnis. Als der assyrische König Salmanasser die zehn Stämme, welche sich von dem Stamm Juda und Benjamin abgesondert hatten, in die assyrische Gefangenschaft geführt hatte, da hatten nur wenige im Land zurückbleiben dürfen, und als hierauf der König von Assyrien das Land Samarien auch noch mit heidnischen Kolonisten besetzte, so entstand nun durch diese Mischung von Israeliten und Heiden auch eine Vermischung und Verfälschung der Religion. Während die eigentlichen Juden nach Gottes Befehl ihren Gottesdienst im Tempel zu Jerusalem hielten, so bauten sich hingegen die Samariter ohne Gottes Befehl in eigener Andacht einen Tempel auf dem Berg Garizim; und während die eigentlichen Juden alle Schriften des Alten Testaments von Mose an bis zu dem Propheten Maleachi als Gottes Wort annahmen, so erkannten hingegen die Samariter allein die fünf Bücher Moses dafür an. Daher wurden denn die Samariter von den Juden als gottlose, irrgläubige, ketzerische Menschen fast allgemein verdammt und gemieden, so dass die Juden Christus nicht schwerer beschuldigen zu können meinten, als wenn sie ihn einen Samariter nannten, womit sie sagen wollten, Christus sei ein verstockter Ketzer.

    Lasst uns nun in unseren Text zurückgehen und sehen, wie sich Christus gegen einen solchen Samariter,d er sich unter den Aussätzigen befand, verhielt. Der Samariter erhob, wie wir hören, mit den anderen neun Aussätzigen, welche wahrscheinlich sämtlich Juden waren, seine Stimme uns sprach: „Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser.“ Und was antwortet der HERR? Spricht er etwa: Euch Neun, die ihr Glieder der rechtgläubigen jüdischen Kirche seid, will ich kann ich wohl helfen, aber unter euch ist ein Glied einer irrgläubigen Sekte, ein Samariter, dem will und kann ich nicht helfen, der trete erst heraus, der schwöre erst alle seine Irrtümer ab, der verlasse erst seine irrige Gemeinschaft und werde ein Glied der wahren sichtbaren Kirche, dann, aber nur dann, will ich auch seiner mich erbarmen. Wie? Hören wir etwa etwas dergleichen aus Christi Mund? – Nein, nicht ein Wörtlein; sondern kaum hat die ganze Schar flehentlich gerufen: „Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser“, so hilft Christus allen ohne Ausnahme, dem Samariter sowohl wie den Juden, sogleich an Leib und Seele.

    Nun sagt selbst, was ist es wohl zunächst, was diese herrliche Tatsache uns lehrt? – Sie lehrt uns erstens klar und unwidersprechlich, dass es also auch unter den Irrgläubigen Seelen gibt, die Christi Hilfe erfahren und selig werden; denn das ist gewiss: Christus verändert sich nicht; Jesus Christus gestern und heute, und derselbe in Ewigkeit; wie er einst gesinnt war und handelte, so ist er noch jetzt gesinnt und so handelt er noch jetzt.

    Christus ist mit seiner Gnade nicht hier und da, sondern allenthalben, wo sein Wort ist. Allenthalben steht daher jedem Menschen der Himmel offen. Wie Christus einst nicht nur Judäa, sondern, wie wir in unserem Evangelium hören, auch durch das von Irrgläubigen bewohnte Samaria und Galiläa wanderte, so wandelt Christus noch jetzt auch durch die Gemeinden, Städte und Länder, wo falsche Prediger sein Wort verkehren und verfälschen, wenn sie sein Wort nur noch als sein Wort vor den Menschen bekennen. Ja, Christus ist ein so guter Hirte, dass ihn der armen Seelen besonders jammert, die dahingehen wie Schafe, die keinen Hirten haben. Je weniger solche verlassenen Seelen in ihren Kirchen von dem rechten Himmelsweg hören, desto kräftiger wirkt in ihnen Christus in der Stille durch seinen Heiligen Geist, wenn sie Licht und Trost suchen in seinem Wort. Und wenn sie auch mitten unter dem Haufen der Verführer und Ketzer zu ihm seufzen: „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ so steht Christus keine Person an, so hilft er ihnen allen doch, ohne einen Unterschied zu machen, an Leib und Seele und macht sie selig. Und wen nein Mensch aus Schwachheit in noch so großen Irrtümern steckt, ist es ihm ein Ernst damit, selig zu werden, so hilft Christus ihm dennoch, wenn er sich zu ihm wendet, wie er Lot geholfen hat mitten in Sodom, wie er den drei Männern geholfen hat mitten im feurigen Ofen und wie er Daniel geholfen hat in der Grube mitten unter den reißenden, brüllenden Löwen.

    So lasst uns denn, meine Teuren, uns lossagen von jenem gefährlichen Irrtum unserer Zeit, nach welchem man allen denjenigen Gnade und Seligkeit abspricht, welche nicht die Gnade genießen, in einer sichtbaren rechtgläubigen Kirche geboren, getauft, erzogen und unterrichtet worden zu sein. Lasst uns nicht töricht und frevelhaft dem helfenden Heiland die Hände, welche er nach allen Sündern ausstreckt, binden und seiner unermesslichen Gnade Grenzen setzen wollen. Lasst uns mit Christus bekennen: „Der Wind bläst, wo er will“, und ihn loben und preisen, dass er allen Sündern und daher auch uns die Seligkeit so gerne gönnt und sich daher Untertanen seines seligen Gnadenreichs macht selbst mitten unter seinen Feinden.

 

2.

    Doch, meine Lieben, die Tatsache, dass unter den zehn Aussätzigen gerade der Samariter im Glauben beständig blieb, lehrt uns noch eine zweite wichtige Wahrheit, und das lasst m ich euch nun noch zweitens kurz vorstellen.

    Wie es in unseren Tagen Christen gibt, welche den Irrtum hegen, dass niemand außer der sichtbaren rechtgläubigen Kirche selig werden könne, so gibt es jetzt auch solche sogenannten Christen, welche den gerade entgegengesetzten Irrtum hegen, welche nämlich meinen, was ein Mensch glaube, darauf komme es nichts an, wenn er nur recht lebe. Sie sprechen: Glaube, was du willst, sei nur ein guter Mensch, so wirst du selig. Sie denken, unter den verschiedenen Religionen sei eine so gut wie die andere; und wenn es ein Mensch nur in seiner Religion ernst meine und nach seinem Gewissen handle, so werde er selig. Ein Heide, der eifrig seinen Göttern diene, ein Moslem, der streng nach seinem Koran lebe, und ein Jude, der sich gewissenhaft nach seinem jüdischen Gesetz halte, komme ebenso gut in den Himmel wie ein gläubiger Christ. Es gebe viele Himmelswege, und jede Religion sei ein solcher Weg zum Himmel.

    Wie? sollte dies etwa dadurch bestätigt werden, dass sich Christus des irrgläubigen Samariters ebenso wohl erbarmt hat wie der rechtgläubigen Juden? Sollte daraus wirklich folgen, dass man bei jedem Glauben gerettet werden könne? – Da sei ferne! –

    Lasst uns nur das Beispiel des Samariters etwas genauer betrachten. Es ist wahr, meine Lieben, dieser Mann mag, weil r in seiner irrgläubigen Sekte erzogen war, gar viele Irrtümer gehegt haben, und da er als Samariter nur die fünf Bücher Mose für Gottes Wort hielt, so mag er viel weniger von dem verheißenen Messias gewusst haben als die rechtgläubigen Juden. Allein, was war mit ihm geschehen? Er war von Gott mit großer Not heimgesucht worden; Gott hatte ihn in die furchtbarste und ekelhafteste aller Krankheiten, in die des Aussatzes, fallen lassen, welche auch in den mosaischen Schriften für ein Strafgericht Gottes um der Sünde willen erklärt wird. Dies hatte denn den armen Samariter auch an seine Sünden erinnert und tief gedemütigt. Er mochte wohl meinen, weil er ein so großer Sünder sei, so werde sich Gott seiner nie wieder erbarmen. Doch siehe! er hörte, dass ein gewisser Jesus das Land durchziehe, der auch gegen die größten Sünder überaus gnädig und freundlich sei, allen Elenden helfe, die ihn anriefen, und große Wunder tue, welche ohne Zweifel der verheißene Messias sei. Wie oft mag daher der arme Samariter gedacht und geseufzt haben: O, dass doch dieser Jesus auch einmal in diese Gegend käme! Und siehe! sein Wunsch wurde erfüllt: Jesus erschien. So erhob er denn nun mit den übrigen neun jüdischen Aussätzigen alsbald auch seine Stimme und sprach: „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Und als nun hierauf Jesus zu den Aussätzigen sprach: „Geht hin und zeigt euch den Priestern“, was tut da der Samariter? Er weigert sich nicht nur nicht, auch mit zu den jüdischen Priestern zu gehen, weil er Jesus ihm gesagt hatte, sondern wunderbarerweise ist gerade er es allein, der, als er sah, dass er gesund geworden war, eilends wieder umkehrte, Gott mit lauter Stimme pries, auf sein Angesicht zu Jesu Füßen fiel und ihm dankte.

    Warum hat nun also wohl Christus dem Samariter geholfen und helfen können, obgleich er Glied einer irrgläubigen Sekte war? Etwa darum, weil er bei allem seinem Irrglauben ein rechtschaffener, frommer, tugendhafter Mann war? – Nein, der HERR selbst sagt es, indem er ihm endlich zuruft: „Stehe auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen.“

    Was ist es also, was das Beispiel des Samariters uns zweitens lehrt? Es ist offenbar dies: Dass es zwar auch unter den Irrgläubigen Menschen gibt, die da Christi Hilfe erfahren und selig werden, dass aber auch sie die Seligkeit nur durch den wahren Glauben erlangen.

    Ja, meine Lieben, dass es auch unter den Irrgläubigen Seelen gibt, die selig werden, kommt nicht daher, weil ein Mensch auch durch den Unglauben oder durch einen falschen Glauben selig werden könnte, sondern weil ein Mensch manche Irrtümer haben und doch dabei einen wahren, lebendigen, durch den Heiligen Geist in ihm gewirkten Glauben an Jesus Christus in seinem Herzen tragen kann.

    Es ist wahr: Wer in einer rechtgläubigen Kirche sich befindet und daher eine gute, reine buchstäbliche Erkenntnis aller christlichen Lehren hat, der genießt einen großen Vorzug, aber er kann dennoch bei aller seiner guten buchstäblichen Erkenntnis ohne den wahren Glauben sein und verloren gehen. Denn wenn ein Mensch nicht in der Armut des Geistes steht, wenn ein Mensch kein demütiges, zerschlagenes und zerbrochenes Herz hat, wenn ein Mensch nicht in Furcht und Zittern lebt vor jeder, auch der geringsten Sünde, dem wird seine gute Erkenntnis nur Gift und Verderben; von dem heißt es: „Das Wissen bläht auf.“ Hingegen ist es ferner wahr: Wer sich in einer irrgläubigen Sekte befindet und daher mancherlei Irrtümer hegt, der ist in großer Gefahr, dass das Gift seiner Irrtümer seine Seele tötet; aber ist ein irrender Christ aufrichtig, lässt er sich durch das Wort Gottes zur Erkenntnis seines großen Sündenelendes bringen, so dass er alles Vertrauen auf sich selbst wegwirft, nach Christi Gerechtigkeit hungert und dürstet und seine einzige Hoffnung auf die freie Gnade Gottes in Christus setzt und in diesem Glauben beständig bis ans Ende verharrt, so wird ein solcher Mensch so gewiss selig, so gewiss Jesus Christus ein Heiland aller Sünder und zur Versöhnung der ganzen Welt am Kreuz gestorben ist.

    So lasst uns denn, meine Zuhörer, auch die Warnung wohl zu Herzen nehmen, welche in der Geschichte des dankbaren und im Glauben beständigen Samariters für uns liegt. Der irrgläubige Samariter kam zu wahren Glauben, blieb darin beständig und wurde selig; die rechtgläubigen Juden kamen zwar auch zum Glauben, aber fielen wieder ab und gingen verloren. So kann es uns auch gehen. So manches Glied einer Sekte sucht noch jetzt seinen Heiland ernstlich und redlich, mit aufrichtigen Tränen der Reue und herzlichen Seufzern eines innigen Verlangens, verlässt die Welt und Sünde, sieht nie wieder zurück und Christus deckt seine Sünden und Irrtümer gnädig zu und macht es selig. Was hülfe es uns nun, dass hingegen wir zwar Glieder der rechtgläubigen Kirche sind, wenn wir aber dabei Christus nicht ernstlich suchen und nicht treu festhalten, sondern bei unserem Ruhm des Glaubens und der reinen lehre wieder stolz, sicher, weltlich, geizig und dergleichen werden? – O, dass Christus nicht einst sagen müsse: Sind nicht alle, die getauft worden sind, rein geworden, wo sind aber meine lutherischen Christen? Denn so spricht Christus ausdrücklich: „Viele werden kommen vom Morgen du vom Abend und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich sitzen, aber die Kinder des Reichs“, das heißt, die äußerlichen Glieder der wahren sichtbaren Kirche, „werden ausgestoßen werden in die äußerste Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähneklappen.“ O, dass dann keiner von uns Lutheranern in dieser Zahl seine möge!

    Ja, HERR Jesus!

Senk deine wahre Furcht

In unser aller Herzen,

Lass niemand mit der Buß

Und wahrem Glauben scherzen.

Lass uns in heilger Furcht

Und in Bereitschaft stehn,

Dass wir mit Freudigkeit

Vor deinen Augen gehn.

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum 14. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 17,11-19: Von der großen Undankbarkeit des menschlichen Herzens gegen Gott

 

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die Liebe Gotte, des himmlischen Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geites sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Im 50. Psalm, im 15. Vers, lesen wir den herrlichen, bekannten Spruch: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, sollst du mich preisen.“ Hieraus ersehen wir: Niemand hat Ursache, in irgendeiner Not des Leibes oder der Seele zu verzagen. Mag nach diesem Spruch ein Mensch von allen Menschen verlassen sein, einen Freund in der Not hat er immer noch, den gnädigen Gott im Himmel, zu dem er nicht nur gehen und den er nicht nur um Hilfe anrufen darf, sondern auch soll; Gott hat es ihm sogar geboten, Gott selbst. Mag daher eines Menschen Not noch so groß sein, dass es scheint, es sei aus derselben kein Ausweg mehr möglich; er darf doch nicht verzagen; denn Gott ist ja allweise und allmächtig, er weiß daher immer zu helfen und kann es immer tun; wie Paul Gerhardt so schön singt:

Weg hast du allerwegen,

An Mitteln fehlt dir’s nicht,

Dein Tun ist lauter Segen,

Dein Gang ist laut er Licht;

Dein Werk kann niemand hindern,

Dein Arbeit darf nicht ruhn,

Wenn du, was deinen Kindern

Erspießlich ist, willst tun.

Mag aber auch ein Mensch erkennen, dass er sich noch nicht zu Gottes Kindern rechnen darf, mag er der Hilfe Gottes ganz unwürdig sein; wenn nur der Mensch endlich die Not sich zu Gott treiben lässt, wenn er nur endlich in der Not ernstlich anruft, so hat er auch um seiner Unwürdigkeit willen nicht Ursache, in seiner Not zu verzagen. Gott hat ja jedem Menschen befehlen: „Rufe mich an in der Not“, wer es auch sei, und jedem Menschen verheißen: „So will ich dich erretten“; hiermit hat Gott sich selbst gebunden, und da er wahrhaftig ist und nicht lügen, nicht mit falschen Versprechungen  und Vorspiegelungen wie Menschen täuschen kann, so darf und soll jeder Mensch auf Gottes Befehl und Verheißung hin in seiner Not Gott anrufen und ein jeder, ein jeder soll dann erhört werden. Der Mensch darf nur nicht schnell müde werden im Bitten und Flehen, er muss darin anhalten und nur Gott nicht die Zeit, wann, noch die Art, wie er helfen soll, vorschreiben: Endlich erhört ihn Gott gewiss.

Hilfe, die Gott aufgeschoben,

Hat er drum nicht aufgehoben,

Hilft er nicht zu jeder Frist,

Hilft er doch, wenn’s nötig ist.

    Es ist daher eine große Sünde, Gott in der Not nicht anzurufen. Dadurch versündigt sich der Mensch erstlich an Gott; nämlich durch Ungehorsam, da es Gott befohlen, und durch Verachtung seiner Güte und Wahrhaftigkeit, da Gott Erhörung zugesagt hat. Dadurch versündigt sich aber der Mensch auch an sich selbst; denn dadurch, dass der Mensch in der Not Gott nicht anruft, verstopft er sich selbst mutwillig die Quelle, aus welcher ihm Hilfe zufließen könnte. St. Jakobus schreibt daher: „Ihr habt nicht, darum, dass ihr nicht bittet“, und unser Paul Gerhardt wiederum:

Mit Sorgen und mit Grämen

Und mit selbsteigner Pein

Lässt Gott sich gar nichts nehmen,

Es muss ergeben sein. –

    Doch, meine Lieben, obgleich sehr viele Menschen, so lange es ihnen wohl geht, Gott fast ganz vergessen, so ist doch nichts häufiger als dies, dass selbst die ärgsten Verächter Gottes, wenn sie in Not geraten und besonders wenn ihre Not einen hohen Grad erreicht, sich dann mit Seufzen und Beten zu Gott wenden. Wenige Menschen sind so verstockt wie jener Schächer zu Linken des HERRN auf Golgatha, der noch in der schrecklichsten Todesnot den Heiland verspotten und sagen konnte: „Bist du Christus, so hilf dir selbst und uns.“ Die meisten Menschen, wenn sie nie an Gott denken und nie mit Gott reden, ja, Gott verleugnen, nehmen, wie gesagt, in der Not doch endlich noch ihre Zuflucht zu Gott. Jesaja schreibt daher im 26. Kapitel seiner Weissagungen: „HERR, wenn Trübsal da ist, so sucht man dich; wenn zu züchtigst, so rufen sie ängstlich.“ Und Gott selbst spricht Hosea im 5. Kapitel von den gottlosen Juden: „Wenn es ihnen übel geht, so werden sie mich früher suchen müssen und sagen: Kommt, wir wollen wir zum HERRN, denn er hat uns zerrissen, er wird uns auch heilen; er hat uns zerschlagen, er wird und auch verbinden.“

    So viele aber, meine Lieben, jenes Wort sich noch gesagt sein lassen: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten“, so wenige tun hingegen, was auf diesen Befehl und auf diese Verheißung folgt: „So sollst du mich preisen.“ Kaum hat Gott das klägliche Rufen des Menschen erhört, kaum hat er Hilfe geschaffen, kaum ist die Not vorüber, so sind auch bei den meisten Menschen Gott und die erfahrene Hilfe vergessen. Das natürliche herz des Menschen ist unaussprechlich undankbar. Ein Beispiel hiervon wird uns in unserem heutigen Sonntagsevangelium vor die Augen gestellt. Aufgrund desselben lasst mich daher heute von der großen Undankbarkeit des menschlichen Herzens gegen Gott zu euch sprechen.

 

Lukas 17,11-19: Und es begab sich, da er reiste nach Jerusalem, zog er mitten durch Samarien und Galiläa. Und als er in einen Markt kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer, die standen von fern und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! Und da er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeige euch den Priestern. Und es geschah, da sie hingingen, wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, da er sah, dass er gesund worden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel auf sein Angesicht zu seinen Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: Sind ihrer nicht zehn rein worden? Wo sind aber die Neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte und, gäbe Gott die Ehre, als dieser Fremdling? Und er sprach zu ihm: Stehe auf, gehe hin! Dein Glaube hat dir geholfen.

 

    Aufgrund des verlesenen Evangeliums spreche ich jetzt zu euch:

 

Von der großen Undankbarkeit des menschlichen Herzens gegen Gott

 

Und zwar

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Worin diese besteht, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie man davon geheilt wird.

 

    HERR, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter. Die Himmel erzählen deine Ehre und die Feste verkündigt deiner Hände Werk. Ein Tag sagt’s dem anderen, und eine Nacht tut’s kund der anderen. Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme hört. Alle Kreaturen bringen dir Dank, Lob, Ruhm und Ehre dar. Nur wir, wir Menschen, wie Sünder, die du zum Schauspiel deiner höchsten Liebe gemacht und über die du alle Fülle deiner Güte ausgeschüttet hast, wir sind stumm, wir schweigen, wir wollen dich nicht loben, dir nicht danken. O, erbarme dich unser, verändere unser Herz und entzünde es, dass auch unser Mund deinen Ruhm verkündige, hier in der Zeit und dort in der Ewigkeit. Dazu segne dein heiliges Wort auch in dieser Stunde um deiner grundlosen Liebe und Güte willen. Amen!

 

1.

    Als, meine Lieben, der HERR einst auf seiner Reise nach Jerusalem mitten durch Galiläa und Samaria zog und in die Nähe eines Marktfleckens kam, begegnen ihm zehn aussätzige Männer; Leute, die sich in dem allerbedauernswürdigsten Zustand befanden. Behaftet mit einer überaus ekelhaften und ansteckenden Krankheit, waren solche Personen ausgestoßen aus der menschlichen Gesellschaft. Als ein Greuel von jedermann gescheut, mussten sie, außerdem noch Tag und Nacht von heftigen Schmerzen in allen Glieder genagt, außerhalb der bewohnten Städte und Dörfer verlassen umherirren. Da die Krankheit aller ärztlichen Hilfe spottete, war bei aller ihrer gegenwärtigen großen Not ihr Zustand auch ein hoffnungsloser. Die einzige Hoffnung, welche die Aussätzigen in unserem Evangelium hatten, war, dass Christus vielleicht einmal in ihre Nähe kommen möge, von dem sie gehört hatten, dass er mit göttlicher Macht selbst den unheilbaren Aussatz wunderbar heilen könne und zu heilen immer bereit sei.

    Lange mögen die Unglücklichen sehnlich auf einen solchen glücklichen Augenblick gewartet haben. Und siehe! endlich erscheint dieser Augenblick. Jesus kommt in die Gegend ihres Aufenthalts. So bald sie daher Jesus ansichtig geworden sind, halten sie sich zwar in demütiger Ferne, aber sie erheben so laut, wie sie bei ihrer mit der Krankheit verbundenen Heiserkeit vermögen, ihre stimme und rufen: „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Der HERR sieht sie und spricht zu ihnen: „Geht hin und zeigt euch den Priestern.“ (Die Priester mussten nämlich entscheiden, ob ein Mensch den Aussatz noch habe oder nicht.) Und was geschieht? – Da sie hingehen, werden sie rein.

    Welche Freude das den Zehn gemacht haben muss, als sie sahen, dass sie plötzlich rein und gesund gewesen waren, lässt sich mit Worten nicht beschreiben. Es muss ihnen gewesen sein, als ob sie plötzlich aus einer abscheulichen Schlammgrube herausgezogen und herrlich geschmückt an eine königliche Tafel gesetzt, ja, aus einer Hölle in den Himmel erhoben worden seien.

    Was hören wir nun aber weiter von ihnen? Sollte nun nicht alle Zehn, sobald sie nach dem Gesetz sich den Priestern gezeigt hatten, umgekehrt sein, sich Christus zu den Füßen geworfen, ihm brünstig gedankt und gesagt haben: HERR, wie sollen wir dir nun vergelten alle Wohltat, die du an uns armen Würmlein getan hast? Hier sind wir, du hast uns das Leben aufs Neue gegeben; dein wollen wir nun auch mit Leib und Seele sein und dir dienen unser Leben lang!? – Ach nein! – Nur einer von den Zehn tut so; klagend muss der HERR sprechen: Sind ihrer nicht zehn rein worden? Wo sind aber die Neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte und, gäbe Gott die Ehre, als dieser Fremdling?“ Nein! Die Neun haben, nachdem sie kaum die Wohltat erfahren haben, den gütigen Wohltäter vergessen; kein Wort des Dankes und Lobes desselben kommt auf ihre Lippen, kein Gedanke an eine schuldige Vergeltung der erfahrenen Wohltat in ihr Herz; ja, in schwarzem, fluchwürdigem Undank scheinen sie sich, von den feindseligen Priestern überredet, dass sie nicht durch Christus, sondern durch sie, die Priester und ihre Opfer, gereinigt worden seien, zu Christi Feinden geschlagen und die durch Christus erlangte Gesundheit nur dazu angewendet zu haben, Christus mit zu lästern und zu verfolgen! –

     Wer wendet sich nicht, wenn er dies hört, von solchen verruchten, so schändlich undankbaren Menschen mit tiefster Abscheu hinweg? Aber, meine Lieben, lasst uns nur ja nicht bei ihrem Anblick uns selbst in unserem Herzen segnen und etwa mit dem Pharisäer sprechen: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie diese Leute.“  Denn so hart es klingen mag, so wahr ist es, wenn ich sage: An den neun Aussätzigen haben wir ein lebendes Bild der Undankbarkeit jedes menschlichen Herzens, so lange es in seinem natürlichen Zustand und nicht durch die göttliche Gnade umgewandelt und erneuert ist. Lasst uns nur einen Vergleich anstellen, so werden wir es nur zu bald erkennen.

    Die Undankbarkeit der neun geheilten Aussätzigen offenbarte sich vor allem darin, dass sie erstlich die empfangene unaussprechlich große Wohltat vergaßen, zweitens, das sie sie verschwiegen und dafür kein Wort des Lobes hatten, drittens, dass sie sie ihrem Wohltäter zu vergelten und ihm dafür zu dienen sich nicht bereit zeigten. …

    Nun frage ich euch: Verhalten sich die Menschen, die noch kein verändertes Herz bekommen haben, gegen Gott etwa anders? – Im Gegenteil, es sind die neun undankbaren Aussätzigen ihr treuer Spiegel.

    Die Wohltaten, welche jeder Mensch von Gott empfangen hat und fort und fort empfängt, sind ebenso unaussprechlich der Zahl wie der Größe nach. Unser Dasein, unsere Seele mit allen ihren Kräften und unser Leib mit allen seinen Gliedern sind eine Gabe und Wohltat Gottes. Jeder Augenblick, den wir verleben, jeder Gedanke, den wir denken, jeder Atemzug, den wir tun, jeder Pulsschlag, der unser Herz bewegt, jede Speise, die wir essen, jeder Trank, den wir trinken, jeder Schlaf, den wir schlafen, jeder Kraft zu der Arbeit, die wir tun, jedes Gelingen eines Werkes, das wir vornehmen, jedes Gut, das wir besitzen, jede Freude, die wir genießen, jede Errettung, die wir erfahren, jede Ermahnung vor irgendeinem Unglück, das andere trifft, dies alles sind lauter Gaben der schaffenden, erhaltenden, regierenden und vorsehenden Liebe und Güte Gottes. Kein Tag, keine Stunde, kein Augenblick vergeht, in welchem wir nicht tausende von Wohltaten Gottes genießen; wo wir gehen, stehen, sitzen oder liegen, überall sind wir von Gottes Wohltaten umringt und von ihnen wie von der Luft umschlossen. Wenn Gott nicht fort und fort uns zahllose Wohltaten wie in Strömen zufließen ließe, so könnten wir keinen Augenblick bestehen; ja, sobald Gott seine milde Hand von uns zurückzöge, sobald würden wir nichts empfinden als Hölle und ewigen Tod. Wollte ich nun erst anfangen, die Wohltaten zu nennen, welche Gott allen Menschen unaufhörlich auch im Geistlichen erweist, indem er ihnen nicht nur seinen eingeborenen Sohn zu ihrer Errettung und Seligmachung geopfert und geschenkt hat, sondern ihnen nun auch seine Gnade durch seine Gnadenmittel, sein Wort und Sakrament, anbietet, durch diese mit seinem Heiligen Geist bei ihnen anklopft und sie zieht und alles so leitet und lenkt, dass ihnen alles, selbst ihr Unglück, zu ihrem Glück und zu ihrer ewigen Seligkeit dienen könnte und müsste, wenn sie nur wollten: Wo fände ich Worte, die Größe des göttlichen Wohltuns zu beschreiben, das jeder Mensch unausgesetzt erfährt?

    Wie verhalten sich nun die Menschen dagegen? Die allermeisten Menschen erkennen es erstlich nicht einmal oder denken doch nie daran, dass alles, was sie sind und haben eine Gabe und Wohltat Gottes ist. Sei gehen dahin wie die unvernünftigen Tiere, die nichts von Gott wissen. Sie schwimmen gleichsam in einem Meer von Gaben Gottes, und Herz und Mund sprechen dabei: „Es ist kein Gott, es ist alles Natur.“ Andere bekennen es nun wohl, dass es einen Gott gibt; aber denken sie daher auch dann und wann, wenn sie etwas Gutes von Gott empfangen, daran, dass es von Gott komme: Kaum haben sie das Gute empfangen und genossen, so ist auch der himmlische Geber vergessen. Behalten aber die meisten Menschen die göttlichen Wohltaten nicht einmal in einem treuen dankbaren Herzen und Gedächtnis, so ist natürlich noch viel weniger ihr Mund fort und fort darüber voll Lob und Preis Gottes. Sind sie in Not, besonders in großer Not, dann rufen sie wohl oft, wie wir oben schon gehört haben, alsbald zu Gott; dann soll Gott sogleich helfen; hat Gott aber geholfen, dann fühlen nur wenige sich gedrungen, das Opfer des Lobes dem gnädigen Gott für seine Wohltat darzubringen. Die Menschen verschweigen dazu, was Gott an ihnen getan hat; ja, nun suchen sie sich wohl zu überreden, dass nicht Gott ihr Gebet erhört, sondern das sie sich selbst oder ein anderer Mensch ihnen geholfen oder ein glücklicher Zufall sie errettet habe. Viele führen zwar noch bei allem Guten, davon sie reden, das Wort im Mund: „Gott sei Dank, Gott Lob“ usw., aber während diese Dankbarkeit heuchelnde Rede über ihre Lippen schwebt, weiß ihr Herz nichts von dankbaren Empfindungen gegen den göttlichen Wohltäter. Haben die Menschen besonders selbst Mühe angewendet, etwas zu erlangen, so achten sie e für Torheit, Gott einen Dankpsalm dafür zu singen. Ohne Bittgebet gehen sie daher, wie die Tiere, zur Mahlzeit, und ohne Dankgebet beschließen sie sie. Und wo sind endlich die Menschen, welchen die Erkenntnis der Menge und Größe der göttlichen Wohltaten, die sie täglich und stündlich genießen, das Herz zerschmelzt, dass sie nun auch Tag und Nacht darauf sinnen, wie sie Gott diese Wohltaten vergelten, wie sie ihm dafür immer treuer und eifriger dienen und ihm ganz mit Leib und Seele leben, leiden und sterben wollen? In der Not versprechen wohl viele noch Gott, dass sie, wenn Gott sie diesmal wieder erretten würde, dann andere Menschen werden und ein ganz anderes Leben anfangen wollen. Aber was geschieht in der Regel, wenn Gott ihr Gebet erhört hat? Wie es in jenem Lied heißt: Da der Kranke genas, er desto schlimmer was. Weit entfernt, dass sie dann ihre Gelübde dem HERRN bezahlen, vergelten sie ihm das Gute mit Bösem. Dass sie durch Gottes Hilfe nicht mehr in Not sind, das wird ihnen nur die Ursache, dass sie nicht mehr nach Gott fragen, dass sie nun ohne tägliches Wachen und Beten, ohne täglichen Kampf gegen die Sünde, ohne täglichen andächtigen Gebrauch des Wortes Gottes, ohne Sorge um Gottes Wohlgefallen und um ihre Seligkeit in fleischlicher Sicherheit nach der Welt Weise in der Eitelkeit ihres Gott vergessenden und verachtenden Herzens dahinleben. Gott hört nicht auf, ihnen Tag und Nacht Gutes zu tun, seine Güte geht jeden Morgen mit der Sonne über ihnen auf, und nährt und kleidet und stärkt und erfreut sie, und sie – hören nicht auf, Tag und Nacht Gott zu beleidigen mit tausend Sünden.

    O Undankbarkeit des menschlichen Herzens! Erweist der Mensch selbst einem anderen Menschen nur eine geringe Wohltat und der Empfänger zeigt sich dafür nicht dankbar, ja, vergilt ihm wohl gar das Gute mit Bösem, wie empört dies den Geber! Wie verächtlich, wie gottlos, wie verrucht erscheint da der gegen ihn undankbare Mensch! Und er selbst lebt und webt in lauter Wohltaten Gottes und hält sich noch für fromm, obwohl er Gott dafür weder im herzen noch mit den Lippen, noch mit der Tat je aufrichtig dankt, sondern vielmehr täglich und stündlich Gottes Willen entgegenlebt. O Undankbarkeit, o schwarze, verdammungswürdige Undankbarkeit des menschlichen Herzens gegen Gott!

    Wie nun? Meine Lieben, gibt es denn kein Mittel, durch welches ein Mensch davon geheilt und Gott dankbar werden kann? Ja, wohl gibt es ein solches Mittel, und davon lasst mich nun noch zweitens zu euch sprechen.

 

2.

    Einer war, wie unser Evangelium uns berichtet, unter den zehn Aussätzigen, welcher sich gegen Christus dankbar erzeigte. Es heißt von ihm: „Da er sah, dass er gesund worden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel auf sein Angesicht zu seinen Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.“ Gewiss ein liebliches Schauspiel! Wohl hatte auch er, wie alle Menschen, von Natur ein undankbares Herz, aber ihm war sein Herz verändert worden. Was war nun das Mittel gewesen, welches diese herrliche Veränderung bei ihm hervorgebracht hatte? Der HERR entdeckt es uns, wenn er ihm am Schluss zuruft: „Stehe auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen.“ Seht, der Glaube war also das Mittel, durch welches dem Samariter völlig geholfen und er nicht nur leiblich, sondern auch geistlich geheilt worden war und durch das er daher auch sein dankbares Herz bekommen hatte. Als er Christus gläubig bittend angeschaut hatte, war nämlich sein Glaube nicht nur auf seinen leiblichen, sondern auch auf seinen geistlichen Aussatz, auf seine Sünde gerichtet gewesen. Und siehe! dieser sein Glaube hatte ihn denn auch gesund gemacht an Leib und Seele.

    Seht da, meine Lieben, das Mittel, durch welches auch alle anderen Menschen allein von der natürlichen Undankbarkeit ihres Herzens geheilt werden können: - es ist nichts anderes als der Glaube.

    Ein sicheres Kennzeichen, dass ein Mensch noch keinen wahren Glauben hat, ist, dass ihm noch ein dankbares Herz gegen Gott fehlt; ein sicheres Kennzeichen hingegen, dass ein Mensch im wahren Glauben steht, ist, dass sein Herz mit Dankbarkeit gegen Gott erfüllt ist. Eine schnelle vorübergehende Regung des Dankes kann sich zwar auch in einem glaublosen Herzen zuweilen finden, aber den Zustand, in welchem ein Mensch immer voll Dank gegen Gott ist über alles, was er ist und hat, wirkt nur der Glaube´.

    Einen solchen Glauben kann sich aber ein Mensch nicht selbst geben; ihn kann niemand wirken als Gott der Heilige Geist, und dieser wirkt ihn durch sein Wort.

    Das erste nämlich, wozu der Heilige Geist einen Menschen zu bringen sucht, ist, dass er sich als einen überaus armen, großen, elenden, aller Gnade und Wohltat Gottes unwürdigen Sünder erkennen lerne. Diese Erkenntnis wirkt aber der Heilige Geist teils durch das Gesetz, das dem Menschen gepredigt wird, teils durch allerlei Unglück, das ihn betrifft. Die meisten Menschen widerstreben dann freilich dem Heiligen Geist. Mag ihnen noch so deutlich gezeigt werden, wie heilig und streng Gott ist und wie vielfach und wie schwer sie gegen Gott gesündigt haben, so suchen sie sich doch zu überreden, dass sie nicht so große und verdammungswürdige Sünder seien, wie man ihnen vorsage; und wenn sie dann schweres Unglück betrifft, so wird dadurch ihr Herz, anstatt sich erweichen zu lassen, nur umso härter und verstockter. Anstatt sich selbst an Sünder anzuklagen, klagen sie Gott der Ungerechtigkeit an. Widerstrebt aber ein Mensch dem Heiligen Geist nicht, glaubt er, dass Gott allerdings ein Recht habe, von ihm zu fordern, dass er vollkommen heilig sein solle und dass er daher ein verdammungswürdiger Sünder sei; lasst er sich auch durch seine Not erweichen und bewegen, seine Unwürdigkeit und Schuld immer tiefer und lebendiger einzusehen: Dann fängt auch ein solcher Mensch an, sich nach einer Hilfe für seine arme verlorene Seele umzusehen, die er in sich nicht finden kann; und hört er nun in diesem Zustand das Evangelium von Christus, dem Heiland der Sünder, dann erweckt ihn der Heilige Geist, wie die Aussätzigen in unserem Evangelium zu seufzen: „O Jesus, lieber Meister, erbarme dich doch meiner!“

    Und, o, selig ist der Mensch, der sich vom Heiligen Geist so weit bringen lässt! Solche Seufzer bringen nicht nur den wahren Glauben, sondern sind schon die ersten Wirkungen und Offenbarungen des wahren Glaubens. Sobald aber auf diese Weise der wahre Glaube in das Herz des Menschen kommt, sobald wird auch sein Herz plötzlich göttlich umgewandelt. Mit dem Glauben kommt der Heilige Geist ins Herz, mit dem Heiligen Geist die Liebe und mit der Liebe die Dankbarkeit.

    Ein solcher wahrhaft gläubig gewordener Mensch kann sich dann kaum der Tränen enthalten, wenn er auf sein vergangenes Leben zurückschaut. Es will ihm oft fast das Herz zerspringen, wenn er daran denkt, wie sündhaft bisher sein Leben gewesen ist und mit welcher schändlichen Undankbarkeit er bisher täglich und stündlich Gottes unzählige Wohltaten hingenommen und missbraucht hat. Mit dem wahren Glauben an Christus ist dann in das Herz des Menschen eine solche Begierde, Gott zu danken und ihn zu loben und zu preisen, gekommen, dass er nicht nur für alles, auch das Allergeringste, das er hat und genießt, dessen er sich für ganz unwürdig achtet, sondern selbst für das Kreuz, das ihm Gott zuschickt, ihm danken und ihn loben und preisen muss. Er spricht dann mit David: „Das ist ein köstlich Ding, dem HERRN danken und lobsingen deinem Namen, du Höchster; des Morgens deine Gnade und des Nachts deine Wahrheit verkündigen.“ Ja, selbst in der Trübsal ruft er mit Hiob, wenn auch nicht immer sogleich, doch endlich noch aus: „Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt.“ Einem wahrhaft Gläubigen macht daher vor allem dies das zeitliche Leben so schwer und erweckt in ihm die Sehnsucht nach dem Himmel, dass er hier, von seinem noch übrigen Fleisch niedergedrückt, sich oft so ungeschickt und unlustig zu Gottes Lob fühlt. Er freut sich schon im Geist auf die Ewigkeit, wenn er dann mit allen Engeln und Auserwählten Gott mit reinen Lippen und aus voller Seele ewig danken und lobsingen zu können hofft.

    Wie nun, meine Lieben? Wem seid ihr ähnlich? Dem einen dankbaren Samariter oder jenen neun Undankbaren? Habt ihr das alte undankbare Herz noch, oder ist euer Herz schon durch einen wahren lebendigen Glauben umgewandelt worden? Ist es euch ein köstlich Ding geworden, dem HERRN zu danken und zu lobsingen dem Namen des Höchsten, und ist das nur euer Schmerz, dass ihr Gott nicht oft genug, nicht brünstig genug, nicht fröhlich genug danken könnt? Kehrt ihr, wie der Samariter, täglich des Morgens und des Abends, und so oft ihr Gottes Wohltaten genossen, um und werft ihr euch, wie der Samariter, dann demütig dankend vor Gott auf euer Angesicht?

    Ach, denke niemand, der hier nicht Gott täglich brünstig zu danken gelernt hat, dass er dann einst unter den Lobsängern sein werde, die dort die Opfer des Lobes und Dankens Gott in Ewigkeit darbringen. Wer dort nicht als ein von Gott Verstoßener ewig heulen will, der lerne hier ihn loben und danken.

    Ihm sei Ehre und Preis in Zeit und Ewigkeit. Amen!

 

Evangelienpredigt zum 15. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 6,24-34: Wie toericht diejenigen handeln, welche Gott zwar dienen, aber nicht allein dienen wollen

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben, unserem teuren Heiland, geliebte Zuhörer!

    Dass jeder Mensch verpflichtet ist, Gott zu dienen, ist eine Wahrheit, die in aller Menschen Herzen mit nie ganz auszutilgender Schrift eingegraben ist. Zwar wird gerade in dieser unserer Zeit die Anzahl derjenigen von Tag zu Tag größer, welche selbst diese Wahrheit nicht anerkennen wollen; allein wollten es diese Unglückseligen nur gestehen, so würden wir bald sehen, dass auch in ihrem Herzen fort und fort eine Stimme laut wird, die sie vergeblich zum Schweigen zu bringen trachten, die ihnen zuruft: „Es ist doch ein Gott, und diesem Gott sollst du dienen.“

    Doch so furchtbar auch jetzt der Strom der Gottesleugnung selbst durch die Christenheit braust, so hat er doch, Gott sei Dank! Auch in dieser unserer Zeit noch nicht alles mit sich fortgerissen; noch gibt es eine nicht geringe Anzahl Menschen, die es auch in unseren Tagen mit Worten und Werken laut bekennen, dass sie an einen Gott noch glauben und ihm zu dienen sich noch schuldig erkennen. Noch gibt es, Gott sei Dank! Millionen, welche sich nicht schämen, allsonntäglich in die Gotteshäuser zu strömen, da ihre Knie vor Gottes heiliger Majestät zu beugen, ihre Stimmen zu seiner Anrufung und zu seinem Lob zu erheben und dem Wort dieses Königs aller Könige und Herrn aller Herren ein aufmerksames Ohr zu leihen. Noch gibt es Millionen, welche es glauben, dass sie einst vor Gottes Gericht werden erscheinen müssen, um da von ihrem ganzen Leben Rechenschaft zu geben und zu empfangen, nachdem sie gehandelt haben bei Leibesleben, es sei gut oder böse; die sich daher auch fürchten, gegen Gott ihren Mund zu öffnen und offenbar gegen seine heiligen Gebote zu handeln., Gehört nicht auch ihr alle zu dieser Zahl, die ihr hier versammelt seid? Gewiss – wolltet ihr Gott nicht dienen, so würdet ihr heute nicht in seinem Haus erscheinen sein.

    So viele jedoch, meine Lieben, noch immer auch zu unserer Zeit erkennen und mit Worten bekennen, dass sie Gott zu dienen schuldig sind, dass er ihr HERR und dass sie seine ihm unterworfenen Untertanen, seine in seinem Dienst und Brot stehenden Knechte und Mägde sind, so lehrt es doch die Erfahrung, dass die Meisten Gott zwar dienen, aber ihm nicht allein dienen wollen. Es ist ganz offenbar, die meisten wollen ihr Herz zwischen Gott und der Welt teilen; Gott wollen sie zwar freilich zum Freund haben, darum eben dienen sie ihm, aber die Freundschaft der Welt darüber opfern, das wollen sie nicht; den Himmel wollen sie zwar freilich nicht verlieren, aber die Güter und Freude der Erde dafür verleugnen, das können sie nicht; ihrer Seele wollen sie zwar freilich einen guten Platz in jener Welt sichern, aber hier für ihren Leib auf ein gutes bequemes Leben deswegen zu verzichten, das scheint ihnen zu viel.

    Oder ist es nicht so? Denken sie sehr viele, man könne es in der Frömmigkeit auch zu weit treiben? Denken nicht sehr viele, zum Gottesdienst sei ja der Sonntag bestimmt, in den Wochentagen habe dazu ein Arbeitsmann keine Zeit, da müsse er seinen zeitlichen Geschäften nachgehen? Ja, meinen nicht gar viele, wenn sie am Sonntag einmal in der Kirche gewesen seien, so hätten sie Gott damit schon überflüssig seinen schuldigen Dienst dargebracht; dann könne man es ihnen daher nicht verdenken, wenn sie sich hierauf in den übrigen Stunden des Sonntags auch einmal wie andere Leute ein Vergnügen gönnten? Sprechen nicht viele, wenn sie ermahnt werden, Gott immer und ganz und allein zu dienen, so viel könne man doch nicht von ihnen verlangen? Sie können doch nicht Gag und Nacht über den Büchern und auf den Knien liegen? Sprechen nicht die meisten jungen Leute, auch die sonst Gott nicht allen Dienst aufsagen wollen: Sollen wir denn die schönste Zeit unseres Lebens nicht genießen? Sollen wir unsere Jugendzeit, die wir doch nur einmal erleben, vertrauern? Sprechen oder denken nicht wenigstens die meisten Geschäftsleute: Wie wollten wir bestehen, wenn wir es nicht mit der Welt halten und unsere Kunden vor den Kopf stoßen wollten? Müssen wir nicht von der Welt leben? Ja, denken nicht die meisten Christen: Wozu wäre denn der Glaube an Christus nötig und nütze, wenn es dennoch nötig wäre, sich so sehr, wie manche Prediger predigen, wegen der Seligkeit abzumühen? Wozu, wenn man dennoch so ängstlich nach Heiligkeit trachten, mit jeder Sünde es so genau nehmen und sich selbst von der Welt und ihren Freuden so gänzlich ausschließen müsste? Nein, denkt man, dass man Gott nicht gar vergessen, dass man Gott auch diene, das sei ganz recht; aber nichts in der Welt immer im Sinn zu haben, als Gott, ihm immer, ihm ganz, ihm allein zu dienen, das sei zu viel verlangt; wer das tun wolle, der könne dadurch endlich ganz tiefsinnig werden! Kurz, die meisten Christen meinen, auch im Dienst Gottes gebe es, wie in allen Sachen, eine Mittelstraße, welche darin bestehe, dass man weder der Welt noch Gott sich allein hingebe, dass man vielmehr Gott zwar auch diene, aber auch gegen die Freuden und Güter der Welt nicht ganz unempfindlich sei, mit einem Wort, dass man Gottesdienst und Weltdienst fein klug verbinde.

    Die nun diesen Grundsatz befolgen, meinen freilich recht klug zu handeln, zwischen Gottlosigkeit und Schwärmerei glücklich hindurch zu schiffen und den besten, sichersten und leichtesten Weg zum Himmel zu gehen: aber sollten sie wirklich darin recht haben? – Ach, wahrlich nein! Die Gedanken, dass es eine Mittelstraße gebe, die nach dem Himmel führe, sind ein leerer Traum, und die sich damit trösten und dabei bleiben, gehen damit unrettbar verloren. Unter den Wegen, die nach der Ewigkeit führen, ist die Mittelstraße – die Höllenstraße. Wer Gott dienen und selig werden will, muss ihm allein dienen, oder sein ganzer Dienst ist vergeblich. Das bezeugt uns Christus in unserem heutigen Evangelium.

 

Matthäus 6,24-34: Niemand kann zwei Herren dienen. Entweder er wird einen hassen und den anderen lieben, oder wird einem anhangen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Darum sage ich euch: Sorgt nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung? 26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? 27 Wer ist unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könne, ob er gleich darum sorgt? Und warum sorgt ihr für die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld, wie sie wachsen! Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist wie deren eins. So denn Gott das Gras auf dem Feld also kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, sollt’ er das nicht viel mehr euch tun, o ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden? Nach solchem allem trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles bedürft. Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen. Darum sorgt nicht für den anderen Morgen; denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.

 

    Unter allen Evangelien, welche an den Sonntagen des ganzen Kirchenjahrs öffentlich verlesen und behandelt werden, ist das eben verlesene ohne Zweifel eines der ernstesten und strengsten. Es enthält eine Strafpredigt nicht für die offenbar Gottlosen, sondern für die, welche fromm sein wollen und wegen ihrer Frömmigkeit nicht Bestrafung, sondern Belohnung zu verdienen wähnen. Es zeigt nicht, dass die Gottlosen sich bekehren sollen, sondern dieses, dass viele von denen, welche schon bekehrt zu sein vermeinen, sich erst bekehren müssen, wenn sie selig werden wollen. Tausende, welche sich für gute Christen achten, werden daher durch dieses Evangelium gerichtet und verdammt. Kurz, dasselbe ist ein Evangelium besonders für uns, die wir Gott noch dienen wollen, und sagt uns, dass wir entweder Gott allein dienen oder Gott mit unserem halben Dienst verschonen sollen. Lasst mich euch daher jetzt zeigen:

 

Wie töricht diejenigen handeln, welche Gott zwar dienen, aber nicht allein dienen wollen

 

Die Gründe dafür sind hauptsächlich zwei:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Nämlich, weil sie damit etwas durchaus Unmögliches und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil sie damit auch etwas höchst verderbliches unternehmen.

 

    Gott, du bist nicht nur unser Schöpfer, unser HERR, unser Gott, sondern auch die einige Quelle aller Freuden, aller Seligkeit. Wir sind daher nicht nur schuldig, Dir zu dienen, wir können auch nur dann, wen wir dir allein dienen, selig sein, denn dir dienen und nur dir dienen ist ja Seligkeit. Aber ach, wir müssen dir klagen und bekennen, dass wir so tief verderbt und verblendet sind, dass wir uns fürchten, dir zu dienen; dass wir daher fort und fort unser Herz dir nur halb schenken wollen. Du hättest darum wohl Recht, uns abtrünnige Knechte und Mägde von deinem heiligen Angesicht auf ewig zu verstoßen. Aber, o Gott, der du deinen Sohn auch uns geschenkt hast, wir bitten dich, erbarme dich unser um seinetwillen. Zerschneide mit dem Schwert deines Wortes alle Fäden, damit unser armes Herz noch gebunden ist an die Kreatur zu ihrem Dienst, und neige unser von dir abgewandtes Herz wieder zu dir, dass wir dir dienen, dir allein dienen und in deinem Dienst selig seien. Dazu segne auch die gegenwärtige Verkündigung deines Wortes um Jesu Christi, deines Sohnes, unseres Mittlers, willen. Amen. Amen.

 

1.

    Dass derjenige töricht handle, welcher etwas unternimmt, was ganz unmöglich ist, das werdet ihr mit gewiss alle zugestehen. Wollte z.B. ein Mensch zu gleicher Zeit zwei Wege gehen, einen welcher rechts, und zugleich einen anderen, welcher links führt; einen, welcher hinauf und vorwärts, und zugleich einen, welcher hinab und rückwärts führte, so würde ihn sicherlich jeder für einen Toren achten; warum? – weil er damit etwas Unmögliches unternähme.

    Wie? wenn nun diejenigen, welche Gott zwar dienen, aber ihm nicht allein dienen wollen, dasselbe täten? Handelten solche Menschen dann nicht offenbar auch höchst töricht? Ohne Zweifel.

    Wie spricht denn nun aber Christus in unserem heutigen Evangelium? Er beginnt darin mit dem merkwürdigen runden unzweideutigen Ausspruch: Niemand kann zwei Herren dienen. Entweder er wird einen hassen und den anderen lieben, oder wird einem anhangen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Klar und deutlich spricht es hiermit der Mund der ewigen Wahrheit aus, so unmöglich es sei, dass ein Mensch sich an zwei Herren zugleich zum Sklaven verkaufen und ihnen beiden zugleich den schuldigen Dienst leisten könne, so unmöglich ist es, Gott zu dienen und zugleich einem anderen Herren zu dienen. –

    Aber sollte dies wirklich so ganz unmöglich sein? Gibt es nicht Tausende und aber Tausende, welche dies recht wohl zu vereinigen wissen? Die zwar freilich der Welt, dem Mammon und manchen Sünden dienen, die aber dabei Gott keineswegs vergessen, ja, die dabei in ihrem Gottesdienst desto fleißiger sind, fleißig zur Kirche gehen, fleißig zur Beichte und zum Abendmahl kommen, fleißig Gottes Wort hören und lesen, fleißig auch zu Hause beten und singen?

    Es ist wahr, meine Lieben: Wäre das wirklich schon Gott gedient, wenn man solche äußerlichen sogenannten gottesdienstlichen Werke verrichtet, da könnte man allerdings Gott und dem Mammon, Christus und der Welt, dem Schöpfer und der Kreatur zugleich dienen. Aber man irrt sich. Verrichtet ein Mensch solche sogenannten gottesdienstlichen Werke, da dient er eigentlich nicht Gott, sondern Gott dient vielmehr ihm. Gott dienen ist etwas ganz anderes. Gott dienen heißt, sich Gott ergeben, Gott seine Liebe geben, Gott seine Furcht geben, Gott sein Vertrauen geben, kurz, Gott sein Herz geben. Was Gott für einen Dienst verlange, zeigt er uns ja in dem ersten Gebot an, worin er spricht: „Ich bin der HERR; dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir“; Gott sollen wir also zu unserem Gott haben; was aber dieses „Gott zu seinem Gott haben“ heißt, dies kann nicht deutlicher und bestimmter ausgedrückt werden, als es Luther in unserem Kleinen Katechismus mit den Worten der Erklärung ausgedrückt hat: „Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.“ Gott hat das erste Gebot aber auch selbst ausgelegt, wenn er z.B. durch den weisen Salomo spricht: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz; und lass deinen Augen meine Wege wohlgefallen.“ Und selbst also mit allem, was wir sind und haben, unser Herz, unser Herz sollen wir Gott geben; das, das ist der Dienst, den Gott von uns Menschen verlangt und womit wir ihm allein dienen können. –

    Wer ist nun so klug, dass er Gott so dienen und doch zugleich anderen Herren neben ihm dienen könne? Dazu ist auch der Klügste nicht klug genug; denn dies ist etwas durchaus Unmögliches.

    Wohl dient mancher dem Mammon, das heißt, er trachtet, reich zu werden, oder er setzt doch sein Vertrauen auf irdisches Gut, und meint dann erst recht versorgt zu sein und der Zukunft ruhig entgegensehen zu können, wenn er ein ziemliches Kapital zurückgelegt hat; oder er ängstigt sich um das Zeitliche ab und fragt, an Gottes Versorgung sich nicht haltend, täglich ungläubig: „Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden?“ oder es ist ihm doch ein Unglück, über das er sich kaum trösten kann, wenn er um sein irdisches Vermögen gekommen ist. Und dennoch meinen Solche, weil sie trotz diese ihres Mammondienstes fleißig zur Kirche gehen, dass sie dennoch dabei Gott dienten. Aber sie täuschen sich; Gott verlangt ihr Herz, und dieses ihr Herz, womit sie Gott allein dienen können, haben sie ja Gott längst genommen und es dem Mammon gegebene! – Wohl dient ferner mancher andere der Welt, das heißt, er geht noch mit der Welt, nimmt noch Teil an der Welt eitlen Vergnügungen, oder er sucht doch noch die Gunst und Freundschaft der Welt; oder er fürchtet sich doch noch vor dem Spott und der Verachtung der Welt und unterlässt aus solcher Furcht das Bekenntnis seines Glaubens, ja, verleugnet seinen Glauben wohl gar tatsächlich und ausdrücklich. Und dennoch meinen solche, weil sie trotz dieses Weltdienstes etwa Gottes Wort fleißig hören und lesen, dass sie dennoch dabei Gott dienten. Aber sie täuschen sich; Gott verlangt ja ihr Herz, und dieses ihr Herz, womit sie Gott allein dienen können, haben sie ja Gott genommen und es der Welt gegeben! – Wohl dienen endlich manche offenbar der Sünde, das heißt, sie lassen diese oder jene offenbare Sünde noch über sich herrschen; der eine die Ehrsucht, der andere den Neid, den Zorn oder die Unversöhnlichkeit, der dritte den Geiz, der vierte die Wollust, der fünfte die Eitelkeit, der sechste die Trunksucht, der siebte den Wucher und heimlichen Betrug, und dergleichen. Und dennoch meinen solche, weil sie trotz dieses Sündendienstes sich zu den Christen halten und an ihren gottesdienstlichen Versammlungen und Übungen teilnehmen, dass sie doch dabei Gott dienten. Aber sie täuschen sich. Gott verlangt ja ihr Herz, und dies ihr Herz, womit Gott allein gedient werden kann, haben sie ja Gott längst genommen und es der Sünde und damit dem Teufel gegeben.

    O, erkennt es daher doch ihr alle, die ihr bisher Gott zwar habt dienen wollen, die ihr aber auch daneben dem Mammon oder der Welt oder einer Sünde gedient habt, erkennt doch, dass ihr etwas ganz Unmögliches unternommen habt. Glaubt doch dem Mund der Wahrheit, der es so klar und deutlich in unserem Evangelium ausspricht: „Niemand kann zwei Herren dienen. Entweder er wird einen hassen und den anderen lieben, oder wird einem anhangen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ oder irgendeinem anderen Herren. So wenig es möglich ist, dass ein Soldat sich bei beiden kriegführenden Königen anwerben lassen und beiden dienen könnte, so wenig es möglich ist, dass ein Mensch sich an zwei Herren zugleich als Sklave verkaufen und beiden dienen könnte; so wenig es möglich ist, dass ein Mensch sich mit zwei Bräuten verloben und beiden treu sein könnte: So wenig ist es möglich, dass ein Mensch Gott dienen und zugleich noch anderen Herren dienen könnte. Wer Gott nicht allein dient, der dient ihm gar nicht; sein Dienst mit halbem, geteiltem Herzen ist ein bloßer Scheindienst, und daher kein Dienst, und alles, was ein solcher halbherziger Gottesdiener tut, und wenn er sich auch zuzeiten noch so sehr in seinem scheinbaren Gottesdienst abmüht, ist nichts anderes als verlorene Arbeit, wofür er keinen anderen Lohn zu erwarten hat als welchen Lohn der Soldat erwarten muss, der neben dem Dienst im eigenen Heer auch dem Feind gedient hat, also den Lohn eines Verräters. Als daher einst auch das Volk Israel Jahwe dienen, aber auch Baal dienen wollte, da rief ihm der Prophet Elia mit göttlichem Feuereifer zu: „Wie lange hinkt ihr auf beiden Seiten? Ist der HERR Gott, so wandelt ihm nach; ist es aber Baal, so wandelt ihm nach.“ Und als einst der Bischof zu Laodicea auch Christus und der Welt zugleich dienen wollte, da ließ ihm der HERR durch Johannes schreiben: „Das sagt Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Ursprung der Kreatur Gottes: Ich weiß deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich ausspeisen aus meinem Mund.“

    Hört es, ihr alle, die ihr zwar Gott dienen, aber ihm nicht allein dienen wollt, dieses schreckliche Drohwort des HERRN ist nicht nur an den Bischof zu Laodicea, sondern auch an euch gerichtet. Wollt ihr nicht warm und freudig sein in der Liebe Gottes, so mögt ihr immerhin kalt sein oder Gott will euch ausspeien aus seinem Mund. Wollt ihr neben Gott noch dem Mammon oder der Welt oder einer Sünde dienen, so spart nur eure Mühe, lasst euren Dienst, Gott mag ihn nicht, Gott sieht ihn nicht an, er ruft euch das große „Entweder – Oder“ zu: „Entweder sei ganz mein, oder lass es ganz sein.“ Wollt ihr aber Gott dienen, wohlan! So dient ihm allein! „Trachtet“, wie der HERR in unserem Text sagt, „am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit.“ Überschlagt aber die Kosten wohl! Versprecht nicht mehr, als ihr halten wollt. Wollt ihr Gott dienen, so muss es, wie es nur Einen Gott im Himmel gibt, auch nur Einen Gott in euren Herzen geben. Ihr müsst euch entschließen, euer Herz von dem Mammon, das ist, von den zeitlichen Gütern ganz loszureißen; mit der Welt müsst ihr dann für immer brechen und den Sünden einen ewigen Scheidebrief geben. Ihr müsst dahin kommen, dass euer einziger eigentlich Zweck auf der Erde ist, Gott zu Ehren zu leben und alles, was ihr habt, zu Gottes Ehren anzuwenden. Ja, es muss mit euch dahin kommen, dass ihr auf ein ruhiges, bequemes Leben, kurz auf sogenanntes Lebensglück für immer verzichtet und mit Asaph sagen lernt: „HERR, wen ich nur dich habe, so frage ich nicht nach Himmel und Erde, und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch allezeit meines Herzens Trost und mein Teil“; dass ihr daher bereit seid, um Gottes willen ebenso gern arm wie reich, ebenso gern verachtet wie geehrt, ebenso gern krank wie gesund, ebenso sterbend wie lebend zu sein. Ihr müsst aus Grund eures Herzens sprechen lernen, wie unsere Kirche singt:

Gib, dass sonst nichts in meiner Seel,

Als diene Liebe wohne;

Gib, dass ich diene Lieb erwähl

Als meinen Schatz und Krone;

Stoß alles aus, nimm alles hin,

Was mich und dich will trennen

Und nicht gönnen,

Dass all mein Mut und Sinn

In deiner Liebe brennen.

 

2.

    Doch, meine Teuren, nachdem wir nun gesehen haben, dass diejenigen, welche Gott zwar dienen, aber ihm nicht allein dienen wollen, höchst töricht handeln, weil sie damit etwas Unmögliches unternehmen, so lasst uns nun zweitens erwägen, dass dies aber auch darum höchst töricht ist, weil sie damit auch etwas höchst Verderbliches unternehmen.

    Diejenigen, welche Gott zwar dienen, aber ihm nicht allein dienen wollen, sind freilich deswegen so gesinnt, weil sie meinen, wenn sie Gott allein dienen wollten, so müssten sie ganz unglückselige Menschen werden, die keine frohe Stunde mehr in dieser Welt genössen; wenn sie aber neben Gott auch noch anderen Dingen, dem Mammon, der Welt, der Sünde dienten, so könnten sie die Vorteile von beiden Diensten genießen, von dem Weltdienst hier die Lust, von dem Gottesdienst dort die Seligkeit. Aber ach! wie ganz anders ist das, was sie finden, als was sie suchen! Christus entwirft uns in unserem Evangelium unter andrem ein Bild von dem Zustand derjenigen, welche neben Gott auch dem Mammon dienen, und zeigt uns, wie elende Menschen sie sind. In ihrem Herzen wohnt eine stete ängstliche Sorge für Leib, Leben, Speise und Kleidung. Da ist ein stetes ängstliches Fragen: „Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden?“ Nicht genug, dass sie, wie jeder Mensch, jedes Tages eigene Plage tragen müssen, so tragen sie sich auch mutwillig schon im Voraus mit der ganzen schweren Last, welche die kommenden Tage ihnen etwa bringen könnten. Nicht sie besitzen die zeitlichen Güter, sondern das zeitliche Gut besitzt sie. Sie haben davon nicht die Lust, sondern die Last, nicht den Genuss, sondern den Verdruss. Auf dieselbe Weise werden aber alle diejenigen belohnt, welche neben Gott noch sonst irgend anderen Herren dienen wollen. Solche Menschen sind viel elender als die, welche nach Gott gar nicht fragen und ungescheut der Welt und Sünde dienen. Weil sie der Welt und Sünde auch mit dienen wollen, so genießen sie nichts von der Seligkeit, die ein Mensch schmeckt, der Gott allein dient; und weil sie doch auch Gott dienen und es mit Gott nicht verderben wollen, so verderben sie sich damit die Lust, welche der genießt, der allein der Welt und Sünde dient. Die Furcht vor Gott und seinem Gericht vergällt ihnen die Freude an den irdischen Dingen, und das Anhangen an den irdischen Dingen raubt ihnen den Trost in Gott, seiner Gnade und Gemeinschaft. Sie schweben wie zwischen Himmel und Erde. Bei Gott, das fühlen sie, stehen sie noch nicht recht, und bei der Welt, das sehen sie, stehen sie auch verdächtig. Im Inneren, in ihrem Herzen und Gewissen, haben sie keinen Frieden, sondern Unruhe, Zweifel, Furcht, und in den äußerlichen Dingen finden sie auch keine Befriedigung. Vor allem aber macht solche auf beiden Seiten hinkenden Christen der Gedanke an den Tod recht elend. Sie können die Furcht davor nie überwinden.  Ihr Gewissen sagt ihnen, dass mit dem Tod vielleicht erst ihr wahres Unglück beginnen werde.

    Und auch! meine Lieben, wenn diese Furcht derjenigen, welche zwei Herren dienen wollen, eine unbegründete wäre, wenn sie wenigstens in jener Welt für ihren vermeintlichen Dienst, den sie Gott geleistet haben, einen guten Lohn zu erwarten hätten, so möchten sie immerhin für ihre Untreue und Halbherzigkeit hier einige Not ausstehen müssen; so würden sie doch endlich ewig glücklich und fröhlich. Aber das Schrecklichste ist dies: Wer Gott nicht allein dient, der ist auch kein Christ, der steht nicht im Glauben, der hat keine Gnade, der stirbt in seinen Sünden, der kann nicht selig werden, der geht verloren, sein Lohn ist – die Strafe eines Feindes Gottes – die Hölle.

    Ach, ihr unseligen Menschen, die ihr Gott zwar dienen, aber zugleich auch dem Mammon, der Welt und dieser und jener Sünde und Gott nicht allein dienen, ihm nicht euer ganzes Herz ergeben wollt, bedenkt, o bedenkt doch, wie elend ihr seid. Ihr kommt schon hier zu keiner Ruhe, weder in Gott noch in der Welt; und dort erwartet euch auch das traurigste Los. Ihr seid, wen ihr euch’s auch wegen eures halben Gottesdienstes einb89ldet, doch keine Christen, keine geistlichen Priester, keine Kinder Gottes; ihr steht nicht in dem Gnadenbund eurer heiligen Taufe, denn ihr habt ja fort und fort euren Taufbund übertreten, nach welchem ihr dem Teufel und allen seinen Werken und allem seinem Wesen entsagt habt. Darum sucht doch das nicht zu vereinigen, was nicht zu vereinigen ist. Wollt ihr den Mammon, die Welt und die Sünde nicht lassen, wohlan, so dient auch diesen Göttern allein und macht euch doch keine Mühe damit, auch Gott dienen zu wollen; es ist doch alle eure Mühe vergeblich und verloren; ja, ihr vergrößert damit nur euer zeitliches und ewiges Elend. Wollt ihr aber Gott dienen – und, o, dass ihr dazu euch entschließen möchtet! –, so dient doch ihm allein. Das werdet ihr nimmer bereuen. Ihr verliert damit nur Not, Unruhe, Sorge, kommt damit zur Gewissheit der göttlichen Gnade, zu Friede und Freude hier im Heiligen Geist, und dort erwartet euch der ewige Gnadenlohn, den Gott seinen treuen Dienern verheißen hat. O, wagt den kühnen Sprung, kündigt allen anderen Herren den Dienst endlich einmal auf und sprecht, wie es in jenem alten Lied heißt:

Mein Herz, entschließ dich nu,

Du musst es redlich wagen;

Du kommst nicht ehr zur Ruh:

Sagst du hiermit der Welt

Und was dem Fleisch gefällt,

Rein ab – und Christus an –

So ist die Sach getan.

    Doch, meine Teuren, ehe ich schließe, muss ich noch Eines erwähnen, damit sich niemand, der mir recht gibt, etwa dennoch um sein Heil betrüge. Niemand denke nämlich, wenn er nun etwa spricht: „Wohlan, so will ich denn von nun an Gott allein dienen“, dass es damit abgetan sei. Ach, schon Unzählige sind endlich zu diesem Vorsatz gekommen, und sind dennoch verloren gegangen. Sie haben nämlich Gott allein dienen wollen aus ihrer eigenen Kraft. Sie haben gedacht, wenn sie einen guten Vorsatz fassen können, so würden sie ich auch ausführen können. Aber siehe! in Kurzem war das erwärmte und angefeuerte Herz wieder kalt, sie fielen wieder zurück in den Dienst des Mammons, der Welt und der Sünde und gingen endlich verloren.

    Willst du daher, lieber Zuhörer, von nun an Gott wirklich allein dienen und selig werden, so musst du in die Ordnung dich begeben, die Gott dafür gemacht hat; du musst nämlich erst aus Gottes Wort lebendig zu erkennen suchen, was für ein armer, elender, verlorener Sünder und untreuer Knecht Gottes du bisher gewesen bist. Um diese Erkenntnis musst du Gott unablässig auf deinen Knien anrufen. Wirst du das aufrichtig tun, so wird dich Gott auch erhören; Gott wird dir seinen Heiligen Geist geben und dieser wird dich göttlich erleuchten, dass du klar und deutlich und mit schrecken dein ungeahntes Verderben und Elend erkennen und bitterlich und aufrichtig beweinen wirst. Dabei darfst du aber nicht stehen bleiben; drücken dich dann deine Sünden, so musst du dann auch zu Christus fliehen, dem Heiland der Sünder; in seinem Blut und Tod, in seiner Gnade und seinem Verdienst musst du dann Trost und Beruhigung durch den Glauben suchen. Die gnadenvollen Verheißungen des Evangeliums musst du dir dann aneignen und dann in Christus und seinem Wort ganz leben, kämpfen, leiden und sterben.

    O, wenn du das tun wirst, dann wirst du nicht mehr Gott und dem Mammon, Christus und der Welt, der göttlichen Gnade und der Sünde zugleich dienen wollen, dann wirst du gern mit Leib und Seele, mit deinem ganzen Herzen und allem, was du bist und hast deinem Gott und Heiland dich allein ergeben, ihm allein dienen, aber auch in ihm schon hier ungeahnte Seligkeit empfinden und dort sie in Vollkommenheit ewig genießen. Denn wenn die Sonne der göttlichen Gnade in dem Herzen des Menschen aufgeht, dann gehen alle die flimmernden Wandelsterne der Sünden- und Weltlust darin unter; es folgt hier ein lichter, heiterer Morgen der Gnade und des Friedens, dort aber ein ewiger Tag unaussprechlich seligen Lebens. Amen.

 

Evangelienpredigt zum 16. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas7,11-17: Der rechte Trost im Sterben

 

    Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes, des himmlischen Vaters, und die trostreiche Gemeinschaft Gottes des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    „Mensch, du musst sterben!“ so ruft Gott in seinem heiligen Wort uns allen zu. Gibt es irgendeine in der heiligen Schrift ausgesprochene Wahrheit, die niemand leugnet, obgleich sie die allerernsteste ist, so ist es diese. Kein Mensch, der da lebt, hat die Wahrheit: du musst sterben, schon an sich selbst erfahren, aber dennoch wagt keiner, ihr zu widersprechen; jeder glaubt daran, es sei gern oder ungern. – Wer dürfte aber auch diese Wahrheit leugnen? Alle die ungezählten Millionen, die bisher gelebt haben und gestorben sind, rufen, obgleich ihre Gebeine schweigend unter unseren Füßen ruhen, als unwidersprechliche Zeugen lauter, als alle Lebenden, aus ihren Gräbern einem jeden zu: „Mensch, du musst sterben!“ Und wollte jemand der Geschichte nicht glauben, die von jedem endliche erzählt: „Und er starb“, so rufen tausend Dinge vor unseren Augen, hier die hinwerfende Krankheit, dort das bleichende des Alters, hier die verschlingende Wassersucht, dort das verzehrende Feuer, hier der jähe Abgrund, dort der zerschmetternde Blitz, hier der glühende Sonnenstrahl, dort die Schauer des Nordwindes, hier die tödliche Waffe und dort die Giftschlange im Gras, ja, dies alles ruft, wo wir gehen und stehen, uns zu: „Mensch, du musst sterben!“; und alle Sterbenden, an deren Betten wir geführt werden, und alle Leichenzüge, denen wir in den Straßen begegnen, und alle Gräber, die wir unseren Lieben graben und die wir mit unseren Tränen benetzen, drücken den Worten: „du musst sterben“, das Siegel der unleugbarsten Gewissheit auf. Blicken wir umher in der Welt, so sehen wir: Die ganze Erde ist ein großes, weites Grab, auf dem wir eine Zeitlang wohnen, bis endlich sein Deckel sich auftut und die Hand des Todes auch uns in seine dunklen Kammern hinabzieht.aar,  des A

    So gewiss hiernach alle Menschen glauben, dass auch ihr Leben auf Erden nicht ewig dauern werden, so leben doch die Meisten, als hätten sie, wie der Prophet sagt, mit dem Tod einen Bund und mit der Hölle einen Verstand gemacht. Sicher und sorglos gehen sie dahin, bereiten sich nicht auf die große wichtige Veränderung, die ihnen über kurz oder lang bevorsteht, vor, und gehen ihrem Tod wie dem gleichgültigsten Vorfall ihres Lebens ruhig entgegen.

    Sagt, woher diese Gleichgültigkeit? Warum sorgt man so eifrig für sein ungewisses Leben, und so wenig oder gar nicht für seinen gewissen Tod? Die Ursache hiervor liegt darin: Man überlegt nie ernstlich, was in den Worten liegt: „Mensch, du musst sterben.“ Wer diese Worte recht überlegt, der wird gewiss ernstlich fragen: „Was muss ich tun, dass ich gerettet werde?“

    Denn was heißt das: „Mensch, du musst sterben“? – Das heißt: Mensch, jetzt hängst du vielleicht dein Herz an die Welt und suchst in ihren Gütern oder Freuden deine Lust, deinen Himmel auf Erden; aber es kommt eine Stunde, da musst du die Welt auf ewig verlassen, und du hast dann nichts als die Güter, die du für die Ewigkeit gesammelt, oder die Sündenschulden, die du auf den Tag der Rechenschaft aufgehäuft hast. Jetzt hast du vielleicht ohne all dein Verdienst ein besseres irdisches Los als viele deiner Brüder, du bist vielleicht zu Reichtum oder zu Ehre unter den Menschen, aber es kommt eine Stunde, da wird der Unterschied, der bisher zwischen dir und einem Bettler stattfand, aufhören; da wirst du, und wärst du noch so reich und angesehen, ja, ein König in dieser Welt gewesen, dem Geringsten in dieser Welt plötzlich gleich sein, was du gesammelt  hast mit großer Mühe, wird aufhören, dein zu sein, andere werden es in Besitz nehmen, und so nackt und bloß, wie du in die Welt gekommen bist, wirst du wieder hinausgehen, hinaus in die unbekannte Ewigkeit, wo nur die mit Freuden ernten werden, die hier mit Tränen säten, und wo nur die eingehen werden zum ewigen Leben, die da Gutes taten und danach trachteten in guten Werken. Jetzt schmückst du vielleicht deinen armen Leib und gehst stolz und eitel daher nach der Welt Weise; aber es kommt eine Stunde, da werden dir deine schönen Kleider ausgezogen und ein Sterbekittel dir angetan werden, da wird dein jetzt vielleicht blühender Leib in Verwesung übergehen, ein unerträglicher Pestgeruch wird von ich mausgehen und selbst deine Lieben werden eilen, deinen zur faulenden Leiche entstellten Leib in die Erde zu verscharren. Aber noch mehr! Jetzt wirst du von Menschen nach dem guten Schein beurteilt, den du um dich verbreitest, und du weichst vielleicht selbst der Gelegenheit aus, dich selbst ernstlich zu prüfen und dein Inneres kennen zu lernen; aber es kommt eine Stunde, da musst du vor Gott erscheinen, der Augen hat wie Feuerflammen, der Herz und Nieren prüft und erforscht; der wird nicht nur alle deine Werke an das Licht bringen, sondern selbst den geheimen Rat deines Herzens offenbaren, und du wirst gewogen werden auf der Waage einer Gerechtigkeit und Heiligkeit, die kein Schein betrügen und kein noch so hartnäckiges Leugnen täuschen kann. Jetzt, endlich, stehst du noch in der Zeit der Gnade, jetzt hast du noch die Wahl, ob du den Weg des Lebens und des Heils oder den Weg des Todes und Verderbens gehen willst; aber es kommt eine Stunde, da wird deine Gnadenzeit abgelaufen sein, da wird sich dein Schicksal auf alle Ewigkeit hinaus entschieden haben, da wird keine Buße, keine Umkehr mehr möglich sein, da wird kein Bitten, kein Flehen und kein Weinen mehr helfen; bestehst du in dieser Stunde nicht vor Gott, so wirst du hinausgeworfen werden in die äußerste Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähneklappen. Seht, das heißt das Wort: „Mensch, du musst sterben!“

    Wie? Bedürfen wir also für diese Stunde nicht der Gewissheit, dass wir bei Gott in Gnaden stehen? Muss es nicht schrecklich sein, von seiner Todesstunde übereilt zu werden und nicht zu wisssen, wie man mit Gott dran sei? Was gibt nun den rechten Trost in dieser unserer letzten Not?

 

Lukas 7,11-17: Und es begab sich danach, dass er in eine Stadt mit Namen Nain ging; und seiner Jünger gingen viele mit ihm und viel Volk. Als er aber nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten heraus, der ein einziger Sohn war seiner Mutter, und sie war eine Witwe. Und viel Volk aus der Stadt ging mit ihr. Und da sie der HERR sah, jammerte sie ihn und sprach zu ihr: Weine nicht! Und trat hinzu und rührte den Sarg an. Und die Träger standen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, stehe auf! Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden. Und er gab ihn seiner Mutter. Und es kam sie alle eine Furcht an und priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk heimgesucht. Und diese Rede von ihm erscholl in das ganze jüdische Land und in alle umliegenden Länder.

 

    Hier sehen wir, wie sich Christus einst als einen Herrn auch des Todes bewies, indem er einen jungen Mann, dessen Leichnam bereits nach seinem Grab getragen wurde, allmächtig aus dem Tod in das Leben zurückrief. Diese Tatsache ist für uns ein Unterpfand, dass Christus auch uns aus Todesnöten retten kann und will. Ich stelle euch daher jetzt vor:

 

Der rechte Trost im Sterben

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Welchen Trost jeder Mensch im Sterben braucht,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass dieser Trost nicht in unseren Werken und in unserer Frömmigkeit zu finden ist, und

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass man diesen Trost allein Christus findet, wenn man sich auf ihn verlässt von ganzem Herzen.

 

    Gott! Wir sind Sünder, und darum Kinder des Todes, denn der Tod ist der Sünden Lohn; aber obwohl du nach deiner Gerechtigkeit uns einst alle zum Tode verurteilen musstest, so willst du doch nicht den Tod des Sünders, darum hast du uns eine ewige Hilfe von Tod und Hölle bereitet. O, so hilf denn, dass, wenn einst auch unsere letzte Stunde gekommen sein wird, unsere Seele nicht trostlos zage. Verlasse uns nicht, HERR, in jener Stunde, da alle Kreaturen uns verlassen werden, und wenn nichts Irdisches uns mehr trösten kann, so bleibe du doch unser Trost. Reiß uns heraus aus aller Angst und Pein und geleite unsere Seele aus dem Kerker dieser Welt in das Paradies deiner ewigen Freuden. Erhöre uns um der Marter, Angst und Todespein willen, die dein lieber Sohn am Stamm des Kreuzes getragen hat. Amen.

 

1.

    So lange, meine Lieben, ein Mensch nur darauf denkt, hier in der Zeit glücklich zu sein, so lange kann ihn auch ein bloß zeitlicher Trost recht wohl befriedigen. Da gereicht es ihm zu großem Trost, wenn er sich mit zeitlichen Gütern wohl versorgt sieht, oder wenn er sich doch in einer solchen Lage befindet, in welcher er die Aussicht hat, dass es ihm am Zeitlichen nie fehlen werde. So lange ein Mensch an den ihm bevorstehenden Tod nicht denkt, da dient es ihm zu großer Beruhigung, reiche und angesehene Verwandte, Freunde und Gönner zu haben und von denen, unter welchen er lebt, hoch geachtet und geehrt zu sein. Und will er ein Christ sein, so ist es ihm dann genug, wenn nur andere ihn für einen Christen halten. Das Mittel aber, welches die meisten Menschen gebrauchen, um sich hierbei aller beunruhigenden Gedanken an den Tod zu entschlagen, ist der Vorsatz, sich später noch zu Gott zu bekehren.

    So vergänglich und zerbrechlich nun dieser Trost ist, so wohl befinden sich doch dabei die meisten Menschen in der Welt; und es ist wahr: Gäbe es keinen Tod, so würde er für die meisten Menschen hinreichend sein. Aber der Mensch muss sterben. Dieses Leben ist nur eine Saatzeit, in welcher wir das aussäen, was wir einst ernten werden. Dieses Leben ist nur eine Vorbereitungsschule, in welcher wir das lernen sollen, was uns zum Eingang in ein ewig seliges Leben nötig ist. Dieses Leben ist ein Lauf nach dem Kleinod, das uns im Himmel aufbehalten ist, ein Kampf um die Siegerkrone, die uns in jener Welt beigelegt ist.

    Wird es daher einst mit uns zum Sterben kommen, so wird uns der zeitliche Trost, der uns vielleicht im Leben völlig beruhigt hatte, nichts mehr helfen. Da werden keinem irdisch gesinnten Reichen seine Häuser, seine Äcker und sein Gold und Silber Trost geben; da werden vielmehr alle diese irdischen Güter vor sein Sterbelager als seine Ankläger treten. Da wird es in dem Gewissen heißen: Wie wirst du vor Gott bestehen? Wie elend bist du nun, da du über dem Sammeln deiner zeitlichen Güter die Sorge für deine unsterbliche Seele vergessen oder doch hintan gesetzt hast? Da ist’s auch mit der Hilfe der menschlichen Verwandten, freunde und Gönner zu Ende. Da wird auch das einen Sterbenden mit mehr beruhigen, dass ihn andere für einen Christen gehalten haben und vielleicht noch halten. Da wird es auch nicht mehr in dem Herzen heißen: Mache dir keine Unruhe wegen der Ewigkeit, du kannst dich allezeit noch bekehren. Nein, im Tod braucht dann der Mensch einen anderen Trost, soll er nicht verzagen oder doch durch den Tod in eine unselige Ewigkeit eingehen.

    Und welches ist der Trost, den wir dann brauchen? Es ist kein anderer als dieser: Im Tod müssen wir vor allem wissen, ob uns unsere Sünden vergeben sind, ob keine, auch nicht eine, unserer Sünden noch in Gottes Schuldbuch angeschrieben ist, ob sie uns bei Gott nicht mehr anklagen, ob wir mit Gott völlig ausgesöhnt sind, ob er nicht mehr mit uns zürnt, ob er unser Vater ist und uns daher in Gnaden für seine lieben Kinder ansieht. Im Tod müssen wir wissen, ob wir auch in dem strengen Gericht, das nach dem Tod mit einem jeden gehalten werden wird, bestehen, ob wir dann nicht werden verstummen und von Gott verurteilt werden müssen, sondern einen gnädigen Richterspruch hören werden. Im Tod müssen wir wissen, ob wir nun nicht ewig sterben, sondern durch den Tod zum ewigen Leben eingehen werden, und ob auch am Jüngsten Tag unser armer Leib nicht in Schmach, sondern in Herrlichkeit wieder werde auferweckt werden. Kurz, im Tod müssen wir wissen, ob die Hölle für uns verschlossen und der Himmel für uns aufgetan sei, und ob wir wirklich zu den Auserwählten gehören, die das Reich ererben werden, das ihnen bereitet wurde von Anbeginn der Welt.

    Ach, es ist ja schon traurig genug, wer das in seinem Leben nicht weiß, aber über alles schrecklich ist es, ja, wer mag den Jammer dessen beschreiben, der nun im Sterben liegt, an den Pforten der Ewigkeit steht, es weiß, dass er wenig Augenblicken vor Gottes Richterstuhl steht, und doch nicht weiß, ob er nun in die ewige Freude oder in den ewigen Schmerz, in die ewige Ehre oder in die ewige Schande, in die ewige Gemeinschaft mit Gott oder in die ewige Trennung von ihm, in die ewige Seligkeit oder in die ewige Verdammnis, in den Himmel oder in die Hölle eingehen werde?

 

2.

    Doch, meine Lieben, hierin werdet ihr alle mit mir übereinstimmen; lasst mich daher euch nun zweitens zeigen, dass der Trost, den wir im Tod brauchen, nicht in unseren Werken und in unserer Frömmigkeit zu finden ist.

    Hätten, meine Lieben, alle diejenigen den rechten Trost, welche in ihrer Sterbestunde ruhig und getrost sind, dann möchte man allerdings glauben, dass der rechte Trost in unseren eigenen Werken zu finden sei. Denn obwohl viele, die in ihrem Leben auf ihre Frömmigkeit sich verlassen haben, endlich in ihren letzten Stunden wie aus einem Traum erwachen, nun mit Schrecken einsehen, dass sie vor dem allerheiligsten Gott nicht werden bestehen können, und daher unruhig und mit großer Herzensangst und Zagen erfüllt werden, so sind doch die Meisten, die im Leben sicher dahingegangen sind, auch in ihrem Tod ruhig und getrost. Entweder nämlich hoffen sie bis auf den letzten Augenblick, sie würden jetzt noch nicht sterben und wieder aufkommen, oder, wenn sie das nicht mehr hoffen können, so lassen sie doch keine Gedanken, dass sie verloren gehen könnten, in ihr von der leiblichen Angst des letzten Kampfes gefoltertes Herz. Die Verwandten und Freunde, die um einen solche Sterbenden sind, suchen auch gewöhnlich alles zu vermeiden, wodurch derselbe in Unruhe über seine Seligkeit gebracht werden könnte.

    Aber mögen auch noch so viele getrost und ruhig dahinsterben und sich damit trösten, sie hätte ja niemand etwas zu Leid getan, sie hätten sich so gut, wie es in ihren Kräften gestanden habe, von Jugend auf gehalten, sie seien ja nicht so große, keine offenbaren, groben Sünder, darum würden sie ja gewiss in den Himmel kommen: Wer sich damit tröstet, der hat den rechten Sterbenstrost noch nicht, und je ruhiger er einschläft, desto schrecklicher wird sein Erwachen in der Ewigkeit sein. Von dem reichen Mann wird uns nicht erzählt, dass er unter großer Angst gestorben sei; da er zu seinen Brüdern gern zurückkehren wollte, um ihnen Buße zu predigen, so müssen wir daraus schließen, dass er sanft und still eingeschlafen ist, sodass man allgemein glaubte, er habe ein schönes, seliges Ende genommen und sei in das Land einer ewigen Vergeltung ohne Qual und Pein hinübergeschlummert. Aber wie schrecklich war sein Erwachen in jener Welt! Kaum hatte sich seine Seele vom Leib getrennt, so lag sie auch in den Flammen der Hölle, und während man vielleicht an seinem Grab von seinem schönen, erbaulichen Ende redete und Lobreden auf seine Tugend hielt, war er selbst in der Hölle und in der Qual. Ach, wie oft mag das noch jetzt geschehen!

    Lasst euch darum nicht betören, meine Lieben, zu glauben, dass ein Mensch in seinen eigenen werken den rechten Trost in seinem Tod finden könne. Gesetzt, ein Mensch hätte alles getan, was er zu tun schuldig war, so spricht Christus, er müsse selbst dann sagen, er sei ein unnützer Knecht gewesen, der keine Belohnung dafür fordern und hoffen könne, denn er habe dann doch eben nur getan, was er zu tun schuldig war. Aber wo gibt es einen Menschen, der nur sagen kann, er habe seine Schuldigkeit vor Gott erfüllt? Muss nicht jeder bekennen: „Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den wir an Gott haben sollten“? Muss nicht jeder mit David besonders sagen: „HERR, gedenke nicht der Sünden meiner Jugend noch aller meiner Übertretung“? Muss nicht jeder gestehen, dass sein Gewissen gar manche Wunde habe, die er sich mit dieser und jener Sünde schlug? Trägt nicht jeder die heimlichen Vorwürfe in seinem Herzen mit sich herum: Siehe, das und das hast du getan? Menschen wissen es wohl nicht, aber Gott, der alles sieht und hört, weiß es wohl, er wird’s richten; wie wirst du bestehen?

    Und, meine Lieben, hier rede ich nur von der Sündenerkenntnis, die jeder Mensch hat, auch der sich nicht ernstlich nach Gottes Wort prüft. Wer aber das tut, vor dem Heiligen Geist noch sein Herz auftut, dass er ihm sein Herz recht aufdecken kann, der wird nicht nur diese und jene Befleckung von Sünden an sich wahrnehmen, der wird noch ganz anders reden und bald sagen: Ach, ich bin ein Sünder vom Scheitel bis zur Fußsohle; das Dichten und Trachten meines Herzens ist böse gewesen von Jugend auf; meiner Sünden sind mehr, als der Haare auf meinem Haupt und des Sandes am Meer; und wo Gottes Gnade ja etwas Gutes durch mich ausgerichtet hat, da ist es doch immer nicht rein, sondern ich habe es mit manchem Bösen, das Gott wohl an mir sah, befleckt.

    Muss aber jeder Mensch so von sich sagen, wenn er sich nur einigermaßen selbst kennen gelernt hat, so frage ich euch: Wie können also unsere eigenen Werke und unsere eigene Frömmigkeit der rechte Trost im Tod sein? Wie kann man sich seiner Werke vor Gott trösten, da jedes, auch das Beste, mit Sünden befleckt ist, und da noch außerdem unzählige Sünden uns vor Gott verwerflich und verdammlich machen? Wer sich im Tod auf seine Werke, auf seine Frömmigkeit, auf sein tugendhaftes Leben, auf sein Christentum, auf sein Kirchen- und Abendmahlgehen, auf sein Beten und Singen und dergleichen verlässt, der handelt ebenso töricht, als wollte er sich eine Brücke von Stroh über einen Feuerstrom bauen. Eher wird ein Mensch auf einem Brett über das brausende Weltmeer schiffen und die Ufer des jenseitigen Festlandes glücklich erreichen, als dass ein Mensch mit seinen guten Werken über den Abgrund des Todes kommen und glücklich das Ufer jener seligen Welt erreichen sollte.

 

3.

    So entsteht nun die dritte und letzte Frage: Welches ist also der einzige wahre Grund des Trostes im Sterben? Dies zeigt uns unser Evangelium. Da sehen wir, wie auf Christi Wort und Willen Tod und Hölle still stehen; wie er nicht nur den Trauernden zuruft: „Weine nicht“, sondern ihre Tränen wirklich trocknet, indem er ihren Toten erweckt und dem Grab seine Beute nimmt. Es ist also kein anderer als Jesus Christus, auf den wir uns von ganzem Herzen verlassen müssen.

    Es gibt, meine Lieben, viele, welche zwar so viel einsehen, dass kein Mensch durch seine guten Werke sich den Himmel verdienen und mit denselben im Tod sich wahrhaft trösten könne, die aber dennoch ihren eigenen Trost nicht auf Jesus Christus setzen; sie bauen nämlich auf die Liebe Gottes und hoffen, da Gott aller Menschen Vater sei, so sei er auch ihr Vater, und er werde daher gewiss nicht nach aller Strenge mit ihnen handeln, sondern aus Gnade und Liebe sie selig machen. Solche scheinen nun freilich einen guten Grund des Trostes zu haben. Denn welchen besseren Grund kann es geben als Gott und seine ewige Liebe?

    Aber, meine Lieben, es scheint nur so. Denn wohl ist Gott voll Liebe, nach welcher er alle Sünder selig machen will, aber ist er nicht auch gerecht? Ist er nicht auch heilig? Vermöge seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit aber muss er die Sünder strafen und nach seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit hat Gott den Sündern schon im Paradies den Tod gedroht; wer sich daher allein an Gott den Vater mit seinen Sünden wenden will und dabei an dem Sohn vorübergeht, der muss unrettbar den ewigen Tod sterben.

    Aber, werdet ihr sagen, muss dann nicht alle Welt verloren sein, wenn Gottes Liebe selbst sie nicht retten kann? Ich antworte: Nein. Eben darum ist Gottes Sohn den Tod der Sünder gestorben, damit der Sünder leben könne. Eben darum hat Gottes Sohn die Todesstrafe, die Gott allen Sündern gedroht hatte, auf sich genommen und des Todes Kelch geleert und seine bitterste Bitterkeit in Gethsemane und Auf Golgatha geschmeckt, damit Gott denjenigen die Strafe schenken könne, die sich auf seines Sohnes Tod berufen und verlassen von ganzem Herzen. Außer Christus will und kann Gott keinem Menschen gnädig sein; wer aber mit Christus vor Gott kommt, mit dem kann und will Gott nicht zürnen; außer Christus muss Gott nach seiner strengen Gerechtigkeit handeln, da ist er ein verzehrendes Feuer, wer aber mit Christus sich ihm naht, der findet an Gott einen versöhnten Vater und einen überfließenden Brunnquell von Liebe, Gnade und Erbarmen. Außer Christus muss Gott alles an uns verwerfen und verdammen; kommen wir aber mit Christus vor ihn so gefallen wir ihm wohl mit unserem ganzen Leben, und was noch sündlich und befleckt an uns ist, deckt Gott um Christi Todes willen gnädig zu.

    Wollt ihr daher, geliebte Zuhörer, einst in eurer Todesnot einen wahren, festen, untrüglichen Trost haben, so müsst ihr lernen, euch von ganzem Herzen und allein auf Christus zu verlassen. Aber bedenkt wohl: allein und von ganzem Herzen. Viele sagen wohl: Ich verlasse mich auf Christus; aber sie nehmen Christus nur neben ihren Werken mit, neben ihrem Beten, neben ihrem Kirchengehen, kurz neben ihrem Christentum; sie glauben an Christus, nicht weil sie erfahren haben, dass sie gar nichts haben, sondern weil sie das Gewisse für das Ungewisse nehmen wollen. Denn wer mit einem Auge auf sein Christentum und mit anderen dem Auge auf Christus sieht, der will mit Christus die Ehre der Seligmachung teilen und verwirft Christus, indem er meint, an ihn zu glauben.

    Ja, sprichst du, wer kann sich hiernach einen solchen Glauben geben? Und wer kann jemals gewiss wissen, ob er in diesem Glauben stehe? Ich antworte: Du redest recht; kein Mensch ist im Stande, sich einen solche Glauben selbst zu geben, und keiner im Stande, von sich selbst zu wissen, ob er in dem rechten Glauben stehe. Er ist ein Geheimnis, das niemand lehren kann als Gott der Heilige Geist. Denn, spricht St. Paulus: „Niemand kann Jesus einen HERRN heißen außer durch den Heiligen Geist“; und Christus selbst spricht: „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit kommen wird, – derselbe wird mich verklären.“ Ganz wahr spricht daher auch Luther in seiner Vorrede zum Brief des Paulus an die Römer: „Bitte Gott, dass er den Glauben in dir wirke, sonst bleibst du wohl ewig ohne Glauben, du dichtest und tust, was du willst oder kannst.“

    O, so wollt euch daher nicht selbst helfen, meine Lieben, sondern bittet, bittet Gott, dass er den wahren Glauben, der sich allein und von ganzem Herzen auf Christus verlässt, in euch wirke; und gibt euch der Heilige Geist Zeugnis, dass er ihn in euch gewirkt habe, so bedenkt, dass dieser Glaube gar leicht wieder verloren werde. Bittet daher täglich wie die lieben Jünger: „HERR, stärke uns den Glauben“, das heißt, mache uns immer ärmer in uns selbst, immer ärmer am Geist, dass wir unseren Reichtum, unsere Gerechtigkeit, unseren Trost und unsere Seligkeit allein in Christus suchen. Werdet ihr das tun, so wird Gott das Licht eures Glaubens, und wenn es auch oft würde wie ein glimmendes Döchtlein, nie verlöschen lassen.

    Und, o selig ist, wer dann in seiner Todesstunde im lebendigen Glauben steht! Mag dann sein Herz Freudigkeit oder Zagen, Gnade oder Zorn, Leben oder Tod fühlen; er hält sich an das Wort, das da spricht: „Christus ist die Auferstehung und das Leben; wer an ihn glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.“ Mit dieser Leuchte in seinen Händen steigt der Gläubige getrost hinab in das finstere Todestal; denn, wird es auch um ihn immer finsterer und finsterer, umfangen ihn auch Schrecken der Hölle, brauchst auch hier eine Tiefe und da eine Tiefe, in der er zu versinken scheint: Es dauert nur wenige Augenblicke; nach kurzem Ringen und Kämpfen bricht er endlich hindurch durch die enge Pforte, und er geht ein zum ewigen Leben. Drum:

Halte aus!

Zion, halte deine Treu!

Lass dich ja nicht laue finden.

Auf! Das Kleinod rückt herbei,

Auf! Verlasse, was dahinten.

Zion, in dem letzten Kampf und Strauß

Halte aus!

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum 17. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 14,1-11: Die Sabbatfeier, die Gott auch von den Christen des Neuen Testaments fordert

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben, unserem teuren Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Zu den mancherlei Gesetzen, welche Gott einst durch Mose dem Volk Israel auferlegt hat, gehört unter anderem das Gesetz von den Sabbattagen und von den Sabbatjahren, welche dasselbe feiern sollte.

    Der Sabbattag war der siebte Tag in jeder Woche oder, wie wir ihn jetzt nennen, der Sonnabend. Davon spricht Gott im dritten Gebot: „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun; aber am siebten Tag ist der Sabbattag des HERRN, deines Gottes. Da sollst du kein Werk tun, noch dein Sohn, noch deine Tochter, noch dein Knecht, noch deine Magd, noch dein Vieh, noch dein Fremdling, der in deinen Toren ist.“ Aus anderen Stellen der Heiligen Schrift ersehen wir, dass die Israeliten am Sabbat daher auch keine Berufsreise unternehmen, keine Last tragen, kein Holz lesen, nicht backen, nicht kochen noch ein Feuer anzünden durften; und dies alles war ihnen so streng verboten, dass der des Todes sterben sollte, welcher am Sabbattag irgendein Werk oder eine Arbeit tun würde; daher, als einstmals ein Israelit in der Wüste am Sabbat Holz las, derselbe auf Gottes besonderen und ausdrücklichen Befehl zu Tode gesteinigt werden musste.

    Doch Gott hat den Israeliten nicht nur an einem jeden siebten Tag einen Sabbattag zu halten befohlen, sondern, wie wir aus dem dritten Buch Mose, im 25. Kapitel, ersehen, auch an einem jeden siebten Jahr ein ganzes Sabbatjahr zu feiern verordnet. Während jedes solchen Sabbatjahres musste, wie Mose dort schreibt, auch das Land seine große Feier dem HERRN feiern; der Israelit durfte daher in diesem Jahr weder säen, noch ernten, weder seinen Weinberg beschneiden, noch seine Trauben lesen; was in diesem Sabbatjahr von selbst, ohne Zutun und Arbeit der Israeliten wuchs, das konnte jedermann essen, mochte er nun Herr oder Knecht, Magd oder Tagelöhner, Hausgenosse, mochte er Israelit oder ein Fremdling sein.

    Doch außer diesem an jedem siebten Jahr zu feiernden Sabbatjahr mussten die Israeliten noch ein zweiten nach Verlauf von je siebenmal sieben Jahren, also an jedem fünfzigsten Jahr, halten. Dies war das große Hall- und Jobeljahr oder allgemeine Erlassjahr. Da durfte der Israelit nicht nur auch weder säen noch ernten, sondern da sollte auch jeder wieder zu seiner Habe kommen. Wer von einem Israeliten ein Feld gekauft hatte, der musste am Hall- und Jobeljahr es ihm wieder zurückgeben, und wer einen Israeliten sich zum Knecht gekauft hatte, der musste ihn in diesem Jahr wieder loslassen. Mit Anbruch dieses Jahres war der Schuldner und der Verkaufte mit einem Mal wieder frei und der Verarmte und aus dem Erbe seiner Väter Verdrängte kam plötzlich wieder zu dem Seinen.

    Diese den Israeliten gegebenen Gebote von der Feier von Sabbattagen und Sabbatjahren hatten, meine Lieben, einen vierfachen Zweck: 1. Sollte der Israelit diese schwere Last tragen, damit er dadurch zur Sehnsucht nach der Freiheit erweckt würde, welche der verheißene Messias bringen sollte; 2. Sollte dadurch allen Arbeitern, besonders den armen, eine Zeit leiblicher Ruhe verschafft und dem durch Unglück oder Unterdrückung um das Seine Gekommene wieder zu dem Seinen verholfen und so dem Geiz, der Habsucht und der Unterdrückung eine Grenze gesetzt werden; 3. Sollte dadurch das israelitische Volk daran erinnert werden, dass es berufen sei, ein heiliges Volk zu sein, dass seine Zeit und seine Güter dem HERRN zum Opfern darbringen müsse; und endlich 4. Sollten sowohl die Sabbattage wie die Sabbatjahre Nachbilder sein der Ruhe Gottes nach vollbrachtem Schöpfungswerk, und Vorbilder der Ruhe des Messias nach vollbrachtem Erlösungswerk, der Ruhe der Gläubigen des Neuen Bundes, und endlich der ewigen Ruhe aller Seligen im Himmel.

    Ihr seht hieraus: da das Gebot sowohl der bestimmten Sabbattage wie Sabbatjahre teils ein Zuchtgesetz für die Israeliten war, teils zu den Vorbildern des Alten Testaments gehörte, so sind wir Christen nun in der Zeit des Neuen Testaments davon frei. Zwar feiern wir Christen jetzt den ersten Tag der Woche, nämlich jeden Sonntag, aber nicht, weil Gott selbst den Sonntag dazu eingesetzt hätte, sondern als eine freie menschliche, jedoch gute kirchliche und christliche Ordnung, zum Gedenken der Auferstehung Jesu Christi, unseres Heilandes, von den Toten.

    Dass dem so sei, sehen wir deutlich aus mehreren klaren Stellen in den neutestamentlichen Schriften., Unter anderem schreibt Paulus an die Kolosser, im 2. Kapitel, im 16. und 17. Vers: „So lasst nun niemand euch Gewissen machen über Speise oder über Trank oder über bestimmten Feiertagen oder Neumonden oder Sabbaten; welches ist der Schatten von dem, was zukünftig war, aber der Körper selbst ist in Christus.“ Im 14. Kapitel seines Briefes an die Römer aber sagt derselbe Apostel, dass ein starkgläubiger Christ von rechter Erkenntnis „alle Tage gleich hält“, das heißt, er hält keinen Tag an sich für heiliger als den anderen, er hält daher jeden anderen Wochentag so heilig wie den Sonnabend und Sonntag.

    Ihr werdet jedoch sagen: Hat denn Gott nicht das dritte Gebot gegeben: „Du sollst den Feiertag heiligen“? Ist also der Christ nicht noch immer auch im Neuen Testament verbunden, auch dieses Gebot zu halten? Ich antworte: Allerdings; ja, wehe dem, welcher ein Christ sein und doch den Sabbat nicht halten will! Dies bedarf jedoch einer näheren Erklärung.

 

Lukas 14,1-11: Und es begab sich, dass er kam in ein Haus eines Obersten der Pharisäer auf einen Sabbat, das Brot zu essen. Und sie hielten auf ihn. Und siehe, da war ein Mensch vor ihm der war wassersüchtig. Und Jesus antwortete und sagte zu den Schriftgelehrten und Pharisäern und sprach: Ist’s auch recht, auf den Sabbat heilen? Sie aber schwiegen still. Und er griff ihn an und heilte ihn und ließ ihn gehen. Und antwortete und sprach zu ihnen: Welcher ist unter euch, dem sein Ochse oder Esel in den Brunnen fällt, und er nicht sogleich ihn herauszieht am Sabbattag? Und sie konnten ihm darauf nicht wieder Antwort geben. Er sagte aber ein Gleichnis zu den Gästen, da, er merkte, wie sie erwählten, obenan zu sitzen, und sprach zu ihnen: Wenn du von jemand geladen wirst zur Hochzeit, so setze dich nicht obenan, dass nicht etwa ein Ehrlicherer als du von ihm geladen sei, und so dann kommt, der dich und ihn geladen hat, spreche zu dir: Weiche diesem! und du müssest dann mit Scham untenan sitzen. Sondern wenn du geladen wirst, so gehe hin und setze dich untenan, damit, wenn da kommt, der dich geladen hat, spreche zu dir: Freund, rücke hinauf! Dann wirst du Ehre haben vor denen, die mit dir zu Tisch sitzen. Denn wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden.

 

    In diesem Evangelium hören wir, wie die Pharisäer einst auf Christus wegen der Sabbatfeier hielten, und wie Christus ihnen diese bei dieser Gelegenheit auslegte. Lasst mich euch daher jetzt vorstellen:

 

Die Sabbatfeier, welche Gott auch von den Christen des Neuen Testaments fordert

 

    Wie sie nämlich

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Nicht sowohl eine äußerliche, als vielmehr eine innerliche, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Nicht eine an einen bestimmten Tag gebundene, sondern eine tagtägliche sei.

 

1.

    Lesen wir, meine Lieben, die Geschichte des israelitischen Volkes, wie uns dieselbe in den göttlichen Schriften des Alten Testaments erzählt wird, so finden wir, dass zu allen Zeiten die meisten Israeliten der Meinung gewesen sind, wenn sie die ihnen gebotenen äußerlichen Werke pünktlich verrichteten, so hätten sie damit alles getan, was Gott von ihnen fordere. Gott hatte ihnen nämlich die Gebote gegeben, sich beschneiden zu lassen, gewisse äußerliche Reinigungen zu beobachten, gewisse Opfer darzubringen und am Sabbat sich aller Werke des täglichen irdischen Berufs zu enthalten. Taten sie dies nun, so meinten die Meisten, damit Gott genuggetan zu haben und ihm schon damit wohlzugefallen. Dies war jedoch ein arger Wahn, den die Propheten aller Zeiten ebenso oft wie ernstlich gerügt und gestraft haben. Sie zeigten nämlich dem Volk, dass Gott vor allem das Innerliche, das Herz, den Glauben und die Liebe, ansehe; ohne dies wollte er daher von keinem äußerlichen Werk etwas wissen. So ruft z.B. der Prophet Jeremia den bereit s äußerlich beschnittenen Juden im vierten Kapitel seiner Weissagungen zu: „Beschneidet euch dem HERRN und tut weg die Vorhaut eures Herzens, damit nicht mein Grim ausfahre wie Feuer“; und“ Wasche, Jerusalem, dein Herz von der Bosheit, damit dir geholfen werde.“ Ferner schreibt Jesaja im ersten Kapitel: „Was soll mir die Menge eurer Opfer? Spricht der HERR. Wer fordert solches von euren Händen? Wascht, reinigt euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen, lasst ab vom Bösen, lernt, Gutes tun.“ Daher spricht auch Samuel zu Saul: „Gehorsam ist besser als Opfer“, und der Prophet Hosea, kap. 6, im Namen des HERRN: „Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer; und an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer.“ Dies wusste David wohl, daher spricht er in seinem Bußgebet: „Du hast nicht Lust zum Opfer, ich wollte dir es sonst wohl geben; und Brandopfer gefallen dir nicht. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängstigter Geist.“ Ebenso straften aber die Propheten auch das israelische Volk, wenn es meinte, dass es seine Sabbate und Feste durch bloßes äußerliches Ruhen von aller Arbeit gottgefällig halte. So ruft daher unter anderem der Prophet Amos im Namen des HERRN dem Volk zu im fünften Kapitel: „Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie, und mag nicht riechen in eure Versammlung. Tu nur weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Psalterspiel nicht hören.“ Ja, im Propheten Maleachi, im zweiten Kapitel, nennt der HERR alle äußerliche Feier des Sabbats und der Feste ohne Herzensreinigkeit Kot und spricht: „Ich will den Kot eurer Feiertage euch in das Angesicht werfen.“

    Von solcher Gesinnung waren den auch die Pharisäer, von welchen in unserem heutigen Evangelium erzählt wird. Diese waren so genau und streng darin, am Sabbat nicht das Geringste zu tun, was nicht zum äußerlichen Gottesdienst gehörte, dass sie selbst über das Gesetz Moses hinausgingen und es vor dem Volk für eine höchste verbrecherische Sabbatschändung erklärten, dass Christus am Sabbat Gutes tat. Als daher Christus nach unserem Text einst an einem Sabbat auf die Einladung eines Obersten der Pharisäer zu einem Gastmahl in dessen Haus kam, da, heißt es, „hielten sie auf ihn“. Um nämlich Christus nach ihrer Meinung in Versuchung zu führen, hatten sie einen Wassersüchtigen herbeigeschafft. Aber was tut Christus? Er legt sogleich den Pharisäern die Frage vor: „Ist’s auch recht, auf den Sabbat heilen?“ Keiner wagte, hierauf zu antworten; keiner getraut sich nämlich zu beweisen, dass es unrecht sei, am Sabbat einen Kranken gesund zu machen; keiner will aber auch es zugestehen, dass es recht ist. Da nun alles schweigt, greift Christus den Wassersüchtigen an, heilt ihn, lässt ihn gehen und tut noch die Frage an die heuchlerischen Leute: „Welcher ist unter euch, dem sein Ochse oder Esel in den Brunnen fällt, und er nicht sogleich in herauszieht am Sabbattag?“ Geschlagen in ihrem Gewissen, beobachtet die gegenwärtige Gesellschaft nun auch auf diese Frage ein tiefes Stillschweigen; ihr Gewissen sagt es ihnen, dass Christus aus der Wahrheit ist und dass hingegen ihre äußerliche Strange in der Sabbatfeier nichts als Heuchelei ist.

    Aber Christus lässt es auch hierbei nicht bewenden. Als nämlich hierauf die sonst so fromm sich anstellenden Gäste „erwählten, obenan zu sitzen“, straft er diesen ihren lächerlichen Stolz öffentlich und zeigt ihnen, dass nur ein von Herzen Demütiger Gott gefalle, dass daher alle äußerliche Strenge in der Sabbatfeier Gott nur ein Greuel ist, wenn hierzu nicht der rechte innere Sabbat, nämlich das Ruhen von allen sündlichen Begierden und Neigungen des Herzens, das Ruhen von Ehrsucht, Vergügungssucht und Habsucht hinzukomme.

    Ihr seht hieraus, meine Lieben: Einen solchen geistlichen Sinn hatte also das Sabbatgesetz schon in der Zeit des Alten Testaments. Hat es aber schon im Alten Bund einen solchen geistlichen Sinn gehabt, so hat es denselben nun in der Zeit des Neuen Bundes noch viel mehr.

    Es ist zwar gewiss, obgleich ein Christ weiß, dass Gott den Sonntag nicht eingesetzt und das Arbeiten an diesem Tag nicht verboten hat, dass dies vielmehr nur eine menschliche kirchliche Ordnung ist, so wird doch jeder Christ seinen Sonntag streng feiern: Er wird den Gottesdienst besuchen und an diesem Tag auch zu Hause und bei guten Freunden sich viel im Gottes Wort und göttlichen Dingen beschäftigen. Das ist das Kernstück. Einige aber meinen, sie müssten dem Alten Testament nacheifern und sagen, ein Christ dürfe am Sonntag, auch nach dem Gottesdienst, nimmermehr seinem täglichen irdischen Beruf nachgehen; er müsse sich sorgfältig aller Werke, welche nicht Not- und Liebeswerke sind, enthalten; er dürfe am Tag des HERRN keine Vergnügungsreise machen, viel weniger öffentliche Vergnügungsorte besuchen.[28] Allein, mag ein Mensch den Sonntag noch so streng mit äußerlicher Ruhe von aller Arbeit feiern, so ist das doch noch keineswegs die Sabbatfeier, welche Gott auch von den Christen fordert. Ja, es kann ein Mensch vielleicht nie an einem Sonn- oder Feiertag gearbeitet, vielleicht nie an diesem Tag an einem weltlichen Vergnügen teilgenommen, hingegen jedem Gottesdienst und jeder Betstunde pünktlich beigewohnt haben, und er kann bei alle dem doch noch nie den neutestamentlichen Sabbat gefeiert haben.

    Die wahre, eigentliche Beschaffung des neutestamentlichen Sabbats drückt Luther in seinem Lied „Dies sind die heilgen zehn Gebot“, kurz, klar und wahr mit den Worten aus: „Du sollst von dein’m Tun lassen ab, dass Gott sein Werk in dir hab.“ Von Natur sind nämlich alle Menschen gleich einem Schiff, das auf dem Meer dieses irdischen Lebens bald von diesem, bald von jenem Sturm sündlicher Triebe und Leidenschaften unstetig umhergetrieben wird. Von Natur irrt der Mensch in dieser Welt umher, sucht Frieden und findet ihn nicht. Es ist bei ihm ein ewiges Ankern nach einem verlorenen Ruhepunkt, den er nimmer trifft. Der Eine trachtet deswegen nach Reichtum, der andere nach Vergnügen, einer dritter nach Ehre, aber auch dieses ihr Ziel erreichen die Wenigsten, und wenn sie dasselbe erreichen, so finden sie doch dabei die Ruhe und den Frieden des Herzens nicht, den sie davon hofften; denn wahre Ruhe und wahren Frieden findet der Mensch nur, wenn er wieder in Gott und Gott wieder in ihm ruht.

    Seht hieraus, meine Lieben, der Mensch allein feiert endlich den neutestamentlichen Sabbat, welcher nach vergeblichem Ringen und Jagen nach dem Glück in der Welt endlich ruht von seinen Sorgen, ruht von seinem Trachten nach Reichwerden, ruht von seinem Laufen nach sinnlichen Vergnügungen, ruht von seinem Streben nach Ehre, kurz, ruht von seinen sündlichen Leidenschaften und in Gott, in seiner Gnade und Gemeinschaft die Befriedigung aller seine Wünsche findet. Er ruft mit jenem gottseligen Dichter aus:

Ich habe gnug!

Ich lieg an Jesu Brust

Und Gottes Vaterherz,

Was will ich mehr?

Das gibet mir nur Lust,

Durchsüßet meinen Schmerz.

Den Vorschmack hab ich schon auf Erden,

Was will in jener Welt noch werden? –

Ich habe gnug!

    Hiernach müsst ihr euch prüfen, wenn ihr wissen wollt, ob ihr schon angefangen habt, den rechten christlichen Sabbat zu halten; ob ihr auch sagen könnt, recht von Herzensgrund: „Ich habe gnug.“ Ob ihr nämlich das Glück nicht mehr sucht in menschlicher Ehre, wie die Pharisäer, oder in irdischen Gütern, in weltlicher Lust, sondern ob ihr, wen euch auch alles Irdische genommen würde, sagen könnt: Das Beste habe ich doch nicht verloren, ja, ich habe nichts verloren, denn ich habe noch Gott und ruhe in seinen Armen.

    Zu einem solchen innerlichen Sabbat muss jeder Mensch schon hier kommen, sonst kommt er nicht zur ewigen Ruhe; zu jenem Sabbat kommt aber der Mensch allein durch wahre Buße. Der Mensch muss nämlich erst einmal zu rechter Unruhe über seine Sünden kommen, und zwar zu einer solchen Unruhe, in welcher der Mensch nicht ruht, bis er sagen kann:

Ich habe nun den Grund gefunden,

Der meinen Anker ewig hält.

Wo anders als in Jesu Wunden?

Da lag er vor der Zeit der Welt.

Der Grund, der unbeweglich steht,

Wenn Erd und Himmel untergeht.

 

2.

    Doch, meine Teuren, die Sabbatfeier, welche Gott auch von den Christen des Neuen Testaments fordert, ist nicht nur eine nicht sowohl äußerliche, als vielmehr innerliche, sondern auch zweitens nicht eine an einen bestimmten Tag gebundene, sondern eine tagtägliche.

    Über keine Lehre hat man seit länger als 200 Jahren selbst mitten in der lutherischen Kirche so falsche Ansichten gehabt, wie über die Lehre vom Sabbat. Die Meisten haben nämlich geglaubt, wie Gott für das Alte Testament den Sonnabend eingesetzt habe, so habe er nun für das Neue Testament den Sonntag festgesetzt. Daher gibt es denn viele, welche, wenn sie an jedem Sonntag nicht arbeiten und womöglich zweimal in die Kirche und zuweilen zur Beichte und zum heiligen Abendmahl gehen, meinen, dass sie damit alle ihre Christenpflichten erfüllt hätte, obgleich sie sonst an den Wochentagen fast nur noch dem Irdischen trachten, keine tägliche Hausandacht mit den Ihren halten, ja, sogar weder morgens noch abends, weder vor noch nach Tisch beten. Solche meinen, sechs Tage hätten sie dazu, sie der Welt und ihrem Fleisch zu opfern, und Gott wolle dann gern zufrieden sein, wenn man ihm den siebten Tag opfere. Sechs Tage in der Woche wollen sie Nichtchristen sein, und sonntags Christen.

    Es gibt jedoch andere, die es wohl wissen, dass der Sabbat des Alten Bundes aufgehoben und der Sonntag nicht von Gott, sondern von der Kirche eingesetzt ist, die aber nun meinen, sie brauchten gar keinen, auch den Sonntag nicht, zu feiern. Diese sind freilich ärger als jene. Denn während jene wenigstens gesetzliche Sonntagschristen sind, so sind hingegen diese gesetzlose Siebentagsnichtchristen.

    Beide verstehen Gottes Wort falsch nach ihres blinden, bösen Herzens Sinn und Neigung.

    Es ist ja freilich wahr, dass Gott den Sonntag nicht, wie einst den Sonnabend, eingesetzt hat; daher ist denn der Gottesdienst aller derer verloren, welche in ihre strenge Sonntagsfeier ihre Gerechtigkeit vor Gott setzen. Allein, wir dürfen nicht meinen, dass ein Christ darum Gott an keinem Tag mehr Sabbat zu halten schuldig sei. Das sei ferne! Schon Jesaja weissagt in dem letzten Kapitel seiner Weissagungen, dass in der Zeit des Neuen Bundes vielmehr fort und fort „ein Sabbat nach dem anderen“, das also bei den Christen alle Tage Sabbat sein werde. Dies bestätigt St. Paulus, indem er denen, welche nach jüdischer Weise auf besondere Tage hielten, zuruft: „Unser keiner lebt sich selber, unser keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem HERRN, sterben wir, so sterben wir dem HERRN. Darum, wir leben oder wir sterben, so sind wir des HERRN.“

    Ihr seht also: Unsere ganze Zeit soll des HERRN sein; will daher ein Mensch ein Christ sein, so muss er täglich Sabbat halten; sein ganzes Leben nämlich und alle seine Werke müssen ein Gottesdienst werden, das heißt, er muss alles im Namen des HERRN und zu seiner Ehre, im Glauben und in der Liebe tun.

    Wer nun aber das tut, der wird freilich mit Freuden den von der Kirche eingesetzten Sonntag halten; er wird frei und ohne Zwang sich aller irdischen Sorgen und Geschäfte am Sonntag entschlagen [wenn sie nicht durch äußere Umstände nötig sind], Gottes Wort in dem Haus des HERRN zu hören, nie aus fleischlichen Absichten versäumen und sodann auch den Tag über vor allem mit göttlichen Dingen sich beschäftigen [, aber nicht als Vorschrift]. Aber damit wird ein wahrer Christ sich nicht zufrieden stellen. Sein eigenes Haus wird er zu einer Kirche machen, in welcher er täglich mit den Seinen Gott dient. Er wird nicht nur des morgens und abends mit Gebet vor Gott treten, nicht nur nie ohne Gebet sich zu Tisch setzen und von seiner Mahlzeit aufstehen; er wird auch Gottes Wort für sich und mit den Seinen so oft treiben, wie er sich nur dazu von seinen irdischen Geschäften losreißen kann. Auf dem Altar seines Herzens aber wird Tag und Nacht die Flamme des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung brennen, und das sein herzlichster Wunsch sein, Gottes Eigentum zu sein und zu bleiben nach Leib und Seele in Zeit und Ewigkeit.

    Wenn ihr euch nun hiernach prüft, liebe Zuhörer, was findet ihr da? Sind etwa auch unter uns solche Sonntagschristen, die Gott den siebten Tag geben, aber die sechs Wochentage der Welt und ihrem Fleisch opfern wollen? Sind ferner vielleicht selbst solche unter uns, die die christliche Freiheit so verstehen, dass sie nun außer den Wochentagen auch den Sonntag ihrem Fleisch opfern können? Wo sind aber die, die täglich Sabbat halten? Deren Haus ein Tempel, deren Kammer eine Betkapelle, deren Leben ein steter Gottesdienst, deren Familie eine Hausgemeinde und deren Herzen ein Altar ist voll glühender, nie verlöschender Kohlen der Andacht, des Glaubens und der Liebe?

    O meine Lieben, täuscht euch nicht! Eben darum ist Christus in die Welt gekommen, um uns in diese unruhevolle, friedlose Welt den innerlichen steten Sabbat der Seelen zu bringen, dass wir in Gott ruhen und Gott in uns ruhe. Nur wenn wir das in uns wirken lassen und bewahren, so sind wir wahre Christen. Wohl uns aber dann! Denn ob wir auch hier noch nicht zur vollkommenen Ruhe eingegangen sind, ob auch hier noch oft unser Seelenfriede durch die Überbleibsel unserer Sünde und unseres Unglaubens, durch der Welt Lockungen und Drohungen, durch äußerliche Trübsale und innerliche Anfechtungen gestört wird, die Schrift ruft uns ja zu: „Es ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volk Gottes“, nämlich im Himmel; die wird vollkommen und ungestört sein.

    Mit dieser tröste dich, du müder kämpfender Christ., Arbeite und kämpfe nur getrost fort, in Kurzem wirst du Feierabend bekommen; bald werden die beschwerlichen Werktage dieses irdischen Lebens zu Ende sein; mit deinem Tod wird, wenn du nur bis dahin treu bleibst, der ewige Sabbat anbrechen in dem Tempel des Himmels. Da wirst du nicht mehr des Tages Last und Hitze tragen müssen; da wirst du dein Brot nicht mehr im Schweiß deines Angesichts essen müssen; denn „selig sind die Toten, die in dem HERRN sterben; ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von aller ihrer Arbeit und ihre Werke folgen ihnen nach“.

    Dein Leib zwar wird eine kurze Zeit im Grab liegen und vermodern, aber einst am Jüngsten Tag wirst du ihn herrlich verklärt wieder bekommen und ihn anziehen als ein schönes Fest- und Feierkleid, das du nun nicht wieder ablegst; denn dann feierst du mit allen Engeln und Auserwählten das ewige Hall- und Jobeljahr in dem rechten gelobten Land, in dem Kanaan des himmlischen Paradieses. Amen.

 

Evangelienpredigt zum 18. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 22,34-46: Welche verderblichen Folgen die Verachtung des goettliches Gesetzes nach sich zieht

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

   

    In demselben, unserem Heiland, geliebte Zuhörer!

    Es gibt wohl keine Lehre der göttlichen Offenbarung, welche nicht zu gewissen Zeiten von falschen Geistern angefochten worden sein sollte, so wenig man es auch oft vermuten möchte. Zu diesen Lehren gehört unter anderem auch die Lehre vom Gesetz. Wer sollte meinen, dass ein Mensch das Gesetz verwerfen könne, da diese Lehre nicht allein in der Bibel aufgezeichnet ist, sondern auch mit unauslöschlicher Schrift in aller Menschen Herzen, auch der Heiden, eingegraben ist? Und doch ist es so.

    Als vor 500 Jahren Luther das süße Evangelium wieder aus dem Staub hervorzog, als er damit die armen, erschrockenen Gewissen, die sich in eigenen Werken vergeblich abgemartert hatten, aufrichtete und sie durch die Lehre von der freien Gnade Gottes in Christus tröstete, da entstand gegen alles Vermuten Luthers bald eine Sekte, welche behauptete, dass in der christlichen Kirche nicht mehr das Gesetz, sondern allein das Evangelium gepredigt werden müsse. Diese Sekte nannte man die Antinomer oder, auf Deutsch, Gesetzesstürmer; ihr Stifter war ein gewisser Agricola, Prediger zu Eisleben in Sachsen.

    Man darf jedoch nicht denken, dass diese Gesetzesstürmer sich nicht auf die Heilige Schrift berufen hätten. Es ist in der Christenheit kein Irrtum aufgekommen, wenn er auch noch so offenbar war, den man nicht durch missgedeutete Bibelsprüche hätte verteidigen und rechtfertigen wollen; so auch dieser nicht.

    Die Hauptstelle aber, auf welche sich die Gesetzesfeinde beriefen, war der Ausspruch des Paulus: „Wisse solches, dass dem Gerechten kein Gesetz gegeben ist.“ Hieraus wollten sie beweisen, dass man denjenigen, welche getauft und durch den Glauben gerecht geworden sind, kein Gesetz predigen, sie dadurch nicht erschrecken, sondern allein durch die Predigt von der Gnade zum Himmel leiten dürfe. Jenes Wort des Paulus hat aber einen ganz anderen Sinn; er will damit so viel sagen: Sofern der Mensch durch den Glauben gerecht ist, sofern er ein neues Herz und einen willigen Geist hat, in allen Dingen Gottes Willen zu tun, sofern bedarf auch ein solcher gläubiger und wiedergeborener Christ kein Gesetz; er bedarf nämlich nicht, erst durch Drohungen erschreckt und gezwungen zu werden; er tut das Gesetz schon selbst aus Liebe freiwillig.

    Aber welcher Christ kann sagen, dass er schon ganz geistlich sei, dass in ihm nichts als Lust und Liebe zu allem Guten sich finde und in seinem Fleisch gar kein Widerstreben sich rege? Johannes antwortet hieraus im Namen aller Christen: „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns und machen Gott zum Lügner.“ Damit stimmt auch St. Paulus, wenn er bekennt: „Ich weiß, dass in mir, das ist, in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes.“

    Hier habt ihr, meine Lieben, den Grund, warum auch gläubigen Christen das Gesetz noch immer nötig ist, weil auch sie nämlich noch immer das sündliche Fleisch an sich tragen, das gegen den Geist gelüstet, das gekreuzigt und durch das Gesetz allerdings geschreckt und in Schranken gehalten werden muss. Was würde daher wohl geschehen, wenn man in der christlichen Kirche das Gesetz nicht mehr predigen wollte und nur Evangelium? Man würde bald beides verlieren und alles in Sicherheit und Ruchlosigkeit verfallen. Daher spricht Luther in seiner Kirchenpostille über das Evangelium des heutigen Sonntags von den Lehren des Gesetzes und Evangeliums so: „Welche der beiden eine untergeht, die nimmt auch die andere mit sich; und wiederum, wo die eine bleibt und recht getrieben wird, bringt sie die andere auch mit sich.“

    Da es nun leider nicht zu verkennen ist, dass manche unter uns jetzt auch fast nur von Gnade hören wollen und die ewig gültige Lehre des Gesetzes zurücksetzen, so will ich euch heute zu eurer Warnung zeigen, welche verderblichen Folgen die Verachtung des göttlichen Gesetzes nach sich zieht.

 

Matthäus 22,34-46: Da aber die Pharisäer hörten, dass er den Sadduzäern das Maul gestopft hatte, versammelten sie sich. Und einer unter ihnen, ein Schriftgelehrter, versuchte ihn und sprach: Meister, welches ist das vornehmste Gebot im Gesetz? Jesus aber sprach zu ihm: Du sollst lieben Gott, deinen HERRN, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das vornehmste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen zweien Geboten hangt das ganze Gesetz und die Propheten. Da nun die Pharisäer beieinander waren, fragte sie Jesus und sprach: Wie dünkt euch um Christus? Wes Sohn ist er? Sie sprachen:  Davids. Er sprach zu ihnen: Wie nennt ihn denn David im Geist einen HERRN, da er sagt: Der HERR hat gesagt zu meinem HERRN: Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ich lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße. So nun David ihn einen HERRN nennt, wie ist er denn sein Sohn? Und niemand konnte ihm ein Wort antworten, und durfte auch niemand von dem Tag an hinfort ihn fragen.

 

    In dem verlesenen Text wird, meine Lieben, Beides verhandelt, sowohl die Lehre des Gesetzes wie auch die Lehre von Christus oder das Evangelium. Ich nehme hieraus die Gelegenheit, zu euch jetzt davon zu sprechen:

 

Welche verderblichen Folgen die Verachtung des göttlichen Gesetzes nach sich zieht

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Sie ist die Ursache, dass so viele auch das Evangelium verachten, und daher kommt es auch,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass so viele mit einem falschen Glauben sich selbst täuschen.

 

    Gott, du bist heilig; du bist nicht ein Gott, dem gottloses Wesen gefüllt; wer böse ist, bleibt nicht vor Dir. Darum bitten wir dich, regieren uns durch dienen Heiligen Geist, dass wir mit der Sünde nicht scherzen, deine Gnade nicht auf Mutwillen ziehen, sondern in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben. Dazu erwecke uns auch jetzt durch dein Wort um Jesu Christi willen. Amen.

 

1.

    Es ist wahr, meine Lieben, dass allein die Lehre des Evangeliums den Sündern den Weg zur Seligkeit zeigt; aber warum hat wohl Christus nach dem Bericht in unserem Text den Pharisäern nicht nur das Evangelium gepredigt, sondern auch die von ihnen vorgelegte Frage über den wahren Inhalt des Gesetzes beantwortet? Darum, weil ohne Hilfe des Gesetzes niemand zum rechten Verständnis des Evangeliums kommt und die Verachtung des Evangeliums ihren Hauptgrund eben in nichts anderem als in der Verachtung des Gesetzes hat.

    Diejenigen, welche in unseren Tagen das Evangelium verwerfen, geben zwar, wie einst die Pharisäer, vor, dass sie sich allein mit dem Gesetz oder, wie man jetzt redet, mit der Moral, nämlich mit der Lehre von der Tugend, von der Rechtschaffenheit und von den guten Werken begnügen wollten. Denn, sagen sie, darauf komme es allein an, dass man ein guter Mensch sei; wer ein rein moralisches Leben führe, von dem könne man auch sagen, und zwar allein von einem solchen, dass er Religion habe. Aber dies sind leider nichts mehr als leere Redensarten.

    Dass einst die Pharisäer, und dass jetzt die Ungläubigen vom Evangelium nichts wissen wollen, kommt keineswegs daher, dass sie die ganze Last des Gesetzes lieber tragen und dasselbe in seinem wahren Sinn erfüllen wollten. Im Gegenteil, weil man sich jetzt nicht mehr an die Forderungen des göttlichen Gesetzes und seine Drohungen kehrt und diese nicht glaubt, darum achtet man den Trost des Evangeliums so gering, ja, nichts.

    Das Evangelium ist eine Anweisung, wie man Vergebung der Sünden erlangen, wie man von Gottes Zorn erlöst und von ihm begnadigt werden, aus der Hölle und ewigen Verdammnis errettet und aus bloßem Erbarmen selig werden könne. Wie nun derjenige allein den Arzt sucht, der sich krank fühlt, nur der Brot begehrt, der Hunger empfindet, nur der um Hilfe ruft, der seine Not und Gefahr sieht, so weiß man auch erst dann das Evangelium zu schätzen und nimmt es erst dann mit Freuden an, wenn man sich mit Schrecken für einen Sünder erkennt, wenn man es glaubt, dass man Gottes Zorn wirklich auf sich geladen und mit seinen Sünden Tod und Verdammnis verdient habe.

    Nimmt man aber, wen man das Evangelium verachtet, es etwa dann mit dem Gesetz desto genauer? Nichts weniger. Die meisten Glaubensfeinde leben in offenbaren Sünden und Schanden, in Fluchen in Lästern, in Zorn und Rachgier, in Trunkenheit und Völlerei, in Unzucht und Ehebruch, in Lug und Trug, in falschen Eidesschwüren, ja, in Hass bis zum Mord; dabei fragen sie nach keinem Gesetz, sei es menschlich oder göttlich, nach keinem Gott, keiner Hölle, keines Himmel und keinem einstigen Gericht; sie sprechen mit Pharao: „Wer ist der HERR; des Stimme ich hören müsse?“ oder wie Jesaja sagt: „Ihr Wesen hat sie kein Hehl und rühmen ihre Sünde, wie die zu Sodom, und verbergen sie nicht.“ Heißt das aber nicht, das göttliche Gesetz verachten?

    Es kann jedoch nicht geleugnet werden, dass es viele Ungläubige gibt, welche sich aller solcher groben Ausbrüche der Sünde enthalten; viele leben ehrbar vor der Welt und verdienen sich mit ihrer ganzen Handlungsweise vor Menschen den Ruhm strengmoralischer Männer. Aber wo gibt es einen Ungläubigen, der wirklich erkannt, was die Sünde auf sich hat? Welcher Ungläubige glaubt es, dass Gott ein Recht hat, von ihm zu fordern, dass er heilig und vollkommen sei? Welcher Ungläubige erkennt es, dass er einst selbst von jedem unnützen Wort Gottes werde Rechenschaft ablegen müssen, das über seine Lippen gegangen ist? Welcher erkennt es, dass schon eine böse Begierde, eine unreine Lust, ein ungöttlicher Gedanke eine große Sünde sei? Welcher Ungläubige hält es wirklich für wahr, dass er vor Gott schon dann ein Greuel sei, wenn er nur stolzen Gedanken in sich Raum gibt, wenn er die mindeste Ehre vor Menschen sucht, wenn er sich über den geringsten Menschen in der Welt erhebt, nicht sanftmütig und von Herzen demütig ist und sich nicht für Nichts hält? Welcher Ungläubige, mag er auch noch so ehrbar und untadelhaft vor Menschen leben, ist voll Furcht und Zittern vor der geringsten Sünde? Welcher Ungläubige wacht und betet täglich, dass er nicht in Anfechtung falle? Welcher kämpft und streitet unaufhörlich, dass in seiner Seele nichts sei, als eine reine Liebe Gottes und seines Nächsten? Kommt bei ihnen nicht tausenderlei Sündliches vor in Gedanken, Worten und Werken, was sie für Kleinigkeiten achten? Worüber sie oft selbst lachen und scherzen?

    Hier habt ihr, meine Lieben, den wahren Grund, warum so viele das Evangelium von Christus und seiner Gnade verachten; es kommt nicht daher, dass sie so leben, dass sie keinen Heiland bedürften; es kommt ferner nicht daher, dass sie jetzt zu klug und aufgeklärt dazu wären: Es kommt vielmehr daher, dass sie das göttliche Gesetz verachten, in welchem ihnen Gott sagt, wie der Mensch sein soll; dass sie an Gottes Drohungen, an sein gerechtes und strenges Gericht und an die ewigen Strafen nicht glauben, die der Sünde folgen sollen. Seht, das, diese Geringachtung der Sünde, diese pharisäische Einbildung ihres hohen Wertes, diese entsetzliche Verblendung, bei welcher sie ihre täglichen und stündlichen Übertretungen in ihrer Große und Menge nicht erkennen, das ist die eigentliche Wurzel ihres Unglaubens; darum haben sie einen so großen Enkel an der Lehre von der Gnade, eine so tiefe Feindschaft gegen Christus, den Gekreuzigten, und seine heilige, teure Versöhnung.

    Fängt ein Mensch an, an das Gesetz Gottes mit Ernst zu glauben, dann ist er auch gewiss nicht fern von Christus und seinem Reich.

    Woher kam es denn, dass zu Luthers Zeit das Evangelium mit so großer, fast allgemeiner Freude aufgenommen wurde? Woher kam es, dass damals in kurzer Zeit ganze Länder umgewandelt wurden, dass die Botschaft des Friedens mit so reißender Schnelligkeit die ganze gekannte Welt durchlief und tausend und abertausend Herzen dem mutigen evangelischen Herold sogleich entgegenschlugen, mit Freudentränen die kleinen Büchlein küssten, die er herausgab, und Gott fröhlich dankten für seine teure Gnadenheimsuchung? Warum hatte die Predigt des Evangeliums damals so große herrliche Erfolge und jetzt nicht? – Der Grund liegt darin: Zur Zeit der Reformation war das arme Volk niedergedrückt gewesen durch die Last des Gesetzes; denn so finster es gewesen war, so hatten doch die ungeistlichen Priester das Gesetz scharf getrieben; Unzählige waren daher erfüllt mit herzlicher Sorge für ihre Seligkeit und mit großer Furcht und Angst vor der ewigen Verdammnis; Unzählige entsetzten sich vor dem Hereinbruch des Jüngsten Tages heftig; Unzählige fühlten ihre Sünde: Darum hörte man das Evangelium als eine so selige Botschaft, wie diejenigen sich freuen, die lange in einem finsteren Kerker geschmachtet haben, wenn endlich die Türen ihres Gefängnisses sich öffnen und ihnen zugerufen wird: Ihr seid frei! – Diese Vorbereitung der Herzen durch die Wirkung des Gesetzes ist es aber, welche jetzt allgemein fehlt.

    Was war daher wohl die Ursache, dass Luther so bald wieder über seine Zeitgenossen klagen musste, dass sie des Evangeliums überdrüssig seien? Es kam daher, dass die meisten die evangelische Freiheit missbrauchten und wieder sicher wurden, an die Drohungen des Gesetzes sich nicht mehr kehrten und ihre Sünden wieder gering achteten. So kam es bald wieder auch zur Verachtung des Evangeliums, die nun in unseren Tagen den höchsten Gipfel erreicht hat.

 

2.

    Doch zu den verderblichen Folgen der Verachtung des Gesetzes gehört zweitens auch dieses, dass viele mit einem falschen Glauben sich selbst täuschen.

    Es gibt nämlich leider nicht wenige, welche in offenbaren Sünden leben, und doch dabei im Glauben zu stehen sich einbilden. Sie lassen den Zorn über sich herrschen, aber sie denken: Das mache der Glaube wieder gut; sie sind nicht ehrlich und gewissenhaft in Handel und Wandel, sie nehmen so viel, wie sie bekommen können, und auch das soll der Glaube wieder gut machen; sie sind böse Schuldner, die ihre Gläubiger um das Ihre bringen, indem sie leben, als hätte niemand an sie etwas zu fordern, und auch das soll der Glaube wieder gutmachen; sie sind unwahrhaftig in ihren Reden, unversöhnlich gegen ihre Beleidiger, eitel in ihrer Kleidung, weltlich in ihrem Benehmen, Freunde der Weltkinder, höffärtig, aufgeblasen, geizig, verleumderisch, und alles dies soll der Glaube wieder gutmachen. O des Elendes! Sie denken wohl daran, dass nach St. Paulus der Mensch aus Gnaden selig wird, aber sie denken nicht daran, was derselbe Apostel auch sagt: „Offenbar sind die Werke des Fleisches; von welchen ich euch zuvor gesagt habe und sage noch zuvor, dass, die solches tun, werden das Reich Gottes nicht ererben.“ Und anderwärts: „So wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir weiter kein anderes Opfer mehr für die Sünde, sondern ein schreckliches Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Widerwärtigen verzehren wird.“

    Andere hingegen leben nicht in so offenbaren Sünden, aber sie sind lau und träge, ihr ganzes Christentum ist ihnen kein Ernst, es ist nicht mehr als ein Geschwätz, ein gefärbtes Scheinwesen; ihr Gebet ist Lippenwerk; ihr Lesen und Hören des Wortes Gottes ist kein durstiges Trinken aus der Quelle des ewigen Lebens, sie wollen daraus nur klüger werden und über die Predigt nur in hochmütiger Einbildung kritisieren; sie wachen nicht über ihr Herz, sie kämpfen nicht gegen ihr Fleisch und Blut; sie sind mürrisch gegen die Ihren; ihre Gespräche betreffen Disputiersachen, das Zeitliche und närrisches Geschwätz. Auch solche meinen, wenn sie nicht schon verhärtet sind, es stehe freilich nicht zum Besten mit ihnen, aber weil sie den Glauben hätten, so seien sie doch Christen und vor Gott gerecht.

    Seht, so macht man Christus zu einem Sündendiener und den Glauben zu einem Schanddeckel und betrügt sich damit um Leben und Seligkeit. Den nein Glaube, der solche Früchte bringt, ist ein Schein- und Schaum-Glaube, nichts anders als eine fleischliche Sicherheit, ein totes unwirksames Ding, wobei man zur Hölle eilt mit schnellen Schritten.

    Woher kommt aber diese Selbsttäuschung? Sie entspricht aus nichts anderem als aus Verachtung des heiligen Gesetzes Gottes. Man meint, den Gläubigen gehe das Gesetz nichts mehr an; er habe sich an die Forderungen desselben nicht mehr zu kehren und vor seinen Drohungen nicht mehr zu fürchten. Aber wie greulich betrügt man sich damit! Deutlich spricht Christus: „Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, das Gesetz und die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn ich sage euch wahrlich: Bis dass Himmel und Erde zergehen, wird nicht zergehen der kleinste Buchstabe, noch ein Tüttel vom Gesetz, bis dass es alles geschehe. Wer nun eins von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich“, das heißt, nichts.

    Wohl ist es wahr: Der Gläubige als Gläubiger ist keinem Gesetz mehr unterworfen, sondern er ist frei und steht über allen Gesetzen; denn er hat in Christus vollkommene Erfüllung des Gesetzes und hat den Heiligen Geist, der in ihm das Gute will ohne alles Gesetz. Aber der Gläubige als Gottes Geschöpf und als Sünder steht allerdings noch unter dem Gesetz. Denn das Gesetz ist die Offenbardung des Willens Gottes; es ist darum ewig und unveränderlich; es ist unmöglich, dass es durch den Glauben aufgehoben werden könne, so wenig wie Gott selbst sich ändern und einer Kreatur zu sündigen erlauben kann. Daher spricht St Paulus: „Wie? Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf.“ Der Apostel will nämlich sagen: Uns werden die Sünden nicht darum vergeben, dass wir nun gegen das Gesetz handeln können, sondern eben darum, dass wir den Heiligen Geist empfangen, durch welchen wir neue Menschen werden, ein neues Herz und einen neuen Sinn bekommen, dass wir nun anfangen, das Gesetz wirklich von Herzensgrund zu erfüllen.

    Willst du also, o Zuhörer, nicht allen Eifer anwenden, das Gesetz zu erfüllen, Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst zu lieben, willst du nicht in steter Scheu leben vor der Sünde und Gottes Zorn, willst du der Heiligung nicht nachjagen mit ganzem Ernst: So wisse, dass dir dein angeblicher Glaube nichts helfen wird, vielmehr wird er dich vor Gott nur umso verwerflicher machen und desto tiefer verdammen, denn du hast dann bekannt, du wollest Christus zum Erlöser annehmen und hast ihn allein zu einem Sündendiener gemacht und unrein geachtet das Blut seiner heiligen Versöhnung.

    Wer da meint, wenn er das Evangelium annimmt, dann könne er das Gesetz verachten, dann könne er sorgenlos, ohne ernsten Kampf und Streit Tag und Nacht dahinleben, den treffen die Drohungen des Gesetzes noch immer. Es hilft ihm dann nichts, dass er vorgeben wolle, er suche Schutz bei Christus gegen die Anklagen und Verdammungen des Gewissens; denn bei Christus finden nur die Schutz, die das Gesetz erschreckt hat, die es so gern erfüllen möchten und darum nach Gnade, nach Kraft, nach Hilfe des Heiligen Geistes seufzen. Wer die Sünde nicht mit Ernst los sein will, dessen Sünden deckt auch Gott nicht durch Vergebung zu.

Zum Kreuze geht kein satter Geist,

Der noch mit Sünden spielt und scherzet,

Der Fleischessinn nur Schwachheit heißt

Und ihn gleichwie sein Schoßkind herzet.

Nur ein zerbrochner Mut und Sinn

Geht dürstend zu dem Kreuze hin.

    Ach, wie mancher unter uns bekommt hierdurch vielleicht einen weckenden Schlag an sein schlafendes Herz! Alle diese bitte ich: Geht doch um Christi und eures Heils willen mit dieser Bewegung des Heiligen Geistes treu um, unterdrückt sie nicht leichtsinnig wieder in euch, fangt mit dieser Stunde ein besseres Christentum an, überlegt in der Stille das bisherige Scheinleben, womit ihr euch tröstet, und ruft Gott an, dass er aus dem Schein das Wesen, aus dem Wortchristentum ein Kraftchristentum, aus dem Heuchtum Tat und Wahrheit machen wolle. Verachtet nur meine Stimme nicht; ich bin es wahrlich nicht, der da redet, Gott ist es, der durch sein Wort vor euren Herzen steht. Was helfen euch die Lampen eures christlichen Scheins, wenn euch, wie den törichten Jungfrauen, das Öl des wahren Glaubens, des Geistes und der Kraft fehlt? Denkt an die letzte Stunde, wenn es heißen wird: „Der Bräutigam kommt, geht aus, ihm entgegen!“ Dann ist es nicht Zeit, Öl zu kaufen; dann werdet ihr vergeblich rufen: „HERR, HERR, tue uns auf“; der HERR wird euch antworten: „Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch nicht.“

Drum, Christen, auf, auf zu den Waffen,

Ergreift das Wort mit Glaubensmut;

Mit Furcht und Zittern müsst ihr schaffen,

Dass ihr erlangt das höchste Gut.

Mit Christus folgt auf harten Streit

Dort Friede, Ruh und Seligkeit.

    Amen.

 

Evangelienpredigt zum 19. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 9,1-8: Was muss ein Mensch tun, damit ihm Gott seine Suenden vergibt?

 

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Die elendesten und unglückseligsten Menschen sind ohne Zweifel diejenigen, welche noch keine Vergebung der Sünden haben, mögen sie nun, was das Irdische betrifft, zu den Armen oder Reichen gehören, Bettler oder Könige sein, in zeitlichem Elend oder in irdischer Herrlichkeit leben. Hat ein Mensch noch keine Vergebung der Sünden, so steht er noch unter der Obrigkeit der Finsternis und ist noch ausgeschlossen aus dem seligen Reich des großen Gottes. Um seiner unvergebenen Sünden willen lebt er noch mit Gott in Feindschaft, er ist Gottes Feind und Gott ist sein Feind; er ist daher auch ein Abscheu der heiligen Engel; mit Entsetzen sehen diese ihn als einen Widersacher des Allerheiligsten an, dem sie mit ewiger Liebe und Frohlocken in tiefster Ehrfurcht dienen. Wer noch keine Vergebung der Sünden hat, auf dem ruht noch Gottes Zorn; mag er daher tun, was er will, so ist es Gott zuwider; nicht nur die offenbaren Sünden, sondern auch die scheinbar guten Werke eines solchen Menschen gefallen Gott nicht, ja, auf allem, was er vornimmt, auf seinem Eingang und Ausgang, auf seinem Arbeiten und Ruhen, auf seinem Schlafen und Wachen, auf seinem Essen und Trinken, auf seiner Freude und Trauer ruht der Fluch. Seine Hoffnung auf ein anderes, besseres Leben, auf die ewige Seligkeit ist ein leerer Traum; er steht Tag und Nacht mit Leib und Seele an einem furchtbaren Abgrund, in welchen er, wenn er endlich stirbt, stürzen und darin er, von Gott ewig geschieden, mit Leib und Seele untergehen muss.

    Das Traurigste dabei ist, dass diejenigen, welche keine Vergebung der Sünden haben, ihren schrecklichen Zustand, ihr Elend, ihre Unseligkeit gewöhnlich nicht erkennen, sondern in dem Wahn stehen, es stehe alles gut, es sei Friede und habe keine Gefahr. Sie sind unselig und achten sich für selig; sie stehen unter Gottes Zorn und meinen, bei Gott in Gnaden zu stehen; sie sind ausgeschlossen von Gottes Reich, und sie hoffen mit Sicherheit auf die ewige Seligkeit.

    Was kann hiernach, meine Lieben, wichtiger und nötiger sein, als dass ein jeder sich ernstlich prüfe, ob er die Vergebung seiner Sünden erlangt habe oder nicht, und wenn er dieses hohe Gut noch nicht hat, dass er danach mit allem Ernst trachte? Denn, sagt selbst, welche Täuschung kann bitterer sein als die, wenn man Vergebung erlangt zu haben meint, und hat sie doch noch nicht? Was kann schrecklicher sein, als wenn Gott noch mit uns zürnt, während wir in seinem Schoß zu sitzen meinen, was entsetzlicher, als wenn wir hier sicher und sorglos sind, während wir als Gottes Feinde hier leben und dort als seine Feinde vor seinem Richterstuhl erscheinen müssen? –

    Welcher Mensch kann hingegen glückseliger sein als derjenige, welchem seine Sünden vergeben sind? Er hat Gott zum Freund, und darum auch die heiligen Engel zu liebenden und schützenden Gefährten und alle Kinder Gottes zu Brüdern und Schwestern. Was er auch tut, mag das Werk auch noch so gering sein, so gefällt es doch Gott wohl, und was daran sündlich ist, das deckt er aus Gnaden zu. Der Fluch ist von ihm weggenommen, dafür aber ruht Segen auf allem, was er vornimmt und was ihm begegnet. Er kann getrost sein in seiner Armut, denn er ist reich an himmlischen Gütern und Schätzen; er kann getrost sein in der Trübsal, denn er weiß, dass ihm Gott alles nur aus Liebe zuschickt und alles ihm daher zum Besten dienen muss; er kann getrost sein, wenn ihn auch alle Menschen verlassen, ja, ihm feind sind. Gott verlässt ihn nicht; ist aber Gott für ihn, wer kann gegen ihn sein? Er kann getrost sein selbst im Tod, sein Tod ist ja nur das enge Pförtlein zum vollkommenen Leben, denn wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit.

    Vergleicht nun, meine Lieben, den Zustand derjenigen, die dieses Kleinod haben, und derjenigen, die es noch nicht haben, solltet ihr da nicht alle von Herzen ausrufen: O, dass auch mir meine Sünden vergeben sein möchten!? Gewiss, so werdet ihr mit mir alle denken. Lasst uns daher heute mit herzlicher Andacht aus unserem Evangelium vernehmen, was ein Mensch tun müsse, damit ihm Gott auch seine Sünden vergibt.

 

Matthäus 9,1-8: Da trat er in das Schiff und fuhr wieder herüber und kam in seine Stadt. Und siehe, da brachten sie zu ihm einen Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bett. Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Sei getrost, mein Sohn; deine Sünden sind dir vergeben. Und siehe, etliche unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: Dieser lästert Gott. Da aber Jesus ihre Gedanken sah, sprach er: Warum denkt ihr so Arges in euren Herzen? Welches ist leichter zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben, oder zu sagen: Stehe auf und wandele? Damit ihr aber wisst, dass des Menschen Sohn Macht habe auf Erden, die Sünden zu vergeben, sprach er zu dem Gichtbrüchigen: Stehe auf, heb’ dein Bett auf und gehe heim! Und er stand auf und ging heim. Da das Volk das sah, verwunderte es sich und pries Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat.

 

    Aufgrund dieses Evangeliums lasst mich euch jetzt die Frage beantworten:

 

Was muss ein Mensch tun, damit ihm Gott seine Sünden vergibt?

 

    Ich antworte nach unserem Evangelium:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Er muss erkennen, dass er sich die Vergebung seiner Sünden mit nichts selbst verdienen, sondern dieselbe allein aus Gnaden erlangen könne, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Er muss sich im Glauben an das Wort halten, in welchem Gott allen Sündern Vergebung ihrer Sünden verheißt.

 

    Gott, „wo ist ein solcher Gott wie du bist? Der die Sünde vergibt und erlässt die Missetat den Übrigen seines Erbteils; der seinen Zorn nicht ewig behält; denn er ist barmherzig!“ O, so hilf, dass diese deine wunderbare Liebe zu uns Sündern, diese deine Bereitwilligkeit, dich zu erbarmen und uns unsere Sünden zu vergeben, uns nicht vergeblich offenbart sei. Tue einem jeden unter uns, wie einst der Lydia, das Herz auf, dass wir uns durch dien Wort leiten lassen auf den Weg des Heils und darauf bleiben und dort deine sündenvergebende und beseligende Liebe und Gnade genießen ohne Ende immer und ewig. Amen. Amen.

 

1.

    „Sei getrost, mein Sohn“, so sprach nach unserem Evangelium Christus einst zu einem Gichtbrüchigen, dem er die Vergebung der Sünden mitteilen wollte. Würde ihn Christus wohl so angeredet haben, wenn er gutes Muts und wegen seiner Sünden ohne Sorgen gewesen wäre und gemeint hätte, dass er sich die Vergebung derselben leicht selbst verschaffen und verdienen könne? Gewiss nicht. Aus dieser Anrede Christi geht deutlich hervor, dass der Gichtbrüchige vorher trostlos, voll Angst und Unruhe wegen seiner Sünden gewesen sein und selbst keinen Weg gewusst haben muss, wie er die Vergebung erlangen könne. Wir sehen daher aus diesem uns vorgehaltenen biblischen Beispiel: Das erste, was ein Mensch tun muss, um auch die Vergebung seiner Sünden zu erlangen, ist, dass er lebendig erkenne, dass er sich mit nichts die Vergebung seiner Sünden selbst verdienen, sondern dieselbe allein aus Gnaden erlangen könne.

    Aber durch diese enge Pforte wollen eben die Meisten nicht hindurch.

    Eine große Anzahl sogenannter Christen kümmert sich gar nicht um die Vergebung ihrer Sünden. Entweder glauben sie gar nicht an Gott, oder sie denken: Gott kümmere sich gar nicht um die Kleinigkeiten der Menschen; oder er sei zu gütig, als dass er den Menschen um menschlicher Fehler und Sünden willen strafen sollte; oder, er strafe die Sünden schon hier, dem Gottlosen lasse er es schon hier zur Strafe übel gehen, den Tugendhaften und Rechtschaffenen hingegen segne er. Manche sind so blind, dass sie meinen, sie seien gar keine Sünder. Wenn man sie fragt: Hoffst du, selig zu werden? so antworten sie: Ei, wer sollte das nicht hoffen! Fragt man aber weiter: Worauf gründest du deine Hoffnung? so antworten sie: Ich bin von Jugend auf fromm gewesen, ich habe niemand etwas zuleide getan, niemand kann mir mit Recht etwas Böses nachsagen; ich bin nicht wie andere Leute, Flucher, Sabbatschänder, Räuber, Mörder, Hurer, Ehebrecher, Diebe, Meineidige und dergleichen; ich habe Gott immer vor Augen gehabt, fleißig gebetet, manchem Armen ein Almosen gegeben und die heiligen zehn Gebote nach meinen schwachen Kräften gehalten; ich habe nicht gelebt wir mancher: Warum sollte ich also nicht selig werden?

    Es gibt jedoch andere, welche wegen mancher Sünden allerdings einige Unruhe empfinden, die daher allerdings zur Erlangung der Vergebung der Sünden etwas tun wollen. Aber was tun sie? Sie wollen ihre Sünden verbeten, sie wollen sie durch gewisse gute Werke, durch Haltung von gewissen Gelübden, durch Ertragen von allerlei Leiden und dergleichen wieder gutmachen.

    Aber, meine Lieben, dies alles sind falsche Wege, die nimmer zum Ziel führen. Ja, durch diese Wege wird Gott mehr erzürnt als versöhnt, die Sünden vermehrt und nicht vergeben. Denn es ist etwa ein offenbarer Frevel, danach zu trachten, dass wir von Gott die Vergebung der Sünden als eine Schuldigkeit, als eine Pflicht fordern können? Sollen wir nicht Gott alle Ehre geben? Sollen wir nicht alles, was wir sind und haben, der Güte Gottes zuschreiben? Ist es nun nicht schrecklich, wenn ein Mensch zwar bekennen will, dass ihn Gott aus freier Liebe geschaffen, ihm aus freier Liebe Leib und Seele gegeben und erhalten und mit allem versorgt hat, und wenn er in Betreff der höchsten Güter, der Vergebung der Sünden und Seligkeit, Gott die Ehre nehmen und sie sich selbst zuschreiben will? Wehe allen solchen Selbstgerechten! Ihnen werden ihre Spünden noch behalten immer und ewig.

    Nein, will ein Mensch Vergebung der Sünden erlangen, so muss er einen anderen Weg gehen. Bedenkt: Wäre der Mensch auch kein Sünder, so könnte er sich doch nicht tief genug vor dem großen heiligen Gott demütigen, denn obgleich die Engel nicht gefallen, sondern in ihrer anerschaffenen Heiligkeit geblieben sind, so beugen sie sich doch vor Gott aufs tiefste, sie geben ich allein die Ehre, sie wissen von nichts, das sie verdient hätten, sie nehmen alles als Geschenke freier Erbarmung hin, sie werfen ihre Kronen vor Gottes Thron nieder, verhüllen vor Gott ihr Angesicht und rufen ihm in ehrfurchtsvoller Scheu das Dreimalheilig entgegen. Wie viel tiefer muss sich daher der Mensch, der Übertreter der göttlichen Gebote, der Sünde, der Gefallene, vor Gott demütigen, wenn er Vergebung dieser seiner Sünden vor dem allerheiligsten Gott sucht!

    Diese Demütigung besteht aber nicht bloß in äußerlichen Gebärden, denn Gott sieht das Herz an. Sie besteht vor allem darin, dass der Mensch seine Sünden lebendig erkennt, wie viel ihrer sind, wie groß und schwer sie sind, wie er damit Gottes Zorn und Ungnade verdient hat, und wie ihn nichts retten könne als Gnade, nichts als das freie Erbarmen Gottes. Wer das lebendig erkennt, dass er trostlos wird wie der Gichtbrüchige, dass er mit David spricht: „Ach HERR, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm. HERR, sei mir gnädig, denn ich bin schwach; heile mich, denn meine Gebeine sind erschrocken, und meine Seele ist sehr schrecken, Ach, du, HERR, wie lange? Es ist kein Friede in meinen Gebeinen vor meiner Sünde. Denn meine Sünden gehen über mein Haupt, wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer geworden. Aus der Tiefe rufe ich, HERR, zu dir4. So du willst, HERR, Sünde zurechnen, HERR, wer wird bestehen? Denn bei dir ist die Vergebung, dass man dich fürchte.“ Wer seine Sünden so lebendig erkennt, dass er mit Paulus spricht: „Ich bin der größte unter den Sündern“: Der hat den ersten Schritt zur Vergebung seiner Sünden getan.

    Aber, meine Lieben, das kann kein Mensch in sich selbst wirken! So tief kann nur der Heilige Geist einen Menschen demütigen, und er tut dies durch das Wort Gottes. Wer daher dahin kommen will, der muss Gottes Wort vor sich nehmen, besonders die heiligen zehn Gebote, und sich danach prüfen, auf seine Knie niederfallen und zu Gott rufen: HERR, tue mir Herz und Augen auf, das sich sehe die Wunder an deinem Gesetz und meine Sünden lebendig erkenne. Wer das tut, des wird sich Gott bald erbarmen und ihm sein sündliches Leben und sein sündliches Herz so lebendig vor die Augen stellen, dass ihm um Trost bange werden wird.

 

2.

    Doch, meine Teuren, damit ist es nicht abgetan. Bloße Erkenntnis seiner Sünden, und wäre sie auch mit einer noch so tiefen Reue verbunden, bringt keinen Menschen zur Vergebung der Sünden, „vergösse er“, wie es in jenem Lied heißt, „in dem Weh auch einen Tränensee“. Das zweite nämlich, was ein Mensch, der zur Vergebung seiner Sünden kommen will, tun muss, ist, dass er sich im Glauben an das Wort hält, in welchem Gott allen Sündern Vergebung der Sünden verheißt.

   Hätte, meine Liebe, Gott nur die Eigenschaft der Liebe, so könnte er einem jeden seine Sünden vergeben, der sich vor ihm demütigte und von seiner freien Liebe die Vergebung begehrte. Aber Gott ist nicht nur die selbständige Liebe, sondern auch die selbständige Gerechtigkeit und Heiligkeit. Da nun aber die Gerechtigkeit und Heiligkeit die Bestrafung der Sünden und die Bezahlung der Schuld unnachgiebig fordert, so kann Gott keinem Menschen auf seine bloße demütige Bitte die Sünden vergeben; denn hörte Gott auf, gerecht und heilig zu sein, so hörte er auch auf, Gott zu sein.

    Doch Gott hat etwas getan, dass er gerecht bleiben und doch die Sünde vergeben könne, er hat nämlich seinen lieben Sohn in die Welt gesandt, ihn einen Menschen werden lassen, und obgleich er ohne Sünde und den Gehorsam gegen das göttliche Gesetz nicht schuldig war, so hat ihn doch Gott dem Gesetz unterworfen und ihn in Leiden und blutigen Tod dahingegeben. Dieses alles hat der Sohn Gottes nicht für sich, sondern für die sündigen Menschen getan und gelitten, für diese hat er das Gesetz erfüllt und ihnen damit eine vor Gott gültige Gerechtigkeit erworben, für diese ist er gestraft worden und gestorbene, und hat damit ihre Sünden versöhnt und gebüßt. Dieses alles hat aber nun Gott aufschreiben und allen Menschen verkündigen lassen.

   Was muss daher nun ein Mensch tun, wenn er Vergebung seiner Sünden erlangen will? – Er muss annehmen, was ihm Gott in seinem Wort verkündigen und anbieten lässt, und darauf sich verlassen oder, mit Einem Wort: Er muss daran glauben.

    Deutlich sehen wir dies an dem Gichtbrüchigen in unserem Evangelium. Er war trostlos, er hatte seine Sünden erkannt, lebendig erkannt, er wusste keinen Rat und keine Hilfe, er sah sich für einen verlorenen Sünder an; doch das glaubte er fest, Christus werde ihm helfen an Leib und Seele; denn es heißt ausdrücklich: Christus habe „ihren Glauben gesehen“, nämlich den Glauben des Gichtbrüchigen und derer, die ihn zu ihm brachten. Was tut nun Christus? Schreibt er ihm Werke vor? Legt er ihm Büßungen auf? Nichts von alledem. Er spricht allein zu ihm: „Sei getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Was hatte also der Gichtbrüchige zu tun, um die Vergebung seiner Sünden zu erlangen? Nichts, als das anzunehmen und zu glauben, was Christus zu ihm sprach.

    Meint nun nicht, meine Lieben, dass zwar der Gichtbrüchige, um Vergebung der Sünden zu erlangen, nichts bedurft habe als nur den Glauben, weil Christus selbst zu ihm gesprochen habe: „Sei getrost“ usw. Sprecht nicht: Auch ich wollte dies freilich glauben, wenn es auch zu mir gesagt würde. Nein, bedenkt: Christus ist für alle Menschen in die Welt gekommen, hat aller Menschen Sünde gebüßt durch sein Leiden und Sterben, und hat für alle Menschen Sünden eine vollkommene Gerechtigkeit erworben durch seinen Gehorsam gegen das göttliche Gesetz. Dieses wird nun auch allen Menschen verkündigt. Das Wort Gottes ist daher eine allgemeine Absolution aller Menschen, allen, allen Menschen wird darin zugerufen: „Seid getrost“ usw., denn Jesus ist euer aller Heiland. Und so oft ein Mensch getauft wird, so oft er das heilige Abendmahl genießt, so oft er besonders die Absolution hört, so oft wird ihm auch besonders zugerufen: „Du, du, sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben.“ Was kann und soll also ein Mensch tun, um die Vergebung seiner Sünden zu erlangen? Er soll das Wort, das allen Menschen, und so auch ihm, Vergebung verkündigt, annehmen, soll darauf seines Herzens Vertrauen setzen, soll daran glauben – so hat er, was er sucht.

    Seht, welchen lieblichen und leichten Weg hat uns Gott in den Himmel gebahnt! Wier wollen wir nun entfliehen, wenn wir eine solche Seligkeit nicht achten? Ist’s nicht schrecklich, wenn nun ein Mensch doch ohne Vergebung der Sünden bleibt, weil er etwa seine Sünden nicht erkennen will? Weil er die göttliche Traurigkeit nicht erfahren will? Weil er sich in seiner Weltlust nicht stören lassen will? Weil er gewisse Sünden nicht fahren lassen will? Weil er sich vor der spottenden Welt nicht zu dem Wort Gottes bekennen will?

    O, möchte niemand unter uns diese Schuld auf sich laden! Möchte nun jeder, dem der Weg zu Gnade und Vergebung gezeigt worden ist, diesen Weg auch gehen, so werden wir hier als Gottes Kinder getrost wandeln und dort als Gottes Erben ewig fröhlich und selig sein.

    Das helfe uns Jesus Christus! Amen. Amen.

 

Evangelienpredigt zum 20. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 22,1-14: Das Verhalten der meisten Menschen gegenueber der Einladung Gottes zu seiner himmlischen Hochzeit

 

    Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes, des himmlischen Vaters und die trostreiche Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebter Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Die Predigt des Evangeliums von Christus wird in unserem heutigen Evangelium mit der Einladung zu einem Hochzeitsfest verglichen. Hiermit soll angezeigt werden, dass das Evangelium eine solche Lehre ist, die nicht schwere Werke, ja, gar keine Werke von uns fordert, sondern uns nur verkündigt, was für Werke Gott für uns getan hat. Dieser Vergleich soll uns zeigen, dass man nicht dadurch ein Christ wird und ist, dass man sich durch seine Frömmigkeit vor Gott etwas verdient, sondern dass man auf Gottes Gnadenstimme hört und sich der Gnade und Gerechtigkeit Christi tröstet und sie genießt. Wir sollen daraus lernen, dass Christus nicht ein neuer Gesetzgeber, nicht unser strenger Richter sein und unsere Sünde an uns strafen wolle, sondern dass er uns unsere Sünde vergeben, uns gegen alle unsere Zweifel an Gottes Gnade und gegen alle unsere Gewissensängste und Nöte eine fröhliche Gewissheit der Gewogenheit Gottes, Friede und Freude im Heiligen Geist und einst das ewige Leben, und zwar frei und umsonst, schenken, uns dort, obgleich wir mit unseren Sünden nur eitel Strafe verdient haben, an die Himmelstafel setzen und uns ewig laben und erquicken wolle. Kurz, wird in unserem heutigen Evangelium das Evangelium eine Einladung zur Hochzeit genannt, so sollen wir daraus erkennen, dass das Evangelium etwas ganze anderes ist als das Gesetz; während nämlich das Gesetz eine traurige, für die Sünder niederschlagende Botschaft ist, so ist hingegen das Evangelium eine süße, selige Freudenbotschaft, die auch den größten Sünder mit der Hoffnung der Seligkeit erfüllt.

    Wohl gibt es nun zwar viele, welche diesen Unterschied, der zwischen dem Evangelium und dem Gesetz stattfindet, nicht finden können, viele, die das Gesetz ebenso wohl eine fröhliche, ja, für eine noch viel fröhlichere Lehre ansehen als das Evangelium. Es gibt viele, welche viel lieber davon predigen hören, dass der Mensch durch seine Tugend und edlen Werke, als dass er durch Christus selig werde; die viel lieber davon reden hören, dass der Mensch immer besser werden müsse, als dass er durch den Glauben vor Gott gerecht werden könne; die viel lieber verkündigen hören, dass der Mensch sich selbst mit Gott versöhnen müsse, als dass er durch Christus, den Gekreuzigten, versöhnt ist.

    Aber woher kommt es, dass man das Gesetz lieber als das Evangelium hört? Etwa daher, weil man das, was das Gesetz fordert, wirklich täte? – Ach nein! sondern vielmehr daher, weil man die erste Stimme des Gesetzes hört, aber nicht glaubt, dass es damit so ernst gemeint ist; weil man, wenn immer gepredigt wird, dass der Mensch durch sein gutes Herz und seine edlen Werke sich den Himmel verdienen müsse und könne, dann endlich in den süßen Traum eingewiegt wird, dass man auch wirklich ein solches gutes Herz habe und gar oft solche edlen Werke vollbringe. Diejenigen Prediger übrigens, welche das Evangelium von dem Heiland der Sünder nicht verkündigen, predigen auch nie das Gesetz recht. Sie meinen einerseits das Bild eines Sünders so scheußlich und auf der anderen Seite das Bild eines ehrbaren Weltmenschen so lieblich, dass selbst die offenbarsten Sündendiener sich in ihrem Herzen selbst segnen und denken: Nein, zu den Lasterhaften gehörst du nicht, warum solltest du dich nicht auch zu den Tugendhaften zählen?

    Wie ganz anders erscheint und wirkt aber das Gesetz, wenn es einem Menschen nach seinem wahren Inhalt, in seinen für alle Menschen unerfüllbaren Forderungen, in seiner auf das Herz gehenden geistlichen Bedeutung und mit seinen gegen alle Übertreter gerichteten harten und schrecklichen Drohungen gepredigt wird! Ach, dann ist das Gesetz für den Menschen keine Freudenpredigt; dann ist es wie ein Donner Gottes, von welchem der von seiner Sündhaftigkeit lebendig überzeugte Mensch erzittert und erbebt; das Wort: Du sollst heilig sein, du bist aber ein Sünder! Schießt dann wie ein aus dem Himmel herabgesandter tötender Blitzstrahl in das zagende Herz.

    Aber wohl dem, welchem die Worte des göttlichen Gesetzes durch das Herz zuckende Blitze geworden sind. Wird einem solchen das Evangelium gepredigt, nämlich die Lehre von Christi Versöhnung am Kreuz, o, welch eine herrliche Botschaft ist es ihm dann! Dann ist’s ihm, als zerrissen die dunklen Gewitterwolken, als öffnete sich über ihm der lichte Himmel, und als sähe er nun des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen und auf ihn mit unaussprechlicher Huld herabrufen: Fürchte dich nicht! Du hast Gnade gefunden!

    O gewiss, meine Teuren, wenn nur alle Menschen aus dem Gesetz die Sünde und den Fluch, der auf ihnen liegt, erkennten, so würden auch alle das Evangelium von Christus wie eine Einladung zum Hochzeitsfest annehmen. Da aber die meisten Menschen ihre Seelenangst nicht erkennen noch fühlen, wie verhalten sie daher die meisten dagegen? Das lasst mich euch in dieser Stunde zu Gemüt führen.

 

Matthäus 22,1-14: Und Jesus antwortete und redete abermals durch Gleichnisse zu ihnen und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem König, der seinem Sohn Hochzeit machte. Und er sandte seine Knechte aus, damit sie die Gäste zur Hochzeit riefen; und sie wollten nicht kommen. Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh sind geschlachtet und alles bereit; kommt zur Hochzeit! Aber sie verachteten das und gingen hin, einer auf seinen Acker, der andere zu seiner Hantierung. Etliche aber griffen seine Knechte, höhnten und töteten sie. Da das der König hörte, wurde er zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an. Da sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren es nicht wert. Darum gehet hin auf die Straßen und ladet zur Hochzeit, wen ihr findet. Und die Knechte gingen aus auf die Straßen und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute. Und die Tische wurden alle voll. Da ging der König hinein, die Gäste zu besehen, und sah allda einen Menschen, der hatte kein hochzeitlich Kleid an, und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hereinkommen und hast doch kein hochzeitlich Kleid an? Er aber verstummte. Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn in die äußerste Finsternis hinaus; da wird sein Heulen und Zähneklappen; 14 denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.

 

    In dem verlesenen Evangelium gibt Christus durch ein Gleichnis einen Überblick der Schicksale, welche das Evangelium im Laufe der Zeiten unter den Menschen gehabt hat. Er vergleicht dasselbe mit einer Einladung zu einem Hochzeitsfest und zeigt, wie dieselbe besonders dreimal an die Welt ergangen, aber auch bei den Meisten vergeblich gewesen ist. Ich stelle euch daher jetzt vor:

 

Das Verhalten der meisten Menschen gegenüber der Einladung Gottes zu seiner himmlischen Hochzeit

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Entweder nämlich bleiben sie gleichgültig dagegen und wollen nicht kommen,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Oder sie lassen sich dadurch selbst zu Hass und Verfolgung bewegen,

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Oder endlich, sie nehmen dieselbe zwar äußerlich, aber nicht von Herzen an.

 

    Gnädiger Gott und Vater. Du ladest alle Menschen durch das Evangelium deines Sohnes so freundlich zu der himmlischen Hochzeit der Gnade und Seligkeit ein. Wir müssen dir aber klagen und bekennen, dass unser Herz leider von Natur lieber bei der Sünde und der trügerischen Lust der Welt bleibt, oder sich doch lieber selbst helfen, als deiner Einladung folgen und deine Gnade annehmen will. Ach, HERR, lass doch keine unter uns in solchem schrecklichen Sinn; hilf, dass wir alle deiner Gnadenstimme in deinem Wort von Herzen folgen, an deiner Gnade von ganzem Herzen hängen und in der Kraft deiner Gnade als neue himmlisch gesinnte Menschen wandeln. Erhöre uns um Jesu Christi, deines Sohnes, unseres Heilandes willen. Amen.

 

1.

    Christus beginnt in unserem Evangelium mit den Worten: „Das Himmelreich ist gleich einem König, der seinem Sohn Hochzeit machte; und sandte seine Knechte aus, dass sie die Gäste zur Hochzeit riefen; und sie wollten nicht kommen.“ In diesem ersten Teil des Gleichnisses beschreibt Christus die Zeit, in welcher die himmlische Hochzeit zwar beschlossen, aber noch nicht bereitet war; dies ist daher keine andere als die ganze Zeit vor der Erscheinung Christi auf Erden. Den Erfolg dieser Einladung zur himmlischen Hochzeit in dieser Zeit oder das Schicksal des Evangeliums beschreibt Christus mit den kurzen Worten: „Und sie wollten nicht kommen.“

    Diese Worte geben uns einen wichtigen Aufschluss. Blicken wir nämlich zurück auf den großen Abschnitt der Weltzeit vor Christi Erscheinung, so nehmen wir mit Bestürzung wahr, dass während dieser ganzen langen Jahrtausende immer nur so wenige etwas von dem Heiland der Welt gewusst haben, so dass diese wenigen Gläubigen gegen die unermesslichen Scharen glaubloser Heiden wir eine kleine Welle gegen das Weltmeer, wie ein Sandkorn gegen einen großen Berg, wie ein Tröpflein im Eimer anzusehen waren. Während z.B. zur Zeit der Sintflut sich Gott dem Noah und seiner Familie gnädig offenbarte, gingen Millionen Seelen ohne Erkenntnis Gottes und des verheißenen Heilandes in der natürlichen Blindheit ihres Herzens dahin. Während ferner Gott später den Abraham aufsuchte und einen Gnadenbund mit ihm aufrichtete, lebten alle anderen Völker ohne Gottes Wort, versunken in die elendeste Abgötterei und in den greulichsten Götzendienst, Sonne, Mond und Sterne, ja, Holz und Steine als ihre Götter verehrend. Während endlich später in Kanaan unter dem jüdischen Volk das Licht der göttlichen Offenbarung so hell leuchtete, so deckte Finsternis alle andren Teile des Erdreichs und Dunkel die Völker der ganzen übrigen damals bewohnten Welt.

    Erwägen wir dies, so muss in unserm Herzen die Frage entstehen: Woher kommt es, dass in der ganzen Zeit vor Christi Geburt so zahllose Menschen von der himmlischen Hochzeit ausgeschlossen blieben, dass nämlich so viele Millionen ohne das Evangelium, ohne die Erkenntnis des wahren Gottes und ohne den Trost, einen Heiland zu haben, in dieser Welt lebten und endlich verloren gingen? Hat denn Gott selbst nach einem unbedingten Ratschluss nur so wenige auserwählt, die er allein zur Erkenntnis seines Sohnes und der ganzen seligmachen Wahrheit bringen wollte, während er an den meisten Menschen mit seiner Gnade vorüberging und sie ohne Rettung erbarmungslos verloren gehen ließ? Schon viele Feinde des Christentums haben darauf hingewiesen, dass ja die Lehre der heiligen Schrift besonders vor Christi Zeit nur in einem Winkel der Erde bekannt gewesen sei. Sie? Haben sie ausgerufen, wäre die Lehre der Bibel die Offenbarung Gottes und enthielte sie den allein seligmachenden Glauben, würde dann Gott, der die Liebe ist, nicht auch dafür gesorgt haben, dass diese Lehre allen Menschen zu allen Zeiten bekannt werden könnte?

    Den Schlüssel zu allen diesen scheinbaren Widersprüchen und Unerklärlichkeiten geben uns die Worte Christi in unserem Evangelium: „Und sie wollten nicht kommen.“ Hieraus ersehen wir: Ursache davon, dass vor Christi Zeiten die meisten Völker der Erde nicht teilnahmen an dem geistlichen Hochzeitsmahl des verheißenen Heilandes und dass sie ohne die Erkenntnis von dem rechten Weg zur Seligkeit blieben, lag nicht darin, dass Gott sie davon ausgeschlossen hätte, sondern dass sie auf Gottes Ruf nicht kommen wollten, sich also selbst davon ausschlossen. Gott hat zu allen Zeiten Anstalten getroffen, dass kein Mensch verloren werde, sondern ein jeder zur Erkenntnis der Wahrheit komme, hingegeben haben aber die Menschen wiederum alles aufgewendet, dem Wort Gottes unter ihnen den Eingang zu verschließen.

    Kaum war der Mensch gefallen, so wurde ihm auch schon das Evangelium von Gott selbst gepredigt, dass des Weibes same der Schlange den Kopf zertreten werde. Hierauf lebte Adam noch 930 Jahre in der Welt und lud in dieser Zeit seine Kinder gewiss treu und unermüdlich zur himmlischen Hochzeit ein.  Als Adam starb, da hatte er 56 Jahre lang mit dem Vater Noahs, dem Lamech, gelebt, der erst fünf Jahre vor dem Einbruch der Sintflut im Glauben an die Verheißung entschlief. Diejenigen, welche im Jahr 1656 nach Erschaffung der Welt in der Sintflut umkamen, hatten daher noch die Predigten eines Schülers Adams hören können. Was war also schuld, wenn die meisten schon in den ersten 1600 Jahren der Welt die im Evangelium verkündigte Seligkeit nicht erlangten? – Gott sandte genug Boten aus, die alle einladen mussten, aber, spricht Christus: „sie wollten nicht kommen“.

    Später zwar erwählte Gott ein einziges Volk, dem er seine Offenbarungen anvertraute, aber nicht darum, weil Gott and en Heiden mit seiner Gnade vorübergehen wollte, sondern weil Gott seinen Sohn in diesem Volk geboren werden lassen wollte und weil dieses Volk gleichsam der Fackelträger sein sollte für alle anderen Völker. Darum führte Gott auch dieses Volk so wunderbar und zerstreute es endlich in alle Welt, dass sie von dem verheißenen Heil zeugen und dadurch auch alle anderen Völker zur Hochzeit rufen möchten. Warum saßen also diese in Finsternis und Schatten des Todes, während in Israel der Leuchter der göttlichen Offenbarung so hell brannte? – Etwa darum, weil sich Gott ihrer nicht hätte erbarmen wollen? – Das sei ferne! Nein! Christus sagt es uns: „Sie wollten nicht kommen.“

    Seht, so lautet die traurige Geschichte des Evangeliums von Christus. Gott ließ es der Welt sagen, er werde seinem eigenen Sohn Hochzeit machen und auf dieser Hochzeit sollten alle Menschen Gäste sein, aber siehe! die Welt glaubte das nicht, verachtete die Verheißung des Himmels aus Gnaden, und suchte ihren Himmel auf der Erde.

 

2.

    Lasst uns nun in unserm Gleichnis weitergehen. Christus fährt darin so fort: Abermals sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh sind geschlachtet und alles bereit; kommt zur Hochzeit! Aber sie verachteten das und gingen hin, einer auf seinen Acker, der andere zu seiner Hantierung. Etliche aber griffen seine Knechte, höhnten und töteten sie.“

    Welche Zeit Christus hiermit beschreibt, ist nicht schwer zu erkennen; er beschreibt nämlich hiermit offenbar die Tage seines Fleisches; denn als Christus auf Erden war, lebte, litt und starb, da wurde gleichsam die Tafel für alle Sünder gedeckt; da wurde Christus, das Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, aufgetragen; und als er am Kreuz rief: „Es ist vollbracht“, da konnten alle Boten Gottes im vollkommensten Sinn des Wortes endlich rufen: „Es ist alles bereit; kommt zur Hochzeit“; die Vergebung eurer Sünden ist bereitet, die Versöhnung Gottes mit euch allen ist bereitet, die Gerechtigkeit, die ihr vor Gott braucht, ist bereitet, Licht, Trost, Kraft, das ewige Leben, der Himmel mit aller seiner Seligkeit und Herrlichkeit, kurz, alles, alles, ist bereitet, ihr braucht nur zu kommen, das heißt, ihr braucht nur das Heil in Christus im Glauben annehmen, euch seiner nur freuen und trösten und alles, was er euch erworben hat, genießen. So lautete denn auch zu Christi Zeit, Christi, des Johannes des Täufers und aller Apostel Predigt.

    Wie verheilt sich nun die Welt gegen ihre freundliche, tröstliche und noch gnadenvollere Einladung, als die Einladung der Erzväter und Propheten des Alten Bundes gewesen war? Fing die Welt nicht wenigstens jetzt an, sich ihrer bisherigen Gleichgültigkeit zu schämen? Ließ sie nicht wenigstens jetzt alles liegen und stehen und eilte zur Hochzeit, welche der himmlische Vater seinem Sohn gemacht und zu der er alle Sünder eingeladen hatte? – Ach nein! je größer die Gnade war, welche den Menschen nun angeboten wurde, desto größer war ihr Widerstreben; nicht genug, dass die Menschen die Einladung zur Hochzeit der Gnade und Seligkeit verachteten und dachten: Ja, teilten Gottes Boten Geld, Ehre und gute Tage aus, so wollten sie wohl kommen; nicht genug, dass diese sich wegwendete, der eine seinen Acker, der andere seine Hantierung vorzog, so wurden sogar etliche durch die freundliche Einladung so erbittert, dass sie die Knechte des HERRN, ja, seinen Sohn selbst höhnten und töteten.

    Ist das nicht ein finsteres Geheimnis der Bosheit des menschlichen Herzens? Wäre Christus gekommen, um der Welt viel schwere Werke zu gebieten, ihr unerträgliche Lasten aufzulegen und ihr nur zu zeigen, wie sie sich selbst den Himmel verdienen müsse, dann möchte es wohl nicht wunder nehmen, wenn die Welt seine Botschaft mit Widerwillen aufnahm, ja, sich erzürnt an ihm und seinen Knechten vergriff; aber weg kann es begreifen, dass sie tobte und wütete, da ihr nur zugerufen wurde: „Kommt, es ist alles bereit“? dass sie da nicht ruhte, bis sie Christus ans Kreuz gebracht und seine heiligen Apostel von dem Erdboden vertilgt hatte?

    Aber, meine Lieben, so ist der Mensch, so lange er noch nicht ein von Gott selbst umgeändertes Herz hat. Mit Freudenhört ein natürlicher Mensch die strengste Lehre von der Tugend und den guten Werken, obgleich er nach nichts weniger als nach Tugend trachtet und nichts weniger als gute Werke tut; wird ihm aber Christus der Gekreuzigte gepredigt, wird ihm gepredigt, dass er ein armer Sünder sei, der allein durch Christi Gnade vor Gott gerecht und selig werden könne, und wird ihm dies alles aufs freundlichste angeboten, so erregt ihn dies zu dem bittersten Hass, ja, wohl zu den grausamsten Verfolgungen. Diesen Erfolg hatte die Gnadenpredigt von Christus nicht nur in den Tagen seines Fleisches; zu allen Zeiten bis diese Stunde war das Verhalten der Welt dagegen dasselbe. Warum haben die Zigtausende Märtyrer der ersten drei Jahrhunderte in den Verfolgungen durch Heiden ihr Leben verblutet? Darum, weil sie bekannten, dass in keinem anderen Heil, dass den Menschen auch kein anderer Name gegen sei, darin sie selig werden können, als allein der Name Jesu Christi des Gekreuzigten. Warum sind ferner unter der Herrschaft des Papsttums so viele Unschuldige als Ketzer hingerichtet worden? Weil diese bekannt hatten, dass Christus das einige Haupt seiner Kirche ist und dass nicht von Menschen ersonnene Werke und Büßungen, sondern allein der Glaube an Christus vor Gott gerecht und selig macht. Und was erweckt noch jetzt am meisten den Hohn und Spott der Welt, ja, selbst den Hohn und Spott derer, welche die eifrigsten Christen sein wollen? Nichts anderes, als wenn gelehrt wird, dass alles bereitet ist, dass der Sünder bei Christus alles findet5, was er braucht, dass sich der Mensch durch nichts etwas selbst verdienen und erkämpfen müsse, dass allein der Glaube vor Gott gelte und dass allen Sündern im Evangelium, in der Taufe und in dem heiligen Abendmahl die Tafel der Gnade deckt ist.

    Doch hierbei wird uns in unserem Evangelium nicht allein  das Verhalten der Menschengegen das Evangelium, sondern auch das Verhalten Gottes gegen solche Verächter geschildert; denn es heißt weiter: „Da das der König hörte, wurde er zornig und schickte seine Heere aus und bracht diese Mörder um und zündete ihre Stadt an.“ Hiermit verkündigte Christus im Voraus, welches das Schicksal Jerusalems und es ganzen jüdischen Volkes werde, als sie die Einladung zur himmlischen Hochzeit teils verachtet, teils mit glühendem Hass und mörderischer Verfolgung beantwortet hatten. Und wie Christus verkündigt hatte, so geschah es; die Römer erschienen, ohne dass sie s wussten, als das rächende Heer Gottes, bereiteten den Juden einen beispiellos jammervollen Untergang, machten Jerusalem dem Erdboden gleich und schrieben auf die verödete Stätte mit blutiger Schrift: Das ist das endgültige Schicksal aller derer, die die Einladung der Knechte Gottes zur himmlischen Hochzeit verachten und verwerfen.

     Die Verächter des Evangeliums lachen freilich über diese Drohung. Sie denken: O, dass Jerusalem so elend bald nach den Predigten Christi und der Apostel zerstört wurde, war Zufall; es haben ja schon viele das Evangelium verworfen, und es ist ihnen wohl gegangen bis an ihren Tod! Wohl ist das Letztere wahr, aber die wahre Strafe für Jerusalems Bürger war nicht die Verwüstung ihrer Stadt, das war nur ein geringes Vorspiel von dem, was in der Ewigkeit sie erwartete, zur Warnung der Welt. Wehe der Welt, die sich nicht warnen lässt; dort wird sie erfahren, was es heißt: Christus verachten und seine Boten verfolgen; das himmlische Jerusalem wird sie nicht schauen und wird verworfen werden in die rauchende Brandstätte der Hölle.

 

3.

    Doch wir gehen zum letzten Teil unseres Gleichnisses über. Christus schließt nämlich dasselbe mit den Worten: „Da sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste waren es nicht wert. Darum gehet hin auf die Straßen und ladet zur Hochzeit, wen ihr findet. Und die Knechte gingen aus auf die Straßen und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute. Und die Tische wurden alle voll. Da ging der König hinein, die Gäste zu besehen, und sah allda einen Menschen, der hatte kein hochzeitlich Kleid an, und sprach zu ihm: Freund, wie bist du hereinkommen und hast doch kein hochzeitlich Kleid an? Er aber verstummte. Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn in die äußerste Finsternis hinaus; da wird sein Heulen und Zähneklappen; 14 denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“

    Hiermit beschreibt Christus das Verhalten der Welt gegen die Einladung zur himmlischen Hochzeit in der ganzen Zeit nach ihm bis an das Ende der Tage. Christus sagt nämlich, nach dem die Juden das Evangelium verworfen haben und Jerusalem zerstört sein würde, würden Gottes Boten in alle Welt ausgehen und auch die Heiden allenthalben aufsuchen und auch ihnen zurufen: „Kommt zur Hochzeit!“ Und siehe! unermessliche Scharen würden sich bald einfinden, aber nicht allein Gute, sondern auch Böse; die Tische würden alle voll werden, doch würde nicht jeder in dem hochzeitlichen Kleid des wahren Glaubens erscheinen.

    Wir sehen aus dieser Beschreibung Christi, dass vor seinen Blicken die ganze Zukunft aufgedeckt lag, wie die Gegenwart. Denn ist diese seine Weissagung nicht buchstäblich in Erfüllung gegangen? Ja, die Knechte des HERRN warfen das leere Netz des Evangeliums in das Meer der Welt, und voll zogen sie es an das Ufer; sie bestellten den wüsten Acker Gottes unter der blinden Heidenschaft, und bald wogte darauf die reichste Saat; sie öffneten durch die heilige Taufe die Pforten der Kirche, und bald zogen ganze Völker darin ein. Aber, so erfolgreich hiernach die Arbeit der Knechte des HERRN am Abend der Welt zu sein scheint, so ganz anders erscheint der Erfolg derselben, wenn er genauer betrachtet wird. Das Netz des Evangeliums enthält nur zu viele faule Fische, der Acker Gottes nur zu viel Unkraut, die christliche Kirche nur zu viel Heuchler. Soll daher das Verhalten der Meisten gegen das Evangelium in der Zeit nach Christus im Allgemeinen bezeichnet werden, so besteht es darin, dass man zwar in dem Hochzeitshaus der christlichen Kirche erscheint, aber ohne das rechte hochzeitliche Kleid; dass man die Einladung zwar äußerlich, aber meist nicht von Herzen annimmt.

    Dieser Teil des Gleichnisses geht uns vor allen anderen an. Wir gehören zwar nicht zu denen, die bei dem Ruf Christi durch seine Diener gleichgültig blieben und nicht kommen wollten, noch weniger gehören wir zu denen, die das Wort der Gnade offenbar verachten und die Verkündiger desselben höhnen und verfolgen, wir sind vielmehr alle äußerlich auf die erhaltene Einladung in dem Hochzeitshaus der christlichen Kirche erschienen, wir haben uns alle an Christi Tisch gesetzt, denn wir gebrauchen seine Gnadenmittel, sein Wort und seine heiligen Sakramente, aber sind wir auch bekleidet mit dem rechten Hochzeitskleid? Wollen wir wirklich von Herzen geistliche Hochzeitsgäste sein? Wollen wir wirklich geistliche Hochzeit feiern? Ist es unser Bemühen, dem wahren himmlischen Bräutigam zu gefallen? Das heißt, gebrauchen wir wirklich deswegen die Gnadenmittel, um Vergebung der Sünden zu genießen? Gehen wir deswegen in die Kirche, um den Weg zur Seligkeit zu erfahren und ihn dann auch wirklich durch Gottes Gnade zu gehen? Ist es uns ein wahrer Ernst, einen gnädigen Gott zu haben? Lassen wir Gottes Wort wirklich in unser Herz dringen? Tun wir dabei unser Herz dem Heiligen Geist auf und lassen durch denselben den wahren Glauben in uns wirken? Haben wir uns schon durch Gottes Wort bekehren und unser Herz verändern lassen, dass wir nun auch als neue Menschen wandeln? Oder meinen wir etwa, damit sei schon alles ausgerichtet, wenn wir nur zur Kirche kommen, wenn wir nur Gottes Wort lesen und hören und die heiligen Sakramente gebrauchen? Dienen wir etwa noch heimlich der Sünde? Sind uns die zeitlichen Güter der Welt noch lieber als die geistlichen Gnadengüter der himmlischen Hochzeit?

    O, lasst uns nicht selbst uns täuschen! Sind wir auch hier Gäste an Christi Gnadentafel, sind wir aber ohne das hochzeitliche Kleid, so können wohl Menschen uns für gute Gäste halten, aber es kommt ein Tag, da wird der König des Himmels seine erschienen Gäste bestehen; wie unselig wären wir dann, wenn unser Christentum nur Schein, nicht Kraft, nur äußerlich, nicht innerlich, nur halbiert, nicht von ganzem Herzen war! Wie unselig, wenn wir dann ohne das hochzeitliche Kleid eines wahren Herzensglaubens erfunden würden! Dann würden wir mit gebundenen Füßen hinausgeworfen werden „in die äußerste Finsternis hinaus, wo wird sein Heulen und Zähneklappen“.

    Wohl uns aber, wenn wir hier schon hungrig und durstig an der Gnadentafel des HERRN sitzen, so wird er uns auch einst teilnehmen lassen an der Hochzeitsfreude des ewigen Lebens. Das helfe er uns durch Jesus Christus! Amen.

 

Evangelienpredigt zum 21. Sonntag nach Trinitatis ueber Johannes 4,47-54: Von dem Unglauben der Glaeubigen

 

    Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem Vater, und dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der Wahrheit und in der Liebe sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Unser Heiland spricht: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt.“ St. Paulus spricht ferner im Brief an die Römer, im 14. Kapitel: „Was nicht aus Glauben geht, das ist Sünde“; und im Brief an die Hebräer, im 11. Kapitel: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.“ Diese Aussprüche sind schon vielen ein Dorn im Auge gewesen. Man spricht: Ja, ja, so sagen alle Religionen in der Welt, dass der Glaube an ihre Geheimnisse unumgänglich notwendig sei; sieht man aber nicht eben daraus, weil alle Religionen in der Welt dies fordern, dass dies auf Irrtum und Betrug ruhen oder doch endlich darauf hinauslaufen müsse? Und warum sollte es denn gerade auf den Glauben allein ankommen? Ist es nicht natürlicher, dass es bei Gott vor allem auf den Charakter, auf die edle Gesinnung, auf die rechten Grundsätze, auf die guten Werke eines Menschen ankomme?

    Wir antworten hierauf erstens: Dass alle Religionen, auch die falschen, vor allem den Glauben von denen fordern, die da selig werden wollen, die macht die Lehre nicht etwa verdächtig, sondern bestätigt vielmehr ihre von keinem Menschen bestreitbare Wahrheit. Eben weil es alle Menschen fühlen, dass es ohne Glauben unmöglich sei, das Wohlgefallen Gottes zu besitzen, darum hat es noch keine Religion unter den Menschen gegeben, deren erste Forderung nicht diese gewesen wäre: Du musst glauben.

    Es kann aber auch nicht anders sein. Schon uns Menschen kann niemand schwerer beleidigen und beschimpfen als derjenige, welcher unseren Worten widerspricht, sie nicht glauben will und uns ins Angesicht sagt: Es ist nicht wahr, was du redest. Fühlt sich nun schon ein armer sündlicher Mensch tief gekränkt, wenn man ihm die Glaubwürdigkeit abspricht, welch eine viel größere Beleidigung Gottes muss es sein, seinen Worten nicht zu glauben! Ja, welche Sünde kann größer sein als der Unglaube! Denn wer nicht glaubt, der tut nichts anderes, als dass er sagt: Gott ist ein Lügner. So wenig nun ein Gotteslästerer einst in die selige Gemeinschaft Gottes kommen kann, so gewiss schließt der Ungläubige von aller Seligkeit in Gott sich selbst aus. Wer daher ein wahrer Christ ist, nimmt gefangen alle Vernunft unter den Gehorsam Christi. Er spricht bei den offenbarten Geheimnissen nicht ungläubig: Wie mag solches zugehen? Sondern: O, welch eine Tiefe! Ein wahrer Christ macht auch keinen Unterschied in der Heiligen Schrift; er nimmt nicht das Eine an, was er begreifen kann, und verwirft das Andere, was ihm unglaublich scheint, sondern glaubt kindlich, wie geschrieben steht, jedes Wort seines Gottes und hält fest daran, ob auch alle Welt davon abgeht. Er denkt: Alle Menschen sind Lügner, aber was Gott sagt, ist wahr; was er verheißt, das wird erfüllt; ihm ist kein Ding unmöglich. Wer diesen Glauben nicht hat, ist kein Christ, denn wer Gott nicht glaubt, der hält Gott nicht für Gott und versagt ihm das Erste, was zum wahren Gottesdienst gehört, nämlich das Vertrauen.

    Hierzu kommt nun noch dieses: Die Heilige Schrift lehrt, dass der Sohn Gottes aller Menschen Heiland, Bürge und Stellvertreter ist; dass derselbe für alle Menschen die Strafen der Sünden getragen, das Gesetz erfüllt und ihre Schulden bei Gott bezahlt hat. Der Glaube ist daher nichts anderes, als die Zustimmung der Menschen zu diesem Gnadenbund oder das Annehmen dessen, was Christus für ihn getan und gelitten hat. Wer daher nicht glaubt, der begeht nicht nur ein Versehen und fällt nicht nur in einen Irrtum des Verstandes, sondern er nimmt dann Christus und seine Erlösung nicht an, verwirft die für ihn von seinem Bürgen geleistete Bezahlung, weist die ihm von seinem Heiland erworbene und aus Gnaden geschenkte Seligkeit zurück und stürzt sich so selbst mutwillig in die Verdammnis. Ungläubig sein und bleiben, und doch selig werden ist daher unmöglich, so gewiss Gottes Wort ewige Wahrheit ist.

    Doch, wie in dieser Welt nichts vollkommen ist, so ist auch der Glaube der Christen doch nie vollkommen, er bleibt stets noch mit etwas Unglauben vermischt; und von diesem Unglauben der Gläubigen lasst uns jetzt zu unserem Unterricht und Trost weiter hören.

 

Johannes 4,47-54: Und es war ein königlicher Beamter, des Sohn lag krank zu Kapernaum. Dieser hörte, dass Jesus kam aus Judäa nach Galiläa, und ging hin zu ihm und bat ihn, dass er hinab käme und hülfe seinem Sohn; denn er war todkrank. Und Jesus sprach zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Der Königliche sprach zu ihm: HERR, komm hinab, ehe denn mein Kind stirbt! Jesus spricht zu ihm: Gehe hin, dein Sohn lebt. Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin. Und als er hinabging, begegneten ihm seine Knechte, verkündigten ihm und sprachen: Dein Kind lebt. 52 Da forschte er von ihnen die Stunde, in welcher es besser mit ihm geworden war. Und sie sprachen zu ihm: Gestern um die siebte Stunde verließ ihn das Fieber. Da merkte der Vater, dass es um die Stunde wäre, in welcher Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt. Und er glaubte mit seinem ganzen Haus. Das ist nun das zweite Zeichen, das Jesus tat, da er aus Judäa nach Galiläa kam.

 

    Dieses verlesene Evangelium gibt mir Gelegenheit, heute eure Andacht auf einen sehr wichtigen Gegenstand zu lenken, nämlich auf den Unglauben, der in diesem Leben auch noch in den Herzen der Gläubigen zurückbleibt. Ich spreche also zu euch:

 

Von dem Unglauben der Gläubigen

 

Und zwar

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Was es damit für eine Bewandtnis habe, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie Gläubige davon immer mehr geheilt werden.

 

    HERR Jesus, der du der rechte Weinstock bist und deine Gläubigen zu deinen Reben gemacht hast, du drohst nicht nur, dass dein Vater eine jegliche Rebe an dir, die nicht Frucht bringt, wegnehmen wolle, sondern du verheißt auch, dass er eine jegliche Rebe, die da Frucht bringt, reinigen werde, damit sie mehr Frucht bringe: Wir bitten dich, lass das Wort, das jetzt gepredigt werden soll, dazu dienen, dass alle deine Gläubigen unter uns von den ihnen noch anklebenden Mängeln gereinigt und geläutert und besonders von allen Überbleibseln des Unglaubens immer mehr geheilt und befreit werden, damit sie ganz die Ruhe und den Frieden genießen, den du uns vom Himmel gebracht hast, dir dienen mit Freuden und stündlich vor dein Angesicht kommen mit Frohlocken, dass keine Trübsal sie abtreibe und sie endlich durch dich fröhlich Sünde, Welt, Tod und Hölle überwinden und selig werden. Amen. Amen.

 

1.

    In unserem Text wird uns zuerst erzählt: „Es war ein königlicher Beamter, des Sohn lag krank zu Kapernaum. Dieser hörte, dass Jesus kam aus Judäa nach Galiläa, und ging hin zu ihm und bat ihn, dass er hinab käme und hülfe seinem Sohn; denn er war todkrank. Und Jesus sprach zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Der Königliche sprach zu ihm: HERR, komm hinab, ehe denn mein Kind stirbt!“ Aus dieser Erzählung ersehen wir dreierlei: Erstens, worin denn eigentlich der Unglaube bestehe, womit der Gläubige noch behaftet ist; sodann, wann derselbe am stärksten sei, und endlich, unter welchen Umständen er am meisten offenbar werde.

    Es ist nämlich kein Zweifel, dass der Königliche oder der königliche Hofbeamte, von welchem uns berichtet wird, den Keim des wahren Glaubens in seinem Herzen getragen hat; denn wir hören, dass er fest geglaubt hat, Christus könne nicht nur da helfen, wo alle Menschenhilfe zu Ende sei, sondern er hatte auch das feste Zutrauen zu ihm, dass er auch helfen wolle und werde. Wer aber alle Hilfe von Christus erwartet und zu ihm als dem Helfer aus aller Not vertrauensvoll seine Zuflucht nimmt, der steht gewiss im wahren Glauben, bei dem er nimmermehr zuschanden wird. Wenn Christus aber doch dem Königlichen den Vorwurf macht: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht“, so ersehen wir hieraus, dass auch in seinem Herzen noch ein bedeutender Rest des Unglaubens zurückgeblieben war. Er glaubte nämlich, er könne sich nur dann der Hilfe Christi gewiss versichert halten, wenn Christus mit ihm in sein Haus ginge, da seine Hand auf das Haupt des totkranken Sohnes legte und etwa zu ihm spräche: Sei gesund, mein Sohn, stehe auf und wandle. Der Königliche wollte also zu seinem Glauben etwas, was er sehen, hören und mit seinen Sinnen wahrnehmen könnte. Er machte Christus noch Vorschriften, wie er es machen solle, und wollte sich also noch nicht auch mit verbundenen Augen ganz der Treue Jesu Christi überlassen.

    Diese Überbleibsel des Unglaubens finden wir aber bei allen Gläubigen zu allen Zeiten, und je jünger jemand im Glauben ist, desto weniger ist er davon frei. Die meisten Menschen liegen freilich in offenbarem Unglauben; sie gehen entweder sicher dahin, bekümmern sich um das Wort Gottes und ihrer Seelen Seligkeit gar nicht, suchen nur das Irdische, leben in Eitelkeit, halten sich dabei für gute Menschen und verachten doch Christus und seine Gnade; oder sie haben nur einen erträumten Glauben, der nur im Mund und Verstand, aber nicht im Herzen ist. Es gibt aber doch, Gott sei Dank, noch Menschen, welchen das Wort Gottes durch das Herz geht, die es erkennen, dass sie verlorene Sünder sind, die daher über sich selbst erschrecken und nun ernstlich seufzen; Ach, was muss ich tun, dass ich selig werde? Hören nun solche um ihr Seelenheil bekümmerte Herzen das Evangelium von Christus, hören sie, dass Christus auch ihr Heiland sei, der ihre Sünden durch sein Leiden und Sterben gutgemacht habe, und dass, wer an ihn glaubt, dadurch Vergebung der Sünden erlange, vor Gott aus Gnaden um Christi willen für gerecht angesehen und selig werden solle, o, welch eine fröhliche Botschaft ist für solchen Menschen dies teure Evangelium von der Gnade! Solchen ist nun Christus ein volles Meer von Seligkeit, Freude, Lust und Wonne. Solche rufen dann aus: Ich habe Jesus gefunden und mit ihm mein ewiges Heil; o, wie glücklich bin ich; wie wohl ist mir! Welche Ruhe, welchen Frieden, welche Gewissheit habe ich jetzt, wovon ich vorher, ehe ich Christus lebendig erkannte, nichts gewusst, ja, nichts geahnt habe! O, wenn doch alle Menschen wüssten, sprechen solche jungen Gläubigen, wie gut man’s bei Jesus habe, so würden sie, wie ich, die Welt und Sünde mit Freuden verlassen und zu ihm gehen und selig sein wie ich!

    Betrachtet man nun diesen Zustand junger Christen und hört man ihre freudigen Bekenntnisse von ihrem Glauben, so scheint es, als hätten sie allen Unglaubens ihres Herzens auf einmal für immer und gänzlich überwunden. Aber es scheint nur so.  Je weniger nämlich ein Mensch noch Erfahrungen in den Wegen des HERRN gemacht hat, desto ähnlicher ist er noch dem Königlichen in unserem Evangelium. Auch von anderen Neubekehrten heißt es nämlich: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht.“ Denn wie ist gewöhnlich ihr Zustand? Die meisten sind darum ihres Heils so bald und so freudig gewiss, weil sie jetzt süße Gefühle in ihrem Herzen haben; weil sie es empfinden, dass Gott ihnen in ihrer Seele nun freundlich Trost zuspricht; weil das Evangelium jetzt wie ein sanfter erquickender Regen auf ihr erst verschmachtetes Herz fällt; weil ihr Herz und Gewissen sie nicht mehr verdammt, und weil es ihnen Gott vielleicht gerade jetzt auch im Zeitlichen wohlgehen lässt.

    Betrachten wir aber einen solchen Neubekehrten in innerlicher oder äußerlicher Not, was geschieht dann? Dann scheint es wieder oft, als sei das Glaubenslicht in ihm wieder ganz erloschen. Fühlt er keine Gnade mehr im Herzen, so denkt er, er habe nun wieder die Gnade verloren; empfindet er den Trost des Evangeliums nicht mehr, so denkt er, dieser Trost gehe ihn nun gar nichts mehr an; spürt er bei der Predigt oder dem lesen des Evangeliums keine besondere Erquickung, so denkt er, er sei ganz verhärtet und verstockt und das Wort Gottes mache gar keinen Eindruck mehr auf ihn; wird er von den Schlägen des Gewissens wieder getroffen, regt sich die Sünde wieder stark in seinen Gliedern, wird er wieder von Schrecken des Zornes Gottes und der Hölle angefallen, so denkt er: Ach, du bist aus der Gnade in den Zorn Gottes, aus der Gemeinschaft Christi unter die Herrschaft der Sünde, aus dem Himmel in die Hölle gefallen. Findet sich nun vollends bei solcher inneren Trostlosigkeit auch noch von außen Kreuz und Not, die über ihn hereinbricht; drückt ihn Armut oder wird er auf ein langwieriges, schmerzensvolles Krankenlager geworfen, oder gerät er in Schande, oder nimmt ihm Gott vielleicht ein liebes Kind oder einen lieben Gatten oder den einzigen treuen Freund durch den Tod, wird es immer trüber und dunkler um ihn: Ach, dann denkt er: Gott ist von mir gewichen; wie kann ich Gottes Kind sein! Ach, mein Glaube war wohl nur Einbildung.ölle gefallen. FndeHö

    Seht, so zeigen sich gewaltige Regungen des Unglaubens bei jungen Christen; sie leiden alle an der geistlichen Krankheit, immer erst sehen, erst fühlen, erst empfinden, erst, so zu sagen, die Wunderhilfe Gottes wie der Königliche mit Händen greifen, und dann erst fest glauben zu wollen.

    Doch, obgleich bei erfahrenen Christen die Macht des Unglaubens schon mehr gebrauchen ist und diese mehr gewohnt und geübt sind, Gott auch im Dunkeln zu trauen, so ist doch kein Mensch in der Welt so fest, so hoch und so vollkommen im Glauben, dass er nicht oft auch in ähnlicher Weise davon angefochten würde. Das Verlangen, immer unter dem milden Sonnenschein der göttlichen Freundlichkeit zu wandeln, bleibt bis an unseren Tod; das Verlangen, auch sichtbare Stützen unseres Glaubens zu haben, verlässt uns nie, bis das irdische Auge sich schließt und das Auge unseres Geistes seine Krone schaut und die Hand unserer Seele die Palme des ewigen Sieges schwingt. Auch die erfahrensten Christen müssen oft mit David im 30. Psalm von sich bekennen: „HERR, durch dein Wohlgefallen hast du meinen Berg stark gemacht; aber da du dein Antlitz verbargst, erschrak ist.“ Viele Beispiele hiervon gibt uns das Wort Gottes. Selbst ein Mose wurde im Glauben schwach, als er mit dem Fels in der Wüste nur reden sollte, dass er Wasser gebe für die Verschmachtenden; ungläubig schlug er vielmehr an den Fels zweimal mit seinem Stab. Selbst die Apostel rufen im schwankenden Schiff, das von den brausenden Meereswellen umtobt wurde, dem schlummernden Gottessohn zu: „Meister, fragst du nichts danach, dass wir verderben? Ach, HERR; hilf uns, wir verderben!“ Selbst die Apostel sprachen nicht nur in der Wüste, als sich hier 4000 Hungrige um sie versammelt hatten, kleingläubig: „Woher nehmen wir Brot hier in der Wüste, dass wir sie sättigen?“ sondern auch kurz darauf, nachdem sie Zeugen von Christi wunderbarer Speisung gewesen waren, bekümmerte es sie doch sehr, als sie wieder einmal vergessen hatten, nur für sich und Christus Brot mit sich genommen zu haben. So tief ist der Unglaube in des Menschen Herz eingewurzelt.

 

2.

    Doch lasst uns nun auch zweitens hören, wie die Gläubigen von dem noch in ihren Herzen übrig gebliebenen Unglauben durch Gottes Gnade immer mehr geheilt und befreit werden.

    Ein herrliches Beispiel hiervon ist der Königliche in unserem Text. Dreierlei ist es aber, was wir Christus tun sehen, damit derselbe von seinem Unglauben geheilt werde: Christus deckt ihm nämlich erstens seinen Unglauben auf, weist ihn sodann allein auf sein Wort und krönt endlich durch seine Wunderhilfe auch die geringe Glaubenstreue des Königlichen über alles Erwarten herrlich.

    Als der Königliche mit seinem schwachen Glauben zu Christus kam, da verwarf ihn Christus zwar nicht, er nahm auch ihn an, aber als er darauf dran, Christus solle mit ihm in sein Haus gehen und da seine Wunderhilfe sehen lassen, so rief er ihm doch strafend zu: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht.“ Als der Königliche nun des ungeachtet darauf bestand und flehentlich bat: „HERR, komm hinab, ehe denn mein Kind stirbt,“ so gibt Christus ihm nun nur das Verheißungswort: „Gehe hin, dein Sohn lebt.“ Dieses Wort drang aber mit göttlicher Gewalt in sein unverständiges, verzagtes Herz, die Nebel des Unglaubens wichen jetzt schnell aus seiner Seele und sein Glaube bekam große kraft und Gewissheit, denn es heißt: „Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin.“ Wie fröhlich, wie gestärkt, wie voll Zuversicht wird nun der Königliche seine Straße gezogen sein! Und siehe! als er am anderen Tag nicht m ehr fern von seiner Heimat ist, da kommen ihm seine Knechte schon eilends entgegen und bringen ihm die fröhliche Botschaft: „Dein Kind lebt.“ So gewiss nun der Königliche keine andere Nachricht erwartet hatte, so hörte er sie doch mit besonderer Freude aussprechen. Er erkundigte sich nun sogleich, wann es mit seinem Sohn besser geworden sei, und als er hörte: „Gestern um die siebte Stunde verließ ihn das Fieber. Da merkte der Vater, dass es um die Stunde wäre, in welcher Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt. Und er glaubte mit seinem ganzen Haus“; das heißt, sein schwacher Glaube wurde nun stark und groß, er wurde nun auch ein eifriger und gesegneter Prediger des Glaubens in seiner Familie und brachte endlich Frau und Kinder und Knechte dahin, dass sie mit ihm treue Glaubensjünger des HERRN Jesus wurden.

    Hier hören wir, meine Lieben, wie der Gläubige von seinem Unglauben immer mehr geheilt wird. Erkennt hieraus erstlich, dass Christus freilich diejenigen nicht verwirft, welche aus Schwachheit nicht eher fest glauben wollen, als bis sie sehen, fühlen und empfinden , aber dass er dies doch als ein großes Gebrechen an ihnen straft. Lasst euch darum ja nicht von den Sektenpredigern unserer Tage einnehmen, welche ihre Zuhörer dahin führen, dass sie unaufhörlich nach süßen Gefühlen der Gnade und nach dem empfindlichen Zeugnis des Heiligen Geistes in ihren Herzen ringen und sich nicht eher für Kinder Gottes halten sollen, als bis sie dies erlangt haben. Das ist eine durchaus verkehrte Heilsordnung. Solche Prediger suchen da sin ihre Zuhörer zu pflanzen, wovon Jesus Christus seine Christen zu befreien trachtet; jene loben und preisen das an ihnen, als ein rechtes Kennzeichen eines wahren Christen, was Christus an ihnen tadelt als eine Schwachheit und Krankheit.

    Wer also bisher auch sich nicht anders hat beruhigen wollen, als bis Gott, so zu sagen, sichtbare und fühlbare Zeichen und Wunder an ihm getan habe würde, der muss das als ein Überbleibsel seines natürlichen Unglaubens erkennen, und sich von nun an gewöhnen, allein auf das Wort alles zu bauen und zu gründen. Ein Christ muss wohl Gott danken, wenn er ihm reichen empfindlichen Trost in sein Herz gibt, aber er muss nicht verlangen, dass dieser immer im Herzen bleibe; er muss sich gewöhnen, in allen Nöten des Leibes und der Seele, in allen Bekümmernissen, Ängsten und Anfechtungen nicht zu fragen: Was sagt mein Herz dazu? wie fühle ich jetzt in meinem Inneren? Sondern vielmehr: Wie steht geschrieben? Was verheißt Gott den Sündern? O, wenn das ein Christ zu üben anfängt, wenn er anfängt, sich in allem ein Wort Gottes zu seinem Trost zu suchen und sich nun daran zu halten, so muss ein natürlicher Unglaube immer mehr weichen, und der Glaubenskeim, den er im Herzen trägt, wächst immer mächtiger hervor und wird endlich zu einem tiefgewurzelten Baum, den auch der gewaltigste Anfechtungssturm nicht umzubrechen vermag. Da ist dann Gott auch so gnädig, dass er einen solchen Christen, der sich an sein Wort in aller Not festhält, auch immer mehr erfahren lässt, wie man niemals mit seinem Glauben zuschanden wird, wie Gott allezeit denen, die auf ihn hoffen, um seines Namens Ehre, um seines Wortes, seiner Verheißung und seiner Wahrheit willen helfen müsse. So kommt es denn endlich bei einem oft angefochtenen Christen dahin, dass er spricht: „Wenn ich auch im Finstern sitze, so ist doch der HERR mein Licht“; „ob ich schon wanderte im finsteren Tal“, ob ich schon nichts fühle, ob ich im Gegenteil nichts als Zorn, Verdammung des Gewissens und die Kraft der Sünde in mir empfinde, ja, ob es auch so aussieht, als wäre ich von Gott verlassen, „so fürchte ich doch kein Unglück, denn du, HERR, bist bei mir; dein Stecken und Stab trösten mich.“ O, wenn es mit einem Christen dahin gekommen ist, dass er mit der einigen Stütze des Wortes zufrieden ist, wenn er nichts begehrt, als dass Gott nur sein Wort nicht von ihm nehmen und ihn dabei erhalten wolle, dann ist er stark im Glauben, und so, wie es in unserer heutigen Epistel heißt, stark in dem HERRN und in der Macht seiner Stärke, dann hat er angezogen den Harnisch Gottes, dass er bestehen kann gegen die listigen Anläufe des Teufels. Dann hat er sich auch vor seiner letzten Not, vor seiner Todesstunde nicht zu fürchten. Er weiß es dann: Mag mir im Sterben alles vergehen und alle andere Trost zerrinnen, so will ich mich doch auch dann an das Wort der Gnade für arme Sünder fest anklammern und mit diesem Anker der Hoffnung getrost mich wägen in die Meeresfluten des Todes; dieser Anker hält mir fest, mit ihm will ich ankommen an den Ufern jener neuen seligen Welt, wo mein Glaube aufhören und seliges Anschauen beginnen wird.

    O, so lernt denn alle, meine Zuhörer, hier an das Wort glauben in den Nächten dieses mühseligen Erdenlebens, so wird euch endlich der ewige Tag aufgehen in dem neuen Himmel und auf der neuen Erde, da Gerechtigkeit wohnen wird. Amen.

 

 

Evangelienpredigt zum 22. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 18,23-35: Wie maechtig und dringend die bei Gott erlangte Vergebung einen Christen antreibe, auch seinem Bruder seine Suenden zu erlassen

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

   

    In demselben, unserem teuren Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Die Pflicht, seinen Mitbruder und seine Mitschwester aus Gottes Wort zu strafen, wenn sie sündigen, ist zwar eine selten geübte und freilich schwere, aber eine überaus nötige und heilige Christenpflicht!

    Dass diejenigen ihre sündigenden Mitchristen nicht strafen, welche sich selbst ihr Christentum keinen Ernst sein lassen, das ist kein Wunder, denn sie müssen fürchten, wenn sie andere strafen wollen, dass man ihnen zurufen werde: „Ein jeder fege zuerst vor seiner Tür“ oder, wie es Röm 2. Heißt: „Du vermisst dich zu sein ein Leiter der Blinden, lehrt andere, und lehrst dich selbst nicht. Du predigst, man soll nicht stehlen, und du stiehlst. Du sprichst, man soll nicht ehebrechen, und du brichst die Ehe. Dir sind die Götzen ein Greuel, und du raubst Gott, was sein ist. Du rühmst dich des Gesetzes, und schändest Gott durch Übertretung des Gesetzes.“ Doch selbst unter denen, welche sich befleißigen, als wahre Christen zu wandeln, geschieht es leider sehr häufig, dass sie die Pflicht der brüderlichen Bestrafung versäumen. Sie stoßen und ärgern sich wohl an den Sünden derjenigen, welche Christen sein wollen und sich zu einer christlichen Gemeinde halten; sie klagen auch über solche unchristlich und unordentlch wandelnde Glieder heimlich und in vertrauten Gesellschaften; aber hingehen und den Sünder ermahnen und strafen wollen sie nicht. Daraus entsteht denn unaussprechliches Unheil. Die da sündigen, bleiben in ihrer Sünde und reißen noch mehrere mich sich fort; die Gemeinde bekommt immer mehr faule Glieder und sinkt immer tiefer in die Verderbnis hinein; die Ärgernisse mehren sich; die Gemeinschaft wird vergiftet; die Brüderlichkeit schwindet und gegenseitiges Misstrauen nimmt überhand; der Segen Gottes weicht; die Gemeinde hört auf, vor der Welt als eine Stadt auf hohem Berg zu leuchten; redliche und eifrige, aber an Erkenntnis schwache Seelen wollen sich dann nicht an eine solche Gemeinde anschließen, und manche, die sich bis daher zu ihr gehalten haben, ziehen sich dann scheu zurück und sondern sich ab.

    Es ist freilich wahr: Die Pflicht der brüderlichen Bestrafung ist, wie gesagt, eine der schwersten und, so zu sagen, undankbarsten Christenpflichten; denn je eifriger und treuer ein Christ diese Pflicht ausübt, desto übler ist sehr oft, ja, meistens, der Lohn, den er davon einerntet. Man legt ihm seine Liebe für Lieblosigkeit aus, und der Gestrafte, anstatt die Strafe anzunehmen und sich zu bessern, wird dem, der ihn straft, feind.

    Aber das soll dennoch einen Christen von Erfüllung dieser Pflicht nicht zurückhalten denn es ist eine überaus nötige und heilige Pflicht. So oft wir in Gottes Wort ermahnt werden, unseren Nächsten zu lieben und auch für sein Seelenheil zu sorgen, so oft werden wir auch ermahnt, ihn, wenn er an uns oder anderen sündigt, zu strafen. Unlautere Seelen sehen es freilich für Lieblosigkeit an, wenn sie gestraft werden, aber ein Christ kann im Gegenteil an seinem Mitchristen nicht liebloser handeln, als wenn er ihn ungestraft in seiner Sünde dahingehen lässt; ja, dann wird er vor Gott als ein Mensch angesehen, der seinen Nächsten hasst; die ungestraften Sünden des Nächsten werden ihm mit angerechnet und alles das Verderben, welches er hätte hindern können und doch aus sündlicher Menschenfurcht und Bequemlichkeit nicht gehindert hat, das fällt auf sein Gewissen, als seine Schuld. Wie derjenige billig für einen Mörder gehalten wird, welcher einen in das Wasser Gefallenen nicht herauszieht oder einen Blinden nicht vor dem Abgrund warnt, auf welchen derselbe zugeht, so ist der ein Seelenmörder, welcher seinen sündigenden Mitbruder nicht straft.

    Doch in Gottes Wort wird den Christen die Pflicht der brüderlichen Ermahnung und Bestrafung auch ausdrücklich auferlegt und eingeschärft. Dies finden wir schon in den Schriften des Alten Testaments. Im dritten Buch Mose, im 19. Kapitel, heißt es: „Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen, sondern du sollst deinen Nächsten strafen, damit du nicht seinethalben Schuld tragen musst.“ Ferner heißt es im 141. Psalm: „Der Gerechte schlag mich freundlich und strafe mich, das wird mir so wohl tun wie in Balsam auf meinem Haupt.“ Das Neue Testament endlich ist ähnlicher Aussprüche voll. So heißt es unter anderem Hebr. 3: „Ermahnt euch selbst alle Tage, so lange es heute heißt, dass nicht jemand unter euch verstockt werde durch Betrug der Sünde.“ Vor allem aber ist wichtig die Ermahnung des Heilandes, welche wir Matth. 18 finden. Dort spricht er: „Sündigt aber dein Bruder an dir, so gehe hin und strafe ihn zwischen dir und ihm allein. Hört er dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er dich nicht, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Mund. Hört er die nicht, so sage er der Gemeinde. Hört er die Gemeinde nicht, so halte ihn wie einen Heiden und Zöllner.“ O selige Gemeinde, wo diese brüderliche Ermahnung und Bestrafung im Schwange geht! Wehe aber derjenigen, wo sie unterlassen wird! Da muss trotz der reichsten und reinsten Predigt des Wortes Gottes das Verderben endlich überhand nehmen; sie muss endlich geistlich verwüstet werden; denn jede Gemeinde ist einem Körper gleich: Wollen da nicht alle Glieder das Ihre tun, so muss notwendig endlich der ganze Leib sterben und verderben. –

    Doch wie? Sollte etwa damit, dass das Bestrafen der Sünden des Mitbruders und der Mitschwester geboten ist, erlaubt werden, seinen Bruder und seine Schwester, wenn sie sich an uns versündigt haben, zu hassen und gegen sie hart und unversöhnlich zu sein? Das sei ferne! So heilige Pflicht es für den Christen ist, die Sünden seines Nächsten zu strafen, ebenso heilige Pflicht hat er auch, diese zu verzeihen und zu vergeben.

 

Matthäus 18,23-35: Darum ist das Himmelreich gleich einem König, der mit seinen Knechten rechnen wollte. Und als er anfing zu rechnen, kam ihm einer vor, der war ihm zehntausend Pfund schuldig. Da er’s nun nicht hatte zu bezahlen, hieß der Herr verkaufen ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, und bezahlen. Da fiel der Knecht nieder und betete ihn an und sprach: Herr, habe Geduld mit mir! Ich will dir’s alles bezahlen. Da jammerte den Herrn dieser Knecht und ließ ihn los, und die Schuld erließ er ihm auch. Da ging der Knecht hinaus und fand einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Groschen schuldig. Und er griff ihn an und würgte ihn und sprach: Bezahle mir, was du mir schuldig bist! Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Habe Geduld mit mir! Ich will dir’s alles bezahlen. Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis dass er bezahlte, was er schuldig war. Da aber seine Mitknechte solches sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten vor ihren Herrn alles, was sich begeben hatte. Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du Schalksknecht! Alle diese Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich batest; solltest du denn dich nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis dass er bezahlte alles, was er ihm schuldig war. So wird euch mein himmlischer Vater auch tun, wenn ihr nicht vergebt von eurem Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler.

 

    In dem unserem Text Vorhergehenden lesen wir, wie Christus den Jüngern die Pflicht der brüderlichen Bestrafung einschärfte. Als Petrus dies angehört hatte, so legte er nun Christus die Frage vor: „HERR, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Ist’s genug sieben Mal?“ Hierauf antwortete der HERR nicht nur: „Ich sage dir, nicht sieben Mal, sondern siebzig Mal sieben Mal“, er legte ihm dann auch das Gleichnis in unserem Text vor. Nach demselben lasst mich daher jetzt zeigen:

 

Wie mächtig und dringend die bei Gott erlangte Vergebung einen Christen antreibe, auch seinem Bruder seine Sünden zu erlassen

 

Die Ursachen sind:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil die Sünden, die ihm Gott erlassen, unvergleichbar größer sind als die, welche er seinem Nächsten erlassen soll,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil Gott die Vergebung, der er ihm schenkte, ihm nicht schuldig war, er aber diese seinem Nächsten, als seinem Mitknecht, allerdings schuldig ist, und endlich

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Weil Gott denen ihre Sünden wieder zurechnen will, die sie ihrem Nächsten nicht vergeben wollen.

 

1.

    Christus will, wie wir aus dem Schluss unseres Evangeliums ersehen, durch dass darin enthaltene Gleichnis die Christen antreiben, ihren Mitchristen ihre Sünden zu erlassen. Er stellt daher darin einen König vor, von welchem er Folgendes erzählt: Der König wollte einst mit seinen Knechten Rechnung halten, und siehe! da er anfing zu rechnen, fand sich einer unter ihnen, der war ihm 10.000 Pfund schuldig. Dies war eine ungeheure Summe, die er nimmer zu bezahlen im Stand war, denn ein einziges Pfund oder Talent war nach unserer Rechnung schon anderthalbtausend Taler, so dass die ganze Schuld 15 Millionen Taler betrug (ca. 450 Millionen EURO). Was tut nun der König? Da der Knecht es nicht hatte zu bezahlen, hieß der HERR verkaufen ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, und bezahlen. Da fiel der Knecht nieder, betete ihn an und sprach: „Herr, habe Geduld mit mir; ich will dir’s alles bezahlen.“ Und siehe, da jammerte den Herrn der Knecht, er ließ ihn los, und die Schuld erließ er ihm auch. doch was geschieht? Da ging derselbe Knecht hinaus und fand einen seiner Mitknechte, der war ihm 100 Groschen schuldig (100 Tageslöhne, also ca. 8.000-10.000 EURO); und er ergriff ihn, würgte ihn und sprach: „Bezahle mir, was du mir schuldig bist.“ Da fiel sein Mitknecht nieder, bat ihn und sprach: „Hab Geduld mit mir; ich will dir’s alles bezahlen.“ Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis dass er bezahlte, was er schuldig war.

    Was ist nun wohl die Bedeutung dieses Gleichnisses? Sie liegt sehr nahe. Unter dem König stellt Christus Gott, den König aller Könige vor, unter den Knechten dieses Königs die vernünftigen Geschöpfe Gottes, Engel und Menschen, unter dem Knecht, der dem König 10.000 Pfundschuldig war, die Menschen, unter den 10.000 Pfund die Sünden der Menschen gegen Gott, unter dem Mitknecht den Nächsten oder die Mitchristen und unter den 100 Groschen die Sünden, die ein Christ an den anderen begeht.

    Was will nun aber wohl Christus zunächst mit diesem ersten Teil seines Gleichnisses lehren? Er will offenbar damit zeigen, dass es ein Christ erstlich Gott schuldig ist, seinem Mitknechten seine Sünden zu vergeben; denn wie jener Knecht schon aus Liebe und Dankbarkeit seinen Herrn, der ihm 10.000 Pfund erlassen hatte, auch seinem Mitknecht die 100 Groschen hätte erlassen sollen, so sollte auch ein Christ aus Liebe und Dankbarkeit gegen seinen Gott, der ihm so viele Sünden vergeben hat, auch seinem Nächsten seine Beleidigungen von Herzen vergeben. Und ist’s etwa nicht so, ihr Christen?

    Bedenkt, was Gott an euch getan hat! Ihr wart, wie alle Menschen, Gott 10.000 Pfund schuldig, ihr hattet nämlich alle zehn Gebote Gottes tausend, ja, unzählige Male übertreten; ihr hattet alle Güter, die euch Gott anvertraut hatte, schändlich durchgebracht; ihr hattet mit Gedanken, Worten und Werken Gott beleidigt durch Unterlassen des Guten und Vollbringen des Bösen; ihr wart wert, mit allem, was ihr seid und habt, zur Hölle verkauft zu werden als Sklaven der Sünde. Ihr wart nicht im Stand, eure Schuld bei Gott zu bezahlen.

    Was hat aber Gott getan? Hat er mit euch gehandelt nach Recht? Nein, er hat schon von Ewigkeit daran gedacht, wie er euch durch seinen Sohn helfen könne. Sobald ihr geboren wurdet, hat er euch durch die Taufe eure Sünden abgewaschen und von neuem geboren. Aber ihr selbst habt nach der Taufe neue Sünden angehäuft – da hat Gott zwar oft Rechnung in eurem Gewissen mit euch gehalten, euch aus dem Gesetz eure Schuld vorgestellt und euch darin mit Verstoßen gedroht, aber nur darum, damit ihr euch zu seiner Gnade wenden möget; denn sobald ihr Gott um Geduld gebeten habt von Herzen, da hat euch Gott alsbald die 10.000 Pund eurer Schuld gnädig erlassen.

    Seid ihr nun dafür Gott nicht Dank schuldig? Wie wollt ihr aber Gott danken? Gott tut euch ja nie etwas zu Leid, das ihr ihm wieder vergeben könntet! Ihr könnt ihm auch nichts schenken, denn es ist ja alles schon sein! – Seht, damit ihr ihm danken könnt, so hat er erklärt: „Was ihr getan habt einem unter meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Wenn nun einer eurer Mitbrüder oder eine eurer Mitschwestern an euch sündigt, so wisst, da gibt euch Gott Gelegenheit, euch dankbar gegen ihn und seine Vergebung zu beweisen.

    Was tun also diejenigen, welche ihren Mitchristen ihre Sünden nicht vergeben wollen? Sie zeigen damit eine so schwarze Undankbarkeit gegen Gott, dass sich davor alle Kreaturen entsetzen möchten. Sie verleugnen es damit völlig, dass ihnen Gott ihre Sünden vergeben hat. Sie sind einem Mörder gleich, der schon auf dem Hochgericht angekommen ist, um vom Leben zum Tod gebracht zu werden, der aber plötzlich begnadigt wird und auf dem Rückweg zum Dank für die Begnadigung sogleich einen neuen Mord begeht.

    Ihr alle darum, die ihr Vergebung eurer Sünden von Gott empfangen habt, wacht wohl über euer Herz. Versündigen sich Menschen an euch, so denkt an die von Gott empfangene Gnade, und dass ihr daher Gott schuldig seid, eurem Nächsten wieder zu vergeben.

 

2.

    Doch gehen wir weiter. Christus fährt in seinem Gleichnis so fort: Da aber seine Mitknechte solches sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und brachten vor ihren Herrn alles, was sich begeben hatte. Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du Schalksknecht! Alle diese Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich batest; solltest du denn dich nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe?“ Das, worauf wir hierbei besonders zu merken haben, ist, dass der König zu dem Schalksknecht sagt, sein Schuldner sei ja sein Mitknecht; er will nämlich sagen: Ich war dein Herr, und doch habe ich dir alle deine große schuld erlassen, wieviel mehr solltest du deinem Schuldner seine geringe Schuld erlassen, da du nicht sein Herr, sondern sein Mitknecht bist?

    Hier haben wir daher die zweite Ursache, warum Christen ihren Mitchristen ihre Sünden vergeben sollen, weil sie dies nämlich auch zweitens ihren Mitchristen selbst schuldig sind.

    Die meisten Menschen meinen, meine Lieben, wenn sie von einem Menschen schwer beleidigt worden seien, so sei es zwar Unrecht, sich an demselben zu rächen, aber ob sie ihm alle seine Beleidigungen vergeben, ob sie wieder Liebe und Zuneigung zu ihm fassen wollen, das stehe ganz bei ihnen; täten sie dies, so wäre dies ein besonderes Werk der Großmut und Gnade. aber dem ist nicht so. Gott ist uns freilich keine Liebe, keine Vergebung schuldig, denn er ist unser Schöpfer, unser Herr, unser unumschränkter Gewalthaber; wir gehören ihm an mit allem was wir sind und haben; wir sind ihm gänzlich unterworfen; er kann mit uns handeln wie der Töpfer mit dem Ton, der daraus machen kann, was er will, ein Gefäß der Ehren oder der Unehren. Nachdem wir nun Gottes heilige Gebote übertreten haben und alle Sünde geworden sind, so können wir keine Gnade von ihm fordern. Hätte Gott alle Menschen verloren gehen lassen, so hätte kein Mensch sagen können: Was machst du? Er wäre doch gerecht geblieben. Dass nun Gott seinen eingeborenen Sohn zur Seligmachung der Menschen in die Welt gesandt hat und dass er allen denjenigen ihre Sünden vergeben und sie selig machen will, welche Buße tun und an seinen lieben Sohn glauben, das ist nicht geschehen, weil Gott seine Gerechtigkeit dazu genötigt hätte; das war eine Tat seiner freien, unergründlichen Liebe, Gnade und Barmherzigkeit. Daher diejenigen, welche einst errettet sein werden, nichts als diese Gnade rühmen werden in alle Ewigkeit samt allen heiligen Engeln.

    Nicht so ist es mit uns Menschen. Keiner ist des anderen Herr; im Gegenteil sind wir alle unsere Nächsten, und besonders unserer M9tchritren Schuldner, wie der Apostel sagt: „Seid niemand etwas schuldig, als dass ihr einander liebt.“ Die Liebe sind wir alle unserem Nächten, unserem Mitchristen schuldig; wir sind ihm also auch schuldig, wenn er uns beleidigt hat, ihm die Versöhnung anzubieten, und noch viel mehr, uns mit ihm zu versöhnen, wenn er uns selbst darum bittet.

    Was tun also diejenigen, welche ihren Beleidigern nicht von Herzen vergeben, die nicht mehr freundlich mit ihnen reden, nicht über ihre Schwelle kommen, sie nie wieder sehen, oder die, wie sie, Gott spottend, sagen, die Beleidigung sei zwar vergeben, aber nicht vergessen wollen? Was tun solche Unversöhnliche? Sie werden dadurch nicht nur undankbar gegen Gott, sondern sie versündigen sich auch schwer an ihrem Nächsten; sie unterlassen nicht nur die Übung einer edlen Großmut, sie versagen ihrem Nächsten auch etwas, was sie ihm zu erweisen durchaus schuldig und verbunden sind, und was dieser von ihnen zu fordern das vollkommenste Recht hat; sie machen sich dadurch zu Gott selbst und werden dadurch größere und vor Gott verwerflichere Sünder als der, der sie beleidigt hat, wäre die Beleidigung auch noch so groß gewesen. Ja, sie werden dadurch dem Satan ähnlich, der auch unversöhnlich in seinem Hass und Zorn ist; zürnen ist freilich menschlich, aber im Zorn verharren wollen – das ist teuflisch.

 

3.

    Doch, meine Lieben, ein Christ soll seinem Nächsten auch endlich drittens darum seine Sünden vergeben, weil er sich dies selbst schuldig ist. So heißt es nämlich zum Schluss unseres Textes: Und sein Herr wurde zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis dass er bezahlte alles, was er ihm schuldig war. So wird euch mein himmlischer Vater auch tun, wenn ihr nicht vergebt von eurem Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler.“

    Hieraus sehen wir: So lieb einem Christen seine Seele und seine Seligkeit ist, so ernstlich hat er sich zu hüten, Hass und Groll in seinem Herzen zu halten und gegen seine Beleidiger unversöhnlich zu sein. Denn auf der Unversöhnlichkeit ruht Gottes Zorn. Er ist kein Christ und gehört nicht in Christi Reich, denn das Reich Christi ist ein Reich der Liebe, Gnade und Versöhnung. Seine Sünden sind ihm nicht vergeben, denn Gott will die Sünden nur so vergeben, wie der Mensch sie seinem Nächsten vergibt; wie es in der fünften Bitte heißt: „Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.“ Hat ein Unversöhnlicher zuvor Vergebung gehabt, so hat er sie durch seine Unversöhnlichkeit wieder verloren. Er steht nicht im Glauben, und wenn er’s meint, so ist’s Täuschung, denn der Glaube ist durch die Liebe tätig. Seine Taufe ist für ihn vergeblich, denn er hat den Taufbund gebrochen. Vergeblich tut er andere sogenannte gute Werke, denn sie kommen bei ihm aus der bösen Quelle eines unversöhnlichen Herzens, sie gefallen daher Gott nicht. Vergeblich ist sein Gottesdienst, er dient dem Teufel. Vergeblich betet er, er kann kein Vaterunser im Glauben beben, die fünfte Bitte verdammt ihn; Gott erhört ihn nicht. Vergeblich geht er zur Kirche und hört Gottes Wort, es kann ihn nicht selig machen, denn auf seinem Herzen liegt ein Bann. Vergeblich geht er zum heiligen Abendmahl, er genießt sich’s als ein Unwürdiger zum Gericht. Vergeblich ist’s, dass er sich anderer Sünden enthält und ein eingezogenes Leben führt; denn wo die Sünde der Unversöhnlichkeit herrscht, da herrschen alle Sünden; wer das ganze Gesetz hält und sündigt an einem, der ist es ganz schuldig. Ein Unversöhnlicher hat sich keiner Verheißung zu getrösten, alle Drohungen und Flüche Gottes in seinem Wort sind gegen ihn gerichtet.

    Wehe daher einem Menschen, der in seiner Unversöhnlichkeit stirbt. Er stirbt unselig und kommt nicht zum Anschauen Gottes; die Tür des Himmels ist ihm verschlossen; vergeblich ruft er: „HERR, tue mir auf!“ Christus antwortet: „Ich habe dich noch nie erkannt, weiche von mir, du Übeltäter.“ Er kommt in das Gericht, er findet keine Gnade, Jesus steht ihm nicht zur Seite, er kennt ich nicht für den Seinigen. Er wir so gewiss verdammt, so gewiss und wahrhaftig Gottes Wort ist. Er wird zur Hölle verstoßen als ein Heuchler und Abgefallener und als ein Kind der Sünde, der Finsternis und des Teufels. Er wird den Peinigern übergeben werden und von ihnen gequält werden ohne Ende, und der Rauch seiner Qual wird aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Sein Wurm wird nicht sterben und sein Feuer nicht verlöschen. Er wird in Kainischer Reue sich selbst martern und doch nie Barmherzigkeit finden, denn aus der Hölle ist keine Erlösung.

    O, so lasst uns denn erschrecken vor der furchtbaren teuflischen Sünde der Unversöhnlichkeit. Lasst uns uns prüfen, ob wir mit irgendeinem Menschen in der Welt Zorn halten, und findet dies jemand in sich, der tue in Zeiten Buße und versöhne sich eilend mit Gott und Menschen, damit er am schrecklichen Tag der Rechnung bestehen und nicht zuschanden werden möge. Das verleihe uns der himmlische Vater durch Jesus Christus, seinen lieben Sohn, unseren HERRN und Heiland. Amen.

 

 

Evangelienpredigt zum 23. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 22,15-22: Das gegenseitige Verhaeltnis des Christen und des Staatsbuergers

 

    Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Von jeher ist denjenigen, welche treue Knechte Gottes waren, der Vorwurf gemacht worden, dass sie Feinde und Störer der allgemeinen bürgerlichen Wohlfahrt seien. Als der König Ahab den Propheten Elia, der des Volkes Sünde und Abgötterei gestraft hatte, endlich nach langem vergeblichem Suchen fand, rief jener ihm sogleich entgegen: „Bist du, der Israel verwirrt?“ Aber Elia antwortete dem König kühn und furchtlos: „Ich verwirre Israel nicht, sondern du und deines Vaters Haus, damit, dass ihr des HERRN Gebote verlassen habt und wandelt Baalim nach.“ Dasselbe widerfuhr dem Propheten Amos; als dieser Gottes Strafgerichte über das Land Israel verkündigte, ließ der Priester Amazja dem König Jerobeam erzürnt sagen: „Der Amos macht einen Aufruhr gegen dich im Haus Israel, das Land kann sein Wort nicht leiden.“

    Von der Last dieses Vorwurfs ist selbst Christus, der Sohn Gottes, nicht frei geblieben. Als er vor Pilatus stand, erhoben die Hohenpriester gegen ihn die Anklage. „Er hat das Volk erregt damit, dass er gelehrt hat hin und her im ganzen jüdischen Land, und hat in Galiläa angefangen, bis hierher.“ Womit nun Christus einst in der Welt geschmäht worden ist, diese Schmach haben auch alle seine treuen Nachfolger ihm nachtragen müssen. Auch den heiligen Aposteln erging es nicht besser. Als einst Paulus und Silas das Friedensevangelium in Philippi gepredigt hatten, führte man sie vor die Hauptleute der Stadt und sprach: „Diese Menschen machen unsere Stadt irre; sie verkündigen eine Weise, welche uns nicht ziemt anzunehmen, noch zu tun, weil wir Römer sind.“

    So unbegründet nun diese Beschuldigung war, dass die Lehre des Evangeliums zu Aufruhr Anlass gebe und den Staat umstürze, so wurde sie doch fort und fort auch in den späteren Zeiten gegen die Christen erhoben und als eine gewaltige Waffe gegen sie gebraucht. Weil sie dem Verbot, nicht von Christus zu predigen, nicht nachkommen konnten, erklärte man sie für Rebellen; weil sie vor dem Bild des Kaisers kein Räuchwerk, welches ein Zeichen göttlicher Verehrung war, anzünden wollten, rief man sie für Majestätsschänder aus; weil sie an den allgemeinen Volksbelustigungen, an den öffentlichen Schauspielen und dergleichen nicht teilnahmen, brandmarkte man sie als düstere Feinde des ganzen menschlichen Geschlechts. Um diese Gedanken von den ersten Christen zu erhalten und zu nähren, ließ daher einst Kaiser Nero die Stadt Rom in Brand stecken und klagte hierauf die Christen dieser furchtbaren Brandstiftung an.

    So oft das Evangelium in seiner göttlichen Reinheit und Kraft in der Welt gepredigt worden ist, so oft ist auch gegen die gläubigen Christen jener alte Vorwurf erneuert worden. Dies geschah unter anderem auch einst zur Zeit der Reformation. Auch Luther und seine Glaubensgenossen wurden da öffentlich des Aufruhrs und der Umwälzung aller guten bürgerlichen Ordnung beschuldigt. Luther schreibt hiervon nach seiner eigenen Erfahrung in einer Vorrede zu seinen Schriften: „Man schreit: Siehe, du bekennst und klagst selbst, dass viel Aufruhr entstehe, wer hat daher anders Ursache dazu gegeben, als eben du mit deiner Lehre? Das ist“, fährt Luther fort, „jetzt ihre Kunst, damit sie des Luthers Lehre, wie sie sich dünken lassen, zugrunde umstoßen. Wenn man aber dieser ihrer hohen Kunst nach sollte klügeln, so müssten alle Propheten auch Aufrührer gewesen sein, denn für solche sind sie von ihrem eigenen Volk gehalten, gescholten, verfolgt und gemeiniglich alle hingerichtet. Auch musste Christus der HERR selbst (solches) von seinen Juden hören und wurde auch endlich zum Tod am Kreuz verurteilt als ein Aufrührer. So haben’s ja die Apostel und Jünger auch nicht besser gehabt als ihr HERR und Meister. Ist dem nun so“, schließt Luther, „was Wunder ist’s, dass auch wir, so jetzt in dieser letzten schrecklichen Zeit Christus predigen und bekennen, dermaßen wie sie als Aufrührer verdammt werden?“

    Hiernach dürfen aber wir, meine Brüder, uns noch weniger wundern, dass die Ungläubigen dieses Landes noch jetzt öffentlich mit der Behauptung hervortreten, dass das Christentum der Wohlfahrt dieses Staates schädlich sei, dass dasselbe den Vereinigten Staaten noch den Untergang bereiten werde, indem es wie ein Wurm an der Wurzel des Freiheitsbaumes nage; kurz, dass eifrige Christen unmöglich zugleich gute Staatsbürger sein könnten.

    Wie aber? Sollte dieser Vorwurf etwa doch nicht so ganz ungerecht sein? sollte das Evangelium wirklich den heilsamen Gesetzen eines Landes widerstreiten? Sollte Christi Kirche wirklich den Staaten Gefahr drohen? Sollten die Regierenden der Welt wirklich von Christus, dem König der Wahrheit, für ihr Volk und Regiment zu fürchten haben? sollte ein guter Christ nicht zugleich ein guter Bürger sein können? Davon sagt uns unser heutiger Text.

 

Matthäus 22,15-22: Da gingen die Pharisäer hin und hielten einen Rat, wie sie ihn fingen in seiner Rede. Und sie sandten zu ihm ihre Jünger samt des Herodes Dienern und sprachen: Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrst den Weg Gottes recht und fragst nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen. Darum sage uns, was dünkt dich? Ist’s recht, dass man dem Kaiser Zins gebe, oder nicht? Da nun Jesus merkte ihre Schalkheit, sprach er: Ihr Heuchler, was versucht ihr mich? Weist mir die Zinsmünze! Und sie reichten ihm einen Groschen dar. Und er sprach zu ihnen: Wes ist das Bild und die Überschrift? Sie sprachen zu ihm: Des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Da sie das hörten, verwunderten sie sich und ließen ihn und gingen davon.

 

    „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“, so lautet die Entscheidung, welche Christus einst auf die Frage gab, ob es recht sei, dass man dem Kaiser Zins gebe, oder nicht. Mit diesen kurzen Worten hat Christus deutlich ausgesprochen, dass die Reiche der Welt neben dem Reich Gottes recht wohl bestehen und dass man also ein Christ und zugleich ein guter Staatsbürger sein könne. Hiernach lasst mich euch jetzt vorstellen:

 

Das gegenseitige Verhältnis des Christen und des Staatsbürgers

    Hierbei werden wie zweierlei lernen:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass ein Mensch ein Christ und zugleich ein guter Staatsbürger sein könne, ja, notwendig sein müsse; und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass aber zu einem wahren Christen mehr gehöre, als dass er nur ein guter Staatsbürger sei.

 

    HERR Jesus, du ewiger König, du willst zwar, dass deine Christen sich hier mit ihren Werken Menschen unterwerfen, aber du willst auch, dass ihr Herz keinem anderen Herrn als dir ergeben und unterworfen sei. Darum bitten wir dich, gib uns Gnade, aller menschlichen Ordnung um deinetwillen in freier Liebe untertan zu sein; vor allem aber bitten wir dich, nimmt du Besitz von unserem Herzen, wohne darin, herrsche darin, sei König darin und bleibe darin, bis wir das sichtbare Reich dieser Welt verlassen und dort in dem unsichtbaren Reich deiner Herrlichkeit zu deinen Füßen anbeten von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

1.

    In dem vor unserem Evangelium vorhergehenden Abschnitt der evangelischen Geschichte wird uns, meine Lieben, erzählt, dass Christus einst sein Reich unter dem Bild einer königlichen Hochzeit dargestellt und dabei gezeigt hatte, wie die meisten Juden die Einladung dazu verachtet haben, ja, wie etliche aus diesem Volk endlich die Einladenden greifen, höhnen und töten, wie Gott aber diese Mörder umbringen, ihre Stadt anzünden und nun an ihrer Statt die Heiden zur Hochzeit einladen lassen werde. Mit verbisssenem Zorn hatten dies die Pharisäer mit angehört. Es war ihnen nicht nur höchst ärgerlich, dass Christus sein Reich mit einem Königreich verglich und sich damit für den Messias erklärte; sie wussten auch gar wohl, dass Christus unter den Mördern niemand anderen als sie verstanden hatte. Was tun sie? Sie versammeln sich und halten einen Rat, wie sie Christus fangen wollen in seiner Rede. Sie beschließen, jetzt einen Hauptschlag gegen Christus auszuführen, ihn nämlich zu locken, sich mit Worten gegen den Kaiser zu vergehen, worauf sie ihm als einen Majestätsverbrecher den Untergang bereiten zu können hoffen. Sie denken nämlich, da Christus sein Reich als ein Königreich darstelle, so werde er sicher kein Freund des Kaisers sein, der damals die Herrschaft über das jüdische Volk inne hatte. Um recht sicher zu gehen, gehen daher die Pharisäer nicht selbst zu Christus, sondern senden zu ihm ihre Jünger, und zwar in Begleitung von Dienern des Königs Herodes, welche Christus sogleich festnehmen sollten, sobald sich dieser mit Worten gegen die höchste Landesobrigkeit vergangen haben würde.

    Die Jünger fangen es auch in der Tat klug an. Mit freundlicher und ehrerbietiger Miene sprechen sie: „Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrst den Weg Gottes recht und fragst nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen.“ Mit diesen Schmeichelworten hoffen sie, Christus sicher zu machen und seine vermeintlichen geheimen Gedanken gegen die bestehende Regierung aus ihm herauszulocken. Scheinbar ohne alles arg setzen sie daher nun hinzu: „Darum sage uns, was dünkt dich? Ist es recht, dass man dem Kaiser Zins gebe, oder nicht?“

    Was tut Jesus? Es heißt: „Da nun Jesus merkte ihre Schalkheit, sprach er: Ihr Heuchler, was versucht ihr mich?“ – Wie mögen die Elenden schon bei dieser Anrede erschrocken sein! Trotz aller ihrer List sahen sie wider alles Erwarten ihr Geheimnis verraten. Christus führt fort: „Weist mir die Zinsmünze! Und sie reichten ihm einen Groschen dar. Und er sprach zu ihnen: Wes ist das Bild und die Überschrift? Sie sprachen zu ihm: Des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Da sie das hörten, verwunderten sie sich und ließen ihn und gingen davon.“ Worin bestand nämlich Christi Bescheid? Darin: Da das kaiserliche Zinsgeld unter den Juden im Umlauf ist, so geht daraus hervor, dass sie dem Kaiser zinspflichtig und ihm unterworfen sind; so ist denn daher auch ein jeder rechtschaffene Israelit schuldig und verbunden, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, nämlich Zins, Steuer, Zoll, Ehre, Gehorsam und dergleichen, und dies hindere keineswegs, auch Gott zu geben, was Gottes ist.

    Hiermit hat denn Christus auch die Frage entschieden, ob ein Mensch als ein Christ in seinem Reich leben und doch zugleich ein guter Staatsbürger sein könne, ja, sein müsse. Christus hat dies hiermit einem einem entschiedenen Ja beantwortet.

     Der erste Grund dafür liegt in der Beschaffenheit des Reiches Christi und der Reiche dieser Welt. Es ist wahr: Hätte Christus mit seinem Reich auch den Zweck, Länder zu gewinnen, und wendete er zur Ausbreitung desselben auch leibliche Gewalt an, dann könnten wohl Staaten den Christen die Aufnahme als Bürger verweigern und von ihnen Verräterei und Unheil fürchten. Aber dem ist nicht so. Die Beschaffenheit des Reiches Christi und der Reiche dieser Welt ist eine durchaus verschiedene. Christi Reich ist ein unsichtbares, geistliches Reich, die weltlichen Reiche sind sichtbare, leibliche Reiche; Christus will allein herrschen über die Seelen der Menschen, die Weltreiche herrschen über ihre Leiber; in Christi Reich handelt sich’s um himmlische Güter, in den Weltreichen um irdische; Christi Reich hat das ewige Leben und den Himmel, die Weltreiche das zeitliche Leben und diese Welt zu ihrem Zweck; in Christi Reich sind die einzigen Waffen das Wort Gottes, das Gebet und die Tränen, in den Weltreichen gebraucht man hingegen Waffen aus Stahl und Eisen; in Christi Reich ist der der Höchste, der dem anderen am demütigsten dient, und der ist der ruhmvollste Überwinder, der mit dem wenigsten Widerstreben leidet und duldet; in den Weltreichen hingegen ist der der Höchste, der die Meisten beherrscht, und der der Überwinder, der den anderen unterdrückt.

    Sollte hiernach der Staat etwas von der Kirche, die bürgerliche Ordnung etwas von dem Christentum, die Reiche dieser Welt etwas von dem Reich Christi zu fürchten haben? Nein! Wo Christus mit seinem Wort hinkommt, da schlägt er sein Reich allein in den Herzen der Menschen auf; er begehrt keinen Geldzins, keine leibliche Steuer noch Zoll, keinen irdischen Thron, keine sichtbare Burg, kein Schloss, keine befestigten Städte und keine leiblich bewaffneten Söldner, die zum Schutz oder zur Ausbreitung seines Reiches kämpfen sollten; er begehrt allein des Menschen Herz, einen geistlichen Sinn, ein himmlisches Gemüt, Glauben und Vertrauen. Er verspricht auch seinen Untertanen keine Ehrenstellen in dieser Welt, keinen irdischen Reichtum, keine guten Tage, sondern Schmach, Armut, Trübsal, Verfolgung, und erst nach dem Tod das ewige Leben.

    So wenig es daher hindert, dass die Bürger zugleich Väter, Mütter, Söhne, Töchter und zu Familien verbunden sind, so wenig hindert es, dass die Bürger zugleich Christen sind, und dass sie außerdem noch ein Bürgerrecht im Himmel haben. So wenig das Licht, wenn es in Städte und Wohnungen eindringt, etwas darin zerstört und verrückt, so wenig stört und verrückt das unsichtbare Reich Christi etwas, wenn es unter einem Volk einzieht. Wenn Christus mit Wort und Sakrament in ein Land kommt, so kommt er nicht, um eine Änderung in der Staatsverfassung, sondern in der menschlichen Seelenverfassung vorzunehmen; er ruft dann vielmehr allen zu: „Ein jeglicher bleibe in seinem Beruf, darin er berufen ist.“ Heimlich und ungesehen von Menschenaugen, erobert Christus ganze Staaten, aber er lässt dem König seinen Thron, den Staatsbeamten ihre Gewalten und Würden, den Richtern ihre Gerichtsstühle, dem Land seine Gesetze, der Republik ihre Freiheit, den Städten ihre Gerechtsame. Ja, Christus will gar nicht, dass die Weltreiche nach seinem Evangelium regiert werden. In seinem Reich soll Versöhnung und Vergebung der Sünden, auch der größten, selbst des Mordes, herrschen; in den Weltreichen Rache und Strafe; da soll es heißen: Auge um Auge, Zahn um Zahn. In Christi Reich soll kein Gläubiger Zinsen begehren und kein Schuldner zur Wiederbezahlung gedrängt werden; hingegen in den Reichen dieser Welkt soll der Richter die Schuld samt den Zinsen zu bezahlen mit Strenge fordern und mit Strafen erzwingen. In Christi Reich soll keine Ehescheidung stattfinden, es sei denn um der Hurerei willen; in den Weltreichen hingegen dürfen Obrigkeiten nach Moses Beispiel, um größeren Schaden zu verhüten, den Gottlosen auch um anderer Ursachen willen sich zu scheiden erlauben. Kurz, während Christus in seinem Reich allein für das ewige Leben sogt, so sollen die Regenten im Weltreich, auch wenn sie Christen sind, vor allem für die Wohlfahrt in diesem Leben sorgen.

    Hierzu kommt nun noch dieses. Das Christentum legt noch besonders den Christen Gebote auf, welche es ihnen zur Pflicht machen, treue Staatsbürger zu sein. Das Christentum gebietet ihnen, die weltliche Obrigkeit als eine göttliche Gewalt auf Erden zu ehren, ihre Ordnungen als Gottes Ordnungen zu achten, ihren Gesetzen Gehorsam zu leisten und ihre Auflagen zu entrichten, kurz, sich auch durch alle bürgerlichen Tugenden auszuzeichnen. Gottes Wort ruft ihnen zu: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit, außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun gegen die Obrigkeit setzt, der widerstrebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil empfangen. Sie trägt das Schwert nicht umsonst, sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zu Strafe über den, der Böses tut. So seid nun aus Not untertan, nicht allein um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen. Gebt jedermann, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.“ Selbst zum Kriegsdienst sollen Christen sich gebrauchen lassen; denn als römische Soldaten zu Johannes dem Täufer kamen und ihn fragten: „Was sollen wir tun?“ da hieß dieser Vorläufer Christi ihnen nicht, ihren Beruf als einen unchristlichen zu verlassen, sondern, ihn bestätigend, sprach er: „Tut niemand Gewalt oder Unrecht, und lasst euch genügen an eurem Sold.“ Gottes Wort gebietet mit einem Wort den Christen, alles an ihrem Teil zu tun, damit das Wohl des Staates gefördert und alles, was zu dessen Schaden gereichen könnte, abgewendet werde. Daher erhielten die Israeliten, als sie nach Babel geführt worden waren, durch den Propheten Jeremia den Befehl Gottes: „Sucht der Stadt Bestes, dahin ich euch habe lassen wegführen, und betet für sie zum HERRN; denn wenn es ihr wohl geht, so geht es euch auch wohl.“

    Wohl darum dem Reich, in welchem auch Christus unsichtbar seines Reiches Thron gebaut hat; der Grund seiner Wohlfahrt ist dann wohl gelegt. Wohl dem Staat, dessen Bürger wahre Christen sind, sie werden im Frieden des Landes feste Säule und im Krieg des Volkes beste Schutzmauern sein. Wie sie in einem Königreich den Thron des Fürsten stützen, so werden sie in einer Republik den Baum der Freiheit als freie Männer pflegen, bewachen und beschützen.

 

2.

    Doch, meine Lieben, nachdem wir nun gesehen haben, dass ein Mensch ein Christ und zugleich ein guter Staatsbürger sein könne, ja, notwendig zugleich sein müsse, so lasst uns nun zweitens auch darauf achten, dass aber zu einem wahren Christen mehr gehört, als dass er nur ein guter Staatsbürger ist.

    Auch diese Betrachtung ist, meine Lieben, höchst nötig und wichtig. Die meisten sogenannten Christen stehen nämlich in dem gefährlichen Wahn, wenn sie der Obrigkeit, die Gewalt über sie hat, untertan seien, wenn sie sich den bürgerlichen Gesetzen und Ordnungen ihres Landes unterwerfen, wenn sie ihre Abgabe, Steuern und Zölle unweigerlich entrichten, wenn sie ihre Oberen in Ehren halten, wenn sie als friedliebende und dienstfertige Nachbarn sich erweisen, wenn sie durch ihren Fleiß und ihre Betriebsamkeit um einen Staat oder eine Stadt sich verdient machen, wenn sie nie Ursache geben, um vor Gericht und zur strafe gezogen zu werden, wenn sie als Treue, Unbescholtene und Tugendhafte allenthalben gelobt und hoch geehrt seien, dann seien sie gewiss auch rechtschaffene Christen.

    Das ist aber, wie gesagt, nichts als ein Wahn. Wer diesen Ruhm hat, der mag wohl ein guter Staatsbürger sein, aber ein Bürger des Himmelreichs oder ein wahrer Christ ist er darum noch keineswegs. Ein solcher Mensch gibt wohl dem Kaiser, was des Kaisers ist; aber Christus, wenn er die Schuldigkeit seiner Christen beschreiben will, sagt nicht nur: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist“, sondern er setzt auch hinzu: „Und Gott, was Gottes ist.“

    Hieraus ist offenbar, wie ich schon oben erwähnt habe: Die Weltreiche und das Reich Gottes oder Christi sind zwei verschiedene Reiche. Darum kann ein Mensch wohl als ein guter Bürger des ersten sich erweisen, ohne ein Bürger des Reiches Christi zu sein. Merkt daher wohl den Unterschied.

    Bürger eines Staates wird man durch seine leibliche Geburt und durch die Bitte um Aufnahme in die bürgerlichen Listen; dadurch wird man aber kein Bürger des Reiches Christi; dies wird man vielmehr durch die heilige Taufe [und Bekehrung]; da wird man geistlich geboren und hierauf eingeschrieben in die Bürgerliste des Himmelreichs. Der Bürger eines Staates muss seinen Bürgerschein aufbewahren und sich dadurch ausweisen, dass er wirklich sei, wofür er sich ausgibt; dieser Bürgerschein gilt aber im Himmelreich nicht; ein Bürger des Himmelreichs muss vielmehr durch Bewahrung seines Taufbundes, dadurch, dass er den alten Menschen täglich ersäuft und sich täglich im Geist erneuert, beweisen, dass er noch ein Christ ist. Der Bürger eines Staates ist den Gesetzen und Ordnungen desselben unweigerlich gehorsam; dieser Gehorsam gilt aber vor dem König aller Könige nichts; ein Bürger des Himmelreichs muss sich als solcher vielmehr dem Wort Gottes mit unbedingtem Gehorsam unterwerfen; das ist das rechte Gesetzbuch des Allerhöchsten. Der Bürger eines Staates gibt seiner Obrigkeit den Zoll und die Steuer, die sie verlangt; mit diesen Abgaben trägt aber ein Mensch nicht ab, was Gott von seinen Untertanen fordert; in Gottes Reich ist Steuer und Zoll – des Menschen Herz; das, das will Gott von seinen Untertanen haben.

    Hiernach prüft euch denn, meine Zuhörer: Habt ihr den Ruhm, gute Bürger zu sein, - wohl euch! – Aber meint nicht, dass ihr schon darum auch gute Christen seid. Wollt ihr Christen sein, so sagt: Wo ist euer Bürgerschein für das unsichtbare Himmelreich? – Ihr sprecht: Wir sind getauft; wohl, – aber habt ihr auch diesen Bürgerschein euch bewahrt durch tägliche Reue und Buße? Ersäuft ihr dadurch täglich den alten Dam mit allen seinen Sünden und bösen Lüsten, und steht ihr täglich auf als neue Menschen, die [im herzlichen Glauben an Jesus Christus] in Gerechtigkeit und Reinigkeit vor Gott leben? Wollt ihr Christen sein, so frage ich euch ferner: Seid ihr etwa zufrieden, wenn eure Werke nur mit den Gesetzen des Landes übereinstimmen? – Bedenkt: Christen haben ein anderes Gesetzbuch als die, die allein Bürger eines Weltreiches sein wollen; das Gesetz, nach welchem Christen sich richten, ist Gottes Wort. Was Gottes Wort verbietet, das unterlassen Christen, wenn es auch in keinem Gesetz des Landes verboten ist; und was Gottes Wort von ihnen fordert, das tun sie, wenn es auch kein weltliches Gesetz von ihnen forderte. Wollt ihr Christen sein, so frage ich euch endlich: Gebt ihr Gott auch seinen Zoll und Steuer? Gebt ihr ihm euer ganzes Herz? Ist Gottes Ehre, Gottes Wohlgefallen der letzte Grund aller eurer Handlungen? Ist es, bedenkt, was ich euch frage, ist es euer ganzer Ernst, Gott euch aufzuopfern, ihm zu leben, ihm zu leiden, ihm zu sterben? –

    Das, das allein sind Kennzeichen, ob ihr nicht nur gute Bürger eines Staates, sondern auch gute Christen seid.

   O, dass sich hierin niemand unter uns betrügen möchte! Denn wehe dem, welcher hier wohl als ein guter Bürger, gerühmt und gelobt, einhergeht, und doch nicht zu dem unsichtbaren geistlichen Reich Jesu Christi gehört. Es kommt ein Tag, da wird Gott den bloßen Bürger von dem Christen scheiden; da wird auch der Ehrbarste und Unsträflichste nicht bestehen; da wird der Ruhm vor Menschen zur Schande werden; denn „die Welt vergeht mit ihrer Lust“, mit ihrer Gerechtigkeit, mit ihren Tugenden, mit ihrer Ehre, „wer aber den willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit“. „So gebt denn dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Amen.

 

 

Evangelienpredigt zum 24. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 9,18-26: Dass allein der Glaube die Kraft hat, Suende und Tod zu überwinden

 

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

 

    In demselben unserem Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Keine Lehre ist bei der ungläubigen Welt und bei den schwärmerischen Sekten mehr in Verruf als die Lehre, dass der Mensch allein durch den Glauben Gottes Gnade und die ewige Seligkeit erlange.

    Die ungläubige Welt behauptet, dass durch die Lehre von der Seligkeit durch den Glauben aller Eifer zur Vollbringung edler Taten erstickt, aller ernste Kampf gegen die eigenen Leidenschaften unterdrückt und das Gewissen der Menschen bei allen ihren Sünden dadurch fälschlich beruhigt und endlich gänzlich eingeschläfert werde. Obgleich die Ungläubigen selbst ihren eigenen Lüsten völlig freien Zaum und Zügel lassen und sich keiner Sünden schämen, als höchstens derjenigen, die sie in der Augen von ihresgleichen verächtlich machen können, so schreiben sie doch jede Sünde, die an denen offenbar wird, welche sich zu den Gläubigen gehalten haben, ihrem Glauben, als der bösen Quelle derselben, zu; sie rufen dann aus: Seht, das sind die traurigen Früchte der Lehre, dass man allein durch den Glauben selig werde! Die Ungläubigen müssen es zugestehen, dass gerade diejenigen, welche allein aus Gnaden selig werden wollen, in der Regel am eifrigsten sind in guten Werken und sich am meisten durch wahrhaft christliche Tugenden auszeichnen, durch Keuschheit, durch Liebe, durch Demut, durch Sanftmut, durch Freigiebigkeit, durch Versöhnlichkeit, durch Mäßigkeit und dergleichen; findet sich aber einmal unter der Gemeinschaft der Gläubigen auf nur ein offenbarer Heuchler, der den Glauben im Mund führt, aber ihn mit seinen Werken verleugnet, dann ruft die Welt aus: O, es ist mit dem Glauben nichts als Heuchelei; die Gläubigen sind alle geheime Sündendiener!

    Was die schwärmerischen Sekten unserer Tage betrifft, so führen diese zwar selbst das Wort Glauben immer im Mund, so dass man meinen könnte, diese seien gewiss keine Feinde der Lehre vom Glauben und von der Seligkeit aus Gnaden; aber durch den bloßen häufigen Gebrauch des Wortes Glaube darf man sich ja nicht täuschen lassen. Denn merkt man auf die Rede der Falschgläubigen unserer Tage genauer, so wird man bald gewahr: Wenn sie vom Glauben reden, so meinen sie nicht das, was eigentlich Glaube ist, sie meinen nicht jenes kühne Vertrauen, das ein armer Sünder auf Gottes Gnade setzt, die allen Menschen in dem Wort Gottes verheißen wird und angeboten wird und die ihnen durch die Taufe und das heilige Abendmahl versiegelt werden soll, sondern sie meinen unter dem Glauben gewisse süße Gefühle, die in einem Menschen auf sein Lesen, Beten und Ringen entstehen. Dass man unter den Sekten jetzt eigentlich dies allein unter dem Wort Glauben versteht, geht auch daraus hervor, dass von den Sekten das Wort Gottes ganz verächtlich ein toter Buchstabe genannt wird und diejenigen, welche sich auf den Buchstaben des geschriebenen Wortes Gottes verlassen, von ihnen elende Buchstäbler oder Buchstabenknechte gescholten werden. Dass die jetzigen Sekten wohl das Wort Glaube oft im Mund führen, aber etwas ganz anderes darunter verstehen und die wahre Lehre vom Glauben verwerfen, ist ferner deutlich daraus zu sehen, dass sie von den heiligen Sakramenten, an die sie ja der Glaube hält, überaus wegwerfend sprechen. Sie brechen nicht selten in solche unchristlichen Reden aus: „Bekehrt euch; eure Taufe hilft euch nichts, und wenn ihr täglich hundertmal getauft würdet; was kann euch eine Handvoll Wasser nützen?“ Will sich ein Sünder der erhaltenen Absolution und des empfangenen heiligen Abendmahls trösten, so sagen sie, dass sei ein Kunstgriff des Teufels, wodurch die Seelen nur sicher würden. Reden aber diese Schwarmgeister von ihren Bußbänken, von ihren Klassenversammlungen, von ihren sogenannten Liebesfesten, von ihren Feldversammlungen und dergleichen Menschensatzungen, da reden sie nicht so: „Das hilft euch nichts!“ sondern darauf halten sie, als auf die wirksamsten Gnadenmittel, und das preisen sie höher an als Taufe, Abendmahl, Absolution und alles, was Gott selbst eingesetzt hat; und wer gegen diese Menschenfündlein nur ein Wort zu sagen wagt, dessen Namen schlagen sie sogleich in ihren Versammlungen und in ihren öffentlichen Blättern an den Schandpfahl, als eines Feindes des wahren lebendigen Christentums.

    Je größerer Eifer nun diese Schwärmer in gottseligen Übungen zeigen, und je mehr sie dabei vom Glauben reden, desto gefährlicher ist für wahre Christen ihre hochmütige Verwerfung der von Gott verordneten Gnadenmittel und desto leichter können sie von dem wahren Glauben, der sich auf das Wort und die heiligen Sakramente gründet, abführen. Es ist daher überaus nötig, dass wir die rechte Lehre vom Glauben und seiner herrlichen Kraft, zu trösten und selig zu machen, immer wieder aufs neue uns vorhalten und unserem Herzen einprägen. Dies lasst uns denn in gegenwärtiger Stunde tun.

 

Matthäus 9,18-26: Da er solches mit ihnen redete, siehe, da kam der Obersten einer und fiel vor ihm nieder und sprach: HERR, meine Tochter ist jetzt gestorben; aber komm und lege deine Hand auf sie, so wird sie lebendig. Und Jesus stand auf und folgte ihm nach und seine Jünger. 20 Und siehe, eine Frau, die zwölf Jahre die Blutung gehabt, trat von hinten zu ihm und rührte seines Kleides Saum an. 21 Denn sie sprach bei sich selbst: Könnte ich nur sein Kleid anrühren, so würde ich gesund. 22 Da wandte sich Jesus um und sah sie und sprach: Sei getrost, meine Tochter; dein Glaube hat dir geholfen. Und die Frau wurde gesund zu derselben Stunde. 23 Und als er in des Obersten Haus kam und sah die Pfeifer und das Getümmel des Volks, 24 sprach er zu ihnen: Weicht! denn das Mägdlein ist nicht tot, sondern es schläft. Und sie verlachten ihn. 25 Als aber das Volk ausgetrieben war, ging er hinein und ergriff sie bei der Hand. Da stand das Mägdlein auf. 26 Und dies Gerücht erscholl in dasselbe ganze Land.

 

    In diesem verlesenen Evangelium finden wir zwei herrliche Beispiele davon, wie der Glaube die mächtigsten Feinde der Menschen, nämlich Sünde und Tod, überwindet. Lasst mich daher jetzt hiernach zu euch davon sprechen:

 

Dass allein der Glaube die Kraft hat, Sünde und Tod zu überwinden

Und zwar:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die Sünde, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Den Tod.

 

1.

    Das erste Beispiel von der Kraft des Glaubens, das uns in unserem heutigen Evangelium vorgestellt wird, ist das einer kranken Frau. Von dieser wird uns nämlich, nach dem Gesamtbericht der drei ersten Evangelisten, Folgendes erzählt: Sie hatte zwölf Jahre Dauerblutung gehabt und bei vielen Ärzten Hilfe für ihre Krankheit gesucht, aber vergeblich. Markus und Lukas schreiben: „Sie hatte viel erlitten von vielen Ärzten, und hatte all ihr Gut und Nahrung darüber verzehrt, und half ihr nichts, sondern vielmehr wurde es ärger mit ihr, und sie konnte von niemand geheilt werden.“ Wie groß die Not war, in welcher diese Frau sich befand, können daher nur die recht lebendig fühlen, die bei drückender Armut auch noch an einer ebenso schmerzlichen wie unheilbaren Krankheit gelitten haben. Ihre Tränen und Seufzer mögen Tag und Nacht die Speist der armen Frau gewesen sein. Doch was geschah? Da ihre Not den höchsten Grad erreicht hatte und ihr alle Ärzte die Hoffnung, noch geheilt zu werden, nun absagten, siehe, da erscheint Jesus in ihrer Stadt; sie hört von ihm, von seiner Liebe und von seinen wunderbaren Taten; sogleich wird in ihr die Hoffnung entzündet, dass sei der Mann, der ihr helfen könne und werde. Sie eilt zu ihm; und da sie sieht, dass er von einer großen Menschenmenge umgeben ist und sie nicht mit ihm allein sprechen könne, so verzagt sie doch nicht, sondern spricht bei sich selbst: „Könnte ich nur sein Kleid anrühren, so würde ich gesund.“ Sie drängt sich daher durch das Volk hindurch, und, Christus von hinten nahend, „rührt“ sie mit bebendem Herzen „seines Kleides Saum an“. Und siehe, augenblicklich ist der Brunnen ihres Blutes vertrocknet, und sie fühlt, dass sie von ihrer Plage geheilt ist. Doch was tut Christus? Ihm, dem Allwissenden, war freilich nicht verborgen geblieben, was hinter ihm geschehen war; um nun dies herrliche Beispiel eines so lieblichen Glaubens zum Heil auch anderer offenbar zu machen, spricht er vor allem Volk: „Wer hat mich angerührt?“ Da nun die Umstehenden alle dies getan zu haben leugnen, spricht hierauf Petrus: „Meister, das Volk drängt und drückt dich; und du sprichst: Wer hart mich angerührt?“ Jesus aber antwortet: „Es hat mich jemand angerührt, denn ich fühle, dass eine Kraft von mir gegangen ist.“ Die arme Frau sieht nun wohl, dass ihre Sache nicht verborgen bleiben kann; mit Zittern tritt sie daher endlich vor, wirft sich vor Christus nieder und sagt vor allem Volk die ganze Wahrheit. Und Christus? Er wendet sich hierauf freundlich zu ihr und spricht: „Sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen.“ „Und die Frau wurde gesund zu derselben Stunde.“

    Seht da, meine Lieben, ein Beispiel davon, wie groß die Kraft des Glaubens ist. Ich habe jedoch schon öfters erwähnt, dass die leiblichen Übel, von welchen Christus einst viele wunderbar heilte, ein Bild des geistlichen Übels sind, nämlich der Sünde, welche zu heilen Christus eben in die Welt gekommen ist. Wollen wir daher wissen, wie der Mensch die Sünde überwinde, so zeigt uns dies das Beispiel der blutflüssigen Frau in unserem Evangelium klar und deutlich.

    Was dieser Frau widerfuhr, als sie noch nicht wusste, dass ihre leibliche Krankheit unheilbar war, das widerfährt jedem Menschen, so lange er noch nicht weiß, dass die Krankheit seiner Seele, die Sünde, für menschliche Kräfte unheilbar ist: Er sucht nämlich bald in diesem, bald in jenem Hilfe, ohne sie zu finden. Ja, wie es mit der Frau nur immer ärger wurde, je mehr sie gegen ihre Krankheit menschliche Hilfe gebrauchte, so wird es auch mit dem Seelenzustand eines Menschen nur immer ärger, je mehr er sich abmüht, seine Sünden durch seine eigenen Kräfte zu überwinden. Die meisten, welche auf die Bahn irgendeines Lasters geraten, erfahren es, dass sie nur zu bald Sklaven desselben werden, und dass es ihnen unmöglich sei, davon ganz frei zu werden. Schon mancher Dieb, der auf dem Hochgericht sein Leben geendet hat, hat bekannt, dass auch er oft in seinem Leben den festen Entschluss gefasst habe, seine Hände nie wieder nach fremdem Gut auszustrecken, dass ihn aber eine gewisse in ihm wohnende Begierde nach fremdem Gut immer wieder mit unwiderstehlicher Gewalt fortgerissen und wieder zu Fall gebracht habe. Schon mancher Trunkenbold hat oft mit Tränen Gott und Menschen gelobt, über sich zu wachen, dass er nie wieder in die ebenso große wie schimpfliche Sünde der Trunkenheit falle, aber in der nächsten Stunde der Versuchung war das heilige Gelübde bei ihm wieder vergessen und ein neuer Fall getan. Schon mancher unzüchtige Wollüstling hat den ernsten Vorsatz gefasst, keusch und züchtig zu werden; er sah das zeitliche und ewige Verderben im Voraus, in welches er sich endlich durch sein Leben in schändlichen Lüsten stürzen werde; aber siehe, schon in der nächsten neuen Reizung, die er erfuhr, konnte er nicht widerstehen, die Lust des Fleisches zog ihn bald wieder wie ein Meeresstrudel in die Tiefe der Sünde hinab. Schon mancher Lügner und Verleumder, und schon manche Verschwender und Zornige haben ihren Sünden, weil sie ihnen vielleicht nur zu böse Früchte brachten, oft mit bitterer Reue entsagt, aber nur zu bald sahen sie sich wieder von ihnen überwunden. Zwar hat es allerdings Menschen gegeben, die wirklich aus eigenen Kräften sich einigermaßen gebessert haben, die aus erst Unehrlichen Ehrliche, aus Trunkenbolde Mäßige, aus Wollüstlingen Ehrbare, aus Lügnern und Verleumdern Wahrheit Redende, aus Verschwendern und Müßiggängern Haushälterische und Arbeitsame, aus Zornigen Gelinde und dergleichen wurden; aber niemals ist e8in Mensch durch eigene Kräfte dahin gekommen, dass er seine vorigen Sünden aus Furcht und Liebe zu Gott hätte lassen und hassen können. Aus eigenen Kräften bringt es ein Mensch nicht weiter, als dass er die schädlichen Folgen der Sünde hasst, aber nie dahin, dass er der Sünde selbst feind wird. Dann aber überwindet nicht der Mensch die Sünde, sondern die Sünde überwindet den Menschen. Wie ein unfruchtbarer Baum nicht dadurch ein besserer, sondern nur ein stärkerer Baum wird, wenn ihm einige Zweige abgeschnitten werden, so ist auch der Mensch vor Gott kein besserer Mensch, wenn er nur einige Laster und sündliche Werke abtut; dadurch wird der Mensch nur stolzer und eingebildeter. Und wie eine äußerliche Krankheit, wenn sie schnell vertrieben wird, sich dann oft auf die edleren inneren Teile des Körpers wirft und nur desto tiefer in das ganze System desselben eindringt und da desto größere Verheerungen anrichtet, so zieht sich die Sünde bei denjenigen, welche nur einige Laster äußerlich abtun, dann nur umso tiefer in das Innere ihres Herzens zurück; der Mensch wird dann für seine Sündhaftigkeit nur immer blinder, gegen Gott immer hoffärtiger, selbstzufriedener und selbstgerechter, und endlich kommt es dahin, dass ein solcher ganz Ehrbarer von Gottes Gnade gar nichts wissen will, sondern den Himmel und die Seligkeit als eine ihm gebührende Schuld fordert, sich also selbst zu seinem Gott macht. Ist es aber mit einem Menschen dahingekommen, dann hat in seiner Seele die Sünde die höchste Stufe erreicht, obgleich der Mensch denkt, er sei ein Muster von Tugend und Frömmigkeit.

    Seht, das ist es, was sich der Mensch durch seine eigenen Kräfte im Kampf gegen die Sünde erkämpft! – Die Sünde zieht sich endlich in das Herz zurück und verblendet den Menschen, so dass er alle seine eigennützigen und hoffärtigen Werke nicht mehr für Sünden, sondern für Tugenden hält und so in den süßesten Hoffnungen dem ewigen Gericht entgegenreift.

    Was soll nun der Mensch tun, dass dieser Schlange der Kopf zertreten werde? – Hier ist kein anderer Rat als dieser: Mit der blutflüssigen Frau erkennen, dass die Krankheit der Sünde für uns Menschen ganz unheilbar ist, an aller Hilfe durch eigene Kräfte zu verzagen und im Glauben den Saum des Kleides Christi zu erfassen. Denn obgleich Christus nicht mehr sichtbar unter uns wandelt, so gibt es doch noch immer Kleider, in welche auch jetzt Christus eingehüllt ist und bei denen wir ihn fassen können, und diese Kleider Christi sind sein Wort und seine heiligen Sakramente. Wer ´, an sich selbst verzagend, sich daran hält, dass das Wort Gottes allen Sündern Gnade und Vergebung verkündigt, dass ihn Gott schon in seiner Taufe aus Gnaden in das Buch des Lebens eingeschrieben, und dass im heiligen Abendmahl sich Christus ihm ganz zu eigen gegeben hat mit seinem ganzen Blut, Tod und vollkommenem Verdienst, wer sich, sage ich, daran hält, der rühr gleichsam wie die blutflüssige frau den Saum des Kleides Christi an, und wen ein solcher Mensch dann auch immer noch, wie diese Frau, zittert und zagt, und noch immer mit vielen Zweifeln kämpfen muss, so geht doch dann eine seligmachende Kraft von Christus auf ihn aus, und auch er hat sich dann das Wort anzunehmen, das Christus zu jener Frau sprach: „Sei getrost, dein Glaube hat dir geholfen.“ Sobald das Wort von einem Menschen im Glauben gefasst wird, so wird er auch zur Stunde gesund von der Krankheit seiner Seele, seine Sünden werden ihm vergeben, Gott lässt nämlich ernstlich dann allen Zorn gegen ihn fahren und wendet sich in Gnaden zu ihm, sieht ihn von nun an für gerecht an und legt ihm schon die Krone des Lebens aus Gnaden bei. Von dem Augenblick an wird aber ein solcher Gläubiger auch ein neuer Mensch; die Sünde verliert bei ihm ihre vorige Herrschaft; er bekommt ein neues Herz, das die Sünde aus Liebe zu dem gnädigen Gott hassen und lassen kann; er beginnt nun ein neues Leben in Liebe und Demut.

    Hier spricht vielleicht mancher: „Wie? Sollte das wirklich so sein? Ich bin ja schon viel mit Gottes Wort und seinen heiligen Sakramenten umgegangen, habe also schon oft den Saum des Kleides Christi angerührt, und doch ist es mit mir nicht anders geworden; sollte meine Sündenkrankheit vielleicht selbst für Christus unheilbar sein oder sollte ich vielleicht nicht zubereitet genug gewesen sein?“ – Du, der du so sprichst, wisse, für Christus ist keine Krankheit zu groß und schwer, und käme es auf die genügende Zubereitung zu seiner Gnade an, so würde kein Mensch sie erlangen; darum prüfe dich, vielleicht warst du dem Volk in unserem Evangelium gleich, das den HERRN zwar auch drängte und drückte, und doch ging keine Kraft von Christus auf dasselbe aus; weil es nämlich wohl Christi Kleid berührte, aber ohne Glauben. So hast du vielleicht auch Gottes Wort und Sakrament wohl gebraucht, aber nie wahrhaft geglaubt, dass die darin liegende Gnade auch für dich da ist. Lass denn, lieber Zuhörer, einmal die Gedanken von deiner eigenen Zubereitung und Würdigmachung gänzlich fahren; wage es nur einmal, wie die blutflüssige Frau, trotz des Gefühls deiner großen und vielen Sünden, die Gnade, welche das Wort und die heiligen Sakramente verheißen, anzunehmen und dich derselben zu trösten und so Christi Kleid, wen auch mit bebendem Herzen, zu fassen, wage es nur einmal, und auch du wirst endlich ausrufen können:

Meine Seele ist genesen!

Meine Sünde ist besiegt!

Wie ich’s hab im Wort gelesen,

Wie’s das Sakrament verspricht,

So hat’s auch mein Herz erfahren;

Helf mir‘s Gott getreu bewahren!

 

 

2.

    Doch, wir gehen nun weiter und erwägen, wie der Glaube nicht nur allein die Kraft habe, die Sünde, sondern auch zweitens den Tod zu überwinden.

    In unserem Evangelium wird uns nämlich ferner erzählt: Jairus, ein Synagogenvorsteher, hatte ein zwölfjähriges Töchterlein, das wurde todkrank. Auch hier war bereits menschliche Hilfe zu Ende; schon standen die Eltern mit heißen Tränen um das Lager des teuren Kindes; schon erwarteten sie, dass dasselbe in dem nächsten Augenblick den letzten schweren Atemzug tun werde. Da hören auch sie von Christi Ankunft in der Stadt Kapernaum, in welcher derselbe schon manches herrliche Wunder getan hatte. Sogleich macht sich der Vater auf, geht zu Christus, fällt zu seinen Füßen und spricht zu ihm zuerst, wie uns Markus berichtet, mit flehentlicher Stimme: „Meine Tochter ist in den letzten Zügen; du wollest kommen und deine Hand auf sie legen, dass sie gesund werde und lebe.“ Sogleich folgt ihm Christus freundlich nach. Kaum sind sie aber einige Schritte gegangen, da kommen schon Goten aus dem Haus des betrübten Vaters und rufen ihm entgegen: „Deine Tochter ist gestorben, bemühe den Meister nicht.“ Doch selbst jetzt wirft Jairus noch nicht alle Hoffnung weg, er wendet sich noch einmal zu Christus und spricht: „HERR, meine Tochter ist jetzt gestorben; aber komm und lege deine Hand auf sie, so wird sie lebendig.“ Christus antwortet hierauf: „Fürchte dich nicht; glaube nur, so wird sie gesund.“ Schweigend nahen sie sich nun dem Trauerhaus; da dasselbe zu den vornehmsten der Stadt gehören mochte, so hatte sich schon eine ganze Schar Leidtragender mit Trauermusik um das Haus versammelt. Christus ruft ihnen daher zu: „Weicht; denn das Mägdlein ist nicht tot, sondern es schläft.“ Hierauf antwortet nun zwar das versammelte Volk mit Hohngelächter, Christus geht aber, ohne ein Wort zu sagen, mit den Eltern und einigen Jüngern hinein in das Zimmer, in welchem der Leichnam des Kindes aufgebahrt liegt, ergreift es mit den Worten bei der Hand: „Talitha kumi!“ das heißt: „Mägdlein, ich sage ich, stehe auch!“ und siehe! das Mägdlein öffnet zum Erstaunen der Umstehenden plötzlich seine Augen, steht auf und wandelt, und Christus heißt des Eltern, zum Zeugnis, dass das Kind nicht nur leben, sondern auch gesund ist, ihm zu essen zu geben.

    Seht da, meine Lieben, ein zweites Beispiel davon, wie groß die Kraft des Glaubens ist! Aus dieser Geschichte sollen wir zwar freilich nicht den Schluss ziehen, dass wir durch unseren Glauben auch, wie Jairus, unsere sterbenden Kinder in das Leben zurückrufen könnten, denn zu einem solchen Glauben haben wir keine Verheißung. Was hülfe es uns auch, wenn wir durch unseren Glauben auch alle unsere Lieben in diesem elenden Leben zurückhalten könnten? Endlich würden wir uns doch mit den Unsrigen aus dieser armen Welt hinaussehnen und mit Elia seufzen: „Es ist genug, HERR, so nimm nun unsere Seele.“ Aber das Beispiel des Jairus soll uns einen viel größeren und herrlicheren, einen ewigen Trost geben, nämlich diesen Trost, dass, wer an Christus glaubt, dem der Tod nichts schaden könne, denn wie der gläubige Jairus durch Christus den Tod seines Kindes überwand und ihn in Leben und vollkommene Gesundheit verwandelte, so siegt jeder Gläubige durch Christus auch über seinen eigenen Tod.

    Ja, mag sich die ungläubige Welt oder der unglückselige Schwärmer, der in seiner eigenen Heiligkeit Ruhe und Frieden sucht, vor dem Tod fürchten: Der Christ, der an Christus glaubt, und wäre er auch der schwächste, hat nicht Ursache sich vor diesem König der Schrecken zu scheuen. Wer Christus nicht im Glauben ergreift, der muss sich wohl fürchten, denn seine unvergebenen Sünden sind der scharfe Stachel, den sein Tod noch hat; wer sich aber mit seinem Glauben an Christus hält, dessen Tod hat seinen Stachel verloren, denn seine Sünden sind ihm ja vergeben, und der Tod ist gerade das Mittel, durch welches er von allen seinen Sünden endlich völlig befreit werden soll. Wer Christus nicht im Glauben ergreift, der muss sich wohl fürchten, denn das zu erwartende einstige Gericht macht ihm den Tod zu einem Boten mit der allertraurigsten Botschaft; wer sich aber mit seinem Glauben an Christus hält, dessen Tod ist ein Bote des Friedens, denn Christus hat ja schon für ihn in Gottes strengem Gericht gestanden und sein schreckliches Urteil gegen seine Sünden erduldet. Wer da glaubt, kommt daher nun nicht in das Gericht, auf seinen Tod folgt vielmehr eine völlige Lossprechung von aller Schuld vor allen Engeln und Menschen. Wer Christus nicht im Glauben ergreift, der muss sich wohl fürchten, denn die drohende Hölle und Verdammnis machen ihm den Tod zu einem Ungeheuer, das seinen furchtbaren Rachen öffnet, ihn zu verschlingen und von Gott und allen Seligen auf ewig zu trennen. Wer sich aber mit seinem Glauben an Christus hält, dessen Tod ist eine Pforte des Himmels, ein Eingang zu ewiger Seligkeit und Herrlichkeit; denn Christus hat ja schon für ihn den ewigen Tod in Gethsemane am kreuz geschmeckt. Wer Christus nicht im Glauben ergreift, der muss sich wohl fürchten, denn das Grab und die Verwesung machen ihm den Tod zu einem ewigen Ende aller seiner Herrlichkeit; wer sich aber mit seinem Glauben an Christus hält, dessen Tod ist ein süßes Entschlafen nach des Tages Last und Hitze, der Anfang jenes stillen Schlummers in der Kammer des Grabes bis zu dem schönen Morgen einer seligen Auferstehung, denn darum hat Christus im Grab gelegen und ist wieder von den Toten erstanden, damit er einst auch alle seine Gläubigen von den Toten erwecken, ihre Leiber verklären und mit ihren Seelen vereinigen und sie endlich nach Leib und Seele in seine ewige Herrlichkeit aufnehmen könnte.

    Der du aber, lieber Zuhörer, dich bisher vor dem Tod gefürchtet hast, gehe mit Jairus zu Christus und klage ihm deine Not, so gilt auch dir jene Antwort Christi: „Fürchte dich nicht, glaube nur!“ Wie du glaubst, so wird dir geschehen. Glaubst du nicht, dass Christus auch diene Sünde getilgt habe und auch dich der von ihm erworbenen Seligkeit teilhaftig machen werde, so wirst du auch einst in deiner letzten Stunde keinen Trost haben und des Todes Bitterkeit in alle Ewigkeit schmecken. Traust du es aber Christus zu, dass er auch deinen Tod in seiner Hand habe, wie den Tod jenes Mädchens; traust du es ihm zu, dass er dich durch den zeitlichen Tod zum ewigen Leben führen werde, so kann Christus auch dienen Glauben an ihn nicht zuschanden werden lassen, so wirst auch du, sobald du im Tod dein leibliches Auge schließt, dort schauen, was du hier geglaubt hast.

    Sei doch darum keiner unter uns so töricht, entweder gar nicht gegen Sünde und Tod in den Kampf zu treten, oder sie in eigenen Kräften, mit eigenen Werken, mit eigener Gerechtigkeit und Frömmigkeit überwinden zu wollen. Sünde und Tod müssen von uns überwunden werden, oder wir werden von ihnen überwunden und bleiben dann ihre Gefangenen immer und ewig. Wir selbst aber sind viel zu ohnmächtig, diese furchtbaren Feinde des menschlichen Geschlechts zu besiegen: Christus allein ist es, der unsere Sünden getilgt und unserem Tod die Macht genommen hat. Seine schon geschehene Sünden- und Todesüberwindung nehme daher ein jeder im Glauben an, so wird Christi Gerechtigkeit seine Sünde auf ewig bedecken und Christi Leben seinen Tod auf ewig verschlingen.

    Ihm sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

 

Evangelienpredigt [zum vorletzten Sonntag im Kirchenjahr] ueber Lukas 2,22-32: Die noetige rechte Vorbereitung auf einen seligen Tod

[29]

 

    Herr Jesus!


Wenn ich einmal soll scheiden,

So scheide nicht von mir;

Wenn ich den Tod soll leiden,

So tritt du dann herfür.

Wenn mir am allerbängsten

Wird um das Herze sein,

So reiß mich aus den Ängsten

Kraft deiner Angst und Pein.

Erscheine mir zum Schilde,

Zum Trost in meinem Tod,

Und lass mich sehn dein Bilde

In deiner Kreuzesnot.

Da will ich nach dir blicken,

Da will ich glaubensvoll

Dich fest an mein Herz drücken:

Wer so stirbt, der stirbt wohl! Amen.!


 

Lukas 2,22-32: Und da die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz. Moses kamen, brachten sie ihn nach Jerusalem, dass sie ihn darstellten dem HERRN (wie denn geschrieben steht in dem Gesetz des HERRN: Allerlei Männlein, das zum ersten die Mutter bricht, soll dem HERRN geheiligt heißen), und dass sie gäben das Opfer, nachdem gesagt ist im Gesetz des HERRN, ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben. Und siehe, ein Mensch war zu Jerusalem mit Namen Simeon; und derselbe Mensch war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels; und der Heilige Geist war in ihm. Und ihm war eine Antwort geworden von dem Heiligen Geist, er sollte den Tod nicht sehen, er hätte denn zuvor den Christ des HERRN gesehen. Und er kam aus Anregen des Geistes in den Tempel. Und da die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, dass sie für ihn täten, wie man pflegt nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach: HERR, nun lässt du deinen Diener im Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volks Israel.

 

    In dem HERRN Jesus, herzlich geliebte Zuhörer!

    Nichts ist so gewiss als dies, dass wir einmal sterben werden; nichts ist aber so ungewiss als dies, wie, wo oder wann wir sterben werden. Nach hundert Jahren wird wohl auch nicht einer von uns, ja, wohl nicht Einer unter allen den Bewohnern unserer großen Stadt noch leben. Steht dann die Welt noch, so werden andere Menschen unser jetziges Eigentum besitzen, andere Menschen werden in unseren Häusern wohnen; unser Leib aber wird in Asche zerfallen sein und unsere Seele wird sich an dem Ort befinden, den Gottes Urteil ihr zugesprochen hat. Niemand aber unter uns ist sicher davor, dass er nicht schon morgen tot sei oder dass es nicht schon am nächsten Sonntag von ihm von dieser Kanzel herab heiße: „Es hat dem HERRN über Leben und Tod gefallen, aus der Zeitlichkeit in die Ewigkeit abzurufen – .“ Schon mancher verließ am Morgen frisch und gesund sein Haus, und er kehrte nicht lebendig in dasselbe zurück, sondern wurde als Leiche wieder nach Hause getragen. Schon mancher legte sich gesund und frisch zu Bett und schlief ein – um nie wieder zu erwachen; sein Bett wurde sein Sterbelager. – Aber wie dem auch sein möge; mögen wir immerhin vielleicht noch manches Jahr durchleben: Endlich wird doch auch unser Todesstündlein schlagen, unser Blut wird still stehen, unsere Pulse werden stocken, unser Leib erkalten; noch ein Seufzer, noch ein Atemzug – und unser irdisches Leben ist auf ewig zu Ende, unsere Gnadenzeit ist abgelaufen.

    Woher kommt es nun wohl, dass Gott jedem Menschen den Tod selbst so gewiss, den Ort, die Art und Zeit und Stunde seines Todes so ungewiss gemacht hat? – Der wahre Grund hiervon ist ohne Zweifel kein anderer als dieser: Damit kein Mensch seine Buße auch nur einen Tag, ja, auch nur eine Stunde aufschiebe, und keiner etwa denke: „Mein Herr kommt noch lange nicht“; sondern dass jeder Mensch fort und fort in wahrer Buße lebe und jede Stunde sich bereit und fertig mache, vor Gottes Gericht zu erscheinen. Denn bedächten die so sicher dahinlebenden Menschen nur ein wenig in welcher Gefahr sie jeden Augenblick schweben, aus der Zeit in die Ewigkeit abgerufen zu werden, so würden sie, wie jener aus seinem Sündenschlaf aufwachende Weltmensch, zu sich selbst sprechen:

Ich lebe, und weiß nicht, wie lange?

Ich sterbe, und weiß nicht, wann?

Ich fahre, und weiß nicht wohin?

Mich wundert, dass ich so fröhlich bin.

    Aber was tun die meisten Menschen, und zwar selbst viele von denen, welche sich zu den Christen halten? Entweder glauben oder denken sie gar nicht an die Notwendigkeit einer wahren Buße und Bekehrung von ihrer Seite, oder sie schieben dieselbe doch von einem Tag zum anderen auf und denken: Wenn sie einmal merken würden, dass nun ihr Ende herzu nahe, dann wollten auch sie ihr Herz von allen Banden der Sünde und des Irdischen losreißen; dann wollten auch sie endlich durchbrechen und mit ihrer Buße endlich Ernst machen und ihre Rechnung zum Abschluss bringen. Und was geschieht? – Endlich naht der Tod heran, und siehe! – er reißt sie entweder schnelle und plötzlich in ihrer Unbekehrtheit, ehe sie es denken, dahin; oder sie trösten sich auch in ihrer letzten Krankheit noch immer damit, dass sie wieder aufkommen würden, und schieben daher auch jetzt noch die Sorge für ihrer Seelen Seligkeit auf spätere Zeit auf; oder die leibliche Unruhe und der leibliche Schmerz sind so groß, dass sie gerade jetzt am wenigsten dazu geschickt sind oder auch nur daran denken können, sich in wahrer Buße zu Gott zu bekehren. Wie es in jenem Lied heißt:


1) Die Welt erzittert vor dem Tod;

Wenn jetzund kommt ihr große Not,

Dann will sie erst fromm werden;

Der schaffte dies, der andre das,

Sein selbst er aber ganz vergaß,

Dieweil er lebt auf Erden.

2) Und wenn er nimmer leben mag,

So hebt er an ein große Klag,

Will sich jetzt Gott ergeben:

Ich sorg fürwahr, dass Gottes Gnad,

Die er allzeit verspottet hat,

Ob ihm werd schwerlich schweben.


    O Torheit über alle Torheit! – Unchristlich leben und doch christlich sterben wollen! Einen falschen Weg gehen, und doch das rechte Ziel erreichen wollen! Nicht kämpfen, und doch den Kampfreis, den Siegeskranz erlangen wollen! – Gott behüte uns alle vor diesem schrecklichen Selbstbetrug!

    Damit dies nun geschehe, so lasst mich euch jetzt an dem Beispiel des alten Simeon in unserem heutigen Text zeigen:

 

Die nötige rechte Vorbereitung auf einen seligen Tod

   

    Diese besteht nämlich nach dem Beispiel Simeons in zwei Stücken:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass man fromm und gottesfürchtig ist, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dass man seinen Trost im Leben und Sterben allein auf Jesus setzt.

 

1.

    Dass der alte Simeon, von welchem in unserem Text erzählt wird, selig gestorben ist, ist kein Zweifel; denn dies ist es ja ganz offenbar, was der heilige Lukas damit anzeigen will, dass er unter anderem erzählt, dieser Greis habe, sobald er das Jesuskindlein erblickte, ausgerufen: „HERR, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast.“ Simeon fühlte es also jetzt ohne alle Furcht, ja, mit Freuden, dass nun die Stunde seines Abscheidens gekommen sei, und es ist sogar wahrscheinlich, dass derselbe, wie eine Legende sagt, nach Beendigung seines Schwanengesangs, sogleich umgesunken und in süßem Gottesfrieden entschlafen sei.

    Wer unter uns möchte nun nicht einst auch einen solchen Tod sterben? – Wohlan, so lasst es uns von ihm lernen.

    Das Erste, was uns Lukas von ihm erzählt, ist dieses: „Derselbe Mensch war fromm und gottesfürchtig.“ Unter „fromm“ versteht der Evangelist hier, wie aus dem Urtext zu sehen ist, dass sich Simeon gegen den Nächsten recht verhalten habe; unter „gottesfürchtig“ aber, dass er dabei auch im Dienst Gottes eifrig gewesen sei. Wenn aber Lukas ferner von ihm sagt: „Und er wartete auf den Trost Israels, und der Heilige Geist war in ihm“, so ist damit zugleich dies angezeigt, dass Simeons Frömmigkeit und Gottesfurcht nicht etwa eine bloße gute Angewohnheit und angenommene Familiensitte bei ihm war, oder bloß die Folge einer guten natürlichen Gemütsart, sondern eine Frucht seines lebendigen Glaubens an den von den Propheten verheißenen Trost Israels oder Heiland und eine Wirkung des Heiligen Geistes, der in ihm war. Wie aber Simeon erstlich gegen seinen Nächsten gesinnt war, sehen wir daraus, dass er, sobald er in dem Jesuskindlein den verheißenen Messias erkannte, sich sozusagen selbst vergaß und Gott nur dafür lobte, dass dies Kindlein der Heiland sei, „welchen Gott bereitet habe vor allen Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis seines Volks Israel“. Simeon gehörte also nicht zu jenen fleischlich gesinnten, engherzigen, selbstsüchtigen Juden, die von dem Messias nur Reichtum, Ehre, Macht und gute Tage, und zwar nur für die Juden, begehrten und hofften; nein, sein liebendes Herz umfasste vielmehr „alle Völker“, auch die in Finsternis und Schatten des Todes sitzenden „Heiden“, kurz, alle Menschen, die ganze Sünderwelt. Dass auch für diese der Erlöser gekommen sei, gerade das war es, was ihn so froh machte, dass er nun gerne sterben wollte; denn damit war nun sein höchster, teuerster Wunsch für diese Welt erfüllt. Lukas beschreibt uns aber, wie gesagt, nicht nur deutlich, wie Simeons Frömmigkeit gegen den Nächsten, sondern auch, wie sein Verhalten gegen Gott, wie sein Gottesdienst beschaffen gewesen sei. Er schreibt nämlich: „Und er kam aus Anregen des Geistes in den Tempel.“ Nicht aus Gewohnheit also, auch nicht aus Selbstgerechtigkeit, um nur das äußerliche Werk des Gottesdienstes zu verrichten und sich damit bei Gott etwas zu verdienen, kam Simeon in den Tempel, sondern „aus Anregen des Geistes“. Er ging also in das Gotteshaus mit einem von geistlichem Leben erfüllten, brennenden Herzen, voll heiliger Begierde, Hunger und Durst nach Gottes Wort. Wenn aber Lukas von Simeon ausdrücklich sagt: „Derselbe Mensch war fromm und gottesfürchtig“, so sehen wir hieraus ferner auch dieses, dass er seine Buße und Bekehrung also nicht etwa bis in das Alter aufgeschoben, sondern dass er sich schon früh zu Gott gewendet hatte und hierauf während seines ganzen langen Lebens immer „fromm und gottesfürchtig“ gewesen und geblieben war. Dass Allermerkwürdigste jedoch an dem Beispiel Simeons ist endlich, dass er, wie Lukas sagt, von Gott eine Offenbarung erhalten hatte: „Er sollte den Tod nicht sehen, er hätte denn zuvor den Christ des HERRN gesehen.“ Er wusste also ganz gewiss, dass er nicht sterben werde, als bis er den Messias mit Augen gesehen haben würde. Wurde er nun etwa dadurch sicher? Dachte er etwa: Wohlan, ich weiß, dass ich noch eine Zeitlang nichts vom Tod zu fürchten habe; so will ich nun auch bis dahin ohne alle Sorge mein Leben genießen? Nein! Im Gegenteil, je gewisser Simeon seines Lebens war, mit desto größerem Eifer wendete er dasselbe zu gottseliger Vorbereitung auf einen seligen Tod an.

    Nun sagt selbst: Warum mang wohl Lukas, da er Simeons Sterbensfreudigkeit darstellen wollte, zugleich so umständlich erzählt haben, wie „fromm und gottesfürchtig“ er vorher in seinem Leben gewesen sei? Es ist kein Zweifel, aus keinem anderen Grund, als um seinen Lesern zu sagen: Wollt ihr Menschen einst auch, wie Simeon, so fröhlich und selig sterben, so müsst ihr euch daher auch so ernstlich durch ein wahrhaft frommes und gottesfürchtiges Leben, wie Simeon, auf euren Tod vorbereiten.

    Es ist ja freilich wahr, meine Lieben: In der Heiligen Schrift wird und das Beispiel eines schon am Kreuz hängenden Schächers vorgestellt, der sich nicht auf einen seligen Tod durch Frömmigkeit und Gottesfurcht vorbereitet, sondern ein sicheres und gottloses Leben geführt hatte, und der sich doch noch in seiner Todesstunde bekehrte und daher wirklich noch selig starb; denn Christus selbst gab ihm ja die unaussprechlich gnadenvolle Versicherung: „Wahrlich, ich sage dir, heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.“ Aber, meine Lieben, lest die ganze Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments durch, so werdet ihr kein zweites Beispiel eines Menschen finden, der während seines ganzen Lebens in seiner Unbekehrtheit dahingegangen wäre, und sich doch noch in der letzten Stunde bekehrt hätte und daher doch noch selig gestorben wäre. Der Schächer ist und bleibt vielmehr das einzige biblische Beispiel dieser Art. Von allen anderen, die bis zu ihrer Todesstunde unbekehrt gewesen sind, sagt uns die Schrift, dass sie sich auch nicht in der Todesstunde bekehrt haben, und daher verloren gegangen sind; von allen aber, welche selig gestorben sind, sagt die Schrift, den Einen Schächer am Kreuz ausgenommen, dass sie schon vorher in ihrem Leben fromm und gottesfürchtig gewesen waren. Ist es also nicht ein Wahnsinn, wenn ein Mensch darum seine Bekehrung bis auf seine letzten Stunden aufschiebt, weil er weiß, dass Einer sich auch da noch bekehrt habe und also doch noch selig geworden sei, während er doch von den anderen Millionen und aber Millionen Menschen weiß, dass sie alle so gestorben sind, wie sie gelebt haben? nach dem alten Sprüchlein:

Wie du lebst, so stirbst du;

Wie du stirbst, so fährst du;

Wie du fährst, so bleibst du!

    O, meine Lieben, denkt also nicht, wenn ihr einst selig sterben wollt, es sei genug, dass ihr einst, wenn euer Ende herannaht, nur mit Simeon sagen wollt: „HERR, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren.“ Denn wie könnt ihr im Tod so mit Simeon sprechen, wenn ihr im Leben nicht wirklich auch, wie Simeon, „Diener Gottes“ gewesen seid? Dann gingt ihr ja mit einer Lüge aus der Welt und hättet daher nur umso gewisser nichts anderes zu erwarten, als zu dem Vater der Lügen zu kommen, dessen Diener ihr noch im Sterben gewesen seid! – Nein, wollen wir so selig und im Frieden sterben wie Simeon, so müssen wir uns auch, wie Simeon, dazu vorbereiten und, wie er, so fromm und gottesfürchtig leben. Es ist wahr: Simeon ist nicht durch seine Frömmigkeit und Gottesfurcht selig geworden, sondern allein dadurch, dass er auf den Trost Israels wartete, also allein dadurch, dass er im Glauben stand; aber dieser sein Glaube war, wie wir gesehen haben, weil er ein wirklicher, wahrer, vom Heiligen Geist selbst in ihm gewirkter war, nicht ein leerer, toter, unfruchtbarer Kopf- und Mundglaube, sondern durch die Liebe zu Gott und Menschen tätig. Daher denn auch Simeon, als er fühlte, dass seine letzte Stunde gekommen sei, in seinem Gewissen nicht von dem Gedanken gepeinigt war: Dein Glaube war nichts als Heuchelei; deine Frömmigkeit und Gottesfurcht war nur ein äußerlicher Schein; deine Liebeswerke gegen den Nächsten kamen nicht aus einem liebenden, sondern selbstgerechten, ehr-, lohn- und selbstsüchtigen Herzen; dein Gottesdienst war nur eine Gewohnheitssache – nein, ohne Widerspruch seines Gewissens konnte Simeon vielmehr zu Gott sagen: Du weißt, mein Gott, dass ich kein Heuchler gewesen bin; du weißt, dass mein Glaube durch deinen Heiligen Geist selbst gewirkt war; du weißt, dass ich meinen Nächsten aufrichtig geliebt und dir aufrichtig gedient habe. Seht, so konnte ihn denn auch bei diesem seligen Bewusstsein die Nähe des Todes nicht schrecken oder ihn doch nicht überwinden und in Verzweiflung stürzen. Er erfuhr vielmehr, was Johannes in seinem ersten Brief schreibt: „Ihr Lieben, so uns unser Herz nicht verdammt, so haben wir eine Freudigkeit zu Gott, und was wir bitten, werden wir von ihm nehmen.“ Darum, wollen auch wir uns nicht der Gefahr aussetzen, dass, wenn einst Satan unser Leben verklagen wird, auch unser Gewissen von uns abfalle und zu uns sagen: Du Heuchler! Dein ganzes Christentum ist doch nur ein Schein gewesen, ein leeres HERR-HERR-Sagen, – wollen uns nicht der Gefahr aussetzen, dass dann das etwa in uns glimmende Glaubensfünklein, unter diesen Stürmen und Platzregen der Anklagen des Teufels und unseres eigenen Gewissens, auslösche und wir in Verzweiflung dahinfahren; wollen wir vielmehr, wie Simeon, in unserer Todesstunde ohne Qual des Gewissens sein und, wie er, so friedlich, fröhlich und selig sterben, so müssen auch wir uns, wie er, dazu dadurch vorbereiten, dass wir nicht ruhen, bis wir durch den Heiligen Geist einen solchen Glauben erlangt haben, durch welchen unser Gewissen gereinigt, unser Herz verändert und unser ganzes Leben ein Leben, obgleich unvollkommener, doch aufrichtiger Liebe Gottes und des Nächsten wird. Dann, ja, dann werden auch wir uns getrost auf das Sterbegett legen können, unserer Erwählung gewiss, und ohne Widerspruch unseres Gewissens noch sterbend mit Simeon in Wahrheit sagen können: „HERR, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren.“

 

2.

    Doch, meine Lieben, des alten Simeons Beispiel zeigt uns nicht nur, dass zur nötigen rechten Vorbereitung auf einen seligen Tod gehöre, vorher fromm und gottesfürchtig zu leben, sondern dass man auch seinen Trost im Leben und Sterben allein auf Jesus setze. Und davon lasst mich nun noch zweitens zu euch sprechen.

    So wichtig es für den alten Simeon war, dass ihm in der Todesstunde sein Gewissen nicht vorwarf, ein Leben ohne Gott geführt zu haben, so war doch sein frommes und gottesfürchtiges Leben keineswegs der Grund seines Sterbenstrostes. Lukas rühmt ihn zwar, wie wir gesehen haben, hoch, aber er selbst rühmt sich seiner Werke nicht. Er spricht nicht: „HERR, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren“, denn ich habe fromm und gottesfürchtig gelebt, ich habe mir mit meinen Werken das ewige Leben verdient, nun erwarte ich von deiner Gerechtigkeit meinen Lohn, – nein, nichts von allem dem spricht der gottselige sterbende Greis, sondern: „Denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volks Israel.“ Seht, er stellt sich mitten unter die größten Sünder des Heidentums; die Gnade, durch welche diese allein selig werden können, ist auch sein einziger Trost; der Heiland der Sünder, an den er auch als seinen Heiland geglaubt, auf den er, als den Trost, Israels, schon im Leben gewartet hatte, der war sein einziger Trost nun auch im Sterben. Ihn hatte er fort und fort in seinem Herzen getragen: Als er ihn nun auch in seinen Armen trug und in sein freundliches Heilandsauge schaute, nun wollte er auch sterben und, Jesus in Herz und Händen, entschlief er denn auch alsbald sanft und selig.

    Und dasselbe hören wir von allen, von deren seligen Tod uns in der Heiligen Schrift Bericht erstattet wird. Sie alle haben zwar so ernstlich gegen die Sünde gekämpft, sie haben so fromm und gottesfürchtig gelebt, sie sind so eifrig in allerlei guten Werken gewesen, als sollten und wollten sie sich damit den Himmel verdienen: Aber ihre einzige Hoffnung, ihr einziger Trost im Leben und Sterben war ihr Heiland. Wer hat gottseliger gewandelt als der alte Patriarch Jakob? Was sagte er aber als er sterben sollte? Er rief aus: „HERR, ich warte auf dein Heil!“ das ist, auf deinen Heiland, in welchem nach deiner Verheißung gesegnet werden sollen alle Geschlechter der Erde. – Wer war eifriger im Dienst seines Gottes als der königliche Prophet David? Welches sind aber seine letzten Worte, was ist, so zu sagen, sein Testament gewesen? Er beginnt dasselbe so: „Es sprach David, der Sohn Isai, es sprach der Mann, der versichert ist von dem Messias des Gottes Jakobs.“ – Wer hatte heiliger gewandelt als der erste Märtyrer Stephanus? Welche Gedanken waren aber in seiner Seele, als er um Christi willen gesteinigt wurde? Der Gedanke an Jesus. Er rief: „HERR Jesus“, das ist, du Seligmacher, „nimm meinen Geist auf!“ und mit diesem süßen Wort entschlief er. – Wer hat ferner mehr für Christus getan und gelitten als Paulus? Er konnte sagen: „Ich habe mehr gearbeitet als sie alle.“ Was aber war sein letzter Trost? Er sprach: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten. Hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit“; dass sein Kampf ein siegreicher Glaubenskampf, dass sein Lauf ein Lauf im Glauben gewesen war, das war es also allein, was ihn jetzt in der Nähe des Todes nicht verzagen ließ, sondern gewiss machte, dass seiner die Krone der Überwinder warte. – Und wie starb endlich einst Luther, nachdem er sein ganzes Leben zum Opfer gebracht hatte, Gott zu einem süßen Geruch, und nachdem er Werke vollbracht hatte, die wirklich unsterblich sind? Er starb als ein armer, nackter und bloßer Sünder mit dem Seufzer Davids: „In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott.“

    Aus diesem allem sehen wir: So wichtig es ist, wenn man einst selig sterben will, dass man sich darauf durch ein wahrhaft gottseliges Leben vorbereite, so ist und bleibt doch das Allerwichtigste, die Hauptsache bei unserer Vorbereitung, dass wir schon während unseres ganzen Lebens unseren Trost allein auf Jesus setzen. Es ist ja freilich schrecklich, wenn das Gewissen in der Todesstunde aufwacht und sagt: Du bist nichts anderes als ein Heuchler gewesen! Deine Frömmigkeit ist dir nie ein aufrichtiger Ernst gewesen! Deine äußerlichen Christenwerke sind ein leerer Schein gewesen! Dein Glaube war nur in deinem Mund! Es ist schrecklich, wenn der Sterbende zu Gott sagen will: „Ich habe Glauben gehalten“ während seine bösen Werke wie Zeugen gegen ihn um sein Sterbelager stehen. Hingegen ist es eine köstliche Sache, wenn man in der Todesstunde getrost zu Gott sagen kann: HERR; dir habe ich gelebt, nun lass mich auch dir sterben! Ich habe dich geliebt, ich habe dich gelobt, ich habe dich und dein Wort vor Menschen bekannt, nun bekenne mich auch bei deinem himmlischen Vater! Es ist eine köstliche Sache, wenn in der Todesstunde, in diesem göttlichen Vorgericht, die guten Werke des Sterbenden als Zeugen seines ungeheuchelten Glaubens um sein Sterbelager stehen. Wie denn unter anderen Hiskia, als er die Botschaft gehört hatte: „Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben und nicht lebendig bleiben“, weil ihm diese plötzliche Todesbotschaft wie eine Verurteilung Gottes klang und wie eine Versuchung Gottes erschien, zu Gott obwohl mit Tränen, sprechen konnte: „Gedenke doch, HERR, wie ich vor dir gewandelt habe in der Wahrheit, mit vollkommenem“, das ist, nicht mit halbem, geteiltem, „Herzen, und habe getan, was dir gefallen hat.“ Aber wehe dem, welcher dies zu dem Grund seines Trostes macht! Denn vor Gottes Gericht besteht kein frommes Leben die Probe, auch das beste nicht. Auf der Waage des Gesetzes gewogen, werden auch die heiligsten Menschen zu leicht gefunden. Auch nach seiner Bekehrung musste daher ein David ausrufen: „HERR, wer kann merken, wie fot er fehlt? Verzeihe mir die verborgenen Fehler. Gehe nichts ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht.“ Selbst ein frommer Hiob, dieses Vorbild aller frommen Kreuzesträger, musste klagen: „Wer will einen Reinen finden bei denen, da keiner rein ist? Wenn ich mich gleich mit Schneewasser wüsche und reinigte meine Hände mit dem Brunnen, so wirst du mich doch tunken in den Kot, und werden mir meine Kleider scheußlich anstehen.“ Selbst ein Paulus, jenes Muster aller Knechte Gottes, musste bekennen: „Ich bin mir wohl nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt. Nicht, dass ich’s schon ergriffen hätte oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von Christus Jesus ergriffen bin.“ Selbst der Jünger der Liebe, Johannes, musste, sich selbst einschließend, bezeugen: „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ Und endlich selbst der strenge und ernste Jakobus, der Feind alles toten Glaubens, musste eingestehen: „Wir fehlen alle mannigfaltig.“

    Wollen wir einst selig sterben, so ist daher das eigentliche Kunststück, was wir dazu anzuwenden haben, dass wir uns üben, täglich und stündlich den Heiland auf die Arme des Glaubens zu nehmen und auf ihn allein all unseren Trost zu setzen, um von Grund des Herzens mit jenem christlichen Dichter sprechen zu können:

Der Grund, da ich mich gründe,

Ist Christus und sein Blut,

Das machet, dass ich finde

Das ewge wahre Gut.

An mir und meinem Leben

Ist nichts auf dieser Erd:

Was Christus mir gegeben,

Das ist der Liebe wert.

    Ja, meine Lieben, so eifrig man sein soll, fromm und gottesfürchtig zu wandeln, wie Simeon es tat, so muss man doch noch eifriger sein, wie Simeon, Christus als seinen Trost in das Herz zu fassen. Denn gerade je tiefer dieser Trost in das Herz dringt, desto mehr wird dann auch das Herz von Sünde und Liebe zu den eitlen Dingen dieser Welt gereinigt und geheiligt; wie denn David sagt: „Wenn du mich tröstest, so laufe ich den Weg deiner Gebote“, und Paulus: „Die Sünde wird nicht herrschen können über euch, da ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade.“

    Was soll denn also wohl ein Mensch tun, wenn es nun endlich an das Sterben geht? Soll er sich dann etwa vor allem ängstlich umsehen nach den Zeugen seiner guten Werke? Oder soll er wenigstens dann schnell gute Werke wirken, und etwa durch reiche Vermächtnisse an Arme oder an die Kirche oder sonst an wohltätige Anstalten sich noch den Himmel zu erkaufen suchen? – Nein, nein! Wohl magst du, wenn du noch Zeit hast, dein Haus auch im Leiblichen recht bestellen und dabei auch, wenn du kannst, der Armen und der Kirche gedenken. Aber wisse: Dann ist die Zeit guter Werke vorüber; mag daher dann ein frommes oder ein gottloses Leben hinter dir liegen, dann gibt es keinen anderen Rat, keine andere Hilfe, keinen anderen Weg noch Steg, als dass du, wie in einem drohenden Schiffbruch im Sturm, zuerst alles, was du hast ebenso deine guten Werke, wie deine Sünden, über Bord in das Meer der göttlichen Erbarmung wirfst, und Jesus, als den einzigen, aber sicheren Lebensretter, im Glauben ergreifst, um deine Brust tust und dich damit frisch und keck in die brausenden Fluten des Todes stürzt. O, wohl dem, wer so tut! Mögen dann immerhin die Wogen der Todesangst und des Todes selbst über ihm zusammenschlagen: Jesus in einem noch ihm verlangenden Herzen, erreicht er gewiss die seligen Ufer des ewigen Lebens; denn es steht geschrieben: „Wer den Namen des HERRN wird anrufen, soll selig werden.“

    O, so schenke uns denn allen Gott die Gnade, dass wir leben wie Simeon, vor allem aber, dass wir sterben wie er und, Jesus auf den Armen unseres Glaubens, wenn unser Ende gekommen ist, einstimmen in seinen Schwanengesang: „HERR, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.“ Amen.

 

 

Evangelienpredigt zum 25. Sonntag nach Trinitatis ueber Matthaeus 24,15-28: Christi Warnung vor der in der letzten Zeit sich erhebenden Stimme der Verfuehrung: „Siehe, hier ist Christus, da ist Christus“

 

    Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, unserem Vater, und von dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der Wahrheit und in der Liebe sei mit euch allen. Amen.

 

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Der Kirche scheinen nie größere Gefahren zu drohen, als wenn sie blutig verfolgt wird; und Gott scheint seine Kirche nie schwerer zu versuchen, als wenn er solche Verfolgungen über sie verhängt und ihren Feinden gestattet, ihren glühenden Hass gegen die Christen in der Ausübung der ausgesuchtesten Grausamkeiten abzukühlen. Die für die Kirche gefährlichste und versuchungsvollste Zeit scheint daher die der ersten drei Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung gewesen zu sein.

    In den ersten drei Jahrhunderten nach Christi Geburt haben nämlich die Christen durch die damals noch heidnischen römischen Kaiser zehn langwierige und über alle Beschreibung grausame Verfolgungen erdulden müssen. Da die Christen die Heide und die Juden nicht nur durch ihre Worte und Werke straften, sondern auch von der heidnischen wie von der jüdischen Religion sich lossagten, weder Tempel noch Altäre hatten und sich von allen weltlichen Volksbelustigen ernst zurückzogen, so waren die der Gegenstand des Hasses des ganzen gottlosen Juden- und Heidentums, und man sah sie nicht nur für Gegner der Staatsreligion, sondern auch für Menschenfeinde und Gottesleugner an. Jedes Unglück und jede Plage, welche das ganze Land und Volk traf, wurde daher den Christen beigemessen und für eine Strafe der Götter erklärt, die damit den durch das Christentum bewirkten Abgang ihrer Verehrung rächten. Der Kirchenvater Tertullian schreibt um das Jahr 200 nach Christus: „Wenn der Fluss Tiber die Straßen Roms überschwemmte, wenn der Nilstrom nicht übertrat und die Fluren nicht wässerte, wenn die Wolken keinen Regen gaben, wenn Erdbeben, Hungersnot oder Pest entstand, immer rief das Volk alsbald: Auf, zu den Löwen mit den Christen!“

    Schrecklich waren die Martern, welche in dieser Zeit Tausende von Christen erdulden mussten. Man enthauptete und verbrannte sie; man kreuzigte und geißelte sie zu Tode; man belastete sie mit einem Mühlstein und warf sie in das Meer, ja, versenkte sie langsam in siedendes Pech; man warf sie reißenden Tieren vor oder nähte sie in die Haut eines wilden Tieres ein und hetzte sodann Hunde auf sie, die sie zerfleischten; man renkte ihnen alle Glieder aus und schlug sie endlich Keulen tot; man schnitt ihnen alles Fleisch von den Knochen und goss siedendes Blei in ihre klaffenden Wunden; man röstet sie auf glühend gemachten eisernen Stühlen; man hing sie in Ketten auf und ließ sie so entweder verhungern oder verschmachten oder schürte unter ihnen ein mäßiges Feuer an und ließ sie so langsam vom Feuer verzehrt werden; man band einen Pfahl mit ihnen zusammen, überzog sie dann mit Wachs und Pech und brannte sie so als nächtliche Leuchten in den kaiserlichen Gärten an. Man riss ihnen die Augen aus, schnitt ihnen einen Arm, ein Bein oder ein anderes Glied ihres Leibes ab oder verstummelte sie auf andere grauenerregende Weise und ließ sie dann in Bergwerken lebenslänglich arbeiten.

    Drei Jahrhunderte lang blutete und schmachtete die Christenheit mit wenigen Unterbrechungen unter diesen und dergleichen Martern, wovon die Hölle selbst größere nicht hätte erfinden können. Was war aber die Folge dieser blutigen Verfolgungen? Weit entfernt, dass dadurch die Kirche erschüttert oder zerstört worden sein sollte, so ist sie dadurch vielmehr erst recht fest gegründet und ausgebreitet worden. Der Kirchengeschichtsschreiber Eusebius schreibt: „Die Mordschwerter selbst wurden zuletzt stumpf und zerbrachen als abgenutzt; die Henker ermüdeten und mussten sich ablösen; die Christen aber stimmten dem allmächtigen Gott zu Ehren Lob- und Danklieder an bis zum letzten Hauch ihres Lebens.“ Die Anzahl derer, welche aus Scheu vor der Marter Christus verleugneten und abschworen, war gering gegen die Anzahl derer, welche beständig blieben. Ja, je mehr man wütete, desto freudiger und mutiger wurden die Christen; die Schwachen wurden stark und selbst Kinder wurden zu Helden, die aller Todesqualen spotteten. „Ich bin eine Christin“, rief unter anderem immer aufs neue die jugendliche Sabina aus, „ich bin eine Christin, und es wird nichts Böses bei uns begangen“, obgleich aus ihrem mit spitzen Eisen aufgerissenen zarten Leib das Blut bereits stromweise rann und obgleich man sie endlich in ein Netz wickelte und von den Hörnern eines wilden Stieres zerstoßen ließ. Mit jeder neuen Verfolgung offenbarte sich nur immer mehr die Gotteskraft des Evangeliums, welches die Christen in ihren Herzen trugen. Die Heiden mussten erkennen, dass den Christen ihr Christus einen Frieden in das Herz gebe, den die Welt ihnen weder geben noch nehmen konnte, und eine Hoffnung, die selbst in den heißesten Flammen der Scheiterhaufen nicht verwelkte, sondern davon, wie vom Himmeltau genetzt, nur erfrischt wurde. Das Blut der heiligen Märtyrer erwies sich als ein fruchtbarer Same, aus welchem immer mehr Christen hervorwuchsen. Oft sanken die rohesten Peiniger der Christen selbst, bei dem Anblick der Freudigkeit derselben unter ihren Martern, endlich gebrochenen Herzens zusammen, bekannten, von der Wahrheit des Evangelium überzeugt worden zu sein, und erklärten sich nun bereit, auch für Christus zu sterben.

    Ihr seht hieraus, meine Teuren: Obgleich die grausamen Verfolgungen, welche die Christen einst haben erdulden müssen, für sie die schwersten unter allen Versuchungen gewesen zu sein schienen, so waren sie es doch in der Tat nicht; sie waren vielmehr das Winzermesser, mit welchem der himmlische Gärtner den Weinstock seiner Kirche beschnitt, dass er desto reichere und süßere Früchte brächte. Die schwersten Versuchungen, welche über die Christen ergehen können, sind vielmehr die Versuchungen mit falscher Lehre; und das sind die, welche der Christenheit in Gottes Wort vor allem für die letzte böse Zeit vorausverkündigt worden sind, in welcher wir gegenwärtig leben. Eine solche Weissagung, begleitet mit einer dringenden Warnung für die Christen der letzten Zeit, enthält auch unser heutiges Evangelium. Darauf lasst uns daher jetzt unsere weitere Andacht richten.

 

Matthäus 24, 15-28: Wenn ihr nun sehen werdet den Greuel der Verwüstung, davon gesagt ist durch den Propheten Daniel, dass er steht an der heiligen Stätte (wer das liest, der merke darauf!), alsdann fliehe auf die Berge, wer im jüdischen Land ist; und wer auf dem Dach ist, der steige nicht hernieder, etwas aus seinem Haus zu holen; und wer auf dem Feld ist, der kehre nicht um, seine Kleider zu holen. Wehe aber den Schwangeren und Säugerinnen zu der Zeit! Bittet aber, dass eure Flucht nicht geschehe im Winter oder am Sabbat. Denn es wird alsdann eine große Trübsal sein, wie nicht gewesen ist von Anfang der Welt bisher und als auch nicht werden wird. Und wenn diese Tage nicht würden verkürzt, so würde kein Mensch selig; aber um der Auserwählten willen werden die Tage verkürzt. So alsdann jemand zu euch wird sagen: Siehe, hier ist Christus oder da! so sollt ihr’s nicht glauben. Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und große Zeichen und Wunder tun, dass verführt werden in den Irrtum (wenn es möglich wäre) auch die Auserwählten. 25 Siehe, ich hab’s euch zuvor gesagt! Darum wenn sie zu euch sagen werden: Siehe, er ist in der Wüste! so geht nicht hinaus; siehe, er ist in der Kammer! so glaubt es nicht. Denn gleichwie der Blitz ausgeht vom Aufgang und scheint bis zum Niedergang, so wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes. Wo aber ein Aas ist, da sammeln sich die Adler.

 

    HERR Jesus! Treu warnst du uns vor den Gefahren der Zeit, in welcher wir jetzt leben. O hilf, dass wir nicht mit unseren Ohren hören und noch nicht vernehmen; öffne unser verschlossenes Herz. Lass uns nicht versinken in dem Verderben dieser Zeit, das wie eine Meeresflut deine Christenheit überschwemmt hat; lass uns nicht verstrickt werden in den Irrtümern und Verfälschungen deines Worts, die wie ein Netz über die Erde ausgebreitet sind. Ob viel auch umkehrten zum größesten Haufen, so lass, HERR, doch uns dir in Liebe nachlaufen; dein Wort ist, o Jesus, doch Leben und Geist; was ist, das man, HERR, in dir nicht geneußt? Erhör uns, O Jesus! Amen.

 

1.

    Unser Text besteht, meine Lieben, aus zwei Teilen. In dem ersten weissagt der HERR, wie es den Juden ergehen werde nach Verwerfung des ihnen verheißenen und gesendeten Messias und des ihnen gepredigten Evangeliums; in dem zweiten Teil weissagt der HERR; wie es den Christen ergehen werde in der letzten Zeit, dafür, dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht angenommen, dass sie selig würden.

    Was zuerst die Juden betrifft, so sagt der HERR; wenn man sehen werde den Greuel der Verwüstung, davon gesagt ist durch den Propheten Daniel, dass er stehe an der heiligen Stätte, dann sei es Zeit, eilend aus Judäa zu fliehen, denn, spricht er, „es wird alsdann eine große Trübsal sein, wie nicht gewesen ist von Anfang der Welt bis dahin, und wie auch nicht werden wird“. Die Erfüllung dieser Weissagung begann im Jahr 66, also 36 Jahre später; als nämlich die römischen Heere unter Gessius Florus, dem damaligen Landpfleger, das erste Mal vor den Toren der heiligen Stadt erschienen. In dieser Zeit flohen daher die Christen eilends aus dem jüdischen Land und suchten in dem jenseits des Jordans liegenden Städtchen Pella eine Zufluchtsstätte, die sie da auch fanden. Kaum aber waren die Christen in Sicherheit, so brauch über das jüdische Volk die Trübsal ohnegleichen in der Weltgeschichte herein, welche der HERR in unserem Text demselben vorausverkündigt. Ein vierjähriger Krieg entspann sich durch das ganze Land, der damit endete, dass Jerusalem mit seinem herrlichen Tempel in einen Schutthaufen verwandelt, ja, dem Boden gleich gemacht wurde, dass mehr als eine Million Juden teils durch das Racheschwert der Römer, teils durch Hunger, teils durch Pest, teils durch Selbstmord umkamen und dass der jüdische Staat unterging und die Überbleibsel des jüdischen Volkes ohne Opfer, ohne Tempel, ohne Vaterland in alle Teile der Welt vertrieben und zerstreut wurden bis auf den heutigen Tag. Die Jammerszenen in ihrer Schrecklichkeit zu beschreiben, nach denen es mit den Juden zuletzt ein Ende nahm, ist kein menschlicher Mund, keine Feder im Stande. Mit blutigen Buchstaben hat es Gott selbst auf die Brandstätte Jerusalems und auf alle Straßen Judäas für alle Völker der Erde geschrieben: „Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten; wer Gottes Wort verwirft, den will Gott wieder verwerfen, und wer Gottes Gnadenstimmte im Evangelium nicht hören will, dessen Stimme, dessen Jammergeschrei will dann Gott nicht hören am Tag der Not.“

    So viel von dem ersten Teil unseres Textes. Im zweiten Teil desselben, in welchem der HERR von der letzten Zeit weissagt, sind es nun zwar nicht große leibliche Trübsale, die er vorausverkündigt, aber etwas ungleich Schrecklicheres. Er spricht nämlich: „Wenn diese Tage nicht würden verkürzt, so würde kein Mensch selig; aber um der Auserwählten willen werden die Tage verkürzt.“ In der letzten Zeit vor dem Untergang der Welt wird es sich also nicht sowohl um den Verlust des irdischen Lebens handeln, wie in der Zeit vor der Zerstörung Jerusalems und dem Untergang des jüdischen Staates, sondern um etwas viel Größeres, nämlich um den Verlust der Seelen Seligkeit.

    Was wird aber nach Christi Weissagung in der letzten Zeit vor allem eine so große Gefahr, verloren zu gehen, herbeiführen? Dies zeigt Christus an, indem er fortfährt: „Wenn dann jemand zu euch wird sagen: Siehe, hier ist Christus, oder da, so sollt ihr’s nicht glauben.“ „Hier ist Christus, da ist Christus.“ Das ist also die seelengefährliche Stimme der Verführung, welche sich nach Christi Vorausverkündigung in der letzten Zeit von allen Seiten her in der Christenheit erheben werde.

    Welches mag nun, meine Zuhörer, der Sinn dieser Worte wohl sein? – Es gibt Schwärmer, welche diese Worte auf die Predigt gerade der rechtgläubigen Lehrer deuten. Rechtgläubige Lehrer predigen nämlich, dass Christus zu da zu finden ist, wo Gottes Wort erschallt und wo die heiligen Sakramente, die heilige Taufe und das heilige Abendmahl, nach Christi Einsetzung verwaltet und gebraucht werden; sie rufen daher aller Welt zu: Hierher müsst ihr kommen, die ihr Christus finden wollt; hier ist die einzig rechte Quelle der Wahrheit, der Gnade, des Heils und der Seligkeit; hier und nirgends anders ist Gottes Haus und die Pforte des Himmels. Hören dies nun die Schwärmer, so rufen sie: Seht da, das ist die Stimme der Verführung, denn diese Prediger rufen fort und fort: „Hier, hier ist Christus, da, da ist Christus“, „hier ist des HERRN Tempel, hier ist des HERRN Tempel!“ (Jer. 7,4.) Aber, meine Lieben, so viele unbefestigte Christen sich auch überreden lassen mögen, dass diese Auslegung jener Worte ganz richtig und die darauf gegründete Anklage gegen rechtgläubige Prediger ganz recht sei, so zeigt doch schon ein flüchtiger Blick in die Heilige Schrift, wie falsch man jene Rede eines Verführers auslegt und wie gänzlich grundlos und ungerecht die darauf gebauchte Anklage gegen die Prediger der rechtgläubigen Kirche sei. Gott sagt schon durch Mose nach Verkündigung der heiligen zehn Gebote: „An welchem Ort ich meines Namens Gedächtnis stiften werde, da will ich zu dir kommen und dich segnen“; das Gedächtnis des Namen Gottes wird aber da gestiftet, wo sein Wort verkündigt und seine heiligen Sakramente verwaltet werden. Ferner gibt Christus den Seinen die Verheißung: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende!“ Wer sind aber die, welche Christus die Seinen nennt? Er sagt es selbst Lukas 8: „Meine Mutter und meine Brüder“, spricht er, „sind diese, die Gottes Wort hören und tun.“ Ferner spricht Christus im 18. Kapitel bei Matthäus, nachdem er seiner Gemeinde die Verheißung gegeben hatte, dass ihr Lösen und Binden und ihr Flehen und Bitten im Himmel gültig sein wolle: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“; in Christi Namen sind aber die versammelt, welche auf seinen Befehl zusammenkommen und gemeinschaftlich sein Wort treiben, durch die heilige Taufe seinen Gnadenhimmel aufschließen und an der Gnadentafel seines heiligen Nachtmahls seinen Tod öffentlich verkündigen. Ferner spricht Christus: „Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben; und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen“; und Petrus: „Wir haben ein festes prophetisches Wort; und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet, als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern“, nämlich Christus, „aufgehe in euren Herzen“; und besonders von den heiligen Sakramenten spricht St. Paulus: „Wie viel euer getauft sind,. die haben Christus angezogen“; und an einer anderen Stelle: „Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?“ Besonders deutlich spricht Paulus endlich vom Wort Römer 10: „Sprich nicht in deinem Herzen: Wer will hinauf zum Himmel fahren? (Das ist nicht anders, als Christus herab holen.) Oder, wer will hinab in die Tiefe fahren? (Das ist nicht anders, als Christus von den Toten holen.) Aber was sagt sie (nämlich die Gerechtigkeit des Glaubens)?“ „Das Wort ist dir nahe, nämlich in deinem Mund und in deinem Herzen.“ – Urteilt nun selbst: Isst nach diesen klaren Aussprüchen Christi, der Propheten und Apostel Christus nicht wirklich und wahrhaftig da und zwar in Gnaden da, wo sein Wort rein gepredigt und seine heiligen Sakramente nach seiner Einsetzung verwaltet werden? – Was tun also diejenigen, welche das eine Stimme der Verführung nennen, wenn die Prediger der rechtgläubigen Kirche predigen: Hier, wo das Wort ist, da, wo die heiligen Sakramente sind, ist Christus, ist seine Kirche, ist seine Gnade, ist die Seligkeit? Wer das für die stimme der Verführung erklärt, der macht Christus selbst und seine Apostel und Propheten zu Verführern und lästert das wahrhaftige Wort Gottes als Irrtum und Lüge.

    Aber, meine Lieben, gerade das Gegenteil ist es, was Christus meint, wenn er die Christen der letzten Zeit vor der Stimme warnt, die da sagt: „Hier ist Christus, da ist Christus.“ Er meint nämlich damit jene Irrlehrer, welche Gottes Wort verfälschen und die Gedanken ihres eigenen Herzens und ihrer eigenen Vernunft verkündigen; die da sagen: Nicht in dem Wort Gottes ist Christus zu suchen, sondern hier, in diesem und jenem Werk, nicht in der Taufe und in dem heiligen Abendmahl ist Christus zu finden, sondern „da“ in dieser und jener Einrichtung und dergleichen, die wir gemacht haben; nicht auf die reine Lehre und auf das unverfälschte Sakrament kommt es an, wenn wir Gnade finden wollen, sondern auf unser Tun, auf unser eifriges Gebet, auf unser Ringen und Kämpfen, auf unser Empfinden und Erfahren, auf unsere Besserung und Heiligung und dergleichen.

    Dass dies die rechte Auslegung ist, geht unwidersprechlich daraus hervor, dass Christus sogleich hinzusetzt: Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und große Zeichen und Wunder tun, dass verführt werden in den Irrtum (wenn es möglich wäre) auch die Auserwählten.“ Wir sehen hieraus: Da, wo man von Christus zwar predigt, aber ihn „falsch“ predigt, Irrtümer verkündigt, bei Gottes Wort nicht bleibt, sondern Gottes Wort verfälscht, von Gottes Wort dabei abgeht und von Gottes Wort abführt; wo man daher nicht predigt: Willst du Christus finden, so suche ihn nicht in dem und jenem, nicht in deinem Herzen, noch über dir im Himmel, noch außer dir in deinen Werken, sondern suche ihn in seinem Wort und in seinen heiligen Sakramenten; wo man, sage ich, das nicht predigt, sondern Christus irgendwo anders suchen heißt: Da, ja, da erschallt die Stimme der Verführung in der letzten Zeit: „Siehe, hier ist Christus, da ist Christus.“

    Doch Christus gibt uns noch mehr Aufschluss; er fährt fort: „Darum, wenn sie zu euch sagen werden: Siehe, er ist in der Wüste, so geht nicht hinaus; siehe, er ist in der Kammer, so glaubt es nicht.“ Wer sind nun erstlich die, welche Sagen, Christus sei „in der Wüste“? Die Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand. Die Geschichte des Papsttums von Anfang an bis auf diese Stunde zeigt nämlich, dass diese Stimme der Verführung sich vor allem im Papsttum und in der römischen Kirche erhoben hat. Denn wohin werden diejenigen im Papsttum gewiesen, die ihrer Seligkeit recht gewiss werden wollen? – In die Wüste. Man spricht: Verkaufe und verschenke, was du hast, und werde arm, entsage dem Ehestand, verlass hierauf die Welt und gehe in ein Kloster, werde ein Mönch, werde eine Nonne, werde ein Einsiedler und halte dann dein Ordensgelübde: Das ist2 der Weg, auf welchem dir die Seligkeit gewiss nicht entgehen kann; das ist das Mittel, durch welches du Christus gewiss findest. – Wer sind nun aber ferner die, welche sagen, Christus sei „in der Kammer“? Auch das ist nicht schwer zu sagen. Das sind nämlich alle jene Schwärmer, welche den öffentlichen Gottesdienst, die Gemeinschaft mit einer geordneten Gemeinde, das heilige Predigtamt und die öffentliche Verkündigung des Wortes Gottes und die öffentliche Sakramentsverwaltung in den Kirchen verwerfen und sagen: Willst du Christus finden, so suche ihn nicht in solchen äußerlichen Dingen; bleibe in der stille deiner „Kammer“; steige hinab in die Tiefe deines Gemüts und versenke dich in heilige Betrachtungen; da, da findest du die rechte Kirche, da hörst du den rechten Prediger, da findest du den Geist, da findest du Christus, seine Gnade und das ganze Himmelreich.

    Merkt also wohl, meine Lieben, dass ich das gesagte noch einmal wiederhole: Wenn Christus vor der Stimme warnt: „Siehe, hier ist Christus oder da; er ist in der Wüste, er ist in der Kammer“ so warnt er nicht vor denen, welche sagen, dass Christus an allen den Orten ist, wo sein Wort und Sakrament ist, denn da ist er so gewiss, so gewiss er der allgegenwärtige Sohn Gottes und so gewiss sein Wort und seine Verheißung Wahrheit sind; sondern Christus warnt damit vor allen denen, welche eben von diesem Wort und Sakrament hinwegweisen und ihn, Christus, in irgendetwas anderem suchen heißen, die, anstatt Christus an seine Gnadenmittel zu finden, an die er sich selbst gebunden hat, ihn an etwas anderes binden, es sei nun im Himmel und auf Erden, was es wolle.

 

2.

    Nachdem wir nun den Sinn jener in der letzten Zeit sich erhebenden Stimme der Verführung kennen gelernt haben, so lasst uns nun auch zweitens desto aufmerksamer hören die Stimme der Warnung, welche wir hierbei zugleich aus Christi Mund vernehmen.

    Hauptsächlich drei Warnungen sind es, welche uns Christus in unserem heutigen Evangelium gibt. Die erste Warnung liegt darin, dass er uns sagt, wenn diese Zeit der Verführung zum Irrtum durch die falschen Propheten nicht verkürzt würde, so würde kein Mensch selig werden. Fürwahr, eine ernstere Warnung vor falscher Lehre kann es nicht geben als diese! O, möchten wir sie doch alle recht zu Herzen nehmen! Denn wie denkt man jetzt gewöhnlich von falscher Lehre? Wenn es hoch kommt, so achtet man jetzt etwa den groben Unglauben für verderblich, und man will daher allenfalls nichts dagegen einwenden, wenn gegen offenbare Feinde und Lästerer Christi und seines Evangeliums geeifert wird; aber bloße falsche und unreine Lehre achtet man in unsern Tagen meist für etwas ebenso nicht so sehr Gefährliches, und man verargt es daher in der Regel den Predigern sehr, die selbst gegen solche Lehrer eifern, welche doch auch von Christus predigen, wenn sie ihn auch nicht ganz rein verkündigen. Was tut aber Christus in unserem Text? Warnt er darin etwa vor den offenbar Ungläubigen, vor den Lästerern seines Wortes und vor den erklärten Feinden seines Kreuzes? Nein, denn solche Wölfe ohne Schafskleid sind keinem wahren Christen gefährlich. Christus warnt vielmehr vor solchen, welche ihn auch predigen, aber ihn falsch predigen; welche sein Wort nicht geradezu verwerfen, sondern es nur verfälschen; welche die Wahrheit nicht verlästern, sondern derselben nur ihre Irrtümer beimischen; und von solchen sagt er, dass, wenn Gott ihnen lange Zeit zusehen würde, endlich kein Mensch selig werden könnte. Wer soll nun Recht behalten, Christus, der die falsche Lehre für so gefährlich erklärt, oder unser Herz, welches sie für eine unschuldige Sache und für eine Kleinigkeit ansieht? Ach, hinweg mit unserem trüglichen Herzen; Christus behalte Recht! Aus seiner Warnung lasst uns daher erkennen, Krieg, teure Zeit, Pestilenz und alle übel in der Welt sind geringe Sachen gegen falsche Lehre; denn jene Übel in der Welt bringen uns nur um zeitliche Güter, aber falsche Lehre um die ewigen; ja, falsche Lehre ist selbst schrecklicher als sündhaftes Leben; denn obwohl die Sünde den Menschen verdammt, so kann doch der Mensch, wenn ihm die rechte Lehre gepredigt wird, dadurch von seinen Sünden bekehrt und zur Gnade und Seligkeit gebracht werden, aber wo falsche Lehre im Schwange geht und die Herzen einnimmt und vergiftet, da ist keine Hilfe noch Rat, man nun ein Mensch dabei äußerlich noch so fromm leben.

    Doch Christus erteilt uns noch eine zweite Warnung in unserem Text, wenn er darin sagt, dass die falschen Propheten so große Zeichen und Wunder tun würden, dass verführt würden in den Irrtum, wenn es möglich wäre, auch die Auserwählten. Christus will uns hiermit davor warnen, dass wir uns von dem guten herrlichen Schein nicht blenden lassen, von welchem die falsche Lehre gerade in der letzten Zeit umgeben sein werde. Viele nämlich meinen, nur diejenigen seien als Verführer zu fliehen, denen man es sogleich ansieht und anhört, dass sie Feinde Jesu Christi sind; hingegen, wenn ein Prediger Christus lobe und sichtlich fromm wandle, so sei es Frevel, ihn als einen falschen Propheten zu fliehen und zu meiden. Aber Christus sagt uns in unserm Text etwas ganz anderes. Wer sich durch vieles Reden über Christus täuschen lässt, der wird bald um seine Seligkeit betrogen sein, denn nicht jeder, sondern nur der rechte Christus, wie ihn die Bibel darstellt, kann uns selig machen; und wer sich durch den Schein der Gottseligkeit sogleich einnehmen lässt, der wird bald in seelenverderblichen Irrtum verführt sein; denn obwohl die wahrhaft Gläubigen in keinen herrschenden Sünden leben, sondern aufrichtig fromm sind, so liegt doch oft ihre aufrichtige Herzensfrömmigkeit unter manchen Schwachheiten verborgen, während hingegen nicht selten die Schalkheit einhertritt in dem Kleid hoher Geistlichkeit und vollkommenere Heiligung; ja, während die Wahrheit wie ein verkanntes Kleinod im Staub liegt, wird, wie Christus sagt, der Irrtum oft bestätigt mit großen glänzenden Werken und Zeichen und Wundern. Wer daher unbetrogen bleiben will, der halte alles an den Prüfstein des untrüglichen Wortes Gottes; so, aber nur so wird er auf der rechten Bahn bleiben, ob auch Satan sich gegen ihn verstelle in einen Engel des Lichts.

    Doch noch eins ist es, was Christus den Christen der letzten Zeit in unserem Text zuruft; darin heißt es nämlich endlich zum Schluss: „Siehe, ich hab’s euch zuvor gesagt! Darum wenn sie zu euch sagen werden: Siehe, er ist in der Wüste! so geht nicht hinaus; siehe, er ist in der Kammer! so glaubt es nicht. Denn gleichwie der Blitz ausgeht vom Aufgang und scheint bis zum Niedergang, so wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes. Wo aber ein Aas ist, da sammeln sich die Adler.“ Hiermit warnt Christus seine Christen, nicht vorwitzig zu sein. „Glaubt es nicht, geht nicht hinaus“, spricht er; er will sagen: Ach, das Kleinod ist bald verloren; hier ist kein Scherz zu treiben; es darf niemand denken: Was wird es mir schaden, wenn ich mich eine Zeitlang zu etwas Falschem halte? Ich kann ja wieder umkehren. Nein, spricht Christus, bedenke, ich werde einst schnell wie der Blitz wiederkommen; keine Stunde darfst du daher sicher sein. Es gilt also wachen und jeden Augenblick bereit sein, Christus mit brennender Glaubenslampe entgegen zu gehen. Wehe dem, welchen Christus übereilt in der Stunde, wenn er sein reines Wort verlassen hat und einem falschen Christus nachgeeilt ist! Ein solcher untreuer Christ wird, und wenn er hier auch bei seinem falschen Christus Blut geschwitzt hätte, mit seinem falschen selbstgemachten Christus verloren gehen. Wohl aber allen, die bei Christi reinem Evangelium und bei seinen unverfälschten Sakramenten im lebendigen Glauben bleiben: Darin haben sie den rechten Christus. Wenn daher Christus sichtbar wiederkommt, so werden sie ihn auch mit Freuden schauen, mit Frohlocken ihm entgegengehen und mit allen Auserwählten zu ihm versammelt werden in dem neuen Himmel und auf der neuen Erde, darin Gerechtigkeit wohnt. Denn „wo ein Aas ist, da sammeln sich die Adler.“ Amen.

 

 

 

Epistelpredigt zum ersten Adventssonntag ueber Roemer 13,11-14: Das heutige apostolische Adventswort: „Unser Heil ist naeher, als da wir ess glaubten“

 

Gesang: Wie soll ich dich empfangen

 

    In deinem Namen, o HERR Jesus Christus, du König Zions, du Aufgang aus der Höhe, treten wir ein neues Kirchenjahr an, denn deine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu und deine Treue ist groß. So bleibe denn mit deiner Gnade, mit deinem Wort, mit deinem Glanz, mit deinem Segen, mit deinem Schutz, mit deiner Treue bei dieser Gemeinde und ihren Dienern und bei allen Gemeinden deiner rechtgläubigen Kirche und ihrer Hirten und Lehrer. O du, unser Heil, komm uns näher durch abermalige Offenbarung deines Namens, dass du uns in lebendiger Erkenntnis deines Wortes und wachsendem Glauben näher und näher zu dir ziehst, bis du uns zu dir holst durch einen seligen Tod oder erscheinst in deiner Herrlichkeit. Hosianna dir, dem Sohn Davids! Gelobt seist, der du kommst im Namen des HERRN! Hosianna in der Höhe! O HERR hilf, o HERR, lass wohl gelingen! Amen.

 

Römer 13,11-14: Und weil wir solches wissen, nämlich die Zeit, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, da unser Heil jetzt näher ist, als da wir gläubig wurden, die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeikommen: so lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes. Lasst uns ehrbar wandeln, wie am Tag, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Ausschweifungen und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern zieht an den HERRN Jesus Christus und wartet des Leibes, doch so, dass die Begierden nicht geweckt werden.

 

    Geliebte in dem HERRN! Indem wir abermals durch Gottes Gnade an der Pforte eines neuen Kirchenjahres stehen, möchte ich euch zuerst Glück wünschen, dass ihr einer Kirche angehört, welche durch die Einrichtung eines besonderen Kirchenjahres die Zeit kirchlich teilt und schmückt und so auch dadurch ihren Zusammenhang mit dem christlichen Altertum bestätigt In der irrigen Meinung, dass die Einrichtung eines Kirchenjahres papistischer Sauerteig sei, feiert man in allen sich protestantisch nennenden Sekten, die Episkopalkirche allein ausgenommen, kein Kirchenjahr, sondern Jahraus Jahrein eigentlich nur Einen Tag, den Sonntag, und auch diesen wieder in der irrigen Meinung, als sei uns Christen der Sonntag anstatt des jüdischen Sabbats geboten. Ja, freuen wir uns, dass Luther eine Einrichtung beibehielt, die nachweislich ihren Ursprung in den frühesten Zeiten des Christentums hat und die sich vervollständigte, ehe noch der Antichrist sich in den Tempel Gottes setzte, und sowohl die vorhandenen Feste und Feiertage des kirchlichen Altertums zu einem abgöttischen Werkdienst machte, als auch ihnen selbsterdachte Feiertage hinzufügte, wie z.B. das Fest der Empfängnis und Himmelfahrt Marias, das Fronleichnamsfest, Allerseelenfest u. dgl. Indem Luther allein diese und andere antichristliche Feste und Feiertage unerbittlich abtat, ist uns eine der edelsten Blüten erhalten worden, welche das Christentum getrieben hat und welche gerade durch das rechte Verständnis und den Gebrauch der christlichen Freiheit in der rechtgläubigen Kirche für den Rest der Weltzeit unverwelklich geworden ist. Wie das Christentum durch die Baukunst so herrliche, ehrwürdige und sinnig eingerichtete Kirchen und Dome schuf; wie es durch Farbe und Pinsel, durch Hammer und Meißel die großen Taten Gottes im Bild verherrlichte und wie es besonders die Dichtkunst und die edle Musik in den Dienst des Evangeliums stellte und der Kirche in Lied und Melodie, in kunstvollem Sang und Orgel- und Instrumentenklang einen unvergleichlichen Schatz gab, besonders seit den Tagen der Reformation, so hat sie auch durch das Kirchenjahr die Zeiteinteilung des HERRN geheiligt, denn jedes Fest hat zum Gegenstand eine Heilstatsache nach dem zweiten und dritten Artikel unseres Glaubens. Ist doch der eigentliche Zweck des Kirchenjahres der, dass man, wie es Frage 50 unseres Katechismus[30] heißt, 1, die heilige Geschichte der Ordnung nach lerne, 2, die überaus hohen Wohltaten, die uns eben hierdurch zuteil geworden sind, besonders erwäge und 3, besonders Gott für diese Wohltaten den schuldigen Dank sage und sie zu Gottes Ehre und unserer Seligkeit gebrauche. Da ist ja in das Jahr hinein das ganze Bild Christi gezeichnet und wird so von Jahr zu Jahr der Gekreuzigte nach seiner Person und Amt vollständig uns vor die Augen gemalt.

    Zu dem Endzweck sind denn nun auch von Alters her feststehende Schriftabschnitte zur Lesung und Predigt verordnet und ist auch diese altkirchliche Ordnung von Luther beibehalten worden. Es sind das die sogenannten Episteln und Evangelien. Wohl mag mancher schon gedacht haben: Warum Jahr für Jahr immer dieselben Texte? Warum denn nicht zur Abwechslung aus dem reichen Bibelbuch auch andere Texte? Allein, Geliebte, welch ein zweck- und zielloses Umherschweifen in der Wahl der Predigttexte es ohne eine solche Einrichtung geben würde, zeigt ein Blick auf die Weise der hiesigen Sekten und wie wenig die erhoffte Förderung im Verständnis der Schrift und in der Erkenntnis der heilsamen Lehre erzielt wird, zeigen die Früchte. Gemäß jener alten bewährten Schulmeisterregel, nach welcher man das Unbekannte am Bekannten am Besten lernt, wird, wie eine dreihundertjährige Erfahrung gerade unserer Kirche lehrt, an den feststehenden Evangelien und Episteln im Volk das Verständnis der Schrift und der Lehre recht erreicht, vorausgesetzt, dass der Prediger gleich ist einem Hausvater, der aus seinem Schatz Altes und Neues hervorbringt und einer Hausmutter, die zwar nicht jeden Tag ein ganz neues Gericht auf den Tisch bringt, die aber doch das Hausgenossen schon bekannte Gericht immer von neuem kost und dabei immer schmackhafter und nahrhafter zu bereiten weiß. Und indem wir schon von Kindesbeinen an zum Voraus wissen, welchen Text jeder Sonn- und Festtag hat und hierdurch schon vorbereitet zur Predigt kommen, ist’s denn nicht dabei auch ein gar erhebender Gedanke, dass aus tausend und abertausend Kanzeln der rechtgläubigen Kirche in mancherlei Weise und in mancherlei Zunge ein und dasselbe Evangelium, ein und dieselbe Epistel gepredigt wird und so Tausende und Abertausende unserer Glaubensbrüder auf dem ganzen Erdkreis ein und dieselbe Heilstatsache mit uns andächtig betrachten und ein und dasselbe Stück der seligmachenden Wahrheit in das Herz gepflanzt wird?

    Meine Geliebten! Da das Kirchenjahr mit der vierwöchigen Adventsfeier beginnt, so weisen mit den Evangelien und Episteln bald auf das Kommen Christi ins Fleisch, bald auf sein Kommen zum Gericht. Auf welches sein Kommen weist uns nun die verlesene Epistel? Wir werden das sehen, wen wir das Wort in den Mittelpunkt unserer Betrachtung stellen, das so recht als apostolisches Adventswort gelten kann. Wir betrachten demnach

 

Das heutige apostolische Apostelwort: „Unser Heil ist jetzt näher, als da wir’s glaubten“

 

    Wir sehen

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wozu es uns heute anleitet und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wozu es uns heute ermahnt.

 

1.

    Meine Geliebten! Heute beginnen wir ein Kirchenjahr und diese wird eröffnet durch die Adventszeit, wie schon bemerkt. Wozu leitet uns da das heutige epistolische Adventswort an: „Unser Heil ist jetzt näher, als da wir’s glaubten“?

    Lasst uns vorerst Sinn und Inhalt dieses Wortes zu erkennen suchen.

    „Unser Heil“ ist Christus nach seiner Person und nach seinem Amt, uns von Gott gemacht zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung. Zuerst unseren gefallenen Stammeltern im Paradies und dann in immer deutlicheren und zahlreicheren Weissagungen den Vätern verheißen, ist er nach einer 4000jährigen Wartezeit endlich gekommen. In ihm ist auf dieser unserer Erde die zweite Person der Gottheit in Menschengestalt erschienen, ist durch die Geburt von der Jungfrau Maria wirklich wahrhaftiger Mensch geworden, ohne damit aufzuhören, wahrhaftiger Gott zu sein, eines Wesens mit dem Vater, denn es hat die Gottheit mit der Menschheit persönlich und unzertrennlich im Sohn sich vereinigt. „Gott ist offenbart im Fleisch“, ruft Paulus. Durch Leiden, Sterben, Auferstehen und Himmelfahrt die verlorenen Kinder Adams zu erlösen und so ihr Heil zu sein, dazu ist er nach dem erbarmungsvollen Liebesrat Gottes vor mehr als 2000 Jahren Mensch geworden. Uns das hierdurch erworbene Heil durch den Glauben anzueignen, kommt er seit seiner Auffahrt fort und fort im Wort und Sakrament zu uns, jedoch unsichtbar. Um uns aber zum Vollgenuss dieses Heils zu führen, zugleich aber durch einen unwiderruflichen strengen Richterspruch diejenigen auf ewig zu verdammen, welche das mit so hohem Preis jedem Menschen erworbene Heil verachten und von sich stießen, kommt er einst sichtbar, jedoch mit großer Kraft und Herrlichkeit, wieder. Diese seine sichtbare Wiederkunft und mit ihr unser Heil, unsere völlige Erlösung von allem Jammer, der uns im Fleisch noch umgibt und drückt, rückt uns mit jedem Tag und mit jedem Jahr näher und näher. Gleichwie sein ersten Kommen erfolgte, als die Zeit erfüllt wurde, so erfolgt auch dieses, sowie die von Gott nach seiner Weisheit, Treue und Langmut bestimmte Zeit erfüllt sein wird. Hieraus wird denn nun aber von selbst klar, was der Apostel meint, wenn er sagt, dies unser noch bevorstehendes Heil durch die Wiederkunft Christi sei uns näher, „als da wir’s glaubten“, denn sieht er auch zunächst auf die Zeit zurück, da das in Christus verheißene Heil uns nun näher ist als es den Vätern war – nicht dem Besitz, sondern der Offenbarung nach – so schließt er doch mit die Zeit ein, da wir anfingen, das nun erschienene Heil in wahrem Glauben für unsere Person zu erkennen und zu ergreifen und nun als neue Menschen auf seine Wiederkunft warten, dass wir das erkannte und ergriffene Heil nun auch haben dem Schauen und dem Vollgenuss nach.

    Das ist kurz der Sinn und Inhalt unseres epistolischen Adventswortes.

    Und nun frage ich, Geliebte, leitet dasselbe uns nicht an, zunächst einen Rückblick auf die Vergangenheit zu tun, auf die Zeit nämlich, da auch wir anfingen, das in Christus erschienene Heil im Glauben zu erkennen und durch denselben es zu ergreifen? Ist es doch so nötig, von Zeit zu Zeit einen solchen Rückblick zu tun, die dankbare Erinnerung an die erfahrene Gnade lebendig zu erhalten und so demütig und gläubig an derselben zu bleiben.

    Wenn der Apostel in unserer Epistel ruft: „Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen“, so hat er ja freilich zunächst die Zeit des Alten Testaments und des Anbruchs des Neuen Testaments im Auge, da es heißt: „Siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“ (Jes. 60,2.) Aber obwohl nun schon seit 2000 Jahren diese Nacht vergangen und der Tag herbeigekommen ist, so ist’s doch noch immer Nacht für das Menschenherz, so lange es nicht auch bei ihm durch den Glauben Tag geworden ist. O eine schaurige Nacht für jedes Menschenherz, für das des Gebildeten wie des Ungebildeten. Das ist ja die Nacht der Unwissenheit in den wichtigsten Fragen, nämlich wer und was Gott sei und was sein Wille gegen uns arme Sünder ist, die Nacht des Unglaubens, der Sünde und des Fluches, der Furcht vor dem Tod und des Schreckens vor dem Gericht, die Nacht der Trostlosigkeit und der Verzweiflung. So oft wir daher an diese Nachtzeit unserer Seele zurückdenken und erwägen, wie sie zu Ende gegangen war, da wir anfingen zu glauben, so oft rufen wir mit demütigem Dank aus: „Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen.“ Und ob auch von denen unter uns, die ihre ganze schöne Jugendzeit oder auch nur einen Teil derselben in solcher geistlichen Nacht des Unglaubens und Sünden- und Weltdienstes zubrachte, zu diesem Dank immer wieder von neuem das Wehmütige Bekenntnis sich gesellen muss:

Ach, dass ich dich so spät erkannte,

Du hochgelobte Schönheit du,

Und dich nicht eher mein schon nannte,

Du höchstes Gut und wahre Ruh;

Es ist mir leid, ich bin betrübt,

Dass ich dich hab so spät geliebt.

so wird der Dank nur umso brünstiger. Man ginge ja noch immer in der Nacht des Unglaubens dahin gleich so vielen anderen, wenn nicht Gott aus ganz unbegreiflicher Gnade einem so lange nachgegangen wäre in die Irre. Womit hat man es denn nun verdient, dass man endlich zum Glauben gebracht ist? Oder was ist man im Grunde besser gewesen als die, mit denen man den Weg des Verderbens lief? Nicht nur aber das! So manches Kirchenjahr ist gekommen und gegangen, seitdem du, mein Bruder, meine Schwester, gläubig geworden ist; aber während man so manchen unterdes vom Wort und Glauben hat wieder abfallen sehen, stehst du noch im Glauben und hast mit anderen deiner Brüder noch Gottes Wort  in seiner Reinheit und Lauterkeit und geniest noch die Gemeinschaft der wahren Kirche Gottes. Und ist nicht auch das purlautere Gnade? Hätte Gott nur einen Augenblick die Hand abgezogen, o, wie wärst du sobald vom Wort und Glauben gefallen und wie kämst du dann dem Heil ferner, je näher er kommt!

    Das ist der Rückblick, zu dem heute wieder unser epistolisches Adventswort uns anleitet. Ein nötiger Rückblick, aber auch zugleich ein seliger. Welche traurigen und schmerzlichen Erinnerungen gibt es doch beim Rückblick auf die Vergangenheit eines Menschen, der noch in der Nacht des Unglaubens dahinwandelt! Welche Klagen und getäuschte Hoffnungen und Erwartungen und über ein verfehltes Leben werden da laut! Welches Murren gegen Gott und Menschen regt sich dann und macht den armen Menschen nur unglücklicher!

    Aber auch zu einem trostvollen Vorblick in die Zukunft leitet das epistolische Adventswort heute an. Das noch zukünftige Heil ist uns jetzt näher, als da wir gläubig wurden, und heute noch näher als vor einem Jahr und viel näher noch als den Christen vor fünfhundert Jahren, welche die Wiederbringung des ewigen Evangeliums durch die Reformation erlebten und vollends erst im Vergleich zu den Christen der ersten Zeit. Und doch hat Christus schon vor 2000 Jahren seiner Kirche sagen lassen: „Siehe, ich komme bald!“, denn die Zeit des Neuen Testaments heißt die letzte Stunde und diese als die Zeit der Erfüllung ist bei weitem kürzer als die erste Stunde, die Zeit viertausendjähriger Verheißung und Weissagung, die Zeit des Alten Testaments. Nun fehlen nur noch wenige Jahre und 2000 Jahre sind alsdann von dieser letzten Stunde verflossen und über 500 Jahre sind es bereits, dass durch die Reformation der Antichrist mit seinen Greueln offenbart ist und so jenes kirchengeschichtliche Ereignis stattgefunden hat, das nach 2. Thess. 2 die letzte große Gottestat vor dem jüngsten Tag sein soll. Alle übrigen Zeichen des Jüngsten Tages sind längst geschehen und wiederholen sich jetzt nur, und selbst die für die letzten Tage geweissagten allgemeine und freche Verhöhnung und Verspottung Gottes und seines Wortes gehört nicht mehr zu den künftigen Dingen, sondern geht gerade in unseren Zeiten reichlich im Schwang. Und wie einst in der allerletzten Zeit vor der Erscheinung Christi im Fleisch die Welt in einem solchen Zustand der Auflösung und des Verderbens sich befand, dass selbst ein weiser Heide erklärte, sie könne nicht mehr weiter bestehen, es sei denn, ein Gott käme auf die Erde, so auch jetzt die Welt vor der Wiederkunft Christi. Auch denkende Weltkinder meinen, so kann es nicht mehr fortgehen. Kurz, alles sagt uns, dass der Zeiger der Weltuhr auf die Mitternachtsstunde vorgerückt ist, dass die Wiederkunft des HERRN ganz nahe sein müsse und damit unser Heil im Vollbesitz und Vollgenuss unserer Seligkeit durch das Anschauen Gottes im Leib der Auferstehung und durch das Zusammenwohnen mit allen Auserwählten und allen heiligen Engeln vor ihm im himmlischen Paradies. Wie leicht kann daher dieses Kirchenjahr schon das letzte sein! Doch wir wissen nicht Zeit noch Stunde, die der Vater seiner Macht vorbehalten hat; wir wissen nicht, wie lange er noch nach seiner grundlosen Langmut und Geduld mit seiner Wiederkunft verzieht, so sehr es ihn zu seinen  noch hier seufzenden Auserwählten zieht. Aber wenn er auch in diesem Kirchenjahr noch nicht kommt, wenn überhaupt unser keiner den Jüngsten Tag erleben soll, so kommt uns doch die Stunde des Todes näher und näher und wird gewiss auch dieses Kirchenjahr wieder für so manchen unter uns das letzte sein. Bringt denn nicht auch das nahende Todesstündlein unser Heil? Ist nicht ein seliger Tod der Eingang ins ewige Leben? Wir nicht den Gläubigen der letzte Tag auf Erden zum ersten Tag im Himmelreich?

    Welche herrliche Aussichten in die Zukunft hat daher ein gläubiger Christ! Zu welch einem trostreichen Vorblick leitet heute abermals unser epistoliches Adventswort uns an! Und ob auch nach des HERRN Wor tim Weltlauf es immer schrecklicher und grausiger und es uns in der Welt immer unleidlicher wird, so hören wir doch unseren lieben HERRN dabei fortwährend seiner Jüngerschar zurufen: „Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, seht auf und hebt eure Häupter auf, darum, dass sich eure Erlösung naht.“ Und es kann je nicht fehlen, dass wir erhobenen Hauptes ihm antworten:

Auf dein Zukunft, HERR Jesus Christ,

Hoffen wir alle Stunden,

Der Jüngste Tag nicht fern mehr ist,

Dann werden wir entbunden.

Hilf nur, dass wir fein wacker sein,

Wenn du mit deinen Engeln fein,

Zu dem Gericht wirst kommen.

2.

    Ja, hilf nur, dass wir fein wacker sein. Dass ist’s ja auch zusammenfassend, wozu uns das epistolische Adventswort aufs neue und in mancherlei Weise ermahnt; denn da unser Heil jetzt näher, als da wir zum Glauben kamen, so ruft der Apostel: „Und weil wir solches wissen, nämlich die Zeit, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, da unser Heil jetzt näher ist, als da wir gläubig wurden, die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeikommen: so lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes. Lasst uns ehrbar wandeln, wie am Tag, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Ausschweifungen und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern zieht an den HERRN Jesus Christus und wartet des Leibes, doch so, dass die Begierden nicht geweckt werden.“

    Aufzustehen vom Schlaf und sich zum Wandel am Tag zu rüsten, ist demnach das erste. Wozu uns unser Adventswort ermahnt. Der ganze geistliche Zustand des nichtwiedergeborenen Menschen heißt bald Tod, bald Schlaf. Während nun aber Tod die gänzliche Unfähigkeit des verlorenen und verdammten Menschen bezeichnet, etwas Gutes zu tun oder auch nur zu wollen, aus eigenen Kräften irgendwie sich zu bekehren oder auch nur das Jawort zur angebotenen Gnade zu geben, bezeichnet die Schrift mit dem Ausdruck Schlaf seinen Zustand als den zustand nicht nur der fleischlichen Sicherheit und Sorglosigkeit, sondern auch der steten und gefährlichsten Selbsttäuschung. Wie nämlich ein Schlafender nicht merkt eine große Gefahr, in der er etwa schwebt, oder den günstigen Augenblick, da ein großes Glück sich ihm darbietet, unterdessen aber sein Geist mit Phantasie- und Traumgebilden umgeht und diese für wirkliche Dinge zählt: So merkt der natürliche Mensch nicht die große Gefahr seiner Seele, merkt sie selbst auch dann nicht, wenn sie ihm vorgestellt wird, sondern bildet sich vielmehr ein, dass es sogar gut mit ihm stehe. Das Irrlicht seiner fleischlichen Vernunft hält er für das wahrhaftige Licht und daher ihre Gebilde für Weisheit und Wahrheit. Seine äußerliche Ehrbarkeit und eigene Tugend erscheint ihm als völlig ausreichend, dem Tod ohne Grauen entgegen zu sehen. Irdisches Wohlsein ist ihm wahres Glück, Besitz von Geld und Gut wahrer Reichtum, der Ruhm, von Menschen wahre Ehre und die bald feinere, bald auch größere Vollbringung der Lüste des Fleisches, sofern sie nur keine äußeren Nachteile im Gefolge hat, wahrer Genuss. Und doch ist’s alles Traum und Schaum und folgt ein entsetzliches Erwachen. Ach, wie erschrickt schon ein zur Buße kommender Mensch! Wie ist es ihm, als ob er aus tiefem Schlaf erwachte und wie erscheint ihm im Licht des göttlichen Wortes sein ganzes Leben als eine jämmerliche und schreckliche Selbsttäuschung. Hörte er da nicht das Wort „Gnade“, er ginge unter in der Nacht der Verzweiflung. Wie aber nun, wenn solches Erwachen zu spät kommt – etwa im letzten Augenblick des Scheidens von der Erde, etwa erst drüben!

    Wohl ist nun bei einem wiedergeborenen Christen dem herrschenden Zustand nach dieser Schlaf der Sicherheit und der Selbsttäuschung vorüber; aber weil er noch im Fleisch lebt, wird er ein ums andere Mal von demselben angefochten, gleichwie am Tag bisweilen vom leiblichen Schlaf der am Morgen Aufgestandene. Heißt es nicht von den fünf klugen Jungfrauen, dass auch sie schläfrig wurden, als der Bräutigam verzog, ja, dass sie sogar einschliefen? Ach, welcher gläubige Christ wüsste nicht aus Erfahrung, wie ihn so oft der Schlaf der Sicherheit anficht, wie schwer er sich zuzeiten auf die Augen legt! Eingedenk nun, dass es Tag ist und wir in so herrlicher Gnadenzeit leben, eingedenk aber auch, dass die Wiederkunft unseres HERRN Jesus Christus immer näher kommt und mit ihr unser Heil, soll sich jeder gläubige Christ zu immer neuem Wachbleiben, zu immer neuer Sorge für die Seele, zu immer neuer Bereitschaft auf die Wiederkunft des HERRN erwecken. Das ist die eine Mahnung unseres Adventswortes.

    Mit der hängt die andere zusammen; denn wie man, wenn man vom Schlaf aufgestanden ist, die Nachtkleider ab- und die Tageskleider anlegt, so heißt’s nun für die zu einem neuen Leben Erweckten und Aufgestandenen: „Lasst uns ehrbar wandeln, wie am Tag, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Ausschweifungen und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern zieht an den HERRN Jesus Christus und wartet des Leibes, doch so, dass die Begierden nicht geweckt werden.“

    Die „Werke der Finsternis“, die Nachtkleider, in denen ein gläubig gewordener Mensch nicht mehr einhergehen darf, sind u.a.: „Fressen und Saufen, Ausschweifungen und Unzucht, Hader und Neid“, und die „Waffen des Lichts“, die Kleider des Tages für die Kinder des Lichts sind die Werke im Wandel der lauteren Liebe zu Gott und den Nächsten nach dem uns gelassenen Vorbild des, der gesagt hat: „Ich bin das Licht der Welt5, wer mir nachfolgt, der wird nicht in Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben“ und von dem Petrus schreibt: „Christus hat uns ein Vorbild gelassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen“, denn „Christus anziehen“ heißt hier wandeln in Christi Fußstapfen und auch darin seinem Bild ähnlich werden.

    Wohl tut nun ein wiedergeborener Christ die Werke der Finsternis nicht mehr, denn die Macht der Sünde ist durch den Glauben gebrochen, aber weil er noch im Fleisch lebt, so regen sich in ihm täglich die Lüste des Fleisches und finden sich ein ums andere Mal Ausbrüche des Fleisches. Weil ihm nun die Sünde im Fleisch anklebt, so ist nötig, dass er die Werke der Finsternis ablege, von der vorigen Sünde immer mehr sich reinige und geschieht solches eben dadurch, dass der Getaufte in täglicher Reue und Buße den alten Menschen mit seinen Lüsten und Begierden tötet. Wohl hat der Gläubige bereits schon in der Taufe Christus angezogen nicht nur zur Gerechtigkeit, sondern auch zur Heiligung; aber statt, dass man an ihm noch allzu sehr auch im Wandel den Sünder in Adam sieht, soll immer mehr das Bild des sanftmütigen, demütigen, in der Liebe allewege dienenden Jesus an ihm zu Vorschein kommen. Das heißt dann, Christus immer wieder von neuem anziehen und täglich anlegen die Waffen des Lichts. Dazu aber bedarf es großen Ernstes und großen Fleißes, denn weil uns hierbei Teufel, Welt und Fleisch stets hindern, stets müde und lässig zu machen suchen, ob wir nicht am Ende doch noch die Krone verlieren möchten, so kann dieses Anlegen und Anziehen immer nur unter Kampf geschehen, weshalb denn auch der Apostel nach der Erfahrung redet und die Werke des Lichts „die Waffen des Lichts“ nennt. Und ob auch gegen die, welche den Wandel im Licht in eine Geistlichkeit und Heiligkeit der Engel setzen, der Apostel den Christen zuruft: „Wartet des Leibes“, so setzt er gleichwohl hinzu: „doch so, dass die Begierden nicht geweckt werden“ und erinnert damit die Christen der dabei so nötigen steten Vorsicht und Selbstverleugnung.

    Weil denn mit diesem neuen Kirchenjahr der HERR, unser Heil, in seiner Wiederkunft uns wieder um einen Schritt näher gekommen ist und er bald, bald in großer Kraft und Herrlichkeit erscheinen wird, o so lasst uns unter herzlichem und täglichem Gebet und dem fleißigen Gebrauch der Gnadenmittel in diesem Kirchenjahr und so lange wir noch hier wallen, einen rechten Eifer im Werk der täglichen Erneuerung beweisen, weil ohne Heiligung niemand den HERRN sehen kann. „Lasst uns auch untereinander wahrnehmen mit Reizen zur Liebe und guten Werken und nicht verlassen unsere Versammlung, wie etliche pflegen, sondern untereinander ermahnen, und das so viel mehr, so viel ihr seht, dass sich der Tag naht.“ (Hebr. 10,24.25.)

Wachet auf, ruft uns die Stimme

Der Wächter sehr hoch auf der Zinne,

Wach auf, du Stadt Jerusalem!

Mitternacht heißt diese Stunde;

Sie rufen uns mit hellem Munde:

Wo seid ihr klugen Jungfrauen?

Wohlauf, der Bräutgam kommt,

Steht auf, die Lampen nehmt!

Halleluja!

Macht euch bereit

Zu der Hochzeit,

Ihr müsset ihm entgegen gehen.

    Dich aber, der du bis jetzt noch in geistlichem Schlaf gelegen hast und daher bis jetzt noch in den Werken der Finsternis gewandelt bist, sei es in offenbarem Sünden- und Weltdienst oder in irdischem Sinn und eigener Gerechtigkeit, ermahnt das heutige epistolische Adventswort, deine Buße nicht abermals zu verschieben, da es doch schon längst Tag ist und unser Heil näher kommt. Bedenke, der als unser Heil und unser Erlöser von allem Übel kommt, der kommt zugleich als schrecklicher Richter aller, welche die Gnadenzeit verschliefen und erst vom Schlaf erwachen, wenn die Stunde des Todes oder der Tag seiner majestätischen Wiederkunft vorhanden ist. Weil denn heute ein Tag der Gnade wieder erschienen ist, heute wieder die Pforte eines Jahres der Gnade sich öffnet, o, so vernimm das heutige Adventswort aus dieser Epistel, wie es einst Augustinus vernahm. Siehe, als dieser reichbegabte und hochgebildete Geist, dieser Sohn so vieler Tränen und Gebete einer um den Verlorenen hochbekümmerten Mutter sich noch in seinem Sündenwesen umhertrieb, doch aber bereits den Saulusstachel im Herzen trug, da hörte er, in ersten Gedanken seiner ringenden Seele versunken, vom Nachbargarten herüber spielende Kinder singen: „Tolle lege, tolle lege!“, das ist: „Nimm und lies, nimm und lies!“ Diese Worte klangen ihm wie eine Aufforderung Gottes. Er eilte heim, er schlug ein auf dem Tisch liegendes Neues Testament auf und die Worte, auf die sein Blick zuerst traf, waren die Worte unserer heutigen Epistel: Und er stand von Stund an auf vom Schlaf und fing ein neues Leben an und wurde durch Gottes Gnade ein Licht in dem HERRN, eine Weckstimme für seine Mitsünder, der größte Lehrer nach den Aposteln im christlichen Altertum.

    Nun denn, da du heute die Worte auch vernommen hast, so wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten. Amen.

 

 

Epistelpredigt zum zweiten Adventssonntag ueber Roemer 15,4-13: Von der tragenden Liebe als einer notwendigen Bedingung zum Gedeihen der Gemeinde

 

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war und der da ist und der da kommt. Amen.

 

Römer 15,4-13: Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben. Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einerlei gesinnt seid unter einander nach Jesus Christus; damit ihr einmütig mit Einem Mund lobe Gott und den Vater unsers HERRN Jesus Christus. Darum nehmt euch unter einander auf, gleichwie euch Christus hat aufgenommen zu Gottes Lob. Ich sage aber, dass Jesus Christus sei ein Diener gewesen der Beschneidung um der Wahrheit willen Gottes, zu bestätigen die Verheißung, den Vätern geschehen. Dass die Heiden aber Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht: Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen. Und abermals spricht er: Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk. Und abermals: Lobt den HERRN, alle Heiden, und preist ihn, alle Völker. Und abermals spricht Jesaia: Es wird sein die Wurzel Jesse, und der auferstehen wird, zu herrschen über die Heiden, auf den werden die Heiden hoffen. Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr völlige Hoffnung habt durch die Kraft des Heiligen Geistes.

 

    Geliebte in dem HERRN Wenn die heutige Adventsepistel mit den Worten beginnt: „Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben“; und wenn sie dann mehrere alttestamentliche Weissagungen von dem Heiland anführt, der aus Juden und Heiden durch den Glauben Ein Volk machen wird: so hat hier die Kirche bei der Wahl dieses epistolischen Abschnitts mehr auf die gegenwärtige Festzeit überhaupt, als auf die besondere Absicht gesehen, in welcher der Apoftel sich hier auf die Schrift des Alten Testaments bezieht und auf den Zweck, den er dabei für die aus ehemaligen Juden und Heiden bestehenden Christengemeinde zu Rom im Auge hat. Und welches ist diese Absicht, dieser Zweck des Apostels? Das zeigen uns diese Worte unserer Epistel: „Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einerlei gesinnt seid unter einander nach Jesus Christus, damit ihr einmütig mit Einem Mund lobt Gott und den Vater unseres HERRN Jesus Christus. Darum nehmt euch untereinander auf, gleichwie euch Christus aufgenommen Hat zu Gottes Lob.“ Wir sehen, des Apostels Absicht und Zweck ist, die durch den Glauben an den Einen Gott und Heiland angefangene Einigkeit des Sinnes unter den nach Herkunft und Gewohnheit so verschiedenartigen beiden Teilen der römischen Gemeinde zu fördern, da solche Erhaltung und Förderung der Einigkeit des Sinnes zur gedeihlichen Entwicklung des Gemeindelebens unbedingt notwendig ist. Wenn nun aber der Apostel daher ermahnt: „Darum nehmt euch unter einander auf, gleichwie euch Christus aufs genommen hat zu Gottes Lob“: So bezieht er sich dabei auf das, was er unmittelbar vor unserer Epistel gesagt hat und was eigentlich zu derselben in dieser Hinsicht noch gehört. Da heißt es nämlich: „Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwachen Gebrechlichkeit tragen und nicht Gefallen an uns selber haben. Es stelle sich aber ein Jeglicher unter uns so, dass er seinem Nächsten gefalle zum Guten, zur Besserung. Denn auch Christus nicht an sich selber Gefallen hatte, sondern wie geschrieben steht: Die Schmach derer, die dich schmähen, ist auf dich gefallen.” Da wir nun in unferen besonderen Adventsgottesdiensten ohnehin mit Weissagungen des Alten Testaments uns beschäftigen, so betrachten wir die heutige Epistel nach der Absicht und dem Zweck des Apostels. Reden wir daher:

 

Von der tragenden Liebe als einer notwendigen Bedingung zum Gedeihen einer Gemeinde

 

    Wir sehen hierbei

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      An wen und wie sich die tragende Liebe erweist und wie nötig sie zum Gedeihen einer Gemeinde ist; sodann

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wodurch sie die tragende Liebe immerdar stärkt und ermuntert, damit sie nicht ermüde.

 

HERR Gott, Heiliger Geist!

Du wertes Licht, gib uns deinen Schein,

Lehr uns Jesus Christ kennen allein,

Dass wir an ihm bleiben, dem treuen Heiland,

Der uns bracht hat zum rechten Vaterland.

Kyrieleis.

 

Du süße Lieb, schenk uns deine Gunst,

Lass uns empfinden der Liebe Brunst,

Dass wir uns von Herzen einander lieben

Und in Friede in Einem Sinn bleiben.

Kyrieleis. Amen.

 

1.

    Wenn der Apostel in den vorausgehenden Worten sagt. „Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwachen Gebrechen tragen“, so sehen wir daraus ja freilich, dass es die Schwachen sind, welche die Liebe der Starken zu tragen haben. Wer sind denn nun aber die Schwachen und die Starken in der Gemeidne?

    Bei Beantwortung dieser Frage muss ich von vornherein bemerken, dass man hier nur beziehungs- und vergleichsweise von Schwachen und Starken reden kann; denn gegen das zu rechnen, was alle Glieder einer rechtgläubigen Ortsgemeinde durch die reichliche Predigt des Wortes, durch die regelmäßigen sonntäglichen Christenlehren,  durch den ganzen christlichen Schul- und Konfirmandenunterricht und durch so viel herrliche Erbauungsbücher und Kirchenblätter empfangen haben, und was sie daher an Erkenntnis und geistlichem Leben sein könnten und sollten, so sind sie meist mehr oder weniger schwach. Ja, was sage ich! Im Vergleich mit dem Glaubens- und Liebesleben der Christen des apostolischen Zeitalters sind wir Christen dieser letzten Zeit allzumal Schwache zu nennen. Wir haben daher die Glieder einer Gemeinde untereinander zu vergleichen. Und da gibt es jetzt, wie einst, in jeder Gemeinde Schwache und Starke, nur dass heutzutage es überall der Schwachen recht viele gibt, ja, in manchen Gemeinden die Starken noch recht dünn gesät sind.

    Der Schwachen unter den Christen sind zweierlei. Es gibt Schwache in der Erkenntnis. Wie manche haben in Folge falschgläubigen, rationalistischen, unionistischen Jugendunterrichts nicht einmal notdürftige, klare und richtige Begriffe in den Hauptstücken christlicher Lehre. Wie manchem, den Gott allhier in eine rechtgläubige Gemeinde geführt hat, hängt dies und das Irrige und Schwärmerische noch an, das er durch schwärmerische Predigten und durch schwärmerische Erbauungsschriften einst eingesogen hatte. Wie viele gibt es mancherorts, die nicht von ihrer lutherischen Kirche abgehen möchten und die doch in groben Stücken zwischen rechter und falscher Lehre noch nicht zu unterscheiden vermögen oder denen trotz jahrelangem Hören der reinen Lehre und Warnen vor falschen Propheten doch immer noch sehr an einem geschärften konfessionellen Gewissem fehlt, dass sie es nicht für sündlich und gefährlich halten, dann und wann in einer Sektenkirche oder in eine Kirche der betrügerisch lutherisch sich nennenden Kirchen zu gehen und da mitzuhören, mitzusingen und mitzubeten.  Und wo soll bei dem nachwachsenden Geschlecht die so nötige Stärke, Klarheit und Festigkeit in der Erkenntnis der reinen Lehre herkommen, wenn mancherorts Kinder erst die paar letzten Jahre in die christliche Gemeindeschule geschickt werden und daher bis zur Konfirmation kaum notdürftig lesen lernen, das Nötigste vom Katechismus sehr mangelhaft gefasst, ja, sich auch nur recht eingeprägt haben, nach der Konfirmation ihren Katechismus nicht mehr ansehen, selten die Christenlehre besuchen und dann nach dem ersten oder zweiten Jahr gar nicht mehr kommen! Es gibt aber auch Schwache im Leben. Das sind überhaupt alle, bei welchen es mit dem christlichen Leben zwar einen geringen Anfang genommen hat, noch immer aber keinen rechten Fortgang gewinnen will, oder die schon weiter im Christentum waren, aber ins Abnehmen gekommen sind, ja, deren Christentum schier wieder verlöschen will. Besonders aber gehören zu den Schwachen im leben diejenigen, welche nach Naturell und Erziehung seltsame und wunderliche Leute sind, mit denen daher auch schwer zu leben und umzugehen ist; aber es sind Christen, welche durch Schwatzhaftigkeit, Heftigkeit, Unzuverlässigkeit, Eigennützigkeit u. dgl. harte Anstöße geben je nachdem sie vom alten Adam her ihre Ecken, ihre schlimmen Seiten haben, ja, die bisweilen auch sogar sehr straucheln, sogar öfter in allerlei Sünde und Ärgernis fallen.

    Das sind die Schwachen in der Erkenntnis und die Schwachen im Leben. Wie gar manchmal jedoch finden sich beiderlei Schwachheit in einerlei Person!

    Und wer sind die Starken oder vergleichsweise Stärkeren? Nun, das sind namentlich die, welche ihren Brüdern nicht nur in der Erkenntnis der reinen Lehre, sondern auch an dem inwendigen christlichen Leben und christlicher Erfahrung mehr oder weniger voraus sind. Ich verbinde absichtlich beides, denn es meint mancher wunder, wie stark er sei, weil er in der buchstäblichen Erkenntnis der Lehre anderen voran ist, während es ihm doch an der rechten Anwendung derselben fehlt, weil es ich noch ziemlich an geistlichem Leben und geistlicher Erfahrung mangelt oder er kann selbst wenig tragen, wohl aber hat die Liebe an ihm in diesem und jenem Stück mehr und schwerer zu tragen als an anderen sonst Schwachen.

    Welche nun in Erkenntnis und Erfahrung stark oder stärker sind, die sollen nach des Apostel Wort „der Schwachen Gebrechlichkeit tragen“. Aber was heißt das? Was ist das für ein Tragen der Liebe? Besteht es darin, dass die Liebe zu dem Irrtum oder zu der Sünde des Mitchristen schweigt oder denselben eine lose Farbe anstreicht? Nein, das hieße denselben zum Schaden seiner Seele in seinem Irrtum oder seiner Sünde bestärken und so helfen, dass er immer tiefer darein gerät. Der Zweck des Tragens der Schwachen ist ja gerade der, dass sie aus ihrer Schwachheit herauskommen. Dazu gehört sowohl Lehren wie Ermahnen, letzteres bald mit gelinden, bald mit scharfen Worten, damit der Bruder seinen Irrtum oder seine Sünde einsieht und von denselben ablässt. So hing z.B. den Christen auf der Insel Kreta nach der Schwachheit des Fleisches noch so manches an, was daran erinnerte, dass sie ihrer leiblichen Abstammung nach Kreter waren, von deren Nationalcharakter einer ihrer alten heidnischen Dichter schreib: „Die Kreter sind immer Lügner, böse Tiere und faule Bäuche.“ Und Paulus, der geistliche Vater der Christen zu Kreta? Er schreibt an Titus, dem die dortigen Gemeinden befohlen waren: „Dies Zeugnis ist wahr. Um der Sache willen, so strafe sie scharf, damit sie gesund seien im Glauben.“

    Die tragende Liebe unterlässt also nicht das Strafen, weder in der öffentlichen Predigt noch im Privatverkehr. Dies übt sie aber so, dass sie eben als eine tragende Liebe erscheint. Beim Strafen tritt hier der Stärkere dem Schwächeren entgegen, nicht mit fortwährendem Meistern und Mäkeln, nicht mit bitterem Tadeln und herrischem Zurechtweisen, was nur verwundet, nur aufreizt und störrig macht – nicht mit unbilligem Beschuldigen und strengem Herzensrichten, das sich am Gewissen nie bewahrheitet, wohl aber das Herz verschließt; sondern mit jener sanftmütigen Unterweisung und Ermahnung, die aufrichtet und zurecht hilft, mit jenem Tadel, der wohltut, mit jener Strafe, die gewinnt. Und mehr noch als durch Worte sollen durch einen Wandel in der Furcht Gottes und durch ein rücksichtsvolles, selbstverleugnendes Verhalten im Gebrauch der christlichen Freiheit die Starken den Schwachen zu Hilfe kommen. Das alles aber mit großer Geduld; denn so lange ein Mitchrist für das brüderliche Wort noch zugänglich ist, so lange er, wenn auch nicht gleich, wenn auch nur langsam, von seinem Irrtum oder seiner Sünde sich immer wieder überführen lässt und Besserung verspricht, so soll man ihm auch häufige und schwere Verstöße nicht so auslegen, als wäre er ganz und gar ein Nichtchrist. Ein andres freilich ist’s, wenn der Irrende oder Fehlende Unterweisung und Ermahnung nicht mehr annehmen will. Wer seinen Irrtum beharrlich verteidigt oder gar nach Helfershelfern und Genossen sich umsieht, oder wer in einer Sache, die nicht das Gewissen betrifft, sondern bei der man um der Liebe und des Friedens willen der Mehrheit untertan sein soll, auf seinen Kopf besteht und sucht auch noch andere aufzureden und auf seine Seite zu bringen: Der gehört dann nicht mehr zu den Schwachen in der Erkenntnis, sondern zu den „Tobenden und Plärrenden“, wie sie Dr. Luther in der heutigen Epistelpredigt nennt, die man nicht mehr tragen, sondern fahren lassen, ja, mit Wort und Werk ihnen widerstehen soll. Und wer nach langem geduldigen Tragen trotz aller herzlichen stufenweisen Bestrafung und Ermahnung in Sünde und Ärgernisgeben fortfährt und dabei noch Recht behalten will, der gehört nun nicht mehr zu den Schwachen im Leben, sondern zu den offenbaren und unbußfertigen Sündern, die man nicht weiter in Geduld tragen darf, sondern vielmehr von der christlichen Gemeinde ausschließen muss.

    O, wie nötig ist doch diese tragende Liebe zum Gedeihen einer Gemeinde, denn nur wo sie im Schwang geht, kommt es immer mehr zu der so gesegneten Einigkeit des Sinnes und zu der so gottgefälligen Einmütigkeit im Lob Gottes. Eben deshalb schreibt der Apostel den Gliedern der Gemeinde zu Rom und darum auch uns, den Gliedern dieser Ortsgemeinde: Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einerlei gesinnt seid untereinander nach Jesus Christus; damit ihr einmütig mit Einem Mund lobt Gott und den Vater unseres HERRN Jesus Christus.“

    Wohl ist durch die reine Lehre und durch den Einen Glauben an den HERRN der Grund zur Einigkeit des Sinnes gelegt und diese in das Herz gepflanzt. So viel Schwachheit des Fleisches aber noch vorhanden ist, so viel es an der Erkenntnis oder am Leben der einzelnen Glieder einer Gemeinde noch einen Mangel hat, so viel Hindernis und Störung dieser Einigkeit und bei des Teufels Neid, Bosheit und List so viel Gefahr des gänzlichen Verlusts dieser Einigkeit ist noch vorhanden. Wie soll aber dies beseitigt werden? Etwa dadurch, dass die Starken die Schwachen fahren lassen, sie von sich hinaustun, oder sich von ihnen trennen, um eine Gemeinde von eitel Starken zu bilden? Wie beides geraten ist, hat die Geschichte der Kirche alter und neuer Zeit gelehrt. Anstatt Einigkeit hat beides nur Streit und Trennung geboren. Es kann nur dadurch geschehen, dass die tragende Liebe im Schwang geht, denn durch diese werden die Schwachen stärker, nur durch das Herunterlassen der Starken zu den Schwachen werden diese auf eine höhere Stufe des christlichen Lebens gehoben und die Gegensätze ausgeglichen, gleichwie auch unter ihrer Arbeit die Boshaften, die hinausgehören, erst offenbar werden können. Das zeigt uns ja die Gemeinde zu Rom, wie jede andere der apostolischen Zeit. Auch sie war, wie gesagt, aus ehemaligen Juden und ehemaligen Heiden gemischt. Hat es aber je größere Gegensätze gegeben als die zwischen Juden und Heiden? Nachdem jedoch durch das Evangelium die Scheidewand niedergerissen und aus beidem eins geworden war, so musste diese Einigkeit gepflegt 8und durch das Band der Liebe befestigt werden, indem beide Teile sich untereinander aufnahmen, einer des anderen Lasten trug, besonders der Starke des Schwachen Gebrechlichkeit. Wie herrlich aber ist solches einst geraten, wie herrlich gerät es heute überall noch, wo die tragende Liebe immer mehr in Schwang gebracht wird, und wie ergießt sich der Segen des HERRN über die Gemeinde, in der die Einigkeit durch die rechte Lehre angefangen und durch den Fleiß in der tragenden Liebe erhalten und gepflegt wird. Da wird der Teufel immer wieder zuschanden, so oft er stören will. Da gibt es dann ein rechtes Zusammenwirken in allerlei gutem Werk, und da es, wie der Psalm 133 singt: „Siehe, wie fein und lieblich ist es, dass Brüder einträchtig beieinander wohnen. Wie der köstliche Balsam ist, der vom Haupt Aarons herabfließt in seinen ganzen Bart, der herabfließt in sein Kleid, Wie der Tau, der vom Hermon herabfällt auf die Berge Zions, denn daselbst verheißt der HERR Segen und Leben immer und ewig.“

    Und so kann es denn nicht fehlen, dass man da einmütig mit Einem Mund lobt Gott und den Vater unseres HERRN Jesus Christus“; denn da erklingen die Lobgesänge der feiernden Gemeinde im Haus Gottes in rechter Harmonie und wird Gottes Name auch nach außen geheiligt und gepriesen, wie der HERR sagt: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt.“

 

2.

   Aber ach, Geliebte, diese tragende Liebe recht zu üben, ist gar schwer und das sowohl um des sündlichen Fleisches willen, das auch den Stärksten noch immer anklebt, als auch um des Teufels willen, der uns dabei immer anficht. Wie bald wird man doch des Tragens müde und überdrüssig! Wie leicht hat es der Teufel und das Fleisch einem Christen angetan, dass er sich von den Schwachen in der Gemeinde und zuletzt von der Gemeinde selbst um ihrer Schwachen willen zurückzieht, keine Gemeindeversammlung mehr besucht, sogar wohl auch vom öffentlichen Gottesdienst wegbleibt und denkt oder sagt: „Macht, was ihr wollt, ich bleibe jetzt für mich!“ Bei solchem selbstsüchtigen und selbstgenügsamem Winkelchristentum hat man dann freilich nach dem Fleisch mehr Ruhe, Friede und Genuss und weniger Plage, Unannehmlichkeit, Ärger und Verdruss, aber dafür ist man dann nicht nur selber ein Schwacher geworden, der gar nichts mehr tragen kann, sondern man verkümmert auch immer mehr an seinem geistlichen Leben und wird zuletzt ein kahler und unfruchtbarer Baum; denn unser Christentum gedeiht nur in der Gemeinschaft recht, wie der Apostel sagt: „Lasst uns untereinander selbst wahrnehmen mit Reizen zur Liebe und guten Werken, und nicht verlassen unsere Versammlung, wie etliche pflegen, sondern untereinander ermahnen und das so viel mehr, so viel ihr seht, dass sich der Tag naht.“ Eben darum bedarf es so sehr des immerwährenden Ermahnens und der Stärkung.

    Was ist es nun, wodurch sich diese tragende Liebe immer wieder stärkt und ermuntert? Es ist nach unserer Epistel ein Zweifaches.

    Es ist zunächst das Wort Gottes überhaupt, von dem es in unserem Text heißt: „Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben.“ Damit nämlich verweist uns der Apostel an die Quelle, aus welcher unser geistlicher Mensch Nahrung und Wachstum schöpft, indem wir das Wort fleißig in der Predigt hören und täglich in der Bibel lesen; denn wie wir durch das Wort der göttlichen Wahrheit und des ewigen Lebens zu Kindern Gottes gezeugt werden, so wachsen wir auch durch dasselbe im neuen Leben und werden durch dasselbe an dem inwendigen Menschen gestärkt und als ein Mensch Gottes zu allem guten Werk geschickt. Nun gehört ja zu solcher tragenden Liebe, dass man immerdar die rechte Weise, den rechten Griff lerne, wie der Apostel in den vorausgehenden Worten sagt: „Es stelle sich aber ein jeglicher unter uns so, dass er seinem Nächsten gefalle zum Guten, zur Besserung.“ Und ebenso kann nur der die tragende Liebe fort und fort üben, welcher immer mehr von Herzen demütig wird. Je weniger man noch ein zerbrochenes Herz hat, je weniger kann man anderer Gebrechlichkeit tragen, zumal wenn einem dabei nicht genug Ehre und Anerkennung wird. Je mehr wir noch „Gefallen an uns selber tragen“, und so von uns selbst eingenommen sind, je weniger sehen wir unsere eigenen Gebrechen, desto schärfer und erbarmungsloser die Gebrechen anderer. Je gedemütigteren Geistes wir daher sind und darum auch der göttlichen Gnade und Geduld leben, desto mehr findet sich die tragende Liebe, welche in Erbarmen gegen den irrenden und sündigenden Nächsten denselben nicht sogleich als einen unverbesserlichen Menschen ansieht, den man fahren lassen muss, sondern als einen solchen, der noch zu gewinnen ist und welche für dessen Behandlung immer mehr die evangelische Art sich aneignet. Solches aber nur wirkt Gottes Geist, der im Wort ist und sich mitteilt denen, welche mit seinem Wort immerdar umgehen, dass es ihnen nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit.

    Dieses Wortes Kern aber ist Christus. Dessen Gestalt steht vor dem Geistesauge des Christen, so oft er in der Bibel liest oder die Predigt hört. Jesu Christi tragende Liebe erblickt er dabei immer mehr und im Anblick derselben stärkt und ermuntert sich fürs andere die tragende Liebe. Eben darum weist der Apostel auch Christi Beispiel so ganz besonders hin. Da er vor unserer Epistel ermahnt, dass sich ein jeglicher seinem Nächsten zum Guten, zur Besserung stellen soll, so fügt er sogleich hinzu: „Denn auch Christus nicht an sich selber Gefallen hatte, sondern wie geschrieben steht: Die Schmach derer, die dich schmähen, ist über mich gefallen“ und von da aus ermahnt er dann in unserer Epistel, wir sollen einerlei gesinnt sein „nach Jesus Christus“ und uns untereinander aufnehmen, „gleichwie uns Christus hat aufgenommen zu Gottes Lob“, der, um die Juden und Heiden zu gewinnen und aufzunehmen und beide so getrennten Teile zu Einem Leib zu vereinigen, sei „ein Diener gewesen der Beschneidung, der Wahrheit willen Gottes, zu betätigen die Verheißung, den Vätern geschehen, dass die Heiden aber Gott loben um der Barmherzigkeit willen“. Ja, ja, Geliebte, ihn lasst uns fleißig anschauen, wie er vom Himmel gekommen ist, unsere Schmach und Schande, unsere Sünde und Schuld auf sich zu nehmen und so uns zu erretten von der Hölle und in sein Reich zu versetzen; wie er sich der Zöllner und Sünder annahm und um ihretwillen sich schmähen ließ als der „Zöllner und Sünder Geselle“; wie ihn seine Jünger mit ihren großen Gebrechen in der Lehre, mit ihrem Kleinglauben, mit ihren Verstößen gegen die Liebe untereinander so viel zu schaffen machten, dass er einmal sogar ausrufen musste: „O du ungläubige und verkehrte Art, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch dulden?“ und wie doch seine Liebe die Jünger nicht wegwarf, sondern fort und fort trug und – wie er dieselbe tragende Liebe täglich auch an uns beweisen muss und wir sie täglich und reichlich an uns selber erfahren. Es kann dann nicht fehlen, dass, wenn unsere Liebe im Tragen einmal ums andere Mal ermüden will, wir bei solchem Anblick seiner tragenden Liebe immer wieder aufs neue uns zum Tragen stärken und ermuntern und mit dem Wunsch, an anderen zu üben, was er an uns getan, singen:

 

 

Ich lag in schweren Banden,

Du kommst und machst mich los;

Ich stand in Spott und Schanden,

Du kommst und machst mich groß

Und hebst mich hoch zu Ehren

Und schenkst mir großes Gut,

Das sich nicht lässt verzehren,

Wie irdisch Reichtum tut.

Nichts, nichts hat dich getrieben

Zu mir vom Himmelszelt

Als das geliebte Lieben,

Damit du alle Welt

In ihren tausend Plagen

Und großen Jammerslast,

Die kein Mund kann aussagen,

So fest umfangen hast.

 

 

    Meine teuren Brüder und Schwestern! Die Wiederkunft des HERRN ist nahe. Das predigt uns das Evangelium des heutigen Sonntags, des zweiten Adventssonntags. Da nun er, der da sitzen wird, als ein Richter auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit, in seinem Endgericht bei den Seinen darauf sehen wird, wie der Glaube durch die Liebe tätig gewesen ist und sagen: „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ und da er dann alle seine Auserwählten von Anfang der Welt her vor seinem Angesicht versammeln und sie in seine Herrlichkeit einführen wird, wo sie dann vollkommen „einerlei gesinnt“ sind und vollkommen „einmütig mit Einem Mund loben Gott und den Vater unseres HERRN Jesus Christus“ – so rufe ich euch in Betriff der heutigen Lehre und Ermahnung aus unserer Epistel mit den Schlussworten derselben zu: „Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Friede im Glauben, dass ihr völlige Hoffnung habt durch die Kraft des Heiligen Geistes.“ Amen.

 

    O allmächtiger, barmherziger Gott und Vater, du hast uns deinen Sohn Jesus Christus zu einem Beispiel der Geduld vorgestellt und befohlen, dass, wie er unsere Sünde und Schwachheit auf sich genommen und getragen hat, so auch wir der Schwachen Gebrechlichkeit mit Geduld tragen sollen. Dieweil du aber weißt, wie untüchtig zu solchem unser Fleisch und Blut ist, und dass uns auch der Teufel ohne Unterlass zur Ungeduld reizt: So bitten wir dich, du wollest deinen Heiligen Geist, der ein Geist der Liebe und des Friedens ist, in unsere Herzen geben und durch denselben christliche Geduld und Sanftmut in uns wirken, damit wir mit Einem Mund dich loben hier zeitlich und dort ewig – durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren HERRN. Amen.

Lied: Nun bitten wir den Heiligen Geist

 

 

Epistelpredigt zum 3. Advent ueber 1. Korinther 4,1-5: Wodurch wird das noetige Zutrauen zu einem rechtschaffenen Prediger erlangt und bewahrt?

 

   Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war und der da ist und der da kommt. Amen.

 

1. Korinther 4,1-5: Dafür halte uns jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse. 2 Nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, als dass sie treu erfunden werden. Mir aber ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir wohl nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der HERR ist’s aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der HERR komme, welcher auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rat der Herzen offenbaren; alsdann wird einem jeglichen von Gott Lob widerfahren.

 

    Geliebte in dem HERRN! Aufgrund göttlichen Worts bekennt unsere evangelisch-lutherische Kirche im 8. Artikel des Augsburgischen Bekenntnisses so: „Wiewohl die christliche Kirche eigentlich nichts anderes ist als eine Versammlung aller Gläubigen und Heiligen, jedoch, weil in diesem Leben viele falsche Christen und Heuchler sind, auch öffentliche Sünder unter den Frommen bleiben, so sind die Sakramente gleichwohl kräftig, obschon die Priester, dadurch sie gereicht werden, nicht fromm sind, wie Christus selbst anzeigt. Matth. 23,2: ‚Auf dem Stuhl Moses sitzen die Pharisäer‘ usw. Deshalb werden die Donatisten und alle anderen verdammt, so anders halten.“ Die aber anders halten, sind überhaupt alle die, welche die Kraft der Gnadenmittel an die Heiligkeit oder die Gabe der Person binden wollen, und welche daher auch behaupten, dass nur eines bekehrten Predigers Wort eine wahre Bekehrung wirken könne. Wie irrig! Oder verliert ein Goldstück an Wert, wenn es durch die Hand eines Gottlosen gereicht wird? Aber auch wie gefährlich!

    Gleichwohl ist nicht zu leugnen, dass die den Gnadenmitteln innewohnende Kraft nicht nach Gebühr auf das Herz eines Empfängers wirken kann, wenn demselben das rechte Zutrauen zu der Mittelsperson fehlt, durch deren Dienst Gott seine Gnade in den verordneten Mitteln darreicht, wenn vielmehr Misstrauen und Widerwille gegen die Person des Dieners am Wort das Herz gegen dessen Dienst verschließen. Wehe daher dem Prediger, der zwar reines Wort und Sakrament bringt, aber durch einen anstößigen Wandel oder durch allerlei offenkundige Leichtfertigkeit in seiner Amtsverwaltung oder durch unlauteres Wesen oder durch Trachten nach dem Irdischen oder durch Herrschsucht die Herzen seiner Zuhörer sich entfremdet und so den Lauf und die Wirksamkeit des Wortes an seinem Teil hindert! Durch Mangel an rechter Erkenntnis jedoch, durch Sattheit und Überdruss, wo man die Gabe des Wortes schon Lage und dabei reichlich genossen hat, durch Redereien und Verdächtigungen geschieht es bei des Teufels List und Bosheit und des Fleisches Schwachheit gleichfalls zu leicht, dass auch dem Prediger sich nicht das gewünschte Zutrauen zuwendet oder das Herz sich wieder abwendet, der bei reiner Lehre sein Amt nicht nur gewissenhaft und in Lauterkeit des Herzens zu verwalten sucht, sondern der dabei auch wie Johannes der Täufer im heutigen Evangelium in Demut alle fleischliche Anhänglichkeit an seine Person und seine Gabe von sich weist.

    Das erfuhr selbst ein Paulus, erfuhr es zu seinem Schmerz gerade in der Gemeinde zu Korinth, deren geistlicher Vater er war und unter der er eineinhalb Jahre gewirkt hatte! Darum gleich zu Anfang seines ersten Briefes sein Unterricht über das rechte Verhältnis zu den berufenen Predigern, dessen Schluss die heutige Epistel bildet und deren Anwendung er in den unmittelbar folgenden Worten macht und machen lehrt: „Solches aber, liebe Brüder, habe ich auf mich und Apollos gedeutet um euretwillen, dass ihr an uns lernt, dass niemand höher von sich halte als jetzt geschrieben ist, damit sich nicht einer gegen den anderen um jemandes willen aufblase.“

    Hiernach beantworten wir denn auch aus unserer Epistel die so wichtige Frage:

 

Wodurch wird das nötige Zutrauen zu einem rechtschaffenen Prediger erlangt und bewahrt?

 

    Die Epistel antwortet:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dadurch, dass man seinen Beruf und sein Amt erkennt; und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dadurch, dass man nicht mehr als Treue an ihm sucht, und daher nicht vor der Zeit richtet!

 

    HERR Jesus, weil dein das Amt ist, das du mir an dieser Gemeinde befohlen hast, so öffne für das heutige Zeugnis von demselben Mund und Ohren.

 

Hilf, dass ich rede jetzt, womit ich kann bestehen,

Lass kein unnützes Wort aus meinem Munde gehen;

Und weil von meinem Amt ich reden soll und muss,

So gib den Worten Kraft und Nachdruck ohn Verdruss.

    Amen.

 

1.

    „Ich bin paulisch! Ich bin apollisch! Ich bin kephisch! Ich bin christisch!“ – so ging es nach des Apostels Weggang in der Korinthischen Gemeinde wirr durcheinander. Das hatte aber den Apostel aufs tiefste betrübt, als es ihm zu Ohren kam. Denn warum wollten es die einen mit Paulus, die andern mit Apollos, die dritten mit Kephas oder Petrus halten und die vierten mit keinem von den dreien, sondern angeblich sich allein mit Christus und so ein jeder darüber die anderen verachten? Hatte denn Paulus eine andere Lehre als Apollos und beide wieder eine andere als Petrus und alle drei eine andere als Christus, der Meister? Oder war ihr Amt ein wesentlich verschiedenes? Nein. Es waren das allein die Personen und die Gaben dieser Prediger, auf die man sah und an die man sich hing und um welcher willen man einen bösen Unterschied unter den Predigern machte.

    Diesem aus dem Fleisch kommenden und dem Segen des Wortes so nachteiligen Parteiwesen zu begegnen, weist er Apostel vor allen Dingen die Korinther an, von den Personen und ihren Gaben abzusehen und allein seiner und seiner Mitstreiter Beruf und Amt recht ins Auge zu fassen, indem er schreibt: „Dafür halte uns jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“ Seht da, wie verschieden auch die Persönlichkeit und die Begabung der Genannten war, so standen sie doch nach Beruf und Amt einander ganz gleich. Einer wie der andere sollte darum für einen Diener Christi einer wie der andere für einen Haushalter über Gottes Geheimnisse gehalten und behandelt werden. So aber will es der HERR mit den Dienern am Wort noch heute gehalten haben. Jedermann, also der Ungelehrte wie der Gelehrte, der Niedrige wie der Hohe, der Geförderte wie der Anfänger im Christentum halte sie für nichts mehr, aber auch für nichts weniger, als Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nicht so sehr auf die Persönlichkeit und die Gabe eines Predigers sehe man, als vielmehr vor allem und am meisten auf dessen Beruf und Amt. Im Blick auf dieses nur kann man zu einem rechtschaffenen Prediger das so nötige Zutrauen gewinnen und bewahren.

    Jedermann halte also einen rechtschaffenen Prediger erstlich für Christi Diener. Fragst du nun: Wobei soll ich denn einen Prediger als Christi Diener erkennen? So ist die Antwort: an seinem Wort und seinem Beruf. Predigt er dir nichts anders als deines und seines HERRN Christi Wort und kann er beweisen, dass er dazu rechtmäßig berufen ist: So halte Paulus, Apollos, Petrus oder wie der Prediger immer heißen mag, für den Mann, der im Auftrag des HERRN Christus als sein Botschafter zu dir kommt, der in seinem Namen, an seiner Statt dir sein Wort zu verkündigen hat. Sieh nicht an seine Person, wie sie bei allem offenkundigen Fleiß in der Heiligung doch mit Sünde, Schwachheit und Gebrechen behaftet ist und bleibt, sondern bedenke, dass es Gott nun einmal in seinem weisen und gnädigen Rat gefallen hat, nicht durch heilige, vollkommene, hochbegabte Engel, sondern durch sündliche und gebrechliche Menschen sein seligmachendes Wort ordentlicherweise predigen zu lassen. „Wir haben solchen Schatz in irdischen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft sei Gottes und nicht von uns“, schreibt daher der Apostel in seinem zweiten Brief, Kap. 4. Und ob der HERR diesen irdischen Gefäßen mancherlei Gabe und mancherlei Gnade verliehen hat und deshalb das eine Gefäß diesem und das andere einem andern mehr zusagt, so soll doch jedermann in jedem Gefäß den Schatz der himmlischen Lehre erkennen, aus jedem Gefäß denselben dankbar hinnehmen und zu seiner Seligkeit gebrauchen, dabei eingedenk, dass Christus es ist, der, wie er jedem seiner Knechte seine Pfündlein nach seinem Wohlgefallen verliehen, so auch bei der Berufung die Auswahl unter seinen Dienern getroffen hat als der allein weiß, welcher Gaben er sich zur Erbauung und zum Segen einer Gemeinde bedienen soll. Summa: Einen jeden Prediger, der dir kraft seines Berufs, sei es als der Seelsorger der Gemeinde, sei es als dessen Gehilfe oder zeitweiliger Stellvertreter Gottes reines Wort predigt, sollst du für einen Diener Christi halten, der das Siegel hat: „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat.“

    Jedermann halte einen rechtschaffenen Prediger zum anderen auch für einen Haushalter über Gottes Geheimnisse. Gottes Haus ist die Gemeinde des lebendigen Gottes, wie Paulus 1. Tim. 3 schreibt, die Hausgenossen sind darum die Christen. Dieses Haus Gottes hat seine Schätze und Güter, deren Besitzer und Nutznießer Gottes Hausgenossen durch die Taufe geworden sind, davon sie leben, daran sie sich erquicken. Diese Schätze und Güter sind in das Wort und in die Sakramente gefasst und diese nennt der Apostel Geheimnisse: Denn ob sie wohl frei öffentlich gehandelt werden, so kann sie doch menschliche Vernunft nicht begreifen und allein nur der Glaube ergreifen. Weil nun der aber der HERR zur Verwaltung und Austeilung dieser Güter durch die Gnadenmittel ein öffentliches Predigtamt eingesetzt hat, so heißen in Bezug darauf Christi Diener „Haushalter über Gottes Geheimnisse“. Das ist ihr eigentliches Amt!

    Nun merkt! Sind Christi Diener Haushalter über Gottes Geheimnisse, so sind sie ja freilich keine Herren, wieder über diese Schätze noch über die Gemeinde, sondern eben Haushalter, die als solche für ihre Verwaltung genaue Vorschriften von dem Hausherrn empfangen haben. Wollen sie das aber das und nicht mehr sein, richten sie sich nach ihrer Instruktion, predigen sie Gottes Wort rein und lauter, verwalten sie die Sakramente nach Christi Einsetzung, so halte man sie auch für Gottes Haushalter und meine nicht, dass Wort und Sakrament bei dem einen mehr und bei dem anderen weniger zur Seligkeit kräftig und gesegnet sei. Und ferner merkt: Damit alles ehrlich, d.i. zur Ehre Gottes und ordentlich im Haus Gottes zugehe, so hat Gott sein Hausgesinde, je nach dem Ort, da es auf Erden wohnt, in verschiedene kleine Häuflein abgeteilt und hat jedem Haushalter sein bestimmtes Häuflein zugewiesen, das ausschließlich der Gegenstand seiner Sorge, seiner Pflege, seiner Arbeit, seiner Hut sein soll, wie denn auch Petrus den berufenen Bischöfen und Ältesten zuruft: „Weidet die Herde Christi, so euch befohlen ist.“ Diese Häuflein sind die einzelnen Ortsgemeinden mit ihren verordneten Predigern.

    Wenn nun, meine Lieben, ein Christ als Glied einer rechtgläubigen Gemeinde den Prediger derselben für den ihm von Gott verordneten Haushalter über Gottes Geheimnisse in Wahrheit hält und dieser ihm Gottes Wort rein und lauter predigt und sonst rechtschaffen in seinem Tun ist, sollte er nicht gerade bei ihm am liebsten die Nahrung für seine Seele suchen, als an den und nicht an einen anderen ihn Gott kraft des rechtmäßigen Berufs gewiesen hat, als durch den und nicht durch einen anderen ihn Gott zur Seligkeit erbauen will? Sollte er sich nicht auf den Sonntag freuen, da er zu Tisch sitzt und der Haushalter oder dessen berufener Gehilfe ihm sein Gebühr gibt, zumal wenn er zum Voraus weiß, dass derselbe jedes Mal aufs sorgfältigste sich auf seine Predigt vorbereitet, um ihm, so viel er nur vermag, das Beste vorzusetzen? Sollte er daher auch, wo der, so zu Tisch dient, im Tun oder Lassen aus menschlicher Schwachheit es einmal ein wenig versieht, nicht solches demselben zugute halten oder bescheiden vorhalten, desto mehr aber gegen andere ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten zu kehren suchen und das nicht allein, weil es das 8. Gebot, sondern auch das Amt und die Wohlfahrt der Gemeinde fordert, damit mit Misstrauen in das Herz des Hausgesindes gegen den verordneten Haushalter gesät wird? Eben deshalb auch schreibt der Apostel: „Wir bitten auch, liebe Brüder, dass ihr erkennt, die an euch arbeiten und euch vorstehen in dem HERRN und euch ermahnen. Habt sie desto lieber um ihres Werkes willen und seid friedsam mit ihnen.“

    Dafür also halte uns jedermann, nämlich Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Das befiehlt nicht ein Mensch, das befiehlt der HERR. Das ist aber das erste und nötigste, weil die Grundlage der Erlangung und Bewahrung des Zutrauens zu einem rechtschaffenen Prediger.

 

2.

    „Nun sucht man an den Haushaltern nicht mehr, als dass sie treu gefunden werden. Darum richtet nicht vor der Zeit.“ Das ist das Zweite.

    Man muss ja freilich auch zusehen, dass ein Prediger fähig und würdig für das heilige Amt erfunden werde. Übergibt man doch schon in keinem weltlichen Haushalt, Geschäft und Amt die Verwaltung einer unfähigen oder unwürdigen Person oder belässt sie in demselben, wenn sie hernach sich als unfähig oder unwürdig erweist. Wie vielmehr gilt solches in Betreff des Amtes, bei welchem es sich um Gottes Ehre und der Seelen Seligkeit handelt. Allein die Frage nach der Fähigkeit und Würdigkeit muss schon zur Genüge beantwortet sein, ehe man jemand durch den Beruf das Haushalteramt übergibt. Wenn aber jemand, als fähig und würdig erkannt, in das Amt gesetzt ist, was soll man dann an ihm suchen? Da ist die Antwort des Apostels: Nichts anderes als Treue. Aber auch nur diese, also nicht reiche Begabung, nicht glänzende in die Augen fallende Erfolge der Amtswirksamkeit, nicht Ehre und Ruhm vor den Menschen; denn eine reiche Begabung ist nicht unbedingt notwendig und der Erfolg, das Gedeihen hängt allein vom HERRN ab und Ehre und Ruhm vor den Menschen ist sogar meist ein schlimmes Zeichen für Christen, geschweige für einen Prediger, wie der HERR spricht: „Wehe euch, so euch jedermann wohlredet.“ Aber die Treue ist es, die man schon im häuslichen und bürgerlichen Wesen an einem Haushalter sucht und sie bei einem sonst fähigen Verwalter höher anschlägt als den Reichtum der Begabung.

    Unmöglich kann nun hier der Apostel die Treue des Herzens, die Lauterkeit und Wahrhaftigkeit der Gesinnung eines Predigers meinen. Die muss allerdings vorhanden sein, denn aus der soll alle andere Treue fließen, wenn sie Stich halten und nicht Schein sein soll. Aber ob diese Treue auch nicht gar verborgen bleibt, so kann sie doch allein der HERR suchen, denn er ist der Herzenskündiger. Die Treue, die der Zuhörer an seinem Prediger suchen soll, muss eine für menschliche Augen leicht wahrnehmbare Treue sein.

    Da dem Prediger die Verwaltung der Geheimnisse Gottes übertragen ist, so gehört ja freilich vor allem hierzu die Treue in Verwaltung der ihm anvertrauten Gnadengüter selbst, dass er einerseits sie vor Verfälschung bewahre und daher falsche Lehre tapfer bekämpfe, andererseits, dass er sie rein und unverfälscht austeile, und zwar nach der ihm von HERRN gegebenen Anweisung. Wenn er daher Gottes Wort rein und lauter lehrt und die Sakramente nach Christi Einsetzung handelt; wenn er den ganzen Rat Gottes zu unserer Seligkeit deutlich lehrt und von demselben nichts verschweigt; wenn er Gesetz und Evangelium recht scheidet und wieder recht verbindet; wenn er alles gottlose Wesen öffentlich und besonders straft und sich nicht beirren lässt, ob es auch vielen Leuten übel gefällt, darüber Unruhe und Zank selbst auch in der Gemeinde entsteht und man ihn darüber verkennt und bedrängt; wenn er ebenso die Unverständigen zum Tisch des HERRN zu locken sucht, den offenbar Unwürdigen den Zugang versagt und wenn er seine Kranken seelsorgerlich betreut und sonst nach Maßgabe seiner Zeit und Kraft sich der Privatseelsorge unterzieht: Siehe, so ist er treu in Betreff der ihm anvertrauten Gnadengüter und damit der ihm anvertrauten Seelen.

    Damit ist verbunden die Treue im Wandel, denn der Prediger soll ja möglichst leben, was er lehrt, er soll ein Vorbild der Herde sein und soll es immer mehr zu werden suchen in der Unanstößigkeit des Wandels, in der Selbstverleugnung, im Eifer in guten Werken und im geduldigen Ertragen der Leiden.

    Das sind die beiden wichtigsten Stücke, darin ein Prediger treu erfunden werden soll und kann. Doch sind damit noch manch andere Erweisungen der Treue verbunden.

    Dahin gehört zum Beispiel die Treue im Gebrauch der verliehen Gaben, dass der Prediger dieselben zu wecken und zu mehren und mit denselben der Gemeinde und, wo es von ihm gefordert sind und es möglich ist, der ganzen Kirche zu dienen sucht. Man muss an ihm immer mehr wahrnehmen, dass er nur seinem Amt lebt, dass er sich um Händel der Nahrung und um Händel der Politik nicht kümmert, dass er überhaupt seine Hand von Dingen lässt, die ihm nicht befohlen sind, sondern einfältig und mit aller Darangabe seiner zeit und Anwendung seiner Kraft allein das tut, was ihm zu tun gebührt. Vor allem aber gehört zu dieser Treue das fleißige und anhaltende Studieren und darum die sorgfältige Vorbereitung auf die Predigten, da, wie die Apologie des Ausgburgischen Bekenntnisses sagt, nichts die Leute mehr bei der Kirche hält als eine gute Predigt. Wer seine Predigten aus dem Ärmel schütteln will, ist gewiss ein untreuer Knecht. Er soll gleich sein einer Hausfrau, die zwar das Kochen gelernt hat, aber die doch, so oft die Gäste bekommt, jede Mahlzeit aufs neue herrichtet und dabei ihr Bestes zu tun sucht.

    Und endlich gehört zu dieser Treue, dass ein Prediger bei der ihm anvertrauten Gemeinde und in seinem Beruf aushält, also nicht einmal ums andere auf eine Wegberufung denkt, oder das Amt niederlegt, wenn es ihm nicht alsbald nach Wunsch geht, nicht flieht, wenn Seuchen kommen, Kämpfe von außen und innen sich erheben und sonst auf allerlei Weise ihm sein Amt schwer und sauer gemacht wird. Er4 soll ja nicht ein Mietling sein, der flieht, sondern als ein guter Streiter sich leiden, der nur dann seinen Posten verlässt, wenn es der Herr ihm offenbar heißt.

    Das ist die Treue, darin ein Haushalter über Gottes Geheimnisse vor Menschen erfunden werden soll. Mag dieselbe nun auch ihre Grade und Stufen haben: Aber wo immer du sie erblickst, da fasse ein herzliches Zutrauen zu denen, die am Wort und in der Lehre an dir und anderen arbeiten und schließe deine Ohren und dein Herz vor denen zu, die dich etwas anderes suchen lehren oder solches Zutrauen dir nehmen wollen. Diese Treue ist die rechter Predigertugend, denn alles andere: viele Gaben, große Gelehrsamkeit, hinreißende Beredsamkeit, einnehmende Persönlichkeit kann mehr oder weniger fehlen und Gottes Reich doch gebaut werden; diese aber darf nicht fehlen, ja, ohne sie können Begabung und Gelehrsamkeit sogar schädlich werden. Sie allein nur hat die Verheißung des Segens. Sie allein suche um deinet-, um des Predigers, um der Gemeinde willen. Suchst du mehr, sei es Erwünschtes oder Verkehrtes, wie leicht kannst du unzufrieden werden mit der in deinem rechtschaffenen Prediger dir geschenkte Gabe der göttlichen Güte, wie leicht dich und andere in einen Missmut hineinreden und dich und sie um den Segen bringen, den du doch haben könntest – und wie schwer kann da öffentlich und heimlich einem treuen Diener Christi das Amt gemacht werden, dass er’s je länger je mehr mit Seufzen tut, welches Seufzen ja denen nicht gut ist, die es erwecken. Ach, es ist im tiefsten Grund doch nur Hochmut des Herzens, die Sattheit und der Überdruss, ja, die verborgene angeborene innere Feindschaft gegen den HERRN, wenn man mehr als solche Treue sucht!

    Soll man nun aber an den Haushaltern nicht mehr suchen, als dass sie treu gefunden werden, so soll man auch in Betreff alles Übrigen nicht vor der Zeit richten. Deshalb setzt der Apostel hinzu: „Mir aber ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir wohl nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der HERR ist’s aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der HERR komme, welcher auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rat der Herzen offenbaren; alsdann wird einem jeglichen von Gott Lob widerfahren.“

    Dass hier nicht vom Richten und Urteilen über die Lehre die Rede ist, liegt wohl auf der Hand. Ist doch gerade die Reinheit der Lehre ein Hauptstück der Treue, die man an einem Prediger suchen soll und ist Richten und Urteilen über die Lehre so sehr Christenrecht und Christenpflicht, dass der verflucht sein soll, welcher dies Recht „auch nur um ein Härlein kränkt“ und derjenige sich und anderen großen Schaden tut, welcher solche Pflicht unterlässt. Es ist vielmehr ein Richten „vor der Zeit“, ein Richten, das man erst dem Jüngsten Tag überlassen soll, das daher auch ein Paulus nicht einmal über sich selbst zur letzten Entscheidung vorzunehmen wagt, sondern es dem allwissenden, aber auch gnädigen und barmherzigen Richter Jesus Christus anheim stellt.

    Dies unzeitige und darum vermessene und schädliche Richten betrifft vornehmlich den Grad der Treue eines Predigers, den Erfolg seiner Arbeit und den Rat seines Herzens.

    Was nämlich den Grad der Treue betrifft, so sagt namentlich von diesem selbst ein Paulus von sich: „Ich bin mir wohl nichts bewusst (nämlich keiner Amtsuntreue), aber darin bin ich nicht gerechtfertigt, der HERR ist’s aber, der mich richtet.“ So ist es auch mit dem Urteil über den Erfolg der Arbeit. Wie falsch kann oft da die Vorstellung von dem sein, was man überhaupt oft auch in kirchlichen Dingen „Erfolg“ zu nennen pflegt und man noch mehr kann das Urteil über die wahren Ursachen einer scheinbaren oder wirklichen, größeren oder geringeren Erfolglosigkeit irrig sein. Wie mancher fähige und treue Knecht darf vielleicht zu seiner Arbeit Demütigung und Läuterung keine oder doch nur geringe Erfolge seiner Arbeit sehen, und doch wird der HERR, wenn er kommt, seines Knechtes Treue, seine Gebete, sein Ringen, seine Selbstverleugnung, seine vielen Leiden und seine Geduld offenbaren, aber auch die bis dahin verborgenen schönen Erfolge seiner Arbeit am Wort und so ihm Lob widerfahren lassen, je mehr es ihm der Menschen Kurzsichtigkeit und Unverstand verweigerten. Dagegen wie mancher, der nach der Menschen Urteil vielleicht große Dinge ausgerichtet hat, wird von dem HERRN einst ein ganz anderes Urteil über seine Erfolge vernehmen und wir gar manches ihm in Gottes Buch nicht als Lob angerechnet sein, sondern im besten Fall unter der Rubrik vergebener Sünden stehen. Vollends aber lässt sich bei einem sonst treu und lauter erfundene Prediger über den Rat seines Herzens, über seine Gesinnung , und auch nicht immer und von jedermann über die Richtigkeit seiner Beweggründe und seiner                Handlungsweise in so manchen schwierigen Fällen recht urteilen.

    Darum „richtet nicht vor der Zeit, bis der HERR komme, welcher wird auch ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist und den Rat der Herzen offenbaren, alsdann wird einem jeglichen von Gott Lob widerfahren“ – Lob jeglichem rechtschaffenen Prediger, den der HERR treu erfunden hat, Lob aber auch jedem rechtschaffenen Zuhörer, der sich vor unzeitigem und vermessenem Richten  über Christi Diener gehütet hat, da dasselbe doch nur Zerstörung des so nötigen Zutrauens zu den berufenen Dienern -Christi und allerlei Verwirrung anrichten kann. Wie ein Ehegatte, der von seines Gemahls Treue überzeugt ist, für jede Zunge, und wäre es auch die eines nahen Anverwandten, unzugänglich sein muss, wenn sie Misstrauen gegen dasselbe ins Herz zu säen sucht, so auch die Zuhörer gegen alles unzeitige und vermessene Richten seines Seelsorgers, den er treu erfunden hat.

    Meine teuren und herzlich geliebten Zuhörer! Durch den rechtmäßigen Beruf stiftet der HERR das innigste und gesegnetste geistliche Verhältnis. Das ist das Verhältnis zwischen Prediger und Gemeinde. Helfe er denn in Gnaden, dass wir, eure berufenen Prediger, immer treu gefunden werden und ihr für seine Gnade immer dankbarer werdet, damit, wenn er erscheinen wird in seiner Herrlichkeit und beiderseits von ihm Lob widerfährt – uns wegen der  Ausrichtung, euch wegen dem Gebrauch unseres Amtes und so jeglicher die fröhliche stimme höre: „Ei, du frommer und treuer Knecht; du bist über Wenigem treu gewesen, ich will ich über viel setzen, ehe ein zu deines HERRN Freude!“ Amen.

 

Gebet: Barmherziger, ewiger Gott, wir danken dir von Herzen, dass du uns arme gebrechliche Menschen zu Haushaltern über deine göttlichen Geheimnisse gesetzt hast. Weil wir aber solchen Schatz in irdischen Gefäßen tragen und ohne deine Hilfe dieses hohe Amt nicht recht verrichten können, so bitten wir dich demütig, du wollest durch deinen Heiligen Geist uns Lehrer und Zuhörer regieren, damit wir beiderseits in deinem Dienst treu gefunden werden, und an jenem Tag, wen du den Rat der Herzen offenbaren wirst, von dir die Krone der ewigen Ehren und ewiges Lob empfangen – durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: Wir danken dir, du treuer Gott

 

 

Epistelpredigt zum vierten Advent ueber Philipper 4,4-7: Von dem Frieden Gottes

 

Lied: Jesu, meine Freude

 

    Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war und der da ist und der da kommt. Amen.

 

Philipper 4,4-7: Freut euch in dem HERRN allewege; und abermals sage ich: Freut euch! Eure Lindigkeit lasst kund sein allen Menschen. Der HERR ist nahe. Sorgt nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden. Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!

 

    Wie mächtig, unsere Lieben, ruft uns in der Nähe des Weihnachtsfestes diese letzte Adventsepistel zur Freude auf! Wie ist sie in klaren, einfachen, kurzen und doch reichen Worten so ganz und gar Ausdruck der Stimmung, die in allen Lagen eigentlich die herrschende und bleibende eines Christenherzens ist, zu Zeiten jedoch auch mächtig herausbricht und wo dann der freudige Geist, der da ist ein Geist der Gnaden und des Gebets, dem beschwerten Herzen alle Last abnimmt und man zur Erquickung und Stärkung für den weiteren Kampfes- und Leidensweg auf Tabors Höhe steht.

    Lasst uns jedoch heute einmal unser Augenmerk ausschließlich auf die Stelle der heutigen Epistel richten, welche wir nicht nur jährlich einmal, nämlich am vierten Adventssonntag, vernehmen, sondern an jedem Sonn- und Festtag und so oft wir zur Verkündigung des Wortes versammelt sind. Es ist dies nämlich das Schlusswort: „Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ Diese Worte bilden in unserer Kirche bekanntlich den Abschjedswunsch und Abschiedsgruß, mit welchem der Prediger die Kanzel zu verlassen pflegt und könnte es wohl kaum ein passenderes Votum geben. Aber wer sieht dieses segnende Abschiedswort wohl für etwas mehr an als für eine bloße Zeremonie, für einen bloß äußerlichen Gebrauch? Wer denkt über seinen Inhalt nach? Wer fragt sich, ob er auch dieses Friedens teilhaftig sei? Wer ist bedacht, diesen hier gewünschten und angebotenen Frieden zu bewahren, so er ich angenommen hat, dass er ihn wieder bewahre? Ach, weil man dies Wort fort und fort hört, so geht es ihm wie dem Vaterunser, das man fort und fort betet.

    Euch zum Verständnis und Gebrauch dieses Abschiedswunsches und Abschiedsgrußes der Diener des Worts anzuleiten, spreche ich zu euch

 

Von dem Frieden Gottes

Und zeige euch

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dessen Art und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dessen Macht.

 

Lieber HERR Jesus, dein Nahesein

Bringt großen Frieden ins Herz hinein

Und dein Gnadenanblick macht uns so selig

Dass auch das Gebeine darüber fröhlich

Und dankbar wird.

 

    Darum sei auch laut deiner Verheißung jetzt mitten unter uns, die wir in deinem Namen versammelt sind, zu hören alles, was uns auf deinen Befehl voll verkündigt werden. Lass uns in der Predigt deines Wortes deinen Friedensgruß vernehmen, sprich durch denselben deinen Frieden in unser Herz, erfülle in ihm und durch ihn dasselbe mit umso größerer Adventsfreude. Amen.

 

1.

    Was ist das für ein Friede Gottes, der hier gewünscht, ja, durch dies Wort mitgeteilt wird? Es ist kein leiblicher, sondern ein geistlicher Friede, denn er besteht nicht in irdischem Glück und Wohlsein, sondern in dem ruhig gewordenen Gewissen eines durch den Glauben gerecht gewordenen Menschen und in der inneren Befriedigung und Ruhe der Seele, wie sie die Erkenntnis Gottes und die Gemeinschaft mit ihm gewährt. Es ist daher auch kein Friede, wie ihn die Welt gibt, sondern ein Friede von ganz wunderbarer Beschaffenheit.

    Der gefallene Mensch befindet sich in einem Kriegszustand, in einer tief innerlichen Feindschaft gegen Gott, welche bei Manchen in offenbaren Lästerungen der göttlichen Majestät, nicht selten aber bei vielen zur Zeit der Trübsal in Klagen, Murren, feindseligen, giftigen Worten gegen die göttliche Majestät herausbricht und sonst sich im Undank gegen Gottes Wohltaten und im Ungehorsam gegen seine heiligen Gebote zeigt. Dabei hält das böse, unversöhnte Gewissen Menschen in einer knechtischen Furcht gefangen und erfüllt ihn bei dem Gedanken an Tod und Gericht mit Unruhe, Angst und Schrecken. Ach, und dabei ist er ganz und gar in der Gewalt des Teufels und hält es ganz und gar mit diesem abgesagten Feind Gottes und der Menschen, dem Lügner und Mörder von Anfang, und möchte, wenn es möglich wäre, gleich ihm den Allerhöchsten vom Thron stoßen. Unmöglich kann an solchen Geschöpfen Gott ein Wohlgefallen haben. Aber siehe, aus unergründlichem Erbarmen hat Gott seinen eingeborenen Sohn Mensch werden lassen, dass er unser Mittler, unser Friedensstifter, unser Friedefürst sei. Durch sein stellvertretendes Leiden und Sterben sollte er der göttlichen Gerechtigkeit ein Genüge leisten und so aus dem Weg schaffen, was den feuerbrennenden Zorn des erregen muss, der gesagt hat: „Ihr sollt heilig sein, den ich bin heilig“; durch Erwerben und Senden des Heiligen Geistes aber sollte er unsere verderbte Natur verändern und heiligen und so aus unserem Herzen die Feindschaft gegen Gott nehmen. Eben darum haben die himmlischen Heerscharen in der heiligen Weihnacht gesungen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und dem Menschen ein Wohlgefallen“, eben darum singen wir ihnen mit der Kirche alle Sonn- und Festtage nach:

Allein Gott in der Höh sei Ehr

Und Dank für seine Gnade,

Darum, dass nun und nimmermehr

Uns rühren kann kein Schade.

Ein Wohlgefalln Gott an uns hat,

Nun ist groß Fried ohn Unterlass,

All Fehd hat nun ein Ende.

    Und nun merkt! Wenn wir durch Wirkung des Heiligen Geistes aus freier göttlicher Gnade das recht erkennen; wenn wir von Herzen glauben, dass Gott um Christi willen uns alle unsere Sünden vergeben hat und in ihm uns für gerecht ansieht und zu seinen Kindern und zu Erben des ewigen Lebens annimmt – dann, o meine Geliebten, ist der am Kreuz errungene und im Evangelium verkündigte Friede unser Eigentum geworden und in unser Herz gekommen, denn so bezeugt Paulus: „Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott.“ An die Stelle des verdammenden Gewissens tritt ein ruhig gemachtes Gewissen, an die Stelle der vorigen Feindschaft, des Argwohns und Misstrauens gegen Gott eine herzliche Zuneigung zu Gott und ein kindliches Vertrauen gegen ihn, das sich von dem versöhnten Vater alles Guten versieht und in jedem Anliegen zu ihm seine Zuflucht nimmt. So kommt aus dem Frieden mit Gott der Friede in Gott, jene Ruhe der Seele in Gott und in seinen unwandelbaren Verheißungen, da man durch die Anklagen des Gewissens, durch den Fluch des Gesetzes, durch die Frucht des zeitlichen und ewigen Todes, durch das Bedrängen durch den Teufel und die Welt von Zeit zu Zeit zwar sehr angefochten werden kann, aber immer seinen festen Halt behält und daher mit einem Paulus spricht: „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht! Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja, vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns! Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? … Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Herrschaften, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Kräfte, weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem HERRN.“

    Weil nun aber dieser Friede Gottes nach des Apostels Wort „höher ist als alle Vernunft“, so muss er von ganz wunderbarer Beschaffenheit sein.

    Ja freilich kann sich die menschliche Vernunft diesen Frieden nicht denken, vermag ihn nicht zu begreifen; es heißt auch hier: „Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes, es ist ihm eine Torheit und kann es nicht erkennen, denn es muss geistlich gerichtet sein.“ Nach dem Urteil der Vernunft kann man den Frieden Gottes nur aufgrund eigenen Wohlverhaltens und eigener Gerechtigkeit erlangen – ist’s daher vor ihr nicht seltsam, dass dieser Friede erworben ist durch eine fremde Gerechtigkeit, das man ihn durch den Glauben hat, ja, allein durch den Glauben haben kann, da das aufgeweckte Gewissen sich nicht mit Werken stillen lässt, sondern vielmehr immer unruhiger, immer verdammender wird, je mehr man den Frieden in seinen Werken sucht? Unmöglich kann sich daher die Vernunft darein finden, dass auf diesem Weg auch die größten Sünder zum Frieden Gottes alsbald gelangen und so mit den größten Heiligen Kinder und Erben Gottes sein sollen, ja, dass auch ein tiefgefallener David und Petrus des verlorenen Friedens wieder teilhaftig und ein Schächer noch in der letzten Stunde mit ihm begnadigt sein soll. – Menschliche Vernunft weiß ferner von keinem anderen Frieden, als von einem solchen, der in der zeitlichen und leiblichen Sicherheit und Ruhe besteht, oder, wo je eine Störung des leiblichen Wohlbefindens und irdischen Glücks eingetreten ist, in der sofortigen Beseitigung dieser Störung. Ist’s daher nicht gegen und über alle Vernunft, wenn derjenige, in welchem der Friede Gottes wohnt, nicht alsbald darauf denkt, wie er des zeitlichen Ungemachs und Leidens nur schnell wieder los sein könnte, sondern vielmehr vor allem unter Gottes gewaltige Hand sich demütigt und sorgt, dass er Gott geduldig still halte, wie lange die Trübsal auch wäre, dass er dann an Gottes Treue sich hält, die ich nicht versucht werden lässt über sein Vermögen und an die Versicherung, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen müssen, die nach dem Vorsatz berufen sind und dass daher der HERR die Seinen nach einem ewigen Rat leitet, und, wie wunderlich und seltsam er auch sie führt, doch endlich sie mit Ehren annimmt? Ach ja, meine Lieben, dass ein David rufen kann: „Meine Seele ist still zu Gott, der mir hilft, denn er ist mein Hort, meine Hilfe und mein Schutz, dass mich kein Fall stürzen wird, wie groß er ist!“ – dass ein Paulus sich der Trübsale rühmt und mit ihm jeder gläubige Christ reich in der Armut, stark in der Schwachheit, fröhlich in der Traurigkeit, getrost und unverzagt mitten in Angst und Schrecken sein, Unglück für Glück, Hindernis für Förderung, den Tod für das Leben ansehen und deshalb in aller Bedrängnis zur Welt und zum Teufel sagen kann: „Nur immer drauf los! Ihr gedenkt, es böse mit mir zu machen, aber Gott gedenkt, es gut mit mir zu machen, ja hat alles bei sich schon wohlgemacht!“ – kurz, dass ein gläubiger Christ wie ein Gefäß mit Waser erscheint, bei dem das Öl, welches man auf das Wasser gegossen hat, immer oben schwimmt, man rüttle und schüttle es, wie man wolle: - Das kommt her von dem Frieden Gottes, das ist’s aber auch, warum es ein Friede ist, der über alle Vernunft geht. J, auch für den, der ihn hat, geht er „über alle Vernunft“, denn er ist ein so hohes Gut und ein so edler Schatz, dass wir ihn in dieser Schwachheit nicht genug verstehen können und sein genugsam zu gebrauchen wissen. Dazu kommt, dass, obschon wir bald mehr oder weniger den Frieden Gottes schmecken und fühlen, er doch auch zu Zeiten unserer Übung im Glauben an das bloße Wort in unserem Inneren sich wieder so verbergen muss, dass wir gar nichts von ihm fühlen und schmecken, ja in Zeiten hoher geistlicher Anfechtung statt seiner eitel Schrecken vor Gottes Zorn, Höllenangst und Höllenmarter empfinden.

    Dass nun der Apostel bei diesem Frieden mit Gott und in Gott auch an den Frieden der Gläubigen untereinander denkt, zeigt nicht nur die Verbindung seiner Worte mit den vorausgehenden Worten der Epistel und dieser wieder mit den vorausgehenden Worten des 4. Kapitels, sondern auch die Sache selbst, denn aus dem Frieden Gottes in den Herzen der Gläubigen erwächst ja der Friede derselben untereinander. Ruft doch auch der HERR: „Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Gewiss, ein Friedensstörer, ein Stänker kann man unmöglich sein, wenn man den Frieden Gottes hat. Allein, vergessen wir nicht, dass auch dieser Friede „höher ist als alle Vernunft“. Der natürliche Mensch vernimmt auch hier nichts vom Geist Gottes, es muss auch hier geistlich gerichtet sein. Es meint nämlich die Vernunft, unter den Christen dürfe keinerlei Streit und Unruhe vorkommen, da müsse alles voll Liebe und Friede sein. Damit in der christlichen Gemeinschaft keinerlei Unruhe entstehe, solle man es daher mit dem Verhalten der Leute nicht so genau nehmen, solle nur öffentlich und auch privat das Gröbste strafen, oder, wenn die Leute die Strafe nicht leiden wollen, lieber noch etwas zur Beschwichtigung nachgeben. Vollends aber solle man es mit der Lehre nicht so genau nehmen, solle nicht gegen andere Kirchen predigen und schreiben, sondern um des Friedens willen vorhandene Lehrunterschiede übersehen und die Ansichten anderer auch gelten lassen, ja solle bei einem ausbrechenden Streit um die Lehre hier möglichst viel nachgegen, wenn man eine drohende Trennung und Spaltung damit verhüten kann. Nein, auch hier geht der Friede über alle Vernunft; denn durch das Festhalten an Gottes Wort gegen alles Ungöttliche in Lehre und Leben und durch das entschiedene unwandelbare Zeugnis der Wahrheit wird nur der faule Friede gestört und beseitigt, und wie viel Unruhe und Rumor auch darüber entsteht, die Wahrheit bleibt auf dem Plan und einigt die Herzen und reinigt die Gemeinschaft von dem, was nicht aus der Wahrheit ist und kommt aus solchem Streit und solcher Unruhe erst ein rechter gründlicher und dauerhafter Friede der Gläubigen untereinander, die dann nur umso fester zusammenstehen, wie oft auch der Teufel noch Unruhe erregen will.

    Seht, das ist der Friede Gottes seiner Art nach. Es ist ein geistlicher Friede, es ist ein Friede von ganz wunderbarer Beschaffenheit.

 

2.

    Der Apostel zeigt uns diesen Frieden jedoch auch in seiner Macht, indem er von demselben den Philippern wünscht: „Der bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“

    Sprachkundige Schriftforscher erinnern, dass das hier von dem Apostel in seiner Sprache gebrauchte Wort eine Bewahrung bedeute, wie sie durch die starke militärische Besetzung einer Festung stattfindet, so dass alle feindliche Anläufe zuschanden werden.

    Ein treffliches Bild! Eine köstliche Versicherung! Ja, wir Christen sind allerdings in dieser Welt wie eine fort und fort umlauerte und einmal ums andere angelaufene Festung. Hat uns doch Christus von der Welt erwählt und ist doch jedes Christenhäuflein eine in Feindesland errichtete Festung. Und es sind keine zu verachtenden Feinde, die gegen uns anstürmen; denn das sind einerseits die Geister der Finsternis, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, die höllischen Legionen, und andererseits ist es die im Argen liegende Welt, die ungläubige wie die falschgläubige Welt, die Welt nicht nur außerhalb der wahren sichtbaren Kirche, sondern auch die Welt innerhalb derselben, da allezeit Gottlose und Heuchler als Unkrautsame den rechten Christen beigemischt sind. Der aber die Belagerung allemal betreibt, die Welt als seine Bundesgenossin und Vasallin dazu aufstachelt, den Angriffsplan entwirft und die ganze Belagerung leitet, das ist der Fürst der Finsternis, das ist Satan, der die ganze Welt verführt, der darum auch der „Fürst der Welt“ heißt, und von dem die Kirche singt:

Groß Macht und viel List

Sein grausam Rüstung ist,

Auf Erd ist nicht seinsgleichen.

Auch und in uns selbst wohnt, so lange wir noch in der Welt sind, als lauernder Spion und Verräter das eigene verderbte Fleisch und können wir gegen dasselbe nicht genug auf der Hut sein und müssen ihm immerdar das Gesetz als Riegel vorschieben.

    Doch getrost, meine Lieben! So lange der Friede Gottes in uns wohnt, so lange sind wir gleich einer uneinnehmbaren Festung, denn dieser Friede „bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus“. Mag der Lügner von Anfang noch so viele Irrtümer und Ketzereien auf die Bahn bringen und durch seine Apostel, die falschen Propheten, mit Gottes Namen schmücken und als Wahrheit ausbreiten lassen, er berückt Herz und Sinne nicht, denn wo der Friede Gottes ist, da ist Herz und Sinn einfältig auf das Wort gerichtet und vor allem leuchtet im Herzen der Artikel von der Rechtfertigung des armen Sünders allein durch den Glauben. Und mag die Welt5 uns in Verbindung mit unserem Fleisch und Blut und mit dem Zauber, mit welchem der Teufel ihre Dinge umgibt, noch so sehr reizen, bald zur Augenlust, zum Geiz, zum Mammonsdienst, bald zur Fleischeslust durch mancherlei Genüsse, bald zum hoffärtigen Wesen durch Vernunftweisheit, Ehre, Macht und Pracht, oder mag sie uns bedrohen durch Hass und Verfolgung, uns zaghaft und gegen sie nachgiebig machen – der Friede Gottes bewahrt auch hier Herz und Sinne in Christus Jesus, denn er erhält unser Herz bei dem Einen, dass wir seinen Namen fürchten.

    Das ist die Macht des Friedens Gottes, der höher ist als alle Vernunft.

    Steht es nun aber so mit diesem Frieden, ist das seine Art und seine Macht5, so ist und bleibt da derjenige ein glückseliger Mensch in Zeit und Ewigkeit, welcher diesen Frieden besitzt und muss dagegen der ein ganz unglückseliger Mensch sein, welchem dieser Friede fehlt, welcher entweder von demselben nie etwas erfahren oder denselben wieder verloren hat. Man ist auch ohne diesen Frieden unglücklich. Man ist es, selbst wenn man von dem Frieden nach der Vernunft, vom irdischen und zeitlichen Glück, ein gut Teil vor anderen genießt und die Leute einen als Glückskind betrachten; aber vollends unglücklich ist man, wenn einem auch der leibliche Friede fehlt, wenn Armut, Krankheit, Verachtung, Unglück in der Ehe oder an den Kindern das irdische Los ist. Geht’s dem Menschen äußerlich wohl, so zeigt er doch Kains unstetes und flüchtiges Wesen, zumal, wenn er Sünde auf Sünde gegen das Gewissen häuft; wie eilt er von Genuss zu Genuss, von einer Unternehmung zur anderen, wie wechselt er oft Wohnung und Lebensstellung, ja, wie manchmal verrät das Auge, dass dem Herzen der wahre Friede fehlt. Warum macht heutzutage sogar mancher Glückliche mit eigener Hand seinem Leben ein Ende? Fehlt dem armen Menschen aber vom Teil in diesem Leben viel, fehlt ihm zuletzt auch das Wenige, das er besessen, o dann verzehrt ihn je länger, je mehr der Unmut und verbittert und erschwert ihm das Leben; dann gerät er immer mehr ins Murren gegen Gott und Menschen und ins Grollen gegen die bestehende Weltordnung, und kein Wunder ist’s, wenn man zuletzt ihn sieht wandeln im Rat der Gottlosen und der heutigen Umstürzler und treten auf den Weg der Sünder und sitzen, da die Spötter sitzen. Und ebenso wenig kann es fehlen, dass der, welchem der innerliche Gottesfriede fehlt, auch anderen keinen Frieden lassen kann, ein Friedensstörer und Unruhestifter immer mehr wird und so auch anderen das Leben schwer und sauer macht.

    O darum ihr, die ihr diesen Frieden Gottes nie erfahren oder wieder verloren habt, erkennt doch, wie es um euch steht und forscht nach der Quelle, aus der eure ganze Friedlosigkeit quillt! Ach, verstopft sie beizeiten durch rechtschaffene Buße und sucht den HERRN, weil er zu finden und mit seinem Frieden nahe ist.

    Ihr aber, die ihr aus Gottes grundloser Barmherzigkeit und nach seiner freien Gnade durch den Glauben seines Friedens teilhaftig geworden seid und nach derselben unverdienten Gnade ihn noch bis auf diese Stunde besitzt, dankt Gott heute aufs neue für seine Gnade. Vergesst aber nicht, dass man durch eigene Schuld den geschenkten Frieden gleichwohl wieder verlieren kann. Darum heutet, hütet ihn ohne Unterlass. Pflegt und nährt ihn vielmehr nach der Anweisung, welche uns der Apostel in der heutigen Epistel gibt. Dafür lest und betrachtet sie oft, ja, lest das ganze Kapitel, aus dem diese Freuden- und Friedensepistel genommen ist. Seht, was der Apostel hier wunschweise ausspricht, ist eigentlich versicherungsweise geredet und steht es nicht da als ein bloß angehängter apostolischer Segenswunsch, sondern als ein mit dem Vorausgehenden zusammenhängendes Wort. Da erblicken wir nämlich in der Freude in dem HERRN die Quelle und in der allen Menschen kundwerdenden Lindigkeit und in jener heiligen Sorglosigkeit, da man betend und dankend alle seine Anliegen auf den nahen HERRN wirft, zwei der herrlichsten Früchte und Erweisungen des Friedens Gottes. Zur Pflege, zur Nahrung, Mehrung und Erhaltung desselben ruft uns daher reizend und lockend der Apostel zu: „Freut euch in dem HERRN allewege und abermals sage ich euch: Freut euch. Eure Lindigkeit lasst kund sein allen Menschen. Der HERR ist nahe! Sorgt nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden: Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ Ja, in dieser Freude und ihren Früchten und Erweisungen wird der Friede Gottes Herzen und Sinne bewahren.

 

    Und nun, meine Leben, welch eine Einladung zu einer wahrhaft fröhlichen und seligen Weihnachtsfeier ist doch diese ganze Epistel mit dem Wunsch und der Versicherung des Friedens durch den und in dem, der da heißt Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewigvater, Friedefürst! Und wie ist doch in diesem von der Kirche zum Abschied vom Predigtstuhl gebrauchten apostolischen Wort der Versicherung und des Anwünschens des göttlichen Friedens die Summe einer jeden erhörten evangelischen Predigt so lieblich zusammengefasst! Der HERR tue uns darum nach jedem Hören der Predigt für dieses Wort immer wieder aufs neue das Herz auf und verleihe, dass wir durch den Geist der Gnaden und des Gebets immer von neuem dazu sprechen: Amen, das ist gewiss wahr! Amen, Amen, ja, ja, es soll so geschehen! Amen.

 

Gebet: Barmherziger, gnädiger Gott und Vater, du selbst hast uns geboten, unsere Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor dir kund werden zu lassen, so bitten wir denn, o HERR: Bereite besonders in dieser Gnadenzeit unsere Herzen und schmücke sie mit deinem Frieden, welcher höher ist als alle Vernunft, zu einer reinen Wohnung deines lieben Sohnes, damit, wenn derselbe bei uns einkehrt, wir ihn mit Freuden aufnehmen und in seiner seligen Gemeinschaft dich allezeit mit fröhlichem Mund rühmen können: Durch denselben Jesus Christus, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: Jesu, meines Herzens Freud. Oder: Freuet euch, ihr Christen alle.

 

 

Epistelpredigt zum Heiligen Abend ueber Titus 2,11-14: Die Offenbarung Gottes im Fleisch als das kuendlich grosse Geheimnis der Gottseligkeit

 

Gelobet seist du, Jesus Christ,

Dass du Mensch geboren bist

Von einer Jungfrau, das ist wahr,

Drum freuet sich der Engel Schar.

Kyrieleis.

 

    Ach ja, Kyrielies, erbarme dich! Denn nicht der Engel Natur hast du angenommen, sondern der Menschen Natur, nicht den Engeln zugute bist du in menschlicher Gestalt auf Erden und unter den Sündern erschienen, sondern uns Menschen zugute! O, dass darum vor allen Dingen wir Menschen uns mit den Engeln deiner Geburt von Herzen freuten! Aber, o Heiland, obwohl allen Menschen ohne Ausnahme in dir die heilsame rettende Gnade und die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes gegen die verlorene Sünderwelt erschien, so findest du doch auch heute noch so wenige, die von solcher Freude in Wahrheit wissen, dagegen viele, die dir sogar feind sind. Und bei diesen wenigen ist die Freude noch immer nicht so groß, wie sie sein sollte, sondern meist noch gar klein. Erbarme dich, o erbarme dich unser. Erscheinen an diesem Fest in deinem Wort als der Aufgang aus der Höhe denen, die da noch sitzen in Finsternis und Schatten des Todes und denen, welche ein klein wenig angefangen haben, sich deiner allein zu freuen und zu trösten. Lege darum die Freudenbotschaft jetzt nicht allein auf meine Lippen, der du sie ja gleich den Menschen aufgetragen hast, nachdem Engelmund sie gebracht hat, sondern bringe sie hinein in die Herzen aller, die sie jetzt aus deinem Wort durch meinen Mund vernehmen sollen.

 

O Jesus, schöne Weihnachtssonne,

Bestrahle uns mit deiner Gunst,

Dein Licht sei unsre Weihnachtswonne

Und lehre uns die Weihnachtskunst,

Wie man im Lichte wandeln soll

Und sei des Weihnachtsglanzes voll.

 

Amen.

 

Titus 2,11-14: Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und züchtigt uns, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt  und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsers Heilandes Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben bat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das fleißig wäre zu guten Werken.

 

    „Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis: Gott ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt von der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.“ So Geliebte, predigt der große Heidenapostel in seinem ersten Brief an Timotheus, Kap. 3,16, von der heute vor über 2024 Jahren geschehenen Menschwerdung Gottes. Aber ist es etwas anderes, was wir jetzt so eben von ihm aus seinem Brief an Titus vernommen haben? Ist doch derselbe gleichsam wie eine Auslegung und Anwendung jener Worte von dem kündlich großen Geheimnis der Gottseligkeit und darum mit sicherem Takt zur eigentlichen Epistel für den Hauptgottesdienst des Weihnachtsfestes von der alten Kirche erwählt, gleichwie das für denselben bestimmte Evangelium die Geschichte der Offenbarung Gottes im Fleisch verkündigt, die da geschehen ist zu Bethlehem und die der HERR dort durch die Engel den Hirten und dann durch sie und von ihnen an durch eine Wolke von Zeugen und kundgetan hat.

    ….[31] Hernach hat der menschgewordene Heiland in einer großen Feier- und Freudenstunde ausgerufen: „Ich preise sich, Vater und HERR Himmels und der Erden, dass du solches den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen offenbart. Ja, Vater, denn es ist so wohlgefällig gewesen vor dir.“ Matth. 11,25.26. Und als ihm bei seinem Einzug in Jerusalem nicht nur der Mund der von den werk- und wissensstolzen Pharisäern und Schriftgelehrten für unmündig in geistlichen Dingen erachteten Jünger, sondern auch der Mund der unmündigen Kinder mit laut schallender Stimme ein Hosianna um das andere zujauchzte und jene stolzen sich darüber voll Entrüstung aufhielten, antwortete er: „Habt ihr nie gelesen: Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du Lob zugerichtet.“ (Matth. 21,16; Ps. 8,3.) Eine feine Sitte von sinniger Bedeutung daher, mag man in christlicher Freiheit mit einem Kindergottesdienst das Fest einleiten oder schließen. Es ruft uns dann dieselbe auch das gar nachdrücklich zu: „Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.“ (Matth. 18,3.) Es bleibt ja alles predigen von diesem Geheimnis auch durch den Mund eines Mannes von großer Gelehrsamkeit und Beredsamkeit nur Kindeslallen. Genug, wenn es dann aus einem Kinderherzen erschallt und mit einem Kinderherzen gehört wird.

    O, so möge Gott mir und euch jetzt euch ein Kinderherz geben, wenn ich besonders mit einem Kindesmund von diesem Geheimnis so lalle, dass ich in jene Worte des Paulus das Thema meiner Predigt fasse und dieses mit unserer Epistel auslegen oder auszustreichen versuche.

 

Die Offenbarung Gottes im Fleisch als das kündlich große Geheimnis der Gottseligkeit

 

    In diese apostolischen Worte fasse ich den mein Thema und zeige nach unserer Epistel diese Offenbarung Gottes

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Als das kündlich große Geheimnis, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Als das Geheimnis der Gottseligkeit

 

1.

    1. Nachdem Gott auf mancherlei Weise den Vätern erschienen ist und zu ihnen geredet hat, so ist er zuletzt im Fleisch erschienen, d.i. das ewige, wesentliche Wort ist Fleisch, der eingeborene Sohn vom Vater voller Gnade und Wahrheit ist Mensch geworden. Ja, geworden, denn nicht ist er in der Gestalt eines menschlichen Pilgers, wie dem Abraham, oder eines Gerüsteten, wie dem Gideon oder überhaupt in einer Menschengestalt bloß erschienen, wie der Heilige Geist für einige Augenblicke in Taubengestalt am Jordan sich sehen ließ, sondern er hat eine Menschengestalt angenommen, die Fleisch und Blut hat mit einer vernünftigen Seele; der ewige Gottessohn hat mit der menschlichen Natur persönlich und unzertrennlich sich vereinigt. Und so ist er auf Erden erschienen. O Erscheinung über alle Erscheinung, o Offenbarung über alle Offenbarung, o Geheimnis über alle Geheimnisse! „Denn was von der Welt her verborgen war, ist heute erschienen und ein neues Licht seiner Herrlichkeit hat unsere Augen erleuchtet. Sichtbar im Fleisch wir Gott schauen“, rufen wir mit der Kirche in der heutigen Festpräfation und bekennen voll Freude mit dem heiligen Johannes: „Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit.“ Aber unser Staunen wächst, das Wunder, das Geheimnis erreicht seine höchste Stufe, wenn wir nach Bethlehem blicken. Dort liegt ein neugeborenes Knäblein, geboren von der zwar aus dem Haus und Geschlecht Davids stammenden, aber dem armen Zimmermann verlobten Jungfrau Maria. Es lieg tim Stall, weil man für das arme Paar keinen Raum in der allgemeinen Herberge und noch weniger in einer der Wohnungen Bethlehems hatte. Es liegt in Windeln gewickelt in einer Krippe auf Heu und auf Stroh. Und dieses in der tiefsten Armut und Niedrigkeit geborene Knäblein ist niemand anderes als Gott, offenbart im Fleisch!

    Aber eben darum predigt auch unmittelbar nach der Geburt dieses Knäbleins der Engel den Hirten: „Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids.“ Und eben darum, weil die Offenbarung Gottes in solcher Weise geschehen ist, sagt unsere Epistel: „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes.“

    Meine teuren Zuhörer! Gott hat nicht bloß Liebe, sondern er ist die Liebe; er ist ein großes, tiefes, unergründliches, wallendes Meer von eitler Liebe. Wenn nun diese Liebe herausbricht aus seinem göttlichen Herzen und tut der Kreatur in allerlei Segnung wohl, so nennen wir die Liebe ich ihrer Äußerung Güte. Güte war es z.B., dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild und zu seiner Gemeinschaft schuf. Wenn ferner Gott des Menschen Not und Elend sich zu Herzen nimmt und errettet und hilft ihm so nennen wir diese Erweisung der Liebe Gottes Erbarmen. Wenn aber die Liebe Gottes in Güte und Erbarmen sich gegen solche erweist, welche ihrer gar nicht einmal wert sind, sondern die vielmehr das Gegenteil verdient haben, nämlich statt Liebe Zorn und Verdammnis, so nennen wir das Gnade. Gnade ist daher die Erweisung der Liebe Gottes gegen die Sünder, gegen die Gottlosen und Boshaften, welche das Gegenteil der Liebe sind, nämlich Gottes Feinde.

    Aber, Geliebte, dass Gottes Gesinnung gegen das abgefallene, rebellische Sündergeschlecht immer noch Liebe sei und Gnade für Recht ergehen lasse wolle und werde und unbeschadet seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit auf das herrlichste ergehen lassen könne, welcher Mensch, ja, welcher Engel konnte das wissen oder erdenken! Seht da ein Geheimnis des Gnadenrates Gottes zur Erlösung des menschlichen Geschlechts, der seinen Ursprung in den Tiefen der Ewigkeit schon vor Grundlegung der Welt hatte, und den wir nun heute zuerst in Bethlehem, in der Krippe, erscheinen sehen, bis die in diesem Heiland erschienene heilsame, rettende Gnade am allerhöchsten dort auf Golgatha und am Kreuz erscheint, daher denn auch der teure Apostel in unserem Text noch das Kreuz neben die Krippe stellt, indem er dem Hinweis auf die bevorstehende Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus hinzufügt: „Der sich selbst für uns gegeben hat.“ Ja, darum ist Gott offenbart im Fleisch, darum hat er durch die Geburt von einer Frau menschliche Natur angenommen, darum hat er sich schon gleich bei seiner Erscheinung im Fleisch so tief erniedrigt, damit er uns in solchem Stand mit seinem Gehorsam und Leiden erlösen könnte, welches bei stetigem völligen Gebrauch seiner Herrlichkeit nicht hätte geschehen können.

    Darum, o großes Geheimnis nicht nur der Allmacht, durch welche Gott Mensch wird, geboren von einer Frau, nicht nur der Weisheit, durch welche er hier einen Weg fand, seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit zu genügen, sondern auch seiner Liebe, seiner Gnade. „So hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Es ist erschienen, es ist leibhaftig geworden „die heilsame Gnade Gottes“.

    2. Und ist erschienen „allen Menschen“, denn „kündlich groß ist das gottselige Geheimnis: Gott ist offenbart im Fleisch.“ Mit diesem Geheimnis ist’s ja nicht, wie mit den sogenannten Logengeheimnissen, die man hinter verschlossenen und bewachten Türen und nach Abnahme eines schauerlichen Eides oder eines eideskräftigen Versprechens nur den Eingeweihten mittteilt, und die meist dann geringfügige, ja, läppische und kindische Dinge betreffen, deren sich schon ein verständiger Mensch schämen sollte. Nein, weil dieses Geheimnis die Seligkeit aller Menschen betrifft und weil dabei Gottes Gnadenrat dahin geht, dass alle, die an den für uns Mensch gewordenen und in den Tod des Kreuzes dahingegebenen Gottessohn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben, so musste die heilsame Gnade allen Menschen erscheinen, und zwar auf dem Weg, dass Gottes Gnadenrat und Gnadentat allen Menschen kund würde. Das ist denn auch vor der leibhaftigen Erscheinung der Gnade dadurch stufenweise geschehen, dass Gott schon im Paradies vor dem gefallenen Menschenpaar redete von dem Weibessamen, welcher der Schlange den Kopf zertreten würde und hernach dann den Vätern und durch die Propheten solche Verheißung und Weissagung immer deutlicher und immer reicher widerfahren ließ. Und vollends ist es geschehen bei und nach erfolgter Offenbarung Gottes im Fleisch. Denn bei derselben predigen dies Geheimnis die Engel und die Hirten und nach denselben die heiligen Apostel durch die Verkündigung des Evangeliums nicht bloß unter den Juden, sondern auch unter allen Heiden. So, im Wort also, ist die heilsame Gnade Gottes allen Menschen erschienen und erscheint ihnen fort und fort – hier in der Christenheit und draußen in der Heidenwelt.

    O, hört es, Geliebte: „Allen Menschen“ ist die heilsame Gnade Gottes in der Menschwerdung seines Sohnes erschienen. Die heilsame Gnade ist in ihrem Ursprung, ihrer Erweisung, ihrer Erscheinung eine allgemeine Gnade, von der selbst diejenigen auf Gottes Seite nicht ausgeschlossen sind, die trotzdem verloren gehen. Weil Gottes Sohn aller Menschen Natur angenommen hat, so bringt die Gnade im Wort und seinen Siegeln, Taufe und Abendmahl, noch allen Menschen das Heil, so soll nach der Absicht der Gnade kein einziger Mensch verloren gehen, auch der größte Sünder und lasterhafteste Mensch nicht, sondern jeder Mensch selig werden, so dass die Hölle eigentlich nur für den Teufel und seine Engel vorhanden wäre. Sie erscheint daher auch jetzt wieder in dieser Predigt und in allen Predigten zu diesem Fest auch euch, meine Lieben. Sie möchte jeden unter euch umfangen, erretten, selig machen – auch den, welchem sie schon so viele Jahre vergeblich erschienen ist.

    Doch widerstrebe keiner dieser Gnade mutwillig und beharrlich; denn so mächtig sie bei ihrer Allgemeinheit und in ihrer Heilsamkeit auf jedes Menschenherz eindringt, so soll und will sie doch nicht unwiderstehlich wirken. So gewiss „der Mensch sich weder zur göttlichen Gnade bereiten, noch, wenn sie ihm angeboten wird, dieselbe annehmen“ kann, so gewiss kann auch der Mensch durch seinen eigenen bösen Willen und des Teufels Verblendung gegen die heilsame Wirkung dieser Gnade sich selbst verschließen und verhärten und so trotz der Dahingabe des eingeborenen Sohnes durch eigene Schuld verloren gehen. Seht, Geliebte, daher kommt’s, dass so viele Menschen mit sehenden Augen nicht sehen und mit hörenden Ohren nicht hören, dass gerade den Weisesten und Klügsten dieser Welt die Offenbarung Gottes im Fleisch ein verschlossenes Geheimnis bleibt, und den einen eine Torheit, den anderen ein Ärgernis ist, obwohl dies Geheimnis, so groß und unerforschlich es auch immer bleibt, doch ein kündliches Geheimnis ist, das Gott in aller Welt ausrufen lässt und das gläubige und seligmachende Verständnis desselben denen erschließt, welche das Wort aufnehmen, und zwar so, dass auch die Unmündigen Gottes süße Wundertat erkennen und zu preisen vermögen.

    Wohl darum jeden unter uns, der heute aufs Neue oder endlich das Wort annimmt. Er erblickt in dem Kindlein zu Bethlehem nicht nur den im Fleisch offenbarten Gott, sondern auch in demselben die Erscheinung der heilsamen Gnade und der Freundlichkeit und Leutseligkeit desselben. An der Krippe stehend und im Anblick dieses Kindleins kann er an der Hand dieses Geheimnisses einen Blick auch in die Tiefe dieses Geheimnisses tun. Er wird dann anbetend sprechen:

Es jammert Gott von Ewigkeit

Mein Elend übermaßen.

Er dacht an sein Barmherzigkeit

Und wollt mir helfen lassen.

Er wandt zu mir sein Vaterherz,

Es war fürwahr bei ihm kein Scherz,

Er ließ sein Bestes kosten.

    Aber er wird dann auch bald wieder zur Krippe zurückkehren und aufs neue seinen miterlösten Brüdern zurufen:

Nun freut euch, liebe Christen gmein,

Und lasst uns fröhlich springen,

Dass wir getrost und all in ein

Mit Lust und Liebe singen,

Was Gott an uns gewendet hat,

Und seine süße Wundertat.

Gar teur hat er’s erworben.

 

2.

    Das , Geliebte, ist das große und zugleich kündliche Geheimnis, in das die Engel gelüstete zu schauen und das wir zwar nicht mit unserer Vernunft begreifen, wohl aber durch die Wirkung des gepredigten Wortes mit unserem Glauben ergreifen können. Da findet sich’s dann auch im Werk, dass das Geheimnis der Menschwerdung das Geheimnis der Gottseligkeit sei, denn die erschienene heilsame Gnade „züchtigt uns, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt  und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsers Heilandes Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben bat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das fleißig wäre zu guten Werken.“ Hören wir davon nun zweitens.

    Uns verlorene und verdammte Sünder vom Zorn Gottes und Fluch des Gesetzes, vom Tod und der Gewalt des Teufels zu erretten und selig zu machen, dazu ist ja freilich zunächst die Gnade in der Offenbarung Gottes im Fleisch leibhaftig erschienen. Eben darum heißt sie ja die „heilsame“ Gnade. Aber, Geliebte, sollte sie uns selig machen können, während wir noch in unserem alten gottlosen Wesen verharren, in unserer Liebe zur Sünde und im Tun und Wandel in der Sünde? Sollte die heilsame Gnade allen Menschen in all ihrer Größe und Herrlichkeit dazu erscheinen, damit sie dieselbe desto mehr auf Mutwillen ziehen? Oder sollte das wohl ein Leben in ewiger Freude und Seligkeit sein, dass die Menschen ihr gottloses Wesen und Leben auf Erden droben im Himmel fortsetzten, ja, immer ärger trieben, ihre Feindschaft gegen Gott, ihr Fluchen und Lästern, und untereinander ihren Hass und Neid, Zank und Streit, Schlagen und Morden, Huren und Saufen, Stehlen und Betrügen, Lügen und Verleumden? Nein, Geliebte, das wäre dann kein Himmel mehr, sondern eine zweite Hölle. Soll ferner die heilsame Gnade uns in den Himmel bringen wollen und können, ohne dass wir andere Menschen zu werden brauchten und uns zu der verlorenen Gemeinschaft mit Got5t gänzlich zurückführen können, ohne dass auch zugleich das verlorene Ebenbild Gottes in und an uns wieder hergestellt würde? Muss nicht vielmehr auf die Erlösung vom Fluch der Sünde und Zwang des Gesetzes auch die Erlösung von der Herrschaft der Sünde und die Lust und Liebe zu Gottes Gesetz, muss also nicht auf die Rechtfertigung die Heiligung notwendig folgen? So ist es. Das große Geheimnis der Offenbarung Gottes im Fleisch ist zugleich auch das Geheimnis der Gottseligkeit. Die erschienene Gnade ist nicht allein eine heilsame, eine seligmachende Gnade, sondern auch eine züchtigende, eine zur und in der Heiligung des Geistes und des Leibes erziehende Gnade. Ja, auch dazu ist Gottes Sohn gerade in der Weise Mensch geworden, dass er durch die Geburt von einer Frau ein Glied der Menschenfamilie wäre, um nicht nur als deren erlösender Stellvertreter im göttlichen Gericht anerkannt werden zu können, sondern auch, um so ein neues Leben in die durch und durch verdorbene Menschenfamilie hineinzupflanzen. Und das ist denn auch die Ursache, warum seiner Erscheinung im Fleisch die Erscheinung im gepredigten Wort vorherging, sich durch die Engel- und Hirtenpredigt alsbald ihr beigesellte und ihr nun in der Predigt des Evangeliums nachfolgt bis ans Ende der Tage; denn durch die Erscheinung im Wort muss der Glaube gewirkt werden, dass er die Gnade und den Gnadenbringer ergreife und indem er das tut, macht er als ein göttliches Werk in uns auch zugleich aus uns ganz andere Menschen von Herz, Mut, Sinn und allen Kräften.

    Aber das ist nun eben wieder das Geheimnis, dass die heilsame Gnade auch eine züchtigende Gnade ist und dass man allein, aber in Wahrheit durch die Zucht oder Erziehung der Gnade ein anderer, ein gottseliger Mensch wird. Es ist die Erscheinung der heilsamen Gnade ein Geheimnis der blinden Papisten, denn die legen der Gnadenpredigt zur Last, dass sie die Menschen lässig mache in guten Werken, während doch der Apostel hier ausdrücklich sagt, durch sie reinige sich Christus „ein Volk zum Eigentum, das da fleißig wäre zu guten Werken“. Es ist ein Geheimnis den Schwärmern, welche der rechten Predigt vom Glauben nachsagen, dass sie in Sünden sichere Leute mache und die deshalb Gesetz und Evangelium, Rechtfertigung und Heiligung ineinander mengen, da doch der Apostel vielmehr sagt, sie züchtige uns, „dass wir sollten verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt“. Es ist aber auch ein Geheimnis vielen sogenannten Lutheranern, denn die einen wollen trotz allem Hören der reinen und reichen Gnadenpredigt doch noch immer mit Werken zum Seligwerden umgehen und aus eigenen Kräften fromm werden und die anderen machen wirklich die große Gnade Gottes in Christus in ihrer Sündenliebe oder in ihrem Mammonsdienst zu einem Sündenpolster und den Mensch gewordenen und gekreuzigten Heiland zu einem Sündendiener. Ja, auch selbst denen, welche in der Zucht der heilsamen Gnade stehen, bleibt  diese insofern ein Geheimnis, insofern es eben eine Zucht der Gnade und zwar der freien Gnade ist, dass sie ihnen erschien, nicht, da sie einen kleinen Anfang der Besserung gemacht haben, sondern ehe sie diesen Anfang machten, da sie ihnen so erschien wie dem Schächer, da er schon am Kreuz hing und ihm von seinem schuldbeladenen Verbrecherleben nur noch eine Spanne übrig war, oder wie dem Saulus, da er schnaubend vor Wut und dürstend nach Christenblut wie ein reißendes Tier dahinzog. Es ist und bleibt ihnen ein Rätsel, dass die Gnade im Werk der Bekehrung anfangen, mitteln und vollenden muss und doch, dass so viele ohne Bekehrung dahin gehen und verloren werden, die doch bei gleicher Verderbnis von Adam her die gleiche bekehrende und seligmachende Predigt von Christus hören, – ein Geheimnis freilich, darin sie nicht grübeln, sondern davor sie nur um so demütiger anbeten und die geschenkten Kräfte dieser Gnade nebst den Mitteln der Gnade nur umso gewissenhafter gebrauchen, damit sie dieselbe nicht wieder verlieren, sondern vielmehr ihren Beruf und Erwählung fest machen.

    Tun wir denn nun an der Hand unserer Epistel einen Blick in die Arbeit dieser züchtigenden Gnade bei denen, welchen sie nicht vergeblich als eine heilsame Gnade erschien, sondern welche durch sie zum Glauben und durch diesen Glauben zum Anfang einer wahren Bekehrung gekommen sind. Wie nun das Werk der Erneuerung unter der Zucht der Gnade fortgeht, das ist’s, was wir nun hören werden.

    Die heilsame Gnade züchtigt oder erzieht uns vor allem, „dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste“. Gott nicht fürchten, lieben und vertrauen, ihn nicht ehren und ihm glauben, ihm sich nicht ergeben und ihn einen Gott sein lassen, sondern sich vielmehr seiner Weisheit, seiner Gnade, seiner Tugend und Vortrefflichkeit rühmen, das ist das ungöttliche Wesen. Zu diesem ungöttlichen Wesen gehören daher alle die selbsterdachten Wege und Mittel, da der Mensch sich selbst helfen will ohne Gott und sind diese Wege und Mittel die ganze Werkerei und Möncherei im Papsttum, die Gesetzestreiberei und die Vieltuerei der Schwärmer, die auf Menschenhilfe bauenden Verbindungen, an denen diese Zeit des allgemeinen Abfalls so reich ist und immer reicher wird, vornehmlich das ganze Logenwesen und wodurch sonst der Mensch teils zur Gesittung und zum Wohltun besser angeleitet werden soll, als es bisher dem Christentum möglich war, teils besser vor Not geschützt werden soll, als es bisher unter der Regierung Gottes geschehen ist. Zu den weltlichen Lüsten aber gehört nicht allein Fressen und Saufen, das Huren und Buben, sondern auch die Prachtliebe und Modenarrheit, die mancherlei Lustbarkeiten der gottfremden Welt, namentlich das heutige Ball- und Theaterwesen, Spiele an Apparaten und im Internet, überhaupt die Handysucht – und eines vor allem nicht zu vergessen: das Reichwerdenwollen.

    Wenn nun der Apostel sagt, die heilsame Gnade züchtige uns, das wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, so gibt er damit allerdings nur zu deutlich zu verstehen, dass auch noch im Stand der Bekehrung das verderbte Herz nur allzu sehr Hang und Neigung zu dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Lüsten hat und fühlen lässt. Oder wozu bedürfte es, dieselben zu verleugnen? Verleugnen heißt ja, denselben absagen, sie nicht mehr kennen, nichts mehr mit ihnen zu tun haben wollen. Zu solchem Verleugnen nun aber erzieht uns eben die heilsame Gnade. Schon da sie uns zum Glauben gebracht hat, haben wir angefangen,  mit dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Lüsten entschieden zu brechen, wie man das an jedem Menschen alsbald wahrnehmen kann, der einen rechtschaffenen Anfang der Bekehrung gemacht hat. Aber sie erzieht uns, dass wir das fort und fort und dass wir das immer besser tun, indem sie uns nach dem neuen Menschen das ungöttliche Wesen außer uns und in uns immer tiefer erkennen und immer herzlicher verabscheuen lässt, dass wir dann auch in Verleugnung desselben des Teufels und der Welt Feindschaft nicht scheuen, desgleichen auch, dass die heilsame Gnade uns Kraft gibt, die weltlichen Lüste zu dämpfen und deshalb auch immer mehr in das so heilsame Kreuz uns zu finden, als durch welches der äußerliche Mensch verwest, damit der innerliche von Tag zu Tag erneuert werde. Dazu aber uns ein lustiges, williges Herz zu machen, reizt uns die heilsame Gnade in ihrer ersten Erscheinung selber. Da steht, auch wenn Weihnachten längst vorüber ist, vor uns immer wieder die Liebe, die den Himmel zerrissen und sich in das Jammertal niedergelassen, die, obwohl göttlicher Gestalt, sich selbst entäußert und Knechtsgestalt angenommen und für den Himmelsthron die Krippe und das Kreuz um unseretwillen erwählt hat. Da kann’s dann nicht fehlen, dass die innige, dankbare Liebe immer mehr dein Herz ergreift, durch welche du alles meiden und leiden kannst und nach deinem immer zarter werdenden Gewissen alsdann stets fragst, was dein Jesus jetzt sagt und ob es seinem heiligen Wort zuwider und deiner Seele schädlich ist? Und wenn es dann irgend heißt, das gefällt ihm nicht, oder wenn es dir sogar zweifelhaft wird, ob es ihm gefällt, so verleugnest du es.

    Indem uns nun so die heilsame Gnade zur Scheidung von dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Lüsten erzieht, geht ihre Arbeit auf der anderen Seite dahin, dass wir „züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus.“ Sie erzieht uns, dass wir züchtig leben, d.i. mitten unter einem verkehrten und ungeschlachtenen Geschlecht als solche leben, die ihren Leib und Seele für Gott geheiligt ansehen und die daher auch nüchtern bleiben nicht bloß in Bezug auf Essen und Trinken, sondern auch in Bezug auf alles, was die Sinne benebelt und die Seele im Gebrauch dieser Welt trunken macht. Die heilsame Gnade erzieht uns ferner, dass wir in dieser Welt, in der die Ungerechtigkeit überhand nimmt und darum auch die Liebe in vielen erkaltet, gerecht leben im Handel und Wandel, im Kaufen und Verkaufen, im Leihen und Wiederbezahlen, im Reden und Urteilen. Sie erzieht uns weiter, dass wir trotz überhandnehmender Gottentfremdung der Menschen in wahrer Buße und rechtem Glauben gottselig leben, d.i. Gottes, seiner Güte und seines Vergnügens voll, da man in Gott genug hat, wie Jakob, und nur in einem nicht genug bekommt, nämlich im Hören und Lernen seines seligmachenden Wortes. Und endlich erzieht sie uns, dass wir warten auf die Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus, auf seine andere Erscheinung, die da nicht geschieht in so tiefer Niedrigkeit, sondern in aller Herrlichkeit seiner Gottesgestalt, mit der dann auch unsere völlig Erlösung erscheint, und mit ihr sein Lohn und unsere Herrlichkeit, da wir ihm werden gleich sein, denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Da geht dann auch dieser Welt unser Weg himmelan, da haben wir unseren Wandel schon im Himmel – und über eine Weile, so ist er dann und nimmt uns zu sich durch einen seligen Tod, noch ehe er kommt, oder nach Leib und Seele, wenn er kommt.

    So ist denn also, Geliebte in dem HERRN, das kündlich große Geheimnis der Offenbarung Gottes im Fleisch auch das Geheimnis der Gottseligkeit, „da sie alle von Einem kommen, beide, der da heiligt und die geheiligt werden. Darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu heißen“ (Hebr. 2,11). Dass wir durch ihn, der durch seine Offenbarung im Fleisch menschlichen Geschlechtes geworden ist, dass wir durch seine Heiligung immer mehr göttlichen Geschlechts werden, das ist dann der durch die Erscheinung der heilsamen Gnade uns geschenkte Adel, unsere wahre Menschenwürde, und zugleich der andere und letzte Zweck seiner Erscheinung im Fleisch, indem er sich selbst für uns gegeben hat, dass er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das da fleißig (d.i. eifrig) wäre zu guten Werken“ besonders in den Werken unseres Berufs und Standes hienieden, wie dies der Zusammenhang unserer Epistel mit den vorausgehenden Worten zeigt.

     Halleluja! Denn „das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“. Welche ihn nun aufnehmen, denen gibt er heute noch „Macht, Gottes Kinder zu werden, die an seinen Namen glauben, welche nicht von dem Geblüt noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind“. O, so lasst uns ihn aufnehmen, der heute wieder durch Wort und Sakrament als die heilsame Gnade uns erscheint, so werden wir heute und immer mehr, wenn auch in Schwachheit, uns sein mit allen Engeln freuen, bis wir dort mit verklärten Lippen, in höchster Vollkommenheit und in alle Ewigkeit inmitten der Menge der himmlischen Heerscharen und der Auserwählten singen: „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Amen.

 

 

Epistelpredigt zum ersten Christfesttag ueber Jesaja 9,2-7: Worauf wird durch Jesajas prophetische Verkuendigung der Geburt Christi unser Blick am heutigen Fest vornehmlich gerichtet?

 

Lied: Lobt Gott, ihr Christen all zugleich

 

    Dies ist der Tag, den du, o HERR, uns gemacht hast, der Tag der Menschwerdung deines eingeborenen Sohnes, unseres einigen Heilandes. O verleihe durch deinen Heiligen Geist, dass auch wir uns dieser heilsamen Geburt darin freuen und deshalb in den Lobgesang der Heerscharen einstimmen und mit ihnen rühmen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Amen.

 

Jesaja 9,2-7:  Das Volk, so im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über die da wohnen im finsteren Land, scheint es helle. Du machst der Heiden viel, damit machst du der Freuden nicht viel. Vor dir aber wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast das Joch ihrer Last und die Rute ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie zur Zeit Midians. Denn aller Krieg mit Ungestüm und blutig Kleid wird verbrannt und mit Feuer verzehrt werden. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewig–Vater, Friedefürst, damit seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich, dass er’s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.

 

    In dem menschgewordenen Gott und Heiland, herzlich Geliebte! Es sind nun über 2700 Jahre her, dass die jetzt verlesene Weissagung des Propheten Jesaja geschehen ist. Aber welcher Christ könnte auch nur einen Augenblick im Zweifel oder im Unklaren darüber sein, dass deren Erfüllung vor mehr als 2000 Jahren bereits stattgefunden hat? Wer wüsste nicht, dass das Kind, das uns geboren, der Sohn, der uns gegeben ist, dessen Herrschaft auf seiner Schulter liegt und der da heißt Rat, starker Gott, Ewigvater, Friedefürst, dasselbe Kind ist, das dort in der Krippe zu Bethlehem liegt und von dem der Engel den Hirten predigt: „Fürchtet euch nicht, siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids.“ Weissagt doch auch Jesaja mit so klaren und eigentlichen Worten, als stünde er bereits an der Krippe und wäre Hörer der Predigt des Engels und des Lobgesangs der himmlischen Heerscharen, ja auch schon Zeuge der Auferstehung und der Himmelfahrt des menschgewordenen Heilandes. Wie herrlich wird darum hier die Weissagung und die Erfüllung entsiegelt und besiegelt und andererseits die Erfüllung durch die Weissagung bestätigt und verklärt. Gerade bei dieser herrlichsten der Weissagungen Jesajas trifft das Wort des alten Hieronymus so recht zu: „Was wir in dem Alten Testament lesen, das finden wir auch in dem Evangelium; und was in dem Evangelium gelesen wird, das ist aus dem Alten Testament hergenommen; in dem Alten ist das Neue und in dem Neuen ist das Alte.“

    Sei uns denn am heutigen Fest diese Epistel der Christmette ein rechtes Weihnachtsevangelium, das uns durch die Erfüllung die bereits vor über 2025 Jahren geschehene heilsame Geburt noch näher rückt als dem Propheten, da er sie 700 Jahre zuvor im Geist als gegenwärtig erblickt hat.

 

Worauf wird durch Jesajas prophetische Verkündigung der Geburt Christi unser Blick am heutigen Fest vornehmlich gerichtet?

 

    In der Antwort auf diese Frage bestehe mein diesjähriges Festzeugnis. Es wird nämlich heute unser Blick auf zweierlei gerichtet:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Auf den Zustand der Welt unmittelbar vor und nach dieser Geburt; und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Auf den Heiland selbst, welcher der Welt durch diese Geburt geworden ist.

 

1.

    Auf den Zustand der Welt unmittelbar vor Christi Geburt richtet der Prophet unseren Blick zunächst, wenn er ausruft: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über die da wohnen im finsteren Land, scheint es hell.“ Wir wollen diesen Blick gerade am heut5igen Fest tun, da er uns zeigt, dass es die höchste, aber auch die rechte Zeit war, dass Christus, der Verheißene, geboren wurde.

    Der Zustand wird von dem Propheten als ein Zustand der Finsternis und des Dunkels bezeichnet, wie er auch nachher im 60. Kapitel ausruft: „Siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker.“ Das „Volk, das im Finstern wandelt“ und die „so im dunklen Land wohnen“ sind, wie wir dies aus Matthäus 4 ersehen, Juda und Israel, samt den Heiden Galiläas und über seine Grenzen hinaus, und überhaupt „der Umkreis der Heiden“, die Heidenschaft. Wandelte nun aber zur Zeit der Geburt Christi Israel in Finsternis, welches doch das Gesetz und die Verheißung hatte, wie müssen erst die Länder der Heiden ein „Ort und Schatten des Todes“ gewesen sein! Schrift und Geschichte zeigen es auch genügend.

    Zwar war die ganze damalige Welt durch Augustus unter Ein Zepter vereinigt. Dazu war ein allgemeiner Weltfriede eingetreten; Handel und Wandel blühte, Kunst und Wissenschaft, Gesetzgebung und Staatsweisheit hatten die höchste Stufe erreicht. Aber das alles war doch nur ein glänzendes Elend. Umso dunkler und finsterer sah es in geistlicher und sittlicher Beziehung aus. Gerade jetzt hatte die heidnische Religion mit ihrer von den Dichtern so sinnreich ausgeschmückten Götterlehre völlig Bankrott gemacht. Das gemeine Volk war in den krassesten Aberglauben versunken und die Vornehmen und Gebildeten glaubten gar nichts mehr, sondern fragten wir Pilatus spöttisch: Was ist Wahrheit? Bedienten sich aber dabei doch der Wahrsager und Zeichendeuter, wie z.B. der große Kaiser Augustus, der ebenso ungläubig wie abergläubisch war. Umso größer war der Sittenverfall. Welch eine Schilderung desselben gibt uns Paulus Röm. 2! Auch selbst die heidnischen Schriftsteller jener Zeit entrollen ein grauenvolles Bild: Alles sei voll Verbrechen, ein ungeheurer Streit der Verworfenheit werde gestritten; tagtäglich wache die Lust zur Sünde, tagtäglich weiche die Scham. Das war die Finsternis und der Todesschatten, der die Heidenwelt zur Zeit der Geburt Christi bedeckte.

    Und auch die Juden wandelten in Finsternis. Das zeigen uns die Evangelien. Die Pharisäer und Schriftgelehrten legten das Gesetz und die Propheten falsch aus und machten so alles voll Selbstgerechtigkeit und falscher Messiashoffnung. Die Vornehmen waren zum Teil Sadduzäer, die weder Engel, noch Teufel, noch eine Auferstehung glaubten, bildeten also die aufgeklärte und freisinnige Partei, ähnlich den heutigen Reformjuden; das junge Volk aber nahm viel Heidnisches in seine Denk- und Handlungsweise auf, verweltlichte also immer mehr. Wie weit musste doch das Volk Gottes in Blindheit und Finsternis geraten sein, dass der größte Teil seinen Messias nicht kannte, als er kam, und dass man ihn, nachdem er drei Jahre lang sich mächtig in Taten und Worten unter seinem Volk erwiesen hatte, verwarf und an das Kreuz schlug!

    Meine Lieben! Dass durch Überhandnehmen des Unglaubens und der Spötterei, des Aberglaubens und der falschen Lehre, der Sicherheit, Gottlosigkeit und Ruchlosigkeit der Zustand der heutigen Welt immer schrecklicher, immer unerträglicher wird, je näher der Tag der sichtbaren Wiederkunft des vor über 2000 Jahren erschienen Weltheilandes rückt, wird heutzutage von allen Christen genug gefühlt und beseufzt; selbst nachdenkende nüchterne Weltleute meinen, dass es mit der Welt nicht lange mehr so fortgehen kann. Nun, so war es auch mit dem Zustand der Welt vor der ersten Ankunft Christi. Die wenigen Gläubigen in Israel seufzten immer ängstlicher: „Ach, dass die Hilfe aus Zion käme!“ Selbst verständige Heiden erklärten: Bei einem zustand der Fäulnis und der Zersetzung in religiöser und sittlicher Beziehung könne die Welt trotz alles äußerlichen Glanzes nicht weiter bestehen. Wenn nicht einer der Götter vom Himmel käme, gäbe es weder Hilfe noch Rat, dem Verderben zu steuern. Es war also die höchste Zeit, dass Christus, dass ein Heiland geboren wurde.

     Eben damit war es auch die rechte Zeit. Ach, es ist ja heute noch so, dass ein Mensch nicht eher an diesen Heiland denkt, als bis er entweder mit aller Weisheit und Gerechtigkeit zuschanden geworden oder auf den Weg des Verderbens in Sünde und Elend geraten ist, gleich dem verlorenen Sohn. So die ganze Menschheit. Auch sie musste dem verlorenen Sohn gleich werden, ehe Gott seinen ewigen Liebesratschluss ausführen und ihr einen Heiland geben konnte. Durch eine 4000jährige Erfahrung war die Welt endlich inne geworden, dass durch eigene Kraft und Weisheit das Heil nicht erlangt werden könne – nicht durch die versuchte Erfüllung des Gesetzes, wie das Judentum bewies, und nicht durch menschliche Bildung, Kunst, Wissenschaft und Staatsweisheit, wie das Heidentum zeigte. Das war auch der Grund, warum Gott nicht gleich den verheißenen Heiland senden konnte, warum er Israel 1500 Jahre sich unter dem Gesetz abmühen und noch viel länger die Heiden ihren eigenen Weg gehen ließ. Aber indem es so auf dem Weg eigener Kraft und Weisheit immer mehr abwärts ging, wurde durch die erziehende Weisheit Gottes die Erwartung eines Heilandes immer größer und allgemeiner. In Israel, wo man die Verheißung kannte, schaute man aus nach dem großen Davidssohn und besonders war es das kleine Häuflein wahrhaft Gläubiger, welches „auf den Trost Israels wartete“ und teils in Erinnerung uralter Hoffnungen, teils in Bekanntschaft mit Israel trug man sich selbst unter den Heiden zuletzt mit der bestimmten Erwartung, dass bald, und zwar aus Judäa, ein Weltherrscher kommen und das ersehnte goldene, das glückliche Zeitalter herbeiführen werde.

    Da endlich kam er Ersehnte, denn die Zeit war erfüllt. Er wurde geboren zur Zeit, da Kaiser Augustus seinen Schatzungsbefehl ausgehen ließ. Von seiner Geburt an wurde der Zustand der Welt ein anderer. Es wurde, wie es Jesaja 800 Jahre zuvor gesehen und verkündigt hatte.

   In dem Kind zu Bethlehem war das Licht der Welt, der Aufgang aus der Höhe erschienen. Nun hieß es von da an: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über die, so da wohnen im dunklen Land, scheint es hell.“ O, wie hat doch das kündlich große Geheimnis der Offenbarung Gottes im Fleisch die Welt erleuchtet und umgewandelt. Seit der heiligen Weihnacht ist es geworden, wie Luther singt:

Das ewig Licht geht da herein,

Gibt der Welt ein neuen Schein.

Es leucht wohl mitten in der Nacht

Und uns des Lichtes Kinder macht.

    Und nun kam auch durch solches Licht die Freude, die große Freude, die allgemeine Freude, die nicht bloß Israel, sondern allem Volk widerfahren sollte. „Du machst der Heiden viel“ sagt Jesaja. Das meint nicht: Du förderst das Heidentum, sondern: Du machst, dass die Heiden im Licht wandeln und in dem Glanz der über Israel aufgeht. Zwar muss Jesaja hinzusetzen: „Damit machst du der Freuden nicht viel“, denn das sich verstockende Israel ärgerte sich, dass durch das Licht des Evangeliums auch die Heiden gleicher Gnade teilhaftig wurden, aber umso mehr erfüllte sich unter den Heiden, die nun an Israels Stelle angenommen wurden, das Wort unseres Textes: „Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.

    Warum sollte auch nicht durch das in Bethlehem aufgegangene Licht Freude in das Jammertal gekommen sein? Ist doch durch die Geburt Christi jene Erlösung gekommen, die der Prophet als schon vollbracht im Geist erblickt und anspielend auf ein paar alttestamentliche Tatsachen in bildlicher Rede so schildert: „Denn du hast das Joch ihrer Last und die Rute ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie zur Zeit Midian. Denn aller Krieg mit Ungestüm und blutig Kleid wird verbrannt und mit Feuer verzehrt werden.“ Dass der Prophet auf die Erlösung aus der ägyptischen Dienstbarkeit anspielt als einem Vorbild der Erlösung durch Christus von allen unseren Sünden, vom Tod und der Gewalt des Teufels, sei aus Mangel an Zeit hier nur angedeutet und dem weiteren nachdenken empfohlen. Desgleichen auch die Anspielung auf die im Buch der Richter erzählte Befreiung vom Joch der Midianiter, da der Held Gideon mit einer Handvoll Leute und dem Schall der Posaunen die Feinde in die Flucht schlug und womit der Prophet von Christus besonders das verkünden will, was Dr. Luther so meisterlich in den bekannten Liedworten ausdrückt:

Gar heimlich führt er sein Gewalt,

Er ging in meiner armen Gstalt,

Den Teufel wollt er fangen.

Und wenn endlich der Prophet den durch Christus erworbenen und zustande gebrachten Frieden auf Erden so beschreibt: „Denn aller Krieg mit Ungestüm und blutigem Kleid wird verbrannt und mit Feuer verzehrt werden“ – so kommt es jeden alsbald an, mit der Kirche den himmlischen Heerscharen nachzusingen:

Ein Wohlgefalln Gott an uns hat,

Nun ist groß Fried ohn Unterlass,

All Fehd hat nun ein Ende.

 

2.

    Damit hat, wie zur Einleitung, der Prophet heute unseren Blick auf den Zustand der Welt unmittelbar vor und dann nach der Geburt Christi gerichtet. Nun aber kommt die Hauptsache, nun richtet er den Blick auf den Heiland selbst, der durch diese Geburt der Welt geworden ist, der Licht in die Finsternis und Freude in das Jammertal und Frieden auf Erden gebracht hat und es ist, als ob er allen Gläubigen seiner Zeit und allen Gläubigen in der Zukunft zuriefe:

Herbei, o ihr Gläubigen, fröhlich triumphierend

Kommet, o kommet nach Bethlehem!

Sehet das Kindlein, uns zum Heil geboren!

O lasset uns anbeten den König.

    Ach, Gott gebe euch die Ohren und die Herzen der Hirten von Bethlehem, wenn ich nun als Engel des HERRN Zebaoth aus der reichen, köstlichen, wunderbaren prophetischen Beschreibung dieser Geburt zu zeigen versuche, was uns durch diese für ein Heiland geworden ist und das umso mehr, da auch dies nur andeutungsweise geschehen kann. Denn so lautet die prophetische Verkündigung weiter: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewig–Vater, Friedefürst, damit seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich, dass er’s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.“

    Dass in fleischlicher Deutung dieser und anderer prophetischer Worte von dem Davidssohn auf Davids Thron und seinem Reich die Juden ein irdisches Messiasreich, also einen politischen Heiland, erwarteten und Christus darum verwarfen, weil er sich nicht als ein solcher erwies, ist bekannt. Das ist aber auch der Grund, warum heutzutage haufenweise Christen von ihm abfallen und sich zu den geheimen Gesellschaften schlagen, ja zum Teil selbst den gottesleugnerischen Träumern des Fleisches und blutdürstigen Umsturzmännern nachlaufen, die ihnen leibliche Freiheit und Glückseligkeit verheißen und den Glauben an Christus als das Haupthindernis der Volksfreiheit und Volkswohlfahrt hinstellen. Aber was wäre doch der Welt mit einem politischen Heiland geholfen! Abgesehen davon, dass leibliche Freiheit und Glückseligkeit in den Händen des natürlichen Menschen nur zum Unheil missbraucht wird und darum auch von kurzer Dauer ist: So ist im Genuss aller Fülle irdischen Glücks und der größten bürgerlichen Freiheit doch kein Sünder glücklich, so lange er nicht erlöst ist vom Fluch und Zwang des Gesetzes, von Sünde, Tod und Teufel. Nein, wir brauchen einen anderen Heiland. Wir brauchen einen Heiland, der uns von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels erlöste und den ganzen Fall Adams wieder gutmachte. Und ein solcher ist der Welt durch die Geburt jenes Jungfrauensohns aus Davids Geschlecht geworden, von dessen Empfängnis Jesaja schon im 7. Kapitel geweissagt hat, dessen Geburt er hier im 9. Kapitel verkündigt und dessen Person, Amt und Reich er zugleich beschreibt.

    „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“ Seht da den Heiland nach seiner Person geschildert. Er ist der Immanuel, der Gott mit uns. Ein neugeborenes Kind ist er nach der Menschheit, und der gegebene Sohn ist er nach der Gottheit; denn „so hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab“. Gott hat also keinen bloßen Menschen der Welt zum Heiland bestimmt; denn wenn er auch einen neuen sündlosen Menschen geschaffen und etwa wie Adam aus einem Erdenklos gebildet hätte, so hätte der zwar für seine Person keinen Heiland gebracht, aber er hätte auch eines anderen Heiland nicht sein können, auch nicht eines einzigen Menschen, geschweige aller Menschen, denn es kostet zu viel [, er hätte nicht für uns alle stellvertretend das Gesetz erfüllen können, da er dies ja für sich selbst hätte machen müssen]. Und aus demselben Grund hat er uns keinen Engel zum Heiland verordnet. Nein, zur Erlösung von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels mussten wir einen Heiland haben, der Gott und Mensch zugleich sein – Mensch, dass er für uns leiden und sterben könnte, Gott, dass er unsere Last zu tragen, Gott mich uns zu versöhnen und den Tod und Teufel zu überwinden vermochte. Und ein solcher ist Christus; denn er ist „wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren“. Das ist er seiner Person nach.

    Und nun hört, was der Prophet voll Entzücken von seinem Amt verkündigt. „Seine Herrschaft ist auf seiner Schulter.“ Wem man ein Amt überträgt, den bekleidet man nicht bloß mit einer Würde, sondern den belastet man auch mit einer Bürde. Diesem geborenen Herrscher aus Davids Stamm liegt die ganze Menschheit mit ihrer Sündenlast und mit ihrem Zornesfluch auf der Schulter. Und zwar ganz allein. Er hat dabei keinen Mitträger, keinen obersten Minister, keinen Statthalter wie ein weltlicher Fürst, der an des letzteren Regierungslast mitträgt, selbst seine gepriesene Mutter kann er hier nicht gebrauchen, sondern muss vielmehr zu ihr sprechen: „Frau, was habe ich mit dir zu schaffen?“ Er bedarf aber auch keines Mitträgers, denn er ist der Gottmensch. Dessen Schultern vermögen eine ganze Welt zu tragen. Und er hat die Last unserer Sünden weggetragen; er trägt die Welt auf seinem hohenpriesterlichen Herzen und spricht zu seinen Gläubigen: „Ich will euch heben und tragen bis ins Alter und bis ihr grau werdet. Ich will’s tun, ich will heben, tragen und erretten.“ (Jes. 46,4.)

    Dem entsprechend gibt der Prophet auch dem Immanuel fünf merkwürdige Namen. Das sind aber nicht Namen, wie unsere Namen sind, die ganz zufällig gegeben werden und nur dazu dienen, uns anzureden, weiter aber keine Bedeutung haben; sondern das sind Namen zur Bezeichnung seiner Person und seines Wesens, seines Amtes und seines Werkes. Er heißt „Wunderbar“, denn er ist seiner Person nach der Jungfrauensohn, empfangen vom Heiligen Geist, er ist das Kind, in dem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt, der Gottmensch, in dem Gottheit und Menschheit persönlich und unzertrennlich vereinigt ist; und sein Amt und Werk besteht darin, dass er durch Leiden des Todes mit Preis und Ehre gekrönt wird. Er heißt Rat, denn er hat Rat gewusst, die Welt zu erlösen und leitet seine Auserwählten nach einem ewigen, weisen, anbetungswürdigen, gegen alle Pforten der Hölle bestehenden Rat ist er der Mann, von dem es schon im Voraus heißt: „Er hat alles wohlgemacht“, wie wunderlich er auch seine Heiligen führt. Diesen seinen Rat aber durchzuführen, heißt er großer Gott, daher auch niemand seine Schafe ihm aus der Hand reißen kann, er ist der, der den über den Teufel durch Tod und Auferstehung errungenen Sieg durchführt bis alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße liegen, so dass seine vom Teufel, Welt und Fleisch angefochtenen Gläubigen rufen können:

Du bist dem Vater gleich,

Führ hinaus den Sieg im Fleisch,

Dass dein ewig Gottsgewalt

In uns das krank Fleisch enthalt.

Er heißt „Ewigvater“, denn er ist der andere und neue Adam, der allen, die an seinen Namen glauben, Macht gibt, Gottes Kinder zu werden, welche nicht von dem Geblüt, noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind und der, weil er lebt und regiert, ihnen ewig Vater bleibt und sie zu Miterben seiner Herrlichkeit macht. Und endlich heißt er „Friedefürst“, denn er ist unser Mittler, der Frieden mit Gott gemacht hat, sein Zepter ist das Evangelium des Friedens und seinen Frieden, der höher ist als alle Vernunft, gibt er ins Herz und bewahrt durch denselben Herz und Sinn in ihm zu ewigen Leben.

    Und, ob welch ein seliges Reich hat er aufgerichtet! Denn darum heißt er Wunderbar, Rat, großer Gott, Ewigvater, Friedefürst, „auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich, dass er’s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“ Ja, bis in Ewigkeit, trotz aller Hindernisse und Anstöße, denn „solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth“.

    O, seht doch, meine herzlich Geliebten, was für ein Heiland uns durch die Geburt in Bethlehem geworden ist. Darum

O selig, selig alle Welt,

Die sich an dieses Kindlein hält.

Wohl dem, der dieses recht erkennt,

Und Jesus seinen Heiland nennt.

    „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben!“ So rief durch Jesajas Mund der ganze Chor der Gläubigen vor Christi Geburt von Adam an, die Erfüllung der Verheißung in der Zukunft erblickend. „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR“, erscholl es vor über 2025 Jahren aus Engelmund und: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben“, schallt’s nach dieser Geburt seitdem auf der ganzen Erde, in allerlei Zungen und Sprachen und von einer Schar, die niemand zählen kann. Und wo überall die heiligen Engel von Menschenkindern das rühmen hören, da freuen sie, die in der heiligen Weihnacht sich so über das Geheimnis der Offenbarung Gottes im Fleisch und das Flück der so hoch und reich beschenkten Menschen freuten, sich aufs neue mit, denn die das rufen, das sind Sünder, die Buße tun und die diesen Heiland nicht mehr verachten und ihm andere Dinge vorziehen, sondern greifen im Glauben zu und eignen sich diese Geburt an, weil sie nun erkennen, dass sie ohne diesen Heiland in Zeit und Ewigkeit verlorene und verdammte Sünder sind, aber auch glauben, dass Gott auch sie geliebt, auch für sie den eingeborenen Sohn gegeben, auch ihnen denselben zum Geschenk vermeint hat.

    Auf denn, meine Lieben! Nehmt alle der himmlischen Weihnachtsgabe euch an, damit ihr alle auch den Heiland habt, der für euch geboren ist und ihr in Wahrheit Weihnachten feiert. Es rufe in wahrer Buße auch der größte Sünder; es rufe getrost auch der schwächste Gläubige, es rufe mit desto freudigerem Glauben der geförderte Christ, es rufe Alt und Jung im Chor: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben!“ – und dann klinge es immer lieblicher und immer mächtiger in der einzelnen Seele nach: „Auch mir ist dieses Kind geboren, auch mir ist dieser Sohn gegeben. Ja, auch mir, auch mir! Halleluja! Amen.

 

 

Epistelpredigt zum zweiten Christfesttag ueber Apostelgeschichte 6,8-15; 7,54-59: Stephanus, der erste Maertyrer

 

Lied: Wir singen dir, Immanuel

 

    Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und dem HERRN Jesus Christus. Amen.

 

Apostelgeschichte 6,8-15; 7,54-59: Stephanus aber, voll Glaubens und Kräfte, tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk. Da standen etliche auf von der Synagoge, die da heißt der Libertiner und der Kyrener und der Alexanderer und derer, die aus Zilizien und Asien waren, und befragten sich mit Stephanus. Und sie vermochten nicht, zu widerstehen der Weisheit und dem Geist, aus welchem er redete. Da richteten sie zu etliche Männer, die sprachen: Wir haben ihn gehört Lästerworte reden gegen Mose und gegen Gott. Und bewegten das Volk und die Ältesten und die Schriftgelehrten; und traten herzu und rissen ihn hin und führten ihn vor den Rat; und stellten falsche Zeugen auf, die sprachen: Dieser Mensch hört nicht auf, zu reden Lästerworte gegen diese heilige Stätte und das Gesetz. Denn wir haben ihn hören sagen: Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören und ändern die Sitten, die uns Mose gegeben hat. Und sie sahen auf ihn alle, die im Rat saßen, und sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht. … Da sie solches hörten, ging’s ihnen durchs Herz, und bissen die Zähne zusammen über ihn. Als er aber voll Heiligen Geistes war, sah er auf zum Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus stehen zur Rechten Gottes und sprach: Siehe, ich sehe den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen. Sie schrien aber laut und hielten ihre Ohren zu und stürmten einmütig zu ihm ein, stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Und die Zeugen legten ab ihre Kleider zu den Füßen eines Jünglings, der hieß Saulus. Und sie steinigten Stephanus, der anrief und sprach: HERR Jesus, nimm meinen Geist auf!

 

    Geliebte in dem HERRN! Durch die Feier des St. Stephanustages am zweiten Christfesttag stellt die Kirche neben den Geburtstag Christi einen Todestag, den Todestag des ersten Blutzeugen oder Märtyrers der christlichen Kirche [Neuen Testaments]. Bekanntlich schreibt sich’s aus den ersten und besten Zeiten der christlichen Kirche her, dass man durch ein jährliches Gedächtnis die Todestage der heiligen Apostel, die mit Ausnahme des h. Johannes alle den Märtyrertod starben, sowie auch die anderer Märtyrer begeht. Man hatte dabei das apostolische Wort im Sinn: „Denkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach.“ Dazu war den ersten Christen die Vorstellung, dass der Christ durch den Tod ins himmlische Leben geht, eine so vertraute und geläufige, dass sie die Todestage der Märtyrer geradezu deren glückselige Geburtstage nannten und war ihre Meinung, dass ein Christ dem Sterben nicht bloß gefasst, ergeben, getröstet, sondern geradezu mit Freude und Triumph sollte entgegen gehen.

    Dass Stephanus bald nach dem Pfingstfest den Märtyrertod erlitt, wird erhellt aus der Apostelgeschichte. Es wird angenommen, dass dies im achten Monat nach demselben geschah. Ob nun gerade aber am 26. Dezember, lässt sich nicht bestimmen. Wie jedoch von der Vorstellung durchdrungen, dass die Todestage der Märtyrer deren herrliche Geburtstage zum himmlischen Leben seien, die alte Kirche den Stephanustag in Beziehung zum Christfest setzte, zeigen die Stimmen aus alter Zeit. „Gestern haben wir die Geburt des HERRN gefeiert, beginnt eine Predigt des h. Augustin, „heute feiern wir die Geburt des Knechtes. Die Geburt des HERRN feierten wir an dem Tag, an welchem er sich herabließ, geboren zu werden; die Geburt des Knechtes feiern wir an dem Tag, an welchem er gekrönt wurde. Wir feierten die Geburt des HERRN an dem Tag, an welchem er die Hülle unseres Körpers annahm; die Geburt des Knechtes feiern wir an dem Tag, an welchem er die Hülle seines Körpers ablegte.“ Und in einer anderen Predigt heißt es: „Der HERR wurde geboren, damit er für den Knecht stürbe, und der Knecht sich nicht fürchten möchte, für den HERRN zu sterben.“ Diese und ähnliche Gedanken waren es wohl, weshalb die alte Kirche den Stephanustag dem Christfesttag so nahe rückte.

    Indem daher durch solche Zusammenstellung das Weihnachtslist auf den ersten Blutzeugen der christlichen Kirche fällt, wird er uns als solcher neben dem Bild der Hirten von Bethlehem auch zu einem schönen, ja vervollständigenden Weihnachtsbild. Sehen wir nämlich in den Hirten die ersten Zeugen, welche die Weihnachtsbotschaft im Glauben aufgenommen und sogleich ausgebreitet haben, so erblicken wir in Stephanus den ersten Zeugen, der für diese Weihnachtsbotschaft, die er aus dem Mund der Apostel vernommen und dann auch ausgebreitet hat, sein Leben lassen musste, aber auch mit Freuden gelassen hat. Und so zeigt er uns, wie ein Mensch glauben, leiden und sterben kann, dessen Herz voll ist von der Gewissheit: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter. Und er heißt Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewigvater, Friedefürst, damit seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende, auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich, dass er’s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit, von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.“

 

Stephanus, der erste Märtyrer

 

Sei daher der Gegenstand auch unserer heutigen Weihnachtspredigt. Wir betrachten hierbei

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die Ursache und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die Art seines Todes.

 

    HERR Jesus, da du Mensch wurdest, kamst du in dein Eigentum, aber dein Volk nahm dich nicht auf, sondern verleugnete dich vor Pilatus und forderte ungestüm deinen Tod am Kreuz und tötete danach auch die Propheten, Schriftgelehrten und Weisen, die Apostel, Evangelisten, Hirten, Lehrer und Zeugen, die du ihm nach deinem Erbarmen und Treue sandest. Und noch heute sind dir, der du bist der süßeste Menschenfreud, noch so viele Menschen feind und hassen und verfolgen die, welche glauben und bekennen, dass du seist Jesus Christus, der Sohn Gottes, der in das Fleisch gekommen ist. Ach, so stärke im Blick auf deinen ersten Blutzeugen auch uns, dass wir bei des Fleisches Einfalt die Leiden nicht scheuen, in welche uns der Besitz und das Bekenntnis des kündlich großen Geheimnisses deiner Menschwerdung versetzt. Hilf, dass wir in Wort und Wandel deinen Namen verherrlichen, und dass wir um des Bekenntnisses willen Schmach und Hass erdulden, ja, auch das Leben nicht lieb haben, damit du uns auch bekennst vor deinem Vater und krönst mit dem Krone der ewigen Ehren. Amen.

 

1.

    Nach dem Gesetz des HERRN mussten nicht nur Mörder, sondern auch die Gotteslästerer mit dem Tod bestraft werden. Als daher die gottlose Königin Isebel von Israel ihrem von ihr beherrschten und zum Baalsdienst noch mehr verführten Gemahl, dem König Ahab, um jeden Preis den Weinberg des frommen Israeliten Naboth verschaffen wollte, wusste sie es zu veranstalten, dass dieser auf falsch beschworene Anklage hin als Lästerer Gottes und seines Gesalbten, des Königs, zu Tode gesteinigt wurde. Und als Jesus vor dem Hohen Rat stand und selbst die falschen Zeugen, die man gegen ihn bestellt hatte, mir ihrem beschworenen Zeugnis zuschanden wurden, da tat der höllisch kluge Hohepriester den letzten, aber sicheren Wurf, indem er Jesus aufforderte, unter Eid vor dem höchsten Gerichtshof Israels zu erklären, ob er sei Christus, der Sohn Gottes. Und als die Antwort Jesu kam: „Du sagst es, ich bin es!“ da zerriss der Hohepriester in scheinheiligem Entsetzen seine Kleider und schrie: „Er hat Gott gelästert! Was bedürfen wir weiter Zeugnis! Was denkt ihr?“ Und der Hohe Rat antwortete einstimmig: „Er ist des Todes schuldig.“ So ist auch die Ursache des Todes des Stephanus nicht Mord, sondern Gotteslästerung, aber wie bei seinem HERRN und Heiland und wie einst bei einem Naboth allein auf falsche Anklage hin.

    Stephanus, ein Glied der Gemeinde in Jerusalem, hatte ein kirchliches Amt in dieser übernommen. Es war aber dasselbe nicht das Amt der Haushalter über Gottes Geheimnisse, sondern das Amt derer, die zu Tisch dienten, nicht das öffentliche Predigt- und Seelsorgeramt, sondern das Gehilfenamt der Almosenpflege innerhalb der Gemeinde. Weil man in der alten Kirche die Wahrheit so lebendig erfasste, dass der HERR Jesus arm wurde um unseretwillen, damit wir durch seine Armut reich würden, und weil man da noch in der frischen und vollen Freude über den menschgewordenen Gott und Heiland stand, so war man auch reich an Liebe zu ihm und den Brüdern; und wie man an Weihnachten am meisten aufgelegt ist zum Geben, so waren auch jene apostolischen Christen in einem ganz außerordentlichen Maß fort und fort aufgelegt zum Wohltun und Mitteilen. Jeder betrachtete sein Vermögen so wenig als sein ausschließliches Eigentum, dass er vielmehr dasselbe für wohltätige Zwecke den Aposteln zur Verfügung stellte. Damit jedoch trotz dieser ungemeinen Liebestätigkeit kein armer Bruder und keine notdürftige verwitwete Schwester übersehen würde oder zu kurz käme, so machte man diese Liebestätigkeit zu einer mehr geordneten durch die Einrichtung eines besonderen Austeilungsamtes, des Almosenpflegeramtes, der kirchlichen Armenpflege, in den apostolischen Schriften genannt das Amt der Diakonie oder des Dienstes. Auf Vorschlag der Apostel, welche bisher neben ihrem Predigtamt auch die ihnen übergebenen Almosen verteilten, erwählte man sieben Männer, die einen guten Ruf hatten und voll Geistes und Weisheit waren. Einer unter diesen Sieben, und zwar der Hervorragendste von ihnen, war Stephanus. Er war ein Mann „voll Glaubens und heiligen Geistes“ (Kap. 6,7) und voll „Kräfte“ und „tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk“.

    Diese Wunder und große Zeichen unter dem Volk tat Stephanus zur Bestätigung der Lehre von Christus, die er frei und offen bekannte und seinen Brüdern nach dem Fleisch, den Juden, predigte. Wir müssen den Christen an zweierlei Ort stellen. Ist er in einer Versammlung von Christen, so ist er unter einer Versammlung von geistlichen Priestern, die alle gleiche Rechte haben und darf daher nicht sich selbst hervortun mit Predigen und Sakramentreichen, sondern muss dazu einen ordentlichen Beruf von der Kirche bekommen. Anders aber, wenn Juden oder Heiden um ihn versammelt sind. Da bedarf es nicht eines besonderen Berufs, sondern da kann jeder Christ, den die Liebe dringt, denen die draußen sind, das Heil zu bezeugen, ohne weiteres auftreten kraft des allgemeinen Befehls: „Predigt das Evangelium aller Kreatur“, und kraft seines geistlichen Priestertums, nach welchem er verkündigen soll die Tugenden des, der ihn berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht. So unter den Juden Stephanus, der unter den Christen allein zur Almosenpflege Berufene.

    Aber die Missionspredigt unter den Juden zieht ihm großen Hass und eine sich steigernde Verfolgung zu. „Da standen auf etliche von der Synagoge, die da heißt der Libertiner und der Kyrener und der Alexanderer und derer, die aus Kilikien und Asien waren, und befragten sich mit Stephanus.“ Da sind die Meister verschiedener jüdischer Gelehrtenschulen in Jerusalem, denen es je länger je mehr Verdruss bereitete, dass das Volk den Aposteln, diesen ungelehrten galiläischen Fischern und Zöllnern, so nachläuft und nun auch dieser Almosenpfleger mit seiner von Wundern und Zeichen begleiteten Predigt so viel Aufsehen macht und so viel Erfolg hat. Es erscheint ihnen das alles als eine Ehrenkränkung, als eine Herabsetzung ihrer Schriftgelehrsamkeit. Deshalb suchen sie an Stephanus mittels öffentlicher Streitgespräche zum Ritter zu werden, suchen ihn durch Disputierkünste, durch allerlei spitzfindige, verfängliche Fragen vor dem zuhörenden Volk zuschanden zu machen, gleichwie seinerzeit Jesus die Pharisäer, Sadduzäer und Schriftgelehrten. Man sagt im Sprichwort: „Viele Hunde sind des Hasen Tod.“ Aber ob es auch viele und vielerlei sind, die mit solchen Fragen auf diesen einen Menschen Stephanus einstürmen, sie alle werden an ihm zuschanden. „Sie vermochten nicht zu widerstehen der Weisheit und dem Geist, aus welchem er redete.“

    Wenn man von der Macht der Wahrheit zwar äußerlich besiegt, aber nicht innerlich überwunden ist, weil man durch Wirkung des Teufels sein Herz gegen diese verhärtet, so wird man ein desto boshafterer und unsinnigerer Feind der Wahrheit und ihrer Zeugen. Da greift man, wie wir es auch erfahren müssen, noch etwas schamloser zu weiteren unehrlichen Mitteln. Man verdächtigt, man verdreht die Worte der Zeugen Jesu, man reißt ihre Worte aus dem Zusammenhang, man gibt vor, aus ihren eigenen Schriften ihre Lehre darzustellen und liefert dann doch nur ein hässliches Zerrbild ihrer Lehre. So hier. Zwar sie selbst ziehen sich ins Versteck zurück. So schlau die Verdächtigung ausgedacht und deren Wirkung auf das Volk und seine Obersten berechnet ist  - es konnte am Ende doch auch hier ein Fehlschlag erfolgen und dann ihre Niederlage umso schmählicher sein. Darum laden sie bloß das Gewehr und lassen es andere für sie abschießen. „Da richteten sie zu etliche Männer, die sprachen: Wir haben ihn gehört Lästerworte reden gegen Mose und gegen Gott.“ Nun gerade eine solche Brandfackel passte für das damalige Judenvolk, das, je mehr seinethalben Gottes Name verlästert wurde und je weniger es für die Kreuzigung Christi Buße tun wollte, desto mehr seine ganze Religion in einen fleischlichen blinden Eifer für das väterliche Gesetz setze, bei welchem Eifer man dem alten Adam nicht nur keinen Abbruch tut, sondern ihm vielmehr recht wohltut. Daher lesen wir: „Und bewegten das Volk und die Ältesten und Schriftgelehrten.“ Die Aufregung aber steigert sich zum Volksauflauf, zum „Mob“. „Und sie rissen ihn hin und führten ihn vor den Rat.“

    Aber was sollten es denn für Lästerworte gewesen sein, die man aus des Stephanus Mund wollte vernommen haben? Hört nur weiter: „Und sie stellten falsche Zeugen auf, die sprachen: Dieser Mensch hört nicht auf zu reden Lästerworte gegen diese heilige Stätte und das Gesetz, denn wir haben ihn hören sagen: Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören und ändern die Sitten, die uns Mose gegeben hat.“ Seht da, welche Verdrehung der Worte des Stephanus und wie ähnlich sieht sie der Verdrehung der Worte des HERRN vom Abbrechen des Tempels seines Leibes! Dass Stephanus predigte: Christus ist des Gesetzes Ende, denn in ihm sind alle Vorbilder erfüllt und durch ihn alle Anforderungen des Gesetzes und dass man nicht durch die Werke des Gesetzes, sondern allein durch den Glauben an Christus könne gerecht und selig werden – daraus machen sie: „Jesus wird ändern die Sitten, die uns Mose gegeben hat.“ Stephanus hatte gepredigt, dass, wenn sie auch jetzt noch nicht Buße tun, sondern fortfahren würden, in Jesus den verheißenen Messias zu verwerfen, so werde Jesu Weissagung von Jerusalems schrecklicher Zerstörung nur umso schneller sich erfüllen – daraus machen sie: „Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören.“ Vielleicht aber beruhte diese Darstellung der Lehre des Stephanus auf einem Missverständnis? Keineswegs! Es waren dies ja falsche Zeugen, die sie sich erst zu verschaffen gesucht haben, ja, die sie selber erst „zugerichtet“ hatten.

    So steht denn nun Stephanus vor demselben Gerichtshof, vor dem noch vor kurzem sein HERR und Heiland gestand hat und von dem er als Gotteslästerer zum Tod verurteilt wurde. Somit hat der Knecht kein besseres Los zu erwarten, aber, o wie ist dieser Knecht auch in seiner Erscheinung so ähnlich seinem lieben HERRN! „Und sie sahen auf ihn alle, die im Rat saßen, und sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht.“

    Da fordert ihn der Hohepriester auf zur Verantwortung durch die Frage: „Ist dem so?“ – nicht etwa dem Angeklagten Raum, sondern dem schon beschlossenen Todesurteil einen Schein des Rechts zu geben. Und nun hält Stephanus seine Verteidigungsrede. Sie ist uns im ganzen siebten Kapitel bis vor dem zweiten Abschnitt unserer Epistel wiedergegeben, diese wunderbare, gewaltige, zu Blitz und Donner sich steigernde Rede, in welcher er aus der Geschichte Israels immer neue Schlaglichter auf die Zustände der Gegenwart fallen lässt, bis er endlich seine Richter anklagt als die Mörder nicht nur der Propheten, sondern auch des Gerechten, dessen Zukunft diese verkündigen. Und es zeigen sich auch die Wirkungen. Leider ist’s nicht Buße, sondern rasende Wut. „Da sie solches hörten, ging es ihnen durchs Herz und bissen die Zähne zusammen über ihn.“

    Während nun aber die satanische Wurt in den Gliedern des Hohen Rats zunimmt, nimmt auch bei dem heiligen Märtyrer die Kraft und Erleuchtung des Heiligen Geistes in solchem Grad zu, dass er mit innerem eröffneten Auge die Herrlichkeit Gottes und in ihr den Sohn Gottes persönlich sieht. Als er daher wahrnimmt, wie man die Zähne über ihn zusammenbeißt, bricht er in das Bekenntnis aus: „Siehe, ich sehe den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen.“

    Das Bekenntnis dieses Geistesblickes bringt die Erbitterung des Hohen Rats auf den höchsten Gipfel. Erst wildes Geschrei, dann greift man geradezu zur Lynchjustiz. Ohne weiteren Gerichtsbeschluss, mit Verletzung aller Rechtsformen, schleppt man Stephanus zur Richtstätte. „Sie schrien aber laut und hielten ihre Ohren zu und stürmten einmütig auf ihn ein und steinigten ihn.“

    Dies ist die Ursache des Todes des Stephanus.

 

2.

    Betrachten wir denn kurz die Art des Todes des heiligen Märtyrers.

    Er wird gesteinigt und zwar, wie es im Gesetz Moses vorgeschrieben ist, durch die Zeugen, welche unter Eid ihn der Gotteslästerung anklagten. „Und die Zeugen legten ihre Kleider ab zu den Füßen eines Jünglings, der hieß Saulus, und steinigten Stephanus.“

    Aber wie ist auch in seinem Tod der Knecht seinem HERRN wieder so ähnlich, indem nämlich von Stephanus es sogleich weiter heißt: „Er rief an und sprach: HERR Jesus, nimm meinem Geist auf! Er kniete aber nieder und schrie laut: HERR, behalte ihnen diese Sünde nicht! Und als er das gesagt, entschlief er.“ Seht, wie der Knecht unter den Steinwürfen der Juden sein kostbares, im Glauben Gott geheiligtes Leben mit dem letzten und ersten von den sieben Worten seines gekreuzigten HERRN und Heilandes im Mund beschließt. Nur in einem Punkt ist er seinem HERRN unähnlich, nämlich darin, dass er unter den Steinwürfen entschlief, ohne des Todes Bitterkeit zu schmecken. Gottlob! Und möge nur jeder beim Sterben dem HERRN Jesus in diesem Stück unähnlich sein, denn dies kommt daher, dass der HERR für uns des Todes Bitterkeit geschmeckt und gesagt hat: „Wahrlich, ich sage euch: So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich.“

    Stephanus heißt auf Deutsch: Krone. Stephanus hat die Märtyrerkrone und nach dieser die Ehrenkrone erlangt, die ihm darzureichen der HERR von seinem Thron sich erhoben hatte, daher Stephanus bei seinem Blick in den geöffneten Himmel des Menschen Sohn nicht sitzen, sondern stehen sah zur Rechten Gottes.

    Welch eine Wolke von Blutzeugen ist diesem ersten Märtyrer seitdem gefolgt – zuerst unter dem heidnischen, dann unter dem antichristlichen Rom. Wird sie in dieser allerletzten Zeit noch um ein bedeutendes vermehrt? Wohl lebt noch die geistliche Isebel, die babylonische Hure, die trunken ist von dem Blut der Heiligen und auch im 19. Jahrhundert nach demselben dürstet und es offen beklagt, dass dem Mann zu Rom zur Zeit noch die Hände gebunden sind. Wohl mehrt sich der Haufe der raub- und Mordgierigen Sozialisten, die ohne Scheu es sagen, dass sie das Christentum als ein Hindernis des Menschenglücks auszurotten trachten. Wohl bedroht das Staatskirchentum der alten Welt mit Gefängnis und Geldstrafen die freimütigen Zeugen der lutherischen Wahrheit. Aber ob sich die blutigen Verfolgungen der Vorzeit zuletzt erneuern werden, steht noch zu erwarten.[32] Ein Schaden wäre es alsdann der Kirche nicht. Unser Text gerade zeigt uns, dass in die durch Stephanus entstandene Zeugenlücke sogar ein Saulus treten musste, der, ein Jüngling, damals noch Wohlgefallen an des Stephanus Tod hatte und sogar ein blutdürstiger Christenverfolger wurde. Die Geschichte lehrt, dass das Blut der Märtyrer der Same der Christen ist und mit Recht sang Luther über den beiden um der lutherischen Wahrheit willen zu Brüssel verbrannten jungen Mönchen [Voss und Esch]:

Die Asche will nicht lassen ab,

Sie stiebt in alle Landen.

Hier hilft kein Bach, Loch, Grub noch Grab,

Sie macht den Feind zuschanden.

    Die er im Leben durch den Mord

Zu schweigen hat gedrungen,

Die muss er tot an allem Ort

Mit aller Stimm und Zungen

Gar fröhlich lassen singen.

    Wie denn der Herr will. Lasst uns nur mit Stephanus den im wahren Glauben aufnehmen, der um unseretwillen Mensch geworden ist, diesen Glauben frei und offen mit dem Mund vor der Welt bekennen und dann mit den Werken beweisen, so wird es, auch wenn wir nicht in den Zeiten des Martyriums leben, an Hass, Feindschaft und Verfolgung nicht fehlen und wird der eine und andere dazu noch erfahren müssen, dass der HERR Jesus gesagt hat: „Des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.“ Denn wer

Mit Jesus sich verbindet,

Den Satan flieht und hasst,

Der wird verfolgt und findet

Ein harte schwere Last

Zu leiden und zu tragen,

Gerät in Hohn und Spott,

Das Kreuz und alle Plagen,

Die sind sein täglich Brot.

Der HERR wird uns aber erquicken, wie er den Stephanus erquickt hat, und wir werden gleichfalls durch den Glauben an sein Gnadenwort des Todes Bitterkeit nicht schmecken, und ob wir auch nicht gewürdigt sind des Martertodes, so bleiben wir doch, wenn wir Treue beweisen bis in den Tod, gewürdigt der Krone der ewigen Ehren. Amen.

 

Gebet: HERR Gott, himmlischer Vater, der du den heiligen Stephanus seines Glaubens halber hast leiden und steinigen lassen, anzuzeigen, dass dein Reich nicht von dieser Welt ist, sondern in ein anderes Leben gehört, wir bitten dich: Wenn wir um deines Wortes und Namens willen auch müssen leiden, stärke unsere Herzen durch deinen heiligen Geist, dass wir fest bestehen, und uns mit deiner Gnade und den ewigen Gütern anstatt der zeitlichen trösten mögen durch Jesus Christus, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: Ich freue mich in dir.

 

 

Epistelpredigt zum Sonntag nach dem Christfest ueber Galater 4,1-7: Durch den Glauben an den menschgewordenen Heiland sind die Kinder Gottes nunmehr muendig

 

Lied: Das ist gewisslich wahr

 

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

Galater 4,1-7: Ich sage aber, solange der Erbe ein Kind ist, so ist zwischen ihm und einem Knecht kein Unterschied, ob er wohl ein Herr ist aller Güter, sondern er ist unter den Vormündern und Pflegern bis auf die bestimmte Zeit vom Vater. So auch wir, da wir Kinder waren, waren wir gefangen unter den äußerlichen Satzungen. Als aber die Zeit erfüllt wurde, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreit: Abba, lieber Vater! So ist nun hier kein Knecht mehr, sondern nur Kinder. Sind’s aber Kinder, so sind’s auch Erben Gottes durch Christus.

 

    Geliebte in dem HERRN! Da heute, am Neujahrstag und dann noch viermal im Kirchenjahr die epistolische Lektion dem Brief des Paulus an die Galater entnommen ist, so lasst mich eingangsweise mit den Letzteren und der Veranlassung des apostolischen Sendschreibens an diese euch etwas bekannt machen. Es wird das uns zugleich auf den Punkt führen, um den es sich in der heutigen Epistel vornehmlich handelt.

    Mehr als dreieinhalb Jahrhunderte vor Christi Geburt brachen einst zwei wilde gallische Kriegerhorden aus der Gegend am Rhein auf, wanderten entlang der Donau, durchzogen [Norditalien, plünderten Rom, zogen dann durch] Ungarn und Mazedonien, setzten dort über das Meer, drangen in Kleinasien ein, eroberten einen Landstrich und ließen sich auf dem nieder. Da man damals nicht bloß das heutige Frankreich, sondern auch die Rheingegenden Gallien hieß, so nannte man diese kriegerischen Eindringlinge Gallier oder Galater und den von ihnen eingenommenen Landstrich Galatien. Der Kirchenvater Hieronymus, der 400 Jahre nach Christus lebte und nicht nur in Galatien, sondern auch in der Rheingegend gewesen war, berichtet, dass die Sprache der Galater seiner Zeit noch immer eine auffallende Ähnlichkeit mit der hätte, welche er in der Gegend von Trier habe sprechen hören: Klangen doch die Namen der Führer dieser beiden galatischen Kriegshorden deutsch, denn der eine soll Lutarius oder Lothar und der andere Leonarius oder Leonhard geheißen haben. Ebenso auch sollen die Sitten der Galater die der alten Germanen gewesen sein. Somit wären die Galater germanischer Abkunft gewesen.

    Zu diesem Volk nun kam Paulus, der eigentliche Apostel der Heiden, auf seiner kleinasiatischen Missionsreise zwei Mal – das eine Mal, unter diesem wilden Volk die Kirche Christi zu pflanzen, das andere Mal, die von ihm dort gegründeten Gemeinden zu stärken. Von welch herrlichen Erfolgen seine Predigt unter diesem Volk war, zeigt der Galaterbrief. Ruft er doch unter anderem aus: „Meine Anfechtungen, die ich leide nach dem Fleisch, habt ihr nicht verachtet noch verschmäht, sondern wie einen Engel Gottes nahmt ihr mich auf, ja, wie Christus Jesus. Wie wart ihr damals so selig! Ich bin euer Zeuge, dass, wenn es möglich gewesen wäre, ihr hättet eure Augen ausgerissen und mir gegeben.“ (Kamp. 4,14.15.) Sie zeigt aber auch, warum der Apostel hernach an sie schreiben musste. Falsche Apostel hatten nach des Apostels Weggang in kurzer Frist eine solche Verwirrung und Zerstörung in den Gemeinden Galatien angerichtet, dass der Apostel unter anderem in Bezug auf die Lehre ausrufen musste: „O ihr unverständigen Galater, wer hat euch bezaubert, dass ihr der Wahrheit nicht gehorcht? Welchen Christus Jesus vor die Augen gemalt war und jetzt unter euch gekreuzigt ist“ (Kap. 3,1); und in Bezug auf die jetzige Stellung zu ihm, ihrem geistlichen Vater: „Bin ich denn so euer Feind geworden, dass ich euch die Wahrheit vorhalte? Sie (die falschen Apostel) eifern um euch nicht fein; sondern sie wollen euch von mir abfällig machen, dass ihr um sie sollt eifern.“ (Kap. 4,16.17.)

    Wodurch war nun solche Verwirrung und Zerstörung angerichtet worden? Durch ein anderes Evangelium, das jene falschen Apostel predigten. Und dies andere Evangelium? O, es schien kein anderes, sondern nur ein vollständigeres Evangelium zu sein. Dass Jesus Christus Gottes Sohn und der erschienene Heiland ist, dass man auf seinen Namen getauft sein, an ihn glauben und zur Stärkung seines Glaubens das heilige Abendmahl gebrauchen solle, dies und anderes lehrten die falschen Apostel auch, das ließen sie von der Lehre des Paulus stehen. Sie behaupteten aber, dass die Christen noch manches vom Gesetz Moses halten müssten, als da ist: die Beschneidung, die Enthaltung von gewissen Speisen und Betränken, die Beobachtung des Sabbats und etlicher anderer Feiertage. Das habe Paulus nicht gelehrt, sondern vielmehr das Gegenteil behauptet, darum habe er nicht den ganzen Rat Gottes zur Seligkeit verkündigt, den Galatern nicht das vollständige Evangelium gebracht.

    Zu den trügerischen Beweisen, welche jene falschen Apostel für ihr falsches Evangelium brachten, gehörte auch der, dass, weil die Kirche des Neuen Testaments doch eigentlich die Fortsetzung der Kirche des Alten Testaments ist, so wären die Gebote und Gesetze, welche den Gläubigen im Alten Bund gegen waren, auch für die Gläubigen im Neuen Bund noch verbindlich. Da nun der Apostel das Irrige dieser Behauptung in der heutigen Epistel aufdeckt, indem er nachweist, dass der Zustand der Kirche im Alten Bund ein Zustand der geistlichen Unmündigkeit gewesen war, der mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes aufgehört hat, so wollen wir denn auch weiter nachdenken und dasselbe bei dem Gedanken an den nun so nahen Ablauf des alten Jahres auf uns anwenden. Ich fasse daher den Inhalt meiner Predigt in den Satz:

 

Durch den Glauben an den menschgewordenen Heiland sind die Kinder Gottes nunmehr mündig

 

    Lasst mich zeigen

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie das zu verstehen, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie das anzuwenden ist.

 

O Christe, Wahrheit und Leben,

Wir bitten dich, du wollest uns geben

Deinen Heiligen Geist von oben

Mit seinen göttlichen Gaben,

Dass dein Wort rein hier auf Erden

Mög verkündigt werden.

O gib, dass die Red, so vorhanden,

Recht erklärt wird und verstanden.

Lass es ihr gelingen

Und sie unser Herz durchdringen,

Zu Lob und Ehr deinem Namen.

Darauf sprechen wir: Amen. Amen.

 

 

 

1.

    Meine Geliebten! Jene falschen Apostel spiegelten den Galatern vor: Die Gläubigen des Alten Bundes seien doch auch Kinder Gottes und Erben der Verheißung gewesen und gleichwohl habe ihnen Gott das Gesetz auferlegt und so viele Zeremonien zu halten geboten. Dagegen schreibt nun der Apostel: „Ich sage aber, solange der Erbe ein Kind ist, so ist zwischen ihm und einem Knecht kein Unterschied, ob er wohl ein Herr ist aller Güter, sondern er ist unter den Vormündern und Pflegern bis auf die bestimmte Zeit vom Vater. So auch wir, da wir Kinder waren, waren wir gefangen unter den äußerlichen Satzungen.“ Der Apostel will damit sagen: Wohl sind die Gläubigen des Alten Bundes ebenso gut Kinder und Erben Gottes wie die Gläubigen des Neuen Bundes. Daraus folgt aber noch lange nicht, dass die Letzteren alles das halten müssten, was den Ersteren auferlegt war. Mit der Kirche Gottes überhaupt verhält sich’s wie mit einer Familie, in welcher die Kinder bis zu einer gewissen Zeit im Stand der Unmündigkeit sich befinden und in diesem ganz anders behandelt werden müssen als im Stand der Mündigkeit. Obwohl ein Erbe der Güter des Vaters, kann der Unmündige sein Erbe zu selbständiger Verwaltung doch nicht antreten, denn dazu gehört eine gewisse Reife des Verstandes und der Erfahrung und werden ihm daher bis zu deren Erlangung Lehrer und Vormünder gesetzt. So lange er aber unter diesen steht, ist dem äußerlichen Ansehen nach zwischen dem noch unmündigen Erben und dem Knecht des Hauses durchaus kein Unterschied; denn jener muss ebenso fremdem Willen gehorchen und ist ebenso der Strafe unterworfen wie dieser. Was daher Gott für die Kirche des Alten Testaments durch Mose angeordnet hat, ist lediglich in Rücksicht auf die geistliche Unmündigkeit in der Zeit der Verheißung geschehen und fällt daher nunmehr weg, weil mit der Erscheinung Christi der Zustand der Unmündigkeit der Kinder Gottes aufgehört hat.

    Dies ist im Allgemeinen der Sinn des Apostels. Sehen wir nun vor allem, worin diese geistliche Unmündigkeit der Kinder Gottes Alten Bundes im Einzelnen bestanden hat, denn nur so werden wir recht verstehen, was die geistliche Mündigkeit ist.

    Gleich im Voraus lasst mit bemerken, dass wir hier nicht von einer geistigen Unmündigkeit reden, als ob dem natürlichen Verstand nach die Kinder Gottes unmündig gewesen wären, wie heutzutage die ungläubigen Narren sich eine solche denken, nach deren Meinung der Mensch in einem halb- oder ganz wilden Zustand sich erst befunden und so nach und nach geistig sich entwickelt habe. Welch eine tiefe und helle Erkenntnis der Natur besaß doch Adam, als er jedem Tier den seiner Natur entsprechenden Namen geben sollt! Wie bald verlegten sich die Nachkommen Kains auf die Künste! Welch eine Kunde des gestirnten Himmels hatten man doch schon im grauesten Altertum! Welche Bauwerke zeigen schon die frühesten Zeiten auf! Auch von einer geistlichen Unmündigkeit der Kinder Gottes kann nicht schlechtweg die Rede sein. Welch eine Erkenntnis göttlicher Dinge hatte doch z.B. ein Abraham, ein Mose, ein David, ein Jesaja. Es ist hier allein von der geistlichen Unmündigkeit in Absicht auf das Geheimnis der zukünftigen Erlösung die Rede. Das Geheimnis unserer Erlösung zu schauen, gelüstete ja selbst die Engel. Es ist demnach so groß, dass der göttliche Ratschluss den Kindern Gottes erst nach und nach enthüllt werden musste, ehe die Zeit seiner Verwirklichung kommen konnte; dazu hat der Fall Adams den Menschen so blind über sein eigenes Elend gemacht, dass derselbe erst zur lebendigen Erkenntnis desselben gebracht werden musste, um durch die Verheißung und Weissagung von Christus dahin zu gelangen, dass er in gläubigem Verlangen nach dem zukünftigen Erlöser ausschaute.

    Deshalb begann nun zuerst die Zeit der Verheißung. Es war das gleichsam die Zeit der ersten Kindheit, da Gott in der Offenbarung seines Gnadenratschlusses mit den Vätern wie mit den Kindern redete, zuerst von dem Weibessamen, welcher der Schlage den Kopf zertreten würde, dann von dem Samen Abrahams, in welchem alle Geschlechter auf Erden gesegnet sein sollten, dann von dem Helden aus Judas Stamm, dem die Völker anhangen würden. Während nun aber die Weissagung fortging, und immer häufiger, immer deutlicher, immer herrlicher wurde, kam, gleichsam dazwischen geschoben, die Zeit des Gesetzes, damit dasselbe ein Zuchtmeister auf Christus sei. Zwar stehen unter diesem Zuchtmeister alle Menschen, denn haben die Heiden auch nicht das geschriebene Gesetz, so haben sie doch das natürliche Gesetz, wie ihr Gewissen ihnen solches bezeugt. Durch das auf Sinai gegebene Gesetz aber hatte Gott den Samen Abrahams dem Zuchtmeister noch besonders unterworfen und ihm eine noch viel ausgedehntere Gewalt über die Kinder Gottes gegeben.

    Da war nämlich zunächst in den 10 Geboten ein Sittengesetz gegeben, das den heiligen und gerechten Willen Gottes ihnen erst recht offenbarte und seine hohen unerfüllbaren Forderungen erst recht an das Gewissen stellte. Zu diesem fügte Gott nun für ihr gottesdienstliches und bürgerliches Leben ein Zeremonial- und Polizeigesetz, welche beide eine Menge von Geboten enthielten oder „äußerliche Satzungen“, wie sie Paulus in unserem Text nennt. Ort, Zeit und Weise des Gottesdienstes waren den Juden im Zeremonialgesetz genau und bis ins Einzelnste und Kleinste vorgeschrieben und ihnen hart eingeschärft, hier ja nichts nach eigenem Gutdünken vorzunehmen. Und so geschah es auch durch das von Gott gegebene Polizeigesetz hinsichtlich ihres bürgerlichen Lebens. Kurz, keinerlei freie Bewegung war den Kindern Gottes im Alten Bund gestattet, ihr ganzes religiöses und bürgerliches Leben war in einer Menge äußerlicher Satzungen gefangen, alles war ihnen genau vorgeschrieben und streng zu halten befohlen.

    Doch, Geliebte, indem der Apostel hier von den „äußerlichen Satzungen“ redet, hat er vornehmlich das Zeremonialgesetz im Auge, da ja die falschen Apostel dessen Verbindlichkeit für die Christen den Galatern eingeredet hatten. Dies heißt er eigentlich die „Elemente“ oder Anfangsgründe in der Erkenntnis des Geheimnisses der zukünftigen Erlösung, da alle diese vielen und mancherlei Opfer und Gottesdienste, alle die mancherlei Feiertage und Sabbate, alle die einzelnen vielen Zeremonien der „Schatten von dem, das zukünftig ist“ sein sollten. Sie waren nur Vorbilder und als solche die Bilderschrift von der zukünftigen Erlösung, zu deren Entzifferung die nach der Erkenntnis trachtenden Gläubigen an den Weissagungen der Propheten den Schlüssel besaßen, daher denn auch David im 51. Psalm spricht: „Du lässt mich wissen die heimliche Weisheit.“ Aber eben, weil alle diese Opfer und alle diese Zeremonien nur „Schatten“ des Körpers, nur Vorbilder auf Christus sein sollten, so waren sie auch die Kinderschule Israels, das Bilder-ABC der Kinder Gottes im Alten Bund, daran sie lernen sollten, was ihnen von Christus, als dem noch zukünftigen Heiland, zu wissen not war. Ganz besonders auch zeigte sich die Bevormundung der Kinder durch die göttliche Stiftung des levitischen Priestertums. Nur durch dieses konnten sie damals mit Gott handeln, nur durch die Hand des Priesters die vorgeschriebenen Opfer darbringen. Mit ihren Gebeten, mit ihren Fragen an den HERRN waren sie an die Vermittlung des Priesters gewiesen.

    Aber hatten denn diese Gläubigen von ihrer Kindschaft und dem verheißenen Erbe dar nichts zu genießen? Gewiss, sie gingen hier nicht leer aus. Bei dem Maß der Erkenntnis, das ihnen durch diese Vorbilder in Verbindung mit den Weissagungen wurde, waren die Kinder Gottes im Alten Bund ja freilich oft recht selig und darum viel besser daran als die Heiden, die Gott ihre Wege gehen ließ und die daher immer tiefer in die Finsternis des Götzen- und des Fleischesdienstes versanken. Wie freute sich z.B. Abraham, als er den Geburtstag Christi von ferne sah! Wie kannte David keine größere Seligkeit hienieden, als in der Bilderschrift der schönen Gottesdienste das Geheimnis der Erlösung mehr und mehr zu lesen! Aber gegen die Erkenntnis, welche durch die Erfüllung und durch die Predigt des Evangeliums den Kindern Gottes im Neuen Bund von diesem Geheimnis geschenkt ist, war es im Alten Bund doch nur ein geringes Maß. Und nicht nur war hierdurch das Glaubensleben im Alten Bund noch sehr eingeschränkt, sondern es war auch die gläubige Aneignung der Verheißung mit noch so viel Furcht und Zittern, die Gemeinschaft mit Gott mit noch so viel Scheu vermengt. Es war ja das Gesetz ein gar scharfer Vormund, der nicht nur viel forderte, sondern auch gar hart strafte, selbst Vergehen gegen das Zeremonialgeestz. Dort in der Wüste musste ein Mann auf Gottes Befehl zu Tode gesteinigt werden, weil er am Sabbattag bloß etwas Holz zur Feuerung aufgelesen hatte. Weil bei einer Feierlichkeit in guter Meinung Usa die Lade Gottes anrührte, schlug ihn alsbald die Hand des HERRN. Welch ein schweres Joch auf dem Hals der Kinder Gottes das gesamte Gesetz Moses war, bezeugt Paulus. Wie musste Gott ferner das ganze Volk mit so vielen Gerichten, endlich gar mit der babylonischen Gefangenschaft heimsuchen, dass es bei seiner Hinneigung zum Götzendienst sein Erbe nicht gar verscherzte, und wie mussten die Kinder Gottes diese Offenbarungen des göttlichen Zornes mittragen! Und bei dem noch so eingeschränkten Trost, wie mussten gerade die zarten Gewissen in Anfechtung immer wieder geraten, je mehr sie inne wurden, dass man das Gesetz nicht erfüllen könne und je größer das Verderben mit der Zeit wurde! Alles das aber, damit das Gesetz der Zuchtmeister auf Christus sei.

    Das also war die Unmündigkeit der Kinder Gottes. Diese sollte nun selbstverständlich mit der Erscheinung des Heilandes im Fleisch und durch die Vollbringung seines Erlösungswerkes ihr Ende nehmen. Der Apostel fährt darum fort: „Als aber die Zeit erfüllt wurde, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreit: Abba, lieber Vater! So ist nun hier kein Knecht mehr, sondern nur Kinder. Sind’s aber Kinder, so sind’s auch Erben Gottes durch Christus.“ In diesen Worten aber bezeugt er, dass mit der Erscheinung Christi die Mündigkeit der Kinder Gottes gekommen ist und lehrt, worin diese besteht.

    Sie besteht nämlich erstens in der Freiheit vom Gesetz, denn Christus ist darum unter das Gesetz getan, hat ihm darum einen vollkommenen Gehorsam an unserer Statt geleistet und darum dessen Fluch für uns auf sich genommen, „auf dass er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste“. Wir brauchen also keine jüdischen Zeremonien mehr zu beobachten, selbst auch nicht mehr das jüdische Sabbatgebot, denn alle Vorbilder sind in Christus erfüllt und wir haben in der Erfüllung und durch den Glauben das Wesen, die Sache selbst. Gegen diejenigen, welche uns daher irgendein Zeremonialgebot aufhalsen wollen, wie einst die falschen Apostel den Galatern und wie heutzutage die Schwärmer mit ihrer falschen Sonntagslehre und ihrem Abstinenzfanatismus, ruft daher der Apostel den Christen Kol. 2,16.17 zu: „So lasst nun niemand euch Gewissen machen über Speise oder über Trank oder über bestimmte Feiertage oder Neumonde oder Sabbate, welches ist der Schatten von dem, das zukünftig ist, aber der Körper selbst ist in Christus!“ Wir sind frei von dem jüdischen Polizeigesetz, denn Christus hat nun sein Reich in allen Landen und unter allen Königreichen und seine heiligen Apostel schreiben: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat“; und: „Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des HERRN willen.“ Ja, wir sind sogar frei von dem Sittengesetz [nach dem neuen Menschen, denn dem ist’s ins Herz geschrieben], von seinem Fluch, wie von seinen Forderungen und von seinem Zwang trotzdem, dass es seine Verbindlichkeit für uns behalten hat. Welch eine Herrlichkeit im Neuen Bund das ist, dass diese Freiheit im Evangelium gepredigt und durch den Glauben erlangt wird und wie da nun auch ein Christ als ein mündiges Kind aus Dank und mit Lust des Vaters Willen tut, werden wir besonders am Neujahrstag sehen.

    Die Mündigkeit der Kinder Gottes im Neuen Bund besteht zweitens im uneingeschränkten Gebrauch der Kinderrechte. Das meint der Apostel, wenn er als Zweck der Freiheit vom Gesetz dies bezeichnet, „dass wir die Kindschaft empfingen“. Zu dem Ziel hat Gott „den Geist seines Sohnes“ in unsere Herzen gesendet, der schreit: „Abba, lieber Vater!“ Um mit Gott zu handeln, braucht es demnach keines vermittelnden Priestertums mehr wie im Alten Bund, denn es ist „nun hier kein Knecht mehr, sondern nur Kinder“. Wie kindlich und zutraulich aufgrund der Erlösung durch Christus die Kinder Gottes mit dem Allerhöchsten handeln dürfen und können, beweist, dass es der Geist des Sohnes ist, den Gott in ihre Herzen gegeben hat und sie daher durch denselben rufen: „Abba, lieber Vater!“ Eben darum auch heißt Petrus die Kinder Gottes im Neuen Bund „das königliche Priestertum“, eben darum hat Christus auch die Schlüssel des Himmelreichs seiner Kirche unmittelbar gegeben.

    Die Mündigkeit der Kinder Gottes im Neuen Bund besteht endlich drittens in dem vollen Genuss des durch Christus erworbenen Erbes. Dieses Erbe ist Vergebung der Sünden, Leben und Seligkeit, und den vollen Genuss davon haben wir durch Wort und Sakrament, durch welche uns der ganze Reichtum offenbart, angeboten, dargereicht und besiegelt wird. Welch eine Erkenntnis Christi gibt uns doch das Evangelium! Welch eine liebliche Sprache vom Tod führt es, wie tröstlich redet es von dem Geheimnis unserer gnädigen Erwählung in Christus!

    Einen solchen Vorzug also hat der Stand der Kinder Gottes im Neuen Bund. Und nun wollten jene falschen Apostel die Galater und wollen heute noch alle ihnen verwandten Geister die Christen wieder unter das Gesetz führen!

 

2.

    Wie das zu verstehen ist, dass die Kinder Gottes im Neuen Bund durch den menschgewordenen Heiland nunmehr mündig geworden sind, haben wir gesehen. Lasst mich andeutungsweise nun noch zeigen, wie dies anzuwenden ist.

    Sei uns das heute Vernommene zunächst eine Aufforderung zum Dank für die reine Predigt des Evangeliums, welche wir wieder ein ganzes Jahr genossen haben. Was hülfe es uns doch, dass wir durch Christus nun zur geistlichen Mündigkeit gekommen sind, wenn es uns nicht rein und voll gepredigt würde! Dann würden wir den Vorzug der Kinder Gottes im Neuen Bund ja nicht erkennen, noch viel weniger im freudigen Glauben uns desselben annehmen können. Denkt z.B. nur an unsere armen Mitchristen im Papsttum, die unter der Vormundschaft ihrer Priester stehen, die selbst wieder elende Papstknechte sind, und welche mit dem Gesetz gefangen und geschreckt und mit Menschensatzungen geknechtet sind. Wie glücklich sind wir, da wir die Predigt des Evangeliums so rein, so voll, so reichlich hören und dazu in einer Synodalgemeinschaft uns befinden, die so sehr auf völlige Reinheit der Lehre hält und die durch ihre ganze Verfassung, durch ihre Lehrverhandlungen auf Synoden und durch ihre Zeitschriften darauf es anlegt, die Christen zum Bewusstsein ihrer geistlichen Mündigkeit zu bringen und sie zum Gebrauch derselben anzuleiten. Hüten wir uns aber vor Undank und Sattheit, denn da hätten wir diese selige Zeit zum Längsten gehabt und blieben Rottengeister nicht lange aus, die, wie bei den Galatern, in kurzer Frist zerstörten, was durch jahrelange Mühe die reine Lehre gewirkt hat!

    Doch auch zu einer Prüfung unserer selbst lasst uns diese Lehre unserer heutigen Epistel anwenden.

    Da nämlich Mündigkeit und Selbständigkeit, wie Freiheit und Gleichheit zu den Schlagwörtern unserer Zeit gehören, so lassen sich auch viele Christen von dem Geschrei der Freiheitsschwärmer betören und verlieren die Unterscheidung zwischen leiblicher und zwischen geistlicher Mündigkeit, ja, verlieren auch mehr und mehr den rechten Verstand eines jeglichen. So kommt es, dass man schon bei der Erziehung der Kinder vergisst, dass dieselben bis auf die bestimmte Zeit vom Vater unter den Pflegern und Vormündern sein müssen, und daher ihnen allen Willen tun und sie in alles drein reden lässt, statt sie an Gehorsam zu gewöhnen. Die Folge ist, dass die heranwachsende Jugend nur zu bald in jeder Beziehung mündig und den Eltern und anderen Vorgesetzten nicht mehr untertan sein will, alle Pietät, alle Scheu vor dem Alter immer mehr auszieht und allewege das Wort vergisst: „Vor einem grauen Haupt sollst du aufstehen“ und: „Einen Alten schilt nicht, sondern ermahne ihn als einen Vater.“ Ach, und wie macht sich der fleischliche Verstand der geistlichen Mündigkeit auch in der Stellung zum Wort Gottes und deren berufenen und treuen Verkündigern geltend, indem man es als priesterliche Herrschaft und Bevormundung ansieht, wenn man sich durch helle und klare Gottesworte lehren, zurechtweisen, strafen, ermahnen und warnen lassen soll und in Sachen der Lehre darauf gedrungen wird, dass man die Vernunft unter den Gehorsam des Glaubens gefangen nehme.

    Prüfe sich daher ein jeder unter Jung und Alt, ob er nicht hier von diesem herrschenden Geist angesteckt worden ist und habe sich einem fleischlichen Verstand und Gebrauch der geistlichen Mündigkeit ergeben. Wisst, dass je mehr ein Christ durch den Glauben zur geistlichen Mündigkeit gelangt, desto mehr wandelt er, besonders wenn er zu den Jüngeren gehört, freiwillig in den Schranken des 4. Gebotes, desto mehr ist er Eltern, Lehrern, Predigern, Hausherren und Hausfrauen untertan, desto mehr begegnet er seinen Vorgesetzten und dem Alter mit Ehrerbietung und lässt sich überhaupt aus Gottes Wort gern belehren und zurechtweisen, er sei jung oder alt. Und wiederum je mehr man vom lebendigen Glauben abkommt und so seine geistliche Mündigkeit wieder verliert, je ungebundener von Gottes Wort will man sein, je weniger fragt man etwas nach göttlicher und menschlicher Ordnung.

    Daher entsteht eigentlich für einen jeden die Frage: Bin ich ein Kind Gottes? Bin in wiedergeboren? Stehe ich im lebendigen Glauben? Oder habe ich den Heiligen Geist so betrübt, dass er wieder von mir weichen musste und ich also nicht mehr Gottes Kind bin? Ach, das ist die Hauptfrage, über die sich doch ein jeder gewiss werden muss. Lasst uns nicht von dem alten Jahr scheiden, ohne auf sie eine bestimmte Antwort zu haben. Können wir sie nicht bejahen, o, so lasst uns Buße tun, dass wir zur Kindschaft und so zur geistlichen Mündigkeit wieder erneuert werden. Können wir sie aber bejahen, o, so lasst uns dem HERRN allein die Ehre geben und ihn im neuen Jahr desto fleißiger und brünstiger bitten, er wolle den Heiligen Geist, den Geist seines Sohnes, den Geist der Kindschaft in unseren Herzen wohnen lassen, damit wir versiegelt seien auf den Tag der Erlösung. Amen.

 

Gebet: Allmächtiger, ewiger Gott, der du deinen Sohn darum hast lassen Mensch werden und unter das Gesetz getan, damit er durch sein heiliges Leben, Leiden und Sterben uns loskaufte von dem Gesetz und seinem Fluch; wir bitten dich: Verleihe und gnädig deinen Heiligen Geist, damit wir solche deine große Liebe und Barmherzigkeit wahrhaft erkennen, von Herzen an dieselbe glauben und durch solchen Glauben den Geist der Kindschaft empfangen und bewahren mögen, bis du dereinst am Ende dieser Zeit uns mit allen deinen Gläubigen das verheißene ewige Erbe geben wirst – durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: das vorige, V. 9 u. 10

 

 

Epistelpredigt zum Neuen Jahr ueber Galater 3,23-29: Der dreifache Glueckwunsch des Apostels bei Eintritt in das neue Jahr

 

Gesang: Nun freue dich, o Christenheit.

 

    Jesus Christus gestern und heute und derselbe in Ewigkeit! Die Gnade dieses unseres HERRN Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch heute und bleibe mit euch allen auch in diesem neuen Jahr. Amen.

 

Galater 3,23-29: Ehe denn aber der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahret und verschlossen auf den Glauben, der da sollte offenbart werden. So ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus, damit wir durch den Glauben gerecht würden. Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. Denn ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christus Jesus. Denn wieviel euer getauft sind, die haben Christus angezogen. Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Frau; denn ihr seid allzumal einer in Christus Jesus. Seid ihr aber Christi, so seid ihr ja Abrahams Samen und nach der Verheißung Erben.

 

    Geliebte in dem HERRN! Auf seiner beschwerlichen Pilgerfahrt aus der Fremde nach der Heimat begegnete im Ostjordanland dem Erzvater Jakob eine himmlische Gesandtschaft, die ihn bei Eintritt in das verheißene Land willkommen hieß und ihm den göttlichen Schutz zusicherte. Es waren das die Engel Gottes. Hocherfreut und neu gestärkt zur Fortsetzung seiner Pilgerreise rief er aus: „Es sind Gottes Heere!“ und nannte die Stätte Mahanaim, zu Deutsch: „Doppelheer“.

    Ich meine nun, ein himmlischer Doppelheer begegnet auch uns Erdenpilgern heute beim Übergang aus dem alten Jahr in das neue Jahr.

    Das eine Heer ist das der heiligen Engel. Sie sind ja „ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit“. Und noch immer lagert sich der Engel des HERRN „um die her, die ihn fürchten und hilft ihnen aus“.

    Das andere Heer ist das der Heiligen Gottes, die bereits unter dem Herzog der Seligkeit, Jesus Christus, überwunden haben. Diese begegnen uns nämlich in dem Namensverzeichnis des Büchleins, das uns wieder für ein ganzes Jahr die kirchliche und bürgerliche Zeitteilung bringt. Das Büchlein ist der Kalender.

    Voran steht der hochgelobte Name Jesu, der Name, der über allen Namen ist. Warum? Schon darum, weil heute der Beschneidungs- und Namenstag des neugeborenen Jesus ist; denn so heißt es im heutigen Evangelium: „Und da acht Tage um waren, dass das Kind beschnitten würde, da wurde sein Name genannt Jesus, welcher genannt war von dem Engel, ehe er denn im Mutterleib empfangen wurde.“ Dass nun dieser Name beim Anfang eines neuen Jahres obenan steht, dass die Feier des Beschneidungs- und Namensfestes mit dem Anfang eines bürgerlichen Neujahrs zusammentrifft und man die Jahre überhaupt von der Geburt Christi vorwärts wie rückwärts zählt, das ist für uns Christen eine gar tröstliche Wahrnehmung, zugleich aber auch ein fortwährendes gewaltiges Zeugnis an die ungläubige Welt, dass das von ihr unaufhörlich verspottete und bekämpfte Christentum längst zur herrschenden Macht geworden ist und dass der Name, außer welchem es kein Heil und keine Seligkeit gibt, durch seine Heilwärtigkeit auch Glück in das bürgerliche Leben allüberall gebracht hat, wo man ihm die Ehre gab, während das Unglück kam, wo überall man mit beharrlicher Feindschaft diesem Namen begegnete.

    An den hochgelobten Namen Jesu reihen sich darauf eine Anzahl Namen, beginnend mit dem Namen Abel, des Ersten der verzeichneten Heiligen Gottes, den um seines Glaubens willen Kain zerschlug und der somit eigentlich der erste Blutzeuge im Alten Testament ist, wie nebst den Kindlein zu Bethlehem Stephanus der erste Blutzeuge im Neuen Testament. Alle diese Namen vom 2. Januar bis 31. Dezember, dem Tag Sylvesters, sind nämlich das von der ältesten Kirche angelegten Namensverzeichnis der Märtyrer zum jährlichen Gedächtnis derselben. Freilich befinden sich darunter genug Namen fabelhafter und seltsamer Heiliger, die des Antichrists Hand hineingesetzt hat. Aber diese abgerechnet, die füglich mit helleuchtenden Namen lutherischer Märtyrer und Zeugen der Wahrheit ersetzt werden könnten, wie dies auch bereits mit dem Namen Luther geschehen ist – abgesehen also von diesen Namen: Was bedeuten uns die Namen von Heiligen Gottes, wie der eines Abel und Henoch im Alten Testament, und eines Simon, Johannes des Täufers und vornehmlich der heiligen Apostel im Neuen Testament mit dem Namen Jesu, des Herzogs der Seligkeit, an der Spitze? Die schönste Deutung wird uns wohl durch das apostolische Wort Hebr. 12,1 und 2 gegeben: Darum, weil wir einen solchen Haufen Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen die Sünde, die uns immerdar anklebt, und aufsehen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens, welcher, ob er wohl hätte können Freude haben, erduldete er das Kreuz und achtete der Schande nicht und ist gesessen zur Rechten auf dem Stuhl Gottes.“ Seht, das ist das andere Heer, das Heer aus der triumphierenden Kirche, das uns, die wir noch in der streitenden Kirche wallen, von einem Jahr zum anderen, durch das Namensverzeichnis des Kalenders in Erinnerung kommt und, so weit es die Namen wahrer Heiliger sind, mit jedem neuen Jahr auf der Pilgerreise uns begegnet.

    Und nun seht, aus dieser Schar der vollendeten und triumphierenden Gerechten tritt heute einer hervor und ruft uns beim Eintritt ins neue Jahr zur Fortsetzung unserer Pilgerreise ein Wort zu, indem er uns gleichsam grüßt, indem er uns gleichsam einen dreifachen Glückwunsch zum neuen Jahr bringt. Schon in den Christfesttagen begegnete er uns. Es ist dies Paulus, es ist dies der Apostel der Heiden, der uns, die wir nach unserer Abstammung Heiden gewesen sind, allewege predigt, dass wir durch Christus unter seinem Volk nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen sind. Seine Worte in der heutigen Epistel werden uns zu einem dreifachen Glückwunsch an den mit dem Fest der Beschneidung und des Namens Jesu verbundenen Neujahrstag.

    Wohlan, so lasst uns denn hören und erwägen

 

Den dreifachen Glückwünsch, den uns der Apostel beim Eintritt in das neue Jahr zur getrosten Fortsetzung der Pilgerreise entgegen bringt

 

    Der Apostel wünscht uns nämlich Glück

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Zu unserer Freiheit, damit uns Christus befreit hat;

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Zu unserer Gleichheit, welche ebenso völlig wie lieblich ist, und

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Zu unserem Erbe, das behalten wird im Himmel.


Jesus, geh voran

Auf der Lebensbahn.

Und wir wollen nicht verweilen,

Dir getreulich nachzueilen,

Führ uns an der Hand

Bis ins Vaterland.

Ordne unsern Gang,

Liebster lebenslang;

Führst du uns durch raue Wege,

Gib uns auch die nötge Pflege;

Tu uns nach dem Lauf

Deine Türe auf.

 

 

 

    Ach, HERR; du menschgewordener Gottessohn, du Anfänger und Vollender des Glaubens, Jesus Christus, gestern und heute und in Ewigkeit, mache uns auch in dieser ersten Stunde unserer Versammlung im neuen Pilgerjahr dazu recht willig und recht tüchtig um deines heilwärtigen Jesusnamens willen. Amen.

 

1.

    Ehe denn aber der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahret und verschlossen auf den Glauben, der da sollte offenbart werden. So ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus, damit wir durch den Glauben gerecht würden. Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister.“ So grüßt uns der Apostel zuerst. Fassen wir die Worte der heutigen Epistel als einen apostolischen Glückwunsch zum neuen Jahr auf, so vernehmen wir hier einen Glückwunsch zu unserer Freiheit, damit uns Christus befreit hat.

    Aber was ist das für eine Freiheit? Ist es z.B. die bürgerliche Freiheit? Wohl darf man gerade uns Christen dieses Landes heute wieder Glück wünschen, dass wir des Vollbesitzes und des Vollgenusses dieser durch die Landesverfassung gewährleisteten Freiheit uns noch immer erfreuen, trotzdem die Papstknechte ausgesprochenermaßen und mit Dienstbarmachung feiler Politiker wie Maulwürfe an deren Untergrabung arbeiten und trotzdem, dass von den Gottlosen diese Freiheit je länger je schändlicher zum Schaden des ganzen Landes missbraucht und in eine Gesetzlosigkeit verkehrt werden soll. Ist doch das herrlichste Stück dieser bürgerlichen Freiheit die uneingeschränkte Gewissensfreiheit. Dass wir lutherische Christen dieses Landes noch immer unseren Glauben so frei von allem Druck und aller Bevormundung des weltlichen Staates leben können, das ist eine Gnade, die wir zwar nicht verdient haben, um welcher willen wir aber wohl zu beglückwünschen sind und deren Vollbesitz und Vollgenuss wir daher heute umso mehr von Herzen auch unseren bedrängten Glaubensbrüdern in anderen Ländern wünschen.

    Aber so köstlich dieses Gut der bürgerlichen Freiheit namentlich wegen der Gewissensfreiheit ist, der Apostel redet doch von einer anderen Freiheit, von einer Freiheit, deren man teilhaftig sein kann auch unter dem härtesten Tyrannenjoch und unter dem grausamsten Sklavenjoch.

    Es ist die Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, die Freiheit von dem Gesetz, das Gott einst durch Mose auf dem Berg Sinai gegeben hat, wie die Worte der vorigen Epistel und so die Worte dieser Epistel klar und deutlich lehren und von der wir bereits am vorigen Sonntag gehandelt haben, daher es hier nur einer summarischen Wiederholung bedarf.

    „Ehe der Glaube kam“ – ehe nämlich der verheißene Christus erschien, die Predigt des Evangeliums von der Gerechtigkeit aus dem Glauben in aller Welt erscholl und der Geist der Kindschaft in Fülle vom Himmel ausgegossen wurde, da „wurden wir unter dem Gesetz verwahrt und verschlossen“. Durch das Gesetz Moses, das nicht allein in den zehn Geboten, als dem Hauptteil, das sittliche Verhalten gegen Gott und den Nächsten bestimmte, sondern auch eine große Menge von Geboten für den äußerlichen Gottesdienst und für das bürgerliche Wesen enthielt, wurde um das Volk Israel ein Zaun gezogen, der es nicht allein von allen heidnischen Völkern streng abschloss, sondern der auch, wie wir am Sonntag sahen, die Kinder Gottes unter Israel im fröhlichen Genuss und Gebrauch der Freiheit durch Christus, die sie im Glauben an den Verheißenen doch auch schon hatten, nicht wenig einschränkte, wie das Kind eines Königs im Gebrauch seiner erblichen Würde und Macht noch sehr eingeschränkt ist, so lange es sich unter der Hand seines Erziehers befindet, also, dass äußerlich zwischen ihm und irgendeinem königlichen Diener kein Unterschied ist. Aber wie dies königliche Kind nur darum unter dem Zuchtmeister oder Erzieher steht, dass es in den Jahren der Mündigkeit seine Würde und Macht recht brauche, so wurden wir, sagt der Apostel, unter dem Gesetz verwahrt und verschlossen, „auf den Glauben, der da sollte offenbart werden. So ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus, damit wir durch den Glauben gerecht würden. Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister.“

   Zu dieser Freiheit vom Gesetz nun, die, wie ihr wohl merkt, nicht eine fleischliche, sondern eine geistliche Freiheit ist, beglückwünscht uns Pilgrime denn der Apostel am Morgen dieses neuen Jahres durch den Zuruf: „Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister.“

    O überaus tröstlicher Glückwunsch! Denn was verkündigt er uns? Im Allgemeinen verkündigt er uns, dass wie im vergangenen Jahr die Zeit der Gnaden gewährt hat, so soll auch das junge Jahr für uns ein Jahr der Gnade und der Predigt vom Glauben bleiben, wie viel sich auch in der Welt umher und in unseren besonderen bürgerlichen, häuslichen und kirchlichen Verhältnissen ändern mag. Was verkündigt er uns aber im Besonderen? Das zeigt uns ein Blick auf die Frucht der Stellvertretung Christi, der durch die Beschneidung am heutigen Tag [öffentlich] unter das Gesetz für uns getan worden ist, damit er an unserer Statt es vollkommen erfüllte und an unserer Statt seinen Fluch trüge und so uns von dem Fluch, wie von dem Zwang und den Forderungen des Gesetzes erlöste.

    So ruft uns denn der Apostel erstlich zu: Heil euch, dir ihr glaubt an den Namen Jesu, denn ihr seid durch Christus frei von dem Fluch des Gesetzes! Setzt darum getrost eure Pilgerreise fort!

    Ach, Geliebte, welch eine schreckliche, unerträgliche Last wäre doch dieser Fluch des Gesetzes. Heißt’s denn nicht am Schluss der Gebote, dass er, der da ist ein starker und eifriger Gott, die Sünde der Väter heimsucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied? Heißt’s denn nicht bei der Wiederholung des auf Sinai gegebenen Gesetzes: „Verflucht ist, wer nicht hält alle Worte dieses Gesetzes, dass er danach tue“? Und was ist’s, das dem Sohn Gottes dort am Ölberg Zittern und Zagen erregt und blutigen Schweiß hervortreib t, das ihn dreimal um Enthebung von dem bitteren Kelch flehen lässt und das zu tragen seiner zarten Menschheit nur durch die in ihm wohnende Gottheit möglich wurde? Was ist’s denn, das ihn an das Kreuz, in den Tod, bis in Gottverlasseinsein bringt? Es ist der Fluch des Gesetzes, es ist unser Fluch, den er von uns auf sich genommen hat.

    Wer demnach heute und wer durch Gottes Gnade in den kommenden Tagen sich zu dieser Stellvertretung Christi bekennt, wer da von Herzen glaubt, dass Christus auch für ihn ein Fluch wurde, der soll gewiss sein, dass er nicht mehr unter dem Fluch des Gesetzes steht. O glücklicher Mensch, der frei von dieser Last den Pilgerweg weiter wallt! Nicht, als ob nun die Sünde für ihn ein leichter Spielball geworden wäre, oder als ob er diese Freiheit wie ein ungeratenes verblendetes Kind gebrauchen könnte, dessen gemachte Schulden der Vater bezahlte und das nun desto flotter drauf los lebt, in der Annahme, der Vater habe ja genug Geld, um neue Schulden für ihn zu bezahlen. O nein, nein! Sünde bleibt Sünde auch für den Gläubigen und trifft allein ihn darum nicht der Fluch, weil er sich unter die Flügel Christi geflüchtet hat und so lange er von denselben bedeckt ist. Ein gläubig gewordener Christ fürchtet sich vielmehr vor der Sünde, wie das gebrannte Kind vor dem Feuer. Er nimmt sich vor derselben jetzt nur umso mehr in Acht, weil er weiß, dass, wer nicht ernstlich gegen die Sünde streitet, der kommt wieder unter ihre Knechtschaft und damit unter ihren Fluch, und, wenn er’s hat versehen aus Schwachheit, tut’s ihm alsbald von Herzen leid und erschrickt er vor den Drohungen des Gesetzes und dem Zorn Gottes. Aber eben, weil er durch das Gesetz sich strafen lässt und so bußfertig bleibt, so bleibt er auch unter der Gnade und schwebt über ihm kein Fluch; und weil er das durch den Glauben von Jahr zu Jahr immer besser erkennt und anwenden lernt, so wird im Fortgang seiner Pilgrimschaft sein Gewissen immer ruhiger, so weicht aus seinem Herze nimmer mehr die Furcht vor Tod und Gericht. Blickt daher ein solcher heute auf das verflossene Jahr zurück, so wird er ja freilich mit tiefer Beschämung wahrnehmen, wie trotz alles Eifers in der Heiligung doch aus Schwachheit so viel von ihm gesündigt und so viel Gutes von ihm unterlassen oder doch höchst mangelhaft vollbracht worden ist. Wird doch gerade bei einem wahren Christen von Jahr zu Jahr die Erkenntnis des erbsündlichen Verderbens immer größer und das Gewissen immer zarter und geschärft er! Aber da erblickt er gleich schon beim Anfang des neuen Jahres Jesus in seiner Beschneidung und mit seinem heilsamen Namen horcherfreut ruft er aus:

Hier lässet sich das fromme Kind

Für alle Welt beschneiden,

Dass alle, die wir Sünder sind,

Den Fluch nicht müssen leiden.

    Und weil er weiß, dass es auch im Fortgang seiner Pilgerreise an Sünde und Schwachheit trotz allem Kampf gegen die Sünde nicht fehlen wird, so spricht er schon heute:

Will mich Moses Eifer drücken,

Blitzt auf mich des Gesetzes Weh,

Droht Straf und Hölle meinem Rücken,

So steig ich gläubig in die Höh

Und flieh in deiner Seite Wunden,

Da hab ich schon den Ort gefunden,

Wo mich kein Fluchstrahl treffen kann.

Tritt alles gegen mich zusammen,

Du bist mein Heil, wer will verdammen?

Die Liebe nimmt sich meiner an.

    Lässt sich da nicht auch leichter die Reise fortsetzen zum Ziel, wenn dem Wanderer seine schwerste Last abgenommen ist?

    Weil wir aber frei sind vom Fluch des Gesetzes, so ruft uns der Apostel für’s andere zu: Heil euch, ihr seid auch frei von den Forderungen wie von dem Zwang des Gesetzes, denn Christus ist des Gesetzes Ende. Er hat allen seinen Forderungen an euch ein Genüge getan und alles Vorbildliche in demselben erfüllt, auch hat er euch den Heiligen Geist erworben, der Gottes Gesetz in euer Herz schreibt.

    Wie schwer ist doch heute dem das Herz, der bedeutenden Rechnungen entgegen sieht, die in den nächsten Wochen bei ihm einlaufen sollen, und der nicht weiß, wie sie zu bezahlen. Wie leicht kann daher heut dem Christen das Herz werden, da er aufs neue die Versicherung erhält, dass, wer an Christus glaubt, an den kann das Gesetz keine Forderung mehr machen. Ohnehin ist für ihn nur noch das Sittengesetz der zehn Gebote vorhanden, denn das levitische, wie das bürgerliche Gesetz Israels ist durch die Erscheinung Christi aufgehoben und ist uns Christen daher nichts geboten als allein der Glaube und die Liebe. Aber auch von den Forderungen der zehn Gebote sind wir durch den Glauben an Christus frei. Nicht, als ob seine Forderungen an uns weniger streng geworden wären, oder als ob seine Verbindlichkeit, die es für alle Menschen hat, für uns aufgehört hätte, wohl aber können wir das Gesetz, so oft es seine Forderungen in unserem Gewissen geltend macht, an Christus weisen, weil der für uns alle Gebote Gottes vollkommen erfüllt hat, und Gott uns nun um seinetwillen ansieht, als hätten wir selbst alle Gebote vollkommen erfüllt und erfüllten sie fort und fort vollkommen. Erinnert euch doch nur, wie diese Forderungen des Gesetzes einen Luther im Kloster von Jahr zu Jahr gemartert haben, so lange er den nicht erkannte, der da ist des Gesetzes Erfüllung und der da heißt: Jahwe Zedakah, d.i. HERR, der unsere Gerechtigkeit ist. Wie kann dagegen in seiner Erkenntnis ein Sünder trotzen und mit Paulus rufen: „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht! Wer will verdammen? Christus ist  hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns!“

   Und doch wird dabei das Gesetz in uns erfüllt dem Anfang nach, da uns Christus frei gemacht hat von dem Zwang des Gesetzes. So lange ein Mensch an Christus nicht glaubt und doch auch nicht ruchlos leben und mit den Gottlosen zur Hölle fahren will, so hat er weder rechte Lust noch viel weniger Kraft zum Gehorsam gegen Gottes Gesetz. Es ist ihm ein Joch, das er viel lieber abschütteln wollte. Nur die knechtische Furcht ist’s, die ihn antreibt, äußerlich ehrbar zu leben und etliche gute Werke zu tun. Das wird ihm aber trefflich sauer, und weil es dabei im Gewissen doch so oft heißt: Das ist noch lange nicht genug! So regt sich auch heimlich Feindschaft im Herzen gegen Gott, als der vom Menschen zu viel fordere. Wie anders, wenn ein Mensch zum Glauben an Christus kommt. Da wandelt solcher Glaube durch den Heiligen Geist sein Herz. Da bekommt er Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen und wird nach und nach in seinem Leben demselben immer gehorsamer. Da ist ihm das Gesetz Gottes nicht mehr ein schauerlicher Kerker, sondern nunmehr ein lieblicher Lustgarten, nicht mehr ein Riegel, sondern eine Regel. Da greift er auch mit dem Bewusstsein, dass alle seine Werke durch Christus Gott gefallen, besonders getrost zur Ausrichtung seines zeitlichen Berufs und sorgt nicht so sehr, wie es gelinge, sondern wie er nur recht Treue beweise. O, mit wie viel leichterem Herzen trägt der Pilger Gottes die Beschwerden seines Berufs! Wie viel selbst verschuldeten Unglück erspart er sich dabei! Und wie wird sein Gang durchs Leben zum Segen für andere, dieweil er ihnen dient in der Liebe!

    Seht, diese Freiheit vom Fluch, wie von den Forderungen und vom Zwang des Gesetzes ist es, zu der uns heute Paulus Glück wünscht.

    O dass zu dieser Freiheit in diesem neuen Frist- und Gnadenjahr so mancher unter uns durch die Predigt vom Glauben kommen möchte, der noch unter der Knechtschaft des Gesetzes steht, weil er entweder noch ein Sündendiener oder ein Selbstgerechter ist. O, dass jeder, der sie heute durch den Glauben genießt, sie in diesem Jahr bewahre und keiner durch falsche lehre oder geistlichen Hochmut oder fleischlichen Missbrauch sich selbst wieder um sie bringe. Ihr aber, die ihr euch von den Freiheitsaposteln unserer Tage habt verführen lassen, die eine Freiheit meinen, welche in der vollendeten Gottlosigkeit, in der völligen Gesetzlosigkeit und im Umsturz aller göttlichen und menschlichen Ordnung besteht – o dass ihr noch zur Besinnung kämt und einsehen lernt, dass ihr in die schmählichste Knechtschaft geraten und in dieser denn auch die Furcht vor Tod und Gericht nicht los geworden seid! „So euch der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei“ – und ihr könnt noch Genossen unserer rechten Freiheit werden, so wie ihr glaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.

 

2.

    Mit dieser unserer rechten Freiheit ist denn nun eine Gleichheit verknüpft, welche überaus herrlich ist. Im Zusammenhang mit den vorausgehenden Worten beglückwünscht daher der Apostel uns weiter so: „Denn ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben, denn wie viel euer getauft sind, die haben Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Knecht noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid allzumal Einer in Christus.“

    Freiheit und Gleichheit sind bekanntlich heutzutage die Losungsworte der Kinder dieser Welt in fast allen landen. Aber wie die Freiheit ist, welche die Welt meint, so auch die von ihr gewünschte und erstrebte Gleichheit. Sie meint nämlich die Aufhebung aller bestehenden äußerlichen Unterschiede der Nationalität, des Standes und des Geschlechtes. Wie es aber in der Welt aussehen würde, wenn es den heutigen Weltverbesserern mit der Verwirklichung ihrer Gleichheitsträume gelänge, davon hat man in der ersten französischen Revolution zu Ende des 18. Jahrhunderts ein abschreckendes Vorspiel gehabt, Da haben diese Träumer alles so gleich gemacht, dass sie nicht nur allen Leuten, die eines Hauptes länger waren, vom König bis zum Gutsbesitzer, den Kopf abschlugen, sondern auch zuletzt dekretierten, in Frankreich dürfe hinfort kein Gott mehr sein; wo noch die Herrschaft eines höheren Wesen anerkannt würde, da sei unter den Menschen noch keine wahre Gleichheit und darum noch keine wahre Freiheit. Ach, wie glücklich war nun das Volk geworden, als da nun sich alle gleich fühlten und daher nun keiner mehr dienen, sondern jeder jetzt herrschen wollte, als da geraubt, gemordet und gewirtschaftet wurde nach Herzenslust, als die Guillotine täglich vom Morgen bis zum Abend die Köpfe abhackte und es auch da mit dem Gleichmachen den Führern nicht schnell genug ging und der Glaube an einen Gott schon hinreichend war, um einen Menschen als Feind der Freiheit und des Vaterlandes auf das Schafott zu bringen.

    Die Gleichheit, die wir durch Christus und in Christus haben, ist eine ganz andere, gleichwie ja auch die Freiheit, damit uns Christus befreit hat, eine ganz andere ist. Weit entfernt, dass das Evangelium die Ordnungen in der Welt ändert und die bestehenden äußerlichen Unterschiede unter den Menschen aufhebt, bestätigt es vielmehr diese, lehrt die Untergebenen, ihren Vorgesetzten untertan und gehorsam sein, ermahnt einen jeglichen, in seinem Beruf zu bleiben und in dem desto mehr dem Nächsten nach der Liebe zu dienen, und hält ein Paulus selbst den entlaufenen Sklaven Onesimus an, zu Philemon, seinem Herrn, wieder zurückzukehren.

    Worin nun diese unsere Gleichheit in Christus besteht, sagt der Apostel klar und deutlich. Denn erst redet er davon, dass wir alle durch den Glauben Gottes Kinder sind, und dann sagt er: „Hier“, in Betreff dieser Gotteskindschaft, „hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Knecht noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid allzumal Einer in Christus.“ Bei dem äußerlichen Unterschied der Abstammung, des Standes und des Geschlechts macht der Glaube an Christus darin alle einander gleich, dass sie alle Gottes Kinder sind.

    O überaus herrliche Gleichheit! Denn ein Kind Gottes zu sein und zu heißen, darin besteht ja sowohl unsere höchste Würde, unser höchster Adel, unsere höchste Bestimmung, als auch unser innigstes Verhältnis zu dem allerhöchsten Gott. „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder heißen sollen“, ruft darum Johannes aus.

    Und nun seht, diese Würde, dieses Verhältnis erkennt uns heute der Apostel wieder zu, ja mit ebenso großer Freude wie Gewissheit ruft er uns entgegen: „Ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben!“ Und damit wir keinen Augenblick daran zweifeln dürfen, dass wir, die wir Kinder des Zorns von Natur, Kinder der Hölle und des Todes waren, in Wahrheit Kinder Gottes des Allerhöchsten sind, so weist der Apostel hin auf das Mittel der Wiedergeburt und das Siegel des Glaubens, indem er hinzusetzt: „Denn wie viel euer getauft sind, die haben Christus angezogen.“ Es ist wohl keiner hier, der nicht schon getauft wäre und dürften vielleicht nur wenige oder am Ende kein einziger hier sein, der nicht schon als unmündiges Kind getauft worden wäre. Nun denn, „wie viel euer getauft sind, die haben Christus angezogen“, und wie viel von euch Getauften noch im wahren Glauben an Christus stehen, die sind noch Kinder Gottes, die haben Christus noch an. Diese wenigen Worte am Anziehen Christi aber fassen mehr in sich als ein menschlicher Verstand begreifen kann und zeigen abermals, dass die Kindschaft bei Gott die höchste Würde sei; denn Christus anziehen heißt ja nicht, wie Irrlehrer behaupten, Christus in seinem Wandel ähnlich werden, sonst könnte man in diesem Sinn Petrus, Paulus und andere Heilige anziehen, sondern Christus anziehen heißt: in die innigste Gemeinschaft mit Jesus, dem menschgewordenen Gottessohn, durch den Glauben und vermittelst der Taufe kommen, dass er uns so nahe, ja viel näher als das Kleid dem Leib ist, so dass er uns ganz und gar deckt mit seiner Unschuld und Gerechtigkeit, ganz und gar uns gehört mit allem, was er ist und hat, und daher der Vater sein innigstes Wohlgefallen an uns hat, weil er an uns allein seines Sohnes Gerechtigkeit sieht und dabei auch seines Sohnes Geist in unserem Herzen schreit: „Abba, lieber Vater!“

    Ja, wahrlich, eine herrliche Gleichheit, da Jude und Heide, Herr und Sklave, Mann und Frau gleiche Würde in Christus besitzen und es bei einem jeden heißt:

Christi Blut und Gerechtigkeit,

Das ist mein Schmuck und Ehrenkleid;

Damit will ich vor Gott bestehn,

Wenn ich zum Himmel wird eingehn.

Und da eines wie das andere zu dem Vater unseres HERRN Jesus Christus in einem Verhältnis steht, das inniger noch ist als das Verhältnis eines leiblichen Kindes zu seinem leiblichen Vater.

    Ach, wie leicht lässt da dann der Druck des äußerlichen Unterschieds während der Pilgrimschaft, wie leicht selbst das Tyrannen- oder das Sklavenjoch sich tragen! Wie wird auch innerlich dadurch die Kluft des äußerlichen Unterschiedes verengt, wenn ein Philemon in seinem Sklaven Onesimus einen Menschen sieht, der in Christus ebenso ein Kind Gottes ist wie er!

    Und welch eine Fülle des Trostes für die weitere Pilgerfahrt liegt doch in der Gewissheit, dass wir Gottes Kinder sind! Als solche stehen wir für unsere noch übrige Pilgerfahrt unter Gottes ganz besonderer Aufsicht und werden weiter geführt nach dem ewigen, weisen und seligen Rat Gottes, nach welchem unser bisheriger Lebensgang geordnet war. Bist du ein Kind Gottes, so darf kein Härlein dir gekrümmt werden ohne den Willen deines himmlischen Vaters, so mögen Menschen über dich beschließen, was sie wollen ,dein himmlischer Vater kennt ihren Rat und spricht abermals: „Mein Rat besteht, den ich über mein Kind schon von Ewigkeit gefasst habe und wenn ihr denkt, es böse zu machen, so gedenke ich, es gut zu machen.“ Ob auch wieder die Zukunft dunkel und drohend vor uns liegt, so wissen wir als Kinder Gottes doch eines zum Voraus gewiss, nämlich dies, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, die nach dem Vorsatz berufen sind, und ob auch wieder unser viele Trübsale warten und Gott uns wunderlich führt: Erkennen wir uns als Kinder Gottes, so wird uns der Geist der Kindschaft abermals sprechen lehren: „Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand. Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an. Rufen wir zu ihm in unseren Nöten, so will er uns ferner erretten nach seiner Verheißung und uns durch seinen Sohn gnädig erhören. Und wird’s in der zu Ende eilenden Welt in diesem Jahr noch grausiger, so heißt er uns als seinen Kindern nur umso mehr die Häupter zu erheben, darum, dass sich unsere Erlösung naht.

 

3.

    Sind wir aber Kinder Gottes, so sind wir auch Erben Gottes und Miterben Christi. Darum beglückwünscht uns auf der Schwelle eines neuen Jahres der Apostel auch zu unserem Erbe, das behalten ist im Himmel, indem er uns schließlich zuruft: „Seid ihr aber Christi, so seid ihr ja Abrahams Same und nach der Verheißung Erben.“

    Wunderbares Erbe, das wir als der geistliche Same Abrahams nach der Verheißung und durch die Taufe nach der Hoffnung haben. Es ist nicht das Land Kanaan, es liegt überhaupt nicht auf Erden, sondern es ist das Erbe, von dem uns u.a. Petrus schreibt: „Gott hat uns nach seiner Barmherzigkeit wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das behalten wird im Himmel euch, dir ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit.“ Es ist ein unvergängliches Erbe, denn weil es die Vereinigung mit dem in sich fasst, der allein Unsterblichkeit hat, so trägt es keinen Keim des Todes und des Verderbens in sich, wie sonst alles Irdische. Es ist ein unbeflecktes Erbe, denn an ihm haftet kein Mord, nicht Ungerechtigkeit, nicht sonstiger Schlamm, wie an so manchem großen und kleinen irdischen Erbgut, denn es ist erworben durch Christus. Es ist ein „unverwelkliches“ Erbe, denn es bleibt ewig schön und ewig herrlich, während hier alle Schönheit verblüht und alle Herrlichkeit ist wie des Grases Blume; und die Freude daran und der Genuss desselben bleibt sich auch ewig gleich, während auf Erden schon die Freude an den irdischen Gütern verwelkt, noch ehe diese verwelken. Und dieses Erbe ist uns sicher, ganz sicher, denn es wird behalten, es wird deponiert im Himmel“, es ruht in Gottes allmächtiger Hand, und damit wir es auch seiner Zeit erlangen, so werden wir „aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt zur Seligkeit.“

    Diesem unaussprechlich schönen und sicheren Erbe, gegen welches alle Leiden dieser Zeit nichts sind, kommen wir mit jedem Jahr um einen Schritt näher. Dieses erglänzt am Ende unseres Pilgerweges und zeigt sich fort und fort dem Auge des Glaubens. O, wie versüßt es alles Leid! Wenn jemand weiß, dass er auch nur zum Erben eines großen irdischen Vermögens eingesetzt ist, wie leicht fällt es ihm da schon, für eine Zeitlang noch trockenes Brot zu essen, geringe Kleider zu tragen, in armseliger Hütte zu wohnen, verachtet zu sein und sonst sich drücken und behelfen zu müssen. Und ob es auch geschehe, dass in diesem Jahr der Tod eines der Unseren raubt, oder die Gesundheit schwindet, oder Geld und Gut zusammenschmilzt – des HERRN Wille geschehe, genug, dass wir ein Erbe haben, das behalten wird im Himmel. Kommt aber der Tod für den einen und den anderen unter uns in diesem Jahr, nun dann versetzt er uns ins himmlische Erbe.

    Auf denn, meine Brüder und Schwestern in dem HERRN, greifen wir getrost zum Wanderstab nach einem solchen apostolischen Glückwunsch zu unserer Freiheit, welches die rechte ist, zu unserer Gleichheit, die wir durch den Glauben gemein haben und die so lieblich ist, und zu unserem herrlichen Erbe, das behalten wird im Himmel. Lasst uns nur Gott bitten, dass wir das, was wir hiervon wissen, auch mit dem Herzen im Glauben ergreifen im Leben betätigen und im Leiden uns trösten und so dessen immer gewisser werden, dass auch unser Name eingetragen ist im Buch des Lebens. Zu ihm, dem Treuen und Wahrhaftigen, flehe daher jetzt und fort und fort ein jeglicher:

Schreib meinen Nam aufs Beste

Ins Buch des Lebens ein,

Und bind mein Seel fein feste

Ins schöne Bündelein

Der’r, die im Himmel grünen

Und vor dir leben frei,

So will ich ewig rühmen,

Dass dein Herz treue sei.

 

Gebet: Barmherziger Gott und Vater, wir danken dir von Herzen, dass du uns Heiden zur Erkenntnis deines Sohnes Jesus Christus und so zur Erbschaft des ewigen Lebens berufen hast, und bitten dich, regiere uns durch deinen Heiligen Geist, dass wir im Glauben täglich zunehmen und bis ans Ende verharren, auch in deinen Geboten heilig und unsträflich wandeln und endlich mit dem gläubigen Abraham das ewige Erbe besitzen, durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: Das neugeborne Kindelein

 

 

Epistelpredigt zum Sonntag nach Neujahr ueber 1. Petrus 4,12-19: Die Leiden, die dem Christen verordnet und welche ihm als solchen nicht verordnet sind

 

Lied: Ach Gott, wie manches Herzeleid (Str. 1-8)

 

    Gnade sei mit euch und Friede von Gott und dem Vater unseres HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters. Amen.

 

1. Petrus 4,12-19: Ihr Lieben, lasst euch die Hitze, so euch begegnet, nicht befremden (die euch widerfährt, dass ihr versucht werdet), als widerführe euch etwas Seltsames, sondern freut euch, dass ihr mit Christus leidet, damit ihr auch zu der Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben könnt. Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet über dem Namen Christi; denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch. Bei ihnen ist er verlästert, aber bei euch ist er gepriesen. Niemand aber unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder der in ein fremdes Amt greift. Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht; er ehre aber Gott in solchem Fall. 17 Denn es ist Zeit, dass anfange das Gericht an dem Haus Gottes. So aber zuerst an uns, was will’s für ein Ende werden mit denen, die dem Evangelium Gottes nicht glauben? Und so der Gerechte kaum erhalten wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen? Darum, welche da leiden nach Gottes Willen, die sollen ihm ihre Seelen befehlen als dem treuen Schöpfer in guten Werken.

 

    Geliebte in dem HERRN! Gleich am ersten Sonntag des neuen Jahres predigen uns Epistel und Evangelium von den Leiden, die uns in der Gemeinschaft Jesu verordnet sind. Kaum also haben wir den Wanderstab zum Pilgerlauf für ein neues Erdenjahr ergriffen, so werden wir erinnert, dass wir durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen müssen. Für wie manchen unter uns war aber wohl der Schritt in das neue Jahr hinein nur die Fortsetzung eines schon langjährigen, ja von Jahr zu Jahr rauer, steiler, dornenvoller gewordenen Trübsalsweges, so dass er bereits von Jahr zu Jahr die vorhin gesungene Klage auch diesmal hat wiederholen müssen:

Ach Gott, wie manches Herzeleid

Begegnet mir zu dieser Zeit,

Der schmale Weg ist trübsalsvoll,

Den ich zum Himmel wandern soll.

    Nun, Geliebte, sei es, dass der Weg im neuen Jahr für manchen unter uns erst trübsalsvoll wird oder bereits schon trübsalsvoll ist, diese Epistel hat für leidende Christen Lehre und Trost die Fülle. Sind doch die Episteln des Petrus ganz besonders für Leidende geschrieben und zu solchen zu reden, war ein Petrus gerade der Mann, denn zu ihm sprach einst der HERR: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Da jünger warst, gürtetest du dich selbst und wandeltest, wohin du wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst.“ Und dass der HERR hier Petrus den Kreuzestod voraussagte, bemerkt der Evangelist.

    Doch, Geliebte, indem wir uns jetzt anschicken, diese lehrreichen und trostvollen Worte des Petrus für leidende Christen zu erwägen, lasst uns beachten, dass der Apostel hier nicht nur von den Leiden redet, die den Christen als solchen von Gott verordnet, sondern auch von Leiden, die ihnen als solchen nicht verordnet sind.

    Wir betrachten daher:

 

Die Leiden, welche dem Christen verordnet und welche ihm als solchen nicht verordnet sind

 

Indem wir sehen:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Welches die beiderlei Arten von Leiden sind und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie sich ein Christ hinsichtlich dieser beiderlei Arten von Leiden verhalten soll.

 

    Ach, HERR Jesus, verleihe uns jetzt beim Predigen und Hören des heutigen Wortes deines Apostels, dass wir uns in die Leiden schicken lernen, welche du uns verordnet hast dir zur Ehre und uns zum Besten, aber auch vor den Leiden uns bewahren lernen, welche du uns nicht verordnet hast oder wo wir je aus List des bösen Feindes und Schwachheit des Fleisches in ein solches Leiden geraten sind, dass wir uns keinen falschen Trost machen, sondern vielmehr die wohlverdiente Strafe bußfertig erkennen, damit du auch nach deiner Barmherzigkeit und Weisheit alles noch zum Besten lenkst. Amen.

 

1.

    Der Apostel unterscheidet hier zwischen Leiden, welche den Christen als solchen von Gott dem Vater nach seinem weisen Rat und nach seiner ewigen Vorsehung verordnet sind, und zwischen Leiden, welche ihnen gerade als solchen nicht verordnet sind, in welche sie daher durch eigene Schuld und in diesem Sinn nicht nach Gottes Willen geraten sind. Und tut solche Unterscheidung je not, denn nur zu leicht geschieht’s, dass ein Christ auch in Leiden der letzteren Art gerät und dann auch diese als die ihm von Gott verordneten Leiden ansieht.

    Zunächst nun: Welches sind die einem Christen als solchen von Gott verordneten Leiden?

    Gewiss auch die, welche um der Sünde willen über das ganze menschliche Geschlecht gekommen sind und unter denen des Teufels Kinder dahin gehen müssen, so sehr sie sich gegen dieselben sträuben und so sehr sie auch fort und fort Mittel und Wege suchen, dieselben von der Erde zu verbannen oder doch zu verringern, zum wenigsten für eine Weile sich dieselben aus dem Sinn zu schlagen. Das sind die Leiden, welche Gott einst für unseren gefallenen Stammvater Adam in die Worte gefasst hat: „Verflucht sei der Acker um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Dorn und Disteln soll er dir tragen und sollst das Kraut auf dem Feld essen. Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zur Erde werdest, davon du genommen bist; denn du bist Erde und sollst zur Erde werden“; und für unsere Stammmutter Eva in die Worte: „Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst. Du sollst mit Schmerzen Kinder gebären und dein Wille soll deinem Mann unterworfen sein und er soll dein Herr sein.“ Krankheit und Sterben in der Familie, die Nöte der Nahrung und des Erwerbs, des ehelichen Lebens und des Hausstandes, sie sind auch gläubigen Christen nicht erspart und ist oft da manchem Gotteskind eine weit größere Last von Gott verordnet, als manchem Teufelskind auferlegt ist. Und wenn um übermachter Sünden eines Ortes oder eines Landes willen Gott zu besonderen Strafen gereizt wird, wie da sind Krieg, Pestilenz und Hunger oder doch je nahrungslose teure Zeit, so müssen auch Gottes Kinder mit darunter leiden, und oft auch da recht schwer, nur dass es dann für sie, denen die Sünde vergeben ist, keine Zornesrute zur Strafe, sondern Vaterruten zu heilsamer Züchtigung sind.

    Es gibt jedoch Leiden, welche ausschließlich den Christen als solchen verordnet sind. Das sind die Leiden um Christi willen, die eigentlichen Christenleiden. Von diesen redet der Apostel vornehmlich, wenn er sagt: „Ihr Lieben, lasst euch die Hitze, so euch begegnet, nicht befremden (die euch widerfährt, dass ihr versucht werdet), als widerführe euch etwas Seltsames, sondern freut euch, dass ihr mit Christus leidet, damit ihr auch zu der Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben könnt. Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet über dem Namen Christi; denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch. Bei ihnen ist er verlästert, aber bei euch ist er gepriesen.“ Die Hitze, von welcher der Apostel hier redet, ist das Feuer der Christenverfolgung, das der Teufel und die Welt einzig und allein aus Hass gegen Christus für diejenigen anzünden, welche an seinen Namen glauben und diesen seinen Namen frei und offen vor der Welt bekennen und ihr ihn predigen, dass auch sie zu seiner seligen Erkenntnis komme. Zwar tun sie dabei niemand ein Leid, sondern jedermann nur Gutes; zwar machen sie sich keiner Übeltat schuldig, sondern sie befleißigen sich, jedermann zu dienen und selbst auch ihren bittersten Verfolgern wohlzutun; zwar erweisen sie sich allewege als Segen der Welt; aber weil die Welt Christus gehasst und verfolgt hat, so hasst und verfolgt sie auch seine gläubigen Glieder. „Wärt ihr von der Welt“, spricht der HERR zu seinen Jüngern, „so hätte die Welt das Ihre lieb; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich habe euch von der Welt erwählt, darum hasst euch die Welt.“ Ein solches Verfolgungsfeuer hatten denn auch damals Juden und Heiden den Christen in Kleinasien, an welche Petrus hier schreibt, angezündet. Ein solches entbrannte einmal ums andere im römischen Reich während drei Jahrhunderten und loderte aufs neue auf in den Tagen der Reformation gegen die Bekenner der Lehre Luthers, welche ist das Evangelium. Damals, als man die Christen einkerkerte, in die Bergwerke oder auf die Galeeren schickte, als man sie von Frau und Kind, Haus und Hof jagte oder sie marterte und tötete – damals war es freilich keine Kleinigkeit, ein Christ zu werden und zu bleiben. Von solchem Verfolgungsfeuer wissen wir Christen dieser Zeit und in Ländern, in denen bis jetzt noch volle Gewissensfreiheit herrscht, eigentlich nichts; etwas mehr wissen davon unsere Glaubensgeschwister [etwa in muslimischen, kommunistischen, hinduistischen, buddhistischen, animistischen Ländern].

    Gleichwohl soll es auch uns an Verfolgungsleiden nicht fehlen, wenn wir an Christus glauben und seinen Namen mit Wort und Tat bekennen. Finden sie sich nicht in Zeiten der Lehrkämpfe und der Gemeindestreitigkeiten für die, welche bei Gottes Wort unverrückt stehen, wenn es auch nicht blutige Verfolgungen sind? Und treffen sie nicht in Zeiten der Ruhe wenigstens Einzelne? Versuch’s nur und beweise dich allewege als ein entschiedener Christ, der alle falsche Lehre hasst und die rechte Lehre mit Ernst meint, der sich im Urteilen, Reden und Handeln nicht nach den Leuten, sondern nach Gottes Wort richtet, der sich in keinerlei Weise der Welt gleichstellen will, sondern sich verändert durch tägliche Erneuerung seines Sinnes, und es wird nicht fehlen an mancherlei öffentlicher Verfolgung durch Spott und Hohn, Verlästerung und Verleumdung und noch mehr an mancherlei heimlicher Verfolgung, da man dir viel Netze und heimliche Stricke legt und durch allerlei Bedrängnis das Leben sauer macht. Die gottentfremdete ungläubige Welt und die Anhänger falscher Lehre von außen her, falsche Brüder von innen und dazu auch vielleicht noch die eigenen Hausgenossen werden zusammenhelfen, der Teufel aber, durch dessen Betrieb das alles geschieht, wird dich sonst noch plagen innerlich und wo und wie es ihm Gott gestattet, wie bei Hiob, auch äußerlich. Kurz, wer Christus ernstlich angehören will, an dem wird mehr oder weniger wahr, was der Dichter singt:

Wer sich mit dem verbindet,

Den Satan flieht und hasst,

Der wird verfolgt und findet

Ein harte, schwere Last

Zu leiden und zu tragen,

Gerät in Hohn und Spott,

Das Kreuz und alle Plagen,

Die sind sein täglich Brot.

    Doch nun lasst uns erwägen, dass der Apostel nach alledem hinzusetzt: „Niemand aber unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder der in ein fremdes Amt greift.“ Seht da, es gibt Leiden, die nicht von Gott verordnet sind, am wenigsten aber einem Christen, die nicht Gottes Namen verherrlichen, sondern um welcher willen Gottes Name geschändet wird, wenn sie sich bei einem Menschen finden, der Christi Namen trägt, die wegen gewisser Sünden verschuldete Leiden sind.

    Dass ein Mörder, Dieb oder sonstiger Übeltäter oder Verbrecher, der in großes Leiden gerät, wenn ihn die weltliche Strafe betrifft, oder wenn er sonst durch allerlei Unglück in dieser Welt schon seinen wohlverdienten Lohn findet, so er dem Richter entläuft oder seine Tat nicht ans Licht kommt, nicht nach Gottes Willen leidet, geschweige nun gar um Christi willen, bedarf ja keiner Besprechung. Dahin gehört auch all der Jammer, den z.B. ein trunksüchtiger Mann durch Zerrüttung seiner Gesundheit, seines Familienlebens, seiner Vermögensumstände sich zuzieht und darunter er dann auch die Seinen schwer leiden sehen muss; oder die Folge des Ehebruchs und der Hurerei, der Verschwendung, der Liederlichkeit, der Arbeitsscheu, sei es bei männlichen oder weiblichen Personen. Da muss wohl jedermann bekennen, dass es hier heißt: „Es ist deiner Bosheit Schuld, dass du so geschlagen wirst und deines Ungehorsams, dass du so gestraft wirst. So musst du inne werden und erfahren, was für Jammer und Herzeleid bringt, den HERRN, deinen Gott, verlassen und ihn nicht fürchten, spricht der HERR Zebaoth.“ (Jer. 2,19.) Es sagt aber auch der Apostel: „Niemand unter euch leide, als der in ein fremdes Amt greift.“ Weil dies jedoch sich nicht nur auf diejenigen bezieht, welche durch Aufruhr, durch die Lynchjustiz oder durch allerlei Racheakte der Obrigkeit ins Amt greifen und dadurch sich meist noch größeres Elend oder sonst viel Unannehmlichkeiten zuziehen, sondern auch auf viele andere Dinge noch und man dabei die dadurch herbeigeführten Leiden nicht selten für Leiden um Christi willen ansieht: So ist wohl nötig, dass wir hierbei noch etwas verweilen.

    In ein fremdes Amt greift jeder, der sich im Geistlichen wie im Leiblichen solcher Dinge annimmt, die ihm weder von Gott noch von Menschen befohlen sind. In einer Randglosse zu diesen Worten des Apostels bemerkt Luther mit Recht: „Dies Laster treibt der Teufel allermeist in den falschen Christen, die wollen immer viel zu schaffen haben und regieren, da ihnen nichts befohlen ist, wie die Bischöfe und Geistlichen tun, regieren die Welt, ebenso die aufrührerischen und vorwitzigen Prediger, schädliche und gefährliche Leute.“ Vor allem sind es so die päpstlichen Bischöfe und Geistlichen, welche dadurch in ein fremdes Amt greifen, dass sie sich ins weltliche Regiment, in die Politik mengen, die Obrigkeit lehren wollen, wie sie regieren soll und, wenn sie ihnen nicht zu Willen ist, ihr den Gehorsam auch in den Dingen verweigern, die nicht gegen Gottes Wort sind. Und ebenso sind es die Sektenprediger, welche nicht bei ihren Gemeinden bleiben, sondern in fremde Gemeinden einbrechen, um die Leute da nach ihrer Weise zu bekehren. Diese alle müssen nun freilich darüber leiden, wie die rechten Propheten, und hat sich auch für Märtyrer. Aber sie sind nicht Christi Märtyrer, sondern des Teufels Märtyrer, denn sie leiden nicht um der Wahrheit, sondern um der Unwahrheit und nicht um der Wohltat, sondern um der Übeltat willen, denn sie nehmen sich solcher Dinge an, die nicht ihres Amtes sind, die ihnen nicht befohlen sind, sie treiben das Laster, das da heißt „in ein fremdes Amt greifen“.

    Es redet hier Luther aber auch insgemein von Christen, „die wollen immer viel zu schaffen haben und regieren, da ihnen nichts befohlen ist“. Sie haben nämlich einen unwiderstehlichen Trieb, sich in anderer Angelegenheit und Geschäfte, Dienst und Amtsführung einzumischen, weil sie immer besorgen, dass dieselben es nicht allewege recht machen und sich mit verantwortlich halten, wenn je durch andere ein Versehen geschieht. Kein Wunder, wenn über solche ihrer Geschäftigkeit oder ihrem Bekehreifer nicht nur anderen, sondern sie sich selbst Schmerzen und Plage immerdar zuziehen. Sie leiden aber da nicht nach Gottes Willen, denn sie haben sich durch Einmischen in fremde Dinge, durch ihr Handeln ohne Beruf dergleichen zugezogen und sind somit auch des Teufels Märtyrer. O, wie viel liegt darum daran, dass die Lehre vom Beruf fleißig getrieben werde, aber auch wie viel daran, dass man sie wohl fasse und dann in der Anwendung den rechten Griff tun lerne, damit man nicht nur nicht als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter leide, sondern auch als ein solcher nicht, der da in ein fremdes Amt greift.

    Sehr da allerlei Leiden, die uns von Gott nicht verordnet sind. Darum welche Torheit, sich selbst allerlei Leiden auflagen zu wollen, da nicht nur der von Gott verordneten genug sind, sondern auch die selbst aufgeladenen Leiden viel schwerer drücken und durch keinerlei Trost versüßt werden können.

 

2.

    Lasst uns nun in der Kürze sehen, wie sich ein Christ hinsichtlich dieser beiden Arten von Leiden verhalten soll.

    Nehmen wir die letztere Art vorweg. Wie hat sich ein Christ hinsichtlich der Leiden zu verhalten, die ihm nicht verordnet sind? Da ist nun freilich die erste und nächste Antwort die: Er hüte sich mit Fleiß vor denselben, denn der Apostel ermahnt so ernst: „Niemand unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder der in ein fremdes Amt greift.“ Wie nötig diese Ermahnung in Absicht auf das letztere Stück ist, haben wir zum Teil gesehen; denn da die Lehre vom Beruf so wenig erkannt und noch viel weniger recht angewendet wird, und man sich so gern über sein berufloses Handeln täuscht, zumal wenn man eine gute Absicht dabei zu haben meint, so geschieht es nur zu häufig, dass auch redliche Christen es hierin bald da, bald dort versehen und sich Schmerzen bereiten, die sie sich hätten ersparen können. Aber auch wegen der gröberen Stücke ist sie nötig. Denke doch ja niemand: O, als ein Mörder, als ein Dieb, als ein Übeltäter werde ich nie leiden müssen. Wie bald es selbst auch um einen Gläubigen geschehen ist, wie rasch und tief er fallen kann, wenn Gott nur einen Augenblick seine starke Gnadenhand zurückzieht, sieht man an David. Ist nicht er, der Mann nach dem Herzen Gottes, auf einmal ein Ehebrecher und dann ein Mörder? Ist nicht auch Petrus auf einmal tief gefallen? Oder ist nicht auch nach und nach ein Apostel des HERRN, Judas Ischariot, zum Dieb und Verräter geworden?

    Aber wenn ein Christ in solche und andere Sünde leider geraten ist und nun unter den traurigen Folgen seiner Sünde seufzen und jammern muss, wie soll er sich dann verhalten? Dann, meine Lieben, mache er sich ja keinen falschen Trost, dass er denke, er leide mit Christus, er müsse eben durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen. Ja, er leidet mit Christus, aber nicht wie ein Christ, sondern wie die beiden Schächer, die Christus zur Rechten und zur Linken gekreuzigt waren. Er tue aber mit dem Schächer zur rechten Hand Buße, denn er sprach zuerst in wahrer Reue: „Wir empfangen, was unsere Taten wert sind.“ Statt nach dem Leidenstrost sogleich zu greifen, der ja doch erst haften kann, wenn man des Leidens Ursache bußfertig erkannt hat, spreche ein solcher vielmehr: „Ich will des HERRN Zorn tragen, denn ich habe gegen ihn gesündigt.“ Dasselbe aber geschehe auch, wenn man leidet, weil man irgendwie in ein fremdes Amt gegriffen hat und das nicht nur, weil man hierdurch gegen Gottes Wort gehandelt hat, sondern auch, weil solche Überschreitung des Berufs doch aus dem Hochmut des Herzens kommt und weil man, indem man sich um Dinge kümmert, die einem nicht befohlen sind, gewöhnlich dann das nicht treu ausrichtet, das einem befohlen ist.

    Hat man nun aber über sein verschuldetes Leiden rechtschaffene Buße getan, dann tröste man sich, dass dasselbe durch die göttliche Vergebung aus einer wohlverdienten Strafe eine heilsame Züchtigung geworden ist und dass dann, wenn dieselbe ihren Zweck erreicht hat und man unter derselben gründlich gedemütigt worden ist, Gott nach seiner Barmherzigkeit und Weisheit endlich wohl machen werde, was man übel gemacht hat.

    Und nun hört andeutungsweise, wie man sich verhalten soll, wenn man als ein Christ und besonders, wenn man um Christi willen leidet, wenn es also von Gott verordnete Leiden sind.

    Zunächst sollen wir es uns nicht befremden lassen, als widerführe uns etwas Seltsames. „Ihr Lieben“, spricht der Apostel, „lasst euch die Hitze, die euch begegnet, nicht befremden (die euch widerfährt, dass ihr versucht werdet), als widerführe euch etwas Seltsames.“ Wohl nennt er’s eine Hitze; aber wie wehe diese Hitze dem Fleisch tut, so ist sie doch das Feuer des himmlischen Goldschmieds, der uns durch diese läutert, dass unser Glaube erfunden werde viel köstlicher als das vergängliche Gold und Silber, das im Feuer bewährt und geläutert wird. Es muss und kann ja nur so unser Glaube „versucht“ und bewährt werden. Bedenken wir das recht im Leiden, dann hört das Befremden mehr und mehr auf, dann wird man gefasst zum Leiden und spricht: Ich muss durch viel Trübsal ins Reich Gottes eingehen, so hat es mir mein Gott zu meinem Besten verordnet.

    Dagegen sollen wir uns freuen, dass wir leiden müssen, leiden müssen nicht nur uns zum Besten, sondern auch leiden müssen um Christi willen; denn der Apostel fährt fort: „Sondern freut euch, dass ihr mit Christus leidet, damit ihr auch, zu der Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit, Freude und Wonne haben könnt.“ Leiden wir als Christen und um Christi willen, so gehören wir ja zu den Auserwählten, welche Gott verordnet hat, dass sie gleich sein sollen dem Ebenbild seines Sohnes als des Erstgeborenen unter vielen Brüdern – hier durch die Teilnahem und in der Ähnlichkeit seiner Leiden, dort durch die Teilnahme und in der Ähnlichkeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit und im Genuss unaussprechlicher Freude und Wonne, da all unser Kreuz und Leid lauter Freude und Wonne werden wird. Welch ein seliger Wechsel, welch ein herrlicher Gnadenlohn! Da heißt es dann: Ich will das leiden.

    Dazu kommt auch, dass uns die Schmach Christi zu überaus großer Ehre und zu großem Trost wird; denn der Apostel setzt hinzu: „Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet über dem Namen Christi; denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch. Bei ihnen ist er verlästert, aber bei euch ist er gepriesen.“ O, seht doch, wie die lieben Apostel so fröhlich von des hohen Rates Angesicht gingen, dass wie gewürdigt worden waren, um des Namens Christi willen Schmach zu leiden. Dass man das aber für eine Ehre halten und daran sich freuen kann, das macht der Tröster, der Heilige Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist und der auf den von der Welt Geschmähten als Siegel und Unterpfand der künftigen Herrlichkeit bereits ruht. Und ob uns die Welt sogar Mörder, Diebe, Ungerechte, Eindringlinge und dergleichen schmäht und umso mehr meint, ein Recht zu haben, uns als solche zu behandeln – genug, wenn wir es vor Gott nicht sind und als solche nicht leiden. Der Apostel sagt deshalb von dem so mit Unrecht Geschmähten: „Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht, er ehre aber Gott in solchem Fall.“ Es hebt dies der Apostel hervor, weil es dem Christen überaus schmerzlich und empfindlich ist, so sehr seinen guten Namen und seine Ehre vor der Welt unschuldigerweise verlieren zu müssen. Wir ehren aber Gott in solchem Fall, wenn wir nicht nur sprechen: Ich muss und will das leiden, sondern auch: Ich darf das leiden und kann es auch durch den, der mich mächtig macht, Christus, und ihm nach, den man einst auch Gotteslästerer und Aufrührer nannte und unter die Übeltäter rechnete, so dass er klagte: „Die Schmach bricht mir mein Herz!“

    Endlich sollen wir dabei unter Gottes gewaltige Hand uns demütigen und im Übrigen getrost den Leidens- und Berufsweg wandeln, bis uns Gott von allem Übel erlöst. „Denn es ist Zeit“, sagt schließlich der Apostel, „dass anfange das Gericht am Haus Gottes. So aber zuerst an uns, was will’s für ein Ende werden mit denen, die dem Evangelium Gottes nicht glauben? Und so der Gerechte kaum erhalten wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen? Darum, welche da leiden nach Gottes Willen, die sollen ihm ihre Seelen befehlen als dem treuen Schöpfer in guten Werken.“ Seht da, dieselben Leiden, welche Gott uns verordnet hat als unseren Anteil an den allgemeinen Leiden um Christi willen, sollen wir zugleich als ein „Gericht am Haus Gottes“, d.i. an den Gläubigen betrachten, nicht zwar als ein Strafgericht, wohl aber als ein Gericht über das sündliche Fleisch, das Gott im Feuer seiner Liebe verbrennt, damit er desto bälder kommen könne zu unserer völligen Erlösung. Eben darum sollen wir uns unter seine gewaltige Hand demütigen, während wir auf der anderen Seite uns derselben rühmen. Will uns aber die Trübsalsglut zu heiß vorkommen, so sollen wir daran denken, dass wir von dem feuerfressenden Zorn Gottes, der die Welt treffen und von der Höllenglut, in der sie einst leiden muss in Ewigkeit, auch in Ewigkeit errettet sind. Getrost können und sollen wir da den Leidens- und Berufsweg fortgehen bis zum Ziel, bis zum Erlösungsstündlein von allem Übel, für den Leidensweg ihm, dem treuem Schöpfer, unsere Seele als sein Eigentum in seine starke Hand befehlen, und auf unserem Berufsweg in Vollbringung guter Werke fleißig und in der Bitte für unsere Feinde brünstig sein und so unseren Beruf und Erwählung noch weiter festmachen.

 

So lasst uns denn dem lieben HERRN

Mit Leib und Seel nachgehen

Und wohlgemut, getrost und gern

Bei ihm im Leiden stehen,

Denn wer nicht kämpft, trägt auch die Kron

Des ewgen Lebens nicht davon.

 

    Du aber, o HERR Gott Heiliger Geist, du Geist der Herrlichkeit und Gottes,

Du heilige Brunst, süßer Trost,

Ach hilf uns fröhlich und getrost

In deinem Dienst beständig bleiben,

Die Trübsal uns nicht abtreiben.

O HERR, durch dein Kraft uns bereit

Und stärk des Fleisches Blödigkeit,

Dass wir hier ritterlich ringen,

Durch Tod und Leben zu dir dringen.

Halleluja, Halleluja.

    Amen.

 

Gebet: O allmächtiger ewiger Gott! Wir bitten dich, lass uns wohl bedenken, dass wir nicht von zeitlichen Freuen, sondern von dem zeitlichen Leiden zu den ewigen Freuden gelangen, und deshalb alles Kreuz, das du uns zuschickst, mit vertragen und uns erinnern, dass wir in keinem anderen als dem Kreuzorden leben, aber auch gleichwohl dadurch in die Herrlichkeit des Himmels, gegen welche alle Plagen dieser Welt für nichts zu achten sind, mit großem Jubilieren und Jauchen eingehen werden – durch unseren HERRN Jesus Christus, deinen lieben Sohn, der mit dir und dem Heiligen Geist, wahrer Gott, lebt und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

Lied: Das Vorige, V. 13-18

 

 

Epistelpredigt zu Epiphanias ueber Jesaja 60,1-6: Der Eingang der Fuelle der Heiden in das Reich Christi

 

Lied: Nun liebe Seel, nun ist es Zeit; oder: Brich auf und werde licht

 

Gebet: Gott sei uns gnädig und segne uns. Lass uns dein Antlitz leuchte, dass wir auf Erden erkennen deinen Weg, unter allen Heiden dein Heil. Es danken dir, Gott, die Völker, es danken wir alle Völker, der du deinen eingeborenen Sohn in dieser Welt hast erscheinen und Mensch werden lassen, nicht allein die Stämme Jakobs aufzurichten, sondern ihn auch zum Licht der Heiden zu setzen. Ach, HERR, lass dir heute unser armes Loben und Danken gefallen, dass du unsere Väter, die einst Heiden gewesen sind, und uns, ihre Nachkommen, zu deinem Reich berufen und in dasselbe hast eingehen lasen. Segne nun auch das Predigen und Hören an diesem Fest, dass wir uns mit Zion aufmachen in rechter Glaubensfreude über das Licht, das im Evangelium von deinem Sohn auch uns aufgegangen ist, dass wir licht werden, dass wir im Licht wandeln, und dein Licht voll Freuden hinaustragen zu den Heiden, bis die Fülle derselben eingegangen ist und wir mit den Auserwählten aus Israel und denen aus der Menge der Heiden von mancherlei Volk, Zunge und Sprache und mit der Menge der himmlischen Heerscharen für alle deine Werke und Wege zu der Menschen Heil dich preisen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

Jesaja 60,1-6: Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir. Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir. Und die Heiden werden in deinem Licht wandeln und die Könige im Glanz, der über dir aufgeht. Hebe deine Augen auf und siehe umher! Diese alle versammelt kommen zu dir! Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter zur Seite erzogen werden. Dann wirst du deine Lust sehen und ausbrechen, und dein Herz wird sich wundern und ausbreiten, wenn sich die Menge am Meer zu dir bekehrt, und die Macht der Heiden zu dir kommt. Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken, die Läufer aus Midian und Epha. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HERRN Lob verkündigen.

 

    Geliebte in dem HERRN! Im Epiphanias- oder Erscheinungsfest begehen wir das altkirchliche Missionsfest. Während uns daher das Evangelium in den Weisen aus dem Morgenland den Eingang der Erstlinge der Heiden in das Reich Christi zeigt, erblicken wir in der Epistel den über 700 Jahre zuvor geweissagten und über 1900 Jahren nun fort und fort in Erfüllung gehenden Eingang der Fülle, d.i. der Menge, der Vollzahl der Heiden. Ach, so mögen wir doch recht licht werden, wenn ich euch aus und nach dieser Epistel nun vorzustellen suche

 

Den Eingang der Fülle der Heiden in das Reich Christi

 

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie er im Alten Testament vorbereitet wurde; und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie er im Neuen Testament erfolgt ist und noch erfolgt.

 

1.

    Meine Lieben! In seinem weisheitsvollen Rat und nach seiner freien Gnade hatte es Gott gefallen, Abraham aus seinem götzendienerischen Vaterhaus und Vaterland herauszuführen und ihn zum Stammvater eines Volkes zu machen, dem er sich offenbarte, dem er sein Wort anvertraute, aus dem dereinst der Heiland hervorgehen sollte. So tat er keinem anderen Volk. Im Gegenteil ließ er alle übrigen Völker ihre eigenen Wege gehen, auf denen sie dann immer tiefer ins Verderben gerieten. Israel war Gottes auserwähltes Volk, sein Eigentumsvolk, ein priesterliches Königreich Jahwes.

    Auf diesen großen Vorzug weist der Prophet in unserem Text hin, indem er die unter mancherlei Anfechtung damals traurige Kirche des Alten Testaments zur Freude aufruft. „Mache dich auf“, ruft er, reiß dich empor aus deiner Bekümmernis, „werde Licht“, werde voll Freuden: „Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir“, der dir längst verheißene Heiland kommt aus dir, das ewige Wort wird unter dir Fleisch und wohnt unter dir, und du sollst sehen seine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit. Um nun aber die ausnehmende Gnade, die Israel in seiner Erwählung widerfahren ist und die ihren Gipfel in der Erscheinung Christi unter diesem Volk erreicht, desto mehr hervorzuheben, setzt der Prophet hinzu: „Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“ Diese Finsternis, welche gerade zur Zeit der Erscheinung Christi trotz aller Kunst, Wissenschaft und Bildung die ganze Heidenwelt bedeckte, haben wir ja bereits am Christfest aus der dem Propheten Jesaja gleichfalls entnommenen Epistel betrachtet. Gegenüber dem grausigen Nachtbild, das uns der nüchterne, gelehrte und hocherleuchtete Apostel Paulus als Zeitzeuge und durch Eingebung des Heiligen Geistes Römer 2 von Vers 19 an von dem griechischen und römischen Heidentum entwirft und gegenüber den Jammerklagen und den Ausbrüchen der Trostlosigkeit und Verzweiflung der Weisen und Dichter jener Völker, wie sie uns aus ihren Schriften entgegen tönen, erscheint es nur umso als Träumerei eines selbst in Dunkel und Finsternis irrenden Geistes, wenn einer der gefeiertsten Dichter unserer Nation die Zeit der „Götter Griechenlands“ als das „holde Blütenalter der Natur“ besingt und dessen Wiederkehr wünscht!

    Wenn man nun nicht nur bedenkt, wie Gott Israel erleuchtete, während „Finsternis das Erdreich und Dunkel die Völker“ deckte, sondern wenn man dabei auch gewahrt, wie dies Volk durch seine ganze kirchliche und politische Verfassung, ja, durch strenge göttliche Verbote von der Heidenwelt abgeschlossen war, so scheint es, als ob damals Gott um die Bekehrung der Heiden sich nicht gekümmert hätte. Allein, es scheint nur so. Gerade unsere Epistel ist ein laut redendes Zeugnis davon, welch ein wichtiges Stück des göttlichen Liebesplanes die Bekehrung der Heiden war und wie sie Gott im Alten Testament vorbereitete.

    Solche Vorbereitung geschah nämlich erstlich durch die ausdrückliche Weissagung von der Bekehrung der Heiden. Den zu Jesajas Zeiten über die Abnahme der rechtschaffenen Kinder Gottes trauernden Gläubigen tut hier der Prophet eine tröstliche Verkündigung durch die Verheißung des außerordentlichen Zuwachses, den durch die Erscheinung des Sohnes Davids Zion aus der Heidenwelt gleichsam als Ersatz erhalten soll. Es ist das nun freilich die herrlichste Weissagung von der Bekehrung der Heiden, aber nicht die einzige, sondern vielmehr das weitere Ende einer Reihe vorausgegangener derartiger Weissagungen. Sie fangen an mit der Weissagung Noahs über seine drei Söhne, denn wenn Japhet wohnen soll in den Hütten Sems, so heißt das nichts anderes, als: Die Heiden sollen Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen sein, ja, anstatt des von Sem abstammenden Israel angenommen werden und Hams Nachkommen sollen auch nicht ausgeschlossen sein, sondern als Sems und Japhets Knechte auch am Evangelium Teil haben. Wie deutlich weissagt Gott bei Abraham von der Bekehrung der Heiden, wenn durchs Abrahams gebenedeiten Samen „alle Geschlechter der Erde“ gesegnet werden sollen; oder wenn, laut Jakobs Weissagung, dem Held aus Juda „die Völker anhangen“ werden. Und wie schallt’s und klingt’s hiervon in den Psalmen! „Heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben und der Welt Ende zum Eigentum“ heißt es gleich im zweiten Psalm. Vom großen Davidssohn singt Psalm 72: „Die Könige am Meer und in den Inseln werde Geschenke bringen; die Könige aus Reich Arabien und Saba werden Geschenke zuführen. Alle Könige werden ihn anbeten, alle Heiden werden ihm dienen.“ Psalm 87 weissagt, dass zu Zion „allerlei Leute geboren werden“ und dass der HERR „wird predigen lassen in allerlei Sprachen, dass derer etliche auch daselbst geboren werden.“ Psalm 67, 96, 97 und 98 sind eitel Missionspsalmen und vollends nun der Kleinste der Psalmen, Psalm 117: „Lobt den HERRN, alle Heiden, preist ihn, alle Völker, denn seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit. Halleluja.“

    So suchte Gott durch das Wort der Weissagung von der Bekehrung der Heiden zu dem in Israel erschienen Heiland sein auserwähltes Volk auf dies große Gnadenwerk vorzubereiten. Wie notwendig das war, zeigt, dass selbst den Apostel Christi es schwer fiel, in die freue und volle Annahme der Heiden sich zu finden. Zugleich aber auch sollten an solcher Weissagung die Frommen in Israel merken, was der eigentliche Zweck der Erwählung und Abschließung Israels sei, nämlich nicht der, dass mit dieser Erwählung Israels eine unbedingte Verwerfung der Heiden geschehe, sondern vielmehr der, dass bei dem eilenden Verderben der Völker Gott wenigstens im Samen Abrahams ein Volk sich erziehe und erhalte, aus welchem er den Heiland, den Segensbringer über alle Völker, hervorgehen lassen könne.

    Ja, auch den Heiden selbst sollte nicht gar verborgen bleiben, dass Gott ihre Annahme in seinen Liebesrat beschlossen habe. Dies geschah in Folge der Stellung und Führung Israels, durch welche Gott fürs andere die Bekehrung der Heiden zu Christus, den Eingang ihrer Fülle in sein Reich, vorbereitete. Bei aller Abschließung Israels von den Heiden durch das Gesetz hatte doch der HERR in seinem weisheits- und erbarmungsvollen Rat diesem Volk gleichwohl eine Stellung unter den Völkern der Erde angewiesen und eine Führung ihm verordnet, durch welche sein Liebesrat gegen die ganze Sünderwelt, soweit er im Wort der Verheißung aufgeschlossen war, in der damaligen Heidenwelt schon bekannt werden konnte. Nichts springt ja beim Überblick der Geschichte Israels mehr in die Augen als seine weltgeschichtliche Bedeutung, d.h. seine Bestimmung, nach welcher, mit unserm Text zu reden, die Heiden in seinem Licht wandeln sollen. Zu dem Zweck lag das dem Samen Abrahams angewiesene Ländchen Kanaan inmitten der damals bekannten Welt. Die drei Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob mussten darum von Volk zu Volk ziehen, dass sie durch ihre Erscheinung, ihren Verkehr, ihre Altäre, die sie überall zur Predigt von dem Namen des HERRN errichteten, von Israels Gott und Israels Hoffnung, des Segensbringers, die Heiden aufmerksam machten. Danach lässt Gott den Samen Abrahams nicht nur 400 Jahre unter den Ägyptern, dem damals gebildetsten Kulturvolk, wohnen, sondern er lässt auch durch wunderbare Fügungen einen Israeliten, Joseph, den Sohn Jakobs, die einflussreiche Stelle nach dem König Pharao einnehmen. Wie verbreitet unter den Heiden die Kunde von Israels Ausführung aus Ägypten und dessen wunderbare Errettung aus Pharaos Hand war, und wie richtig sie von denselben aufgefasst wurde, zeigt die Rede der Rahab vor den Kundschaftern. Davids Waffentaten und Salomos Weisheitsruhm erfüllten die Welt. Die beiden gewaltigen Propheten Elia und Elisa weissagten in Syrien überhaupt und Jona musste geradezu den Heiden Ninives predigen. Und nun erst die Zerstreuung Israels unter die Heiden während der noch übrigen Zeit des Alten Testaments! Im Jahr 722 vor Christus gerät das Reich der zehn Stämme in die assyrische, über hundert Jahre danach das Haus Juda in die babylonische Gefangenschaft. Unter den Gefangenen Babels finden wir einen Hesekiel und einen Daniel. Und was der letztere in seiner hohen Stellung als Staatsminister Nebukadnezars und seiner Nachfolger zur Verbreitung der Erkenntnis Gottes und der Verheißung von Christus wirkte, zeigt sein prophetisches Buch. Man denke an die Auslegung des Traumes Nebukadnezars von den vier Weltmonarchien und dem die ganze Welt erfüllenden Königreich vom Himmel! Mit einem Teil der damals vor Nebukadnezar nach Ägypten geflüchteten Juden zieht Jeremia. Als Kyrus nach der Eroberung Babels den Juden die Freiheit schenkt, kehrt nur ein Teil nach Jerusalem und ins Land der Väter zurück, ein anderer Teil aber bleibt in Babel, von denen wieder viele sich in andere Länder der Heiden zerstreuen. Die gläubige Jüdin Esther wird des mächtigen Xerxes Gemahlin, ihr Onkel Mardochei dessen Ratgeber. Der König Ptolomäus Lagi versetzt viele Juden nach Ägypten, wo sie sich namentlich in Alexandrien, dem blühenden Sitz des Welthandels, der Kunst und der Wissenschaft, niederlassen und selbst in der Weltstadt Rom wohnen zuletzt viele Juden, denen Julius Cäsar allerlei Freiheiten verleiht. So fand man im römischen Reich überall zuletzt Juden, deren Synagogen, in denen Mose und die Propheten gelesen und gepredigt wurden, ebenso viel vorbereitende Missionsstationen waren. Zu guter Letzt ließ ein heidnischer, die Wissenschaften liebhabender König, das Alte Testament in die griechische Sprache übersetzen, so dass nun die Heiden in der damaligen Weltsprache die Verheißungen von Christus und ihrer Bekehrung zu ihm selber lesen konnten. Bis zu welchem Grad sie dadurch mit denselben bekannt wurden, zeigt nicht nur die allgemeine Erwartung eines von den Juden kommenden Weltherrschers, sondern auch und namentlich die Frage der Weisen vom Morgenland nach dem neugeborenen König der Juden.

    So, meine Geliebten, wurde im Alten Testament der Eingang der Fülle der Heiden vorbereitet. Gelobt sei Gott, unser Gott, dass wir auch hier schon „erkennen seinen Weg, unter allen Heiden sein Heil“!

 

2.

    Sehen wir nun, wie im Neuen Testament der Eingang der Fülle der Heiden erfolgt ist und noch erfolgt.

    In einem großartigen, überaus lebendigen prophetischen Bild wird hier derselbe dem bekümmerten Häuflien der Gläubigen gezeigt, wenn es heißt: „Und die Heiden werden in deinem Licht wandeln und die Könige im Glanz, der über dir aufgeht. Hebe deine Augen auf und siehe umher! Diese alle versammelt kommen zu dir! Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter zur Seite erzogen werden. Dann wirst du deine Lust sehen und ausbrechen, und dein Herz wird sich wundern und ausbreiten, wenn sich die Menge am Meer zu dir bekehrt, und die Macht der Heiden zu dir kommt. Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken, die Läufer aus Midian und Epha. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HERRN Lob verkündigen.“ Es ist nicht das ganze prophetische Bild in diesen Worten vorgeführt, denn unsere Epistel ist nur ein Teil der Weissagung Jesajas von dem Eingang der Fülle der Heiden. Aber er ist der Hauptteil, das Übrige ist die weitere Ausschmückung des farbenreichen Bildes. Um seinen Inhalt kurz zusammenzufassen, so ist es vornehmlich dreierlei, was hier den Gläubigen jener Zeit und bis zur Erscheinung Christi gezeigt wird. Es wird erstlich ihnen gezeigt, dass, sowie Christus Mensch geworden sein wird, die Heiden in Massen nach Zion kommen werden, natürlich nicht leiblich, nicht örtlich, sondern geistlich und im Glauben, was wir ja daraus sehen, dass von der Kirche, als von der Versammlung der Gläubigen, die Rede ist, dem Zion, das die Gläubigen des Alten und Neuen Bundes umfasst, sowie auch, dass der HERR hernach die Apostel mit Predigt und Taufe zu den Heiden sendet, so dass diese an ihrem Ort bleiben und allein geistlich nach Zion kommen, was wieder nichts anderes heißt, als dass sie durch den Glauben an Jesus Glieder der heiligen Kirche werden, „Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen“. Eben darum soll fürs zweite das Evangelium zu den entferntesten Völkern der Erde gelangen, es soll aus allerlei Volk dem HERRN durch die Taufe Kinder geboren werden wie der Tau aus der Morgenröte: als geistliche Söhne, die von fern kommen und durch Verkündigung des Lobes des HERRN zu geistlichen Vätern werden, als geistliche Töchter, die genährt von der Kirche durch die Milch des Evangeliums und das Sakrament des Leibes und Blutes Christi zu blühenden Christengemeinden heranwachsen. Und endlich wird drittens gezeigt, dass auch Hohe und Mächtige der Erde in die Kirche eingehen und deren Schirmer und Säugammen werden, desgleichen, dass die Heiden überhaupt ihre Gaben, ihre irdischen Güter, dazu Kunst und Wissenschaft in den Dienst des HERRN stellen würden, damit so allewege und auf allerlei Weise des HERRN Lob verkündigt werde.

    Was nun einst von dem Eingang der Fülle der Heiden geweissagt war, ist bereits erfüllt und wird noch fort und fort erfüllt. Das herrliche prophetische Bild, das hier über 700 Jahre die Kirche alten Testaments vor Augen hatte, schaut die Kirche neuen Testaments als historisches Bild. Nicht vorwärts mehr in eine große Zukunft schauen wir mit den Vätern bei dieser Epistel, sondern zurück in eine 1800jährige Missionsgeschichte und um uns in eine bedeutungsvolle Gegenwart.

    Die Weisen aus dem Morgenland waren die Erstlinge zur Erfüllung unseres Textes, denen dann der Hauptmann zu Kapernaum, die kanaanäische Frau, der Hauptmann unter dem Kreuz, und nach dem Pfingstfest der Kämmerer aus Mohrenland und der Hauptmann Cornelius folgten. Als aber bei dem letzteren der Anfang der Ausgießung des Heilligen Geistes auch über die Heiden gemacht wurde, da war auch schon in einem Paulus das Rüstzeug, der Apostel der Heiden, vorhanden, durch den nebst den anderen Aposteln die Weissagung von dem Eingang der Fülle der Heiden in Erfüllung gehen sollte.

    Laut dieser Weissagung sollte „die Menge am Meer“ den größten Zuwachs aus der Heidenschaft bilden. Es ist hier nämlich nicht irgendein Meer gemeint, sondern das Meer, an welchem nach Westen das jüdische Land liegt. Das ist das mittelländische Meer, das die Küsten dreier Erdteile bespült: Asien, Afrika und Europa. Hier feierte denn auch das Evangelium seine herrlichsten Siege, namentlich durch Paulus und seine Gehilfen, dessen Missionsarbeit sich über das am mittelländischen Meer liegende Kleinasien, Griechenland mit seinen Inseln, Italien und bis nach Spanien hin erstreckte, während Markus in dem an diesem Meer liegenden Nordafrika, namentlich in Ägypten, die Kirche ausbreitete. Mit den Worten aber: „Die Menge der Kamele werden dich bedecken, die Läufer (Dromedare) aus Midian und Epha“, richtet der Prophet den Blick auf die von Jerusalem aus gegen Osten und Süden liegenden Gegenden, also in Asien nach Persien, von wo die Weisen kamen, und nach Arabien bis nach Ostindien und in Afrika nach Äthiopien, von wo der Kämmerer war. Dass nun der Apostel Thomas nicht allein in Medien und Persien gepredigt, sondern auch in Ostindien mit Bartholomäus die Kirhe gepflanzt hat, dass der an Judas Ischariots stelle gewählte Matthias im südlichen Äthiopien und der Apostel Andreas in der Gegend des Schwarzen Meeres und zuletzt in Peträa, Achaja und Kleinasien gewirkt hat, berichten uns die alten Kirchengeschichtsschreiber. Und wo und welche Heiden ein Johannes, Jakobus, Petrus, Judas Thaddäus predigten, ersehen wir aus ihren uns hinterlassenen Briefen, zum Teil aus den Berichten der Alten.

    Wie weit nun überhaupt die sämtlichen Apostel und die andere durch sie anwachsende Evangelistenschar des apostolischen Zeitalters mit ihrer Predigt kamen und noch mehr, wie weit und wohin überall das Gerücht von Christus und seiner Kirche drang, lässt sich geschichtlich ja so genau nicht nachweisen. Dass aber die geweissagte große Bekehrung der Heiden namentlich im apostolischen Zeitalter stattgefunden hat, sagt uns der große Apostel der Heiden selber. Nicht nur bemerkt er, dass durch ihn schon allein bis Illyricum alles mit dem Evangelium erfüllt sei, sondern er ruft auch Röm. 10,18 aus: „Ich sage aber, haben sie es nicht alle gehört? Zwar (d.i. in Wahrheit, vielmehr) es ist ja in alle Lande ausgegangen ihr Schall und in alle Welt ihre Worte.“ Ebenso schreibt er Kolosser 1,6 und 23, dass das Wort der Wahrheit wie zu den Kolossern, so „auch in alle Welt gekommen“ sei, ja, „gepredigt ist aller Kreatur, die unter dem Himmel ist“. Und Tatsache ist, dass trotz 300jähriger blutiger Christenverfolgung im 5. Jahrhundert das Heidentum in der girechisch-römsichen Welt vollständig besiegt war. Wurde doch im Jahr 324 erstmals ein römischer Kaiser, Konstantin der Große, ein Christ und begann so mit ihm erfüllt zu werden, dass „Könige“ im Glanz Jerusalems wandeln werden. Und wie in jener Zeit und seitdem das Christentum eine Macht in der Welt geworden ist, „Gold und Weihrauch“ gebracht, d.h. Reichtum und Macht, Kunst und Wissenschaft dem HERRN Jesus zu Füßen gelegt und für den Dienst des Evangeliums, zur Verkündigung der Lobes des HERRN verwendet.

    Und so war denn auch die Stunde für die Fülle der Heiden in Deutschland, in den nordischen Gegenden, und von da aus weiter im Westen gekommen. Zwar war das Evangelium, das Bonifatius, den man den Apostel der Deutschen nennt, predigten, bereits nicht mehr rein; zwar wurde durch ihn die junge deutsche Kirche sogleich auch dem Antichrist unterworfen, da man ihn damals schon in der Christenheit für den Statthalter Christi hielt; allein gerade in der deutschen Kirche ging durch die Reformation das Evangelium in seinem vollen Glanz wieder auf und schien dann auch nach und nach wieder hell in die noch übrige heidnische Finsternis hinein. Zur Mission unter den entfernt wohnenden Heiden griffen zuerst die reformierten Niederländer und Engländer, weil es ihnen als seefahrenden Nationen leichter war, zu den Heiden zu kommen, während die lutherische Kirche Schwedens und Norwegens bereits das Evangelium zu den Heiden im Norden des eigenen Landes, den Finnen und Samen, [und dann auch zu den Indianern im Bereich des Delaware in Nordamerika] trug. Bald aber, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, trat auch die lutherische Kirche in die Missionsarbeit ein, indem der dänische König Friedrich IV. die beiden Gottesmänner Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau nach seinen ostindischen Besitzungen sandte und so den Grund zu der noch ostindischen Mission [und Kirche] der deutschen lutherischen Kirche gelegt wurde. Nicht lange danach auch trieb ein unwiderstehliches, schier verzehrendes Liebesfeuer den norwegischen Pastor Hans Egede nach den Schnee- und Eisfeldern des hohen Nordens von Amerika und machte ihn zum „Apostel der Grönländer“. Seht da zugleich, wie der im apostolischen Zeitalter in großartiger Weise begonnene Eingang der Fülle der Heiden sich fortgesetzt hat, wenn auch in weit geringerer Weise.

    Weil nun aber die Zahl derer noch nicht voll ist, die Gott auch aus den Heiden zum ewigen Leben verordnet hat, so erfolgt auch in der Gegenwart dieser Eingang und das in ganz merkwürdiger Weise, wenn schon derselbe mit dem des apostolischen Zeitalters bei weitem nicht zu vergleichen ist. Obwohl nämlich in der alten Christenheit einerseits ein massenhafter und totaler Abfall vom Glauben und aller Religion stattfindet, andererseits falsche Lehre das Evangelium immer mehr verdunkelt und obwohl es ja meistens nicht das lautere Evangelium ist, welches heutzutage zu den Heiden hinausgetragen wird, so hat doch gleichwohl die Heidenmission einen ganz denkwürdigen Aufschwung und eine bedeutende größere Ausdehnung genommen, besonders aber für die alten Kulturvölker, wie China und Japan, und für das so lange verschlossene Innere von Afrika mit seinen zahlreichen schwarzen Völkern. Dies können wir uns nicht anders erklären, als dass Gott in seinem Erbarmen gegen die verlorene Welt und in seiner besonderen Liebe zu seinen Auserwählten große Eile hat, das, was noch von der Fülle der Heiden fehlt, gar einzubringen, damit er umso bälder mit seinem Jüngsten Tag zur völligen Erlösung seiner Auserwählten und zur Offenbarung seiner aus allen Heiden, Zungen und Völkern gesammelten Kirche erscheinen könne. Darum bringt er durch Schiffahrt, Welthandel, Entdeckungen und Erfindungen, durch Kolonisation, auch durch Kriege und Eroberungen die noch übrigen Heidenvölker mit der Christenheit in so regen Verkehr, wie er noch nie stattgefunden hat; darum stößt er gewaltsam die verschlossensten Pforten der Heiden auf; darum nötigt er sie selbst durch schreckliche Landplagen, das Evangelium anzunehmen, wie es z.B. vor 150 Jahren durch die Hungersnot in China und Indien geschah.

    O, so wollen wir doch mit der Kirche Gottes uns freuen über solchen Eingang der Fülle der Heiden ins Reich Christi; wollen Gott an dem heutigen Tag besonders preisen, dass auch wir zu dieser Fülle gehören; wollen beten um den ferneren Lauf des Evangeliums unter den Heiden; wollen mit Handreichung das Unsrige tun zur Heranbildung und Aussendung von Boten des Friedens und darauf achten, wo uns der HERR eine Tür auftut, wo er uns besonders ein Stück Missionsarbeit anweist, wie z.B. im 19. Jahrhundert die Mission unter den Schwarzen in den USA, dass wir diese recht pflegen und fördern als unsere nächste Aufgabe in der Missionsarbeit. Vergessen wir aber nicht, dass, als über Zion die Herrlichkeit des HERRN aufging, die Wenigsten aus den Juden sich aufmachten und licht wurden und eben darum auch die Meisten sich nicht freuten und in Freude ausbrachen, als die Macht der Heiden zu Zion kam und die Menge am Meer sich zu Jesus, dem Sohn Davids und Heiland der ganzen Welt, bekehrte, sondern dass diese vielmehr den Aposteln wehrten, den Heiden das Wort Gottes zu sagen und überall die Heiden gegen das Evangelium zu erregen suchten. Erschütternd rief ihnen daher der HERR schon während seines Erdenwandels zu: „Viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen, aber die Kinder des Reiches werden ausgestoßen in die äußerste Finsternis, da wird sein Heulen und Zähneklappen“; ebenso. „Das Reich Gottes wird von euch genommen und den Heiden gegeben werden, die werden seine Früchte bringen.“ Ach, wie bald sahen sich die Apostel genötigt, den halsstarringen Juden zu erklären: „Euch musste zuerst das Wort Gottes gesagt werden; nun ihr es aber von euch stoßt und achtet euch selbst nicht wert des ewigen Lebens, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden.“ Ja, ja, vergessen wir nicht, dass aufgrund dieser Aussprüche gerade der Apostel der Heiden bezeugt, der Reichtum der Heiden sei der Fall Israels und dass nach der göttlichen Regel der Einladung zum großen Abendmahl erst dann auf andere Gäste übergeht, wenn die früheren Geladenen nicht kommen wollen. Freuen wir uns daher mit Zittern, wen wir in dieser Letztzeit das Evangelium wieder besonders hinausgehen sehen zu den Heiden und wahrnehmen, wie Gott eilt, deren Zahl voll zu machen. Sehen wir zu, dass, wenn Gottes Wort und Reich von uns ausgeht, um auch zu den noch übrigen Heiden zu kommen, nicht es auch von uns zugleich weggeht, um von uns zu weichen. Halten wir daher fest, was wir haben: Gottes Wort und Reich, und lassen es immer mehr unseren Reichtum und unsere Lust sein, so werden wir desto mehr auch die Heiden reich machen und dabei selber reich bleiben. Wir gehen dann als die klugen Jungfrauen dem himmlischen Bräutigam, der bald aufbrechen wird, entgegen und finden uns dort im himmlischen Hochzeitssaal zusammen mit Abraham, Isaak und Jakob und deren gläubigen Samen und mit jener großen Schar, „welche niemand zählen konnte, aus allen Heiden und Völkern und Zungen und Sprachen“ und verkündigen mit ihnen allen und mit den himmlischen Heerscharen des HERRN Lob immer und ewig. Darum „mache dich auch und werde Licht, denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des HERRN erscheint über dir!“ Ja, komm, komm bald, HERR Jesus! Amen.

 

Gebet: HERR Gott, himmlischer Vater, wir danken wir von Herzen, dass du uns, die wir einst ferne waren und Heiden nach dem Fleisch, abgesondert von der Bürgerschaft Israels und fremd von den Testamenten der Verheißung, – nun nahe gebracht hast durch das Blut Jesu Christi und uns zu Mitbürgern gemacht mit den Heilligen und zu deinen Hausgenossen. Wir bitten dich: Erleuchte uns durch den Heiligen Geist, dass wir solche deine Gnade recht erkennen, in wahrem Glauben uns mit derselben trösten und durch heiligen Wandel die Tugenden dessen verkündigen, der uns berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht: Durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: Wir danken dir, HERR, insgemein

 

 

Epistelpredigt zu Epiphanias ueber Titus 3,4-7: Dass wir durch die Taufe aus Heiden Christen, aus Kindern des Zorns Kinder Gottes geworden sind

 

Lied: Nun, liebe Seel, nun ist es Zeit

 

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

 

Titus 3,4-7: Da aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes, nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit machte er uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, 6 welchen er ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesus Christus, unsern Heiland, 7 damit wir durch dessen Gnade gerecht und Erben seien des ewigen Lebens nach der Hoffnung.

 

    Geliebte in dem HERRN! Das Epiphaniasfest ist der „Heiden Weihnacht“; denn die Weisen aus dem Morgenland, welche wenige Wochen nach der Geburt des Heilandes den neugeborenen König der Juden suchten und fanden, waren die Erstlinge aus der Fülle der Heiden, deren Eingang die vorhin aus dem Propheten Jesaja verlesene Epistel weissagt, die Missionsgeschichte seit über 1900 Jahren aufzeigt.

    Da die Kirche des Abendlandes aus den Heiden gesammelt ist, so beging diese von Alters her am Epiphaniasfest das eigentliche kirchliche Missionsfest. Daher als Epistel die Weissagung von dem Eingang der Fülle der Heiden in die Kirche, daher das Evangelium von den Weisen aus dem Morgenland, als den Erstlingen der Heiden. Ursprünglich jedoch beging man am Epiphaniasfest das Fest der Taufe Christi, damit seiner Offenbarung oder Erscheinung und so denn auch das Fest unserer Taufe, als durch welche wir Christen und Gottes Kinder und, wenn von den Heiden abstammend, Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen geworden sind. Eben deshalb besingt auch jenes alte Epiphaniaslied nicht nur die Weisen vom Morgenland, sondern auch die Taufe Christi mit den Worten:

Die Tauf im Jordan an sich nahm

Das himmelische Gotteslamm,

Dadurch der nie ein Sünde tat,

Von Sünden uns gewaschen hat.

    Darum das Evangelium, das von der Taufe Christi handelt und diese Epistel, die unsere durch Christi Taufe gestiftete Taufe preist.

    Da nun, wie Dr. Luther im Taufbüchlein sagt, die Taufe „unser einiger Trost und Eingang zu allen göttlichen Gütern und aller Heiligen Gemeinschaft“ ist, so empfiehlt derselbe, am heutigen Fest auch von der Taufe Christi und unserer Taufe zu predigen. Dies geschah denn auch entweder, dass man den Nachmittag des heutigen, mit großer Feierlichkeit begangenen Festes oder ein Epiphaniasfest um das andere dazu verwandte, oder zum wenigsten über diese Epistel an Sonntag nach dem neuen Jahr predigte, wie dies auch aus unserem Gesangbuch zu ersehen ist, falls sie nicht schon als zweite Weihnachtsepistel gepredigt wurde.

    Lasst uns daher heute durch Betrachtung dieser Epistel das Epiphaniasfest, das Fest der Heiden, so miteinander begehen, dass wir in Bezug darauf unserer Taufe gedenken. Zu dem Ziel stelle ich euch vor:

 

Dass wir durch die Taufe aus Heiden Christen, aus Kindern des Zorns Kinder Gottes geworden sind

 

    Vernehmt

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Den Nachweis und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die Anwendung hiervon.

 

    Deine Freundlichkeit und Leutseligkeit, o Gott unser Heiland, ist auch uns einst erschienen, da wir auf deinen Namen getauft wurden. O so gib, dass solches jetzt recht gepredigt und von allen recht erkannt werde, damit wir dir für unsere Taufe besser danken, als es bisher geschehen ist und sie für uns und unsere Kinder recht und selig gebrauchen. Das hilf uns, um deines Namens willen. Amen.

 

1.

    Wenn unsere Epistel also beginnt: „Da aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes“, so merkt jeder, dass mit dem „da aber“ auf die vorausgehenden Worte zurückgewiesen wird. Diese aber lauten so: „Wir waren auch einst unweise, ungehorsam, irrig, dienend den Lüsten und mancherlei Wollüsten und wandelten in Bosheit und Neid und hassten untereinander.“ An ihr früheres Heidentum also, an ihren schrecklichen Zustand von Natur, soll Titus als ein treuer Bischof die Christen auf der Insel Kreta fort und fort erinnern. In diesem Zustand hätten sich diese befunden. Nur Sünde, Schande und Laster hätten sie beherrscht, nur Gottes Zorn hätte über ihnen geschwebt, nur die Verdammnis wäre ihr zeitliches und ewiges Teil gewesen.  „Da aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes, nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit machte er uns selig.“

    Damit erinnert uns der Apostel auch an unsere Vorgeschichte. Auch unsere Väter, auch unsere alten Deutschen sind ja Heiden gewesen und sind in ihren Wäldern hingegangen zu den stummen Götzen, wie sie von ihren Priestern und Wahrsagern, den Druiden, geführt wurden. Und ob sie auch als ein noch jugendliches Volk ein vergleichsweise besserer, von der moralischen Fäulnis noch nicht so ergriffener Menschenschlag waren wie die Griechen und Römer zur Zeit des Paulus, so gilt doch von ihnen gleichermaßen das alles, was der Apostel von den Heiden seiner Zeit sagt. Namentlich wandelten unsere heidnischen Vorfahren in „Bosheit und Neid“ und hassten sich untereinander“, so dass der Neid und die Streitsucht der Deutschen sprichtwörtlich geworden sind und sich bis auf den heutigen Tag noch zeigen. Da war ein Stamm dem anderen feind, da gab’s jahraus jahrein Kriegs- und Raubzüge gegen einander, bei denen die Kriegsgefangenen teils durch das Schlachtmesser der Priester den Götter geopfert, teils zu Sklaven gemacht wurden. Gab es keinen Kriegs- oder Jagdzug, so lagen die faulen Männer auf der Bärenhaut und ließen die Arbeit von den Frauen und den Sklaven tun, just, wie die Indianer, daher denn auch ganz Deutschland eine öde Wildnis von undurchdringlichen Wäldern und großen Sümpfen war. Und ob sich die alten Deutschen auch durch etliche natürliche Tugenden auszeichneten, nämlich durch ihre Keuschheit und durch ihre Ehrlichkeit, so waren sie doch auch wieder dem Laste des Saufens sehr ergeben, wie denn noch heute die Sauferei als ein Nationallaster der Deutschen gilt. Und in diesem Zustand befanden sie sich noch 6-800 Jahre nach der Erscheinung Christi, ja noch darüber.

    Wohl sind wir, die Nachkommen, nicht von heidnischen, sondern von christlichen Eltern geboren. Aber, Geliebte, wenn unsere Eltern in Wahrheit keine Namenschristen, sondern gläubige Christen waren, haben wir denn da von ihnen das geerbt, was sie von dem Heiligen Geist hatten? Nein, nicht das mindeste, sondern allein das, was sie durch die fleischliche Geburt von Adam hatten, nämlich jene Sünde, die, wie unser Katechismus sagt, das allertiefste Verderben der ganzen menschlichen Natur ist, vermöge dessen dieselbe der anerschaffenen Gerechtigkeit und Vollkommenheit beraubt und zu allem Bösen geneigt ist und um welcher willen schon jeder Mensch von seiner Geburt an unter Gottes Horn und zeitlicher Strafe und ewiger Verdammnis liegt, solange er nicht von neuem geboren ist. Von jedem auch von christlichen Eltern gebornen Kind heißt es: „Siehe, ich bin aus sündlichem Samen gezeugt, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen.“ Jedes gehört, wie irgendein von Heiden geborenes Kind, nach seiner natürlichen Abstammung zu den „Kindern des Zorns von Natur“ und „ist hier kein Unterschied“. Es gilt daher auch von jedem in der Christenheit geborenen Kind die bestimmte beschworene Erklärung des Königs des Himmelreichs: „Wenn jemand nicht geboren wird aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch.“ Eben darum hat er denn auch die Taufe zu einem „Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes“ eingesetzt.

    Solches wird auch bei jeder Taufhandlung von unserer Kirche mit bestimmten, nachdrücklichen Worten öffentlich bekannt und bezeugt. Gleich in der einleitenden Taufermahnung wird auf die Erbsünde hingewiesen und heißt es dann z.B. in vielen Agenden: „Auch dies gegenwärtige Kindlein ist in seiner Natur mit gleicher Sünde, wie wir, vergiftet und verunreinigt, weshalb es auch des ewigen Todes sein und bleiben müsste.“ Und durchdrungen von der Gewissheit, dass auch das in der Christenheit geborene Kind infolge der Erbsünde wirklich dem Tod und der Gewalt des Teufels unterworfen ist, gebraucht die Kirche auch bei ihm, wie einst bei der Taufe der Heiden, die alte Entsagungsformel und lässt daher durch die Paten das unmündige Kind die dreifache Frage bejahen: „Entsagst du dem Teufel und allen seinen Werken und allem seinem Wesen?“ Damit man aber nicht denke, das alles sei eben eine altmodische Form oder eine bloße starke Redensart, so erklärt Luther in der Vorrede zum Taufformular: „Denn du hier hörst in den Worten dieser Gebete, wie kläglich und ernstlich die christliche Kirche das Kindlein herträgt und so mit beständigen, unzweifelhaften Worten vor Gott bekennt, es sei vom Teufel besessen und ein Kind der Sünden und Ungnaden und so fleißig bittet um Hilfe und Gnade durch die Taufe, dass es ein Kind Gottes werden möge.“

    So waren wir, da wir in diese Welt geboren waren und an der Mutter Brust und in der Mutter Arm lagen, denn doch auch noch Heiden, waren auch Kinder des Zorns von Natur, gleichwie die anderen. Da aber schien uns gleichermaßen „die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes“, da sie in dem menschgewordenen Gottessohn vor über 2000 Jahren allen Menschen erschienen war. Nach der in ihm leibhaftig erschienen Freundlichkeit und Leutseligkeit oder Menschenliebe Gottes hat er denn auch gerufen: „Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes!“ und gehorsam diesem Wort haben uns unsere Eltern schon in den ersten Tagen oder doch Wochen unseres Daseins zu ihm gebracht. Da hat er auch uns geherzt und gesegnet, hat uns errettet von der Obrigkeit der Finsternis und versetzt in sein Reich, kurz, hat uns als unser Heiland „selig“ gemacht. Und das alles auch „nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit, die wir getan hatten“. Was für gute Werke sollte denn der Säugling damals getan haben, der noch nicht einmal zum Bewusstsein erwacht war und welches Gute überhaupt sollte Gott an ihm gesehen haben, der in Sünden empfangen und geboren ein Kind des Zorns war von Natur! Nein, „nach seiner Barmherzigkeit machte er uns selig“, allein unser Elend ging ihm zu Herzen. Wodurch selig? „durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, 6 welchen er ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesus Christus, unsern Heiland, damit wir durch dessen Gnade gerecht und Erben seien des ewigen Lebens nach der Hoffnung. Das ist gewiss wahr.“

    Dass hier der Apostel von der Taufe redet, weiß bei uns, Gottlob, jedes Kind, das seinen Katechismus gelernt hat; denn auf die Frage der vernünftelnden Schwärmer: „Wie kann Wasser solche große Dinge tun?“ antwortet Dr. Luther bekanntlich im vierten Hauptstück des Katechismus: „Wasser tut’s freilich nicht, sondern das Wort Gottes, so mit und bei dem Wasser ist, und der Glaube, so solchem Wort Gottes im Wasser traut; denn ohne Gottes Wort ist das Wasser schlicht Wasser und keine Taufe; aber mit dem Wort Gottes ist es eine Taufe, das ist ein gnadenreiches Wasser des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im Heiligen Geist“, worauf zum Schriftbeweis dieses unser Textwort als Macht- und Hauptspruch angeführt wird. Bleiben wir also dabei, dass, weil St. Paulus die Taufe „das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes“ nennt, diese das von Gott verordnete Mittel ist, dadurch wir aus Heiden Christen und aus Kindern des Zorns Kinder Gottes werden und rühmen wir den Taufschwärmern, den Baptisten, zum Trotz, Gott aber zu Ehren, dass auch den unmündigen Kindlein die Taufe ein solch gnadenreiches Wasser des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im Heiligen Geist ist.

    Die Taufe also ist das von Gott verordnete Mittel oder das „Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes.“

    Die Wiedergeburt ist die Entstehung oder erste Wirkung und Anzündung des Glaubens in dem Menschen. Diese ist ganz und gar ein Werk des Heiligen Geistes ohne alles und jedes Mitwirken des Menschen. Das Mittel hierzu ist das Wort, und zwar die Predigt des Evangeliums als das hörbare Wort und das Sakrament als das sichtbare Wort. Bei den Erwachsenen zündet die Predigt zuerst den Glauben an und die hinzukommende Taufe stärkt und mehrt alsbald den Glauben; bei den unmündigen Kindern aber zündet der Heilige Geist solchen Glauben gleich durch die Taufe an. [Denn übergeben in der Taufe, verbunden mit unserer Fürbitte, das Kind Christus, der will, dass die Kinder zu ihm gebracht werden, damit er sie segne, damit ihrer das Himmelreich ist, weshalb wir mehr als berechtigt sind zu vertrauen, dass er den, noch unbewussten, Glauben in ihnen wirkt, auch wenn wir nicht wissen, wie er das macht. Aber auch das Entstehen des Glaubens bei einem Erwachsenen ist ein Wunder Gottes.] Lasst euch nicht irre machen durch das Geschwätz der Schwärmer und anderer klug sein wollenden Leute, als ob die Kinder nicht glauben könnten, weil sie noch nicht zum rechten Gebrauch ihrer Vernunft gekommen sind. Bezeugt ja doch Christus, unser Herzenskündiger, ausdrücklich von den Kleinen: Die an mich glauben.“ Und wenn er sagt: „Solcher ist das Reich Gottes“, so müssen sie ja den Glauben haben, da ohne denselben niemand Gott gefallen und selig werden kann. War doch ein Johannes der Täufer selbst noch im Mutterleib mit dem Heiligen Geist und mit Glaubensfreude erfüllt! Gerade im Herzen des Unmündigen kann der Heilige Geist viel leichter den Glauben wirken, da er beim Erwachsenen ein viel stärkeres Widerstreben zu überwinden hat, besonders der Vernunft. Dieser Glaube nun ist es, welcher dem Wort Gottes im Wasser traut, welcher nimmt, was die Taufe Großes gibt und wirkt. Sie wird da dem Menschen ein Bad der Abwaschung von Sünden, der Erlösung vom Tod und Teufel und der Seligmachung in Zeit und Ewigkeit. Damit sind dann ein Kind Gottes, von Gott angenommen, von Gott geboren, „denn ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben“, sagt Paulus, „denn wie viel euer getauft sind, die haben Christus angezogen.“

    Die Taufe wird aber dabei zugleich ein Bad „der Erneuerung des Heiligen Geistes“, welchen Gott der Vater „ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesus Christus, unseren Heiland“, als durch welchen uns Vergebung der Sünden zu unserer Gerechtmachung und der Heilige Geist zu unserer Erneuerung erworben ist, „auf dass wir durch desselben Gnade gerecht und Erben des ewigen Lebens seien nach der Hoffnung“. Der von dem Heiligen Geist angezündete Glaube ist nämlich ein solches göttliches Werk in uns, das uns verwandelt und neu gebiert und macht uns zu ganz anderen Menschen von Herz, Mut, Sinn und allen Kräften, kurz, der Heilige Geist macht zugleich den Anfang zur Wiederherstellung des Ebenbildes Gottes in uns. Was er hier dann in der Taufe angefangen hat, das setzt er durchs ganze Leben fort, so er nur nicht mutwillig wieder vertrieben wird. In dem Getauften nicht müßig, sondern geschäftig, erleuchtet er mehr und mehr dessen Verstand, treibt seinen Willen zu allem Guten und gibt ihm Kraft, als ein Kind Gottes zu leben, den angeborenen Lüsten zu widerstreben und je mehr und mehr als eine neue Kreatur zum Ebenbild Gottes erneuert zu werden, bis endlich in der seligen Auferstehung des Fleisches das Werk der Erneuerung vollendet ist und wir fähig gemacht sind und gebracht werden zum Vollgenuss des ewigen Lebens, dessen Erbe nach der Hoffnung wir durch die Taufe geworden waren.

    Seht, so große dinge kann die Taufe tun, solch ein gnadenreiches Wasser des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im Heiligen Geist wird sie durch das Wort, so mit und bei dem Wasser ist. Das ist je gewiss wahr!

    So ist es denn gewiss wahr, dass wir durch die Taufe aus Heiden Christen, aus Kindern des Zornes Kinder Gottes geworden sind. O, welches unverdientes Glück, welche unvergleichliche Herrlicheit, ein Christ, ein Kind Gottes zu sein! Weil wir in der Taufe Christus anziehen, so sind wir Christen, d.i. mit dem Heiligen Geist Gesalbte, daher es auch im Lied heißt:

Du bist das heilge Öle,

Dadurch gesalbet ist

Mein Leib und meine Seele

Dem HERREN Jesus Christs

Zum wahren Eigentum,

Zum Priester und Propheten,

Zum König, den in Nöten

Gott schützt vom Heiligtum.

     Und ein Kind Gottes zu sein, das ist doch die höchste Bestimmung eines Menschen und sein vornehmster Adel, das befreit alle Ehre alle Würde in sich, die uns Gott zugedacht und Christus uns erworben hat, das bezeichnet unser innigstes Verhältnis, unsere innigste Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott! Und Christen sind wir geworden, die wir Heiden, Kinder Gottes, die wir Kinder des Zorns von Natur waren! O wunderbarer, unbegreiflicher, seliger Wechsel!

 

 

2.

   Lasst mich diese teure und gewisse Wahrheit mit wenigem nun noch anwenden, und zwar zu einer doppelten Ermahnung und Reizung.

    Zunächst zu einer Ermahnung und Reizung für die Eltern in Betreff ihrer noch unmündigen Kinder. Bekanntlich verwerfen nur die Baptisten oder Wiedertäufer grundsätzlich die Kindertaufe. Allein, der baptistische Geist hoch doch alle die anderen reformierten Gruppen mit Ausnahme der Episkopalkirche durchdrungen, indem diese die Taufe mehr für ein Sinnbild und eine Zeremonie zur Aufnahme in die äußerliche Kirchengemeinschaft ansehen und nicht für „das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes“. Sie erteilen daher Kindern die Taufe, wenn es die Eltern begehren; sie dringen aber nicht auf die Kindertaufe, sie lassen dieselbe den Eltern frei. Die Folge ist, dass die Kindertaufe unter ihnen immer mehr abkommt, und die Parochialberichte einen gar traurigen Ausweis liefern. Nach dem Parochialbericht einer Presbyterianergemeinde z.B., die 271 Familien und 674 Kommunikanten zählte, waren in einem Jahr nur 10 Kinder getauft worden. Vor einer Reihe von Jahren wurde berichtet, dass unter den Kongregationalgemeinden des Staates Connecticut 76 seien, in welchen während des Jahres kein einziges Kind, in einer dieser Gemeinden seit zehn Jahren sogar überhaupt kein Kind getauft worden war. Und seitdem ist dies, soweit man wahrnimmt, nicht besser, sondern schlimmer geworden. Es wäre nun schon genug, dass durch die ohne Taufe heranwachsenden Kinder solcher vom Christentum ganz abgefallener und nun ganz kirchlos dahinlebender Eltern genug Heiden mitten unter den Christen wieder werden; ist es aber nicht entsetzlich, dass auch innerhalb solcher Gemeinden durch die Unterlassung der Kindertaufe ein neues Heidentum entsteht? Welch eine bittere Frucht der falschen Lehre von der Taufe!

    Sehen wir aber zu, ob wir von diesem wiedertäuferischen und sektiererischen Geist nicht auch mehr oder weniger schon angesteckt sind. Oder wie kommt’s, dass trotz der reinen Lehre von der Taufe, die unter uns in Kirche und Schule, in Predigt und Katechisation im Schwang geht und trotz oftmaliger Bitte und Ermahnung, die neugeborenen Kinder so frühzeitig wie nur möglich zur Taufe zu bringen, doch noch immer es vorkommt, dass dieselben Monate oder gar noch länger auf die Taufe warten müssen? Ist’s denn möglich, dass Eltern, die Christen sein wollen, es ansehen können, dass ihr Kind so lange ein Heide und ein Kind des Zorns bleibt, dass es so lange nicht ein Christ, nicht ein Kind Gottes sein darf? Ach, man muss fürchten, dass es solchen Eltern selber ganz gleichgültig ist, ob man ein Christ oder ein Heide, ein Kind Gottes oder ein Kind des Zorns ist! Was wollen sie nun aber dem HERRN antworten, der da ruft: „Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehrt ihnen nicht“? Und was erst, wenn das ungetaufte Kind vom Tod übereilt würde? O, darum lasst uns in die Fußstapfen unserer gottseligen Väter treten, die schon am achten Tag und vielfach noch früher das neugeborene Kindlein zur Kirche trugen, dass es in Gottes Namen getauft würde.

    Damit ist aber noch nicht alles geschehen, dass man die Kinder frühzeitig zur Taufe bringt. Wie das kleine Kind in Betreff seiner Leibespflege sorgfältig in Acht genommen werden muss, wie die Mutter es nährt, dass es zunimmt, und vor schädlichen Einflüssen es bewahrt, dass es nicht krank wird und stirbt, so bedarf auch das geistliche Leben des getauften Kindes, das auch noch so zart und schwach ist, wie sein leibliches Leben, der größten Sorgfalt in seiner Pflege. Obwohl es aus einem Heiden ein Christ, aus einem Kind des Zorns ein Kind Gottes durch die Taufe geworden, so ist doch in ihm der alte Adam. Wie bald kann da nun durch böse Beispiele und lose Rede die gute Wirkung der Taufe in einem Kind wieder zerstört werden! Und wie soll im getauften Kind das neue Leben erhalten werden, wenn im Haus kein Gebet, kein Gotteswort gehört wird, und man dann hernach dasselbe anstatt in die christliche Gemeindeschule auf die religionslose oder antichristliche Staatsschule schickt? Kein Wunder daher, dass schon in Folge der Erziehung in vielen Getauften nichts mehr von einer Wiedergeburt, nicht mehr von einer Erneuerung zu spüren ist und sie wieder Kinder des Zorns werden und wie Heiden wieder dahin leben. Aber welch eine Verantwortung haben da Eltern auf sich geladen!

    Ihr nicht so, meine Lieben. Ach, lasst euch durch das, was ihr heute von der Taufe gehört habt, ermahnen und reizen, eure getauften Kinder in der Zucht und Ermahnung zum HERRN zu erziehen, dabei auch herzlich und fleißig für dieselben zu beten, damit sie Christen, damit sie Kinder Gottes bleiben und dereinst auch das ewige Erbe empfangen.

    Sodann lasst mich die Lehre unserer heutigen Epistel zu einer Ermahnung und Reizung für die Erwachsenen insgesamt anwenden, für Jünglinge und Jungfrauen, für Männer und Frauen.

    Sind wir nämlich durch die Taufe aus Heiden Christen, aus Kindern des Zornes Kinder Gottes geworden, o, so lasst uns doch oft, ja täglich an unsere liebe Taufe denken. In unserer Konfirmation haben wir ihrer öffentlich gedacht und darum auch den in ihr mit dem dreieinigen Gott geschlossenen Taufbund öffentlich und feierlich erneuert. Aber so, wie bei der Konfirmation öffentlich, sollen wir bei uns selbst täglich der Taufe gedenken.

    Lasst uns daher vor allem Gott täglich danken, der auch uns seine Freundlichkeit und Leutseligkeit hat erscheinen lassen dadurch, dass er in die Finsternis unserer heidnischen Väter das Licht des Evangeliums hat scheinen, ja, nach der Verdunkelung desselben durch den Antichrist es durch Luther erst recht hell über die Welt und besonders das deutsche Volk hat aufgehen lassen. Die Folge davon ist, dass wir die Lehre auch von der Taufe rein haben und dass wir schon als zarte Kindlein dem HERRN zugetragen, kaum eingetreten in die Welt aus unserem angeborenen Elend errettet und selig gemacht, aus Heiden Christen, aus Kindern des Zorns Kinder Gottes geworden sind. Hast du, mein lieber Zuhörer, Gott auch schon für deine Taufe gedankt, besonders dafür, dass durch diese dir seine Freundlichkeit und Leutseligkeit schon in deiner Kindheit erschienen ist und hat dich so selig, so herrlich gemacht?

    Dann lasst uns auch unsere Taufe recht gebrauchen und uns, wie Luther sagt, unser ganzes Leben lang an der Taufe üben.

    Zu solchem lebenslänglichen Gebrauch und zu solcher steten Übung gehört vor allem, dass wir uns ihres herrlichen Trostes in allen Anfechtungen annehmen. Ficht uns unsere tägliche Sünde an, so lasst uns gedenken, dass wir durch unsere Taufe eine fortwährende Vergebung unserer Sünden haben. Haben wir unseren Taufbund schändlich gebrochen und dadurch Gottes Gnade und den Heiligen Geist verloren, und erkennen wir solches bußfertig, so lasst uns gedenken, dass der mit uns in der Taufe geschlossene Bund ein Gnadenbund ist, kraft dessen Gott einen Getauften so oft wieder in Gnaden annimmt, so oft er sich bekehrt und Buße tut. Ficht uns Armut, Kreuz und mancherlei Trübsal an – o, welchen Trost wird uns unsere Taufe geben, die uns zu Gesalbten des HERRN, zu Kindern Gottes und zu Erben des ewigen Lebens gemacht hat. Und dringt auf uns der Tod ein – denken wir an unsere Taufe, so wird die Furcht des Todes schwinden, denn weil die Taufe die Sünde als den Stachel des Todes wegnimmt, so kann einem getauften Christen der zeitliche Tod nicht schaden und der ewige Tod, die ewige Verdammnis, an ihm keine Macht finden. O, wie sollte doch im Andenken an die Taufe unser Herz immerdar hüpfen und springen und in allen Nöten getrost und freudig sein!

    Lasst uns aber auch unsere Taufe zu fortgehender Erneuerung, zu gottseligem Wandel gebrauchen. Aber ach, Geliebte, welch eine lange Bußpredigt wäre darüber zu tun, dass die meisten Getauften das ganz und gar vergessen und so ganz aus ihrer Taufe fallen, dann oft noch ärger werden als die Heiden und so unter einen noch größeren Zorn Gottes geraten, indem sie nun erst recht sich erzeigen als „Unweise, Ungehorsame, Irrige, den Lüsten und mancherlei Wollüsten Dienende“, und wandeln „in Bosheit und Neid und hassen sich untereinander“, so dass um ihretwillen auch unter den Ungläubigen und Heiden Gottes Name gelästert wird. Wer unter uns so seine Taufe vergessen hat, der tue ja ungesäumt Buße. Nein, sind wir aus Heiden Christen geworden, so lasst uns beweisen, dass wir jenes waren, dieses aber nunmehr sind; hat uns Gott aus Kindern des Zorns zu seinen Kindern gemacht, so lasst uns auch als Kinder Gottes heilig und ihm zu Ehren leben und deshalb täglich den alten Menschen durch wahre Reue und Buße töten und täglich im Geist unseres Gemüts uns erneuern. Lasst uns daran denken, dass wir bei der Taufe und hernach bei der Konfirmation feierlich gelobt haben, zu entsagen dem Teufel und allen seinen Werken und allen seinem Wesen, dafür aber mit Leib und Seele dem dreieinigen Gott angehören zu wollen und dass wir durch Gottes Gnade das halten können, weil uns die Taufe dazu die Kraft gibt.

    Wohl uns! Wir werden so unsere Taufe zieren, wir werden dann auch dabei rechte Missionsleute sein und unter Christen und Heiden und Juden das Reich der Gnaden bauen helfen, bis wir kraft unserer Taufe aus dem Reich der Gnaden endlich zum Reich der ewigen Herrlichkeit gelangen. Das helfe uns Gott nach seiner großen Barmherzigkeit durch Jesus Christus, unseren Heiland. Amen.

 

Gebet: Barmherziger Gott und Vater, wir danken wir, dass du uns in Sünden empfangene und geborene Menschen durch die heilige Taufe wiedergeboren und zu deinen Kindern und Erben der ewigen Seligkeit aufgenommen hast, und bitten dich, erhalte uns in dem mit dir gemachten Taufbund, dass wir in wahrem Glauben und heiligem Wandel dir dienen und endlich das verheißene Erbe erlangen mögen durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: O Gott, da ich gar keinen Rat

 

 

Epistelpredigt zum ersten Sonntag nach Epiphanias ueber Roemer 12,1: Das priesterliche Opfer der Glaeubigen des Neuen Testaments

 

Lied: HERR Jesu, Gnadensonne

 

Gebet: Ehre und Gewalt sei dir, HERR und Heiland, von Ewigkeit zu Ewigkeit, denn du hast uns arme verlorene und verdammte Sünder erkauft mit deinem Blut aus allerlei Geschlechtern und Zungen und Volk und Heiden und hast uns nach deiner großen Barmherzigkeit durch die Taufe wiedergeboren und gemacht zu Königen und Priestern vor Gott und deinem Vater. Lehre und solches heute und in den kommenden Sonntagen recht verstehen durch den Unterricht deines auserwählten Rüstzeuges, das besonders unter die Heiden deinen Namen tragen sollte, damit wir in Wort und Werk verkündigen deine Tugenden, der du uns durch dein Evangelium berufen hast von der Finsternis des Heidentums zu deinem wunderbaren Licht und wir so unseres hohen und herrlichen Berufes würdig wandeln. Erhöre uns um deines Namens willen. Amen.

 

Römer 12,1: Ich ermahne euch, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber begebt zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst.

 

    Geliebte in dem HERRN! Unsere Väter sind Heiden gewesen und sind hingegangen zu den stummen Götzen. Weil aber auch ihnen Christus durch sein Evangelium einst erschienen ist, so sind wir, ihre Nachkommen, nun Christen. Ein schöner Name! Christ heißt nämlich ein Gesalbter. Gesalbte aber sind wir nach dem Wort des 45. Psalms: „Du liebst Gerechtigkeit und hasst gottloses Wesen, darum hat dich, Gott, dein Gott, gesalbt mit Freudenöl mehr als deine Gesellen.“ Dies Freudenöl ist der Heilige Geist. Mit ihm ist Christus, unser HERR und Haupt, ohne Maßen gesalbt zum Priester, König und Propheten; wir aber, die wir durch seine Hand mit diesem Freudenöl nach dem Maß in der Taufe gesalbt wurden, sind in dieser dreifachen Würde seine Gesellen, seine Genossen und können daher von dem Heiligen Geist mit dem Dichter singen:

Du bist das heilge Öle,

Dadurch gesalbet ist

Mein Leib und meine Seele

Dem HERREN Jesus Christ

Zum wahren Eigentum,

Zum Priester und Propheten,

Zum König, den in Nöten

Gott schützt im Heiligtum.

    Auf das eine Stück dieser dreifachen Christenwürde, auf unser geistliches Priestertum, weist uns der Anfang dieser Epistel mit den Worten: „Ich ermahne euch, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihre eure Leiber begebt zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst.“ Diese teure Wahrheit aber ist gleichsam der rote Faden, der sich wie eine Perlenschnur durch das ganze 12. Kapitel der Epistel an die Römer hindurchzieht, von der ausgehend und getragen der Apostel der Heiden mit dem im 12. Kapitel beginnenden zweiten Teil seiner Epistel die Christen ermahnt und reizt zu den Früchten des Glaubens in gottseligem Wesen und Fleiß in allerlei guten Werken, nachdem er im ersten Teil die hochwichtige Wahrheit, den Kern und Stern aller Lehre, vorgetragen hat, „dass der Mensch gerecht werden ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“. Da redet er denn V. 1. Von dem priesterlichen Opfer der Gläubigen; V. 2 von der priesterlichen Absonderung der Gläubigen von der gottentfremdeten Welt und von V. 3 an bis zum Ende von dem priesterlichen Wandel der Gläubigen innerhalb und außerhalb des Hauses Gottes, das da ist die Gemeinde des lebendigen Gottes.

    Da wir nun, Geliebte, in die Epiphaniaszeit eingetreten sind und dieses ganze 12. Kapitel für die Episteln der drei ersten Epiphaniassonntage von der Kirche vorgeschrieben sind, so sei es mir in Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse meiner lieben Zuhörer gestattet, nach der jetzt angegebenen inhaltlichen Einteilung diese drei Epiphaniasepisteln zu predigen und daher für jetzt euere Aufmerksamkeit allein auf das priesterliche Opfer der Gläubigen zu richten, zuvor aber noch einen kurzen Unterricht von dem geistlichen Priestertum zu tun.

    Wie im Alten, so gibt es auch im Neuen Bund ein Priestertum, von dem jenes aber, wie die ganze levitische Einrichtung des jüdischen Gottesdienstes, nur ein weissagendes Vorbild auf dieses ist. So viel daher z.B. das neutestamentliche Osterlamm, Christus, besser und herrlicher ist als das alttestamentliche, so viel besser und herrlicher ist auch das neutestamentliche Priestertum als das alttestamentliche, denn es ist nicht wie dieses ein leibliches, sondern ein geistliches Priestertum.

    Das levitische Priestertum gipfelte im Hohenpriester, als dem Obersten der Priester. Der Hohepriester des geistlichen oder neutestamentlichen Priestertums ist des Menschen Sohn, Christus Jesus, wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria aus dem Haus und Geschlecht Davids geboren. Von ihm heißt es Psalm 110,4: „Der HERR hat geschworen, und es wird ihn nicht gereuen! Du bist ein Priester ewiglich nach der Weise Melchisedeks.“ Und dass und wie er und kein anderer dieser Hohepriester ist, weist den aus den Juden stammenden Christen die Epistel an die Hebräer nach.

    Aber welches ist nun die Priesterschaft, die um diesen nicht von Levi, sondern von Juda nach dem Fleisch stammenden Hohenpriester versammelt ist und Gottesdienst tut? Sind es etwa die berufenen Diener der Kirche? Wohl behauptet das der Papst und ihm nach die bischöfliche Kirche (Episcopal Church). Aber, Geliebte, obwohl das Amt der berufenen Diener der Kirche im Neuen Testament eine göttliche Stiftung mit vielen und herrlichen Namen geziert ist, obwohl diese heißen Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse, Pastoren oder Hirten, welche der Heilige Geist gesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes, Älteste, Lehrer, Gottes Mitarbeiter u.dgl., so werden sie doch nicht ei einziges Mal ihrem Amt nach Priester geheißen. Wenn daher manche unserer alten Lehrer diese Priester nennen, wie z.B. in den beiden schönen Absolutionsliedern Nr. 192 und 193 [Missourisches Gesangbuch], so tun sie es nur nach dem alten Sprachgebrauch, keineswegs in dem Sinn, in welchem die Kirchendiener der papistischen und episkopalen Sekte Priester genannt werden, sondern allein in dem Sinn, dass ihnen von Gemeinschaftswegen und Kraft des Berufes der Kirche die öffentliche Verrichtung gewisser Rechte und Pflichten des geistlichen Priestertums obliegt. Nein, das Priestertum des Neuen Testaments ist nicht das Privileg Einzelner in der Kirche Gottes, nicht eines gewissen Stammes oder Geschlechts, wie des Stammes Levi und Geschlechtes Aaron im Alten Testament, ist also nicht ein gewisser Stand innerhalb der Kirche, wie nach göttlicher Verordnung im Alten Testament, sondern es ist die ganze Schar aller Gläubigen ohne Unterschied der Abstammung, des Geschlechts, des Alters, des äußerlichen Standes und der mancherlei Begabung. Gerade der Apostel, den man so gern zum sichtbaren Statthalter Christi auf Erden und darum zum sichtbaren Oberpriester eines gegen die Schrift erdichteten Priestertums machen möchte, gerade Petrus, bezeugt in seiner 1. Ep. Kap. 2,9 allen Gläubigen ohne Ausnahme: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“ Und damit man nicht meine, das gehe bloß die Gläubigen aus Israel an, so setzt er für die ehemaligen Heiden V. 10 hinzu: „Die ihr einst nicht ein Volk wart, nun aber Gottes Volk seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid.“ Und ebenso werden in der Offenbarung an St. Johannes dreimal die Gläubigen alle zusammen Priester genannt, besonders Kap. 5,9 und 10, wo die neutestamentlichen Gläubigen allzumal anbetend rufen: „Du hast uns erkauft mit deinem Blut aus allerlei Geschlecht und Zungen und Volk und Heiden und hast uns unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht, und wir werden Könige sein auf Erden.“ Wie man nun im Alten Testament nicht erst durch die vorgeschriebene levitische Weihe, sondern durch die leibliche Geburt von Levi her ein levitischer Priester wurde, so wird man im Neuen Testament noch viel weniger durch die zeremonielle Weihe von einem Bischof ein geistlicher Priester, sondern auch durch eine Geburt, aber durch eine geistliche Geburt, durch die Geburt aus Wasser und Geist, durch die liebe Taufe. Wer das glaubt und getauft ist, ob Mann oder Frau, ob Kinder oder Greis, ob Weiß oder Schwarz, ob gelehrt oder ungelehrt, ob reich oder arm, der ist ein Priester Gottes des Allerhöchsten.

    O unvergleichliche Würde, welche gleichfalls die Herrlichkeit und Sesligkeit der Gotteskindschaft mit sich bringt! Denn was ist ein Priester nach Gottes Wort? Er ist nichts Geringeres als eine von den Gemeinen abgesonderte und Gott geheiligte und geweihte Person, welche sowohl mit dem heiligen Gott selbst zu handeln und ihm zu nahen berechtigt und durch den Heiligen Geist dazu befähigt ist, als auch im Namen Gottes zu den Menschen zu den und sie segnen darf, soll und kann.

    Die Hauptverrichtung des Priestertums nun ist das Opfer, wie der Hebräerbrief ja auch ausdrücklich sagt, dass ein jeglicher Priester zur Darbringung des Opfers eingesetzt ist. Welches ist demnach das eigentliche Opfer des neutestamentlichen, des geistlichen Priestertums? Das eben lasst uns heute aus den Anfangsworten der Epistel noch besonders lernen. Wir betrachten:

 

Das priesterliche Opfer der Gläubigen im Neuen Testament

Und zwar:

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dessen Art

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dessen Gegenstand und

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dessen Darbringung

 

1.

    Meine Lieben! Ein Priester ohne Opfer ist ebenso ein Unding wie ein König ohne Land und Leute, ein Pfarrer ohne Gemeinde und ein Lehrer ohne Schüler; denn ein Priester ist eben dazu eingesetzt, dass er mit Gott handle durch Darbringung eines Opfers und ob auch Opfern nicht die einzige priesterliche Verrichtung ist, so ist sie doch die wesentlichste und wichtigste Verrichtung. Wenn daher die römischen Messpriester zu den sogenannten Priestern der anglikanischen Kirche sagen: „Ich seid keine Priester, denn wo ist das Opfer, das ihr von Amtswegen Gott täglich darbringt?“ so haben sie so unrecht nicht, denn die Schrift selbst sagt, dass ein Priester eingesetzt ist, ein Opfer zu tun. Wenn nun aber die römischen Messpriester weiter behaupten: Eben darum sind wir in Wahrheit Priester Gottes, denn wir haben in der Messe die tägliche Darbringung des neutestamentlichen Opfers! so sagen wir Lutheraner: Ihr irrt und wisst nicht die Schrift noch die Kraft Gottes; denn euer Messopfer ist ein erdichtetes Opfer, wie die Opfer der Heiden, oder ja, ihr seid um eures Messopfers willen Priester, aber dann nicht Priester Gottes, sondern Götzenpriester, Baalspriester, Teufelspriester. Nur ein Gläubiger bringt fort und fort ein wirkliches Gott wohlgefälliges Opfer dar. Welcher Art das ist und daher auch wie himmelweit von dem papistischen verschieden schon in Bezug auf die Art, werden wir bald sehen.

    Die Opfer, welche nach göttlicher Einsetzung die levitischen Priester darbringen mussten, waren nämlich zweierlei Art: Sühnopfer und Dankopfer. Sollte Vergebung der Sünde erlangt werden, so geschah durch die Hand des Priesters ein Sühnopfer; sollte Gott für eine Gabe, für eine Wohltat gepriesen werden, so geschah ein Dankopfer. Ein Sühnopfer soll denn nun auch die Messe oder das zu einem Opferdienst verunstaltete heilige Abendmahl sein; denn in derselben will der Priester Brot und Wein, die er in Leib und Blut Christi zu verwandeln vorgibt, Gott darbringen für die Sünden der Lebendigen und der Toten und zwar als ein unblutiges Opfer. Aber, Geliebte, nicht nur redet die Schrift allüberall nur von der bereits auf Golgatha geschehenen Darbringung des Opfers des Leibes und Blutes Christi und weiß nirgends etwas von einer unblutigen Wiederholung dieses Opfers, sondern die Epistel an die Hebräer geht auch darauf aus, durch eine Vergleichung des levitischen, vorbildhaften und des am Kreuz geschehenen Sühnopfers zu zeigen, dass und warum es bei dem letzteren keinerlei Wiederholung, ja, warum im Neuen Testament überhaupt es keinerlei Sühnopfer mehr bedarf. Sie erklärt Kap. 9,24-28: „Christus ist nicht eingegangen in das Heilige, das mit Händen gemacht ist (welches ist ein Gegenbild – Vorbild des Rechtschaffenen), sondern in den Himmel selbst, nun zu erscheinen vor dem Angesicht Gottes für uns. Auch nicht, dass er sich oftmals opfere, gleichwie der Hohepriester geht alle Jahre in das Heilige mit fremdem Blut. Sonst hätte er oft müssen leiden vom Anfang der Welt her. Nun aber am Ende der Welt ist er einmal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. Und wie den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: So ist Christus einmal geopfert, wegzunehmen vieler Sünden. Zum zweiten Mal aber wird er ohne Sünde erscheinen denen, die auf ich warten zur Seligkeit.“ Und ebenso deutlich heißt es im nächsten Kapitel V. 10.14: „In welchem Willen wir sind geheiligt, einmal geschehen durch das Opfer des Leibes Jesu Christi. Und ein jeglicher Priester (nämlich levitischer) ist eingesetzt, dass er alle Tage Gottesdienst pflege und oftmals einerlei Opfer tue, welche nimmermehr können die Sünden abnehmen. Dieser aber, da er hat Ein Opfer für die Sünde geopfert, das ewig gilt, sitzt er nun zur Rechten Gottes und wartet hinfort, bis dass seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt werden. Denn mit Einem Opfer hat er in Ewigkeit vollendet, die geheiligt werden.“ Deutlicher könnte doch kaum wohl geredet werden, dass es im Neuen Testament nur Ein Versöhnopfer gibt, nämlich das, welches Christus in der Opferung seines eigenen Leibes und Blutes auf dem Altar des heiligen Kreuzes dargebracht hat. Zwar sagen hierbei die Päpstler: „Ja, das blutige Opfer Christi am Kreuz ist allerdings nur einmal geschehen und kann daher nicht wiederholt werden; aber zur Zuwendung der Kraft jenes einmal geschehenen Ofers für die immer aufs neue geschehenen Sünden bedarf es der steten unblutigen Wiederholung dieses Opfers und die geschieht eben im heiligen Abendmahl durch das Messopfer.“ Allein, das ist sowohl ein Menschenfündlein als auch ein Unding, und darum eines wie das andere Gaukelei. Ein Menschenfündlein ist’s, denn in der Einsetzung des heiligen Abendmahls verordnet der HERR ausdrücklich, dass man seinen Leib unter dem gesegneten Brot allein essen und sein Blut unter dem gesegneten Wein allein trinken soll und nicht, dass man Brot und Wein oder Leib und Blut oder irgendetwas zugleich opfern soll. Ein Unding ist’s, ein unblutiges Opfer zur Vergebung darbringen zu wollen, denn der Apostel sagt ausdrücklich Hebr. 9,22: „Ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung.“

    Um des einigen, vollgültigen, ewigen Versöhnopfers Christi am Kreuz willen, gibt es also im Neuen Testament keinerlei Versöhnopfer mehr, weder blutige, noch viel weniger unblutige. Jede Darbringung eines Opfers dieser Art ist daher Gott ein Greuel und geschieht zur Schmach des Verdienstes Christi. Wohl aber soll im Neuen Testament die andere Art der Opfer fort und fort geschehen. Dies sind die Lob- und Dankopfer. Von diesen heißt es schon Ps. 110,3: „Nach deinem Sieg wird dein Volk dir willig opfern in heiligem Schmuck“, und dann hernach beidem Propheten Maleachi Kap. 1,11: „Vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang soll mein Name herrlich werden unter den Heiden, und an allen Orten soll meinem Namen geräuchert und ein reines Speisopfer geopfert werden. Den mein Name soll herrlich werden unter den Heiden, spricht der HERR Zebaoth.“ Und indem der Prophet hernach Kap. 3 von der Reinigung der Kinder Levis durch den Messias spricht, sagt er abermals V. 3 und 4: „Dann werden sie dem HERRN Speisopfer bringen in Gerechtigkeit und wird dem HERRN wohlgefallen das Speisopfer Judas und Jerusalems, wie vorher und vor langen Jahren.“

    Diese Art und nur diese meint denn auch der Apostel in unserem Text, wenn er zur Darbringung unseres Lob- und Dankopfers „durch die Barmherzigkeit Gottes“ ermahnt. Von dieser Barmherzigkeit hat er ja in den vorausgehenden 11 Kapiteln mit reichem apostolischem Geist geredet, indem er zeigte, wie Gott alles, Juden und Heiden, unter die Sünde beschlossen hat, damit er sich in Christus aller erbarme, und zwar so, dass wir gerecht werden ohne Verdienst allein aus seiner Gnade, die durch die Erlösung, so durch Jesus Christus geschehen ist und durch den Glauben, der Gottes Zusage im Wort traut und Christi Verdienst ergreift. Dann hat er gezeigt, wie wir durch solchen gerechtmachenden Glauben Frieden haben und neue Menschen werden, an denen nichts Verdammliches ist, Gottes Kinder und Erben, die er durch Leiden zur Herrlichkeit zubereitet, ja, die er zu derselben in seinem ewigen Rat schon erwählt hat, so dass sie nichts von seiner Liebe scheiden könne. Und ob er auch sein Volk Israel verworfen und die Heiden an seiner Statt angenommen hat, so ist jenes geschehen, weil Israel in Werkstolz nicht aus Gnaden und Barmherzigkeit wollte selig gemacht sein wie die Heiden. Alles, was nun Gott für solche erwiesene Barmherzigkeit fordert, ist der Dank der Begnadigten. Das Opfer ihres Leibes, das sie zu dem Ende darbringen sollten, ist daher seiner Art nach einzig und allein Dankopfer.

    Ja, Geliebte, das priesterliche Opfer des Neuen Testaments ist und soll nur sein Dankopfer; denn hier gibt es nichts mehr zu versöhnen, nichts mehr zu büßen, nichts mehr zu verdienen, sondern hier gibt es aus der Fülle der Barmherzigkeit Gottes und des allerheiligsten Verdienstes Christi nur zu nehmen Gnade um Gnade, dessen sich alle Tage zu freuen und zu trösten und darüber Gott zu loben und dafür ihm zu danken. Dank, Dank, Dank ist daher der einzige Gottesdienst des Neuen Testaments und seines geistlichen Priestertums.

2.

    Welches ist nun der Gegenstand des priesterlichen Opfers der Gläubigen im Neuen Testament? Was sollen sie Gott zu Lob und Dank darbringen? Der Apostel spricht: „Ich ermahne euch, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber begebt zu einem Opfer.“

    Im Alten Testament wurden nicht nur zu Sühnopfern, sondern auch zu Brand- oder Dankopfern Tierleiber genommen. Man schlachtete und verbrannte auf dem Altar Schafe, Böcke und Stiere. Auch das geschah zum Vorbild. Und zwar, wie das Wesen viel höher und herrlicher ist als das Vorbild, so auch besonders hier der Gegenstand des Opfers. Zur Versöhnung mit der Welt hat Christus nicht den Leib eines unvernünftigen Tieres dargebracht, sondern seinen eigenen Leib. Den heiligen, von keiner Sünde befleckten Leib, den Leib, in welchem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt, hat er dargebracht an unseres Leibes statt. Den hat Gott auch als eine vollgültige Gabe zur Versöhnung der Welt angenommen und war ihm durch die freiwillige Liebe des Gottes- und Menschensohns zum himmlischen Vater und zu den Sündern dieses Opfer ein gar süßer Geruch. Eben darum sollen auch wir als seine heiligen Mitpriester unsere Leiber zum Opfer darbringen – aber merkt wohl, nicht als Beitrag zu der von Christus geschehenen Versöhnung, noch um uns der durch sein Opfer erworbenen Vergebung der Sünden erst würdig machen zu wollen, sondern allein zu Dank und Lob seines vollgültigen Opfers und der durch ihn empfangenen Gnade.

    Wenn nun aber der Apostel sagt, dass wir unsere Leiber Gott zu einem Opfer darbringen sollen, so schließt er damit unsere Gebete und Lobgesänge oder unsere irdischen Gaben zum Wohltun und zur Förderung des Reiches Christi in Kirchen und Schulen nicht aus, sondern vielmehr ein, denn das alles gehört mit zum Opfer unseres Leibes, das alles hat nur Wert, wenn es in Verbindung mit dem Opfer unseres Leibes dargebracht wird. Er redet hier von dem Opfer unseres Leibes nur im Gegensatz zu dem Opfer des Leibes der Tiere im Alten Testament, nur um zu zeigen, wie viel höher das Wesen ist als das Vorbild. Eben darum will er noch vielmehr die in dem Leib wohnende Seele mit allen ihren Kräften eingeschlossen haben, denn wäre die nicht dabei, und wäre es in dieser nicht die Liebe und der Dank, die zu solchem Opfer trieben, so träfe und das Wort: „Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.“ Nein, Leib und Seele, uns selbst ganz und gar, unsere ganze Persönlichkeit sollen wir Gott opfern, d.h. Gott hingeben zu seiner Ehre und zu seinem Dienst, dass wir sein eigen sind. „Das ist fürwahr ein priesterliches Werk!“ ruft hierbei Luther aus. „Hat jemand Lust und Liebe, Pfarrer (Priester) zu sein und am höchsten zu fahren, der hebe hier an und nehme das Werk vor sich und opfere Gott seinen Leib.“ Dann aber, nachdem er gezeigt hat, dass zwischen dem äußerlich scheinenden papistischen Priestertum und dem vor der Welt verborgenen geistlichen Priestertum aller wahren Christen ein großer Unterschied ist, also, dass beide sich zusammen reimen wie Christus und Barrabas, so schließt er: „Name und Titel des Priestertums ist herrlich und bald genannt, aber das Amt und Opfer ist selten, da graut jedermann vor, denn es gilt Leben, Gut, Ehre, Freunde und was die Welt hat. Da will niemand hinan.“

    Ja fürwahr, „da will niemand hinan“. Gilt es hier doch, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für uns gestorben und auferstanden ist. Auch die Welt tut manchmal, wie wenn sie ihm gelegentlich etwas opfern wollte, wenn es z.B. gilt, an wohltätigen Werken und Hilfeleistungen der Christen sich zu beteiligen oder für Kirchen und Schulen etwas zu tun. Aber sich selbst ihm geben, nicht mehr sich selbst leben, da will sie nicht hinan, da klagt sie über zu strenge Forderungen. Sie kann es auch nicht. Dazu muss man von neuem geboren sein. Nur der will und kann hinan, der Gottes Barmherzigkeit in Christus im Glauben erkannt und an sich selbst erfahren hat. Und auch der noch nicht so, wie es wohl sein sollte und wie er’s nach dem neuen Menschen auch gern wollte. Um des alten Menschen willen steht es mit diesem „Hinanwollen“ bei den meisten namentlich in heutiger weichlicher Zeit viel mehr zum Teil noch recht gebrechlich. Was bedurfte es auch, dass der Apostel selbst gefördertere Christen noch besonders zu diesem vornehmsten Stück ihres geistlichen Priestertums anhalten und schreiben muss: „Ich ermahne euch, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber begebt zu einem Opfer.“

 

3.

    Lasst uns daher noch die Darbringung dieses Opfers unseres Leibes betrachten. Wir werden hier einesteils zu unserem Trost sehen, wie bei allen Gläubigen eine solche wirklich stattfindet, wie sie alle auf der Bahn sind, so lange sie im wahren Glauben stehen; wir werden aber auch zu unserer Beschämung sehen, wie weit gegen andere wohl selbst noch zurück sind, ja, dass es da mit dem Einen und dem Anderen sogar rückwärts geht statt vorwärts.

    Was heißt denn das: Seinen Leib zu einem Opfer geben? Das heißt zunächst sein Fleisch kreuzigen samt den Lüsten und Begierden. Es heißt also nicht, auf mönchische und heidnische Weise seinen Leib kasteien, ihm die nötige Pflege entziehen, ihn mit Geiselhieben zerfleischen, ihm sonst allerlei Selbstmarter auferlegen oder gar ihn töten, sondern es heißt, gegen die Lüste und Begierden, welche durch die Glieder des Leibes ihre Nahrung, ihren Willen, ihr Werk haben wollen, ernstlich streiten, dass dem Auge verwehrt werde, wenn es an Wollust, Pracht, Eitelkeit und Hoffart des Lebens sich ergötzen will; dass man das Ohr verstopft, wenn das Fleisch reizt, unsaubere Worte und Scherze, Klatschereien, Lügen und Verleumdungen zu hören und vor den Mund ein Schloss legt, wenn er solche Dinge reden oder sich zum Fluchen und Schwören, zum Fressen und Saufen hergeben will; und dass man den Händen wehrt, dass sie nicht in Hass und Feindschaft am Leib und in Habsucht und Ungerechtigkeit am Gut des Nächsten sich vergreifen oder in schändlicher Lust den eigenen Leib beflecken und dgl. m. Wer Gott in solcher Kreuzigung seiner Lüste und Begierden den Leib zum Opfer bringt, der betet in täglicher Buße:

Drum so töt und nehme hin

Meinen Willen, meinen Sinn,

Reiß mein Herz aus meinem Herzen,

Solls auch sein mit tausend Schmerzen.

Das rechte Opfermesser ist deshalb bei diesem geistlichen Opfer des Leibes die Selbstverleugnung, dass wir täglich und mit immer neuem Ernst in rechter Wachsamkeit über uns selbst entsagen dem Teufel, allen seinen Werken und allem seinem Wesen. Weil wir aber allezeit und das je schwächer unser Glaube ist, weichlich und zärtlich gegen uns selbst sind, besonders in guten Tagen, so greift Gott zu Zeiten selbst nach dem Opfermesser, so kommt er uns mit allerlei leiblicher Trübsal und mit mannigfaltigem, oft immer schwererem Kreuz zu Hilfe, „denn wer am Fleisch leidet, hört auf von Sünden“. Wenn wir da nun diesem Opfermesser Gottes stillhalten, wie weh es auch dem Fleisch tut, wenn wir in Armut, in Krankheit, in Schmach, in schwerer Arbeitslast der Ungeduld und dem Murren wehren; wenn wir immer wieder sprechen: „HERR, nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ So opfern wir da immer wieder unseren Leib Gott, opfern uns selbst in seinen heiligen Willen.

    Doch, Geliebte, weil es bei diesem unserem priesterlichen Opfer auf etwas Ganzes abgesehen ist, weil wir Christen nicht bloß das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste verleugnen, sondern auch fleißig sein sollen zu guten Werken, nicht bloß Gott unterm Kreuz still halten, sondern auch in seinem Dienst tätig und eifrig sein sollen, so gehört zur Darbringung des Opfers unseres Leibes fürs andere auch dies, dass wir den Leib mit allen seinen Gliedern, Kräften und Gaben in den Dienst Gottes und des Nächsten stellen und das ganz ohne Eigennutz und Heuchelschein, allein in aufrichtiger und demütiger Liebe. Beispiele können das am besten erläutern.

    Wenn in Zeiten der Verfolgung die Christen in Gefängnis, Marter und Tod oder in die Verbannung gingen und, wie es unter den Verfolgungen des römischen Antichristen oder unter den Verfolgungen einer anderen von der Staatsgewalt unterstützten falschen Kirche geschah, in den Heldengesang einstimmten:

Nehmen sie uns den Leib,

Gut, Ehr, Kind und Weib,

Lass fahren dahin,

Sie haben’s kein Gewinn,

Das Reich muss uns doch bleiben! –

Was ist das anders als ein Opfern des Leibes? Oder wenn bald diesen, bald jenen die Liebe Christi dringt, Vaterland, Verwandtschaft, vielleicht auch eine Ehre und Gewinn bringende Stellung zu verlassen und einem Paulus nach hinzugehen, um den Heiden das Evangelium zu predigen oder in den Weiten eines Landes unter viel Entsagung und Entbehrung das Verwahrloste in Israel mit dem Wort Gottes aufzusuchen – ist das nicht abermals eine Darbringung des Leibes zu einem Opfer? Und nicht minder geschieht dies, wenn in Zeiten der Pest, der Cholera, der Pocken, des Gelbfiebers und anderer böser ansteckender Seuchen einzelne Christen mit Daransetzen nicht nur ihrer Bequemlichkeit, sondern auch ihrer Gesundheit und ihres Lebens sich opfermutig dem Dienst der verlassenen Kranken bei Tag und Nacht widmen, während alles vor Furcht der Ansteckung die Flucht ergreift; oder wenn bei Feuers-, Wassers- und Kriegsgefahr ein Christ um Christi willen mit eigener Lebensgefahr das Leben anderer zu retten sucht, vielleicht sogar das Leben drüber verliert; oder wenn er als ein eifriger Prediger, Lehrer, Christ zum Wohl und Heil anderer sich Ruhe, Genuss und die nötige Pflege versagt und so dem Licht gleich ist, das, indem es anderen leuchtet, sich selber verzehrt.

    In diesen und ähnlichen Beispielen sehen wir allerdings die Darbringung unseres Leibes zum Opfer Gottes auf die herrlichste Weise im Schwang gehen, so, dass diesem Opfer selbst oft die Welt ihre Bewunderung nicht versagen kann. Doch ist das, wenn ich so sagen darf, die feierlichste und festlichste Weise, die nicht alle Tage geschieht. Wenn du aber siehst, wie ein Christ seinen zeitlichen Beruf in selbstverleugnender, uneigennütziger Liebe ausrichtet; wie ein Kind in dankbarer Liebe, mit Geduld und Hintansetzen seiner Bequemlichkeit und seines Genusses seine alten, gebrechlichen, kranken Eltern unverdrossen pflegt und sonst allen Gehorsam erweist; oder wie ein Dienstmädchen auch dann bei seiner Herrschaft treu ausharrt, wenn Krankheit, Not und Trübsal bei derselben eingekehrt sind und die Arbeit sich verdoppelt, während sie anderwärts weniger Arbeit und mehr Loh haben könnte; oder wie bei besonderen Unternehmungen des Reiches Gottes sich auch ein Christ etwas besonders angreift, sich, um mit voller Hand geben zu können, dies und das versagt: So ist auch das ein Opfern des Leibes durch die Barmherzigkeit Gottes.

    Das ist das priesterliche Opfer des Leibes im Leiden und im Tun. Weil da nun das Opfern nicht in Schlachten und Verbrennen von Tieren geschieht, sondern in der Darbringung seiner selbst als eines vom geistlichen Tod zum Leben hindurchgedrungenen Menschen, so ist es ein „lebendiges“ Opfer; weil es willig geschieht, weil das Herz immer dabei ist, was auch vom Leib Gottes zu Ehren getan wird und überhaupt von einem geheiligten Menschen kommt, so ist es ein heiliges Opfer; und weil es nicht aus eigener Andacht, sondern nach der Richtschnur der heiligen zehn Gebote dargebracht wird und dabei aus dem wahren Glauben kommt, so ist es ein Gott wohlgefälliges Opfer. Damit wird dann das ganze Leben eins Christenmenschen zu einem Gottesdienst, und das nennt der Apostel einen „vernünftigen“ Gottesdienst – nicht in dem Sinn, als ob er von der fleischlichen Vernunft erdacht oder von der Vernunft anerkannt wäre, denn der erscheint er vielmehr als Torheit, sondern in dem Sinn, dass dies ein Gottesdienst ist, der nicht in äußerlichen toten Gebräuchen besteht, sondern im Geist und in der Wahrheit, der aber auch dann den äußerlichen Gottesdienst umso lieblicher, gesegneter und lebendiger macht.

    Wenn man nun mit diesen Worten unserer Epistel von dem priesterlichen Opfer der Gläubigen unter die heutigen Christen tritt und fragt nach demselben, so zeigt sich davon wenig, man möchte sagen, je länger, je weniger. Ach wie viele von den Getauften leben nur dem Fleisch, die einen auf grobe, die andere mehr auf feinere Weise. Und über wie vielen, die zur Predigt und zum Sakrament gehen, zur Gemeinde sich halten, ehrbar wandeln, Christen sein sollen, steigt bei so manchen Gelegenheiten der bange Zweifel auf, ob sie wirklich auch nur angefangen haben, nicht mehr sich selber zu leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist – oder umgekehrt: Ob sie, die durch die Barmherzigkeit Gottes einst angefangen haben, dem zu leben, der für sie starb und auferstand, darin durch den Heiligen Geist fortfuhren, ob sie nicht vielmehr schon längst wieder mögen angefangen haben, sich selbst zu leben. Wenn wir nun aber fragen, woher es rührt, dass selbst auch da, wo Gottes Wort recht reichlich gelehrt und gepredigt wird und ein gewisses Maß reiner Lehre und Erkenntnis schon vorhanden ist, bei vielen es doch zu keinem rechten Anfang oder zu keinem rechten Fortgang im priesterlichen Opfer kommen will und sonst noch es so schwach, so lahm, so gebrechlich hergeht, so werden wir vielleicht eine Hauptquelle entdecken, wenn wir in der nächsten Predigt nach V. 2 unseres Textes von der priesterlichen Absonderung der Gläubigen reden und dabei unter anderem auf die Frage kommen werden, ob ein gläubiger Christ auch von den weltlichen Vergnügungen sich absondern müsse, als da sind: Tanz, Theater und dergleichen.

    Nehmt denn zur weiteren Prüfung und Ermunterung das Wort jetzt mit: „Ich ermahne euch, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber begebt zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst.“ Dann aber nehmt zur vorläufigen Einkehr, zum vorbereitenden Nachdenken das damit verbundene andere Wort schon hinzu: „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, welches da sei der gute, der wohlgefällige, der vollkommene Gotteswille.“ Amen.

 

Gebet: HERR Gott, himmlischer Vater, der du uns durch deinen heiligen Apostel befiehlst, dass wir unsere Leiber zum lebendigen, heiligen und dir wohlgefälligen Opfer begeben und dass wir hierin deinen guten, vollkommenen Willen erkennen und in solchem vernünftigen Gottesdienst dir dienen sollen: Weil wir aber ohne deine gnädige Hilfe solches alles nicht vermögen, so bitten wir dich von Herzen, du wollest uns durch deinen Heiligen Geist erleuchten und regieren, damit wir diesem deinem Befehl treu nachkommen und demnach nicht weiter, als sich’s gebührt, von uns halten, sondern in christlicher Demut und rechtschaffener Buße stets vor dir wandeln, bis wir endlich selig werden durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: Was gibst du denn, o meine Seele

 

 

Epistelpredigt zum ersten Sonntag nach Epiphanias ueber Roemer 12,2: Die priesterliche Absonderung der Glaeubigen von der Welt

 

Lied: Lasset uns mit Jesus ziehen

 

Gebet: Du menschgewordener Gottessohn, HERR Jesus Christus, in dir ist die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und so auch unseren Vätern erschienen, dass wir, ihre Kinder, nun nicht mehr wandeln in Finsternis und nach väterlicher Weise, sondern als dein aus allen Völkern mit deinem Blut erkauftes, durch dein Evangelium gesammeltes und durch die Taufe geborenes und geweihtes königliches Priestertum. Preis und Dank sie dir dafür gesagt hier im Glauben, dort im Schauen, hier in der Schwachheit, dort in der Vollkommenheit! Weil wir aber mitten unter dem unschlachtigen und verkehrten Geschlecht dieser so im Argen liebenden Welt uns noch befinden, so flehen wir:

Schenke uns auf unsere Bitte

Ein recht göttliches Gemüte,

Einen königlichen Geist,

Uns mit dir verlobt zu tragen,

Allem freudig abzusagen,

Was nur Welt und Weltlust heißt.

Hilf darum, dass jetzt dein Wort nicht nur rein und eindringlich gepredigt, sondern auch gebührlich aufgenommen werde, nämlich nicht als Menschenwort, sondern, wie es denn wahrhaftig ist, als Gottes Wort, damit die in dir erschienene heilsame Gnade uns züchtigen könne, zu verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig zu leben in dieser Welt Amen.

 

Römer 12,2: Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, welches da sei der gute, der wohlgefällige und der vollkommene Gotteswille.

 

   Geliebte in dem HERRN! Nachdem wir in der vorigen Predigt eingangsweise von dem geistlichen Priestertum aller Christen als der teuren Wahrheit gehandelt hatten, auf welche der Anfang der Epistel des ersten Sonntags nach Epiphanias hinweist und welche durch das ganze 12. Kapitel der Epistel an die Römer sich hindurchzieht, die Gläubigen zu der auf die Rechtfertigung folgenden Heiligung zu ermahnen und zu reizen: So reden wir nach V. 1 besonders von dem priesterlichen Opfer der Gläubigen, von dessen Art, Gegenstand und Darbringung. Wenden wir uns nun zu einem anderen Stück unseres geistlichen Priestertums. Das ist die Absonderung von der Welt, davon der zweite Vers handelt. Dass diese von der Darbringung des priesterlichen Opfers unzertrennlich ist, zeigt schon das V. 1 und V. 2 verbindende Wörtlein „und“ an und werden wir das im Lauf unserer Betrachtung noch näher sehen. Und so sei denn der Gegenstand unserer gegenwärtigen Erbauung:

 

Die priesterliche Absonderung der Gläubigen von der Welt

    Ich werde zu zeigen such

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Worin diese besteht und an welchen Dingen sie sich heutzutage und hierzulande besonders erweise müsse, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wodurch wir zu derselben immer tüchtiger werden.

 

1.

    Meine Lieben! Ein Priester ist eine heilige, gottgeweihte und darum von der Welt abgesonderte Person. Diese Absonderung seiner Person von der Welt ist nun zwar schon geschehen, da ihn Gott durch das Evangelium aus der Welt zu seinem Reich berufen, durch Taufe und Glauben zu seinem Kind gemacht und zu einer neuen Art, zu einem neuen Wesen durch den Heiligen Geist wiedergeboren hat. Aber er soll nun auch in seinem ganzen äußerlichen Wandel in seinem Tun und Lassen beweisen, dass er nicht mehr zur Welt gehört. Er soll sich auch hier von der Welt absondern. Deshalb ruft der Apostel allen Gläubigen noch besonders zu: „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich.“

    Worin besteht nun aber diese Absonderung von der Welt?

    Etwa darin, dass man allen Verkehr mit ihr gänzlich abbricht und sich hinter die Mauern eines Klosters vergräbt oder in eine Felswüste, in eine Waldeinsamkeit sich zurückzieht? Nein, denn gegen eine solche Absonderung spricht schon das apostolische Wort: „Ein jeglicher bleibe in dem Beruf, darin ihn der HERR berufen hat.“ Oder besteht sie darin, dass man in Kleidung, in Essen und Trinken, in der Lebensweise, im Beruf sich ganz und gar nicht mehr an die jeweiligen Sitten und Einrichtungen der Welt kehrt? Auch das nicht, denn das wäre die selbsterwählte Weise eines sauersehenden Heiligen, ein selbsterdachter Gottesdienst. In dem schönen Lied. „Es glänzet der Christen inwendiges Leben“ heißt es vielmehr von den Gläubigen:

Sonst sind sie des Adams natürliche Kinder

Und tragen das Bilde des Irdischen auch;

Sie leiden am Fleische wie andere Sünder,

Sie essen und trinken nach nötigem Brauch;

In leidlichen Sachen, in Schlafen und Wachen,

Sieht man sie vor andern nichts Sonderlichs machen,

Nur dass sie die Torheit der Weltlust verlachen.

    Nein, die Absonderung von der Welt ist keine klösterliche, sondern eine priesterliche Absonderung. Diese aber besteht nach des Apostels Worten eben darin, dass man sich der Welt nicht gleichstellt.

    Die Welt ist hier der Haufen der nicht wiedergeborenen Menschen, unter denen wir Christen leben, mit denen wir an einem Ort in Handel und Wandel verkehren, ein bürgerliches Gemeinwesen bilden, zum Teil oft sogar in Blutsverwandtschaft stehen. Von dieser Welt aber bezeugt uns die Schrift und die Erfahrung lehrt’s immer mehr, je näher der Jüngste Tag kommt, dass sie „entfremdet ist von dem Leben aus Gott“, dass sie „im Argen liegt“, dass sie beherrscht ist von dem dreiköpfigen Götzen: Augenlust, Fleischeslust und hoffärtiges Leben. Obwohl wir nun aber unter diesem gottentfremdeten, unschlachtigen und verkehrten Geschlecht leben und in vielen äußerlichen Dingen uns nach der Welt richten müssen, so sollen wir doch allewege uns nicht nach ihrer gottentfremdeten, verkehrten, bösen Art im Denken und Reden, im Tun und Lassen richten, wie sehr auch diese zur herrschenden Weise und Sitte wird, sondern sollen uns allewege so stellen, dass man immer deutlicher merkt: Die Christen, die Glieder einer rechtgläubigen Gemeinde, sind zwar in der Welt, aber nicht von der Welt. Wir sollen also unter den bestehenden Einrichtungen und bürgerlichen Ordnungen Geschäfte treiben, kaufen und verkaufen, werben und erwerben wie andere Leute, aber wir sollen uns mit Wort und Werk als Christen ganz entschieden lossagen von der wucherischen, eigennützigen, ungerechten, betrügerischen, glückspielerischen und waghalsigen Art, in der die Welt Geschäfte betreibt. Wir sollen in der Kleidertracht und häuslichen Einrichtung nichts Besonderes machen wollen, sondern uns nach der bestehenden Sitte richten, und zwar nach der Maßgabe unserer Vermögensverhältnisse, aber wir sollen dabei alles vermeiden, was nach der Welt Modenarrheit, Eitelkeit und Hoffart schmeckt. Wir sollen nicht in mönchischer Art aller leiblichen Ergötzung und alles geselligen Vergnügens uns begeben, aber wenn wir uns dessen bedienen, so soll die Welt es mit Augen sehen und mit Händen greifen einmal, dass wir Christen leibliches Ergötzen und geselliges Vergnügen nun schon gar nicht in ihrer Gemeinschaft, nicht an den Orten suchen, wo die gottentfremdete Welt das Regiment führt und den Ton angibt, aber auch, wenn wir Christen unter uns sind und den Ton angeben können, dass wir auf eine ganze andere Art und leiblich ergötzen und das gesellige Vergnügen pflegen, als die Welt es zu tun gewohnt ist. Kurz, wo Christen gehen und stehen, soll man an ihnen je länger je weniger weltförmiges Leben spüren. Wenn das dann der gottentfremdeten Welt immer mehr auffällt, wenn sie vollends uns lutherische Christen dann nicht begreifen kann, die wir doch auch wieder keine sauersehenden Heiligen sein wollen, wenn sie ihrer Befremdung endlich Ausdruck gibt, indem sie über uns spottet, uns Heilige, Fromme, Mucker, Pharisäer, Heuchler nennt: So soll uns dies so wenig befremden, dass wir vielmehr darin ein Siegel unseres Gehorsams gegen die apostolische Ermahnung erblicken: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich.“ Schreibt ja doch auch Petrus von den Kindern der Welt an die gläubigen Christen: „Das befremdet sie, dass ihr nicht mit ihnen lauft in dasselbe wüste, unordentliche Wesen und lästern.“

    Es erfordert es aber die Notdurft, dass ich ein paar derjenigen Dinge besonders namhaft mache und mit Gottes Wort beleuchte, welche so ganz und gar zu dem Wesen der heutigen gottentfremdeten Welt gehören und von ihr in Beschlag genommen sind, deren Mitgebrauch von Seiten der Christen vor anderen als eine Gleichstellung mit der Welt nach Gottes Wort erklärt werden muss, der aber von vielen Christen nicht dafür erkannt wird, ja, den sich Glieder älterer Gemeinden unter Berufung auf ihre christliche Freiheit immer mehr erlauben und dadurch bewirken, dass solche Gemeinden allmählich verweltlichen und so als dumm gewordenes Salz nicht mehr würzen.

    Dahin gehört nun vor allem der weltübliche Tanz. Wohl redet die Bibel nicht nur von Tänzen der Gottlosen, die dem Teufel zu Ehren angestellt werden, als da sind der heidnische Opfertanz, wie z.B. der Tanz der Israeliten um das goldene Kalb und der Tanz der Baalspriester um den Opferaltar in der Geschichte des Elia oder der üppige, wollüstige Tanz der Tochter der Herodias, dessen Folge die Ermordung Johannes des Täufers war; es redet die Bibel auch von Tänzen der Heiligen, welche der Ausdruck geistlicher Freude waren und die Ehre Gottes zum Zweck hatten, wie der Reigentanz der israelitischen Frauen am Roten Meer unter Anführung Mirjams oder der Tanz Davids bei Einholung der Bundeslade oder der angestellte Tanz bei der Wiederkehr des verlorenen Sohnes, davon es heißt, dass der ältere Sohn bei der Heimkunft vom Geld hörte „den Gesang und den Reigen“, d.i. die Musik und den Reigentanz. Allein, Geliebte, gerade diese Beispiele zeigen uns, wie die Tänze der Heiligen beschaffen waren. Sie waren nämlich nichts anderes als ein bewegteres Wandeln nach dem Takt der Musik und des Gesangs, da eine Anzahl Personen sich nur die Hand reichte und in gemessener Bewegung sich im Kreis drehte, ähnlich wie heute noch unsere Kinder, wenn sie Ringelreihe spielen, und, was die Hauptsache ist, da bei diesen Reihentänzen die Geschlechter streng geschieden waren, Jungfrauen nur mit Jungfrauen und Jungmänner nur mit Jungmännern einen solchen Reigentanz aufführten. Eben darum hat aber auch mit diesen Reigentänzen der Bibel der heutige weltübliche Tanz nicht die entfernteste Ähnlichkeit. Der Hauptunterschied ist hierbei der, dass sich bei dem heutigen Tanz Personen von beiderlei Geschlecht umarmen und aufs engste berühren und so im Kreis sich drehen und dass diese Personen nicht Mann und Frau, Bräutigam und Braut ausschließlich sind, sondern dass dabei auch die tanzenden Paare einmal ums andere wechseln, ist, dass es gerade Tanzregel ist, mit fremden Personen zu tanzen. Das ist das eigentliche Unsittliche des heutigen Tanzes, das ihn schon gegenüber dem 6. Gebot schlechthin zur Sünde macht, nach welchem wir keusch und züchtig leben sollen in Worten und Werken und um welches willen auch im Familienkreis, auch bei einer Hochzeit deinem Christen der Tanz nicht gestattet werden kann. Das ist’s aber gerade, warum das Tanzen so gesucht, getrieben, fest gehalten, in Schutz genommen wird. Ja, es wird offen heraus gesagt, dass der Tanz an seinem Reiz viel verlieren würde, wenn da nur der Mann mit seiner Frau und der Bräutigam mit seiner Braut tanzen dürfte. Würde es z.B. bei einer Hochzeit heißen: „Wollt ihr tanzen, gut, so geht ihr jungen Männer in diese Stube und ihr Mädchen in die andere und tanze so jeder Teil für sich“, so würde es sofort von allen Seien heißen: „Für ein solches Tanzen bedanken wir uns, da ist keinerlei Vergnügen dabei.“ Dass nun aber dieses Berühren und Umfassen fremder Personen zweierlei Geschlechts wirklich etwas Unsittliches ist, muss sogar ein ehrbarer Weltmensch zugeben; denn wenn er zugeben muss, dass es gegen allen Anstand und Schicklichkeit wäre, wenn zwei erwachsene Personen, die nicht mit einander verlobt oder verheiratet sind, einander umarmen und herzen oder wie es bei dem heutigen Pfänderspiel die Hauptsache ist, einander küssen, warum sollte das nun auf einmal beim Tanz erlaubt und schicklich sein? Oder was würde er als Vater und Gatte sagen, wenn eines Tages jetzt der, jetzt jener Fremde ins Haus käme, umarmte Frau und Tochter und drehte sich mit ihnen im Kreis umher – würde er nicht ohne viel Federlesens solche frechen Gesellen zum Haus hinauswerfen? Und bei einem Ball soll es sich von selbst verstehen, dass bald dieser, bald jener mit seiner Frau und Tochter einen Tanz die Nacht hindurch macht und er ebenso wieder mit anderen Frauen, verheirateten und ledigen!

    Wieviel ist aber bei dem heutigen Tanze noch drum und dran, das ihn nun vollends zur Sünde gegen das 6. Gebot macht und wenigstens eines Christen Herz mit Abscheu erfüllen sollte. Man tanzt nicht am Tag, sondern am liebsten bei Nacht, man tanzt die Nächste hindurch, treibt also einmal ums andere Nachtschwärmerei. Man treibt hier die höchste Kleiderpracht, die Eitelkeit und Gefallsucht im höchsten Stil mit Kleiden, Schminken und Frisuren; wie wirft man bei den Reichen für einen einzigen Balltanz oft Hunderte von Euro hin, mit deren zehnten Teil man schon allein eine Anzahl Armer und Kranker erquicken könnte. Und wie gegen alle Zucht und Scham ist oft gerade der Schnitt der Ballkleider! Dazu kommt noch die üppige, wilde, sinnenberauschende Musik, welche die Phantasie und die böse Lust nur noch mächtiger aufregen. Gewiss, wenn irgendetwas im Dienst des dreiköpfigen Weltgötzen, der Fleischeslust, der Augenlust und des hoffärtigen Lebens gekommen ist, so ist es der heutige, weltübliche Tanz. Darum trägt er auch so hässliche Früchte. Wie mancher hat durch eine einzige Ballnacht den Grund zum Siechtum und frühzeitigen Tod gelegt und ist so vor Gott zum Selbstmörder geworden! Wie viele haben sich schon den Brautkranz weggetanzt und sind zu Fall gekommen! Wie viel Ehezwist ist schon durch den Tanz gestiftet worden! Wie viel Anlass zu Blutvergießen, Mord und Todschlag geben so oft die Tanzvergnügungen! Und nun nach alledem noch eine doppelte Frage. Die eine: Wie kommt’s, dass, wo immer sich je ein Mensch von Herzen bekehrt hat, er auch sofort den Tanzboden mied und man ihm erst gar nichts besonders aus Gottes Wort noch zu sagen braucht, dass der heutige Tanz ebenso zu den Fleischeswerken gehört, die vom Reich Gottes ausschließen, wie Fressen und Saufen, Mord und Unzucht, Diebstahl und Betrug? Die andere: Wie kommt’s, dass jeder Tänzer, der noch an einen Himmel und eine Hölle glaubt, doch nicht mitten im Tanzen vor Gottes Richterstuhl erscheinen möchte, wenn schon er sonst ein äußerlich ganz ehrbarer Mensch wäre? Die Fragen beantworte sich jeder selbst! Ach, nur der kann noch beharrlich meinen, dass ein Christ an dem heute weltüblichen Tanz teilnehmen könne, der entweder selbst noch nicht den Anfang einer wahren Bekehrung gemacht hat, oder der, wenn er ein wahrer Christ war, längst schon wieder innerlich abgefallen ist!

    Müssen wir auch auf das so beliebte Vergnügen des heutigen Tanzes nun aber für uns Christen das Wort anwenden: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich!“ – o, so bitte ich alle Hausväter, sie wollen nicht nur die Ihren von den Tanzböden der Welt zurückhalten, sondern auch in ihren Häusern keine Tanzereien gestatten, auch nicht bei einem Hochzeitsfest. Und alle unsere Glieder bitte ich, sie wollen, wo man in ihrer Gegenwart eine Tanzerei anfangen will, nicht nur sich nicht daran beteiligen, sondern auch dagegen mit freundlichem Ernst zeugen und, wo dies nicht fruchtet, sich entfernen, wenn immer solches in ihrer Macht steht. Und ebenso wollen sie die stufenweise brüderliche Bestrafung an denen unter uns üben, welche hierin der Welt sich gleichstellen.

    Zur Gleichstellung mit der Welt gehört aber auch ferner der Besuch des heutigen Theaters [und Kinos und ansehen vieler Filme im Internet oder Fernsehen]. Es ist wahr, dramatische Darstellungen fallen in den Bereich der Kunst und sind daher nicht unter allen Umständen Sünde und dem Christen unstatthaft wie der heutige weltübliche Tanz. Aber man bedenke nur den Umstand, dass es die gottentfremdete Welt ist, die das Theater [Kino, überhaupt den Film] ganz und gar in Beschlag genommen hat. Ihr gehören die heutigen Schauspieldichter an. Wohl sind deren Erzeugnisse nach Gegenstand, Gehalt und Form sehr verschieden. Aber die Erzeugnisse der besten unter ihnen kommen heutzutage selten auf die Bühne [oder Leinwand], denn das heutige und gewöhnliche Publikum will solche Stücke sehen, dabei es viel zu lachen oder doch viel das Fleisch zu kitzeln gibt. Ach, und selbst die besten Schauspieldichtungen, sie entstammen doch dem Geist der Welt, sie erfüllen doch das Herz meist mit dem Geist der Welt und dienen nur in feinerer Weise dem Fleisch und das umso sicherer, je vollendeter die Darstellung ist. Noch mehr aber gehören der gottentfremdeten Welt die Theater[- und Film]unternehmer und die Darsteller, die Schauspieler an, die dazu oft noch ganz unsittliche, unmoralische Menschen sind. Wie ist da von dem Unternehmer und von den Spielern alles berechnet, das Fleisch zu reizen! Und wie wirkt alles, was man da sieht und hört, so mächtig zusammen, Kopf und Herz einzunehmen, dass man zum Wort und Gebet desto ungeschickter wird. Ach, je länger man in das heutige Theater [und Filmwesen] mit Gottes Wort hineinleuchtet, je mehr erscheint es als der Tempel des schnödesten und dabei bezauberndsten Kultus des Fleisches, wo das ehebrecherische Geschlecht unserer Tage seine Erholung und seine Erbauung sucht. Darum auch hier die Frage: Möchtest du vor Gottes Richterstuhl gerufen werden, während du im Theater [oder vor den üblichen Filmen] sitzt? …

    O darum, liebe Christen, stellt euch auch hier nicht dieser Welt gleich! Bedenkt, ihr habt bei eurer Taufe und hernach wieder bei eurer Konfirmation auch dem Wesen des Teufels entsagt. Unter das Wesen des Teufels aber rechnete von Anfang an die Kirche auch das Theater, daher jeder Schauspieler und jeder Schauspielbesucher einst demselben entsagen musste, wenn er durch die Taufe in die Kirche wollte aufgenommen werden. Was aber vom Theater gilt, das gilt auch vom Zirkus und von diesem im Grund wohl noch mehr. Und ob Christen ja unter sich an dramatischen Aufführungen in der Furcht Gottes sich vergnügen könnten, so ist es doch in den meisten Fällen besser, sie unterlassen es um der Liebe willen und begeben sich des Gebrauchs ihrer christlichen Freiheit, damit es auch nicht einmal den Schein habe, als wollten sie sich hierin der Welt gleichstellen.[33]

    Lasst mich, ehe wir uns zum anderen Teil dieser Predigt wenden, noch eine dritte Sache namhaft machen und wenigstens durch ein paar Andeutungen zeigen, dass auch sie zu den Dingen gehört, über welchen sich Christen der Welt nicht gleichstellen sollen. Das ist namentlich der hier zulande auch von vielen Gemeinden der Welt nachgeahmte Brauch zur Unterstützung nützlicher, wohltätiger oder auch kirchlicher Unternehmungen Fairs, Lotterien, Essen u.dgl. zu veranstalten. Wie machen sich auch hier Fleischeslust, Augenlust und hoffärtiges Leben so breit! Wie unsaubere Geister spielen da eine Rolle! Welch ein trauriges Zeichen für die sittliche Erschlaffung der Welt ist’s doch, dass die Leute nur dann für eine gute Sache etwas mehr geben wollen, wenn sie dafür einen desto reichen Genuss nach dem Fleisch zugesichert bekommen! Und nun geht eine Kirchengemeinde um die andere her, macht das der Welt nach, statt es zu strafen, erniedrigt sich zu solcher Geldschneiderei und Bettelei bei Christen aller Farben, wie bei Juden und Heiden, und macht so aus der Kirche ein Kaufhaus und eine Mördergrube! Ach, es ist mit diesem Fair-, Lotterie- und Essenswesen der Kirchengemeinden bereits schon so weit gekommen, dass es selbst zu ungläubigen Welt zu großem Ärgernis gereicht, dass sie darüber in den Zeitungen sich aufhält, und wir daher mit Scham an das Wort denken müssen: „Eurethalben wird Gottes Name gelästert unter den Heiden.“ Es stellen sich aber nicht nur diejenigen Kirchengemeinden der Welt gleich, welche solch Geldschneidereien anstellen, sondern auch diejenigen Glieder anderer Gemeinden, welche an denselben teilnehmen.

    O, darum lasst der ungläubigen wie falschgläubigen Welt auch hier ihre Sachen. Stellt euch ihr hierin auch nicht einmal darin gleich, dass ihr euch an denselben irgendwie beteiligt, geschweige, dass ihr sie zum Besten von Kirche und Schule nachahmen wollt.

 

2.

    Nachdem wir nun gesehen haben, worin die priesterliche Absonderung der Gläubigen von der Welt besteht und bei welchen Dingen sie sich heute besonders erweisen müsse, so will ich jetzt noch mit Wenigem zeigen, wodurch wir zu dieser Absonderung immer tüchtiger werden. Dies geschieht aber durch die stete Erneuerung unseres Sinnes, denn der Apostel setzt zu den Worten: „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich“, hinzu: „Sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, welches da sie der gute, der wohlgefällige und der vollkommene Gotteswille.“

    Wohl ist der wahre Christ durch den Glauben ein ganz neuer Mensch geworden von Herz, Mut, Sinn und allen Kräften. Aber diese Erneuerung ist nur eine angefangene und keineswegs noch eine vollkommene, sie ist hier im Werden und noch nicht im Gewordensein. Erst dort sind wir völlig erneuert. Es findet sich dabei auch in einem gläubigen Christen noch viel von der Welt Sinn und klebt ihm daher noch vieles an von der Welt Art. Dies nun immer mehr an uns abzutun, dass unser Sinn und unsere Art immer göttlicher, das Fleisch immer schwächer, der Geist in uns immer mächtiger werde, darin besteht diese fortgehende Erneuerung. Und wie sie geschieht, das zeigen uns die Worte des Katechismus von der Bedeutung des Wassertaufens: „Es bedeutet, dass der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinigkeit vor Gott ewig lebe.“

    O, wie nötig ist doch solche fortgehende Erneuerung des Sinnes in täglicher Reue und Buße. Wird sie nämlich unterlassen, so hat die Welt draußen einen zu mächtigen Reiz für den Christen, als dass er ihr ernstlich widerstehen wollte und könnte. Er findet wieder mehr und mehr Wohlgefallen an diesem und jenem und hält es nicht mehr für gewissensbeschwerend und so verabscheuungswürdig. Er denkt: „Du bist bisher in manchen Dingen doch zu streng, zu gesetzlich gewesen!“ und nun pocht er auf seine christliche Freiheit, wenn ihn der Seelsorger oder ein Bruder freundlich warnt. So erlaubt er sich denn jetzt dies, jetzt das, wird weltförmig, kommt so der Welt immer näher und wird endlich auch äußerlich ein Demas, ein zur Welt Abgefallener. Statt dass er die Welt zu Christus bekehrte, hat die Welt ihn zu ihrem Fürsten, dem Teufel, bekehrt. Ach ja, es ist viel leichter, einen wahren Christen wieder zu einem Weltkind zu machen, als ein Weltkind zu einem wahren Christen, denn die Welt hat zu große Kraft und Macht, einen Menschen zu verführen, daher wohl viel hunderttausend Menschen hätten können selig werden, wenn sie sich nur der Welt hätten entschlagen können und bei einem Christen hat sie den Vorteil, dass von ihrem Sinn nach dem alten Menschen noch so viel in ihm sich findet und dieser nun aus Mangel an der täglichen Buße wieder zur Kraft gekommen ist.

    Welche gute Wirkung und Folge hat dagegen solche fortgehende Erneuerung? Durch Erneuerung unseres Sinnes verändern wir uns immer mehr. Anstatt der Welt immer näher zu kommen, treten wir ihr immer ferner, statt immer weltförmiger zu werden, werden wir immer weltunähnlicher. Je ferner wir aber der Welt treten, je ferner tritt auch die Gefahr der Versuchung. Wohl werden wir da immer mehr ihr verhasst, aber dagegen Gott und seinen Kindern immer angenehmer; wohl verlacht uns da die Welt immer mehr als Narren und Toren, aber in Wahrheit werden wir immer mehr die Weisen und Klugen vor Gott und durch seinen Geist. Durch diese Erneuerung unseres Sinnes können wir nämlich immer mehr „prüfen, was da sei der gute, der wohlgefällige und der vollkommene Gotteswille“. So lange es einem Menschen noch nicht ein rechte Ernst ist mit dem Seligwerden, so lange ist ihm Regel und Richtschnur der Wille der Welt und nicht der Wille Gottes; er fragt nicht nach dem Urteil der Bibel, sondern nach dem urteil der Welt, nach dem, was nun einmal in der Welt Satzung, Brauch und Mode ist, es stimme mit der Bibel oder nicht. Und wenn ihm schon aus Gottes Wort klar und deutlich gezeigt wird, dies und das stimme nicht mit der Bibel und darum müsse er es auch aufgeben, wenn er wolle selig werden, koste es, was es wolle, so denkt er doch oder sagt es auch: „Das geht nicht; man lebt nun einmal in der Welt und von der Welt, darum muss man sich auch nach ihr in gar vielen Stücken richten und muss dies und jenes mitmachen.“ So kommt man dann freilich von der gottentfremdeten Welt nie los, sondern wird nur immer mehr in die Welt verflochten. Erneuern wir aber immer mehr unseren Sinn, so fragen wir nichts mehr nach der Welt Meinung und Urteil, Brauch und Sitte, sondern prüfen bei allem, was uns vorkommt, was Gottes Wort dazu sagt, was Gottes Wille an uns ist und richten uns allein nach diesem, sowie wir ihn erkannt haben. Und bei solchem Prüfen erkennen wir ihn auch immer besser, als „den guten, den wohlgefälligen, den vollkommenen Gotteswillen“. In zunehmender Erkenntnis und Erfahrung des göttlichen Wortes werden wir immer mehr inne, dass der Wille Gottes an uns allewege nur gut und der unbedingte Gehorsam gegen denselben nur von guten Folgen ist, während er dem Fleisch übel erscheint. Dadurch wird uns dann dieser Wille immer mehr wohlgefällig, er wird uns immer lieber und sein Vollbringen immer mehr unsere Speise und wird uns mehr und mehr vollkommen, dass wir beim Handeln und Raten in allerlei Fällen immer  mehr den rechten Griff tun lernen. Eben darum hat man auch den rechten Geist, zu prüfen, besonders für alles, was die Welt heute schon aufgebracht hat und noch aufbringen wird, um sich selbst zu helfen und ohne Gott glücklich zu sein und worin sie in ihrer Gottentfremdung so erfinderisch ist und bedarf es alsdann bei einem Christen nicht viel Fragens, ob er sich an diesem und jenem beteiligen könne, und wie weit er im Gebrauch seiner christlichen Freiheit gehen könne oder dürfe.

    Seht, so werden wir in solcher Erneuerung unseres Sinnes immer tüchtiger zur priesterlichen Absonderung von der Welt und in dieser auch immer tüchtiger zum Darbringen unseres priesterlichen Opfers. Dass so viele unter den Christen an dieses Opfer immer weniger hinanwollen, ist daher kein Wunder, denn

Fleischesfreiheit macht die Seele

Kalt und sicher, frech und stolz,

Frisst hinweg des Glaubens Öle,

Lässt nichts als ein faules Holz.

Weil sie aber aus Mangel an Erneuerung des Sinnes sich immer mehr der Welt gleichstellen, werden sie ein dummes Salz und untüchtig und unwirksam, der Welt die Tugenden Christi zu verkündigen, wie denn auch die Welt das Zeugnis von Christus von denen am wenigsten annimmt, welche sich ihr gleichstellen. Weit entfernt daher, dass wir durch die rechte Absonderung von der Welt unseren Einfluss auf diese verlieren sollten, behalten wir vielmehr denselben und gewinnen an demselben.

    Gott versiegle daher an unserem Herzen auch diese Predigt. Er gebe Buße denen, die durch die Taufe einst zu seinem Volk gezählt waren, die in der Konfirmation sich seinem Dienst mit Leib und Seele aufs neue und feierlich sich ergeben haben und die entweder ganz und gar zum Demas geworden sind, der die Welt mit ihrer Fleischeslust, Augenlust und hoffärtigem Leben wieder lieb gewonnen hat oder an denen man mehr die Demas- als die Christengestalt sieht, weil sie sich der Welt so viel gleich stellen und denen der HERR das Wort zurufen muss: „Weil du lau bist und weder kalt noch warm, so will ich dich ausspeien aus meinem Mund.“ Er heilige alle rechtschaffenen Christen unter uns durch und durch in lebendiger Erkenntnis und Erfahrung seiner Barmherzigkeit und verleihe unserer Gemeinde mehr und mehr die Gestalt eines von dem Unflat der Welt abgesonderten, Gott vernünftig dienenden königlichen Priestertums.


Ehr sei dem Vater und dem Sohn

Und auch dem Heilgen Geiste,

Wie es im Anfang war und nun,

Der uns sein Hilfe leiste,

Dass wir auf diesem Jammertal

Von Herzen scheuen überall

Der Welt gottloses Wesen,

Und streben nach der neuen Art,

Dazu der Mensch gebildet ward;

Wer das begehrt, sprech: Amen.


    Ja, ja, es geschehe so. Amen!

 

Gebet: HERR Gott, wir bitten dich demütig, merke auf unser Flehen und erzeige deinem Volk deine Treue vom Himmel, damit wir erkennen, was wir zu tun schuldig sind und dasselbe zu vollbringen tüchtig werden; durch unseren HERRN Jesus Christus, deinen Sohn, welcher mit dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert in Ewigkeit. Amen.

 

Lied: Erneure mich, o ewges Licht

 

 

Epistelpredigt zum zweiten Sonntag nach Epiphanias ueber Roemer 12,3-16: Der priesterliche Wandel der Glaeubigen in der Gemeinde

 

Lied: O Gott, du frommer Gott

 

    Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und unserem HERRN Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das da fleißig wäre zu guten Werken. Amen.

 

Römer 12,3-16: Denn ich sage euch durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedermann unter euch, dass niemand weiter von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er von sich mäßig halte, ein jeglicher, nach dem Gott ausgeteilt hat das Maß des Glaubens. Denn gleicherweise wie wir in einem Leibe viele Glieder haben, aber alle Glieder nicht einerlei Geschäft haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben gemäß. Hat jemand ein Amt, so warte er des Amts. Lehrt jemand, so warte er der Lehre. Ermahnt jemand, so warte er des Ermahnens. Gibt jemand, so gebe er einfältig. Regiert jemand, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er’s mit Lust. Die Liebe sei nicht falsch. Hasst das Arge, hangt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brünstig im Geiste. Schickt euch in die Zeit. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet. Nehmt euch der Notdurft der Heiligen an. Herbergt gern. Segnet, die euch verfolgen; segnet und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Habt einerlei Sinn untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den Niedrigen.

 

    Geliebte in dem HERRN! Die Stäte des Opfers und der Anbetung, des Gebets und des Lobes für einen Priester ist der Tempel. Der Tempel aber, in welchem das geistliche Priestertum des Neuen Testaments solcher priesterlichen Verrichtungen wartet, ist nicht von Holz und Stein und erbaut von Menschenhänden, sondern ist ein geistlicher Tempel, es ist die Gemeinde Gottes, „erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem HERRN, auf welchem auf ihr mit erbaut werdet zu einer Behausung Gottes im Geist“. Von diesem geistlichen Tempel, der die ganze Welt erfüllt, ist jede rechtgläubige Ortsgemeinde ein Teil, und zwar um der wahren Gläubigen willen, die in derselben sind und um des reinen Wortes und der Sakramente willen, dadurch der HERR sich unter ihr offenbart und dadurch sie zugleich erkennbar wird.

    Auf diese Stätte nun, da die Gläubigen recht eigentlich ihr geistliches Priestertum ausüben, weist der Apostel in dem letzten, jetzt mit verlesene Teil der vorigen Epistel, wenn er die ganze Kirche, wie die Einzelgemeinde unter dem Bild eines Leibes darstellt, der viele Glieder hat, die nicht alle einerlei Geschäft haben, die aber nach ihrer verschiedenen Begabung und Bestimmung einander dienen zum Wohl und Besten des ganzen Leibes und ein Glied des andern sich treu annimmt. In welcher gesegneten Ordnung nun aber das geschieht, das zeigt er zugleich in diesem Teil und in welcher gesegneten Weise, das lehrt er in der darauffolgenden heutigen Epistel.

    Demnach sei der Gegenstand unserer heutigen Predigt:

 

Der priesterliche Wandel der Gläubigen in der Gemeinde

 

    Wir sehen, wie er sich erzeigt,

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Im Gebrauch der verliehenen Gaben

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Im Umgang mit den Gliedern der Gemeinde.

 

    HERR Jesus Christus, du Haupt deiner Gemeinde und rechter Hoherpriester, der du uns als Glieder deines Leibes zusammengefügt hast, lehre uns aus deinem heiligen Wort erkennen, was da sei dein guter, wohlgefälliger Gotteswille an uns und mache uns dann zur Vollbringung desselben in rechter Liebe und Treue immer tüchtiger zur Ehre deines Namens und zum Segen deiner Gemeinde. Amen.

 

1.

    In dem HERRN, Geliebte! Nachdem der Apostel in V. 2 die Gläubigen an ihre so notwendige und heilsame priesterliche Absonderung von der gottentfremdeten Welt erinnert hat, so weist er sie von V. 3 an und durch unsere ganze heutige Epistel hindurch auf ihre Zusammengehörigkeit hin, indem er das Bild des Leibes mit seinen mancherlei Gliedern voranstellt und dann des Weiteren die Anwendung macht, hinweisend sowohl auf die Mannigfaltigkeit der Gaben und deren Zweck, als auch auf eine doppelte notwendige Bedingung beim Gebrauch der mannigfaltigen Gaben zur Erreichung dieses Zweckes.

    1. Sehen wir nun zuerst, was der Apostel von der Mannigfaltigkeit der Gaben und dem Zweck ihrer Austeilung sagt.

    „Denn ich sage euch durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedermann unter euch, dass niemand weiter von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er von sich mäßig halte, ein jeglicher, nach dem Gott ausgeteilt hat das Maß des Glaubens.“ So beginnt der Apostel seinen Unterricht von dem Gebrauch der Gaben, die Gott in seiner Kirche zum allgemeinen Nutzen, zur Wohlfahrt der ganzen Gemeinde und damit zu seines Namens Ehre „ausgeteilt hat“. Diese Austeilung heißt hier „das Maß des Glaubens“, oder derjenige den Einzelnen zugemessene Teil an Heiligungsgaben, wie an besonderen Natur- und Amtsgaben, welche letztere der Kirche zur Gründung, Befestigung und Ausbreitung des christlichen Glaubens verliehen sind. Dass nun aber bei dieser Austeilung nach dem Maß des Glaubens Gott in seiner Weise eine große Mannigfaltigkeit beobachtet hat, macht der Apostel am natürlichen Leib und seinen Gliedern anschaulich, mit dem er die Kirche als den geistlichen Leib Christi vergleicht und zwar hier kurz, ausführlich aber 1. Kor. 12. Er sagt nämlich: „Denn gleicherweise wie wir in einem Leibe viele Glieder haben, aber alle Glieder nicht einerlei Geschäft haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.“ Und dann führt er etliche von diesen mancherlei Gaben auf und zeigt dabei deren besonderen, Gott gewollten Gebrauch, indem er fortfährt: „Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben gemäß. Hat jemand ein Amt, so warte er des Amts. Lehrt jemand, so warte er der Lehre. Ermahnt jemand, so warte er des Ermahnens. Gibt jemand, so gebe er einfältig. Regiert jemand, so sei er sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er’s mit Lust.“

    Meine Lieben! Es gibt zweierlei Gaben – Naturgaben und Gnadengaben. Naturgaben sind solche, welche ein Mensch schon mit auf die Welt bringt, und die dann nur der Entwicklung und Ausbildung durch Erziehung und Unterricht bedürfen, wie da sind außer den allgemeinen Gaben des Leibes und der Seele besondere Anlagen des Verstandes, des Gedächtnisses, der Phantasie, wie auch der Geschicklichkeit des Leibes. Die Gnadengaben sind solche, welche man erst durch die Gnade empfängt, wenn man ein gläubiger Christ wird und welche daher nur der Kirche verliehen sind, wie da sind außer den Heiligungsgaben die besonderen Amtsgaben. In welcher Mannigfaltigkeit die letzteren in der Kirche ausgeteilt sind, zeigt allein unser Text. Wir hören von der Gabe der Weissagung, des Amtes oder der Diakonie, des Lehrens oder der Unterweisung, der Ermahnung, des Gebens oder der dienenden Liebe im Wohltun, der Regierung der Gemeinde und der Barmherzigkeit, oder der besonderen Gabe, Kranken und Elenden aller Art zu dienen. Aus der Apostelgeschichte und aus dem 12. Kapitel des ersten Korintherbriefes erfahren wir noch von mehreren anderen Gaben, namentlich der Sprachengabe. Es gehören diese Gaben und ihre Mannigfaltigkeit zu dem G4eschmeide, womit der himmlische Bräutigam die Kirche als seine Braut zieren, der ewige Hohepriester sein priesterliches Eigentumsvolk herrlich machen wollte.

    Dass er nun vor allem zur Ehre seines hochgelobten Namens seine Kirche mit solchem Reichtum und solcher Mannigfaltigkeit der Gaben geziert hat, will ich hier nicht ausführen, sondern nur auf den damit zusammenhängenden besonderen Zweck hinweisen, der uns in dem von dem Apostel gebrauchten Bild von den vielen Gliedern des Einen Leibes besonders entgegentritt. Wie das Auge die Gabe des Sehens, das Ohr die Gabe des Hörens uns so jedes einzelne Glied sein besonderes Vermögen und seine eigentümliche Fertigkeit zum Dienst der übrigen einzelnen Glieder und zum Wohl des ganzen Leibes empfangen hat, so hat auch jedes einzelne Glied der Kirche seine besondere Gabe nicht für sich empfangen, sondern es soll mit derselben den anderen Gliedern dienen und in brüderlicher Verbindung und einträchtigem Zusammenwirken mit den anderen das Wohl der Einzelgemeinde wie der Kirche überhaupt fördern helfen. Zu dem Zweck teilte er zuerst und für eine Zeitlang die Gnadengabe auf eine außerordentliche Weise, in außerordentlicher Fülle und in außerordentlichem Grad aus, denn es galt die Gründung der Kirche und deren rasche Ausbreitung unter Juden und Heiden. Und zu dem Zweck hat die Kirche noch immer ordentlicherweise ihre Gaben. Voran steht die Gabe der Weissagung, welches ordentlicherweise die Gabe der Auslegung der Schrift, besonders des prophetischen Wortes ist. O eine herrliche und nötige Gabe zur Erbauung der Gemeinde Gottes, denn durch sie wird den Gläubigen der Reichtum der Schrift erschlossen und werden dieselben in der Erkenntnis des göttlichen Rates und Willens immer mehr gegründet und gefördert. Da dieselbe der Kirche am allernötigsten ist, so hat sie auch Gott der Kirche aller Zeiten und aller Orte geschenkt, zu mancher Zeit aber in besonderem Maß und Grad. Man denke an Luthers Schriften und das Zeitalter der Reformation. Und wie reichlich er sie noch in dieser Zeit des neuen großen Abfalls und der wachsenden Gottlosigkeit der rechtgläubigen Kirche dieses Landes aus großen Gnaden zu deren Wiederaufblühen geschenkt hat, beweisen allein die herrlichen Lehr-, Wehr- und Erbauungsschriften, die Kirchenblätter und die alljährlichen Synodalberichte – ein Reichtum, den man erst würdigen wird, wenn er um unserer Undankbarkeit willen wieder geschmälert oder gar sollte genommen sein. Verbunden mit der Gabe der Weissagung ist die Gabe der Lehre und der Ermahnung; denn die Gabe der Lehre ist die Unterweisung im Katechismus und in der biblischen Geschichte, beides der Kleinen und der Großen, der Jungen und der Alten, damit die Unwissenden die Erkenntnis der seligmachenden Wahrheit erlangen und in derselben dann befestigt und gegründet werden; und die Gabe der Ermahnung dient dazu, dass die, so die Lehre wissen, nun auch nach derselben tun, dass den Verzagten Mut, den Betrübten Trost, den Trägen Eifer, den Hitzigen Mäßigung eingesprochen und der Sünder zur Buße gerufen wird. Und um nur auf eine von den hier genannten Gaben hinzuweisen so erinnere ich an die Regiergabe, wie sie jedem Prediger zwar in hinreichendem Maß verliehen sein muss, wie sie sich ab er auch bei den einzelnen Zuhörern zeigt und man zur ordentlichen Verwendung dieser Gabe eben schon in der Zeit der Apostel als Hilfs- und Zweigamt des öffentlichen Predigeramtes das Vorsteheramt oder das Amt der mitregierenden Ältesten errichtete; denn wie Pferd und Wagen eines Fuhrmanns zum Lenken bedürfen, so bedarf eine einzelne Gemeinde, wie ein Verband von Gemeinden, der äußerlichen Leitung und Regierung und das umso mehr, da, wie Luther hierbei bemerkt, die Christenheit auf so gefährlichen Wegen und Straßen zu fahren hat, auf welchen der Teufel besonders durch Rottengeister und Unruhestifter den Wagen einmal um das andere umzuwerfen droht. Wie wichtig ist es daher, solches Regieramt der Gemeindevorsteher und der Synodalpräisdes nur solchen Brüdern zu befehlen, welche nächst der nötigen Erkenntnis und Gottesfurcht besonders die Regiergabe besitzen!

    Summa: Diese und alle anderen Gnadengaben, auch die durch den Glauben geheiligten Naturgaben, sollen dienen „zum allgemeinen Nutzen“, wie der Apostel hier lehrt und außerdem 1. Kor. 12,7 ausdrücklich bezeugt.

    2. Zur Erreichung des allgemeinen Nutzens kommt jedoch überaus viel darauf an, wie man diese Gaben zum Dienst der Kirche gebraucht. Lasst uns deshalb die doppelte Bedingung beherzigen, die wir in unserem Text angegeben finden und unter welcher allein nur ein gesegneter Gebrauch der Gaben zu ihrem Zweck stattfinden kann.

    Die eine Bedingung ist die, „dass niemand weiter von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er von sich mäßig halte, ein jeglicher, nach dem Gott ausgeteilt hat das Maß des Glaubens.“ Es soll ja ein Christ wissen und kennen die Gabe, die ihm vom HERRN verliehen ist; denn tun, als hätte man nichts empfangen, ist eine falsche Demut, bei der man Gott als den Geber aller guten und vollkommenen Gaben nicht ehrt und mit seiner Gabe der Kirche nicht recht dient. Wiederum aber auch, wenn man in Hochmut seine Gabe überschätzt oder sich Gaben einbildet, die man gar nicht einmal besitzt, wenn man also nicht „mäßig“ von sich hält, so wird der Kirche auch nicht wahrhaft gedient, sondern ihr vielmehr erst recht geschadet. Oder sagt selbst, rühren nicht alle Ketzereien und alle Spaltungen und alle Unruhen auf dem Gebiet der Kirche daher, dass man sowohl seine verliehene Gabe überschätzt, als auch, dass man vergisst, man habe alle und jede Gabe „nach der Gnade, die uns gegeben ist“?

    Dies zeigt sich ja gleich und gerade hier recht beim Gebrauch der für die Kirche höchsten und nötigsten Gabe der Weissagung. „Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich“, sagt der Apostel. Glaube ist hier nämlich nicht die gewisse Zuversicht des Herzens zu Gottes Gnade und Güte, oder der rechtfertigende und heiligende Herzensglaube, sondern Glaube ist hier die Summe der klaren Stellen der Heiligen Schrift, welche diejenigen Artikel der christlichen Lehre begründen, deren Erkenntnis und gläubige Aneignung zum Seligwerden nötig ist. Diese klaren Schriftstellen nennt der Apostel anderwärts „das Vorbild der heilsamen Worte“, und Judas heißt die Summe der Schriftstellen, welche die Glaubensartikel der Kirche oder deren öffentliche rechtgläubige Bekenntnisse begründen, „den Glauben, der einmal (d.i. ein für allemal) den Heiligen vorgegeben ist“ und dafür sie kämpfen sollen. Wer nun die Gabe der Weissagung hat und von dieser seiner Gabe nicht mäßig hält, sondern sich einen Meister zu sein dünkt, oder wer vergisst, dass er diese Gabe nur nach der Gnade hat und daher über ihren Besitz aufgeblasen ist, der wird sich bei seiner Schriftauslegung nicht nach dem Glauben richten, sondern wird den Ruhm haben wollen, dass er bei seiner Schriftforschung neue Lehren entdecke, dass er ein besseres und tieferes Verständnis der Schrift habe. Statt daher die Schrift auszulegen nach der Ähnlichkeit des Glaubens, wird er sie auslegen nach den Eingebungen seiner Vernunft, statt die Worte nach ihrem Inhalt auszulegen, wird er seine diesem Inhalt widersprechenden Meinungen in dieselbe hineinlegen und dabei kühn und dreist rufen: „So spricht der HERR!“; statt durch seine Schriftauslegung die reine Lehre erhalten zu helfen, wird er gleich den anderen stolzen Geistern die Lehre nur noch mehr verfälschen und verfolgen helfen und durch das alles Zertrennung, Ärgernis und unsäglichen Schaden in der Kirche anrichten.

    Selbstverständlich fragt daher ein solcher, der nicht mäßig von sich hält, auch nicht viel nach der anderen Bedingung zum gesegneten Gebrauch der für die Gemeinde verliehenen Gaben. Es ist die, dass man beim Gebrauch seiner Gabe auch demütig und einfältig bleibe in den Schranken des ordentlichen Berufs, dass man nämlich nicht in Überschätzung seiner Gabe und seiner Kunst sich um Dinge kümmere, die einem nun einmal nicht befohlen sind und so in ein fremdes Amt greift, wodurch dann wieder die Einigkeit gefährdet und der Segen gehindert wird. An diese so nötige Bedingung erinnert der Apostel in seinem Bild vom Leib mit seinen Gliedern, wenn er bemerkt, dass wir „in Einem Leib viele Glieder haben, aber alle Glieder nicht einerlei Geschäfte haben“. Sagt selbst, was z.B. herauskommen würde, wenn die Hände nicht bei ihrem „Geschäft“ bleiben, sondern sich auch des Geschäfts der Füße, also des Gehens, mit annehmen wollten. Da würde unterdessen die Arbeit unterbleiben, welche von den Händen zu verrichten ist und der hurtige und gelenke Gang der Füße würde durch das Kriechen auf Händen und Füßen nicht wenig gehindert, der ganze Leib aber verunstaltet. Eben darum ermahnt der Apostel so nachdrücklich und deutlich, dass man nur des „warte“, was einem befohlen ist, also warte des befohlenen Amtes, warte des befohlenen Lehrens, warte des befohlenen Ermahnens. Und wenn er ebenso ermahnt, dass das Geben oder das von der Gemeinde jemand übertragene Austeilen der Almosen, der Opfergaben, „einfältig“ geschehe, das befohlene Regieren „sorgfältig“ sei und das Üben der Barmherzigkeit oder die befohlene Pflege der Witwen und Waisen, der Kranken und Elenden in der Gemeinde „mit Lust“ oder von Herzen, mit voller Hingabe getan werde – was ist das anders wieder als ein Ermahnen zum Warten des befohlenen Werkes. Wartet nun aber ein jeglicher dessen, was ihm befohlen ist, so fehlt ihm Zeit und Lust, sich um andere Dinge zu kümmern, desto besser aber wird er das ausrichten, was ihm befohlen ist, desto besser in den Schranken des Berufs seine Gabe zum Wohl der Gemeinde Gottes gebrauchen. O nötige, gesegnete Beschränkung. Sie gelingt nur der Demut und Einfalt, und diese lehrt immer wieder beten:

Gib, dass ich tu mit Fleiß, was mir zu tun gebühret,

Wozu mich dein Befehl in meinem Stande führet,

Gib, dass ichs tue bald, zu der Zeit, da ich soll,

Und wenn ichs tu, so gib, dass es gerate wohl.

    Seht, Geliebte, so erzeigt sich der priesterliche Wandel der Gläubigen innerhalb der Gemeinde im Gebrauch der großen Mannigfaltigkeit ihr zu ihrer Erbauung verliehenen Gaben. Ja wohl ein priesterlicher Wandel! Denn durch denselben wird das Haus Gottes erbaut und im Stand erhalten und, solcher Gebrauch, der in der Demut und Einfalt des Herzens geschieht und in den Schranken des befohlenen Berufs bleibt, ist nur der sich selbst verleugnenden Liebe möglich und bildet daher ein nicht geringes Stück unseres priesterlichen Opfers.

 

2.

    Es folgen in unserem Text nun noch eine Reihe kurzer, knapper Ermahnungen. Sie alle aber zeigen, wie der priesterliche Wandel der Gläubigen innerhalb der Gemeinde sich auch in dem persönlichen Verkehr mit den Gliedern der Gemeinde erweist.

    Diese Ermahnungen beziehen sich zunächst auf den brüderlichen Umgang, denn der Apostel sagt: „Die Liebe sei nicht falsch. Hasst das Arge, hangt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor.“ Falsch ist die Liebe, wenn man gegen seinen Bruder schön tut mit dem Mund, aber es ganz anders meint mit dem Herzen, ihn ins Angesicht lobt und wohlredet und hinter seinem Rücken ihn tadelt, ihn heruntersetzt und über ihn klagt; oder sein Vertrauen zu gewinnen sucht und es dann hinterher missbraucht, indem man seine Heimlichkeiten austrägt. Aufrichtige Liebe geziemt dem Priester Gottes gegen seine Mitbrüder und Mitpriester. Und diese erweist sich gerade dann als eine recht aufrichtige Liebe, wenn man am sündigenden und fehlenden Bruder das Arge „hasst“ und es daher in freundlichem Ernst unter vier Augen straft, gegen andere aber sein „Gutes“ an ihm rühmt und alles zum Besten kehrt.

    Zur Aufrichtigkeit geselle sich aber auch die Herzlichkeit in der brüderlichen Liebe. Zwar sollen wir als Christi Jünger alle Menschen ohne Unterschied ebenso aufrichtig wie herzlich lieben nach dem Wort: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Aber wie Gott, der die ganze Welt so hoch liebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, doch die mit der besonderen Vaterliebe umfängt, die an den Sohn glauben, so sollen auch die Gläubigen einander zugetan sein mit der besonderen Bruderliebe. Ist doch hier mehr, als bei den leiblichen Brüdern, nämlich die Geburt aus Gott, welche die Herzen gläubiger Christen alsbald einander nahe bringt und dann innig verbindet. Und ob ich da nun auch an manchem Glied so mancherlei Unart und Gebrechen sehe, auch wohl zu einem anderen Glied mich persönlich mehr hingezogen fühle, so soll ich doch auch zu dem ein Herz behalten, der gebrechlich ist und für mich manches Abstoßende hat, soll Gottes Gnadenwerk auch in der Schwachheit an ihm erkennen und das Beste von ihm hoffen. Wer aber seine brüderliche Liebe eine herzliche sein lässt, der kommt auch dem geringsten Bruder „mit Ehrerbietung zuvor“, denn die heilige, herzliche Liebe macht im Umgang immer anspruchsloser und immer rücksichtsvoller und höflicher auch selbst bei geringer äußerlicher Bildung. Sie macht besonders das Alter ehren und lehrt den Vornehmen bei aller Beobachtung des äußerlichen Standesunterschiedes auch den geringen Bruder als Gliedmaß Christi ehrerbietig behandeln.

    „Seid nicht träge, was ihr tun sollt. Seid brünstig im Geist. Schickt euch in die Zeit“ – ermahnt der Apostel weiter und meint da den Eifer um des HERRN Haus und die Förderung seines Reiches, zunächst innerhalb der Gemeinde, aber auch über diese hinaus. Und dieser Eifer sei rührig und brünstig, die kostbare Zeit auskaufend und sich in die Umstände fügend, so dass in Sachen des göttlichen Reiches nichts auf die lange Bank geschoben, sondern alles bald getan werde, zu der Zeit, da man soll, nach dem Wort: Ich muss wirken, so lange es Tag ist“, aber auch nach dem Wort: „Verflucht ist, wer des HERRN Werk lässig treibt.“

    Weil nun aber es viel mehr Weh und Leid als Freude für den Christen in der Welt gibt, so zeigt der Apostel das Verhalten in Leid und Freud, es sei Freud und Leid sein oder der Brüder.

    Er ruft den Gläubigen erstlich zu: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet.“ Wir Christen leben ja in der Erwartung einer so großen Herrlichkeit; wir wissen ja, dass der Weg zu dieser Herrlichkeit durch viel Trübsale geht; wir kennen ja das Herz und den Reichtum Gottes: Warum sollten wir nicht nach des Apostels Vorbild einander reizen zur Freude an der zukünftigen Herrlichkeit, zur Geduld in der Trübsal, zum Anhalten am Gebet!

    Weil es aber für die Christen auch Zeiten schwerer Verfolgung oft gibt, da mancher von Haus und Hof gejagt wird, oder sonst viel Bosheit, Falschheit und Ungerechtigkeit um des Evangeliums willen erfahren muss, so ruft der Apostel: „Nehmt euch der Heiligen Notdurft an. Herbergt gerne. Segnet, die euch verfolgen, segnet und flucht nicht.“ Ach, durch solche Hilfe, wie sie die Christen den verfolgten Brüdern erwiesen und durch die Sanftmut und Würde, mit der sie alle Verfolgungen ertrugen, hat die Kirche Gottes geleuchtet unter der heidnischen und papistischen Welt und hat dadurch zugleich die Heiden und Irrenden zu ihrem warmen Herd gelockt.

    Ebenso weil die Gemeinde der Heiligen Gottes heilige Familie ist, deren Glieder Freud und Meid miteinander teilen, so heißt es: „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.“ Seht, solch eine Teilnahme an des Glaubens Genossen Wohl und Wehe soll unter den Gliedern einer Gemeinde wahrgenommen werden, nicht der blasse Neid der Scheinchristen und Heuchler, wenn es einem Glied wohl geht oder es Anerkennung findet, oder deren Teilnahmslosigkeit, wenn es demselben übel geht.

    Zuletzt ermahnt der Apostel die Glieder der Gemeinde zur Erhaltung der brüderlichen Einigkeit mit den Worten: „Habt einerlei Sinn untereinander“, und weil nur dann das einzelne Glied nicht auf seinem Sinn besteht, sondern in Sachen, die nicht das Gewissen betreffen, den anderen nachgibt und weicht, wenn es in täglicher Reue und Buße den angeborenen Hochmut bekämpft, der da hoch hinaus will und meint, alle Leute sollen sich nach ihm richten, so setzt der Apostel hinzu: „Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den Niedrigen.“

    Seht, das ist der priesterliche Wandel innerhalb der Gemeinde im persönlichen Verkehr der Glieder untereinander. Auch er fordert Selbstverleugnung und somit das priesterliche Opfer. Er geziemt sich aber so ganz und gar Gottes priesterlichem Eigentumsvolk.

    O, wie lieblich macht gerade er die Gemeinschaft der Kirche! Welch einen Ersatz bietet er den Gläubigen und soll ihn bieten für deren priesterliche Absonderung von der Welt, in Folge dessen sie um des Gewissens willen so vieles sich versagen, dagegen so vieles von der gottentfremdeten Welt erdulden müssen. Wie macht er die Lügen und Lästerungen der Feinde der Kirche zu Schanden, dass sie vielmehr bekennen müssten: „Seht, wie lieb sie sich untereinander haben!“ Und wie sehr könnte dieser Wandel in der Liebe untereinander schwache Christen bei der Kirche erhalten und sie taub machen gegen die Lockstimmen der geheimen Gesellschaften und anderer Vereine der falschgläubigen und gottentfremdeten Welt.

    Wie nun, teure Glieder dieser Gemeinde, erzeigt sich unter uns solch ein priesterlicher Wandel sowohl durch den rechten Gebrauch der Gnadengaben, als auch bei dem persönlichen Verkehr der Gemeindeglieder untereinander? Bietet unsere Gemeinde das Bild eines Gemeindeliebens, das dem ziemlich ähnlich ist, welches der Apostel uns jetzt vor Augen gemalt hat? O, wir müssten doch in rechter pharisäischer Blindheit stecken, wollten wir darauf mit Ja antworten. Hatte es doch selbst mit der Gemeinde zu Rom, von deren Glauben an in aller Welt sagte, noch einen Mangel. Wozu hätte sie sonst der Apostel durch die Barmherzigkeit Gottes so ermahnen müssen! Ach nein, Geliebte, wir sind noch weit, weit von diesem Ziel. Wohin wir blicken in unserem Gemeindeleben, - es hat überall Mangel, es fehlt noch viel an der rechten Gestalt einer christlichen Gemeinde, von dem rechten Gebrauch der zum allgemeinen Nutzen verliehenen Gaben und noch mehr von dem priesterlichen Verkehr der Gemeindeglieder miteinander. Eben darum wird uns die Betrachtung der nächsten Epistel zeigen, dass ebenso viel Mangel es hat am priesterlichen Wandel gegen die, die draußen sind.

    Fragen wir aber, ob wir als eine Gemeinde gar nicht auf dem Weg zu solchem Ziel seien, so müssten wir abermals pharisäisch blind sein, wollten wir darauf schlichtweg mit einem Nein antworten. Gott sei Dank, wir sind auf dem Weg, ja, haben durch seine Gnade schon manches Schrittlein vorwärts getan, wie weit wir von dem Ziel entfernt sind. Das ist wenigstens bemerkbar für den, der ein geistliches Auge hat.

    Wohlan, so lasst uns Gott bitten, dass er uns in unserem Gemeindeleben Schritt für Schritt weiter führe und ihm es auch zutrauen, dass er laut seiner Verheißung durch die Predigt seines Wortes solches auch tun werde. Über das, was uns an solchem priesterlichen Wandel fehlt, lasst uns vor ihm demütigen; über das, was er durch sein Wort unter uns bereits ausgerichtet hat, lasst uns ihm stetig danken; beides aber sei uns ein Antrieb, vorwärts zu trachten und einander dazu zu reizen. Und will uns das Klagen ankommen, dass es in unserer Gemeinde noch gar nicht zugeht, wie es zugehen soll, o, so wolle sich alsbald ein jeder selbst fragen, ob er denn mit Rat und Tat, Mit Wort und Werk auf seinem Teil dazu helfen, dass es im Gebrauch der Gnadengabe und im persönlichen Verkehr der Gemeindeglieder untereinander besser und besser werde.

    Du aber, mein lieber Mitchrist, der du zwar ein fleißiger Besucher dieses Gotteshauses, aber noch kein Glied dieser Gemeinde bisst, tritt ihr nun auch durch förmlichen Anschluss noch näher, damit du einerseits deinen vollen Anteil an allen den Gaben und Gnaden und Gaben empfängst, die ihr der HERR geschenkt hat, andererseits der Gefahr entgehst, dein dir verliehenes Pfund im Schweißtuch zu vergraben. Bedenke, es ist nicht Sache der Freiheit und der Willkür, sondern es ist des HERRN der Kirche Wille und Gebot, dass man einer rechtgläubigen Gemeinde gliedlich angehöre. O, lass dich von solchem Anschluss nicht abhalten durch die Wahrnehmung so vieler Mängel und Gebrechen, Sünden und Ärgernisse, die leider unter uns noch vorkommen. Bedenke, es gibt in der streitenden Kirche keine Gemeinde, da es nicht mancherlei Mangel hat. Bedenke aber, es gibt in jeder rechtgläubigen Gemeinde Kinder Gottes. Und mit denen gerade wirst du durch die volle Gliedschaft erst recht Ein Leib und Ein Geist, deren Zahl gerade vermehrst auch du dann und hilfst, dass sie zur herrschenden Macht werden. Unter denen bereitet dich dann der HERR zur Herrlichkeit und bewahrt dich vor Verführung zu falscher Lehre und ungöttlichem Wesens. Mit denen gehst du dann von Tag zu Tag seiner herrlichen Zukunft entgegen. Und wenn an jenem Tag die Gemeinde der Heilligen auch dieses Ortes befreit sein wird von allen Heuchlern und Gottlosen und von allen Mängeln und Ärgernissen, wenn vor Engel und Menschen auch ihr verborgenes Leben mit Christus wird offenbar werden, dann wirst auch du als ihr wahrhaftes Glied mithören dürfen den Zuruf des HERRN: „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reicht, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.!“ Amen! Das ist gewiss wahr! Amen.

 

Gebet: HERR Gott, himmlischer Vater, wir danken dir herzlich, dass du uns bisher so manche gute Gabe mitgeteilt hast. Wir haben aber leider dieselben zum allgemeinen Nutzen und in brüderlicher Liebe nicht so fleißig gebraucht, wie wir sollten. Wir bitten dich daher demütig, du wollest uns solches vergeben und deine Gaben um unseres Undanks willen nicht von uns nehmen, sondern auch hinfort sie uns gnädig verleihen und uns durch deinen Heiligen Geist regieren, damit wir in deinem Dienst fleißiger seien, das Arge hassen und dem Guten anhangen und uns des nicht überheben, sondern in rechter Demut vor dir wandeln, bis wir endlich selig werden durch Jesus Christus, deinen Sohn, unsern HERRN. Amen.

 

Lied: Ich ruf zu dir, HERR Jesus Christ

 

 

Epistelpredigt zum dritten Sonntag nach Epiphanias ueber Roemer 12,17-21: Der priesterliche Wandel des Christen im taeglichen Umgang, vor allem mit denen, die noch nicht glauben

 

Lied: Jesus selbst, mein Licht und Leben

 

    Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und unserem HERRN Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das fleißig wäre zu guten Werken. Amen

 

Römer 12,17-21: Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Befleißigt euch der Ehrbarkeit gegen jedermann. Ist es möglich, soviel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch selber nicht, meine Liebsten, sondern gebt Raum dem Zorn; denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der HERR. Wenn nun deinen Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

 

    Geliebte in dem HERRN! Obwohl nicht von der Welt, so sind gläubige Christen doch in der Welt, den sie wohnen unter Ungläubigen und Falschgläubigen, unter Gottlosen und Weltleuten und müssen mit ihnen im häuslichen und bürgerlichen Leben nach ihrem Amt und Beruf verkehren, ja, sind oft sogar durch die Bande des Bluts mit ihnen verbunden. Da nun gläubige Christen bei aller Absonderung von der Welt doch in einem häuslichen und bürgerlichen Verkehr mit der Welt stehen dürfen, ja, nach dem Willen ihres Gottes stehen sollen, so zeigt uns die heutige Epistel den priesterlichen Wandel des Christen im täglichen Verkehr besonders mit denen, die draußen sind, damit sie scheinen als Lichter mitten unter dem verirrten und verdorbenen Geschlecht dieser Welt, und auch durch ihren Wandel hier verkündigen die Tugenden des, der sie berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht zur Ehre des Namens ihres Gottes und zur Bekehrung manches Kindes dieser Welt.

    Wenn nun aber die vorige Epistel uns den Christen in seinem priesterlichen Wandel gegen die Gemeinde gezeigt hat, wie er da die ihm verliehenen Gaben zum Nutzen derselben gebraucht und sonst mit den Brüdern verkehrt, die heutige Epistel aber ihn unter die stellt, die draußen sind, so dürfen wir hierbei nicht die Mischgestalt der streitenden Kirche außer Acht lassen. Durch des Teufels List und Bosheit sind als Unkraut unter dem Weizen allezeit und allerorts Gottlose und Heuchler beigemischt, indem sie mit den Kindern Gottes zwar nicht den Geist und Glauben gemein haben, wohl aber mit denselben „in äußerlicher Gesellschaft der Namen, Zeichen und Ämter stehen“, sie die Apologie im Artikel von der Kirche sagt. Ihrer Herzensstellung nach gehören diese zu denen, die draußen sind, und weil das Evangelium nun einmal ohne Feindschaft und Verfolgung nicht sein kann und daher von der Welt drinnen bedrängt wird, wenn die Verfolgung von draußen ein wenig ruht, so haben wahre Christen von falschen Christen gar manches zu erdulden und ist das schwerer und bitterer als die offenbare Feindschaft der Welt. Des Paulus heutige Anweisung zu einem unserem geistlichen Priestertum gemäßen Verhalten gilt daher auch nach dieser Seite hin.

 

Der priesterliche Wandel des Christen im Umgang besonders mit denen, die nicht gläubig sind

 

Sei es demnach, den wir aus der heutigen Epistel zu unserer Prüfung und Ermunterung kennen lernen wollen. Der Apostel zeigt ihn uns

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Als einen Wandel in der Friedensliebe und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Als einen Wandel in der Feindesliebe.

 

Gebet: Weise uns HERR deinen Weg, dass wir wandeln in deiner Wahrheit. Erhalte unser Herz bei dem Einen, dass wir deinen Namen fürchten. Lehre uns tun nach deinem Wohlgefallen, denn du bist unser Gott, dein guter Geist führe uns auf ebener Bahn. Amen.

 

1.

    „Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Befleißigt euch der Ehrbarkeit gegen jedermann. Ist es möglich, soviel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden.“ So der erste Teil unserer Epistel. Dass der Kern und Stern dieser apostolischen Ermahnungen eigentlich in die letzteren Worte gefasst ist, und dass wir eben deshalb den priesterlichen Wandel des Christen als einen Wandel in der Friedensliebe bezeichnen, wird sich zeigen, wenn wir nun erwägen, was der Apostel mit den Worten meint: „Ist’s möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Friede“, und welche Regeln er zur Ausführung, zur Betätigung der Friedensliebe gläubiger Christen gibt.

    So jemand ein wahrhaft gläubiger Christ wird, so wird er auch durch die erneuernde Kraft des Heiligen Geistes ein Liebhaber des Friedens. Weil er nicht nur den Frieden, wie alles Gute, an sich selbst lieb hat, sondern auch, weil er weiß, welch eine edle, herrliche, segensreiche Gabe der Friede im häuslichen, bürgerlichen und kirchlichen Leben ist, so sucht er mit allen Menschen ohne Unterschied, Frieden zu haben. Er fängt daher keinen Streit an und vermeidet sorgfältig auch allen Anlass zum Streit. Ja, wenn der Friede zwischen ihm und anderen oder bei anderen entfliehen will, da ist er fleißig, ihn aufzuhalten, und wo er entflohen ist, eifrig, ihn wieder zurück zu bringen. Eben deshalb spricht der HERR in der Bergpredigt: „Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“ Das ist es, was der Apostel mit den Worten meint: „So viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Wir leben in einer Welt, in welcher der Feind und Störer alles Friedens Herr und Fürst ist, in welcher es daher so viel Unfriede, Zank und Streit gibt und wo etwas Friede besteht, derselbe nur zu bald wieder gefährdet wird – was sollt es werden, wenn nun der Friede an den Christen keinen Halt, keine Liebhaber und Förderer hätte!

    Gleichwohl macht der Apostel eine Einschränkung durch den Zusatz: „Ist’s möglich.“ Damit erinnert er, dass es Christen bei aller Friedensliebe doch nicht stets möglich ist, mit allen Menschen Frieden zu halten. Weil ein Christ, besonders ein lutherischer Christ, die rechte Lehre bekennen, die falsche Lehre aber verwerfen, dazu Sünde und Unrecht nirgends gutheißen kann, sondern strafen muss, auch weder mit der Welt sich lustig machen, noch mit den Falschgläubigen irgendwelche Bruderschaft eingehen darf, so geht es, wie der Psalmist sagt: „Ich halte Frieden, aber wenn ich rede, so fangen sie Krieg an.“ Einen solchen Krieg aber fängt dann nicht der Christ, sondern allein die Welt an, von der ja der HERR zu seinen Jüngern sagt: „Wärt ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb; weil ihr aber nicht von der Welt seid, sondern ich habe euch von der Welt erwählt, darum hasst euch die Welt.“ Weil es sich hier um das Gewissen handelt, um das Bekenntnis der Wahrheit, um die Ehre Gottes, um das Heil der Seele, so hat der Christ hier nur die Wahl zwischen dem Frieden mit Gott und dem Frieden mit der Welt.

    Der Friede, den man mit allen Menschen haben soll, betrifft daher nicht Sachen des Gewissens, sondern mehr leibliche Dinge und ist daher ein mehr äußerlicher, leiblicher Friede. Damit wir denselben mit allen Menschen halten, so viel an uns ist, so gibt der Apostel eine dreifache Regel für unser Verhalten.

    Die erste Regel lautet: „Haltet euch selbst nicht für klug.“ Die Selbstklugheit ist Selbstüberschätzung des eigenen Verstandes, der eigenen Einsicht, ist Eigendünkel. In der heutigen Epistelpredigt beschreibt sie Dr. Luther so: „Es ist der steife Sinn im weltlichen Wesen, der sich nicht sagen lässt, will alles besser wissen als jemand sagen kann, es soll recht und wohlgetan sein, was er im Sinn hat und weicht niemand. Ein Christ aber soll so gelenk sein in solchen Sachen und gerne weichen, jedermann Recht lassen, solange es nicht Gottes Wort und Glauben betrifft, sondern zeitlich Gut, Ehre und Freunde.“

    O, dass doch ein Christ in allen Lebensverhältnissen sich nach dieser kurzen apostolischen Regel halten möchte, denn, wie die Erfahrung lehrt, kommt der meiste Hader und Unfriede daher, dass man alles besser zu verstehen meint, seine Meinungen und Ratschläge für die allein richtigen hält, in Folge des dieselben schlechtweg geltend zu machen sucht, und daher überall Widerspruch erhebt oder erregt. Solche von sich eingenommenen Leute mengen sich daher auch in Dinge, die sie nichts angehen oder können nicht warten, bis man ihrer begehrt, weil sie immer in Sorge sind, es könnten andere die Sache nicht recht machen, es ginge nicht ohne sie. Kein Wunder daher, dass der Selbstkluge oft aus dem Hader gar nicht herauskommt, obschon er vielleicht denselben nicht geflissentlich sucht und im Grund wohl auch nicht liebt.

    „Haltet euch selbst nicht für klug.“ Damit wir in unserem Verkehr besonders mit denen, die draußen sind, allewege nach dieser Regel einhergehen und so Friede mit ihnen halten, so viel an uns ist, so lasst mich hierbei noch auf einen Umstand hinweisen. Wohl vernimmt der natürliche Mensch nichts vom Geist Gottes; es ist ihm vielmehr alles Geistliche Torheit und kann es nicht erkennen, denn es muss geistlich gerichtet sein. Wenn es sich daher um die Frage handelt, ob dies oder das dem Wort Gottes gemäß oder demselben entgegen ist, da ist der gläubige, in Gottes Wort gegründete und erfahrene Christ gegenüber den Kindern der Welt allein klug. In den Dingen aber, die allein der Vernunft unterworfen sind und deren Beurteilung und Behandlung oft auch eine gewisse Reife des Verstandes, ein gewisses Maß von Kenntnissen oder von Lebenserfahrung erfordert, da ist auch mancher Weltmensch recht klug und weiß gar manchmal noch besser zu raten und anzugreifen, als mancher fromme Christ. Es ist daher keine zu kühne Behauptung, sondern gründet sich nur auf die rechte Unterscheidung von Christi Reich und Weltreich, wenn Dr. Luther an einem Ort meint, dass z.B. in weltlichen Regierungssachen die alten Heiden besser Bescheid gewusst hätten als selbst der hocherleuchtete Apostel Paulus und andere Heilige. Welch ein hocherleuchteter Prophet und Regent war doch Mose! Dennoch wies er nicht selbstklug die Rede seines Schwiegervaters Jethro von sich, als dieser bei Gelegenheit eines Besuches die von Mose gemachte Ordnung in der Rechtspflege als eine viel zu beschwerliche und zeitraubende ihm nachwies und eine weit zweckmäßigere ihm vorschlug. Nun gehörte ja freilich Jethro bereits auch zum Volk Gottes; aber wenn Jethro auch noch Heide gewesen wäre, in seiner Demut und Friedfertigkeit hätte sich der über ihn an Amt und Gabe hochstehende Mose gleichwohl den weisen Rat seines Schwiegervaters gefallen lassen. Wie muss es daher Weltmenschen vom wahren Christentum abstoßen, wenn sich Christen gegen andere selbstklug gebärden, sogar in Dingen, wo jene vielleicht besser Bescheid wissen, wenn sie dann auf ihrer Meinung gegen Christen und Nichtchristen bestehen, ins Streiten und Disputieren geraten, mancherlei Unfrieden und Zwist anrichten und über dem, was sie darüber leiden müssen, sich gar noch als Märtyrer Christi betrachten, während sie doch in solchem Fall des Teufels Märtyrer sind. Dagegen, wie muss es die Unwissenheit der törichten Menschen beschämen, und noch mehr wie gewinnend muss es wirken, wenn ein gläubiger Christ als ein Kind des Friedens sich nicht selbst für klug hält, sondern die Klugheit und Einsicht anderer in äußerlichen, leiblichen Dingen auch gelten lässt; wenn er sich von anderen, selbst von dem Geringsten auch sagen und raten lässt, statt empfindlich zu tun; wenn er sich nicht in anderer Angelegenheit mengt, sondern wartet, bis man seiner begehrt oder bedarf; ja, wenn er, um nicht das äußerliche friedliche Verhältnis in der Familie, mit den Nachbarn, mit seinen Geschäftsgenossen, mit seinen Mitbürgern zu stören, selbst da weicht und nachgibt, wo seine Meinung, sein Rat richtig ist und statt sich verletzt zurückzuziehen, mit denselben in gutem Einvernehmen nach wie vor bleibt.

    Darum ihr, meine Mitchristen, befleißigt euch der Demut und Bescheidenheit nicht nur gegen die, die drinnen sind, sondern auch gegen die, so draußen sind, damit ihr auch dadurch ihrer etliche gewinnt, weil ihr von ihnen mehr und mehr erkannt werdet als die friedfertigen Gotteskinder. Zur Erhaltung des häuslichen Friedens aber folgt dieser Regel des Paulus: „Haltet euch selbst nicht für klug“, ihr, meine Schwestern, die ihr einen nichtchristlichen Mann habt, dem ihr gleichwohl untertan und gehorsam sein sollt um des HERRN willen in allen Dingen, die nicht gegen das Gebot Gottes sind, und ihr Kinder oder ihr Dienstboten, deren Eltern oder Herrschaften dem Christentum oder der reinen Lehre nicht zugetan sind.

    „Ist’s möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Darum – und dies ist die zweite Regel des Apostels – „vergeltet niemand Böses mit Bösem.“ Das ist ja freilich der Welt Grundsatz: „Wie man in den Wald hineinschreit, so schallt’s aus ihm wieder heraus“, und nach ihrem verderbten Fleisch und Blut möchten Christen nach diesem Grundsatz endlich auch Böses mit Bösem vergelten, zumal wenn sie es mit einem Menschen zu tun haben, der wie ein ritziges Holz ist, das, man mag es irgendwo und dabei noch so behutsam anfassen, einen verwundenden Splitter in der Hand zurücklässt. Ach, und wenn sie da nicht ernstlich die Regungen ihres Fleisches und Blutes bekämpfen und Gott um Sanftmut und Geduld ernstlich bitten, wenn sie sich da einmal vergessen und vergelten Böses mit Bösem, so müssen sie inne werden, dass aus dem kleinen Funken ein Brand geworden ist, der auch andere ergreift, indem sie damit nur Holz zum entstandenen Feuer herbeigetragen haben, welches ohne dasselbe vielleicht bald erloschen wäre. Das traurigste dabei ist, dass Ungläubige und Falschgläubige von den Kirchenleuten desto übler reden und wäre es auch nur ein einziger derartiger Fall, denn das wissen sie gar wohl, dass für uns Christen in der Bibel geschrieben steht: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem“, und dass wir darin den uns gelassenen Fußtapfen Christi als seine Jünger nachfolgen sollen. O, es gibt oft viel dem HERRN zu bekennen, viel ihm abzubitten und darum auch, wo es sein muss, den Menschen,

    Willst du darum, mein Christ, als ein Priester Gottes, als ein friedfertiges Gotteskind auch gegen die wandeln, die draußen sind, so vergilt niemand Böses mit Bösem – ja, niemandem, niemandem. Werde nicht wieder heftig, wenn jemand gegen dich heftig wird, so ist’s abgetan – wie oft wäre ein heftiges Wort ohne weitere Folgen geblieben, wenn nicht eine noch heftigere Antwort darauf erfolgt wäre! Schilt dich jemand, so muss er aufhören, wenn du nicht wieder schiltst. Geschieht dir Unrecht, so leide es schweigend und die Friedensstörung greift nicht weiter. Geht es aber nicht anders, dass du etwas erwidern musst, so lass es eine sanftmütige Vorstellung des unrechts sein und das dann nicht zur Unzeit, wenn das Gemüt des, der den Streit gesucht hat, noch aufgeregt ist. Und das kannst du durch die Barmherzigkeit des, der auch um deinetwillen und für dich litt und dabei dir zugleich zum Vorbild nicht wieder schalt, da er gescholten wurde, nicht drohte, da er litt.

    Ist’s aber möglich, so viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Friede“; darum „befleißigt euch der Ehrbarkeit gegen jedermann.“ Dies ist die dritte Regel des Apostels. Es fasst das Wort „Ehrbarkeit“ viel in sich. Es meint nicht nur den äußerlichen unsträflichen Wandel, sondern auch die zarte Rücksichtnahme auf den Nächsten, da man ihn in keinerlei Weise zu verletzten, in keinerlei Weise Anlass zur Klage zu geben sucht. Es soll die Welt den Christen nicht nachsagen dürfen, dass sie in Handel und Wandel für Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Billigkeit und Uneigennützigkeit nicht stets ein zartes Gewissen hätten, dass sie leichtsinnige Borger seien, die man ans Zahlen immer mahnen müsse oder die den Mahner gar mit beleidigenen Worten abweisen, oder dass sie Wortbrüchige seien, deren Versprechungen nichts wert sind und durch die nur in Schaden und Nachteil kommt, der sich auf sie verlässt. Wie viel an solcher Ehrbarkeit gegen jedermann zur Erhaltung des häuslichen, nachbarlichen und bürgerlichen Friedens liegt und welch einen guten Namen sie dem Evangelium macht, brauche ich wohl nicht erst zu erweisen. So rufe ich euch den mit dem Apostel zu: „Befleißigt euch der Ehrbarkeit gegen jedermann – gegen Erwachsene und Kinder, gegen Männer und Frauen, gegen Ledige und gegen Verheiratete, gegen Vorgesetzte und gegen Untergebene, gegen Hohe und gegen Niedrige, gegen die, so drin und gegen die, so draußen sind. „Was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was wohllautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denkt nach.“

    So wandeln die Gläubigen als die friedfertigen Gotteskinder, indem sie, so viel an ihnen und so viel es möglich ist, Friede haben mit allen Menschen. Das kostet viel Selbstverleugnung und gehört mit zu dem täglichen priesterlichen Opfer ihres Leibes. Darin aber auch verkündigen sie mit die Tugenden ihres Friedensfürsten. Aber wenn sie nun gleichwohl zu dem Ende nach der Regel des Apostels sich nicht selbst für klug halten, niemandem Böses mit Bösem vergelten und sich der Ehrbarkeit gegen jedermann befleißigen, so müssen sie doch um des Namens Jesu willen von der ungläubigen und falschgläubigen Welt viel Böses erfahren und müssen für die Ehre ihres HERRN in den Kampf und Streit hinein. Hören wir daher fürs zweite, wie sich da ihr Wandel als ein Wandel in der Feindesliebe gestaltet.

 

2.

    Wie der Apostel die Summe des ersten Teils in die Schlussworte fasst, so auch die Summe des zweiten Teils in die Worte nämlich: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ So also gestaltet sich ihr priesterlicher Wandel im Verkehr mit der feindseligen Welt, so wandeln hier Gottes Kinder als die Friedfertigen.

    Lass dich nicht vom Bösen überwinden“, ruft der Apostel fürs erste und was er damit meint, erklärt er mit diesen Worten: „Rächt euch nicht selbst, meine Liebsten, sondern gebt Raum dem Zorn; denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der HERR.“ Es geschieht ja himmelschreiend Böses denen, die Christus angehören. Wie hat man’s den Aposteln und den Tausenden von Märtyrern unter dem heidnischen Kaisertum in den drei ersten Jahrhunderten und den Tausenden von Märtyrern unter dem antichristlichen Papsttum zur Zeit der Reformation und nach derselben gemacht! So aber ist die Welt heute noch, je nachdem sie die macht und die Gelegenheit dazu hat. Kann das ungerächt bleiben? Nimmermehr. Die Geschichte seit 2000 Jahren hat es auch gezeigt, wie alle und jede, öffentliche und heimliche, blutige und unblutige Christenverfolgung gerächt wird. Aber die Rache ist nicht unser, sondern des HERRN, und zwar sein ganz allein. Seinem Zorn sollen wir da völlig Raum lassen, in sein Richteramt sollen wir nicht eingreifen, alle Rache sollen wir ihm überlassen. Aber wie? Nicht mit einem Herzen, das da im Zorn betet: „O HERR, räche mich an meinen Feinden! Bezahle ihnen ihre Übeltat an mir!“ Das hieße eigentlich, Gott zum Vollstrecker unserer Rache zu machen, also doch wieder sich selbst rächen. Nein, die Rache muss Gott unsererseits so gelassen werden, dass wir mit erbarmendem Herzen beten: „HERR, behalte ihnen diese Sünde nicht! Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! Bekehre sie, dass sie ablassen und sich mit mir sanftmütig und friedlich zu leben begeben!“ Und wenn diese Bitte erhört werden würde, wenn dieser und jener Widersacher bekehrt und mit uns zu des HERRN Füßen liegen, sein Unrecht bekennen, um Gnade schreien und vom ewigen Zorn errettet werden würde – wären wir da nicht am besten und schönsten gerächt?

    Rächt euch selbst nicht, meine Liebsten!“ Zärtliche Worte, die der Apostel gebraucht, die Christen von eigener Rache abzuhalten. Ach, er weiß ja wohl, wie auch bei ihnen wegen unverdienter Feindschaft und Bosheit Fleisch und Blut wallt. Lasen wir durch sie uns nur umso mehr bewegen, von eigener Rache abzustehen!

    Wehe, wenn wir durch eigene Rache den Feind zu besiegen meinen. Wir sind keineswegs die Sieger, wir sind vielmehr die Besiegten, das Böse hat uns überwunden. Nicht nur ruft die Rache wieder Gegenrache hervor, so dass des Rächens kein Ende ist und die Feindschaft hinüber und herüber wütet wie eine verheerende Feuersbrunst, sondern ein Christ, der sich selbst rächt, fällt damit auch aus der Gnade, verliert den Frieden Gottes, gerät unter den Zorn, verfällt endlich der ewigen Verdammnis, wenn er nicht noch in der Zeit rechtschaffene Buße tut.

    Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern“ – setzt der Apostel fürs andere hinzu – „überwinde das Böse mit Gutem.“ Das ist der Christen eigentliche Rache. Sie bitte nicht allein für die Beleidiger und Verfolger, sie segnen nicht allein ihre Flucher und Lästerer, sie tun auch wohl den Hassern. Darum zieht denn der Apostel aus den Sprüchen die Worte an: „Wenn nun deinen Feind hungert, so speise ihn, dürstet ihn, so tränke ihn“ und setzt hinzu: „Wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“ Ja, nur so wird das Böse überwunden. Wohl können Rache und Strafe den Feind äußerlich dämpfen, ihn klein und still machen; aber wahrhaft überwunden ist er damit nicht, im herzen bleibt er doch der Feind. Und ob man ihn auch nur mit der Schärfe des Verstandes, mit mächtigen Beweisgründen, mit beißendem Witz besiegt – das Herz bleibt unbesiegt. Das besiegst du nur mit den feurigen Kohlen des Guten, die du auf sein Haupt schüttest, vorausgesetzt, dass diese Kohlen auch wirklich von der erbarmenden, demütigen Liebe durchglüht sind und nicht vom Stolz, der einmal auch auf diesem Weg über den Feind triumphieren will. Wenn Wohltaten dem Feind so erwiesen werden, dass er den Eindruck hat, als wollte man sagen: „Sieh, ich bin kein so erbärmlicher Mensch wie du, der du mir nur immer übel tust und nun zur gerechten Strafe als ein Hungernder und Dürstender vor meine Tür kommen musst. Ich will edler an dir handeln, hier, iss und trink.!“ Ach, diese Art feuriger Kohlen macht ihn nur härter. Aber wenn du sein Übeltun und Wohltun in einer Art erwiderst, die auf ihn nur den Eindruck der barmherzigen lauteren Liebe macht, so sind Wort und Werk feurige Kohlen auf dem Haupt, deren Brennen nicht weh tut, sondern läutert und erweicht, dass das feindselige, harte Herz des Feindes in heilsame Reue und schmerzliche Beschämung gerät und zugleich geschmolzen und weich wird. Dann hast du sein Herz besiegt und damit von selbst den Verstand und den Mund, ja, den ganzen Menschen, und vielleicht wird dein erbitterter Feind sogar noch dein Herzensfreund, dein glühender Lästerer noch dein mannhafter Verteidiger.

    So überwand der von Saul so unschuldig gehasste, bis auf den Tod verfolgte David dort in der Höhle Adullam das Böse mit Gutem, als er seines Königs Leben schonte und dann am Morgen aus der Ferne so demütige und bewegende Vorstellungen machte. Zwar fiel ja der von Gott verlassene Saul bald wieder in die alte Feindschaft zurück, aber dass damals die feurigen Kohlen, welche die Liebeshand Davids durch des Königs Verschonung und die ihm gemachten Vorstellungen auf sein Haupt gesammelt hatte, ihre Wirkung taten, beweist, dass Saul auf einmal seine stimme aufhob und weinte und rief: „Du bist gerechter als ich!“ (1. Sam. 24,18 ff.) Zur Veranschaulichung aber, wie erfinderisch dabei oft die Liebe ist, die feurigen Kohlen auf des Feindes Haupt zu bringen, lasst mich aus des gottseligen Scrivers „Seelenschatz“ noch folgende Geschichte kurz und abschließend erzählen.

    Ein frommer Christ hatte einen Nachbarn, mit dem nicht nur überhaupt sehr schwer auszukommen war, sondern der auch jenem fortwährend grollte und seinen Groll bei der geringsten Veranlassung herausbrechen ließ. Vergebens, dass der Sanftmütige dem Feindseligen einmal ums andere zusprach, doch seinen Groll fahren zu lassen, vergebens, dass auch der erbetene Seelsorger jenem freundliche Vorstellungen machte. Zwar versprach er, sich nicht mehr feindselig erweisen zu wollen, Groll und Feindschaft aber blieben nach wie vor in seinem Herzen. Da geschah es, dass der Feindselige in eine Geldverlegenheit geriet, die seinem ganzen Geschäft den Ruin drohte und die auch in weiteren Kreisen nicht kund werden durfte. Der Sanftmütige und Friedfertige wusste darum, und da er das nötige Kapital bei sich liegen hatte, so beschloss er auch sogleich bei sich, seinem Feind durch ein Darlehen zu helfen. Wie griff er das aber an? Da er wusste, dass es dem schlimmen Nachbarn die übergroße Feindschaft nicht zuließ, aus seiner Hand das rettende Darlehen anzunehmen, dass er lieber würde zugrunde gehen wollen, als von dem vermeintlichen Feind einen Dienst, eine Wohltat anzunehmen, so legte er das Geld in die Hände des Seelsorgers, dass dieser mit Verschweigen des Namens es dem Nachbarn als zinsfreies Darlehen anbiete. Mit großem Dank nahm derselbe an, in der Meinung, es käme vom Prediger. Doch siehe, als auf dem Geld ein sichtbarer Segen geruht hatte, als der Gerettete mit Freuden davon dem Prediger erzählte und nun das Kapitel ihm mit großem Dank zurückerstattete, dieser aber entgegnete: „Nicht mir dankt, euer Nachbar ist’s gewesen, der freiwillig und im Verborgenen das Geld in meine Hände legte, das sich euch damit zu Hilfe käme“ – da schmolz unter solcher Liebesglut das eiserne Feindesherz, da eilte der so Überwundene zum edlen Nachbarn, bat ihn unter Vergießen aufrichtiger Tränen alle bewiesene Feindschaft und Unbill ab und nun wohnten die beiden von da an nicht nur als treue Nachbarn, sondern auch als wahre Herzensfreunde beieinander.

    So überwindet man das Böse mit Gutem, so wandelt man als ein Mitpriester des großen Hohenpriestes unter Feinden, so beweist man sich als friedfertiges Gotteskind, wenn man dem Streit nicht aus dem Weg gehen kann, durch Feindesliebe, so gewinnt man ihrer Etliche aus der verlorenen Welt für Christus mit dieser schönsten Verkündigung seiner Tugenden durch Werk und Tat.

    Meine Geliebten! Die draußen sind, sehen bei uns Christen nicht zunächst auf die Lehre, sondern vor allem auf die Werke. So helfe uns denn der HERR, dass wir auch durch Friedensliebe und Feindesliebe der Welt unser geistliches Priestertum erweisen, damit hierin gleichfalls die Leute unsere guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen. Amen.

 

Gebet: Allmächtiger, ewiger Gott, der du deine Kinder durch den Hass und die Feindschaft dieser argen Welt versuchen, läutern und für dein ewiges Reich der Herrlichkeit vollbereiten willst: Wir bitten deine Barmherzigkeit, du wollest durch deinen guten, sanftmütigen Geist unsere Herzen mit reiner und brünstiger Liebe gegen alle Menschen erfüllen, damit wir frei von allem Eigendünkel, Eigenwillen und Zorn alle unsere Feinde aufrichtig lieben und segnen und so durch deine Gnade alles Böse, so uns in dieser Zeitlichkeit anficht, mit Gutem überwinden können – um Jesu Christi, deines lieben Sohnes willen. Amen.

 

Lied: Lasset uns mit Jesus ziehen; oder: Mir nach, spricht Christus, unser HERR.

 

 

Epistelpredigt zum vierten Sonntag nach Epiphanias ueber Roemer 13,8-11: Die Liebesschuld der Christen

 

Lied: Hilf mir, mein Gott, hilf, dass nach dir

 

    Gnade, Barmherzigkeit und Friede von Gott, dem Vater, und dem HERRN Jesus Christus. Amen.

 

Römer 13,8-10: Seid niemand etwas schuldig, als dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn das da gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; dich soll nichts gelüsten, und so ein anderes Gebot mehr ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst: Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.

 

    Geliebte in dem HERRN! Mit dem 12. Kapitel hat, wie wir wissen, der Apostel seine Ermahnungen zu einem, dem Evangelium würdigen, Wandel begonnen. Indem er nun diese mit dem 13. Kapitel fortsetzt, kommt er zunächst auf das Verhältnis des Christen zur weltlichen Obrigkeit. Damit berührt er eines der drei wichtigsten, von Gott selbst geordneten Lebensverhältnisse. Ist dieses in das vierte Gebot gefasste Verhältnis wie es sein soll, so wird es zur Quelle des reichsten irdischen Segens, denn er hat ja mit Recht und Freiheit, mit Eigentum und Erwerb, mit Leib und Leben, dazu mit Förderung von Kunst und Wissenschaft zu schaffen, welcher Segen dann auch wieder der Kirche zugute kommt, wie Jeremia an die gefangenen Juden von der Stadt schreibt, dahin sie als Gefangene Babels verpflanzt worden waren: „Wenn es ihr wohl geht, so geht es auch euch wohl.“ (Jer. 29,7.) Und wiederum: Gestaltet sich dies Verhältnis nicht der Bestimmung gemäß, wird es gestört und in Ungerechtigkeit verkehrt durch Tyrannei von oben und durch Empörung von unten nach oben, so wird es zur Quelle unbeschreiblicher Übel, wie die Geschichte lehrt.

    So hebt denn der Apostel an: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit, außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun gegen die Obrigkeit setzt, der widerstrebt Gottes Ordnung.“ Doch ihr kennt ja diese und die weiteren Worte des Apostels von der weltlichen Obrigkeit, da sie einen Teil der Haustafel im Katechismus bilden, jener köstlichen Zusammenstellung Luthers von etlichen Sprüchen, „für allerlei heilige Ordnungen und Stände, dadurch diese, als durch eigene Lektion, ihres Amtes und Dienstes ermahnen“. Da nun die damalige Obrigkeit noch keine christliche, sondern eine heidnische Obrigkeit war, und da diese den Christen ja drei Jahrhunderte lang feindlich und blutig verfolgend gegenüber stand, ja, da auf Roms Herrscherthron damals der schreckliche, grausame Nero saß, so bedurften die Christen zweifach der Lehre und Weisung, damit auch ihr Verhalten gegen die weltliche Obrigkeit ein dem Evangelium würdiges sei.

    In seiner Ermahnung nun weiter gehend, den Gesichtskreis erweiternd, aber doch im Zusammenhang mit dem Vorausgehenden, ruft der Apostel auf einmal den Christen zu: „Seid niemand etwas schuldig, als dass ihr euch untereinander liebt.“ Wie das nun mit dem Vorigen zusammenhängt, und was der Apostel jetzt den Christen zu bedenken gibt, werden wir sehen, wenn wir nun den Gegenstand betrachten, von welchem derselbe in der heutigen Epistel handelt. Das ist

 

Die Liebesschuld der Christen

   

    Ich werde hierbei zeigen, dass sie

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die einzige, aber auch

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die unabtragbare Schuld der Christen ist.

 

    Schlicht und recht, das behüte uns, o HERR, denn wir harren dein, der du uns geschaffen hast in Christus Jesus zu guten, dass wir darin wandeln sollen. Weil wir aber ohne dich gleichwohl nichts vermögen, so lehre und auch hier tun nach deinem Wohlgefallen, denn du bist unser Gott, dein guter Geist führe uns auf ebener Bahn. Amen.

 

1

    Wenn, meine Lieben, der Apostel sagt: „Seid niemand etwas schuld“, so heißt das: Bleibt niemand etwas schuldig; wenn er aber hinzusetzt: „Als dass ihr euch untereinander liebt“, so bezeugt er damit, dass die Liebe des Nächsten, die allgemeine und die brüderliche Liebe, die einzige Schuld ist, die ein Christ haben und behalten soll, und die ein wahrer Christ auch wirklich hat und behält.

    Vor allem soll und will ein wahrer Christ der ihm von Gott gesetzten Obrigkeit keinerlei Pflichtleistung schuldig bleiben. Dass darauf zunächst die Worte des Apostels gehen, zeigt der Zusammenhang; denn nachdem Paulus ermahnt hat, dass jedermann der Obrigkeit untertan sein soll, die Gewalt über ihn hat, so schärft er noch die Pflichtleistung gegen die Obrigkeit im Einzelnen durch die Worte ein: „Deshalb müsst ihr auch Steuer geben, denn sie sind Gottes Diener, die solchen Schutz sollen handhaben. So gebt nun jedermann, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt“ – worauf dann die Worte unseres Textes folgen.

    Damit gibt der Apostel dem Gewissen der Christen einen überaus wichtigen Unterricht bezüglich ihrer Stellung zur weltlichen Obrigkeit. Erinnert euch, dass derselbe in seinen Ermahnungen von der höchsten Würde und Herrlichkeit ausgeht, die der allerhöchste Gott einem vernünftigen Geschöpf verleihen kann und uns armen Sündern auch wirklich verleiht, und zwar nicht erst dort, sondern schon hier. Das ist, wie wir gesehen haben, das geistliche Priestertum aller Christen. Wie leicht nun aber das Fleisch meint, dass man im Besitz dieser Würde mit der weltlichen Obrigkeit nichts mehr zu schaffen habe, am allerwenigsten mit dem Untertansein gegen diese, lehrt die Geschichte. Denkt an das antichristliche Papsttum, das aufgrund eines gegen das allgemeine Priestertum aller Christen erdichteten Standespriestertums innerhalb der Kirche behauptet, dass der römische Papst der Oberpriester der ganzen Christenheit sei, der als solcher nicht nur keiner Obrigkeit untertan sein dürfe, sondern dem vielmehr alle Obrigkeiten in der Welt untertan sein müssten, und der daher auch seine Bischöfe und Priester der Obrigkeit nicht untertan sein lässt, sowie dieselbe ihm in seinen antichristlichen Ansprüchen nicht zu Willen sein will. Oder erinnert euch an das grauenhafte Schauspiel, das zur Zeit der Reformation die Wiedertäufer in Münster aufführten, und von dem uns die „Abendschule“[34] soeben ein so lebendiges Bild vor die Augen gemalt hat. Gegen diesen, Christi Reich und Weltreich vermengenden, die geistlichen Dinge ins Fleisch ziehenden und die von Gott geordneten Lebensverhältnisse verkehrenden papistischen und wiedertäuferischen Wahn hat aufgrund der Schrift unsere teure lutherische Kirche in ihrem Augsburger Bekenntnis den 16. Artikel „von Polizei und weltlichem Regiment“ gestellt und auch im 17. Artikel gegenüber chiliastischen Hoffnungen Bezug darauf genommen.

    Wollen wir daher als geistliche Priester gegenüber der weltlichen Obrigkeit richtig handeln und wandeln, wollen wir als rechtschaffene Bekenner der reinen Lehre zeigen, dass das Evangelium die weltlichen Ordnungen nicht aufhebt oder ändert, so lasst uns auch der hiesigen Obrigkeit, der Obrigkeit eines Freistaates, in alledem nichts schuldig bleiben, das sie nach Gottes Wort zu fordern berechtigt ist. Geben wir daher „Steuer, dem die Steuer gebührt und Zoll, dem der Zoll gebührt“, d.h. seien wir ängstlich gewissenhaft in Entrichtung der uns von der Stadt-, Staats- und Landesregierung auferlegten Steuern und Abgaben – mögen noch so viele durch Umgehung des Gesetzes sich von dieser Pflicht frei machen oder mögen viele zur Erzielung einer verhältnismäßig geringen Taxe noch so betrügerische Angaben von ihrem Vermögen machen und noch so gewissenlos verfahren, sei es in der Entrichtung oder in der Verwaltung der Steuern. Ja, auch als eine christliche Ortsgemeinde, als eine kirchliche Gemeinschaft, lasst uns den Gehorsam gegen dieses Wort anerkennen und denselben leisten, wo er von uns gefordert würde; denn dass das Kircheneigentum in manchem Staat ganz, und in manchen teilweise steuerfrei ist, haben wir nach der hiesigen Verfassung, nach welcher Kirche und Staat streng geschieden sind, nicht als ein Recht, sondern lediglich als eine löbliche Vergünstigung zu betrachten, und müssten wir auch hier geben, was wir schuldig sind, wenn aus triftigen Gründen eine Staatsgesetzgebung diese Steuerfreiheit aufheben sollte.

    Wollen wir ferner als geistliche Priester und rechtschaffene Lutheraner der weltlichen Obrigkeit gegenüber dem Evangelium würdig wandeln, so lasst uns nicht schuldig bleiben „Furcht, dem die Furcht gebührt und Ehre, dem die Ehre gebührt“. Und ob wir auch in einem Freistaat leben, in welchem das Volk sich selbst Gesetze gibt und seine Beamten erwählt, so sollen und wollen wir es doch nicht mit denen halten, welche alle Scheu und alle Furcht vor dem obrigkeitlichen Amt und deren Träger so sehr ausgezogen haben, dass sie besonders bei Wahlen in maßloses Schmähen und Verdächtigen gegen die Beamten oder Kandidaten der Gegenpartei sich ergehen, gleich, als stünde für dieses Land das Wort nicht in der Bibel: „Furcht, dem die Furcht gebührt, und Ehre, dem die Ehre gebührt“. Dieses Wort bleibt für uns Christen selbst dann stehen, wenn wir in Sachen des Gewissens der Obrigkeit den geforderten Gehorsam verweigern müssen; denn ob wir auch in einer Sache, die sie zu fordern kein Recht hat, nichts schuldig sind, so bleiben wir doch alle zu Furcht und Ehrerbietung verpflichtet.

    Seid niemand etwas schuldig.“ – Dies Wort gilt aber auch in Bezug auf die Geldschulden. Wohl wäre dasselbe nicht dem Glauben ähnlich, sondern schwärmerisch ausgelegt, wollte jemand es so deuten, als dürfe ein Christ schlichtweg keine Geldschulden machen, d.h. Geld von einem anderen borgen. Spricht doch Christus: „Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht von dem, der von dir borgen will“, desgleichen: „Leiht, dass ihr nichts dafür hofft; so wird euer Lohn groß sein, und werdet Kinder Gottes des Allerhöchsten sein.“ Wäre nun das Borgen Sünde, so wäre auch das Leihen Sünde, denn nur durchs Leihen wird das Borgen möglich, während doch da Leihen, da man nichts dafür hofft, ein Werk der Liebe und Barmherzigkeit der Kinder Gottes sein soll, das ihnen Gott dereinst wohl belohnen will. Wohl aber ist unser Textwort nach dem Spruch auszulegen und anzuwenden: „Der Gottlose borgt und bezahlt nicht.“ Da ruft es uns ein Doppeltes zu. Erstens: Borgt nicht leichtsinnig, nicht ohne die dringendste Not. So borgt als ein Gottloser derjenige, welcher sich nicht gern einen Genuss versagen, hinter anderen in Kleidung, häuslicher Einrichtung und Vergnügen nicht zurückstehen, sondern immer mitmachen will, oder derjenige, welcher, um schnell wie andere reich zu werden, große Dinge anfängt und deshalb große Kapitalien aufnimmt – gelingt’s, so gelingt’s und gelingt’s nicht, nun, so tut man, was viele andere tun, man macht Bankrott und fängt mit Borgen von neuem an. Anders ein Christ oder der es im Ernst sein will. Damit er, soviel an ihm liegt, keine Schulden zu machen braucht, übt er Selbstverleugnung und schränkt sich auf alle Weise ein, darf also manches nicht genießen, was zu genießen andern die Mittel gestatten, kann manches Kleid nicht tragen, das er bei anderen sieht und muss auf manches in seiner Haushaltung sogar verzichten, dessen Beschaffung gerade keine Verschwendung wäre. Vollends aber kann ein Christ gewissenshalber nicht aufs Borgen sich verlegen, um sich Vergnügungen zu verschaffen, denn da heißt’s hier doppelt: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich!“ oder um rasch reich zu werden, denn da steht das warnende Wort für ihn: „Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, so lasst uns begnügen … denn die da reich werden wollen, die fallen in Versuchung und Stricke und viele törichte und schädliche Lüste, welche versenken den Menschen ins Verderben und Verdammnis.“ So hütet sich ein Christ vor Geldschulden. Muss er aber trotzdem aus Not eine größere oder kleinere Schuld aufnehmen, so sucht er sie ehrlich und wo möglich pünktlich zu bezahlen. Und das ist das andere, darin er sich eben vom Gottlosen unterscheidet, denn dieser denkt schon beim Borgen wenigstens nicht ernstlich ans Wiederbezahlen, geschweige, dass er sich nachher einige Sorge darum machen sollte. Wie aber der Christ auf alle mögliche Weise sich Abbruch tut und einschränkt, damit er keine Schuld zu machen braucht, so noch mehr, damit er die gemachte Schuld bezahlen kann. Das sogenannte Verschreiben des Eigentums an die Frau oder einem anderen zu dem Zweck, dass der Gläubiger sich an dasselbe nicht halten kann, verabscheut daher ein Christ als eine ganz greuliche Sünde und als einen ganz gemeinen Diebstahl. Selbst wenn er ohne sein Verschulden in Zeiten einer bedrohlichen Geschäftskrise durch die Zahlungsunfähigkeit anderer selbst zahlungsunfähig auf einem werden sollte, verschmäht er diesen oder einen ähnlichen Weg und könnte ich Beispiele von christlichen Geschäftsleuten anführen, die nicht nur das Ihre zur vorläufigen Befriedigung der Gläubiger hergaben, sondern die dann hernach, als es ihnen besser ging, möglichst sparsam lebten, um ja das Fehlende nachzuzahlen, um so niemanden um das Seine zu bringen und trotz des erlittenen Unglücks einen ehrlichen Namen zu hinterlassen.

    Ach, meine Lieben, in dieser Zeit und in diesem Land, wo so viel geborgt und so wenig oft bezahlt wird, tut es je not, unseren Text auf das Schuldenmachen praktisch anzuwenden, damit die Gewissen unserer Gemeindeglieder doch nicht auch immer mehr abstumpfen, sondern immer wieder etwas geschärft werden. Bleibt daher niemand auch hier etwas schuldig – nicht dem Gläubiger, der euch geliehen, nicht dem Kaufmann, von dem ihr Waren oder dem Bauern, von dem ihr Frucht oder Vieh empfangen habt und nicht dem Arbeiter, der Lohn von euch zu fordern hat, letzteren nicht einmal so, dass ihr ihn mit der Bezahlung hinhaltet, denn es steht auch das in Gottes heiligem Wort geschrieben: „Es soll des Tagelöhners Lohn nicht bei dir bleiben bis an den Morgen.“ (3. Mose 19,13.)

    Es soll also ein Christ niemandem etwas schuldig bleiben, weder der Obrigkeit in Ausrichtung ihres Amtes, noch dem Nächsten in Handel und Wandel. Nur eines soll der Christ schuldig bleiben. Das ist die Liebe nach der zweiten Tafel des göttlichen Gesetzes.

    Dass aber dies die einzige Schuld ist, die ein wahrer Christ haben soll und haben kann, bezeugt der Apostel nicht nur, wenn er sagt: „Seid niemand etwas schuldig, als dass ihr euch untereinander liebt“, sondern er begründet es auch, indem er fortfährt: „Denn das da gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; dich soll nichts gelüsten, und so ein anderes Gebot mehr ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst: Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“ Weil also ein jedes Gebot der zweiten Tafel des göttlichen Gesetzes in diesem Wort zusammengefasst ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ und Gott so in jedem immer nur dies Eine fordert, und weil das Gesetz erfüllt wird, wo solche Liebe des Nächsten vorhanden ist, aber unerfüllt bleibt ohne sie, auch wenn wir jemand nichts schuldig bleiben und jedem das Seine lassen, so ist und bleibt sie ja freilich unsere einzige Schuld.

    Doch, Geliebte, je mehr man diese Worte erwägt, je mehr erkennt man, dass die Liebesschuld nicht nur die einzige, sondern auch, dass sie die unabtragbare Schuld des Christen ist. Darum lasst mich nun auch dies zeigen, wenn schon es nur in der Kürze geschehen kann.

 

2.

    Eine Schuld ist ja freilich die Liebe des Nächsten.

    Sie ist’s schon wegen der göttlichen Forderung. Gott sagt ja nicht: „Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten“ usw., es ist aber schön, lieblich und löblich, wenn du deinen Nächsten oder diesen und jenen Menschen dabei auch liebst und so noch ein Übriges tust, wozu du gerade nicht ausdrücklich verpflichtet bist – nein, wenn er sagt: „Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten“ usw., so heißt das: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, denn in diesem Wort sind alle Gebote der zweiten Tafel zusammengefasst; und wenn er sagt: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, so heißt das: „Du sollst nicht ehe brechen, du sollst nicht töten“ usw., denn „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses“, sie kann das gar nicht, wie man das schon an der natürlichen Liebe zwischen Eltern und Kindern, Mann und Frau sieht; sie kann dem Nächsten vielmehr nur Gutes tun, wo sie vorhanden ist. Gott fordert also die Liebe, fordert sie in jedem Gebot, fordert nur sie. Eben darum ist sie auch die einzige Schuld seiner Christen. Er fordert hier anders, als die Menschen fordern. Die Obrigkeit fordert nicht Liebe, sondern nur den Gehorsam, die äußerliche Beobachtung ihrer Gesetze; der Gläubige fordert nicht die Liebe des Schuldners, sondern nur die genaue und pünktliche Rückzahlung seines Darlehens. Wer daher meint, weil er ein untadeliger Bürger, ein pünktlicher Bezahler ist und so jedem nach menschlichem Recht das Seine gibt, so haben er auch Ruhm vor Gott, zumal wenn er da und dort noch Wohltaten spendet, da und dort noch einen Dienst leistet, der betrügt sich freilich ganz jämmerlich, denn Gott fordert allüberall von ihm die Liebe, so dass alle seine Werke tote Werke, ein Leib ohne Geist sind, wenn nicht die Liebe die Triebfeder aller seiner Handlungen ist und wenn diese äußerlich nur nach der Richtschnur des göttlichen Gesetzes geschehen und keine selbsterwählten Werke sind.

     Die Liebe ist aber auch eine Schuld von wegen der menschlichen Leistung. Wir sollen ja nicht nur diesen und jenen Menschen, sondern wir sollen jeden Menschen lieben, wir sollen sogar auch den Feind lieben, denn unser Nächster ist jeder, der unseres Rats, unserer Hilfe, unseres Beistandes bedarf, sei er, wer er wolle. Zar unterscheidet die Schrift zwischen brüderlicher und allgemeiner Liebe, aber beide zusammen sind eben die Liebe, denn in der brüderlichen Liebe sollen wir auch darreichen allgemeine Liebe. Sei es nun aber die brüderliche oder die allgemeine Liebe, so sollen wir überall den Nächsten lieben „wie uns selbst“, d.h. wir sollen ihm so herzlich, so aufrichtig, so beständig alles Gute wünschen und erweisen im Geistlichen und Leiblichen, auch von ihm alles Gute reden, wie wir uns selbst tun und wünschen, dass andere sich gegen uns bezeigen.

    Nun frage ich aber: Welcher Mensch hat solche Liebe? Von Natur hat sie kein einziger. Von Natur liebt jeder nur sich selbst. Daher das böse Sprichwort: Jeder ist sich selbst der Nächste. Wohl meint mancher, er liebe seinen Nächsten; aber sein Tun und Lassen zeugen auf Schritt und Tritt gegen ihn, zeugt, dass nicht die aufrichtige Nächstenliebe, sondern die Selbstsucht, die eigene Ehre, der eigene Nutzen die Triebfeder aller seiner Handlungen ist. Und ob er auch aus eigenen Kräften einen Anlauf nehmen wollte, den Nächsten zu lieben wie sich selbst – vergeblich, denn vom Fleisch will nicht heraus, vom Gesetz erfordert allermeist. Da nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung ist, so bleibt die Liebe des Nächsten wie die Liebe Gottes fort und fort bei dem natürlichen Menschen eine unerfüllte Forderung, eine Schuld, an der er auch nicht das Mindeste abträgt, die aber immerzu wächst.

    Nur dann fängt der Mensch an, den Nächsten zu lieben wie sich selbst, wenn er durch den Glauben an Jesus ein neuer Mensch geworden ist. Da heißt es in Bezug auf Gott: „Lasst uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt“, und in Bezug auf den Nächsten:

Lass mich an andern üben,

Was du an mir getan

Und meinen Nächsten lieben,

Gern dienen jedermann

Ohn Eigennutz und Heuchelschein,

Und wie du mir erwiesen,

Aus reiner Lieb allein.

Da fängt er dann auch an, diese Liebesschuld abzutragen.

    Da zeigt sich’s aber auch, dass die Liebesschuld der Christen eine unabtragbare Schuld ist. Jede andere Schuld wird durch Abzahlung kleiner und kleiner, endlich ist noch ein Rest übrig, und wenn auch der abgetragen ist, so ist die Schuld bezahlt, so hört alle Forderung auf. Anders ist es mit der Liebesschuld. Sie wird abgetragen, täglich abgetragen und bleibt doch immerfort, immerfort dieselbe, immerfort gleich groß; denn fort und fort bleibt das Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, und fort und fort haben wir Ursache und Gelegenheit, Liebe zu üben und fort und fort dringt uns die Liebe Christi dazu. Ja, diese Schuld nehmen wir sogar in die Ewigkeit mit hinüber, denn dort verwandelt sich zwar der Glaube ins Schauen und die Hoffnung ins Haben, die Liebe aber bleibt und wird mit der Ablegung des sündlichen Fleisches erst recht vollkommen und währt in die ewigen Ewigkeiten.

    Meint nun aber nicht, dass die Liebesschuld, weil sie unabtragbar ist, dem Christenherzen eben darum zu einer recht drückenden Last werde. Das ist wohl bei jeder anderen Schuld der Fall, nicht aber bei dieser Schuld. Es ist ja eine Liebesschuld. Dazu ist die Liebe Gottes in des Christen Herz ausgegossen durch den Heiligen Geist. Auch sind wir nicht wie die Kinder Gottes im Alten Bund auch in Bezug auf den Nächsten beschwert mit einer Menge von Zeremonial- und Sozialgesetzen und Vorschriften, sondern es ist uns die Liebe allein geboten. Die soll die Meisterin und Auslegerin aller Gebote sein die allein uns in allen Fällen leiten. Zwar bleibt sie um des sündlichen Fleisches willen, das uns anklebt bis in die Grube, hier immer Stückwerk, immer eine anfangende Liebe, aber gleichwohl wächst im Lieben das Lieben, je mehr man liebt, je mehr will man lieben und kann man lieben – selbst auch seine Feinde.

    So helfe denn Gott, dass auch wir niemand etwas schuldig seien, als dass wir uns untereinander lieben: als Glieder der Gemeinde untereinander mit der brüderlichen Liebe und als Glieder der menschlichen Gesellschaft mit der allgemeinen Liebe, damit wir hierdurch beweisen, dass unser Glaube rechtschaffen und nicht Heuchelei sei und jedermann erkenne, dass wir Jünger dessen sind, der aus Liebe für uns in den Tod ging, dass er unsere Sündenschuld tilgte, dessen Liebe uns das Herz abgewonnen hat, dessen vollkommene Liebe unsere unvollkommene Liebe bedeckt und der uns das Wort hinterlassen hat: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt.“ Amen.

 

Gebet: HERR Gott, himmlischer Vater! Du hast uns dein Gesetz gegeben und darin befohlen, dass wir von Grund unseres Herzens den Nächsten lieben und ihm an seinem Leib, Ehre und Gut keinen Schaden tun sollen: Weil wir aber unserer verderbten Natur wegen nicht vermögen, solchen deinen Befehl vollkommen zu halten, so bitten wir dich von Herzen, du wollest uns gnädig verzeihen alles, damit wir gegen die Liebe des Nächsten gehandelt haben, und uns durch deinen Heiligen Geist regieren, damit wir von Tag zu Tag in der Liebe völliger werden und endlich auch ewig selig werden durch Jesus Christus, deinem Sohn, unserem HERRN. Amen.

 

Lied: Hilf mir, mein Gott, hilf dass nach dir. Str. 6 u. 7

 

 

Epistelpredigt zum fünften Sonntag nach Epiphanias ueber Kolosser 3,12-17: Einiges von der Herrlichkeit glaeubiger Christen

 

Lied: Gott, du hast in deinem Sohn

 

    Gnade sei mit euch und Friede von dem, der uns geliebt hat und gewaschen von den Sünden mit seinem Blut und hast uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott und seinem Vater; demselben sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

Kolosser 3,12-17: So zieht nun an, als die Auserwählten Gottes, Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld und vertrage einer den andern, und vergebt euch untereinander, so jemand Klage hat gegen den andern; gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr. Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Gottes regiere in euren Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in einem Leib; und seid dankbar. Lasst das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit. Lehrt und ermahnt euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern und singt dem HERRN in eurem Herzen. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles in dem Namen des HERRN Jesus und dankt Gott und dem Vater durch ihn.

 

    Geliebte in dem HERRN! Nach Christus heißen wir Christen, das ist Gesalbte. „Du liebst Gerechtigkeit und hasst gottloses Wesen“ heißt es Psalm 45 von Christus, „darum hat dich, Gott, dein Gott gesalbt mit Freudenöl mehr als deine Gesellen.“ Durch die Taufe sind wir sein Eigentum und als solche seine „Gesellen“, seine Mitgenossen in der Salbung geworden, nur mit dem Unterschied, dass Er ohne Maßen, in der vollkommensten Weise und mit den unendlichen Gaben des Heiligen Geistes nach der Menschheit gesalbt ist, wir aber aus seiner Fülle stückweise und nach dem Maß der Gnade. Durch den Heiligen Geist, der in der Taufe reichlich über uns ausgegossen worden ist, sind wir deshalb ihm nach Propheten, Priester und Könige geworden, wie den auch Paul Gerhardt im Pfingstlied den Heiligen Geist preist:

Du bist das heilge Öle,

Dadurch gesalbet ist

Mein Leib und meine Seele

Dem HERREN Jesus Christ

Zum wahren Eigentum,

Zum Priester und Propheten,

Zum König, den in Nöten

Gott schützt im Heiligtum.

    Mit dieser Herrlichkeit der Gläubigen, welche der Name Christ in sich fasst, haben wir nun zwar bereits die erste Hälfte der Epiphaniaszeit uns befasst, da wir etwas näher von dem geistlichen Priestertum aller Christen handelten. Aber lasst mich, ehe wir die liebe Epiphaniaszeit beschließen, auf diesen Gegenstand noch einmal etwas zurückkommen, da mir gerade die heutige Epistel eine treffliche Gelegenheit dazu gibt.

    In die kleinasiatische Gemeinde zu Kolossä waren namentlich jüdisch-gnostische Irrlehrer gekommen, welche nicht nur, wie in Galatien, auf Beobachtung des levitischen Gesetzes drangen, sondern welche auch von einer besonderen und tieferen Geheimlehre redeten, in der einem erst die rechten Schätze der Weisheit aufgeschlossen würden, und besonders eine tiefere Einsicht in das Wesen der Dinge, namentlich der Engel, verliehen sei. Das Christentum, das Paulus und seine Mitarbeiter brächten, sei nur eine Religion für die gewöhnlichen Leute; wer eine höhere Weisheit, eine engelische Gemeinschaft und Heiligkeit, und so eine höhere Christenherrlichkeit begehre, der solle sie hören. Diesen Schwarmgeistern nun zu wehren, richtete Paulus durch Epaphras, der als Gründer und Seelsorger der Gemeinde Rat suchend zu ihm nach Rom kam, ein überaus brünstiges Schreiben an die Kolosser, in welchem er bei seinem Unterricht die Herrlichkeit der Person des Gottmenschen und in seinen darauf folgenden Ermahnungen die Herrlichkeit seiner Gläubigen sichtlich in den Vordergrund treten lässt.

    Und so betrachten wir denn nachträglich noch

 

Einiges von der Herrlichkeit gläubiger Christen

 

Nämlich

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Von der priesterlichen Würde;

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Von ihrer königlichen Erscheinung und

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Von ihrem prophetischen Tun.

 

O Christe, Wahrheit und Leben

Wir bitten, du wollest uns geben

Deinen Heiligen Geist von oben

Mit seinen heiligen Gaben,

Dass dein Wort rein hier auf Erden

Mög verkündiget werden.

O gib, dass die Red, so vorhanden,

Recht erklärt werd und verstanden.

Lass es ihr gelingen

Und sie unser Herz durchdringen,

Zu Lob und Preis deinem Namen,

Darauf sprechen wir von Herzen: Amen.

    Amen.

 

1.

    „Auserwählte Gottes, Heilige und Geliebte“ redet der Apostel die gläubigen Christen an. Seht sie da in ihrer priesterlichen Würde. Denn dass dies Ehrentitel unseres geistlichen Priestertums sind, sehen wir ja auch aus den Worten des Petrus, da derselbe im 2. Kapitel seiner ersten Epistel den Christen zuruft: „Ihr aber seid das aus erwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums.“

    „Auserwählte Gottes“ redet der Apostel die Gläubigen zuerst an und weist uns damit hin auf das in der Schriften vielen Orten uns zum Heil offenbarte, aber nicht der Vernunft zum Spekulieren, sondern, wie alle göttlichen Offenbarungen, allein dem Glauben kund getane Geheimnis unserer ewigen gnädigen Erwählung in Christus. Was er freudigen Geistes mit diesem Titel alles sagen will, hat er besonders in einem anderen Rundschreiben, in der Epistel an die Epheser, mit den bekannten Worten erklärt: „Gelobt sei Gott und der Vater unsers HERRN Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Christus; wie er uns denn erwählt hat durch denselben, ehe der Welt Grund gelegt war, dass wir sollten sein heilig und unsträflich vor ihm in der Liebe; und hat uns verordnet zur Kindschaft gegen ihn selbst durch Jesus Christus, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zu Lob seiner herrlichen Gnade, durch welche er uns hat angenehm gemacht in dem Geliebten.“ Seht, meine Lieben, als Gott vor Grundlegung der Welt den Liebesratschluss der Erlösung des ganzen menschlichen Geschlechts durch Christus fasste, da war mit ihm auch unsere gnädige Erwählung verbunden. Da hieß es, menschlich davon zu reden, gleichsam bei dem ewigen und allwissenden Gott: Der Teufel soll es mit dem Werk der Erlösung nicht machen dürfen wie mit der Schöpfung; ich will dafür sorgen, dass, ob auch meine Lieb ein der Dahingabe meines Sohnes und die durch denselben geschehene allgemeine Erlösung bei den Meisten durch ihre eigene Schuld und des Teufels Betrug vergeblich sein wird, doch eine große, unermessliche Zahl Menschen trotz des Teufels Wüten ganz gewiss selig werden soll. Das eben sind die Auserwählten. Indem aber Gott diese zur Seligkeit und damit zu allem, was zu derselben gehört: zur Buße und Bekehrung, zum Glauben und zur Beharrung in Christus erwählte, hat er dabei nicht gesehen auf irgendetwas Gutes in dem Menschen. Er hat nicht auf das vorausgesehene Verhalten desselben gegen die bekehrende Gnade, auf das vorausgesehene Nichtwiderstreben, auf den von ihm vorausgesehenen beharrlichen Glauben Rücksicht genommen und so nicht gewisse Menschen in Ansehung, Rücksicht, aufgrund oder in Folge ihres Verhaltens und ihre Glaubens zur Seligkeit erwählt; die Ursache der Erwählung ist nach der Schrift einzig und allein, ist ausschließlich die unendliche Barmherzigkeit Gottes und Christi allerheiligstes Verdienst. Es ist eine Wahl der freien Gnade, daher Gnadenwahl, eine Wahl „nach dem Wohlgefallen seines Willens“. Weit entfernt daher, dass der vorausgesehene beharrliche Glaube auch eine Ursache der Erwählung wäre, ist vielmehr, wie die Schrift ausdrücklich lehrt, die Erwählung eine Ursache des beharrlichen Glaubens. Ebenso unübertrefflich wie tröstlich drückt dies unsere lieben Konkordienformel im 10. Artikel so aus: „Die ewige Wahl Gottes sieht und weiß nicht allein zuvor der Auserwählten Seligkeit, sondern ist auch aus gnädigem Willen und Wohlgefallen Gottes eine Ursache, so da unsere Seligkeit, und was zu derselben gehört, schafft, wirkt, hilft und fördert; darauf auch unsere Seligkeit so gegründet ist, dass die Pforten der Hölle nichts dagegen vermögen sollen; wie geschrieben steht: ‚Meine Schafe wird niemand aus meiner Hand reißen‘; und abermals: ‚Und es wurden gläubig, so viel ihrer zum ewigen Leben verordnet waren.‘“

    „Auserwählte Gottes“ – o trostvoller Name! Denn wer diesen Namen recht erkennt, wer in ihm sich angeredet weiß, der stimmt immer wieder von neuem ein in das andere herrliche Wort des Paulus: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, die nach dem Vorsatz berufen sind. Denn welche er zuvor versehen hat, die hat er auch verordnet, dass sie gleich sein sollten dem Ebenbild seines Sohns, damit derselbe der Erstgeborne sei unter vielen Brüdern.“

    Da der Apostel nun aber mit diesem Titel alle gläubigen Christen anredet, so soll sich auch jeder gläubige Christ getrost für einen Auserwählten Gottes halten. Dazu bedarf es ja nicht erst einer besonderen himmlischen Offenbarung, da wir in Christus, dem Heiland aller Menschen und durch ihn zum Glauben erwählt sind, der Weg der allgemeinen Gnadenordnung auch derselbe Weg ist, und kein anderer, auf welchem Gott seine Auserwählten zur Seligkeit führt und daher Paulus einen Auserwählten danach genau beschreibt, wenn er in der vorhin angefangenen Rede Röm. 8 fortfährt: „Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; welche er aber hat gerecht gemacht, die hat er auch herrlich gemacht.” Siehe da die Offenbarung und Verwirklichung seines ewigen verborgenen Ratschlusses auch über dich, der du durch das Wort berufen und gläubig geworden bist. Daraufhin halte dich im Glauben an solche Offenbarung für einen Auserwählten und weil wir in Christus erwählt sind, dass wir „sollten sein heilig und unsträflich vor ihm in der Liebe“, so tue in der Heiligung desto mehr Fleiß und du wirst dann, wie Petrus schreibt, deinen „Beruf und Erwählung fest machen“ – nicht bei Gott, denn da steht er fest schon von Ewigkeit, sondern bei dir, dass du nämlich deines Berufs und deiner Erwählung im Glauben immer gewisser und darum auch immer froher werdest.

    Weil die gläubigen Christen die Auserwählten Gottes sind, so betitelt sie Paulus auch als die „Heiligen und Geliebten“. Haben wir es doch vorhin gehört, dass Gott sie erhält hat, heilig und unsträflich vor ihm zu sein in der Liebe. Sie sind aber Heilige nicht nach der Art der papistischen Kalenderheiligen mit ihrer selbsterwählten Heiligkeit, die vor Gott ein Greuel ist und mit ihren seltsamen Wunderwerken, die meistens erdichtet, mitunter aber auch Teufelswunder sind. Nein, sie sind Heilige durch den Glauben, durch welchen sie Vergebung aller ihrer Sünden haben und durch welchen sie zu wahrer Heiligkeit umgewandelt und dem Anfang nach erneuert sind, bis sie dort vollkommen erneuert werden. Eben darum schreibt der Apostel an die nun gläubig gewordenen Korinther, die vorher in allerlei greulichen Sünden und Lastern gelebt hatten: „Ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des HERRN Jesus und durch den Geist unseres Gottes.“ Was Wunder, wenn sie nun auch die Geliebten heißen? „Darin aber steht die Liebe“, schreibt St. Johannes, „nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünde.“ Wie er mit Liebe die ganze verlorene Welt umfangen hat, dass er für sie den Eingeborenen gab, da sie doch nur Zorn verdient hatte, so hat er auch von Ewigkeit in dieser Liebe ihrer viele sich ersehen, hat sie auserwählt und daher in der Zeit erklärt: „Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“ Und nun, nachdem er sie zu sich gezogen und durch den Glauben angenehm gemacht hat in Christus, dem Geliebten, nun umfängt er sie auch mit einer besonderen Vatergüte, wie Christus spricht: „Der Vater selbst hat euch lieb, darum, dass ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.“

    „Auserwählte Gottes, Heilige und Geliebte“ – das also sind die Ehrentitel, welche der Apostel den Gläubigen gibt und ist es daher keine strafwürdige Schmeichelei und Heuchelei, wenn auch wir die gläubigen Christen in unseren Predigten so öffentlich anreden. Wir erkennen ihnen da nur zu, was ein Stück ihrer priesterlichen Würde ist; wir reden da von einer ungemeinen Herrlichkeit der Gläubigen.

   Wer aber nun glauben wollte, dass dadurch wahre Christen in ihrer Heiligung lässig und Heuchler, die sich bald dieser Titel annähmen, nur umso sicherer würden, der wird wohl bald seinen Irrtum einsehen, wenn wir nun auch einiges von ihrer königlichen Erscheinung vernehmen.

 

2.

    Wie wir durch den Glauben Priester sind, so auch Könige. Wie wir aber keine leiblichen, sondern geistliche Priester geworden sind, so sind wir auch keine leiblichen, keine weltlichen Könige, sondern geistliche. Als solchen ist uns nichts von irdischer Pracht und Herrlichkeit, Gewalt und Ehre verliehen. Unbeschadet ihrer Würde als geistliche Könige sind die gläubigen Christen nach ihrem äußeren Stand unter der weltlichen Obrigkeit, leben als Bürger und Untertanen in allen weltlichen Reichen und unter den verschiedensten Regierungsformen, sind allewege und in allen Dingen, die nicht das Gewissen betreffen, der Landesobrigkeit gehorsam und widersetzen sich ihr nicht einmal, wenn sie dieselbe unverdient verfolgt, sondern leiden und dulden unter Gebet und Tränen. Und o, wie ist doch so mancher geistliche König vor anderen seiner Mitgenossen in das Gewand der Niedrigkeit gehüllt! Wie mancher liegt als ein armer Lazarus vor der Tür des Reichen, wie mancher hat ehedem das Sklavenjoch mit einem Joseph getragen! Dennoch ist unter dieser Niedrigkeit eine innere Herrlichkeit verborgen, gegen welche die äußerliche Herrlichkeit aller Kaiser und Könige auf Erden nichts ist. Während nämlich die leiblichen weltlichen Könige nur über Leibliches und Irdischen herrschen und im Tod, ja oft schon im Leben, Thron und Krone verlieren, während diese trotz ihrer königlichen Pracht und äußerlichen Macht nur Schattenkönige sind, so sind die Christen Leute, die in jedem Stand durch den Glauben die ganze Welt überwinden, die über Fleisch, Sünde, Unglück, Tod, Teufel und Hölle herrschen und die gerade, wenn sie sterben, die unverwelkliche Krone der Ehren empfangen, um dieselbe ewig zu tragen und mit Christus ewig zu herrschen.

    Obwohl nun aber diese königliche Herrlichkeit der Gläubigen inwendig und dazu mit der Niedrigkeit des Kreuzes, vielfach auch mit der Niedrigkeit des äußerlichen Standes und sonst auch mit der Schwachheit des Fleisches sehr verhüllt ist: So haben sie doch etwas Königliches in ihrer ganzen Erscheinung. Wenn ein Fürst rechter Art z.B. einmal in einfacher Bürger- oder Arbeiterkleidung und ohne alles Gefolge, ohne alle Abzeichen einer königlichen Würde sich unter das Volk mengt, so merkt man doch mehr und mehr an seinem ganzen Verhalten, an seiner ganzen Art etwas Höheres, etwas Königliches. So die gläubigen Christen als geistliche Könige. In welcher Lebensstellung sich ein gläubiger Christ befindet – je besser Christ, je mehr merkt man an seiner ganzen Erscheinung unter den Leuten, in seinem ganzen Verhalten überhaupt eine rechte königliche Art, einen Ausdruck innerer Hoheit.

    Blicken wir in unseren Text. Da ermahnt Paulus: „So zieht nun an, als die Auserwählten Gottes, Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld und vertrage einer den andern, und vergebt euch untereinander, so jemand Klage hat gegen den andern; gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr. Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Gottes regiere in euren Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in einem Leib; und seid dankbar.“ Dass der Apostel hier die gläubigen Christen ermahnt und reizt zu einem äußerlichen Wandel, der ihrer hohen Würde als „Auserwählte Gottes, Heiligen und Geliebten“ entspricht, zu einem Wandel, der ihnen besonders daheim im Haus und unter der Gemeinde geziemt und zu dem sie sich fort und fort erneuern sollen, bedarf wohl nicht einer besonderen Erörterung. Für unseren Zweck aber lasst uns hierbei zweierlei erwägen.

    Wenn nämlich fürs erste der Apostel ermahnt und reizt: „So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, Heilige und Geliebte“, nämlich alle diese Tugenden, so redet er offenbar von der äußerlichen Erscheinung der Christen als Christen. Um bei dem hier gebrauchten Bild zu bleiben, sollen diese Tugenden gleichsam das Hauskleid sein, in welchem die Christen unter den Menschen erscheinen. Während sie innerlich und vor Gott mit dem Schmuck und Ehrenkleid der Gerechtigkeit Christi zugerechneter Weise erscheinen, sollen das herzliche Erbarmen, die Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, samt der Verträglichkeit und Versöhnlichkeit, der das Regiment dabei führende göttliche Friede und die kindliche Dankbarkeit für alles das Kleid sein, in welchem sie auch vor dem Menschen einhergehen. In diesem sollen sie erschienen nicht nur an den Sonntagen, sondern auch an den Werktagen, nicht nur, wenn sie zur Kirche, zur Beichte, zum Abendmahl gehen, sondern auch, wenn sie ihrem zeitlichen Beruf obliegen, nicht nur, wenn sie mit Christen zu tun haben, sondern auch mit Nichtchristen, ja, gerade vor diesen um der Ehre des Evangeliums willen erst recht. Wenn sie morgens erwachen und aufstehen, sollen sie sich unter herzlichem Gebet zur Ausübung dieser Tugenden im Geist ihres Gemüts erneuern und wenn sie sich abends niederlegen und sich trotzdem mancherlei Sünde und Schwachheit zeihen müssen, sollen sie bußfertig ihre Kleider waschen und hell machen im Blut des Lammes. Alle diese einzelnen Stücke ihres täglichen Christenkleides sind zusammengehalten durch „die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit“, die sollen sie „über das alles“ anziehen, damit solch ihr Kleid nicht als ein Flick- und Stückwerk erscheine, sondern als ein unteilbares Ganzes, gleich dem ungenähten Rock Christi.

    Alle diese Tugenden können wir nun freilich nicht aus unserer eigenen Natur hervorbringen. Sie kommen nicht aus uns heraus, sondern müssen erst in uns hineinkommen. Ehe sie als unser Kleid von uns täglich von neuem angezogen werden können, müssen wir durch den Glauben erst wiedergeboren, erst innerlich umgewandelt und erneuert sein; denn diese Tugenden sind Früchte des Glaubens. Aber zeigen sie für’s andere nicht nach außen die hohe Geburt, den hohen Adel, die königliche Art der Gläubigen? Erblickt man nicht in der Ausübung dieser Tugenden die Gestalt des Auferstandenen in seinen Gliedern? Sind Christen da nicht bei aller Niedrigkeit ihrer sonstigen Erscheinung doch auch wieder eine recht königliche Erscheinung mitten unter dem unschlachtigen und verkehrten Geschlecht dieser Welt? O so verächtlich mit Recht der ungläubigen Welt das Christentum an einem selbstgewachsenen Heiligen erscheint, der fleißig in die Kirche geht, dann aber sich immer wieder in seinen Winkel zurückzieht und nur mit etlichen seinesgleichen verkehrt und diese vor Liebe aufessen möchte, während er für alle Übrigen nur ein hartes Urteil und abweisendes Verhalten beobachtet: So sehr nötigt ihr bei allem Spott die Erscheinung eines Christen Achtung ab, so sehr ahnt sie etwas Königliches, wenn derselbe, so oft er zu den Füßen Jesu gesessen und bei seiner Gnadentafel gewesen ist, hinaustritt unter seine Brüder und unter die, die draußen sind und nun immer wieder von neuem sein herzlichen Erbarmen, seine Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld gegen die Schwachen, Gebrechlichen, Seltsamen und Unleidlichen beweist; wenn er nicht müde im Vertragen und Vergeben wird; wenn er trotz allem Streit und Kampf gegen falsche Lehre und ungöttliches Wesen sich doch immer wieder als ein Kind des Friedens bewährt und so an ihm die Liebe als das Band der Vollkommenheit erscheint!

    Das sind die Christen in ihrer königlichen Erscheinung vor der Welt und unter der Welt. Dass wir uns befleißigen, zur Ehre unseres Gottes und Heilandes dieses unser tägliches Christenkleid immer wieder von neuem anzuziehen, dazu soll uns die Erinnerung reizen, dass wir sind „Auserwählte Gottes, Heilige und Geliebte“. An beidem aber wird es nicht fehlen, wenn wir uns nur immer in unserem prophetischen Tun finden lassen, auf welches uns noch drittens unsere Text weist.

 

3.

    Eines Propheten Amt ist, Gottes Namen predigen. Da Priester- und Prophetentum sich nicht trennen lassen, so heißt es denn auch von den gläubigen Christen als dem königlichen Priestertum, dass sie „verkündigen die Tugenden des, der sie berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht“. Zu dem Ziel haben sie die Salbung empfangen, dass sie durch den Heiligen Geist die rechte Erkenntnis Gottes und seines Willens besitzen, und dringt sie der Heilige Geist, dass, was sie erkennen, auszusprechen zum Lob Gottes und zum Heil ihrer Brüder, dass dieselben auch zur seligmachenden Erkenntnis kommen oder in derselben erbaut und gefördert werden. Nicht, dass sie sich dabei des öffentlichen, von Gott eingesetzten Predigtamts unterfangen, da unter den Christen desselben sich niemand unterfangen darf ohne ordentlichen Beruf, wohl aber, dass sie nach ihrem allgemeinen Christenberuf und besonders in ihrem besonderen Lebensberuf solches ihr Prophetentum ausrichten.

    Eben darum ermahnt der Apostel: „Lasst das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit. Lehrt und ermahnt euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern und singt dem HERRN in eurem Herzen.“ Gemäß dieser Ermahnung sollen die Christen viel und auf mancherlei Weise mit dem Wort umgehen.

    Vor allem soll es im öffentlichen Gottesdienst reichlich und in aller Weisheit wohnen sowohl durch die Predigt und durch die Katechismuslehre, als auch durch Lesen, durch Beten, durch Loben und Danken. Ist es da auch der berufene Diener, welcher predigt und lehrt, so ist der fleißige Besuch der Predigt und der Christenlehre, das andächtige Hören und willige Lernen gleichfalls ein Bekennen und Verkündigen. Und hören wir denn nur zu im öffentlichen Gottesdienst? Ertönen nicht aus aller Versammelten Mund Psalmen und Lobgesänge und geistliche liebliche Lieder? Ist nicht gerade unsere lutherische Kirche an denselben so reich und die Weise ihres Gottesdienstes durch das Singen derselben seitens der Gemeinde und das wechselseitige Singen zwischen dem Liturgen und der Gemeinde beim Beten, Loben und Danken, beim Grüßen und Segnen so lieblich und erwecklich? O, wie vergessen die ihr geistliches Priestertum, welche im Kirchenbesuch so lässig und säumig sind, und um wie viel Segen bringen sie sich!

    Dass aber der Apostel nicht bloß den öffentlichen Gottesdienst, sondern auch den täglichen Hausgottesdienst im Auge hat, ja diesen ganz besonders, das geben seine Worte klar und deutlich. Es soll das Wort Christi unter ihnen wohnen, ja, reichlich wohnen, also nicht bloß in der Kirche und Schule, sondern auch in den Häusern und Familien, wie das ja schon im Alten Testament der HERR wiederholt den Hausvätern eingeschärft hat. Da ist der Hausvater der Hauspriester, dem die Hausmutter helfend zur Seite steht. Da soll der Hausvater täglich nach seiner Bibel greifen und den Seinen einen Abschnitt vorlesen, auch, so gut er’s vermag, den Inhalt ihnen ans Herz legen; da soll er aus dem Katechismus Hauptstück um Hauptstück Kindern und Mitarbeitern „einfältig vorhalten“, wie die ausdrückliche Anweisung Luthers lautet. Da soll er täglich auch mit ihnen beten und womöglich auch etwas singen.

    Wie steht es demnach mit diesem Stück des prophetischen Tuns unter uns? Wie viel oder wie wenig Häuser gibt es unter uns, in welchen ein regelmäßiger Hausgottesdienst eingeführt ist? Ach, am Ende gibt es wohl noch so manches Haus, in welchem zwar schmucke, kostspielige Möbel und Hausgeräte nicht fehlen, wohl aber eine Bibel, und so es nach dem Spruch geht:

Wo keine Bibel ist im Haus,

Da sieht’s gar öd und traurig aus;

Da kehrt der böse Feind gern ein,

Da kann der liebe Gott nicht sein.

Ach, um eurer und eurer Kinder Seligkeit, um eures Hauses Wohlfahrt, um des Gedeihens dieser Gemeinde willen bitte ich euch: Unterlasst nicht den Hausgottesdienst und nehmt euch dazu die Zeit, komme sie, woher sie wolle.

    Und nicht nur durch den täglichen Hausgottesdienst, auch im sonstigen brüderlichen Verkehr der Christen untereinander, in ihren Gesprächen, bei ihren gegenseitigen Besuchen soll Christi Wort unter den Christen wohnen und es nach dieser apostolischen Ermahnung gehen.

    Von welchen herrlichen Folgen für unser Leben, für unsere Häuser, für die Kirche und Gemeinde wird solches prophetisches Tun sein! Denn da wird die Ermahnung immer besser verstanden und geübt, mit der der Apostel schließt: „Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles in dem Namen des HERRN Jesus und dankt Gott und dem Vater durch ihn.“

    Helfe uns denn der HERR durch seinen Heiligen Geist die Herrlichkeit immer besser erkennen, die wir durch den Glauben an den Namen seines eingeborenen Sohnes, unseres Mittlers, haben, damit wir in unserer priesterlichen Würde, in königlicher Art und prophetischem Tun immer mehr einhergehen – seinem Namen zur Ehre und uns und der Welt zum Heil. Amen.

 

Gebet: Barmherziger, ewiger Gott und Vater, wir danken dir von Herzen, dass du uns arme, verlorene Sünder durch das Blut deines Sohnes gereinigt und zu neuen Menschen und Erben des ewigen Lebens gemacht hast; und bitten dich, regiere uns durch deinen Heiligen Geist, dass wir die Werke des alten, verderbten Menschen ablegen und dagegen den neuen Menschen, der nach deinem Bild geschaffen ist, mit seinen guten Werken anziehen und so im heiligen, unsträflichen Leben mit gutem, fröhlichem Gewissen hier zeitlich vor dir wandeln und endlich auch dort ewig selig werden durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: Nun bitten wir den Heiligen Geist

 

 

Epistelpredigt zum Verklaerungssonntag ueber 2. Petrus 1,16-21: Das wichtige Vermaechtnis des Petrus an die Christenheit

 

Lied: Herr Zebaoth, den heilges Wort

 

    Gnade, Barmherzigkeit und Friede von Gott, dem Vater und dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der Wahrheit und in der Liebe, sei mit euch allen. Amen.

 

2. Petrus 1,16-21: Denn wir sind nicht den klugen Fabeln gefolgt, da wir euch kundgetan haben die Kraft und Zukunft unsers HERRN Jesus Christus, sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen, da er empfing von Gott dem Vater Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm geschah von der großen Herrlichkeit dermaßen: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel gebracht, da wir mit ihm waren auf dem heiligen Berg. Wir haben ein festes prophetisches Wort, und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint in einem dunkeln Ort, bis der Tag anbreche, und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. Und das sollt ihr für das erste wissen, dass keine Weissagung in der Schrift geschieht aus eigener Auslegung; denn es ist noch nie keine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht; sondern die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist.

 

    Eine seltene Epistel, meine Geliebten, denn selten hat ein Kirchenjahr sechs Epiphaniassonntage.[35] Und welch einen passenden Schluss der Epiphaniaszeit bildet sie! Der Grundton dieser Zeit ist ja doch: „Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit.“ Und hier, in dieser Epistel, wird hingewiesen auf die höchste Offenbarung der Herrlichkeit Jesu während seines Erdenwandels und auf das Wort, in welchem auch wir diese Herrlichkeit als in einem Spiegel schauen und das uns der helle Stern ist, der uns zu Christus leitet.

    Doch, Geliebte, lasst mich auch auf den Zusammenhang aufmerksam machen, in welchem diese Epistel mit den vorausgehenden Worten steht. Da schreibt nämlich der Apostel in den beiden vorhergehenden Versen: „Denn ich weiß, dass ich meine Hütte bald ablegen muss, wie mir denn auch unser HERR Jesus Christus eröffnet hat. Ich will aber Fleiß tun, dass ihr allenthalben habt nach meinem Abschied solches im Gedächtnis zu halten.“ Demnach ist dieser zweite Brief des Petrus der Abschieds-, der Sterbebrief des greisen, dem nahen Märtyrertod entgegengehenden Apostels und hören wir, dass der Zweck dieses Briefes ist, den Christen eine Erinnerung zum Vermächtnis zu hinterlassen, dass sie die von dem Apostel ihnen gepredigte Wahrheit „im Gedächtnis“ halten. Da nun aber gerade der hier vorliegende Abschnitt der Kern und Stern dieses ganzen zweiten Briefes ist, so lasst uns unseren Text als

 

Das wichtige Vermächtnis des Petrus an die Christenheit

auffassen und deshalb reden

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Von dem Inhalt und der Wichtigkeit und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Von dem Gebrauch dieses Vermächtnisses

 

    Heiliger Vater, heilige uns in deiner Wahrheit, denn dein Wort ist die Wahrheit. Amen.

 

1.

    Bekanntlich behauptet jeder Papst, er sei der Stuhlerbe des Petrus, und zwar nunmehr der unfehlbare Stuhlerbe. Man beruft sich hierbei auf die Worte des HERRN: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Und ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben. Was du auf Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel los sein.“ Durch diese Worte soll Petrus vom HERRN zum Apostelfürsten gemacht, als sichtbares Haupt der Kirche, als der Statthalter Christi auf Erden eingesetzt worden und so Petrus der erste Papst gewesen sein. Wäre das nun wirklich durch diesen Ausspruch des HERRN geschehen, so hätte Petrus gerade in seinem Sterbebrief von dieser Anordnung handeln und darum auch eine Bestimmung betreffs seines Nachfolgers auf dem päpstlichen Stuhl treffen müssen. Das wäre doch fürwahr der wichtigste Punkt seines Vermächtnisses gewesen. Aber es findet sich davon keine Spur, weder in unserem Text, noch im ganzen Brief. Wohl hat er in seinem ersten Brief von dem öffentlichen Predigtamt gesprochen. Aber was? Das gerade Gegenteil von der angemaßten Herrschaft des Papstes, denn er hat geschrieben: „Die Ältesten (die Pastoren) ermahne ich als der Mitälteste (also nicht als der Oberälteste, geschweige denn als der Apostelfürst, als der Statthalter Christi) und Zeuge der Leiden, die in Christus sind, und teilhaftig der Herrlichkeit, die offenbart werden soll: Weidet die Herde Christi, so euch befohlen ist, und seht wohl zu, nicht gezwungen, sondern willig; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund; nicht als die über das Volk herrschen, sondern werdet Vorbilder der Herde.“

    Das Vermächtnis des Petrus besteht in etwas ganz anderem, besteht vielmehr im Gegenteil. Er hat hier nämlich folgende zwei wichtige Wahrheitern der Christenheit als Vermächtnis hinterlassen: 1. dass Jesus Christus sei der Sohn Gottes, der einige Mittler und Grundfels des Heils, und 2. dass die Heilige Schrift sei das unfehlbare Wort Gottes, die einige Quelle der Wahrheit und Offenbarung, die einige Regel und Richtschnur des Glaubens. Lasst uns das sehen.

    Die Christenheit ermahnt der Apostel, nach seinem „Abschied“ erstlich folgendes im Gedächtnis zu halten: „Denn wir sind nicht den klugen Fabeln gefolgt, da wir euch kundgetan haben die Kraft und Zukunft unsers HERRN Jesus Christus, sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen, da er empfing von Gott dem Vater Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm geschah von der großen Herrlichkeit dermaßen: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel gebracht, da wir mit ihm waren auf dem heiligen Berg.“ Als die Apostel „die Kraft und Zukunft unseres HERRN Jesus Christus, das ist seine Zukunft ins Fleisch oder das Geheimnis der Offenbarung Gottes im Fleisch der Welt verkündigten, da waren es keine klugen oder sinnreichen Fabeln, wie sie die Vernunft und Phantasie des natürlichen Menschen zu erdichten und zu schmücken weiß. Der Apostel hat hierbei jene Fabeln oder Sagen und Überlieferungen im Auge, deren die ganze Mythologie oder Götterlehre der Heiden voll war, und da auch Juden und ihnen nach vorwitzige Christen sich solchen Träumereien ergaben, wenn sie z.B. außer der Schrift allerlei von Ordnungen, Kräften und Herrlichkeit der Engel und dem Zustand der bösen Geister zu wissen vorgaben. Nein, es sind lauter geschichtliche Tatsachen, welche die Apostel predigten und auf die sie den Glauben gründeten, und Tatsachen sind eben Tatsachen. Dazu aber kommt, dass sie diese Tatsachen nicht vom Hörensagen oder aus dem Mund glaubwürdiger Zeugen hatten, sondern sie selbst waren Augen- und Ohrenzeugen alles des, was sie von der Kraft und Zukunft unseres HERRN Jesus Christus kundgetan haben. Als solche haben sie denn nicht bloß die Strahlen seiner Herrlichkeit gesehen, da er vor ihnen und dem Volk allerlei Wunder und Zeichen tat, sondern seine „Herrlichkeit selber“, da er, wie das heutige Evangelium meldet, vor ihnen auf dem Berg Tabor nach seiner Menschheit verklärt wurde, und nicht nur sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, sondern auch „da er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm geschah von der großen Herrlichkeit dermaßen: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ In Bezug aber auf diese göttliche Erklärung vom Himmel setzt Petrus, der mit Johannes und Jakobus Zeuge der Verklärung gewesen war, nachdrücklich hinzu: „Und die Stimme haben wir gehört vom Himmel gebracht, da wir mit ihm waren auf dem heiligen Berg.“ Bedenken wir nun, dass damals auf dem heilige Berg zugleich Mose und Elia vor den Augen der Jünger erschienen und vor ihren Ohren mit dem verklärten Menschensohn „redeten von dem Ausgang, welchen er erfüllten sollte zu Jerusalem“, also von seinem versöhnenden Kreuzestod, so erblicken wir hier die Verklärung Jesu nicht bloß nach seiner Person, als des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit, sondern auch nach seinem Mittleramt. Wenn nun die göttliche Stimme vom Himmel lautet: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören“, so gibt der Vater seinem eingeborenen Sohn zugleich das glaubwürdigste Zeugnis, dass er durch ihn allen denen versöhnt sein wolle, die ihn hören, d.i., die an ihn als ihren einigen Heiland glauben würden, und wiederholt über ihn damit nur in feierlichster und erhabenster Weise die Worte, die er einst durch den Mund Jesajas Kap. 42 von dem zukünftigen Heiland ausrief: „Siehe, das ist mein Knecht, ich erhalte ihn, und mein Auserwählter, an welchem meine Seele Wohlgefallen hat.“

    Ja, meine Lieben, dass Jesus Christus ist der eingeborene Sohn Gottes, der in das Fleisch zu unserer Erlösung gekommen ist und darum der einige Mittler und Grundfels, auf dem unser ganzes Heil ruht und daher auch seine ganze Gemeinde unüberwindlich gegründet ist – diese Wahrheit, diesen Kern und Stern des ganzen Evangeliums predigt Wort und Werk der Verklärung auf dem heiligen Berg, und wenn Petrus als Augen- und Ohrenzeuge derselben angesichts seines nahe bevorstehenden Abschieds an diese Begebenheit und an die vornehmlich auch durch sie offenbarte und von ihm kundgetane Wahrheit die Gläubigen erinnert, so haben wir hier ja ein wichtiges Vermächtnis des Petrus an die Christenheit.

     Das ist aber nur der eine Teil des Vermächtnisses. Der andere folgt mit diesen Worten: „Wir haben ein festes prophetisches Wort, und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint in einem dunkeln Ort, bis der Tag anbreche, und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. Und das sollt ihr für das erste wissen, dass keine Weissagung in der Schrift geschieht aus eigener Auslegung; denn es ist noch nie keine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht; sondern die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist.“ Dass der Apostel unter dem prophetischen Wort die Schrift Alten Testaments meint, und dass er sie so nennt um ihres Hauptinhalts willen, welches sind die vielen Verheißungen und Weissagungen von Christus vom dritten Kapitel des 1. Buches Moses an bis zu dem letzten Kapitel der Weissagung Maleachis, das, Geliebte, brauche ich haute ja wohl nur anzudeuten und zu erinnern. Zum Verständnis der Bedeutung und des Inhalts dieses wichtigen anderen Teils des apostolischen Vermächtnisses aber will ich eine Doppelfrage beantworten.

    Zunächst: In welchem Zusammenhang steht dieser Teil mit dem vorausgehenden? Der Apostel will offenbar dieses sagen: Nebst und mit dieser auf dem heiligen Berg geschehenen und von uns drei Aposteln als Augen- und Ohrenzeugen den Christen kundgetanen Offenbarung der Herrlichkeit Jesu als des einigen Gottessohnes und Mittlers haben wir, nämlich wir mit euch, wir Christen aller Zeiten und aller Orten, das in den Schriften des Alten Testaments aufbewahrte prophetische Wort und dies ist ein festes Wort.

        Hieran aber reiht sich als andere Frage die: Warum nennt der Apostel das prophetische Wort, die Schriften des Alten Testaments, ein festes Wort? Ist nicht das Zeugnis der Apostel von jener auf dem Berg geschehenen höchsten und herrlichsten Offenbarung der Herrlichkeit Jesu nach Person und Amt auch ein festes Wort? Gewiss! Aber der Apostel meint, und auch der Wortlaut selbst gibt es, dass das schriftlich vorhandene prophetische Wort vergleichsweise doch ein noch festeres Wort ist.

    Ich sage vergleichsweise. Wie im Alten, so war auch im Neuen Testament Gottes Wort erst mündlich vorhanden und wurde dann von Mund zu Mund fortgesetzt. Wiewohl nun Gottes Wort an sich selbst die gewisse, feste, unwandelbare, seligmachende Wahrheit ist und bleibt, man habe es mündlich oder schriftlich, da „die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist“, so ist doch in Absicht auf uns Menschen das schriftliche Gotteswort ein festeres Wort als das mündliche. Wie unzuverlässig ist doch das Gedächtnis des gefallenen Menschen geworden! Wie nimmt im Allgemeinen die Kraft desselben ab, je älter die Menschheit wird und das einzelne Glied derselben altert! Wie leicht vergisst man dies oder das oder gar die Hauptsache von dem, was man gehört oder gesehen hat. Wie viel Irrung im Verstehen und im Auffassen der Worte eines anderen gibt sich dabei auch so oft kund! Und wenn nun das alles von Mund zu Mund erst fortgepflanzt wird, zu welcher Entstellung der ursprünglichen Rede oder Sache kommt es zuletzt! So nun schon von menschlichen Worten und Dingen; nun aber erst von göttlichen Worten und göttlichen Sachen, da der natürliche Mensch nichts vom Geist Gottes vernimmt und daher hier geistlich muss gereichtet sein.

    Weil denn in Absicht auf uns Menschen das schriftliche Wort fester und sicherer ist als das mündliche Wort, an Gottes Wort aber Gottes Ehre und der Menschen Seligkeit hängt, so hat es auch Gott nicht bei der mündlichen Offenbarung gelassen, sondern er sorgte dafür, dass sein Wort auch aufgezeichnet wurde. Weil man nun aber Christi und der Apostel Lehre erst anfing aufzuschreiben, als sie noch nicht ganz zwanzig Jahre mündlich und ohne Schrift gepredigt worden; weil also damals noch der Christenheit nur die Schriften des Alten Testaments gemein waren, seht, so nennt vergleichsweise der Apostel das prophetische Wort ein noch festeres Wort als z.B. selbst die Stimme, welche die drei Apostel auf dem Heiligen Berg gehört hatten, und so lange dieselbe nicht gleichermaßen auch in Schrift verfasst war, wie denn solches von den Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas geschehen ist, und zu denen nun bestätigend Petrus in unserer Epistel kommt. Wie sehr aber damals dem Apostel am Herzen lag, das auch schriftlich zu hinterlassen, was er mündlich gelehrt hatte, des sind ein deutlicher Beweis seine beiden Briefe überhaupt und die unserer Epistel unmittelbar vorhergehenden und bereits angeführten Worte, den nach denselben hat er deswegen Fleiß getan, jene himmlische Stimme und was er überhaupt gelehrt hat, aufzuschreiben, damit die Christen seine Lehre und Verkündigung nach seinem Abschied desto mehr „im Gedächtnis zu halten“ vermöchten. So entstanden denn auch nach und nach die Schriften des Neuen Testaments, so kam zu dem schriftlichen prophetischen Wort das schriftliche apostolische Wort und so hieß es denn nicht gegenüber den klugen Fabeln der Juden und Heiden, sondern auch im Vergleich zu dem erst mündlich vorhandenen Wort des Evangeliums erst recht: Wir haben ein festes prophetisches und apostolisches Wort! Und das umso mehr, weil das prophetische Wort das Fundament des apostolischen Worts und das apostolische Wort die Erfüllung des prophetischen Worts ist.

    Nun, meine Lieben, wenn angesichts seines bevorstehenden Abschieds der greise Apostel so an das geschriebene Wort weist; wenn er ernstlich ermahnt, auf dieses und auf sonst nichts zu achten; wenn er versichert, dass die Christen auf dieses Wort in allen seinen Teilen und in allen seinen Ausdrücken sich verlassen könnten, da „keine Weissagung aus menschlichem Willen“, durch keinen menschliche Entschluss und durch menschliches Nachdenken „hervorgebracht“ oder entstanden sei, sondern dass „die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist“: So greift man ja mit Händen, was der andere Teil seines Vermächtnisses an die Christenheit sein soll. Es ist dies die Wahrheit, dass die Heilige Schrift ist das unfehlbare Wort Gottes, die einige Quelle der Wahrheit und Offenbarung, die einige Regel und Richtschnur des Glaubens.

    Diese zweifache Wahrheit also, die Wahrheit in Bezug auf die Person und das Amt Christi und die Wahrheit in Bezug auf das göttliche Ansehen und den göttlichen Ursprung der Heiligen Schrift ist des Petrus Vermächtnis an die Christenheit. Nun wäre ja freilich jetzt viel von der Wichtigkeit dieses Vermächtnisses zu sagen. Ich will mich aber nur auf die Hauptsache beschränken, zumal da seine Wichtigkeit bei der Erörterung seines Gebrauchs uns ohnehin wieder mit vor Augen treten wird.

    Seht, Geliebte, die zwei Wahrheiten, die hier der Apostel in gedrängter Kürze der Christenheit als schriftliches Vermächtnis hinterlässt, sind eigentlich die beiden Grundwahrheiten, auf denen die ganze christliche Religion beruht und mit denen es unser christlicher Glaube zu tun hat. Die eine Wahrheit, dass Jesus Christus ist der Sohn Gottes, der einige Mittler und Grundfels des Heils, zeigt den Erwerber unseres ganzen Heils, und in ihm den Gegenstand des Glaubens, und die andere Wahrheit, dass die Heilige Schrift ist das unfehlbare Wort Gottes, die einige Quelle der Wahrheit und Offenbarung, die einige Regel und Richtschnur des Glaubens, zeigt uns das Mittel unseres Heils und das Fundament unseres Glaubens. Wenn nun der Apostel in diesem seinem Sterbebrief die Christen warnt vor zweierlei Irrgeistern, die sich damals regten, nach des Apostels Abschied und nach dem Heimgang der Apostel überhaupt aber immer kühner auftraten, vor den antitrinitarischen und epikurischen Irrgeistern; und wenn er nun in unserem Text bemüht ist, ein kurzes christliches Zeugnis jener beiden Grundwahrheiten zu hinterlassen, so ist der Christenheit ja in diesem Vermächtnis das probate Bewahrungsmittel gegen alle Verführung zur rechten und zur linken Hand hinterlassen. Wer diese beiden Grundwahrheiten mit Herz und Mund festhält, der ist verwahrt gegen alles Papsttum und gegen allen Unglauben, gegen alle Gleißnerei und Werkerei und gegen allen Mammons- und Fleischesdienst.

    Und nun noch dieses in Betreff auf die Wichtigkeit dieses Vermächtnisses. Weil im Lauf der Zeit die Christenheit dieses Vermächtnis je länger je mehr vergaß, so kam es endlich zu dem großen tausendjährigen Abfall durch das antichristliche Papsttum. Und wodurch kam es im 16. Jahrhundert zur Reformation? Dadurch, dass Luther zu diesem Vermächtnis zurückkehrte und zurückführte; denn darin besteht das von Luther wiedergebrachte ewige Evangelium, dass Christus ist der einige Sohn Gottes, der einige Mittler und Grundfels unseres Heils, der den Sünder gerecht macht allein aus seiner Gnade und allein durch den Glauben, und dass die Heilige Schrift allein ist die Quelle der seligmachenden Wahrheit, die einzige Regel und Richtschnur des Glaubens. Seht da zugleich, wie des Petrus Vermächtnis unserer evangelisch-lutherischen Kirche zur Beglaubigung dient, dass sie sei die Fortsetzung der apostolischen Kirche, die wahre sichtbare Kirche!

 

2.

    Reden wir nun noch von dem Gebrauch dieses wichtigen Vermächtnisses. Davon jedoch zur Unterweisung und zur Reizung nur das Wichtigste.

    Vor allen Dingen lasst uns Gott auf unseren Knien danken, dass wir im vollen Besitz dieses Vermächtnisses uns befinden, indem wir Glieder einer Kirche sind, welche sich als die Erbin und Bewahrerin desselben erweist. In dieser Kirche sind wir größtenteils geboren und erzogen, in ihr von Jugend auf zu Christus als unserem einigen Mittler hingeführt und von Kindheit auf mit der Heiligen Schrift und durch sie mit dem Weg zur Seligkeit bekannt geworden. Ach, wie viele, die keine Spötter sind, achten dieses Erbe so gering. Ja, wenn es in Geld und liegenden Gütern bestünde!

    Sodann lasst uns mit unserer Kirche über diesem Erbe halten gegen alle Verführung dieser letzten Zeit. Gegenüber der wachsenden Macht des Papsttums und seiner Gleißnerei, mit der es mehr und mehr auch die Augen der Großen dieser Welt blendet, lasst uns mit Luther halten über dem Bekenntnis, das ja einst schon Petrus mündlich tat und das er hier schriftlich den Gläubigen hinterließ, nämlich, dass Christus ist der Sohn Gottes und einige Mittler, und dass die Heilige Schrift ist die einzige Regel und Richtschnur des Glaubens. Gegenüber aber der so überhandnehmenden und zum baren Unglauben führenden Vernunftweisheit lasst uns festhalten, dass die Heilige Schrift von Anfang bis zum Ende, vom ersten bis zum letzten Buch, die Schrift Alten Testaments wie die Schrift Neuen Testaments, von Gott eingegeben ist und zwar nicht bloß dem Inhalt, sondern auch den Worten nach, so dass sie frei von jedem Irrtum, jedes Wort aber Geist und Leben ist. Wir haben keinen unfehlbaren Papst, wir haben aber ein unfehlbares Wort, und das zu verstehen bedarf es keiner menschlichen Kunst, denn die Schrift ist klar und deutlich, sie legt sich selbst aus und hat jeder gläubige Christ den Heiligen Geist als den rechten Ausleger der Schrift und in dem Artikel von der Rechtfertigung den rechten Schlüssel zum Verständnis der Schrift.

    Vor allen Dingen aber lasst uns das Wort des Apostels beherzigen und üben, da er von dem festen prophetischen Wort sagt: „Und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet, als auf ein Licht, das da scheint in einem dunklen Ort.“ Mögen wir doch über menschlichen Büchern, auch über christlichen guten Büchern, nicht die Bibel liegen lassen! Möge in keinem Haus die Bibel fehlen und in keinem Haus sie unbenutzt im Winkel liegen! Wehe, wen wir uns um sie nichts kümmerten! Da wir in einer Zeit leben, in welcher man so leicht zum Besitz der Heiligen Schrift gelangen kann und einer Kirche angehören, die ihren Gliedern das Lesen der Bibel nicht nur nicht verbietet, sondern vielmehr dieselben zum Bibellesen anhält, so würde uns ob dem liederlichen Versäumnis der Schrift doppelte Strafe treffen. Lasst uns daher in der Schrift täglich lesen. Lasst uns sie lesen wie die Beroenser, die in ihr forschten. Lasst uns Christus in ihr suchen, denn er ist Kern und Stern der Schrift. Lasst uns mit Gebet um Erleuchtung durch den Heilige Geist in der Schrift lesen und forschen und mit dem Verlangen, selig zu werden.

    Wohl uns dann. Es wird laut unseres Textes der „Tag“ der Erleuchtung unseres finsteren Herzens anbrechen und wird durch den Glauben Christus, der helle „Morgenstern“, in unserem Herzen aufgehen. Wir werden die hohen Gaben verstehen, „die Gottes Geist denen gewiss verheißt, die Hoffnung darin haben“ und Gottes Wort wird unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Weg durch das dunkle Jammertal sein, dass wir trotz aller Verführung zu falscher Lehre und bösem Leben das Ziel und Ende unseres Glaubens erreichen, welches da ist der Seelen Seligkeit.

    Der HERR; der uns in dieser letzten schrecklichen Zeit mit reiner Lehre und Erkenntnis nach seiner Gnade so reichlich heimgesucht hat, verleihe, dass wir ob dem Vermächtnis des Petrus allezeit halten, damit wir nicht auch fallen von des Glaubens Trost und von des rechten Glaubens Grund. Das helfe er uns durch seinen Heiligen Geist um Christus, seines Sohnes und unseres Mittlers willen. Amen.

 

Gebet: Allmächtiger, ewiger Gott, wir danken dir von Herzen, dass du uns dein heiliges Wort als ein helles Licht in der Dunkelheit dieses Lebens geschenkt hast; und bitten dich demütig: Verleihe uns deinen Heiligen Geist, dass wir auf dasselbe treu achten, ihm fest trauen und uns von ihm zu Christus hinweisen lassen, damit also derselbe dein lieber Sohn selbst mit seiner herrlichen Gnade in uns aufgehe und als das wahrhaftige Licht uns stetig vorleuchte, bis einst die Nacht vergangen und der volle Tag erschienen ist – durch denselben Jesus Christus, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: Durch Adams Fall ist ganz verderbt. Str. 8 u. 9

 

 

Epistelpredigt zum Sonntag Septuagesimae (70 Tage vor Ostern) ueber 1. Korinther 9,24-10,5: Vom Ringen um die unvergaengliche Krone

 

Lied: Rüstet euch, ihr Christenleute

 

    Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem HERRN Jesus Christus. Amen.

 

1. Korinther 9,24-10,5: Wisst ihr nicht, dass die, so in den Schranken laufen, die laufen alle, aber einer erlangt das Kleinod? Lauft nun so, dass ihr es ergreift! Ein jeglicher aber, der da kämpft, enthält sich alles Dinges: jene also, dass sie eine vergängliche Krone empfangen, wir aber eine unvergängliche. Ich laufe aber so, nicht als aufs Ungewisse; ich fechte so, nicht als, der in die Luft streicht, sondern ich betäube meinen Leib und zähme ihn, dass ich nicht den andern predige und selbst verwerflich werde. Ich will euch aber, liebe Brüder, nicht vorenthalten, dass unsere Väter sind alle unter der Wolke gewesen und sind alle durchs Meer gegangen und sind alle unter Mose getauft mit der Wolke und mit dem Meer; und haben alle einerlei geistliche Speise gegessen und haben alle einerlei geistlichen Trank getrunken; sie tranken aber von dem geistlichen Fels, der mitfolgte, welcher war Christus. Aber an ihrer vielen hatte Gott kein Wohlgefallen; denn sie sind niedergeschlagen in der Wüste.

 

    Geliebte in dem HERRN! Wenn der Apostel die Korinther fragt: „Wisst ihr nicht, dass die, so in den Schranken laufen, die laufen alle, aber einer erhält das Kleinod?“ – so erinnert er sie an eine gerade ihnen sehr wohl bekannte damalige Volkssitte. Das waren die sogenannten isthmischen Spiele. Alle vier Jahre versammelten sich die alten Griechen auf dem Isthmus oder der Landenge von Korinth zu Wettspielen, welche teils zu Ehren ihrer Götter, teils zur Erprobung und Erweisung der körperlichen Kraft und Gewandtheit ihrer Jünglinge und Männer veranstaltet wurden. Von nah und fern strömten da die Griechen zusammen, und was ein jeder der Teilnehmer am Spiel vermochte, das trug er hier zur Schau – der Läufer die Behändigkeit seiner Füße, der Starke die Kraft und Gelenkigkeit seiner Glieder. Jeder aber rang dabei um den Preis, welchen dazu bestellte Richter demjenigen zuerkannten, der es im Wettlauf oder Wettkampf allen anderen zuvortat. Und dieser Siegespreis? O, er bestand nicht in schnödem Geldgewinn, nicht wie bei dem Pferderennen oder Preis-Ballspielen der heutigen Welt in Hunderten oder Tausenden von Dollars – nein, er bestand nur in einem aus den Reisern des Öl- oder Lorbeerbaumes geflochtenen Kranz, welcher dem Sieger oder Gewinner angesichts und unter dem Jubel des versammelten Volkes als Ehrenkrone auf das Haupt gesetzt wurde, und in der damit verbundenen Ehre, dass der Name des Gewinners in die Gedenkbücher eingetragen und weit und breit ausgerufen wurde.

    Warum nun der Apostel an diese griechischen Volksspiele die Christen zu Korinth erinnert, zeigen alsbald seine Worte: „Lauft nun so, dass ihr es ergreift! Ein jeglicher aber, der da kämpft, enthält sich alles Dinges: jene also, dass sie eine vergängliche Krone empfangen, wir aber eine unvergängliche.“

    Meine Lieben! Diese und die übrigen Worte unserer Epistel sind eine überaus eindringliche Mahnung zu einem rechten und bis ans Ende ausdauernden Ernst in der Heiligung. Weil nun aber der Apostel diesen Eifer besonders darstellt als ein Ringen nach einer unvergänglichen Krone, die unser am Ziel unseres Christenlaufes und Christenkampfes wartet, so spreche ich heute zu euch

 

Vom Ringen nach der unvergänglichen Krone

 

    Wir betrachten hierbei

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die unvergängliche Krone, nach der wir ringen sollen, und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Die Notwendigkeit und Beschaffenheit des Ringens nach derselben

 

    HERR Jesus, du willst allen, die deine Erscheinung lieb haben und treu bleiben bis in den Tod, nach diesem Leben aus Gnaden eine unvergängliche Krone geben, die Krone der Gerechtigkeit, der Ehren und des Lebens. Hilf, dass unser Keiner dieselbe verachte, versäume und verscherze. Gib sie uns darum in dieser Stunde recht zu erkennen und stärke uns durch dein Wort und Geist, dass wir unverwandt nach derselben blicken und unablässig nach derselben ringen. HERR Jesus, du Anfänger und Vollender des Glaubens, erbarme dich über uns alle um deines Verdienstes willen. Amen.

 

1.

    Eine vergängliche Krone war’s, um welche einst bei den griechischen Wettspielen jene Wettläufer und Wettkämpfer rangen. Wie bald war daher nicht nur der grüne Kranz, mit dem man ihr Haupt schmückte, verwelkt, sondern auch die Ehre, die mit demselben verbunden war. Und ob es auch eine goldene Königskrone gewesen wäre! Man trägt sie höchstens doch nur für dies arme Leben und wie drückt sie oft das Haupt! Wie mancher Hohe und Mächtige der Erde hat seine Krone jedoch schon bei Lebzeiten verloren. Die Krone, welche am Ziel des Christenlaufs du Christenkampfes winkt ist eine unvergängliche Krone. Sie bleibt ewig frisch und schön, übertrifft dabei an Pracht und Herrlichkeit weit, weit alle Königskronen, und wem sie einmal vom HERRN gereicht ist, der hat sie für immer und ewig.

    Von dieser unvergänglichen Krone redet auch anderswo die Schrift. So schreibt z.B. derselbe Apostel an Timotheus in seiner 2. Epistel, Kap. 4,7 u. 8: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten; hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der HERR, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird, nicht mir aber allein, sondern allen, die seine Erscheinung lieb haben.“ Hier nennt der Apostel diese unvergängliche Krone eine Krone „der Gerechtigkeit“, teils, weil Christus, der HERR, unser Gerechtigkeit mit seinem Gehorsam, Leiden und Sterben uns erworben hat, teils weil er denen, die Glauben halten bis ans Ende, dieselbe gnädig verheißen hat und vermöge der Gerechtigkeit, nach welcher er in seinen Verheißungen beständig bleibt, nach diesem Leben auch sicher und gewiss gibt. Indem der heilige Petrus in seinem 1. Brief, Kap. 4, die Ältesten, die Hirten der Gemeinden, zu treuer Ausrichtung ihres Amtes ermahnt, verheißt er ihnen zur Ermunterung, dass sie bei der Erscheinung des Erzhirten „die unverwelkliche Krone der Ehren“ empfangen werden und nennt er sie „Krone der Ehren“ teils, weil sie lauter Ehre und Herrlichkeit in sich begreift, teils, weil sie an Herrlichkeit alle irdischen Kronen weit übertrifft. In der Epistel des St. Jakobus, wie in der Offenbarung des St. Johannes heißt sie die „Krone des Lebens“, teils, weil sie nach diesem Leben im ewigen Leben den Auserwählten gegeben wird, teils weil sie lauter Leben und immerwährende Glückseligkeit in sich begreift. In letzterer Beziehung ruft der HERR einem jeden der Seinen zu: „Sei treu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“

    Doch, Geliebte, was haben wir uns unter diesem bildlichen Ausdruck „unvergängliche Krone“ wohl vorzustellen? O nichts Geringeres als den Vollbesitz und Vollgenuss der ewigen Seligkeit und die zukünftige Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden, samt dem verheißenen besonderen Gnadenlohn. Es ist das ewige Leben mit einem Wort. Wiewohl es nun von demselben heißt: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet denen, die ihn lieben“; wiewohl wir es hienieden als „durch einen Spiegel in einem dunklen Wort“ erblicken und Gott von den Dingen des zukünftigen Lebens in menschlichen Worten, nach menschlichen Vorstellungen und darum meist in Bildern zu uns reden muss; und obwohl wir hienieden die unvergängliche Krone nur von ferne sehen: So erblicken wir doch genug und übergenug, um weit über alle vergänglichen Kronen der Welt die unvergängliche Krone alles Ringens wert zu erkennen.

    Von dem Zustand des ewigen Lebens heißt es Frage 319 unseres Katechismus[36]: „Es wird da ewige Seligkeit sein verbunden mit unaussprechlicher Freude, Wonne und Herrlichkeit.“ Seht da kurz und bündig die unvergängliche Krone aus Gottes Wort beschrieben.

    Die ewige Seligkeit besteht zunächst in der Freiheit von allem Übel, denn „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen“, heißt es u.a. Offb. 21, „und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerzen wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen.“ Frei wird sein die Seele von aller Sünde, von aller Traurigkeit, von aller Furcht, von allem Schrecken und frei der Leib vom Tod und aller Beschwer, aller Krankheit, allen Übeln, die im Gefolge des Todes sind, und zwar so, dass der Verlust der Unsterblichkeit und damit all dieser Freiheit bei den Auserwählten nunmehr eine Sache der Unmöglichkeit geworden ist, denn es ist die Seligkeit eine ewige und damit diese Freiheit von allem Übel eine ewige. Die ewige Seligkeit besteht ferner in der völligen Erneuerung des göttlichen Ebenbildes. Was für glückliche Leute sind wir hienieden schon durch die Erstlinge des Geistes, durch den Anfang dieser Erneuerung, da vom Heiligen Geist unser Verstand zunehmend erleuchtet und mit der Erkenntnis Gottes erfüllt und unser Wille zunehmend zu allem Guten geneigt und dem Willen Gottes mehr und mehr gleichförmig gemacht wird! Welches Glück wird daher diese Erneuerung in ihrer Vollkommenheit sein, in der wir dann zugleich fähig sind, das Höchste und den Inbegriff der Seligkeit, das Gute der Güter jener Welt, zu verstehen und zu genießen. Das ist aber das Schauen Gottes, da wir Gott nicht mehr sehen durch den Spiegel des Worts, sondern „von Angesicht“, da wir ihn sehen „wie er ist“. Wir sehen ihn in seinem göttlichen Wesen und in seinen Eigenschaften. Wir schauen aufgedeckt das hohe Geheimnis der heiligen Dreieinigkeit und in demselben das Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes. Wir schauen den Willen Gottes, den Ratschluss der Erlösung, die ganze wunderbare Ausführung desselben und in ihm das Geheimnis unserer ewigen Erwählung zur Seligkeit und die daraus hervorgehende, uns in diesem Leben oft so seltsam und wunderlich erscheinende und doch so weisheits- und gnadenvolle Führung unseres Lebens, bei welcher uns alle Dinge zum Besten dienen mussten. Welch ein unaufhörliches Verwundern, Anbeten, Danken und Loben wird’s da geben, in welch einem Meer von Seligkeit werden wir uns da befinden! Ist doch dieses Schauen Gottes eigentlich die innigste Verbindung und Vereinigung zwischen Gott und den Seligen!

    Mit dieser in der Freiheit von allem Übel, in der völligen Erneuerung zum Ebenbild Gottes und vor allem im Schauen Gottes selber bestehenden Seligkeit ist denn, wie in jener Katechismusfrage es weiter heißt, unaussprechliche Freude, Wonne und Herrlichkeit verbunden. Ach, wie sollte nicht Freude und Wonne uns, die wir aus dem Jammertal auf einmal in die Seligkeit entrückt sind, ergreifen und uns ganz und gar durchgehen, wenn wir Gott schauen, vor dem Freude die Fülle und liebliches Wesen zu seiner Rechten ewig ist! Und diese Freude ist eben so unaussprechlich wie ununterbrochen und ewig sich gleich. Denken wir zugleich auch daran, dass wir uns dabei in der Gesellschaft aller heiligen Engel und aller Auserwählten befinden, so dass es auch hier wohl heißen mag: „Geteilte Freude ist doppelte Freude.“ Und vergessen wir nicht, dass zu solcher Freude und Wonne auch die Ruhe kommt, die Ruhe von aller Arbeit und Mühsal, von allem Kampf und Streit dieses Lebens. Was nun aber die zukünftige Herrlichkeit betrifft, so besteht diese ja freilich schon in allem, was wir bisher von dem ewigen Leben gehört haben; dazu aber kommt dann noch vom Jüngsten Tag an die Herrlichkeit unseres von den Toten auferstandenen oder plötzlich verwandelten Leibes, da derselbe nicht nur in seiner ursprünglichen Schöne und Vollkommenheit wieder hergestellt, sondern auch verklärt werden soll nach der Ähnlichkeit des verklärten Leibes Christi. Und zu dieser Herrlichkeit gehört dann natürlich unser ewiger Aufenthaltsort, der uns bald als das himmlische Jerusalem, bald als das Paradies Gottes, bald als der Schoß Abrahams in bildlicher Rede vor Augen gemalt wird.

    Doch ich habe bemerkt, dass zu dieser unvergänglichen Krone auch der besondere Gnadenlohn gehört. Die Schrift nämlich offenbart uns an verschiedenen Orten, dass, wiewohl bei allen Auserwählten die Seligkeit ganz gleich ist, so soll doch die besondere Herrlichkeit derselben eine mannigfaltige und dabei auch gradweise verschiedene sein. Dass solche verschiedene Herrlichkeit sich namentlich auch an den Leibern der Auserwählten zeigen wird, lehrt St. Paulus 1. Kor. 15; und dass es in solcher besonderen Herrlichkeit Stufen oder Grade gibt und diese sich nach dem bewiesenen Maß der Treue im Tun und Leiden richten, lehrt u.a. die Gleichnisrede von den Pfunden und Zentnern, vom Säen mit Tränen und Ernten mit Freuden, sowie des Apostels Versicherung, dass die Trübsal schaffe eine ewige und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit bei denen, die nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Um dieses Gnadenlohnes willen, den Gott aus besonderer Güte zur Reizung und Ermunterung zum Fleiß in der Heiligung uns verheißen hat, heißt derselbe, samt der ganzen Seligkeit, in der er allein vorhanden ist, eine „Krone“, und besonders die Krone „der Gerechtigkeit“ die Krone „der Ehren“, die Krone „des Lebens“.

    Seht da die „unvergängliche Krone“, nach der wir Christen ringen sollen, im Gegensatz zur „vergänglichen Krone“, nach der einst die Griechen in ihren Nationalspielen rangen und nach welcher heute noch alle diejenigen ringen, die ihr Teil suchen in diesem Leben, nämlich im Besitz und Genuss irdischer Güter, irdischer Ehre und irdischer Macht. O, wie wenig hat man an solch einer vergänglichen Krone gewonnen, wie viel hingegen an jener unvergänglichen Krone! Wie ist sie unseres eifrigsten und unablässigsten Ringens doch so wert, zumal, da, wer diese Krone nicht erringt, ja damit alles, alles verliert und nur die Hölle gewinnt, die in Ewigkeit kein Gewinn ist, sondern ewiger Verlust heißt.

 

2.

    Warum nun das Ringen nach der unvergänglichen Krone notwendig ist und wie solches Ringen beschaffen sein muss, das lasst uns zum anderen sehen.

    Dass das Ringen nach der unvergänglichen Krone notwendig ist, darauf geht ja freilich unser ganzer Text. Das meint der Hinweis auf die griechischen Wettspiele, auf des Apostels eigenes Beispiel und auf Israels Wüstenwanderung. Ab er warum ist es notwendig? O, nicht darum, als ob wir erst durch unser Ringen die Krone uns verdienen müssten. Die unvergängliche Krone besteht ja, wie wir gehört haben, in dem Vollbesitz und Vollgenuss des ewigen Lebens, ist die ewige Seligkeit und zukünftige Herrlichkeit. Das ewige leben aber hat uns Christus verdient und durch Taufe und Glauben uns bereits geschenkt. „Aus Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben“, schreibt Paulus, „und dasselbe nicht aus euch, Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, dass sich nicht jemand rühme.“ Und von der Taufe schreibt er: „Nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit machte er uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, welchen er ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesus Christus, unseren Heiland, damit wir durch dessen Gnade gerecht und Erbe seien des ewigen Lebens nach der Hoffnung.“ Die Seligkeit ist also ein freies Gnadengeschenk, von Christus uns erworben; durch den Glauben haben wir bereits das ewige Leben dem Anfang nach. In der Taufe ist es uns als Erbteil gegeben, weil wir Gottes Kinder geworden sind und ein Kind ist zum Erben bestimmt nicht, weil es gut oder fromm, sondern weil es eben Kind ist. Dazu ist auch der Glaube, durch den wir selig werden, Gottes Gabe und Werk ohne alle unser Zutun und Mitwirken.

    Sagt aber, Geliebte, kann man nicht ein wertvolles Geschenk durch Unachtsamkeit verlieren? Kann man nicht sogar sich um Kindschaft und Erbe selbst bringen? Gerade aber die Gabe des ewigen Lebens können wir so leicht wieder verlieren, gerade um die empfangene Gotteskindschaft und um das verheißene ewige Erbe können wir uns so leicht bringen. Wir leben ja noch im sündlichen Fleisch, und dieses reizt uns ohne Unterlass, dass wir im Guten träg und lässig werden, wieder sehen auf das Sichtbare und nicht auf das Unsichtbare, die Sünde aber wieder in uns herrschen lassen. Wir leben ja in der Welt, die im Argen liegt, die uns lockt, dass wir sie wieder lieb gewinnen, die uns droht, dass wir vom Glauben an Jesus, vom Bekenntnis seines Namens, vom Wandel in ihm lassen. Und in dieser Welt, durch die unsere Pilgerfahrt nach der ewigen Heimat, nach dem verheißenen himmlischen Erbe geht, ist Herr und Fürst der Teufel, des Macht groß und des List viel ist und der uns bei Tag und Nacht innerlich und äußerlich mit Lügen und Morden keine Ruhe lässt, uns um Kindschaft und Erbe zu betrügen. So vereinigen sich denn Teufel, Welt und Fleisch, uns bald durch Hingabe an die Sünde und an die Welt und bald durch Unglaube und falsche Lehre vom Glauben und dadurch um die unvergängliche Krone zu bringen. Wie ist ihnen das schon bei Unzähligen gelungen! Es gilt daher, nicht erst die Krone zu erwerben, wohl aber gilt es, die schon beigelegte und auf uns wartende Krone nicht wieder zu verlieren, sondern zu behalten. Eben darum ruft uns der HERR zu: „Halte, was du hast, dass niemand dir deine Krone nehme!“

    Darum, darum ist das Ringen nach der am Ziel winkenden Krone so notwendig; darum die so überaus dringenden Ermahnungen des Apostels zum Ringen nach der Krone, oder, was dasselbe ist, zu einem rechten Ernst in der aus der Rechtfertigung folgenden Heiligung, ohne welche niemand den HERRN sehen soll und kann, da die völlige Herstellung seines Ebenbildes mit zu unserer Seligkeit gehört.

    Und so lasst mich denn an der Hand unseres Textes in kurzen kenntlichen Zügen noch zeigen, wie solches Ringen beschaffen sein müsse.

    Der Apostel weist uns zu dem Ende auf den Eifer hin, der sich bei den griechischen Wettspielen im Ringen nach der vergänglichen Krone, besonders im Wettlauf und Wettkampf kund tat.

    Wisst ihr nicht, dass die, so in den Schranken laufen, die laufen alle, aber Einer erlangt das Kleinod?“ Wie bei unseren Rennbahnen waren auf beide Seiten Schranken gezogen, innerhalb deren der Wettlauf stattfand und an deren Ende der Siegeskranz aufgehängt war. Denkt sie euch nur, jene Wettläufer! Wie sie, die nun einmal als Preisbewerber in die Schranken getreten sind, voll Begierde und Hoffnung sind, die Krone zu erringen; wie sie, in Reih und Glied aufgestellt, ungeduldig auf das Zeichen zum Beginn des Wettlaufs harren, und wie sie nun auf das gegebene Zeichen dahinfliegen. Sie blicken nicht rechts und nicht links nach der Menge der Zuschauer und ihren Beifallsbezeugungen. Sie blicken nicht rückwärts auf die bereits zurückgelegte Strecke oder auf die Preisbewerber hinter ihnen, sie blicken nur vorwärts auf das Ziel und unverwandt auf die an demselben winkende Krone. Mit Aufbietung aller Kräfte und Sinne, in fieberhafter Spannung, sucht einer den anderen zu überholen; denn nur „Einer erlangt das Kleinod“.

    Lauft nun so, dass ihr es ergreift!“ ruft der Apostel im Hinblick auf diese Wettläufer. Es ist nicht genug, dass wir durch die Taufe in die Schranken getreten und denen zugesellt worden sind, deren ganzes Leben ein Lauf nach dem himmlischen Kleinod sein soll, es muss bei uns heißen, wie bei dem Apostel, wenn er an die Philipper Kap. 3 schreibt: „Ich vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, was da vorne ist; und jage nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christus Jesus.“ So vergiss du, mein Christ, was dahinten ist. Sieh nicht wieder zurück nach der Welt, die du verlassen hast, wie Lots Frau, dass du nicht zur Salzsäule werdest, noch nach dem, was du bereits um Jesu willen getan und gelitten hast, damit du nicht lohnsüchtig werdest und meinst, du habest in der Heiligung schon große Fortschritte gemacht. Strecke dich mit Paulus vor nach dem, was du noch als Christ sein sollst und jage ihm nach, dass du es werdest, ein im Glauben immer stärkerer, in der Liebe immer brünstigerer, in der Hoffnung im fröhlicherer, und an guten Werken immer reicherer Christ. Erneure dich bis ans Ende täglich im Geist deines Gemüts und ziehe den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit. Bekümmere dich nicht um die müßigen Zuschauer, nicht um die Welt, die deinen Wettlauf als Narrheit verspottet, nicht um die Heuchler und Scheinchristen, die deinen Ernst als Übertreibung verurteilen. Blick du nur unverwandt auf das Ziel, die unvergängliche Krone. Das wird dich immer von neuem stärken, wenn du ermüden willst, das wird dich immer wieder anfeuern, mit rechtem und ausdauerndem Ernst zu laufen, dass du das Kleinod erlangst, zwar hier nicht als der Einzige, wohl aber als der Eine, der recht läuft, als Einer von den Berufenen, die zuletzt als Auserwählte erfunden werden.

    Ein jeglicher aber, der da kämpft, enthält sich alles Dinges“ sagt der Apostel weiter und hält uns damit das Beispiel jener griechischen Wettkämpfer vor, die im Faustkampf oder im Werfen des Spees und Diskus nach der Siegeskrone rangen und die, um die nötige Gewandtheit und Kraft des Leibes zu erlangen, eine geraume Zeit vorher nicht nur die entsprechenden Leibesübungen vornahmen, sondern auch unerbittlich von Genüssen und Annehmlichkeiten des Lebens sich alles versagten, was den Körper hatte schwächen oder verweichlichen können. Wie also das Bild der Wettläufer den Ernst der Heiligung als ein Jagen nach derselben vorstellt, das mit Vermeiden aller Halbheit und mit aller Ausdauer geschieht, so das Bild der Wettkämpfer als fortwährende Strenge gegen sich selbst im Enthalten alles dessen, was zum ernstlichen Kampf gegen die Feinde unserer Seele nicht taugt, was uns darin hinderlich werden, was das geistliche Leben irgendwie schwächen könnte, namentlich im Gebrauch der christlichen Freiheit, der, ach, so leicht zu weit ausgedehnt und dann bald zur Fleischesfreiheit wird, von der es heißt:

Fleischesfreiheit macht die Seele

Kalt und sicher, frech und stolz;

Frisst hinweg des Glaubens Öle,

Lässt nichts als ein faules Holz.

    Weil nun in diesem Lauf und Kampf zum Erringen der unvergänglichen Krone ein Prediger seinem ihm anvertrauten Christenhäuflein vorangehen soll, gleich einem Offizier seinen von ihm befehligten Soldaten beim Angriff: So zeigt der Apostel an seinem eigenen Beispiel, wie solches Ringen nach der Krone der Hauptsache nach beschaffen sein müsse, indem er fortfährt: „Ich laufe aber so, nicht als aufs Ungewisse; ich fechte so, nicht als, der in die Luft streicht, sondern ich betäube meinen Leib und zähme ihn, dass ich nicht den andern predige und selbst verwerflich werde.“ Seht doch, wie es dem Apostel ein rechter und ganzer Ernst ist, selig zu werden. Welchen Ernst beweist er in seinem Lauf nach der Krone! Seit er dort auf dem Weg nach Damaskus von Christus ergriffen worden ist, sucht er immer nur Eines, nämlich in Christus und seiner vollgültigen Gerechtigkeit erfunden zu werden und so Glauben zu halten bis ans Ende. So läuft er nichts aufs Ungewisse wie die, welche sich allerlei eigene Wege und Werke zum Seligwerden erdenken und erwählen und so bei allem Schein der Heiligkeit das Ziel verfehlen, denn allein durch den Glauben, allein aus Gnaden werden wir vor Gott gerecht und selig. Werden wir zuletzt in unserer eigenen Gerechtigkeit erfunden – und wie leicht kann man durch den Betrug des Fleisches seine erfahrene Bekehrung und seine Heiligung dazu machen –: so geht uns die Krone doch verloren, wie den murrenden Arbeitern im heutigen Evangelium die Güte des Hausvaters und Dienst und Lohn in seinem Weinberg und es heißt: „Die Ersten werden die Letzten sein.“ Welchen Ernst beweist der Apostel ferner in seinem täglichen Kampf um das Kleinod durch die Strenge, die er gegen sich selbst übt! Es ist in diesem Kampf nicht getan, dass man nur um sich haut, dass man also etwa nur vom Saufhaus, vom Ballhaus, vom Schauspielhaus fern bleibt und den groben Ausbrüchen des Fleisches wehrt. Der Apostel will keine Luftstreiche tun. Die aber tut derjenige, welcher zwar mit anderer Christentum es sehr genau nehmen will, aber desto leichter es mit sich, an anderen viel zu sehen und zu fordern sucht, aber gegen sich umso blinder und umso nachgiebiger ist. Der Apostel ist darauf bedacht, gegen den Hauptfeind zu kämpfen, und diesem tödliche Streiche beizubringen. Dieser Hauptfeind im Lauf und Kampf des Christen aber ist im Grund das eigene sündliche Fleisch, denn lassen wir dem nicht die Zügel, so werden wir durch Gottes Gnade und durch den Glauben schon mit der Welt und dem Teufel fertig. Diesem aber bringen wir die rechten tödlichen Streiche bei, wenn wir den sündlichen Leib betäuben und zähmen, welches freilich nicht auf römische Art durch Fasten und Kasteien geschieht, sondern durch tägliche Reue und Buße, durch mancherlei Beschränkung im Gebrauch der christlichen Freiheit, durch selbstverleugnenden Dienst in der Liebe und besonders durch Strenge in dem Ausüben des anbefohlenen Berufs, dabei man so wenig wie möglich sich selber schont, sondern wie ein Licht sein will, das, indem es anderen leuchtet, sich selbst verzehrt.

    O, lasst uns allesamt dem apostolischen Beispiel folgen. Vor allem freilich wir berufenen Diener am Wort und jetzt schon ihr die ihr für den Dienst am Wort vorbereitet werdet. Aber auch ihr, geliebte Zuhörer. Meint doch nicht, dass geht mehr uns Prediger an! Ach, es geht euch alle an, denn es gibt nicht ein besonderes Christentum für die Prediger und ein besonderes für die Zuhörer, sondern es steht für Prediger und Zuhörer geschrieben: „Niemand wird gekrönt, er kämpfe denn recht.“

    Zur Warnung vor Sicherheit weist endlich der Apostel hin auf Israels Wüstenwanderung. Er schreibt nämlich: „Ich will euch aber, liebe Brüder, nicht vorenthalten, dass unsere Väter sind alle unter der Wolke gewesen und sind alle durchs Meer gegangen und sind alle unter Mose getauft mit der Wolke und mit dem Meer; und haben alle einerlei geistliche Speise gegessen und haben alle einerlei geistlichen Trank getrunken; sie tranken aber von dem geistlichen Fels, der mitfolgte, welcher war Christus. Aber an ihrer vielen hatte Gott kein Wohlgefallen; denn sie sind niedergeschlagen in der Wüste.“ Da die Epistel des 9. Sonntags die Fortsetzung dieser ernstesten der apostolischen Warnungen bildet und wir dort auf die Worte der heutigen Epistel besonders zurückkommen müssen, so lasst  mich heute nur angeben, was der Apostel in Summa mit diesen Worten sagen will. Und das ist dieses: Man kann getauft sein, man kann zum Öfteren das heilige Abendmahl genießen und den Gottesdienst fleißig besuchen; man kann zur rechten Kirche gehören und Glied einer rechtgläubigen Gemeinde sein und seinen äußerlichen Pflichten gegen diese pünktlich nachkommen und einen ehrbaren Wandel führen – und doch kann man nichts ins himmlische Kanaan gelangen, doch die unvergängliche Krone nicht empfangen, doch mit den Ungläubigen und Kirchenverächtern verloren gehen, wenn man sich mit de bloßen Gebrauch der Gnadenmittel und der Zugehörigkeit zur Kirche begnügt und solches nicht zu einem rechten und ausdauernden Ernst im Christentum und Eifer in der Heiligung sich dienen lässt.

    Wejl es denn mit dem Ringen nach der unvergänglichen Krone eine solche Bewandtnis hat, so rufe ich euch allen, die ihr wahrhaft zu den HERRN bekehrt seid, mit dem Apostel zu: „Schafft, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern, denn Gott ist’s, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen.“ Ja, mein Christ,


Ringe recht, wenn Gottes Gnade

Dich nun ziehet und bekehrt,

Dass dein Geist sich ganz entlade

Von der Last, die ihn beschwert.

Kämpfe bis aufs Blut und Leben,

Dring hinein in Gottes Reich,

Will der Satan widerstreben,

Werde weder matt noch weich.


Halt ja deine Krone feste,

Halte männlich, was du hast,

Recht beharren ist das Beste,

Rückfall ist ein böser Gast.

    Sei treu bis in den Tod“, spricht der HERR, „so will ich dir die Krone des Lebens geben!

    Du aber, der du in der Hingabe an die Sünde und die Welt, in der Verachtung und Versäumen der Kirche und ihrer Gnadenmittel längst aus der Taufgnade gefallen bist und nun mit dem großen Haufen auf dem breiten Weg des Verderbens wandelst – auch dir war ja die unvergängliche Krone zugedacht, denn Christus hat auch dich mit seinem Blut erlöst und in der Taufe auch dich zum Erben dieser Krone eingesetzt. Unglückseliger und Verblendeter, um was hast du dich doch gebracht! Und wonach ringst du jetzt! Aber noch ist die Krone nicht für ewig verloren, denn noch währt die Lebens- und darum die Gnadenzeit. Wenn du dich daher jetzt rechtschaffen bekehrtest, so wäre die Krone wieder dir beigelegt, so winkte sie dir doch noch am Ziel. Ach, dazu segne dir der HERR die heutige Predigt. Aber eile, eile, dass du deine Seele errettest! Amen.

 

Gebet: Gnädiger Gott und Vater, wir danken dir von Herzen, dass du uns in deinem Wort so gnädig offenbart hast das Ziel, worauf wir all unser Tun, Glauben und Wandel richten sollen. Weil aber der leidige Teufel uns dasselbe gern verrücken wollte und ohne das die Welt und unsere verderbte Natur uns im Lauf vielmals hindern, so bitten wir demütig: Du wollest uns durch deinen Heiligen Geist auf den rechten Weg leiten und erhalten, auch durch deine lieben Engel vor dem Teufel und der Welt gnädig bewahren, damit wir nicht wie die Kinder Israel auf dem Weg niedergeschlagen werden, sondern unseren Lauf selig vollenden und endlich auch, wenn wir das Ziel erreicht haben, an jenem Tag die Krone der Ehren empfangen – durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: Sei Gott getreu. Str. 6-8

 

 

Epistelpredigt zum Sonntag Sexagesimae (60 Tage vor Ostern) ueber 2. Korinther 11,19-12,9: Welches zweifaches, schweres Leiden dem Apostel auferlegt war und wie er sich dabei verhielt

 

Lied: In dich hab ich gehoffet, HERR

 

    Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und unserem HERRN Jesus Christus! Amen.

 

2. Korinther 11,19-12,9: Denn ihr vertragt gerne die Narren, weil ihr klug seid. Ihr vertragt, wenn euch jemand zu Knechten macht, wenn euch jemand schindet, wenn euch jemand nimmt, wenn jemand euch trotzt, wenn euch jemand in das Angesicht streicht. Das sage ich nach der Unehre, als wären wir schwach worden. Worauf nun jemand kühn ist (ich rede in Torheit), darauf bin ich auch kühn. Sie sind Hebräer, ich auch. Sie sind Israeliter, ich auch. Sie sind Abrahams Same, ich auch. Sie sind Diener Christi; (ich rede töricht) ich bin wohl mehr. Ich habe mehr gearbeitet, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin öfter gefangen, oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal empfangen vierzig Streiche weniger eines. Ich bin dreimal gestäupt, einmal gesteinigt, dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, Tag und Nacht habe ich zugebracht in der Tiefe (des Meers). Ich bin oft gereist; ich bin in Gefahr gewesen zu Wasser, in Gefahr unter den Mördern, in Gefahr unter den Juden, in Gefahr unter den Heiden, in Gefahr in den Städten, in Gefahr in der Wüste, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter den falschen Brüdern, in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße, außer was sich sonst zuträgt, nämlich dass ich täglich werde angelaufen und trage Sorge für alle Gemeinden. Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird geärgert, und ich brenne nicht? So ich mich je rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen. Gott und der Vater unsers HEERRN Jesus Christus, welcher sei gelobe in Ewigkeit, weiß, dass ich nicht lüge. Zu Damaskus, der Landpfleger des Königs Aretas verwahrte die Stadt der Damasker und wollte mich greifen; und ich wurde einem Korb zum Fenster aus durch die Mauer niedergelassen und entrann aus seinen Händen. Es ist mir ja das Rühmen nichts nütze; doch will ich kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des HERRN. Ich kenne einen Menschen in Christus vor vierzehn Jahren (ist er in dem Leib gewesen, so weiß ich’s nicht, oder ist er außer dem Leib gewesen, so weiß ich’s auch nicht; Gott weiß es); derselbe wurde entzückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne denselben Menschen (ob er in dem Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es). Er wurde entzückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann. Davon will ich mich rühmen; von mir selbst aber will ich mich nichts rühmen außer meiner Schwachheit. Und wenn ich mich rühmen wollte, täte ich darum nicht töricht; denn ich wollte die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber des, damit nicht jemand mich höher achte, denn er an mir sieht, oder von mir hört, Und damit ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satanas Engel, der mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht überhebe. Dafür ich dreimal zum HERRN gefleht habe, dass er von mir wiche; und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.

 

    Geliebte in Christus! Von Paulus, dem Apostel der Heiden, vernehmen wir hier aus seinem eigenen Mund ein merkwürdiges Stück seiner Lebensgeschichte. Viel erzählt uns ja St. Lukas in der Apostelgeschichte gerade von diesem Apostel, mit dem er sich sogar vom 13. Kapitel an allein beschäftigt; viel auch teilt er anlässlich von seinen Arbeiten und Taten, Kämpfen und Leiden in seinen Briefen selbst mit. Hier aber erfahren wir von Erlebnissen, von denen die Apostelgeschichte teils nur einiges, teils aber auch gar nicht berichtet und die erst der Jüngste Tag enthüllt haben würde, hätte Paulus nicht notgedrungen in seinem zweiten Brief an die Korinther davon reden müssen; hier zieht er mit eigener Hand einen Vorhang auf, hinter welchem unseren erstaunten Blicken ein wunderbar reiches und außerordentliches Gnaden-, Arbeits- und Kampfesleben dieses Zeugen Christi sich zeigt; hier erblicken wir ausnehmende Vorzüge des großen Apostels, aber auch als Gegengewicht ausnehmende Leiden desselben. Und welch ein hell-leuchtendes Vorbild ist dabei der teure Apostel in seinem ganzen Verhalten!

    So wollen wir denn ungesäumt zur näheren Betrachtung dieser merkwürdigen Selbstbekenntnisse des Paulus uns wenden, da sie auch um unseretwillen auf Eingebung des Heiligen Geistes geschehen sind. Lasst uns sehen

 

Welch ein zweifaches, schweres Leiden dem hochbegnadeten Heidenapostel als Gegengewicht aufgelegt war und wie er sich dabei verhielt

 

    Wir betrachten

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Dieses zweifache Leiden des Apostels und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Sein Verhalten bei demselben.

 

    O HERR, wir wissen ja, dass nur der geistliche Mensch geistliche Dinge zu richten vermag. Deshalb gib uns auch einen geistlichen Verstand der hohen Leiden, welche du um hoher Gnaden willen deinem auserwählten Rüstzeug unter den Heiden nach deiner Weisheit einst auferlegt hast und gib Gnade, dass wir in dieser Stunde daraus schöpfen, was dir zur Ehre und uns zum Heil gereicht. Amen.

 

1.

    Von Athen, der Stadt der Aufklärung, kam Paulus nach Korinth, der großen Handelsstadt, der Stadt des Reichtums und der Üppigkeit, dem Paris und London der alten Welt. Hatten ihn nun schon die in Athen gemachten Erfahrungen niedergeschlagen und traurig gemacht, so begann er seine Missionsarbeit nur umso mehr, wie er selbst bekennt, mit „Furcht und Zittern“ und „in großer Schwachheit“. Jedoch der HERR, der ihn alsbald mit der Versicherung gestärkt hatte, dass er in dieser Stadt ein großes Volk habe, tat der einfältigen, von der Welt töricht verachteten Predigt vom Kreuz die Herzen auf, und es entstand eine große, blühende, mit Gaben reich gesegnete und zumeist aus Heiden gesammelte Christengemeinde. Während nun aber Paulus neu gegründete Gemeinden mit berufenen Dienern des Worts alsbald zu versorgen und dann mit dem Evangelium, an andere Orte zu eilen pflegte, bleib er bei dieser Gemeinde über eineinhalb Jahre und pflegte sie, unterstützt von Mitarbeitern, auf das Beste. Mit welcher Selbstverleugnung aber das geschah, beweist unter anderem, dass er in Rücksicht auf die dortigen Verhältnisse das Evangelium ganz umsonst verkündigte, während er doch von anderen Gemeinden Sold und Unterhalt annahm. Er verdiente sich vielmehr dort seinen Unterhalt nebenbei durch Teppichmachen, und wenn er trotzdem Mangel hatte, ließ er sich lieber von Gemeinden aus Mazedonen denselben erstatten, als dass er von den Korinthern etwas annahm.

    Doch was geschah? Kaum hatte Paulus nach solcher anderthalbjährigen, so reich gesegneten Arbeit Korinth verlassen, so kamen falsche Apostel und betrügerische Arbeiter, die sich auf Kosten des Paulus in das Vertrauen der Korinther einzuschleichen suchten, indem sie sich ihrer angeblichen Vorzüge rühmten, mit giftiger, verleumderischer Zunge Paulus herabsetzten und verdächtigten und so den Korinthern das Herz zu ihrem geistlichen Vater zu stehlen suchten. Erst sollte das auserwählte Rüstzeug Gottes seinen Wert in den Augen der Korinther verlieren, um dann desto erfolgreicher sein Werk zu vernichten. Mit Verdächtigung der Person des Apostels fingen diese Geister an, um dann auch das Vertrauen zu der Reinheit und Richtigkeit seiner Lehre zu untergraben und so das Gift ihrer falschen Lehre desto erfolgreicher in der Gemeinde auszubreiten. So verfahren ja bekanntlich seit 500 Jahren die Papisten mit der Person Luthers und so die Schwarmgeister seit den Tagen der Reformation bis auf den heutigen Tag mit allen reinen lutherischen Predigern.

    Nun, diese Geister hätten immerhin lügen und wühlen können, so viel sie gelüstete. Falsche Lehrer und ihr Anhang können nicht anders auf Antrieb ihres Vaters, des Teufels. Aber das ist der Jammer, dass ihnen so gern Glauben geschenkt wird. Und so war es leider bei dem größten Teil der Korinther. Von den Prahlereien der falschen Apostel ließen sie sich imponieren, mit Misstrauen gegen ihren abwesenden geistlichen Vater und immer größerer Geringschätzung seiner Person, seines Amtes, seiner Verdienste um sie ließen sie sich immer mehr erfüllen. Allerlei verkehrte Reden und Urteile über ihn liefen in zunehmender Gestalt von Mund zu Mund. Der hinter seinem Rücken in der Gemeinde ausgestreute Unkrautsame der Verdächtigung und Verleumdung ging groß auf. Nun war auch nichts Gutes mehr an dem armen Apostel. Selbst sein anfänglich schüchternes Auftreten, selbst die seelsorgerliche Weisheit, mit der er anfangs den Schwachen ein Schwacher wurde, selbst die Unansehnlichkeit seiner äußeren Erscheinung, indem hier bei diesem Werkzeug ein gewaltiger Geist in einer kleinen schwächlichen Leibesgestalt wohnte – auch dies alles wurde der Verachtung preisgegeben, denn wie wir aus dem vorhergehenden Kapitel ersehen, hieß es unter anderem: „Die Briefe sind schwer und stark, aber die Gegenwart des Leibes ist schwach und die Rede verächtlich.“ So sank des Apostels Jesu Christi Ansehen in Korinth, wühr4end das der Teufels-Apostel stieg. Wie sehr letzteres der Fall war zeigt die wehmütige, mit etwas Ironie, mit etwas heiligem Spott vermengte Klage des Apostels, mit der die heutige Epistel beginnt und mit der er seinen hier nötig gewordenen apostolischen Selbstruhm gegenüber den eitlen Prahlereien und Aufschneidereien der falschen Apostel einleitet: „Denn ihr vertragt gerne die Narren, weil ihr klug seid. Ihr vertragt, wenn euch jemand zu Knechten macht, wenn euch jemand schindet, wenn euch jemand nimmt, wenn jemand euch trotzt, wenn euch jemand in das Angesicht streicht.“ Dass also die falschen Apostel die Christen zu Korinth um ihre evangelische Freiheit und unter das Joch des Gesetzes brachten; dass sie in ihrem Geiz die Korinther nun tüchtig zahlen machten und ihnen die Haut über die Ohren zogen; dass dieselben in ihrem Stolz prahlten und eine Priesterherrschaft aufrichteten: das alles ließen die Korinther von den falschen Aposteln sich bieten und gefallen und hielten sich darin noch für klug, während sie nun dem Apostel misstrauten und verachteten, der ihnen die Freiheit in Christus brachte, der keinen Heller von ihnen genommen hatte, damit er niemand beschwerlich falle, und der unter ihnen das Gegenteil von Priesterstolz und Pfaffenherrschaft war.

    Das war also der Dank für all den Segen, den Paulus in Korinth gestiftet, für all die beispiellose Treue, Liebe und Uneigennützigkeit, mit der er in diesen achtzehn Monaten unter ihnen gearbeitet hatte. Da hätten sie ihn doch besser kennen sollen. Wahrlich, sie hatten nicht schön an ihrem Vater in Christus gehandelt, dass sie, beeinflusst und beschwatzt von den falschen Aposteln, so gar das Herz zu ihm verloren, so gar ihn verkannten!

    Wie empfindlich weh tut es doch überhaupt einem Christen, wenn er nichts als Verkennung seiner Person, seiner aufrichtigen Gesinnung und seiner lauteren Absichten, seiner selbstverleugnenden Liebe und seines richtigen Handelns erfahren muss, wo ihm dankbare und ermunternde Anerkennung zuteil werden sollte und das gerade von denen, welche solche reichlich erfahren haben, welche solch genugsam kennen sollten, welche nicht mehr zur blinden, verkehrt urteilenden Welt, sondern zu den Christen gehören wollen. Welch ein schweres Leiden ist nun aber erst solche Verkennung für einen rechtschaffenen Diener Christi, sei er Pastor einer Gemeinde, sei er Lehrer an einer höheren oder niederen Schule der Kirche. Ja, wenn es sich dabei nur um seine Person handelte, das wäre schon leichter, wie weh es auch immerhin täte! Aber hier handelt es sich um das einem Prediger oder Lehrer so nötige Vertrauen seiner Zuhörer oder Schüler, ohne welches ja alle seine Arbeit im Amt keine rechte Frucht haben kann. Wenn nun er aber solches Vertrauen bereits besessen hat und es wird ihm durch Aufredereien und dergleichen zerstört, so wird das Leiden solcher Verkennung noch empfindlicher. Am schmerzlichsten aber ist es, wenn alsdann diese Verkennung von falschen Lehrern und Winkelschleichern herbeigeführt worden ist, welche ganz nach Art der korinthischen Schleicher in rechtgläubige Gemeinden einbrechen, wie dies hierzulande viele unserer lutherischen Pastoren, namentlich aber unsere Reiseprediger, erfahren müssen, und das nicht nur von Schwarmgeistern, sondern auch von lutherisch sich nennenden betrügerischen Arbeitern, denn hier handelt sich‘s um den Verlust der reinen Lehre und um die Zerstörung ganzer Gemeinden. Welch ein schweres Leiden war nun vollends die einem Paulus durch die falschen Apostel herbeigeführte Verkennung in der korinthischen Gemeinde! Wie wehe sie ihm tat, sieht man daraus, dass er wenige Verse nach unserem Text klagt: „ich will sehr gerne darlegen und dargelegt werden für eure Seelen, wiewohl ich euch gar sehr liebe, und doch wenig geliebt werde.“

    Nun, Geliebte, solche Verkennung schon sollte nach der erziehenden Weisheit Gottes dem teuren Apostel ein Gegengewicht sein, dass er sich der erstaunlichen Erfolge seiner Amtswirksamkeit und der Anerkennung nicht überhebe, die ihm anderwärts zu Teil wurde, wie z.B. von den Gemeinden in Mazedonien, vornehmlich aber von der Gemeinde in Philippi. Gott hängte ihm dies Gegengewicht der Verlästerung und der Verkennung an, damit die Uhr seines inwendigen Lebens im rechten Gang und er so bis an sein seliges Ende das auserwählte Rüstzeug in der Hand des HERRN bliebe. Und dass dies heute noch die Weise bei seinen ausgezeichneten Werkzeugen ist, sehen wir an lebenden Beispielen.

    Ungleich schwerer ist jedoch das andere Leiden, darüber in heutiger Epistel gleichfalls sein Herz uns erschließt. Es ist dies die satanische Misshandlung, welche ihm der HERR auferlegte, damit er sich der ihm gewordenen hohen Offenbarung nicht überhöbe.

    Blicken wir zunächst auf jene hohe Offenbarung. Nachdem er nämlich, den Widersachern das Maul zu stopfen, in den weiteren Worten unserer Epistel auf das hingewiesen hatte, wessen er sich mit Recht gegenüber den falschen Aposteln rühmen könnte und worauf wir noch mit Wenigem zurückkommen werden, so fährt er fort: „Es ist mir ja das Rühmen nichts nütze, doch will ich kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des HERRN.“ Solche Gesichte und Offenbarungen hatte der Apostel ja freilich mehr als eine, wie uns davon sein Reisegefährte und Mitarbeiter, der Evangelist Lukas, in der Apostelgeschichte erzählt. Aber diese alle wurden von einer übertroffen, von der er 14 Jahre lang niemandem etwas sagte und von der er auch bis an sein seliges Ende geschwiegen haben würde, hätte er nicht um der Ehre Gottes und des Heils der Seelen willen jetzt den Mund öffnen müssen. So führt er denn fort: „. Ich kenne einen Menschen in Christus vor vierzehn Jahren (ist er in dem Leib gewesen, so weiß ich’s nicht, oder ist er außer dem Leib gewesen, so weiß ich’s auch nicht; Gott weiß es); derselbe wurde entzückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne denselben Menschen (ob er in dem Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es). Er wurde entzückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann.“ Dass nun er selbst dieser Mensch war, von dem er aus Bescheidenheit in der dritten Person redet, vernehmen wir aus den gleich folgenden Worten: „Davon will ich mich rühmen; von mir selbst aber will ich mich nichts rühmen außer meiner Schwachheit. Und wenn ich mich rühmen wollte, täte ich darum nicht töricht; denn ich wollte die Wahrheit sagen.“

    Mit dieser Entzückung in der Paradies, bis in den dritten Himmel, die für eine Weile bei Leibesleben des Apostels vor 14 Jahren ihm zuteil wurde und von der er selbst nicht weiß, wie es dabei zuging, empfing der Apostel von Gott eine Auszeichnung, wie noch kein Sterblicher ihrer gewürdigt wurde. Herrliche Gesichte haben Propheten gehabt. Mit Mose hat der große Gott sogar geredet wie ein Freund mit seinem Freund. Die anderen Apostel haben den Sohn Gottes im Fleisch gesehen und drei Jahre bei dem Schönsten unter den Menschenkindern gewohnt, und Stephanus sah den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen. Aber bei Leibesleben auf eine Weile bis ins Paradies, bis in den dritten Himmel, entrückt zu werden, das wurde nur einem Paulus zuteil, wenigstens gedenkt die Schrift keines weiteren derartigen Falls.

    Es wäre ja nun ebenso vergeblich wie unstatthaft, forschen zu wollen, was da der Apostel alles gesehen und gehört hat, denn nicht nur äußert sich der #Apostel darüber in keiner Weise, sondern er sagt auch ausdrücklich, dass er dort „unaussprechliche Worte“ gehört habe, „welche kein Mensch sagen kann“. Das, was wir hier von dem Apostel hören, genügt, umso mehr nach zukünftigen Herrlichkeit zu verlangen, zu welcher wir durch einen seligen Tod der Seele nach und durch die Auferstehung am Jüngsten Tag auch dem Leib nach gelangen sollen, und das nicht für eine Weile, sondern dieser Welt ganz und gar entrückt für alle Ewigkeit.

    Nicht um ihn mit dieser hohen Offenbarung glänzen, sondern unter seiner ausnehmenden Amts- und Kreuzeslast eine besondere Stärkung und Erquickung genießen zu lassen, wurde der Apostel derselben gewürdigt. Dazu gerbrauchte er sie auch nur. Darum schwieg er 14 Jahre von derselben und da er jetzt von ihr reden muss, macht er vor Menschen davon so wenig wie möglich Aufhebens. Er spricht vielmehr: „Ich enthalte mich aber des“ (nämlich von dieser Offenbarung viel Redens und Rühmens zu machen), „damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört“. Bei alledem war und bleib ihm doch das Höchste und Teuerste und Unentbehrlichste die überschwängliche Erkenntnis Christi durchs Wort – und deren sind ja auch wir gewürdigt, die wir keine Gesichte und Offenbarungen haben und sie nicht begehren sollen.

    In solcher Demut den lieben Apostel zu erhalten, hatte eben Gott der hohen Offenbarung ein Gegengewicht gegeben. Das die alsbald folgende und dann bleibende satanische Misshandlung. Diese fasst er in die bildliche Rede: „Und damit ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satanas Engel, der mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht überhebe. Dafür ich dreimal zum HERRN gefleht habe, dass er von mir wiche; und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“

    Da der Apostel sich über diese satanische Misshandlung nicht näher ausspricht, so war sie für ihn ein heimliches Leiden und sollte es auch so viel wie möglich bleiben. Es wäre daher nutzlos und unstatthaft, dieses erklären zu wollen. Nur folgendes können wir aus allem abnehmen. Da das Maß der Leiden, wie sie uns der Apostel in den vorausgehenden Worten schildert, schon ein ganz ungewöhnliches ist, und doch als Gegengewicht zu dieser hohen Offenbarung offenbar nicht ausreichend war, welch ein furchtbares Leiden muss demnach diese satanische Misshandlung gewesen sein, in welchen satanischen Plagen und Anfechtungen musste es bestanden haben! Können wir uns doch von ihnen keine Vorstellung machen! Da ferner der Apostel ein ebenso geübter wie williger Kreuzträger war, indem er sich sogar der Trübsale rühmte, und er hier gleichwohl seinem Heiland nach den HERRN dreimal um Überhebung dieses bitteren Kelches anflehte, so musste es wohl die Kräfte des Leibes und der Seele so aufgerieben haben, dass es dem Apostel kommen wollte, es leide sein Amt darunter, er könne es nach Gebühr nicht mehr ausrichten. Endlich aber, da es ihm auf sein dreimaliges Flehen nicht angenommen wurde, indem er den Bescheid erhielt: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“, so war es also zugleich ein langwieriges Leiden. Nun weiß man ja aus der Erfahrung, dass die Langwierigkeit ein Leiden umso viel schwerer macht.

    So kennen wir denn nun mehr oder weniger das zweifache, besonders schwere Leiden, das dem vorzugsweise begnadeten Apostel vom HERRN als Gegengewicht auferlegt wurde. Lernen wir nun noch mit wenigem sein Verhalten unter diesem doppelten Leiden kennen.

 

2.

    Wie verhielt er sich demnach fürs erste bei der ihm widerfahrenen Verkennung? Er schweigt nicht ganz still zu all den Verdächtigungen und Verleumdungen, die in der Gemeinde zu Korinth über ihn in Umlauf gebracht worden sind. Er denkt und sagt nicht: Es ist mir ganz gleich, was die falschen Apostel von mir sagen und was die Korinther von mir glauben. Genug, wenn ich mir vor Gott meiner Unschuld bewusst bin. Jenen Verleumdern kann man doch den Mund nicht stopfen und haben mich die Korinther während der anderthalb Jahre meiner Wirksamkeit unter ihnen nicht besser kennengelernt, halten sie es nicht einmal der Mühe wert, sich an mich zu wenden und mich zu fragen, ob sich’s auch so verhielte, wie die falschen Apostel von mir sagen, sondern glauben flugs jenen Redereien über mich, nun so verdienen sie es auch nicht, dass ich mich irgendwie vor ihnen zu rechtfertigen suche. Sein Verhalten ist hier ein ganz anderes. So sehr es auch in anderen Fällen bei ihm hieß: „Ich muss sein wie ein Tauber, der nicht hört, und wie ein Stummer, der keine Widerrede im Mund hat“, hier verteidigt er sich unaufgefordert, ja, gegenüber den Prahlereien der falschen Apostel rühmt er sich sogar selbst und zählt nacheinander auf, wessen er sich in Wahrheit vor Gott und Menschen rühmen könne. Er zeigt nicht nur, dass er das alles auch ist, dessen sich die falschen Apostel rühmen, sondern dass er sie sogar in vielen anderen Dingen weit übertreffe – in seinen Trübsalen, Verfolgungen, Beschimpfungen, Gefahren, Mühsalen und Arbeiten um des Evangeliums willen, in seiner brennenden Liebe zu den erlösten Seelen, in seinen wunderbaren Errettungen und zuletzt auch in seinen Gesichten und Offenbarungen.

    Aber warum verteidigt er sich hier unaufgefordert gegen die Verdächtigungen und Verleumdungen? Warum greift hier der so demütige und so bescheidene Apostel sogar zum Selbstruhm? Nun, die Antwort liegt in den gleich zu Anfang geschilderten Umständen. Es gilt die Rettung der Ehre seines Gottes, dessen Apostel er ist und dessen Wort er predigt, das aber nun durch die falsche Lehre jener Teufelsapostel aus Korinth verdrängt werden soll; es gilt die Rettung der Seelen seiner lieben Korinther, die nun durch die falschen Apostel ganz und gar verstört sind, die Rettung einer ganzen, bis dahin blühenden und großen Gemeinde aus den Händen jener Verwüster. Hier wäre Schweigen nicht Demut und Sanftmut, sondern Stolz und Lieblosigkeit gewesen. Ach, nur der Eifer um die Ehre seines Gottes tat ihm auch hier den Mund auf, und die brennende Liebe zu seinen Korinthern drang ihn, denselben sogar nachzugehen, obwohl er von ihnen so wenig geliebt, so schnöde vielmehr behandelt worden war. Wie wenig ist daher um solcher Ursachen willen der Selbstruhm des Paulus gegen die falschen Apostel ein eitler, wie redet überall die herzlichste Demut, wie fühlt man es bei jedem Wort, dass er in derselben viel lieber geschwiegen hätte, wie sagt er auch nur so viel, wie er gerade muss.

    In solchem Verhalten hat er denn uns auch zugleich ein hell leuchtendes und lehrreiches Vorbild hinterlassen, das uns zeigt, dass und wann und wie ein Christ einmal auch sich selbst rühmen könne und solle.

    Und wie verhielt er sich fürs andere bei der satanischen Misshandlung? Wohl fleht er dreimal um Wegnahme derselben; aber da er vernimmt, sie sei notwendig, damit er sich der hohen Offenbarung nicht überhebe, dass er nicht wie Luzifer falle, sondern des HERRN Apostel bleibe; da ihn Gott seiner fortwährenden Gnade versichert, durch die er alles überwinde und die ihm alles Leid versüßen könne, und da er zugleich hört, dass diese Faustschläge des Satans ihm in seinem Amt nicht nur nicht hinderlich sein dürfen, sondern vielmehr förderlich sein müssen, da gerade in den Schwachen Gottes Kraft mächtig ist, so gibt er sich nicht nur ganz zufrieden, sondern bekennt auch am Schluss unseres Textes: „Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.

 

    Nun, Geliebte, wir haben heute einmal einen Blick in des Apostels äußeres und inneres Leben getan, der uns viel Lehre, viel Trost, viel Ermunterung zur Führung unseres Christentums gibt, auch wen wir nur eine geringe Stellung im Reich Gottes einnehmen und weder von so hohen Vorzügen, noch von so außerordentlichen Leiden wissen. Lasst mich jedoch zum Schluss noch ein Doppeltes bemerken.

    Wie tief muss doch im menschlichen Herzen der Hochmut sitzen, dass selbst bei einem schon so gedemütigten Paulus es noch eines solches Gegengewichts bedurfte, um ihn bei der hohen Offenbarung in der Demut zu erhalten, und wie gefährlich muss doch derselbe einem Christen und besonders einem berufenen Diener des Wortes sein, dass Gott sogar das dreimalige Flehen eines Paulus um Wegnahme der satanischen Misshandlung nicht erhören kann, obwohl dasselbe nicht aus Kreuzesflucht geschah! O, so werden denn auch bei uns alle Trübsale, ob es gleich nicht satanische Misshandlungen sind, besonders aber alle langwierigen und dabei heimlichen Leiden vornehmlich dahin gemeint sein, uns in der Demut zu erhalten. Das lasst uns erkennen und darum Paulus nach ergebungsvoll Gott still halten.

    Was muss es aber um die Gnade unseres Gottes sein, dass Gott einem Paulus auf sein Flehen antworten konnte: „Lass dir an meiner Gnade genügen!“ Da nun dies Wort auch einem jeden unter uns gilt, o, so lasst uns es recht gebrauchen. Sind dir also keine Vorzüge verliehen, so beneide keinen Bruder um derselben willen, sondern bedenke nicht nur, dass bei großen Vorzügen auch große leiden zur Demütigung sein müssen, sondern auch, dass du einem Paulus und jedem anderen im Reich Gottes in einem und zwar dem besten und nötigsten Stück völlig gleich gestellt bist. Das ist die Gnade Gottes in Christus Jesus, die da in Vergebung der Sünden, in der Kindschaft Gottes und in der Erbschaft des ewigen Lebens besteht und deren du durch Wort und Sakrament immer von neuem gewiss gemacht wirst. An dieser lass dir genügen, wenn du den Mangel an so manchen Vorzügen fühlst, vor allem aber, wenn dein Weg immer trübsalsvoller wird und erfahre dann mit Dank gegen den HERRN und zum Trost deiner Seele, wie seine Kraft in den Schwachen mächtig ist, bis endlich das Stündlein kommt, das dich der Seele nach oder der Tag, der dich auch dem Leib nach in das himmlische Paradies entrückt, wo du dann nicht auf Augenblicke, sondern in Ewigkeit hörst und siehst, was hienieden unaussprechlich und unerfasslich ist, Das helfe dir und mir durch seinen Heiligen Geist der gnädige Gott um Christus, seines Sohnes, willen. Amen.

 

Gebet: HERR Gott, himmlischer Vater, bewahre uns vor Hoffart und gib Gnade, dass wir uns das heilige Kreuz jederzeit zu deiner Furcht und christlicher Demut dienen lassen, damit wir an jenem Tag als treue Haushalter deiner Güter und Gaben erfunden und ewig selig werden durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: Schatz über alle Schätze. Str. 4-7

 

 

Epistelpredigt zum Sonntag Estomihi (Sei mir ein starker Fels, Ps. 31,3) ueber 1. Korinther 13: Des Paulus Lied von der heiligen Liebe

 

Lied: Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld

 

    Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem Vater und dem HERRN Jesus Christus, der sich selbst gegeben hat für unser Sünde, dass er uns errettete von dieser gegenwärtigen und argen Welt nach dem Willen Gottes und unseres Vaters, welchem sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

1. Korinther 13: Wenn ich mit Menschen–und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich; die Liebe ist nicht eifersüchtig; die Liebe treibt nicht Mutwillen; sie bläht sich nicht auf; sie stellt sich nicht ungebärdig; sie sucht nicht das Ihre; sie lässt sich nicht erbittern; sie trachtet nicht nach Schaden; sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit; sie freut sich aber der Wahrheit; sie verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden, und die Sprachen aufhören werden, und die Erkenntnis aufhören wird. 9 Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

 

    Geliebte in dem HERRN! Erhabener, schöner und wahrer ist wohl noch nie das Lob der nicht aus natürlichen Kräften erzeugten, sondern durch den Heiligen Geist gewirkten wahrhaftigen Liebe zu dem Nächsten in menschlichen Worten ausgesprochen, als es hier auf Eingebung des Heiligen Geistes durch den Mund des Paulus geschieht. Es hat ja auch der heilige Johannes, getrieben von demselben Geist, gar herrlich und köstlich von der aus dem Glauben kommenden Liebe zu dem Nächsten und besonders zu den Brüdern geredet; doch dieses Lob der Liebe durch Paulus übertrifft alles. Mit Recht hat man daher dieses 13. Kapitel des Korintherbriefes „das andere hohe Lied von der Liebe“ genannt, denn wie einst der Heilige Geist durch den Mund Salomos die Liebe der gläubigen Seele, wie der Gesamtheit aller gläubigen Seelen, zu Christus, dem himmlischen Bräutigam, in einem hohen Lied besang, so hier Paulus, die mit dieser Liebe zu Jesus gepaarte, aus dieser Liebe fließende Liebe zu dem Nächsten, die bekanntlich in der ganzen zweiten Tafel der heiligen zehn Gebote von uns gefordert wird und deren Summa ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“

 

Des Paulus hohes Lied von der heiligen Liebe

 

Sei daher Gegenstand meiner Predigt. Wir betrachten in derselben

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Den Inhalt,

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Den Zweck

3.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Den Sänger dieses hohen Liedes.

 

    HERR Gott, Heiliger Geist, gib mir hierzu Mund und Weisheit und meinen Zuhörern Empfänglichkeit5. Lass auch meine Zunge sein der Griffel eines guten Schreibers, so dass, ob ich wohl nur deinem Apostel nachlallen kann, doch dies hohe Lied in unser Herz durch deinen Finger geschrieben werde und aus demselben in Wort und Werk zur Ehre Jesu und zum Heil dieser Gemeinde immer mehr widerhalle. Ach, das wollest du tun, der du ja durch das gepredigte Wort wirkst und verheißen hast, dass es nicht leer wieder soll zurückkommen. Amen.

 

1.

    Dreiteilig ist der Inhalt dieses hohen Liedes von der Liebe, denn der Apostel preist deren hohen Wert, deren segensreiche Art und deren unvergängliche Dauer.

    Von dem hohen Wert der Liebe sagt er: „Wenn ich mit Menschen–und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.“

    Zungenreden oder die Gabe, in fremden, noch nie gelernten Sprachen Gottes Ruhm verkündigen; Weissagen oder die Gabe der Prophezeiung und Schriftauslegung; Erkenntnis oder tiefe Einsicht in die göttlichen Geheimnisse und Glaube, nicht der rechtfertigende, sondern der wundertätige Glaube – es sin d die herrlichsten jener außerordentlichen Gaben, mit denen Gott vorzugsweise wegen der schnelleren Ausbreitung seiner Kirche die apostolische Zeit bedacht hat. Sie haben aber nur ihren Wert, versichert der Apostel, sie dienen nur dann ihrem Zweck, wie sie sollen, wenn die Triebfeder bei ihrem Gebrauch nicht die eigene Ehre, der eigene Nutzen, sondern die Liebe des Nächsten ist. Wenn ein Prediger oder ein sonst hervorragender Christ in außerordentlicher oder ordentlicher Weise mit Zungen redete, wie nur irgendein beredter Menschenmund, ja, über Vermögen hinaus wie ein Engelmund – flöße seine herrliche Beredsamkeit nicht aus der Liebe, so wäre er ein seelen- und herzloses Erz, gleich der Posaune oder der Orgelpfeife und eine klingende Schelle, gleich der Glocke, die mit metallener Zunge, selbst herzlos und ohne Mitgefühl, bei freudigen oder traurigen Anlässen zum Gotteshaus ruft. Und ob man besonders mit dem Weissagen und der Erkenntnis der Gemeinde noch so viel nütze und mit dem wundertätigen Glauben Berge des Elends ins Meer würfe und damit zugleich den Lauf des Evangeliums mächtig förderte – vor dem Herzenskündiger wäre ohne die Liebe man nichts, wäre für den Heiligen Geist etwa nur die Röhre, durch welche sich seine Wasser erfrischend und erquickend ergießen. Ja, man täusche sich nicht! Selbst die Hingabe alles zeitlichen Besitztums zum Besten der Armen, selbst die Erduldung des qualvollen Todes in den Flammen, indem man andere denselben zu entreißen sucht – sie haben ihren Lohn dahin, wenn etwa heimlich im Herzen der Ehrgeiz die eigentliche Triebfeder solcher heroischen Taten ist und nicht die demütige Liebe, während durch sie vor dem HERRN höher steht das Scherflein der Witwe dort beim Gotteskasten und jener Dienst der Liebe im Verborgenen, jene nur Gott bekannte Treue im Geringen, bei dem man seine Kräfte aufreibt und wie ein Licht ist, das sich allmählig selbst still verzehrt, indem es andern leuchtet.

    Damit man aber nur umso mehr erkenne, dass die größten Gaben und Werke nur durch die Liebe recht ihrem Zweck dienen und sich zu einem rechten Nutzen erzeigen, so redet der Apostel im zweiten Teil seines hohen Liedes von der Art der heiligen Liebe und malt in unvergleichlicher Weise das Bild ihres stillen Waltens und Wirkens in drei Hauptzügen.

    Erstens zweigt er, wie so wohltuend, so gewinnend diese Liebe gegen den Nächsten sich hält, denn „die Liebe ist langmütig und freundlich“. Sie wartet auf des Nächsten Besserung, pflegt jedes gute Keimlein, das sie wahrnimmt, zeigt sich nicht mürrisch und verdrossen, wenn‘s langsam geht und wandelt sich nicht in Kälte um, zieht nicht die Hand zurück, wo Unverstand und Schwachheit ihr hindernd entgegentritt, wo man sie kränkt oder verkennt. Überall spürt man das Herz, das da redet und handelt, auch da, wo diese Liebe zürnen und strafen muss, vielleicht sogar nach Notdurft mit harten Worten, wie Christus, da er zu seinem lieben Petrus sprach: „Hebe dich weg von mir, Satan, denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.“

    Zweitens zeigt der Apostel, wie die Liebe sorgfältig alles meidet, was dem Nächsten weh tun, ihn kränken, erbittern, zurückstoßen könnte. Er sagt: „Die Liebe ist nicht eifersüchtig“, d.h. sie wird nicht eifersüchtig über die Vorzüge anderer und deren Anerkennung oder fängt gar Rotterei an um unverdienter oder nur vermeintlicher Zurücksetzung. Ferner: „Die Liebe treibt nicht Mutwillen“, denn sie behandelt den Nächsten nicht übermütig, macht ihn nicht zum Gegenstand des Witzes und Gelächters oder durch Ausplaudern seiner Heimlichkeiten zum Gegenstand des Klatsches; eben deshalb verabscheut und straft sie z.B. auch den hierzulande alljährlich im Schwang gehenden Valentinsunfug, da man hässliche, beleidigende Zerrbilder mit eben solchen Verslein ohne Namensunterschrift dem Nächsten durch die Post zusendet und durch solche feige Niederträchtigkeit zu so viel Argwohn, Hass und Feindschaft Anlass gibt. Weiter: „Die Liebe bläht sich nicht auf“, d.i. sie will nicht prahlen mit Geld und Gut, schönen Kleidern und kostbarem Hausrat oder Gaben und Werken, sondern hält von anderen gern höher, lässt lieber andere etwas gelten. „Die Liebe sucht nicht das Ihre“, nämlich nicht ihren Vorteil mit des Nächsten Nachteil, ja, auch in Erweisung von Dienst und Wohltat nicht Gegendienst oder auch nur Lohn und Dank – o eines der herrlichsten Kennzeichen wahrer Liebe diese Selbstlosigkeit! Weiter sagt der Apostel von dieser so herzlichen, sorgfältigen, rücksichtsvollen Liebe: „Sie lässt sich nicht erbittern“, sie lässt sich nicht dahin bringen, dass sie, wo sie Undank, Beleidigung, Verkennung erfährt, das Herz von einzelnen Personen oder einer ganzen Gemeinde abwendet und verletzt und gekränkt sich zurückzieht, sondern fährt fort, zu dienen und wohlzutun. „Sie trachtet nicht nach Schaden“, nämlich, sie sinnt bei erfahrener Beleidigung nicht nach Rache und Wiedervergeltung, sondern entschuldigt auch da, wo sie nur kann und legt auch da alles noch zum Besten aus. Endlich: „Sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber der Wahrheit.“ Und darin zeigt sich ihr göttlicher Ursprung, dass sie eine heilige Liebe ist, die sich über alle Ungerechtigkeit in Lehre und Leben betrübt und dagegen eifert, über alle Wahrheit aber, wo sie bekannt und betätigt wird, die Freude äußert. Weil sie sich aber nur der Wahrheit und nicht der Ungerechtigkeit freut, so arbeitet sie bei sich und anderen nur umso mehr der so allgemeinen Krankheit unter den Menschen entgegen, deren Nachwehen leider auch die Wiedergeborenen fort und fort bei sich spüren, da man nämlich sich so gern mit dem Unrat zu schaffen macht, der vor fremden Türen liegt, über den man sich in Gesellschaften belustigt, den von Haus zu Haus trägt, des etwaigen Guten am Nächsten aber nicht gedenkt oder es doch verkleinert.

    Und drittens rühmt der Apostel, wie diese heilige, aus Gott geborene Liebe so viel tragen kann, ohne müde zu werden.Sie verträgt alles“, indem sie lieber zudeckt als aufdeckt und um des Friedens willen allerlei Unarten und Gebrechen dem Nächsten zugute hält, so viel sie immer kann. „Sie glaubt alles“ – nicht, dass sie leichtgläubig ist, sondern dass sie besonders jedes Gemeindeglied, das nicht durch beharrliche Leugnung in der Lehre oder beharrliche Verachtung und Versäumung des Wortes und Sakraments oder Unbußfertigkeit im Wandel als ein Nichtchrist offenbar geworden ist, noch für einen, wenn auch sehr schwachen, Christen hält. „Sie hofft alles“ – hofft die Besserung des gebrechlichen und strauchelnden Nächsten von einer Zeit zur anderen und gibt auch den Gottlosen nicht rettungslos auf, sondern hält immer noch dessen Bekehrung für möglich und betet um diese. „Sie duldet alles“, alle Beleidigung, alles Unrecht, entweder mit sanftmütiger Vorstellung, den Nächsten zu gewinnen, oder mit sanftmütigem Schweigen, dem alles anheimstellend, der da recht richtet.

    Das ist die Liebe nach ihrer Art und Natur, ihren Kräften und Werken. Wer erkennt gerade hieran nicht, dass sie ist „das Band der Vollkommenheit“, welches die Gemeinde auf dem Grund der reinen Lehre zusammenhält? Wer sieht nicht, dass selbst nicht die herrlichste Geistesgabe, sondern die Liebe allein die Rechtschaffenheit des Christentums erweist und den wahren Glauben bezeugt!

    Zum völligen Lob der Liebe singt und sagt endlich der Apostel auch von ihrer unvergänglichen Dauer. Das ist der dritte Teil seines hohen Liedes.

    Diese zeigt der Apostel zunächst in ihrem Verhältnis zu den Wundergaben und Amtsgaben. „Die Liebe“, sagt er, „hört nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden, und die Sprachen aufhören werden, und die Erkenntnis aufhören wird. 9 Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.“ Alle Wunder- und Amtsgaben, die Gott seiner Kirche verliehen hat, haben also ihre Dauer, ihre Bestimmung nur für dies zeitliche Leben. Dort bedarf es keiner Zungen mehr, denn Engel und Auserwählte reden nur Eine Sprache, die Sprache der zukünftigen Welt; die Liebe aber bleibt. Dort bedarf es auch keiner Weissagung, keiner Prophezeiung, keiner Schriftauslegung, keiner Predigt mehr, denn alles ist erfüllt, und wir schauen Gott von Angesicht zu Angesicht. Dort bedarf es auch keiner Unterweisung in der Erkenntnis mehr; denn ob auch unser Wissen von Gottes Wesen und Willen für dieses Leben vollkommen richtig und zum Seligwerden völlig hinreichend ist, so ist es im Vergleich zur Sache selbst und zu jenem Leben doch nur Stückwerk und haben wir hienieden von den himmlischen Dingen Vorstellungen und Ausdrücke, wie in irdischen Dingen die des unmündigen Kindes im Verhältnis zu denen des gereiften Mannes. Und obschon das geschriebene Gotteswort in menschlicher Rede Gottes Wesen und Willen uns genügend offenbart und das Nötigste auch ein Kind verstehen kann, so schauen wir doch alles nur im Bild, nur im Spiegel des Worts. Aber während an die Stelle all dieser Unvollkommenheit im Wissen und Erkennen die Vollkommenheit durch die unmittelbare Anschauung Gottes tritt und alle Wundergaben aufhören, braucht an die Stelle der Liebe dort nichts zu treten. Die Liebe bleibt. 

    Die unveränderliche Dauer der Liebe zeigt der Apostel sogar in ihrem Verhältnis zu den Heiligungsgaben, denn er fasst sein Lied von der Liebe in die bekannten, freilich auch sehr missbrauchten herrlichen Worte: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Wenn nun aber der Apostel von Glaube, Hoffnung und Liebe sagt, dass die Liebe die größte unter ihnen sei, so soll das nicht so verstanden werden, als komme nichts darauf an, was jemand von Gott glaube oder nicht glaube, oder von dem Leben nach diesem hoffe oder nicht hoffe, wie dies Ungläubige, Glaubensmenger und Schwärmer so gerne deuten. Gerade solche verkehrten Gedanken abzuschneiden, bindet der Apostel vielmehr diese drei mit den Worten zusammen: „Nun bleiben aber Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei.“ Während nämlich die Wundergaben der Kirche mehr nur für die Zeit der Pflanzung derselben gegeben sind, bleiben die durch Wort und Sakrament geschenkten Heiligungsgaben, dieweil sie zum Seligmachen einem jeden Menschen unbedingt nötig sind. Glaube, Hoffnung, Liebe aber sind eben diese Heiligungsgaben; denn der Glaube, der das Verdienst Christi ergreift, macht zum Christen, und die Liebe, in welcher dieser Glaube tätig ist, beweist den Christen, und die Hoffnung, die nichts anderes ist als das Warten des Glaubens auf die verheißene Hilfe und auf die zukünftige Herrlichkeit, erhält und bewährt den Christen im Glauben und in der Liebe.

    In einem ganz anderen Sinn bezeichnet der Apostel die Liebe unter den Heiligungsgaben als die größte; denn nicht nur ist sie das, weil der Glaube und die Hoffnung allein gegen Gott handeln, während die Liebe gegen den Nächsten herausgeht und ihm allerlei Gutes tut, und nicht nur wird durch sie, die aus dem Glauben geboren ist und von der Hoffnung genährt wird, das Ebenbild des in uns hergestellt, von dem es heißt: „Gott ist die Liebe“, denn  „wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“: sondern auch und vornehmlich, weil sie unter diesen drei unzertrennlichen Heiligungsgaben die allein unveränderliche ist. Der Glaube wird ja dort zum Schauen und die Hoffnung zum Haben, die Liebe aber erfährt keinerlei Verwandlung, sie bleibt auch in jener Welt, was sie war in dieser Welt, nur vollkommener, nur brünstiger gegen Gott und alle Auserwählten, nur reiner und von allen Banden befreiter wird sie sein, eine nunmehr himmlische Liebe in dem Sinn, dass sie nicht mehr trauen, nicht mehr sich sehnen muss, sondern dass sie nur eine gesättigte, nur eine selige, nur eine triumphierende Liebe ist!

    Das, meine Zuhörer, ist das hohe Lied der Liebe durch den Mund des Paulus seinem dreiteiligen Inhalt nach, den ich freilich dem Apostel nur nachstammeln konnte.

 

2.

    Fragen wir nun, welches der Zweck dieses hohen Liedes sei, so finden wir ihn deutlich in den Worten angegeben, welche unserer Epistel unmittelbar sowohl vorausgehen als auch nachfolgen. Nach diesen ist er ein doppelter: Es stimmt der Apostel sein Lied zur Beschämung und zur Reizung an.

    Unmittelbar vor unserer Epistel, zur Einleitung dieses Lobes der Liebe, schließt er nämlich das 12. Kapitel mit den Worten: „Strebt aber nach den besten Gaben. Und ich will euch einen noch köstlicheren Weg zeigen.“ Dieser köstlichere Weg ist eben die Liebe. Warum muss nun aber der Apostel die Liebe als die köstlichste und nötigste aller Gnadengaben erst noch zeigen und diese den Korinthern in so erhabenen, schwungvollen Worten anpreisen, da sie es doch selbstverständlich ist? Die Antwort liegt in den korinthischen Verhältnissen.

    Es ist bereits in den vorausgehenden Predigten bemerkt worden, dass die korinthische Gemeinde vor anderen Gemeinden mit einer Fülle von Wundergaben bedacht war. Es geschah das, weil diese Gemeinde inmitten einer großen Handelsstadt einen großen Missionsberuf hatte und der hohe Bildungsgrad im griechischen Volksleben zu desto erfolgreicherer Ausrichtung dieses Berufes einen Reichtum von Geistesgaben erheischte. Aber diese auffallenden, früher nie gekannten Wirkungen der Ausgießung des Heiligen Geistes hatte die Korinther bei ihrem Nachlassen in der Heiligung zu einer Nahrung der Eitelkeit mehr oder weniger gebracht, hatten nach dem Wert und der Größe der Gabe den Wert der Person und den Grad ihres Christentums bemessen und dabei unter den Gaben nicht diejenigen aufs höchste geschätzt, mit welchen zugleich auch der Gemeinde am meisten genützt werden konnte, wie z.B. die Weissagung, sondern mit welchen man am meisten glänzen konnte, wie das Zungenreden, dem als ordentliche Gabe die natürliche Beredsamkeit entspricht und auf die auch heute noch unter den Christen ein ungebührlicher Wert gelegt wird. Seht, darum sucht er im vorigen Kapitel die Korinther zur rechten Wertschätzung zu führen. Indem er sie aber schließlich nach der besten, d.i. nach den der Gemeinde nützlichen Gaben zu streben auffordert, ermahnt er sie, über allem Köstlichen und Begehrenswerten das Köstlichste und Notwendigste nicht zu versäumen, nämlich die Liebe. Und so beginnt er denn sein hohes Lied von der Liebe.

    Aber sagt, meine Lieben, muss dieses Lied nicht für die Korinther erst sehr beschämend geklungen haben? Zeigen uns nicht gerade alle die vorausgehenden Kapitel, dass die brüderliche Liebe in dieser Gemeinde schon sehr ins Abnehmen gekommen war, während sie noch die ganze Fülle außerordentlicher Gaben besaß? Musste es beim Lesen und Hören dieses Liebespsalms der Gemeinde nicht gewesen sein, als ob der HERR ihr durch ihren geistlichen Vater zuriefe: „Ich habe gegen dich, dass du die erste Liebe verlässt. Gedenke, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke. Wenn aber nicht, werde ich dir kommen bald und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wenn du nicht Buße tust“? Ach ja, nach diesem köstlicheren Weg strebte die korinthische Gemeinde nicht mehr, darum die ernsten Ermahnungen und Warnungen des Apostels in den vorausgehenden Kapiteln und so denn in Verbindung mit diesem Lobpsalm auf die Liebe zunächst zur Beschämung.

    Und dazu sollen und wollen wir ihn auch uns zunächst dienen lassen, da bei vielen gar nicht einmal eine rechte Erkenntnis der wahren Liebe vorhanden ist, geschweige diese dann selber. Wie wenig kann die Welt auf uns mit den Worten hinweisen: „Seht, wie lieb sie sich untereinander haben“; wie oft dagegen wird ihr Ursache gegeben auszurufen: Seht, wie viel Hass, Feindschaft, Belügen, Verraten, Nachreden, Verleumden, Richten, Parteiwesen, Übervorteilen, Ungerechtigkeit und dgl. unter ihnen ist, welche sich der reinen Lehre rühmen; wie man ausweicht gleich dem Priester und Leviten, wo ein Liebesdienst nötig ist oder erbeten wird. Zwar des Christen Auge sieht ja andres als die Welt, sieht also die Spuren dieser von Paulus gepriesenen Liebe auch unter uns, wie sie bei den Korinthern trotz alledem noch zu sehen waren; aber gerade diejenigen, welche im Herzen solche Liebe noch tragen, werden heute beschämt bekennen, dass solche Spuren nicht nur wenige wahrzunehmen sind, sondern auch, dass ihre Liebe selber noch so klein und schwach ist.

    Doch, Geliebte, nie beschämt der Apostel die Christen um des alten Menschen willen, ohne dass er sie nicht auch zugleich reizt nach dem neuen Menschen. Und dass vornehmlich zur Reizung der Liebe der Apostel diesen Lobpsalm auf die Liebe angestimmt hat, beweist schon, dass es von ihm in so erhabener, herrlicher, schwungvoller Weise geschehen ist. Es müsste doch einer schon recht gefühllos sein, wenn es ihn nicht nach Anhören dieser Epistel bewegte, zu sagen oder zu denken: O, es ist doch um diese Liebe etwas Wunderbares, Himmlisches, Göttliches! Wie ganz anders sähe es in der Welt aus, erfüllte sie vieler Menschen Herzen! Wo aber wäre ein Christenherz, das, indem es von diesem Lied der Liebe beschämt die Augen niederschlägt, nicht zugleich wünscht und begehrt, von dieser Liebe doch immer mehr erfüllt zu werden? Zu desto größerer Reizung und Lockung ruft darum der Apostel unmittelbar nach seinem hohen Lied von der Liebe den Korinthern und uns allen noch besonders zu: „Strebt nach der Liebe!“ Es will und kann ja freilich nach der Liebe nur der streben, welcher bereits zum wahren Glauben und so zu einem Anfang der wahren Liebe gekommen ist; aber vergeblich strebt nach ihr kein gläubiger Christ, denn es handelt sich dabei um Vermehrung einer Heiligungsgabe, die ein jeder Christ schon hat, also um Vermehrung des Glaubens und der Hoffnung, so um Vermehrung der Liebe. Der HERR aber sagt: „Wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er die Fülle habe.“

 

3.

    Weil aber Beispiele mächtig zu dem ziehen, was Worte lehren, auch das, was die Worte lehren, desto mehr verdeutlichen, so lasst uns drittens und schließlich noch einen flüchtigen Blick auf den Sänger des hohen Liedes von der Liebe selbst werfen.

    Wie oft besingen Dichter in ihrer Art Herrliches, so herrlich und haben es doch selbst nicht oder sind selbst das Gegenteil davon. Paulus singt hier das hohe Lied der Liebe; aber er ist hier kein tönendes Erz und keine klingende Schelle. Was der Heilige Geist ihm hier von der Liebe eingegeben hat, das lebt selber in seinem Herzen und damit ist er freilich der geeignete Griffel des guten Schreibers, des Heiligen Geistes, zum Schreiben eines so erhabenen Lobpsalms von der Liebe.

    Ja, meine Lieben, wenn in irgendeines Menschen Herz das Liebesfeuer gebrannt hat, so ist es das Herz eines Paulus. Davon haben wir vor acht Tagen eine Probe bei seiner ihm von den Korinthern widerfahrenen Verkennung gesehen. Davon zeugt sein ganzer apostolischer Lauf, soweit er uns bekannt ist. Man könnte überall zu dem, was er von der Art dieser Liebe hier singt, einen Zug aus seinem Leben als Illustration bringen, schier möchte man sagen, dass er unbewusst hier sein eigenes Lebensbild gemalt hat. Aber den herrlichsten Beweis, dass die von ihm besungene Liebe in einem ungewöhnlichen Maß in ihm gelebt und aus ihm geleuchtet hat, erblicken wir doch in seinem großen Schmerz und seiner steten Herzenstraurigkeit über die Verblendung seiner Brüder nach dem Fleisch, in welcher er trotzdem, dass sie ihn ohne Unterlass bis aufs Blut verfolgten, sogar ausruft: „Ich habe gewünscht, verbannt zu sein von Christus für meine Brüder, die meine Verwandten sind nach dem Fleisch!“ (Röm. 9,3.)

    Das ist aber derselben Mann, der einst mit Drohen und Morden gegen die Jünger des HERRN geschnaubt hat und der in seiner Christenverfolgungswut geblieben und darin immer rasender geworden wäre, hätte ihn nicht Christus nach seinem unbegreiflichen Erbarmen dort auf dem Weg nach Damaskus plötzlich herumgeholt. Seht doch, was die Gnade selbst aus einem schnaubenden Christenverfolger noch machen kann!

    Als er nun aber einmal die Liebe erkannt, mit der Christus auch ihn geliebt und sich für ihn in den Tod gegeben hat und mit der er ihm dann auch seinem Verfolgungsweg nachging, da war auch die Liebe Gottes in sein Herz ausgegossen durch den Heiligen Geist. An der Liebe, womit sein Heiland ihn geliebt hat, entzündete sich auch die Liebe in ihm und je mehr er diese Liebe in ihrer Höhe und Tiefe, Länge und Breite erkannte, je mehr wollte, je mehr konnte er auch seine Miterlösten lieben, je mehr strebte er in der Erkenntnis und Erfahrung der göttlichen Liebe nach der Gabe der wahren Liebe zu den Brüdern und Feinden.

    Meine Lieben! Heute treten wir wieder ein in die heilige Passionszeit, da uns mehr als sonst im Kirchenjahr der Gekreuzigte vor die Augen gemalt wird und wir in seiner Dahingabe in den bitteren Tod am Kreuz sowohl die höchsten Offenbarung seiner Liebe gegen uns, da wir noch seine Feinde waren, erblicken, als auch das höchste Vorbild der Liebe für uns, wenn wir nun seine Freunde geworden sind. O, so lasst uns aufs neue hören von dieser Liebe, aufs neue diese Liebe betrachten, aus neue flehen zu dieser Liebe, dass sie in unser Herz ausgegossen werde und wir lieben lernen, wie Paulus seinen HERRN und in ihm und um seinetwillen seinen Nächsten geliebt hat. Das helfe er uns in Gnaden. Amen.

 

Gebet: O HERR, vor dem alle unsere Taten ohne die Liebe nichtig sind: Sende uns deinen Heiligen Geist, dass er in unsere Herzen die edle Gabe der Liebe ausgieße und unsere Seelen in dies Band aller Tugend fasse, ohne welches für tot gerechnet ist vor deinen Augen alles, was da lebt, durch Jesus Christus, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: Wenn einer alle Kunst. Str. 9 und 10.

 

 

Predigt zum Sonntag Invocavit (Er ruft mich an, darum will ich ihn erhoeren; Ps. 91,13) ueber 2. Korinther 6,1-10: Die dringende Mahnung des Apostels, Gottes Gabe nicht vergeblich zu empfangen

 

Lied: Lass mich dein sein und bleiben

 

    Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und unserem HERRN Jesus Christus, der sich selbst für unsere Sünden gegeben hat, damit er uns errettete von dieser gegenwärtigen und argen Welt, nach dem Willen Gottes und unseres Vaters, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

 

2. Korinther 6,1-10: Wir ermahnen aber euch als Mithelfer, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn er spricht: Ich habe dich in der angenehmen Zeit erhört und habe dir am Tag des Heils geholfen. Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils. Lasst uns aber niemand irgendein Ärgernis geben, damit unser Amt nicht verlästert werde; sondern in allen Dingen lasst uns beweisen als die Diener Gottes: in großer Geduld, in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhren, in Arbeit, in Wachen, in Fasten, in Keuschheit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, in dem Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken; durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte; als die Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht ertötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts innehaben und doch alles haben.

 

    Geliebte in dem HERRN! Wieder eingetreten in die ernste, so reich gesegnete Passionszeit, empfängt uns am ersten Sonntag in den Fasten der Apostel mit den Worten: „Wir ermahnen aber euch, als Mithelfer, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt.“ Eine ebenso wichtige wie dringliche Ermahnung, zumal in der Passionszeit! Da nun dieselbe das eigentliche Thema der ganzen heutigen Epistel ist, so sei auch der Inhalt meiner Predigt

 

Die dringende Ermahnung des Apostels, Gottes Gnade nicht vergeblich zu empfangen

 

    Lasst uns erwägen,

1.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Was der Apostel mit dieser Ermahnung meint und

2.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                      Wie dringend er diese macht.

 

    Großer Hoherpriester, Jesus Christus, der du einst mit starkem Geschrei und Tränen vor Gott getreten bist und dich zu unserer Versöhnung in den Tod geopfert hast; der du auch bist erhört worden, und hast uns Gnade erworben und sitzt zur Rechten Gottes und hast unter uns aufgerichtet das Amt von der Versöhnung, dass du uns die erworbene Gnade auch reichlich mitteilen könntest: Wir bitten dich, lass uns erkennen, dass du mit dieser Gnade auch uns schon so lange und so reichlich heimgesucht hast, damit wir doch endlich recht bedenken möchten, was zu unserem Frieden dient. Und weil wir denn auch in gegenwärtiger Stunde solche Gnade durch die Predigt deines Wortes empfangen, so hilf, dass wir recht hören und erfülle deine Verheißung: Wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er die Fülle habe. Amen.

 

1.

    Wir sollen zusehen, dass wir nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangen, ermahnt der Apostel. Was er mit dieser Ermahnung meine, wird uns klar, wenn wir fragen 1. Was das für eine Gnade sei und welcher Gestalt wir diese empfangen? Und 2. Wer denn diese Gnade vergeblich empfange?

    1. Was das für eine Gnade sei, zeigt der Apostel an, wenn er seine Ermahnung mit dem Zusatz begründet: „Denn er spricht: Ich habe dich in der angenehmen Zeit erhört und habe dir am Tag des Heils geholfen“, und dann uns zuruft: „Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils.“ Jene Worte sind nämlich aus dem 49. Kapitel Jesajas genommen. Da spricht der Vater zu dem Sohn, der mit starkem Geschrei und Tränen als unser Hoherpriester vor Gott hingetreten ist: „Ich habe dich in der angenehmen Zeit erhört und habe dir am Tag des Heils geholfen.“ Erhört ist er worden, dass Gott sein Versöhnopfer als vollgültig anerkannt, ihn von den Toten ausgeführt und zu seiner Rechten gesetzt hat und ihm nun die versprochene Menge gläubig gewordener Sünder seitdem als Beute zuführt. Mit dem Tod und der Auferstehung Christi ist demnach der „Tag des Heils“ für die ganze Welt angebrochen und mit der Sendung des Heiligen Geistes und der in alle Welt ausgehenden Predigt des Evangeliums die „angenehme Zeit“ vorhanden; denn das Evangelium ist die frohe Botschaft von der durch Christus erworbenen Vergebung der Sünden, der Errettung und Seligmachung der Sünder, und da Gott für die Annahme der durch Christus erworbenen, durchs Wort verkündigten und in demselben dargebotenen Gnade nichts fordert als den Glauben an dieselbe und diesen Glauben sogar selber durch eben dasselbe Wort wirkt, so ist ja jedem Menschen, der dies Wort hört, das Seligwerden, die Annehme des Heils überaus leicht gemacht, so blutsauer dem Sohn Gottes die Erwerbung desselben geworden ist. Das ist die Gnade Gottes, die wir empfangen.

    Weil nun Gott das teuer erworbene Heil und alle seine Gnade in das Wort des Evangeliums und in dessen Siegel, die heiligen Sakramente, gefasst, zur Verwaltung der Gnadenmittel und Darreichung seiner Gnade durch diese Mittel das heilige Predigtamt gestiftet hat und dessen Ausrichtung unmittelbar oder mittelbar gewissen Personen überträgt, so folgt daraus, dass jeder, welcher die reine Predigt des Evangeliums hört, jeder, dem durch die Aufrichtung eines rechtgläubigen Predigtamtes an seinem Ort die Gelegenheit geboten ist, sie zu hören und durch den Dienst rechtschaffener Prediger gläubig und selig zu werden, auch die Gnade Gottes empfängt. Daran erinnert auch der Apostel durch die Bemerkung: „Wir ermahnen aber auch als Mithelfer.“ Mit dieser Bemerkung weist er ja zurück auf die unmittelbar vorausgehenden Worte, da er schreibt: „Aber das alles von Gott, der uns mit ihm selber versöhnt hat durch Jesus Christus, und das Amt gegeben, das die Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: ‚Lasst euch versöhnen mit Gott!‘“

    Seht, solchergestalt empfangen wir die Gnade Gottes, empfangen sie insofern, insofern Gott seine Gnade im Wort und durch den Dienst des Predigtamtes uns verkündigt, anbietet und darreicht, empfangen sie erst als zuvorkommende Gnade und dann als angeeignete Gnade.

    2. Und nun unsere zweite Frage: Wer empfängt die Gnade Gottes vergeblich? Im Allgemeinen gewiss jeder, der den Tag des Heils, die angenehme Zeit, darin er heimgesucht ist, nicht erkennt und nicht bedenkt, was zu seinem Frieden dient. Aber wie das im Allgemeinen, wie im Besonderen geschieht, das lasst mich nach der Erfahrung etwas beschreiben.

    Dass wir inmitten dieser letzten schrecklichen Zeit doch auch wieder in einer Zeit großer Gnadenheimsuchung leben und das gerade in diesem Land, sei auch heute wieder erinnert. Gott hat uns unverdientermaßen in besonderem Maß sowohl die Gnadengabe reiner Lehre und Erkenntnis als auch das herrliche Gut der Gewissensfreiheit verliehen. In Folge dieser zweifachen Gnade erfüllt sich fort und fort jenes Wort des 84. Psalms: „Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir nachwandeln“ (die in Lehre und Leben allein dein Wort zu ihrer Richtschnur nehmen). „Die durch das Jammertal gehen und machen daselbst Brunnen“ (eröffnen, Trübsal und Verfolgung nicht scheuend, von Ort zu Ort den Heilbrunnen rechter Lehre durch Sammlung von Gemeinden, Errichtung von Kirchen und Schulen) „und die Lehrer werden mit viel Segen geschmückt, dass man sehe, der rechte Gott sei zu Zion.“ Und wie geht mit der zunehmenden mündlichen Verkündigung des reinen Wortes die schriftliche Hand in Hand durch unsere Zeitschriften, unsere Erbauungs- und Schulbücher und unsere Synodalberichte, in welch letzteren besonders zunehmend die Schätze der himmlischen Lehre aufgespeichert werden. Aber wer erkennt, wer benützt diese große Heimsuchung? Wer kauft ein, weil der Markt vor der Tür ist? Wer bedenkt, dass auf die sieben fruchtbaren Jahre auch sieben teure folgen können? Ach, es sind nur wenige, vollends wenige unter dem heranwachsenden Geschlecht. Je länger vielmehr diese Zeit besonderer gnädiger Heimsuchung wärt und je mehr Gott in derselben an uns tut, je weniger wird sie erkannt und benützt. Wir werden ja gleich sehen, wie wenig sich das namentlich im Gebrauch der Gnadenmittel zeigt.

    Vor allem empfängt besonders der die Gnade Gottes vergeblich, welcher von den Mitteln der Gnade gar keinen oder doch nur einen höchst seltenen Gebrauch macht. Da besteht zum Beispiel an einem volkreichen, von Lutheranern bewohnten Ort etwa schon seit einer Reihe von Jahren eine durch die reine lutherische Predigt gesammelte und mehr oder weniger geordnete Gemeinde. Je länger, je weniger bleibt sie der Einwohnerschaft verborgen. Sie hat ein Gotteshaus und daneben oder in nächster Nähe ein Schulhaus; denn wo eine lutherische Gemeinde entsteht, da entsteht auch zugleich mit der Kirche eine Gemeindeschule. An Sonn- und Festtagen sieht man viele Leute aus dem Gotteshaus, an Werktagen eine fröhliche Kinderschar aus dem Schulhaus kommen. Amtshandlungen, besonders Leichen und Trauungen, führen gelegentlich auch viele Fremde ins Gotteshaus oder machen sonst den Pastor der Gemeinde diesen bekannt. Alles das sind Wege unseres Gottes, die Leute auf die Mittel seiner Gnade aufmerksam zu machen. Aber wie viele sind, die gleichwohl um eine Kirche oder Gemeinde sich rein nichts bekümmern, sondern leben ohne Besuch des Gottesdienstes Jahr um Jahr so dahin. Und wenn wir an Sonn- und Festtagen in die Kirche treten – sind denn das alle Gemeindeglieder, die wir hier versammelt finden? Oder wenn wir uns einmal in der Gemeindeschule umsehen, sind denn das alle schulpflichtigen und unterrichtsfähigen Gemeindekinder?

    Wer nun aber von einer rechtgläubigen Kirche und Schule gar keinen oder doch nur einen sehr seltenen, sehr wenig Gebrauch macht, der empfängt durch solche Missachtung der Gnadenmittel und der zu ihrem Gebrauch getroffenen Einrichtungen der Kirche doch offenbar die Gnade Gottes vergeblich; denn das steht bei Gott unwiderruflich fest, dass er uns des erworbenen Heils nicht anders teilhaftig machen will und kann als durch den Glauben, aber auch, dass er dir den Glauben nicht anders geben, mehren und erhalten will, du gebraucht denn immer wieder Wort und Sakrament. Willst du dich in die göttliche Ordnung nicht schicken, so gehst du verloren, denn eine andere Ordnung wird dir Gott nun einmal nicht machen. Prüfe dich demnach! Wie oft gehst du zur Kirche? Wie lang ist’s her, dass du nicht mehr beim heiligen Abendmahl warst? Wie hältst du es mit deinen schulpflichtigen Kindern? Behältst du sie bis vor der Konfirmation daheim? Oder schickt du sie die meiste Zeit in die religionslose Staatsschule? Du willst dich entschuldigen? O, lass das, damit du deine Seele nicht noch mehr betrügst. Wie wenig Gott hier alle und jede Entschuldigung gelten lässt, wie er den Nichtgebrauch oder den säumigen Gebrauch seiner Gnadenmittel und Gnadenanstalten für Verachtung der Gnade schlechtweg rechnet, zeigen dir die Gleichnisse vom großen Abendmahl und von der königlichen Hochzeit Lukas 14 und Matthäus 22.

    So gewiss nun aber derjenige Gottes Gnade vergeblich empfängt, welcher die Gnadenmittel gar nicht oder nur sehr selten gebraucht, so gewiss auch derjenige, welcher sie zwar häufig, aber nicht heilsam gebraucht, nicht so gebraucht, dass er wahrhaft gläubig und durch den Glauben ein seliger und wiedergeborener Mensch wird, also die Gnade sich nicht aneignet. Das geschieht, wenn man sein Kirchen- und Abendmahlsgehen zu einer bloßen Gewohnheitssache macht, sei es, dass man es als ein blinder Pharisäer zum Verdienst vor Gott oder als ein in Sünden lebender Mensch zu einem Pflaster auf das böse Gewissen gebraucht und so die Gnade auf Mutwillen zieht. Und ob man auch bisweilen Rührungen hat, ob es auch bisweilen dort bei dem von des Paulus Wort ergriffenen Agrippa heißt: „Es fehlt nicht viel, so überredest du mich, dass ich ein Christ würde“ – kommt es nicht weiter, so hat man die Gnade doch vergeblich empfangen, denn sie hat ihren ersten Zweck noch gar nicht erreicht, nämlich eine wahre Bekehrung durch den Glauben.

    Ja noch mehr! Wer sogar die Gnadenmittel heilsam erst gebraucht und so ein wahrhaft gläubiger und gottseliger Mensch geworden ist, fährt aber in solchem Gebrauch nicht fort, sondern gerät in Sicherheit und damit in falsche Lehre, in pharisäisches oder fleischliches Wesen, bei wem also der heilsame Gebrauch der Gnadenmittel nicht ein bis ans Ende bleibender ist – auch der empfängt die Gnade vergeblich; denn nur „wer beharrt bis ans Ende, der wird selig“, die Seligmachung aber ist der letzte Zweck der uns widerfahrenden Gnade.

    Dass wir also die Gnadenzeit des Neuen Testaments, wie die Zeit besonderer Heimsuchung in derselben erkennen und bedenken, was zu unserem Frieden dient; dass wir deshalb besonders die Mittel der Gnade fleißig und heilsam gebrauchen und darin beharren bis an das Ende, das, meine Lieben, meint der Apostel, wenn er ermahnt, die Gnade Gottes nicht vergeblich zu empfangen.

 

2.

    Lasst uns erwägen, wie dringend der Apostel seine Ermahnung macht. Wir sehen das aber sowohl aus der von ihm angedeuteten Ursache, die ihn zu dieser Ermahnung bewegt, als auch aus der Art und Weise, in der diese Ermahnung geschieht.

    Seht, jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils!“ haben wir ihn bereits rufen hören. Damit deutet er die Ursache an, die ihn zu solcher Ermahnung bewegt. Das ist jene doppelte Gefahr, die zu allen Zeiten denen droht, welche die Gnade Gottes empfangen haben.

    Die eine ist die Gefahr der Geringschätzung der empfangenen Gnade. Ist’s denn nicht Tatsache, dass der Mensch in Folge des erbsündlichen Verderbens irgendein Gut mehr und mehr gering schätzt, je reichlicher und je länger er’s hat? Ist’s nicht so hinsichtlich der Gesundheit, des guten Auskommens, des vergleichsweise glücklichen Familienlebens? Verlieren nun aber in unseren Augen irdische Güter an Wert und Reiz, die wir von Natur am Sichtbaren und Zeitlichen hängen, wie erst die geistlichen und ewigen Güter! Es lehrt’s auch die Erfahrung im Leben einer ganzen Gemeinde, wie der Einzelnen ihrer Glieder: je reichlicher und länger Gott sein Wort an einem Ort predigen lässt, je weniger achtet man die empfangene Gnade, je mehr stellt sich Ekel, Überdruss und Verlangen nach einer anderen Predigt oder nach einem anderen Prediger ein und sucht man, wenn es nicht mehr recht voran gehen will, die Ursache nicht bei sich selbst, sondern in diesem und jenem. Ach, was bedürfte es denn solcher Ermahnung! „Siehe!“ ruft darum der Apostel, d.i.: Erkennt doch, was ihr habt!

     Die andere Gefahr ist die des Verlustes der empfangenen Gnade. Dass diese der Apostel ganz besonders im Auge hat, zeigen die angeführten Worte. „Jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils!“ ruft er. Warum legt er denn solchen Nachdruck auf das „Jetzt“? Offenbar darum, dass man nicht wähne, die angenehme Zeit werde für jeden schlechthin fortwähren, die aufgegangene Gnadensonne für keinen wieder untergehen. Dass die Gefahr des Verlustes aber mit der Gefahr der Geringschätzung verbunden ist, zeigen die Juden. Welche angenehme Zeit, welcher Tag des Heils brach an, als Johannes der Täufer dem HERRN den Weg bereitete und welche Gnade, als nun der im Fleisch erschienene Gottessohn drei Jahre unter diesem Volk sein prophetisches Amt ausrichtete. Aber lest nun Matthäus 11! Welche bewegliche Klage des HERRN über die zunehmende Geringschätzung der empfangenen Gnade, da den Leuten nicht nur die strenge Bußpredigt des Johannes, sondern auch die süße Gnadenpredigt Christi je länger je weniger zusagte, da die Weisheit sich von ihren Kindern musste rechtfertigen lassen, indem es von Johannes hieß: „Er hat den Teufel!“ und von Jesus: „Der Mensch ist ein Fresser und Weinsäufer, der Zöllner und der Sünder Geselle!“ Was lesen wir aber auch Matth. 23? Da ruft der HERR: „Siehe, euer Haus soll euch wüste gelassen werden!“ So folgte auf die Geringschätzung der empfangenen Gnade der Verlust derselben. Auf diese Gefahr des Verlustes weist auch Dr. Luther in der heutigen Epistelpredigt nachdrücklich hin, da er Gottes Wort mit einem fahrenden Platzregen vergleicht, der „bald hier, bald da trifft“ und dann auch hier jenen erschütternden Ausspruch wieder tut: „Das gibt auch die Erfahrung, dass an keinem Ort der Welt das Evangelium lauter und rein geblieben ist über eines Mannes Gedenken; sondern so lange die geblieben sind, die es aufgebracht haben, ist’s gestanden und hat zugenommen; wenn die dahin waren, was das Licht auch dahin.“

    Empfängt also eine ganze Gemeinde die Gnade Gottes vergeblich, so nimmt ihr Gott wieder die Mittel der Gnade. Das Geringste ist, dass er den durch Tod oder Wegberufung leer gewordenen Predigtstuhl längere Zeit, ja oft lange Zeit, leer und die Gemeinde von anderwärts her nur notdürftig versorgen lässt. Doch ist das noch immer kein völliger Verlust. Er ist nur eine Züchtigung zur Buße, ein Höherhängen des Brotkorbs, dass die satten Kinder nach dem Brot wieder recht hungrig werden und dann, wenn er’s wieder reichlich gibt, mit demselben nur umso dankbarer umgehen lernen. Das Schrecklichste aber ist, wenn eine Gemeinde den Schatz der reinen Lehre verliert und kommen an die Stelle er rechten Prediger und Lehrer Irrlehrer und Rottengeister, welche verwüsten und zur Hölle führen. Zwar erfolgt der Verlust der reinen Lehre oft ganz unvermerkt und nach und nach, aber doch immer mehr und zuletzt ganz, denn „ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig.“

    So eine ganze Gemeinde, eine ganze Synode, eine ganze Kirche.

    Und ein einzelner Christ? Ist’s ein Prediger, ein Lehrer an hoher oder niederer Schule, so zeigt sich der Verlust der Gnade Gottes darin, dass er entweder selber ein Irrgeist und Verführer, ein Feind der Wahrheit und ein Abtrünniger wird, oder auch ein Bauchdiener, ein Mietling, der nur das Irdische sucht, oder ein Judas, der Christus den Feinden verrät, oder ein Demas, der die Welt wieder lieb gewinnt und sein Amt mit einem einträglicheren Lebensberuf vertauscht. Und ist’s sonst ein Christ, so trennt er sich vielleicht aus nichtiger Ursache von einer rechtgläubigen Gemeinde und schließt sich einer falschgläubigen Gemeinde an oder schlägt sich zur Welt oder zieht trotz aller Warnung an einen Ort, wo er aus Mangel an rechtgläubiger Predigt eine Beute der Schwärmer wird oder er kommt in Todesnot und stirbt ohne Wort und Sakrament, weil er im Leben nichts danach gefragt hat, als er’s reichlich hätte haben können.

    Seht da die von dem Apostel angedeutete Gefahr der Geringschätzung und des darauffolgenden Verlustes der empfangenen Gnade. Wie macht der Apostel durch deren Andeutung seine Ermahnung doch so dringend! O, lassen wir uns warnen! Werden wir durch fremden Schaden klug!

    Nicht weniger dringend macht er seine Ermahnung durch die Art und Weise, in der sie geschieht und mit der er ebenso sehr reizt, als er zuvor gewarnt hat.

    Fürs erste gebraucht er nämlich diese Worte: „Wir ermahnen aber euch als Mithelfer.“ Mit dem Ausdruck „Mithelfer“ will er da zweierlei sagen.

      Er will zunächst sagen: O, ihr lieben Christen, wollt ihr die Gnade Gotts nicht vergeblich empfangen, so „erkennt, die an euch arbeiten und euch vorstehen in dem HERRN und euch ermahnen“. Bedenkt, wir Diener Christi sind Gottes Mithelfer, Gottes Mitarbeiter, und zwar nicht in dem Sinn, wie ein Geselle seines Meisters Mitarbeiter ist, als der unter und neben dem Meister seine Arbeit tut, sondern in dem Sinn, dass der Heilige Geist durch uns als seinen Werkzeugen wirkt, durch uns als seinen Botschaftern ermahnt. So oft also ein Diener Christi uns ermahnt, Gottes Gabe nicht vergeblich zu empfangen, so oft ermahnt uns Gott selbst. „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich“, spricht der HERR selbst. Wir sollen darum auch keine Predigt eines seiner Werkzeuge verachten oder versäumen, da man nicht weiß, welches Werkzeug und welches Stündlein Gott erwählt hat, dadurch und darin er sein Gnadenwerk in uns verrichten will.

    Sodann aber will er auch dieses sagen: O, ihr lieben Christen, erweist euch selbst als Mithelfer, wollt ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen. Erinnern wir uns hierbei, dass unsere Bekenntnisschriften auch in solchem Sinn auf diese Worte unserer Epistel sich beziehen und zwar zum Beweis dafür, dass, wenn ein Mensch durch die göttliche Gnade bekehrt ist, er auch mit dieser Gnade nun an seiner Vollendung zur Seligkeit wirken müsse. Ehe freilich ein Mensch bekehrt ist, kann er nicht mit der Gnade wirken. Er kann sich weder zur Gnade bereiten, noch dieselbe annehmen, noch sich selber erwecken, so wenig, wie sich ein Toter selbst erwecken kann. Hier muss die göttliche Gnade alles tun. Anders aber, wenn er zum Glauben gekommen ist; denn durch die Bekehrung wird der von der Sünde gebundene, von Gott losgerissene Wille frei und Gott wieder zugeeignet und untertan gemacht. Weil nun da der Mensch mit göttlichen Gnadenkräften erfüllt ist so soll er diese als ein Pfund gebrauchen, damit er in dem neuen Leben zunehme und so in der Gnade bleibe. Wohl ist es wahr, dass der Bekehrung nur so lange mit der Gnade wirken kann, so lange ihn Gott mit seinem heiligen Geist regiert; zieht er nur einen Augenblick die Hand von ihm ab, so ist’s um ihn geschehen. Wie Gott daher sein gutes Werk in uns angefangen hat, so muss er’s auch vollführen bis an den Tag Christi; er verfährt aber hierbei nach dem Wort: „Wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, von dem wird auch das genommen werden, das er hat.“

    Somit also erinnert der Apostel hierdurch die Christen sowohl an das unter ihnen vorhandenen Gnadenmittelamts, als auch an ihren Gnadenstand, ihrer hohen seligen Aufgabe, ihrer wichtigen Verpflichtung, der Heiligung in der Furcht Gottes nachzujagen und macht auch dadurch seine Ermahnung so dringend.

    In Verbindung damit ruft er uns zum anderen zu: „Lasst uns aber niemand irgendein Ärgernis unten, auf dass unser Amt nicht verlästert werde, sondern in allen Dingen lasst uns beweisen als die Diener Gottes.“ Und nun nennt er die Dinge alle, in denen wir uns als die Diener Gottes beweisen und so im Stand der Bekehrung mit der Gnade wirken sollen; nun malt uns, seine Ermahnung desto dringender machend, in den weiteren Worten ein ergreifendes Bild der Diener Gottes vor Augen, das umso ergreifender ist, weil wir da ihn selbst und alle heiligen Apostel und deren Gehilfen als hellleuchtende Vorbilder, die Christen der ersten Zeit als deren treue Nachfolger, sie alle aber als Nachbilder unseres HERRN Jesus Christus, der uns ein Vorbild gelassen hat, dass wir nachfolgen seinen Fußstapfen.

    Zuletzt noch dieses. Um seine ganze Ermahnung zu verstärken, und so auch dadurch dringlich zu machen, redet der Apostel in der Mehrzahl: „Wir ermahnen euch als die Mithelfer.“ Mit ihm ermahnen also uns viele. Ja, der ganze Chor der heiligen Apostel, die ganze Schar ihrer ausgezeichneten Mitarbeiter, die ganze Wolke berufener Diener am Wort bis zur Reformation und bis in unsere Tage – sie alle rufen uns vereint und gewaltig zu: „Wir ermahnen euch aber als Mithelfer, dass ihr die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangt!

    So ermahnen denn auch wir berufene Mithelfer der Gnade Gottes an dieser Gemeinde, ihr wollet die Gnade auch eurerseits nicht vergeblich empfangen. „Vergeblich!“ O, dies schon in irdischen Dingen so traurige Wort finde umso weniger in Absicht auf die uns widerfahrene Gnade statt, da, je größer die vergeblich empfangene Gnade war, desto größer der darauffolgende Zorn ist. Um Christi Erbarmung, um seiner Treue willen heiße es vielmehr bei einem jeden wie bei einem Paulus: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, und seine Gnade ist an mir nicht vergeblich gewesen.“ Amen, das helfe Gott! Amen.

 

Gebet: Allmächtiger, ewiger Gott, der du uns in der gegenwärtigen Zeit abermals um des heiligen Leidens und Sterbens deines lieben Sohnes willen so väterlich und ernstlich Vergebung unserer Sünden, Leben und ewige Seligkeit anbietest: Wir bitten dich, gib uns deinen Heiligen Geist, damit wir solche deine zuvorkommende Gnade nicht leichtsinnig oder mutwillig verachten, sondern deinen Ruf mit Freuden vernehmen, in kindlichem Gehorsam ihm folgen und durch rechtschaffene Heiligung uns derselben würdig beweisen: durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, unseren HERRN. Amen.

 

Lied: Ach bleib mit deiner Gnade

   

 



[1] Diese Predigt stammt nicht aus Walthers Predigtbuch „Gnadenjahr“, da dort zu diesem Festtag keine Predigt enthalten ist, sondern aus dem Predigtbuch von Reinhold Pieper: Predigten über freie Texte. 2. Bd. Milwaukee Wis.: Germania Publishing Co. 1903. S. 221 ff.

[2] Text durch Hrsg. geändert. Walther hatte: „…der auch in seinem Herzen die lebendige Erfahrung davon gemacht hat, dass er ein ohnmächtiger Sünder sei, der sich selbst nicht erlösen konnte, dass aber Jesus Christus, wie aller Menschen, so auch sein Heiland und Seligmacher sei, dass er auch seine Sünden getragen und für dieselben am Kreuz g4ebüßt habe, und dass alle diese seine Sünden ihm um Christi Willen vergeben seien.“

[3] Text durch Hrsg. geändert. Walther hatte: „…erfuhr“

[4] Text durch Hrsg. geändert. Walther hatte: „… auch zu erfahren suchen“

[5] Text durch Hrsg. geändert. Walther hatte: „… auch in seinem Herzen zu erfahren suche.“

[6] Text durch Hrsg. geändert. Walther hatte: „…in seinem Herzen nichts erfahren, fühlen und empfinden dürfe“

[7] Beifügung durch Hrsg.

[8] Beifügung durch Hrsg.

[9] Text durch Hrsg. geändert. Walther hatte: „O selig, selig sind die Zuhörer, die solche Erfahrungen machen! Sie haben die Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört.“

[10] Wahrscheinlich kamen sie aus dem Bereich des heutigen Irak, dem einstigen Babylonien, wohin ja viele Juden durch die babylonische Gefangenschaft gekommen und bis nach dem zweiten Weltkrieg auch viele gelebt haben. Durch sie wird, vor allem einst durch Daniel, die Weissagung auf den Messias in diese Gegenden und in diese Kreise gekommen sein, auch die Weissagung des Bileam, dass ein Stern aufgehen wird aus Juda. Dadurch werden Erwartungen, Hoffnungen geweckt worden sein, die Gott durch seinen Stern erneuerte, vertiefte und dann zum Ziel führte. (Anm. d. Hrsg.)

[11] Zu Walthers Zeiten im 19. Jahrhundert war es allerdings den römischen Katholiken eher nicht erlaubt, die Bibel zu lesen. Das hat sich nach dem Vaticanum II geändert. (Walther hatte daher im Original anstatt „galt lange“ „gilt“.) Allerdings gilt weiter, dass die Bibel dunkel sei und sie deshalb nur gemäß der Vorgabe Roms zu verstehen sei. Anm. d. Hrsg.

[12] Walther hat anstatt „Verklärungssonntag“ „einen Sonntag, der selten im Kirchenjahr vorkommt“, weil zu seiner Zeit der Verklärungssonntag nicht, wie heute, regelmäßig als der letzte Sonntag nach Epiphanias gefeiert wurde, gleichgültig, wieviel Sonntage nach Epiphanias es gibt, sondern tatsächlich nur, wenn es wirklich sechs Epiphaniassonntage gab. Anm. d. Hrsg.

[13] Walther hatte: „letzten“. Anm. d. Hrsg.

[14] Walther hat im Original: „Petrus selbst nun hatte bis dahin noch nicht die Offenbarung gehabt, dass auch die Heiden in das Reich Christi sollen eingeladen werden. Diese Offenbarung bekam aber jetzt der heilige Apostel.“ Dies ist zumindest missverständlich. Denn allerdings wusste eigentlich Petrus, dass auch die Heiden einzuladen waren, denn Christi Missionsbefehle am Ende seines Erdenlebens haben dies ganz eindeutig ausgesagt. Daher die Änderung im Text.

[15] Einfügung durch Hrsg.

[16] Einfügung durch den Hrsg.

[17] Diese Predigt stammt nicht aus Walthers Predigtbuch „Gnadenjahr“, da dort zu diesem Festtag keine Predigt enthalten ist, sondern aus dem Predigtbuch von Reinhold Pieper: Predigten über freie Texte. 2. Bd. Milwaukee Wis.: Germania Publishing Co. 1903. S. 221 ff.

[18] Vgl. die Erklärung dieser Stelle, Luther, E.A., Bd. 18, S. 169 ff.; R. Piepers Kl. Katechismus Luthers, Bd. 1., T. 2, S. 131 ff.

[19] Vgl. die eingehendere Abhandlung hierüber bei Keil, Komm., S. 321; Menken: Der Prophet Elia. S. 341 ff.

[20] Hierin war dem großen Propheten der selige Vorgänger Reinhold Piepers im Amt, Professor Crämer, ähnlich. Auch er war ein überaus feuriger Charakter, ohne Menschenfurcht, unter den Treuen der Treueste, uneigennützig in seltenem Maß, nur dem HERRN lebend, in seinem Dienst seine letzten Kräfte verzehrend. Crämer hatte nicht viele Bewunderer wie Dr. Walther, aber desto mehr innige Freunde unter denen, die ich näher kannten. Obwohl schon so krank, dass er sich kaum aufrecht halten konnte, betrat er dennoch mehrmals das Katheder und unterrichtete seine Prophetenschüler mit Aufgebot aller seiner Kräfte. Seine letzte öffentliche Handlung bestand darin, dass er R. Pieper in sein Amt einführte. Bei dieser brach er vor Schwäche zusammen. Aber auf seinem Sterbebett beschäftigte er sich in seinen Fiederphantasien fast unausgesetzt mit seinen Studenten. Seiner Prophetenschule, an der er 40 Jahre hindurch als Professor und Präses mit seltener Treue gewirkt hatte, galt seine letzte Sorge. Sie befahl er R. Pieper noch besonders, legte sie ihm mit den bewegendsten Worten ans Herz. Und sein Ende war in Wahrheit eine Himmelfahrt, ein Triumphzug.

[21] Vgl. Luther, E.A., Bd. 17, S. 208.222.

[22] Ergänzung durch Hrsg.

[23] Die Predigt wurde im 19. Jahrhundert gehalten. Es dürfte sich da zumindest teilweise etwas geändert haben. Wobei allerdings bestimmte Kreise, wie die „Fernsehprediger“ eher einen schlechten Ruf haben. Da Walther in dieser Predigt immer wieder auch auf Zeitumstände zu sprechen kommt, wurde der Predigttext daher leicht so angepasst, dass er auch für heute verwendet werden kann. (Anm. d. Hrsg.)

[24] Ausbildungsstätten, Seminare, Hochschulen gibt es inzwischen auch in den Staaten genug. Aber wie in Europa auch, sind nicht wenige von der liberalen Theologie bestimmt, das heißt, die Absolventen lernen nicht wirklich Gottes Wort, sondern werden zu kultisch verbrämten Sozialarbeitern, die dem Zeitgeist huldigen und nicht Christus, sondern irgendeine Ideologie oder Sozialarbeit verkünden und so die Gemeinden und Kirchen vielfach ruinieren, wie es vor allem für die größeren Kirchenverbände vielfach der Fall ist. Auch im sogenannten „evangelikalen“ Bereich ist die liberale Theologie weit eingebrochen, während einige Kirchengemeinschaften noch um den Kurs kämpfen, zum Teil auch wieder zu einer klareren Haltung gefunden haben. In der BRD sieht es da inzwischen viel düsterer aus, da es an den Hochschulen für die Landeskirchen wohl keinen Dozenten gibt, der die Verbalinspiration und Irrtumslosigkeit der Schrift vertritt und die Kirchen durch die liberale Theologie, und zwar auch im freikirchlichen Raum, weithin zerstört sind. (Anm. d. Hrsg.)

[25] Das ist gerade durch Willow Creek, Saddleback und die Gemeindewachstumsbewegung gefördert worden. (Anm. d. Hrsg.)

[26] Walther spricht hier auf die Union an, die im 19. Jahrhundert in einer Reihe deutscher Staaten durch die Despoten mit brutaler Gewalt durchgesetzt wurde. (Anm. d. Hrsg.)

[27] Im 19. Jahrhundert war das tatsächlich so; heute dürfte das kaum noch der Fall sein. Selbst Rom lehrt das nicht mehr so deutlich; wenn es auch immer noch behauptet, dass nur ihre Priester aufgrund ihrer „Weihe“ das rechte Abendmahl reichen könnten und so nur durch sie das volle Heil zu erlangen sei. Anm. d. Hrsg.

[28] Der Anfang dieses Abschnittes ist etwas gegenüber Walther verändert, da hier Walther doch noch stark pietistisches Gedankengut brachte, was er und die Missouri-Synode später bei Ludwig Harms zu Recht gerügt haben. Anm. d. Hrsg.

[29] Entnommen aus: C.F.W. Walther: Lutherische Brosamen. St. Louis, Mo.: M.C. Barthel. 1876. S. 78 ff.

[30] Dr. Martin Luthers Kleiner Katechismus in Frage und Antwort gründlich ausgelegt von Dr. Joh. Conrad Dietrich usw.

[31] Lochner nimmt hier Bezug auf einen Gottesdienst, der in der Gemeinde am Tag zuvor mit den Kindern gehalten worden war.

[32] Fast 200 Jahre später müssen wir sagen: Ja, sie haben sich erneuert, wir haben in den letzten 100 Jahren einen Umfang an Christenverfolgung und Martyrium für die christliche Kirche gehabt- und haben sie noch, vor allem auch durch den Islam, wie zuvor nicht in der Geschichte. Und es wird zunehmen, gerade auch durch die antichristlichen linken Regierungen in den „westlichen“ Staaten und dem staatlichen Antichristen, Islam.

[33] Siehe das treffliche Büchlein: „Tanz und Theaterbesuch. Je zwei Vorträge hierüber in den vier dazu veranstalteten Gemeindeversammlungen, gehalten usw. von C.F.W. Walther usw. St. Louis, Mo. Luth. Concordia-Verlag 1885.“

[34] Jahrgang Nr. 20-22

[35] Damals ist das Fest der Verklärung Christi noch nicht gesondert gefeiert worden. Inzwischen ist der letzte Sonntag nach Epiphanias fester Bestandteil des Kirchenjahres als Fest der Verklärung des HERRN und der Text kommt regelmäßig vor. Anm. d. Hrsg.

[36] Dr. Martin Luthers Kleiner Katechismus in Frage und Antwort gründlich ausgelegt von Dr. Joh. Conrad Dietrich usw. Luth. Concordia-Verlag (M.C. Barthel, Agt.), St. Louis, Mo. Eine eingehende Verhandlung über das ewige Leben nach dieser Stelle Dietrichs enthält der Synodalbericht des Illinois-Distrikts der Synode von Missouri usw. 1885.