Evangelienpredigten C.F.W. Walther aus „Gnadenjahr“:

Evangelienpredigt zum ersten Advent ueber Matthaeus 21,1-9: Was lehrt uns Christi einstiger Einzug durch die Tore Jerusalems an der Schwelle eines neuen Kirchenjahres?

Evangelienpredigt zum zweiten Sonntag im Advent ueber Lukas 21,25-36: Von der rechten Vorbereitung des Christen auf das Hereinbrechen des Juengsten Tages

Evangelienpredigt zum dritten Sonntag im Advent ueber Matthaeus 11,2-10: Dass Jesus wahrhaftig der Messias ist, der da kommen sollte

Evangelienpredigt zum vierten Advent ueber Johannes 1,19-28: Die rechte Beschaffenheit unseres Zeugnisses von Jesus Christus

Predigt zum Heiligen Abend ueber Jesaja 9,6-7: Von der großen Freude, dass Gott seinen Sohn nicht nur fuer uns Menschen hat geboren werden lassen, sondern ihn uns auch schon gegeben hat

Evangelienpredigt zum ersten heiligen Christfesttag ueber Lukas 2,1-14: Die wahre Weihnachtsfreude

Evangelienpredigt zum zweiten heiligen Christtag ueber Lukas 2,15-20: Was sollen Zuhoerer tun, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehoert haben, sondern den vollen Segen derselben erlangen?

Evangelienpredigt zu Neujahr ueber Lukas 2,21: Wie wahre Christen das neue Jahr im Namen Jesu anfangen

Evangelienpredigt zu Epiphanias ueber Matthaeus 2,1-12: Das Wort Gottes der rechte einzige Leitstern auf dem Weg zum Himmel

Evangelienpredigt zum ersten Sonntag nach Epiphanias ueber Lukas 2,41-52: Wie wichtig der Blick auf Christi Jugend bei der Rueckerinnerung an unsere eigene Jugend sei

Evangelienpredigt zum zweiten Sonntag nach Epiphanias ueber Johannes 2,1-11: Von der Freundlichkeit, welche Christus auf der Hochzeit zu Kana offenbart hat

Evangelienpredigt zum dritten Sonntag nach Epiphanias ueber Matthaeus 8,1-13: Dass nur das der rechte Glaube sei, der sich allein an das Wort haelt

Evangelienpredigt zum vierten Sonntag nach Epiphanias ueber Matthaeus 8,23-27: Von der goettlichen Macht und Herrlichkeit, welche Christus einst auf dem galilaeischen Meer offenbart hat

Evangelienpredigt zum fuenften Sonntag nach Epiphanias ueber Matthaeus 13,24-30: Dass eine Kirche, welche die Ketzer verfolgt und toetet, gewiss Christi wahre Kirche nicht sei

Evangelienpredigt zum Verklaerungssonntag ueber Matthaeus 17,1-9: Die Offenbarung der goettlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi auf dem Berg der Verklaerung

Evangelienpredigt zum Sonntag Septuagesimae (70 Tage vor Ostern) ueber Matthaeus 20,1-16: Von der lohnsüchtigen Froemmigkeit

Evangelienpredigt zum Sonntag Sexagesimae (60 Tage vor Ostern) ueber Lukas 8,4-15: Wie muss man Gottes Wort hoeren, dass man selig werde?

Evangelienpredigt zum Sonntag Estomihi (Sei mir ein starker Fels; Ps. 31,3) ueber Lukas 18,31-43: Warum noch jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erkennen

Evangelienpredigt zum Sonntag Invocavit (Er ruft mich an, darum will ich ihn erhoeren; Ps. 91,15) ueber Matthaeus 4,1-11: Von den drei Hauptversuchungen eines glaeubigen Christen, um welcher willen er stets im Streit sein muss

Evangelienpredigt zum Sonntag Reminiscere (Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit; Psalm 25,6) ueber Matthaeus 15,21-28: Das Gebet im Glauben

Evangelienpredigt zum Sonntag Oculi (Meine Augen sehen stets auf den HERRN, Ps. 25,10) ueber Lukas 11,14-28: Von dem traurigen Rueckfall aus der Gnade

Evangelienpredigt zum Sonntag Laetare (Freuet euch mit Jerusalem; Jesaja 66,10) ueber Johannes 6,1-15: Wie gluecklich diejenigen auch in betreff des Zeitlichen sind, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten

Evangelienpredigt zum Sonntag Judica (HERR, schaffe mir Recht; Ps. 43,1) ueber Johannes 8,46-59: Dass Christi vollkommener Wandel eine oeffentliche Beschaemung des Unglaubens ist

Predigt zum Palmsonntag ueber 1. Mose 19,17b: Was euch bewegen soll, die Rettung eurer Seele immer eure Hauptsorge sein zu lassen

Predigt zum Gruendonnerstag ueber 1. Korinther 11,23-32: Warum sollen wir nimmermehr von dem Glauben abfallen, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaft und wesentlich gegenwaertig seien?

Predigt zu Karfreitag ueber 1. Thessalonicher 5,9.10: Christi Tod – unser Leben

Evangelienpredigt zum ersten Advent ueber Matthaeus 21,1-9: Was lehrt uns Christi einstiger Einzug durch die Tore Jerusalems an der Schwelle eines neuen Kirchenjahres?

    HERR Jesus! In deinem Namen haben wir mit dem heutigen Tag ein neues Jahr des Kampfes und der Pilgrimschaft deiner Kirche auf Erden begonnen. Mit Bitten und Flehen erscheinen wir daher vor dir, der du unser einziger Trost, unsere einzige Hilfe, unsere einzige Zuflucht bist. Was sollen wir aber bitten? Sollen wir dich darum bitten, dass du auch im neuen Jahr deine Kirche nicht verlassen, in Gnaden wieder zu ihr kommen und sie erhalten und schützen wollest? Warum sollten wir das? Du kommst zu ihr wohl ohne unser Gebet, denn du hast es verheißen, und ehe müssen Himmel und Erde brechen, ehe du dein Wort brechen und deine auf dich gegründete Kirche überwältigen lassen könntest. Du bist bei ihr darinnen, darum wird sie wohl bleiben; du hilfst ihr früh. Darum das ist’s, HERR, warum wir dich anflehen, dass du im neuen Jahr auch zu uns kommen und uns Gnade geben wollest, dass wir das Herz dir auftun, wenn du kommst. Siehe, wir gedenken heute an unsere Sünde; wir denken heute daran, wie oft du in den verflossenen Kirchenjahren zu uns gekommen bist im Wort und Sakrament, und wir taten dir nicht auf, wir machten dir nicht Platz in unseren Herzen und verschütteten den Segen, den du uns zugedacht hattest. Wir wissen es, wir hätten es daher wohl verdient, dass du im neuen Jahr an uns vorüber gingest. Aber, o du Heiland aller Menschen und auch unser Heiland! Allein durch deine Fürbitte leben wir ja noch, allein um deiner Fürbitte willen sind wir ja noch nicht hinweggerissen aus dem Land unserer Gnadenzeit: O, so tue nun auch zu dieser Gnade noch das hinzu, und komm in diesem neuen Jahr wieder zu uns und vollende in uns dein Werk; damit, wenn die Stimme der Mitternacht endlich zur Hochzeit ruft, wir bereit seien, dir, unserem Bräutigam, mit brennenden Lampen und im hochzeitlichen Schmuck zu folgen. Erhöre uns, o König der Gnade, erhöre uns. Amen. Amen.

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

„Und ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir sollen selig werden“, als der Name Jesu Christi, so spricht der Apostel Petrus. Nach diesen Worten kann kein Mensch sich selbst selig machen, noch ein Bruder den anderen erlösen, noch ein Engel des Himmels einem Menschen den Himmel erschließen, sondern hiernach ist Christus allein die über den Abgrund des Todes in das ewige Leben geschlagene Brücke, Christus allein die offene Pforte des Paradieses, Christus allein der Weg in den Himmel. Wer immer unter allen Menschen selig werden will, der muss nach diesen Worten durch Christus selig werden, oder alle seine Bemühungen darum sind eitel und vergeblich; und ist je ein Mensch selig geworden, so ist er es durch Christus geworden.

    An dieser Lehre haben sich bisher viele schon deswegen gestoßen, weil Christus erst viertausend Jahre nach Erschaffung der Welt in die Welt gekommen ist. Wie? spricht man, gäbe es außer Christus wirklich für keinen Menschen auf Erden Heil und Seligkeit, würde er dann nicht sogleich nach Erschaffung der Welt gekommen sein? Würde er dann so lange ausgeblieben sein und bis zu seiner Ankunft in der Welt so viele Millionen rettungslos verloren gehen lassen? –

    Aber man irrt sich. Um Christus ist es eine gar wunderbare Sache. Christus war längst in der Welt gewesen, als die heiligen Engel seine Geburt in himmlischen Lobgesängen priesen. Christi Kommen in die Welt ist nämlich ein zweifaches, ein leibliches und ein geistliches. Vor über zweitausend Jahren kam er nun freilich in die Welt, wie er vorher noch nicht gekommen war, nämlich sichtbar und leiblich; aber geistlich war Christus immer in der Welt gewesen, so lange es eine Welt gab. Klar und deutlich schreibt nämlich von ihm Johannes zu Anfang seines Evangeliums: „In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschjen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen. Das war das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.“ Daher spricht auch Christus selbst von sich: „Ehe denn Abraham war, bin ich. Abraham ward froh, dass er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich.“

    Des recht zu verstehen, muss man nämlich dies wissen: Als in den ersten Menschen durch den Fall in die Sünde das Licht der ihnen anerschaffenen Unschuld und Gerechtigkeit erloschen war, da rief Gott ihnen alsbald zu: „Der Same der Frau wird der Schlange den Kopf zertreten“, und mit dieser ersten Verheißung fing Christus schon an, als das einige, wahrhaftige Licht der Welt zu scheinen; diese Worte waren gleichsam die ersten Strahlen einer himmlischen Morgenröte, welche die Sündennacht, die sich über die Erde gelagert hatte, bereits durchbrach. Als aber Gott später noch deutlicher zu Abraham von dem sprach, durch den alle Völker der Erde gesegnet werden und der aus dem von ihm abstammenden Volk geboren werden sollte, da leuchtete Christus schon als die Frühsonne in die in Finsternis und Schatten des Todes liegende Sünderwelt mächtig hinein. Und als Hierauf ein langer Zug von Propheten von Jahrhundert zu Jahrhundert in Israel auftrat, die alle wie aus Einem Mund verkündigten, dass die Ankunft des Verheißenen immer näher rücke, und als endlich der letzte unter den Propheten, Maleachi, laut in die Welt hinein rief: „Bald wird kommen zu seinem Tempel der HERR, den ihr sucht, und der Engel des Bundes, des ihr begehrt. Siehe, er kommt, spricht der HERR Zebaoth“: - Da stieg Christus, die unsichtbare Sonne der Welt, immer höher und höher, bis endlich der Himmel zerriss und die himmlischen Heerscharen jauchzend hervorbrachen und der Engel des HERRN, von des HERRN Klarheit umleuchtet, den erstaunten Hirten zurief: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids.“ In diesem Augenblick ging Christus der Welt nicht erst auf, sondern stand nun nur als die helle Mittagssonne über aller Menschen Häuptern.

    Weit entfernt also, dass Christus deswegen erst nach Verfluss von vier Jahrtausenden des Weltalters in die Welt gekommen sein wollte, weil er erst das Werk der Beseligung der Welt hätte beginnen wollen, so erschien er vielmehr gerade darum erst jetzt, weil er gleichsam in der Mitte der Weltzeit stehen und seine rettenden Arme rückwärts und vorwärts zu allen Verlorenen ausstrecken wollte. Die Weissagung von Christus zieht sich daher wie ein immer heller und heller werdender himmlischer Lichtstreifen durch die dunkle Geschichte der Völker. Er war schon der ersten Menschen Trost, als sie, aus dem Paradies vertrieben, die Not der Erde bitter empfinden und unter Schweiß und t5ränen das wüste Feld bauen mussten. Er war schon Israels Hoffnung und aller Völker Sehnsucht; wer daher vor Christi Geburt selig geworden ist, der ist es durch Christus geworden, auf den er hoffte.

    Daher heißt es im 13. Kapitel des Briefes an die Hebräer: „Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.“ Hieraus sehen wir, wie Christus in der Welt war und fort und fort in die Welt kam, ehe er kam; so kommt er hiernach auch noch jetzt, nachdem er bereits gekommen ist, und ist immer im Kommen, bis er kommen wird zur ewigen Festfeier mit den Seinen im Himmel und das ist der tröstliche Adventsgegenstand, mit welchen wir uns in dieser Stunde beschäftigen.

Matthäus 21,1-9: Da sie nun nahe an Jerusalem kamen nach Bethphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zwei und sprach zu ihnen: Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine Eselin finden angebunden und ein Füllen bei ihr. Löst sie auf und führt sie zu mir! Und so euch jemand etwas wird sagen, so sprecht: Der HERR bedarf ihrer; sobald wird er sie euch lassen. Das geschah aber alles, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselin. Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf und setzten ihn darauf. Aber viel Volks breitete die Kleider auf den Weg; die andern hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das vorging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des HERRN! Hosianna in der Höhe!

    Schon seit uralten Zeiten hat sich die rechtgläubige Kirche, so oft sie an der Schwelle eines neuen Kirchenjahrs stand, an der in diesem verlesenen Evangelium enthaltenen Beschreibung des Einzugs Christi durch die Thore Jerusalems ergötzt und sich dabei des gnadenvollen unsichtbaren Einzugs getröstet, den der HERR nun aufs Neue durch die Tore der Kirche, ja, der ganzen Sünderwelt halten wolle. Auch wir wollen daher unserer lieben geistlichen Mutter hierin heute folgen, indem wir uns in gegenwärtiger Stunde die Frage beantworten:

Was lehrt uns Christi einstmaliger Einzug durch die Tore Jerusalems an der Schwelle eines neuen Kirchenjahres?

    Er lehrt uns hauptsächlich zweierlei:

1.       Dass und wie Christus auch bei uns im neuen Kirchenjahr seinen Einzug halten könne und wolle, und

2.       Wie sich ein Jeder nach dem Zustand seines Herzens gegen den einziehenden Heiland zu verhalten habe.

1.

    Wenn der heilige Evangelist in unserem Text sagt, Christus habe deswegen einst jenen feierlichen Einzug durch die Tore Jerusalems gehalten, auf dass erfüllt würde, das gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir“, so dürfen wir nicht denken, dass dieser Einzug also nur den Einwohnern Jerusalems gegolten habe. Nein, so gewiss Christus nicht gekommen war, den irdischen Königsthron zu Jerusalem zu besteigen, sondern ein König aller Menschen zu sein, so gewiss geht alle Prediger des Evangeliums, so gewiss geht auch mich der Befehl an: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir.“

    Aber wie? Dürfen wir wirklich glauben, dass Christus noch immer, dass er auch heute noch, auch unter uns seinen Einzug halten könne? Ist er nicht schon längst aus dieser Welt geschieden? Und zeigt es nicht gerade jener armselige Einzug in Jerusalem, dass Christus nichts als ein armer, machtloser, geringer Mensch gewesen sei? Wissen wir nicht, dass wenige Tage nach jenem Einzug auf das Hosiannarufen des Volks das Kreuzige! Kreuzige! und eine Krönung mit Dornen gefolgt und der arme König endlich schmachvoll an das Kreuz geschlagen worden ist?

    Hiernach scheint freilich auf den ersten Anblick nichts törichter zu sein als der Glaube, dass Christus noch heute auch bei uns als König einziehen könne. Allein, lasst euch von diesem Schein nicht irren, denn so armselig auch Christus in unserem Evangelium an unseren Augen vorüberzieht, so groß ist die Herrlichkeit und Majestät, die uns bei genauerem Aufmerken aus aller Niedrigkeit, in welcher jener Einzug geschah, entgegenleuchtet. Denn was hören wir? Von Gal8iläa mit seiner Jüngerschar kommend und nach längerer Abwesenheit Jerusalem sich wieder nahend, hält Christus plötzlich still und gibt zwei seiner Jünger den Befehl: „Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine Eselin finden angebunden und ein Füllen bei ihr; löst sie auf und führt sie zu mir.“ Sagt, wie konnte Christus wissen, dass sich, was er hier so genau und umständlich voraussagte, wirklich so befinden werde? Hiermit bewies Christus nichts Geringeres, als dass er allwissend sei., Sprecht nicht, wie man das hieraus schließen könne, da ja die vorausgesagten Umstände so geringfügige gewesen seien! Je geringfügiger und je zufälliger sie waren, desto mehr beweisen sie, dass vor Christi Augen nichts in der Welt, auch nicht das Geringste, verborgen war. Und noch mehr: Christus setzt hinzu: „Und so euch jemand etwas wird sagen, so sprecht: Der HERR bedarf ihrer; so bald wird er sie euch lassen.“ Ich frage euch hierbei ferner: Wie konnte Christus es wissen, dass der Eigentümer der Lasttiere durch jenen kurzen Bescheid der Jünger bewogen werden würde, dieselben zu lassen? Hiermit bewies Christus nichts Geringeres, als dass er Macht habe, auch die Herzen der Menschen, und zwar selbst in der Ferne, zu lenken, dass er also allmächtig sei. Und noch mehr: Christus zieht hierauf unter dem Zuruf und Jubel von Tausenden durch die Tore Jerusalems ein; die ganze ungeheure Stadt wird erregt; alles, jung und alt, Fremdlinge und Einwohner, strömt zusammen und ruft verwundert aus: „Wer ist der?“ Selbst Säuglinge tun wunderbar ihren Mund auf und rufen laut: „Hosianna dem Sohn Davids!“ Sagt, wie war es möglich, dass Herodes, Pilatus und alle Mächtigen des Landes, welche sich in der Stadt mit großen Scharen gerüsteter Krieger befanden, jetzt ruhig zusahen? Was hielt diese grimmen Feinde Christi fest, dass sie Christus nicht als einen Aufrührer und Rebellen gefangen nahmen? – Erkennt hieraus Christi himmlisches Wirken. Hiermit bewies Christus, dass er auch ohne Schwert und Heeresmacht ganze feindliche Heere bezwingen, ihr Herz verzagt machen, ihre Füße Fesseln, ihre Arme lähmen könne. O, was ist darum ein irdischer König gegen Christus! Eines irdischen Königs Macht ist ein zerbrechliches Schwert, Christi Macht sein allmächtiges Wort; jenes Thron ist von Staub und steht auf Staub, zu dem er selbst endlich zurückkehrt, Christi Herrscherthron ist in den Herzen der Menschen aufgebaut, die er lenkt nach seinem unumschränkten Willen. Kurz, Christus ist ein allwissender, allmächtiger König der Herzen, der ewige wahrhaftige Sohn des lebendigen Gottes. Das hat er bewiesen bei seinem Einzug in Jerusalem und uns damit bezeugt, dass er noch jetzt, dass er noch heute auch bei uns seinen Einzug halten kann.

    Aber wie? sollte er bei uns nicht einziehen können, sondern auch einziehen wollen? Haben wir nicht alle ihm in der heiligen Taufe Treue geschworen, und sind wir nicht alle ihm untreu geworden? Ist er nicht der Allerhöchste und wir ein elender Staub? Ist er nicht der Allerheiligste und wir Unreine, Ungerechte, verdammungswürdige Sünder? Und heißt es nicht in dem Propheten: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir“? – Ja, meine Lieben, so heißt es, aber wer war die Tochter Zion, der diese selige Botschaft gebracht werden sollte? Waren dies etwa Heilige, die des Kommens Christi zu ihnen würdig waren? O nein! Es waren dies die Bürger zu Jerusalem; es waren dies also gerade die, denen Christus schon so oft vergeblich Gnade gepredigt hatte; es waren dies die, die dem HERRN Gutes mit Bösem, Liebe mit Hass, Wohltat mit Übeltat vergolten hatten; es waren dies eben die, welche den HERRN noch jetzt mit Mordgedanken aufnahmen und wenige Tage darauf an das Kreuz schlugen. Ja, die Bürger der mörderischen Stadt Jerusalem, dieser Haufe zur Hölle reifer Sünder, eben diese waren es, zu denen Christus in unermüdlicher Geduld und Liebe und Hirtentreue noch einmal kam, sie heimzusuchen mit allem Reichtum seiner Gnade und Erbarmung, und denen zugerufen werden musste: „Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig“, ein Helfer, ein Heiland, ein Seligmacher. O, wie gewiss kann daher ein jeder sein, in welchem Zustand er sich auch befinden möge, dass Christus auch bei ihm einziehen wolle! Oder wer ist unter uns, der da denken dürfte, Christus wolle und werde im neuen Kirchenjahr nicht zu ihm kommen? Ach, wahrlich! Keiner, keiner darf dies von seinem treuen Heiland denken, und wenn er ihm bisher noch so untreu gewesen, ja, wenn er bisher Christi ärgster Feind gewesen wäre. Schaut hin nach den offenen Toren Jerusalems und seht, wie da der König der Gnade so sanftmütig und voll brennender Sehnsucht nach der Seligkeit einer ganzen in alle Abgründe der Sünde versunkenen Stadt in dieselbe einzieht, und lernt daraus: nichts, keine Unwürdigkeit, keine Sünde, kein noch so tiefer Fall kann ihn abhalten, heute an der Tür des Herzens, auch eines jeden unter uns, anzuklopfen, Einlass zu begehren und bei ihm einzuziehen, so er ihm auftut. Mag unsere Sünde noch so groß, mag sie berghoch sein, seine Liebe und Gnade ist noch größer. Sünder, große Sünder sind es eben, die Christus sucht. Getrost rufe ich darum einem jeden unter uns zu: „Siehe, dein König kommt zu dir“, er kommt, er kommt!

    Aber, werdet ihr nun fragen, wie kommt er denn? – Wollt ihr da wissen, wohlan, so schaut hin auf Christi Einzug zu Jerusalem; da ist es uns abgemalt in einem lieblichen Bild. Da sehen wir aber, Christus steigt nicht selbst auf das Lasttier, seinen Einzug zu halten. Seine Jünger sind es, die ihn darauf heben und unter deren Geleit und Hosiannaruf er einzieht. So hält es Christus noch heute. Wo seine Diener sein Wort predigen, wo seine Diener in seinem Namen rufen: „Seht, euer König kommt“, wo seine Jünger versammelt sind, die ihn anrufen und sprechen: „Hosianna dem Sohn Davids; gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN! Hosianna in der Höhe!“ da ist auch Christus allezeit in ihrer Mitte, da folgt ihnen auch Christus allezeit auf dem Fuß nach, kurz, da hält Christus seinen Einzug: Da ist das Heil und die Seligkeit vor aller Herzen Tür. O wohl daher euch allen, die ihr die Gnade genießt, heute am Anfang des neuen Kirchenjahres Christi Gnadenwort zu vernehmen! Mag die Welt es verachten, mag es ihr Torheit und Ärgernis sein: Unter dem Schall dieses verachteten Wortes geschieht doch das grüßte wunder der Gnade, denn mit ihm zieht Christus, der Herzog der Seligkeit, noch heute überall ein, wo man ihm auftut. O wohl allen, die ihm auftun! Doch das führt mich auf das Zweite, was uns Christi einstmaliger Einzug durch die Tore Jerusalems an der Schwelle eines neuen Kirchenjahres lehrt.

2.

    Wie sich nämlich ein jeder nach dem Zustand seines Herzens gegen den in Wort und Sakrament wieder einziehenden Heiland zu verhalten habe.

    Werfen wir nochmals einen Blick auf den feierlichen Zug, der uns in unserem heiligen Evangelium begegnet, so unterscheiden wir darin deutlich zwei verschiedene Chöre. Der erste Chor besteht nämlich aus den Jüngern, welche Christus schon auf seinen Wanderungen begleitet hatten und mit ihm eben von Galiläa ankamen. Was tun nun vorerst diese? Erstlich, sie verlassen jetzt Christus nicht, obgleich ihnen derselbe auf dem Weg bereits wiederholt vorausverkündigt hatte, dass es nun in Leiden und Tod gehe. Sie schließen sich jetzt im Gegenteil nur desto inniger an Christus an. Und nicht nur dies, sie zeigen sich auch eifrig, Christi Willen in allem zu erfüllen. Christus sendet sie, etwas zu tun, was vor der Vernunft höchst töricht zu sein schien; sie weigern sich nicht; eilends gehen sie. Sie begleiten aber Christus nicht nur selbst, sondern suchen auch, so viel sie vermögen, Christi Einzug bei anderen zu fördern; sie heben Christus auf das herbeigebrachte Lasttier, unterlegen ihm ihre Kleider, gehen als seine Herolde ihm voraus und, laut ihn bekennend als den König, der da komme sollte, und ihn laut lobend und preisend, reizen sie so auch andere, Christus zu erkennen und aufzunehmen.

    Seht da, ihr Lieben, dir ihr bis heute schon mit Christus gewandert seid, wie vorerst ihr euch gegen den wieder einziehenden Heiland zu verhalten habt. Das Erste, was von euch gefordert wird, ist, dass ihr doch Christus, zu dem ihr euch bisher gehalten habt, nicht etwa nun im neuen Jahr verlasst. Und warum solltet ihr das auch? Müsst ihr nicht bekennen, dass ihr, so lange ihr es mit Christus gehalten habt, von ihm nur Gutes empfangen, nur Liebe erfahren, nur Friede und Freude im Heiligen Geist genossen und es bei ihm besser gehabt habt als bei der Welt? O, vergesst doch nun auch dies nie und schaut nicht lüstern wieder zur Welt zurück, ihren Gütern, Freuden und Ehren; ihr würdet es sonst zeitlich und ewig bereuen; sondern bleibt bei ihm, wenn ihr auch nach den Stunden der Freude hienieden noch manches Trauerstündlein, ja, eine ganze Marterwoche erfahren müsstet; bleibt bei ihm, dem treuen Heiland, bis er euch bracht hat zum ewigen Vaterland. Doch, wie die Jünger nicht nur im Glauben bei Christus blieben, sondern auch in immer brünstigerer Liebe ihm immer eifriger und williger dienten, so auch ihr. Gelobt es heute dem HERRN, dass ihr euch im neuen Kirchenjahr ihm ganz widmen, von den alten euch noch immer anklebenden und träge machenden Sünden euch im neuen Kirchenjahr mehr losmachen und in der Heiligung des Geistes größeren Eifer beweisen wollt. Das gelobt heute und bittet ihn um Gnade, euer Gelübde zu halten. Wie aber einst die lieben Jünger nicht allein an sich dachten, sondern auch an die, welche Christus noch nicht erkannten und seine Gnade noch nicht genossen, und daher alles taten, was sie vermochten, Christi Einzug in Jerusalem zu fördern und das tote Volk zu beleben und zu entzünden und in ihre geistliche Freude und in ihren Jubel über Christus und seine Gnade hineinzuziehen: so auch ihr. Bedenkt, wie viele noch ohne Erkenntnis Christi nicht nur unter den armen Heiden, sondern auch um und neben euch dahin gehen, wie viele daher täglich durch den zeitlichen Tod in den Abgrund eines ewigen Todes fallen und verloren gehen! Darum lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und den Vater im Himmel mit euch preisen. Hebt für die, welche noch in Finsternis und Schatten des Todes sitzen, fleißig eure Hände zu Gott und betet mit Ernst: „HERR, dein Reich komme“; tut aber auch eure milden Hände auf, damit Christi Boten in die unwirtlichen Wildnisse der irrenden Schafe hinaus gehen und dieselben herzuholen können, und die Eine Herde unter dem Einen Hirten immer größer, der Jubel der erlösten Schar immer lauter und der Name des HERRN in allen Landen immer herrlicher werde, und der Tag bald erscheine, wenn Christus allem Jammer ein Ende machen und mit den Seinen triumphierend einziehen will durch die Perlentore des ewigen Jerusalems zur ewigen königlichen Hochzeit in dem Haus seines himmlischen Vaters.

    Doch, meine teuren Zuhörer, bei dem einstmaligen Einzug Christi durch die Tore des irdischen Jerusalems finden wir außer dem Chor der Jünger, welche bis dahin schon bei Christus gewesen waren, noch einen zweiten Chor von Teilnehmern an dem herrlichen Einzug, die bis dahin von Christus fern geblieben waren.

    Was hören wir aber nun von diesen? Wir hören von ihnen, als sich in Jerusalem die Kunde von dem Nahen des HERRN verbreitet, verlassen sie eilends die Stadt und gehen Christus entgegen, und sobald sie ihn erblicken, huldigen sie ihm sogleich als ihrem wahren König, breiten ihm ihre Kleider auf den Weg, schmücken denselben, so gut sie vermögen, mit Palmenzweigen und Maien und stimmen endlich in die Jubelchöre der Jünger laut jauchzend ein.

    Hier hört nun endlich ihr, wie ihr euch gegen den wieder einziehenden Heiland verhalten sollt, die ihr nicht sagen könnt, dass euer voriges Leben und besonders das verflossene Kirchenjahr eine Zeit der Wanderung mit Christus gewesen ist, die ihr vielmehr gestehen müsst, dass ihr in dem vorigen Jahr euch wenig oder nichts um Christus gekümmert, mehr euch selbst als Christus gedient, mehr irdische Güter und Freuden und Ehren als Christi Gnade gesucht habt. Wie? Solltet ihr in diesem traurigen Zustand auch im neuen Kirchenjahr bleiben wollen? Ohne die Gnade und ohne das Wohlgefallen Gottes, ohne Frieden des Gewissens und ohne Freude des Heiligen Geistes, ohne Hoffnung des ewigen Lebens und ohne Gewissheit der Seligkeit? Solltet ihr auch im neuen Kirchenjahr die Sorge für eure unsterbliche Seele hintansetzen und vor allem für euren sterblichen Leib und die vergänglichen, nichtswürdigen Dinge dieser Welt und für die veränderliche Gunst der Menschen sorgen, die Staub und Asche sind und endlich mit all ihrer Herrlichkeit verfaulen? Nein, nein, das sei ferne! Schon ist in dieser Morgenstunde an euer Ohr die Kunde gedrungen: „Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig!“ O, lasst diese Kunde auch in euer Herz dringen. Auf, auf, euer König, der schon so oft zu euch kam und den ihr immer abwiest, siehe, heute kommt er in Wort und Sakrament wieder zu euch; verlasst das sündenvolle und friedlose Jerusalem dieser Welt und eilt im Geist hinaus, wo die Jünger Christi mit Christus einher ziehen. Zieht die Kleider eurer eigenen Gerechtigkeit eilends aus und legt sie Christus zu Füßen; das heißt, erkennt euch für nackte, arme, verlorene Sünder und werft euch Christus zu den Füßen, bereitet ihm den Weg in euer Herz mit den Palmenzweigen brünstiger Gebete und mit den Maien aufrichtiger Seufzer und Tränen, aber nehmt ihn auch als euren Gnadenkönig im Glauben an und huldigt ihm und stimmt mit allen gläubigen Jüngern auch ein in das brausende Hosianna, damit diese heute in aller Welt ihn begrüßen und beglückwünschen. O selig, selig seid ihr, die ihr dem noch jetzt in dem Zion der neutestamentlichen Kirche erschallenden Adventsruf folgt! Euch tut sich das neue Kirchenjahr wie ein lachendes Tal auf, durch das ihr wandern sollt, an dessen Ende ein von der Sonne der Gnade vergoldeter Berg liegt, auf welchem die himmlische Stadt leuchtet mit für euch Tag und Nacht offenen Toren.

    Auf denn, ihr alle, meine geliebten Zuhörer, lasst uns uns gegenseitig die Hände reichen und gemeinsam, Christus in unserer Mitte, die schöne Wanderung antreten und wie mit Einer Stimme rufen: „Hosianna dem Sohn Davids; gelobt sei, der da kommt, ein König, im Namen des HERRN! Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Amen. Amen.

Evangelienpredigt zum zweiten Sonntag im Advent ueber Lukas 21,25-36: Von der rechten Vorbereitung des Christen auf das Hereinbrechen des Juengsten Tages

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Solange es eine Christenheit in der Welt gibt, so hat es auch Menschen gegeben, welche geglaubt haben, dass das Ende der Welt nahe sei. Zu allen Zeiten ist das der Welt verkündigt worden, aber wohl zu keiner Zeit mehr als in der unsrigen. Besonders in den USA sind ganze Sekten aufgestanden, die von nichts anderem predigen als davon, dass der HERR nun bald in den Wolken des Himmels kommen werde, zu richten die Lebendigen und die Toten. Diese Sekten haben sich jedoch nicht damit begnügt, von einer baldigen Erscheinung Christi zum Gericht zu predigen, sie hat auch in schwärmerischer Einbildung den Tag wiederholt angegeben, an welchem jenes große Ereignis erfolgen werde. Diese Schwärmer sind freilich mit allen ihren Zeitbestimmungen zuschanden geworden; die festgesetzten Termine sind vorübergegangen, und der Lauf der Welt geht fort wie zuvor.

    Was ist nun geschehen? Die Welt ist dadurch nur desto frecher geworden und nun nur in einen desto tieferen Schlaf der Sicherheit verfallen. Überall jubelt und jauchzt man nun, dass die Bibel und das Christentum eine neue große Niederlage erlitten und die Vernunft einen glänzenden Sieg davongetragen habe. Seht, rufen nun ungläubige Prediger und Zeitungsschreiber ihren Zuhörern und Lesern zu, seht, es ist nichts mit den Weissagungen der Schrift, der Apostel und Propheten; alle die Tage, an welchen die Welt untergehen sollte, sind verstrichen, und die Welt steht noch. Lasst darum nur euer Vertrauen auf eure Bibel fahren; ihre Prophezeiungen sind Träume einer aufgeregten Phantasie. Seht, in welche Narrheiten jetzt viele geraten sind und in welches Unglück sie sich dadurch gestürzt haben, dass sie so zuversichtlich die Erfüllung der biblischen Vorausverkündigungen erwarteten!

    Aber, meine Lieben, lasst euch hierdurch nicht irre machen. Nicht Gott mit seinem heiligen Wort, sondern nur Menschen mit ihren Träumen sin d zu Spott und Schanden geworden. Nirgends ist in der Heiligen Schrift der Tag und die Stunde bestimmt, wann Christus wiederkommen wird. Im Gegenteil sagt der HERR deutlich und bestimmt: „Von dem Tag aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel nicht im Himmel, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.“ Und an einer anderen Stelle verwirft er daher alles Forschen danach als etwas Unziemliches und Unchristliches und spricht: „Es gebührt euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten hat.“

    Vergeblich bürdet also die ungläubige Welt dem Evangelium das auf, was der Vorwitz törichter Menschen verschuldet hat. Aber das ist der Welt Art; missbrauchen sündige Menschen das göttliche Wort und entstehen daraus Sünden, Verkehrtheiten und Unglück, so rufen sie: Seht da, das sind die Früchte eures so hochgepriesenen Christentums!

    Aber mögen sie immer fortfahren, die Liebhaber der Lüge, mit solchen in das Gift der Lüge getauchten Pfeilen wider die christliche Kirche zu streiten. Alle Lüge wird endlich offenbar und zuschanden werden, aber die christliche Wahrheit wird und muss siegen. Mag das Ende dieser Welt immerhin nicht gekommen sein an den Tagen, an welchen es nach menschlicher trüglicher Berechnung eintreten sollte; dass ein solcher Tag doch einmal anbrechen werde, das steht fest. Dass jetzt so viele falsche Weltuntergangspropheten aufgetreten sind, das ist geschehen durch Wirkung des Satans; eben dadurch sucht er die arme Welt immer sicherer und sicherer zu machen, in einen geistlichen Todesschlaf zu versenken und sie zu überreden, dass das Wiederkommen Christi eine lächerliche Fabel sei. Bald wird der Satan sein Ziel erreicht haben; denn wenn nach den vielen unerfüllten falschen Prophezeiungen alle Welt mit den Jüngsten Tag nur ihre Kurzweil treiben und sagen wird: Er kommt nicht; lasst uns essen, trinken und fröhlich sein! Dann wird er kommen, schnell und plötzlich, und alles unbereitet finden; in einem unvorhergesehenen Augenblick wird er auf einmal da sein; da wird Christus erscheinen, die Posaune ertönen, die Toten werden erwachen, die ganze Welt im Feuer stehen, alle Gottlosen heulen und die Frommen, verklärt, hoch in den Lüften zur Rechten des Sohnes Gottes schweben. O, dass dieser Augenblick uns alle recht gerüstet und vorbreitet finden möchte!

    Wie wir uns nun hierauf vorzubereiten haben, davon spreche ich jetzt unter Gottes Beistand zu euch. Lasst uns ihn darum anrufen usw.

Lukas 21,25-36: Und es werden Zeichen geschehen an der Sonne und Mond und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein und werden zagen; und das Meer und die Wasserwogen werden brausen. Und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen. Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so seht auf und hebt eure Häupter auf, darum dass sich eure Erlösung naht. Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht an den Feigenbaum und alle Bäume! Wenn sie jetzt ausschlagen, so sehet ihr’s an ihnen und merket, dass jetzt der Sommer nahe ist. Also auch ihr, wenn ihr dies alles seht angehen, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist. Wahrlich, ich sage euch, dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dass es alles geschehe. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht. Aber hütet euch, dass eure Herzen nicht beschweret werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnell über euch; denn wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen. So seid nun wacker allezeit und betet, dass ihr würdig werden mögt, zu entfliehen diesem allem, was geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn.

    Nach diesem verlesenen Evangelium lasst mich jetzt zu euch sprechen:

Von der rechten Vorbereitung des Christen auf das Hereinbrechen des Jüngsten Tages

    Sie besteht nach unserem Text in dreierlei,

1.       Er soll auf die demselben vorhergehenden Zeichen fleißig merken,

2.       Er soll sich hüten, sein Herz mit dem Irdischen zu beschweren, und

3.       Er soll nicht müde werden, zu wachen und zu beten.

1.

    Gott hat es, meine Lieben, aus großer Liebe so eingerichtet, dass es kein Mensch weiß, was ihm in Zukunft, ja nicht, was ihm in der nächsten Stunde begegnen werde; denn wüsste der Mensch im Voraus, dass es ihm wohlgehen werde, so würde er dadurch sicher und stolz werden; wüsste er hingegen alles sein Unglück voraus, so würde er auch in glücklichen Umständen verzagt sein. Obgleich daher dem Menschen offenbart hat, dass er einmal sterben müsse, so hat er doch die Stunde des Todes vor seinen Augen verborgen. Doch hat uns Gott gewisse Zeichen gegeben, durch welche wir stets an die Gewissheit unseres erfolgenden Todes erinnert werden und an welchen wir seine Nähe erkennen können. Der Mensch wird täglich älter und älter, er sieht, wie schnell die Jugendzeit schwindet, die Kräfte abnehmen, Wange und Haar verbleichen, Sehen und Hören ihre Schärfe verlieren, der Rücken sich beugt, die Hände zu zittern beginnen, immer mehr Krankheiten den Körper aussagen und wie so die Frucht seines Lebens zum Abfallen immer reifer und reifer wird; dies alles sind fortwährende Zeichen und Vorboten des Todes.

    Eine ähnliche Bewandtnis hat es auch mit dem Jüngsten Tag. Er ist ebenso gewiss, wie unsere Todesstunde; Christus spricht daher in unserem Text die Beteuerung aus: „Wahrlich, ich sage euch, dies Geschlecht“, nämlich das jüdische Volk, „wird nicht vergehen, bis dass es alles geschehe. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht.“ Wann aber der Tag dieses Weltuntergangs sei, das weiß keine Kreatur das steht allein geschrieben in den verborgenen Büchern der geheimen göttlichen Ratschlüsse. Gott hat jedoch in seinem offenbarten Wort Zeichen angegeben, an denen der Christ die Nähe dieses großen Tages erkennen kann. Davon spricht Christus in unserem Evangelium: Und es werden Zeichen geschehen an der Sonne und Mond und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein und werden zagen; und das Meer und die Wasserwogen werden brausen. Und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden; denn auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen.“ Dass aber diese merkwürdigen außerordentlichen Erscheinungen in der sichtbaren Natur und in der Menschenwelt lauter Zeichen sind, auf welche der Christ merken muss, als auf Vorboten der Nähe des HERRN, dies sagt er selbst, indem er hinzusetzt: „Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so seht auf und hebt eure Häupter auf, darum dass sich eure Erlösung naht.“

    Es entsteht daher nun die Frage: Was ist von jenen Zeichen zu halten? Sind sie schon geschehen oder sind sie noch zu erwarten? Die christlichen Ausleger sind hier verschiedener Meinung. Einige meinen nämlich, jene Zeichen würden erst kurz vor dem Ende der Welt, vielleicht ein Jahr, vielleicht nur kurze Tage und Stunden zuvor eintreten; da werden Sonne, Mond und Sterne ihren Schein verlieren, das Meer brausen und seine Ufer verlassen, die Erde hin und wieder erbeben, die Sterne ihre Bahnen ändern und unter den Menschen Angst und Verzweiflung herrschen. Diese Auslegung stimmt jedoch, wie es scheint, nicht mit dem ganzen Zusammenhang der Heiligen Schrift.

    Christus gibt nämlich selbst, um uns in dem Verständnis seiner Worte zu Hilfe zu kommen, das Gleichnis in unserem Text: „Seht an den Feigenbaum und alle Bäume. Wenn sie jetzt ausschlagen, so seht ihr’s an ihnen und merkt, dass jetzt der Somme nahe ist; also auch ihr, wenn ihr dies alles seht angehen, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.“ Hieraus müssen wir schließen, dass die Zeichen des Jüngsten Tages langsam erfolgen sollen, wie der Frühling sich allmählich entwickelt und das Grünen und Ausschlagen der Bäume und das Aufbrechen ihrer Knospen und Blüten nur nach und nach, keineswegs aber wie mit einem Zauberschlag geschieht.

    Wir dürfen daher keineswegs meinen, dass die in unserem Evangelium beschriebenen Zeichen noch nie dagewesen und daher alle erst noch zu erwarten seien. Wohllassen sich noch immer in jedem Jahr neue sehen, aber die meisten liegen schon hinter uns und sind bereits durch alle Jahrhunderte der christlichen Zeit hindurch schon erfolgt. Schon oft sind Sonne, Mond und Sterne vor den Augen der Menschen verfinstert worden, schon oft hat die Menschen Bangigkeit und Zagen ergriffen, schon Unzählige sind vor Furcht und Erwartung der kommenden Dinge verschmachtet, das Meer hat schon oft greulich getobt und die Erde gezittert, als wollte sie bersten; dies alles hat daher den Menschen schon oft laut zugerufen: Wacht auf, ihr Schläfer! Das Ende naht.

    Wohl ist es wahr, dass die Astronomen und Naturforscher die natürlichen Ursachen solcher auffallenden Erscheinungen oft nachweisen können, sie sind und bleiben aber darum nichtsdestoweniger von Gott uns gegebene Zeichen des nahen Umsturzes und der Zerstörung des ganzen großen Weltgebäudes. Denn ist es nicht Gott, der die Welt regiert, der den Mond vor die Sonne führt, dass diese uns verdeckt und ihr Licht uns entzogen wird und dergleichen? Bedenkt, wenn wir gleich die natürlichen Ursachen unserer Krankheiten sehen, sind und bleiben sie nicht dem ungeachtet Vorboten unseres gewiss erfolgenden Todes? So hat nun auch die Welt schon 2000 Jahre gleichsam gesiecht und gekränkelt, die Sonne, das Auge der Welt, hat schon oft, so zu sagen, das Licht und die Sehkraft verloren und in dem ganzen großen Körper der Welt sind schon krampfhafte Zuckungen entstanden; dieses alles zeigt uns an, dass die Todesstunde der Welt vor der Tür sei.

    Mögen es daher die Ungläubigen immer als einen Aberglauben verlachen, dass die Christen in den auffallenden natürlichen Erscheinungen Gottes Sprache zu vernehmen glauben, so lasst ihr euch dadurch nicht stören, die ihr glaubt an Gottes heiliges Wort. Bereitet euch vielmehr auf die große bevorstehende Veränderung der ganzen Schöpfung auch dadurch täglich vor, dass ihr ernsthaft merkt auf die Zeichen der Zeit. Lernt Gott immer besser verstehen, so oft er durch allerhand schreckliche, ungewöhnliche Vorfälle in der Welt zu uns deutlich redet. Glaubt es, es ist bereits genug geschehen, es sind bereits genug Vorboten da, noch heute könnte daher Christus erscheinen, noch der heutige Tag könnte der Jüngste Tag, der Tag der Auferstehung, der Tag des Weltgerichts sein. Schon zur Zeit der Apostel durften die Christen nicht sicher sein; schon da waren viele Zeichen geschehen; aber da vor Gott tausend Jahre sind wie ein Tag und ein Tag wie tausend Jahre, so hat sich die Zeit noch 2000 Jahre durch Gottes Geduld verzogen. Jetzt aber, da nun auch der geweissagte große allgemeine Abfall geschehen und auch der Antichrist offenbart ist, jetzt dürfen wir keinen Augenblick mehr sicher sein, noch ehe wir diese Kirche verlassen, ja, schon im nächsten Augenblick kann Christus wie ein Blitz aus heiterem Himmel hervorbrechen, schon im nächsten Augenblick können Himmel und Erde in Flammen und Gottes Richterstuhl vor unseren Augen stehen.

2.

    Hört daher nun von dem zweiten Stück der Vorbereitung hierzu, welche darin besteht, dass sich der Christ auch ernsthaft hüten soll, sein Herz mit dem Irdischen zu beschweren. Denn Christus fährt in unserem Evangelium so fort: Aber hütet euch, dass eure Herzen nicht beschweret werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnell über euch.“

    Darin besteht also zwar nicht etwa die rechte Vorbereitung auf den Jüngsten Tag, dass man seinen irdischen Beruf verlässt, nicht mehr arbeitet, sondern allein betet, oder dass man alle seine irdische Habe verkauft und sie unter die Armen austeilt. Das sei ferne! Eben darum hat uns Gott Zeit und Stunde nicht offenbart, dass wir, so lange nicht Gott selbst den Schauplatz dieser Welt zerstört, in unserem Beruf bleiben, unsere Pflichten gegen die Unsrigen und überhaupt gegen unseren Nächsten fort und fort erfüllen und uns von Christus, wenn er wieder kommen wird, auf dem Posten finden lassen sollen, wohin er uns in dieser Welt gestellt hat.

    Nicht das Essen und Trinken und nicht das treue Besorgen dessen, was zu unseres Leibes Nahrung und Notdurft gehört, ist es, was Christus verbietet, sondern das Beschweren des Herzens mit diesen Dingen.

    Du, der du in Essen und Trinken deinen Himmel auf Erden suchst; der du lieber deiner Seele als deinem Leib eine Pflege, Nahrung und Erquickung abschlägst; der du lieber das Brot des Lebens, das Wort Gottes, entbehrst, als an dem irdischen Brot Mangel leidest; der du darauf ausgehst, stets ein ruhiges, behagliches, vergnügliches Leben zu führen; der du daher Gott gerne seinen Himmel ließest, wenn er dir nur immer auf Erden Gesundheit, Geld und gute Tage bescherte; der du dich so mit niedlichen Speisen voll füllst, dass du untüchtig wirst, deine Seele zu Gott zu erheben, oder dich so mit starken Getränken berauschst, dass dein Blut erhitzt wird und deine Zunge lallt: Du bist es, der vor Gott sein Herz mit fressen und Saufen beschwert, wenn du es auch vielleicht nicht denkst. Und du, der du dir vorgenommen hast, reich zu werden, ein Kapitel nach dem anderen zurückzulegen, oder dien Geschäft immer mehr zu erweitern, oder dir ein Haus zu bauen; und der du nun mit diesen Gedanken aufstehst und dich niederlegst; der du dich mit diesen deinen irdischen Plänen beschäftigst, wo du gehst und stehst; der du mit Begierde in die Zukunft blickst und mit Freude schon im Geist siehst, wie alle deine immer größeren Wünsche erfüllt sein werden: Du bist es, der sein Herz mit Sorgen der Nahrung beschwert. Ach, wie viele mag es unter uns geben, die in dieser Beschreibung ihren Zustand, ihr Leben, Sinnen und Wesen finden, und ganz gute Christen zu sein vermeinen!

    Heiß0t das aber, sich auf den Hereinbruch des Jüngsten Tages vorbereiten? O, wahrlich nicht! Wer so handelt, der glaubt gewiss nicht ernsthaft, dass jener große Tag ihm jeden Augenblick bevorstehe; ein solcher denkt gewiss in seinem Herzen: Mein Herr kommt noch lange nicht.

    Ja, ihr alle, die ihr jetzt einen großen Teil unserer Gemeinde ausmacht, deren Herz fast immer mit Gedanken und Sorgen für die Zukunft erfüllt ist, die ihr bei eurem kleinen Geschäft in eurem Gemüt ebenso wohl von euren kleinen Spekulationen eingenommen seid, wie die Besitzer der ungeheuersten Summen, die ihr von Verlangen nach immer größerem Gewinn brennt und euch mehr über die Lebhaftigkeit des Geschäfts vor dem Christfest als über das himmlische Geschenk freut, um welches willen dieses Fest gefeiert wird; o ihr irdisch gesinnten Seelen, ihr beschwerten Herzen, wie schlecht seid ihr bereit auf das nahe Ende dieser Welt! Ihr sprecht, ihr glaubt, dass Gott bald Himmel und Erde mit Feuer verzehren werde, und doch klammert ihr euch immer fester an das Irdische an! Ihr sprecht, ihr glaubt, dass Christus noch heute kommen könne, Gericht zu halten, und doch sorgt ihr nicht nur für den anderen Morgen, sondern sogar auf lange Jahre hinaus! O, wie täuscht ihr euch doch selbst! Wenn es heute noch hieße: „Der Bräutigam kommt, auf, ihm entgegen“, so würde euch das eine Schreckenspost sein; zwischen euch und den Weltkindern würde kein Unterschied sein; ihr würdet eure Häupter nicht freudig emporheben, darum, dass sich eure Erlösung naht; der Weltuntergang würde euch der Untergang aller eurer Hoffnung und alles eures Glücks sein, denn ihr setzt eure Hoffnung nicht auf Christus, sondern auf den ungerechten Mammon. Wollt ihr denn in solchem elenden Zustand verharren? Wollt ihr fort und fort euer Herz voll sein lassen vom Irdischen, dass das Hmmlische darin keinen Platz findet? Wollt ihr denn nicht anfangen, die Welt zu verlassen, ehe sie euch verlässt? O, kehrt um, erkennt euren Irrweg, er führt zur Verdammnis, wenn ihr auch sonst ehrbar lebt; reißt euch los und sucht die himmlischen Güter der Gnade in Christus; dann mag der letzte Tag der Welt kommen heute oder morgen, so werdet ihr nicht erschrecken, sondern fröhlich sein und eingehen zu ewiger Freude und Seligkeit.

3.

    Damit dies aber geschehe, ruft uns allen Christus endlich noch zu: „Wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen. So seid nun wacker allezeit und betet, dass ihr würdig werden mögt, zu entfliehen diesem allem, was geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn.“ Wachen und Beten ist also das dritte Stück der Vorbereitung auf das Hereinbrechen des Jüngsten Tages.

    Christus sagt nämlich, der Jüngste Tag werde kommen wie ein Fallstrick über alle, die auf Erden wohnen. Ein Fallstrick wird aber dahin gelegt, wo man es am wenigsten vermutet; ungehindert meint das Wild, seinen gewöhnlichen weg wie immer fortsetzen zu können, und siehe! Unversehens tritt es in den Fallstrick und ist gefangen. Wo du daher gehst und stehst, da sollst du wachen und beten, o Christ; allenthalten sollst du daran denken: Hier liegt vielleicht der Fallstrick, vor dem dich Christus gewarnt hat; hier ist vielleicht der Ort, wo Christus dir erscheinen und wo er dich abholen will in sein ewiges Reich.

    Christus sagt ferner, er werde erscheinen wir ein Blitz; ein Blitz naht aber nicht langsam, sondern schneller, als unser Auge folgen kann, zuckt er von einem Ende des Himmels bis zum anderen. So schnell wird also die große Veränderung geschehen sein. Da wird keine Zeit sein, erst noch um Gnade zu seufzen, eine Zeit, sich zu bekehren, keine Zeit, sich vorzubereiten. Darum wacht und betet jetzt, dass ihr dann schon gerüstet seid.

    Christus spricht aber auch endlich, er werde kommen wir ein Dieb in der Nacht. Ein Dieb aber meldet nicht vorher an, dass er um diese oder jene Stunde kommen werde. Christus wird also kommen, da es niemand meint; der Tag seiner Zukunft wird sich von den anderen Tagen nicht unterscheiden; die Sonne wird ebenso heiter aufgehen wie sonst; der Mensch wird an jenem großen Morgen mit denselben Hoffnungen sein Lager verlassen wie sonst; man wird an seine Arbeit gehen, man wird essen und trinken, man wird lachen und scherzen, man wird fluchen, toben und lästern, man wird sündigen wie sonst; es wird alles seinen gewöhnlichen Gang haben, wie sonst. Niemand wird denken: Heute kommt der HERR; man wird vielmehr denken: Heute ist’s, wie es gestern war, und morgen und übermorgen und fort und fort wird es sein, wie es heute ist; und siehe, während alles wie ein Rad sich unaufhaltsam bisher drehte, da wird urplötzlich alles still stehen, in einem Augenblick wird Gottes Sohn vor aller Menschen Augen sich darstellen, aller Orten und Enden werden die heiligen Engel erscheinen, Gottes schmetternde Posaune in aller Ohren schallen und Berg und Tal und Meer sich öffnen und alle Toten werden auferstehen – wie? ist es daher nicht nötig, dass wir wachen und beten, damit wir jeden Augenblick würdig seien, zu entfliehen diesem allen, und bereit, zu stehen vor des Menschen Sohn?

    O, meine teuren Zuhörer, wenn wir die Lehre von dem Jüngsten Tag nur recht fest und ohne Zweifel glaubten, wie viel wachsamer, wie viel eifriger im Gebet, wie viel ernsthafter in unserem ganzen christlichen Wandel würden wir sein! So bittet denn Gott selbst, dass er euch einen tiefen unauslöschlichen Eindruck davon gebe; setzt darüber eure Betrachtungen nach Anleitung des Wortes Gottes auch zu Hause fort; befehlt jeden Augenblick eure Seele im Glauben eurem barmherzigen Heiland, so werdet ihr auch, ihr mögt dann wachen oder schlafen, arbeiten oder ruhen, lachen oder weinen, doch durch Christus würdig sein, vor ihm zu stehen. Er tue es an uns allen um seiner Liebe willen. Amen.

Evangelienpredigt zum dritten Sonntag im Advent ueber Matthaeus 11,2-10: Dass Jesus wahrhaftig der Messias ist, der da kommen sollte

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

    In demselben unserem teuren Heiland, geliebte Brüder und Schwestern!

    „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?“ So ließ nach dem Bericht unseres heutigen Sonntagsevangeliums Johannes der Täufer Christus fragen; Christus sollte also sagen, ob er nicht ein bloßer weiser Mann oder ein bloßer Prophet oder sonst ein bloßer Gesandter Gottes sei, sondern ob er wirklich der Messias sei, der nach den Weissagungen aller Propheten des Alten Bundes kommen sollte, und auf welchen das ganze gläubige Israel nun schon so lange sehnlichst gewartet habe.

    Die Frage geht, meine Lieben, auch uns an; sie war nicht nur einst für die Juden zur Zeit Christi von höchster Wichtigkeit, sondern sie ist dies auch für uns noch heute. Es ist nicht genug, dass wir nur glauben, Jesus sei ein großer Wohltäter der Menschheit, der Stifter einer neuen vortrefflichen Religion oder auch ein Heiland der Welt und der wahrhaftige Sohn Gottes gewesen; soll unser Glaube festgegründet sein, so müssen wir auch wissen und ohne allen Zweifel glauben, dass Christus eben der und kein anderer als der schon den Vätern des Alten Testamentes Verheißene war, kurz, der von allen rechtgläubigen Juden erwartete Messias oder Erlöser der Welt.

    Das Christentum ist auf das Judentum gegründet und daraus als aus seinem Stamm wie ein ästereicher, fruchtbringender Baum hervorgewachsen; das Neue Testament beruht auf dem Alten; dieses enthält die Verheißung, jenes die Erfüllung. Wäre daher das alte Judentum und die Bücher des Alten Testaments, worin es enthalten ist, falsch, so wären auch das Christentum und die Bücher des Neuen Testaments, worin dieses niedergelegt ist, falsch. Fällt das eine, so fällt auch das andere. Daher spricht Christus bei Johannes im fünften Kapitel: „Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben. So ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?“

    Glauben wir daher nicht, dass Christus eben der Messias sei, der da kommen sollte, eben der Same Abrahams, in welchem gesegnet werden sollen alle Geschlechter der Erde, der von den Juden einst und noch heute erwartete König Israels und Erretter der Menschen, so glauben wir entweder an gar keinen Christus oder an einen falschen. In der Zeit des Alten Testaments reichte es zur Seligkeit hin, überhaupt zu glauben, dass Gott den Menschen durch einen Messias oder Erlöser helfen wolle, in der Zeit des Neuen Testaments aber, nachdem Jesus in die Welt gekommen ist, ist es zu unserem Heil unbedingt nötig, dass wir glauben, dass dieser Jesus der Christus sei, der da kommen sollte. Diese Wahrheit, Jesus ist der Messias, ist die Scheidewand zwischen den Christen und den jetzigen Juden; sie ist auch der Grund unserer Hoffnung und Seligkeit. Daher spricht Petrus von dem Namen Jesu: „Und ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden.“ Und daher spricht auch Johannes in seinem ersten Brief: „Wer da glaubt, dass Jesus sei der Christ, der ist von Gott geboren.“

    Ich zweifele nun gar nicht, dass ihr alle, die ihr diese Kirche zu besuchen pflegt, die Lehre für wahr haltet, dass Jesus eben der sei, der da kommen sollte; aber Petrus verlangt von Christen noch mehr als eine solche Überzeugung; er spricht: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in euch ist.“ Um euch nun zu solcher Bereitschaft und Fertigkeit behilflich zu sein, lasst mich euch heute über jene Lehre einen zwar kurzen, aber möglichst gründlichen und vollständigen Unterricht erteilen.

Matthäus 11,2-20: Da aber Johannes im Gefängnis die Werke Christi hörte, sandte er seiner Jünger zwei und ließ ihm sagen: Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr seht und hört: Die Blinden sehen, und die Lahmen gehen; die Aussätzigen werden rein, und die Tauben hören; die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt; und selig ist, der sich nicht an mir ärgert. Da die hingingen, fing Jesus an zu reden zu dem Volk von Johannes: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her webt? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist denn ein Prophet. Denn dieser ist’s, von dem geschrieben stehet: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.

   Johannes der Täufer war ohne Zweifel fest überzeugt, dass Jesus der Messias sei. Er konnte hierin nicht wankend werden, denn Gott hatte zu ihm gesagt: „Über welchen du sehen wirst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, derselbe ist es, der mit dem Heiligen Geist tauft.“ Und Johannes sah dies, da er Jesus taufte, und er hörte zugleich dabei die Stimme Gottes vom Himmel: „Das ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.“ Daher predigte er auch: „Bereitet dem HERRN den Weg. Er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Johannes ließ daher keineswegs um seinetwillen, sondern um seiner noch schwachen Jünger willen Jesus fragen: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?“ Diese Frage kommt jetzt auch uns zugute; denn Christus hat sie in unserem Evangelium in einer Weise beantwortet, dass wir daran unseren Glauben mächtig stärken können. Ich zeige euch hiernach jetzt:

Dass Jesus wahrhaftig der Messias ist, der da kommen sollte

    Wir sehen dies nämlich unwidersprechlich nach unserem Text

1.       Aus den Werken, die er vollbracht hat,

2.       Aus der Lehre, die von ihm gepredigt worden ist,

3.       Aus den Schicksalen, mich welchen seine Erscheinung auf erden verbunden war, und endlich

4.       Aus der Familie, dem Ort und der Zeit, in welcher er geboren wurde.

1.

    Um darüber gewiss zu werden, ob Jesus wirklich der Messias sei, der da kommen sollte, dazu gibt es keinen anderen Weg als diesen, dass wir darüber das Alte Testament um Rat fragen. Dahin weist daher auch Christus die Juden und spricht: „Sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie ist’s, die von mir zeugt.“ Darauf nämlich kommt es bei dieser Sache allein an, ob das in Jesus wirklich eingetroffen ist, was die Propheten von dem zukünftigen Messias vorausgesagt haben. Ist Jesus wirklich so beschaffen, wie die Propheten den Messias schildern, sehen wir die von dem Messias ausgesprochenen Weissagungen, Verheißungen und Hoffnungen in Jesus wirklich erfüllt, dann ist er auch unwidersprechlich die Person, die da kommen sollte, und wir dürfen nun auf keinen anderen warten.

    Das Erste nun, wodurch sich nach den Propheten der Messias auszeichnen und zu erkennen geben sollte, sind seine außerordentlichen Wunderwerke. Dass diese ein unerlässliches Kennzeichen des Messias seien, das war zu Christi Zeit eine unter allen Juden unbestrittene Sache. Daher kam es, dass nicht nur das Volk, sondern auch die Pharisäer und Schriftgelehrten Christus so oft aufforderten, es durch Zeichen und Wunder zu beweisen, dass er der Messias wirklich sei.  Denn so schreibt unter anderem der Prophet Jesaja im 35. Kapitel seiner Weissagungen: „Sagt den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht euer Gott kommt zur Rache (nämlich für die Unbußfertigen); Gott, der da vergilt, kommt und wir euch helfen (nämlich den Bußfertigen). Alsdann werden der Blinden Augen aufgetan werden und der Tauben Ohren werden geöffnet werden. Alsdann werden die Lahmen löcken wie ein Hirsch, und der Stummen Zunge wird sagen.“

    Dieses alles ist buchstäblich in Jesus erfüllt worden. Auf jene Frage des Johannes des Täufers antwortete er daher in unserem Evangelium: „Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr seht und hört; die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören und die Toten stehen auf.“ Damit, will Christus sagen, beweise ich es, wer ich bin; seht, ich schaffe neue Augen; Menschen, vor deren Seele von Geburt an die Schöpfung in Nacht gehüllt war, geht durch meine Hand endlich der Tag auf; getrennte Glieder fügen sich wieder zusammen; erstorbene Hände regen sich auf meinen Wink mit neuem Leben; gelähmte Füße springen plötzlich auf; verschlossene Ohren öffnen sich, laut ertönen vorher gebundene Zungen und alle Krankheiten weichen, ja, auf meinen Befehl fliehen die bösen Ge9ster, die Teufel verlassen die lange bewohnten Seelen der Besessenen, und die Toten steigen lebend wieder aus ihren Gräbern.

    Weit entfernt daher, dass Christus auch nur das Geringste übriggelassen haben sollte, was nach den Weissagungen der Schrift durch den Messias geschehen sollte, so hat er im Gegenteil alle Weissagungen und darum auch alle Erwartungen noch weit übertroffen. Er hat allein mehr Wunder getan, als alle Propheten zusammengenommen, und Werke verrichtet, die bisher unerhört waren; so dass einstmals ein Israelit voll Verwunderung ausrief: „Von der Welt an ist es nicht gehört, dass jemand einem geborenen Blinden die Augen aufgetan habe.“

    Hierzu kommt noch dieses Besondere, dass Christus nicht nur selbst Wunder tat, sondern auch die Macht, in seinem Namen Wunder zu tun, anderen erteilte, die sie wieder anderen mitzuteilen die Gewalt empfingen. In dem unserem Text vorhergehenden Kapitel heißt es: „Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unsauberen Geister, dass sie dieselben austrieben, und heilten allerlei Seuche und allerlei Krankheit.“ Diese Gabe, die Wunderkraft mitzuteilen, hatte kein Prophet. Als Elisa seinem Diener Gehasi gebot, seinen Stab auf des toten Knaben Antlitz zu legen, da erwachte er noch nicht; der Prophet musste erst selbst kommen. Noch weniger aber konnten die Apostel und Propheten in ihrem eigenen Namen Wunder tun oder die Gabe, dieselben in ihrem Namen zu tun, anderen mitteilen. Vielmehr rief Petrus, als alles Volk mit Verwunderung auf ihn sah, nachdem er einen Lahmen gesund gemacht hatte, in heiligem Eifer dem Volk zu: „Was wundert ihr euch darüber? Oder was seht ihr auf uns, als hätten wir diesen wandeln gemacht durch unsere eigene Kraft oder Verdienst? Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat sein Kind Jesus verklärt; und durch den Glauben an seinen Namen hat er an diesem, den ihr seht und kennt, bestätigt seinen Namen.“ Seht da, in seinem eigenen Namen konnte allein Jesus Wunder tun, und er offenbarte damit, dass er dieselben verrichte in seiner eigenen Kraft.

    O, wie fröhlich, getrost und zuversichtlich können wir daher das Geschwätz der Ungläubigen verachten, die Christus zu einem bloßen weisen Menschen machen wollen, dessen Weisheit daher wohl für seine Zeit hervorragend gewesen sei, die aber von jetzigen noch aufgeklärteren Männern verbessert werden müsse! Tretet auf, ihr Weisen dieser Welt, und versiegelt eure Weisheit auch, wie Christus, mit solchen göttlichen Wunderwerken! – Aber ihr Ohnmächtigen könnt nur hoffärtig reden, aber mit nichts euch als Prediger der Wahrheit beglaubigen. Darum wird Christi besiegeltes Wort ewig bleiben, und eure Worte werden verwehen, wie der Staub eurer Leiber.

2.

    Doch, hätte sich Christus nur durch Wunder ausgezeichnet, so würden wir daraus noch nicht vollkommen gewiss werden können, dass er der Messias wirklich sei, der da kommen sollte. Wir gehen daher weiter, denn wir sehen dies auch zweitens aus der Lehre, die von ihm gepredigt worden ist. Es ist nämlich auch die besondere Beschaffenheit seiner Lehre schon von den Propheten vorausverkündigt worden. Nach deutlichen Aussprüchen des Alten Testaments sollte der Messias eine ganz andere Lehre führen als Mose, der Mittler des Alten Bundes. Mose sprach nach seiner Lehre nur denen die Seligkeit zu, die das Gesetz vollkommen erfüllen würden; weil aber dies kein Mensch tut, so verkündigte sein Amt allen Tod und Verdammnis. Daher heißt es im 5. Buch Mose, am Ende des 27. Kapitels: „Verflucht sei, wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt, dass er danach tue.“ Von Christus wird hingegen durchgängig geweissagt, dass zu seiner Zeit allen Verschmachteten Erquickung, allen Betrübten Trost, allen Sündern Gnade angeboten werden würde. So spricht unter anderem der Evangelist des Alten Testaments, Jesaja: „Er wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen“, das heißt, er wird nicht poltern mit Gesetzesdonner. „Das zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. Er wird nicht mürrisch noch greulich sein.“ An einer anderen Stelle führt derselbe Prophet den Messias so redend ein: „Der Geist des HERRN HERRN ist über mir, darum hat mich der HERR gesalbt“, das heißt, zum Messias oder zum Gesalbten gemacht. „Er hat mich gesandt, den Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden; zu Elenden zu predigen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden; zu predigen den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen eine Öffnung; zu predigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen Tag der Rache unseres Gottes; zu trösten alle Traurigen.“ Daher spricht auch Zephanja: „Alsdann“, nämlich zur Zeit des Messias, „will ich den Vätern anders predigen lassen mit freundlichen Lippen, dass sie alle sollen des HERRN Namen anrufen und ihm dienen einträchtig.“

    Seht hier das Bild, welches die Propheten von der Lehre des Messias entworfen haben. Vergleichen wir nun hiermit die Lehre, die von Jesus gepredigt worden ist, finden wir da nicht in ihm die wahre Erfüllung? Er beruft sich selbst darauf in unserem Text, indem er zu seinen Wunderwerken hinzusetzt: „Und den Armen wird das Evangelium gepredigt.“ Was ist aber das Evangelium? Es ist kein neues Gesetz, nicht eine neue, reine und strenge Moral, nicht eine Lehre von den Werken, die wir tun sollen, nicht eine predigt von der Verdammnis für Sünder, sondern es ist eine Gnadenpredigt, es ist die fröhliche Botschaft, dass Jesus die Sünder annimmt, dass, wer an ihn glaubt, selig werden soll, es ist ein Herzulocken der Elenden und Irrenden und ein Trösten und Aufrichten der Gefallenen und Erschrockenen.

    Nun hat zwar Christus auch das Gesetz ausgelegt, aber das war nicht seine eigentliche Predigt; dies tat er als ein Prophet, um die Sicheren zu erwecken, den Selbstverblendeten und Selbstgerechten ihre Sünden zu zeigen, die harten Herzen zu zerschlagen und zu erweichen und so die Menschenfähig zu machen für den Trost, den er ihnen bringen wollte. Seine eigentliche Amtspredigt war das tröstliche Evangelium. Sein Zuruft an die Menschen war: „Kommt her alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken, und bei mir sollt ihr Ruhe finden für eure Seelen“; und den Inhalt seiner ganzen Lehre gibt er mit den Worten an: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

    Dieselbe Lehre gebot daher auch Christus seinen Jüngern zu predigen, da er die Welt verließ. Er spricht zu ihnen: „Geht hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ Und was erklären daher auch die Apostel, als Diener und Gesandte Jesu, für den eigentlichen Inhalt der ihnen aufgetragenen Lehre? Sie sprechen: „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“

    Es ist sonach unwidersprechlich: Jesus hat auch durch seine Lehre sich als der Messias bestätigt, der da kommen sollte. Dass er aber dies sei, das sehen wir fernen drittens aus den Schicksalen, mit welchen seine Erscheinung auf Erden verbunden war.

3.

    Darauf weist Christus selbst in unserem Text mit den Worten hin: „Selig ist, der sich nicht an mir ärgert.“ Es stehen nämlich in den Propheten viele Beschreibungen des Messias als eine großen Königs mit großer Herrlichkeit; darauf sahen daher die Juden am meisten und das tun sie noch jetzt, und weil sie diese Herrlichkeit des messianischen Reiches von einer leiblichen verstehen, so meinten sie einst und meinen sie noch jetzt, Jesus könne der Messias nicht sein. Aber, o entsetzliche, bedauerungswürdige Verblendung! Dass jene prachtvollen Schilderungen nicht von einer irdischen Herrlichkeit zu verstehen sein können, sehen wir daraus, dass die Schicksale des Messias auf dieser Welt zugleich als höchst kläglich beschrieben werden. Darum ruft Christus aus: „Selig ist, der sich nicht an mir ärgert“; denn schon Jesaja hat von ihm geschrieben: „Viele werden sich über ihn ärgern, weil seine Gestalt hässlicher ist als anderer Leute, und sein Ansehen als der Menschenkinder.“

    Welche Schicksale sind es aber, die von dem Messias vorausverkündigt werden? David sagt von ihm im 118. Psalm, er sei der Stein, den die Bauleute verworfen und der zum Eckstein geworden sei; das ist von den Juden geschehen. Der 41. Psalm sagt, der Freund, dem er sich anvertraute, der sein Brot aß, werde ihn mit Füßen treten; das ist von dem Verräter Judas geschehen. Der 22. und 69. Psalm sagt, er werde verspottet und mit Galle und Essig getränkt werden in seinem großen Durst, man werde ihm Hände und Füße durchgraben, über seine Kleider das Loos werfen, er werde einem Wurm gleich sein und keinem Menschen, und sich von Gott verlassen klagen; Jesaja sagt, er werde seinen Rücken darhalten denen, die ihn schlagen, und seine Wangen denen, die ihn raufen, sein Angesicht werde er nicht verbergen vor Schmach und Speichel. Er werde keine Gestalt noch Schöne haben, er werde der Allerverachtetste und Unwerteste sein, dass man sein Angesicht vor ihm verbergen und ihn nichts achten werde; er werde den Übeltätern gleich gerechnet, gemartert, verwundet und zerschlagen werden; aber wie ein Schlachtschaf verstummen und endlich wie ein Gottloser begraben werden. Sacharja sagt ferner, man werde ihn für dreißig Silberlinge verkaufen und seine Seite zerstechen; der HERR Zebaoth werde sagen: „Schwert, mache dich auf über meinen Hirten und über den Mann, der mir der nächste ist; schlage den Hirten, so wird die Herde sich zerstreuen.“ Endlich sagt auch Daniel, „Christus werde ausgerottet werden und nichts mehr sein.“

    Doch finden wir auch Weissagungen von dem Sieg des Messias und dem endlichen herrlichen Ausgang seiner so tiefen Erniedrigung. Jesaja sagt, wenn er sein Leben werde zum Schuldopfer gegeben haben, so werde er Samen haben und in die Länge leben; dies bestätigt der 16. Psalm, nach welchem des Messias Fleisch sicher liegen, seine Seele nicht in der Hölle gelassen und nicht verwesen solle. Hierzu kommen noch andere Weissagungen Davids im 68. und 110. Psalm, dass der Messias in die Höhe fahren und das Gefängnis gefangen führen und sich setzen werde zur Rechten Gottes. Das Ganze aber beschließen Joel und alle Propheten mit der Verkündigung, dass der Messias dann vom Himmel den Heiligen Geist ausgießen und alle Völker in sein Reich berufen und diese ihm anhangen würden.

    Nun sagt, ist nicht diese alles in der Person Jesu von Nazareth wörtlich in Erfüllung gegangen, so dass es, man möchte sagen, auch ein Blinder sehen muss? Reden nicht alle seine Schicksale laut: Dieser Jesus ist wahrhaftig der Messias, der da kommen sollte? Finden wir nicht in Jesus das Bild des Messias wieder, auch da, wo es die Propheten bis auf die kleinsten und geringsten Züge seiner Lebensumstände entworfen haben? An welcher Person ist das noch einmal geschehen? – O, dass Gott dem verblendeten Israel die Augen auftun und sie erkennen lassen möchte, dass dieser Sohn Davids das Heil sei, nach welchem sie schmachten! Dass sie ausrufen möchten: „Gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN!“

4.

    So kommen wir denn nun auf das letzte Kennzeichen, aus welchem wir ersehen können, dass Jesus der sei, der da kommen sollte; wir erkennen dies nämlich viertens auch aus der Familie, dem Ort und der Zeit, in welcher er geboren wurde. Ich kann mich hierbei umso kürzer fassen, da ihr hiervon bereits in der letzten Adventswochenpredigt gehört habt.

    Deutlich ist in den Schriften des Alten Testaments die Familie angegeben, aus welcher der Messias abstammen solle. Mit jedem Jahrhundert offenbarte dies Gott immer deutlicher. Zuerst wurde der Messias als ein Sohn Adams verheißen, hierauf unter seinen Söhnen der Familie Sets, sodann unter den Söhnen Noahs der Familie Sems, ferner unter Sems Nachkommen dem Abraham, Isaak und Jakob, und unter den zwölf Söhnen Jakobs dem Juda und seinem Stamm; und als sich auch dieser Stamm immer weiter und weiter ausbreitete, so gab endlich Gott dem David, dem Sohn Isais aus Bethlehem, die Verheißung, dass sein Geschlecht das auserwählte sein und ein Zweig aus der Wurzel Isais Frucht bringen werde für alle Völker und Zeiten. Endlich tat Jesaja auch noch dieses hinzu, dass eine Jungfrau aus der königlichen davidischen Verwandtschaft die auserkorene Mutter des Heilandes sein sollte. Dass nun dies alles in Jesus erfüllt ist, bedarf keines Beweises. Die Geschlechtsregister, die uns im Alten wie im Neuen Testament aufbewahrt sind, beweisen dies unwidersprechlich.

    Wo aber der Messias das Licht der Welt erblicken sollte, dies sagt Micha; dieser spricht: „Und du Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir kommen, der in Israel Herr sei, welches Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist.“ Nicht umsonst steht hier das Wort Ephrata noch bei Bethlehem, denn es gab noch ein anderes Bethlehem im Stamm Sebulon. Wir können also gewiss sein, das Kindlein zu Bethlehem und kein anderes ist es, das Gott uns geschenkt, an das wir glauben und durch das wir selig werden sollen.

    Das Letzte endlich, was uns von dem Messias offenbart ist, ist die Zeit, in welcher er erscheinen sollte. Diese geben uns nämlich Jakob, Haggai und Daniel so deutlich an, dass auch der mindeste Zweifel verschwinden muss. Jakob sagt nämlich erstlich: „Es wird das Zepter von Juda nicht entwendet werden, noch ein Meister von seinen Füßen, bis dass der Held komme; und demselben werden die Völker anhangen.“ Wenn also Juda das Zepter oder die Herrschaft werde verloren haben, dann werde der Verheißene kommen. Haggai sagt ferner, dass aller Heiden Trost kommen müsse, wenn der zweite Tempel noch stehen werde, und endlich sagt Daniel, von dem Befehl an, dass Jerusalem wieder gebaut werden solle, bis zu Christus seien es noch siebzig Wochen, nämlich prophetische Jahrwochen oder 490 Jahre.

    Hieraus ist es denn unwiderleglich gewiss: Der Messis muss gekommen sein, denn schon beinahe 2000 Jahre liegt der zweite Tempel in Schutt und Asche, das Zepter Judas ist dahin und jene 70 Jahrwochen sind nun schon ebenso lange im Meer der Ewigkeit.

    Darum lasst uns fröhlich sein! Unser Glaube an Jesus ist keine Täuschung; er ist dem Gold gleich; je schärfer er geprüft wird, desto heller und klarer erscheint er. Gott ist treu in seinen Verheißungen. O, lasst uns nur alle fest daran halten, so werden wir auch nicht zuschanden werden, sondern einst nach treuem Kampf des Glaubens gelangen zum ewigen Anschauen.

    Das helfe uns allen Jesus Christus, der gekommen ist, selig zu machen das Verlorene! Amen.

Evangelienpredigt zum vierten Advent ueber Johannes 1,19-28: Die rechte Beschaffenheit unseres Zeugnisses von Jesus Christus

    Gnade, Barmherzigkeit und Friede von Gott, unserem Vater, und dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der Wahrheit und in der Liebe sei mit uns! Amen.

    Geliebte in dem HERRN Jesus!

    Nie hat Jesus Christus erst eines menschlichen Zeugnisses bedurft, um zu beweisen, dass er wirklich Gottes Sohn und der Menschen Heiland und Seligmacher sei. Dass er dies sei, davon konnte er selbst sein unumstößliches göttliches Zeugnis ablegen; und er hat es abgelegt ebenso durch seine Worte wie durch seine Taten. Wenn er redete, so redete er gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten, und offenbarte mit seinen Worten nicht nur das, was noch in ferner Zukunft lag, ja, nicht nur den heimlichen Rat menschlicher Herzen, sondern auch den verborgenen ewigen Ratschluss des unsichtbaren und unerforschlichen Gottes, der weder in eines Menschen, noch in eines Engels Herz je gekommen war; und davon spricht er: „Wir reden, das wir wissen, und zeugen, das wir gesehen haben.“ Christus ist nicht bei den Weisen dieser Welt in die schule gegangen, sondern in niedriger Stille aufgewachsen, und hat doch eine Weisheit verkündigt, die alle Gelehrten aller Zeiten, wenn sie auch nicht daran glaubten, doch bewundert und als unübertrefflich angestaunt haben. Christus beurkundete damit selbst, dass er der eingeborene Sohn sei, der in des Vaters Schoß ist. Ein gleich unumstößliches Zeugnis gaben aber auch seine großen göttlichen Wunderwerke, so dass er auf die Frage: „Bist du, der da kommen soll?“ ohne weiteren Beweis mit den Worten antworten konnte: „Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt.“ „Ich habe“, konnte er sein, „ein größeres Zeugnis als des Johannes Zeugnis; denn die Werke, die mir der Vater gegeben hat, dass ich sie vollende, dieselben Werke, die ich tue, zeugen von mir.“ Das größte aber aller Zeugnisse von Jesus, wovor der Unglaube schamrot werden muss und worauf der Glaube sich unbeweglich gründen kann, das ist das Zeugnis, welches Gott selbst gezeugt hat von seinem Sohn. Denn so schreibt der Evangelist Matthäus: „Da Jesus getauft war, stieg er bald heraus aus dem Waser; und siehe, da tat sich der Himmel auf über ihm. Und Johannes sah den Geist Gotts, gleich wie eine Taube, herabfahren und über ihn kommen. Und siehe, – eine Stimme vom Himmel herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich W0hlgefallen habe.“ – Was bedürfen wir weiter Zeugnis?

    So gewiss es aber auch ist, meine Zuhörer, dass derjenige, welcher Zeugnis bekam vom Himmel, ein solches von der Erde nicht bedufte, noch bedarf: so würden wir uns doch sehr irren, wenn wir meinten, dass auch wir eines menschlichen Zeugnisses von Jesus nicht bedürfen, und dass es Christi Wille nicht sei, dass wir Menschen ihn bekennen. Nein, meine Geliebten, Gott hat nicht nur das Predigtamt dazu eingesetzt und Menschen übertragen, dass durch dasselbe ein immerwährendes Zeugnis der Menschen von Christus gestiftet sei; niemand soll auch denken, dass es genug sei, den Glauben an Christus in seinem Herzen zu haben; diejenigen, welche Christen sein wollen, sollen auch „Lichter in dem HERRN“ sein, die vielen leuchten; sie sollen Städte sei, die gebaut sind auf hohen Bergen und niemandem verborgen bleiben. „So du“, spricht der Apostel Paulus, „mit deinem Mund bekennst Jesus, dass er der HERR sei, und glaubst in deinem Herzen, dass ihn Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du selig. Denn so man von Herzen glaubt, so wird man gerecht, und so man mit dem Mund bekennt, so wird man selig.“ Und Jesus Christus selbst ruft uns zu: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich wieder verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“

    Erkennt hieraus, meine Zuhörer, wie notwendig es sei, dass auch ein jeder von uns ein gutes Zeugnis von Jesus Christus ablege, da wir außerdem seine Jünger nicht sein, noch das ewige Leben ererben können.

    Nicht jedes Zeugnis von Christus aber ist auch das rechte; da liegt die Täuschung gar nah; nicht jeder „HERR, HERR“-Sager ist auch der rechte Bekenner des Namens Jesu Christi; hier ist eine ernstliche Prüfung nötig. Da uns nun unser heutiges Evangelium Gelegenheit zu einer solchen Prüfung gibt, so lasst uns in der Furcht Gottes in gegenwärtiger Stunde eine solche Prüfung des rechten Zeugnisses von Christus miteinander anstellen.

    (Es liegt dies dem heutigen Tag, dieser versammelten Gemeinde, wie mir selbst umso näher, da ich, wie euch bewusst ist, heute diese heilige Stätte betreten habe, ein Zeugnis meines Glaubens vor euch abzulegen.)

    Lasst uns zuvor Gott im stillen Gebet um seinen Gnadenbeistand anrufen, wenn wir miteinander werden gesungen haben (Dresdner Gesangbuch) 225,9.

Johannes 1,19-28: Und dies ist das Zeugnis des Johannes, da die Juden sandten von Jerusalem Priester und Leviten, dass sie ihn fragten: Wer bist du? Und er bekannte und leugnete nicht; und er bekannte: Ich bin nicht Christus. Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elia? Er sprach: Ich bin’s nicht. Bist du ein Prophet? Und er antwortete: Nein. Da sprachen sie zu ihm: Was bist du denn? dass wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben. Was sagst du von dir selbst? Er sprach: Ich bin eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Richtet den Weg des HERRN! wie der Prophet Jesaja gesagt hat. Und die gesandt waren, die waren von den Pharisäern und fragten ihn und sprachen zu ihm: Warum taufst du denn, so du nicht Christus bist noch Elia noch ein Prophet? Johannes antwortete ihnen und sprach: Ich taufe mit Wasser; aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Der der nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist, des ich nicht wert bin, dass ich seine Schuhriemen auflöse. Dies geschah zu Bethabara, jenseits des Jordans, da Johannes taufte.

    Die Zeit, meine Zuhörer, in welcher der Messias nach den Weissagungen der Propheten erscheinen sollte, war gekommen und schonerwartete das Volk, unter dem Druck der römischen Herrschaft seufzend, den lange Verheißenen mit großem Verlangen. Da geschah es, dass Johannes der Täufer in einer den Meisten rätselhaften Gestalt unter dem jüdischen Volk auftrat: Angetan mit einem Kleid von Kamelhaaren, einem ledernen Gürtel um seine Lenden, sich nährend von Heuschrecken und wildem Honig, tauft und predigt er in der Wüste und lässt sich oft mit den Worten vernehmen: „Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ Es gehen zu ihm hinaus „die Stadt Jerusalem und das ganze jüdische Land und alle Länder an dem Jordan“; sie hören seine erschütternden Ermahnungen zur Buße, sie lassen sich von ihm taufen und bekennen ihre Sünden. So beginnt denn das Volk in seinem herzen nach und nach dem Gedanken immer mehr Raum zu geben: „ob Johannes vielleicht Christus wäre“. – Dieses alles und besonders die Besorgnisse wegen dieser Meinung des Volks von Johannes lenkten bald die Aufmerksamkeit des Hohen Rats zu Jerusalem, welcher in Sachen der Religion zu entscheiden hatte, auf denselben. Man beschloss daher, eine Gesandtschaft an Johannes selbst abgehen zu lassen, und zwar eine Gesandtschaft von Predigern und Leviten, welche zu der Sekte der bei dem Volk hoch stehenden Pharisäern gehörten. Diese sollten den Beruf und das eigentliche Amt des Johannes untersuchen und ihm eine Erklärung über sich selbst öffentlich vor allem Volk abverlangen. Es geschah; - und unser heutiges Evangelium führt uns den Erfolg dieser Gesandtschaft vor. Johannes legt nämlich darin, von sich selbst abweisend, ein herrliches Zeugnis von Jesus Christus ab, ein Zeugnis, welches gewiss uns allen zu einem nachahmungswürdigen Muster dienen kann. Lasst mich daher nach Anleitung dieses unseres Textes euch jetzt vorstellen:

Die rechte Beschaffenheit unseres Zeugnisses von Jesus Christus

    Wir untersuchen:

1.       Wovon man zeugen müsse, oder des Zeugnisses rechten Inhalt, und sodann

2.       Wie man zeugen müsse, oder des Zeugnisses rechte Weise

    HERR Jesus Christus, der du unser barmherziger Hoherpriester und Fürsprecher für uns bist bei deinem Vater, wenn unsere Sünden uns bei ihm verklagen, wir bitten dich, lehre uns, wie auch wir wieder von dir zeugen und dich so bekennen können, dass deine Ehre und unseres Nächsten Heil daraus erwachse. Lehre du es uns, wir wissen es nicht; lehre es uns aus deinem Wort und mache mich aus Gnade in dieser Stunde zu der Stimme, durch welche du zu uns redest, du großer Prediger, und mache alle diese Zuhörer zu lebendigen und gesegneten Zeugen deiner Herrlichkeit und Gnade durch Worte und Werke. Ach, HERR; erhöre uns um dein selbst willen. Amen.

1.

    Fragen wir, meine Zuhörer, zuerst danach, was unser Zeugnis von Christus denn eigentlich enthalten müsse, oder wofür wir Christus bekennen müssen, so sagt uns dies Johannes der Täufer durch seinen Vorgang klar und deutlich. Ich mache euch hierbei nur vorerst auf die Worte aufmerksam, wenn er in unserem Text von Christus so spricht: „Der ist es, der nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist, des ich nicht wert bin dass ich seine Schuhriemen auflöse!“ Welche Sprache, meine Zuhörer! – „Der nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist!“ Ist es nicht uns allen bekannt, dass Johannes älter war als Jesus? Wie konnte er da von Christus sagen, dass er vor ihm gewesen sei? – Aus keinem anderen Grund, als aus welchem der HERR selbst von sich spricht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe denn Abraham war, bin ich!“ Seht also in jenen Worten ein herrliches Zeugnis des Täufers davon, dass Jesus Christus nicht ein bloßer geschaffener Mensch, sondern das Wort sei, welches schon im Anfang war, als Gott Himmel und Erde erst schuf; dass er der ewige Sohn Gottes, des Allerhöchsten sei. – Johannes bekennt aber weiter, dass er jene stimme eines Predigers in der Wüste sei: „Richet den Weg des HERRN!“ wovon schon der Prophet Jesaja geweissagt habe: Damit bezeugt er ferner unumwunden, dass Jesus Christus der verheißene HERR, oder nach der Ursprache Jahwes, sei, der in das Fleisch kommen sollte, der Messias und Heiland aller Welt, der „von welchem alle Propheten gezeugt haben, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen“. Johannes legt also von Christus ein herrliches Doppelzeugnis ab, nämlich erstens, dass Christus der Gottmensch sei, und sodann, dass er der verheißene Heiland sei.

    Das ist ein schönes Muster für alle, welche auch noch heute Christus bekennen wollen. Soll hiernach unser Zeugnis vorerst dem Inhalt nach recht beschaffen sein, so kommt es auf zwei Stücke an: Ob wir nämlich recht von Christi Person und ob wir recht von seinem Amt zeugen.

    Der Hauptgrund, meine Lieben, warum wir überhaupt Christus vor der Welt bekennen sollen, ist, weil sie, wie Johannes von den Pharisäern sagt, ihn nicht kennt und ihn verleugnet; damit nämlich doch Christus bekannt und geehrt und, wo es nur möglich ist, ihm Seelen gewonnen werden mögen. Nun leugnet aber nicht leicht jemand, dass Christus ein wahrer Mensch, gewiss auch nicht, dass er ein guter und weiser Mensch gewesen sei, ein großer Prophet Gottes, der eine Lehre lehrte, so vollkommen, wie sonst kein Mensch. Das, sage ich, verleugnet wohl nicht leicht jemand. Aber daran ärgert sich die Welt, dass dieser Jesus, dieser verachtete Jesus, der in der Krippe lag, der nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegen konnte, und endlich schimpflich und schmachvoll am Kreuz starb, dass dieser „der HERR der Herrlichkeit, der wahrhaftige Gott und das ewige Leben, der Gott über alles, gelobt in Ewigkeit“ sein soll; und dass er nicht gekommen sei, uns nur die Tugend zu lehren, sondern uns durch sein Leiden und Sterben vom zeitlichen und ewigen Tod zu erlösen; dass allein der Glaube an ihn, das Vertrauen aufs ein teuer erworbenes Verdienst uns gerecht und selig machen könne. (Der Gekreuzigte ist es, meine Freunde, der noch heute allen Jüdisch-Selbstgerechten ein Ärgernis und allen Heidnisch-Selbstklugen eine Torheit ist.) Das , das ist es, was die Welt hauptsächlich verleugnet, und das ist es daher auch, was ein wahrer Christ von Jesus Christus vor der Welt bekennen soll.

    Davon müssen wir Zeugnis ablegen, dass wir Christus für mehr als einen Menschen, ja, für mehr als alle Engel und Erzengel halten; für den HERRN, für den Jahwe, vor dem Johannes hergehen musste, ihm den Weg zu bereiten; für den, der ewig ist und eher war als alle, die vor ihm leiblich geboren wurden; für den, vor dem sich alle Propheten, j, auch der, der mehr war als ein Prophet, nämlich Johannes,, beugen musste und sich nicht wert achten durfte, ihm die Schuhriemen aufzulösen; für den eingeborenen Sohn des lebendigen Gottes. Bekennen müssen wir aber dann auch die Wahrheit seiner Wunder, die Wahrheit seiner siegreichen Auferstehung und Himmelfahrt, die Gewissheit seines Sitzens zur Rechten des Vaters und seines Kommens zum Gericht. Bezeugen müssen wir, dass wir von Herzen glauben, „dass in keinem anderen Heil, auch kein anderer Name den Menschen gegeben sei, darinnen sie sollen selig werden“, als allein der teure Name Jesu. Bezeugen müssen wir endlich, dass Christus wahrhaftig die Sünder annimmt, dass wir bei ihm wahrhaftig Vergebung der Sünden, den Trost des Heiligen Geistes, die Gewissheit unserer Seligkeit, eine wahrhafte Ruhe unserer Seelen, ja, alles, alles bei ihm finden, was den Menschen hier und dort, in Zeit und Ewigkeit ganz befriedigen und glücklich und selig machen kann.

    Wenn dies der Inhalt unseres Bekenntnisses von Christus ist, dann ist es biblisch, dann ist es recht beschaffen, dann können wir das tröstliche Vertrauen zu der Kraft des göttlichen Wortes haben, dass es, wie das Zeugnis des Johannes, Christus Jünger zuführen und zu seiner Ehre gereichen werde, und dann dürfen wir endlich auch hoffen, dass Christus auch uns einst wieder bekennen werde vor seinem himmlischen Vater. O, welch unaussprechliche Gnade ist das, dass ein Sünder dem anderen zurufen kann: Freue dich, Gott ist ein Mensch geworden, er will unser Heiland sein, denn wer an ihn glaubt, soll ewig selig werden! Ist einem Menschen ein großes irdisches Glück widerfahren, dass er noch nicht weiß, o, wie gern will da jeder der Erste sein, der ihm die fröhliche Botschaft hinterbringt! Welche Freude sollte es uns daher sein, die allerfröhlichste Botschaft auszubreiten, wo wir nur können, dass Christus gekommen ist, die Schuldigen zu begnadigen, die Verlorenen zu erretten, ja, alle Sünder selig zu machen!

2.

    Aber, meine Zuhörer, bisher haben wir nur von dem rechten Inhalt unseres Zeugnisses von Christus gehört; zur rechten Beschaffenheit desselben gehört auch zweitens, dass es auf die rechte Weise geschehe. Auch dies lasst uns an dem Beispiel Johannes‘ des Täufers in unserem Text zu erkennen suchen.

    „Ich taufe mit Wasser“ spricht er, „aber er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt.“ „Den ihr nicht kennt“, spricht er; er will damit im Gegenteil sagen, den aber ich kenne. Ja, wohl kannte er ihn, und zwar im Glauben. Nicht Fleisch und Blut, sondern der Vater im Himmel hatte es ihm offenbart, dass Christus wahrhaftig sein lieber Sohn sei, an welchem er Wohlgefallen habe, und dass er das Lamm Gotte sei, das der Welt Sünde trägt. Dies wusste er; er hatte es erfahren; darum drang es ihn, des allezeit und allerwärts zu bekennen. – Aber hierzu war er auch berufen. Er tut dies nicht nach eigener Wahl oder in sträflichem Vorwitz. Und dies zu beweisen, verteidigt Johannes in unserem Text seinen Beruf, indem er darauf hinweist, dass er jene Stimme in der Wüste sei, von welcher einst Jesaja geweissagt habe. Und als man ihn fragt: „Warum taufst du denn, so du nicht Christus bist, noch Elia, noch ein Prophet?“ so antwortet er: „Ich taufe mit Wasser.“ Er will sagen: Ich taufe nur auf Befehl, nicht als der HERR, sondern als der Diener und Vorläufer Christi; ich gebe nur das Wasser, aber Christus kann allein durch dieses Wasser mit seines Geistes Gabe und Gnade kräftig sein.

    Diese eigene Erfahrung, dieser eigene lebendige und herzliche Glaube an Jesus Christus, und dieser gewisse Beruf, welchen der Täufer, von Christus zu zeugen, hatte: Dies beides wirkte in ihm die rechte Weise, Christus zu bekennen. Er hatte die göttliche Hoheit seines Meisters und seine eigene Niedrigkeit erfahren; er wusste, dass auch er, wie alle Menschen, nur durch das Opfer Jesu Christi vor Gott bestehen könne; dies machte ihn erstlich so demütig, dass er gern nicht mehr sein wollte, als er war, nämlich nur eine Stimme Gottes in der Wüste, der durch ihn, als sein Werkzeug, redete; er wollte nicht jener Elia oder jener Prophet, welche man damals mit Christus zugleich erwartete, viel weniger Christus selbst sein; ja, er erklärte: „Ich bin nicht wert, dass ich seine Schuhriemen auflöse“; er achtete sich also selbst dazu für viel zu gering, Christus die geringsten Sklavendienste zu tun. Wie gering muss er da erst von allen seinen anderen guten Werken gedacht haben! Er hatte aber auch erfahren die Liebe Jesu Christi, und so war denn diese auch in seinem Herzen ausgegossen, dass er ihn bekennen musste, damit doch alle zu Christus kommen und ´durch ihn selig werden möchten.

    Gab nun dem Johannes sein Glaube an Christus die rechte Demut und Liebe zu seinem Bekenntnis von ihm, so gab ihm sein Beruf auch den rechten Gottesmut dazu, dass er ebenso wenig die Lockungen wie Drohungen der Welt achtete. Das Volk hielt ihn für Christus und war bereit, ihn als solche anzuerkennen und mit ihm Hand anzulegen zur Gründung seines herrlichen messianischen Reiches; die Vornehmen aber hassten sein Zeugnis und sannen auf sein Verderben. – Was tat er? Des Volkes Gunst verachtete er und bedachte, dass ihm Gott unvergleichlich mehr gab als alle Welt ihm bieten konnte, und gegen den Hass der Großen vertraute er auf den, der ihn berufen hatte und der ihm gegen alle Verfolgungen mächtig zur Seite stand; und so bekannte er denn beides unverhohlen gegen das Volk: „Ich bin nicht Christus!“ und setzte unerschrocken gegen die Pharisäer hinzu: Aber „Der ist es, der nach mir kommen wird; der mitten unter euch getreten ist, den ihr nicht kennt.“

    Wollt ihr nun, meine Zuhörer, dies alles, was wir hier von Johannes gehört haben, auf euch anwenden, so lernt daraus Folgendes: Vor allem erkennt, dass es nicht nur darauf ankommt, dass man den rechten und ganzen Christus bekenne, sondern dass man auch selbst ein rechter Bekenner sei. Man kann, sehen wir hieraus, manches Gute und Wahre, ja, lauter Gutes und Wahres von Christus sagen und dennoch vor Gott mit seinem ganzen Zeugnis verwerflich sein. „Ich glaube, darum rede ich!“ muss man mit Johannes dem König David nachsprechen können. Wer seinen Mund zum Bekenntnis Christi vor der Welt öffnen will, der muss den lebendigen Glauben an ihn im Herzen haben. Sonst wird er gleich sein einem tönenden Erz und einer klingenden Schelle, von denen zwar ein lieblicher Klang ausgehen kann, die aber in sich selbst leer und ohne Leben sind. Man würde die Torheit begehen, anderen etwas anpreisen zu wollen, was man selbst der Annahme nicht wert achtet.

    Wer glaubt aber an Christus? Derjenige, meine Zuhörer, der nicht nur den Zeugnissen glaubt, welche wir von Christus in dem göttlichen Wort des Alten wie des Neuen Testamentes finden, sondern [auch dem Heiligen Geist nicht widerstrebt hat, als der ihn seiner Ohnmacht gegenüber Gott, seiner abgrundtiefen Verdorbenheit, der Nichtigkeit seiner eigenen Gerechtigkeit überführte und daher von sich wegsah und im herzlichen Vertrauen auf sein Evangelium Christus und dessen Gerechtigkeit aufnahm, ergriff als den, der auch seine Sünden auf sich nahm, auch für sie das vollkommene Lösegeld bezahlte, Gott auch mit ihm versöhnte und so auch ihm Vergebung der Sünden, Frieden mit Gott und ewiges Leben erworben hat.][1] Wer dies[ im Glauben ergriff][2], als er, seine Schuld vor Gott erkennend, sich zu Gott in Demut wandte, im Verlangen nach Gnade und Befreiung von seinen Sünden: Der glaubt an Christus, der ist und nur der ist fähig, ein gutes Zeugnis von Christus abzulegen.

    Wollen wir nun dies, so müssen wir uns prüfen, ob Christus unser Ein und Alles geworden sei, ob wir mit den Aposteln den Christusfeinden wirklich zurufen müssen: „Wir können es ja nicht lassen, dass wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört“ und erfahren haben; es dringt uns nämlich unsere Liebe zu Christus und zu unseren Brüdern, die mit uns erlöst sind, zu bekennen, wie gut wir’s bei Jesus haben, und sie einzuladen, dass doch auch sie an ihn glauben und bei ihm finden möchten, was sie hier und dort selig machen kann. Gewiss, dann werden wir uns überall, ebenso unter den Unwissenden wie unter den Spöttern, für den ohne eitle Streitlust bekennen, der uns mit seinem Blut erworben hat; wir werden dabei nicht das unsrige suchen, sondern des Nächsten Heil und Seligkeit. Und wie sollten wir dann dabei nicht demütig sein, da wir ja, wenn wir Christus recht bekennen, auch gestehen, dass wir bei ihm Vergebung der Sünden, Gnade, Barmherzigkeit erlangt haben! Gewiss, wir werden es uns anmerken lassen, dass wir uns über niemanden erheben, sondern nur gern alle mit uns gerettet sehen möchten.

    Wie aber, endlich, meine Zuhörer, den Täufer sein Beruf zum Zeugen von Christus so freudig und unerschrocken machte, dass er, im Bewusstsein, in Gottes Diensten zu stehen, gern der Welt den Dienst aufsagte und sich nicht fürchtete vor ihrem Trotzen und nicht erschreckte: So muss es auch mit uns stehen, wenn wir unseren HERRN und Heiland vor seinen Feinden oder Freunden bekennen.

Ohne Furcht und ohne Grauen

Soll ein Christ,

Wo er ist,

Stets sich lassen schauen.

Wollt ihn auch der Tod aufreiben,

Soll der Mut

Dennoch gut

Und fein stille bleiben.

So sang einst Paul Gerhardt, der teure Bekenner Jesu Christi; und so sollen wir auch singen können. Dies können wir aber nur dann, wenn wir wissen: Gott ist mit uns, wenn uns Gott sendet und dann das Zeugnis, was wir ablegen, eigentlich nicht unser, sondern Gottes, des Heiligen Geistes, Zeugnis in und durch uns ist. Ein unberufenes Zeugnis ist, es scheine, wie es wolle, immer ohne Liebe, denn die Liebe kommt von dem, der beruft; ohne Demut, denn es geschieht in eigener Kraft; ohne den rechten Mut, denn man kann sich dabei nicht auf den HERRN HERRN verlassen: Es ist Frevel. Wohl sandte Christus seine Jünger in die Welt; ach, die Schafe unter die Wölfe! – Aber sie konnten getrost gehen; Christus begleitete sie; und siehe, – schnell hat ihr Zeugnis die Welt erfüllt und überall Siege über die falschen Götter davongetragen. Aber wir dürfen deswegen nicht auch aus falschem Bekehrungseifer die Welt aufsuchen und uns vorwitzig mengen unter die Feinde des Kreuzes Christi, um ihnen zu predigen und sie zu bekehren: Wirr würden so sie nicht erretten; wir würden unter und mit ihnen umkommen.

    Mit unseren Werken, durch unsere Gemeinschaft mit wahren Gläubigen, durch unsere Keuschheit, Sanftmut, Demut, Liebe – Christus und dass wir seine Jünger sind, zu bekennen: Dazu sind wir alle und zwar jederzeit berufen, und mag es auch die Welt für Heuchelei achten, dieses Licht sollen wir immer und freudig leuchten lassen. Besonders aber soll der Prediger seiner Gemeinde, und zwar einem jeden Glied derselben, der Lehrer seinen Schülern Christus anpreisen, die Eltern den Kindern, der Gatte der Gattin, sie dem Gatten, der Hausherr seinen Dienstboten, der Freund dem Freunde. Diese alle tun es im Beruf und sollen es tun mit Freudigkeit, ja, ein jeder, bei dem man Grund fordert der Hoffnung, die in ihm ist, den man nach seinem Glauben fragt – sollte auch die Antwort mit Gefahr Leibes und Lebens, der Ehren und Gutes verbunden sein – hier ist Beruf; da soll man allezeit bereit sein zur Verantwortung jedermann; Gott ist es, der uns fragen lässt, er lenkt ja die Herzen wie Wasserbäche. Gereichte es daher auch nicht zur Seligkeit dem, dem wir bekenne, so soll es doch uns nicht an unserer Seele schaden; schadete man uns aber am Irdischen, nähmen sie uns den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib – lass fahren dahin, ruft Luther uns zu, sie haben’s kein Gewinn, das Reich Gottes muss uns bleiben.

    Geliebte Zuhörer! Es kommt eine Stunde, wo wir alle werden versammelt stehen vor dem Richterstuhl dessen, von dem es nur hier hieß: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und demütig; ach, welches Zagen wird dann die ergreifen, welche mit Donnerstimme sich werden zurufen hören müssen: Du hast mich nicht bekannt vor der Welt, du hast mich verleugnet, du hast dich mein geschämt; gehe von mir, ich kenne dich nicht! – O, darum lasst uns alle in der Zeit unserer Seele raten, damit keiner von uns zu Schanden werde in seiner Zukunft.

    Du aber, o Jesus, wollest selbst das, was wir von deinem Bekenntnis gehört haben, in unser Herz schreiben und selbst durch die Macht deiner Gnade uns tüchtig machen, von dir zu zeugen, allezeit mit unserem Wandel, oft mit unserem Mund und, sollte es dein Wille sein, auch einmal gern mit unserem Blut, gewiss aber, es geschehe, wie und wo es wolle, mit unserem durch dich seligen Tod. Amen.

Predigt zum Heiligen Abend ueber Jesaja 9,6-7: Von der großen Freude, dass Gott seinen Sohn nicht nur fuer uns Menschen hat geboren werden lassen, sondern ihn uns auch schon gegeben hat

(diese Predigt ist entnommen dem Predigtbuch: Festklänge, S. 156 ff.; 176 f.)

HERR Jesus, Du eingeborener Sohn Deines himmlischen Vaters, heut erblicken wir Dich als ein lächelndes Kindlein in einer Krippe liegen und hören Dich mit holdseliger Stimme uns zurufen: O Mensch, siehe, hier liege ich um deinetwillen, da hast du mich, nimm mich hin, ich bin dein! O süßes Wort: Ich bin dein! O, dass wir es glauben und Dir antworten könnten: Und Du bist mein! Aber wir vermögen das nicht. So bitten wir denn Dich, freundliches, liebliches Kind, da Du einst den finstern Stall nicht verschmähet hast, darin geboren zu werden, und die harte Krippe nicht verschmähet hast, darin zu ruhen, verschmähe doch heute auch unser armes finsteres hartes Herz nicht, darin auf es neue geboren zu werden und darin auf es neue zu ruhen.  Ja, offenbare es heut an uns allen, dass Du wirklich unser Seligmacher bist, und mache uns zu so seligen Menschen, deren Herzen Deine Herberge sind. So wollen auch wir mit Bethlehems Hirten Dich anbeten als unsern Gott und Heiland und Dein Lob verkündigen, so lange wir leben, bis wir Dich einst droben schauen werden auf Deinem Thron. Amen.

Jesaja 9,6-7: Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewig–Vater, Friedefürst, auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich, dass er’s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.

Von Gott geliebte, hocherfreute Zuhörer!

                O, was für ein herrliches, liebliches, freudenreiches Fest ist doch das Weihnachtsfest, welches wir in diesen Tagen wieder feiern! Da hören wir von einem freundlichen Kindlein, welches einst heute vor über 2023 Jahren wunderbarerweise von einer reinen Jungfrau in dunkler Nacht in einem Stalle zur Welt geboren, in Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt worden sei. Da hören wir, dass hierauf alsbald ein Bote vom Himmel herab gekommen sei, die geschehene Wundergeburt den Menschen gemeldet und ihnen zugerufen habe: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids.“ Ja, da hören wir, dass diesem Boten alsbald die unzählbare Menge der himmlischen Heerschaaren gefolgt sei, die, Gott laut lobend, wie mit Einem Munde gesungen habe: „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“  

O, welche Freude! -- Oder wie? -- Gott selbst lässt uns Menschen heut sagen: „Siehe, ich verkündige euch große Freude“; Gott selbst lässt uns sagen: jenes Kindlein in der Krippe sei der „allem Volk“ geborene „Heiland“; Gott selbst lässt uns sagen: dieser Heiland sei „der HERR“, der HERR aller Engel, Gottes hochgelobter eingeborener Sohn selbst, worauf alle Engel des Himmels in lautes Lob Gottes ausbrechen: - und das sollte nicht Freude, nicht große Freude für uns sein?  

Ja, wahrlich, meine Lieben, das ist Freude über alle Freude. Bedenke doch, o lieber Mensch, wer du auch sein magst: Heut hörst du, Gott der Vater hat für alle Menschen, also auch für dich, den HERRN des Himmels, seinen eigenen Sohn, in die Welt gesendet, auf dass alle Menschen, also auch du, einen Heiland, einen Seligmacher habest! Darfst, kannst du also nun noch fürchten, dass Gott dich hasse, dass er dir zürne, dass er dir feind sei? Nein, tausendmal nein; es ist vielmehr hiernach ganz gewiss, Gott liebt dich, Gott liebt dich unaussprechlich, Gott hat dich schon von Ewigkeit geliebt. Oder darfst, kannst du also nun noch fürchten, dass Gott dein Unglück wolle, Lust habe an deinem Tode, dein ewiges Verderben beschlossen habe? Nein, tausendmal nein; es ist vielmehr nun ganz gewiss, Gott will dein Glück, Gott will, dass du lebest, schon von Ewigkeit hat Gott deine Seligkeit gewollt. Und das solltest du heut hören können, und dich doch nicht freuen? Ja, du solltest heute selbst bekennen müssen: Wohl weiß ich es nun ganz gewiss, dass Gott mich liebt, mich unaussprechlich liebt, mich schon von Ewigkeit geliebt hat, dass Gott mich selig machen, mich ewig selig machen will, -- und doch solltest du darüber heute nicht fröhlich werden, nicht frohlocken, jubeln und jauchzen?! -- Das ist unmöglich! - 

Doch vielleicht sagst du: Wohl ist es mir eine große Freude, dass Gott seinen eingeborenen Sohn der ganzen Welt und also auch mir gesendet hat: Aber was hilft es mir, dass ihn Gott für mich in die Welt gesendet hat, wenn er noch nicht mein ist? - Du hast recht, mein lieber Zuhörer, es kann etwas zwar wohl für dich bestimmt, und doch noch nicht dein sein; aber lass dich diesen Gedanken in deiner Weihnachtsfreude nur nicht stören; denn siehe! Gott hat seinen eingeborenen Sohn nicht nur für alle Menschen in die Welt gesendet und geboren werden lassen, sondern Gott hat ihn auch schon allen Menschen gegeben und geschenkt. Denn wie spricht hiervon Christus selbst? „Also hat Gott die Welt geliebt“, ruft er selbst voll Verwunderung aus, „dass er seinen eingeborenen Sohn gab“. Merke wohl, Christus sagt nicht bloß: dass er seinen eingeborenen Sohn sandte, sondern: dass er ihn „gab“! Daher singt denn auch unsere liebe evangelisch-lutherische Kirche an jedem Weihnachtsfest mit Frohlocken:

Lobt Gott, ihr Christen allzugleich,

In seinem höchsten Thron,

Der heut schließt auf sein Himmelreich

Und schenkt uns seinen Sohn.

Und noch mehr, meine Lieben! Was Christus einst, als er bereits öffentlich ausgetreten war, beteuert, dass Gott seinen eingeborenen Sohn der ganzen Welt schon gegeben habe, das hat der Prophet Jesaja schon mehr als siebenhundert Jahre vor Christi Geburt beteuert und in unserm Text für alle Zeiten mit den Worten niedergeschrieben: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“ O, hört es, meine Lieben, er sagt: „Gegeben! Gegeben!“ Hiernach lasst mich denn in dieser festlichen Stunde ein wenig künden:

Von der großen Freude, dass Gott seinen Sohn nicht nur für uns Menschen hat geboren werden lassen, sondern ihn uns auch schon gegeben hat;

wir erwägen hierbei,  

1. was das heiße, dass uns Gott seinen Sohn schon gegeben hat, und  

2. warum gerade dies eine so große Freude für uns ist.  

I.

Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben“, so heißt es also in unserm Text. Dass unter diesem Kind und Sohn niemand anders, als das holde Christkindlein, zu verstehen sei, dies geht unwidersprechlich aus den hohen, göttlichen Namen hervor, welche der Prophet Jesaja diesem Kind und Sohn gibt. Denn er fährt so fort: „Und er heißt Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde, und des Friedens kein Ende, auf dem Stuhl Davids, und seinem Königreich; dass er es zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“ Dies alles kann offenbar von keinem bloßen menschlichen Kind, sondern nur von dem von allen Engeln angebeteten Kind in der Krippe gesagt sein.

Was heißt aber das nun erstlich, dass dieses Kind und. dieser Sohn uns nicht nur geboren, sondern auch schon „gegeben“, schon geschenkt sei?  

Wird uns, meine Lieben, sonst ein Kind geschenkt, so wird uns dasselbe nicht wirklich geschenkt, sondern uns eigentlich nur die Sorge für ein solches Kind auf das Herz gelegt, als wäre es unser eigenes. Wir bekommen damit die Verpflichtung, das Kind zu speisen und zu kleiden, es vor Gefahren zu beschützen und aufzuziehen. Hat nun ein solches Kind von seinen natürlichen Eltern etwa ein großes Vermögen geerbt, so wird uns daher auch dieses Vermögen keineswegs zugleich mit dem Kinde geschenkt; vielmehr erhalten wir damit nur das mühevolle Amt, dem Kinde sein Vermögen zu verwalten und ihm zu bewahren.  

Mit dem Jesuskindlein hat es aber eine ganz andere Bewandtnis. Dieses wird uns wirklich gegeben oder geschenkt (denn Gott sagt es); es wird uns daher nicht, wie ein anderes Waisenkind, dazu übergeben, dass wir für dasselbe sorgen und es pflegen, sondern vielmehr dazu, dass dasselbe für uns sorge und uns pflege; und was das Christkindlein hat, das sollen nicht wir ihm bewahren, sondern das will dasselbe vielmehr uns bewahren.  

Doch wie? Hat sich nicht gerade das Christkindlein aller seiner Güter, alles seines Reichtums entäußert? Ist es nicht, ob es wohl reich war, arm geworden, und zwar so arm, dass es nicht hatte, da es sein Haupt hinlegen konnte? hat es nicht, obwohl es vollkommen heilig war, sogar die Sünden aller Sünder auf sich genommen? ist es nicht, obwohl es der König aller Könige war, ein Knecht aller Knechte geworden? hat es nicht, obwohl es der allerhöchste Gesetzgeber selbst war, sich unter das Gesetz tun lassen? hat es sich nicht, obwohl es hätte mögen nur Freude haben, in ein ganzes Meer von Leiden versenken lassen? hat es nicht, obwohl es der HERR der Herrlichkeit war, alle nur erdenkliche Schmach und Verachtung getragen? ja, ist es nicht, obwohl es der Fürst des Lebens selbst war, auch endlich von Tod und Grab verschlungen worden? Was hilft es uns nun, dass uns Gott ein solch armes, nacktes Kind und alles sein Elend „gegeben“ und geschenkt hat?  

O, meine Lieben, das hilft uns gar viel, ja, was sage ich? das hilft uns alles! Christus ist als ein elendes Menschenkind geboren worden, um uns dadurch zu Gottes Kindern zu machen; Christi elende Geburt ist daher ein unaussprechlich köstliches Geschenk, denn mit dieser seiner elenden Geburt hat. uns Gott das Recht, seine Kinder zu sein, geschenkt. Christus ist arm geworden, um uns dadurch reich zu machen. Christi Armut ist daher ein unermesslich großes Geschenk, denn mit dieser seiner Armut hat uns Gott alle Schätze des Himmels geschenkt. Christus hat die Last unserer Sünden auf sich genommen, um dadurch unsere Sünden zu tilgen. Christi schwere Sündenlast ist daher ein unvergleichlich wertvolles Geschenk, denn mit dieser seiner Sündenlast hat uns Gott die vollkommene Tilgung aller unserer Sünden geschenkt. Christus ist ein Knecht aller Knechte geworden, um uns dadurch zu freien Herren zumachen. Christi Knechtschaft ist daher ein unbegreiflich hohes Geschenk, denn mit dieser seiner Knechtschaft hat uns Gott die hohe Würde, Herren über Sünde, Welt, Tod und Hölle zu sein, geschenkt. Christus hat sich unter das Gesetz tun lassen, um uns dadurch von allen Drohungen des Gesetzes zu befreien; Christi Unterwerfung unter das Gesetz ist daher ein unbezahlbar wertvolles Geschenk, denn mit dieser seiner Unterwerfung unter das Gesetz hat uns Gott Freiheit von allen Drohungen des Gesetzes geschenkt. Christus hat sich in Leiden ohne Zahl versenken lassen, um uns dadurch die ewige Freude zu verdienen; Christi Leiden ist daher ein unschätzbar teures Geschenk, denn mit diesem seinem Leiden hat uns Gott schon die ewige Freude geschenkt.  Christus hat alle nur erdenkliche Schmach und Schande getragen, um uns dadurch ewige Ehre und Herrlichkeit zu erwerben. Christi Schmach und Schande ist daher ein über alle Maßen herrliches Geschenk; denn mit dieser seiner Schmach und Schande hat uns Gott ewige Ehre und Herrlichkeit geschenkt. Christus hat sich endlich von Tod und Grab verschlingen lassen, um uns dadurch eine selige Auferstehung und das ewige Leben zu erringen; Christi Tod und Begräbnis ist daher das Geschenk über alle Geschenke, denn mit diesem seinem Tod und Begräbnis hat uns Gott schon die selige Auferstehung und das ewige Leben geschenkt.    

Seht da, das ist es, was die Worte unseres Textes sagen wollen: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“ Es ist wahr: mit dem Christkindlein sind uns also keine irdischen Schätze gegeben, denn diese hatte das Christkindlein selbst nicht; es hatte sich ja aller derselben entäußert und dafür Armut erwählt. Es ist wahr: mit dem Christkindlein sind uns auch keine zeitlichen Freuden gegeben, denn auch diese hatte das Christkindlein selbst nicht; es hatte sich ja aller derselben verziehen und dafür Leiden ohne Zahl erwählt. Es ist wahr: mit dem Christkindlein ist uns auch keine Ehre vor Menschen gegeben, denn auch diese hatte das Christkindlein selbst nicht; es hatte ja aller Ehre vor Menschen entsagt und dafür Schmach und Schande erwählt. Aber wohl uns, dass uns Gott mit dem Christkindlein keinen vergänglichen Erdentand geschenkt hat. Denn so viel das Himmlische größer ist, als das Irdische, das Göttliche größer, als das Menschliche, das Ewige größer, als das Zeitliche, so viel größer ist, was uns Gott mit dem Christkindlein geschenkt hat; denn damit hat er uns gegeben: seine Gnade, Vergebung aller unserer Sünden, vollkommene Gerechtigkeit, Erlösung von allem Uebel, Errettung von Tod und Hölle, ewige Gemeinschaft mit Gott und allen seinen heiligen Engeln, Leben und Seligkeit droben in den Wohnungen des Himmels von Ewigkeit zu Ewigkeit.  

Seht, das, das ist Gottes Weihnachtsbescherung, welche er mit den Worten vor uns ausgebreitet hat: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“

Sollte das nicht Freude sein? -- Ja, wahrlich, meine Lieben; und warum gerade dies, dass uns Gott mit dem Christkindlein dieses alles schon gegeben und geschenkt hat, für uns eine so große Freude ist, davon lasst mich nun noch zweitens zu euch sprechen.

II.

Dass das Christkindlein der ganzen Welt geboren sei, das glauben, meine Lieben, alle wahren Christen, denn ohne diesen Glauben kann niemand ein Christ sein; aber dass das Christkindlein der ganzen Welt bereits vor mehr als 2000 Jahren wirklich und wahrhaftig gegeben sei, das glauben nur wenige. Und darum fehlt es auch selbst den meisten wahren Christen an der vollen wahren Weihnachtsfreude. Denn wer zwar glaubt, dass das Christkindlein der ganzen Welt „geboren“, nicht aber, dass es derselben schon „gegeben“ sei, der kann immer noch zweifeln, ob er es nun auch annehmen und sein nennen dürfe. Aber -- Gott sei dafür ewig Lob und Preis! -- in unserm Text heißt es nicht nur: „Uns ist ein Kind geboren“, sondern auch: „Ein Sohn ist uns gegeben.“ O köstliches Wort! Ich behaupte kühnlich, dieses Wort ist das tröstlichste Wort der ganzen Heiligen Schrift. Wie die Sonne unter allen Sternen des Himmels hervorleuchtet, so leuchtet dieses Wort unter allen Bibelworten hervor. Wie das köstliche Rosenöl ein Extract aller süßen Düfte ist, welche die Rosen enthalten, so ist dieses Wort: „Ein Sohn ist uns gegeben“, gleichsam der köstliche Extrakt aller Süßigkeiten des Evangeliums.  

Bedenkt: Wenn uns jemand etwas wirklich und nicht nur zum Schein schenkt, müssen wir da etwa erst etwas tun, damit es unser werde? Nein, denn dann ist es ja schon unser! Dann handelt es sich bei uns nur noch darum, dass wir es nicht verwerfen oder wieder wegwerfen, sondern annehmen und behalten. Schenkt ein Reicher einem Armen wirklich etwas, was erwartet er da von dem Armen? Nichts, als dass derselbe sein Geschenk nehme. Sobald der Reiche fordert, dass der Arme erst etwas dafür tue, so ist sein angebliches Geschenk eben kein wirkliches Geschenk. Nun hat aber Gott bereits vor mehr als 2000 Jahren das Christkindlein und alles, was es hat, allen Menschen schon wirklich geschenkt (denn was Gott sagt, das ist gewiss wahr), daher soll nun auch kein Mensch es sich mit seiner Reue, mit seiner Besserung, mit seinen guten Werken erst verdienen, kein Mensch es sich erst erarbeiten, kein Mensch es sich erst erkaufen, kein Mensch es sich erst erkämpfen und erringen, ja, auch kein Mensch es sich erst erbeten und erflehen. Denn weil es ihm ja schon gegeben, das heißt, frei und umsonst zugesprochen ist, so ist es ja schon sein. Warum? Weil er ein Mensch ist. Sehet da: In den Worten: Ein Sohn ist uns „gegeben“, liegt daher ein wahres Meer von Trost für alles, was Mensch heißt, das nie ausgeschöpft werden kann. Die wenigsten Christen haben kaum eine Ahnung davon, welch ein Schatz des Trostes in den Worten: "Uns ist ein Sohn gegeben", enthalten ist. In wessen Seele diese Worte in ihrer wahren Bedeutung aufgehen, in dessen Seele geht auch erst die volle Sonne der Gnade auf. Ganz kann sie ein Christ hienieden gar nicht fassen. Wer sie schon in diesem Leben ganz fasste, der würde, wie Luther mit Recht sagt, vor Freude sterben, und wenn Gott einen solchen Menschen zur Probe seines Glaubens in die Hölle würfe, so würde derselbe selbst mitten im Ofen der Hölle, wie die drei Männer im feurigen Ofen, voll himmlischen Trostes und voll seliger Hoffnung sein. Ja, wenn die verdammten Geister in der Hölle im Glauben sagen könnten: „Uns ist der Sohn Gottes gegeben“, so würde sich alsbald ihre Hölle in den Himmel, ihre Pein in Seligkeit verwandeln.

Sprich aber nicht: Aber ich bin voll Leiden und Trübsale; mein Haus drückt Krankheit, Armut, Verachtung und Elend. Wie kann ich mich freuen? O, siehe über diesen Jammer hinaus, mein Christ; dein Heiland hat durch seine Armut und Niedrigkeit es dir erworben, dass, je größer hier deine Not ist, desto größer auch dort deine Seligkeit werden soll. Dieser Zeit Leiden ist nicht wert der Herrlichkeit, die an dir um Christi willen soll offenbaret werden. Jede Träne, jeder Seufzer, jeder Kummer ist nun ein köstliches Samenkorn, das du im Himmel wiederfinden sollst, aufgewachsen zu einem großen Baume unaussprechlicher Seligkeit. Wie darfst du also traurig sein?

Sprich nicht: Aber, ich wollte wohl gern alle leibliche Noth tragen, aber ich seufze hier in der Hölle der Anfechtung. Ich fühle nichts als Tod und Verdammnis, keine Empfindung des Trostes kommt in mein elendes Herz; es scheint mir fast immer, als habe mich Gott ganz verlassen und als habe er meiner ganz vergessen, wie kann ich mich freuen? Höre, o Christ, nicht auf dein Herz, das ist ein falscher Prediger; höre auf das Weihnachtswort deines Gottes: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ An dieses Wort halte dich, du Angefochtener, und bedenke: Lässt dich Gott hier seine Gnade nicht fühlen, so kommt doch ein Tag, wo du nicht mehr im Finstern wirst glauben müssen, da wird dein Leib und deine Seele nichts fühlen, als Güte Gottes; da wirst du ausruhen von deinen Kämpfen, da wird die Last dir ewig abgenommen sein, die du hier tragen musst, da wird dein Seufzen in ewiges Jauchzen, dein Weinen in ewiges Lachen, dein Klagen in ewigen Jubel verwandelt sein. O, daran denke, und ein Strahl der Freude wird auch in deine Seele fallen.  

Sprich aber endlich auch nicht, o Christ: Ich stehe an den Pforten des Todes und der Ewigkeit; ich fühle schon den nahen Tod in meinen siechen elenden Gliedern; oder ich bin ein Greis und habe bereits einen Fuß in meinem Grabe; wie kann ich mich freuen? O du, der du in dieser Welt nichts mehr zu fordern hast, siehe über die schwarze Totenbahre und über das dunkle Grab nur hinweg; hältst du dich an das Kindlein in der Krippe, so ist deine Todesnähe ein Nahesein bei der Krone, ein Eilen zur Herrlichkeit; siehe, schon rufen dich die jubelnden Chöre der Engel und aller Seligen in ihren Kreis; wie darfst du traurig sein? --

O, meine Lieben, so freut euch denn, o freut euch! Ihr könnt wahrlich nur dann nicht selig werden, wenn ihr das Christkindlein, das euch schon geschenkt ist, verwerft. Nehmt ihr es im Glauben an, so dürft ihr dann nicht mehr fragen: Was sollen wir tun, dass wir selig werden? Das Christkindlein hat ja schon alles getan und sein Tun euch schon geschenkt; nehmet ihr es an, so habt ihr daher schon auch selbst alles getan, was Gott von euch fordert. Ihr dürft aber dann auch (nicht sprechen: Aber unserer Sünden sind viele und sie sind groß und schwer; wie können wir in den Himmel kommen, in den nichts Unreines und Gemeines eingehen soll? Das Christkindlein hat ja schon alle eure Sünden von dem Angesicht Gottes hinweggetragen und dies ist euch auch schon geschenkt; nehmt ihr es an, so sieht daher Gott keine Sünde mehr an euch. Sprechet aber auch nicht: Aber wie erlangen wir die Gerechtigkeit, ohne welche niemand vor dem heiligen Gott erscheinen und bestehen kann? Die Gerechtigkeit vor Gott hat euch ja das Christkindlein schon erworben und die ist euch schon mit demselben geschenkt; nehmt ihr es an, so seid ihr daher vor Gott gerecht. Sprechet aber auch nicht: Dürfen wir denn auch glauben, dass wir so selige Menschen sind, welche rühmen können: Das Christkindlein und alles, was es hat, ist unser? -- Ihr dürft nicht nur, ihr sollt dies auch glauben, so gewiss ihr nicht nur glauben dürft, sondern auch glauben sollt, dass Gottes Wort wahr ist: „Ein Sohn ist uns gegeben.“ Sprecht aber endlich auch nicht: Aber unser Glaube ist so schwach, denn unser Herz ist kalt, finster und hart, voll von Furcht und Zweifeln. O bedenkt doch, das Christkindlein ist euch schon, mit allem, was es hat, geschenkt; nehmt ihr es nun mit einer wenn auch noch so schwachen Glaubenshand an, so habt ihr es doch, wie das schwache Kind die ihm geschenkte köstliche Perle hat, die es in seinen kleinen Händen hält; und mag dann immerhin sich das Christkindlein nicht an euren kalten Herzen erwärmen, so wird doch euer Herz an dem Liebesfeuer des Christkindleins warm werden, und endlich werdet ihr auch mit freudigem, starkem Glauben triumphierend ausrufen: Ja, ja, es ist wahr: Das Christkindlein ist auch mir „gegeben“. Halleluja!--  

Wohlan, meine Lieben, so habe ich euch denn hingeführt an den himmlischen Weihnachtstisch, den euer Vater im Himmel euch auf Erden gedeckt und wirklich mit dem wahren „heiligen Christ“ geschmückt hat; o steht nun nicht schüchtern von ferne, sondern lernt hierbei etwas von euren Kindern: Hüpft und springt im Geist um den himmlischen Weihnachtstisch und nehmt getrost den auch euch bescherten heiligen Christ in eure Hände. So wird er euch in eurem Herzen zurufen: „Ich bin dein“, und ihr werdet ihm dann antworten können: „Und du bist mein.“  

O seliges Weihnachtsfest, welches so schließt! Da ist auch das härteste Herz zur Krippe geworden, in welcher das Christkindlein liegt, und da ist auch die vertrocknetste Seele zum grünenden bethlehemitischen Feld geworden, über welchem die himmlischen Heerschaaren jauchzen: „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Amen.  

Evangelienpredigt zum ersten heiligen Christfesttag ueber Lukas 2,1-14: Die wahre Weihnachtsfreude

    „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“, so ließt du, HERR Jesus, einst am Tag deiner Geburt einen himmlischen Boten den erschrockenen Hirten Bethlehems zurufen. O welch ein Zuruf! Welch eine süße Botschaft! Nicht Furcht, nicht Traurigkeit, sondern Freude, große Freude ist es also, womit die Verkündigung deiner Geburt die Herzen der Menschen erfüllen soll. O, so gib denn, dass die Weihnachtsbotschaft auch in diesen Tagen alle Furcht und Traurigkeit von uns nehme und unsere Herzen mit Freude erfülle. Nicht ein Strom, HERR Jesus, nein, ein Tröpflein, nur ein Tröpflein wahrer Weihnachtsfreude ist es, um das wir dich bitten. Das schenke uns, so genügt uns. So wollen wir dann auch mit einstimmen in den Lobgesang deiner heiligen Engel, heute hier auf Erden an deiner Krippe, einst aber droben im Himmel an den Stufen deines Thrones von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.

Lukas 2,1-14: Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein. jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem Haus und Geschlecht Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria, seiner vertrauten Frau, die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. und siehe des HERRN Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des HERRN leuchtete um sie, und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!

    In dem neugeborenen Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Gibt es je eine Zeit, in welcher es ganz unnötig, ja töricht zu sein scheint, innerhalb der christlichen Welt noch zur Freude aufzumuntern, so ist das ohne Zweifel in der fröhlichen Christfestzeit der Fall. Wer freut sich da nicht schon? Da sehen wir alle Kirchen gefüllt mit ganzen großen Scharen festlich geschmückter Zuhörer, welche alle mit fröhlichen Mienen und mit lauter Stimme ein Freudenlieb nach dem anderen anstimmen und den Jubelgesängen ihrer Sängerchöre mit gleicher Freude lauschen. Da sehen wir, dass alle Wohnungen, die der Armen wie die der Reichen, zu lauter Wohnungen der Freude geworden sind. Selbst manche, welche sonst nichts von Christus wissen wollen, sprechen am Christfest zu ihren Kindern von dem lieblichen Christkindlein, das ihnen heute so viele schöne Sachen vom Himmel herabgebracht habe. So scheint es denn, als ob wirklich die Weissagung des Propheten Jesaja von der Freude am Tag der Geburt Christi an der ganzen christlichen Welt sich auch heute wieder auf das herrlichste erfüllte, die Weissagung nämlich: „Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte; wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.“

    Wohl ist es auch wahr, meine Lieben, Ursache sich zu freuen hat ja freilich heute jeder Mensch. Der Geburtstag Christi ist wirklich der große Freudentag der Menschheit, der ganzen Welt; er ist’s für die Kleinen wie für die Großen, für die Armen wie für die Reichen, für die Knechte wie für die Herren, für die Gefangenen wie für die Freien, für die Kranken wie für die Gesunden, für die Unglücklichen wie für die Glücklichen, für die größten Sünder wie für die größten Heiligen, ja, für die Ungläubigen wie für die Gläubigen. Denn so ruft ja der von Gott selbst aus dem Himmel auf die Erde gesandte erste Christfestprediger aus: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren soll“, worauf die Menge der himmlischen Heerscharen in vollem Chor singt: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Seht da, meine teuren Zuhörer, die Aufforderung zur Freude ergeht also heute an „alles Volk“, ja, an alles, was nur „Mensch“ heißt, also auch an einen jeden unter uns, an mich und dich; keiner, auch nicht einer von uns ist hier ausgenommen. Einem jeden unter uns ruft Gott heute selbst durch seinen himmlischen Herold zu: Freue dich, o Mensch, freue dich! –

    Doch, meine Lieben, nicht jede Freude am Christfest ist darum auch eine Christfestfreude. Damit ihr euch nun heute nicht nur freut, sondern auch recht freut, so lasst mich euch in dieser Stunde vorstellen:

Die wahre Christfestfreude

    Ich zeuge euch hierbei dreierlei:

1.       Worin die wahre Christfestfreude bestehe,

2.       Wie sie in das Herz eines Menschen komme, und endlich

3.       Wie wichtig es sei, dass jeder Mensch, also auch wir, alle diese Freude in unserem Herzen erfahren.

1.

    Wollt ihr, meine Lieben, wissen, ob eure Freude am Christfest die wahre Christfestfreude sei, so kommt bei dieser Frage alles darauf an, erstlich, was der Gegenstand und zum anderen, welches die Art eurer Freude sei, oder mit anderen Worten, erstlich worüber und zum anderen, wie ihr euch freut.

    Ist nämlich erstlich der Gegenstand eurer Freude hauptsächlich dies, dass ihr euch in diesen Tagen an einer mehr als sonst reich besetzten Tafel leiblich ergötzen könnt, oder dass ihre euren Kindern allerlei Schönes beschert und dieselben darum fröhlich jubelnd um euch her springen und singen, oder dass ihre euren Freunden Weihnachtsgeschenke austeilt und solche wieder von ihnen empfangt, oder dass ihr euch von lauter Menschen mit fröhlichen Mienen und Gebärden umgeben seht und mit ihnen fröhliche Gespräche halten könnt, oder dass ihr in diesen Tagen lauter fröhliche Predigten hört und lauter fröhliche Lieder singt: Mögt ihr euch über dies alles noch so sehr am Christfest freuen, eine wirklich, die wahre Christfestfreude ist das noch nicht. Warum nicht? – Weil sie erstlich nicht den rechten Gegenstand hat.

    Worin dieser bestehe, das hat schon der erste Weihnachtsprediger klar und deutlich gesagt. Nachdem nämlich der Engel des HERRN den Hirten zugerufen hatte: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“, da setzte er sogleich hinzu: „Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids.“ Seht da, der Gegenstand der wahren Christfestfreude ist also kein anderer als dieser, dass uns heute „der Heiland“ geboren worden ist, der zugleich Gott „der HERR“ vom Himmel selbst ist.

    Wer es sich also zu Weihnachten nicht nur gern vorpredigen lässt, sondern sich auch vor allem darüber freut, dass Gott uns von ihm abgefallene Menschen nicht, wie er ja hätte tun können, verstoßen, sondern sich unser erbarmt und uns einen Heiland, einen Erretter, einen Erlöser, einen Seligmacher gesendet und gegeben hat; wer sich zu Weihnachten vor allem darüber freut, dass Gott aus unbegreiflicher heißer Liebe zu uns armen Sündern sogar seinen eingeborenen Sohn selbst ein Menschenkind hat werden lassen, damit er die Menschenkinder weder zu seinen lieben Gotteskindern mache; wer sich zu Weihnachten vor allem darüber freut, dass der ewige Sohn Gottes selbst, um uns aus der Tiefe unseres Sündenelendes zu erretten, sich so tief herabgelassen hat, dass er sich von einem armen Mägdlein in einem finsteren schmutzigen Stall mitten unter den Tieren hat geboren werden lassen, in armselige Windeln wickeln und, anstatt auf ein sanftes Ruhebettlein, in einer harten Krippe auf Heu und Stroh legen lassen; wer sich zu Weinachten vor allem darüber freut, dass die heiligen Engel, welche einst den gefallenen Menschen den Eingang zum irdischen Paradies verwehrten, nun, nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist, wider der Menschen Freunde geworden sind und ihnen daher zuerst die Freudenbotschaft von der Geburt ihres Heilandes gebracht haben; wer sich zu Weinachten vor allem darüber freut, dass die himmlischen Heerscharen Christi Geburt mit den Worten besungen haben: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“, dass also durch Christi Geburt Gott die ihm von uns Menschen geraubte Ehre, die Erde den verlorenen Frieden mit dem Himmel und die Menschen das verscherzte Wohlgefallen Gottes wieder erlangt haben; wer zu Weihnachten sich vor allem darüber freut, dass Satan, welcher die Menschen von Gott auf ewig los machen und sie mit sich in die Hölle ziehen wollte, nicht gewonnen, sondern verspielt hat und durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes für immer besiegt ist; wer zu Weihnachten sich vor allem darüber freut, dass durch Christi Geburt alles, was der Mensch böse gemacht, wieder gut gemacht worden, aller Menschen Sündenschuld getilgt, allen Menschen eine vor Gott gültige Gerechtigkeit wieder erworben, allen Menschen die Seligkeit wieder teuer erkauft und allen Menschen der Himmel wieder aufgetan worden ist: Wer, sage ich, zu Weihnachten sich vor allem über dies alles freut, dessen Freude hat den rechten Gegenstand, dessen Freude am Weihnachtsfest ist daher auch die wahre Weihnachtsfreude.

    Vielleicht wird aber nun mancher unter euch sagen: Wohl ist es, Gott weiß es, wirklich das Christkindlein selbst, worüber ich mich in dieser Christfestzeit vor allem freue; aber ach! meiner Freude fehlt die rechte Art; denn wenn ich bedenke, wie groß die Liebe Gottes ist, die sich in Christi Geburt offenbart hat, und wie unwürdig gerade ich dieser Liebe bin, so muss ich mich schämen, dass ich mich noch so wenig darüber freue. Ach, meine Augen sollten heute von heißen Freudentränen überfließen, mein Herz sollte vor lauter Freude wallen wie ein Meer, mein Mund sollte überströmen von Lob und Preis Gottes, meine Füße sollten vor großer Freude hüpfen und springen wie Davids Füße vor der Bundeslade; aber meine Freude über das Christkindlein ist leider nur wie ein unter der Asche von allerlei Sorgen und Zweifeln glimmerndes Fünklein. – O meine teuren Brüder und Schwestern, die ihr so klagt, seid nur getrost! Wohl ist es etwas Köstliches, wenn ein Christ am Christfest so recht mit Maria jubeln kann: „Meine Seele erhebt den HERRN, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes.“ Wohl ist es etwas Köstliches, wenn ein Christ am Christfest mit Paulus sagen kann: „Ich bin überschwänglich in Freuden.“ Allein, solche Freude gibt Gott nicht immer. Darin besteht darum auch die rechte Art der wahren Christfestfreude nur selten. Zwar haben allerdings die reinen Engel sich so gefreut; aber von einer solchen überschwänglichen Weihnachtsfreude der Menschen am Tag der Geburt des Heilandes lesen wir nichts. Das Einzige, was uns von den bethlehemitischen Hirten erzählt wird ist, dass sie nach gehörter Engelspredigt „eilend“ nach Bethlehem gingen, dass also ihre Freude nichts anderes als das  Christkindlein zum Gegenstand hatte, und dass und nicht anderes der Magnet war, der sie mit süßer Gewalt nach Bethlehem zog. Siehe darum, mein lieber Zuhörer, wen auch deine Freude etwa nur darin besteht, dass auch du nach gehörter Christfestpredigt mit deinem Herzen nach Bethlehem eilst, wenn auch du dich an dem Christkindlein nicht satt sehen und über die in ihm offenbarte Liebe Gottes dich nicht genug verwundern kannst, und wenn daher der finstere Stall, in welchem die menschgewordene Liebe Gottes liegt, dir herrlicher und kostbarer erscheint und dir viel tausendmal lieber ist als alle Prachtpaläste der Reichen dieser Welt: Dann ist das Tröpflein deiner Freude die wahre Christfestfreude  und vor Gott schon ein mächtiger Strom, der endlich hineinfließen wird in das unermessliche Meer der Freude des ewigen Lebens.

2.

    Doch, meine Lieben, es entsteht nun die wichtige Frage: Wie kommt eine solche Freude in eines Menschen Herz? Dies sei daher auch nun das zweite, was ich euch durch Gottes Gnade zeigen will.

    Wie die wahre Christfestfreude in das Herz eines Menschen komme, das können wir ohne Zweifel wieder am besten und sichersten an den bethlehemitischen Hirten lernen, welchen die Geburt Christi einst unter allen Menschen zuerst verkündigt wurde. Was ist nun aber das Erste, was uns von ihnen in unserem Evangelium erzählt wird? Es heißt da von ihnen, als ihnen der himmlische Christfestprediger, mit des HERRN Klarheit umleuchtet, erschien: „Und sie fürchteten sich sehr.“ Wie merkwürdig! Weit entfernt also, das sie gedacht haben sollten, der Engel werde ihnen eine Freudenbotschaft bringen, so meinten sie vielmehr, dass er gekommen sei, sie zu schrecken. Ach, haben sie ohne Zweifel gedacht, das ist ein heiliger Engel, und wir sind Sünder! Das ist ein Bote des großen Gottes, wir aber haben seine heiligen Gebote, ach! so vielfach und noch heute übertreten und ihn daher ach! so oft beleidigt und erzürnt! Wehe uns! Wehe uns! Wohin sollen wir fliehen, um uns vor ihm zu verbergen? – Doch was geschieht? – Der Engel tut seinen Mund auf, und siehe! Nicht schreckende, sondern die allerholdseligsten Worte gehen über seine Lippen. Er spricht: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der HERR, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ Mit sprachloser Verwunderung hören das die lieben Hirten an. Das Wort „euch, euch ist heute der Heiland geboren“ dringt wie erquickender Himmelstau in ihre von Furcht erfüllten Seelen; dieses Wort erleuchtet ihren Verstand, bewegt ihren Willen und erzeugt selbst in ihren Herzen den Glauben daran; und siehe! Alle ihre Furcht ist plötzlich aus ihren Seelen verschwunden, und Freude, große, unaussprechliche Freude zieht nun in ihre Herzen ein.

    Seht da, meine Lieben, das, das ist die Art und Weise und keine andere, wie die wahre Weihnachtsfreude in eines Menschen Herz kommt. Dieselbe entsteht nicht dadurch, dass sich ein Mensch am Christfest selbst in eine fröhliche Stimmung zu versetzen sucht. Im Gegenteil: Wie man ein schon mit Wasser angefülltes Gefäß nicht auch noch mit köstlichem Wein anfüllen kann, so kann auch in einem mit selbstgemachter Freude erfüllten Herzen die wahre Weihnachtsfreude keinen Raum finden. Der stets Vorläufer derselben ist vielmehr bei jedem Menschen, wie einst bei den Hirten, die Furcht, nämlich die Furcht vor Gottes Ungnade um seiner Sünden willen. Hört dann aber ein solches furchtsames, verlegenes Herz die Weihnachtsbotschaft: „Fürchte dich nicht, denn dir, ja, auch dir ist heute der Heiland geboren“, welch einen Eindruck macht dies dann auf dasselbe! Dann kann ein solches Herz nicht anders, es glaubt dieser Botschaft und mit diesem Glauben dringt dann die wahre Weihnachtsfreude, wie eine Hochflut, mit Macht in dasselbe ein.

    Wohl darum euch die ihr vielleicht heute Morgen an diesem größten Freudenfest der Christenheit mit schwerem Herzen von eurem Lager aufgestanden und daher auch vielleicht mit schwachem Herzen in dieses unser Christfest-Kirchlein gekommen seid, ja, wohl euch, sage ich. Denn meint nicht, dass euch darum von Gott ein freudenloses, trauriges Christfest beschieden sei. Nein, tut nur das Eine: Hört aufmerksam auf die Weihnachtsbotschaft: „Euch, auch euch ist heute der Heiland geboren“, so wird das selbst den Glauben daran in euren Herzen anzünden, es leicht machen, alle Furcht daraus vertreiben und mit Freude über Freude erfüllen. Ihr aber, die ihr schon diesen Morgen mit Freude über den neugeborenen Heiland erwacht und darum auch schon mit Freude hier versammelt seid, o, dankt nicht nur Gott für diese große Gnade, sondern hört auch nur umso begieriger auf das Wörtlein „euch“, „euch“, und verwandelt es in „mir“, „mir“; so wird die geheime Glut eurer heutigen Christfestfreude zur hellen Flamme werden. O selig, selig seid ihr, die ihr heute so Weihnachten feiert!

3.

    Doch wie? meine Lieben, ist es denn auch wirklich so wichtig, dass jeder Mensch, also auch wir alle die wahre Weihnachtsfreude in unserem Herzen erfahren? Ja, wahrlich, meine Lieben. Und das ist’s denn, worüber ihr mich endlich noch drittens einige Worte hinzusetzen lassen wollt.

    Mein Hauptgrund für die Wichtigkeit der Weihnachtsfreude ist dieser, weil überhaupt nicht Traurigkeit, sondern Freude das letzte allen Menschen von Gott für Zeit und Ewigkeit gesteckte Ziel ist. Zwar ist die Erde jetzt kein Freuden-, sondern ein Jammertal. Aber nicht darum, weil Gott, sondern weil der Mensch selbst sich durch seine Sünde die schöne Erde zu einem Trauerort gemacht hat. Wäre der Mensch nicht von Gott abgefallen, so würde daher auch die Erde für ihn nur ein Freudenort gewesen und geblieben sein, aus welchem er nach kurzer Prüfung in den Ort vollkommener Freude, in den Himmel, übergegangen wäre. Denn geschaffen ist der Mensch von Gott nicht zur Traurigkeit, sondern zu zeitlicher und ewiger Freude. Und wie der selige Gott, dieser ewig überfließende Brunnen aller Freude, die Menschen allein zu zeitlicher und ewiger Freude geschaffen hat, so hat auch der Sohn Gottes die Menschen allein zur Wiedererlangung dieser zeitlichen und ewigen Freude erlöst. Daher denn auch der erste Bote, welcher von Gott gesandt war, den Menschen die Geburt ihres Erlösers zu verkündigen, ihnen dabei zurufen musste: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude.“ Der Zweck des Christfestes ist nicht dieser, dass wir nur nicht vergessen, dass Christus geboren sei, sondern vor allem dieser, dass wir Christen zur Freude über das Christkindlein erweckt werden. Wer daher das Christfest gefeiert hat, ohne an demselben zur Freude über das Christkindlein erweckt worden zu sein, der hat das Christfest vergeblich gefeiert.

    Auf denn, meine Lieben, auf, freut euch! – Oder warum wolltet ihr euch denn nicht freuen? – Etwa darum nicht, weil ihr Sünder seid? O ihr Toren! Eben darum sollt ihr euch freuen; denn allein um der Sünder willen ist ja Christus einst in Bethlehem geboren worden. Wären die Menschen in der ihnen anerschaffenen Unschuld geblieben und keine Sünder geworden, so wäre auch Gottes Sohn nicht vom Himmel gekommen. Gerade weil ihr Sünder seid, habt ihr auch Ursache, euch zu freuen. – oder denkt und sprecht ihr etwa, dass ihr euch darum nicht über das Christkindlein freuen könnt, weil ihr von der Not dieses Lebens niedergedrückt seid? O ihr Toren! Eben darum solltet ihr euch freuen, damit ihr sagen könnt: Wohl hat die Welt für mich keine Freude, aber wohl mir, im Christkindlein habe ich eine Freude, die mir alles ersetzt, was mir fehlt, so dass ich in aller meiner Not mit jenem gläubigen Dichter sprechen kann:

Warum sollt ich mich denn grämen?

Hab ich doch

Christus noch.

Wer will mir den nehmen?

Wer will mir den Himmel rauben,

Den mir schon

Gottes Sohn

Beigelegt im Glauben? –

Oder wollt ihr endlich etwa darum nichts von der Freude über den Heiland wissen, weil euer Herz an den Freuden dieser Welt hängt? Die ihr vielleicht in diesem Augenblick die Predigt nur mit halbem Herzen hört, weil ihr – ich meine besonders euch, ihr jungen Männer und Frauen, – jetzt an die Weltfreuden denkt, denen ihr euch in diesen Tagen hingeben wollt? O ihr Toren! Die Freuden dieser Welt sind eitel, in Not und Tod verschwinden sie wie bunte Traumbilder und verwandeln sich endlich in ewiges Herzeleid; aber die Freude über den Heiland bleibt auch in Not und Tod, zeigt gerade da ihre selige Kraft und verwandelt sich endlich in ewige Seligkeit.

    Wohlan, meine herzlich geliebten Zuhörer, so nehmt denn in diesen Tagen das Freudenkindlein zu Bethlehem aus seiner Krippe heraus, legt es im Geist auf die Arme eures Glaubens und drückt es an euer Herz. Was gilt’s? – Es wird euch freundlich anlachen. O, lacht es nur dann wieder an; das ist alles, was dieses Kind von euch begehrt. Dann wird eure Weihnachtsfreude auch nicht mit den Weihnachtslichtern verlöschen, sondern in euren Herzen fortleuchten und fortbrennen, euch begleiten durch euer ganzes Leben, alle Bitterkeit desselben, ja selbst den bitteren Tod euch süß machen und euch endlich dahin führen, wo Freude die Fülle und liebliches Wesen zur Rechten Gottes sein wird immer und ewig. Amen.

Evangelienpredigt zum zweiten heiligen Christtag ueber Lukas 2,15-20: Was sollen Zuhoerer tun, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehoert haben, sondern den vollen Segen derselben erlangen?

    HERR Jesus! Du eingeborener Sohn des lebendigen Gottes, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftiger Gott vom wahrhaftigen Gott, du bist nicht nur um uns Menschen und um unserer Seligkeit willen vom Himmel gekommen und ein Mensch geworden, gleichwie wir; sondern hast auch, um deine vom Himmel gebrachte Seligkeit unter allen Menschen auszuteilen, dies allen Menschen predigen lassen. Und schon haben auch wir in diesen Tagen diese wunderbare, süße, selige Predigt vernommen. Für solche deine unaussprechliche Liebe sei dir darum Lob, Preis und Dank gesagt heute und in alle Ewigkeit. Aber, HERR Jesus, wir bitten dich auch, lass doch diese Predigt auch an unser keinem vergeblich sein. Ach, du weißt ja, dass wir nicht nur aus uns selbst keinen Rat wussten, wie wir selig werden könnten, sondern dass wir, nachdem du für uns Rat geschaffen und uns denselben offenbart hast, ihn nun auch nicht aus eigener Vernunft noch Kraft verstehen und annehmen können. O, so öffne denn unser erblindetes Auge, dass wir die Weisheit deines Rates zu unserer Seligkeit erkennen, und erfülle unser erstorbenes und kraftloses Herz mit Leben und Kraft, dass wir diesem deinem Rat auch folgen. Bewahre uns, dass wir nicht zu denen gehören, über die du klagst: „Mit sehenden Augen sehen sie nicht und mit hörenden Ohren hören sie nicht.“ Behüte uns aber auch davor, dass wir uns nicht schon damit genügen lassen, die Predigt von deiner wunderbaren und gnadenreichen Geburt nur etwa mit einer vorübergehenden freudigen Verwunderung gehört zu haben; sondern hilf, o hilf, HERR Jesus, dass, was uns in diesen Tagen gepredigt wird, wie Licht und Feuer vom Himmel tief in unser Herz falle und das Licht des wahren Glaubens und das Feuer brünstiger Liebe darin anzünde. Ach ja, ist es gestern in unseren Seelen noch finster, öd und tot geblieben, so lass es heute endlich noch Weihnachten werden, Weihnachten voll Licht, Leben und Freude. Amen! Amen!

Lukas 2,15-20: Und da die Engel von ihnen zum Himmel fuhren, sprachen die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der HERR kundgetan hat. Und sie kamen eilend und fanden beide, Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegen. Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kind gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.

    Von Gott hochgeehrte und hochgeliebte Zuhörer!

    Was für eine Predigt ist gestern an unser Ohr gedrungen! – Ach, welch eine Predigt! – Wahrlich, wenn wir heute wieder daran denken, so müssen wir, was Christus einst seinen Jüngern zurief, heute auch uns zurufen: „Selig sind die Ohren, die da hören, das wir gehört haben. Denn wahrlich, viele Propheten und Könige wollten hören, was wir gehört haben, und haben es nicht gehört.“ Denn was war es, was gestern in unser Ohr scholl? – Es war eine Predigt nicht aus Menschen-, sondern aus Engelsmund. Und ihr Inhalt? – Ein Wunder über alle Wunder und eine Freude über alle Freude. Denn wie lautete des Engels Predigt? Sie lautete so: Gott der HERR selbst, der ewige, allmächtige Schöpfer Himmels und der Erde, ist vom Himmel zu euch herab gekommen, hat eure Natur an sich genommen, ist ein Mensch geworden, ein Mensch wie ihr. O des Wunders über alle Wunder! Welches Wunder lässt sich mit diesem vergleichen? Was ist selbst das Wunde der Schöpfung des Weltalls aus Nichts gegen das Wunder, dass der unermessliche Schöpfer dieses Weltalls ein Mensch wird? – Aber noch mehr: Nach der gestern unter uns erschollenen Engelspredigt ist Gott nicht nur ein Mensch geworden, sondern eben dadurch auch unser Heiland geworden. Was heißt das aber? – O Freude über alle Freude! Das heißt: Gott selbst ist durch seine Menschwerdung aller Menschen vollkommener Erlöser geworden aus allem ihrem zeitlichen und ewigen Wehe, aller Menschen Gerechtigkeit wider ihre Sünde, aller Menschen Leben wider ihren Tod, aller Menschen Heil und Seligkeit wider ihre Verdammnis.

    Wie nun, meine Zuhörer? Gehört habt ihr sie ja gestern alle, diese himmlische Wunder- und Freudenpredigt; habt ihr sie aber auch bereits zu eurem Heil gehört? Hat sie auch ihren Endzweck an euch erreicht? – Ach, eine solche Predigt vergeblich hören ist etwas Schreckliches. Da hatte Gott mächtig, mit aller Gewalt seiner Liebe an das Herz geklopft, aber man hat ihm nicht aufgetan; da hatte Gott in freier Gnade den Himmel weit, weit geöffnet, aber man ist durch das weit geöffnete Gnadentor nicht eingegangen.

    Doch, meine Zuhörer, wie immer ihr euch auch gegen die gestern gehörte himmlische Weihnachtspredigt verhalten haben mögt, und wenn ihr dieselbe im Rausch der irdischen Weihnachtsfreude ganz überhört hättet bis zu dieser Stunde: Noch ist die Christfestzeit nicht verflossen, noch fließt ihr Gnadenstrom in unverminderter Stärke, noch sind einige kostbare Stunden dieser gnadenvollen Zeit uns übrig, – o, lasst nur nicht auch sie noch verrinnen, ohne dass ihr den Weihnachtssegen erlangt hättet!

    Wohlan, das gestrige Evangelium enthielt die himmlische Christfestpredigt selbst; in dem heutigen Evangelium werden uns nun in den Hirten von Bethlehem die ersten rechten Zuhörer dieser Predigt vor die Augen gestellt. An ihrem Beispiel lasst mich daher auch heute zeigen:

Was sollen Zuhörer tun, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört haben, sondern den vollen Segen derselben erlangen?

Ich antworte: Sie sollen nach dem Beispiel der bethlehemitischen Hirten

1.       Dieselbe vor allem im Glauben annehmen, aber

2.       Dieselbe in ihrem Herzen [Frieden und Freude vertiefen][3], und endlich

3.       Durch dieselbe nun auch selbst lebendige Weihnachtsprediger zu werden anfangen

1.

    Hätte es, meine Lieben, uns Gott zwar predigen lassen, dass er selbst ein Mensch und dadurch unser Heiland geworden sei, hätte er uns aber nicht auch offenbart, was wir tun müssten, damit uns jene größte Tat seiner Liebe nicht vergeblich gepredigt werde, so müssten wir uns nur verwundern über das Weihnachtsgeheimnis; aber zu einer wahren Weihnachtsfreude könnten wir dann nicht kommen. Denn dann würden und müssten wir denken: Je größer die Gabe sei, die uns Gott anbiete, etwas umso Größeres und Schwereres werde gewiss auch das sein, was Gott von uns fordere. Aber siehe, in seiner großen Liebe zu uns hat es uns Gott nicht nur gesagt, was wir zu tun haben, sondern uns sogar lebendige Beispiele vor unsere Augen gestellt, an denen wir dies, so zu sagen, mit Augen sehen können; nämlich die lieben bethlehemitischen Hirten in unserem heutigen Weihnachtsevangelium.

    Was ist nun aber das Erste, was wir an ihnen erblicken? Es ist nichts anderes als ein fester, unzweifelhafter kindlicher Glaube an das, was ihnen gepredigt worden war. Wie sprechen sie nämlich, nachdem der Engel des HERRN seine Weihnachtspredigt vollendet hatte, die himmlischen Heerscharen ihr Jubellied ausgesungen hatten und endlich alle diese himmlischen Weihnachtsgäste wieder zum Himmel gefahren waren? Sie sprachen nach unserem Text: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der HERR kundgetan hat.“ Seht, sie sagen nicht zweifelnd und ungewiss: „Lasst uns die Geschichte sehen“, die da geschehen sein soll, sondern: „Die da geschehen ist“; sie sind also in ihrem Herzen ganz gewiss, dass das geschehen sei, was der Engel ihnen gepredigt hatte. Sie sagen daher auch ferner von der ihnen gepredigten Geschichte nicht: Die uns der Engel kundgetan hat, sondern: „Die uns der HERR kundgetan hat“; sie achten also die Predigt des Engels nicht für bloßes Engelswort, viel weniger für Menschenwort, sondern für des „HERRN“ Wort, also für das ewige, wahrhaftige, untrügliche Gotteswort, und den Engel nur für Gottes Botschafter und Diener. Und noch mehr: Die Hirten sagen auch nicht: Die der HERR den Menschen oder der Welt kundgetan hat; sondern, das Wörtlein „Euch“, welches der Engel gebraucht hatte, in das Wörtlein „Uns“ umwandelnd, sprechen sie wie triumphierend: „Die der HERR uns, uns kundgetan hat“, und eignen sich so die ganze wunderbare Freudenbotschaft, die sie gehört hatten, selbst zu und wollen also damit sagen: O wir seligen Leute! Denn „uns“, „uns“ ist die große Freude verkündigt, dass „uns“, „uns“ heute der Heiland geboren ist. – O welch ein herrlicher Glaube! –

    Oder hätten sie etwa, wenn sie ihrer Vernunfthätten folgen wollen, keine Ursache gehabt zu zweifeln? Ja, wahrlich, Ursache genug! Sehen wir doch auch aus den Schlüssen, die sie machten, dass sie, obgleich nicht gebildete Leute, doch zum Zweifel klug genug waren. Nach ihrer Vernunft hätten sie erstlich denken können, als die himmlische Klarheit verschwand und es wieder plötzlich finstere Nacht um sie her wurde: Ach, was wir eben zu hören und zu sehen gemeint haben, ist wohl nur ein liebliches Phantasiespiel oder ein süßer kurzer Traum gewesen, aus welchem wir nun wieder erwacht sind. nach ihrer Vernunft hätten sie auch denken können: Wie wäre es möglich, dass eine solche herrliche himmlische Erscheinung, wenn sie keine Täuschung wäre, nicht vielleicht den Hohen, den Reichen, den Weisen und Klugen, den Priestern und Hohenpriestern zu Jerusalem, oder dem König und seinen Gewaltigen, als gerade uns armen, einfältigen, verachteten Hirten zu Bethlehem geschehen sein sollte? Wie wäre es auch möglich, dass eine so hohe Gnade und Ehre nicht vielmehr etwa einem heiligen Propheten als gerade uns armen, großen, unwürdigen Sündern widerfahren sein sollte, die wir im Gefühl unserer Sündhaftigkeit schon beim Anblick eines Engels erschrecken? Nach ihrer Vernunft hätten die Hirten aber endlich auch denken können: Wie! Ein in elende Windeln gewickeltes, in einer Krippe, also in einem Stall liegendes Kindlein soll der geweissagte Messias und König Israels, ja, soll Gott der HERR selbst und unser und aller Welt Heiland sein!? – Ja, so hätten die lieben Hirten denken und sprechen müssen, wären sie hier nach ihrer Vernunft vorgegangen. Aber was tun sie? Sie geben keinem Zweifel Raum: Sie glauben. Ist das nicht wunderbar? Worin liegt der Grund dieses Geheimnisses? Darin, meine Lieben: Während die Klarheit des HERRN, von welcher der Engel umflossen war, sie nur erschreckt und ihr Auge geblendet, und während die überirdischen Melodien der himmlischen Heerscharen nur ihr Ohr ergötzt hatten, so war hingegen das Wort der Engelpredigt mit so süßer Gottesgewalt in ihr Herz gedrungen, dass keine Vernunftanstöße in ihrer Seele aufkommen konnten, sondern ein durch nichts auszulöschender Glaube wie ein in ihrer Seele angezündetes Himmelslicht in ihnen zu leuchten begann.

    Seht da, meine Lieben, das Erste, was Zuhörer tun müssen, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört haben! Nicht eigene Gerechtigkeit und Heiligkeit ist also das Nötige, nicht irgendein eigenes Verdienst oder eine eigene Würdigkeit, nicht große schwere Werke, ja, gar kein Werk, sei es groß oder klein, sei es leicht oder schwer, sondern allein – Glaube.

    O, beraubt euch denn, meine Lieben, nicht selbst durch Unglauben des Christfestsegens, den Gott einem jeden auch unter uns zugedacht hat. O, lasst es doch darum nicht dabei bewenden, dass ihr die trostvollen Weihnachtspredigten nur fleißig gehört habt oder dass ihr doch durch dieselben mit einer freudigen Verwunderung erfüllt worden seid; denn auch von den ungläubigen Einwohnern Bethlehems heißt es in unserem Text ausdrücklich: „Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten.“ Nein, folgt dem Beispiel der Hirten. Glaubt mit ihnen: Was einst der Engel des HERRN predigte, ist gewiss und wahrhaftig geschehen. Glaubt mit ihnen: Der HERR selbst ist es, der das Wunder über alle Wunder durch den Engel kundgetan hat. Wohl könnt ihr diesen Glauben euch nicht selbst geben; das kann Gott allein tun, aber er will es tun, und ihr, ach, ihr könnt es hindern. O, so folgt denn auch darin den lieben Hirten, dass ihr nicht auf die Stimme eurer Vernunft, sondern allein auf das Wort der Weihnachtspredigt hört, so wird dieses Wort mit göttlicher Gewalt auch in euer Herz dringen und ohne alles euer Zutun das Himmelslicht eines durch keine Welt auszulöschenden Glaubens auch in euch anzünden, so dass auch ihr endlich mit den Hirten jubilieren könnt: O wir seligen Meschen! O der großen Freude! Auch uns, auch uns ist heute der Heiland geboren! Halleluja heute hier in der Zeit, Halleluja einst dort in alle Ewigkeit!

2.

    Doch, meine Lieben, aus dem Beispiel der lieben Hirten von Bethlehem ersehen wir, dass diejenigen Zuhörer, welche die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört haben, sondern den vollen Segen derselben erlangen wollen, dieselbe auch an ihrem Herzen zu erfahren suchen müssen. Davon lasst mich daher nun zweitens zu euch sprechen.

    Warum gingen wohl die Hirten nach Bethlehem? Offenbar nicht darum, weil sie erst sehen und dann glauben wollten; sie glaubten ja offenbar schon, ehe sie sahen; sie sprechen ja, wie wir gehört haben, ausdrücklich: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der HERR kundgetan hat.“ Sie sagen also nicht: Lasst uns gehen, um uns nun auch von der Wahrheit dessen, was wir gehört haben, zu überzeugen; lasst uns sehen, ob die Geschichte geschehen sei; nein, im festen Glauben sprechen sie: „Die da geschehen ist.“ Die Hirten sind aber auch nicht darum nach Bethlehem gegangen, weil es ihnen etwa streng geboten gewesen wäre. Denn obwohl es der Engel des HERRN allerdings vorausgesetzt hatte, dass sie das tun würden, indem er sprach: „Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“, so hatte er doch, dass sie das tun sollten, ihnen mit keinem Wort geboten. Sie gingen also ganz freiwillig und ungezwungen, und zwar mit brennendem Verlangen und wallender Herzensfreude; denn es heißt in unserem Text: „Und sie kamen eilend.“ Sie gingen also in dunkler Nacht über Berg und Tal, wie im Wettlauf: keiner wollte zurückbleiben, keiner auch nur der Letzte, vielmehr jeder der Erste sein. Warum aber? Das sagt unser Text, wenn es darin heißt: „Da sie es aber“, nämlich das Kindlein, gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kind gesagt war, … und kehrten wieder um.“ „Sehen“ wollten sie also das neugeborene Wunderkindlein, an dessen gnaden- und freudenreiche Geburt sie schon glaubten, um sich an seinem holdseligen Anblick zu weiden. Dies allein und nichts anderes hatte sie getrieben, ihre Herden zu verlassen und nach der Stadt Davids zu eilen; denn nachdem sie das Kindlein gesehen und ohne Zweifel mit unaussprechlicher Freude betrachtet hatten, kehrten sie, im Glauben mächtig gestärkt, alsbald wieder um.

    Seht da, meine Lieben, das ist also das Zweite, was Zuhörer tun müssen, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört haben, sondern ihres vollen Segens teilhaftig werden. Auch sie müssen nämlich dann nach Bethlehem gehen. – Nicht dass sie also etwa auch, wie die Hirten, mit ihren Füßen an jene heilige Stelle wallfahrten müssten. Ach nein! Das himmlische Kind liegt ja längst nicht mehr dort in der Krippe im finsteren Stall, sondern thront vielmehr bereits zur Rechten der göttlichen Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart und Majestät in der Höhe, auf Gottes Stuhl. Nein, was ein rechter Zuhörer, nachdem er die Weihnachtspredigt wie die Hirten im Glauben angenommen, dann zu tun hat, ist, dass er nun im Geist nach Bethlehem eilt, das ist, dass er nun, was er glaubt, [nun ihm auch von Gott bekräftigt und Frieden und Freude vertieft werden][4].

    Es ist nämlich freilich falsch, wenn man nicht eher glauben will, als bis man das zu Glaubende in seinem Herzen erfahren, gefühlt und empfunden hat; denn das ist es ja, was Christus einst an Thomas mit den Worten strafte: „Dieweil du mich gesehen hast, Thomas, so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Allein nicht weniger falsch ist es, wenn manche meinen, und damit ihr totes Kopfchristentum rechtfertigen wollen, ein wahrhaft Gläubiger sei ein Mensch, der über dem, was er glaube, [nicht Frieden und Freude fühlen und empfinden dürfe][5]; das sei nur Gefühlsschwärmerei. Das wahre Christentum soll also bloß eine Sache des Verstandes sein. Aber so ist es nicht. Das Reich Gottes ist, wie die Schrift sagt, wohl zuerst Gerechtigkeit, aber dann auch Friede und Freude im Heiligen Geist. Wie daher einen wahrhaft Gläubigen hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, so hungert und dürstet ihn auch nach diesem süßen Frieden und nach dieser seligen Freude; wie denn David im Gefühl seiner Sünde ausdrücklich seufzt und fleht, nicht nur: „Gib mir einen neuen gewissen Geist“, sondern auch: „Und der freudige Geist enthalte mich.“

    Wer daher mit den Hirten von Bethlehem die himmlische Weihnachtspredigt gehört und im Glauben angenommen hat, der kann es dann auch nicht lassen, der muss dann auch ungeheißen nach Bethlehem eilen, um das Kindlein Jesus, an das er bereits glaubt, auch im Geist zu sehen, sich an seinem Anblick zu weiden, kurz, [durch Vertiefung in das Wort][6] zu sehen und zu schmecken, wie freundlich der HERR ist. Fühlt er sich nämlich auch nach der Weihnachtspredigt kalt, finster, hart, tot, und leer, so zweifelt er zwar darum nicht daran, dass der Neugeborene auch sein Heiland und er sein Begnadigter sei, er spricht: „Ich glaub‘, was Jesu Wort verspricht, ich fühl‘ es oder fühl‘ es nicht“; aber es tut ihm weh, dass sein Herz so kalt und empfindungslos ist. Er lässt es daher nicht dabei bewenden, dass er von Christi Geburt in der Kirche hat predigen hören, er sucht ihn nun auch, aus der Kirche zurückgekehrt, in seinem Haus, und zwar im geschriebenen Wort Gottes, in freudigen Liedern und andächtigen Betrachtungen, ob er sich von ihm auch fühlen und finden lasse wolle; oder er sucht einen Joseph und eine Maria auf, die Jesus in ihrer Mitte haben, und erquickt sich durch geistliche Gespräche mit ihnen; oder er wirft sich endlich in seinem Kämmerlein auf seine Knie und fleht: „O Jesus, mein Heiland, an den ich glaube, o komm doch auch in mein armes Herz!“ Und siehe! Sein Gebet wird ihm dann zumeist, wiewohl nicht immer, nach seinem Wunsch auch endlich erhört; sein Kämmerlein verwandelt sich in ein Bethlehem, sein Herz in eine Krippe, in der Jesus liegt. Da feiert er denn so selige Stunden, dass ihn däucht, er sei schon im Himmel; Stunden, gegen die er aller Welt Gut, Freude, Ehre und Herrlichkeit für nichts achtet. [Gibt ihm aber Christus solche Empfindungen nicht, so ist er doch zufrieden und hält sich an das Wort und dankt über dem, was er im Wort liest und Gott ihm darin zugesagt hat.][7]

    [Solche Zuhörer haben die Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört.][8]

3.

    Doch, meine Lieben, zum vollen Segen derselben gehört noch eins, und das ist: Dass sie durch die Weihnachtspredigt nun auch selbst lebendige Weihnachtsprediger zu werden anfangen. Darüber lasst mich denn nun drittens nur noch einige wenige Worte hinzusetzen.

    Kaum waren die Wechselgesänge der Engelchöre verklungen, da öffneten nach unserem Text nun die Hirten ihren Mund, die bisher nur sprachlos gehört und gestaunt hatten. Und wovon redeten sie nun? Unterhielten sie sich etwa über den strahlenden Glanz des Erzengels, den sie gesehen, oder über die himmlische Musik, die sie gehört hatten? Nein, die Predigt, die sie gehört hatten, ist der Gegenstand ihrer Rede. Die hat ihr Herz so gänzlich erfüllt, dass sie darüber selbst die gesehene und gehörte himmlische Herrlichkeit ganz vergessen oder doch nicht groß achten. Der Engel schweigt, so wird nun ein Hirte des anderen Weihnachtsprediger. Aufmunternd rufen sie einander zu: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist.“

    Nachdem sie aber hierauf alle wie im Flug nach Bethlehem geeilt und daselbst angekommen sind, da ist zwar das Erste, was sie hier tun, dass sie das in der Krippe liegende Himmelskind mit stummer Freude beschauen; „da sie es aber gesehen hatten“, heißt es in unserem Text, „breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kind gesagt war“. Die sonst so verlegenen und nicht redebegabten Hirten werden also nun ganz Bethlehem und selbst Josephs und Marias Weihnachtsprediger, durch die das ganze Städtlein eine mächtige Erweckung der Herzen erfährt; denn es heißt: „Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“

    Dass nun aber die Hirten nicht etwa in geistlichem Stolz oder in schwärmerischem Sinn als Weihnachtsprediger unter sich und gegen andere auftraten, dies sehen wir daraus, dass es am Schluss heißt: „Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, das sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“ Sie geben also allein Gott alle Ehre, den loben und preisen sie, und sie achten sich nun nicht etwa für zu hochbegnadigte Personen, um ferner Hirten zu bleiben; nein, sie kehren zu ihrem irdischen Beruf zurück, um in demselben Christus nun auch mit ihren Berufswerken in einem neuen Leben im Glauben zu predigen. –

    Warum mag nun aber der Heilige Geist gerade hiermit seine Beschreibung der ersten Zuhörer der ersten Weihnachtspredigt auf Erden schließen? – Erstlich ohne Zweifel darum, damit wir Christen, die wir die gnadenvolle Weihnachtspredigt auch gehört haben, darüber schamrot werden, wenn wir nach derselben über das Gehörte darum stumm sind, weil entweder unser Herz so leer geblieben ist, dass es freilich nicht überfließen kann, oder weil wir uns schämen, den Heiland gegen andere, namentlich gegen Ungläubige über unsere Lippen zu bringen. Zum anderen will aber der Heilige Geist uns ohne Zweifel durch das Beispiel der Hirten anfeuern, dass wir nach gehörter Weihnachtspredigt nun auch selbst lebendige eifrige Weihnachtsprediger werden mit Worten und Werken.

    O, so lasst uns denn, meine Teuren, unser diesjähriges Christfest nicht schließen, ohne anzufangen, solche Weihnachtsherolde zu werden. Nachdem die einfältigen Hirten darin vorangegangen sind, kann nun kein Mensch sich damit ausreden, er sei zu einem Weihnachtsprediger zu einfältig, er trage den Segen wohl im Herzen, aber denselben in Worten auszudrücken, das sei nicht seine Gabe. Ach, wenn nur unser Herz voll von Jesus ist, so wird auch unser Mund von ihm übergehen; ja, da werden auch wir, wie die Hirten selbst den himmlischen Glanz und die himmlische Musik über der Weihnachtspredigt vergaßen, über derselben noch vielmehr den irdischen Festglanz vergessen. Dann werden in diesen heiligen Tagen die eitlen Reden in unseren Häusern verstummen, und Vater und Mutter werden zu ihren Kindern, der Gatte zu seiner Gattin, der Hausherr und die Hausfrau zu ihren Angestellten, Brüder und Schwestern zu ihren Geschwistern, Freunde zu ihren Freunden, Nachbarn zu ihren Nachbarn vor allem von dem reden, was ihnen in diesen Tagen gepredigt worden ist. Dann werden wir aber, wie die Hirten, auch nach dem Christfest lebendige Weihnachtsprediger bleiben, indem wir zu unserem irdischen Beruf zurückkehren, und nun nicht allein mit Worten, sondern auch mit den Werken eines neuen Lebens predigen und so unsere Häuser, Gast- und Speisezimmer, Schlafkammern, Werkstätten und Geschäftsplätze zu lauter Kanzeln unseres geistlichen Priestertums machen.

    Nun denn, meine teuren Brüder und Schwestern in dem HERRN, noch wenige Stunden – und unser schönes Christfest ist wieder dahin, und Gott alleinweiß es, wer unter uns noch einmal ein Christfest erleben wird; so rufe ich euch denn am Ausgang dieses zu:

Lobt ihn mit Herz und Munde,

Welchs er uns beides schenkt.

Das ist ein selge Stunde,

Darin man sein gedenkt.

Sonst verdirbt alle Zeit,

Die wir zubringn auf Erden;

Wir sollen selig werden

Und bleibn in Ewigkeit.

    Amen.

Evangelienpredigt zu Neujahr ueber Lukas 2,21: Wie wahre Christen das neue Jahr im Namen Jesu anfangen

    In deinem Namen, o Jesus, fangen wir heute wieder ein neues Jahr unserer irdischen Pilgerschaft an. In deinem Namen, o Jesus! – Darum gedenken wir heute der tausendfältigen Wohltaten, welche du im vergangenen Jahr uns aus laut er Gnade und Barmherzigkeit nach Seele und Leib hast genießen lassen. Wer kann sie zählen, die Beweise deiner Liebe, die wir Unwürdige erfahren haben! – Aus wie viel Nöten hast du uns errettet, in wie viel Gefahren hast du uns geschützt, in wie viel Bedrängnissen uns geholfen, bei welchem Mangel uns doch allezeit gespeist, getränkt, bekleidet, beherbergt, aus wie viel Irrwegen uns zurückgeführt, wie viel Torheiten und Sünden an uns mit Geduld und Langmut getragen! Wie gnädig hast du besonders deine Hand über dieser teuren Gemeinde gehalten! Wie mächtig hast du den Ratschlag des Satans zunichte gemacht, sie ins Verderben zu führen! Wie kräftig hast du dich dieser teuer erkauften Seelen selbst angenommen! O Jesus, du hast uns wohl gezüchtigt um unserer Sünde willen, aber deine Gnade hast du nicht von uns gewendet. Dafür danken wir dir heute in diesen ersten Stunden des neu uns geschenkten Jahres mit demütigem Herzen und geben deinem heiligen Namen dafür Lob, Preis, Macht und Ehre.

    Aber, o Jesus, wie du im alten Jahr mit uns gewesen bist, so begleite uns nun mit deiner Gnade, Geduld und deinem Segen auch in das neue. Lass vor allem keinen unter uns in Unbußfertigkeit in dasselbe eintreten, und hilf, dass wir in dem neuen Jahr alle, alle ein neues Leben anfangen und nun alle in wahrer Gottesfurcht, in Eifer, in Liebe und Frieden gemeinschaftlich unverrückt dem Weg zum Himmel gehen. O lieber HERR, wovor sollten wir uns dann fürchten? Durch deine Gnade werden wir dann in unserer Schwachheit stark und durch deinen Segen in unserer Armut reich sein. Mag unsere Zukunft dunkel und ratlos scheinen und kein Mensch uns helfen wollen: Auf dich werfen wir alle unsere Sorgen, und da können wir ruhig sein; du wirst uns leiten nach deinem Rat und alles herrlich hinausführen. Du wirst zuschanden machen, die uns Übels gönnen, und zunichte machen die Weissagungen derer, die uns Unglück verkündigen. Nun, HERR, wir trauen auf dich; lass uns nimmermehr zuschanden werden. Amen. Amen.

    Geliebte in dem HERRN Jesus!

    Jesus soll aller unserer Dinge A und O, Anfang und Ende sein. Auf seinen heiligen Namen sind wir getauft; wir sind daher nicht mehr ein Eigentum unserer selbst, sondern Jesu Eigentum; ihm haben wir uns in unserer Taufe mit allem, was wir sind und haben, denken, begehren, reden und tun verschrieben und verlobt. In Jesu Namen sollen wir daher alles anfangen, fortsetzen und vollenden. Wir sollen nicht nur nach dem Zeugnis des Wortes Gottes in Jesu Namen beten, nicht nur in seinem Namen uns versammeln; St. Paulus verlangt mehr; in diesem Namen schließt er alles ein; er spricht Kol. 3,17: „Alles, was ihr tut, mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des HERRN Jesus.“ Nichts ist also ausgenommen; in Jesu Namen sollen nicht nur die Werke von uns getan werden, welche sich auf das ewige Leben beziehen, sondern auch die, welche das gegenwärtige Leben angehen, nicht nur die Werke unseres Christentums und der Gottseligkeit, sondern auch die unseres irdischen Berufs, nicht nur die großen wichtigen, sondern auch die kleinsten und geringsten.

    Aber was heißt das: Wir sollen alles in Jesu Namen tun? Das heißt: Wir sollen nichts tun nach eigenem Willen und Gutdünken, sondern allein das, wovon wir gewiss wissen, Christus habe es uns entweder befohlen oder doch vergönnt; es gefalle ihm daher wohl. Ferner heißt dies so viel: Wir sollen nichts anfangen, nichts tun auf unsere eigene Kraft und Weisheit, sondern in Demut, in Verzagen an uns selbst, im alleinigen Vertrauen auf den Beistand und den Segen des HERRN. Denn gleichwie der Mund spricht: „Das walte Gott“, so muss das Herz auch gewiss sein und mit festem Glauben dafürhalten, dass Gott über dem Werk walte und das Gedeihen gebe; wie St. Petrus spricht: „Wer etwas tut, der tue es aus dem Vermögen, das Gott darreicht.“ Weiter heißt „in Jesu Namen alles tun“ so viel: Alle unsere Werke nicht auf eigenen Nutzen oder Ruhm, sondern einzig auf Gottes Ehre und zu des Nächsten Nutzen richten und selbst keine Ehre davon genießen wollen; wie St. Paulus spricht: „Ihr esst nun oder trinkt oder was ihr tut, so tut alles zu Gottes Ehre.“ Endlich heißt „in Jesu Namen alles tun“ auch: Alles unter herzlicher, inbrünstiger und gläubiger Anrufung Christi, unter stetem Bitten und Seufzen um seine Gnade alles vornehmen.

    Wer also etwas tut, was ihm von Christus nicht befohlen oder doch vergönnt ist oder im Vertrauen auf seine Kraft und Klugheit, auch in irdischen Dingen; wie viel mehr in himmlischen! Oder wer etwas tut zu seinem Nutzen und zu seiner Ehre und nicht einzig zu Gottes Ehre und nicht in herzlicher Liebe zu seinem Nächsten, sondern in Hass, Bitterkeit und Feindschaft oder endlich ohne Anrufung Christi, ohne in seiner Gnade zu stehen und von seinem Geist getrieben zu werden: der tut alles in seinem eigenen Namen; an dessen Werken ist nichts Gutes, Gott sieht sie nicht an, sie sind ihm ein Greuel und er verwirft sie, hätten sie auch einen noch so guten Schein und wären sie auch mit noch so großer Arbeit und Mühe verbunden. Was aber auf Christi Geheiß, in demütigem Vertrauen auf seine Hilfe, mit Verleugnung unserer selbst, zu Christi Ehre und unseres Nächsten Heil unter herzlichem Seufzen und Flehen unternommen wird, das geschieht in Jesu Namen, hat unter seinem Beistand guten Fortgang und gefällt Gott in Christus wohl, so klein, gering und unansehnlich auch das Werk sein mag.

    Welch eine große Aufgabe hat also der Christ! Wer vieler Leben und Werke werden an diesem Probierstein zuschanden! Wie wenige tun alles im Namen Jesu! Manchem wird das vielleicht unmöglich schienen. Aber es ist wohl möglich; wer in Christi Gnade steht und Christus in sich wohnen hat, seine Liebe, seine Demut, seine Sanftmut und den Trieb des Heiligen Geistes, dem ist dies alles nicht so schwer, ja, nach seinem neuen Menschen kann er dann gar nicht anders; er müsste erst Christi Gnade, Glauben und gutes Gewissen wegwerfen, ehe er nicht alles im Namen Jesu tun sollte, und übereilt ihn einmal eine Schwachheit kehrt er schnell weinend zu seinem Heiland zurück, klopft wieder an seiner Gnadenpforte und ruht nicht, bis sein Gewissen wieder gereinigt ist.

    Sollen wir nun, liebe Freunde, alles im Namen Jesu tun, wie sollen wir da wohl das neue Jahr anfangen? Auch nicht in unserem, sondern in Jesu Namen. Darauf weist uns das heutige Evangelium.

Lukas 2,21: Und da acht Tage um waren, dass das Kind beschnitten würde, da ward sein Name genannt Jesus, welcher genannt war von dem Engel, ehe denn er in Mutterleib empfangen ward.

    Das verlesene Evangelium ist ohne Zweifel zuerst darum auf den heutigen Tag verlegt worden, weil Christus gerade heute, nämlich acht Tage nach seiner Geburt, beschnitten worden ist. Aber da Christus hierbei der Name Jesus das erste Mal öffentlich beigelegt worden ist, so sollen wir unstreitig dadurch daran erinnert werden, dass ein christlicher Anfang des neuen Jahres im Namen Jesu geschehen müsse. Damit beschäftige sich daher auch jetzt unsere Andacht:

Wie wahre Christen das neue Jahr im Namen Jesu anfangen

1.       Jesus ist es, dessen sie sich trösten bei der Erinnerung an die Sünden der Vergangenheit;

2.       Jesus ist es, dem sie sich übergeben bei ihren Entschließungen in der Gegenwart; und

3.       Jesus ist es, auf den sie hoffen bei ihrem Blick in die Zukunft.

1.

    Die Feier des Neujahrsfestes ist, meine Freunde, erst seit ungefähr 800 Jahren in der Christenheit eingeführt worden. In den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung war der heutige Tag kein Fest- sondern ein Trauertag, an welchem man betete, fastete und weinte. An diesem Tag stellten nämlich die Heiden große Opfer, prächtige Gastereien, unzüchtige Tänze und blutige Schauspiele an. Augustinus sagt daher: „An diesem Tag fasten wir Christen und seufzen für die Heiden, die daran fröhlich sind.“ Wir sehen hieraus, welchen großen Ernst und Eifer die ersten Christen gegen die Sünde bewiesen. Selbst bei den Sünden anderer, die in ihrer Nähe vorgingen, begegneten sie ihrem Gott und reifen ihn bußfertig an, dass er sie dieser Sünden nicht teilhaftig werden lassen und dieselben ihnen nicht zurechnen wolle. Sie trachteten mit großem Ernst danach, in das neue Jahr keine unvergebenen Sünden mit hinüber zu nehmen, sondern dasselbe unter Gottes Gnade und Wohlgefallen anzutreten.

    Haben nun die ersten Christen solchen Ernst gegen fremde Sünden bewiesen, wie viel mehr wird es nötig sein, ihn gegen die eigenen zu beweisen!

   Ja, liebe Zuhörer, wollen wir das neue Jahr in Jesu Namen anfangen, so müssen wir vor allem danach trachten, in seiner Gnade es zu beginnen und bei der Erinnerung an die Sünden der Vergangenheit uns seiner trösten zu können. Der wahre Christ weicht heute der Erinnerung an seine vorigen Sünden nicht aus; er denkt nicht, weil es Sünden vergangener Zeiten sind, dass sie darum auch mit jenen Zeiten von selbst vergangen seien; er wähnt nicht, dass die Zeit Wunden des Gewissens heilen könne; er sucht sie nicht zu vergessen und aus seinem Gedächtnis zu vertilgen; er glaubt nicht, wenn er ihrer nicht mehr gedenke, dass sie auch bei Gott in Vergessenheit geraten; er sucht sich nicht darüber zu beschwichtigen. O nein, seine Sünden sind dem Christen die erste Sorge im neuen Jahr. Die Abrechnung seiner Sündenschuld ist die erste Rechnung, die er hält. Damit muss er sogleich aufs Reine kommen. In Jesu Namen will er anfangen, und er weiß, das kann er nur, wenn er durch ihn Gnade hat. Die ersten Fragen, die der wahre Christ daher im neuen Jahr an sich tut, sind diese: Sind mir auch meine Sünden vergeben? Sind mit dem alten Jahr auch alle meine alten Sünden verschwunden? Habe ich keine mit hinübergenommen? Stehe ich in Gnaden? Stehe ich im Glauben? Kann ich gewiss sein, Gott sehe heute auf mich mit Wohlgefallen herab als auf sein Kind? Kann ich gewiss sein, Gott spreche heute auch zu mir: „Fürchte dich nicht und lass dir nicht grauen, ich bin mit dir; ich werde dich, mein Kind, nicht verlassen noch versäumen, ich begleite dich durch das neue Jahr“? Und siehe, auf alle diese Fragen spricht der wahre Christ ebenso freudig wie demütig: Ja, ich weiß es, du bist mein Jesus, mein Seligmacher, mein Heiland, mein HERR, der meine Gerechtigkeit ist; ich habe dich in meiner Sündennot angerufen, und du hast mich erhört und hast mir das Pfand meiner Erlösung und Versöhnung gegeben, nämlich deinen Geist, durch welchen ich rufe: Abba, lieber Vater! Darum ergreife ich auch heute wieder deine Gerechtigkeit und wasche im Glauben mein Gewissen durch dein Blut.

    Nun, meine Geliebten, habt ihr auch so den heutigen Tag angetreten? Sind diesen Morgen auch eure Sünden die ersten Sorgen des neuen Jahres gewesen? Habt ihr auch auf jene Fragen nach eurem Gnadenstand mit Ja antworten und Christus im Glauben ergreifen können? Oder habt ihr an eure Sünden gar nicht gedacht, oder habt ihr sie zu vergessen gesucht, oder habt ihr sie euch selbst vergeben, ohne die Kennzeichen des wahren Glaubens an euch wahrzunehmen? Dann habt ihr nicht in Jesu Namen angefangen, sondern in eurem eigenen Namen. O, wie wollen wir denn dann unsere Sünden loswerden, wen wir sie aus einem Jahr in das andere hinübernehmen? Wenn wir das Werk unserer Bekehrung immer weiter und weiter hinausschieben? Wir wissen ja nicht, ob nicht schon dieses das letzte unserer Lebensjahre sei. Soll der Tod uns ohne Christus ereilen? Nun, noch ist der heutige erste Jahrestag nicht verstrichen; lasst uns noch heute bußfertig zu Christus gehen; wer heute nur den Anfang macht, seine Gnade redlich zu suchen, schon der fängt dann das Jahr in seinem Namen an; seine Gnade geht schon heute über ihn auf, um seine Gefährtin zu sein durch das ganze Jahr, ja, durch das ganze Leben, bis sie ihn durch einen seligen Tod hinüberleitet in das Land der Vollendung und Seligkeit.

2.

    Doch wahre Christen zeigen zweitens auch dadurch, dass sie das neue Jahr in Jesu Namen anfangen, da er es ist, dem sie sich übergeben bei ihren Entschließungen in der Gegenwart.

    Zwar ist an einem Tag, wie der heutige, gewöhnlich auch der Mund der falschen Christen und Weltkinder voll guter Vorsätze und Versprechungen; aber sie haben weder den rechten Grund noch den rechten Ernst noch den rechten Inhalt. Sie fangen daher das neue Jahr darum noch nicht im Namen Jesu an. Der Grund ist bei ihnen: Sie wollen mit ihren Versprechungen ihr Gewissen beruhigen und Gott wieder einmal zufriedenstellen; aber heute versprechen sie, das ganze Jahr ein andres Leben anzufangen, und schon morgen beginnen sie den alten Lauf; ihre Rührungen sind nichts als Bewegungen ihres natürlichen Herzens, die schnell wieder verschwinden; sie wissen auch gar nicht, was sie Gott eigentlich geloben sollen, sie kennen weder sich noch die Erfordernisse des wahren Christentums.

    Ganz anders ist es bei einem wahren Christen. Der Grund seiner Versprechungen und Gelübde an dem heutigen Tag ist der in ihm lebendige Trieb der Gnade, von der Sünde immer mehr befreit zu werden und in der Heiligung zu wachsen, die Liebe zu Christus, zu seinem Wort und Willen und zu allem, was gut, geistlich und himmlisch ist. Daher ist es einem wahren Christen heute mit seinem Vorsatz ein wahrer Ernst, sich in dem neuen Jahr ganz seinem Jesus zu ergeben. Er freut sich, dass sich ihm wieder ein ganzes Jahr öffnet, in welchem er sich seinem Heiland opfern kann. Er freut sich, noch in der Gnadenzeit zu leben, um nach manchem Fallen und Straucheln, nach immer wiederkehrender Untreue Gott aufs Neue beweisen zu können, dass er seine Sünden hasse und gern und wahrhaftig sein Gelübde der Besserung halten und Gott bessere und reichere Früchte seiner Gnade bringen wolle.

    Aber, was die Hauptsache bei einem wahren Christen ist, er verspricht Gott nicht Besserung, ohne recht zu wissen, was er damit meine. Er weiß nicht nur, was zum wahren Christentum gehört, er kennt sich auch selbst; er weiß, worin es anders mit ihm werden muss; er kennt seine Schwachheiten, er kennt seine bösen Lieblingsneigungen, er weiß, was ihn am ersten stürzen und seiner Seele Gefahr bringen kann, er weiß, was es heißt, versucht zu werden.

    Wenn nun der wahre Christ heute das neue Jahr in Jesu Namen anfangen will, so achtet er alles, was er vorher getan hat, für nichts; er hält sich für einen unnützen Knecht und verwirft sein ganzes voriges Leben. Er kündigt heute alles seinen Schwachheiten und Lieblingsneigungen den krieg an; er beschließt, in dem neuen Jahr keiner Trägheit wieder Raum zu geben, dem Willen seines Fleisches auf immer abzusagen, und was seinem Fleisch angenehm ist, gern zu verleugnen, ehe er dadurch die Gnadenwirkungen des Heiligen Geistes an sich hindern sollte; er will sich nie wieder schonen, sich keine Ruhe gönnen und gegen die Sünde kämpfen bis aufs Blut. Er gelobt Gott mit Ernst: In dem neuen Jahr soll kein unnützes Wort über seine Lippen gehen; die Hoffart will er aus seinem Herzen verbannen, seinen Eigenwillen unterdrücken, alles Vertrauen auf Menschen fahren lassen und keine Lust noch Sorge dieser Welt soll sein Herz abziehen und beschweren.

    Hingegen will er nun im neuen Jahr das Evangelium zieren in allen Stücken; nie soll der Eifer in ihm erkalten; stets soll sein Herz dem Heiligen Geist offen stehen; über alle Bewegungen seines Herzens will er wachen; die Flamme des Gebets soll stets in ihm brennen; er will als ein Auserwählter schreien zu Gott Tag und Nacht; das Wort Gottes soll nicht von seinem Mund und nicht aus seinem Herzen kommen; Demut und Sanftmut will er nun allezeit an sich sehen lassen; er will allezeit gering von sich halten, mit den Niedrigen und Verachteten gern umgehen; die Stille suchen und über niemand sich erheben; er will auch gern mit jedermann Frieden halten, soviel an ihm ist; sich liebreich, freundlich und dabei ohne Falschheit gegen jedermann beweisen. Auch seine irdischen Güter sollen ihm nie an seinem Herzen kleben; der Arme soll in dem neuen Jahr ihrer reichlich genießen. Kurzum, der wahre Christ gelobt Gott das Gelübde: Jesus will er seinen Leib, seine Seele, sein Herz, seine Kräfte, seine Zeit, seine Gedanken, Worte, Gebärden und Werke, ja, alles, alles, opfern, was er ist und hat; in sein Bild will er sich jeden Tag mehr verklären lassen; er will den alten Menschen ablegen und den neuen anziehen; im neuen Jahr soll es von ihm heißen: „Er ist eine neue Kreatur, siehe, es ist alles neu geworden.“ Christus soll bei ihm werden alles in allem. Er seufzt heute:

Höchster Priester, der du dich

Selbst geopfert hast für mich,

Lass doch, bitt ich, noch auf Erden

Auf mein Herz dein Opfer werden.

Trage Holz zu dem Altar

Und verbrenn mich ganz und gar.

Ach, du allerliebste Liebe,

Wenn doch nichts mehr von mir bliebe!

So fängt der Christ das neue Jahr im Namen Jesu an.

    Nun, meine Zuhörer, fühlt ihr heute auch einen solchen lebendigen Trieb der Gnade in eurem Herzen, euch nun Christus aufs Neue ganz zu übergeben? Freut ihr euch auch darauf, einem neuen Abschnitt eures Lebens entgegenzugehen, in welchem ihr nun eine ganz andere Treue, einen ganz anderen Ernst und Eifer als vorher beweisen wollt? Oder verspürt ihr nichts von einem solchen Drang und von einer solchen Freude? Nichts von einer solchen Liebe zu Christus, seinem Wort und Willen? Schweben eure Vorsätze nur auf euren Lippen; kommen sie nicht aus dem Grund eures Herzens? Dann sucht seine Gnade, so werden bald die ernstlichsten Entschließungen folgen.

3.

    Das dritte endlich, wodurch ein wahrer Christ das Jahr in Jesu Namen anfängt, ist dieses: Dass es auch Jesus ist, auf den er hofft bei seinem Blick in die Zukunft.

    Der Ungläubige ist bei dem Blick in die Zukunft, selbst wenn sie noch so trübe ist, oft auch nicht hoffnungslos, aber er baut seine Hoffnung auf etwas Falsches. Auf nichts weiter, als auf Christus zu setzen, ist ihm unmöglich; das dünkt ihm doch zu gewagt, allein im Vertrauen auf ihn in die unbekannte verhüllte Zukunft hineinzugehen. Oft sucht sich aber der, welcher einen toten Glauben hat, zu bereden, er hoffe allein auf Christus, aber ist ein solcher heute getrost, so ist er’s doch im Grund nur darum, weil er sich auf das Gold und Silber verlässt, das er etwa noch hat; oder auf die guten Freunde, von denen er sich Hilfe und Beistand in der Not verspricht; oder er denkt: Was willst du sorgen? Du bist ja gesund und kannst arbeiten, du bist geschickt und hast allerlei Fertigkeiten dir erworben, dir stehen tausend Wege offen, dir dein Brot zu erwerben; oder er denkt: Du bist klug, du wirst schon ein Mittel ausfindig machen, dir zu helfen. Elende Menschen! O des sterblichen und zerbrechlichen Gottes, des sie sich trösten! Wie schnell kann Gott solche Götzen umreißen! Gott sagt hierzu mit großem Ernst: „Verflucht ist, wer sich auf Menschen verlässt und hält Fleisch für seinen arm und mit seinem Herzen vom HERRN weicht!“ O des kläglichen sandigen Grundes, worauf sie ihre Hoffnung bauen! Mit großem Ernst sagt Gott hiervon: „Die Hoffnung des Heuchlers wird verloren sein. Denn seine Zuversicht vergeht und seine Hoffnung ist ein Spinngewebe.“

    O, wie ganz anders blickt hingegen der Christ heute in das vor ihm liegende neue Jahr! Er tut es im Namen Jesu. Er verhehlt sich zwar nicht die kümmerliche Lage, in welcher wir uns befinden; er erkennt unsere völlige Entblößung von aller menschlichen Hilfe gar wohl; er verbirgt sich’s nicht, wie gering die Vorräte und Mittel zu unserer Erhaltung sind; ja, er erwartet von dem neuen Jahr viel neue Leiden, Trübsale, Mangel, Bedürftigkeit und Bedrängnisse; und noch viel größere Anfechtungen erwartet er im Geistlichen und Kirchlichen; mit Wehmut sieht er neuen noch nicht erfahrenen Versuchungen zum Abfall, neuen Ärgernissen, allerlei Zerrüttungen, Entzweiungen und Verwirrungen der Gewissen entgegen; er weiß es: Wo die wahre Kirche Christi gepflanzt wird, da pflanzt sich notwendig auch das Kreuz auf; da kann der Satan nicht feiern; kann er sie nicht überwältigen zur Rechten, so greift er sie zur Linken an.

    Aber um aller dieser trüben Aussichten willen verzagt doch der Christ nicht. Er tröstet sich seines Jesus. Er weiß es: „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.“ Gott wird den Seinen nicht mehr auflegen, als sie ertragen können; er lässt sie nicht versucht werden über Vermögen. Er lässt sie wohl eine kleine Zeit leiden, aber nicht, um sie zu verderben, sondern damit ihr Glaube bewährt werde wie das Gold im Feuer, und damit Gott zeigen könne, dass er sei ein Gott, der da hilft, und ein HERR HERR, der auch vom Tod errettet. Der Christ weiß es auch: Der die Vögel unter dem Himmel nährt, die nicht säen noch ernten, und der die Lilie auf dem Feld so wunderbar kleidet, die doch nicht arbeitet noch spinnt, der wird auch den Seinen geben, was sie bedürfen; so sie aber Nahrung und Kleidung haben, so lassen sie sich genügen. Und warum sollte der Christ sich ängstigen wegen der Gefahren, die der heiligen Kirche Christi drohen? Was vermögen alle List, alle Klugheit, alles Macht, alle Ratschläge der Widersacher wider sie? Hat sie nicht einen unbeweglichen Grund, einen göttlichen Stifter, einen allmächtigen Schutzherrn, der darein sehen und mit starker Hand die Seinen erretten und ihnen das Kleinod des Wortes Gottes, der unverfälschten Sakramente, der Schlüssel des Himmelreichs, des rechtes Gottesdienstes und des wahren Glaubens erhalten wird?

    Oft kommen war dem wahren Christen hierbei die Gedanken ein: Aber seid ihr nicht Sünder? Seid ihr eurem Gott nicht sehr untreu gewesen? Kann nun nicht Gott zur Strafe eurer Sünde den Feinden gestatten, euch in zeitliches und ewiges Elend zu stürzen? Aber auch hierbei ist Jesus sein Trost; er ist gewiss, Gott straft keine vergebenen Sünden. Er spricht daher mit Paulus: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Welcher auch seines eingebornen Sohnes nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben. Wie sollte er mit ihm uns nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes uns vertritt uns.“ Will dennoch das schwache Herz des Christen sich nicht zufrieden stellen, so redet er es mit David an: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ich ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“

    Welch ein getroster, in Gott ergebener und herrlicher Anfang ist also der Anfang des neuen Jahres im Namen Jesu! O, möchten wir alle so anfangen können! So würde gewiss für uns alle das kommende Jahr ein gnädiges Jahr des HERRN sein, und wenn die Sonne dieses Jahres unseren Grabhügel bescheinen sollte, so würden wir doch nur von allem Übel erlöst und uns ausgeholfen sein zu Gottes himmlischem Reich, und dort würden wir angefangen haben das große neue Hall- und Jubeljahr aller Seligen und Auserwählten.

    Nun, das gebe euch allen Jesus Christus, euer Seligmacher. Er segne euch vor allem mit Gnade und Vergebung der Sünden, mit seinem Heiligen Geist, mit Kraft und Licht, mit Beständigkeit und Treue. Er segne euch mit Trost in allen Leiden und Ängsten, mit Friede und Freude in allem Schmerz und aller Unruhe, mit Hilfe in aller Not und mit Erquickung in aller Krankheit. Er segne euch mit seinem Wort und Sakrament, er segne eure Kirche und Schule, er segne eure Kinder, eure Witwen und Waisen; er segne eure Felder, Nahrungen und Hantierungen. Er segne euch im Tod, lasse euch Gnade finden vor seinem Angesicht und schenke euch die Krone der Gerechtigkeit. Amen, in Jesu Namen. Amen.

Evangelienpredigt zu Epiphanias ueber Matthaeus 2,1-12: Das Wort Gottes der rechte einzige Leitstern auf dem Weg zum Himmel

    Es gibt kein Buch in der ganzen Welt, dessen Verständnis m9it so vielen Schwierigkeiten verbunden ist, wie die Heilige Schrift, Sie ist eine so tiefe und reiche Fundgrube der teuersten, seligmachenden Wahrheiten, dass die Weisesten auf Erden nun schon dreitausend Jahre Tag und Nacht darin geforscht haben, ohne ihren Reichtum ausgeschöpft und ohne alle ihre geheimnisvollen Aussprüche zur vollen Klarheit gebracht zu haben. Über kein Buch der Welt sind so viele Auslegungsbücher geschrieben worden, wie über die Heilige Schrift. Und doch sind alle die vielen tausend Bände nicht hinreichend, sie vollkommen zu erklären.

    Diese Tiefe der Heiligen Schrift wird in der römischen Kirche gewöhnlich als Grund angegeben, warum nicht jeder Laie sie in seiner Muttersprache lesen solle. Man spricht, die Schrift sei dunkel, daher werde sie von keinem Laien recht verstanden werden, wenn nicht die Kirche sie auslegte. Aber hierin verbirgt man nur seine Schalkheit. Denn es ist etwas ganze anderes, zu behaupten, die Schrift sei geheimnisvoll und unerforschlich, als zu sagen, sie sei dunkel. Werdet ihr sagen, die Sonne sei dunkel, weil wir Flecken an ihr wahrnehmen, die noch kein Naturforscher hat erklären können? Gewiss nicht. Ebenso wenig ist auch die Heilige Schrift dunkel. Weil sie Gottes Wort ist, enthält sie freilich unzählige Stellen, über deren Sinn wir immer wieder zu forschen haben, aber der Rat Gottes zu unserer Seligkeit ist darin so klar und helle offenbart, dass auch das einfältigste Kind ihn darin lernen kann. Nein, die Heilige Schrift ist nicht dunkel, sie ist die rechte Sonne aller Seelen, ohne welche sie nur in Nacht und Finsternis liegen können. Daher David von ihr sagt: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte“ usw. Und Jesaja sagt von ihr: „Sucht nun in dem Buch des HERRN und lest, es wird nicht an einem derselben fehlen; man vermisst auch nicht dies oder das.“ Auch Christus spricht zum Volk: „Sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewigen Leben darin; und sie ist’s, die von mir redet.“ Von den Beroensern wird vor allem gerühmt, dass sie forschten in der Schrift, ob sich’s auch so verhielte, wie Paulus ihnen gepredigt hatte. Wird es nun an den Beroensern gelobt, dass sie die Lehre der heiligen Apostel nach der Schrift prüften, wie viel wichtiger ist es daher, dass ein jeder Laie jedes Menschen Lehre nach dem Wort Gottes prüfe! Soll er das aber tun, so erkennen wir hieraus, dass die Schrift nicht dunkel, sondern deutlich, hell und klar auch für den Einfältigsten sein müsse. (Daher Johannes in dem Schlussbuch der Heiligen Schrift schreibt: „Selig ist, der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin geschrieben ist.“ Denn wie könnte Gott den Zuhörern nach einem Prüfstein prüfen heißen, den sie selbst nicht verstünden?)

    Gibt es aber irgendeine Geschichte Heiliger Schrift, aus welcher wir erkennen können, dass das geschriebene Wort nicht dunkel, sondern hell und klar, ja, der helle Leitstern ist allen, die den Weg zum Himmel gehen wollen, so ist es unsere Festgeschichte von den Weisen aus dem Morgenland. Diese wurden zuerst durch einen Wunderstern erweckt, aber derselbe konnte sie nicht zu Christus führen, er verschwand bald wieder. Das Wort war es, das sie nicht verließ, sondern ihnen immer hell voranleuchtete, als jener sie längst verlassen hatte. Dies veranlasst mich, euch heute das Wort Gottes als unseren rechten Leitstern zum Himmel anzupreisen.

Matthäus 2,1-12: Da Jesus geboren war zu Bethlehem im jüdischen Land, zur Zeit des Königs Herodes; siehe, da kamen die Weisen vom Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten. Da das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm das ganze Jerusalem. Und ließ versammeln alle Hohenpriester und Schriftgelehrten unter dem Volk und erforschte von ihnen, wo Christus sollte geboren werden. Und sie sagten ihm: Zu Bethlehem im jüdischen Land. Denn so steht geschrieben durch den Propheten: Und du Bethlehem im jüdischen Land bist keineswegs die kleinste unter den Fürsten Judas; denn aus dir soll mir kommen der Herzog, der über mein Volk Israel ein HERR sei. Da berief Herodes die Weisen heimlich und erlernte mit Fleiß von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und wies sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass ich auch komme und es anbete. Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen hin, bis dass er kam und stand oben über, da das Kindlein war. Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhen. Und Gott befahl ihnen im Traum, dass sie sich nicht sollten wieder zu Herodes lenken. Und sie zogen durch einen anderen Weg wieder in ihr Land.

Das Wort Gottes der rechte einzige Leitstern auf dem Weg zum Himmel

1.       Das Wort allein lässt uns Christus finden.

2.       Durch das Wort allein werden wir auch bei ihm erhalten.

1.

    Der Stern, meine Lieben, von dem unser Evangelium berichtet, kann kein gewöhnlicher, natürlicher gewesen sein. Er konnte ja nicht wie die anderen am Firmament gestanden haben. Denn dann wäre unmöglich, dass derselbe, wie Matthäus berichtet, gerade oben über dem Haus, da das Kindlein war, gestanden habe. Die natürlichen Sterne stehen so hoch, dass wir bei unseren Bewegungen von einem Ort zum anderen keine Veränderung ihres Standes wahrnehmen können. Dazu kommt noch dies: Bethlehem lag von Jerusalem gegen Süden oder Mittag. Da nun der Stern die Weisen von Jerusalem nach Bethlehem begleitet, so hat er daher von Mitternacht (Nord) nach Mittag (Süd) seinen Lauf genommen. Alle gewöhnlichen Sterne gehen aber ohne Ausnahme nach Morgen (Osten). Mit jenem Stern hatte es daher eine besondere Bewandtnis. Er war von Gott besonders geschaffen und nicht an das hohe Firmament, sondern in den niederen Luftkreis unserer Erde gestellt worden.

    Obgleich nun die erwähnten Weisen aus dem Morgenland höchst wahrscheinlich Gelehrte aus dem sogenannten glücklichen Arabien gewesen sein mögen[9], die hauptsächlich in der Stern- und Naturkunde erfahren waren, denn sie werden in der griechischen Ursprache Magier genannt, womit dergleichen Gelehrte bezeichnet werden, so haben sie doch die Bedeutung jenes Sternes nicht aus der natürlichen Wissenschaft erfahren können. Gott musste daher dieselbe ihnen aus unmittelbarer Offenbarung kundgetan haben.

     Jener stumme Stern war es daher nicht, der ihnen den Weg zu Christus gezeigt. Ohne Offenbarung des Wortes Gottes würde er auch den Weisen ein Rätsel geblieben sein. Das Wort, das sie von Gott vielleicht im Traum gehört, das war der unsichtbare Leitstern, der dem sichtbaren erst Licht gab. Das Wort rieb die Weisen, in das jüdische Land zu gehen und da den neugeborenen König der Juden zu suchen. – Da sie nun noch kein Wort Gottes dafür hatten, an welchem Ort er zu finden sei, gingen sie zuerst in die Hauptstadt des Landes; da, wo der Tempel stand mit allen seinen sichtbaren Heiligtümern, wo ein König in seinem fürstlichen Schloss residierte und die hohe Geistlichkeit, der Hohepriester und die Schriftgelehrten ihren Sitz hatten, da, meinten sie, und nirgends anders sei der erschienene Thronerbe zu suchen. Doch hierher hatten die Weisen nur ihre eigenen menschlichen Gedanken geführt. In Jerusalem wusste man nicht nur nichts von einem neugeborenen König, sondern die ganze Stadt, anstatt von Jubel erfüllt zu sein, erschrak, als sie Kunde davon erhielt. Doch Herodes ließ hierauf alle Schriftgelehrten und Hohenpriester sich versammeln, um aus der Schrift Antwort zu geben, wo nach den Propheten der erwartete König geboren werden müsse. Die Antwort war: in Bethlehem. Denn der Prophet Micha spricht: „Und du Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel HERR sei.“ Diese prophetischen Worte waren der himmlische Leitstern, der ihnen, nachdem der irdische sie verlassen, nun wieder aufging. Auf diesen hellen Stern des göttlichen Wortes wandten nun die Weisen allein das Auge ihres Glaubens, nach diesem richteten sie sich, ohne zu fragen, ob Herodes und seine Großen mit ihnen gingen. Sie achtete nun auf gar nichts mehr, auch nicht darauf, wie die ganze Welt sich gegen den neugeborenen König stellte. Ohne Aufenthalt eilten sie nach dem durch das Wort bezeichnete Bethlehem. Freude durchströmt ihr Herz, da sie auf einmal den Stern wieder erblickten, und mit Jubel und Staunen werden sie erfüllt, da sie ihn über einem kleinen Stall stehen bleiben sehen. Eilends treten sie ein und sehen nun das Kindlein, aus dessen Antlitz unnennbare Milde, gepaart mit göttlicher Majestät, strahlte.

    Wer kann nun ihre Freude beschreiben? – Da sie aus dem Mund der Maria hörten, was schon an diesem Kindlein geschehen, wie der Engel seine Geburt angekündigt und den Namen Jesus ihm gegeben, wie bei seiner Geburt der Engel den Hirten erschienen und die himmlischen Heerscharen ihre Loblieder gesungen; da sie das hörten, fielen sie nieder auf ihr Angesicht und beteten das wunderbare Kind an.

     Seht, da haben wir ein herrliches Vorbild für die, welche den rechten Weg zum Himmel und Christus Jesus in seiner Krippe finden wollen. Wir Menschen sind von Natur alle den Weisen gleich, wir wohnen erst alle auf Erden wie in dem glücklichen Arabien, das heißt, wir suchen in dieser Welt unser Glück, wir durchsuchen wie die Weisen die Erde und finden den rechten Schatz nicht schauen hinauf zum Himmel und finden den rechten Stern nicht, gehen sicher dahin und wissen nicht, was zu unserem Frieden dient, keiner trachtet nach dem Einen, das not ist, und so hängt unser Herz an den Dingen, Freuden, Sorgen und Ehren dieser Welt.

    Doch wenn uns große Not in dieser Welt betrifft, wenn das Gesetz Gottes in seiner Schärfe und mit seiner Drohung gepredigt wird, so geschieht es, dass wir nun durch Gottes Gnade einsehen lernen: In dieser Welt ist nicht das wahre Glück zu finden; wir erkennen uns als arme Sünder, die keinen gnädigen Gott im Himmel haben, in unserem gegenwärtigen Zustand nicht selig werden können. Wenn wir dahin kommen, so wird Gott einen Stern im Morgenland erscheinen lassen, so dass wir in der Welt keine Ruhe mehr finden können, mit den Weisen ausgehen und rufen: „Wo ist der neugeborene König der Juden?“ O, wohl dem Menschen, der durch Gottes Gnade so weit gekommen, dass er in der Welt keine Befriedigung mehr für sein Herz findet! Wohl dem, den Gold, Weihrauch und Myrrhen dieses irdischen Arabiens nicht mehr fesseln! Wohl dem, bei dem die Sünde endlich aufwacht, dass in seinem herzen Verlangen nach Trost, Vergebung der Sünde, nach Gottes Gnade entsteht.!

    Aber was tun nun die meisten in diesem Zustand der Unruhe? Sie gehen mit den Weisen nach Jerusalem, das heißt, suchen sich selbst zu helfen, gehen allerhand eigene Wege, sich Ruhe zu verschaffen, suchen durch eigene Werke Gottes Gnade, deren Mangel sie fühlen, zu erringen. Sie beten, seufzen, kämpfen gegen die Sünde, wollen sie los werden, erst rein werden, ehe sie vor Gott zu treten und sich mit seiner Gnade zu trösten wagen.

    Aber was geschieht dann? Sie fallen nur tiefer ins Elend, fassen tausenderlei gute Vorsätze und können sie doch nicht halten, verlieren so auch diesen Stern wie die Weisen, der sie aus dem Schlaf erweckte, und sehen sich aufs Neue von Finsternis befangen. Woran fehlt es? An dem rechten Leitstern. Dieser ist das Wort Gottes und besonders das Evangelium. Viele finden es wohl wie die Hohenpriester und Schriftgelehrten und hören es wohl, wie Herodes, aber hängen nicht daran mit ihrem Herzen, glauben es nicht einfältig, stellen nicht ihre ganze Herzenszuversicht darauf, sitzen wohl im Tempel des HERRN, wo das Evangelium gepredigt wird, haben Bethlehem vor der Tür, gehen aber nicht hinein. O liebe Seelen, die ihr selig werden wollt, lasst Satan euch nicht betrügen um eure Seligkeit! Es ist wahrlich nicht genug, dass ihr anfangt, euer sündliches Leben und die Welt zu verlassen; es ist wahrlich nicht genug, dass ihr euch nur täglich in einigen gottseligen Übungen, im Beten und Lesen finden lasst; es ist wahrlich nicht genug, nur euer sündliches Elend zu fühlen und darüber zu klagen; seid ihr noch nicht weiter gekommen, noch nicht in Bethlehem angelangt, erst mit den Weisen in Jerusalem, dann ist die Hauptsache noch übrig. Seht ihr nicht den hellen Stern des Evangeliums? Weist derselbe nicht mit jedem von ihm ausgehenden Strahl nach Bethlehem allein zu Christus hin? Seht, das ist nun die Hauptsache, dass ihr das gewisse und wahrhaftige, das teure und werte Wort vernehmt: Jesus Christus ist in die Welt gekommen! Sucht ihr für eure Seelen im mindesten einen anderen Grund, wollt ihr im mindesten etwas dazu tun, euch gewiss zu machen, so irrt ihr, bleibt ungewiss, findet Christus nicht, seid verloren. Hätten die Weisen nicht nach dem Wort Michas nach Bethlehem gehen wollen, so hätten sie immer alle Länder und Meere durchforschen können, den neugeborenen König der Juden hätten sie vergeblich gesucht, ihn nicht gefunden. So ist es auch heute noch. Könnte ein Mensch alle die Tränen der bußfertigen Sünder vergießen, die Reue aller erschrockenen Sünder in der Welt empfinden, die heiligen Werke aller Heiligen in der Welt tun, so würde er dadurch auch nicht einen Schritt näher der ewigen Seligkeit kommen, wenn er nicht alles das für nichts achtet und sein Vertrauen allein setzt auf das Wort des Evangeliums, das den Sündern Gnade verheißt.

    Ja, gerade dann, wenn ein Sünder sich müde gelaufen, in seinen eigenen Werken müde gearbeitet, müde gebetet und gerungen, wenn er nun endlich sieht, dass alles nichts helfen, nicht selig machen könne, wenn er endlich still wird, nichts mehr selbst wirken will, ganz an sich selbst verzagt, sich der Erbarmung Gottes überlässt und sich allein auf das Wort beruft, in dem ja allen Sündern Gnade gepredigt wird, dann kommt der selige Augenblick, da der Sünder endlich in Bethlehem ankommt und hinfällt vor der Krippe seines Jesus, das holde Kind mit Freudentränen benetzt, auf die Arme seines Glaubens nimmt und mit den Küssen seiner Liebe bedeckt.

    O, wie selig der, der das Wort seinen Leitstern sein lässt, der findet Christus gewiss!

    Doch, meine Lieben, das Wort lässt uns als der rechte Leitstern auf dem Weg zum Himmel Christus nicht nur finden, sondern durch das Wort allein werden wir auch bei ihm erhalten und davon lasst uns zweitens reden.

2.

    Sobald die Weisen das Wort des Propheten Micha ins Herz fassten, hatten sie auch schon Christus gefunden, obgleich sie noch nicht leiblich in Bethlehem waren. Sobald sie aber Christus gefunden, erfuhren sie auch nicht wenig Anstöße, dadurch sie leicht wieder von Christus hätten losgerissen werden können. Sie waren von ferne gekommen, erwarteten in Jerusalem alles in freudiger Bewegung zu finden, und siehe! Hier ist alles still. Niemand wusste von dem König, und da sie von ihm Nachricht bringen, ist alles bestürzt. Man erklärte ihnen wohl, der verheißene Herzog der Seligkeit solle in Bethlehem geboren werden, aber niemand begleitet sie. Was für ein Kampf muss nun in ihren Herzen entstanden sein! Wird es nicht in ihren Herzen geheißen haben: Vielleicht sind wir betrogen; wäre es möglich, dass der verheißene ewige König der Juden geboren wäre, ohne dass sein auserwähltes Volk etwas von ihm wüsste? Ohne dass vor allen diejenigen, die Priester seines Tempels und in der Heiligen Schrift erfahrenen und ihre bestellten Ausleger sind, ihn längst erkannt und ihm gehuldigt haben? Wodurch werden sie aber diese Anstöße haben abwenden können? Durch nichts anderes als allein durch das Wort. Das ließen sie sich gewisser sein als aller Menschen Zeugnis; daran hielten sie sich, obgleich sie alles dagegen streiten sehen.

    Doch das sind nicht ihre letzten Anstöße. Ohne Zweifel erwarten sie, in dem verkündigten Thronerben einen Königssohn mit aller Pracht eines morgenländischen Fürsten umgeben zu sehen, und doch erblicken sie das alles nicht, sondern nur Armut und Niedrigkeit. Es konnte ja kaum ein Mensch in elenderen, geringeren Umständen gefunden werden als das Jesuskindlein. Was hat sie über alle diese Zweifel erhoben, sie bewegen können, vor diesem Bettelkind niederzufallen und es anzubeten? Wahrlich nichts anderes als das Wort Gottes, das sie fest und unwandelbar ins Herz geschlossen. Da dieser Stern in ihren Herzen aufgegangen war, so war alle ihre Weisheit verdunkelt, in dem Glanz dieses Sterns erschien ihnen die Hütte als das prächtigste Königsschloss in der ganzen Welt. In seinem Licht erkennen sie in dem elenden Kindlein den Herzog der Seligkeit.

    Wie nun, meine Lieben, die Weisen einst, sobald sie Christus gefunden, allerlei Anstößen begegneten, so auch heute alle Sünder, die Christus ergreifen. Sie hören wohl aus dem Wort Gottes, Christus sei der HERR aller Herren, der König aller Könige; aber was erblicken sie, wenn sie sich in der Welt umsehen? Gerade die Mächtigsten, Klügsten und Weisesten, Vornehmsten, Höchsten und Reichsten dieser Welt verachten Christus, und nur ein kleiner, verachteter und verstoßener Haufe armer Sünder bekennt ihn für ihren HERRN und König. O, wie viele haben sich schon an dem Ansehen der Feinde Christi gestoßen und gedacht: Wenn das Evangelium wahr wäre, so würden es gewiss die Gelehrtesten erkennen und mit Freuden annehmen. Aber wir einfältigen Leute, die sich wider die Großen dieser Erde setzen und aller ihrer Weisheit widersprechen, wir sollten sagen können, wir allein hätten die Wahrheit?

    Willst du nun, lieber Mensch, hierdurch nicht Schiffbruch erleiden an deinem Glauben, so tue wie die Weisen aus dem Morgenland. Siehe ab von allen Menschen, denn sie sind nichts vor Gott, voll Irrtum und Torheit, und alle ihre Weisheit ist vor Gott nichts als Narrheit. Siehe allein auf den rechten Himmelsstern, auf das teure Wort Gottes, das sagt dir 1. Kor. 1,26-29: „Seht an, liebe Brüder, eueren Beruf; nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viele Gewaltige, nicht viele Edle sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er die Weisen zu Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er zuschanden mache, was stark ist, und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, und das da nichts ist, dass er zunichte mache, was etwas ist, auf dass sich vor ihm kein Fleisch rühme.“ Darum halte dich an Christus und achte es nicht, dass du, wenn du Christus bekennst, verachtet bist in der Welt. Achte es nicht, wen du siehst, dass das Häuflein der Gläubigen klein ist; es muss so sein, dass die Schrift erfüllt werde. Lass die Hohenpriester und Schriftgelehrten, ja alle Klugen der Welt den verachteten Heiland der Welt verwerfen, du aber bete ihn in Demut an, wirf dich vor ihm nieder, bringe ihm dar das Gold des Glaubens, den Weihrauch des Gebets, die bitteren aber vor Gott köstlichen Myrrhen der Bußtränen, so wirst du ihn auch schon sehen auf dem Thron seiner ewigen Herrlichkeit.

    Doch, meine Lieben, wie bei den Weisen, so ist auch bei uns der Anstoß, dass so viele Christus verwerfen, nicht der größte. Viel größer und schwerer zu überwinden ist dieser, dass sich Christus selbst so arm und schwach gegen uns stellt. Haben wir nämlich Christus das erste Mal gefunden, sind auch wir zu der Gewissheit gekommen: Auch wir sind seine Erlösten und Erwählten, so durchströmt gewiss anfangs unaussprechlicher Friede unser von der Gnade aufgerichtetes Herz. Da meinen wir denn, so lange wir Christus im Herzen haben, werde auch unser Herz den süßesten Frieden und die lebendigste Freude im Heiligen Geist genießen. Aber dem ist nicht so. Je länger ein Mensch im Glauben an Gottes Wort verharrt, desto öfter erfährt er, wie sich Christus in seinem Herzen gleichsam vor ihm verbirgt, sich schwach und elend stellt. Da ist den gläubigen Christen oft, als ständen sie nicht mit dem HERRN der Herrlichkeit im Bund, als ständen sie wie die Weisen zweifelhaft vor einer elenden Hütte, in der ein armes elendes Kindlein liege, das ihnen keine Kraft zum Überwinden geben könne. Kurz, gläubige Christen verlieren oft das Gefühl der göttlichen Gnade aus ihren Herzen, fühlen sich so tot, kraftlos, elend, dass sie es nicht beschreiben können.

    Was ist es, womit sie diese Anfechtung überwinden? Es ist das gewisse und feststehende Wort, das Wort des Gottes des Himmels und der Erde, das ihnen die Seligkeit verheißt. Dieses Wort ist ihnen gewisser als alle Gefühle ihres Herzens, das bleibt mit seinem Trost ihnen unveränderlich, so oft sich auch der Stern ihres irdischen Glücks verändert; das ist immer ihr Licht, wenn es ihnen auch noch so finster in ihrer Seele geworden ist; daher spricht ihr Glaube: Mag es in mir dunkel werden, ich blicke nach dem leuchtenden Stern des Wortes, der verführt uns nicht; mag ich nun denken, ich sei kraftlos, ja tot, so ergreife ich das Wort, das ist lebendig und kräftig, das bringt mir Christus ins Herz und kein Teufel soll mir ihn rauben.

    O, so lernt denn alle, meine Lieben, dies Hauptkunst gläubiger Christen, euch allein an das Wort zu halten. Dieses ist unseres Fußes Leuchte und das rechte einzige Licht auf unserem weg zum Himmel. Wir haben ein festes prophetisches Wort und darum tun wir wohl, wenn wir darauf achten, bis dass der Morgenstern aufgehe in unseren Herzen. Lernt den Kunstgriff des Teufels recht erkennen, der nichts mehr sucht, als uns vom Wort abzuziehen; denn er weiß, wenn wir uns dahin bringen lassen, so hat er gewonnen, wir verloren. Hangen wir mit unserem ganzen Vertrauen nicht am Wort, so lieft uns unser Glaube nichts, denn dann ist es kein wahrer Glauben; dann hilft uns all unser Beten, Seufzen, Tun nichts, ja, wir sind dann ohne Christus, der sich nur in dem Wort finden lässt.

    Luther sagt daher über unser Evangelium die wahren Worte: „Natur will fühlen und gewiss sein, ehe sie glaubt, Gnade will glauben, ehe sie fühlt.“ So sprecht denn zum Schluss mit mir:

Ohne Fühlen will ich trauen,

Bis die Zeit kommt, ihn zu schauen,

Bis er sich zu mir gesellt;

Bis ich werd in seinen Armen

In gar süßer Lust erwarmen

Und er mit mir Hochzeit hält.

    Amen.

Evangelienpredigt zum ersten Sonntag nach Epiphanias ueber Lukas 2,41-52: Wie wichtig der Blick auf Christi Jugend bei der Rueckerinnerung an unsere eigene Jugend sei

    Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes, des himmlischen Vaters, und die Gemeinschaft Gottes, des Heiligen Geistes, sei mit euch allen. Amen.

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Die schönste Zeit unseres Lebens ist ohne Zweifel die Zeit unserer Kindheit und Jugend. Wie der Frühling mit seinen duftenden Blüten und Knospen und mit seinen noch milden Sonnenstrahlen die lieblichste unter den vier Jahreszeiten ist, so sind Kindheit und Jugend die schönsten unter allen Altersstufen, welche wir in dieser Welt betreten.

    Deutlich bezeugt dies das Wort Gottes selbst. Wenn z.B. über den Stamm Asser ein recht herrlicher Segen ausgesprochen werden soll, so heißt es: „Dein Alter sei wie deine Jugend.“ Ja, Salomo spricht: „Denke an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe denn die bösen Tage kommen und die Jahre herzutreten, da du wirst sagen: Sie gefallen mir nicht.“ Im Vergleich mit der Jugendzeit sind also hiernach die Tage und Jahre des Alters böse Tage und Jahre, die uns nicht gefallen.

    Und wer unter uns, wenn er schon im Mittag oder am Abend der menschlichen Lebenszeit steht, sollte nicht, durch eigene Erfahrung überzeugt, hierzu Ja sagen müssen? Wo gibt es einen Vater oder eine Mutter, wo ein graues Haupt oder eine Greisin, die nicht alle von Herzen ausriefen: O Tage meiner Kindheit und Jugend, lieblich wie ein klarer Bach seid ihr mir dahingeflossen! Goldene Zeit! O, dass du noch einmal wiederkehrtest!

    Und dass wir alle mit solcher Wehmut auf die so schnell dahingeschwundene Jugendzeit zurückschauen, beruht keineswegs auf Täuschung. Dieses Leben wird wirklich für Christen und Nichtchristen mit jedem Jahr ernster, und der Pfad, den wir nach der Ewigkeit gehen, wirklich mit jedem Schritt immer enger, steiler und dornenvoller, bis wir an den dunklen Toren des Todes ankommen.

    Welch ein Vorzug der Kindheit und Jugend ist es vor allen anderen Lebenszeiten, dass man sich da noch nicht mit so vielen Sorgenlasten schleppt, sondern sorglos und fröhlich in die Zukunft blickt! Welch ein Vorzug ist es, dass die Herzen der Kinder und überhaupt der Jugend noch nicht von so großen Wünschen bewegt werden, dass sie noch nicht so unersättlich sind und auch durch etwas Geringes schon erfreut und befriedigt werden können! Der allergrößte Vorzug aber, den die Kindheit und Jugend vor dem Alter hat, besteht darin, dass es viel leichter ist, dem HERRN in frühen als in späten Jahren zu dienen. Junge Herzen sind ein Acker, der noch nicht durch böse Gewohnheiten so festgetreten ist und in welchem noch nicht so viele Dornen und Disteln der Sünde sich festgewurzelt haben wie in alten Herzen. Jugendliche Gemüter sind noch leicht durch Drohungen zu heilsamer Furcht und durch liebliche Lockungen zu heilsamen Rührungen zu bringen. Kinder, Jünglinge und Jungfrauen haben auch noch ein treueres Gedächtnis, das aus Gottes Wort Gelernte zu behalten, und eine lebendigere Phantasie, das ihnen Gelehrte aufzufassen, während das Alter den Verlust eines treuen Gedächtnisses und einer lebendigen Auffassung nur zu oft beklagen muss. Hierzu kommt, dass uns besonders in der frühen Jugend so viel Zeit gegeben ist, Gottes Wort zu treiben und wichtige Kenntnisse für die Ewigkeit einzusammeln, wie wir später nie wieder bekommen. Während ferner Erwachsene, wenn sie den schmalen Weg des Glaubens und der Gottseligkeit gehen wollen, sogleich Spott und Feindschaft vieler, ja wohl ihrer eigenen Hausgenossen auf sich laden, so kann hingegen ein frommes Kind nicht leicht, selbst von Gottlosen nicht, gehasst werden; es genießt Gnade bei Gott und den Menschen. Endlich aber sind auch Kinder und überhaupt junge Seelen nicht nur ein besonderes Augenmerk des heiligen Engel, die ihnen besonders zugesellt sind, sondern Christus selbst trägt um sie, als um seine zarten Lämmer, eine besonders zärtliche Sorge, er hat daher nicht nur einst gesagt: „Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes“; sondern er hat auch das allerschrecklichste Wehe besonders über diejenigen ausgesprochen, welche die Jugend ärgern und ihre ihm so teuren Seelen, die er in der Taufe zu seinen Tempeln gemacht hat, vergiften und verführen.

    O, sie selig ist daher derjenige, der der Ermahnung Salomos nachgekommen ist: „Denke an den Schöpfer in deiner Jugend!“ Wer seine Jugend wohl ausgekauft hat, hat für die bösen Tage einen großen Schatz und ist wohl versorgt auch für die Jahre, die ihm nicht gefallen. Er ist wie ein Baum, der früh gepflanzt wurde an die Wasserbäche, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das gerät wohl. Aber ach, groß und unersetzlich ist hingegen der Verlust derjenigen, die die schönste Zeit ihres Lebens verschwendet und verloren haben. O, wenn sie dann doch wenigstens mit aufrichtiger Reue auf die verlorenen goldenen Morgenstunden ihres kurzen Lebenstages zurückblicken, durch Gottes Gnade umkehren und, was Christus von allen fordert, die in das Himmelreich kommen wollen, wieder Kinder werden möchten! Damit dies nun von uns geschehe, lasst uns jetzt einen Blick tun auf Christi heilige Jugend und damit die unsrige prüfend vergleichen.

Lukas 2,41-52: Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem auf das Passahfest. Und da er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach Jerusalem nach der Gewohnheit des Festes. Und da die Tage vollendet waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb das Kind Jesus zu Jerusalem, und seine Eltern wussten’s nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wiederum nach Jerusalem und suchten ihn. Und es begab sich, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antworten. Und da sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Seine Mutter aber sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht. Und er sprach zu ihnen: Was ist’s, dass ihr mich gesucht habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort nicht, das er mit ihnen redete. Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

    Seit dem letzten hohen Fest der Geburt Christi haben wir ihn allein in seiner Kindheit betrachtet; das verlesene Evangelium aber enthält nun dasjenige, was uns Gott in seinem heiligen Wort auch von Christi Jugend hat aufzeichnen lassen. Aufgrund dieses wichtigen Teils der heiligen Geschichte lasst mich euch daher jetzt zeigen:

Wie wichtig der Blick auf Christi heilige Jugend bei der Rückerinnerung an unsere eigene Jugend sei

    Es ist dies nämlich

1.       Ein zur Buße auffordernder Blick, wenn wir Christi heilige Jugend mit der unsrigen gebührend vergleichen, und

2.       Ein tröstlicher Blick, wenn wir den gnadenvollen Zweck des Jugendlebens Christi reuig und gläubig erwägen.

    HERR Jesus, du Sohn Gottes! Auch das Jugendalter hast du einst durchlebt, damit wir an dir das Vorbild einer wahrhaft Gott geheiligten Jugend, aber auch einen mitleidigen Hohenpriester für unsere Jugendsünden hätten. Wir bitten dich daher, lass uns nicht nur an deinem allerheiligsten Vorbild lebendig und mit Scham und Reue erkennen, wie weit wir uns schon in der Jugend von unserem Gott entfernt haben und wie wir schon da vor seinen Augen um unseres tiefverderbten Herzens willen verwerflich waren, sondern, wenn wir darüber gebeugt und zerbrochen sind, o, so schreibe auch den Trost in unser armes Herz, dass du ein Heiland bist auch für eine sündliche und verdammliche Kindheit und Jugend. Diesen Glauben schenke uns, durch diesen Glauben gib uns Frieden des Herzens, durch diesen Glauben erneuere uns hier und mache uns dort ewig selig. Amen.

1.

    Es ist ein unvergleichlich bewunderungswürdiges Bild der heiligen Jugend Christi, das wir in unserem heutigen Evangelium erblicken.

    Wir hören darin zuerst im Allgemeinen, dass Christus, obgleich in ihm die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnte, uns Menschen nicht nur durch seine menschliche Geburt, sondern auch in seiner ganzen Kindheit und Jugend völlig gleich geworden sei, alleinausgenommen die Sünde. Denn es heißt von ihm an Schluss unseres Evangeliums: „Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ O welch ein Wunder! – Er, der der Vater der Ewigkeiten war, zählte nun sein Dasein nach irdischen, vergänglichen Tagen und Jahren und nahm zu an Alter, ging durch alle Stufen des langsamen menschlichen Wachstums und durch alle Entwicklungsgänge unserer Natur hindurch, lernte, wie wir, erst sitzen, stehen ,gehen, stammeln, lallen und reden; und redete nun wie ein Kind, spielte wie ein Kind und weinte wie ein Kind, dies alles nur ohne Sünde. Er, in welchem doch alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen lagen, entäußerte sich dieses auch seiner Menschheit mitgeteilten göttlichen Lichtes, und nahm daher täglich, wie wir Menschen, zu an Weisheit und Erkenntnis. Er, der Gottes-Sohn, an welchem Gott von Ewigkeit Wohlgefallen hatte, erwarb sich auch als ein Menschenkind durch die Holdseligkeit aller seiner Gebärden, Worte und Werke immer größere Gnade, immer größeres Wohlgefallen bei Gott und Menschen.

    Außer dieser allgemeinen Beschreibung des Jugendlebens Christi hat uns der Evangelist Lukas, getrieben von dem Heiligen Geist, in unserem Text noch einen besonderen Vorfall darauf aufbewahrt. Er erzählt nämlich, dass die Eltern Christi nach dem Gesetz alljährlich auf das Passahfest nach Jerusalem zu gehen pflegten. Ehe Christus das zwölfte Jahr erreicht hatte, scheinen sie ihn, vielleicht aus Furcht vor dem König Archelaus, dem Sohn des Herodes, nicht mitgenommen zu haben; als aber der heilige Knabe zwölf Jahre alt war, forderten sie ihn auf, sie in die heilige Stadt zur Feier des großen Festes zu begleiten. Und siehe! Obgleich der Weg von Nazareth nach Jerusalem drei starke Tagereisen weit war und über die steilen Gebirge Gilboa, Ebal und Ephraim führte, so legte doch das himmlische Kind den beschwerlichen Weg willig mit Maria und Joseph zu Fuß zurück., Sie kommen in der großen Stadt an; so neu aber auch die Pracht und das große, bunte Menschengewühl dieses Sammelplatzes aller Juden dem jungen Knaben war, so konnte doch dieses alles sein himmlisch gesinntes Herz nicht einnehmen; der Tempel allein, wo sein himmlischer Vater in Gnaden gegenwärtig zu sein verheißen hatte und wo sein heiliges Wort gelesen und gepredigt wurde, dies war die Stätte, wo das göttliche Kind seine Festfreude suchte.

    Doch was geschah? – Das Fest war zu Ende, und Maria und Joseph traten nun den Rückweg nach Nazareth an, und ohne dass sie es wussten, blieb das Kind Jesus in Jerusalem. Da dasselbe nicht in ihrem Zug war, meinten sie, es werde wohl mit Verwandten bereits vorausgeeilt sein, mit denen sie verabredetermaßen in der ersten Nachtherberge wieder zusammentreffen wollten. Als sie aber da ankommen, weiß niemand etwas von dem heiligen Knaben. Welch eine Schreckensbotschaft mag dies für Maria gewesen sein! welche peinigenden Vorwürfe mag ihr jetzt ihr Gewissen gemacht haben, dass sie den Knaben, dessen sorgfältige Bewahrung ihr bei der Flucht nach Ägypten und bei der Rückkehr nach Judäa so ernstlich anbefohlen worden war, so nachlässig und sorglos aus ihren Augen und Händen hatte kommen lassen! Ach, wird sie gedacht haben, vielleicht ist das Kind in die Hände seiner Verfolger gefallen; vielleicht von dann geschleppt in ein fernes Land; vielleicht gar schon ermordet. Und du, du bist schuld daran, dass die ganze Welt ihren Heiland verloren hat. O große, schreckliche Schuld und Sünde! Wie willst du vor Gott bestehen, der das Kind von deinen Händen fordern wird? Das werden für sie tage der bittersten Tränen gewesen sein, und in denselben schon die Weissagung des alten Simeon in Erfüllung gegangen sein: „Es wird ein Schwert durch deine Seele dingen.“ Doch endlich nach drei Tagen des Weinens und Jammerns finden die Eltern den Knaben im Tempel wieder. Und welch ein Anblick! Er sitzt mitten unter den Lehrern. Er, dem alle Menschen und Engel zuhören sollten, hört armen, irrtumsfähigen Menschen zu; er, der groß ist von Rat, bei dem alle Welt nach Wahrheit fragen sollte, fragt sie. Seine Fragen sind jedoch freilich so, dass nur die Weisheit selbst so fragen kann, denn „alle, die ihm zuhörten“, heißt es, „verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antwort“. Doch Maria kann sich nicht halten, sie muss die wichtige Unterredung unterbrechen; zu Jesus sich wendend, spricht sie: „Mein Sohn, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Dies war ein Vorwurf, den Maria in der Bestürzung zu machen wagte. Auf diesen Vorwurf ward nun zwar der heilige Knabe nicht unwillig, doch wies er ihn in heilig ernster Freundlichkeit mit den Worten zurück: „Was ist es, dass ihr mich gesucht habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?“ Christus will sagen: Ihr sprecht von einem Vater, der mich gesucht habe? Wisst ihr nicht, wer mein Vater ist? und wisst ihr nicht, welch eine Tagewerk mir dieser aufgetragen hat? Habt ihr vergessen, was die Hirten, was die Weisen aus dem Morgenland, was Simeon, was Hanna von mir gezeugt haben? – Doch was geschah nun weiter? Es heißt: „Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen untertan.“ Was dies heiße, „er war ihnen untertan“, dies sehen wir daraus, dass später die Feinde sagen: „Woher kommt diesen solche Weisheit und Taten? Ist er nicht eines Zimmermanns Sohn?“ Er also, dem Legionen Engel zu dienen bereit sind, erniedrigte sich bis zum gehorsamen Knecht armer Menschen; er, dessen Willen alle Kreaturen unterworfen sind, unterwarf sich dem Willen zweier Sünder; er, der die Erde gegründet und das Himmelsgewölbe aufgeführt hat, führte als erniedrigter Menschensohn in seiner Hand das Zimmerbeil und aß, Menschenhütten bauend, hier sein Brot mit uns im Schweiß seines Angesichts!

    Seht da, dies ist nur ein flüchtiger Blick auf Christi heilige Jugend, und o! welche Reinheit, welche Unschuld, welche Demut, welchen Gehorsam gegen Gott und Menschen, welche heilige Wissbegierde, welchen Eifer in Erfüllung seines himmlischen Berufs, welche Liebe zu seines Vaters Wort, welche völlige Aufopferung im Dienst des HERRN finden wir da!

    Wenn wir nun hiermit unsere eigene Jugend aufrichtig vergleichen, wie? sollte dann der Blick auf Christi Jugend nicht für uns alle höchst beschämend, strafend und niederschlagend sein?

    Gibt es erstlich nicht manche unter uns, die in vielen offenbaren Sünden, deren die leichtfertige Jugend fähig ist, aufgewachsen sind? in Ungehorsam gegen die Eltern, in Verachtung ihrer Zucht und Ermahnung, in Lügenhaftigkeit, in Naschhaftigkeit und heimlichem Diebstahl, in Faulheit und Müßiggang, in Eitelkeit und schändlichen fleischlichen Lüsten, in Eigensinn, Zanksucht, Hader und Neid?

    Oder wenn Gott hingegen andere vor solchen groben Sünden und Lastern der Jugend bewahrt hat, dass sie nicht dem verlorenen Sohn gleich geworden sind, auf dessen Gewissen unzählige Seufzer und Tränen bekümmerter Eltern lasteten: Sind sie dann nicht vielleicht doch ohne wahre Furcht Gottes, ohne wahre Liebe zu Jesus und ohne Folgsamkeit gegen die Triebe des Heiligen Geistes aufgewachsen? – Die ihr aber endlich in der Jugend zwar nicht offenbar gottlos gelebt, aber doch euer junges Herz nicht dem HERRN aufg4eopfert, nicht in der steten Gegenwart Gottes gelebt, nicht Gottes Wort und Christi Gnade über alles geliebt, nicht fleißig und brünstig gebetet, vielmehr den in der heiligen Taufe über euch ausgegossenen Geist der Gnade aus eurem Herzen verloren habt und in Geringachtung und Vergessenheit Gottes dahingegangen seid: Habt nicht auch ihr dann doch eure Jugend verschwendet und verloren und sie, anstatt Gottes, der Sünde, der Welt und dem Teufel geopfert? Und habt ihr als Kinder nicht vielleicht schon oft Rührungen und Gnadenzüge Gottes an eurem Herzen empfunden, bei welchen in euch der Vorsatz entstand, den HERRN zu suchen, und ihr seid dennoch in eurem jugendlichen, Gott vergessenden Leichtsinn verblieben? –

    Doch, meine Lieben, sollte es auch wirklich einige unter uns geben, die schon als Kinder Gott von Herzen gesucht und ihm mit Abel, Samuel, Josia und anderen frühzeitig gedient haben, die daher auch mit David sagen können: „Du bist meine Zuversicht, HERR HERR, meine Hoffnung von meiner Jugend an; Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt“, müssen sie dann nicht dennoch mit demselben frommen David seufzen: „HERR, gedenke nicht der Sünden meiner Jugend noch aller meiner Übertretung“? Wer unter uns kann sagen, dass nicht auch an ihm erfüllt worden sei, was Gottes Wort bezeugt: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“? Wer unter uns hat seinen Taufbund gehalten, bei welchem er dem Teufel gänzlich entsagte, samt allen seinen Werken und allem seinem Wesen? Wer unter uns kann sagen, dass er das bei seiner Konfirmation vielleicht mit heißen Tränen der Liebe abgelegte Versprechen, Gott allein zu dienen, mit wahrer, unwandelbarer Treue erfüllt habe? Wer unter uns muss nicht klagen, dass sein Herz von Jugend auf böse war und als eine Sündenquelle in unzähligen bösen Gedanken, Worten und Werken übergegangen ist? Wer unter uns muss nicht bekenne, dass er dem Kampf mit Fleisch, Welt und Teufel nicht ohne viele und tiefe Wunden seines Gewissens entgangen ist? Wer trägt nicht an seiner Seele den und jenen geheimen Schandfleck einer Jugendsünde, dass er wohl, wenn große Not hereinbricht, mit Hiob denken möchte: „Du willst mich umbringen um der Sünde willen meiner Jugend“? – Ach, es ist nur zu offenbar, dass die meisten, die dem HERRN jetzt dienen, ihn nicht schon in der Jugend, sondern erst später gesucht und gefunden, und ihre schönste Zeit ihrem Schöpfer geraubt haben! Es ist nur zu gewiss, dass wir heute alle nur mit tiefer Scham auf den heiligen Jesusknaben blicken können, wenn wir uns im Geist neben ihn stellen in der Zeit, da wir noch Kinder, noch Jünglinge und Jungfrauen waren.

2.

    Doch, meine Lieben, dieser Blick auf Christi heilige Jugend ist nicht nur beschämend, sondern zweitens auch höchst tröstlich, wen wir nämlich dabei den gnadenvollen Zweck des Jugendlebens Christi reuig und gläubig erwägen.

    Christus ist nicht nur um seinetwillen in die Welt gekommen und ein Mensch geworden, sondern auch nicht um seinetwillen ein Knabe und Jüngling gewesen. Durch seine Gott freiwillig zum Opfer gebrachte jugendliche Heiligkeit und Frömmigkeit hat er auch unsere Jugendsünden vor Gott gut gemacht; durch seinen freiwilligen Gehorsam gegen Gott und Menschen als Knabe, besonders gegen seine armen Eltern, hat er auch unseren jugendlichen Ungehorsam, unsere Störrigkeit und kindischen Trotz gut gemacht; durch seine bewunderungswürdige Kindesdemut hat er gut gemacht auch unsere kindische Eitelkeit; durch seinen Eifer im Hören des Wortes Gottes und im Dienst des HERRN hat er gut gemacht unseren frühzeitigen irdischen Sinn und unsere frühzeitige Verdrossenheit und Trägheit für geistliche und himmlische Dinge. Kurz, was unser keiner war, das wurde der Sohn Gottes, nämlich ein vollkommen reiner, keuscher, heiliger Knabe und Jüngling, damit wir an ihm auch einen Tilger unserer Jugendsünden und einen Heiland und Seligmacher auch für die Zeit hätten, da wir als Kinder, Jünglinge und Jungfrauen Gott unser Herz entweder ganz oder doch zum Teil entwendeten.

    Für euch nun, die ihr euch nicht mit leidtragenden Herzen eurer Jugendsünden erinnert, die ihr euch entweder noch gar nicht von denselben bekehrt habt oder wohl einmal durch Gottes Gnade zu einer seligen Umkehr gekommen, aber wieder zurückgefallen seid und daher jetzt keine Reue wegen der Vergangenheit empfindet; die ihr ohne Abscheu vor eurem vormaligen Leben, ohne wahre Gottesfurcht und Liebe Christi seid; die ihr wohl gar mit Lachen und Scherzen die bösen Stücke erzählt, womit ihr eure Jugendzeit geschändet habt; die ihr leichtsinnig sprecht: Jugend hat einmal nicht Tugend; die ihr euch damit entschuldigt, dass man von jungen Leuten nicht fordern könne, dass sie so ernstlich Gott dienen wie Bejahrte; die ihr meint, es verstehe sich von selbst, dass Gott das vergebe, was man als ein unverständiges Kind oder als ein leichtsinniger Jüngling Böses getan habe: Euch freilich ist Christi heilige Jugend nicht tröstlich, sondern euch ist sie noch nur eine Bestrafung und Beschämung. Lernt erst vor diesem heiligen Bild schuldbewusst niederfallen und einsehen, welch ein Greuel ihr in eurer Jugend Gott wart, da ihr ihn in dieser schönsten Zeit eures Lebens nicht gesucht und nicht ihm, sondern eurem eitlen Willen und den Lüsten eures Fleisches gedient habt; lernt erst, Gott euren frühen Abfall von ihm reuig klagen und nach Vergebung aufrichtig seufzen, sonst bleiben, wie eure jetzigen Sünden, so auch eure Jugendsünden auf euch liegen zu eurer ewigen Verdammnis. Denn denkt ihr noch leichtsinnig von euren Jugendsünden, so denkt ihr auch noch leichtsinnig über alle Sünden; dann hat Gott sein Werk noch nicht in euch, dann werdet ihr noch nicht vom Heiligen Geist regiert, dann liegt ihr noch sicher und tot unter der Herrschaft eurer Sünden und werdet, so ihr nicht erwacht und nicht wahre Buße tut, so gewiss ewig verloren gehen, so gewiss Gottes Wort Wahrheit und Gottes Drohungen kein Scherz sind. Bedenkt es wohl: Ihr seid hiermit nun gewarnt; auf euch liegt nun die Verantwortung, euer Blut ist nun auf eurem Haupt.

    Ihr aber, die ihr, so oft ihr an eure Jugend denkt, euch im Geist vor Gott beugt und im Inneren zu ihm seufzt: „Ach HERR, rechne mir meine Torheiten nicht zu! Gedenke doch nicht der Sünden meiner Jugend! Siehe! Ich gedenke ihrer mit Wehmut, du aber wollest dein Antlitz von ihnen abwenden und sie hinter dich werfen und mich das süße Wort hören lassen: „Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben“; ihr, die ihr oft mit Betrübnis klagt, wie es in jenem Lied heißt:

Ach, dass ich dich so spät erkennet,

Du hochgelobte Schönheit du,

Und dich nicht eher mein genennet,

Du höchstes Gut und wahre Ruh!

Es ist mir leid und bin betrübt,

Dass ich so spät dich hab geliebt –

Ihr gedemütigten und betrübten Seelen: Schaut auf den holden Jesusknaben; dieser hat durch die Heiligkeit seiner Jugend Gott geleistet, was ihr ihm versagt, und durch die Mühsal seines Knabenalters gebüßt, was eure Jugend verschuldet hat, – auf ihn beruft euch daher vor Gott dem Vater und bittet ihn, dass er euch um dieses unschuldigen Knaben willen euren frühen Abfall von ihm vergeben und eure späte Rückkehr und späte Liebe zu ihm annehmen wolle, so wird sich Gott auch euer erbarmen, euch um des Jesusknaben willen die Sünden auch eurer Jugend vergeben und euch so gnädig annehmen, als hättet ihr ihm von Jugend auf eifrig in reiner Heiligkeit und Unschuld gedient wie Jesus.

    Habt ihr aber in Christus Trost gefunden, ihr Lieben, gegen eure Jugendsünden, so trachtet dann auch durch seine Gnade danach, ihm auch nachzufolgen und euch je mehr und mehr in sein heiliges Bild verklären zu lassen. Kehrt um und werdet, wenn ihr auch schon Väter und Mütter wäret, wieder Kinder; wandelt nämlich nach dem Vorbild des holden Jesuskindes stets in kindlicher Zuversicht, Liebe und Treue vor dem Angesicht eures himmlischen Vaters. Könnt ihr Christus auch hienieden nie an Heiligkeit gleich werden, so streitet doch desto eifriger durch seine Gnade gegen alle Sünde, Trägheit und Leichtfertigkeit und haltet ihn fest im Glauben, bis ihr ihn einst selbst schauen werdet, wenn er mit den Seinen das ewige Osterfest feiern wird in dem Tempel des himmlischen Jerusalems. Amen.

Evangelienpredigt zum zweiten Sonntag nach Epiphanias ueber Johannes 2,1-11: Von der Freundlichkeit, welche Christus auf der Hochzeit zu Kana offenbart hat

    Gott gebe euch allen viel Gnade durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

    In demselben unserem teuren Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Dass es einen Gott gibt, das kann zwar ein jeder Mensch schon von Natur wissen; die ganze Welt ist ja ein vor allen Menschen aufgeschlagenes Buch, in welchem es mit leserlicher Schrift geschrieben steht: Es ist ein Gott! Und in dem Gewissen aller Menschen hallt dieses große Wort laut und vernehmlich wieder. Wie aber Gott beschaffen, und besonders, wie er gegen uns Menschen gesinnt sei, davon kann weder der Himmel, noch die Erde, noch die Stimme des Gewissens dem Menschen genaue Kunde geben. Darüber wankt und schwank der Mensch ohne die Offenbarung fort und fort bald nach dieser, bald nach jener Vorstellung. Geht es einem Menschen hier wohl, und blickt er nun mit heiterem Herzen hinauf zum Himmel, und sieht er da Sonne, Mond und Sterne sich wie Himmelsaugen über der Erde freundlich öffnen und die Wolken mit Segen herabregnen, sieht er die allenthalben lachende und mit aller Fülle der Gaben prangende Natur, da ruft auch wohl ei natürlicher Mensch freudetrunken aus: O, es muss ein guter, ein freundlicher Gott diese Welt geschaffen haben und sie, über den Sternen thronend, voll Liebe erhalten und regieren! Geht es hingegen einem Menschen hier übel, und blickt er nun mit zitterndem herzen hinauf zum Himmel und sieht er ihn umwölkt, sieht er zuckende Blitze aus der Wolkennacht herabfahren und da und dort Tod und Verderben bringen, hört er den zürnenden Donner über seinem Haupt rollen und sieht er Hagel und Wasserflut in wenigen Augenblicken die Hoffnung eines ganzen Jahres verwüsten; oder seufzt er in Krankheit, Schmerz, Hunger und Blöße vergeblich schon lange nach Hilfe; sieht er Krieg, Teuerung und Pest wie böse Engel, von oben gesandt, über die Erde schreiten und unter ihren Fußtritten ganze Völker jammern, dann kann der natürliche Mensch nicht mehr ausrufen: Gott ist die Liebe! In seinem grollenden Herzen heißt es dann vielmehr: Gott muss ein finsteres Wesen sein, in dessen Herzen kein Erbarmen wohnt, das sich eine Erde gebaut hat zu einem großen Altar, auf welchem es sich Menschenglück und Menschentränen opfert. Von Natur glaubt daher der Mensch entweder, Gott sei ein Gott der Liebe ohne Zorn, oder ein Gottes des Zornes ohne Liebe.

    Das Erstere ist besonders in unseren Tagen sehr gewöhnlich. Die Vernunftprediger und Apostel einer sogenannten Aufklärung, welche jetzt besonders überhand genommen haben, verkündigen es jetzt von den christlichen Kanzeln herab, eben darin bestehe die Lehre, die Christus gebracht habe. Zur Zeit des Alten Testaments habe man sich Gott als einen zornigen Jahwe gedacht; so habe ihn Mose, so ihn alle Propheten gepredigt; aber da sei Christus gekommen und habe der furchtsamen Welt die Botschaft gebracht, dass Gott nicht zornig, dass er die ewige Liebe, dass er aller Menschen gütiger Vater sei und dass alle ohne Ausnahme seine geliebten Kinder seien, der Keinem weh tun könne und werde, den niemand fürchte dürfe und solle.

    Diese Lehre von Gott glaubt aber wohl derjenige, der noch nicht weiß, dass er ein Sünder ist, oder der doch noch nicht weiß, was Sünde heißt, der ihren Stachel noch nicht in seinem Gewissen empfunden hat. Wird es aber einem Menschen offenbar, dass er ein von Gott abgefallenes Geschöpf sei, wird es ihm offenbar, dass er den allerhöchsten Gott mit seinen Sünden beleidigt und sich ihm zu seinem Feind habe; wacht einem Menschen sein Gewissen auf, heißt es in seinem Herzen: Was hast du getan? Du hast Gottes Gebote nicht gehalten! Dein ganzes vergangenes Leben ist verwerflich gewesen, denn du hast nicht Gott, sondern der Welt, dir selbst, ja, dem Feind Gottes gedient. Gott will und muss dich nun strafen; er hat Tod und Verdammnis allen Übertretern gedroht; diese Drohungen werden dich treffen; Gott kann und wird dich nicht annehmen, sondern – verstoßen, verdammen – : ach, dann verwelken in dem Herzen des Menschen alle Gedanken daran, dass Gott die Liebe sei, wie grüne Blätter vor einer Feuerglut, und der Mensch wagt nicht, sich Gott mit Vertrauen zu nahen, sondern, wenn er könnte, würde er fliehen, um sich vor ihm im entferntesten Winkel der Schöpfung zu verbergen.

    Seht hieraus, meine Lieben, wie nötig es dem Menschen war, dass sich Gott ihm offenbarte! Aber wohl uns, er hat sich uns offenbart. Zwar hat er nicht nur im Alten Testament verkündigen lassen, dass er „nicht ein Gott sei, dem gottloses Wesen gefällt, wer böse ist, bleibt nicht vor ihm“, sondern auch Christus selbst spricht von ihm: „Fürchtet euch vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle“, und auch die Boten Christi reden von einem zornigen Gott, sie sprechen: „Gottes Zorn vom Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen“; aber Gott hat auch zugleich offenbart: Wer unter den sündigen Menschen vor seinem Zorn erschrickt, wer es erkennt, dass um seiner Sünden willen der heilige Gott für ihn ein verzehrendes Feuer sei, der soll nur zu Christus fliehen, dem eingeborenen Sohn Gottes; in diesem ist Gott offenbart im Fleisch; aber in diesem will Gott kein zorniger Gott mehr sein, in diesem soll jeder einen gnädigen Gott finden, in diesem brennt kein anderes Feuer als das Feuer der ewigen Liebe Gottes zu allen Sündern, in ihm ist nicht der Zorn, sondern die Gnade, das Erbarmen, die Freundlichkeit Gottes erschienen.

    O wohl darum allen, die, wenn sie Gott suchen, ihn nirgends als in Christus suchen und sich Gott nirgends als in Christus nahen, denn in Christus kommt uns Gott erst als ein freundliches Kind, sodann als ein freundlicher Knabe und endlich als ein freundlicher Helfer in aller Not entgegen. So erblicken wir ihn auch in unserem heutigen Evangelium; in dieser Gestalt lasst uns ihn daher jetzt betrachten.

Johannes 2,1-11: Und am dritten Tag war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa; und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger wurden auch auf die Hochzeit geladen. Und da es an Wein gebrach, spricht die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben nicht Wein. Jesus spricht zu ihr: Frau, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es waren aber allda sechs steinerne Wasserkrüge gesetzt nach der Weise der jüdischen Reinigung, und gingen in je einen zwei oder drei Maß. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die Wasserkrüge mit Wasser. Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister.  Und sie brachten’s. Als aber der Speisemeister kostete den Wein, der Wasser gewesen war, und wusste nicht, woher er kam (die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten), ruft der Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zum ersten guten Wein, und wenn sie betrunken worden sind, alsdann den geringeren; du hast den guten Wein bisher behalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen zu Kana in Galiläa und offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn.

    Wollen wir, meine Lieben, einen tatsächlichen Beleg dafür, dass der Apostel Paulus in seinem Brief an Titus die Erscheinung Christi mit den Worten beschreibt: „Da aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes“, so finden wir dies in unserem heutigen Evangelium, so zu sagen, vor unsere Augen gemalt. Lasst mich daher jetzt zu euch sprechen:

Von der Freundlichkeit, welche Christus auf der Hochzeit zu Kana offenbart hat

    Und zwar

1.       Wie und warum Christus dieselbe da offenbart habe, und

2.       Wozu wir diese Offenbarung anwenden sollen.

    HERR Gott Vater! Dich erkennen und den du gesandt hast, Jesus Christus, das ist das ewige Leben. Darum bitten wir dich, tue uns auf die Augen unseres Geistes, dass wir nicht blind bleiben, wie wir von Natur sind, sondern voll werden deiner Erkenntnis und darin wachsen, bis wir dich dort schauen von Angesicht zu Angesicht. Lass uns besonders in dieser Stunde in dem Spiegel deines Wortes das freundliche Bild deines eingeborenen Sohnes mit Freuden beschauen und dadurch zum Glauben an ihn und zur Liebe zu ihm gereizt und gelockt werden. Erhöre uns um desselben, unseres HERRN und Heilandes, willen. Amen.

1.

    Unser Evangelium beginnt, meine Lieben, mit den Worten: „Und am dritten Tag“; diese Worte weisen uns auf das unserem Text unmittelbar Vorhergehende zurück. Da wird uns aber erzählt, dass kurz nach Christi erstem öffentlichen Auftreten in Judäa eines Tages Nathanael, dieser Israelit, in welchem kein Falsch war, zu Christus gekommen und durch einen Beweis von der Allwissenheit Christi zum Glauben an ihn gebracht worden sei. Christus hatte dem Nathanael aber, als dieser erstaunt ausgerufen hatte: „Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel“, hierauf entgegnet: „Du wirst noch Größeres als das sehen.“ – So finden wir denn Christus drei Tage darauf in Kana in Galiläa. Nathanael, der aus dieser Stadt gebürtig war, mag Christus gebeten haben, mit ihm nebst den anderen von ihm bereits gesammelten Jüngern dahin zu gehen, und Christus hatte ihm auch seine Bitte gewährt. Da es aber in Kana ruchbar wird, dass Christus mit seinen Jüngern in die Stadt gekommen sei, und da hier gerade in diesen Tagen eine Hochzeit gefeiert wird, wie es scheint, bei armen Verwandten der Mutter des HERRN (denn diese hatte sich hier schon vorher eingefunden), so werden „Jesus und seine Jünger auch auf die Hochzeit geladen“. Und was tut Jesus? Er nimmt die Einladung an und erscheint wirklich mit allen seinen Jüngern in dem hochzeitlichen Haus.

    Wüssten wir nun auch von den hierauf erwählten anderen wichtigen Vorgängen auf dieser Hochzeit nichts, sagt selbst, müssten wir nicht schon die Freundlichkeit bewundern, die der Sohn Gottes allein dadurch offenbart hat, dass er sogleich bei dem Antritt seines Lehramtes mit seinen Jüngern auf eine Hochzeit geht? Denn aus welcher anderen Ursache kann dies geschehen sein, als damit seine Freundlichkeit offenbar werde? Oder sollte Christus um seiner selbst willen, um nämlich etwa selbst eine Erquickung zu genießen, auf eine arme irdische Hochzeit gegangen sein? Das sei ferne! War er nicht der Sohn Gottes, der selbst die Quelle aller Freude, bei dem Freude die Fülle und liebliches Wesen zu seiner Rechten ist immer und ewig? Hätte er sich selbst freuen wollen, wäre er nicht vom Himmel, dem Ort der Seligkeit, herabgekommen. Von ihm heißt es vielmehr ausdrücklich: „Ob er wohl reich ist, so ward er doch arm um unseretwillen, auf dass wir durch seine Armut reich würden“, und an einer anderen Stelle: „Welcher, da er wohl hätte mögen Freude haben, erduldete er das Kreuz.“ Es ist hiernach gewiss: Nicht um selbst eine Freude zu genießen, sondern um den Menschen seine Freundlichkeit zu offenbaren, ging Christus mit seinen Jüngern auf die Hochzeit zu Kana.

    Warum hat denn aber wohl Christus gerade diese Weise der Offenbarung seiner Freundlichkeit erwählt? Christus hätte ja denken können: Was werden die Pharisäer sagen? Werden nicht sie und alle Frommen unter den Juden sich daran stoßen, dass ich, der ich eine so heilige Person, nämlich der von den Propheten verkündigte allerheiligste Messias sein will, an den zeitlichen Freuden einer Hochzeit teilnehme? Christus hätte ferner denken können: Was werden die Reiche und Vornehmen im Land dazu sagen, wenn sie mich an dem Festtisch armer Leute sitzen sehen? Wird das nicht in ihnen verächtliche Gedanken von mir erwecken? Christus hätte ferner denken können, seine Jünger seien neu erweckte Leute, diese dürfte er nicht auf ein Freudenfest führen, diese müsse er vielmehr anleiten, sich vor allem in der Buße zu üben und in ihrem Christentum recht tiefen Grund mit Beten, Kämpfen und Ringen zu legen. Christus hätte endlich denken können, da er eben jetzt sein öffentliches Lehramt angetreten habe und zur Verwaltung desselben nur drei kurze Jahre bestimmt seien, so dürfe er seine kostbare Zeit nicht mit Hochzeitsfeiern hinbringen, er habe viel nötigere Dinge zu tun, er wolle lieber die Traurigen, Elenden, Angefochtenen, Kranken und Sterbenden aufsuchen und dergleichen.

    So natürlich nun solche Gedanken uns sind und so gewiss auch Christus an dies alles selbst gedacht hat, so hat er sich doch durch diese Gedanken der Menschen nicht abhalten lassen, der erhaltenen Einladung zu folgen. Warum, das ist nicht schwer zu erraten. Denn, nicht wahr, hätte Christus nur solche werke getan, welche seine hohe Heiligkeit offenbarten; hätte er sich nur mit geistlichen gottseligen Übungen beschäftigt; wäre er nur mit Heiligen umgegangen; hätte er jede weltliche oder doch jede heitere Gesellschaft geflohen und hätte er sich nur im Tempel oder in der Wüste Tag und Nacht fastend und betend aufgehalten; hätte er mit seinen Jüngern und mit anderen Menschen keinen anderen Umgang gepflegt, als dass er ihnen Gottes Wort gepredigt und mit ihnen auf seinen Knien gelegen und gebetet hätte: Welcher Mensch würde dann wohl ihm zu nahen gewagt haben? Welcher Sünde würde dann wohl zu ihm Vertrauen gewonnen haben? Würde sich nicht jeder, den sein Gewissen einer Unheiligkeit und Südhaftigkeit überzeugte, vor Christus, als vor einem heiligen, höheren Wesen, gescheut und gefürchtet haben? Und was für Gedanken würden die Menschen von dem Christentum, nämlich von dem Sinn, leben und Wandel bekommen haben, den Christus fordere? Würde nicht jeder gedacht haben, wer ein Jünger Christi werden wolle, der müsse die schwersten Lasten und das drückendste Joch auf sich nehmen und ein Leben in Geistlichkeit der Engel und in steter saurer Arbeit, in Plage, Angst und Traurigkeit führen? Jeder Beschäftigung mit irdischen Dingen sei etwas Unchristliches, sei eine Befleckung der Seele? Zumal jede irdische Freude sei etwas Sündliches, sei eine Erzürnung Gottes? – Seht, Christus offenbarte sich durch seine Teilnahme an einer irdischen Hochzeit in so holdseliger Freundlichkeit, um erstlich alle Menschen, und auch die größten Sünder zu sich zu locken, und um zu zeigen, dass das Joch, das er den Seinen auflege, sanft, und dass die Last, die er ihnen zu tragen gebe, leicht, dass das Christentum nichts Trauriges, nicht ein saurer Dienst, nicht ein mönchisches, mürrisches, menschenfeindliches Wesen, sondern etwas Leichtes, Liebliches, Fröhliches, Seliges sei. O des treuen Heilandes, der darum selbst auf eine armselige irdische Hochzeit ging, um den Sündern Mut zu machen, dass sie zu ihm kämen!

    Doch es wird uns in unserem Evangelium nicht nur erzählt, dass Christus jener Einladung mit seinen Jüngern Folge leistete; wir hören ferner, als es in Kurzem wegen der Menge der hinzugekommenen ungerechneten Gäste an Wein gebrach und die Mutter des HERRN, die hier heimisch sein mochte, die Verlegenheit des Brautpaares merkte, so lispelte dieselbe Christus zu: „Sie haben nicht Wein.“ Maria, die alle Worte, welche von ihrem Sohn von dem Engel, von den Hirten, von dem Propheten Simeon und der Hanna und von Christus selbst ausgesprochen worden waren, in ihrem Herzen wohl erwogen hatte, wusste wohl, dass es Christus nur ein Wort koste, um dem Mangel abzuhelfen. Doch jetzt hatte sie aus menschlicher Schwachheit Christus zur Unzeit erinnert; Christus antwortet ihr daher: „Frau, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Christus zeigte hiermit, dass in seinem Amt auch seine Mutter keine Stimme habe. Doch Maria nahm auch diese Zurückweisung in tiefer Demut willig an, ward darum in ihrem Glauben an Christi helfende Liebe nicht irre, und sprach daher zu den Dienern: „Was er euch sagt, das tut.“

    Was geschieht? Vor dem Hochzeitshaus standen sechs große steinerne Wasserbehälter zu dem Zweck, dass man nach den jüdischen Gesetzen sich vor und nach Tisch waschen konnte. Diese Wasserbehälter befiehlt Christus mit Wasser zu füllen; die Diener gehorchen. Christus heißt ihnen ferner: „Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister.“ Sie bringen es. Verwundert bemerkt nun der Speisemeister, dass das ihm Dargereichte der köstlichste Wein ist; er ruft daher den Bräutigam und spricht: „Jedermann gibt zum ersten guten Wein, und wenn sie trunken geworden sind“, das heißt, wenn die Gäste zur Sättigung getrunken haben, „alsdann den geringeren; du hast den guten Wein bisher behalten.“ Christus hatte mit Absicht nicht sogleich nach dem Eintritt des Mangels das Wunder getan; die

Gäste hatten erst alle deutlich merken sollen, dass der Wein wirklich zu Ende gegangen sei. Wer mag daher das Erstaunen schildern, dass jetzt die Gäste und unter ihnen besonders die Jünger ergriffen haben mag, da sie sehen und schmecken, welch ein herrliches Wunder Christus in diesem Augenblick getan habe! Daher heißt es denn auch hierauf: „Und seine Jünger glaubten an ihn.“ Hiermit soll angezeigt werden, obgleich die Jünger schon vorher einen schwachen Glauben an Christus gewonnen hatten, so war er doch eben noch sehr schwach gewesen; nun aber, als das in Erfüllung ging, was Christus drei Tage vorher zu Nathanael gesagt hatte: „Du wirst noch Größeres als das sehen“, nun wart ihr Glaube erst recht hell und stark in ihrem Herzen.

    Hierdurch offenbarte, heißt es, Christus seine Herrlichkeit. Diese Herrlichkeit bestand aber nicht allein in der göttlichen Macht, sondern auch, und zwar vor allem, in der wunderbaren Freundlichkeit, welche Christus hierdurch offenbarte. Denn ist es nicht so, liebe Zuhörer: Welch ein freundliches Herz muss Christus damit gegen uns entdecken wollen, dass er nicht nur mit auf die Hochzeit geht, sondern dass er dieselbe auch mit einem Wunder krönt, dass er gerade da das erste unter allen seinen Wundern tut, dass er mit seinem herrlichen Wunder einer Not abhilft, die kaum eine Not zu nennen ist, und dass er gerade ein solches Wunder tut, Wasser in Wein verwandelt, mit welchem er die Gäste erquickt, und zwar so viel Wein verschafft, dass das junge Ehepaar davon eine jahrelange Erquickung haben konnte? Wer mag nun daran zweifeln, dass Jesus ein freundlicher Heiland sein müsse, dessen Herz von Liebe gegen die Menschen brennt und wallt, dessen Lust es ist, uns hier fröhlich und dort selig zu machen, der bereit ist, für uns den bitteren Tränenkelch zu leeren und uns mit dem süßesten Wein der Freude und Seligkeit zu tränken und zu erquicken? Möchten wir nicht, wenn wir heute dies hören, wieder singen, wie an der Krippe des Jesuskindleins:

Er wird ein Knecht und ich ein Herr,

Das mag ein Wechsel sein,

Wie könnt es doch sein freundlicher,

Das Herze-Jesulein!?

2.

    Lasst uns daher nun zweitens erwägen, wozu wir diese Offenbarung der Freundlichkeit Christi anwenden sollen.

    Die rechte Anwendung dieser Offenbarung besteht erstlich darin, dass wir uns durch das Gefühl unserer Unheiligkeit und Sündhaftigkeit ja nicht abhalten lassen, zu Christus zu gehen. Denn halten wir Christus für einen „harten Mann“, der, wie jener Knecht spricht, „nimmt, das er nicht gelegt hat, und erntet, das er nicht gesät hat“; halten wir Christus für einen Feind der Sünder, der da gekommen ist, die Sünder zu richten und zu verdammen; glauben wir, dass Christus einen Sünder von sich stoßen oder doch betrübt von ihm weggehen lassen könne: So machen wir uns selbst einen falschen Christus, so werden alle solche Gedanken durch das Verhalten Christi in Kana widerlegt, und als gottlose Gedanken, die unser Herz sich von Christus selbst macht oder die der Satan uns von ihm einbildet, verdammt und verworfen. Darum du, der du gern selig werden möchtest, der du aber wegen deiner Sünden, wegen deines Abfalls, wegen deiner Untreue, welcher du dich bis diese Stunde schuldig gemacht hast, dir nun nicht getraust, zu Christus zu gehen; der du immer denkst, Christus werde nichts von dir wissen wollen: Schaue doch Christus an, wie er in Kana sich mitten unter arme Sünder setzt, wie er ihr Hochzeitsfest sogar mit einem Wunder krönt, wie er da lauter Liebe und Freundlichkeit an sich blicken lässt; so fasse doch daher zu diesem freundlichen Heiland ein Herz, glaube an ihn, mische dich getrost unter seine Jünger, ja, versuche es nur, und du wirst’s erfahren: Er wird dich gewiss nicht unfreundlich von sich stoßen und auch dir gewiss endlich von dem süßen Wein seines Trostes einschenken.

    Es gibt jedoch auch solche Sünder, die sich nicht die Furcht, aber die Furcht vor dem Christentum abhalten lassen, der Welt Valet zu sagen und wahre Christen zu werden. Sie denken, wer die Welt verlassen, ein Jünger Christi werden und nichts anderes in dieser Welt genießen solle als die Freude am Evangelium und die Hoffnung des ewigen Lebens, der müsse auch aller Freude Abschied gegen, der müsse ein unglücklicher Mensch werden und schwermütig und trübsinnig sein kurzes Leben vertrauern. Sind auch vielleicht unter uns solche, die dergleichen Gedanken vom Christentum haben, so frage ich sie: Wer hat solche Vorstellungen von dem wahren Christentum in euch erweckt? Wollt ihr das Christentum nach denen beurteilen, die sich’s mutwillig zu einer steten Mühe, Angst, Arbeit und Traurigkeit machen? In Gottes Wort findet ihr diese Bild nicht. Schaut Christus in unserem heutigen Evangelium an; seht, in welcher freundlichen Gestalt er einhergeht; er zeigt euch hiermit, dass er nicht gekommen ist, die Menschen in einen traurigen, betrübten Zustand zu versetzen, sondern sie zu erquicken und ihnen eine Freude und einen Frieden in das Herz zu geben, den ihr in der Welt und ihren Freuden und Gütern nicht findet. So lange ein Mensch noch eigene Wege geht, so lange er noch nicht wirklich zu Christus kommt und so lange er noch zwischen Christus und der Welt sein Herz teilen will, so lange ist freilich das Christentum ein elendes, trauriges Ding; da ist keine Ruhe, kein Friede, keine Gewissheit, keine Freude, keine lebendige Hoffnung, keine selige Christengemeinschaft, sondern ein stetes Grämen und Härmen, und ein Laufen und Rennen nach ungewissem Ziel, ein Fechten und Ringen mit Streichen in die Luft. Wendet sich aber ein Mensch ohne Umwege zu Christus und tröstet er sich seiner und traut seinem Wort, seinem Herzen, der Welt und dem Satan zum Trotz, da wird er ein fröhlicher Christ, der sich glücklicher dünkt selbst in der Not als der Glücklichste bei seinen guten Tagen sich dünken kann. Darum ihr, die ihr euch bisher vor dem Christentum gefürchtet habt, lasst euch doch durch Christi Freundlichkeit zu ihm locken und ihr werdet es erfahren, was er selbst spricht: „Mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“

    Doch zu rechter Anwendung der Freundlichkeit, die Christus zu Kana offenbart hat, gehört auch ferner, dass ein Christ in keiner Not verzage, selbst wenn Christus auch auf das erste Gebet um Hilfe antwortet: „Mensch, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Habt ihr Christen nicht gehört, wie Christus selbst in der geringen Verlegenheit, da es auf der Hochzeit an Wein gebrach, doch endlich durch ein herrliches Wunder Rat geschaffen? Könnt ihr nun glauben, dass Christus euer Gebet unerhört lassen werde, wenn ihr vielleicht in viel größerer Not ihn anruft? O, hört doch nicht auf euer Herz, dass in der Stunde der Trübsal, wenn die Hilfe nicht gleich erscheint, an Christi Liebe zweifeln will. Denkt doch nicht gleich, dass Christus euch um eurer Sünde willen in der Not verlassen werde. Er tut es wahrlich nicht. Er ist ein Freund der Sünder. Wenn er mit seiner Hilfe verzeiht, will er nur euren Glauben, eure Geduld und eure Liebe zu ihm auf die Probe stellen. Folgt daher der Maria und werdet auch nicht an Christus irre. Müsst ihr auch erst ein großes Maß voll Tränen füllen bis obenan: Wenn Christi Stunde schlagen wird, so wird euer Tränenwasser in den Wein der seligsten Freude verwandelt werden. Er legt es selbst an einer anderen Stelle so seinen Jüngern aus, wenn er zu ihnen spricht: „Ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden.“

    Endlich aber, meine Lieben, da Christus, unser HERR, sich so freundlich erwiesen, so lasst uns bedenken, dass er uns auch damit ein Vorbild gelassen hat, dass wir nachfolgen sollen seinen Fußstapfen. Wollen wir Jünger des freundlichen Heilandes sein, so lasst es uns daher auch mit der Tat beweisen, lasst uns so wandeln, dass die Welt sehe, dass wir keine Menschenfeinde sind und dass das Christentum nichts Finsteres und Schwermütiges sei, lasst uns wandeln, wie es fröhlichen und seligen Christen gebührt, freundlich gegen jedermann, im Herzen, in Gebärden und mit Worten und Werken. Auf unserem Antlitz stehe das Wort des Apostels geschrieben: „Als die Traurigen, aber allezeit fröhlich.“ Amen.

Evangelienpredigt zum dritten Sonntag nach Epiphanias ueber Matthaeus 8,1-13: Dass nur das der rechte Glaube sei, der sich allein an das Wort haelt

    Die Gnade unsers HERRN und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Es wird gewiss wenige Menschen geben, die, wen sie noch an einen Himmel und an eine Hölle glauben, nicht glauben sollten, dass sie einst in den Himmel kommen werden. Fragt man sie aber, worauf sie denn diesen ihren Glauben gründeten und warum sie denn eine so gute Hoffnung für sich von der Ewigkeit hegten, so geben die Meisten auf diese Frage eine solche Antwort, dass man deutlich sieht: Ihr Glaube ist grundlos, nichts als eine leere Einbildung, in welcher sie sich einst betrogen finden werden.

    Denn was antworten die Meisten auf die Frage: Warum glaubst du denn, selig zu werden? – Der Eine spricht: Ich glaube es darum, weil Gott ein gutes Wesen ist, ein lieber Vater im Himmel, der gewiss nicht so streng und hart sein wird, mich ewig von sich zu stoßen und zu verdammen. Wer aber aus diesem Grund selig zu werden hofft, der bau seinen Glauben darauf, dass Gott bloß die Eigenschaft der Liebe, aber nicht die Eigenschaft der Gerechtigkeit habe, der baut also auf Sand, sein Glaube ist eine leere Einbildung, ein süßer Traum, aus welchem er in der Ewigkeit gewiss, aber dann zu spät, erwachen wird, denn Gott ist ebenso gerecht wie liebevoll.

    Ein anderer spricht daher: Ich weiß wohl, dass Gott nicht bloß liebevoll, sondern auch gerecht und heilig ist; ich glaube aber darum, selig zu werden, weil Gott mir von Jugend auf bewiesen hat, dass er mich liebe und mir gnädig sei. Ich habe oft zu Gott in der Not gebetet, und er hat meine Gebete oft erhört; er hat mich in Zeitlichem gesegnet; ich sehe, wie mir Gott, was ich anfange, gelingen lässt. Hieraus sehe ich deutlich: Gott muss mich liebhaben, warum sollte ich also an meiner Seligkeit zweifeln? Wer aus diesem Grund selig zu werden hofft, der baut seinen Glauben darauf, dass Gott an denjenigen, welchen er viel Wohltaten erweist, schon sein Wohlgefallen haben müsse, der baut daher auch auf Sand. Denn Gott hat nicht nur uns Menschen geboten, auch unseren Feinden Gutes zu tun, sondern er tut dies auch selbst. „Er ist“, wie Christus spricht, „gütig über die Undankbaren und Boshaften.“ Weit entfernt also, dass die gütigen Erweisungen Gottes immer Gottes Wohlgefallen an einem Menschen offenbaren, so sind sie vielmehr bei den meisten Menschen nur Lockungen dazu, dass sie erst Buße tun sollen; denn so spricht der heilige Apostel: „Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“

    Noch andere sprechen daher: Wir wissen wohl, wenn ein Mensch in Sünden lebt, so steht er doch nicht bei Gott in Gnaden, wenn er gleich, wie der reiche Mann im Evangelium, mit göttlichen Wohltaten überschüttet wird und Gott im Schoß zu sitzen vermeint; wir aber glauben darum, selig zu werden, weil wir uns, Gott sei Dank, keiner großen Sünden, wie andere gottlose Menschen, bewusst sind; wir haben uns, so viel in unseren schwachen Kräften steht, von Jugend auf fromm und rechtschaffen gehalten; es kann uns niemand etwas Schlechtes nachsagen; Sünder sind wir freilich alle: Wollte Gott aber alle diejenigen verdammen, die solche Schwachheitssünden haben wie wir, dann könnte ja niemand selig werden. Wer nun darum selig zu werden hofft, der baut seinen Glauben darauf, dass Gott kleingeachtete Sünden nicht strafen könne und dass Gott an ihm nicht mehr Sünden sehe als er selbst; auch der baut daher auf Sand, denn bei Gott sind alle Sünden groß, und wo wir Eine Sünde sehen, da sieht Gott bis in unser Herz dringendes Auge tausend. Daher heißt es auch von jenem Pharisäer, der auch sagte: „Ich danke dir, dass ich nicht bin wie andere Leuchte, kein Räuber, kein Ungerechter, kein Ehebrecher“, und desgleichen, dieser ist nicht gerechtfertigt in sein Haus gegangen, er sei also mit seiner ganzen Ehrbarkeit, Gerechtigkeit und Frömmigkeit verdammt worden.

    Dass man nun dadurch nicht selig werden könne, sehen andere ein. Sie sprechen daher: Ich weiß wohl, dass ich durch meine Frömmigkeit nicht in den Himmel kommen kann, und dass Gott auch meine Fehler und Schwachheiten bestrafen muss, aber ich habe schon in dieser Welt so viel Kreuz, Not und Trübsale ausgestanden; der liebe Gott hat mich für meine Sünden schon hier so hart mit vielen Krankheiten, mit Schmerzen, mit Armut gestraft und mich dieselben abbüßen lassen; ach, ich habe in diesem Leben wenig fröhliche Tage und Stunden gehabt! So denke ich doch, in jener Welt werde ich’s dann desto besser haben. Wer nun darum selig zu werden hofft, auch der baut seinen Glauben auf Sand; denn wenn auch ein Mensch hundert Jahre keine frohe Stunde hätte, so könnte er damit auch nicht Eine Sünde abbüßen und wieder gutmachen, denn Gott hat auf die Sünde den Tod, nämlich den zeitlichen und ewigen Tod, gesetzt. Wer daher auf die Abbüßung seiner Sünden bauen will, der kann sie nicht hier, sondern muss sie in jener Welt abbüßen von Ewigkeit zu Ewigkeit.

    Doch, meine Lieben, es gibt, Gott sei Dank, noch Menschen, welche sagen, sie gründeten ihre Hoffnung, selig zu werden, nicht auf die bloße Liebe Gottes, nicht auf die Wohltaten, die sie schon genossen hätte, nicht auf ihre Ehrbarkeit und nicht auf ihre Leiden in dieser Welt, sondern sie hoffen selig zu werden allein durch Christus. Obgleich aber nun diese Antwort schon besser klingt, so kann doch ein Mensch meinen, er glaube wirklich an Christus, und in der Tat ist sein Glaubensgrund doch etwas ganz anderes. Fragt einen Schwärmer unserer Zeit, der in einem durchaus falschen Glauben steht, wodurch er denn selig werden wolle? So wird auch er euch sagen: durch Christus. Hierdurch darf man sich aber nicht täuschen lassen; denn nur der hat den rechten Glauben an Christus, der ihn auf das Wort gründet.

Matthäus 8,1-13: Da er aber vom Berge herabging, folgte ihm viel Volk nach. Und siehe, ein Aussätziger kam und betete ihn an und sprach: HERR, so du willst, kannst du mich wohl reinigen. Und Jesus streckte seine Hand aus, rührte ihn an und sprach: Ich will’s tun; sei gereinigt! Und alsbald ward er von seinem Aussatz rein. Und Jesus sprach zu ihm: Siehe zu, sag’s niemand, sondern gehe hin und zeige dich dem Priester und opfere die Gabe, die Mose befohlen hat, zu einem Zeugnis über sie. Da aber Jesus einging zu Kapernaum, trat ein Hauptmann zu ihm, der bat ihn und sprach: HERR, mein Knecht liegt zu Hause und ist gichtbrüchig und hat große Qual. Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. Der Hauptmann antwortete und sprach: HERR, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn ich bin ein Mensch, dazu der Obrigkeit untertan, und habe unter mir Kriegsknechte; doch wenn ich sage zu einem: Gehe hin! so geht er, und zum andern: Komm her! so kommt er, und zu meinem Knecht: Tue das! so tut er’s. Da das Jesus hörte, verwunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch, solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden. Aber ich sage euch: Viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich sitzen. Aber die Kinder des Reichs werden ausgestoßen in die äußerste Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähneklappen. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Gehe hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast! Und sein Knecht ward gesund zu derselben Stunde.

    Nach diesem Evangelium lasst mich euch jetzt vorstellen:

Dass nur das der rechte Glaube sei, der sich allein an das Wort hält

    Denn

1.       Nur ein solcher Glaube hat den rechten Grund, und

2.       Nur ein solcher Glaube bringt die rechte Frucht.

1.

    In unserem heutigen Evangelium finden wir zwei Beispiele von einem Glauben, der durch den Erfolg bestätigt, ja, zum Teil von Christus selbst als ein Musterglaube bewundert und gerühmt worden ist. Wir können daher an diesen Beispielen den rechten Glauben kennenlernen, bei welchem sich ein Mensch gewiss nicht betrogen finden wird.

    Worauf gründen nun die beiden Gläubigen, die uns in unserem Text vorgestellt werden, ihren Glauben, und woran hielten sie sich denn dabei? Was war dies erstlich bei dem Aussätzigen? Von diesem heißt es, er habe Christus angebetet und gesprochen: „HERR, so du willst, kannst du mich wohl reinigen.“ Bei dem ersten Anblick scheint es, als habe der Aussätzige nach dieser Rede gar keinen Glauben gehabt, sondern vielmehr Zweifel und Misstrauen gegen Christus in seinem Herzen getragen. Aber es scheint nur so. Wir müssen nämlich bedenken, dass der Aussätzige nicht um Gnade, nicht um Vergebung der Sünden, nicht um Seligkeit seiner Seele bat, sondern um ein zeitliches, leibliches Gut, um Gesundheit. Nun wusste der Aussätzige wohl, dass Gott manchem Menschen ein leibliches Übel zuschickt zu seinem Seelenheil; er dachte daher daran, dass die Krankheit des Aussatzes, mit der er beladen war, vielleicht auch ihm zu seinem Heil nötig sei; unbedingt um Heilung zu bitten, achtete er daher für eine Vermessenheit; er bittet daher wohl um die leibliche Hilfe, aber mit der Bedingung, so Christus wollte, das heißt, so es Christi gnädigem Willen nicht entgegen wäre. Er will sagen: Christus wisse freilich besser, was ihm gut sei, ob Krankheit oder Gesundheit; er stelle daher die Erfüllung seiner Bitte in seinen Willen; doch dass er, wenn er wolle, ihn auch reinigen könne, das sei ihm gewiss. Seht, meine Lieben, was war es also, was der Aussätzige von Christus begehrte und worauf er seinen Glauben, auch an die wirkliche Hilfe, gründen wollte? Es war Christi ausdrückliche zusage und Wort. Ehe freilich Christus das Wort ausgesprochen hatte: „Ich will es tun, sei gereinigt“, da wagte der Aussätzige nicht, mit Gewissheit die Heilung zu erwarten, dieses Wort wollte er erst in sein Ohr schallen hören, das aber sollte ihm genügen.

    Wie war ferner der Glaube des Hauptmanns von Kapernaum beschaffen? Auch dieser bat um ein leibliches Gut. Was verlangte er nun, um der Hilfe gewiss zu sein? Er lässt, wie wir aus dem Bericht des Evangelisten Lukas erfahren, Christus bitten: „HERR, mein Knecht lieg zu Hause und ist gichtbrüchig und hat große Qual.“ Da nun Jesus sogleich spricht: „Ich will kommen und ihn gesund machen“, was lässt hierauf der Hauptmann Christus sagen? Dieses: „HERR, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst; sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.“ Seht, der Hauptmann begehrt von Christus nicht, dass er irgendein Zeichen gebrauche, etwa die Hand auf den Kranken lege, oder etwas Ähnliches, wie andere oft baten, ja, er begehrt nicht einmal, dass Christus in sein Haus komme; Christus soll nur ein Wort sprechen, mehr begehrt er nicht; das und nichts anderes ist der Grund, darauf er seinen Glauben gebaut hat, und daran er sich so fest hält, dass ihn dann nichts, selbst die leibliche Abwesenheit Christi nicht, irre und in seinem Glauben wankend machen kann. Ja, er stellt es Christus deutlich vor, warum er sich so fest auf sein Wort verlasse, und spricht weiter: „Denn ich bin ein Mensch, dazu der Obrigkeit untertan, und habe unter mir Kriegsknechte; doch wenn ich sage zu einem: Gehe hin, so geht er; und zum anderen: Komm her, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tue das, so tut er’s.“ Der Hauptmann will sagen: Mein Wort ist ein Menschenwort, und doch richtet es so viel aus, dass das augenblicklich geschieht, was ich denen sage, die mir unterworfen sind; wie dürfte ich nun zweifeln, dass, wenn du dein göttliches Machtwort aussprichst, alles alsobald geschehen werde? Ich bin ein Mensch, du bist der Sohn Gottes, dir sind daher nicht nur Menschen, sondern auch alle Mächte in Himmel und auf Erden untertan; auf dein Wort kann man sich verlassen; du sprichst ein Wort, und schnell müssen Krankheit, Tod und Teufel weichen. „Du sprichst, so geschieht’s; du gebietest, so steht’s da.“ Damit wir nun nicht zweifeln können, dass dies der rechte Glaube sei, wie ihn Christus haben will, so wird uns in unserem Evangelium weiter erzählt: Da das Jesus hörte, verwunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch, solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden. Aber ich sage euch: Viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich sitzen. Aber die Kinder des Reichs werden ausgestoßen in die äußerste Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähneklappen. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Gehe hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast! Und sein Knecht ward gesund zu derselben Stunde.“

    Prüfen wir nun hiernach den Glauben derer, die da sagen, dass sie auch durch den Glauben an Christus selig werden wollen, so werden wir bald finden, dass leider nur zu vielen, ohne es zu ahnen, nicht im rechten Glauben stehen. Denn worauf gründen die Meisten diesen ihren Glauben, und zwar oft diejenigen, die sich ihr Christentum einen rechten Ernst sein lassen wollen? Der Eine sagt: Ich glaube, dass auch ich durch Christus selig werde, denn ich habe eine wahre Buße getan, ich bin zu einer lebendigen Erkenntnis meiner Sünden und zu einer großen Reue über dieselben gekommen, darum darf ich gewiss nun auch glauben, dass mir um Christi willen meine Sünden vergeben seien. Ein anderer spricht: Das glaube ich darum, denn ich habe es erfahren an meinem Herzen; ich war einst in großer Angst über meine vielen Sünden, ich wusste keine Ruhe mehr in der ganzen Welt zu finden; meine Missetaten stand wie Berge vor meiner Seele: Da habe ich mich auf meine Knie geworfen und Gott herzlich angerufen, er wolle sich doch meiner erbarmen, und siehe, bald habe ich reichen Trost in meinem herzen empfunden; es war mir, als spräche eine innere Stimme zu mir: Deine Sünden sind wir vergeben; da kehrte süßer Friede und eine himmlische Ruhe in meinem Herzen ein; so bin ich denn nun gewiss, dass ich bei Gott in Gnaden stehe. Ein Dritter sagt: Auch ich war einstmals in großer Seelennot; ich sah, dass ich mit meinem bisherigen ehrbaren Leben nicht vor Gott bestehen könne; Gottes Wort hatte mir wie eine Donnerstimme in das Herz gerufen: Du bist der Mann des Todes! Ich geriet in Verzweiflung und Verzagen. Doch, da fing ich an zu beten und zu seufzen und zu kämpfen und zu ringen mit Gott, und habe darin fortgefahren Tag und Nacht und nicht geruht, bis ich endlich das Zeugnis des Heiligen Geistes in meinem Herzen empfand. Und siehe! Endlich bekam ich auch dieses Zeugnis; ich konnte nun jauchzen: Ich habe das Kleinod errungen! Ich bin nun Gottes Kind! Ich bin ein Erbe des Himmels! Christus ist mein! Ich bin selig! Halleluja! Es gibt ferner solche, die sagen, sie glauben darum, dass sie durch Christus selig werden würden, weil sie ganz andere Menschen geworden seien. Vorher hätten sie nach der Welt Weise in mancher offenbaren Sünde oder doch in mancher Eitelkeit der Welt dahin gelebt und sich um Gott und sein Wort und ihrer Seelen Seligkeit nicht bekümmert, aber seit einer gewissen Zeit seien sie wie umgewandelt; sie hätten die alten Sünden abgelegt, sie machten jetzt die eitlen Vergnügungen der Welt nicht mehr mit, sie lebten jetzt eingezogen, nun verginge bei ihnen kein Tag, an dem sie nicht beteten und etwas in Gottes Wort läsen, sie gingen nun fleißig zur Kirche und zum heiligen Abendmahl, sie hätte nun auch ganz andere Einsichten in Gottes Wort und die ganze christliche Lehre; darum meinten sie, dass sie gewiss glauben könnten, dass auch ihnen ihre Sünden um Christi willen vergeben seien und dass auch sie selig werden würden, wenn sie Gott durch den Tod abfordern würde. Endlich gibt es auch solche, die dies darum glauben, weil sie, wie sie sagen, einmal nach einem heftigen Gebet Christus selbst gesehen, den Heiligen Geist leibhaftig gefühlt oder sonst merkwürdige himmlische Erscheinungen und Offenbarungen gehabt hätten.

    So gewiss nun ist, dass diejenigen, welche von solchen Erfahrungen erzählen können, wie sie nämlich einmal eine tiefe Reue über ihre Sündhaftigkeit, einen süßen Frieden des Herzens, ein  himmlisches Wehen des Heiligen Geistes, eine Umänderung ihres Lebens und dergleichen erfahren hätten, so gewiss es ist, sage ich, dass diese nicht ohne Erweckungen der göttlichen Gnade geblieben sind, dass Gott an ihnen gearbeitet, an ihren Herzen angeklopft und sie heimgesucht hat, sie zum rechten seligmachenden Glauben zu bringen, so haben doch alle, die nun auf solche ihre Erfahrungen ihren Glauben und ihre Hoffnung der Seligkeit bauen, einen falschen, wankenden und schwankenden Grund. Ach und wehe denen, die ihren Glauben auf ihre Buße bauen, denn auch die ernstlichste Buße bleibt unvollkommen und auch die tiefste Reue macht vor Gott nicht würdig! Wehe denen, die auf das süße Friedensgefühl sich verlassen, das in ihnen einmal entstanden ist, denn dieses Gefühl ist vorübergehend! Wehe denen, die ihren Gnadenstand darauf gründen, dass sie das Zeugnis des Heiligen Geistes einmal empfunden haben, denn dieses Zeugnis ist keineswegs immer im Herzen! Wehe denen, die um ihres neuen Lebens willen sich des Rechtes der Kindschaft Gottes trösten, denn auch das beste Leben ist verdammt, wenn es Gott nicht zudeckt mit seiner Gnade.

    Den einzig rechten Grund, den unser Glaube haben soll, zeigt uns das Beispiel des Aussätzigen und des Hauptmanns in unserem Evangelium: Es ist das Wort. Wer sich allein darauf verlässt, dass Gott selbst in seinem Wort sagt: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden“; wer sich allein darauf verlässt, dass Christus selbst spricht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“; kurz, wer aus keiner anderen Ursache es wagt zu glauben, dass auch ihm seine Sünden vergeben seien und dass auch er einst ewig selig werde, als weil es Gott in seinem Wort offenbart hat, dass alle Menschen, alle, auch die größten Sünder, durch Christus mit ihm versöhnt und durch ihn, wenn sie an ihn glauben, selig werden sollen, der hat einen festen, gewissen, unwandelbaren Glaubensgrund; denn des HERRN Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss. Wenn ein solcher Gläubiger auch keine Gnade mehr fühlt, sondern nur Zorn empfindet, so verzagt er doch nicht; er spricht: Mein Herz verkündigt mir Zorn, aber das Wort, das nicht lügen kann, verkündigt mir Gnade. Wenn ferner ein solcher Gläubiger auch in große Not gerät, so dass es scheint, als habe Gott ihn ganz vergessen, so verzweifelt er doch nicht; er spricht: Gott führt mich zwar durch das dunkle Tal der Trübsale, aber das Wort sagt mir, dass er mein Vater ist. Und wenn nun endlich ein solcher Gläubiger in Todesnot kommt, mag dann immer der Satan seine feurigen Pfeile nach seinem Herzen abdrücken, mag er ihn seines ganzen vergangenen Lebens halber verklagen, so ist er doch getrost und spricht: Ich will nicht mit dir streiten, o Satan, ob ich ein guter oder schlechter Christ gewesen bin, aber das Wort sollst du mir nicht nehmen, das allen Sündern, die ihre Zuflucht zu Christus nehmen, Gnade, Vergebung, Gerechtigkeit und Seligkeit verheißt; an dieses Wort will ich mich jetzt im Glauben halten; auf dieses Wort will ich jetzt sterben und mit diesem Wort will ich vor Gottes Gericht getrost treten; Gott kann nicht lügen; was er verheißen hat, muss er halten; er kann mich daher auch nicht verdammen; er muss mich selig machen; er wird auch zu mir sagen: „Wie du geglaubt hast, so geschehe dir, gehe ein zu deines HERRN Freude.“

2.

    Doch, meine Lieben, der Glaube, der sich allein an das Wort hält, hat nicht nur allein den rechten Grund, sondern bringt auch allein die rechte Frucht. Davon lasst mich nun noch zweitens Einiges hinzusetzen.

    Wie fruchtbar der Glaube sei, der sich allein an das Wort hält, dies sehen wir vor allem an dem Beispiel des Hauptmanns in unserem Text. Besonders zwei Tugenden sind es, die an diesem Man auf das herrlichste hervorleuchten, nämlich seine große Demut und seine eifrige Liebe. Christus war besonders bei allen Vornehmen sehr verachtet; die meisten der angesehenen Juden schämten sich seiner und meinten, es sei für Christus eine große Ehre, wenn sie ihn zu sich einluden. Wie dachte aber der heidnische Hauptmann? Er achtete sich für so unwürdig, dass er Christus nicht nur nicht zu sich einladen, und, wie Lukas erzählt, nicht selbst zu ihm zu gehen wagte, und daher jüdische Älteste zu ihm schickte, sondern, als der HERR sich bereit erklärte, zu ihm zu kommen, selbst da ließ er es ihm nicht zu, sondern sprach: „HERR, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst.“ Welch eine Demut! – Doch wir hören auch von ihm, dass er mit der Krankheit und der Qual seines Knechtes ein so herzliches Mitleid hatte, wie es nur ein Vater mit der seines eigenen Kindes haben kann. Bedenken wir nun, dass besonders in jener Zeit die Sklaven gewöhnlich auf das gefühlloseste behandelt und kaum für Menschen angesehen wurden, so müssen wir umso mehr das väterliche Herz bewundern, dass dieser alte Krieger gegen seinen kranken Sklaven hier offenbarte. Hierzu kommt noch, dass dieser Hauptmann nach dem Bericht des Lukas bei den Juden wegen seiner Liebe zu dem Volk Gottes und ihrer Religion bekannt und beliebt war, die er unter anderem auch dadurch mit der Tat bewiesen hatte, dass er den Juden zu Kapernaum aus seinen Mitteln eine Schule erbaut hatte. Wir sehen hieraus, dass der Glaube an Christus und an die Gewissheit seines Wortes bei ihm kein müßiger Gedanke, sondern etwas Lebendiges, Geschäftiges, Tätiges und Kräftiges in seinem Herzen war, der ihn zu einem neuen Menschen umgewandelt hatte, der da reich war an christlichen Tugenden und wahrhaft guten Werken.

    Wie sich aber der Glaube, der sich fest an das Wort hält, einst bei dem Hauptmann erwies, so erweist er sich immer bei allen, die ihn in ihrem Herzen tragen. In unseren Tagen zwar hört man nicht selten aus dem Mund der Ungläubigen den Vorwurf, dass der Glaube allen Eifer in guten Werken aufhebe, ja, selbst die Glieder der schwärmerischen Sekten, die sich doch so laut ihres Glaubens rühmen, sprechen es jetzt nicht selten aus, dass ein Glaube, der sich auf das bloße Wort verlasse, ein totes Ding sei, wobei keine Veränderung in dem Herzen des Menschen vorgehe: Aber warum urteilt man so? Man hat es nicht erfahren.

    Ein Glaube, der sich allein an das Wort hält, scheint freilich etwas sehr Leichtes und Bequemes zu sein; aber es scheint nur so. Kein Mensch kann sich solch einen Glauben selbst geben. Viele meinen wohl, dass sie ihn haben, aber in der Stunde der Anfechtung, wenn die Sünden aufwachen, oder in der Stunde des Todes, wenn sie das göttliche Gericht nahen sehen, wird nur zu oft das Gegenteil offenbar. Da zeigt sich’s, dass die Meisten, die sich des Glaubens an das Wort rühmen, ihr vertrauen doch eigentlich auf ihre Werke setzen und daher in jenem bösen Stündlein keinen Trost haben.

    Zu dem rechten Glauben, der sich allein an das Wort hält, kommt der Mensch nur dann, wenn er vorher hat erkennen lernen, dass es sonst keinen Glaubensgrund und Hoffnungsanker für ihn gibt; diesen Glauben senkt daher der Heilige Geist in das Herz eines Menschen dann, wenn dieser anfängt, vor Sünde, Hölle und am meisten vor Gott selbst zu erschrecken. Der Heilige Geist leitet dann einen solchen erschrockenen Sünder dahin, dass er, an allem seinem Können, Wollen, Zubereiten, Werken und Frömmigkeit verzagend, es wagt, sich ganz allein an das Wort zu halten.

    O, wohl aber einem Menschen, der endlich dahin kommt, dass er ausruft: Ach, ich kann mit meiner Buße, mit meinen Vorsätzen, mit meiner Besserung, mit meiner Heiligung nimmer vor Gott bestehen; ich will mich daran halten und anklammern, dass Gott den armen Sündern, die nichts als Sünde haben, Gnade verheißt in Christus; er kann ja sein Wort nicht widerrufen; er muss sich also doch meiner erbarmen! O wohl, sage ich, dem, der vom Heiligen Geist endlich dahin geleitet wird und sich in diesem Sinn und Glauben erhalten lässt bis an sein Ende! Ein solcher Gläubiger wird gewiss dann auch bald herrliche Früchte dieses seines Glaubens zeigen, wie der an das Wort gläubige Hauptmann in unserem Evangelium. Ein solcher Gläubiger fängt dann an, wahrhaft demütig zu werden; er4 führt dann nicht nur, wie die geistlich stolzen Schwärmer, demütige Gebärden und Worte, sondern er steht wirklich vor Gott und Menschen in der tiefsten Armut des Geistes; er achtet sich aller Gnade unwürdig; er achtet sich nicht würdiger als den größten unter allen Sündern und erscheint täglich vor Gott als ein nackter und bloßer Bettler, der nicht Recht, sondern Gnade begehrt.

    Wie wäre es aber nun möglich, dass derjenige, welcher in Wahrheit glaubt, dass ihn nichts als Gottes Barmherzigkeit täglich leiblich und geistlich erhalten und mit unzähligen Wohltaten überschütte, nicht auch mit Liebe zu Gott und seinen Brüdern erfüllt werden sollte? Wie wäre es möglich, dass das lebendige Wort Gottes in ein Herz aufgenommen werden und es nicht lebendig machen sollte? – Nein! Das göttliche Wort, das ein solcher Gläubiger in seinem Herzen trägt, ist wie eine glühende Kohle, die ihn nicht kalt bleiben lässt, sondern auch sein Herz erwärmt und auch ihn göttlich gesinnt macht. Es erweist sich in ihm als der göttliche unvergängliche Same, dadurch er von Gott gezeugt wird zu einem Erstling seiner Kreaturen.

    Möge denn der Heilige Geist selbst in einem jeden unter uns einen lebendigen Glauben, der sich an das Wort hält, wirken, so werden wir nicht nur damit in Not und Tod bestehen, sondern auch leuchten als Lichter in dieser Welt. Das tue er an uns um Jesu Christi, unseres einigen Heilandes, willen. Amen.

Evangelienpredigt zum vierten Sonntag nach Epiphanias ueber Matthaeus 8,23-27: Von der goettlichen Macht und Herrlichkeit, welche Christus einst auf dem galilaeischen Meer offenbart hat

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heilligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Wir leben in einer Zeit, in welcher viele Prediger ein Christentum ohne Christus predigen und viele Zuhörer ein solches Christentum ohne Christus haben wollen. Man hört daher in unseren Tagen nicht selten den Grundsatz aussprechen: Zu wissen, wer Christus eigentlich nach seiner Person sei, das sei durchaus nicht nötig, und sich darüber viel streiten sei die größte Torheit. Die Hauptsache sei, Christi weisheitsvolle Lehre zu kennen, seinem erhabenen Beispiel zu folgen und seine heiligen Gebote zu halten. Wenn ein Mensch das tue, dann möge er doch immerhin von Christus glauben, was er wolle; man solle ihn bei seinem Glauben lassen; denn dann komme weniger oder nichts darauf an, ob er Christus für eine göttliche oder für eine menschliche Person, für den Sohn Gottes oder bloß für einen frommen Menschen halte.

    Sollte dies wohl wahr sein? Ich meine: Wer nur einige Erkenntnis hat, der sieht wohl, was diejenigen, welche solche Grundsätze aussprechen, damit im Schild führen. Es ist ihnen damit keineswegs ein Ernst; sie achten es ohne Zweifel selbst keineswegs für gleichgültig, ob jemand Christus für den Sohn Gottes oder für einen bloßen Menschen halte; sie erklären dies vielmehr nur darum für gleichgültig, weil sie wünschen, dass jedermann von Christus gering denken und ihn, wie sie selbst, für einen bloßen Menschen halten möge.

    So lasse sich denn niemand durch solche jetzt so gangbaren Reden irre machen. Weit entfernt, dass nichts darauf ankommen sollte, was ein Mensch von Christi Person hält, so kommt vielmehr darauf alles an. Dies lehrt uns schon unsere Vernunft. Christus verheißt uns in seiner Lehre, er wolle uns unsere Sünden vergeben, er wolle uns von Gottes Zorn und Ungnade, vom Tod und von der Hölle erlösen, uns einst am Jüngsten Tag von den Toten auferwecken, uns im Tod den Himmel öffnen und uns dort ewig selig machen. Sollte es nun gleichgültig sein, ob der, welcher uns solche Dinge verheißt, ein bloßer Mensch oder der wahrhaftige Gott und das ewige Leben sei? – Verspricht uns jemand nur tausend Taler, wird es uns dann einerlei sein, ob derselbe reich oder arm sei, ein Besitzer von Millionen oder ein Bettler? Gewiss nicht. Wie? Und Christus verspricht uns, was der allmächtige Gott allein geben kann, und uns sollte es gleichgültig sein, ob Christus der allmächtige Sohn des Allerhöchsten oder ob er ein ohnmächtiger Mensch sei wie wir? – Dies streitet aber auch gegen die ganze Heilige Schrift. Nach derselben ist die Lehre von Christi Person die erste, die wichtigste, die Haupt- und Grundlehre des ganzen Christentums. Die Apostel nennen das Christentum geradezu die Predigt von Christus und besonders von dem gekreuzigten Christus, und sie erklären: „Einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ Ein Christentum ohne Christus ist also nach der Schrift ein in die Luft gebautes Haus ohne allen Grund, eine Sonne ohne schein, eine Schale ohne Kern, eine Quelle ohne Wasser.

    Eben dadurch unterscheid sich nämlich Christi Lehre von allen anderen Religionen, dass er selbst den Hauptinhalt seiner Lehre ausmacht. Alle anderen Religionen sind aus der Vernunft herausgesponnene Lehrsysteme, die eine Reihe von Behauptungen und Geboten enthalten, ohne in irgendeiner Beziehung zu denen zu stehen, welche diese Systeme erfunden haben. In der Lehre Christi aber ist Christus selbst der leuchtende Mittelpunkt, von welchem alles ausgeht, um den sich alles bewegt und auf den sich alles wieder zurückbezieht.

    Christus spricht nicht bloß wie andere Lehrer: Ich zeige euch den rechten Weg, ich lehre die Wahrheit, ich führe zum ewigen Leben, sondern er spricht geradezu: „Ich bin der Weg, ich bin die Wahrheit, ich bin das Leben.“ Christus spricht ferner nicht bloß: Wer an meine Lehre oder an Gott glaubt, der hat das ewige Leben, sondern geradezu: Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben.“ Christus spricht ferner nicht bloß: Wendet euch zu Gott, sondern er spricht geradezu: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.“ Christus sagt aber auch endlich ausdrücklich, dass es nicht genug sei, Gott den Vater zu erkennen; er spricht: „Das ist das ewige Leben, dass sie dich, dass du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.“ Christus erklärt also die Erkenntnis Christi für ebenso nötig wie die Erkenntnis Gottes des Vaters.

    So hat kein Philosoph geredet und so konnte keiner reden; diese konnten sich allein auf ihre Lehre berufen, auf sich selbst aber konnten sie nicht hinweisen, das hat nur Christus getan.

    Was sollen wir also von denen halten, die da sagen: Zu wissen, was Christus eigentlich sei, sei nicht nötig, wenn man nur seine Lehre kenne? Solche sind entweder von anderen Verführte oder selbst Verführer, die Christus aus dem Christentum austilgen möchten, um eben damit das Christentum selbst zu vertilgen und an die Stelle desselben die dem Fleisch freilich bequemere Moral der alten Heiden wieder einzusetzen.

    O, möchte es jetzt nicht so viele, selbst mitten in der Christenheit, geben, die nichts von Christus wissen wollen! In einer solchen Zeit ist es freilich höchst nötig, dass man sich in seinem Glauben an Christus immer tiefer gründen und zu stärken suche. Lasst uns daher unser heutiges Evangelium dazu anwenden, Christi göttliche Macht und Herrlichkeit uns recht lebendig zu vergegenwärtigen.

Matthäus 8,23-27: Und er trat in das Schiff, und seine Jünger folgten ihm. Und siehe, da erhob sich ein großes Ungestüm im Meer, also dass auch das Schifflein mit Wellen bedeckt ward; und er schlief. Und die Jünger traten zu ihm und weckten ihn auf und sprachen: HERR, hilf uns, wir verderben! Da sagte er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?  Und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer; da ward es ganz still. Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam ist?

    Aufgrund dieses herrlichen Evangeliums lasst mich jetzt zu euch sprechen:

Von der göttlichen Macht und Herrlichkeit, welche Christus einst auf dem galiläischen Meer offenbart hat

    Lasst mich euch hierbei darauf hinweisen,

1.       Wie deutlich und herrlich Christus dieselbe hier einst offenbarte, und

2.       Wozu Freund und Feind diese Offenbarung anwenden sollen.

1.

    Die in unserm heutigen Evangelium erzählte Geschichte enthält, meine Lieben, eine so herrliche Offenbarung Christi, dass es ein Wunder ist, wenn sie ein Gläubiger lesen oder hören sollte, ohne dabei einen innerlichen Drang zu empfinden, laut zu jauchzen und zu jubeln: O, wie groß und mächtig ist doch Jesus Christus! O, wohl mir, dass ich einen solchen Heiland habe! Aber ein Wunder ist’s auch, wenn nicht jeder Ungläubige beim Anhören unseres Evangeliums vor sich selbst erschrickt und um Erbarmen flehend Christus zu den Füßen fällt.

    Denn was hören wir? – Christus hatte einst eines Tages am Ufer des galiläischen Meeres viele Kranke geheilt und dem Volk in vielen Gleichnissen die seligmachende Wahrheit eifrig gepredigt, bis der Abend hereingebrochen war. Christus begab sich daher, dem fernen Zudrang des Volkes ausweichend, endlich in ein Schiff, um hinüber nach dem entgegengesetzten Ufer des Sees zu fahren. Seine Jünger folgen ihm, und noch mehrere andere Schiffe fahren zu derselben Zeit mit ab. Ruhig durchschneiden erst die Fahrzeuge die dunkle Flut. Christus, von den während des Tages verrichteten Wunderheilungen und gehaltenen Predigten ermüdet, legt sich alsbald auf dem Hinterteil des Schiffes, ein Kissen unter seinem Haupt, schlafen.

    Doch was geschieht? Es heißt in unserem Text: „Und siehe, da erhob sich ein großes Ungestüm im Meer.“ Durch das Wörtlein „siehe“ soll angezeigt werden, dass die Veränderung schnell und plötzlich, wider alles Erwarten der Schiffenden, entstanden sei. Das Wort „Ungestüm“ aber bezeichnet nach dem Griechischen eine Erschütterung, wie sie bei einem Erdbeben wahrgenommen wird. Es entstand also plötzlich, da sie auf die hohe See kommen, ein unterirdisches Geräusch, auf welches das Wasser umher in eine ganz ungewöhnliche Bewegung geriet; bald tut sich eine Tiefe auf, als wollte sie das Schifflein verschlingen, bald türmen sich die Wasserberge, die auf das Fahrzeug herabzustürzen drohen. Aber das ist noch nicht genug. Nach dem Bericht von Lukas und Markus kam hierauf noch ein Windwirbel oder eine Windsbraut hinzu, die sich aus der Luft in den See brausend herabstürzte, die bereits empörten Wasser wie eine Schraube erfasste, wie einen Kreisel herumdrehte, und so Welle auf Welle in das Schifflein warf, dass dasselbe in wenig Augenblicken mit Wellen bedeckt und von Seewasser ganz erfüllt war. Lukas sagt daher ausdrücklich: „Und sie standen in großer Gefahr.“

    Wie drohend diese Gefahr gewesen sein müsse, sehen wir daraus, dass alle Jünger jetzt zitterten und zagten. Unter den Jüngern war nämlich wohl keiner, der nicht schon oft auf dem Wasser gefahren wäre; ja, einige waren darunter, welche, wie wir gewiss wissen, als Fischer von Jugend auf auf dem Wasser ihre Geschäfte getrieben hatten und daher mit den Gefahren und Schrecknissen des Meeres wohl vertraut und dagegen abgehärtet waren. Da nun alle, selbst ein mutiger Petrus, von Furcht und Schrecken ergriffen werden, so müssen wir daraus schließen, dass sie jetzt so schreckliche Dinge erlebten, wie sie sie bis dahin noch nicht erlebt hatten. Alle Elemente sahen sie gegen sich in Aufruhr: Unter ihnen war es, als wollte die erbebende Tiefe das Meer selbst verschlingen, über ihnen sauste der Windwirbel wie ein Wetter und auf sie stürzte das Wasser in ganzen Strömen herab; aller menschliche Widerstand zeigte sich völlig vergeblich; dazu war es Nacht. Schon fürchteten daher die Jünger, im nächsten Augenblick werde das Schifflein in Stücke zerschellt und in grausigen Abgrund hinabgezogen sein.

    Doch, da der HERR in ihrer Mitte war, so nahmen sie noch zu ihm ihre letzte Zuflucht, traten vor den Schlafenden hin, weckten ich auf und riefen laut: „HERR, hilf uns, wir verderben!“ Und was tut Christus? Furchtlos schaut er, von seinem Schlummer erwacht, hinaus in den furchtbaren Aufruhr der Natur. Das Erste ist, dass er die zagenden Jünger straft und spricht: „Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?“ Hierauf steht er auf, bedroht den Wind und das Meer und spricht: „Schweig und verstumme!“ Und siehe, augenblicklich wird es ganz still. In dem Griechischen wird hier ein Wort gebraucht, welches so viel bedeutet, dass die Oberfläche des Sees wie eine Spiegelfläche geglättet worden sei und dass sich über die ganze Gegend eine lachende Heiterkeit ausgebrietet habe.

    Als dies die Jünger sahen, da, heißt es, fürchteten sie sich sehr, „verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ Die Jünger erkannten hieraus, dass Christus unmöglich ein bloßer Mensch sein könne, sondern dass er vielmehr der sein müsse, vor dem sich fürchten muss alle Welt, nämlich Gott der HERR selbst.

    Und das müssen auch wir, meine Lieben, noch jetzt aus dieser herrlichen Geschichte erkennen. Ihr wisst ja wohl alle aus Erfahrung, wie es um alle menschenmacht in einem Meeressturm getan ist. Wenn uns Menschen irgendwo unsere völlige Ohnmacht recht lebendig vor die Seele tritt, so ist es gerade auf dem Meer. Wenn da der Sturm über den Häuptern der Schiffenden daher braust, die Segel zerreißt, die Masten krachend zerbricht und die Wellen und Wogen peitscht, dass sie wie große Gebirge auf das schwache Fahrzeug losbrechen und hier Tiefe und da eine Tiefe sich, wie der Rachen des Abgrundes, öffnet, da sieht man, wie doch der Mensch so gar nichts sei. Was tat aber Christus in solcher Lage? Zagte auch er? Ja, ermahnte er auch etwa nur seine Apostel, zu Gott zu flehen und sich in alles, was da kommen würde, ruhig zu ergeben? – Nein! Ruhig steht er auf, bedroht die entzügelten Elemente und, während sonst das wellenschlagende Meer immer nur langsam, nachdem der Wind sich schon längere Zeit gelegt hat, sich beruhigt, so schweigt auf Christi Wort nicht nur augenblicklich der heulende Sturm, sondern in demselben Augenblick verschwinden auch plötzlich alle Wogen und glatt, wie ein Wiesenplan, lacht heiter wieder des Meeres Spiegel.

    Seht hier in Christus denselben HERRN, der einst die Wasser des Roten Meeres trennte, sie für die Kinder Israel zu Rechten und zur Linken zur Mauer machte und ihnen auf der Meerestiefe einen trockenen Fußpfad bahnte. Seht hier in Christus denselben HERRN, der einst dem Jordanstrom gebot, still zu stehen und sich wie ein Berg aufzuhäufen, damit sein Knecht Josua mit seinem ganzen Heer trockenen Fußes hindurchgehen konnte. Hier hat Christus mit der Tat bewiesen, dass es Wahrheit sei, was er von sich selbst sprach: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“, hier erfüllte sich die über den Messias im 8. Psalm ausgesprochene Weissagung: „Du wirst ihn zum Herrn machen über deiner Hände Werk; alles hast du unter seine Füße getan.“

    Sturm und Meer hat noch kein Mensch gezügelt; soll daher Gottes Größe recht lebendig in der Heiligen Schrift vorgestellt werden, so wird besonders seine macht über diese mächtigen, ungebändigten Elemente beschrieben. So fragt zum Beispiel im Buch Hiob im 38. Kapitel Gott den vorwitzigen Menschen: „Wer hat das Meer mit seinen Türen verschlossen, da es herausbrach wie auch Mutterleib? Da ich ihm den Lauf brach mit meinem Damm und setzte ihm Riegel und Tür und sprach: Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen.“ Daher heißt es ferner in dem 89. und 93. Psalm: „HERR, Gott Zebaoth, wer ist, wie du, ein mächtiger Gott? Und deine Wahrheit ist um dich her. Du herrschst über das ungestüme Meer. Du stillst seine Wellen, wenn sie sich erheben. Die Wasserwogen im Meer sind groß und brausen greulich; der HERR aber ist noch größer in der Höhe.“

    Was hat also einst Christus auf dem galiläischen Meer bewiesen? Er hat bewiesen, dass er tun kann, was Gott allein sich vorbehalten hat, dass er ein Herr sei nicht nur über die Erde, sondern auch über die Luft und das Meer, dass selbst die stummen, toten Kreaturen seine stimme hören und ihr gehorchen, dass er gleich sei dem Schöpfer, der da „spricht, so geschieht’s, der da gebietet, so steht’s da“; kurz, dass er sei der HERR Himmels und der Erde, der HERR aller Herren, der wahrhaftige Sohn Gottes und der ewige und allmächtige Gott, mit dem Vater und dem Heiligen Geist gleich groß und herrlich.

2.

    Da ist kein Zweifel; lasst mich euch daher nur noch zweitens darauf hinweisen, wozu Freund und Feind diese Offenbarung der göttlichen Macht und Herrlichkeit anwenden sollen. – Wer ist erstlich ein Freund Christi? #Ein Freund Christi ist derjenige, welcher aus Gottes Gesetz erkannt hat, dass er ein Sünder sei, der sich nicht selbst selig machen kann, der daher, gedrückt von der Last seiner Sünde, bei Christus seine einzige Zuflucht gesucht und ihn im Glauben angenommen hat und mit den lieben Jüngern nun bereit ist, Christus nachzufolgen und bei ihm auszuharren bis zum Tod. Wer ein solcher Freund Christi ist, wozu soll der die Offenbarung der Herrlichkeit Christi auf dem galiläischen Meer anwenden?

    Erstlich dazu, dass er recht lebendig erkennt, welchen guten, festen und unerschütterlichen Grund sein Glaube an Christus und an sein Evangelium habe. Siehe daraus, du Freund Christi, du täuschst dich nicht, wenn du Christus für den Sohn Gottes und sein Evangelium für das Wort Gottes hältst; Christus hat es besiegelt durch die herrlichsten Wunder. Alle Königsthrone werden fallen, aber diesen König aller Könige wird nichts von dem Thron seiner Macht und Herrlichkeit stürzen. Himmel und Erde werden vergehen, aber Christi Worte werden nicht vergehen. Alle Reiche der Welt, alle Machwerke der Menschen werden untergehen und zerstört werden, aber Christi Kirche und Reich werden auch die Pforten der Hölle nicht überwältigen, denn er ist allmächtig. „Wenn gleich das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen. Sela. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie wohl bleiben; Gott hilft ihr frühe.“ Bekenne darum nur getrost fort und fort deinen Heiland mit Worten und Werken, du wirst und kannst nicht zuschanden werden.

    Ein Freund Christi soll daher jene Offenbarung seiner Herrlichkeit auch dazu anwenden, dass er nie verzagt, weder in einer leiblichen, noch in einer geistlichen Not. Siehe, weil du an Christus glaubst, so ist auch Christus stets in Gnaden bei dir, wie bei den Jüngern im Schiff. Entstehen nun Stürme der Trübsal, beginnt das Schifflein deines Lebens auf dem bewegten Meer dieser Welt zu wanken und zu schwanken, mit den Wellen der Not und Gefahr oder innerlichen Anfechtungen wegen deiner Sünden bedeckt zu werden, ja, gar zu sinken, o, seid getrost; scheint’s auch, als schliefe dein Heiland und als kümmere er sich nicht um dich: Ist deine Not am höchsten, so ist Christi Hilfe am nächsten. Wecke nur deinen Heiland auf und rufe ihm in festem Glauben zu: „HERR, hilf mir!“ so wird er auch für dich aufstehen und den Sturm deiner Not und die Wogen deiner Anfechtung bedrohen, deinem Herzen und Gewissen Stille, Ruhe und Frieden geben und dir herrlich helfen. Denn Christus kann auch da helfen, wo kein Mensch helfen kann, in den höchsten Nöten, in der Not der Sünde und in der Not des Todes.

    Doch wie sollt ihr endlich jene Offenbarung der Herrlichkeit Christi anwenden, die ihr noch seine Feinde seid? Die ihr nämlich entweder gar nichts von Christus wissen wollt oder ihn doch zu einem bloßen frommen Menschen macht und nicht durch ihn, sondern durch eure eigenen Werke selig werden wollt? Ihr sollt aus jenem Wunder erkennen, was ihr doch tut, indem ihr Christus zu einem bloßen Menschen macht. Habt ihr wohl, nachdem Christus jenes Wunder getan hat, noch eine Ursache, sicher zu sein? Etwa darum, weil es scheint, als sei Christus schwach, weil er zu allen Lästerungen gegen ihn bisher geschwiegen hat, und sich bisher von Tausenden ungestraft hat verachten lassen? O wahrlich nicht! Überlegt doch, wie sich Christus einst im Sturm auf jenem See offenbart hat: Erst schlief er, als ein Mensch wie wir, als Gott schlief noch schlummerte er nicht, sondern wachte; aber endlich stand er auf und bedrohte als Gottmensch die entfesselten Elemente, und Wind und Meer waren ihm gehorsam. So schläft Christus auch jetzt, und es scheint, als sei er ein Mensch wir ihr; aber wisst, es kommt ein Tag, das ist der schreckliche Tag des Weltuntergangs, da wird Christus erwachen und alle Feinde zum Schemel seiner Füße legen. O, darum schließt doch mit diesem König aller Könige in rechtzeitig Frieden, damit ihr einst nicht von ihm als seine Feinde mit Gewalt niedergeschmettert, sondern als seine Freunde zu seiner Rechten erhoben werdet auf immer und ewig. – Sprecht nicht, es sei gegen eure Vernunft zu glauben, dass Christus der wahrhaftige Gott sei. Blickt hin, wie er als ein Herr der Natur im Schiff steht und alles ihm gehorsam ist: Und ihr wollt ihm nicht zu Füßen fallen, ihm, dem Allgewaltigen? Siehe, so wird einst am jüngsten Tag der auf Christi Allmachtswort verstummende Sturmwind seinen Mund öffnen und wider euch zeugen. Wehe euch aber dann! Dieses Zeugnis wird alle eure Entschuldigungen zu Boden schlagen und euren Unglauben verdammen. Und wollt ihr jetzt Christi Stimme nicht hören und ihr folgen; wohl – ihr werdet nicht gezwungen, ihm hier zu gehorchen; aber einst in euren Gräbern werdet ihr doch Christi Stimme hören müssen, wenn sie euch zur Auferstehung des Gerichts rufen wird. O, darum hört jetzt auf Christus, jetzt ist seine Stimme eine Stimme der Gnade auch für seine Feinde; dort aber wird er sprechen: „Jene aber, die nicht wollten, dass ich über sie herrschen sollte, die bringt her und erwürgt sie vor meinen Augen.“

    Nun, Er, dem alle Kreaturen dienen, der unterwerfe sich auch unser aller Herzen durch sein allmächtiges Wort, dass auch wir ihm hier mit Freuden dienen, ihn als unseren Gott und Heiland bekennen und anbeten, ihm in aller Not fröhlich vertrauen, durch seinen beistand einst auch über den Abgrund des Todes glücklich hinübersegeln und fröhlich ankommen an den Ufern der jenseitigen seligen Welt, wo kein sturm der Not mehr brauchst und keine Welle der Anfechtung mehr tost, sondern ewige, selige Friedensstille wohnt. Amen.

Evangelienpredigt zum fuenften Sonntag nach Epiphanias ueber Matthaeus 13,24-30: Dass eine Kirche, welche die Ketzer verfolgt und toetet, gewiss Christi wahre Kirche nicht sei

    HERR Gott, himmlischer Vater! Du hast dir aus dem verlorenen und verdammten menschlichen Geschlecht eine ewige Kirche deiner Auserwählten gesammelt und nach deiner wunderbaren Gnade auch uns in dieselbe berufen und aufgenommen. O, so schenke uns denn auch die Gnade, dass wir uns durch keinen Schein der falschen Kirche blenden und in ihre Gemeinschaft verlocken lassen, sondern bei deiner wahren Kirche, bei den Schafen, die deine Stimme hören, bei denen, die dich lieben und dein Wort halten, bei deinen wahren Jüngern, die bei deiner Rede bleiben, ausharren und bei ihrer Schmach, auf dass wir einst als Kinder deines Reichs nicht hinausgestoßen, sondern gesammelt werden in die Scheuern des Himmels. Dazu segne dein Wort auch in dieser Stunde um Jesu Christi, deines lieben Sohnes, unseres HERRN und Heilandes, willen. Amen.

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Die sogenannte römisch-katholische Kirche hat so viele und so offenbare Irrtümer, dass dieselben jeder Katechismusschüler leicht erkenne, ja, dass sie, man möchte sagen, ein Blinder mit Händen greifen kann.

    In der römischen Kirche wird durch die Anrufung der Jungfrau Maria und anderer verstorbener Heiliger die offenbarste Abgötterei betrieben, während Gottes Wort sagt: „Du sollst anbeten Gott, dienen HERRN, und ihm allein dienen.“ „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.“ „Verflucht ist, wer sich auf Menschen verlässt“. In der römischen Kirche wird das heilige Abendmahl schändlich verstümmelt und den Kommunikanten der Kelch geraubt, während Christus klar sagt: „Trinkt alle daraus“; in der römischen Kirche wird täglich das sogenannte Messopfer dargebracht, während Gottes Wort sagt, dass zwar im Alten Testament die Priester oftmals einerlei Opfer getan, dass aber nun im Neuen Testament Christus „mit Einem Opfer in Ewigkeit vollendet habe, die geheiligt werden“. In der römischen Kirche wird den Priestern, Mönchen und Nonnen die Ehe verboten, während in Gottes Wort das Verbieten, ehelich zu werden, eine Teufelslehre genannt wird. In der römischen Kirche wird gelehrt, dass sich der Mensch durch seine Werke, Reue, Beichte und Genugtuungen die Rechtfertigung und Seligkeit verdienen könne und solle, während Gottes Wort sagt, „Wer nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit“. In der römischen Kirche herrschen, den Papst an der Spitze, die Priester und Bischöfe über das Volk und über seinen Glauben, während Gottes Wort den Dienern der Kirche warnend zuruft: „Nicht als die über das Volk herrschen, sondern werdet Vorbilder der Herde“; und selbst die Apostel sagen von sich: „Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern Gehilfen eurer Freude“. In der römischen Kirche wird gelehrt, dass es in jener Welt ein Fegfeuer gebe, in welchem die Gläubigen erst gereinigt werden, um in den Himmel eingehen zu können, während Gottes Wort sagt: „Selig sind die Toten, die in dem HERRN sterben, von nun an“; „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“; und ferner: „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, darnach das Gericht“. In der römischen Kirche galt lange das Lesen der Heiligen Schrift für eine dem gemeinen Christen gefährliche Sache, weil die Bibel dunkel und missverständlich sei, während der Prophet Jesaja dem ganzen jüdischen Volk gebietet: „Sucht in dem Buch des HERRN und lest“; ferner Petrus den Christen zuruft: „Wir haben ein festes prophetisches Wort, und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet, als auf ein Licht“; ferner Christus selbst: „Sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin, und sie ist’s, die von mir zeugt.“[10]

    Doch, wann wollte ich heute fertig werden, wenn ich euch auch nur alle die gröbsten Irrtümer der römischen Kirche herzählen wollte?

    Wie ist es nun möglich, dass die römische Kirche trotz ihrer zahllosen so offenbarer Irrtümer und Greuel so viele Seelen dennoch verführt?

    Ihr Hauptmittel zur Seelenverführung ist die Lehre, dass sie die wahre Kirche sei. Sie macht nämlich dabei folgenden Trugschluss: Weil sie die alte, erste, allein wahre Kirche sei, so könne sie sich auch nicht irren, weil sie sich aber nicht irren könne, so könne auch nichts, was sie lehre und was man für Irrtum halte, Irrtum sein, sondern müsse Wahrheit sein. Hat sich nun ein Mensch durch das Geschrei: Die römische Kirche ist die wahre Kirche, verblenden lassen, dann ist er freilich in eine Falle gegangen, aus welcher kein Ausweg ist. Ein solcher Verführer ist einem Menschen gleich, der darum seinen Irrweg gar nicht mehr sehen kann, weil er sich die Augen hat verbinden lassen.

    Worin offenbart sich aber der Betrug? Darin: Man darf nicht etwas für Wahrheit halten, weil es die angebliche wahre Kirche lehrt, sondern man darf vielmehr nur diejenige für die wahre Kirche halten, welche vorher beweist, dass sie die Wahrheit lehrt; Wahrheit ist etwas nicht dann und darum, wenn und weil es die Kirche sagt, sondern umgekehrt, eine Gemeinschaft ist nur dann und darum die Kirche, wenn und weil sie die Wahrheit sagt. Ein Irrtum ist nicht darum Wahrheit, weil ihn die angeblich wahre Kirche lehrt, sondern eine Kirche ist dann eben darum die wahre Kirche nicht, weil sie Irrtum lehrt; wie ein Mensch nicht damit beweist, dass er nicht gestohlen habe, weil er ehrlich sei, sondern damit beweisen muss, dass er ehrlich sei, weil er nicht gestohlen habe.

    Kurz, meine Lieben, eine Kirche, welche Irrtümer lehrt, kann nicht Christi wahre Kirche, sondern muss eine falsche sein. Von einem solchen Kennzeichen der falschen Kirche redet auch unser heutiges Evangelium, indem Christus darin seiner wahren Kirche verbietet, das Unkraut auszujäten, das heißt, die Ketzer oder Irrlehrer zu verfolgen und zu töten.

Matthäus 13,24-30: Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Da nun das Kraut wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat der Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du denn, dass wir hingehen und es ausjäten? Er aber sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, so ihr das Unkraut ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um der Ernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuvor das Unkraut und bindet es in Bündlein, dass man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheuern.

    Aufgrund unseres heutigen Evangeliums lasst mich euch daher jetzt vorstellen:

Dass eine Kirche, welche die Ketzer verfolgt und tötet, gewiss Christi wahre Kirche nicht sei

    Und zwar

1.       Darum, weil sie damit gegen Christi ausdrückliches Wort und Gebot, und

2.       Darum, weil sie damit gegen Christi wahren Geist und Sinn handelt.

1.

    Christus vergleicht, meine Lieben, in unserem Evangelium sein Himmelreich oder seine Kirche auf Erden mit einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker sät, womit er nach seiner eigenen Auslegung anzeigen will, dass alle Kinder des Reiches, das heißt, alle wahren Glieder seiner wahren Kirche dies durch den guten Samen des Wortes Gottes werden und daher denselben bei sich tragen. Zugleich offenbart uns aber auch Christus, dass hingegen der Teufel darnach trachtet, zwischen den Weizen sein Unkraut auszusäen, womit Christus zum anderen anzeigen will, dass durch Satans Anstiften mitten unter den Kindern des Reiches auch Kinder der Bosheit aufstehen, welche hingegen durch den Unkrautsamen der falschen Lehre entstehen und denselben ebenfalls bei sich tragen, also Ketzer und Irrlehrer sind.

    Was soll nun aber mit diesem Unkraut geschehen? Auf die Frage der Knechte: „Willst du denn, dass wir hingeben und es ausjäten?“ spricht der HERR: „Nein, lasst beides miteinander wachsen bis zu der Ernte.“

    Was will der HERR hiermit wohl sagen? – Manche haben diese Worte so verstanden, als wolle Christus sagen, man solle keine Kirchenzucht, keinen Ausschluss, keinen Bann anwenden, sondern alle Gottlosen, Irrlehrer und Ketzer ruhig in der Kirche bleiben, schalten und walten lassen, bis Christus kommt und ihrem Wesen selbst ein Ende macht. Es ist dies aber ein großer Irrtum und Missverstand. Christus sagt ja nicht: Hegt und pflegt das Unkraut und behandelt es wie guten Weizen, sondern er spricht nur: „Nein!“ Jätet es nämlich nicht aus, sondern „lasst beides miteinander wachsen bis zu der Ernte“. Christus sagt auch nicht, dass der Acker, auf welchem man das Unkraut wachsen lassen soll, seine Kirche sei, sondern er spricht ausdrücklich in der Auslegung seines Gleichnisses: „Der Acker ist die Welt“, also nicht die Kirche. Wenn also Christus das Unkraut der Irrlehrer und Ketzer auszujäten verbietet und spricht: „Lasst es wachsen bis zu der Ernte“, so will er damit ganz offenbar sagen, dass das Unkraut der Irrlehrer und Ketzer zwar aus der Kirche, aber nicht aus der „Welt“ ausgejätet, dass sie also nicht getötet werden sollen.

    Diese Lehre, dass die Kirche das leibliche Schwert nicht gebrauchen und dadurch die Irrlehrer und Ketzer nicht töten solle, findet sich daher nicht nur in unserem Evangelium, sondern in der ganzen Heiligen Schrift sowohl Alten wie Neuen Testaments. Gerade von dem Reich Christi wird es geweissagt, dass Christus darin als ein „Friedefürst“ regieren werde, und von den Gliedern seiner Kirche heißt es im zweiten Kapitel des Propheten Jesaja ausdrücklich: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße Sicheln machen.“ Selbst von dem Antichrist weissagt Daniel im achten Kapitel: „Er wird ohne Hand zerbrochen werden.“

    Gehen wir nun in das Neue Testament, so finden wir dieselbe Lehre. Christus spricht es vor Pilatus feierlich aus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, so würden meine Diener darob kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von dannen.“ Als daher Petrus bei der Gefangennahme Christi sein Schwert zog und dem Knecht des Hohenpriesters Malchus das Ohr abhieb, da strafte ihn Christus und sprach: „Stecke dein Schwert in die Scheide; denn wer das Schwert nimmt, der soll durch’s Schwert umkommen.“ Nachdem daher die heiligen Apostel durch den Heiligen Geist endlich vollständig erleuchtet worden waren, erklärten sie: „Die Waffen unserer Ritterschaft sind nicht fleischlich, sondern mächtig vor Gott, zu zerstören die Befestigungen, damit wir zerstören die Anschläge und alle Höhe, die sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alle Vernunft unter den Gehorsam Christi.“

    Wohl ist es wahr, dass sowohl im Alten wie im Neuen Testament die Kirche Christi als eine stets streitende und gegen ihre Feinde kämpfende dargestellt wird, die vor ihren Feinden nie in Ruhe und Frieden leben könne; aber die Waffen, die sie dabei gebraucht, sind nach der Heiligen Schrift nichts als Gottes Wort, Glaube, Liebe, Geduld, Gebet und Tränen. Wohl wird schon im Alten Testament Christus ein Stab, ja, ein eisernes Zepter zugeschrieben, mit dem er seine Feinde schlage, aber dies wird im elften Kapitel des Propheten Jesaja so ausgelegt: „Er wird mit dem Stab seines Mundes die Erde schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten.“ Was ist aber der Stab des Mundes Christi und der Odem seiner Lippen? Es ist dies nichts anderes als sein Wort. Wohl wird ferner auch den Christen nach dem Neuen Testament ein Schwert und Schild, ein Helm, ein Brustharnisch und ein Gurt, kurz, eine vollständige Waffenrüstung zugeschrieben, damit sie kämpfen, aber nicht ein eisernes Schwert, sondern das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes, und nicht ein stählerner Schild, sondern der Schild des Glaubens, damit sie auslöschen können alle feurigen Pfeile des Bösewichts, ein Helm des Heils, ein Krebs (Panzer) der Gerechtigkeit, ein Gurt der Wahrheit.

    So ist denn kein Zweifel: Wenn Christus in unserem Text von dem Unkraut der Ketzer und Irrlehrer sagt, man solle es nicht aus dem Acker der Welt ausjäten, sondern ausdrücklich gebietet: „Lasst beides miteinander wachsen bis zu der Zeit der Ernte“, so verbietet er damit, Irrlehrer und Ketzer mit leiblichen Waffen zu verfolgen und so mit dem Tod zu bestrafen.

    Eine Kirche, welche dies tut, handelt daher gegen Christi ausdrückliches Wort, kann daher unmöglich Christi wahre Kirche, sondern muss eine falsche, eine widerchristliche oder die Kirche des Antichrists sein. Christus spricht ja klar und deutlich, dass nur die seine wahre Kirche sei, welche sich seinem Wort gehorsam unterwerfe. Er spricht: „Meine Schafe hören meine Stimme. Wer mich liebt, der wird mein Wort halten und mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen. So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Eine Kirche, welche gegen Christi ausdrückliches Wort: „Lasst beides miteinander wachsen bis zu der Zeit der Ernte“, die Ketzer dennoch tötet, ist daher nicht die Herde der Schafe Christi, welche Christi Stimme hören, sie ist nicht die Gottes-Wohnung derjenigen, die Christus lieben und sein Wort halten, nicht die Gemeinschaft der rechten Jünger Christi, die bei seiner Rede bleiben, also nicht die wahre Kirche der Kinder des Reichs, sondern die falsche Kirche, die Satansschule der Kinder der Bosheit.

2.

    Doch, meine Lieben, eine Kirche, welche die Ketzer verfolgt und tötet, ist nicht nur darum gewiss Christi wahre Kirche nicht, weil sie damit gegen Christi ausdrückliches Wort und Gebot, sondern auch darum, weil sie damit gegen Christi wahren Geist und Sinn handelt. Und davon lasst mich nun noch zweitens zu euch sprechen.

    Christus verbietet, meine Lieben, nicht nur in unserem Text, die Ketzre zu töten, sondern er gibt auch die Gründe dafür an, indem er hinzusetzt: Auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet.“

    Christus will sagen: Wie der, welcher das mit einem Weizenacker mitten unter dem Weizen stehende Unkraut ausjäten will, nicht anders kann, als auch zugleich guten Weizen mit auszuraufen, so kann auch der, welcher die Ketzer tötet, nicht anders, als auch Kinder des Reichs zu töten.

    Und so ist es, meine Lieben, Erstlich kann es nämlich gar leicht geschehen, dass diejenigen, welche sich für die wahre Kirche halten, gerade die Zeugen der Wahrheit als Ketzer töten. Oder ist das nicht wirklich laut der Schriften des Alten und Neuen Testaments vielfach geschehen? Haben nicht die Juden, welche sich für die wahre Kirche hielten, alle Propheten als Ketzer leiblich verfolgt und die meisten getötet? Nennt daher nicht Christus die Juden seiner Zeit „die Kinder derer, die die Propheten getötet haben“? Und ruft nicht auch Stephanus dem Hohen Rat zu Jerusalem zu: „Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt und sie getötet?“ Und was haben die Juden zu Christi und der Apostel Zeit selbst getan? Haben sie nicht Christus gerade darum, weil er ihnen die Wahrheit verkündigte, als einen ketzerischen Samariter und Verführer des Volks an das Kreuz geschlagen? Haben sie nicht den heiligen Stephanus gerade darum, weil er ihnen ihren Messias verkündigte, als einen Lästerer Moses und ihres Tempels gesteinigt? Haben sie nicht den Apostel Jakobus gerade darum, weil er Christus nicht lästern wollte, sondern bekannte, als einen Ketzer von der Zinne des Tempels herabgestürzt, gesteinigt und endlich mit einer Keule erschlagen? Seht da, sie wollten das Unkraut ausjäten und haben anstatt desselben den guten Weizen ausgerauft.

    Das geschieht aber zum anderen auch darum, weil mancher, welcher ein wirklicher Ketzer ist, später zur Erkenntnis der Wahrheit kommen und noch ein gesegneter Zeuge werden kann. Saulus war vor seiner Bekehrung ohne Zweifel ein Ketzer, denn er verfolgte die Wahrheit und die Bekenner derselben blutig: Was wäre nun geschehen, wenn Saulus damals von den Christen getötet worden wäre? Es wäre mit dem Unkraut der beste Weizen ausgejätet worden, denn derselbe Saulus bekehrte sich später und wurde ein Paulus, der größte unter den Aposteln, der die ganze Welt mit dem Evangelium erfüllte und durch den Hunderttausende auf den Weg zur Seligkeit gebracht wurden. Auch der Kirchenvater Augustinus war vor seiner Bekehrung Glied der schändlichen Sekte der Manichäer und ein Bekämpfer der christlichen Kirche: Was wäre aber geschehen, wenn Augustinus in dieser Zeit als Ketzer getötet worden wäre? Es wäre mit dem Unkraut der köstlichste Weizen ausgerauft worden; denn Augustinus bekehrte sich später und wurde ein Licht in der Kirche, welches durch alle Jahrhunderte hindurch helle leuchtete und noch heute leuchtet durch seine Schriften. Endlich lesen wir von den Samaritern, dass sie Christus, der bei ihnen eine Herberge begehrte, diese verweigerten, weil er auf dem Weg nach dem, wie sie meinten, ketzerischen Jerusalem war. Entrüstet hierüber sprachen daher Johannes und Jakobus: „HERR, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer vom Himmel falle und verzehre sie, wie Elia tat?“ Was tat aber Christus? Er bedrohte sie und sprach: „Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern er erhalten.“ Was wäre nun geschehen, wenn Christus die Samariter durch Feuer vom Himmel hätte verzehren lassen? Mit dem Unkraut wäre der Weizen ausgerauft worden; denn im achten Kapitel der Apostelgeschichte lesen wir, dass nach Christi Himmelfahrt viele von jenen Samaritern durch das Zeugnis der dahin geflohenen Christen und durch die Predigt des Philippus, Petrus und Johannes bekehrt und aus ihnen eine herrliche christliche Gemeinde gesammelt wurde.

    So ist es denn gewiss, meine Lieben: Ketzer töten ist nicht nur gegen Christi ausdrückliches Gebot und Wort, sondern auch gegen Christi wahren Geist und Sinn. Denn Christi Geist und Sinn ist nicht, der Menschen Seelen zu verderben, sondern sie zu erretten und selig zu machen.

    Eine Kirche, welche Ketzer verfolgt und tötet, kann daher unmöglich Christi wahre Kirche sein. Mag eine solche Kirche immerhin in greulicher Verblendung meinen, damit Gott einen Dienst zu tun, so offenbart sie gerade durch diese Meinung, dass Christi Geist von ihr fern ist; wie denn Christus ausdrücklich den heiligen Aposteln im Voraus verkündigt hat: „Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, wird meinen, er tue Gott einen Dienst daran. Und solches werden sie euch darum tun, dass sie weder meinen Vater noch mich erkennen.“

    Legt nun, meine Lieben, diesen Prüfstein an die römisch-päpstliche Kirche, welche vor allen anderen die wahre, ja, die allein seligmachende Kirche sein will. Ganze Ströme Christenblutes hat sie unter dem Vorgeben, die Ketzer strafen und ausrotten zu müssen, zu allen, Zeiten, wo sie die Macht dazu hatte, vergossen. Als im 13. Jahrhundert die sogenannten Waldenser und Albigenser gegen die päpstlichen Irrtümer und Greuel auftraten, stifteten die Päpste nicht nur die sogenannte Inquisitionsgerichte, welche dieselben aufspüren, mit Anwendung der schrecklichsten Qualen ihnen beschwerende Geständnisse erpressen und sie richten mussten; sondern sie zwangen auch die Fürsten unter Anwendung des Bannes, die angeblich von der Kirche Verurteilten zu strafen, sie gefangen zu setzen, von Haus und Hof zu vertreiben, ihre Güter einzuziehen, ihnen ihre bürgerlichen Rechte zu nehmen oder auch, sie zu töten. Ja, sie nötigten die Fürsten, förmliche Heere gegen sie auszurüsten, wie gegen die Türken einen sogenannten Kreuzzug zu eröffnen und alle, welche nicht widerrufen und dem Papst und seiner Kirche nicht völligen Gehorsam schwören wollten, hinzurichten. Als im Jahr 1572 eine Hochzeit am königlichen Hof zu Paris gefeiert werden sollte, lud man die vornehmsten Protestanten, dort Hugenotten genannt, dazu ein; aber mitten in der Nacht ertönte eine Glocke, welche verabredetermaßen das Zeichen dazu gab, alle Protestanten zu überfallen und zu ermorden, Mann und Frau, Alt und Jung. Dies war die sogenannte Pariser Bluthochzeit. Als Papst Gregor XIII. davon hörte, ließ er ein Freudenfest anstellen, mit allen Glocken läuten und eine Jubelfestdenkmünze schlagen, auf deren eine Seite sein Brustbild und auf der anderen die Pariser Mordszene abgebildet war. Als ferner um diese Zeit der blutrünstige katholische Herzog Alba in den Niederlanden nach und nach 18.000 Protestanten hatte hinrichten lassen, da sandte ihm Papst Pius V. zur Belobung dafür einen von ihm geweihten Hut und Degen. Nur durch die ausgesuchtesten Martern hat die päpstliche Kirche das Werk der Reformation, welches auch in Italien und Spanien begann, wieder unterdrückt. Zwar suchen die Römischen in den protestantischen Ländern, wo sie geduldet werden, dies alles zu beschönigen, ja, gänzlich zu leugnen, und die Schuld auf die weltliche Obrigkeit zu schieben; aber sie handeln da wie die Juden, welche auch sagen, sie hätten Christus nicht gekreuzigt, obgleich sie es ja waren, welche Pilatus durch ihr „Kreuzige, kreuzige ihn!“ und dadurch, dass sie sagten: „Lässt du diesen los, so bist du des Kaisers Freund nicht“, zur Kreuzigung Christi genötigt haben. –

    So seid denn schließlich gewarnt, meine Lieben, vor dem blutdürstigen Papsttum und vor seiner ihm gehorsamen Kirche. Sie ist die geistliche Hure, von welcher die Offenbarung des St. Johannes geweissagt hat, sie werde trunken werden von dem Blut der Heiligen; während Mohammed und seine Nachfolger, die auch ihre Religion mit Feuer und Schwert ausbreiteten, der morgenländische Antichrist sind außerhalb der Kirche, so sind die römischen Päpste der abendländische, eigentliche Antichrist innerhalb derselben.

    Lasst uns darum bei unserer lieben lutherischen Kirche bleiben, die nicht nur die Kennzeichen der wahren Kirche, reines Wort und unverfälschtes Sakrament, hat, sondern auch sich nicht mit dem Blut der Ketzer befleckt und ihre Waffen nichts anderes sein lässt als das Wort Gottes, ihr Gebet und ihre Tränen.

    Mag das Unkraut noch so hoch wachsen; es kommt endlich ein Tag der Ernte, da wird es in Bündlein gebunden und geworfen werden in den Feuerofen der Hölle; hingegen der gute Weizen wird endlich gesammelt werden in die Scheuern des Himmels. Das helfe uns Jesus Christus, unser Heiland. Amen.

Evangelienpredigt zum Verklaerungssonntag ueber Matthaeus 17,1-9: Die Offenbarung der goettlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi auf dem Berg der Verklaerung

    HERR Jesus, du ewiger Sohn Gottes! Wie hoch ist in dir unsere sterbliche Menschennatur geehrt und erhoben! Du bist vom Himmel herabgekommen und hast nicht nur in ihr Wohnung gemacht, sondern hast sie auch in deine allerheiligste göttliche Person auf ewig aufgenommen, ihr deine ganze göttliche Majestät und Herrlichkeit mitgeteilt und sie auf deinen Stuhl zur Rechten deines Vaters gesetzt. In dir, mit dir und durch dich ist darum nun auch unsere Menschennatur angebetet im Himmel und auf Erden, von Engeln und Menschen, in Zeit und Ewigkeit. O du wahrhaftiger Mensch, voll göttlicher Herrlichkeit, tue uns doch unser einfältiges Auge auf, dass wir dich auch in der Herrlichkeit deiner Menschheit erkenne, anbeten, als den Schönsten unter allen Menschenkindern über alles lieben, dir dienen und um deinetwillen alles, Gut und Ehre, Leib und Leben, mit Freuden dahingeben, einst aber lass uns mit diesen unseren Augen dich auch in der göttlichen Herrlichkeit deiner Menschheit schauen und bei dir in vollkommener Freude und Seligkeit sein und bleiben immer und ewig. Amen.

Matthäus 17,1-9: Und nach sechs Tagen nahm Jesus zu sich Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, und führte sie bei Seite auf einen hohen Berg. Und er ward verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie ein Licht. Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia, die redeten mit ihm. Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: HERR, hier ist gut sein; willst du, so wollen wir hier drei Hütten machen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Da er noch also redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören. Da das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Da sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. Und da sie vom Berge herabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt dies Gesicht niemand sagen, bis des Menschen Sohn von den Toten auferstanden ist.

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Dieses Evangelium, welches für den Verklärungssonntag bestimmt ist[11], nämlich für den letzten[12] Sonntag nach dem Fest der Erscheinung Christi, dieses Evangelium, sage ich, gehört nicht nur zu den schönsten und lieblichsten, sondern auch zu den reichhaltigsten unter den sonntäglichen evangelischen Texten. Lasst mich euch nur einige der allerwichtigsten Lehren nennen, welche uns darin auf das herrlichste offenbart werden.

    Die erste hochwichtige Lehre, welche in diesem Evangelium offenbart ist, ist die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit; denn es wird uns darin erzählt, wie erstlich Gott der Vater vom Himmel herab gerufen hat: „Dies ist mein lieber Sohn“, wie zum anderen Gott der Sohn in verklärter Menschheit dagestanden, und wie endlich drittens Gott der Heilige Geist in Gestalt einer lichten Wolke die gegenwärtigen Zeugen überschattet hatte.

    Eine zweite in diesem Evangelium enthaltene hochwichtige Lehre ist die Lehre von der Auferstehung des Fleisches und vom ewigen Leben; denn es wird uns darin berichtet, wie nicht nur der einst in einem feurigen Wagen lebendig zum Himmel gefahrene Elia, sondern auch der einst von Gott selbst begrabene Mose aus der Welt der Seligen zurückkehren, leibhaftig erschienen sind und mit Christus geredet haben. Es war dies ein so herrliches Vorspiel der seligen Auferstehung und des ewigen Lebens, dass Petrus, davon entzückt, sogleich ausrief: „HERR, hier ist gut sein; willst du, so wollen wir drei Hütten machen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“

    Eine dritte in diesem Evangelium klar gegründete hochwichtige Lehre ist die Lehre von der Beschaffenheit des Reiches Christi; dass dasselbe nämlich nicht ein leibliches, irdisches und zeitliches, sondern ein geistliches, himmlisches und ewiges Reich sei, eine Kirche, die ihre Glieder ebenso im Alten wie im Neuen Bund, ebenso im Himmel wie auf Erden habe und daher teils eine auf Erden noch leidende und streitende, teils eine bereits im Himmel triumphierende und doch nur Eine ist; denn wir erblicken hier Mose und Elia als die Repräsentanten der alttestamentlichen und triumphierenden und die drei Apostel Petrus, Jakobus und Johannes als die Repräsentanten der neutestamentlichen und streitenden Kirche, und zwar sie alle um Christus, ihr himmlisches Haupt, in seliger Eintracht versammelt.

    Eine vierte in diesem Evangelium uns vor Augen gestellte hochwichtige Lehre ist die Lehre, dass nach Gottes des Vaters unveränderlichem Ratschluss Christus der einige Lehrer aller Menschen und dass daher in keinem anderen Heil und den Menschen kein anderer Name gegeben ist, darin sie sollen selig werden; denn Gott der Vater ruft selbst aus den Wolken feierlich und majestätisch vom Himmel auf Christus herab: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören!“

    Doch, meine Lieben, so klar diese vier hochwichtigen Lehren in unserem Evangelium gegründet sind, so sind es doch ohne Zweifel nicht eigentlich diese Lehren, deren Offenbarung unser Evangelium vor allem zum Zweck hat; es ist dies vielmehr offenbar keine andere als die Lehre von der göttlichen Herrlichkeit auch der Menschheit Christi; denn diese tritt ganz unleugbar in der wunderbaren Geschichte unseres Textes hell wie die sonne vor allen anderen Lehren hervor. Lasst mich euch denn daher heute aufgrund unseres Evangeliums vorstellen:

Die Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi auf dem Berg der Verklärung

    Wir betrachten herbei:

1.       Die wunderbare Beschaffenheit dieser Herrlichkeit und

2.       Wozu diese Offenbarung derselben uns auffordere.

1.

    Was, meine Lieben, die eigentliche Bedeutung des in unserem Evangelium erzählten wunderbaren Vorgangs gewesen ist, darüber kann darum unter Christen gar kein Zweifel sein, weil dies Petrus selbst, der einer der auserwählten Augen- und Ohrenzeugen desselben war, es ausdrücklich sagt. Denn so schreibt Petrus hiervon im ersten Kapitel seines zweiten Briefes: „Wir sind nicht den klugen Fabeln gefolgt, da wir euch kund getan haben die Kraft und Zukunft unseres HERRN Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selbst gesehen, da er empfing von Gott dem Vater Ehre und Preis, durch eine Stimme, die ihm geschah von der großen Herrlichkeit dermaßen: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel gebracht, da wir mit ihm waren auf dem heiligen Berg.“ Der wahre eigentliche Endzweck der Verklärung Christi schon im Stand seiner Erniedrigung war also mit kurzen Worten kein anderer als die Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit auch seiner heiligen Menschheit.

    Lasst uns denn jetzt vorerst die wunderbare Beschaffenheit dieser Herrlichkeit ein wenig kennen zu lernen suchen.

    Unser Text beginnt mit den Worten: „Und nach sechs Tagen“, nachdem nämlich Christus sein Leiden voraus verkündigt hatte, nahm Jesus zu sich Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, und führte sie bei Seite auf einen hohen Berg. Und er ward verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie ein Licht.“ Welch ein wunderbares Ereignis! Zwar haben manche gemeint, es werde hier etwas erzählt, was nur in dem Geist der Apostel vorgegangen, nicht aber wirklich geschehen sei. Allein, der Evangelist sagt ausdrücklich, Christus sei „vor ihnen“, nämlich vor den Aposteln, verklärt worden. Die Verklärung war also nicht ein Vorgang in der Vorstellung oder in der Phantasie der Apostel, sondern etwas außer ihnen, vor ihren leiblichen Augen wirklich Geschehenes. Andere haben daran erinnert, dass auch Mose der ja nur ein Prophet gewesen, auf dem Berg Sinai etwas Ähnliches widerfahren sei; denn auch dieser sei mit einem so glänzenden Angesicht vom Berg gekommen, dass er, weil das Volk den von seinem Angesicht ausgehenden Strahlenglanz nicht habe ertragen können, sein Angesicht mit einer Decke habe verhängen müssen. Allein was das Schattenbild gegen die wirkliche Sache ist, das was Moses Glänzen gegen Christi Verklärung. Lasst uns nur beide Vorgänge miteinander vergleichen. Von Mose lesen wir erstlich, er habe anfänglich selbst nicht gewusst, dass ein blendender Strahlenglanz von ihm ausgehe. Dass hingegen Christus seine Verklärung schon im Voraus wusste, ersehen wir daraus, dass er die drei Apostel schon vorher zu Zeugen derselben ausgewählt hatte. Von Mose heißt es ferner ausdrücklich, er sei „davon glänzenden Angesichts geworden, dass er mit Gott geredet hatte“; Christus hingegeben verklärte sich selbst, ehe noch Gott der Vater in einer Stimme aus der lichten Wolke erschien. Während also der Glanz Moses nur ein Widerschein, nur, so zu sagen, eine Abspiegelung des Glanzes Gottes war, so war hingegen Christi Klarheit seine eigene Klarheit. Von Mose lesen wir daher ferner, dass nur sein Angesicht glänzte; hingegen von Christus, dass sein ganzer Leib verklärt wurde. Von Mose lesen wir endlich, dass eine Decke seinen Glanz den Augen des Volkes alsbald verhüllte; von Christus hingegen hören wir, dass die Strahlen seiner Majestät selbst die Decke seiner Kleider durchbrachen, also, dass, während Christi Angesicht „wie die Sonne leuchtete“, seine Kleider von den seinem heiligen Leib entströmenden himmlischen Lichtstrahlen „weiß wurden wie ein Licht“, oder, wie Lukas und Markus es beschreiben, dass sie „glänzten und hell und sehr weiß wurden, wie der Schnee, dass sie kein Färber auf erden kann so weiß machen“.

    Seht da, meine Lieben, Christi Verklärung auf jenem hohen Berg, wahrscheinlich dem Berg Tabor, war also wirklich, wie Petrus in seinem zweiten Brief bezeugt, eine Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit seiner heiligen Menschheit. Da geschah wirklich das, was Johannes im ersten Kapitel seines Evangeliums von dem ewigen Wort sagt: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“ Bei dieser seiner Verklärung offenbarte Christus wirklich schon im Stand seiner Erniedrigung vor den Augen von drei seiner Jünger, was Paulus im Brief an die Kolosser von Christus bezeugt, wenn er daselbst schreibt: „In Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“, das heißt: Wie die Seele eines Menschen in seinem Leib wohnt, so dass beide Eine menschliche Person ausmachen, so wohnt in Christi Menschheit seine Gottheit, so dass beide Eine göttliche Person ausmachen. Während sonst Christi Gottheit in seiner Menschheit im Stand seiner Erniedrigung wie eine in Wolken eingehüllte Sonne sich verbarg, so brachen bei seiner Verklärung Strahlen dieser Sonne wie Blitzesleuchten, wie ein verschlossen gewesenes Feuer, unaufhaltsam auf einmal hervor. Durch seine Verklärung offenbarte Christus zugleich: Wie die Seele dem mit ihr persönlich vereinigten Leib ihre geistigen Eigenschaften mitteilt, nämlich die Eigenschaften zu sehen, zu hören, zu empfinden, zu reden und sich zu bewegen, so hat auch die Gottheit Christi der mit ihr persönlich vereinigten Menschheit ihre göttlichen Eigenschaften, nämlich Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit, mit einem Wort, göttliche Majestät mitgeteilt. Christi Menschheit war daher mit seiner Gottheit vereinigt wie das Feuer mit dem glühenden #Eisen. Wie nämlich das glühende, vom Feuer durchdrungene Eisen ebenfalls des Feuers Eigenschaft erhalten hat und daher wie Feuer leuchtet und brennt, so leuchtete auf Tabor die mit der Gottheit vereinigte und von derselben durchdrungene Menschheit ebenfalls im göttlichen Glanz. Wohl konnten und können Gottes Eigenschaften nimmermehr die wesentlichen Eigenschaften der Menschheit Christi werden; denn die Menschheit Christi ist weder mit der Gottheit vermischt, noch in dieselbe verwandelt worden; allein wie der Mond in dem ihm mitgeteilten Licht der Sonne leuchtet, die ihn bescheint, so leuchtete auf dem Berg Tabor und wird in alle Ewigkeit leuchten die Menschheit Christi in dem ihr mitgeteilten Glanz der mit ihr vereinigten Gottheit. Es war und ist dies die Folge jener Salbung ohne Maß, von welcher schon David weissagt, wenn er im 45. Psalm dem Messias zuruft: „Du liebst Gerechtigkeit und hasst gottloses Wesen; darum hat dich, Gott, dein Gott gesalbt mit Freudenöl, mehr als deine Gesellen.“

    Doch, meine Lieben, so deutlich die Verklärung Christi selbst die göttliche Herrlichkeit seiner Menschheit offenbart hat, so setzt doch dasjenige, was auf Christi Verklärung unmittelbar folgte, dieser Offenbarung erst die Krone auf. In unserem Evangelium wird uns nämlich weiter erzählt, nachdem Christus verklärt gewesen, seien nicht nur Mose und Elia aus der Welt der Seligen, und zwar, wie Lukas ausdrücklich berichtet, in himmlischer Klarheit, erschienen, sondern es heißt hierauf auch weiter: „Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören.“ Es ist das eine unaussprechlich wunderbare Rede; denn Gott der Vater sagt hier von dem Menschen Jesus nicht etwa nur: In diesem Menschen ist oder wohnt mein lieber Sohn; sondern ohne alle Einschränkung: „Dies, dies ist mein lieber Sohn.“ Den Menschen Jesus nennt also Gott der Vater gerade seinen lieben Sohn! Wir befinden uns hier auf dem Gipfel der Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi.

    Seht da, meine Lieben, nachdem der Sohn Gottes ein Mensch geworden ist, ist also nun nicht nur Gott ein Mensch, sondern auch ein Mensch Gott; denn wie im Menschen die Seele den Leib in die Gemeinschaft ihrer Persönlichkeit aufgenommen hat, so hat, wie gesagt, der Sohn Gottes die menschliche Natur in die Gemeinschaft seiner Persönlichkeit aufgenommen, und wie im Menschen der Leib der Seele und die Seele dem Leib sich mitteilt und zu eigen gibt, so ist in Christus die menschliche Natur der göttlichen und die göttliche Natur der menschlichen mitgeteilt und zu eigen gegeben. Wer daher wohl glaubt, dass Gott in dem Menschen Jesus ist, nicht aber, dass nun auch der Mensch Jesus wirklich und wahrhaftig Gott ist, der glaubt das kündlich große gottselige Geheimnis: „Gott ist offenbart im Fleisch“, und: „Das Wort ward Fleisch“, noch nicht. Denn wie Christus nach seiner Gottheit schon von Ewigkeit anbetungswürdig war, so heißt es nun, nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist, auch von diesem Menschen: „Es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.“ Wie Christus nach seiner Gottheit schon von Ewigkeit auf Gottes des Vaters Stuhl thront, so hat Gott der Vater, nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist, nun auch zu diesem Menschen gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ist lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße.“ Wie Christus nach seiner Gottheit schon von Ewigkeit den Namen über alle Namen, nämlich den Namen des HERRN, Jahwehs, Gottes des Allerhöchsten, trug, so hast Gott, nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist, auch diesen Menschen, wie Paulus schreibt, 2erhöht und hat auch ihm einen Namen gegeben, der über allen Namen ist, dass ist in dem Namen Jesu sich beugen solle alle derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der HERR sei, zur Ehre Gottes des Vaters.“

2.

    Doch, meine Lieben, nachdem wir nun einen Blick in die göttliche Herrlichkeit der Menschheit Christi getan haben, die sich einst auf dem Berg der Verklärung offenbart hat, so lasst uns nun zweitens erwägen, wozu diese Offenbarung uns auffordere.

     Das Erste, wozu sie uns auffordert, ist ohne Zweifel, dass wir daraus die unaussprechlich große Liebe Gottes zu uns Menschen erkennen. Denn bedenkt: Gott hat den Menschen heilig und gerecht nach seinem Ebenbild zum ewigen Leben erschaffen, ihm das Paradies zu seiner Wohnung angewiesen, ihn zum Herrn der Erde und alles dessen, was darin ist, gemacht, ausgestattet mit allem, was sein Herz nur wünschen konnte. Und was ist geschehen? Der Mensch ist von Gott abgefallen, ist ein Knecht der Sünde geworden und hat an die Stelle seines gütigen Schöpfers die Welt, das Sichtbare, das Zeitliche, sich selbst, ja, den Teufel selbst zu seinem Gott gemacht, ist Gottes Feind und damit unaussprechlich elend geworden. Wie sollte, wie konnte nun dem Menschen geholfen werden? Gott hatte auf die Sünde den zeitlichen und ewigen Tod gesetzt; und was der gerechte und wahrhaftige Gott festgestellt und gedroht hatte, das musste geschehen, ob auch die ganze Welt darüber zugrunde ginge. So konnte denn weder der Mensch sich selbst, noch irgendeine andere Kreatur ihm helfen, denn niemand im Himmel und auf Erden konnte der unverletzlichen Gerechtigkeit Gottes für ihn genugtun. So stand denn der Mensch rat- und hilflos am Abgrund eines ewigen Verderbens, während er den großen Gott sich zu seinem Feind gemacht hatte und selbst nichts als Hass und Feindschaft gegen Gott in seinem Herzen trug. Und was tot Gott? Ehe noch der Mensch gefallen war, ja, schon von Ewigkeit hatte Gott beschlossen, wenn der Mensch sein Feind und dadurch aussprechlich elend geworden sein würde, ihn aus diesem verschuldeten Elend zu erretten, nämlich selbst seine Gerechtigkeit zu befriedigen, um so allein seine ewige Liebe und Erbarmen über ihm walten lassen zu können. Und wie führte Gott diesen Ratschluss aus? Um für den Menschen leiden und sterben zu können, wurde Gott selbst ein Mensch, nahm die Gestalt des sündlichen Fleisches an, wurde ein wahrhaftiges Kind des gefallenen Adam, ein Glied der Familie der Sünder und Gottesfeinde, ein Mitgefangener in dem Gefängnis der des ewigen Todes schuldigen Verbrecher, ein Knecht aller Knechte, ja, ein Sünder aller Sünder, der endlich, beladen mit der Sündenschuld der ganzen Welt, als ein Verfluchter unter Schmach und Qual und unter dem Hohngelächter der Hölle und unter dem Spott der verruchten Welt starb. Und noch mehr, meine Zuhörer. Während Gott durch seine Menschwerdung in alle Tiefen der Schmach und Höllenpein hinabstieg, so hat er dadurch hingegen den Menschen, seinen ihn hassenden Feind, in den Himmel, ja, des Menschen Natur über alle Himmel auf den Thron der Majestät in der Höhe erhoben. Denn durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes sind alle Menschen Gottes Brüder und Blutsverwandte, eine menschliche Jungfrau eine Mutter Gottes und Gottesgebärerin, ja, ein Mensch ist ein untrennbarer Teil der zweiten göttlichen Person, und so in die ewige Gemeinschaft und in den Rat der hochheiligen dreieinigen Gottheit selbst aufgenommen, ein Mitregent des Himmels und der Erde und ein Gegenstand göttlicher Ehre und göttlicher Anbetung aller zum ewigen Leben geschaffenen Kreaturen geworden.

    Wer kann hiernach die Breite und die Länge, die Höhe und die Tiefe dieser Liebe Gottes gegen uns Menschen ermessen, ausreden oder ausdenken? Die Große dieser Liebe kann kein Mensch, kein Engel, kein Erzengel fassen; sie kann nur in tiefster Demut bewundert werden und wird einst von allen Engeln und Auserwählten unter dem Klang aller himmlischen Harfen besungen werden von Ewigkeit zu Ewigkeit.

    Aber, meine Lieben, noch eins ist’s, wozu uns daher die Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi auffordert; dazu nämlich, dass, nachdem Gott unsere Menschennatur so hoch erhoben und geehrt hat, auch wir dieselbe auf das höchste ehren. Oder ist es etwa nicht so? Bedenkt: Gott hat unsere Menschennatur so hoch geachtet, dass er zu ihrer Erlösung ein Wunder der Liebe getan hat, das Himmel und Erde in ewiges Erstaunen setzt, was tust du nun, wenn du deine Seele gering achtest? Gott hat unsere Seele nicht mit Gold oder Silber, sondern um den unermesslichen Preis des Todes seines Sohnes wieder erkauft, was tust du nun, der du deine Seele für Gold und Silber, für diesen blinkenden Erdenkot, verkaufst und verschacherst? Muss man dir dann nicht zurufen, wie Petrus dem Zauberer Simon: dass du verdammt werdest mit deinem Geld“? Gott hat unsere Menschennatur durch seine Menschwerdung in den göttlichen Adelsstand erhoben; was tust nun du, der du dahin lebst, als wärest du ein Tier, das seine Begierde mit Fressen und Saufen stillt? Oder der du doch dahinlebst, als wärest du nur für diese Erde zu einem Kind dieser Welt geschaffen, das auf Erden ist, sich die Zeit mit Spielen und Tanzen zu vertreiben, Schätze zu sammeln, die Rost und Motten fressen und da die Diebe nach graben, mit de Welt lustig zu leben und den Rauch der Menschenehre zu suchen, und dann in das Nichts dahin zu fahren? Gott ist schon von Ewigkeit auf das Heil unserer Seele bedacht gewesen, hat um derselben willen einen ewigen Ratschluss unergründlicher Liebe gefasst und ich auf das herrlichste ausgeführt und geht nun unseren Seelen allenthalben nach und arbeitet an ihnen Tag und Nacht; was tust nun du, der du dahinlebst, als hättest du keine unsterbliche und teuer erlöste Seele, sorgst selbst in der kurzen Spanne deiner Lebenszeit nicht um sie, lässt am Sonntag dir etwas vorpredigen, aber in den Wochentagen ist das Trinkhaus deine Kirche, spielst mit der Sünde, um welcher willen sich Gott selbst am Fluchholz des Kreuzes geopfert hat, ja, dienst durch deine Sünden willig dem Teufel, aus dessen Gewalt dich zu erlösen Gott selbst vom Himmel gekommen ist? Kurz: Gott hat unsere Natur über alle Himmel erhoben; was tust nun du, der du sie zur niedrigsten Sklavin machst und hinab in den Staub und Schmutz der Erde und Sünde drückst? –

    O, meine Lieben, da wir heute im Geist uns auf den Berg der Verklärung gestellt und da im Geist unsere in Christus verherrlichte Menschheit angeschaut haben, so lasst uns nun auch hören auf den Mahnruf des heiligen Apostels: „Ihr seid teuer erkauft; darum so preist Gott an eurem Leib und in eurem Geist, welche sind Gottes.“ Lasst uns keinen Augenblick unseres Lebens vergessen, dass wir mit unserer menschlichen Seele einen Schatz besitzen, der unendlich wertvoller ist als die ganze Welt, und daher unsere Seele mit Furcht und Zittern in den Händen tragen. Lasst uns bedenken: Aus unseren Sünden konnte allein Gott durch seine Menschwerdung uns erretten; verachten wir aber auch diese Errettung, so kann dann auch Gott selbst uns nicht erretten; denn allein der Mensch Jesus ist es, auf welchen Gott der Vater vom Himmel herab gerufen hat: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.“ Nur in dem menschgewordenen Sohn ist also Gottes Wohlgefallen, außer ihm Zorn und ewiger Fluch.

    O so lasst uns mit jenem gottseligen Dichter seufzen:

Drum, o Jesus, du alleine

Sollst mein Ein und Alles sein;

Prüf, erfahre, wie ich’s meine,

Tilge allen Heuchelschein;

Sieh, ob ich auf bösem, betrüglichem Stege,

Und leite mich, Höchster, auf ewigem Wege.

Gib, dass ich hier alles nur achte für Kot,

Und Jesus gewinne: Dies eine ist not.

    Amen.

Evangelienpredigt zum Sonntag Septuagesimae (70 Tage vor Ostern) ueber Matthaeus 20,1-16: Von der lohnsüchtigen Froemmigkeit

    Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Was einst die Juden zu dem Propheten Maleachi sprachen, wie wir im dritten Kapitel seiner Weissagungen finden: „Es ist umsonst, dass man Gott dient; und was nützt es, dass wir sein Gebot halten und ein hartes Leben vor dem HERRN Zebaoth führen?“ das ist die Gesinnung unzähliger Menschen zu allen Zeiten gewesen. Und es ist wahr: Hätten die Christen dafür, dass sie Gott dienen, keinen anderen Lohn zu erwarten, als den sie in dieser Welt dafür bekommen, so möchte es wohl scheinen, als arbeite niemand vergeblicher als ein eifriger Christ. Denn was ist des Christen gewöhnlicher Lohn in dieser Welt? Je mehr er Gottes Freundschaft sucht, desto mehr ist die Welt ihm feind; je treuer er Christus nachfolgt, desto weniger wollen Menschen von ihm wissen, ja, desto mehr wird er von ihnen verachtet und verfolgt; kurz, je gewissenhafter er in allem nach Gottes Wort geht, desto schmaler und trübseliger ist sein Weg. Ein Christ werden und sein Kreuz auf sich nehmen; ein Christ werden und alles verleugnen und verlassen, was dem Fleisch angenehm ist; ein Christ werden und dieser Welt Glück verlieren: Das sind unzertrennliche Dinge, ja, ist ganz ein und dasselbe.

    Mag es aber darum so scheinen, als sei es daher umsonst, dass man Gott dient, es scheint nur so. Der Prophet Maleachi setzt zu jenen Worten hinzu: „Aber die Gottesfürchtigen trösten sich untereinander so: Der HERR merkt es und hört es“ (nämlich, was wir tun und leiden); „und ist vor ihm ein Denkzettel geschrieben für die, so den HERRN fürchten und an seinen Namen denken. Und ihr sollt sehen“ (spricht der HERR), „was für ein Unterschied sei zwischen dem Gerechten und dem Gottlosen und zwischen dem, der Gott dient und dem, der ihm nicht dient.“ Seht, es soll also nicht umsonst sein, im Dienst Gottes gestanden zu haben. Einst will Gott den Unterschied zwischen seinen Dienern und den Dienern der Welt so offenbar machen, dass ihn die Welt mit Schrecken und die Gottesfürchtigen mit Staunen und Frohlocken sehen werden. Ein herrlicher Gnadenlohn soll den treuen Knechten Gottes werden. Nichts Gutes, was ein Mensch hier um Gottes willen getan, und wäre es ein Becher kalten Wassers, den er jemandem um Christi willen gereicht hat, soll vergessen werden und ihm unvergolten bleiben. Mag er daher immerhin um Gottes willen arm an irdischen Gütern bleiben müssen, dafür wartet dort seiner ewiger Reichtum an himmlischen Gütern; mag er immerhin hier um Gottes willen verachtet und geschändet, und sein Name als der eines Gottlosen verworfen werden, dafür wartet doch seiner unaussprechliche Ehre und Herrlichkeit vor Gott und vor allen Engeln und Auserwählten; kurz, mag er immerhin hier viel um Gottes willen aufopfern und verlassen müssen, das alles wird ihm dort mehr als tausendfältig ersetzt werden. O, es hat’s kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und ist in keines Menschen Herz gekommen, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben. Wo Christus ist, da soll sein Diener auch sein; wer mit ihm stirbt, soll mit ihm leben; wer mit ihm duldet, soll mit ihm herrschen; wer mit ihm leidet, soll zu der Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit auch mit ihm Freude und Wonne haben.

    Aber wie? Ist es hiernach nicht recht, wenn ein Mensch allein um dieses einstigen Lohnes willen Gott dient? Ist es also nicht recht, wenn ein Mensch nur darum fromm ist, um sich mit seiner Frömmigkeit den Himmel und die Seligkeit zu verdienen? – Nein, meine Lieben, eine solche lohnsüchtige Frömmigkeit hat keinen Wert vor Gott, ja, sie macht vor Gott verwerflich. Christus warnt uns daher davor in unserem heutigen Evangelium. Lasst uns jetzt seine Warnung hören.

Matthäus 20,1-16: Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Denar zum Taglohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und ging aus um die dritte Stunde und sah andere an dem Markt müßig stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und neunte Stunde und tat gleich also. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere müßig stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand gedingt. Er sprach zu ihnen:  Geht ihr auch hin in den Weinberg, und was recht sein wird, soll euch werden. Da es nun Abend ward, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Schaffner:  Rufe die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und hebe an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde gedingt waren, und empfing ein jeglicher seinen Denar. Da aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Denar. Und da sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausvater und sprachen: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben. Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht unrecht. Bist du nicht mit mir eins worden um einen Denar? Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem letzten geben gleichwie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem Meinen? Siehst du darum scheel, dass ich so gütig bin? So werden die Letzten die Ersten, und die Ersten die Letzten sein. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.

    Was Christus mit dem in diesem Abschnitt enthaltenen Gleichnis eigentlich sagen wolle, darüber herrscht, meine Lieben, eine große Meinungsverschiedenheit. Achten wir jedoch auf den Zusammenhang, in welchem das Gleichnis steht, und auf die Veranlassung, auf welche Christus dasselbe einst vorgelegt hat, so kann über die eigentliche Absicht desselben kein Zweifel sein. – In dem Vorhergehenden hören wir aber dieses, dass Petrus einst die Frage aufgeworfen hatte: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt; was wird und dafür?“ Hierauf erklärt nun Christus nicht nur, dass die lieben Apostel allerdings einen herrlichen Gnadenlohn zu erwarten haben, sondern er legt nun hierauf auch sogleich das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg vor, wodurch Christus hiernach offenbar nicht nur seine Jünger, sondern alle Menschen warnen will, bei ihren Werken nicht erst zu fragen: „Was wird uns dafür?“ also nicht um Lohnes willen ihm folgen und Gott dienen zu wollen. Lasst mich daher aufgrund dieses Gleichnisses Christi jetzt zu euch sprechen:

Von der lohnsüchtigen Frömmigkeit

    Hört,

1.       Von welcher Beschaffenheit sie sei und wie sie sich offenbare, und

2.       Von welchem Wert sie sei und wie sie daher belohnt werde.

    O HERR Gott! Von dir haben wir alles, was wir sind und haben; dir gehört daher auch alles, unser Leib, unsere Seele und unser ganzes Leben. Wenn wir darum auch alles getan hätten, was du uns geboten hast, so wären wir doch selbst dann nur unnütze Knechte, denn wir hätten dann nur getan, was wir zu tun schuldig waren. Aber ach, HERR, unser keiner tut auch nur dies; vor dir ist keiner unschuldig, keiner gerecht. Darum behüte uns vor dem Sinn, dir etwas abverdienen zu wollen, sondern gib uns den Sinn, der nur um freie, lautere Gnade steht, nur um Erbarmen schreit. Dazu segne dein Wert auch in dieser Stunde, so ist uns zeitlich und ewig geholfen. Amen. Amen.

1.

    Christus hebt in unserem heutigen Evangelium so an: „Das Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Denar zum Taglohn, sandte er sie in seinen Weinberg.“ Dasselbe, sagt Christus, tat der Hausvater wieder in der dritten, sechsten und neunten Stunde, das ist, nach unserer Weise, den Tag einzuteilen, früh um neun, mittags um zwölf und nachmittags um drei Uhr; hieraus heißt es: „Um die elfte Stunde aber“, das heißt, um die letzte Tagesstunde, „ging er aus und fand andere müßig stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag müßig? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand gedingt. Er sprach zu ihnen:  Geht ihr auch hin in den Weinberg, und was recht sein wird, soll euch werden.“

    „Da es nun Abend ward, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Schaffner:  Rufe die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und hebe an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde gedingt waren, und empfing ein jeglicher seinen Denar. Da aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein jeglicher seinen Denar. Und da sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausvater und sprachen: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.“

    In diesem Teil unseres Gleichnisses entwirft Christus das Bild der lohnsüchtigen Frömmigkeit mit lebendigen Farben. Zunächst war es ohne Zweifel das jüdische Volk, welches Christus hierbei im Sinn hatte. Die Juden waren es nämlich zuerst, welche Gott in den Weinberg seiner Kirche rufen ließ durch die heiligen Propheten; mit ihnen machte er einen Bund und gab ihnen die Verheißung, ihnen den Messias zu ihrem Heiland zu senden. Die Heiden hingegen wurden gleichsam erst in der elften, in der letzten, Stunde des Welttages in den Weinberg gerufen, aber auch ihnen wurde durch die heiligen Apostel derselbe Anteil an dem Messias und seiner Gnade zugesprochen wie den erstberufenen Juden.

    Was geschah aber nun? Die Juden murrten, als sie sahen, dass die Heiden, mit welchen doch Gott nicht, wie mit ihnen, eins geworden sei um den Taglohn, mit denen er nämlich keinen Bund aufgerichtet und denen er keine Verheißung gegeben habe, dieselbe Gnade erlangen und dass sie, als das erstberufene Volk Gottes, vor ihnen nichts voraushaben sollten. Die Juden dachten: Wie? Wir sollten des Tages Last und Hitze getragen, wir sollten das schwere Gesetz Moses mit seinen Festen und Opfern und Sabbathen und Fasten beobachtet und uns der Beschneidung unterworfen haben, und nun sollten die unbeschnittenen Heiden uns gleich gemacht werden? Haben wir nicht mehr gearbeitet und mehr verdient als sei?

    Obwohl jedoch Christus bei Darlegung seines Gleichnisses gewiss das selbstgerechte, murrende, lohnsüchtige jüdische Volk zunächst im Sinn hatte, so wollte er doch ohne Zweifel damit auch im Allgemeinen die lohnsüchtige Frömmigkeit in ihrer wahren Gestalt bei allen Menschen überhaupt darstellen. Von Natur sind nämlich wir Menschen alle si gesinnt, dass wir nur darum noch hier und da das Gute tun und das Böse unterlassen, also nur darum fromm sein wollen, weil wir dafür einen Lohn von Gott erwarten; von Natur würde daher kein Mensch etwas Gutes tun oder etwas Böses unterlassen, wenn er dächte, dass ihm dies weder in dieser noch in jener Welt etwas helfen oder schaden könne. Hätten die Menschen nicht noch von Natur einige Furcht, dass es für die Gottlosen eine Hölle gebe, und nicht noch einige Hoffnung, dass es für die Frommen einen Himmel gebe, so würde man bald sehen, warum die meisten Menschen manches Gute tun und manches Böse unterlassen, dass nämlich nicht die Liebe zu Gott, ihrem Schöpfer, sie treibe, sondern dass allein die Furcht vor Strafe und die Hoffnung des Lohnes die unlautere Quelle und der faule Grund ihrer sogenannten Frömmigkeit sei.

    Ja, wird es jetzt nicht von vielen Predigern öffentlich verkündigt und von Unzähligen angenommen und ohne Scheu bekannt, dass sich der Mensch durch seine eigenen Werke, durch sein tugendhaftes Leben des Wohlgefallens Gottes würdig machen und ein gutes Los in jener Welt sich verdienen könne und müsse? Niemand gilt ja in unseren Tagen für einen Aufgeklärten, wer diesem heidnischen Grundsatz nicht huldigt und den Himmel nicht für den verdienten Kampfreis unserer Tugend erklärt.

    Recht offenbart wird jedoch die lohnsüchtige Frömmigkeit der meisten Menschen erst dann, wenn das Evangelium gepredigt wird und wenn nun durch das Evangelium auch grobe Sünder bekehrt werden. Als Christus einst alle Mühseligen und Beladenen freundlich zu sich rief und auf seinen Ruf auch große Sünder sich ihm nahten, sich bekehrten, an ihn glaubten, von Christus aufgenommen wurden und nun zum Teil als seine Jünger ihm nachfolgten, da war dies für die selbstgerechten Pharisäer und Schriftgelehrten ein großes Ärgernis. Sie riefen mit Verachtung aus: „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen“; er ist ein Zöllner- und Sünderfreund; sie dachten: Was ist das für ein Messias, der selbst den größten Sündern Gnade und den Himmel verheißt? Wie? die Huren, die Zöllner und die Räuber und Mörder sollten ebenso wohl einst die himmlische Seligkeit genießen wie wir? Soll es denn umsonst sein, dass wir Gottes Gesetz mit großer Mühe und Plage gehalten haben? Hinweg mit einer solchen Religion! Wie aber einst die Pharisäer und Schriftgelehrten und überhaupt die meisten Juden gedacht haben, so denken noch jetzt nicht wenige unter den Christen. Wird das Evangelium von Christus gepredigt und werden dadurch alle Sünder zu Christus gerufen und lassen nun manche Sünder sich das Evangelium zu Herzen gehen, glauben sie an Christus und halten sie sich nun auch zu den wahren Christen, und werden sie von diesen an- und aufgenommen: Dann erheben sich die Weltehrbaren und sprechen: Wie? ein gottloser Mensch, der von Jugend auf in groben offenbaren Sünden dahingelebt hat, der sollte, wenn er des Sündigens müde ist und sich endlich noch vor Gott demütigt und an Christus glaubt, ebenso gut selig werden können wie wir, die wir von Jugend auf unsträflich gewesen sind, von Jugend auf unser Leben der Tugend gewidmet und uns durch so viele edle Taten ausgezeichnet haben? Das sei ferne!

    Die lohnsüchtige Frömmigkeit offenbart sich jedoch nicht immer in einem so auffallenden Kleid; es gibt nur zu viele, welche mit dem Mund sprechen, dass sie allen auf Christus bauen und allein aus Gnaden selig werden wollen, und die im Grund doch nur aus Lohnsucht fromm sind. Warum halten sie viele zu den Christen und nicht zur Welt, warum gehen sie fleißig zur Kirche, warum beten sie täglich des Morgens und des Abends, warum lesen sie in der Heiligen Schrift und in anderen guten Büchern, warum bringen sie manche Opfer zur Erhaltung des Gottesdienstes und zur Ausbreitung des Reiches Gottes und dergleichen? Ist nicht bei nur zu vielen die wahre Ursache nicht die freie Liebe zu Christus und zu dem Nächsten, sondern die Hoffnung, dass sie Gott darum für Christen ansehen und einst selig machen werde? Was ist das aber anderes als eine lohnsüchtige Frömmigkeit? – Ja, noch mehr! Es gibt Christen, welche erst nach vielen Gebeten und Tränen, erst nach Erfahrung großer Traurigkeit und viel Angst und erst nach langem Ringen und Kämpfen zur Gewissheit ihres Gnadenstandes gekommen sind. Wie sind solche oft gegen diejenigen Christen gesinnt, welche durch solche schwere Bußkämpfe nicht erst hindurch haben gehen müssen, die Gott sanfter, leichter und lieblicher geführt und nach dem ersten Erschrecken über ihre Sünden ihnen sogleich die Gnade gegeben hat, sich im kindlichen Glauben Christi, seiner Gnade und seines Wortes trösten zu können? Nicht selten wollen jene Christen diese nicht für wahre Christen anerkennen; sie achten die leichte Bekehrung derselben für verdächtig und denken: Wie? ich sollte so viel erst haben kämpfen und des Tages Last und Hitze haben tragen müssen, ehe ich zum Frieden kam, und dieser sollte ihn so leichten Kaufes bekommen haben? Das kann ich nicht glauben! – Was verraten aber diese Christen hiermit? – Nichts anderes, als dass ihr Christentum eine lohnsüchtige Frömmigkeit sei.

    Ihr seht hieraus, meine Lieben, dass diese Art von Frömmigkeit häufiger ist, als man denkt, und dass selbst die scheinbar gläubigsten Christen von derselben eingenommen und befleckt sein können. Es hat sich daher ein jeder wohl zu prüfen, ob vielleicht auch er Gott allein um des Lohnes willen diene? – Nachdem wir jedoch gesehen haben, wie diese Frömmigkeit beschaffen sei und wie sie sich offenbare, so lasst uns nun zweitens erwägen, welchen Wert sie habe und wie sie daher belohnt werde.

2.

    Diejenigen, welche zuerst zur Arbeit in den Weinberg gerufen worden waren, meinten, sich ein großes Verdienst mit ihrer Arbeit erworben zu haben; sie erwarteten daher mehr als diejenigen, welche nicht so lange wie sie gearbeitet hatten, und da sie dies nicht erhielten, murrten sie gegen den Hausvater. Was antwortete aber dieser einem unter ihnen? Er sprach: „Mein Freund, ich tue dir nicht unrecht. Bist du nicht mit mir eins worden um einen Denar? Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem letzten geben gleichwie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem Meinen? Siehst du darum scheel, dass ich so gütig bin?“ Hiermit erklärt also der Hausvater, dass sich die Arbeiter mit ihrer Arbeit um des bloßen Lohnes willen keineswegs ein Verdienst mit ihrer Arbeit um des bloßen Lohnes willen keineswegs ein Verdienst erworben hätten; was er ihnen für ihre Arbeit versprochen habe und worüber er mit ihnen eins geworden war, das sollten sie richtig erhalten; aber damit hätten sie nun auch ihren Lohn dahin, ihre Arbeit habe weiter keinen Wert.

     Hier hören wir, welchen Wert also die Frömmigkeit derjenigen habe, die allein um des Lohnes willen fromm sind, nämlich gar keinen Wert. Alle Werke, die jemand tut, um dafür belohnt zu werden, haben nur den Schein guter Werke, aber in der Tat sind sie nichts weniger als dies; sie sind blinkende Zahlpfennige, die zwar den Goldstücken nach dem äußerlichen Gepräge gleichen, aber nach ihrem innerlichen Gehalt völlig wertlos sind. Denn nur das Werk kann vor Gott, der auf das Herz sieht, Wert haben, das ein Mensch nicht aus Eigennutz, nicht in Absicht auf Vergeltung, sondern allein aus Liebe zu Gott und dem Nächsten tut. Wären das gute Werke, die ein Mensch tut, um dafür einst belohnt zu werden, so müssten alle Werke der Menschen gute Werke sein, denn alle Werke, auch die offenbaren Sünden, werden von den Menschen getan, um sich damit einen Nutzen zu verschaffen.

    Sagt selbst, werdet ihr das für eine edle Tat ansehen, wenn ein Mensch einem Händler sein Geld gibt, um von diesem Waren wenigstens von demselben Wert dagegen zu erhalten? Werdet ihr den für einen Wohltäter seines armen Nachbarn ansehen, welcher für denselben zwar arbeitet, aber für bedingten Lohn? Und was werdet ihr von dem halten, der euch ein kleines Geschenk macht, wenn ihr wisst, dass er euch nur darum beschenkt habe, um euch ein größeres Gegengeschenk abzunötigen? Werdet ihr eines solchen Menschen Freigiebigkeit preisen? Gewiss nicht! Ihr werdet vielmehr einen solchen Schenker als einen Heuchler verachten. Seht, so wenig nun solchen Werken unter Menschen irgendein Wert beigelegt wird, so wenig hat die lohnsüchtige Frömmigkeit irgendeinen Wert vor Gott; ja, sie ist nichts als ein heuchlerischer Schein.

    Was ist daher ihr Lohn? – Christus zeigt es uns in den Worten des Hausvaters: „Nimm, was dein ist, und ehe hin.“ Und in den Schlussworten: „Also werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“ So war der Lohn, den einst die Juden für ihre lohnsüchtige Frömmigkeit erhalten haben. Sie waren die Ersten und wurden die Letzten. Sie waren erst das Volk Gottes, aber sie sahen scheel dazu, dass die Heiden auch in den Gnadenbund aufgenommen wurden; sie murrten, dass sie denselben gleich geachtet wurden, und sie meinten, mit ihrer Arbeit unter dem Joch des mosaischen Gesetzes mehr verdient zu haben – und was geschieht? – Darüber verloren sie Gottes Gnade; Gott rief ihnen erzürnt zu: „Nimm, was dein ist, und gehe hin.“ – Gottes Angesicht wendet sich nun von ihnen; Jerusalem wurde zerstört, das arme Volk, nach Moses Weissagung, als ein verachteter Pöbel unter alle Völker zerstreut und die Heiden an ihrer Statt angenommen.

    Ihr Schicksal ist aber ein Bild von dem Schicksal aller derer, welche Gott allein um des Lohnes willen dienen, die nämlich ihre guten Werke in der Absicht tun, um einst dafür von Gott belohnt zu werden. Alle ihre Werke werden einst auf Gottes Waage zu leicht befunden werden. Gott wird einem jeden von ihnen einst zurufen: „Nimm, was dein ist, und gehe hin“, das heißt, du hast deinen Lohn dahin, das zeitliche Leben mit seinen Gütern und Wohltaten war der Groschen, den ich dir bereits ausgezahlt habe; ich bin dir nichts schuldig; denn du hast nichts aus lauterer Liebe zu mir getan; weiche von mir, du Heuchler; ich habe dich noch nie erkannt, du Übeltäter! Dann werden die lohnsüchtigen Frommen ewig verstoßen und verworfen, hingegen die armen Sünder, die ihre Hoffnung allein auf die Güte des Hausvaters gesetzt hatten, werden mit dem Groschen zeitlichen Segens nicht abgewiesen werden, sondern auf ewig Aufnahme finden in seinem himmlischen Haus.

    Dies nehmt wohl zu Herzen, liebe Zuhörer! Seid nicht so töricht, mit euren elenden Werken und mit eurer armseligen Tugend und Frömmigkeit Gott seinen Himmel abkaufen zu wollen. Wollt ihr so die Gottseligkeit als ein Gewerbe treiben, so werdet ihr einst erfahren, wie wertlos alle eure Werke waren; Gott wird euch zeigen, dass ihr euer Gutes schon reichlich in dieser Welt empfangen hattet, und euch von sich weisen auf immer und ewig. Ihr aber, die ihr allein aus Gnaden selig werden zu wollen sprecht, prüft euch wohl, ob ihr wirklich alles, was ihr Gutes tut, allein aus Liebe gegen den tut, der euch von Ewigkeit geliebt und durch Christus angenommen hat; ob ihr euch nicht besser achtet als den größten Sünder; ob wirklich das Erbarmen Gottes in Christus der Grund eurer Hoffnung sei und ob ihr nun allein aus Dank für diese Gnade reich zu werden trachtet an guten Werken; ob ihr von Herzen sprecht:

Der Grund, darauf ich gründe,

Ist Christus und sein Blut;

Das machet, das ich finde

Das ewge wahre Gut.

An mir und meinem Leben

Ist nichts auf dieser Erd,

Was Christus mir gegeben,

Das ist der Liebe wert.

    O, wohl euch, die ihr solche Gesinnung habt! Euer Leben gefällt Gott wohl. Ihr achtet eure Werke für nichts, aber freut euch, freut euch! – Gott achtet sie um Christi willen groß, und einst will er sie aus Gnaden ewig und überschwänglich belohnen. Darum ruft nur getrost mit jenem Dichter:

Im Himmel ist gut wohnen,

Hinauf steht mein Begier,

Da wird Gott ewig lohnen

Dem, der ihm dient allhier.

    Amen.

Evangelienpredigt zum Sonntag Sexagesimae (60 Tage vor Ostern) ueber Lukas 8,4-15: Wie muss man Gottes Wort hoeren, dass man selig werde?

    Gott gebe euch viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

    In demselben, unserm teuren Heiland, geliebte Zuhörer!

    Dass Gott den Menschen nicht für dieses Leben und für diese Erde geschaffen haben könne, dies muss selbst die Vernunft einsehen und annehmen. Die größte Anzahl der Menschen geht ja seufzend durch die Welt;  die meisten müssen mit Sirach aus Erfahrung sagen: „Es ist ein elend jämmerliches Ding um aller Menschen Leben, von Mutterliebe an bis sie in die Erde begraben werden, die unser aller Mutter ist. Da ist immer Sorge, Furcht, Hoffnung, und zuletzt – der Tod.“ Wer dürfte daher meinen, dass der Mensch von einem weisen, gerechten und gütigen Gott für dieses flüchtige und nichtige Leben geschaffen sei? Wer dürfte meinen, dass Gott den Menschen auf diese Erde gesetzt habe, um einige sich freuen, andere weinen und endlich alle wieder vernichtet werden zu lassen? – Nein, nein, o Mensch, die vergängliche Zeit kann deinen unsterblichen Geist nicht befriedigen; nicht für diese arme Welt, du bist für den Himmel geschaffen; hier soll nur diene Vorbereitungsschule sein; hier sollst du im Schweiß deines Angesichts deinen Samen säen, dort aber erst ernten; hier sollst du geprüft werden, und wenn du bewährt gefunden sein wirst, dann sollst du Gott schauen von Angesicht zu Angesicht; hier sollst du um die Krone streiten und dem Kleinod nachjagen, jenseits des Grabes aber sollst du gekrönt werden und den Siegerpreis empfangen: Deine Bestimmung ist der Genuss einer ewigen Seligkeit. O, dass wir es nur erkennen und vor allem selig zu werden trachten möchten!

    Auf diese wichtige Wahrheit führt den Menschen schon seine bloße Vernunft, wenn er nur ein wenig in sein Herz einkehrt; wie aber der Mensch selig werden, wie er zu Gott kommen, wie er ein ewiges Leben erlangen könne – die Antwort auf diese Frage sucht der Mensch vergeblich in seinem Herzen oder in seiner Vernunft. Der wahre Weg zur Seligkeit ist ein Geheimnis der göttlichen Gnade, von welchem Fleisch und Blut, das heißt, ein natürlicher Mensch, nichts weiß; das kann Gott allein uns offenbaren. Gott ist der HERR des Himmels, er allein hat daher auch die Schlüssel des Himmels, und er kann auch allein den Weg bestimmen, auf welchem wir ihn finden sollen.

    Wodurch hoffen nun die meisten Menschen, selig zu werden? Sie denken, wenn sie sich, so viel wie möglich, vor allen Sünden hüteten, wenn sie keinem Menschen etwas zu Leide täten, wenn sie gegen jedermann freundlich und dienstfertig seien, wenn sie auf Gott vertrauten und fromm wären, so dürften sie wohl hoffen, Gott werde sie gewiss nicht verstoßen. Das ist offenbar der Weg, den die meisten Menschen in der Welt von Anfang an und noch heutzutage für den rechten unfehlbaren Weg zur Seligkeit halten. Ei, denkt man, das versteht sich ja von selbst, dass der selig werden müsse, der fromm und rechtschaffen gelebt hat! Die Gottlosen können doch Gott nicht lieber sein als die Frommen und Gerechten!

    Aber, meine Lieben, der Mensch mag mit seiner Vernunft über den Weg zur Seligkeit spekulieren so klug, wie er immer kann: So wenig ein Blinder einen Weg auf der Erde zeigen kann, so wenig kann uns die Vernunft den Himmelsweg weisen. So wenig wir haben Gott sagen können, wie er uns ins irdische Leben schaffen solle, so wenig können wir sagen, wie wir zum ewigen Leben kommen können. Das kann Gott allein sagen. – Und wie spricht er? „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“ Hier habt ihr mit kurzen Worten den einzigen wahren Weg zur Seligkeit. Er besteht in dem Hören und Bewahren des Wortes Gottes. Das Wort ist die Brücke, die uns Gott ins ewige Leben geschlagen hat, sonst keine; das ist die Himmelsleiter, sonst keine; das ist das Seil seiner Liebe und die Hand, die uns Gott herabreicht, uns zu ihm hinauszuziehen, sonst nichts anderes. Auf das Hören des Wortes Gottes kommt es allein an; aber nicht [nur] darauf, dass wir es hören, sondern wie wir es hören.

    Ihr hört ja das Wort Gottes alle, denn ich weiß es, dass ich euch nichts predige als das reine, lautere Evangelium Jesu Christi; aber ach, möchte es sich nur nicht zu oft offenbaren, dass viele unter uns doch nicht auf dem Weg zur Seligkeit gehen! Wer kann das leugnen? Viele hören, hören auch wohl mit Freuden zu, aber kommt die Stunde der Prüfung, wo sie eine Frucht davon zeigen sollten, da zeigt es sich, dass sie das Wort vergeblich gehört haben. O, dass sich Gott solcher erbarmen möchte, dass sie durch Erleuchtung seines Heiligen Geistes erkennten, was zu ihrem Frieden dient! Denn wer Gottes Wort hört und doch keine Frucht bringt, der ladet eine noch viel größere Verantwortung auf sich, als der, der es nie hörte. Solche aus ihrem gefährlichen Schlaf zu wecken und uns allen zur Ermunterung, lasst uns daher jetzt betrachten, wie man Gottes Wort hören müsse, dass man selig werde.

Lukas 8,4-15: Da nun viel Volk beieinander war und aus den Städten zu ihm eilten, sprach er durch ein Gleichnis: Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen; und indem er säte, fiel etliches an den Weg und ward vertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und etliches fiel auf den Fels; und da es aufging, verdorrte es, darum dass es nicht Saft hatte. Und etliches fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und etliches fiel auf ein gut Land; und es ging auf und trug hundertfältige Frucht. Da er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Es fragten ihn aber seine Jünger und sprachen, was dieses Gleichnis wäre. Er aber sprach: Euch ist’s gegeben, zu wissen das Geheimnis des Reichs Gottes; den andern aber in Gleichnissen, dass sie es nicht sehen, ob sie es schon sehen, und nicht verstehen, ob sie es schon hören. Das ist aber das Gleichnis: Der Same ist das Wort Gottes. Die aber an dem Wege sind, das sind, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort von ihrem Herzen, auf dass sie nicht glauben und selig werden. Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an. Und die haben keine Wurzel: Eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Das aber unter die Dornen fiel, sind die, so es hören und gehen hin unter den Sorgen, Reichtum und Wollust dieses Lebens und ersticken und bringen keine Frucht. Das aber auf dem guten Land sind, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.

    Das in dem Evangelium enthaltene Gleichnis vom Sämann legte Christus, wie wir hörten, zu einer Zeit vor, als „viel Volk beieinander war und aus den Städten zu ihm eilten“, ihn zu hören. Es enthält also eine Ermahnung an die, welche Gottes Wort schon höre, und zeigt ihnen, dass es damit noch keineswegs abgetan sei. Lasst uns daher hieraus die Frage beantworten:

Wie muss man Gottes Wort hören, dass man selig werde?

1.       Man muss darauf ernstlich merken,

2.       Man muss es tief zu Herzen nehmen,

3.       Man darf nicht auch andere Dinge das Herz einnehmen lassen, und

4.       Man muss es auch sorgfältig bewahren.

    Gnädiger und barmherziger Gott! Wir bitten dich demütig und inbrünstig im Namen Jesu Christi, lass diesen Unterricht an uns allen reichlich gesegnet sein, damit dein heiliges Wort, so oft wir es hören, das an uns ausrichte, wozu du es auch uns Unwürdigen gesendet hast, dass wir in uns Sünder, in Christus aber deine Gerechten seien und selig werden. Amen.

1.

    Christus beginnt sein Gleichnis mit den Worten: „Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen; und indem er säte, fiel etliches an den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen es auf“; dies erklärt Christus selbst so: „Der Same ist das Wort Gottes; die aber an dem Weg sind, das sind, die es hören; danach kommt der Teufel und nimmt das Wort von ihrem Herzen, auf dass sie nicht glauben und selig werden.“ Hier wird uns die erste Klasse derjenigen beschrieben, welche Gottes Wort zwar hören und doch nicht selig werden; es sind die, welche nicht einmal ernstlich darauf merken.

    Es gibt nämlich eine große Anzahl Menschen, welche auch gern selig werden und es, so zu sagen, mit Gott nicht verderben möchten, die daher fleißig zur Kirche gehen, nicht leicht eine Predigt oder Betstunde versäumen, kurz, alle Pflichten eines ehrbaren Christen äußerlich mit großer Sorgfältigkeit erfüllen. Aber sie meinen, Gott eben damit schon einen Dienst zu tun und Christen zu sein, dass sie nur in dem Haus des HERRN erscheinen, dass sie mit dasitzen, gedankenlos die Worte der angestimmten Lieder singend mit aussprechen und die Worte der Predigt wie das Geräusch eines vorüberfließenden Baches in ihr Ohr schallen lassen. Nur dann und wann geschieht es, dass sie auf etwas, was gepredigt wird, merken; die meiste Zeit ist ihre Seele in Schlaf versunken, so dass ihnen die predig tauch oft zu einem Wiegenlied dienen muss, bei dem sie nach und nach selbst in den leiblichen Schlaf fallen. Das sind recht arme unglückliche, beklagenswerte Zuhörer; an ihnen ist Gottes Wort verloren; kein Wort kommt in ihr Herz, sondern ein jedes nimmt der Satan davon hinweg, auf dass sie nicht glauben und selig werden. Sie setzen sich an die Tafel Gottes und sehen das Brot des Lebens nur an, genießen es aber nicht, bleiben in ihrem geistlichen Tod und sterben endlich unselig auf ewig.

    Darum merkt euch, meine Lieben, dass man Gotts Wort zu seiner Seligkeit höre, dazu gehört erstens, dass man ernsthaft darauf merke. Daher spricht Salomo: „Bewahre deinen Fuß, wen du zum Haus Gottes gehst, und komm, dass du hörst.“ So oft also der Christ zur Predigt gehen will, muss er erst in seinem herzen seufzen: O, dass ich doch heute das hören könnte, was ich tun solle, dass ich selig werde! O, dass ich heute erfahren könnte, wo ich noch irre gehe; dass mir heute meine Sünde mehr offenbar und mein Glaube recht erweckt und gestärkt würde; dass doch durch Gottes Wort meine Schläfrigkeit in Eifer oder meine Traurigkeit und Betrübnis in Freude und Friede verwandelt würde! O, dass ich doch heute finden könnte, was meine arme Seele bedarf! – So muss der Christ schon kommen, gerüstet und vorbereitet mit heiligen Seufzern. Hört er dann das Wort erschallen, dann darf er nicht anders denken, als dass Gott selbst mit ihm rede. Bei der strafe darf er nicht an andere denken, sondern er muss in sein eigenes Herz gehen; bei dem Trost aber muss der zu Gott flehen: O, dass ich dieses Trostes fähig sein und mich daran recht möchte erquicken können! Er muss sich das aussuchen, was gerade für seinen Zustand nötig ist; werden gerade seine Sünden getroffen, so darf er sich darüber nicht erzürnen, sondern er muss vielmehr denken: Das hat Gott so gelenkt, mich zur bußfertigen Erkenntnis zu bringen; scheint es ihm zuzeiten, als könnte er sich aus einer Predigt gar nichts nehmen, so muss er desto ernsthafter in der Stille zu Gott flehen, er wolle ihn doch nicht ganz lee4r ausgehen lassen und ihn wenigstens mit einem Bröcklein wahren Lebensbrotes an seiner Seele segnen. Das heißt also, Gottes Wort mit Aufmerksamkeit hören, es so hören, dass man darin begierig danach sucht, dass man selig werde.

    Es ist wohl wahr, meine Lieben, Gott4es Wort dringt oft mit göttlicher Gewalt auch in das Herz eines solchen Zuhörers, der erst ganz leichtsinnig in das Haus Gottes eintrat; es wird ihm oft durch ein einziges Wort, das ihn trifft, ganz klar, dass er in seinem jetzigen Zustand nicht selig werden könne, sondern dass es anders mit ihm werden müsse; sein herz wird voll Kummer, sein Auge voll Tränen, seine ganze Seele voll Seufzer um Erbarmung, und er wird so schnell erweckt, verändert und bekehrt; aber das sind besondere Gnadenheimsuchungen, die Gott niemandem verheißen hat. Wer darum unaufmerksam Gottes Wort hören und warten wollte, bis Gottes Geist mit allmächtiger Gewalt über ihn käme, der könnte gerade dadurch das Gericht der Verstockung über sich herabziehen, dass er, wie Christus in unserem Evangelium von vielen Zuhörern sagt, „das Gleichnis des Reiches Gottes nicht sehe, ob er es schon sehe, und nicht verstehe, ob er es schon höre“. Wohl ist es wahr, ohne Gott kann kein Mensch Gottes Wort verstehen; es bleibt ihm dann eine Torheit, wenn er es auch noch so aufmerksam hören, lesen und studieren wollte; aber doch ruft Christus uns allen zu: „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“

2.

    Christus fährt jedoch nun fort: Etliches fiel auf den Fels; und da es aufging, verdorrte es, darum, dass es nicht Saft hatte“. Dies erklärt er wiederum selbst, und zwar mit den Worten: „Die aber auf dem Fels, sind die, wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an; und die haben nicht Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab.“ Hier hören wir, dass es nicht genug ist, auf das Wort zu merken, man muss es auch zweitens tief zu Herzen nehmen, wenn man es zu seiner Seligkeit hören will.

    Es gibt nämlich viele, welche eine große Freude an Gottes Wort haben und es daher mit großer Aufmerksamkeit hören, und doch in solchem ihrem Zustand nicht selig werden können. Schon Christus haben oft Tausende mit frohlocken gehört, sie sind, um ihn zu hören, mehrere Tagereisen weit ihm nachgezogen und haben bei ihrer großen Begierde oft selbst Essen und Trinken vergessen, und doch haben die meisten von ihnen das Kleinod nicht erlangt. Warum? – Ihre Freude war nur eine bisweilige vorübergehende Aufwallung; ihr Herz wurde gleichsam nur angeschienen von dem Licht des Wortes, aber davon nicht durchleuchtet; ihr      Herz blieb, wie der HERR sagt, hart wie ein Fels, so dass das Wasser des Lebens wieder and en Herzen herunterfloss und nicht hineindringen konnte; der Same des Evangeliums ging in dem wenigen guten Land augenblicklicher Rührungen wohl schnell auf, aber die aufgegangenen Pflanzen vertrockneten und verwelkten bald wieder, wenn nur eine kleine Hitze der Anfechtung kam.

    An ihnen haben wir ein Beispiel zum Beweis dafür, dass dazu, dass man Gottes Wort zu seiner Seligkeit höre, auch dies gehöre, dass man es tief zu Herzen nehme. Denn Gottes Wort soll eine ganz andere Wirkung bei uns hervorbringen als die Worte menschlicher Kunst und Weisheit. Das Wort Gottes soll in uns nicht eine bloße Überzeugung des Verstandes von den Wahrheiten, die es enthält, bewirken, sondern – o, merkt es alle! – dadurch sollen wir andere Menschen, neue Kreaturen, der göttlichen Natur teilhaftig, das heißt, göttlich und himmlisch gesinnte Menschen werden. Unser Herz, Sinn und Gemüt sollen dadurch ganz umgekehrt und umgewandelt oder wiedergeboren werden. Damit das aber geschehen könne, so müssen wir vor allem arme Sünder werden, es muss uns nämlich vor allem unser sündliches Verderben, in welchem wir von Natur alle liegen, und unsere große Unwürdigkeit vor Gott durch Gottes Wort aufgedeckt und von uns lebendig erkannt werden. Unser von Natur felsenhartes Herz muss dadurch zerschlagen und erweicht und mit einer innigen Sorge und Bekümmernis um das Heil unserer Seele und um das Seligwerden erfüllt werden, so dass wir dann anfangen, am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit zu trachten und täglich und stündlich Gottes Gnade zu suchen in Christus Jesus.

    Ist es aber nicht gerade dieses, woran es bei vielen unter uns fehlt? Sind nicht viele unter uns noch immer einem Felsen gleich mit wenig Land, in welchem der Same des Worts zwar schnell aufgeht, aber auch ebenso schnell wieder verwelkt? – Ich kann ja freilich nichts anderes sagen, als dass, je mehr mir Gott Gnade gibt, seine Gnade aus dem Evangelium euch anzupreisen, auch ihr mit desto größerer Freude zuhört; aber machen nicht viele diese Freude und dieses Wohlgefallen an der evangelischen Lehre zum Trost ihrer Seele, zu ihrem Ruhekissen, zu ihrem Heiland, durch den sie selig zu werden gedenken?

    O, dass doch solche bedenken möchten, dass jede Predigt, die sie zwar mit Freuden hören, aber ohne dass dadurch der Grund ihres Herzens umgewandelt wird, für sie verloren ist und ihnen vor Gott nur als eine Schuld angeschrieben wird!

3.

    Doch lasst uns weiter gehen. Christus spricht ferner: „Und etliches fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s; Christi Erklärung hiervon ist: „Das aber unter die Dornen fiel, sind die, so es hören und gehen hin unter den Sorgen, Reichtum und Wollust dieses Lebens und ersticken und bringen keine Frucht.“ Hier hören wir: Sollen wir das Wort Gottes zur Seligkeit hören, so dürfen wir drittens andere Dinge das Herz nicht einnehmen lassen.

    Die meisten Menschen nämlich, welche noch einige Sorge für das ewige Leben in ihrem Herzen tragen und daher das Wort Gottes hören, stehen in dem unseligen Gedanken, daneben auch der Welt dienen zu können. Die meisten wollen daher einen Mittelweg einschlagen; sie wollen Gott dienen, aber auch dem Mammon; nach den ewigen Gütern trachten, aber auch an zeitlichen Gütern reich werden; um das Himmlische sorgen, aber auch um das Irdische; sie wollen für Christen gelten, aber auch bei den Gottlosen gut stehen; sie wollen nach dem Geist leben, aber auch nach dem Fleisch; sie wollen Gottes Willen tun, aber auch ihren eigenen; sie wollen dort selig werden, aber die Lust dieses Lebens auch nicht verlieren; kurz, sie wollen Christus und Belial, Licht und Finsternis, Gottes Freundschaft und der Welt Freundschaft verbinden. Das ist die Union, zu welcher alle Menschen von Natur geneigt sind.

    Aber, o unselige Menschen! Das ist ein ganz vergebliches bemühen. Mögen solche Gottes Wort noch fleißig hören, es ist bei ihnen doch fruchtlos, denn das Wort Gottes will den Menschen eben zu nichts anderem bewegen, als dass er sich Gott und Christus ganz ergebe. Christus spricht: „Wer nicht allem absagt, das er hat, der kann nicht mein Jünger sein.“ Gott will den Menschen ganz, nicht halb in den Himmel aufnehmen, der Mensch soll daher auch ganz, nicht halb den Weg zum Himmel gehen. Daher sprach schon Elia zu dem abgöttischen Volk: „Was hinkt ihr auf beiden Seiten? Ist der HERR Gott, so wandelt ihm nach; ist es aber Baal, so wandelt ihm nach.“ Teilen wir mit Gott das Herz, so teilt er mit uns nicht die Seligkeit. Wir können och so viel tun, noch so sehr uns abmühen, noch so eifrig sein, noch so schwere Werke tun, Gott fragt danach nichts; wollen wir nicht ganz Gottes Eigentum sein, so gehören wir ihm gar nicht an, und alle unsere Arbeit ist verloren. Rein ab und Christus an, so ist die Sach‘ getan!

    Vergeblich hört daher derjenige das Wort Gottes, dessen Herz mit den Sorgen, dem Reichtum oder der Wollust dieses Lebens beschwert ist; da kann die Himmelspflanze des wahren Glaubens nicht aufgehen, und wenn sie auch einmal Wurzel schlagen will, wird sie gar bald wieder von den Dornen des weltlichen Sinnes erstickt.

   Dies bedenke darum, o Zuhörer, der du so gern beide Wege gehen möchtest, den schmalen und den breiten, Christi und der Welt, bedenke, so kommst du nie zum seligen Ziel; du machst dir nur dieses Leben sauer und bitter und verscherzt das ewige. Es ist darum kein anderer Rat: Ergib dich Gott ganz, der sich dir auch ganz gegeben hat, so wirst du hier in Gott vergnügt, voll Trostes, Friedens und Hoffnung und einst selig sein.

4.

    Doch wir kommen nun an das Letzte, was Christus von dem rechten Hören des Wortes Gottes sagt; er spricht nämlich zum Schluss: „Und etliches fiel auf ein gutes Land; und es ging auf und trug hundertfältige Frucht“; die Erklärung hiervon ist: „Das aber auf dem guten Land, sind, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen Frucht in Geduld.“ Das Letzte also, was zum rechten Hören gehört, ist, dass wir das

Wort Gottes auch sorgfältig bewahren.

    So oft nämlich ein Mensch das Wort Gottes mit Andacht hört, so oft bekommt er einen Schatz des ewigen Lebens in sein Herz. Er bekommt entweder eine Erleuchtung über seinen Zustand, über seine Sünden, über Gottes Gnade, über eine Lehre des Heils und dergleichen, oder er bekommt eine neue Erweckung und Ermunterung durch die Kraft des Heiligen Geistes oder einen süßen Trost, eine neuen Mut und Eifer, einen kräftigen Zug zu Gott und zum Himmel und dergleichen. So köstlich nun dieser Segen des Wortes Gottes ist, so leicht und so bald können wir ihn wieder verlieren; dann hat aber Gott vergeblich an uns gearbeitet.

    Wollen wir daher selig werden, so ist es nicht genug, dass wir nur die Lehren, die uns vorgetragen worden sind, in unserem Gedächtnis festzuhalten suchen; ja, wer ein schwaches Gedächtnis hat, wird trotz aller seiner Aufmerksamkeit doch nur wenig behalten; das ist es aber auch nicht, worauf es ankommt; die Hauptsache besteht darin, dass wir die göttlichen Wirkungen bewahren, die das Wort in unserer Seele hervorgebracht hat. Betend sollen wir daher in das Haus des HERRN kommen, betend sollen wir es auch wieder verlassen. Was wir gehört haben, sollen wir nun in unserem Leben sogleich in Ausführung bringen; haben wir neues Licht bekommen, so sollen wir nun auch darin wandeln; ist uns eine Sünde offenbar geworden, sollen wir nun auch dagegen in den Kampf treten; sind wir ermuntert worden, so sollen wir nun auch einen neuen Eifer beweisen; sind wir getröstet worden, so sollen wir uns nun auch der Gnade Gottes desto zuversichtlicher getrösten; kurz, haben wir des HERRN Willen erkannt, dann sollen wir uns auch keinen Augenblick mit Fleisch und Blut besprechen, sondern nun auch nach des HERRN Willen tun.

    Ach, meine Lieben, wenn wir allezeit so das Wort Gottes gehört hätten, wie gut, wie selig würde dann die Verfassung unserer Seele sein! Wie reich an Erkenntnis unserer Selbst und unseres Heilandes, wie reich an Erfahrung, wie stark im Glauben, wie erfüllt mit allen guten Werken würden wir sein!

    Nun, der HERR ist gnädig und barmherzig, geduldig und von großer Güte. Wer daher bis jetzt sein seligmachendes Wort vergeblich gehört hat, der klage es seinem Gott und bitte um Gnade durch Christus, seinen Heiland, so wird ihm Gott seine Sünde verzeihen und gnädig sein. Von nun an aber höre er Gottes Wort recht und behalte es in einem feinen, guten Herzen.

    Das helfe er uns allen durch Jesus Christus, unseren einigen Heiland und Mittler. Amen. Amen.

Evangelienpredigt zum Sonntag Estomihi (Sei mir ein starker Fels; Ps. 31,3) ueber Lukas 18,31-43: Warum noch jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erkennen

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

    In demselben, unserem Heiland, herzlich geliebte Zuhörer!

    Christi blutiges Leiden gehört nicht nur, wie das Leiden anderer Menschen, zu den besonderen Schicksalen, welche Christus während seines Lebens in dieser Welt betroffen haben, sondern es ist der eigentliche Mittelpunkt des ganzen Werkes, zu dessen Vollendung Christus in die Welt gekommen ist. Hätte Christus nicht gelitten, so wäre alles andere, was er getan hat, sein Lehren, sein heiliges Leben und sein Wundertun, ganz vergeblich gewesen. Hätte Christus nicht gelitten, so wären unsere Sünden noch nicht getilgt, Gott wäre noch nicht versöhnt und das ganze menschliche Geschlecht noch unerlöst. Ohne Christi Leiden wären wir Menschen daher alle noch auch ohne einen Heiland, ohne einen Seligmacher, und darum ohne Trost und ohne Hoffnung in Sünde, Not und Tod. Daher es in jenem Lied heißt:

All Sünd hast du getragen,

Sonst müssten wir verzagen;

Erbarm dich unser, o Jesus!

     Schon in der ersten Verheißung Christi, welche Gott einst den ersten gefallenen Menschen gegeben hat, ist es daher offenbart worden, dass der Heiland der Menschen ein leidender Heiland sein werde, denn es heißt von ihm, die Schlange werde ihn in die Ferse stechen. Lesen wir aber die Psalmen und Propheten, in welchen der schon im Paradies verheißene Erlöser der Welt immer deutlicher abgebildet wird, so erblicken wir ihn immer deutlicher in dem Bild eines Lammes, auf welches der HERR alle unsere Sünden werfen und das zur Schlachtbank geführt werden solle. Und fragen wir endlich, wie die zwölf ersten und größten, von Christus selbst bestellten Herolde Christi Christus vor allem dargestellt haben, so hören wir sie mit Einem Mund rufen, wie St. Paulus im 2. Kapitel seines ersten Briefs an die Korinther schreibt: „Ich hielt mich nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter euch, als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten“; oder an einer anderen Stelle, im 6. Kapitel seines Briefs an die Galater: „Es sei ferne von mir rühmen als allein von dem Kreuz unseres HERRN Jesus Christus, durch welchen mir die Welt gekreuzigt ist und ist der Welt.“

    Gehen wir nun weiter in die Geschichte der Entstehung und Ausbreitung der christlichen Kirche: Welche Lehre ist es vor allem gewesen, durch welche die vielen Millionen Heiden und Juden, und unter ihnen Gelehrte und Ungelehrte, Reiche und Arme, Hohe und Niedrige, mächtige Fürsten und ihrer Freiheit beraubte Sklaven, irdisch Glückliche und irdisch Unglückliche, ich sage, welche Lehre ist es vor allem gewesen, durch die diese alle bewogen worden sind, Bekenner Jesu Christi zu werden? Nicht das herrliche Beispiel, welches Christus gegeben hat mit seinem Leben, nicht die Heiligkeit, Vollkommenheit und Trostfülle seiner Lehre, nicht die Größe seiner Wunder, sondern vor allem die Botschaft von Christi Leiden und Sterben zur Versöhnung Gottes mit der Sünderwelt war es, was Heiden und Juden so gezogen hat, dass sie nicht haben widerstehen können, dass sie ihre väterliche Religion haben aufgegeben und Glieder der christlichen Kirche haben werden müssen. Gottes Sohn hat für dich unschuldig gelitten, damit du nicht leiden müssest, was deine Taten wert sind; Gottes Sohn hat für dich bis auf das Blut gekämpft, damit du Sünder triumphieren könntest; Gottes Sohn ist für dich am Kreuz gestorben, damit du vom ewigen Tod errettet werden möchtest und ewig leben könnest: Diese Lehre ist es, welche mit göttlicher Gewalt in die Herzen von Millionen gedrungen ist und die allein noch immer dem Christentum den Sieg über das Heiden- und Judentum bereitet.

    Wir dürfen jedoch nicht meinen, dass die Lehre, dass Gottes Sohn für die Sünder gelitten hat, unter Juden und Heiden etwa nur darum einen so tiefen Eindruck gemacht habe und noch mache, weil sie diesen so neu und ungewöhnlich ist. Nein, so oft auch unter den getauften Christen ein lebendig Gläubiger sich findet, der wirklich ein neuer Mensch geworden ist und wirklich eine brünstige Liebe und eine lebendige Hoffnung in seinem Herzen trägt, und man ihn fragt, wodurch er ein anderer Mensch geworden sei, so wird er allezeit sagen: Die Lehre, dass Gottes Sohn für alle Sünder und auch für mich gelitten hat, ist mir durch das Herz gegangen; diese Lehre war es, die in mir wie ein Feuer geworden ist, das mein hartes Herz zerschmolzen und mein Innerstes, meine ganze Seele entzündet hat; und in dieser Lehre lebe ich als in meinem Element; sie ist meiner Seelen Speise und Trank, mein Trost gegen meine Sünde, meine Stärke zu meinen Kämpfen, meine Erquickung in meinen Nöten.

    Doch, meine Teuren, hat das Leiden Christi wirklich eine so große Kraft, woher kommt es doch, dass es diese Kraft an so vielen nicht erweist? Woher kommt es, dass besonders in unseren Tagen selbst vielen getauften Christen gerade der alleranstößigste und ärgerlichste Gegenstand des christlichen Glaubens ist? – Davon lasst mich jetzt noch weiter zu euch sprechen.

Lukas 18,31-43: Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen: Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von des Menschen Sohn. Denn er wird überantwortet werden den Heiden; und er wird verspottet und geschmäht und verspeit werden; und sie werden ihn geißeln und töten. Und am dritten Tag wird er wieder auferstehen. Sie aber vernahmen der keines, und die Rede war ihnen verborgen, und wussten nicht, was das gesagt war. Es geschah aber, da er nahe zu Jericho kam, saß ein Blinder am Wege und bettelte. Da er aber hörte das Volk, das hindurchging, forschte er, was das wäre. Da verkündigten sie ihm, Jesus von Nazareth ginge vorüber. Und er rief und sprach: Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich mein! Die aber vorne an gingen, bedrohten ihn, er sollte schweigen. Er aber schrie viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich mein! Jesus aber stand still und hieß ihn zu sich führen. Da sie ihn aber nahe zu ihm brachten, fragte er ihn und sprach: Was willst du, dass ich dir tun soll? Er sprach: HERR, dass ich sehen möge. Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein Glaube hat dir geholfen. Und alsbald ward er sehend und folgte ihm nach und pries Gott. Und alles Volk, das solches sah, lobte Gott.

    Christus verkündigte, meine Lieben wie ihr gehört habt, einst den lieben Jüngern sein Leiden und Sterben voraus, und was war der Eindruck, den diese Verkündigung auf die Jünger machte? Es heißt: „Sie aber vernahmen des keines, und die Rede war ihnen verborgen und wussten nicht, was das gesagt war.“ Dass uns dies von den lieben Jüngern erzählt wird, kann uns nicht so hoch befremden, da das Leiden Christi damals noch nicht vollendet und der Ausgang desselben ihnen nur dunkel angedeutet war. Aber ist es nicht befremdend, dass selbst jetzt noch so vielen das Leiden und Sterben Christi ein wie mit sieben Siegeln verschlossenes Buch ist, jetzt, nachdem es bereits alle Welt gepredigt und offenbart ist, dass Christus durch sein Leiden zur Herrlichkeit eingegangen ist? Gewiss. So lasst mich euch denn jetzt aus Gottes Wort zeigen:

Warum noch jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erkennen

    Die Ursachen sind hauptsächlich drei, nämlich

1.       Weil so viele das Leiden Christi allein mit den Augen ihrer Vernunft betrachten,

2.       Weil so viele nicht erkennen wollen, wie sehr sie desselben bedürfen, und endlich

3.       Weil so viele sich desselben nicht zu trösten wagen.

1.

    Warum blieb wohl einst den lieben Jüngern das Leiden Christi, als es ihnen im Voraus verkündigt wurde, ein unverstandenes Geheimnis? Christus beschrieb es ihnen ja mit so klaren, einfachen, unzweideutigen Worten, dass sie ihn nicht missverstehen konnten. – Die Hauptsache lag bei ihnen darin, dass sie allein fest an dem hielten, was die Propheten von der Größe, macht und Herrlichkeit des Messias geweissagt hatten. Da sie nun einige Strahlen dieser Herrlichkeit auch schon an Christus wahrgenommen hatten, so meinten sie, es sei unmöglich, dass Christus noch in ein so tiefes Leidensmeer hinabsinken oder gar unter Mörderhänden sterben könne. Sie meinten, Christi Worte von einem ihm noch bevorstehenden blutigen Leiden und schmählichen Tod müssten daher wohl anders zu verstehen sein, als sie lauteten. Was taten sie also eigentlich? Sie folgten hier einmal ihrer Vernunft. Da sie das, was sie aus den Propheten schon erkannt hatten, mit dem, was ihnen Christus sagte, nicht zusammenreimen konnten, so gingen sie von dem Wort Christi ab, und die Folge war, dass sie eine Zeitlang über das seligste Gnadengeheimnis Gottes blind blieben.

    Hier haben wir die erste Ursache, warum noch jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erkennen, weil nämlich so viele das Leiden Christi allein mit den Augen ihrer Vernunft betrachten.

    Viele denken nämlich: Wie wäre es möglich, dass Gott um des von ihm abgefallenen Menschen willen selbst ein Mensch geworden sein sollte? Wie wäre es möglich, dass Gott den Menschen ihre Sünden nicht ohne weiteres nach seiner Liebe sollte haben vergeben können? Wie wäre es möglich, dass Gott, um mit uns wieder versöhnt zu werden, seinen eigenen Sohn sollte haben in Leiden und Tod dahingeben und opfern müssen? Hinweg, ruft man aus, mit so unwürdigen Gedanken! Meine Vernunft stellt mir Gott ganz anders dar. Nimmer werde ich annehmen, dass Gott allein durch das Blut seines eigenen Sohnes habe bewegt werden können, uns zu begnaden und selig zu machen. Die Folge hiervon ist denn, dass alle diese das Leiden Christi allein mit den Augen ihrer Vernunft Betrachtenden die herrliche und selige Kraft desselben nie erkennen lernen.

    So klug aber solche Menschen sich achten, so töricht, ja närrisch handeln sie; und so hoch sie über die angeblichen Vorurteile gläubiger Christen erhaben zu sein sich dünken lassen, so sehr sind gerade sie in den grundlosesten Vorurteilen befangen.  Denn sagt nicht einem Jeden schon seine Vernunft, dass die menschliche Vernunft Grenzen haben müsse, die sie nicht übersteigen könne? Lehrt nicht jeden eine vernünftige Betrachtung der Welt, dass es in der Welt unzählige Wirkungen gebe, deren Ursachen niemand erforschen kann? Lehrt nicht einen Jeden die Erfahrung, dass schon unzählige kluge Leute erst etwas im Irdischen für unmöglich geachtet haben, was später sich doch als möglich erwiesen hat? Und sagt endlich nicht jedem seine Vernunft, dass Gott ein unermessliches, und darum für den Menschen unergründliches und unbegreifliches Wesen sein müsse und dass daher nur derjenige Gott erforschen könne, der Gott gleich wäre? Ist es daher nicht töricht, etwas deswegen für unmöglich zu verwerfen, weil man es mit den Gedanken seiner Vernunft nicht zusammenreimen kann? Ist es nicht töricht, wenn ein Mensch sagen will: So oder so muss Gott sein, so oder so muss Gott denken, das oder das kann oder darf Gott tun oder nicht tun? Ist es nicht töricht, ja, ist es nicht Aberwitz und Wahnsinn, wenn sich der Mensch so zu einem Richter über Gottes Willen, Gedanken und Ratschlüsse und also Gott gleich machen, ja, über Gott stellen will?

    O, so lasst euch denn, meine Lieben, durch die unsicheren Schlüsse eurer Vernunft nicht um das Heil betrügen, welches durch das Leiden des Sohnes Gottes allen Menschen und also auch euch bereitet ist! Hört nicht auf den Spott der Spötter und auf die spitzfindigen Reden der Weisen dieser Welt, damit sie euch bewegen wollen, das Leiden eures Heilandes zu verwerfen! Bedenkt: Gottes Geheimnisse wollen von uns erst im Glauben angenommen sein, und dann erst erweisen sie sich in uns als göttliche Kraft und göttliche Weisheit. Wie denn Christus spricht Johannes im 7. Kapitel im 17. Vers: So jemand will des Willen tun, der mich gesagt hat, der wird inne werden, ob diese Lehre von Gott sei oder ob ich von mir selber rede.“

2.

    Doch, meine Lieben, die Ursache, warum noch jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erkennen, liegt nicht nur darin, dass so viele das Leiden Christi allein mit den Augen ihrer im Geistlichen und Himmlischen blinden Vernunft betrachten, sondern auch zweitens darin, dass so viele nicht erkennen wollen, sie sehr sie desselben bedürfen.

    Auch hierzu finden wir ein merkwürdiges belegendes Beispiel in unserem Evangelium. Darin wird uns nämlich erzählt: Als Christus auf seiner letzten Reise nach Jerusalem in die Nähe der Stadt Jericho in Begleitung einer großen Volksmenge kam, da saß ein blinder Bettler am Weg, welcher, als er die große Menge Menschen kommen hörte, begierig forschte, „was das wäre“. Als er nun, von dem Nahem Christi unterrichtet, laut rief: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich mein!“ bedrohten ihn die, welche vorn an gingen, er sollte schweigen. Woher kam es nun wohl, dass zwar der Blinde es Christus zutraute, dass er ihm wunderbar helfen werde, dass aber jene Begleiter das Gegenteil erwarteten? Das kam vor allem daher, dass der Blinde seine Not fühlte und darum bei dem geringsten Strahl der Hoffnung, dass ihm geholfen werden könne, auch alsbald versuchte, ob ihm seine Hoffnung nicht in Erfüllung gehen werden, währen die Begleiter ihre Not nicht fühlen, sondern wohl nur aus Neugierde den Heiland begleiten mochten. So erfuhr denn der blinde Bettler Christi Gnade und Herrlichkeit, während jene Begleiter von dieser Erfahrung leer ausgingen.

    Diesen damaligen Begleitern Christi sind leider in unseren Tagen unzählige sogenannte Christen gleich. Es gibt nämlich unzählige sogenannte Christen, welche entweder noch nie eingesehen haben, dass sie arme Sünder sind, die ohne Christus verloren gehen und von Gott notwendig verstoßen werden müssten; oder die, wenn sie dies auch durch den Unterricht in Gottes Wort haben einsehen müssen, dies nicht lebendig erkennen. Sie sehen nämlich ein, dass ihrer Sünden viel sind, aber sie sind darüber nie von Herzen erschrocken; sie sehen ein, dass ihre Sünden schwer und groß sind, aber sie sind darüber nie von Herzen traurig geworden; sie sehen ein, dass sie Gottes Gnade verscherzt und seinen Zorn und die Hölle verdient haben, aber das macht ihnen keinen besonderen Kummer, keine sonderliche Sorge. Ihre Sünde drückt sie nicht. Sie ist ihnen noch keine unerträgliche Last, noch kein Gegenstand ihrer Abscheu, noch keine Quelle des Seufzens und der Tränen geworden.

    Was ist die Folge dieses Zustandes? Dass sie die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nie erfahren. Sie haben so wenig Ergötzung daran, so wenig der Satte sich an Speise und Trank ergötzt; sie finden so wenig eine Freude darin, so wenig ein Gesunder sich freut, wenn ein Arzt ihm Heilung von seiner Krankheit und Stillung seiner Schmerzen verspricht. Ja, solche Namenchristen, die ihre Sündennot noch nie fühlen gelernt haben, wundern sich, wenn andere Christen erzählen, welchen überschwänglichen Trost, welche Seligkeit, welchen süßen Vorgeschmack des ewigen Lebens sie empfunden haben in Betrachtung des für sie leidenden, blutenden und sterbenden Heilandes. Sie halten solche Leute entweder für Schwärmer, oder sie denken, dieselben müssten wohl besonders schwere heimliche Sünden begangen haben.

    O, merkt euch doch dies, ihr alle, die ihr zwar der geheimnisvollen Lehre von dem Versöhnungsleiden Christi nicht widersprecht, aber von der herrlichen und seligen Kraft derselben noch nichts erfahren habt. Ach, denkt nicht, wenn der Mund anderer Christen überfließt von dem, was sie erfahren haben, dies sei Einbildung, da ihr dergleichen ja nie erfahren hättet. Erkennt vielmehr: Dass ihr nichts dergleichen erfahren habt, das kommt daher, dass ihr noch nie lebendig erkannt habt, wie nötig es auch um euretwillen gewesen ist, dass der Sohn Gottes in das Meer der tiefsten Leiden hineinstieg. Bittet nur Gott, dass er euch dies recht lebendig zu erkennen gebe; bittet ihn darum ernstlich und herzlich; wenn es dann mit euch dahin kommt, dass ihr von Herzen sagen könnt: „Ach, ich Sünder! Ich großer Sünder! Ich verlorener Sünder! Ich verdammter Sünder!“ dann wird auch euch das Leiden Christi ein Paradiesgarten werden, in welchem ihr eure schmachtende Seele erquicken und ausrufen werdet:

Prange, Welt, mit seinem Wissen,

Das du jetzt so hoch gebracht;

Ich kann deine Weisheit missen,

Die der weise Gott veracht’t.

Meines Jesu Kreuz und Pein

Soll mein liebstes Wissen sein:

Weiß ich das in wahrem Glauben,

Wer will mir den Himmel rauben?

3.

    Doch, meine Lieben, noch eine Ursache habe ich euch zu nennen, warum so viele noch jetzt die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erkennen und erfahren, und das ist diese, weil drittens desselben so viele sich nicht zu trösten wagen.

    Ein merkwürdiges Beispiel finden wir in unserem Evangelium an dem blinden Bettler. Als derselbe Christus entgegenrief: „Jesus, du Sohn Gottes, erbarme dich mein!“ da bedrohten ihn, wie wir gehört haben, die vorne an gingen, er sollte schweigen. Sie mögen ihm wohl vorgehalten haben, wie er so frech und unverschämt sein könne, zu verlangen, dass ein so großer, heiliger Mann, wie Jesus, um seinetwillen einen langen Aufenthalt machen und an ihm seine Wunderkraft verschwenden solle. Er sei blind um seiner Sünden willen; er solle daher nur ja still sein und tragen, was er tausendfach verdient habe. Was tat aber der blinde Bettler? Weit entfernt, dass er nun sollte geschwiegen haben, so heißt es im Gegenteil von ihm: „Er aber schrie viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich mein!“ Und was geschah? – Jesus steht plötzlich still, heißt den Blinden zu sich führen und fragt ihn: „Was willst du, das sich dir tun soll?“ Und als er antwortet: „HERR, dass ich sehen möge“, so spricht Christus: „Sei sehend, dein Glaube hat dir geholfen.“ Und siehe! Alsbald wird er sehend und folgt nun Christus, Gott lobend und preisend und unter dem Jubel des ganzen Volkes, das dies gesehen hatte, nach. Was würde nun aber wohl geschehen sein, wenn der Blinde sich hätte zum Schweigen bringen lassen? Sein Unglaube würde ihn um die herrliche Hilfe betrogen haben, die Christus ihm zu bringen so bereit und willig war.

    Erkennt hieraus die letzte Ursache, warum so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erfahren. Es gibt nämlich nicht wenig Christen, welche durch Gottes Gnade aus seinem Wort ihre Sündhaftigkeit und Unwürdigkeit lebendig erkannt haben, die es lebendig einsehen, dass sie ohne Christus verloren sein müssten. Solche sind recht zubereitet, Christi Leiden in seiner ganzen herrlichen und seligen kraft zu erfahren. Aber es geht ihnen wie jenem blinden Bettler; wenn sie Christus im festen Glauben um Gnade und Erbarmen anrufen wollen, da gebietet ihnen ihr eigenes Herz und Gewissen Schweigen. Da heißt es in ihrem Inneren: Was willst du? – Gnade? – Dir gehört keine Gnade; werde erst ein anderer Mensch! Tue erst bessere Buße! Zeige erst mehr Eifer um deine Seligkeit! Reinige erst dein Herz von seinen bösen Lüsten und Begierden! So, wie du jetzt bist, darfst du keine Gnade zu erlangen hoffen und zu haben meinen.

    Was tun nun diejenigen, die diese Stimme in ihrem Inneren vernehmen? Ach, nur zu viele glauben dann ihrem trügerischen Herzen und hören auf, im Glauben um Gnade zu bitten; sie hören auf, sich Christi und seines Leidens und Sterbens zu trösten; sie wollen nur immer aus Christi Leiden ihre Sünde mehr erkennen und mit Christus erst ihre Sünden an das Kreuz schlagen und töten. Anstatt dass daher Christi Leiden ihnen lieblich und tröstlich, süß und köstlich sein sollte, ist es ihnen ein Bild voll lauter Schrecken, voll Zorn und Drohungen.

    Ihr daher, die ihr in dieser Beschreibung euch selbst wiedergefunden habt, erkennt doch den Betrug eures Herzens und des Satans. Seht doch das Beispiel des blinden Bettlers an und folgt ihm doch nach, denn dazu ist uns ja sein Beispiel im Evangelium aufbewahrt worden. Je mehr euch euer Herz abhalten will, der Leiden eures Heilandes euch zu trösten, desto tiefer drückt den darin liegenden Trost in euer zagendes Herz. Je mehr euer Gewissen euch zuruft: „Schweig, du bist ein unwürdiger Sünder!“ desto zuversichtlicher sprecht: Gerade weil ich ein unwürdiger Sünder bin, weil ich des Leidens mich trösten, das mein Heiland um meiner Sünden willen erduldet hat.

    O, wenn ihr das tut, so wird Christus seine Herrlichkeit an euch offenbaren. Sein Leiden wird euch eine Quelle werden, aus welcher ganze Ströme des Trostes in euer Herz fließen. Euer Mund wird voll Lachens und eure Zunge voll Rühmens werden. Ihr werdet aber auch dann Christus, wie jener Blinde, immer treuer nachfolgen und alle Chr4istgen, die mit euch die breite Straße der Welt verlassen haben, werden mit euch Gott preisen und loben.

    Nun, so helfe denn Gott, dass in der mit dieser Woche beginnenden heiligen Passionszeit alle, die die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi noch nicht erfahren hatten, zu dieser heilsamen Erfahrung kommen, und dass die, welche bereits darin stehen, neue, noch tiefere und süßere Erfahrungen davon machen, und wir so alle durch Christi Leiden endlich zur ewigen Freude kommen. Amen. Amen.

Evangelienpredigt zum Sonntag Invocavit (Er ruft mich an, darum will ich ihn erhoeren; Ps. 91,15) ueber Matthaeus 4,1-11: Von den drei Hauptversuchungen eines glaeubigen Christen, um welcher willen er stets im Streit sein muss

    Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi unseres HERRN. Amen.

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Da man nicht durch die guten Werke, sondern allein durch den Glauben an Christus ein Christ wird und bleibt und selig wird, so dünkt vielen nichts leichter zu sein, als ein Christ zu werden und zu bleiben. Und in der Tat! Scheint dies hiernach nichts weniger als Mühe zu kosten; ja, es hat das Ansehen, als könne man nach dieser Lehre die Hände ruhig in den Schoß legen und ohne Kampf und Streit doch endlich die Siegerkrone erlangen.

    Dem ist aber keineswegs so. Wohl ist es wahr, die Seligkeit ist kein Werk, zu dem wir etwas beitragen könnten; sie ist ein pures Gnadengeschenk; aber er durch die Gnade wirklich zu dem Herzensglauben gebracht wird, durch welchen er die Seligkeit ergreift, der wird dann nicht nur sogleich auf den Kampfplatz geführt, sondern ihn rüstet auch die Gnade sogleich mit Lust und Kraft aus, zu streiten und zu kämpfen für das Kleinod, das ihm vorhält seine himmlische Berufung in Christus Jesus. Daher es gar recht in jenem alten Lied heißt:

Denn wer nicht kämpft, trägt auch die Kron

Des ewgen Lebens nicht davon.

    Es gab eine Zeit, wo dies recht offenbar wurde; dies war die Zeit der blutigen Christenverfolgungen in den drei ersten Jahrhunderten des christlichen Zeitalters. Da sind wenige ohne große heiße Kämpfe zu dem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe gekommen, das behalten wird im Himmel. Da sah es jeder, der ein Christ ein und selig werden wollte, wohl ein, dass es nicht genug sei, nur in aller Stille den Glauben in seinem Herzen tragen zu wollen, sondern dass derjenige, welcher einst mit Ehren angenommen werden wolle, hier Schmach und Schande tragen müsse, dass derjenige, welcher einst ein Bürger des Himmelreichs werden wolle, hier die Welt verlassen und alle ihre Herrlichkeit verleugnen müsse, und dass derjenige, welcher einst zum Leben eingehen wolle, hier das irdische Leben zu opfern willig und bereit sein müsse. Das war eine Zeit, wo auch der Schwächste sich entscheiden und oft entweder ein Held werden oder verloren gehen musste. Wer es damals zu bekennen wagte: „Ich bin ein Christ und glaube an den Gekreuzigten“, dem riefen die Machthaber der Erde: „Widerrufe und opfere den heidnischen Göttern, oder lege dein Haupt unter den Block, oder reiche deinen Hals dem Schwert dar, oder lass dich von Löwen und Tigern zerreißen und von wilden Stieren zerstoßen, oder besteige den Scheiterhaufen und lass dich die Flammen verzehren, oder lass dich in Stücke zerhauen, oder lass dein Fleisch von den Knochen dir reißen, oder springe in den Kessel, der mit siedendem Öl wallt, oder lege dich auf den glühenden Rost. Als die gläubigen Christen diese furchtbare Wahl hatten entweder Christus zu verleugnen oder unter den ausgesuchtesten Qualen und Martern langsam zu sterben, da wurde es offenbar, dass zwar der Glaube selig mache, dass aber ohne Glaubenskampf kein Sieg und ohne Glaubenstreue keine Krone sei. Denn Christus spricht zwar. „Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben“, aber er sagt auch: „Wer sein Leben erhalten will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert und meinetwillen, der wird es erhalten. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“

    Wohlan, liebe Zuhörer, die ihr euch eures Glaubens tröstet, geht in euer Herz. Wollt ich nicht nur an Christus glauben, seid ihr auch, wie die ersten Christen, durch euren Glauben so gewappnet und ausgerüstet, dass ihr lieber euer Blut unter den schrecklichsten Peinigungen vergießen als Den auch nur mit einem Wort eures Mundes verleugnen wollt, den ihr durch den Glauben im Herzen tragt? Seid ihr jede Stunde bereit, mit Christus in den Tod zu gehen? Für ihn wieder zu sterben, wie er für euch gestorben ist?

    Doch, meine Lieben, sollt ihr auch bei diesen Fragen mit eurer Antwort zaudern und zagen, so wäre dies freilich noch kein Kennzeichen, dass ihr Christus noch nicht im wahren Glauben in euer Herz geschlossen hättet, denn es sind viele die heldenmütigsten Märtyrer später geworden, die erst sehr kleinmütig und mit Angst und Zagen der Stunde dieser großen Versuchung entgegen gesehen haben, während andere abfielen, die sich vorher für unüberwindlich hielten. Es gibt aber einen Kampf mit gewissen Versuchungen, in welchem gläubige Christen zu allen Zeiten sich befinden müssen und ohne w3elchen sie unmöglich die Krone des Lebens erlangen können. Damit sich nun niemand unter uns selbst um sein Seelenheil betrüge, so lasst mich euch jetzt den Kampf vorstellen, den wir alle kämpfen müssen, wollen wir einst gekrönt werden.

Matthäus 4,1-11: Da ward Jesus vom Geist in die Wüste geführt, auf dass er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Und er antwortete und sprach: Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot alleine, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht. Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so lass dich hinab; denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest. Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: Du sollst Gott, deinen HERRN, nicht versuchen. Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, so du niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Heb’ dich weg von mir, Satan! Denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten Gott, deinen HERRN, und ihm allein dienen. Da verließ ihn der Teufel; und siehe, da traten die Engel zu ihm und dienen ihm.

    Das verlesene Evangelium kann, meine Lieben, von zwei Seiten betrachtet werden. Einmal können wir daraus sehen, wie Christus als unser Erlöser, Heiland und Stellvertreter für uns mit dem Versucher gekämpft und ihn überwunden hat; sodann können wir darin Christus als ein Vorbild ansehen, dem wir, wenn wir seine Jünger sein wollen, nachfolgen sollen. Lasst uns jetzt unser Evangelium von der letzten Seite betrachten, indem ich zu euch spreche:

Von den drei Hauptversuchungen eines gläubigen Christen, um welcher willen er stets im Streit sein muss

1.       Von der Versuchung durch Mangel und allerlei Trübsal;

2.       Von der Versuchung durch falschen Glauben und falsche Geistlichkeit, und endlich

3.       Von der Versuchung durch Reichtum und allerlei zeitliche Vorteile.

    HERR Jesus Christus! Wer an dich von Herzen glaubt, der hat durch dich einen gnädigen Gott, Vergebung aller seiner Sünden, Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit; dem gibst du aber auch den Heiligen Geist, der ihn erleuchtet, belebt, regiert und ich mit Kraft und stärke ausrüstet, gegen Welt, Fleisch und Satan zu kämpfen und so durch dich zu überwinden. Aber ach, HERRN, wir müssen dir bekennen, dass wir wohl alle deine Gnade und Gerechtigkeit haben wollen, aber in deiner Kraft und Stärke nicht treu und ernstlich kämpfen und streiten wollen. Wie viele haben schon um solcher Trägheit und Untreue willen deine Gnade wieder verloren! Wie viele sind schon der Wolken- und Feuersäule deines Evangeliums eine Zeitlang gefolgt, und haben doch das himmlische Kanaan nicht erreicht! Wie viele sind schon gefallen, noch ehe du ihnen den ewigen Kampfpreis darreichen konntest! O, lass uns nicht unter ihnen sein! Erwecke uns jetzt durch dein Wort, alle Sicherheit zu verlassen, mit Furcht und Zittern zu schaffen, selig zu werden, und zu ringen, bis wir eingehen durch die enge Pforte, die zum ewigen Leben führt. Amen. Amen.

1.

    „Wer mir dienen will, der folge mir nach“, spricht Christus; hiermit erklärt der Heiland, dass zu dem wahren Christentum notwendig auch die Nachfolge Christi gehöre und dass sie diejenigen gänzlich betrügen, die da meinen, dass sie sich des Evangeliums im Glauben trösten könnten, auch wenn sie Christus nicht nachfolgten.

    Unser Leben muss also, wollen wir Christen sein, dem Leben unseres HERRN Jesus Christus ähnlich werden. Die Erfahrungen, die er in dieser Welt machte, müssen auch wir in unserem Maß machen. Die Versuchungen, welche er nach unserem heutigen Evangelium erlitt, kommen daher gewiss auch über uns, sobald wir durch einen wahren Glauben mit ihm in Gemeinschaft treten. Wahre Christen haben nämlich nicht nur, wie ihr HERR und Meister, den Satan zu ihrem erklärten Feind, der ihnen besonders nachstellt, sie wieder um ihren Glauben und so um Gnade, Heil und Seligkeit zu bringen, sondern Gott hat auch selbst beschlossen, die Christen, seine Kinder, hier erst eine Zeitlang zu prüfen, ihren Glauben zu üben, zu seiner Ehre Satan, Welt und Fleisch an ihnen zuschanden werden zu lassen, und sie dann erst, wenn sie gekämpft und überwunden haben, in die ewige Ruhe eingehen und aus dem Glauben in das Schauen übergehen zu lassen.

    So leicht es daher ist, ein Christ zu werden, so viele Schwierigkeit gibt es zu überwinden, wenn man es bleiben will. So leicht sich Gott durch den Glauben an seinen lieben Sohn seine Gnade abgewinnen lässt, so schwer ist es, in solchem Glauben und so in Gottes Gnade bis an sein Ende zu verharren. Der Wandel des Christen in diesem Leben ist eine Reise nach der Ewigkeit mit dem Glaubenslichtlein durch finstere Nacht unter Sturm und Regen, auf schmalem Weg und Steg, an vielen Abgründen vorbei und durch dunkle Wälder, in welchen Seelenmörder auf ihn lauern. O, wie leicht kann auf solchem Weg dem Christen sein Glaubenslichtlein verlöschen! Wie leicht kann er von dem schmalen Weg abkommen, in die Abgründe der Sünde, des Unglaubens oder der Scheinglaubens stürzen, geistlichen Räubern in die Hände fallen, und so geistlich umkommen, ehe er das Ziel erreicht hat! Wie viel kostet es, ehe ein Mensch hindurch ist und seine Seele endlich als eine Beute aus dem Schlachtgewühl dieser Welt davonträgt! Ja, wie viele haben angefangen, Christi Jünger zu werden, sind ihm aber nur eine kürzere oder längere Strecke seines Kreuzeswegs gefolgt, – sind endlich müde geworden, wieder stehen geblieben und so endlich doch verloren gegangen! Es gilt wahrlich einen ernsten Kampf.

    Die erste Ursache, um welcher willen ein Christ stets im Streit sein muss, finden wir in der ersten Versuchung, welche unser HERR Jesus Christus nach unserem Evangelium einst erleiden musste. Wir hören nämlich darin: Als Christus 40 Tage und 40 Nächte in der Wüste gefastet hatte und ihn daher hungerte, trat der Versucher zu ihm und sprach: „Bist du Gottes Sohn, so spricht, dass diese Steine Brot werden!“ Mit dieser Rede suchte der Versucher bei Christus zweierlei zu bewirken: Erstens, dass er daran zweifeln sollte, ob er Gottes Sohn sei, da er so verlassen und dem Hunger und Elend preisgegeben sei, oder, dass er ein Wunder aus Kleinglauben tun sollte.

    Hiermit ist uns eine Versuchung beschrieben, welche die Christen um mit ihrem Heiland und Vorgänger sehr häufig gemein haben. Man sollte nämlich meinen, wenn ein Christ durch den Glauben Gottes Gnade erlangt habe, so werde bei ihm auch der zeitliche Segen sichtbar einkehren, er werde mehr als die anderen, sicheren Sünder, von der Not dieses Lebens befreit sein. Gott werde es nun auch durch Überschüttung mit vielen zeitlichen Gütern, mit Gesundheit, Reichtum, Ehre, gutem Fortgang im Handel und Wandel, vor aller Welt zeigen, dass er bei ihm in Gnaden stehe und sein liebes Kind sei.

    Aber dem ist nicht so. Gerade von der Zeit an, dass sich ein Mensch recht ernstlich und eifrig zu Christus hält, muss er sehr häufig seinem Heiland in die Wüste folgen; während andere reich werden, wird er sehr oft nun gerade arm oder bleibt doch arm; während andere mit den Ihren gesund und wohl sind, so zieht in seinem Haus Krankheit und Siechtum ein; während andere zu Ehren kommen, so bleibt er ein verachtetes Lichtlein, ja, fällt wohl in Verdacht bei der Welt oder gar b ei seinen Glaubensbrüdern; während anderen alles, was sie vornehmen, wohl gelingt, so will ihm oft nichts vonstatten gehen, ja, ihn trifft oft Schlag auf Schlag, Unglück auf Unglück; meint er einmal, dass er aus seiner großen Not nun bald errettet sein werde, so bricht oft gerade nun eine noch größere Not über ihn herein. So erging es einem Hiob, so einem David, ja, fast allen Heiligen Gottes.

    Das ist eine harte Versuchung. In derselben spricht gar bald das Herz, wie der Satan zu Christus, entweder: „Bist du Gottes Sohn“, bist du Gottes Kind? Wie? Sollte dich Gott lieb haben und dir gnädig sein, da er dich so hart schlägt? Warum muss es gerade dir so ergehen? Warum anderen nicht so? O, lass deinen Glauben fahren; Gott zürnt ganz offenbar mit dir; du bist ganz offenbar kein Kind Gottes. Oder das Herz ruft dem mit Trübsal heimgesuchten Christen wohl auch dieses heimlich zu: „Sprich, dass diese Steine Brot werden“, das heißt, suche dir zu helfen, wie du kannst; du siehst, bei deiner Nachfolge Christi kommst du zu nichts; mache es wie die Welt; geize, scharre und kratze; lüge und betrüge; du bist einmal in der Not; Not bricht Eisen; Not hat kein Gebot. Warum hat dich Gott verlassen? So bist du nun auch gezwungen, ihn zu verlassen.

    Seht, so spricht das Herz in der Not, so führt da der Satan den Christen in Versuchung, dass er an Gottes Gnade verzagen oder sich, wie er nur kann, gleichviel ob rechtmäßig oder unrechtmäßig, aus der Not zu helfen suchen soll. Wer nun in solchen Zeiten nicht streiten, und zwar nicht ernstlich streiten will, der wird gar bald von seinem bösen Herz überwunden, gibt sich so dem Teufel willig gefangen und ist dann verloren. Wer aber nicht verloren gehen will, muss dann sein Kreuz nicht nach der Vernunft, sondern nach Gottes Wort beurteilen und bedenken, dass Gott das Kreuz ihm nicht darum zuschickt, dass er den Glauben wegwerfe, sondern dass er, wenn ihm auch aller äußerliche Trost genommen wird, die Schwachheit seines Glaubens kennenlerne, von allem falschen, ihm noch anklebenden Vertrauen auf das Sichtbare los gemacht und im Glauben durch immer neue Erfahrungen, wie Gott in der Not tröstet und hilft, stärker werde. Wie Christus das Wort Gottes dem Satan vorhielt und sprach: „Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht“, so muss auch ein Christ dieses Wort seinem Herzen vorhalten, und sich damit trösten, dass eigentlich nicht das Brot und das zeitliche Gut dem Menschen das Leben erhält, sondern das Wort Gottes; denn wenn Gott nicht den Segen über das Brot spräche, so würde es uns ebenso wenig nähren wie der Stein. Sehen wir es doch deutlich in Krankheiten, in welchen der Kranke oft keine Speise genießen kann und allein durch Gottes Wort und Willen erhalten wird; und wenn nun vollends der Tod kommt, so kann kein Brot und kein irdisches Nahrungsmittel den absterbenden Lebensbaum wieder lebendig und grünend machen; denn ist es offenbar, dass allein das Wort aus dem Tod zum Leben hilft. Wohlan, soll ein Christ denken, lebt man vom Wort allein im Reichtum und in der Fülle, so lebt man auch vom Wort in Armut, Mangel und Trübsal. Wer so mit sich selbst kämpft, der überwindet die Versuchung; wer das nicht tun will, dem wird die Not zum Strick, Fall und Tod, die ihm doch zum Heil und zum Leben gegeben war.

2.

    Doch gehen wir weiter. In unserem Evangelium heißt es ferner, dass der Teufel hierauf Christus mit sich in die heilige Stadt geführt, auf die Zinne des Tempels gestellt und zu ihm gesprochen hat: „Bist du Gottes Sohn, so lass dich hinab; denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“

    Hier hören wir: Als der Satan merkte, dass Christus durch Mangel und Not nicht zu fällen sei, dass er sich nämlich in dieser Anfechtung an Gottes Wort halte und damit tröste, so dachte Satan: Hält er sich so fest an Gottes Wort, wohl, so will ich ihm auch Gottes Wort vorhalten, nur ein paar Wörtlein weglassen und ihn dadurch zu einem falschen Glauben bringen und bewegen, doch etwas gegen Gott zu tun; habe ich ihn auch nicht können dazu bringen, in der Not sein Vertrauen wegzuwerfen, so will ich ihn nun dazu bringen, außer der Not falsch zu vertrauen. Der Satan hieß nämlich Christus im Vertrauen auf den verheißenen Schutz der Engel von der Zinne des Tempels, nicht auf der Stiege hinabzusteigen, sondern sich in der Luft hinabzulassen. Er berief sich hierbei zwar auf einen Spruch aus dem 91. Psalm, er ließ aber die wichtigen Worte jenes Spruchs listig weg: „auf allen deinen Wegen“, denn nach diesen Worten hat uns Gott zwar den Engelschutz verheißen, wenn wir auf unseren Berufswegen wandeln, aber außerhalb nicht; begeben wir uns mutwillig in Gefahr, so versuchen wir Gott und kommen darin aus eigener Schuld um. Zu solcher Sünde der Versuchung Gottes ließ sich aber Christus nicht bringen, sondern schlug den Angriff mit der Waffe des göttlichen Wortes zurück, indem er sprach: „Wiederum steht auch geschrieben: Du sollst Gott, deinen HERRN, nicht versuchen.“

    Auch dies ist uns, meine Lieben, zur Lehre und zur Warnung geschrieben. Aus diesem zweiten Kampf Christi mit dem Satan lernen wir die zweite Ursache kennen, warum auch alle gläubigen Christen stets im ernstlichen Kampf und Streit sein müssen, wollen sie das Kleinod nicht wieder verlieren. Wir sehen nämlich hieraus erstens, dass sich ein Christ nicht nur vor denen zu hüten hat, welche Gottes Wort gänzlich verwerfen, sondern auch, und zwar viel mehr, vor denen, welche sich auf Gottes Wort berufen, es in Schriften und Predigten häufig anführen und damit alle ihre Lehren und Anstalten beweisen zu können vorgeben. Wer sich durch sein solches bloße Vorgeben schon einnehmen lässt, kann nur zu leicht gefährlich betrogen werden. Lesen wir in unserem Evangelium, dass selbst der Satan Gottes Wort angezogen hat, um Christus, den Sohn Gottes, zu einem falschen Glauben zu bewegen, dürfen wir uns nun wundern, dass menschliche falsche Lehrer Gottes Wort dazu missbrauchen? Nein, St. Paulus selbst spricht daher von den falschen Lehrern zu Korinth: „Solche falsche Apostel und trügliche Arbeiter verstellen sich zu Christi Aposteln. Und das ist auch kein Wunder, denn er selbst, der Satan, verstellt sich zum Engel des Lichts. Darum ist es nicht ein Großes, ob sich auch seine Diener verstellen als Prediger der Gerechtigkeit.“ Gehen wir das Alte und Neue Testament durch, so lesen wir, dass die falschen Propheten sich stets auf Gottes Wort berufen haben. Unter anderem heißt es im 23. Kapitel des Propheten Jeremia: „Gehorcht nicht den Worten der Propheten, so euch weissagen. Sie betrügen euch, denn sie sprechen ihres Herzens Gesicht und nicht aus des HERRN Mund. Sie sagen denen, die mich lästern: Der HERR hat es gesagt.“ So oft daher ein Christ hört oder liest, dass ein Lehrer Gottes Wort für seine Lehre anführt, so muss er sich wohl vorsehen, ob der Lehrer das Wort Gottes auch recht und ganz anführe, oder ob er es, wie der Satan in unserem Evangelium, verstümmle, etwas weglasse oder es falsch anwende. Bringt jemand eine neue Lehre auf und führt er dafür eine dunkle Stelle der Heiligen Schrift an, womit er seinen Irrtum beschönigen will, spricht er: Seht, „es steht geschrieben“, so muss ein Christ sich mit Christus an eine deutliche Schriftstelle halten und antworten: „Wiederum steht auch geschrieben.“ Seid gewarnt, meine Lieben, und lasst mich nicht einen Prediger in der Wüste sein; die Zeiten werden mit jedem Tag bedenklicher, die Schlingen der Verführung immer feiner und verdeckter; es gilt hier Wachens, Betens, Forschens und Kämpfens:

Es wird die Krone, die so schön,

Nur auf dem Haupt der Sieger stehn.

    Doch der Satan wollte bei seinem zweiten Angriff Christus nicht nur überhaupt zu einem falschen Glauben, sondern vor allem zu Versuchen Gottes bringen. Zu dieser Sünde werden, besonders in unseren Tagen, die Christen öfter versucht, als man meint; nicht sowohl in leiblichen, als vielmehr in geistlichen Dingen. Ja, was sage ich? An dieser Sünde liegen  nicht nur die meisten, welche jetzt die eifrigsten Christen sein wollen, krank, sie ist, so zu sagen, das Herz und die Seele des jetzigen neuen Christentums geworden.

    Denn was sind Wort und Sakrament anders als die rechten Himmelsleitern, auf welchen wir allein in den Himmel aufsteigen können? Lehrt man aber jetzt die Christen, wie sie keine anderen Himmelsleitern sich suchen, sondern am Wort und an den heiligen Sakramenten festhalten, sich der darin gegebenen Gnadenverheißungen und Gnadenunterpfänder trösten, dieselben als Gottes nach uns ausgestreckte Hände ergreifen und darauf ihren Glauben gründen und bauen sollen? Keineswegs! Diejenigen, welche jetzt mit großem Eifer predigen, dass sich der Mensch bekehren müsse, wenn er selig werden wolle, weisen, leider, ihre Zuhörer meist gar nicht auf Wort und Sakrament, ja, sie verdammen das Vertrauen darauf als etwas Fleischliches und weisen die betrübten Sünder allein auf die Erfahrungen und Empfindungen des Herzens. Ach, sie eifern um Gott, aber mit Unverstand; sie bedenken nicht, dass sie ihre Zuhörer damit auffordern, Gott zu versuchen, dass sie ihnen gleichsam mit dem Satan zurufen: Seid ihr Gottes Kinder, so lasst euch hinab von der Zinne des Tempels, steigt nämlich hinauf in den Himmel zu Gott ohne die feste Brücke seines Wortes, ohne die sichere Stiege seiner heiligen Sakramente.

    In einer Zeit wie die unsrige, wo so viele selbstgemachte Himmelswege gezeigt werden, ist es ja freilich nötig, große Treue, großen Ernst und großen Eifer zu beweisen, die Wahrheit, die da selig macht, zu finden, sie in reinem Gewissen zu bewahren und bei ihr zu bleiben; und täglich und stündlich zu seufzen:

Ich ruf zu dir, HERR Jesus Christ,

Ich bitt, erhör mein Klagen;

Verleih mir Gnad zu dieser Frist,

Lass mich doch nicht verzagen.

Den rechten Weg, o HERR, ich mein,

Den wollest du mir geben,

Dir zu leben,

Mein’m Nächsten nütz zu sein,

Dein Wort zu halten eben.

3.

    Doch wir hören nun endlich, dass der Satan Christus auf einen sehr hohen Berg geführt, ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit gezeigt und gesagt hat: „Dies alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“

    Diese letzte Versuchung des Satans scheint so plump zu sein, dass es uns Wunder nehmen möchte, wie doch ein so listiger Geist dieselbe nur habe wagen können; sie ist jedoch nicht so ungeschickt, wie sie bei dem ersten Anblick zu sein scheint. Da nämlich Christus damals seine Gottheit verbarg, so war auch sicherlich Satan oft im Zweifel, ob er wirklich Gotte Sohn oder nur ein ausgezeichneter Prophet sei. Satan weiß es aber, wie sehr das Herz der Menschen von Natur an dem Zeitlichen, an Reichtum, Ehre und Herrlichkeit hängt; er weiß es, wie schwach auch der stärkste Christ in sich selbst ist und wie leicht er in der Stunde der Versuchung von irdischer Herrlichkeit geblendet und zu Fall gebracht werden kann. Darum versuchte er bei Christus diesen letzten großen Sturm. An diesem göttlichen Herzen zerbrachen freilich alle seine Waffen, aber nicht so ist es mit uns.

    Es hat schon Tausende von Christen gegeben, welche Christus treu geblieben sind, so lange sie verfolgt wurden, die Christi Gnade und Wort über alles liebten, so lange sie arm waren, die arm am Geist blieben, so lange sie verachtet wurden, kurz, die Christus im Glauben nachfolgen, so lange sie unter dem Druck der Not, des Kreuzes und der Trübsal lagen. Aber welche traurige Veränderung ist mit ihnen vorgegangen, als die Welt sich freundlich gegen sie stellte, als sie anfingen, reich und wohlhabend zu werden, als sie hervorgezogen wurden und zu Ehren kamen! Ach, unzählige Christen haben unter allen Stürmen und Ungewittern des Unglücks wie Zedern festgestanden und sind endlich unter dem Sonnenschein des Glücks und der guten Tage verwelkt und verdorrt, endlich ohne Glauben gestorben und im Tod als unfruchtbare Bäume abgehauen und ins Feuer geworfen worden.

    Wer will es nun hiernach wagen und träge werden im Beten, im Wachen, im Lesen und Hörend es Wortes Gottes, im Gebrauch des heiligen Sakraments und im Kampf gegen jede Sünde – und dennoch selig zu werden hoffen? O, möchte doch kein solcher Tor unter uns gefunden werden! Wer ohne täglichen Kampf und Streit die Krone endlich doch zu erlangen hofft, der wird sich einst betrogen finden.

    Doch dies ist alles von Christen gesagt. Wie willst nun vollends du die Seligkeit erlangen, der du sicher und sorglos in offenbaren Sünden dahinlebst, in Zorn und Unversöhnlichkeit, in Unzucht und Unreinigkeit, in Lug und Trug, in Trunkenheit und Völlerei, in Verachtung des Wortes und der heiligen Sakramente und dergleichen? „Die solches tun, werden das Reich Gottes nicht ererben.“ St. Petrus ruft euch zu: „So der Gerechte kaum erhalten wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen?“ „Irrt euch nicht“, setzt St. Paulus hinzu, „Gott lässt sich nicht spotten, denn was der Mensch sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten. Wer aber auf den Geist sät, der wird vom Geist das ewige Leben ernten. Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten ohne Aufhören.“ Amen.

Evangelienpredigt zum Sonntag Reminiscere (Gedenke, HERR, an deine Barmherzigkeit; Psalm 25,6) ueber Matthaeus 15,21-28: Das Gebet im Glauben

    Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus, die Liebe Gottes, des himmlischen Vaters, und die Gemeinschaft Gottes, des Heiligen Geistes, sei mit euch allen. Amen.

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Ein wahrer Christ sein und beten, dies ist so unzertrennlich mit einander verbunden, dass das Eine ohne das andere nicht gedacht werden kann. Wie das Schreien das erste Lebenszeichen eines jeden neugeborenen Kindes ist, so ist das Beten das erste Lebenszeichen eines wiedergeborenen Christen. Sobald der Christenverfolger Saulus sich bekehrt hatte, da heißt es von ihm: „Siehe, er betet!“ Und als jene Dreitausend die erste Pfingstpredigt des Petrus sich durchs Herz gehen ließen und Buße taten, da heißt es auch sodann von ihnen nicht nur: „Sie blieben aber beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen“, sondern auch: „Und im Gebet“.

    Es kann dies auch nicht anders sein. Durch den Fall in die Sünde ist es dem mit den Menschen dahin gekommen, dass sie nun von Natur ohne Gott dahinleben. Von Natur verhalten sich nämlich die Menschen so, als brauchten sie keinen Gott; von Natur huldigen die Menschen dem besonders hier oft ausgesprochenen Grundsatz: „Hilf dir selber!“ Sie denken, der Mensch sei selbst seines Glückes Schöpfer; wolle der Mensch alles von Gott erwarten, so könne er lange warten. Wer etwas erlangen wolle, der sei ein Narr, wenn er an sich verzage und nach dem Himmel blicke; der müsse vielmehr seinen Verstand und seine Kräfte anstrengen und seine Glieder nur tüchtig regen und „schaffen und wagen, das Glück zu erjagen“: Das sei der rechte Weg; so werde sich schon alles finden. Man denkt, würden die Menschen aufhören, für einen Himmel zu sorgen und allein sorgen für ihr Leben auf Erden, so würde es auch jedermann bald besser werden und das Glück sich wohl finden. So fangen denn die meisten Menschen an jedem Morgen den Tag ohne Gebet an; gehen dann ohne Gebet an ihre Arbeit; beginnen ohne Gebet auch ihre wichtigsten Unternehmungen; essen und trinken, ohne zu beten; legen sich schlafen, ohne zu beten; kurz, gehen aus und ein, ohne zu beten. – Das ist des Menschen Zustand von Natur.

    Was ist aber nun die Bekehrung? Diese besteht eben in nichts anderem, als darin, dass der Mensch, der vorher von Gott abgekehrt war, sein ganzes Herz und seinen ganzen Sinn wieder zu Gott hinkehrt. Sobald daher ein Mensch zu Gott bekehrt ist, so tritt er auch mit Gott in einen heimlichen, verborgenen Verkehr. Ist ein Mensch bekehrt, so ist ihm Gott unentbehrlich in allen seinen Dingen; dann wagt er nicht mehr, auch nur das Geringste ohne Gott anzufangen; dann achtet er nicht nur jeden Tag ohne Gebet für einen Tag ohne Segen, sondern alles, alles achtet er ohne Gebet für ungesegnet. Betend zu Gott verlässt daher der bekehrte Christ des Morgens sein Lager, betend geht er an seine Arbeiten, betend beginnt und schließt er seine Mahlzeiten, kurz, betend geht er aus und ein.

    Während ein natürlicher Mensch das Gebot des HERRN, dass man allezeit beten soll, und die Ermahnung des Apostels: „Betet ohne Unterlass“, für unausführbar hält, so weiß hingegen ein zu Gott wirklich bekehrter Mensch, wie dies recht wohl möglich ist, aus eigener Erfahrung und Übung. Ein bekehrter Christ faltet zwar nicht immer die Hände, er beugt zwar nicht immer die Knie und bewegt zwar nicht immer seine Lippen dazu, ein Gebet zu sprechen, denn er weiß: In dieser Welt hat er noch das Doppelgebot: Bete und arbeite! Aber sein Herz ist immer mit Seufzen, oder doch mit einem geheimen Verlangen nach Gott, nach seiner Gemeinschaft, nach seiner Gnade, seiner Hilfe, seiner Leitung und Regierung erfüllt, und das heißt eben allezeit und ohne Unterlass beten.

    Doch, meine Lieben, es gibt Menschen, welche nicht zu Gott von Herzen bekehrt sind, und die doch viel zu beten scheinen; es ist daher nötig zu wissen, welches Gebet denn eigentlich ein rechtes Gebet und das Kennzeichen eines wahren Christen sei. Das lernen wir aber aus unserem heutigen Evangelium kennen; es ist dies nämlich nach demselben das Gebet des Glaubens. Ja, das, das ist das rechte Gebet, und ein solches Gebet ist daher auch allein das rechte Kennzeichen eines bekehrten Christen. Davon lasst mich daher nun weiter zu euch sprechen.

Matthäus 15,21-28: Und Jesus ging aus von dannen und entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon. Und siehe, eine kanaanäische Frau ging aus derselben Grenze und schrie ihm nach und sprach: Ach HERR, du Sohn Davids, erbarme dich mein! Meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten zu ihm seine Jünger, baten ihn und sprachen: Lass sie doch von dir; denn sie schreit uns nach. Er antwortete aber und sprach: Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlorenen Schafen von dem Haus Israel. Sie kam aber und fiel vor ihm nieder und sprach: HERR, hilf mir! Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht fein, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, HERR; aber doch essen die Hündlein von den Brosamen, die von ihrer Herren Tisch fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: O Frau, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter ward gesund zu derselben Stunde.

    In dem verlesenen Evangelium erblicken wir offenbar eine gläubige Beterin, wie sie selten gefunden wird. An ihrem bewunderungswürdigen Beispiel lasst mich euch daher jetzt zeigen:

Das Gebet im Glauben

    Hört:

1.       Welches Gebet ein Gesetz im Glauben sei,

2.       Dass nur das Gebet im Glauben Gott gefällig und erhörlich sein, und endlich

3.       Was dazu gehöre, um im Glauben beten zu können.

    O HERR Gott! Wie groß ist deine Gnade, dass du uns Sündern nicht nur erlaubt hast, zu dir zu beten, sondern auch zu beten so ernstlich geboten und zu erhören so liebreich verheißen hast! Wir müssen dir aber klagen, dass die Meisten leider diese große Gnade wenig erkennen und noch weniger treu gebrauchen. Darum bitten wir dich, mache doch die Predigt deines Wortes in dieser Stunde zu einem Mittel, dadurch der Geist der Gnade und des Gebetes über uns alle ausgegossen und wir en5tzündet werden, gläubig und brünstig ohne Unterlass zu dir zu beten und zu flehen und so Gnade um Gnade zu nehmen aus deiner Fülle. Erhöre uns um Jesu Christi willen. Amen.

1.

    Dass die kanaanäische Frau, von welcher in unserem Evangelium erzählt wird, im Glauben gebetet habe, dies ist außer Zweifel, den Christus gibt ihr selbst das Zeugnis: „O Frau, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst.“ Die Art aber, wie sie gebetet hat, wird uns so ausführlich beschrieben, dass wir aus ihrem Beispiel deutlich ersehen können, welches denn eigentlich ein Gebet des Glaubens ist.

    Was hören wir aber von ihr? Matthäus erzählt uns, sie habe Christus zuerst nachgeschrien: „Ach HERR, du Sohn Davids, erbarme dich mein; meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt.“ Obgleich also ihre Not sehr groß war (denn welche Not kann größer sein, als wenn das eigene Kind nicht nur von einer schweren Krankheit und vielen Schmerzen beladen ist, sondern selbst vom Teufel übel geplagt wird?), so macht sie doch nicht viele Worte. Sie trägt Christus kurz ihre große Not vor und schreit ihn laut um Hilfe an.

    Wie heißt es nun weiter? – Matthäus spricht: „Und er (nämlich Christus) antwortete ihr kein Wort.“ – Wir können uns wohl denken, was hierbei in dem Herzen der armen Frau vorgegangen sein mag. Sicherlich ist das Schweigen Christi wie eine schwere Last auf ihr um Hilfe bekümmertes Mutterherz gefallen. Was tut sie aber? Sie lässt sich auch dadurch nicht irre machen. Sie schreit fort; was wir daraus ersehen, dass, wie wir hören, die Jünger, sie sich endlich in das Mittel schlugen, eine Fürbitte für die elende Frau einlegend, sprachen: „Lass sie doch von dir, denn sie schreit uns nach.“ Was antwortet Christus aber hierauf? Er spricht: „Ich bin nicht gesandt, als nur zu den verlorenen Schafen von dem Haus Israel.“ Christus wirft ihr also vor, dass sie ja nicht das mindeste Anrecht habe an seiner Gnade. Was tut aber die Kanaanäerin? Sie naht sich Christus dennoch noch einmal, fällt dennoch noch einmal vor ihm nieder und spricht: „HERR, hilf mir!“ Und als Christus auch hierauf spricht: „“Es ist nicht fein, dass man den Kindern das Brot nehme und werfe es vor die Hunde“, als er ihr also ihre gänzliche Unwürdigkeit aller Gnade vorwirft, das gibt sie zwar Christus recht und spricht: „Ja, HERR“; aber sie setzt sogleich hinzu: „Aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein, die von ihrer Herren Tische fallen.“ Trotz ihrer Einsicht in ihre Unwürdigkeit hält sie sich also dennoch an das Wort Christi. Christus hatte sie einen Hund gescholten: Wohlan, spricht sie, das will ich auch sein und nichts mehr; aber gestehst du mir das zu, so hast du mir damit auch zugestanden, dass ich wenigsten an einigen Brosamen deiner Gnade Teil haben soll; mehr begehre ich aber auch nicht; diese schenke mir, so genügt mir; denn wenn du mir auch nur ein Brosamlein deiner Gnade schenkst, so ist meinem Kind, so ist mir geholfen.

    Welches Gebet ist nun hiernach ein Gebet im Glauben? Besteht es etwa darin, dass man viele Worte machen und in einem solchen Fluss mit Gott reden kann, dass die Worte wie ein Strom über die Lippen fließen? Nein, das Beispiel der kanaanäischen Frau lehrt uns, dass ein Gebet ein rechtes Gebet im Glauben sein könne, wobei ein betrübter Mensch vielleicht nur wenig Worte stammeln kann; ja, an dem Beispiel Moses sehen wir, dass ein Mensch in einem Zustand sein kann, in welchem er gar keine Worte findet und nur im Geheimen seufzt, und Gott nimmt dies sein stilles Seufzen doch für ein starkes Glaubensgebet an; denn Mose hatte nur im Stillen nach Hilfe innig verlangt, und doch rief ihm Gott zu: „Was schreist du zu mir?“ (2. Mose 14,15.)

    Gehört also zu einem Gebet im Glauben wenigsten das, dass man in seinem Herzen die süße Empfindung der Andacht, der Würdigkeit und der Erhörung habe? Nein, auch das nicht; denn gewiss hat niemand weniger süße Gefühle bei seinem Gebet gehabt als die arme, tiefbekümmerte Frau; erstlich schon anfangs nicht, als sie von ihrer vom Teufel übel geplagten Tochter hinwegging und zu Christus eilte, und dann gewiss noch weniger als der HERR auf ihr Gebet schwieg und endlich ihr gar nur harte, raue und zornige Antworten gab; sie fühlte dabei wirklich, dass sie kein Anrecht an Gottes Gnade habe, und dass sie mit ihrem Gebet nicht würdig sei, erhört zu werden, sondern nichts als Zorn verdient haben. Es ist also wohl möglich, dass ein Mensch dennoch im Glauben beten könne, obgleich er nichts dabei fühlt als sein Elend und seine Unwürdigkeit, ja, nichts als Gottes Ungnade, Zorn und völlige Verwerfung.

    Worauf kommt es also eigentlich an, wenn man ein Gebet ein Gebet im Glauben nennen darf? – Es kommt nach dem Beispiel unserer Kanaanäerin vor allem darauf an, dass man eben trotz des Gefühls oder des Bewussts4eins seiner Unwürdigkeit doch nicht daran zweifelt, dass Gott unser Gebet gefalle, und zuversichtlich dafür hält, dass es Gott gewiss erhören werde, und dass man sich hierbei fest auf das Wort Gottes gründet, nämlich auf den Befehl Gottes, zu beten, und auf die Verheißung, das Gebet zu erhören. Wer alle Bedenken mit diesem göttlichen Befehl und mit dieser göttlichen Verheißung niederschlägt, wer sich auch dadurch nicht zum Zweifel an der Erhörung seines Gebets bewegen lässt, dass er nicht einsieht, wie ihn Gott erhören könne, ja, dass es nach der Vernunft ganz unmöglich scheint; und wer endlich auch dann den Glauben, dass ihn Gott erhöre, nicht wegwirft, wenn auf sein Gebet um Hilfe Gott nicht nur zu schweigen, sondern die Not nur immer größer zu werden scheint; wer dann, wie die Kanaanäerin, doch fortfährt zu rufen: „HERR, hilf mir!“ und denkt: Hilft mir Gott nicht, wie ich denke und jetzt wünsche, so hilft er mir doch, ja gewiss besser und herrlicher, als ich denke: Dessen Gebet ist ein Gebet im Glauben.

2.

    Und nur ein solches Gebet im Glauben ist Gott gefällig und erhörlich. Davon lasst mich nun zweitens weiter zu euch sprechen.

    Es scheint freilich vielen etwas ganz Vergebliches zu sein, die Erhörung ihrer Gebete zu erwarten. Man spr9cht, was geschehen solle, das sei schon von Ewigkeit beschlossen, wer dürfe nur wähnen, durch sein Gebet eine Änderung in dem Plan der göttlichen Weltregierung hervorbringen zu können? Wer dürfe hoffen, durch sein Gebet den unveränderlichen Gott wankend machen und ihn zu einer Änderung seines Willens bewegen zu können? Allein, man bedenkt nicht, dass Gott alle unsere Gebete erhören kann, ohne gegen seine ewigen Ratschlüsse zu handeln; denn da Gott allwissend und allweise ist, so hat er nicht nur von Ewigkeit gewusst, dass und was wir beten werden, sondern er hat auch schon von Ewigkeit alles so geordnet und in den Plan seiner Weltregierung verflochten, dass eben das geschehen muss, was wir von ihm bitten.

    Wohl ist es ferner wahr: Es ist etwas Großes, dass ein armer, sterblicher Mensch, ein Sünder, es wagt zu glauben, dass Gott, der Allerhöchste und Allerheiligste, durch sein Gebet bewogen werden könne, etwas zu tun oder zu unterlassen; wohl ist der Glaube eine große Kühnheit, dass das, was wir auf Erden bitten, im Himmel gewiss geschehen werde, ja müsse. Ja, dieser Glaube scheint eine große Vermessenheit, hingegen der Demut angemessen zu sein, wenn man an der Erhörung seines Gebetes zweifelt. Aber nein, das ist eine falsche Demut, denn sie nimmt nicht nur dem Menschen, sondern auch Gott selbst seine Ehre.

    Wer da betet und doch nicht glaubt, dass er erhört werde, der macht Gott zum Lügner; der spricht, so oft er betet, mit der Tat zu Gott: Du spricht zwar in deinem Wort: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen“; du sprichst zwar: „Bittet, so werdet ihr nehmen; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird auch aufgetan“; du spricht zwar: „Alles, was ihr bittet im Gebet, so ihr glaubt, so werdet ihr’s empfangen“, aber ich kann dies nicht für Wahrheit annehmen; ich kann dir nicht glauben. Wer aber so redet, was tut der anderes, als dass er die göttlichen Verheißungen zu Lügen und also Gott zu einem Lügner macht? Sollte aber das Gebet eines solchen Menschen Gott gefällig und erhörlich sein? Nein, es ist vielmehr gewiss: Wer im Zweifel betet, der macht dadurch sein Gebet ganz zunichte und vergeblich, ja, zu eitel Sünde und Greuel. Daher spricht Jakobus von einem Beter: „Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht; denn wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Wind getrieben und gewebt wird. Solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem HERRN empfangen werde.“ O, wie viele mag es daher geben, die für alle ihre Gebete nichts empfangen werden! Denn wie selten findet sich einmal ein Mensch, der da wirklich glaubt, dass alle seine Gebete bei Gott Ja und Amen sind!

    Aber wohl allen, die im Glauben beten! Deren Gebete sind Gott angenehm und allezeit erhört. Denn wer da glaubt, dass Gott tue, was er bittet, der gibt Gott die Ehre, die ihm gebührt; der erklärt damit Gottes Wort für untrügliche, zuverlässige Wahrheit; der erklärt damit die göttlichen Verheißungen für einen unumstößlichen Grund, auf welchen man sicher bauen und trauen könne; der erklärt damit, dass, wenn auch alle Menschen Lügner sind, doch Gott wahrhaftig sei und bleibe und dass er gewiss halte, was er zugesagt hat.

    Wohl scheint es unserer Vernunft etwas Geringes zu sein, wenn man Gott in seinem Wort fest und unbeweglich traut; aber wie einst der Stand der Unschuld im Paradies hauptsächlich darin bestand, dass der Mensch ein vollkommenes Zutrauen zu Gott und zu seiner unendlichen Güte hatte, und wie hierauf darin der Abfall der Menschen von Gott bestanden hat, dass sie Gott nicht mehr trauen wollten, und wie nun daraus eine knechtische Furcht und ein Fliehen aller Menschen vor Gott von Natur entstanden ist: So besteht nun darin wieder die Rückkehr zu Gott, dass der Mensch Gott wieder zu trauen anfängt. Wer Gott wieder traut, der macht Gott wieder zu seinem Gott, der bringt Gott wieder den rechten Dienst dar und wird wieder erneuert zu dem Ebenbild Gottes, zu welchem wir einst geschaffen wurden.

    Ein Gebet im Glauben ist daher vor Gott einem lieblichen Weihrauch gleich, der auf dem Altar des Herzens angezündet wird und dessen Wohlgeruch bis zum Himmel steigt. Das Gebet im Glauben ist ein Schlüssel, womit ein Mensch den Himmel, ja, das Vaterherz Gottes sich aufschließen kann. Kein Unglück und keine Traurigkeit ist so groß, wofür das Gebet im Glauben nicht reichen Trost gäbe, und woraus man nicht durch das Gebet im Glauben Hilfe und Rettung erlangen könnte. Wie sich einst Christus durch das gläubige Gebet einer armen Heidin und durch das „Ich lass dich nicht!“ eines Jakob überwinden ließ, so will Gott noch jetzt durch das Glaubensgebet aller Christen sich besiegen lassen.

    Darum werden wir auch so oft in Gottes Wort dazu ermuntert und ermahnt, im Glauben zu beten; darum lehrt uns auch Christus unser tägliches Gebet mit dem Glaubenswort: „Vater unser“ beginnen und mit Triumphwort „Amen“ beschließen.

3.

    Wer sollte sich nun nicht wünschen, so im Glauben Gott gefällig und erhörlich beten zu können? Was dazu gehöre, um im Glauben beten zu können, davon lasst mich daher nun endlich zum Schluss noch Einiges hinzusetzen.

    Offenbar gehört dreierlei notwendig dazu, um im Glauben beten zu können, nämlich erstens, dass man in keiner mutwilligen Sünde mehr lebt; zweitens, dass man wisse, man habe einen gnädigen Gott; und endlich drittens, dass man nicht mehr auf sich, auf seine Werke, seine Tugend, Frömmigkeit und Gerechtigkeit, sondern allein auf die Gnade baut.

    Wer noch in mutwilligen Sünden lebt, und wenn es auch scheinbar nur eine einzige wäre, der kann nun möglich von herzen glauben, dass Gott tun werde, was er ihn bittet; immer wird ihm sein Gewissen widersprechen; immer wird es in seinem herzen heißen: Was willst du Gott bitten, der du ihn noch mutwillig beleidigst mit dieser oder jener Sünde! Daher spricht David: „Wo ich Unrechtes vorhätte in meinem Herzen, so würde der HERR nicht hören.“ Und im Propheten Jesaja heißt es: „Wenn ihr schon eure Hände ausbreitet, verberge ich doch meine Augen von euch; und ob ihr schon viel betet, höre ich euch doch nicht: Denn eure Hände sind voll Bluts. Wascht, reinigt euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen, lasst ab vom Bösen, lernt Gutes tun; so kommt dann und lasst uns miteinander rechten.“ Dasselbe wird im Neuen Testament mit kurzen Worten ausgedrückt: „Wir wissen, dass Gott die Sünder nicht hört.“

    Hieraus fließt aber notwendig, dass auch derjenige, welcher noch nicht weiß, dass er einen gnädigen Gott im Himmel habe, unmöglich von Herzen glauben könne, dass Gott sein Gebet sich werde wohlgefallen lassen und es erhören. Wer nicht weiß, dass er bei Gott in Gnaden stehe, der wird immer denken: Was willst du bei Gott? Er ist ja noch dein Feind und du bist sein Feind!

    Eine ähnliche Bewandtnis hat es aber auch endlich dann, wenn ein Mensch noch auf seine Werke und Gerechtigkeit baut. Ein solcher Mensch kann wohl in guten Tagen meinen, dass sein Gebet Gott angenehm und erhört sei, aber in der Zeit großer Not, in der Zeit, wenn alle Wetter der Angst und Trübsal einen Menschen überfallen, in der Zeit, wenn der Mensch Gottes Stillschweigen, ja, Gottes Zorn in seinem Herzen fühlt, also in der Zeit, wenn der Mensch das Gebet im Glauben am meisten bedarf, da wird derjenige, welcher auch seine Werke bauen will, verzagen müssen; da wird er sehen, dass er damit vor Gott nicht bestehen könne; da wird er einsehen, dass sein Gebet nicht würdig sei, von Gott erhört zu werden.

    Hieraus geht nun hervor, dass von Natur kein Mensch im Glauben beten könne, denn von Natur leben erstens alle Menschen in wissentlichen und mutwilligen Sünden; zweitens, von Natur weiß niemand gewiss, ob er einen gnädigen Gott habe, und endlich drittens, von Natur baut jeder Mensch auf seine Werke, Gerechtigkeit und Ehrbarkeit. Soll daher ein Mensch im Glauben beten lernen, so muss mit ihm eine große Veränderung vorgehen; er muss erst ein ganz anderer Mensch werden, der von der Herrschaft der Sünde los ist, der seines Gnadenstandes bei Gott gewiss ist und der sich allein auf Gottes Gnade verlässt.

    Willst du nun, lieber Zuhörer ein solcher Mensch werden, so ist das mein kurzer Rat: Suche aus Gottes Wort deine Sünden recht lebendig zu erkennen; falle deswegen auf deine Knie und rufe Gott an, dass er sich über dich selbst erleuchten wolle. Wirst du das tun, so wirst du bald einsehen, was für ein großer Sünder du in Gottes Augen seist, wenn dich die Menschen vielleicht gleich bisher für fromm und rechtschaffen gehalten haben. Je mehr du aber nun deine Sündhaftigkeit erkennen wirst, desto größer wird deine Angst werden und deine Furcht vor Gott. Aber wohl dir, wenn es dahin mit dir kommt! Denn die Traurigkeit und Angst über die Sünde ist der rechte und einzige Weg, zur wahren Freude zu gelangen. Dann musst du nämlich mit deinem zerbrochenen und zerschlagenen Herzen dich zu Christus, deinem Heiland wenden; dann höre nämlich auf das Evangelium, welches sagt, wie Christus allen Sündern, also auch dir, Gnade erworben hat. Daran halte du dich im Glauben; des tröste dich und bitte Gott, dass er doch dein betrübtes Herz durch seinen Heiligen Geist wieder aufrichten und erquicken und des Trost des Evangeliums darin versiegeln wolle.

    Wirst du, lieber Zuhörer, diesen Weg gehen, so wirst du eine große Veränderung an dir erfahren; du wirst auf diesem Weg ein ganz neuer Mensch werden; du wirst dann aufhören, ein Sklave deiner Sünde zu sein; du wirst gewiss werden, dass du bei Gott Gnade gefunden hast; und die Gnade wird dein einiger Trost, deine einige Hoffnung sein. Dann, ja, dann wirst du auch mit der kanaanäischen Frau im Glauben beten können. Du wirst dann zu Gott von Herzen sagen können: Abba, mein lieber Vater! Und am Schluss deiner Gebete getrost ausrufen können: Amen, Amen, das ist, Ja, ja, es soll so geschehen.

    O selige Menschen, die so beten können! Darum auf! Die ihr das bisher noch nicht gekonnt habt, nehmt meinen Rat an und geht den gezeigten Weg. Ihr aber, die ihr schon mit Gott reden könnt, wie die lieben Kinder mit ihrem lieben Vater, erkennt, wie hoch begnadigt ihr seid; seid nicht träge, diese Gnade fleißig zu gebrauchen, und hütet euch vor allem, wodurch ihr dieses unvergleichliche Recht der Kinder Gottes wieder verlieren könntet.

    Prägt das Beispiel der Kanaanäerin tief eurer Seele ein, und in aller Anfechtung und Not nehmt, wie sie, eilends eure Zuflucht zu einem gläubigen Gebet, haltet aber auch, wie sie, aus, so werdet ihr auch allezeit frohlockend überwinden. Amen.

Evangelienpredigt zum Sonntag Oculi (Meine Augen sehen stets auf den HERRN, Ps. 25,10) ueber Lukas 11,14-28: Von dem traurigen Rueckfall aus der Gnade

    Die Gnade unseres HERRN und Heilandes, Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Zu nichts werden die Christen im Neuen Testament öfter und dringender ermahnt als zur Beständigkeit, und vor nichts mehr gewarnt als vor Abfall. Darum heißt es unter anderem: „Wer beharrt bis an’s Ende, der wird selig.“ „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ „So besteht nun in der Freiheit, damit uns Christus befreit hat, und lasst euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen.“ „Seht euch vor, dass wir nicht verlieren, was wir erarbeitet haben, sondern vollen Lohn empfangen.“ „Bleibe in dem, das du gelernt hast.“ „Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme.“

     Wollte Gott, man könnte dieses alles auch den jetzigen Christen zurufen! Es steht aber leider jetzt mit den meisten Getauften so, dass man sie keineswegs ermahnen kann, im Glauben zu beharren bis an’s Ende; denn wie kann der darin beharren, der noch gar nicht wahrhaft zu glauben angefangen hat? Wie kann man den ermahnen, Christus treu zu sein bis in den Tod, der es noch gar nicht mit Christus hält und noch gar nicht unter der Fahne seines Kreuzes streitet? Wie kann man denjenigen ermuntern, das Erarbeitete nicht wieder zu verlieren, der das Eine, das not ist, noch gar nicht gesucht und gefunden hat? Wie kann man den auffordern, die Krone festzuhalten und nicht aus der Gnade zu fallen, welcher mit der Krone eines wahren Christen noch gar nicht geschmückt ist und noch gar nicht bei Gott in Gnaden steht? – Den meisten Christen kann jetzt nicht zugerufen werden: Fallt nicht ab! Sondern: Steht von eurem Fall wieder auf; kehrt zurück zur Wahrheit, die ihr verlassen habt; kehrt um zu Christus, von dem ihr euch geschieden habt; sucht die Gnade wieder, die ihr verloren habt!

    Vergleicht nun das Wesen und Leben der meisten heutigen Christen mit den Beschreibungen, welche das Wort Gottes von begnadigten Christen macht, so werdet ihr finden, dass es jetzt mit den meisten ganz anders steht und dass die größte Anzahl gewiss den Irrweg gehe, der nimmer zum Himmel führen kann.

    Ein wahrer Christ sucht nach Gottes Wort seinen einigen Trost in Christus; ein wahrer Christ wird nicht mehr von seinem eigenen Geist, sondern von dem Geist der Gnade, nämlich vom Heiligen Geist, regiert; ein wahrer Christ hält die göttliche Wahrheit höher und köstlicher als Gold und Perlen, teurer als die ganze Welt und streitet für sie bis an den Tod; ein wahrer Christ hat eine innige Liebe zu allen seinen Miterlösten, auch zu seinen Feinden, besonders aber zu seinen Glaubensbrüdern und Glaubensschwestern; er freut sich nicht nur mit den Fröhlichen, sondern weint auch mit den Weinenden und hilft ihnen gern mit allem, das er hat und vermag; ein wahrer Christ ist ferner arm im Geist, demütig gegen Gott und Menschen und hält sich daher gern herunter zu den Niedrigen; ein wahrer Christ fürchtet sich vor der Sünde, kämpft daher dagegen, entschuldigt sie nicht und reinigt sich davon täglich in dem Blut der Versöhnung; ein wahrer Christ hat keinen Gefallen mehr an der Welt Eitelkeit, sucht keine guten Tage mehr für sein Fleisch und wird Christus gern gleich auch in seinem Leiden und seiner Erniedrigung; ein wahrer Christ hat endlich ein herzliches Vertrauen zu der Fürsorge seines himmlischen Vaters und wirft daher gläubig auch alle seine irdischen Sorgen in dieses seines lieben Vaters Schoß.

    Nun sagt selbst: Wo sind solche Christen? – Ach, über die ganze Christenheit muss der HERR jetzt klagen, wie über die Gemeinde zu Ephesus: „Ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlässt. Gedenke, wovon du gefallen bist und tue Buße und tue die ersten Werke. Wenn aber nicht, werde ich zu dir kommen bald und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wenn du nicht Buße tust.“ Ja, meine Lieben, so viele es auch jetzt gibt, die durch die Taufe einstmals in Gottes Gnadenbund aufgenommen und wiedergeboren worden sind, so sind doch die meisten wieder abgefallen, haben Gottes Bund verlassen und die Gnade der Wiedergeburt verloren. Wie aber dieser traurige Abfall gemeiniglich geschehe, davon lasst mich jetzt zu unser aller Warnung, Ermahnung und Ermunterung weiter sprechen,

Lukas 11,14-28: Und er trieb einen Teufel aus, der war stumm. Und es geschah, da der Teufel ausfuhr, da redete der Stumme. Und das Volk verwunderte sich. Etliche aber unter ihnen sprachen: Er treibt die Teufel aus durch Beelzebub, den Obersten der Teufel. Die andern aber versuchten ihn und begehrten ein Zeichen von ihm vom Himmel. Er aber vernahm ihre Gedanken und sprach zu ihnen: Ein jegliches Reich, so es mit ihm selbst uneins wird, das wird wüste, und ein Haus fällt über das andere. Ist denn der Satanas auch mit ihm selbst uneins, wie will sein Reich bestehen? Dieweil ihr sagt, ich treibe die Teufel aus durch Beelzebub. So aber ich die Teufel durch Beelzebub austreibe, durch wen treiben sie eure Kinder aus? Darum werden sie eure Richter sein. So ich aber durch Gottes Finger die Teufel austreibe, so kommt je das Reich Gottes zu euch. Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast bewahrt, so bleibt das Seine mit Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und überwindet ihn, so nimmt er ihm seinen Harnisch, darauf er sich verließ, und teilt den Raub aus. Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreuet. Wenn der unsaubere Geist von dem Menschen ausfährt, so durchwandelt er dürre Stätten, sucht Ruhe und findet sie nicht; so spricht er: Ich will wieder umkehren in mein Haus, daraus ich gegangen bin. Und wenn er kommt, so findet er’s mit Besemen gekehrt und geschmückt. Dann geht er hin und nimmt sieben Geister zu sich, die ärger sind als er selbst; und wenn sie hineinkommen, wohnen sie da; und wird hernach mit demselben Menschen ärger denn vorher. Und es begab sich, da er solches redete, erhob eine Frau im Volk die Stimme und sprach zu ihm: Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und die Brüste, die du gesogen hast. Er aber sprach: Ja, selig sind, die das Wort Gottes hören und bewahren.

    Als Christus, wie wir hören, einen Teufel ausgetrieben hatte, so machten ihm einige Pharisäer einen gotteslästerlichen Vorwurf: „Er treibt die Teufel aus durch Beelzebuch, den Obersten der Teufel.“ Hierauf zeigt daher Christus erstens, wie er das Reich des Teufels in den Menschen zerstöre und sich also nicht als seinen Freund, sondern als seinen mächtigsten Feind und Überwinder erweise. Zuletzt aber zeigt Christus, wie es auch oft geschehe, dass der Satan aus einem Menschen vertrieben werde, aber mit sieben ärgeren bösen Geistern in den Menschen zurückkehre, wenn dieser nämlich abfalle und ihm wieder in seinem Herzen Raum gebe.

    Ich spreche daher aufgrund des letzten Teiles der Rede Christi zu euch:

Von dem traurigen Rückfall aus der Gnade

1.       Wie derselbe geschehe, und

2.       Welche traurigen Folgen er habe.

    O HERR Jesus Christus! Du bist für alle Sünder gestorben und hast sie dir alle zu deinen Schafen mit deinem Blut teuer erkauft, und du weidest nicht nur die, die dich schon für ihren Hirten erkennen, sondern suchst auch diejenigen emsig und ängstlich, die sich von dir verloren haben und in der Irre dahingehen. O, gehe auch allen deinen verlorenen Schäflein unter uns jetzt nach und lass die Predigt des Evangeliums ihnen eine Stimme sein aus deinem Mund, die ihnen zuruft: Kehrt wieder! Und lass diese Stimme mächtig in ihr Herz dringen, dass dasselbe göttlich bewegt werde, noch diese Stunde dich, ihren guten Hirten, wieder aufzusuchen. Und dann, dann erhalte die zu dir Versammelten bei dir, bis du uns alle versammelt haben wirst in deinen himmlischen Schafstall. Amen.

1.

    Christus spricht in unserem Evangelium: Wenn der unsaubere Geist von dem Menschen ausfährt, so durchwandelt er dürre Stätten, sucht Ruhe und findet sie nicht; so spricht er: Ich will wieder umkehren in mein Haus, daraus ich gegangen bin.“ Mit diesen Worten will der HERR sagen: Wenn ein Mensch aus der geistlichen Gewalt des Satans gerissen und durch den Glauben in Christi Gnadenreich aufgenommen worden ist, so verzweifelt der Satan nicht etwa daran, einen solchen Menschen doch noch zu verführen und um seine Seligkeit doch noch zu betrügen; nein, er durchwandelt dürre Stätten, das heißt, er wirkt dann in den Herzen der Ungläubigen, die schon von ihm verblendet sind; aber diese Herzen sind dem Satan kein angenehmer Aufenthalt; sie sind ihm wie Wüsteneien; er sehnt sich daher wieder zurück in das frische Herz dessen, der Christus in sich aufgenommen hat. Es liegt dem bösen Geist, so zu sagen, mehr am Herzen, wenn er nur einen wahren Christen wieder herumbringen und von Christus abfällig machen kann, als dass er tausend sichere Sünder schon an seinen

Stricken führt. Er schleicht daher dem wahren Christen Tag und Nacht auf allen seinen Wegen und #Stegen nach und wart et auf einen günstigen Augenblick, wo er sich in seiner Seele wieder auf den Thron schwingen und ihn zum Abfall bringen kann.

    Wenn nun der HERR weiter spricht: „Und wenn er kommt, so findet er’s mit Besemen gekehrt und geschmückt“, so gibt uns Christus hiermit an, wie es möglich ist, dass derjenige, der in Gnaden steht, doch wieder in Gottes Ungnade, in Blindheit und Sünde fallen könne; es geschieht dies nämlich dann, wenn ein Gläubiger sein Herz vor dem Satan nicht wirklich verschließt, ja, es gleichsam mit Besemen kehrt und schmückt, das heißt, es zurüstet und zubereitet, dass der böse Geist wieder eine offene Tür und eine willige Aufnahme als ein erwünschter Gast darin findet. Wir sehen hieraus: Mit Gewalt kann derjenige nicht aus der Gnade gestoßen werden, der Christus im Herzen trägt, denn Christus ist stärker als alles; nichts kann uns aus seiner Hand reißen; er macht seine Gläubigen so mächtig, dass sie durch ihn alles vermögen; werden sie daher wieder überwunden, so sind sie selbst schuld.

    Fragt ihr daher, wie denn der traurige Rückfall aus der Gnade geschehe? Fragt ihr: Wie ist es doch möglich, dass ein Mensch, der auf den seligen Himmelsweg gekommen ist, wieder davon abgehen könne? Und dass der, der das Heil gefunden hat, es wieder fahren lassen und verlieren könne, so antworte ich dieses.

    Es gibt zwar nur Einen Weg, zum Glauben zu kommen, aber tausend Abwege und Arten, auf welchen man wieder von ihm abkommen kann. Manche verlieren Gottes Gnade durch einen allmählichen, langsamen Fall, wie dies bei den Verräter Judas geschehen zu sein scheint; andere hingegen fallen plötzlich, wie David durch Ehebruch und Petrus durch seine Verleugnung. Manche wissen es nicht, dass sie gefallen sind, wie der Bischof zu Laodicea, welchem Christus sagen musste: „Du sprichst: Ich bin reich und habe gar satt und bedarfst nichts und weißt nicht, dass du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß“; andere hingegen wissen es recht wohl, dass sie gefallen sind, wie Kain; diese geraten daher oft endlich in Verzweiflung. Manche fallen äußerlich ab, dass es jedermann sehen kann, sie verlieren den lebendigen Glauben nicht nur aus ihren Herzen, sondern gehen auch öffentlich zu Falschgläubigen oder noch, wie Demas, zur Welt über, sie werden aus rechtgläubigen Christen Schwärmer, aus Bekennern der reinen Lehre Werkzeuge des Antichrists oder sonst Lästerer, Spötter und Verfolger; andere hingegen fallen nur innerlich ab, sie bleiben in der äußerlichen Gemeinschaft der Christen, sie gehen noch immer zur Kirche und zum heiligen Abendmahl; sie reden noch immer, als wären sie die besten Christen, viel von göttlichen Dingen; sie behalten mit einem Wort, wie der Apostel sagt, den Schein eines gottseligen Wesens, aber seine Kraft verleugnen sie, wie der Bischof zu Sardes, welchem Christus sagen ließ: „Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot.“ Manche fallen so, dass sie wieder ganz leichtfertig, ja, lasterhaft werden und sich wie das unreinste Tier nach der Schwemme wieder in dem Kot aller Sünden wälzen; andere hingegen fallen so ab, dass sie nur das willige, fröhliche Herz zum Gutestun, das rechte evangelische Wesens verlieren und in ein gesetzliches ängstliches Treiben geraten.

    Ihr seht hieraus, meine Lieben, dass der Rückfall aus der Gnade auf gar verschiedene Weise geschieht; es ist daher freilich eine gar ernste Prüfung nötig, ob man noch stehe; denn bist du nicht gerade so gefallen wie der oder jener, so bist du vielleicht doch gefallen, nur anders; wenn nicht plötzlich, vielleicht allmählich? Wenn nicht bewusst, vielleicht unvermerkt? Wenn nicht äußerlich, vielleicht doch innerlich? Wenn nicht auf eine grobe Weise, vielleicht auf eine subtile Weise? – Ach, wie manche legen die Hand an den Pflug und sehen wieder zurück! Wie manche beginnen im Geist und endigen im Fleisch! Wie manche gehen fröhlich aus dem Ägypten dieser Welt aus, gehen mit durch das Rote Meer der ersten Versuchungen und sehen sich doch endlich wieder nach den Fleischtöpfen Ägyptens, kommen endlich in der Wüste um und erreichen das himmlische Kanaan nicht!

    Wie fängt es denn nun aber Satan an, einen Menschen, der seine Ruhe schon in Christus und seinem Evangelium gefunden hat, aus seiner Festung herauszulocken und ihm seine Krone zu rauben? Um dieses zu erreichen, schlägt der Versucher hauptsächlich zwei Wege ein; entweder sucht er den Menschen in mutwillige und seelengefährliche Irrtümer oder in Sünden gegen sein Gewissen zu stürzen.

    Es ist freilich wahr, dass nicht jeder Irrtum, in welchen ein Gläubiger gerät, sogleich den Gnadenstand umstößt; aber jeder Irrtum ist doch ein Gift für die Seele, das ihr den Tod droht, und wer wissentlich und mutwillig in einem Irrtum verharrt, leidet ebenso wohl an seinem Glauben Schiffbruch wie derjenige, der mutwillig sündigt. Der Glaube hat ja keinen anderen Grund als das Wort Gottes: Wie kann daher der wahre Glaube in einem Menschen bleiben, der wissentlich von Gottes Wort abweicht? Wie kann da die Liebe zu Gott bleiben, wo sich die Liebe zu Gottes offenbarter Wahrheit oder zur reinen Lehre verliert? Ein Mensch, der da aufhört, es mit jedem Wort der Schrift genau zu nehmen, dessen ganzes Christentum ist endlich nicht mehr auf das Wort, sondern auf sein trügerisches Herz gebaut. Ein merkwürdiges Beispiel, wie die besten Christen durch falsche Lehre zum Rückfall aus der Gnade gebracht werden können, sind die Galater, welche nach des Paulus Weggang falschen Lehrern Gehör gaben und sich nur die Lehre von der Rechtfertigung verkehren und verfälschen ließen. Diesen musste der heilige Apostel endlich zurufen: „So auch wir oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, als das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht. – O ihr unverständigen Galater, wer hat euch bezaubert, dass ihr der Wahrheit nicht gehorcht? – Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid von der Gnade gefallen. – Ihr lieft fein; wer hat euch aufgehalten? – Ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig. – Wer euch irre macht, der wird sein Urteil tragen, er sei, wer er wolle.“ Hier sehen wir: Es ist mit der falschen Lehre nicht zu scherzen; auch ein wenig Abweichen von der Wahrheit kann um Seele und Seligkeit bringen. Darum macht der Satan die Christen oft neugierig, falsche Bücher zu lesen, falsche Predigten zu hören und mit falschen Brüdern vertraute Gemeinschaft zu halten; hat er nun dadurch einen Menschen gegen die Wahrheit gleichgültig gemacht, so macht er ihn auch endlich selbst in den wichtigsten Lehren ungewiss und verwandelt seinen göttlichen Glauben in einen menschlichen; denn ist der Glaube nicht mehr auf das Wort Gottes allein gegründet, so ist der Glaube nur ein Schein, mit dem man verloren geht. Darum werden wir auch so oft ermahnt, bei Christi Rede zu bleiben, ob dem Wort, das gewiss ist, zu halten, uns vor falschen Propheten vorzusehen und nicht einem jeglichen Geist zu glauben, sondern die Geister zu prüfen, ob sie aus Gott sind. Wozu wären alle diese Ermahnungen gegeben, wäre falsche Lehre nicht so verderblich und seelengefährlich? Ein anderer Weg jedoch, auf welchem der Satan die Christen aus der Gnade zu stoßen trachtet, ist dieser, dass er sie entweder plötzlich in grobe Sünden stürzt oder sie nach und nach wieder unter die Herrschaft der Sünde zu bringen sucht; und zwar hauptsächlich zu drei Sünden, entweder nämlich zu Stolz oder zu Wollust oder zu Geiz. Viele hören auf, über ihr Herz zu wachen, da steigt denn die Hoffart wieder empor, sie verlieren die Armut des Geistes und den demütigen Sinn, nach welchem sie sich erst für nichts achteten und über keinen Menschen erhoben; sie betrachteten, was sie tun, mit Selbstgefälligkeit; sie werden aufgeblasen wegen ihrer Erkenntnis; sie verlassen die Einfalt, grübeln über zu hohe Dinge nach und vergessen dabei die Hauptsache; sie verlieren die Erkenntnis ihrer selbst, sie werden blind und rechthaberisch, wollen sich nicht mehr strafen lassen, entschuldigen endlich alle ihre Sünden und fallen so, ohne dass sie es oft wissen, greulich aus der Gnade; sie reden noch immer davon, dass sie an Christus glauben, aber ihr ungebrochenes Herz weiß nichts davon.

    Andere wachen nicht über ihr Fleisch sie fangen wieder an, es zu pflegen und gute Tage in dieser Welt zu suchen; sie werden träge im Beten, Lesen und Hören des Wortes Gottes; sie kommen auf die Gedanken: Da der Mensch ja einmal mit seinen Werken nichts verdienen könne, wozu sei es da nötig, sich so ernstlich selbst zu verleugnen? Sie fangen daher wieder an, die Vergnügen der Welt mitzumachen und sich der Welt gleichzustellen und nennen das christliche Freiheit; um dem Spott der Welt auszuweichen, verleugnen sie Christus und seine Wahrheit häufig und nennen das christliche Klugheit, und ehe sie es denken, sind sie auf diese Weise pure Weltmenschen geworden, die nichts behalten als einige christliche Floskeln.

    Andere endlich fallen aus der Gnade durch Liebe zum Zeitlichen und durch falsches Vertrauen darauf. Erst als wahre Christen achten sie alles Zeitliche nichts, aber sie werden vielleicht gesegnet mit zeitlichen Gütern; anstatt diese nur dazu anzuwenden, den armen Brüdern auf alle mögliche Weise zu helfen und für Kirche, Schule und Gottesdienst damit ein Opfer zu bringen, hängen sie ihr Herz daran; sie werden immer begieriger, mehr zu erlangen, sie machen immer größere Pläne, stecken ihr Kapital in immer neue Unternehmungen, dass sie ja eine Entschuldigung haben, wenn sie einem Armen, der in Not ist, damit helfen sollten; sie werden, je mehr sie zusammenscharren, anstatt freigiebiger, nur karger und geiziger, und so verlieren sie Christus und sie sprechen im tiefsten Grund ihres Herzens endlich zu dem Goldklumpen: „Mein Trost!“ Andere hingegen, die Gott mit Zeitlichem nicht segnet, sondern mit Kummer und Mangel speist, werfen oft alles Vertrauen auf Gott weg, verfallen in Traurigkeit dieser Welt und fallen so endlich in Tod und Verdammnis.

     Seht, so tilgt man selbst seinen Namen wieder aus dem Buch des Lebens, so wird man aus einem Kind der Gnade ein Kind des Zorns und tritt unvermerkt aus dem unsichtbaren Reich Jesu Christi, des Gnadenkönigs, und wird ein Sklave des Satans, des Fürsten der Finsternis.

2.

    Lasst mich nun noch einige Worte darüber hinzusetzen, welche traurigen Folgen ein solcher Rückfall aus der Gnade habe. Dieses beschreibt Christus in unserem Text so: „Dann geht er hin und nimmt sieben Geister zu sich, die ärger sind als er selbst; und wenn sie hineinkommen, wohnen sie da; und wird hernach mit demselben Menschen ärger denn vorher.“ Christus sagt also: Wer aus der Gnade fällt, verliert nicht nur die empfangene Gnade, sondern gerät auch in ein siebenmal größeres Verderben als das war, in welchem er vor seiner Bekehrung lag.

    Das ist ja fürwahr schrecklich. Aber die tägliche Erfahrung bestätigt es. Hat ein Mensch vormals die Wahrheit erkannt, und wird er abtrünnig, lässt er sich zu Irrtümern verführen, fällt er von der wahren rechtgläubigen Kirche ab und geht er zu einer irrgläubigen, schwärmerischen Sekte oder gar zu dem antichristlichen Papsttum über, so ist dann ein solcher Mensch ein bitterer Feind der Wahrheit als alle diejenigen, welche im Irrtum aufgewachsen sind. Sieben Teufel ziehen in die Seele eines solchen Abgefallenen ein, wenn zuvor, ehe er die Wahrheit erkannte, nur Ein böse Geist seine Seele beherrschte. Es ist dann mehr Hoffnung, dass der größte Spötter, der von Jugend auf im Unglauben erzogen wurde, endlich noch zur Erkenntnis der Wahrheit komme, als dass ein solcher Verleugner der vormals erkannten Wahrheit wieder erleuchtet werde und umkehren sollte. Siebenfache Finsternis deckt nun seine elende Seele, und schon jauchzt der böse Feind, dass er nun nimmer wieder Gnade finden werde. Die Geschichte berichtet uns auch schreckliche Beispiele genug, wie wissentliche Verleugner der Wahrheit endlich zwar aufgewacht, aber trostlos verzweifelt sind. O, wie nötig ist es also, dass man sein Herz bewahre, dass man von der Pest des Irrglaubens und Unglaubens nicht angesteckt werde, sondern in heller Erkenntnis der seligmachenden Wahrheit bleibe!

    Gleiche Folgen hat es aber auch bei denen, welche durch Sünden wider das Gewissen aus der Gnade fallen. Es ist leichter, dass der gottloseste Weltmensch endlich aus seinem Sündenschlaf erweckt und bekehrt werde, als dass ein Christ, der den Geist der Gnade wieder von sich getrieben hat und ein abgefallener geheimer Heuchler oder offenbarer Verächter Christi und seines Evangeliums geworden ist, wieder zur Gemeinschaft Christi zurückkomme. Entweder ist ein solcher in so großer Verblendung, dass er sich immer noch für bekehrt hält, oder er verzagt gänzlich, dass für ihn noch Hilfe sei, oder endlich er tritt freventlich das Blut der Versöhnung mit Füßen und schmäht den Geist der Gnade, so dass er nun nicht mehr erneuert werden kann. Daher werden solche Menschen in der Heiligen Schrift kahle, zweimal erstorbene Bäume genannt, die schwerlich wieder grünend werden und Früchte bringen und nun reif sind zum ewigen Feuer; und St. Petrus gibt die wichtige Warnung: „So sie entflohen sind dem Unflat der Welt durch die Erkenntnis des HERRN und Heilandes Jesus Christus, werden aber wiederum in denselben geflochten und überwunden, ist mit ihnen das Letzte ärger geworden als das Erste. Denn es wäre ihnen besser, dass sie den Weg der Gerechtigkeit nicht erkannt hätten, als dass sie ihn erkennen und sich kehren von dem heiligen Gebot, das ihnen gegeben ist.“

    O, wer kann daher den Jammer, das Unglück und das Elend mit Worten beschreiben, worein sich derjenige stürzt, der, es sei durch Irrtum oder durch Sünde, das Kleinod, das er schon einmal erfasst hatte, wieder von sich wirft! Beweinenswürdige Menschen! Denn gerade umso kläglicher ist ihr Fall, je weniger sie ihn erkennen und darüber bekümmert sind.

    Nun, meine Lieben, ich habe euch heute einen hellen Spiegel vorgehalten, in welchem diejenigen gewiss ihr Bild finden werden, die entweder abgefallen oder noch nie aufgestanden sind, wenn sie nicht mutwillig die Augen selbst dagegen verschließen.

    O ihr, die ihr von eurem geheimen oder offenbaren Rückfall überzeugt worden seid, ich frage euch: Wollt ihr denn nicht wieder aufstehen? Wollt ihr denn nicht wieder umkehren? Jesus Christus ruft euch jetzt wieder durch die Predigt seines Evangeliums zu sich zurück; säumt doch keinen Augenblick; die Gefahr eurer Seele wächst wie das Wasser einer Überschwemmung mit Macht von Stunde zu Stunde. Entfernt euch nicht immer weiter und weiter, bis ihr vielleicht endlich Christi Gnadenruf gar nicht mehr hört. Meint aber auch nicht, es sei nun zu spät; nein, das flüstert euch nur der Satan ein, nachdem er euch in Irrtum oder Sünde gestürzt hat; lasst euch mit dem Strick der Verzweiflung nur nicht binden; zerreißt ihn durch die Gnade, die euch noch jetzt verkündigt wird. Christus hat Gaben empfangen auch für die Abtrünnigen, also auch für dich. Seufze mit David und weine mit Petrus, so wirst du auch mit ihnen wieder Gnade finden. Ist’s auch schwer, dass ein Gefallener wieder aufstehe, so ist’s doch auch leicht, wenn er nur die Gnade auf’s Neue annimmt und schnell wieder umkehrt, wie der verlorene Sohn, sobald er sein Elend erkennt.

Sprich nicht: Ich hab’s zu grob gemacht,

Ich hab die Güter seiner Gnaden

So lang und schändlich umgebracht,

Er hat mich oft umsonst geladen.

Wofern du’s nur jetzt redlich meinst,

Und deinen Fall mit Ernst beweinst:

So soll ihm nichts die Hände binden

Und du sollst noch Genade finden.

Er hilft, wenn sonst nichts helfen kann:

Mein Heiland nimmt die Sünder –

Wohl uns! – er nimmt uns alle, alle an.

    Amen.

Evangelienpredigt zum Sonntag Laetare (Freuet euch mit Jerusalem; Jesaja 66,10) ueber Johannes 6,1-15: Wie gluecklich diejenigen auch in betreff des Zeitlichen sind, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten

    Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    Jeder Mensch trägt in seinem Herzen schon von Natur ein festes Verlangen, glücklich zu sein. So verschieden aber die Dinge sind, in denen die Menschen von Natur ihr Glück, ihren Frieden, ihre Ruhe suchen, so sind es doch bei allen natürlichen Menschen Dinge dieser Welt oder das Zeitliche. Der Eine sucht sein Glück in einem bequemen, ruhigen, mühelosen und sorgenfreien Leben, ein anderer in täglichem guten Essen und Trinken, ein Dritter in einem großen, weitverzweigten Geschäft, ein Vierter in Sammlung von Schätzen und Vergrößerung seines Vermögens, ein Fünfter in Erlangung von Ehrenstellungen und überhaupt in hohem Ansehen unter den Menschen, ein anderer in den gewöhnlichen Weltvergnügungen, in Tanz und Spiel, in Theatern und Konzerten, in öffentlichen Trink- und Lärmgelagen, ein anderer in modischen, prächtigen und auffallenden Kleidern oder in der Pracht seiner Wohngebäude und Zimmer und in dem Glanz seines Haushaltens, andere wohl gar in der ungestörten Ausübung gewisser Schoßsünden.

    So lange nun ein Mensch noch in solchen Dingen sein Glück in der Welt sucht, so ist das ein Zeichen, dass er nach kein wahrer Christ, sondern höchstens ein bloßer Namenschrist ist. Denn wenn ein Mensch einmal von Gottes Wort erleuchtet und getroffen wird, und wenn er nun anfängt, sich ernstlich um das Eine, das not ist, zu kümmern und zu fragen: Was muss ich tun, dass ich selig werde? Dann sieht der Mensch ein, dass nichts Zeitliches Ruhe und Frieden der Seele ihm geben, und dass nichts Irdisches, kein noch so großer irdischer Reichtum, keine für das Fleisch noch so reizenden weltlichen Vergnügungen und keine noch so große Ehre bei den Menschen ihn glücklich machen könne. Entschließt sich daher ein solcher von Gottes Wort getroffener Mensch, von nun an für das Heil seiner Seele wirklich zu sorgen und ein wahrer Christ zu werden, dann gibt er der Welt und aller ihrer Herrlichkeit, ihren Schätzen, Lüsten und Ehren, einen vollständigen Abschied, sondert sich von der Welt ab, lebt eingezogen und sucht sein Glück und seine Freude in Gott, in seinem Wort und in seiner Gnade. Er spricht von Herzen, wie es in dem Lied heißt:

     O selig ist der Mensch, der, von dem Blitzstrahl des Wortes Gottes getroffen und dadurch zum geistlichen Leben erwacht, diesen großen Entschluss fasst! Der hat den breiten Weg zum Verderben, den Millionen Menschen in ihrer Sicherheit wandeln, verlassen und den schmalen Himmelsweg betreten.

    Fängt aber nun ein Mensch ein solches von aller Eitelkeit der Welt zurückgezogenes gottseliges Leben an, so halten ihn die Weltmenschen nicht nur für einen Sonderling und für einen Toren, sondern sie sehen ihn auch für einen recht unglücklichen und bedauernswürdigen Menschen an. Sie denken: Was hat doch ein solcher Christ in dieser Welt? Was dass Leben heiter und angenehm macht, das versagt er sich. Die Plätze des Vergnügens, die auch ihm offen stünden, flieht er und liest unterdessen in der Bibel, betet und singt und quält sich mit den Gedanken an seine Sünden, an Gott, Tod, Gericht und Ewigkeit ab. Der Weg der Ehre wäre ihm auch nicht verschlossen, aber er weicht aus und macht sich durch seine überspannte Religiosität zu einem Gegenstand der Verachtung und des Spottes. Die Mittel, reich zu werden, stünden auch ihm zu Gebot, aber er gebraucht sie nicht, macht sich über alle Kleinigkeiten, die einmal in den Geschäften, bei welchen man etwas Erkleckliches verdienen will, nicht zu vermeiden sind, unnötige Gewissensskrupel. Ein solcher Christ tritt sein Glück mit Füßen, schafft sich die schöne Welt selbst zu einem Jammertal um, macht sich selbst unglücklich.

    So denken Welt5menschen von gottseligen Christen. Aber sollte dieses Urteil wirklich begründet sein? Sollte ein Christ durch sein Christentum, durch seine Absonderung von der Welt, durch seine Gewissenhaftigkeit und Gottseligkeit wirklich wenigsten zeitlich sich unglücklich machen? – Ich sage hierzu: Nein! Und alle wahren Christen werden mit mir hierzu Nein sagen. So viel auch Christen sich versagen, worin ein Weltmensch sein Glück, ja, seinen Himmel auf Erden sucht, so gewinnen sie doch dabei nicht nur das Himmlische, sondern gerade sie sind auch im Zeitlichen die Glücklichsten. Dies lehrt uns unser heutiges Evangelium.

Johannes 6,1-15: Danach fuhr Jesus weg über das Meer an der Stadt Tiberias in Galiläa. Und es zog ihm viel Volks nach, darum dass sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber ging hinauf auf einen Berg und setzte sich daselbst mit seinen Jüngern. Es war aber nahe Ostern, der Juden Fest. Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, dass diese essen? (Das sagte er aber, ihn zu versuchen; denn er wusste wohl, was er tun wollte.) Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Pfennig Brot ist nicht genug unter sie, dass ein jeglicher unter ihnen ein wenig nehme. Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das unter so viele? Jesus aber sprach: Schafft, dass sich das Volk lagere! Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich bei fünftausend Mann. Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie den Jüngern, die Jünger aber denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, wieviel er wollte. Da sie aber satt waren, sprach er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, dass nichts umkomme! Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die überblieben denen, die gespeist worden. Da nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll! Da Jesus nun merkte, dass sie kommen würden und ihn haschen, dass sie ihn zum König machten, entwich er abermals auf den Berg, er selbst allein.

    Aufgrund dieses Evangeliums lasst mich euch jetzt zeigen:

Wie glücklich diejenigen in Betreff des Zeitlichen sind, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten

    Sie sind nämlich auch in dieser Beziehung so glücklich, weil sie

1.       Frei sind von den ängstlichen Sorgen für das Zeitliche, und

2.       Weil sie frei sind von der peinigenden Begierde nach dem Zeitlichen.

1.

    Die Geschichte, welche uns in unserem heutigen Evangelium erzählt wird, ist, meine Lieben, nicht nur wunderbar wegen des herrlichen Wunders, das Christus laut derselben einst getan, indem er mit fünf Broten und zwei Fischen bei 5000 Mann, ungerechnet Frauen und Kinder, gesättigt und zwölf Körbe voll Brocken übrig behalten hat; diese Geschichte ist auch deswegen höchst wunderbar, dass so viele Tausende einst Christus nachgezogen sind in eine öde, unfruchtbare, menschenleere Wüste, ohne sich mit Nahrung zu versehen, und dass sie einen ganzen Tag lang bis zu dem Hereinbrechen der Nacht daselbst bei Christus geblieben sind und sein Wort gehört haben, unbesorgt, wie sie den eintretenden Hunger stillen würden. Woher mag wohl diese glückliche Sorglosigkeit um das Zeitliche bei dem Volk gekommen sein? Nicht daher, weil sie schon erfahren hatte, wie Christus auch in der Wüste einen Tisch decken könne, denn die in unserem Evangelium erzählte wunderbare Speisung war die erste, welche Christus einst verrichtet hat. Von dieser wunderbaren Erscheinung können wir den Grund in nichts anderem suchen als darin, dass Christus durch seine Nähe, durch sein Wort jenen Leuten alle Sorgen um das Zeitliche von dem Herzen nahm.

    Und so ist es. Den noch jetzt ist’s so: So lange ein Mensch nichts von Christus weiß, oder doch nicht zu einem lebendigen Herzensglauben an Christus gekommen ist und so lange er es noch mit der Welt hält, so lange kann der Mensch das ängstliche Sorgen um das Zeitliche nicht lassen.

    Betrachtet nur die Welt, so werdet ihr finden: Unter den Kindern dieser Welt ist ein unaufhörliches Sorgen und Grämen für den anderen Morgen, für die Zukunft. Nicht etwa nur der Arme, der wirklich keine Aussicht hat, woher er morgen Brot nehmen solle für sich und seine Familie, sorgt und grämt sich ab, sondern auch der, dem es gegenwärtig an nichts gebricht. Mit bangem Herzen denkt er: Jetzt wärst du wohl versorgt; dien Geschäft ernährt dich gut; aber wenn du nun vielleicht längere Zeit krank werden solltest, wie dann? Wen du alt und schwach sein und wenn du dich dann deiner Hände Arbeit nicht mehr wirst ernähren können, wie dann? Treten nun vollends solche Notzeiten ein, o welche Sorgen, welche Kümmernisse erfüllen und beschweren dann das arme herz! Welche tiefen Seufzer entsteigen dann der beklemmten Brust! Welche schweren, langen, schlaflosen Nächte durchwacht dann der, wie er meint, von Gott und Menschen verlassene Hausvater! Ja, noch mehr! Selbst die Wohlhabendsten und Reichsten sind fort und fort von den ängstlichsten Sorgen um das Zeitliche erfüllt. Haben sie große Kapitale ausstehen, so sorgen sie, sie durch böse Schuldner oder Unglücksfälle verlieren zu können; haben sie prächtige Wohnhäuser, so sorgen sie, durch Feuersbrünste oder anderes Missgeschick darum kommen zu können; haben sie ein großes, weitverzweigtes Geschäft, so sorgen sie, durch ihre Handelswagstücke oder durch diese und jene Verbindung einmal plötzlich gestürzt werden zu können. O, sollten alle Weltkinder, und wenn sie am glücklichsten zu sein schienen, ihre Herzen uns öffnen so würden wir sehen, dass sie alle mit Sorgen aufstehen, und dass die Sorge sie selbst an ihre Vergnügungsplätze hin begleitet und ihnen nirgends Ruhe lässt, wo sie gehen und stehen.

    Die Sorge ist der schwere Stein, den die Weltkinder fort und fort noch selbst auf die Last ihrer Not legen, dass sie ihnen unerträglich wird; und die Sorge ist die bittere Pille, die sie selbst sich in den Kelch aller ihrer Freude werfen und die sie ihnen vergällt und verbittert. Was ist daher alles Glück, das die Kinder dieser Welt genießen? Es sind kurze, süße Träume und Berauschungen, aus denen sie immer nur zu bald mit Schmerzt und Seufzen erwachen.

    Kommt nun ein Mensch zu einem lebendigen Glauben an Jesus Christus, hält er es daher nicht mehr mit der Welt, sondern mit Christus, o, welch eine selige Veränderung geht da mit ihm vor! Ein solcher Mensch hat nun die feste Zuversicht, dass ihm alle seine Sünden vergeben seien, dass ihm Gott gnädig sei und dass er Gott gefalle um Christi willen, dass er Gottes Kind und dass Gott sein Vater sei. Dieser Glaube nimmt ihm auf einmal alle seine vorigen ängstlichen Sorgen für das Zeitliche aus seinem Herzen. Ist er arm, so denkt er: „Was will ich sorgen? Ich diene ja einem reichen HERRN, der wird mich schon versorgen; er ernährt ja die Vögel des Himmels und kleidet die Lilien auf dem Feld, wieviel mehr wird er das mir tun? Hat er bei seiner Armut vielleicht auch eine große Kinderschar, so denkt er: Was will ich sorgen? Nicht ich, sondern Gott ist ihr rechter Vater; ich soll sie nur in seiner Furcht und in der Ermahnung zu ihm erziehen; er wird daher auch als der rechte Vater meiner Kinder für sie sorgen. Ist mein Herz schon voll Mitleid und Erbarmen gegen die mir anvertrauten Kinder, dass ich sie nicht verlassen kann, wieviel weniger wird ihr himmlischer Vater sie verlassen! Kommt nun zur Armut eines Christgläubigen auch noch Krankheit und andere Trübsal, so denkt er auch: Was soll ich sorgen? Gott hat alle meine Haare gezählt, ohne seinen Willen kann mir nichts geschehen, von ihm kommt nicht nur Glück, sondern auch Unglück; nun hat er aber verheißen, er will seine Kinder nicht über Vermögen versucht werden lassen, sondern machen, dass die Versuchung ein solches Ende gewinne, dass sie es können ertragen; wohlan, wenn seine Stunde kommen wird, dann wird er auch zu meiner Not sprechen: Bis hierher und nicht weiter. „Warum betrübst du dich so, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, so werde ich ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“ Geht es hingegen einem Christgläubigen wohl im Irdischen, segnet ihn Gott mit zeitlichen Gütern, so lässt er ebenso wenig ängstliche Sorgen darum in sein Herz. Er sieht alles, was er hat, nicht für sein Eigentum, sondern nur für ein geliehenes Gut an, damit er haushalten soll. Er denkt daher: Was soll ich sorgen? Nimmt mir Gott wieder, was er mir anvertraut hat, so nimmt er mir nur eine Last ab, die ich jetzt tragen muss.

Gut und Blut, Seel und Leben

Ist nicht mein,

Gott allein,

Ist es, der’s gegeben;

Will er’s wieder zu sich kehren,

Nehm er’s hin,

Ich will ihn

Dennoch fröhlich ehren.

    Wie glücklich ist daher der Christgläubige bei diesem Sinn auch in Betreff des Zeitlichen. Er ist einem Wanderer gleich, der, eine leichte Last tragend, fröhlich in die Zukunft blickt und, seines Ziels gewiss, munter dahin eilt über Berg und Tal; Gottes Wort ist sein Stecken und Stab, auf den er sich stützt; Gottes Gnade seine Sonne des Tages und sein Stern des Nachts, der ihm leuchtet; Gottes Geist sein Führer, der den Weg ihm zeigt; Gottes Allmacht seine Bedeckung, die ihn schüt5zt; Gottes Verheißungen seine Speise und sein Trank, damit er sich täglich stärkt, labt und erquickt.

    Darum, liebe Zuhörer, wollt ihr im Betreff des Zeitlichen glücklich sein, so verlasst mit eurem Herzen das Zeitliche und hängt euer Herz an Christus und seine ewigen Güter; so werdet ihr Christus so sorgenfrei überallhin folgen, wohin er euch führt, wie einst das Volk Christus in die Wüste; und wie einst Christus den Glauben des Volkes nicht beschämte, sondern für dasselbe sorgte, so wird er auch für euch sorgen. Die Welt wird euch nicht bei Christus ein Jammertal werden, sondern Christus wird vielmehr das Jammertal dieser Welt euch in eine grüne Aue verwandeln, darauf er euch weidet, so dass ihr täglich bekennen müsst: „Der HERR ist mein Hirte, ich habe keinen Mangel.“ Nie, nie wird es euch an dem fehlen, was ihr bedürft.

2.

    Doch, meine Lieben, es ist freilich wahr: Christus hat den Seinen nicht mehr verheißen als Nahrung und Kleidung. Sollten also wohl wirklich alle diejenigen auch im Betreff des Zeitlichen so glücklich sein, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten? Ich antworte auch hierauf getrost mit Ja, und zwar darum, weil sie auch frei sind von der peinigenden Begierde nach dem Zeitlichen. Davon lasst mich nun zweitens zu euch weiter sprechen.

    So lange, meine Lieben, das Herz eines Menschen noch nicht durch einen lebendigen Glauben an Christus umgewandelt ist, so langer stört sein irdisches Glück nicht nur die Sorge um das, was er hat, sondern auch die Begierde nach dem, was er noch nicht hat. Weil nämlich das Herz des Menschen schon von Natur ein brennendes Verlangen hat, vollkommen glücklich zu sein, der Mensch aber das Glück nicht im Irdischen und Zeitlichen finden kann, so denkt der natürliche Mensch immer, dass er nicht glücklich sei, das liege daran, dass ihm noch dieses und jenes von zeitlichen Gütern fehle. Er ist daher nie mit dem, was er schon hat, zufrieden. Ist er wohlhabend, so möchte er reich werden; ist er reich, so möchte er noch reicher werden. Hat er ein einträgliches Geschäft und wohnt er zur Miete, so möchte er auch ein Häuslein haben; hat er ein Häuslein, so möchte er einen Palast haben; hat er einen Palast, so möchte er deren mehrere haben. Ist er ein Pächter, so möchte er ein Stücklein Land haben; hat er endlich ein Stücklein Land, so möchte er einen ganzen Landstrich haben. Steht er in einer Ehrenstelle, so möchte er gerne noch höher steigen. Ist er ein Fürst, so möchte er ein König sein. Kurz, der Mensch ist von Natur unersättlich. Je mehr er hat, desto größer werden seine Wünsche; wie der, welcher Seewasser trinkt, dadurch nur immer durstiger wird.

    Was ist aber die Folge dieser Begierde? Sie lässt die armen Weltkinder nie zur Ruhe und zum Frieden kommen, sondern lässt sie fried- und ruhelos laufen und jagen und das Glück suchen, das doch immer weiter von ihnen flieht. Sie macht, dass der äußerlich Reichste in seinem herzen elender als ein Bettler ist; sie macht, dass der äußerlich Hochgestellteste in seinem Herzen elender als der Geringste und Niedrigste ist; sie macht, dass der, welcher von einem Vergnügen zum anderen eilt, nirgends mehr Vergnügen findet; sie macht, dass selbst dem König seine Krone zur Last wird; kurz, sie macht, dass der äußerlich Beglückteste innerlich der Elendeste ist. Daher spricht denn Salomo im 13. Kapitel seiner Sprüche: „Mancher ist arm bei großem Gut, und mancher ist reich bei seiner Armut.“

    Wer sind aber die, die selbst bei ihrer Armut reich sind? – Das sind die, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten.

    Ein Beispiel hierzu ist das Volk in unserem Evangelium. Christus speiste dasselbe nur mit Gerstenbrot und ein wenig Fischlein. Wie fröhlich sehen wir sie aber unter freiem Himmel auf dem grünen Rasen sich lagern! Wie fröhlich sehen wir sie ihre einfache Mahlzeit halten! Nachdem sie gesättigt sind, da rufen sie jubelnd aus: „Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll.“ Ja, sie sind so hocherfreut, dass sie Christus nahen, um ihn in der Einfalt ihres Herzens zu ihrem König zu machen.

    Seht hieraus, meine Lieben, wie glücklich diejenigen auch im Zeitlichen sind, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten. Solche sind nicht nur von der ängstlichen Sorge um das Zeitliche, sondern auch von der peinigenden Begierde nach dem Zeitlichen befreit. Weil sie das Eine gefunden haben, das not ist, Gottes Gnade und die Gewissheit ihrer Seligkeit, so sind sie von ihrer natürlichen Unersättlichkeit nach dem Irdischen geheilt. Christus gibt ihnen nicht nur genug, sondern sie lassen sich auch damit genügen. In ihrem Herzen wohnt die Zufriedenheit. O, wie glücklich sind daher die gläubigen Christen! Wie viel reicher achten sie sich in ihrer Armut, wenn sie haben, was sie bedürfen, wenn ihnen Gott wieder ein Kindlein schenkt, als wenn das reichste Weltkind sich in Samt und Seide kleiden kann! Wie viel wohler ist ihnen in ihrer niedrigen Hütte und in ihrem ärmlichen Stüblein, wen sie das Wort ihres Gottes bei Lampenlicht lesen, als dem reichsten Weltkind in seinen geschmückten und prachtvoll erleuchteten Zimmern! Wie viel glücklicher fühlen sie sich in ihrer Niedrigkeit und Verborgenheit, als der ehrsüchtige Vornehme im Kreis seiner Neider! Wie viel fröhlicher sind ihre Herzen bei den äußerlich kleinen Familienfreuden, die ihnen Gott schenkt, als die reichen Weltkinder bei allen ihren glänzenden Gastmählern und Festlichkeiten! Ja, wie selige Stunden himmlischen Vorschmacks haben sie oft auf ihren Siechbetten und in ihren finsteren Unglückstagen, während die Weltkinder in ihren beglücktesten Tagen die stimme in ihrem Inneren hören müssen: Du bist doch nicht glücklich!

    O, meine Lieben, so sucht denn euer Glück nicht in der Welt; ihr findet es in der Welt so wenig, so wenig ihr euer Haus mitten in das bewegte Meer bauen könnt. Die Weltkinder genießen von dem, was sie haben, so wenig wahres Glück, so wenig das Lasttier an den schweren Kostbarkeiten sich ergötzt, die es tragen muss. Findet ihr das Glück nicht in euren Herzen durch den Glauben an Jesus Christus, so findet ihr es nirgends. Je ernstlicher ihr aber der Welt und ihrer Eitelkeit Abschied geben, und je treuer ihr Christus im Glauben und in der Liebe nachfolgen werdet, desto glücklicher werdet ihr auch allezeit in Betreff des Zeitlichen sein. ja, in guten und bösen Tagen, in Ehre und Schande, in Reichtum und Armut, im Leben und im Tod werdet ihr bekennen müssen:

Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen,

Wenn ich in deiner Liebe ruh!

Ich steige aus der Schwermutshöhen

Und eile deinen Armen zu.

Da muss die Nacht des Trauerns scheiden,

Wenn nach so angenehmen Freuden

Die Liebe strahlt aus deiner Brust.

Du bist mein Himmel schon auf Erden;

Wer sollte nicht vergnüget werden,

Der in dir suchet Ruh und Lust?

Weg, Welt! mit allen Schmeicheleien;

Nichts kann, als Jesus, mich erfreuen.

    Amen! Amen!

Evangelienpredigt zum Sonntag Judica (HERR, schaffe mir Recht; Ps. 43,1) ueber Johannes 8,46-59: Dass Christi vollkommener Wandel eine oeffentliche Beschaemung des Unglaubens ist

    Gott gebe euch viel Gnade und Friede durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.

    In demselben, unserem Heiland, geliebte Zuhörer!

    Dass viele die göttliche Wahrheit nicht annehmen, davon liegt die Ursache sehr häufig auch darin, dass sie sich an der Niedrigkeit, Verächtlichkeit oder auch sündlichen Gebrechlichkeit derjenigen ärgern, welche sie predigen oder sich dazu bekennen. Als daher einst der teure Herold des Evangeliums, Paulus, mit ungeschminkten Worten die göttliche Wahrheit auf öffentlichem Markt zu Athen predigte, da nahmen sich die gegenwärtigen Philosophen gar nicht die Mühe, des Apostels Lehre zu prüfen; sie riefen vielmehr sogleich mit verächtlicher Miene aus: „Was will dieser Lotterbube sagen?“ Daher kam es auch, dass vor 500 Jahren viele, besonders Hohe und Gelehrte, die Reformation nicht annahmen; sie achteten es für zu schimpflich, sich von einem elenden Mönch reformieren zu lassen. Dieser Sinn ist uns Menschen angeboren, er wird daher auch noch jetzt an vielen offenbar. Nicht wenige, wenn sie lesen, wie viele und große Sünden von jeher selbst mitten in der Christenheit im Schwange gingen, machen daraus den Schluss, die Wahrheit sei auch in dem Christentum nicht zu finden. Und wie viele stoßen sich noch jetzt daran, wenn sie in solchen Gemeinden, in denen die reine evangelische Lehre gepredigt wird, so viele sündhafte, unredliche Glieder sehen, die, was sie mit Worten bekennen, durch ihre Werke verleugnen! Wie viele wollen vom Evangelium nichts wissen, weil sie immer mehr in Erfahrung bringen, dass die Prediger des Evangeliums auch arme, schwache Menschen sind, wie andere, ja, dass es selbst unter den Predigern Heuchler gibt, deren böse Taten oft wider Erwarten und zur Beschimpfung aller Christen offenbar werden! Wie viele wollen darum lieber dar nichts von Kirche, von Gemeinde, von Predigern und öffentlichem Gottesdienst wissen!

    So gewiss aber viele dazu berechtigt zu sein meinen, dann eine Lehre zu verwerfen, wenn sie von sündhaften befleckten Personen vorgetragen und bekannt wird, so falsch und verwerflich ist der Grundsatz, nach welchem sie hierbei entscheiden. Die Wahrheit bleibt Wahrheit, es bekenne sie nun ein Engel oder ein Mensch, ein Heiliger oder ein Sünder, ein erfahrener Greis oder ein unerfahrenes Kind, ein Kluger oder ein Einfältiger. Gott hat beschlossen, sein seligmachendes Evangelium den Sündern durch Sünder verkündigen zu lassen, und zwar aus großer Weisheit; denn wenn nur heilige Engel uns predigten, so würden wir leicht oft auf die Gedanken kommen: Wüsste der Engel, wie es einem Sünder zumute ist, so würde er nicht so predigen.

    Damit soll jedoch freilich nicht gesagt werden, dass daraus nichts ankomme, ob derjenige, der recht lehrt, auch recht lebe. Das sei ferne! – Erfahrene Christen sehen wohl vor allem auf die Lehre; dass diese rein sei, dies ist wohl ihnen die Hauptsache; aber schwache Christen, und noch mehr Ungläubige sehen hingegen mehr auf das Leben eines Predigers; ist diese unsträflich, so erweckt das in den Ungläubigen Zutrauen auch zu seiner Lehre; lebt hingegen ein Prediger unchristlich, dann reißt er selbst ein, was er mit seiner Lehre bauen will; dann erweckt er selbst den Verdacht, dass er ein falscher Prophet sei, der nicht den Weg zur Seligkeit, sondern zum Verderben zeige. Groß ist daher die Verantwortung aller derer, welche die Wahrheit predigen oder sich doch vor der Welt dazu bekennen. Ihnen besonders wird zugerufen: „Es muss ja Ärgernis kommen, doch wehe dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!“

    Sollten aber nun nicht die Ungläubigen entschuldigt sein, da so viele, die sich zu der göttlichen Wahrheit bekennen, ihnen mit ihren Sünden ein so schweres Ärgernis geben? – Nein, meine Lieben, denn Gott hat den Menschen vom Himmel einen Lehrer gesendet, dessen heilige Lehre mit seinem Leben in der vollkommensten bewunderungswürdigsten Harmonie stand; einen Lehrer, dessen Wandel göttlich hell und rein strahlt, dass auch das allesdurchdringende Auge Gottes, geschweige das eines Menschen, keinen Flecken, auch kein Stäublein menschlicher Schwachheit darin finden kann; und dieser Lehrer ist – Jesus Christus. Wie aber Christi vollkommener heiliger Wandel eine öffentliche Beschämung des Unglaubens sei, davon lasst mich jetzt zu euch sprechen.

Johannes 8,46-59: Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen? So ich euch aber die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht? Wer von Gott ist, der hört Gottes Wort. Darum hört ihr nicht; denn ihr seid nicht von Gott. Da antworteten die Juden und sprachen zu ihm: Sagen wir nicht recht, dass du ein Samariter bist und hast den Teufel. Jesus antwortete: Ich habe keinen Teufel, sondern ich ehre meinen Vater, und ihr verunehrt mich. Ich suche nicht meine Ehre; es ist aber einer, der sie sucht und richtet. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich. Da sprachen die Juden zu ihm: Nun erkennen wir, dass du den Teufel hast. Abraham ist gestorben und die Propheten, und du sprichst: So jemand mein Wort hält, der wird den Tod nicht schmecken ewiglich. Bist du mehr denn unser Vater Abraham, welcher gestorben ist? Und die Propheten sind gestorben. Was machst du aus dir selbst? Jesus antwortete: So ich mich selber ehre, so ist meine Ehre nichts. Es ist aber mein Vater, der mich ehrt, von welchem ihr sprecht, er sei euer Gott, und kennt ihn nicht. Ich aber kenne ihn. Und so ich würde sagen, ich kenne ihn nicht, so würde ich ein Lügner, gleichwie ihr seid. Aber ich kenne ihn und halte sein Wort. Abraham, euer Vater, ward froh, dass er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich. Da sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und hast Abraham gesehen? Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe denn Abraham ward, bin ich. Da huben sie Steine auf, dass sie auf ihn würfen. Aber Jesus verbarg sich und ging zum Tempel hinaus, mitten durch sie hinstreichend.

    „Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen?“ so fragt Christus zu Anfang unseres Textes seine Feinde und setzt hinzu: „So ich euch aber die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht?“ Zweierlei behauptet hiermit Christus: Erstens, dass ihn niemand einer Sünde ziehen könne, und sodann, dass sich daher auch niemand entschuldigen könne, wenn er nicht an ihn glaube. Hiernach spreche ich jetzt zu euch davon:

Dass Christi vollkommen heiliger Wandel eine öffentliche Beschämung des Unglaubens ist

    Hört:

1.       Dass die Heiligkeit des Wandels Christi so hell leuchte, dass auch die Ungläubigsten sie nicht in Zweifel ziehen können, und

2.       Dass sie daher alle diejenigen beschäme, welche dennoch hartnäckig in ihrem Unglauben verharren wollen.

1.

    So wenig es, meine Zuhörer, nötig ist, es einem Menschen erst mit vielen Gründen zu beweisen, dass das Licht nicht finster, sondern hell ist, und dass die Sonne nicht verdunkle, sondern erleuchte, so wenig ist es nötig, es mühsam beweisen zu wollen, dass Christus heilig war. Wie die Sonne, wenn sie über den Horizont heraufsteigt und in ihrer Pracht in unseren Gesichtskreis tritt, durch ihre bloße Erscheinung jedem offenen Auge ihre erleuchtende Kraft selbst beweist, so darf auch das Bild des Lebens Christi einem Menschen nur vor seine Seele gestellt werden, und er wird von selbst genötigt sein, auszurufen: Heilig, heilig, heilig ist Jesus Christus; alle Lande sind seiner Ehre voll. Ja, mit Furcht und Zittern muss ein Mensch daran gehen, wenn er es wagen will, die Himmelsreinheit des Lebens Christi zu beschreiben. Das ist ein Gegenstand, der die Kräfte nicht nur der Menschen, sondern selbst der Engelzungen unendlich weit übersteigt. Keine Kreatur kann davon nach Würden reden. Ich gestehe euch daher, meine Lieben: Da ich von Christi heiligem Wandel zu euch reden will, da ist mir’s, als wäre ich ein Kind das mit seinen Spielfarben den Himmel der Herrlichkeit malen will. Doch, ich erkühne mich nicht, von dem Allerheiligsten so zu reden. Seht, so war er; ich will euch nur einige Züge aus dem Leben des Schönsten unter den Menschenkindern erinnern, um dadurch eure weitere Aufmerksamkeit und gläubige Bewunderung in der Stille auf dieses vollkommenste Muster zu lenken.

    Ein heller Spiegel, in welchem die Krone der Heiligkeit Christi herrlich wiederstrahlt, ist unser heutiges Evangelium. Christus legt darin seinen erbitterten Feinden die Frage vor: „Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen?“ So hat und wird nie ein Mensch reden können. Selbst der liebevolle Freund, der vieles übersieht und vieles zum Besten deutet, sieht doch auch am frömmsten Freund gar manche sündlche Schwachheit, an die er ihn auf eine solche Frage erinnern müsste. Wie gewiss muss daher Christus gewesen sein, dass auch die schärfsten spähenden Augen des Misstrauens, Argwohns, ja, des glühendsten Hasses nichts Tadelnswertes weder in seinen Worten, noch Gebärden, noch Werken entdecken konnten; da er seine geschworenen Feinde öffentlich im Jerusalemer Tempel aufforderte, von ihm Zeugnis zu geben! Diese Reinheit des Gewissens, dieses klare Bewusstsein seiner vollkommensten Unschuld finden wir stets an Christus. Christus betete viel, aber nie um Gnade, nie um Vergebung. Christus demütigste sich tief und stellte sich dar als ein Knecht aller Sünder, aber nie hören wir aus seinem Mund das Bekenntnis einer Schuld oder Reue. So sehr er sich auch erniedrigte, so redet er doch dabei von seiner inneren Würde stets in den höchsten und erhabensten Ausdrücken. Selbst damals, als ihm im zwölften Jahr seines Alters seine Mutter einen Vorwurf machen wollte, da antwortete er ihr mit heiligem Ernst: „Was ist’s, dass ihr mich gesucht habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?“

    Mit welchem Frohlocken würden nun die Feinde Christi auf jene Frage: „Welcher unter euch kann mich einer Sünde zeihen?“ Christus Sünden vorgeworfen haben, wenn sie davon auch nur einen Schatten hätten aufbringen können! Aber was tun sie? – Sie verstummen zwar nicht, doch ihre Waffe ist allein Schimpfen, Lästern und Verfolgen. Sie antworten: „Sagen wir nicht recht, dass du ein Samariter bist und hast den Teufel?“ Ja, als Christus ihnen bezeugte: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe denn Abraham ward, bin ich; da“ heißt es, „hoben sie Steine auf, dass sie auf ihn würfen.“ Je mehr aber die Feinde ihn hiermit zu schänden gesucht haben, desto herrlicher haben sie gerade durch diese ihre ohnmächtigen Lästerungen Christi Heiligkeit bestätigt, wie das Licht gerade durch den Schatten am meisten hervorgehoben wird. Denn muss derjenige nicht tadellos sein, der seine Feinde öffentlich herausfordern kann, ihm auch nur das mindeste Unrecht nachzuweisen, wenn die Feinde anstatt der Beweise Schimpfwörter ausstoßen, und anstatt der Tatsachen zu Steinen greifen müssen? Diese Wut, in welche die Feinde auf jene Frage gerieten, ist ein stärkeres Zeugnis für Christi über alle Verkleinerung erhabene Unschuld, als alle für ihn gehaltenen Lobreden. Was aber die Feinde hier verdeckt zugestehen mussten, das haben sie zu anderen Zeiten auch laut aussprechen müssen. Selbst Pilatus, der das Todesurteil über Christus gefällt hat, hat doch nach der strengsten Untersuchung vor dem Volk das Zeugnis ablegen müssen: „Ich finde keine Schuld an ihm; ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten.“ Selbst dem Schächer an Christi Seite war Christi völlige Unschuld bekannt worden und gewiss; er bezeugte daher noch am Kreuz: „Dieser hat nichts Ungeschicktes getan.“ Und als bei Christi Kreuzigung die Sonne ihren Schein verlor, und nach seinem unschuldigen Tod die Erde erbetete, die Felsen zerrissen und die Gräber der Heiligen sich auftaten, da merkte der am Kreuz die Wache habende Hauptmann gar wohl, dass auch die leblose Natur die Unschuld des Hingerichteten bezeugen wolle; er rief daher aus: „Wahrlich, dieser ist ein frommer Mensch und Gottes Sohn gewesen.“ Einen Schatten des Verdachts könnte es nun zwar auf Christi Unschuld werfen, dass einer seiner vertrautesten Jünger, der von allen Reden und Taten Christi Ohren- und Augenzeuge war, ihn verriet, aber auch dieser Schatten wird zerstreut, da wir hören, wie sein Verräter nach vollbrachter Tat in die höchste Gewissensangst geriet, in welcher er sich endlich selbst entleibte, nachdem er noch hatte vor den Feinden bekennen müssen: „Ich habe unschuldig Blut verraten.“ Selbst die elende Leiche dieses Selbstmörders muss daher noch ein redender Zeuge sein von der Unschuld dessen, den er treulos verraten hatte.

    Der lauteste, unwidersprechlichste Zeuge für Christi Unschuld ist aber endlich sein heiliger Wandel selbst. Gerade da, wo kein Mensch von sündlichen Schwachheiten frei bleibt, steht Christus als das höchste Muster der vollkommensten Reinheit da. Er lehrt nicht nur die schwersten Pflichten der Verleugnung und Feindesliebe, sondern übte sie auch selbst auf das vollkommenste aus. Sein ganzes Leben war der heilige Abdruck und hellstrahlende Wiederschein seiner heiligen Lehre. Betrachten wir Christi Verhalten nur, wie es in unserem Text beschrieben wird, so sehen wir ihn unter seinen Feinden wie ein geduldiges Lamm unter reißenden Wölfen, wie eine weiße zarte Rose mitten unter stachligen Dornen. Seine Feinde reden mit Zungen, die von der Hölle entzündet sind, und speien höllische Flammen gegen ihn aus, er aber gerät dabei nicht, wie wir Menschen, in Leidenschaft; mit ernster Milde antwortet er nur: „Ich habe keinen Teufel; sondern ich ehre meinen Vater, und ihr verunehrt mich.“ Und als endlich Christus seine himmlische Freundlichkeit bei allen Lästerungen behält, und gerade dies die Feinde zur äußersten Wurt reizt, dass sie mörderisch Steine gegen ihn aufheben, da gehet er unter dem Schutz seiner Allmacht ruhig von dannen und verbirgt sich vor den Augen seiner Verfolger, da die von seinem Vater bestimmte Stunde seines Todes noch nicht gekommen war.

    So heilig wir aber Christus hier in Worten, Gebärden und Handlungen erblicken. So finden wir ihn immer. Wenn Christus wohltut, so sehen wir ihn nie nach Würdigkeit fragen; wo Not war und wo man Hilfe begehrte, da half er. Nie suchte er Dank, und wenn er mit schnödem Undank belohnt wurde, da beschloss er nun nicht, mit seinen Wohltaten einzuhalten, sondern bleib eine alle Menschen stets offene Quelle der Güte und Liebe. Immer erblicken wir ihn sanftmütig gegen alle seine Feinde, er vergalt nie Böses mit Bösem, er schalt nicht wieder, wenn er gescholten ward, er segnete, wenn man ihm fluchte. Wir sehen ihn wohl oft zornig, aber nie über erfahrene Beleidigungen, sondern über die Verunehrung seines Vaters. Mit welchem liebevollen herzzerschmelzenden Blick sah er Petrus an, als dieser ihn vor seinen Augen noch so schändlich verleugnete! Mit welcher Milde empfing er den Judas, als dieser ihn mit einem heuchlerischen Kuss verriet! Mit welchem kindlichen Vertrauen blieb Christus an seinem himmlischen Vater hangen, als dieser sich gegen ihn in einen Grausamen verwandelte! Mit welcher unbegreiflichen erbarmenden Liebe ruft endlich der blutende Christus noch scheidend für seine Kreuziger und Peiniger vom Kreuz hinauf zum Himmel: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

    Seht, meine Lieben, die Evangelisten haben in Christus einen Menschen beschrieben, wie er nie wieder in der Welt vorkommt. Jene ungebildeten, ungelehrten, einfältigen Männer haben das Bild eines so himmelreinen Lebens gezeichnet, dass wir schon daraus sehen, dass sie eine solche Lebensbeschreibung nie hätten erfinden können; denn ein solches heiliges Bild haben selbst die größten Philosophen aller Zeiten nie malen, geschweige selbst durch ihren eigenen Wandel darstellen können. Wir erblicken in Christus den Menschen, wie er nie ist, und nie in diesem Leben in seinem gefallenen Zustand sein kann, aber wie er sein soll.

    Das haben nicht nur Christi Freunde, sondern selbst seine Feinde wohl erkennen müssen. Unter anderen spricht der jüdische Geschichtsschreiber Josephus von ihm folgendermaßen: „Damals lebte Jesus, ein weiser Mann, so es sich anders geziemt, ihn einen Mann zu nennen.“ Selbst dieser Jude ist also von Christi Erscheinung so tief ergriffen gewesen, dass er kaum wagte, ihn einen bloßen Menschen zu nennen. Diesen Eindruck machte Christus auch auf unbekehrte Heiden; wir lesen daher in der Weltgeschichte, dass der heidnische römische Kaiser Alexander Severus das Bildnis Christi mit in seinem Haus aufstellte. Ja, die Geschichte berichtet uns, dass der heidnische Kaiser Hadrian kurz vor seinem Tod noch den Entschluss fasste, neben den anderen Tempel seiner Götter auch Christus zu Ehren einen Tempel zu bauen.

    So leuchtet denn die Heiligkeit des Wandels Christi so hell, dass auch die Ungläubigen sie nicht in Zweifel ziehen können.

    Was folgt aber hieraus? Dieses, Dass Christi vollkommen heiliger Wandel alle diejenigen beschäme, welche dennoch hartnäckig in ihrem Unglauben verharren wollen.

2.

    Davon spreche ich nun zweitens noch einige Worte zu euch.

    Die Heiligkeit des Wandels Christi ist, meine Lieben, erstlich darum eine öffentliche Beschämung des Unglaubens, weil sie ihm alle seine falschen Entschuldigungen völlig abschneidet. Nachdem daher Christus nach unserem Text seine Feinde gefragt hatte, ob sie ihn auch nur Einer Sünde überführen könnten, so setzte er hinzu: „So ich euch aber die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht?“ Er will damit sagen: Was könnt ihr nun für Gründe vorwenden, warum ihr mich dennoch verwerft?

    So kann man nun noch jetzt jedem, der das Evangelium von Christus nicht annehmen will, zurufen: Warum glaubst du nicht? Wie kannst du dich daran stoßen, dass es so viele Heuchler unter denen gibt, die nach Christus sich Christen nennen? Wie kannst du daran Ärgernis nehmen, dass es selbst unter den Dienern Christi Männer gibt, die anderen predigen und selbst verwerflich sind? die anders leben, als sie lehren? Die nur Diener Christi heißen, aber eigentlich nicht Christus, sondern sich selbst, nämlich, wie der Apostel sagt, ihrem Bauch, dienen, dem Geiz, der Hoffart und geheimer Wollust ergeben sind? Wer hat dich auf Menschen gewiesen? Einer ist unser Meister, Jesus Christus; auf ihn haben wir zu sehen, er ist der rechte Hirte, er ist das rechte, vollkommene Vorbild seiner Herde, der ihr vorausgeht und in dessen Fußstapfen wir treten sollen. So groß daher auch die Ärgernisse sind, welche der Welt von falschen Christen durch ihren unchristlichen Wandel gegeben werden, und so viele auch dadurch sich verführen lassen, die christliche Lehre ungläubig zu verwerfen, so werden sie sich doch einst in Gottes Gericht damit keineswegs entschuldigen können; denn auf Christus hätten sie schauen sollen, der sein wahres Wort auch durch heilige Taten bestätigt und geschmückt hat.

    Doch damit werden den Ungläubigen nicht nur alle ihre falschen Entschuldigungen genommen, sondern auch die dringendsten Beweggründe, Christus für den wahren Sohn Gottes zu erkennen, vor ihre Augen und Herzen gelegt. Denn, sagt selbst: Wer es zugeben muss, Christus war heilig, wie kein anderer Mensch, verurteilt der sich nicht selbst, wenn er nicht auch zugesteht, dass er der Sohn Gottes war? Wäre Christus, wie alle anderen Menschen in Sünden geboren, hätte er von Natur ein Herz gehabt, wie wir alle haben, zur Sünde und Ungerechtigkeit geneigt, wie wäre dann das Wunder zu erklären, dass alle Menschen immer auf den Irrweg abweichen, dass hingegen Jesus unverwandt ging den heiligen Weg? Wie wäre das Rätsel zu lösen, dass Christus kurz vor unserem Text sagen musste: „Ihr seid von unten her, ich von oben herab“? Wo fänden wir den Aufschluss zu dem Geheimnis, dass Christus, geboren in einem der geringsten Winkel der Erde, erzogen unter einem gottlosen Volk und lebend in einer greulich verderbten Zeit, dass Christus dennoch vor allen Weisen und Edlen und Besten aller Zeiten so hoch, so beispiellos hervorragt? Wer hat diese Pflanze gesät wer hat sie gehegt und gepflegt, dass sie einzig dasteht auf dem Boden der ganzen Welt? Muss ein Ungläubiger, wenn er Christi Heiligkeit betrachtet wovon es kein zweites Beispiel unter den sterblichen Menschen gibt, muss er da nicht selbst ausrufen: Fürwahr, Christus muss ein anderes Wesen sein als wir Menschen; er muss höheren, heiligeren Ursprungs sein als wir, er muss aus einem erhabeneren Geschlecht abstammen als die Sünder; sein Vater kann nicht ein sündlicher Mensch, es muss der heilige Vater im Himmel selbst sein?

    Hierzu kommt nun endlich dieses: Christus redet ja nicht nur stets die Wahrheit, sondern ist auch so demütig, dass er nirgends Ehre sucht, sich nicht dienen lässt, sondern anderen dient; und dennoch bekennt dieser wahrhaftige und von Herzen demütige Christus selbst deutlich, dass er der ewige Sohn Gottes ist, und stirbt lieber den qualvollen Kreuzestod, ehe er dieses verleugnen sollte. Er tut dies unter anderem auch in unserem heutigen Evangelium, wenn er spricht: „Ehe denn Abraham ward, bin ich.“ Wie? ist es möglich, dass Christus in allem sich als die Heiligkeit und Unschuld selbst bewiesen habe, und dass er doch dann gegen die Wahrheit sich für Gottes ewigen Sohn erklärt haben sollte? Bleibt hiernach den Ungläubigen nicht allein diese Wahl, entweder Christus für heilig und zugleich für den Sohn Gottes zu erkennen oder nicht für den Sohn Gottes und darum, welches schrecklich zu sagen ist, für den verwegensten unter allen Verführern?

    Es ist kein Zweifel: War Christus ein guter Mensch, so muss er auch notwendig der wahre eingeborene Sohn des himmlischen Vaters gewesen sein, gleich ewiger allmächtiger, unendlicher Gott. Da nun das Erste so hell leuchtet, dass es auch die Ungläubigsten nicht leugnen können, so müssen sie sich selbst ihres Unglaubens hier schämen, einst aber werden sie völlig erbleichen und verstummen, wenn sie erscheinen werden vor dem Angesicht Jesu selbst, des heiligen Gottmenschen.

    An diese Stunde lasst uns, meine Teuren, stündlich denken, und darum stündlich bitten:

Erhalt uns, heilger Gottessohn,

Im Glauben an deinen Namen,

Bis wir dich schauen auf deinem Thron;

Erhör uns, O Jesu! Amen.

    Amen.

Predigt zum Palmsonntag ueber 1. Mose 19,17b: Was euch bewegen soll, die Rettung eurer Seele immer eure Hauptsorge sein zu lassen

(Konfirmation)

    Du sprichst, o Jesus: „Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes.“ Das haben wir getan; wir haben die Kinder auf deinen Befehl schon in der heiligen Taufe zu dir kommen lassen und ihnen nicht gewehrt, und du hast sie aufgenommen in dein Reich. Siehe, sie kommen nun heute auch selbst zu dir und wollen im Angesicht dieser Gemeinde ihren Glauben an dich bekennen, und dein zu sein und dir zu dienen sich auf ewig verschreiben und schwören.

    Herr Jesus, sie klopfen an an der Tür deiner Gnade: O, so tue ihnen auf, o, so heiße sie wollkommen! Nimm sie, diese Küchlein, die bei dir Zuflucht suchen, unter die Flügel deiner Gnade und antworte ihnen auf ihren Eid der Treue und sprich oben im Himmel über ihnen aus: Ja, ihr sollt mein Eigentum sein und bleiben immer und ewig; eure Sünden sollen euch vergeben sein, meine Gerechtigkeit soll euer Schmuck, meine Allmacht euer Schutz, meine Treue eure Hoffnung sein und einst sollt ihr ewig bei mir sein. Denn auch ich will euch halten, was ich euch bei dem Gnadenbund meiner Taufe geschworen habe, und es soll mich nicht reuen; ich will euer Gott, euer Heiland, euer Vater sein und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein. Ja, so sprich, HERR Jesus, über diese Kinder. Amen. Amen.

    Meine herzlich geliebten Kinder!

    „Errette deine Seele, und siehe nicht hinter dich!“ (1. Mose 19,17b.) So rief einst ein Engel dem alten Lot zu, als dieser zögerte, aus Sodom zu fliehen. Sodom war nämlich eine zwar reiche und blühende Stadt, in einer Gegend, die sich wie ein Garten Gottes ausbreitete, aber keine Seele fürchtete in dieser Stadt Gott, den HERRN, außer der Familie Lots. Himmelschreiende Sünden gingen hier öffentlich im Schwange, alles Heilige und Göttliche war hier Jung und Alt lächerlich. Da beschloss denn Gott endlich den Untergang dieser ruchlosen Stadt mit allen ihren Einwohnern, um an ihnen ein Beispiel seines Zornes und Gerichtes zur Warnung aller Zeiten zu geben.

    Doch da Lot mit seiner Familie in dem gottlosen Sodom Gott fürchtete, so sendete Gott Engel zu ihm, welche ihm das über Sodom schwebende Gericht verkündigen und ihn aus dieser Stätte des Frevels vor ihrem nahen Untergang herausführen sollten.

    Mit Entsetzen hörte Lot von dem schrecklichen Ratschluss; er eilte sogleich zu seinen nächsten Verwandten, ihnen, was da kommen würde, zu verkündigen; aber niemand glaubte es; es war allen lächerlich. Niemand wollte den fliehenden Lot begleiten. Da war Lot voll namenlosen Schmerzes und Betrübnis; ab, dachte er, soll denn alles verloren sein? – und in diesen Gedanken versunken, zögerte selbst er, dem Befehl zu einer eiligen Flucht zu folgen. Da ergriffen ihn endlich bei Engel bei der Hand samt den Seinen und führten ihn aus der Stadt; und nun rief ihm einer derselben mit großem Ernst jene Worte zu: „Errette deine Seele, und siehe nicht hinter dich!“

    Sodom ist, meine geliebten Kinder, ein Bild dieser Welt, und es wird in der Heiligen Schrift besonders den Menschen, die in der letzten Zeit leben, zum Beispiel gesetzt. Christus spricht, in den letzten Tage werde es sein wie zu den Zeiten Lots, und er setzt hinzu: „Denkt an Lots Frau“, welche nämlich hinter sich sah und zur Salzsäule wurde.

    Das Wort der Engel: „Errette deine Seele, und siehe nicht hinter dich!“ ist daher auch euch, meine Teuren, gesagt. Da ich euch nun bisher immer gezeigt habe, wie und wodurch ihre eure Seele retten könnt, so will ich jetzt in dieser für euch so wichtigen Stunde an euch eine herzliche Ermahnung richten und euch aus Gottes Wort zeigen:

Was euch bewegen soll, die Rettung eurer Seele immer eure Hauptsorge sein zu lassen

    Das ist nämlich dieses:

1.       Weil die Seele ein so großes, je euer größtes Gut ist,

2.       Weil die Gefahren so viele sind, eure Seele zu verlieren, und endlich

3.       Weil man die Seele, wenn sie einmal verloren ist, nicht wieder gewinnen kann.

1.

    Schon jeder vernünftige Mensch muss den Grundsatz als wahr anerkennen: Das, was unser größtes Gut ist, für dessen Erhaltung sollen wir billig auch die größte Sorge tragen. Wenn ein Vater bei einer entstehenden Feuersbrunst die Wahl hätte, entweder ein Gerät seines Hauses oder sein einziges Kind zu retten, und er nähme das Gerät und ließe sein Kind in den Flammen umkommen, so würde ein jeder vernünftige Mensch meinen, der Vater müsse wahnsinnig geworden sein. So handeln aber alle, die mehr für das Irdische als für ihre Seele sorgen. Denn das größte Gut, das wir Menschen besitzen, ist unsere Seele.

    Eure Seele ist für die Ewigkeit geschaffen; sie soll nie umkommen; sie soll einst in die völlige ewige Gemeinschaft mit Gott kommen; sie ist zu einer ewigen Seligkeit bestimmt. Diese ganze Welt, der Himmel mit seiner Sonne, seinem Mond und allen leuchtenden Sternen, die Erde mit5 allen ihren Gütern, dieses ganze große Haus hat Gott allein darum gebaut, damit ihr hier als in einem Vorhof der unsichtbaren Welt eine Zeitlang wohnt und dass hier eure Seele zur seligen Ewigkeit nur vorbereitet werde. Eure Seele ist also nicht für diese kurze Zeit5 und für diese vergängliche Welt geschaffen, sondern alles muss endlich vergehen, aber eure Seele soll bleiben und endlich in ein Leben in der Vollkommenheit übergehen; alles müsst ihr im Tod hinter euch lassen, aber eure Seele nehmt ihr mit hinüber.

    Und warum ist Christus in die Welt gekommen? – Zu suchen und selig zu machen, das verloren war. Was war das? – die menschlichen Seelen. – Wie hoch muss also die Seele des Menschen vor Gott geachtet sein, dass er zu ihrer Errettung seinen lieben eingeborenen Sohn in die Welt sendet und ihn für sie in den Tod des Kreuzes dahingibt! Wie kostbar muss die menschliche Seele in den Augen des Sohnes Gottes sein! – Da sie verloren war, verließ er den Himmel, kam herab auf die Erde, suchte sie und erkaufte sie mit der Hinopferung seines Lebens und Vergießen seines teuren Gottesblutes! O, welch einen Preis, welch ein Lösegeld hat also Gott für alle Seelen der Menschen und also auch für eure Seelen bezahlt!

    Eure Seele ist daher euer größter Schatz; gäbe euch ein König dafür sein Königreich, ja, könnte euch ein Mensch dafür die ganze Welt schenken, so wäre eure Seele doch noch sehr elend und schlecht bezahlt. Eure Seele ist Millionen mal mehr, ja, unberechenbar mehr wert als die ganze Welt. Was hilft es einem Menschen, wenn er stirbt, dass er reich gewesen ist, geehrt, belobt und geliebt von allen? Was hilft es ihm, dass er ein König gewesen ist oder dass man ihm noch nach seinem Tod Ehrensäulen setzt, wenn die Seele dahin ist? Was half es dem reichen Mann, dass er täglich herrlich und in Freuden hatte leben und sich in Purpur und köstlicher Leinwand kleiden können, als er starb? Da sah er wohl ein, dass alle Güter dieser Welt nichts seien, dass er aber sein höchstes Gut, die Seele nämlich, leider auf ewig verscherzt habe.

    Nun, meine teuren Kinder, hieraus könnt ihr sehen, wie töricht die meisten Menschen in dieser Welt sind. Denn die meisten leben, als hätten sie gar keine Seele, oder als wäre sie doch ihr allergeringstes Gut. Die meisten Menschen sind zwar voll großer Sorge für zeitliche Güter, aber für das ewige Heil ihrer unsterblichen Seele tragen sie keine Sorge. Die meisten Menschen arbeiten und mühen und laufen sich ab alle Tage für das irdische Fortkommen, oder gar, um reich zu werden, aber den köstlichen Schatz, den sie mit ihrer Seele besitzen, achten sie für nichts. Ach, es kann ja keinen traurigeren Selbstbetrug geben als diesen, wenn man für alles, nur für seine Seele nicht sorgt. Das ist die entsetzlichste Verblendung, an das Irdische zu denken, und der Seelen Seligkeit zu vergessen; ja, die Seele hinzugeben, um nur irdisches Glück zu besitzen. Da achtet man sich ja nicht für besser als ein Tier. Solche sind jenen Vögeln gleich, die sich an den roten Beeren ergötzen, die zwischen den ausgespannten Netzen zerstreut liegen, bis diese über ihnen zusammenschlagen.

    Nun, liebe Kinder, wollt ihr etwa auch so töricht sein? Wollt ihr etwa auch, sobald ihr die Schule verlassen habt, nur darauf denken, Geld zu verdienen und reiche und geehrte Leute zu werden, aber nicht daran denken, dass ihr eine Seele habt, die für eine selige Ewigkeit geschaffen, durch Christi Blut teuer erkauft und in der heiligen Taufe mit Christi Blut besprengt und rein gewaschen ist? O, vergesst es nie, was St. Paulus sagt: „Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte.“ Und was St. Petrus sagt: „Führt euren Wandel mit Furcht; und wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem eitlen Wandel nach väterlicher Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi, als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.“ O, das lasst euch bewegen, eure kostbare Seele, dieses teure Eigentum Jesu Christi, nicht so schändlich zu verscherzen und sie nicht so wohlfeil für die elenden Dinge dieser Welt zu verkaufen. Ja, das lasst euch bewegen, die Rettung eurer Seele immer eure Hauptsorge sein zu lassen.

2.

    Dazu soll euch aber euch zweitens das b3ewwegen: Weil die Gefahren so viele sind, eure Seele zu verlieren.

    Für alle Zeiten und an allen Orten ist, meine lieben Kinder, große Gefahr, seine Seele zu verlieren, denn zu allen Zeiten und an allen Orten hat jeder Christ drei Feinde, die gegen ihn streiten, nämlich Fleisch, Welt und Teufel. Diese drei Feinde sind daran schuld, dass so Unzählige, für welche doch Christus gestorben ist und die schon durch die Taufe in Gottes Gnadenbund gekommen und Kinder Gottes geworden sind, doch ihre Seele nicht erretten und verloren gehen. Christus ist zwar die Versöhnung für aller Welt Sunde, und wer auf ihn sein Vertrauen setzt, soll ewig selig werden, wer aber dabei nach seines Fleisches Willen und nach der Welt Brauch leben will, der schließt sich selbst mutwillig von Christi Erlösung aus. Denn der heilige Apostel sagt: „Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben müssen.“ Es ist daher freilich zu allen Zeiten und an allen Orten nötig, die Rettung seiner Seele seine Hauptsorge sein zu lassen.

    Aber ihr lebt in einem Land und zu einer Zeit, wo, wie nie und nirgends die größten Gefahren, eure Seele zu verlieren, auf euch warten. Ihr seid zwar nicht nur getauft, sondern ihr habt auch einen guten Unterricht in der reinen Lehre erhalten; ihr wisst es, welches der rechte Weg zur Seligkeit ist; aber ihr dürft nicht sicher sein; leicht könnt ihr das Kleinod eurer Seele wieder verlieren. Ihr lebt in einer Zeit, in der die wahre Kirche, die das rechte Evangelium hat, und das ist die evangelisch-lutherische, fast ganz von der Erde verschwunden ist, und wo sie noch ist, da ist sie mit großen Ärgernissen bedeckt und von jedermann verachtet und verworfen. Ihr lebt in einer Zeit, in der das antichristliche Reich des Papsttums wieder mächtig sein Haupt emporhebt und überall die Seelen wieder an den Satan zu verkaufen trachtet. Ihr lebt in einer Zeit, in der sich auch überall immer mehr falsche Kirchen und Sekten erheben, die ihre falschen Lehren durch einen großen Schein von Heiligkeit bedecken. Ihr lebt in einer Zeit, in der fast die ganze Christenheit von dem Evangelium abgefallen ist. Fast alle, die jetzt Bücher schreiben, sind jetzt Feinde des Wortes Gottes und Jesu Christi. Überallsucht man die seligmachende Wahrheit zu verspotten und lächerlich zu machen. Überall ruft man, die Welt sei zu aufgeklärt, jetzt glaube man das nicht mehr, was unsere Voreltern geglaubt hätten; jetzt seien die Leute fortgeschritten und klüger geworden. Und so sprechen und schreiben nicht nur gemeine und offenbar lasterhafte Menschen, sondern auch große, kluge, gelehrte, und, wie es scheint, sehr fromme und gerechte Leute. Da steht ihr denn in großer Gefahr, von solchen Leuten betrogen und verführt zu werden. Wenn ihr das Wort Gottes werdet bekennen wollen, da wird man euch verlachen, verspotten und verfolgen; da könnt ihr nun leicht furchtsam, kleinmütig werden und abfallen. Hierzu kommt noch in diesem Land [USA], dass man allgemein sagt, hier seien die Leute frei, hier könne ein jeder denken, glauben, reden, schreiben und tun, was er wolle; da denken denn viele, sie seien hier auch frei von Gottes Wort und Ordnung, und werden durch diese Freiheit Knecht des Verderbens für Zeit und Ewigkeit. Endlich ist hier auch noch eine große Versuchung, mehr als irgendwo, sein Herz an das Geld zu hängen. Das Feld ist hier fast aller Leute Gott; wer hier Geld gewinnen kann, der schlägt dafür alles in die Schanze, guten Namen, Gewissen, Gott, Gottes Wort und Gnade, Himmel und Seligkeit.

    O teure, herzlich geliebte Kinder, mit Bangigkeit und Wehmut sehe ich in die Zukunft. Meine Seele wird betrübt, wenn ich an die vielen Gefahren denke, denen ihr entgegengeht, eure Seele zu verlieren. Ach, viele haben schon bei ihrer Konfirmation Gott Treue geschworen bis an den Tod, und schon haben sie Christus und sein Wort, den Weg der Wahrheit und Gottseligkeit verlassen, und sie gehen jetzt den Weg aller Welt!

    O, so rüstet euch zu Zeiten auf große Gefahren eurer Seele; seid nicht sicher, sondern lasst die Rettung eurer Seele eure Hauptsorge sein. Ärgert euch nicht daran, dass die wahre evangelisch-lutherische Kirche so klein und so verachtet ist; verlasst sie nicht, denn sie hat doch allein das reine lautere seligmachende Wort Gottes und die unverfälschten heiligen Sakramente. Bedenkt wohl: Es gilt die Rettung eurer Seele. Kommt dem antichristlichen Reich des Papsttums nicht zu nahe. Denkt an die Drohung Gottes: „So jemand das Tier anbetet und sein Bild, und nimmt das Malzeichen an seine Stirn oder an seine Hand, der wird von dem Wein des Zornes Gottes trinken. – Geht aus von Babel, mein Volk, dass ihr nicht teilhaftig werdet ihrer Sünden, auf dass ihr nicht empfangt etwas von ihren Plagen. Denn ihre Sündenreichen bis in den Himmel, und Gott denkt an ihren Frevel.“

    Hütet euch aber ebenso ernstlich vor allen den Sekten, die hier in großer Anzahl und mit großem Schein die Seelen abführen von der Einfältigkeit in Christus. Lasst euch durch nichts täuschen. Was nicht mit Gottes Wort übereinstimmt, ist falsch und führt zum Verderben, habe es auch einen noch so guten Schein. Denkt an das Wort Jesu Christi: „Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, aber inwendig sind sie reißende Wölfe; an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Und wie Christus an anderer Stelle spricht: „So ihr bei meiner Rede bleibt, so seid ihr meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Seid darum bereit, lieber zu sterben, als von der Rede Christi abzuweichen. O, bedenkt: Es gilt sie Rettung eurer Seele. „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten können; fürchtet euch aber vor dem, der die Seele verderben kann in der Hölle.“

    Hört darum auch nicht auf das Geschrei derer, die da sagen, die Welt sei jetzt aufgeklärt, das rechte Licht sei jetzt gekommen, die Bibel gelte jetzt nicht mehr. Das ist die Stimme der Apostel des Satans, in denen dieser böse Geist sein Werk hat. Sie schreien: Licht! Licht! Und sie suchen doch die Menschen nur wieder in die heidnische Finsternis und Abgötterei zurückzuführen. Lest ihre verfluchten Lästerungen des allerhöchsten dreieinigen Gottes nicht; sie sind wilde Tiere in menschlicher Gestalt, die eure Seelen zerreißen, töten und mit sich in den Abgrund der Hölle hinabziehen wollen. Bedenkt: Es gilt die Rettung eurer teuer erkauften Seele! Ach, errettet sie, und seht nicht hinter euch!

    Ebenso rüstet euch aber auch gegen die Versuchung, euer Herz an Geld und Gut zu hängen. Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das andere alles zufallen. So oft ihr versucht werdet, um irdischen Gewinnes willen von Gottes Wort zu weichen, so denkt an den Ausspruch unseres Heilandes: „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, dass er seine Seele wieder löse?“

3.

    Dies führt mich nun auf unseren dritten Teil, in welchem ich euch noch kurz zeigen will, wie euch auch dieses bewegen solle, die Rettung eurer Seele eure Hauptsorge sein zu lassen: Weil man die Seele, wenn sie einmal verloren ist, nicht wieder gewinnen kann.

    Hätte, liebe Kinder, jeder Mensch zwei Seelen, so möchte vielleicht die Sorge für eine nicht so nötig sein; verlöre er die eine, so bliebe ihm doch immer noch die andere; oder könnte der Mensch, wenn er seine Seele hier verloren hat, sie nach dem Tod wieder lösen, wo wäre doch immer noch Hoffnung. Aber es ist nicht so. Der Mensch hat nur Eine Seele, und hat er diese in dies4er Welt nicht errettet, so kann er sie dort in der Ewigkeit nie, nie wieder gewinnen.

    Nun bedenkt, liebe Kinder: Ist es nicht schrecklich, um zeitlichen, irdischen Wohlseins willen die ewige Seligkeit zu verscherzen? Ist es nicht schrecklich, damit man der zeitlichen Not der Christen entgehe, die ewige Not erwählen und keine Sorge für seine Seele zu tragen? – Ach, wie kurz ist dieses Leben, wenn es auch 80 Jahre währt, gegen die Ewigkeit! – Ja, denkt nicht etwa, dass die Reichen, die Großen in der Welt, die sich schön kleiden, gut essen und trinken, in prächtigen Zimmern wohnen und alle möglichen irdischen Wünsche sich erfüllen können, dass diese darum die Glücklichsten seien. Könntet ihr den reichen Leuten, die man glücklich preist, in das Herz sehen, so würdet ihr mit Erstaunen finden, dass in ihnen nicht als Unruhe, Gram, Kummer, Sorge und Überdruss wohnen. Ist es nicht schrecklich, die Seligkeit auf das Spiel zu setzen, damit man ein solcher reicher und angesehener, aber dabei unglücklicher Mensch sei?

    Und, meine allerliebsten Kinder, was ist alle Not, die die Christen auf der Erde leiden müssen, wenn sie für ihre Seele sorgen, was ist sie gegen den Verlust der Seele? So groß auch oft die Leiden und so schrecklich auch oft die Martern gewesen sind, die manche Christen hier haben erdulden müssen, so hatte dies doch alles nach kurzer Leidenszeit ein ewiges Ende, und ewige Freude und Herrlichkeit folgte dem zeitlichen Schmerz und der zeitlichen Schmach. Ist aber die Seele einmal im Tod verloren, so ist sie auch auf ewig verloren, und nichts, nichts kann sie wieder erretten. Denn Christus spricht, wie ihr gehört habt: „Was kann der Mensch geben, dass er seine Seele wieder löse?“ – Aus der Hölle ist keine Erlösung. Jetzt ist der Tag des Heils. Im Tod schließt sich das Tor der Gnadenzeit auf ewig hinter uns zu und keine Rückkehr ist dann mehr möglich.

    O, darum, meine geliebtesten Kinder, bedenkt, was zu eurem Frieden dient, und lasst die Rettung eurer Seele eure Hauptsorge sein. Denket jeden Tag an das Wort, das die Engel dem Lot zuriefen: „Errette deine Seele, und siehe nicht hinter dich!“

    Doch, meine Geliebten, dies alles habe ich euch nicht darum vorgehalten, um in euch eine knechtische Furcht vor dem Verlorengehen zu erwecken; noch viel weniger, dass ihr nun in eigener Kraft danach trachten sollt, eure Seele zu erretten. Nein, das sei ferne! Ihr wisst es: Ihr könnt eure Seele nicht selbst erretten; sie ist schon errettet durch Jesus Christus; das Evangelium verkündigt euch dies, und in der heiligen Taufe ist es euch schon geschenkt, angeeignet und versiegelt worden. Nur dieses wird von euch gefordert: Ihr sollt die Gnade, die euch in Christus geschenkt ist, nicht wegwerfen, ihr sollt eure Taufe nicht vergessen, ihr sollt bei dem Wort Jesu Christi bleiben, das Wort Gottes eure tägliche Seelenspeise, euer Licht, euren Trost sein lassen und im Glauben Christus treu sein bis an den Tod. O, wenn ihr das tut, so habt ihr eure Seele errettet; so werdet ihr nicht umkommen in dem Sodom dieser Welt, so werdet ihr hier in dem Zoar der wahren Kirche sicher wohnen und endlich eure Seele bringen in das himmlische Jerusalem, wo eure Seele ewig geborgen ist in der Gemeinschaft Gotts und aller seiner heiligen Engel und Auserwählten.

    So, so erhebt denn jetzt eure Simmen und bekennt und gelobt es vor diesen Zeugen, dass ihre eure Seele nicht verscherzen, sondern erretten wollt durch Gottes Gnade. Zuvor aber vereinigen wir uns in einem gläubigen Vaterunser. Amen.

Predigt zum Gruendonnerstag ueber 1. Korinther 11,23-32: Warum sollen wir nimmermehr von dem Glauben abfallen, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaft und wesentlich gegenwaertig seien?

    HERR Jesus Christus, du Sohn des allmächtigen Vaters! Groß ist diene Liebe, die du gegen uns verlorene Sünder in deinem Herzen getragen hast. Du bist nicht nur uns zugut ein Mensch geworden und hast dich nicht geschämt, uns Sünder deine Brüder zu nennen; sondern, als du eben aufhören wolltest, sichtbar unter uns gegenwärtig zu sein, machtest du ein über alles gnädige Testament, in welchem du alle, die nach dir verlangen, zu Erben deines Leibes und Blutes und damit deiner ganzen Versöhnung und Gerechtigkeit und aller deiner teuer erworbenen himmlischen Güter einsetztest. So bitten wir dich denn, lass uns zur rechten Erkenntnis deines heiligen Abendmahls kommen, schenke uns einen lebendigen und demütigen Glauben an das Wunder dieser deiner gnadenvollen Speisung und lass uns allezeit als durch dich würdige Gäste zu unserem Trost, zu unserer Stärkung und zu unserer Seligkeit daran teilnehmen. Hilf, dass wir dieses teure Gnadenmittel nimmermehr verlieren, sondern es durch deine Gnade erhalten, bis dass du kommst. Hierzu segne auch die heutige Predigt deines heiligen Wortes um deiner Verheißung willen. Amen.

    Geliebte Brüder und Schwestern in Christus Jesus!

    An diesem Tag war es einst, als der Sohn Gottes in der letzten Nacht seines geheimnisvollen Leidens und wenige Stunden vor seinem Tod das Testament machte, welches er den Seinigen nach seinem Hingang zum Vater hinterlassen hat.

    Der heutige Tag erinnert uns daher an eine überaus wichtige Wohltat unseres Heilandes.

    Das heilige Abendmahl ist von der rechten Kirche von jeher für ein großes teures Heiligtum geachtet worden.

    Die ersten Christen feierten es fast täglich; besonders in den Zeiten der Verfolgung, um täglich zum Tod bereit zu sein; man erwies sich dabei eine innige Liebe, Reiche und Arme, Hohe und Niedrige gaben sich dabei den Kuss des Friedens als Brüder. Man sah das heilige Abendmahl an als die herrlichste göttliche Rüstkammer, in welcher man die unüberwindlichsten Waffen zum geistlichen Kampf empfange; man hielt es für den besten Zehrpfennig für die Reise in die dunklen Täler des Todes.

    Man zeigte dagegen die größte Ehrerbietung. Kein Ungläubiger, kein offenbarer Sünder wurde zugelassen. Man beobachtete überhaupt gegen die Heiden ein ehrerbietiges Schweigen von diesem geheimnisvollen Sakrament. Nach dem Genuss sprach man sich gegenseitig über das Leiden Jesu Christi aus. Die Christen mussten oft viel leiden wegen des heiligen Abendmahls, weil die heidnischen Verfolger meinten, dass sie nach ihrem Geständnis Menschenfleisch äßen und Menschenblut tränken. Dass man das heilige Abendmahl für eine bloße Gedächtnisfeier des Leidens Christi gehalten habe, davon findet sich in dem christlichen Altertum auch nicht eine Spur.

    Wohl aber finden wir, dass man in dem antichristlichen Papsttum bald anfing, das heilige Abendmahl für ein wiederholtes Opfer des Leibes und Blutes Christi zu erklären, wodurch endlich der furchtbare Greuel des Messopfers aufkam, der noch jetzt in der päpstlichen Kirche getrieben wird.

    Durch die Reformation wurde endlich auch wieder die rechte Lehre und der rechte Gebrauch des heiligen Abendmahls an den Tag gebracht; aber leider wurde dieses Mahl der Liebe bald zu einer Ursache eines großen schrecklichen Risses in der protestantischen Kirche. Ein großer Teil von denen, welche die Irrtümer der päpstlichen Kirche erkannten, fielen auf entgegengesetzte Abwege von der teuren Wahrheit der göttlichen Offenbarung. Hatte man zuvor dem Aberglauben gehuldigt, so fingen jetzt viele an, die göttliche Wahrheit nach den Grundsätzen ihrer blinden Vernunft zu beurteilen und zu richten.

    Daher ist die lutherische Kirche die einzige geblieben, welche die reine Lehre von dem heiligen Abendmahl festgehalten hat; sonst keine Konfession in der ganzen christlichen Welt. Unsere Kirche bekennt viele teure Wahrheiten, welche andere Konfessionen auch festhalten, aber in Bewahrung der unverfälschten Sakramente steht sie jetzt einzig da in der ganzen Welt.

    Gott hast sich unsere teure evangelisch-lutherische Kirche in der letzten Zeit dazu erkoren, dass sie das aufbewahre, was nach Christi Willen geschehen soll, bis dass er kommt; unsere Kirche ist die von Gott erwählte Bewahrerin des göttlichen Siegels der Vergebung der Sünden.

    Der heutige Tag ist daher ganz besonders für lutherische Christen ein heiliger, wichtiger Festtag, der sie teils an große ihnen anvertraute Güter, teils an wichtige, ihnen auferlegte, Pflichten erinnert. Von dieser Seite lasst mich heute von unserem Festgegenstand zu euch reden.

1. Korinther 11,23-32: Ich habe von dem HERRN empfangen, das ich euch gegeben habe. Denn der HERR Jesus in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Nehmt, esst; das ist mein Leib der für euch gebrochen wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis! Desgleichen auch den Kelch nach dem Abendmahl und sprach: Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut. Solches tut, so oft ihr’s trinkt, zu meinem Gedächtnis! Denn so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, sollt ihr des HERRN Tod verkündigen, bis dass er kommt. Welcher nun unwürdig von diesem Brot isst oder von dem Kelch des HERRN trinkt, der ist schuldig an dem Leib und Blut des HERRN. Der Mensch prüfe aber sich selbst und also esse er von diesem Brot und trinke von diesem Kelch. Denn welcher unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt sich selber das Gericht damit, dass er nicht unterscheidet den Leib des HERRN. Darum sind auch so viel Schwache und Kranke unter euch, und ein gut Teil schlafen. Denn so wir uns selber richteten, so würden wir nicht gerichtet. Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir von dem HERRN gezüchtigt, auf dass wir nicht samt der Welt verdammt werden.

    „Ich habe es von dem HERRN empfangen, das ich euch gegeben habe.“ Mit diesen Worten beginnt, meine Lieben, der heilige Apostel in unserem heutigen Text die Erzählung der Einsetzung des heiligen Abendmahls. Warum setzt wohl der heilige Apostel gerade hier diese Versicherung hinzu? Darum, weil es von unaussprechlicher Wichtigkeit ist, das heilige Abendmahl in seiner rechten Bedeutung und nach der Einsetzung des HERRN rein und unverfälscht zu haben. Es veranlasst mich dies daher, zu euch heute davon zu sprechen:

Warum sollen wir nimmermehr von dem Glauben abfallen, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaft und wesentlich gegenwärtig seien?

    Ich antworte:

1.       Weil dieser Glaube auf den gewissesten und unwandelbarsten Gründen beruht,

2.       Weil uns ohne diesen Glauben das ganze Wort Gottes schwankend und ungewiss werden muss, und endlich

3.       Weil uns mit diesem Glauben ein großer und überschwänglicher Trost geraubt werden würde

1.

    Die Entscheidung der Frage: Sind in dem heiligen Abendmahl der wahre Leib und das wahre Blut Jesu Christi wahrhaft und wesentlich gegenwärtig, hat, meine Lieben, unaussprechlichen Jammer über die ganze Christenheit gebracht.

    Handelte es sich nun hier um einen dunklen Punkt in der christlichen Lehre, so wäre es gewiss besser, davon zu schweigen und einen jeden seiner besten Überzeugung folgen zu lassen in einer Sache, die niemand mit Gewissheit entscheiden könnte.

    Aber hier gilt es etwas ganz anderes. Es fragt sich hier: Soll es nach Gottes Wort gehen oder nicht? Ist Christus wahrhaft oder nicht? Ist Christus allmächtig oder nicht? Ist Christi Fleisch bloß Menschenfleisch oder nicht? Ist sein Blut kraftloses Menschenblut oder nicht?

    Christus spricht bei Einsetzung seines heiligen Testaments, er, der in die Zukunft schaut wie in die Vergangenheit, der wohl wusste, dass über seine Worte eine große Zwietracht entstehen würde, er spricht, da er seinen Jüngern das gesegnete Brot und den gesegneten Kelch darreicht: „Das ist“ usw. Ist hier eine Dunkelheit? Schwierigkeit? Zweideutigkeit? Bedarf es hier einer spitzfindigen Erklärung, um eine unklare, verdeckte Rede zu enthüllen? – Nein, nichts von alledem. Gewiss, halten wir uns an Christi Wort, so kommen wir auf keinen anderen Sinn, als auf den: Christi Leib und Blut wird in dem gesegneten Brot und Wein den Kommunikanten dargereicht, er ist wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig und wird daher von allen Kommunizierenden genossen. Niemand ist im Zweifel, was ich meine, wenn ich ihm ein Gefäß voll Wasser darreiche und spreche: Nimm, trink, das ist Wasser. Wird er meinen, ich wolle damit sagen, das Gefäß sei in Waser verwandelt oder es bedeute nur Wasser? Sicherlich keines von beiden. Was ist es aber anders, wenn Christus spricht: „Nehmt, esst, das ist mein Leib. … Nehmt, trinkt, das ist mein Blut des neuen Testaments.“ Es ist kein Zweifel: Wollen wir nicht glauben, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaft und wesentlich gegenwärtig sind, so müssen wir von den einfachsten und klarsten Worten Jesu Christi abgehen.

    Doch, spricht man, es mag sein, dass die Worte der Einsetzung darauf hinführen, dass in, mit und unter jenen sichtbaren Elementen jene unsichtbaren himmlischen Güter verborgen liegen und uns mitgeteilt werden, aber wie ist es möglich, dass jener einzige Leib in einer und derselben Stunde in tausend und abertausend Kirchen von Millionen Christen heute und vielleicht auch gestern, ja fast täglich seit beinahe zweitausend Jahren genossen werden konnte und noch immer kann, ohne aufgezehrt zu werden?

    Die, welche so sprechen, sollte man fragen: Sage uns doch, wie es möglich ist, dass die Sonne täglich mit ihrem hellen Schein in tausend und abertausend Täler und Höhlen und Gemächer und Millionen Augen seit über 6000 Jahren dringt, ohne ihren Schein verzehren und zu verlieren? Du schweigst? – Du kannst die Wunder der Natur nicht begreifen und leugnest sie doch darum nicht, und doch willst du jene Wunder der Gnade leugnen, weil du sie gleicherweise nicht begreifen kannst?

    Ihr seht hieraus: Mit der Unmöglichkeit kann man seinen Unglauben nicht entschuldigen, denn bei Gott ist kein Ding unmöglich; dies hat uns Gott schon in der Natur offenbart.

    Ist es nun nicht entsetzlich für einen Christen, von einem klaren, hellen, deutlichen, einfältigen Wort Jesu Christi darum abzugehen, weil es ihm ohne allen Grund nicht wohl möglich scheint?

    Und wer ist es, der diese hellen und deutlichen Worte gesprochen hat? Es ist der Wahrhaftige, der Allmächtige, der Allwissende, der Allweise, der Allgegenwärtige, der Sohn des lebendigen Gottes, der Gott und Mensch in Einer Person, und er spricht diese Wort ein den letzten Stunden seines irdischen Daseins, er spricht sei bei der Einsetzung seines Testaments.

    Es spricht jene Worte der, von welchem es heißt: „Ich bin der Weg“ usw. „Sein Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss.“ Soll Christus überall Wahrheit reden, nur hier nicht? Es spricht jene Worte der, von welchem Petrus sagt: „HERR, du weißt alle Dinge“; sollte Christus alles gewusst haben, und nur das nicht, dass einst über seine letzten Worte die ganze Christenheit zerrissen werden würde, oder sollte er nicht so weise gewesen sein, andere Worte zu gebrauchen, um dieses Unglück zu verhüten? Es spricht jene Worte der, der von sich zeugt: „Siehe, ich bin bei euch“ usw.; soll Christus überall gegenwärtig sein können, aber nur nicht im heiligen Sakrament auf eine besondere, geheimnisvolle Weise? Es spricht jene Worte der, der von sich sagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“; soll Christus alle Gewalt haben, nur die nicht mit seinem Leib und Blut im heiligen Abendmahl zu sein? Christus ist mit seinem Leib durch verschlossene Türen gegangen, durch den versiegelten Stein des Grabes, ohne die Siegel zu verletzen; soll er nicht auch in unseren Leib gehen können unsichtbar? Christus ist leibhaftig zum Himmel gefahren und sitzt nun auch als Menschensohn zur Rechten Gottes; sollte der Leib, der zur Rechten Gottes sitzt, also allenthalben ist mit göttlicher Majestät, sollte der nicht auch im heiligen Sakrament in Gnaden gegenwärtig sein können? Christus speist mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischlein 5000 Mann, und zwölf Körbe bleiben übrig; soll der nicht auch seine Christenheit mit dem Leib speisen können, in welchem die Fülle der Gottheit wohnte leibhaftig, mit welchem die göttliche Natur inniger vereinst ist als die Wärme mit der heißen Luft und dem siedenden Wasser, genauer als das Feuer mit dem glühenden Stahl? Welche herrlichen geistigen Eigenschaften teilt die Seele unserem Leib mit! – soll die göttliche Natur der menschlichen Natur Christi keine herrlichen göttlichen Eigenschaften mitgeteilt haben?

    Es ist kein Zweifel: Wollen wir sagen, dass wir an Christus glauben, so müssen wir auch glauben, dass sein Leib und Blut wahrhaftig und wesentlich in seinem Bundesmahl zugegen sei, denn dieser Glaube wird von drei großen unumstößlichen Säulen getragen: Die erste Säule ist Christi Wort, die zweite seine Wahrhaftigkeit, die dritte seine göttliche Allmacht. Der erste Grund also, warum wir nimmermehr von dem Glauben abfallen sollen, dass der Leib und das Blut Christi indem heiligen Abendmahl wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sei, ist: Weil wir dadurch nicht eine Lehre aufgeben würden, über die sich noch streiten, über die sich non Manches dafür und dawider sagen ließe, sondern eine unwandelbare gewisse Wahrheit des göttlichen Wortes würden fahren lassen.

2.

    Doch, meine Teuren, es handelt sich hier nicht bloß um diese Eine Wahrheit, es handelt sich hier um die Gewissheit des ganzen Wortes Gottes, welche wir sogleich aufgeben müssen, sobald wir von dem Glauben abfallen, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sei, und das ist der zweite Grund: Weil ohne diesen Glauben das ganze Wort Gottes schwankend und ungewiss werden muss.

    Geben wir zu, dass man das Wort Christi: „Das ist“ usw., nicht wie es lautet zu nehmen brauche, sondern dafür setzen könne: „es bedeutet“, so ist alle Gewissheit des Wortes Gottes dahin. Dann können andere mit demselben Recht sagen: Christus ist nicht Gottes Sohn, er bedeutet ihn nur, es ist keine Hölle, keine Auferstehung, kein Himmel, kein Gericht, das alles, könnte man dann sagen, sind nur Bilder, nur Zeichen, nur Symbole. Dann ist Gott nicht Mensch geworden. Die Taufe ist nicht ein Bad der Wiedergeburt. Dann ist keine Verheißung, kein Trost mehr gewiss, wenn du dich, o armer betrübter Christ, nicht mehr auf jedes Wort deines Heilandes sicher und fröhlich verlassen kannst.

    Wer die Gegenwart Christi im Abendmahl leugnet, der muss auch die Allgegenwart der menschlichen Natur Christi leugnen, also die Mitteilung der göttlichen Eigenschaften; was ist dann unsere Erlösung und Versöhnung? Dann wäre es nicht wahr, wenn es in der Apostelgeschichte im 20. Kapitel heißt, dass Gott durch sein eigenes Blut uns erkauft hat, dass das Blut des Sohnes Gottes uns rein macht von aller Sünde. Dann ist ein bloßer Mensch für uns gestorben, dann ist das bezahlte Lösegeld nicht göttlich wichtig und alles ist ein Traum, was der Christ glaubt.

    Es ist kein Zweifel: Der Satan sucht durch die falsche Lehre vom heiligen Abendmahl in der Mauer der christlichen Kirche nur eine kleine Lücke zu durchbrechen, um dann mit tausend Irrtümern hineinzuschlüpfen. Hat der Abfall von dem Glauben, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sei, auch nicht immer so schreckliche Folgen, so ist es doch der Weg dazu; es ist der Weg zum Zweifel an allen klaren Worten der göttlichen Offenbarung. (Und wollten nur diejenigen, welche nicht an die Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im heiligen Abendmahl glauben, recht aufrichtig sein, so würden sie gewiss meist gestehen müssen, dass sie nie in wahrem Ernst geglaubt hätten, dass die Bibel wirklich in allen Worten das Wort des lebendigen Gottes sei.)

3.

    Doch der dritte und letzte Grund, warum wir nimmermehr von dem Glauben abfallen sollen, dass der Leib und das Blut Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sei, ist dieser, weil uns mit diesem Glauben ein großer und überschwänglicher Trost geraubt werden würde.

    Dass uns, meine Lieben, Christus seinen Leib und sein Blut im heiligen Abendmahl zu essen und zu trinken gibt, darin liegt ein unaussprechlicher Trost, der sich mehr erfahren als beschreiben lässt. Was für ein Unterpfand unserer Seligkeit ist das, dass wir gespeist werden mit dem Leib dessen, in dessen Hand alle Seligkeit liegt! Kann der uns seine Gnade versagen, der uns arme Würmlein teilhaftig macht seiner Natur, dass wir sagen können: Wir sind Fleisch von seinem Fleisch? Wer hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst? Wie kann uns Christus vergessen, wenn er sich mit uns so innig vereinigt hat! Wie teuer muss uns der achten, der sich selbst uns schenkt! Welche Sünde kann so groß sein, die das göttliche Fleisch nicht versöhnte! Welche Unreinigkeit so groß, welche dieses Blut nicht abwüsche! Welche Pfeile des Satans können so feurig sein, die in dieser Quelle nicht verlöschen müssten! Welche Bande des Todes so fest, die dieses lebendigmachende Fleisch nicht auflöste! Das heilige Abendmahl mit dem Leib und Blut Jesu Christi ist der neue Baum des Lebens, der im Paradies stand, den Christus nun wieder in sein Gnadenreich gepflanzt hat.

    O anbetungswürdiges, tröstliches Geheimnis! Das heilige Fleisch Gottes, das die Engel anbeten und die Erzengel verehren, wird eine Speise der Sünder! Es freuen sich die Himmel, es frohlocke die Erde, aber mehr noch die gläubige Seele, die solche und so große Geschenke genießt!

    Auch diejenigen, welche nicht glauben, haben zwar ihre Andacht bei der Feier des heiligen Sakraments, aber es ist nichts als selbsterwählte Andacht; sie begnügen sich mit der Schale ohne kern.

    O, lasst uns daher heute an dem heiligen Stiftungstag des Testaments der sterbenden ewigen Liebe einen Bund machen, meine Brüder und Schwestern: Nimmermehr, nimmermehr wollen wir abfallen von dem Glauben, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaft und wesentlich gegenwärtig seien.

     Gott hat dieses Geheimnis uns erkennen lassen aus lauter Gnade, o, so lasst uns daran festhalten und es treu bewahren als ein köstliches Kleinod. Und wenn wir unseren lieben Kindern weiter nichts hinterließen als diese Erbschaft unseres Erlösers, so erben sie unermessliche Güter von uns; darum lasst es uns unseren Kindern einschärfen, sobald sie lallen können. Dieser Glaube ist hier selten, ganz selten, und er ist in großer Gefahr, o, so lasst uns mit allen Kräften dafür sorgen, dass wir diesen Glauben bewahren. Ich bitte euch um Gottes, um eurer Seligkeit willen darum.

    Oder wollt ihr von Gottes klarem Wort abgehen?

    Oder wollt ihr nicht achten, dass durch die falsche Lehre vom heiligen Abendmahl das ganze Wort Gottes, alle darin enthaltenen Verheißungen, Wahrheiten, Tröstungen, Hoffnungen, Warnungen und Drohungen ungewiss werden?

    Oder wollt ihr den überschwänglichen Trost, der in dem unverfälschten heiligen Sakrament liegt, verachten?

    O Jesus, hilf du uns! Wir klagen dir unsere bisherige Untreue, Blindheit, Geringschätzung. Entziehe uns darum dein heiliges Sakrament nicht; mache uns treu, heilige unsere Herzen und Hände; erhalte unserer armen Gemeinde diesen unermesslichen Schatz, den unsere Väter uns vererbt haben; lass uns als Zeugen auch dieser Wahrheit dastehen. O, lass noch recht viele zu dieser Erkenntnis kommen, dass noch recht vielen dadurch verseigelt werde deine Gnade. Ach, bleib bei uns, HERR Jesus Christus! Amen.

Predigt zu Karfreitag ueber 1. Thessalonicher 5,9.10: Christi Tod – unser Leben

    Ja, HERR Jesus! Vor dir liegen wir heute im Staub, schlagen an unsere Brust und seufzen zu dir: Erbarme dich unser! Lass deines Todes bittere Pein an uns armen Sündern nicht verloren sein. Du riefest einst an diesem Tag: „Mich dürstet“; o, stille heute deinen Durst nach unseren Seelen und errette sie aus ihrem Elend. Du breitetest einst an diesem Tag deine Arme am kreuz aus; o, schließe uns heute in diese Arme deiner Erbarmung. Du ließt dir einst an diesem Tag Wunden schlagen in deine heiligen Hände, in deine heiligen Füße und in deine heilige Seite; o, nimm uns heute darin auf und lass uns darin Zuflucht finden vor dem Zorn deines Vaters. Du vergossest einst an diesem Tag in Strömen dein heiliges teures Blut; o, besprenge unsere verschmachteten Herzen nur mit einem Tröpflein, so genügt uns. Erhöre uns, erhöre uns, du für uns gekreuzigte Liebe. Amen. Amen.

    In Jesu Tod getaufte, teure Zuhörer!

    Ein Tag der tiefsten Trauer ist mit dem heutigen uns wieder gekommen. Der traurigste im ganzen Kirchenjahr. Heute möchten wir Himmel und Erde und alle Kreaturen aufrufen, mit uns zu trauen und zu klagen. Heute möchten wir die Sonne bitten, ihr Lichtkleid auszuziehen und sich mit uns einzuhüllen in nächtliche Trauerkleider, und die Wolken, mit uns zu weinen. Heute möchten wir erschrecken vor jedem Laut der Freude, der über unsere Lippen gehen will, ja, vor jedem Gedanken der Freude, der sich in unserem Herzen regen will. Wenn wir während des ganzen Jahres noch nicht geweint haben, so sollten wir doch heute bittere Tränen vergießen, Tränen göttlicher Traurigkeit, die da wirkt eine Reue zur Seligkeit, die niemand gereut.

    Denn was ist es, was uns heute in dem Haus des HERRN versammelt hat? Wir sind heute hier zusammengekommen, um im Geist den Hügel Golgatha zu besteigen. Und was erblicken wir da? Mitten zwischen zwei Missetätern hängt ein Mann hoch am schimpflichen Kreuzespfahl nackt und bloß vor unseren Augen da. Hände und Füße sind ihm mit Nägeln durchbohrt. In das Haupt ist eine Krone von Dornen gedrückt. Der ganze Leib ist zergeißelt. Aus tausend Wunden rinnt stromweis das Blut zur Erde. Die Sonne steht hoch; es ist Mittag; aber siehe! Plötzlich verliert die Sonne ihren Schein, und es wird dunkle, rabenschwarze Nacht. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ so ruft der Mann der Schmerzen durch die grauenvolle Finsternis. Niemand antwortet ihm mit einem Wort des Trostes, sondern höhnend und spottend umschwärmt man das Kreuz. Endlich ruft der Gekreuzigte aus: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Hierauf neigt er sein Haupt – und verscheidet. –

    Und wer ist es, der eben nach namenloser Marter seine gequälte Seele aushaucht? – Ach, der Sohn Gottes selbst, der Heiland aller Sünder, ist es, der da stirbt.

    Da hängt er, der HERR der Herrlichkeit und Herzog unserer Seligkeit, aber er ist tot. Der heilige Leib, in welchem die ganze Fülle der Gottheit wohnt, ist eine Leiche, kalt und starr. Das hohe Haupt, vor welchem sonst die Hölle bebte, ist zur Erde gesenkt. Das holde Antlitz, das sonst allen Unglücklichen wie die Morgenröte leuchtete, ist erblasst. Die Stimme, sie sonst so freundlich allen Mühseligen und Beladenen zurief: „Kommt her zu mir, ich will euch erquicken“, sie ist verklungen. Das Auge, das sonst so mild und liebreich in der Menschen Elend hineinsah, ist gebrochen. Die Hand, die sich auf Kranke legte, und sie wurden gesund; welche den Finger aufhob, und Sturm und Woge schwiegen und der Tod gab seine Toten wieder, sie ist erstarrt. Das treue Herz, ach, das einzig treue Herz, das für die Not aller Sünder so warm und liebend schlug, es steht still.

    Ach, der Menschen einiges Leben ist tot; der Menschen einiges Heil ist gestorben. Und wer ist es, der ihn getötet hat? Ach, unsere Sünden sind die Nägel, die die ewige Liebe ans Kreuz geschlagen; wir selbst sind es, die wir unser Heil, unser Leben, unsere Seligkeit getötet haben.

    O Tag unserer größten Sünde! O Tag unserer schwersten Schuld! O Tag des Jammers, des Klagens, Weinens und Seufzens!

    Seht, darum hat von jeder die Kirche heute gesungen:

O Traurigkeit!

O Herzeleid!

Ist das nicht zu beklagen? –

Gott, des Vaters einig Kind,

Wird ins Grab getragen.

Brich entzwei, mein armes Herze,

Mein armes Herze, brich entzwei!

Ach, mein Schmerz, mein großer Schmerze,

Der ist so viel und mancherlei.

Der Himmel zittert,

Die Erde schüttert,

Ach Not! Ach Not! Ach Not! –

Jesulein! Jesulein!

Mein Heil – ist tot!

    Doch, meine Brüder und Schwestern, wohl uns, wenn solche Betrachtungen des Todes Jesu in unserem Herzen lebendig werden! Wohl uns, wen wir heute nicht sowohl über Jesus, als vielmehr über uns selbst weinen und klagen! Das ist der Weg, auf welchem uns Jesu Tod endlich auch eine Quelle des Trostes werden muss, denn er, unser Heil, ist gestorben, damit wir das Heil erlangten; er, unser Leben, ist in den Tod gesunken, damit wir das Leben haben könnten. Von dieser Seite lasst uns jetzt seinen Tod andächtig erwägen.

1. Thessalonicher 5,9.10: Denn Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen, durch unseren HERRN Jesus Christus, der für uns gestorben ist, auf dass, wir wachen oder schlagen, zugleich mit ihm leben sollen.

    Der heilige Apostel bezeugt uns aber in den verlesenen Worten, dass Gott uns nicht zum Zorn, sondern zur Seligkeit bestimmt habe, denn Christus sei für uns gestorben, damit wir mit ihm leben. Hiernach sei der Gegenstand unserer jetzigen Betrachtung:

Christi Tod – unser Leben

    Nämlich

1.       Unser geistliches Leben hier in der Gnade und

2.       Unser ewiges Leben dort in der Herrlichkeit.

1.

    „Christi Tod – unser Leben“, da soll also heute mein Thema sein. Aber wie? Liegt in diesem Satz nicht ein Widerspruch? Weg mag Leben nehmen von den Toten? Ist das nicht widersprechender, als dass aus Nichts Etwas werden soll? – Tod soll Leben geben, heißt das nicht, die Kälte soll wärmen, die Finsternis soll leuchten, die Leere soll ausfüllen, die Ohnmacht soll Stärke geben, des Lebens Ende soll des Lebens Keim und Anfang sein? Ja! und doch ist es so. Wie das tötende Gift zur Arznei wird und Heilung wirkt, so werden wir durch Christi Wunden heil, so wird sein Tod unser Leben. Und zwar spricht der Apostel in unserem Text: „Christus ist für uns gestorben, auf dass, wir wachen oder schlafen“, das heißt, wir mögen nun noch auf Erden wandeln oder bereits im Grab schlummern, „wir zugleich mit ihm leben sollen“. Christi Sterben gibt uns also schon hier das wahre Leben.

    Als nämlich Gott den Menschen schuf, da war der Mensch nicht nur leiblich unsterblich, sondern es war auch das wahre Leben, ein geistliches, göttliches, himmlisches Leben in ihm. Gott selbst wohnte nämlich in dem Menschen, belebte, erleuchtete und regierte ihn und heiligte alle seine Gedanken, Begierden, Worte und Werke. Aber in diesem seligen Zustand sollte der Mensch nicht bleiben, er hätte denn zuvor eine Probe bestanden. Gott führte ihn daher an einen Baum und sprach: „An welchem Tag du davon essen wirst, sollst du des Todes sterben.“ Und was taten die Menschen? Sie bestanden ihre Probe nicht, sie sündigten, sie aßen von dem verbotenen Baum, und ach, dadurch verloren sie nun das wahre Leben; Gott verließ den entweihten Tempel ihres Herzens; so zog denn der Tod in ihren Leib und alle seine Glieder ein, ja, auch in ihr Herz und in den Grund ihrer Seele. Von Gott getrennt, ohne seine Gnade, ohne sein Licht, ohne seine Kraft, ohne sein Leben, fielen sie nun in den geistlichen, leiblichen und ewigen Tod, und mit ihnen das ganze menschliche Geschlecht, mit ihnen auch wir!

    Wie sollte uns Menschen nun wieder geholfen werden? Wir selbst konnten es nicht. Wir konnten ja den Fall in die Sünde, auf welchen der Tod gesetzt war, nicht ungeschehen machen; und ach, die Menschen wissen es nicht einmal von Natur, dass sie im Tod liegen. Die Menschen sind von Natur alle geistlich tot, und sie meinen, sie leben; sie liegen alle von Natur unter Gottes Zorn, und sie träumen von Gottes Gnade und Lieben; sie stehen alle am Rand eines ewigen Todes, und sie sind gutes Mutes, als habe es keine Gefahr. Die Menschen konnten daher Gott nicht einmal um Errettung aus ihrem Tod bitten, geschweige selbst ihres Todes #Bande zerrreißen und ihres Todes Kerker sich öffnen.

    Doch Gott ist ein Gott, der des Sünders Tod nicht wollte, der uns, wie es in unserem Text heißt, „nicht gesetzt hat zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen“. Er beschloss daher uns aus dem Tod zu erlösen. Da aber Gott auch ein gerechter Gott ist, der die Sünde strafen muss, und da er ein wahrhaftiger Gott ist, der daher seine Drohung: „Ihr sollt des Todes sterben“, in Erfüllung gehen lassen musste: Wie konnte und sollte nun den Menschen geholfen werden?

    Sollte dies geschehen, so konnte es nur dann geschehen, wenn Einer für alle, wenn ein Heiliger für die Sünder, ein Unschuldiger für die Schuldigen starb, und zwar wenn ein Solcher für sie den Tod freiwillig übernahm, dessen Tod ein vollgültiges Opfer war zur Versöhnung aller. Eine solche Person, die dies nicht nur tun wollte, sondern auch konnte, gab es aber unter allen endlichen und geschaffenen Wesen im Himmel und auf Erden keine. Gott selbst war es allein, der dies tun konnte; und siehe, er hat’s nicht allein tun können, er hat’s auch zum Zeugnis seiner grundlosen Sünderliebe tun wollen. Schon von Ewigkeit hat Gott, der Vater, beschlossen, seinen Sohn für uns in den Tod dahin zu geben, und der ewige Sohn sich bereit erklärt, den Tod für uns zu leiden. Sobald daher der Mensch in Sünde und Tod gefallen war, da erschien Gott und gab ihm die Verheißung.: „Der Weibessame soll der Schlange den Kopf zertreten, sie aber wird ihn in die Ferse stechen.“ Und viertausend Jahre lang war das vor allem die Verkündigung aller Boten Gottes an die Menschen, Gott wolle nicht den Tod des Sünders, sondern dass er leben; er habe daher einen Tag bestimmt, an welchem durch Ein Opfer, das Gott selbst bringen wolle, die ganze in Sünden tote Welt mit ihm versöhnt und erlöst werden solle. Daran sollte schon Abels Opfer erinnern, das er von den Erstlingen seiner Herde Gott auf sein Geheiß schlachtete. Daran sollte besonders das Opfer erinnern, welches Abraham durch Darbringung seines einigen geliebten Sohnes Isaak auf Gottes Befehl ihm zu bringen sich bereit zeigte. Daran sollte ferner die Schlachtung des Passahlamms erinnern, mit dessen Blut Israel die Schwellen und Pfosten seiner Türen besprengte, damit der Würgeengel des Todes vorüber ging. Daran sollten ferne alle die blutigen Sühnopfer erinnern, welche die Priester und Leviten täglich nach dem Gesetz darbringen mussten. Daran sollte endlich besonders die alljährliche Erscheinung des Hohepriesters an dem großen Versöhnungstag erinnern mit Opferblut in dem Allerheiligsten. Daher spricht Jesaja von dem zukünftigen Erlöser und Versöhner: „Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, so wird er Samen haben und in die Länge leben, und des HERRN Vornehmen wird durch seine Hand fortgehen.“ Ferner schreibt Daniel: „70 Wochen sind bestimmt, so wird dem Übertreten gewehrt und die Sünde zugesiegelt und die Missetat versöhnt und die ewige Gerechtigkeit gebracht, und Christus wird ausgerottet werden und das Opfer aufhören.“ Endlich schreibt Sacharja: „So spricht der HERR Zebaoth: Ich will die Sünde desselben Landes wegnehmen auf einen Tag. Du lässt durch’s Blut deines Bundes aus deine Gefangenen aus der Grube, da kein Wasser drinnen ist.“

    Dieses alles ist damals auf Golgatha durch Jesu Tod erfüllt worden. Daher sprach er schon vorher, als die Jünger über die Verkündigung seines Todes traurig wurden: „Es ist euch gut, dass ich hingehe“, und an anderen Stellen: „Ich lasse mein Leben für die Schafe. Des Menschen Sohn ist gekommen, dass er gebe sein Leben zur Erlösung für viele. Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele, zur Vergebung der Sünde.“

    Ebenso reden daher auch die heiligen Apostel von Christi Tod. So schreibt unter anderem Paulus: „Christus ist um unserer Sünde willen dahingegeben. Christus hat uns geliebt und sich selbst dargegeben für uns, zur Gabe und Opfer, Gott zu einem Süßen Geruch. Christus ist für uns Gottlose gestorben. Wir sind Gott versöhnt durch den Tod seines Sohnes. Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber.“ Endlich heißt es im Brief an die Hebräer: „Christus ist einmal geopfert, wegzunehmen vieler Sünden. Christus ist durch sein eigenes Blut einmal in das Heilige eingegangen und hat eine ewige Erlösung erfunden.“

    Seht da, meine Teuren, den Beweis dafür, dass Christi Tod unser Leben ist. Gott hatte uns Menschen von Ewigkeit in dem Blut unserer Sünden liegen sehen, wie ausgesetzte, verworfene Kinder; als aber Christus für uns freiwillig am Kreuz gestorben war, da rief er über uns alle aus: „Ihr sollt leben!“ So unermesslich groß auch unsere Sündenschuld ist, die wir bei Gott gemacht haben: Durch Christi Tod ist sie vollkommen und überflüssig bezahlt. So unaustilgbar auch die Handschrift des Gesetzes war, die gegen alle Menschen vor Gott gezeugt und sie verklagt hat: Durch Christi Tod ist sie ausgetilgt; da hat sie Christus aus dem Mittel getan und an das Kreuz geheftet. So hoch vorher auch die Scheidewand war, die unsere Sünde zwischen uns und Gott aufgerichtet hatte: Durch den Tod Christi ist sie niedergerissen und der Zaun abgebrochen, der dazwischen war, und durch seine schmähliche Erhöhung an das Kreuz Himmel und Erde wieder vereinigt. So schrecklich auch der Fluch war, den Gott auf die ganze Welt, nachdem sie von ihm abfiel, legte: Durch den Tod Christi am Holz des Fluches ist unser Fluch nun hinweggenommen und in Heil und ewigen Segen verwandelt. So schwer endlich auch der Zorn war, zu welchem wir den heiligen Gott durch unsere Sünden gereizt hatten: Durch Christi Tod ist Gott nun vollkommen versöhnt; Christi für uns um Barmherzigkeit schreiendes Versöhnungsblut hat das Feuer des göttlichen Zornes ausgelöscht und es in ein hell loderndes, nie erlöschendes Feuer göttlicher Vaterliebe verwandelt. An den verbotenen Früchten des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse in dem irdischen Paradies haben wir den Tod uns gegessen; aber an dem Kreuzesbaum hängt nun Gottes Sohn selbst als eine Frucht aus dem himmlischen Paradies, die uns nicht verboten ist, nach welcher jeder Mensch mit der Hand seines Glaubens greifen, die er genießen und woran er sich das Leben essen soll, das wahre Leben, welches ist Vergebung der Sünden, Gottes Gnade und Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist.

    O wohl allen, die sich gläubig in Christi Tod versenken! Diese erwachen aus ihrem geistlichen Tod und sie können dann mit Paulus sagen: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir; denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dargegeben.“

2.

    Doch, meine Teuren, Christi Tod ist unser Leben nicht nur insofern, als uns durch denselben das geistliche Leben in der Gnade wieder erworben worden ist, sondern auch zweitens insofern, als uns dadurch auch das ewige Leben in der Herrlichkeit wieder eröffnet worden ist.

    Dass wir Menschen durch die Sünde in den geistlichen Tod gefallen sind, das erkennen nur wenige, nur diejenigen, welche sich‘s durch den Heiligen Geist haben offenbaren lassen, dass wie von Natur ohne Licht, ohne Kraft und ohne Gnade, finster, ohnmächtig, verloren sind. Aber dass wir Menschen durch die Sünde in den leiblichen Tod gefallen sind, das muss jeder erkennen, wer nur seine Augen auftun will. „Mensch, du musst sterben!“ Dies brauchen wir Prediger nicht erst zu predigen, dieses finstere, schreckliche Wort ruft allen Menschen die ganze alljährlich dahinsterbende Natur, jeder Leichenzug, jeder Sarg, jedes Grab und besonders jede Krankheit und jedes graue Haar des Alters zu. Aber ach, so finster dem Menschen die Gestalt des leiblichen Todes vor seiner Seele steht, so gibt es doch noch einen anderen Tod, welcher auf den zeitlichen Tod folgt, der noch viel schrecklicher ist; das ist der andere oder der ewige Tod, nämlich eine ewige Trennung von Gott, eine ewige Verstoßung von seinem Gnadenantlitz, eine ewige Ausschließung von aller Freude, von allem Licht, von allem Frieden, von aller Seligkeit, in ewiger Not, Qual und Pein. Auf die Sünde ist aber auch dieser Tod gefolgt.

    O, wie elend wären wir daher, wenn es von dem zeitlichen und so auch von dem ewigen Tod keine Erlösung gäbe! Dann müssten wir wünschen, nie geschaffen zu sein, und die Stunde unserer Geburt verwünschen, als den Anfang einer ewigen Not.

    Aber, gelobt und gebenedeit sei der heilige und gnädige, der gerechte und barmherzige Gott! Christi Tod ist unser Leben! und durch Christi Tod sind wir nicht nur von dem geistlichen, sondern auch von dem leiblichen und ewigen Tod erlöst, er ist die Quelle auch unseres ewigen Lebens in der Herrlichkeit. Denn in unserem Text heißt es: „Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen, durch unseren HERRN Jesus Christus, der für uns gestorben ist, auf dass, wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben sollen.“ Dasselbe drückt der Verfasser des Briefes an die Hebräer so aus: „Christus hat durch den Tod die Macht genommen dem, der des Todes Gewalt hatte.“

    Es scheint freilich, als ob der Tod auch nach Christi Tod noch dieselbe Macht hätte. Denn verschlingt sein unersättlicher Schlund nicht noch immer täglich Tausende? Regiert er, dieser König des Schreckens, nicht noch immer mit eisernem Zepter und unwiderstehlicher Gewalt über die ganze Welt? Werden nicht noch immer diejenigen, welche sich Christi Todes trösten, ebenso wohl des Todes Beute wie die, die Christi Tod verwerfen?

    Es scheint freilich so. Aber es ist eben nur Schein. Der Stachel des zeitlichen Todes ist die Sünde, denn der Tod ist der Sünde Sold. Um der Sünde willen hat der Mensch die ihm anerschaffene Unsterblichkeit verloren, dass er nun wieder Erde werden muss, davon er genommen ist. Um der Sünde willen führt der zeitliche Tod den Menschen vor Gottes Gericht und wird ihm so eine Pforte des ewigen Todes. Durch Christi Tod ist aber die Sünde versöhnt und getilgt, denn durch den Tod hat Christus den letzten Sold der Sünde für alle Sünder bezahlt. Darum ist auch durch Christi Tod unser Tod überwunden. Wie eine Biene, wenn sie heftig gegen einen Felsen sticht, ihren Stachel verlieret und sich selbst tötet, so hat auch der Tod, da er Christus, dem Fels unseres Heils, in die Ferse stach, damit seinen Stachel verloren, ja, Christus hat ihm im Augenblick des Stechens seinen Kopf zertreten. Wie ein Gift, wenn es verschlungen wird, seine Kraft nicht verliert, sondern den, der es verschlingt, tötet, so hat auch Christus dadurch, dass er von dem Tod verschlungen wurde, seine Kraft nicht verloren, sondern er hat den Tod verschlungen, den Tod getötet. Daher spricht Christus schon durch den Propheten Hosea: „Ich will sie erlösen aus der Hölle und vom Tod erretten. Tod, ich will dir ein Gift sein; Hölle, ich will dir eine Pestilenz sein.“  Daher jauchzt auch St. Paulus im Hinblick auf den Gekreuzigten: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Aber der Stachel des Todes ist die Sünde, die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat, durch unsern HERRN Jesus Christus.“

    O, wer mag daher den Reichtum der süßen Früchte aussprechen, welche Christi Tod gebracht hat? Paulus gibt sie mit den kurzen Worten an: „Ist Einer für alle gestorben, so sind sie alle gestorben“; und im Brief an die Hebräer heißt es: „Christus hat von Gottes Gnaden für alle den Tod geschmeckt.“ Wir Menschen sind also nun nach Christi Tod so angesehen, als ob wir schon alle gestorben seien; wir sollen daher nun nicht mehr mit dem Tod die Schuld unserer Sünden bezahlen. Wir Menschen sollen nun nicht mehr des Todes Bitterkeit schmecken, denn #Christus hat für uns den bitteren Todeskelch ausgetrunken, ihn mit seiner Gnade angefüllt und so ihn in einen süßen Kelch des Lebens verwandelt.

     Ob daher auch der, welcher an die Kraft des Todes Christi glaubt, zu sterben scheint, in Wahrheit stirbt er nicht. Für den Gläubigen ist der Tod nun nicht mehr ein Gift, das seinen Leib zerstört, sondern eine Arznei, die seinen Leib zur Verklärung bringt und in ein Kleid der Unsterblichkeit verwandelt. Für den Gläubigen ist nun der Tod nicht mehr ein Bote, der ihn vor Gottes strenges Gericht führt, sondern ein Friedensengel, der ihn zum Gnadenthron und zum Anschauen Gottes von Angesicht zu Angesicht führt. Für die Gläubigen ist nun der Tod nicht mehr ein Schiffbruch aller ihrer Freuden, sondern der Schlüssel, der ihren Kerkere dieser bösen Welt aufschließt und sie in ewige Freiheit setzt. Für die Gläubigen ist der Tod nun nicht mehr ein Eingang zum ewigen Tod und zur Hölle und Verdammnis, sondern eine Tür zum ewigen Leben und zum Himmel und zur Seligkeit.

    O seliger Tag, an welchem Jesus für uns starb! Tag des Heils, des Segens und Lebens! Sein Trauerkleid zieht uns das Feierkleid des ewigen Lebens an. Denn wir singen heute nicht nur:

O große Not!

Gott selbst ist tot!

Am Kreuz ist er gestorben.

Sondern wir müssen auch hinzusetzen:

Hat dadurch das Himmelreich

Uns aus Lieb erworben.

    O liebe Zuhörer, so lasst uns denn Welt und Sünde gänzlich verlassen; denn darin ist doch nur Tod, geistlicher, zeitlicher und ewiger Tod. Lasst uns uns im Glauben versenken in Christi Tod; denn darin ist Leben, das Leben hier in der Gnade und das Leben dort in der Herrlichkeit.

    Wie viel würde mancher Reiche geben, wenn er sich damit vom Tod loskaufen könnte! O, so lasst uns doch nach Golgatha gehen, denn da finden wir Erlösung vom Tod frei und umsonst.

    Besonders lasst uns in der Stunde unseres Todes an Christi Tod im Glauben gedenken, so werden wir den Tod nicht schmecken. Denn gleichwie Mose eine Schlange in der Wüste erhöht hat, so musste auch des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Amen.