Epistelpredigten
Friedrich Locher aus „Predigten über die Episteln des Kirchenjahres zu den
Sonn- und Festtagen“
Epistelpredigt
zum vierten Advent ueber Philipper 4,4-7: Von dem Frieden Gottes
Evangelienpredigten
C.F.W. Walther aus „Gnadenjahr“:
Evangelienpredigt zum ersten
heiligen Christfesttag ueber Lukas 2,1-14: Die wahre Weihnachtsfreude
Predigt zu Karfreitag ueber 1.
Thessalonicher 5,9.10: Christi Tod – unser Leben
Predigt zu Christi Himmelfahrt ueber
2. Koenige 2,1-13: Die Himmelfahrt Elias[1]
Evangelienpredigt
zum dritten Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas 15,1-10: Jesus, ein
Suenderfreund
Evangelienpredigt
zum 16. Sonntag nach Trinitatis ueber Lukas7,11-17: Der rechte Trost im Sterben
HERR Jesus! In deinem Namen haben wir mit
dem heutigen Tag ein neues Jahr des Kampfes und der Pilgrimschaft deiner Kirche
auf Erden begonnen. Mit Bitten und Flehen erscheinen wir daher vor dir, der du
unser einziger Trost, unsere einzige Hilfe, unsere einzige Zuflucht bist. Was
sollen wir aber bitten? Sollen wir dich darum bitten, dass du auch im neuen
Jahr deine Kirche nicht verlassen, in Gnaden wieder zu ihr kommen und sie
erhalten und schützen wollest? Warum sollten wir das? Du kommst zu ihr wohl ohne
unser Gebet, denn du hast es verheißen, und ehe müssen Himmel und Erde brechen,
ehe du dein Wort brechen und deine auf dich gegründete Kirche überwältigen
lassen könntest. Du bist bei ihr darinnen, darum wird sie wohl bleiben; du
hilfst ihr früh. Darum das ist’s, HERR, warum wir dich anflehen, dass du im
neuen Jahr auch zu uns kommen und uns Gnade geben wollest, dass wir das
Herz dir auftun, wenn du kommst. Siehe, wir gedenken heute an unsere Sünde; wir
denken heute daran, wie oft du in den verflossenen Kirchenjahren zu uns
gekommen bist im Wort und Sakrament, und wir taten dir nicht auf, wir machten
dir nicht Platz in unseren Herzen und verschütteten den Segen, den du uns
zugedacht hattest. Wir wissen es, wir hätten es daher wohl verdient, dass du im
neuen Jahr an uns vorüber gingest. Aber, o du Heiland aller Menschen und auch
unser Heiland! Allein durch deine Fürbitte leben wir ja noch, allein um
deiner Fürbitte willen sind wir ja noch nicht hinweggerissen aus dem
Land unserer Gnadenzeit: O, so tue nun auch zu dieser Gnade noch das hinzu, und
komm in diesem neuen Jahr wieder zu uns und vollende in uns dein Werk; damit,
wenn die Stimme der Mitternacht endlich zur Hochzeit ruft, wir bereit seien,
dir, unserem Bräutigam, mit brennenden Lampen und im hochzeitlichen Schmuck zu
folgen. Erhöre uns, o König der Gnade, erhöre uns. Amen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
„Und ist in keinem
anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darinnen wir
sollen selig werden“, als der Name Jesu Christi, so spricht der Apostel Petrus.
Nach diesen Worten kann kein Mensch sich selbst selig machen, noch ein Bruder den
anderen erlösen, noch ein Engel des Himmels einem Menschen den Himmel
erschließen, sondern hiernach ist Christus allein die über den Abgrund des
Todes in das ewige Leben geschlagene Brücke, Christus allein die offene Pforte
des Paradieses, Christus allein der Weg in den Himmel. Wer immer unter allen
Menschen selig werden will, der muss nach diesen Worten durch Christus
selig werden, oder alle seine Bemühungen darum sind eitel und vergeblich; und ist
je ein Mensch selig geworden, so ist er es durch Christus geworden.
An dieser Lehre haben sich bisher viele
schon deswegen gestoßen, weil Christus erst viertausend Jahre nach
Erschaffung der Welt in die Welt gekommen ist. Wie? spricht man, gäbe es
außer Christus wirklich für keinen Menschen auf Erden Heil und Seligkeit, würde
er dann nicht sogleich nach Erschaffung der Welt gekommen sein? Würde er dann
so lange ausgeblieben sein und bis zu seiner Ankunft in der Welt so viele
Millionen rettungslos verloren gehen lassen? –
Aber man irrt sich. Um Christus ist es eine
gar wunderbare Sache. Christus war längst in der Welt gewesen, als die heiligen
Engel seine Geburt in himmlischen Lobgesängen priesen. Christi Kommen in die
Welt ist nämlich ein zweifaches, ein leibliches und ein geistliches. Vor über
zweitausend Jahren kam er nun freilich in die Welt, wie er vorher noch nicht
gekommen war, nämlich sichtbar und leiblich; aber geistlich war Christus immer
in der Welt gewesen, so lange es eine Welt gab. Klar und deutlich schreibt
nämlich von ihm Johannes zu Anfang seines Evangeliums: „In ihm war das Leben,
und das Leben war das Licht der Menschjen. Und das Licht scheint in der
Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen. Das war das wahrhaftige
Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.“ Daher
spricht auch Christus selbst von sich: „Ehe denn Abraham war, bin ich. Abraham
ward froh, dass er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich.“
Des recht zu verstehen, muss man nämlich
dies wissen: Als in den ersten Menschen durch den Fall in die Sünde das Licht
der ihnen anerschaffenen Unschuld und Gerechtigkeit erloschen war, da rief Gott
ihnen alsbald zu: „Der Same der Frau wird der Schlange den Kopf zertreten“, und
mit dieser ersten Verheißung fing Christus schon an, als das einige,
wahrhaftige Licht der Welt zu scheinen; diese Worte waren gleichsam die ersten
Strahlen einer himmlischen Morgenröte, welche die Sündennacht, die sich über
die Erde gelagert hatte, bereits durchbrach. Als aber Gott später noch
deutlicher zu Abraham von dem sprach, durch den alle Völker der Erde gesegnet
werden und der aus dem von ihm abstammenden Volk geboren werden sollte, da
leuchtete Christus schon als die Frühsonne in die in Finsternis und Schatten
des Todes liegende Sünderwelt mächtig hinein. Und als Hierauf ein langer Zug
von Propheten von Jahrhundert zu Jahrhundert in Israel auftrat, die alle wie
aus Einem Mund verkündigten, dass die Ankunft des Verheißenen immer näher
rücke, und als endlich der letzte unter den Propheten, Maleachi, laut in die
Welt hinein rief: „Bald wird kommen zu seinem Tempel der HERR, den ihr sucht,
und der Engel des Bundes, des ihr begehrt. Siehe, er kommt, spricht der HERR
Zebaoth“: - Da stieg Christus, die unsichtbare Sonne der Welt, immer höher und
höher, bis endlich der Himmel zerriss und die himmlischen Heerscharen jauchzend
hervorbrachen und der Engel des HERRN, von des HERRN Klarheit umleuchtet, den
erstaunten Hirten zurief: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem
Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist
Christus, der HERR, in der Stadt Davids.“ In diesem Augenblick ging Christus
der Welt nicht erst auf, sondern stand nun nur als die helle
Mittagssonne über aller Menschen Häuptern.
Weit entfernt also, dass Christus deswegen
erst nach Verfluss von vier Jahrtausenden des Weltalters in die Welt gekommen
sein wollte, weil er erst das Werk der Beseligung der Welt hätte beginnen
wollen, so erschien er vielmehr gerade darum erst jetzt, weil er gleichsam in
der Mitte der Weltzeit stehen und seine rettenden Arme rückwärts und vorwärts
zu allen Verlorenen ausstrecken wollte. Die Weissagung von Christus zieht sich
daher wie ein immer heller und heller werdender himmlischer Lichtstreifen durch
die dunkle Geschichte der Völker. Er war schon der ersten Menschen Trost, als
sie, aus dem Paradies vertrieben, die Not der Erde bitter empfinden und unter
Schweiß und t5ränen das wüste Feld bauen mussten. Er war schon Israels Hoffnung
und aller Völker Sehnsucht; wer daher vor Christi Geburt selig geworden
ist, der ist es durch Christus geworden, auf den er hoffte.
Daher heißt es im 13. Kapitel des Briefes
an die Hebräer: „Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in
Ewigkeit.“ Hieraus sehen wir, wie Christus in der Welt war und fort und fort in
die Welt kam, ehe er kam; so kommt er hiernach auch noch jetzt, nachdem er
bereits gekommen ist, und ist immer im Kommen, bis er kommen wird zur ewigen
Festfeier mit den Seinen im Himmel und das ist der tröstliche
Adventsgegenstand, mit welchen wir uns in dieser Stunde beschäftigen.
Matthäus 21,1-9: Da sie nun nahe an Jerusalem kamen
nach Bethphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zwei und sprach zu
ihnen: Geht hin in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine
Eselin finden angebunden und ein Füllen bei ihr. Löst sie auf und führt sie zu
mir! Und so euch jemand etwas wird sagen, so sprecht: Der HERR bedarf ihrer;
sobald wird er sie euch lassen. Das geschah aber alles, auf dass erfüllt würde,
was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion:
Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf
einem Füllen der lastbaren Eselin. Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen
Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre
Kleider darauf und setzten ihn darauf. Aber viel Volks breitete die Kleider auf
den Weg; die andern hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.
Das Volk aber, das vorging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn
Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des HERRN! Hosianna in der Höhe!
Schon seit uralten Zeiten hat sich die
rechtgläubige Kirche, so oft sie an der Schwelle eines neuen Kirchenjahrs
stand, an der in diesem verlesenen Evangelium enthaltenen Beschreibung des
Einzugs Christi durch die Thore Jerusalems ergötzt und sich dabei des
gnadenvollen unsichtbaren Einzugs getröstet, den der HERR nun aufs Neue durch
die Tore der Kirche, ja, der ganzen Sünderwelt halten wolle. Auch wir wollen
daher unserer lieben geistlichen Mutter hierin heute folgen, indem wir uns in
gegenwärtiger Stunde die Frage beantworten:
Was
lehrt uns Christi einstmaliger Einzug durch die Tore Jerusalems an der Schwelle
eines neuen Kirchenjahres?
Er lehrt uns hauptsächlich zweierlei:
1.
Dass und wie Christus auch bei uns
im neuen Kirchenjahr seinen Einzug halten könne und wolle, und
2.
Wie sich ein Jeder nach dem Zustand
seines Herzens gegen den einziehenden Heiland zu verhalten habe.
1.
Wenn der heilige Evangelist in unserem Text
sagt, Christus habe deswegen einst jenen feierlichen Einzug durch die Tore
Jerusalems gehalten, „auf dass erfüllt würde, das gesagt ist durch den
Propheten, der da spricht: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu
dir“, so dürfen wir nicht denken, dass dieser Einzug also nur den
Einwohnern Jerusalems gegolten habe. Nein, so gewiss Christus nicht gekommen
war, den irdischen Königsthron zu Jerusalem zu besteigen, sondern ein König
aller Menschen zu sein, so gewiss geht alle Prediger des Evangeliums, so gewiss
geht auch mich der Befehl an: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König
kommt zu dir.“
Aber wie? Dürfen wir wirklich glauben, dass
Christus noch immer, dass er auch heute noch, auch unter uns seinen Einzug
halten könne? Ist er nicht schon längst aus dieser Welt geschieden? Und zeigt
es nicht gerade jener armselige Einzug in Jerusalem, dass Christus nichts als
ein armer, machtloser, geringer Mensch gewesen sei? Wissen wir nicht, dass
wenige Tage nach jenem Einzug auf das Hosiannarufen des Volks das Kreuzige!
Kreuzige! und eine Krönung mit Dornen gefolgt und der arme König endlich
schmachvoll an das Kreuz geschlagen worden ist?
Hiernach scheint freilich auf den ersten
Anblick nichts törichter zu sein als der Glaube, dass Christus noch heute auch
bei uns als König einziehen könne. Allein, lasst euch von diesem Schein nicht
irren, denn so armselig auch Christus in unserem Evangelium an unseren Augen
vorüberzieht, so groß ist die Herrlichkeit und Majestät, die uns bei genauerem
Aufmerken aus aller Niedrigkeit, in welcher jener Einzug geschah,
entgegenleuchtet. Denn was hören wir? Von Gal8iläa mit seiner Jüngerschar
kommend und nach längerer Abwesenheit Jerusalem sich wieder nahend, hält
Christus plötzlich still und gibt zwei seiner Jünger den Befehl: „Geht hin
in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine Eselin finden
angebunden und ein Füllen bei ihr; löst sie auf und führt sie zu mir.“
Sagt, wie konnte Christus wissen, dass sich, was er hier so genau und
umständlich voraussagte, wirklich so befinden werde? Hiermit bewies Christus
nichts Geringeres, als dass er allwissend sei., Sprecht nicht, wie man das
hieraus schließen könne, da ja die vorausgesagten Umstände so geringfügige
gewesen seien! Je geringfügiger und je zufälliger sie waren, desto mehr
beweisen sie, dass vor Christi Augen nichts in der Welt, auch nicht das
Geringste, verborgen war. Und noch mehr: Christus setzt hinzu: „Und so euch
jemand etwas wird sagen, so sprecht: Der HERR bedarf ihrer; so bald wird er sie
euch lassen.“ Ich frage euch hierbei ferner: Wie konnte Christus es wissen,
dass der Eigentümer der Lasttiere durch jenen kurzen Bescheid der Jünger
bewogen werden würde, dieselben zu lassen? Hiermit bewies Christus nichts
Geringeres, als dass er Macht habe, auch die Herzen der Menschen, und zwar
selbst in der Ferne, zu lenken, dass er also allmächtig sei. Und noch mehr:
Christus zieht hierauf unter dem Zuruf und Jubel von Tausenden durch die Tore
Jerusalems ein; die ganze ungeheure Stadt wird erregt; alles, jung und alt,
Fremdlinge und Einwohner, strömt zusammen und ruft verwundert aus: „Wer ist
der?“ Selbst Säuglinge tun wunderbar ihren Mund auf und rufen laut: „Hosianna
dem Sohn Davids!“ Sagt, wie war es möglich, dass Herodes, Pilatus und alle
Mächtigen des Landes, welche sich in der Stadt mit großen Scharen gerüsteter
Krieger befanden, jetzt ruhig zusahen? Was hielt diese grimmen Feinde Christi
fest, dass sie Christus nicht als einen Aufrührer und Rebellen gefangen nahmen?
– Erkennt hieraus Christi himmlisches Wirken. Hiermit bewies Christus, dass er
auch ohne Schwert und Heeresmacht ganze feindliche Heere bezwingen, ihr Herz
verzagt machen, ihre Füße Fesseln, ihre Arme lähmen könne. O, was ist darum ein
irdischer König gegen Christus! Eines irdischen Königs Macht ist ein
zerbrechliches Schwert, Christi Macht sein allmächtiges Wort; jenes Thron ist
von Staub und steht auf Staub, zu dem er selbst endlich zurückkehrt, Christi
Herrscherthron ist in den Herzen der Menschen aufgebaut, die er lenkt nach
seinem unumschränkten Willen. Kurz, Christus ist ein allwissender, allmächtiger
König der Herzen, der ewige wahrhaftige Sohn des lebendigen Gottes. Das hat er
bewiesen bei seinem Einzug in Jerusalem und uns damit bezeugt, dass er noch
jetzt, dass er noch heute auch bei uns seinen Einzug halten kann.
Aber wie? sollte er bei uns nicht einziehen
können, sondern auch einziehen wollen? Haben wir nicht alle ihm
in der heiligen Taufe Treue geschworen, und sind wir nicht alle ihm untreu
geworden? Ist er nicht der Allerhöchste und wir ein elender Staub? Ist er nicht
der Allerheiligste und wir Unreine, Ungerechte, verdammungswürdige Sünder? Und
heißt es nicht in dem Propheten: „Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein
König kommt zu dir“? – Ja, meine Lieben, so heißt es, aber wer war
die Tochter Zion, der diese selige Botschaft gebracht werden sollte? Waren dies
etwa Heilige, die des Kommens Christi zu ihnen würdig waren? O nein! Es waren
dies die Bürger zu Jerusalem; es waren dies also gerade die, denen Christus
schon so oft vergeblich Gnade gepredigt hatte; es waren dies die, die dem HERRN
Gutes mit Bösem, Liebe mit Hass, Wohltat mit Übeltat vergolten hatten; es waren
dies eben die, welche den HERRN noch jetzt mit Mordgedanken aufnahmen und
wenige Tage darauf an das Kreuz schlugen. Ja, die Bürger der mörderischen Stadt
Jerusalem, dieser Haufe zur Hölle reifer Sünder, eben diese waren es, zu denen
Christus in unermüdlicher Geduld und Liebe und Hirtentreue noch einmal kam, sie
heimzusuchen mit allem Reichtum seiner Gnade und Erbarmung, und denen zugerufen
werden musste: „Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig“, ein Helfer,
ein Heiland, ein Seligmacher. O, wie gewiss kann daher ein jeder sein, in
welchem Zustand er sich auch befinden möge, dass Christus auch bei ihm
einziehen wolle! Oder wer ist unter uns, der da denken dürfte, Christus wolle
und werde im neuen Kirchenjahr nicht zu ihm kommen? Ach, wahrlich! Keiner,
keiner darf dies von seinem treuen Heiland denken, und wenn er ihm bisher noch
so untreu gewesen, ja, wenn er bisher Christi ärgster Feind gewesen wäre.
Schaut hin nach den offenen Toren Jerusalems und seht, wie da der König der
Gnade so sanftmütig und voll brennender Sehnsucht nach der Seligkeit einer
ganzen in alle Abgründe der Sünde versunkenen Stadt in dieselbe einzieht, und
lernt daraus: nichts, keine Unwürdigkeit, keine Sünde, kein noch so tiefer Fall
kann ihn abhalten, heute an der Tür des Herzens, auch eines jeden unter uns,
anzuklopfen, Einlass zu begehren und bei ihm einzuziehen, so er ihm auftut. Mag
unsere Sünde noch so groß, mag sie berghoch sein, seine Liebe und Gnade ist
noch größer. Sünder, große Sünder sind es eben, die Christus sucht. Getrost
rufe ich darum einem jeden unter uns zu: „Siehe, dein König kommt zu dir“,
er kommt, er kommt!
Aber, werdet ihr nun fragen, wie kommt er
denn? – Wollt ihr da wissen, wohlan, so schaut hin auf Christi Einzug zu
Jerusalem; da ist es uns abgemalt in einem lieblichen Bild. Da sehen wir aber,
Christus steigt nicht selbst auf das Lasttier, seinen Einzug zu halten. Seine
Jünger sind es, die ihn darauf heben und unter deren Geleit und Hosiannaruf er
einzieht. So hält es Christus noch heute. Wo seine Diener sein Wort predigen,
wo seine Diener in seinem Namen rufen: „Seht, euer König kommt“, wo seine Jünger
versammelt sind, die ihn anrufen und sprechen: „Hosianna dem Sohn Davids;
gelobt sei, der da kommt im Namen des HERRN! Hosianna in der Höhe!“ da ist
auch Christus allezeit in ihrer Mitte, da folgt ihnen auch Christus allezeit
auf dem Fuß nach, kurz, da hält Christus seinen Einzug: Da ist das Heil und die
Seligkeit vor aller Herzen Tür. O wohl daher euch allen, die ihr die Gnade
genießt, heute am Anfang des neuen Kirchenjahres Christi Gnadenwort zu
vernehmen! Mag die Welt es verachten, mag es ihr Torheit und Ärgernis sein:
Unter dem Schall dieses verachteten Wortes geschieht doch das grüßte wunder der
Gnade, denn mit ihm zieht Christus, der Herzog der Seligkeit, noch heute
überall ein, wo man ihm auftut. O wohl allen, die ihm auftun! Doch das führt
mich auf das Zweite, was uns Christi einstmaliger Einzug durch die Tore
Jerusalems an der Schwelle eines neuen Kirchenjahres lehrt.
2.
Wie sich nämlich ein jeder nach dem Zustand
seines Herzens gegen den in Wort und Sakrament wieder einziehenden Heiland zu
verhalten habe.
Werfen wir nochmals einen Blick auf den
feierlichen Zug, der uns in unserem heiligen Evangelium begegnet, so
unterscheiden wir darin deutlich zwei verschiedene Chöre. Der erste Chor
besteht nämlich aus den Jüngern, welche Christus schon auf seinen Wanderungen
begleitet hatten und mit ihm eben von Galiläa ankamen. Was tun nun vorerst
diese? Erstlich, sie verlassen jetzt Christus nicht, obgleich ihnen derselbe
auf dem Weg bereits wiederholt vorausverkündigt hatte, dass es nun in Leiden
und Tod gehe. Sie schließen sich jetzt im Gegenteil nur desto inniger an
Christus an. Und nicht nur dies, sie zeigen sich auch eifrig, Christi Willen in
allem zu erfüllen. Christus sendet sie, etwas zu tun, was vor der Vernunft
höchst töricht zu sein schien; sie weigern sich nicht; eilends gehen sie. Sie
begleiten aber Christus nicht nur selbst, sondern suchen auch, so viel sie
vermögen, Christi Einzug bei anderen zu fördern; sie heben Christus auf das
herbeigebrachte Lasttier, unterlegen ihm ihre Kleider, gehen als seine Herolde
ihm voraus und, laut ihn bekennend als den König, der da komme sollte, und ihn
laut lobend und preisend, reizen sie so auch andere, Christus zu erkennen und
aufzunehmen.
Seht da, ihr Lieben, dir ihr bis heute
schon mit Christus gewandert seid, wie vorerst ihr euch gegen den wieder
einziehenden Heiland zu verhalten habt. Das Erste, was von euch gefordert wird,
ist, dass ihr doch Christus, zu dem ihr euch bisher gehalten habt, nicht etwa
nun im neuen Jahr verlasst. Und warum solltet ihr das auch? Müsst ihr nicht
bekennen, dass ihr, so lange ihr es mit Christus gehalten habt, von ihm nur
Gutes empfangen, nur Liebe erfahren, nur Friede und Freude im Heiligen Geist
genossen und es bei ihm besser gehabt habt als bei der Welt? O, vergesst doch
nun auch dies nie und schaut nicht lüstern wieder zur Welt zurück, ihren
Gütern, Freuden und Ehren; ihr würdet es sonst zeitlich und ewig bereuen;
sondern bleibt bei ihm, wenn ihr auch nach den Stunden der Freude hienieden
noch manches Trauerstündlein, ja, eine ganze Marterwoche erfahren müsstet;
bleibt bei ihm, dem treuen Heiland, bis er euch bracht hat zum ewigen
Vaterland. Doch, wie die Jünger nicht nur im Glauben bei Christus blieben, sondern
auch in immer brünstigerer Liebe ihm immer eifriger und williger dienten, so
auch ihr. Gelobt es heute dem HERRN, dass ihr euch im neuen Kirchenjahr ihm
ganz widmen, von den alten euch noch immer anklebenden und träge machenden
Sünden euch im neuen Kirchenjahr mehr losmachen und in der Heiligung des
Geistes größeren Eifer beweisen wollt. Das gelobt heute und bittet ihn um
Gnade, euer Gelübde zu halten. Wie aber einst die lieben Jünger nicht allein an
sich dachten, sondern auch an die, welche Christus noch nicht erkannten und
seine Gnade noch nicht genossen, und daher alles taten, was sie vermochten,
Christi Einzug in Jerusalem zu fördern und das tote Volk zu beleben und zu
entzünden und in ihre geistliche Freude und in ihren Jubel über Christus und
seine Gnade hineinzuziehen: so auch ihr. Bedenkt, wie viele noch ohne
Erkenntnis Christi nicht nur unter den armen Heiden, sondern auch um und neben
euch dahin gehen, wie viele daher täglich durch den zeitlichen Tod in den
Abgrund eines ewigen Todes fallen und verloren gehen! Darum lasst euer Licht
leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und den Vater im
Himmel mit euch preisen. Hebt für die, welche noch in Finsternis und Schatten
des Todes sitzen, fleißig eure Hände zu Gott und betet mit Ernst: „HERR, dein
Reich komme“; tut aber auch eure milden Hände auf, damit Christi Boten in die
unwirtlichen Wildnisse der irrenden Schafe hinaus gehen und dieselben
herzuholen können, und die Eine Herde unter dem Einen Hirten immer größer, der
Jubel der erlösten Schar immer lauter und der Name des HERRN in allen Landen
immer herrlicher werde, und der Tag bald erscheine, wenn Christus allem Jammer
ein Ende machen und mit den Seinen triumphierend einziehen will durch die
Perlentore des ewigen Jerusalems zur ewigen königlichen Hochzeit in dem Haus
seines himmlischen Vaters.
Doch, meine teuren Zuhörer, bei dem
einstmaligen Einzug Christi durch die Tore des irdischen Jerusalems finden wir
außer dem Chor der Jünger, welche bis dahin schon bei Christus gewesen waren,
noch einen zweiten Chor von Teilnehmern an dem herrlichen Einzug, die bis dahin
von Christus fern geblieben waren.
Was hören wir aber nun von diesen? Wir
hören von ihnen, als sich in Jerusalem die Kunde von dem Nahen des HERRN
verbreitet, verlassen sie eilends die Stadt und gehen Christus entgegen, und
sobald sie ihn erblicken, huldigen sie ihm sogleich als ihrem wahren König,
breiten ihm ihre Kleider auf den Weg, schmücken denselben, so gut sie vermögen,
mit Palmenzweigen und Maien und stimmen endlich in die Jubelchöre der Jünger
laut jauchzend ein.
Hier hört nun endlich ihr, wie ihr euch
gegen den wieder einziehenden Heiland verhalten sollt, die ihr nicht sagen
könnt, dass euer voriges Leben und besonders das verflossene Kirchenjahr eine
Zeit der Wanderung mit Christus gewesen ist, die ihr vielmehr gestehen müsst,
dass ihr in dem vorigen Jahr euch wenig oder nichts um Christus gekümmert, mehr
euch selbst als Christus gedient, mehr irdische Güter und Freuden und Ehren als
Christi Gnade gesucht habt. Wie? Solltet ihr in diesem traurigen Zustand auch
im neuen Kirchenjahr bleiben wollen? Ohne die Gnade und ohne das Wohlgefallen
Gottes, ohne Frieden des Gewissens und ohne Freude des Heiligen Geistes, ohne
Hoffnung des ewigen Lebens und ohne Gewissheit der Seligkeit? Solltet ihr auch
im neuen Kirchenjahr die Sorge für eure unsterbliche Seele hintansetzen und vor
allem für euren sterblichen Leib und die vergänglichen, nichtswürdigen Dinge
dieser Welt und für die veränderliche Gunst der Menschen sorgen, die Staub und
Asche sind und endlich mit all ihrer Herrlichkeit verfaulen? Nein, nein, das
sei ferne! Schon ist in dieser Morgenstunde an euer Ohr die Kunde gedrungen: „Siehe,
dein König kommt zu dir sanftmütig!“ O, lasst diese Kunde auch in euer Herz
dringen. Auf, auf, euer König, der schon so oft zu euch kam und den ihr immer
abwiest, siehe, heute kommt er in Wort und Sakrament wieder zu euch; verlasst
das sündenvolle und friedlose Jerusalem dieser Welt und eilt im Geist hinaus,
wo die Jünger Christi mit Christus einher ziehen. Zieht die Kleider eurer
eigenen Gerechtigkeit eilends aus und legt sie Christus zu Füßen; das heißt,
erkennt euch für nackte, arme, verlorene Sünder und werft euch Christus zu den
Füßen, bereitet ihm den Weg in euer Herz mit den Palmenzweigen brünstiger
Gebete und mit den Maien aufrichtiger Seufzer und Tränen, aber nehmt ihn auch
als euren Gnadenkönig im Glauben an und huldigt ihm und stimmt mit allen
gläubigen Jüngern auch ein in das brausende Hosianna, damit diese heute in
aller Welt ihn begrüßen und beglückwünschen. O selig, selig seid ihr, die ihr
dem noch jetzt in dem Zion der neutestamentlichen Kirche erschallenden
Adventsruf folgt! Euch tut sich das neue Kirchenjahr wie ein lachendes Tal auf,
durch das ihr wandern sollt, an dessen Ende ein von der Sonne der Gnade
vergoldeter Berg liegt, auf welchem die himmlische Stadt leuchtet mit für euch
Tag und Nacht offenen Toren.
Auf denn, ihr alle, meine geliebten
Zuhörer, lasst uns uns gegenseitig die Hände reichen und gemeinsam, Christus in
unserer Mitte, die schöne Wanderung antreten und wie mit Einer Stimme rufen: „Hosianna
dem Sohn Davids; gelobt sei, der da kommt, ein König, im Namen des HERRN!
Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!“ Amen. Amen.
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die
Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Solange es eine Christenheit in der Welt
gibt, so hat es auch Menschen gegeben, welche geglaubt haben, dass das Ende der
Welt nahe sei. Zu allen Zeiten ist das der Welt verkündigt worden, aber wohl zu
keiner Zeit mehr als in der unsrigen. Besonders in den USA sind ganze Sekten
aufgestanden, die von nichts anderem predigen als davon, dass der HERR nun bald
in den Wolken des Himmels kommen werde, zu richten die Lebendigen und die
Toten. Diese Sekten haben sich jedoch nicht damit begnügt, von einer baldigen
Erscheinung Christi zum Gericht zu predigen, sie hat auch in schwärmerischer
Einbildung den Tag wiederholt angegeben, an welchem jenes große Ereignis
erfolgen werde. Diese Schwärmer sind freilich mit allen ihren Zeitbestimmungen
zuschanden geworden; die festgesetzten Termine sind vorübergegangen, und der
Lauf der Welt geht fort wie zuvor.
Was ist nun geschehen? Die Welt ist dadurch
nur desto frecher geworden und nun nur in einen desto tieferen Schlaf der
Sicherheit verfallen. Überall jubelt und jauchzt man nun, dass die Bibel und
das Christentum eine neue große Niederlage erlitten und die Vernunft einen
glänzenden Sieg davongetragen habe. Seht, rufen nun ungläubige Prediger und
Zeitungsschreiber ihren Zuhörern und Lesern zu, seht, es ist nichts mit den
Weissagungen der Schrift, der Apostel und Propheten; alle die Tage, an welchen
die Welt untergehen sollte, sind verstrichen, und die Welt steht noch. Lasst
darum nur euer Vertrauen auf eure Bibel fahren; ihre Prophezeiungen sind Träume
einer aufgeregten Phantasie. Seht, in welche Narrheiten jetzt viele geraten
sind und in welches Unglück sie sich dadurch gestürzt haben, dass sie so
zuversichtlich die Erfüllung der biblischen Vorausverkündigungen erwarteten!
Aber, meine Lieben, lasst euch hierdurch
nicht irre machen. Nicht Gott mit seinem heiligen Wort, sondern nur Menschen
mit ihren Träumen sin d zu Spott und Schanden geworden. Nirgends ist in der
Heiligen Schrift der Tag und die Stunde bestimmt, wann Christus wiederkommen
wird. Im Gegenteil sagt der HERR deutlich und bestimmt: „Von dem Tag aber und
der Stunde weiß niemand, auch die Engel nicht im Himmel, auch der Sohn nicht,
sondern allein der Vater.“ Und an einer anderen Stelle verwirft er daher alles
Forschen danach als etwas Unziemliches und Unchristliches und spricht: „Es
gebührt euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht
vorbehalten hat.“
Vergeblich bürdet also die ungläubige Welt
dem Evangelium das auf, was der Vorwitz törichter Menschen verschuldet
hat. Aber das ist der Welt Art; missbrauchen sündige Menschen das göttliche
Wort und entstehen daraus Sünden, Verkehrtheiten und Unglück, so rufen sie:
Seht da, das sind die Früchte eures so hochgepriesenen Christentums!
Aber mögen sie immer fortfahren, die
Liebhaber der Lüge, mit solchen in das Gift der Lüge getauchten Pfeilen wider
die christliche Kirche zu streiten. Alle Lüge wird endlich offenbar und
zuschanden werden, aber die christliche Wahrheit wird und muss siegen.
Mag das Ende dieser Welt immerhin nicht gekommen sein an den Tagen, an
welchen es nach menschlicher trüglicher Berechnung eintreten sollte; dass ein
solcher Tag doch einmal anbrechen werde, das steht fest. Dass jetzt so viele
falsche Weltuntergangspropheten aufgetreten sind, das ist geschehen durch
Wirkung des Satans; eben dadurch sucht er die arme Welt immer sicherer und
sicherer zu machen, in einen geistlichen Todesschlaf zu versenken und sie zu
überreden, dass das Wiederkommen Christi eine lächerliche Fabel sei. Bald wird
der Satan sein Ziel erreicht haben; denn wenn nach den vielen unerfüllten
falschen Prophezeiungen alle Welt mit den Jüngsten Tag nur ihre Kurzweil
treiben und sagen wird: Er kommt nicht; lasst uns essen, trinken und fröhlich
sein! Dann wird er kommen, schnell und plötzlich, und alles unbereitet finden;
in einem unvorhergesehenen Augenblick wird er auf einmal da sein; da wird
Christus erscheinen, die Posaune ertönen, die Toten werden erwachen, die ganze
Welt im Feuer stehen, alle Gottlosen heulen und die Frommen, verklärt, hoch in
den Lüften zur Rechten des Sohnes Gottes schweben. O, dass dieser Augenblick
uns alle recht gerüstet und vorbreitet finden möchte!
Wie wir uns nun hierauf vorzubereiten
haben, davon spreche ich jetzt unter Gottes Beistand zu euch. Lasst uns ihn
darum anrufen usw.
Lukas 21,25-36: Und es werden Zeichen geschehen an der Sonne und
Mond und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein und werden zagen;
und das Meer und die Wasserwogen werden brausen. Und die Menschen werden
verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden;
denn auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen. Und alsdann werden sie sehen
des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn
aber dieses anfängt zu geschehen, so seht auf und hebt eure Häupter auf, darum
dass sich eure Erlösung naht. Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht an den
Feigenbaum und alle Bäume! Wenn sie jetzt ausschlagen, so sehet ihr’s an ihnen
und merket, dass jetzt der Sommer nahe ist. Also auch ihr, wenn ihr dies alles
seht angehen, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist. Wahrlich, ich sage
euch, dies Geschlecht wird nicht vergehen, bis dass es alles geschehe. Himmel
und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht. Aber hütet euch,
dass eure Herzen nicht beschweret werden mit Fressen und Saufen und mit Sorgen
der Nahrung, und komme dieser Tag schnell über euch; denn wie ein Fallstrick
wird er kommen über alle, die auf Erden wohnen. So seid nun wacker allezeit und
betet, dass ihr würdig werden mögt, zu entfliehen diesem allem, was geschehen
soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn.
Nach diesem verlesenen Evangelium lasst
mich jetzt zu euch sprechen:
Von
der rechten Vorbereitung des Christen auf das Hereinbrechen des Jüngsten Tages
Sie besteht nach unserem Text in dreierlei,
1.
Er soll auf die demselben
vorhergehenden Zeichen fleißig merken,
2.
Er soll sich hüten, sein Herz mit
dem Irdischen zu beschweren, und
3.
Er soll nicht müde werden, zu
wachen und zu beten.
1.
Gott hat es, meine Lieben, aus großer Liebe
so eingerichtet, dass es kein Mensch weiß, was ihm in Zukunft, ja nicht, was
ihm in der nächsten Stunde begegnen werde; denn wüsste der Mensch im Voraus,
dass es ihm wohlgehen werde, so würde er dadurch sicher und stolz werden;
wüsste er hingegen alles sein Unglück voraus, so würde er auch in glücklichen
Umständen verzagt sein. Obgleich daher dem Menschen offenbart hat, dass er
einmal sterben müsse, so hat er doch die Stunde des Todes vor seinen
Augen verborgen. Doch hat uns Gott gewisse Zeichen gegeben, durch welche wir
stets an die Gewissheit unseres erfolgenden Todes erinnert werden und an
welchen wir seine Nähe erkennen können. Der Mensch wird täglich älter und
älter, er sieht, wie schnell die Jugendzeit schwindet, die Kräfte abnehmen,
Wange und Haar verbleichen, Sehen und Hören ihre Schärfe verlieren, der Rücken
sich beugt, die Hände zu zittern beginnen, immer mehr Krankheiten den Körper
aussagen und wie so die Frucht seines Lebens zum Abfallen immer reifer und
reifer wird; dies alles sind fortwährende Zeichen und Vorboten des Todes.
Eine ähnliche Bewandtnis hat es auch mit
dem Jüngsten Tag. Er ist ebenso gewiss, wie unsere Todesstunde; Christus
spricht daher in unserem Text die Beteuerung aus: „Wahrlich, ich sage euch,
dies Geschlecht“, nämlich das jüdische Volk, „wird nicht vergehen, bis
dass es alles geschehe. Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte
vergehen nicht.“ Wann aber der Tag dieses Weltuntergangs sei, das
weiß keine Kreatur das steht allein geschrieben in den verborgenen Büchern der
geheimen göttlichen Ratschlüsse. Gott hat jedoch in seinem offenbarten Wort
Zeichen angegeben, an denen der Christ die Nähe dieses großen Tages erkennen
kann. Davon spricht Christus in unserem Evangelium: „Und es werden Zeichen geschehen an der Sonne und
Mond und Sternen; und auf Erden wird den Leuten bange sein und werden zagen;
und das Meer und die Wasserwogen werden brausen. Und die Menschen werden
verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die kommen sollen auf Erden;
denn auch der Himmel Kräfte werden sich bewegen.“ Dass aber diese
merkwürdigen außerordentlichen Erscheinungen in der sichtbaren Natur und in der
Menschenwelt lauter Zeichen sind, auf welche der Christ merken muss, als auf
Vorboten der Nähe des HERRN, dies sagt er selbst, indem er hinzusetzt: „Und
alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft
und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, so seht auf und hebt
eure Häupter auf, darum dass sich eure Erlösung naht.“
Es entsteht
daher nun die Frage: Was ist von jenen Zeichen zu halten? Sind sie schon
geschehen oder sind sie noch zu erwarten? Die christlichen Ausleger sind hier
verschiedener Meinung. Einige meinen nämlich, jene Zeichen würden erst kurz vor
dem Ende der Welt, vielleicht ein Jahr, vielleicht nur kurze Tage und Stunden
zuvor eintreten; da werden Sonne, Mond und Sterne ihren Schein verlieren, das
Meer brausen und seine Ufer verlassen, die Erde hin und wieder erbeben, die
Sterne ihre Bahnen ändern und unter den Menschen Angst und Verzweiflung
herrschen. Diese Auslegung stimmt jedoch, wie es scheint, nicht mit dem ganzen
Zusammenhang der Heiligen Schrift.
Christus gibt
nämlich selbst, um uns in dem Verständnis seiner Worte zu Hilfe zu kommen, das
Gleichnis in unserem Text: „Seht an den Feigenbaum und alle Bäume. Wenn sie
jetzt ausschlagen, so seht ihr’s an ihnen und merkt, dass jetzt der Somme nahe
ist; also auch ihr, wenn ihr dies alles seht angehen, so wisst, dass das Reich
Gottes nahe ist.“ Hieraus müssen wir schließen, dass die Zeichen des
Jüngsten Tages langsam erfolgen sollen, wie der Frühling sich allmählich
entwickelt und das Grünen und Ausschlagen der Bäume und das Aufbrechen ihrer
Knospen und Blüten nur nach und nach, keineswegs aber wie mit einem
Zauberschlag geschieht.
Wir dürfen
daher keineswegs meinen, dass die in unserem Evangelium beschriebenen Zeichen
noch nie dagewesen und daher alle erst noch zu erwarten seien. Wohllassen sich
noch immer in jedem Jahr neue sehen, aber die meisten liegen schon hinter uns
und sind bereits durch alle Jahrhunderte der christlichen Zeit hindurch schon
erfolgt. Schon oft sind Sonne, Mond und Sterne vor den Augen der Menschen
verfinstert worden, schon oft hat die Menschen Bangigkeit und Zagen ergriffen,
schon Unzählige sind vor Furcht und Erwartung der kommenden Dinge
verschmachtet, das Meer hat schon oft greulich getobt und die Erde gezittert,
als wollte sie bersten; dies alles hat daher den Menschen schon oft laut
zugerufen: Wacht auf, ihr Schläfer! Das Ende naht.
Wohl ist es
wahr, dass die Astronomen und Naturforscher die natürlichen Ursachen solcher
auffallenden Erscheinungen oft nachweisen können, sie sind und bleiben aber
darum nichtsdestoweniger von Gott uns gegebene Zeichen des nahen Umsturzes und
der Zerstörung des ganzen großen Weltgebäudes. Denn ist es nicht Gott, der die
Welt regiert, der den Mond vor die Sonne führt, dass diese uns verdeckt und ihr
Licht uns entzogen wird und dergleichen? Bedenkt, wenn wir gleich die
natürlichen Ursachen unserer Krankheiten sehen, sind und bleiben sie nicht dem
ungeachtet Vorboten unseres gewiss erfolgenden Todes? So hat nun auch die Welt
schon 2000 Jahre gleichsam gesiecht und gekränkelt, die Sonne, das Auge der
Welt, hat schon oft, so zu sagen, das Licht und die Sehkraft verloren und in
dem ganzen großen Körper der Welt sind schon krampfhafte Zuckungen entstanden;
dieses alles zeigt uns an, dass die Todesstunde der Welt vor der Tür sei.
Mögen es daher
die Ungläubigen immer als einen Aberglauben verlachen, dass die Christen in den
auffallenden natürlichen Erscheinungen Gottes Sprache zu vernehmen glauben, so
lasst ihr euch dadurch nicht stören, die ihr glaubt an Gottes heiliges Wort.
Bereitet euch vielmehr auf die große bevorstehende Veränderung der ganzen
Schöpfung auch dadurch täglich vor, dass ihr ernsthaft merkt auf die Zeichen
der Zeit. Lernt Gott immer besser verstehen, so oft er durch allerhand
schreckliche, ungewöhnliche Vorfälle in der Welt zu uns deutlich redet. Glaubt
es, es ist bereits genug geschehen, es sind bereits genug Vorboten da, noch
heute könnte daher Christus erscheinen, noch der heutige Tag könnte der Jüngste
Tag, der Tag der Auferstehung, der Tag des Weltgerichts sein. Schon zur Zeit
der Apostel durften die Christen nicht sicher sein; schon da waren viele
Zeichen geschehen; aber da vor Gott tausend Jahre sind wie ein Tag und ein Tag
wie tausend Jahre, so hat sich die Zeit noch 2000 Jahre durch Gottes Geduld verzogen.
Jetzt aber, da nun auch der geweissagte große allgemeine Abfall geschehen und
auch der Antichrist offenbart ist, jetzt dürfen wir keinen Augenblick mehr
sicher sein, noch ehe wir diese Kirche verlassen, ja, schon im nächsten
Augenblick kann Christus wie ein Blitz aus heiterem Himmel hervorbrechen, schon
im nächsten Augenblick können Himmel und Erde in Flammen und Gottes
Richterstuhl vor unseren Augen stehen.
2.
Hört daher nun von dem zweiten Stück der
Vorbereitung hierzu, welche darin besteht, dass sich der Christ auch ernsthaft
hüten soll, sein Herz mit dem Irdischen zu beschweren. Denn Christus fährt in
unserem Evangelium so fort: „Aber
hütet euch, dass eure Herzen nicht beschweret werden mit Fressen und Saufen und
mit Sorgen der Nahrung, und komme dieser Tag schnell über euch.“
Darin besteht
also zwar nicht etwa die rechte Vorbereitung auf den Jüngsten Tag, dass man
seinen irdischen Beruf verlässt, nicht mehr arbeitet, sondern allein betet,
oder dass man alle seine irdische Habe verkauft und sie unter die Armen
austeilt. Das sei ferne! Eben darum hat uns Gott Zeit und Stunde nicht
offenbart, dass wir, so lange nicht Gott selbst den Schauplatz dieser Welt
zerstört, in unserem Beruf bleiben, unsere Pflichten gegen die Unsrigen und
überhaupt gegen unseren Nächsten fort und fort erfüllen und uns von Christus,
wenn er wieder kommen wird, auf dem Posten finden lassen sollen, wohin er uns
in dieser Welt gestellt hat.
Nicht das Essen
und Trinken und nicht das treue Besorgen dessen, was zu unseres Leibes Nahrung
und Notdurft gehört, ist es, was Christus verbietet, sondern das Beschweren des
Herzens mit diesen Dingen.
Du, der du in
Essen und Trinken deinen Himmel auf Erden suchst; der du lieber deiner Seele
als deinem Leib eine Pflege, Nahrung und Erquickung abschlägst; der du lieber
das Brot des Lebens, das Wort Gottes, entbehrst, als an dem irdischen
Brot Mangel leidest; der du darauf ausgehst, stets ein ruhiges, behagliches,
vergnügliches Leben zu führen; der du daher Gott gerne seinen Himmel ließest,
wenn er dir nur immer auf Erden Gesundheit, Geld und gute Tage bescherte; der
du dich so mit niedlichen Speisen voll füllst, dass du untüchtig wirst, deine
Seele zu Gott zu erheben, oder dich so mit starken Getränken berauschst, dass
dein Blut erhitzt wird und deine Zunge lallt: Du bist es, der vor Gott sein
Herz mit fressen und Saufen beschwert, wenn du es auch vielleicht nicht denkst.
Und du, der du dir vorgenommen hast, reich zu werden, ein Kapitel nach dem
anderen zurückzulegen, oder dien Geschäft immer mehr zu erweitern, oder dir ein
Haus zu bauen; und der du nun mit diesen Gedanken aufstehst und dich niederlegst;
der du dich mit diesen deinen irdischen Plänen beschäftigst, wo du gehst und
stehst; der du mit Begierde in die Zukunft blickst und mit Freude schon im
Geist siehst, wie alle deine immer größeren Wünsche erfüllt sein werden: Du
bist es, der sein Herz mit Sorgen der Nahrung beschwert. Ach, wie viele mag es
unter uns geben, die in dieser Beschreibung ihren Zustand, ihr Leben, Sinnen
und Wesen finden, und ganz gute Christen zu sein vermeinen!
Heiß0t das
aber, sich auf den Hereinbruch des Jüngsten Tages vorbereiten? O, wahrlich
nicht! Wer so handelt, der glaubt gewiss nicht ernsthaft, dass jener große Tag
ihm jeden Augenblick bevorstehe; ein solcher denkt gewiss in seinem Herzen:
Mein Herr kommt noch lange nicht.
Ja, ihr alle,
die ihr jetzt einen großen Teil unserer Gemeinde ausmacht, deren Herz fast
immer mit Gedanken und Sorgen für die Zukunft erfüllt ist, die ihr bei eurem
kleinen Geschäft in eurem Gemüt ebenso wohl von euren kleinen Spekulationen
eingenommen seid, wie die Besitzer der ungeheuersten Summen, die ihr von
Verlangen nach immer größerem Gewinn brennt und euch mehr über die
Lebhaftigkeit des Geschäfts vor dem Christfest als über das himmlische
Geschenk freut, um welches willen dieses Fest gefeiert wird; o ihr irdisch
gesinnten Seelen, ihr beschwerten Herzen, wie schlecht seid ihr bereit auf das
nahe Ende dieser Welt! Ihr sprecht, ihr glaubt, dass Gott bald Himmel und Erde
mit Feuer verzehren werde, und doch klammert ihr euch immer fester an das Irdische
an! Ihr sprecht, ihr glaubt, dass Christus noch heute kommen könne, Gericht zu
halten, und doch sorgt ihr nicht nur für den anderen Morgen, sondern sogar auf
lange Jahre hinaus! O, wie täuscht ihr euch doch selbst! Wenn es heute
noch hieße: „Der Bräutigam kommt, auf, ihm entgegen“, so würde euch das eine
Schreckenspost sein; zwischen euch und den Weltkindern würde kein Unterschied
sein; ihr würdet eure Häupter nicht freudig emporheben, darum, dass sich eure
Erlösung naht; der Weltuntergang würde euch der Untergang aller eurer Hoffnung
und alles eures Glücks sein, denn ihr setzt eure Hoffnung nicht auf Christus,
sondern auf den ungerechten Mammon. Wollt ihr denn in solchem elenden Zustand
verharren? Wollt ihr fort und fort euer Herz voll sein lassen vom Irdischen,
dass das Hmmlische darin keinen Platz findet? Wollt ihr denn nicht anfangen,
die Welt zu verlassen, ehe sie euch verlässt? O, kehrt um, erkennt euren
Irrweg, er führt zur Verdammnis, wenn ihr auch sonst ehrbar lebt; reißt euch
los und sucht die himmlischen Güter der Gnade in Christus; dann mag der letzte
Tag der Welt kommen heute oder morgen, so werdet ihr nicht erschrecken, sondern
fröhlich sein und eingehen zu ewiger Freude und Seligkeit.
3.
Damit dies aber geschehe, ruft uns allen
Christus endlich noch zu: „Wie ein Fallstrick wird er kommen über alle, die
auf Erden wohnen. So seid nun wacker allezeit und betet, dass ihr würdig werden
mögt, zu entfliehen diesem allem, was geschehen soll, und zu stehen vor des
Menschen Sohn.“ Wachen und Beten ist also das dritte Stück der Vorbereitung
auf das Hereinbrechen des Jüngsten Tages.
Christus sagt nämlich, der Jüngste Tag
werde kommen wie ein Fallstrick über alle, die auf Erden wohnen. Ein Fallstrick
wird aber dahin gelegt, wo man es am wenigsten vermutet; ungehindert meint das
Wild, seinen gewöhnlichen weg wie immer fortsetzen zu können, und siehe!
Unversehens tritt es in den Fallstrick und ist gefangen. Wo du daher gehst und
stehst, da sollst du wachen und beten, o Christ; allenthalten sollst du daran
denken: Hier liegt vielleicht der Fallstrick, vor dem dich Christus gewarnt
hat; hier ist vielleicht der Ort, wo Christus dir erscheinen und wo er dich
abholen will in sein ewiges Reich.
Christus sagt ferner, er werde erscheinen
wir ein Blitz; ein Blitz naht aber nicht langsam, sondern schneller, als unser
Auge folgen kann, zuckt er von einem Ende des Himmels bis zum anderen. So
schnell wird also die große Veränderung geschehen sein. Da wird keine Zeit
sein, erst noch um Gnade zu seufzen, eine Zeit, sich zu bekehren, keine Zeit,
sich vorzubereiten. Darum wacht und betet jetzt, dass ihr dann schon
gerüstet seid.
Christus spricht aber auch endlich, er
werde kommen wir ein Dieb in der Nacht. Ein Dieb aber meldet nicht vorher an,
dass er um diese oder jene Stunde kommen werde. Christus wird also kommen, da
es niemand meint; der Tag seiner Zukunft wird sich von den anderen Tagen nicht
unterscheiden; die Sonne wird ebenso heiter aufgehen wie sonst; der Mensch wird
an jenem großen Morgen mit denselben Hoffnungen sein Lager verlassen wie sonst;
man wird an seine Arbeit gehen, man wird essen und trinken, man wird lachen und
scherzen, man wird fluchen, toben und lästern, man wird sündigen wie sonst; es
wird alles seinen gewöhnlichen Gang haben, wie sonst. Niemand wird denken:
Heute kommt der HERR; man wird vielmehr denken: Heute ist’s, wie es gestern
war, und morgen und übermorgen und fort und fort wird es sein, wie es heute
ist; und siehe, während alles wie ein Rad sich unaufhaltsam bisher drehte, da
wird urplötzlich alles still stehen, in einem Augenblick wird Gottes Sohn vor
aller Menschen Augen sich darstellen, aller Orten und Enden werden die heiligen
Engel erscheinen, Gottes schmetternde Posaune in aller Ohren schallen und Berg
und Tal und Meer sich öffnen und alle Toten werden auferstehen – wie? ist es
daher nicht nötig, dass wir wachen und beten, damit wir jeden Augenblick würdig
seien, zu entfliehen diesem allen, und bereit, zu stehen vor des Menschen Sohn?
O, meine teuren Zuhörer, wenn wir die Lehre
von dem Jüngsten Tag nur recht fest und ohne Zweifel glaubten, wie viel
wachsamer, wie viel eifriger im Gebet, wie viel ernsthafter in unserem ganzen
christlichen Wandel würden wir sein! So bittet denn Gott selbst, dass er euch
einen tiefen unauslöschlichen Eindruck davon gebe; setzt darüber eure
Betrachtungen nach Anleitung des Wortes Gottes auch zu Hause fort; befehlt
jeden Augenblick eure Seele im Glauben eurem barmherzigen Heiland, so werdet
ihr auch, ihr mögt dann wachen oder schlafen, arbeiten oder ruhen, lachen oder
weinen, doch durch Christus würdig sein, vor ihm zu stehen. Er tue es an uns
allen um seiner Liebe willen. Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben unserem teuren Heiland,
geliebte Brüder und Schwestern!
„Bist du, der da kommen soll, oder
sollen wir eines anderen warten?“ So ließ nach dem Bericht unseres heutigen
Sonntagsevangeliums Johannes der Täufer Christus fragen; Christus sollte also
sagen, ob er nicht ein bloßer weiser Mann oder ein bloßer Prophet oder sonst
ein bloßer Gesandter Gottes sei, sondern ob er wirklich der Messias sei, der
nach den Weissagungen aller Propheten des Alten Bundes kommen sollte, und auf
welchen das ganze gläubige Israel nun schon so lange sehnlichst gewartet habe.
Die Frage geht, meine Lieben, auch uns an;
sie war nicht nur einst für die Juden zur Zeit Christi von höchster
Wichtigkeit, sondern sie ist dies auch für uns noch heute. Es ist nicht genug,
dass wir nur glauben, Jesus sei ein großer Wohltäter der Menschheit, der
Stifter einer neuen vortrefflichen Religion oder auch ein Heiland der Welt und
der wahrhaftige Sohn Gottes gewesen; soll unser Glaube festgegründet sein, so
müssen wir auch wissen und ohne allen Zweifel glauben, dass Christus eben der
und kein anderer als der schon den Vätern des Alten Testamentes Verheißene war,
kurz, der von allen rechtgläubigen Juden erwartete Messias oder Erlöser der
Welt.
Das Christentum ist auf das Judentum
gegründet und daraus als aus seinem Stamm wie ein ästereicher, fruchtbringender
Baum hervorgewachsen; das Neue Testament beruht auf dem Alten; dieses enthält
die Verheißung, jenes die Erfüllung. Wäre daher das alte Judentum und die
Bücher des Alten Testaments, worin es enthalten ist, falsch, so wären auch das
Christentum und die Bücher des Neuen Testaments, worin dieses niedergelegt ist,
falsch. Fällt das eine, so fällt auch das andere. Daher spricht Christus bei
Johannes im fünften Kapitel: „Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir;
denn er hat von mir geschrieben. So ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie
werdet ihr meinen Worten glauben?“
Glauben wir daher nicht, dass Christus eben
der Messias sei, der da kommen sollte, eben der Same Abrahams, in welchem
gesegnet werden sollen alle Geschlechter der Erde, der von den Juden einst und
noch heute erwartete König Israels und Erretter der Menschen, so glauben wir
entweder an gar keinen Christus oder an einen falschen. In der Zeit des Alten
Testaments reichte es zur Seligkeit hin, überhaupt zu glauben, dass Gott den
Menschen durch einen Messias oder Erlöser helfen wolle, in der Zeit des Neuen Testaments
aber, nachdem Jesus in die Welt gekommen ist, ist es zu unserem Heil unbedingt
nötig, dass wir glauben, dass dieser Jesus der Christus sei, der
da kommen sollte. Diese Wahrheit, Jesus ist der Messias, ist die Scheidewand
zwischen den Christen und den jetzigen Juden; sie ist auch der Grund unserer
Hoffnung und Seligkeit. Daher spricht Petrus von dem Namen Jesu: „Und ist in
keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, darin wir
sollen selig werden.“ Und daher spricht auch Johannes in seinem ersten Brief:
„Wer da glaubt, dass Jesus sei der Christ, der ist von Gott geboren.“
Ich zweifele nun gar nicht, dass ihr alle,
die ihr diese Kirche zu besuchen pflegt, die Lehre für wahr haltet, dass Jesus
eben der sei, der da kommen sollte; aber Petrus verlangt von Christen noch mehr
als eine solche Überzeugung; er spricht: „Seid allezeit bereit zur
Verantwortung jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in euch ist.“ Um
euch nun zu solcher Bereitschaft und Fertigkeit behilflich zu sein, lasst mich
euch heute über jene Lehre einen zwar kurzen, aber möglichst gründlichen und
vollständigen Unterricht erteilen.
Matthäus 11,2-20: Da aber Johannes im Gefängnis die
Werke Christi hörte, sandte er seiner Jünger zwei und ließ ihm sagen: Bist du,
der da kommen soll, oder sollen wir eines andern warten? Jesus antwortete und
sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr seht und hört: Die
Blinden sehen, und die Lahmen gehen; die Aussätzigen werden rein, und die
Tauben hören; die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium
gepredigt; und selig ist, der sich nicht an mir ärgert. Da die hingingen, fing
Jesus an zu reden zu dem Volk von Johannes: Was seid ihr hinausgegangen in die
Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her webt? Oder
was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen
Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige
Häusern. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten
sehen? Ja, ich sage euch, der auch mehr ist denn ein Prophet. Denn dieser
ist’s, von dem geschrieben stehet: Siehe, ich sende meinen Engel vor dir her,
der deinen Weg vor dir bereiten soll.
Johannes der Täufer war ohne Zweifel fest
überzeugt, dass Jesus der Messias sei. Er konnte hierin nicht wankend
werden, denn Gott hatte zu ihm gesagt: „Über welchen du sehen wirst den Geist
herabfahren und auf ihm bleiben, derselbe ist es, der mit dem Heiligen Geist
tauft.“ Und Johannes sah dies, da er Jesus taufte, und er hörte zugleich dabei
die Stimme Gottes vom Himmel: „Das ist mein lieber Sohn, an welchem ich
Wohlgefallen habe.“ Daher predigte er auch: „Bereitet dem HERRN den Weg. Er ist
mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Siehe, das ist Gottes
Lamm, welches der Welt Sünde trägt.“ Johannes ließ daher keineswegs um
seinetwillen, sondern um seiner noch schwachen Jünger willen Jesus fragen: „Bist
du, der da kommen soll, oder sollen wir eines anderen warten?“ Diese Frage
kommt jetzt auch uns zugute; denn Christus hat sie in unserem Evangelium in
einer Weise beantwortet, dass wir daran unseren Glauben mächtig stärken können.
Ich zeige euch hiernach jetzt:
Dass
Jesus wahrhaftig der Messias ist, der da kommen sollte
Wir sehen dies nämlich unwidersprechlich
nach unserem Text
1.
Aus den Werken, die er
vollbracht hat,
2.
Aus der Lehre, die von ihm
gepredigt worden ist,
3.
Aus den Schicksalen, mich
welchen seine Erscheinung auf erden verbunden war, und endlich
4.
Aus der Familie, dem Ort
und der Zeit, in welcher er geboren wurde.
1.
Um darüber gewiss zu werden, ob Jesus
wirklich der Messias sei, der da kommen sollte, dazu gibt es keinen anderen Weg
als diesen, dass wir darüber das Alte Testament um Rat fragen. Dahin weist
daher auch Christus die Juden und spricht: „Sucht in der Schrift, denn ihr
meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie ist’s, die von mir zeugt.“
Darauf nämlich kommt es bei dieser Sache allein an, ob das in Jesus wirklich
eingetroffen ist, was die Propheten von dem zukünftigen Messias vorausgesagt
haben. Ist Jesus wirklich so beschaffen, wie die Propheten den Messias
schildern, sehen wir die von dem Messias ausgesprochenen Weissagungen,
Verheißungen und Hoffnungen in Jesus wirklich erfüllt, dann ist er auch
unwidersprechlich die Person, die da kommen sollte, und wir dürfen nun auf
keinen anderen warten.
Das Erste nun, wodurch sich nach den
Propheten der Messias auszeichnen und zu erkennen geben sollte, sind seine
außerordentlichen Wunderwerke. Dass diese ein unerlässliches Kennzeichen
des Messias seien, das war zu Christi Zeit eine unter allen Juden unbestrittene
Sache. Daher kam es, dass nicht nur das Volk, sondern auch die Pharisäer und
Schriftgelehrten Christus so oft aufforderten, es durch Zeichen und Wunder zu
beweisen, dass er der Messias wirklich sei.
Denn so schreibt unter anderem der Prophet Jesaja im 35. Kapitel seiner
Weissagungen: „Sagt den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht!
Seht euer Gott kommt zur Rache (nämlich für die Unbußfertigen); Gott,
der da vergilt, kommt und wir euch helfen (nämlich den Bußfertigen). Alsdann
werden der Blinden Augen aufgetan werden und der Tauben Ohren werden geöffnet
werden. Alsdann werden die Lahmen löcken wie ein Hirsch, und der Stummen Zunge
wird sagen.“
Dieses alles ist buchstäblich in Jesus
erfüllt worden. Auf jene Frage des Johannes des Täufers antwortete er daher in
unserem Evangelium: „Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr seht und
hört; die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und
die Tauben hören und die Toten stehen auf.“ Damit, will Christus sagen,
beweise ich es, wer ich bin; seht, ich schaffe neue Augen; Menschen, vor deren
Seele von Geburt an die Schöpfung in Nacht gehüllt war, geht durch meine Hand
endlich der Tag auf; getrennte Glieder fügen sich wieder zusammen; erstorbene
Hände regen sich auf meinen Wink mit neuem Leben; gelähmte Füße springen
plötzlich auf; verschlossene Ohren öffnen sich, laut ertönen vorher gebundene
Zungen und alle Krankheiten weichen, ja, auf meinen Befehl fliehen die bösen
Ge9ster, die Teufel verlassen die lange bewohnten Seelen der Besessenen, und
die Toten steigen lebend wieder aus ihren Gräbern.
Weit entfernt daher, dass Christus auch nur
das Geringste übriggelassen haben sollte, was nach den Weissagungen der Schrift
durch den Messias geschehen sollte, so hat er im Gegenteil alle Weissagungen
und darum auch alle Erwartungen noch weit übertroffen. Er hat allein mehr
Wunder getan, als alle Propheten zusammengenommen, und Werke verrichtet, die
bisher unerhört waren; so dass einstmals ein Israelit voll Verwunderung
ausrief: „Von der Welt an ist es nicht gehört, dass jemand einem geborenen
Blinden die Augen aufgetan habe.“
Hierzu kommt noch dieses Besondere, dass
Christus nicht nur selbst Wunder tat, sondern auch die Macht, in seinem Namen
Wunder zu tun, anderen erteilte, die sie wieder anderen mitzuteilen die Gewalt
empfingen. In dem unserem Text vorhergehenden Kapitel heißt es: „Und er rief
seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unsauberen Geister,
dass sie dieselben austrieben, und heilten allerlei Seuche und allerlei
Krankheit.“ Diese Gabe, die Wunderkraft mitzuteilen, hatte kein Prophet. Als
Elisa seinem Diener Gehasi gebot, seinen Stab auf des toten Knaben Antlitz zu
legen, da erwachte er noch nicht; der Prophet musste erst selbst kommen. Noch
weniger aber konnten die Apostel und Propheten in ihrem eigenen Namen
Wunder tun oder die Gabe, dieselben in ihrem Namen zu tun, anderen mitteilen.
Vielmehr rief Petrus, als alles Volk mit Verwunderung auf ihn sah, nachdem er
einen Lahmen gesund gemacht hatte, in heiligem Eifer dem Volk zu: „Was wundert
ihr euch darüber? Oder was seht ihr auf uns, als hätten wir diesen
wandeln gemacht durch unsere eigene Kraft oder Verdienst? Der
Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat sein Kind Jesus
verklärt; und durch den Glauben an seinen Namen hat er an diesem, den ihr seht
und kennt, bestätigt seinen Namen.“ Seht da, in seinem eigenen Namen konnte
allein Jesus Wunder tun, und er offenbarte damit, dass er dieselben verrichte
in seiner eigenen Kraft.
O, wie fröhlich, getrost und zuversichtlich
können wir daher das Geschwätz der Ungläubigen verachten, die Christus zu einem
bloßen weisen Menschen machen wollen, dessen Weisheit daher wohl für seine Zeit
hervorragend gewesen sei, die aber von jetzigen noch aufgeklärteren Männern
verbessert werden müsse! Tretet auf, ihr Weisen dieser Welt, und versiegelt
eure Weisheit auch, wie Christus, mit solchen göttlichen Wunderwerken! – Aber
ihr Ohnmächtigen könnt nur hoffärtig reden, aber mit nichts euch als
Prediger der Wahrheit beglaubigen. Darum wird Christi besiegeltes Wort ewig
bleiben, und eure Worte werden verwehen, wie der Staub eurer Leiber.
2.
Doch, hätte sich Christus nur durch Wunder
ausgezeichnet, so würden wir daraus noch nicht vollkommen gewiss werden können,
dass er der Messias wirklich sei, der da kommen sollte. Wir gehen daher
weiter, denn wir sehen dies auch zweitens aus der Lehre, die von ihm
gepredigt worden ist. Es ist nämlich auch die besondere Beschaffenheit seiner
Lehre schon von den Propheten vorausverkündigt worden. Nach deutlichen
Aussprüchen des Alten Testaments sollte der Messias eine ganz andere Lehre
führen als Mose, der Mittler des Alten Bundes. Mose sprach nach seiner Lehre
nur denen die Seligkeit zu, die das Gesetz vollkommen erfüllen würden; weil
aber dies kein Mensch tut, so verkündigte sein Amt allen Tod und Verdammnis.
Daher heißt es im 5. Buch Mose, am Ende des 27. Kapitels: „Verflucht sei, wer
nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt, dass er danach tue.“ Von Christus
wird hingegen durchgängig geweissagt, dass zu seiner Zeit allen Verschmachteten
Erquickung, allen Betrübten Trost, allen Sündern Gnade angeboten werden würde.
So spricht unter anderem der Evangelist des Alten Testaments, Jesaja: „Er
wird nicht schreien noch rufen, und seine Stimme wird man nicht hören
auf den Gassen“, das heißt, er wird nicht poltern mit Gesetzesdonner. „Das
zerstoßene Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht
auslöschen. Er wird nicht mürrisch noch greulich sein.“ An einer anderen Stelle
führt derselbe Prophet den Messias so redend ein: „Der Geist des HERRN HERRN
ist über mir, darum hat mich der HERR gesalbt“, das heißt, zum Messias oder zum
Gesalbten gemacht. „Er hat mich gesandt, den Elenden zu predigen, die
zerbrochenen Herzen zu verbinden; zu Elenden zu predigen, die zerbrochenen
Herzen zu verbinden; zu predigen den Gefangenen eine Erledigung, den Gebundenen
eine Öffnung; zu predigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen Tag der Rache
unseres Gottes; zu trösten alle Traurigen.“ Daher spricht auch Zephanja:
„Alsdann“, nämlich zur Zeit des Messias, „will ich den Vätern anders
predigen lassen mit freundlichen Lippen, dass sie alle sollen des HERRN Namen
anrufen und ihm dienen einträchtig.“
Seht hier das Bild, welches die Propheten
von der Lehre des Messias entworfen haben. Vergleichen wir nun hiermit die
Lehre, die von Jesus gepredigt worden ist, finden wir da nicht in ihm die wahre
Erfüllung? Er beruft sich selbst darauf in unserem Text, indem er zu seinen
Wunderwerken hinzusetzt: „Und den Armen wird das Evangelium gepredigt.“
Was ist aber das Evangelium? Es ist kein neues Gesetz, nicht eine neue, reine
und strenge Moral, nicht eine Lehre von den Werken, die wir tun sollen, nicht
eine predigt von der Verdammnis für Sünder, sondern es ist eine Gnadenpredigt,
es ist die fröhliche Botschaft, dass Jesus die Sünder annimmt, dass, wer an ihn
glaubt, selig werden soll, es ist ein Herzulocken der Elenden und Irrenden und
ein Trösten und Aufrichten der Gefallenen und Erschrockenen.
Nun hat zwar Christus auch das Gesetz
ausgelegt, aber das war nicht seine eigentliche Predigt; dies tat er als ein
Prophet, um die Sicheren zu erwecken, den Selbstverblendeten und
Selbstgerechten ihre Sünden zu zeigen, die harten Herzen zu zerschlagen und zu
erweichen und so die Menschenfähig zu machen für den Trost, den er ihnen
bringen wollte. Seine eigentliche Amtspredigt war das tröstliche Evangelium.
Sein Zuruft an die Menschen war: „Kommt her alle, die ihr mühselig und beladen
seid; ich will euch erquicken, und bei mir sollt ihr Ruhe finden für eure
Seelen“; und den Inhalt seiner ganzen Lehre gibt er mit den Worten an: „Also
hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle,
die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“
Dieselbe Lehre gebot daher auch Christus
seinen Jüngern zu predigen, da er die Welt verließ. Er spricht zu ihnen: „Geht
hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur. Wer da glaubt und
getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird
verdammt werden.“ Und was erklären daher auch die Apostel, als Diener und
Gesandte Jesu, für den eigentlichen Inhalt der ihnen aufgetragenen Lehre? Sie
sprechen: „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt
durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott.“
Es ist sonach unwidersprechlich: Jesus hat
auch durch seine Lehre sich als der Messias bestätigt, der da kommen sollte.
Dass er aber dies sei, das sehen wir fernen drittens aus den Schicksalen, mit
welchen seine Erscheinung auf Erden verbunden war.
3.
Darauf weist Christus selbst in unserem
Text mit den Worten hin: „Selig ist, der sich nicht an mir ärgert.“ Es
stehen nämlich in den Propheten viele Beschreibungen des Messias als eine
großen Königs mit großer Herrlichkeit; darauf sahen daher die Juden am meisten
und das tun sie noch jetzt, und weil sie diese Herrlichkeit des messianischen
Reiches von einer leiblichen verstehen, so meinten sie einst und meinen sie
noch jetzt, Jesus könne der Messias nicht sein. Aber, o entsetzliche,
bedauerungswürdige Verblendung! Dass jene prachtvollen Schilderungen nicht von
einer irdischen Herrlichkeit zu verstehen sein können, sehen wir daraus, dass
die Schicksale des Messias auf dieser Welt zugleich als höchst kläglich
beschrieben werden. Darum ruft Christus aus: „Selig ist, der sich nicht an
mir ärgert“; denn schon Jesaja hat von ihm geschrieben: „Viele werden sich
über ihn ärgern, weil seine Gestalt hässlicher ist als anderer Leute, und sein
Ansehen als der Menschenkinder.“
Welche Schicksale sind es aber, die von dem
Messias vorausverkündigt werden? David sagt von ihm im 118. Psalm, er sei der
Stein, den die Bauleute verworfen und der zum Eckstein geworden sei; das ist
von den Juden geschehen. Der 41. Psalm sagt, der Freund, dem er sich
anvertraute, der sein Brot aß, werde ihn mit Füßen treten; das ist von dem
Verräter Judas geschehen. Der 22. und 69. Psalm sagt, er werde
verspottet und mit Galle und Essig getränkt werden in seinem großen Durst, man
werde ihm Hände und Füße durchgraben, über seine Kleider das Loos werfen, er
werde einem Wurm gleich sein und keinem Menschen, und sich von Gott verlassen
klagen; Jesaja sagt, er werde seinen Rücken darhalten denen, die ihn
schlagen, und seine Wangen denen, die ihn raufen, sein Angesicht werde er nicht
verbergen vor Schmach und Speichel. Er werde keine Gestalt noch Schöne haben,
er werde der Allerverachtetste und Unwerteste sein, dass man sein Angesicht vor
ihm verbergen und ihn nichts achten werde; er werde den Übeltätern gleich
gerechnet, gemartert, verwundet und zerschlagen werden; aber wie ein
Schlachtschaf verstummen und endlich wie ein Gottloser begraben werden. Sacharja
sagt ferner, man werde ihn für dreißig Silberlinge verkaufen und seine Seite
zerstechen; der HERR Zebaoth werde sagen: „Schwert, mache dich auf über meinen
Hirten und über den Mann, der mir der nächste ist; schlage den Hirten, so wird
die Herde sich zerstreuen.“ Endlich sagt auch Daniel, „Christus werde
ausgerottet werden und nichts mehr sein.“
Doch finden wir auch Weissagungen von dem Sieg
des Messias und dem endlichen herrlichen Ausgang seiner so tiefen Erniedrigung.
Jesaja sagt, wenn er sein Leben werde zum Schuldopfer gegeben haben, so
werde er Samen haben und in die Länge leben; dies bestätigt der 16. Psalm,
nach welchem des Messias Fleisch sicher liegen, seine Seele nicht in der Hölle
gelassen und nicht verwesen solle. Hierzu kommen noch andere Weissagungen Davids
im 68. und 110. Psalm, dass der Messias in die Höhe fahren und das Gefängnis
gefangen führen und sich setzen werde zur Rechten Gottes. Das Ganze aber
beschließen Joel und alle Propheten mit der Verkündigung, dass der
Messias dann vom Himmel den Heiligen Geist ausgießen und alle Völker in sein
Reich berufen und diese ihm anhangen würden.
Nun sagt, ist nicht diese alles in der
Person Jesu von Nazareth wörtlich in Erfüllung gegangen, so dass es, man möchte
sagen, auch ein Blinder sehen muss? Reden nicht alle seine Schicksale laut:
Dieser Jesus ist wahrhaftig der Messias, der da kommen sollte? Finden wir nicht
in Jesus das Bild des Messias wieder, auch da, wo es die Propheten bis auf die
kleinsten und geringsten Züge seiner Lebensumstände entworfen haben? An welcher
Person ist das noch einmal geschehen? – O, dass Gott dem verblendeten Israel
die Augen auftun und sie erkennen lassen möchte, dass dieser Sohn Davids das
Heil sei, nach welchem sie schmachten! Dass sie ausrufen möchten: „Gelobt sei,
der da kommt im Namen des HERRN!“
4.
So kommen wir denn nun auf das letzte
Kennzeichen, aus welchem wir ersehen können, dass Jesus der sei, der da kommen
sollte; wir erkennen dies nämlich viertens auch aus der Familie, dem Ort
und der Zeit, in welcher er geboren wurde. Ich kann mich hierbei umso
kürzer fassen, da ihr hiervon bereits in der letzten Adventswochenpredigt
gehört habt.
Deutlich ist in den Schriften des Alten
Testaments die Familie angegeben, aus welcher der Messias abstammen solle. Mit
jedem Jahrhundert offenbarte dies Gott immer deutlicher. Zuerst wurde der
Messias als ein Sohn Adams verheißen, hierauf unter seinen Söhnen der Familie
Sets, sodann unter den Söhnen Noahs der Familie Sems, ferner unter Sems
Nachkommen dem Abraham, Isaak und Jakob, und unter den zwölf Söhnen Jakobs dem
Juda und seinem Stamm; und als sich auch dieser Stamm immer weiter und weiter
ausbreitete, so gab endlich Gott dem David, dem Sohn Isais aus Bethlehem, die
Verheißung, dass sein Geschlecht das auserwählte sein und ein Zweig aus der
Wurzel Isais Frucht bringen werde für alle Völker und Zeiten. Endlich tat
Jesaja auch noch dieses hinzu, dass eine Jungfrau aus der königlichen
davidischen Verwandtschaft die auserkorene Mutter des Heilandes sein sollte.
Dass nun dies alles in Jesus erfüllt ist, bedarf keines Beweises. Die
Geschlechtsregister, die uns im Alten wie im Neuen Testament aufbewahrt sind,
beweisen dies unwidersprechlich.
Wo aber der Messias das Licht der
Welt erblicken sollte, dies sagt Micha; dieser spricht: „Und du Bethlehem
Ephrata, die du klein bist unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir
kommen, der in Israel Herr sei, welches Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her
gewesen ist.“ Nicht umsonst steht hier das Wort Ephrata noch bei Bethlehem,
denn es gab noch ein anderes Bethlehem im Stamm Sebulon. Wir können also gewiss
sein, das Kindlein zu Bethlehem und kein anderes ist es, das Gott uns
geschenkt, an das wir glauben und durch das wir selig werden sollen.
Das Letzte endlich, was uns von dem Messias
offenbart ist, ist die Zeit, in welcher er erscheinen sollte. Diese
geben uns nämlich Jakob, Haggai und Daniel so deutlich an, dass auch der
mindeste Zweifel verschwinden muss. Jakob sagt nämlich erstlich: „Es wird das
Zepter von Juda nicht entwendet werden, noch ein Meister von seinen Füßen, bis
dass der Held komme; und demselben werden die Völker anhangen.“ Wenn also Juda
das Zepter oder die Herrschaft werde verloren haben, dann werde der Verheißene
kommen. Haggai sagt ferner, dass aller Heiden Trost kommen müsse, wenn der
zweite Tempel noch stehen werde, und endlich sagt Daniel, von dem Befehl an,
dass Jerusalem wieder gebaut werden solle, bis zu Christus seien es noch
siebzig Wochen, nämlich prophetische Jahrwochen oder 490 Jahre.
Hieraus ist es denn unwiderleglich gewiss:
Der Messis muss gekommen sein, denn schon beinahe 2000 Jahre liegt der zweite
Tempel in Schutt und Asche, das Zepter Judas ist dahin und jene 70 Jahrwochen
sind nun schon ebenso lange im Meer der Ewigkeit.
Darum lasst uns fröhlich sein! Unser Glaube
an Jesus ist keine Täuschung; er ist dem Gold gleich; je schärfer er geprüft
wird, desto heller und klarer erscheint er. Gott ist treu in seinen
Verheißungen. O, lasst uns nur alle fest daran halten, so werden wir auch nicht
zuschanden werden, sondern einst nach treuem Kampf des Glaubens gelangen zum
ewigen Anschauen.
Das helfe uns allen Jesus Christus, der
gekommen ist, selig zu machen das Verlorene! Amen.
Gnade, Barmherzigkeit und Friede von Gott,
unserem Vater, und dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der
Wahrheit und in der Liebe sei mit uns! Amen.
Geliebte in dem HERRN Jesus!
Nie hat Jesus Christus erst eines
menschlichen Zeugnisses bedurft, um zu beweisen, dass er wirklich Gottes Sohn
und der Menschen Heiland und Seligmacher sei. Dass er dies sei, davon
konnte er selbst sein unumstößliches göttliches Zeugnis ablegen; und er
hat es abgelegt ebenso durch seine Worte wie durch seine Taten. Wenn er redete,
so redete er gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten, und offenbarte mit
seinen Worten nicht nur das, was noch in ferner Zukunft lag, ja, nicht nur den
heimlichen Rat menschlicher Herzen, sondern auch den verborgenen ewigen
Ratschluss des unsichtbaren und unerforschlichen Gottes, der weder in eines
Menschen, noch in eines Engels Herz je gekommen war; und davon spricht er: „Wir
reden, das wir wissen, und zeugen, das wir gesehen haben.“ Christus ist
nicht bei den Weisen dieser Welt in die schule gegangen, sondern in niedriger
Stille aufgewachsen, und hat doch eine Weisheit verkündigt, die alle Gelehrten
aller Zeiten, wenn sie auch nicht daran glaubten, doch bewundert und als unübertrefflich
angestaunt haben. Christus beurkundete damit selbst, dass er der eingeborene
Sohn sei, der in des Vaters Schoß ist. Ein gleich unumstößliches Zeugnis gaben
aber auch seine großen göttlichen Wunderwerke, so dass er auf die Frage: „Bist
du, der da kommen soll?“ ohne weiteren Beweis mit den Worten antworten konnte:
„Die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die
Tauben hören, die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium
gepredigt.“ „Ich habe“, konnte er sein, „ein größeres Zeugnis als des
Johannes Zeugnis; denn die Werke, die mir der Vater gegeben hat, dass ich sie
vollende, dieselben Werke, die ich tue, zeugen von mir.“ Das größte aber
aller Zeugnisse von Jesus, wovor der Unglaube schamrot werden muss und worauf
der Glaube sich unbeweglich gründen kann, das ist das Zeugnis, welches Gott
selbst gezeugt hat von seinem Sohn. Denn so schreibt der Evangelist Matthäus:
„Da Jesus getauft war, stieg er bald heraus aus dem Waser; und siehe, da tat
sich der Himmel auf über ihm. Und Johannes sah den Geist Gotts, gleich wie eine
Taube, herabfahren und über ihn kommen. Und siehe, – eine Stimme vom Himmel
herab sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich W0hlgefallen habe.“ –
Was bedürfen wir weiter Zeugnis?
So gewiss es aber auch ist, meine Zuhörer,
dass derjenige, welcher Zeugnis bekam vom Himmel, ein solches von der Erde
nicht bedufte, noch bedarf: so würden wir uns doch sehr irren, wenn wir
meinten, dass auch wir eines menschlichen Zeugnisses von Jesus nicht bedürfen,
und dass es Christi Wille nicht sei, dass wir Menschen ihn bekennen.
Nein, meine Geliebten, Gott hat nicht nur das Predigtamt dazu eingesetzt und
Menschen übertragen, dass durch dasselbe ein immerwährendes Zeugnis der
Menschen von Christus gestiftet sei; niemand soll auch denken, dass es genug
sei, den Glauben an Christus in seinem Herzen zu haben; diejenigen, welche
Christen sein wollen, sollen auch „Lichter in dem HERRN“ sein, die vielen
leuchten; sie sollen Städte sei, die gebaut sind auf hohen Bergen und niemandem
verborgen bleiben. „So du“, spricht der Apostel Paulus, „mit deinem Mund
bekennst Jesus, dass er der HERR sei, und glaubst in deinem Herzen, dass ihn
Gott von den Toten auferweckt hat, so wirst du selig. Denn so man von Herzen glaubt,
so wird man gerecht, und so man mit dem Mund bekennt, so wird man selig.“ Und
Jesus Christus selbst ruft uns zu: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will
ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor
den Menschen, den will ich wieder verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“
Erkennt hieraus, meine Zuhörer, wie
notwendig es sei, dass auch ein jeder von uns ein gutes Zeugnis von Jesus
Christus ablege, da wir außerdem seine Jünger nicht sein, noch das ewige Leben
ererben können.
Nicht jedes Zeugnis von Christus aber ist
auch das rechte; da liegt die Täuschung gar nah; nicht jeder „HERR, HERR“-Sager
ist auch der rechte Bekenner des Namens Jesu Christi; hier ist eine ernstliche
Prüfung nötig. Da uns nun unser heutiges Evangelium Gelegenheit zu einer
solchen Prüfung gibt, so lasst uns in der Furcht Gottes in gegenwärtiger Stunde
eine solche Prüfung des rechten Zeugnisses von Christus miteinander anstellen.
(Es liegt dies dem heutigen Tag, dieser
versammelten Gemeinde, wie mir selbst umso näher, da ich, wie euch bewusst ist,
heute diese heilige Stätte betreten habe, ein Zeugnis meines Glaubens vor euch
abzulegen.)
Lasst uns zuvor Gott im stillen Gebet um
seinen Gnadenbeistand anrufen, wenn wir miteinander werden gesungen haben
(Dresdner Gesangbuch) 225,9.
Johannes 1,19-28: Und dies ist das Zeugnis des Johannes,
da die Juden sandten von Jerusalem Priester und Leviten, dass sie ihn fragten:
Wer bist du? Und er bekannte und leugnete nicht; und er bekannte: Ich bin nicht
Christus. Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elia? Er sprach: Ich bin’s
nicht. Bist du ein Prophet? Und er antwortete: Nein. Da sprachen sie zu ihm:
Was bist du denn? dass wir Antwort geben denen, die uns gesandt haben. Was
sagst du von dir selbst? Er sprach: Ich bin eine Stimme eines Predigers in der
Wüste: Richtet den Weg des HERRN! wie der Prophet Jesaja gesagt hat. Und die
gesandt waren, die waren von den Pharisäern und fragten ihn und sprachen zu
ihm: Warum taufst du denn, so du nicht Christus bist noch Elia noch ein
Prophet? Johannes antwortete ihnen und sprach: Ich taufe mit Wasser; aber er
ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt. Der der nach mir kommen
wird, welcher vor mir gewesen ist, des ich nicht wert bin, dass ich seine
Schuhriemen auflöse. Dies geschah zu Bethabara, jenseits des Jordans, da
Johannes taufte.
Die Zeit, meine Zuhörer, in welcher der
Messias nach den Weissagungen der Propheten erscheinen sollte, war gekommen und
schonerwartete das Volk, unter dem Druck der römischen Herrschaft seufzend, den
lange Verheißenen mit großem Verlangen. Da geschah es, dass Johannes der Täufer
in einer den Meisten rätselhaften Gestalt unter dem jüdischen Volk auftrat:
Angetan mit einem Kleid von Kamelhaaren, einem ledernen Gürtel um seine Lenden,
sich nährend von Heuschrecken und wildem Honig, tauft und predigt er in der
Wüste und lässt sich oft mit den Worten vernehmen: „Tut Buße, das Himmelreich
ist nahe herbeigekommen!“ Es gehen zu ihm hinaus „die Stadt Jerusalem und das
ganze jüdische Land und alle Länder an dem Jordan“; sie hören seine
erschütternden Ermahnungen zur Buße, sie lassen sich von ihm taufen und
bekennen ihre Sünden. So beginnt denn das Volk in seinem herzen nach und nach
dem Gedanken immer mehr Raum zu geben: „ob Johannes vielleicht Christus wäre“.
– Dieses alles und besonders die Besorgnisse wegen dieser Meinung des Volks von
Johannes lenkten bald die Aufmerksamkeit des Hohen Rats zu Jerusalem, welcher
in Sachen der Religion zu entscheiden hatte, auf denselben. Man beschloss
daher, eine Gesandtschaft an Johannes selbst abgehen zu lassen, und zwar eine
Gesandtschaft von Predigern und Leviten, welche zu der Sekte der bei dem Volk
hoch stehenden Pharisäern gehörten. Diese sollten den Beruf und das eigentliche
Amt des Johannes untersuchen und ihm eine Erklärung über sich selbst öffentlich
vor allem Volk abverlangen. Es geschah; - und unser heutiges Evangelium führt
uns den Erfolg dieser Gesandtschaft vor. Johannes legt nämlich darin,
von sich selbst abweisend, ein herrliches Zeugnis von Jesus Christus ab, ein
Zeugnis, welches gewiss uns allen zu einem nachahmungswürdigen Muster dienen
kann. Lasst mich daher nach Anleitung dieses unseres Textes euch jetzt
vorstellen:
Die
rechte Beschaffenheit unseres Zeugnisses von Jesus Christus
Wir untersuchen:
1.
Wovon man zeugen müsse,
oder des Zeugnisses rechten Inhalt, und sodann
2.
Wie man zeugen müsse,
oder des Zeugnisses rechte Weise
HERR Jesus Christus, der du unser
barmherziger Hoherpriester und Fürsprecher für uns bist bei deinem Vater, wenn
unsere Sünden uns bei ihm verklagen, wir bitten dich, lehre uns, wie auch wir
wieder von dir zeugen und dich so bekennen können, dass deine Ehre und unseres
Nächsten Heil daraus erwachse. Lehre du es uns, wir wissen es nicht; lehre es
uns aus deinem Wort und mache mich aus Gnade in dieser Stunde zu der Stimme,
durch welche du zu uns redest, du großer Prediger, und mache alle diese Zuhörer
zu lebendigen und gesegneten Zeugen deiner Herrlichkeit und Gnade durch Worte
und Werke. Ach, HERR; erhöre uns um dein selbst willen. Amen.
1.
Fragen wir, meine Zuhörer, zuerst danach,
was unser Zeugnis von Christus denn eigentlich enthalten müsse, oder wofür
wir Christus bekennen müssen, so sagt uns dies Johannes der Täufer durch seinen
Vorgang klar und deutlich. Ich mache euch hierbei nur vorerst auf die Worte
aufmerksam, wenn er in unserem Text von Christus so spricht: „Der ist es,
der nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist, des ich nicht wert bin
dass ich seine Schuhriemen auflöse!“ Welche Sprache, meine Zuhörer! – „Der
nach mir kommen wird, welcher vor mir gewesen ist!“ Ist es
nicht uns allen bekannt, dass Johannes älter war als Jesus? Wie konnte er da
von Christus sagen, dass er vor ihm gewesen sei? – Aus keinem anderen
Grund, als aus welchem der HERR selbst von sich spricht: „Wahrlich, wahrlich,
ich sage euch: Ehe denn Abraham war, bin ich!“ Seht also in jenen Worten
ein herrliches Zeugnis des Täufers davon, dass Jesus Christus nicht ein
bloßer geschaffener Mensch, sondern das Wort sei, welches schon im Anfang war,
als Gott Himmel und Erde erst schuf; dass er der ewige Sohn Gottes, des
Allerhöchsten sei. – Johannes bekennt aber weiter, dass er jene stimme eines
Predigers in der Wüste sei: „Richet den Weg des HERRN!“ wovon schon der
Prophet Jesaja geweissagt habe: Damit bezeugt er ferner unumwunden, dass Jesus
Christus der verheißene HERR, oder nach der Ursprache Jahwes, sei, der in das
Fleisch kommen sollte, der Messias und Heiland aller Welt, der „von welchem
alle Propheten gezeugt haben, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben,
Vergebung der Sünden empfangen sollen“. Johannes legt also von Christus ein
herrliches Doppelzeugnis ab, nämlich erstens, dass Christus der Gottmensch sei,
und sodann, dass er der verheißene Heiland sei.
Das ist ein schönes Muster für alle, welche
auch noch heute Christus bekennen wollen. Soll hiernach unser Zeugnis vorerst
dem Inhalt nach recht beschaffen sein, so kommt es auf zwei Stücke an: Ob wir
nämlich recht von Christi Person und ob wir recht von seinem Amt
zeugen.
Der Hauptgrund, meine Lieben, warum wir
überhaupt Christus vor der Welt bekennen sollen, ist, weil sie, wie Johannes
von den Pharisäern sagt, ihn nicht kennt und ihn verleugnet; damit nämlich doch
Christus bekannt und geehrt und, wo es nur möglich ist, ihm Seelen gewonnen
werden mögen. Nun leugnet aber nicht leicht jemand, dass Christus ein wahrer
Mensch, gewiss auch nicht, dass er ein guter und weiser Mensch gewesen sei, ein
großer Prophet Gottes, der eine Lehre lehrte, so vollkommen, wie sonst kein Mensch.
Das, sage ich, verleugnet wohl nicht leicht jemand. Aber daran ärgert sich die
Welt, dass dieser Jesus, dieser verachtete Jesus, der in der Krippe lag, der
nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegen konnte, und endlich schimpflich und
schmachvoll am Kreuz starb, dass dieser „der HERR der Herrlichkeit, der
wahrhaftige Gott und das ewige Leben, der Gott über alles, gelobt in Ewigkeit“
sein soll; und dass er nicht gekommen sei, uns nur die Tugend zu lehren,
sondern uns durch sein Leiden und Sterben vom zeitlichen und ewigen Tod zu
erlösen; dass allein der Glaube an ihn, das Vertrauen aufs ein
teuer erworbenes Verdienst uns gerecht und selig machen könne. (Der Gekreuzigte
ist es, meine Freunde, der noch heute allen Jüdisch-Selbstgerechten ein
Ärgernis und allen Heidnisch-Selbstklugen eine Torheit ist.) Das , das ist es,
was die Welt hauptsächlich verleugnet, und das ist es daher auch, was ein
wahrer Christ von Jesus Christus vor der Welt bekennen soll.
Davon müssen wir Zeugnis ablegen, dass wir
Christus für mehr als einen Menschen, ja, für mehr als alle Engel und Erzengel
halten; für den HERRN, für den Jahwe, vor dem Johannes hergehen musste, ihm den
Weg zu bereiten; für den, der ewig ist und eher war als alle, die vor ihm
leiblich geboren wurden; für den, vor dem sich alle Propheten, j, auch der, der
mehr war als ein Prophet, nämlich Johannes,, beugen musste und sich nicht
wert achten durfte, ihm die Schuhriemen aufzulösen; für den eingeborenen Sohn des
lebendigen Gottes. Bekennen müssen wir aber dann auch die Wahrheit seiner
Wunder, die Wahrheit seiner siegreichen Auferstehung und Himmelfahrt, die
Gewissheit seines Sitzens zur Rechten des Vaters und seines Kommens zum
Gericht. Bezeugen müssen wir, dass wir von Herzen glauben, „dass in keinem
anderen Heil, auch kein anderer Name den Menschen gegeben sei, darinnen sie
sollen selig werden“, als allein der teure Name Jesu. Bezeugen müssen wir
endlich, dass Christus wahrhaftig die Sünder annimmt, dass wir bei ihm
wahrhaftig Vergebung der Sünden, den Trost des Heiligen Geistes, die Gewissheit
unserer Seligkeit, eine wahrhafte Ruhe unserer Seelen, ja, alles, alles bei ihm
finden, was den Menschen hier und dort, in Zeit und Ewigkeit ganz befriedigen
und glücklich und selig machen kann.
Wenn dies der Inhalt unseres Bekenntnisses
von Christus ist, dann ist es biblisch, dann ist es recht beschaffen,
dann können wir das tröstliche Vertrauen zu der Kraft des göttlichen Wortes
haben, dass es, wie das Zeugnis des Johannes, Christus Jünger zuführen und zu
seiner Ehre gereichen werde, und dann dürfen wir endlich auch hoffen, dass
Christus auch uns einst wieder bekennen werde vor seinem himmlischen Vater. O,
welch unaussprechliche Gnade ist das, dass ein Sünder dem anderen zurufen kann:
Freue dich, Gott ist ein Mensch geworden, er will unser Heiland sein, denn wer
an ihn glaubt, soll ewig selig werden! Ist einem Menschen ein großes irdisches
Glück widerfahren, dass er noch nicht weiß, o, wie gern will da jeder der Erste
sein, der ihm die fröhliche Botschaft hinterbringt! Welche Freude sollte es uns
daher sein, die allerfröhlichste Botschaft auszubreiten, wo wir nur können,
dass Christus gekommen ist, die Schuldigen zu begnadigen, die Verlorenen zu
erretten, ja, alle Sünder selig zu machen!
2.
Aber, meine Zuhörer, bisher haben wir nur
von dem rechten Inhalt unseres Zeugnisses von Christus gehört; zur rechten
Beschaffenheit desselben gehört auch zweitens, dass es auf die rechte
Weise geschehe. Auch dies lasst uns an dem Beispiel Johannes‘ des Täufers in
unserem Text zu erkennen suchen.
„Ich taufe mit Wasser“ spricht er, „aber
er ist mitten unter euch getreten, den ihr nicht kennt.“ „Den ihr
nicht kennt“, spricht er; er will damit im Gegenteil sagen, den aber ich
kenne. Ja, wohl kannte er ihn, und zwar im Glauben. Nicht Fleisch und Blut,
sondern der Vater im Himmel hatte es ihm offenbart, dass Christus wahrhaftig
sein lieber Sohn sei, an welchem er Wohlgefallen habe, und dass er das Lamm
Gotte sei, das der Welt Sünde trägt. Dies wusste er; er hatte es erfahren;
darum drang es ihn, des allezeit und allerwärts zu bekennen. – Aber hierzu war
er auch berufen. Er tut dies nicht nach eigener Wahl oder in sträflichem
Vorwitz. Und dies zu beweisen, verteidigt Johannes in unserem Text seinen
Beruf, indem er darauf hinweist, dass er jene Stimme in der Wüste sei,
von welcher einst Jesaja geweissagt habe. Und als man ihn fragt: „Warum
taufst du denn, so du nicht Christus bist, noch Elia, noch ein Prophet?“ so
antwortet er: „Ich taufe mit Wasser.“ Er will sagen: Ich taufe nur auf
Befehl, nicht als der HERR, sondern als der Diener und Vorläufer Christi; ich
gebe nur das Wasser, aber Christus kann allein durch dieses Wasser mit seines
Geistes Gabe und Gnade kräftig sein.
Diese eigene Erfahrung, dieser eigene
lebendige und herzliche Glaube an Jesus Christus, und dieser gewisse Beruf,
welchen der Täufer, von Christus zu zeugen, hatte: Dies beides wirkte in ihm
die rechte Weise, Christus zu bekennen. Er hatte die göttliche Hoheit seines
Meisters und seine eigene Niedrigkeit erfahren; er wusste, dass auch er, wie
alle Menschen, nur durch das Opfer Jesu Christi vor Gott bestehen könne; dies
machte ihn erstlich so demütig, dass er gern nicht mehr sein wollte, als
er war, nämlich nur eine Stimme Gottes in der Wüste, der durch ihn, als sein
Werkzeug, redete; er wollte nicht jener Elia oder jener Prophet, welche man
damals mit Christus zugleich erwartete, viel weniger Christus selbst sein; ja,
er erklärte: „Ich bin nicht wert, dass ich seine Schuhriemen auflöse“;
er achtete sich also selbst dazu für viel zu gering, Christus die geringsten
Sklavendienste zu tun. Wie gering muss er da erst von allen seinen anderen
guten Werken gedacht haben! Er hatte aber auch erfahren die Liebe Jesu
Christi, und so war denn diese auch in seinem Herzen ausgegossen, dass er ihn
bekennen musste, damit doch alle zu Christus kommen und ´durch ihn selig
werden möchten.
Gab nun dem Johannes sein Glaube an
Christus die rechte Demut und Liebe zu seinem Bekenntnis von ihm, so gab ihm
sein Beruf auch den rechten Gottesmut dazu, dass er ebenso wenig die
Lockungen wie Drohungen der Welt achtete. Das Volk hielt ihn für Christus und
war bereit, ihn als solche anzuerkennen und mit ihm Hand anzulegen zur Gründung
seines herrlichen messianischen Reiches; die Vornehmen aber hassten sein
Zeugnis und sannen auf sein Verderben. – Was tat er? Des Volkes Gunst
verachtete er und bedachte, dass ihm Gott unvergleichlich mehr gab als alle
Welt ihm bieten konnte, und gegen den Hass der Großen vertraute er auf den, der
ihn berufen hatte und der ihm gegen alle Verfolgungen mächtig zur Seite stand;
und so bekannte er denn beides unverhohlen gegen das Volk: „Ich bin nicht
Christus!“ und setzte unerschrocken gegen die Pharisäer hinzu: Aber „Der
ist es, der nach mir kommen wird; der mitten unter euch getreten ist, den ihr
nicht kennt.“
Wollt ihr nun, meine Zuhörer, dies alles,
was wir hier von Johannes gehört haben, auf euch anwenden, so lernt daraus
Folgendes: Vor allem erkennt, dass es nicht nur darauf ankommt, dass man den
rechten und ganzen Christus bekenne, sondern dass man auch selbst ein rechter
Bekenner sei. Man kann, sehen wir hieraus, manches Gute und Wahre, ja, lauter
Gutes und Wahres von Christus sagen und dennoch vor Gott mit seinem ganzen
Zeugnis verwerflich sein. „Ich glaube, darum rede ich!“ muss man mit Johannes
dem König David nachsprechen können. Wer seinen Mund zum Bekenntnis Christi vor
der Welt öffnen will, der muss den lebendigen Glauben an ihn im Herzen haben.
Sonst wird er gleich sein einem tönenden Erz und einer klingenden Schelle, von
denen zwar ein lieblicher Klang ausgehen kann, die aber in sich selbst leer und
ohne Leben sind. Man würde die Torheit begehen, anderen etwas anpreisen zu
wollen, was man selbst der Annahme nicht wert achtet.
Wer glaubt aber an Christus? Derjenige,
meine Zuhörer, der nicht nur den Zeugnissen glaubt, welche wir von Christus in
dem göttlichen Wort des Alten wie des Neuen Testamentes finden, sondern [auch
dem Heiligen Geist nicht widerstrebt hat, als der ihn seiner Ohnmacht gegenüber
Gott, seiner abgrundtiefen Verdorbenheit, der Nichtigkeit seiner eigenen
Gerechtigkeit überführte und daher von sich wegsah und im herzlichen Vertrauen
auf sein Evangelium Christus und dessen Gerechtigkeit aufnahm, ergriff als den,
der auch seine Sünden auf sich nahm, auch für sie das vollkommene
Lösegeld bezahlte, Gott auch mit ihm versöhnte und so auch ihm Vergebung
der Sünden, Frieden mit Gott und ewiges Leben erworben hat.][2] Wer dies[ im Glauben
ergriff][3], als er, seine Schuld vor
Gott erkennend, sich zu Gott in Demut wandte, im Verlangen nach Gnade und
Befreiung von seinen Sünden: Der glaubt an Christus, der ist und nur der
ist fähig, ein gutes Zeugnis von Christus abzulegen.
Wollen wir nun dies, so müssen wir uns
prüfen, ob Christus unser Ein und Alles geworden sei, ob wir mit den Aposteln
den Christusfeinden wirklich zurufen müssen: „Wir können es ja nicht lassen,
dass wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört“ und erfahren haben;
es dringt uns nämlich unsere Liebe zu Christus und zu unseren Brüdern,
die mit uns erlöst sind, zu bekennen, wie gut wir’s bei Jesus haben, und sie
einzuladen, dass doch auch sie an ihn glauben und bei ihm finden möchten, was
sie hier und dort selig machen kann. Gewiss, dann werden wir uns überall,
ebenso unter den Unwissenden wie unter den Spöttern, für den ohne eitle
Streitlust bekennen, der uns mit seinem Blut erworben hat; wir werden dabei
nicht das unsrige suchen, sondern des Nächsten Heil und Seligkeit. Und wie
sollten wir dann dabei nicht demütig sein, da wir ja, wenn wir Christus
recht bekennen, auch gestehen, dass wir bei ihm Vergebung der Sünden, Gnade,
Barmherzigkeit erlangt haben! Gewiss, wir werden es uns anmerken lassen, dass
wir uns über niemanden erheben, sondern nur gern alle mit uns gerettet sehen
möchten.
Wie aber, endlich, meine Zuhörer, den
Täufer sein Beruf zum Zeugen von Christus so freudig und unerschrocken
machte, dass er, im Bewusstsein, in Gottes Diensten zu stehen, gern der Welt
den Dienst aufsagte und sich nicht fürchtete vor ihrem Trotzen und nicht
erschreckte: So muss es auch mit uns stehen, wenn wir unseren HERRN und Heiland
vor seinen Feinden oder Freunden bekennen.
Ohne Furcht und
ohne Grauen
Soll ein Christ,
Wo er ist,
Stets sich lassen
schauen.
Wollt ihn auch der
Tod aufreiben,
Soll der Mut
Dennoch gut
Und fein stille
bleiben.
So sang einst Paul
Gerhardt, der teure Bekenner Jesu Christi; und so sollen wir auch singen
können. Dies können wir aber nur dann, wenn wir wissen: Gott ist mit uns, wenn
uns Gott sendet und dann das Zeugnis, was wir ablegen, eigentlich nicht
unser, sondern Gottes, des Heiligen Geistes, Zeugnis in und durch
uns ist. Ein unberufenes Zeugnis ist, es scheine, wie es wolle, immer ohne Liebe,
denn die Liebe kommt von dem, der beruft; ohne Demut, denn es geschieht
in eigener Kraft; ohne den rechten Mut, denn man kann sich dabei nicht
auf den HERRN HERRN verlassen: Es ist Frevel. Wohl sandte Christus seine Jünger
in die Welt; ach, die Schafe unter die Wölfe! – Aber sie konnten getrost gehen;
Christus begleitete sie; und siehe, – schnell hat ihr Zeugnis die Welt erfüllt
und überall Siege über die falschen Götter davongetragen. Aber wir dürfen
deswegen nicht auch aus falschem Bekehrungseifer die Welt aufsuchen und
uns vorwitzig mengen unter die Feinde des Kreuzes Christi, um ihnen zu predigen
und sie zu bekehren: Wirr würden so sie nicht erretten; wir würden unter
und mit ihnen umkommen.
Mit unseren Werken, durch unsere
Gemeinschaft mit wahren Gläubigen, durch unsere Keuschheit, Sanftmut, Demut,
Liebe – Christus und dass wir seine Jünger sind, zu bekennen: Dazu sind
wir alle und zwar jederzeit berufen, und mag es auch die Welt für
Heuchelei achten, dieses Licht sollen wir immer und freudig leuchten
lassen. Besonders aber soll der Prediger seiner Gemeinde, und zwar einem jeden
Glied derselben, der Lehrer seinen Schülern Christus anpreisen, die Eltern den
Kindern, der Gatte der Gattin, sie dem Gatten, der Hausherr seinen Dienstboten,
der Freund dem Freunde. Diese alle tun es im Beruf und sollen es tun mit
Freudigkeit, ja, ein jeder, bei dem man Grund fordert der Hoffnung, die in ihm
ist, den man nach seinem Glauben fragt – sollte auch die Antwort mit Gefahr
Leibes und Lebens, der Ehren und Gutes verbunden sein – hier ist Beruf; da soll
man allezeit bereit sein zur Verantwortung jedermann; Gott ist es, der uns
fragen lässt, er lenkt ja die Herzen wie Wasserbäche. Gereichte es daher auch nicht
zur Seligkeit dem, dem wir bekenne, so soll es doch uns nicht an unserer Seele
schaden; schadete man uns aber am Irdischen, nähmen sie uns den Leib, Gut, Ehr,
Kind und Weib – lass fahren dahin, ruft Luther uns zu, sie haben’s kein Gewinn,
das Reich Gottes muss uns bleiben.
Geliebte Zuhörer! Es kommt eine Stunde, wo
wir alle werden versammelt stehen vor dem Richterstuhl dessen, von dem
es nur hier hieß: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und demütig; ach,
welches Zagen wird dann die ergreifen, welche mit Donnerstimme sich werden
zurufen hören müssen: Du hast mich nicht bekannt vor der Welt, du hast mich verleugnet,
du hast dich mein geschämt; gehe von mir, ich kenne dich nicht! – O, darum
lasst uns alle in der Zeit unserer Seele raten, damit keiner von uns zu
Schanden werde in seiner Zukunft.
Du aber, o Jesus, wollest selbst das, was
wir von deinem Bekenntnis gehört haben, in unser Herz schreiben und selbst
durch die Macht deiner Gnade uns tüchtig machen, von dir zu zeugen, allezeit
mit unserem Wandel, oft mit unserem Mund und, sollte es dein Wille sein, auch
einmal gern mit unserem Blut, gewiss aber, es geschehe, wie und wo es wolle,
mit unserem durch dich seligen Tod. Amen.
(diese Predigt
ist entnommen dem Predigtbuch: Festklänge, S. 156 ff.; 176 f.)
HERR Jesus, Du
eingeborener Sohn Deines himmlischen Vaters, heut erblicken wir Dich als ein
lächelndes Kindlein in einer Krippe liegen und hören Dich mit holdseliger
Stimme uns zurufen: O Mensch, siehe, hier liege ich um deinetwillen, da hast du
mich, nimm mich hin, ich bin dein! O süßes Wort: Ich bin dein! O, dass wir es
glauben und Dir antworten könnten: Und Du bist mein! Aber wir vermögen das
nicht. So bitten wir denn Dich, freundliches, liebliches Kind, da Du einst den
finstern Stall nicht verschmähet hast, darin geboren zu werden, und die harte
Krippe nicht verschmähet hast, darin zu ruhen, verschmähe doch heute auch unser
armes finsteres hartes Herz nicht, darin auf es neue geboren zu werden und
darin auf es neue zu ruhen. Ja,
offenbare es heut an uns allen, dass Du wirklich unser Seligmacher bist, und
mache uns zu so seligen Menschen, deren Herzen Deine Herberge sind. So wollen
auch wir mit Bethlehems Hirten Dich anbeten als unsern Gott und Heiland und
Dein Lob verkündigen, so lange wir leben, bis wir Dich einst droben schauen
werden auf Deinem Thron. Amen.
Jesaja 9,6-7: Denn uns
ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf
seiner Schulter; und er heißt Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewig–Vater,
Friedefürst, auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende
auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich, dass er’s zurichte und stärke mit
Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der
Eifer des HERRN Zebaoth.
Von Gott
geliebte, hocherfreute Zuhörer!
O, was für ein herrliches, liebliches,
freudenreiches Fest ist doch das Weihnachtsfest, welches wir in diesen Tagen
wieder feiern! Da hören wir von einem freundlichen Kindlein, welches einst
heute vor über 2023 Jahren wunderbarerweise von einer reinen Jungfrau in
dunkler Nacht in einem Stalle zur Welt geboren, in Windeln gewickelt und in
eine Krippe gelegt worden sei. Da hören wir, dass hierauf alsbald ein Bote vom
Himmel herab gekommen sei, die geschehene Wundergeburt den Menschen gemeldet
und ihnen zugerufen habe: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große
Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute
der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt
Davids.“ Ja, da hören wir, dass diesem Boten alsbald die unzählbare Menge der
himmlischen Heerschaaren gefolgt sei, die, Gott laut lobend, wie mit Einem
Munde gesungen habe: „Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den
Menschen ein Wohlgefallen.“
O, welche
Freude! -- Oder wie? -- Gott selbst lässt uns Menschen heut sagen: „Siehe, ich
verkündige euch große Freude“; Gott selbst lässt uns sagen: jenes
Kindlein in der Krippe sei der „allem Volk“ geborene „Heiland“; Gott selbst lässt
uns sagen: dieser Heiland sei „der HERR“, der HERR aller Engel, Gottes
hochgelobter eingeborener Sohn selbst, worauf alle Engel des Himmels in lautes
Lob Gottes ausbrechen: - und das sollte nicht Freude, nicht große Freude für
uns sein?
Ja, wahrlich,
meine Lieben, das ist Freude über alle Freude. Bedenke doch, o lieber Mensch,
wer du auch sein magst: Heut hörst du, Gott der Vater hat für alle Menschen,
also auch für dich, den HERRN des Himmels, seinen eigenen Sohn, in die Welt
gesendet, auf dass alle Menschen, also auch du, einen Heiland, einen
Seligmacher habest! Darfst, kannst du also nun noch fürchten, dass Gott dich
hasse, dass er dir zürne, dass er dir feind sei? Nein, tausendmal nein; es ist
vielmehr hiernach ganz gewiss, Gott liebt dich, Gott liebt dich
unaussprechlich, Gott hat dich schon von Ewigkeit geliebt. Oder darfst, kannst
du also nun noch fürchten, dass Gott dein Unglück wolle, Lust habe an deinem
Tode, dein ewiges Verderben beschlossen habe? Nein, tausendmal nein; es ist
vielmehr nun ganz gewiss, Gott will dein Glück, Gott will, dass du lebest,
schon von Ewigkeit hat Gott deine Seligkeit gewollt. Und das solltest du heut
hören können, und dich doch nicht freuen? Ja, du solltest heute selbst bekennen
müssen: Wohl weiß ich es nun ganz gewiss, dass Gott mich liebt, mich
unaussprechlich liebt, mich schon von Ewigkeit geliebt hat, dass Gott mich
selig machen, mich ewig selig machen will, -- und doch solltest du darüber
heute nicht fröhlich werden, nicht frohlocken, jubeln und jauchzen?! -- Das ist
unmöglich! -
Doch
vielleicht sagst du: Wohl ist es mir eine große Freude, dass Gott seinen
eingeborenen Sohn der ganzen Welt und also auch mir gesendet hat: Aber was
hilft es mir, dass ihn Gott für mich in die Welt gesendet hat, wenn er noch
nicht mein ist? - Du hast recht, mein lieber Zuhörer, es kann etwas zwar wohl
für dich bestimmt, und doch noch nicht dein sein; aber lass dich diesen
Gedanken in deiner Weihnachtsfreude nur nicht stören; denn siehe! Gott hat
seinen eingeborenen Sohn nicht nur für alle Menschen in die Welt gesendet und
geboren werden lassen, sondern Gott hat ihn auch schon allen Menschen gegeben
und geschenkt. Denn wie spricht hiervon Christus selbst? „Also hat Gott die
Welt geliebt“, ruft er selbst voll Verwunderung aus, „dass er seinen eingeborenen
Sohn gab“. Merke wohl, Christus sagt nicht bloß: dass er seinen eingeborenen
Sohn sandte, sondern: dass er ihn „gab“! Daher singt denn auch unsere liebe
evangelisch-lutherische Kirche an jedem Weihnachtsfest mit Frohlocken:
Lobt Gott, ihr
Christen allzugleich,
In seinem
höchsten Thron,
Der heut schließt
auf sein Himmelreich
Und schenkt
uns seinen Sohn.
Und noch mehr,
meine Lieben! Was Christus einst, als er bereits öffentlich ausgetreten war,
beteuert, dass Gott seinen eingeborenen Sohn der ganzen Welt schon gegeben
habe, das hat der Prophet Jesaja schon mehr als siebenhundert Jahre vor Christi
Geburt beteuert und in unserm Text für alle Zeiten mit den Worten
niedergeschrieben: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“
O, hört es, meine Lieben, er sagt: „Gegeben! Gegeben!“ Hiernach lasst mich denn
in dieser festlichen Stunde ein wenig künden:
Von der großen
Freude, dass Gott seinen Sohn nicht nur für uns Menschen hat geboren werden
lassen, sondern ihn uns auch schon gegeben hat;
wir erwägen
hierbei,
1. was das
heiße, dass uns Gott seinen Sohn schon gegeben hat, und
2. warum
gerade dies eine so große Freude für uns ist.
I.
„Uns ist
ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben“, so heißt es also in unserm
Text. Dass unter diesem Kind und Sohn niemand anders, als das holde
Christkindlein, zu verstehen sei, dies geht unwidersprechlich aus den hohen,
göttlichen Namen hervor, welche der Prophet Jesaja diesem Kind und Sohn gibt.
Denn er fährt so fort: „Und er heißt Wunderbar, Rat, starker Gott,
Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde, und des
Friedens kein Ende, auf dem Stuhl Davids, und seinem Königreich; dass er es
zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“
Dies alles kann offenbar von keinem bloßen menschlichen Kind, sondern nur von
dem von allen Engeln angebeteten Kind in der Krippe gesagt sein.
Was heißt aber
das nun erstlich, dass dieses Kind und. dieser Sohn uns nicht nur geboren,
sondern auch schon „gegeben“, schon geschenkt sei?
Wird uns,
meine Lieben, sonst ein Kind geschenkt, so wird uns dasselbe nicht wirklich
geschenkt, sondern uns eigentlich nur die Sorge für ein solches Kind auf
das Herz gelegt, als wäre es unser eigenes. Wir bekommen damit die
Verpflichtung, das Kind zu speisen und zu kleiden, es vor Gefahren zu
beschützen und aufzuziehen. Hat nun ein solches Kind von seinen natürlichen
Eltern etwa ein großes Vermögen geerbt, so wird uns daher auch dieses Vermögen
keineswegs zugleich mit dem Kinde geschenkt; vielmehr erhalten wir damit nur
das mühevolle Amt, dem Kinde sein Vermögen zu verwalten und ihm zu
bewahren.
Mit dem Jesuskindlein
hat es aber eine ganz andere Bewandtnis. Dieses wird uns wirklich gegeben oder
geschenkt (denn Gott sagt es); es wird uns daher nicht, wie ein anderes
Waisenkind, dazu übergeben, dass wir für dasselbe sorgen und es pflegen,
sondern vielmehr dazu, dass dasselbe für uns sorge und uns
pflege; und was das Christkindlein hat, das sollen nicht wir ihm bewahren,
sondern das will dasselbe vielmehr uns bewahren.
Doch wie? Hat
sich nicht gerade das Christkindlein aller seiner Güter, alles seines Reichtums
entäußert? Ist es nicht, ob es wohl reich war, arm geworden, und zwar so arm,
dass es nicht hatte, da es sein Haupt hinlegen konnte? hat es nicht, obwohl es
vollkommen heilig war, sogar die Sünden aller Sünder auf sich genommen? ist es
nicht, obwohl es der König aller Könige war, ein Knecht aller Knechte geworden?
hat es nicht, obwohl es der allerhöchste Gesetzgeber selbst war, sich unter das
Gesetz tun lassen? hat es sich nicht, obwohl es hätte mögen nur Freude haben,
in ein ganzes Meer von Leiden versenken lassen? hat es nicht, obwohl es der HERR
der Herrlichkeit war, alle nur erdenkliche Schmach und Verachtung getragen? ja,
ist es nicht, obwohl es der Fürst des Lebens selbst war, auch endlich von Tod
und Grab verschlungen worden? Was hilft es uns nun, dass uns Gott ein solch
armes, nacktes Kind und alles sein Elend „gegeben“ und geschenkt
hat?
O, meine
Lieben, das hilft uns gar viel, ja, was sage ich? das hilft uns alles! Christus
ist als ein elendes Menschenkind geboren worden, um uns dadurch zu Gottes
Kindern zu machen; Christi elende Geburt ist daher ein unaussprechlich
köstliches Geschenk, denn mit dieser seiner elenden Geburt hat. uns Gott das
Recht, seine Kinder zu sein, geschenkt. Christus ist arm geworden, um uns
dadurch reich zu machen. Christi Armut ist daher ein unermesslich großes
Geschenk, denn mit dieser seiner Armut hat uns Gott alle Schätze des Himmels
geschenkt. Christus hat die Last unserer Sünden auf sich genommen, um dadurch
unsere Sünden zu tilgen. Christi schwere Sündenlast ist daher ein
unvergleichlich wertvolles Geschenk, denn mit dieser seiner Sündenlast hat uns
Gott die vollkommene Tilgung aller unserer Sünden geschenkt. Christus ist ein
Knecht aller Knechte geworden, um uns dadurch zu freien Herren zumachen.
Christi Knechtschaft ist daher ein unbegreiflich hohes Geschenk, denn
mit dieser seiner Knechtschaft hat uns Gott die hohe Würde, Herren über Sünde,
Welt, Tod und Hölle zu sein, geschenkt. Christus hat sich unter das Gesetz tun
lassen, um uns dadurch von allen Drohungen des Gesetzes zu befreien; Christi Unterwerfung
unter das Gesetz ist daher ein unbezahlbar wertvolles Geschenk, denn mit
dieser seiner Unterwerfung unter das Gesetz hat uns Gott Freiheit von allen
Drohungen des Gesetzes geschenkt. Christus hat sich in Leiden ohne Zahl
versenken lassen, um uns dadurch die ewige Freude zu verdienen; Christi Leiden
ist daher ein unschätzbar teures Geschenk, denn mit diesem seinem Leiden hat
uns Gott schon die ewige Freude geschenkt.
Christus hat alle nur erdenkliche Schmach und Schande getragen, um uns
dadurch ewige Ehre und Herrlichkeit zu erwerben. Christi Schmach und Schande
ist daher ein über alle Maßen herrliches Geschenk; denn mit dieser seiner Schmach
und Schande hat uns Gott ewige Ehre und Herrlichkeit geschenkt. Christus
hat sich endlich von Tod und Grab verschlingen lassen, um uns dadurch eine
selige Auferstehung und das ewige Leben zu erringen; Christi Tod und
Begräbnis ist daher das Geschenk über alle Geschenke, denn mit diesem
seinem Tod und Begräbnis hat uns Gott schon die selige Auferstehung und das
ewige Leben geschenkt.
Seht da, das
ist es, was die Worte unseres Textes sagen wollen: „Uns ist ein Kind
geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“ Es ist wahr: mit dem Christkindlein
sind uns also keine irdischen Schätze gegeben, denn diese hatte das
Christkindlein selbst nicht; es hatte sich ja aller derselben entäußert und
dafür Armut erwählt. Es ist wahr: mit dem Christkindlein sind uns auch keine zeitlichen
Freuden gegeben, denn auch diese hatte das Christkindlein selbst nicht; es
hatte sich ja aller derselben verziehen und dafür Leiden ohne Zahl erwählt. Es
ist wahr: mit dem Christkindlein ist uns auch keine Ehre vor Menschen
gegeben, denn auch diese hatte das Christkindlein selbst nicht; es hatte ja
aller Ehre vor Menschen entsagt und dafür Schmach und Schande erwählt. Aber
wohl uns, dass uns Gott mit dem Christkindlein keinen vergänglichen Erdentand
geschenkt hat. Denn so viel das Himmlische größer ist, als das Irdische, das
Göttliche größer, als das Menschliche, das Ewige größer, als das Zeitliche, so
viel größer ist, was uns Gott mit dem Christkindlein geschenkt hat; denn damit
hat er uns gegeben: seine Gnade, Vergebung aller unserer Sünden, vollkommene
Gerechtigkeit, Erlösung von allem Uebel, Errettung von Tod und Hölle, ewige
Gemeinschaft mit Gott und allen seinen heiligen Engeln, Leben und Seligkeit
droben in den Wohnungen des Himmels von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Seht, das, das
ist Gottes Weihnachtsbescherung, welche er mit den Worten vor uns ausgebreitet
hat: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben.“
Sollte das
nicht Freude sein? -- Ja, wahrlich, meine Lieben; und warum gerade dies, dass
uns Gott mit dem Christkindlein dieses alles schon gegeben und geschenkt hat,
für uns eine so große Freude ist, davon lasst mich nun noch zweitens zu euch
sprechen.
II.
Dass das
Christkindlein der ganzen Welt geboren sei, das glauben, meine Lieben,
alle wahren Christen, denn ohne diesen Glauben kann niemand ein Christ sein;
aber dass das Christkindlein der ganzen Welt bereits vor mehr als 2000 Jahren
wirklich und wahrhaftig gegeben sei, das glauben nur wenige. Und darum
fehlt es auch selbst den meisten wahren Christen an der vollen wahren
Weihnachtsfreude. Denn wer zwar glaubt, dass das Christkindlein der
ganzen Welt „geboren“, nicht aber, dass es derselben schon „gegeben“
sei, der kann immer noch zweifeln, ob er es nun auch annehmen und sein nennen
dürfe. Aber -- Gott sei dafür ewig Lob und Preis! -- in unserm Text heißt es
nicht nur: „Uns ist ein Kind geboren“, sondern auch: „Ein Sohn ist
uns gegeben.“ O köstliches Wort! Ich behaupte kühnlich, dieses Wort
ist das tröstlichste Wort der ganzen Heiligen Schrift. Wie die Sonne unter
allen Sternen des Himmels hervorleuchtet, so leuchtet dieses Wort unter allen
Bibelworten hervor. Wie das köstliche Rosenöl ein Extract aller süßen Düfte
ist, welche die Rosen enthalten, so ist dieses Wort: „Ein Sohn ist uns
gegeben“, gleichsam der köstliche Extrakt aller Süßigkeiten des
Evangeliums.
Bedenkt: Wenn
uns jemand etwas wirklich und nicht nur zum Schein schenkt, müssen wir da etwa
erst etwas tun, damit es unser werde? Nein, denn dann ist es ja schon unser!
Dann handelt es sich bei uns nur noch darum, dass wir es nicht verwerfen oder
wieder wegwerfen, sondern annehmen und behalten. Schenkt ein Reicher einem
Armen wirklich etwas, was erwartet er da von dem Armen? Nichts, als dass
derselbe sein Geschenk nehme. Sobald der Reiche fordert, dass der Arme erst
etwas dafür tue, so ist sein angebliches Geschenk eben kein wirkliches
Geschenk. Nun hat aber Gott bereits vor mehr als 2000 Jahren das Christkindlein
und alles, was es hat, allen Menschen schon wirklich geschenkt (denn was Gott
sagt, das ist gewiss wahr), daher soll nun auch kein Mensch es sich mit seiner
Reue, mit seiner Besserung, mit seinen guten Werken erst verdienen, kein Mensch
es sich erst erarbeiten, kein Mensch es sich erst erkaufen, kein Mensch es sich
erst erkämpfen und erringen, ja, auch kein Mensch es sich erst erbeten und
erflehen. Denn weil es ihm ja schon gegeben, das heißt, frei und umsonst zugesprochen
ist, so ist es ja schon sein. Warum? Weil er ein Mensch ist. Sehet da: In den
Worten: Ein Sohn ist uns „gegeben“, liegt daher ein wahres Meer von
Trost für alles, was Mensch heißt, das nie ausgeschöpft werden kann. Die
wenigsten Christen haben kaum eine Ahnung davon, welch ein Schatz des Trostes
in den Worten: "Uns ist ein Sohn gegeben", enthalten ist. In wessen
Seele diese Worte in ihrer wahren Bedeutung aufgehen, in dessen Seele geht auch
erst die volle Sonne der Gnade auf. Ganz kann sie ein Christ hienieden gar
nicht fassen. Wer sie schon in diesem Leben ganz fasste, der würde, wie Luther
mit Recht sagt, vor Freude sterben, und wenn Gott einen solchen Menschen zur
Probe seines Glaubens in die Hölle würfe, so würde derselbe selbst mitten im
Ofen der Hölle, wie die drei Männer im feurigen Ofen, voll himmlischen Trostes
und voll seliger Hoffnung sein. Ja, wenn die verdammten Geister in der Hölle im
Glauben sagen könnten: „Uns ist der Sohn Gottes gegeben“, so würde sich alsbald
ihre Hölle in den Himmel, ihre Pein in Seligkeit verwandeln.
Sprich aber nicht:
Aber ich bin voll Leiden und Trübsale; mein Haus drückt Krankheit, Armut,
Verachtung und Elend. Wie kann ich mich freuen? O, siehe über diesen Jammer
hinaus, mein Christ; dein Heiland hat durch seine Armut und Niedrigkeit es dir
erworben, dass, je größer hier deine Not ist, desto größer auch dort deine
Seligkeit werden soll. Dieser Zeit Leiden ist nicht wert der Herrlichkeit, die
an dir um Christi willen soll offenbaret werden. Jede Träne, jeder Seufzer,
jeder Kummer ist nun ein köstliches Samenkorn, das du im Himmel wiederfinden
sollst, aufgewachsen zu einem großen Baume unaussprechlicher Seligkeit. Wie
darfst du also traurig sein?
Sprich nicht:
Aber, ich wollte wohl gern alle leibliche Noth tragen, aber ich seufze hier in
der Hölle der Anfechtung. Ich fühle nichts als Tod und Verdammnis, keine
Empfindung des Trostes kommt in mein elendes Herz; es scheint mir fast immer,
als habe mich Gott ganz verlassen und als habe er meiner ganz vergessen, wie
kann ich mich freuen? Höre, o Christ, nicht auf dein Herz, das ist ein falscher
Prediger; höre auf das Weihnachtswort deines Gottes: „Fürchtet euch nicht;
siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird.“ An
dieses Wort halte dich, du Angefochtener, und bedenke: Lässt dich Gott hier
seine Gnade nicht fühlen, so kommt doch ein Tag, wo du nicht mehr im Finstern
wirst glauben müssen, da wird dein Leib und deine Seele nichts fühlen, als Güte
Gottes; da wirst du ausruhen von deinen Kämpfen, da wird die Last dir ewig abgenommen
sein, die du hier tragen musst, da wird dein Seufzen in ewiges Jauchzen, dein
Weinen in ewiges Lachen, dein Klagen in ewigen Jubel verwandelt sein. O, daran
denke, und ein Strahl der Freude wird auch in deine Seele fallen.
Sprich aber
endlich auch nicht, o Christ: Ich stehe an den Pforten des Todes und der
Ewigkeit; ich fühle schon den nahen Tod in meinen siechen elenden Gliedern;
oder ich bin ein Greis und habe bereits einen Fuß in meinem Grabe; wie kann ich
mich freuen? O du, der du in dieser Welt nichts mehr zu fordern hast, siehe
über die schwarze Totenbahre und über das dunkle Grab nur hinweg; hältst du
dich an das Kindlein in der Krippe, so ist deine Todesnähe ein Nahesein bei der
Krone, ein Eilen zur Herrlichkeit; siehe, schon rufen dich die jubelnden Chöre
der Engel und aller Seligen in ihren Kreis; wie darfst du traurig sein? --
O, meine
Lieben, so freut euch denn, o freut euch! Ihr könnt wahrlich nur dann nicht
selig werden, wenn ihr das Christkindlein, das euch schon geschenkt ist,
verwerft. Nehmt ihr es im Glauben an, so dürft ihr dann nicht mehr fragen: Was
sollen wir tun, dass wir selig werden? Das Christkindlein hat ja schon alles
getan und sein Tun euch schon geschenkt; nehmet ihr es an, so habt ihr
daher schon auch selbst alles getan, was Gott von euch fordert. Ihr dürft aber
dann auch (nicht sprechen: Aber unserer Sünden sind viele
und sie sind groß und schwer; wie können wir in den Himmel kommen, in den
nichts Unreines und Gemeines eingehen soll? Das Christkindlein hat ja schon
alle eure Sünden von dem Angesicht Gottes hinweggetragen und dies ist euch auch
schon geschenkt; nehmt ihr es an, so sieht daher Gott keine Sünde mehr an euch.
Sprechet aber auch nicht: Aber wie erlangen wir die Gerechtigkeit, ohne
welche niemand vor dem heiligen Gott erscheinen und bestehen kann? Die
Gerechtigkeit vor Gott hat euch ja das Christkindlein schon erworben und die
ist euch schon mit demselben geschenkt; nehmt ihr es an, so seid ihr daher vor
Gott gerecht. Sprechet aber auch nicht: Dürfen wir denn auch glauben,
dass wir so selige Menschen sind, welche rühmen können: Das Christkindlein und
alles, was es hat, ist unser? -- Ihr dürft nicht nur, ihr sollt
dies auch glauben, so gewiss ihr nicht nur glauben dürft, sondern auch
glauben sollt, dass Gottes Wort wahr ist: „Ein Sohn ist uns gegeben.“
Sprecht aber endlich auch nicht: Aber unser Glaube ist so schwach, denn unser
Herz ist kalt, finster und hart, voll von Furcht und Zweifeln. O bedenkt doch,
das Christkindlein ist euch schon, mit allem, was es hat, geschenkt; nehmt ihr
es nun mit einer wenn auch noch so schwachen Glaubenshand an, so habt ihr es
doch, wie das schwache Kind die ihm geschenkte köstliche Perle hat, die es in
seinen kleinen Händen hält; und mag dann immerhin sich das Christkindlein nicht
an euren kalten Herzen erwärmen, so wird doch euer Herz an dem Liebesfeuer des
Christkindleins warm werden, und endlich werdet ihr auch mit freudigem, starkem
Glauben triumphierend ausrufen: Ja, ja, es ist wahr: Das Christkindlein ist
auch mir „gegeben“. Halleluja!--
Wohlan, meine
Lieben, so habe ich euch denn hingeführt an den himmlischen Weihnachtstisch,
den euer Vater im Himmel euch auf Erden gedeckt und wirklich mit dem wahren „heiligen
Christ“ geschmückt hat; o steht nun nicht schüchtern von ferne, sondern lernt
hierbei etwas von euren Kindern: Hüpft und springt im Geist um den himmlischen
Weihnachtstisch und nehmt getrost den auch euch bescherten heiligen Christ in
eure Hände. So wird er euch in eurem Herzen zurufen: „Ich bin dein“, und
ihr werdet ihm dann antworten können: „Und du bist mein.“
O seliges
Weihnachtsfest, welches so schließt! Da ist auch das härteste Herz zur Krippe
geworden, in welcher das Christkindlein liegt, und da ist auch die
vertrocknetste Seele zum grünenden bethlehemitischen Feld geworden, über
welchem die himmlischen Heerschaaren jauchzen: „Ehre sei Gott in der Höhe, und
Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Amen.
„Fürchtet euch nicht; siehe, ich
verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“, so ließt
du, HERR Jesus, einst am Tag deiner Geburt einen himmlischen Boten den
erschrockenen Hirten Bethlehems zurufen. O welch ein Zuruf! Welch eine süße
Botschaft! Nicht Furcht, nicht Traurigkeit, sondern Freude, große Freude ist es
also, womit die Verkündigung deiner Geburt die Herzen der Menschen erfüllen
soll. O, so gib denn, dass die Weihnachtsbotschaft auch in diesen Tagen alle
Furcht und Traurigkeit von uns nehme und unsere Herzen mit Freude erfülle.
Nicht ein Strom, HERR Jesus, nein, ein Tröpflein, nur ein Tröpflein wahrer
Weihnachtsfreude ist es, um das wir dich bitten. Das schenke uns, so genügt
uns. So wollen wir dann auch mit einstimmen in den Lobgesang deiner heiligen
Engel, heute hier auf Erden an deiner Krippe, einst aber droben im Himmel an
den Stufen deines Thrones von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Lukas 2,1-14: Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot vom Kaiser
Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die
allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war. Und
jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein. jeglicher in seine Stadt. Da
machte sich auch auf Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das
jüdische Land zur Stadt Davids die da heißt Bethlehem, darum dass er von dem
Haus und Geschlecht Davids war, auf dass er sich schätzen ließe mit Maria,
seiner vertrauten Frau, die war schwanger. Und als sie daselbst waren, kam die
Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn
in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in
der Herberge. Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den
Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. und siehe des HERRN Engel trat zu
ihnen, und die Klarheit des HERRN leuchtete um sie, und sie fürchteten sich
sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige
euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der
Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt Davids. Und das
habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer
Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen
Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede
auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!
In dem neugeborenen Heiland, herzlich
geliebte Zuhörer!
Gibt es je eine Zeit, in welcher es ganz
unnötig, ja töricht zu sein scheint, innerhalb der christlichen Welt noch zur
Freude aufzumuntern, so ist das ohne Zweifel in der fröhlichen Christfestzeit
der Fall. Wer freut sich da nicht schon? Da sehen wir alle Kirchen gefüllt mit
ganzen großen Scharen festlich geschmückter Zuhörer, welche alle mit fröhlichen
Mienen und mit lauter Stimme ein Freudenlieb nach dem anderen anstimmen und den
Jubelgesängen ihrer Sängerchöre mit gleicher Freude lauschen. Da sehen wir,
dass alle Wohnungen, die der Armen wie die der Reichen, zu lauter Wohnungen der
Freude geworden sind. Selbst manche, welche sonst nichts von Christus wissen
wollen, sprechen am Christfest zu ihren Kindern von dem lieblichen
Christkindlein, das ihnen heute so viele schöne Sachen vom Himmel herabgebracht
habe. So scheint es denn, als ob wirklich die Weissagung des Propheten Jesaja
von der Freude am Tag der Geburt Christi an der ganzen christlichen Welt sich
auch heute wieder auf das herrlichste erfüllte, die Weissagung nämlich: „Vor
dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte; wie man fröhlich
ist, wenn man Beute austeilt.“
Wohl ist es auch wahr, meine Lieben, Ursache
sich zu freuen hat ja freilich heute jeder Mensch. Der Geburtstag Christi ist
wirklich der große Freudentag der Menschheit, der ganzen Welt; er ist’s für die
Kleinen wie für die Großen, für die Armen wie für die Reichen, für die Knechte
wie für die Herren, für die Gefangenen wie für die Freien, für die Kranken wie
für die Gesunden, für die Unglücklichen wie für die Glücklichen, für die
größten Sünder wie für die größten Heiligen, ja, für die Ungläubigen wie für
die Gläubigen. Denn so ruft ja der von Gott selbst aus dem Himmel auf die Erde
gesandte erste Christfestprediger aus: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich
verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren soll“,
worauf die Menge der himmlischen Heerscharen in vollem Chor singt: „Ehre sei
Gott in der Höhe und Friede auf Erden, und den Menschen ein
Wohlgefallen.“ Seht da, meine teuren Zuhörer, die Aufforderung zur Freude
ergeht also heute an „alles Volk“, ja, an alles, was nur „Mensch“
heißt, also auch an einen jeden unter uns, an mich und dich; keiner, auch nicht
einer von uns ist hier ausgenommen. Einem jeden unter uns ruft Gott
heute selbst durch seinen himmlischen Herold zu: Freue dich, o Mensch, freue
dich! –
Doch, meine Lieben, nicht jede Freude am
Christfest ist darum auch eine Christfestfreude. Damit ihr euch
nun heute nicht nur freut, sondern auch recht freut, so lasst mich euch in
dieser Stunde vorstellen:
Die
wahre Christfestfreude
Ich zeuge euch hierbei dreierlei:
1.
Worin die wahre Christfestfreude
bestehe,
2.
Wie sie in das Herz eines Menschen
komme, und endlich
3.
Wie wichtig es sei, dass jeder
Mensch, also auch wir, alle diese Freude in unserem Herzen erfahren.
1.
Wollt ihr, meine Lieben, wissen, ob eure
Freude am Christfest die wahre Christfestfreude sei, so kommt bei dieser Frage
alles darauf an, erstlich, was der Gegenstand und zum anderen, welches
die Art eurer Freude sei, oder mit anderen Worten, erstlich worüber
und zum anderen, wie ihr euch freut.
Ist nämlich erstlich der Gegenstand
eurer Freude hauptsächlich dies, dass ihr euch in diesen Tagen an einer mehr
als sonst reich besetzten Tafel leiblich ergötzen könnt, oder dass ihre euren
Kindern allerlei Schönes beschert und dieselben darum fröhlich jubelnd um euch
her springen und singen, oder dass ihre euren Freunden Weihnachtsgeschenke
austeilt und solche wieder von ihnen empfangt, oder dass ihr euch von lauter
Menschen mit fröhlichen Mienen und Gebärden umgeben seht und mit ihnen
fröhliche Gespräche halten könnt, oder dass ihr in diesen Tagen lauter
fröhliche Predigten hört und lauter fröhliche Lieder singt: Mögt ihr euch über
dies alles noch so sehr am Christfest freuen, eine wirklich, die wahre
Christfestfreude ist das noch nicht. Warum nicht? – Weil sie erstlich nicht den
rechten Gegenstand hat.
Worin dieser bestehe, das hat schon der
erste Weihnachtsprediger klar und deutlich gesagt. Nachdem nämlich der Engel
des HERRN den Hirten zugerufen hatte: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich
verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“, da setzte
er sogleich hinzu: „Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist
Christus, der HERR, in der Stadt Davids.“ Seht da, der Gegenstand
der wahren Christfestfreude ist also kein anderer als dieser, dass uns heute „der
Heiland“ geboren worden ist, der zugleich Gott „der HERR“ vom Himmel
selbst ist.
Wer es sich also zu Weihnachten nicht nur
gern vorpredigen lässt, sondern sich auch vor allem darüber freut,
dass Gott uns von ihm abgefallene Menschen nicht, wie er ja hätte tun können,
verstoßen, sondern sich unser erbarmt und uns einen Heiland, einen Erretter,
einen Erlöser, einen Seligmacher gesendet und gegeben hat; wer sich zu
Weihnachten vor allem darüber freut, dass Gott aus unbegreiflicher heißer Liebe
zu uns armen Sündern sogar seinen eingeborenen Sohn selbst ein Menschenkind hat
werden lassen, damit er die Menschenkinder weder zu seinen lieben Gotteskindern
mache; wer sich zu Weihnachten vor allem darüber freut, dass der ewige Sohn
Gottes selbst, um uns aus der Tiefe unseres Sündenelendes zu erretten, sich so
tief herabgelassen hat, dass er sich von einem armen Mägdlein in einem
finsteren schmutzigen Stall mitten unter den Tieren hat geboren werden lassen,
in armselige Windeln wickeln und, anstatt auf ein sanftes Ruhebettlein, in
einer harten Krippe auf Heu und Stroh legen lassen; wer sich zu Weinachten vor
allem darüber freut, dass die heiligen Engel, welche einst den gefallenen
Menschen den Eingang zum irdischen Paradies verwehrten, nun, nachdem Gottes
Sohn ein Mensch geworden ist, wider der Menschen Freunde geworden sind und
ihnen daher zuerst die Freudenbotschaft von der Geburt ihres Heilandes gebracht
haben; wer sich zu Weinachten vor allem darüber freut, dass die himmlischen
Heerscharen Christi Geburt mit den Worten besungen haben: „Ehre sei Gott in
der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“, dass also
durch Christi Geburt Gott die ihm von uns Menschen geraubte Ehre, die Erde den
verlorenen Frieden mit dem Himmel und die Menschen das verscherzte Wohlgefallen
Gottes wieder erlangt haben; wer zu Weihnachten sich vor allem darüber freut,
dass Satan, welcher die Menschen von Gott auf ewig los machen und sie mit sich
in die Hölle ziehen wollte, nicht gewonnen, sondern verspielt hat und durch die
Menschwerdung des Sohnes Gottes für immer besiegt ist; wer zu Weihnachten sich
vor allem darüber freut, dass durch Christi Geburt alles, was der Mensch böse
gemacht, wieder gut gemacht worden, aller Menschen Sündenschuld getilgt, allen
Menschen eine vor Gott gültige Gerechtigkeit wieder erworben, allen Menschen
die Seligkeit wieder teuer erkauft und allen Menschen der Himmel wieder
aufgetan worden ist: Wer, sage ich, zu Weihnachten sich vor allem über dies
alles freut, dessen Freude hat den rechten Gegenstand, dessen Freude am
Weihnachtsfest ist daher auch die wahre Weihnachtsfreude.
Vielleicht wird aber nun mancher unter euch
sagen: Wohl ist es, Gott weiß es, wirklich das Christkindlein selbst, worüber
ich mich in dieser Christfestzeit vor allem freue; aber ach! meiner Freude
fehlt die rechte Art; denn wenn ich bedenke, wie groß die Liebe Gottes
ist, die sich in Christi Geburt offenbart hat, und wie unwürdig gerade ich
dieser Liebe bin, so muss ich mich schämen, dass ich mich noch so wenig darüber
freue. Ach, meine Augen sollten heute von heißen Freudentränen überfließen,
mein Herz sollte vor lauter Freude wallen wie ein Meer, mein Mund sollte
überströmen von Lob und Preis Gottes, meine Füße sollten vor großer Freude
hüpfen und springen wie Davids Füße vor der Bundeslade; aber meine Freude über
das Christkindlein ist leider nur wie ein unter der Asche von allerlei Sorgen
und Zweifeln glimmerndes Fünklein. – O meine teuren Brüder und Schwestern, die
ihr so klagt, seid nur getrost! Wohl ist es etwas Köstliches, wenn ein Christ
am Christfest so recht mit Maria jubeln kann: „Meine Seele erhebt den HERRN,
und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes.“ Wohl ist es etwas
Köstliches, wenn ein Christ am Christfest mit Paulus sagen kann: „Ich bin
überschwänglich in Freuden.“ Allein, solche Freude gibt Gott nicht immer. Darin
besteht darum auch die rechte Art der wahren Christfestfreude nur
selten. Zwar haben allerdings die reinen Engel sich so gefreut; aber von
einer solchen überschwänglichen Weihnachtsfreude der Menschen am
Tag der Geburt des Heilandes lesen wir nichts. Das Einzige, was uns von den
bethlehemitischen Hirten erzählt wird ist, dass sie nach gehörter Engelspredigt
„eilend“ nach Bethlehem gingen, dass also ihre Freude nichts anderes als
das Christkindlein zum Gegenstand hatte,
und dass und nicht anderes der Magnet war, der sie mit süßer Gewalt nach
Bethlehem zog. Siehe darum, mein lieber Zuhörer, wen auch deine Freude etwa nur
darin besteht, dass auch du nach gehörter Christfestpredigt mit deinem Herzen
nach Bethlehem eilst, wenn auch du dich an dem Christkindlein nicht satt sehen
und über die in ihm offenbarte Liebe Gottes dich nicht genug verwundern kannst,
und wenn daher der finstere Stall, in welchem die menschgewordene Liebe Gottes
liegt, dir herrlicher und kostbarer erscheint und dir viel tausendmal lieber
ist als alle Prachtpaläste der Reichen dieser Welt: Dann ist das Tröpflein
deiner Freude die wahre Christfestfreude
und vor Gott schon ein mächtiger Strom, der endlich hineinfließen wird
in das unermessliche Meer der Freude des ewigen Lebens.
2.
Doch, meine Lieben, es entsteht nun die
wichtige Frage: Wie kommt eine solche Freude in eines Menschen Herz? Dies sei
daher auch nun das zweite, was ich euch durch Gottes Gnade zeigen will.
Wie die wahre Christfestfreude in das Herz
eines Menschen komme, das können wir ohne Zweifel wieder am besten und
sichersten an den bethlehemitischen Hirten lernen, welchen die Geburt Christi
einst unter allen Menschen zuerst verkündigt wurde. Was ist nun aber das Erste,
was uns von ihnen in unserem Evangelium erzählt wird? Es heißt da von ihnen,
als ihnen der himmlische Christfestprediger, mit des HERRN Klarheit umleuchtet,
erschien: „Und sie fürchteten sich sehr.“ Wie merkwürdig! Weit entfernt
also, das sie gedacht haben sollten, der Engel werde ihnen eine
Freudenbotschaft bringen, so meinten sie vielmehr, dass er gekommen sei, sie zu
schrecken. Ach, haben sie ohne Zweifel gedacht, das ist ein heiliger Engel, und
wir sind Sünder! Das ist ein Bote des großen Gottes, wir aber haben seine
heiligen Gebote, ach! so vielfach und noch heute übertreten und ihn daher ach!
so oft beleidigt und erzürnt! Wehe uns! Wehe uns! Wohin sollen wir fliehen, um
uns vor ihm zu verbergen? – Doch was geschieht? – Der Engel tut seinen Mund
auf, und siehe! Nicht schreckende, sondern die allerholdseligsten Worte gehen
über seine Lippen. Er spricht: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige
euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der
Heiland geboren, welcher ist Christus der HERR, in der Stadt Davids. Und das
habt zum Zeichen, ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer
Krippe liegen.“ Mit sprachloser Verwunderung hören das die lieben Hirten
an. Das Wort „euch, euch ist heute der Heiland geboren“ dringt wie
erquickender Himmelstau in ihre von Furcht erfüllten Seelen; dieses Wort
erleuchtet ihren Verstand, bewegt ihren Willen und erzeugt selbst in ihren
Herzen den Glauben daran; und siehe! Alle ihre Furcht ist plötzlich aus ihren
Seelen verschwunden, und Freude, große, unaussprechliche Freude zieht nun in
ihre Herzen ein.
Seht da, meine Lieben, das, das ist die Art
und Weise und keine andere, wie die wahre Weihnachtsfreude in eines Menschen
Herz kommt. Dieselbe entsteht nicht dadurch, dass sich ein Mensch am Christfest
selbst in eine fröhliche Stimmung zu versetzen sucht. Im Gegenteil: Wie man ein
schon mit Wasser angefülltes Gefäß nicht auch noch mit köstlichem Wein anfüllen
kann, so kann auch in einem mit selbstgemachter Freude erfüllten Herzen die
wahre Weihnachtsfreude keinen Raum finden. Der stets Vorläufer derselben ist
vielmehr bei jedem Menschen, wie einst bei den Hirten, die Furcht,
nämlich die Furcht vor Gottes Ungnade um seiner Sünden willen. Hört dann aber
ein solches furchtsames, verlegenes Herz die Weihnachtsbotschaft: „Fürchte dich
nicht, denn dir, ja, auch dir ist heute der Heiland geboren“, welch einen
Eindruck macht dies dann auf dasselbe! Dann kann ein solches Herz nicht anders,
es glaubt dieser Botschaft und mit diesem Glauben dringt dann die wahre
Weihnachtsfreude, wie eine Hochflut, mit Macht in dasselbe ein.
Wohl darum euch die ihr vielleicht heute
Morgen an diesem größten Freudenfest der Christenheit mit schwerem Herzen von
eurem Lager aufgestanden und daher auch vielleicht mit schwachem Herzen in
dieses unser Christfest-Kirchlein gekommen seid, ja, wohl euch, sage ich. Denn
meint nicht, dass euch darum von Gott ein freudenloses, trauriges Christfest
beschieden sei. Nein, tut nur das Eine: Hört aufmerksam auf die
Weihnachtsbotschaft: „Euch, auch euch ist heute der Heiland geboren“, so
wird das selbst den Glauben daran in euren Herzen anzünden, es leicht machen,
alle Furcht daraus vertreiben und mit Freude über Freude erfüllen. Ihr aber,
die ihr schon diesen Morgen mit Freude über den neugeborenen Heiland erwacht
und darum auch schon mit Freude hier versammelt seid, o, dankt nicht nur Gott
für diese große Gnade, sondern hört auch nur umso begieriger auf das Wörtlein „euch“,
„euch“, und verwandelt es in „mir“, „mir“; so wird die geheime Glut
eurer heutigen Christfestfreude zur hellen Flamme werden. O selig, selig seid
ihr, die ihr heute so Weihnachten feiert!
3.
Doch wie? meine Lieben, ist es denn auch
wirklich so wichtig, dass jeder Mensch, also auch wir alle die wahre
Weihnachtsfreude in unserem Herzen erfahren? Ja, wahrlich, meine Lieben. Und
das ist’s denn, worüber ihr mich endlich noch drittens einige Worte hinzusetzen
lassen wollt.
Mein Hauptgrund für die Wichtigkeit der
Weihnachtsfreude ist dieser, weil überhaupt nicht Traurigkeit, sondern Freude
das letzte allen Menschen von Gott für Zeit und Ewigkeit gesteckte Ziel ist.
Zwar ist die Erde jetzt kein Freuden-, sondern ein Jammertal. Aber nicht darum,
weil Gott, sondern weil der Mensch selbst sich durch seine Sünde die schöne
Erde zu einem Trauerort gemacht hat. Wäre der Mensch nicht von Gott abgefallen,
so würde daher auch die Erde für ihn nur ein Freudenort gewesen und
geblieben sein, aus welchem er nach kurzer Prüfung in den Ort vollkommener
Freude, in den Himmel, übergegangen wäre. Denn geschaffen ist der Mensch von
Gott nicht zur Traurigkeit, sondern zu zeitlicher und ewiger Freude. Und wie
der selige Gott, dieser ewig überfließende Brunnen aller Freude, die Menschen
allein zu zeitlicher und ewiger Freude geschaffen hat, so hat auch der
Sohn Gottes die Menschen allein zur Wiedererlangung dieser zeitlichen und
ewigen Freude erlöst. Daher denn auch der erste Bote, welcher von Gott
gesandt war, den Menschen die Geburt ihres Erlösers zu verkündigen, ihnen dabei
zurufen musste: „Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude.“
Der Zweck des Christfestes ist nicht dieser, dass wir nur nicht vergessen, dass
Christus geboren sei, sondern vor allem dieser, dass wir Christen zur Freude
über das Christkindlein erweckt werden. Wer daher das Christfest gefeiert hat,
ohne an demselben zur Freude über das Christkindlein erweckt worden zu sein,
der hat das Christfest vergeblich gefeiert.
Auf denn, meine Lieben, auf, freut euch! –
Oder warum wolltet ihr euch denn nicht freuen? – Etwa darum nicht, weil ihr
Sünder seid? O ihr Toren! Eben darum sollt ihr euch freuen; denn allein
um der Sünder willen ist ja Christus einst in Bethlehem geboren worden. Wären
die Menschen in der ihnen anerschaffenen Unschuld geblieben und keine Sünder
geworden, so wäre auch Gottes Sohn nicht vom Himmel gekommen. Gerade weil
ihr Sünder seid, habt ihr auch Ursache, euch zu freuen. – oder denkt und
sprecht ihr etwa, dass ihr euch darum nicht über das Christkindlein freuen
könnt, weil ihr von der Not dieses Lebens niedergedrückt seid? O ihr Toren!
Eben darum solltet ihr euch freuen, damit ihr sagen könnt: Wohl hat die
Welt für mich keine Freude, aber wohl mir, im Christkindlein habe ich eine
Freude, die mir alles ersetzt, was mir fehlt, so dass ich in aller meiner Not
mit jenem gläubigen Dichter sprechen kann:
Warum sollt ich
mich denn grämen?
Hab ich doch
Christus noch.
Wer will mir den
nehmen?
Wer will mir den
Himmel rauben,
Den mir schon
Gottes Sohn
Beigelegt im
Glauben? –
Oder wollt ihr
endlich etwa darum nichts von der Freude über den Heiland wissen, weil euer
Herz an den Freuden dieser Welt hängt? Die ihr vielleicht in diesem Augenblick
die Predigt nur mit halbem Herzen hört, weil ihr – ich meine besonders euch,
ihr jungen Männer und Frauen, – jetzt an die Weltfreuden denkt, denen ihr euch
in diesen Tagen hingeben wollt? O ihr Toren! Die Freuden dieser Welt sind
eitel, in Not und Tod verschwinden sie wie bunte Traumbilder und verwandeln
sich endlich in ewiges Herzeleid; aber die Freude über den Heiland bleibt auch
in Not und Tod, zeigt gerade da ihre selige Kraft und verwandelt sich endlich
in ewige Seligkeit.
Wohlan, meine herzlich geliebten Zuhörer,
so nehmt denn in diesen Tagen das Freudenkindlein zu Bethlehem aus seiner
Krippe heraus, legt es im Geist auf die Arme eures Glaubens und drückt es an
euer Herz. Was gilt’s? – Es wird euch freundlich anlachen. O, lacht es nur dann
wieder an; das ist alles, was dieses Kind von euch begehrt. Dann wird eure
Weihnachtsfreude auch nicht mit den Weihnachtslichtern verlöschen, sondern in
euren Herzen fortleuchten und fortbrennen, euch begleiten durch euer ganzes
Leben, alle Bitterkeit desselben, ja selbst den bitteren Tod euch süß machen
und euch endlich dahin führen, wo Freude die Fülle und liebliches Wesen zur
Rechten Gottes sein wird immer und ewig. Amen.
HERR Jesus! Du eingeborener Sohn des
lebendigen Gottes, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftiger Gott vom
wahrhaftigen Gott, du bist nicht nur um uns Menschen und um unserer Seligkeit
willen vom Himmel gekommen und ein Mensch geworden, gleichwie wir; sondern hast
auch, um deine vom Himmel gebrachte Seligkeit unter allen Menschen auszuteilen,
dies allen Menschen predigen lassen. Und schon haben auch wir in diesen Tagen
diese wunderbare, süße, selige Predigt vernommen. Für solche deine
unaussprechliche Liebe sei dir darum Lob, Preis und Dank gesagt heute und in
alle Ewigkeit. Aber, HERR Jesus, wir bitten dich auch, lass doch diese Predigt
auch an unser keinem vergeblich sein. Ach, du weißt ja, dass wir nicht
nur aus uns selbst keinen Rat wussten, wie wir selig werden könnten,
sondern dass wir, nachdem du für uns Rat geschaffen und uns denselben
offenbart hast, ihn nun auch nicht aus eigener Vernunft noch Kraft verstehen
und annehmen können. O, so öffne denn unser erblindetes Auge, dass wir die
Weisheit deines Rates zu unserer Seligkeit erkennen, und erfülle unser
erstorbenes und kraftloses Herz mit Leben und Kraft, dass wir diesem deinem Rat
auch folgen. Bewahre uns, dass wir nicht zu denen gehören, über die du klagst:
„Mit sehenden Augen sehen sie nicht und mit hörenden Ohren hören sie nicht.“
Behüte uns aber auch davor, dass wir uns nicht schon damit genügen lassen, die
Predigt von deiner wunderbaren und gnadenreichen Geburt nur etwa mit einer
vorübergehenden freudigen Verwunderung gehört zu haben; sondern hilf, o hilf,
HERR Jesus, dass, was uns in diesen Tagen gepredigt wird, wie Licht und Feuer
vom Himmel tief in unser Herz falle und das Licht des wahren Glaubens und das
Feuer brünstiger Liebe darin anzünde. Ach ja, ist es gestern in unseren Seelen
noch finster, öd und tot geblieben, so lass es heute endlich noch Weihnachten
werden, Weihnachten voll Licht, Leben und Freude. Amen! Amen!
Lukas 2,15-20: Und da die Engel von ihnen zum Himmel fuhren, sprachen
die Hirten untereinander: Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte
sehen, die da geschehen ist, die uns der HERR kundgetan hat. Und sie kamen
eilend und fanden beide, Maria und Joseph, dazu das Kind in der Krippe liegen.
Da sie es aber gesehen hatten, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von
diesem Kind gesagt war. Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die
ihnen die Hirten gesagt hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte
sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott
um alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.
Von Gott hochgeehrte und hochgeliebte
Zuhörer!
Was für eine Predigt ist gestern an unser
Ohr gedrungen! – Ach, welch eine Predigt! – Wahrlich, wenn wir heute wieder
daran denken, so müssen wir, was Christus einst seinen Jüngern zurief, heute
auch uns zurufen: „Selig sind die Ohren, die da hören, das wir gehört haben.
Denn wahrlich, viele Propheten und Könige wollten hören, was wir gehört haben,
und haben es nicht gehört.“ Denn was war es, was gestern in unser Ohr scholl? –
Es war eine Predigt nicht aus Menschen-, sondern aus Engelsmund. Und ihr Inhalt?
– Ein Wunder über alle Wunder und eine Freude über alle Freude. Denn wie
lautete des Engels Predigt? Sie lautete so: Gott der HERR selbst, der ewige,
allmächtige Schöpfer Himmels und der Erde, ist vom Himmel zu euch herab
gekommen, hat eure Natur an sich genommen, ist ein Mensch geworden, ein Mensch
wie ihr. O des Wunders über alle Wunder! Welches Wunder lässt sich mit diesem
vergleichen? Was ist selbst das Wunde der Schöpfung des Weltalls aus Nichts
gegen das Wunder, dass der unermessliche Schöpfer dieses Weltalls ein Mensch wird?
– Aber noch mehr: Nach der gestern unter uns erschollenen Engelspredigt ist
Gott nicht nur ein Mensch geworden, sondern eben dadurch auch unser Heiland
geworden. Was heißt das aber? – O Freude über alle Freude! Das heißt: Gott
selbst ist durch seine Menschwerdung aller Menschen vollkommener Erlöser
geworden aus allem ihrem zeitlichen und ewigen Wehe, aller Menschen
Gerechtigkeit wider ihre Sünde, aller Menschen Leben wider ihren Tod, aller
Menschen Heil und Seligkeit wider ihre Verdammnis.
Wie nun, meine Zuhörer? Gehört habt ihr sie
ja gestern alle, diese himmlische Wunder- und Freudenpredigt; habt ihr sie aber
auch bereits zu eurem Heil gehört? Hat sie auch ihren Endzweck an
euch erreicht? – Ach, eine solche Predigt vergeblich hören ist etwas
Schreckliches. Da hatte Gott mächtig, mit aller Gewalt seiner Liebe an das Herz
geklopft, aber man hat ihm nicht aufgetan; da hatte Gott in freier Gnade den
Himmel weit, weit geöffnet, aber man ist durch das weit geöffnete Gnadentor
nicht eingegangen.
Doch, meine Zuhörer, wie immer ihr euch
auch gegen die gestern gehörte himmlische Weihnachtspredigt verhalten haben
mögt, und wenn ihr dieselbe im Rausch der irdischen Weihnachtsfreude ganz
überhört hättet bis zu dieser Stunde: Noch ist die Christfestzeit nicht
verflossen, noch fließt ihr Gnadenstrom in unverminderter Stärke, noch sind
einige kostbare Stunden dieser gnadenvollen Zeit uns übrig, – o, lasst nur
nicht auch sie noch verrinnen, ohne dass ihr den Weihnachtssegen erlangt
hättet!
Wohlan, das gestrige Evangelium enthielt
die himmlische Christfestpredigt selbst; in dem heutigen Evangelium
werden uns nun in den Hirten von Bethlehem die ersten rechten Zuhörer
dieser Predigt vor die Augen gestellt. An ihrem Beispiel lasst mich daher auch
heute zeigen:
Was
sollen Zuhörer tun, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht
vergeblich gehört haben, sondern den vollen Segen derselben erlangen?
Ich antworte: Sie
sollen nach dem Beispiel der bethlehemitischen Hirten
1.
Dieselbe vor allem im Glauben
annehmen, aber
2.
Dieselbe in ihrem Herzen [Frieden
und Freude vertiefen][4],
und endlich
3.
Durch dieselbe nun auch selbst
lebendige Weihnachtsprediger zu werden anfangen
1.
Hätte es, meine Lieben, uns Gott zwar
predigen lassen, dass er selbst ein Mensch und dadurch unser Heiland geworden
sei, hätte er uns aber nicht auch offenbart, was wir tun müssten, damit uns
jene größte Tat seiner Liebe nicht vergeblich gepredigt werde, so müssten wir
uns nur verwundern über das Weihnachtsgeheimnis; aber zu einer wahren
Weihnachtsfreude könnten wir dann nicht kommen. Denn dann würden und müssten
wir denken: Je größer die Gabe sei, die uns Gott anbiete, etwas umso Größeres
und Schwereres werde gewiss auch das sein, was Gott von uns fordere. Aber
siehe, in seiner großen Liebe zu uns hat es uns Gott nicht nur gesagt,
was wir zu tun haben, sondern uns sogar lebendige Beispiele vor unsere Augen
gestellt, an denen wir dies, so zu sagen, mit Augen sehen können;
nämlich die lieben bethlehemitischen Hirten in unserem heutigen
Weihnachtsevangelium.
Was ist nun aber das Erste, was wir an
ihnen erblicken? Es ist nichts anderes als ein fester, unzweifelhafter
kindlicher Glaube an das, was ihnen gepredigt worden war. Wie sprechen
sie nämlich, nachdem der Engel des HERRN seine Weihnachtspredigt vollendet
hatte, die himmlischen Heerscharen ihr Jubellied ausgesungen hatten und endlich
alle diese himmlischen Weihnachtsgäste wieder zum Himmel gefahren waren? Sie
sprachen nach unserem Text: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die
Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der HERR kundgetan hat.“
Seht, sie sagen nicht zweifelnd und ungewiss: „Lasst uns die Geschichte
sehen“, die da geschehen sein soll, sondern: „Die da geschehen ist“;
sie sind also in ihrem Herzen ganz gewiss, dass das geschehen sei, was der
Engel ihnen gepredigt hatte. Sie sagen daher auch ferner von der ihnen
gepredigten Geschichte nicht: Die uns der Engel kundgetan hat, sondern: „Die
uns der HERR kundgetan hat“; sie achten also die Predigt des Engels nicht
für bloßes Engelswort, viel weniger für Menschenwort, sondern für des „HERRN“
Wort, also für das ewige, wahrhaftige, untrügliche Gotteswort, und den Engel
nur für Gottes Botschafter und Diener. Und noch mehr: Die Hirten sagen auch
nicht: Die der HERR den Menschen oder der Welt kundgetan hat;
sondern, das Wörtlein „Euch“, welches der Engel gebraucht hatte, in das
Wörtlein „Uns“ umwandelnd, sprechen sie wie triumphierend: „Die der
HERR uns, uns kundgetan hat“, und eignen sich so die ganze
wunderbare Freudenbotschaft, die sie gehört hatten, selbst zu und wollen also
damit sagen: O wir seligen Leute! Denn „uns“, „uns“ ist die große Freude
verkündigt, dass „uns“, „uns“ heute der Heiland geboren ist. – O welch
ein herrlicher Glaube! –
Oder hätten sie etwa, wenn sie ihrer
Vernunfthätten folgen wollen, keine Ursache gehabt zu zweifeln? Ja, wahrlich,
Ursache genug! Sehen wir doch auch aus den Schlüssen, die sie machten, dass
sie, obgleich nicht gebildete Leute, doch zum Zweifel klug genug waren. Nach
ihrer Vernunft hätten sie erstlich denken können, als die himmlische Klarheit
verschwand und es wieder plötzlich finstere Nacht um sie her wurde: Ach, was
wir eben zu hören und zu sehen gemeint haben, ist wohl nur ein liebliches
Phantasiespiel oder ein süßer kurzer Traum gewesen, aus welchem wir nun wieder
erwacht sind. nach ihrer Vernunft hätten sie auch denken können: Wie wäre es
möglich, dass eine solche herrliche himmlische Erscheinung, wenn sie keine
Täuschung wäre, nicht vielleicht den Hohen, den Reichen, den Weisen und Klugen,
den Priestern und Hohenpriestern zu Jerusalem, oder dem König und seinen
Gewaltigen, als gerade uns armen, einfältigen, verachteten Hirten zu Bethlehem
geschehen sein sollte? Wie wäre es auch möglich, dass eine so hohe Gnade und
Ehre nicht vielmehr etwa einem heiligen Propheten als gerade uns armen, großen,
unwürdigen Sündern widerfahren sein sollte, die wir im Gefühl unserer
Sündhaftigkeit schon beim Anblick eines Engels erschrecken? Nach ihrer Vernunft
hätten die Hirten aber endlich auch denken können: Wie! Ein in elende Windeln
gewickeltes, in einer Krippe, also in einem Stall liegendes Kindlein soll der
geweissagte Messias und König Israels, ja, soll Gott der HERR selbst und unser
und aller Welt Heiland sein!? – Ja, so hätten die lieben Hirten denken und
sprechen müssen, wären sie hier nach ihrer Vernunft vorgegangen. Aber was tun
sie? Sie geben keinem Zweifel Raum: Sie glauben. Ist das nicht
wunderbar? Worin liegt der Grund dieses Geheimnisses? Darin, meine Lieben:
Während die Klarheit des HERRN, von welcher der Engel umflossen war, sie nur
erschreckt und ihr Auge geblendet, und während die überirdischen Melodien der
himmlischen Heerscharen nur ihr Ohr ergötzt hatten, so war hingegen das Wort
der Engelpredigt mit so süßer Gottesgewalt in ihr Herz gedrungen, dass keine
Vernunftanstöße in ihrer Seele aufkommen konnten, sondern ein durch nichts
auszulöschender Glaube wie ein in ihrer Seele angezündetes Himmelslicht in
ihnen zu leuchten begann.
Seht da, meine Lieben, das Erste, was
Zuhörer tun müssen, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht
vergeblich gehört haben! Nicht eigene Gerechtigkeit und Heiligkeit ist also das
Nötige, nicht irgendein eigenes Verdienst oder eine eigene Würdigkeit, nicht
große schwere Werke, ja, gar kein Werk, sei es groß oder klein, sei es leicht
oder schwer, sondern allein – Glaube.
O, beraubt euch denn, meine Lieben, nicht
selbst durch Unglauben des Christfestsegens, den Gott einem jeden auch unter
uns zugedacht hat. O, lasst es doch darum nicht dabei bewenden, dass ihr die
trostvollen Weihnachtspredigten nur fleißig gehört habt oder dass ihr doch
durch dieselben mit einer freudigen Verwunderung erfüllt worden seid; denn auch
von den ungläubigen Einwohnern Bethlehems heißt es in unserem Text
ausdrücklich: „Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen
die Hirten gesagt hatten.“ Nein, folgt dem Beispiel der Hirten. Glaubt mit
ihnen: Was einst der Engel des HERRN predigte, ist gewiss und wahrhaftig
geschehen. Glaubt mit ihnen: Der HERR selbst ist es, der das Wunder über alle
Wunder durch den Engel kundgetan hat. Wohl könnt ihr diesen Glauben euch nicht
selbst geben; das kann Gott allein tun, aber er will es tun, und ihr, ach, ihr
könnt es hindern. O, so folgt denn auch darin den lieben Hirten, dass ihr nicht
auf die Stimme eurer Vernunft, sondern allein auf das Wort der
Weihnachtspredigt hört, so wird dieses Wort mit göttlicher Gewalt auch in euer
Herz dringen und ohne alles euer Zutun das Himmelslicht eines durch keine Welt
auszulöschenden Glaubens auch in euch anzünden, so dass auch ihr endlich mit
den Hirten jubilieren könnt: O wir seligen Meschen! O der großen Freude! Auch
uns, auch uns ist heute der Heiland geboren! Halleluja heute hier in der Zeit,
Halleluja einst dort in alle Ewigkeit!
2.
Doch, meine Lieben, aus dem Beispiel der
lieben Hirten von Bethlehem ersehen wir, dass diejenigen Zuhörer, welche die
gnadenvolle Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört haben, sondern den vollen
Segen derselben erlangen wollen, dieselbe auch an ihrem Herzen zu erfahren
suchen müssen. Davon lasst mich daher nun zweitens zu euch sprechen.
Warum gingen wohl die Hirten nach
Bethlehem? Offenbar nicht darum, weil sie erst sehen und dann glauben wollten;
sie glaubten ja offenbar schon, ehe sie sahen; sie sprechen ja, wie wir gehört
haben, ausdrücklich: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte
sehen, die da geschehen ist, die uns der HERR kundgetan hat.“ Sie
sagen also nicht: Lasst uns gehen, um uns nun auch von der Wahrheit dessen, was
wir gehört haben, zu überzeugen; lasst uns sehen, ob die Geschichte
geschehen sei; nein, im festen Glauben sprechen sie: „Die da geschehen ist.“
Die Hirten sind aber auch nicht darum nach Bethlehem gegangen, weil es ihnen
etwa streng geboten gewesen wäre. Denn obwohl es der Engel des HERRN allerdings
vorausgesetzt hatte, dass sie das tun würden, indem er sprach: „Ihr werdet
finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“, so hatte er
doch, dass sie das tun sollten, ihnen mit keinem Wort geboten. Sie
gingen also ganz freiwillig und ungezwungen, und zwar mit brennendem Verlangen
und wallender Herzensfreude; denn es heißt in unserem Text: „Und sie kamen
eilend.“ Sie gingen also in dunkler Nacht über Berg und Tal, wie im
Wettlauf: keiner wollte zurückbleiben, keiner auch nur der Letzte, vielmehr
jeder der Erste sein. Warum aber? Das sagt unser Text, wenn es darin heißt: „Da
sie es aber“, nämlich das Kindlein, „gesehen hatten, breiteten
sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kind gesagt war, … und kehrten
wieder um.“ „Sehen“ wollten sie also das neugeborene Wunderkindlein,
an dessen gnaden- und freudenreiche Geburt sie schon glaubten, um sich an
seinem holdseligen Anblick zu weiden. Dies allein und nichts anderes hatte sie
getrieben, ihre Herden zu verlassen und nach der Stadt Davids zu eilen; denn
nachdem sie das Kindlein gesehen und ohne Zweifel mit unaussprechlicher Freude
betrachtet hatten, kehrten sie, im Glauben mächtig gestärkt, alsbald wieder um.
Seht da, meine Lieben, das ist also das
Zweite, was Zuhörer tun müssen, damit sie die gnadenvolle Weihnachtspredigt
nicht vergeblich gehört haben, sondern ihres vollen Segens teilhaftig werden.
Auch sie müssen nämlich dann nach Bethlehem gehen. – Nicht dass sie also etwa
auch, wie die Hirten, mit ihren Füßen an jene heilige Stelle wallfahrten
müssten. Ach nein! Das himmlische Kind liegt ja längst nicht mehr dort in der
Krippe im finsteren Stall, sondern thront vielmehr bereits zur Rechten der
göttlichen Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart und Majestät in der Höhe, auf
Gottes Stuhl. Nein, was ein rechter Zuhörer, nachdem er die Weihnachtspredigt
wie die Hirten im Glauben angenommen, dann zu tun hat, ist, dass er nun im Geist
nach Bethlehem eilt, das ist, dass er nun, was er glaubt, [nun ihm auch von
Gott bekräftigt und Frieden und Freude vertieft werden][5].
Es ist nämlich freilich falsch, wenn man
nicht eher glauben will, als bis man das zu Glaubende in seinem Herzen
erfahren, gefühlt und empfunden hat; denn das ist es ja, was Christus einst an
Thomas mit den Worten strafte: „Dieweil du mich gesehen hast, Thomas, so
glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Allein nicht
weniger falsch ist es, wenn manche meinen, und damit ihr totes Kopfchristentum
rechtfertigen wollen, ein wahrhaft Gläubiger sei ein Mensch, der über dem, was
er glaube, [nicht Frieden und Freude fühlen und empfinden dürfe][6]; das sei nur
Gefühlsschwärmerei. Das wahre Christentum soll also bloß eine Sache des
Verstandes sein. Aber so ist es nicht. Das Reich Gottes ist, wie die Schrift
sagt, wohl zuerst Gerechtigkeit, aber dann auch Friede und Freude im Heiligen
Geist. Wie daher einen wahrhaft Gläubigen hungert und dürstet nach
Gerechtigkeit, so hungert und dürstet ihn auch nach diesem süßen Frieden und
nach dieser seligen Freude; wie denn David im Gefühl seiner Sünde ausdrücklich
seufzt und fleht, nicht nur: „Gib mir einen neuen gewissen Geist“, sondern
auch: „Und der freudige Geist enthalte mich.“
Wer daher mit den Hirten von Bethlehem die
himmlische Weihnachtspredigt gehört und im Glauben angenommen hat, der kann es
dann auch nicht lassen, der muss dann auch ungeheißen nach Bethlehem eilen, um
das Kindlein Jesus, an das er bereits glaubt, auch im Geist zu sehen, sich an
seinem Anblick zu weiden, kurz, [durch Vertiefung in das Wort][7] zu sehen und zu schmecken,
wie freundlich der HERR ist. Fühlt er sich nämlich auch nach der
Weihnachtspredigt kalt, finster, hart, tot, und leer, so zweifelt er zwar darum
nicht daran, dass der Neugeborene auch sein Heiland und er sein Begnadigter
sei, er spricht: „Ich glaub‘, was Jesu Wort verspricht, ich fühl‘ es oder fühl‘
es nicht“; aber es tut ihm weh, dass sein Herz so kalt und empfindungslos ist.
Er lässt es daher nicht dabei bewenden, dass er von Christi Geburt in der
Kirche hat predigen hören, er sucht ihn nun auch, aus der Kirche zurückgekehrt,
in seinem Haus, und zwar im geschriebenen Wort Gottes, in freudigen Liedern und
andächtigen Betrachtungen, ob er sich von ihm auch fühlen und finden lasse
wolle; oder er sucht einen Joseph und eine Maria auf, die Jesus in ihrer Mitte
haben, und erquickt sich durch geistliche Gespräche mit ihnen; oder er wirft
sich endlich in seinem Kämmerlein auf seine Knie und fleht: „O Jesus, mein
Heiland, an den ich glaube, o komm doch auch in mein armes Herz!“ Und siehe!
Sein Gebet wird ihm dann zumeist, wiewohl nicht immer, nach seinem Wunsch auch
endlich erhört; sein Kämmerlein verwandelt sich in ein Bethlehem, sein Herz in
eine Krippe, in der Jesus liegt. Da feiert er denn so selige Stunden, dass ihn
däucht, er sei schon im Himmel; Stunden, gegen die er aller Welt Gut, Freude,
Ehre und Herrlichkeit für nichts achtet. [Gibt ihm aber Christus solche
Empfindungen nicht, so ist er doch zufrieden und hält sich an das Wort und
dankt über dem, was er im Wort liest und Gott ihm darin zugesagt hat.][8]
[Solche Zuhörer haben die Weihnachtspredigt
nicht vergeblich gehört.][9]
3.
Doch, meine Lieben, zum vollen Segen
derselben gehört noch eins, und das ist: Dass sie durch die Weihnachtspredigt
nun auch selbst lebendige Weihnachtsprediger zu werden anfangen. Darüber
lasst mich denn nun drittens nur noch einige wenige Worte hinzusetzen.
Kaum waren die Wechselgesänge der
Engelchöre verklungen, da öffneten nach unserem Text nun die Hirten ihren Mund,
die bisher nur sprachlos gehört und gestaunt hatten. Und wovon redeten sie nun?
Unterhielten sie sich etwa über den strahlenden Glanz des Erzengels, den sie
gesehen, oder über die himmlische Musik, die sie gehört hatten? Nein, die Predigt,
die sie gehört hatten, ist der Gegenstand ihrer Rede. Die hat ihr Herz so
gänzlich erfüllt, dass sie darüber selbst die gesehene und gehörte himmlische
Herrlichkeit ganz vergessen oder doch nicht groß achten. Der Engel schweigt, so
wird nun ein Hirte des anderen Weihnachtsprediger. Aufmunternd rufen sie
einander zu: „Lasst uns nun gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen,
die da geschehen ist.“
Nachdem sie aber hierauf alle wie im Flug
nach Bethlehem geeilt und daselbst angekommen sind, da ist zwar das Erste, was
sie hier tun, dass sie das in der Krippe liegende Himmelskind mit stummer
Freude beschauen; „da sie es aber gesehen hatten“, heißt es in unserem
Text, „breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kind gesagt
war“. Die sonst so verlegenen und nicht redebegabten Hirten werden also nun
ganz Bethlehem und selbst Josephs und Marias Weihnachtsprediger, durch die das
ganze Städtlein eine mächtige Erweckung der Herzen erfährt; denn es heißt: „Und
alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt
hatten. Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen.“
Dass nun aber die Hirten nicht etwa in
geistlichem Stolz oder in schwärmerischem Sinn als Weihnachtsprediger unter
sich und gegen andere auftraten, dies sehen wir daraus, dass es am Schluss
heißt: „Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles,
das sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war.“ Sie geben
also allein Gott alle Ehre, den loben und preisen sie, und sie achten sich nun
nicht etwa für zu hochbegnadigte Personen, um ferner Hirten zu bleiben; nein,
sie kehren zu ihrem irdischen Beruf zurück, um in demselben Christus nun auch
mit ihren Berufswerken in einem neuen Leben im Glauben zu predigen. –
Warum mag nun aber der Heilige Geist gerade
hiermit seine Beschreibung der ersten Zuhörer der ersten Weihnachtspredigt auf
Erden schließen? – Erstlich ohne Zweifel darum, damit wir Christen, die wir die
gnadenvolle Weihnachtspredigt auch gehört haben, darüber schamrot werden, wenn
wir nach derselben über das Gehörte darum stumm sind, weil entweder unser Herz
so leer geblieben ist, dass es freilich nicht überfließen kann, oder weil wir
uns schämen, den Heiland gegen andere, namentlich gegen Ungläubige über unsere
Lippen zu bringen. Zum anderen will aber der Heilige Geist uns ohne Zweifel
durch das Beispiel der Hirten anfeuern, dass wir nach gehörter
Weihnachtspredigt nun auch selbst lebendige eifrige Weihnachtsprediger werden
mit Worten und Werken.
O, so lasst uns denn, meine Teuren, unser
diesjähriges Christfest nicht schließen, ohne anzufangen, solche
Weihnachtsherolde zu werden. Nachdem die einfältigen Hirten darin vorangegangen
sind, kann nun kein Mensch sich damit ausreden, er sei zu einem
Weihnachtsprediger zu einfältig, er trage den Segen wohl im Herzen, aber
denselben in Worten auszudrücken, das sei nicht seine Gabe. Ach, wenn nur unser
Herz voll von Jesus ist, so wird auch unser Mund von ihm übergehen; ja, da
werden auch wir, wie die Hirten selbst den himmlischen Glanz und die himmlische
Musik über der Weihnachtspredigt vergaßen, über derselben noch vielmehr den
irdischen Festglanz vergessen. Dann werden in diesen heiligen Tagen die eitlen
Reden in unseren Häusern verstummen, und Vater und Mutter werden zu ihren
Kindern, der Gatte zu seiner Gattin, der Hausherr und die Hausfrau zu ihren
Angestellten, Brüder und Schwestern zu ihren Geschwistern, Freunde zu ihren
Freunden, Nachbarn zu ihren Nachbarn vor allem von dem reden, was ihnen in diesen
Tagen gepredigt worden ist. Dann werden wir aber, wie die Hirten, auch nach
dem Christfest lebendige Weihnachtsprediger bleiben, indem wir zu unserem
irdischen Beruf zurückkehren, und nun nicht allein mit Worten, sondern auch mit
den Werken eines neuen Lebens predigen und so unsere Häuser, Gast- und
Speisezimmer, Schlafkammern, Werkstätten und Geschäftsplätze zu lauter Kanzeln
unseres geistlichen Priestertums machen.
Nun denn, meine teuren Brüder und
Schwestern in dem HERRN, noch wenige Stunden – und unser schönes Christfest ist
wieder dahin, und Gott alleinweiß es, wer unter uns noch einmal ein Christfest
erleben wird; so rufe ich euch denn am Ausgang dieses zu:
Lobt ihn mit Herz
und Munde,
Welchs er uns
beides schenkt.
Das ist ein selge
Stunde,
Darin man sein
gedenkt.
Sonst verdirbt
alle Zeit,
Die wir zubringn
auf Erden;
Wir sollen selig
werden
Und bleibn in
Ewigkeit.
Amen.
In deinem Namen, o Jesus, fangen wir heute
wieder ein neues Jahr unserer irdischen Pilgerschaft an. In deinem Namen, o
Jesus! – Darum gedenken wir heute der tausendfältigen Wohltaten, welche du im
vergangenen Jahr uns aus laut er Gnade und Barmherzigkeit nach Seele und Leib
hast genießen lassen. Wer kann sie zählen, die Beweise deiner Liebe, die wir
Unwürdige erfahren haben! – Aus wie viel Nöten hast du uns errettet, in wie
viel Gefahren hast du uns geschützt, in wie viel Bedrängnissen uns geholfen,
bei welchem Mangel uns doch allezeit gespeist, getränkt, bekleidet, beherbergt,
aus wie viel Irrwegen uns zurückgeführt, wie viel Torheiten und Sünden an uns
mit Geduld und Langmut getragen! Wie gnädig hast du besonders deine Hand über
dieser teuren Gemeinde gehalten! Wie mächtig hast du den Ratschlag des Satans
zunichte gemacht, sie ins Verderben zu führen! Wie kräftig hast du dich dieser
teuer erkauften Seelen selbst angenommen! O Jesus, du hast uns wohl gezüchtigt
um unserer Sünde willen, aber deine Gnade hast du nicht von uns gewendet. Dafür
danken wir dir heute in diesen ersten Stunden des neu uns geschenkten Jahres
mit demütigem Herzen und geben deinem heiligen Namen dafür Lob, Preis, Macht
und Ehre.
Aber, o Jesus, wie du im alten Jahr mit uns
gewesen bist, so begleite uns nun mit deiner Gnade, Geduld und deinem Segen
auch in das neue. Lass vor allem keinen unter uns in Unbußfertigkeit in
dasselbe eintreten, und hilf, dass wir in dem neuen Jahr alle, alle ein neues
Leben anfangen und nun alle in wahrer Gottesfurcht, in Eifer, in Liebe und
Frieden gemeinschaftlich unverrückt dem Weg zum Himmel gehen. O lieber HERR,
wovor sollten wir uns dann fürchten? Durch deine Gnade werden wir dann in
unserer Schwachheit stark und durch deinen Segen in unserer Armut reich sein.
Mag unsere Zukunft dunkel und ratlos scheinen und kein Mensch uns helfen
wollen: Auf dich werfen wir alle unsere Sorgen, und da können wir ruhig sein;
du wirst uns leiten nach deinem Rat und alles herrlich hinausführen. Du wirst
zuschanden machen, die uns Übels gönnen, und zunichte machen die Weissagungen
derer, die uns Unglück verkündigen. Nun, HERR, wir trauen auf dich; lass uns
nimmermehr zuschanden werden. Amen. Amen.
Geliebte in dem HERRN Jesus!
Jesus soll aller unserer Dinge A und O,
Anfang und Ende sein. Auf seinen heiligen Namen sind wir getauft; wir sind
daher nicht mehr ein Eigentum unserer selbst, sondern Jesu Eigentum; ihm haben
wir uns in unserer Taufe mit allem, was wir sind und haben, denken, begehren,
reden und tun verschrieben und verlobt. In Jesu Namen sollen wir daher alles
anfangen, fortsetzen und vollenden. Wir sollen nicht nur nach dem Zeugnis des
Wortes Gottes in Jesu Namen beten, nicht nur in seinem Namen uns versammeln;
St. Paulus verlangt mehr; in diesem Namen schließt er alles ein; er spricht
Kol. 3,17: „Alles, was ihr tut, mit Worten oder mit Werken, das tut alles im
Namen des HERRN Jesus.“ Nichts ist also ausgenommen; in Jesu Namen sollen nicht
nur die Werke von uns getan werden, welche sich auf das ewige Leben beziehen,
sondern auch die, welche das gegenwärtige Leben angehen, nicht nur die Werke
unseres Christentums und der Gottseligkeit, sondern auch die unseres irdischen
Berufs, nicht nur die großen wichtigen, sondern auch die kleinsten und
geringsten.
Aber was heißt das: Wir sollen alles in
Jesu Namen tun? Das heißt: Wir sollen nichts tun nach eigenem Willen und
Gutdünken, sondern allein das, wovon wir gewiss wissen, Christus habe es uns
entweder befohlen oder doch vergönnt; es gefalle ihm daher wohl. Ferner heißt
dies so viel: Wir sollen nichts anfangen, nichts tun auf unsere eigene Kraft
und Weisheit, sondern in Demut, in Verzagen an uns selbst, im alleinigen
Vertrauen auf den Beistand und den Segen des HERRN. Denn gleichwie der Mund
spricht: „Das walte Gott“, so muss das Herz auch gewiss sein und mit festem
Glauben dafürhalten, dass Gott über dem Werk walte und das Gedeihen gebe; wie
St. Petrus spricht: „Wer etwas tut, der tue es aus dem Vermögen, das Gott
darreicht.“ Weiter heißt „in Jesu Namen alles tun“ so viel: Alle unsere Werke
nicht auf eigenen Nutzen oder Ruhm, sondern einzig auf Gottes Ehre und zu des
Nächsten Nutzen richten und selbst keine Ehre davon genießen wollen; wie St.
Paulus spricht: „Ihr esst nun oder trinkt oder was ihr tut, so tut alles zu
Gottes Ehre.“ Endlich heißt „in Jesu Namen alles tun“ auch: Alles unter
herzlicher, inbrünstiger und gläubiger Anrufung Christi, unter stetem Bitten
und Seufzen um seine Gnade alles vornehmen.
Wer also etwas tut, was ihm von Christus
nicht befohlen oder doch vergönnt ist oder im Vertrauen auf seine Kraft und
Klugheit, auch in irdischen Dingen; wie viel mehr in himmlischen! Oder wer
etwas tut zu seinem Nutzen und zu seiner Ehre und nicht einzig zu Gottes Ehre
und nicht in herzlicher Liebe zu seinem Nächsten, sondern in Hass, Bitterkeit
und Feindschaft oder endlich ohne Anrufung Christi, ohne in seiner Gnade zu
stehen und von seinem Geist getrieben zu werden: der tut alles in seinem
eigenen Namen; an dessen Werken ist nichts Gutes, Gott sieht sie nicht an, sie
sind ihm ein Greuel und er verwirft sie, hätten sie auch einen noch so guten
Schein und wären sie auch mit noch so großer Arbeit und Mühe verbunden. Was
aber auf Christi Geheiß, in demütigem Vertrauen auf seine Hilfe, mit
Verleugnung unserer selbst, zu Christi Ehre und unseres Nächsten Heil unter
herzlichem Seufzen und Flehen unternommen wird, das geschieht in Jesu Namen,
hat unter seinem Beistand guten Fortgang und gefällt Gott in Christus wohl, so
klein, gering und unansehnlich auch das Werk sein mag.
Welch eine große Aufgabe hat also der
Christ! Wer vieler Leben und Werke werden an diesem Probierstein zuschanden!
Wie wenige tun alles im Namen Jesu! Manchem wird das vielleicht unmöglich
schienen. Aber es ist wohl möglich; wer in Christi Gnade steht und Christus in
sich wohnen hat, seine Liebe, seine Demut, seine Sanftmut und den Trieb des
Heiligen Geistes, dem ist dies alles nicht so schwer, ja, nach seinem neuen
Menschen kann er dann gar nicht anders; er müsste erst Christi Gnade, Glauben
und gutes Gewissen wegwerfen, ehe er nicht alles im Namen Jesu tun sollte, und
übereilt ihn einmal eine Schwachheit kehrt er schnell weinend zu seinem Heiland
zurück, klopft wieder an seiner Gnadenpforte und ruht nicht, bis sein Gewissen
wieder gereinigt ist.
Sollen wir nun, liebe Freunde, alles im
Namen Jesu tun, wie sollen wir da wohl das neue Jahr anfangen? Auch nicht in
unserem, sondern in Jesu Namen. Darauf weist uns das heutige Evangelium.
Lukas 2,21: Und
da acht Tage um waren, dass das Kind beschnitten würde, da ward sein Name
genannt Jesus, welcher genannt war von dem Engel, ehe denn er in Mutterleib
empfangen ward.
Das verlesene Evangelium ist ohne Zweifel
zuerst darum auf den heutigen Tag verlegt worden, weil Christus gerade heute,
nämlich acht Tage nach seiner Geburt, beschnitten worden ist. Aber da Christus
hierbei der Name Jesus das erste Mal öffentlich beigelegt worden ist, so sollen
wir unstreitig dadurch daran erinnert werden, dass ein christlicher Anfang des
neuen Jahres im Namen Jesu geschehen müsse. Damit beschäftige sich daher auch
jetzt unsere Andacht:
Wie
wahre Christen das neue Jahr im Namen Jesu anfangen
1.
Jesus ist es, dessen sie sich
trösten bei der Erinnerung an die Sünden der Vergangenheit;
2.
Jesus ist es, dem sie sich
übergeben bei ihren Entschließungen in der Gegenwart; und
3.
Jesus ist es, auf den sie hoffen
bei ihrem Blick in die Zukunft.
1.
Die Feier des Neujahrsfestes ist, meine
Freunde, erst seit ungefähr 800 Jahren in der Christenheit eingeführt worden.
In den ersten Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung war der heutige Tag
kein Fest- sondern ein Trauertag, an welchem man betete, fastete und weinte. An
diesem Tag stellten nämlich die Heiden große Opfer, prächtige Gastereien,
unzüchtige Tänze und blutige Schauspiele an. Augustinus sagt daher: „An diesem
Tag fasten wir Christen und seufzen für die Heiden, die daran fröhlich sind.“ Wir
sehen hieraus, welchen großen Ernst und Eifer die ersten Christen gegen die
Sünde bewiesen. Selbst bei den Sünden anderer, die in ihrer Nähe vorgingen,
begegneten sie ihrem Gott und reifen ihn bußfertig an, dass er sie dieser
Sünden nicht teilhaftig werden lassen und dieselben ihnen nicht zurechnen
wolle. Sie trachteten mit großem Ernst danach, in das neue Jahr keine
unvergebenen Sünden mit hinüber zu nehmen, sondern dasselbe unter Gottes Gnade
und Wohlgefallen anzutreten.
Haben nun die ersten Christen solchen Ernst
gegen fremde Sünden bewiesen, wie viel mehr wird es nötig sein, ihn gegen die
eigenen zu beweisen!
Ja, liebe Zuhörer, wollen wir das neue Jahr
in Jesu Namen anfangen, so müssen wir vor allem danach trachten, in seiner
Gnade es zu beginnen und bei der Erinnerung an die Sünden der Vergangenheit uns
seiner trösten zu können. Der wahre Christ weicht heute der Erinnerung an seine
vorigen Sünden nicht aus; er denkt nicht, weil es Sünden vergangener Zeiten
sind, dass sie darum auch mit jenen Zeiten von selbst vergangen seien; er wähnt
nicht, dass die Zeit Wunden des Gewissens heilen könne; er sucht sie nicht zu
vergessen und aus seinem Gedächtnis zu vertilgen; er glaubt nicht, wenn er
ihrer nicht mehr gedenke, dass sie auch bei Gott in Vergessenheit geraten; er
sucht sich nicht darüber zu beschwichtigen. O nein, seine Sünden sind dem
Christen die erste Sorge im neuen Jahr. Die Abrechnung seiner Sündenschuld ist
die erste Rechnung, die er hält. Damit muss er sogleich aufs Reine kommen. In
Jesu Namen will er anfangen, und er weiß, das kann er nur, wenn er durch ihn
Gnade hat. Die ersten Fragen, die der wahre Christ daher im neuen Jahr an sich
tut, sind diese: Sind mir auch meine Sünden vergeben? Sind mit dem alten Jahr
auch alle meine alten Sünden verschwunden? Habe ich keine mit hinübergenommen?
Stehe ich in Gnaden? Stehe ich im Glauben? Kann ich gewiss sein, Gott sehe
heute auf mich mit Wohlgefallen herab als auf sein Kind? Kann ich gewiss sein,
Gott spreche heute auch zu mir: „Fürchte dich nicht und lass dir nicht grauen,
ich bin mit dir; ich werde dich, mein Kind, nicht verlassen noch versäumen, ich
begleite dich durch das neue Jahr“? Und siehe, auf alle diese Fragen spricht
der wahre Christ ebenso freudig wie demütig: Ja, ich weiß es, du bist mein
Jesus, mein Seligmacher, mein Heiland, mein HERR, der meine Gerechtigkeit ist;
ich habe dich in meiner Sündennot angerufen, und du hast mich erhört und hast
mir das Pfand meiner Erlösung und Versöhnung gegeben, nämlich deinen Geist,
durch welchen ich rufe: Abba, lieber Vater! Darum ergreife ich auch heute
wieder deine Gerechtigkeit und wasche im Glauben mein Gewissen durch dein Blut.
Nun, meine Geliebten, habt ihr auch so den
heutigen Tag angetreten? Sind diesen Morgen auch eure Sünden die ersten Sorgen
des neuen Jahres gewesen? Habt ihr auch auf jene Fragen nach eurem Gnadenstand
mit Ja antworten und Christus im Glauben ergreifen können? Oder habt ihr an
eure Sünden gar nicht gedacht, oder habt ihr sie zu vergessen gesucht, oder
habt ihr sie euch selbst vergeben, ohne die Kennzeichen des wahren Glaubens an
euch wahrzunehmen? Dann habt ihr nicht in Jesu Namen angefangen, sondern in eurem
eigenen Namen. O, wie wollen wir denn dann unsere Sünden loswerden, wen wir sie
aus einem Jahr in das andere hinübernehmen? Wenn wir das Werk unserer Bekehrung
immer weiter und weiter hinausschieben? Wir wissen ja nicht, ob nicht schon
dieses das letzte unserer Lebensjahre sei. Soll der Tod uns ohne Christus
ereilen? Nun, noch ist der heutige erste Jahrestag nicht verstrichen; lasst uns
noch heute bußfertig zu Christus gehen; wer heute nur den Anfang macht, seine
Gnade redlich zu suchen, schon der fängt dann das Jahr in seinem Namen
an; seine Gnade geht schon heute über ihn auf, um seine Gefährtin zu sein durch
das ganze Jahr, ja, durch das ganze Leben, bis sie ihn durch einen seligen Tod
hinüberleitet in das Land der Vollendung und Seligkeit.
2.
Doch wahre Christen zeigen zweitens auch
dadurch, dass sie das neue Jahr in Jesu Namen anfangen, da er es ist, dem
sie sich übergeben bei ihren Entschließungen in der Gegenwart.
Zwar ist an einem Tag, wie der heutige,
gewöhnlich auch der Mund der falschen Christen und Weltkinder voll guter
Vorsätze und Versprechungen; aber sie haben weder den rechten Grund noch den
rechten Ernst noch den rechten Inhalt. Sie fangen daher das neue Jahr darum
noch nicht im Namen Jesu an. Der Grund ist bei ihnen: Sie wollen mit ihren
Versprechungen ihr Gewissen beruhigen und Gott wieder einmal zufriedenstellen;
aber heute versprechen sie, das ganze Jahr ein andres Leben anzufangen, und
schon morgen beginnen sie den alten Lauf; ihre Rührungen sind nichts als
Bewegungen ihres natürlichen Herzens, die schnell wieder verschwinden; sie
wissen auch gar nicht, was sie Gott eigentlich geloben sollen, sie kennen weder
sich noch die Erfordernisse des wahren Christentums.
Ganz anders ist es bei einem wahren
Christen. Der Grund seiner Versprechungen und Gelübde an dem heutigen Tag ist
der in ihm lebendige Trieb der Gnade, von der Sünde immer mehr befreit zu
werden und in der Heiligung zu wachsen, die Liebe zu Christus, zu seinem Wort
und Willen und zu allem, was gut, geistlich und himmlisch ist. Daher ist es
einem wahren Christen heute mit seinem Vorsatz ein wahrer Ernst, sich in dem
neuen Jahr ganz seinem Jesus zu ergeben. Er freut sich, dass sich ihm wieder
ein ganzes Jahr öffnet, in welchem er sich seinem Heiland opfern kann. Er freut
sich, noch in der Gnadenzeit zu leben, um nach manchem Fallen und Straucheln,
nach immer wiederkehrender Untreue Gott aufs Neue beweisen zu können, dass er
seine Sünden hasse und gern und wahrhaftig sein Gelübde der Besserung halten
und Gott bessere und reichere Früchte seiner Gnade bringen wolle.
Aber, was die Hauptsache bei einem wahren
Christen ist, er verspricht Gott nicht Besserung, ohne recht zu wissen, was er
damit meine. Er weiß nicht nur, was zum wahren Christentum gehört, er kennt
sich auch selbst; er weiß, worin es anders mit ihm werden muss; er kennt seine
Schwachheiten, er kennt seine bösen Lieblingsneigungen, er weiß, was ihn am
ersten stürzen und seiner Seele Gefahr bringen kann, er weiß, was es heißt,
versucht zu werden.
Wenn nun der wahre Christ heute das neue
Jahr in Jesu Namen anfangen will, so achtet er alles, was er vorher getan hat,
für nichts; er hält sich für einen unnützen Knecht und verwirft sein ganzes
voriges Leben. Er kündigt heute alles seinen Schwachheiten und
Lieblingsneigungen den krieg an; er beschließt, in dem neuen Jahr keiner
Trägheit wieder Raum zu geben, dem Willen seines Fleisches auf immer abzusagen,
und was seinem Fleisch angenehm ist, gern zu verleugnen, ehe er dadurch die
Gnadenwirkungen des Heiligen Geistes an sich hindern sollte; er will sich nie
wieder schonen, sich keine Ruhe gönnen und gegen die Sünde kämpfen bis aufs
Blut. Er gelobt Gott mit Ernst: In dem neuen Jahr soll kein unnützes Wort über
seine Lippen gehen; die Hoffart will er aus seinem Herzen verbannen, seinen
Eigenwillen unterdrücken, alles Vertrauen auf Menschen fahren lassen und keine
Lust noch Sorge dieser Welt soll sein Herz abziehen und beschweren.
Hingegen will er nun im neuen Jahr das
Evangelium zieren in allen Stücken; nie soll der Eifer in ihm erkalten; stets
soll sein Herz dem Heiligen Geist offen stehen; über alle Bewegungen seines
Herzens will er wachen; die Flamme des Gebets soll stets in ihm brennen; er
will als ein Auserwählter schreien zu Gott Tag und Nacht; das Wort Gottes soll
nicht von seinem Mund und nicht aus seinem Herzen kommen; Demut und Sanftmut
will er nun allezeit an sich sehen lassen; er will allezeit gering von sich
halten, mit den Niedrigen und Verachteten gern umgehen; die Stille suchen und
über niemand sich erheben; er will auch gern mit jedermann Frieden halten,
soviel an ihm ist; sich liebreich, freundlich und dabei ohne Falschheit gegen
jedermann beweisen. Auch seine irdischen Güter sollen ihm nie an seinem Herzen
kleben; der Arme soll in dem neuen Jahr ihrer reichlich genießen. Kurzum, der
wahre Christ gelobt Gott das Gelübde: Jesus will er seinen Leib, seine Seele,
sein Herz, seine Kräfte, seine Zeit, seine Gedanken, Worte, Gebärden und Werke,
ja, alles, alles, opfern, was er ist und hat; in sein Bild will er sich jeden
Tag mehr verklären lassen; er will den alten Menschen ablegen und den neuen
anziehen; im neuen Jahr soll es von ihm heißen: „Er ist eine neue Kreatur,
siehe, es ist alles neu geworden.“ Christus soll bei ihm werden alles in allem.
Er seufzt heute:
Höchster Priester,
der du dich
Selbst geopfert
hast für mich,
Lass doch, bitt
ich, noch auf Erden
Auf mein Herz dein
Opfer werden.
Trage Holz zu dem
Altar
Und verbrenn mich
ganz und gar.
Ach, du
allerliebste Liebe,
Wenn doch nichts
mehr von mir bliebe!
So fängt der
Christ das neue Jahr im Namen Jesu an.
Nun, meine Zuhörer, fühlt ihr heute auch
einen solchen lebendigen Trieb der Gnade in eurem Herzen, euch nun Christus
aufs Neue ganz zu übergeben? Freut ihr euch auch darauf, einem neuen Abschnitt
eures Lebens entgegenzugehen, in welchem ihr nun eine ganz andere Treue, einen
ganz anderen Ernst und Eifer als vorher beweisen wollt? Oder verspürt ihr
nichts von einem solchen Drang und von einer solchen Freude? Nichts von einer
solchen Liebe zu Christus, seinem Wort und Willen? Schweben eure Vorsätze nur
auf euren Lippen; kommen sie nicht aus dem Grund eures Herzens? Dann sucht
seine Gnade, so werden bald die ernstlichsten Entschließungen folgen.
3.
Das dritte endlich, wodurch ein wahrer
Christ das Jahr in Jesu Namen anfängt, ist dieses: Dass es auch Jesus ist,
auf den er hofft bei seinem Blick in die Zukunft.
Der Ungläubige ist bei dem Blick in die
Zukunft, selbst wenn sie noch so trübe ist, oft auch nicht hoffnungslos, aber
er baut seine Hoffnung auf etwas Falsches. Auf nichts weiter, als auf Christus
zu setzen, ist ihm unmöglich; das dünkt ihm doch zu gewagt, allein im Vertrauen
auf ihn in die unbekannte verhüllte Zukunft hineinzugehen. Oft sucht sich aber
der, welcher einen toten Glauben hat, zu bereden, er hoffe allein auf Christus,
aber ist ein solcher heute getrost, so ist er’s doch im Grund nur darum, weil
er sich auf das Gold und Silber verlässt, das er etwa noch hat; oder auf die
guten Freunde, von denen er sich Hilfe und Beistand in der Not verspricht; oder
er denkt: Was willst du sorgen? Du bist ja gesund und kannst arbeiten, du bist
geschickt und hast allerlei Fertigkeiten dir erworben, dir stehen tausend Wege
offen, dir dein Brot zu erwerben; oder er denkt: Du bist klug, du wirst schon
ein Mittel ausfindig machen, dir zu helfen. Elende Menschen! O des sterblichen
und zerbrechlichen Gottes, des sie sich trösten! Wie schnell kann Gott solche
Götzen umreißen! Gott sagt hierzu mit großem Ernst: „Verflucht ist, wer sich
auf Menschen verlässt und hält Fleisch für seinen arm und mit seinem Herzen vom
HERRN weicht!“ O des kläglichen sandigen Grundes, worauf sie ihre Hoffnung
bauen! Mit großem Ernst sagt Gott hiervon: „Die Hoffnung des Heuchlers wird
verloren sein. Denn seine Zuversicht vergeht und seine Hoffnung ist ein
Spinngewebe.“
O, wie ganz anders blickt hingegen der
Christ heute in das vor ihm liegende neue Jahr! Er tut es im Namen Jesu. Er
verhehlt sich zwar nicht die kümmerliche Lage, in welcher wir uns befinden; er
erkennt unsere völlige Entblößung von aller menschlichen Hilfe gar wohl; er
verbirgt sich’s nicht, wie gering die Vorräte und Mittel zu unserer Erhaltung
sind; ja, er erwartet von dem neuen Jahr viel neue Leiden, Trübsale, Mangel,
Bedürftigkeit und Bedrängnisse; und noch viel größere Anfechtungen erwartet er
im Geistlichen und Kirchlichen; mit Wehmut sieht er neuen noch nicht erfahrenen
Versuchungen zum Abfall, neuen Ärgernissen, allerlei Zerrüttungen, Entzweiungen
und Verwirrungen der Gewissen entgegen; er weiß es: Wo die wahre Kirche Christi
gepflanzt wird, da pflanzt sich notwendig auch das Kreuz auf; da kann der Satan
nicht feiern; kann er sie nicht überwältigen zur Rechten, so greift er sie zur
Linken an.
Aber um aller dieser trüben Aussichten
willen verzagt doch der Christ nicht. Er tröstet sich seines Jesus. Er weiß es:
„Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen.“ Gott wird den
Seinen nicht mehr auflegen, als sie ertragen können; er lässt sie nicht
versucht werden über Vermögen. Er lässt sie wohl eine kleine Zeit leiden, aber
nicht, um sie zu verderben, sondern damit ihr Glaube bewährt werde wie das Gold
im Feuer, und damit Gott zeigen könne, dass er sei ein Gott, der da hilft, und
ein HERR HERR, der auch vom Tod errettet. Der Christ weiß es auch: Der die
Vögel unter dem Himmel nährt, die nicht säen noch ernten, und der die Lilie auf
dem Feld so wunderbar kleidet, die doch nicht arbeitet noch spinnt, der wird
auch den Seinen geben, was sie bedürfen; so sie aber Nahrung und Kleidung
haben, so lassen sie sich genügen. Und warum sollte der Christ sich ängstigen
wegen der Gefahren, die der heiligen Kirche Christi drohen? Was vermögen alle
List, alle Klugheit, alles Macht, alle Ratschläge der Widersacher wider sie?
Hat sie nicht einen unbeweglichen Grund, einen göttlichen Stifter, einen
allmächtigen Schutzherrn, der darein sehen und mit starker Hand die Seinen
erretten und ihnen das Kleinod des Wortes Gottes, der unverfälschten
Sakramente, der Schlüssel des Himmelreichs, des rechtes Gottesdienstes und des
wahren Glaubens erhalten wird?
Oft kommen war dem wahren Christen hierbei
die Gedanken ein: Aber seid ihr nicht Sünder? Seid ihr eurem Gott nicht sehr
untreu gewesen? Kann nun nicht Gott zur Strafe eurer Sünde den Feinden
gestatten, euch in zeitliches und ewiges Elend zu stürzen? Aber auch hierbei
ist Jesus sein Trost; er ist gewiss, Gott straft keine vergebenen Sünden. Er
spricht daher mit Paulus: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? Welcher
auch seines eingebornen Sohnes nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns
alle dahingegeben. Wie sollte er mit ihm uns nicht alles schenken? Wer will die
Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will
verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch
auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes uns vertritt uns.“ Will dennoch
das schwache Herz des Christen sich nicht zufrieden stellen, so redet er es mit
David an: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre
auf Gott; denn ich werde ich ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe
und mein Gott ist.“
Welch ein getroster, in Gott ergebener und
herrlicher Anfang ist also der Anfang des neuen Jahres im Namen Jesu! O,
möchten wir alle so anfangen können! So würde gewiss für uns alle das kommende
Jahr ein gnädiges Jahr des HERRN sein, und wenn die Sonne dieses Jahres unseren
Grabhügel bescheinen sollte, so würden wir doch nur von allem Übel erlöst und
uns ausgeholfen sein zu Gottes himmlischem Reich, und dort würden wir
angefangen haben das große neue Hall- und Jubeljahr aller Seligen und
Auserwählten.
Nun, das gebe euch allen Jesus Christus,
euer Seligmacher. Er segne euch vor allem mit Gnade und Vergebung der Sünden,
mit seinem Heiligen Geist, mit Kraft und Licht, mit Beständigkeit und Treue. Er
segne euch mit Trost in allen Leiden und Ängsten, mit Friede und Freude in
allem Schmerz und aller Unruhe, mit Hilfe in aller Not und mit Erquickung in
aller Krankheit. Er segne euch mit seinem Wort und Sakrament, er segne eure
Kirche und Schule, er segne eure Kinder, eure Witwen und Waisen; er segne eure
Felder, Nahrungen und Hantierungen. Er segne euch im Tod, lasse euch Gnade
finden vor seinem Angesicht und schenke euch die Krone der Gerechtigkeit. Amen,
in Jesu Namen. Amen.
Es gibt kein Buch in der ganzen Welt,
dessen Verständnis m9it so vielen Schwierigkeiten verbunden ist, wie die
Heilige Schrift, Sie ist eine so tiefe und reiche Fundgrube der teuersten,
seligmachenden Wahrheiten, dass die Weisesten auf Erden nun schon dreitausend
Jahre Tag und Nacht darin geforscht haben, ohne ihren Reichtum ausgeschöpft und
ohne alle ihre geheimnisvollen Aussprüche zur vollen Klarheit gebracht zu
haben. Über kein Buch der Welt sind so viele Auslegungsbücher geschrieben
worden, wie über die Heilige Schrift. Und doch sind alle die vielen tausend
Bände nicht hinreichend, sie vollkommen zu erklären.
Diese Tiefe der Heiligen Schrift wird in
der römischen Kirche gewöhnlich als Grund angegeben, warum nicht jeder Laie sie
in seiner Muttersprache lesen solle. Man spricht, die Schrift sei dunkel, daher
werde sie von keinem Laien recht verstanden werden, wenn nicht die Kirche sie
auslegte. Aber hierin verbirgt man nur seine Schalkheit. Denn es ist etwas
ganze anderes, zu behaupten, die Schrift sei geheimnisvoll und unerforschlich,
als zu sagen, sie sei dunkel. Werdet ihr sagen, die Sonne sei dunkel,
weil wir Flecken an ihr wahrnehmen, die noch kein Naturforscher hat erklären
können? Gewiss nicht. Ebenso wenig ist auch die Heilige Schrift dunkel. Weil
sie Gottes Wort ist, enthält sie freilich unzählige Stellen, über deren Sinn
wir immer wieder zu forschen haben, aber der Rat Gottes zu unserer Seligkeit
ist darin so klar und helle offenbart, dass auch das einfältigste Kind ihn
darin lernen kann. Nein, die Heilige Schrift ist nicht dunkel, sie ist die
rechte Sonne aller Seelen, ohne welche sie nur in Nacht und Finsternis liegen
können. Daher David von ihr sagt: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte“ usw. Und
Jesaja sagt von ihr: „Sucht nun in dem Buch des HERRN und lest, es wird nicht
an einem derselben fehlen; man vermisst auch nicht dies oder das.“ Auch Christus
spricht zum Volk: „Sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewigen
Leben darin; und sie ist’s, die von mir redet.“ Von den Beroensern wird vor
allem gerühmt, dass sie forschten in der Schrift, ob sich’s auch so verhielte,
wie Paulus ihnen gepredigt hatte. Wird es nun an den Beroensern gelobt, dass
sie die Lehre der heiligen Apostel nach der Schrift prüften, wie viel wichtiger
ist es daher, dass ein jeder Laie jedes Menschen Lehre nach dem Wort Gottes
prüfe! Soll er das aber tun, so erkennen wir hieraus, dass die Schrift nicht
dunkel, sondern deutlich, hell und klar auch für den Einfältigsten sein müsse.
(Daher Johannes in dem Schlussbuch der Heiligen Schrift schreibt: „Selig ist,
der da liest und die da hören die Worte der Weissagung und behalten, was darin
geschrieben ist.“ Denn wie könnte Gott den Zuhörern nach einem Prüfstein prüfen
heißen, den sie selbst nicht verstünden?)
Gibt es aber irgendeine Geschichte Heiliger
Schrift, aus welcher wir erkennen können, dass das geschriebene Wort nicht
dunkel, sondern hell und klar, ja, der helle Leitstern ist allen, die den Weg
zum Himmel gehen wollen, so ist es unsere Festgeschichte von den Weisen aus dem
Morgenland. Diese wurden zuerst durch einen Wunderstern erweckt, aber derselbe
konnte sie nicht zu Christus führen, er verschwand bald wieder. Das Wort war
es, das sie nicht verließ, sondern ihnen immer hell voranleuchtete, als jener
sie längst verlassen hatte. Dies veranlasst mich, euch heute das Wort Gottes
als unseren rechten Leitstern zum Himmel anzupreisen.
Matthäus 2,1-12: Da Jesus geboren war zu Bethlehem im
jüdischen Land, zur Zeit des Königs Herodes; siehe, da kamen die Weisen vom
Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden?
Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.
Da das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm das ganze Jerusalem.
Und ließ versammeln alle Hohenpriester und Schriftgelehrten unter dem Volk und
erforschte von ihnen, wo Christus sollte geboren werden. Und sie sagten ihm: Zu
Bethlehem im jüdischen Land. Denn so steht geschrieben durch den Propheten: Und
du Bethlehem im jüdischen Land bist keineswegs die kleinste unter den Fürsten
Judas; denn aus dir soll mir kommen der Herzog, der über mein Volk Israel ein
HERR sei. Da berief Herodes die Weisen heimlich und erlernte mit Fleiß von
ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und wies sie nach Bethlehem und sprach:
Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagt
mir’s wieder, dass ich auch komme und es anbete. Als sie nun den König gehört
hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen
hatten, ging vor ihnen hin, bis dass er kam und stand oben über, da das
Kindlein war. Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das
Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und
beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und
Myrrhen. Und Gott befahl ihnen im Traum, dass sie sich nicht sollten wieder zu
Herodes lenken. Und sie zogen durch einen anderen Weg wieder in ihr Land.
Das
Wort Gottes der rechte einzige Leitstern auf dem Weg zum Himmel
1.
Das Wort allein lässt uns Christus
finden.
2.
Durch das Wort allein werden wir
auch bei ihm erhalten.
1.
Der Stern, meine Lieben, von dem unser
Evangelium berichtet, kann kein gewöhnlicher, natürlicher gewesen sein. Er
konnte ja nicht wie die anderen am Firmament gestanden haben. Denn dann wäre
unmöglich, dass derselbe, wie Matthäus berichtet, gerade oben über dem Haus, da
das Kindlein war, gestanden habe. Die natürlichen Sterne stehen so hoch, dass
wir bei unseren Bewegungen von einem Ort zum anderen keine Veränderung ihres
Standes wahrnehmen können. Dazu kommt noch dies: Bethlehem lag von Jerusalem
gegen Süden oder Mittag. Da nun der Stern die Weisen von Jerusalem nach
Bethlehem begleitet, so hat er daher von Mitternacht (Nord) nach Mittag (Süd)
seinen Lauf genommen. Alle gewöhnlichen Sterne gehen aber ohne Ausnahme nach
Morgen (Osten). Mit jenem Stern hatte es daher eine besondere Bewandtnis. Er
war von Gott besonders geschaffen und nicht an das hohe Firmament, sondern in
den niederen Luftkreis unserer Erde gestellt worden.
Obgleich nun die erwähnten Weisen aus dem
Morgenland höchst wahrscheinlich Gelehrte aus dem sogenannten glücklichen
Arabien gewesen sein mögen[10], die hauptsächlich in der
Stern- und Naturkunde erfahren waren, denn sie werden in der griechischen
Ursprache Magier genannt, womit dergleichen Gelehrte bezeichnet werden, so
haben sie doch die Bedeutung jenes Sternes nicht aus der natürlichen Wissenschaft
erfahren können. Gott musste daher dieselbe ihnen aus unmittelbarer Offenbarung
kundgetan haben.
Jener stumme Stern war es daher nicht, der
ihnen den Weg zu Christus gezeigt. Ohne Offenbarung des Wortes Gottes würde er
auch den Weisen ein Rätsel geblieben sein. Das Wort, das sie von Gott
vielleicht im Traum gehört, das war der unsichtbare Leitstern, der dem
sichtbaren erst Licht gab. Das Wort rieb die Weisen, in das jüdische Land zu
gehen und da den neugeborenen König der Juden zu suchen. – Da sie nun noch kein
Wort Gottes dafür hatten, an welchem Ort er zu finden sei, gingen sie zuerst in
die Hauptstadt des Landes; da, wo der Tempel stand mit allen seinen sichtbaren
Heiligtümern, wo ein König in seinem fürstlichen Schloss residierte und die
hohe Geistlichkeit, der Hohepriester und die Schriftgelehrten ihren Sitz
hatten, da, meinten sie, und nirgends anders sei der erschienene Thronerbe zu
suchen. Doch hierher hatten die Weisen nur ihre eigenen menschlichen Gedanken
geführt. In Jerusalem wusste man nicht nur nichts von einem neugeborenen König,
sondern die ganze Stadt, anstatt von Jubel erfüllt zu sein, erschrak, als sie
Kunde davon erhielt. Doch Herodes ließ hierauf alle Schriftgelehrten und
Hohenpriester sich versammeln, um aus der Schrift Antwort zu geben, wo nach den
Propheten der erwartete König geboren werden müsse. Die Antwort war: in Bethlehem.
Denn der Prophet Micha spricht: „Und du Bethlehem Ephrata, die du klein bist
unter den Tausenden in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel HERR
sei.“ Diese prophetischen Worte waren der himmlische Leitstern, der ihnen,
nachdem der irdische sie verlassen, nun wieder aufging. Auf diesen hellen Stern
des göttlichen Wortes wandten nun die Weisen allein das Auge ihres Glaubens,
nach diesem richteten sie sich, ohne zu fragen, ob Herodes und seine Großen mit
ihnen gingen. Sie achtete nun auf gar nichts mehr, auch nicht darauf, wie die
ganze Welt sich gegen den neugeborenen König stellte. Ohne Aufenthalt eilten
sie nach dem durch das Wort bezeichnete Bethlehem. Freude durchströmt ihr Herz,
da sie auf einmal den Stern wieder erblickten, und mit Jubel und Staunen werden
sie erfüllt, da sie ihn über einem kleinen Stall stehen bleiben sehen. Eilends
treten sie ein und sehen nun das Kindlein, aus dessen Antlitz unnennbare Milde,
gepaart mit göttlicher Majestät, strahlte.
Wer kann nun ihre Freude beschreiben? – Da
sie aus dem Mund der Maria hörten, was schon an diesem Kindlein geschehen, wie
der Engel seine Geburt angekündigt und den Namen Jesus ihm gegeben, wie bei
seiner Geburt der Engel den Hirten erschienen und die himmlischen Heerscharen
ihre Loblieder gesungen; da sie das hörten, fielen sie nieder auf ihr Angesicht
und beteten das wunderbare Kind an.
Seht, da haben wir ein herrliches Vorbild
für die, welche den rechten Weg zum Himmel und Christus Jesus in seiner Krippe
finden wollen. Wir Menschen sind von Natur alle den Weisen gleich, wir wohnen
erst alle auf Erden wie in dem glücklichen Arabien, das heißt, wir suchen in
dieser Welt unser Glück, wir durchsuchen wie die Weisen die Erde und finden den
rechten Schatz nicht schauen hinauf zum Himmel und finden den rechten Stern
nicht, gehen sicher dahin und wissen nicht, was zu unserem Frieden dient, keiner
trachtet nach dem Einen, das not ist, und so hängt unser Herz an den Dingen,
Freuden, Sorgen und Ehren dieser Welt.
Doch wenn uns große Not in dieser Welt
betrifft, wenn das Gesetz Gottes in seiner Schärfe und mit seiner Drohung
gepredigt wird, so geschieht es, dass wir nun durch Gottes Gnade einsehen
lernen: In dieser Welt ist nicht das wahre Glück zu finden; wir erkennen uns
als arme Sünder, die keinen gnädigen Gott im Himmel haben, in unserem
gegenwärtigen Zustand nicht selig werden können. Wenn wir dahin kommen, so wird
Gott einen Stern im Morgenland erscheinen lassen, so dass wir in der Welt keine
Ruhe mehr finden können, mit den Weisen ausgehen und rufen: „Wo ist der
neugeborene König der Juden?“ O, wohl dem Menschen, der durch Gottes Gnade
so weit gekommen, dass er in der Welt keine Befriedigung mehr für sein Herz
findet! Wohl dem, den Gold, Weihrauch und Myrrhen dieses irdischen Arabiens
nicht mehr fesseln! Wohl dem, bei dem die Sünde endlich aufwacht, dass in
seinem herzen Verlangen nach Trost, Vergebung der Sünde, nach Gottes Gnade
entsteht.!
Aber was tun nun die meisten in diesem
Zustand der Unruhe? Sie gehen mit den Weisen nach Jerusalem, das heißt, suchen
sich selbst zu helfen, gehen allerhand eigene Wege, sich Ruhe zu verschaffen,
suchen durch eigene Werke Gottes Gnade, deren Mangel sie fühlen, zu erringen.
Sie beten, seufzen, kämpfen gegen die Sünde, wollen sie los werden, erst rein
werden, ehe sie vor Gott zu treten und sich mit seiner Gnade zu trösten wagen.
Aber was geschieht dann? Sie fallen nur
tiefer ins Elend, fassen tausenderlei gute Vorsätze und können sie doch nicht
halten, verlieren so auch diesen Stern wie die Weisen, der sie aus dem Schlaf
erweckte, und sehen sich aufs Neue von Finsternis befangen. Woran fehlt es? An
dem rechten Leitstern. Dieser ist das Wort Gottes und besonders das Evangelium.
Viele finden es wohl wie die Hohenpriester und Schriftgelehrten und hören es
wohl, wie Herodes, aber hängen nicht daran mit ihrem Herzen, glauben es nicht
einfältig, stellen nicht ihre ganze Herzenszuversicht darauf, sitzen wohl im
Tempel des HERRN, wo das Evangelium gepredigt wird, haben Bethlehem vor der
Tür, gehen aber nicht hinein. O liebe Seelen, die ihr selig werden wollt, lasst
Satan euch nicht betrügen um eure Seligkeit! Es ist wahrlich nicht genug, dass
ihr anfangt, euer sündliches Leben und die Welt zu verlassen; es ist wahrlich
nicht genug, dass ihr euch nur täglich in einigen gottseligen Übungen, im Beten
und Lesen finden lasst; es ist wahrlich nicht genug, nur euer sündliches Elend
zu fühlen und darüber zu klagen; seid ihr noch nicht weiter gekommen, noch
nicht in Bethlehem angelangt, erst mit den Weisen in Jerusalem, dann ist die
Hauptsache noch übrig. Seht ihr nicht den hellen Stern des Evangeliums? Weist
derselbe nicht mit jedem von ihm ausgehenden Strahl nach Bethlehem allein zu
Christus hin? Seht, das ist nun die Hauptsache, dass ihr das gewisse und
wahrhaftige, das teure und werte Wort vernehmt: Jesus Christus ist in die Welt
gekommen! Sucht ihr für eure Seelen im mindesten einen anderen Grund, wollt ihr
im mindesten etwas dazu tun, euch gewiss zu machen, so irrt ihr, bleibt
ungewiss, findet Christus nicht, seid verloren. Hätten die Weisen nicht nach
dem Wort Michas nach Bethlehem gehen wollen, so hätten sie immer alle Länder
und Meere durchforschen können, den neugeborenen König der Juden hätten sie
vergeblich gesucht, ihn nicht gefunden. So ist es auch heute noch. Könnte ein
Mensch alle die Tränen der bußfertigen Sünder vergießen, die Reue aller
erschrockenen Sünder in der Welt empfinden, die heiligen Werke aller Heiligen
in der Welt tun, so würde er dadurch auch nicht einen Schritt näher der ewigen
Seligkeit kommen, wenn er nicht alles das für nichts achtet und sein Vertrauen
allein setzt auf das Wort des Evangeliums, das den Sündern Gnade verheißt.
Ja, gerade dann, wenn ein Sünder sich müde
gelaufen, in seinen eigenen Werken müde gearbeitet, müde gebetet und gerungen,
wenn er nun endlich sieht, dass alles nichts helfen, nicht selig machen könne,
wenn er endlich still wird, nichts mehr selbst wirken will, ganz an sich selbst
verzagt, sich der Erbarmung Gottes überlässt und sich allein auf das Wort
beruft, in dem ja allen Sündern Gnade gepredigt wird, dann kommt der selige
Augenblick, da der Sünder endlich in Bethlehem ankommt und hinfällt vor der Krippe
seines Jesus, das holde Kind mit Freudentränen benetzt, auf die Arme seines
Glaubens nimmt und mit den Küssen seiner Liebe bedeckt.
O, wie selig der, der das Wort seinen
Leitstern sein lässt, der findet Christus gewiss!
Doch, meine Lieben, das Wort lässt uns als
der rechte Leitstern auf dem Weg zum Himmel Christus nicht nur finden, sondern
durch das Wort allein werden wir auch bei ihm erhalten und davon lasst uns
zweitens reden.
2.
Sobald die Weisen das Wort des Propheten
Micha ins Herz fassten, hatten sie auch schon Christus gefunden, obgleich sie
noch nicht leiblich in Bethlehem waren. Sobald sie aber Christus gefunden,
erfuhren sie auch nicht wenig Anstöße, dadurch sie leicht wieder von Christus
hätten losgerissen werden können. Sie waren von ferne gekommen, erwarteten in
Jerusalem alles in freudiger Bewegung zu finden, und siehe! Hier ist alles
still. Niemand wusste von dem König, und da sie von ihm Nachricht bringen, ist
alles bestürzt. Man erklärte ihnen wohl, der verheißene Herzog der Seligkeit
solle in Bethlehem geboren werden, aber niemand begleitet sie. Was für ein
Kampf muss nun in ihren Herzen entstanden sein! Wird es nicht in ihren Herzen
geheißen haben: Vielleicht sind wir betrogen; wäre es möglich, dass der
verheißene ewige König der Juden geboren wäre, ohne dass sein auserwähltes Volk
etwas von ihm wüsste? Ohne dass vor allen diejenigen, die Priester seines
Tempels und in der Heiligen Schrift erfahrenen und ihre bestellten Ausleger
sind, ihn längst erkannt und ihm gehuldigt haben? Wodurch werden sie aber diese
Anstöße haben abwenden können? Durch nichts anderes als allein durch das Wort.
Das ließen sie sich gewisser sein als aller Menschen Zeugnis; daran hielten sie
sich, obgleich sie alles dagegen streiten sehen.
Doch das sind nicht ihre letzten Anstöße.
Ohne Zweifel erwarten sie, in dem verkündigten Thronerben einen Königssohn mit
aller Pracht eines morgenländischen Fürsten umgeben zu sehen, und doch
erblicken sie das alles nicht, sondern nur Armut und Niedrigkeit. Es konnte ja
kaum ein Mensch in elenderen, geringeren Umständen gefunden werden als das
Jesuskindlein. Was hat sie über alle diese Zweifel erhoben, sie bewegen können,
vor diesem Bettelkind niederzufallen und es anzubeten? Wahrlich nichts anderes
als das Wort Gottes, das sie fest und unwandelbar ins Herz geschlossen. Da
dieser Stern in ihren Herzen aufgegangen war, so war alle ihre Weisheit
verdunkelt, in dem Glanz dieses Sterns erschien ihnen die Hütte als das
prächtigste Königsschloss in der ganzen Welt. In seinem Licht erkennen sie in
dem elenden Kindlein den Herzog der Seligkeit.
Wie nun, meine Lieben, die Weisen einst,
sobald sie Christus gefunden, allerlei Anstößen begegneten, so auch heute alle
Sünder, die Christus ergreifen. Sie hören wohl aus dem Wort Gottes, Christus
sei der HERR aller Herren, der König aller Könige; aber was erblicken sie, wenn
sie sich in der Welt umsehen? Gerade die Mächtigsten, Klügsten und Weisesten,
Vornehmsten, Höchsten und Reichsten dieser Welt verachten Christus, und nur ein
kleiner, verachteter und verstoßener Haufe armer Sünder bekennt ihn für ihren
HERRN und König. O, wie viele haben sich schon an dem Ansehen der Feinde
Christi gestoßen und gedacht: Wenn das Evangelium wahr wäre, so würden es
gewiss die Gelehrtesten erkennen und mit Freuden annehmen. Aber wir einfältigen
Leute, die sich wider die Großen dieser Erde setzen und aller ihrer Weisheit
widersprechen, wir sollten sagen können, wir allein hätten die Wahrheit?
Willst du nun, lieber Mensch, hierdurch
nicht Schiffbruch erleiden an deinem Glauben, so tue wie die Weisen aus dem
Morgenland. Siehe ab von allen Menschen, denn sie sind nichts vor Gott, voll
Irrtum und Torheit, und alle ihre Weisheit ist vor Gott nichts als Narrheit.
Siehe allein auf den rechten Himmelsstern, auf das teure Wort Gottes, das sagt
dir 1. Kor. 1,26-29: „Seht an, liebe Brüder, eueren Beruf; nicht viel Weise
nach dem Fleisch, nicht viele Gewaltige, nicht viele Edle sind berufen. Sondern
was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er die Weisen zu
Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er
zuschanden mache, was stark ist, und das Unedle vor der Welt und das Verachtete
hat Gott erwählt, und das da nichts ist, dass er zunichte mache, was etwas ist,
auf dass sich vor ihm kein Fleisch rühme.“ Darum halte dich an Christus und
achte es nicht, dass du, wenn du Christus bekennst, verachtet bist in der Welt.
Achte es nicht, wen du siehst, dass das Häuflein der Gläubigen klein ist; es
muss so sein, dass die Schrift erfüllt werde. Lass die Hohenpriester und
Schriftgelehrten, ja alle Klugen der Welt den verachteten Heiland der Welt
verwerfen, du aber bete ihn in Demut an, wirf dich vor ihm nieder, bringe ihm
dar das Gold des Glaubens, den Weihrauch des Gebets, die bitteren aber vor Gott
köstlichen Myrrhen der Bußtränen, so wirst du ihn auch schon sehen auf dem
Thron seiner ewigen Herrlichkeit.
Doch, meine Lieben, wie bei den Weisen, so
ist auch bei uns der Anstoß, dass so viele Christus verwerfen, nicht der
größte. Viel größer und schwerer zu überwinden ist dieser, dass sich Christus
selbst so arm und schwach gegen uns stellt. Haben wir nämlich Christus das
erste Mal gefunden, sind auch wir zu der Gewissheit gekommen: Auch wir sind
seine Erlösten und Erwählten, so durchströmt gewiss anfangs unaussprechlicher
Friede unser von der Gnade aufgerichtetes Herz. Da meinen wir denn, so lange
wir Christus im Herzen haben, werde auch unser Herz den süßesten Frieden und
die lebendigste Freude im Heiligen Geist genießen. Aber dem ist nicht so. Je
länger ein Mensch im Glauben an Gottes Wort verharrt, desto öfter erfährt er,
wie sich Christus in seinem Herzen gleichsam vor ihm verbirgt, sich schwach und
elend stellt. Da ist den gläubigen Christen oft, als ständen sie nicht mit dem
HERRN der Herrlichkeit im Bund, als ständen sie wie die Weisen zweifelhaft vor
einer elenden Hütte, in der ein armes elendes Kindlein liege, das ihnen keine
Kraft zum Überwinden geben könne. Kurz, gläubige Christen verlieren oft das
Gefühl der göttlichen Gnade aus ihren Herzen, fühlen sich so tot, kraftlos,
elend, dass sie es nicht beschreiben können.
Was ist es, womit sie diese Anfechtung
überwinden? Es ist das gewisse und feststehende Wort, das Wort des Gottes des
Himmels und der Erde, das ihnen die Seligkeit verheißt. Dieses Wort ist ihnen
gewisser als alle Gefühle ihres Herzens, das bleibt mit seinem Trost ihnen
unveränderlich, so oft sich auch der Stern ihres irdischen Glücks verändert;
das ist immer ihr Licht, wenn es ihnen auch noch so finster in ihrer Seele
geworden ist; daher spricht ihr Glaube: Mag es in mir dunkel werden, ich blicke
nach dem leuchtenden Stern des Wortes, der verführt uns nicht; mag ich nun
denken, ich sei kraftlos, ja tot, so ergreife ich das Wort, das ist lebendig
und kräftig, das bringt mir Christus ins Herz und kein Teufel soll mir ihn
rauben.
O, so lernt denn alle, meine Lieben, dies
Hauptkunst gläubiger Christen, euch allein an das Wort zu halten. Dieses ist
unseres Fußes Leuchte und das rechte einzige Licht auf unserem weg zum Himmel.
Wir haben ein festes prophetisches Wort und darum tun wir wohl, wenn wir darauf
achten, bis dass der Morgenstern aufgehe in unseren Herzen. Lernt den
Kunstgriff des Teufels recht erkennen, der nichts mehr sucht, als uns vom Wort
abzuziehen; denn er weiß, wenn wir uns dahin bringen lassen, so hat er
gewonnen, wir verloren. Hangen wir mit unserem ganzen Vertrauen nicht am Wort,
so lieft uns unser Glaube nichts, denn dann ist es kein wahrer Glauben; dann
hilft uns all unser Beten, Seufzen, Tun nichts, ja, wir sind dann ohne
Christus, der sich nur in dem Wort finden lässt.
Luther sagt daher über unser Evangelium die
wahren Worte: „Natur will fühlen und gewiss sein, ehe sie glaubt, Gnade will
glauben, ehe sie fühlt.“ So sprecht denn zum Schluss mit mir:
Ohne Fühlen will
ich trauen,
Bis die Zeit
kommt, ihn zu schauen,
Bis er sich zu mir
gesellt;
Bis ich werd in
seinen Armen
In gar süßer Lust
erwarmen
Und er mit mir
Hochzeit hält.
Amen.
Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus
Christus, die Liebe Gottes, des himmlischen Vaters, und die Gemeinschaft
Gottes, des Heiligen Geistes, sei mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Die schönste Zeit unseres Lebens ist ohne
Zweifel die Zeit unserer Kindheit und Jugend. Wie der Frühling mit seinen
duftenden Blüten und Knospen und mit seinen noch milden Sonnenstrahlen die
lieblichste unter den vier Jahreszeiten ist, so sind Kindheit und Jugend die
schönsten unter allen Altersstufen, welche wir in dieser Welt betreten.
Deutlich bezeugt dies das Wort Gottes
selbst. Wenn z.B. über den Stamm Asser ein recht herrlicher Segen ausgesprochen
werden soll, so heißt es: „Dein Alter sei wie deine Jugend.“ Ja, Salomo
spricht: „Denke an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe denn die bösen Tage
kommen und die Jahre herzutreten, da du wirst sagen: Sie gefallen mir nicht.“
Im Vergleich mit der Jugendzeit sind also hiernach die Tage und Jahre des
Alters böse Tage und Jahre, die uns nicht gefallen.
Und wer unter uns, wenn er schon im Mittag
oder am Abend der menschlichen Lebenszeit steht, sollte nicht, durch eigene
Erfahrung überzeugt, hierzu Ja sagen müssen? Wo gibt es einen Vater oder eine
Mutter, wo ein graues Haupt oder eine Greisin, die nicht alle von Herzen
ausriefen: O Tage meiner Kindheit und Jugend, lieblich wie ein klarer Bach seid
ihr mir dahingeflossen! Goldene Zeit! O, dass du noch einmal wiederkehrtest!
Und dass wir alle mit solcher Wehmut auf
die so schnell dahingeschwundene Jugendzeit zurückschauen, beruht keineswegs
auf Täuschung. Dieses Leben wird wirklich für Christen und Nichtchristen mit
jedem Jahr ernster, und der Pfad, den wir nach der Ewigkeit gehen, wirklich mit
jedem Schritt immer enger, steiler und dornenvoller, bis wir an den dunklen
Toren des Todes ankommen.
Welch ein Vorzug der Kindheit und Jugend
ist es vor allen anderen Lebenszeiten, dass man sich da noch nicht mit so
vielen Sorgenlasten schleppt, sondern sorglos und fröhlich in die Zukunft
blickt! Welch ein Vorzug ist es, dass die Herzen der Kinder und überhaupt der
Jugend noch nicht von so großen Wünschen bewegt werden, dass sie noch nicht so
unersättlich sind und auch durch etwas Geringes schon erfreut und befriedigt
werden können! Der allergrößte Vorzug aber, den die Kindheit und Jugend vor dem
Alter hat, besteht darin, dass es viel leichter ist, dem HERRN in frühen als in
späten Jahren zu dienen. Junge Herzen sind ein Acker, der noch nicht durch böse
Gewohnheiten so festgetreten ist und in welchem noch nicht so viele Dornen und
Disteln der Sünde sich festgewurzelt haben wie in alten Herzen. Jugendliche
Gemüter sind noch leicht durch Drohungen zu heilsamer Furcht und durch
liebliche Lockungen zu heilsamen Rührungen zu bringen. Kinder, Jünglinge und
Jungfrauen haben auch noch ein treueres Gedächtnis, das aus Gottes Wort
Gelernte zu behalten, und eine lebendigere Phantasie, das ihnen Gelehrte
aufzufassen, während das Alter den Verlust eines treuen Gedächtnisses und einer
lebendigen Auffassung nur zu oft beklagen muss. Hierzu kommt, dass uns
besonders in der frühen Jugend so viel Zeit gegeben ist, Gottes Wort zu treiben
und wichtige Kenntnisse für die Ewigkeit einzusammeln, wie wir später nie
wieder bekommen. Während ferner Erwachsene, wenn sie den schmalen Weg des
Glaubens und der Gottseligkeit gehen wollen, sogleich Spott und Feindschaft
vieler, ja wohl ihrer eigenen Hausgenossen auf sich laden, so kann hingegen ein
frommes Kind nicht leicht, selbst von Gottlosen nicht, gehasst werden; es
genießt Gnade bei Gott und den Menschen. Endlich aber sind auch Kinder und
überhaupt junge Seelen nicht nur ein besonderes Augenmerk des heiligen Engel,
die ihnen besonders zugesellt sind, sondern Christus selbst trägt um sie, als
um seine zarten Lämmer, eine besonders zärtliche Sorge, er hat daher nicht nur
einst gesagt: „Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, denn
solcher ist das Reich Gottes“; sondern er hat auch das allerschrecklichste Wehe
besonders über diejenigen ausgesprochen, welche die Jugend ärgern und ihre ihm
so teuren Seelen, die er in der Taufe zu seinen Tempeln gemacht hat, vergiften
und verführen.
O, sie selig ist daher derjenige, der der
Ermahnung Salomos nachgekommen ist: „Denke an den Schöpfer in deiner Jugend!“
Wer seine Jugend wohl ausgekauft hat, hat für die bösen Tage einen großen
Schatz und ist wohl versorgt auch für die Jahre, die ihm nicht gefallen. Er ist
wie ein Baum, der früh gepflanzt wurde an die Wasserbäche, der seine Frucht
bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht, und was er macht, das
gerät wohl. Aber ach, groß und unersetzlich ist hingegen der Verlust derjenigen,
die die schönste Zeit ihres Lebens verschwendet und verloren haben. O, wenn sie
dann doch wenigstens mit aufrichtiger Reue auf die verlorenen goldenen
Morgenstunden ihres kurzen Lebenstages zurückblicken, durch Gottes Gnade
umkehren und, was Christus von allen fordert, die in das Himmelreich kommen
wollen, wieder Kinder werden möchten! Damit dies nun von uns geschehe, lasst
uns jetzt einen Blick tun auf Christi heilige Jugend und damit die unsrige
prüfend vergleichen.
Lukas 2,41-52: Und seine Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem auf das
Passahfest. Und da er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach Jerusalem
nach der Gewohnheit des Festes. Und da die Tage vollendet waren und sie wieder
nach Hause gingen, blieb das Kind Jesus zu Jerusalem, und seine Eltern
wussten’s nicht. Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine
Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten. Und da sie
ihn nicht fanden, gingen sie wiederum nach Jerusalem und suchten ihn. Und es
begab sich, nach drei Tagen fanden sie ihn im Tempel sitzen mitten unter den
Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihm zuhörten,
verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antworten. Und da sie ihn sahen,
entsetzten sie sich. Seine Mutter aber sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du
uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.
Und er sprach zu ihnen: Was ist’s, dass ihr mich gesucht habt? Wisst ihr nicht,
dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist? Und sie verstanden das Wort
nicht, das er mit ihnen redete. Und er ging mit ihnen hinab und kam nach
Nazareth und war ihnen untertan. Und seine Mutter behielt alle diese Worte in
ihrem Herzen. Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den
Menschen.
Seit dem letzten hohen Fest der Geburt
Christi haben wir ihn allein in seiner Kindheit betrachtet; das verlesene
Evangelium aber enthält nun dasjenige, was uns Gott in seinem heiligen Wort
auch von Christi Jugend hat aufzeichnen lassen. Aufgrund dieses
wichtigen Teils der heiligen Geschichte lasst mich euch daher jetzt zeigen:
Wie
wichtig der Blick auf Christi heilige Jugend bei der Rückerinnerung an
unsere eigene Jugend sei
Es ist dies nämlich
1.
Ein zur Buße auffordernder Blick,
wenn wir Christi heilige Jugend mit der unsrigen gebührend vergleichen, und
2.
Ein tröstlicher Blick, wenn wir den
gnadenvollen Zweck des Jugendlebens Christi reuig und gläubig erwägen.
HERR Jesus, du Sohn Gottes! Auch das
Jugendalter hast du einst durchlebt, damit wir an dir das Vorbild einer
wahrhaft Gott geheiligten Jugend, aber auch einen mitleidigen Hohenpriester für
unsere Jugendsünden hätten. Wir bitten dich daher, lass uns nicht nur an deinem
allerheiligsten Vorbild lebendig und mit Scham und Reue erkennen, wie weit wir
uns schon in der Jugend von unserem Gott entfernt haben und wie wir schon da
vor seinen Augen um unseres tiefverderbten Herzens willen verwerflich waren,
sondern, wenn wir darüber gebeugt und zerbrochen sind, o, so schreibe auch den
Trost in unser armes Herz, dass du ein Heiland bist auch für eine sündliche und
verdammliche Kindheit und Jugend. Diesen Glauben schenke uns, durch diesen
Glauben gib uns Frieden des Herzens, durch diesen Glauben erneuere uns hier und
mache uns dort ewig selig. Amen.
1.
Es ist ein unvergleichlich
bewunderungswürdiges Bild der heiligen Jugend Christi, das wir in unserem
heutigen Evangelium erblicken.
Wir hören darin zuerst im Allgemeinen, dass
Christus, obgleich in ihm die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnte, uns
Menschen nicht nur durch seine menschliche Geburt, sondern auch in seiner
ganzen Kindheit und Jugend völlig gleich geworden sei, alleinausgenommen die
Sünde. Denn es heißt von ihm an Schluss unseres Evangeliums: „Und Jesus nahm
zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“ O welch ein
Wunder! – Er, der der Vater der Ewigkeiten war, zählte nun sein Dasein nach
irdischen, vergänglichen Tagen und Jahren und nahm zu an Alter, ging durch alle
Stufen des langsamen menschlichen Wachstums und durch alle Entwicklungsgänge
unserer Natur hindurch, lernte, wie wir, erst sitzen, stehen ,gehen, stammeln,
lallen und reden; und redete nun wie ein Kind, spielte wie ein Kind und weinte
wie ein Kind, dies alles nur ohne Sünde. Er, in welchem doch alle Schätze der
Weisheit und Erkenntnis verborgen lagen, entäußerte sich dieses auch seiner
Menschheit mitgeteilten göttlichen Lichtes, und nahm daher täglich, wie wir
Menschen, zu an Weisheit und Erkenntnis. Er, der Gottes-Sohn, an welchem Gott
von Ewigkeit Wohlgefallen hatte, erwarb sich auch als ein Menschenkind durch
die Holdseligkeit aller seiner Gebärden, Worte und Werke immer größere Gnade,
immer größeres Wohlgefallen bei Gott und Menschen.
Außer dieser allgemeinen
Beschreibung des Jugendlebens Christi hat uns der Evangelist Lukas, getrieben
von dem Heiligen Geist, in unserem Text noch einen besonderen Vorfall
darauf aufbewahrt. Er erzählt nämlich, dass die Eltern Christi nach dem Gesetz
alljährlich auf das Passahfest nach Jerusalem zu gehen pflegten. Ehe Christus
das zwölfte Jahr erreicht hatte, scheinen sie ihn, vielleicht aus Furcht vor
dem König Archelaus, dem Sohn des Herodes, nicht mitgenommen zu haben; als aber
der heilige Knabe zwölf Jahre alt war, forderten sie ihn auf, sie in die
heilige Stadt zur Feier des großen Festes zu begleiten. Und siehe! Obgleich der
Weg von Nazareth nach Jerusalem drei starke Tagereisen weit war und über die
steilen Gebirge Gilboa, Ebal und Ephraim führte, so legte doch das himmlische
Kind den beschwerlichen Weg willig mit Maria und Joseph zu Fuß zurück., Sie
kommen in der großen Stadt an; so neu aber auch die Pracht und das große, bunte
Menschengewühl dieses Sammelplatzes aller Juden dem jungen Knaben war, so
konnte doch dieses alles sein himmlisch gesinntes Herz nicht einnehmen; der
Tempel allein, wo sein himmlischer Vater in Gnaden gegenwärtig zu sein
verheißen hatte und wo sein heiliges Wort gelesen und gepredigt wurde, dies war
die Stätte, wo das göttliche Kind seine Festfreude suchte.
Doch was geschah? – Das Fest war zu Ende,
und Maria und Joseph traten nun den Rückweg nach Nazareth an, und ohne dass sie
es wussten, blieb das Kind Jesus in Jerusalem. Da dasselbe nicht in ihrem Zug
war, meinten sie, es werde wohl mit Verwandten bereits vorausgeeilt sein, mit
denen sie verabredetermaßen in der ersten Nachtherberge wieder zusammentreffen
wollten. Als sie aber da ankommen, weiß niemand etwas von dem heiligen Knaben.
Welch eine Schreckensbotschaft mag dies für Maria gewesen sein! welche peinigenden
Vorwürfe mag ihr jetzt ihr Gewissen gemacht haben, dass sie den Knaben, dessen
sorgfältige Bewahrung ihr bei der Flucht nach Ägypten und bei der Rückkehr nach
Judäa so ernstlich anbefohlen worden war, so nachlässig und sorglos aus ihren
Augen und Händen hatte kommen lassen! Ach, wird sie gedacht haben, vielleicht
ist das Kind in die Hände seiner Verfolger gefallen; vielleicht von dann
geschleppt in ein fernes Land; vielleicht gar schon ermordet. Und du, du bist
schuld daran, dass die ganze Welt ihren Heiland verloren hat. O große,
schreckliche Schuld und Sünde! Wie willst du vor Gott bestehen, der das Kind
von deinen Händen fordern wird? Das werden für sie tage der bittersten Tränen
gewesen sein, und in denselben schon die Weissagung des alten Simeon in
Erfüllung gegangen sein: „Es wird ein Schwert durch deine Seele dingen.“ Doch
endlich nach drei Tagen des Weinens und Jammerns finden die Eltern den Knaben
im Tempel wieder. Und welch ein Anblick! Er sitzt mitten unter den Lehrern. Er,
dem alle Menschen und Engel zuhören sollten, hört armen, irrtumsfähigen
Menschen zu; er, der groß ist von Rat, bei dem alle Welt nach Wahrheit fragen
sollte, fragt sie. Seine Fragen sind jedoch freilich so, dass nur die
Weisheit selbst so fragen kann, denn „alle, die ihm zuhörten“, heißt es,
„verwunderten sich seines Verstandes und seiner Antwort“. Doch Maria
kann sich nicht halten, sie muss die wichtige Unterredung unterbrechen; zu
Jesus sich wendend, spricht sie: „Mein Sohn, warum hast du uns das angetan?
Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Dies war ein
Vorwurf, den Maria in der Bestürzung zu machen wagte. Auf diesen Vorwurf ward
nun zwar der heilige Knabe nicht unwillig, doch wies er ihn in heilig ernster
Freundlichkeit mit den Worten zurück: „Was ist es, dass ihr mich gesucht
habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?“
Christus will sagen: Ihr sprecht von einem Vater, der mich gesucht habe? Wisst
ihr nicht, wer mein Vater ist? und wisst ihr nicht, welch eine Tagewerk mir
dieser aufgetragen hat? Habt ihr vergessen, was die Hirten, was die Weisen aus
dem Morgenland, was Simeon, was Hanna von mir gezeugt haben? – Doch was geschah
nun weiter? Es heißt: „Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und
war ihnen untertan.“ Was dies heiße, „er war ihnen untertan“, dies
sehen wir daraus, dass später die Feinde sagen: „Woher kommt diesen solche
Weisheit und Taten? Ist er nicht eines Zimmermanns Sohn?“ Er also, dem Legionen
Engel zu dienen bereit sind, erniedrigte sich bis zum gehorsamen Knecht armer
Menschen; er, dessen Willen alle Kreaturen unterworfen sind, unterwarf sich dem
Willen zweier Sünder; er, der die Erde gegründet und das Himmelsgewölbe
aufgeführt hat, führte als erniedrigter Menschensohn in seiner Hand das
Zimmerbeil und aß, Menschenhütten bauend, hier sein Brot mit uns im Schweiß
seines Angesichts!
Seht da, dies ist nur ein flüchtiger Blick
auf Christi heilige Jugend, und o! welche Reinheit, welche Unschuld, welche
Demut, welchen Gehorsam gegen Gott und Menschen, welche heilige Wissbegierde,
welchen Eifer in Erfüllung seines himmlischen Berufs, welche Liebe zu seines
Vaters Wort, welche völlige Aufopferung im Dienst des HERRN finden wir da!
Wenn wir nun hiermit unsere eigene Jugend
aufrichtig vergleichen, wie? sollte dann der Blick auf Christi Jugend nicht für
uns alle höchst beschämend, strafend und niederschlagend sein?
Gibt es erstlich nicht manche unter uns,
die in vielen offenbaren Sünden, deren die leichtfertige Jugend fähig ist,
aufgewachsen sind? in Ungehorsam gegen die Eltern, in Verachtung ihrer Zucht
und Ermahnung, in Lügenhaftigkeit, in Naschhaftigkeit und heimlichem Diebstahl,
in Faulheit und Müßiggang, in Eitelkeit und schändlichen fleischlichen Lüsten,
in Eigensinn, Zanksucht, Hader und Neid?
Oder wenn Gott hingegen andere vor solchen
groben Sünden und Lastern der Jugend bewahrt hat, dass sie nicht dem verlorenen
Sohn gleich geworden sind, auf dessen Gewissen unzählige Seufzer und Tränen
bekümmerter Eltern lasteten: Sind sie dann nicht vielleicht doch ohne wahre
Furcht Gottes, ohne wahre Liebe zu Jesus und ohne Folgsamkeit gegen die Triebe
des Heiligen Geistes aufgewachsen? – Die ihr aber endlich in der Jugend zwar
nicht offenbar gottlos gelebt, aber doch euer junges Herz nicht dem HERRN aufg4eopfert,
nicht in der steten Gegenwart Gottes gelebt, nicht Gottes Wort und Christi
Gnade über alles geliebt, nicht fleißig und brünstig gebetet, vielmehr den in
der heiligen Taufe über euch ausgegossenen Geist der Gnade aus eurem Herzen
verloren habt und in Geringachtung und Vergessenheit Gottes dahingegangen seid:
Habt nicht auch ihr dann doch eure Jugend verschwendet und verloren und sie,
anstatt Gottes, der Sünde, der Welt und dem Teufel geopfert? Und habt ihr als
Kinder nicht vielleicht schon oft Rührungen und Gnadenzüge Gottes an eurem
Herzen empfunden, bei welchen in euch der Vorsatz entstand, den HERRN zu
suchen, und ihr seid dennoch in eurem jugendlichen, Gott vergessenden
Leichtsinn verblieben? –
Doch, meine Lieben, sollte es auch wirklich
einige unter uns geben, die schon als Kinder Gott von Herzen gesucht und ihm
mit Abel, Samuel, Josia und anderen frühzeitig gedient haben, die daher auch
mit David sagen können: „Du bist meine Zuversicht, HERR HERR, meine Hoffnung
von meiner Jugend an; Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt“, müssen sie
dann nicht dennoch mit demselben frommen David seufzen: „HERR, gedenke nicht
der Sünden meiner Jugend noch aller meiner Übertretung“? Wer unter uns kann sagen,
dass nicht auch an ihm erfüllt worden sei, was Gottes Wort bezeugt: „Das
Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“? Wer
unter uns hat seinen Taufbund gehalten, bei welchem er dem Teufel gänzlich
entsagte, samt allen seinen Werken und allem seinem Wesen? Wer unter uns kann
sagen, dass er das bei seiner Konfirmation vielleicht mit heißen Tränen der
Liebe abgelegte Versprechen, Gott allein zu dienen, mit wahrer, unwandelbarer
Treue erfüllt habe? Wer unter uns muss nicht klagen, dass sein Herz von Jugend
auf böse war und als eine Sündenquelle in unzähligen bösen Gedanken, Worten und
Werken übergegangen ist? Wer unter uns muss nicht bekenne, dass er dem Kampf
mit Fleisch, Welt und Teufel nicht ohne viele und tiefe Wunden seines Gewissens
entgangen ist? Wer trägt nicht an seiner Seele den und jenen geheimen
Schandfleck einer Jugendsünde, dass er wohl, wenn große Not hereinbricht, mit
Hiob denken möchte: „Du willst mich umbringen um der Sünde willen meiner
Jugend“? – Ach, es ist nur zu offenbar, dass die meisten, die dem HERRN jetzt
dienen, ihn nicht schon in der Jugend, sondern erst später gesucht und
gefunden, und ihre schönste Zeit ihrem Schöpfer geraubt haben! Es ist nur zu
gewiss, dass wir heute alle nur mit tiefer Scham auf den heiligen Jesusknaben
blicken können, wenn wir uns im Geist neben ihn stellen in der Zeit, da wir
noch Kinder, noch Jünglinge und Jungfrauen waren.
2.
Doch, meine Lieben, dieser Blick auf
Christi heilige Jugend ist nicht nur beschämend, sondern zweitens auch höchst
tröstlich, wen wir nämlich dabei den gnadenvollen Zweck des Jugendlebens
Christi reuig und gläubig erwägen.
Christus ist nicht nur um seinetwillen in
die Welt gekommen und ein Mensch geworden, sondern auch nicht um seinetwillen
ein Knabe und Jüngling gewesen. Durch seine Gott freiwillig zum Opfer gebrachte
jugendliche Heiligkeit und Frömmigkeit hat er auch unsere Jugendsünden vor Gott
gut gemacht; durch seinen freiwilligen Gehorsam gegen Gott und Menschen als
Knabe, besonders gegen seine armen Eltern, hat er auch unseren jugendlichen
Ungehorsam, unsere Störrigkeit und kindischen Trotz gut gemacht; durch seine
bewunderungswürdige Kindesdemut hat er gut gemacht auch unsere kindische
Eitelkeit; durch seinen Eifer im Hören des Wortes Gottes und im Dienst des
HERRN hat er gut gemacht unseren frühzeitigen irdischen Sinn und unsere
frühzeitige Verdrossenheit und Trägheit für geistliche und himmlische Dinge.
Kurz, was unser keiner war, das wurde der Sohn Gottes, nämlich ein vollkommen
reiner, keuscher, heiliger Knabe und Jüngling, damit wir an ihm auch einen
Tilger unserer Jugendsünden und einen Heiland und Seligmacher auch für die Zeit
hätten, da wir als Kinder, Jünglinge und Jungfrauen Gott unser Herz entweder
ganz oder doch zum Teil entwendeten.
Für euch nun, die ihr euch nicht mit
leidtragenden Herzen eurer Jugendsünden erinnert, die ihr euch entweder noch
gar nicht von denselben bekehrt habt oder wohl einmal durch Gottes Gnade zu
einer seligen Umkehr gekommen, aber wieder zurückgefallen seid und daher jetzt
keine Reue wegen der Vergangenheit empfindet; die ihr ohne Abscheu vor eurem
vormaligen Leben, ohne wahre Gottesfurcht und Liebe Christi seid; die ihr wohl
gar mit Lachen und Scherzen die bösen Stücke erzählt, womit ihr eure Jugendzeit
geschändet habt; die ihr leichtsinnig sprecht: Jugend hat einmal nicht Tugend;
die ihr euch damit entschuldigt, dass man von jungen Leuten nicht fordern
könne, dass sie so ernstlich Gott dienen wie Bejahrte; die ihr meint, es
verstehe sich von selbst, dass Gott das vergebe, was man als ein unverständiges
Kind oder als ein leichtsinniger Jüngling Böses getan habe: Euch freilich ist
Christi heilige Jugend nicht tröstlich, sondern euch ist sie noch nur eine
Bestrafung und Beschämung. Lernt erst vor diesem heiligen Bild schuldbewusst
niederfallen und einsehen, welch ein Greuel ihr in eurer Jugend Gott wart, da
ihr ihn in dieser schönsten Zeit eures Lebens nicht gesucht und nicht ihm,
sondern eurem eitlen Willen und den Lüsten eures Fleisches gedient habt; lernt
erst, Gott euren frühen Abfall von ihm reuig klagen und nach Vergebung
aufrichtig seufzen, sonst bleiben, wie eure jetzigen Sünden, so auch eure
Jugendsünden auf euch liegen zu eurer ewigen Verdammnis. Denn denkt ihr noch
leichtsinnig von euren Jugendsünden, so denkt ihr auch noch leichtsinnig über
alle Sünden; dann hat Gott sein Werk noch nicht in euch, dann werdet ihr noch
nicht vom Heiligen Geist regiert, dann liegt ihr noch sicher und tot unter der
Herrschaft eurer Sünden und werdet, so ihr nicht erwacht und nicht wahre Buße
tut, so gewiss ewig verloren gehen, so gewiss Gottes Wort Wahrheit und Gottes
Drohungen kein Scherz sind. Bedenkt es wohl: Ihr seid hiermit nun gewarnt; auf
euch liegt nun die Verantwortung, euer Blut ist nun auf eurem Haupt.
Ihr aber, die ihr, so oft ihr an eure
Jugend denkt, euch im Geist vor Gott beugt und im Inneren zu ihm seufzt: „Ach
HERR, rechne mir meine Torheiten nicht zu! Gedenke doch nicht der Sünden meiner
Jugend! Siehe! Ich gedenke ihrer mit Wehmut, du aber wollest dein
Antlitz von ihnen abwenden und sie hinter dich werfen und mich das süße Wort
hören lassen: „Sei getrost, deine Sünden sind dir vergeben“; ihr, die ihr oft
mit Betrübnis klagt, wie es in jenem Lied heißt:
Ach, dass ich dich
so spät erkennet,
Du hochgelobte
Schönheit du,
Und dich nicht
eher mein genennet,
Du höchstes Gut
und wahre Ruh!
Es ist mir leid
und bin betrübt,
Dass ich so spät
dich hab geliebt –
Ihr gedemütigten
und betrübten Seelen: Schaut auf den holden Jesusknaben; dieser hat durch die
Heiligkeit seiner Jugend Gott geleistet, was ihr ihm versagt, und durch die
Mühsal seines Knabenalters gebüßt, was eure Jugend verschuldet hat, – auf ihn
beruft euch daher vor Gott dem Vater und bittet ihn, dass er euch um dieses
unschuldigen Knaben willen euren frühen Abfall von ihm vergeben und eure späte
Rückkehr und späte Liebe zu ihm annehmen wolle, so wird sich Gott auch euer
erbarmen, euch um des Jesusknaben willen die Sünden auch eurer Jugend vergeben
und euch so gnädig annehmen, als hättet ihr ihm von Jugend auf eifrig in reiner
Heiligkeit und Unschuld gedient wie Jesus.
Habt ihr aber in Christus Trost gefunden,
ihr Lieben, gegen eure Jugendsünden, so trachtet dann auch durch seine Gnade
danach, ihm auch nachzufolgen und euch je mehr und mehr in sein heiliges Bild
verklären zu lassen. Kehrt um und werdet, wenn ihr auch schon Väter und Mütter
wäret, wieder Kinder; wandelt nämlich nach dem Vorbild des holden Jesuskindes
stets in kindlicher Zuversicht, Liebe und Treue vor dem Angesicht eures
himmlischen Vaters. Könnt ihr Christus auch hienieden nie an Heiligkeit gleich
werden, so streitet doch desto eifriger durch seine Gnade gegen alle Sünde,
Trägheit und Leichtfertigkeit und haltet ihn fest im Glauben, bis ihr ihn einst
selbst schauen werdet, wenn er mit den Seinen das ewige Osterfest feiern wird
in dem Tempel des himmlischen Jerusalems. Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade durch die
Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben unserem teuren Heiland,
herzlich geliebte Zuhörer!
Dass es einen Gott gibt, das kann
zwar ein jeder Mensch schon von Natur wissen; die ganze Welt ist ja ein vor
allen Menschen aufgeschlagenes Buch, in welchem es mit leserlicher Schrift
geschrieben steht: Es ist ein Gott! Und in dem Gewissen aller Menschen hallt
dieses große Wort laut und vernehmlich wieder. Wie aber Gott beschaffen,
und besonders, wie er gegen uns Menschen gesinnt sei, davon kann weder
der Himmel, noch die Erde, noch die Stimme des Gewissens dem Menschen genaue
Kunde geben. Darüber wankt und schwank der Mensch ohne die Offenbarung fort und
fort bald nach dieser, bald nach jener Vorstellung. Geht es einem Menschen hier
wohl, und blickt er nun mit heiterem Herzen hinauf zum Himmel, und sieht er da
Sonne, Mond und Sterne sich wie Himmelsaugen über der Erde freundlich öffnen
und die Wolken mit Segen herabregnen, sieht er die allenthalben lachende und
mit aller Fülle der Gaben prangende Natur, da ruft auch wohl ei natürlicher
Mensch freudetrunken aus: O, es muss ein guter, ein freundlicher Gott diese Welt
geschaffen haben und sie, über den Sternen thronend, voll Liebe erhalten und
regieren! Geht es hingegen einem Menschen hier übel, und blickt er nun mit
zitterndem herzen hinauf zum Himmel und sieht er ihn umwölkt, sieht er zuckende
Blitze aus der Wolkennacht herabfahren und da und dort Tod und Verderben
bringen, hört er den zürnenden Donner über seinem Haupt rollen und sieht er
Hagel und Wasserflut in wenigen Augenblicken die Hoffnung eines ganzen Jahres
verwüsten; oder seufzt er in Krankheit, Schmerz, Hunger und Blöße vergeblich
schon lange nach Hilfe; sieht er Krieg, Teuerung und Pest wie böse Engel, von
oben gesandt, über die Erde schreiten und unter ihren Fußtritten ganze Völker
jammern, dann kann der natürliche Mensch nicht mehr ausrufen: Gott ist die
Liebe! In seinem grollenden Herzen heißt es dann vielmehr: Gott muss ein
finsteres Wesen sein, in dessen Herzen kein Erbarmen wohnt, das sich eine Erde
gebaut hat zu einem großen Altar, auf welchem es sich Menschenglück und
Menschentränen opfert. Von Natur glaubt daher der Mensch entweder, Gott sei ein
Gott der Liebe ohne Zorn, oder ein Gottes des Zornes ohne Liebe.
Das Erstere ist besonders in unseren Tagen
sehr gewöhnlich. Die Vernunftprediger und Apostel einer sogenannten Aufklärung,
welche jetzt besonders überhand genommen haben, verkündigen es jetzt von den
christlichen Kanzeln herab, eben darin bestehe die Lehre, die Christus gebracht
habe. Zur Zeit des Alten Testaments habe man sich Gott als einen zornigen Jahwe
gedacht; so habe ihn Mose, so ihn alle Propheten gepredigt; aber da sei
Christus gekommen und habe der furchtsamen Welt die Botschaft gebracht, dass
Gott nicht zornig, dass er die ewige Liebe, dass er aller Menschen gütiger
Vater sei und dass alle ohne Ausnahme seine geliebten Kinder seien, der Keinem
weh tun könne und werde, den niemand fürchte dürfe und solle.
Diese Lehre von Gott glaubt aber wohl
derjenige, der noch nicht weiß, dass er ein Sünder ist, oder der doch noch
nicht weiß, was Sünde heißt, der ihren Stachel noch nicht in seinem Gewissen
empfunden hat. Wird es aber einem Menschen offenbar, dass er ein von Gott
abgefallenes Geschöpf sei, wird es ihm offenbar, dass er den allerhöchsten Gott
mit seinen Sünden beleidigt und sich ihm zu seinem Feind habe; wacht einem
Menschen sein Gewissen auf, heißt es in seinem Herzen: Was hast du getan? Du
hast Gottes Gebote nicht gehalten! Dein ganzes vergangenes Leben ist
verwerflich gewesen, denn du hast nicht Gott, sondern der Welt, dir selbst, ja,
dem Feind Gottes gedient. Gott will und muss dich nun strafen; er hat Tod und
Verdammnis allen Übertretern gedroht; diese Drohungen werden dich treffen; Gott
kann und wird dich nicht annehmen, sondern – verstoßen, verdammen – : ach, dann
verwelken in dem Herzen des Menschen alle Gedanken daran, dass Gott die Liebe
sei, wie grüne Blätter vor einer Feuerglut, und der Mensch wagt nicht, sich
Gott mit Vertrauen zu nahen, sondern, wenn er könnte, würde er fliehen, um sich
vor ihm im entferntesten Winkel der Schöpfung zu verbergen.
Seht hieraus, meine Lieben, wie nötig es
dem Menschen war, dass sich Gott ihm offenbarte! Aber wohl uns, er hat
sich uns offenbart. Zwar hat er nicht nur im Alten Testament verkündigen
lassen, dass er „nicht ein Gott sei, dem gottloses Wesen gefällt, wer böse ist,
bleibt nicht vor ihm“, sondern auch Christus selbst spricht von ihm: „Fürchtet
euch vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle“, und auch die
Boten Christi reden von einem zornigen Gott, sie sprechen: „Gottes Zorn vom
Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der
Menschen“; aber Gott hat auch zugleich offenbart: Wer unter den sündigen
Menschen vor seinem Zorn erschrickt, wer es erkennt, dass um seiner Sünden
willen der heilige Gott für ihn ein verzehrendes Feuer sei, der soll nur zu
Christus fliehen, dem eingeborenen Sohn Gottes; in diesem ist Gott offenbart im
Fleisch; aber in diesem will Gott kein zorniger Gott mehr sein, in diesem soll
jeder einen gnädigen Gott finden, in diesem brennt kein anderes Feuer als das
Feuer der ewigen Liebe Gottes zu allen Sündern, in ihm ist nicht der Zorn,
sondern die Gnade, das Erbarmen, die Freundlichkeit Gottes erschienen.
O wohl darum allen, die, wenn sie Gott
suchen, ihn nirgends als in Christus suchen und sich Gott nirgends als in
Christus nahen, denn in Christus kommt uns Gott erst als ein freundliches Kind,
sodann als ein freundlicher Knabe und endlich als ein freundlicher Helfer in
aller Not entgegen. So erblicken wir ihn auch in unserem heutigen Evangelium;
in dieser Gestalt lasst uns ihn daher jetzt betrachten.
Johannes 2,1-11: Und am dritten Tag war eine Hochzeit
zu Kana in Galiläa; und die Mutter Jesu war da. Jesus aber und seine Jünger
wurden auch auf die Hochzeit geladen. Und da es an Wein gebrach, spricht die
Mutter Jesu zu ihm: Sie haben nicht Wein. Jesus spricht zu ihr: Frau, was habe
ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter
spricht zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut. Es waren aber allda sechs
steinerne Wasserkrüge gesetzt nach der Weise der jüdischen Reinigung, und
gingen in je einen zwei oder drei Maß. Jesus spricht zu ihnen: Füllt die
Wasserkrüge mit Wasser. Und sie füllten sie bis obenan. Und er spricht zu
ihnen: Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister. Und sie brachten’s. Als aber der
Speisemeister kostete den Wein, der Wasser gewesen war, und wusste nicht, woher
er kam (die Diener aber wussten’s, die das Wasser geschöpft hatten), ruft der
Speisemeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann gibt zum ersten guten
Wein, und wenn sie betrunken worden sind, alsdann den geringeren; du hast den
guten Wein bisher behalten. Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen
zu Kana in Galiläa und offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten
an ihn.
Wollen wir, meine Lieben, einen
tatsächlichen Beleg dafür, dass der Apostel Paulus in seinem Brief an Titus die
Erscheinung Christi mit den Worten beschreibt: „Da aber erschien die
Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes“, so finden wir dies
in unserem heutigen Evangelium, so zu sagen, vor unsere Augen gemalt. Lasst
mich daher jetzt zu euch sprechen:
Von
der Freundlichkeit, welche Christus auf der Hochzeit zu Kana offenbart hat
Und zwar
1.
Wie und warum Christus dieselbe da
offenbart habe, und
2.
Wozu wir diese Offenbarung anwenden
sollen.
HERR Gott Vater! Dich erkennen und den du
gesandt hast, Jesus Christus, das ist das ewige Leben. Darum bitten wir dich,
tue uns auf die Augen unseres Geistes, dass wir nicht blind bleiben, wie wir
von Natur sind, sondern voll werden deiner Erkenntnis und darin wachsen, bis
wir dich dort schauen von Angesicht zu Angesicht. Lass uns besonders in dieser
Stunde in dem Spiegel deines Wortes das freundliche Bild deines eingeborenen
Sohnes mit Freuden beschauen und dadurch zum Glauben an ihn und zur Liebe zu ihm
gereizt und gelockt werden. Erhöre uns um desselben, unseres HERRN und
Heilandes, willen. Amen.
1.
Unser Evangelium beginnt, meine Lieben, mit
den Worten: „Und am dritten Tag“; diese Worte weisen uns auf das unserem
Text unmittelbar Vorhergehende zurück. Da wird uns aber erzählt, dass kurz nach
Christi erstem öffentlichen Auftreten in Judäa eines Tages Nathanael, dieser
Israelit, in welchem kein Falsch war, zu Christus gekommen und durch einen
Beweis von der Allwissenheit Christi zum Glauben an ihn gebracht worden sei.
Christus hatte dem Nathanael aber, als dieser erstaunt ausgerufen hatte:
„Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel“, hierauf entgegnet:
„Du wirst noch Größeres als das sehen.“ – So finden wir denn Christus drei Tage
darauf in Kana in Galiläa. Nathanael, der aus dieser Stadt gebürtig war, mag
Christus gebeten haben, mit ihm nebst den anderen von ihm bereits gesammelten
Jüngern dahin zu gehen, und Christus hatte ihm auch seine Bitte gewährt. Da es
aber in Kana ruchbar wird, dass Christus mit seinen Jüngern in die Stadt
gekommen sei, und da hier gerade in diesen Tagen eine Hochzeit gefeiert wird,
wie es scheint, bei armen Verwandten der Mutter des HERRN (denn diese hatte
sich hier schon vorher eingefunden), so werden „Jesus und seine Jünger auch
auf die Hochzeit geladen“. Und was tut Jesus? Er nimmt die Einladung an und
erscheint wirklich mit allen seinen Jüngern in dem hochzeitlichen Haus.
Wüssten wir nun auch von den hierauf
erwählten anderen wichtigen Vorgängen auf dieser Hochzeit nichts, sagt selbst,
müssten wir nicht schon die Freundlichkeit bewundern, die der Sohn Gottes
allein dadurch offenbart hat, dass er sogleich bei dem Antritt seines Lehramtes
mit seinen Jüngern auf eine Hochzeit geht? Denn aus welcher anderen Ursache
kann dies geschehen sein, als damit seine Freundlichkeit offenbar werde? Oder
sollte Christus um seiner selbst willen, um nämlich etwa selbst eine Erquickung
zu genießen, auf eine arme irdische Hochzeit gegangen sein? Das sei ferne! War
er nicht der Sohn Gottes, der selbst die Quelle aller Freude, bei dem Freude
die Fülle und liebliches Wesen zu seiner Rechten ist immer und ewig? Hätte er
sich selbst freuen wollen, wäre er nicht vom Himmel, dem Ort der Seligkeit,
herabgekommen. Von ihm heißt es vielmehr ausdrücklich: „Ob er wohl reich ist,
so ward er doch arm um unseretwillen, auf dass wir durch seine Armut reich
würden“, und an einer anderen Stelle: „Welcher, da er wohl hätte mögen Freude
haben, erduldete er das Kreuz.“ Es ist hiernach gewiss: Nicht um selbst eine
Freude zu genießen, sondern um den Menschen seine Freundlichkeit zu offenbaren,
ging Christus mit seinen Jüngern auf die Hochzeit zu Kana.
Warum hat denn aber wohl Christus gerade
diese Weise der Offenbarung seiner Freundlichkeit erwählt? Christus hätte ja
denken können: Was werden die Pharisäer sagen? Werden nicht sie und alle
Frommen unter den Juden sich daran stoßen, dass ich, der ich eine so heilige
Person, nämlich der von den Propheten verkündigte allerheiligste Messias sein
will, an den zeitlichen Freuden einer Hochzeit teilnehme? Christus hätte ferner
denken können: Was werden die Reiche und Vornehmen im Land dazu sagen, wenn sie
mich an dem Festtisch armer Leute sitzen sehen? Wird das nicht in ihnen
verächtliche Gedanken von mir erwecken? Christus hätte ferner denken können,
seine Jünger seien neu erweckte Leute, diese dürfte er nicht auf ein
Freudenfest führen, diese müsse er vielmehr anleiten, sich vor allem in der
Buße zu üben und in ihrem Christentum recht tiefen Grund mit Beten, Kämpfen und
Ringen zu legen. Christus hätte endlich denken können, da er eben jetzt sein
öffentliches Lehramt angetreten habe und zur Verwaltung desselben nur drei
kurze Jahre bestimmt seien, so dürfe er seine kostbare Zeit nicht mit
Hochzeitsfeiern hinbringen, er habe viel nötigere Dinge zu tun, er wolle lieber
die Traurigen, Elenden, Angefochtenen, Kranken und Sterbenden aufsuchen und
dergleichen.
So natürlich nun solche Gedanken uns sind
und so gewiss auch Christus an dies alles selbst gedacht hat, so hat er sich
doch durch diese Gedanken der Menschen nicht abhalten lassen, der erhaltenen
Einladung zu folgen. Warum, das ist nicht schwer zu erraten. Denn, nicht wahr,
hätte Christus nur solche werke getan, welche seine hohe Heiligkeit
offenbarten; hätte er sich nur mit geistlichen gottseligen Übungen beschäftigt;
wäre er nur mit Heiligen umgegangen; hätte er jede weltliche oder doch jede
heitere Gesellschaft geflohen und hätte er sich nur im Tempel oder in der Wüste
Tag und Nacht fastend und betend aufgehalten; hätte er mit seinen Jüngern und
mit anderen Menschen keinen anderen Umgang gepflegt, als dass er ihnen Gottes
Wort gepredigt und mit ihnen auf seinen Knien gelegen und gebetet hätte:
Welcher Mensch würde dann wohl ihm zu nahen gewagt haben? Welcher Sünde würde
dann wohl zu ihm Vertrauen gewonnen haben? Würde sich nicht jeder, den sein
Gewissen einer Unheiligkeit und Südhaftigkeit überzeugte, vor Christus, als vor
einem heiligen, höheren Wesen, gescheut und gefürchtet haben? Und was für
Gedanken würden die Menschen von dem Christentum, nämlich von dem Sinn, leben
und Wandel bekommen haben, den Christus fordere? Würde nicht jeder gedacht
haben, wer ein Jünger Christi werden wolle, der müsse die schwersten Lasten und
das drückendste Joch auf sich nehmen und ein Leben in Geistlichkeit der Engel
und in steter saurer Arbeit, in Plage, Angst und Traurigkeit führen? Jeder
Beschäftigung mit irdischen Dingen sei etwas Unchristliches, sei eine
Befleckung der Seele? Zumal jede irdische Freude sei etwas Sündliches, sei eine
Erzürnung Gottes? – Seht, Christus offenbarte sich durch seine Teilnahme an
einer irdischen Hochzeit in so holdseliger Freundlichkeit, um erstlich alle
Menschen, und auch die größten Sünder zu sich zu locken, und um zu zeigen, dass
das Joch, das er den Seinen auflege, sanft, und dass die Last, die er ihnen zu
tragen gebe, leicht, dass das Christentum nichts Trauriges, nicht ein saurer Dienst,
nicht ein mönchisches, mürrisches, menschenfeindliches Wesen, sondern etwas
Leichtes, Liebliches, Fröhliches, Seliges sei. O des treuen Heilandes, der
darum selbst auf eine armselige irdische Hochzeit ging, um den Sündern Mut zu
machen, dass sie zu ihm kämen!
Doch es wird uns in unserem Evangelium
nicht nur erzählt, dass Christus jener Einladung mit seinen Jüngern Folge
leistete; wir hören ferner, als es in Kurzem wegen der Menge der
hinzugekommenen ungerechneten Gäste an Wein gebrach und die Mutter des HERRN,
die hier heimisch sein mochte, die Verlegenheit des Brautpaares merkte, so
lispelte dieselbe Christus zu: „Sie haben nicht Wein.“ Maria, die alle
Worte, welche von ihrem Sohn von dem Engel, von den Hirten, von dem Propheten
Simeon und der Hanna und von Christus selbst ausgesprochen worden waren, in
ihrem Herzen wohl erwogen hatte, wusste wohl, dass es Christus nur ein Wort
koste, um dem Mangel abzuhelfen. Doch jetzt hatte sie aus menschlicher
Schwachheit Christus zur Unzeit erinnert; Christus antwortet ihr daher: „Frau,
was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“
Christus zeigte hiermit, dass in seinem Amt auch seine Mutter keine Stimme
habe. Doch Maria nahm auch diese Zurückweisung in tiefer Demut willig
an, ward darum in ihrem Glauben an Christi helfende Liebe nicht irre, und
sprach daher zu den Dienern: „Was er euch sagt, das tut.“
Was geschieht? Vor dem Hochzeitshaus
standen sechs große steinerne Wasserbehälter zu dem Zweck, dass man nach den
jüdischen Gesetzen sich vor und nach Tisch waschen konnte. Diese Wasserbehälter
befiehlt Christus mit Wasser zu füllen; die Diener gehorchen. Christus heißt
ihnen ferner: „Schöpft nun und bringt’s dem Speisemeister.“ Sie bringen
es. Verwundert bemerkt nun der Speisemeister, dass das ihm Dargereichte der
köstlichste Wein ist; er ruft daher den Bräutigam und spricht: „Jedermann
gibt zum ersten guten Wein, und wenn sie trunken geworden sind“, das
heißt, wenn die Gäste zur Sättigung getrunken haben, „alsdann den
geringeren; du hast den guten Wein bisher behalten.“ Christus hatte mit
Absicht nicht sogleich nach dem Eintritt des Mangels das Wunder getan;
die
Gäste hatten erst
alle deutlich merken sollen, dass der Wein wirklich zu Ende gegangen sei. Wer
mag daher das Erstaunen schildern, dass jetzt die Gäste und unter ihnen
besonders die Jünger ergriffen haben mag, da sie sehen und schmecken, welch ein
herrliches Wunder Christus in diesem Augenblick getan habe! Daher heißt es denn
auch hierauf: „Und seine Jünger glaubten an ihn.“ Hiermit soll angezeigt
werden, obgleich die Jünger schon vorher einen schwachen Glauben an Christus
gewonnen hatten, so war er doch eben noch sehr schwach gewesen; nun aber, als
das in Erfüllung ging, was Christus drei Tage vorher zu Nathanael gesagt hatte:
„Du wirst noch Größeres als das sehen“, nun wart ihr Glaube erst recht hell und
stark in ihrem Herzen.
Hierdurch offenbarte, heißt es, Christus
seine Herrlichkeit. Diese Herrlichkeit bestand aber nicht allein in der
göttlichen Macht, sondern auch, und zwar vor allem, in der wunderbaren
Freundlichkeit, welche Christus hierdurch offenbarte. Denn ist es nicht so,
liebe Zuhörer: Welch ein freundliches Herz muss Christus damit gegen uns
entdecken wollen, dass er nicht nur mit auf die Hochzeit geht, sondern dass er
dieselbe auch mit einem Wunder krönt, dass er gerade da das erste unter allen
seinen Wundern tut, dass er mit seinem herrlichen Wunder einer Not abhilft, die
kaum eine Not zu nennen ist, und dass er gerade ein solches Wunder tut, Wasser
in Wein verwandelt, mit welchem er die Gäste erquickt, und zwar so viel
Wein verschafft, dass das junge Ehepaar davon eine jahrelange Erquickung haben
konnte? Wer mag nun daran zweifeln, dass Jesus ein freundlicher Heiland sein
müsse, dessen Herz von Liebe gegen die Menschen brennt und wallt, dessen Lust
es ist, uns hier fröhlich und dort selig zu machen, der bereit ist, für uns den
bitteren Tränenkelch zu leeren und uns mit dem süßesten Wein der Freude und
Seligkeit zu tränken und zu erquicken? Möchten wir nicht, wenn wir heute dies
hören, wieder singen, wie an der Krippe des Jesuskindleins:
Er wird ein Knecht
und ich ein Herr,
Das mag ein
Wechsel sein,
Wie könnt es doch
sein freundlicher,
Das
Herze-Jesulein!?
2.
Lasst uns daher nun zweitens erwägen, wozu
wir diese Offenbarung der Freundlichkeit Christi anwenden sollen.
Die rechte Anwendung dieser Offenbarung
besteht erstlich darin, dass wir uns durch das Gefühl unserer Unheiligkeit und
Sündhaftigkeit ja nicht abhalten lassen, zu Christus zu gehen. Denn halten wir
Christus für einen „harten Mann“, der, wie jener Knecht spricht, „nimmt, das er
nicht gelegt hat, und erntet, das er nicht gesät hat“; halten wir Christus für
einen Feind der Sünder, der da gekommen ist, die Sünder zu richten und zu
verdammen; glauben wir, dass Christus einen Sünder von sich stoßen oder doch betrübt
von ihm weggehen lassen könne: So machen wir uns selbst einen falschen
Christus, so werden alle solche Gedanken durch das Verhalten Christi in Kana
widerlegt, und als gottlose Gedanken, die unser Herz sich von Christus selbst
macht oder die der Satan uns von ihm einbildet, verdammt und verworfen. Darum
du, der du gern selig werden möchtest, der du aber wegen deiner Sünden, wegen
deines Abfalls, wegen deiner Untreue, welcher du dich bis diese Stunde schuldig
gemacht hast, dir nun nicht getraust, zu Christus zu gehen; der du immer
denkst, Christus werde nichts von dir wissen wollen: Schaue doch Christus an,
wie er in Kana sich mitten unter arme Sünder setzt, wie er ihr Hochzeitsfest
sogar mit einem Wunder krönt, wie er da lauter Liebe und Freundlichkeit an sich
blicken lässt; so fasse doch daher zu diesem freundlichen Heiland ein Herz,
glaube an ihn, mische dich getrost unter seine Jünger, ja, versuche es nur, und
du wirst’s erfahren: Er wird dich gewiss nicht unfreundlich von sich stoßen und
auch dir gewiss endlich von dem süßen Wein seines Trostes einschenken.
Es gibt jedoch auch solche Sünder, die sich
nicht die Furcht, aber die Furcht vor dem Christentum abhalten lassen, der Welt
Valet zu sagen und wahre Christen zu werden. Sie denken, wer die Welt
verlassen, ein Jünger Christi werden und nichts anderes in dieser Welt genießen
solle als die Freude am Evangelium und die Hoffnung des ewigen Lebens, der
müsse auch aller Freude Abschied gegen, der müsse ein unglücklicher Mensch
werden und schwermütig und trübsinnig sein kurzes Leben vertrauern. Sind auch
vielleicht unter uns solche, die dergleichen Gedanken vom Christentum haben, so
frage ich sie: Wer hat solche Vorstellungen von dem wahren Christentum in euch
erweckt? Wollt ihr das Christentum nach denen beurteilen, die sich’s mutwillig
zu einer steten Mühe, Angst, Arbeit und Traurigkeit machen? In Gottes Wort
findet ihr diese Bild nicht. Schaut Christus in unserem heutigen Evangelium an;
seht, in welcher freundlichen Gestalt er einhergeht; er zeigt euch hiermit,
dass er nicht gekommen ist, die Menschen in einen traurigen, betrübten Zustand
zu versetzen, sondern sie zu erquicken und ihnen eine Freude und einen Frieden
in das Herz zu geben, den ihr in der Welt und ihren Freuden und Gütern nicht
findet. So lange ein Mensch noch eigene Wege geht, so lange er noch nicht
wirklich zu Christus kommt und so lange er noch zwischen Christus und der Welt
sein Herz teilen will, so lange ist freilich das Christentum ein elendes,
trauriges Ding; da ist keine Ruhe, kein Friede, keine Gewissheit, keine Freude,
keine lebendige Hoffnung, keine selige Christengemeinschaft, sondern ein stetes
Grämen und Härmen, und ein Laufen und Rennen nach ungewissem Ziel, ein Fechten
und Ringen mit Streichen in die Luft. Wendet sich aber ein Mensch ohne Umwege
zu Christus und tröstet er sich seiner und traut seinem Wort, seinem Herzen,
der Welt und dem Satan zum Trotz, da wird er ein fröhlicher Christ, der sich
glücklicher dünkt selbst in der Not als der Glücklichste bei seinen guten Tagen
sich dünken kann. Darum ihr, die ihr euch bisher vor dem Christentum gefürchtet
habt, lasst euch doch durch Christi Freundlichkeit zu ihm locken und ihr werdet
es erfahren, was er selbst spricht: „Mein Joch ist sanft, und meine Last ist
leicht.“
Doch zu rechter Anwendung der
Freundlichkeit, die Christus zu Kana offenbart hat, gehört auch ferner, dass
ein Christ in keiner Not verzage, selbst wenn Christus auch auf das erste Gebet
um Hilfe antwortet: „Mensch, was habe ich mit dir zu schaffen? Meine Stunde
ist noch nicht gekommen.“ Habt ihr Christen nicht gehört, wie Christus
selbst in der geringen Verlegenheit, da es auf der Hochzeit an Wein gebrach,
doch endlich durch ein herrliches Wunder Rat geschaffen? Könnt ihr nun glauben,
dass Christus euer Gebet unerhört lassen werde, wenn ihr vielleicht in viel
größerer Not ihn anruft? O, hört doch nicht auf euer Herz, dass in der Stunde
der Trübsal, wenn die Hilfe nicht gleich erscheint, an Christi Liebe zweifeln
will. Denkt doch nicht gleich, dass Christus euch um eurer Sünde willen in der
Not verlassen werde. Er tut es wahrlich nicht. Er ist ein Freund der Sünder.
Wenn er mit seiner Hilfe verzeiht, will er nur euren Glauben, eure Geduld und
eure Liebe zu ihm auf die Probe stellen. Folgt daher der Maria und werdet auch
nicht an Christus irre. Müsst ihr auch erst ein großes Maß voll Tränen füllen
bis obenan: Wenn Christi Stunde schlagen wird, so wird euer Tränenwasser in den
Wein der seligsten Freude verwandelt werden. Er legt es selbst an einer anderen
Stelle so seinen Jüngern aus, wenn er zu ihnen spricht: „Ihr werdet traurig
sein, doch eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden.“
Endlich aber, meine Lieben, da Christus,
unser HERR, sich so freundlich erwiesen, so lasst uns bedenken, dass er uns
auch damit ein Vorbild gelassen hat, dass wir nachfolgen sollen seinen
Fußstapfen. Wollen wir Jünger des freundlichen Heilandes sein, so lasst es uns
daher auch mit der Tat beweisen, lasst uns so wandeln, dass die Welt sehe, dass
wir keine Menschenfeinde sind und dass das Christentum nichts Finsteres und
Schwermütiges sei, lasst uns wandeln, wie es fröhlichen und seligen Christen
gebührt, freundlich gegen jedermann, im Herzen, in Gebärden und mit Worten und
Werken. Auf unserem Antlitz stehe das Wort des Apostels geschrieben: „Als die
Traurigen, aber allezeit fröhlich.“ Amen.
Die Gnade unsers HERRN und Heilandes Jesus
Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Es wird gewiss wenige Menschen geben, die,
wen sie noch an einen Himmel und an eine Hölle glauben, nicht glauben sollten,
dass sie einst in den Himmel kommen werden. Fragt man sie aber, worauf sie denn
diesen ihren Glauben gründeten und warum sie denn eine so gute Hoffnung für
sich von der Ewigkeit hegten, so geben die Meisten auf diese Frage eine solche
Antwort, dass man deutlich sieht: Ihr Glaube ist grundlos, nichts als eine
leere Einbildung, in welcher sie sich einst betrogen finden werden.
Denn was antworten die Meisten auf die
Frage: Warum glaubst du denn, selig zu werden? – Der Eine spricht: Ich glaube
es darum, weil Gott ein gutes Wesen ist, ein lieber Vater im Himmel, der gewiss
nicht so streng und hart sein wird, mich ewig von sich zu stoßen und zu
verdammen. Wer aber aus diesem Grund selig zu werden hofft, der bau seinen
Glauben darauf, dass Gott bloß die Eigenschaft der Liebe, aber nicht die
Eigenschaft der Gerechtigkeit habe, der baut also auf Sand, sein Glaube ist
eine leere Einbildung, ein süßer Traum, aus welchem er in der Ewigkeit gewiss,
aber dann zu spät, erwachen wird, denn Gott ist ebenso gerecht wie liebevoll.
Ein anderer spricht daher: Ich weiß wohl,
dass Gott nicht bloß liebevoll, sondern auch gerecht und heilig ist; ich glaube
aber darum, selig zu werden, weil Gott mir von Jugend auf bewiesen hat, dass er
mich liebe und mir gnädig sei. Ich habe oft zu Gott in der Not gebetet, und er
hat meine Gebete oft erhört; er hat mich in Zeitlichem gesegnet; ich sehe, wie
mir Gott, was ich anfange, gelingen lässt. Hieraus sehe ich deutlich: Gott muss
mich liebhaben, warum sollte ich also an meiner Seligkeit zweifeln? Wer aus
diesem Grund selig zu werden hofft, der baut seinen Glauben darauf, dass Gott
an denjenigen, welchen er viel Wohltaten erweist, schon sein Wohlgefallen haben
müsse, der baut daher auch auf Sand. Denn Gott hat nicht nur uns Menschen geboten,
auch unseren Feinden Gutes zu tun, sondern er tut dies auch selbst. „Er ist“,
wie Christus spricht, „gütig über die Undankbaren und Boshaften.“ Weit entfernt
also, dass die gütigen Erweisungen Gottes immer Gottes Wohlgefallen an einem
Menschen offenbaren, so sind sie vielmehr bei den meisten Menschen nur
Lockungen dazu, dass sie erst Buße tun sollen; denn so spricht der heilige
Apostel: „Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmut?
Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“
Noch andere sprechen daher: Wir wissen
wohl, wenn ein Mensch in Sünden lebt, so steht er doch nicht bei Gott in
Gnaden, wenn er gleich, wie der reiche Mann im Evangelium, mit göttlichen
Wohltaten überschüttet wird und Gott im Schoß zu sitzen vermeint; wir aber
glauben darum, selig zu werden, weil wir uns, Gott sei Dank, keiner großen
Sünden, wie andere gottlose Menschen, bewusst sind; wir haben uns, so viel in
unseren schwachen Kräften steht, von Jugend auf fromm und rechtschaffen
gehalten; es kann uns niemand etwas Schlechtes nachsagen; Sünder sind wir
freilich alle: Wollte Gott aber alle diejenigen verdammen, die solche
Schwachheitssünden haben wie wir, dann könnte ja niemand selig werden. Wer nun
darum selig zu werden hofft, der baut seinen Glauben darauf, dass Gott
kleingeachtete Sünden nicht strafen könne und dass Gott an ihm nicht mehr
Sünden sehe als er selbst; auch der baut daher auf Sand, denn bei Gott sind
alle Sünden groß, und wo wir Eine Sünde sehen, da sieht Gott bis in unser Herz
dringendes Auge tausend. Daher heißt es auch von jenem Pharisäer, der auch
sagte: „Ich danke dir, dass ich nicht bin wie andere Leuchte, kein Räuber, kein
Ungerechter, kein Ehebrecher“, und desgleichen, dieser ist nicht gerechtfertigt
in sein Haus gegangen, er sei also mit seiner ganzen Ehrbarkeit, Gerechtigkeit
und Frömmigkeit verdammt worden.
Dass man nun dadurch nicht selig werden
könne, sehen andere ein. Sie sprechen daher: Ich weiß wohl, dass ich durch
meine Frömmigkeit nicht in den Himmel kommen kann, und dass Gott auch meine
Fehler und Schwachheiten bestrafen muss, aber ich habe schon in dieser Welt so
viel Kreuz, Not und Trübsale ausgestanden; der liebe Gott hat mich für meine
Sünden schon hier so hart mit vielen Krankheiten, mit Schmerzen, mit Armut
gestraft und mich dieselben abbüßen lassen; ach, ich habe in diesem Leben wenig
fröhliche Tage und Stunden gehabt! So denke ich doch, in jener Welt werde ich’s
dann desto besser haben. Wer nun darum selig zu werden hofft, auch der baut
seinen Glauben auf Sand; denn wenn auch ein Mensch hundert Jahre keine frohe
Stunde hätte, so könnte er damit auch nicht Eine Sünde abbüßen und wieder
gutmachen, denn Gott hat auf die Sünde den Tod, nämlich den zeitlichen und
ewigen Tod, gesetzt. Wer daher auf die Abbüßung seiner Sünden bauen will, der
kann sie nicht hier, sondern muss sie in jener Welt abbüßen von Ewigkeit zu
Ewigkeit.
Doch, meine Lieben, es gibt, Gott sei Dank,
noch Menschen, welche sagen, sie gründeten ihre Hoffnung, selig zu werden,
nicht auf die bloße Liebe Gottes, nicht auf die Wohltaten, die sie schon
genossen hätte, nicht auf ihre Ehrbarkeit und nicht auf ihre Leiden in dieser
Welt, sondern sie hoffen selig zu werden allein durch Christus. Obgleich aber
nun diese Antwort schon besser klingt, so kann doch ein Mensch meinen, er
glaube wirklich an Christus, und in der Tat ist sein Glaubensgrund doch etwas
ganz anderes. Fragt einen Schwärmer unserer Zeit, der in einem durchaus
falschen Glauben steht, wodurch er denn selig werden wolle? So wird auch er
euch sagen: durch Christus. Hierdurch darf man sich aber nicht täuschen lassen;
denn nur der hat den rechten Glauben an Christus, der ihn auf das Wort gründet.
Matthäus 8,1-13: Da er aber vom Berge herabging, folgte
ihm viel Volk nach. Und siehe, ein Aussätziger kam und betete ihn an und
sprach: HERR, so du willst, kannst du mich wohl reinigen. Und Jesus streckte
seine Hand aus, rührte ihn an und sprach: Ich will’s tun; sei gereinigt! Und
alsbald ward er von seinem Aussatz rein. Und Jesus sprach zu ihm: Siehe zu,
sag’s niemand, sondern gehe hin und zeige dich dem Priester und opfere die
Gabe, die Mose befohlen hat, zu einem Zeugnis über sie. Da aber Jesus einging zu
Kapernaum, trat ein Hauptmann zu ihm, der bat ihn und sprach: HERR, mein Knecht
liegt zu Hause und ist gichtbrüchig und hat große Qual. Jesus sprach zu ihm:
Ich will kommen und ihn gesund machen. Der Hauptmann antwortete und sprach:
HERR, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein
Wort, so wird mein Knecht gesund. Denn ich bin ein Mensch, dazu der Obrigkeit
untertan, und habe unter mir Kriegsknechte; doch wenn ich sage zu einem: Gehe
hin! so geht er, und zum andern: Komm her! so kommt er, und zu meinem Knecht:
Tue das! so tut er’s. Da das Jesus hörte, verwunderte er sich und sprach zu
denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch, solchen Glauben habe ich
in Israel nicht gefunden. Aber ich sage euch: Viele werden kommen vom Morgen
und vom Abend und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich sitzen. Aber
die Kinder des Reichs werden ausgestoßen in die äußerste Finsternis hinaus, da
wird sein Heulen und Zähneklappen. Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Gehe hin;
dir geschehe, wie du geglaubt hast! Und sein Knecht ward gesund zu derselben
Stunde.
Nach diesem Evangelium lasst mich euch
jetzt vorstellen:
Dass
nur das der rechte Glaube sei, der sich allein an das Wort hält
Denn
1.
Nur ein solcher Glaube hat den
rechten Grund, und
2.
Nur ein solcher Glaube bringt die
rechte Frucht.
1.
In unserem heutigen Evangelium finden wir
zwei Beispiele von einem Glauben, der durch den Erfolg bestätigt, ja, zum Teil
von Christus selbst als ein Musterglaube bewundert und gerühmt worden ist. Wir
können daher an diesen Beispielen den rechten Glauben kennenlernen, bei welchem
sich ein Mensch gewiss nicht betrogen finden wird.
Worauf gründen nun die beiden Gläubigen,
die uns in unserem Text vorgestellt werden, ihren Glauben, und woran hielten
sie sich denn dabei? Was war dies erstlich bei dem Aussätzigen? Von diesem
heißt es, er habe Christus angebetet und gesprochen: „HERR, so du willst,
kannst du mich wohl reinigen.“ Bei dem ersten Anblick scheint es, als habe
der Aussätzige nach dieser Rede gar keinen Glauben gehabt, sondern vielmehr
Zweifel und Misstrauen gegen Christus in seinem Herzen getragen. Aber es
scheint nur so. Wir müssen nämlich bedenken, dass der Aussätzige nicht um
Gnade, nicht um Vergebung der Sünden, nicht um Seligkeit seiner Seele bat,
sondern um ein zeitliches, leibliches Gut, um Gesundheit. Nun wusste der
Aussätzige wohl, dass Gott manchem Menschen ein leibliches Übel zuschickt zu
seinem Seelenheil; er dachte daher daran, dass die Krankheit des
Aussatzes, mit der er beladen war, vielleicht auch ihm zu seinem Heil nötig
sei; unbedingt um Heilung zu bitten, achtete er daher für eine Vermessenheit;
er bittet daher wohl um die leibliche Hilfe, aber mit der Bedingung, so
Christus wollte, das heißt, so es Christi gnädigem Willen nicht entgegen
wäre. Er will sagen: Christus wisse freilich besser, was ihm gut sei, ob
Krankheit oder Gesundheit; er stelle daher die Erfüllung seiner Bitte in seinen
Willen; doch dass er, wenn er wolle, ihn auch reinigen könne,
das sei ihm gewiss. Seht, meine Lieben, was war es also, was der Aussätzige von
Christus begehrte und worauf er seinen Glauben, auch an die wirkliche Hilfe,
gründen wollte? Es war Christi ausdrückliche zusage und Wort. Ehe
freilich Christus das Wort ausgesprochen hatte: „Ich will es tun, sei
gereinigt“, da wagte der Aussätzige nicht, mit Gewissheit die Heilung zu
erwarten, dieses Wort wollte er erst in sein Ohr schallen hören, das aber
sollte ihm genügen.
Wie war ferner der Glaube des Hauptmanns von Kapernaum beschaffen? Auch
dieser bat um ein leibliches Gut. Was verlangte er nun, um der Hilfe gewiss zu
sein? Er lässt, wie wir aus dem Bericht des Evangelisten Lukas erfahren,
Christus bitten: „HERR, mein Knecht lieg zu Hause und ist gichtbrüchig und
hat große Qual.“ Da nun Jesus sogleich spricht: „Ich will kommen und ihn
gesund machen“, was lässt hierauf der Hauptmann Christus sagen? Dieses: „HERR,
ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst; sondern sprich nur ein Wort,
so wird mein Knecht gesund.“ Seht, der Hauptmann begehrt von Christus
nicht, dass er irgendein Zeichen gebrauche, etwa die Hand auf den Kranken lege,
oder etwas Ähnliches, wie andere oft baten, ja, er begehrt nicht einmal, dass
Christus in sein Haus komme; Christus soll nur ein Wort sprechen, mehr begehrt
er nicht; das und nichts anderes ist der Grund, darauf er seinen Glauben gebaut
hat, und daran er sich so fest hält, dass ihn dann nichts, selbst die leibliche
Abwesenheit Christi nicht, irre und in seinem Glauben wankend machen kann. Ja,
er stellt es Christus deutlich vor, warum er sich so fest auf sein Wort
verlasse, und spricht weiter: „Denn ich bin ein Mensch, dazu der Obrigkeit
untertan, und habe unter mir Kriegsknechte; doch wenn ich sage zu einem: Gehe
hin, so geht er; und zum anderen: Komm her, so kommt er; und zu meinem Knecht:
Tue das, so tut er’s.“ Der Hauptmann will sagen: Mein Wort ist ein
Menschenwort, und doch richtet es so viel aus, dass das augenblicklich
geschieht, was ich denen sage, die mir unterworfen sind; wie dürfte ich nun
zweifeln, dass, wenn du dein göttliches Machtwort aussprichst, alles alsobald
geschehen werde? Ich bin ein Mensch, du bist der Sohn Gottes, dir sind daher
nicht nur Menschen, sondern auch alle Mächte in Himmel und auf Erden untertan;
auf dein Wort kann man sich verlassen; du sprichst ein Wort, und schnell müssen
Krankheit, Tod und Teufel weichen. „Du sprichst, so geschieht’s; du gebietest,
so steht’s da.“ Damit wir nun nicht zweifeln können, dass dies der rechte
Glaube sei, wie ihn Christus haben will, so wird uns in unserem Evangelium
weiter erzählt: „Da das Jesus
hörte, verwunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich,
ich sage euch, solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden. Aber ich sage
euch: Viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und mit Abraham und Isaak
und Jakob im Himmelreich sitzen. Aber die Kinder des Reichs werden ausgestoßen
in die äußerste Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähneklappen. Und
Jesus sprach zu dem Hauptmann: Gehe hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast!
Und sein Knecht ward gesund zu derselben Stunde.“
Prüfen wir nun hiernach den Glauben derer,
die da sagen, dass sie auch durch den Glauben an Christus selig werden wollen,
so werden wir bald finden, dass leider nur zu vielen, ohne es zu ahnen, nicht
im rechten Glauben stehen. Denn worauf gründen die Meisten diesen ihren
Glauben, und zwar oft diejenigen, die sich ihr Christentum einen rechten Ernst
sein lassen wollen? Der Eine sagt: Ich glaube, dass auch ich durch Christus
selig werde, denn ich habe eine wahre Buße getan, ich bin zu einer lebendigen
Erkenntnis meiner Sünden und zu einer großen Reue über dieselben gekommen,
darum darf ich gewiss nun auch glauben, dass mir um Christi willen meine Sünden
vergeben seien. Ein anderer spricht: Das glaube ich darum, denn ich habe es
erfahren an meinem Herzen; ich war einst in großer Angst über meine vielen
Sünden, ich wusste keine Ruhe mehr in der ganzen Welt zu finden; meine
Missetaten stand wie Berge vor meiner Seele: Da habe ich mich auf meine Knie
geworfen und Gott herzlich angerufen, er wolle sich doch meiner erbarmen, und
siehe, bald habe ich reichen Trost in meinem herzen empfunden; es war mir, als
spräche eine innere Stimme zu mir: Deine Sünden sind wir vergeben; da kehrte
süßer Friede und eine himmlische Ruhe in meinem Herzen ein; so bin ich denn nun
gewiss, dass ich bei Gott in Gnaden stehe. Ein Dritter sagt: Auch ich war
einstmals in großer Seelennot; ich sah, dass ich mit meinem bisherigen ehrbaren
Leben nicht vor Gott bestehen könne; Gottes Wort hatte mir wie eine
Donnerstimme in das Herz gerufen: Du bist der Mann des Todes! Ich geriet in
Verzweiflung und Verzagen. Doch, da fing ich an zu beten und zu seufzen und zu
kämpfen und zu ringen mit Gott, und habe darin fortgefahren Tag und Nacht und
nicht geruht, bis ich endlich das Zeugnis des Heiligen Geistes in meinem Herzen
empfand. Und siehe! Endlich bekam ich auch dieses Zeugnis; ich konnte nun
jauchzen: Ich habe das Kleinod errungen! Ich bin nun Gottes Kind! Ich bin ein
Erbe des Himmels! Christus ist mein! Ich bin selig! Halleluja! Es gibt ferner
solche, die sagen, sie glauben darum, dass sie durch Christus selig werden
würden, weil sie ganz andere Menschen geworden seien. Vorher hätten sie nach
der Welt Weise in mancher offenbaren Sünde oder doch in mancher Eitelkeit der
Welt dahin gelebt und sich um Gott und sein Wort und ihrer Seelen Seligkeit
nicht bekümmert, aber seit einer gewissen Zeit seien sie wie umgewandelt; sie
hätten die alten Sünden abgelegt, sie machten jetzt die eitlen Vergnügungen der
Welt nicht mehr mit, sie lebten jetzt eingezogen, nun verginge bei ihnen kein
Tag, an dem sie nicht beteten und etwas in Gottes Wort läsen, sie gingen nun
fleißig zur Kirche und zum heiligen Abendmahl, sie hätte nun auch ganz andere
Einsichten in Gottes Wort und die ganze christliche Lehre; darum meinten sie,
dass sie gewiss glauben könnten, dass auch ihnen ihre Sünden um Christi willen
vergeben seien und dass auch sie selig werden würden, wenn sie Gott durch den
Tod abfordern würde. Endlich gibt es auch solche, die dies darum glauben, weil
sie, wie sie sagen, einmal nach einem heftigen Gebet Christus selbst gesehen,
den Heiligen Geist leibhaftig gefühlt oder sonst merkwürdige himmlische
Erscheinungen und Offenbarungen gehabt hätten.
So gewiss nun ist, dass diejenigen, welche
von solchen Erfahrungen erzählen können, wie sie nämlich einmal eine tiefe Reue
über ihre Sündhaftigkeit, einen süßen Frieden des Herzens, ein himmlisches Wehen des Heiligen Geistes, eine
Umänderung ihres Lebens und dergleichen erfahren hätten, so gewiss es ist, sage
ich, dass diese nicht ohne Erweckungen der göttlichen Gnade geblieben sind,
dass Gott an ihnen gearbeitet, an ihren Herzen angeklopft und sie heimgesucht
hat, sie zum rechten seligmachenden Glauben zu bringen, so haben doch alle, die
nun auf solche ihre Erfahrungen ihren Glauben und ihre Hoffnung der Seligkeit
bauen, einen falschen, wankenden und schwankenden Grund. Ach und wehe denen,
die ihren Glauben auf ihre Buße bauen, denn auch die ernstlichste Buße bleibt
unvollkommen und auch die tiefste Reue macht vor Gott nicht würdig! Wehe denen,
die auf das süße Friedensgefühl sich verlassen, das in ihnen einmal entstanden
ist, denn dieses Gefühl ist vorübergehend! Wehe denen, die ihren Gnadenstand darauf
gründen, dass sie das Zeugnis des Heiligen Geistes einmal empfunden haben, denn
dieses Zeugnis ist keineswegs immer im Herzen! Wehe denen, die um ihres neuen
Lebens willen sich des Rechtes der Kindschaft Gottes trösten, denn auch das
beste Leben ist verdammt, wenn es Gott nicht zudeckt mit seiner Gnade.
Den einzig rechten Grund, den unser Glaube
haben soll, zeigt uns das Beispiel des Aussätzigen und des Hauptmanns in
unserem Evangelium: Es ist das Wort. Wer sich allein darauf verlässt,
dass Gott selbst in seinem Wort sagt: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird
selig werden“; wer sich allein darauf verlässt, dass Christus selbst spricht:
„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen. So sehr hat Gott die Welt
geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben,
nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“; kurz, wer aus keiner
anderen Ursache es wagt zu glauben, dass auch ihm seine Sünden vergeben seien
und dass auch er einst ewig selig werde, als weil es Gott in seinem Wort
offenbart hat, dass alle Menschen, alle, auch die größten Sünder, durch
Christus mit ihm versöhnt und durch ihn, wenn sie an ihn glauben, selig werden
sollen, der hat einen festen, gewissen, unwandelbaren Glaubensgrund; denn des
HERRN Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss. Wenn ein
solcher Gläubiger auch keine Gnade mehr fühlt, sondern nur Zorn empfindet, so
verzagt er doch nicht; er spricht: Mein Herz verkündigt mir Zorn, aber das
Wort, das nicht lügen kann, verkündigt mir Gnade. Wenn ferner ein solcher
Gläubiger auch in große Not gerät, so dass es scheint, als habe Gott ihn ganz
vergessen, so verzweifelt er doch nicht; er spricht: Gott führt mich zwar durch
das dunkle Tal der Trübsale, aber das Wort sagt mir, dass er mein Vater ist.
Und wenn nun endlich ein solcher Gläubiger in Todesnot kommt, mag dann immer
der Satan seine feurigen Pfeile nach seinem Herzen abdrücken, mag er ihn seines
ganzen vergangenen Lebens halber verklagen, so ist er doch getrost und spricht:
Ich will nicht mit dir streiten, o Satan, ob ich ein guter oder schlechter
Christ gewesen bin, aber das Wort sollst du mir nicht nehmen, das allen
Sündern, die ihre Zuflucht zu Christus nehmen, Gnade, Vergebung, Gerechtigkeit
und Seligkeit verheißt; an dieses Wort will ich mich jetzt im Glauben halten;
auf dieses Wort will ich jetzt sterben und mit diesem Wort will ich vor Gottes
Gericht getrost treten; Gott kann nicht lügen; was er verheißen hat, muss er
halten; er kann mich daher auch nicht verdammen; er muss mich selig machen; er
wird auch zu mir sagen: „Wie du geglaubt hast, so geschehe dir, gehe ein zu
deines HERRN Freude.“
2.
Doch, meine Lieben, der Glaube, der sich
allein an das Wort hält, hat nicht nur allein den rechten Grund, sondern bringt
auch allein die rechte Frucht. Davon lasst mich nun noch zweitens Einiges
hinzusetzen.
Wie fruchtbar der Glaube sei, der sich
allein an das Wort hält, dies sehen wir vor allem an dem Beispiel des
Hauptmanns in unserem Text. Besonders zwei Tugenden sind es, die an diesem Man
auf das herrlichste hervorleuchten, nämlich seine große Demut und seine eifrige
Liebe. Christus war besonders bei allen Vornehmen sehr verachtet; die meisten
der angesehenen Juden schämten sich seiner und meinten, es sei für Christus
eine große Ehre, wenn sie ihn zu sich einluden. Wie dachte aber der heidnische
Hauptmann? Er achtete sich für so unwürdig, dass er Christus nicht nur nicht zu
sich einladen, und, wie Lukas erzählt, nicht selbst zu ihm zu gehen wagte, und
daher jüdische Älteste zu ihm schickte, sondern, als der HERR sich bereit
erklärte, zu ihm zu kommen, selbst da ließ er es ihm nicht zu, sondern sprach: „HERR,
ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst.“ Welch eine Demut! –
Doch wir hören auch von ihm, dass er mit der Krankheit und der Qual seines
Knechtes ein so herzliches Mitleid hatte, wie es nur ein Vater mit der seines
eigenen Kindes haben kann. Bedenken wir nun, dass besonders in jener Zeit die
Sklaven gewöhnlich auf das gefühlloseste behandelt und kaum für Menschen
angesehen wurden, so müssen wir umso mehr das väterliche Herz bewundern, dass dieser
alte Krieger gegen seinen kranken Sklaven hier offenbarte. Hierzu kommt noch,
dass dieser Hauptmann nach dem Bericht des Lukas bei den Juden wegen seiner
Liebe zu dem Volk Gottes und ihrer Religion bekannt und beliebt war, die er
unter anderem auch dadurch mit der Tat bewiesen hatte, dass er den Juden zu
Kapernaum aus seinen Mitteln eine Schule erbaut hatte. Wir sehen hieraus, dass
der Glaube an Christus und an die Gewissheit seines Wortes bei ihm kein müßiger
Gedanke, sondern etwas Lebendiges, Geschäftiges, Tätiges und Kräftiges in
seinem Herzen war, der ihn zu einem neuen Menschen umgewandelt hatte, der da
reich war an christlichen Tugenden und wahrhaft guten Werken.
Wie sich aber der Glaube, der sich fest an
das Wort hält, einst bei dem Hauptmann erwies, so erweist er sich immer bei
allen, die ihn in ihrem Herzen tragen. In unseren Tagen zwar hört man nicht
selten aus dem Mund der Ungläubigen den Vorwurf, dass der Glaube allen Eifer in
guten Werken aufhebe, ja, selbst die Glieder der schwärmerischen Sekten, die
sich doch so laut ihres Glaubens rühmen, sprechen es jetzt nicht selten aus,
dass ein Glaube, der sich auf das bloße Wort verlasse, ein totes Ding sei, wobei
keine Veränderung in dem Herzen des Menschen vorgehe: Aber warum urteilt man
so? Man hat es nicht erfahren.
Ein Glaube, der sich allein an das Wort
hält, scheint freilich etwas sehr Leichtes und Bequemes zu sein; aber es
scheint nur so. Kein Mensch kann sich solch einen Glauben selbst geben. Viele
meinen wohl, dass sie ihn haben, aber in der Stunde der Anfechtung, wenn die
Sünden aufwachen, oder in der Stunde des Todes, wenn sie das göttliche Gericht
nahen sehen, wird nur zu oft das Gegenteil offenbar. Da zeigt sich’s, dass die
Meisten, die sich des Glaubens an das Wort rühmen, ihr vertrauen doch
eigentlich auf ihre Werke setzen und daher in jenem bösen Stündlein keinen
Trost haben.
Zu dem rechten Glauben, der sich allein an
das Wort hält, kommt der Mensch nur dann, wenn er vorher hat erkennen lernen,
dass es sonst keinen Glaubensgrund und Hoffnungsanker für ihn gibt; diesen
Glauben senkt daher der Heilige Geist in das Herz eines Menschen dann, wenn
dieser anfängt, vor Sünde, Hölle und am meisten vor Gott selbst zu erschrecken.
Der Heilige Geist leitet dann einen solchen erschrockenen Sünder dahin, dass
er, an allem seinem Können, Wollen, Zubereiten, Werken und Frömmigkeit verzagend,
es wagt, sich ganz allein an das Wort zu halten.
O, wohl aber einem Menschen, der endlich
dahin kommt, dass er ausruft: Ach, ich kann mit meiner Buße, mit meinen
Vorsätzen, mit meiner Besserung, mit meiner Heiligung nimmer vor Gott bestehen;
ich will mich daran halten und anklammern, dass Gott den armen Sündern, die
nichts als Sünde haben, Gnade verheißt in Christus; er kann ja sein Wort nicht
widerrufen; er muss sich also doch meiner erbarmen! O wohl, sage ich, dem, der
vom Heiligen Geist endlich dahin geleitet wird und sich in diesem Sinn und
Glauben erhalten lässt bis an sein Ende! Ein solcher Gläubiger wird gewiss dann
auch bald herrliche Früchte dieses seines Glaubens zeigen, wie der an das Wort
gläubige Hauptmann in unserem Evangelium. Ein solcher Gläubiger fängt dann an,
wahrhaft demütig zu werden; er4 führt dann nicht nur, wie die geistlich stolzen
Schwärmer, demütige Gebärden und Worte, sondern er steht wirklich vor Gott und
Menschen in der tiefsten Armut des Geistes; er achtet sich aller Gnade
unwürdig; er achtet sich nicht würdiger als den größten unter allen Sündern und
erscheint täglich vor Gott als ein nackter und bloßer Bettler, der nicht Recht,
sondern Gnade begehrt.
Wie wäre es aber nun möglich, dass
derjenige, welcher in Wahrheit glaubt, dass ihn nichts als Gottes
Barmherzigkeit täglich leiblich und geistlich erhalten und mit unzähligen
Wohltaten überschütte, nicht auch mit Liebe zu Gott und seinen Brüdern erfüllt
werden sollte? Wie wäre es möglich, dass das lebendige Wort Gottes in ein Herz
aufgenommen werden und es nicht lebendig machen sollte? – Nein! Das göttliche
Wort, das ein solcher Gläubiger in seinem Herzen trägt, ist wie eine glühende
Kohle, die ihn nicht kalt bleiben lässt, sondern auch sein Herz erwärmt und
auch ihn göttlich gesinnt macht. Es erweist sich in ihm als der göttliche
unvergängliche Same, dadurch er von Gott gezeugt wird zu einem Erstling seiner
Kreaturen.
Möge denn der Heilige Geist selbst in einem
jeden unter uns einen lebendigen Glauben, der sich an das Wort hält, wirken, so
werden wir nicht nur damit in Not und Tod bestehen, sondern auch leuchten als
Lichter in dieser Welt. Das tue er an uns um Jesu Christi, unseres einigen
Heilandes, willen. Amen.
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die
Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heilligen Geistes sei mit euch allen.
Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Wir leben in einer Zeit, in welcher viele
Prediger ein Christentum ohne Christus predigen und viele Zuhörer ein solches
Christentum ohne Christus haben wollen. Man hört daher in unseren Tagen nicht
selten den Grundsatz aussprechen: Zu wissen, wer Christus eigentlich nach
seiner Person sei, das sei durchaus nicht nötig, und sich darüber viel streiten
sei die größte Torheit. Die Hauptsache sei, Christi weisheitsvolle Lehre
zu kennen, seinem erhabenen Beispiel zu folgen und seine heiligen Gebote
zu halten. Wenn ein Mensch das tue, dann möge er doch immerhin von
Christus glauben, was er wolle; man solle ihn bei seinem Glauben lassen; denn
dann komme weniger oder nichts darauf an, ob er Christus für eine göttliche
oder für eine menschliche Person, für den Sohn Gottes oder bloß für einen
frommen Menschen halte.
Sollte dies wohl wahr sein? Ich meine: Wer
nur einige Erkenntnis hat, der sieht wohl, was diejenigen, welche solche
Grundsätze aussprechen, damit im Schild führen. Es ist ihnen damit keineswegs
ein Ernst; sie achten es ohne Zweifel selbst keineswegs für gleichgültig, ob
jemand Christus für den Sohn Gottes oder für einen bloßen Menschen halte; sie
erklären dies vielmehr nur darum für gleichgültig, weil sie wünschen, dass
jedermann von Christus gering denken und ihn, wie sie selbst, für einen bloßen
Menschen halten möge.
So lasse sich denn niemand durch solche
jetzt so gangbaren Reden irre machen. Weit entfernt, dass nichts darauf
ankommen sollte, was ein Mensch von Christi Person hält, so kommt vielmehr
darauf alles an. Dies lehrt uns schon unsere Vernunft. Christus verheißt uns in
seiner Lehre, er wolle uns unsere Sünden vergeben, er wolle uns von Gottes Zorn
und Ungnade, vom Tod und von der Hölle erlösen, uns einst am Jüngsten Tag von
den Toten auferwecken, uns im Tod den Himmel öffnen und uns dort ewig selig
machen. Sollte es nun gleichgültig sein, ob der, welcher uns solche Dinge
verheißt, ein bloßer Mensch oder der wahrhaftige Gott und das ewige Leben sei?
– Verspricht uns jemand nur tausend Taler, wird es uns dann einerlei sein, ob
derselbe reich oder arm sei, ein Besitzer von Millionen oder ein Bettler?
Gewiss nicht. Wie? Und Christus verspricht uns, was der allmächtige Gott
allein geben kann, und uns sollte es gleichgültig sein, ob Christus der
allmächtige Sohn des Allerhöchsten oder ob er ein ohnmächtiger Mensch sei wie
wir? – Dies streitet aber auch gegen die ganze Heilige Schrift. Nach derselben
ist die Lehre von Christi Person die erste, die wichtigste, die Haupt- und
Grundlehre des ganzen Christentums. Die Apostel nennen das Christentum geradezu
die Predigt von Christus und besonders von dem gekreuzigten Christus, und sie
erklären: „Einen anderen Grund kann niemand legen, außer dem, der gelegt ist,
welcher ist Jesus Christus.“ Ein Christentum ohne Christus ist also nach der
Schrift ein in die Luft gebautes Haus ohne allen Grund, eine Sonne ohne schein,
eine Schale ohne Kern, eine Quelle ohne Wasser.
Eben dadurch unterscheid sich nämlich
Christi Lehre von allen anderen Religionen, dass er selbst den Hauptinhalt
seiner Lehre ausmacht. Alle anderen Religionen sind aus der Vernunft
herausgesponnene Lehrsysteme, die eine Reihe von Behauptungen und Geboten
enthalten, ohne in irgendeiner Beziehung zu denen zu stehen, welche diese
Systeme erfunden haben. In der Lehre Christi aber ist Christus selbst der
leuchtende Mittelpunkt, von welchem alles ausgeht, um den sich alles bewegt und
auf den sich alles wieder zurückbezieht.
Christus spricht nicht bloß wie andere
Lehrer: Ich zeige euch den rechten Weg, ich lehre die Wahrheit,
ich führe zum ewigen Leben, sondern er spricht geradezu: „Ich bin
der Weg, ich bin die Wahrheit, ich bin das Leben.“ Christus spricht ferner
nicht bloß: Wer an meine Lehre oder an Gott glaubt, der hat das ewige
Leben, sondern geradezu: Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben.“
Christus spricht ferner nicht bloß: Wendet euch zu Gott, sondern er spricht
geradezu: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.“
Christus sagt aber auch endlich ausdrücklich, dass es nicht genug sei, Gott den
Vater zu erkennen; er spricht: „Das ist das ewige Leben, dass sie dich, dass du
allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus,
erkennen.“ Christus erklärt also die Erkenntnis Christi für ebenso nötig wie
die Erkenntnis Gottes des Vaters.
So hat kein Philosoph geredet und so konnte
keiner reden; diese konnten sich allein auf ihre Lehre berufen, auf sich
selbst aber konnten sie nicht hinweisen, das hat nur Christus getan.
Was sollen wir also von denen halten, die
da sagen: Zu wissen, was Christus eigentlich sei, sei nicht nötig, wenn man nur
seine Lehre kenne? Solche sind entweder von anderen Verführte oder selbst
Verführer, die Christus aus dem Christentum austilgen möchten, um eben damit
das Christentum selbst zu vertilgen und an die Stelle desselben die dem Fleisch
freilich bequemere Moral der alten Heiden wieder einzusetzen.
O, möchte es jetzt nicht so viele, selbst
mitten in der Christenheit, geben, die nichts von Christus wissen wollen! In
einer solchen Zeit ist es freilich höchst nötig, dass man sich in seinem
Glauben an Christus immer tiefer gründen und zu stärken suche. Lasst uns daher
unser heutiges Evangelium dazu anwenden, Christi göttliche Macht und
Herrlichkeit uns recht lebendig zu vergegenwärtigen.
Matthäus 8,23-27: Und er trat in das Schiff, und seine
Jünger folgten ihm. Und siehe, da erhob sich ein großes Ungestüm im Meer, also
dass auch das Schifflein mit Wellen bedeckt ward; und er schlief. Und die
Jünger traten zu ihm und weckten ihn auf und sprachen: HERR, hilf uns, wir
verderben! Da sagte er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so
furchtsam? Und stand auf und bedrohte
den Wind und das Meer; da ward es ganz still. Die Menschen aber verwunderten
sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam
ist?
Aufgrund dieses
herrlichen Evangeliums lasst mich jetzt zu euch sprechen:
Von der göttlichen Macht und Herrlichkeit,
welche Christus einst auf dem galiläischen Meer offenbart hat
Lasst mich euch
hierbei darauf hinweisen,
1.
Wie deutlich und herrlich Christus
dieselbe hier einst offenbarte, und
2.
Wozu Freund und Feind diese
Offenbarung anwenden sollen.
1.
Die in unserm heutigen Evangelium erzählte
Geschichte enthält, meine Lieben, eine so herrliche Offenbarung Christi, dass
es ein Wunder ist, wenn sie ein Gläubiger lesen oder hören sollte, ohne dabei
einen innerlichen Drang zu empfinden, laut zu jauchzen und zu jubeln: O, wie
groß und mächtig ist doch Jesus Christus! O, wohl mir, dass ich einen solchen
Heiland habe! Aber ein Wunder ist’s auch, wenn nicht jeder Ungläubige beim
Anhören unseres Evangeliums vor sich selbst erschrickt und um Erbarmen flehend Christus
zu den Füßen fällt.
Denn was hören wir? – Christus hatte einst
eines Tages am Ufer des galiläischen Meeres viele Kranke geheilt und dem Volk
in vielen Gleichnissen die seligmachende Wahrheit eifrig gepredigt, bis der
Abend hereingebrochen war. Christus begab sich daher, dem fernen Zudrang des
Volkes ausweichend, endlich in ein Schiff, um hinüber nach dem
entgegengesetzten Ufer des Sees zu fahren. Seine Jünger folgen ihm, und noch
mehrere andere Schiffe fahren zu derselben Zeit mit ab. Ruhig durchschneiden
erst die Fahrzeuge die dunkle Flut. Christus, von den während des Tages
verrichteten Wunderheilungen und gehaltenen Predigten ermüdet, legt sich
alsbald auf dem Hinterteil des Schiffes, ein Kissen unter seinem Haupt,
schlafen.
Doch was geschieht? Es heißt in unserem
Text: „Und siehe, da erhob sich ein großes Ungestüm im Meer.“ Durch das
Wörtlein „siehe“ soll angezeigt werden, dass die Veränderung schnell und
plötzlich, wider alles Erwarten der Schiffenden, entstanden sei. Das Wort „Ungestüm“
aber bezeichnet nach dem Griechischen eine Erschütterung, wie sie bei einem
Erdbeben wahrgenommen wird. Es entstand also plötzlich, da sie auf die hohe See
kommen, ein unterirdisches Geräusch, auf welches das Wasser umher in eine ganz
ungewöhnliche Bewegung geriet; bald tut sich eine Tiefe auf, als wollte sie das
Schifflein verschlingen, bald türmen sich die Wasserberge, die auf das Fahrzeug
herabzustürzen drohen. Aber das ist noch nicht genug. Nach dem Bericht von
Lukas und Markus kam hierauf noch ein Windwirbel oder eine Windsbraut hinzu,
die sich aus der Luft in den See brausend herabstürzte, die bereits empörten
Wasser wie eine Schraube erfasste, wie einen Kreisel herumdrehte, und so Welle
auf Welle in das Schifflein warf, dass dasselbe in wenig Augenblicken mit
Wellen bedeckt und von Seewasser ganz erfüllt war. Lukas sagt daher
ausdrücklich: „Und sie standen in großer Gefahr.“
Wie drohend diese Gefahr gewesen sein
müsse, sehen wir daraus, dass alle Jünger jetzt zitterten und zagten. Unter den
Jüngern war nämlich wohl keiner, der nicht schon oft auf dem Wasser gefahren
wäre; ja, einige waren darunter, welche, wie wir gewiss wissen, als Fischer von
Jugend auf auf dem Wasser ihre Geschäfte getrieben hatten und daher mit den
Gefahren und Schrecknissen des Meeres wohl vertraut und dagegen abgehärtet
waren. Da nun alle, selbst ein mutiger Petrus, von Furcht und Schrecken
ergriffen werden, so müssen wir daraus schließen, dass sie jetzt so
schreckliche Dinge erlebten, wie sie sie bis dahin noch nicht erlebt hatten.
Alle Elemente sahen sie gegen sich in Aufruhr: Unter ihnen war es, als wollte
die erbebende Tiefe das Meer selbst verschlingen, über ihnen sauste der
Windwirbel wie ein Wetter und auf sie stürzte das Wasser in ganzen Strömen
herab; aller menschliche Widerstand zeigte sich völlig vergeblich; dazu war es
Nacht. Schon fürchteten daher die Jünger, im nächsten Augenblick werde das
Schifflein in Stücke zerschellt und in grausigen Abgrund hinabgezogen sein.
Doch, da der HERR in ihrer Mitte war, so
nahmen sie noch zu ihm ihre letzte Zuflucht, traten vor den Schlafenden hin,
weckten ich auf und riefen laut: „HERR, hilf uns, wir verderben!“ Und
was tut Christus? Furchtlos schaut er, von seinem Schlummer erwacht, hinaus in
den furchtbaren Aufruhr der Natur. Das Erste ist, dass er die zagenden Jünger
straft und spricht: „Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?“
Hierauf steht er auf, bedroht den Wind und das Meer und spricht: „Schweig und
verstumme!“ Und siehe, augenblicklich wird es ganz still. In dem Griechischen
wird hier ein Wort gebraucht, welches so viel bedeutet, dass die Oberfläche des
Sees wie eine Spiegelfläche geglättet worden sei und dass sich über die ganze
Gegend eine lachende Heiterkeit ausgebrietet habe.
Als dies die Jünger sahen, da, heißt es,
fürchteten sie sich sehr, „verwunderten sich und sprachen: Was ist das für
ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?“ Die Jünger erkannten
hieraus, dass Christus unmöglich ein bloßer Mensch sein könne, sondern dass er
vielmehr der sein müsse, vor dem sich fürchten muss alle Welt, nämlich Gott der
HERR selbst.
Und das müssen auch wir, meine Lieben, noch
jetzt aus dieser herrlichen Geschichte erkennen. Ihr wisst ja wohl alle aus
Erfahrung, wie es um alle menschenmacht in einem Meeressturm getan ist. Wenn
uns Menschen irgendwo unsere völlige Ohnmacht recht lebendig vor die Seele
tritt, so ist es gerade auf dem Meer. Wenn da der Sturm über den Häuptern der
Schiffenden daher braust, die Segel zerreißt, die Masten krachend zerbricht und
die Wellen und Wogen peitscht, dass sie wie große Gebirge auf das schwache Fahrzeug
losbrechen und hier Tiefe und da eine Tiefe sich, wie der Rachen des Abgrundes,
öffnet, da sieht man, wie doch der Mensch so gar nichts sei. Was tat aber
Christus in solcher Lage? Zagte auch er? Ja, ermahnte er auch etwa nur seine
Apostel, zu Gott zu flehen und sich in alles, was da kommen würde, ruhig zu
ergeben? – Nein! Ruhig steht er auf, bedroht die entzügelten Elemente und,
während sonst das wellenschlagende Meer immer nur langsam, nachdem der Wind
sich schon längere Zeit gelegt hat, sich beruhigt, so schweigt auf Christi Wort
nicht nur augenblicklich der heulende Sturm, sondern in demselben Augenblick
verschwinden auch plötzlich alle Wogen und glatt, wie ein Wiesenplan, lacht
heiter wieder des Meeres Spiegel.
Seht hier in Christus denselben HERRN, der
einst die Wasser des Roten Meeres trennte, sie für die Kinder Israel zu Rechten
und zur Linken zur Mauer machte und ihnen auf der Meerestiefe einen trockenen
Fußpfad bahnte. Seht hier in Christus denselben HERRN, der einst dem
Jordanstrom gebot, still zu stehen und sich wie ein Berg aufzuhäufen, damit
sein Knecht Josua mit seinem ganzen Heer trockenen Fußes hindurchgehen konnte.
Hier hat Christus mit der Tat bewiesen, dass es Wahrheit sei, was er von sich
selbst sprach: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“, hier
erfüllte sich die über den Messias im 8. Psalm ausgesprochene Weissagung: „Du
wirst ihn zum Herrn machen über deiner Hände Werk; alles hast du unter seine
Füße getan.“
Sturm und Meer hat noch kein Mensch
gezügelt; soll daher Gottes Größe recht lebendig in der Heiligen Schrift
vorgestellt werden, so wird besonders seine macht über diese mächtigen,
ungebändigten Elemente beschrieben. So fragt zum Beispiel im Buch Hiob im 38.
Kapitel Gott den vorwitzigen Menschen: „Wer hat das Meer mit seinen Türen
verschlossen, da es herausbrach wie auch Mutterleib? Da ich ihm den Lauf brach
mit meinem Damm und setzte ihm Riegel und Tür und sprach: Bis hierher sollst du
kommen und nicht weiter; hier sollen sich legen deine stolzen Wellen.“ Daher
heißt es ferner in dem 89. und 93. Psalm: „HERR, Gott Zebaoth, wer ist, wie du,
ein mächtiger Gott? Und deine Wahrheit ist um dich her. Du herrschst über das
ungestüme Meer. Du stillst seine Wellen, wenn sie sich erheben. Die Wasserwogen
im Meer sind groß und brausen greulich; der HERR aber ist noch größer in der
Höhe.“
Was hat also einst Christus auf dem
galiläischen Meer bewiesen? Er hat bewiesen, dass er tun kann, was Gott allein
sich vorbehalten hat, dass er ein Herr sei nicht nur über die Erde, sondern
auch über die Luft und das Meer, dass selbst die stummen, toten Kreaturen seine
stimme hören und ihr gehorchen, dass er gleich sei dem Schöpfer, der da
„spricht, so geschieht’s, der da gebietet, so steht’s da“; kurz, dass er sei
der HERR Himmels und der Erde, der HERR aller Herren, der wahrhaftige Sohn
Gottes und der ewige und allmächtige Gott, mit dem Vater und dem Heiligen Geist
gleich groß und herrlich.
2.
Da ist kein Zweifel; lasst mich euch daher
nur noch zweitens darauf hinweisen, wozu Freund und Feind diese Offenbarung der
göttlichen Macht und Herrlichkeit anwenden sollen. – Wer ist erstlich ein
Freund Christi? #Ein Freund Christi ist derjenige, welcher aus Gottes Gesetz
erkannt hat, dass er ein Sünder sei, der sich nicht selbst selig machen kann,
der daher, gedrückt von der Last seiner Sünde, bei Christus seine einzige
Zuflucht gesucht und ihn im Glauben angenommen hat und mit den lieben Jüngern
nun bereit ist, Christus nachzufolgen und bei ihm auszuharren bis zum Tod. Wer
ein solcher Freund Christi ist, wozu soll der die Offenbarung der Herrlichkeit
Christi auf dem galiläischen Meer anwenden?
Erstlich dazu, dass er recht lebendig
erkennt, welchen guten, festen und unerschütterlichen Grund sein Glaube an
Christus und an sein Evangelium habe. Siehe daraus, du Freund Christi, du
täuschst dich nicht, wenn du Christus für den Sohn Gottes und sein Evangelium
für das Wort Gottes hältst; Christus hat es besiegelt durch die herrlichsten
Wunder. Alle Königsthrone werden fallen, aber diesen König aller Könige wird
nichts von dem Thron seiner Macht und Herrlichkeit stürzen. Himmel und Erde
werden vergehen, aber Christi Worte werden nicht vergehen. Alle Reiche der
Welt, alle Machwerke der Menschen werden untergehen und zerstört werden, aber
Christi Kirche und Reich werden auch die Pforten der Hölle nicht überwältigen,
denn er ist allmächtig. „Wenn gleich das Meer wütete und wallte und von seinem
Ungestüm die Berge einfielen. Sela. Dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig
bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott
ist bei ihr drinnen, darum wird sie wohl bleiben; Gott hilft ihr frühe.“
Bekenne darum nur getrost fort und fort deinen Heiland mit Worten und Werken,
du wirst und kannst nicht zuschanden werden.
Ein Freund Christi soll daher jene
Offenbarung seiner Herrlichkeit auch dazu anwenden, dass er nie verzagt, weder
in einer leiblichen, noch in einer geistlichen Not. Siehe, weil du an Christus
glaubst, so ist auch Christus stets in Gnaden bei dir, wie bei den Jüngern im
Schiff. Entstehen nun Stürme der Trübsal, beginnt das Schifflein deines Lebens
auf dem bewegten Meer dieser Welt zu wanken und zu schwanken, mit den Wellen
der Not und Gefahr oder innerlichen Anfechtungen wegen deiner Sünden bedeckt zu
werden, ja, gar zu sinken, o, seid getrost; scheint’s auch, als schliefe dein
Heiland und als kümmere er sich nicht um dich: Ist deine Not am höchsten, so
ist Christi Hilfe am nächsten. Wecke nur deinen Heiland auf und rufe ihm in
festem Glauben zu: „HERR, hilf mir!“ so wird er auch für dich aufstehen
und den Sturm deiner Not und die Wogen deiner Anfechtung bedrohen, deinem
Herzen und Gewissen Stille, Ruhe und Frieden geben und dir herrlich helfen.
Denn Christus kann auch da helfen, wo kein Mensch helfen kann, in den höchsten
Nöten, in der Not der Sünde und in der Not des Todes.
Doch wie sollt ihr endlich jene Offenbarung
der Herrlichkeit Christi anwenden, die ihr noch seine Feinde seid? Die ihr
nämlich entweder gar nichts von Christus wissen wollt oder ihn doch zu einem
bloßen frommen Menschen macht und nicht durch ihn, sondern durch eure eigenen
Werke selig werden wollt? Ihr sollt aus jenem Wunder erkennen, was ihr doch
tut, indem ihr Christus zu einem bloßen Menschen macht. Habt ihr wohl, nachdem
Christus jenes Wunder getan hat, noch eine Ursache, sicher zu sein? Etwa darum,
weil es scheint, als sei Christus schwach, weil er zu allen Lästerungen gegen
ihn bisher geschwiegen hat, und sich bisher von Tausenden ungestraft hat
verachten lassen? O wahrlich nicht! Überlegt doch, wie sich Christus einst im
Sturm auf jenem See offenbart hat: Erst schlief er, als ein Mensch wie wir, als
Gott schlief noch schlummerte er nicht, sondern wachte; aber endlich stand er
auf und bedrohte als Gottmensch die entfesselten Elemente, und Wind und Meer
waren ihm gehorsam. So schläft Christus auch jetzt, und es scheint, als sei er
ein Mensch wir ihr; aber wisst, es kommt ein Tag, das ist der schreckliche Tag
des Weltuntergangs, da wird Christus erwachen und alle Feinde zum Schemel
seiner Füße legen. O, darum schließt doch mit diesem König aller Könige in
rechtzeitig Frieden, damit ihr einst nicht von ihm als seine Feinde mit Gewalt
niedergeschmettert, sondern als seine Freunde zu seiner Rechten erhoben werdet
auf immer und ewig. – Sprecht nicht, es sei gegen eure Vernunft zu glauben,
dass Christus der wahrhaftige Gott sei. Blickt hin, wie er als ein Herr der
Natur im Schiff steht und alles ihm gehorsam ist: Und ihr wollt ihm nicht zu
Füßen fallen, ihm, dem Allgewaltigen? Siehe, so wird einst am jüngsten Tag der
auf Christi Allmachtswort verstummende Sturmwind seinen Mund öffnen und wider
euch zeugen. Wehe euch aber dann! Dieses Zeugnis wird alle eure
Entschuldigungen zu Boden schlagen und euren Unglauben verdammen. Und wollt ihr
jetzt Christi Stimme nicht hören und ihr folgen; wohl – ihr werdet nicht gezwungen,
ihm hier zu gehorchen; aber einst in euren Gräbern werdet ihr
doch Christi Stimme hören müssen, wenn sie euch zur Auferstehung des Gerichts
rufen wird. O, darum hört jetzt auf Christus, jetzt ist seine Stimme eine
Stimme der Gnade auch für seine Feinde; dort aber wird er sprechen: „Jene aber,
die nicht wollten, dass ich über sie herrschen sollte, die bringt her und
erwürgt sie vor meinen Augen.“
Nun, Er, dem alle Kreaturen dienen, der
unterwerfe sich auch unser aller Herzen durch sein allmächtiges Wort, dass auch
wir ihm hier mit Freuden dienen, ihn als unseren Gott und Heiland bekennen und
anbeten, ihm in aller Not fröhlich vertrauen, durch seinen beistand einst auch
über den Abgrund des Todes glücklich hinübersegeln und fröhlich ankommen an den
Ufern der jenseitigen seligen Welt, wo kein sturm der Not mehr brauchst und
keine Welle der Anfechtung mehr tost, sondern ewige, selige Friedensstille
wohnt. Amen.
HERR Gott, himmlischer Vater! Du hast dir
aus dem verlorenen und verdammten menschlichen Geschlecht eine ewige Kirche
deiner Auserwählten gesammelt und nach deiner wunderbaren Gnade auch uns in
dieselbe berufen und aufgenommen. O, so schenke uns denn auch die Gnade, dass
wir uns durch keinen Schein der falschen Kirche blenden und in ihre
Gemeinschaft verlocken lassen, sondern bei deiner wahren Kirche, bei den
Schafen, die deine Stimme hören, bei denen, die dich lieben und dein Wort
halten, bei deinen wahren Jüngern, die bei deiner Rede bleiben, ausharren und
bei ihrer Schmach, auf dass wir einst als Kinder deines Reichs nicht
hinausgestoßen, sondern gesammelt werden in die Scheuern des Himmels. Dazu
segne dein Wort auch in dieser Stunde um Jesu Christi, deines lieben Sohnes,
unseres HERRN und Heilandes, willen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Die sogenannte römisch-katholische Kirche
hat so viele und so offenbare Irrtümer, dass dieselben jeder Katechismusschüler
leicht erkenne, ja, dass sie, man möchte sagen, ein Blinder mit Händen greifen
kann.
In der römischen Kirche wird durch die
Anrufung der Jungfrau Maria und anderer verstorbener Heiliger die offenbarste
Abgötterei betrieben, während Gottes Wort sagt: „Du sollst anbeten Gott, dienen
HERRN, und ihm allein dienen.“ „Rufe mich an in der Not, so will ich dich
erretten, und du sollst mich preisen.“ „Verflucht ist, wer sich auf Menschen
verlässt“. In der römischen Kirche wird das heilige Abendmahl schändlich
verstümmelt und den Kommunikanten der Kelch geraubt, während Christus klar
sagt: „Trinkt alle daraus“; in der römischen Kirche wird täglich das sogenannte
Messopfer dargebracht, während Gottes Wort sagt, dass zwar im Alten Testament
die Priester oftmals einerlei Opfer getan, dass aber nun im Neuen Testament
Christus „mit Einem Opfer in Ewigkeit vollendet habe, die geheiligt werden“. In
der römischen Kirche wird den Priestern, Mönchen und Nonnen die Ehe verboten,
während in Gottes Wort das Verbieten, ehelich zu werden, eine Teufelslehre
genannt wird. In der römischen Kirche wird gelehrt, dass sich der Mensch durch
seine Werke, Reue, Beichte und Genugtuungen die Rechtfertigung und Seligkeit
verdienen könne und solle, während Gottes Wort sagt, „Wer nicht mit Werken
umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein
Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit“. In der römischen Kirche herrschen, den
Papst an der Spitze, die Priester und Bischöfe über das Volk und über seinen
Glauben, während Gottes Wort den Dienern der Kirche warnend zuruft: „Nicht als
die über das Volk herrschen, sondern werdet Vorbilder der Herde“; und selbst
die Apostel sagen von sich: „Wir sind nicht Herren über euren Glauben, sondern
Gehilfen eurer Freude“. In der römischen Kirche wird gelehrt, dass es in jener
Welt ein Fegfeuer gebe, in welchem die Gläubigen erst gereinigt werden, um in
den Himmel eingehen zu können, während Gottes Wort sagt: „Selig sind die Toten,
die in dem HERRN sterben, von nun an“; „Heute noch wirst du mit mir im Paradies
sein“; und ferner: „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, darnach das
Gericht“. In der römischen Kirche galt lange das Lesen der Heiligen Schrift für
eine dem gemeinen Christen gefährliche Sache, weil die Bibel dunkel und
missverständlich sei, während der Prophet Jesaja dem ganzen jüdischen Volk
gebietet: „Sucht in dem Buch des HERRN und lest“; ferner Petrus den Christen
zuruft: „Wir haben ein festes prophetisches Wort, und ihr tut wohl, dass ihr
darauf achtet, als auf ein Licht“; ferner Christus selbst: „Sucht in der
Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin, und sie ist’s, die von
mir zeugt.“[11]
Doch, wann wollte ich heute fertig werden,
wenn ich euch auch nur alle die gröbsten Irrtümer der römischen Kirche
herzählen wollte?
Wie ist es nun möglich, dass die römische
Kirche trotz ihrer zahllosen so offenbarer Irrtümer und Greuel so viele Seelen
dennoch verführt?
Ihr Hauptmittel zur Seelenverführung ist
die Lehre, dass sie die wahre Kirche sei. Sie macht nämlich dabei folgenden
Trugschluss: Weil sie die alte, erste, allein wahre Kirche sei, so könne sie
sich auch nicht irren, weil sie sich aber nicht irren könne, so könne auch
nichts, was sie lehre und was man für Irrtum halte, Irrtum sein, sondern müsse
Wahrheit sein. Hat sich nun ein Mensch durch das Geschrei: Die römische Kirche
ist die wahre Kirche, verblenden lassen, dann ist er freilich in eine Falle
gegangen, aus welcher kein Ausweg ist. Ein solcher Verführer ist einem Menschen
gleich, der darum seinen Irrweg gar nicht mehr sehen kann, weil er sich die
Augen hat verbinden lassen.
Worin offenbart sich aber der Betrug?
Darin: Man darf nicht etwas für Wahrheit halten, weil es die angebliche wahre
Kirche lehrt, sondern man darf vielmehr nur diejenige für die wahre Kirche
halten, welche vorher beweist, dass sie die Wahrheit lehrt; Wahrheit ist etwas
nicht dann und darum, wenn und weil es die Kirche sagt, sondern umgekehrt, eine
Gemeinschaft ist nur dann und darum die Kirche, wenn und weil sie die Wahrheit
sagt. Ein Irrtum ist nicht darum Wahrheit, weil ihn die angeblich wahre Kirche lehrt,
sondern eine Kirche ist dann eben darum die wahre Kirche nicht, weil sie Irrtum
lehrt; wie ein Mensch nicht damit beweist, dass er nicht gestohlen habe, weil
er ehrlich sei, sondern damit beweisen muss, dass er ehrlich sei, weil er nicht
gestohlen habe.
Kurz, meine Lieben, eine Kirche, welche
Irrtümer lehrt, kann nicht Christi wahre Kirche, sondern muss eine falsche
sein. Von einem solchen Kennzeichen der falschen Kirche redet auch unser
heutiges Evangelium, indem Christus darin seiner wahren Kirche verbietet, das
Unkraut auszujäten, das heißt, die Ketzer oder Irrlehrer zu verfolgen und zu
töten.
Matthäus 13,24-30: Er legte ihnen ein anderes Gleichnis
vor und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf
seinen Acker säte. Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut
zwischen den Weizen und ging davon. Da nun das Kraut wuchs und Frucht brachte,
da fand sich auch das Unkraut. Da traten die Knechte zu dem Hausvater und
sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er
denn das Unkraut? Er sprach zu ihnen: Das hat der Feind getan. Da sprachen die
Knechte: Willst du denn, dass wir hingehen und es ausjäten? Er aber sprach:
Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, so ihr das Unkraut
ausjätet. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um der Ernte Zeit
will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuvor das Unkraut und bindet es in
Bündlein, dass man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheuern.
Aufgrund unseres heutigen Evangeliums lasst
mich euch daher jetzt vorstellen:
Dass
eine Kirche, welche die Ketzer verfolgt und tötet, gewiss Christi wahre Kirche
nicht sei
Und zwar
1.
Darum, weil sie damit gegen Christi
ausdrückliches Wort und Gebot, und
2.
Darum, weil sie damit gegen Christi
wahren Geist und Sinn handelt.
1.
Christus vergleicht, meine Lieben, in
unserem Evangelium sein Himmelreich oder seine Kirche auf Erden mit einem
Menschen, der guten Samen auf seinen Acker sät, womit er nach seiner eigenen
Auslegung anzeigen will, dass alle Kinder des Reiches, das heißt, alle wahren
Glieder seiner wahren Kirche dies durch den guten Samen des Wortes Gottes
werden und daher denselben bei sich tragen. Zugleich offenbart uns aber auch
Christus, dass hingegen der Teufel darnach trachtet, zwischen den Weizen sein
Unkraut auszusäen, womit Christus zum anderen anzeigen will, dass durch Satans
Anstiften mitten unter den Kindern des Reiches auch Kinder der Bosheit
aufstehen, welche hingegen durch den Unkrautsamen der falschen Lehre entstehen
und denselben ebenfalls bei sich tragen, also Ketzer und Irrlehrer sind.
Was soll nun aber mit diesem Unkraut
geschehen? Auf die Frage der Knechte: „Willst du denn, dass wir hingeben und
es ausjäten?“ spricht der HERR: „Nein, lasst beides miteinander wachsen
bis zu der Ernte.“
Was will der HERR hiermit wohl sagen? –
Manche haben diese Worte so verstanden, als wolle Christus sagen, man solle
keine Kirchenzucht, keinen Ausschluss, keinen Bann anwenden, sondern alle
Gottlosen, Irrlehrer und Ketzer ruhig in der Kirche bleiben, schalten und
walten lassen, bis Christus kommt und ihrem Wesen selbst ein Ende macht. Es ist
dies aber ein großer Irrtum und Missverstand. Christus sagt ja nicht: Hegt und
pflegt das Unkraut und behandelt es wie guten Weizen, sondern er spricht nur: „Nein!“
Jätet es nämlich nicht aus, sondern „lasst beides miteinander wachsen
bis zu der Ernte“. Christus sagt auch nicht, dass der Acker, auf welchem
man das Unkraut wachsen lassen soll, seine Kirche sei, sondern er spricht
ausdrücklich in der Auslegung seines Gleichnisses: „Der Acker ist die Welt“,
also nicht die Kirche. Wenn also Christus das Unkraut der Irrlehrer und Ketzer
auszujäten verbietet und spricht: „Lasst es wachsen bis zu der Ernte“,
so will er damit ganz offenbar sagen, dass das Unkraut der Irrlehrer und Ketzer
zwar aus der Kirche, aber nicht aus der „Welt“ ausgejätet, dass sie also
nicht getötet werden sollen.
Diese Lehre, dass die Kirche das leibliche
Schwert nicht gebrauchen und dadurch die Irrlehrer und Ketzer nicht töten
solle, findet sich daher nicht nur in unserem Evangelium, sondern in der ganzen
Heiligen Schrift sowohl Alten wie Neuen Testaments. Gerade von dem Reich
Christi wird es geweissagt, dass Christus darin als ein „Friedefürst“
regieren werde, und von den Gliedern seiner Kirche heißt es im zweiten Kapitel
des Propheten Jesaja ausdrücklich: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen
und ihre Spieße Sicheln machen.“ Selbst von dem Antichrist weissagt Daniel im
achten Kapitel: „Er wird ohne Hand zerbrochen werden.“
Gehen wir nun in das Neue Testament, so
finden wir dieselbe Lehre. Christus spricht es vor Pilatus feierlich aus: „Mein
Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, so würden
meine Diener darob kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber
nun ist mein Reich nicht von dannen.“ Als daher Petrus bei der Gefangennahme
Christi sein Schwert zog und dem Knecht des Hohenpriesters Malchus das Ohr
abhieb, da strafte ihn Christus und sprach: „Stecke dein Schwert in die
Scheide; denn wer das Schwert nimmt, der soll durch’s Schwert umkommen.“
Nachdem daher die heiligen Apostel durch den Heiligen Geist endlich vollständig
erleuchtet worden waren, erklärten sie: „Die Waffen unserer Ritterschaft sind
nicht fleischlich, sondern mächtig vor Gott, zu zerstören die Befestigungen,
damit wir zerstören die Anschläge und alle Höhe, die sich erhebt gegen die
Erkenntnis Gottes, und nehmen gefangen alle Vernunft unter den Gehorsam
Christi.“
Wohl ist es wahr, dass sowohl im Alten wie
im Neuen Testament die Kirche Christi als eine stets streitende und gegen ihre
Feinde kämpfende dargestellt wird, die vor ihren Feinden nie in Ruhe und
Frieden leben könne; aber die Waffen, die sie dabei gebraucht, sind nach der
Heiligen Schrift nichts als Gottes Wort, Glaube, Liebe, Geduld, Gebet und
Tränen. Wohl wird schon im Alten Testament Christus ein Stab, ja, ein eisernes
Zepter zugeschrieben, mit dem er seine Feinde schlage, aber dies wird im elften
Kapitel des Propheten Jesaja so ausgelegt: „Er wird mit dem Stab seines Mundes
die Erde schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten.“ Was ist
aber der Stab des Mundes Christi und der Odem seiner Lippen? Es ist dies nichts
anderes als sein Wort. Wohl wird ferner auch den Christen nach dem Neuen
Testament ein Schwert und Schild, ein Helm, ein Brustharnisch und ein Gurt,
kurz, eine vollständige Waffenrüstung zugeschrieben, damit sie kämpfen, aber
nicht ein eisernes Schwert, sondern das Schwert des Geistes, welches ist das
Wort Gottes, und nicht ein stählerner Schild, sondern der Schild des Glaubens,
damit sie auslöschen können alle feurigen Pfeile des Bösewichts, ein Helm des
Heils, ein Krebs (Panzer) der Gerechtigkeit, ein Gurt der Wahrheit.
So ist denn kein Zweifel: Wenn Christus in
unserem Text von dem Unkraut der Ketzer und Irrlehrer sagt, man solle es nicht
aus dem Acker der Welt ausjäten, sondern ausdrücklich gebietet: „Lasst
beides miteinander wachsen bis zu der Zeit der Ernte“, so verbietet er
damit, Irrlehrer und Ketzer mit leiblichen Waffen zu verfolgen und so mit dem
Tod zu bestrafen.
Eine Kirche, welche dies tut, handelt daher
gegen Christi ausdrückliches Wort, kann daher unmöglich Christi wahre Kirche,
sondern muss eine falsche, eine widerchristliche oder die Kirche des
Antichrists sein. Christus spricht ja klar und deutlich, dass nur die seine
wahre Kirche sei, welche sich seinem Wort gehorsam unterwerfe. Er spricht:
„Meine Schafe hören meine Stimme. Wer mich liebt, der wird mein Wort halten und
mein Vater wird ihn lieben und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm
machen. So ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seid ihr meine rechten Jünger
und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Eine
Kirche, welche gegen Christi ausdrückliches Wort: „Lasst beides miteinander
wachsen bis zu der Zeit der Ernte“, die Ketzer dennoch tötet, ist daher
nicht die Herde der Schafe Christi, welche Christi Stimme hören, sie ist nicht
die Gottes-Wohnung derjenigen, die Christus lieben und sein Wort halten, nicht
die Gemeinschaft der rechten Jünger Christi, die bei seiner Rede bleiben, also
nicht die wahre Kirche der Kinder des Reichs, sondern die falsche Kirche, die
Satansschule der Kinder der Bosheit.
2.
Doch, meine Lieben, eine Kirche, welche die
Ketzer verfolgt und tötet, ist nicht nur darum gewiss Christi wahre Kirche
nicht, weil sie damit gegen Christi ausdrückliches Wort und Gebot, sondern auch
darum, weil sie damit gegen Christi wahren Geist und Sinn handelt. Und davon
lasst mich nun noch zweitens zu euch sprechen.
Christus verbietet, meine Lieben, nicht nur
in unserem Text, die Ketzre zu töten, sondern er gibt auch die Gründe dafür an,
indem er hinzusetzt: „Auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft,
wenn ihr das Unkraut ausjätet.“
Christus will sagen: Wie der, welcher das
mit einem Weizenacker mitten unter dem Weizen stehende Unkraut ausjäten will,
nicht anders kann, als auch zugleich guten Weizen mit auszuraufen, so kann auch
der, welcher die Ketzer tötet, nicht anders, als auch Kinder des Reichs zu
töten.
Und so ist es, meine Lieben, Erstlich kann
es nämlich gar leicht geschehen, dass diejenigen, welche sich für die wahre
Kirche halten, gerade die Zeugen der Wahrheit als Ketzer töten. Oder ist das
nicht wirklich laut der Schriften des Alten und Neuen Testaments vielfach
geschehen? Haben nicht die Juden, welche sich für die wahre Kirche hielten,
alle Propheten als Ketzer leiblich verfolgt und die meisten getötet? Nennt
daher nicht Christus die Juden seiner Zeit „die Kinder derer, die die Propheten
getötet haben“? Und ruft nicht auch Stephanus dem Hohen Rat zu Jerusalem zu:
„Welchen Propheten haben eure Väter nicht verfolgt und sie getötet?“ Und was
haben die Juden zu Christi und der Apostel Zeit selbst getan? Haben sie nicht
Christus gerade darum, weil er ihnen die Wahrheit verkündigte, als einen
ketzerischen Samariter und Verführer des Volks an das Kreuz geschlagen? Haben
sie nicht den heiligen Stephanus gerade darum, weil er ihnen ihren Messias
verkündigte, als einen Lästerer Moses und ihres Tempels gesteinigt? Haben sie
nicht den Apostel Jakobus gerade darum, weil er Christus nicht lästern wollte,
sondern bekannte, als einen Ketzer von der Zinne des Tempels herabgestürzt,
gesteinigt und endlich mit einer Keule erschlagen? Seht da, sie wollten das
Unkraut ausjäten und haben anstatt desselben den guten Weizen ausgerauft.
Das geschieht aber zum anderen auch darum,
weil mancher, welcher ein wirklicher Ketzer ist, später zur Erkenntnis der
Wahrheit kommen und noch ein gesegneter Zeuge werden kann. Saulus war vor
seiner Bekehrung ohne Zweifel ein Ketzer, denn er verfolgte die Wahrheit und
die Bekenner derselben blutig: Was wäre nun geschehen, wenn Saulus damals von
den Christen getötet worden wäre? Es wäre mit dem Unkraut der beste Weizen
ausgejätet worden, denn derselbe Saulus bekehrte sich später und wurde ein
Paulus, der größte unter den Aposteln, der die ganze Welt mit dem Evangelium
erfüllte und durch den Hunderttausende auf den Weg zur Seligkeit gebracht
wurden. Auch der Kirchenvater Augustinus war vor seiner Bekehrung Glied der
schändlichen Sekte der Manichäer und ein Bekämpfer der christlichen Kirche: Was
wäre aber geschehen, wenn Augustinus in dieser Zeit als Ketzer getötet worden
wäre? Es wäre mit dem Unkraut der köstlichste Weizen ausgerauft worden; denn
Augustinus bekehrte sich später und wurde ein Licht in der Kirche, welches
durch alle Jahrhunderte hindurch helle leuchtete und noch heute leuchtet durch
seine Schriften. Endlich lesen wir von den Samaritern, dass sie Christus, der
bei ihnen eine Herberge begehrte, diese verweigerten, weil er auf dem Weg nach
dem, wie sie meinten, ketzerischen Jerusalem war. Entrüstet hierüber sprachen
daher Johannes und Jakobus: „HERR, willst du, so wollen wir sagen, dass Feuer
vom Himmel falle und verzehre sie, wie Elia tat?“ Was tat aber Christus? Er
bedrohte sie und sprach: „Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid? Des
Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern er
erhalten.“ Was wäre nun geschehen, wenn Christus die Samariter durch Feuer vom
Himmel hätte verzehren lassen? Mit dem Unkraut wäre der Weizen ausgerauft
worden; denn im achten Kapitel der Apostelgeschichte lesen wir, dass nach
Christi Himmelfahrt viele von jenen Samaritern durch das Zeugnis der dahin
geflohenen Christen und durch die Predigt des Philippus, Petrus und Johannes bekehrt
und aus ihnen eine herrliche christliche Gemeinde gesammelt wurde.
So ist es denn gewiss, meine Lieben: Ketzer
töten ist nicht nur gegen Christi ausdrückliches Gebot und Wort, sondern auch
gegen Christi wahren Geist und Sinn. Denn Christi Geist und Sinn ist nicht, der
Menschen Seelen zu verderben, sondern sie zu erretten und selig zu machen.
Eine Kirche, welche Ketzer verfolgt und
tötet, kann daher unmöglich Christi wahre Kirche sein. Mag eine solche Kirche
immerhin in greulicher Verblendung meinen, damit Gott einen Dienst zu tun, so
offenbart sie gerade durch diese Meinung, dass Christi Geist von ihr fern ist;
wie denn Christus ausdrücklich den heiligen Aposteln im Voraus verkündigt hat:
„Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, wird meinen, er tue Gott einen
Dienst daran. Und solches werden sie euch darum tun, dass sie weder meinen Vater
noch mich erkennen.“
Legt nun, meine Lieben, diesen Prüfstein an
die römisch-päpstliche Kirche, welche vor allen anderen die wahre, ja, die
allein seligmachende Kirche sein will. Ganze Ströme Christenblutes hat sie
unter dem Vorgeben, die Ketzer strafen und ausrotten zu müssen, zu allen,
Zeiten, wo sie die Macht dazu hatte, vergossen. Als im 13. Jahrhundert die
sogenannten Waldenser und Albigenser gegen die päpstlichen Irrtümer und Greuel
auftraten, stifteten die Päpste nicht nur die sogenannte Inquisitionsgerichte,
welche dieselben aufspüren, mit Anwendung der schrecklichsten Qualen ihnen
beschwerende Geständnisse erpressen und sie richten mussten; sondern sie
zwangen auch die Fürsten unter Anwendung des Bannes, die angeblich von der
Kirche Verurteilten zu strafen, sie gefangen zu setzen, von Haus und Hof zu
vertreiben, ihre Güter einzuziehen, ihnen ihre bürgerlichen Rechte zu nehmen
oder auch, sie zu töten. Ja, sie nötigten die Fürsten, förmliche Heere gegen
sie auszurüsten, wie gegen die Türken einen sogenannten Kreuzzug zu eröffnen
und alle, welche nicht widerrufen und dem Papst und seiner Kirche nicht
völligen Gehorsam schwören wollten, hinzurichten. Als im Jahr 1572 eine
Hochzeit am königlichen Hof zu Paris gefeiert werden sollte, lud man die
vornehmsten Protestanten, dort Hugenotten genannt, dazu ein; aber mitten in der
Nacht ertönte eine Glocke, welche verabredetermaßen das Zeichen dazu gab, alle
Protestanten zu überfallen und zu ermorden, Mann und Frau, Alt und Jung. Dies
war die sogenannte Pariser Bluthochzeit. Als Papst Gregor XIII. davon hörte,
ließ er ein Freudenfest anstellen, mit allen Glocken läuten und eine
Jubelfestdenkmünze schlagen, auf deren eine Seite sein Brustbild und auf der
anderen die Pariser Mordszene abgebildet war. Als ferner um diese Zeit der blutrünstige
katholische Herzog Alba in den Niederlanden nach und nach 18.000 Protestanten
hatte hinrichten lassen, da sandte ihm Papst Pius V. zur Belobung dafür einen
von ihm geweihten Hut und Degen. Nur durch die ausgesuchtesten Martern hat die
päpstliche Kirche das Werk der Reformation, welches auch in Italien und Spanien
begann, wieder unterdrückt. Zwar suchen die Römischen in den protestantischen
Ländern, wo sie geduldet werden, dies alles zu beschönigen, ja, gänzlich zu
leugnen, und die Schuld auf die weltliche Obrigkeit zu schieben; aber sie
handeln da wie die Juden, welche auch sagen, sie hätten Christus nicht
gekreuzigt, obgleich sie es ja waren, welche Pilatus durch ihr „Kreuzige,
kreuzige ihn!“ und dadurch, dass sie sagten: „Lässt du diesen los, so bist du
des Kaisers Freund nicht“, zur Kreuzigung Christi genötigt haben. –
So seid denn schließlich gewarnt, meine
Lieben, vor dem blutdürstigen Papsttum und vor seiner ihm gehorsamen Kirche.
Sie ist die geistliche Hure, von welcher die Offenbarung des St. Johannes
geweissagt hat, sie werde trunken werden von dem Blut der Heiligen; während
Mohammed und seine Nachfolger, die auch ihre Religion mit Feuer und Schwert
ausbreiteten, der morgenländische Antichrist sind außerhalb der Kirche, so sind
die römischen Päpste der abendländische, eigentliche Antichrist innerhalb
derselben.
Lasst uns darum bei unserer lieben
lutherischen Kirche bleiben, die nicht nur die Kennzeichen der wahren Kirche,
reines Wort und unverfälschtes Sakrament, hat, sondern auch sich nicht mit dem
Blut der Ketzer befleckt und ihre Waffen nichts anderes sein lässt als das Wort
Gottes, ihr Gebet und ihre Tränen.
Mag das Unkraut noch so hoch wachsen; es
kommt endlich ein Tag der Ernte, da wird es in Bündlein gebunden und geworfen
werden in den Feuerofen der Hölle; hingegen der gute Weizen wird endlich
gesammelt werden in die Scheuern des Himmels. Das helfe uns Jesus Christus,
unser Heiland. Amen.
HERR Jesus, du ewiger Sohn Gottes! Wie hoch
ist in dir unsere sterbliche Menschennatur geehrt und erhoben! Du bist vom
Himmel herabgekommen und hast nicht nur in ihr Wohnung gemacht, sondern hast
sie auch in deine allerheiligste göttliche Person auf ewig aufgenommen, ihr
deine ganze göttliche Majestät und Herrlichkeit mitgeteilt und sie auf deinen
Stuhl zur Rechten deines Vaters gesetzt. In dir, mit dir und durch dich ist
darum nun auch unsere Menschennatur angebetet im Himmel und auf Erden, von
Engeln und Menschen, in Zeit und Ewigkeit. O du wahrhaftiger Mensch, voll
göttlicher Herrlichkeit, tue uns doch unser einfältiges Auge auf, dass wir dich
auch in der Herrlichkeit deiner Menschheit erkenne, anbeten, als den Schönsten
unter allen Menschenkindern über alles lieben, dir dienen und um deinetwillen
alles, Gut und Ehre, Leib und Leben, mit Freuden dahingeben, einst aber lass
uns mit diesen unseren Augen dich auch in der göttlichen Herrlichkeit deiner
Menschheit schauen und bei dir in vollkommener Freude und Seligkeit sein und
bleiben immer und ewig. Amen.
Matthäus 17,1-9: Und nach sechs Tagen nahm Jesus zu
sich Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, und führte sie bei Seite
auf einen hohen Berg. Und er ward verklärt vor ihnen, und sein Angesicht
leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie ein Licht. Und
siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia, die redeten mit ihm. Petrus aber
antwortete und sprach zu Jesus: HERR, hier ist gut sein; willst du, so wollen
wir hier drei Hütten machen, dir eine, Mose eine und Elia eine. Da er noch also
redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme
aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen
habe; den sollt ihr hören. Da das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr
Angesicht und erschraken sehr. Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und
sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! Da sie aber ihre Augen aufhoben,
sahen sie niemand als Jesus allein. Und da sie vom Berge herabgingen, gebot
ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt dies Gesicht niemand sagen, bis des Menschen
Sohn von den Toten auferstanden ist.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Dieses Evangelium, welches für den
Verklärungssonntag bestimmt ist[12], nämlich für den letzten[13] Sonntag nach dem Fest der
Erscheinung Christi, dieses Evangelium, sage ich, gehört nicht nur zu den
schönsten und lieblichsten, sondern auch zu den reichhaltigsten unter den
sonntäglichen evangelischen Texten. Lasst mich euch nur einige der allerwichtigsten
Lehren nennen, welche uns darin auf das herrlichste offenbart werden.
Die erste hochwichtige Lehre, welche in
diesem Evangelium offenbart ist, ist die Lehre von der heiligen Dreieinigkeit;
denn es wird uns darin erzählt, wie erstlich Gott der Vater vom Himmel herab
gerufen hat: „Dies ist mein lieber Sohn“, wie zum anderen Gott der Sohn in
verklärter Menschheit dagestanden, und wie endlich drittens Gott der Heilige
Geist in Gestalt einer lichten Wolke die gegenwärtigen Zeugen überschattet
hatte.
Eine zweite in diesem Evangelium enthaltene
hochwichtige Lehre ist die Lehre von der Auferstehung des Fleisches und vom
ewigen Leben; denn es wird uns darin berichtet, wie nicht nur der einst in
einem feurigen Wagen lebendig zum Himmel gefahrene Elia, sondern auch der einst
von Gott selbst begrabene Mose aus der Welt der Seligen zurückkehren,
leibhaftig erschienen sind und mit Christus geredet haben. Es war dies ein so
herrliches Vorspiel der seligen Auferstehung und des ewigen Lebens, dass
Petrus, davon entzückt, sogleich ausrief: „HERR, hier ist gut sein; willst
du, so wollen wir drei Hütten machen, dir eine, Mose eine und Elia eine.“
Eine dritte in diesem Evangelium klar
gegründete hochwichtige Lehre ist die Lehre von der Beschaffenheit des Reiches
Christi; dass dasselbe nämlich nicht ein leibliches, irdisches und zeitliches,
sondern ein geistliches, himmlisches und ewiges Reich sei, eine Kirche, die
ihre Glieder ebenso im Alten wie im Neuen Bund, ebenso im Himmel wie auf Erden
habe und daher teils eine auf Erden noch leidende und streitende, teils eine
bereits im Himmel triumphierende und doch nur Eine ist; denn wir erblicken hier
Mose und Elia als die Repräsentanten der alttestamentlichen und triumphierenden
und die drei Apostel Petrus, Jakobus und Johannes als die Repräsentanten der
neutestamentlichen und streitenden Kirche, und zwar sie alle um Christus, ihr
himmlisches Haupt, in seliger Eintracht versammelt.
Eine vierte in diesem Evangelium uns vor
Augen gestellte hochwichtige Lehre ist die Lehre, dass nach Gottes des Vaters
unveränderlichem Ratschluss Christus der einige Lehrer aller Menschen und dass
daher in keinem anderen Heil und den Menschen kein anderer Name gegeben ist,
darin sie sollen selig werden; denn Gott der Vater ruft selbst aus den Wolken
feierlich und majestätisch vom Himmel auf Christus herab: „Dies ist mein
lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören!“ –
Doch, meine Lieben, so klar diese vier
hochwichtigen Lehren in unserem Evangelium gegründet sind, so sind es doch ohne
Zweifel nicht eigentlich diese Lehren, deren Offenbarung unser Evangelium vor
allem zum Zweck hat; es ist dies vielmehr offenbar keine andere als die Lehre
von der göttlichen Herrlichkeit auch der Menschheit Christi; denn diese tritt
ganz unleugbar in der wunderbaren Geschichte unseres Textes hell wie die sonne
vor allen anderen Lehren hervor. Lasst mich euch denn daher heute aufgrund unseres
Evangeliums vorstellen:
Die
Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi auf dem Berg der
Verklärung
Wir betrachten herbei:
1.
Die wunderbare Beschaffenheit
dieser Herrlichkeit und
2.
Wozu diese Offenbarung derselben
uns auffordere.
1.
Was, meine Lieben, die eigentliche
Bedeutung des in unserem Evangelium erzählten wunderbaren Vorgangs gewesen ist,
darüber kann darum unter Christen gar kein Zweifel sein, weil dies Petrus
selbst, der einer der auserwählten Augen- und Ohrenzeugen desselben war, es
ausdrücklich sagt. Denn so schreibt Petrus hiervon im ersten Kapitel seines
zweiten Briefes: „Wir sind nicht den klugen Fabeln gefolgt, da wir euch kund
getan haben die Kraft und Zukunft unseres HERRN Jesus Christus; sondern wir
haben seine Herrlichkeit selbst gesehen, da er empfing von Gott dem
Vater Ehre und Preis, durch eine Stimme, die ihm geschah von der großen
Herrlichkeit dermaßen: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel gebracht, da wir mit ihm waren auf
dem heiligen Berg.“ Der wahre eigentliche Endzweck der Verklärung Christi schon
im Stand seiner Erniedrigung war also mit kurzen Worten kein anderer als die
Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit auch seiner heiligen Menschheit.
Lasst uns denn jetzt vorerst die wunderbare
Beschaffenheit dieser Herrlichkeit ein wenig kennen zu lernen suchen.
Unser Text beginnt mit den Worten: „Und
nach sechs Tagen“, nachdem nämlich Christus sein Leiden voraus verkündigt
hatte, „nahm Jesus zu sich
Petrus und Jakobus und Johannes, seinen Bruder, und führte sie bei Seite auf
einen hohen Berg. Und er ward verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete
wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie ein Licht.“ Welch ein wunderbares
Ereignis! Zwar haben manche gemeint, es werde hier etwas erzählt, was nur in
dem Geist der Apostel vorgegangen, nicht aber wirklich geschehen sei. Allein,
der Evangelist sagt ausdrücklich, Christus sei „vor ihnen“, nämlich vor
den Aposteln, verklärt worden. Die Verklärung war also nicht ein Vorgang in der
Vorstellung oder in der Phantasie der Apostel, sondern etwas außer ihnen, vor
ihren leiblichen Augen wirklich Geschehenes. Andere haben daran erinnert, dass
auch Mose der ja nur ein Prophet gewesen, auf dem Berg Sinai etwas Ähnliches
widerfahren sei; denn auch dieser sei mit einem so glänzenden Angesicht vom
Berg gekommen, dass er, weil das Volk den von seinem Angesicht ausgehenden
Strahlenglanz nicht habe ertragen können, sein Angesicht mit einer Decke habe
verhängen müssen. Allein was das Schattenbild gegen die wirkliche Sache ist,
das was Moses Glänzen gegen Christi Verklärung. Lasst uns nur beide Vorgänge
miteinander vergleichen. Von Mose lesen wir erstlich, er habe anfänglich selbst
nicht gewusst, dass ein blendender Strahlenglanz von ihm ausgehe. Dass hingegen
Christus seine Verklärung schon im Voraus wusste, ersehen wir daraus, dass er
die drei Apostel schon vorher zu Zeugen derselben ausgewählt hatte. Von Mose
heißt es ferner ausdrücklich, er sei „davon glänzenden Angesichts
geworden, dass er mit Gott geredet hatte“; Christus hingegeben verklärte sich
selbst, ehe noch Gott der Vater in einer Stimme aus der lichten Wolke erschien.
Während also der Glanz Moses nur ein Widerschein, nur, so zu sagen, eine Abspiegelung
des Glanzes Gottes war, so war hingegen Christi Klarheit seine eigene Klarheit.
Von Mose lesen wir daher ferner, dass nur sein Angesicht glänzte;
hingegen von Christus, dass sein ganzer Leib verklärt wurde. Von Mose lesen wir
endlich, dass eine Decke seinen Glanz den Augen des Volkes alsbald verhüllte;
von Christus hingegen hören wir, dass die Strahlen seiner Majestät selbst die
Decke seiner Kleider durchbrachen, also, dass, während Christi Angesicht „wie
die Sonne leuchtete“, seine Kleider von den seinem heiligen Leib
entströmenden himmlischen Lichtstrahlen „weiß wurden wie ein Licht“,
oder, wie Lukas und Markus es beschreiben, dass sie „glänzten und hell und sehr
weiß wurden, wie der Schnee, dass sie kein Färber auf erden kann so weiß
machen“.
Seht da, meine
Lieben, Christi Verklärung auf jenem hohen Berg, wahrscheinlich dem Berg Tabor,
war also wirklich, wie Petrus in seinem zweiten Brief bezeugt, eine Offenbarung
der göttlichen Herrlichkeit seiner heiligen Menschheit. Da geschah wirklich
das, was Johannes im ersten Kapitel seines Evangeliums von dem ewigen Wort
sagt: „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen
seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,
voller Gnade und Wahrheit.“ Bei dieser seiner Verklärung offenbarte Christus
wirklich schon im Stand seiner Erniedrigung vor den Augen von drei seiner
Jünger, was Paulus im Brief an die Kolosser von Christus bezeugt, wenn er
daselbst schreibt: „In Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig“,
das heißt: Wie die Seele eines Menschen in seinem Leib wohnt, so dass beide
Eine menschliche Person ausmachen, so wohnt in Christi Menschheit seine
Gottheit, so dass beide Eine göttliche Person ausmachen. Während sonst Christi
Gottheit in seiner Menschheit im Stand seiner Erniedrigung wie eine in Wolken
eingehüllte Sonne sich verbarg, so brachen bei seiner Verklärung Strahlen
dieser Sonne wie Blitzesleuchten, wie ein verschlossen gewesenes Feuer,
unaufhaltsam auf einmal hervor. Durch seine Verklärung offenbarte Christus
zugleich: Wie die Seele dem mit ihr persönlich vereinigten Leib ihre geistigen
Eigenschaften mitteilt, nämlich die Eigenschaften zu sehen, zu hören, zu
empfinden, zu reden und sich zu bewegen, so hat auch die Gottheit Christi der
mit ihr persönlich vereinigten Menschheit ihre göttlichen Eigenschaften,
nämlich Allmacht, Allgegenwart, Allwissenheit, mit einem Wort, göttliche
Majestät mitgeteilt. Christi Menschheit war daher mit seiner Gottheit vereinigt
wie das Feuer mit dem glühenden #Eisen. Wie nämlich das glühende, vom Feuer
durchdrungene Eisen ebenfalls des Feuers Eigenschaft erhalten hat und daher wie
Feuer leuchtet und brennt, so leuchtete auf Tabor die mit der Gottheit
vereinigte und von derselben durchdrungene Menschheit ebenfalls im göttlichen
Glanz. Wohl konnten und können Gottes Eigenschaften nimmermehr die wesentlichen
Eigenschaften der Menschheit Christi werden; denn die Menschheit Christi ist
weder mit der Gottheit vermischt, noch in dieselbe verwandelt worden; allein wie
der Mond in dem ihm mitgeteilten Licht der Sonne leuchtet, die ihn bescheint,
so leuchtete auf dem Berg Tabor und wird in alle Ewigkeit leuchten die
Menschheit Christi in dem ihr mitgeteilten Glanz der mit ihr vereinigten
Gottheit. Es war und ist dies die Folge jener Salbung ohne Maß, von welcher
schon David weissagt, wenn er im 45. Psalm dem Messias zuruft: „Du liebst
Gerechtigkeit und hasst gottloses Wesen; darum hat dich, Gott, dein Gott
gesalbt mit Freudenöl, mehr als deine Gesellen.“
Doch, meine
Lieben, so deutlich die Verklärung Christi selbst die göttliche Herrlichkeit
seiner Menschheit offenbart hat, so setzt doch dasjenige, was auf Christi
Verklärung unmittelbar folgte, dieser Offenbarung erst die Krone auf. In
unserem Evangelium wird uns nämlich weiter erzählt, nachdem Christus verklärt
gewesen, seien nicht nur Mose und Elia aus der Welt der Seligen, und zwar, wie
Lukas ausdrücklich berichtet, in himmlischer Klarheit, erschienen, sondern es
heißt hierauf auch weiter: „Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach:
Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr
hören.“ Es ist das eine unaussprechlich wunderbare Rede; denn Gott der
Vater sagt hier von dem Menschen Jesus nicht etwa nur: In diesem
Menschen ist oder wohnt mein lieber Sohn; sondern ohne alle Einschränkung: „Dies,
dies ist mein lieber Sohn.“ Den Menschen Jesus nennt also Gott der Vater
gerade seinen lieben Sohn! Wir befinden uns hier auf dem Gipfel der Offenbarung
der göttlichen Herrlichkeit der Menschheit Christi.
Seht da, meine
Lieben, nachdem der Sohn Gottes ein Mensch geworden ist, ist also nun nicht nur
Gott ein Mensch, sondern auch ein Mensch Gott; denn wie im Menschen die Seele
den Leib in die Gemeinschaft ihrer Persönlichkeit aufgenommen hat, so hat, wie
gesagt, der Sohn Gottes die menschliche Natur in die Gemeinschaft seiner
Persönlichkeit aufgenommen, und wie im Menschen der Leib der Seele und die
Seele dem Leib sich mitteilt und zu eigen gibt, so ist in Christus die
menschliche Natur der göttlichen und die göttliche Natur der menschlichen
mitgeteilt und zu eigen gegeben. Wer daher wohl glaubt, dass Gott in dem
Menschen Jesus ist, nicht aber, dass nun auch der Mensch Jesus wirklich und
wahrhaftig Gott ist, der glaubt das kündlich große gottselige Geheimnis: „Gott
ist offenbart im Fleisch“, und: „Das Wort ward Fleisch“, noch nicht. Denn wie
Christus nach seiner Gottheit schon von Ewigkeit anbetungswürdig war, so heißt
es nun, nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist, auch von diesem Menschen:
„Es sollen ihn alle Engel Gottes anbeten.“ Wie Christus nach seiner Gottheit
schon von Ewigkeit auf Gottes des Vaters Stuhl thront, so hat Gott der Vater,
nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist, nun auch zu diesem Menschen
gesagt: „Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ist lege deine Feinde zum
Schemel deiner Füße.“ Wie Christus nach seiner Gottheit schon von Ewigkeit den
Namen über alle Namen, nämlich den Namen des HERRN, Jahwehs, Gottes des
Allerhöchsten, trug, so hast Gott, nachdem Gottes Sohn ein Mensch geworden ist,
auch diesen Menschen, wie Paulus schreibt, 2erhöht und hat auch ihm
einen Namen gegeben, der über allen Namen ist, dass ist in dem Namen Jesu sich
beugen solle alle derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde
sind, und alle Zungen bekennen sollen, dass Jesus Christus der HERR sei, zur
Ehre Gottes des Vaters.“
2.
Doch, meine
Lieben, nachdem wir nun einen Blick in die göttliche Herrlichkeit der
Menschheit Christi getan haben, die sich einst auf dem Berg der Verklärung
offenbart hat, so lasst uns nun zweitens erwägen, wozu diese Offenbarung uns
auffordere.
Das Erste,
wozu sie uns auffordert, ist ohne Zweifel, dass wir daraus die unaussprechlich
große Liebe Gottes zu uns Menschen erkennen. Denn bedenkt: Gott hat den
Menschen heilig und gerecht nach seinem Ebenbild zum ewigen Leben erschaffen,
ihm das Paradies zu seiner Wohnung angewiesen, ihn zum Herrn der Erde und alles
dessen, was darin ist, gemacht, ausgestattet mit allem, was sein Herz nur
wünschen konnte. Und was ist geschehen? Der Mensch ist von Gott abgefallen, ist
ein Knecht der Sünde geworden und hat an die Stelle seines gütigen Schöpfers
die Welt, das Sichtbare, das Zeitliche, sich selbst, ja, den Teufel selbst zu
seinem Gott gemacht, ist Gottes Feind und damit unaussprechlich elend geworden.
Wie sollte, wie konnte nun dem Menschen geholfen werden? Gott hatte auf die
Sünde den zeitlichen und ewigen Tod gesetzt; und was der gerechte und
wahrhaftige Gott festgestellt und gedroht hatte, das musste geschehen, ob auch
die ganze Welt darüber zugrunde ginge. So konnte denn weder der Mensch sich
selbst, noch irgendeine andere Kreatur ihm helfen, denn niemand im Himmel und
auf Erden konnte der unverletzlichen Gerechtigkeit Gottes für ihn genugtun. So
stand denn der Mensch rat- und hilflos am Abgrund eines ewigen Verderbens,
während er den großen Gott sich zu seinem Feind gemacht hatte und selbst nichts
als Hass und Feindschaft gegen Gott in seinem Herzen trug. Und was tot Gott?
Ehe noch der Mensch gefallen war, ja, schon von Ewigkeit hatte Gott
beschlossen, wenn der Mensch sein Feind und dadurch aussprechlich elend
geworden sein würde, ihn aus diesem verschuldeten Elend zu erretten, nämlich
selbst seine Gerechtigkeit zu befriedigen, um so allein seine ewige Liebe und
Erbarmen über ihm walten lassen zu können. Und wie führte Gott diesen
Ratschluss aus? Um für den Menschen leiden und sterben zu können, wurde Gott
selbst ein Mensch, nahm die Gestalt des sündlichen Fleisches an, wurde ein
wahrhaftiges Kind des gefallenen Adam, ein Glied der Familie der Sünder und
Gottesfeinde, ein Mitgefangener in dem Gefängnis der des ewigen Todes
schuldigen Verbrecher, ein Knecht aller Knechte, ja, ein Sünder aller Sünder,
der endlich, beladen mit der Sündenschuld der ganzen Welt, als ein Verfluchter
unter Schmach und Qual und unter dem Hohngelächter der Hölle und unter dem Spott
der verruchten Welt starb. Und noch mehr, meine Zuhörer. Während Gott durch
seine Menschwerdung in alle Tiefen der Schmach und Höllenpein hinabstieg, so
hat er dadurch hingegen den Menschen, seinen ihn hassenden Feind, in den
Himmel, ja, des Menschen Natur über alle Himmel auf den Thron der Majestät in
der Höhe erhoben. Denn durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes sind alle
Menschen Gottes Brüder und Blutsverwandte, eine menschliche Jungfrau eine
Mutter Gottes und Gottesgebärerin, ja, ein Mensch ist ein untrennbarer Teil der
zweiten göttlichen Person, und so in die ewige Gemeinschaft und in den Rat der
hochheiligen dreieinigen Gottheit selbst aufgenommen, ein Mitregent des Himmels
und der Erde und ein Gegenstand göttlicher Ehre und göttlicher Anbetung aller
zum ewigen Leben geschaffenen Kreaturen geworden.
Wer kann
hiernach die Breite und die Länge, die Höhe und die Tiefe dieser Liebe Gottes
gegen uns Menschen ermessen, ausreden oder ausdenken? Die Große dieser Liebe
kann kein Mensch, kein Engel, kein Erzengel fassen; sie kann nur in tiefster
Demut bewundert werden und wird einst von allen Engeln und Auserwählten unter
dem Klang aller himmlischen Harfen besungen werden von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Aber, meine
Lieben, noch eins ist’s, wozu uns daher die Offenbarung der göttlichen
Herrlichkeit der Menschheit Christi auffordert; dazu nämlich, dass, nachdem
Gott unsere Menschennatur so hoch erhoben und geehrt hat, auch wir dieselbe auf
das höchste ehren. Oder ist es etwa nicht so? Bedenkt: Gott hat unsere
Menschennatur so hoch geachtet, dass er zu ihrer Erlösung ein Wunder der Liebe
getan hat, das Himmel und Erde in ewiges Erstaunen setzt, was tust du nun, wenn
du deine Seele gering achtest? Gott hat unsere Seele nicht mit Gold oder
Silber, sondern um den unermesslichen Preis des Todes seines Sohnes wieder
erkauft, was tust du nun, der du deine Seele für Gold und Silber, für diesen
blinkenden Erdenkot, verkaufst und verschacherst? Muss man dir dann nicht
zurufen, wie Petrus dem Zauberer Simon: „dass du verdammt werdest mit deinem
Geld“? Gott hat unsere Menschennatur durch seine Menschwerdung in den
göttlichen Adelsstand erhoben; was tust nun du, der du dahin lebst, als wärest
du ein Tier, das seine Begierde mit Fressen und Saufen stillt? Oder der du doch
dahinlebst, als wärest du nur für diese Erde zu einem Kind dieser Welt
geschaffen, das auf Erden ist, sich die Zeit mit Spielen und Tanzen zu
vertreiben, Schätze zu sammeln, die Rost und Motten fressen und da die Diebe
nach graben, mit de Welt lustig zu leben und den Rauch der Menschenehre zu
suchen, und dann in das Nichts dahin zu fahren? Gott ist schon von Ewigkeit auf
das Heil unserer Seele bedacht gewesen, hat um derselben willen einen ewigen
Ratschluss unergründlicher Liebe gefasst und ich auf das herrlichste ausgeführt
und geht nun unseren Seelen allenthalben nach und arbeitet an ihnen Tag und
Nacht; was tust nun du, der du dahinlebst, als hättest du keine unsterbliche
und teuer erlöste Seele, sorgst selbst in der kurzen Spanne deiner Lebenszeit
nicht um sie, lässt am Sonntag dir etwas vorpredigen, aber in den Wochentagen
ist das Trinkhaus deine Kirche, spielst mit der Sünde, um welcher willen sich
Gott selbst am Fluchholz des Kreuzes geopfert hat, ja, dienst durch deine
Sünden willig dem Teufel, aus dessen Gewalt dich zu erlösen Gott selbst vom
Himmel gekommen ist? Kurz: Gott hat unsere Natur über alle Himmel erhoben; was
tust nun du, der du sie zur niedrigsten Sklavin machst und hinab in den Staub
und Schmutz der Erde und Sünde drückst? –
O, meine
Lieben, da wir heute im Geist uns auf den Berg der Verklärung gestellt und da
im Geist unsere in Christus verherrlichte Menschheit angeschaut haben, so lasst
uns nun auch hören auf den Mahnruf des heiligen Apostels: „Ihr seid teuer
erkauft; darum so preist Gott an eurem Leib und in eurem Geist, welche sind
Gottes.“ Lasst uns keinen Augenblick unseres Lebens vergessen, dass wir mit
unserer menschlichen Seele einen Schatz besitzen, der unendlich wertvoller ist
als die ganze Welt, und daher unsere Seele mit Furcht und Zittern in den Händen
tragen. Lasst uns bedenken: Aus unseren Sünden konnte allein Gott durch seine
Menschwerdung uns erretten; verachten wir aber auch diese Errettung, so kann
dann auch Gott selbst uns nicht erretten; denn allein der Mensch Jesus ist es,
auf welchen Gott der Vater vom Himmel herab gerufen hat: „Dies ist mein
lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.“ Nur in dem menschgewordenen
Sohn ist also Gottes Wohlgefallen, außer ihm Zorn und ewiger Fluch.
O so lasst uns
mit jenem gottseligen Dichter seufzen:
Drum, o Jesus, du alleine
Sollst mein Ein und Alles sein;
Prüf, erfahre, wie ich’s meine,
Tilge allen Heuchelschein;
Sieh, ob ich auf bösem, betrüglichem Stege,
Und leite mich, Höchster, auf ewigem Wege.
Gib, dass ich hier alles nur achte für Kot,
Und Jesus gewinne: Dies eine ist not.
Amen.
Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus
Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Was einst die Juden zu dem Propheten
Maleachi sprachen, wie wir im dritten Kapitel seiner Weissagungen finden: „Es
ist umsonst, dass man Gott dient; und was nützt es, dass wir sein Gebot
halten und ein hartes Leben vor dem HERRN Zebaoth führen?“ das ist die
Gesinnung unzähliger Menschen zu allen Zeiten gewesen. Und es ist wahr: Hätten
die Christen dafür, dass sie Gott dienen, keinen anderen Lohn zu erwarten, als den
sie in dieser Welt dafür bekommen, so möchte es wohl scheinen, als arbeite
niemand vergeblicher als ein eifriger Christ. Denn was ist des Christen
gewöhnlicher Lohn in dieser Welt? Je mehr er Gottes Freundschaft sucht, desto
mehr ist die Welt ihm feind; je treuer er Christus nachfolgt, desto weniger
wollen Menschen von ihm wissen, ja, desto mehr wird er von ihnen verachtet und
verfolgt; kurz, je gewissenhafter er in allem nach Gottes Wort geht, desto
schmaler und trübseliger ist sein Weg. Ein Christ werden und sein Kreuz auf
sich nehmen; ein Christ werden und alles verleugnen und verlassen, was dem
Fleisch angenehm ist; ein Christ werden und dieser Welt Glück verlieren: Das
sind unzertrennliche Dinge, ja, ist ganz ein und dasselbe.
Mag es aber darum so scheinen, als
sei es daher umsonst, dass man Gott dient, es scheint nur so. Der
Prophet Maleachi setzt zu jenen Worten hinzu: „Aber die Gottesfürchtigen
trösten sich untereinander so: Der HERR merkt es und hört es“ (nämlich, was wir
tun und leiden); „und ist vor ihm ein Denkzettel geschrieben für die, so den
HERRN fürchten und an seinen Namen denken. Und ihr sollt sehen“ (spricht der
HERR), „was für ein Unterschied sei zwischen dem Gerechten und dem Gottlosen
und zwischen dem, der Gott dient und dem, der ihm nicht dient.“ Seht, es soll
also nicht umsonst sein, im Dienst Gottes gestanden zu haben. Einst will Gott
den Unterschied zwischen seinen Dienern und den Dienern der Welt so offenbar
machen, dass ihn die Welt mit Schrecken und die Gottesfürchtigen mit Staunen
und Frohlocken sehen werden. Ein herrlicher Gnadenlohn soll den treuen Knechten
Gottes werden. Nichts Gutes, was ein Mensch hier um Gottes willen getan, und
wäre es ein Becher kalten Wassers, den er jemandem um Christi willen gereicht
hat, soll vergessen werden und ihm unvergolten bleiben. Mag er daher immerhin
um Gottes willen arm an irdischen Gütern bleiben müssen, dafür wartet dort
seiner ewiger Reichtum an himmlischen Gütern; mag er immerhin hier um Gottes
willen verachtet und geschändet, und sein Name als der eines Gottlosen
verworfen werden, dafür wartet doch seiner unaussprechliche Ehre und
Herrlichkeit vor Gott und vor allen Engeln und Auserwählten; kurz, mag er
immerhin hier viel um Gottes willen aufopfern und verlassen müssen, das alles
wird ihm dort mehr als tausendfältig ersetzt werden. O, es hat’s kein Auge
gesehen und kein Ohr gehört und ist in keines Menschen Herz gekommen, was Gott
bereitet hat denen, die ihn lieben. Wo Christus ist, da soll sein Diener auch
sein; wer mit ihm stirbt, soll mit ihm leben; wer mit ihm duldet, soll mit ihm
herrschen; wer mit ihm leidet, soll zu der Zeit der Offenbarung seiner
Herrlichkeit auch mit ihm Freude und Wonne haben.
Aber wie? Ist es hiernach nicht recht, wenn
ein Mensch allein um dieses einstigen Lohnes willen Gott dient? Ist es also
nicht recht, wenn ein Mensch nur darum fromm ist, um sich mit seiner
Frömmigkeit den Himmel und die Seligkeit zu verdienen? – Nein, meine Lieben,
eine solche lohnsüchtige Frömmigkeit hat keinen Wert vor Gott, ja, sie macht
vor Gott verwerflich. Christus warnt uns daher davor in unserem heutigen
Evangelium. Lasst uns jetzt seine Warnung hören.
Matthäus 20,1-16: Das Himmelreich ist gleich einem
Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu mieten in seinen Weinberg. Und da
er mit den Arbeitern eins ward um einen Denar zum Taglohn, sandte er sie in
seinen Weinberg. Und ging aus um die dritte Stunde und sah andere an dem Markt
müßig stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will
euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die
sechste und neunte Stunde und tat gleich also. Um die elfte Stunde aber ging er
aus und fand andere müßig stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den
ganzen Tag müßig? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand gedingt. Er sprach zu
ihnen: Geht ihr auch hin in den
Weinberg, und was recht sein wird, soll euch werden. Da es nun Abend ward,
sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Schaffner: Rufe die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und
hebe an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde
gedingt waren, und empfing ein jeglicher seinen Denar. Da aber die ersten
kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein
jeglicher seinen Denar. Und da sie den empfingen, murrten sie gegen den
Hausvater und sprachen: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du
hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.
Er antwortete aber und sagte zu einem unter ihnen: Mein
Freund, ich tue dir nicht unrecht. Bist du nicht mit mir eins worden um einen
Denar? Nimm, was dein ist, und gehe hin! Ich will aber diesem letzten geben
gleichwie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem Meinen?
Siehst du darum scheel, dass ich so gütig bin? So werden die Letzten die
Ersten, und die Ersten die Letzten sein. Denn viele sind berufen, aber wenige
sind auserwählt.
Was Christus mit dem in diesem Abschnitt
enthaltenen Gleichnis eigentlich sagen wolle, darüber herrscht, meine Lieben,
eine große Meinungsverschiedenheit. Achten wir jedoch auf den Zusammenhang, in
welchem das Gleichnis steht, und auf die Veranlassung, auf welche Christus
dasselbe einst vorgelegt hat, so kann über die eigentliche Absicht desselben
kein Zweifel sein. – In dem Vorhergehenden hören wir aber dieses, dass Petrus
einst die Frage aufgeworfen hatte: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind
dir nachgefolgt; was wird und dafür?“ Hierauf erklärt nun Christus nicht nur,
dass die lieben Apostel allerdings einen herrlichen Gnadenlohn zu erwarten
haben, sondern er legt nun hierauf auch sogleich das Gleichnis von den
Arbeitern im Weinberg vor, wodurch Christus hiernach offenbar nicht nur seine
Jünger, sondern alle Menschen warnen will, bei ihren Werken nicht erst zu
fragen: „Was wird uns dafür?“ also nicht um Lohnes willen ihm folgen und Gott
dienen zu wollen. Lasst mich daher aufgrund dieses Gleichnisses Christi jetzt
zu euch sprechen:
Von
der lohnsüchtigen Frömmigkeit
Hört,
1.
Von welcher Beschaffenheit sie sei
und wie sie sich offenbare, und
2.
Von welchem Wert sie sei und wie
sie daher belohnt werde.
O HERR Gott! Von dir haben wir alles, was
wir sind und haben; dir gehört daher auch alles, unser Leib, unsere Seele und
unser ganzes Leben. Wenn wir darum auch alles getan hätten, was du uns geboten
hast, so wären wir doch selbst dann nur unnütze Knechte, denn wir hätten dann
nur getan, was wir zu tun schuldig waren. Aber ach, HERR, unser keiner tut auch
nur dies; vor dir ist keiner unschuldig, keiner gerecht. Darum behüte
uns vor dem Sinn, dir etwas abverdienen zu wollen, sondern gib uns den Sinn,
der nur um freie, lautere Gnade steht, nur um Erbarmen schreit. Dazu segne dein
Wert auch in dieser Stunde, so ist uns zeitlich und ewig geholfen. Amen. Amen.
1.
Christus hebt in unserem heutigen
Evangelium so an: „Das
Himmelreich ist gleich einem Hausvater, der am Morgen ausging, Arbeiter zu
mieten in seinen Weinberg. Und da er mit den Arbeitern eins ward um einen Denar
zum Taglohn, sandte er sie in seinen Weinberg.“ Dasselbe, sagt
Christus, tat der Hausvater wieder in der dritten, sechsten und neunten Stunde,
das ist, nach unserer Weise, den Tag einzuteilen, früh um neun, mittags um
zwölf und nachmittags um drei Uhr; hieraus heißt es: „Um die elfte Stunde
aber“, das heißt, um die letzte Tagesstunde, „ging er aus und fand
andere müßig stehen und sprach zu ihnen: Was steht ihr hier den ganzen Tag
müßig? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand gedingt. Er sprach zu
ihnen: Geht ihr auch hin in den
Weinberg, und was recht sein wird, soll euch werden.“
„Da es nun
Abend ward, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Schaffner: Rufe die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und
hebe an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde
gedingt waren, und empfing ein jeglicher seinen Denar. Da aber die ersten
kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und sie empfingen auch ein
jeglicher seinen Denar. Und da sie den empfingen, murrten sie gegen den
Hausvater und sprachen: Diese letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du
hast sie uns gleich gemacht, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben.“
In diesem Teil
unseres Gleichnisses entwirft Christus das Bild der lohnsüchtigen Frömmigkeit
mit lebendigen Farben. Zunächst war es ohne Zweifel das jüdische Volk, welches
Christus hierbei im Sinn hatte. Die Juden waren es nämlich zuerst, welche Gott
in den Weinberg seiner Kirche rufen ließ durch die heiligen Propheten; mit
ihnen machte er einen Bund und gab ihnen die Verheißung, ihnen den Messias zu
ihrem Heiland zu senden. Die Heiden hingegen wurden gleichsam erst in der
elften, in der letzten, Stunde des Welttages in den Weinberg gerufen, aber auch
ihnen wurde durch die heiligen Apostel derselbe Anteil an dem Messias und
seiner Gnade zugesprochen wie den erstberufenen Juden.
Was geschah
aber nun? Die Juden murrten, als sie sahen, dass die Heiden, mit welchen doch
Gott nicht, wie mit ihnen, eins geworden sei um den Taglohn, mit denen er
nämlich keinen Bund aufgerichtet und denen er keine Verheißung gegeben habe,
dieselbe Gnade erlangen und dass sie, als das erstberufene Volk Gottes,
vor ihnen nichts voraushaben sollten. Die Juden dachten: Wie? Wir sollten des
Tages Last und Hitze getragen, wir sollten das schwere Gesetz Moses mit seinen
Festen und Opfern und Sabbathen und Fasten beobachtet und uns der Beschneidung
unterworfen haben, und nun sollten die unbeschnittenen Heiden uns gleich
gemacht werden? Haben wir nicht mehr gearbeitet und mehr verdient als sei?
Obwohl jedoch
Christus bei Darlegung seines Gleichnisses gewiss das selbstgerechte, murrende,
lohnsüchtige jüdische Volk zunächst im Sinn hatte, so wollte er doch ohne
Zweifel damit auch im Allgemeinen die lohnsüchtige Frömmigkeit in ihrer
wahren Gestalt bei allen Menschen überhaupt darstellen. Von Natur sind nämlich
wir Menschen alle si gesinnt, dass wir nur darum noch hier und da das
Gute tun und das Böse unterlassen, also nur darum fromm sein wollen,
weil wir dafür einen Lohn von Gott erwarten; von Natur würde daher kein Mensch
etwas Gutes tun oder etwas Böses unterlassen, wenn er dächte, dass ihm dies
weder in dieser noch in jener Welt etwas helfen oder schaden könne. Hätten die
Menschen nicht noch von Natur einige Furcht, dass es für die Gottlosen eine
Hölle gebe, und nicht noch einige Hoffnung, dass es für die Frommen einen
Himmel gebe, so würde man bald sehen, warum die meisten Menschen manches Gute
tun und manches Böse unterlassen, dass nämlich nicht die Liebe zu Gott, ihrem
Schöpfer, sie treibe, sondern dass allein die Furcht vor Strafe und die
Hoffnung des Lohnes die unlautere Quelle und der faule Grund ihrer sogenannten
Frömmigkeit sei.
Ja, wird es
jetzt nicht von vielen Predigern öffentlich verkündigt und von Unzähligen
angenommen und ohne Scheu bekannt, dass sich der Mensch durch seine eigenen
Werke, durch sein tugendhaftes Leben des Wohlgefallens Gottes würdig machen und
ein gutes Los in jener Welt sich verdienen könne und müsse? Niemand gilt ja in
unseren Tagen für einen Aufgeklärten, wer diesem heidnischen Grundsatz nicht
huldigt und den Himmel nicht für den verdienten Kampfreis unserer Tugend
erklärt.
Recht offenbart
wird jedoch die lohnsüchtige Frömmigkeit der meisten Menschen erst dann, wenn
das Evangelium gepredigt wird und wenn nun durch das Evangelium auch grobe
Sünder bekehrt werden. Als Christus einst alle Mühseligen und Beladenen
freundlich zu sich rief und auf seinen Ruf auch große Sünder sich ihm nahten,
sich bekehrten, an ihn glaubten, von Christus aufgenommen wurden und nun zum
Teil als seine Jünger ihm nachfolgten, da war dies für die selbstgerechten
Pharisäer und Schriftgelehrten ein großes Ärgernis. Sie riefen mit Verachtung
aus: „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen“; er ist ein Zöllner- und
Sünderfreund; sie dachten: Was ist das für ein Messias, der selbst den größten
Sündern Gnade und den Himmel verheißt? Wie? die Huren, die Zöllner und die
Räuber und Mörder sollten ebenso wohl einst die himmlische Seligkeit genießen
wie wir? Soll es denn umsonst sein, dass wir Gottes Gesetz mit großer Mühe und
Plage gehalten haben? Hinweg mit einer solchen Religion! Wie aber einst die Pharisäer
und Schriftgelehrten und überhaupt die meisten Juden gedacht haben, so denken
noch jetzt nicht wenige unter den Christen. Wird das Evangelium von Christus
gepredigt und werden dadurch alle Sünder zu Christus gerufen und lassen nun
manche Sünder sich das Evangelium zu Herzen gehen, glauben sie an Christus und
halten sie sich nun auch zu den wahren Christen, und werden sie von diesen an-
und aufgenommen: Dann erheben sich die Weltehrbaren und sprechen: Wie? ein
gottloser Mensch, der von Jugend auf in groben offenbaren Sünden dahingelebt
hat, der sollte, wenn er des Sündigens müde ist und sich endlich noch vor Gott
demütigt und an Christus glaubt, ebenso gut selig werden können wie wir, die
wir von Jugend auf unsträflich gewesen sind, von Jugend auf unser Leben der
Tugend gewidmet und uns durch so viele edle Taten ausgezeichnet haben? Das sei
ferne!
Die
lohnsüchtige Frömmigkeit offenbart sich jedoch nicht immer in einem so
auffallenden Kleid; es gibt nur zu viele, welche mit dem Mund sprechen, dass
sie allen auf Christus bauen und allein aus Gnaden selig werden wollen, und die
im Grund doch nur aus Lohnsucht fromm sind. Warum halten sie viele zu den
Christen und nicht zur Welt, warum gehen sie fleißig zur Kirche, warum beten
sie täglich des Morgens und des Abends, warum lesen sie in der Heiligen Schrift
und in anderen guten Büchern, warum bringen sie manche Opfer zur Erhaltung des
Gottesdienstes und zur Ausbreitung des Reiches Gottes und dergleichen? Ist
nicht bei nur zu vielen die wahre Ursache nicht die freie Liebe zu Christus und
zu dem Nächsten, sondern die Hoffnung, dass sie Gott darum für Christen ansehen
und einst selig machen werde? Was ist das aber anderes als eine lohnsüchtige
Frömmigkeit? – Ja, noch mehr! Es gibt Christen, welche erst nach vielen Gebeten
und Tränen, erst nach Erfahrung großer Traurigkeit und viel Angst und erst nach
langem Ringen und Kämpfen zur Gewissheit ihres Gnadenstandes gekommen sind. Wie
sind solche oft gegen diejenigen Christen gesinnt, welche durch solche schwere
Bußkämpfe nicht erst hindurch haben gehen müssen, die Gott sanfter, leichter
und lieblicher geführt und nach dem ersten Erschrecken über ihre Sünden ihnen
sogleich die Gnade gegeben hat, sich im kindlichen Glauben Christi, seiner
Gnade und seines Wortes trösten zu können? Nicht selten wollen jene Christen
diese nicht für wahre Christen anerkennen; sie achten die leichte Bekehrung
derselben für verdächtig und denken: Wie? ich sollte so viel erst haben kämpfen
und des Tages Last und Hitze haben tragen müssen, ehe ich zum Frieden kam, und
dieser sollte ihn so leichten Kaufes bekommen haben? Das kann ich nicht
glauben! – Was verraten aber diese Christen hiermit? – Nichts anderes, als dass
ihr Christentum eine lohnsüchtige Frömmigkeit sei.
Ihr seht
hieraus, meine Lieben, dass diese Art von Frömmigkeit häufiger ist, als man
denkt, und dass selbst die scheinbar gläubigsten Christen von derselben
eingenommen und befleckt sein können. Es hat sich daher ein jeder wohl zu
prüfen, ob vielleicht auch er Gott allein um des Lohnes willen diene? – Nachdem
wir jedoch gesehen haben, wie diese Frömmigkeit beschaffen sei und wie sie sich
offenbare, so lasst uns nun zweitens erwägen, welchen Wert sie habe und wie sie
daher belohnt werde.
2.
Diejenigen,
welche zuerst zur Arbeit in den Weinberg gerufen worden waren, meinten, sich
ein großes Verdienst mit ihrer Arbeit erworben zu haben; sie erwarteten daher
mehr als diejenigen, welche nicht so lange wie sie gearbeitet hatten, und da
sie dies nicht erhielten, murrten sie gegen den Hausvater. Was antwortete aber
dieser einem unter ihnen? Er sprach: „Mein Freund, ich tue dir nicht
unrecht. Bist du nicht mit mir eins worden um einen Denar? Nimm, was dein ist,
und gehe hin! Ich will aber diesem letzten geben gleichwie dir. Oder habe ich
nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem Meinen? Siehst du darum scheel, dass
ich so gütig bin?“ Hiermit erklärt also der Hausvater, dass sich die
Arbeiter mit ihrer Arbeit um des bloßen Lohnes willen keineswegs ein Verdienst
mit ihrer Arbeit um des bloßen Lohnes willen keineswegs ein Verdienst erworben
hätten; was er ihnen für ihre Arbeit versprochen habe und worüber er mit ihnen
eins geworden war, das sollten sie richtig erhalten; aber damit hätten sie nun
auch ihren Lohn dahin, ihre Arbeit habe weiter keinen Wert.
Hier hören
wir, welchen Wert also die Frömmigkeit derjenigen habe, die allein um des
Lohnes willen fromm sind, nämlich gar keinen Wert. Alle Werke, die jemand tut,
um dafür belohnt zu werden, haben nur den Schein guter Werke, aber in der Tat
sind sie nichts weniger als dies; sie sind blinkende Zahlpfennige, die zwar den
Goldstücken nach dem äußerlichen Gepräge gleichen, aber nach ihrem innerlichen
Gehalt völlig wertlos sind. Denn nur das Werk kann vor Gott, der auf das Herz
sieht, Wert haben, das ein Mensch nicht aus Eigennutz, nicht in Absicht auf
Vergeltung, sondern allein aus Liebe zu Gott und dem Nächsten tut. Wären das
gute Werke, die ein Mensch tut, um dafür einst belohnt zu werden, so müssten alle
Werke der Menschen gute Werke sein, denn alle Werke, auch die offenbaren
Sünden, werden von den Menschen getan, um sich damit einen Nutzen zu
verschaffen.
Sagt selbst,
werdet ihr das für eine edle Tat ansehen, wenn ein Mensch einem Händler sein
Geld gibt, um von diesem Waren wenigstens von demselben Wert dagegen zu
erhalten? Werdet ihr den für einen Wohltäter seines armen Nachbarn ansehen,
welcher für denselben zwar arbeitet, aber für bedingten Lohn? Und was werdet
ihr von dem halten, der euch ein kleines Geschenk macht, wenn ihr wisst, dass
er euch nur darum beschenkt habe, um euch ein größeres Gegengeschenk abzunötigen?
Werdet ihr eines solchen Menschen Freigiebigkeit preisen? Gewiss nicht! Ihr
werdet vielmehr einen solchen Schenker als einen Heuchler verachten. Seht, so
wenig nun solchen Werken unter Menschen irgendein Wert beigelegt wird,
so wenig hat die lohnsüchtige Frömmigkeit irgendeinen Wert vor Gott; ja, sie
ist nichts als ein heuchlerischer Schein.
Was ist daher
ihr Lohn? – Christus zeigt es uns in den Worten des Hausvaters: „Nimm,
was dein ist, und ehe hin.“ Und in den Schlussworten: „Also werden die
Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein. Denn viele sind berufen,
aber wenige sind auserwählt.“ So war der Lohn, den einst die Juden für ihre
lohnsüchtige Frömmigkeit erhalten haben. Sie waren die Ersten und wurden die
Letzten. Sie waren erst das Volk Gottes, aber sie sahen scheel dazu, dass die
Heiden auch in den Gnadenbund aufgenommen wurden; sie murrten, dass sie
denselben gleich geachtet wurden, und sie meinten, mit ihrer Arbeit unter dem
Joch des mosaischen Gesetzes mehr verdient zu haben – und was geschieht? –
Darüber verloren sie Gottes Gnade; Gott rief ihnen erzürnt zu: „Nimm, was
dein ist, und gehe hin.“ – Gottes Angesicht wendet sich nun von ihnen;
Jerusalem wurde zerstört, das arme Volk, nach Moses Weissagung, als ein
verachteter Pöbel unter alle Völker zerstreut und die Heiden an ihrer Statt
angenommen.
Ihr Schicksal
ist aber ein Bild von dem Schicksal aller derer, welche Gott allein um des
Lohnes willen dienen, die nämlich ihre guten Werke in der Absicht tun, um einst
dafür von Gott belohnt zu werden. Alle ihre Werke werden einst auf Gottes Waage
zu leicht befunden werden. Gott wird einem jeden von ihnen einst zurufen: „Nimm,
was dein ist, und gehe hin“, das heißt, du hast deinen Lohn dahin, das
zeitliche Leben mit seinen Gütern und Wohltaten war der Groschen, den ich dir
bereits ausgezahlt habe; ich bin dir nichts schuldig; denn du hast nichts aus
lauterer Liebe zu mir getan; weiche von mir, du Heuchler; ich habe dich noch
nie erkannt, du Übeltäter! Dann werden die lohnsüchtigen Frommen ewig verstoßen
und verworfen, hingegen die armen Sünder, die ihre Hoffnung allein auf die Güte
des Hausvaters gesetzt hatten, werden mit dem Groschen zeitlichen Segens nicht
abgewiesen werden, sondern auf ewig Aufnahme finden in seinem himmlischen Haus.
Dies nehmt wohl
zu Herzen, liebe Zuhörer! Seid nicht so töricht, mit euren elenden Werken und
mit eurer armseligen Tugend und Frömmigkeit Gott seinen Himmel abkaufen zu
wollen. Wollt ihr so die Gottseligkeit als ein Gewerbe treiben, so werdet ihr
einst erfahren, wie wertlos alle eure Werke waren; Gott wird euch zeigen, dass
ihr euer Gutes schon reichlich in dieser Welt empfangen hattet, und euch von
sich weisen auf immer und ewig. Ihr aber, die ihr allein aus Gnaden selig
werden zu wollen sprecht, prüft euch wohl, ob ihr wirklich alles, was ihr Gutes
tut, allein aus Liebe gegen den tut, der euch von Ewigkeit geliebt und durch
Christus angenommen hat; ob ihr euch nicht besser achtet als den größten
Sünder; ob wirklich das Erbarmen Gottes in Christus der Grund eurer Hoffnung
sei und ob ihr nun allein aus Dank für diese Gnade reich zu werden trachtet an
guten Werken; ob ihr von Herzen sprecht:
Der Grund, darauf ich gründe,
Ist Christus und sein Blut;
Das machet, das ich finde
Das ewge wahre Gut.
An mir und meinem Leben
Ist nichts auf dieser Erd,
Was Christus mir gegeben,
Das ist der Liebe wert.
O, wohl euch, die ihr solche Gesinnung
habt! Euer Leben gefällt Gott wohl. Ihr achtet eure Werke für nichts,
aber freut euch, freut euch! – Gott achtet sie um Christi willen groß,
und einst will er sie aus Gnaden ewig und überschwänglich belohnen. Darum ruft
nur getrost mit jenem Dichter:
Im Himmel ist gut
wohnen,
Hinauf steht mein
Begier,
Da wird Gott ewig
lohnen
Dem, der ihm dient
allhier.
Amen.
Gott gebe euch viel Gnade und Friede durch
die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserm teuren Heiland,
geliebte Zuhörer!
Dass Gott den Menschen nicht für dieses
Leben und für diese Erde geschaffen haben könne, dies muss selbst die Vernunft
einsehen und annehmen. Die größte Anzahl der Menschen geht ja seufzend durch
die Welt; die meisten müssen mit Sirach
aus Erfahrung sagen: „Es ist ein elend jämmerliches Ding um aller Menschen
Leben, von Mutterliebe an bis sie in die Erde begraben werden, die unser aller
Mutter ist. Da ist immer Sorge, Furcht, Hoffnung, und zuletzt – der Tod.“ Wer
dürfte daher meinen, dass der Mensch von einem weisen, gerechten und gütigen
Gott für dieses flüchtige und nichtige Leben geschaffen sei? Wer dürfte meinen,
dass Gott den Menschen auf diese Erde gesetzt habe, um einige sich freuen,
andere weinen und endlich alle wieder vernichtet werden zu lassen? – Nein,
nein, o Mensch, die vergängliche Zeit kann deinen unsterblichen Geist nicht
befriedigen; nicht für diese arme Welt, du bist für den Himmel geschaffen; hier
soll nur diene Vorbereitungsschule sein; hier sollst du im Schweiß deines
Angesichts deinen Samen säen, dort aber erst ernten; hier sollst du geprüft
werden, und wenn du bewährt gefunden sein wirst, dann sollst du Gott schauen
von Angesicht zu Angesicht; hier sollst du um die Krone streiten und dem
Kleinod nachjagen, jenseits des Grabes aber sollst du gekrönt werden und den
Siegerpreis empfangen: Deine Bestimmung ist der Genuss einer ewigen Seligkeit.
O, dass wir es nur erkennen und vor allem selig zu werden trachten möchten!
Auf diese wichtige Wahrheit führt den
Menschen schon seine bloße Vernunft, wenn er nur ein wenig in sein Herz
einkehrt; wie aber der Mensch selig werden, wie er zu Gott
kommen, wie er ein ewiges Leben erlangen könne – die Antwort auf diese
Frage sucht der Mensch vergeblich in seinem Herzen oder in seiner Vernunft. Der
wahre Weg zur Seligkeit ist ein Geheimnis der göttlichen Gnade, von welchem
Fleisch und Blut, das heißt, ein natürlicher Mensch, nichts weiß; das kann Gott
allein uns offenbaren. Gott ist der HERR des Himmels, er allein hat daher auch
die Schlüssel des Himmels, und er kann auch allein den Weg bestimmen, auf
welchem wir ihn finden sollen.
Wodurch hoffen nun die meisten Menschen,
selig zu werden? Sie denken, wenn sie sich, so viel wie möglich, vor allen
Sünden hüteten, wenn sie keinem Menschen etwas zu Leide täten, wenn sie gegen
jedermann freundlich und dienstfertig seien, wenn sie auf Gott vertrauten und
fromm wären, so dürften sie wohl hoffen, Gott werde sie gewiss nicht verstoßen.
Das ist offenbar der Weg, den die meisten Menschen in der Welt von Anfang an
und noch heutzutage für den rechten unfehlbaren Weg zur Seligkeit halten. Ei, denkt
man, das versteht sich ja von selbst, dass der selig werden müsse, der fromm
und rechtschaffen gelebt hat! Die Gottlosen können doch Gott nicht lieber sein
als die Frommen und Gerechten!
Aber, meine Lieben, der Mensch mag mit
seiner Vernunft über den Weg zur Seligkeit spekulieren so klug, wie er immer
kann: So wenig ein Blinder einen Weg auf der Erde zeigen kann, so wenig kann
uns die Vernunft den Himmelsweg weisen. So wenig wir haben Gott sagen können,
wie er uns ins irdische Leben schaffen solle, so wenig können wir sagen, wie
wir zum ewigen Leben kommen können. Das kann Gott allein sagen. – Und wie
spricht er? „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“ Hier habt ihr mit
kurzen Worten den einzigen wahren Weg zur Seligkeit. Er besteht in dem Hören
und Bewahren des Wortes Gottes. Das Wort ist die Brücke, die uns Gott ins ewige
Leben geschlagen hat, sonst keine; das ist die Himmelsleiter, sonst keine; das
ist das Seil seiner Liebe und die Hand, die uns Gott herabreicht, uns zu ihm
hinauszuziehen, sonst nichts anderes. Auf das Hören des Wortes Gottes kommt es
allein an; aber nicht [nur] darauf, dass wir es hören, sondern wie
wir es hören.
Ihr hört ja das Wort Gottes alle, denn ich
weiß es, dass ich euch nichts predige als das reine, lautere Evangelium Jesu
Christi; aber ach, möchte es sich nur nicht zu oft offenbaren, dass viele unter
uns doch nicht auf dem Weg zur Seligkeit gehen! Wer kann das leugnen? Viele
hören, hören auch wohl mit Freuden zu, aber kommt die Stunde der Prüfung, wo
sie eine Frucht davon zeigen sollten, da zeigt es sich, dass sie das Wort
vergeblich gehört haben. O, dass sich Gott solcher erbarmen möchte, dass sie
durch Erleuchtung seines Heiligen Geistes erkennten, was zu ihrem Frieden
dient! Denn wer Gottes Wort hört und doch keine Frucht bringt, der ladet eine
noch viel größere Verantwortung auf sich, als der, der es nie hörte. Solche aus
ihrem gefährlichen Schlaf zu wecken und uns allen zur Ermunterung, lasst uns
daher jetzt betrachten, wie man Gottes Wort hören müsse, dass man selig
werde.
Lukas 8,4-15: Da nun viel Volk beieinander war und aus den Städten zu
ihm eilten, sprach er durch ein Gleichnis: Es ging ein Sämann aus, zu säen
seinen Samen; und indem er säte, fiel etliches an den Weg und ward vertreten,
und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und etliches fiel auf den Fels;
und da es aufging, verdorrte es, darum dass es nicht Saft hatte. Und etliches
fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s.
Und etliches fiel auf ein gut Land; und es ging auf und trug hundertfältige
Frucht. Da er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Es fragten
ihn aber seine Jünger und sprachen, was dieses Gleichnis wäre. Er aber sprach:
Euch ist’s gegeben, zu wissen das Geheimnis des Reichs Gottes; den andern aber
in Gleichnissen, dass sie es nicht sehen, ob sie es schon sehen, und nicht
verstehen, ob sie es schon hören. Das ist aber das Gleichnis: Der Same ist das
Wort Gottes. Die aber an dem Wege sind, das sind, die es hören; danach kommt
der Teufel und nimmt das Wort von ihrem Herzen, auf dass sie nicht glauben und
selig werden. Die aber auf dem Fels sind die: wenn sie es hören, nehmen sie das
Wort mit Freuden an. Und die haben keine Wurzel: Eine Zeitlang glauben sie, und
zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab. Das aber unter die Dornen fiel, sind
die, so es hören und gehen hin unter den Sorgen, Reichtum und Wollust dieses
Lebens und ersticken und bringen keine Frucht. Das aber auf dem guten Land
sind, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen und bringen
Frucht in Geduld.
Das in dem Evangelium enthaltene Gleichnis
vom Sämann legte Christus, wie wir hörten, zu einer Zeit vor, als „viel Volk
beieinander war und aus den Städten zu ihm eilten“, ihn zu hören. Es
enthält also eine Ermahnung an die, welche Gottes Wort schon höre, und zeigt
ihnen, dass es damit noch keineswegs abgetan sei. Lasst uns daher hieraus die
Frage beantworten:
Wie
muss man Gottes Wort hören, dass man selig werde?
1.
Man muss darauf ernstlich merken,
2.
Man muss es tief zu Herzen nehmen,
3.
Man darf nicht auch andere Dinge
das Herz einnehmen lassen, und
4.
Man muss es auch sorgfältig
bewahren.
Gnädiger und barmherziger Gott! Wir bitten
dich demütig und inbrünstig im Namen Jesu Christi, lass diesen Unterricht an
uns allen reichlich gesegnet sein, damit dein heiliges Wort, so oft wir es
hören, das an uns ausrichte, wozu du es auch uns Unwürdigen gesendet hast, dass
wir in uns Sünder, in Christus aber deine Gerechten seien und selig werden.
Amen.
1.
Christus beginnt sein Gleichnis mit den
Worten: „Es ging ein Sämann aus zu säen seinen Samen; und indem er säte,
fiel etliches an den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel
fraßen es auf“; dies erklärt Christus selbst so: „Der Same ist das Wort
Gottes; die aber an dem Weg sind, das sind, die es hören; danach kommt der
Teufel und nimmt das Wort von ihrem Herzen, auf dass sie nicht glauben und
selig werden.“ Hier wird uns die erste Klasse derjenigen beschrieben,
welche Gottes Wort zwar hören und doch nicht selig werden; es sind die, welche
nicht einmal ernstlich darauf merken.
Es gibt nämlich eine große Anzahl Menschen,
welche auch gern selig werden und es, so zu sagen, mit Gott nicht verderben
möchten, die daher fleißig zur Kirche gehen, nicht leicht eine Predigt oder
Betstunde versäumen, kurz, alle Pflichten eines ehrbaren Christen äußerlich mit
großer Sorgfältigkeit erfüllen. Aber sie meinen, Gott eben damit schon einen
Dienst zu tun und Christen zu sein, dass sie nur in dem Haus des HERRN
erscheinen, dass sie mit dasitzen, gedankenlos die Worte der angestimmten
Lieder singend mit aussprechen und die Worte der Predigt wie das Geräusch eines
vorüberfließenden Baches in ihr Ohr schallen lassen. Nur dann und wann
geschieht es, dass sie auf etwas, was gepredigt wird, merken; die meiste Zeit
ist ihre Seele in Schlaf versunken, so dass ihnen die predig tauch oft zu einem
Wiegenlied dienen muss, bei dem sie nach und nach selbst in den leiblichen
Schlaf fallen. Das sind recht arme unglückliche, beklagenswerte Zuhörer; an
ihnen ist Gottes Wort verloren; kein Wort kommt in ihr Herz, sondern ein jedes
nimmt der Satan davon hinweg, auf dass sie nicht glauben und selig werden. Sie
setzen sich an die Tafel Gottes und sehen das Brot des Lebens nur an, genießen
es aber nicht, bleiben in ihrem geistlichen Tod und sterben endlich unselig auf
ewig.
Darum merkt euch, meine Lieben, dass man
Gotts Wort zu seiner Seligkeit höre, dazu gehört erstens, dass man ernsthaft
darauf merke. Daher spricht Salomo: „Bewahre deinen Fuß, wen du zum Haus Gottes
gehst, und komm, dass du hörst.“ So oft also der Christ zur Predigt gehen will,
muss er erst in seinem herzen seufzen: O, dass ich doch heute das hören könnte,
was ich tun solle, dass ich selig werde! O, dass ich heute erfahren könnte, wo
ich noch irre gehe; dass mir heute meine Sünde mehr offenbar und mein Glaube
recht erweckt und gestärkt würde; dass doch durch Gottes Wort meine
Schläfrigkeit in Eifer oder meine Traurigkeit und Betrübnis in Freude und
Friede verwandelt würde! O, dass ich doch heute finden könnte, was meine arme
Seele bedarf! – So muss der Christ schon kommen, gerüstet und vorbereitet mit
heiligen Seufzern. Hört er dann das Wort erschallen, dann darf er nicht anders
denken, als dass Gott selbst mit ihm rede. Bei der strafe darf er nicht an
andere denken, sondern er muss in sein eigenes Herz gehen; bei dem Trost aber
muss der zu Gott flehen: O, dass ich dieses Trostes fähig sein und mich daran
recht möchte erquicken können! Er muss sich das aussuchen, was gerade für
seinen Zustand nötig ist; werden gerade seine Sünden getroffen, so darf er sich
darüber nicht erzürnen, sondern er muss vielmehr denken: Das hat Gott so
gelenkt, mich zur bußfertigen Erkenntnis zu bringen; scheint es ihm zuzeiten,
als könnte er sich aus einer Predigt gar nichts nehmen, so muss er desto
ernsthafter in der Stille zu Gott flehen, er wolle ihn doch nicht ganz lee4r
ausgehen lassen und ihn wenigstens mit einem Bröcklein wahren
Lebensbrotes an seiner Seele segnen. Das heißt also, Gottes Wort mit
Aufmerksamkeit hören, es so hören, dass man darin begierig danach sucht, dass
man selig werde.
Es ist wohl wahr, meine Lieben, Gott4es
Wort dringt oft mit göttlicher Gewalt auch in das Herz eines solchen Zuhörers,
der erst ganz leichtsinnig in das Haus Gottes eintrat; es wird ihm oft durch
ein einziges Wort, das ihn trifft, ganz klar, dass er in seinem jetzigen
Zustand nicht selig werden könne, sondern dass es anders mit ihm werden müsse;
sein herz wird voll Kummer, sein Auge voll Tränen, seine ganze Seele voll
Seufzer um Erbarmung, und er wird so schnell erweckt, verändert und bekehrt;
aber das sind besondere Gnadenheimsuchungen, die Gott niemandem verheißen hat.
Wer darum unaufmerksam Gottes Wort hören und warten wollte, bis Gottes Geist
mit allmächtiger Gewalt über ihn käme, der könnte gerade dadurch das Gericht
der Verstockung über sich herabziehen, dass er, wie Christus in unserem
Evangelium von vielen Zuhörern sagt, „das Gleichnis des Reiches Gottes nicht
sehe, ob er es schon sehe, und nicht verstehe, ob er es schon höre“. Wohl
ist es wahr, ohne Gott kann kein Mensch Gottes Wort verstehen; es bleibt ihm
dann eine Torheit, wenn er es auch noch so aufmerksam hören, lesen und
studieren wollte; aber doch ruft Christus uns allen zu: „Wer Ohren hat zu
hören, der höre!“
2.
Christus fährt jedoch nun fort: Etliches
fiel auf den Fels; und da es aufging, verdorrte es, darum, dass es nicht Saft
hatte“. Dies erklärt er wiederum selbst, und zwar mit den Worten: „Die
aber auf dem Fels, sind die, wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden
an; und die haben nicht Wurzel; eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der
Anfechtung fallen sie ab.“ Hier hören wir, dass es nicht genug ist, auf das
Wort zu merken, man muss es auch zweitens tief zu Herzen nehmen, wenn man es zu
seiner Seligkeit hören will.
Es gibt nämlich viele, welche eine große
Freude an Gottes Wort haben und es daher mit großer Aufmerksamkeit hören, und
doch in solchem ihrem Zustand nicht selig werden können. Schon Christus haben
oft Tausende mit frohlocken gehört, sie sind, um ihn zu hören, mehrere
Tagereisen weit ihm nachgezogen und haben bei ihrer großen Begierde oft selbst
Essen und Trinken vergessen, und doch haben die meisten von ihnen das Kleinod
nicht erlangt. Warum? – Ihre Freude war nur eine bisweilige vorübergehende
Aufwallung; ihr Herz wurde gleichsam nur angeschienen von dem Licht des Wortes,
aber davon nicht durchleuchtet; ihr Herz
blieb, wie der HERR sagt, hart wie ein Fels, so dass das Wasser des Lebens
wieder and en Herzen herunterfloss und nicht hineindringen konnte; der Same des
Evangeliums ging in dem wenigen guten Land augenblicklicher Rührungen wohl
schnell auf, aber die aufgegangenen Pflanzen vertrockneten und verwelkten bald
wieder, wenn nur eine kleine Hitze der Anfechtung kam.
An ihnen haben wir ein Beispiel zum Beweis
dafür, dass dazu, dass man Gottes Wort zu seiner Seligkeit höre, auch dies
gehöre, dass man es tief zu Herzen nehme. Denn Gottes Wort soll eine ganz
andere Wirkung bei uns hervorbringen als die Worte menschlicher Kunst und
Weisheit. Das Wort Gottes soll in uns nicht eine bloße Überzeugung des
Verstandes von den Wahrheiten, die es enthält, bewirken, sondern – o, merkt es
alle! – dadurch sollen wir andere Menschen, neue Kreaturen, der göttlichen
Natur teilhaftig, das heißt, göttlich und himmlisch gesinnte Menschen werden.
Unser Herz, Sinn und Gemüt sollen dadurch ganz umgekehrt und umgewandelt oder
wiedergeboren werden. Damit das aber geschehen könne, so müssen wir vor allem
arme Sünder werden, es muss uns nämlich vor allem unser sündliches Verderben,
in welchem wir von Natur alle liegen, und unsere große Unwürdigkeit vor Gott
durch Gottes Wort aufgedeckt und von uns lebendig erkannt werden. Unser von
Natur felsenhartes Herz muss dadurch zerschlagen und erweicht und mit einer
innigen Sorge und Bekümmernis um das Heil unserer Seele und um das Seligwerden
erfüllt werden, so dass wir dann anfangen, am ersten nach dem Reich Gottes und
nach seiner Gerechtigkeit zu trachten und täglich und stündlich Gottes Gnade zu
suchen in Christus Jesus.
Ist es aber nicht gerade dieses, woran es
bei vielen unter uns fehlt? Sind nicht viele unter uns noch immer einem Felsen
gleich mit wenig Land, in welchem der Same des Worts zwar schnell aufgeht, aber
auch ebenso schnell wieder verwelkt? – Ich kann ja freilich nichts anderes
sagen, als dass, je mehr mir Gott Gnade gibt, seine Gnade aus dem Evangelium
euch anzupreisen, auch ihr mit desto größerer Freude zuhört; aber machen nicht
viele diese Freude und dieses Wohlgefallen an der evangelischen Lehre
zum Trost ihrer Seele, zu ihrem Ruhekissen, zu ihrem Heiland, durch den sie
selig zu werden gedenken?
O, dass doch solche bedenken möchten, dass
jede Predigt, die sie zwar mit Freuden hören, aber ohne dass dadurch der Grund
ihres Herzens umgewandelt wird, für sie verloren ist und ihnen vor Gott nur als
eine Schuld angeschrieben wird!
3.
Doch lasst uns weiter gehen. Christus
spricht ferner: „Und etliches fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen
gingen mit auf und erstickten’s“; Christi Erklärung hiervon ist: „Das
aber unter die Dornen fiel, sind die, so es hören und gehen hin unter den
Sorgen, Reichtum und Wollust dieses Lebens und ersticken und bringen keine
Frucht.“ Hier hören wir: Sollen wir das Wort Gottes zur Seligkeit hören, so
dürfen wir drittens andere Dinge das Herz nicht einnehmen lassen.
Die meisten Menschen nämlich, welche noch
einige Sorge für das ewige Leben in ihrem Herzen tragen und daher das Wort
Gottes hören, stehen in dem unseligen Gedanken, daneben auch der Welt dienen zu
können. Die meisten wollen daher einen Mittelweg einschlagen; sie wollen Gott
dienen, aber auch dem Mammon; nach den ewigen Gütern trachten, aber auch an
zeitlichen Gütern reich werden; um das Himmlische sorgen, aber auch um das
Irdische; sie wollen für Christen gelten, aber auch bei den Gottlosen gut
stehen; sie wollen nach dem Geist leben, aber auch nach dem Fleisch; sie wollen
Gottes Willen tun, aber auch ihren eigenen; sie wollen dort selig werden, aber
die Lust dieses Lebens auch nicht verlieren; kurz, sie wollen Christus und
Belial, Licht und Finsternis, Gottes Freundschaft und der Welt Freundschaft
verbinden. Das ist die Union, zu welcher alle Menschen von Natur geneigt sind.
Aber, o unselige Menschen! Das ist ein ganz
vergebliches bemühen. Mögen solche Gottes Wort noch fleißig hören, es ist bei
ihnen doch fruchtlos, denn das Wort Gottes will den Menschen eben zu nichts
anderem bewegen, als dass er sich Gott und Christus ganz ergebe. Christus
spricht: „Wer nicht allem absagt, das er hat, der kann nicht mein Jünger sein.“
Gott will den Menschen ganz, nicht halb in den Himmel aufnehmen, der Mensch
soll daher auch ganz, nicht halb den Weg zum Himmel gehen. Daher sprach schon
Elia zu dem abgöttischen Volk: „Was hinkt ihr auf beiden Seiten? Ist der HERR
Gott, so wandelt ihm nach; ist es aber Baal, so wandelt ihm nach.“ Teilen wir
mit Gott das Herz, so teilt er mit uns nicht die Seligkeit. Wir können och so
viel tun, noch so sehr uns abmühen, noch so eifrig sein, noch so schwere Werke
tun, Gott fragt danach nichts; wollen wir nicht ganz Gottes Eigentum sein, so
gehören wir ihm gar nicht an, und alle unsere Arbeit ist verloren. Rein ab und
Christus an, so ist die Sach‘ getan!
Vergeblich hört daher derjenige das Wort
Gottes, dessen Herz mit den Sorgen, dem Reichtum oder der Wollust dieses Lebens
beschwert ist; da kann die Himmelspflanze des wahren Glaubens nicht aufgehen,
und wenn sie auch einmal Wurzel schlagen will, wird sie gar bald wieder von den
Dornen des weltlichen Sinnes erstickt.
Dies bedenke darum, o Zuhörer, der du so
gern beide Wege gehen möchtest, den schmalen und den breiten, Christi und der
Welt, bedenke, so kommst du nie zum seligen Ziel; du machst dir nur dieses
Leben sauer und bitter und verscherzt das ewige. Es ist darum kein anderer Rat:
Ergib dich Gott ganz, der sich dir auch ganz gegeben hat, so wirst du hier in
Gott vergnügt, voll Trostes, Friedens und Hoffnung und einst selig sein.
4.
Doch wir kommen nun an das Letzte, was
Christus von dem rechten Hören des Wortes Gottes sagt; er spricht nämlich zum
Schluss: „Und etliches fiel auf ein gutes Land; und es ging auf und trug
hundertfältige Frucht“; die Erklärung hiervon ist: „Das aber auf dem
guten Land, sind, die das Wort hören und behalten in einem feinen, guten Herzen
und bringen Frucht in Geduld.“ Das Letzte also, was zum rechten Hören
gehört, ist, dass wir das
Wort Gottes auch
sorgfältig bewahren.
So oft nämlich ein Mensch das Wort Gottes
mit Andacht hört, so oft bekommt er einen Schatz des ewigen Lebens in sein
Herz. Er bekommt entweder eine Erleuchtung über seinen Zustand, über seine
Sünden, über Gottes Gnade, über eine Lehre des Heils und dergleichen, oder er
bekommt eine neue Erweckung und Ermunterung durch die Kraft des Heiligen
Geistes oder einen süßen Trost, eine neuen Mut und Eifer, einen kräftigen Zug
zu Gott und zum Himmel und dergleichen. So köstlich nun dieser Segen des Wortes
Gottes ist, so leicht und so bald können wir ihn wieder verlieren; dann hat
aber Gott vergeblich an uns gearbeitet.
Wollen wir daher selig werden, so ist es
nicht genug, dass wir nur die Lehren, die uns vorgetragen worden sind, in
unserem Gedächtnis festzuhalten suchen; ja, wer ein schwaches Gedächtnis hat,
wird trotz aller seiner Aufmerksamkeit doch nur wenig behalten; das ist es aber
auch nicht, worauf es ankommt; die Hauptsache besteht darin, dass wir die
göttlichen Wirkungen bewahren, die das Wort in unserer Seele hervorgebracht
hat. Betend sollen wir daher in das Haus des HERRN kommen, betend sollen wir es
auch wieder verlassen. Was wir gehört haben, sollen wir nun in unserem Leben
sogleich in Ausführung bringen; haben wir neues Licht bekommen, so sollen wir
nun auch darin wandeln; ist uns eine Sünde offenbar geworden, sollen wir nun
auch dagegen in den Kampf treten; sind wir ermuntert worden, so sollen wir nun
auch einen neuen Eifer beweisen; sind wir getröstet worden, so sollen wir uns
nun auch der Gnade Gottes desto zuversichtlicher getrösten; kurz, haben wir des
HERRN Willen erkannt, dann sollen wir uns auch keinen Augenblick mit Fleisch
und Blut besprechen, sondern nun auch nach des HERRN Willen tun.
Ach, meine Lieben, wenn wir allezeit so das
Wort Gottes gehört hätten, wie gut, wie selig würde dann die Verfassung unserer
Seele sein! Wie reich an Erkenntnis unserer Selbst und unseres Heilandes, wie
reich an Erfahrung, wie stark im Glauben, wie erfüllt mit allen guten Werken
würden wir sein!
Nun, der HERR ist gnädig und barmherzig,
geduldig und von großer Güte. Wer daher bis jetzt sein seligmachendes Wort
vergeblich gehört hat, der klage es seinem Gott und bitte um Gnade durch
Christus, seinen Heiland, so wird ihm Gott seine Sünde verzeihen und gnädig
sein. Von nun an aber höre er Gottes Wort recht und behalte es in einem feinen,
guten Herzen.
Das helfe er uns allen durch Jesus
Christus, unseren einigen Heiland und Mittler. Amen. Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserem Heiland, herzlich
geliebte Zuhörer!
Christi blutiges Leiden gehört nicht nur,
wie das Leiden anderer Menschen, zu den besonderen Schicksalen, welche Christus
während seines Lebens in dieser Welt betroffen haben, sondern es ist der
eigentliche Mittelpunkt des ganzen Werkes, zu dessen Vollendung Christus in die
Welt gekommen ist. Hätte Christus nicht gelitten, so wäre alles andere, was er
getan hat, sein Lehren, sein heiliges Leben und sein Wundertun, ganz vergeblich
gewesen. Hätte Christus nicht gelitten, so wären unsere Sünden noch nicht getilgt,
Gott wäre noch nicht versöhnt und das ganze menschliche Geschlecht noch
unerlöst. Ohne Christi Leiden wären wir Menschen daher alle noch auch
ohne einen Heiland, ohne einen Seligmacher, und darum ohne Trost
und ohne Hoffnung in Sünde, Not und Tod. Daher es in jenem Lied heißt:
All Sünd hast du
getragen,
Sonst müssten wir
verzagen;
Erbarm dich unser,
o Jesus!
Schon in der ersten Verheißung Christi,
welche Gott einst den ersten gefallenen Menschen gegeben hat, ist es daher
offenbart worden, dass der Heiland der Menschen ein leidender Heiland sein
werde, denn es heißt von ihm, die Schlange werde ihn in die Ferse stechen.
Lesen wir aber die Psalmen und Propheten, in welchen der schon im Paradies
verheißene Erlöser der Welt immer deutlicher abgebildet wird, so erblicken wir
ihn immer deutlicher in dem Bild eines Lammes, auf welches der HERR alle unsere
Sünden werfen und das zur Schlachtbank geführt werden solle. Und fragen wir
endlich, wie die zwölf ersten und größten, von Christus selbst bestellten
Herolde Christi Christus vor allem dargestellt haben, so hören wir sie mit
Einem Mund rufen, wie St. Paulus im 2. Kapitel seines ersten Briefs an die
Korinther schreibt: „Ich hielt mich nicht dafür, dass ich etwas wüsste unter
euch, als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten“; oder an einer anderen
Stelle, im 6. Kapitel seines Briefs an die Galater: „Es sei ferne von mir
rühmen als allein von dem Kreuz unseres HERRN Jesus Christus, durch welchen mir
die Welt gekreuzigt ist und ist der Welt.“
Gehen wir nun weiter in die Geschichte der
Entstehung und Ausbreitung der christlichen Kirche: Welche Lehre ist es vor
allem gewesen, durch welche die vielen Millionen Heiden und Juden, und unter
ihnen Gelehrte und Ungelehrte, Reiche und Arme, Hohe und Niedrige, mächtige
Fürsten und ihrer Freiheit beraubte Sklaven, irdisch Glückliche und irdisch
Unglückliche, ich sage, welche Lehre ist es vor allem gewesen, durch die diese
alle bewogen worden sind, Bekenner Jesu Christi zu werden? Nicht das herrliche
Beispiel, welches Christus gegeben hat mit seinem Leben, nicht die Heiligkeit,
Vollkommenheit und Trostfülle seiner Lehre, nicht die Größe seiner Wunder,
sondern vor allem die Botschaft von Christi Leiden und Sterben zur Versöhnung
Gottes mit der Sünderwelt war es, was Heiden und Juden so gezogen hat, dass sie
nicht haben widerstehen können, dass sie ihre väterliche Religion haben
aufgegeben und Glieder der christlichen Kirche haben werden müssen. Gottes Sohn
hat für dich unschuldig gelitten, damit du nicht leiden müssest, was deine
Taten wert sind; Gottes Sohn hat für dich bis auf das Blut gekämpft, damit du
Sünder triumphieren könntest; Gottes Sohn ist für dich am Kreuz gestorben,
damit du vom ewigen Tod errettet werden möchtest und ewig leben könnest: Diese
Lehre ist es, welche mit göttlicher Gewalt in die Herzen von Millionen
gedrungen ist und die allein noch immer dem Christentum den Sieg über das
Heiden- und Judentum bereitet.
Wir dürfen jedoch nicht meinen, dass die
Lehre, dass Gottes Sohn für die Sünder gelitten hat, unter Juden und Heiden
etwa nur darum einen so tiefen Eindruck gemacht habe und noch mache, weil sie
diesen so neu und ungewöhnlich ist. Nein, so oft auch unter den getauften
Christen ein lebendig Gläubiger sich findet, der wirklich ein neuer Mensch
geworden ist und wirklich eine brünstige Liebe und eine lebendige Hoffnung in
seinem Herzen trägt, und man ihn fragt, wodurch er ein anderer Mensch geworden
sei, so wird er allezeit sagen: Die Lehre, dass Gottes Sohn für alle Sünder und
auch für mich gelitten hat, ist mir durch das Herz gegangen; diese Lehre war
es, die in mir wie ein Feuer geworden ist, das mein hartes Herz zerschmolzen
und mein Innerstes, meine ganze Seele entzündet hat; und in dieser Lehre lebe
ich als in meinem Element; sie ist meiner Seelen Speise und Trank, mein Trost
gegen meine Sünde, meine Stärke zu meinen Kämpfen, meine Erquickung in meinen
Nöten.
Doch, meine Teuren, hat das Leiden Christi
wirklich eine so große Kraft, woher kommt es doch, dass es diese Kraft an so
vielen nicht erweist? Woher kommt es, dass besonders in unseren Tagen selbst
vielen getauften Christen gerade der alleranstößigste und ärgerlichste
Gegenstand des christlichen Glaubens ist? – Davon lasst mich jetzt noch weiter
zu euch sprechen.
Lukas 18,31-43: Er nahm aber zu sich die Zwölf und sprach zu ihnen:
Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was
geschrieben ist durch die Propheten von des Menschen Sohn. Denn er wird
überantwortet werden den Heiden; und er wird verspottet und geschmäht und
verspeit werden; und sie werden ihn geißeln und töten. Und am dritten Tag wird
er wieder auferstehen. Sie aber vernahmen der keines, und die Rede war ihnen
verborgen, und wussten nicht, was das gesagt war. Es geschah aber, da er nahe
zu Jericho kam, saß ein Blinder am Wege und bettelte. Da er aber hörte das
Volk, das hindurchging, forschte er, was das wäre. Da verkündigten sie ihm,
Jesus von Nazareth ginge vorüber. Und er rief und sprach: Jesus, du Sohn
Davids, erbarme dich mein! Die aber vorne an gingen, bedrohten ihn, er sollte
schweigen. Er aber schrie viel mehr: Du Sohn Davids, erbarme dich mein! Jesus
aber stand still und hieß ihn zu sich führen. Da sie ihn aber nahe zu ihm
brachten, fragte er ihn und sprach: Was willst du, dass ich dir tun soll? Er
sprach: HERR, dass ich sehen möge. Und Jesus sprach zu ihm: Sei sehend! Dein
Glaube hat dir geholfen. Und alsbald ward er sehend und folgte ihm nach und
pries Gott. Und alles Volk, das solches sah, lobte Gott.
Christus verkündigte, meine Lieben wie ihr
gehört habt, einst den lieben Jüngern sein Leiden und Sterben voraus, und was
war der Eindruck, den diese Verkündigung auf die Jünger machte? Es heißt: „Sie
aber vernahmen des keines, und die Rede war ihnen verborgen und wussten nicht,
was das gesagt war.“ Dass uns dies von den lieben Jüngern erzählt wird,
kann uns nicht so hoch befremden, da das Leiden Christi damals noch nicht
vollendet und der Ausgang desselben ihnen nur dunkel angedeutet war. Aber ist
es nicht befremdend, dass selbst jetzt noch so vielen das Leiden und Sterben
Christi ein wie mit sieben Siegeln verschlossenes Buch ist, jetzt, nachdem es
bereits alle Welt gepredigt und offenbart ist, dass Christus durch sein Leiden
zur Herrlichkeit eingegangen ist? Gewiss. So lasst mich euch denn jetzt aus
Gottes Wort zeigen:
Warum
noch jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht
erkennen
Die Ursachen sind hauptsächlich drei,
nämlich
1.
Weil so viele das Leiden Christi
allein mit den Augen ihrer Vernunft betrachten,
2.
Weil so viele nicht erkennen
wollen, wie sehr sie desselben bedürfen, und endlich
3.
Weil so viele sich desselben nicht
zu trösten wagen.
1.
Warum blieb wohl einst den lieben Jüngern
das Leiden Christi, als es ihnen im Voraus verkündigt wurde, ein unverstandenes
Geheimnis? Christus beschrieb es ihnen ja mit so klaren, einfachen,
unzweideutigen Worten, dass sie ihn nicht missverstehen konnten. – Die
Hauptsache lag bei ihnen darin, dass sie allein fest an dem hielten, was die
Propheten von der Größe, macht und Herrlichkeit des Messias geweissagt
hatten. Da sie nun einige Strahlen dieser Herrlichkeit auch schon an Christus
wahrgenommen hatten, so meinten sie, es sei unmöglich, dass Christus noch in
ein so tiefes Leidensmeer hinabsinken oder gar unter Mörderhänden sterben
könne. Sie meinten, Christi Worte von einem ihm noch bevorstehenden blutigen
Leiden und schmählichen Tod müssten daher wohl anders zu verstehen sein, als
sie lauteten. Was taten sie also eigentlich? Sie folgten hier einmal ihrer
Vernunft. Da sie das, was sie aus den Propheten schon erkannt hatten, mit dem,
was ihnen Christus sagte, nicht zusammenreimen konnten, so gingen sie von dem
Wort Christi ab, und die Folge war, dass sie eine Zeitlang über das seligste
Gnadengeheimnis Gottes blind blieben.
Hier haben wir die erste Ursache, warum
noch jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht
erkennen, weil nämlich so viele das Leiden Christi allein mit den Augen ihrer
Vernunft betrachten.
Viele denken nämlich: Wie wäre es möglich,
dass Gott um des von ihm abgefallenen Menschen willen selbst ein Mensch
geworden sein sollte? Wie wäre es möglich, dass Gott den Menschen ihre Sünden
nicht ohne weiteres nach seiner Liebe sollte haben vergeben können? Wie wäre es
möglich, dass Gott, um mit uns wieder versöhnt zu werden, seinen eigenen Sohn
sollte haben in Leiden und Tod dahingeben und opfern müssen? Hinweg, ruft man
aus, mit so unwürdigen Gedanken! Meine Vernunft stellt mir Gott ganz anders dar.
Nimmer werde ich annehmen, dass Gott allein durch das Blut seines eigenen
Sohnes habe bewegt werden können, uns zu begnaden und selig zu machen. Die
Folge hiervon ist denn, dass alle diese das Leiden Christi allein mit den Augen
ihrer Vernunft Betrachtenden die herrliche und selige Kraft desselben nie
erkennen lernen.
So klug aber solche Menschen sich achten,
so töricht, ja närrisch handeln sie; und so hoch sie über die angeblichen
Vorurteile gläubiger Christen erhaben zu sein sich dünken lassen, so sehr sind
gerade sie in den grundlosesten Vorurteilen befangen. Denn sagt nicht einem Jeden schon seine
Vernunft, dass die menschliche Vernunft Grenzen haben müsse, die sie nicht
übersteigen könne? Lehrt nicht jeden eine vernünftige Betrachtung der Welt,
dass es in der Welt unzählige Wirkungen gebe, deren Ursachen niemand erforschen
kann? Lehrt nicht einen Jeden die Erfahrung, dass schon unzählige kluge Leute
erst etwas im Irdischen für unmöglich geachtet haben, was später sich doch als
möglich erwiesen hat? Und sagt endlich nicht jedem seine Vernunft, dass Gott
ein unermessliches, und darum für den Menschen unergründliches und
unbegreifliches Wesen sein müsse und dass daher nur derjenige Gott erforschen
könne, der Gott gleich wäre? Ist es daher nicht töricht, etwas deswegen für
unmöglich zu verwerfen, weil man es mit den Gedanken seiner Vernunft nicht
zusammenreimen kann? Ist es nicht töricht, wenn ein Mensch sagen will: So oder
so muss Gott sein, so oder so muss Gott denken, das oder das kann oder darf
Gott tun oder nicht tun? Ist es nicht töricht, ja, ist es nicht Aberwitz und
Wahnsinn, wenn sich der Mensch so zu einem Richter über Gottes Willen, Gedanken
und Ratschlüsse und also Gott gleich machen, ja, über Gott stellen will?
O, so lasst euch denn, meine Lieben, durch
die unsicheren Schlüsse eurer Vernunft nicht um das Heil betrügen, welches
durch das Leiden des Sohnes Gottes allen Menschen und also auch euch bereitet
ist! Hört nicht auf den Spott der Spötter und auf die spitzfindigen Reden der
Weisen dieser Welt, damit sie euch bewegen wollen, das Leiden eures Heilandes
zu verwerfen! Bedenkt: Gottes Geheimnisse wollen von uns erst im Glauben
angenommen sein, und dann erst erweisen sie sich in uns als göttliche Kraft und
göttliche Weisheit. Wie denn Christus spricht Johannes im 7. Kapitel im 17.
Vers: So jemand will des Willen tun, der mich gesagt hat, der wird inne werden,
ob diese Lehre von Gott sei oder ob ich von mir selber rede.“
2.
Doch, meine Lieben, die Ursache, warum noch
jetzt so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht
erkennen, liegt nicht nur darin, dass so viele das Leiden Christi allein mit
den Augen ihrer im Geistlichen und Himmlischen blinden Vernunft betrachten,
sondern auch zweitens darin, dass so viele nicht erkennen wollen, sie sehr sie
desselben bedürfen.
Auch hierzu finden wir ein merkwürdiges
belegendes Beispiel in unserem Evangelium. Darin wird uns nämlich erzählt: Als
Christus auf seiner letzten Reise nach Jerusalem in die Nähe der Stadt Jericho
in Begleitung einer großen Volksmenge kam, da saß ein blinder Bettler am Weg,
welcher, als er die große Menge Menschen kommen hörte, begierig forschte, „was
das wäre“. Als er nun, von dem Nahem Christi unterrichtet, laut rief: „Jesus,
du Sohn Davids, erbarme dich mein!“ bedrohten ihn die, welche vorn an gingen,
er sollte schweigen. Woher kam es nun wohl, dass zwar der Blinde es Christus
zutraute, dass er ihm wunderbar helfen werde, dass aber jene Begleiter das
Gegenteil erwarteten? Das kam vor allem daher, dass der Blinde seine Not fühlte
und darum bei dem geringsten Strahl der Hoffnung, dass ihm geholfen werden
könne, auch alsbald versuchte, ob ihm seine Hoffnung nicht in Erfüllung gehen
werden, währen die Begleiter ihre Not nicht fühlen, sondern wohl nur aus
Neugierde den Heiland begleiten mochten. So erfuhr denn der blinde Bettler
Christi Gnade und Herrlichkeit, während jene Begleiter von dieser Erfahrung
leer ausgingen.
Diesen damaligen Begleitern Christi sind
leider in unseren Tagen unzählige sogenannte Christen gleich. Es gibt nämlich
unzählige sogenannte Christen, welche entweder noch nie eingesehen haben, dass
sie arme Sünder sind, die ohne Christus verloren gehen und von Gott notwendig
verstoßen werden müssten; oder die, wenn sie dies auch durch den Unterricht in
Gottes Wort haben einsehen müssen, dies nicht lebendig erkennen. Sie sehen
nämlich ein, dass ihrer Sünden viel sind, aber sie sind darüber nie von Herzen
erschrocken; sie sehen ein, dass ihre Sünden schwer und groß sind, aber sie
sind darüber nie von Herzen traurig geworden; sie sehen ein, dass sie Gottes
Gnade verscherzt und seinen Zorn und die Hölle verdient haben, aber das macht
ihnen keinen besonderen Kummer, keine sonderliche Sorge. Ihre Sünde drückt sie
nicht. Sie ist ihnen noch keine unerträgliche Last, noch kein Gegenstand ihrer
Abscheu, noch keine Quelle des Seufzens und der Tränen geworden.
Was ist die Folge dieses Zustandes? Dass
sie die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nie erfahren. Sie haben
so wenig Ergötzung daran, so wenig der Satte sich an Speise und Trank ergötzt;
sie finden so wenig eine Freude darin, so wenig ein Gesunder sich freut, wenn
ein Arzt ihm Heilung von seiner Krankheit und Stillung seiner Schmerzen
verspricht. Ja, solche Namenchristen, die ihre Sündennot noch nie fühlen
gelernt haben, wundern sich, wenn andere Christen erzählen, welchen
überschwänglichen Trost, welche Seligkeit, welchen süßen Vorgeschmack des
ewigen Lebens sie empfunden haben in Betrachtung des für sie leidenden,
blutenden und sterbenden Heilandes. Sie halten solche Leute entweder für
Schwärmer, oder sie denken, dieselben müssten wohl besonders schwere heimliche
Sünden begangen haben.
O, merkt euch doch dies, ihr alle, die ihr
zwar der geheimnisvollen Lehre von dem Versöhnungsleiden Christi nicht
widersprecht, aber von der herrlichen und seligen Kraft derselben noch nichts
erfahren habt. Ach, denkt nicht, wenn der Mund anderer Christen überfließt von
dem, was sie erfahren haben, dies sei Einbildung, da ihr dergleichen ja nie
erfahren hättet. Erkennt vielmehr: Dass ihr nichts dergleichen erfahren habt,
das kommt daher, dass ihr noch nie lebendig erkannt habt, wie nötig es auch um
euretwillen gewesen ist, dass der Sohn Gottes in das Meer der tiefsten Leiden
hineinstieg. Bittet nur Gott, dass er euch dies recht lebendig zu erkennen
gebe; bittet ihn darum ernstlich und herzlich; wenn es dann mit euch dahin
kommt, dass ihr von Herzen sagen könnt: „Ach, ich Sünder! Ich großer Sünder!
Ich verlorener Sünder! Ich verdammter Sünder!“ dann wird auch euch das Leiden
Christi ein Paradiesgarten werden, in welchem ihr eure schmachtende Seele
erquicken und ausrufen werdet:
Prange, Welt, mit
seinem Wissen,
Das du jetzt so
hoch gebracht;
Ich kann deine
Weisheit missen,
Die der weise Gott
veracht’t.
Meines Jesu Kreuz
und Pein
Soll mein liebstes
Wissen sein:
Weiß ich das in
wahrem Glauben,
Wer will mir den Himmel
rauben?
3.
Doch, meine Lieben, noch eine Ursache habe
ich euch zu nennen, warum so viele noch jetzt die herrliche und selige Kraft
des Leidens Christi nicht erkennen und erfahren, und das ist diese, weil
drittens desselben so viele sich nicht zu trösten wagen.
Ein merkwürdiges Beispiel finden wir in
unserem Evangelium an dem blinden Bettler. Als derselbe Christus entgegenrief: „Jesus,
du Sohn Gottes, erbarme dich mein!“ da bedrohten ihn, wie wir gehört haben,
die vorne an gingen, er sollte schweigen. Sie mögen ihm wohl vorgehalten haben,
wie er so frech und unverschämt sein könne, zu verlangen, dass ein so großer,
heiliger Mann, wie Jesus, um seinetwillen einen langen Aufenthalt machen und an
ihm seine Wunderkraft verschwenden solle. Er sei blind um seiner Sünden willen;
er solle daher nur ja still sein und tragen, was er tausendfach verdient habe.
Was tat aber der blinde Bettler? Weit entfernt, dass er nun sollte geschwiegen
haben, so heißt es im Gegenteil von ihm: „Er aber schrie viel mehr: Du Sohn
Davids, erbarme dich mein!“ Und was geschah? – Jesus steht plötzlich still,
heißt den Blinden zu sich führen und fragt ihn: „Was willst du, das sich dir
tun soll?“ Und als er antwortet: „HERR, dass ich sehen möge“, so
spricht Christus: „Sei sehend, dein Glaube hat dir geholfen.“ Und siehe!
Alsbald wird er sehend und folgt nun Christus, Gott lobend und preisend und
unter dem Jubel des ganzen Volkes, das dies gesehen hatte, nach. Was würde nun
aber wohl geschehen sein, wenn der Blinde sich hätte zum Schweigen bringen
lassen? Sein Unglaube würde ihn um die herrliche Hilfe betrogen haben, die
Christus ihm zu bringen so bereit und willig war.
Erkennt hieraus die letzte Ursache, warum
so viele die herrliche und selige Kraft des Leidens Christi nicht erfahren. Es
gibt nämlich nicht wenig Christen, welche durch Gottes Gnade aus seinem Wort
ihre Sündhaftigkeit und Unwürdigkeit lebendig erkannt haben, die es lebendig
einsehen, dass sie ohne Christus verloren sein müssten. Solche sind recht
zubereitet, Christi Leiden in seiner ganzen herrlichen und seligen kraft zu
erfahren. Aber es geht ihnen wie jenem blinden Bettler; wenn sie Christus im
festen Glauben um Gnade und Erbarmen anrufen wollen, da gebietet ihnen ihr
eigenes Herz und Gewissen Schweigen. Da heißt es in ihrem Inneren: Was willst
du? – Gnade? – Dir gehört keine Gnade; werde erst ein anderer Mensch! Tue erst
bessere Buße! Zeige erst mehr Eifer um deine Seligkeit! Reinige erst dein Herz
von seinen bösen Lüsten und Begierden! So, wie du jetzt bist, darfst du keine
Gnade zu erlangen hoffen und zu haben meinen.
Was tun nun diejenigen, die diese Stimme in
ihrem Inneren vernehmen? Ach, nur zu viele glauben dann ihrem trügerischen
Herzen und hören auf, im Glauben um Gnade zu bitten; sie hören auf, sich
Christi und seines Leidens und Sterbens zu trösten; sie wollen nur immer aus
Christi Leiden ihre Sünde mehr erkennen und mit Christus erst ihre Sünden an
das Kreuz schlagen und töten. Anstatt dass daher Christi Leiden ihnen lieblich
und tröstlich, süß und köstlich sein sollte, ist es ihnen ein Bild voll lauter
Schrecken, voll Zorn und Drohungen.
Ihr daher, die ihr in dieser Beschreibung
euch selbst wiedergefunden habt, erkennt doch den Betrug eures Herzens und des
Satans. Seht doch das Beispiel des blinden Bettlers an und folgt ihm doch nach,
denn dazu ist uns ja sein Beispiel im Evangelium aufbewahrt worden. Je mehr
euch euer Herz abhalten will, der Leiden eures Heilandes euch zu trösten, desto
tiefer drückt den darin liegenden Trost in euer zagendes Herz. Je mehr euer
Gewissen euch zuruft: „Schweig, du bist ein unwürdiger Sünder!“ desto zuversichtlicher
sprecht: Gerade weil ich ein unwürdiger Sünder bin, weil ich des Leidens mich
trösten, das mein Heiland um meiner Sünden willen erduldet hat.
O, wenn ihr das tut, so wird Christus seine
Herrlichkeit an euch offenbaren. Sein Leiden wird euch eine Quelle werden, aus
welcher ganze Ströme des Trostes in euer Herz fließen. Euer Mund wird voll
Lachens und eure Zunge voll Rühmens werden. Ihr werdet aber auch dann Christus,
wie jener Blinde, immer treuer nachfolgen und alle Chr4istgen, die mit euch die
breite Straße der Welt verlassen haben, werden mit euch Gott preisen und loben.
Nun, so helfe denn Gott, dass in der mit
dieser Woche beginnenden heiligen Passionszeit alle, die die herrliche und
selige Kraft des Leidens Christi noch nicht erfahren hatten, zu dieser
heilsamen Erfahrung kommen, und dass die, welche bereits darin stehen, neue,
noch tiefere und süßere Erfahrungen davon machen, und wir so alle durch Christi
Leiden endlich zur ewigen Freude kommen. Amen. Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi unseres HERRN. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Da man nicht durch die guten Werke, sondern
allein durch den Glauben an Christus ein Christ wird und bleibt und selig wird,
so dünkt vielen nichts leichter zu sein, als ein Christ zu werden und zu
bleiben. Und in der Tat! Scheint dies hiernach nichts weniger als Mühe zu
kosten; ja, es hat das Ansehen, als könne man nach dieser Lehre die Hände ruhig
in den Schoß legen und ohne Kampf und Streit doch endlich die Siegerkrone
erlangen.
Dem ist aber keineswegs so. Wohl ist es
wahr, die Seligkeit ist kein Werk, zu dem wir etwas beitragen könnten; sie ist
ein pures Gnadengeschenk; aber er durch die Gnade wirklich zu dem
Herzensglauben gebracht wird, durch welchen er die Seligkeit ergreift, der wird
dann nicht nur sogleich auf den Kampfplatz geführt, sondern ihn rüstet auch die
Gnade sogleich mit Lust und Kraft aus, zu streiten und zu kämpfen für das
Kleinod, das ihm vorhält seine himmlische Berufung in Christus Jesus. Daher es
gar recht in jenem alten Lied heißt:
Denn wer nicht
kämpft, trägt auch die Kron
Des ewgen Lebens
nicht davon.
Es gab eine Zeit, wo dies recht offenbar
wurde; dies war die Zeit der blutigen Christenverfolgungen in den drei ersten
Jahrhunderten des christlichen Zeitalters. Da sind wenige ohne große heiße
Kämpfe zu dem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe
gekommen, das behalten wird im Himmel. Da sah es jeder, der ein Christ ein und
selig werden wollte, wohl ein, dass es nicht genug sei, nur in aller Stille den
Glauben in seinem Herzen tragen zu wollen, sondern dass derjenige, welcher
einst mit Ehren angenommen werden wolle, hier Schmach und Schande tragen müsse,
dass derjenige, welcher einst ein Bürger des Himmelreichs werden wolle, hier
die Welt verlassen und alle ihre Herrlichkeit verleugnen müsse, und dass
derjenige, welcher einst zum Leben eingehen wolle, hier das irdische Leben zu
opfern willig und bereit sein müsse. Das war eine Zeit, wo auch der Schwächste
sich entscheiden und oft entweder ein Held werden oder verloren gehen musste.
Wer es damals zu bekennen wagte: „Ich bin ein Christ und glaube an den
Gekreuzigten“, dem riefen die Machthaber der Erde: „Widerrufe und opfere den
heidnischen Göttern, oder lege dein Haupt unter den Block, oder reiche deinen
Hals dem Schwert dar, oder lass dich von Löwen und Tigern zerreißen und von
wilden Stieren zerstoßen, oder besteige den Scheiterhaufen und lass dich die
Flammen verzehren, oder lass dich in Stücke zerhauen, oder lass dein Fleisch
von den Knochen dir reißen, oder springe in den Kessel, der mit siedendem Öl
wallt, oder lege dich auf den glühenden Rost. Als die gläubigen Christen diese
furchtbare Wahl hatten entweder Christus zu verleugnen oder unter den
ausgesuchtesten Qualen und Martern langsam zu sterben, da wurde es offenbar,
dass zwar der Glaube selig mache, dass aber ohne Glaubenskampf kein Sieg und
ohne Glaubenstreue keine Krone sei. Denn Christus spricht zwar. „Wer an mich
glaubt, der hat das ewige Leben“, aber er sagt auch: „Wer sein Leben erhalten
will, der wird es verlieren; wer aber sein Leben verliert und meinetwillen, der
wird es erhalten. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch
verleugnen vor meinem himmlischen Vater.“
Wohlan, liebe Zuhörer, die ihr euch eures
Glaubens tröstet, geht in euer Herz. Wollt ich nicht nur an Christus glauben,
seid ihr auch, wie die ersten Christen, durch euren Glauben so gewappnet und
ausgerüstet, dass ihr lieber euer Blut unter den schrecklichsten Peinigungen
vergießen als Den auch nur mit einem Wort eures Mundes verleugnen wollt, den
ihr durch den Glauben im Herzen tragt? Seid ihr jede Stunde bereit, mit
Christus in den Tod zu gehen? Für ihn wieder zu sterben, wie er für euch
gestorben ist?
Doch, meine Lieben, sollt ihr auch bei
diesen Fragen mit eurer Antwort zaudern und zagen, so wäre dies freilich noch
kein Kennzeichen, dass ihr Christus noch nicht im wahren Glauben in euer Herz
geschlossen hättet, denn es sind viele die heldenmütigsten Märtyrer später
geworden, die erst sehr kleinmütig und mit Angst und Zagen der Stunde dieser
großen Versuchung entgegen gesehen haben, während andere abfielen, die sich
vorher für unüberwindlich hielten. Es gibt aber einen Kampf mit gewissen
Versuchungen, in welchem gläubige Christen zu allen Zeiten sich befinden müssen
und ohne w3elchen sie unmöglich die Krone des Lebens erlangen können. Damit
sich nun niemand unter uns selbst um sein Seelenheil betrüge, so lasst mich
euch jetzt den Kampf vorstellen, den wir alle kämpfen müssen, wollen wir einst
gekrönt werden.
Matthäus 4,1-11: Da ward Jesus vom Geist in die Wüste
geführt, auf dass er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und
vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat zu ihm und
sprach: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Und er
antwortete und sprach: Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot
alleine, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht. Da
führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die
Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so lass dich hinab;
denn es steht geschrieben: Er wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie
werden dich auf den Händen tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein
stoßest. Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: Du sollst
Gott, deinen HERRN, nicht versuchen. Wiederum führte ihn der Teufel mit sich
auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre
Herrlichkeit und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, so du
niederfällst und mich anbetest. Da sprach Jesus zu ihm: Heb’ dich weg von mir,
Satan! Denn es steht geschrieben: Du sollst anbeten Gott, deinen HERRN, und ihm
allein dienen. Da verließ ihn der Teufel; und siehe, da traten die Engel zu ihm
und dienen ihm.
Das verlesene Evangelium kann, meine
Lieben, von zwei Seiten betrachtet werden. Einmal können wir daraus sehen, wie
Christus als unser Erlöser, Heiland und Stellvertreter für uns mit dem
Versucher gekämpft und ihn überwunden hat; sodann können wir darin Christus als
ein Vorbild ansehen, dem wir, wenn wir seine Jünger sein wollen, nachfolgen
sollen. Lasst uns jetzt unser Evangelium von der letzten Seite betrachten,
indem ich zu euch spreche:
Von
den drei Hauptversuchungen eines gläubigen Christen, um welcher willen er stets
im Streit sein muss
1.
Von der Versuchung durch Mangel und
allerlei Trübsal;
2.
Von der Versuchung durch falschen
Glauben und falsche Geistlichkeit, und endlich
3.
Von der Versuchung durch Reichtum
und allerlei zeitliche Vorteile.
HERR Jesus Christus! Wer an dich von Herzen
glaubt, der hat durch dich einen gnädigen Gott, Vergebung aller seiner Sünden,
Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit; dem gibst du aber auch den Heiligen Geist,
der ihn erleuchtet, belebt, regiert und ich mit Kraft und stärke ausrüstet,
gegen Welt, Fleisch und Satan zu kämpfen und so durch dich zu überwinden. Aber
ach, HERRN, wir müssen dir bekennen, dass wir wohl alle deine Gnade und
Gerechtigkeit haben wollen, aber in deiner Kraft und Stärke nicht treu und ernstlich
kämpfen und streiten wollen. Wie viele haben schon um solcher Trägheit und
Untreue willen deine Gnade wieder verloren! Wie viele sind schon der Wolken-
und Feuersäule deines Evangeliums eine Zeitlang gefolgt, und haben doch das
himmlische Kanaan nicht erreicht! Wie viele sind schon gefallen, noch ehe du
ihnen den ewigen Kampfpreis darreichen konntest! O, lass uns nicht unter ihnen
sein! Erwecke uns jetzt durch dein Wort, alle Sicherheit zu verlassen, mit
Furcht und Zittern zu schaffen, selig zu werden, und zu ringen, bis wir
eingehen durch die enge Pforte, die zum ewigen Leben führt. Amen. Amen.
1.
„Wer mir dienen will, der folge mir nach“,
spricht Christus; hiermit erklärt der Heiland, dass zu dem wahren Christentum
notwendig auch die Nachfolge Christi gehöre und dass sie diejenigen gänzlich
betrügen, die da meinen, dass sie sich des Evangeliums im Glauben
trösten könnten, auch wenn sie Christus nicht nachfolgten.
Unser Leben muss also, wollen wir Christen
sein, dem Leben unseres HERRN Jesus Christus ähnlich werden. Die Erfahrungen,
die er in dieser Welt machte, müssen auch wir in unserem Maß machen. Die
Versuchungen, welche er nach unserem heutigen Evangelium erlitt, kommen daher
gewiss auch über uns, sobald wir durch einen wahren Glauben mit ihm in
Gemeinschaft treten. Wahre Christen haben nämlich nicht nur, wie ihr HERR und
Meister, den Satan zu ihrem erklärten Feind, der ihnen besonders nachstellt,
sie wieder um ihren Glauben und so um Gnade, Heil und Seligkeit zu bringen,
sondern Gott hat auch selbst beschlossen, die Christen, seine Kinder, hier erst
eine Zeitlang zu prüfen, ihren Glauben zu üben, zu seiner Ehre Satan, Welt und
Fleisch an ihnen zuschanden werden zu lassen, und sie dann erst, wenn sie
gekämpft und überwunden haben, in die ewige Ruhe eingehen und aus dem Glauben
in das Schauen übergehen zu lassen.
So leicht es daher ist, ein Christ zu
werden, so viele Schwierigkeit gibt es zu überwinden, wenn man es bleiben will.
So leicht sich Gott durch den Glauben an seinen lieben Sohn seine Gnade
abgewinnen lässt, so schwer ist es, in solchem Glauben und so in Gottes Gnade
bis an sein Ende zu verharren. Der Wandel des Christen in diesem Leben ist eine
Reise nach der Ewigkeit mit dem Glaubenslichtlein durch finstere Nacht unter
Sturm und Regen, auf schmalem Weg und Steg, an vielen Abgründen vorbei und
durch dunkle Wälder, in welchen Seelenmörder auf ihn lauern. O, wie leicht kann
auf solchem Weg dem Christen sein Glaubenslichtlein verlöschen! Wie leicht kann
er von dem schmalen Weg abkommen, in die Abgründe der Sünde, des Unglaubens
oder der Scheinglaubens stürzen, geistlichen Räubern in die Hände fallen, und
so geistlich umkommen, ehe er das Ziel erreicht hat! Wie viel kostet es, ehe
ein Mensch hindurch ist und seine Seele endlich als eine Beute aus dem
Schlachtgewühl dieser Welt davonträgt! Ja, wie viele haben angefangen, Christi
Jünger zu werden, sind ihm aber nur eine kürzere oder längere Strecke seines
Kreuzeswegs gefolgt, – sind endlich müde geworden, wieder stehen geblieben und
so endlich doch verloren gegangen! Es gilt wahrlich einen ernsten Kampf.
Die erste Ursache, um welcher willen ein
Christ stets im Streit sein muss, finden wir in der ersten Versuchung, welche
unser HERR Jesus Christus nach unserem Evangelium einst erleiden musste. Wir
hören nämlich darin: Als Christus 40 Tage und 40 Nächte in der Wüste gefastet
hatte und ihn daher hungerte, trat der Versucher zu ihm und sprach: „Bist du
Gottes Sohn, so spricht, dass diese Steine Brot werden!“ Mit dieser Rede
suchte der Versucher bei Christus zweierlei zu bewirken: Erstens, dass er daran
zweifeln sollte, ob er Gottes Sohn sei, da er so verlassen und dem Hunger und
Elend preisgegeben sei, oder, dass er ein Wunder aus Kleinglauben tun sollte.
Hiermit ist uns eine Versuchung
beschrieben, welche die Christen um mit ihrem Heiland und Vorgänger sehr häufig
gemein haben. Man sollte nämlich meinen, wenn ein Christ durch den Glauben
Gottes Gnade erlangt habe, so werde bei ihm auch der zeitliche Segen sichtbar
einkehren, er werde mehr als die anderen, sicheren Sünder, von der Not dieses
Lebens befreit sein. Gott werde es nun auch durch Überschüttung mit vielen
zeitlichen Gütern, mit Gesundheit, Reichtum, Ehre, gutem Fortgang im Handel und
Wandel, vor aller Welt zeigen, dass er bei ihm in Gnaden stehe und sein liebes
Kind sei.
Aber dem ist nicht so. Gerade von der Zeit
an, dass sich ein Mensch recht ernstlich und eifrig zu Christus hält, muss er
sehr häufig seinem Heiland in die Wüste folgen; während andere reich werden,
wird er sehr oft nun gerade arm oder bleibt doch arm; während andere mit den
Ihren gesund und wohl sind, so zieht in seinem Haus Krankheit und Siechtum ein;
während andere zu Ehren kommen, so bleibt er ein verachtetes Lichtlein, ja,
fällt wohl in Verdacht bei der Welt oder gar b ei seinen Glaubensbrüdern; während
anderen alles, was sie vornehmen, wohl gelingt, so will ihm oft nichts
vonstatten gehen, ja, ihn trifft oft Schlag auf Schlag, Unglück auf Unglück;
meint er einmal, dass er aus seiner großen Not nun bald errettet sein werde, so
bricht oft gerade nun eine noch größere Not über ihn herein. So erging es einem
Hiob, so einem David, ja, fast allen Heiligen Gottes.
Das ist eine harte Versuchung. In derselben
spricht gar bald das Herz, wie der Satan zu Christus, entweder: „Bist du
Gottes Sohn“, bist du Gottes Kind? Wie? Sollte dich Gott lieb haben und dir
gnädig sein, da er dich so hart schlägt? Warum muss es gerade dir so ergehen?
Warum anderen nicht so? O, lass deinen Glauben fahren; Gott zürnt ganz offenbar
mit dir; du bist ganz offenbar kein Kind Gottes. Oder das Herz ruft dem mit
Trübsal heimgesuchten Christen wohl auch dieses heimlich zu: „Sprich, dass
diese Steine Brot werden“, das heißt, suche dir zu helfen, wie du kannst;
du siehst, bei deiner Nachfolge Christi kommst du zu nichts; mache es wie die
Welt; geize, scharre und kratze; lüge und betrüge; du bist einmal in der Not;
Not bricht Eisen; Not hat kein Gebot. Warum hat dich Gott verlassen? So bist du
nun auch gezwungen, ihn zu verlassen.
Seht, so spricht das Herz in der Not, so
führt da der Satan den Christen in Versuchung, dass er an Gottes Gnade verzagen
oder sich, wie er nur kann, gleichviel ob rechtmäßig oder unrechtmäßig, aus der
Not zu helfen suchen soll. Wer nun in solchen Zeiten nicht streiten, und zwar
nicht ernstlich streiten will, der wird gar bald von seinem bösen Herz
überwunden, gibt sich so dem Teufel willig gefangen und ist dann verloren. Wer
aber nicht verloren gehen will, muss dann sein Kreuz nicht nach der Vernunft, sondern
nach Gottes Wort beurteilen und bedenken, dass Gott das Kreuz ihm nicht darum
zuschickt, dass er den Glauben wegwerfe, sondern dass er, wenn ihm auch aller
äußerliche Trost genommen wird, die Schwachheit seines Glaubens kennenlerne,
von allem falschen, ihm noch anklebenden Vertrauen auf das Sichtbare los
gemacht und im Glauben durch immer neue Erfahrungen, wie Gott in der Not
tröstet und hilft, stärker werde. Wie Christus das Wort Gottes dem Satan
vorhielt und sprach: „Es steht geschrieben: Der Mensch lebt nicht vom Brot
allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht“,
so muss auch ein Christ dieses Wort seinem Herzen vorhalten, und sich damit
trösten, dass eigentlich nicht das Brot und das zeitliche Gut dem Menschen das
Leben erhält, sondern das Wort Gottes; denn wenn Gott nicht den Segen über das
Brot spräche, so würde es uns ebenso wenig nähren wie der Stein. Sehen wir es
doch deutlich in Krankheiten, in welchen der Kranke oft keine Speise genießen
kann und allein durch Gottes Wort und Willen erhalten wird; und wenn nun
vollends der Tod kommt, so kann kein Brot und kein irdisches Nahrungsmittel den
absterbenden Lebensbaum wieder lebendig und grünend machen; denn ist es
offenbar, dass allein das Wort aus dem Tod zum Leben hilft. Wohlan, soll ein
Christ denken, lebt man vom Wort allein im Reichtum und in der Fülle, so lebt
man auch vom Wort in Armut, Mangel und Trübsal. Wer so mit sich selbst kämpft,
der überwindet die Versuchung; wer das nicht tun will, dem wird die Not zum Strick,
Fall und Tod, die ihm doch zum Heil und zum Leben gegeben war.
2.
Doch gehen wir weiter. In unserem
Evangelium heißt es ferner, dass der Teufel hierauf Christus mit sich in die
heilige Stadt geführt, auf die Zinne des Tempels gestellt und zu ihm gesprochen
hat: „Bist du Gottes Sohn, so lass dich hinab; denn es steht geschrieben: Er
wird seinen Engeln über dir Befehl tun, und sie werden dich auf den Händen
tragen, auf dass du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“
Hier hören wir: Als der Satan merkte, dass
Christus durch Mangel und Not nicht zu fällen sei, dass er sich nämlich in
dieser Anfechtung an Gottes Wort halte und damit tröste, so dachte Satan: Hält
er sich so fest an Gottes Wort, wohl, so will ich ihm auch Gottes Wort
vorhalten, nur ein paar Wörtlein weglassen und ihn dadurch zu einem falschen
Glauben bringen und bewegen, doch etwas gegen Gott zu tun; habe ich ihn auch
nicht können dazu bringen, in der Not sein Vertrauen wegzuwerfen, so
will ich ihn nun dazu bringen, außer der Not falsch zu vertrauen. Der
Satan hieß nämlich Christus im Vertrauen auf den verheißenen Schutz der Engel
von der Zinne des Tempels, nicht auf der Stiege hinabzusteigen, sondern sich in
der Luft hinabzulassen. Er berief sich hierbei zwar auf einen Spruch aus dem
91. Psalm, er ließ aber die wichtigen Worte jenes Spruchs listig weg: „auf
allen deinen Wegen“, denn nach diesen Worten hat uns Gott zwar den
Engelschutz verheißen, wenn wir auf unseren Berufswegen wandeln, aber außerhalb
nicht; begeben wir uns mutwillig in Gefahr, so versuchen wir Gott und kommen
darin aus eigener Schuld um. Zu solcher Sünde der Versuchung Gottes ließ sich
aber Christus nicht bringen, sondern schlug den Angriff mit der Waffe des
göttlichen Wortes zurück, indem er sprach: „Wiederum steht auch geschrieben:
Du sollst Gott, deinen HERRN, nicht versuchen.“
Auch dies ist uns, meine Lieben, zur Lehre
und zur Warnung geschrieben. Aus diesem zweiten Kampf Christi mit dem Satan
lernen wir die zweite Ursache kennen, warum auch alle gläubigen Christen stets
im ernstlichen Kampf und Streit sein müssen, wollen sie das Kleinod nicht
wieder verlieren. Wir sehen nämlich hieraus erstens, dass sich ein Christ nicht
nur vor denen zu hüten hat, welche Gottes Wort gänzlich verwerfen, sondern
auch, und zwar viel mehr, vor denen, welche sich auf Gottes Wort berufen, es in
Schriften und Predigten häufig anführen und damit alle ihre Lehren und
Anstalten beweisen zu können vorgeben. Wer sich durch sein solches bloße
Vorgeben schon einnehmen lässt, kann nur zu leicht gefährlich betrogen werden.
Lesen wir in unserem Evangelium, dass selbst der Satan Gottes Wort angezogen
hat, um Christus, den Sohn Gottes, zu einem falschen Glauben zu bewegen, dürfen
wir uns nun wundern, dass menschliche falsche Lehrer Gottes Wort dazu
missbrauchen? Nein, St. Paulus selbst spricht daher von den falschen Lehrern zu
Korinth: „Solche falsche Apostel und trügliche Arbeiter verstellen sich zu
Christi Aposteln. Und das ist auch kein Wunder, denn er selbst, der Satan,
verstellt sich zum Engel des Lichts. Darum ist es nicht ein Großes, ob sich
auch seine Diener verstellen als Prediger der Gerechtigkeit.“ Gehen wir das
Alte und Neue Testament durch, so lesen wir, dass die falschen Propheten sich
stets auf Gottes Wort berufen haben. Unter anderem heißt es im 23. Kapitel des
Propheten Jeremia: „Gehorcht nicht den Worten der Propheten, so euch weissagen.
Sie betrügen euch, denn sie sprechen ihres Herzens Gesicht und nicht aus des
HERRN Mund. Sie sagen denen, die mich lästern: Der HERR hat es gesagt.“ So oft
daher ein Christ hört oder liest, dass ein Lehrer Gottes Wort für seine Lehre
anführt, so muss er sich wohl vorsehen, ob der Lehrer das Wort Gottes auch
recht und ganz anführe, oder ob er es, wie der Satan in unserem Evangelium,
verstümmle, etwas weglasse oder es falsch anwende. Bringt jemand eine neue Lehre
auf und führt er dafür eine dunkle Stelle der Heiligen Schrift an, womit
er seinen Irrtum beschönigen will, spricht er: Seht, „es steht geschrieben“,
so muss ein Christ sich mit Christus an eine deutliche Schriftstelle
halten und antworten: „Wiederum steht auch geschrieben.“ Seid gewarnt,
meine Lieben, und lasst mich nicht einen Prediger in der Wüste sein; die Zeiten
werden mit jedem Tag bedenklicher, die Schlingen der Verführung immer feiner
und verdeckter; es gilt hier Wachens, Betens, Forschens und Kämpfens:
Es wird die Krone,
die so schön,
Nur auf dem Haupt
der Sieger stehn.
Doch der Satan wollte bei seinem zweiten
Angriff Christus nicht nur überhaupt zu einem falschen Glauben, sondern vor
allem zu Versuchen Gottes bringen. Zu dieser Sünde werden, besonders in unseren
Tagen, die Christen öfter versucht, als man meint; nicht sowohl in leiblichen,
als vielmehr in geistlichen Dingen. Ja, was sage ich? An dieser Sünde
liegen nicht nur die meisten, welche
jetzt die eifrigsten Christen sein wollen, krank, sie ist, so zu sagen, das
Herz und die Seele des jetzigen neuen Christentums geworden.
Denn was sind Wort und Sakrament anders als
die rechten Himmelsleitern, auf welchen wir allein in den Himmel aufsteigen
können? Lehrt man aber jetzt die Christen, wie sie keine anderen Himmelsleitern
sich suchen, sondern am Wort und an den heiligen Sakramenten festhalten, sich
der darin gegebenen Gnadenverheißungen und Gnadenunterpfänder trösten,
dieselben als Gottes nach uns ausgestreckte Hände ergreifen und darauf ihren
Glauben gründen und bauen sollen? Keineswegs! Diejenigen, welche jetzt mit
großem Eifer predigen, dass sich der Mensch bekehren müsse, wenn er selig
werden wolle, weisen, leider, ihre Zuhörer meist gar nicht auf Wort und
Sakrament, ja, sie verdammen das Vertrauen darauf als etwas Fleischliches und
weisen die betrübten Sünder allein auf die Erfahrungen und Empfindungen des
Herzens. Ach, sie eifern um Gott, aber mit Unverstand; sie bedenken nicht, dass
sie ihre Zuhörer damit auffordern, Gott zu versuchen, dass sie ihnen gleichsam
mit dem Satan zurufen: Seid ihr Gottes Kinder, so lasst euch hinab von der
Zinne des Tempels, steigt nämlich hinauf in den Himmel zu Gott ohne die feste
Brücke seines Wortes, ohne die sichere Stiege seiner heiligen Sakramente.
In einer Zeit wie die unsrige, wo so viele
selbstgemachte Himmelswege gezeigt werden, ist es ja freilich nötig, große
Treue, großen Ernst und großen Eifer zu beweisen, die Wahrheit, die da selig
macht, zu finden, sie in reinem Gewissen zu bewahren und bei ihr zu bleiben;
und täglich und stündlich zu seufzen:
Ich ruf zu dir,
HERR Jesus Christ,
Ich bitt, erhör
mein Klagen;
Verleih mir Gnad
zu dieser Frist,
Lass mich doch
nicht verzagen.
Den rechten
Weg, o HERR, ich mein,
Den wollest du mir
geben,
Dir zu leben,
Mein’m Nächsten
nütz zu sein,
Dein Wort zu
halten eben.
3.
Doch wir hören nun endlich, dass der Satan
Christus auf einen sehr hohen Berg geführt, ihm alle Reiche der Welt und ihre
Herrlichkeit gezeigt und gesagt hat: „Dies alles will ich dir geben, wenn du
niederfällst und mich anbetest.“
Diese letzte Versuchung des Satans scheint
so plump zu sein, dass es uns Wunder nehmen möchte, wie doch ein so listiger
Geist dieselbe nur habe wagen können; sie ist jedoch nicht so ungeschickt, wie
sie bei dem ersten Anblick zu sein scheint. Da nämlich Christus damals seine
Gottheit verbarg, so war auch sicherlich Satan oft im Zweifel, ob er wirklich
Gotte Sohn oder nur ein ausgezeichneter Prophet sei. Satan weiß es aber, wie
sehr das Herz der Menschen von Natur an dem Zeitlichen, an Reichtum, Ehre und
Herrlichkeit hängt; er weiß es, wie schwach auch der stärkste Christ in sich
selbst ist und wie leicht er in der Stunde der Versuchung von irdischer
Herrlichkeit geblendet und zu Fall gebracht werden kann. Darum versuchte er bei
Christus diesen letzten großen Sturm. An diesem göttlichen Herzen zerbrachen
freilich alle seine Waffen, aber nicht so ist es mit uns.
Es hat schon Tausende von Christen gegeben,
welche Christus treu geblieben sind, so lange sie verfolgt wurden, die Christi
Gnade und Wort über alles liebten, so lange sie arm waren, die arm am Geist
blieben, so lange sie verachtet wurden, kurz, die Christus im Glauben
nachfolgen, so lange sie unter dem Druck der Not, des Kreuzes und der Trübsal
lagen. Aber welche traurige Veränderung ist mit ihnen vorgegangen, als die Welt
sich freundlich gegen sie stellte, als sie anfingen, reich und wohlhabend zu
werden, als sie hervorgezogen wurden und zu Ehren kamen! Ach, unzählige
Christen haben unter allen Stürmen und Ungewittern des Unglücks wie Zedern
festgestanden und sind endlich unter dem Sonnenschein des Glücks und der guten
Tage verwelkt und verdorrt, endlich ohne Glauben gestorben und im Tod als
unfruchtbare Bäume abgehauen und ins Feuer geworfen worden.
Wer will es nun hiernach wagen und träge
werden im Beten, im Wachen, im Lesen und Hörend es Wortes Gottes, im Gebrauch
des heiligen Sakraments und im Kampf gegen jede Sünde – und dennoch selig zu
werden hoffen? O, möchte doch kein solcher Tor unter uns gefunden werden! Wer
ohne täglichen Kampf und Streit die Krone endlich doch zu erlangen hofft, der
wird sich einst betrogen finden.
Doch dies ist alles von Christen gesagt.
Wie willst nun vollends du die Seligkeit erlangen, der du sicher und sorglos in
offenbaren Sünden dahinlebst, in Zorn und Unversöhnlichkeit, in Unzucht und
Unreinigkeit, in Lug und Trug, in Trunkenheit und Völlerei, in Verachtung des
Wortes und der heiligen Sakramente und dergleichen? „Die solches tun, werden
das Reich Gottes nicht ererben.“ St. Petrus ruft euch zu: „So der Gerechte kaum
erhalten wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen?“ „Irrt euch nicht“,
setzt St. Paulus hinzu, „Gott lässt sich nicht spotten, denn was der Mensch
sät, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das
Verderben ernten. Wer aber auf den Geist sät, der wird vom Geist das ewige
Leben ernten. Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner
Zeit werden wir auch ernten ohne Aufhören.“ Amen.
Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus
Christus, die Liebe Gottes, des himmlischen Vaters, und die Gemeinschaft
Gottes, des Heiligen Geistes, sei mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Ein wahrer Christ sein und beten, dies ist
so unzertrennlich mit einander verbunden, dass das Eine ohne das andere nicht
gedacht werden kann. Wie das Schreien das erste Lebenszeichen eines jeden
neugeborenen Kindes ist, so ist das Beten das erste Lebenszeichen eines
wiedergeborenen Christen. Sobald der Christenverfolger Saulus sich bekehrt
hatte, da heißt es von ihm: „Siehe, er betet!“ Und als jene Dreitausend die
erste Pfingstpredigt des Petrus sich durchs Herz gehen ließen und Buße taten,
da heißt es auch sodann von ihnen nicht nur: „Sie blieben aber beständig in der
Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen“, sondern auch: „Und
im Gebet“.
Es kann dies auch nicht anders sein. Durch
den Fall in die Sünde ist es dem mit den Menschen dahin gekommen, dass sie nun
von Natur ohne Gott dahinleben. Von Natur verhalten sich nämlich die Menschen
so, als brauchten sie keinen Gott; von Natur huldigen die Menschen dem
besonders hier oft ausgesprochenen Grundsatz: „Hilf dir selber!“ Sie denken,
der Mensch sei selbst seines Glückes Schöpfer; wolle der Mensch alles von Gott
erwarten, so könne er lange warten. Wer etwas erlangen wolle, der sei ein Narr,
wenn er an sich verzage und nach dem Himmel blicke; der müsse vielmehr seinen
Verstand und seine Kräfte anstrengen und seine Glieder nur tüchtig regen und
„schaffen und wagen, das Glück zu erjagen“: Das sei der rechte Weg; so werde
sich schon alles finden. Man denkt, würden die Menschen aufhören, für einen
Himmel zu sorgen und allein sorgen für ihr Leben auf Erden, so würde es auch
jedermann bald besser werden und das Glück sich wohl finden. So fangen denn die
meisten Menschen an jedem Morgen den Tag ohne Gebet an; gehen dann ohne Gebet
an ihre Arbeit; beginnen ohne Gebet auch ihre wichtigsten Unternehmungen; essen
und trinken, ohne zu beten; legen sich schlafen, ohne zu beten; kurz, gehen aus
und ein, ohne zu beten. – Das ist des Menschen Zustand von Natur.
Was ist aber nun die Bekehrung? Diese
besteht eben in nichts anderem, als darin, dass der Mensch, der vorher von Gott
abgekehrt war, sein ganzes Herz und seinen ganzen Sinn wieder zu Gott hinkehrt.
Sobald daher ein Mensch zu Gott bekehrt ist, so tritt er auch mit Gott in einen
heimlichen, verborgenen Verkehr. Ist ein Mensch bekehrt, so ist ihm Gott
unentbehrlich in allen seinen Dingen; dann wagt er nicht mehr, auch nur das
Geringste ohne Gott anzufangen; dann achtet er nicht nur jeden Tag ohne Gebet
für einen Tag ohne Segen, sondern alles, alles achtet er ohne Gebet für
ungesegnet. Betend zu Gott verlässt daher der bekehrte Christ des Morgens sein
Lager, betend geht er an seine Arbeiten, betend beginnt und schließt er seine
Mahlzeiten, kurz, betend geht er aus und ein.
Während ein natürlicher Mensch das Gebot
des HERRN, dass man allezeit beten soll, und die Ermahnung des Apostels: „Betet
ohne Unterlass“, für unausführbar hält, so weiß hingegen ein zu Gott wirklich
bekehrter Mensch, wie dies recht wohl möglich ist, aus eigener Erfahrung und
Übung. Ein bekehrter Christ faltet zwar nicht immer die Hände, er beugt zwar
nicht immer die Knie und bewegt zwar nicht immer seine Lippen dazu, ein Gebet
zu sprechen, denn er weiß: In dieser Welt hat er noch das Doppelgebot: Bete und
arbeite! Aber sein Herz ist immer mit Seufzen, oder doch mit einem geheimen
Verlangen nach Gott, nach seiner Gemeinschaft, nach seiner Gnade, seiner Hilfe,
seiner Leitung und Regierung erfüllt, und das heißt eben allezeit und ohne
Unterlass beten.
Doch, meine Lieben, es gibt Menschen,
welche nicht zu Gott von Herzen bekehrt sind, und die doch viel zu beten
scheinen; es ist daher nötig zu wissen, welches Gebet denn eigentlich ein
rechtes Gebet und das Kennzeichen eines wahren Christen sei. Das lernen wir
aber aus unserem heutigen Evangelium kennen; es ist dies nämlich nach demselben
das Gebet des Glaubens. Ja, das, das ist das rechte Gebet, und ein
solches Gebet ist daher auch allein das rechte Kennzeichen eines bekehrten
Christen. Davon lasst mich daher nun weiter zu euch sprechen.
Matthäus
15,21-28: Und Jesus ging aus
von dannen und entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon. Und siehe, eine
kanaanäische Frau ging aus derselben Grenze und schrie ihm nach und sprach: Ach
HERR, du Sohn Davids, erbarme dich mein! Meine Tochter wird vom Teufel übel
geplagt. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten zu ihm seine Jünger, baten
ihn und sprachen: Lass sie doch von dir; denn sie schreit uns nach. Er
antwortete aber und sprach: Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlorenen
Schafen von dem Haus Israel. Sie kam aber und fiel vor ihm nieder und sprach:
HERR, hilf mir! Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht fein, dass man den
Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, HERR; aber
doch essen die Hündlein von den Brosamen, die von ihrer Herren Tisch fallen. Da
antwortete Jesus und sprach zu ihr: O Frau, dein Glaube ist groß; dir geschehe,
wie du willst! Und ihre Tochter ward gesund zu derselben Stunde.
In dem verlesenen Evangelium erblicken wir
offenbar eine gläubige Beterin, wie sie selten gefunden wird. An ihrem
bewunderungswürdigen Beispiel lasst mich euch daher jetzt zeigen:
Das
Gebet im Glauben
Hört:
1.
Welches Gebet ein Gesetz im Glauben
sei,
2.
Dass nur das Gebet im Glauben Gott
gefällig und erhörlich sein, und endlich
3.
Was dazu gehöre, um im Glauben
beten zu können.
O HERR Gott! Wie groß ist deine Gnade, dass
du uns Sündern nicht nur erlaubt hast, zu dir zu beten, sondern auch zu beten
so ernstlich geboten und zu erhören so liebreich verheißen hast! Wir müssen dir
aber klagen, dass die Meisten leider diese große Gnade wenig erkennen und noch
weniger treu gebrauchen. Darum bitten wir dich, mache doch die Predigt deines
Wortes in dieser Stunde zu einem Mittel, dadurch der Geist der Gnade und des
Gebetes über uns alle ausgegossen und wir en5tzündet werden, gläubig und
brünstig ohne Unterlass zu dir zu beten und zu flehen und so Gnade um Gnade zu
nehmen aus deiner Fülle. Erhöre uns um Jesu Christi willen. Amen.
1.
Dass die kanaanäische Frau, von welcher in
unserem Evangelium erzählt wird, im Glauben gebetet habe, dies ist außer
Zweifel, den Christus gibt ihr selbst das Zeugnis: „O Frau, dein Glaube ist
groß; dir geschehe, wie du willst.“ Die Art aber, wie sie gebetet hat, wird
uns so ausführlich beschrieben, dass wir aus ihrem Beispiel deutlich ersehen
können, welches denn eigentlich ein Gebet des Glaubens ist.
Was hören wir aber von ihr? Matthäus
erzählt uns, sie habe Christus zuerst nachgeschrien: „Ach HERR, du Sohn
Davids, erbarme dich mein; meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt.“
Obgleich also ihre Not sehr groß war (denn welche Not kann größer sein, als
wenn das eigene Kind nicht nur von einer schweren Krankheit und vielen
Schmerzen beladen ist, sondern selbst vom Teufel übel geplagt wird?), so macht
sie doch nicht viele Worte. Sie trägt Christus kurz ihre große Not vor und
schreit ihn laut um Hilfe an.
Wie heißt es nun weiter? – Matthäus
spricht: „Und er (nämlich Christus) antwortete ihr kein Wort.“ –
Wir können uns wohl denken, was hierbei in dem Herzen der armen Frau
vorgegangen sein mag. Sicherlich ist das Schweigen Christi wie eine schwere
Last auf ihr um Hilfe bekümmertes Mutterherz gefallen. Was tut sie aber? Sie
lässt sich auch dadurch nicht irre machen. Sie schreit fort; was wir daraus
ersehen, dass, wie wir hören, die Jünger, sie sich endlich in das Mittel
schlugen, eine Fürbitte für die elende Frau einlegend, sprachen: „Lass sie
doch von dir, denn sie schreit uns nach.“ Was antwortet Christus aber
hierauf? Er spricht: „Ich bin nicht gesandt, als nur zu den verlorenen
Schafen von dem Haus Israel.“ Christus wirft ihr also vor, dass sie ja
nicht das mindeste Anrecht habe an seiner Gnade. Was tut aber die Kanaanäerin?
Sie naht sich Christus dennoch noch einmal, fällt dennoch noch einmal vor ihm
nieder und spricht: „HERR, hilf mir!“ Und als Christus auch hierauf
spricht: „“Es ist nicht fein, dass man den Kindern das Brot nehme und werfe
es vor die Hunde“, als er ihr also ihre gänzliche Unwürdigkeit aller Gnade
vorwirft, das gibt sie zwar Christus recht und spricht: „Ja, HERR“; aber
sie setzt sogleich hinzu: „Aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein,
die von ihrer Herren Tische fallen.“ Trotz ihrer Einsicht in ihre
Unwürdigkeit hält sie sich also dennoch an das Wort Christi. Christus hatte sie
einen Hund gescholten: Wohlan, spricht sie, das will ich auch sein und nichts
mehr; aber gestehst du mir das zu, so hast du mir damit auch zugestanden, dass
ich wenigsten an einigen Brosamen deiner Gnade Teil haben soll; mehr begehre
ich aber auch nicht; diese schenke mir, so genügt mir; denn wenn du mir auch
nur ein Brosamlein deiner Gnade schenkst, so ist meinem Kind, so ist mir
geholfen.
Welches Gebet ist nun hiernach ein Gebet im
Glauben? Besteht es etwa darin, dass man viele Worte machen und in einem
solchen Fluss mit Gott reden kann, dass die Worte wie ein Strom über die Lippen
fließen? Nein, das Beispiel der kanaanäischen Frau lehrt uns, dass ein Gebet
ein rechtes Gebet im Glauben sein könne, wobei ein betrübter Mensch vielleicht
nur wenig Worte stammeln kann; ja, an dem Beispiel Moses sehen wir, dass ein
Mensch in einem Zustand sein kann, in welchem er gar keine Worte findet und nur
im Geheimen seufzt, und Gott nimmt dies sein stilles Seufzen doch für ein
starkes Glaubensgebet an; denn Mose hatte nur im Stillen nach Hilfe innig
verlangt, und doch rief ihm Gott zu: „Was schreist du zu mir?“ (2. Mose 14,15.)
Gehört also zu einem Gebet im Glauben
wenigsten das, dass man in seinem Herzen die süße Empfindung der Andacht, der
Würdigkeit und der Erhörung habe? Nein, auch das nicht; denn gewiss hat niemand
weniger süße Gefühle bei seinem Gebet gehabt als die arme, tiefbekümmerte Frau;
erstlich schon anfangs nicht, als sie von ihrer vom Teufel übel geplagten
Tochter hinwegging und zu Christus eilte, und dann gewiss noch weniger als der
HERR auf ihr Gebet schwieg und endlich ihr gar nur harte, raue und zornige Antworten
gab; sie fühlte dabei wirklich, dass sie kein Anrecht an Gottes Gnade habe, und
dass sie mit ihrem Gebet nicht würdig sei, erhört zu werden, sondern nichts als
Zorn verdient haben. Es ist also wohl möglich, dass ein Mensch dennoch im
Glauben beten könne, obgleich er nichts dabei fühlt als sein Elend und seine
Unwürdigkeit, ja, nichts als Gottes Ungnade, Zorn und völlige Verwerfung.
Worauf kommt es also eigentlich an, wenn
man ein Gebet ein Gebet im Glauben nennen darf? – Es kommt nach dem Beispiel
unserer Kanaanäerin vor allem darauf an, dass man eben trotz des Gefühls oder
des Bewussts4eins seiner Unwürdigkeit doch nicht daran zweifelt, dass Gott
unser Gebet gefalle, und zuversichtlich dafür hält, dass es Gott gewiss erhören
werde, und dass man sich hierbei fest auf das Wort Gottes gründet, nämlich auf
den Befehl Gottes, zu beten, und auf die Verheißung, das Gebet zu erhören. Wer
alle Bedenken mit diesem göttlichen Befehl und mit dieser göttlichen Verheißung
niederschlägt, wer sich auch dadurch nicht zum Zweifel an der Erhörung seines
Gebets bewegen lässt, dass er nicht einsieht, wie ihn Gott erhören
könne, ja, dass es nach der Vernunft ganz unmöglich scheint; und wer endlich
auch dann den Glauben, dass ihn Gott erhöre, nicht wegwirft, wenn auf sein
Gebet um Hilfe Gott nicht nur zu schweigen, sondern die Not nur immer größer zu
werden scheint; wer dann, wie die Kanaanäerin, doch fortfährt zu rufen: „HERR,
hilf mir!“ und denkt: Hilft mir Gott nicht, wie ich denke und jetzt
wünsche, so hilft er mir doch, ja gewiss besser und herrlicher,
als ich denke: Dessen Gebet ist ein Gebet im Glauben.
2.
Und nur ein solches Gebet im Glauben ist
Gott gefällig und erhörlich. Davon lasst mich nun zweitens weiter zu euch
sprechen.
Es scheint freilich vielen etwas ganz
Vergebliches zu sein, die Erhörung ihrer Gebete zu erwarten. Man spr9cht, was
geschehen solle, das sei schon von Ewigkeit beschlossen, wer dürfe nur wähnen,
durch sein Gebet eine Änderung in dem Plan der göttlichen Weltregierung
hervorbringen zu können? Wer dürfe hoffen, durch sein Gebet den
unveränderlichen Gott wankend machen und ihn zu einer Änderung seines Willens
bewegen zu können? Allein, man bedenkt nicht, dass Gott alle unsere Gebete
erhören kann, ohne gegen seine ewigen Ratschlüsse zu handeln; denn da Gott
allwissend und allweise ist, so hat er nicht nur von Ewigkeit gewusst, dass und
was wir beten werden, sondern er hat auch schon von Ewigkeit alles so geordnet
und in den Plan seiner Weltregierung verflochten, dass eben das geschehen muss,
was wir von ihm bitten.
Wohl ist es ferner wahr: Es ist etwas
Großes, dass ein armer, sterblicher Mensch, ein Sünder, es wagt zu glauben,
dass Gott, der Allerhöchste und Allerheiligste, durch sein Gebet bewogen werden
könne, etwas zu tun oder zu unterlassen; wohl ist der Glaube eine große
Kühnheit, dass das, was wir auf Erden bitten, im Himmel gewiss geschehen werde,
ja müsse. Ja, dieser Glaube scheint eine große Vermessenheit, hingegen der
Demut angemessen zu sein, wenn man an der Erhörung seines Gebetes zweifelt.
Aber nein, das ist eine falsche Demut, denn sie nimmt nicht nur dem Menschen,
sondern auch Gott selbst seine Ehre.
Wer da betet und doch nicht glaubt, dass er
erhört werde, der macht Gott zum Lügner; der spricht, so oft er betet, mit der
Tat zu Gott: Du spricht zwar in deinem Wort: „Rufe mich an in der Not, so will
ich dich erretten, und du sollst mich preisen“; du sprichst zwar: „Bittet, so
werdet ihr nehmen; sucht, so werdet ihr finden; klopft an, so wird auch
aufgetan“; du spricht zwar: „Alles, was ihr bittet im Gebet, so ihr glaubt, so
werdet ihr’s empfangen“, aber ich kann dies nicht für Wahrheit annehmen; ich kann
dir nicht glauben. Wer aber so redet, was tut der anderes, als dass er die
göttlichen Verheißungen zu Lügen und also Gott zu einem Lügner macht? Sollte
aber das Gebet eines solchen Menschen Gott gefällig und erhörlich sein? Nein,
es ist vielmehr gewiss: Wer im Zweifel betet, der macht dadurch sein Gebet ganz
zunichte und vergeblich, ja, zu eitel Sünde und Greuel. Daher spricht Jakobus
von einem Beter: „Er bitte aber im Glauben und zweifle nicht; denn wer da
zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Wind getrieben und gewebt
wird. Solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem HERRN empfangen werde.“
O, wie viele mag es daher geben, die für alle ihre Gebete nichts empfangen
werden! Denn wie selten findet sich einmal ein Mensch, der da wirklich glaubt,
dass alle seine Gebete bei Gott Ja und Amen sind!
Aber wohl allen, die im Glauben beten!
Deren Gebete sind Gott angenehm und allezeit erhört. Denn wer da glaubt, dass
Gott tue, was er bittet, der gibt Gott die Ehre, die ihm gebührt; der erklärt
damit Gottes Wort für untrügliche, zuverlässige Wahrheit; der erklärt damit die
göttlichen Verheißungen für einen unumstößlichen Grund, auf welchen man sicher
bauen und trauen könne; der erklärt damit, dass, wenn auch alle Menschen Lügner
sind, doch Gott wahrhaftig sei und bleibe und dass er gewiss halte, was er
zugesagt hat.
Wohl scheint es unserer Vernunft etwas
Geringes zu sein, wenn man Gott in seinem Wort fest und unbeweglich traut; aber
wie einst der Stand der Unschuld im Paradies hauptsächlich darin bestand, dass
der Mensch ein vollkommenes Zutrauen zu Gott und zu seiner unendlichen Güte
hatte, und wie hierauf darin der Abfall der Menschen von Gott bestanden hat,
dass sie Gott nicht mehr trauen wollten, und wie nun daraus eine knechtische
Furcht und ein Fliehen aller Menschen vor Gott von Natur entstanden ist: So
besteht nun darin wieder die Rückkehr zu Gott, dass der Mensch Gott wieder zu
trauen anfängt. Wer Gott wieder traut, der macht Gott wieder zu seinem Gott,
der bringt Gott wieder den rechten Dienst dar und wird wieder erneuert zu dem
Ebenbild Gottes, zu welchem wir einst geschaffen wurden.
Ein Gebet im Glauben ist daher vor Gott
einem lieblichen Weihrauch gleich, der auf dem Altar des Herzens angezündet
wird und dessen Wohlgeruch bis zum Himmel steigt. Das Gebet im Glauben ist ein
Schlüssel, womit ein Mensch den Himmel, ja, das Vaterherz Gottes sich
aufschließen kann. Kein Unglück und keine Traurigkeit ist so groß, wofür das
Gebet im Glauben nicht reichen Trost gäbe, und woraus man nicht durch das Gebet
im Glauben Hilfe und Rettung erlangen könnte. Wie sich einst Christus durch das
gläubige Gebet einer armen Heidin und durch das „Ich lass dich nicht!“ eines
Jakob überwinden ließ, so will Gott noch jetzt durch das Glaubensgebet aller
Christen sich besiegen lassen.
Darum werden wir auch so oft in Gottes Wort
dazu ermuntert und ermahnt, im Glauben zu beten; darum lehrt uns auch Christus
unser tägliches Gebet mit dem Glaubenswort: „Vater unser“ beginnen und mit
Triumphwort „Amen“ beschließen.
3.
Wer sollte sich nun nicht wünschen, so im
Glauben Gott gefällig und erhörlich beten zu können? Was dazu gehöre, um im
Glauben beten zu können, davon lasst mich daher nun endlich zum Schluss noch
Einiges hinzusetzen.
Offenbar gehört dreierlei notwendig dazu,
um im Glauben beten zu können, nämlich erstens, dass man in keiner mutwilligen
Sünde mehr lebt; zweitens, dass man wisse, man habe einen gnädigen Gott; und
endlich drittens, dass man nicht mehr auf sich, auf seine Werke, seine Tugend,
Frömmigkeit und Gerechtigkeit, sondern allein auf die Gnade baut.
Wer noch in mutwilligen Sünden lebt, und
wenn es auch scheinbar nur eine einzige wäre, der kann nun möglich von herzen
glauben, dass Gott tun werde, was er ihn bittet; immer wird ihm sein Gewissen
widersprechen; immer wird es in seinem herzen heißen: Was willst du Gott
bitten, der du ihn noch mutwillig beleidigst mit dieser oder jener Sünde! Daher
spricht David: „Wo ich Unrechtes vorhätte in meinem Herzen, so würde der HERR
nicht hören.“ Und im Propheten Jesaja heißt es: „Wenn ihr schon eure Hände
ausbreitet, verberge ich doch meine Augen von euch; und ob ihr schon viel
betet, höre ich euch doch nicht: Denn eure Hände sind voll Bluts. Wascht,
reinigt euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen, lasst ab vom Bösen, lernt
Gutes tun; so kommt dann und lasst uns miteinander rechten.“ Dasselbe wird im
Neuen Testament mit kurzen Worten ausgedrückt: „Wir wissen, dass Gott die
Sünder nicht hört.“
Hieraus fließt aber notwendig, dass auch
derjenige, welcher noch nicht weiß, dass er einen gnädigen Gott im Himmel habe,
unmöglich von Herzen glauben könne, dass Gott sein Gebet sich werde
wohlgefallen lassen und es erhören. Wer nicht weiß, dass er bei Gott in Gnaden
stehe, der wird immer denken: Was willst du bei Gott? Er ist ja noch dein Feind
und du bist sein Feind!
Eine ähnliche Bewandtnis hat es aber auch
endlich dann, wenn ein Mensch noch auf seine Werke und Gerechtigkeit baut. Ein
solcher Mensch kann wohl in guten Tagen meinen, dass sein Gebet Gott angenehm
und erhört sei, aber in der Zeit großer Not, in der Zeit, wenn alle Wetter der
Angst und Trübsal einen Menschen überfallen, in der Zeit, wenn der Mensch
Gottes Stillschweigen, ja, Gottes Zorn in seinem Herzen fühlt, also in der
Zeit, wenn der Mensch das Gebet im Glauben am meisten bedarf, da wird
derjenige, welcher auch seine Werke bauen will, verzagen müssen; da wird er
sehen, dass er damit vor Gott nicht bestehen könne; da wird er einsehen, dass
sein Gebet nicht würdig sei, von Gott erhört zu werden.
Hieraus geht nun hervor, dass von Natur
kein Mensch im Glauben beten könne, denn von Natur leben erstens alle Menschen
in wissentlichen und mutwilligen Sünden; zweitens, von Natur weiß niemand
gewiss, ob er einen gnädigen Gott habe, und endlich drittens, von Natur baut
jeder Mensch auf seine Werke, Gerechtigkeit und Ehrbarkeit. Soll daher ein
Mensch im Glauben beten lernen, so muss mit ihm eine große Veränderung
vorgehen; er muss erst ein ganz anderer Mensch werden, der von der Herrschaft
der Sünde los ist, der seines Gnadenstandes bei Gott gewiss ist und der sich
allein auf Gottes Gnade verlässt.
Willst du nun, lieber Zuhörer ein solcher
Mensch werden, so ist das mein kurzer Rat: Suche aus Gottes Wort deine Sünden
recht lebendig zu erkennen; falle deswegen auf deine Knie und rufe Gott an,
dass er sich über dich selbst erleuchten wolle. Wirst du das tun, so wirst du
bald einsehen, was für ein großer Sünder du in Gottes Augen seist, wenn dich
die Menschen vielleicht gleich bisher für fromm und rechtschaffen gehalten
haben. Je mehr du aber nun deine Sündhaftigkeit erkennen wirst, desto größer
wird deine Angst werden und deine Furcht vor Gott. Aber wohl dir, wenn es dahin
mit dir kommt! Denn die Traurigkeit und Angst über die Sünde ist der rechte und
einzige Weg, zur wahren Freude zu gelangen. Dann musst du nämlich mit deinem
zerbrochenen und zerschlagenen Herzen dich zu Christus, deinem Heiland wenden;
dann höre nämlich auf das Evangelium, welches sagt, wie Christus allen Sündern,
also auch dir, Gnade erworben hat. Daran halte du dich im Glauben; des tröste
dich und bitte Gott, dass er doch dein betrübtes Herz durch seinen Heiligen
Geist wieder aufrichten und erquicken und des Trost des Evangeliums darin
versiegeln wolle.
Wirst du, lieber Zuhörer, diesen Weg gehen,
so wirst du eine große Veränderung an dir erfahren; du wirst auf diesem Weg ein
ganz neuer Mensch werden; du wirst dann aufhören, ein Sklave deiner Sünde zu
sein; du wirst gewiss werden, dass du bei Gott Gnade gefunden hast; und die
Gnade wird dein einiger Trost, deine einige Hoffnung sein. Dann, ja, dann wirst
du auch mit der kanaanäischen Frau im Glauben beten können. Du wirst dann zu
Gott von Herzen sagen können: Abba, mein lieber Vater! Und am Schluss deiner
Gebete getrost ausrufen können: Amen, Amen, das ist, Ja, ja, es soll so
geschehen.
O selige Menschen, die so beten können!
Darum auf! Die ihr das bisher noch nicht gekonnt habt, nehmt meinen Rat an und
geht den gezeigten Weg. Ihr aber, die ihr schon mit Gott reden könnt, wie die
lieben Kinder mit ihrem lieben Vater, erkennt, wie hoch begnadigt ihr seid;
seid nicht träge, diese Gnade fleißig zu gebrauchen, und hütet euch vor allem,
wodurch ihr dieses unvergleichliche Recht der Kinder Gottes wieder verlieren
könntet.
Prägt das Beispiel der Kanaanäerin tief
eurer Seele ein, und in aller Anfechtung und Not nehmt, wie sie, eilends eure
Zuflucht zu einem gläubigen Gebet, haltet aber auch, wie sie, aus, so werdet
ihr auch allezeit frohlockend überwinden. Amen.
Die Gnade unseres HERRN und Heilandes,
Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei
mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Zu nichts werden die Christen im Neuen
Testament öfter und dringender ermahnt als zur Beständigkeit, und vor nichts
mehr gewarnt als vor Abfall. Darum heißt es unter anderem: „Wer beharrt bis
an’s Ende, der wird selig.“ „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die
Krone des Lebens geben.“ „So besteht nun in der Freiheit, damit uns Christus
befreit hat, und lasst euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen.“
„Seht euch vor, dass wir nicht verlieren, was wir erarbeitet haben, sondern
vollen Lohn empfangen.“ „Bleibe in dem, das du gelernt hast.“ „Halte, was du
hast, dass niemand deine Krone nehme.“
Wollte Gott, man könnte dieses alles auch
den jetzigen Christen zurufen! Es steht aber leider jetzt mit den meisten
Getauften so, dass man sie keineswegs ermahnen kann, im Glauben zu beharren bis
an’s Ende; denn wie kann der darin beharren, der noch gar nicht wahrhaft zu
glauben angefangen hat? Wie kann man den ermahnen, Christus treu zu sein bis in
den Tod, der es noch gar nicht mit Christus hält und noch gar nicht unter der
Fahne seines Kreuzes streitet? Wie kann man denjenigen ermuntern, das Erarbeitete
nicht wieder zu verlieren, der das Eine, das not ist, noch gar nicht gesucht
und gefunden hat? Wie kann man den auffordern, die Krone festzuhalten und nicht
aus der Gnade zu fallen, welcher mit der Krone eines wahren Christen noch gar
nicht geschmückt ist und noch gar nicht bei Gott in Gnaden steht? – Den meisten
Christen kann jetzt nicht zugerufen werden: Fallt nicht ab! Sondern: Steht von
eurem Fall wieder auf; kehrt zurück zur Wahrheit, die ihr verlassen habt; kehrt
um zu Christus, von dem ihr euch geschieden habt; sucht die Gnade wieder, die
ihr verloren habt!
Vergleicht nun das Wesen und Leben der
meisten heutigen Christen mit den Beschreibungen, welche das Wort Gottes von
begnadigten Christen macht, so werdet ihr finden, dass es jetzt mit den meisten
ganz anders steht und dass die größte Anzahl gewiss den Irrweg gehe, der nimmer
zum Himmel führen kann.
Ein wahrer Christ sucht nach Gottes Wort
seinen einigen Trost in Christus; ein wahrer Christ wird nicht mehr von seinem
eigenen Geist, sondern von dem Geist der Gnade, nämlich vom Heiligen Geist,
regiert; ein wahrer Christ hält die göttliche Wahrheit höher und köstlicher als
Gold und Perlen, teurer als die ganze Welt und streitet für sie bis an den Tod;
ein wahrer Christ hat eine innige Liebe zu allen seinen Miterlösten, auch zu
seinen Feinden, besonders aber zu seinen Glaubensbrüdern und Glaubensschwestern;
er freut sich nicht nur mit den Fröhlichen, sondern weint auch mit den
Weinenden und hilft ihnen gern mit allem, das er hat und vermag; ein wahrer
Christ ist ferner arm im Geist, demütig gegen Gott und Menschen und hält sich
daher gern herunter zu den Niedrigen; ein wahrer Christ fürchtet sich vor der
Sünde, kämpft daher dagegen, entschuldigt sie nicht und reinigt sich davon
täglich in dem Blut der Versöhnung; ein wahrer Christ hat keinen Gefallen mehr
an der Welt Eitelkeit, sucht keine guten Tage mehr für sein Fleisch und wird
Christus gern gleich auch in seinem Leiden und seiner Erniedrigung; ein wahrer
Christ hat endlich ein herzliches Vertrauen zu der Fürsorge seines himmlischen
Vaters und wirft daher gläubig auch alle seine irdischen Sorgen in dieses
seines lieben Vaters Schoß.
Nun sagt selbst: Wo sind solche Christen? –
Ach, über die ganze Christenheit muss der HERR jetzt klagen, wie über die
Gemeinde zu Ephesus: „Ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlässt.
Gedenke, wovon du gefallen bist und tue Buße und tue die ersten Werke. Wenn
aber nicht, werde ich zu dir kommen bald und deinen Leuchter wegstoßen von
seiner Stätte, wenn du nicht Buße tust.“ Ja, meine Lieben, so viele es auch
jetzt gibt, die durch die Taufe einstmals in Gottes Gnadenbund aufgenommen und
wiedergeboren worden sind, so sind doch die meisten wieder abgefallen, haben
Gottes Bund verlassen und die Gnade der Wiedergeburt verloren. Wie aber dieser
traurige Abfall gemeiniglich geschehe, davon lasst mich jetzt zu unser aller
Warnung, Ermahnung und Ermunterung weiter sprechen,
Lukas 11,14-28: Und er trieb einen Teufel aus, der war stumm. Und
es geschah, da der Teufel ausfuhr, da redete der Stumme. Und das Volk
verwunderte sich. Etliche aber unter ihnen sprachen: Er treibt die Teufel aus
durch Beelzebub, den Obersten der Teufel. Die andern aber versuchten ihn und
begehrten ein Zeichen von ihm vom Himmel. Er aber vernahm ihre Gedanken und
sprach zu ihnen: Ein jegliches Reich, so es mit ihm selbst uneins wird, das
wird wüste, und ein Haus fällt über das andere. Ist denn der Satanas auch mit
ihm selbst uneins, wie will sein Reich bestehen? Dieweil ihr sagt, ich treibe
die Teufel aus durch Beelzebub. So aber ich die Teufel durch Beelzebub
austreibe, durch wen treiben sie eure Kinder aus? Darum werden sie eure Richter
sein. So ich aber durch Gottes Finger die Teufel austreibe, so kommt je das
Reich Gottes zu euch. Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast bewahrt, so
bleibt das Seine mit Frieden. Wenn aber ein Stärkerer über ihn kommt und
überwindet ihn, so nimmt er ihm seinen Harnisch, darauf er sich verließ, und
teilt den Raub aus. Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich; und wer nicht
mit mir sammelt, der zerstreuet. Wenn der unsaubere Geist von dem Menschen
ausfährt, so durchwandelt er dürre Stätten, sucht Ruhe und findet sie nicht; so
spricht er: Ich will wieder umkehren in mein Haus, daraus ich gegangen bin. Und
wenn er kommt, so findet er’s mit Besemen gekehrt und geschmückt. Dann geht er
hin und nimmt sieben Geister zu sich, die ärger sind als er selbst; und wenn
sie hineinkommen, wohnen sie da; und wird hernach mit demselben Menschen ärger
denn vorher. Und es begab sich, da er solches redete, erhob eine Frau im Volk
die Stimme und sprach zu ihm: Selig ist der Leib, der dich getragen hat, und
die Brüste, die du gesogen hast. Er aber sprach: Ja, selig sind, die das Wort
Gottes hören und bewahren.
Als Christus, wie wir hören, einen Teufel
ausgetrieben hatte, so machten ihm einige Pharisäer einen gotteslästerlichen
Vorwurf: „Er treibt die Teufel aus durch Beelzebuch, den Obersten der
Teufel.“ Hierauf zeigt daher Christus erstens, wie er das Reich des Teufels
in den Menschen zerstöre und sich also nicht als seinen Freund, sondern als
seinen mächtigsten Feind und Überwinder erweise. Zuletzt aber zeigt Christus,
wie es auch oft geschehe, dass der Satan aus einem Menschen vertrieben werde,
aber mit sieben ärgeren bösen Geistern in den Menschen zurückkehre, wenn dieser
nämlich abfalle und ihm wieder in seinem Herzen Raum gebe.
Ich spreche daher aufgrund des letzten
Teiles der Rede Christi zu euch:
Von
dem traurigen Rückfall aus der Gnade
1.
Wie derselbe geschehe, und
2.
Welche traurigen Folgen er habe.
O HERR Jesus Christus! Du bist für alle
Sünder gestorben und hast sie dir alle zu deinen Schafen mit deinem Blut teuer
erkauft, und du weidest nicht nur die, die dich schon für ihren Hirten
erkennen, sondern suchst auch diejenigen emsig und ängstlich, die sich von dir
verloren haben und in der Irre dahingehen. O, gehe auch allen deinen verlorenen
Schäflein unter uns jetzt nach und lass die Predigt des Evangeliums ihnen eine
Stimme sein aus deinem Mund, die ihnen zuruft: Kehrt wieder! Und lass diese
Stimme mächtig in ihr Herz dringen, dass dasselbe göttlich bewegt werde, noch
diese Stunde dich, ihren guten Hirten, wieder aufzusuchen. Und dann, dann
erhalte die zu dir Versammelten bei dir, bis du uns alle versammelt haben wirst
in deinen himmlischen Schafstall. Amen.
1.
Christus spricht in unserem Evangelium: „Wenn der unsaubere Geist von dem
Menschen ausfährt, so durchwandelt er dürre Stätten, sucht Ruhe und findet sie
nicht; so spricht er: Ich will wieder umkehren in mein Haus, daraus ich
gegangen bin.“ Mit diesen Worten will der HERR sagen: Wenn ein Mensch aus der
geistlichen Gewalt des Satans gerissen und durch den Glauben in Christi
Gnadenreich aufgenommen worden ist, so verzweifelt der Satan nicht etwa daran,
einen solchen Menschen doch noch zu verführen und um seine Seligkeit doch noch
zu betrügen; nein, er durchwandelt dürre Stätten, das heißt, er wirkt dann in
den Herzen der Ungläubigen, die schon von ihm verblendet sind; aber diese
Herzen sind dem Satan kein angenehmer Aufenthalt; sie sind ihm wie Wüsteneien;
er sehnt sich daher wieder zurück in das frische Herz dessen, der Christus in
sich aufgenommen hat. Es liegt dem bösen Geist, so zu sagen, mehr am Herzen,
wenn er nur einen wahren Christen wieder herumbringen und von Christus abfällig
machen kann, als dass er tausend sichere Sünder schon an seinen
Stricken führt. Er schleicht daher dem wahren Christen
Tag und Nacht auf allen seinen Wegen und #Stegen nach und wart et auf einen
günstigen Augenblick, wo er sich in seiner Seele wieder auf den Thron schwingen
und ihn zum Abfall bringen kann.
Wenn nun der
HERR weiter spricht: „Und wenn er kommt, so findet er’s mit Besemen gekehrt
und geschmückt“, so gibt uns Christus hiermit an, wie es möglich
ist, dass derjenige, der in Gnaden steht, doch wieder in Gottes Ungnade, in
Blindheit und Sünde fallen könne; es geschieht dies nämlich dann, wenn ein
Gläubiger sein Herz vor dem Satan nicht wirklich verschließt, ja, es gleichsam
mit Besemen kehrt und schmückt, das heißt, es zurüstet und zubereitet, dass der
böse Geist wieder eine offene Tür und eine willige Aufnahme als ein erwünschter
Gast darin findet. Wir sehen hieraus: Mit Gewalt kann derjenige nicht aus der
Gnade gestoßen werden, der Christus im Herzen trägt, denn Christus ist stärker
als alles; nichts kann uns aus seiner Hand reißen; er macht seine Gläubigen so
mächtig, dass sie durch ihn alles vermögen; werden sie daher wieder überwunden,
so sind sie selbst schuld.
Fragt ihr
daher, wie denn der traurige Rückfall aus der Gnade geschehe? Fragt ihr: Wie
ist es doch möglich, dass ein Mensch, der auf den seligen Himmelsweg gekommen
ist, wieder davon abgehen könne? Und dass der, der das Heil gefunden hat, es
wieder fahren lassen und verlieren könne, so antworte ich dieses.
Es gibt zwar
nur Einen Weg, zum Glauben zu kommen, aber tausend Abwege und Arten, auf
welchen man wieder von ihm abkommen kann. Manche verlieren Gottes Gnade
durch einen allmählichen, langsamen Fall, wie dies bei den Verräter Judas
geschehen zu sein scheint; andere hingegen fallen plötzlich, wie David durch
Ehebruch und Petrus durch seine Verleugnung. Manche wissen es nicht, dass sie
gefallen sind, wie der Bischof zu Laodicea, welchem Christus sagen musste: „Du
sprichst: Ich bin reich und habe gar satt und bedarfst nichts und weißt nicht,
dass du bist elend und jämmerlich, arm, blind und bloß“; andere hingegen wissen
es recht wohl, dass sie gefallen sind, wie Kain; diese geraten daher oft
endlich in Verzweiflung. Manche fallen äußerlich ab, dass es jedermann sehen
kann, sie verlieren den lebendigen Glauben nicht nur aus ihren Herzen, sondern
gehen auch öffentlich zu Falschgläubigen oder noch, wie Demas, zur Welt über,
sie werden aus rechtgläubigen Christen Schwärmer, aus Bekennern der reinen
Lehre Werkzeuge des Antichrists oder sonst Lästerer, Spötter und Verfolger;
andere hingegen fallen nur innerlich ab, sie bleiben in der äußerlichen
Gemeinschaft der Christen, sie gehen noch immer zur Kirche und zum heiligen
Abendmahl; sie reden noch immer, als wären sie die besten Christen, viel von
göttlichen Dingen; sie behalten mit einem Wort, wie der Apostel sagt, den
Schein eines gottseligen Wesens, aber seine Kraft verleugnen sie, wie der
Bischof zu Sardes, welchem Christus sagen ließ: „Du hast den Namen, dass du lebst,
und bist tot.“ Manche fallen so, dass sie wieder ganz leichtfertig, ja,
lasterhaft werden und sich wie das unreinste Tier nach der Schwemme wieder in
dem Kot aller Sünden wälzen; andere hingegen fallen so ab, dass sie nur das
willige, fröhliche Herz zum Gutestun, das rechte evangelische Wesens verlieren
und in ein gesetzliches ängstliches Treiben geraten.
Ihr seht
hieraus, meine Lieben, dass der Rückfall aus der Gnade auf gar verschiedene
Weise geschieht; es ist daher freilich eine gar ernste Prüfung nötig, ob man
noch stehe; denn bist du nicht gerade so gefallen wie der oder jener, so bist
du vielleicht doch gefallen, nur anders; wenn nicht plötzlich, vielleicht
allmählich? Wenn nicht bewusst, vielleicht unvermerkt? Wenn nicht äußerlich,
vielleicht doch innerlich? Wenn nicht auf eine grobe Weise, vielleicht auf eine
subtile Weise? – Ach, wie manche legen die Hand an den Pflug und sehen wieder
zurück! Wie manche beginnen im Geist und endigen im Fleisch! Wie manche gehen
fröhlich aus dem Ägypten dieser Welt aus, gehen mit durch das Rote Meer der
ersten Versuchungen und sehen sich doch endlich wieder nach den Fleischtöpfen
Ägyptens, kommen endlich in der Wüste um und erreichen das himmlische Kanaan
nicht!
Wie fängt es
denn nun aber Satan an, einen Menschen, der seine Ruhe schon in Christus und
seinem Evangelium gefunden hat, aus seiner Festung herauszulocken und ihm seine
Krone zu rauben? Um dieses zu erreichen, schlägt der Versucher hauptsächlich
zwei Wege ein; entweder sucht er den Menschen in mutwillige und
seelengefährliche Irrtümer oder in Sünden gegen sein Gewissen zu stürzen.
Es ist freilich
wahr, dass nicht jeder Irrtum, in welchen ein Gläubiger gerät, sogleich den
Gnadenstand umstößt; aber jeder Irrtum ist doch ein Gift für die Seele, das ihr
den Tod droht, und wer wissentlich und mutwillig in einem Irrtum
verharrt, leidet ebenso wohl an seinem Glauben Schiffbruch wie derjenige, der
mutwillig sündigt. Der Glaube hat ja keinen anderen Grund als das Wort Gottes:
Wie kann daher der wahre Glaube in einem Menschen bleiben, der wissentlich von
Gottes Wort abweicht? Wie kann da die Liebe zu Gott bleiben, wo sich die Liebe
zu Gottes offenbarter Wahrheit oder zur reinen Lehre verliert? Ein Mensch, der
da aufhört, es mit jedem Wort der Schrift genau zu nehmen, dessen ganzes
Christentum ist endlich nicht mehr auf das Wort, sondern auf sein trügerisches
Herz gebaut. Ein merkwürdiges Beispiel, wie die besten Christen durch falsche
Lehre zum Rückfall aus der Gnade gebracht werden können, sind die Galater,
welche nach des Paulus Weggang falschen Lehrern Gehör gaben und sich nur die
Lehre von der Rechtfertigung verkehren und verfälschen ließen. Diesen musste
der heilige Apostel endlich zurufen: „So auch wir oder ein Engel vom Himmel
euch würde Evangelium predigen anders, als das wir euch gepredigt haben, der
sei verflucht. – O ihr unverständigen Galater, wer hat euch bezaubert, dass ihr
der Wahrheit nicht gehorcht? – Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das
Gesetz gerecht werden wollt, und seid von der Gnade gefallen. – Ihr lieft fein;
wer hat euch aufgehalten? – Ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig. –
Wer euch irre macht, der wird sein Urteil tragen, er sei, wer er wolle.“ Hier
sehen wir: Es ist mit der falschen Lehre nicht zu scherzen; auch ein wenig
Abweichen von der Wahrheit kann um Seele und Seligkeit bringen. Darum macht der
Satan die Christen oft neugierig, falsche Bücher zu lesen, falsche Predigten zu
hören und mit falschen Brüdern vertraute Gemeinschaft zu halten; hat er nun
dadurch einen Menschen gegen die Wahrheit gleichgültig gemacht, so macht er ihn
auch endlich selbst in den wichtigsten Lehren ungewiss und verwandelt seinen
göttlichen Glauben in einen menschlichen; denn ist der Glaube nicht mehr auf
das Wort Gottes allein gegründet, so ist der Glaube nur ein Schein, mit dem man
verloren geht. Darum werden wir auch so oft ermahnt, bei Christi Rede zu
bleiben, ob dem Wort, das gewiss ist, zu halten, uns vor falschen Propheten
vorzusehen und nicht einem jeglichen Geist zu glauben, sondern die Geister zu
prüfen, ob sie aus Gott sind. Wozu wären alle diese Ermahnungen gegeben, wäre
falsche Lehre nicht so verderblich und seelengefährlich? Ein anderer Weg
jedoch, auf welchem der Satan die Christen aus der Gnade zu stoßen trachtet,
ist dieser, dass er sie entweder plötzlich in grobe Sünden stürzt oder sie nach
und nach wieder unter die Herrschaft der Sünde zu bringen sucht; und zwar
hauptsächlich zu drei Sünden, entweder nämlich zu Stolz oder zu Wollust oder zu
Geiz. Viele hören auf, über ihr Herz zu wachen, da steigt denn die Hoffart
wieder empor, sie verlieren die Armut des Geistes und den demütigen Sinn, nach
welchem sie sich erst für nichts achteten und über keinen Menschen erhoben; sie
betrachteten, was sie tun, mit Selbstgefälligkeit; sie werden aufgeblasen wegen
ihrer Erkenntnis; sie verlassen die Einfalt, grübeln über zu hohe Dinge nach
und vergessen dabei die Hauptsache; sie verlieren die Erkenntnis ihrer selbst,
sie werden blind und rechthaberisch, wollen sich nicht mehr strafen lassen,
entschuldigen endlich alle ihre Sünden und fallen so, ohne dass sie es oft
wissen, greulich aus der Gnade; sie reden noch immer davon, dass sie an
Christus glauben, aber ihr ungebrochenes Herz weiß nichts davon.
Andere wachen
nicht über ihr Fleisch sie fangen wieder an, es zu pflegen und gute Tage in
dieser Welt zu suchen; sie werden träge im Beten, Lesen und Hören des Wortes
Gottes; sie kommen auf die Gedanken: Da der Mensch ja einmal mit seinen Werken
nichts verdienen könne, wozu sei es da nötig, sich so ernstlich selbst zu
verleugnen? Sie fangen daher wieder an, die Vergnügen der Welt mitzumachen und
sich der Welt gleichzustellen und nennen das christliche Freiheit; um dem Spott
der Welt auszuweichen, verleugnen sie Christus und seine Wahrheit häufig und
nennen das christliche Klugheit, und ehe sie es denken, sind sie auf diese
Weise pure Weltmenschen geworden, die nichts behalten als einige christliche
Floskeln.
Andere endlich
fallen aus der Gnade durch Liebe zum Zeitlichen und durch falsches Vertrauen
darauf. Erst als wahre Christen achten sie alles Zeitliche nichts, aber sie
werden vielleicht gesegnet mit zeitlichen Gütern; anstatt diese nur dazu
anzuwenden, den armen Brüdern auf alle mögliche Weise zu helfen und für Kirche,
Schule und Gottesdienst damit ein Opfer zu bringen, hängen sie ihr Herz daran;
sie werden immer begieriger, mehr zu erlangen, sie machen immer größere Pläne,
stecken ihr Kapital in immer neue Unternehmungen, dass sie ja eine
Entschuldigung haben, wenn sie einem Armen, der in Not ist, damit helfen
sollten; sie werden, je mehr sie zusammenscharren, anstatt freigiebiger, nur
karger und geiziger, und so verlieren sie Christus und sie sprechen im tiefsten
Grund ihres Herzens endlich zu dem Goldklumpen: „Mein Trost!“ Andere hingegen,
die Gott mit Zeitlichem nicht segnet, sondern mit Kummer und Mangel speist,
werfen oft alles Vertrauen auf Gott weg, verfallen in Traurigkeit dieser Welt
und fallen so endlich in Tod und Verdammnis.
Seht, so tilgt
man selbst seinen Namen wieder aus dem Buch des Lebens, so wird man aus einem
Kind der Gnade ein Kind des Zorns und tritt unvermerkt aus dem unsichtbaren
Reich Jesu Christi, des Gnadenkönigs, und wird ein Sklave des Satans, des
Fürsten der Finsternis.
2.
Lasst mich nun
noch einige Worte darüber hinzusetzen, welche traurigen Folgen ein solcher
Rückfall aus der Gnade habe. Dieses beschreibt Christus in unserem Text so: „Dann
geht er hin und nimmt sieben Geister zu sich, die ärger sind als er selbst; und
wenn sie hineinkommen, wohnen sie da; und wird hernach mit demselben Menschen
ärger denn vorher.“ Christus sagt also: Wer aus der Gnade fällt, verliert
nicht nur die empfangene Gnade, sondern gerät auch in ein siebenmal größeres
Verderben als das war, in welchem er vor seiner Bekehrung lag.
Das ist ja
fürwahr schrecklich. Aber die tägliche Erfahrung bestätigt es. Hat ein Mensch
vormals die Wahrheit erkannt, und wird er abtrünnig, lässt er sich zu Irrtümern
verführen, fällt er von der wahren rechtgläubigen Kirche ab und geht er zu
einer irrgläubigen, schwärmerischen Sekte oder gar zu dem antichristlichen
Papsttum über, so ist dann ein solcher Mensch ein bitterer Feind der Wahrheit
als alle diejenigen, welche im Irrtum aufgewachsen sind. Sieben Teufel ziehen
in die Seele eines solchen Abgefallenen ein, wenn zuvor, ehe er die Wahrheit
erkannte, nur Ein böse Geist seine Seele beherrschte. Es ist dann mehr
Hoffnung, dass der größte Spötter, der von Jugend auf im Unglauben erzogen
wurde, endlich noch zur Erkenntnis der Wahrheit komme, als dass ein solcher
Verleugner der vormals erkannten Wahrheit wieder erleuchtet werde und umkehren
sollte. Siebenfache Finsternis deckt nun seine elende Seele, und schon jauchzt
der böse Feind, dass er nun nimmer wieder Gnade finden werde. Die Geschichte
berichtet uns auch schreckliche Beispiele genug, wie wissentliche Verleugner
der Wahrheit endlich zwar aufgewacht, aber trostlos verzweifelt sind. O, wie
nötig ist es also, dass man sein Herz bewahre, dass man von der Pest des
Irrglaubens und Unglaubens nicht angesteckt werde, sondern in heller Erkenntnis
der seligmachenden Wahrheit bleibe!
Gleiche Folgen
hat es aber auch bei denen, welche durch Sünden wider das Gewissen aus der
Gnade fallen. Es ist leichter, dass der gottloseste Weltmensch endlich aus
seinem Sündenschlaf erweckt und bekehrt werde, als dass ein Christ, der den
Geist der Gnade wieder von sich getrieben hat und ein abgefallener geheimer
Heuchler oder offenbarer Verächter Christi und seines Evangeliums
geworden ist, wieder zur Gemeinschaft Christi zurückkomme. Entweder ist ein
solcher in so großer Verblendung, dass er sich immer noch für bekehrt hält,
oder er verzagt gänzlich, dass für ihn noch Hilfe sei, oder endlich er tritt
freventlich das Blut der Versöhnung mit Füßen und schmäht den Geist der Gnade,
so dass er nun nicht mehr erneuert werden kann. Daher werden solche Menschen in
der Heiligen Schrift kahle, zweimal erstorbene Bäume genannt, die schwerlich
wieder grünend werden und Früchte bringen und nun reif sind zum ewigen Feuer;
und St. Petrus gibt die wichtige Warnung: „So sie entflohen sind dem Unflat der
Welt durch die Erkenntnis des HERRN und Heilandes Jesus Christus, werden aber
wiederum in denselben geflochten und überwunden, ist mit ihnen das Letzte ärger
geworden als das Erste. Denn es wäre ihnen besser, dass sie den Weg der
Gerechtigkeit nicht erkannt hätten, als dass sie ihn erkennen und sich kehren
von dem heiligen Gebot, das ihnen gegeben ist.“
O, wer kann
daher den Jammer, das Unglück und das Elend mit Worten beschreiben, worein sich
derjenige stürzt, der, es sei durch Irrtum oder durch Sünde, das Kleinod, das
er schon einmal erfasst hatte, wieder von sich wirft! Beweinenswürdige
Menschen! Denn gerade umso kläglicher ist ihr Fall, je weniger sie ihn erkennen
und darüber bekümmert sind.
Nun, meine
Lieben, ich habe euch heute einen hellen Spiegel vorgehalten, in welchem
diejenigen gewiss ihr Bild finden werden, die entweder abgefallen oder noch nie
aufgestanden sind, wenn sie nicht mutwillig die Augen selbst dagegen
verschließen.
O ihr, die ihr
von eurem geheimen oder offenbaren Rückfall überzeugt worden seid, ich frage
euch: Wollt ihr denn nicht wieder aufstehen? Wollt ihr denn nicht wieder
umkehren? Jesus Christus ruft euch jetzt wieder durch die Predigt seines
Evangeliums zu sich zurück; säumt doch keinen Augenblick; die Gefahr eurer
Seele wächst wie das Wasser einer Überschwemmung mit Macht von Stunde zu
Stunde. Entfernt euch nicht immer weiter und weiter, bis ihr vielleicht endlich
Christi Gnadenruf gar nicht mehr hört. Meint aber auch nicht, es sei nun zu
spät; nein, das flüstert euch nur der Satan ein, nachdem er euch in Irrtum oder
Sünde gestürzt hat; lasst euch mit dem Strick der Verzweiflung nur nicht
binden; zerreißt ihn durch die Gnade, die euch noch jetzt verkündigt wird.
Christus hat Gaben empfangen auch für die Abtrünnigen, also auch für dich.
Seufze mit David und weine mit Petrus, so wirst du auch mit ihnen wieder Gnade
finden. Ist’s auch schwer, dass ein Gefallener wieder aufstehe, so ist’s doch
auch leicht, wenn er nur die Gnade auf’s Neue annimmt und schnell wieder
umkehrt, wie der verlorene Sohn, sobald er sein Elend erkennt.
Sprich nicht: Ich hab’s zu grob gemacht,
Ich hab die Güter seiner Gnaden
So lang und schändlich umgebracht,
Er hat mich oft umsonst geladen.
Wofern du’s nur jetzt redlich meinst,
Und deinen Fall mit Ernst beweinst:
So soll ihm nichts die Hände binden
Und du sollst noch Genade finden.
Er hilft, wenn sonst nichts helfen kann:
Mein Heiland nimmt die Sünder –
Wohl uns! – er nimmt uns alle, alle an.
Amen.
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus und
die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Jeder Mensch trägt in seinem Herzen schon
von Natur ein festes Verlangen, glücklich zu sein. So verschieden aber die
Dinge sind, in denen die Menschen von Natur ihr Glück, ihren Frieden, ihre Ruhe
suchen, so sind es doch bei allen natürlichen Menschen Dinge dieser Welt oder
das Zeitliche. Der Eine sucht sein Glück in einem bequemen, ruhigen, mühelosen
und sorgenfreien Leben, ein anderer in täglichem guten Essen und Trinken, ein
Dritter in einem großen, weitverzweigten Geschäft, ein Vierter in Sammlung von
Schätzen und Vergrößerung seines Vermögens, ein Fünfter in Erlangung von
Ehrenstellungen und überhaupt in hohem Ansehen unter den Menschen, ein anderer
in den gewöhnlichen Weltvergnügungen, in Tanz und Spiel, in Theatern und
Konzerten, in öffentlichen Trink- und Lärmgelagen, ein anderer in modischen,
prächtigen und auffallenden Kleidern oder in der Pracht seiner Wohngebäude und
Zimmer und in dem Glanz seines Haushaltens, andere wohl gar in der ungestörten
Ausübung gewisser Schoßsünden.
So lange nun ein Mensch noch in solchen
Dingen sein Glück in der Welt sucht, so ist das ein Zeichen, dass er nach kein
wahrer Christ, sondern höchstens ein bloßer Namenschrist ist. Denn wenn ein
Mensch einmal von Gottes Wort erleuchtet und getroffen wird, und wenn er nun
anfängt, sich ernstlich um das Eine, das not ist, zu kümmern und zu fragen: Was
muss ich tun, dass ich selig werde? Dann sieht der Mensch ein, dass nichts
Zeitliches Ruhe und Frieden der Seele ihm geben, und dass nichts Irdisches,
kein noch so großer irdischer Reichtum, keine für das Fleisch noch so reizenden
weltlichen Vergnügungen und keine noch so große Ehre bei den Menschen ihn
glücklich machen könne. Entschließt sich daher ein solcher von Gottes Wort
getroffener Mensch, von nun an für das Heil seiner Seele wirklich zu sorgen und
ein wahrer Christ zu werden, dann gibt er der Welt und aller ihrer
Herrlichkeit, ihren Schätzen, Lüsten und Ehren, einen vollständigen Abschied,
sondert sich von der Welt ab, lebt eingezogen und sucht sein Glück und seine
Freude in Gott, in seinem Wort und in seiner Gnade. Er spricht von Herzen, wie
es in dem Lied heißt:
Weg mit allen
Schätzen,
Du bist mein
Ergötzen,
Jesus, meine Lust!
Weg, ihr eitlen
Ehren,
Ich mag euch nicht
hören,
Bleibt mir
unbewusst!
Elend, Not,
Kreuz, Schmach und
Tod
Soll mich, ob ich
viel muss leiden,
Nicht von Jesus
scheiden.
Gute Nacht, ihr
Wesen,
Das die Welt
erlesen,
Mir gefällst du
nicht.
Gute Nacht ihr
Sünden,
Bleibet weit
dahinten,
Kommt nicht mehr
ans Lícht!
Gute Nacht,
Du Stolz und
Pracht,
Dir sei ganz, du
Lasterleben,
Gute Nacht
gegeben.
O
selig ist der Mensch, der, von dem Blitzstrahl des Wortes Gottes getroffen und
dadurch zum geistlichen Leben erwacht, diesen großen Entschluss fasst! Der hat
den breiten Weg zum Verderben, den Millionen Menschen in ihrer Sicherheit
wandeln, verlassen und den schmalen Himmelsweg betreten.
Fängt aber nun ein Mensch ein solches von
aller Eitelkeit der Welt zurückgezogenes gottseliges Leben an, so halten ihn
die Weltmenschen nicht nur für einen Sonderling und für einen Toren, sondern
sie sehen ihn auch für einen recht unglücklichen und bedauernswürdigen Menschen
an. Sie denken: Was hat doch ein solcher Christ in dieser Welt? Was dass Leben
heiter und angenehm macht, das versagt er sich. Die Plätze des Vergnügens, die
auch ihm offen stünden, flieht er und liest unterdessen in der Bibel, betet und
singt und quält sich mit den Gedanken an seine Sünden, an Gott, Tod, Gericht
und Ewigkeit ab. Der Weg der Ehre wäre ihm auch nicht verschlossen, aber er
weicht aus und macht sich durch seine überspannte Religiosität zu einem
Gegenstand der Verachtung und des Spottes. Die Mittel, reich zu werden, stünden
auch ihm zu Gebot, aber er gebraucht sie nicht, macht sich über alle
Kleinigkeiten, die einmal in den Geschäften, bei welchen man etwas
Erkleckliches verdienen will, nicht zu vermeiden sind, unnötige Gewissensskrupel.
Ein solcher Christ tritt sein Glück mit Füßen, schafft sich die schöne Welt
selbst zu einem Jammertal um, macht sich selbst unglücklich.
So denken Welt5menschen von gottseligen
Christen. Aber sollte dieses Urteil wirklich begründet sein? Sollte ein Christ
durch sein Christentum, durch seine Absonderung von der Welt, durch seine
Gewissenhaftigkeit und Gottseligkeit wirklich wenigsten zeitlich sich
unglücklich machen? – Ich sage hierzu: Nein! Und alle wahren Christen werden
mit mir hierzu Nein sagen. So viel auch Christen sich versagen, worin ein
Weltmensch sein Glück, ja, seinen Himmel auf Erden sucht, so gewinnen sie doch
dabei nicht nur das Himmlische, sondern gerade sie sind auch im Zeitlichen die
Glücklichsten. Dies lehrt uns unser heutiges Evangelium.
Johannes 6,1-15: Danach fuhr Jesus weg über das Meer an
der Stadt Tiberias in Galiläa. Und es zog ihm viel Volks nach, darum dass sie
die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber ging hinauf auf einen
Berg und setzte sich daselbst mit seinen Jüngern. Es war aber nahe Ostern, der
Juden Fest. Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm
kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, dass diese essen? (Das
sagte er aber, ihn zu versuchen; denn er wusste wohl, was er tun wollte.)
Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Pfennig Brot ist nicht genug unter
sie, dass ein jeglicher unter ihnen ein wenig nehme. Spricht zu ihm einer
seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: Es ist ein Knabe hier, der
hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das unter so viele? Jesus
aber sprach: Schafft, dass sich das Volk lagere! Es war aber viel Gras an dem
Ort. Da lagerten sich bei fünftausend Mann. Jesus aber nahm die Brote, dankte
und gab sie den Jüngern, die Jünger aber denen, die sich gelagert hatten;
desgleichen auch von den Fischen, wieviel er wollte. Da sie aber satt waren,
sprach er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, dass nichts umkomme!
Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf
Gerstenbroten, die überblieben denen, die gespeist worden. Da nun die Menschen
das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet,
der in die Welt kommen soll! Da Jesus nun merkte, dass sie kommen würden und
ihn haschen, dass sie ihn zum König machten, entwich er abermals auf den Berg,
er selbst allein.
Aufgrund dieses Evangeliums lasst mich euch
jetzt zeigen:
Wie
glücklich diejenigen in Betreff des Zeitlichen sind, welche es nicht mit der
Welt, sondern mit Christus halten
Sie sind nämlich auch in dieser Beziehung
so glücklich, weil sie
1.
Frei sind von den ängstlichen Sorgen
für das Zeitliche, und
2.
Weil sie frei sind von der
peinigenden Begierde nach dem Zeitlichen.
1.
Die Geschichte, welche uns in unserem
heutigen Evangelium erzählt wird, ist, meine Lieben, nicht nur wunderbar wegen
des herrlichen Wunders, das Christus laut derselben einst getan, indem er mit
fünf Broten und zwei Fischen bei 5000 Mann, ungerechnet Frauen und Kinder,
gesättigt und zwölf Körbe voll Brocken übrig behalten hat; diese Geschichte ist
auch deswegen höchst wunderbar, dass so viele Tausende einst Christus
nachgezogen sind in eine öde, unfruchtbare, menschenleere Wüste, ohne sich mit
Nahrung zu versehen, und dass sie einen ganzen Tag lang bis zu dem
Hereinbrechen der Nacht daselbst bei Christus geblieben sind und sein Wort
gehört haben, unbesorgt, wie sie den eintretenden Hunger stillen würden. Woher
mag wohl diese glückliche Sorglosigkeit um das Zeitliche bei dem Volk gekommen
sein? Nicht daher, weil sie schon erfahren hatte, wie Christus auch in der
Wüste einen Tisch decken könne, denn die in unserem Evangelium erzählte
wunderbare Speisung war die erste, welche Christus einst verrichtet hat. Von
dieser wunderbaren Erscheinung können wir den Grund in nichts anderem suchen
als darin, dass Christus durch seine Nähe, durch sein Wort jenen Leuten alle
Sorgen um das Zeitliche von dem Herzen nahm.
Und so ist es. Den noch jetzt ist’s so: So
lange ein Mensch nichts von Christus weiß, oder doch nicht zu einem lebendigen
Herzensglauben an Christus gekommen ist und so lange er es noch mit der Welt
hält, so lange kann der Mensch das ängstliche Sorgen um das Zeitliche nicht
lassen.
Betrachtet nur die Welt, so werdet ihr
finden: Unter den Kindern dieser Welt ist ein unaufhörliches Sorgen und Grämen
für den anderen Morgen, für die Zukunft. Nicht etwa nur der Arme, der wirklich
keine Aussicht hat, woher er morgen Brot nehmen solle für sich und seine
Familie, sorgt und grämt sich ab, sondern auch der, dem es gegenwärtig an
nichts gebricht. Mit bangem Herzen denkt er: Jetzt wärst du wohl versorgt; dien
Geschäft ernährt dich gut; aber wenn du nun vielleicht längere Zeit krank
werden solltest, wie dann? Wen du alt und schwach sein und wenn du dich dann
deiner Hände Arbeit nicht mehr wirst ernähren können, wie dann? Treten nun
vollends solche Notzeiten ein, o welche Sorgen, welche Kümmernisse erfüllen und
beschweren dann das arme herz! Welche tiefen Seufzer entsteigen dann der
beklemmten Brust! Welche schweren, langen, schlaflosen Nächte durchwacht dann
der, wie er meint, von Gott und Menschen verlassene Hausvater! Ja, noch mehr!
Selbst die Wohlhabendsten und Reichsten sind fort und fort von den
ängstlichsten Sorgen um das Zeitliche erfüllt. Haben sie große Kapitale
ausstehen, so sorgen sie, sie durch böse Schuldner oder Unglücksfälle verlieren
zu können; haben sie prächtige Wohnhäuser, so sorgen sie, durch Feuersbrünste
oder anderes Missgeschick darum kommen zu können; haben sie ein großes,
weitverzweigtes Geschäft, so sorgen sie, durch ihre Handelswagstücke oder durch
diese und jene Verbindung einmal plötzlich gestürzt werden zu können. O,
sollten alle Weltkinder, und wenn sie am glücklichsten zu sein schienen, ihre
Herzen uns öffnen so würden wir sehen, dass sie alle mit Sorgen aufstehen, und
dass die Sorge sie selbst an ihre Vergnügungsplätze hin begleitet und ihnen
nirgends Ruhe lässt, wo sie gehen und stehen.
Die Sorge ist der schwere Stein, den die
Weltkinder fort und fort noch selbst auf die Last ihrer Not legen, dass sie
ihnen unerträglich wird; und die Sorge ist die bittere Pille, die sie selbst
sich in den Kelch aller ihrer Freude werfen und die sie ihnen vergällt und
verbittert. Was ist daher alles Glück, das die Kinder dieser Welt genießen? Es
sind kurze, süße Träume und Berauschungen, aus denen sie immer nur zu bald mit
Schmerzt und Seufzen erwachen.
Kommt nun ein Mensch zu einem lebendigen
Glauben an Jesus Christus, hält er es daher nicht mehr mit der Welt, sondern
mit Christus, o, welch eine selige Veränderung geht da mit ihm vor! Ein solcher
Mensch hat nun die feste Zuversicht, dass ihm alle seine Sünden vergeben seien,
dass ihm Gott gnädig sei und dass er Gott gefalle um Christi willen, dass er
Gottes Kind und dass Gott sein Vater sei. Dieser Glaube nimmt ihm auf einmal
alle seine vorigen ängstlichen Sorgen für das Zeitliche aus seinem Herzen. Ist
er arm, so denkt er: „Was will ich sorgen? Ich diene ja einem reichen HERRN,
der wird mich schon versorgen; er ernährt ja die Vögel des Himmels und kleidet
die Lilien auf dem Feld, wieviel mehr wird er das mir tun? Hat er bei seiner
Armut vielleicht auch eine große Kinderschar, so denkt er: Was will ich sorgen?
Nicht ich, sondern Gott ist ihr rechter Vater; ich soll sie nur in seiner
Furcht und in der Ermahnung zu ihm erziehen; er wird daher auch als der rechte
Vater meiner Kinder für sie sorgen. Ist mein Herz schon voll Mitleid und
Erbarmen gegen die mir anvertrauten Kinder, dass ich sie nicht verlassen kann,
wieviel weniger wird ihr himmlischer Vater sie verlassen! Kommt nun zur Armut
eines Christgläubigen auch noch Krankheit und andere Trübsal, so denkt er auch:
Was soll ich sorgen? Gott hat alle meine Haare gezählt, ohne seinen Willen kann
mir nichts geschehen, von ihm kommt nicht nur Glück, sondern auch Unglück; nun
hat er aber verheißen, er will seine Kinder nicht über Vermögen versucht werden
lassen, sondern machen, dass die Versuchung ein solches Ende gewinne, dass sie
es können ertragen; wohlan, wenn seine Stunde kommen wird, dann wird er auch zu
meiner Not sprechen: Bis hierher und nicht weiter. „Warum betrübst du dich so,
meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, so werde ich ihm noch
danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.“ Geht es hingegen
einem Christgläubigen wohl im Irdischen, segnet ihn Gott mit zeitlichen Gütern,
so lässt er ebenso wenig ängstliche Sorgen darum in sein Herz. Er sieht alles,
was er hat, nicht für sein Eigentum, sondern nur für ein geliehenes Gut an,
damit er haushalten soll. Er denkt daher: Was soll ich sorgen? Nimmt mir Gott
wieder, was er mir anvertraut hat, so nimmt er mir nur eine Last ab, die ich
jetzt tragen muss.
Gut und Blut, Seel
und Leben
Ist nicht mein,
Gott allein,
Ist es, der’s
gegeben;
Will er’s wieder
zu sich kehren,
Nehm er’s hin,
Ich will ihn
Dennoch fröhlich
ehren.
Wie glücklich ist daher der Christgläubige
bei diesem Sinn auch in Betreff des Zeitlichen. Er ist einem Wanderer gleich,
der, eine leichte Last tragend, fröhlich in die Zukunft blickt und, seines
Ziels gewiss, munter dahin eilt über Berg und Tal; Gottes Wort ist sein Stecken
und Stab, auf den er sich stützt; Gottes Gnade seine Sonne des Tages und sein
Stern des Nachts, der ihm leuchtet; Gottes Geist sein Führer, der den Weg ihm
zeigt; Gottes Allmacht seine Bedeckung, die ihn schüt5zt; Gottes Verheißungen
seine Speise und sein Trank, damit er sich täglich stärkt, labt und erquickt.
Darum, liebe Zuhörer, wollt ihr im Betreff
des Zeitlichen glücklich sein, so verlasst mit eurem Herzen das Zeitliche und
hängt euer Herz an Christus und seine ewigen Güter; so werdet ihr Christus so
sorgenfrei überallhin folgen, wohin er euch führt, wie einst das Volk Christus
in die Wüste; und wie einst Christus den Glauben des Volkes nicht beschämte,
sondern für dasselbe sorgte, so wird er auch für euch sorgen. Die Welt wird
euch nicht bei Christus ein Jammertal werden, sondern Christus wird vielmehr das
Jammertal dieser Welt euch in eine grüne Aue verwandeln, darauf er euch weidet,
so dass ihr täglich bekennen müsst: „Der HERR ist mein Hirte, ich habe keinen
Mangel.“ Nie, nie wird es euch an dem fehlen, was ihr bedürft.
2.
Doch, meine Lieben, es ist freilich wahr:
Christus hat den Seinen nicht mehr verheißen als Nahrung und Kleidung. Sollten
also wohl wirklich alle diejenigen auch im Betreff des Zeitlichen so glücklich
sein, welche es nicht mit der Welt, sondern mit Christus halten? Ich antworte
auch hierauf getrost mit Ja, und zwar darum, weil sie auch frei sind von der
peinigenden Begierde nach dem Zeitlichen. Davon lasst mich nun zweitens zu euch
weiter sprechen.
So lange, meine Lieben, das Herz eines
Menschen noch nicht durch einen lebendigen Glauben an Christus umgewandelt ist,
so langer stört sein irdisches Glück nicht nur die Sorge um das, was er hat,
sondern auch die Begierde nach dem, was er noch nicht hat. Weil nämlich das
Herz des Menschen schon von Natur ein brennendes Verlangen hat, vollkommen
glücklich zu sein, der Mensch aber das Glück nicht im Irdischen und Zeitlichen
finden kann, so denkt der natürliche Mensch immer, dass er nicht glücklich sei,
das liege daran, dass ihm noch dieses und jenes von zeitlichen Gütern fehle. Er
ist daher nie mit dem, was er schon hat, zufrieden. Ist er wohlhabend, so
möchte er reich werden; ist er reich, so möchte er noch reicher werden. Hat er
ein einträgliches Geschäft und wohnt er zur Miete, so möchte er auch ein
Häuslein haben; hat er ein Häuslein, so möchte er einen Palast haben; hat er
einen Palast, so möchte er deren mehrere haben. Ist er ein Pächter, so möchte
er ein Stücklein Land haben; hat er endlich ein Stücklein Land, so möchte er
einen ganzen Landstrich haben. Steht er in einer Ehrenstelle, so möchte er
gerne noch höher steigen. Ist er ein Fürst, so möchte er ein König sein. Kurz,
der Mensch ist von Natur unersättlich. Je mehr er hat, desto größer werden seine
Wünsche; wie der, welcher Seewasser trinkt, dadurch nur immer durstiger wird.
Was ist aber die Folge dieser Begierde? Sie
lässt die armen Weltkinder nie zur Ruhe und zum Frieden kommen, sondern lässt
sie fried- und ruhelos laufen und jagen und das Glück suchen, das doch immer
weiter von ihnen flieht. Sie macht, dass der äußerlich Reichste in seinem
herzen elender als ein Bettler ist; sie macht, dass der äußerlich
Hochgestellteste in seinem Herzen elender als der Geringste und Niedrigste ist;
sie macht, dass der, welcher von einem Vergnügen zum anderen eilt, nirgends
mehr Vergnügen findet; sie macht, dass selbst dem König seine Krone zur Last
wird; kurz, sie macht, dass der äußerlich Beglückteste innerlich der Elendeste
ist. Daher spricht denn Salomo im 13. Kapitel seiner Sprüche: „Mancher ist arm
bei großem Gut, und mancher ist reich bei seiner Armut.“
Wer sind aber die, die selbst bei ihrer
Armut reich sind? – Das sind die, welche es nicht mit der Welt, sondern mit
Christus halten.
Ein Beispiel hierzu ist das Volk in unserem
Evangelium. Christus speiste dasselbe nur mit Gerstenbrot und ein wenig
Fischlein. Wie fröhlich sehen wir sie aber unter freiem Himmel auf dem grünen
Rasen sich lagern! Wie fröhlich sehen wir sie ihre einfache Mahlzeit halten!
Nachdem sie gesättigt sind, da rufen sie jubelnd aus: „Das ist wahrlich der
Prophet, der in die Welt kommen soll.“ Ja, sie sind so hocherfreut, dass
sie Christus nahen, um ihn in der Einfalt ihres Herzens zu ihrem König zu
machen.
Seht hieraus, meine Lieben, wie glücklich
diejenigen auch im Zeitlichen sind, welche es nicht mit der Welt, sondern mit
Christus halten. Solche sind nicht nur von der ängstlichen Sorge um das
Zeitliche, sondern auch von der peinigenden Begierde nach dem Zeitlichen
befreit. Weil sie das Eine gefunden haben, das not ist, Gottes Gnade und die
Gewissheit ihrer Seligkeit, so sind sie von ihrer natürlichen Unersättlichkeit
nach dem Irdischen geheilt. Christus gibt ihnen nicht nur genug, sondern sie
lassen sich auch damit genügen. In ihrem Herzen wohnt die Zufriedenheit. O, wie
glücklich sind daher die gläubigen Christen! Wie viel reicher achten sie sich
in ihrer Armut, wenn sie haben, was sie bedürfen, wenn ihnen Gott wieder ein
Kindlein schenkt, als wenn das reichste Weltkind sich in Samt und Seide kleiden
kann! Wie viel wohler ist ihnen in ihrer niedrigen Hütte und in ihrem ärmlichen
Stüblein, wen sie das Wort ihres Gottes bei Lampenlicht lesen, als dem
reichsten Weltkind in seinen geschmückten und prachtvoll erleuchteten Zimmern!
Wie viel glücklicher fühlen sie sich in ihrer Niedrigkeit und Verborgenheit,
als der ehrsüchtige Vornehme im Kreis seiner Neider! Wie viel fröhlicher sind
ihre Herzen bei den äußerlich kleinen Familienfreuden, die ihnen Gott schenkt,
als die reichen Weltkinder bei allen ihren glänzenden Gastmählern und
Festlichkeiten! Ja, wie selige Stunden himmlischen Vorschmacks haben sie oft
auf ihren Siechbetten und in ihren finsteren Unglückstagen, während die
Weltkinder in ihren beglücktesten Tagen die stimme in ihrem Inneren hören
müssen: Du bist doch nicht glücklich!
O, meine Lieben, so sucht denn euer Glück
nicht in der Welt; ihr findet es in der Welt so wenig, so wenig ihr euer Haus
mitten in das bewegte Meer bauen könnt. Die Weltkinder genießen von dem, was
sie haben, so wenig wahres Glück, so wenig das Lasttier an den schweren
Kostbarkeiten sich ergötzt, die es tragen muss. Findet ihr das Glück nicht in
euren Herzen durch den Glauben an Jesus Christus, so findet ihr es nirgends. Je
ernstlicher ihr aber der Welt und ihrer Eitelkeit Abschied geben, und je treuer
ihr Christus im Glauben und in der Liebe nachfolgen werdet, desto glücklicher
werdet ihr auch allezeit in Betreff des Zeitlichen sein. ja, in guten und bösen
Tagen, in Ehre und Schande, in Reichtum und Armut, im Leben und im Tod werdet
ihr bekennen müssen:
Wie wohl ist mir,
o Freund der Seelen,
Wenn ich in deiner
Liebe ruh!
Ich steige aus der
Schwermutshöhen
Und eile deinen
Armen zu.
Da muss die Nacht
des Trauerns scheiden,
Wenn nach so
angenehmen Freuden
Die Liebe strahlt
aus deiner Brust.
Du bist mein
Himmel schon auf Erden;
Wer sollte nicht
vergnüget werden,
Der in dir suchet
Ruh und Lust?
Weg, Welt! mit
allen Schmeicheleien;
Nichts kann, als
Jesus, mich erfreuen.
Amen! Amen!
Gott gebe euch viel Gnade und Friede durch
die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserem Heiland, geliebte
Zuhörer!
Dass viele die göttliche Wahrheit nicht
annehmen, davon liegt die Ursache sehr häufig auch darin, dass sie sich an der
Niedrigkeit, Verächtlichkeit oder auch sündlichen Gebrechlichkeit derjenigen
ärgern, welche sie predigen oder sich dazu bekennen. Als daher einst der teure
Herold des Evangeliums, Paulus, mit ungeschminkten Worten die göttliche
Wahrheit auf öffentlichem Markt zu Athen predigte, da nahmen sich die
gegenwärtigen Philosophen gar nicht die Mühe, des Apostels Lehre zu prüfen; sie
riefen vielmehr sogleich mit verächtlicher Miene aus: „Was will dieser
Lotterbube sagen?“ Daher kam es auch, dass vor 500 Jahren viele, besonders Hohe
und Gelehrte, die Reformation nicht annahmen; sie achteten es für zu
schimpflich, sich von einem elenden Mönch reformieren zu lassen. Dieser Sinn
ist uns Menschen angeboren, er wird daher auch noch jetzt an vielen offenbar.
Nicht wenige, wenn sie lesen, wie viele und große Sünden von jeher
selbst mitten in der Christenheit im Schwange gingen, machen daraus den
Schluss, die Wahrheit sei auch in dem Christentum nicht zu finden. Und wie
viele stoßen sich noch jetzt daran, wenn sie in solchen Gemeinden, in denen die
reine evangelische Lehre gepredigt wird, so viele sündhafte, unredliche Glieder
sehen, die, was sie mit Worten bekennen, durch ihre Werke verleugnen! Wie viele
wollen vom Evangelium nichts wissen, weil sie immer mehr in Erfahrung bringen,
dass die Prediger des Evangeliums auch arme, schwache Menschen sind, wie
andere, ja, dass es selbst unter den Predigern Heuchler gibt, deren böse Taten
oft wider Erwarten und zur Beschimpfung aller Christen offenbar werden! Wie
viele wollen darum lieber dar nichts von Kirche, von Gemeinde, von Predigern
und öffentlichem Gottesdienst wissen!
So gewiss aber viele dazu berechtigt zu
sein meinen, dann eine Lehre zu verwerfen, wenn sie von sündhaften befleckten
Personen vorgetragen und bekannt wird, so falsch und verwerflich ist der
Grundsatz, nach welchem sie hierbei entscheiden. Die Wahrheit bleibt Wahrheit,
es bekenne sie nun ein Engel oder ein Mensch, ein Heiliger oder ein Sünder, ein
erfahrener Greis oder ein unerfahrenes Kind, ein Kluger oder ein Einfältiger.
Gott hat beschlossen, sein seligmachendes Evangelium den Sündern durch Sünder
verkündigen zu lassen, und zwar aus großer Weisheit; denn wenn nur heilige
Engel uns predigten, so würden wir leicht oft auf die Gedanken kommen: Wüsste
der Engel, wie es einem Sünder zumute ist, so würde er nicht so predigen.
Damit soll jedoch freilich nicht gesagt
werden, dass daraus nichts ankomme, ob derjenige, der recht lehrt, auch
recht lebe. Das sei ferne! – Erfahrene Christen sehen wohl vor
allem auf die Lehre; dass diese rein sei, dies ist wohl ihnen die
Hauptsache; aber schwache Christen, und noch mehr Ungläubige
sehen hingegen mehr auf das Leben eines Predigers; ist diese
unsträflich, so erweckt das in den Ungläubigen Zutrauen auch zu seiner Lehre;
lebt hingegen ein Prediger unchristlich, dann reißt er selbst ein, was er mit
seiner Lehre bauen will; dann erweckt er selbst den Verdacht, dass er ein
falscher Prophet sei, der nicht den Weg zur Seligkeit, sondern zum Verderben
zeige. Groß ist daher die Verantwortung aller derer, welche die Wahrheit
predigen oder sich doch vor der Welt dazu bekennen. Ihnen besonders wird
zugerufen: „Es muss ja Ärgernis kommen, doch wehe dem Menschen, durch welchen
Ärgernis kommt!“
Sollten aber nun nicht die Ungläubigen
entschuldigt sein, da so viele, die sich zu der göttlichen Wahrheit bekennen,
ihnen mit ihren Sünden ein so schweres Ärgernis geben? – Nein, meine Lieben,
denn Gott hat den Menschen vom Himmel einen Lehrer gesendet, dessen heilige
Lehre mit seinem Leben in der vollkommensten bewunderungswürdigsten Harmonie
stand; einen Lehrer, dessen Wandel göttlich hell und rein strahlt, dass auch
das allesdurchdringende Auge Gottes, geschweige das eines Menschen, keinen
Flecken, auch kein Stäublein menschlicher Schwachheit darin finden kann; und
dieser Lehrer ist – Jesus Christus. Wie aber Christi vollkommener heiliger
Wandel eine öffentliche Beschämung des Unglaubens sei, davon lasst mich jetzt
zu euch sprechen.
Johannes 8,46-59: Welcher unter euch kann mich einer
Sünde zeihen? So ich euch aber die Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht?
Wer von Gott ist, der hört Gottes Wort. Darum hört ihr nicht; denn ihr seid
nicht von Gott. Da antworteten die Juden und sprachen zu ihm: Sagen wir nicht
recht, dass du ein Samariter bist und hast den Teufel. Jesus antwortete: Ich
habe keinen Teufel, sondern ich ehre meinen Vater, und ihr verunehrt mich. Ich
suche nicht meine Ehre; es ist aber einer, der sie sucht und richtet. Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: So jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod
nicht sehen ewiglich. Da sprachen die Juden zu ihm: Nun erkennen wir, dass du
den Teufel hast. Abraham ist gestorben und die Propheten, und du sprichst: So
jemand mein Wort hält, der wird den Tod nicht schmecken ewiglich. Bist du mehr
denn unser Vater Abraham, welcher gestorben ist? Und die Propheten sind
gestorben. Was machst du aus dir selbst? Jesus antwortete: So ich mich selber
ehre, so ist meine Ehre nichts. Es ist aber mein Vater, der mich ehrt, von
welchem ihr sprecht, er sei euer Gott, und kennt ihn nicht. Ich aber kenne ihn.
Und so ich würde sagen, ich kenne ihn nicht, so würde ich ein Lügner, gleichwie
ihr seid. Aber ich kenne ihn und halte sein Wort. Abraham, euer Vater, ward
froh, dass er meinen Tag sehen sollte; und er sah ihn und freute sich. Da
sprachen die Juden zu ihm: Du bist noch nicht fünfzig Jahre alt und hast
Abraham gesehen? Jesus sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ehe
denn Abraham ward, bin ich. Da huben sie Steine auf, dass sie auf ihn würfen.
Aber Jesus verbarg sich und ging zum Tempel hinaus, mitten durch sie
hinstreichend.
„Welcher
unter euch kann mich einer Sünde zeihen?“ so fragt Christus zu Anfang
unseres Textes seine Feinde und setzt hinzu: „So ich euch aber die Wahrheit
sage, warum glaubt ihr mir nicht?“ Zweierlei behauptet hiermit Christus:
Erstens, dass ihn niemand einer Sünde ziehen könne, und sodann, dass sich daher
auch niemand entschuldigen könne, wenn er nicht an ihn glaube. Hiernach spreche
ich jetzt zu euch davon:
Dass Christi vollkommen heiliger Wandel eine
öffentliche Beschämung des Unglaubens ist
Hört:
1.
Dass die Heiligkeit des Wandels
Christi so hell leuchte, dass auch die Ungläubigsten sie nicht in Zweifel
ziehen können, und
2.
Dass sie daher alle diejenigen
beschäme, welche dennoch hartnäckig in ihrem Unglauben verharren wollen.
1.
So wenig es, meine Zuhörer, nötig ist, es
einem Menschen erst mit vielen Gründen zu beweisen, dass das Licht nicht
finster, sondern hell ist, und dass die Sonne nicht verdunkle, sondern
erleuchte, so wenig ist es nötig, es mühsam beweisen zu wollen, dass Christus
heilig war. Wie die Sonne, wenn sie über den Horizont heraufsteigt und in ihrer
Pracht in unseren Gesichtskreis tritt, durch ihre bloße Erscheinung jedem
offenen Auge ihre erleuchtende Kraft selbst beweist, so darf auch das Bild des
Lebens Christi einem Menschen nur vor seine Seele gestellt werden, und er wird
von selbst genötigt sein, auszurufen: Heilig, heilig, heilig ist Jesus
Christus; alle Lande sind seiner Ehre voll. Ja, mit Furcht und Zittern muss ein
Mensch daran gehen, wenn er es wagen will, die Himmelsreinheit des Lebens
Christi zu beschreiben. Das ist ein Gegenstand, der die Kräfte nicht nur der
Menschen, sondern selbst der Engelzungen unendlich weit übersteigt. Keine
Kreatur kann davon nach Würden reden. Ich gestehe euch daher, meine Lieben: Da
ich von Christi heiligem Wandel zu euch reden will, da ist mir’s, als wäre ich
ein Kind das mit seinen Spielfarben den Himmel der Herrlichkeit malen will.
Doch, ich erkühne mich nicht, von dem Allerheiligsten so zu reden. Seht, so war
er; ich will euch nur einige Züge aus dem Leben des Schönsten unter den
Menschenkindern erinnern, um dadurch eure weitere Aufmerksamkeit und gläubige
Bewunderung in der Stille auf dieses vollkommenste Muster zu lenken.
Ein heller Spiegel, in welchem die Krone
der Heiligkeit Christi herrlich wiederstrahlt, ist unser heutiges Evangelium.
Christus legt darin seinen erbitterten Feinden die Frage vor: „Welcher unter
euch kann mich einer Sünde zeihen?“ So hat und wird nie ein Mensch reden
können. Selbst der liebevolle Freund, der vieles übersieht und vieles zum
Besten deutet, sieht doch auch am frömmsten Freund gar manche sündlche
Schwachheit, an die er ihn auf eine solche Frage erinnern müsste. Wie gewiss
muss daher Christus gewesen sein, dass auch die schärfsten spähenden Augen des
Misstrauens, Argwohns, ja, des glühendsten Hasses nichts Tadelnswertes weder in
seinen Worten, noch Gebärden, noch Werken entdecken konnten; da er seine
geschworenen Feinde öffentlich im Jerusalemer Tempel aufforderte, von ihm
Zeugnis zu geben! Diese Reinheit des Gewissens, dieses klare Bewusstsein seiner
vollkommensten Unschuld finden wir stets an Christus. Christus betete viel,
aber nie um Gnade, nie um Vergebung. Christus demütigste sich tief und stellte
sich dar als ein Knecht aller Sünder, aber nie hören wir aus seinem Mund das
Bekenntnis einer Schuld oder Reue. So sehr er sich auch erniedrigte, so redet
er doch dabei von seiner inneren Würde stets in den höchsten und erhabensten
Ausdrücken. Selbst damals, als ihm im zwölften Jahr seines Alters seine Mutter
einen Vorwurf machen wollte, da antwortete er ihr mit heiligem Ernst: „Was
ist’s, dass ihr mich gesucht habt? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem,
das meines Vaters ist?“
Mit welchem Frohlocken würden nun die
Feinde Christi auf jene Frage: „Welcher unter euch kann mich einer Sünde
zeihen?“ Christus Sünden vorgeworfen haben, wenn sie davon auch nur einen
Schatten hätten aufbringen können! Aber was tun sie? – Sie verstummen zwar
nicht, doch ihre Waffe ist allein Schimpfen, Lästern und Verfolgen. Sie
antworten: „Sagen wir nicht recht, dass du ein Samariter bist und hast den
Teufel?“ Ja, als Christus ihnen bezeugte: „Wahrlich, wahrlich, ich sage
euch: Ehe denn Abraham ward, bin ich; da“ heißt es, „hoben sie Steine
auf, dass sie auf ihn würfen.“ Je mehr aber die Feinde ihn hiermit zu
schänden gesucht haben, desto herrlicher haben sie gerade durch diese ihre
ohnmächtigen Lästerungen Christi Heiligkeit bestätigt, wie das Licht gerade
durch den Schatten am meisten hervorgehoben wird. Denn muss derjenige nicht
tadellos sein, der seine Feinde öffentlich herausfordern kann, ihm auch nur das
mindeste Unrecht nachzuweisen, wenn die Feinde anstatt der Beweise
Schimpfwörter ausstoßen, und anstatt der Tatsachen zu Steinen greifen müssen?
Diese Wut, in welche die Feinde auf jene Frage gerieten, ist ein stärkeres
Zeugnis für Christi über alle Verkleinerung erhabene Unschuld, als alle für ihn
gehaltenen Lobreden. Was aber die Feinde hier verdeckt zugestehen mussten, das
haben sie zu anderen Zeiten auch laut aussprechen müssen. Selbst Pilatus, der
das Todesurteil über Christus gefällt hat, hat doch nach der strengsten
Untersuchung vor dem Volk das Zeugnis ablegen müssen: „Ich finde keine Schuld
an ihm; ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten.“ Selbst dem Schächer
an Christi Seite war Christi völlige Unschuld bekannt worden und gewiss; er
bezeugte daher noch am Kreuz: „Dieser hat nichts Ungeschicktes getan.“ Und als
bei Christi Kreuzigung die Sonne ihren Schein verlor, und nach seinem
unschuldigen Tod die Erde erbetete, die Felsen zerrissen und die Gräber der
Heiligen sich auftaten, da merkte der am Kreuz die Wache habende Hauptmann gar
wohl, dass auch die leblose Natur die Unschuld des Hingerichteten bezeugen
wolle; er rief daher aus: „Wahrlich, dieser ist ein frommer Mensch und Gottes
Sohn gewesen.“ Einen Schatten des Verdachts könnte es nun zwar auf Christi
Unschuld werfen, dass einer seiner vertrautesten Jünger, der von allen Reden und
Taten Christi Ohren- und Augenzeuge war, ihn verriet, aber auch dieser Schatten
wird zerstreut, da wir hören, wie sein Verräter nach vollbrachter Tat in die
höchste Gewissensangst geriet, in welcher er sich endlich selbst entleibte,
nachdem er noch hatte vor den Feinden bekennen müssen: „Ich habe unschuldig
Blut verraten.“ Selbst die elende Leiche dieses Selbstmörders muss daher noch
ein redender Zeuge sein von der Unschuld dessen, den er treulos verraten hatte.
Der lauteste, unwidersprechlichste Zeuge
für Christi Unschuld ist aber endlich sein heiliger Wandel selbst. Gerade da,
wo kein Mensch von sündlichen Schwachheiten frei bleibt, steht Christus als das
höchste Muster der vollkommensten Reinheit da. Er lehrt nicht nur die
schwersten Pflichten der Verleugnung und Feindesliebe, sondern übte sie auch
selbst auf das vollkommenste aus. Sein ganzes Leben war der heilige Abdruck und
hellstrahlende Wiederschein seiner heiligen Lehre. Betrachten wir Christi
Verhalten nur, wie es in unserem Text beschrieben wird, so sehen wir ihn unter
seinen Feinden wie ein geduldiges Lamm unter reißenden Wölfen, wie eine weiße
zarte Rose mitten unter stachligen Dornen. Seine Feinde reden mit Zungen, die
von der Hölle entzündet sind, und speien höllische Flammen gegen ihn aus, er
aber gerät dabei nicht, wie wir Menschen, in Leidenschaft; mit ernster Milde
antwortet er nur: „Ich habe keinen Teufel; sondern ich ehre meinen Vater,
und ihr verunehrt mich.“ Und als endlich Christus seine himmlische
Freundlichkeit bei allen Lästerungen behält, und gerade dies die Feinde zur
äußersten Wurt reizt, dass sie mörderisch Steine gegen ihn aufheben, da gehet
er unter dem Schutz seiner Allmacht ruhig von dannen und verbirgt sich vor den
Augen seiner Verfolger, da die von seinem Vater bestimmte Stunde seines Todes
noch nicht gekommen war.
So heilig wir aber Christus hier in
Worten, Gebärden und Handlungen erblicken. So finden wir ihn immer. Wenn
Christus wohltut, so sehen wir ihn nie nach Würdigkeit fragen; wo Not war und
wo man Hilfe begehrte, da half er. Nie suchte er Dank, und wenn er mit schnödem
Undank belohnt wurde, da beschloss er nun nicht, mit seinen Wohltaten
einzuhalten, sondern bleib eine alle Menschen stets offene Quelle der Güte und
Liebe. Immer erblicken wir ihn sanftmütig gegen alle seine Feinde, er vergalt
nie Böses mit Bösem, er schalt nicht wieder, wenn er gescholten ward, er
segnete, wenn man ihm fluchte. Wir sehen ihn wohl oft zornig, aber nie über
erfahrene Beleidigungen, sondern über die Verunehrung seines Vaters. Mit
welchem liebevollen herzzerschmelzenden Blick sah er Petrus an, als dieser ihn
vor seinen Augen noch so schändlich verleugnete! Mit welcher Milde empfing er
den Judas, als dieser ihn mit einem heuchlerischen Kuss verriet! Mit welchem
kindlichen Vertrauen blieb Christus an seinem himmlischen Vater hangen, als
dieser sich gegen ihn in einen Grausamen verwandelte! Mit welcher
unbegreiflichen erbarmenden Liebe ruft endlich der blutende Christus noch
scheidend für seine Kreuziger und Peiniger vom Kreuz hinauf zum Himmel: „Vater,
vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“
Seht, meine Lieben, die Evangelisten haben
in Christus einen Menschen beschrieben, wie er nie wieder in der Welt vorkommt.
Jene ungebildeten, ungelehrten, einfältigen Männer haben das Bild eines so
himmelreinen Lebens gezeichnet, dass wir schon daraus sehen, dass sie eine
solche Lebensbeschreibung nie hätten erfinden können; denn ein solches heiliges
Bild haben selbst die größten Philosophen aller Zeiten nie malen, geschweige
selbst durch ihren eigenen Wandel darstellen können. Wir erblicken in Christus
den Menschen, wie er nie ist, und nie in diesem Leben in seinem gefallenen
Zustand sein kann, aber wie er sein soll.
Das haben nicht nur Christi Freunde,
sondern selbst seine Feinde wohl erkennen müssen. Unter anderen spricht der
jüdische Geschichtsschreiber Josephus von ihm folgendermaßen: „Damals lebte
Jesus, ein weiser Mann, so es sich anders geziemt, ihn einen Mann zu nennen.“
Selbst dieser Jude ist also von Christi Erscheinung so tief ergriffen gewesen,
dass er kaum wagte, ihn einen bloßen Menschen zu nennen. Diesen Eindruck machte
Christus auch auf unbekehrte Heiden; wir lesen daher in der Weltgeschichte,
dass der heidnische römische Kaiser Alexander Severus das Bildnis Christi mit
in seinem Haus aufstellte. Ja, die Geschichte berichtet uns, dass der
heidnische Kaiser Hadrian kurz vor seinem Tod noch den Entschluss fasste, neben
den anderen Tempel seiner Götter auch Christus zu Ehren einen Tempel zu bauen.
So leuchtet denn die Heiligkeit des Wandels
Christi so hell, dass auch die Ungläubigen sie nicht in Zweifel ziehen können.
Was folgt aber hieraus? Dieses, Dass
Christi vollkommen heiliger Wandel alle diejenigen beschäme, welche dennoch
hartnäckig in ihrem Unglauben verharren wollen.
2.
Davon spreche ich nun zweitens noch einige
Worte zu euch.
Die Heiligkeit des Wandels Christi ist,
meine Lieben, erstlich darum eine öffentliche Beschämung des Unglaubens, weil
sie ihm alle seine falschen Entschuldigungen völlig abschneidet. Nachdem daher
Christus nach unserem Text seine Feinde gefragt hatte, ob sie ihn auch nur
Einer Sünde überführen könnten, so setzte er hinzu: „So ich euch aber die
Wahrheit sage, warum glaubt ihr mir nicht?“ Er will damit sagen: Was könnt
ihr nun für Gründe vorwenden, warum ihr mich dennoch verwerft?
So kann man nun noch jetzt jedem, der das
Evangelium von Christus nicht annehmen will, zurufen: Warum glaubst du nicht?
Wie kannst du dich daran stoßen, dass es so viele Heuchler unter denen gibt,
die nach Christus sich Christen nennen? Wie kannst du daran Ärgernis nehmen,
dass es selbst unter den Dienern Christi Männer gibt, die anderen predigen und
selbst verwerflich sind? die anders leben, als sie lehren? Die nur Diener
Christi heißen, aber eigentlich nicht Christus, sondern sich selbst, nämlich,
wie der Apostel sagt, ihrem Bauch, dienen, dem Geiz, der Hoffart und geheimer
Wollust ergeben sind? Wer hat dich auf Menschen gewiesen? Einer ist unser
Meister, Jesus Christus; auf ihn haben wir zu sehen, er ist der rechte Hirte,
er ist das rechte, vollkommene Vorbild seiner Herde, der ihr vorausgeht und in
dessen Fußstapfen wir treten sollen. So groß daher auch die Ärgernisse sind,
welche der Welt von falschen Christen durch ihren unchristlichen Wandel gegeben
werden, und so viele auch dadurch sich verführen lassen, die christliche Lehre
ungläubig zu verwerfen, so werden sie sich doch einst in Gottes Gericht damit
keineswegs entschuldigen können; denn auf Christus hätten sie schauen sollen,
der sein wahres Wort auch durch heilige Taten bestätigt und geschmückt hat.
Doch damit werden den Ungläubigen nicht nur
alle ihre falschen Entschuldigungen genommen, sondern auch die dringendsten
Beweggründe, Christus für den wahren Sohn Gottes zu erkennen, vor ihre Augen
und Herzen gelegt. Denn, sagt selbst: Wer es zugeben muss, Christus war heilig,
wie kein anderer Mensch, verurteilt der sich nicht selbst, wenn er nicht auch
zugesteht, dass er der Sohn Gottes war? Wäre Christus, wie alle anderen
Menschen in Sünden geboren, hätte er von Natur ein Herz gehabt, wie wir alle
haben, zur Sünde und Ungerechtigkeit geneigt, wie wäre dann das Wunder zu
erklären, dass alle Menschen immer auf den Irrweg abweichen, dass hingegen
Jesus unverwandt ging den heiligen Weg? Wie wäre das Rätsel zu lösen, dass
Christus kurz vor unserem Text sagen musste: „Ihr seid von unten her, ich von
oben herab“? Wo fänden wir den Aufschluss zu dem Geheimnis, dass Christus,
geboren in einem der geringsten Winkel der Erde, erzogen unter einem gottlosen
Volk und lebend in einer greulich verderbten Zeit, dass Christus dennoch vor
allen Weisen und Edlen und Besten aller Zeiten so hoch, so beispiellos
hervorragt? Wer hat diese Pflanze gesät wer hat sie gehegt und gepflegt, dass
sie einzig dasteht auf dem Boden der ganzen Welt? Muss ein Ungläubiger, wenn er
Christi Heiligkeit betrachtet wovon es kein zweites Beispiel unter den
sterblichen Menschen gibt, muss er da nicht selbst ausrufen: Fürwahr, Christus
muss ein anderes Wesen sein als wir Menschen; er muss höheren, heiligeren
Ursprungs sein als wir, er muss aus einem erhabeneren Geschlecht abstammen als
die Sünder; sein Vater kann nicht ein sündlicher Mensch, es muss der heilige
Vater im Himmel selbst sein?
Hierzu kommt nun endlich dieses: Christus
redet ja nicht nur stets die Wahrheit, sondern ist auch so demütig, dass er
nirgends Ehre sucht, sich nicht dienen lässt, sondern anderen dient; und
dennoch bekennt dieser wahrhaftige und von Herzen demütige Christus selbst
deutlich, dass er der ewige Sohn Gottes ist, und stirbt lieber den qualvollen
Kreuzestod, ehe er dieses verleugnen sollte. Er tut dies unter anderem auch in
unserem heutigen Evangelium, wenn er spricht: „Ehe denn Abraham ward, bin
ich.“ Wie? ist es möglich, dass Christus in allem sich als die Heiligkeit
und Unschuld selbst bewiesen habe, und dass er doch dann gegen die Wahrheit
sich für Gottes ewigen Sohn erklärt haben sollte? Bleibt hiernach den
Ungläubigen nicht allein diese Wahl, entweder Christus für heilig und zugleich
für den Sohn Gottes zu erkennen oder nicht für den Sohn Gottes und darum,
welches schrecklich zu sagen ist, für den verwegensten unter allen Verführern?
Es ist kein Zweifel: War Christus ein guter
Mensch, so muss er auch notwendig der wahre eingeborene Sohn des himmlischen
Vaters gewesen sein, gleich ewiger allmächtiger, unendlicher Gott. Da nun das
Erste so hell leuchtet, dass es auch die Ungläubigsten nicht leugnen können, so
müssen sie sich selbst ihres Unglaubens hier schämen, einst aber werden sie
völlig erbleichen und verstummen, wenn sie erscheinen werden vor dem Angesicht
Jesu selbst, des heiligen Gottmenschen.
An diese Stunde lasst uns, meine Teuren,
stündlich denken, und darum stündlich bitten:
Erhalt uns,
heilger Gottessohn,
Im Glauben an
deinen Namen,
Bis wir dich
schauen auf deinem Thron;
Erhör uns, O Jesu!
Amen.
Amen.
(Konfirmation)
Du sprichst, o Jesus: „Lasst die Kindlein
zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes.“ Das
haben wir getan; wir haben die Kinder auf deinen Befehl schon in der heiligen
Taufe zu dir kommen lassen und ihnen nicht gewehrt, und du hast sie aufgenommen
in dein Reich. Siehe, sie kommen nun heute auch selbst zu dir und wollen im
Angesicht dieser Gemeinde ihren Glauben an dich bekennen, und dein zu sein und
dir zu dienen sich auf ewig verschreiben und schwören.
Herr Jesus, sie klopfen an an der Tür
deiner Gnade: O, so tue ihnen auf, o, so heiße sie wollkommen! Nimm sie, diese
Küchlein, die bei dir Zuflucht suchen, unter die Flügel deiner Gnade und
antworte ihnen auf ihren Eid der Treue und sprich oben im Himmel über ihnen
aus: Ja, ihr sollt mein Eigentum sein und bleiben immer und ewig; eure Sünden
sollen euch vergeben sein, meine Gerechtigkeit soll euer Schmuck, meine
Allmacht euer Schutz, meine Treue eure Hoffnung sein und einst sollt ihr ewig
bei mir sein. Denn auch ich will euch halten, was ich euch bei dem Gnadenbund
meiner Taufe geschworen habe, und es soll mich nicht reuen; ich will euer Gott,
euer Heiland, euer Vater sein und ihr sollt meine Söhne und Töchter sein. Ja,
so sprich, HERR Jesus, über diese Kinder. Amen. Amen.
Meine herzlich geliebten Kinder!
„Errette deine Seele, und siehe nicht
hinter dich!“ (1. Mose 19,17b.) So rief einst ein Engel dem alten Lot zu,
als dieser zögerte, aus Sodom zu fliehen. Sodom war nämlich eine zwar reiche
und blühende Stadt, in einer Gegend, die sich wie ein Garten Gottes
ausbreitete, aber keine Seele fürchtete in dieser Stadt Gott, den HERRN, außer
der Familie Lots. Himmelschreiende Sünden gingen hier öffentlich im Schwange,
alles Heilige und Göttliche war hier Jung und Alt lächerlich. Da beschloss denn
Gott endlich den Untergang dieser ruchlosen Stadt mit allen ihren Einwohnern,
um an ihnen ein Beispiel seines Zornes und Gerichtes zur Warnung aller Zeiten
zu geben.
Doch da Lot mit seiner Familie in dem
gottlosen Sodom Gott fürchtete, so sendete Gott Engel zu ihm, welche ihm das
über Sodom schwebende Gericht verkündigen und ihn aus dieser Stätte des Frevels
vor ihrem nahen Untergang herausführen sollten.
Mit Entsetzen hörte Lot von dem
schrecklichen Ratschluss; er eilte sogleich zu seinen nächsten Verwandten,
ihnen, was da kommen würde, zu verkündigen; aber niemand glaubte es; es war
allen lächerlich. Niemand wollte den fliehenden Lot begleiten. Da war Lot voll
namenlosen Schmerzes und Betrübnis; ab, dachte er, soll denn alles verloren
sein? – und in diesen Gedanken versunken, zögerte selbst er, dem Befehl zu
einer eiligen Flucht zu folgen. Da ergriffen ihn endlich bei Engel bei der Hand
samt den Seinen und führten ihn aus der Stadt; und nun rief ihm einer derselben
mit großem Ernst jene Worte zu: „Errette deine Seele, und siehe nicht hinter
dich!“
Sodom ist, meine geliebten Kinder, ein Bild
dieser Welt, und es wird in der Heiligen Schrift besonders den Menschen, die in
der letzten Zeit leben, zum Beispiel gesetzt. Christus spricht, in den letzten
Tage werde es sein wie zu den Zeiten Lots, und er setzt hinzu: „Denkt an Lots
Frau“, welche nämlich hinter sich sah und zur Salzsäule wurde.
Das Wort der Engel: „Errette deine
Seele, und siehe nicht hinter dich!“ ist daher auch euch, meine Teuren,
gesagt. Da ich euch nun bisher immer gezeigt habe, wie und wodurch ihre eure
Seele retten könnt, so will ich jetzt in dieser für euch so wichtigen Stunde an
euch eine herzliche Ermahnung richten und euch aus Gottes Wort zeigen:
Was
euch bewegen soll, die Rettung eurer Seele immer eure Hauptsorge sein zu lassen
Das ist nämlich dieses:
1.
Weil die Seele ein so großes, je
euer größtes Gut ist,
2.
Weil die Gefahren so viele sind,
eure Seele zu verlieren, und endlich
3.
Weil man die Seele, wenn sie einmal
verloren ist, nicht wieder gewinnen kann.
1.
Schon jeder vernünftige Mensch muss den
Grundsatz als wahr anerkennen: Das, was unser größtes Gut ist, für dessen
Erhaltung sollen wir billig auch die größte Sorge tragen. Wenn ein Vater bei
einer entstehenden Feuersbrunst die Wahl hätte, entweder ein Gerät seines
Hauses oder sein einziges Kind zu retten, und er nähme das Gerät und ließe sein
Kind in den Flammen umkommen, so würde ein jeder vernünftige Mensch meinen, der
Vater müsse wahnsinnig geworden sein. So handeln aber alle, die mehr für das
Irdische als für ihre Seele sorgen. Denn das größte Gut, das wir Menschen
besitzen, ist unsere Seele.
Eure Seele ist für die Ewigkeit geschaffen;
sie soll nie umkommen; sie soll einst in die völlige ewige Gemeinschaft mit
Gott kommen; sie ist zu einer ewigen Seligkeit bestimmt. Diese ganze Welt, der
Himmel mit seiner Sonne, seinem Mond und allen leuchtenden Sternen, die Erde
mit5 allen ihren Gütern, dieses ganze große Haus hat Gott allein darum gebaut,
damit ihr hier als in einem Vorhof der unsichtbaren Welt eine Zeitlang wohnt
und dass hier eure Seele zur seligen Ewigkeit nur vorbereitet werde. Eure Seele
ist also nicht für diese kurze Zeit5 und für diese vergängliche Welt
geschaffen, sondern alles muss endlich vergehen, aber eure Seele soll bleiben
und endlich in ein Leben in der Vollkommenheit übergehen; alles müsst ihr im
Tod hinter euch lassen, aber eure Seele nehmt ihr mit hinüber.
Und warum ist Christus in die Welt
gekommen? – Zu suchen und selig zu machen, das verloren war. Was war das? – die
menschlichen Seelen. – Wie hoch muss also die Seele des Menschen vor Gott
geachtet sein, dass er zu ihrer Errettung seinen lieben eingeborenen Sohn in
die Welt sendet und ihn für sie in den Tod des Kreuzes dahingibt! Wie kostbar
muss die menschliche Seele in den Augen des Sohnes Gottes sein! – Da sie
verloren war, verließ er den Himmel, kam herab auf die Erde, suchte sie und
erkaufte sie mit der Hinopferung seines Lebens und Vergießen seines teuren
Gottesblutes! O, welch einen Preis, welch ein Lösegeld hat also Gott für alle
Seelen der Menschen und also auch für eure Seelen bezahlt!
Eure Seele ist daher euer größter Schatz;
gäbe euch ein König dafür sein Königreich, ja, könnte euch ein Mensch dafür die
ganze Welt schenken, so wäre eure Seele doch noch sehr elend und schlecht
bezahlt. Eure Seele ist Millionen mal mehr, ja, unberechenbar mehr wert als die
ganze Welt. Was hilft es einem Menschen, wenn er stirbt, dass er reich gewesen
ist, geehrt, belobt und geliebt von allen? Was hilft es ihm, dass er ein König
gewesen ist oder dass man ihm noch nach seinem Tod Ehrensäulen setzt, wenn die
Seele dahin ist? Was half es dem reichen Mann, dass er täglich herrlich und in
Freuden hatte leben und sich in Purpur und köstlicher Leinwand kleiden können,
als er starb? Da sah er wohl ein, dass alle Güter dieser Welt nichts seien,
dass er aber sein höchstes Gut, die Seele nämlich, leider auf ewig verscherzt
habe.
Nun, meine teuren Kinder, hieraus könnt ihr
sehen, wie töricht die meisten Menschen in dieser Welt sind. Denn die meisten
leben, als hätten sie gar keine Seele, oder als wäre sie doch ihr
allergeringstes Gut. Die meisten Menschen sind zwar voll großer Sorge für
zeitliche Güter, aber für das ewige Heil ihrer unsterblichen Seele tragen sie
keine Sorge. Die meisten Menschen arbeiten und mühen und laufen sich ab alle
Tage für das irdische Fortkommen, oder gar, um reich zu werden, aber den
köstlichen Schatz, den sie mit ihrer Seele besitzen, achten sie für nichts.
Ach, es kann ja keinen traurigeren Selbstbetrug geben als diesen, wenn man für
alles, nur für seine Seele nicht sorgt. Das ist die entsetzlichste Verblendung,
an das Irdische zu denken, und der Seelen Seligkeit zu vergessen; ja, die Seele
hinzugeben, um nur irdisches Glück zu besitzen. Da achtet man sich ja nicht für
besser als ein Tier. Solche sind jenen Vögeln gleich, die sich an den roten
Beeren ergötzen, die zwischen den ausgespannten Netzen zerstreut liegen, bis
diese über ihnen zusammenschlagen.
Nun, liebe Kinder, wollt ihr etwa auch so
töricht sein? Wollt ihr etwa auch, sobald ihr die Schule verlassen habt, nur
darauf denken, Geld zu verdienen und reiche und geehrte Leute zu werden, aber
nicht daran denken, dass ihr eine Seele habt, die für eine selige Ewigkeit
geschaffen, durch Christi Blut teuer erkauft und in der heiligen Taufe mit
Christi Blut besprengt und rein gewaschen ist? O, vergesst es nie, was St.
Paulus sagt: „Ihr seid teuer erkauft, werdet nicht der Menschen Knechte.“ Und
was St. Petrus sagt: „Führt euren Wandel mit Furcht; und wisst, dass ihr nicht
mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem eitlen Wandel nach
väterlicher Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi, als eines unschuldigen
und unbefleckten Lammes.“ O, das lasst euch bewegen, eure kostbare Seele,
dieses teure Eigentum Jesu Christi, nicht so schändlich zu verscherzen und sie
nicht so wohlfeil für die elenden Dinge dieser Welt zu verkaufen. Ja, das lasst
euch bewegen, die Rettung eurer Seele immer eure Hauptsorge sein zu lassen.
2.
Dazu soll euch aber euch zweitens das
b3ewwegen: Weil die Gefahren so viele sind, eure Seele zu verlieren.
Für alle Zeiten und an allen Orten ist,
meine lieben Kinder, große Gefahr, seine Seele zu verlieren, denn zu allen
Zeiten und an allen Orten hat jeder Christ drei Feinde, die gegen ihn streiten,
nämlich Fleisch, Welt und Teufel. Diese drei Feinde sind daran schuld, dass so
Unzählige, für welche doch Christus gestorben ist und die schon durch die Taufe
in Gottes Gnadenbund gekommen und Kinder Gottes geworden sind, doch ihre Seele
nicht erretten und verloren gehen. Christus ist zwar die Versöhnung für aller
Welt Sunde, und wer auf ihn sein Vertrauen setzt, soll ewig selig werden, wer
aber dabei nach seines Fleisches Willen und nach der Welt Brauch leben will,
der schließt sich selbst mutwillig von Christi Erlösung aus. Denn der heilige
Apostel sagt: „Wenn ihr nach dem Fleisch lebt, werdet ihr sterben müssen.“ Es
ist daher freilich zu allen Zeiten und an allen Orten nötig, die Rettung
seiner Seele seine Hauptsorge sein zu lassen.
Aber ihr lebt in einem Land und zu einer
Zeit, wo, wie nie und nirgends die größten Gefahren, eure Seele zu verlieren,
auf euch warten. Ihr seid zwar nicht nur getauft, sondern ihr habt auch einen
guten Unterricht in der reinen Lehre erhalten; ihr wisst es, welches der rechte
Weg zur Seligkeit ist; aber ihr dürft nicht sicher sein; leicht könnt ihr das
Kleinod eurer Seele wieder verlieren. Ihr lebt in einer Zeit, in der die wahre
Kirche, die das rechte Evangelium hat, und das ist die evangelisch-lutherische,
fast ganz von der Erde verschwunden ist, und wo sie noch ist, da ist sie mit
großen Ärgernissen bedeckt und von jedermann verachtet und verworfen. Ihr lebt
in einer Zeit, in der das antichristliche Reich des Papsttums wieder mächtig
sein Haupt emporhebt und überall die Seelen wieder an den Satan zu verkaufen
trachtet. Ihr lebt in einer Zeit, in der sich auch überall immer mehr falsche
Kirchen und Sekten erheben, die ihre falschen Lehren durch einen großen Schein
von Heiligkeit bedecken. Ihr lebt in einer Zeit, in der fast die ganze
Christenheit von dem Evangelium abgefallen ist. Fast alle, die jetzt Bücher
schreiben, sind jetzt Feinde des Wortes Gottes und Jesu Christi. Überallsucht
man die seligmachende Wahrheit zu verspotten und lächerlich zu machen. Überall
ruft man, die Welt sei zu aufgeklärt, jetzt glaube man das nicht mehr, was
unsere Voreltern geglaubt hätten; jetzt seien die Leute fortgeschritten und
klüger geworden. Und so sprechen und schreiben nicht nur gemeine und offenbar
lasterhafte Menschen, sondern auch große, kluge, gelehrte, und, wie es scheint,
sehr fromme und gerechte Leute. Da steht ihr denn in großer Gefahr, von solchen
Leuten betrogen und verführt zu werden. Wenn ihr das Wort Gottes werdet
bekennen wollen, da wird man euch verlachen, verspotten und verfolgen; da könnt
ihr nun leicht furchtsam, kleinmütig werden und abfallen. Hierzu kommt noch in
diesem Land [USA], dass man allgemein sagt, hier seien die Leute frei, hier
könne ein jeder denken, glauben, reden, schreiben und tun, was er wolle; da
denken denn viele, sie seien hier auch frei von Gottes Wort und Ordnung, und
werden durch diese Freiheit Knecht des Verderbens für Zeit und Ewigkeit.
Endlich ist hier auch noch eine große Versuchung, mehr als irgendwo, sein Herz
an das Geld zu hängen. Das Feld ist hier fast aller Leute Gott; wer hier Geld
gewinnen kann, der schlägt dafür alles in die Schanze, guten Namen, Gewissen,
Gott, Gottes Wort und Gnade, Himmel und Seligkeit.
O teure, herzlich geliebte Kinder, mit
Bangigkeit und Wehmut sehe ich in die Zukunft. Meine Seele wird betrübt, wenn
ich an die vielen Gefahren denke, denen ihr entgegengeht, eure Seele zu
verlieren. Ach, viele haben schon bei ihrer Konfirmation Gott Treue geschworen
bis an den Tod, und schon haben sie Christus und sein Wort, den Weg der
Wahrheit und Gottseligkeit verlassen, und sie gehen jetzt den Weg aller Welt!
O, so rüstet euch zu Zeiten auf große
Gefahren eurer Seele; seid nicht sicher, sondern lasst die Rettung eurer Seele
eure Hauptsorge sein. Ärgert euch nicht daran, dass die wahre
evangelisch-lutherische Kirche so klein und so verachtet ist; verlasst sie
nicht, denn sie hat doch allein das reine lautere seligmachende Wort Gottes und
die unverfälschten heiligen Sakramente. Bedenkt wohl: Es gilt die Rettung eurer
Seele. Kommt dem antichristlichen Reich des Papsttums nicht zu nahe. Denkt an
die Drohung Gottes: „So jemand das Tier anbetet und sein Bild, und nimmt das
Malzeichen an seine Stirn oder an seine Hand, der wird von dem Wein des Zornes
Gottes trinken. – Geht aus von Babel, mein Volk, dass ihr nicht teilhaftig
werdet ihrer Sünden, auf dass ihr nicht empfangt etwas von ihren Plagen. Denn
ihre Sündenreichen bis in den Himmel, und Gott denkt an ihren Frevel.“
Hütet euch aber ebenso ernstlich vor allen
den Sekten, die hier in großer Anzahl und mit großem Schein die Seelen abführen
von der Einfältigkeit in Christus. Lasst euch durch nichts täuschen. Was nicht
mit Gottes Wort übereinstimmt, ist falsch und führt zum Verderben, habe es auch
einen noch so guten Schein. Denkt an das Wort Jesu Christi: „Seht euch vor vor
den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, aber inwendig
sind sie reißende Wölfe; an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Und wie
Christus an anderer Stelle spricht: „So ihr bei meiner Rede bleibt, so seid ihr
meine rechten Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird
euch frei machen.“ Seid darum bereit, lieber zu sterben, als von der Rede
Christi abzuweichen. O, bedenkt: Es gilt sie Rettung eurer Seele. „Fürchtet
euch nicht vor denen, die den Leib töten können; fürchtet euch aber vor dem,
der die Seele verderben kann in der Hölle.“
Hört darum auch nicht auf das Geschrei
derer, die da sagen, die Welt sei jetzt aufgeklärt, das rechte Licht sei jetzt
gekommen, die Bibel gelte jetzt nicht mehr. Das ist die Stimme der Apostel des
Satans, in denen dieser böse Geist sein Werk hat. Sie schreien: Licht! Licht!
Und sie suchen doch die Menschen nur wieder in die heidnische Finsternis und
Abgötterei zurückzuführen. Lest ihre verfluchten Lästerungen des allerhöchsten
dreieinigen Gottes nicht; sie sind wilde Tiere in menschlicher Gestalt, die eure
Seelen zerreißen, töten und mit sich in den Abgrund der Hölle hinabziehen
wollen. Bedenkt: Es gilt die Rettung eurer teuer erkauften Seele! Ach, errettet
sie, und seht nicht hinter euch!
Ebenso rüstet euch aber auch gegen die
Versuchung, euer Herz an Geld und Gut zu hängen. Trachtet am ersten nach dem
Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das andere alles
zufallen. So oft ihr versucht werdet, um irdischen Gewinnes willen von Gottes
Wort zu weichen, so denkt an den Ausspruch unseres Heilandes: „Was hülfe es dem
Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele? Oder
was kann der Mensch geben, dass er seine Seele wieder löse?“
3.
Dies führt mich nun auf unseren dritten
Teil, in welchem ich euch noch kurz zeigen will, wie euch auch dieses bewegen
solle, die Rettung eurer Seele eure Hauptsorge sein zu lassen: Weil man die
Seele, wenn sie einmal verloren ist, nicht wieder gewinnen kann.
Hätte, liebe Kinder, jeder Mensch zwei
Seelen, so möchte vielleicht die Sorge für eine nicht so nötig sein; verlöre er
die eine, so bliebe ihm doch immer noch die andere; oder könnte der Mensch,
wenn er seine Seele hier verloren hat, sie nach dem Tod wieder lösen, wo wäre
doch immer noch Hoffnung. Aber es ist nicht so. Der Mensch hat nur Eine Seele,
und hat er diese in dies4er Welt nicht errettet, so kann er sie dort in der
Ewigkeit nie, nie wieder gewinnen.
Nun bedenkt, liebe Kinder: Ist es nicht
schrecklich, um zeitlichen, irdischen Wohlseins willen die ewige Seligkeit zu
verscherzen? Ist es nicht schrecklich, damit man der zeitlichen Not der
Christen entgehe, die ewige Not erwählen und keine Sorge für seine Seele zu
tragen? – Ach, wie kurz ist dieses Leben, wenn es auch 80 Jahre währt, gegen
die Ewigkeit! – Ja, denkt nicht etwa, dass die Reichen, die Großen in der Welt,
die sich schön kleiden, gut essen und trinken, in prächtigen Zimmern wohnen und
alle möglichen irdischen Wünsche sich erfüllen können, dass diese darum die
Glücklichsten seien. Könntet ihr den reichen Leuten, die man glücklich preist,
in das Herz sehen, so würdet ihr mit Erstaunen finden, dass in ihnen nicht als
Unruhe, Gram, Kummer, Sorge und Überdruss wohnen. Ist es nicht schrecklich, die
Seligkeit auf das Spiel zu setzen, damit man ein solcher reicher und
angesehener, aber dabei unglücklicher Mensch sei?
Und, meine allerliebsten Kinder, was ist
alle Not, die die Christen auf der Erde leiden müssen, wenn sie für ihre Seele
sorgen, was ist sie gegen den Verlust der Seele? So groß auch oft die Leiden
und so schrecklich auch oft die Martern gewesen sind, die manche Christen hier
haben erdulden müssen, so hatte dies doch alles nach kurzer Leidenszeit ein
ewiges Ende, und ewige Freude und Herrlichkeit folgte dem zeitlichen Schmerz
und der zeitlichen Schmach. Ist aber die Seele einmal im Tod verloren, so ist sie
auch auf ewig verloren, und nichts, nichts kann sie wieder erretten. Denn
Christus spricht, wie ihr gehört habt: „Was kann der Mensch geben, dass er
seine Seele wieder löse?“ – Aus der Hölle ist keine Erlösung. Jetzt ist der Tag
des Heils. Im Tod schließt sich das Tor der Gnadenzeit auf ewig hinter uns zu
und keine Rückkehr ist dann mehr möglich.
O, darum, meine geliebtesten Kinder,
bedenkt, was zu eurem Frieden dient, und lasst die Rettung eurer Seele eure
Hauptsorge sein. Denket jeden Tag an das Wort, das die Engel dem Lot zuriefen: „Errette
deine Seele, und siehe nicht hinter dich!“
Doch, meine Geliebten, dies alles habe ich
euch nicht darum vorgehalten, um in euch eine knechtische Furcht vor dem
Verlorengehen zu erwecken; noch viel weniger, dass ihr nun in eigener
Kraft danach trachten sollt, eure Seele zu erretten. Nein, das sei ferne! Ihr
wisst es: Ihr könnt eure Seele nicht selbst erretten; sie ist schon errettet
durch Jesus Christus; das Evangelium verkündigt euch dies, und in der heiligen
Taufe ist es euch schon geschenkt, angeeignet und versiegelt worden. Nur dieses
wird von euch gefordert: Ihr sollt die Gnade, die euch in Christus geschenkt
ist, nicht wegwerfen, ihr sollt eure Taufe nicht vergessen, ihr sollt bei dem
Wort Jesu Christi bleiben, das Wort Gottes eure tägliche Seelenspeise, euer
Licht, euren Trost sein lassen und im Glauben Christus treu sein bis an den
Tod. O, wenn ihr das tut, so habt ihr eure Seele errettet; so werdet ihr nicht
umkommen in dem Sodom dieser Welt, so werdet ihr hier in dem Zoar der wahren
Kirche sicher wohnen und endlich eure Seele bringen in das himmlische
Jerusalem, wo eure Seele ewig geborgen ist in der Gemeinschaft Gotts und aller
seiner heiligen Engel und Auserwählten.
So, so erhebt denn jetzt eure Simmen und
bekennt und gelobt es vor diesen Zeugen, dass ihre eure Seele nicht
verscherzen, sondern erretten wollt durch Gottes Gnade. Zuvor aber vereinigen
wir uns in einem gläubigen Vaterunser. Amen.
HERR Jesus Christus, du Sohn des
allmächtigen Vaters! Groß ist diene Liebe, die du gegen uns verlorene Sünder in
deinem Herzen getragen hast. Du bist nicht nur uns zugut ein Mensch geworden
und hast dich nicht geschämt, uns Sünder deine Brüder zu nennen; sondern, als
du eben aufhören wolltest, sichtbar unter uns gegenwärtig zu sein, machtest du
ein über alles gnädige Testament, in welchem du alle, die nach dir verlangen,
zu Erben deines Leibes und Blutes und damit deiner ganzen Versöhnung und
Gerechtigkeit und aller deiner teuer erworbenen himmlischen Güter einsetztest.
So bitten wir dich denn, lass uns zur rechten Erkenntnis deines heiligen
Abendmahls kommen, schenke uns einen lebendigen und demütigen Glauben an das
Wunder dieser deiner gnadenvollen Speisung und lass uns allezeit als durch dich
würdige Gäste zu unserem Trost, zu unserer Stärkung und zu unserer Seligkeit
daran teilnehmen. Hilf, dass wir dieses teure Gnadenmittel nimmermehr
verlieren, sondern es durch deine Gnade erhalten, bis dass du kommst. Hierzu
segne auch die heutige Predigt deines heiligen Wortes um deiner Verheißung
willen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
An diesem Tag war es einst, als der Sohn
Gottes in der letzten Nacht seines geheimnisvollen Leidens und wenige Stunden
vor seinem Tod das Testament machte, welches er den Seinigen nach seinem
Hingang zum Vater hinterlassen hat.
Der heutige Tag erinnert uns daher an eine
überaus wichtige Wohltat unseres Heilandes.
Das heilige Abendmahl ist von der rechten
Kirche von jeher für ein großes teures Heiligtum geachtet worden.
Die ersten Christen feierten es fast
täglich; besonders in den Zeiten der Verfolgung, um täglich zum Tod bereit zu
sein; man erwies sich dabei eine innige Liebe, Reiche und Arme, Hohe und
Niedrige gaben sich dabei den Kuss des Friedens als Brüder. Man sah das heilige
Abendmahl an als die herrlichste göttliche Rüstkammer, in welcher man die
unüberwindlichsten Waffen zum geistlichen Kampf empfange; man hielt es für den
besten Zehrpfennig für die Reise in die dunklen Täler des Todes.
Man zeigte dagegen die größte Ehrerbietung.
Kein Ungläubiger, kein offenbarer Sünder wurde zugelassen. Man beobachtete
überhaupt gegen die Heiden ein ehrerbietiges Schweigen von diesem
geheimnisvollen Sakrament. Nach dem Genuss sprach man sich gegenseitig über das
Leiden Jesu Christi aus. Die Christen mussten oft viel leiden wegen des
heiligen Abendmahls, weil die heidnischen Verfolger meinten, dass sie nach
ihrem Geständnis Menschenfleisch äßen und Menschenblut tränken. Dass man das
heilige Abendmahl für eine bloße Gedächtnisfeier des Leidens Christi gehalten
habe, davon findet sich in dem christlichen Altertum auch nicht eine Spur.
Wohl aber finden wir, dass man in dem
antichristlichen Papsttum bald anfing, das heilige Abendmahl für ein
wiederholtes Opfer des Leibes und Blutes Christi zu erklären, wodurch endlich
der furchtbare Greuel des Messopfers aufkam, der noch jetzt in der päpstlichen
Kirche getrieben wird.
Durch die Reformation wurde endlich auch
wieder die rechte Lehre und der rechte Gebrauch des heiligen Abendmahls an den
Tag gebracht; aber leider wurde dieses Mahl der Liebe bald zu einer Ursache
eines großen schrecklichen Risses in der protestantischen Kirche. Ein großer
Teil von denen, welche die Irrtümer der päpstlichen Kirche erkannten, fielen
auf entgegengesetzte Abwege von der teuren Wahrheit der göttlichen Offenbarung.
Hatte man zuvor dem Aberglauben gehuldigt, so fingen jetzt viele an, die göttliche
Wahrheit nach den Grundsätzen ihrer blinden Vernunft zu beurteilen und zu
richten.
Daher ist die lutherische Kirche die
einzige geblieben, welche die reine Lehre von dem heiligen Abendmahl
festgehalten hat; sonst keine Konfession in der ganzen christlichen Welt.
Unsere Kirche bekennt viele teure Wahrheiten, welche andere Konfessionen auch
festhalten, aber in Bewahrung der unverfälschten Sakramente steht sie jetzt
einzig da in der ganzen Welt.
Gott hast sich unsere teure
evangelisch-lutherische Kirche in der letzten Zeit dazu erkoren, dass sie das
aufbewahre, was nach Christi Willen geschehen soll, bis dass er kommt; unsere
Kirche ist die von Gott erwählte Bewahrerin des göttlichen Siegels der
Vergebung der Sünden.
Der heutige Tag ist daher ganz besonders
für lutherische Christen ein heiliger, wichtiger Festtag, der sie teils an
große ihnen anvertraute Güter, teils an wichtige, ihnen auferlegte, Pflichten
erinnert. Von dieser Seite lasst mich heute von unserem Festgegenstand zu euch
reden.
1. Korinther 11,23-32: Ich habe von dem HERRN empfangen, das
ich euch gegeben habe. Denn der HERR Jesus in der Nacht, da er verraten ward,
nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Nehmt, esst; das ist mein Leib
der für euch gebrochen wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis! Desgleichen auch
den Kelch nach dem Abendmahl und sprach: Dieser Kelch ist das neue Testament in
meinem Blut. Solches tut, so oft ihr’s trinkt, zu meinem Gedächtnis! Denn so
oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, sollt ihr des HERRN
Tod verkündigen, bis dass er kommt. Welcher nun unwürdig von diesem Brot isst
oder von dem Kelch des HERRN trinkt, der ist schuldig an dem Leib und Blut des
HERRN. Der Mensch prüfe aber sich selbst und also esse er von diesem Brot und
trinke von diesem Kelch. Denn welcher unwürdig isst und trinkt, der isst und
trinkt sich selber das Gericht damit, dass er nicht unterscheidet den Leib des
HERRN. Darum sind auch so viel Schwache und Kranke unter euch, und ein gut Teil
schlafen. Denn so wir uns selber richteten, so würden wir nicht gerichtet. Wenn
wir aber gerichtet werden, so werden wir von dem HERRN gezüchtigt, auf dass wir
nicht samt der Welt verdammt werden.
„Ich habe es von dem HERRN empfangen,
das ich euch gegeben habe.“ Mit diesen Worten beginnt, meine Lieben, der
heilige Apostel in unserem heutigen Text die Erzählung der Einsetzung des
heiligen Abendmahls. Warum setzt wohl der heilige Apostel gerade hier diese
Versicherung hinzu? Darum, weil es von unaussprechlicher Wichtigkeit ist, das
heilige Abendmahl in seiner rechten Bedeutung und nach der Einsetzung des HERRN
rein und unverfälscht zu haben. Es veranlasst mich dies daher, zu euch heute
davon zu sprechen:
Warum
sollen wir nimmermehr von dem Glauben abfallen, dass der Leib und das Blut Jesu
Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaft und wesentlich gegenwärtig seien?
Ich antworte:
1.
Weil dieser Glaube auf den
gewissesten und unwandelbarsten Gründen beruht,
2.
Weil uns ohne diesen Glauben das
ganze Wort Gottes schwankend und ungewiss werden muss, und endlich
3.
Weil uns mit diesem Glauben ein
großer und überschwänglicher Trost geraubt werden würde
1.
Die Entscheidung der Frage: Sind in dem
heiligen Abendmahl der wahre Leib und das wahre Blut Jesu Christi wahrhaft und
wesentlich gegenwärtig, hat, meine Lieben, unaussprechlichen Jammer über die
ganze Christenheit gebracht.
Handelte es sich nun hier um einen dunklen
Punkt in der christlichen Lehre, so wäre es gewiss besser, davon zu schweigen
und einen jeden seiner besten Überzeugung folgen zu lassen in einer Sache, die
niemand mit Gewissheit entscheiden könnte.
Aber hier gilt es etwas ganz anderes. Es
fragt sich hier: Soll es nach Gottes Wort gehen oder nicht? Ist Christus
wahrhaft oder nicht? Ist Christus allmächtig oder nicht? Ist Christi Fleisch
bloß Menschenfleisch oder nicht? Ist sein Blut kraftloses Menschenblut oder
nicht?
Christus spricht bei Einsetzung seines
heiligen Testaments, er, der in die Zukunft schaut wie in die Vergangenheit,
der wohl wusste, dass über seine Worte eine große Zwietracht entstehen würde,
er spricht, da er seinen Jüngern das gesegnete Brot und den gesegneten Kelch
darreicht: „Das ist“ usw. Ist hier eine Dunkelheit? Schwierigkeit?
Zweideutigkeit? Bedarf es hier einer spitzfindigen Erklärung, um eine unklare,
verdeckte Rede zu enthüllen? – Nein, nichts von alledem. Gewiss, halten wir uns
an Christi Wort, so kommen wir auf keinen anderen Sinn, als auf den: Christi
Leib und Blut wird in dem gesegneten Brot und Wein den Kommunikanten
dargereicht, er ist wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig und wird daher von
allen Kommunizierenden genossen. Niemand ist im Zweifel, was ich meine, wenn
ich ihm ein Gefäß voll Wasser darreiche und spreche: Nimm, trink, das ist
Wasser. Wird er meinen, ich wolle damit sagen, das Gefäß sei in Waser
verwandelt oder es bedeute nur Wasser? Sicherlich keines von beiden. Was ist es
aber anders, wenn Christus spricht: „Nehmt, esst, das ist mein Leib. …
Nehmt, trinkt, das ist mein Blut des neuen Testaments.“ Es ist kein
Zweifel: Wollen wir nicht glauben, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in
dem heiligen Abendmahl wahrhaft und wesentlich gegenwärtig sind, so müssen wir
von den einfachsten und klarsten Worten Jesu Christi abgehen.
Doch, spricht man, es mag sein, dass die
Worte der Einsetzung darauf hinführen, dass in, mit und unter jenen sichtbaren
Elementen jene unsichtbaren himmlischen Güter verborgen liegen und uns
mitgeteilt werden, aber wie ist es möglich, dass jener einzige Leib in
einer und derselben Stunde in tausend und abertausend Kirchen von Millionen
Christen heute und vielleicht auch gestern, ja fast täglich seit beinahe
zweitausend Jahren genossen werden konnte und noch immer kann, ohne aufgezehrt
zu werden?
Die, welche so sprechen, sollte man fragen:
Sage uns doch, wie es möglich ist, dass die Sonne täglich mit ihrem hellen
Schein in tausend und abertausend Täler und Höhlen und Gemächer und Millionen
Augen seit über 6000 Jahren dringt, ohne ihren Schein verzehren und zu
verlieren? Du schweigst? – Du kannst die Wunder der Natur nicht begreifen und
leugnest sie doch darum nicht, und doch willst du jene Wunder der Gnade
leugnen, weil du sie gleicherweise nicht begreifen kannst?
Ihr seht hieraus: Mit der Unmöglichkeit
kann man seinen Unglauben nicht entschuldigen, denn bei Gott ist kein Ding
unmöglich; dies hat uns Gott schon in der Natur offenbart.
Ist es nun nicht entsetzlich für einen
Christen, von einem klaren, hellen, deutlichen, einfältigen Wort Jesu Christi
darum abzugehen, weil es ihm ohne allen Grund nicht wohl möglich scheint?
Und wer ist es, der diese hellen und
deutlichen Worte gesprochen hat? Es ist der Wahrhaftige, der Allmächtige, der
Allwissende, der Allweise, der Allgegenwärtige, der Sohn des lebendigen Gottes,
der Gott und Mensch in Einer Person, und er spricht diese Wort ein den letzten
Stunden seines irdischen Daseins, er spricht sei bei der Einsetzung seines
Testaments.
Es spricht jene Worte der, von welchem es
heißt: „Ich bin der Weg“ usw. „Sein Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das
hält er gewiss.“ Soll Christus überall Wahrheit reden, nur hier nicht? Es
spricht jene Worte der, von welchem Petrus sagt: „HERR, du weißt alle Dinge“;
sollte Christus alles gewusst haben, und nur das nicht, dass einst über seine
letzten Worte die ganze Christenheit zerrissen werden würde, oder sollte er
nicht so weise gewesen sein, andere Worte zu gebrauchen, um dieses Unglück zu
verhüten? Es spricht jene Worte der, der von sich zeugt: „Siehe, ich bin bei
euch“ usw.; soll Christus überall gegenwärtig sein können, aber nur nicht im
heiligen Sakrament auf eine besondere, geheimnisvolle Weise? Es spricht jene
Worte der, der von sich sagt: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf
Erden“; soll Christus alle Gewalt haben, nur die nicht mit seinem Leib und Blut
im heiligen Abendmahl zu sein? Christus ist mit seinem Leib durch
verschlossene Türen gegangen, durch den versiegelten Stein des Grabes, ohne die
Siegel zu verletzen; soll er nicht auch in unseren Leib gehen können
unsichtbar? Christus ist leibhaftig zum Himmel gefahren und sitzt nun
auch als Menschensohn zur Rechten Gottes; sollte der Leib, der zur Rechten
Gottes sitzt, also allenthalben ist mit göttlicher Majestät, sollte der nicht
auch im heiligen Sakrament in Gnaden gegenwärtig sein können? Christus
speist mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischlein 5000 Mann, und zwölf Körbe
bleiben übrig; soll der nicht auch seine Christenheit mit dem Leib speisen
können, in welchem die Fülle der Gottheit wohnte leibhaftig, mit welchem
die göttliche Natur inniger vereinst ist als die Wärme mit der heißen Luft und
dem siedenden Wasser, genauer als das Feuer mit dem glühenden Stahl? Welche
herrlichen geistigen Eigenschaften teilt die Seele unserem Leib mit! – soll die
göttliche Natur der menschlichen Natur Christi keine herrlichen göttlichen
Eigenschaften mitgeteilt haben?
Es ist kein Zweifel: Wollen wir sagen, dass
wir an Christus glauben, so müssen wir auch glauben, dass sein Leib und Blut
wahrhaftig und wesentlich in seinem Bundesmahl zugegen sei, denn dieser Glaube
wird von drei großen unumstößlichen Säulen getragen: Die erste Säule ist
Christi Wort, die zweite seine Wahrhaftigkeit, die dritte seine göttliche
Allmacht. Der erste Grund also, warum wir nimmermehr von dem Glauben abfallen
sollen, dass der Leib und das Blut Christi indem heiligen Abendmahl wahrhaftig
und wesentlich gegenwärtig sei, ist: Weil wir dadurch nicht eine Lehre aufgeben
würden, über die sich noch streiten, über die sich non Manches dafür und
dawider sagen ließe, sondern eine unwandelbare gewisse Wahrheit des göttlichen
Wortes würden fahren lassen.
2.
Doch, meine Teuren, es handelt sich hier
nicht bloß um diese Eine Wahrheit, es handelt sich hier um die Gewissheit des
ganzen Wortes Gottes, welche wir sogleich aufgeben müssen, sobald wir von dem
Glauben abfallen, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen
Abendmahl wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sei, und das ist der zweite
Grund: Weil ohne diesen Glauben das ganze Wort Gottes schwankend und ungewiss
werden muss.
Geben wir zu, dass man das Wort Christi:
„Das ist“ usw., nicht wie es lautet zu nehmen brauche, sondern dafür
setzen könne: „es bedeutet“, so ist alle Gewissheit des Wortes Gottes dahin.
Dann können andere mit demselben Recht sagen: Christus ist nicht Gottes
Sohn, er bedeutet ihn nur, es ist keine Hölle, keine Auferstehung, kein
Himmel, kein Gericht, das alles, könnte man dann sagen, sind nur Bilder, nur
Zeichen, nur Symbole. Dann ist Gott nicht Mensch geworden. Die Taufe ist nicht
ein Bad der Wiedergeburt. Dann ist keine Verheißung, kein Trost mehr gewiss,
wenn du dich, o armer betrübter Christ, nicht mehr auf jedes Wort deines
Heilandes sicher und fröhlich verlassen kannst.
Wer die Gegenwart Christi im Abendmahl
leugnet, der muss auch die Allgegenwart der menschlichen Natur Christi leugnen,
also die Mitteilung der göttlichen Eigenschaften; was ist dann unsere Erlösung
und Versöhnung? Dann wäre es nicht wahr, wenn es in der Apostelgeschichte im
20. Kapitel heißt, dass Gott durch sein eigenes Blut uns erkauft hat, dass das
Blut des Sohnes Gottes uns rein macht von aller Sünde. Dann ist ein bloßer
Mensch für uns gestorben, dann ist das bezahlte Lösegeld nicht göttlich wichtig
und alles ist ein Traum, was der Christ glaubt.
Es ist kein Zweifel: Der Satan sucht durch
die falsche Lehre vom heiligen Abendmahl in der Mauer der christlichen Kirche
nur eine kleine Lücke zu durchbrechen, um dann mit tausend Irrtümern
hineinzuschlüpfen. Hat der Abfall von dem Glauben, dass der Leib und das Blut
Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig
sei, auch nicht immer so schreckliche Folgen, so ist es doch der Weg dazu; es
ist der Weg zum Zweifel an allen klaren Worten der göttlichen Offenbarung. (Und
wollten nur diejenigen, welche nicht an die Gegenwart des Leibes und Blutes
Christi im heiligen Abendmahl glauben, recht aufrichtig sein, so würden sie
gewiss meist gestehen müssen, dass sie nie in wahrem Ernst geglaubt hätten,
dass die Bibel wirklich in allen Worten das Wort des lebendigen Gottes sei.)
3.
Doch der dritte und letzte Grund, warum wir
nimmermehr von dem Glauben abfallen sollen, dass der Leib und das Blut Christi
in dem heiligen Abendmahl wahrhaftig und wesentlich gegenwärtig sei, ist
dieser, weil uns mit diesem Glauben ein großer und überschwänglicher Trost
geraubt werden würde.
Dass uns, meine Lieben, Christus seinen
Leib und sein Blut im heiligen Abendmahl zu essen und zu trinken gibt, darin
liegt ein unaussprechlicher Trost, der sich mehr erfahren als beschreiben
lässt. Was für ein Unterpfand unserer Seligkeit ist das, dass wir gespeist
werden mit dem Leib dessen, in dessen Hand alle Seligkeit liegt! Kann der uns
seine Gnade versagen, der uns arme Würmlein teilhaftig macht seiner Natur, dass
wir sagen können: Wir sind Fleisch von seinem Fleisch? Wer hat jemals sein
eigenes Fleisch gehasst? Wie kann uns Christus vergessen, wenn er sich mit uns
so innig vereinigt hat! Wie teuer muss uns der achten, der sich selbst uns
schenkt! Welche Sünde kann so groß sein, die das göttliche Fleisch nicht
versöhnte! Welche Unreinigkeit so groß, welche dieses Blut nicht abwüsche!
Welche Pfeile des Satans können so feurig sein, die in dieser Quelle nicht
verlöschen müssten! Welche Bande des Todes so fest, die dieses lebendigmachende
Fleisch nicht auflöste! Das heilige Abendmahl mit dem Leib und Blut Jesu
Christi ist der neue Baum des Lebens, der im Paradies stand, den Christus nun
wieder in sein Gnadenreich gepflanzt hat.
O anbetungswürdiges, tröstliches Geheimnis!
Das heilige Fleisch Gottes, das die Engel anbeten und die Erzengel verehren,
wird eine Speise der Sünder! Es freuen sich die Himmel, es frohlocke die Erde,
aber mehr noch die gläubige Seele, die solche und so große Geschenke genießt!
Auch diejenigen, welche nicht glauben,
haben zwar ihre Andacht bei der Feier des heiligen Sakraments, aber es ist
nichts als selbsterwählte Andacht; sie begnügen sich mit der Schale ohne kern.
O, lasst uns daher heute an dem heiligen
Stiftungstag des Testaments der sterbenden ewigen Liebe einen Bund machen,
meine Brüder und Schwestern: Nimmermehr, nimmermehr wollen wir abfallen von dem
Glauben, dass der Leib und das Blut Jesu Christi in dem heiligen Abendmahl
wahrhaft und wesentlich gegenwärtig seien.
Gott hat dieses Geheimnis uns erkennen
lassen aus lauter Gnade, o, so lasst uns daran festhalten und es treu bewahren
als ein köstliches Kleinod. Und wenn wir unseren lieben Kindern weiter nichts
hinterließen als diese Erbschaft unseres Erlösers, so erben sie unermessliche
Güter von uns; darum lasst es uns unseren Kindern einschärfen, sobald sie
lallen können. Dieser Glaube ist hier selten, ganz selten, und er ist in großer
Gefahr, o, so lasst uns mit allen Kräften dafür sorgen, dass wir diesen Glauben
bewahren. Ich bitte euch um Gottes, um eurer Seligkeit willen darum.
Oder wollt ihr von Gottes klarem Wort
abgehen?
Oder wollt ihr nicht achten, dass durch die
falsche Lehre vom heiligen Abendmahl das ganze Wort Gottes, alle darin
enthaltenen Verheißungen, Wahrheiten, Tröstungen, Hoffnungen, Warnungen und
Drohungen ungewiss werden?
Oder wollt ihr den überschwänglichen Trost,
der in dem unverfälschten heiligen Sakrament liegt, verachten?
O Jesus, hilf du uns! Wir klagen dir unsere
bisherige Untreue, Blindheit, Geringschätzung. Entziehe uns darum dein heiliges
Sakrament nicht; mache uns treu, heilige unsere Herzen und Hände; erhalte
unserer armen Gemeinde diesen unermesslichen Schatz, den unsere Väter uns
vererbt haben; lass uns als Zeugen auch dieser Wahrheit dastehen. O, lass noch
recht viele zu dieser Erkenntnis kommen, dass noch recht vielen dadurch
verseigelt werde deine Gnade. Ach, bleib bei uns, HERR Jesus Christus! Amen.
Ja, HERR Jesus! Vor dir liegen wir heute im
Staub, schlagen an unsere Brust und seufzen zu dir: Erbarme dich unser! Lass
deines Todes bittere Pein an uns armen Sündern nicht verloren sein. Du riefest
einst an diesem Tag: „Mich dürstet“; o, stille heute deinen Durst nach unseren
Seelen und errette sie aus ihrem Elend. Du breitetest einst an diesem Tag deine
Arme am kreuz aus; o, schließe uns heute in diese Arme deiner Erbarmung. Du
ließt dir einst an diesem Tag Wunden schlagen in deine heiligen Hände, in deine
heiligen Füße und in deine heilige Seite; o, nimm uns heute darin auf und lass
uns darin Zuflucht finden vor dem Zorn deines Vaters. Du vergossest einst an
diesem Tag in Strömen dein heiliges teures Blut; o, besprenge unsere
verschmachteten Herzen nur mit einem Tröpflein, so genügt uns. Erhöre uns,
erhöre uns, du für uns gekreuzigte Liebe. Amen. Amen.
In Jesu Tod getaufte, teure Zuhörer!
Ein Tag der tiefsten Trauer ist mit dem
heutigen uns wieder gekommen. Der traurigste im ganzen Kirchenjahr. Heute
möchten wir Himmel und Erde und alle Kreaturen aufrufen, mit uns zu trauen und
zu klagen. Heute möchten wir die Sonne bitten, ihr Lichtkleid auszuziehen und
sich mit uns einzuhüllen in nächtliche Trauerkleider, und die Wolken, mit uns
zu weinen. Heute möchten wir erschrecken vor jedem Laut der Freude, der über
unsere Lippen gehen will, ja, vor jedem Gedanken der Freude, der sich in
unserem Herzen regen will. Wenn wir während des ganzen Jahres noch nicht
geweint haben, so sollten wir doch heute bittere Tränen vergießen,
Tränen göttlicher Traurigkeit, die da wirkt eine Reue zur Seligkeit, die
niemand gereut.
Denn was ist es, was uns heute in dem Haus
des HERRN versammelt hat? Wir sind heute hier zusammengekommen, um im Geist den
Hügel Golgatha zu besteigen. Und was erblicken wir da? Mitten zwischen zwei
Missetätern hängt ein Mann hoch am schimpflichen Kreuzespfahl nackt und bloß
vor unseren Augen da. Hände und Füße sind ihm mit Nägeln durchbohrt. In das
Haupt ist eine Krone von Dornen gedrückt. Der ganze Leib ist zergeißelt. Aus
tausend Wunden rinnt stromweis das Blut zur Erde. Die Sonne steht hoch; es ist Mittag;
aber siehe! Plötzlich verliert die Sonne ihren Schein, und es wird dunkle,
rabenschwarze Nacht. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ so
ruft der Mann der Schmerzen durch die grauenvolle Finsternis. Niemand antwortet
ihm mit einem Wort des Trostes, sondern höhnend und spottend umschwärmt man das
Kreuz. Endlich ruft der Gekreuzigte aus: „Vater, in deine Hände befehle ich
meinen Geist!“ Hierauf neigt er sein Haupt – und verscheidet. –
Und wer ist es, der eben nach namenloser
Marter seine gequälte Seele aushaucht? – Ach, der Sohn Gottes selbst, der
Heiland aller Sünder, ist es, der da stirbt.
Da hängt er, der HERR der Herrlichkeit und
Herzog unserer Seligkeit, aber er ist tot. Der heilige Leib, in welchem die
ganze Fülle der Gottheit wohnt, ist eine Leiche, kalt und starr. Das hohe
Haupt, vor welchem sonst die Hölle bebte, ist zur Erde gesenkt. Das holde
Antlitz, das sonst allen Unglücklichen wie die Morgenröte leuchtete, ist
erblasst. Die Stimme, sie sonst so freundlich allen Mühseligen und Beladenen
zurief: „Kommt her zu mir, ich will euch erquicken“, sie ist verklungen. Das
Auge, das sonst so mild und liebreich in der Menschen Elend hineinsah, ist
gebrochen. Die Hand, die sich auf Kranke legte, und sie wurden gesund; welche
den Finger aufhob, und Sturm und Woge schwiegen und der Tod gab seine Toten
wieder, sie ist erstarrt. Das treue Herz, ach, das einzig treue Herz, das für
die Not aller Sünder so warm und liebend schlug, es steht still.
Ach, der Menschen einiges Leben ist tot;
der Menschen einiges Heil ist gestorben. Und wer ist es, der ihn getötet hat?
Ach, unsere Sünden sind die Nägel, die die ewige Liebe ans Kreuz geschlagen;
wir selbst sind es, die wir unser Heil, unser Leben, unsere Seligkeit getötet
haben.
O Tag unserer größten Sünde! O Tag unserer
schwersten Schuld! O Tag des Jammers, des Klagens, Weinens und Seufzens!
Seht, darum hat von jeder die Kirche heute
gesungen:
O Traurigkeit!
O Herzeleid!
Ist das nicht zu
beklagen? –
Gott, des Vaters
einig Kind,
Wird ins Grab
getragen.
Brich entzwei,
mein armes Herze,
Mein armes Herze,
brich entzwei!
Ach, mein Schmerz,
mein großer Schmerze,
Der ist so viel
und mancherlei.
Der Himmel
zittert,
Die Erde
schüttert,
Ach Not! Ach Not! Ach Not! –
Jesulein!
Jesulein!
Mein Heil – ist
tot!
Doch, meine Brüder und Schwestern, wohl
uns, wenn solche Betrachtungen des Todes Jesu in unserem Herzen lebendig
werden! Wohl uns, wen wir heute nicht sowohl über Jesus, als vielmehr über uns
selbst weinen und klagen! Das ist der Weg, auf welchem uns Jesu Tod endlich
auch eine Quelle des Trostes werden muss, denn er, unser Heil, ist gestorben,
damit wir das Heil erlangten; er, unser Leben, ist in den Tod gesunken, damit
wir das Leben haben könnten. Von dieser Seite lasst uns jetzt seinen Tod
andächtig erwägen.
1. Thessalonicher
5,9.10: Denn Gott hat uns nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu
besitzen, durch unseren HERRN Jesus Christus, der für uns gestorben ist, auf
dass, wir wachen oder schlagen, zugleich mit ihm leben sollen.
Der heilige Apostel bezeugt uns aber in den
verlesenen Worten, dass Gott uns nicht zum Zorn, sondern zur Seligkeit bestimmt
habe, denn Christus sei für uns gestorben, damit wir mit ihm leben. Hiernach
sei der Gegenstand unserer jetzigen Betrachtung:
Christi
Tod – unser Leben
Nämlich
1.
Unser geistliches Leben hier in der
Gnade und
2.
Unser ewiges Leben dort in der
Herrlichkeit.
1.
„Christi Tod – unser Leben“, da soll also
heute mein Thema sein. Aber wie? Liegt in diesem Satz nicht ein Widerspruch?
Weg mag Leben nehmen von den Toten? Ist das nicht widersprechender, als dass
aus Nichts Etwas werden soll? – Tod soll Leben geben, heißt das nicht, die
Kälte soll wärmen, die Finsternis soll leuchten, die Leere soll ausfüllen, die
Ohnmacht soll Stärke geben, des Lebens Ende soll des Lebens Keim und Anfang
sein? Ja! und doch ist es so. Wie das tötende Gift zur Arznei wird und Heilung
wirkt, so werden wir durch Christi Wunden heil, so wird sein Tod
unser Leben. Und zwar spricht der Apostel in unserem Text: „Christus
ist für uns gestorben, auf dass, wir wachen oder schlafen“, das heißt, wir
mögen nun noch auf Erden wandeln oder bereits im Grab schlummern, „wir
zugleich mit ihm leben sollen“. Christi Sterben gibt uns also schon
hier das wahre Leben.
Als nämlich Gott den Menschen schuf, da war
der Mensch nicht nur leiblich unsterblich, sondern es war auch das wahre Leben,
ein geistliches, göttliches, himmlisches Leben in ihm. Gott selbst wohnte
nämlich in dem Menschen, belebte, erleuchtete und regierte ihn und heiligte
alle seine Gedanken, Begierden, Worte und Werke. Aber in diesem seligen Zustand
sollte der Mensch nicht bleiben, er hätte denn zuvor eine Probe bestanden. Gott
führte ihn daher an einen Baum und sprach: „An welchem Tag du davon essen wirst,
sollst du des Todes sterben.“ Und was taten die Menschen? Sie bestanden ihre
Probe nicht, sie sündigten, sie aßen von dem verbotenen Baum, und ach, dadurch verloren
sie nun das wahre Leben; Gott verließ den entweihten Tempel ihres Herzens; so
zog denn der Tod in ihren Leib und alle seine Glieder ein, ja, auch in ihr Herz
und in den Grund ihrer Seele. Von Gott getrennt, ohne seine Gnade, ohne sein
Licht, ohne seine Kraft, ohne sein Leben, fielen sie nun in den geistlichen,
leiblichen und ewigen Tod, und mit ihnen das ganze menschliche Geschlecht, mit
ihnen auch wir!
Wie sollte uns Menschen nun wieder geholfen
werden? Wir selbst konnten es nicht. Wir konnten ja den Fall in die Sünde, auf
welchen der Tod gesetzt war, nicht ungeschehen machen; und ach, die Menschen wissen
es nicht einmal von Natur, dass sie im Tod liegen. Die Menschen sind von Natur
alle geistlich tot, und sie meinen, sie leben; sie liegen alle von Natur unter
Gottes Zorn, und sie träumen von Gottes Gnade und Lieben; sie stehen alle am
Rand eines ewigen Todes, und sie sind gutes Mutes, als habe es keine Gefahr.
Die Menschen konnten daher Gott nicht einmal um Errettung aus ihrem Tod bitten,
geschweige selbst ihres Todes #Bande zerrreißen und ihres Todes Kerker sich
öffnen.
Doch Gott ist ein Gott, der des Sünders Tod
nicht wollte, der uns, wie es in unserem Text heißt, „nicht gesetzt hat zum
Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen“. Er beschloss daher uns aus dem
Tod zu erlösen. Da aber Gott auch ein gerechter Gott ist, der die Sünde strafen
muss, und da er ein wahrhaftiger Gott ist, der daher seine Drohung: „Ihr sollt
des Todes sterben“, in Erfüllung gehen lassen musste: Wie konnte und sollte nun
den Menschen geholfen werden?
Sollte dies geschehen, so konnte es nur
dann geschehen, wenn Einer für alle, wenn ein Heiliger für die Sünder, ein
Unschuldiger für die Schuldigen starb, und zwar wenn ein Solcher für sie den
Tod freiwillig übernahm, dessen Tod ein vollgültiges Opfer war zur Versöhnung
aller. Eine solche Person, die dies nicht nur tun wollte, sondern auch konnte,
gab es aber unter allen endlichen und geschaffenen Wesen im Himmel und auf
Erden keine. Gott selbst war es allein, der dies tun konnte; und siehe, er
hat’s nicht allein tun können, er hat’s auch zum Zeugnis seiner
grundlosen Sünderliebe tun wollen. Schon von Ewigkeit hat Gott, der
Vater, beschlossen, seinen Sohn für uns in den Tod dahin zu geben, und der
ewige Sohn sich bereit erklärt, den Tod für uns zu leiden. Sobald daher der
Mensch in Sünde und Tod gefallen war, da erschien Gott und gab ihm die
Verheißung.: „Der Weibessame soll der Schlange den Kopf zertreten, sie aber
wird ihn in die Ferse stechen.“ Und viertausend Jahre lang war das vor allem
die Verkündigung aller Boten Gottes an die Menschen, Gott wolle nicht den Tod
des Sünders, sondern dass er leben; er habe daher einen Tag bestimmt, an
welchem durch Ein Opfer, das Gott selbst bringen wolle, die ganze in Sünden
tote Welt mit ihm versöhnt und erlöst werden solle. Daran sollte schon Abels
Opfer erinnern, das er von den Erstlingen seiner Herde Gott auf sein Geheiß
schlachtete. Daran sollte besonders das Opfer erinnern, welches Abraham durch
Darbringung seines einigen geliebten Sohnes Isaak auf Gottes Befehl ihm zu
bringen sich bereit zeigte. Daran sollte ferner die Schlachtung des Passahlamms
erinnern, mit dessen Blut Israel die Schwellen und Pfosten seiner Türen
besprengte, damit der Würgeengel des Todes vorüber ging. Daran sollten ferne
alle die blutigen Sühnopfer erinnern, welche die Priester und Leviten täglich
nach dem Gesetz darbringen mussten. Daran sollte endlich besonders die
alljährliche Erscheinung des Hohepriesters an dem großen Versöhnungstag
erinnern mit Opferblut in dem Allerheiligsten. Daher spricht Jesaja von dem
zukünftigen Erlöser und Versöhner: „Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben
hat, so wird er Samen haben und in die Länge leben, und des HERRN Vornehmen
wird durch seine Hand fortgehen.“ Ferner schreibt Daniel: „70 Wochen sind bestimmt,
so wird dem Übertreten gewehrt und die Sünde zugesiegelt und die Missetat
versöhnt und die ewige Gerechtigkeit gebracht, und Christus wird ausgerottet
werden und das Opfer aufhören.“ Endlich schreibt Sacharja: „So spricht der HERR
Zebaoth: Ich will die Sünde desselben Landes wegnehmen auf einen Tag. Du lässt
durch’s Blut deines Bundes aus deine Gefangenen aus der Grube, da kein Wasser
drinnen ist.“
Dieses alles ist damals auf Golgatha durch
Jesu Tod erfüllt worden. Daher sprach er schon vorher, als die Jünger über die
Verkündigung seines Todes traurig wurden: „Es ist euch gut, dass ich hingehe“,
und an anderen Stellen: „Ich lasse mein Leben für die Schafe. Des Menschen Sohn
ist gekommen, dass er gebe sein Leben zur Erlösung für viele. Das ist mein
Leib, der für euch gegeben wird. Das ist mein Blut des neuen Testaments,
welches vergossen wird für viele, zur Vergebung der Sünde.“
Ebenso reden daher auch die heiligen
Apostel von Christi Tod. So schreibt unter anderem Paulus: „Christus ist um
unserer Sünde willen dahingegeben. Christus hat uns geliebt und sich selbst
dargegeben für uns, zur Gabe und Opfer, Gott zu einem Süßen Geruch. Christus
ist für uns Gottlose gestorben. Wir sind Gott versöhnt durch den Tod seines
Sohnes. Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber.“ Endlich
heißt es im Brief an die Hebräer: „Christus ist einmal geopfert, wegzunehmen
vieler Sünden. Christus ist durch sein eigenes Blut einmal in das Heilige
eingegangen und hat eine ewige Erlösung erfunden.“
Seht da, meine Teuren, den Beweis dafür,
dass Christi Tod unser Leben ist. Gott hatte uns Menschen von Ewigkeit in dem
Blut unserer Sünden liegen sehen, wie ausgesetzte, verworfene Kinder; als aber
Christus für uns freiwillig am Kreuz gestorben war, da rief er über uns alle
aus: „Ihr sollt leben!“ So unermesslich groß auch unsere Sündenschuld ist, die
wir bei Gott gemacht haben: Durch Christi Tod ist sie vollkommen und
überflüssig bezahlt. So unaustilgbar auch die Handschrift des Gesetzes war, die
gegen alle Menschen vor Gott gezeugt und sie verklagt hat: Durch Christi Tod
ist sie ausgetilgt; da hat sie Christus aus dem Mittel getan und an das Kreuz
geheftet. So hoch vorher auch die Scheidewand war, die unsere Sünde zwischen
uns und Gott aufgerichtet hatte: Durch den Tod Christi ist sie niedergerissen
und der Zaun abgebrochen, der dazwischen war, und durch seine schmähliche
Erhöhung an das Kreuz Himmel und Erde wieder vereinigt. So schrecklich auch der
Fluch war, den Gott auf die ganze Welt, nachdem sie von ihm abfiel, legte:
Durch den Tod Christi am Holz des Fluches ist unser Fluch nun hinweggenommen
und in Heil und ewigen Segen verwandelt. So schwer endlich auch der Zorn war,
zu welchem wir den heiligen Gott durch unsere Sünden gereizt hatten: Durch Christi
Tod ist Gott nun vollkommen versöhnt; Christi für uns um Barmherzigkeit
schreiendes Versöhnungsblut hat das Feuer des göttlichen Zornes ausgelöscht und
es in ein hell loderndes, nie erlöschendes Feuer göttlicher Vaterliebe
verwandelt. An den verbotenen Früchten des Baumes der Erkenntnis von Gut und
Böse in dem irdischen Paradies haben wir den Tod uns gegessen; aber an dem
Kreuzesbaum hängt nun Gottes Sohn selbst als eine Frucht aus dem himmlischen
Paradies, die uns nicht verboten ist, nach welcher jeder Mensch mit der Hand
seines Glaubens greifen, die er genießen und woran er sich das Leben essen
soll, das wahre Leben, welches ist Vergebung der Sünden, Gottes Gnade und
Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist.
O wohl allen, die sich gläubig in Christi
Tod versenken! Diese erwachen aus ihrem geistlichen Tod und sie können dann mit
Paulus sagen: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir; denn
was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes, der
mich geliebt hat und sich selbst für mich dargegeben.“
2.
Doch, meine Teuren, Christi Tod ist unser
Leben nicht nur insofern, als uns durch denselben das geistliche Leben in der
Gnade wieder erworben worden ist, sondern auch zweitens insofern, als uns
dadurch auch das ewige Leben in der Herrlichkeit wieder eröffnet worden ist.
Dass wir Menschen durch die Sünde in den geistlichen
Tod gefallen sind, das erkennen nur wenige, nur diejenigen, welche sich‘s
durch den Heiligen Geist haben offenbaren lassen, dass wie von Natur ohne
Licht, ohne Kraft und ohne Gnade, finster, ohnmächtig, verloren sind. Aber dass
wir Menschen durch die Sünde in den leiblichen Tod gefallen sind, das
muss jeder erkennen, wer nur seine Augen auftun will. „Mensch, du musst
sterben!“ Dies brauchen wir Prediger nicht erst zu predigen, dieses finstere,
schreckliche Wort ruft allen Menschen die ganze alljährlich dahinsterbende
Natur, jeder Leichenzug, jeder Sarg, jedes Grab und besonders jede Krankheit
und jedes graue Haar des Alters zu. Aber ach, so finster dem Menschen die
Gestalt des leiblichen Todes vor seiner Seele steht, so gibt es doch noch einen
anderen Tod, welcher auf den zeitlichen Tod folgt, der noch viel schrecklicher
ist; das ist der andere oder der ewige Tod, nämlich eine ewige Trennung von
Gott, eine ewige Verstoßung von seinem Gnadenantlitz, eine ewige Ausschließung
von aller Freude, von allem Licht, von allem Frieden, von aller Seligkeit, in
ewiger Not, Qual und Pein. Auf die Sünde ist aber auch dieser Tod gefolgt.
O, wie elend wären wir daher, wenn es von
dem zeitlichen und so auch von dem ewigen Tod keine Erlösung gäbe! Dann müssten
wir wünschen, nie geschaffen zu sein, und die Stunde unserer Geburt
verwünschen, als den Anfang einer ewigen Not.
Aber, gelobt und gebenedeit sei der heilige
und gnädige, der gerechte und barmherzige Gott! Christi Tod ist unser Leben!
und durch Christi Tod sind wir nicht nur von dem geistlichen, sondern auch von
dem leiblichen und ewigen Tod erlöst, er ist die Quelle auch unseres ewigen
Lebens in der Herrlichkeit. Denn in unserem Text heißt es: „Gott hat uns
nicht gesetzt zum Zorn, sondern die Seligkeit zu besitzen, durch unseren HERRN
Jesus Christus, der für uns gestorben ist, auf dass, wir wachen oder schlafen,
wir zugleich mit ihm leben sollen.“ Dasselbe drückt der Verfasser des
Briefes an die Hebräer so aus: „Christus hat durch den Tod die Macht genommen
dem, der des Todes Gewalt hatte.“
Es scheint freilich, als ob der Tod auch
nach Christi Tod noch dieselbe Macht hätte. Denn verschlingt sein
unersättlicher Schlund nicht noch immer täglich Tausende? Regiert er, dieser
König des Schreckens, nicht noch immer mit eisernem Zepter und
unwiderstehlicher Gewalt über die ganze Welt? Werden nicht noch immer
diejenigen, welche sich Christi Todes trösten, ebenso wohl des Todes Beute wie
die, die Christi Tod verwerfen?
Es scheint freilich so. Aber es ist eben
nur Schein. Der Stachel des zeitlichen Todes ist die Sünde, denn der Tod ist
der Sünde Sold. Um der Sünde willen hat der Mensch die ihm anerschaffene
Unsterblichkeit verloren, dass er nun wieder Erde werden muss, davon er
genommen ist. Um der Sünde willen führt der zeitliche Tod den Menschen vor
Gottes Gericht und wird ihm so eine Pforte des ewigen Todes. Durch Christi Tod
ist aber die Sünde versöhnt und getilgt, denn durch den Tod hat Christus den
letzten Sold der Sünde für alle Sünder bezahlt. Darum ist auch durch Christi
Tod unser Tod überwunden. Wie eine Biene, wenn sie heftig gegen einen Felsen
sticht, ihren Stachel verlieret und sich selbst tötet, so hat auch der Tod, da
er Christus, dem Fels unseres Heils, in die Ferse stach, damit seinen Stachel
verloren, ja, Christus hat ihm im Augenblick des Stechens seinen Kopf
zertreten. Wie ein Gift, wenn es verschlungen wird, seine Kraft nicht verliert,
sondern den, der es verschlingt, tötet, so hat auch Christus dadurch, dass er
von dem Tod verschlungen wurde, seine Kraft nicht verloren, sondern er hat den
Tod verschlungen, den Tod getötet. Daher spricht Christus schon durch den
Propheten Hosea: „Ich will sie erlösen aus der Hölle und vom Tod erretten. Tod,
ich will dir ein Gift sein; Hölle, ich will dir eine Pestilenz sein.“ Daher jauchzt auch St. Paulus im Hinblick auf
den Gekreuzigten: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein
Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Aber der Stachel des Todes ist die Sünde, die
Kraft aber der Sünde ist das Gesetz. Gott aber sei Dank, der uns den Sieg
gegeben hat, durch unsern HERRN Jesus Christus.“
O, wer mag daher den Reichtum der süßen
Früchte aussprechen, welche Christi Tod gebracht hat? Paulus gibt sie mit den
kurzen Worten an: „Ist Einer für alle gestorben, so sind sie alle gestorben“;
und im Brief an die Hebräer heißt es: „Christus hat von Gottes Gnaden für alle
den Tod geschmeckt.“ Wir Menschen sind also nun nach Christi Tod so angesehen,
als ob wir schon alle gestorben seien; wir sollen daher nun nicht mehr mit dem
Tod die Schuld unserer Sünden bezahlen. Wir Menschen sollen nun nicht mehr des
Todes Bitterkeit schmecken, denn #Christus hat für uns den bitteren Todeskelch
ausgetrunken, ihn mit seiner Gnade angefüllt und so ihn in einen süßen Kelch
des Lebens verwandelt.
Ob daher auch der, welcher an die Kraft
des Todes Christi glaubt, zu sterben scheint, in Wahrheit stirbt er nicht. Für
den Gläubigen ist der Tod nun nicht mehr ein Gift, das seinen Leib zerstört,
sondern eine Arznei, die seinen Leib zur Verklärung bringt und in ein Kleid der
Unsterblichkeit verwandelt. Für den Gläubigen ist nun der Tod nicht mehr ein
Bote, der ihn vor Gottes strenges Gericht führt, sondern ein Friedensengel, der
ihn zum Gnadenthron und zum Anschauen Gottes von Angesicht zu Angesicht führt.
Für die Gläubigen ist nun der Tod nicht mehr ein Schiffbruch aller ihrer
Freuden, sondern der Schlüssel, der ihren Kerkere dieser bösen Welt aufschließt
und sie in ewige Freiheit setzt. Für die Gläubigen ist der Tod nun nicht mehr
ein Eingang zum ewigen Tod und zur Hölle und Verdammnis, sondern eine Tür zum
ewigen Leben und zum Himmel und zur Seligkeit.
O seliger Tag, an welchem Jesus für uns
starb! Tag des Heils, des Segens und Lebens! Sein Trauerkleid zieht uns das
Feierkleid des ewigen Lebens an. Denn wir singen heute nicht nur:
O große Not!
Gott selbst ist
tot!
Am Kreuz ist er
gestorben.
Sondern wir müssen
auch hinzusetzen:
Hat dadurch das
Himmelreich
Uns aus Lieb
erworben.
O liebe Zuhörer, so lasst uns denn Welt und
Sünde gänzlich verlassen; denn darin ist doch nur Tod, geistlicher, zeitlicher
und ewiger Tod. Lasst uns uns im Glauben versenken in Christi Tod; denn darin
ist Leben, das Leben hier in der Gnade und das Leben dort in der Herrlichkeit.
Wie viel würde mancher Reiche geben, wenn
er sich damit vom Tod loskaufen könnte! O, so lasst uns doch nach Golgatha
gehen, denn da finden wir Erlösung vom Tod frei und umsonst.
Besonders lasst uns in der Stunde unseres
Todes an Christi Tod im Glauben gedenken, so werden wir den Tod nicht
schmecken. Denn gleichwie Mose eine Schlange in der Wüste erhöht hat, so musste
auch des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht
verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Amen.
HERR Jesus! Heute stehen wir nicht mehr
seufzend und weinend um dein Kreuz, heute sind wir frohlockend versammelt um
dein Grab; denn siehe: Dein Grab ist leer! Du bist auferstanden! Auferstanden
in Herrlichkeit! Mit unseren Sünden beladen, blutetest du auf Golgatha; von
unseren Sünden losgesprochen und frei, drangst du nach drei Tagen als Sieger
über Sünde, Tod und Hölle triumphierend aus deinem Grab hervor. O, welch eine
Freude für alle Sünder! Aber, siehe, HERR, auch unser Herz ist ein Grab:
finster, öd und kalt. O, halte doch darum in diesen Tagen Auferstehung auch in
unseren Herzen, auf dass es sich darin auch rege und dasselbe voll
licht, Leben und Freude werde. Dazu segne die Botschaft von deiner Auferstehung
auch in dieser Stunde, um dieses deines glorreichen Ostersieges willen. Amen.
Markus 16,1-8: Und da der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena
und Maria Jakobi und Salome Spezerei, auf dass sie kämen und salbten ihn. Und
sie kamen zum Grabe ersten Tag der Woche sehr früh, da die Sonne aufging. Und
sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Und sie
sahen dahin und wurden gewahr, dass der Stein abgewälzt war; denn er war sehr
groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand
sitzen, der hatte ein langes weißes Kleid an. Und sie entsetzten sich. Er aber
sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den
Gekreuzigten; er ist auferstanden und ist nicht hier. Siehe da die Stätte, da
sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt’s seinen Jüngern und Petrus, dass er
vor euch hingehen wird nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch
gesagt hat. Und sie gingen schnell heraus und flohen von dem Grab; denn es war
sie Zittern und Entsetzen ankommen. Und sagten niemand etwas; denn sie
fürchteten sich.
In dem auferstandenen Christus, geliebte
Zuhörer!
„Entsetzt euch nicht; ihr sucht Jesus
von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist auferstanden und ist nicht hier.
Siehe da die Stätte, da sie ihn hinlegten.“ So rief ein Engel jenen
gottseligen galiläischen Frauen zu, welche schon im Morgengrauen zu Christi
Grab geeilt waren, um seinen Leichnam zu salben. Wohl war, wie Markus in
unserem Evangelium berichtet, diese teuren Seelen bei dem Anblick eines
heiligen Engels „Zittern und Zagen angekommen“; allein Matthäus
berichtet zugleich, dass mit ihrer Furcht „große Freude“ verbunden
gewesen sei. Und o, wie groß mag diese ihre Freude gewesen sein! Die Größe
dieser Freude auszusprechen ist ganz unmöglich. Keine menschliche Sprache
reicht dazu hin. Hatte zuvor ihr Herz wie im Blut geschwommen, so schwamm es
jetzt in himmlischem Entzücken. War ihnen zuvor nicht anders zumute gewesen,
als ob Sonne, Mond und alle Sterne des Himmels verloschen und die ganze Welt in
eine dichte undurchdringliche Nacht der Hoffnungslosigkeit eingehüllt sei, so
war ihnen jetzt nicht anders zumute, als ob plötzlich die Finsternis
verschwunden und die Sonne alles Trostes in voller Pracht aufgegangen sei und
die ganze Welt in ihren hellen Strahlen ihnen entgegenlache. Die Erde
verwandelte sich jetzt vor ihren Blicken in ein neues Paradies, in einen Himmel
voll Seligkeit. Mit einem Wort: Sie empfanden jetzt, nachdem sie drei Tage lang
wie mit dem Tod gerungen hatten, einen Vorschmack des ewigen Lebens.
Welch einen ganz anderen Eindruck mag
hingegen die Kunde von Christi Auferstehung auf die Feinde Christi, auf
die verstockten Hohenpriester und Ältesten gemacht haben! Was mögen sie gefühlt
haben, als sie, aufgeschreckt aus ihrem süßen Traum, Jesus, der so oft ihre
Heuchelei gestraft hatte, sei nun tot, von etlichen Wächtern des Grabes Christi
die Nachricht erhielten, wie am Morgen des dritten Tages nach Christi Tod die
Erde plötzlich in ihren Grundfesten erbebt und erschüttert worden sei und das
Grab sich plötzlich geöffnet habe, wie sie alsbald vor Schreck wie tot zu Boden
gestürzt seien und wie, nachdem sie wieder zu sich gekommen, eine wunderbare
Stimme weinenden Frauen zugerufen habe: „Er ist auferstanden und ist nicht
hier“! Da wird ihnen nicht anders zumute gewesen sein, als ob Gott selbst
zu ihnen spräche: Was habt ihr getan, ihr Christusmörder? Wehe euch immer und
ewig! Da werden ihnen die Knie geschlottert und das Herz im Leib gezittert
haben. Zwar hat hierauf diese Verstockten nicht des Petrus Reue erfüllt, aber
des Judas Verzweiflung ergriffen. Wohl fürchteten sie auch nicht, dass der
Auferstandene sich ihnen lebendig darstellen werde, um sich noch einmal von
ihnen kreuzigen zu lassen; aber, an Gottes Gnade gänzlich verzweifelnd und Gott
und ihre Seligkeit aufgebend, ersinnen sie, um wenigstens nicht vor Menschen
zuschanden zu werden, die lächerliche Lüge: Des Nachts, als die Wächter
geschlafen, seien die Jünger gekommen und hätten den Leichnam Jesu gestohlen;
und sie gaben nun den ruchlosen Soldaten Geld genug, das heißt, so viel
dieselben sich dafür ausbedingten, diese Lüge allenthalben zu verbreiten. Ein
Gleiches werden, meine Lieben, einst am Jüngsten Tag alle ungläubigen Verächter
Christi erfahren, wenn die letzte Posaune erschallen und Christus, der
Auferstandene, in seiner Herrlichkeit in den Wolken des Himmels erscheinen wird
und alle heiligen Engel mit ihm, und wenn er sich nun vor ihren Augen auf den
Stuhl seiner Herrlichkeit setzen wird, zu richten alle Lebendigen und Toten.
Dann werden, wie die Schrift sagt, heulen alle Geschlechter der Erde und
verzweiflungsvoll sagen zu den Bergen: „Fallt über uns, und zu den Hügeln:
Deckt uns, und verbergt uns vor dem Angesicht des, der auf dem Stuhl sitzt, und
vor dem Zorn des Lammes. Denn es ist gekommen der große Tag seines Zorns, und
wer kann bestehen?“ (Luk. 23,3o; Offenb. 6,16.17.)
Doch, meine Lieben, so lange Christi
Auferstehung noch hier auf Erden in der Gnadenzeit gepredigt wird, da hat
dieses nie diesen schrecklichen Endzweck, sondern vielmehr allezeit den
gnadenvollen Endzweck, in das Herz eines jeden Zuhörers himmlische Freude
auszugießen. Dies sehen wir unter anderem daraus, dass der Engel in unserem
Text den frommen Frauen, nachdem er denselben Christi Auferstehung verkündigt
hatte, nicht nur zuruft: „Entsetzt euch nicht!“ sondern ihnen auch den
Auftrag gibt: „Geht aber hin und sagt’s seinen Jüngern und Petrus.“
Wunderbar! Auch den treulosen Jüngern sollen sie die Freudenbotschaft von
Christi Auferstehung bringen!
Hiernach lasst mich euch denn jetzt
vorstellen:
Dass
die Osterbotschaft einst auch an die treulosen Jünger gerichtet war, ein
herrliches Zeugnis, dass sie eine Freudenbotschaft für alle, auch die größten
Sünder, ist
Hierbei last mich euch zweierlei zeigen:
1.
Wie dieses, dass die Osterbotschaft
auch an die treulosen Jünger gerichtet war, wirklich ein solches herrliches
Zeugnis sei, und
2.
Dass daher auch ein jeder, welcher
die Osterbotschaft hört, dieselbe mit wahrer Herzensfreude aufnehmen sollte.
1.
„Da verließen ihn alle Jünger und flohen.“
So schreibt Matthäus, nachdem er berichtet hatte, dass Christus gefangen
genommen worden war. Dieses schmähliche Verlassen Christi in seiner höchsten
Not war, meine Lieben, eine große, eine ganz schreckliche Sünde. Bedenkt nur
Folgendes. Die Jünger glaubten von Herzen, dass Christus Gottes Sohn und der
Heiland der Welt sei; sie sündigten daher hierbei nicht in Unwissenheit,
sondern ganz offenbar wider besseres Wissen und Gewissen. Christi tiefe
Erniedrigung kam ihnen auch nicht unerwartet; Christus hatte ihnen ja sein
Leiden nach allen Umständen desselben auf das genaueste und wiederholt
vorausgesagt; Christus hatte sogar noch wenige Stunden vorher die Jünger vor
Ärgernis gewarnt; sie handelten daher in der sie jetzt treffenden Versuchung
auch nicht unvorbereitet, sondern trotz erhaltener treuer Warnung; ihr Fall war
sonach in jeder Beziehung ein ganz unentschuldbarer. Hierzu kam: Christus hatte
sie drei Jahre lang unterrichtet, unzählige Wunder vor ihren Augen getan und
sie selbst mit Wundergaben ausgerüstet, sie allmächtig b4eschützt und ihnen
soeben durch seinen majestätischen Befehl: „Sucht ihr den mich, so lasst diese
gehen“, sozusagen, einen Freipass ausgewirkt. Und doch heißt es: „Da verließen
ihn alle Jünger und flohen!“ O schändlicher Unglaube! O greuliche
Undankbarkeit!
Und wie verheilt sich in dieser Stunde der
Versuchung Petrus, der doch schon von Natur ein tapferer, furchtloser Mann war?
– Wohl hatte er noch vor wenigen Stunden Christus heilig und teuer versichert:
„HERR, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.“ Wohl
hatte er sogar, sich in großem Selbstvertrauen über alle seine Apostel
erhebend, gesagt: „Wenn sie auch alle sich an dir ärgern so will doch ich mich
nimmermehr ärgern.“ Ja, obwohl ihm Christus seinen Fall warnend vorausgesagt
hatte, hatte er doch erwidert: „Und wenn ich mit dir sterben müsse so will ich
dich nicht verleugnen.“ Und was ist geschehen? Zwar zieht Petrus im Garten
Gethsemane in blindem, fleischlichem Eifer sein Schwert, als die Häscher die
Hände an Jesus legen, und zwar folgte er seinem gefangenen Meister von ferne.
Aber ach, als im Vorhof des hohepriesterlichen Palastes eine Magd mit den
Worten vor ihn hintritt: „Und du warst auch mit dem Jesus aus Galiläa“ da leugnet
er und spricht: „Ich bin’s nicht. Ich weiß nicht, was du sagst“; und als
hierauf eine andere Magd, auf Petrus deutend, spricht: „Dieser war auch mit dem
Jesus von Nazareth“, da verleugnet er und gibt die schreckliche Antwort: „Ich
kenne den Menschen nicht.“ Ja, als endlich noch andere ihn am Schein des Kohlfeuers
wiedererkennen und ihm zurufen: „Wahrlich, du bist auch einer von denen; deine
Sprache verrät dich“, und da sich Petrus nun entdeckt sieht, „da“, heißt es,
„hob er an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen
nicht.“ Wohl geht er nun hinaus und weint bitterlich; aber um kehrt er nicht,
um mit seinem HERRN zu sterben.
O, meine Lieben, was für eine
himmelschreiende Treulosigkeit war es also, dass alle Jünger ihren treuen HERRN
und Heiland in seiner höchsten Not feig verließen! Und wer kann besonders die
Größe der Sünde beschreiben, welche Petrus beging, als er Christus dreimal
verleugnete und endlich sprach: „Ich kenne den Menschen nicht“! Wir müssen
hierbei ausrufen: Wie? du Unglückseliger du sprichst: „Ich kenne den Menschen
nicht“? Hast du nicht einst mit wallendem Herzen ausgerufen: „HERR, wohin
sollen wir gehen, Du hast Worte des ewigen Lebens. Und wir haben geglaubt und
erkannt, dass du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn“? und nun spricht
du: „Den Menschen“? Ja, während dein Heiland gebunden neben dir steht,
verfluchst und verschwörst du dich, dass du „den Menschen“ nicht kennst!? O
Petrus! Petrus! Wie tief bist du gefallen!
Wären nicht, meine Lieben, alle Jünger, und
vor allen Petrus, wert gewesen, dass ihnen Christus nach seiner
Auferstehung nicht erschienen wäre, ja, dass er ihnen seine Auferstehung
verhehlt und sich nun andere Jünger ausgesucht hätte? Nahmen doch schon an
Christi Begräbnis nur Frauen und Fremde teil, und kamen doch auch nur Frauen zu
seinem Grab, aber kein Jünger ließ sich hier sehen; sie verbargen sich vielmehr
alle aus Furcht vor den Juden hinter Schloss und Riegel! Erst als die Kunde vor
sie kommt, der HERR sei erstanden, was sie für ein Märlein halten, da finden
sich nun einige bei dem Grab ein, die Sache zu untersuchen. Hätten sie es darum
nicht alle tausendfach verdient gehabt, dass es Christus den Engeln streng
verboten hätte, seinen treulosen Jüngern und besonders Petrus von seiner
Auferstehung etwas zu sagen? Ja, wahrlich! Aber was hatte Christus getan,
sobald er auferstanden war? – Da hatte er Engel ausgesandt, welche den zum Grab
gekommenen Frauen nicht nur seine Auferstehung verkündigen, sondern ihnen auch
den Auftrag erteilen mussten: „Geht hin und sagt’s seinen Jüngern und
Petrus.“ O, welch eine Gnade, welch eine Geduld, welche eine Liebe zu
den Sündern, auch zu den größten Sündern, offenbart sich hier!
Seht da: Dass die Osterbotschaft einst auch
an die treulosen Jünger gerichtet war, dies ist wirklich ein herrliches
Zeugnis, dass sie eine Freudenbotschaft für alle Sünder, auch für die größten
Sünder, ist.
Bist du also, mein lieber Zuhörer, deinem
Heiland untreu geworden, hast du dich vielleicht nach deiner Bekehrung wieder
in das Wesen dieser Welt verflechten lassen; bist du träge geworden zum Gebet,
lässig im Treiben des Wortes Gottes, furchtsam im Bekenntnis, o, dann denke
nicht: Ach, wäre ich nicht untreu gewesen, so könnte ich heute auch an der
Osterfreude aller wahren Christen teilnehmen; aber nun ist der Ostertag für
mich kein Freudentag, sondern nur ein Buß- und Trauertag. Nein, denke vielmehr
daran, wie untreu die Jünger gewesen sind, und doch hat Christus ihnen die
Osterbotschaft verkündigen lassen und ist ihnen endlich sogar noch an seinem
Auferstehungstag selbst leibhaftig erschienen, und at sie dadurch mit ganz
unaussprechlicher Freude erfüllt. O, freue dich denn, auch due Untreuer, mit
diesen Untreuen!
Oder bist du, mein lieber Zuhörer, deinem
Heiland etwa nicht nur untreu gewesen, sondern bist du vielleicht sogar
gänzlich von ihm abgefallen, nämlich in grobe greuliche Sünden und Schaden
gefallen, o, dann denke nicht: Ach, wäre ich nicht so tief gefallen, so könnt4e
ich heute auch mit allen Gläubigen fröhlich einstimmen in ihre heiligen
Triumphgesänge und mit ihnen der Sünde, des Todes und der Hölle spotten; aber
nun kann ich nichts tun als weinen und seufzen: O Jesus, du Gotteslamm, erbarme
dich meiner: hilf mir, wenn mir noch zu helfen ist! Nein, denke vielmehr an
Petrus, den großen Sünder, der seinen Heiland dreimal verleugnet und sich dabei
selbst verflucht und verschworen hatte, und doch hat der Auferstandene gerade
ihn vor allen anderen mit Namen genannt, damit er nicht denke, wenn Christus
auch alle anderen Jünger annehme, so habe er doch gewiss ihn von den Seinen
ausgeschlossen. O, freue dich denn heute auch, du Abgefallener, mit Petrus, dem
Abgefallenen! Dieses Osterfest soll auch dein Wiederauferstehungsfest werden.
Oder bist du, lieber Zuhörer, etwa bis
heute noch nie ein gläubiger Christ gewesen? Hast du dich vielleicht bisher nur
um das Irdische, aber nicht um das Himmlische, um dein Glück in der Welt, aber
nicht um deiner Seelen Seligkeit bekümmert; o, dann denke nicht: Ach, dass ich
so spät an meinen Heiland denke! Ach, das sich erst heute aus meinem
Sündenschlaf aufwache! O, das sich verlorener Sohn, ich verlorene Tochter doch
früher von meinen Sündenwegen umgekehrt wäre! So könnte auch ich heute mit der
ganzen Christenheit jubilieren; aber mich geht Christi freudenreiche
Auferstehung noch nichts an. Nein, nein, denke so nicht, sondern denke vielmehr
so: Da Christus, der Auferstandene, einst diejenigen, welche schon so lange bei
ihm gewesen waren und ihn doch schändlich verlassen hatten, vielmehr aufgesucht
und zu Gnaden aufgenommen hat, so wird er noch viel mehr dich, der du noch nie
seine Gnade geschmeckt hast, wenn du heute dich ihm zu Füßen wirst, nicht von
sich stoßen, sondern dich mit Freuden aufnehmen, wie ein Hirte sein verlorenen,
aber wiedergefundenes Schäflein annimmt.
2.
Wohlan, meine Lieben, so haben wir denn
gesehen: Dass die Osterbotschaft auch an die tiefgefallenen Jünger und selbst
an Petrus gerichtet war, dies ist wirklich ein herrliches Zeugnis, dass sie
eine Freudenbotschaft für alle, auch für die größten Sünder, ist. Lasst mich
euch daher nun auch zweitens zeigen, dass darum ein jeder, welcher die
Osterbotschaft hört, dieselbe auch mit wahrer Herzensfreude aufnehmen sollte.
Wie? wird hier vielleicht mancher sagen,
ist es denn nötig, dass du uns dies erst zeigst? Ist es denn möglich, dass ein
Sünder die Osterbotschaft für alle Sünder ohne Herzensfreude hörte? Ich
antworte: Ja freilich scheint dies unmöglich zu sein; aber es ist dies nicht
nur möglich, sondern geschieht auch leider wirklich nur allzu oft. Wohl
hören die Meisten so lange mit Freuden zu, so lange ihnen die Osterbotschaft
für alle Sünder, auch für die größten, dargelegt wird; aber was geschieht? Es
geschieht dann gar oft, was der HERR sagt: „Sie nehmen das Wort mit Freuden an,
aber sie haben nicht Wurzel, eine Zeitlang glauben sie, aber zur Zeit der
Anfechtung fallen sie ab.“ Selbst von dem gottlosen Herodes sagt die Schrift,
dass er Johannes den Täufer, den er später um einer unzüchtigen Tänzerin willen
töten ließ, „gerne hörte“. Auch zu den verblendeten Juden sagt der HERR in
Beziehung auf Johannes den Täufer: „Ihr wolltet eine kleine Weile fröhlich sein
in seinem Licht.“ Ja, von dem in Religionssachen so gleichgültigen König
Agrippa sagt die Apostelgeschichte, dass er einst von einer Predigt des Paulus
so ergriffen worden sei, dass er endlich ausgerufen hat: „Es fehlt nicht viel,
du überredest mich dass ich ein Christ würde.“
Aber, meine Lieben, dies alles ist noch
nicht jene wahre Herzensfreude, mit welcher ein jeder die selige Osterbotschaft
aufnehmen soll. Dies alles ist nur ein vorübergehender Rausch, nur ein
Strohfeuer, das zwar schnell in hellen Flammen auflodert, aber ebenso schnell
wieder verlischt und nichts zurücklässt als Rauch und Asche.
Die Freude, mit welcher einst die lieben
Jünger die Osterbotschaft endlich aufnahmen, war eine ganz andere. Sie war so
groß, dass sie, wie Lukas sagt, vor Freude nicht glauben konnten. Die
Tatsache der Auferstehung Christi war so sehr gegen alle ihre Erwartungen,
übertraf so sehr alle ihre Hoffnungen, war so unausdenkbar herrlich, dass sie
waren wie die Träumenden, dass sie nämlich meinten, es könne nur ein süßer
Traum sein. Ihr Herz war ihnen viel zu eng, um den Freudenstrom, der sich durch
diese Botschaft darein ergießen wollte, fassen zu können.
Seht, das ist wahre Osterfreude armer
Sünder. Sie ist wie die Freude eines zum Tode Verurteilten, der plötzlich von
der Botschaft überrascht wird, dass er begnadigt ist. Sie schmeckt nicht
nur selbst wie süße Himmelslust, sondern macht auch das Herz süß gegen
Gott und alle Menschen. Zwar äußert sie sich nicht immer in lautem Jubeln und
Jauchzen, aber, tief im herzen glühend, erquickt sie den Menschen nach Leib und
Seele.
Ist etwas von dieser Freude auch in euren
Herzen? – O, selig, selig seid ihr dann; so ist eure diesjährige Osterzeit
bereits das Vorspiel einer euch erwartenden seligen Ewigkeit.
Doch, die lieben Jünger freuten sich nicht
nur in jenen ersten Ostertagen, sondern das in ihnen angezündete Freudenfeuer
brannte und glühte fort bis an ihren Tod. Diese Freude wirkte in ihnen, dass
sie über derselben alle Freuden, Ehre, Güter der Welt nichts mehr achteten,
hingegen selbst in den größten Nöten bekannten: „Wir sind überschwänglich in
Freuden in all unserer Trübsal“; so dass Paulus mit Freuden sich enthaupten und
Pet5rus mit Freuden sich kreuzigen ließ.
Seht da, die wahre Osterfreude ist also
nicht nur eine tiefwurzelnde, sondern auch eine bleibende. Sie begleitet
den Menschen sein ganzes Leben hindurch. Sie erfüllt das ganze Herz des
Menschen, und wes sein Herz voll ist, des geht dann sein Mund über; sie wandelt
sein Herz um, dass er ein anderer Mensch wird, der die Sünde hasst und alles
Irdische gering achtet. Diese Freude macht ihn zu einem Wunder vor den Augen
aller anderen Menschen; den sie macht, dass er fröhlich ist, wenn andere
traurig sind, und dass er dankt und Gott lobt und preist, wenn andere nur
heulen und weinen. Er singt mit Paul Gerhardt:
Mein Herze geht in
Sprüngen
Und kann nicht
traurig sein,
Ist voller Freud
und Singen,
Sieht lauter
Sonnenschein.
Die Sonne, die mir
lachet,
Ist mein HERR
Jesus Christ,
Das, was mich
singen machet,
Ist, was im Himmel
ist.
O, meine teuren Zuhörer, so hat euch denn
Gott heute wieder die selige Osterbotschaft predigen lassen, um euer Herz mit
wahrer Osterfreude zu erfüllen! So tut denn auch euer Herz der wahren
Osterfreude auf! Lasst euch weder der Welt Freude noch der Welt Sorge, weder
eurer Sünden Größe noch eurer Sünden Menge daran hindern. So werdet ihr auch in
diesem Leben mit den Aposteln zu eurem Wahlspruch machen können: „Als die
Traurigen, aber allezeit fröhlich“; dort aber wird die Freudenquelle, die in
euch war, erst recht hervorbrechen und sich in ein tiefes, breites Meer von
Freude verwandeln, in ein Meer ohne Grund und ohne Ufer. Das helfe uns allen
Jesus Christus, der von den Toten auferstanden ist, gelobt und gepriesen hier
in der Zeit und dort von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
(aus: Festklänge, S. 221 ff.)
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HERR
Jesus Christus, in Deinem Namen sind wir hier versammelt, um das Gedächtnis
Deiner glorreichen Auferstehung zu feiern, davon zu predigen und davon zu hören
und darüber Deinen Namen zu loben und zu preisen.
Aber,
o HERR, wie unaussprechlich groß, wie herrlich ist dies Dein Werk! Wie bist Du
dadurch vor Himmel und Erde verklärt, wie bist Du dadurch über alles erhöht,
wie bist Du dadurch mit unendlicher Majestät bekleidet! Wie teuer, wie köstlich
sind die Güter, wie vollkommen der Trost, wie bewunderungswürdig die
Herrlichkeit, die Du damit Deinen Gläubigen gebracht hast!
Alle
Engel und Menschen sind zu schwach, das Werk Deiner siegreichen Auferstehung in
seiner Herrlichkeit zu ergründen oder nach Würden auszureden und zu predigen
und zu preisen.
Darum
bitten wir Dich, gehe, Du himmlische Ostersonne, selbst heute und an allen
diesen Festtagen über uns auf und gieße die Strahlen Deiner
Auferstehungsherrlichkeit aus über diese ganze Gemeinde. Lass es uns an unseren Herzen erfahren, dass
Du nicht mehr tot, sondern lebendig bist und allenthalben Leben wirkst und
Deine Gegenwart bei Deiner Kirche offenbarst.
Kann
ich, Dein schwacher Knecht, von Deinen großen Taten auch nicht nach Würden reden,
so hilf mir doch davon lallen zur Verherrlichung Deines angebeteten Namens und
zum Heil aller dieser Seelen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in
Christus Jesus, dem auferstandenen Siegesfürsten!
Wie
unleugbar und gegründet die Tatsache sei, die wir heute festlich begehen, dass
nämlich Christus, der Gekreuzigte, von den Toten auferstanden sei, dies sehen
wir unter anderem schon aus den herrlichen Wirkungen, welche diese Botschaft
hatte.
Wie
furchtsam, wie mutlos, wie kleingläubig finden wir die heiligen Apostel vor
der Auferstehung Jesu Christi! Wie schnell war diese Herde zerstreut, als der
Hirte geschlagen wurde! Judas verrät seinen Meister, Petrus verleugnet ihn und
alle anderen Jünger ergreifen die Flucht und wollen nur bei verschlossenen
Türen sich zu versammeln wagen.
Welche
Veränderung nehmen wir aber bei den Jüngern wahr, nachdem sie nicht nur von
glänzenden Engeln die erste Lebensbotschaft von Christus erhalten, sondern den
Auferstandenen selbst gesehen, wieder mit ihm geredet, ihn betastet und mit ihm
gegessen und getrunken hatten! Wir finden sie keineswegs leichtgläubig; sondern
es kostete vielmehr große Mühe, ehe sie sich von dem herrlichen freudenreichen
Wunder überzeugen ließen.
Aber
als sie sich überzeugt hatten, als der Auferstandene endlich in Galiläa einer
Versammlung von mehr als fünfhundert Jüngern auf einmal erschienen war: Welche
Unerschrockenheit, welcher Muth, welche Stärke des Glaubens zeigte sich dann in
ihnen!
Hätten
die Apostel nicht gewusst, als Augen- und Ohrenzeugen, dass Christus wahrhaftig
auferstanden sei, würden sie dann wohl in alle Welt ausgegangen sein und das
Evangelium von dem Gekreuzigten gepredigt haben? Was hätte die Apostel bewegen
können, Vater, Mutter, Frau, Kinder, Vaterland und alles Zeitliche zu
verlassen? keinen Spott, keine Schmach, keine Gefahr, keine Verfolgung, Mühe,
Angst, Arbeit, Hunger, Frost und Blöße, keine Banden, ja, nicht den grausamsten
Tod zu scheuen? Was hätte in ihnen die Hoffnung rege machen können, etwas mit
ihrer Predigt von dem Gekreuzigten in der Welt auszurichten, die Götzen der
Heiden zu stürzen und die Völker der Erde zu bekehren, hätten sie nicht den aus
dem Grabe zurückgekehrten Heiland selbst gesehen? hätten sie nicht den Juden
zurufen können: „Den Fürsten des Lebens habt ihr getötet, den hat Gott
auferweckt; des sind wir Zeugen.“ Ja, sie gestehen es selbst, was sie so
unwiderstehlich treibe, wenn sie sprechen: „Wir können es ja nicht lassen, dass
wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehört haben.“
Und
was sind die unzähligen Märtyrer in der ersten christlichen Zeit anders, als
Blutzeugen für das Wort: „Der HERR ist erstanden!“
Doch,
meine Lieben, wir brauchen nicht so weit zurückzugehen. Welche Mächte der
Finsternis haben sich gegen die Kirche Jesu Christi auf Erden von jeher bis
diese Stunde verschworen und erhoben; mit welcher schimmernden menschlichen
Weisheit ist die Wahrheit Christi bekämpft worden! Ist aber das heilige Werk Jesu
Christi gedämpft worden? Haben die Pforten der Hölle seine Gemeinde
überwältigen können? Sind Wort, Taufe und Nachtmahl verloren gegangen? Sind das
nicht alles Zeugnisse, dass Christus nicht mehr tot sei, dass er lebe, dass er
auf dem himmlischen Thron sitze, herrsche und seine Kirche allmächtig regiere
und schütze? Ja, ohne Zweifel.
Alle
die Millionen, die noch jetzt den Namen Christi unter allen Sprachen und Zonen
bekennen, sind laute Zeugen für die Wahrheit: „Christus ist erstanden!“ Doch
dieses Wort ist nicht nur ein unleugbares und ewig festgegründetes, es ist auch
der Jubelruf und das Siegesgeschrei aller Christen. Als ein solches lasst uns
dieses Wort in der gegenwärtigen Stunde betrachten.
Markus 16,1-8: Und da der Sabbat vergangen war, kauften
Maria Magdalena und Maria des Jakobus und Salome Spezerei, auf dass sie kämen
und salbten ihn. Und sie kamen zum Grab sehr früh am ersten Tag der Woche, da
die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von
des Grabes Tür? Und sie sahen dahin und wurden gewahr, dass der Stein abgewälzt
war; denn er war sehr groß. Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen
Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Kleid an. Und sie
entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus
von Nazareth, den Gekreuzigten; er ist auferstanden und ist nicht hier. Siehe
da die Stätte, da sie ihn hinlegten. Geht aber hin und sagt’s seinen Jüngern
und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; da werdet ihr ihn
sehen, wie er euch gesagt hat. Und sie gingen schnell heraus und flohen von dem
Grab; denn es war sie Zittern und Entsetzen ankommen. Und sagten niemand etwas;
denn sie fürchteten sich.
Wovon
in diesen Tagen unter uns die Rede sein müsse, darüber kann kein Zweifel sein,
nämlich von der Auferstehung unsers HERRN und Heilandes Jesu Christus. Das
gemeinsame Thema dieser Tage sei: Das Fest der Auferstehung Jesu Christi – das
Siegesfest aller Christen.
Wir beginnen die Betrachtung
dieses Gegenstandes, indem ich euch jetzt vorstelle:
Die Auferstehung Jesu Christi als einen Sieg der Gerechtigkeit über die
Sünde
wir erwägen:
1. warum wir die Auferstehung
Christi als einen solchen
Sieg anzusehen haben, und
2. wer diejenigen seien, die an
diesem Siege teilnehmen können.
I.
Christus
ist, meine Zuhörer, nicht das einzige Beispiel eines von dem Tode Erweckten,
das wir in der Heiligen Schrift finden. Schon im Alten Testament hören wir, dass
Elia den Sohn der Witwe zu Sarepta auferweckt habe; da hören wir ferner von
einem Toten, der plötzlich wieder lebendig wurde, als er in das Grab des
Propheten Elisa geworfen worden war. Christus hat auch selbst mehrere vom Tode
erweckt, wie den Sohn der Witwe zu Nain, die Tochter des Synagogenvorstehers
Jairus, und Lazarus, den Bruder der Maria und Martha. Auch der Apostel Petrus
machte, wie wir in der Apostelgeschichte lesen, eine gewisse Tabea zu Joppe
lebendig.
Aber
zwischen diesen Auferstehungen und der Auferstehung Jesu Christi ist ein so
großer Unterschied, dass jene mit dieser nicht verglichen, geschweige ihr an
die Seite gesetzt werden können. Jene vom Tode Erweckten sind nämlich nur in
dieses zeitliche Leben zurückgerufen worden, und haben daher noch einmal
sterben müssen. Aber „wir wissen“, sagt
der Apostel, „dass Christus, von den Toten erweckt, hinfort nicht stirbt; der
Tod wird hinfort über ihn nicht herrschen“.
Christus ist aus dem Grab nicht in dieses irdische Leben zurückgekehrt,
sondern in seine Herrlichkeit eingegangen.
Wir
dürfen auch keineswegs glauben, dass Christus eigentlich darum auferstanden
sei, um dadurch die Wahrheit seiner Lehre zu bestätigen. Die Lehre Christi war
schon genug bestätigt durch die herrlichen Wunder, welche Christus in seinem
Leben verrichtete, und durch eine wiederholte Stimme vom Himmel, welche rief: „Das
ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören.“ Darum hat sich der Auferstandene auch nicht
seinen Feinden lebendig gezeigt. Sie hatten schon genug Zeichen bekommen, die
sie zum Glauben hätten bringen müssen, hätten sie der Wahrheit nicht boshaft
widerstrebt. Wohl kann ein Christ gegen die, welche an das Evangelium Christi
nicht glauben und die Heilige Schrift nicht für Gottes Wort halten, sich auf
das große Wunder der Auferstehung Christi berufen und sagen: Christus ist nach
den Weissagungen der Schrift und nach seiner eigenen Vorherverkündigung vom
Tode erstanden, warum glaubt ihr also nicht? Womit wollt ihr Ungläubigen nun
euren Unglauben rechtfertigen? Christi glorreiche Auferstehung wird einst am jüngsten
Tage einen jeden verklagen und verdammen, der auch nur Ein Wort in der Schrift
verworfen hat. Kein Ungläubiger hat nun
noch Ursache, sich an der niedrigen Gestalt des Sohnes Gottes zu ärgern; die
Ostersonne bestrahlt mit ihrem Glanze die Krippe, den Oelberg und das Kreuz aus
dem Hügel Golgatha. Christus ist, sagt
Paulus, kräftiglich erwiesen ein Sohn Gottes, seit der Zeit er auferstanden ist
von den Toten.
Aber,
so wenig Christi Tod ein Märtyrertod war, so wenig hat auch seine Auferstehung
die Bestätigung seiner Lehre zu ihrem eigentlichen Zweck. So sehr sich auch ein
jeder Ungläubige seines Unglaubens schämen muss, wenn er an das leere Grab des
Gekreuzigten geführt wird, so ist doch die Beschämung des Unglaubens das
Geringste, was die Auferstehung Christi wirken soll.
Nein,
sie hat eine höhere Bedeutung, eine noch viel wichtigere Kraft und Frucht. In
unserem Text ruft der Engel den Frauen zu: „Entsetzet euch nicht. Ihr sucht Jesus von Nazareth, den
Gekreuzigten; er ist auferstanden, und nicht hier. Siehe da die Stätte, da sie ihn hinlegten.“ In diesen Worten ist zwar die eigentliche
Kraft und Frucht der Auferstehung Christi nicht angezeigt, aber so viel sehen
wir daraus, es müsse etwas Herrliches, Köstliches, Fröhliches sein. „Entsetzet
euch nicht“, ruft der Engel; er will also sagen: Seht her, ihr steht an dem
leeren Grabe Christi, das ist auch das Grab aller Furcht, aller Trauer, aller
Betrübnis, aller Not, alles Elendes, o freut, freut euch!
Wollen
wir nun die eigentliche Bedeutung der Auferstehung Christi kennen lernen, so
dürfen wir dabei nicht nach unseren Gedanken gehen, unser Herz oder unsere
Vernunft fragen; das kann uns allein das Wort Gottes sagen.
Derjenige
aber, den Christus sein auserwähltes Rüstzeug nennt, dass er seinen Namen trage
vor den Heiden, und vor den Königen, und vor den Kindern von Israel, nämlich
der heilige Paulus, spricht also, Röm. 4.: „Christus ist um unserer Sünde
willen dahingegeben, und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt.“ Diese Worte sind die Auslegung unserer
heutigen Festgeschichte von Gott dem Heiligen Geiste selbst.
Aus
diesen wichtigen, herrlichen Worten sehen wir: Wollen wir die Auferstehung
Christi recht erkennen, so müssen wir sie in ihrer Verbindung mit seinem
Kreuzestod betrachten; und dann finden wir, dass sie der Sieg der Gerechtigkeit
ist über unsere Sünde.
„Um
unserer Sünde willen“, sagt Paulus, „war Christus dahingegeben“; Christus hatte
unsere, das ist, aller Welt Sünde auf sich genommen, er hatte sie sich
zurechnen lassen; was geschah daher? Christus musste nun auch unsere Strafe
tragen, er musste leiden, er musste an es Kreuz, er musste sterben, er musste
in es Grab. So musste es dem ergehen, der unsere Schuld auf sich genommen
hatte. Da kam das Gesetz, und verklagte und verfluchte ihn, da kam Tod, Teufel
und Hölle, und erwürgte ihn. Da schien es denn mit uns Menschen aus; da schien
denn alles verloren.
Doch
was geschah? Drei Tage darauf bringen die Engel den Menschen die Botschaft: „Der
HERR ist erstanden!“ -- und schnell geht dies Wort unter Freunden und Feinden
von Mund zu Mund: „Er ist erstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“
Was
hören wir? Was ist geschehen? Haben unsere Sünden nicht Christum getötet? Haben
sie ihn nicht an es Kreuz geschlagen? Haben sie ihn nicht in des Todes Staub
gelegt? Hat ihn nicht Gott selbst für uns zur Sünde gemacht? -- Hat ihn nicht
Gott selbst verurteilt und dahingegeben? -- Ja!
Christus
trug unsere Sünden; aber wo sind sie? -- Sie sind hinweg; ohne Sünde kam er
heute aus dem Grab. Christus lag für uns in des Todes Banden; aber wo sind sie?
Sie sind zersprengt; er ist frei. Christus war für uns verurteilt; aber wo ist
die Schuld? Sie ist verschwunden; er ist losgesprochen. Um unserer Sünde willen
hat der himmlische Vater seinen lieben Sohn dahingegeben in den Tod, aber als
er nun für unsere Sünde sich geopfert und vollgültig dafür bezahlt und
genuggetan hatte, da hat ihn nun auch Gott um unserer Gerechtigkeit willen
auferweckt. Um unsertwillen hat ihn Gott verurteilt, geschlagen und getötet,
aber nun hat er ihn auch um unsertwillen, da er alles vollbracht hatte,
freigesprochen, lebendig gemacht und mit Preis und Ehre gekrönt immer und
ewiglich.
„Es
ist vollbracht!“ hatte Christus für uns am Kreuz sterbend ausgerufen, und alle Kreaturen,
der zerreißende Vorhang im Tempel, die hervorbrechende Sonne, die bebende Erde
und die geöffneten Gräber hatten geantwortet: Amen, ja, es ist vollbracht! Die
Auferweckung Jesu Christi ist nun die Bestätigung dieses Wortes Christi von dem
himmlischen Vater selbst; auch er hat es heute bestätigt; auch er ruft durch
die Wiedererweckung seines in den Tod dahingegebenen Sohnes: Ja, höre es,
Himmel und Erde, ich, der ewige, lebendige und heilige Gott, gebe nun hiermit
auch Zeugnis: „Es ist vollbracht!“ Hört es, ihr Sünder, ich, euer Gott, bin
versöhnt, ich bin befriedigt, kommt, kommt, mein Himmel steht euch offen!
Das
Gesetz, der Tod und die Hölle hatten kein Recht an Christo, denn er war der
ewige Gott und ein heiliger und unschuldiger Mensch in Einer Person; denn nur
um unserer Sünde willen, die er, der Gottmensch, auf sich genommen hatte, bekamen
das Gesetz, der Tod und die Hölle über ihn Macht und Gewalt. Aber wehe diesen
Feinden des menschlichen Geschlechts! Sie griffen den allmächtigen Gottmenschen
an, und dieser gab sich ihnen zwar willig hin, er ließ sich zwar willig von dem
Gesetz verfluchen und von Tod und Hölle verschlingen, aber um sie für uns zu
überwinden und zu verschlingen; denn als sie an Christi heiliger Person sich
vergriffen und an ihm unsere Sünden gestraft hatten, da brach er mit seiner
göttlichen Gewalt siegreich durch Tod und Hölle, und er, der für uns Erwürgte,
kam nun gerecht aus seinem Grabe hervor.
Seht
hieraus, welch eine herrliche Botschaft das für die Christen ist: „Der HERR ist
erstanden!“ Es heißt nichts anderes, als: Der für uns Gekreuzigte kommt gerecht
und ohne Sünde aus dem Grab; unser Erlöser triumphiert. Ist aber Christus gerechtfertigt, so sind
auch seine Christen gerecht; ist Christus frei, so sind auch sie frei; ist
Christus losgesprochen, so sind auch sie losgesprochen; triumphiert der
Erlöser, so triumphieren auch die Erlösten.
So gewiss der keine Sünde aus dem Grab gebracht hat, der unsere Sünde am
Kreuz trug, so gewiss sind auch alle unsere Sünden getilgt und hinweggetragen
in die Tiefe des Meeres.
O,
welch ein Fest ist also das Osterfest für den Christen! Es ist sein Siegesfest,
sein Jubelfest, es ist die Triumphfeier seiner Erlösung. So mag die Welt sich
freuen an den Tagen, an denen irdische Freiheit erfochten wurde; ihr, liebe
Christen, freut euch heute, jauchzt und lobt Gott; heute ist das Fest eurer
Befreiung von der Tyrannei der Sünde, des Gesetzes, des Todes und der Hölle. Zu
Weihnachten hört ihr, wie der Held, Jesus Christus, auf den Kampfplatz tritt,
für eure Erlösung zu streiten; am Karfreitag seht ihr diesen Helden für euch
blutend fallen; aber heute erblickt ihr ihn, wie er über seinem Grabe seine
Siegesfahne schwingt und über Welt, Sünde, Tod und Hölle ruft: Triumph.
2.
Es
entsteht nun die Frage, welche diejenigen seien, die an diesem Siege Teil haben
können. Davon lasst mich nun zweitens zu
euch sprechen.
Christus
selbst will zwar niemanden bei dem Austeilen seiner Siegesbeute vergessen, aber
ach, meine teuren Zuhörer, so viele schließen sich selbst von den Früchten der
Auferstehung aus.
Vorerst
schließt ihr euch aus, die ihr das heilige Wort Gottes, die Heilige Schrift
nicht als Wort Gottes annehmt, sondern offenbar noch verwerft. Ihr seid noch offenbare Feinde Jesu Christi,
der auch eure Seelen erlöst hat. O besinnt euch, kehrt doch um von dem Weg des
Unglaubens; bedenkt doch, was es heiße: Der Gekreuzigte ist auferstanden! O
erkennt doch seine göttliche Herrlichkeit, fallt vor ihm nieder und ruft in
Demut aus: Mein HERR und mein Gott, erbarme dich mein! O bedenkt, jetzt ist
noch Gnade bei Christus zu finden, werdet ihr aber fortfahren in eurer
Feindschaft gegen ihn und sein heiliges Wort, so werdet ihr einst das
schreckliche Wort hören von seinem Thron herab: Die aber, die nicht wollten, dass
ich über sie herrschen sollte, bringt her und erwürgt sie vor meinen Augen.
Doch
auch du, o Zuhörer, der du zwar die Heilige Schrift als Gottes Wort anerkennst
und Jesus Christus für Gottes Sohn, der du aber noch selbstgerecht bist, der du
noch nicht mit den Frauen in unserm Evangelium den Gekreuzigten mit Trauer über
deine Sünden suchst, du schließt dich auch noch von der Gnade des
Auferstandenen aus. Du hältst dich für
fromm und tugendhaft, du baust auf deine elenden guten Werke, wie du sie nennst,
du suchst noch nicht die Reinigung aller deiner Sünden allein in dem Blut Jesu
Christi, so bist du auch noch ein Feind des Kreuzes Christi und daher kann sich
dir der Auferstandene auch nicht in seiner Herrlichkeit offenbaren. Bleibst du
so, so gehst du verloren. O, so schaue doch endlich einmal in den Spiegel des
göttlichen Gesetzes und bitte Gott um seines Heiligen Geistes Licht, so wirst
du erkennen, dass die Gestalt deiner Seele schrecklich ist, und bußfertig dich
allein der Gnade des Auferstandenen überlassen.
Endlich
schließt auch ihr euch noch von der Freude des heutigen Siegesfestes selber
aus, die ihr zwar vorgebt, allein durch Jesus Christus gerecht werden zu
wollen, die ihr aber euren Trost, euer Glück, euren Reichtum, eure Ruhe und
eure Wohlfahrt noch in dieser Welt sucht. Ihr gehört entweder zu denen, die
ruhig und sicher dahingehen und keinen Augenblick vor der Hölle erschrecken;
ihr würdet euch über tausend Taler, wenn ihr sie heute geschenkt erhieltet,
mehr freuen, als über alle Reichtümer des Auferstandenen. Oder ihr geht dahin
mit einem unruhigen gebrandmalten Gewissen, ihr liebt und hegt heimlich gewisse
Sünden, von denen ihr euch nicht losreißen lassen wollet. Ach, was hilft euch
nun heute die fröhliche Osterbotschaft? Ihr lasst sie doch nicht in euer Herz;
die Eitelkeit erfüllt eure Seele; ihr sucht einen andern Trost! -- O, ihr
Elenden, denkt an die Jünger; als Christus gestorben war und alle ihre Hoffnung
an Christus vergeblich schien, da suchten sie doch keinen Trost bei der
Welt. O, so erkennt doch, wie euer Herz
noch von der Sünde und der Welt Eitelkeit gefangen ist, bekennt es Jesus Christus,
so wird er euch losmachen und erretten. O, wie bald könntet ihr Gnade finden,
wenn ihr nur dem Wort Gottes Gehör gäbt! Tut ihr es nicht, so werdet ihr einst
in einer unseligen Ewigkeit wünschen, nur noch Eine, ach, nur Eine solche
Stunde, wie die jetzige ist, Gnadenzeit zu haben. Darum bedenkt, was zu eurem
Frieden dient! Jetzt, da ihr Gottes Stimme hört, verstockt eure Herzen nicht.
Doch
es sind gewiss auch manche unter uns, die von Herzen sagen können: Wenn ich nur
Christum habe und seine Gnade, so genügt mir. Solche sollen wissen: So groß und
so herrlich auch der Sieg ist, den Jesus Christus durch seine Auferstehung
davongetragen hat, so gibt es doch keinen Menschen in der Welt, für welchen er
nicht bereitet wäre. Wegen der Sünden aller Menschen ist Christus in den Tod
dahingegeben worden, wegen der Gerechtigkeit aller ist er auch auferwecket.
Bei
Christus gilt kein Ansehen der Person; bist du auch noch so arm und noch so
verachtet in der Welt, die Krone, die der Auferstandene aus dem Grab gebracht
hat, will er auch dir schenken. Wem sollten nach unserem Text die Frauen die
Siegesbotschaft verkündigen? Die Engel sagen: „Sagt es seinen Jüngern.“
Wer waren aber die Jünger? Arme, schwache, sündige Menschen, die den HERRN in
der Not verlassen hatten. Hast du also auch ein böses Gewissen deines Lebens
halber, so bist du darum nicht ausgeschlossen, wenn nur Christus dein Verlangen
ist. Ja, es ist überaus merkwürdig; die Engel sprechen nicht nur: „Sagt es
seinen Jüngern“, sondern sie setzen noch besonders hinzu: „und Petrus“.
Warum wohl? Petrus hatte seinen HERRN und Meister dreimal schändlich
verleugnet; er war tief gefallen; er bedurfte Trost; er hielt sich wohl für den
allerunwürdigsten.
Erkennt
hieraus die Größe der Gnade des Auferstandenen. Allen soll sie verkündigt
werden, aber namentlich den Tiefgefallenen. Wäre also jemand unter uns, der
schon alle Hoffnung seiner Seligkeit fast ganz aufgegeben hätte, weil ihm sein
Gewissen sagt, er sei der schändlichste unter allen Sündern, so soll ich zwar,
als ein Diener Jesu Christi, dieser ganzen Versammlung den Sieg Jesu Christi
über ihre Sünden vortragen, aber dem, der sich unter uns für den elendesten,
für den unwürdigsten, für den verlorensten achtete, dem soll ich vor allen
anderen im Namen Jesu Christi zurufen: O, tiefgefallener Sünder, was willst du
verzweifeln? Christus ist allmächtig, er hat durch seine Auferstehung alle
Banden der Sünde und der Verdammnis zerrissen; du bist ihm noch nicht zu tief
gefallen; er reicht dir auch in die Tiefe deines Verderbens seine rettende
Hand; du sollst heute seinen Triumphzug schmücken; er ruft dir zu: Erkenne nur
deine Missetat, und nimm mich im Glauben an, so sind kraft meines Todes deine
Sünden getilgt und kraft meiner Auferstehung dir eine vollkommene Gerechtigkeit
geschenkt.
O,
so ruft denn alle mit mir:
Jesu, der du Thor und Riegel
Der
Verdammnis aufgemacht,
Und im Grabe Stein und Siegel
Hast
so viel als nichts geacht’,
Mache doch mein Herze frei,
Das
es nicht verschlossen sei.
Amen
In Christus geliebte Festgenossen!
Nicht nur die christliche, sondern auch
andere Religionen lehren, dass es ein ewiges Leben gibt. Dunkle Begriffe und
Ahnungen davon haben fast alle Völker gehabt. Deutlich haben von einer
erfreulichen Unsterblichkeit mehrere heidnische Philosophen gelehrt und im
Islam ist die Lehre von einem zu erwartenden Freudenhimmel eine Hauptlehre.
Durch Zweierlei unterscheiden sich aber alle anderen Religionen von der
christlichen in diesem Punkt. Erstens können alle anderen Religionen keine
lebendige Gewissheit über das ewige Leben geben. Wollen sie auf die Natur
hinweisen, wie da alles sich verjüngt, so sehen wir auch im Gegenteil in ihr
das Bild der Zerstörung und Vernichtung. Daher denn auch viele sogenannte
Naturforscher gerade aus der Natur die Beweise führen, dass alles vergeht. Will
man sich auf Gottes Gerechtigkeit berufen mit der Hoffnung des ewigen Lebens,
so dürfen wir nicht vergessen, dass der gerechte Gott uns nichts schuldig ist;
oder auf Gottes Gute, dass man meint, Gott würde uns gar nicht geschaffen
haben, wenn er uns nicht zum ewigen Leben geschaffen hätte, so gibt uns auch
das noch keine Gewissheit. Nichts macht uns überhaupt in der Hoffnung des
ewigen Lebens gewiss als die Auferstehung Christi von den Toten. Sie lässt
keinen Zweifel aufkommen. Dies ist ein Erfahrungsbeweis, wie ihn die allgemeine
Religion der Menschen haben soll, den selbst das einfältigste Kind begreifen
kann.
Die anderen Religionen unterscheiden sich
aber auch zweitens dadurch, dass sie einen anderen Weg zum ewigen Leben weisen
als die christliche. Alle Religionen in der Welt, alle Philosophie, alle durch
Menschenweisheit erfundenen Lehren sagen, dass der Mensch durch seine Weisheit,
Tugend, Frömmigkeit, durch seinen inneren Wert und dergleichen sich ein
erfreuliches Schicksal in jenem Leben selbst verdienen müsse. – Wäre dies die
rechte Lehre, was hülfe dann eine noch so liebliche Vorstellung von jener Welt?
Dann könnte uns diese Lehre nie tröstlich, lieblich und süß sein. Denn wer kann
je glauben, dass er so viele Werke getan, dass er damit den Himmel verdiene?
Wer kann es wagen, seine Tugend Gott anzubieten als ein vollgültiges Kaufgeld
für eine ewige unaussprechliche Seligkeit? Müsste ich, meine Lieben, damit
meine Betrachtung vom ewigen Leben enden, so würdet und müsstet ihr traurig
dies Fest beschließen, denn ihr würdet denken: Wohl ist die Aussicht auf das
ewige Leben herrlich, aber ich elender, ohnmächtiger Mensch, ich Sünder kann
das selige Ziel nie erreichen. Aber wohl uns! Gottes Wort zeigt uns einen Weg
zum ewigen Leben, den auch der Schwächste gehen kann, es zeigt uns ein Mittel,
durch das auch der elendeste und tiefgefallenste Sünder noch errettet und selig
gemacht werden kann, und dies Mittel ist der Glaube. Nun, meine Lieben, wer
weiß, wie nahe uns die Ewigkeit ist! Lasst uns daher das Mittel näher kennen zu
lernen suchen, durch welches unsere Ewigkeit einst gewiss selig sein wird.
Apostelgeschichte 10,34-41: Petrus aber tat seinen Mund auf und
sprach: Nun erfahre ich mit der Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht,
sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.
Ihr wisst wohl von der Predigt, die Gott zu den Kindern Israel gesandt hat, und
verkündigen lassen den Frieden durch Jesus Christus (welcher ist ein HERR über
alles), die durchs ganze jüdische Land geschehen ist und angefangen in Galiläa
nach der Taufe, die Johannes predigte: Wie Gott denselben Jesus von Nazareth
gesalbt hat mit dem Heiligen Geiste und Kraft; der umhergezogen ist und hat
wohlgetan und gesund gemacht alle, die vom Teufel überwältigt waren; denn Gott
war mit ihm. Und wir sind Zeugen alles des, was er getan hat im jüdischen Land
und zu Jerusalem. Den haben sie getötet und an ein Holz gehängt. Denselben hat
Gott auferweckt am dritten Tag und ihn lassen offenbar werden, nicht allem
Volk, sondern uns, den vorerwählten Zeugen von Gott, die wir mit ihm gegessen
und getrunken haben, nachdem er auferstanden ist von den Toten.
Dieser verlesene Text gibt mir
Veranlassung, zum Schluss unserer Festbetrachtung euch vorzustellen:
Der
Glaube an den Auferstandenen, das einzige Mittel, das ewige Leben zu erlangen
1.
Dass der Glaube das einzige Mittel
sei,
2.
Was dieser seligmachende Glaube
eigentlich ist und wie man dazu kommt.
1.
Es gibt wohl wenige Stellen in der heiligen
Schrift, die so häufig falsch erklärt und missbraucht werden, wie die
Anfangsworte unseres Textes. Petrus spricht nämlich: „Nun erfahre ich mit
der Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; sondern in allerlei Volk, wer
ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.“ Diese Worte werden
gewöhnlich von denjenigen als ein schlagender Beweis angeführt, die beweisen
wollen, dass man in jeder Religion und bei jedem Glauben selig werden könne,
und dass es bei der Seligkeit eigentlich nicht auf den Glauben, sondern auf die
Werke, auf das Rechttun ankomme. Dass man aber hiermit gegen den Sinn des
Apostels streitet, dies beweisen erstens unzählige andere Stellen heiliger
Schrift. Denn was sagt die Schrift anderwärts? Mit Einer Stimme bezeugt sie
uns, dass nicht die Werke, sondern der Glaube selig macht. Hebr. 11,6: „Aber
ohne Gluaben ist es unmöglich, Gott zu gefallen, denn wer zu Gott kommen will,
der muss glauben, dass er sei.“ Mark. 16,16: „Wer da glaubt und getauft wird“
usw. Derselbe Apostel, der in unserem Text redet, spricht Apg. 4: „Es ist in
keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, dadurch
wir sollen selig werden.“ Und Christus selbst sagt Joh. 14: „Ich bin der Weg
und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater als durch mich.“ Und
Joh. 8,24: „So ihr nicht glaubt, dass ich es sei, so werdet ihr sterben in
euren Sünden“, und Paulus Eph. 2,8: „Aus Gnaden seid ihr selig geworden durch
den Glauben; und dasselbe nicht aus euch, Gottes Gabe ist es, nicht aus den
Werken, auf dass sich nicht jemand rühme.“ Sind das nicht sonnenhelle
Zeugnisse? Noch in derselben Predigt, aus der unser Text genommen ist, spricht
Petrus: „Von demselben zeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die
an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.“ (10,43.) Können wir
daher auch den Sinn unserer Textworte nicht erreichen, so sehen wir doch aus
tausend anderen Stellen, dass sie den Sinn unmöglich haben können, den die
Gottesfeinde ihnen unterlegen.
Aber lasst uns die Stelle selbst näher
betrachten. Der Apostel spricht: „In allerlei Volk“, also sagt er nicht:
in allerlei Religion. Wo steht das überhaupt geschrieben? Der Apostel spricht
ferner: „Wer Gott fürchtet.“ Was heißt das? Ist da der wahre Gott
gemeint oder ein falscher? Der wahre Gott ist der Vater unseres HERRN Jesus
Christus. Wer fürchtet aber Gott? Derjenige, der erkennt, dass er sich vor ihm
zu fürchten habe, der sich daher nicht getraut mit seiner eigenen Gerechtigkeit
vor ihm zu bestehen. Doch der Apostel spricht ferner: „Wer recht tut.“
Wer tut aber recht? St. Paulus sagt: „Was nicht aus dem Glauben geht, das ist
Sünde.“ Der Glaube an Christus muss die Flecken zudecken, die auch unsere
besten Werke an sich tragen. Noch deutlicher aber wird uns der Sinn unserer
Stelle werden, wenn wir nun noch endlich die Umstände erwägen, unter denen der
Apostel diesen Ausspruch tat.
Cornelius war zwar ein Heide, aber er lebte
unter den Juden und fürchtete den wahren Gott, der im Alten Testament offenbart
war. ER unterschied sich von den gläubigen Juden nur dadurch, dass er noch
nicht die Beschneidung angenommen, die auch nur zunächst den Juden gegeben war.
Er war ein rechtschaffener Israelit nach dem Geist. Nur Eins war ihm noch nicht
offenbar, nämlich dass Jesus Christus der verheißene Messias ist.
Petrus selbst nun war bis dahin noch nicht
dem Missionsbefehl gefolgt, dass auch die Heiden in das Reich Christi sollen
eingeladen werden. Deshalb bekam er jetzt eine besondere Offenbarung.[14] Als nämlich einstmals
Cornelius betete, da erschien ihm ein Engel, der ihn aufforderte, Petrus holen
zu lassen zu weiterem Unterricht. Petrus hatte aber auch ein göttliches Gesicht
gehabt, durch das er zu der Einsicht geleitet werden sollte, dass auch die
Heiden Erben der Verheißung sein sollten. Er sah nämlich plötzlich ein Tuch mit
vielerlei Tieren vom Himmel kommen mit der Anweisung: Schlachte uns iss. Und
darunter waren auch unreine Tiere. Und das geschah dreimal. Petrus war
bekümmert, was das Gesicht zu bedeuten haben könnte. Doch als er noch darüber
nachsann, da kam ein Bote, der ihn zu Cornelius rief. Und, vom Geist Gottes
versichert, geht nun Petrus mit zu Cornelius, in der festen Überzeugung: Der
HERR selbst sendet ihn. Bei Cornelius findet Petrus nun eine ziemliche
Versammlung, aber die ganze Versammlung seiner Zuhörer sind lauter Heiden. Als
er nun sieht, wie sehnlich diese das Wort Gottes zu hören verlangen, da tat er,
heißt es, seinen Mund auf und sprach die fraglichen Worte. Was will also Petrus
damit sagen? Nichts anderes als dies: Dass eben Gott keinen von dem Heil
ausschließen wolle, das Christus erworben habe, denn Christus sei nicht nur für
die Juden, sondern auch für die Heiden in die Welt gekommen.
Wie irren sich also diejenigen, die aus
diesen Worte Petri schließen wollen, dass der Glaube nicht nötig sei zur
Erlangung der Seligkeit, da ja der Apostel das Gegenteil [davon] sagen wolle,
dass Gott durch den Glauben einen Jeden selig machen wolle! Was aber dieser
seligmachende Glaube sei und wie man dazu komme, das zeigt uns der zweite Teil
unseres Abschnittes.
2.
Nicht wenige geraten in großes Erstaunen
darüber, dass allein der Glaube selig mache. Sie sprechen: Wie? So kann man
also leben, wie man will? Wenn man nur glaubt, so wird man selig? So braucht
man also nicht Gott zu fürchten und recht zu tun? Aber man irrt sich, indem man
den Glauben für etwas ganz anderes hält, als er wirklich ist. Ein kraftloser
Gedanke in unserem Kopf ist keineswegs der Glaube. Der wahre Glaube ist ein
göttliches Werk in uns, das uns wandelt und neugebiert aus Gott und macht uns
ganz andere Menschen von Herz, Sinn, Mut und allen Kräften, wie Luther in der
Vorrede zum Römerbrief schreibt. Der wahre Glaube ist nämlich ein lebendiges
Vertrauen auf Gottes Gnade, eine so feste Zuversicht, dass man Leib und Leben
darüber lässt, dass man so gewiss ist, als wenn Gott vom Himmel selbst es uns
gesagt hätte, dass wir selig werden sollten. Dies sehen wir an allen, von deren
Glauben wir in Gottes Wort hören.
So entsteht die Frage: Wie gelangt man
dazu? Kein Mensch kann diesen Glauben sich selbst geben. Das ist Gottes Werk,
dass wir glauben. Gott gibt ihn aber so: Er sucht erst den Menschen zum
Verzagen an sich selbst [, zu einem herzlichen Erschrecken über seine Sünde und
Furcht vor dem Zorn und Urteil Gottes][15] zu bringen, damit er zu
der Einsicht kommt, dass er verloren sein müsste, wenn sich Gott seiner nicht
erbarmt hätte. Ist ein Mensch dahin gekommen, dann meint er wohl, es sei um ihn
geschehen, aber dann steht er vor der Pforte der Gnade, die sich ihm auftut.
Dann hört er nämlich das Evangelium anders als vorher. Es wird ihm die
allerwichtigste und seligste Botschaft. Es wird sein Paradies, Himmel, Trost,
Licht, Kraft. [Denn nun erfasst er lebendig, dass Christus auch für ihn in
diese Welt gekommen ist, auch für ihn das Gesetz erfüllt hat, auch dessen
Sünden an seinem Leib auf das Holz trug, Gott auch mit ihm versöhnt hat und
Gott der Vater durch die Auferweckung des Sohnes auch ihm diese Versöhnung
bestätigt hat, in Christus auch ihm die Sünden nicht zurechnet, auch er in
Christus also Freispruch im Jüngsten Gericht und ewiges Leben hat, Christus
also auch um seiner Sünden willen dahingegeben, um seiner Rechtfertigung willen
auferweckt wurde. Diesen Zusagen vertraut er durch das Evangelium von Herzen.][16]
Nun, meine Lieben, ist das bereits in
eurem Herzen vorgegangen? Betrügt euch nicht selbst um eure Seligkeit. Hier
spricht vielleicht mancher: Ich fürchte mich davor, mich selbst zu betrügen,
ich erkenne mich wohl für einen Sünder, ich suche auch allein in Christus
meinen Trost, aber ich bin so untreu. -Wohl dir, wenn du auch dies Elend
erkennst; dann sollst du nicht von Christus fliehen, sondern dich desto fester
an Christus anklammern.
O, möchte doch keiner dies Fest
beschließen, ohne die Zuversicht erlangt zu haben: Ich glaube auch an den
Auferstandenen. Lasst uns darum ihn anflehen: Wir können, o Jesus, nicht aus
eigener Vernunft … Du bist der Anfänger und Vollender … o, so erbarme dich!
Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In diesem, unserem auferstandenen
Siegesheld, herzlich geliebte Zuhörer!
„Selig sind, die nicht sehen und doch
glauben“; so spricht Christus in unserem heutigen Evangelium. Dieser
Ausspruch unseres Heilandes ist von jeher allen Ungläubigen höchst anstößig
gewesen und ist es noch. Sie sagen, eben darum könnten sie sich mit dem
Christentum nicht befreunden, weil darin alle vernünftige Prüfung verboten und
ein blinder Glaube gefordert werde.
In diesem Urteil der Ungläubigen liegen
aber zwei Unwahrheiten. Erstlich ist es unwahr, dass diejenigen, welche nichts
von Gottes Wort wissen wollen, dasselbe darum verwürfen, weil sie nichts
ungeprüft annehmen wollten. Vielmehr ist es ganz unleugbar die allgemeine Weise
aller Ungläubigen gewesen und ist es noch, dass sie eben die Bibel und das
ganze Christentum nicht prüfen, sondern ungeprüft, oder doch ohne
gründliche Untersuchung und Abwägung der Gründe dafür und dagegen verwerfen.
Hört ein Ungläubiger, dass in der Bibel stehe, Jesus Christus sei wahrhaftiger
Gott und Mensch in Einer Person, hört er, dass nach der Schrift Gott dreieinig
sei, hört er, dass uns der Heiland durch sein Leben, Leiden und Sterben erlöst
habe, dass alle Menschen verlorene Sünder seien, die allein aus Gnaden durch
den Glauben um Christi willen selig werden könnten, so prüft er diese
Lehren nicht etwa, so überlegt er nicht etwa ernstlich, ob dies doch
vielleicht, ohne dass er es bisher geahnt habe, auf unumstößlicher Wahrheit beruhende
Lehren seien, sondern ohne weiteres verwirft er sich als unvernünftige Lehren
und die Bibel als ein Buch voll Widersprüche und ungereimter Behauptungen. Wo
findet man auch nur Einen, der ungläubig geblieben wäre, nachdem er sich zu überzeugen
gesucht hatte, dass die Bibel Gottes Wort sei? Wo gibt es ungläubig Gebliebene,
die mit dem innigen Wunsch, die ewige feststehende und das Herz wirklich zur
Ruhe bringende Wahrheit zu finden, eine gründliche Verteidigungsschrift des
Christentums gelesen hätten? Das Gegenteil tut man. Was gegen das
Christentum geschrieben ist, liest man begierig und nimmt es ungeprüft in
blindem Glauben an; was hingegen dafür geschrieben ist, liest man entweder gar
nicht und weist es mit verächtlicher Miene von sich, oder man liest es mit
Vorurteilen, indem man es im Voraus annimmt, dass darin alles falsch sein
müsse. Diese Unterlassung aller ernstlichen Prüfung der biblischen Wahrheit
wird einst an jenem Tag alle Ungläubigen ihre Entschuldigungen nehmen und sie
verdammen.
Doch, sagen sie, nach dem Ausspruch
Christi: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, werde ja
offenbar der blinde Glaube als der seligmachende gepriesen. Aber auch dieses
ist unwahr. Christus will mit jenen Worten keineswegs sagen, dass der Mensch
ihn und sein Evangelium, ohne erst zu fragen, warum? annehmen solle. Ein
blinder Glaube ist gar kein Glaube, sondern eine bloße Einbildung; der Glaube
verdient nur dann den Namen eines wirklichen Glaubens, wenn er auf einem
festen, unumstößlichen Grund ruht. Gerade in Gottes Wort wird daher der blinde
Glaube gänzlich verworfen. Gerade in Gottes Wort wird an sehr vielen Stellen
die ernstlichste Ermahnung gegeben, nichts ungeprüft anzunehmen. Spricht nicht
Christus: „Seht euch vor vor den falschen Propheten; an ihren Früchten sollt
ihr sie erkennen“? Spricht nicht St. Paulus: „Prüft alles, und das Gute
behaltet“? Spricht nicht Johannes: „Ihr Lieben, glaubt nicht einem jeglichen
Geist, sondern prüft die Geister, ob sie von Gott sind“? Wird es nicht ausdrücklich
an den Beroensern gelobt, dass sie täglich in der Schrift nachforschten, ob
sich’s auch so verhielte, wie Paulus und Silas ihnen gepredigt hatten? Sollte
nun jedermann die biblische Lehre ohne alle Prüfung als göttlich annehmen, wie
könnte dann in der Bibel selbst zur Prüfung aufgefordert und zur Unterscheidung
der wahren von den falschen Propheten so dringend ermahnt werden? Es ist kein
Zweifel: Hiermit ist aller blinde Glaube durch die heilige Schrift selbst
verworfen. Wer daher bloß deswegen glaubt, dass die Bibel Gottes Wort sei, weil
er dies von seinen Eltern, Lehrern und von gelehrten Männern gehört hat, der
hat noch gar keinen wahren Glauben. Menschen können und sollen uns wohl Zeugnis
geben von der Göttlichkeit der Heiligen Schrift und uns darauf aufmerksam
machen; aber einen wahren Glauben haben wir nur dann, wenn wir endlich aus
eigener fester Überzeugung und aus eigener Erfahrung unseres Herzens bekennen
können, dass das Evangelium wahrhaftig eine Kraft Gottes ist, die da selig
macht alle, die daran glauben. So fürchte einst die Samariterin ihre Mitbürger
zu Christus; diese sagten aber endlich: „Wir glauben hinfort nicht um deiner
Rede willen; wir haben selbst gehört und erkannt, dass dieser ist wahrlich
Christus, der Welt Heiland.“ So sollen endlich alle Kinder zu ihren Eltern,
alle Schüler zu ihren Lehrern, alle Zuhörer zu ihren Predigern sagen können,
wenn der wahre Glaube in ihren Herzen wohnt.
Die Heilige Schrift will nicht mit blindem
Glauben als Gottes Wort angenommen sein; sie gibt vielmehr selbst Kennzeichen
an, an denen man sie prüfen kann und soll; diese Kennzeichen sind hauptsächlich
die Wunder und Weissagungen, durch welche sie vor aller Welt verseigelt worden
ist; und die übernatürliche, himmlische, göttliche Kraft, die sie an dem aufmerksamen Lehrer und
Hörer beweist, den Geist zu erleuchten und zu überzeugen, und das Herz zu
trösten und zu beruhigen und mit göttlichem Leben, mit göttlicher Kraft und
lebendiger Hoffnung des ewigen Lebens zu erfüllen. Wer um dieser
unwiderleglichen Beweise willen die Bibel als Gottes Wort angenommen hat, der
hat keinen blinden, sondern einen hellen, auf ewig festem Grund ruhenden
Glauben; wer aber trotz jeder Beweise Gottes Wort verwirft, eben der hat einen
blinden Glauben, nämlich einen blinden, grund- und bodenlosen Unglauben.
Es entsteht aber nun die Frage: Wie ist der
Ausspruch Christi zu verstehen: „Selig sind, die nicht sehen und doch
glauben“? Davon lasst mich nun in dieser Stunde weiter zu euch sprechen.
Johannes 20,19-31: Am Abend aber desselben Sabbats, da
die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den
Juden, kam Jesus und trat mitten ein und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!
Und als er das sagte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die
Jünger froh, dass sie den HERRN sahen. Da sprach Jesus abermals zu ihnen:
Friede sei mit euch! Gleichwie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Und da er das sagte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den
Heiligen Geist! Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen, und
welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Thomas aber, der Zwölf
einer, der da heißt Zwilling, war nicht bei ihnen, da Jesus kam. Da sagten die
anderen Jünger zu ihm: Wir haben den HERRN gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Es
sei denn, dass ich in seinen Händen sehe die Nägelmale und lege meinen Finger
in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, will ich’s nicht glauben.
Und über acht Tage waren abermals seine Jünger drinnen und Thomas mit ihnen.
Kommt Jesus, da die Türen verschlossen waren, und tritt mitten ein und spricht:
Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und
siehe meine Hände; und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite; und
sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein
HERR und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Dieweil du mich gesehen hast, Thomas,
so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben. Auch viel andere Zeichen
tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese
aber sind geschrieben, dass ihr glaubt, Jesus sei Christus, der Sohn Gottes,
und dass ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.
Wir bleiben heute bei dem Ausspruch stehen,
den der Auferstandene gegen den schwergläubigen Thomas tut, nämlich:
„Selig
sind, die nicht sehen und doch glauben“
Hiernach erwägen wir zweierlei:
1.
Dass es eine wichtige Aufgabe für
Christen ist, zu glauben, was sie nicht sehen, und
2.
Dass diejenigen aber auch recht
selige Menschen seien, die einen solchen Glauben beweisen.
Gnädiger, treuer und barmherziger Gott! Du
hast für alle Sünder deinen Sohn in den Tod dahingegeben und wieder auferweckt
und verheißen, dass du um dieses deines einigen Sohnes willen allen Sündern
gnädig sein wollest. Du verlangst von uns nichts, als dass wir wieder zu dir
umkehren und deiner teuren Verheißung von ganzem Herzen glauben und trauen. O,
nimm darum unsere Herzen in diene Hand und wirke selbst in ihnen den Glauben,
den du forderst, und erhalte uns darin bis ans Ende. Dazu segne das auch in dieser
Stunde gepredigte Wort um deiner ewigen Treue und Wahrhaftigkeit willen. Amen.
1.
Wenn, meine Lieben, Christus in unserem
Evangelium dem Apostel Thomas, der nicht eher an seine Auferstehung hatte
glauben wollen, als bis er ihn gesehen und betastet haben würde, zuruft: „Weil.
Du mich gesehen hast, Thomas, so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und
doch glauben“, so will Christus damit keineswegs sagen, dass man ihn und
sein Evangelium in einem blinden Glauben annehmen müsse, sondern dass die
Christen, die schon von der Wahrheit des Wortes und besonders seines
Evangeliums überzeugt worden sind, sich dann auch auf das bloße Wort verlassen,
und so auf die von Gott gegebenen Verheißungen in kindlicher und fester
Zuversicht bauen sollen, auch wenn sie davon nichts sehen, nichts fühlen und
nichts empfinden. Dies eben hätten Thomas und alle Jünger tun sollen. Schon im
Alten Testament war es ja vorausverkündigt durch Vorbilder und Weissagungen,
dass der Messias sterben und auferstehen werde. So spricht z.B. der Messias im
16. Psalm: „Auch mein Fleisch wird sicher liegen; denn du wirst meine Seele
nicht in der Hölle lassen, und nicht zugeben, dass dein Heiliger verwese.“
Ferner heißt es von dem Messias im 53. Kapitel des Propheten Jesaja: „Wenn er
sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, so wird er Samen haben und in die Länge
leben, und des HERRN Vornehmen wird durch seine Hand fortgehen.“ Christus hatte
daher auch selbst nicht nur vor Freunden und Feinden erklärt, dass der Prophet
Jona ein Vorbild sei von seinem Begräbnis und seiner Auferstehung, sondern er
hatte es auch selbst den Aposteln wiederholt ausdrücklich vorausverkündigt, und
zwar noch auf seiner letzten Reise nach Jerusalem, er müsse nach der Schrift
leiden, sterben und auferstehen am dritten Tag. „Seht, wir gehen hinauf nach
Jerusalem“, sprach er, „und es wird alles vollendet werden, das geschrieben ist
durch die Propheten von des Menschen Sohn. Denn er wird überantwortet werden
den Heiden; und er wird verspottet und geschmäht und verspeit werden; und sie
werden ihn geißeln und töten; und am dritten Tag wird er wieder auferstehen.“ An
diese deutlichen und klaren Zeugnisse des Wortes Gottes in den Propheten und
des Wortes Christi selbst hätte sich Thomas halten und daher fest glauben
sollen, dass Christus am dritten Tag auferstanden sei, wenn er ihn auch noch
nicht gesehen hatte; ja, das Wort Gottes, das er dafür hatte, hätte ihm
tausendmal gewisser sein sollen, als selbst die Überzeugung durch seine Sinne;
denn selbst die Sinne können und ja täuschen, aber Gottes Wort ist untrüglich.
Die Aufgabe aber, welche hier Thomas hatte,
haben zu allen Zeiten alle Christen. Alle Christen müssen glauben, was sie
nicht sehen. Daher lobt es auch Petrus an seinen Zuhörern in Pontus und an
anderen Orten im ersten Kapitel seines ersten Briefes an sie, dass sie Jesus
„nicht sehen und doch lieb hätten, und nun an ihn glauben, wiewohl sie ihn
nicht sähen“. Auch St. Paulus beschreibt daher das ganze Christenleben in
dieser Welt mit den Worten: „Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen.“
Und so ist’s auch. Wer ein wahrer Christ
sein will, muss glauben, dass mit Christus seine Sünden begraben worden, und
dass er hierauf mit Christus, von Gott gerechtfertigt, los von der Sünde, rein
und heilig, auferstanden sei und mit ihm Sünde, Tod, Welt, Teufel und Hölle
schon siegreich überwunden habe; und doch sieht er von diesem allen nichts, ja,
meist das Gegenteil. Ein Christ sieht, wie die Sünde noch in seinen Gliedern
wohnt, ihn täglich befleckt und ein böses Gewissen macht; und doch soll er glauben,
dass er mit Christus gerecht und rein vor Gott sei. Ein Christ sieht nur zu
deutlich, dass er ein Sünder sei; und er soll doch glauben, dass er in Christus
ein Heiliger sei und dass, wenn ein Diener Christi auf Erden zu ihm sagt: „Dir
sind deine Sünden vergeben“, diese Absolution auch im Himmel gültig sei. Ein
Christ fühlt häufig nichts als Zorn Gottes, sieht nichts an seinem ganzen Leben
als Kreuz, Trübsal, Jammer und Not, die ihm Gott zuschickt; und doch soll er
glauben, dass er mit Gott versöhnt, ihm angenehm in dem Geliebten, ihm
wohlgefällig, lieb und wert, ja, sein teures Gnadenkind sei., Ein Christ sieht,
wie es der Welt, die nichts nach Gottes Wort und Gnade fragt, meist so wohl
geht, wie sie auch dabei über die Christen in diesem Leben herrscht, sie
verachtet und für Toren und Narren hält;: und doch soll der Christ glauben,
dass er die Welt längst überwunden habe, und dass er bei Gott in Gnaden
und die Welt nicht in Gnaden sei. Der Christ sieht oft keine Mittel, durch
welche er sich und die Seinen erhalten soll, alles im Haus ist leer, und es ist
auch keine Aussicht auf Verdienst; und doch soll er glauben: Die den HERRN
fürchten, haben keinen Mangel. Der Christ sieht oft, wenn er betet, dass es
eher schlimmer wird als besser; und doch soll er fest glauben, dass sein Gebet
erhört sei, ja, er soll glauben die Verheißung Gottes durch den Propheten
Jesaja: „Es soll geschehen, ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch
reden, will ich hören.“ Der Christ empfindet oft nichts als Unruhe und Unfrieden
in seinem Herzen und laute Anklagen seines verwundeten Gewissens; und doch soll
er glauben, was Christus sagt: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe
ich euch“; und was St. Paulus schreibt: „Nun wir denn sind gerecht geworden
durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren HERRN Jesus
Christus.“ Der Christ fühlt sich immer so arm am Geist, es ist ihm immer mehr
wie einem elenden Bettler zumute, der jedes Tröpflein Gnade sich erbetteln
muss; und doch soll er glauben, dass er sei an allen Stücken reich gemacht; er
fühlt sich oft so elend und viel unglückseliger als tausend andere; und er soll
doch glauben, er sei der seligste Mensch, den es unter der Sonne geben kann.
Der Christ sieht, wie die Kirche Christi wankt und schwankt, gleich einem
lecken Schifflein, das jeden Augenblick zu versinken droht; er sieht die Kirche
von mächtigen Feinden wie von himmelhohen Meereswellen umgeben; und doch soll
er glauben, dass die Kirche eine auf einem ewigen Felsen erbaute Gottesstadt
sei, die auch die Pforten der Hölle nicht überwältigen können. Er sieht, dass
es dem kleinen Häuflein der Gläubigen, der kleinen Herde der Schafe Christi, so
elend ergeht in dieser Welt; und doch soll er glauben, dass auf sie der
himmlische Hirte ein besonders Auge seiner Liebe und Vorsicht gerichtet hat,
dass diese verachteten Christen Christi geistlicher Leib, seine Auserwählten
und seine herrlich geschmückte Braut seien, mit denen er sich auf ewig verlobt
hat im Glauben und Gerechtigkeit. Der Christ sieht, wie gebrechlich jede
christliche Gemeinde ist, und doch soll er glauben, dass jede geheiligt und
gereinigt sei durch das Wasserbad im Wort, dass jede herrlich sei, die nicht
habe einen Flecken oder Runzel oder des etwas. Der Christ sieht, wie der Rachen
des Todes und der Schlund der Hölle unersättlich noch immer ein Opfer nach dem
anderen verschlingt; und doch soll er glauben: Christus hat Tod, Hölle und
Teufel überwunden; er sieht, wie der Tod seine Lieben ihm in den Staub legt und
ihn mit Tränen an die Stätte der Verwesung stellt; und doch soll er glauben,
dass es für Christen keinen Tod mehr gibt; der Tod grinst ihn greulich an, und
doch soll er ihn für einen süßen Schlaf, für einen Boten des Friedens halten.
Und wenn nun endlich der Christ selbst in Todesnöten liegt, wenn er seinen
Stachel empfindet, wenn der Satan ihn hierbei mit Gedanken der Hölle erfüllt,
wenn ihm der Himmel wie verschlossen erscheint, wenn die Schrecken des Gerichts
in dem bösen Stündlein ihn überfallen, so soll er doch glauben, der Tod sei für
ihn verschlungen in den Sieg, die Hölle sei für ihn zerbrochen, der Teufel sei
für ihn in Bande der Finsternis gelegt, er sei ein Herr über Sünde, Tod, Teufel
und Hölle, er dürfe und solle auch jetzt die Siegesfahne des Glaubens
schwingen; schon sei ihm unsichtbar die Pforte des Himmels aufgetan; schon
warten die heiligen Engel auf seine sich losringende und losseufzende Seele,
sie in die Hände und in den Schoß Gottes zu tragen; schon bei die letzte Träne
geweint, der letzte Seufzer ausgestoßen und der ganze Himmel bereit, ihm als
einem Überwinder die Krone zu bringen.
Seht, Sünde sehen und darunter
Gerechtigkeit glauben; Elend sehen und darunter Herrlichkeit glauben;
Zornwolken sehen und die Gnadensonne glauben; Schwachheit und Ohnmacht sehen
und darunter Kraft und Stärke glauben; Niederlage sehen und darunter Sieg und
Triumph glauben; Tod sehen und darunter das Leben glauben; Hölle und Verdammnis
sehen und darunter Himmel und Seligkeit glauben: Das ist die wichtige Aufgabe,
welche Christen, so lange sie in dieser Welt sind, haben. Sie ist zwar schwer,
aber wohl denen, die sie lösen, denn, o selige Menschen sind die, die einen
solchen Glauben beweisen! – Davon spreche ich nun zweitens zu euch.
2.
So lange, meine Lieben, Thomas nicht eher
an die Auferstehung Christi glauben wollte, als er ihn, den Auferstandenen,
selbst gesehen und betastet, die Beweise dafür also, sozusagen, in seinen
Händen hätte, so lange war dieser Apostel in einem recht elenden, kläglichen
Zustand, erstlich in einem sehr sündlichen, aber auch in einem sehr trostlosen.
Es war erstlich eine große Sünde, dass
Thomas nicht eher glauben wollte, er hätte denn vorher in den Händen Christi
selbst die Nägelmale gesehen und seine Hand in seine Seite gelegt. Hiermit
machte Thomas freilich nicht, wie die ungläubigen Pharisäer und
Schriftgelehrten, aus Bosheit, sondern aus Schwachheit, ohne es zu wissen und
zu wollen, die Propheten, ja Christus selbst zum Lügner und erklärte, dass man
dem Wort Christi und der Propheten nicht trauen und sich darauf keineswegs
verlassen könne. In dieser Zeit, in welcher Thomas nicht auf das bloße Wort
sein Heil bauen wollte, konnte er aber auch der Vergebung seiner Sünden, seines
Gnadenstandes und seiner Seligkeit unmöglich gewiss sein. Er wusste nicht, ob
er auch einen Erlöser habe; er musste fürchten, dass sein ganzer voriger Glaube
an Christus nichts als eine klägliche Täuschung gewesen sei. Wir können daher
wohl denken, von welchen peinigenden Zweifels sein Herz bestürmt, wie unruhig,
wie trost- und hoffnungslos er in dieser Zeit gewesen sein müsse.
Das ist aber die stets unselige Folge davon,
wenn ein Mensch erst sehen, erst erfahren, erst fühlen, erst empfinden und dann
erst glauben will.
Die meisten Christen unserer Tage sind aber
solche Thomaschristen. Darin besteht eben der große Krebsschaden in den meisten
jetzigen, mitunter sehr eifrigen Sekten. Sie predigen zwar auch den Glauben an
Christus, aber sie weisen dabei die Leute nicht auf das Wort und die heiligen
Sakramente, auf welche sie sich gründen und fest bauen und trauen müssten,
sondern sie weisen jedermann auf das, was sie in ihren Herzen erfahren, fühlen
und empfinden. Sie leiten sie also methodisch dazu an, ja nicht eher zu glauben,
als bis sie gesehen und gleichsam die Wundenmale und das klopfende Herz Christi
gefühlt haben. Was ist die Folge hiervon? Diese, dass ein Teil der Christen
unserer Zeit entweder stets Gewissheit und Freudigkeit heuchelt oder in stetem
Schwanken lebt bald glaubt, bald zweifelt, bald getrost, bald verzagt ist, bald
sich für Kinder der Gnade, bald für Kinder des Zorns hält.
Wie selig sind nun hingegen die Christen
welchen jetzt die reine Lehre gepredigt wird, die allein auf Gottes Wort und
Verheißung und auf die von Gott selbst dazu gegebenen Siegel gewiesen werden,
wenn sie dieser seligen Unterweisung folgen! Wie selig sind die, die, wenn sie
die Sünde im Herzen fühlen, sich doch an das Wort im Glauben halten, das ihnen
Christi Gerechtigkeit zuspricht; die, wenn sie Zorn und Tod im Gewissen
empfinden, sich doch an das Wort im Glauben halten, das ihnen zuruft: Sei
getrost, du hast Gnade gefunden, du sollst leben! die, wenn es ihnen so übel
geht, als habe sie Gott verlassen, sich doch an das Wort im Glauben halten, das
ihnen sagt: Ich will dich nicht verlassen noch versäumen; die ich lieb habe die
strafe und züchtige ich! O, wie selig sind die, die selbst an den Gräbern ihrer
Lieben und auf ihrem eigenen Sterbebett hinwegsehen von den Schreckbildern des
Todes, des Grabes und der Verwesung und sich an das Wort im Glauben halten: Der
Tod ist verschlungen in den Sieg!
Solche Gläubigen stehen in dem rechten
Verhältnis zu Gott, in welches wir wieder gebracht werden sollen; sie geben
Gott die Ehre; sie zeigen sich als wahre Kinder, die ihrem himmlischen Vater
auf sein Wort trauen; sie bestehen die Probe, die ihnen hier aufgegeben ist;
sie kommen aus jedem Feuer der Trübsal nur immer geläuterter hervor; immer
reiner wird das Gold ihres Glaubens, immer heller die Glut ihrer Liebe, immer
fester der Anker ihrer Hoffnung. Mag der Sonnenschein mit Regen, mag heiterer
Himmel mit nächtlichem Sturm und Ungewitter, mögen süße Gnadengefühle mit den
Gefühlen der Sünde und des Todes wechseln, ihr Trost wechselt darum nicht,
sondern bleibt ihnen unverrückt. Sie rufen mit Assaph aus: „Wenn mir gleich
Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott allezeit meines Herzens
Trost und mein Teil.“
Nimmer will ich
selbst mich achten,
Sollte gleich der
Leib verschmachten,
Bleib ich Jesus
doch getreu.
Sollt ich keinen
Trost erblicken,
Will ich mich
damit erquicken,
Dass ich meines
Jesu sei.
Ohne Fühlen will
ich trauen,
Bis die Zeit
kommt, ihn zu schauen,
Bis er sich zu mir
gesellt:
Bis ich werd in
seinen Armen
In gar süßer Lieb
erwarmen,
Und er mit mir
Hochzeit hält.
O, möchten doch alle unter uns in einem
solchen seligen Glauben stehen! – Bedenkt aber, meine Lieben: Zu einem solchen
Glauben kommt kein selbstgerechter und in seinen Sünden sicherer Mensch; zu
einem solchen Glauben kommt keiner, der noch reich zu werden trachtet, kein
Liebhaber der Welt und ihrer Eitelkeit, kein irdisch gesinntes Herz; zu einem
solchen Glauben kommen nur diejenigen, die ihre Sündhaftigkeit erkannt haben
und denen es darüber um Trost bange geworden ist; nur diejenigen, denen die
Welt nicht mehr süß schmeckt, die da hungern und dürsten nach besseren Gütern,
als die sichtbaren sind, nämlich nach Gottes Gnade, nach Gerechtigkeit, Leben
und Seligkeit.
Gott tue euch allen das Ohr eures Herzens
auf, dass ihr alle die Stimme Gottes in seinem gnädigen Wort nicht nur hört,
sondern auch vernehmt, versteht und ihr in solchem Glauben folgt; so werdet ihr
auch alle die Wahrheit der Worte Christi an euch selbst erfahren: „Selig
sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Einst aber werdet ihr auch, was
ihr hier im treuen Glauben festgehalten habt, dort wirklich schauen und ewig
genießen in vollkommener Freude. Denn so spricht der heilige Apostel: „Wir
sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort; dann aber von Angesicht
zu Angesicht. Jetzt erkenne ich es stückweise; dann aber werde ich es erkennen,
gleichwie ich erkannt bin.“ Amen.
Gott gebe euch viel Gnade und Friede durch
die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
Teure Brüder und Schwestern in Christus!
Eine Herde Schafe, soll sie sich nicht bald
zerstreuen und die Schafe umkommen, bedarf eines Hirten, der vor ihr hergeht,
sie weidet, schützt und am Abend in den sicheren Schafstall bringt. Schafe
wissen die Plätze nicht selbst, wo sie rechte Weide finden, und die Quellen
nicht, daraus sie trinken können; wehrlos, wie sie sind, werden sie daher, wenn
sie keinen Verteidiger haben, leicht eine Beute des Wolfes und anderer
reißender Tiere; noch weniger können sie sich selbst eine Stätte bereiten, wo
sie sicher ruhen können.
Mit einer solchen Herde Schafe wird in der
Heiligen Schrift das menschliche Geschlecht verglichen. Und wer sollte es
verkennen, dass wir Menschen unter keinem passenderen Bild dargestellt werden
könnten? Ja wir Menschen sind auch eine Herde, die, soll sie sich nicht auf
tausend Irrwegen zerstreuen und umkommen, ebenfalls eines Hirten bedarf, der
vor ihr hergeht, sie weidet, schützt und endlich in den Schafstall einer ewigen
Ruhe bringt.
Wir Menschen haben alle von Natur einen
unaustilgbaren Hunger und Durst nach vollkommenem Glück, aber welcher Mensch
weiß, wo das wahre, das vollkommene Glück zu finden ist? Betrachten wir die
Menschen in ihrem Tun und Treiben, so sehen wir wohl, wie alles nach dem Glück
jagt und sich plagt, sich darum abmüht und absorgt; der eine sucht’s im
Reichtum, der andere in der Lust, der dritte in der Ehre; der eine sucht’s in
niederen grobsinnlichen Genüssen; der andere in sogenannten höheren und
geistigen, in Kunst und Wissenschaft und dergleichen; aber finden die Menschen,
was sie suchen? Nein, mag ein Mensch den gesuchten Reichtum, die
gesuchte Lust, die gesuchte Ehre gefunden haben, das Glück,
danach er hungerte und dürstete, hat er damit nimmer gefunden. Seine
unbefriedigten Wünsche sind nur größer, sein Seelenhunger nur heftiger, sein
Seelendurst nur brennender geworden.
Wir Menschen tragen aber auch ferner von
Natur alle eine tiefe Sehnsucht nach Wahrheit in unseren Seelen. Was ist
Wahrheit? Diese Frage lebt in aller Menschen Herzen, ohne dass sie es oft
wissen. Jeder möchte gern gewiss darüber sein, ob es einen Gott gebe, wie die
Welt entstanden sei, wozu der Mensch bestimmt sei, wie es nach dem Tod gehen
werde usw. Keiner möchte in diesen wichtigen Dingen ein Irrender, keiner ein
sich selbst Täuschender oder Betrogener sein. Ab er welcher Mensch hat aus sich
selbst die Wahrheit gefunden? Schon sind mehr als 5000 Jahre seit Erschaffung
der Welt vergangen, und noch sind die scharfsinnigsten Geister im Suchen und
die meisten haben die Hoffnung Wahrheit zu finden, gänzlich aufgegeben und
achten den Menschen dem Tier gleich, dessen Seele mit dem Körper wie ein Rauch
verfliegt.
Wir Menschen tragen aber auch endlich alle
eine Sorge in unserem Herzen, wie es mit uns in und nach dem Tod werden wird.
Wir fühlen alle in uns ein gewisses Nagen des Gewissens; wir fühlen alle, dass
eine Sündenschuld auf uns lastet; wir haben daher alle von Natur eine geheime
Furcht vor einer einstigen Rechenschaft, zu der wir vielleicht gezogen werden
und in der wir wohl nicht werden bestehen können. Wo ist aber der Mensch, der
selbst sich Friede gegen die Anklagen seines Gewissens verschaffen und sich
selbst die gewisse Hoffnung eines einstigen ewig seligen Lebens geben könnte?
Eine Zeitlang kann es wohl ein Mensch dahin bringen, dass sein Gewissen
schläft, aber wie oft wacht der Schläfer nur zu bald wieder auf und mahnt immer
aufs Neue wegen der alten ungetilgten Schuld!
O, wie unglückselig wären die Menschen
daher, wenn wir in dieser Welt uns selbst überlassen wären! Wenn uns Gott auf
diese Erde aus seinem Himmel verbannt hätte, und niemand wäre da, der uns
Antwort geben könnte auf die Fragen: Woher kommen wir Menschen? Wohin sollen
wir gehen? Wie unglückselig wären wir, wenn unser sterblicher Leib wohl hier
seine Nahrung fände, aber unsere unsterbliche Seele verschmachten und Hungers
und Durstes sterben müsste! Wenn wohl unser leibliches Auge Licht hätte, aber
unser Geist in Finsternis bliebe! Wenn wir wohl durch diese arme Welt kommen
könnten, aber keinen Weg wüssten zu einer anderen besseren Welt ewiger Ruhe und
vollkommener Freude!
Aber wohl uns, wohl uns Menschen! Wir sind
nicht einer Herde gleich, die keinen Hirten hat und sich daher zerstreuen und
umkommen und schutzlos eine Beute der Not und des Todes werden müsste. Nein,
wir haben alle einen allgemeinen, großen, mächtigen, gnädigen, liebenden
Hirten, der uns leiten und weiden, schützen und verteidigen und endlich in
einen himmlischen Schafstall ewiger Ruhe und vollkommener Sicherheit und Freude
führen will, so wir ihn nur für unseren Hirten annehmen und seiner Hirtenstimme
folgen wollen. Und dieser Hirte ist Jesus Christus, der menschgewordene Sohn
Gottes und unser aller Heiland. O, lasst mich euch denn heute, da unser
Evangelium mich dazu auffordert, zeigen, warum wir diesen Christus zu unserem
Hirten annehmen sollen.
Johannes 10,12-16: Ich bin der gute Hirte; der gute Hirte
lässt sein Leben für die Schafe. Ein Mietling aber, der nicht Hirte ist, des
die Schafe nicht eigen sind, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und
flieht; und der Wolf erhascht und zerstreut die Schafe. Der Mietling aber
flieht; denn er ist ein Mietling und achtet der Schafe nicht. Ich bin der gute
Hirte und erkenne die Meinen und bin bekannt den Meinen, wie mich mein Vater
kennet, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Und
ich habe andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle. Und dieselben muss
ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird eine Herde und ein
Hirte werden.
„Ich bin der gute Hirte“, so ruft
Christus zweimal in unserm verlesenen Evangeliums-Text aus. Er will damit
sagen, er sei der gute Hirte, von welchem schon alle Propheten geweissagt
haben, das er komme und sich seiner Herde, nämlich der Menschenherde, selbst
annehmen und sie suchen werde. Dass Christus dieser uns Menschen verheißene
gute Hirte sei, dies zeigt er in allen Worten unseres Textes. So lasst uns denn
jetzt erwägen:
Warum
wir Christus zu unserem Hirten annehmen sollen
Unser Text gibt uns hauptsächlich drei
Beweggründe dafür an, nämlich:
1.
Weil er und nur er der rechte Hirte
ist,
2.
Weil er über seine Schafe eine so
sorgsame Aufsicht hält, und
3.
Weil er auch gegen die verirrten
Schafe freundlich gesinnt ist.
HERR Jesus Christus, du einiger Hirte der
ganzen Menschenherde! Wieder willst du jetzt deine Hirtenstimme unser uns
erschallen lassen, um uns all zu dir zu rufen. O, so hilf, dass deine Stimme in
aller Herzen dringe, dass die Deinigen in deiner Liebe mehr entzündet, die
Schwachen gestärkt, die Kranken und Gebrechlichen geheiligt und die noch
Verirrten und Verlorenen zu dir gebracht werden. Ich bin ja nicht, o Jesus, der
wahre Hirte dieser Schafe; wie könnte ich sie versorgen und führen und schützen
und in den Himmel bringen? Du allein bist es und du kannst es und du willst es
tun durch deine elenden Diener. O, so mache mich jetzt zu deinem Mund, dass ich
rede nach deinem herzen und diese alle zu dir führe durch deine Kraft. Erhöre
mich um deiner Hirtentreue willen. Amen. Amen.
1.
Christus zu seinem Hirten annehmen heißt,
meine Liebe, nicht nur, Christus für seinen Lehrer erkennen oder ihm als seinem
Vorbild auf dem Weg der Tugend nachfolgen. Das versteht man zwar jetzt sehr oft
darunter, wenn man Christus noch immer den guten Hirten der Menschen nennt.
Aber das heißt nicht, die Worte Christi auslegen, sondern verwässern und
verflachen. Nein, Christus zu seinem Hirten annehmen ist unendlich mehr. Dies
heißt nämlich: Bei Christus alles das suchen, was Schafe bei ihrem Hirten haben
und genießen, also sichere Führung durch die Welt, volle Weide, Schutz und
Verteidigung gegen alle Feinde, und endlich Einbringung in die ewigen Hütten
vollkommenen Friedens.
Können wir dies nun wirklich bei Christus alles suchen? Ja, meine
Lieben, denn erstlich er und nur er ist ja wahrhaftig unser rechter Hirte. Er
spricht in unserem Text: „Ich
bin der gute Hirte; der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Ein
Mietling aber, der nicht Hirte ist, des die Schafe nicht eigen sind, sieht den
Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht; und der Wolf erhascht und
zerstreut die Schafe. Der Mietling aber flieht; denn er ist ein Mietling und
achtet der Schafe nicht. Ich bin der gute Hirte und erkenne die Meinen und bin
bekannt den Meinen, wie mich mein Vater kennet, und ich kenne den Vater. Und
ich lasse mein Leben für die Schafe.“
Um diese Worte recht zu verstehen, müssen
wir dies wissen. Als Gott den Menschen schuf, da war Gott aller Menschen Hirt.
Gott wohnte in ihren Herzen und leitete sie mit seinem himmlischen Licht; das
Paradies war der Weideplatz für ihren Leib, und Gottes Liebe und Güte für ihre
Seele. Gottes Macht war ihr Schutz gegen Sünde, Unglück, Not und Tod, und der
Himmel war das sichere Gehege, welchem Gott die Menschen entgegenführte. Doch
was geschah? – Satan, dieser abgefallene Engel, dieser höllische Wolf, sah es
mit Neid, dass es die Menschen unter dem Hirtenstab Gottes so gut hatten. Er
lechzte daher nach der Menschen Blut und Leben. Was tat er daher? Er schlich
sich heran an den Menschen unter gleißender Gestalt, machte den Menschen ihren
himmlischen Hirten verdächtig, als sei seine Gnadenleitung ein hartes Regiment,
und spiegelte ihnen vor, wie gut sie es haben könnten, wenn sie sich ganz frei
machten und sich selbst führten. Und ach! der Plan gelang. Die Menschen hörten
auf, auf Gottes Hirtenstimme zu hören und entzogen sich seiner sanften
Regierung. Die Folge davon war, dass die Menschen vertrieben wurden von dem
Weideplatz des Paradieses und hinausgetrieben in die Wüste dieser Welt, wo wir
nun alle von Natur in Finsternis, Sünde und Gottes Zorn, dahingegeben in Not
und Tod, ohne wahren Frieden und ohne Hoffnung des ewigen Lebens umherirren.
Sollte uns nun wieder geholfen werden, so
bedurften wir eines neuen Hirten, der den höllischen Wolf tötete, damit die
Sünde und Gottes Zorn über die Sünde tilgte und uns Licht, Gnade,
Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit wieder erwarb.
Von jeher haben nun zwar die Menschen sich
selbst zu helfen gesucht und Menschen sich zu rettenden Hirten ihrer Brüder
aufgeworfen. Aber haben sie sich und anderen helfen können? Nein, vergeblich
haben die Menschen sich selbst aus der Finsternis zu retten und das Licht der
Wahrheit sich anzuzünden gesucht; sie haben sich dadurch nur immer tiefer
verirrt in die dunklen Wälder ihrer eigenen verkehrten Gedanken. Vergeblich
haben die Menschen die Sünde selbst zu überwinden und eine vor Gott gültige
Gerechtigkeit sich selbst zu verschaffen getrachtet; sie sind dadurch nur immer
tiefer hineingefallen in die Abgründe der Hoffart und Entfremdung von dem
Leben, das aus Gott ist. Vergeblich haben die Menschen Gott selbst zu versöhnen
und den Himmel selbst sich aufzuschließen bemüht; sie sind dabei in die Greuel
der Menschen- und anderer Götzenopfer gefallen. Alle Menschen, besonders alle
Weisen dieser Welt, welche die Menschen haben durch die Welt zum Himmel führen
wollen, haben sich als Mietlinge erwiesen, die vor dem höllischen Wolf, vor
Sünde, Gottes Zorn, Not, Tod und Hölle nicht stehen und dies nicht überwinden
konnten, sondern fliehen, die Menschenherde im Stich lassen und sich selbst
verloren geben mussten.
Nur einer war’s, der die Menschenherde dem
höllischen Wolf wieder entreißen konnte, derjenige nämlich, der von Anfang an
der Menschen Hirt gewesen war, nämlich Gott selbst. Und siehe! Gott hat es
getan. Sobald die Menschen vom Wolf erhascht und zerstreut waren, da begann
Gott, sie wieder zu sammeln; er gab ihnen nämlich die Verheißung, zu seiner
Zeit werde Gott selbst auf Erden erscheinen und der Schlange den Kopf
zertreten; die Menschen sollten sich nur des trösten. Und als 4000 Jahre
vergangen waren, da erschien denn der Sohn Gottes in der Welt und ließ sich als
den verheißenen Hirten sogleich nach seiner Geburt armen Hirten auf den
bethlehemitischen Feldern von Engeln verkündigen, nahm unsere Sünden auf sich
und ließ sich dafür strafen und als ein Lamm von dem höllischen Wolf
verschlingen und töten, stieg aber zugleich hinab in die Hölle, band da den
höllischen Wolf, zerstörte da seinen finsteren Hinterhalt, von welchem aus er
auf die Schafe gelauert hatte, erstand hieraus als ein Sieger mit Gerechtigkeit,
Leben und Seligkeit wieder von den Toten und errichtete nun das heilige
Predigtamt, durch welches er vermittelst des Hirtenhorns der evangelischen
Predigt nun bis an das Ende der Tage die ganze in der Welt umherirrende
Menschenherde zu ihm, als zu ihrem rechten guten Hirten, gerufen werden soll.
Seht hieraus, meine Lieben: Christus ist
wahrhaftig, und zwar nur er, unser rechter Hirte; alle anderen Menschen sind
Mietlinge. Christus allein hat den großen Kampf mit dem höllischen Wolf für uns
bestanden und ihn überwunden, indem er sich von ihm zerreißen und verschlingen
ließ. Er allein hat unsere Sünde und Gottes Ungnade vertilgt; er allein hat
unseren verschmachteten Seelen wieder Brot und Wasser des Lebens zugebracht; er
allein ist nun mächtig, uns vor Not, Tot und Hölle zu schützen und uns durch
den Tod zum Leben und über die Hölle hinweg in den Himmel einzuführen, als in
die Hütte ewigen Friedens. Prediger des Evangeliums heißen zwar auch Hirten,
aber nur so, wie die Gläubigen Christen heißen; nämlich nur insofern, als die
Prediger nur auf Christus, den einigen guten Hirten, hinweisen und als nur
Christus, der einige gute Hirte, durch sie redet; wo das nicht geschieht, so
sind alle Prediger Mietlinge, und wen sie sich verbrennen ließen. O, so lasst
uns denn auch das Vertrauen auf alles andere wegwerfen; lasst uns wegwerfen
unsere eigene Weisheit und Gerechtigkeit, und aller Menschen Lehren oder Werke,
als Mietlinge, die im Kampf mit Sünde, Gottes Zorn, Not, Tod, Gericht, Hölle
und Satan nimmer bestehen können, sondern flüchtig werden müssen. Christus,
Christus allein ist unser rechter guter Hirte; ihn lasst uns annehmen, so ist
uns geholfen.
2.
Damit wir nun hierzu noch dringender
bewogen werden, so lasst uns zweitens erwägen, wie Christus über seine Schafe
auch eine so sorgsame Aufsicht hält.
Christus drückt dies in unserem Text mit
den Worten aus: „Ich bin der gute Hirte und erkenne die Meinen und bin
bekannt den Meinen; wie mich der Vater kennt, und ich kenne den Vater.“
Betrachtet man diese Worte nur oberflächlich, so kann man leicht denken, dass
Christus damit seine Hirtentreue nicht eben hoch preise. Er sagt ja nur, dass
er die Seinen erkenne und wiederum sich den Seinen zu erkennen gebe! Aber
erwägen wir den Sinn dieser Worte recht, so finden wir, dass darin mehr liegt,
als durch irgendeine andere längere Beschreibung ausgedrückt werden konnte.
Denn wenn Christus diejenigen, welche ihn zu ihrem Hirten annehmen, immer für
die Seinen erkennt, was können sie mehr begehren, was mehr wünschen? Wie kann
es ihnen da je an etwas fehlen, was sie bedürfen? Wovor haben sie dann Ursache,
sich zu fürchten? Welche verheißene Seligkeit und Herrlichkeit kann es dann
geben, die sie nicht zuversichtlich erhoffen dürften?
O selige Menschen, welche Christus zu ihrem
Hirten annehmen! Sind sie auch große Sünder und darum keiner Gnade, keiner
Liebe, keiner Wohltat wert: Christus erkennt sie doch für seine Schafe; er ist
ihnen daher gnädig; er liebt sie und überschüttet sie mit zeitlichen,
geistlichen und ewigen Wohltaten. Sind sie von der ganzen Welt verachtet und
verstoßen, findet sich da keiner, der ihr Freund und Bruder sein will, will sie
da niemand für Christen und Kinder Gottes anerkennen, schämen sich ihrer alle
Menschen, Fromme und Gottlose: Nehmen sie Christus für ihren Hirten an, so
erkennt er sie doch für seine Schafe, schämt sich ihrer nicht, sondern geht vor
ihnen her als ihr Hirte und führt sie aus und ein. Sind sie selbst ungewiss, ob
sie sich für Christen halten dürfen, klagt sie ihr eigenes Gewissen an,
verdammt sie ihr eigenes Herz: Was schadet’s, wenn sie Christus zu ihrem Hirten
erwählen? Er klagt sie dann nicht an, er verdammt sie dann nicht, sondern
erkennt sie für die Seinen. Ja, scheint es, als seien sie von Gott selbst
verstoßen, scheint es, als seien sie schon durch Gottes Wort selbst verdammt
und verurteilt, scheint Gott selbst gegen sie zu streiten, da Gott tausend
Trübsale über die hereinbrechen lässt: Sie haben doch keine Ursache, zu zagen
und zu zweifeln; Christus spricht ihnen zu: Seid getrost! Lasst euch nur nicht
grauen und zweifelt nicht! Mein Vater erkannte mich für seinen lieben Sohn, da
ich am Kreuz hing als ein Fluch der Welt; wie nun mich mein Vater am Holz des
Fluches noch kannte, so erkenne auch ich euch, ob auch alle Wetter seines
Zornes über euch sich entladen. Sind sie in Not, in Krankheit, in Armut; Wie
fröhlich können sie sein! Der gute Hirte erkennt sie und versorgt sie und hilft
ihnen. Tragen sie irgendeine Sorge auf ihrem Herzen, wissen sie sich keinen
Rat, sind sie vielleicht durch eigene Schuld in eine tiefe Grube des Elendes
geraten, aus der sie sich nicht zu helfen wissen: Wie unverzagt können sie
sein! Christus erkennt sie für die Seinen, und darum muss er ihnen Rat schaffen,
auf ihn dürfen und können und sollen sie alle ihre Sorge werfen, denn er sorgt
für sie, wie ein Hirte sorgt für seine Schafe. Treten sie mit Gebeten und
Seufzern vor Gott, und ihr Gewissen sagt ihnen, dass sie nicht würdig sind,
dass sie Gott erhöre: Wohl ihnen! Sie dürfen dies nicht beachten; Christus
achtet sie ja für die Seinen; und darum sind alle ihre Gebete ihm gefällig und
er erhört sie gewiss, noch ehe sie rufen. Liegen sie endlich im Sterben;
verlässt sie die ganze Welt; treten die Sünden ihres ganzen Lebens und ihre
Untreue in ihrem ganzen Christenwandel vor ihr Sterbelager wie Ankläger: O, wie
ruhig können sie da sein! Christus steht dann bei ihnen und spricht: Fürchte
dich nicht, du hast mich zu deinem Hirten angenommen; ich erkenne dich auch jetzt;
du bist mein und ich bin dein, keine Sünde, kein Tod, keine Hölle soll uns
scheiden. Kommen nun endlich solche, die Christus zu ihrem Hirten angenommen
haben, vor Gottes Gericht: O, auch da finden sie keine Ursache, zu zittern und
zu zagen; denn Christus lässt sie nicht allein vor Gott kommen; er erscheint
mit ihnen vor seinem Vater und spricht: Vater, diese Seele ist mein Schäflein;
ich habe sie mir erkauft mit meinem Blut, und sie hat mich angenommen, darum
tue ihr auf die Tür zu meinen himmlischen Auen, dass ich sie nun ewig darauf
weide und hinführe zu dem Strom ewiger Freude und Erquickung.
Seht, meine Teuren, wer kann demnach
seliger sein hier und dort, als wer Christus zu seinem Hirten annimmt? Meint
nicht, dass ich hierbei zu viel sage. Hört den David; er redet aus eigener
Erfahrung; und wie spricht er? Er ruft freudetrunken aus: „Der HERR ist mein
Hirte; mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet
mich zum frischen Wasser. Er erquickt meine Seele; er führt mich auf rechter
Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, so
fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten
mich. Du bereitest mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde; du salbest mein
Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir
folgen mein Leben lang; und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.“
3.
Wer sollte nun hiernach nicht Lust
bekommen, Christus zu seinem Hirten anzunehmen? – Nur eins wird vielleicht noch
manche hindern, der Gedanke nämlich, dass es wohl nicht so leicht sei, ein
Schäflein Christi zu werden und dann mit David sagen zu können: „Der HERR ist
mein Hirte.“ Um nun auch dieses Hindernis aus dem Weg zu räumen, so lässt uns
endlich noch erwägen, wie freundlich Christus auch gegen die verirrten Schafe
gesinnt ist.
Man sollte freilich denken, da es ein so
großes Glück ist, zu Christi Herde zu gehören, so werde es wohl viel, sehr viel
kosten, ehe man unter dieselbe aufgenommen werden und ein Anrecht an Christi
Hirtensorge erlangen könne. Aber dem ist keineswegs so. Denn so spricht
Christus selbst zu Ende unseres Textes: „Und ich habe noch andere Schafe,
die sind nicht aus diesem Stall. Und dieselben muss ich herführen, und sie
werden meine Stimme hören, und wird Eine Herde und Ein Hirte werden.“ Diese
Worte spricht Christus, als er mitten unter der Herde stand, die er sich aus
dem jüdischen Volk gesammelt hatte. Er erklärt aber, dass ihm dies nicht genug
sei. Er habe noch andere Schafe, die seien nicht aus diesem Stall. Es gingen
nämlich noch viele Millionen Heiden irre umher in dieser Welt; diese verlorenen
und zerstreuten Schafe lägen ihm auch auf dem Herzen; ja, er sagt geradezu, er
müsse, er müsse dieselben auch herzuführen. Da nun die ganze Menschheit damals
aus zwei Teilen bestand, nämlich aus Juden und Heiden, so sehen wir hieraus: Es
gibt keinen Menschen, den Christus nicht gern zu einem Schaf seiner Herde
annehmen und dessen Hirte er nicht sein möchte.
Wer du also auch bist, lieber Zuhörer,
entweder stammst du von Juden oder von Heiden ab; auch dich trägt also Christus
auf seinem Herzen; auch dich sucht er; auch dich möchte er gern in seiner Herde
haben; auch dein Hirte möchte er gern werden; er hat ja für alle Schafe, also
auch für dich, schon sein Leben gelassen.
Aber noch mehr! Christus sagt auch, wie er
die verirrten Schafe sammelt und ihr Hirte wird; er spricht nämlich: „Sie
werden meine Stimme hören.“ Er will also sagen: Es ist bei mir, wie bei
jedem Hirten; hat sich ein Schaf verlaufen und verirrt, so schreibt der Hirte
dem armen Schaf nicht schwere Bedingungen vor, unter welchen er es wieder
annehmen will, sondern er geht dem Schaf nach und ruft es aufs
allerfreundlichste mit der alten bekannten Hirtenstimme: Komm wieder! Komm
wieder! Merkt nun das Schäflein auf die Stimme des Hirten und läuft es ihm
wieder nach, oder lässt es sich nur wieder von ihm fassen, so nimmt es der
Hirte mit Freuden auf seine Achseln und trägt es frohlockend zur Herde. So,
spricht Christus, rufe auch ich durch mein Evangelium allen verirrten Menschen
zu freundlich und voll Mitleid: O, kommt doch wieder, ihr Menschen, die ihr
euch unter die Welt verlaufen habt; die ihr aus den trüben Quellen der Weltlust
getrunken habt; die ihr in die Abgründe des Lasters gestürzt seid; die ihr auf
die jähen Höhen der Hoffart gestiegen seid; die ihr in den Irrgärten der
menschlichen Weisheit umhergeirrt seid; kommt wieder! Ich, ich bin euer Hirte;
bei mir findet ihr die rechte Weide; ich führe euch zu den frischen Wassern des
Trostes; ich bringe euch auch endlich in den himmlischen Schafstall, wo Freude
die Fülle und liebliches Wesen sein wird immer und ewig.
Seht hieraus, meine Lieben, wie leicht also
ein jeder unter uns ein Schäflein Christi werden und Christus zu dem Hirten und
Bischof seiner Seele bekommen kann. Sobald wir auf das Wort des Evangeliums
hören, das uns zu Christus ruft, sobald wir nämlich erkennen, dass wir verirrt
gewesen sind, und Christi Hirtenstimme nicht mehr widerstreben, sondern die
Welt und Sünde verlassen und zu ihm zurückkehren und sprechen: Da hast du mich,
mein Hirte, nimm dein armes Schäflein an, – alsobald stehen wir wieder unter
Christi Hut, wir sind seine Schafe und er unser Hirte. Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Was ist ein wahrer Christ? Worin besteht
das Wesen des wahren Christentums? Diese Frage wird sehr verschieden,
und darum natürlich auch sehr oft falsch beantwortet.
Am sichersten meinen in der Regel
diejenigen zu gehen, welche sagen, das Wesen eines wahren Christen bestehe
nicht darin, dass er fleißig in die Kirche und zum heiligen Abendmahl gehe und
viel bete und singe, sondern dass er rechtschaffen lebe, seinen Nächsten liebe
und ihm nützlich sei, kurz, dass er gute Werke tue. Und es ist wahr: Das
Christentum ist nichts Totes; es besteht nicht in Beobachtung gewisser
äußerlicher gottesdienstlicher Verrichtungen, Zeremonien und gottseliger
Übungen; denn der fleißigste Kirchgänger kann doch bei all seinem Eifer ein
Heuchler sein.
Doch ist es ebenso falsch, wenn man meint,
dass das Wesen des wahren Christentums in einem ehrbaren Leben, in bürgerlicher
Rechtschaffenheit, in einem gemeinnützigen Handeln bestehe. Denn auch bei
diesem allen kann man ebenso wohl ein Heuchler sein, der auf sein vermeintlich
gutes Herz, auf seine edlen Grundsätze und auf seine guten Werke stolz ist.
Das Wesen des wahren Christentums ist der
wahre Glaube an Jesus Christus; wo dieser Glaube nicht die Hauptsache, das
Herz, die Seele unseres ganzen Christentums ist, da ist es im Grunde nichts
anderes als ein Heidentum, das etwa noch mit einigen christlichen Wahrheiten
übertüncht beschönigt und geschmückt ist.
Geht die ganzen Evangelien durch, so werdet
ihr finden: Das allein war’s allezeit, warum Christus Seelen tröstete, warum er
sie für die Seinigen erkannte und ihnen das ewige Leben verheißt: Weil sie
an ihn glaubten.
Ja, spricht man, wie ist es möglich, dass
es der Glaube allein tue? Die einfache Ursache ist diese: Weil der Mensch von
Natur ein Sünder ist und mit seinen Werken vor Gott nicht bestehen kann, so hat
Christus, wahrer Gott und wahrer Mensch, uns erlöst, Gott wieder durch sein
Leben, Leiden und Sterben mit uns versöhnt und der Gerechtigkeit Gottes für uns
genuggetan. Wer das nun genießen will, der darf diese Erlösung freilich nicht verwerfen,
sondern muss sie annehmen; und das ist eben der Glaube.
Der Glaube ist die offene Himmelstür; wer dadurch
nicht eingehen will, der bleibt von Gottes Reich immer und ewig ausgeschlossen.
Wohl ist es wahr: Ein Christ tut gewiss gute Werke; wer sich aber auf das, was
er für gute Werke hält, verlässt und dadurch vor Gott gerecht und selig werden
will, der ist kein Christ und geht mit allen seinen scheinbaren Werken
verloren.
Dass wir elenden Sünder selig werden, davon
will Gott allein den Ruhm haben. Unser Ruhm muss ganz in Stücke gehen und
zuschanden werden. Auch die Buße und Besserung darf der Grund unserer Hoffnung
nicht sein. Wer da denkt: Da ich nun meine Sünde bereue und mich bessern will,
so wird sich doch Gott meiner erbarmen, der geht irre und betrügt sich
jämmerlich. Willst du vor Gott gerecht und selig werden, so musst du dich auf
lauter Gnade und Barmherzigkeit ergeben, denn das ist eben die rechte Buße,
dass du an dir ganz verzagst und mit deinem Elend, das du einsiehst, dich zu
Christus wendest. So wird man ein Christ, so bleibt man ein Christ, so wird man
selig.
Ein wahrer Christ trägt eine ernstliche
Sorge für seiner Seelen Seligkeit in seinem Herzen; er baut sie aber nicht auf
ein handwerksmäßiges Verrichten gewisser guter Werke; er lässt vielmehr alles
fahren und sieht allein auf Jesus, das Lamm Gottes, das der Welt und auch seine
Sünden trägt; ein wahrer Christ kann daher in Wahrheit dem heiligen Apostel
nachsprechen: „Es ist gewiss wahr und ein teuer wertes Wort, dass Jesus
Christus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen, unter welchen
ich der vornehmste bin.“
Seht, meine Lieben, das, ja, das ist der
einig rechte Grund; aller andere taugt nichts; alles eigene Wirken, und wenn es
mit Millionen Tränen verbunden wäre, ist verlorene Arbeit; nur der Glaube an
Christus überwindet Gottes feuerbrennenden Zorn und löscht der Höllen Flammen.
Es fragt sich nun: Wie sieht es denn aber
dann in dem Herzen eines Christen aus, wenn dieser Grund des Glaubens bei ihm
gelegt ist? Davon will ich jetzt weiter zu euch reden.
Johannes 16,16-23: Über ein kleines, so werdet ihr mich
nicht sehen, und abermals über ein kleines, so werdet ihr mich sehen; denn ich
gehe zum Vater. Da sprachen etliche unter seinen Jüngern untereinander: Was ist
das, was er sagt zu uns: Über ein so werdet ihr mich nicht sehen, und abermals
über ein kleines, so werdet ihr mich sehen, und dass ich zum Vater gehe? Da
sprachen sie: Was ist das, was er sagt: Über ein kleines? Wir wissen nicht, was
er redet. Da merkte Jesus, dass sie ihn fragen wollten, und sprach zu ihnen:
Davon fragt ihr untereinander, dass ich gesagt habe: Über ein kleines, so
werdet ihr mich nicht sehen, und abermals über ein kleines, so werdet ihr mich
sehen. Wahrlich, wahrlich, ich, sage euch: Ihr werdet weinen und heulen; aber
die Welt wird sich freuen. Ihr aber werdet traurig sein; doch eure Traurigkeit
soll in Freude verkehret werden. Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie
Traurigkeit; denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat,
denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass der Mensch zur
Welt geboren ist. Und ihr habt auch nun Traurigkeit aber ich will euch
wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von
euch nehmen. Und an demselben Tage werdet ihr mich nichts fragen. Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in meinen Namen,
so wird er’s euch geben.
Zweierlei sagt in diesem Evangelium
Christus seinen Jüngern voraus; er spricht: „Ihr werdet traurig sein; doch
eure Traurigkeit soll in Freude verkehrt werden.“ Das ist der Hauptinhalt
unseres ganzen Evangeliums. Hiernach spreche ich jetzt zu euch davon:
Dass
im wahren Christentum ein steter Wechsel von Traurigkeit und Freude stattfinde
1.
Wollen wir diesen Wechsel
kennenlernen, und
2.
Aus Gottes Wort vernehmen wie man
sich dabei zu verhalten habe.
O HERR Jesus Christus! Du willst, dass die
Deinigen nicht zur Schmach deines vollgültigen Verdienstes immer ungewiss und
zweifelhaft, sondern zur Ehre deines Kreuzes fest und gewiss ihres Heils seien.
O, so gib uns allen das köstliche Ding, ein festes Herz, das allein deine Gnade
wirken kann. Segne hierzu auch die gegenwärtige Verkündigung deines teuren
Evangeliums um deiner selbst willen. Amen.
1.
Es ist wahr, meine Lieben: Das wahre
Christentum ist etwas Fröhliches, Herrliches, Seliges; denn sollte das nicht
ein seliger Mensch sein, der es weiß, dass er durch Christus einen gnädigen
Gott hat und durch den Tod einst gewiss in den Himmel der Seligen eingeht? Doch
meinen viele, das Leben im Glauben sei eine immerwährende Fröhlichkeit des
Herzens, ein ungestörter Friede, eine stets selige Ruhe und Stille des Seele,
und das ganze Christentum ein immerwährendes Schwelgen des Geistes in süßen
Gefühlen. Zu dieser Meinung werden viele durch solche Lehrer verführt, welche
ihre Zuhörer dadurch zum wahren Christentum zu reizen und zu locken suchen,
dass sie ihnen dasselbe erst als ganz leicht und lieblich und überschwänglich
herrlich vormalen, als einen Zustand wenigstens oft wiederkehrender geistlicher
Entzückungen.
Andere hingegen verwerfen alle Erfahrungen
himmlischer Erquickungen und eines schon auf Erden stattfindenden Schmeckens
des gütigen Wortes Gottes und der Kräfte der zukünftigen Welt als Schwärmerei;
oder sie stellen das Christentum so dar, als wäre es ein stets Jammern und
Seufzen ohne die fröhliche Gewissheit, dass man in Gnaden sei; als müsse auch
ein Christ immerfort zittern, zagen und zweifeln, ob er auch einst werde
angenommen werden oder nicht; als wäre es schon eine fleischliche Sicherheit,
wenn er mit jenem christlichen Dichter spricht:
Was kann mir denn
nun schaden
Der Sünden große
Zahl?
Ich bin bei Gott
in Gnaden,
Die Schuld ist
allzumal
Bezahlt durch
Christi teures Blut
Dass ich nicht
mehr muss fürchten
Der Höllen Qual
und Glut.
Aber, meine Lieben, beide Meinungen sind
falsch, gegen Gottes Wort, und gegen die allgemeine Erfahrung aller
rechtschaffenen Christen. Das wahre Christentum ist weder eine ununterbrochene
Freudigkeit, noch eine immerwährende Ängstlichkeit. Was es eigentlich sei, dies
lernen wir aus unserem Evangelium, in welchem der HERR zu den Aposteln spricht:
„Über ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen; und abermals über ein
Kleines, so werdet ihr mich sehen; denn ich gehe zum Vater.“ Da nun die
Jünger diese verblümte Rede nicht verstanden, so legte sie ihnen Christus mit
den Worten aus: „Wahrlich,
wahrlich, ich, sage euch: Ihr werdet weinen und heulen; aber die Welt wird sich
freuen. Ihr aber werdet traurig sein; doch eure Traurigkeit soll in Freude
verkehret werden.“ Hiermit hat es Christus nicht nur den Aposteln, sondern allen Christen
geweissagt, wie es in ihrem Glaubensleben hergehen werde; es werde nämlich
darin ein steter Wechsel von Traurigkeit und Freude stattfinden.
Als die Apostel
zu Christus kamen und ihn als den Heiland der Welt erkannten, da war lauter
Freude bei ihnen. Welch einen gütigen, gnädigen, freundlichen, barmherzigen
Herrn fanden sie an ihm! Wie freudig verließen sie daher alles und folgten ihm
nach! Sie mochten daher wohl denken, so werde es fortgehen, und wenn Christus
endlich als Messias sein Reich aufrichten werde, so werde es noch besser
werden. Aber siehe! Da er nun bald von ihnen zum Vater gehen wollte, so
verkündigte er ihnen nun etwas, was sie jetzt am wenigsten erwartet hatten:
Weinen, Heulen und Traurigkeit; doch erklärte er, es sei immer nur um ein
Kleines zu tun, so solle sich die Traurigkeit wieder in Freude verkehren.
So macht es
Christus noch jetzt. Wenn Menschen ihn im Glauben annehmen, o, wie ist ihnen da
so wohl in Christus! Welche neuen himmlischen Bewegungen empfinden sie da nun
in ihren Herzen! Wie selig fühlen sie sich, wenn sie nun ausrufen können:
Ich habe nun den Grund gefunden,
Der meinen Anker ewig hält.
Wo anders, als in Jesu Wunden?
Da lag er vor der Zeit der Welt;
Der Grund, der unbeweglich steht,
Wenn Erd und Himmel untergeht!
Aber so bleibt es nicht immer. So
lichthelle den Gläubigen oft anfangs ihr Gnadenstand ist, dass sie aller Welt
und allen Teufeln zurufen möchten: „Wer will verdammen? Christus ist hier, der
gerecht macht!“ so ist es doch oft nur um ein Kleines zu tun, so wird es wieder
in ihren Herzen dunkel; es stehen wieder Zweifel auf und die feste Zuversicht
fängt an zu wanken. Sie denken oft erst, die Sünde wäre durch den Glauben in
ihren Herzen wie ausgestorben, und siehe! Sie fängt über ein Kleines wieder an,
sich in ihnen mächtig zu regen; sie werden auch dann und wann wieder von einer
Sünde hingerissen und befleckt; da sinken denn die Flügel des Glaubens und
Vertrauens tief herab. Erst denken die Gläubigen oft: „Und wenn mich der HERR
töten wollte, so will ich doch auf ihn hoffen“; aber kommen nun in ihrem Leben
viele Trübsale vor, löst bei ihnen ein Unglück das andere ab; ist es ihnen, als
stritte Gott ganz gegen sie; führt sie Gott so raue Wege, dass es scheint, als
achte er sie gar nicht für seine Kinder, als verfolge er sie wie seine Feinde
und habe sie von seinem Angesicht verstoßen und verworfen: Da regt sich denn
auch das Misstrauen stark gegen Gott und Traurigkeit und Betrübnis drückt sie
nieder.
Zu Zeiten fühlen die Gläubigen einen so
großen Eifer gegen die Sünde, dass sie meinen, sie wollten nie wieder einen
sündlichen Gedanken in ihr Herz und kein unnützes Wort über ihre Lippen gehen
lassen; und über ein Kleines fühlen sie sich zum Kampf gegen die Sünde ganz
matt und verdrossen. Zu Zeiten ist den Gläubigen die Welt mit ihren Eitelkeiten
so ein Ekel, dass sie von der Sehnsucht nach der himmlischen Heimat fast
verzehrt werden; und über ein Kleines nehmen sie mit Trauer in ihrem Herzen ein
geheimes Gelüsten nach der Welt Güter und Freuden wahr. Zu Zeiten sind die
Gläubigen mutig in ihrem Bekenntnis der Wahrheit, das sie mit Freuden der Welt
entgegentreten und sich freuen, wenn sie um Jesu willen nur recht viel Schmach
und Verfolgung leiden; und über ein Kleines ergreift sie wieder Kleinmütigkeit
und Furchtsamkeit. Zu Zeiten können die Gläubigen beten, dass sie sich über
sich selbst verwundern, sie wissen selbst nicht, woher es komme, dass die Worte
brünstiger Andacht wie ein mächtiger Strom aus dem Herzen quellen; und über ein
Kleines können sie nur schwächlich seufzen und girren wie Tauben. Jetzt finden
sie vielleicht lauter Licht und Leben, unaussprechlichen Trost, Kraft, Stärkung
und süßeste Erquickung in Gottes Wort; und über ein Kleines ist es ihnen, als
wäre es ganz tot und kraftlos. Zu Zeiten machen sie die seligsten Erfahrungen,
wen sie den wahren Leib und das wahre Blut Jesu Christi im heiligen Abendmahl
genießen; und über ein Kleines müssen sie betrübt und traurig vom Tisch des
HERRN wieder zurückgehen.
Seht, meine Lieben, ein solcher Wechsel von
Traurigkeit und Freude, von Stärke und Schwäche, von Mut und Kleinmütigkeit
findet im wahren Christentum statt. Dasselbe finden wir bei den Heiligen, von
denen wir in Gottes Wort lesen. Wie wechselte es bei David! Er erzählt es
selbst von sich im 30. Psalm mit den Worten: „Ich sprach, da es mir wohl ging:
Ich werde nimmermehr darniederliegen; aber da du dein Antlitz verbargst,
erschrak ich.“ Jetzt jauchzte er: „Ich kann mit meinem Gott über Mauern
springen“, und über ein Kleines seufzte er: „Meine Seele liegt im Staub;
erquicke mich nach deinem Wort.“ Jetzt jubelte er: „Lobe den HERRN, meine
Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen; lobe den HERRN, meine Seele,
und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat; der dir alle deine Sünden
vergibt und heilet alle deine Gebrechen“; und über ein Kleines hören wir ihn
wieder so seufzen: „Aus der Tiefe rufe ich, HERR, zu dir. HERR, höre meine
Stimme. – So du willst, HERR, Sünde zurechnen; HERR, wer wird bestehen? – Meine
Seele wartet auf den HERRN von einer Morgenwache bis zur anderen. – HERR, gehe
nicht ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht.
Denn der Feind verfolgt meine Seele und schlägt mein Leben zu Boden; er legt
mich in das Finstere, wie die Toten in der Welt. – Ich denke an die vorigen
Zeiten – meine Seele dürstet nach dir wie ein dürres Land. HERR; erhöre mich
bald, mein Geist vergeht.“
2.
Nachdem wir nun hieraus den Wechsel der
Traurigkeit und Freude, der im wahren Christentum stattfindet, kennengelernt
haben, so vernehmt nun zweitens aus Gottes Wort, wie man sich dabei zu
verhalten habe.
Es gibt, meine Lieben, wenige, die ihres
Gnadenstandes bleibend recht gewiss werden. So viele es auch gibt, welche sich
als arme Sünder erkennen, die sich selbst nicht helfen können, die Jesus für
den einzigen Heiland ansehen, so kommen die Meisten doch zu keiner rechten
Festigkeit des Glaubens. Und es ist kein Zweifel: Der Hauptgrund hiervon liegt
bei ihnen darin, dass sie erfahren, wie oft sich die Stimmung, das Gefühl ihres
Herzens ändere. Empfinden sie Freude, dann denken sie: Jetzt ist dir Gott gnädig,
jetzt lacht er dich freundlich an, jetzt gibt er dir das Zeugnis, dass du sein
Kind seist; empfinden sie hingegen Traurigkeit, Schwachheit, Mattigkeit und die
Regungen des Fleisches und der bösen Lust, ach, denken sie dann, wie hast du
doch Jesus so ganz wieder aus dem Herzen verloren! Wie ist doch die Gnade
Gottes wieder so ganz von dir gewichen! Ach, du hast Schiffbruch am Glauben
erlitten und bist aus dem Leben in den Tod gefallen.
Dies ist aber, glaubt es, nichts anderes,
als ein Betrug unseres Herzens und eine List Satans, der uns von dem ewigen
Felsengrund, Jesus Christus, und seinem teuren Evangelium unvermerkt
hinwegdrängen, und auf den schwankenden Boden unseres eigenen Herzens führen
will.
Deutlich hat es Christus allen den Seinen
vorausgesagt, dass sie nicht nur Stunden der Freude haben werden, sondern auch
Zeiten der Traurigkeit, wenn sie weinen und heulen müssen, wenn die Angst sie
überfallen werde wie eine gebärende Frau; aber das Ende von allem solle
herrlich sein; ihr Herz solle sich freuen und ihre Freude niemand von ihnen
nehmen.
Hieraus seht ihr: So wenig die freudigen
Gefühle, die wir zuzeiten haben, der eigentliche Grund unserer Beruhigung sein
sollen, so wenig sollen wir auch durch die Erfahrung der Traurigkeit und
Schwachheit den Grund unseres Glaubens uns umstoßen lassen. Unser
einiger Grund, auf den wir bauen, soll sein Jesus Christus, der Heiland der
Welt.
O, lasst euch daher warnen vor dem falschen
Geist, der jetzt ausgegossen ist über alle Welt, und hütet euch daher vor den
vielen falschen Lehrern, welche jetzt aufgestanden sind, die unter dem besten
Schein des lebendigen Christentums die armen Seelen doch aufs Schlüpfrige
setzen, indem sie sie lehren, die Gewissheit ihres Heils nicht in Christus,
seinem gewissen Wort und Sakrament, sondern in sich selbst, in ihren Herzen zu
suchen!
Es hat wohl einen guten Schein, wenn man
predigt: Ihr müsst das und das erfahren, ihr müsst erst das Zeugnis des
Heiligen Geistes fühlen, dann könnt ihr erst glauben und Christi euch trösten;
aber dies ist nichts anderes, als eine umgekehrte Heilsordnung. In Gottes Wort
heißt es vielmehr: Erst glauben, dann wirst du erfahren. So spricht Christus zu
Martha: „Habe ich dir nicht gesagt, so du glauben würdest, du solltest die
Herrlichkeit Gottes sehen?“ Ferner spricht Paulus an die Epheser: „Da ihr
glaubtet, seid ihr versiegelt worden mit dem Heiligen Geist der Verheißung.“
Ferner spricht Johannes: „Wer da glaubt, dass Jesus sei der Christus, der ist
von Gott geboren; und wer da glaubt an den Sohn Gottes, der hat Gottes Zeugnis
bei sich.“
Wohl ist es eine köstliche Gabe Gottes,
wenn er seinen süßen Frieden in unser Herz ausgießt, aber nicht dieser
Friede, sondern der Friede, den Christi Blut am Kreuz mit Gott im Himmel
gestiftet hat, da er ihn versöhnte, soll der Anker unserer Hoffnung sein.
Denken wir aber: Weil es so oder so mit mir steht, so will ich mich nun auch
Christi trösten, so nehmen wir damit Christus alle seine Ehre, so ist unser
Glaube wurmstichig und unser Glaubensauge schielt. Wir müssen vielmehr so
denken: Christus ist ein Heiland für Sünder, da ich nun ein Sünder bin und ohne
ihn verloren wäre, so nehme ich zu ihm meine Zuflucht; weil ich in mir selbst
nackt und bloß bin, so kleide ich mich in das Hochzeitskleid seiner
Gerechtigkeit ein.
Wie nun die Erfahrungen von Freude nicht
unser Beruhigungsgrund sein sollen, so sollen auch endlich die Erfahrungen von
Traurigkeit und Schwachheit ihn hingegen nicht umstoßen.
Wir leben, meine Lieben, wie der Apostel
sagt, hier im Glauben und nicht im Schauen; hier ist noch nicht die Zeit der
Sättigung, sondern des Hungerns und Dürstens nach Gerechtigkeit und des
Leidtragens. Darum sollen wir uns nicht irre machen lassen, wenn wir, wie die
Jünger, oft weinen und heulen müssen, wenn wir nichts in uns fühlen als Elend,
Not und Tod. Wohl steht der Gläubige in Frieden mit Gott, aber er hat noch
viele Friedensstörer; wohl hat er die Gerechtigkeit Christi, aber seine eigene
Ungerechtigkeit muss er oft noch schmerzlich fühlen; wohl genießt er die Freude
im HERRN, aber Sünde, Welt und Teufel werfen viele bittere Galle in seinen
Freudenkelch. Wohl ist der Glaube ein gewisses, festes Gründen auf Christus,
aber obgleich Christus, der Grund, fest bleibt, so werden doch die Gläubigen
oft gar sehr schwach; der Glaube ist nicht immer eine triumphierende
Gewissheit, nicht immer das Jauchzen der Überwinder über Sünde, Tod, Teufel und
Hölle, sondern er ist oft nur noch ein verborgenes, unter der Asche glimmendes
Fünklein, ein geheimes fußfälliges Seufzen um Gnade.
So lasst euch denn, die ihr in Christus das
Heil erkennt, nicht durch euer eigenes Herz und den Satan betrügen; macht euch
das Heil nicht selbst ungewiss; Gottes Wort steht fest, ob alles wankt; so
lange ihr euch daran haltet, so steht ihr noch aufrecht. Die heilige Taufe ist
ein Bund, der nicht hinfällt, der Gott nie gereut; so lange ihr auf diesen Bund
euch vor Gott beruft, so kann euch Gott nicht verstoßen. Das heilige Abendmahl
ist ein unwidersprechliches Pfand eurer Versöhnung; so lange ihr dieses Pfand
im Glauben nehmt, so muss es Gott mit eurer Seligkeit einlösen.
O, so wehrt euch denn gegen alle Zweifel
und behauptet das Recht, das ihr habt, gegen alle Widersprüche eurer Vernunft
und eures Herzens. „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig.“
O große Seligkeit!
Wohl allen, die es
wissen!
Das Heil ist
längst bereit,
Man muss es nur
genießen.
Der Glaub an
Christi Blut
Macht allen Jammer
gut.
Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserem teuren Heiland,
herzlich geliebte Zuhörer!
Der allgemeinste Grund, warum man von jeher
und auch in unseren Tagen die Heilige Schrift nicht für Gottes Wort erkennen
will und sie als Gottes Wort nicht annehmen zu können behauptet, ist, weil
dieselbe den gewöhnlichen Gedanken, Ansichten und Urteilen des Menschen so
gänzlich widerstreitet. Man macht sich eine gewisse Vorstellung davon, wie Gott
etwa, wenn er sich hätte offenbaren wollen, hätte offenbaren müssen;
von dem allem findet man aber das gerade Gegenteil in der Schrift. Das, was die
Heilige Schrift von dem Wesen Gottes, von seinem Willen und seinen
Ratschlüssen, von der Beschaffenheit und Bestimmung des Menschen, von dem, was
Gott zur Seligkeit des Menschen getan, und von dem Weg, auf welchem der Mensch
selig werden soll, uns offenbart, das steht in geradem Widerspruch zu dem, was
der Mensch von diesen Dingen denkt. Dieselben Wahrheiten hat nicht nur kein
forschender Philosoph, der von der Bibel nichts wusste, gefunden, sondern auch
denen, welchen die in der Bibel enthaltene Offenbarungen verkündigt werden, ist
darin alles so fremd und es erscheint ihnen alles so töricht, dass man das
größte Recht dazu zu haben meint, die biblischen Lehren zu verwerfen.
Aber – sollte dies wirklich ein Grund sein,
warum man die Heilige Schrift für keine Offenbarung Gottes halten könne? – Ich
sage nein! Im Gegenteil. Könnte der Mensch selbst sagen, wie sich Gott,
wenn er sich habe offenbaren wollen, haben offenbaren müssen, so
wäre das Wunder einer unmittelbaren Offenbarung Gottes eine unnötige Sache, der
Mensch bedürfte ihrer nicht. Enthielte ferner die Heilige Schrift nur solche
Lehren, und wären besonders die wesentlichen, wichtigsten Lehren
derselben solche, die dem Menschen nicht fremd erschienen und die er selbst mit
Hilfe seiner Vernunft finden könnte, so enthielte die Schrift nur eine
Wiederholung und Bestätigung der Offenbarung der Vernunft und keine besondere
Offenbarung Gottes; denn eine Offenbarung ist eben nur die Bekanntmachung
vorher unbekannter Dinge. Endlich aber, erschienen uns die biblischen
Wahrheiten nicht widersprechend, könnten wir den gegenseitigen Zusammenhang und
die Übereinstimmung derselben mit den anderen unwidersprechlichen Wahrheiten
und mit den rechten Vorstellungen von Gott, seinem Wesen, Willen und Werken in
allen Beziehungen einsehen, so wäre dies ein deutlicher Beweis, dass diese
Wahrheiten nicht aus einer uns unbekannten Welt, nicht aus einem Heiligtum
gekommen seien, in welches dem Auge unseres Geistes kein Einblick gestattet
ist.
Nicht der rechte Gebrauch der
Vernunft, sondern die natürliche Eigenliebe und die angeborene Feindschaft des
Menschen gegen Gott ist es, die ihn bewegt, der Heiligen Schrift um der darin
enthaltenen ihm fremd dünkenden und unbegreiflichen Lehren willen ihren
göttlichen Ursprung abzusprechen. Das ist eben unsere Sünde, dass wir
Gott nicht annehmen wollen, wie er ist und von uns erkannt sein will, sondern
dass wir uns selbst einen Gott in unseren Gedanken schaffen, und Gott sein
soll, wie wir wollen.
Schon unsere Vernunft sagt uns: Eine
göttliche Offenbarung muss uns vormals unbekannte Gebiete des Wissens
entdecken, sie muss nämlich Lehren enthalten, die wir ohne sie nicht
hätten wissen und deren Zusammenhang wir hienieden nicht einsehen können.
Wunder Weissagungen, den Menschen völlig Neues, ihm unbegreifliche Geheimnisse
und Aufdeckungen seiner Irrtümer – das sind gerade Merkmale, die eine göttliche
Offenbarung an sich tragen und wodurch sie sich als eine Gottesoffenbarung
erweisen muss. Gott selbst beruft sich daher hierauf im Propheten Jesaja; er
spricht dort im 42. Kapitel: „Siehe, was kommen soll, verkündige ich zuvor und verkündige
Neue; ehe denn es aufgeht, lasse ich es euch hören.“
Zwar kann eine göttliche Offenbarung auch
dazu dienen, Manches, was wir schon von Natur wissen, zu bestätigen und außer
Zweifel zu setzen; aber nicht das, sondern gerade die uns gänzlich neuen
Lehren, die wir allein durch unmittelbare Offenbarung erfahren konnten, die
unsere natürliche Erkenntnis ergänzen und berichtigen, ja, vor allem, die uns
aufdecken, worin wir von Natur irrig sind, und die daher unseren gewohnten
Gedanken, Ansichten und Urteilen widersprechen: Das sind die wichtigsten
Lehren, auf die wir vor allen anderen merken müssen, und das ist der
Schatz, in welchem vor allem unsere Seligkeit liegt.
In unserem heutigen Evangelium nennt uns
Christus drei Hauptstücke, in welchen die Offenbarung des Heiligen Geistes
unserem natürlichen Urteil widerspricht. Lasst uns daher jetzt hierauf unsere
Aufmerksamkeit richten.
Johannes 16,5-16: Nun aber gehe ich hin zu dem, der mich
gesandt hat; und niemand unter euch fragt mich: Wo gehst du hin? Sondern weil
ich solches zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns worden. Aber ich
sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, dass ich hingehe. Denn wenn ich nicht
hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch; wenn ich aber gehe, will ich ihn
zu euch senden. Und wenn derselbe kommt, der wird die Welt strafen um die Sünde
und um die Gerechtigkeit und um das Gericht: um die Sünde, dass sie nicht
glauben an mich; um die Gerechtigkeit aber, dass ich zum Vater gehe, und ihr
mich hinfort nicht seht; um das Gericht, dass der Fürst dieser Welt gerichtet
ist. Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt’s jetzt nicht tragen.
Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle
Wahrheit leiten. Denn er wird nicht von sich selber reden, sondern was er hören
wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen.
Derselbe wird mich verklären; denn von dem Meinen wird er’s nehmen und euch
verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein; darum hab’ ich gesagt: Er
wird’s von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.
Als Christus es den Aposteln eröffnet
hatte, dass er sie nun bald verlassen und zum Vater gehen werde, wurden sie
alle überaus traurig. Um sie nun zu trösten, sagte er ihnen nicht nur, dass
ohne seinen Hingang zum Vater der Tröster nicht zu ihnen kommen könnte, sondern
er gab ihnen auch die Verheißung, dass er, zum Vater gegangen, ihnen den
Tröster, den Heiligen Geist senden wolle. Dies veranlasste denn Christus,
zugleich zu zeigen, was der Heilige Geist tun, dass er nämlich die Welt strafen
oder überzeugen werde, dass die Sünde, die Gerechtigkeit und das Gericht in
etwas ganz anderem bestehe, als sie denke. Lasst mich daher jetzt zu euch
sprechen:
Von
dem großen Unterschied, zwischen dem Urteil der Welt und dem Urteil des
Heiligen Geistes
1.
Über die Sünde,
2.
Über die Gerechtigkeit, und
3.
Über das Gericht.
O HERR Gott Heiliger Geist! Wir Menschen
alle sind in die Sünde gefallen, und dadurch sind wir in unserem Dichten eitel
geworden und unser unverständiges Herz ist verfinstert; da wir uns für weise
hielten, sind wir zu Narren geworden: O, so leuchte doch du, himmlisches Licht,
hinein in die Finsternis unserer Seelen, und zeige uns unsere Torheit und hilf
uns durch dich weise zu werden zur Seligkeit. Gib uns Gnade, dass wir uns in
allem deinem Urteil unterwerfen, deiner Weisung folgen und endlich unter deiner
Leitung das Ziel erreichen. Erhöre uns, du höchster Tröster in aller Not, um
deiner Treue willen. Amen.
1.
Indem Christus in unserem Evangelium den
Jüngern den Heiligen Geist verheißt, so spricht er zuerst: „Und wenn
derselbe kommt, der wird die Welt strafen um die Sünde.“ Das erste also,
spricht Christus, was der Heilige Geist, wenn er in die Welt kommt, tun werde,
werde dieses sein, dass er die Welt um die Sünde strafe. Hieraus sehen wir: Die
Religion Christi ist nicht, wie man jetzt so oft lehrt, eine Lehre von der Würde
des Menschen; sie ist nicht eine Summe von Regeln, wie der Mensch seine
angeborene Kraft gebrauchen und tugendhaft leben solle; sie ist nicht eine
Anleitung, wie das in dem Menschen liegende und schlummernde Gute zu wecken
sei; nein, der erste Gruß, mit welchem Christi Lehre die Welt begrüßt, ist eine
allgemeine Bestrafung aller Menschen, es ist die ernste Erklärung: Ihr seid
allzumal Sünder! Niemand darf sich hier ausschließen. Wer zu den Menschen
gehört, gehört auch zu den Sündern. Wie dich auch die Welt nennen mag, König
oder Bettler, reich oder arm, hoch oder niedrig, alt oder jung, weise oder
unsere, Sklave oder freier Bürger, heilig oder unheilig, tugendhaft oder
mangelhaft – dein Name, dein Stand, dein Wert vor Gott heißt: ein
Sünder.
Schon diese Predigt, mit welcher der
Heilige Geist unter den Menschen auftritt, ist eine Predigt, deren sich die
Welt nicht versehen hat. Sobald die, welche das Amt des Heiligen Geistes führen
müssen, mit dieser Erklärung in die Welt auftreten, so zürnt man schon da, will
es nicht Wort haben, dass alle Menschen Sünder seien, und wendet sich entrüstet
hinweg als von einer feindseligen, den Menschen entwürdigenden und schändenden
Predigt.
Doch dass alle Menschen Sünde haben, in
dieses Urteil des Heiligen Geistes stimmt die Welt oft noch ein; worin
aber des Menschen Sünde eigentlich bestehe, das ist es, worin sich vor allem
der große Unterschied zwischen dem Urteil der Welt und dem Urteil des Heiligen
Geistes offenbart.
Was erklärt nämlich die Welt für Sünde? Es
gibt Menschen, besonders in unseren Tagen, die selbst offenbare Sünde, wie
Hurerei, Hass, Rachsucht, Betrug im Handel und dergleichen für keine Sünde mehr
halten. Die meisten Menschen haben jedoch noch so viel Gewissen, dass sie die
äußerlichen groben Ausbrüche der Sünde, die offenbaren Laster und die
Verbrechen, die auch vom Staat gestraft werden, noch für Sünde halten, wie
Mord, Ehebruch und Hurerei, Trunkenheit, Raub, Diebstahl, Lüge, Meineid, Fluch,
Lästern und dergleichen. Aber wie viele andere nicht so offenbare Übertretungen
selbst des allen Menschen in das Herz geschriebenen Gesetzes gibt es, die
unzählige Menschen nicht für Sünde halten! Wie fremd ist es den Meisten, wenn
ihnen ihre offenbar sündlichen oder doch unnützen Worte zur Sünde gemacht und
auch die bösen Gedanken ihres Herzens gestraft werden! Da heißt es alsbald bei
ihnen: O ein Wort ist kein Pfeil! Gedanken sind zollfrei!
Dass der Heilige Geist über die Sünde
anders urteilt als solche blinden Menschen, die nur die äußerlichen groben
Ausbrüche derselben für Sünde halten, dies bedarf wohl keiner Erwähnung.
Es gibt aber bekanntlich auch unter der
Welt, das heißt, unter den Menschen, welche noch keine wahren Christen sind,
solche, die es wissen und bekennen, dass alles Sünde ist, was gegen Gottes
Gesetz ist, mag es nun in Taten oder in Worten oder in Mienen und Gebärden oder
auch nur in den leisesten Begierden und Gedanken des Herzens bestehen. Kann nun
wohl das Urteil des Heiligen Geistes über die Sünde ein anderes sein? Sollte
der Heilige Geist nicht auch alle Übertretungen des göttlichen Gesetzes für Sünde
erklären und strafen? Ja, meine Lieben, aber dennoch ist das Urteil des
Heiligen Geistes über die Sünde ein ganz anderes als das Urteil der Welt. Denn,
wie spricht Christus in unserem Evangelium? Er spricht: „Und wenn derselbe
kommt, der wird die Welt strafen um die Sünde, dass sie nicht an mich glauben.“
Merkwürdiges Urteil! Wie? Ist also nach
dem Urteil des Heiligen Geistes der Unglaube die einzige Sünde der Welt? In
einem gewissen Sinn ja! Der Heilige Geist erklärt nämlich zwar auch jede
Übertretung des Gesetzes für Sünde, aber für die Hauptsünde, für die Quelle,
Mutter und Wurzel und für den Gipfel der Sünden, für die Sünde aller Sünden
erklärt er – den Unglauben, nämlich das Nichtglauben an Christus.
Aber, werdet ihr sagen, warum? Darum, meine
Lieben: Alle Menschen sind zwar Sünder von Natur, aber der Sohn Gottes ist
darum ein Mensch geworden, hat gelitten und ist am Kreuz gestorben; und dadurch
hat er aller Menschen Sünden gebüßt, die Strafe derselben getragen und getilgt,
und er lässt nun alle Menschen im Evangelium einladen, an ihn zu glauben; wer
nun an ihn glaubt, dem werden nicht nur alle Sünden so vergeben, dass ihn Gott
ansieht, als hätte er nie eine Sünde getan, sondern ein solcher gläubiger
Mensch bekommt auch durch den Glauben ein neues Herz, das die Sünde hassen und
lassen kann.
Daher lautet denn nun das Urteil des
Heiligen Geistes so: Ihr Menschen, es war eine große Sünde, dass ihr einst in
Adam alle von Gott abgefallen seid und das Ebenbild Gottes, nach welchem ihr
geschaffen wart, verloren habt, aber siehe da, der Sohn Gottes ist in die Welt
gekommen und hat euren Fall gebüßt und euch alles, was ihr in Adam verloren
hattet, wieder erworben; mögt ihr daher auch alle Gefallene sein, wenn ihr an
Christus glaubt, so soll euch das nicht zugerechnet werden; aber dass ihr nun
auch diese seine Hilfe durch euren Unglauben verwerft, das, das ist eure wahre
Sünde. Es ist wahr: Es steht mit euch Menschen traurig, sobald ihr in diese
Welt kommt; denn ihr seid alle in Sünden empfangen und geboren, und ihr könnt
euch aus eurem sündlichen Verderben nicht selbst helfen, ihr seid in Sünden
tot; aber das soll euch nicht schaden, denn sobald ihr glaubt an Christus, der
für euch als ein Menschenkindlein geboren ward, so werdet ihr wiedergeboren
werden, ein neues Herz bekommen und das Gesetz wird in euren Sinn geschrieben
werden; dass ihr nun nicht glauben wollt, das das ist die Grundsünde, aus
welcher nun alle eure Sünden quellen. Es ist endlich freilich entsetzlich, dass
ihr Menschen dahingelebt habt gegen Gottes Gesetz, dass ihr Gottes Liebe, die
er euch bei eurer Schöpfung erwiesen hat, verachtet habt und dass ihr bisher
den Weg der Hölle gegangen seid, den Himmel verscherzt und Sünden auf Sünden
und Schulden auf Schulden bei Gott gehäuft habt; aber Gott hat beschlossen,
dass ihr wegen dieser eurer Sünden nicht verloren gehen sollt, denn er hat euch
seinen Sohn zu einem Erlöser von Sünden geschenkt, und durch ihn euch einen
neuen Himmel der Gnade gebaut, und ihr sollt nur an ihn glauben, so sind alle
eure Sünden getilgt und der Himmel euch wieder offen; dass ihr nun auch nicht
glauben wollt, das ist eure schrecklichste Sünde. Dass ihr auch diese herrliche
Erlösung, auch diese unbegreifliche Liebe und Gnade Gottes in Christus, diese
teuer erworbene neue Heil, auch diese Arznei für eure Seelenkrankheit durch
euren Unglauben verachtet, von euch stoßt und mit Füßen tretet, dass ihr Gott
auch nun, da er eurer Sünden nicht gedenken und sie in die Tiefe des Meeres
werfen will, den Rücken kehrt, auch seine rettende Hand ausschlagt, dass ihr
nicht nur gegen das strenge Gesetz gesündigt habt, sondern nun auch gegen das
süße, gnadenpredigende Evangelium sündigt, das ist zu viel, das ist zu hoch
gesündigt, das ist nun eure wahre Sünde, das ist der höchste Gipfel der
Bosheit, den ihr ersteigen konntet; kurz, das ist die Sünde aller Sünden, für
welche keine Gnade und keine Vergebung ist in Ewigkeit.
Seht da, so lautet das Urteil des Heiligen
Geistes über die Sünde; o, wohl dem, der diese Strafe annimmt und die Sünde des
Unglaubens verlässt, so ist ihm von allen Sünden geholfen; aber wehe dem, der
in dieser Sünde bleibt; der wird auch nicht von einer errettet. Denn wer da
glaubt, der wird nicht gerichtet, wer aber nicht glaubt der ist schon
gerichtet, denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.
2.
Doch, meine Lieben, so verschieden das
Urteil der Welt von dem des Heiligen Geistes über die Sünde ist, so verschieden
ist das Urteil derselben auch über die Gerechtigkeit. Davon lasst mich nun
zweitens zu euch sprechen.
Dass der Mensch eine gewisse Gerechtigkeit
haben müsse, um einst vor Gott bestehen zu können, das leugnet selbst die Welt
nicht, wenn sie noch an einen Gott und an eine einstige Vergeltung glaubt. Denn
schon unsere Vernunft sagt uns: Da Gott heilig und gerecht ist, so kann er
freilich nicht die Ungerechten selig machen und die Sünden unmöglich mit dem
Himmel belohnen. Aber was ist die Gerechtigkeit, mit welcher die Welt vor Gott
zu bestehen hofft?
Die Welt urteilt so: Wenn ein Mensch die
guten Werke tut, die in den heiligen zehn Geboten geboten sind, und wenn er die
bösen Werke unterlässt, die darin verboten sind; wenn er so viel Gutes tut, wie
in seinen Kräften steht; wenn er sich aller groben Sünden und Ausschweifungen
enthält und in keinem Laster lebt; wenn er jedem das Seine gibt und gegen die
Armen sich mildtätig beweist; wenn er ein guter Bürger, ein treuer Ehegatte,
ein fleißiger Hausvater, ein verträglicher Nachbar, ein gewissenhafter Geschäftsmann
und wohl auch ein eifriger Kirchgänger ist, und wenn er in allem so lebt, dass
er von anderen nicht gestraft werden kann, sondern für einen ehrlichen,
redlichen, braven und tugendhaften Mann angesehen und gerühmt wird, das ist ein
gerechter Mann. Die Welt hält also mit kurzen Worten eine untadelhafte
bürgerliche Ehrbarkeit und Rechtschaffenheit für die Gerechtigkeit, die einst
vor Gott gelten werde.
Dass dem so sei, ist außer Zweifel, denn
Tausende und Millionen trösten sich mit einer solchen Gerechtigkeit, und hoffen
dadurch einst gewiss in den Himmel zu kommen.
Was ist aber hierüber das Urteil des
Heiligen Geistes? Christus sagt von ihm in unserem Evangelium: „Er wird die
Welt strafen um die Gerechtigkeit, dass ich zum Vater gehe, und ihr mich
hinfort nicht seht.“ – Merkwürdiges Urteil!
Aus diesen fremd klingenden Worten ersehen
wir vorerst wenigstens so viel, dass der Heilige Geist eine ganz andere
Gerechtigkeit offenbaren müsse als die, worauf alle Welt sich verlässt. Aber
wie? Sollte denn der Heilige Geist das strafen, wenn Menschen ein ehrbares,
rechtschaffenes, sittliches und tugendhaftes Leben führen, und sollte er es
loben, wenn man in offenbaren Sünden dahinlebt? Das sei ferne! Auch Gott will,
dass wir gute Bürger, fleißige Hausväter, gewissenhafte Geschäftsleute,
verträgliche Nachbarn und dergleichen seien. Aber so löblich und nützlich dies
ist für dieses Leben und für die gesellschaftlichen Verbindungen der Menschen,
so ist doch dies nach dem Urteil des Heiligen Geistes keineswegs die
Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Ja, wenn ein Mensch mit seiner bürgerlichen
Ehrbarkeit und Tugendhaftigkeit vor Gott treten und damit vor Gott bestehen zu
wollen wagt, dann verwirft und verdammt der Heilige Geist eine solche
Gesetzesgerechtigkeit als ein beschmutztes, zerrissenes Kleid, in welchem kein
Mensch vor dem allerheiligsten Gott erscheinen könne und dürfe.
Aber, werdet ihr sagen, hat Gott nicht
selbst das Gesetz gegeben und gesagt: „Tue das, so wirst du leben“? Und hat
dies Christus nicht bestätigt, indem er jenem jungen Mann die Antwort gab:
„Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote“? Es ist wahr, meine Lieben,
aber bedenkt: Gott will zwar dem, welcher seine Gebote hält, das ewige Leben
geben, aber nur dem, der sie auch wirklich, der sie vollkommen hält. Das heißt
nicht, Gottes Gebote halten, dieses und jenes in den Geboten geforderte Werk
tun und diese und jene in den Geboten verbotene Sünde unterlassen. Nein, Gottes
Gebote hält nur derjenige, welcher vorerst ein so reines und heiliges Herz hat,
wie das Gesetz fordert; nur der, welcher, was er nach dem Gesetz tut oder
unterlässt, freiwillig, ohne inneres Widerstreben tut oder unterlässt; nur der,
welcher bei dem, was er nach dem Gesetz tut oder unterlässt, weder die Absicht
hat, von Menschen gerühmt, noch von Gott dafür belohnt zu werden und seiner
Strafe zu entgehen; nur der, welcher, wenn er alles getan hat, sich nicht in
seinem Herzen deshalb erhebt, sondern sich dabei vor Gott für einen unnützen
Knecht hält; nur der, der keine Ausnahme macht, in keiner Sünde, die er nicht
hassen und lassen, und in keiner Tugend, die er nicht lieben und üben sollte;
kurz, nur der hält Gottes Gebote, der in Wahrheit sagen kann: Ich bin ohne
Sünde, ohne Mängel, ohne Fehler, ohne Gebrechen, selbst ohne Schwachheiten; ich
bin heilig, ich bin vollkommen. Nun sagt aber: Welcher Mensch kann so von sich
sprechen? Wer hat ein völlig reines Herz? Wer tut alles Gute und unterlässt
alles Böse ohne inneres Widerstreben? Wer hat nie die Absicht dabei, von
Menschen dafür gerühmt und von Gott belohnt zu werden und seinen Strafen zu
entgehen? In wem regt sich kein geheimer Stolz, wenn er etwas Gutes getan oder
etwas Böses überwunden hat? Wer macht in keiner Tugend, sei ihre Übung auch
noch so schwer, und in keiner Sünde, so ihre Bekämpfung auch noch so hart eine
Ausnahme? Kurz: Wer darf mit Christus sagen: Wer kann mich einer Sünde zeihen?
Wer kann sagen: Ich bin heilig, ich bin vollkommen? – Kein Mensch! Jeder muss,
wenn er sich hiernach prüft, einstimmen in das Bekenntnis, das selbst die
Heiligen getan haben: „Es ist hier kein Unterschied, wir sind allzumal Sünder
und mangeln des Ruhms, den wir an Gott haben sollten.“ „HERR, gehe nicht ins
Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger gerecht.“ „Wir sind
allesamt wie die Unreinen, und alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätiges
Kleid.“
Seht, darum offenbart denn der Heilige
Geist eine andere Gerechtigkeit; er straft nämlich, wie es in unserem Text
heißt, die Welt „um die Gerechtigkeit, dass Christus zum Vater geht und wir
ihn hinfort nicht sehen“. Was heißt das? Das heißt, der Heilige Geist ruft
der Welt zu: Wollt ihr vor Gott gerecht werden, so sucht es nicht in euren
Werken, nicht in eurem Wandel, nicht in eurer Gesetzeserfüllung; alles euer Tun
ist doch mit Sünden befleckt; vor Menschen könnt ihr damit wohl bestehen, aber
vor Gott, der in der das Herz sieht, nimmermehr. O, werft daher die Lappen
eurer eigenen Gerechtigkeit hin und seht auf Christus; der hat einen großen,
schweren, sauren Gang getan, er ist nämlich durch diese Welt gegangen unter
Leiden und Schmach, er ist hierauf nach Golgatha gegangen und hat sich da am
Kreuz geopfert, und endlich ist er durch den Tod einer ewigen Versöhnung wieder
hinausgegangen aus der Welt und nach seiner glorreichen Auferstehung durch
seine majestätische Himmelfahrt eingegangen in das Haus seines Vaters; dieser
Gang ist euch zugut geschehen; was Christus auf diesem Gang getan und gelitten
hat, das hat er für euch und an eurer Statt getan und gelitten. An diesen Gang
haltet euch daher im Glauben, dieses Ganges tröstet euch; dann habt ihr die rechte
vor Gott gültige Gerechtigkeit, eine Gerechtigkeit, die niemand tadeln kann,
denn sie ist die Gerechtigkeit des Sohnes Gottes. Dann habt ihr die
Gerechtigkeit, die euch niemand rauben kann, denn sie ist die Gerechtigkeit
dessen, dem gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Dann habt ihr eine
Gerechtigkeit, die euch ewig feststeht, wenn ich auch strauchelt und fallt, und
die euch gewiss ist, wenn ihr davon auch nichts seht und fühlt, ja, an euch
nichts als lauter Ungerechtigkeit seht und fühlt, denn diese Gerechtigkeit ist
außer euch, über euch, im Himmel, vor Gottes Thron.
O, selig ist der Mensch, der sein eigenes
Urteil von der Gerechtigkeit verwirft und dafür das Urteil des Heiligen Geistes
annimmt! Der kann fröhlich sein in der Anfechtung, fröhlich im Tod, ja,
fröhlich am Tag des Gerichts, denn er kann jubelnd mit Jesaja ausrufen: „Im
HERRN habe ich Gerechtigkeit und Stärke!“ und mit den lieben Kindlein singen:
Christi Blut und
Gerechtigkeit,
Das ist mein
Schmuck und Ehrenkleid,
Damit will ich vor
Gott bestehn,
Wenn ich zum
Himmel werd eingehn.
3.
Doch, meine Lieben, eilen wir zum Schluss.
Es ist noch Ein Punkt, über welchen nach
unserem Evangelium das Urteil der Welt von dem des Heiligen Geistes verschieden
ist, nämlich endlich drittens über das Gericht.
Viele von denen, welche zur Welt, das
heißt, zu den Nichtchristen, gehören, glauben gar nicht, dass es überhaupt ein
Gericht gebe; besonders in dieser unserer letzten Zeit, in welcher wir nun
endlich auf die Hefe der ganzen Weltzeit gekommen sind, ist vielen die Lehre
von dem Jüngsten Gericht ein Scherz und ein Spott. Man entblödet sich nicht, es
auch öffentlich zu schreiben, dass dort niemand gerichtet werde, dass schon
hier jedermann empfange, wie er es verdient habe, das letzte Weltgericht sei
die Weltgeschichte, das heißt, das letzte Gericht halte die Nachwelt
über die Verstorbenen entweder durch ein ehrenvolles oder durch ein
schimpfliches Andenken.
Mögen aber noch so viele die Lehre von dem
schrecklichen Jüngsten Gericht für eine Fabel halten, die man wohl in alten
finsteren Zeiten geglaubt und wodurch man sich da habe schrecken lassen, die
aber in unseren aufgeklärten Zeiten als ein Kindermärlein verlacht werde: So
lange das Wort Gottes gepredigt wird – und dieses soll gepredigt werden bis an
das Ende der Tage –, so lange wird auch der Heilige Geist es bezeugen: Es kommt
ein Tag des Gerichts, da jeder empfangen wird, was seine Taten wert sind; und
Gottes Geist wird fort und fort durch das Wort an die Herzen auch der frechsten
Spötter schlagen und sie gegen ihren Willen es fühlen lassen, dass dennoch das
Wahrheit sei, was sie so gerne wegleugnen möchten.
Doch, meine Lieben, auch unter den Kindern
dieser Welt gibt es nicht wenige, welche es nicht zu leugnen wagen, dass es
einst ein Gericht geben werde über Lebendige und Tote; aber von welchen
Menschen glaubt die Welt, dass sie einst werden gerichtet und verdammt werden?
Sie glaubt es höchstens von groben Verbrechern, von Dieben, Räubern und
Mördern, die ihr Leben auf dem Rabenstein geendet haben; dass aber auch ein
ehrbares Weltkind in das Gericht kommen und ewig verstoßen werden könne, das
glaubt sie nicht. Aber wie ganz anders ist des Heilligen Geistes Urteil
darüber! Von ihm sagt Christus in unserem Text: „Er wird die Welt strafen um
das Gericht, dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist.“ Was ist also des
Heiligen Geistes Urteil? – Indem er es bezeugt, dass der Fürst der Welt schon
gerichtet ist, so bezeugt er damit, dass freilich auch alle, die in seinem
Reich sind, mit ihm werden gerichtet werden, ja, auch schon gerichtet sind.
Furchtbares, schreckliches Urteil! Hieraus
sehen wir: Mag ein Mensch noch so ehrbar, noch so rechtschaffen, noch so
ruhmvoll, noch so untadelhaft vor der Welt wandeln – gehört er noch zur Welt,
ist er noch ein Freund der Welt, hält er es noch mit der Welt und lebt er noch
mit der Welt und nach der Welt Weise so ist er bereits gerichtet, bereits
verworfen mit aller seiner Weisheit, Frömmigkeit und Gerechtigkeit und mit
allen seinen hochgerühmten Werken.
Der Heilige Geist bestätigt also das Wort
Christi: „Der Weg ist schmal, der zum Leben führt, und wenige sind, die ihn
finden, und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und viele sind, die
darauf wandeln. Denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“
O, lasst uns darum, meine Zuhörer, nicht
sicher sein! Lasst uns nicht unserem eigenliebigen falschen Urteil folgen!
Lasst und das Urteil des Heiligen Geistes annehmen, denn alle Menschen und auch
unser Herz ist ein Lügner, aber Gottes Geist ist ein Geist der Wahrheit, sein
Urteil ist wahr und wird einst wahr werden vor unseren Augen. Lasst uns aber
auch darum das Reich dieser Welt, in welchem der Fürst der Finsternis herrscht,
verlassen und, damit wir dies können, Gott bitten, dass er uns seinen Heiligen
Geist gebe, damit dieser uns nicht nur die Sünde unseres Unglaubens aufdecke,
sondern uns auch die Gerechtigkeit zeige, die uns Christus durch seinen sauren
Gang zum Vater erworben hat. Hierauf lasst uns ihn in tiefster Erkenntnis
unserer Sünden um Glauben bitten, aber auch sodann im Glauben schaffen, dass
wir selig werden, mit Furcht und Zittern. Lasst uns endlich den großen Tag des
Gerichts nie vergessen, sondern uns bereit halten, damit, wenn dieser Tag einst
wie ein Fallstrick schnell und plötzlich die sichere Welt überfallen und der
Richter erscheinen wird, wir ihm mit Freuden entgegengehen können.
Ach, HERR Jesus! Tue du selbst das Beste an
uns; errette uns von dieser bösen argen Welt und ziehe uns hinein in deine
selige Gemeinschaft; und dann halte uns fest und lass uns nichts, nichts wieder
aus deiner Hand reißen. Wenn aber einst die Welt samt ihrem Fürsten öffentlich
wird gerichtet werden, dann sprich du uns los kraft deiner Wunden, die dir auch
um unseretwillen geschlagen worden sind. Amen. Amen.
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die
Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Sehr viele halten nichts für leichter als
den Glauben. O, denken sie, wenn es auf den Glauben im Christentum ankommt, so
ist es eine schlechte Kunst, ein Christ zu sein. Dieses Urteil hat aber seinen
Grund meist darin, dass man nie ernstlich zu glauben versucht oder doch noch
keine Versuchung seines Glaubens erfahren hat. In der Zeit der Not und
Anfechtung lernt man es erst, wie schwer es sei zu glauben. Da offenbart
sich’s, dass es keine größere Kunst gibt, als von Herzen zu glauben.
Zu diesen Gelegenheiten, bei welchen die
Schwierigkeit des Glaubens offenbar wird, gehört unter anderem besonders das Gebet,
wenn man nämlich dabei wirklich etwas von Gott begehrt, was man nötig hat und
was doch nur Gott geben kann. Wenn man in großer Not ist und alle Menschenhilfe
verschwunden ist; wenn man von Mangel gedrückt wird und keine Aussichten mehr
da sind, woher nun Brot für sich, für Frau und Kind nehmen; oder wenn die
Todesstunde schlagen will und kein menschlicher Trost mehr haftet, und wenn man
nun in ledigem Vertrauen auf Gottes Gnade in Christus in die dunkle Ewigkeit
hinaustreten soll: Ach, in solchen Stunden, d zeigt sich’s, wie schwer es sei, im
Glauben zu beten! Wie zittert und zagt da das arme Herz! Wie möchte es da
so gern etwas in den Händen haben, dass es sich nicht so gar allein im Glauben
an das, was unsichtbar ist, beruhigen müsste! Da heißt es in der Seele: Aber
wie? Ist Gott auch bei dir? Wie still, wie einsam ist es um dich her! Hört auch
Gott dein Seufzen und sieht er auch deine Tränen? Ist er nicht weit von dir,
oben im Himmel? Wird er sich auch wirklich zu dir in deine Kammer wenden?
Sollte der große unermessliche Gott, der alle Welten regiert und der unter dem
Lobgesang aller Engel wohnt, sollte er dich elenden Staub, dich Erdenwürmlein
auch achten, nach dir fragen, auf dein schwaches Rufen hören? Bist du nicht ein
Sünder? Außer der Not hast du Gott so oft vergessen, wird er nun, da die Not
dich zu ihm treibt, auch sogleich sein Ohr neigen zu deiner Stimme? Ach, jetzt siehst
du es: Du hast Gott nicht entfliehen können, nun bist du endlich einmal in
seine Hände gefallen! Da er rief, hörtest du oft nicht, jetzt, da du
rufst, wird er dich nun auch nicht hören! – So heißt es in der Not in unserem
Herzen. O, da ist Kampf und Streit! Da stehen tausend Zweifel auf! Da wogt es
im Herzen wie ein unruhiges Meer; da ist es dem armen Sünder, als würde es ganz
finster um ihn da zieht sich’s wie Gewitterwolken über seinem Haupt zusammen,
und anstatt einer gnädigen Antwort erwartet er Donner und Blitz, Gottes Strafe,
Verlassen in der Not, Tod und Verderben. Ja, in der Not, wenn man sich mit dem
bloßen Bewusstsein, gebetet zu haben, nicht beruhigen kann; wenn das Gebet
ernstlich werden muss; wenn man es erfährt, dass etwas von Gott wirklich erbeten
sein will; wenn man es merkt: Jet5zt gilt es, dass sich Gott wirklich sein Herz
bewegen lasse – da wird es offenbar, wie schwer das Glauben sei, wie das Herz
gerade an das Glauben nicht gehen will.
Und doch ist die gläubige Zuversicht bei
dem Gebet so unerlässlich nötig! So wenig ein Ruderschiff ohne Ruder den Hafen
erreichen kann, so wenig der Weihrauch durftet, wenn er nicht auf feurige
Kohlen gestreut wird, so wenig ist ein Gebet Gott angenehm, kräftig und
erhörlich ohne Glauben. Was der Kern in der Schale und die Seele im Leib ist,
das ist der Glaube beim Gebet. Im elften Kapitel des Briefes an die Hebräer
heißt es: „Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott gefallen; denn wer zu Gott
kommen will, der muss glauben, dass er sei und denen, die ihn suchen, ein
Vergelter sein werde.“ Ja, Jakobus sagt: „So jemand unter euch Weisheit
mangelt, der bitte von Gott, – so wird sie ihm gegeben werden. Er bitte aber im
Glauben und zweifle nicht; denn wer da zweifelt, der ist gleichwie die
Meereswoge, die vom Wind getrieben und gewebt wird. Solcher Mensch denke nicht,
dass er etwas von dem HERRN empfangen werde.“
Die Schrift versichert uns aber auch, dass
die Kinder Gottes wirklich mit gläubiger Zuversicht beten, denn es heißt: „Das
Verlangen der Elenden hörst du, HERR; ihr Herz ist gewiss, dass dein Ohr darauf
merkt.“
Da es nun hiernach bei Gebet vor allem
darauf ankommt, dass es im Glauben geschehe, und unser Herz doch so schwer
glauben will, so lasst mich euch jetzt zeigen, was euch erwecken solle, nicht
im Zweifel, sondern in festem Glauben, dass ihr erhört werdet, zu beten.
Johannes 16,23-30: Und an demselben Tag werdet ihr mich
nichts fragen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten
werdet in meinen Namen, so wird er’s euch geben. Bisher habt ihr nichts gebeten
in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, dass eure Freude vollkommen sei.
Solches hab’ ich zu euch durch Sprichwörter geredet. Es kommt aber die Zeit,
dass ich nicht mehr durch Sprichwörter mit euch reden werde, sondern euch frei
heraus verkündigen von meinem Vater. An demselben Tage werdet ihr bitten in
meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will;
denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, darum dass ihr mich liebt und glaubt,
dass ich von Gott ausgegangen bin. Ich bin vom Vater ausgegangen und gekommen in
die Welt; wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater. Sprechen zu ihm
seine Jünger: Siehe, nun redest du frei heraus und sagst kein Sprichwort. Nun
wissen wir, dass du alle Dinge weißt und bedarfst nicht, dass dich jemand
frage. Darum glauben wir, dass du von Gott ausgegangen bist.
Dieses ganze Evangelium enthält, meine
Lieben, eine Ermahnung Christi an die Apostel und alle Christen an der Erhörung
ihres Gebets in seinem Namen nicht zu zweifeln.
Lasst uns daher hiernach die Frage
beantworten:
Was
soll einen an Christus gläubigen Christen erwecken, nicht im Zweifel, sondern
in festem Glauben, dass er erhört werde, zu beten?
1.
Des dreieinigen Gottes untrügliche
Wahrhaftigkeit,
2.
Des himmlischen Vaters allmächtige
Liebe,
3.
Des Sohnes Gottes allezeit kräftige
Fürsprache, und endlich
4.
Des Heiligen Geistes Vertretung mit
unaussprechlichem Seufzen.
Gott, unser Herz hält dir vor dein Wort:
„Wo ich meines Namens Gedächtnis stiften werde, da will ich zu dir kommen und
dich segnen“; so erfülle denn auch jetzt deine Verheißung an uns, da jetzt
deines Namens gedacht, nämlich dein heiliges Wort gepredigt werden soll; komme
zu uns und segne uns um deiner Gnade und Wahrheit willen. Amen.
1.
„Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: So
ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er’s euch geben.“
So spricht Christus zu Anfang unseres Evangeliums. Die erste unter den vier
unerschütterlichen Säulen, auf denen die Gewissheit der Erhörung unseres
Gebetes beruht, wenn es im Namen Jesu geschieht, das heißt, mit Vertrauen und
Berufung auf sein Verdienst und seine Versöhnung, diese erste Grundsäule ist
die daher: die untrügliche Wahrhaftigkeit des dreieinigen Gottes.
Wenn ein frommer und reicher Mann einen
Sohn hätte, der zu seiner Betrübnis allgemein verachtet wäre, und er erklärte
nun: Wer sich an meinen Sohn wenden und dessen Freundschaft suchen wird der
soll dann von mir erhalten, was er nur von ihm bitten kann; wer würde dann noch
zweifeln, was er bitte, von dem Vater erlange zu können, wenn er auch vorher
sein Feind gewesen wäre, so er nur den Sohn sich zum Freund gemacht hätte? Es
könnte nur dann geschehen, wenn er Ursache hätte, an der Wahrhaftigkeit des Mannes
zu zweifeln.
Nun sind wir aber alle zwar von Natur
Gottes Feinde und wir haben daher von Natur kein Recht, mit Bitten vor Gott zu
erscheinen, und noch weniger, die Erhörung unserer Gebete zu erwarten. Aber
Gott hat auch einen Sohn, nämlich Jesus Christus, den alle Welt verachtet und
verwirft; und er hat auch den Gnadenbund mit uns Menschen gemacht: Wer an
diesen seinen lieben Sohn glaubt, dem soll von ihm alles gegeben werden, was er
bittet.
Auf diese Weise hat nun unser Gebet eine
sichere unbewegliche Grundlage bekommen. Wir haben uns nicht zu fragen: Bist du
auch heilig, würdig genug, von Gott erhört zu werden? Sondern allein: Glaubst
du auch an den Sohn Gottes? Verlässt du dich auf sein Verdienst? Erscheinst du
nicht mit deinen Werken, sondern in der Gnadengerechtigkeit deines Heilandes
vor Gott? Tun wir dies, so können und sollen wir nicht zweifeln, dass Gott
unser Beten angenehm sei und gewiss von ihm erhört werde.
Deutlich sagt es der dreieinige Gott: „Rufe
mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.“ Nun
ist aber, wie David spricht, „sein Wort wahrhaftig, und was er zusagt, das hält
er gewiss“; er ist, wie ferner Mose bezeugt, „nicht ein Mensch, dass er lüge,
noch ein Menschenkind, dass ihn etwas gereue“; und Salomo bezeugt uns: „Es sind
viele Anschläge in eines Mannes Herzen; aber der Rat des HERRN bleibt stehen.“
Es wäre sonach eine falsche Demut, wenn ein Mensch in seinem Herzen dächte: Was
wird der heilige Gott nach meinem Gebet fragen, das aus unreinem Herzen kommt
und mit Sünderlippen ausgesprochen wird? Nein, Gott hat es verheißen, er wolle
alle erhören, die im Namen Christi beten; das steht fest und kann durch unsere
Unwürdigkeit nicht umgestoßen werden; ja, wenn wir nun noch zweifeln, so
begehen wir eine schreckliche Sünde, dass wir Gottes Wahrhaftigkeit leugnen,
dass wir erklären, Gott halte nicht, was er verspreche, es reue ihn, dass er
sich so gütig erklärt habe, ja, mit einem Wort, er sei ein Lügner.
Doch Christus kannte das menschliche Herz;
er wusste, wie schwer wes uns bei unserem großen Verderbe ist, Gott kindlich zu
vertrauen und von unserem Gebet etwas zu hoffen; darum hat er die Verheißung
der Erhörung noch mit einem Eid bekräftigt und bestätigt und ausgerufen: „Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: So ihr den Vater etwas bitten werdet in
meinem Namen, so wird er’s euch geben.“ Wollen wir also Gott nicht glauben,
wenn er verheißt, so sollen und müssen wir ihm doch glauben, da er die
Verheißung noch beschwört.
Hört darum, liebe Zuhörer, nicht auf euer
Herz, wenn ihr betet; seht nicht auf euch selbst; richtet alle eure Gedanken
auf Gottes Verheißung und teuren Eidschwur; daran haltet euch; darauf gründet
euch und zweifelt nicht: Gott gibt euch, damit er die Ehre seiner
Wahrhaftigkeit behalte, was ihr bittet. Sprecht also zu Gott: Ich bin zwar ein
Sünder, der keiner Gnade wert ist, aber ich komme nicht in meinem Namen,
sondern in Christi Namen; darum glaube ich fest, du werdest dein Verspreche
halten und mich gnädig erhören. So gewiss Gott von seinem Thron nicht
herabsteigt, und so gewiss er seine göttliche Herrlichkeit nimmermehr ablegt,
sondern Gott bleibt in alle Ewigkeit, so gewiss erhört er auch das elendeste
Seufzen eines armen Sünders, der sich auf Christus verlässt. Denn die Schrift
sagt: „Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen“; ja, „unser Unglaube
hebt Gottes Treue nicht auf“; „glauben wir nicht, so bleibt er treu; er kann
sich selbst nicht verleugnen.“ Darauf verließ sich David und sprach: „Mein Herz
hält dir vor dein Wort: Ihr sollt mein Antlitz suchen. Darum suche ich auch,
HERR, dein Antlitz.“ Hier habt ihr das herrlichste Muster eines erhörlichen
Beters: Er gründet sich erstlich auf Gottes Verheißung und seine untrügliche
Wahrhaftigkeit.
2.
Doch, nachdem ich euch diesen Hauptpfeiler
gezeigt habe, der den Bau unseres Glaubens an die Erhörung unseres Gebetes ohne
alles Wanken trägt, so hört nun, wie auch jede Person des dreieinigen Gottes
besonders diese Gewissheit unterstützt; ich weise euch daher nun zweitens vor
allem hin auf die allmächtige Liebe des himmlischen Vaters; an diese erinnert
Christus die Apostel in seiner Ermahnung mit den Worten: „Er selbst. Der
Vater, hast euch lieb, darum, dass ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott
ausgegangen bin.“
Dass Gott den Menschen liebe, dies ist
außer Zweifel, denn er ist sein Werk und Gott selbst hat es uns in seinem Wort
tausendfach versichert. Eine Eigenschaft der wahren Liebe ist aber notwendig
diese, dass sie geneigt ist, den Willen dessen zu tun, den sie liebt, und sich
ihm gänzlich hinzugeben. Die Liebe des Menschen zu Gott, wenn sie in seinem
Herzen durch den Heiligen Geist ausgegossen ist, mag sie noch so gering, noch
so schwach sein, offenbart sich allezeit dadurch, dass der Mensch von Herzen
begehrt, dem göttlichen Willen in allem gehorsam zu sein. Was ist aber unsere
Liebe gegen Gottes Liebe? Weniger als ein Tropfen gegen ein Meer, weniger als
ein Fünklein gegen ein Feuer, das Himmel und Erde erfüllte. So gewiss dies nun
ist, so gewiss können wir sein, dass die Liebe Gottes brennt, all unsere Bitten
zu erhören, all unser Verlangen zu erfüllen. Daher sagt der Psalmist: „Der HERR
ist nahe allen, die ihn anrufen, allen, die ihn mit Ernst anrufen. Er tut, was
die Gottesfürchtigen begehren und hört ihr Schreien und hilft ihnen.“ Wenn wir
daher zweifeln, ob auch Gott unsere Gebete erhöre, so tun wir nichts anderes,
als dass wir erklären, Gott liebe uns weniger als wir ihn. Wer muss sich, wenn
er dies bedenkt, dann nicht selbst strafen? Wir sehen, wie die Liebe der Mutter
eilt, dem bittenden und weinenden Kind zu Hilfe zu kommen, und Gottes Liebe
sollte nicht so zärtlich sein wie die einer Sünderin? Das sei ferne! Die
Schrift sagt vielmehr: „Kann auch eine Frau ihres Kindleins vergessen, dass sie
sich nicht erbarmen sollte über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie sein vergäße,
so will ich doch dein nicht vergessen. Siehe! In die Hände habe ich dich
gezeichnet.“
Bedenkt: Wie Großes hat uns Gott schon
gegeben, als wir ihn noch gar nicht um etwas bitten konnten! Wer hat Gott
bitten können, ihn aus dem Nichts in das Dasein zu rufen? Ohne unsere Bitte gab
er uns Leib und Seele, ja, o unermessliche Liebe! ohne alle unsere Bitte gab er
uns seinen lieben eingeborenen Sohn; was wird er uns nun nicht geben, wenn
wir ihn drum bitten? Dies Größere, was er für uns getan hat, soll uns erwecken,
dass wir ihm auch in dem Geringeren trauen. Alles aber, was wir nur bitten
können, ist unendlich geringer, als dass uns Gott gewürdigt hat, für uns zu
leiden und zu sterben. Damit hat Gott gewiesen, dass seine Liebe gegen die
Sünder unendlich, unermesslich, grenzenlos sei. Gewiss, wenn wir an der
Erhörung unserer Gebete zweifeln, so muss es vor allem daran liegen, dass wir
diese unermessliche Liebe entweder noch gar nicht erkennen oder nicht erwägen.
Denn es ist unmöglich, dass Gott, der uns ohne unser Gebet, ja, da wir noch
seine Feinde waren, sich selbst und mit ihm das Himmelreich geschenkt hat, uns
nun, wenn wir durch den Glauben seine Freunde geworden sind, und uns mit
Seufzen und Flehen ihm nahen, etwas abschlagen könne.
Darum, o Christ, so oft du den himmlischen
Vater um etwas bittest, so denke an das Opfer, welches seine ewige Liebe für
alle Sünder, also auch für dich, gebracht hat durch die Hingabe seines
eingeborenen Sohnes, so werden alle Zweifel schwinden und du wirst mit dem
heiligen Apostel ausrufen: „Gott hat auch seines eigenen Sohnes nicht
verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben; wie sollte er uns mit ihm
nicht alles schenken?“ „Christus ist für uns gestorben, da wir noch Sünder
waren; so werden wir je von ihm behalten werden vor dem Zorn, nachdem wir durch
sein Blut gerecht geworden sind.“
Ist nun aber endlich bei Menschen eine noch
so große Liebe nicht genug, um alle unsere an sie gerichteten Bitten zu
erfüllen, weil der Mensch schwach und ohnmächtig ist, so ist hingegen Gottes
Liebe allmächtig. Kein Mangel ist so drückend, dem sie abhelfen, keine Gefahr
so drohend, die sie nicht abwenden, keine Not so entsetzlich, aus welcher sie
nicht herausreißen, keine Ratlosigkeit so groß, in welcher sie nicht einen
Ausweg verschaffen könnte; kurz, der allmächtigen Liebe des himmlischen Vaters
ist kein Ding schwer, geschweige unmöglich.
An diese Liebe halte dich, o Christ, wenn
du betest, und zweifle nicht: Sie ist williger, dir zu geben, als du begierig
sein kannst, zu nehmen. Sorge nicht, dass sie dir etwas, was dir gut ist,
verweigern werde, sondern trage du Sorge, dass du die Erhörung deines Gebets
nur erkennst und Gott dafür preist.
3.
Doch wir kommen nun zu dem dritten Grund
unseres Glaubens an die Erhörung unserer Gebete, und dieser ist des Sohnes
Gottes allezeit kräftige Fürsprache.
Christus spricht in unserem Evangelium: „Ich
sage nicht, dass ich den Vater für euch bitten will.“ Dies scheint zwar
beim ersten Anblick den Trost der Fürbitte Christi umzustoßen, aber es scheint
nur so. Christus will damit nicht sagen, dass er für uns gar nicht bitten
wolle, sondern dass er es nicht allein sei, der da bitten dürfe, dass seine
Fürbitte unser Gebet nicht aufhebe, dass sie nicht allein Gott angenehm sei,
sondern dass er unser Gebet durch seine Fürbitte nur unterstütze, dass wir
darum unser eigenes Gebet nicht unterlassen, sondern desdto zuversichtlicher selbst
beten sollen.
Dass dieses der Sinn der Worte Christi sei,
sehen wir daraus, dass Christus wenige Augenblicke nach dieser Rede sein
herrliches hohepriesterliches Gebet zu Gott tat, worin er unter anderem sprach:
„Vater, ich bitte für die, die du mir gegeben hast; denn sie sind dein.
Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, dass sie eins seien, gleichwie
wir. Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, so durch ihr
Wort an mich glauben werden, auf dass sie alle eins seien, gleichwie du, Vater,
in mir, und ich in dir; dass auch sie eins seien, auf dass die Welt glaube, du
habest mich gesandt.“ Seht hier, wie brünstig unser Hoherpriester für die die
Apostel und alle Christen bis an das Ende der Welt bittet! Daher bezeugt auch
St. Paulus: „Christus ist zur Rechten Gottes und vertritt uns“; und St.
Johannes bezeugt uns: „Ob jemand sündigt so haben wir einen Fürsprecher bei dem
Vater, Jesus Christus, der gerecht ist.“ Und im Brief an die Hebräer heißt es:
„Christus bleibt ewig und hat ein unvergängliches Priestertum; daher er auch
selig machen kann immerdar, die durch ihn zu Gott kommen, und lebt immerdar und
bittet für sie.“
Hierin liegt ein unaussprechlicher Trost.
Wie zuversichtlich können wir beten, da wir wissen, dass uns der Sohn Gottes
zur Seite steht! Wenn wir Gott um etwas anflehen, so vereinigt Christus damit
sein Gebet und spricht: „Ja, Vater, tue, was dieser Sünder dich bittet; er ist
mein Erlöster; er gehört zu den Schafen meiner Herde; erhöre ihn, Vater, um
meinetwillen; siehe meine Genugtuung für ihn an und sei ihm gnädig.“
O, liebe Zuhörer, wenn wir das lebendig
glauben, dass Christus also unter Gebet unterstützt, wie können wir dann nur
noch an Gottes Erhörung zweifeln? Soll uns der himmlische Vater etwas
abschlagen, so müsste er es zugleich seinem geliebten Sohn abschlagen; wird er
das tun? O, wahrlich nicht. Was sollte unser gnädigster Heiland durch Kraft und
Verdienst seiner vollgültigen Genugtuung bei dem Vater nicht erlangen? Christus
steht der Eingang in das himmlische Heiligtum offen, er bringt selbst unsere
Wünsche, Seufzer und Gebete in den geheimen Rat des dreieinigen Gottes. Ihn
sollte der Vater nicht hören? Sich selbst Gott etwas abschlagen? Denn Christus
und der Vater sind eins; der Sohn ist in des Vaters Schoß, er im Vater und der
Vater in ihm!
Noch im Stand der Erniedrigung spricht
Christus: „Ich weiß, dass du mich allezeit hörst“; wie, in den Tagen seines
Fleisches, da er in Knechtsgestalt einherging, sollte ihn der Vater zwar erhört
haben, und im Stand der Erhöhung, jetzt, da er den Thron der Herrlichkeit
bestiegen hat und ihm alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, da
sollte er von dem Vater nicht erhört werden? Das sei ferne! So gewiss aber der
Sohn Gottes erhört ist so gewiss auch wir. Wohl allen, die in Christi Namen vor
den Vater treten!
4.
Doch, meine Lieben, Eins ist noch übrig,
welches uns auch die letzten Zweifel, dass wir erhört werden, wenn wir bitten,
nimmt, und das ist endlich viertens des Heiligen Geistes Vertretung mit
unaussprechlichem Seufzen.
Wer an Gottes Wort glaubt, der wird nämlich
freilich nicht leugnen, dass die rechten Gebete gewiss erhört werden; aber das
ist es eben, was uns unaufhörlich unsere Zuversicht rauben und unseren Glauben
schwächen will, dass wir meinen, wir beten nicht recht, und darum sei
auch unser Gebet vergeblich und unkräftig; wir zweifeln nicht sowohl daran,
dass Gott nicht gütig genug sei, sondern dass wir zu ungeschickt seien zu einem
so hohen Werk. Aber auch gegen diese Anfechtung haben wir einen gewissen,
untrüglichen Trost. Diesen gibt Christus uns in unserem Evangelium mit den
Worten: „Ich bin vom Vater ausgegangen und gekommen in die Welt; wiederum
verlasse ich die Welt und gehe zum Vater.“ Warum wiederholt dies Christus
hier schon wieder, da er vom Gebet redet? Darum, weil er zum Vater ging, um den
Tröster zu senden, den Heiligen Geist. Dies erklärt uns Paulus weiter so: „Der
Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten
sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selbst vertritt uns aufs beste
mit unaussprechlichem Seufzen.“
Mögen wir uns also auch noch so ungeschickt
fühlen zum Gebet; mögen wir oft nicht wissen, nicht nur wie, sondern auch, was
wir beten sollen, sollen wir doch, so gut wir können, unser Herz vor Gott
ausschütten. Unsere Seufzer sind nicht vergeblich; sie sind ein Werk des
Heiligen Geistes. Sollte nun Gott die Seufzer, die Wünsche, die Begierden, das
Flehen nicht erhören, das sein Heiliger Geist selbst in uns wirkt? Dies hieße,
sein eigenes Werk verschmähen und verwerfen. Das ist unmöglich. Im Gegenteil,
im Propheten Jesaja versichert uns Gott: „Es soll geschehen, ehe sie rufen,
will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.“ Noch ist also das
Wort des Gebets nicht über unsere Lippen gegangen, so steigt unser Verlangen
schon zum Himmel auf, es wird eingeschrieben in Gottes Buch, und wir können und
sollen nun von diesen Zweien das Eine gewiss erwarten, entweder, dass uns Gott
dasselbe geben, was wir bitten, oder etwas, was uns heilsamer ist, um was nicht
wir, aber der Geist Gottes in uns zu Gott geseufzt hat.
O, so lasst euch denn, meine Teuersten, von
euerem Fleisch und Blut nicht betrügen, euer Gebet gering zu achten, das es
doch, wenn es im Glauben geschieht, vor Gott so hoch geachtet ist und so viel
vermag, wenn es ernstlich ist. Lasst uns allezeit „hinzutreten mit Freudigkeit
zu dem Gnadenstuhl, auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden, auf
die Zeit, da uns Hilfe not sein wird“.
Das Gebet ist ein herrlicher Vorteil im
wahren Christentum; es ist ein vertrautes Gespräch mit Gott; ein köstliches
Gegenmittel gegen Verzagung in aller Not; eine Erfrischung in der Hitze der
Anfechtung; eine starke Mauer gegen die Versuchung des Fleisches, der Welt und
des Satans; eine mit dem Himmel verbindende Kette; ein Schlüssel zu den
Schatzkammern Gottes, ja, zu dem Herzen des himmlischen Vaters; ein Labsal in
der Angst; eine hilfreiche Zuflucht in Todesnöten; ein Vorgeschmack des ewigen
Lebens und ein Mitgenuss von dem himmlischen Manna der Seligen und Engel.
Betet daher allezeit im Glauben und seid
gewiss, dass, wenn ihr euch auch vor Gott nur weinend hinlegen, nur seufzen,
ja, nur in großer Schwachheit verlangen könnt, auch dieses Bitten nimmt, auch
dieses Suchen findet, auch dieses leise Anklopfen dringt in Gottes Ohr und euch
wird aufgetan. Vergesst nur nicht jene vier Säulen: Gottes Wahrhaftigkeit, des
Vaters Liebe, des Sohnes Fürsprache und des Heiligen Geistes Vertretung; darauf
gründet euch, damit vertreibt alle Zweifel, dadurch stärkt euren Glauben, so
werdet ihr, mit Gebet gerüstet, stark sein, täglich Gnade, Kraft und Segen von
oben euch holen, bis euer Gebet ein ewiger Lobgesang und eure Freude vollkommen
sein wird vor Gottes Thron. Amen.
2. Könige 2,1-13: Da aber der HERR wollte Elia im Wetter
zum Himmel holen, gingen Elia und Elisa von Gilgal. Und Elia sprach zu Elisa:
Lieber, bleib hier; denn der HERR hat mich nach Bethel gesandt. Elisa aber
sprach: So wahr der HERR lebt und deine Seele, ich verlasse dich nicht. Und da
sie hinab nach Bethel kamen, gingen der Propheten Kinder, die zu Bethel waren,
heraus zu Elisa und sprachen zu ihm: Weißt du auch, dass der HERR wird deinen
Herrn heute von deinen Häupten nehmen? Er aber sprach: Ich weiß es auch wohl;
schweigt nur stille! Und Elia sprach zu ihm: Elisa, Lieber, bleib hier; denn
der HERR hat mich nach Jericho gesandt. Er aber sprach: So wahr der HERR lebt
und deine Seele, ich verlasse dich nicht. Und da sie nach Jericho kamen, traten
der Propheten Kinder, die zu Jericho waren, zu Elisa und sprachen zu ihm: Weißt
du auch, dass der HERR wird deinen Herrn heute von deinen Häupten nehmen? Er
aber sprach: Ich weiß es auch wohl; schweigt nur stille! Und Elia sprach zu
ihm: Lieber, bleib hier; denn der HERR hat mich gesandt an den Jordan. Er aber
sprach: So wahr der HERR lebt und deine Seele, ich verlasse dich nicht. Und
gingen die beiden miteinander. Aber fünfzig Männer unter der Propheten Kindern
gingen hin und traten gegenüber von ferne; aber die beiden standen am Jordan.
Da nahm Elia seinen Mantel und wickelte ihn zusammen und schlug ins Wasser; das
teilte sich auf beiden Seiten, dass die beiden trocken hindurch gingen. Und da
sie hinüberkamen, sprach Elia zu Elisa: Bitte, was ich dir tun soll, ehe ich
von dir genommen werde. Elisa sprach: Dass dein Geist bei mir sei zwiefältig.
Er sprach: Du hast ein Hartes gebeten; doch so du mich sehen wirst, wenn ich
von dir genommen werde, so wird’s ja sein; wo nicht, so wird’s nicht sein. Und
da sie miteinander gingen, und er redete, siehe, da kam ein feuriger Wagen mit
feurigen Rossen, und schieden die beiden voneinander; und Elia fuhr so im
Wetter zum Himmel. Elisa aber sah es und schrie: Mein Vater, mein Vater, Wagen
Israels und seine Reiter! Und sah ihn nicht mehr. Und er fasste seine Kleider
und zerriss sie in zwei Stücke. Und hob auf den Mantel Elias, der ihm entfallen
war; und kehrte um.
In Christus, dem triumphierenden Heiland,
geliebte Festgenossen!
Wir feiern heute wieder das Fest der
glorreichen Himmelfahrt unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus, einer der
großen Wundertaten, welche der HERR zum Heil seiner Gläubigen vollbracht hat,
denn nicht allein um seiner selbst, sondern auch um unseretwillen hat der HERR
seine glorreiche Himmelfahrt gehalten. Hatte er doch vorher zu seinen Jüngern,
als sie über sein bevorstehendes Scheiden von ihnen traurig geworden waren,
gesagt: „Es ist euch gut, dass ich hingehe, denn so ich nicht hingehe, so kommt
der Tröster nicht zu euch; so ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden#“,
und: „Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten.
Die Bedeutung und Wichtigkeit der
Himmelfahrt Christi geht unter anderem schon daraus hervor, dass in der Schrift
des Alten Testaments deutlich auf sie als eine Wundertat des HERRN hingewiesen
wird. Denn im 47. Psalm heißt es: „Gott fährt auf mit Jauchzen und der HERR mit
heller Posaune. Lobsingt, lobsingt Gott, lobsingt, lobsingt unserem König. Denn
Gott ist König auf dem ganzen Erdboden; lobsingt ihm klüglich!“ Der von dem
Heiligen Geist erleuchtete Sänger schaut mit prophetischem Blick den HERRN, wie
er nach seinem auf Erden vollbrachten Werk, nachdem über die Feinde so herrlich
erlangten Sieg, die Stätte seiner Arbeit und seines Kampfes verlässt, im
Triumph als Sieger zum Himmel auffährt, und fordert die Gemeinde der Heilligen
auf, Gott für diese Tat mit Lobliedern zu preisen, weil er sich durch seine
Auffahrt als den König auf dem Erdboden erweist. Ebenso deutlich weisen die
Worte im 68. Psalm auf die Himmelfahrt des HERRN hin: „Der Wagen Gottes ist
viel tausendmal tausend; der HERR ist mitten unter ihnen im heiligen Sinai. Du
bist in die Höhe gefahren und hast das Gefängnis gefangen, du hast Gaben
empfangen für die Menschen, auch für die Abtrünnigen, dass Gott, der HERR,
dennoch daselbst bleiben wird.“[18] Das dem Psalmisten
vorschwebende Bild ist das eines Siegers, welcher auf einem von unzähligen
Engeln geleiteten Kriegswagen seinen Triumphzug in den Himmel hält, nachdem er
nicht allein die Gefangenen aus dem Gefängnis befreit, sondern auch das
Gefängnis selbst von Grund aus zerstört hat.
Doch, geliebte Festgenossen, die
Himmelfahrt des HERRN ist nicht allein in diesen Worten vorher verkündigt,
sondern sie ist auch in Vorbildern zur Zeit des Alten Testaments dargestellt
worden, nämlich durch die Hinwegnahme des frommen Henoch von dieser Erde, ohne
dass er den Tod gesehen hätte, besonders aber durch die Himmelfahrt des großen
Propheten Elia. Von jener heißt es 1. Mose 5: „Henoch war 65 Jahre alt und
blieb in einem göttlichen Leben 300 Jahre; und weil er ein göttliches Leben
führte, nahm ihn Gott hinweg, und er ward nicht mehr gesehen.“ Die Himmelfahrt
des Elia aber wird uns als eine besondere herrliche Ehre, die keinem anderen
Sterblichen zuteil geworden ist, ausführlicher in unserem verlesenen Text
beschrieben. Diese Himmelfahrt des gewaltigen Propheten ist wohl geeignet, sie
zum Gegenstand unserer heutigen Festbetrachtung zu machen. Lasst uns denn jetzt
in aller Andacht unsere Aufmerksamkeit richten auf:
Die
Himmelfahrt Elias
Sie ist
1.
Der glorreiche Abschluss einer
großen Tätigkeit für Elia;
2.
Ein deutliches Vorbild auf die
Himmelfahrt Christi, unseres HERRN;
3.
Ein tatsächlicher Beweis für die
Himmelfahrt eines jeden Gläubigen.
1.
Schon die ersten Worte unseres Textes, in
dem HERRN geliebte Festgenossen, deuten es an, dass die großartige Laufbahn
dieses Propheten einen großartigen Abschluss finden sollte. Sie lauten: „Da
aber der HERR wollte Elia im Wetter zum Himmel holen, gingen Elia und Elisa von
Gilgal.“ Nicht sterben sollte Elia, keine schmerzliche Trennung der Seele vom
Leib sollte bei ihm stattfinden, sondern der HERR wollte ihn lebend von dieser
Erde zum Himmel holen, und zwar sollte dies im Wetter, im Sturmwind, geschehen.
Dadurch sollte dem so tatenreichen und gesegneten Wirken des Propheten das
göttliche Siegel aufgedrückt werden. Und diese Himmelfahrt sollte nicht ganz in
der Stille und Verborgenheit, wie einst der Tod Moses, nicht ungesehen und ohne
Augenzeugen geschehen, sondern vor den Augen des Elisa und fünfzig der
Prophetenschüler. Deswegen hatte der HERR sie nicht allein Elia vorher
kundgetan, sondern auch Elisa und den Prophetenschülern zu Bethel und Jericho,
jedoch so, dass Elia nichts davon wusste, dass sie auch diesen offenbart worden
sei.
Die Zeit gestattet es nicht, uns die große,
einzigartige Tätigkeit des Elia im Dienst des HERRN jetzt im Einzelnen
vorzuführen. Wir müssen uns auf einen kurzen Überblick beschränken. Sein Wirken
war teils ein öffentliches, teils ein mehr stilles und verborgenes, jenes mehr
gewaltig, niederreißend, zerstörend, dieses sanft, gründend, aufbauend. Gleich
bei seinem ersten öffentlichen Auftreten offenbart sich die gewaltige Kraft
dieses Propheten in den an den König Ahab gerichteten Worten: „So wahr der HERR;
der Gott Israels, lebt, vor dem ich stehe, es soll diese Jahre weder Tau noch
Regen kommen; ich sage es denn.“ Das ist die Rede eines Mannes, der es weiß,
dass der Geist und die Kraft des allmächtigen Gottes mit ihm ist, der in der
Kraft eines Berge versetzenden Glaubens keine Menschenfurcht kennt, der dem
König eines ganzen Volkes als Gebieter entgegen tritt. Und von der Art war sein
öffentliches Auftreten stets, zumal wenn es sich um die Feinde des HERRN, um
Götzendienst und Götzendiener handelte. Er war mit glühendem Hass gegen den
abscheulichen Baalsdienst, mit einem brennenden Eifer für den HERRN und seine
Ehre erfüllt. Als er wieder aus der Verborgenheit zu Zarpath hervortrat, um
sich Ahab zu zeigen, und dieser ihm zurief: „Bist du, der Israel verwirrt?“
entgegnete er ihm: „Ich verwirre Israel nicht, sondern du und deines Vaters
Haus, damit, dass ihr des HERRN Gebote verlassen habt und wandelt Baalim nach.“
Man merkt diesen Worten das Gebietende, ich möchte sagen, den göttlichen Stolz
an, aus dem sie geflossen. Und welch eine zwingende Macht musste Elia über den
König ausüben, da dieser ohne Widerrede seinem Befehl nachkam, das ganze Israel
und die 450 Baalspriester auf dem Berg Karmel zu versammeln. Erinnern wir uns
an den gewaltigen Schlag, den er gegen den Baalsdiensdt führte, indem er die
450 Baalspriester tötete, auf deren Anstiften so viele Propheten des HERRN
gemordet worden waren, an die Art und Weise, wie er Ahab ankündigte, dass die
Hunde sein Blut lecken und Isebels, seiner Frau, Fleisch fressen, sein ganzes
Haus bis auf den letzten Abkömmling ausgerottet werden würde, und wie diese
Ankündigung Ahab niederschmetterte, so erkennen wir in etwa das gewaltige
Auftreten dieses Propheten. Daher die Bedeutung, welche im in der Schrift des
Neuen Testaments beigelegt wird, der Glaube des Volkes, dass Christus der
wiedererschienene Elia sei, als es dessen Zeichen und Wunder sah, und der
Vergleich Johannes des Täufers mit diesem Propheten. Wahrlich, ein Mann, der so
mit einem König redete, welcher der nach Blut lechzenden Tigerin Isebel die
Stirn und einem ganzen abgöttischen Volk offen Trotz bot, hatte in seinem
Erscheinen die Art eines feurigen Kometen.
Aber neben diesem öffentlichen ging sein
Wirken in der Stille, gründend auf aufbauend, einher. In unserem Text ist
mehrmals von den Kindern des Propheten die Rede, unter denen aber nicht etwa
natürliche, sondern geistliche Kinder, d.h. Schüler der Propheten, zu verstehen
sind, die wir heute theologische Studenten nennen würden. Solche
Prophetenschulen oder Seminare gab es zur Zeit des Elia drei, nämlich zu
Gilgal, auf dem Gebirge Ephraim, Bethel und Jericho. Der eigentliche Stifter
der Prophetenschulen war Samuel gewesen. In ihnen wurde eine Anzahl frommer,
auserlesener Männer im Wort unterrichtet, zum Forschen in der Schrift, heiligem
Leben, Gebet und dergleichen angehalten und zu Lehrern des Volkes
herangebildet. Als diese Schulen in Verfall gekommen waren, errichtete sie Elia
von neuem und stand ihnen mit allem Fleiß vor, ja, er war ohne Zweifel ihr
vornehmster Lehrer. Und dies war die stillere Seite seiner Wirksamkeit, welche
er als Vater und Freund und Lehrer ausübte. Hier war es nicht das verzehrende
Feuer, sondern ein erleuchtendes und erwärmendes Licht.[19] Dies fiel naturgemäß
nicht so in die Augen wie die gewaltigen Taten in seiner öffentlichen
Wirksamkeit, seiner Bekämpfung des Götzendienstes, war aber nicht weniger
wichtig, denn nur so konnte das blinde Volk wieder im Wort des HERRN
unterrichtet und zur Erkenntnis des Heils geführt werden. Und weil diese
Prophetenschulen Elia am Herzen lagen, wollte er nicht von hinnen scheiden,
ohne sie noch einmal zu sehen und zu segnen. So ging sein ganzes Wirken auf
dieser Erde, sein ganzes Sinnen und Trachten im Dienst des HERRN auf. In
völliger Selbstlosigkeit verzehrte er seine Kräfte für seinen Gott, durch
Bekämpfen des Götzendienstes und Erbauen der Kirche. Seine letzte Sorge galt
den Prophetenschulen.[20]
Diesem großartigen Wirken entsprach der
Abschluss desselben, die Himmelfahrt des Elia. Der HERR hatte ihm dieselbe
kundgetan. Er begab sich von Gilgal nach Bethel, von dort nach Jericho, hatte
aber nicht die Absicht, seinem Begleiter und Nachfolger, Elisa, den er wie
einen Sohn aufs innigste liebte, sowie seinen Schülern irgendeine Mitteilung
von dem zu machen, was ihm der HERR; wie er meinte, allein offenbart habe.
Seine Demut ließ das nicht zu. Er wollte auch in den Augen seines
Freundes und seiner Schüler nicht groß erscheinen, nicht von ihnen geehrt sein
und sie deswegen nicht Zeugen seiner einzigartigen Aufnahme in den Himmel sein
lassen. Deswegen forderte er Elisa wiederholt auf, ihn zu verlassen. Aber der
HERR hatte es anders beschlossen; er wollte seinen treuen Knecht nicht ohne
Zeugen hinwegnehmen, sondern ihn auch vor Menschen verherrlichen. Deswegen
hatte er dieses Ereignis Elisa und den Prophetenschülern kundgetan, deswegen
durfte sich Elisa nicht von ihm trennen, mussten 50 der letzteren in gewisser
Entfernung den beiden folgen. So kamen Elia und Elisa an den Jordan. Elia nahm
seinen Mantel, rollte ihn zusammen, schlug damit ins Wasser und dieses teilte
sich so, dass sie trocken hindurchgehen konnten. Nachdem Elisa auf die
Aufforderung seines Meisters noch die Bitte ausgesprochen hatte, dass sein
Geist zwiefältig auf ihm sein möge, gingen sie sich unterredend jenseits des
Jordan dahin. Plötzlich aber erschien ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen,
schieden beide voneinander, und Elia fuhr so im Wetter zum Himmel. Dieses
„Wetter“ war das irdisch Sichtbare der Erscheinung Gottes, der feurige Wagen
mit den feurigen Rossen die biblische Gestalt, wodurch Elisa angezeigt wurde,
dass sein Meister in den Himmel entrückt sei, ohne den Tod gesehen zu haben.
Während seiner Himmelfahrt verklärte der HERR seinen Knecht und nahm in als
einen der vornehmsten derer in die Herrlichkeit auf, die leuchten wie des
Himmels Glanz immer und ewig. So entsprach das einzigartige, herrliche Ende des
Elia seinem einzigartigen, großartigen Wirken auf dieser Erde, in solcher Weise
bekannte sich der HERR zu seinem treuen Diener.
Doch, werte Festgenossen, Elias Himmelfahrt
hatte nicht allein diese Bedeutung für den Propheten selbst, sondern sie war
auch ein deutliches Vorbild auf die Himmelfahrt Christi, unseres HERRN. Das
lasst uns zweitens betrachten.
2.
Viel gewaltiger noch und unendlich
segensreicher als Elias war das Wirken Christi auf dieser Werde. Das bedarf ja
für uns Christen keines Beweises. Was waren alle von Elia verrichteten Wunder
im Vergleich zu denen, die der HERR auf Erden getan hat? Was Elias Wort und
predigt gegen die Lehre des HERRN, die so mächtig und doch so holdselig von
seinen Lippen floss? Aber so schwach und dunkel das Wirken des Elia im
Vergleich zu dem Christi auch sein mochte, es war und ist doch in mancher
Beziehung ein Abbild. Wie Elia sich unmittelbar vor seinem Scheiden mit
liebevoller Fürsorge seiner Schüler annahm, so nahm sich der HERR in
unendlicher Liebe seiner Jünger vor seinem Heimgang an. „Wie er hatte geliebt
die Seinen, die in der Welt waren“, heißt es Johannes 13,1, „so liebte er sie
bis ans Ende.“ Erinnern wir uns nur an seine letzten Reden an seine Jünger und
sein unvergleichliches hohepriesterliches Gebet für sie, wie es uns von
Johannes im 17. Kapitel aufbehalten ist. Elia ging mit Elisa über den Jordan, der
HERR führte seine Jünger auf den Ölberg hinaus. Elia unterredete sich mit
Elisa, indem sie beide von Gilgal nach Bethel, von dort nach Jericho und sodann
nach dem Jordan gingen; und wovon anders werden sie geredet haben als von dem,
was beider Herzen so völlig einnahm, von dem Reich des HERRN, wofür ja die
letzte Bitte des Elisa deutliches Zeugnis ablegt; so unterredete sich der HERR
mit seinen Jüngern auf dem Weg nach dem Ölberg hinaus, wie uns Lukas im 1.
Kapitel der Apostelgeschichte berichtet, vom Reich Gottes, befahl ihnen, nicht
von Jerusalem zu weichen, bis sie mit dem Heiligen Geist getauft seien. Dort
bat Elisa den Elia, dass ein Geist zwiefältig auf ihm ruhen möge, weil er
wusste, dass er dessen als Nachfolger des Meisters zur Fortführung und Ausrichtung
seines Werkes durchaus benötigte, und diese Bitte wurde ihm gewährt; hier gab
der HERR seinen Jüngern aufs neue die Verheißung von der Ausgießung des
Heiligen Geistes, weil auch sie ihr Amt, ihr Zeugen zu Jerusalem, in ganz Judäa
und Samaria und bis an das Ende der Erde zu sein, ohne die Erleuchtung und
Kraft des Heiligen Geistes nicht ausrichten konnten. Dort wurde Elisa durch den
ihm von dem HERRN mitgeteilten Geist und den ihm zurückgelassenen Mantel des
Elia, der der Träger der unsichtbar wirkenden, göttlichen Geisteskraft war, die
den Propheten beseelte, mit der Macht, Wunder zu tun, ausgerüstet, hier
erhielten die Jünger des HERRN durch die Geistesmitteilung am Pfingstfest
dieselbe macht in reicherem Maß.
Noch deutlicher aber, Geliebte, tritt das
Vorbildliche in der eigentlichen Himmelfahrt selbst hervor. Plötzlich erschien
dort ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, trennte Elia von Elisa, nahm Elia
auf und führte ihn zum Himmel; bei Christi Himmelfahrt ward der HERR zusehends
aufgehoben, eine Wolke erschien und nahm ihn vor den Augen seiner Jünger
hinweg. Fragen wir: Was war das für ein feuriger Wagen und für feurige Rosse,
mit denen Elia zum Himmel fuhr? So gibt uns die Heilige Schrift klare Antwort,
wenn sie Psalm 104, V. 4 spricht: „Du machst deine Engel zu Winden und deine
Diener zu Feuerflammen“, wenn sie uns ferner berichtet, wie der Prophet Elisa
mit seinem Knecht aus der Stadt Dothan durch das Heer der Syrer entkam. Um den
Propheten gefangen zu nehmen, hatte der König von Syrien die Stadt während der
Nacht mit einer Macht von Rossen und Wagen umgeben. Als der Diener Elisas
darüber erschrak, beruhigte ihn dieser mit den Worten: „Fürchte dich nicht,
denn derer ist mehr, die bei uns sind, als derer, die bei ihnen sind.“ Darauf
betete er: „HERR, öffne ihm die Augen, dass er sehe.“ Alsbald wurden ihm die
Augen geöffnet, „und siehe, da war der Berg voll feuriger Rosse und Wagen um
Elisa her.“ Diese den natürlichen Augen unsichtbaren feurigen Rosse und Wagen,
was waren sie anders als die heiligen Engel, die himmlischen Heerscharen, die
dem Knecht Elisas sichtbar wurden, als ihm auf dessen Gebet die Augen des
Geistes geöffnet worden waren. Und so haben wir bei Elias Himmelfahrt an die
heiligen Engel zu denken, welche ihn im Triumph als einen mit Sieg gekrönten
Kämpfer zum Himmel führten, wobei ein feuriger leuchtender, strahlender Wagen
mit eben solchen Rossen für Elisa, dem auch die Augen geöffnet waren, sichtbar
wurde.[21] Dass aber Christus, unser
HERR, von dem ganzen Heer der himmlischen Heerscharen als der unvergleichliche
Siegesheld begleitet zum Himmel aufgefahren ist, bezeugen nicht nur die schon
gehörten prophetischen Worte aus den Psalmen, sondern auch die Gegenwart der
beiden Männer, d.h. zweier Engel, in weißen Kleidern, welche den Jüngern die
geschehene Himmelfahrt in Worten bezeugten. – Dort bei Elias Himmelfahrt waren
die Augenzeugen Elisa und die 50 Prophetenschüler zu Jericho, welche bis an den
Jordan nachgefolgt waren, hier bei Christi Himmelfahrt waren es die Jünger des
HERRN. Dort sah Elisa dem auffahrenden Meister nach, hier taten ein Gleiches
die Jünger. Dort maßloses Staunen des Elisa über die einzigartige Erscheinung,
in welchem er ausrief: „Mein Vater, mein Vater, Wagen Israel und seine Reiter“,
hier sprachloses Erstaunen der Jünger. Dort sah Elisa den auffahrenden Elia
nicht mehr, hier nahm den HERRN eine Wolke vor den Augen der Jünger weg. Seht
da, wie die Himmelfahrt des Elia ein Vorbild auf die Himmelfahrt Christi war.
Aber, geliebte Festgenossen, wie das
Gegenbild immer größer und erhabener als das Vorbild ist, so war auch die
Himmelfahrt Christi unvergleichlich herrlicher und erhabener als die des Elia.
Was war Elia bei all seiner Größe nach seiner Person und seinem Werk im
Vergleich zu Christus! Elia war ein Mensch, Christus ist wahrhaftiger Gott und
wahrer Mensch in einer Person. Elia war einer unter den großen Propheten,
Christus war und ist der Prophet; Elia war bei aller Heiligkeit ein
sündiger Mensch, Christus ist der Heilige. Elia war der Knecht des HERRN,
Christus ist der HERR selbst. Elia verrichtete ein großes Werk, aber doch
vermochte er den Götzendienst in Israel nicht völlig auszurotten, Christus hat
den Tod und Teufel bezwungen, hat dem Tod die Macht genommen, dem Fürsten der
Finsternis den Kopf zertreten, hat die ganze Sünderwelt aus seiner Gewalt
befreit. Seine Himmelfahrt war der unvergleichliche Triumph, den er nach seinem
völlig vollbrachten Erlösungswerk in den Himmel auf den Thron des HERRN gehalten
hat. Darum jubilieren wir heute:
Ach wunderbarer
Siegesheld,
Du Sündenträger
aller Welt,
Heut hast du dich
gesetzet
Zur Rechten deines
Vaters Kraft,
Der Feind Schar
gebracht zur Haft,
Bis auf den Tod
verletzet.
Mächtig, prächtig,
triumphierest,
Jubilierest;
Tod und Leben,
ist Herr Christ
dir untergeben.
Endlich ist aber Elias Himmelfahrt auch ein
tatsächlicher Beweis für die Himmelfahrt eines jeden Gläubigen. Das lasst uns
drittens noch kurz betrachten.
3.
Die Aufnahme des Elia in den Himmel ist
zunächst ein Tatbeweis dafür, dass es außer diesem irdischen noch ein anderes
Leben gibt. ‚Das Dasein des Menschen ist mit dem Tod nicht abgeschlossen; er
tritt vielmehr durch den Tod nur in eine andere Daseinsweise. Und die Heilige
Schrift lehrt uns klar und deutlich, dass diese für die Gottlosen eine
unaussprechlich schreckliche, für die Frommen aber eine unaussprechlich selige
ist. Der reiche Mann starb und war alsbald in der Hölle und Qual, der arme
Lazarus starb und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß. Ja, geliebte
Brüder und Schwestern, wir sind auch dazu berufen, in den Himmel aufgenommen zu
werden. Das haben wir dem Kommen Christi, unseres Heilandes, in diese Welt,
seinem Leiden und Sterben, wodurch er uns von allen Sünden, vom Tod und der
Gewalt des Teufels erlöst hat, seiner Auferstehung und Himmelfahrt, wodurch er
sein Erlösungswerk besiegelt und über alle seine und unsere Feinde triumphiert
hat, zu danken. Was Elia war, das war er nur durch den Glauben an denselben
Christus, an den auch wir glauben. Er glaubte an den verheißenen, zukünftigen
Heiland, wir glauben an den erschienen. Ohne diesen Glauben wäre ihm eine so
herrliche Aufnahme in den Himmel nicht zuteil geworden, denn ohne Glauben ist
es unmöglich, Gott zu gefallen. Aber an den Gläubigen, den durch den Glauben
Geheiligten, hat er, wie es Psalm 16, V 3 heißt, all sein Gefallen. Sie alle
werden darum auch von ihm in den Himmel aufgenommen, zwar nicht in so sichtbar
herrlicher und majestätischer Weise wie der große Prophet, aber doch wird auch
jeder von ihnen von den heiligen Engeln im Triumph in die Wohnungen der
Seligkeit eingeführt. Spricht der HERR nicht: „Wahrlich, wahrlich, ich sage
euch, so jemand mein Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich?“
Wohl wird der Gläubige seiner sterblichen Hülle entkleidet, er muss den
sterblichen Leib ablegen, aber durch den Glauben hat er die Bitterkeit der
Sterblichkeit überwunden, und wenn die Stunde seiner Heimfahrt gekommen ist, dann
stehen die heiligen Engel um sein Bett, bereit, die erlöste Seele, wie die des
Lazarus, an die ihr von Christus bereitete Stätte zu führen. So tritt der
gläubige Christ in seinem Tod seine Himmelfahrt an, geht aus der Arbeit zur
Ruhe, aus den leiden zu Freuden, aus dem Kampf zum Frieden, aus dieser
Vergänglichkeit in die Unvergänglichkeit, um für alle seine Dienste, die er
hier geleistet, eine göttlich-herrliche Belohnung zu empfangen.
Das ist die Bedeutung von Elias
Himmelfahrt. Sie war so groß, ja größer noch, als sein Leben, die Krönung
seines Wirkens, denn in ihr ward er mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, erhielt
nach errungenem Sieg die Krone des ewigen Lebens, sie war das leuchtende
Vorbild auf die Himmelfahrt Christi, unseres Heilandes, und ist ein Beispiel
und Beweis für die Himmelfahrt, die jeder Gläubige nach siegreich beendetem
Glaubenskampf halten soll. Lasst sie uns darum als einen Beweis der Gnade und
Treue unseres Gottes auch gegen uns wohl betrachten. Lasst uns gleich dem
großen Propheten durch des HERRN Gnade in unserem Beruf recht glauben, recht
streiten, recht siegen und uns unserer Himmelfahrt freuen, unsere Seele in
Gottes treue Hände befehlen, so können wir mit dem Dichter singen:
Im Augenblick wird
sie erheben sich bis an das Firmament,
Wenn sie verlässt,
so sanft, so wunderlich die Stätt der Element,
Fährt auch Elias
Wagen mit engelischer Schar,
Die sie in Händen
tragen, umgeben ganz und gar.
Amen.
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus und
die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Keiner Sache rühmt man sich jetzt im
Vergleich mit der Vorzeit mehr, als dass man jetzt viel reiner Begriffe von
Gott habe als vormals. Man spricht: Vormals, besonders unter dem Heidentum,
habe man sich Gott als ein zorniges, racherfülltes Wesen vorgestellt, jetzt
aber seien durch das wohltätige Licht der Aufklärung solche finstere Wolken von
dem Angesicht des allerhöchsten Wesens vertrieben, nun stehe endlich nach
tausendjährigem Kampf des Aberglaubens gegen die Wahrheit Gott da als der Vater
aller Menschen, und in jedem Herzen, das sich dem neu aufgegangenen Licht nicht
verschlossen habe, lebe nun das frohe Bewusstsein: „Gott ist die Liebe.“
Durch solche Reden lassen sich jetzt viele
betören, die das Truglicht von dem wahren Licht nicht unterscheiden können. Es
ist dies auch kein Wunder; was man wünscht, das hofft man. Jeder Mensch hat ein
Gewissen, das ihm sagt: Du bist ein Sünder und darum bist du strafwürdig. O,
wie lieb ist darum einem natürlichen Menschen die Nachricht, die Lehre von
Gottes Zorn und dass er ein Rächer sei alles ungöttlichen Wesens, sei eine
Fabel eine falsche jüdische Vorstellung, die jetzt durch eine tiefere Erforschung
des Wesens Gottes verdrängt worden sei.
Aber wie könnte man sich doch bitterer
täuschen als damit? Was ist das für ein Vater, der nicht zürnte, der freundlich
und wohlgefällig auf seine Kinder herabsieht, wenn sie ihn auch verachten,
seine Befehle verhöhnen und von Bosheit zu Bosheit eilen? Was ist das für ein
Richter, der nicht eifrig ist, alle Übeltaten zu rächen und ohne Ansehen der
Person zu den in dem Gesetz angedrohten Strafen zu verurteilen und sie
vollstrecken zu lassen? Solche Väter nennt man Schwächlinge, solche Richter
parteiisch. Können wir uns daher unwürdigere Begriffe von Gott machen, als wenn
wir ihn für einen solchen schwachen, gutmütigen Vater und für einen solchen
parteiischen, ungerechten Richter halten? Ein Gott, der über die Sünder nicht
zürnt und die Übertretungen seiner Gebote nicht rächt, ist ein elender Gott,
ja, kein Gott. Wohl dürfen wir nicht meinen, dass Gott zürne wie ein Mensch,
dessen Zorn immer mit Sünde befleckt ist und, wie die Schrift sagt, nicht tut,
was vor Gott recht ist; wir dürfen aber auch nicht meinen, dass Gott rachgierig
sei, dass er nämlich schadenfroh sei, das heißt, Freude habe an dem Verderben
seiner Feinde. Solches lehrt die Heilige Schrift nirgends, sie sagt, dass
Gottes Zorn und Rache heilig sei; wollen wir sie daher leugnen, so leugnen wir Gottes
Heiligkeit. Ein Gott aber, der nur Liebe besitzt aber keine Heiligkeit, ist ein
elender Götze, ein Machwerk der Menschen.
Es ist daher wahrlich eine elende
Aufklärung, die die Menschen so verblendet hat, dass sie Gottes Zorn und Rache
leugnen. Meint nicht, dass dies allein in der Bibel steht. Mit heller Schrift
steht es geschrieben in der Chronik aller Zeiten und in dem großen Buch der
Natur. Wenn wir hören, dass ganze Völker elendig ausgerottet werden dass ganze
Länder schrecklich verheert, Blutbäder in ihnen angerichtet und ganze Gegenden
durch Pest und Hungersnot entvölkert worden sind; wenn wir hören, dass die Erde
oft ihren Mund auftut und Tausende verschlingt, wie die Wolken oft ihre
Schläuche zerreißen und herabstürzen und große Ströme ihre Ufer verlassen,
blühende Saatfelder vernichten und alle Habe samt Vieh und Menschen verderbend
mit sich fortreißen; wenn wir die Stürme brausen und den Donner über uns hören
und durch Blitze friedliche Wohnungen in Flammen aufgehen und in einem
Augenblick Menschen erschlagen sehen – wie? Wenn wir das wahrnehmen und noch an
einen weltregierenden Gott glauben, können wir es dann noch leugnen, dass
dieser Gott nicht nur Liebe, sondern auch Zorn habe müsse über eine Welt, in
welcher Sünder wohnen? Ohne Zweifel.
Doch, wie ich bereits gesagt habe, wir
dürfen uns nicht wundern, dass Ungläubige ihre unwürdigsten Begriffe von Gott
für Aufklärung und die rechte Erkenntnis halten; denn es ist unmöglich, dass
der den himmlischen Vater recht erkenne, der nicht an seinen lieben Sohn
glaubt. Davon spricht Christus in unserem heutigen Evangelium. Darüber lasst
uns daher jetzt weiter nach Anleitung desselben nachdenken.
Johannes 15,26-16,4: Wenn aber der Tröster kommen wird,
welchen ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater
ausgeht, der wird zeugen von mir. Und ihr werdet auch zeugen; denn ihr seid von
Anfang an bei mir gewesen. Solches habe ich zu euch geredet, dass ihr euch
nicht ärgert. Sie werden euch in den Bann tun. Es kommt aber die Zeit, dass,
wer euch tötet, wird meinen, er tue Gott einen Dienst daran. Und solches werden
sie euch darum tun, dass sie weder meinen Vater noch mich erkennen. Aber
solches habe ich zu euch geredet, auf dass, wenn die Zeit kommen wird, dass ihr
daran denkt, dass ich’s euch gesagt habe. Solches aber habe ich euch von Anfang
an nicht gesagt; denn ich war bei euch.
Vor einem Jahr habe ich euch nach diesem
Evangelium vorgestellt den Trost des Heiligen Geistes, den die Christen haben
in den Verfolgungen, die sie um ihres Glaubens willen von der Welt erfahren.
Diesmal wollen wir unsere Aufmerksamkeit richten auf die Worte Christi: „Solches
werden sie euch darum tun, dass sie weder meinen Vater noch mich erkennen.“
Hiernach spreche ich zu euch:
Von
der unzertrennlichen Verbindung der Erkenntnis Gottes des Vaters und seines
lieben Sohnes Jesus Christus
Dies zu erklären, hört:
1.
Was heißt es: Christus erkennen?
2.
Inwiefern lässt sich diese
Erkenntnis von der Erkenntnis Gottes nicht trennen?
1.
Die Erkenntnis Christi ist, meine Lieben,
die edelste und seligste unter allen Wissenschaften, die ein armer sterblicher
Mensch erlangen kann. Denn in Christus liegen verborgen alle Schätze der
Weisheit und der Erkenntnis. Sie ist aber nicht ein bloßes Wissen der
Geschichte seines Lebens, Leidens, Sterbens, seiner Auferstehung und
Himmelfahrt, sie besteht ferner nicht allein darin, dass man die Lehre von
seiner Person, dass er Gott und Mensch ist, und von seinen Ämtern, dass er
aller Menschen Hoherpriester, Prophet und König, aller Sünder Erlöser und
Heiland sei – gelernt hat und darüber Rede und Antwort geben kann. So wichtig
es ist, dass ein Mensch in diesen Lehren von Christus von Jugend auf gut
unterrichtet worden ist, so kann es einem solchen bei allen seinen
Schulkenntnissen noch an der rechten Erkenntnis Christi gänzlich mangeln. Wenn
die Heilige Schrift von einem Erkennen redet, so versteht sie darunter nicht
eine bloße durch Verstand und Gedächtnis erlangte historische Wissenschaft,
sondern etwas Lebendiges, was der Heilige Geist in uns wirkt; daher spricht
Christus in unserem Evangelium: „Wenn aber der Tröster kommen wird, welchen
ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht,
der wird zeugen von mir.“
Aber, werdet ihr vielleicht sagen, wie mag
das zugehen? So, meine Lieben: Von Natur begreift es kein Mensch, dass es mit
allen seinen Werken, mit allen seinem Wollen, Tun und Können eine ganz
verlorene Sache sei. Jeder Mensch denkt von Natur, dass er sich seiner
Seligkeit durch ein frommes, gottgefälliges Leben würdig machen müsse. Es
sprechen wohl die meisten Menschen, sie hofften, in den Himmel zu kommen, indem
sie auf Gottes Güte, Gnade und Barmherzigkeit bauten; aber wenn sie sich nur
ernstlich prüfen wollten, so würden die meisten finden, dass sie ihres Herzens
Vertrauen dabei hauptsächlich auf sich selbst setzen.
So lange nun ein Mensch in diesem Wahn der
Selbstgerechtigkeit bleibt, so lange steht er noch nicht in der wahren
Erkenntnis Christi, wenn er von ihm auch noch so viel weiß. Es kann auch kein
Mensch diese Mauer der Selbstgerechtigkeit selbst durchbrechen. Das ist eben
des Heiligen Geistes Werk. Wenn das Wort Gottes nämlich, besonders das Gesetz,
gepredigt wird: Du sollst Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen,
und dergleichen, da wird in dem Herzen des Menschen die Stimme des Gewissens
rege: Das hast du nicht gehalten; du willst und kannst Gott nicht so fürchten,
lieben und vertrauen. Darum gefällt du Gott nicht, du bist vor ihm verwerflich.
Leider widersetzen sich die meisten
Menschen dieser Stimme Gottes, die sie beim Lesen und Hören des Wortes Gottes
in ihrer Seele vernehmen. Die Meisten suchen sich eines anderen zu überreden;
sie denken: O, es steht wohl so schlimm nicht mit dir, wie es dir in trüben
Stunden scheint, und sie zerstreuen sich und verscheuchen die schweren Gedanken
dadurch, dass sie sich in die Sorgen oder Lüste der Welt versenken.
Wohl aber dem Menschen, der sich vom Geist
Gottes nicht umsonst strafen lässt; wohl dem, der, wenn ihm sein sündliches
Verderben etwa offenbar wird, weiter in Gottes Wort forscht und den Heiligen
Geist anruft, dass er es ihm immer deutlicher offenbaren wolle, welch ein
großer Sünder er sei! Das führt zu keiner falschen Schwermütigkeit und
Melancholie, sondern zu einer Traurigkeit, die, wie der Apostel sagt, eine Reue
zur Seligkeit wirkt, die niemand gereut. Denn der Heilige Geist lässt den
Menschen, der vor Gottes Gesetz in Schrecken und Zagen fällt, nicht sinken und
verzweifeln, sondern erinnert ihn dann auch, dass Jesus Christus in die Welt
gekommen sei, die Sünder selig zu machen, dass er ein Arzt sei eben für die
Kranken, Schwachen und Elenden, und nicht für die, die sich für gesund und
stark halten, dass er die Sünder zur Buße rufe und nicht die Gerechten.
Seht, meine Lieben, wenn nun ein Mensch
alles, worauf er sich vormals verließ, dessen er sich tröstete, womit er sich
beruhigte, fahren lässt und wegwirft; wenn er anfängt, zu hungern und zu
dürsten nach einer anderen Gerechtigkeit, die vor Gott gilt und die er in sich
nicht findet; wenn er nun anfängt, mit Sehnsucht nach Christus sich umzuschauen
und zu denken: O, dass du doch auch mein Heiland wärst! O, dass doch auch ich
Teil hätte an deiner Gnade! Dann, dann dringt die Sonne der Gerechtigkeit mit
ihren ersten Strahlen in das Herz des Sünders, da fängt Christus an, dem
Menschen erst recht notwendig, lieblich, schön, groß und herrlich zu werden.
Ein solcher Mensch fängt dann auch an, die
Bibel, besonders die Sprüche von Christus, die er vorher betrachtete, ohne
besondere Kraft daran zu spüren und ohne seines Herzens Lust daran zu haben,
ganz anders zu verstehen. Es kommt endlich mit einem solchen Menschen dahin,
dass er nichts wissen will als von Christus, und ihm nichts mehr schmecken will
als Christus, und Himmel und Seligkeit ihm gewiss sind. Deutlich sehen wir dies
an dem teuren Apostel Paulus, der erst in entsetzlicher Selbstgerechtigkeit gefangen
war und als Pharisäer meinte, er sei ein unsträflicher Mann, der durch seine
Werke gewiss in den Himmel kommen werde. Wie spricht dieser später, als ihm das
Licht des Evangeliums von #Christus ausgegangen war? Er tut dies Bekenntnis:
„Nach der Gerechtigkeit bin ich im Gesetz gewesen unsträflich. Aber was mir
Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden geachtet. Denn ich achte
es alles für Schaden gegen die überschwängliche Erkenntnis Christi Jesu, meines
HERRN, um welches willen ich alles habe für Schaden gerechnet, und achte es für
Dreck, auf das sich Christus gewinne und in ihm erfunden werde, dass ich nicht
habe meine Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern die durch den Glauben an
Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit, die von Gott dem Glauben zugerechnet
wird.“ Phil. 3,6-9. Seht hier: Das heißt Christus erkennen; es ist nichts
anderes als an ihn glauben, sicher seiner trösten, ihn für seinen Heiland
erkennen, in ihm alles Heil, alle Gerechtigkeit, alle Seligkeit wirklich finden.
Wie man zum Beispiel sagt, jemanden für seinen Freund erkannt zu haben, das
heißt, in der Tat und Wahrheit erfahren zu haben und inne geworden zu sein,
dass er unser Freund sei, es gut mit uns meine und uns in keiner Not verlassen,
sondern treu sein werde bis zum Tod.
Nun, meine Lieben, habt ihr Christus schon
alle erkannt, so erkannt? Habt ihr mit Christus schon alle solche Erfahrungen
gemacht? Er ist aller Menschen Heiland, darum ist er ja freilich auch der
eurige; es handelt sich nur darum, dass ihr ich auch dafür erkennt. O, selig
sind, die zu dieser Erkenntnis gekommen sind! Die haben damit den rechten Stein
der Weisen, das Eine, das uns allen not tut.
2.
Dies führt mich auf den zweiten Teil
unserer Betrachtung, wo wir hören wollten, inwiefern nun diese Erkenntnis sich
von der Erkenntnis Gottes des Vaters nicht trennen lasse.
Darauf weist uns Christus in unserem
Evangelium mit den Worten hin: „Solches werden sie euch darum tun, dass sie
weder meinen Vater noch mich erkennen.“ Von den Feinden des Evangeliums und
den Verfolgern der Christen sagt Christus also, dass sie nicht nur ihn, sondern
auch den Vater nicht kennen. Wer rühmt sich aber erst mehr, dass er den Vater
kenne, als ein Israelit? „Wir haben einen Vater, Gott“, riefen die Juden einst
einstimmig Christus entgegen. Und welches Volk hat sich nun seit Jahrhunderten
mehr gerühmt, dass es allein den wahren Gott anbete, als die Moslems? Wer
endlich erhebt jetzt mehr seine reine Gotteserkenntnis als der Vernunftgläubige
unserer Zeit? Und diese verwerfen doch alle den Sohn Gottes als ihren Heiland.
Hierauf ist nun dieses zu merken. Dass es
einen Gott gebe, dies kann ein Mensch wohl wissen auch ohne die Erkenntnis des
Heilandes. Sein Dasein haben die Heiden schon aus der Natur und aus dem
dringenden Zeugnis ihres Gewissens erkannt. Aber etwas ganz anderes ist es, zu
wissen, dass es einen Gott gebe, und zu wissen, wer und wie dieser Gott sei,
was sein Wesen, was sein Wille, was seine Ratschlüsse seien und wie er gegen
uns gesinnt sei.
Diese Erkenntnis aber ist es, welche
Christus allen Feinden des Evangeliums, die ihn nicht kennen, abspricht. Daher
sagt er an einer anderen Stelle: „Niemand kennt den Vater als nur der Sohn.“
Ähnlich bezeugt Johannes: „Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht.“
Gott wohnt nämlich in einem Licht, dahin niemand dringen kann, das heißt, er
ist so tief, dass ihn niemand ergründen, so hoch, dass ihn niemand erreichen,
so groß, dass ihn niemand erfassen, so geheimnisvoll, dass ihn niemand
begreifen kann.
Zwar gibt er sich in seinem Werk deutlich
kund, und in ihm leben, weben und sind wir, daher wir ihn suchen sollten, ob
wir ihn doch finden möchten. Aber diese natürliche Offenbarung soll uns dazu
erwecken, uns nach einer wahren Offenbarung umzusehen; sie soll in uns das
Verlangen erzeugen: O, dass ich den Gott fände, dessen Dasein ich spüre! O,
dass ich wüsste, wie ich ihm dienen und zu ihm kommen könnte!
Aus seinem unnahbaren Licht ist aber Gott
herausgetreten in Christus, seinem lieben Sohn. Schon im Alten Testament; denn
schon da war es der Sohn Gottes, der den Heiligen erschien und mit seinem Volk
einen Bund aufrichtete. Noch heller aber trat Gott im Neuen Testament aus
seinem undurchdringlichen Dunkel. In Christus ist er, der Unsichtbare, da
sichtbar geworden; in ihm hat er sein geheimnisvolles Wesen offenbart; in ihm
hat er seine ewigen Ratschlüsse und seinen geheimen Willen über uns Menschen
kund gemacht. In Christus ist die unermessliche Kluft zwischen uns und Gott
ausgefüllt. Christus ist der Spiegel, in welchem sich Gott von uns schauen
lässt, denn er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines
Wesens. In Christus will aber auch Gott allein erkannt sein. Daher spricht auch
Christus: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Hier seht ihr, meine Lieben, die
unzertrennliche Verbindung, in welcher die Erkenntnis Gottes des Vaters mit der
seines lieben Sohnes Jesus Christus stehe. Vergeblich macht der Mensch noch so
scharfsinnige Untersuchungen über das höchste Wesen; es bleibt ihm ohne
Christus ewig fern und fremd. Vergeblich hat sich die sogenannte Philosophie
zur Aufgabe gemacht, die ewige Wahrheit durch die Kräfte der menschlichen
Vernunft zu finden; wer sie nicht bei dem sucht, der da bekannte: „Ich bin die
Wahrheit!“ der bleibt in Finsternis. Alles, was der Mensch von Gott durch
eigene Kräfte findet, bleiben leere Begriffe ohne Wirklichkeit. Gott ist ein
Gott, der nicht allein von den Gelehrten erkannt sein will, sondern von Gott
und Einfältigen ebenso wohl. Erkennt nun ein Kind und ein ganz Einfältiger
Christus, so hat er auch die rechte Erkenntnis Gottes, wie sie kein Weiser der
Welt, und wenn er auch Millionen Jahre über das Wesen Gottes nachdächte,
erlangen kann.
Es ist eine schöne Sache, weise sein für
die Welt, wer aber darin die wahre Weisheit sucht, bei dem wird sie zur Torheit
vor Gott. Den zweiten Artikel von Christus muss der Mensch erst gefasst haben,
dann wird er erst den ersten Artikel von Gott dem Vater, dem allmächtigen
Schöpfer Himmels und der Erden, verstehen. Alle diejenigen daher, welche das
nicht tun, verwerfen nicht nur Christus, sondern auch den Vater. Sie machen sie
einen falschen Gott, nicht wie er ist, sondern wie sie sich ihn denken; solche
dienen daher nicht dem ewigen, wahren, lebendigen Gott, sondern einem von ihrer
Vernunft geschaffenen Gedankenbild. Alle diejenigen daher, die nicht an
Christus glauben, dass er der wahre Sohn Gottes sei, und doch einen äußerlichen
Gottesdienst halten, halten eigentlich nur einen Götzendienst, wie jene Heiden,
welche Sonne, Mond und Sterne anbeten. Ihre Tempel, in welchen Christus nicht
angebetet wird, sind Götzentempel, nicht besser als der Götzentempel der Diana
zu Ephesus. Christus ist Gott und außer Christus ist kein Gott mehr; wer
Christus nicht ergreift, ergreift Gott nicht, und wo er es meint, da ergreift
er ein Trugbild seines Herzens. Daher spricht Johannes: Wer nicht bleibt in der
Lehre Christi, der hat keinen Gott.
So niederschmetternd nun diese Lehre für
die Christusleugner ist, denn sie erklärt sie für Abgöttische und
Gottesleugner, so trostvoll ist sie für die Gläubigen. Hieraus sehen sie, dass
die wahre Weisheit auch der Einfältigste haben kann, dass hierin der
Gelehrteste nicht den mindesten Vorzug hat vor dem Ungelehrtesten. Hieraus
sehen sie, dass sie vor Gottes schrecklicher Majestät nicht knechtisch
erzittern sollen; wie sie Christus finden, so sollen sie auch Gott finden; wie
Christus gegen sie gesinnt ist, so ist auch Gott gegen sie gesinnt. Wie
Christus voll Gnade, voll Freundschaft, voll Geduld, voll ewiger unendlicher
Liebe gegen die Sünder ist, so ist Gott. Ist Christus ihr Freund, so ist Gott
ihr Freund. Getrauen sie sich, zu Christus zu nahen, so müssen sie sich vor
Gott nicht fürchten, denn dann haben sie sich Gott schon genaht. Haben sie
Christus, so haben sie Gott, haben sie aber Gott, so haben sie schon den
Himmel, das Leben und die ewige Seligkeit, so haben sie alles für Zeit und
Ewigkeit. Drum:
Eins ist not!
Seele, willst du
dieses finden?
Such’s bei keiner
Kreatur.
Lass, was irdisch
ist, dahinten,
Schwing dich über
die Natur.
Wo Gott und die
Menschheit in Einem vereinet,
Wo alle
vollkommene Fülle erscheinet,
Da, da ist das
beste, notwendigste Teil,
Dein Ein und dein
Alles, dein seligstes Heil.
Amen.
Gott, der du einst die Verheißung gegeben
hast: „Ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf die Dürre“, wir
loben und preisen Dich, dass du einst heute diese Verheißung an deinen heiligen
Zwölfboten so herrlich erfüllt und deinen Heiligen Geist in Strömen über sie
ausgegossen hast. Wir bitten dich aber auch, tränke in diesen Tagen mit jenem
himmlischen Wasser auch unsere durstigen Seelen und feuchte damit auch das
dürre Land unserer Herzen. Ach, ohne deinen Geist sind wir tot, kalt und zu
allem Guten unvermögend: O, so sende ihn denn auch auf uns herab, dass wir im
Glauben lebendig, in der Liebe feurig und zu allem Guten stark und fröhlich
werden. Ach, schenke uns nur einige Tröpflein, HERR, nur einige Tröpflein, so
genügt uns. So wollen wir dich dann auch droben an deinem Thron immerdar loben
und preisen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen! In Jesu Namen Amen!
Apostelgeschichte 2,1-13: Und als der Tag der Pfingsten erfüllt
war, waren sie alle einmütig beieinander. Und es geschah schnell ein Brausen
vom Himmel als eines gewaltigen Windes und erfüllte das ganze Haus, da sie
saßen. Und man sah an ihnen die Zungen zerteilt, als wären sie feurig. Und er
setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen. Und sie wurden alle voll des
Heiligen Geistes und fingen an, zu predigen mit anderen Zungen, nachdem der
Geist ihnen gab auszusprechen. Es waren aber Juden zu Jerusalem wohnend, die
waren gottesfürchtige Männer aus allerlei Volk, das unter dem Himmel ist. Da
nun diese Stimme geschah, kam die Menge zusammen und wurden bestürzt; denn es
hörte ein jeglicher, dass sie mit seiner Sprache redeten. Sie entsetzten sich
aber alle, verwunderten sich und sprachen untereinander: Siehe, sind nicht
diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn ein jeglicher seine
Sprache, darinnen wir geboren sind? Parther und Meder und Elamiter, und die wir
wohnen in Mesopotamien und in Judäa und Kappadozien, Pontus und Asien. Phrygien
und Pamphylien, Ägypten und an den Enden der Libyen bei Kyrene, und Ausländer
von Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie mit unsern
Zungen die großen Taten Gottes reden. Sie entsetzten sich alle und wurden irre
und sprachen einer zu dem andern: Was
will das werden? Die andern aber hatten’s ihren Spott und sprachen: Sie sind
voll süßen Weins.
Geliebte Brüder
und Schwestern in Christus Jesus!
Teure
Festgenossen!
Wir Christen glauben an einen dreieinigen
Gott, an Vater, Sohn und Heiligen Geist. Diesem dreieinigen Gott zu Ehren haben
wir daher in jedem Jahr drei hohe Feste. Weihnachten ist das Fest des Vaters,
Ostern das Fest des Sohnes und Pfingsten das Fest des Heiligen Geistes. An
jedem dieser drei hohen Feste feiern wir eine große Tat Gottes zu unserer
Seligkeit: zu Weihnachten nämlich die Liebe des Vaters, welcher seinen
eingeborenen Sohn zu unserem Erlöser in die Welt gesandt hat; zu Ostern die
Gnade des Sohnes, der das Werk unserer Erlösung vollbracht hat; zu Pfingsten
endlich die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, der uns zur Erkenntnis und
Genießung der Liebe des Vaters und der Gnade des Sohnes bringen und uns der
gestifteten Erlösung teilhaftig machen will.
Der eigentliche Grund, warum wir Pfingsten
feiern, ist daher nicht das Wunder, welches der Heilige Geist an den Aposteln
ausgerichtet hat. Wohl ist dieses Wunder groß und herrlich und für die ganze
Sünderwelt von den allerwichtigsten Folgen gewesen. Denn allein durch die
wunderbare Ausgießung des Heiligen Geistes über die heiligen Apostel sind
dieselben so erleuchtet, geheiligt und im Glauben gestärkt worden, dass sie als
untrügliche und unerschütterliche Lehrer der Menschheit in alle Welt ausgehen
und in den Sprachen aller Völker das Evangelium von Christus aller Kreatur
predigen, die christliche Kirche gründen und dieselbe über den ganzen Erdkreis
ausbreiten konnten. Allein durch die wunderbare Ausgießung des Heiligen Geistes
über die Apostel sind dieselben auch ausgerüstet worden, die Bibel des Neuen
Testamentes aus Trieb und Erleuchtung des Heiligen Geistes zu schreiben und so
schriftlich das Evangelium von Christus allen Menschen noch nach ihrem Tod zu
predigen bis an das Ende der Tage.
Die Ausgießung des Heiligen Geistes über
die Apostel am ersten christlichen Pfingstfest hat aber eine noch höhere
Bedeutung. Sie war gleichsam das Auftun einer verschlossen gewesenen Quelle,
aus welcher ein mächtiger Strom hervorgebrochen ist, der sich nach und nach
über die ganze Menschheit ergossen hat, der heute noch fließt und fortfließen
wird bis an den Jüngsten Tag. Die Ausgießung des Heiligen Geistes über die
Apostel war nur der Anfang dessen, was von da an an allen Menschen geschehen
sollte, und gleichsam das vom Himmel herab dazu gegebene Signal. Wohl haben die
mit der Ausgießung des Heiligen Geistes über die Apostel verbundenen
Wundergaben, welche nur zur Gründung der Kirche nötig waren, mit der Zeit
aufgehört; aber die Ausgießung des Heiligen Geistes selbst hat durch alle
Jahrhunderte fortgedauert und wird fortdauern, bis Himmel und Erde vergangen
sein werden. Daher spricht Petrus, wie wir unmittelbar nach unserem Text lesen,
in seiner ersten Pfingstpredigt zu denen, welche mit Erstaunen sahen, was da
vorging: „Das ist’s, das durch den Propheten Joel zuvor gesagt ist: Und
es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, ich will ausgießen von
meinem Geist über alles Fleisch.“
Und ist diese Weissagung etwa unerfüllt
geblieben? – Das sei ferne! Meine Lieben; sie hat sich allezeit erfüllt und
geht noch heute in Erfüllung. Wo und wann immer das Evangelium von Christus
gepredigt wird, da ergießt sich der Heilige Geist allerorten und allezeit über
die, welche dasselbe hören, und erfüllt alle diejenigen, welche es im Glauben
annehmen, und besiegelt es dadurch als göttliche Wahrheit. So sei denn der
Gegenstand unserer heutigen Pfingstfestandacht:
Die
Mitteilung des Heiligen Geistes durch das Evangelium von Christus, ein
unwidersprechlicher Beweis der Wahrheit und Göttlichkeit desselben
Und zwar
1.
Für die Gläubigen, welche diese
Mitteilung des Heiligen Geistes an ihrem Herzen erfahren, und
2.
Für die Ungläubigen, welche diese
Mitteilung des Heiligen Geistes an den gläubigen Christen wahrnehmen.
1.
Alle diejenigen, meine Lieben, welche je
wahre Christen gewesen sind, sind es allein dadurch geworden, dass ihnen durch
das Wort Gottes der Heilige Geist mitgeteilt worden ist. Und zwar hat der
Heilige Geist in jedem derselben allezeit dreierlei gewirkt.
Das Erste, was alle diejenigen
erfahren haben, welche wahre Christen geworden sind, ist dieses, dass sie durch
Wirkung des Heiligen Geistes, entweder plötzlich oder nach und nach, zu einer
lebendigen Erkenntnis gekommen sind, dass sie verlorene Sünder seien, die in
ihrem natürlichen Zustand nicht selig werden können. Als Petrus am ersten
christlichen Pfingstfest vor vielen Tausenden zuerst das Gesetz gepredigt
hatte, da heißt es hierauf: „Da sie das hörten, ging’s ihnen durchs Herz, und
sie sprachen: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?“ Dieses
Durch-das-Herz-gehen und ängstliche Fragen nach dem rechten Weg zur Seligkeit
war aber nichts anders als eine Wirkung des Heiligen Geistes, der mit dem von
Petrus gepredigten Wort verbunden gewesen und wie ein zweischneidiges Schwert
in die Seelen der Zuhörer gedrungen war.
Doch der Heilige Geist tut noch ein Zweites,
damit ein Mensch ein wahrer Christ werde. Wenn nämlich ein Mensch, welcher über
seine Sünden erschrocken und um seine Seligkeit bekümmert geworden ist, hierauf
das Evangelium von Christus, dem Sünderheiland, hört, dann ziehen Friede und
Freude im Heiligen Geist in sein Herz ein. Und damit entsteht in einem solchen
Menschen eine göttliche Gewissheit, dass ihm Gott gnädig sei und ihm alle seine
Sünden vergeben habe, und dass er ein aus Gnaden durch den Glauben gerechtfertigtes
Kind Gottes und ein Erbe des ewigen Lebens geworden sei. Auch dies sehen wir an
den erschrockenen Zuhörern des Petrus am ersten christlichen Pfingstfest. Denn
als diesen nun das Evangelium von der Vergebung der Sünden vorgelegt worden war,
da heißt es: „Sie lobten Gott mit Freuden und einfältigem Herzen.“ Dieses
fröhliche Lob Gottes in getrostem Glauben war aber nichts anderes als eine
Wirkung des Heiligen Geistes, der die Predigt des Evangeliums wie ein
himmlisches Feuer durchglühte und das himmlische Licht des Glaubens in den
Zuhörern angezündet hatte.
Zu diesen beiden Wirkungen des Heiligen
Geistes, nämlich das Erschrecken eines Menschen über seinen verlorenen Zustand
und der Freude über die erlangte Gnade, kommt aber, wie gesagt, allezeit noch
eine dritte Wirkung hinzu, nämlich diese, dass ein Zuhörer des
Evangeliums dann ein ganz neuer Mensch wird. Die Sünden, die er zuvor geliebt
hat, fängt er nun an zu hassen. Sünden, die er vorher als Kleinigkeiten gering
geachtet hat, erscheinen ihm nun groß und schwer. Auch wenn er nur aus
Schwachheit etwas Sündliches begangen hat, so erfüllt ich nun auch das mit
Unruhe, und er kommt nicht eher wieder zum Frieden, als bis er Gott seine
Schwachheitssünde mit betrübtem Herzen bekannt und Vergebung de4rselben in
Christi Versöhnung gesucht und gefunden hat. Sein tägliches Leben ist nun ein
täglicher Kampf gegen die Sünde, auch gegen die geheimsten sündlichen Gedanken,
Lüste und Begierden. Von den Eitelkeiten, Gütern und Ehren dieser Welt, in
welchen er vorher seine Glückseligkeit gesucht hat, reißt er nun sein Herz mehr
und mehr los. Er liebt nun Gott und sein Wort mehr als alles, und gibt daher
lieber alle irdischen Güter, ja, lieber sein Leben hin als Gott und sein Wort.
In seinem Herzen ist dann auch die Liebe zu seinen Brüdern entbrannt, ja, zu
allen Menschen, auch zu seinen Beleidigern, und er liebt sie nun wie sich
selbst. Kurz, er wird nun ein ganz anderer Mensch von Herz, Mut, Sinn und allen
Kräften. Zwar muss auch ein wahrer Christ mit Paulus bekennen: „Nicht, dass
ich’s schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei“; er kann aber, ohne zu
lügen, sogleich hinzusetzen: „Ich jage ihm aber nach, ob ich’s ergreifen
möchte, nachdem ich von Christus Jesus ergriffen bin.“ Diese wunderbare innere
und äußere Umwandlung ist aber ebenfalls nichts anderes als eine Wirkung des
Heiligen Geistes, der in dem Wort des Evangeliums wie ein himmlisches
fruchttreibenden Samenkorn verschlossen liegt.
Oder ist es nicht so, meine Lieben? Ich
frage euch, ihr gläubigen Christen: Habt ihr nicht dies alles an eurem Herzen
erfahren? Gab es nicht eine Zeit in eurem Leben, als Gottes Wort wie ein Pfeil
in euer Inneres drang, als ihr über eure Sünden unruhig wurdet und sich die
Frage eurem Herzen entrang: „Was soll ich tun, dass ich selig werde?“ Gab es
aber dann nicht nach längerer oder kürzerer Unruhe auch eine solche Zeit in
eurem Leben, als das Evangelium von Christus euch eurer Begnadigung bei Gott
und eurer Seligkeit gewiss machte? Und gab es endlich hierauf auch nicht eine
solche Zeit, von welcher an ihr Feinde aller Sünde geworden seid und anfangen
habt, der Heiligung nachzujagen?
Seht, dieses alles hat der Heilige Geist in
euch gewirkt, und an dieser gotteskräftigen Mitteilung des Heiligen Geistes
durch das Evangelium habt ihr einen unwidersprechlichen Beweis der Wahrheit und
Göttlichkeit desselben. Denn eine Lehre, welche dem Menschen erstlich den
verborgenen Abgrund seines sündlichen Verderbens auftut, muss eine Lehre des Allwissenden
sein, welcher allein Herzen und Nieren prüfen kann; das kann keine menschliche
Lehre. Eine Lehre, welche den Frieden Gottes in die Seele eines Menschen
bringt, den die ganze Welt keinem Menschen zu geben vermag, muss eine Lehre des
Allgegenwärtigen sein, welcher allein den Menschen zu seiner seligen
Wohnung machen kann; das kann keine menschliche Lehre. Eine Lehre, welche ein neues
Herz im Menschen schafft, muss eine Lehre des Schöpfers aller Dinge sein,
welcher auch das Herz des Menschen geschaffen hat und dasselbe daher auch
allein umschaffen, reinigen und heiligen kann; das kann keine menschliche
Lehre.
O ihr lieben Christen, lasst euch daher in
eurem Glauben durch das Gerede der Ungläubigen nicht irre machen, die bald aus
den Gesetzen ihrer in geistlichen Dingen blinden Vernunft, bald aus dem lauf
der Sterne, bald aus dem Inneren der Erde beweisen wollen, dass die Bibel und
besonders das Evangelium von Christus nicht Gottes Wort sein könne. Ihr tragt
in eurem Inneren einen Beweis der Wahrheit und Göttlichkeit des Evangeliums,
den keine Weisheit dieser Welt umstoßen kann. Und dieser Beweis ist die Mitteilung
des Heiligen Geistes durch dasselbe. Gott hat es, ihm sei ewig Dank dafür,
nicht so eingerichtet, dass große Gelehrsamkeit dazu gehört, gewiss zu werden,
ob das Evangelium wahr und göttlich sei. Nein, da Gott will, dass alle Menschen
selig werden, so hat es Gott vielmehr so eingerichtet, dass auch der
Einfältigste dessen gewiss werden kann. Dadurch, dass der Heilige Geist selbst
im Herzen der Gläubigen für sein Evangelium Zeugnis ablegt, ist unter den
Christen allem Streit über die Wahrheit und Göttlichkeit des Evangeliums ein
Ende gemacht. Mögen nun noch so viele Zeugen hier unten auf Erden gegen das
Evangelium auftreten: Vor dem einen großen Zeugen, der droben im Himmel thront
und im Herzen der Gläubigen zeugt, werden alle jene als falsche Zeugen vor Gott
und Menschen offenbar. Auf alle noch so scharfsinnigen Gründe der Spötter kann
der Christ antworten: Kann ich eure Vernunftgründe auch nicht mit noch
stärkeren Vernunftgründen widerlegen, so sollt ihr doch dieses wissen: Dass das
Evangelium von Christus göttliche Wahrheit sei, das hat Gottes Heiliger Geist
selbst mit Flammenschrift in mein Herz eingeschrieben, und nichts im Himmel,
nichts auf Erden, nichts in der Hölle kann diese Schrift darin auslöschen.
Einem gläubigen Christen ist die Wahrheit und Göttlichkeit des Evangeliums so
gewiss, wie sein eigenes Leben. Eher kann man einem Christen das Herz aus
seinem Leib als seine Glaubensgewissheit aus seiner Seele reißen. So wenig sich
ein vernünftiger Mensch überreden lässt, dass eine Frucht, deren Süßigkeit er
geschmeckt hat und noch täglich schmeckt, bitter sei, so wenig lässt sich ein
gläubiger Christ überreden, dass das Evangelium, dessen Gotteskraft er
erfahren hat und noch täglich an seinem Herzen erfährt, eine kraftlose
Menschenlehre sei.
2.
Doch, meine Lieben, hiernach scheint es,
als ob die Mitteilung des Heiligen Geistes durch das Evangelium wohl für die
Gläubigen ein unwidersprechlicher Beweis der Wahrheit und Göttlichkeit
desselben sei, weil diese es an ihrem Herzen erfahren, aber nicht für die
Ungläubigen. Dem ist jedoch keineswegs so. Denn obgleich diejenigen, welche
noch keinen wahren Glauben haben, die Mitteilung des Heiligen Geistes und somit
die Wahrheit und Göttlichkeit des Evangeliums nicht selbst an ihrem Herzen
erfahren haben, so nehmen doch auch sie die Mitteilung des Heiligen Geistes an
den Gläubigen deutlich genug wahr. Davon lasst mich daher nun zweitens zu euch
sprechen.
Es ist wahr, meine Lieben: In unserem
heutigen Festtext hören wir, dass, als der Heilige Geist einst über die Apostel
ausgegossen wurde, etliche Ungläubige es nur „ihren Spott hatten“ und
sprachen: „Sie sind voll süßen Weins.“ Allein, was war die Ursache? Es
kam dies lediglich daher, dass sie dem Heiligen Geist wissentlich
widerstrebten. Denn war es nicht schon gegen die gesunde Vernunft, die Apostel
deswegen für trunken zu erklären, weil sie plötzlich so umgewandelt waren, dass
sie, die vormals so Furchtsamen, nun plötzlich so löwenmutige Helden geworden
waren? Dass sie, die ungebildeten galiläischen Fischer, jetzt plötzlich die
gewaltigsten Redner geworden waren, die es je gegeben hat? Dass sie, die
vormals kaum ihre eigene Sprache richtig sprechen konnten, jetzt plötzlich
fähig geworden waren, in allen Sprachen der Welt Gottes große Taten zu
verkündigen? Wehe daher jenen Spöttern! Was sie am ersten christlichen
Pfingstfest gesehen und gehört haben, das wird einst vor Gottes Gericht gegen
sie zeugen.
Dieselbe Bewandtnis hat es denn auch mit
allen Ungläubigen zu allen Zeiten, auch zu dieser unserer Zeit.
Bedenkt: Die Ungläubigen sehen täglich mit
ihren Augen, dass diejenigen, welchen es ein Ernst mit dem Evangelium ist,
durch dasselbe ganz andere Menschen geworden sind als sie. Sie sehen: Die
wahren Christen sind keineswegs nur eifrig im äußerlichen Gottesdienst, sie
sind auch treu und fleißig in ihrem irdischen Beruf, gewissenhaft in ihrem
Handel und Wandel, geben Jedem das Seine, scheuen sich vor jedem unehrlichen
Gewinn, trachten, nicht reich zu werden, sind friedfertig, sanftmütig und
dienstfertig, keusch und züchtig in Werken, Worten und Gebärden, mäßig im Essen
und Trinken, wahrhaftig und zuverlässig in ihren Reden und Versprechungen,
freigiebig gegen die Armen, willig zu leihen dem, der in seiner Verlegenheit
ihnen abborgen will; sie sind treue, liebreiche Männer und treue, gehorsame
Frauen, treue Nachbarn, gute Bürger, die um des Landes wahres Wohl besorgt
sind, willig, sich in die Ordnungen ihres Staates zu fügen und dessen Lasten
tragen zu helfen; sie mengen sich nicht unter die Aufrührer; sie sind treue
Knechte und Mägde und Arbeiter, die ihren Herren und Arbeitgebern dienen, als
dienten sie Christus, und zwar das alles, weil ihr Glaube es nicht nur von
ihnen fordert, sondern sie dazu auch tüchtig und willig macht. Wie? Müssen
daraus nicht auch Ungläubige schließen, dass eine Lehre, welche solche Früchte
bringt, von Gott sein müsse?
Bedenkt ferner: Die Ungläubigen wissen,
obwohl das Evangelium ganz und gar gegen den natürlichen Sinn der Menschen
geht, dass sich dasselbe dennoch durch die einfältige Predigt der Apostel mit
reißender Schnelligkeit über den ganzen Erdkreis ausgebreitet hat. Es gibt kein
noch so rohes und tiefgesunkenes und zugleich kein noch so fein gebildetes, in
allen Künsten und Wissenschaften heimisches Volk, unter welchem das Evangelium
gepredigt worden ist, unter dem nicht ganze Scharen von der Wahrheit desselben
überzeugt und durch dasselbe bekehrt worden wären, große Gelehrte ebensowohl
wie einfältige Seelen, Reiche ebensowohl wie Arme, Lasterknechte ebensowohl wie
Ehrbahre, Hohe, selbst Fürsten, Könige und Kaiser, ebensowohl wie Bettler,
irdisch Glückliche ebensowohl wie Unglückliche. Wie? Müssen daraus nicht auch
Ungläubige schließen, dass eine Lehre, welche eine solche göttliche Kraft zu
überzeugen und zu bekehren hat, von Gott sein müsse?
Bedenkt endlich: Die Ungläubigen lesen es
in den glaubwürdigsten Geschichtsbüchern, wie das Evangelium zu allen Zeiten
teils durch ketzerische Lehren, teils durch das gottlose Leben vieler Bekenner
desselben geschändet, teils, um es aus der Welt zu schaffen, bekämpft worden
ist, ebenso von den Mächtigen wie von den Weisen dieser Welt, bald durch
schlaue List, bald durch blutige Gewalt. Und was ist geschehen? Keine noch so
vielen Ketzer, keine noch so vielen Ärgernisse, keine noch so furchtbaren
Stürme der Verfolgungen haben das himmlische Feuer des Evangeliums auf Erden
dämpfen können. Selbst zarte Kinder und schwache Frauen haben sich in den
härtesten Verfolgungen als unüberwindliche Glaubensheldinnen erwiesen, die
keine noch so schreckliche Qual zum Abfall hat bewegen können. Je blutiger die
Kirche verfolgt worden ist, je mehr haben sich zu ihr geschlagen. Das Blut der
Märtyrer ist allezeit ein Same gewesen, aus welchem nur umso mehr Bekenner des
Evangeliums hervorgewachsen sind. Wie oft hab4en die Feinde des Evangeliums
schon „Viktoria!“ gerufen, weil sie meinten, es sei mit dem Evangelium nun aus,
und siehe! immer hat das totgeglaubte Evangelium wieder das Ostern seiner
Auferstehung gefeiert. Noch vor 200 Jahren schien es, als ob der Rationalismus
nun endlich gewiss über das Evangelium triumphieren werde; aber was ist
geschehen? Das Evangelium hat selbst in dieser letzten schrecklichen Zeit
wieder zu grünen und zu blühen angefangen. Wollte man es in einem Land nicht
mehr leiden, so hat es in einem anderen Land seine Wohnung aufgeschlagen.
Verwarfen es christliche Völker, so nahmen es Heidenvölker an. Wie? Müssen
daraus nicht auch Ungläubige schließen, dass eine Lehre, welche ein so
unzerstörbares Leben hat, von Gott selbst sein müsse?
Sollten nun durch Gottes Schickung heute
auch Ungläubige in dieser Kirche sich eingefunden haben, so rufe ich ihnen
daher zu: Ihr meint, die Christen seien Toren, dass sie noch an das alte
Evangelium glauben; dazu achtet ihr euch für zu aufgeklärt; aber wahrlich! Ihr
lebt in einer furchtbaren Verblendung. Die Toren seid ihr! Die
Mitteilung des Heiligen Geistes, welche mit der Predigt des Evangeliums
verbunden ist, widerlegt, wie mit einem Schlag, alle eure Gegengründe als leere
hohle Phrasen. Wohl mögt ihr von der Mitteilung des Heiligen Geistes durch das
Evangelium vielleicht noch nie selbst etwas erfahren haben, aber nehmt ihr
diese Wirkung nicht an den wahren Christen wahr? Ihr könnt das nicht
leugnen. Und das wird einst, wenn ihr euch nicht noch überwinden lasst, vor
Gottes Richterthron gegen euch zeugen. O, dass ihr doch darum euer Herz nicht
mutwillig verschließen möchtet! O, dass ihr euch doch der Macht der Wahrheit
gefangen geben möchtet! Wahrlich, dann würdet ihr die Mitteilung des Heiligen
Geistes auch selbst noch an eurem Herzen erfahren. Denn Christus selbst sagt:
„So jemand will des Willen tun, der mich gesandt hat“, da ist, so jemand will
an mich glauben, „der wird innewerden, ob diese Lehre von Gott sei oder ob ich
von mir selber rede.“ O, streitet doch ni0cht länger gegen Gott, sondern fallt
heute mit dem ungläubigen Thomas vor Christus nieder und sprecht, um Glauben
seufzend, zu ihm: „Mein HERR und mein Gott!“ so werdet auch ihr wie Paulus, der
aus einem Verfolger der größte Herold des Evangeliums wurde, mit Freuden
bekennen: „Ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht, denn es ist eine
Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.“
Ihr aber, meine Lieben, die ihr schon
wahrhaft glaubt und daher schon das Pfingstwunder erfahren habt, o, freut euch
heute, dem Triumphfest des Evangeliums; denn der HERR hat Großes an euch getan.
O, beharrt nun auch in eurem Glauben bis an das Ende auch in dieser Zeit des
Abfalls, wo wird, wenn endlich die Nacht eures Sterbestündleins über euch
hereinbrechen wird, das himmlische Licht des Evangeliums auch dann euch
leuchten, ihr werdet in Frieden dahinfahren, dort die Krone der Überwinder aus
Christi durchbohrten Händen empfangen und euch dann freuen mit
unaussprechlicher ewiger Freude.
Das helfe uns allen der gnädige Gott durch
die Mitteilung seines Heiligen Geistes um Jesu Christi, unseres gen Himmel
gefahrenen erhöhten hochgelobten HERRN und Heilandes, willen. Amen.
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus und
die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!
Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Die Christen sind nicht die Ersten, welche
ein Pfingstfest feiern. In der Epistel des gestrigen Festtages haben wir
bereits gehört, dass schon das jüdische Volk ein Fest dieses Namens in den
gegenwärtigen Tagen gefeiert hat. Schon da gehörte es unter die drei größten
Feste des Jahres, an welchen alles, was männlich war, vor dem HERRN in dem
Tempel zu Jerusalem erscheinen sollte.
Das Pfingsten der Juden wurde nämlich zum
Gedächtnis der wichtigen Begebenheit begangen, dass Gott am fünfzigsten Tag
nach dem Auszug der Kinder Israel aus Ägypten ihnen das Gesetz auf zwei
steinernen Tafeln auf dem Berg Sinai gegeben hatte.
So wichtig nun dieses Werk Gottes war, so
war es doch keineswegs etwas Tröstliches und Erfreuliches, mögen wir nun auf
die Umstände sehen, unter welchen Gott das Gesetz gegeben hatte, oder auf den
Inhalt des Gesetzes selbst. Gott erschien zwar selbst auf dem Berg Sinai, aber
unter lauter Offenbarungen seines Zornes. Mose musste um den Berg ein Gehege
machen mit der Drohung, wer nur das Ende des Berges anrühren würde, der sollte
von Gott selbst zerschmettert werden und des Todes sterben. Allein Mose durfte
hinaussteigen. Als der Tag der Offenbarung anbrach, erhob sich schon am Morgen
auf dem Berg ein furchtbares Donnern und Blitzen¸ eine dicke Wolke bedeckte
seinen Gipfel; und der Ton einer sehr starken Posaune wurde hörbar. Das Volk,
das in einiger Entfernung davon sein Lager aufgeschlagen hatte, vernahm dies
mit Schrecken und Entsetzen. Mose führte es hierauf aus dem Lager Gott entgegen
an den Fuß des Berges, und siehe! Der ganze Berg rauchte wie ein großer
Feuerofen und bebte in seinen Grundfestgen. Hierauf redete Mose Gott an, und
Gott antwortete ihm laut, dass es alle die versammelten Hundertausende hören
konnten. Aber erschrocken floh nun alles davon und rief Mose zu: „Rede du mit
uns, wir wollen gehorchen; und lass Gott nicht mit uns reden, wir könnten sonst
sterben.“
Diese erschreckenden äußeren Umstände waren
aber nichts anderes als der Ausdruck des Inhaltes der Lehre, die damals
offenbart wurde. Denn das Gesetz ist eine Lehre, die nichts anderes, als den
Sünder schrecken, ängstigen und töten kann. Das Gesetz offenbart uns wohl die
Krankheit, aber es heilt sie nicht; es zeigt uns wohl den Mangel, aber es
erfüllt ihn nicht; es spricht zwar: „Du sollst, du sollst“, aber es gibt keine
Kraft, dass wir’s wollen und können, sondern je mehr uns die Strenge des
Gesetzes offenbar wird, desto feindseliger werden wir Gott in unserem Herzen.
Ach, meine Lieben, hätten wir noch immer
kein anderes Pfingstfest als das jüdische war, so wäre unser Pfingsten nicht
ein Freuden- sondern ein Trauertag. Aber, gelobt sei der Name des HERRN! Das
Pfingsten des Neuen Testaments erinnert uns an die Offenbarung einer ganz
anderen Lehre, und diese Lehre ist das gnadenreiche Evangelium von Christus;
das ist die Predigt, welche der Heilige Geist in den Seelen der Apostel
verklärt und in ihren Mund gelegt und durch die er die Kirche des Neuen Bundes
gestiftet hat. Daher spricht der Verfasser des Briefes an die Hebräer zu den
Christen: „Ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, den man anrühren konnte, und
der mit Feuer brannte; noch zu dem Dunkel und Finsternis und Ungewitter, noch
zu dem Hall der Posaune; – sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu
der Stadt des lebendigen Gottes, zu dem himmlischen Jerusalem, und zu der Menge
vieler Tausend Engel, und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel
angeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der
vollkommenen Gerechten; und zu dem Mittler des Neuen Testaments, Jesus, und zu
dem Blut der Besprengung, das da besser redet als Abels.“ O, so lasst uns denn
diese Predigt, die in der neuen Stadt Gottes erschallt, jetzt vernehmen; lasst
uns hören, wie am Pfingstfest des Neuen Testaments die Donner Sinais verhallt
sind, wie sich da die dunklen Wolken verzogen haben, der Himmel sich aufgeklärt
und Christus als der helle Morgenstern am Firmament der neuen Bundeskirche
erschienen ist.
Johannes 3,16-21: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er
seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren
werden, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt
in die Welt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn selig
werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der
ist schon gerichtet; denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes
Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt kommen ist, und
die Menschen liebten die Finsternis mehr denn das Licht; denn ihre Werke waren
böse. Wer Arges tut, der hasst das Licht und kommt nicht an das Licht, auf dass
seine Werke nicht gestraft werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt an das Licht,
dass seine Werke offenbar werden; denn sie sind in Gott getan.
Der Gegenstand unserer Betrachtung in
diesen Festtagen ist: Der Aufbau der Kirche des Neuen Bundes als ein Werk des
Heiligen Geistes. Nachdem wir nun gestern die wunderbare Ausrüstung der
Arbeiter an diesem Werk betrachtet haben, so lasst uns heute nach dem
verlesenen Evangelium erwägen:
Welches
ist die Predigt, durch die die christliche Kirche erbaut wird?
Es ist die Predigt:
1.
Von Gottes unaussprechlicher Liebe
gegen die Welt und
2.
Von der Menschen Seligkeit aus
Gnaden durch den Glauben.
Gott, du sagst in deinem Wort: Wie lieblich
sind die Füße derer, die den Frieden verkündigen, die das Gute verkündigen! O
hilf mir jetzt ein solcher guter Bote unter diesen meinen Zuhörern zu sein.
Lass meinen Mund reden von deiner Liebe, dass sie in die Herzen mit süßer
Gewalt dringe und wir alle dein Eigentum werden und bleiben. Das tue um Jesu
Christi willen. Amen.
1.
Die Apostel haben, meine herzlich
Geliebten, wie wir gestern hörten, in diesen Tagen die großen Taten Gottes
geredet. Hieraus sehen wir schon, dass das zu Pfingsten offenbarte und
gepredigte Evangelium nicht von unseren Werken handelt, die wir tun
sollen, sondern allein von Gottes großen Werken. Fragen wir, welche
diese sind, so hören wir dieselben in unserem heutigen Evangelium aus Christi
eigenem Mund. Er spricht nämlich: „Gott hat die Welt geliebt.“
Das ist es, was Gottes Heiliger Geist durch
die Apostel offenbart hat! O großes, seliges Geheimnis! Denn wer ist Gott? Wer
ist die Welt? Und was heißt lieben?
Gott ist der Schöpfer aller Dinge,
der Allerhöchste, der Allmächtige, der Allgegenwärtige, der Gerechte, der
Heilige, das ewige Licht, und in ihm ist keine Finsternis. Die Welt sind
die Menschen, der Staub, die Sünder, die geborenen Feinde und Hasser Gottes,
die Übertreter seines Gesetzes, die Empörer in seinem heiligen Reich, die von
Gott abgefallenen Bewohner der Erde. Lieben aber heißt: Etwas teuer,
hoch und wert halten, ihm alles Gute wünschen, sein zeitliches Wohlsein und
seine ewige Seligkeit von Herzen wollen, über seine Not Mitleid haben und nach
ewiger Vereinigung mit ihm ein sehnliches Verlangen tragen.
Diese drei Stücke verbindet nun Christus
und spricht: „Gott hat die Welt geliebt!“ – O himmlisch süße Lehre! Gott
hasst wohl die Sünde, aber den Sünder liebt er also? Die Sünde will er wohl
vertilgen, aber den Sünder will er erhalten? Die Feindschaft in dem
menschlichen Herzen will er töten, aber mit dem Feind selbst will er sich vereinigen
und will ihm Leben, das ewige Leben, geben? O köstliche Predigt! Wohin auch die
Pfingstprediger kommen, und wenn sie auch in aller Welt predigen, da sollen sie
laut das Pfingstwort verkündigen: Gott liebt euch! – Ach, auch heute, ja, auch
unter uns soll ich es verkündigen: Gott liebt uns! O teures Wort: Gott liebt
uns!
Aber noch mehr. Christus spricht: „Gott hat
die Welt geliebt.“ Er spricht nicht: Gott liebt sie, oder: Er wird
sie lieben, sondern: Er hat sie schon geliebt. O, sagt: Wann, wann hat
Gott angefangen, die Welt zu lieben? – Wenn bei Gott von der Vergangenheit die
Rede ist, so weist diese in die Ewigkeit hinein. Gott hat also die Welt von
Ewigkeit geliebt. Von Ewigkeit sah Gott schon alle Menschen; vor seinem Auge
standen sie alle schon da, als wären sie geschaffen; da sah er auch uns alle,
die wir hier versammelt sind. Aber Gott hasste keinen, keinen bestimmt er zur
Verdammnis, keinen wollte er verwerfen, sondern er liebte sie von Ewigkeit
alle; alle, die geschaffen werden sollten, hielt er teuer und wert, wollte
aller zeitliches Wohlsein und ewige Seligkeit, hatte Mitleid mit ihrem Elend,
das er voraussah, und trug ein göttliches Verlangen nach ewiger Vereinigung mit
ihnen. O göttliches Vaterherz, wie süß bist du! Du hast auch unsere Seelen von
Ewigkeit in dich eingeschlossen, auch uns von Ewigkeit geliebt.
Aber wie, wie hat denn Gott die Welt
geliebt? Der Sohn Gottes antwortet in unserem Text: „Also, dass er seinen
eingeborenen Sohn gab.“ Er spricht also nicht: Gott hat die Welt sehr, er
hat sie hoch, von Herzen geliebt; nein, dies alles wäre viel zu wenig gesagt,
die Größe dieser Liebe kann in solche Worte nicht gefasst werden; er spricht
nur: „Also“. Der Sohn Gottes will damit sein eigenes Staunen und seine
Verwunderung ausdrücken, womit auch er dabei erfüllt wird. Er will aber auch
damit sagen: „Hört es doch, ihr Himmel, und du Erde, nimm es zu Ohren: „also,
also!“ Vernimm es, o Mensch, merke auf, o Sünder, und falle anbetend nieder
in den Staub; denn alle Engel schlagen bei diesem Wort an ihre Harfen und
singen durch aller Himmel Himmel hinauf in heiligen Harmonien zum Thron des
Vaters: „Heilig, heilig, heilig ist Gott, der HERR Zebaoth; Himmel und Erde
sind seiner Ehre voll. Halleluja, Halleluja von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ Denn „also
hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.“
Ist unser Herz nicht von Stein, so muss uns
schon das Herz lachen, wenn wir nur hören, dass Gott die Welt und also auch uns
von Ewigkeit geliebt hat; denn glauben wir dies wirklich, was können wir uns da
anderes als Gutes zu Gott versehen? Liebt er uns, so kann er uns ja nichts
Böses gönnen, sondern er muss ganz freundlich gegen uns gesinnt sein. Aber die
Lehre des Evangeliums, wodurch die christliche Kirche erbaut werden soll und
die in den Jüngern am ersten Pfingstfest durch den Heiligen Geist verklärt
worden ist, lautet noch ganz anders. Sie heißt: „Also hat Gott die Welt
geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.“ Ach, meine herzlich
Geliebten, was für ein Gemälde von Gott ist das! Sehen wir, wie die Erde voll
ist seiner Güte, wie er für uns Menschen den Himmel geschmückt und den Erdboden
fruchtbar gemacht hat, so müssen wir ausrufen: Gott, wie groß ist deine Liebe!
Erfahren wir in der Not eine unerwartete Hilfe von Gott, so sprechen wir wohl
mit Freudentränen: O, wie gut ist Gott! Aber wenn wir nun hören, dass Gott die
Welt also liebt, dass er ihr seinen eingeborenen Sohn gibt, was sollen wir da
sagen?
Die ganze Welt ist in Sünde gefallen, ist
Gottes Feindin geworden und hat sich zu dem Satan geschlagen, hasst, verachtet
und flieht Gott. Anstatt dass nun Gott hätte von Zorn entbrennen sollen, da
entbrennt er von Liebe und ewigem Erbarmen und gibt seinen lieben eingeborenen
Sohn in den Tod des Kreuzes, damit nur die gefallene Welt erlöst, errettet und
selig gemacht würde. Wenn also nun auch ein Mensch aller Welt Sünde allein auf
seinem Gewissen hätte, so wäre er doch darum noch nicht verloren, denn das ist
eben Gottes Liebe, dass er um aller Welt Sünde willen seinen eingeborenen Sohn
dahingegeben hat.
Diese Liebe ist unermesslich. Spräche ich:
Sie ist so groß wie ein ganzes Meer, so hätte ich euch nur einen Tropfen dieser
Liebe beschrieben. Spräche ich: Sie ist so hoch und glühend wie Feuer, das von
der Erde bis in den Himmel reicht, so hätte ich euch nur ein Fünklein dieser
Liebe gezeigt. Spräche ich: Sie ist so weit wie Himmel und Erde, so hätte ich
euch nur einen kleinen Strahl dieser Liebe vorgebildet. Denn so viel Gott
selbst größer ist als alle Kreaturen, so viel ist auch Gottes Liebe größer als
alles, denn Gott hat aus Liebe der sündigen Welt nicht die Erde, nicht Sonne,
Mond und Sterne, nicht die ganze Welt, nicht bloß den Himmel, sondern seinen
lieben Sohn selbst geschenkt.
O, was für ein herrlicher, bewunderungs-,
anbetungs- und liebenswürdiger Gott wird uns in dieser Lehre abgebildet! Wenn diese
Lehre nicht Zutrauen zu Gott erweckt, welche Lehre soll es da tun? Wenn diese
Lehre uns nicht reizt, getrost zu Gott zu gehen, welche soll uns reizen? Wenn diese
Lehre nicht alle Furcht und alles Schrecken vor Gott wegnimmt, welche soll es
wegnehmen? Schenkt uns Gott seinen lieben Sohn, wieviel Millionen Mal größer
muss da Gottes Liebe sein als unsere Sünde? Schenkt uns Gott seinen lieben
Sohn, wer will sich noch vor dem Tod fürchten? Christus ist des Todes Herr; wer
will sich noch vor der Hölle und Verdammnis fürchten? Christus hat die
Schlüssel der Hölle, wer will an der Seligkeit zweifeln, wer will zweifeln,
dass der Himmel ihm offen stehe? Ist der HERR des Himmels uns schon geschenkt,
so ist uns ja mit ihm der Himmel auch schon geschenkt mit allen seinen Schätzen
und mit aller seiner ewigen Lust, Wonne und Herrlichkeit.
Seht, so lautet die Pfingstpredigt des
Neuen Testaments, womit Christus sein Reich öffentlich in der Welt beginnt; so
lautet die Predigt, womit der Heilige Geist sich in der Welt offenbart, dadurch
die christliche Kirche erbaut und allen Menschen geholfen werden soll. Sie
redet nicht von unseren Werken, sondern von den großen Taten Gottes; sie hält
uns nicht vor unsere Pflichten, sondern Gottes uns angebotene Güter. Sie sagt
uns nicht, dass wir Gott etwas schenken sollen, sondern, was Gott uns
geschenkt hat. Sie zieht die Hülle weg, womit Gottes Antlitz uns Menschen
verborgen ist und ruft uns zu: Seht, Gott ist die Liebe! Sie zieht den Vorhang
weg von dem Himmel und spricht: Seht, diese selige Stätte ist auch euch
bereitet, denn Gott hat euch also geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn
gab.
O, welch ein ganz anderes Pfingsten haben
daher wir, die wir in der Zeit des Neuen Bundes leben, als die Kirche des Alten
Bundes! Da wurde das verdammende Gesetz offenbart, im Neuen Bund das
gnadenvolle Evangelium; dort bebte der Berg und erzitterte vor Gottes
schreckender Majestät, im Neuen Bund hüpfen alle Berge und Hügel vor Freuden.
Dort erschien Gott als ein verzehrendes Feuer, im Neuen Bund erscheint Gott als
ein unermessliches Feuer der Liebe; dort musste alles vor Gott fliehen, im
Neuen Bund hingegen heißt es: Kommt, kommt zu Gott, fürchtet euch nicht, er
liebt euch, er hat euch schon von Ewigkeit geliebt; Gottes Sohn ist euer,
Sünde, Tod und Hölle ist verschlungen. Darum jauchze, lobsinge und sei fröhlich
alle Welt!
2.
Doch, meine Lieben, würde uns in der
Pfingstpredigt des Neuen Testaments die Liebe Gottes auch noch so groß
vorgestellt, so würde uns diese Predigt doch nicht tröstlich sein, wenn uns
nicht zugleich gesagt würde, wie wir Gottes Liebe, Gaben, Reichtümer und
Schätze, die er uns anbietet, ergreifen können.
Was hülfe es uns, wenn uns ein Mensch große
schätze beschriebe, die unser sein sollten, wenn er aber endlich sagte: Diese
Schätze liegen in der Tiefe des Meeres? Oder in dem Mittelpunkt der Erde? Wird
uns nun Gotts Liebe gepredigt in Christus Jesus, so fragt freilich unsere
Seele: Aber wie soll ich diese Liebe erreichen? Gott wohnt in einem Licht, da
niemand zu kommen kann, ich aber liege hier in der Finsternis meiner Sünde.
Christus ist aufgefahren über aller Himmel Himmel, ich aber bin hier auf der Erde.
Wie kann ich dringen in das unnahbare Licht? Wie kann ich in den Himmel steigen
und den ergreifen, der mich bis in den Tod geliebt hat? Wo finde ich Flügel,
aufzufliegen zu dem Thron der ewigen Liebe? Wo finde ich die Leiter, an der ich
Sünder aufsteigen kann zu dem ewigen Urquell der Erbarmung und Gnade?
Aber getrost, getrost! Meine Zuhörer, diese
Fragen lässt die Pfingstpredigt des Neuen Bundes nicht unbeantwortet. Davon
lasst mich zweitens zu euch sprechen.
So groß, meine Lieben, die in diesen Tagen
offenbarte Liebe Gottes ist, so nahe ist sie uns auch; so nahe uns nämlich das
Wort ist, so nahe ist uns auch alles, was darin verheißen wird. Denn Christus
fährt in unserem Evangelium fort: „Auf dass alle, die an ihn glauben, nicht
verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Der Glaube, der Glaube
gibt uns also die Flügel, womit wir über Sünde und Welt und Tod und Hölle und
Verdammnis in den Schoß der ewigen Liebe auffliegen können; der Glaube ist die
Leiter, die uns Gott selbst in den Himmel gebaut hat. Der Glaube ist die Hand,
die den Sohn Gottes als ein teures unaussprechliches Geschenk des himmlischen
Vaters und mit ihm Gerechtigkeit, Leben und Seligkeit ergreift.
Der Schatz ist uns also schon geschenkt; er
liegt im Evangelium; dadurch wird er allen vorgetragen; wer es nun auch glaubt,
wie das Wort es ihm verheißt, der hat’s. Mag nun Himmel und Erde vergehen, das
Wort vergeht nicht, so bleibt auch dem die Seligkeit, der an das Wort sich
hält. Daher spricht St. Johannes: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt
überwunden hat.“
Wenn jemand durch Werke Gottes Liebe sich
verdienen will, hat das wohl vor der Welt einen schein, aber vor Gott ist es
ein entsetzlicher Frevel, der endlich zur Hölle stürzen muss. Daher spricht
Christus in unserem Text: „Wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn
er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.“ Das heißt:
Wer nicht an Christus glaubt, der bedarf nicht erst, gerichtet und verdammt zu
werden. Mose, das Gesetz hat ihn schon verdammt; er will nach dem Gesetz
gerichtet werden, das wird ihm auch werden.
Hingegen scheint aber der Glaube etwas sehr
Geringes. O, denkt man nach dem Urteil seiner Vernunft, wie sollte es doch der
Glaube tun! Aber lasst uns um Gottes und unserer Seligkeit willen nicht nach
diesem verkehrten Urteil unserer blinden Vernunft gehen. Wäre der Glaube ohne
Gottes Wort und Verheißung, so hülfe er uns freilich so wenig, als wenn wir
einen Strohhalm von der Erde aufhöben und dafür den Himmel zum Geschenk
begehrten. Aber weil Gott in seinem Wort um Christi willen uns Gnade,
Vergebung, Leben und Seligkeit verheißen hat, darum ist der Glaube nicht ein
leeres Ding, sondern er ist eine Hand, die Gott, und mit ihm alle seine
göttlichen, himmlischen Güter ergreift.
Ach, was sind wir also doch für selige
Menschen, denen Gott die Gnade geschenkt hat, dass wir nun schon so oft und
auch heute diese selige Pfingstpredigt haben hören können! Sollte uns nicht
dabei das herz schwellen und in Lob und Preis Gottes ausbrechen, dass, wo es
möglich wäre, unser Jauchzen Himmel und Erde erfüllte? Wie? sollte es möglich
sein, dass einer unter uns, der nun dieses Evangelium gehört hat, noch immer
traurig, voll Zweifel, Unruhe und Ungewissheit bleiben könnte? –
Aber der Glaube ist eben der Berg, über
welchen der Pfingstsegen nicht hinüber will. Gepredigt ist das Evangelium, o,
dass es nun auch von allen geglaubt wäre! Darüber dürfen wir uns freilich nicht
wundern, dass diejenigen nicht glauben, welchen ihre Sünden noch Kleinigkeiten
dünken, die über nichts weniger Sorgen haben, als über die Sünden, die
da denken: Ach, was Gnade! Hätte ich Geld, hätte ich schöne Kleider, hätte ich
ein lachendes Vergnügen der Welt! Solches freilich wird nur in taube Ohren
gepredigt. Solche müssen erschrecken lernen vor dem Donner auf Sinai; wenn sie
dann anfangen, vor dem verzehrenden Feuer der göttlichen Gerechtigkeit zu
verwelken, dann werden sie auch das erquickende Wehen des Heiligen Geistes aus
dem Evangelium im Glauben suchen.
Aber der Glaube ist der Anstoß nicht nur
bei diesen, sondern auch bei vielen, die schon vom Gesetz getroffen sind, die
gern fromm und selig sein möchten. Der Unglaube, das Misstrauen gegen Gott, ist
uns allen angeboren. Viele wollen daher zwar dem Wort Gottes nicht
widersprechen, aber sie denken: Ja, wenn du recht glaubtest, so würdest
du durch den Glauben wohl das ewige Leben haben, aber wie kannst du den rechten
Glauben haben, da es dir so ganz an den Früchten fehlt? Da du so wenig in
deinem herzen fühlst? Die Sünde hängt dir noch so sehr an, du bist so träge! Dein
Glaube hilft dir nichts. Ach, es ist nicht auszusprechen, wie Unzählige sich
dadurch vom Glauben abhalten lassen, dass sie denken, sie könnten nicht recht
glauben.
Ich fürchte gewiss nicht ohne Grund, dass
daher viele auch unter uns diesen Zweifel haben, daher sie auch nie und nimmer
zu einem bleibenden Frieden und zu einer bleibenden Gewissheit ihrer Seligkeit
kommen. Nun, was ist denn eigentlich der Glaube, der selig macht? Der rechte
wahre Glaube ist nichts anderes als das feste Für-gewiss-und-wahrhalten, dass
Christus mit aller seiner Gnade unser ist. Das macht den Glauben nicht zum
wahren, dass er kräftig und fruchtbar ist, sondern dass er den rechten Christus
ansieht und sich an den hält. Nicht mein Ernst, Eifer und Andacht, sondern der
rechte Christus, den ich ergreife, macht den Glauben aus. Wo das ist, da ist
der wahre Glaube. Könnte ein Mensch gewiss für wahr halten: Christus ist auch
für mich in den Tod dahingegeben, Gott hat ihn auch mir geschenkt, Gott liebt
auch mich in Christus von Ewigkeit, – könnte das, sage ich, ein Mensch für
gewiss und wahr halten, so könnte er noch so tief in der Sünde liegen, dieser
Glaube macht ihn vor Gott gerecht und selig; ja, wäre ein solcher Mensch schon
mitten in dem Abgrund der Hölle, so müsste die Hölle ihn wieder herausgeben.
Denn Christus kann nicht lügen, der da sagt: „Auf dass alle, die an ihn
glauben“, o hört es! „die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern
das ewige Leben haben.“
Nun, meine teuren Zuhörer, von Gott in
Christus hochgeliebte Seelen! Ich trage ein herzliches Verlangen danach, dass
keiner von uns verloren werde, sondern dass jeder von euch das ewige Leben
erlangen möchte. Darum kann ich nicht anders, ich muss mich nun bei dem
heutigen herrlichen Text noch zum Schluss an einen jeden unter euch besonders
wenden.
Zuerst wende ich mich an euch, die ihr noch
gar nicht danach trachtet und euch noch gar nicht darum sorgt, dass ihr selig
werdet. Ihr habt noch nie überlegt, dass Gott ein gerechter Gott ist, der die
Sünder zu strafen gedroht hat. Ihr lebt sicher dahin und achtet das Evangelium
für das geringste Gut in der Welt; ihr sucht Geld und Gut, ihr wollt nur gesund
sein am Leib und gute Tage haben, geehrt, gelobt und geliebt von jedermann.
Danach steht euer Sinnen und Trachten. Die Seligkeit ist bei euch Nebensache.
Ich muss gestehen: Das Herz im Leib weint mir, wenn ich an den traurigen
Zustand denke, in welchem ihr euch befindet. Ihr seid elend, und ihr wisst es
nicht. Ihr geht noch den Weg des Verderbens, aber ihr denkt es nicht. O, dass
jetzt meine Zunge Donnerworte zu euch reden könnte! O, dass ich jetzt meine
Worte zu Spießen und Nägeln umschaffen könnte, euer schlafendes Gewissen zu
verwunden! – Nun denn, es sei euch hiermit bezeugt vor Gott, dem Richter der
Lebendigen und der Toten: Ihr liegt noch in euren Sünden! Weil ihr Gottes
Gesetz verachtet und seine Drohungen, so ruht Gottes Zorn auf euch. O, wacht
auf, wacht auf, die ihr schlaft, und steht auf von den Toten, so wird euch
Christus erleuchten. O, erschreckt doch über euch selbst, ihr seid noch Christusverächter,
erkennt eure Sünde und ruft: HERR, was soll ich tun? – O, dass ihr dieses Wort
euch zu Herzen gehen ließet! O, lasst euch retten! O, lasst euch selig machen!
– Aber das sage ich euch: Werdet ihr dies alles fort und fort verachten und auf
Gnade fort und fort sündigen, so wird der heutige Text, der so tröstlich ist,
einst euch bei Gott verklagen und Rache über euch schreien immer und ewig.
Doch nun lasst mich auch zu euch wenden,
die ihr Gottes Gesetz und Drohungen nicht verachtet, sondern euch davor
fürchtet und gerne fromm, gerecht und selig werden möchtet, aber weil ihr euch
so verwerflich findet, weil ihr so oft strauchelt, weil ihr euch so kraftlos
fühlt, oft so träge und lau, darum wollt ihr keine rechte gewisse und feste
Zuversicht zu eurem Heiland und zu eurem Heil fassen. Ihr seht: Es fehlt euch
an Kraft, es steht elend und gebrechlich um euch; nun sagt: Wodurch, denkt ihr
denn, dass euch endlich noch geholfen werden soll? Meint ihr, es werde da durch
eure eigene Kraft besser werden? Meint ihr, ihr werdet euch noch einmal selber
aus eurer Ohnmacht herauswinden und -kämpfen? – Ich sage euch: Auf diesem Weg
wird es nur immer schlimmer mit euch werden; ich sage euch: Eilt, dass ihr eure
Seele rettet, eilt zu Jesus Christus! Fangt doch einmal an, alle eure Sünde
allein auf ihn zu werfen und ihn mit fester Zuversicht für euren Heiland und
Seligmacher zu erkennen und zu ergreifen. Glaubt es doch: Alles, was euch daran
hindern will, ist vom Teufel! Ihr habt es ja gehört: Gott hat seinen lieben
Sohn der Welt schon gegeben, also auch euch; es liegt nur daran, dass ihr ihn
annehmt, dass ihr das glaubt, in diesem Glauben euch täglich übt und in diesem
Glauben verharrt bis ans Ende, so werdet ihr nicht verloren gehen, sondern
selig, ja, ewig selig werden. O, bleibt nicht länger zurück! Ihr könnt ja noch
heute sterben! Nehmt die große Liebe eures Gottes an, denn in ihr allein ist
das ewige Leben.
Ihr endlich, meine teuren Brüder und
Schwestern im Glauben, denen schon nichts mehr schmeckt als Jesus und seine
Gerechtigkeit, hört die stimme eures Mitgenossen an der Seligkeit aus Gnaden:
Lasst uns einen Bund machen, uns keine Kreatur weder im Himmel noch auf Erden
von der Liebe Gottes in Christus Jesus scheiden zu lassen. Lasst uns unsere
Krone festhalten, die uns Jesu Blut erworben hat und die uns durch den Glauben
in unserer heiligen Taufe geschenkt worden ist. Lasst uns Jesus gern sein Kreuz
nachtragen in dieser Welt, gegen Fleisch, Welt und Teufel tapfer streiten;
durch Jesus muss es uns gelingen.
Hier können wir unserem Heiland freilich
nicht so dankbar sein, wie wir es gern wünschten, aber einst, einst, wenn das
Verwesliche wird das Unverwesliche und wenn das Sterbliche wird die
Unsterblichkeit angezogen haben, dann wollen wir Lob und Preis geben dem Lamm,
das für uns erwürgt ward, und dem Vater und beider Geist von Ewigkeit zu
Ewigkeit. Amen.
Dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger
Geist! Auf dich sind wir alle einst getauft worden; da ist dien hochheiliger
Name auf uns gelegt und da bist du wieder unser lieber Vater und wir deine
lieben Kinder geworden; da hast du uns alle unsere Sünden vergeben, unsere
Seelen abgewaschen, uns zu deinen Tempeln gemacht, uns wiedergeboren zum ewigen
Leben und aufgenommen in ein neues Reich der Gnade und Seligkeit. Siehe doch
darum, o du unser Treuer Bundesgott, uns alle in Gnaden auch heute an; zeige
denen unter uns, die ihre heiligte Taufe bisher geringgeschätzt haben, welches
unvergleichliche und unübertreffliche Gut sie verachtet haben, und regiere sie,
mit Reue und Beschämung zu der Quelle des Heils, die du ihnen aufgetan hast,
wieder zurückzukehren. In uns allen aber wollest du durch das Wort von deinem
gnadenreichen Sakrament Seelendurst und Glaubensmut erwecken, von nun an
täglich uns zu dem freien offenen Born gegen die Sünde und Unreinigkeit zu
nahen, welchen du allen Bürgern des neutestamentlichen Jerusalems und so auch
uns verheißen und geschenkt hast. Erhöre uns, o dreieiniger Gott. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Die Lehre von den heiligen Sakramenten ist
es, wie bekannt, hauptsächlich, wodurch nun schon seit mehr als dreihundert
Jahren die rechtgläubige evangelisch-lutherische Kirche von allen anderen
sogenannten protestantischen Kirchen allem Anschein nach für immer getrennt
worden ist. Viele, denen die Wahrheit ziemlich gleichgültig ist, sehen jetzt
diesen Trennungspunkt für so unbeträchtlich und geringfügig an, dass sie den
Rat geben, man solle doch den Streit über die heiligen Sakramente ganz
unterlassen, davon ganz absehen, einen jeden darüber glauben lassen, was ihm
das Beste scheine, und, da doch die „protestantischen“ Kirchen in vielen
anderen wichtigen Punkten übereinstimmten, sich zu Einer großen „evangelischen“
Kirche vereinigen.
Beruhte nun die Trennung auf einer
gleichgültigen Verschiedenheit gewisser menschlicher Meinungen und Ansichten,
wer sollte dann nicht mit tausend Freuden den Vorschlag zur Vereinigung
annehmen? Aber, meine Teuren, die Lehre von den heiligen Sakramenten betrifft
nicht menschliche Meinungen, auch nicht Nebenlehren, sondern Hauptstücke
des christlichen Glaubens. Die Punkte, in welchen wir uneinig sind, sind daher
Gegenstände von höchster Wichtigkeit.
Wir Lutheraner erkennen aus Gottes Wort,
glauben, lehren und bekennen es daher auch, dass die heiligen Sakramente, Taufe
und Abendmahl, Gnadenmittel sind, durch welche uns das wirklich
angeboten und geschenkt wird, was Gott dabei verheißen hat denen, die sie im
Glauben gebrauchen. In den anderen sogenannten protestantischen Kirchen
hingegen wird teils ausdrücklich, teils der Sache nach gelehrt, dass die
heiligen Sakramente nur Gnadenzeichen und Gnadensiegel seien,
wodurch der Mensch die Gnadengüter nicht empfange, sondern, was er schon habe
müsse, ihm nur gewiss gemacht und versiegelt werde. Das ist es mit kurzen
Worten, um was es sich eigentlich handelt, das ist es, was uns von jenen
irrgläubigen Kirchen trennt.
Hierbei werden aber vielleicht manche,
denen eine klare Erkenntnis von dem Zusammenhang der christlichen Lehren fehlt,
fragen: Ist es denn so wichtig, ob man die heiligen Sakramente für wirkliche
Gnadenmittel oder nur für Gnadenzeichen ansieht? Und hierauf muss
ich antworten: Allerdings! Dieser Zwiespalt betrifft das wahre Herz des
Evangeliums oder der Lehre von dem Weg zum Heil. Er betrifft nämlich die Lehre,
wie der Mensch vor Gott gerecht werde, ob durch seine Werke oder durch Gottes
Werke; ob der Mensch den ersten Stein zu dem Bau seiner Seligkeit selbst
legen kann oder ob ihn Gott legen muss; ob der Mensch sich selbst zu
Gott aufschwingen kann oder ob Gott, um ihm zu helfen, sich zu ihm herablassen
muss; ob Gott uns armen Bettlern alles frei und umsonst schenkt, oder ob er das
Gute, was wir uns selbst errungen haben, nur gutheißt und ihm das Siegel
aufdrückt.
Dass es sich unter anderem mit der heiligen
Taufe so verhalte, dies sehen wir deutlich aus einem Ausspruch des heiligen
Apostels Paulus. Dieser sagt nämlich Tit. 3,5-7 so: „Nicht um der Werke willen
der Gerechtigkeit, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit
machte er uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen
Geistes, welchen er ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesus Christus,
unseren Heiland; auf dass wir durch desselben Gnade gerecht und Erben seien des
ewigen Lebens, nach der Hoffnung.“ Seht, in diesem köstlichen Spruch setzt der
teure Apostel die Erlangung der Seligkeit durch unsere Werke und die Erlangung
derselben durch das Bad der Wiedergeburt, nämlich durch die heilige Taufe,
einander entgegen. Hier habt ihr daher einen unwiderleglichen Beweis, dass, wer
die seligmachende Kraft der Taufe leugnet, das Heil auf Menschenwerke gründet
und so die Hauptsäule des Christentums, nämlich unsere Rechtfertigung allein
durch den Glauben aus Gnaden, untergräbt. Ist ein solcher Irrtum nun etwa ein
geringer, den wir als gläubige Christen leicht übersehen können? O, wahrlich
nicht; es wäre denn, dass wir den Grund unserer Seligkeit selbst für eine
geringfügige Sache ansehen wollten.
Da uns nun unser heutiges Evangelium auf
den wichtigen Artikel von der heiligen Taufe führt, so lasst mich jetzt davon
etwas ausführlicher zu euch sprechen.
Johannes 3,1-15: Es war aber ein Mensch unter den
Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster unter den Juden. Der kam zu Jesus
bei der Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir wissen, dass du bist ein Lehrer,
von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn
Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage
dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht
sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er
alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden?
Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren
werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was
vom Fleisch geboren wird, das ist Fleisch, und was vom Geist geboren wird, das
ist Geist. Lass dich’s nicht verwundern, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst
von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen
wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein
jeglicher, der aus dem Geist geboren ist. Nikodemus antwortete und sprach zu
ihm: Wie kann solches zugehen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Bist du ein
Meister in Israel und weißt das nicht? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, wir
reden, was wir wissen, und zeugen, was wir gesehen haben, und ihr nehmt unser
Zeugnis nicht an. Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage,
wie würdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sagen würde? Und
niemand fährt gen Himmel, als der vom Himmel herniedergekommen ist, nämlich des
Menschen Sohn, der im Himmel ist. Und wie Mose in der Wüste eine Schlange
erhöht hat, also muss des Menschen Sohn erhöht werden, auf dass alle, die an
ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Das Hauptwort in diesem verlesenen
Evangelium, um welches sich darin alles wie der Zirkel um sein Zentrum bewegt,
ist dieses: „Wenn jemand nicht geboren wird aus dem Wasser und Geist, so
kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ Diese Worte führen uns, wie ihr
hört, heute am Fest der heiligen Dreieinigkeit auf die Betrachtung der
Wassertaufe, die wir schon alle im Namen des Vaters, des Sohnes und des
Heiligen Geistes empfangen haben, wie wir nämlich dadurch aufs neue geboren worden
sind. Hiernach stelle ich euch vor:
Die
Wassertaufe, das kräftige Mittel der Wiedergeburt
Hört:
1.
Wie sich es allezeit sei, und
2.
Wodurch sie auch uns ein solches
werde.
1.
Nikodemus, von welchem in unserem
Evangelium erzählt wird, war, meine Lieben, zwar ein Pharisäer, aber er
zeichnete sich von den Gliedern seiner Sekte in vielen Stücken vorteilhaft aus.
Obgleich nämlich Christus die Pharisäer hart angriff, so zeigte sich doch
Nikodemus gerecht, hasste darum Christus nicht, verwarf ich nicht ungeprüft,
sondern suchte ihn, obgleich er hohen Standes und gelehrt, hingegen Christus
niedrig und verachtet war, vielmehr in der Nacht auf, sich mit ihm über die
Religion zu unterreden und gestand es ihm zu: „Meister, wir wissen, dass du
bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du
tust, es sei denn Gott mit ihm.“ Er war also offenbar ein ehrlicher,
ehrbarer, unsträflicher Mann.
Dich stand er hierbei in der Meinung, dass
Christus eben nur ein Gesetzeslehrer sei, dass er auch nur einen solchen Mann bedürfe
und durch eine strenge Beobachtung des alttestamentlichen Gesetzes Gott
wohlgefällig werden könne und müsse. Er gehörte daher auch ohne Zweifel zu
denen, von welchen es Luk. 7 heißt: „Die Pharisäer und Schriftgelehrten
verachteten Gottes Rat gegen sich selbst und ließen sich nicht von Johannes
taufen“; denn dieser taufte zur Buße und Vergebung der Sünden.
Was ist nun das erste Wort, womit Christus
seinen erwidert? Er spricht zu ihm: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, wenn
jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“
Fürwahr, eine harte Rede! Hiermit spricht Christus dem Nikodemus nicht nur alle
Seligkeit in seinem jetzigen Zustand rund ab, sondern er versichert ihn auch,
dass es hier mit Werken des Gesetzes nicht getan sei; diese hülfen hier gar
nichts; es müsse eine Veränderung nicht nur mit seinem Leben, sondern mit seiner
ganzen Person vor sich gehen, wer müsse mit einem Wort von neuem geboren
werden.
Das war eine Antwort, deren sich Nikodemus
von Christus gewiss nimmermehr versehen hatte. Es war ihm, wie es scheint, als
hätte er nicht recht gehört; er rief daher ganz befremdet aus: „Wie kann ein
Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er auch wiederum in seiner Mutter
Leib gehen und geboren werden?“ Da nun hiernach Nikodemus von keiner
anderen Geburt wusste als von der natürlichen, so erklärte sie ihm der Heiland
nun genauer und sprach: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht
geboren werde aus dem Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes
kommen.“ Von der Wassertaufe sagt also der Heiland, dass sie das Wunder der
Wiedergeburt wirke; das heißt nichts anderes, als dass dadurch der Mensch aus
einem natürlichen ein geistlicher Mensch werde, aus einem Kind des Zorns ein
Kind der Gnade, aus einem Kind der Finsternis, der Sünde, des Todes, der Hölle,
der Verdammnis und des Satans ein Kind des Lichts, der Gerechtigkeit, des
Lebens, des Himmels, der Seligkeit und Gottes; dass sie die Tür sei in das
Reich Gottes und aus dem irdischen ins himmlische ewige Leben versetze und
wiedergebäre.
„Wie mag das zugehen?“ so rief
hierbei Nikodemus verwundert aus, und das ist der Ausruf, der noch jetzt von
Tausenden und Abertausenden getan wird, wen sie diese Lehre hören. „Wie kann
Waser solche großen Dinge tun?“ ruft alles wie mit Einer Stimme.
Hierauf kann nun nicht besser geantwortet
werden als mit Luther im vierten Hauptstück seines Kleinen Katechismus: „Wasser
tut’s freilich nicht, sondern das Wort Gottes, so mit und bei dem Wasser ist.“§
Hätte es Gott freilich nicht geboten und die teure Verheißung dazu gegeben, so
könnten wir tausendmal einen Menschen mit Wasser besprengen, indem wir den
Namen des dreieinigen Gottes nennen, so würde freilich alles unser Vornehmen
vergeblich sein; aber so gewiss Gottes Wort und Verheißung bei der Wassertaufe
ist, so gewiss bringt sie die große unaussprechliche Wirkung hervor, dass sie
Vergebung der Sünden wirkt, von Tod und Teufel erlöst und die ewige Seligkeit
allen gibt, die es glauben, wie die Worte und Verheißung Gottes lauten. Das
Wort Gottes, das mit dem Wasser verbunden ist, macht das Wasser so köstlich, so
göttlich kräftig, zu einer Seelenarznei, zu einem himmlischen Strom, der aus
dem Meer der göttlichen Gnade und Erbarmung fließt. Darum spricht Christus zu
Nikodemus noch ferner: „Lass dich’s nicht verwundern, dass ich dir gesagt
habe: Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du
hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt.
So ist ein jeglicher, der aus dem Geist geboren ist.“ Christus will sagen:
Wie man von dem mächtigsten Sturmwind nichts vernimmt als sein Sausen, so wird
auch in der heiligen Taufe nichts mit Sinnen wahrgenommen als das Wasser und Wort;
dieses ist das vernehmliche Sausen¸ aber das damit begleitete Wehen des Geistes
ist über unsere natürlichen Sinne.
Aber, spricht man, wie kann ich glauben,
dass das natürliche Waser die Seele abwasche? Diese Kraft hat ja nichts
Irdisches. Aber, meine Lieben, hier können wir nicht unsere Vernunft um Rat
fragen; diese freilich muss sich an Gottes Geheimnissen stoßen; Gottes Wort
allein kann hier entscheiden. Dieses aber sagt unter anderem deutlich: „Das
Waser macht uns selig in der Taufe, nicht das Abtun des Unflats am Fleisch,
sondern der Bund eines guten Gewissens mit Gott.“ Dieses Wasser der Taufe soll
also nicht unser Fleisch reinigen, sondern unsere Seele, und uns in den
Gnadenbund mit Gott versetzen. Daher sprach Ananias zu Saulus: „Stehe auf und
lass dich taufen und abwaschen deine Sünden.“ Wohl ist es wahr: Bloßes Wasser
könnte das nicht, aber eben darum sagt Christus in unserem Evangelium: „durch
Wasser und Geist“; durch das Wort wird nämlich der Heilige Geist mit
dem Wasser verbunden, wie er verbunden war mit den feurigen Zungen, die am
ersten christlichen Pfingsttag über den Häuptern der heiligen Apostel sichtbar
loderten; daher nennt es der selige Luther ein durchgottetes Wasser.
Finden wir das unglaublich, so lasst uns
nur auf die Wirkungen in der Natur sehen, so finden wir, dass es ja hier eine
ähnliche Bewandtnis habe. Warum stärkt und vermehrt das Brot unsere
Lebenskräft4e? Es geschieht allein darum, weil Gott durch sein Wort diesen
Segen ins Brot gelegt hat; denn ist die Stunde der Auflösung nach Gottes Rat
gekommen, dann hilft kein Brot mehr, dass der lebendige Kreislauf des Blutes
nicht stocke. Warum ist ferner der Schoß der Erde so fruchtbar, dass er
ungeheißen Brot und allerlei köstliche Früchte hervorbringt? Es geschieht
allein darum, weil Gott sprach: „Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut und
fruchtbare Bäume.“ Vergeblich würde die Sonne ihre jetzt belebenden Strahlen
auf die Erde herabsenden, wäre über unserem Erdball nicht erst die allein
befruchtende Sonne des göttlichen Segenswortes aufgegangen. Wie aber das Wort
Gottes: „Die Erde bringe hervor“ noch diesen Augenblick im Reich der Natur
unaufhörlich wirkt und belebt und schafft, so ist auch das Taufwasser noch jetzt
im Reich der Gnade ein lebendiges und kräftiges Wasser der Wiedergeburt und
Erneuerung kraft jener Worte Christi: „Geht hin in alle Welt und macht zu
Jüngern alle Völker, indem ihr sie tauft im Namen des Vaters und des Sohnes und
des Heiligen Geistes. Wer da dauerhaft glaubt und getauft wird, der wird selig
werden. Wenn daher jetzt ein Diener der Kirche spricht: „Ich taufe dich im
Namen des dreieinigen Gottes“, so heißt das: Was ich jetzt tue, das tue ich nur
als ein Werkzeug; ich bin es eigentlich nicht, der dieses Gnadenwerk
verrichtet; Gott ist es, der es durch mich tut, und der dich hiermit aus Sünde,
Tod und Hölle reißt und in sein Gnadenreich versetzt.
Lasst euch darum, meine Lieben, nicht von
denen verführen, welche sagen: Dieses alles werde nicht durch die Taufe
gewirkt, sondern von diesem allen sei sie nur das Zeichen und Siegel. Sie
sprechen: Steht es nicht deutlich in der Heiligen Schrift, dass Gott dem
Abraham das Sakrament der Beschneidung zu einem Zeichen seines Bundes und zum
Siegel der Gerechtigkeit des Glaubens gegeben habe? Aber ich frage euch: Was
ist das für ein Schluss: In der Heilligen Schrift wird ein Sakrament ein
Bundeszeichen und -siegel genannt, also ist es bloß ein Zeichen und
Siegel? Kann es einen unvernünftigeren Schluss geben? Es wäre dies gleich, als
wenn ich diesen Schluss machen wollte. In der Heiligen Schrift wird der Mensch
Erde und Asche genannt, also ist er bloß Erde und Asche, also hat er keine Vernunft,
keine Seele und ist nicht unsterblich. Würdet ihr nicht eine solche
Beweisführung ganz lächerlich finden, deren Verkehrtheit auch ein Schulknabe
nachweisen könnte? Aber seht, so müssen die falschen Lehrer ihre Beweise stellen,
um ihre Irrtümer wenigstens scheinbar mit der Schrift zu begründen. Aber ist es
nicht auch ein Frevel zu sagen: Weil die Schrift die heiligen Sakramente
Zeichen und Siegel nennt, so gilt alles das nichts, wenn sie die heilige Taufe
ein Bad der Wiedergeburt, eine Abwaschung von Sünden, eine Taufe zur Seligkeit
nennt? Beklagenswerte Menschen! Mit Gottes Wort wollen sie gegen
Gottes Wort kämpfen! – Freilich ist es wahr, dass die Sakramente auch Zeichen
und Siegel sind, aber darum sind es nicht leere Hülsen ohne Kern, nicht leere
Zeremonien ohne Gnadengaben; Gott scherzt nicht mit uns durch Anstellung
äußerlicher nichts helfender Gebräuche. Gott tut Dinge, die kein Mensch tun
kann; Menschen aber, wenn sie eine Gesellschaft errichten, können sich auch wohl
Abzeichen geben, woran sie sich erkennen. Darum lasst euch nicht irre machen,
sondern bedenkt: Die Arche Noah war auch ein Zeichen der göttlichen Gnade, aber
nicht bloß, sondern sie verhalf zur Errettung von der allgemeinen Sintflut, und
eben diese war ein Vorbild der Taufe. So war auch der brennende Busch ein
Zeichen der Gegenwart Gottes, aber nicht bloß, sondern Gott war in der Wahrheit
in diesem Feuer gegenwärtig. So war ferner die Wolken- und Feuersäule ein
Zeichen der gnädigen Führung Gottes für Israel, aber nicht bloß; Gott war
darin. So war endlich die Taube ein Zeichen des Heiligen Geistes über Christus,
aber nicht bloß, sondern der Heilige Geist war wahrhaftig in der Taube
gegenwärtig.
„Lass dich’s nicht wundern“, spricht
Christus zu Nikodemus und so auch zu einem jeden unter uns. Wohl scheint die
Taufe viel zu gering zu sein zu so großen Werken, die sie ausrichten soll; aber
wir dürfen nicht darauf sehen, was wir tun sollen, sondern wer
es uns zu tun befohlen und so herrliche Verheißungen daran geknüpft hat. Dass
wir selig werden, davon will Gott allein die Ehre und den Ruhm haben, darum hat
er uns eben Mittel dazu vorgeschrieben, bei deren Gebrauch wir uns keines
Dinges rühmen können. Hätte uns Gott große schwere Werke geboten, so würden wir
viel leichter an ihre Wirkung glauben; da er aber sagt: „Lass dich mit Wasser
waschen in meinem Namen, so sollst du selig werden“, das ist uns zu demütigend,
da rufen wir selbstgerecht aus: „Also das soll alles sein, was Gott verlangt?
Das sollte so große Dinge tun?“ – Beharren wir nun auf dieser stolzen
Verachtung, so gehen wir unausbleiblich verloren.
Ein vortreffliches hierher gehörendes
Beispiel finden wir im fünften Kapitel des zweiten Buchs der Könige. Da wird
uns erzählt, dass Naeman, der syrische Feldhauptmann, zu Elisa, dem Propheten,
kam, um sich von seinem für Menschen unheilbaren Aussatz heilen zu lassen.
Elisa gebot ihm, sich siebenmal im Jordan unterzutauchen. Als Naeman dies
hörte, wurde er zornig und sprach: „Sind nicht die Wasser Amana und Pharphar zu
Damaskus besser als alle Wasser in Israel, dass ich mich darinnen wüsche und
rein würde?“ und er wollte nun in der Meinung, dass er einen nutzlosen Rat
empfangen habe, wieder heimkehren. Da sprachen aber seine Knechte zu ihm: „Wenn
wir der Prophet etwas Großes hätte geheißen, solltest du es nicht tun? Wieviel
mehr, so er zu dir sagt: Wasche dich, so wirst du rein.“ Da tat es Naeman, und
siehe! augenblicklich wurde er gesund und rief, zum Glauben erweckt, aus: „Es
ist kein Gott in allen Landen, außer in Israel!“ Seht, Naeman dachte erst:
Wasser ist Wasser; ja, er meinte, sollte es aufs Wasser ankommen, so
würden die syrischen Wasser wohl heilkräftiger sein als die in Israel; aber
endlich erfuhr er, was für ein Unterschied sei zwischen einem Waser, mit
welchem das Wort des HERRN verbunden war, und dem das seine Verheißung nicht
hat. So verhält es sich auch mit der Wassertaufe. Spricht man: „Wie kann Wasser
so große Dinge tun?“ so ist die Antwort: „Ohne Gottes Wort ist das Wasser
schlicht Wasser und keine Taufe; aber mit dem Wort Gottes ist es eine Taufe,
das ist, ein gnadenreiches Wasser des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im
Heiligen Geist“; das ist sie allezeit.
2.
Lasst uns nun zweitens mit Wenigem hören,
wodurch sie auch uns ein solches werde.
Davon redet Christus am Ende des
Evangeliums, wenn er hinzusetzt: „Niemand fährt zum Himmel, als der vom
Himmel herniedergekommen ist, nämlich des Menschen Sohn, der im Himmel ist.“
Hiermit sagt der HERR nun zuerst, woher die heilige Taufe, diese Himmelsleiter,
ihre selige Kraft habe, nämlich nicht vom Menschen, sondern von ihm; er
sei nämlich vom Himmel herabgekommen und habe uns durch sein Leben, Leiden und
Sterben allein den Himmel wieder erworben und aufgeschlossen, und von da aus
seien nun alle Schätze der Gnade ausgeflossen und in die heilige Taufe gelegt
worden; auf Golgatha sei also eigentlich dieser Heilsbrunnen gegraben worden.
Wenn nun Christus weiter fortfährt: „Und
wie Mose in der Wüste eine Schlange erhöht hat, so muss des Menschen Sohn
erhöht werden; auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden,
sondern das ewige Leben haben“, so erklärt er hiermit den Glauben
als das, wodurch die Taufe uns ein Bad der Wiedergeburt wird.
Es hat nämlich mit der heiligen Taufe
dieselbe Bewandtnis wie mit dem Wort Gottes. Deutlich sagt die Schrift, dass
das Wort ohne Glauben ein Geruch des Todes zum Tode werde; denn es heißt im
Brief an die Hebräer von vielen Israeliten: „Das Wort der Predigt half jenen
nichts, da nicht glaubten die, so es hörten“; und doch heißt es wieder: „Der
Glaube kommt erst aus der Predigt; das Predigen aber aus dem Wort
Gottes.“ So verhält es sich auch mit der Taufe: Sie ist ein kräftiges Mittel
der Wiedergeburt, und doch werden wir ohne den Glauben dieser Wohltat nicht
teilhaftig.
Dieses gibt euch, meine Lieben, Aufschluss
über den Einwurf, den man so oft macht: „Wenn die Taufe selig mache, so mache
ja der Glaube nicht allein selig.“ Dieses ist nichts anders, als wenn jemand
spräche: Wenn das Schwert den oder jenen Menschen getötet hat, so hat es ja
nicht der Krieger getan! – Das Schwert ist eben das Werkzeug, womit der Krieger
seine Taten tut; so ist es die Taufe mit ihren Schätzen, die eben der Glaube
ergreift und warum er selig macht; denn der Glaube muss Verheißungen Gottes haben,
darauf er sich gründet.
Zugleich wird aber auch hiermit ein anderer
Vorwurf zurückgewiesen, den man denjenigen so häufig macht, die die heilige
Taufe nach Christi und der heiligen Apostel klaren Aussprüchen für das Mittel
der Wiedergeburt erklären. Man spricht nämlich: „Also behauptet ihr, dass jeder
Mensch wiedergeboren sei, der die Taufe empfing? Also sind alle Getauften
Gottes Kinder, mögen sie auch noch so gottlos leben? O, welch ein sanftes
Ruhekissen ist also die Taufe auch für den frechsten Sündenknecht!“
So verkehrt man die reine Lehre nur, um sie
verhasst zu machen; denn so hat die rechtgläubige Kirche nie gelehrt. Wohl ist
es wahr, dass ein jedes Kind wiedergeboren wird, wenn es getauft wird, denn
Kinder widerstreben noch nicht in mutwilliger Boshei5t, so kann denn auch Gott
in ihren Herzen in der Taufe den Glauben und die Wiedergeburt ohne Zweifel
wirken. Aber andres ist es bei Erwachsenen; widerstreben diese und lassen sie
sich nicht zum Glauben bringen, so werden sie durch die Taufe nicht wiedergeboren.
Aber so gewiss das Wort Gottes der kräftige Samen der Wiedergeburt
bleibt, obgleich viele Zuhörer nicht wiedergeboren werden, so auch die Taufe,
wenn sie auch ein Schalk in seinem Unglauben und in seiner Bosheit vergeblich
nimmt.
Woher kommt es denn nun aber, dass man an
den Kindern so wenig spürt, dass sie durch die Taufe wiedergeboren seien? Es
kommt daher, weil die Wiedergeburt auch verloren werden kann. Wie mancher
bekehrt sich, wenn er erwachen ist, und fällt doch wieder ab! So werden noch
viel mehr durch die Taufe als Kinder in das Reich Gottes versetzt, die gar bald
wieder, was sie empfingen, verlieren. Wie ist es auch anders möglich, da die
meisten Kinder nicht erfahren, was die heilige Taufe ihnen für herrliche Güter
mitgeteilt hat? Was hilft es den Kindern, wenn sie wohl zur Taufe von ihren
Eltern gebracht werden, wenn diese ihnen Gottes Wort nicht frühzeitig
einflößen, ihren Glauben zu erhalten und zu stärken? Denn wo der Glaube an die
Güter der Taufe erlischt, da sind diese Güter wieder aus den Händen gegeben.
Denn Christus spricht: „Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen, wie eine
Rebe, und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie muss
brennen.“
Doch, meine Lieben, die Taufe selbst ist
darum nicht verloren. Von Gottes Seiten bleibt dieser Gnadenbund fest stehen;
„glauben wir nicht, so bleibt er treu; er kann sich selbst nicht verleugnen.“
Wenn daher der Mensch wieder aus seinem verlorenen Zustand erwacht, wenn er
durch Gottes Wort zur Erkenntnis seines Elends kommt und er streckt die Hand
seines Glaubens wieder nach den Gütern aus, die er in der Taufe empfing, so ist
ihm die Taufe auch wieder aufs Neue das kräftige Mittel der Wiedergeburt seiner
Seele. Die Buße ist nicht, wie die Römischen sagen, das rettende Brett nasch
dem Scheitern des Taufschiffes. Nein, sie ist vielmehr die Leiter, auf welcher
der Mensch das nie zerbrechende Taufschiff wieder ersteigt.
O, dass sich daher doch unter uns ein jeder
zum Glauben an die Verheißungen bringen lassen wollte, die auch ihm bei s einer
Taufe einst von Gott gegeben worden sind! O ihr, die ihr nicht glaubt und doch
getauft seid, welchen Reichtum der Gnade und Seligkeit hat euch Gott schon
gegeben, und ihr achtet und ihr mögt ihn nicht! Ihr gehört in Gottes Reich und
wollt doch mutwillig im Reich der Finsternis bleiben! Die Taube des Heiligen
Geistes hat euch wie ein Ölblatt des Friedens in die Arche der christlichen
Kirche getragen, aber ihr wollt lieber verdorren und verwelken. O, öffnet doch
eure Augen und kehrt zu eurer Taufe zurück, so ist Gott euer Gott und Vater
wieder, eure Sünden sind wieder in das Meer der Gnade versenkt, und einst wird
euch eure Taufe eine Tür des Himmels sein.
Ihr aber, die ihr wohl glaubt, doch in
Schwachheit, wisst: Ihr habt in eurer Taufe das herrlichste Mittel zu eurer
Stärkung. Bedenkt: Wen euch alles streitig und ungewiss werden will, so steht
doch eure Taufe fest; sie ist einmal geschehen, und Gott nimmt nun sein Wort
nicht zurück. Gott hat sich da, so zu sagen, zu eurem Gefangenen gemacht. Lasst
ihn nur nicht fahren; lasst von diesem Gnadenbund nur eure Glaubenshand nicht
los; er kann euch nicht lassen.
Was er teuer euch
versprochen,
Wird von ihm
niemals gebrochen,
Sein Bund stehet
ewig fest.
Lasset euch nur
euren Glauben
Nicht von Fleisch
und Satan rauben,
Gottes Hand euch
nimmer lässt.
Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserm teuren Heiland,
herzlich geliebte Zuhörer!
Ein jeder Mensch hast hohe Ursache,
täglich, ja stündlich an seinen Tod zu denken, denn jedem Menschen ist in
dieser Welt nichts gewisser als sein Tod, nichts ungewisser als die Zeit
seines Todes und nichts wichtiger als die Folgen seines Todes.
Dass wir alle einmal sterben werden,
ist gewiss. Mögen vielleicht die meisten unserer Hoffnungen für dieses Leben
leere Hoffnungen sein, die sich nicht erfüllen; mögen vielleicht auch die
meisten unserer Befürchtungen für die Zukunft leere Befürchtungen sein, die
nicht eintreffen: Dass wir sterben werden, ist außer Zweifel. In allem,
was euch sonst etwa ein Mensch vorausverkündigen will, kann er an euch zu einem
falschen Propheten werden, aber das kann ich ohne alle Gefahr, mich zu irren,
das kann ich ohne alle Besorgnis, an euch zum Lügner zu werden, weissagen: Es
kommen Zeit und Stunde, da wird keiner von uns allen mehr auf Erden wandeln, da
werden endlich auch wir alle ausgezogen sein aus dem Haus dieser Welt und
andere werden unsere Plätze hier einnehmen. Von allen den unzähligen Millionen
Menschen, die seit beinahe 6000 Jahren in dieser Welt geboren worden sind, ist
immer ein Geschlecht nach dem anderen nach kurzem Aufenthalt auf Erden wieder
von diesem Schauplatz abgetreten; kein Mensch ist übrig geblieben; keinen hat
der Tod vergessen. Unter denen, die da leben sollen, ist endlich die Reihe an
uns gekommen, und wie lange wird’s währen? So wird es auch von uns heißen: Sie
sind gestorben.
So gewiss aber uns allen der Tod ist, so
ungewiss ist hingegen die Zeit unseres Todes. Kein Mensch weiß, ob er
auch nur den morgigen Tag erleben werde, ja, die nächste Stunde ist nicht
unser. Ob wir nicht noch heute oder dieses Jahr, sondern erst nach einer
längeren Reihe von Jahren sterben werden, dafür kann kein Mensch uns Bürge
sein. Bist du bereits betagt, hat die Zeit deiner Wallfahrt vielleicht schon
ein halbes Jahrhundert überschritten, so stehst du offenbar bereits mit einem
Fuß im Grab, und nichts ist wahrscheinlicher als deines Todes Nähe. Bist du
aber noch jung, so blicke um dich, und du wirst wahrnehmen, wie der Tod gar oft
schon das blühende Kind aus der Wiege, den Säugling aus der Mutter Schoß nimmt,
ja, dass des Todes Sichel immer mehr junge Blumen als fruchttragende
Bäume abmäht. Stehst du in dem Alter und in der Kraft des Jünglings oder der
Jungfrau? Du darfst darum vor dem Tod dich nicht sicher dünken; schon manchem
Blütenbaum ist die Axt des Todes an seine Wurzel gelegt worden; selbst der
Brautkranz scheucht den Tod nicht zurück; selbst mitten aus dem Gedränge
lachender Gesellschaften holt er sich oft plötzlich und unerwartet seine Beute.
Der Tod fragt auch nicht danach, ob dein Leben auch noch so notwendig und
unentbehrlich zu sein scheinen mag für deine Familie oder für das allgemeine
Wohl in Kirche und Staat; ob auch Tausende für dien Leben bitten; ob auch eine
arme Frau mit einer Schar verlassener Waisen an deinem Siechbett klagt und
weint; ist diene Stunde gekommen, so hilft kein Widerstreben, der Tod nimmt
dich unerbittlich mit sich hinweg aus dem Land der Lebendigen. Sei noch so
reich, dein Geld kann den Tod nicht bestechen; magst du immerhin alle Mittel in
deinen Händen haben, die sonst Krankheiten heben und die Lebenskräfte stärken,
gegen den Tod kein Kraut gewachsen ist.
So gewiss nun der Tod und so ungewiss die
Zeit des Todes uns ist, so wichtig sind seine Folgen. Der Tod ist entweder die
Pforte des Himmels oder eine Pforte der Hölle, entweder der Eingang zu einer
ewigen Seligkeit oder der Eingang zu einer ewigen Verdammnis; denn die Schrift
sagt: „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach das Gericht“;
„wie der Baum fällt, so bleibt er liegen“; das ist, wie der Tod uns findet, sei
es nun in einem seligen oder in einem unseligen Zustand, in Gottes Gnaden oder
in Gottes Ungnaden, in der Sünde oder in der Gerechtigkeit, in dem Frieden
Christi oder in der Friedlosigkeit der Welt, so bleiben wir immer und ewig.
Wie? Haben wir also nicht hohe Ursache,
täglich, ja, stündlich an unseren Tod zu denken? Was kann törichter sein, da
uns allen der Tod so gewiss, die Zeit des Todes so ungewiss und seine Folgen so
unendlich wichtig sind, als wenn wir nun sicher und sorglos dahinleben und
nicht daran denken wollen, dass wir vielleicht in der nächsten Stunde,
getroffen von einem unsichtbaren Pfeil des Todes, niedersinken können? Was kann
aber schrecklicher sein, als vom Tod überrascht zu werden, ohne sich auf ihn
bereitet, ja, ohne an ihn gedacht zu haben? Ach, meine Lieben, lernt dem Tod in
sein hohles Auge schauen, ehe er euch ins brechende Auge schaut. Lasst es uns
jetzt erwägen, wie wichtig das Gedenken an den Tod sei.
Lukas 16,19-31: Es war aber ein reicher Mann, der kleidete sich mit
Purpur und köstlicher Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es
war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären
und begehrte, sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tisch
fielen. Doch kamen die Hunde und leckten ihm seine Schwären. Es begab sich
aber, dass der Arme starb und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß.
Der Reiche aber starb auch und ward begraben. Als er nun in der Hölle und in
der Qual war, hob er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarus in
seinem Schoß, rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich mein und sende
Lazarus, dass er das Äußerste seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine
Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme! Abraham aber sprach: Gedenke,
Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen
hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeinigt. Und
über das alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, dass, die
da wollten von hinnen hinabfahren zu euch, könnten nicht und auch nicht von
dannen zu uns herüberfahren. Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du
ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, dass er
ihnen bezeuge, auf dass sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual. Abraham
sprach zu ihm: Sie haben Mose und die Propheten; lass sie dieselben hören! Er
aber sprach: Nein, Vater Abraham; sondern wenn einer von den Toten zu ihnen
ginge, so würden sie Buße tun. Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die
Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, ob jemand von den Toten
aufstünde.
Christus beschreibt uns, meine Lieben, in
dem verlesenen Evangelium erstlich einen Menschen, den die Welt in seinem Leben
für weise und glücklich, und sodann einen Menschen, den sie für töricht und
unglücklich hält; hierauf nimmt er aber die Decke von der Ewigkeit hinweg und
zeigt uns, welches das ewige Los beider nach ihrem Tod sei. Wir sehen hieraus:
Diejenigen, welche die Welt weise und glücklich nennt, sind die Toren und
Unglücklichen, und die sie für Toren und Unglückliche achtet, das sind die wahrhaft
Weisen und Glücklichen, und der Tod ist es, der dieses offenbar macht. Lasst
mich euch daher jetzt zeigen:
Dass
der Tod das Urteil der Welt über Weisheit und Torheit sowie Glück und Unglück
widerlegt
1.
Er widerlegt das Urteil der Welt
darüber, wer weise und glücklich sei, und
2.
Er widerlegt das Urteil der Welt
darüber, wer töricht und unglücklich sei.
1.
Wen achtet die Welt für einen weisen und
klugen Menschen? Wer das Leben so viel wie möglich zu genießen trachtet, wer es
versteht, reich zu werden und sich Ansehen unter den Menschen zu erwerben, wer
mit allen Menschen in Friede und Freundschaft zu leben weiß, und wer sich
endlich aller Sorgen wegen der Zukunft und besonders wegen der Ewigkeit
entschlägt, den achtet die Welt für einen weisen und klugen Menschen. Wen
achtet sie daher auch für glücklich? Wer die Freuden und Herrlichkeiten der
Welt genießen kann, wer reich ist, wer gesund ist, wer in hohen Ehren steht,
wer viel Freunde hat, wer sich schön kleiden und köstlich leben kann, wer einen
prachtvollen Palast bewohnt, nicht zu arbeiten braucht und von einer Schar
Diener umgeben ist, die auf seine Winke warten, der gilt für glücklich in den
Augen der Welt.
Ein solcher Mann war der reiche Mann, von
dem Christus in unserem Evangelium erzählt: „Er kleidete sich mit Purpur und
köstlicher Leinwand und lebte alle Tage herrlich und in Freuden.“ Es ist
kein Zweifel: Als er noch lebte, wird alle Welt ihn als einen weisen und klugen
Mann, der zu leben verstehe, und als einen Glücklichen, der ein Günstling des
Himmels sei, hoch gerühmt und gepriesen haben; viele Tausende werden gewünscht
haben, mit ihm tauschen zu können und an seiner Stelle zu stehen.
Und gewiss, meine Lieben, gäbe es keinen
Tod und nach dem Tod kein Gericht, vor welchem alle Menschen erscheinen müssen,
auf dass ein jeglicher empfange, nachdem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es
sei gut oder böse, wer möchte dann dem Urteil der Welt widersprechen? Dann
könnte freilich niemand die Kinder der Welt tadeln, wenn sie, wie es im Buch
der Weisheit heißt, sprechen: „Wohl her nun, und lasst uns wohl leben, weil es
da ist und unseres Leibes gebrauchen, weil er jung ist. Wir wollen uns mit dem
besten Wein und Salben füllen; lasst uns die Maienblumen nicht versäumen; lasst
uns Kränze tragen von jungen Rosen, ehe sie welk werden. Unser keiner lasse es
sich fehlen mit Prangen, dass man allenthalben spüren möge, wo wir fröhlich
gewesen sind. Wir haben doch nicht mehr davon als das.“
Aber dem ist nicht so; der Mensch muss
sterben, und dann muss er vor Gottes Richterstuhl und Rechenschaft abgeben, wie
er das ihm zur Vorbereitung auf die Ewigkeit geschenkte Leben angewendet habe;
er muss Rechenschaft gegen von den Gedanken, die er gehabt, von den Worten, die
er geredet, von den Werken, die er getan hat; besteht er nun in diesem Gericht
nicht, so ist sein ewiges Schicksal schrecklicher als dass es ausgesprochen
werden könnte; so wäre es besser, er wäre nie geboren; so erweist sich seine
scheinbare Weisheit als Torheit und Narrheit, sein scheinbares Glück als das
größte Unglück und Verderben.
Ein Beispiel hiervon haben wir an dem
reichen Mann in unserem Evangelium. Vom ihm heißt es: „Der Reiche aber starb auch und ward
begraben. Als er nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf
und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß, rief und sprach: Vater
Abraham, erbarme dich mein und sende Lazarus, dass er das Äußerste seines
Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser
Flamme! Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast
in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber wird er
getröstet, und du wirst gepeinigt. Und über das alles ist zwischen uns und euch
eine große Kluft befestigt, dass, die da wollten von hinnen hinabfahren zu
euch, könnten nicht und auch nicht von dannen zu uns herüberfahren.“
Hiernach sagt
nun selbst, meine Zuhörer: Wie müssen wir von der Klugheit und dem Glück des
reichen Mannes urteilen, wenn wir hier sehen, wohin ihn diese seine Klugheit
und dieses sein vermeintliches Glück endlich gebracht haben? Sagt, was war nun
diese Weisheit, die ihn endlich in das ewige Verderben führte? Was war nun der
Reichtum, den er nicht nur verlor, sondern der ihn auch in ewige Armut stürzte?
Was war nun die Herrlichkeit seines Purpurs und seiner köstlichen Leinwand, die
ihm endlich ausgezogen wurden und anderen Statt er nun die Flammen der Hölle
als sein ewiges Gewand tragen muss? Was war nun die kurze Freude, das kurze
Lachen und Scherzen und das kurze tägliche Wohlleben, das er auf Erden genossen
hatte, auf das nun ein ewiger Schmerz, ein ewiges Wehklagen und Heulen, ewiger
Jammer und Herzeleid folgte? Was war nun das Schwelgen in den köstlichsten
Speisen und Getränken, welchem er sich in seinem Leben ergeben hatte, auf
welches nun ein ewiges Hungern und Dürsten, ein ewiges ungestilltes Lechzen und
Schmachten in unaussprechlicher Hitze folge? Was waren nun die lustigen
Gesellschaften, in welchen er hier täglich hatte leben können, auf welche nun
eine ewige Trennung von allen Fröhlichen und eine ewige Gemeinschaft mit allen
Verdammten folgte? Was war nun alles das Gute, das er auf Erden genossen hatte,
auf welches er nun die Stimme hören musste: „Du hast dein Gutes empfangen in
deinem Leben“; der Freudenbecher, den Gott dir eingeschenkt hat, ist nun
ausgetrunken bis auf den letzten Tropfen; andere haben die Hölle auf Erden
gehabt, die werden nun getröstet, du hast deinen Himmel auf Erden gehabt: „Du
wirst nun gepeinigt“? Meint ihr, der reiche Mann werde jetzt noch sein
irdisches Leben in seinem Herzen glücklich gepriesen haben? Ach, wahrlich
nicht! In seinem herzen wird es vielmehr geheißen haben: Ich Elender, ich
meinte, ich sei weise, aber ach, jetzt sehe ich, ich war ein Narr, ich haben
den rechten Weg verfehlt und das Licht ist mir nie aufgegangen; ich achtete
mich für glücklich, aber ach, jetzt sehe ich, ich war unglücklich; mein Purpur
war nur der blendende Glanz meines Elendes; mein Geld und Gut waren nur
Stricke, die mich ins Verderben zogen; meine irdischen Freuden waren nur ein
süßes Gift, das meine Seele tötete; die Ehre vor Menschen, die ich hatte, war
nur eine Schlinge des Todes, mein ganzes Leben nur ein breiter Weg zur Hölle.
Ach, alle Tage meines Lebens waren finstere Tage, Tage des Fluches, Geburtstage
einer ewigen Not. O, dass ich nie geboren worden wäre! Mein Teil ist nun Ach und
Weh von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Seht da das
unwiderlegliche Urteil des Todes über diejenigen, die die Welt Weise und
Glückliche nennt.
Wer das Leben
zu genießen trachtet und um die Ewigkeit unbesorgt ist, den erklärt die Welt
für weise; der Tod aber zeigt: Wer das Leben zu genießen trachtet und für die
Ewigkeit nicht sorgt, der schleudert sein Leben, die kostbare Gnadenzeit, und
tritt es mit Füßen, der ist müßig in der Saatzeit und wird am Tag der Ernte das
ewige Verderben ernten. Wer der Augenlust, Fleischeslust und dem hoffärtigen
Wesen dient, den erklärt die Welt für glücklich; der Tod aber zeigt: Des
Menschen Leben ist ein Traum; so wenig nun der reich ist, dem es nur von
Reichtum träumt, denn mit dem Traum ist alles verschwunden, so wenig ist der
reich, der nur in diesem Leben reich ist, denn im Tod erwacht der Mensch aus
seinem Traum und sein Reichtum verwandelt sich in Armut. Der Tod zeigt: Die
Erde ist nur eine Bühne, nur ein Schauspielhaus, in welchem alle Menschen nicht
in ihrer rechten Gestalt, sondern verkleidet gehen; so wenig nun der in
Wahrheit ein König ist, der im Schauspiel nur wie ein König gekleidet ist und
nur die Rolle eines Königs spielt, so wenig ist alle irdische Hoheit eine wahre
Hoheit; im Tod hat jeder seine Rolle ausgespielt; nach dem Tod ist die einzige
Frage: Warst du ein wahrer Christ? Der Tod zeigt: Des Menschen Leben ist ein
gang zum Thron des göttlichen Richters; so wenig nun der glücklich ist, der zum
Richtplatz geführt wird, wenn man ihm auch auf diesem seinem letzten Weg
allerlei Leckerbissen reicht, die er sich wünscht, so wenig ist der Mensch
glücklich, der mit dem reichen Mann alle Tage herrlich und in Freuden leben
kann; es sind nur Leckerbissen vor der Hinrichtung.
O ihr, die ihr
nun noch nach dem trachtet, was die welt5 Glück nennt, öffnet doch die Augen
und erkennt, dass ihr bisher nicht nach Glück, sondern nach Unglück getrachtet
habt, ohne es selbst zu wissen und zu wollen. Oder sind etwa nicht viele unter
uns, die sich das Los des reichen Mennes in seinem Leben wünschen? Sind nicht
viele unter uns, die nach Reichtum trachten und meinen, wenn sie reich sein
würden, so würden sie glücklich sein? Sind nicht viele unter uns, die sich,
wenn auch nicht in Purpur und köstliche Leinwand, doch schön und kostbar nach
der Welt Weise kleiden zu können wünschen? Ja, tun es nicht viele schon, die
sich über Stand und Vermögen schmücken und darin ihr Glück suchen? Sind nicht
viele unter uns, die da meinen, es gebe kein glücklicheres Leben, als alle Tage
herrlich und in Freuden leben, an den Vergnügungen der Welt teilnehmen und ihre
Lust genießen zu können? Sind nicht viele unter uns, die, wenn sie nicht
hörten, dass der reiche Mann in unserem Evangelium unselig gestorben und nach
seinem Tod in den Flammen der Hölle erwacht sei, mit tausend Freuden das ihnen
von Gott gescherte Schicksal mit dem Schicksal des reichen Mannes, ihr weniges
Erspartes mit seinem vielen Gold und Schätzen, ihre Hütte mit seinem Palast,
ihre geringen Kleider mit seinem Purpur, ihre einfachen Mahlzeiten mit seinen
glänzenden Gastmählern vertauschen würden? Ach, ihr Lieben, stimmt doch nicht
ein in das Urteil der Welt über Glück und Weisheit, beurteilt das Leben des
Menschen nach seinem Tod; dieser widerlegt der Welt Urteil und zeigt, dass
wahrlich der Welt Reichtum Armut, der Welt Ehre Schande, der Welt Freude Elend,
der Wel5t Weisheit Torheit, der Welt Glück Unglück ist.
Doch, meine
Lieben, der Tod widerlegt auch der Welt Urteil darüber, wer töricht und
unglücklich ssei, und davon lasst mich nun zweitens zu euch sprechen.
2.
Wen achtet die
Welt für einen Toren? Wer die Freude und Lust dieser Welt verleugnet, nicht
nach guten Tagen, nicht nach Reichtum, nicht nach Ehre vor Menschen, sondern am
ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit trachtet, sich nicht
um die Freundschaft der Welt bewirbt, sondern lieber alle Menschen als Gott zu
seinem Feind haben will, um seines Glaubens und der Wahrheit willen sich gern
verspotten und verfolgen lassen und lieber alles, ja, den Tod leiden, als in
die geringste Sünde willigen will, den achtet die Welt für einen einfältigen
Menschjen, für einen Toren und Narren. Wen achtet sie daher auch für
unglücklich? Wer arm, krank, verachtet, verlassen und verstoßen ist, der gilt
für unglücklich in den Augen der Welt.
Ein solcher
Mensch war Lazarus, von welchem Christus in unserem Evangelium erzählt: „Es
war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voller Schwären
und begehrte, sich zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tisch
fielen. Doch kamen die Hunde und leckten ihm seine Schwären.“ Es ist kein
Zweifel: Als er noch lebte, wird ihn alle Welt als einen einfältigen, törichten
Mann, der sich nicht in die Welt zu schicken wisse, und als einen Elenden,
Unglücklichen, nach dem Gott nicht frage, verachtet und gescholten haben; viele
Tausende werden sich gegen ihn glücklich geschätzt und sich im Vergleich mit
ihm in ihrem Herzen gesegnet haben; kein Mensch wird mit ihm haben tauschen
wollen.
Und gewiss,
meine Lieben, gäbe es keinen Tod und nach dem Tod kein ewiges Leben, keine
Seligkeit aus Gnaden, keine Friedenswohnung für die müden Pilger, keine Krone
des Lebens für die treuen Glaubenskämpfer, keine Verherrlichung derer, die um
Gottes und seines Wortes willen von der Welt geschmäht und geschändet wurden,
so wäre das Urteil der Welt freilich ein wahres, das sie über die leidenden
Kinder Gottes fällt, so wären diese allerdings die Elendesten unter allen
Menschen.
Aber dem ist
nicht so. Wie der Welt Lust und Herrlichkeit vergeht, so vergeht auch der Welt
Leiden, Trübsal, Krankheit, Schmerz und Not, ja, dies alles führt im Tod zu
Freude und Herrlichkeit, [wenn wir die Trübsal zuvor aus der Hand Gottes
genommen und aus seiner Kraft getragen haben; sonst wird das Elend dieser Welt
uns nur in ein noch größeres in der Hölle führen.][22]
Denn die Schrift sagt [für die Christen]: „Dieser Zeit Leiden ist sind nicht
wert der Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden. Selig seid ihr, die
ihr hier weint, ihr werdet dort lachen. Die mit Tränen säen, werden mit Freuden
ernten. Wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden. Die Letzten werden
die Ersten sein. Das ist je gewisslich wahr: Sterben wir mit, so werden wir mit
leben; dulden wir, so werden wir mit herrschen, leiden wir mit, so werden wir
auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.“
Ein redendes
Beispiel hierzu finden wir an Lazarus; denn von ihm heißt es: „Es begab sich
aber, dass der Arme starb und ward getragen von den Engeln in Abrahams Schoß.“
Hiernach sagt
nun selbst, meine Zuhörer: Wie müssen wir von der vermeintlichen Torheit und
dem vermeintlichen Unglück des Lazarus urteilen, wenn wir hier sehen, wohin ihn
diese seine Torheit und sein Unglück vor der Welt endlich gebracht hat? Was war
nun seine irdische Armut, die ihn zu himmlischen Reichtümern führte? Was war
seine Obdachlosigkeit in dieser Welt, die ihn in die ewigen Hütten der
Gerechten einführte? Was war seine kurze Krankheit, die ihn zu ewiger Genesung
brachte? Was waren seine kurzen Schmerzen, die ihn zu ewiger Wonne und
Seligkeit leiteten? Was war sein Hungern und Dürsten in dieser Welt, das ihn
zum ewigen Hochzeitsfest in dem Saal des Himmels brachte? Was waren alle
Schmach, Verachtung und Schande, die er hier erfuhr, und die ihn endlich
einführte zu unaussprechlichen Ehren, zu himmlischer Herrlichkeit? Was war
seine kurze Einsamkeit und Verlassenheit von allen Menschen, die in seinem Tod
die Engel herbeirief, die ihn nun in die ewige Gemeinschaft aller Seligen und
Engel und des dreieinigen Gottes selbst einführten? Was waren alle Tränen, die
er hier geweint, was alle Seufzer, die er hier ausgestoßen, alles Leid, das er
hier erduldet, da er endlich die Stimme hörte: „Lazarus hat Böses empfangen,
der wird nun getröstet“? Er hat nun die letzte Träne geweint, den letzten
Seufzer ausgestoßen; er soll nun ewig mit Wollust getränkt werden wie mit einem
Strom, er soll nun trunken gemacht werden von den reichen Gütern des Hauses
Gottes; er soll nun Freude die Fülle und liebliches Wesen zur Rechten Gottes
genießen immer und ewig. Meint ihr, Lazarus werde jetzt sein irdisches Leben
als ein elendes und unglückliches beklagt haben? Ach, wahrlich nicht! In seinem
herzen wird es vielmehr geheißen haben: O Gott, das Los ist mir gefallen aufs
Liebliche, mir ist ein schönes Erbteil geworden. Was die Welt an mir Armut
nannte, das war ein Schatz aus Gottes Hand, der alle Schätze der Erde überwog;
was die Welt an mir Schande nannte, das war ein Ehrenkranz, den Gott selbst auf
mein Haupt gesetzt, der unendlich herrlicher strahlt als alle goldenen und
diamantenen Kronen der Könige und Kaiser; was die Welt meine Krankheit und mein
Elend nannte, das war die Quelle der Gesundheit und ewiger Herrlichkeit, die
Gott auf meinem Lebensweg mir fließen ließ. O goldener Weg des Kreuzes, den
Gott mich geführt hat! O selige Führung! O unaussprechliche Gnade! Ihm sei Ehre
und Preis und Dank und Lob und Anbetung von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Seht da das
unwiderlegliche Urteil des Todes über diejenigen, die die Welt Toren und
Unglückliche nennt.
Wer die Welt
verlässt und Christus nachfolgt und vor allem trachtet, seine Seele zu retten,
den achtet die Welt für einen Toren, aber der Tod widerlegt sie und zeigt, dass
es wahre Weisheit sei, das Vergängliche zu verlieren und das Unvergängliche zu
gewinnen. Wer den schmalen Weg des Kreuzes unter Weinen und Seufzen, unter
Wachen und Beten, unter Kämpfen und Streiten geht, den achtet die Welt für
unglücklich, aber der Tod wiederlegt sie und zeigt: Der Christen Tränen sind in
der Ewigkeit Perlen in ihrer Krone und ein Same, von dem sie dort am Tag der
Ernte Garben ewiger Freude in ihre Scheuern sammeln; ihr Kreuz ist ihnen hier
eine Himmelsleiter und dort ist es ein Thron ewiger Ehren; ihre bitteren
Seufzer sind ihnen hier ein Schlüssel zu dem herzen Gottes und dort werden sie
sich in süße Harmonien in dem ewigen Tempel ihres Erbarmers auflösen.
Ihr darum, die
ihr die Welt verlassen und das Eine, was not ist, erwählt habt, die ihr daher
von der Welt als unselige Toren bemitleidet und verachtet werdet, lasst euch
durch der Welt Urteil nicht irre machen. Blickt hin auf eure letzte Stunde in
dieser Welt, das ist die Stunde der Entscheidung; dann wird die Welt zittern
und zagen, ihr aber werdet getrost sein und frohlocken; dann wird die Welt
weinen und heulen, ihr aber werdet lachen und hüpfen; dann wird die Welt ihr
Leben, samt allem Reichtum, Ehre und Lust der Welt verfluchen, ihr aber werdet
euer Leben in Armut, Schmach und Trübsal segnen. Alle Herrlichkeit der Welt
wird dann zu Ende sein und anfangen ihr endloses Wehe, aber eure Not sich auf
ewig schließen. Drum:
Wärn wir doch schon droben,
Mein Heiland, wärn wir da,
Wo sich die Scharen loben
Und singen Halleluja!
Da feiern die Gerechten,
Die ungezählte Schar,
Mit allen deinen Knechten
Das große Jubeljahr.
Da werden unsere Tränen
Ein Meer voll Wonne sein,
Ach, still bald unser Sehnen
Und hole uns hinein!
Amen.
In Christus Jesus, herzlich geliebte
Zuhörer!
Von dem christlichen Leben oder von dem
Leben nach dem Evangelium macht man sich gemeiniglich die falschesten
Vorstellungen. Viele denken nämlich, das christliche Leben sei etwas sehr
Trauriges, wobei sich der Mensch auch das Unschuldigste versagen, auf alle
Freude in der Welt Verzicht leisten und in steter Furcht der Hölle, in Unruhe
und Gewissensmartern dahinleben müsse. Daher wird auch gewöhnlich derjenige,
der ganz nach dem Evangelium leben will, für einen elenden, unglücklichen
Menschenangesehen, und Unzählige, weil sie der Meinung sind, die Christen seien
solche sich selbst unglücklich machenden Menschen, wollen entweder nie Christen
werden oder schieben doch ihre Bekehrung von einem Tag zum anderen auf.
Es gibt jedoch nicht wenige, welche hiervon
wieder das gerade Gegenteil denken. Viele meinen, weil das Evangelium lehre,
dass der Mensch aus bloßer Gnade, durch den Glauben, nicht durch gute Werke,
nicht durch eigene Gerechtigkeit und Heiligkeit selig werde, so sei es daher
unnötig und töricht, es so gar streng und genau in seinem Leben zu nehmen.
Christus habe ja schon alles durch sein Leben, Leiden und Sterben erworben,
darum brauche ein Gläubiger sich weiter nicht besonders anzustrengen, eine
Sünde mehr oder weniger habe nicht so viel auf sich, und in guten Werken sich
zu üben stehe in des Christen Willkür.
Doch, meine Lieben, forschen wir in der
Heiligen Schrift, so finden wir, dass sowohl die erste wie die zweite Meinung
von dem Leben eines gläubigen Christen durchaus falsch und irrtümlich ist. Das
Leben eines gläubigen Christen ist weder ein Leben in knechtischer Furcht und
steter Ängstlichkeit, noch auch ein Leben in falscher fleischlicher Sicherheit.
In Gottes Wort wird uns das christliche leben dargestellt als ein Leben in
Friede und Freude im Heiligen Geist, als ein Wandel vor Gott in herzlicher, kindlicher
Zuversicht, als ein Leben voll Trost und Hoffnung; zugleich wird uns aber auch
gezeigt, wie der Weg schmal sei, den ein Christ gehen müsse, dass er in stetem
Kampf mit Fleisch, Welt und Satan liege, mit Furcht und Zittern schaffe, dass
er selig werde, der Heiligung nachjage, sich nicht selbst lebe, sondern Gott
und seinem Nächsten, und täglich Gott opfere das Opfer eines zerschlagenen und
bußfertigen Herzens. Beides setzt daher der Apostel sehr schön zusammen, wenn
er von den Christen sagt: „Als die Traurigen, aber allezeit fröhlich.“
Es ist hier, meine Lieben, ein Irrtum so
gefährlich wie der andere. Man verfehlt die Seligkeit, mag man nun von dem Weg
zum Himmel zur Rechten oder zur Linken abweichen. Es ist daher nötig, beides zu
wissen: des Christen Freiheit und seine Schranken, des Christen Herrlichkeit
und gewissen Sieg und seinen Kampf und Streit; des Christen Ruhe und Sicherheit
in Christus und die Gefahren, in welchen er hier noch steht; den Trost, der ihm
gegeben ist, wie die Warnung und Mahnung, die ihm vorgelegt sind. Beides finden
wir nun in dem Evangelium des heutigen Sonntags. Lasst uns daher beides jetzt
in der Furcht des HERRN betrachten.
Lukas 14,16-24: Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der
machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu. Und sandte seinen Knecht aus
zur Stunde des Abendmahls, zu sagen den Geladenen: Kommt, denn es ist alles
bereit! Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste
sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn
besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der andere sprach: Ich habe
fünf Joch Ochsen gekauft, und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte
dich, entschuldige mich. Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen,
darum kann ich nicht kommen. Und der Knecht kam und sagte das seinem Herrn
wieder. Da ward der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Gehe aus bald
auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen und Krüppel und Lahmen
und Blinden herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du
befohlen hast; es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht:
Gehe aus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen,
auf dass mein Haus voll werde. Ich sage euch aber, dass der Männer keiner; die
geladen sind; mein Abendmahl schmecken wird.
Das verlesene Evangelium ist, meine
Zuhörer, ebenso reich an Lehre und Trost wie an Warnung und Strafe. In dem
darin vorgelegten Gleichnis eines großen Abendmahls ist uns ebenso Gottes
unendliche Liebe gegen die Menschen, wie der Menschen Undankbarkeit gegen den
Reichtum der göttlichen Gnaden abgebildet. Lasst uns daher jetzt betrachten:
Das
Gleichnis Christi vom großen Abendmahl
Wie es uns
1.
Gottes Liebe und seinen ernstlichen
Willen zeigt, dass alle Menschen selig werden, und
2.
Die Ursache entdeckt, warum dennoch
so viele Menschen verloren gehen.
1.
Wovon, meine Lieben, das Gleichnis in
unserem Text handle, darüber kann kein Zweifel sein, nämlich von der Beschaffenheit
des Reiches, zu dessen Stiftung Christus in die Welt gekommen war. Und womit
vergleicht er es? Mit einem großen Abendmahl. Hieraus können wir sogleich
erkennen, dass Christus selbst will, wir sollen uns von seinem Reich und von
dem Zweck seines Kommens in die Welt nur die lieblichsten und herrlichsten
Vorstellungen machen. Sagt selbst: Könnte wohl Christus freundlicher und
lockender zu uns reden, als wenn er das, warum ihn der Vater vom Himmel gesandt
habe, mit den Worten ausdrückt: „Es war ein Mensch, der machte ein großes
Abendmahl und lud viele dazu“?
Sollte Christus wohl umsonst, ohne Absicht,
sein ganzes Werk auf Erden mit einem großen Abendmahl vergleichen? Nein,
Christus will uns damit sagen, wie wir’s eigentlich anzusehen haben. Christus
ist hiernach nicht in die Welt gekommen, dass er uns Gottes Zorn, wie Mose,
verkündige, sondern, wie ein Mensch, der Gäste zu einem Abendmahl einladet,
dies allein tut, um ihnen dadurch seine Liebe, sein Wohlgefallen zu erkennen zu
geben, so hat Gott durch die Sendung seines lieben Sohnes auch uns seine
unaussprechliche Liebe gegen die sündigen Menschen offenbaren wollen. Christus
ist nicht gekommen, uns, wie Mose, zu sagen, was Gott von uns fordere,
sondern, wie die Einladung zu einem Abendmahl uns nicht zum Arbeiten auffordert
und uns allein einen Genuss bereiten soll, so ist Christus nicht gekommen, uns
zu sagen, was wir mit unseren Werken bei Gott verdienen müssten, sondern was
Gott uns schenken und in Zeit und Ewigkeit uns genießen lassen wolle. Christus
ist nicht in die Welt gekommen, dass er die Welt richte und ihr den
verdienten Tod verkündige, sondern, wie ein köstliches Abendmahl allein darum
angestellt wird, dass man sich erquicke und das Leben stärke, so ist Christus
in die Welt gekommen, dass die Welt durch ihn selig werde, dass er alle von
Sünde und Tod erlöse und ihnen das ewige Leben erwerbe.
Das Evangelium ist eine ganz andere Lehre
als die Sittenlehre der Heiden und als das Gesetz. Die Sittenlehre der Heiden
zeigt uns, wie ein Mensch leben solle, damit er ein nützliches Glied der
Gesellschaft sei; das Gesetz Moses aber verlangt von allen Menschen eine
vollkommene Heiligkeit des Herzens und Lebens und offenbart daher allen
Menschen ihre Sünde und verkündigt ihnen Fluch, Tod und ewige Verdammnis. Das
Evangelium von Christus hingegen ist die selige Botschaft an die
Menschen: „Kommt, denn es ist alles bereit!“ Das Evangelium zeigt uns
also nicht, wie wir uns selbst helfen sollen, sondern wie sich Gott unser
erbarmt und uns geholfen habe; wie Gott aus freier Liebe und Gnade seinen
lieben Sohn hat Mensch werden und für unsere Sünden hat leiden und sterben
lassen, dass er uns von Sünde, Tod und Hölle erlöse, uns mit Gott versöhne und
uns die verlorene Seligkeit wieder bereite. Das Evangelium ist mit einem Wort
nichts anderes als die Einladung zu einem himmlischen großen Abendmahl,
bei welchem uns Gott, der himmlische Hausvater, mit dem Besten, was er hat,
speist und tränkt, nämlich mit seiner Gnade, mit Vergebung der Sünden, mit
seiner Kindschaft, mit ewiger Gerechtigkeit, ewigem Leben, ewiger Freude und
Seligkeit, ja, mit Christus, seinem lieben Sohn, selbst.
O, welche teure, süße Lehre ist also das
Evangelium! Forderte Gott auch nur etwas, womit wir unsere Seligkeit selbst
verdienen sollten, so würde niemand je recht gewiss werden können, ob er auch
das Wenige erfüllt habe oder nicht, ob er also werde selig werden oder verloren
gehen. Aber nein, das Evangelium redet nichts, gar nichts von unseren Werken,
sondern schließt sie vielmehr gänzlich aus und spricht nur: „Kommt, kommt,
es ist alles bereit!“ Wo ist nun ein Mensch unter der Sonne, der,
wenn er solche Lehre hört, nicht Zutrauen fassen könnte zu Gott, und der noch
im Zweifel sein könnte, ob auch er selig werden könne oder nicht? Denn sobald
ein Mensch fragt: Was muss ist tun? so antwortet das heutige Evangelium: Du
kannst und sollst selbst nichts tun; denn was zu tun war für deine Seligkeit,
das hat Jesus Christus schon getan. Willst du Gottes Gnade? Hier ist sie.
Willst du göttliche Gerechtigkeit? Hier ist sie bereitet. Willst du den Himmel?
Er steht dir offen. Komm nur und glaub es nur, nimm es nur an.
Ja, das Evangelium klagt alle diejenigen an, welche sich selbst abmühen,
abarbeiten, laufen und rennen wollen, sich selbst etwas zu erwerben und
spricht: Lass ab von deinem eigenen Tun; das ist nicht der Weg, das zu
erlangen, was dir durch des Sohnes Gottes Blut teuer erworben und erkauft
worden ist; es liegt nicht an jemandes Wollen oder Laufen. Dieses süße
Evangelium finden wir schon im Alten Bund, denn so heißt es Jes. 55,1-3: „Wohlan, alle, die ihr durstig seid,
kommt her zum Wasser; und die ihr nicht Geld habt, kommt her, kauft und esst;
kommt her und kauft ohne Geld und umsonst beides, Wein und Milch! Warum zählt
ihr Geld dar, da kein Brot ist, und eure Arbeit, da ihr nicht satt von werden
könnt? Hört mir doch zu und esst das Gute, so wird eure Seele in Wollust fett
werden. Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir; hört, so wird eure Seele
leben! Denn ich will mit euch einen ewigen Bund machen, nämlich die gewissen
Gnaden Davids.“
Doch Christus führt sein Gleichnis vom
großen Abendmahl in unserem Evangelium noch weiter aus. Er sagt nicht nur, dass
Gottes Gnade zur Seligkeit schon alles bereitet habe, sondern dass Gott auch
alle Menschen ohne Ausnahme dazu einlade, dass er sich keines Menschen schäme
und an seinen Tisch auch die Armen, die Krüppel, die Lahmen, die Blinden und
die auf den Landstraßen und an den Zäunen Liegenden rufen lasse, ja, dass Gott
zornig werde, wenn man nicht kommen wolle, und dass er seinen Knechten gebiete,
auch die Elenden zu nötigen, herein zu kommen, auf dass sein Haus voll werde.
Seht, das ist das Evangelium; es stellt uns
Gott so vor, dass er von großer, unaussprechlicher Liebe zu allen Sündern
brenne, dass sein ganzes Herz von Verlangen walle, dass ja kein Mensch außen
bleibe, auf dass auch die Elendesten und Größten unter den Sündern kommen und
das annehmen und genießen, was er ihnen bereitet hat.
Nun sagt selbst, meine Teuren, ist das
nicht eine selige Lehre? Ist das nicht eine Lehre, wie sie der arme, gefallene,
ohnmächtige Mensch bedarf, dass er nämlich die Hilfe Gottes nur annehmen dürfe?
Möchte man nun nicht sagen: O selig, ewig selig sind alle Menschen, welche
dieses Evangelium hören, denn warum sollte ein solcher Mensch nicht selig
werden, da ja nichts, gar nichts von ihm verlangt wird?
Und doch, ach! doch gehen viele Tausende
und Millionen Menschen, die diese Lehre gehört, oft gehört haben, ewig
verloren. Woher kommt das? Wie ist es möglich? Wie kann ein Mensch jemals
Hungers sterben, wenn er täglich dringend zu einem herrlichen Mahl eingeladen
wird? Kann ein Mensch verdammt werden, den Gott durch seine Boten ermahnen,
bitten und flehen lässt: Nimm doch die Seligkeit an; komm, komm, es ist alles
bereit? Wer sollte es denken? Und doch geschieht es. Davon wird uns nun
zweitens in unserem heutigen Evangelium die Ursache entdeckt.
2.
Dass, meine Lieben, die Ursache nicht darin
liegt, weil viele Menschen sich zu schwer versündigt hätten, so dass für sie
keine Gnade und Seligkeit wäre, dies sehen wir klar aus unserem Evangelium.
Nach demselben ist Raum für alle, auch für die Krüppel, auch für die
größten und elendesten Sünder. Als die einzige Ursache, warum so viele nicht
zum Abendmahl des Reiches Gottes kommen, wird uns in unserem Evangelium
angegeben die Verachtung der Liebe dessen, der sie einladen lässt. Von keinem
heißt es, dass er nicht gerufen werden solle und darum ausgeschlossen sei;
sondern von allen wird gesagt: Sie wurden geladen, aber sie wollten nicht
kommen, die Einladung nicht annehmen. Das ist aber nichts anderes als: Sie
wollten nicht glauben.
Zwar möchte es scheinen, als würden in
unserem Evangelium ganz andere Ursachen angegeben, nämlich dass der eine einen
Acker gekauft, der andere fünf Joch Ochsen eingehandelt und der dritte eine
Frau genommen hatte; aber dies alles wird nicht als die Ursache angegeben,
warum sie von dem Mahl ausgeschlossen wurden, sondern als Ursache, warum sie
selbst das köstliche Mahl verachteten. Einen Acker oder Zugvieh kaufen oder
eine Frau nehmen ist ja keine Sünde; aber das will Christus sagen, dass die
meisten Menschen sich dadurch hindern lassen, das teure Evangelium anzunehmen.
Wohl ist und bleibt es also wahr, dass der
Glaube an Christus uns gewiss gerecht und selig macht, aber, meine Teuren, der
Glaube ist nicht ein müßiger, leerer Gedanke, dass es einen Himmel und
Versöhner gebe, sondern er ist nichts anderes, als ein wirkliches Essen und
Trinken und Genießen der Gnadengüter Jesu Christi; er ist ein Kommen zu dem
Abendmahl seines Gnadenreichs. Das heißt nicht glauben, wenn man Christi Werke
oder die von ihm bereitete Gnadentafel lobt, sondern dass man sich daran setzt
und sich daran erquickt und stärkt.
Seht, so wenig nun die Geladenen in unserem
Evangelium zu dem großen Abendmahl kommen konnten, da sie nach der Einladung
hingingen, ihren Acker und ihre gekauften Ochsen zu besehen und selbst Hochzeit
zu halten, so wenig können diejenigen Christi Gnade mit ihrem Herzen im Glauben
genießen, die ihr Herz noch an etwas anderes hängen. Ein jeder, der sein Herz
noch an etwas Zeitliches hängt, der sagt, wenn auch nicht mit Worten, doch mit
der Tat zu den Boten Christi, die das Evangelium predigen: Ich bitte dich,
entschuldige mich; ich habe mit diesem und jenem zu schaffen, darum kann ich
nicht kommen. Diejenigen betrügen sich daher sehr, die da meinen, weil sie die
Predigt des Evangeliums loben, so stünden sie sicherlich im wahren,
seligmachenden Glauben, wenngleich ihr Herz an der Ehre, an den Gütern oder an
der Lust der Welt hänge. Nein, wahrlich, das ist kein Glaube. Woran man seine
Seele sättigt, worin man seine einige Lust und Freude, seine Ehre und seinen
Trost sucht, daran glaubt man. Sättigt man nun sein Herz an den Träbern dieser
Welt, so hat man ja offenbar die himmlische Einladung Christi zu seinem
Abendmahl ausgeschlagen und schließt sich selbst durch seinen Unglauben aus.
Wo der wahre Glaube ist, da lässt das Herz
Acker, Vieh und Frau, das heißt, Ehre, Güter und Lust der Welt fahren und isst
Christus als seine köstliche Speise. Wo man noch nach der Welt hungert, da ist
kein Glaube, denn der Glaube ist hungriges Sichsetzen an die mit Gnade,
Gerechtigkeit und allen himmlischen Gütern besetzte Himmelstafel Jesu Christi.
Ja, gewiss, nicht ohne Absicht redet
Christus nicht allein von einem Mahl, sondern von einem Abendmahl, anzuzeigen:
Christus speist diejenigen, welche durch des Tages Last und Hitze verwundet
sind und Stärkung und Erquickung suchen. Müde, matte, über Gottes Horn, über
Sünde, Tod und Hölle erschrockene Gewissen sind der Grund und Boden, darin der
wahre Glaube allein seine Wurzeln schlägt.
Was hilft euch also die süße Lehre des
Evangeliums, die euch zuruft: Kommt zum großen Abendmahl, es ist alles bereit!
Die ihr Hunger und Durst nach ganz anderen Dingen habt? Ach, meine Zuhörer,
bringt euch doch nicht selbst mutwillig um eurer Seelen Seligkeit; reißt euer
Herz los von den elenden Dingen dieser Welt und kommt zu Christi Mahl. Ihr baut
Häuser, ihr erweitert euer Geschäft, ihr freit und lasst euch freien, und das
alles ist keine Sünde; aber hängt ihr euer Herz daran, steht darauf euer Sinnen
und Trachten, sucht ihr darin eure Freude, Ehre und Lust, so gehört ihr noch zu
denen, die sich bei Christus entschuldigen lassen, dass sie nicht kommen
können.
Christus erklärt den Seinen sein Gleichnis
deutlich, indem er unmittelbar nach unserem Text hinzusetzt: „So jemand zu mit
kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern,
auch dazu sein eigenes Leben; der kann nicht mein Jünger sein“, das heißt, wer
nicht sein Herz losreißt selbst von dem Liebsten, das er hat, und in den Gütern
Christi nicht allein seine Ruhe und Seligkeit sucht, der ist nicht geschickt
zum Reich Gottes.
Aber ach, das ist die allgemeine Erfahrung:
Wo das reine, lautere Gnadenevangelium von Christus den Menschen gepredigt
wird, da freuen sich wohl erst oft viele über diese liebliche Lehre, aber bald
entsteht unter den Zuhörern ein Überdruss, eine Geringschätzung, ein Ekel
davor. Sie fangen wieder an, desto mehr sich ins Zeitliche zu vertiefen und dem
Geiz, der Eitelkeit und der Weltlust nachzugehen. Weil sie hören, dass der
Heilsweg so leicht ist, so denken sie, es kann ihnen nicht fehlen, wenn sie
auch den leichten und herrlichen Weg nicht gehen.
O, dass es nicht auch bei uns so der Fall
sein möchte! Aber ist es nicht so? Haben nicht schon viele unter Uns die Welt
wieder liebgewonnen? Hängt nicht sehr vieler Herz ganz an dem Zeitlichen?
Denken nicht sehr viele, weil sie das gnadenvolle Evangelium allsonntäglich
hören und es loben, so hätten sie es auch gewiss im Glauben angenommen, während
ihr Herz doch nach ganz anderen Dingen steht?
O hört, hört, ihr Irdischgesinnten, euer
Urteil in unserem heutigen Evangelium und fürchtet euch! Christus sagt von dem
Menschen, der da hatte einladen lassen, er sei zornig geworden und habe endlich
ausgerufen: „Ich sage euch, dass der Männer keiner, die geladen sind, mein
Abendmahl schmecken wird.“
Wollt ihr diese entsetzliche Drohung nicht
einst an euch in Erfüllung gehen sehen, so macht euer herz los von der Liebe
zum Irdischen; erkennt eure Not, lernt erschrecken über eure Sünden und Gottes
großen Zorn. Kommt zu dem Abendmahl des HERRN hier in der Zeit. Lasst Christi
Gnade euren Reichtum, eure Ehre und eure Lust sein, so werdet ihr einst auch
von der Gnadentafel hinaufrücken an die Himmelstafel; da wird Freude die Fülle
und liebliches Wesen zur Rechten Gottes sein immer und ewig. Amen.
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die
Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Will David Gottes Liebe recht preisen und
ein herzliches Zutrauen zu ihm in den Lesern seiner Psalmen erwecken, so ruft
er aus: „Der HERR hat Wohlgefallen an seinen Werken.“ David will hiermit sagen:
Was Gott geschaffen hat, das liebt er auch und kann es nicht hassen. Es ist
seine Lust, seinen Geschöpfen Gutes zu tun; es ist seine Freude, wenn alles,
was er ins Dasein gerufen hat, in ihm fröhlich und selig lebt und webt und ist.
Wie könnte es auch anders sein! Würde Gott
irgendetwas geschaffen haben, wenn er daran nicht sein Wohlgefallen hätte? Hat
ihn doch niemand dazu zwingen oder auch nur darum bitten können; und ein Mensch
macht5 wohl etwas darum, weil er es bedarf und zu seinem Nutzen gebrauchen
will, Gott aber hat nichts bedurft, was er gemacht hat; er ist der Allgenugsame
und der allein Seligkeit hat. Was er aus Nichts hervorgebracht hat, das muss er
daher allein darum geschaffen haben, damit noch andere Wesen da seien, die sein
Leben, seine Güte und seine Süßigkeit schmecken und an seiner Seligkeit
teilnehmen sollten.
Dass dem so sei, beweist Gott durch seine
ganze Weltregierung, in welcher sich lauter Liebe und Freundlichkeit Gottes
spiegelt.
Wie schön ist das Haus dieser Welt! – Hat
es aber Gott für sich, hat er es nicht für seine Geschöpfe gebaut? Voll Liebe
hat Gott den Vögeln die unermesslichen Lufträume geschenkt, in denen sie sich
fröhlich auf- und niederwiegen können; voll Liebe hat Gott den Fischen die
klaren kühlen Gewässer der Meere und Bäche angewiesen, in welchen sie munter
scherzen können; voll Liebe hat Gott den anderen Tieren den Boden der Erde
gegeben, daraus sie lustwandeln können; und sie alle speist er täglich an
seinem großen Tisch aus seiner milden Hand und sättigt alles, was da lebt, mit
Wohlgefallen. Vor allen aber offenbart Gott sein Wohlgefallen an uns
Menschenkindern. Für uns hat Gott Himmel und Erde so herrlich, so wundervoll
geschmückt. Uns vor allen glüht das purpurrote Morgen- und Abendrot und
vergoldet die Säume unserer Berge; uns vor allen leuchtet des Tages die Sonne,
und in stiller Nacht zieht vor unseren Augen der Mond mit dem flimmernden Heer
unzählbarer Sterne über das Firmament. Über uns wölbt sich der blaue Himmel und
vor uns breitet sich die belebte Welt mir ihren Bergen und Tälern, mit ihren
Seen und Quellen und Flüssen, mit ihren Auen und Feldern lachend aus, und mit
Sehnsucht schauen wir in die Wolken hinein, mit Entzücken in die wonnige
allbewegte Schöpfung. Für uns feuchtet der Regen und der Tau die Erde und macht
sie fruchtbar, uns sie streckt nun mit jeder Flur, mit jedem Baum, mit jeder
rieselnden Quelle, mit jeder Staude und mit jedem Gräslein auf Gottes Geheiß
ihre mit Gaben reichgefüllten Hände nach uns aus, um uns beschenken. Uns müssen
die Vögel in den Lüften ein stets fröhlich singender Chor sein; uns muss das
Tier dienen; für uns liegt das funkelnde Metall in dem dunklen Schoß der Erde.
Und noch mehr! Gott hat uns hier zusammengeführt, hat uns einen erkennenden
Verstand, ein fühlendes Herz und einen redenden Mund gegeben, und hart die
zarten süßen Bande zwischen Gatten und Gattin, zwischen Eltern und Kindern und
Freunden und Freunden geknüpft, dass wir hier zusammen seiner Liebe und unserer
Liebe untereinander uns freuen können.
Doch wer mag sie zählen, alle die Beweise,
dass Gott Wohlgefallen an uns Menschen hat, dass er uns, wie der Prophet sagt,
nicht von Herzen plagt und betrübt; dass es seine Lust ist, uns Gutes zu tun
und uns schon hier zu erfreuen! – Und dies alles hat Gott über 6000 Jahre lang
getan, obgleich die Menschenwelt unaufhörlich gegen ihn aufgestanden und seinem
heiligen Willen feind gewesen ist und ihn fort und fort beleidigt und betrübt
hat. Gottes Geduld hat darum nicht aufgehört. Seine Sonne leuchtet noch immer
so freundlich über Böse und Gute und sein befruchtender Regen fällt noch immer
auf alle ihre Felder so reichlich, als hätte der Mensch Gottes Liebe noch nie
verscherzt. Müssen wir da nicht ausrufen: „HERR; was ist der Mensch, dass du
seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ Wie groß
muss deine Liebe zu uns sein! Ja, du hast Wohlgefallen an allen deinen Werken.
Gelobst seist du immer und ewig!
Doch, meine Lieben, so herrlich Gott sein
Wohlgefallen an uns Menschen offenbart hat, so wird es uns doch überaus schwer,
es zu glauben, wenn wir daran denken, dass wir Sünder sind. Wird dieser
Gedanke in einem Menschen recht lebendig, so meint er, die ganze Welt könne ihn
mit allen ihren Schönheiten nicht erfreuen, noch der Liebe Gottes versichern,
denn er sei ja nicht eines Sonnenblicks, geschweige des gnädigen Anschauens
Gottes würdig. Aber auch gegen diese Besorgnis des Menschen ist in Gottes Wort
Trost, denn dieses zeigt uns auch, dass Gott selbst die Sünder liebe, ja, dass
Jesus der gnädige Freund aller Sünder sei. Davon redet unser heutiger Text
besonders:
Lukas 15,1-10: Es nahten aber zu ihm allerlei Zöllner und Sünder, dass
sie ihn hörten. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen:
Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies
Gleichnis und sprach: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat,
und so er der eines verlieret, der nicht lasse die neunundneunzig in der Wüste
und hingehe nach dem verlorenen, bis dass er’s finde? Und wenn er’s gefunden
hat, so legt er’s auf seine Achseln mit Freuden. Und wenn er heimkommt, ruft er
seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich
habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude
im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten,
die der Buße nicht bedürfen. Oder welche Frau ist, die zehn Silberstücke hat,
so sie der eines verliert, die nicht ein Licht anzünde und kehre das Haus und
suche mit Fleiß, bis dass sie es finde? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie
ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freue euch mit mir; denn ich
habe mein Silberstück gefunden, das ich verloren hatte. Also auch, sage ich
euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.
In dem verlesenen Evangelium erblicken wir
Christus in seiner schönsten oder vielmehr in seiner wahren Gestalt, nämlich
mitten unter Sündern, denen er nachgeht und die er freundlich aufnimmt. Der
Gegenstand unserer Betrachtung sei daher jetzt:
Jesus,
der Sünderfreund
1.
Nämlich, wie er den verlorenen und
verirrten Sündern mit Erbarmen nachgeht, und
2.
Wie er diejenigen, welche als
Sünder zu ihm kommen, gnädig und freundlich aufnimmt.
O Jesus, du süßer Freund der Sünder, der du
nicht zürnst über unsere Sünde, sondern sie mit Mitleid ansiehst, und uns alle
so gern davon erretten und uns selig machen möchtest, hilf doch, dass jetzt, da
uns deine unermessliche Sünderliebe gepredigt werden soll, unsere Herzen
aufgetan werden, nach dir zu verlangen. Denn wenn wir nach dir uns nur sehnen,
so bist du auch schon bei uns und in uns und erquickst uns mit Gnade,
Gerechtigkeit, Friede und Freude. O, so lass keinen jetzt das süße Gnadenwort
umsonst hören; ziehe uns alle in deine Gnadenarme und lass uns dann nichts
wieder aus deiner Hand reißen, bis wir dort zu seiner Rechten stehen und mit
dir leben und herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
1.
Ein Sünderfreund ist, meine Lieben, kein
ehrenvoller Name vor der Welt. In unserem Evangelium wird uns daher erzählt:
Als zu Christus einstmals „allerlei Zöllner und Sünder nahten, dass sie ihn
hörten, da murrten die Pharisäer und Schriftgelehrten und sprachen: Dieser
nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“ An anderen Stellen der Evangelien
wird uns dasselbe berichtet. Als es Christus einstmals zuließ, dass die große
Sünderin Maria Magdalena seine Füße salbte, sie mit Tränen netzte und mit den
Haaren ihres Hauptes trocknete, da dachte ein Pharisäer bei sich selbst: „Wenn
dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und welch eine Frau die ist, die ihn
anrührt; denn sie ist eine Sünderin.“ Auch hören wir, dass man Christus, um ihn
zu schmähen, einen Zöllner- und Sündergesellen nannte.
Weit entfernt aber, dass Christus den Titel
eines Sünderfreundes von sich abgelehnt haben sollte, so sollte er sich
vielmehr diesen vor der Welt so schimpflichen Titel nicht nehmen lassen; er
verteidigt sich vielmehr nach unserem Evangelium, wie in anderen Stellen, und
gibt die Ursachen an, warum er allerdings ein Sünderfreund sein und bleiben
wolle. Er gibt nämlich mehrere Gleichnisse; er spricht: „Welcher Mensch ist unter euch, der
hundert Schafe hat, und so er der eines verliert, der nicht lasse die neunundneunzig
in der Wüste und hingehe nach dem verlorenen, bis dass er’s finde?“ „Oder
welche Frau ist, die zehn Silberstücke hat, so sie der eines verliert, die
nicht ein Licht anzünde und kehre das Haus und suche mit Fleiß, bis dass sie es
finde?“
Christus will hiermit sagen: Ihr Menschen macht es ja auch so; wenn ein Hirte
nur hundert Schafe hat, und er verliert davon eins, so trägt er für den
Augenblick mehr Sorge um das eine verlorene als um die anderen alle; er verhält
sich nicht anders, als wäre ihm an dem einen mehr gelegen als an den 99
unverlorenen; diese verlässt er und geht dem einen nach. So auch eine Hausfrau;
wenn sie von zehn Silberstücken eines verliert, so tut sie nicht anders, als
hätte das eine verlorene für sie mehr Wert als ihr ganzes übriges Vermögen; sie
vergisst, was sie hat und sucht emsig das Verlorene. Was wundert ihr euch nun,
will Christus sagen, dass ich die verlorenen Sünder so eifrig suche und ihnen
so eifrig nachgehe? Es sind ja alle Sünder meiner Schafe; sie sind alle mein
Eigentum; ich habe sie mir teuer erkauft durch mein eigenes Blut; geht ein
Sünder irre, so habe ich ein Schaf aus meiner Herde verloren; so dringt mich
mein Hirtenherz, eilends auszugehen und es zu suchen auf allen Bergen, in allen
Gründen und Wäldern und Sümpfen der sündhaften Welt.
O, was für ein
zärtliches Herz hat also Christus gegen die verlorenen Sünder! Er ist nicht
gesinnt wie ein Mensch. Sieht ein Mensch einen andern tief in Sünden fallen, so
denkt er sogleich: Dieser Mensch ist nicht wert, dass sich jemand seiner
annehme; er verdient keine Liebe, sondern Hass und Verachtung; bei ihm ist doch
alle Ermahnung verloren und alle Liebe verschwendet; es ist keine Hoffnung,
dass er sich je bekehren werde. Ganz anders denkt Jesus. Sieht er einen
Menschen tief in Sünden fallen, so wird sein liebreiches Herz mit Erbarmen und
Mitleid erfüllt; er denkt: Dieses Menschen Seele hast du dir mit Leiden und
Sterben teuer erworben; sie ist ein kostbares Gut, das dir gehört. Jesus denkt
ferner: Dieser arme Sünder verdient nicht Hass, sondern Mitleid, denn es kann
ja kein größeres Unglück für einen Menschen geben, als in Sünden fallen, Gottes
Feind werden und die Seligkeit verscherzen. Jesus denkt endlich: Nähme ich mich
des Gefallenen nicht an, so wäre freilich für ihn keine Hoffnung; aber ich will
ihm mit meiner Gnade in den Weg treten; ich will ihn locken mit meinem
Erbarmen, und wenn das nicht fruchtet, will ich ihm drohen, will ihn schrecken
mit meinem Zorn, ob ich ihn gewinne. So wendet denn Christus bald leiden, bald
Freuden an, den Sünder zur seligen Umkehr zu bewegen.
Wird ein Mensch
besonders von anderen hart und schwer beleidigt, und fallen diese dabei auch in
andere große und schwere Sünden, so nimmt sich der natürliche Mensch noch viel
weniger seiner gefallenen Feinde an, ja, er sieht es wohl gar mit Lust, wie sie
von Sünde zu Sünde dem Verderben zueilen, und denkt, wenn es ihnen übel geht,
es geschehe ihnen eben recht, so habe es ihnen um ihrer bösen Stücke willen
ergehen müssen. Aber o, wie ganz anders ist Christus gesinnt! Er ist es ja, der
mit jeder Sünde beleidigt wird, auch wenn wir, wie es scheint, uns nur an
unserem Nächsten versündigen; aber auch dann, wenn ein Mensch Christus ganz
verachtet, sein Evangelium verwirft, seine Gnade schmäht oder missbraucht und
sich immer feindlicher gegen ihn erweist, so verliert Christus doch nicht die
Liebe zu einem solchen armen, verirrten und verlorenen Menschen. Dies sehen wir
an mehreren Beispielen. Als Christus wahrscheinlich bei einbrechender Nacht
nahe an einen Flecken der Samariter kam und die Jünger hineinsendete, ihm
daselbst ein Nachtlager zu bestellen, da schlugen ihm die Einwohner des
Fleckens die gebetene Herberge trotzig ab. Die Christus begleitenden Jünger
riefen nun sogleich erzürnt auch: „HERR, willst du, so wollen wir sagen, dass
Feuer vom Himmel falle und verzehre sie“? Aber was tut Jesus? Er wendet sich zu
den Entrüsteten und spricht: „Wisst ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid?
Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern
zu erhalten.“ Bedenkt ferner, wie feindselig sich Jerusalem gegen Christus
bewies! Und doch sehen wir Christus nicht zürnend, sondern mit heißen Tränen
vor der sündigen Stadt stehen und das Unglück beweinen, was dieselbe frevelnd
auf sich herabfluchte.
O. welch ein
zärtlicher Sünderfreund ist also Christus! Mag ein Sünder ihn noch so
schändlich, noch so undankbar, noch so himmelschreiend beleidigen: Jesus gibt
ihn darum doch nicht auf; er überlässt ihn darum doch seinem Verderben nicht;
er geht ihm doch nach, bietet seinem nichtswürdigsten Feind und Beleidiger
freundlich zuerst die Hand zur Versöhnung und bittet ihn flehentlich, er wolle
doch wieder sein Freund sein.
Jesus hat
gegen alle Sünder ein mehr als väterliches und mütterliches Herz. Wie nun ein
Vater und eine Mutter ihr Herz nicht verleugnen können, wenn auch das Kind noch
so gottlos ist; wie ihnen das Herz auch über den verlorenen Sohn bricht, der
ihnen trotzig entlaufen ist, wenn er sich durch seine Sünden und Bosheiten
endlich in leibliches und geistliches Elend, in Schande und Not gestürzt hat;
wie Eltern auch nach einem solchen elenden Menschen, der aller Welt Verachtung
und Abscheu geworden ist, Tag und Nacht seufzen und sein Unglück in der Stille
mit bitteren Tränen beweinen, so ist Jesus selbst gegen die zum Scheusal der
Menschen gewordenen Sünder gesinnt; auch nach ihrer Rettung sehnt sich sein von
Sünderliebe brennendes Herz; auch sie sucht er wieder zu gewinnen, auch ihnen
geht er nach; auch sie möchte er gern wie kranke, mit ekelhaften Geschwüren
bedeckte Schafe heilen; ja, es wäre ihm gerade das vor allem die größte Freude,
solche ganz Verlorenen, die dem Satan schon ganz übergeben zu sein schienen,
noch aus seinem Rachen zu reißen, sie noch zu sich zurück zu locken, sie mit
seiner Gnade zu erquicken, mit seiner Gerechtigkeit anzukleiden und endlich
triumphierend in den Himmel zu tragen.
Ach, vergeblich
suche ich Worte, die Größe der Liebe des Sünderfreundes Jesus Christus zu
beschreiben. Unsere Elternliebe gegen unsere verirrten Kinder ist dagegen nur
ein winziges Fünklein, während Jesu Liebe größer ist als Himmel und Erde.
Wer du darum
auch bist, lieber Zuhörer, mag auch deine Sünde groß sein; magst du viel und
lange gesündigt haben; mag dich jedermann als einen Sünder ansehen, der keiner
Liebe mehr wert sei; mag jedermann die Hoffnung aufgeben, dass für dich noch
Hilfe und Gnade sei; magst du durch deine Sünde so in Verachtung und Schande
geraten sein, dass du unter Menschen keinen Freund mehr hast, der sich deiner
annehmen will: Einen Freund hast du doch noch; der ist dir auch mitten
in deinen Sünden treu geblieben; und das ist – der Sünderfreund Jesus. Du hast
vielleicht ein böses Gewissen, das dich verdammt; dir geht es vielleicht sehr
unglücklich in dieser Welt. Daher denkst du, Christus sei zornig auf dich, er
strafe dich jetzt für deine Sünde, er lasse dich büßen, und habe dich nun für
immer verlassen; aber es ist nicht so; da dir’s um deine Sünde bange wird und
da du dich in deiner Not schuldig gibst, so wisse: Eben darin hast du einen
Beweis, dass der gute Hirte dir noch immer nachgeht, dich sucht und zu sich zurückruft.
Die Bangigkeit deines Herzens, dein Schmerz, dass du so verloren bist und dich
so weit verirrt hast, sind nichts anderes als Gnadenzüge des Sünderfreundes,
und indem dir Christus in dieser Stunde das Wort von seiner Gnade,
Freundlichkeit und Liebe predigen lässt, so steht jetzt Christus vor dir und
vor allen verirrten Sündern unter uns und spricht: Kehrt nur um, kommt nur zu
mir; ich nehme euch an. Denn es ist gewiss und wahrhaftig, was die Feinde in
unserem Evangelium sagen: „Jesus nimmt die Sünder an.“
2.
Dies führt mich
auf den zweiten Teilmeiner Rede, in welchem ich euch nun zeigen will, wie
Christus diejenigen, die als Sünder zu ihm kommen, gnädig und freundlich
annimmt.
Es könnte
vielleicht mancher denken, wenn Jesus ein so großer Sünderfreund wäre, so wäre
es ja unmöglich, dass auch nur Ein Sünder verloren ginge. Dies folgt aber
keineswegs daraus. Jesus nimmt wohl die Sünder an, aber eben nur Sünder.
Daran fehlt es aber bei den Meisten, dass sie sich nicht für Sünder und
besonders nicht für große, verlorene Sünder halten wollen. Die meisten Menschen
wollen zu Christus gehen als Fromme, Tugendhafte, Gerechte, Heilige, die nur
etwa einige Schwachheiten an sich hätten und nur selten einmal in eine etwas
größere Sünde gefallen wären. Ein Freund solcher falschen Heiligen, Frommen,
Tugendhaften und Gerechten ist Christus nicht. Christus ist gekommen, nicht die
Gerechten, sondern die Sünder zur Buße zu rufen; er ist ein Arzt nicht für die
Starken und Gesunden, sondern für die Schwachen und Kranken. Die
selbstgerechten Pharisäer bleiben daher von Christus fern, aber die armen, mit
Sünden beschwerten Zöllner und andere große Sünder versammelten sich um ihn und
fanden bei ihm Trost und Seligkeit.
Wie gern aber
Christus sich der Schafe annimmt, dies bezeugt er selbst in unserem Evangelium,
wenn er erstlich von dem Hirten mit dem verlornen Schaf, auf den er sich
beruft, weiter sagt: „Und wenn er’s gefunden hat, so legt er’s auf seine
Achseln mit Freuden. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn
und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden,
das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen
Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht
bedürfen.“ Und wenn er von jener Frau, die ihr Silberstück suchte, weiter
sagt: „Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und
Nachbarinnen und spricht: Freue euch mit mir; denn ich habe mein Silberstück
gefunden, das ich verloren hatte. Also auch, sage ich euch, wird Freude sein
vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.“
Seht hieraus,
mit welcher Freude Christus alle diejenigen aufnimmt, welche als Sünder zu ihm
kommen. Er schämt sich ihrer nicht, wie sich wohl Menschen Tiefgefallener
schämen, sondern eben darin sucht er seine Ehre und Herrlichkeit, dass er auch
die größten Sünder retten, begnadigen und selig machen kann. Er, der Sohn
Gottes, ist ja um keiner anderen Ursache willen in die Welt gekommen, als alle
Sünder zu suchen und selig zu machen alles, das verloren ist; das ist ja sein
Amt, das ist ja, so zu sagen, sein Tagwerk; wie sich nun ein Arzt freut, wenn
Kranke zu ihm kommen und seine Hilfe suchen, denn das ist sein Beruf, so freut
sich auch Christus, wenn Sünder zu ihm kommen und bei ihm Rettung suchen, denn
er will eben der Sünderarzt sein.
Aber, wird
vielleicht mancher denken, wohl will Christus die Sünder annehmen, wen sie sich
gebessert haben; aber ich traue mich eben darum nicht zu Christus zu gehen,
weil ich bisher von meinen Sünden nicht habe loskommen können. Der du so
klagst, wisse: Christus nimmt die Sünder an, wie sie sind; wenn der Mensch nur
in seinem Herzen ein Sünder geworden ist; wenn es der Mensch nur eingesehen
hat, dass er auch ein armer Zöllner sei, der ohne Gnade verloren und
verdammt sein müsste; wenn der Mensch nur dahin gekommen ist, dass er durchaus
keinen anderen Rat für seine Seele weiß als den, er müsse zu Christus gehen, er
könne sich nicht selbst bekehren und bessern, Christus müsse sich seiner
erbarmen, sonst müsse er verzagen: O, dann finde4t ein solcher an sich
verzagender Mensch bei Christus stets eine gnädige Aufnahme. Ja, wenn wir uns
erst selbst bessern, selbst reinigen, selbst fromm und würdig machen wollen, so
gehen wir gerade immer weiter von Christus hinweg; wenn wir aber erkennen: Dein
Wollen, deine guten Vorsätze, deine guten Meinung und all dein Können und Tun
ist verloren, Christus muss dir helfen: O, eines solchen Menschen Hoffnung
lässt Christus nicht zuschanden werden, einem solchen Menschen muss er, so wahr
er ein Jesus, so wahr er ein Sünderfreund ist, helfen und ihn selig machen.
Ist daher
jemand unter uns, der über sich selbst von Herzen klagt; der mit sich selbst
zürnt; der sich gebunden und ohnmächtig fühlt, sich selbst zu bessern; der sich
auch vielleicht schämt, irgendeinem Menschen sein ganzes Sündenelend zu
entdecken, weil er denkt, dann würde kein Mensch mich trösten – ein solcher
wisse: Zu Jesus kann er gehen, ihm kann er sein ganzes Verderben offenherzig
sagen; dieser ist ein Arzt, der auch die verzweifeltsten Krankheiten heilt; ein
ebenso barmherziger wie allmächtiger Freund der Sünder; je größer unsere Sünde
ist, je größer ist seine Gnade; je größer unsere Not, je größer sein Erbarmen.
Dass so viele nicht selig werden, dies liegt nicht an Christi Willigkeit, allen
Sündern gnädig zu sein, sondern an der Menschen Unwilligkeit, Sünder zu sein
und an Christi Gnade zu glauben.
Es gibt aber
leider selbst unter denen, die sich schon wirklich für große Sünder ansehen,
nicht wenige, welche sich unaufhörlich mit dem Zweifel herumtragen, ob sie auch
bei Gott in Gnaden seien, ob sie auch, wenn der Tod sie einmal unversehens
übereilen sollte, vielleicht in einer unbewachten Stunde, ob sie auch dann
würden selig werden. Sie denken, da sie die Sünde nie ganz los würden, da sie
täglich als arme strauchelnde Sünder beschämt vor Gott erscheinen müssten, so
könne dies wohl nicht der rechte Zustand sein, in welchem sie sich der Gnade
Christi trösten dürften. Müssen sie nun vollends dabei die Verdammungen ihres
eigenen Herzens empfinden, so werden sie immer ängstlicher und zweifelhafter.
Solche lassen sich von ihrem eigenen Herzen den süßen Trost des Evangeliums
verkümmern; und dass sie nicht fröhlicher Fleisch, Welt und Satan bekämpfen
können, liegt eben allein daran, dass sie nicht recht getrost täglich und
stündlich Gnade um Gnade nehmen aus der Fülle Jesu Christi. Ja, ihr
bekümmerten, ängstlichen und verzweifelten Seelen, lernt doch zutraulicher zu
eurem Heiland zu gehen; lernt ihn doch besser kennen als bisher; er ist nicht
gekommen, euch Lasten aufzulegen, sondern abzunehmen; er ist nicht ein strenger
Richter, sondern ein barmherziger Hoherpriester, der es weiß, wie uns zumute
ist, der unsere Schwachheit kennt, der versucht ist allenthalben wie wir, doch
ohne Sünde. Er ist wahrhaftig ein Sünderfreund; er hört mitleidig eure Klagen
und vergibt euch alle eure Sünden täglich und reichlich, haltet euch nur recht
fest im Glauben an ihn. Am Glauben liegt es, sonst an nichts; der Glaube
empfängt Vergebung, der Glaube erlangt Trost, der Glaube siegt, der Glaube
macht selig.
Wir lesen in
den Schriften gottseliger Christen, wie voll Trostes, voll Friedens, voll
Seligkeit sie waren; dies haben sie bei sich nicht durch eigene Kraft gewirkt;
sie haben ihr Elend, wie wir, empfinden müssen. Aber sie sind mit ihrem Glauben
durchgedrungen, sie haben sich Christus, wie die Zöllner und Sünder in unserem
Evangelium, genaht, sie haben sich zu ihm gedrängt, sie haben ihn täglich nicht
gelassen, bis er sie freundlich angeblickt hat; so haben wie überwunden und
sind endlich in Frieden von hinnen gefahren und selig geworden aus Gnaden.
Drum, Jesus nimmt die Sünder an,
Mit Einem Wort, die Sünder alle;
Geht hin und sagt es jedermann,
Dass alle Luft davon erschalle.
Es soll von allen insgemein
Nicht einer ausgeschlossen sein.
Sagt’s allen Menschen, allen Christen!
Ach, dass es Groß und Kleine wüssten!
Sagt’s jedem, der nur hören kann:
Ja, Jesus nimmt die Sünder an.
Ja, Jesus nimmt die Sünder an,
Wer, wo und wann und wie sie kommen.
Man sei auch immer, wie man kann;
Man wird wahrhaftig angenommen.
Es ist hier gar kein Unterschied.
Das Heil ist allen zubereit‘.
Und weil sie alle Sünder heißen,
Es sollen’s alle zu sich reißen.
Es ist ein Wort für jedermann:
Ja, Jesus nimmt die Sünder an.
Amen.
Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem
Vater, und von dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der Wahrheit
und in der Liebe, sei mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
„Seid barmherzig, wie euer Vater
barmherzig ist. Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt
nicht, so werdet ihr auch nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.“
So spricht Christus in unserem heutigen Evangelium.
Diese Worte werden in unserer Zeit sehr
häufig so verstanden, als wolle Christus damit sagen, dass durchaus jedes
Richten und Verdammen, das durch Menschen geschehe, sündlich und unchristlich
sei. Dass aber dem nicht so ist, das ist so offenbar, dass es fast überflüssig
zu sein scheint, Beweise dafür anzugeben.
Ich frage euch: Wenn Christus spricht: „Richtet
nicht, verdammt nicht!“ sollte er damit also auch der Obrigkeit verboten
haben, ihre Untertanen zu richten, wenn sie schuldig befunden werden, das
Verdammungsurteil über sie auszusprechen? Das sei ferne! Gott spricht in seinem
Wort zu den Richtern auf Erden: „Seht zu, was ihr tut; denn ihr haltet das
Gericht nicht den Menschen, sondern dem HERRN; und er ist mit euch im Gericht.“
Und was das Verdammen betrifft, so spricht der heilige Apostel von der Obrigkeit:
„Sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du ab er Böses, so fürchte dich; denn
sie trägt das Schwert nicht umsonst, sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur
Strafe über den, der Böses tut.“ Ja, schon im neunten Kapitel des ersten Buchs
Mose heißt es: „Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll auch durch Menschen
vergossen werden.“
Ich frage euch ferner: Wenn Christus
spricht: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ sollte er damit also den
Eltern und Lehrern das Gericht über die ihnen anvertrauten Kinder haben
verbieten und ihnen die Rute der Zucht aus ihren Händen haben nehmen wollen?
Darf etwa der Sohn oder die Tochter, wenn Eltern und Lehrer sie strafen wollen,
zu ihnen sagen: Wisst ihr nicht, dass Christus geboten hat, barmherzig zu sein
und zu vergeben? Wie dürft ihr mich richten und verdammen? Das sei ferne! Das
Richten und Verdammen durch Eltern und Lehrer ist nicht nur erlaubt, sondern
ihnen bei Gottes Ungnade geboten und als eine heilige Pflicht auferlegt. Salomo
sagt: „Wer die Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der
züchtigt ihn bald. Lass nicht ab, den Knaben zu züchtigen; denn wenn du ihn mit
der Rute haust, so muss man ihn nicht töten. Du hast ihn mit der Rute; aber du
errettest seine Seele von der Hölle. Torheit steckt dem Knaben im Herzen, aber
die Rute der Zucht wird sie ferne von ihm treiben.“ Wie ernstlich Gott dies
geboten habe, dies sehen wir unter anderem an dem Beispiel des Hohenpriesters
Eli. Da dieser seine gottlosen Söhne nicht richtete und verdammte, da ließ ihm
Gott ansagen: Weil er gewusst habe, wie seine Kinder sich schändlich hielten, er
aber hätte nicht einmal sauer dazu gesehen, so habe er geschworen, dass diese
Missetat nicht versöhnt werden solle. Und was geschah? Die Söhne kamen elendig
im Krieg um und Eli brach sich nach erhaltener Schreckensnachricht durch Gottes
Gericht den Hals. Ein gewaltiges Beispiel zur Warnung für alle Eltern, die die
nötige ernste Zucht an ihren Kindern unterlassen!
Ich frage euch aber auch ferner: Wenn
Christus spricht: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ Sollt er damit also
den Christen gebieten, kein Wort oder Werk eines Menschen zu richten und zu
beurteilen, jeden recht zu sprechen, jeden selig zu preisen und keine Sünde zu
strafen? Das sei ferne! St. Paulus schreibt vielmehr an die Korinther: „Der Geistliche
richtet alles“; und Christus spricht ausdrücklich in der bekannten Stelle
Matth. 18: „Sündigt aber dein Bruder an dir, so gehe hin und strafe ihn
zwischen dir und ihm allein. Hört er dich nicht, so nimm ein oder zwei zu dir.
Hört er die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er die Gemeinde nicht, so
halte ihn wie einen Heiden und Zöllner“, das heißt: Halte ihn für einen
Nichtchristen, der von dem Reich und der Gnade Gottes ausgeschlossen ist. Weit
entfernt also, dass das Richten und Strafen der Sünde den Christen verboten
sein sollte, so ist es ihnen vielmehr ernstlich geboten. Und zwar sollen dies
die Christen nicht nur unter sich tun, sondern auch gegen die Kinder der Welt,
denn Paulus schreibt an die Epheser: „Habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren
Werken der Finsternis, straft sie aber vielmehr.“ Und damit man nicht meine,
dass eine solche Bestrafung gegen die Liebe streite und ein Zeichen von
Gehässigkeit sei, so schreibt schon Mose: „Du sollst deinen Bruder nicht hassen
in deinem Herzen; sondern du sollt deinen Nächsten strafen, auf dass du nicht
seinethalben Schuld tragen müssest.“
Aus diesem allen erseht ihr, meine Lieben,
deutlich: Wenn Christus spricht: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ So
kann er damit unmöglich jedes Gericht und jedes Verdammungsurteil, das von
Menschen ausgesprochen wird, verboten haben. Was ist es nun, was Christus
hiermit verbietet? Es ist überaus wichtig, das rechte Verständnis dieser Worte
kennen zu lernen, da dieselben nicht selten sehr missverstanden und daher auch
oft durchaus falsch angewandt werden. Lasst mich euch jetzt zeigen, worin der
Missverstand und Missbrauch und der rechte Verstand und rechte Gebrauch jener
Worte bestehe.
Lukas 6,36-42: Darum seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig
ist. Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so
werdet ihr auch nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird
euch gegeben. Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüssig Maß wird man in
euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, da ihr mit messt, wird man euch
wieder messen. Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Mag auch ein Blinder einem
Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen? Der
Jünger ist nicht über seinen Meister; wenn der Jünger ist wie sein Meister, so
ist er vollkommen. Was siehst du aber einen Splitter in deines Bruders Auge,
und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr? Oder wie kannst du sagen
zu deinem Bruder: Halt stille, Bruder! Ich will den Splitter aus deinem Auge
ziehen; und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler! Zieh
zuvor den Balken aus deinem Auge und besiehe dann, dass du den Splitter aus
deines Bruders Auge ziehst.
Wie schon erwähnt, betrachten wir jetzt die
Worte Christi:
„Richtet
nicht! Verdammt nicht!“
1.
Wie diese Worte missverstanden
werden, und
2.
Worin der rechte Verstand derselben
bestehe.
1.
Die Worte Christi: „Richtet nicht,
verdammt nicht!“ werden, meine Lieben, besonders in unseren Tagen, sehr
häufig, man kann nicht anders sagen, auf eine recht gotteslästerlicher Weise
verkehrt.
Die erste Verkehrung dieser Worte besteht
darin: Predigt ein Prediger, dass alle diejenigen, welche nicht an Christus,
den Sohn Gottes und Heiland der Sünder, glauben, gewiss ewig verloren gehen
werden, oder bezeugt dies ein christlicher Laie vor der Welt, so ruft man ihnen
nicht selten zu: Habt ihr nicht gelesen, was Christus spricht: „Richtet
nicht, verdammt nicht!“? Mit diesen Worten meint man klar und deutlich
bewiesen zu haben, dass es kein Mensch wagen dürfe, einem anderen Menschen die
Seligkeit abzusprechen. Man spricht: Eben deswegen sei Jesus in die Welt
gekommen, um den Menschen zu lehren, dass Gott ein Vater sei aller Menschen und
alle Menschen seine lieben Kinder, dass Gott mit unseren Fehlern, Schwachheiten
und Sünden Geduld habe und dass er keinen Menschen ewig verstoßen und verdammen
könne. Dies ist aber ein entsetzlicher Missverstand jener Worte Christi.
Wohl hat es uns Christus offenbart, dass
Gott alle Menschen liebe und dass er keines Menschen Tod und Verdammnis wolle,
dass es hingegen sein ernster Wille sei, dass alle Menschen selig werden, aber
Christus hat auch zugleich offenbart, dass er selbst der einzige Weg und die
einzige Tür zum Himmel sei, dass daher alle, die nicht an ihn glauben, verloren
gehen müssen. Christus spricht: „Wer nicht glaubt, der ist schon gerichtet,
denn er glaubt nicht an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.“ Er spricht
ferner: „So ihr nicht glaubt, dass ich es sei, so werdet ihr sterben in euren
Sünden.“ Er spricht ferner: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig
werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.“ Wer nun dies vor der
Welt bekennt, der handelt keineswegs gegen das Verbot Christi: „Richtet
nicht, verdammt nicht!“, denn ein solcher Mensch richtet und verdammt nicht
selbst, sondern spricht nur das Gericht und die Verdammnis aus, die Gott schon
klar und deutlich ausgesprochen hat. So wenig sich derjenige zu einem
eigenmächtigen, unberufenen Richter aufwirft, der einem Mörder sagt dass er
nach Gesetzen seines Landes ein Mörder das Leben verwirkt und den Tod
verdient habe, so wenig ist derjenige ein unberufener Richter, der einem
ungläubigen Menschen sagt, dass er nach den Gesetzen des Reiches Gottes das ewige
Leben verwirkt und den ewigen Tod, das ist, die Verdammnis verdient habe
und in dieselbe auch gewiss, wenn er sich nicht bekehre, fallen werde. Dies kann
aber nicht bloß ein jeder christlicher Laie der Welt verkündigen, er soll
es auch; denn da ein jeder Christ schuldig ist, in seinem Beruf mitzuhelfen,
dass auch andere zu Christus bekehrt und selig werden, so ist er auch schuldig,
es denen, die noch ungläubig sind, ohne Hehl in das Gesicht zu sagen, dass
alle, die nicht wahrhaft an Christus glauben, so gewiss verloren gehen, wie ein
Gott im Himmel und sein Wort die Wahrheit ist.
Besonders aber haben die Prediger die
Pflicht, es allen denen, die noch unbekehrt sind, die offenbar noch in ihren
Sünden liegen und noch nicht wahrhaft glauben, zu sagen, dass sie bei Gott
nicht in Gnaden stehen, dass sie unter Gottes Zorn und Fluch ruhen, und dass
sie den breiten Weg gehen, der sie unausbleiblich, wenn sie nicht umkehren, in
das ewige Verderben führen werde. Eine deutliche Beweisstelle dafür finden wir
in dem Propheten Hesekiel. Daselbst wird ein jeder Diener Gottes so angeredet:
„Du Menschenkind, ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel; du
sollst aus meinem Mund das Wort hören und sie von meinetwegen warnen. Wenn ich
dem Gottlosen sage: Du musst des Todes sterben; und du warnst ihn nicht und
sagt es ihm nicht, damit sich der Gottlose vor seinem gottlosen Wesen hüte, auf
dass er lebendig bleibe: So wird der Gottlose um seiner Sünde willen sterben,
aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern.“ Hieraus erseht ihr, dass
diejenigen nicht etwa die rechten evangelischen Prediger sind, die niemandem
Gericht und Verdammnis predigen; das sind vielmehr Seelenmörder. Solchen wird
in der Schrift zugerufen: „Wehe euch, die ihr Kissen macht den Leuten unter die
Arme und Pfühle zu den Häuptern, beides Jungen und Alten, die Seelen zu fangen;
ihr stärkt die Hände der Gottlosen, dass sie sich von ihrem bösen Wesen nicht
bekehren.“
Predigt daher ein Prediger, dass alle
Ungläubigen und mutwilligen Sünder von der Seligkeit ausgeschlossen seien, oder
sagt er es zu einem einzelnen Sünder, der entweder seinen Unglauben bekennt
oder von einer Sünde nicht lassen will: Du bist der Mann des Todes! So ist es
eine gottlose Verkehrung, wenn man spricht, dass ein solcher Prediger gegen den
Spruch handele: „Richtet nicht, verdammt nicht!“
Doch, meine Lieben, dies werden gewiss alle
diejenigen von ganzem Herzen zugeben, welchen och an die heilige Schrift
glauben; aber nicht wenige gibt es, die die Bibel für Gottes Wort halten, und
die, wenn nicht bloß Sünden, sondern auch Irrtümer ernstlich gestraft und
verworfen und offenbar halsstarrige falsche Lehrer hart angegriffen, ja, wohl
endlich mit dem Fluch belegt werden, die dann alsbald über Lieblosigkeit und
Härte klagen und ausrufen: Wie spricht der sanftmütige Heiland? Spricht er
nicht: „Richtet nicht, verdammt nicht!“? Man spricht, ein Prediger solle
das Wort Gottes predigen, aber es sei gegen die christliche Liebe, andere zu
strafen, die es nicht so, wie er selbst, auslegen; ein Prediger könne wohl
seinen Glauben und seine Religion zu beweisen suchen, aber es sei lieblos, den
Glauben und die Religion anderer zu verachten und zu verwerfen. Ein Prediger
des Evangeliums müsse ein Friedensbote sein, es sei daher unrecht, wenn er
Andersgläubige Irrgläubige, Irrlehrer und Ketzer nenne und wenn er andere
Konfessionen falsche Kirchen und Sekten schelte; die da bekennen, dass die
Bibel Gottes Wort und dass Christus der Sohn Gottes sei, die überhaupt in den
Hauptlehren der Schrift einig wären, die sollten sich billig auch als Brüder
die Hand reichen. Wenn auch einige von der einen oder anderen Lehre etwas
abgingen, so dürfe man darum den Frieden mit ihnen nicht brechen; man dürfe es
nicht zu genau nehmen; Gott werde ein kleines abgehen von seinem Wort gewiss
nicht so hoch anrechnen. Warnend rufe Christus: „Richtet nicht, verdammt
nicht!“
So viele aber, meine Lieben, jetzt diese
Worte Christi so verstehen, als wolle Christus damit das Gericht und
Verdammungsurteil über falsche Lehren und Lehrer verbieten, so ist doch auch
dies ein arger Missverstand. In Gottes Wort wird nicht nur die Sünde, sondern
auch das Abgehen von der Bibel für etwas Verdammungswürdiges erklärt. So heißt
es z.B. am Schluss der Bibel: „So jemand dazu setzt, so wird Gott zusetzen auf
ihn die Plagen, die in diesem Buch geschrieben stehen. Und so jemand davon tut
von den Worten des Buchs dieser Weissagung, so wird Gott abtun sein Teil vom
Buch des Lebens und von der heiligen Stadt und von dem, das in diesem Buch
geschrieben steht.“ Kann es eine schrecklichere Drohung geben als diese, für
alle, welche zu Gottes Wort entweder etwas hinzusetzen oder die etwas davon
tun? Muss es daher nicht ein jeder Christ damit genau und streng nehmen? Und
ist es daher nicht jedes Christen Pflicht, nicht nur die Sünde, sondern ebenso
ernstlich das Abgehen von der Bibel zu strafen? Und haben Christus und seine
Apostel nicht viele Ermahnungen gegeben, die Geister zu prüfen und sich vor
falschen Propheten zu hüten? Wie könnten dies aber die Christen, wenn es ihnen
verboten wäre, über solche Lehren und Lehrer zu richten und zu urteilen? Sagt nicht
St. Paulus: „Einen Ketzer sollst du meiden, wenn er einmal und abermals ermahnt
ist“? Wie könnten dies aber die Christen, wenn sie keine Irrlehrer einen Ketzer
nennen dürften?
Soll dies aber schon jeder Christ tun, so
ist freilich ein öffentlicher Prediger des Evangeliums doppelt dazu berufen.
Ein Prediger soll ein Hirte der Schafe Christi sein; er tut daher nur dann
seine Pflicht, wenn er die Schafe nicht nur mit dem reinen Evangelium weidet,
sondern sie auch vor den Wölfen warnt. Ein Prediger soll gleich sein jenen
Arbeitern am Tempel zu Jerusalem, die in der einen Hand die Kelle und in der
anderen das Schwert führten, die nämlich nicht nur bauten, sondern auch gegen
die kämpften, welche sie an ihrem Bau hindern wollten. Daher spricht St.
Paulus: „Ein Bischof soll untadelig sein, der da halte ob dem Wort, das gewiss
ist und lehren kann, auf dass er mächtig sei zu ermahnen durch die heilsame
lehre und zu strafen die Widersprecher. Denn“, setzt er hinzu, „es sind viele
freche und unnütze Schwätzer und Verführer, welchen man muss das Maul stopfen,
die da ganze Häuser verkehren und lehren, das nicht taugt.“ Prediger, welche
das nicht tun, welche für die reine Lehre nicht eifern und die falsche Lehre
nicht strafen, die alle Religionen für gleich gut halten und daher alle
Irrgläubigen in ihre Brüderschaft aufnehmen, diese werden in Gottes Wort Laue
genannt, die weder kalt noch warm sind, und die der HERR ausspeisen will aus
seinem Mund. Von ihnen heißt es: „Sie tünchen mit losem Kalk, verführen das
Volk und rufen: Friede; so doch kein Friede ist“; ja, in dem Propheten Jesaja
heißt es von ihnen: „Stumme Hunde sind sie, die nicht strafen können, sind
faul, liegen und schlafen gerne.“
Lasst euch darum, meine Lieben, nicht von
dem Geist einer falschen Liebe, der jetzt über so viele ausgegossen ist,
einnehmen. Bedenkt: Gerade das ist Liebe zu seinem Nächstgen, wenn man ihn
seinen Irrweg nicht ruhig fortgehen lässt, sondern ihm die Gefahr vorstellt, in
welche ich sein Irrtum stürzt. Bedenkt: Christus war die Liebe selbst, und doch
deckte er die falschen Lehren der scheinheiligen Pharisäer schonungslos auf,
sprach das Wehe über sie aus und nannte sie Kinder des Teufels, Heuchler und
Verführer. Bedenkt: Auch Paulus hatte gewiss ein Herz voll von wahrhaft
christlicher Liebe, und doch legte er den Fluch auf alle, die das Evangelium
anders predigen würden, als er gepredigt habe. Bedenkt: Auch David war ein
Mann, der seine Feindesliebe durch die Tat bewährt hat, und doch spricht er:
„HERR, ich hasse, die da halten auf lose Lehre. Ich hasse die Flattergeister.
Ich hasse ja, HERR, die dich hassen, und verdrießt mich auf sie, dass sie sich
gegen dich setzen. Ich hasse sie mit rechtem Ernst; darum sind sie mir feind.“
So ist es denn gewiss: Weder das Richten
und Verdammen offenbarer Sünden, noch des offenbaren Unglaubens,
noch offenbarer Irrtümer hat Christus mit den Worten verboten: „Richtet
nicht, verdammt nicht!“ Aber, werdet ihr sagen, was ist es denn, was
Christus hiermit verbietet? Welches der rechte Verstand dieser Worte sei, das
lasst uns nun zweitens erwägen.
2.
Nehmen wir, meine Lieben, die Worte Christi
immer, wie sie lauten, so können wir nie irre gehen und nie auf einen falschen
Sinn derselben geführt werden, denn niemand redet klarer, deutlicher und
verständlicher als Christus. Nehmen wir aber nun die Worte: „Richtet nicht,
verdammt nicht!“ einfältig, wie sie lauten, so können sie offenbar keinen
anderen Sinn haben als diesen: Ihr Menschen habt kein Recht, euch über
irgendjemand zum Richter aufzuwerfen; Gott allein ist Richter, und er will
diese Ehre keiner Kreatur lassen; jedes Gericht, das ein Mensch fällt, ist
daher sündlich, unchristlich und ein Eingriff in Gottes Richteramt, wenn es
etwas anderes ist als Gottes Gericht selbst.
Ihr seht hieraus: Christus will mit jenen
Worten ernstlich alle diejenigen strafen, welche andere nicht nach Gottes Wort,
sondern nach ihren eigenen Gedanken richten und verdammen. Es gibt Menschen,
welche über das Herz anderer richten; sie sehen, dass ein anderer etwas tut,
was zwar böse wäre, wenn er es dabei böse meinte; was aber gut wäre, wenn er es
dabei gut meinte; sie nehmen es aber dafür an, dass ihr Nächster es bös gemeint
habe, und legen es aufs Ärgste aus. Oder sie sehen, dass der Nächste einen
bösen Schein gibt; sie können es nun zwar nicht gewiss wissen, ob es mehr als
ein bloßer böser Schein sei oder nicht, und dennoch glauben sie das Übelste.
Oder sie hören von ihrem Nächsten ein übles Gerücht; sie untersuchen es nicht
erst genau, ob es auch Grund habe; die leihen dem Ohrenbläser willig ihr Ohr;
sie nehmend das Gerücht sogleich für ausgemachte Wahrheit an und verurteilen
den, von dem man Böses sagt, als hätten sie es selbst gesehen. Seht, solchen
ruft Christus in unserem Evangelium zu: „Richtet nicht, verdammt nicht!“
das heißt, hegt kein Misstrauen, keinen Argwohn gegen euren Nächsten in eurem
Herzen; glaubt nicht eher etwas Böses von ihm, bis ihr dazu durch die offene
Tat in Gottes Urteilsspruch in seinem Wort gezwungen seid; entschuldigt euren
Nächsten, so lange ihr könnt, und kehrt alles zum Besten.
Doch nicht ohne Absicht setzt Christus vor
jene Warnung die Ermahnung: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig
ist“ Hiermit zeigt Christus an, dass ein Mensch auch dann sündlich richtet,
wenn er es zwar nach Gottes Wort, aber nicht in Barmherzigkeit und Liebe tut.
Es gibt Menschen, die strafen wohl Spünde, Unglauben und Irrtum streng nach
Gottes Wort, aber nicht aus Hass gegen diese ungöttlichen Dinge und nicht aus
Liebe zu den Seelen der Sünder, nicht mit dem Verlangen, die Gefallenen
aufzurichten, die Sünder zu besseren, die Irrenden auf den rechten Weg zu
leiten und andere zu warnen; sondern sie tragen an dem Gespräch über die Sünden
anderer ein Wohlgefallen; von den Gebrechen anderer zu reden, ist ihnen etwas
Süßes; sie fühlen dabei Schadenfreude; sie lassen sich dabei, wenn die
Gefallenen ihre Feinde waren, von Neid und Rachsucht leiten, und tut ihnen
wohl, den Sünder zu beschämen und bei anderen in Schmach und Schande zu
bringen. Sie strafen unfreundlich und im Zorn; sie setzen bei ihrer Bestrafung
schon voraus, dass der Sünder sich doch nicht weisen lassen werde; sie sprechen
dem Gefallenen nicht nur jetzt den Gnadenstand ab, sondern erklären auch sein
ganzes voriges Christentum für Heuchelei und Verstellung und hoffen nicht, dass
er wieder aufstehen, dass er wieder in sich gehen und Buße tun werde. Solchen
ruft Christus zu: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist;
richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet; verdammt nicht, so werdet
ihr auch nicht verdammt“; das heißt, lasst euer Richten nicht nur nach der
Entscheidung des Wortes Gottes, sondern auch in der Liebe geschehen, die alles
verträgt, die alles glaubt, die alles hofft, die alles duldet.
Doch Christus gibt uns zum Schluss unseres
Evangeliums noch einen dritten Wink, von welchem Richten und Verdammen er rede.
Er spricht nämlich: „Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen?
Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen? Der Jünger ist nicht über dem
Meister; wenn der Jünger ist wie der Meister, so ist er vollkommen.“
Hiermit zeigt Christus an, dass das Gericht auch derjenigen Gott missfällig
sei, die, indem sie andere leiten wollen, selbst blind sind, die, indem sie
über anderer Sünde richten, ihre eigenen vergessen und, indem sie andere
strafen, sich selbst nicht strafen. Daher führt Christus fort: „Was siehst du aber einen Splitter in
deines Bruders Auge, und des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr? Oder
wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt stille, Bruder! Ich will den
Splitter aus deinem Auge ziehen; und du siehst selbst nicht den Balken in
deinem Auge?“ Christus will hiermit sagen: Wer, indem er andere verurteilt, sich über
sie erhebt, sich besser dünkt, und dabei in seinem Herzen spricht, wie der
Pharisäer: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie andere Leute, Diebe,
Räuber, Hurer, Ungerechte“ und dergleichen; einem solchen ruft Christus zu: „Richte
nicht, verdamme nicht!“ denn indem du andere verdammst und dich selbst
rechtfertigst, so wird die Sünde deines Stolzes und deiner Hoffart so groß,
dass deines Nächsten Sünde vor Gott nur wie ein Splitter und die deinige wie
ein Balken erscheint.
O, wollte Gott,
dass nun ein jeder unter uns in sein Herz und Leben ginge, so wird ein jeder
finden, dass auch er von Natur zum sündlichen Richten und Verdammen ach! nur zu
sehr geneigt sei, und ein jeder wird bewogen werden, sich deswegen vor Gott
aufs tiefste zu demütigen.
Prüft euch aber
alle wohl, ob diese Sünde etwa bis jetzt in euch geherrscht habe? Frage sich
ein jeder: Pflegst du über deinen Nächsten zu richten nach dienen Gedanken und
nicht nach Gottes Wort? Folgst du deinem argwöhnischen Herzen und denkst du
immer das Übelste von ihm, oder ist es deine Weise, ihn zu entschuldigen, Gutes
von ihm zu reden und alles zum Besten zu kehren? Und wenn du ja nach dem
Ur4teil Gottes richtest, richtest du auch in herzlicher Liebe und mit wahrhaft
erbarmendem Herzen? Tust du’s in tiefster Demut, in Erkenntnis deiner eigenen
Sündhaftigkeit und in dem du dich selbst vor Gott strafst? Oder richtest du
unbarmherzig und indem du dich für besser hältst als den Gefallenen?
Euch ruft
Christus am Schluss unseres Evangeliums zu: „Du Heuchler, ziehe zuvor den
Balken aus deinem Auge; und besiehe dann, dass du den Splitter aus deines
Bruders Auge ziehst“, das heißt, erkenne, dass du ein viel größerer Sünder
bist, als die, über die du bisher gerichtet hast; bekenne das mit zerschlagenem
Herzen Gott; bitte ihn um Vergebung und um Veränderung deines bösen Herzens; so
wird sich Gott deiner erbarmen; er wird den Balken aus deinem Auge nehmen; er
wird dich begnadigen; er wird dir seinen Heiligen Geist geben und dein Herz
verändern, und dann wirst du nicht mehr selbst richten, sondern Gott richten
lassen in seinem Wort, nicht mehr lieblos und in Selbsterhebung deinen Nächsten
verurteilen, sondern in Liebe und Demut ihm zurecht zu helfen suchen und so
wirst du Christus folgen und endlich dort Barmherzigkeit finden vor seinem
Angesicht.
O, dass keiner,
den Gottes Geist jetzt durchs Wort seiner Sünde erinnert hat, ihm widerstrebe,
seine Sünde sich selbst zu verbergen suche und so in Sünden bleibe! O, dass ein
jeder die Worte: „Richtet nicht, verdammt nicht!“ sich in sein Herz
schreiben lasse und ihnen denke, rede und handle, so werden sie ihn hier vor
tausend schweren Sünden bewahren und dort wird er die Stimme hören: Du hast
nicht gerichtet, so wirst du auch nicht gerichtet; du hast nicht verdammt, so
wirst du nun auch nicht verdammt; wo ich bin, da soll mein Diener auch sein;
gehe ein zu deines HERRN Freude. Amen.
Gott gebe euch alles viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserem Heiland, herzlich
geliebte Brüder und Schwestern!
Der Hauptunterschied, welcher zwischen
einem wahren Christen und einem Nichtchristen oder falschen Christen
stattfindet, besteht nach Gottes Wort nicht sowohl in äußerlichen Werken, als
vielmehr in der himmlischen Gesinnung, welche alle wahren Christen
haben. Dies sehen wir sowohl aus den Ermahnungen, welche den Christen in Gottes
Wort gegeben werden, als in den Beschreibungen und Bekenntnissen derselben, die
sich in Gottes Wort finden.
So ermahnt z.B. Christus selbst seine
Christen: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner
Gerechtigkeit, so wird euch das andere alles zufallen“; und als einst Einer
Christus zwar nachfolgen, aber erst seinen Vater begraben wollte, rief ihm
Christus zu: „Folge du mir, und lass die Toten ihre Toten begraben.“ So ermahnt
ferner Paulus die Christen: „Trachtet nach dem, was droben ist, da Christus
ist, nicht nach dem, was auf Erden ist“; und an einer anderen Stelle: „Stellt
euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures
Sinnes.“ So ruft auch Petrus den Christen zu: „Liebe Brüder, ich ermahne euch,
als die Fremdlinge und Pilger, enthaltet euch von fleischlichen Lüsten, welche
gegen die Seele streiten“; und endlich ermahnt sie auch der heilige Johannes
so: „Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. So jemand die Welt
lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters.“
Hiermit stimmen denn auch, wie gesagt, die
Beschreibungen und Bekenntnisse wahrer Christen, die sich in Gottes Wort
finden. So beschreibt z.B. Christus seine Christen: „Sie sind nicht von der
Welt, gleichwie auch ich nicht von der Welt bin.“ Dasselbe drückt der heilige
Paulus so aus: „Unser Wandel ist im Himmel, von wo wir auch erwarten den
Heiland Jesus Christus, den HERRN. Die Welt ist mir gekreuzigt und ich der
Welt. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“
Aus diesem allem sehen wir:; Wahre
Christen sind solche Leute, die nur dem Leib nach noch in der Welt sind, aber
ihr Geist, Herz, Sinn und Gemüt ist im Himmel. Für die Welt sind sie schon
gestorben. Dieses Leben auf Erden betrachten sie nur als eine Reise durch ein
fremdes Land nach dem Himmel, als ihrer wahren Heimat und ihrem eigentlichen
Vaterland. Ihre Gedanken, Wünsche und Begierden sind auf die selige Ewigkeit
gerichtet. Überall erblicken sie Gottes Finger und sein geheimes Walten, Wirken
und Regieren. Alles, was ihnen selbst widerfährt, und alles, was in der Kirche
und in der bürgerlichen Welt vorgeht, beurteilen sie nach dem Zusammenhang, den
dieses alles mit ihrer Seligkeit und mit der Seligkeit der ganzen Welt hat. Es
kostet sie keinen besonderen Kampf. Sich von der Welt und ihrer Eitelkeit
zurückzuziehen und fernzuhalten; sie haben vielmehr den Geschmack daran
verloren; wenn sie daher wider ihre Willen in die Welt hineingezogen werden, so
ist ihnen nicht wohl, und so oft sie sich in die Welt einmal selbst wieder
verloren und zerstreut haben, da erfasst sie bald ein schmerzliches Heimweh,
und es ist ihnen, wie David sagt, wie einem Kind, das von seiner Mutter
entwöhnt wird. Ihre Freude ist, wie Assaph singt, dass sie sich zu Gott halten
und ihre Zuversicht setzen auf den HERRN HERRN, dass sie verkündigen all sein
Tun. Ihr seligster Umgang ist ihr Umgang mit Gott im Gebet und mit ihren
gläubigen Brüdern in heiligen Gesprächen und geistlichen lieblichen Liedern.
Gottes Wort hören, lesen und betrachten ist ihnen nicht eine Last, sondern eine
Lust, wie dem Hungrigen und Durstigen das Essen und Trinken. Den Gedanken an
den Tod fliehen sie nicht, er ist ihnen vielmehr eine liebe Beschäftigung. „Wie
ein Knecht sich sehnt nach dem Schatten, und ein Tagelöhner, dass seine Arbeit
aus sei“, so sehnt sich ihre Seele nach dem Ende des irdischen Lebens.
Wie nun, meine Lieben? Sollten also die
wahren Christen für dieses Leben und für diese Welt nicht recht unbrauchbare
Menschen sein? Sollte ihr allein auf das himmlische gerichteter Sinn nicht
notwendig zur Folge haben, dass sie in ihrem irdischen Beruf nachlässig und
untreu sind? So möchte wohl mancher wähnen, und manche Feinde des Christentums,
unter anderem Kaiser Julian der Abtrünnige, haben auch wirklich diesen Einwurf
gegen das Christentum erhoben: Es könne dasselbe nämlich darum nicht die wahre
Religion sein, weil es den Menschen zur Förderung der Wohlfahrt der Welt im
Zeitlichen und Irdischen untüchtig mache. Aber dem ist nicht so. Der
Unterschied zwischen einem irdisch gesinnten Weltmenschen und einem himmlisch
gesinnten Christen besteht eben nicht in äußerlichen Werken, sondern allein in
der innerlichen Gesinnung; wie es denn in jenem schönen Lied heißt:
Es glänzet der
Christen inwendiges Leben,
Obgleich sie von
außen die Sonne verbrannt;
Was ihnen der
König des Himmels gegeben,
Ist keinem, als
ihnen nur selber, bekannt.
Sonst sind sie des
Adams natürliche Kinder,
Und tragen das
Bilde des Irdischen auch;
Sie leiden am
Fleische, wie andere Sünder,
Sie essen und
trinken nach nötigem Brauch.
In leiblichen
Sachen, in Schlafen und Wachen
Sieht man sie vor
andern nichts Sonderlichs machen,
Nur dass sie die
Torheit der Weltlust verlachen.
Weit entfernt daher, dass himmlisch
gesinnte Christen in ihrem irdischen Beruf untreu sein sollten, so beweisen
gerade sie allein darin die rechte Treue. Das sehen wir aus unserem heutigen
Evangelium an dem Beispiel des heiligen Petrus. Die Betrachtung seines
Vorbildes hierin sei den auch der Gegenstand unserer heutigen Andacht.
Lukas 5,1-11: Es begab, sich aber, da sich das Volk zu ihm drang, zu
hören das Wort Gottes, und er stand am See Genezareth und sah zwei Schiffe am
See stehen; die Fischer aber waren ausgetreten und wuschen ihre Netze; trat er
in der Schiffe eines, welches Simons war, und bat ihn, dass er’s ein wenig vom
Lande führte. Und er setzte sich und lehrte das Volk aus dem Schiff. Und als er
hatte aufgehört zu reden, sprach er zu Simon: Fahre auf die Höhe und werft eure
Netze aus, dass ihr einen Zug tut. Und Simon antwortete und sprach zu ihm:
Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf
dein Wort will ich das Netz auswerfen. Und da sie das taten, beschlossen sie
eine große Menge Fische; und ihr Netz zerriss. Und sie winkten ihren Gesellen,
die im andern Schiff waren, dass sie kämen und hülfen ihnen ziehen. Und sie
kamen und füllten beide Schiffe voll, so dass sie sanken. Da das Simon Petrus
sah, fiel er Jesu zu den Knien und sprach: HERR, gehe von mir hinaus; ich bin
ein sündiger Mensch. Denn es war ihn ein Schrecken angekommen und alle, die mit
ihm waren, über diesen Fischzug, den sie miteinander getan hatten; desgleichen
auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gesellen. Und Jesus
sprach zu Simon: Fürchte dich nicht; denn von nun an wirst du Menschen fangen.
Und sie führten die Schiffe zu Lande und verließen alles und folgten ihm nach.
In diesem herrliche, vor anderen lieblichen
Evangelium wird uns von einem wunder erzählt, welches, wenn Christus auch kein
anderes als allein dieses getan hätte, schon allein den Unglauben widerlegen
und unwidersprechlich beweisen würde, dass Christus kein bloßer Mensch gewesen
sein könne, sondern wahrhaftig der allmächtige Sohn Gottes gewesen sein müsse,
wofür er sich erklärte; denn niemand kann ein solches Zeichen tun, es sei denn
Gott mit ihm und daher alles, was er sagt, göttliche unwidersprechliche
Wahrheit. Doch heute wollen wir unser Augenmerk hauptsächlich auf Petrus
richten, mit welchem Christus verhandelte. Aufgrund des Vorbildes des Petrus
lasst mich euch nämlich jetzt vorstellen:
Den
himmlisch gesinnten Christen in seinem irdischen Beruf
Und zwar zeige ich euch hierbei zweierlei:
1.
Wie sich derselbe darin verhalten,
und
2.
Wie man ein solcher Christ werde.
HERRN Jesus! Du sprichst: „Wer im
geringsten unrecht ist, der ist auch im Großen unrecht.“ Hiermit bezeugst du
uns, dass du auch an unserem Verhalten in unserem irdischen Beruf erkennen
wollest, ob wir den himmlischen angenommen haben. O, so hilf denn, dass wir uns
nicht wegwenden, wenn du jetzt den Spiegel deines Wortes uns vorhältst.
Verurteilt uns dein Wort, o, so bewahre uns doch, dass wir uns nicht selbst
lossprechen! Du willst ja allein darum, dass wir uns selbst richten, damit du
uns einst nicht richten müssest. Du willst allein darum, dass wir hier über
unser Elend klagen, damit wir einst in Ewigkeit jauchzen können; dass wir hier
uns demütigen, damit wir einst erhöht werden können; dass wir hier weinen,
damit wir dort lachen können. O, so mache denn dein Wort uns jetzt allen zu
einem Geruch des Lebens zum Leben, zu einer Arznei der Kranken, zu einer
Stärkung der Schwachen und zu einer Versiegelung der Starken. Erhöre uns, o
Jesus, um deines heiligen, seligmachenden Namens willen. Amen.
1.
Das erste, meine Lieben, was wir in unserem
Evangelium an Petrus erblicken, ist, dass er in seinem irdischen Beruf überaus
fleißig war. ER war damals zwar schon fast seit einem Jahr zu Christus bekehrt,
aber da ihn Christus bis dahin noch nicht in das Predigtamt berufen hatte, war
er nicht nur in dem Fischerberuf geblieben, dem sein Vater Jona, welcher auch
ein Fischer war, ihn von Kind auf gewidmet hatte, sondern er erwies sich nun
auch in diesem seinem Beruf nach seiner Bekehrung nur umso eifriger. Er wurde
daher nach unserem Evangelium von Christus nicht nur mit dem emsigen Waschen
seiner Fischernetze beschäftigt angetroffen, sondern konnte auch zu Christus
von sich und seinen Gesellen sagen: „Meister, wir haben die ganze Nacht
gearbeitet“; ja, als Christus ihn nun auch am Tag auf die Höhe fahren und
seine Netze auswerfen heißt, entschuldigt er sich nicht damit, dass er ja schon
die ganze Nacht gearbeitet habe und nun am Tag der Ruhe bedürfe, sondern folgt
dem Ruf zu neuer Arbeit wieder ohne Zögern.
Seht hieraus: Ein bekehrter Christ
offenbart seine himmlische Gesinnung nicht etwa dadurch, dass er nun seinen
irdischen Beruf gering achtet und vernachlässigt, dass er, anstatt zu arbeiten,
nur betet und Gottes Wort treibt, oder dass er von Haus zu Haus geht und andere
zu bekehren sucht. Viel weniger will er müßig gehen und von den Wohltaten
anderer zehren oder gar durch Wucher oder allerlei Spekulationen sich Geld und
Gut erwerben, um ohne eigene Arbeit von der Arbeit anderer leben zu können.
Nein, sein himmlischer Sinn zeigt sich gerade dadurch, dass er nun in seinem
irdischen Beruf umso fleißiger ist. Er gönnt sich auch wohl zuweilen eine
Erholung, aber das tut er nicht aus Trägheit oder Vergnügungssucht, sondern um
dadurch zu neuer Arbeit umso tüchtiger und munterer zu werden. Die Zeit ist ihm
nun erst recht kostbar geworden; jede Stunde, in welcher er ohne Not müßig
geht, ist ihm ein schwerer Verlust, und er bittet Gott deswegen um Vergebung.
Steht nun vollends ein himmlisch gesinnter Christ in fremder Arbeit, so kann
sich sein Herr auf ihn verlassen. Es gibt nicht nur keinen besseren Kirchgänger
als einen himmlisch gesinnten Christen, sondern auch keinen besseren Knecht und
keine bessere Magd, kurz, keinen fleißigeren, sorgfältigeren und treueren Arbeitet
als einen solchen Christen. Je himmlischer gesinnt er ist, desto weniger schämt
er sich auch der geringsten irdischen Arbeit, und wenn es auch das Waschen
schmutziger Fischernetze wäre.
Doch, meine Lieben, in unserem Evangelium
wird uns nicht nur berichtet, dass der bekehrte Petrus fleißig arbeitete,
sondern auch, was bei ihm der Grund seiner fleißigen Arbeit war. Als ihm
Christus befahl, am hellen Tag auf die Höhe zu fahren und sein Netz
auszuwerfen, da war dies seiner Vernunft und Erfahrung durchaus widersprechend.
Er wusste nämlich als ein erfahrener Fischer, wenn man mit Erfolg in einem Meer
Fischfang treiben wolle, so müsse man das in der Nacht und in der Nähe des
Ufers tun. Was tut er aber? Er spricht: „Meister, wir haben die ganze Nacht
gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich das Netz
auswerfen.“ Dies lässt uns einen Blick darein tun, mit welchem Herzen und
Sinn Petrus seine Arbeit überhaupt zu verrichten pflegte. Er arbeitete nämlich
darum so fleißig, weil er wusste, dass das Gottes Wort und Wille sei; also
allein im Gehorsam und im Vertrauen auf Gott.
Seht da die andere Eigenschaft, die ein
himmlisch gesinnter Christ in seinem irdischen Beruf zeigt; sie besteht darin,
dass der Grund seines Arbeitens ist, dass es Gott so befohlen hat und weil er
dabei auf Gottes Beistand, Segen und Gedeihen hofft. Was den Fleiß betrifft, so
sind darin die Nichtchristen den Christen oft gleich, ja, übertreffen dieselben
wohl darin noch; aber was den Grund und die Ursache der Arbeit betrifft, so
sind darin die irdisch gesinnten Menschen und die himmlisch gesinnten Christen
voneinander so verschieden, wie der Himmel von der Erde. Wenn ein irdisch
gesinnter Mensch fleißig arbeitet, so tut er dies entweder aus natürlicher Lust
zur Arbeit oder aus Not oder um dadurch reich oder geehrt zu werden, und im
Vertrauen auf seinen Fleiß und auf seine Geschicklichkeit. Ein himmlisch
gesinnter Christ aber arbeitet darum, weil Gott gesagt hat: „Im Schweiß deines
Angesichts sollst du dein Brot essen“; und „Du wirst dich nähren deiner Hände
Arbeit; wohl dir, du hast es gut.“ Auch ein himmlisch gesinnter Christ hat eine
natürliche Lust zur Arbeit, und auch er erwirbt sich damit sein tägliches Brot,
aber das ist nicht der eigentliche Grund seiner Arbeit. Viel weniger aber ist
sein Grund, weil er reich oder geehrt werden wollte. Er arbeitet vielmehr
darum, weil es Gottes Ordnung ist, dass jeder sein eigenes Brot esse und etwas
treibe, was seinem Nächsten nützlich ist. Irdisch gesinnte Menschen wählen sich
immer den Beruf aus, in welchem sie die geringste Mühe und den höchsten Lohn
haben; in unserer Zeit und namentlich in diesem Land wollen daher die Meisten
am liebsten Kaufleute werden, weil sie nämlich meinen, sich so auf die
leichteste Weise große Schätze erwerben und schnell Herren werden zu können.
Ein himmlisch gesinnter Christ aber wählt sich den Beruf aus, worin er
der Welt nach seinen Gaben und Neigungen am nützlichsten werden zu können
glaubt. Ist er ein Kaufmann, so sieht er sich auch in diesem Beruf, wie in
jedem anderen, nur für einen Diener seines Nächsten an und macht so aus seinem
irdischen Beruf einen heiligen Gottesdienst. Er hält daher nicht am meisten auf
die Waren, die ihm am meisten einbringen, sondern die sein Nächster am meisten
bedarf. Während er aber in seiner Arbeit nur Gott und seinem Nächsten dienen
will, erwartet er auch allein von Gott Segen und Gedeihen derselben. Er treibt
seinen Beruf im Glauben. Erwirbt er durch seine Arbeit viel, so schreibt er
dies sich nicht selbst zu, sondern allein der göttlichen Güte und wird deswegen
nicht stolz; muss er hingegen mit Petrus selbst ganze Nächste vergeblich
arbeiten, so verzagt er darum nicht, ändert deswegen nicht sogleich seinen
Beruf, sondern achtet dies für eine göttliche Prüfung seines Glaubens, seiner
Liebe und seiner Hoffnung und Geduld, und fährt im Glauben fort.
Doch noch eins ist es, was wir an Petrus in
unserem Evangelium bewundern müssen. Er hatte die ganze Nacht gearbeitet und
nichts gefangen, sich nur ermüdet und seine Netze verderbt, also nur Schaden
gelitten; da kommt Jesus und fordert von ihm, ihm sein Schiff zur Kanzel zu
leihen und es zu diesem Zweck ein wenig vom Land zu führen. Petrus denkt nun
nicht: Er habe bereits so viel Zeit verloren und könne sich nun unmöglich in
seiner Arbeit stören lassen, er müsse notwendig das Verlorene wieder
einbringen; nein, sogleich legt er seine Netze weg, tut, was ihm Christus
geheißen hat, und hört seiner Predigt andächtig zu. Ja, nachdem er sodann auf
Christi Wort einen wunderbar gesegneten Fischzug getan hat und Christus ihm nun
zuruft: „Von nun an wirst du Menschen fangen“, ihn also nun in das
Predigtamt beruft, da bedenkt sich Petrus keinen Augenblick, verlässt sogleich
alles und folgt von nun an Christus nach und bleibt sein Diener bis zum
blutigen Märtyrertod.
Sehr da das dritte Kennzeichen eines
himmlisch gesinnten Christen in seinem irdischen Beruf! Es besteht dies nämlich
hiernach darin, dass ein solcher Christ, so treu er in seinem irdischen Beruf
ist, doch über demselben nicht nur seinen himmlischen Beruf nicht
vernachlässigt, sondern dass er den letzteren auch jenem immer vorzieht.
Während irdisch gesinnte Menschen um ihres irdischen Berufs willen den
himmlischen hintansetzen und, wenn sie zum Eifer im Gebet, im öffentlichen und
Hausgottesdienst und in den Sachen des Reiches Gottes ermahnt werden, sich oft
gerade mit ihrem irdischen Beruf entschuldigen, und dazu das Sprichwor4t
missbrauchen: Herrendienst geht vor Gottesdienst: So kehren himmlisch gesinnte
Christen es vielmehr um und gehen nach dem Grundsatz: Gottesdienst geht vor
Herrendienst. Solche Christen nehmen daher erstlich schon keinen solchen
irdischen Beruf ohne Not an, der sie an dem Gottesdienst hindert und ihrer
Seele gefährlich ist, und wenn sie unbedacht darein geraten sind, suchen sie selbst
mit Schaden wieder davon loszukommen. Sie sollen nichts treiben, und wen sie
ach damit alle Schätze der Welt erwerben könnten, wozu sie nicht jeden Morgen
Gott um Segen anrufen und sagen können: HERR, „auf dein Wort will ich mein
Netz auswerfen“. Und sodann denken sie: So nötig auch meine irdische Arbeit
sein mag, so ist doch die Arbeit und Sorge für meine Seele noch unendlich
wichtiger. Zum Hören und Betrachten Wortes Gottes und zum Gebet, meinen sie, müsse
Zeit werden. Sie denken: Wenn mich Gott krank werden ließe, müsste ich doch
meine Arbeit und meinen Verdienst liegen lassen, warum sollte ich dies nicht
auf mit Freuden freiwillig um Gottes und meiner Seele willen tun? Wenn sie, um
Gottes Wort zu hören und betrachten zu können, im Irdischen Schaden leiden
müssen, so achten sie das daher für gar keinen Schaden, sondern für einen
Gewinn. Sie rechnen so: Erst bin ich Christ und ein Glied der Kirche, dann erst
bin ich Hausvater und ein Bürger in dieser Welt; erst kommt die Seele, dann der
Leib; erst jenes Leben und die Ewigkeit, dann dieses Leben und die Zeit; erst
die Seligkeit in jener Welt, dann mein Fortkommen in dieser Welt. Kann sich
daher ein himmlisch gesinnter Christ davon überzeugen, dass ihn Gott in das
Schul- oder Predigtamt rufe, so verlässt er mit Petrus, ohne sich erst mit
Fleisch und Blut zu besprechen, auch seinen einträglichsten irdischen Beruf und
seine glänzendste Stellung, und wird mit Freuden ein armer, verachteter
Arbeiter in Christi Weinberg.
2.
Doch, meine lieben, wo finden wir solche
himmlisch gesinnten Christen? Ach, ihrer sind, leider, nur allzu wenig!
Unzählige nennen sich Christen und sind doch in ihrem irdischen Beruf erstlich
nicht einmal fleißig und treu, oder sie sind es doch nicht aus dem rechten
Grund, oder sie versäumen darüber ihren himmlischen Beruf. Und doch sind nur
himmlisch gesinnte Christen wahre Christen und nur sie auf dem Weg zum Himmel!
Lasst mich euch darum nun noch zweitens zeigen, wie man ein solcher himmlisch
gesinnter Christ werde.
Zwar wird uns die Bekehrung des Petrus in
unserem Evangelium nicht beschrieben, allein nichtsdestoweniger wird uns darin
deutlich genug angezeigt, wodurch er ein so himmlisch gesinnter Christ, wie er
war, geworden sei. Es wird uns nämlich erzählt: Als er gegen alles sein
Erwarten und gegen den Lauf der Natur durch Christi Allmacht einen wunderbar
reichen Fischzug getan hatte, da kam ihn ein Schauer und Schrecken an, „fiel
Jesus zu den Knien und sprach: HERR, gehe von mir hinaus; ich bin ein sündiger
Mensch“. Hiermit ist uns der Schlüssel zu dem Geheimnis der himmlischen
Gesinnung gegeben, in welcher Petrus offenbar stand. Diese Gesinnung hatte
nämlich offenbar ihren Grund darin, dass Petrus zu einer lebendigen, tiefen
Erkenntnis seiner natürlichen Sündhaftigkeit und Unwürdigkeit und der großen
Gnade und Freundlichkeit Christi gekommen war. Seitdem Petrus dazu gekommen
war, seitdem sorgte er nicht mehr für diese Welt, sondern allein für seine
Seele; seitdem war ihm alles Irdische nur eine Nebensache und das Himmlische
die Hauptsache; seitdem fürchtete er sich vor jeder Sünde wie vor der Hölle und
in seinem Herzen lebte die innige Sehnsucht, ganz seinem Gott zu leben, der ihm
so viel vergeben hatte; seitdem hatte er nun keinen höheren Wunsch als den,
Gottes Gnade nicht wieder zu verlieren, kurz, seitdem war er ein himmlisch
gesinnter Christ.
Und, meine Lieben, das ist der Weg, und
kein anderer, auf welchem auf ein jeder andere Mensch allein ein himmlisch
gesinnter Christ werden kann.
Merkt nämlich ein Mensch durch Gottes
Gnade, dass er noch irdisch gesinnt ist und dass er daher in diesem Zustand
Gott nimmermehr gefallen und selig werden könne, hat er daher Verlangen, ein
irdisch gesinnter Christ zu werden, so hilft es ihm nichts, wenn er sich auch
noch so fest vornimmt, von nun an alle irdischen Gesinnungen abzulegen und
himmlisch gesinnt zu werden. Solche guten Vorsätze helfen dazu so wenig, so
wenig sich durch gute Vorsätze ein Toter selbst lebendig, ein Blinder sehend,
ein Taubstummer hörend und redend, ein Lahmer gehend machen kann. Es ist auch
nicht genug, dass ein Mensch Gott nur um einen himmlischen Sinn bittet. Soll
diese Frucht auf dem Baum eines Menschenherzens wachsen, so muss der ganze Baum
erst umgewandelt und veredelt werden, einen anderen Saft, eine andere Natur,
ein anderes Wesen bekommen. Diese wunderbare Veränderung geht aber mit einem
Menschen nicht eher vor, als bis er lernt, mit Petrus Jesus zu den Füßen fallen
und aus der Tiefe seines Herzens auszurufen: „Ich bin ein sündiger Mensch.“
Willst du also, lieber Zuhörer, ein
himmlisch gesinnter Christ werden, wie Petrus war, siehe, so musst du nicht nur
fleißig Gottes Wort lesen und hören, sondern auch daraus vor allem zu erkennen
suchen, welch ein großer Sünder du bist und wie gnädig und freundlich Christus
gegen dich ist. Willst du aber dies erkennen, so darfst du Gottes Wort nicht
nur obenhin lesen, sondern musst mit der innigen Begierde um erleuchtete Augen
des Verständnisses und mit dem steten Bitten und Flehen: Ach, HERR Jesus, tue mir
doch meine Augen auf, dass ich mich und dich recht erkenne. Damit muss es dir
aber auch ein wahrer Ernst sein. Es muss in deinem Inneren heißen, wie bei
Jakob: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“
Meint es aber damit ein Mensch aufrichtig,
so lässt es ihm auch Gott gelingen, gibt ihm ein seine Sündhaftigkeit lebendig
erkennendes, darüber betrübtes und zerbrochenes Herz, und die selige
Gewissheit, dass Jesus, der Heiland der Sünder, auch sein Heiland sei. Und o
selig ist der Mensch, welcher dies wirklich und wahrhaftig erfährt! Denn ist
dies geschehen, dann ist der Mensch auch die Herrschaft seiner von Natur
irdischen Gesinnung los und ein wahrhaft himmlischer Sinn zieht dann in seiner
Seele ein.
Ein solcher Mensch mag dann nicht mehr
trachten nach dem, das auf Erden ist, denn die Lust am Eitlen ist ihm
vergangen; seine Seele dürstet aber nach dem Himmlischen, denn in der Gnade
Jesu hat ihm Gott schon einen Vorgeschmack des ewigen Lebens gegeben; wer aber
diesen Vorgeschmack genießt, dem ist alle Süßigkeit der Welteitelkeit
gallenbitter, und er flieht davor, während die armen weltherzen wie
Schmetterlinge von einer Freudenblume zur anderen fliegen, bis der bittere Tod
ihren flüchtigen kurzen Freuden ein ewiges Ende macht.
Ach, meine Lieben, so täuscht euch denn
nicht selbst! Bedenkt: Gerade diejenigen, welche einmal Christen gewesen sind,
können sich am leichtesten täuschen, weil sie nämlich noch immer äußerlich wie
Christen sich zu gebärden, zu reden, zu handeln und zu wandeln wissen, aber
bedenkt: Das Reich Gottes kommt, wie Christus spricht, nicht mit äußerlichen
Gebärden und steht, wie Paulus schreibt, nicht in Worten, sondern in der Kraft,
nämlich in Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Ein Mensch kann
daher dann alles tun und lassen, was wahre Christen tun und lassen, er kann
eifrig sein in Gottes Wort und Gebet und in tiefer Zurückgezogenheit von der
Welt leben – und dabei doch kein wahrer Christ sein. Denn zum Christen macht,
wie gesagt keine äußerliche Gebärde, kein christliches Reden, kein Werk, kein
Wandel, kurz, nichts Äußeres, sondern allein seine neue himmlische Gesinnung,
mit der er nicht nur zur Kirche geht, sondern selbst seinem irdischen Beruf
obliegt. Sein Schatz, Christus, ist im Himmel, drum ist auch sein Herz allda.
So helfe uns denn Gott allen hier zu
solchem himmlischen Sinn, einst aber durch Jesu Gnade zu des Himmels
Herrlichkeit selbst. Amen.
Matthäus 5,20-26: Denn ich sage euch: Wenn eure
Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so
werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen. Ihr habt gehört, dass zu den Alten
gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der soll des Gerichts
schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des
Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Racha! der ist des Rats
schuldig; wer aber sagt: Du Narr! der ist des höllischen Feuers schuldig. Darum
wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dir fällt dann ein, dass dein
Bruder etwas gegen dich habe, so lass allda vor dem Altar deine Gabe und gehe
zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder und dann komm und opfere deine
Gabe. Sei willfertig deinem Widersacher bald, dieweil du noch bei ihm auf dem
Weg bist, auf dass dich der Widersacher nicht dermaleinst überantworte dem
Richter, und der Richter überantworte dich dem Diener, und werdest in den
Kerker geworfen. Ich sage dir: Wahrlich, du wirst nicht von dort herauskommen,
bis du auch den letzten Heller bezahlst.
In Christus, geliebte Zuhörer!
Das Wort von Christus ist n och immer, wie
in der Apostel Zeiten, allen Selbstgerechten ein Ärgernis und allen
Selbstklugen eine Torheit. Keine Lehre hört man in unseren Tagen mit größerem
Unwillen als die Lehre, dass der Mensch allein aus Gnaden durch den Glauben an
Christus, den Heiland der Sünder, vor Gott gerecht und selig werde. Die
Predigten und die Bücher, welche diesen Weg zur Seligkeit zeigen, sind eine
Nahrung, die jet5zt nur wenig befriedigt; die Meisten sind mit Ekel und
Verachtung dagegen erfüllt.
Die Lehre, welche jetzt der großen Mehrheit
auch derer, die sich noch Christen nennen, wohlgefällt, ist diese, dass sich
der Mensch durch seine Tugend, durch seine guten Werke den Himmel verdienen
müsse. Wo jetzt das gepredigt wird, da füllen sich die Kirchen, da leiht man
dem Verkündiger ein aufmerksames Ohr, da rühmt man, die rechte Speise für die
Seele zu empfangen. Die alten Erbauungsbücher, in welchen Christus allein als
der Welt, die Wahrheit und das Leben gepriesen wird, liegen im Staub und die meisten
schämen sich nun des Glaubens ihrer Voreltern, durch Christi Versöhnung einen
gnädigen Gott und Vater im Himmel zu finden; hingegen die tausend und
abertausend neuen Erbauungsbücher, in welchen der Mensch angewiesen wird, wie
er durch seine eigene Frömmigkeit und Gerechtigkeit Gott wohlgefällig und eines
besseren Lebens in der Ewigkeit würdig werden müsse, diese kauft, liest und
rühmt man.
Sollte dies nicht ein gutes Zeichen sein,
dass man jetzt die Lehre von der Tugend und guten Werken so hoch hält? Freilich
sollte man dies meinen; aber betrachten wir die Welt, wie sie jetzt ist, so
müssen wir durchaus gestehen, dass zu keiner Zeit die Tugend weniger geübt,
gute Werke seltener vollbracht und Gottes Gebote ungescheuter übertreten worden
sind als jetzt. Ja, wir sehen, dass gerade diejenigen, welche die Tugendlehre
am meisten empfehlen und das Evangelium von der Gnade am meisten hassen, am zügellosesten
dahinleben nach ihres Herzens böser Lust. Wir finden, dass gerade diejenigen,
welche mit hoher Begeisterung von Moralität und von der hohen Würde und von dem
Adel des Menschjen sprechen können, unmoralisch, unwürdig und unedel wandeln.
Wir bemerken, dass viele jetzt laut rühmen, der Mensch sei freu und könne nicht
nur das Gute wollen, sondern es auch vollbringen und habe von Natur große
Kräfte, als ein Abbild Gottes zu leben, er bedürfe allein einer guten
Erziehung; und dieselben, die diese große Willenskraft des Menschen preisen,
sehen wir sehr häufig als Sklaven ihrer Leidenschaften und Sünden wandeln.
Sagt, meine Lieben, woher kann dieser
Widerspruch kommen, dass jetzt die meisten durch das Haltender Gebote Gottes
selig werden wollen, während doch niemand weniger als sie diese Gebote achten?
Der Grund liegt darin: Die falschen Lehrer unserer Tage predigen Gottes Gesetz
nicht, wie es ist; sie tun bald hinzu, bald hinweg; sie predigen eine so elende
Tugend, die jeder noch zu erreichen hofft, wenn auch in seinem Herzen weder
Furcht noch Liebe, noch Vertrauen gegen Gott, noch wahre Liebe zu dem Nächsten wohnt;
sie trösten die Leute, wenn sie die Gebote nur äußerlich erfüllen, und
verschweigen ihnen, dass Gott heilig und sein Gesetz geistlich ist, und dass
auch die geringste Sünde schon fluch und Tod verdiene. So werden Millionen
verführt, sie halten sie für gute Menschen, verachten die Versöhnung Christi
und gehen so mit ihren Tugendpropheten ewig verloren.
Vor diesem Gift der neuen falschen
Tugendlehrer hütet euch; schon die Pharisäer und Schriftgelehrten haben diesen
falschen Weg ihren Zuhörern gezeigt; Christus ist ihnen daher entgegengetreten
und hat sie gründlich widerlegt. Dieses finden wir auch in unserem Evangelium.
Lasst uns daher uns jetzt zu seinen Füßen setzen und ihn über diesen wichtigen
Gegenstand hören, nämlich:
Dass
die Tugend des natürlichen Menschen ganz unzulänglich ist
Nämlich:
1.
Zur Erfüllung des göttlichen
Gesetzes und
2.
Zur Erlangung ewiger Seligkeit.
1.
Was hilft der Glaube, wenn der Mensch nicht
tugendhaft ist? „Gott hat die Gebote gegeben, dass wir sie halten sollen; das
Halten derselben, das ist daher der rechte Weg zum ewigen Leben, und diesen Weg
gehen wir“, so sprachen einst die Pharisäer und Schriftgelehrten, und das ist
noch jetzt die Sprache der Ungläubigen unserer Tage. Das klingt nun freilich
recht schön, denn wer kann es leugnen, dass wir schuldig sind, das, was uns
Gott geboten hat, zu halten? Wer kann es ferner leugnen, dass es Gott wohlgefallen
müsse, wenn ein Mensch seine Gebote erfüllt, und dass Gott solche guten
gehorsamen Untertanen seines Reiches einst herrlich belohnen werde? Hat Gott
nicht selbst gesagt: „Tue das, so wirst du leben“? „Denen, die mich lieben und
meine Gebote halten, tue ich wohl bis ins tausendste Glied“?
Eine so schöne Sache es aber freilich wäre,
wenn es Menschen gäbe, die diese von Gott vorgezeichnete Bahn der Tugend
wirklich treu gingen, so macht doch Christus in unserem Evangelium den Ruhm
aller derjenigen zuschanden, die sich einer solchen Frömmigkeit rühmen, und er
tut dies, indem er uns ein einziges Gebot nach seinem wahren Inhalt und
Verständnis auslegt, nämlich das fünfte. Denn an keinem Gebot als an diesem,
wird es leichter offenbar, dass alle Tugend eines natürlichen Menschen, wenn
sie auch noch so sehr vor Menschen leuchtet und scheint, zur wirklichen
Erfüllung des Gesetzes ganz unzulänglich ist.
Christus spricht nämlich: „Ihr habt
gehört, dass zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet,
der soll des Gerichts schuldig sein.“ Christus will hiermit sagen: Eure
Väter, die das Gesetz gepredigt haben, haben das fünfter Gebot so ausgelegt:
Wer seines Nächsten Blut vergieße, der sei allein ein Übertreter des fünften
Gebots, der begehe eine schreckliche Sünde, gehöre vor das Gericht und habe den
Tod verdient; wer daher für einen rechtschaffenen Israeliten gelten und in
diese schreckliche schuld und Strafe nicht fallen wolle, der solle sich hüten,
die Mörderhand gegen seinen Nächsten aufzuheben, so werde er Gott und Menschen
gefällig sein.
Diese Lehre, die die Pharisäer und
Schriftgelehrten von den Alten angenommen hatten, geht auch jetzt bei vielen im
Schwang. Ist man sich bewusst, keinen Menschen mit Vorsatz und gewaltsam um
sein Leben gebracht zu haben, so segnet man sich in seinem Herzen, dass man das
fünfte Gebot treu erfüllt habe. Liest oder hört man die Worte: „Du sollst nicht
töten“, so denkt man: Gott soll mich davor behüten, dieses wichtige Gebot zu
übertreten. Nein, das Leben meines Nächsten soll mir, wie immer, so auch in
Zukunft heilig und teuer sein. Alle Tugendhelden unserer Tage wachsen sich bei
der Verkündigung des fünften Gebots mit Pilatus die Hände und sprechen: Da sei
Gott vor! Wir sind unschuldig an allem Blut, da je unrecht vergossen wurde.
Aber man irrt sich hierbei gar schwer. Wer
sich nicht eines Höheren rühmen kann, als dass er noch nicht Menschenblut
vergossen habe, der rühmt sich vergeblich, das fünfte Gebot erfüllt zu haben.
Gerade dieses Gebot fasst so große und tiefe Forderungen in sich, dass davor
alle Selbstgerechten schamrot werden müssen. Denn kein Mensch ist im Stande, es
nach seinem wahren Sinn zu erfüllen.
Christus spricht nämlich in unserem
Evangelium weiter: „Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist
des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Racha, der ist des Rats
schuldig; wer aber sagt: Du Narr, der ist des höllischen Feuers schuldig.“
Hiermit erklärt also Christus, dass man das fünfte Gebot schon mit dem Herzen
übertreten könne, und dass ein jeder, wenn er mit seinem Bruder zürnt, vor Gott
ein Mörder sei, der vor das Halsgericht gehöre.
Hiermit hat Christus wie mit einem
gewaltigen Donnerschlag alle zum Verstummen gebracht, welche sagen: „Wir hoffen
auch selig zu werden, denn wir halten Gottes Gebote.“ Nach jener Auslegung des
göttlichen Gesetzgebers selbst mögen doch diejenigen auftreten, die es bekennen
können, dass sie das fünfte Gebot so erfüllt haben. Wo ist der Mensch, der da
sagen könnte: Ich habe nie gegen einen Menschen gezürnt? Es gibt keinen. Denn
unser Herz kann von Natur nicht anders; sobald es beleidigt wird, so regt sich
darin Groll und Zorn. Wer dies leugnen will, will sich und andere betrügen; die
tägliche Erfahrung widerlegt diesen Ruhm unwidersprechlich.
So lange ein Mensch, der seinen Stolz darin
sieht, moralisch zu sein, nicht gereizt wird, so lange scheint er wohl oft ganz
tadellos zu sein. Mancher zeigt vielleicht einen großen Hass aller Falschheit
und alles unchristlichen Handels, er greift daher den geheimen Bösewicht
freimütig an, deckt seine Ränke auf und stellt ihn vor aller Welt an den
Pranger; er zeigt sich überaus tätig für die allgemeine Wohlfahrt; er ist
menschenfreundlich gegen jedermann, hilfreich und freigiebig gegen Arme und
Unglückliche. Jedermann bewundert ihn daher oft als einen Mann von
ausgezeichnetem Charakter, man wünscht, dass nur alle so gute Menschen sein
möchten, wie er ist, dann, meint man, werde Gerechtigkeit, Liebe und Wohlfahrt
in der menschlichen Gesellschaft blühen.
Beobachtet man aber solche scheinbar
musterhaften Menschen, wenn sie beleidigt und gereizt werden, so verlieren sie
gar bald den heiligen Schein, von dem sie erst umgeben waren. Da werden die
erst so Sanftmütigen schnell zornig; so gerecht sie sich sonst zeigten, so
ungerecht verfahren sie nun gegen den, der ihnen als Feind entgegentritt. Ja,
betrachtet die Tugendhelden unserer Tage, die sich rühmen, von Gott nicht
Gnade, sondern Gerechtigkeit erlangen zu wollen: Können sie Beleidigungen
ertragen? Können sie den Zorn über ihre Feinde überwinden? Ja, schämen sie sich
ihres Zorns? Nein, sie tragen ihn vor aller Welt zur Schau und zeigen, wenn sie
angegriffen werden, dass sie vor Rache glühen; sie sagen, dass sie sich dies
selbst schuldig seien, und nennen ihre Rachsucht Männlichkeit und edlen Stolz.
Am deutlichsten offenbaren sie sich, wen
nein Christ ihnen sagt, dass sie mit ihrer natürlichen Gerechtigkeit vor Gott
nichts gelten, dass sie Gottes Gebote nicht halten, dass sie mit aller ihrer
Tugend doch keine wahren Christen sind; dann kommt es erst recht an den Tag,
was in ihrem Herzen verborgen liegt, dann kennt ihr Zorn, ihr Hass, ihre
Feindseligkeit keine Grenzen.
Ein Beispiel hiervon waren einst die
Pharisäer und Schriftgelehrten. Sie rühmten sich nicht nur, das Gesetz zu
erfüllen, sondern die meisten lebten auch so, dass ihnen niemand etwas
nachsagen konnte. Jedermann hielt sie für die Heiligsten und Gerechtesten im
Volk. Christus, der HERR, aber sah in ihr Herz und durchschaute ihre
Schalkheit. Er strafte sie daher und erklärte sie für Heuchler. Sobald aber
Christus so gegen sie aufgetreten war, so offenbarten sie sogleich, wes Geistes
Kinder sie waren; denn mit brennendem Hass verfolgten sie den, der ihnen die
Wahrheit bezeugt hatte.
Wie kann nun ein Mensch noch den Wahn
hegen, dass er tue, was Gott in seinen Geboten von uns fordere, wenn er zwar
keinen Menschen mit der Hand tötet, aber doch noch mit seinem Nächsten zürnt,
ja, Hass und Rachsucht in seinem Herzen gegen ihn trägt? Menschen lassen sich
dadurch wohl täuschen, aber nicht der allwissende Gott, der Herzen und Nieren
prüft. Er spricht: „Du sollst nicht töten“, er spricht nicht: diene Hand, dein
Dolch, sondern: du, o Mensch, mit Herz, Mund und Hand.
Darum glaubt es, meine Lieben: Alle
diejenigen, welche meinen, dass sie Gottes Gebote wirklich erfüllen, liegen in
einer entsetzlichen Verblendung, die sie, wenn sie darin bleiben, um ihrer
Seelen Heil und Seligkeit bringen wird. Du sprichst: Ich bin kein Mörder, und
du bist es um deines Zornes willen. Du sprichst: ich bin kein Hurer, und bist
es um deiner unkeuschen Gedanken und Begierden willen. Du sprichst: Ich bin
kein Dieb, und du bist es um deines Trachtens nach Reichtum, [um deiner
Habgier, deines Geizes, deiner Missgunst gegen andere, um deines Wuchers,
deiner Ausbeutung anderer, deiner unterlassenen Hilfe, deines zumindest im
Herzen mürrischen Gebens für andere] willen. Du sprichst: Ich bin kein
Götzendiener, und du bist es, denn Gott ist nicht dein höchstes Gut, [du setzt
deine Zuversicht, dein Vertrauen auf dein Geld, auf dein Wissen, dein Können,
deine Beziehungen; das, was dein Leben wirklich ausmacht, ist nicht die treue
Nachfolge Christi, sondern dein Haus, deine Familie, deine Firma, dein Beruf,
dein Hobby, dein Freundeskreis, deine Verwandtschaft]. Du sprichst: Ich bin
kein Flucher, und du bist es, denn du missbrauchst noch Gottes Namen[, betest
vielleicht gar nicht, oder nur oberflächlich, ohne mit Ernst bei der Sache zu
sein, kennst den wahren Gott auch gar nicht].
Doch, meine Lieben, wer nur will, der kann
hieraus wohl erkennen, dass die Tugend eines natürlichen Menschen zur Erfüllung
des Gesetzes ganz unzulänglich ist. So hört nun zweitens, wie sie daher auch
nicht zur Seligkeit helfe.
2.
Deutlich sagt dies Christus in unserm
Evangelium. „Ich sage euch“, ruft er darin, „wenn eure Gerechtigkeit
nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr
nicht in das Himmelreich kommen.“
Wohl ist es nämlich wahr, dass in der
Heiligen Schrift an vielen Stellen denen die Seligkeit zugesprochen wird,
welche das Gesetz halten würden, aber nur denen, die es vollkommen bis zu dem
kleinsten Buchstaben halten in Gedanken, Worten und Werken. Seht hieraus, sie
schalkhaft die falschen Lehrer unserer Zeit handeln. Sie predigen: Steht es
nicht deutlich in der Schrift: „Wer recht tut, der ist gerecht“? Spricht nicht
Christus selbst: „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote“? Seht,
sprechen sie, es kommt auf das Tun und Halt en der Gebote an, nicht auf den
Glauben. Aber sie sind Lügenredner, die die Heilige Schrift nur zum Deckmantel
ihrer falschen Lehre nehmen, weil sie fürchten, wenn sie die Schrift geradezu
verwürfen, so würde niemand ihnen für ihre Predigten Geld geben; denn das ist
es, was sie allein suchen., Daher verschweigen sie es, dass nach der Schrift
die Verheißung des Himmelreichs nur solchen Erfüllern des Gesetzes gegeben sei,
die es ganz vollkommen erfüllten. „Ihr sollt vollkommen sein, gleichwie euer
Vater im Himmel vollkommen ist.“ Und Jakobus spricht: „So jemand das ganze
Gesetz hält und sündigt an Einem, der ist’s ganz schuldig. Denn der da gesagt
hat: Du sollst nicht ehebrechen, der hat auch gesagt: Du sollst nicht töten. So
du nun nicht ehebrichst, tötest aber, bist du ein Übertreter des Gesetzes.“ Das
verschweigen die falschen Tugendprediger ihren Zuhörern. Sie stumpfen das
scharfe zweischneidige Schwert des Gesetzes ab, indem sie hinzusetzen: „Du bist
freilich ein schwacher Mensch und wirst oft fehlen, aber das übersieht Gott.
Tue nur, so viel du kannst, so wirst du selig.“ Aber so steht denn das
geschrieben? Gott sagt nicht: Der Mensch soll tun, so viel er kann, sondern so
viel er, Gott, ihm gebietet. Gott gebietet aber vollkommene Heiligkeit.
Wer daher durch Werke selig werden will, der muss ganz heilig und rein auch in
seinem herzen sein, oder er kann das ewige Leben nicht ererben.
Legen nun, meine Lieben, die falschen
Propheten das Gesetz aus wie Christus? Spricht Christus etwa, wie die falschen
Propheten unserer Tage, Gott sei gütig und übersehe die Schwachheiten der
Menschen, er sei zufrieden, wen wir uns nur vor zu groben Übertretungen der
Gebote hüteten? Nein, er erklärt uns, wer auch nur im Herzen anders gesinnt
sei, als Gottes Gebot fordere, und wer es auch nur mit einem Wort übertrete,
den treffe die Drohung des Gesetzes, er sei verurteilt als ein Rebell in Gottes
Reich, er habe das Anrecht an Gottes Gnade, an den Himmel und an das ewige
Leben verloren und er sei nun eine reife Frucht, nämlich für die Hölle, wo er
auch den letzten Heller seiner Schuld bezahlen müsse.
Nach Christi Ausspruch hast du, o Mensch,
wenn du eingestehst, dass du nicht ohne Schuld bist, dich dann selbst
verurteilt. Deine Sünden, schienen sie dir groß oder klein, sie sind groß, denn
sie beleidigen den großen Gott. Darum, wenn deine Gerechtigkeit nicht besser
ist als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so wirst du nicht in das
Himmelreich kommen. Der Allerhöchste hat diese Worte ausgesprochen, sein Urteil
ist unwiderruflich; hiermit ist der Stab über alle die gebrochen, die durch
ihre Werke selig werden wollen, sie sind hiermit ausgeschlossen aus dem Reich
Gottes.
Wie? Werden vielleicht manche hierbei
ausrufen, weg kann dann selig werden? Sind hiernach alle Menschen, da sie alle
Sünder sind, unrettbar verloren? Ja, so lange sie selbst sich retten wollen,
sind sie unrettbar. Aber es ist ein Weg, dem Fluch des Gesetzes, der uns alle
trifft, zu entgehen. Diesen Weg beschreibt der Apostel so: „Die mit des
Gesetzes Werken umgehen, die sind unter dem Fluch. Christus aber hat uns erlöst
von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns. Christus ist des
Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.“
Das ist der einzige Weg des Heils.
Erschrecken wir vor der Donnerstimme des Gesetzes, geben wir dem höchsten
Gesetzgeber aller Kreaturen recht; legen wir uns als Sünder demütig zu seinen
Füßen und rufen wir ihn um Erbarmen an, so ruft er uns im Evangelium zu: Das
ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören“, an
den sollt ihr glauben, denn wer an ihn glaubt, soll nicht verloren werden,
sondern das ewige Leben haben.
O, so geht denn alle diesen Weg. Wollt
nicht eine eigene Gerechtigkeit, Tugend und Frömmigkeit aufrichten, sie gilt
vor Gott weniger als nichts. Nur Christi Fürsprache kann euch am jüngsten Tag
in Gottes strengem Gericht von ewiger Verstoßung erretten; nur er kann euch mit
seiner rechten Gerechtigkeit schmücken, die vor Gott gilt. Darum gleich an ihn,
ihn umfasst, und ihn lasst, lasst nimmt, so hat es mit euch keine Not. So
werdet ihr im Tod, wenn dieser Welt Trost zerrinnt, noch viel Frieden und Trost
singen:
Christi Blut und
Gerechtigkeit,
Das ist mein
Schmuck und Ehrenkleid,
Damit will ich vor
Gott bestehn,
Wenn ich zum
Himmel werd eingehn.
Amen.
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die
Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Derjenige, welcher glaubt, dass Gott dem
Lauf der Welt nur müßig zuschaue, welcher daher die Zuversicht nicht hat, dass
es eine göttliche weise, gerechte und gütige Vorsehung gebe, die alles in der
Welt regiert und ordnet, wer darum meint, dass die leblosen und lebendigen
Kreaturen und so auch er selbst einem blinden Ungefähr und dem Zufall
unterworfen seien, ein solcher glaubloser Mensch ist gewiss höchst unglücklich.
Unzählig sind ja die Übel, die das
menschliche Leben umringen und die unaufhörlich unsere Wohlfahrt, ja, unser
Leben bedrohen. Unser Leib ist recht eigentlich ein Sitz von tausend
Krankheiten, überall trägt er die Keime des Toes mit sich herum, „mitten wir im
Leben sind mit dem Tod umfangen“, wie es in jenem alten Lied heißt. Wohin wir
uns nur wenden, überall sehen wir Pfeile des Todes auf uns gerichtet. Treten
wir in ein Schiff, und wir sind kaum einen Schritt von dem Tod entfernt; wir
besteigen einen Wagen oder ein Lasttier, und wir sind in Lebensgefahr, wenn es
nur mit einem Fuß strauchelt. Eine Waffe in unserer oder in des Freundes Hand
kann uns gegen unseren und des Freundes Willen bei einem kleinen Versehen den
Tod bringen. Wir gehen durch die Straßen der Stadt, und so viele Ziegel auf den
Dächern sich finden, so vielen Gefahren des Leibes und Lebens sind wir
unterworfen. Unser Haus steht ständig in Gefahr und droht uns mit Erdrückung
durch Einsturz oder mit Tod in den Flammen. Wir bepflanzen unseren Acker mit
Mühe und Schweiß, aber Hagel, Überschwemmung, Dürre und Ungeziefer können
schnell unsere Arbeit vernichten und uns Unfruchtbarkeit und mit derselben
Hungersnot senden. Jeder Stein im Weg, jeder kühle Luftzug, jeder morsche Baum,
an dem wir vorübergehen, kann uns dem Tod überliefern. Jedes Gewitter mit
seinen zuckenden Blitzen redet mit uns im Donnerton von dem jetzt leicht
möglichen letzten Augenblick unseres Daseins. Kurz, der Mensch wandelt auf
dieser Erde wie durch tausend entblößte Schwerter, die, an einem Haar
befestigt, über seinem Scheitel schweben. O, wie elend ist daher der Mensch,
der da meint, sein Leben sei der Herrschaft des Zufalls unterworfen! Über all
sieht er den Rachen des Verderbens gegen sich geöffnet, und er fühlt sich keinen
Augenblick sicher davor, von ihm verschlungen zu werden. Ängstlich betrachtet
er das Gegenwärtige, und voll Sorge, Zweifel und Misstrauen blickt er in die
dunkle Zukunft, die er, wie mit Not und Tod gegen ihn bewaffnet, auf ihn
zuschreiten sieht.
Wie getrost, wie ruhig, wie voll seliger
Hoffnung kann hingegen derjenige mitten durch alle drohenden Gefahren dieser
Welt wandeln, der es weiß und von Herzen glaubt, dass nichts, auch das
Geringste nicht, von ungefähr geschehe und geschehen könne, dass sein gnädiger
Gott und Vater in Christus alles lenke, dass ohne seinen Willen kein Sperling
vom Dach, ja, kein Haar ihm vom Haupt fällt, dass sie alle von Gott gezählt
sind, dass Gott für alles sorge, dass alles, was im Großen und Kleinen
geschieht, von Gott so bestimmt werde, allein die Sünde ausgenommen! O, wohl
dem Menschen, der mit David ausrufen kann: „Der HERR ist mein Licht und mein
Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der HERR ist meines Lebens Kraft; vor
wem sollte mir grauen? – Er errettet mich von dem Strick des Jägers und von der
schrecklichen Pestilenz. Er wird mich mit seinen Fittichen decken, und meine
Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln; seine Wahrheit ist Schirm und
Schild, dass ich nicht erschrecken müsse vor den Grauen des Nachts, vor den
Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht,
vor der Seuche, die im Mittag verderbt. Ob tausend fallen zu meiner Seite, und
zehntausend zu meiner Rechten, so wird es mich doch nicht treffen. – Es wird
mir kein Übels begegnen, und keine Plage wird sich zu meiner Hütte nahen. Denn
er hat seinen Engeln befohlen über mir, dass sie mich behüten auf allen meinen
Wegen, dass sie mich auf den Händen tragen, und ich meinen Fuß nicht an einen
Stein stoße.“
O ihr gläubigen Kinder Gottes, die ihr
durch den Glauben liegt in dem Schoß eures himmlischen Vaters, wie selig seid
ihr nicht nur im Glück, sondern auch im Unglück, nicht nur in den Tagen der
Freude und des Überflusses, sondern auch in den Tagen des Schmerzes und
Mangels! Ihr wisst: Alles muss euch zum Besten dienen, denn ein gnädiger Gott
und Vater lenkt alle eure Schicksale nach seinem weisen erbarmungsvollen Rat zu
eurer Seligkeit. O, dass wir alle in solchem kindlichen Glauben stehen könnten!
Wie viele Lasten der Sorgen, die uns oft fast zu Boden drücken wollen, würden
und dann abgenommen, wie viele Tränen, die wir fruchtlos weinen, getrocknet,
wie viele Seufzer, die wir ausstoßen gestillt, mit einem Wort, wie viel
glücklicher und zufriedener würden wir sein! Denn ein kindlicher Glaube an
Gottes väterliche Fürsorge macht schon hier selig. Euch hierzu zu erwecken,
dazu sei die gegenwärtige Stunde bestimmt.
Markus 8,1-9: Zu der Zeit, da viel Volk da war und hatten nichts zu
essen, rief Jesus seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Mich jammert das
Volk; denn sie haben nun drei Tage bei mir verharrt und haben nichts zu essen;
und wenn ich sie ohne zu essen von mir heim ließe gehen, würden sie auf dem Weg
verschmachten. Denn etliche waren von ferne kommen. Seine Jünger antworteten
ihm: Woher nehmen wir Brot hier in der Wüste, dass wir sie sättigen? Und er
fragte sie: Wieviel Brot habt ihr? Sie sprachen: Sieben. Und er gebot dem Volk,
dass sie sich auf die Erde lagerten. Und er nahm die sieben Brote und dankte
und brach sie und gab sie seinen Jüngern, dass sie diese vorlegten; und sie
legten dem Volk vor. Und sie hatten ein wenig Fischlein; und er dankte und hieß
diese auch vortragen. Sie aßen aber und wurden satt und hoben die übrigen
Brocken auf, sieben Körbe. Und ihrer waren bei viertausend, die da gegessen
hatten; und er ließ sie von sich.
Der verlesene Abschnitt des Evangeliums
nach Markus, in welchem erzählt wird, wie Christus aus Wenigem viel macht, ist
sehr weise für einen Sonntag der gegenwärtigen Jahreszeit ausgewählt, an dem
nun alle Felder fruchtbeladen stehen und reif zur Ernte sind. Unser Evangelium
soll uns nämlich daran erinnern, dass wir noch jetzt in jedem Sommer dasselbe
Wunder erfahren, was einst das Volk in der Wüte erfuhr, wenn wir nur unsere
Felder mit den Augen des Glaubens betrachten wollen. Ich spreche daher jetzt zu
euch davon:
Wie
Gott fort und fort alljährlich das Wunder tut, dass er aus Wenigem viel macht
Lasst mich euch
1.
Die Wahrheit dieses Satzes zur
Klarheit zu bringen suchen, und euch
2.
Zeigen, wie wichtig diese Wahrheit
für Christen und Nichtchristen ist.
HERR, der du nicht ein Gott bist, der ferne
ist, sondern der nahe ist, denn in dir leben, weben und sind wir, segne jetzt
die Predigt deines offenbarten Wortes dazu, dass wir lebendig erkennen, wie du
als ein Vater über uns wachst, für uns sorgst und unserer in aller Not gnädig
dich annimmst. O, gieße durch einen kindlichen Glauben an Deine ewige Vorsicht
in unser Herz, dass wir nicht durch törichte Sorge für das Irdische das Ewige
verlieren, sondern allein trachten nach dem Einen, was unserer Seele Not tut,
und für das Zeitliche dich sorgen lassen. Wirke dies in uns allen durch deinen
Heiligen Geist um Jesu Christi willen. Amen.
1.
Dass das ein großes, bewunderungswürdiges
Wunder war, das Christus, wie wir in unserem heutigen Evangelium hören, mit
sieben Broten und ein wenig Fischlein viertausend Männer, ungerechnet Frauen
und Kinder, welche alle sehr verschmachtet waren, vollkommen sättigte, dies
sieht wohl jeder verständige Mensch ein. Christus hat sich damals als der Herr
der Natur, als der Schöpfer und Erhalter der Menschen, mit einem Wort, als der
wahrhaftige So0hn Gottes unwidersprechlich bewiesen. Gewiss, ein jeder von uns wünscht,
Zeuge dieses Wunders gewesen zu sein. Wollen wir aber, meine Lieben, unser Auge
nur öffnen, so können wir noch immer Zeuge eines solchen herrlichen Wunder
sein, denn dasselbe wiederholt sich fort und fort alljährlich vor unseren
Augen. Derselbe Mann, der einst aus sieben Broten und wenig Fischlein durch
seinen Wundersegen reichliche Nahrung für viertausend Männer machte, verwandelt
noch jetzt Jahr aus Jahr ein den geringen Samen, den wir ausstreuen, in große
Haufen, die unsere Scheuern füllen, in reichliche Vorrat für das ganze lange
Jahr und für Millionen Hungrige. Was ist die Erde besonders während jeden
Winters anderes als auch eine öde leere Wüste? Was geschieht aber? Nach wenigen
Monaten tut Gott das erstaunenswürdige Wunder: Die kahlen, abgestorbenen Bäume
des schneeigen Winters schlagen im Frühling aus, belauben sind und blühen, bis
sie endlich Im Sommer ihre Zweige wie volle Hände mit süßen erquickenden
Früchten nach uns ausstrecken. So stecken wir auch dass Korn hoffend in den
sterbenden Boden des Herbstes, und siehe! das Korn keimt unbeobachtet in dem
Schoß der Erde, und gegen Ende des Sommers sehen wir wunderbar das einzelne
Korn in eine hundertkörnige Ähre und Kolbe, Brot für wenige in Brot für viele
verwandelt. Ist das nicht dasselbe Wunder im Großen, was Christus in der Wüste
einst im Kleinen tat?
Die Ungläubigen und jedes Menschen
unerleuchtete Vernunft sprechen: nein, hier ist kein besonderes Wunder, denn
hier geht es nach den ewigen, unveränderlichen, notwendigen Gesetzen der Natur.
Was ist’s Wunderbares, dass die Erde fruchtbar ist? Sie ist einmal so
geschaffen. Aber, meine Lieben, die alljährliche Ernte achten wir nur darum für
kein Wunder, weil sie uns etwas Gewöhnliches geworden ist, was uns nicht mehr
auffallen kann. Aber sollte etwas deswegen kein Wunder mehr sein, weil es so
oft geschieht? Nein, was nur Gott tun kann, ist ein Wunder; wie aber die
Erschaffung, so ist auch die Erhaltung und stete Fruchtbarkeit der Erde Gottes
alleiniges Werk; betrachten wir sie daher recht, so erblicken wir auch in ihr
ein preiswürdiges Wunder der göttlichen Allmacht und Güte.
Gott sieht, nachdem er die Welt geschaffen
hat, keineswegs müßig zu, wie dieses künstlichste Uhrwerk sich selbst
fortbewegt; nein, Gott ist selbst die dasselbe stets bewegende Kraft. Gott
lässt das Schiff unserer Erde auf dem Ozean des Luftraumes nicht von einem
blinden Zufall hin und her schleudern, sondern er, Gott selbst, ist es, der
dieses großen Schiffes Ruder führt.
Beobachtet nur das Weben und Leben der
Natur genau, so werdet ihr selbst mit den Augen eurer Vernunft erkennen müssen,
dass über derselben kein eisernes Naturgesetz herrsche. Die Erdkräfte setzen,
wie wir sehen, die große Maschine der Natur keineswegs in eine so geregelte
Bewegung, wie es das Aufziehen eines künstlichen Uhrwerkes tut. Wir sehen
vielmehr, wie in der Natur alles so regellos, so unbestimmt, so willkürlich
seinen Gang geht, dass wir nicht begreifen könnten, wie dennoch alles bestehen
könne, wenn wir nicht wüssten, dass ein weiser Lenker der Natur unsichtbar
alles ordnet und leitet und in die allgemeine Verwirrung Zusammenhang bringt.
Es ist keineswegs regelmäßig heute Sonnenschein, morgen Regen, übermorgen Wind,
sondern wir beobachten vielmehr einen unerklärlichen Wechsel. Wir sehen, wie
hier und da die Saaten verderben, die Blüten der Bäume schon mit dem letzten
Frühlingsfrost verwelken und die Pflanzen in der Sonnenglut verschmachten.
Woher kommt es, dass dies nicht zuweilen auf dem ganzen Erdboden geschieht und
dadurch eine allgemeine Hungersnot entsteht, die die ganze Erde entvölkert?
Oder, da wir die Wolken so frei dahinziehen sehen, warum bleiben wir nicht
manches Jahr über einem einzigen Land stehen, das sie ersäufen, während die
anderen Länder einen eisernen Boden bekommen, dessen harte Rinde die zarte
keimende Saat nicht durchbrechen kann? Seht da, hier erblicken wir Gottes
unsichtbar in der Natur wirkende und waltende Hand, die bald dahin, bald
dorthin das Wolkenheer ausführt, und bald da, bald dort der Sonne milde
Strahlen hervorbrechen lässt. O, führte Gott nicht den willen- und gesetzlos
herumschweifenden und irrenden Wolkenzug an, so würde gar bald die Erde ihre
Vorratskammern den Menschen verschließen, und dieselbe in eine ewige leblose,
unfruchtbare Wüste verwandelt sein.
Bedenkt ferner, wie notwendig die Sonne
nicht nur überhaupt ist, sondern wie sie auch gerade so und nicht anders auf
die Erde wirken muss, wie sie wirkt, damit durch sie das Wunder der
Befruchtung der Erde geschehe. Denn nähme die Sonne nicht gerade den Stand ein,
den sie gegenwärtig seit beinahe 6000 Jahren einnimmt, und hätte sie
nicht gerade den Lauf, den sie hat, so würde sie mehr zerstören als
beleben. Stünde die Sonne uns näher, so würde sie die Erde in Kurzem in einen
großen Zügel ausgebrannt haben; träte sie hingegen um ebenso viel weiter
hinaus, so würde die Erde bald in einem ewigen Winter erstarren. Woher kommt es
nun, dass sich die Sonne seit 6000 Jahren noch nie auf ihrer unermesslichen
Bahn verirrt hat? Woher kommt es, dass sie bald höher, bald tiefer steigt, aber
an bestimmten Punkten stets regelmäßig umkehrt, damit auf unserer Erde der so
nötige Wechsel der Jahreszeiten entstehe? Woher kommt es, dass diese Lampe des
Himmels noch nicht verlöscht ist, obgleich niemand ihr immer neuen Brennstoff
gibt? Diese Fackel Gottes muss ein ungeheures Gewölbe erleuchten, in welchem
zahllose Erdkugeln Platz finden könnten; woher kommt es, dass diese Fackel noch
nicht abgebrannt ist? Woher kommt es, dass diese große Feuerglut, wie das Meer
in seinen Ufern, so in unsichtbaren Grenzen gehalten wird? Da sich nach den
Gesetzen der Natur die Wolken von Zeit zu Zeit mit Regen entladen, woher kommt
es, dass das Feuermeer der Sonne nicht nach denselben Gesetzen seine Glutströme
zur Einäscherung der Welt über sie ausgießt? Vergeblich suchen wir hier den
Grund in den Gesetzen der Natur; wir müssen vielmehr zurückgehen auf Gott, der,
wie es im Brief an die Hebräer heißt, alles fort und fort trägt mit seinem
kräftigen Wort.
Endlich, sehen wir nicht, dass in der Natur
kein Gesetz so gebieterisch herrscht wie das Gesetz des Alterns, der Zerstörung
und des Todes? Diesem Gesetz sehen wir alles von dem Grashalm bis zum Menschen
hinauf unerbittlich unterworfen. Woher kommt es nun, dass die Erde, diese
allgemeine Mutter alles Vergänglichen, selbst nie veraltet, obgleich sich auf
ihrer Oberfläche alles nach und nach immer wieder zum Untergang neigt? Woher
kommt es, dass diese fruchtbare Erzeugerin alles, was aus ihrem Schoß hervorging,
nach einiger Zeit wieder zurücknimmt, aber es in besserer, verjüngter Gestalt
wieder zurückliefert, indem sie die verwesten Pflanzen und Körper in
Nahrungsmittel zu neuen Früchten verwandelt? Wer ersetzt dem Schoß der Erde die
seit 6000 Jahren aufgewendeten Kräfte? Wer macht sie immer aufs Neue jung und
fruchtbar? Gott selbst ist die Lebensquelle, aus welcher in allen Kreaturen
unaufhörlich die nötige Kraft einfließt. Gott selbst ist das Gewicht an dem
großen Uhrwerk der Welt; ließe er seine Hand davon ab, so würde es plötzlich
still stehen und zusammenfallen.
In der Erde selbst liegt keine Kraft, Neues
zu schaffen, der Blume ihren Duft und Wohlgeruch, der Frucht ihren süßen Saft,
der Zeder ihre bis in die Wolken reichende Höhe und dem Korn sein herz- und
lebensstärkendes Mehl zu geben, sondern, wie Christus jene sieben Brote und die
Fische segnete und dadurch vermehrte, so spricht Gott noch alljährlich sein
Segenswort über den gedeckten Tisch aller Felder und Gärten der Erde, und
dadurch verwandelt er das Wenige in Vieles und speist ungezählte Millionen Menschen
und Tiere an dieser seiner reich besetzten Tafel. Daher heißt es im 104. Psalm:
„Gott, es wartet alles auf dich, dass du ihnen Speise gebest zu seiner Zeit.
Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie, wenn du deine Hand auftust, so werden sie
mit Gut gesättigt. Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; du nimmst
weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub. Du lässt aus dienen
Odem, so werden sie geschaffen und erneuerst die Gestalt der Erde.“
Hierdurch, hoffe ich, ist euch, meinen
Lieben, nun die Wahrheit des Satzes zur Klarheit gebracht worden, wie Gott fort
und fort alljährlich das Wunder tut, dass er aus Wenigem viel macht; lasst mich
euch nun zweitens zeigen, wie wichtig diese Wahrheit für Christen und
Nichtchristen ist.
2.
Bist du ein Christ, lieber Zuhörer, so
siehst du erstens hieraus, dass es freilich Gott4es Weise ist, gerade seine
Christen oft in die Wüste zu führen, wo es scheint, als sei so wenig da, dass
sie verschmachten müssten. Du darfst daher nicht denken: Andere sind Heuchler,
und doch geht es ihnen immer so wohl, in allem haben sie Glück und kommen
vorwärts! Ich hingegen meine es mit Christus und seinem Wort so redlich, warum
muss es doch gerade mir immer so übel gehen? Warum spüre doch gerade ich fast
nirgends Segen und Gedeihen? Warum bleibe doch gerade ich arm und bedürftig?
Das darf dich keineswegs Wunder nehmen, lieber Christ, dass es gerade dir so
traurig in dieser Welt ergeht. Wenn du Christus folgst, sein Wort zu hören, so
erwarte nur nicht, dass er dich dann schon in diesem Leben in ein Paradies der
Freuden und des Überflusses führen werde. Nein, wer sich meldet, dass er in
Christi Dienste treten wolle, der meldet sich zum Kampf unter der Fahne des
Kreuzes, der mache sich nur sogleich auf manches bange Angststündlein im Voraus
gefasst. Der ganze Lohn, den Christus seinen Dienern verspricht, ist nicht mehr
als Nahrung und Kleidung. Wer mehr sucht, wer reich werden will, der muss es
aufgeben, ein Christ zu sein. Denn gerade je treuer es ein mit seinem Heiland
meint, desto mehr muss er erwarten, ihm in seiner Armut und Niedrigkeit in
diesem Leben gleich zu werden.
Doch die Wahrheit, dass Gott noch fort und
fort aus Wenigem viel macht, soll die Christen nicht nur ergeben in ihr
Schicksal machen, wenn ihnen Gott hier nur wenig irdische Güter verleiht, und
sie hingegen mit viel Tränenbrot speist, diese Wahrheit soll ihnen auch in den
Zeiten des Mangels das feste kindliche Vertrauen einflößen, dass Gott auch bei
ihnen aus Wenigem viel machen und ihnen besser durchhelfen werde, als sie es
denken. Bedenkt doch, liebe Christen: Ihr habt nicht nur einen Gott, der sich
eurer Seele annehmen will, sondern der auch eine sorgsame Aufsicht auf euren
armen Leib und seine Bedürfnisse hat; ihr habt einen Gott, der nicht nur
unermesslich reich und allmächtig ist, um euch aus jeder Not augenblicklich
erretten zu können, sondern den auch, wie ihr aus unserem Evangelium seht, von
Herzen „jammert“, auch wenn ihr nur in einer irdischen Not euch
befindet; ihr habt einen Gott, der nicht nur einst Wunder tat, um seine
hungernden Zuhörer in der Wüste zu sättigen, sondern der noch fort und fort
dieses Wunder alljährlich wiederholt, damit er allen, auch den Bösen und
Undankbaren, ihre Speise gebe zu seiner Zeit. Wie? Dürft ihr, wenn ihr dies von
Herzen glaubt, noch zagen, wenn ihr euch einmal in Verlegenheit und Not
befindet? Denkt doch in solchen Zeiten, dass ihr euch wieder einmal mit
Christus in der Wüste befindet; sorgt und grämt euch dann nur nicht ab, woher
ihr Nahrung und Kleidung nehmen wollt; seht nur gläubig auf Christi
Segenshände, er wird, er kann euch nicht vergessen und er wird,
er muss euch geben, was euch not ist, und wenn er Steine in Brot
verwandeln sollte. Seid ihr auch noch so sehr von Menschen verlassen und
vergessen, so habt ihr doch einen allwissenden reichen Haushalt er und Freund
an Christus im Himmel, der in der not an euch denkt, in der Trübsal euch nahe
ist und, wenn seine Stunde gekommen ist, euch gewiss und herrlich hilft. Geht
hinaus auf die Felder und seht da die wogenden Saaten, seht, wie hier Gott vor
euren Augen das Wunder tut, dass er aus Wenigem viel macht, und lernt euch hier
eures Kleinglaubens schämen. Wie? Sollte ein Reicher mehr Trost und Hoffnung
haben, wenn er einen großen Vorrat irdischer Güter besitzt, die morgen ihm
geraucht sein können, sollte dieser mehr Trost haben als ihr, die ihr Christus,
den großen Wundertäter und Versorger, zum Freund habt? Das sei ferne? Gottes
Segen ist mehr wert als alles Gold und Silber der Erde.
Ihr Christen werdet aber vielleicht in der
Not denken: Ja, wenn wir nicht so große Sünder wären, so wollten wir wohl
hoffen, dass uns Gott auch wunderbar versorgen und auch bei uns das Wenige in
vieles verwandeln, ja, auch nichts alles machen werde; aber wir sind Gott
untreu gewesen und haben Gott oft verlassen, darum fürchten wir, Gott werde uns
dafür strafen, uns nun wieder verlassen und nun auch nichts in unserer Not nach
uns fragen. Wo steht es aber geschrieben, dass Gott nach Würdigkeit mit uns handeln
wolle? Nein, nein, liebe Christen, fallen euch in eurer Not eure Sünden schwer
aufs Herz, so bekennt sie nur Gott, denn so wir unsere Missetat bekennen, so
ist Gott treu und gerecht, dass er uns alle unsere Sünden vergibt und reinigt
und ´s von aller unserer Untugend. Werft aber darum nicht etwa euer Vertrauen
auf Gottes Durchhilfe weg; Gott hat euch ja verheißen in der heiligen Taufe, er
wolle um Christi willen euer Gott und Vater, euer Erhalter und Versorger sein;
diese Verheißung nimmt Gott nicht zurück. Halt et euch nur im Glauben daran,
sprecht nur zu Gott im Glauben: „O mein Gott, ich bin jetzt in Mangel und Not,
halte mir nun auch dein Versprechen und gib mir, was ich bedarf“, so wird Gott
an euch nicht zum Lügner werden. Himmel und Erde werden vergehen, aber Jesu
Worte werden nicht vergehen, sondern wahr werden an allein, die sie im Glauben
fassen. Je größer ihre Not ist, je herrlicher wird auch ihre Hilfe sein.
Was habt aber nun endlich ihr hierbei zu
merken, die ihr Christus noch nicht in die Wüste folgen, sondern es noch mit
der Welt halten wollt? Die ihr von Gottes Wort entweder gar nichts wissen mögt,
oder die ihr doch noch auf beiden Seiten hinkt, es weder mit Gott noch mit der
Welt verderben wollt? Die ihr noch nicht im wahren, lebendigen Glauben an
Christus steht und daher noch nicht gewiss wisst, ob ihr einen gnädigen oder
ungnädigen Gott im Himmel habt? Solltet ihr nicht, wenn ihr hört, wie gut es
ein Christ hat, wie getrost er alle seine Sorge auf den HERRN werfen und wie
ruhig er der Zukunft entgegen gehen kann, solltet ihr nicht dadurch ein
Verlangen bekommen, auch in einem so seligen Verhältnis zu Gott zu stehen?
Wie elend seid ihr, da ihr nicht wisst, wie
ihr mit Gott dran seid! Ihr könnt Gott nicht vertrauen, dass er euch in aller
Not und in allem Mangel versorgen und euch durchhelfen werde; denn wie könnt
ihr dem kindlich vertrauen, der um eurer Sünden willen noch euer Feind ist? O,
so geht doch endlich auch ihr als arme Sünder zu Christus und folgt von nun an
ihm auch im Glauben nach, so werdet ihr dann auch so glückliche Menschen
werden, die mit David sagen können: „Du erfreust mein Herz, ob jene gleich viel
Wein und Korn haben. Ich liege und schlafe ganz mit Frieden, denn allein du,
HERR, hilfst mir, dass ich sicher wohne.“
O, dass wir Menschen doch so große Toren
und so blind für unser wahres Glück sein können! Gott will so gern hier alle
unsere Sorgen uns abnehmen und dort uns ewig und vollkommen selig machen, und
doch gehen wir dahin und suchen unseren Frieden in anderen Dingen und finden
ihn nicht; mit Tränen und Seufzen, mit Kummer und Unruhe gehen wir durch die
Welt, verachten das höchste Gut, nämlich Gottes Gnade, und gehen endlich in
ewige Not.
O, lasse sich doch keiner unter uns so von
seinem verderbten Herzen betrügen! Lasst uns doch alle Gott unser ganzes Herz
übergeben, so werden wir es zeitlich und ewig gut haben, denn alles andere ist
Schein und Trug, Gott aber und seine Gnade ist unser wahres, unser höchstes
Gut. Führt er uns auch hier durch mancherlei Not und Trübsal, so tut er’s doch
nur, um sich in der Not als ein Gott, der da hilft, und als einen HERRN, HERRN,
der auch vom Tod errettet, zu beweisen. Und o! wie werden wir uns freuen, wenn
wir einst im Tod den schmalen Weg hinter uns und das leuchtende himmlische
Jerusalem, die heilige Ruhestadt, die Wohnungen des ewigen Friedens vor uns
sehen! Dann kommt der Augenblick, in dem Gott bei uns nicht nur das Wenige in
viel, sondern das Leiden in Herrlichkeit, das Kreuz in Seligkeit, das Weinen in
ewiges Lachen verwandelt. Dazu helfe uns Gott allen um Jesu Christi willen.
Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Der Hauptgrund, warum es in unserem Land im
Blick auf die Religion und das Christentum so traurig aussieht, liegt ohne
Zweifel an den Predigern selbst. Schlechte Hirten, schlechte Herden! Zwar zu
keiner Zeit und in keinem Land ist der Predigerstand so verachtet gewesen als
in den USA, er hat sich aber auch nie und nirgends selbst so verächtlich
gemacht. Es ist dahin gekommen, dass ein Prediger, wenn er nicht mit
verdacht und Verachtung angesehen und behandelt sein will, es allenthalben
lieber verschweigen möchte, dass er ein Prediger sei.[23]
Wer kann sich aber darüber wundern? Was für
Männer sind es, die das heilige Amt, das die Versöhnung predigt, hier suchen
und annehmen? Zur Erziehung und Bildung tüchtiger Prediger für unser
deutschstämmiges Volk ist leider noch sehr wenig getan, während doch mit jedem
Jahr eine große Menge neuer Gemeinden entstehen, welche bald das Bedürfnis
eines Predigers fühlen. Was geschieht nun? Es kommen ungläubige und unwissende
Menschen hierher, die in Europa kein Fortkommen finden konnten; diese werfen
sich hier den Gemeinden zu ihren Predigern auf, lassen sich von ihnen für Geld
auf ein Jahr mieten und predigen nun den Leuten, was sie gern hören, um ihre
Freundschaft und für sich das Brot zu behalten. Was können solche blinden
Leiter der Blinden anderes tun, als dass sie mit diesen in die Grube fallen,
ich meine, dass sie ihre Gemeinden mit sich zur Hölle führen? Diese sich hier
allenthalben einschleichenden unwissenden und ungläubigen Prediger sind ein
wahrer Fluch der hiesigen Bewohner.[24]
Eine andere Klasse von Predigern dieses
Landes besteht jedoch aus solchen, welche von einer besseren Art sind. Manchen
ist es nämlich wirklich nicht bloß darum zu tun, durch das Predigen ihren
Unterhalt zu gewinnen; sie wollen auch gern das Evangelium predigen; aber es
fehlt ihnen nicht nur die rechte Erkenntnis der wahren reinen Lehre des
Evangeliums, sie gehen auch oft wissentlich davon ab, weil sie
entweder lieber ihrer Vernunft und ihrem Herzen folgen, oder weil sie fürchten,
die Zuhörer zurückzustoßen.[25] Sie lassen daher hier und
da etwas von der Schärfe des Wortes Gottes nach; sie wollen es ihren Zuhörern
so predigen, dass es alle gerne hören, daher verschweigen sie das, was
die Zuhörer beleidigen und erzürnen könnte; sie strafen die im Schwange
gehenden Sünden nicht ernstlich; sie zeigen nicht, wie ein wahrer Christ
beschaffen sein müsse; sie lehren nicht, wie jeder Mensch Buße tun und sich
rechtschaffen zu Gott bekehren müsse, der da selig werden wolle. Aber was tun
sie damit? Sie verführen sich nur selbst und die ihnen anvertrauten Seelen;
dabei bleiben die Zuhörer in ihren Sünden sicher und sorglos; sie lernen nie
erschrecken, noch sich wahrhaft und bleibend trösten, sie lernen nie weder ihr
Verderben noch Gottes Gnade recht erkennen und gehen so gewiss meistens durch
die Schuld ihrer lauen, menschenfurchtsamen, halbierten Prediger verloren. Denn
wenn ein Prediger das aus Gottes Wort weglässt, was den Menschen angreift, und
ihm sein Elend vor die Augen stellt da führt der Prediger das Schwert des Geistes
nur zum Schein, er bricht ihm selbst die Spitze ab und alles sein Predigen ist
ein wirkliches Spiegelfechten und gänzlich vergeblich.
Eine dritte Klasse von Predigern sind die
schwärmerischen Sektenprediger. Diese geben zwar vor, nichts anderes als Gottes
Wort zu predigen, ja, sie geben sich, so lange es möglich ist, für rechte
evangelische Christen aus, um viele in ihr Sektennetz zu locken; sie haben auch
den Schein, als wäre es ihnen allein um die Seligkeit ihrer Zuhörer zu tun,
aber sie kommen nicht nur, wie alle falschen Propheten, unberufen selbst
gelaufen, wie es Jeremia 23 heißt: „Ich sandte die Propheten nicht, dennoch
liefen sie“; sie breiten auch das Gift unzähliger falscher Lehren mit Macht
aus; sie suchen ihre Zuhörer erst nur in Angst und Schrecken zu setzen und
verführen sie dann zu geistlichem Stolz und Schwärmerei, und sie laden durch
ihr ganzes schwärmerisches Wesen und Treiben leider die schwere Schuld auf
sich, dass die Ungläubigen Recht haben zu meinen, wenn sie alle Religion und
Gottseligkeit für lauter Schwärmerei und Heuchelei ansehen.
Mitten unter diesen falschen Predigern gibt
es … nur sehr wenige, welche das seligmachende Wort Gottes in seiner Lauterkeit
so verkündigen, dass ein jeder wissen kann, wie er Gottes Gnade erlangen,
christlich leben, gottgefällig leiden und selig sterben könne. Es ist daher
hier große Gefahr, verführt zu werden und verloren zu gehen. Ist daher
irgendjemandem die Warnung Christi nötig: „Seht euch vor vor den falschen
Propheten!“ so ist sie gewiss vor allem uns nötig. In unserem
heutigen Evangelium hören wir Christus so reden; lasst uns daher diese Warnung
jetzt etwas genauer erwägen.
Matthäus 7,15-23: Seht euch vor vor den falschen
Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie
reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben
lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum
bringt gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt arge Früchte. Ein guter Baum
kann nicht arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte
bringen. Ein jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und
ins Feuer geworfen. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Es werden
nicht alle, die zu mir sagen: HERR, HERR! ins Himmelreich kommen, sondern die
den Willen tun meines Vaters im Himmel. Es werden viele zu mir sagen an jenem
Tage: HERR, HERR! haben wir nicht in deinem Namen geweissagt, haben wir nicht
in deinem Namen Teufel ausgetrieben, und haben wir nicht in deinem Namen viele
Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt;
weicht alle von mir, ihr Übeltäter!
Nach diesem verlesenen Evangelium kann der
Gegenstand unserer heutigen Betrachtung kein anderer sein als:
Christi
Warnung vor falschen Propheten
Darin zeigt uns aber Christus dreierlei:
1.
Dass die falschen Lehrer überaus
gefährlich und schädlich sind,
2.
Dass wir uns nicht durch den guten Schein,
den die falschen Lehrer haben, betrügen lassen dürfen; und endlich
3.
Dass wir sie an ihren Früchten
erkennen sollen.
1.
Durch nichts bekommt ein Feind mehr Macht
über uns und durch nichts wird er uns so gefährlich, als wenn wir sicher und
sorglos sind, ihn nicht achten und wähnen, er könne uns nicht schaden. Dies ist
daher auch bei den falschen Lehrern der Fall; sie würden nimmermehr so häufig
Eingang finden und so großen Schaden anrichten, wäre man nicht so gleichgültig
in den Sachen der Religion, meinte man nicht, es komme nicht viel darauf an, ob
ein Lehrer ganz rein lehre oder nicht.
Diese Gleichgültigkeit ist aber jetzt fast
ganz allgemein. Wir teilen uns besonders in zwei große Hauptteile; deren einer
Teil besteht aus solchen, die von dem alten Glauben ganz abgefallen sind, die
in Verachtung Gottes und seines heiligen Wortes dahin leben, alle göttlichen
Offenbarungen für Fabeln achten, oft sogar das Dasein Gottes und die Hoffnung
der einstigen Auferstehung leugnen und daher auch endlich wie die Tiere
dahinfahren. Der andere Teil besteht aus solchen, die zwar die Bibel noch für
wahr halten, Religion und Gottesdienst für nötig erkennen und vom Glauben nicht
abfallen wollen, die aber meinen, man müsse es mit der Lehre nicht gar zu genau
nehmen; wenn ein Lehrer nur die Bibel für Gottes Wort, Christus für Gottes Sohn
und den Glauben an Christus für das Mittel der Seligkeit halte, so sei das
genug, dann müsse man zufrieden sein, dann müsse man sich über andere Punkte,
in denen man nicht übereinstimme, nicht streiten, sondern jeden seines Glaubens
leben lassen.
Diese Gleichgültigkeit gegen die reine
Lehre hat daher zur Folge gehabt, dass eine Union, das heißt, eine kirchliche
Vereinigung zwischen Rechtgläubigen, Falschgläubigen und Ungläubigen entstanden
ist, welcher man den schönen Namen der „evangelischen Kirche“ gegeben hat. Der
Name ist gut und herrlich, aber was hilft der Name ohne die Tat? Ist das eine
evangelische Kirche, wo eine mehr als babylonische Verwirrung herrscht, wo
jeder glaubt, was ihm beliebt, wo ein Glied dieser Kirche die Bibel
annimmt, das andere sie verwirft? Sagt nicht der heilige Apostel: „Ein HERR,
Ein Glaube, Eine Taufe, Ein Gott und Vater unser aller“? So soll die Gestalt
einer evangelischen Kirche sein.
Mit dieser Gleichgültigkeit in
Religionssachen werden die meisten entweder gänzliche Verächter alles
Gottesdienstes oder zu einer Beute eines falschen Lehrers. Wenn ein Prediger
nur den Text aus der Bibel verliest, kann er dann auch noch so unbiblisch
predigen, hat er einige Beredsamkeit, hat er die Gabe, die Zuhörer zu
unterhalten, so prüft man ihn nicht etwa erst nach seiner Bibel und nach seinem
Katechismus, sondern es heißt sogleich: Ei, das ist ein rechter Prediger! Es
ist alles Gottes Wort. Und wenn hundert falsche Lehren in einer Predigt
vorkommen, das weiß oder achtet man nicht.
Aber ich bitte euch, meine Zuhörer, wie
spricht denn Jesus Christus? Er spricht: „Seht euch vor vor den falschen
Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen; inwendig aber sind sie
reißende Wölfe.“ Seht, das ist das Urteil Christi über alle falschen
Lehrer; er nennt sie reißende Wölfe; er erklärt sie also für die gefährlichsten
und schädlichsten Menschen, vor denen man fliehe solle, wie vor reißenden
Tieren, weil sie nämlich nicht unseren Leib, sondern unsere Seele zerrissen und
mordeten und in das ewige Verderben führten.
Und so ist es auch. Die falsche Lehre
scheint wohl etwas Geringes, Unkräftiges und Unschädliches zu sein, aber sie
ist ein Gift, welches die Seele tötet. Falsche Lehre ist ein falscher Wegweiser
auf dem Weg zum Himmel; wer nach einem solchen Wegweiser sich richtet, der
kommt auf Irrwege und gerät endlich in den Abgrund des ewigen Todes. Es kommt
auch nicht darauf an, ob ein Prediger sehr viel falsche Lehren hat; eine
einzige kann den ganzen Grund umstoßen. Wer mag ein Brot essen, in welchem nur
ein Quentchen Arsen enthalten ist? „Ein wenig Sauerteig“, spricht St. Paulus,
„versäuert den ganzen Teig.“ Der Apostel will nämlich zu den Galatern, welche
einem falschen Lehrer Raum gegeben hatten, sagen: Eine einzige falsche Lehre,
die ihr angenommen habt, ist schon genug, euch um Seele und Seligkeit zu
bringen; daher setzt er hinzu: „Ihr habt Christus verloren und seid von der
Gnade gefallen, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt.“
Es ist mit der falschen Lehre nicht zu
scherzen; eine jede ist seelengefährlich. Gibt der Prediger seinen Zuhörern
falschen Trost, so werden si sicher und gehen dadurch verloren; entzieht ein
Prediger hingegen seinen Zuhörern den vollen Trost, sucht er sie nur in
Furcht zu erhalten und weist er sie nicht allein auf Christus und sein
Gnadenwort, so kommen die Zuhörer zu keiner Ruhe und zu keinem rechten Glauben,
und gehen dadurch verloren.
Ihr seht hieraus: Es ist recht töricht,
wenn man spricht: Man müsse die Liebe walten lassen, nicht so streng sein, und
einen Lehrer wegen einiger falscher Lehren nicht gleich verwerfen und die
Gemeinschaft nicht mit ihm aufheben. Aber ich frage euch: Werdet ihr aus Liebe
das Brot kaufen und essen, von dem ihr wisst, dass es vergiftet ist? Gewiss
nicht. So soll auch ein Christ einen Lehrer nicht hören, der mit dem Brot des
Lebens das Gift der falschen Lehre austeilt. Ein Christ soll wohl im Leben
gegen alle Menschen, auch gegen Ketzer, Ungläubige und Falschgläubige, stets
Liebe zeigen, ihnen in aller Not beistehen, wo er nur kann, ihnen freundlich
von ihrem Irrtum zu helfen suchen, aber Kirchen- und Glaubensgemeinschaft soll
er nicht mit ihnen halten, sondern lieber leiblich sterben, als seine Seele von
einem solchen Wolf zerreißen zu lassen.
Das große Verderben in den Kirchen kommt
nirgendwo her als von den falschen Lehrern, die nach und nach die falsche Lehre
in Schuld und Kirche, in die Herzen der Jungen und Alten gebracht haben. Wer
sich hat zwingen lassen, wissentlich einen falschen Lehrer zu hören und ihn
anzunehmen[26],
der hat eine Sünde der Verleugnung begangen und sich und seine Kinder in große
Seelengefahr gestürzt; wer sich aber selbst falsche Lehre wählt, der tut die
Sünde doppelt und zehnfach.
Hätte Luther in der Lehre wollen die Liebe
und nicht die Wahrheit walten lassen, so wären wir wohl noch alle Papisten und
ließen uns noch von dem Papst und seinen heuchlerischen Priestern mit ihrer
falschen Lehre zur Hölle führen.
2.
Aber hierbei wird vielleicht mancher sagen:
Ja, es ist wahr, vor solchen gottlosen Verführern muss man sich freilich hüten,
aber soll man denn auch solche als falsche Propheten meiden, welche viel Gutes
an sich haben, die aber dabei hier und da in der Lehre abweichen? Ja, lieber
Zuhörer, bleibt ein Lehrer, obgleich er seines Irrtums überwiesen ist, darauf
bestehen, gibt er dem klaren Wort Gottes nicht Recht, verharrt er bei seinem
Zutun und Abtun, so ist er ein falscher Prophet, den du meiden musst. Denn
Christus spricht: „Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in
Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.“ Hier
hören wir deutlich zweitens aus Christi Mund, dass wir uns nicht durch den
guten Schein, den die falschen Lehrer haben, betrügen lassen dürfen.
Falsche Propheten sind eigentlich nur
solche, die da vorgeben, Propheten Gottes und Christi zu sein, und es nicht
sind; diejenigen, welche nicht einmal dieses Schafskleid tragen, die nicht
einmal Christi Apostel sein wollen, sind offenbare Boten des Teufels und die
Propheten der ungläubigen Welt. Solcher gibt es auch viele. Viele benutzen die
gegebene Freiheit, alles Heilige öffentlich zu lästern und das Wort Gottes, die
heiligen Sakramente, Christus und seine ganze Gnadenanstalt zu verspotten.
Solche unglücklichen Menschen sind von der Hölle verkauft, ihr zu dienen, ihre
Zunge ist von der Hölle entzündet, für sie zu reden, ihre Feder von dem bösen
Geist regiert, für sein Reich zu schreiben. Wer zu solchen ruchlosen Lästerern
des allerhöchsten Gottes sich gesellt, der wird nicht erst verführt, der ist
schon verführt; nur wer sich schon von Gott losgesagt hat, wird solche Apostel
hören, damit sie sein schlummerndes Gewissen nur in einen Schlaf reden, aus
welchem es auch in der Todesstunde nicht erwachen soll.
Von solchen ist in unserem heutigen
Evangelium gar nicht die Rede. Es heißt vielmehr: „Seht euch vor vor den
falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen.“ Dieses
ist, meine Lieben, besonders in jetziger Zeit wohl zu beherzigen. Viele sind es
leider gewohnt, solche Prediger zu hören, welche ihr Amt nur suchen, um ein
gutes Einkommen zu finden, die sich so viel wie möglich gute Tage machen, ihr
Amt treulos verwalten, allenthalben Geiz, Eitelkeit und Weltliebe zeigen, gegen
Niedrige und Arme sich stolz zeigen und nach Ansehen der Person reden und
handeln, die kaum den Schein des Wortes Gottes, sondern allein eine trockene
Sittenlehre predigen. … Sieht und hört so jemand, der bisher solche Prediger
hatte, nun die, welche vorgeben, dass sie nichts treibe als die Liebe zu den
Seelen, die auch einen großen Ernst und Eifer in ihrem Amt zeigen, die
freundlich sind gegen jedermann, nicht geldgeizig sind, dabei vieles aus Gottes
Wort scharf predigen, die Leute zur Buße und Bekehrung ermahnen und ihre Herzen
erschrecken und erschüttern – hört jemand solche Prediger: Ei, denkt er
sogleich, das hast du noch nicht gehört, das ist ein rechter Prediger, das ist
ein reiner evangelischer Lehrer.
Aber, meine Lieben, alles solches Gute, was
man an einem Prediger sieht ist noch bei weitem nicht genug, wenn man fragt, ob
er ein rechter Prophet, ob er ein reiner Lehrer sei. Ein Prediger kann einen
großen Schein haben, er kann äußerlich gewaltig predigen, er kann viele Seelen
aus ihrem Sündenschlaf erwecken, und er kann doch selbst noch ein falscher
Prophet sein, den man meiden muss. Denn, wie spricht Christus am Ende unseres
Evangeliums? Er sagt: „Es werden viele zu mir sagen an jenem Tag: HERR, HERR,
haben wir nicht in deinem Namen geweissagt? Haben wir nicht in deinem Namen
Teufel ausgetrieben? Haben wir nicht in deinem Namen viele Taten getan? Dann
werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt, weicht alle von mir,
ihr Übeltäter.“
Welch eine ernste Warnung ist dies! Mag
hiernach immer ein Prediger in Christi Namen weissagen, ja, in diesem Namen
Teufel austreiben und große Taten tun, dass jedermann ihn für ein Rüstzeug
Christi halten möchte, so sollen wir uns dadurch doch noch nicht täuschen
lassen; er kann dennoch ein falscher Prophet sein, der unter dem besten Schein
seine Zuhörer auf falsche Wege führt, auf welchen sie doch endlich das
himmlische Ziel verfehlen.
O, wie töricht handeln also die Gemeinde,
welchen den ersten beiden Menschen zu ihrem Prediger annehmen, wenn er nur
einen guten Schein hat! Wie töricht, wenn man denkt: Wenn wir nur einen
Prediger haben! – Ach, in keiner Sache ist so große Vorsicht, so ernstliche
Prüfung nötig, als wenn man sich einen Prediger wählen will. Lehrt dieser uns
falsch, leitet dieser uns auf einen Irrweg, so entsteht daraus nicht
zeitlicher, sondern ewiger Schade; er verderbt nicht unseren Leib, sondern
unsere teuer erkaufte unsterbliche Seele; er bringt uns nicht um das Irdische,
sondern um den Himmel.
Eine so große unaussprechliche Wohltat es
ist, wenn eine Gemeinde das reine seligmachende Wort Gottes hört, wäre es auch
von dem allereinfältigsten, unbegabtesten und schwächsten Prediger, wofür wir
Gott in alle Ewigkeit nicht genug werden danken können, so wir sein Wort als
Christi Wort mit Verlangen und Demut aufnehmen, ein so großes unaussprechliches
Unglück ist es für eine Gemeinde, wenn sie einen Prediger hat, der ihr den
rechten Weg zur Seligkeit nicht lauter zeigt, wenn dieser auch predigen kann wie
mit Engelszungen. Denn je mehr ein falscher Lehrer scheinbare Gaben hat, desto
gefährlicher ist er und desto verderblicher sein ganzes Werk.
3.
Doch dieses alles führt uns nun endlich zu
unserer dritten, nämlich zur Hauptfrage: Woran kann man denn sowohl die
falschen wie die rechten Propheten erkennen? Christus beantwortet uns dies in
seiner Warnung und spricht: „An
ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man auch Trauben lesen von den
Dornen oder Feigen von den Disteln? Also ein jeglicher guter Baum bringt gute
Früchte; aber ein fauler Baum bringt arge Früchte. Ein guter Baum kann nicht
arge Früchte bringen, und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. Ein
jeglicher Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer
geworfen. Darum an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“
Christus will
sagen: Wenn ein Mensch an einem Baum arge Früchte findet, so wird er sich
nimmermehr überreden lassen, dass es ein guter Baum sei; findet er anstatt der
Trauben und Feigen Dornen und Distelköpfe, so wird er das Gewächs nimmermehr
für einen Weinstock oder Feigenbaum ansehen; hingegen findet er an einem Baum
gute Früchte, so weiß er gewiss, es müsse ein guter Baum sein, denn ein arger
Baum kann keine guten Früchte bringen. Nach denselben Grundsätzen sollen wir
nun auch die Propheten oder Prediger prüfen; bringen sie gute Früchte, so sind
sie gewiss rechte, bringen sie arge Früchte, so sind sie gewiss falsche
Propheten.
Welches sind
nun diese Früchte? Sind es etwa äußerliche gute Werke? Ist es der Schein eines
heiligen frommen Lebens? Sind es große Taten und Wirkungen? Nein, Christus sagt
ja: Dies alles kann auch ein falscher Prophet haben, dies kann sein Schafskleid
sein, womit er sich und andere täuscht. Welche Früchte sind denn also die,
woran die wahren und falschen Propheten zu erkennen sind? Es sind vor allem die
Lehrfrüchte. Ist die Lehre recht und rein, so ist auch der Prophet recht
und rein; ist die Lehre falsch und unrein, so ist auch der Prophet falsch. Ein
christlicher Prediger soll freilich fromm und gottselig, ein Muster und Vorbild
seiner Herde sein in Worten und Werken; ein gottloser Prediger mit reiner Lehre
reißt durch sein Leben immer wieder ein, was er bei den Zuhörern mit seiner
Lehre aufgebaut hat; denn die Zuhörer denken: Wäre des Predigers Lehre wahr, so
würde er ja selbst danach tun. Aber, meine Lieben, so gewiss das ist, dass ein
rechter Prediger auch fromm sein soll, und dass ein gottloser Prediger gewiss
auch bald die reine Lehre wieder verlieren wird, so ist doch auch das gewiss,
dass das fromme Leben des Predigers keinen Zuhörer selig machen kann; die
Hauptfrüchte, die man von einem Prediger sucht, sind die Lehrfrüchte. Dies sagt
schon der Prophet Maleachi im zweiten Kapitel seiner Weissagungen: „Des
Priesters Lippen sollen die Lehre bewahren, dass man aus seinem Mund das Gesetz
suche; denn er ist ein Engel des HERRN Zebaoth.“
Aber, werdet
ihr sagen, welches ist denn die rechte reine Lehre? Darauf antworte ich dieses:
Da ist sie, wenn man sie allein aus dem Wort Gottes schöpft, aus den Schriften
der Apostel und Propheten, daran nichts verändert, nichts davon tut und nichts
dazu tut; denn so spricht St. Paulus an die Galater: „So auch wir oder ein
Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, als das wir euch
gepredigt haben, der sei verflucht.“
Ich habe euch
aber schon oft gesagt: In der ganzen christlichen Lehre gibt es eine Grund- und
Hauptlehre, welche wie die Sonne alles erleuchtet, und ohne welche darum alle
anderen Lehren finster und nutzlos werden, auf die daher alles ankommt: Das ist
die Lehre von Christus oder von der Rechtfertigung eines armen Sünders durch
den Glauben an Gott. Wenn diese Lehre rein ist, wenn ein Prediger seinen
Zuhörern Christus lauter verkündigt, ihnen zeigt, wie sie allein durch den
Glauben an ihn vor Gott gerecht und selig werden, wenn er da nichts hinzu setzt
noch davon tut, dass alle erschrockenen Sünder einen bleibenden Trost in aller
Not, in Anfechtung und auch im Tod haben, da ist gewiss rechte reine Lehre,
denn die reine Lehre von der Rechtfertigung leidet keinen Irrtum, und wo einer
entsteht, da wird er bald erkannt; wo diese Sonne leuchtet, da wird und muss
alles licht werden; denn das ist der eigentliche Inhalt, der Kern und Stern des
Evangeliums.
Hinwiederum, wo
die Lehre von Christus nicht rein ist, wo an diese Lehre Zusätze gemacht,
Christus mit seiner Gerechtigkeit verdunkelt, seine Hilfe und Gnade in den
Schatten gestellt wird, da ist die Lehre falsch, und wenn sie so heilig und so
geistlich und so himmlisch schiene, dass alle Zuhörer in Geistlichkeit der
Engel einhergingen.
So prüft denn
hiernach alle Lehre, so werdet ihr von falschen Propheten unverführt bleiben.
Seht ihr, dass von dem Buchstaben des Wortes Gottes abgegangen wird, wenn man
z.B. Christus nicht glaubt, der da sagt: Das ist mein Leib, das ist mein Blut;
sehr ihr besonders, dass das Evangelium so gepredigt wird, dass dadurch
Christus verdunkelt wird, dass dem Menschen zum Seligwerden Werke, Übungen und
dergleichen auferlegt werden, werden nicht alle armen Sünder stracks zu
Christus und seiner Gerechtigkeit gewiesen, werden die erschrockenen Seelen
noch aufgehalten, so ist der Prediger ein falscher Prophet und nicht ein treuer
Diener Christi und des Evangeliums; und wehe dem, der dies weiß und ihn hört!
Hingegen, wo
ihr hört, dass das Wort Gottes ohne alle Zusätze und Abstriche gepredigt wird,
wo auch besonders Christus rein und lauter verkündigt wird und eure Seelen auf
die süße Weide seines Evangeliums geführt werden, dann erkennt auch, wie große
die Gnade sei, die ihr genießt. Bedenkt, dass Gott für sein teures Wort einst
eine schwere Rechenschaft fordern wird. Darum verachtet es nicht, schätzt es
nicht gering, hört es mit Fleiß und herzlicher Andacht, nicht mit schläfrigen
Ohren und Herzen, nehmt es vielmehr auf von ganzem Herzen und bringt Frucht in
Geduld. Denn wo Gottes Wort rein und lauter verkündigt wird, da spricht
Christus: „Wer euch hört, der hört mich; wer euch verachtet, der verachtet
mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat.“ Davor
behüte euch der liebe himmlische Vater um Jesu Christi willen. Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserem teuren Heiland,
herzlich geliebte Zuhörer!
In Gottes Wort wird die Klugheit nicht nur
als eine Pflicht geboten, sondern auch als eine herrliche Sache hoch gelobt.
Christus spricht zu seinen Jüngern: „Seid klug wie die Schlangen und ohne
Falsch wie die Tauben“; und Salomo redet in seinen Sprüchen seine Leser mit den
Worten an: „Nenne die Klugheit deine Freundin“, und setzt zu ihrem Lob hinzu:
„Klugheit ist ein lebendiger Brunnen dem, der sie hat.“ Zu einem Gott
wohlgefälligen Wandel eines Christen gehört daher notwendig auch das, dass er
klug und vorsichtig wandle, dass er es bei dem, was er redet und tut, nicht nur
gut meine, nicht nur immer einen guten Zweck habe, sondern dass
er auch die rechten Mittel zum Erreichen seiner Ziele anwende; dass er
nicht nur nicht boshaft und gegen die Liebe Gottes und des Nächsten, sondern
auch nicht töricht und gegen die Regeln der Klugheit handle. Einem Christen,
der zwar das Gute will, aber dabei unbesonnen verfährt, nicht die passende Zeit
erwählt, nicht auf Ort und Umstände Rücksicht nimmt, nicht erst überlegt, ob
das, wobei er die besten Absichten hat, vielleicht doch mehr schädlich als
heilsam sein werde, einem solchen Christen fehlt noch ein sehr wichtiges Stück,
das zu dem Schmuck und der rechten Gestalt eines wahren Christen gehört. Ein
solcher unkluger Christ richtet oft, ohne zu wollen, viel Unheil an und muss
oft seine bestgemeinten Werke ebenso bitter bereuen wie seine Sünden. Wo aber
mit Taubeneinfalt Schlangenklugheit gepaart ist, da offenbart sich eines
Christen wahres Bild.
So sehr nun oft gerade Christen klagen,
dass es ihnen noch an der rechten Klugheit fehle, so weit scheinen es die
meisten Kinder dieser Welt in der Erfüllung des Gebotes Christi zu bringen:
„Seid klug wie Schlangen.“ Weltkinder wissen es nicht nur, dass Klugheit mehr
wert ist als Reichtum und Macht, sie verstehen es auch so vortrefflich, bei
ihren Handlungen auf alle Umstände Rücksicht zu nehmen und zum Erreichen ihrer
Absichten die sichersten Mittel, die passendste Zeit und den bequemsten Ort zu
wählen, dass sie selbst die Christen hierin weit übertreffen und beschämen. Wie
jedoch die Christen oft zwar ohne Falsch wie die Tauben, aber nicht klug wie
die Schlangen sind, so sind die Weltkinder wohl oft klug wie die Schlangen,
aber nicht ohne Falsch wie die Tauben. Weltkinder suchen immer das Ihre, ihren
eigenen Ruhm, und zum Erreichen dieses ihres höchsten Zwecks verschmähen sie
auch das sündliche Mittel nicht, wenn es sie nur zum Ziel führt; sie fragen
nicht, ob sie sich dabei gegen Gott oder ihren Nächsten versündigen.
Die Welt achtet den für einen klugen
Christen, der es zwar, wie sie meint, mit Gott, aber auch mit der Welt hält;
wer, wie sie es nennt, die Mittelstraße im Christentum geht, nicht zu fromm,
aber auch nicht zu gottlos ist; wer bei den Frommen fromm ist, aber auch, wie
ihr Sprichwort lautet, wenn er unter den Wölfen ist, mit heult; wer seinen
Glauben da bekennt, wo es ihm Ehre einbringt, ihn aber da verschweigt, wo er
Schaden, Schande und Feindschaft davon ernten könnte. Die Welt achtet den
Prediger für klug, der predigen kann, dass ihn jedermann gern hört, der aus
Liebe zum Frieden es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt und den Vortrag der
Religion nach Zeit und Umständen umändert. Die Welt achtet auch den
Geschäftsmann für klug, der auf die leichteste Weise reich zu werden, gute Ware
unter dem Wert zu kaufen und schlechter Ware über den Wert zu verkaufen, kurz,
wer so zu betrügen versteht, dass er dabei doch den Namen eines ehrlichen,
reelen, soliden Mannes nicht verliert.
So hoch nun die Welt diese ihre Klugheit
achtet und so sehr sie auch die Christen mit Verachtung ansieht und sie für
Toren und Narren hält, dass sie nicht so klug handeln, ihr Gewissen nicht
beflecken und weder Gott noch ihren Nächsten beleidigen wollen, und daher im
Irdischen meist hinter den Weltkindern zurückbleiben und sich von ihnen
betrügen lassen, so ist doch die Klugheit der Welt nicht die wahre, sondern
eine falsche Klugheit, nichts als eine arglistige Verschlagenheit, deren ein
wahrer Christ sich schämen muss; ja, will ein Christ selbst in den Augen der
Welt kein Tor mehr sein, blickt er neidisch auf die klugen Weltkinder hin und
fängt er an, sich ihrer Klugheit auch gelüsten zu lassen und sie auch
anzunehmen, so hört er auch auf, ein Christ zu sein. Die Klugheit der Welt ist
das Licht, welches von dem Augenblick an in der Seele des Menschen aufging, als
die ersten Menschen von dem verbotenen Baum aßen, den sie mit den Gedanken
beschauten: Es sei „ein lustiger Baum, weil er klug machte“.
So sehr jedoch ein Mensch sich zu hüten
hat, nach Art der Welt klug zu sein und ihrem bösen Beispiel zu folgen, so
können wir doch daran, wie die Welt aufs Irdische Klug ist, recht wohl lernen,
wie wir noch viel mehr auf das Himmlische Klug sein sollen. In diesem Sinn wird
auch in dem heutigen Evangelium die Klugheit eines ungerechten Haushalters den
Kindern des Lichts als ein nachahmungswürdiges Vorbild vorgestellt. darauf
lasst uns daher auch jetzt unsere Andacht lenken.
Lukas 16,1-9: Er sprach aber auch zu seinen
Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Haushalter; der wurde vor ihm
beschuldigt, er hätte ihm seine Güter veruntreut. Und er forderte ihn und
sprach zu ihm: Wie höre ich das von dir? Tu Rechenschaft von deinem Haushalten;
denn du kannst hinfort nicht Haushalter sein. Der Haushalter sprach bei sich
selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt das Amt von mir; graben mag ich
nicht, so schäme ich mich zu betteln. Ich weiß wohl, was ich tun will, wenn ich
nun von dem Amt gesetzt werde; dass sie mich in ihre Häuser nehmen. Und er rief
zu sich alle Schuldner seines Herrn und sprach zu dem ersten: Wieviel bist du
meinem Herrn schuldig? Er sprach: Hundert Tonnen Öles. Und er sprach zu ihm:
Nimm deinen Brief, setze dich und schreib flugs fünfzig. Danach sprach er zu
dem andern: Du aber, wieviel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Malter
Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Brief und schreib achtzig. Und der
Herr lobte den ungerechten Haushalter, dass er klug getan hatte. Denn die
Kinder dieser Welt sind klüger als die Kinder des Lichts in ihrem Geschlecht.
Und ich sage euch auch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf
dass, wenn ihr nun darbt, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.
Dieses verlesene Evangelium hat schon viele
christliche Ausleger in große Verlegenheit gebracht. Viele haben sich nämlich
nicht darein finden können, dass Christus hier sagt: Der ungerechte Haushalter,
der doch so betrügerisch und gewissenlos gehandelt hatte, sei gelobt worden.
Der Kaiser Julian, genannt der Abtrünnige, der aus einem Christen und Heide und
ein großer Christusfeind geworden ist, hat es sogar den Christen vorgeworfen,
dass in diesem Evangelium ihr gerühmter Heiland selbst die Ungerechtigkeit
lobe. Aber man irrt sich. Christus lobt das Verfahren des Haushalters in
unserem Evangelium keineswegs, vielmehr nennt er ihn deutlich einen „ungerechten
Haushalter“; ist das gelobt? Gelobt und gerühmt wird zwar seine Klugheit,
aber auch offenbar getadelt, dass er seine Klugheit zur Ungerechtigkeit
anwendete. Christus will durch das Beispiel desselben seine Zuhörer ermuntern,
so im Guten klug zu sein, wie der ungerechte Haushalter im Bösen klug war,
selbst das Böse sich zum Guten dienen zu lassen, und so in einem gewissen Sinn
selbst von den Dornen Trauben und von den Disteln Feigen zu lesen.
Lasst mich euch hiernach jetzt vorstellen:
Die
wahre Klugheit, zu welcher uns selbst das Beispiel der falschklugen Weltkinder
ermuntert
Ihr Beispiel zeigt uns nämlich, dass die
wahre Klugheit
1.
Darin bestehe, dass man nicht
sicher und unbekümmert um die ewige Zukunft dahingehe, und
2.
Dass man ernstlich und eifrig sei,
alles zu tun, um einst die ewige Seligkeit zu erreichen.
Gnädiger und barmherziger Gott! Wir müssen
wir alle klagen und bekennen, dass wir von Natur ohne die wahre Klugheit und
Weisheit sind, dass unser Verstand von Natur verfinstert ist und dass wir nicht
wissen, was zu unserem Frieden, zu unserem wahren Heil dient, ja, dass dein
Ratschluss, dein Weg, deine Führung uns meist töricht zu sein dünkt. Du allein
kannst durch dein Wort und einen Heiligen Geist die wahre Klugheit in uns
wirken. Darum bitten wir dich, erleuchte uns doch, dass wir weise werden, dass wir
nicht den falschen Weg erwählen, der uns ins Verderben führt, sondern die
rechte Bahn, die uns bringt zum ewigen Leben. Ach, tue dies an einem jeden
unter uns, dass keiner, keiner verloren werde. Erhöre uns um Jesu willen. Amen.
1.
Am Schluss unseres Evangeliums, in welchem
uns von einem ungerechten Haushalter erzählt wird, heißt es: „Und der HERR
lobte den ungerechten Haushalter, dass er klug getan hatte.“ Worin bestand
denn nun eigentlich seine Klugheit? – Erstlich darin, dass er für die Zukunft
besorgt war.
Er hatte die Güter seines Herrn veruntreut.
Der gütige Herr, dessen Güter er verwaltete, hatte ihn, ohne seine Rechnungen
durchzusehen, lange ruhig dahingehen lassen. Endlich aber, als das Gerückt von
seiner bösen Haushaltung vor den Herrn gekommen war, forderte ihn derselbe
plötzlich vor sich mit den Worten: „Wie höre ich das von dir? Tue Rechnung
von deinem Haushalten; denn du kannst hinfort nicht mehr Haushalter sein.“
Hätte nun der Haushalter auf diese Warnung und Drohung nicht geachtet, hätte er
leichtsinnig gedacht: Kommt Zeit, kommt Rat; hätte er gedacht: Wenn es dir nur
jetzt wohl geht, was willst du dich wegen der Zukunft sorgen? Hätte er nicht
überlegt, dass es j seine Rechnungsbücher ausweisen würden, wie untreu er in
seinem Amt gewesen sei; hätte er sich den bösen Zustand, in welchen seine
Sachen durch seine schlechte Verwaltung gekommen waren, zu verbergen und sich
zu überreden versucht, es gehe alles gut: Wäre dies nicht eine schreckliche
Torheit gewesen? – Wäre er auch jetzt sicher und sorglos geblieben,
hätte er auch jetzt, ohne an die Zukunft zu denken, gescherzt und
gelacht, würde ihn nicht jedermann für einen Narren, ja, für wahnsinnig
geachtet haben? Gewiss.
Aber was tat er? Er ließ sich jetzt aus
seiner Sicherheit erwecken und sprach nun, für die Zukunft ernstlich besorgt, „bei
sich selbst: Was soll ich tun?“ Er überlegte also ernsthaft, dass es so
durchaus nicht fortgehen dürfte, wie er es bisher getrieben habe. Der Gedanke,
dass etwas geschehen, dass es mit ihm anders werden müsse, erfüllte seine ganze
Seele. Er verhehlte es sich auch nicht, dass es mit ihm auf das Äußerste
gekommen sei. Er setzte daher auch hinzu: „Mein Herr nimmt das Amt von mir;
graben mag ich nicht, so schäme ich mich zu betteln.“ Er glaubte es
also, dass er sein Amt verlieren und so nun bald in die tiefste Schande und in
die bitterste Armut fallen werde. Er faste daher einen kurzen Entschluss und
sprach endlich: „ich weiß wohl, was ich tun will, wenn ich nun von dem Amt
abgesetzt werde, dass sie mich in ihre Häuser nehmen.“
Seht da, hier lernen wir durch das Beispiel
eines falschklugen Weltkindes das erste Stück, das zur wahren Klugheit gehört;
es besteht dies nämlich vor allem darin, dass man nicht sicher und unbekümmert
um die Zukunft dahingeht, sondern an die Ewigkeit denkt und es sich nicht
verhehlt, dass man einst mit seiner Rechnung vor Gott nicht werde bestehen
können.
Wir Menschen sind nämlich auch alle
Haushalter, nämlich Haushalter Gottes, des allerreichsten allgemeinen Herrn und
Hausvaters der ganzen Welt. Alles, was wir haben an leiblichen und geistlichen
Gütern, unser Geld, unser Haus und Hof, unsere Zeit, unsere Sinne, unser
Verstand, unsere Kräfte, dies alles ist nicht unser Eigentum, mit dem wir nach
unserem Gefallen schalten und walten könnten, sondern Güter, die Gott gehören,
die wir nur verwalten und über deren Verwaltung und Anwendung wir einst Gott
eine strenge Rechenschaft werden ablegen müssen.
Ist es nun nicht eine schreckliche Torheit,
dass die meisten Menschen so dahinleben, als wären sie Herren alles dessen, was
sie haben? Ist es nicht eine schreckliche Torheit, dass die Meisten so leben,
als würden sie ewig hier bleiben? Als gäbe es keinen Tod? Als müssten sie nie
sterben? Als werde sie Gott einst nicht über ihr irdisches Leben zur
Rechenschaft ziehen? Als werde sie Gott einst nicht fragen, wie sie die ihnen
verliehenen Güter angewendet haben? ist es nicht eine schreckliche Torheit,
dass die meisten Menschen es sich immer zu verhehlen suchen, wie bös es mit
ihrer Rechnung steht? Dass sie einst nicht vor Gott werden bestehen und ihm auf
tausend nicht Eins antworten können? – Dass der ungerechte Haushalter unklug
gehandelt haben würde, wenn er nicht zu Zeiten für die Zukunft besorgt gewesen
wäre, dass sieht jeder ein; ist es nicht wunderbar, dass aber gerade
diejenigen, welche bei der Welt für die Klügsten gelten und auch wirklich in
weltlichen Angelegenheiten oft die größte Klugheit offenbaren, dass gerade dies
so sicher und unbekümmert um die ewige Zukunft hinleben, nie daran ernstlich
denken, dass sie einmal sterben und vor Gottes Gericht erscheinen müssen und
daher nie ernstlich fragen: Wie wird es einst mit meiner Seele werden? Was muss
ich tun, dass ich selig werde? – Kann ein vernünftiger Mensch törichter, ja,
wahnsinniger handeln? Handels solche Menschen anders als diejenigen, die am
Rand eines furchtbaren, grauenhaften Abgrundes stehen und sich dabei, unbesorgt
um die Gefahr, niederlegen und ruhig schlafen?
Ja, meine Lieben, mögen diejenigen sich für
klug achten, die sich die ernsten Gedanken an den Tod, an das Gericht und an
die Ewigkeit aus dem Sinn schlagen und nur darauf denken, wie sie hier wollen
glücklich und fröhlich leben, Reichtümer sammeln und zu hohen Ehren vor
Menschen gelangen; sie sind bei aller ihrer irdischen Klugheit doch die größten
Toren. Wahrhaft klug handelt nur der, der für die Zukunft sorgt, der sich aus
seinem Geistesschlaf wecken lässt und daher denkt: Sterben muss ich
einmal; wann ich aber sterben werde, ob erst nach vielen Jahren oder
morgen oder noch heute, das ist ungewiss und Gott allein bekannt; darum will
ich zu Zeiten für meine Seele sorgen, damit der Tod mich nicht übereile; ich
will zu Zeiten mit dem ungerechten Haushalter fragen: „Was soll ich tun?“
und nicht ruhen, bis ich weiß, wie auch ich Gottes Gnade finden und selig
werden könne. Mögen diejenigen sich immerhin für klug achten, die sich stets zu
überreden suchen, sie seien keine so großen Sünder, wie Gottes Wort die Menschen
beschreibt; sie würden schon in Gottes Gericht bestehen, Gott werde sie als ein
lieber Vater um ihrer Sünden willen nicht gleich ewig strafen, Gott werde auch
das mancherlei Gute ansehen, dass sie auch getan hätten: Alle, die so denken,
sind nicht klug, sondern blinde Toren. Wahrhaft klug aber handelt der, der sich
die Augen für seine große Sündhaftigkeit nicht mutwillig zuhält; wer es
eingesteht, dass es übel mit ihm stehe; wer es bekennt, dass er ein böser
Haushalter sei, und wer daher mit dem ungerechten, aber klugen Haushalter in
unserem Evangelium es zugibt und spricht: Ja, ja, es ist so; mein Gott und HERR
wird einst das Amt von mir nehmen; ich werde nicht vor ihm bestehen; ich werde
dort zu leicht erfunden werden; ich muss durchaus darauf denken, meine
verlorene Seele noch zu retten und meine verscherzte Seligkeit wieder zu
gewinnen.
Gehört ihr, meine Zuhörer, zu diesen
Klugen? Oder gehört ihr noch zu jenen Toren? Haltet ihr euch etwa noch für
Eigentumsherren eurer Güter, für deren Anwendung ihr niemandem Rechenschaft
ablegen zu müssen schuldig wärt? Denkt ihr etwa noch: Mit dem, was ich habe,
kann ich tun, was ich will? Seid ihr noch sicher? Habt ihr noch nicht
angefangen, eure Rechnung, euer Schuldregister vor Gott durchzugehen? Gott hat
vielleicht schon oft in Krankheiten, in Nöten und Trübsalen oder auch durch
großen Segen und wunderbare Errettungen bei euch angeklopft und zu euch gesagt:
„Tue Rechenschaft von deinem Haushalten; denn du kannst hinfort nicht mehr
Haushalter sein.“ – Hieß es nicht manchmal schon so in eurem Gewissen? –
Habt ihr angefangen, für die ewige Zukunft zu sorgen? Täuscht euch ja nicht!
Sprecht nicht: Ihr sorgt ja freilich für die Zukunft, denn ihr gingt ja in die
Kirche, ihr betet ja täglich euren Morgen- und Abendsegen, ihr läset ja in
Gottes Wort. Das beweist noch keineswegs, dass ihr für die Ewigkeit wahrhaft
sorgt. Untersucht euch nur einmal ernstlich: Was für eine Sorge lebt eigentlich
in eueren Herzen? Ist es die Sorge fürs Zeitliche oder fürs Ewige? Was liegt
auch Tag und Nacht mehr an: Dass eurem Leib in dieser Welt zeitlich wohl sei,
oder dass eure Seele in jener Welt selig werde? Was liegt euch mehr an, dass
ihr irdische oder dass ihr himmlische Güter sammelt? Dass ihr mit Menschen in
gutem Einvernehmen bleibt, oder dass ihr bei Gott in Gnaden steht? Dass ihr
glücklich leben oder dass ihr jede Stunde selig sterben könnt? Ich frage euch –
es gilt eure Seligkeit, mit der sich nicht scherzen lässt –: Hat die Frage des
klugen Haushalters: „Was soll ich tun?“ wirklich euer ganzes Herz
eingenommen? Oder müsst ihr, wenn ihr aufrichtig sein wollt, gestehen, dass die
Sorge für das Heil eurer Seele wirklich noch eine Nebensache bei euch ist, dass
ihr euch allerdings mit zeitlichen Dingen viel mehr zu schaffen macht? Nun,
dann wisst, dass es keine törichteren und närrischeren Menschen in der Welt
gibt, als ihr seid, denn um nichtswürdige Dinge sorgt ihr euch ab, und um das
Allerwichtigste, wovon euer Heil und eure Seligkeit abhängt für alle Ewigkeit,
sorgt ihr nicht. So klug ihr auch sonst sein mögt, so seid ihr doch für euer
wahres Heil noch blind, die wahre Klugheit wohnt noch nicht in euch, denn diese
besteht vor allem darin, dass man nicht sicher und unbekümmert um die ewige
Zukunft dahingeht.
2.
Doch dazu gehört auch zweitens, dass man
ernstlich und eifrig ist, auch wirklich alles zu tun, um einst die ewige
Seligkeit zu erreichen.
Auch dies lernen wir, meine Lieben von dem
ungerechten Haushalter in unserem Evangelium. Derselbe hätte ja freilich
überaus töricht gehandelt, wenn er zwar seinen üblen Zustand erkannt und
beklagt und darüber nachgedacht hätte, was zu seiner Rettung noch zu tun sei,
wenn er aber nicht auch Mittel hierzu angewendet und nicht sogleich ohne Verzug
alles getan hätte, was nötig war, ihn aus seiner gefährlichen Lage
herauszureißen. Aber der Haushalter war nicht so töricht. Sobald er über den
Weg, auf welchem ihn noch zu helfen sei, nachgedacht hatte, so ging er auch
sogleich ohne Säumen an das Werk. Er verließ sich nämlich nicht auf sich
selbst; er machte nicht den vergeblichen Versuch, seinen Herrn von seiner
Unschuld zu überzeugen, da er wohl wusste, dies sei unmöglich; er schmeichelte
sich auch nicht mit der Hoffnung, dass sein Herr um seiner sonstigen
Anstrengungen willen seine Untreue in seinem Amt und seine greuliche
Verschwendung übersehen werde; nein, er nahm das Gewisse für das Ungewisse; er
machte sie allen Ernstes darauf gefasst, er werde seiner Untreue deutlich
überführt und seines Amtes entsetzt werden; er suchte daher, da dies einmal
nicht abzuwenden war, sich wenigstens Freunde zu machen, die ihn in der Zeit
der Not aufnehmen würden. Er rief daher eiligst alle Schuldner seines Herrn zu
sich und ließ einem jeden von dem, was er seinem Herrn schuldig war, eine
namhafte Summe abschreiben. Somit war ihm denn auch wirklich für die Zeit der
Not geholfen.
So schändlich und betrügerisch nun hier der
ungerechte Haushalter, um sich selbst zu retten, an seinem Herrn handelte, und
so gottlos es wäre, wenn jemand den Haushalter in seiner Art und Weise, sich zu
helfen, nachahmen wollte, so ermuntert uns doch sein Beispiel, ebenso im
Geistlichen und auf rechte Weise klug zu sein, wie er es im Irdischen und auf
unrechte Weise war.
Wir würden alle den Haushalter einen Toren
schelten, wenn er, da er selbst von seiner Untreue überzeugt war, gehofft
hätte, seinen Herrn noch zu überreden, er sei treu gewesen: Sind daher nicht
diejenigen viel größere Toren, die, da sie sich selbst als Sünder verurteilen
müssen, hoffen, einst Gott noch zu überreden, sie seien gerechte, fromme,
unverwerfliche Leute gewesen? Wir würden alle den Haushalter einen Toren
schelten, wenn er gehofft hätte, sein Herr werde es ihm vergeben, dass er das
ihm anvertraute Amt so schändlich verwaltet hätte, da er doch sonst viel Mühe
und Plage gehabt hätte: Sind daher nicht diejenigen viel größere Toren, welche
hoffen, Gott werde ihnen ihre Übertretung der Gebote Gottes vergeben, da sie
doch viel gearbeitet und ertragen hätten in ihrem Leben? Wir würden den
Haushalter für einen großen Toren achten, wenn er gemeint hätte, sich selbst
helfen zu können, da er doch als ein unvermögender Mann das verschwendete Gut
nimmermehr ersetzen konnte: Sind daher nicht diejenigen viel größere Toren,
welche sich im Geistlichen selbst helfen und die Hilfe Christi und seiner Gnade
nicht annehmen wollen, da sie doch Seele und Seligkeit verloren haben? Wir
würden den Haushalter für einen großen Toren achten, wenn er die Mittel, die er
zu seiner Rettung wusste, nicht gebraucht und doch gehofft hätte, es werde
alles gut gehen: Sind daher nicht diejenigen viel größere Toren, welche aus
Gottes Wort wissen, was sie tun müssen, um selig zu werden, die aber dies zu
tun unterlassen und doch selig zu werden fest hoffen?
In Gottes Wort steht, jeder, der selig
werden wolle, müsse sich bekehren und Buße tun: Ist’s nun nicht Torheit, die
Seligkeit zu hoffen und sich nicht bekehren und Buße tun? Gottes Wort sagt, wer
selig werden wolle, müsse an Christus von Herzen glauben: Ist’s nun nicht große
Torheit, die Seligkeit zu hoffen und doch nur von Christus hören und nicht von
Herzen an ihn glauben? Gottes Wort sagt, wer sich im Glauben zu Christus
wendet, und er will das Kleinod nicht wieder verlieren, der müsse Gottes Wort
täglich treiben, ohne Unterlass beten, gegen Fleisch, Welt und Satan kämpfen,
nicht reich zu werden trachten, sondern alles Irdische gering achten, keine,
auch nicht die geringste Sünde über sich herrschen lassen, der Heiligung in
allen Stücken nachjagen, demütig, sanftmütig, freigiebig, versöhnlich, keusch
und uneigennützig sein und allem absagen, das man hat, sein Herz an nichts in
der Welt hängen, sondern am ersten nach dem Reich Gottes und seiner
Gerechtigkeit trachten: Diesen schmalen Weg zum Himmel zeigt Gottes Wort uns
Menschen und keinen anderen; aber wer geht ihn? Die Meisten betreten ihn nie;
und viele, nachdem sie ihn eine Zeitlang erwählt hatten, verlassen ihn wieder
und sorgen dann wieder für das Zeitliche mehr als für das Ewige, behalten den
Schein der Gottseligkeit, aber ihre Kraft verleugnen sie – und doch hoffen sie,
selig zu werden! Ist das nicht Torheit über alle Torheit?
Ach, meine Lieben, lasst uns doch an dem
Beispiel des ungerechten Haushalters klug werden. Wie dieser alle Mittel
gebrauchte, um sich Freunde zu machen, bei denen er in der Zeit der Not eine
Zuflucht fände, so lasst auch uns die in Gottes Wort gezeigten Mittel
gebrauchen, Gott zum Freund zu haben, damit er uns, wenn wir einst sterben,
aufnehme in die ewigen Hütten. Lasst uns das Gewisse für das Ungewisse nehmen.
Lasst uns das Irdische opfern, um das Himmlische, das Zeitliche opfern, um das
Ewige zu gewinnen. Lasst uns nicht hoffen, auf dem breiten Weg der Welt das
himmlische Ziel zu erreichen. Lasst uns nicht hoffen, ohne gekämpft zu haben,
einst die Krone zu erlangen. Lasst uns nicht hoffen, ohne Heiligung den HERRN
sehen zu können. Lasst uns nicht hoffen, wenn wir einen bloß historischen
Glauben haben, dass wir damit Christus und seine Gnade, Gerechtigkeit und
Seligkeit ergreifen. Lasst uns nicht hoffen, es sei genug, einmal ein Christ
geworden zu sein und angefangen zu haben; damit wir nicht einst in der Ewigkeit
und kläglich getäuscht sehen und ausrufen müssen: „Wir Narren haben den rechten
Weg verfehlt, und das Licht der Gerechtigkeit hat uns nicht geschienen, und die
Sonne ist uns nicht aufgegangen.“
Wahrhaft klug ist nur der, welcher immer
den wahren Zweck seines Lebens erkennt und vor Augen hat, nämlich dass er selig
werde, und dass er auch treu die Mittel hierzu gebraucht. Wahrhaft klug ist
nur, wer dem Grundsatz huldigt: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze
Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?“ Und wer danach tut. Das helfe
uns Gott durch Jesus Christus. Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Es gibt eine göttliche Vorsehung; es gibt
einen Gott, der die ganze Welt mit ihren Bewohnern nicht nur erschaffen hat,
sondern der sie auch erhält und regiert; der unsere Schicksale leitet und alle
seine Geschöpfe, wenn sie sich von ihm lenken lassen, zum Ziel, zur Vollendung
führt. Darauf weist uns schon unsere Vernunft hin. Ein Wesen, das sich nicht
selbst schaffen konnte, kann sich auch nicht selbst erhalten. Wollte daher Gott
nichts mehr an der Welt tun, nachdem er sie geschaffen hat, so würde sie sogleich
in das Nichts, woraus sie entstanden, wieder zurückfallen. Und regierte Gott
die Welt nicht, lenkte Gott nicht alles, was die Menschen tun, zum Besten,
wohin würde es wohl mit den Menschen bei ihrer großen natürlichen allgemeinen
Ohnmacht und Sündhaftigkeit gekommen sein? Der Einzelne würde den Einzelnen und
Völker wieder ganze Völker zerstört haben und die Erde würde der Schauplatz
eines vollendeten Jammers und Elendes, ja, eine Vorhölle geworden sein.
Aber nein, es gibt eine Vorsehung Gottes,
der das Böse entweder hindert oder doch endlich zum Guten wendet, der den einen
schützt, den anderen zurückhält, und nach dem Krieg den Völkern den Frieden
schenkt, der über alle seine Hand hat, allenthalben wirkt und ohne den nichts
geschieht, was geschieht. Gottes Wort sagt es uns: „In Gott leben, weben und
sind wir. Von seinem festen Thron sieht er auf alle, die auf Erden wohnen. Er
lenkt ihnen allen das Herz, er merkt auf alle ihre Werke.“
Viele meinen zwar jetzt selbst mitten in
der Christenheit, alles in der Welt sei Natur und eine _Wirkung ihrer Kräfte;
wie es nun einmal gehe, so lasse es Gott gehen; die Welt sei eine Welt des
Zufalls; den einen treffe dieses, den anderen jenes, wie gerade das Los ihm
falle. Andere sagen: Es sei alles Bestimmung; die Welt sei eine Maschine, die
Gott zwar gebaut habe, die er aber nun, ohne sich um sie zu kümmern, gehen und
ablaufen lasse. Noch andere sagen endlich, dass sich Gott wenigstens um
Einzelne, um Kleinigkeiten nicht kümmere; ob es heute regne oder ob die Sonne
scheine, ob ein Kind krank sei oder gesund, ob ein Armer heute Arbeit finde
oder nicht, danach frage Gott nicht, das überlasse er der Klugheit und Sorge
der Menschen selbst. An alle diese Kleinigkeiten im menschlichen Leben zu
denken sei entweder unmöglich oder doch des großen Gottes unwürdig.
Aber, meine Lieben, so aufgeklärt solche
Zweifler zu sein meinen, so zeigen sie doch gerade durch solche Grundsätze, wie
sehr der Unglaube wie verblendet und verfinstert hat. Was kann unvernünftiger
sein als eine geordnete Welt dem Zufall zuzuschreiben? Oder was kann törichter
sein als zu glauben, dass Gott wohl die Welt als eine Maschine geschaffen habe,
aber sich dann seines Werkes gleichsam schäme und es verlasse? Und was kann
endlich ungereimter sein als zu glauben, dass Gott zwar das Große besorge, aber
um das Kleine in der Welt unbesorgt sei? Sorgt Gott nicht für das Kleine,
Geringe und Einzelne, wie kann er für das große Ganze sorgen? Besteht nicht das
Ganze aus lauter Kleinigkeiten? Oder sollte eine solche Sorgfalt Gottes
unwürdig sein? Ist sie nicht gerade der deutlichste Beweis für Gottes
unendliche Größe, Macht, Weisheit und Güte? Was kann Herrlicheres von Gott
gedacht werden als dies, dass sein Schöpfer- und Vaterauge auf alles sieht,
dass seine Liebe alles umfasst, dass seine Hand alles lenkt?
O törichter Unglaube! Nein, meine Lieben,
lasst uns bei dem Glauben bleiben, den Gottes Wort uns offenbart, dass ohne
Gottes Willen kein Sperling vom Dach, kein Haar von unserem Haupt fällt; dass
aller Augen in der ganzen Schöpfung auf ihn, den großen Hausherrn, warten, dass
er ihnen ihre Speise gebe zu seiner Zeit; dass er seine milde Hand auftue und
alles sättige, was das lebt, mit Wohlgefallen; dass er die Vögel unter dem
Himmel nähre und die Lilien und das Gras auf dem Feld kleide. Wahre Christen haben
die Pflicht, überall, wo sie gehen und stehen, die Fußstapfen Gottes
aufzusuchen; es vergeht daher auch bei einem Christen nicht leicht ein Tag, an
dessen Schluss er nicht recht deutlich die Spuren der göttlichen Vorsehung
während des verflossenen Tages erkennen und preisen müsste.
Doch, meine Lieben, so nötig es einem
Christen ist, auf Gottes Regierung im Reich der Natur zu achten, so nötig und
noch nötiger ist es ihm auch im Reich der Gnade; ja, alles unser Heil und
unsere Seligkeit hängt davon ab, dass wir mit Sorgfalt auf die
Gnadenheimsuchungen merken, deren Gott uns würdigt. Jerusalems Einwohner
wollten sie nicht erkennen, und die Folge war zeitliches und ewiges Verderben.
Daran erinnert uns unser heutiger Text.
Lukas 19,41-48: Und als er nahe hinzukam, sah er die
Stadt an und weinte über sie und sprach: Wenn du es wüsstest, so würdest du
auch bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient. Aber nun
ist’s vor deinen Augen verborgen. Denn es wird die Zeit über dich kommen, dass
deine Feinde werden um dich und deine Kinder mit dir eine Wagenburg schlagen,
dich belagern und an allen Orten ängstigen und werden dich schleifen und keinen
Stein auf dem anderen lassen, darum dass du nicht erkannt hast die Zeit, darin
du heimgesucht bist. Und er ging in den Tempel und fing an auszutreiben, die
darin verkauften und kauften, und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: Mein
Haus ist ein Bethaus; ihr aber habt’s gemacht zur Mördergrube. Und lehrte
täglich im Tempel. Aber die Hohenpriester und Schriftgelehrten und die
Vornehmsten im Volk trachteten ihm nach, dass sie ihn umbrächten, und fanden
nicht, wie sie ihm tun sollten; denn alles Volk hing ihm an und hörte ihn.
Das verlesene Evangelium enthält, meine
Lieben, eine Weissagung von dem 36 Jahre danach erfolgten Untergang Jerusalems.
Christus sagt darin, dass dieser Untergang eine Strafe dafür sein werde, dass
diese Stadt nicht die zeit erkenne, darin sie von Gott heimgesucht worden sei.
Mit Tränen warnt er daher alle davor, welche noch hören und sich retten lassen
wollten. Unsere Andacht beschäftige sich daher jetzt mit der
Herrlichen und liebreihen Warnung Christi, Gottes
Gnadenheimsuchungen nicht zu verachten
Wir betrachten:
1.
Gottes
Gnadenheimsuchungen und
2.
Christi
liebreiche und herzliche Warnung, sie nicht zu verachten.
O großer, heiliger Gott! Was sind wir, dass
du zu uns herabkommst und uns besuchst, die wir Staub und Asche und Sünder
sind, die dich verlassen und verleugnen. O, wie groß ist deine Liebe und
Herablassung! Aber ach, wir müssen dir klagen und bekennen, dass du, o
Unendlicher, oft, oft zu uns kommst und uns heimsuchst, und wir wollen dir bei
uns nicht Herberge machen. Ach, HERR; vergib uns diese schwere, unaussprechlich
große Versündigung an deiner göttlichen Majestät. Kommt doch wieder zu uns,
denn ohne dich sind und bleiben wir unselig; komm in unsere Herzen, mach
Wohnung darin, bis wir endlich unzertrennbar mit dir vereinigt seien dort in
der Ewigkeit. Erhöre uns, treuester Gott, um Jesu Christi, deines lieben
Sohnes, unseres HERRN und Heilandes, willen. Amen.
1.
Gott hat sich, meine Lieben, zwar an keinem
Menschen unbezeugt gelassen, sondern allen viel Gutes getan, dass sie den HERRN
suchen sollten, ob sie doch ihn fühlen und finden möchten. Und zwar, er ist
nicht ferne von einem jeglichen unter uns; denn in ihm leben, weben und sind
wir. Aber Gott gibt den Menschen auch zu besonderen Zeiten besondere Gnade und
Gelegenheit, zu erkennen, was zu ihrem Frieden dient; da kommt Gott den
Menschen gleichsam näher als gewöhnlich; er kommt da gleichsam selbst vor die
Tür des Menschen und bietet im dringend alle Güter seiner Gnade und Liebe an;
dies wird daher in der Heiligen Schrift eine Gnadenheimsuchung Gottes genannt.
Solche Heimsuchungen haben unter allen
Völkern das jüdische Volk und die Bürger Jerusalems am meisten erfahren.
Während die heidnische Welt in Finsternis und Schatten des Todes saß, so
leuchtete hingegen in dem jüdischen Land allezeit die Sonne der göttlichen
Offenbarung. Während die Heiden von wahrsagerischen Opferpriestern verführt und
im entsetzlichsten Aberglauben erhalten wurden, so sandte Gott hingegen unter
das israelitische Volk von einer Zeit zur anderen heilige Propheten, welche,
erleuchtet vom Heiligen Geist, all die seligmachende Wahrheit verkündigten.
Während kein Heide etwas davon wusste, dass einst ein Erlöser der Welt kommen
werde, so predigten hingegen unter den Juden alle Propheten klar und deutlich,
dass ein Nachkomme Abrahams und Davids geboren werde solle, in welchem gesegnet
werden sollten alle Geschlechter Erde. Dies waren lauter Gnadenheimsuchungen,
welche das israelitische Volk vor allen anderen erfuhr. Die herrlichste und
größte war aber ohne Zweifel die, als der Sohn Gottes selbst unter diesem Volk
im Fleisch wandelte und wohnte. Dies war eine Zeit der Gnade, welche außer
Israel kein Volk der Erde erfahren hat noch erfahren wird. So viele und so
herrliche Wunder sind zu keiner Zeit und vor den Augen keines Volkes getan
worden, wie damals vor den Augen der Bürger zu Jerusalem. Ihnen ist am
reichlichsten, am überzeugendsten, am erschütterndsten, am trostreichsten
gepredigt, sie sind am kräftigsten, am dringendsten, am lockendsten zum Reich
Gottes eingeladen und berufen worden. Der Himmel selbst hatte sich auf die Erde
herabgelassen, um die Einwohner Jerusalems in den Himmel zu locken. Nicht nur
Zacharias war daher gedrungen, in dieser gnadenvollen Zeit im prophetischen
Geist auszurufen: „Gelobt sei der HERR, der Gott Israels, denn er hat besucht
und erlöst sein Volk; uns hat besucht der Aufgang aus der Höhe“, selbst das
Volk musste eine solche Heimsuchung Gottes erkennen, als es die Blinden sehend
gemacht, den Tauben und Stummen das Gehör und die Sprache gegeben, die Toten
auferweckt sah; es rief daher, Gott preisend aus: „Es ist ein großer Prophet
unter uns aufgestanden, und Gott hat sein Volk heimgesucht.“ Diese Heimsuchung
geschah aber nicht nur in der Kirche durch Verkündigung des Evangeliums und in
dem Haus durch leiblichen Segen, sondern auch in den Herzen durch
außerordentliche kräftige Erweckungen der Heiligen Geistes. Durch die Predigten
Christi und seiner Jünger war eine große Bewegung in aller Herzen entstanden,
die Gewissen waren erwacht; selbst die feindseligsten Herzen konnten der
gepredigten Wahrheit nicht ganz widerstehen; selbst den Pharisäern und
Schriftgelehrten sagte es ihr Gewissen, was Christus predige, sei Wahrheit, der
Weg, den er zeige, sei der einzige, der zur Seligkeit führe. Selbst die
rohesten Soldaten mussten bekennen: „Es hat noch nie ein Mensch so geredet wie
dieser Mensch“; und erstaunt musste das Volk bekennen: „Er predigt gewaltig und
nicht wie die Schriftgelehrten.“ Es wurde daher auch oft offenbar, dass
Christus das ganze Volk anhing; es folgte ihm oft zu vielen Tausenden in die
Wüste, und als er das letzte Mal in Jerusalem einritt rief es, mächtig
überzeugt und ergriffen, aus: „Hosianna dem Sohn Davies; gelobt sei, der da
kommt im Namen des HERRN! Hosianna in der Höhe!“
So oft nun, meine Lieben, Gott einem Volk
oder einer Stadt oder Gemeinde sein Wort besonders reichlich und kräftig
predigen lässt und dadurch viele zur Überzeugung von der göttlichen Wahrheit
bringt, so heißt dies nach der Schrift: Gott habe sie heimgesucht. Solche
Heimsuchungen hat auch Deutschland viele erfahren. Als zu Anfang des 16.
Jahrhunderts die ganze Welt von der greulichen Finsternis des Papsttums bedeckt
war, da suchte Gott besonders Deutschland in Gnaden heim, indem er hier sein
herrliches Rüstzeug D. Martin Luther erweckte. Dieser zog die Bibel wieder aus
dem Staub hervor und brachte die Wahrheit des Evangeliums und die ganze reine
Lehre wieder an den Tag. Da kehrten die ersten apostolischen Zeiten wieder;
ganze Scharen von Evangelisten traten auf; Millionen Seelen kamen zur
Erkenntnis, und selbst die Feinde der Wahrheit wurden in ihrem Gewissen unruhig
und mussten es oft selbst bekennen, dass Luther die reine Wahrheit verkündige.
Aber der Stolz ließ es vielen von den großen Bischöfen und Gelehrten nicht zu,
sich von einem verachteten Mönch reformieren zu lassen.
Doch, meine Lieben, solche Heimsuchungen
erfahren nicht nur ganze Völker, sondern auch jede einzelne Seele. Es kommen in
dem Leben des Menschen Zeiten vor, in welchen Gott besonders laut an die
Tür seines Herzens klopft; in denen der Mensch mehr als zu anderen Zeiten
Gelegenheit bekommt, Gottes Gnade zu erkennen und zu ergreifen. Gott sucht
jeden Menschen nicht nur jederzeit heim, so oft ihm das reine Wort
Gottes gepredigt wird, so oft er zum heiligen Abendmahl geht, so oft er die
Bibel aufschlägt, so oft er in einem guten erbaulichen Buch liest, so oft wahre
Christen über göttliche Dinge mit ihm sprechen: Es gibt auch Zeiten besonderer
göttlicher Gnadenheimsuchungen. Wir hören oft viele Predigten, welche wenig
Eindruck auf unsere Seelen machen; aber es geschieht auch dann und wann, dass
durch irgendeine predigt unser Innerstes ergriffen wird, es werden uns auf
einmal dadurch Sünden aufgedeckt, die wir vorher nicht an uns sahen, und wir
erschrecken dabei vor Gott Zorn, oder es wird uns auf einmal ein Reichtum der
göttlichen Gnade offenbar, den wir vorher nicht erkannten, und unser Herz
zerschmilzt dabei vor Freude und fühlt jetzt, wie selten, die Süßigkeit des
göttlichen Trostes; das ist nichts anderes als eine Gnadenheimsuchung Gottes.
Weir gehen ferner oft zum heiligen Abendmahl und machen dabei wenig besondere
Erfahrungen; aber es geschieht auch zuweilen, dass wir vor, bei oder nach dem
Tisch des HERRN entweder unsere große Seelennot oder die große Freundlichkeit
Christi besonders tief empfinden und schmecken, wir werden mächtig in unserer
Seele bewegt und gedrungen, Gott zu versprechen, dass wir allem entsagen und
uns nur ihm aufopfern wollen; auch das ist nichts anderes als eine göttliche
Gnadenheimsuchung. Wir lesen ferner oft in der Heiligen Schrift, aber wir
überlesen manches Kapitel, wobei wir nur wenig von seiner Kraft erfahren; aber
es geschieht auch zuweilen, dass ein Spruch eine Geschichte, eine Verheißung,
eine Drohung, eine Lehre, eine Warnung und dergleichen, was wir vielleicht
sonst oft ohne Überlegung gelesen haben, jetzt unserer Seele besonders
eindringlich wird; wir werden gedrungen, unsere liebe Bibel vielleicht mit
unseren Tränen zu netzen, wir rufen in unserem Herzen aus: Ja, wahrlich, das
ist Gottes Wort! Wir werfen erfüllt mit heiligen Entschließungen, wir werden
dadurch entweder in unserer falschen Ruhe gestört oder nach langem Harren kehrt
auf einmal durch einen Spruch Ruhe und Friede und Freude in unserem Herzen ein;
auch das ist nichts anderes als eine Gnadenheimsuchung unseres Gottes. Wir
lesen auch ferner oft in erbaulichen Büchern, und es scheint uns, als könnten
wir wenig daraus uns aneignen; aber es geschieht auch zuweilen, dass wir darin
auf eine stelle kommen, welche uns allein für unseren Zustand geschrieben zu
sein scheint, wir finden darin unser Innerstes verraten und beschrieben, wir
werden erweckt und sprechen: Ach, es muss anders mit mir werden; ja, heute,
diese Stunde will ich ein anderes Leben anfangen, ich will treuer werden in
meinem Christentum, ich will nicht wieder lau und träge werden, weg Sünde, weg
Eitelkeit, weg Welt, ich will Christus ergreifen, in ihm meine Seligkeit suchen
und ihm nachfolgen. O selig, welche solche Erfahrungen bei der Lesung seiner
Erbauungsbücher macht! Das sind nichts anderes als Gnadenheimsuchungen seines
Gottes. Wir beten oft längere Zeit täglich, ohne dabei eine besondere Erweckung
zu spüren; aber es geschieht auch zuweilen, dass wir, wenn wir erst recht im
Gefühl unseres Elendes zu beten angefangen haben, auf einmal mit einem recht heißen
Verlangen nach Gott erfüllt werden; unsere Andacht mehrt sich, die Worte, die
wir erst suchen mussten, fließen auf einmal von selbst, wir möchten gar nicht
aufhören zu beten, wir vergessen ganz, was uns umgibt, es ist uns, als wäre
Gott uns ganz nahe, wir empfinden es: Gott hört uns, er spricht zu unseren
Bitten sein Ja und sein Amen, wir werden dabei gedrungen, auch recht dringend
für unsere Brüdern und Schwestern zu bitten, und schließen unser Gebot mit Lob
und Preis Gottes. Auch solche Erfahrungen im Gebet sind nichts anderes als
teure Gnadenheimsuchungen Gottes an unseren Seelen, wodurch uns Gott von der
Welt ab und zu sich immer näher ziehen will. Wir sind ferner oft allein, wir
lesen nicht, wir beten nicht, wir überlassen uns unseren Gedanken; da geschieht
es denn nicht selten, dass wir auf einmal eine uns unerklärliche Unruhe in uns
entstehen bemerken, es fallen uns manche Stellen der Schrift, die uns strafen,
und viele unserer Sünden ein; es entsteht in uns ein inneres Seufzen; wir hören
in uns eine Stimme, die da sagt: Bete! Bete! Gottes Geist klopft an unsere
Herzen: Das sind alles Zeiten, in welchen uns Gott besonders besucht und an
unseren Seelen wirkt, entweder sie zu bekehren und zu Christus zu bringen, oder
sie bei Christus zu erhalten, sie vor nahenden Versuchungen zu stärken und vor
Gefahren, die da kommen, zu warnen. Zu diesen Gnadenheimsuchungen gehören auch
Leiden und Trübsale, Krankheit, Armut, Schande und allerlei leibliche und
geistliche Not, welche uns Gott schickt. Ja, wenn das Kreuz in einem Haus oder
in einer Familie einzieht, da zieht auch Gott ein; daher sagt man auch in den
christlichen Sprichwörtern: Je größer Kreuz, je näher Himmel, je größer Not, je
näher Gott. Gerade dann, wenn das geistliche Zion, der arme Christ in seiner Anfechtung
klagt: „Der HERR hat mich verlassen, der HERR hat mein vergessen“, da ist ihm
Gott am allernächsten, da gedenkt er sein in seiner großen Liebe, da beweist es
Gott, dass er uns in seine Hände gezeichnet habe. Wir erkennen dies freilich
immer erst, wenn die Not zu Ende ist; „ist die Züchtigung da“, heißt es im
Brief an die Hebräer, „so dünkt sie uns nicht Freude, sondern eitel Traurigkeit
zu sein, aber danach gibt sie eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen,
die dadurch geübt sind.“
So haben wir denn, meine Lieben, aus diesem
allen gesehen, was die Gnadenheimsuchungen Gottes sind; lasst uns nun zweitens die
liebreiche und herzliche Warnung Christi erwägen, sie nicht zu verachten.
2.
Christus spricht, meine Geliebten, seine
Warnung zwar mehr mit Tränen als mit Worten aus; aber wo gibt es eine Sprache,
die uns flehentlicher mahnen und warnen könnte als die Tränen des Sohnes
Gottes? Mit weinenden Augen steht er vor dem unglücklichen Jerusalem kurz vor
seinem Leiden und Sterben; aber er weint nicht über sich, sondern spricht: „Wenn du es wüsstest, so würdest du
auch bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient. Aber nun
ist’s vor deinen Augen verborgen. Denn es wird die Zeit über dich kommen, dass
deine Feinde werden um dich und deine Kinder mit dir eine Wagenburg schlagen,
dich belagern und an allen Orten ängstigen und werden dich schleifen und keinen
Stein auf dem anderen lassen, darum dass du nicht erkannt hast die Zeit, darin
du heimgesucht bist.“ Zweierlei will also
Christus mit seinen Tränen sagen: Einmal, wie groß die Liebe sei, welche
Jerusalem verachte, aber auch zweitens, wie gewiss und schrecklich das Unglück
sei, welches auf diese Verachtung folgen werde. Christus sagt damit: O ihr
Bürger von Jerusalem, so groß auch eure Sünden sind, so hättet ihr dennoch
alle, alle selig werden können; denn seht meine Tränen, ich habe euch alle
lieb, für euch alle bin ich in die Welt gekommen für euch alle will ich
sterben; ich bin gekommen als der Hirte, um euch verlorene Schafe alle zu
suchen; ich bin als ein himmlischer Arzt gekommen, um euch Seelenkranke alle zu
heilen; ich bin als ein himmlischer Bräutigam gekommen, um euch alle zur ewigen
Hochzeit einzuladen; o, wie oft habe ich euch versammeln wollen, wie eine Henne
ihre Küchlein unter ihre Flügel, aber ihr habt nicht gewollt. O, bedenke es,
Israel: Nicht die Menge und nicht die Größe deiner Sünden sind schuld, dass du
verloren gehst, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich gesucht, ich habe dich
zu mir gerufen; du gehst nur darum verloren, weil du meine Liebe, meine Gnade,
die ich dir anbot, verachtetest. Aber wisse: Da ich rufe und du weigerst dich;
ich recke meine Hand aus, und du achtest nicht darauf, lässt meinen Rat fahren
und willst meine Strafe nicht, so schreie auch einst über dich, wenn der Tag
der Strafe und Rache erscheinen wird. – Und ach, er ist erschienen; 36 Jahre
darauf ist an Jerusalem alles buchstäblich in Erfüllung gegangen, was Christus
dieser Stadt voraus verkündigte. An derselben Stelle, auf dem Ölberg, und zu
derselben Zeit, nämlich um Ostern, da Christus weinend Jerusalems zukünftigen
Jammer beklagt hatte, da schlugen die Römer zuerst ihr Lager auf. Während
dieser Belagerung sind mehr als eine Million Juden umgekommen, teils durch
Hungersnot und Pest, so dass die Leichname, auf den Straßen Jerusalems
aufgehäuft, unbegraben verfaulten, teils kamen sie in den Flammen und durch das
Schwert der Römer um oder sie wurden von ihnen an das Kreuz geschlagen. Gern
hätte der römische Feldherr, Titus, Stadt und Tempel gerettet, aber die Juden
waren nun von Gott in so verkehrten Sinn dahingegeben, dass sie sich zu keinem
Friedensvorschlag bewegen ließen und dadurch die Römer reizten, Stadt und
Tempel dem Erdboden gleich zu machen. Ein jeder benutze, wo möglich, den
heutigen Tag, die Geschichte der Zerstörung Jerusalems zu lesen und die
entsetzlichen Gerichte zu erwägen, welche Gott über ein Volk kommen ließ, das
seine gnädigen Heimsuchungen nicht erkennen wollte.
Aber, meine Lieben, Christus hat einst nicht allein über Jerusalem
geweint, sondern über alle, welche je in der Welt seine Gnadenheimsuchungen
verachten. Niemand wird um seiner Sünden willen verloren gehen, denn für alle
ist Vergebung, sondern allein um der Verachtung der Gnade willen. Herodes ist
nicht verloren gegangen um seines Kindesmordes willen, denn auch dieser hätte
ihm vergeben werden können, sondern weil er Christus verachtete; Judas ist
nicht verloren gegangen um seines Diebstahls willen, denn auch dafür hätte er
Gnade finden können, sondern weil er Christi Gnade verwarf; Ananias und Saphira
sind nicht um ihrer Heuchelei und Lüge willen verloren gegangen, denn auch
dafür ist Christus gestorben, sondern weil sie dem Heiligen Geist widerstrebten,
der sie zu Christus leiten wollte. Es gibt nur eine Sünde, die den Menschen
verdammt, das ist der Unglaube oder die Verachtung des Wortes und der Gnade.
Wenn ein Mensch fällt, sei es auch noch so tief, so ist Christus bereit,
ihn wieder anzunehmen, so oft er mit Reue und Buße zu ihm zurückkehrt; aber
wenn er auf sein Wort nicht hören will, wenn er das teure Evangelium
verschmäht, was soll ihm dann helfen? Hat ein Mensch das Wort lieb, so hat er
auch Christus lieb, verachtet er aber sein Wort, so verachtet er ihn selbst.
Die Liebe und Gnade, welche Christus einst persönlich durch seine
mündliche Predigt Jerusalem anbot, die bietet er jetzt uns an durch das
geschriebene und gepredigte Wort; verachten wir nun dieses, so tun wir noch
heute dasselbe, was einst Jerusalem an Christus tat. Werden wir durch das Wort
Gottes gestraft, so straft uns Christus; werden wir durch das Wort Gottes
erweckt, so erweckt uns Christus; werden wir durch das Wort Gottes getröstet,
so tröstet uns Christus; nehmen wir nun die Bestrafungen, Erweckungen, die
Tröstungen des Wortes Gottes nicht an, so weisen wir Christus von uns, so
verschließen wir Christus die Tür zu unseren Herzen, so gelten seine Tränen
auch uns.
Achtet darum wohl darauf, meine Lieben: Wenn ihr aus Gottes Wort von
euren Sünden überzeugt, wenn ihr gerührt, wen ihr in eurem Gewissen geschlagen
und getroffen, wenn ihr dabei vom Heiligen Geist gezogen und gelockt werdet,
dann sucht euch Christus heim, wie er Jerusalem heimsuchte; erkennt dann, was
zu eurem Frieden dient; schlag euch dann die göttliche Traurigkeit nicht aus
dem Sinn, sucht dann euer Gewissen nicht falsch zu beruhigen, verwerft dann die
Strafe nicht, sonst habt ihr auch nicht erkannt die Zeit, darin ihr heimgesucht
seid, und Christi Liebe geht an euch verloren.
So lasst euch denn Christi Tränen bewegen und achtet sein Wort für euren
größten Schatz in dieser Welt; denn wenn ihr das Wort annehmt, so nehmt ihr
auch Christus an, nehmt ihr aber Christus an, so gibt dieser euch das ewige
Leben.
Aber, meine Lieben, Christus warnt nicht nur darum, Gottes Heimsuchungen
nicht zu verachten, weil wir sonst seine Liebe und Gnade verwerfen, sondern
weil auch auf eine solche Verachtung zeitliches und ewiges Unglück folgen muss.
Zu einem ewigen Warnungsbeispiel hat Gott die herrliche Stadt Jerusalem mit
ihrem prachtvollen Tempel in einen Schutthaufen verwandeln und ihre Bewohner
teils schrecklich umkommen, teils in die ganze Welt zerstreuen lassen. Warum
hat Gott das getan? Weil er diese Stadt mit seinem Wort heimsuchte, diese aber
das Wort nicht annahm und nicht erkennen wollte, was zu ihrem Frieden diente.
Gott will gern alle selig machen, darum gibt er ihnen sein Wort; wer aber
dieses verwirft, den verwirft Gott wieder. Gott hat dies nicht nur an dem
jüdischen Jerusalem bewiesen, sondern auch an allen christlichen Gemeinden,
welche die Liebe zu seinem Wort verloren haben. So reich Gott einst Vorderasien
heimgesucht hat, so arm ist es jetzt; so herrliche Gemeinden einst in
Nordafrika blühten, so öde im Geistlichen ist es jetzt; so hoch Gott auch einst
Europa begnadigt hat, so verwüstet ist es jetzt.
O, wie freie ich mich daher, meine Teuren, dass ich euch das Zeugnis
geben kann, dass ihr das teure Wort Gottes nicht verwerfen, dass ihr es gern
rein und lauter hören und euch demselben unterwerfen wollt. Bedenkt aber, meine
herzlich Geliebten: Die besten, begnadigsten Gemeinden sind doch endlich
gefallen. Wo sind die eifrigen Römer, Korinther, Epheser, Philipper,
Thessalonicher, an welche St. Paulus schrieb? Wo sind die treuen Philadelphier,
an welche St. Johannes schrieb? Wo sind die herrlichen deutschen Gemeinden, von
denen Luther einst an seinen Kurfürsten schrieb, dass sie einem Paradies
glichen, darin Jung und Alt mit Gottes Wort versehen und zugerichtet sei, und
von denen wir unsere teuren Bekenntnisschriften und alle die herrlichen Schätze
unserer Kirche empfangen haben? Sie waren einst voll Ernst und Eifer für Gottes
Wort, aber nun ist er dahin. Wie sie fallen konnten, so können auch wir fallen;
unser Fleisch und Blut wird des Wortes Gottes gar leicht überdrüssig; darum
lasst uns nicht sicher sein; lasst uns wachen, wenn der Feind uns das Kleinod
nehmen will, lasst uns einander reizen und ermahnen, dass ein jeder bei Gottes
Wort bleibe und es für seinen größten Schatz in dieser Welt achte. Lasst uns
vor allem nicht nachlassen, Gott anzurufen, dass er uns sein Wort und Sakrament
rein und lauter erhalte für uns und unsere Kinder, und dass er unsere Herzen
durch seinen heiligen Geist regiere, dass wir fest daran halten gegen allen
Irrtum, uns damit erwecken in Schwachheit und Trägheit, uns damit rüsten gegen
alle Abfall, uns damit trösten in aller Angst und Not, es standhaft bekennen
vor aller Welt, danach glauben und danach leben, dass wir endlich auch darauf
selig sterben können.
Ja, bleib mit deiner Gnade
Bei uns, HERR Jesus Christ,
Dass uns hinfort nicht schade
Des bösen Feindes List.
Ach, bleib mit deinem Worte
Bei uns, Erlöser wert,
Dass uns bald hier und dorte
Sei Güt und Heil beschert.
Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN! Amen.
In demselben, unserem teuren Heiland,
herzlich geliebte Zuhörer!
Kein Mensch kann im Ernst leugnen, dass
auch er ein Sünder ist. Will sich ein Mensch davon auch nicht durch das in der
Heiligen Schrift offenbarte Gesetz Gottes überzeugen lassen, so überzeugt doch
einen jeden davon, er mag wollen oder nicht, sein eigener innerer Richter, sein
Gewissen. Die allermeisten Menschen gestehen es daher auch zu, dass sie Sünder
sind. Aber die Meisten trösten sich bei dem Bewusstsein der Schuld, die sie
gegen Gott, ihren Schöpfer und HERRN haben, selbst. Sie meinen, hierzu
nicht erst das Zeugnis eines göttlichen Gesandten, keine Bibel, keine besondere
Offenbarung Gottes nötig zu haben. Sie denken, einem jeden Menschen sage es
schon seine Vernunft, was er zu tun habe, um von Gott Vergebung der Sünden zu
erlangen. Die Einen trösten sich daher damit, dass Gott zu gütig sei, als dass
er den Menschen nicht ohne Weiteres ihre Fehltritte vergeben sollte; andere
hoffen durch Reue ihre Sünden zu versöhnen; noch andere glauben durch spätere
Besserung ihres Lebens oder durch allerlei gute Werke ihr voriges, mit Sünden
beflecktes Leben wieder gut machen zu können.
Abgesehen aber davon, dass es einen
Menschen schon seine Vernunft lehren kann, dass es mit den genannten Dingen
wenigstens eine sehr unsichere Sache ist: Welche Verwegenheit ist es überhaupt,
wenn wir Menschen die Bedingungen selbst bestimmen wollen, unter welchen Gott
die ihm von uns zugefügten Beleidigungen uns vergeben werde und müsse! Wer kann
ohne eine besondere Offenbarung mit Bestimmtheit sagen, welches die Gedanken
Gottes sind? „Wer hat des HERRN Sinn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber
gewesen?“ Wer ist in Gottes geheimen Gerichtssaal gestiegen, wer hat da bereits
in seinem Buch, in dem Buch der Vergebung, gelesen, oder wer ist da schon Zeuge
davon gewesen, sie Gott über die Sünden der Menschen zu richten pflegt? – Oder
dürfen wir etwa den Schluss machen: Das hält unsere Vernunft für eine
gegründete Ursache zur Vergebung unserer Sünden, also muss auch Gott dies dafür
annehmen? Sollten Gottes Gedanken nicht andere, nicht höhere als die Gedanken
der Menschen sein? Doch wollten wir dies auch nicht in Anschlag bringen, so
frage ich: Wie? wenn wir auch nur einen Menschen beleidigt haben, werden
wir es da, als die Beleidiger, wagen, ihm, dem Beleidigten, die Bedingungen der
Wiederversöhnung vorzuschreiben? Werden wir dann nicht vielmehr von ihm
erwarten, dass er uns sage, was er zu seiner Genugtuung von uns fordere? Gilt
es nun schon für eine unverzeihliche Dreistigkeit, wenn der Beleidiger eines Menschen
dem Beleidigten die Bedingungen der Versöhnung diktieren will und würde schon
der beleidigte Mensch gerade durch ein solches Benehmen gewogen werden, dem
Beleidiger die Versöhnung abzuschlagen: Wie viel weniger dürfen wir dem von uns
beleidigten allerhöchsten Gott die Bedingungen der Versöhnung antragen zu
wollen uns erdreisten, und wie viel mehr würde Gott durch ein solches Benehmen
bewogen werden, uns die Vergebung und Versöhnung zu verweigern!
Es ist kein Zweifel, meine Zuhörer:
Diejenigen, welche selbst bestimmen wollen, wie ihnen Gott ihre Sünden vergeben
müsse, die, um darüber gewiss zu werden, Gott nicht selbst befragen wollen und,
wie sie wähnen, dazu keiner besonderen göttlichen Offenbarung bedürfen, die
daher von dem Bibelevangelium nichts hören noch wissen wollen, diese handeln im
hohen Grad verwegen und töricht. Ihr Trost ist ein selbstgemachter und darum
falscher, nichtiger Trost; einst am Tag des Gerichts werden sie sich mit Schrecken
betrogen sehen.
Aber ach! möchte allein der Trost
derjenigen ein falscher, ein nichtiger Trost sein, welche, auf ihre Vernunft
bauend, von keiner besonderen Offenbarung Gottes wissen wollen und daher die
Bibel mit ihrem Trost ausdrücklich verwerfen! Leider lehrt es jedoch die
tägliche betrübte Erfahrung, dass Tausende und Abertausende die Bibel und das
darin enthaltene Evangelium hochhalten, und selbst daraus nichts als
einen falschen, nichtigen Trost sich herausnehmen. Wie die Spinnen aus
denselben Blumen Gift saugen, aus welchen die Bienen den süßen Honig holen, so
holen sich viele aus dem Trost des Evangeliums, der andere zum Leben erweckt,
den geistlichen Tod. Wie das bittere, salzige Meerwasser durch das süße Wasser
aller Ströme nicht süß wird, sondern dieses alles in bitteres, salziges Wasser
verwandelt, so wird das sündenliebende Herz vieler durch die Lehre von Christus
nicht gereinigt, sondern sie machen vielmehr Christus mit seiner
Gnade zu einem Sündendiener und Deckel der Bosheit. Es ist schrecklich zu sagen
und doch zu allzu wahr: Viele führen darum ein Scheinchristentum, bleiben darum
Heuchler ihr Leben lang, bekehren sich darum nie von ganzem Herzen, weil sie
glauben, dass Gottes Wort nicht mehr von ihnen fordere, dass sie nach Gottes
Wort nicht anders zu sein brauchten, dass Gottes Wort ihnen in ihrem Zustand
Trost gebe. Unselige Menschen! Die predigt des Evangeliums ist an ihnen
verloren, ja, die Schrift sagt von ihnen, es werde ihnen ein Geruch des Todes
zum Tode, und Christus, der ihnen zum Auferstehen gepredigt wird, werde ihnen
zum Fall und zur Verdammnis. Auch heute bekommen wir wieder ein herrliches
Evangelium, woraus schon viele einen falschen, seelenverderblichen Trost
gezogen haben. Diesen falschen Trost lasst mich daher heute euch zeigen und
davor warnen.
Lukas 18,9-14: Er sagte aber zu etlichen, die sich
selbst vermaßen, dass sie fromm wären, und verachteten die anderen, ein solch
Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, zu beten, einer ein
Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei ich
selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute:
Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal
in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich habe. Und der Zöllner stand
von ferne, wollte auch seine Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an
seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig. Ich sage euch: Dieser ging
hinab gerechtfertigt in sein Haus im Gegensatz zu jenem. Denn wer sich selbst
erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird
erhöht werden.
Groß ist, meine Lieben, der Trost, welcher
in dem soeben verlesenen köstlichen Evangelium liegt; es gibt jedoch einen
Trost, welchen viele darin zu finden meinen, und der nur ein eingebildeter,
selbstgerechter, falscher, nichtiger Trost ist. Lasst mich daher jetzt zu euch
sprechen:
Von
dem falschen Trost, den viele aus dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner
nehmen
Ein solcher falscher Trost ist, wenn man
daraus schließen will:
1.
Dass darauf, ob man fromm oder
gottlos lebe, nicht so viel ankomme, da alles Gnade sei, und
2.
Dass es um die Bekehrung eine
leichte und geringe Sache sei, da nichts als der Seufzer dazu gehöre: „Gott,
sei mir Sünder gnädig!“
1.
In unserem heutigen Evangelium werden uns,
meine Lieben, zwei Menschen vorgestellt, erstlich ein Pharisäer, der sich einer
gewissen Frömmigkeit und Gerechtigkeit rühmen konnte, und zweitens ein Zöllner,
der von keinen guten Werken, die er getan, und von keinem frommen Leben, das er
geführt, zu sagen wusste, sondern vor Gott und Menschen es eingestehen musste,
dass er ein Sünder, und zwar ein recht großer, abscheulicher Sünder sei. Wie
urteilt aber Christus von beiden? Von dem ersten, von dem ehrbaren Pharisäer,
sagt er, er sei von Gott nicht angenommen, sondern verworfen worden, hingegen
von dem zweiten, dem gottlosen Zöllner, sagt er, er sei gerechtfertigt, das
heißt, von Gott für gerecht erklärt, im Gegensatz zu jenem in sein Haus
gegangen.
Dieselbe Vorstellung macht aber die ganze
Heilige Schrift durch Wort und Beispiel. Christus spricht anderwärts zu den
Pharisäern: „Wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren können wohl eher
ins Himmelreich kommen als ihr“; und Paulus bezeugt: „Dem, der nicht mit Werken
umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein
Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit.“ Während daher Christus dem ehrbaren
Nikodemus, als er zu ihm kommt, Himmel und Seligkeit sogleich abspricht, so
ruft er hingegen der großen Sünderin zu: „Dir sind deine Sünden vergeben; dein
Glaube hat dir geholfen; gehe hin mit Frieden.“
Welches ist nun der Schluss, den viele
hieraus ziehen? Viele schließen so: Der Pharisäer nahm es überaus genau mit
seiner Frömmigkeit, er enthielt sich nicht nur von Räuberei, Ungerechtigkeit,
Ehebruch und anderen groben Sünden, er betete auch fleißig, fastete selbst
zweimal in der Woche und gab den Zehnten von allem, das er hatte; was hat ihm
dies aber alles geholfen? – Gott hat es nicht angesehen; Gott hat nicht nach
seiner Frömmigkeit und seinen guten Werken gefragt; Gott hat ihn doch
verworfen. – Hingegen der Zöllner hatte es nicht so genau genommen, ja, er
hatte geraubt, wo er es mit einem schein des Rechtes gekonnt hatte; er hatte
Tag und Nacht nur darauf gedacht, wie er Geld gewinnen wollte; dabei hatte er
sich keine Zeit zum Beten und Fasten genommen, was ist ihm aber geschehen? –
Gott hat ihn, sobald er nur um Gnade bat, doch angenommen, doch für gerecht
erklärt. Hieraus ist offenbar, so schließen sie: Ein frommes Leben ist eben
nicht so nötig; und so viel, wie man gemeiniglich denkt, haben die Sünden
offenbar nicht auf sich; Gott fragt wenig nach den Werken der Menschen; es
bringt’s doch einmal kein Mensch zur Vollkommenheit; und ob man auch in dieser
Schwachheit von der oder jener Sünde nicht loskommen kann, Gott nimmt es
offenbar nicht so genau. Es ist doch alles Gnade; Christus ist es doch allein,
der alles für uns getan hat und für uns tun muss.
Seht, das ist der Trost, den nur zu viele
aus unserem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner nehmen. Und o, möchten sich so
nur solche trösten, welche n9ch nie etwas von der Kraft Christi, seines
Evangeliums und seiner Gnade erfahren haben! Aber ach, es geschieht nicht
selten, dass dies ein Mensch tut, der sich erst von Herzen zu Gott bekehrte; er
erwachte aus seinem Sündenschlag und kam zu einer großen Sorge und Bekümmernis
um seiner Seelen Seligkeit, und er fand endlich nicht nur Trost, Frieden und
Ruhe in Christus, sondern bekam auch Lust und Kraft, von nun an der Sünde zu
widerstehen, die Welt zu verleugnen und in einem neuen, wahrhaft heiligen Leben
zu wandeln: Aber er wachte nicht ernstlich, er betete nicht fleißig und
gebrauchte Gottes Wort nicht treu, so verlor er die erste Liebe wieder; das
Feuer seines ersten Eifers erlosch; er wurde immer träger, kraftloser und
ohnmächtiger; er ließ der Sünde wieder Raum; er stellte sich der Welt wieder
gleich. Erst wurde er deswegen oft in seinem Gewissen gestraft; erst entstand
oft wegen seines Rückfalls in ihm viel Sorge; er beweinte wohl zuzeiten das
Elend, in das er wieder geraten war, mit vielen Tränen. Aber endlich verlor
sich diese Unruhe, und was geschah nun? Nun fing er eben an, sich jenen Trost
aus dem Evangelium zu machen; nun hieß es eben in seinem Herzen: „Was willst du
dich doch so sehr abmühen? Wozu wäre denn Christi Verdienst, wenn man es in der
Frömmigkeit so genau nehmen müsste? Wozu hätte uns denn Gott die Vergebung in
Christus offenbart, wenn man sich um seiner Sünden willen so absorgen müsste?
Nein, ich will kein selbstgerechter Pharisäer werden, ich will ein Zöllner, ein
armer Sünder bleiben; ich will nicht mit Werken umgehen; es ist doch alles
Gnade; er will ich mich trösten.“ –
Aber wie? meine Lieben, sollte Christus
wirklich mit seinem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner einen solchen Trost
geben wollen? O wahrlich nicht! Christus ist nicht gekommen, um durch sein Werk
und sein Evangelium den Menschen die Erlaubnis zur Sünde zu geben und sie zu
beruhigen, wenn sie auch nicht heilig wandeln wollen; Christus ist vielmehr
gekommen, um allen Menschen aus ihren Sünden zu helfen, sie zu neuen, heiligen
Menschen wieder umzuwandeln und in die Gemeinschaft mit Gott wieder
zurückzuführen. Es ist wahr: Christus verwirft den Pharisäer trotz seines vor
der Welt unsträflichen Lebens, trotz seines Betens, Fastens und Zehntengebens;
aber dies tut Christus nicht darum, weil ein frommes Leben nicht nötig wäre,
sondern weil die Frömmigkeit des Pharisäers ein bloß äußerliche, eine
scheinheilige, eine heuchlerische war. Christus will also mit dem Beispiel des
Pharisäers nicht denen einen Trost geben, die der Heiligung nicht nachjagen,
sondern vielmehr diejenigen schrecken, die sich auf eine bloß äußerliche
Ehrbarkeit vor der Welt verlassen. Es ist ferner wahr: Christus erklärt den
Zöllner für gerechtfertigt vor Gott, obwohl er ein großer Sünder gewesen war,
und zieht ihn dem Pharisäer vor. Aber dies tut Christus nicht darum, weil ein
sündliches Leben nicht so viel auf sich hätte, sondern weil der Sünder von
Herzen Buße tat und sich aufrichtig zu Gott bekehrte. Christus zieht also den
Zöllner nicht um seiner Sünden willen dem selbstgerechten Pharisäer vor.
Christus will nicht denen einen Trost geben, welche in Sünden bleiben, sondern
allein denen, welche sich von Herzen davon bekehren wollen, dazu Mut machen.
Ihr alle also, die ihr bisher ein
rechtschaffen frommes Leben nicht für nötig und euer Leben in dieser und jener
Sünde für nicht so verdammlich geachtet und euch dabei mit dem Pharisäer und
Zöllner oder überhaupt mit der Lehre des Evangeliums von der Gnade getröstet
habt, erkennt doch: Euer Trost ist ein falscher, ein nichtiger Trost. O, werft
darum doch diesen Trost eilends wie eine glänzende Schlange weg. Er beruhigt
euch wohl jetzt ein wenig, aber endlich führt er euch in ewige Unruhe; er gibt
euch wohl jetzt einige Hoffnung der Gnade und Seligkeit, aber er stürzt euch
endlich notwendig in Hölle und Verdammnis. Meint nur nicht, dass ihr euch einst
vor Gott auf sein Wort werdet berufen können; eben das Wort Gottes, dessen ihr
euch fälschlich tröstet, wird euch einst verklagen und verurteilen. Gott wird
zu euch sagen: Hörst du, dass selbst der Pharisäer mit aller seiner
Gerechtigkeit verworfen worden ist, warum hast du nicht nach einer besseren
Gerechtigkeit getrachtet? Und hörst du, dass selbst ein sündiger Zöllner
gerecht und selig geworden ist, als er Buße tat, warum hast du dich nicht auch
wie er von allen deinen Sünden bekehrt?
Ach, täusche sich niemand! Wohl wird kein
Mensch durch sein frommes Leben selig, sondern allein durch den Glauben an
Christus, aber das fromme Leben muss es einst beweisen, ob ein Mensch im
seligmachenden Glauben gestanden hat. „Jagt nach“, spricht daher der Brief an
die Hebräer, 2der Heiligung, ohne welche wird niemand den HERRN sehen.“ Wohl
soll auch ferner niemand um seiner Sünden willen verloren gehen, auch dem
tiefgefallensten Zöllner steht die Gnadentür offen, aber die Bekehrung von
Sünden muss es einst beweisen, ob ein Sünder Gnade gesucht und gefunden habe.
Tröstet euch darum nicht nur des Wortes: „Wer da glaubt und getauft wird, der
wird selig werden“, sondern denkt auch an den Spruch: „Wir müssen alle offenbar
werden vor dem Richterstuhl Christi, auf dass ein jeglicher empfange, wie er
gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse.“ Tröstet euch nicht allein
des Wortes: „Aus Gnaden seid ihr selig geworden durch den Glauben; und dasselbe
nicht aus euch, Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, auf dass sich nicht
jemand rühme“, sondern denkt auch an jenen Spruch: „Es kommt die Stunde, in
welcher alle, die in den Gräbern sind, werden des Sohnes Gottes Stimme hören;
und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens,
die aber Übels getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.“
Seht, falsch, nicht, ja schädlich und
verderblich ist also der Trost, dass darauf, ob man fromm oder gottlos lebe,
nicht so viel ankomme, da alles Gnade sei.
Doch es gibt noch einen anderen falschen
Trost, welchen viele aus der Geschichte vom Pharisäer und Zöllner nehmen, und
das ist dieser: Dass es um die Bekehrung eine leichte und geringe Sache sei, da
nichts als der Zöllnerseufzer dazu gehöre: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“
Davon last mich nun zweitens zu euch sprechen.
2.
Dass ein jeder Mensch, welcher selig werden
wolle, von Herzen frommwerde müsse und durchaus in keiner herrschenden Sünde
bleiben dürfe, mit einem Wort, dass sich jeder Mensch bekehren müsse, dies
gestehen noch manche zu, und doch machen sie keine Anstalt dazu, sondern
schieben dies von ihnen selbst als durchaus nötig erkannte Werk von einer Zeit
zur anderen auf. Und warum? Sie trösten sich dabei des Zöllners in unserem
Evangelium. Sie denken, an dem Zöllner sehe man recht deutlich, wie es mit der
Bekehrung bewandt sei. Sehe nämlich ein Mensch ein, dass er ein armer Sünder
sei, so dürfe er dann nur zu Gott seufzen: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“
so sei das wichtige Werk abgetan. Gott sei so gnädig, dass er auch ein solches
kurzes Gebet alsbald erhöre. So meint man denn freilich, mit einer solchen
Bekehrung habe es offenbar keine Eile; so könne man sich ja noch allezeit, und
wäre es in der letzten Stunde, bekehren und selig werden. Man denkt, davon sei
ja auch nicht nur der Zöllner ein Beispiel; dasselbe suche man ja auch an
vielen anderen armen Sündern; wie jener verlorene Sohn rief: „Vater, ich habe
gesündigt“, alsbald schloss der Vater ihn in seine Arme; als jene große
Sünderin nur weinend zu Jesus kam, alsbald versicherte er sie auch der
Vergebung ihrer Sünden; als der Ehebrecher und Mörder David ausrief: „Ich habe
gesündigt wider den HERRN“, alsbald sprach der Prophet: „So hat auch der HERR
deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben.“
Seht da, so wenden viele das Beispiel des
Zöllners und anderer Sünder, die Gnade erlangten, zu ihrem Trost an. Sollte das
wohl ein rechter, wahrer Trost sein? Das sei ferne! Wenn Christus die Buße und
Bekehrung des Zöllners in unserem Evangelium mit so wenigen Worten beschreibt,
so will er damit keineswegs in uns die Gedanken wecken, dass es um die
Bekehrung eine so leichte geringe Sache und dass sie mit einigen demütigen
Gebärden und dem Seufzer „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ abgemacht sei. O
nein! Jeder wird ja wohl zugeben, dass Christus nicht darum die Gebärden des
Zöllners beschrieben habe, um anzudeuten, dass derselbe ein Heuchler gewesen
sei; jeder wird zugeben, dass diese seine Gebärde der wahre Ausdruck seiner
Gesinnung, seines Herzenszustandes waren und so von uns angesehen werden
sollen. Nun heißt es von dem Zöllner erstlich: „Der Zöllner stand von ferne“;
warum tat das dieser arme Sünder? Warum blieb er, wie es am wahrscheinlichsten
ist, im Vorhof der Heiden stehen? – Er achtete sich nicht würdig, die Rechte
eines gläubigen Israeliten zu gebrauchen; er sah sich für einen Bundbrüchigen
an, und achtete sich daher nicht besser als einen Heiden, der auch auf die
geringste Gnade bei Gott nicht Anspruch machen könne. Es heißt weiter: „Wollte
auch seine Augen nicht aufheben zum Himmel“; warum wollte er das nicht? Er
schämte sich vor Gott und Menschen. Er erkannte, dass er Gott erzürnt habe, und
er fühlte, wie Gottes gerechter Zorn auf ihm liege. Es heißt ferner: „Sondern
schlug an seine Brust“; er wollte hiermit anzeigen, wie tief er fühle, dass
nicht nur sein ganzes Leben und alle seine Werke vor Gottes Augen verwerflich
seien, sondern dass auch sein ganzes Herz verderbt, dass dieses eine böse
Quelle sei, daraus nichts Gutes kommen könne. Als er daher sprach: „Gott sei
mir Sünder gnädig!“ da hatte er seine Angst, das Gefühl seiner Sünde und
des Zornes Gottes, den höchsten Grad erreicht; da war’s ihm, wie einem
Missetäter, der bereits auf dem Richtplatz angekommen ist, der eben die
Vollziehung des über ihn bereits gesprochenen Verdammungsurteils erwartet, der
aber, überzeugt von der Güte seines Richters, in der höchsten Angst sich noch
einmal ihm zu Füßen wirft und um Begnadigung bittet. Nun sagt: Sollte es wohl
etwas Leichtes sein, sich in einen solchen Zustand zu versetzen, in welchem wir
hier den Zöllner sehen? – Ja, die Worte ihm nachzusprechen: „Gott sei
mir Sünder gnädig!“ und seine Gebärden nachzuäffen, das ist
freilich eine leichte Sache; aber eine solche tiefe Erkenntnis seiner Sünde,
ein solches lebendiges Gefühl des Zornes Gottes, ein solches heftiges Verlangen
und Seufzen nach Gnade aus dem untersten Grund des Herzens heraus, das kann
kein Mensch in sich wirken; das offenbart einen Zustand, welchen allein der
Heilige Geist in einem Menschenmit den Donnerschlägen des Gesetzes und mit dem
Tau des Evangeliums hervorbringen kann.
O, wie falsch und nichtig ist also der
Trost, den ihr euch macht, die ihr denkt, die ganze Bekehrung bestehe nur in
jenem Seufzer,, die ihr daher meint, wenn ihr auch jetzt sündigt, ihr wolltet
eure Sünden schon schnell wieder wegbeten. Ach, wisst: Und wenn ihr das Gebet „Gott,
sei mir Sünder gnädig!“ auch tausendmal und abertausendmal wiederholt, so
könnt ihr damit nicht die allergeringste Sünde verbeten, wenn ihr dabei nicht
das zerknirschte, von Reue zermalmte, bußfertige und gläubige Herz des
Zöllners habt.
So seid denn ermahnt, ihr alle, die ihr
entweder mit ein paar kalten Lippengebeten, andächtigen Gebärden und armseligen
Vorsätzen eure Bekehrung schon vollbracht zu haben meint, oder sie deswegen
bisher aufgeschoben habt, weil ihr meint, dass hierzu immer noch Zeit sei, seid
ermahnt und gewarnt! Missbraucht zu solchem falschen Trost das teure Wort
Gottes nicht länger und bedenkt: Das Werk der Bekehrung ist ein großes,
schweres, allein von Gott zu wirkendes Werk. Wartet daher keinen Augenblick
länger, euch zu Gott zu wenden, dass er es in euch vollende. Vor allem
gebraucht Gottes Wort, daraus eure Sünde zu erkennen und das rechte Zöllnerherz
zu bekommen. Sprecht nicht, dazu hättet ihr keine Zeit, sondern bedenkt: Eure
Bekehrung ist das Wichtigste und Nötigste, was ihr in dieser Welt zu tun habt;
bedenkt: Einmal muss sie doch geschehen, wollt ihr eure Seele nicht auf
ewig verlieren, einmal müsst ihr doch durch die enge Pforte hindurch,
wollt ihr nicht auf dem breiten Weg dem ewigen Verderben entgegengehen; einmal
müsst ihr lernen, nicht allein mit den Lippen; sondern von Grund eures Herzens
mit Zittern und Zagen auszurufen: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ sonst
werdet ihr einst ewig über euch selbst Ach und Weh rufen.
Werdet ihr aber den gezeigten Weg gehen, o
wohl euch! Dann wird es endlich auch von euch heißen: Seid getrost, eure Sünden
sind euch vergeben; ihr habt Gnade gefunden; ihr seid gerechtfertigt; geht hin
in Frieden. „Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und
wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“
Seid ihr aber bereits durch die enge Pforte
der Buße und Bekehrung hindurchgedrungen, so bedenkt: Ihr seid auch dann noch
nicht am Ziel; ihr seid dann erst auf dem schmalen Weg zum Himmel, von welchem
ihr, wen ihr auf beiden Seiten hinken, Gott und der Welt dienen wollt,
unvermerkt abkommen, ja, welchen ihr schnell und plötzlich durch einen einzigen
falschen Schritt, nämlich durch eine einzige Sünde, wieder verlassen könnt.
Hütet euch daher auch dann vor Sicherheit und falschem Trost, „schafft
vielmehr, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern“, und ruht nicht, bis
ihr angekommen seid am schönen Ziel. O wohl, ja ewig wohl euch dann, wenn ihr
hindurch seid! Denn „selig sind die Toten, die in dem HERRN sterben, von nun
an. Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit, denn ihre Werke
folgen ihnen nach.“ Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserem teuren Heiland,
herzlich geliebte Zuhörer!
Ein jeder Mensch, welcher gerettet
werden soll, muss erst vor Gott gerecht werden. Das ist eine unleugbare
Wahrheit. Vor Gott gerecht sein heißt nämlich, von solcher Beschaffenheit sein,
dass Gottes Gesetz uns nicht verklagen und verdammen kann, sondern dass wir
nach demselben vor Gott unschuldig, und wie wir sein sollen, dastehen. Gott ist
aber heilig und gerecht. Nach seiner Heiligkeit liebt er nur das Gute, hasst er
hingegen alles Böse, und nach seiner Gerechtigkeit kann er nur das Gute
belohnen und muss er alles Böse bestrafen. So wenig nun der heilige und
gerechte Gott das Böse lieben und belohnen kann, so wenig kann er
denjenigen retten, das ewige
Leben ihm schenken und in den Himmel der Herrlichkeit nach dem Tod ihn
aufnehmen, der nicht erst gerecht vor ihm ist.
Diese Wahrheit sieht schon die Vernunft
ein. Schon die sonst so blinden Heiden haben sie daher gar wohl erkannt. Denn
warum haben einst die Heiden das Laster als etwas so Abscheuliches und die
Tugend als etwas so Nötiges und Liebenswürdiges dargestellt? Warum haben so
viele unter den Heiden das Laster auch wirklich ernstlich geflohen und die
Tugend so mühsam zu erjagen gesucht? Und warum haben endlich die Heiden, wenn
sie in Sünde und Laster gefallen waren, oft so viele schwere Opfer zur Sühne
dargebracht? Dies alles kam daher, weil selbst bei den Heiden die Wahrheit
feststand, dass der, welchen die Götter retten sollten, erst vor ihnen gerecht
sein müsste. Dass man für Sünde und Ungerechtigkeit die ewigen Belohnungen
erlangen könne, das ist ein Grundsatz, der in keiner Religion auf der ganzen
Welt je aufgestellt worden ist.
Ist aber, meine Lieben, der Satz wahr,
dass, wer einst gerettet werden will, erst vor Gott gerecht
werden muss, so kann es gewiss für keinen Menschen etwas Wichtigeres und
Nötigeres geben, als vor Gott gerecht z sein. Es ist das recht eigentlich das
Eine, was allen Menschen not tut. Was hilft es einem Menschen, wenn er zwar
reich, fröhlich und geehrt in dieser Welt ist, wenn er aber nicht gerecht ist
vor Gott? Ein solcher Mensch ist einem Missetäter gleich, dem man vor seiner
Hinrichtung noch allerlei Erquickungen reicht. Was hilft es einem Menschen
ferner, wenn er vielleicht gerecht und untadelhaft vor Menschen ist,
wenn er es aber nicht vor Gott ist? Ein solcher Mensch gleicht einem
Verbrecher, den seine Mitschuldigen lossprechen, den aber der Richter, auf
dessen Ausspruch es allein ankommt, verurteilt. O wehe, wehe dem Menschen, der
sonst für alles gesorgt, was er bedarf, nur dafür nicht, dass er vor Gott
gerecht sei!
So wichtig und nötig es aber einem jeden
Menschen ist, vor Gott gerecht zu sein, eine so selige und herrliche Sache ist
es, wenn ein Mensch in Wahrheit sagen kann: Ich bin vor Gott gerecht. Ein
solcher Mensch kann mit St. Paulus hinzusetzen: „Ist Gott für mich, wer kann
wider mich sein?“ Mag einen solchen Menschen die ganze Welt verdammen und
verwerfen, er achtet’s nicht und spricht:
Hab ich das Haupt zum Freunde,
Bin ich geliebt bei Gott,
Was kann mir tun der Feinde
Und Widersacher Rott?
Mag
über einen solchen Menschen immerhin alles Unglück hereinbrechen, das kann ich
nicht irre machen, das kann sein Glück nicht stören; er weiß, dass, da er vor
Gott gerecht ist, es Gott mit ihm nie böse meinen kann, und dass daher alles,
was ihm begegnet, lauter Gnadenzeichen, lauter Segen ist. Ja, selbst der Tod
kann einen solchen Menschen nicht schrecken, denn, da er vor Gott gerecht ist,
kann der Tod ihm nur ein Tor des Himmels werden. Als daher einst unser Luther
nach langem vergeblichen Suchen nach der Gewissheit, dass er vor Gott gerecht
sei, diese Gewissheit endlich erlangte, da sprach er: „Hier fühlte ich alsbald
dass ich ganz und neu geboren wäre und nun gleich eine weite aufgesperrte Tür,
in das Paradies selbst zu gehen, gefunden hätte.“
Ist nun dies, meine Lieben, vor Gott
gerecht zu sein, etwas ebenso Wichtiges und Nötiges, wie Seliges und
Herrliches, wer unter uns, ja, wer in aller Welt sollte nicht wünschen, dieses
unentbehrlichste und köstlichste aller Güter zu besitzen? Wer sollte nicht
wünschen, sagen zu können: Ich bin, wie mich Gott haben will? Sein Gesetz klagt
mich nicht an und verdammt mich nicht? Ich habe Gott zum Freund? Ich stehe bei
ihm in Gnaden? Kurz: Ich bin vor Gott gerecht? – Gewiss, ihr alle tragt den
Wunsch in euren Herzen, so in Wahrheit sagen zu können. Aber ihr sprecht
vielleicht: Ist es denn aber auch wirklich möglich, so weit zu kommen? Gibt es
denn auch einen Weg, den man gehen und auf dem man dieses über alles erwünschte
Ziel erreichen kann? Wie und wodurch wird man denn vor Gott gerecht? Gott sei
Lob und Preis! Hierauf kann ich euch mit großer Freude und Zuversicht
antworten: Ja, meine Lieben, ein jeder Mensch kann vor Gott gerecht
werden. Selbst ein solcher Mensch, der lange in Sünde und Gottlosigkeit dahingegangen
ist und der daher vielleicht sogar an seiner Rettung schon zu verzweifeln
angefangen hat, kann doch noch immer vor Gott so gerecht werden, dass ihn Gott
ansieht, als hätte er nie gesündigt. Wie aber und wodurch das geschehe, das
lasst mich euch jetzt aus Gottes Wort zeigen. Gott gebe uns allen zum Anhören
dieser allersüßesten Lehre offene Ohren und begierige Herzen.
Lukas 18,9-14: Er sagte aber zu etlichen, die sich
selbst vermaßen, dass sie fromm wären und verachteten die anderen, ein solches
Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, zu beten, einer ein
Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand und betete bei ich
selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute:
Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal
in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich habe. Und der Zöllner stand
von ferne, wollte auch seine Augen nicht aufheben zum Himmel sondern schlug an
seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig Ich sage euch: Dieser ging
hinab gerechtfertigt in sein Haus im Gegensatz zu jenem. Denn wer sich selbst
erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird
erhöht werden.
Dieses kostbare, lehr- und trostreiche
Evangelium handelt von dem höchsten und wichtigsten Artikel des ganzen
christlichen Glaubens, nämlich von der Rechtfertigung eines Menschen vor Gott.
Lasst mich euch daher jetzt aufgrund dieses Evangeliums die Frage beantworten:
Wie und wodurch wird ein Mensch vor Gott gerecht?
Die Antwort unseres Textes hierauf ist eine
zweifache, nämlich:
1.
Nicht durch
sein eigenes Werk, sondern durch Gottes Gnade, und
2.
Nicht durch die
göttliche Gnade überhaupt, sondern durch die im Glauben ergriffene Gnade Gottes
in Christus Jesus
Heiliger und gerechter Gott! Vor dir ist
kein Lebendiger gerecht; alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätiges
Kleid; wer will einen Reinen finden bei denen, da Keiner rein ist? Siehe, unter
deinen Heiligen ist keiner ohne Tadel, in deinen Boten findest du Torheit, und
die Himmel sind nicht rein vor dir: Wieviel mehr ein Mensch, der ein Greuel und
schnöde ist; der Unrecht säuft wie Wasser! O, so erbarme dich denn aller der
Verblendeten unter uns, die ihre eigene Gerechtigkeit noch vor dir aufrichten
wollen. Gib ihren Augen Augensalbe, dass sie die Nichtigkeit alles ihres
eigenen Werkes und Wesens erkennen, als verlorene Sünder mit zerknirschtem
Herzen ihre Zuflucht nehmen zu deiner Gnade in Christus Jesus, dieselbe in
festem Glauben ergreifen, darin bis ans Ende verharren und so vor dir gerecht
und einst selig werden. Erhöre uns, ob du gnädiger barmherziger Gott, um dieser
deiner Gnade und Barmherzigkeit willen, die da ist in Christus Jesus. Amen!
Amen!
1.
Die gewöhnlichste Meinung von der
Rechtfertigung ist, meine Lieben, diese, dass der Mensch durch seine guten
Werke vor Gott gerecht zu werden trachten müsse. Man denkt und spricht: Wodurch
anders sollte ein Mensch Gott angenehm und gefällig werden können, als dadurch,
dass er Gottes Gebote hält, fromm ist, gute Werke tut? – Es ist auch ganz
natürlich, dass die Menschen so denken. Die sich selbst gelassene Vernunft des
Menschen kann gar nicht anders urteilen. Denn ohne Gottes Wort und
Offenbarung weiß der Mensch von keinem anderen Weg.
Was sagt nun aber Gottes Wort hiervon?
Lasst uns darüber unser heutiges Evangelium um Rat fragen. Darin werden uns
zwei Menschen vorgestellt. Der eine ist ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
Von dem letzteren heißt es am Schluss unseres Evangeliums: „Dieser ging
hinab gerechtfertigt in sein Haus im Gegensatz zu jenem.“ Der Zöllner war
also vor Gott gerecht, der Pharisäer nicht. An diesen beiden Beispielen können
und sollen wir also erkennen, wie und wodurch man vor Gott gerecht werde und
wie und wodurch nicht. Wie wird denn nun aber vorerst der Pharisäer, der vor
Gott nicht gerecht war, beschrieben? Schildert ihn Christus etwa als
einen vor den Menschen gottlosen, lasterhaften Menschen? Nichts weniger als
dies. Christus stellt ihn vielmehr als einen vor der Welt überaus frommen,
gerechten, unsträflichen und tugendhaften Menschen dar. Er war nach Christi
Darstellung ein Freund des Gotteshauses, wo Gottes Wort gepredigt wurde, und er
ging dahin nicht, wie viele, aus bloßer Gewohnheit, sondern um daselbst zu
beten. Er betete auch nicht erst, wenn eine besondere Not ihm das Beten und
Seufzen auspresste, sondern er betete zu Gott, selbst wenn er kein besonderes
ihn drückendes Anliegen hatte. Und was betete er? Er sprach: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht
bin wie die anderen Leute: Räuber, Ungerechte, Ehebrecher oder auch wie dieser
Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich
habe.“ Sein Gebet bestand also
auch nicht aus bloßen Bitten, sondern enthielt auch Dank und Lob Gottes, und
zwar dankte er Gott selbst für das Gute, das er selbst getan hatte und an sich
sah. Er war „nicht wie die anderen Leute“, die nichts nach Gewissen,
nach Gott, nach Gottes Gebot, nach Religion, nach Himmel und Hölle fragen. Er
zeichnete sich vor Tausenden durch seine Ehrbarkeit und Rechtschaffenheit aus.
Er war kein „Räuber“ und „Ungerechter“, sondern gewissenhaft gab
und ließ er einem Jeden das Seine; er war kein „Ehebrecher“ weder in
noch außer der Ehe, sondern hielt sich züchtig. Er tat selbst mehr, als Gott
geboten hatte. Gott nur geboten, einmal in der Woche zu fasten und den Zehnten
nur von einigen Teilen seines Einkommens zu entrichten; er aber fastete „zweimal“
in der Woche und gab den Zehnten „von allem“, was er hatte. Er war
offenbar kein so gemeiner Heuchler, wie viele andere Pharisäer, sondern ließ
sich’s mit seiner Frömmigkeit einen großen Ernst sein. Seht, so sieht der
Mensch aus, von welchem Christus sagt, dass er ungerechtfertigt den Tempel
verlassen habe. Was wird hingegen von dem Zöllner berichtet, der nach unserem
Text gerechtfertigt in sein Haus ging? Wird etwa sein Leben noch mehr gerühmt?
– Wiederum nichts weniger als dies. Von seinem früheren Leben erzählt Christus
gar nichts; alles, was Christus uns darüber wissen lassen will, zeigt er damit
an, dass er ihn einen „Zöllner“ nennt, das heißt, einen Menschen, der
sein ganzes Leben, ohne nach Gott und seinem Gewissen zu fragen, in Lug und
Trug und in aller Ungerechtigkeit hingebracht hatte; alles, was Christus von
ihm außerdem sagt, ist, dass ihm endlich nach einem langen Leben in Sünde und
Schande sein Gewissen aufgewacht ist, dass er seine Verdammungswürdigkeit
endlich eingesehen hatte, und dass er daher voll Furcht vor der Hölle und Verdammnis
auch in den Tempel gegangen ist, an seine Brust geschlagen und geseufzt hat: „Gott,
sei mir Sünder gnädig!“ –
Seht da, meine Lieben, den Einen stellt
Christus als einen Menschen dar, der sich durch allerlei gute Werke und einen
vor Menschen unsträflichen Wandel auszeichnete, und der dennoch nicht
vor Gott gerecht gewesen ist; den anderen hingegen stellt er als einen Menschen
dar, der sich durch ein ganzes Leben voll Ungerechtigkeit zu einem Greuel vor
Gott und Menschen gemacht hatte, und dennoch, sobald er um Gnade geseufzt
hatte, vor Gott gerecht geworden ist. wie und wodurch wird also ein Mensch nach
Christi Lehre vor Gott gerecht? – Heller als mit Sonnenstrahlen steht es in
unserem Evangelium geschrieben: nicht durch sein eigenes Werk, sondern durch
Gottes Gnade.
Wohl mag es manchem unglaublich zu sein
scheinen, dass also nach Christi Lehre ein tugendhafter Mensch Gott missfällig,
hingegen ein gottloser Mensch Gott angenehm und vor ihm gerecht sein könne.
Betrachtet man jedoch die Sache nur etwas genauer, so müssen Verwunderung und
Befremden bald schwinden.
Wohl ist es nämlich war: Als Gott den
Menschen ist schuf, da war er so beschaffen, dass er nicht nur durch sein
eigenes Werk vor Gott gerecht sein sollte, sondern auch gerecht sein konnte.
Aber wir Menschen sind gefallen und bringen nun alle ein böses Herz, einen Gott
missfälligen Sinn schon bei unserer Geburt mit auf die Welt. Gäbe es nun jet5zt
nach dem Fall des menschlichen Geschlechts keinen anderen Weg, auf welchem man
vor Gott gerecht werden könnte, als unser eigenes Werk, so könnte auch nicht
Ein Mensch vor Gott gerecht werden.
Ehe sich Gott eines Menschen aus bloßer
Gnade erbarmt, kann er nichts, gar nichts wahrhaft Gutes tun. Ein natürlicher
Mensch kann wohl so leben, dass kein Mensch etwas an ihm auszusetzen
vermag, dass jeder Mensch ihn als einen braven, rechtschaffenen,
tugendhaften, gerechten Mann loben und rühmen muss; aber vor Gott, der
in das Herz sieht, sind alle glänzenden guten Werke eines durch seine Gnade
noch nicht umgewandelten Menschen nichts als äußerlich schöne Früchte, die aber
vom Wurm gestochen sind; also nichts als glänzende Laster.
Beschaut nur die guten Werke des Pharisäers
etwas genauer, so werdet ihr’s auch an diesen bald bemerken, Es ist wahr: Der
Pharisäer glänzte herrlich vor den Leuten mit seiner großen äußerlichen
Frömmigkeit; aber was lebte in seinem herzen und was also die Quelle aller
seiner sogenannten guten Werke? Es war dies nichts anderes als die greulichste Hoffart.
Wohl dankte er Gott für das Gute, das er an sich zu erblicken vermeinte, aber
dieser Dank war nichts als Heuchelei, denn er spricht ja nicht: „Ich danke
dir, Gott“, dass du mich frommgemacht hast, sondern: „dass ich nicht bin
wie die anderen Leute“; erhebt sich also über alle anderen Menschen; ja, er
spricht hernach, auf den Zöllner deutend: „auch nicht wie dieser Zöllner“,
er ist also vom Richtgeist erfüllt, in welchem er alle Menschen für unwürdig,
sich aber für würdig ansieht.
So waren aber nicht allein die guten Werke
jenes Pharisäers beschaffen, von dieser Beschaffenheit ist alles scheinbar
Gute, was diejenigen tun, deren sich Gott noch nicht hat erbarmen und denen er
noch nicht ein verändertes neues Herz aus Gnaden hat geben können. Vor Gott ist
nämlich nur das gut, was der Mensch aus reiner Liebe zu Gott und zu seiner Ehre
und was er aus reiner Liebe zu seinem Nächsten und zu dessen Nutzen tut. Von
Natur, das heißt, von seiner Geburt an, hat aber jeder Mensch in Herz voll
Selbstsucht und Eigenliebe, voll Eigenehre und Selbstruhm. Aus dieser giften
Quelle fließt alles, was ein natürlicher Mensch denkt, redet und tut. Mag nun
ein natürlicher Mensch immerhin wieder Pharisäer in den Tempel gehen und da
eifrig Gottes Wort hören und eifrig beten und singen; gerade je eifriger er in
seinem Gottesdienst ist, desto mehr wird er sich dabei selbst gefallen und über
andere in seinem Herzen sich erheben, und so bei allem seinem Gottesdienst Gott
ein Greuel sein. Ein natürlicher Mensch kann, ohne zu sündigen, keinem Armen
eine Gabe geben; entweder tut er’s aus Scham, weil er sich nämlich vor den
Leuten des Geizes und der Hartherzigkeit schämt, oder aus Ehrsucht, weil er vor
den Leuten gesehen sein will, oder aus Ungeduld, um den in ihn dringenden
Bettler los zu werden, oder endlich aus Lohnsucht, weil er hofft, dass ihm Gott
seine Wohltat zehnfach mit ewigen Gütern belohnen werde. Gewöhnlich ahnt ein
natürlicher Mensch diese Tücke, Falschheit und Unlauterkeit, womit alle seine
guten Werke verderbt sind, nicht; aber mag ein natürlicher Mensch diese seine
Falschheit und Tücke bei seinen scheinbar guten Werken immerhin merken und noch
so ernstlich gute Vorsätze fassen, besser, aufrichtiger, lauterer zu werden:
Alle diese Vorsätze bleiben, wenn sich Gott nicht seiner erbarmt, unausgeführt.
Ja, mag ein natürlicher Mensch sich noch so sehr abquälen und abmartern, die
Unredlichkeit seines Herzens zu überwinden und das Gute allein aus den reinen
Beweggründen der Liebe Gotts und des Nächsten zu tun: Alle seine Bemühungen
bleiben fruchtlos. Verstopfen kann wohl der natürliche Mensch die giftige
Quelle seines Herzens, dass sie nicht in offenbar bösen Werken ausfließe, aber
reinigen kann er seine Herzensquelle nicht; sie bleibt giftig, voll Eigenliebe,
Eigenruhm, und verdirbt alles, was der natürliche Mensch denkt, begehrt, redet
und tut.
So lange ein natürlicher Mensch nicht auf
sein falsches, unlauteres Herz Acht gibt, so lange kann er wohl meinen, dass er
Gottes Gebote aus seiner eigenen Kraft halten und daher durch sein eigenes Werk
vor Gott gerecht werden könne; gehen aber einem Menschen endlich die Augen über
sein Herz, über sein Inneres, über seine geheimen Triebe auf, so sieht er mit
Schrecken, dass er nichts wahrhaft Gutes, nichts, was auch vor Gott gut wäre,
aus seinen eigenen Kräften tun kann. Wer daher durch sein eigenes Werk Gott
angenehm und vor ihm gerecht werden will, der ist einem Menschen gleich, der
mit neuen größeren Schulden alte geringere Schulden bezahlen will, einem
Menschen, der, in einen Sumpf geraten, sich an seinem eigenen Haar herausziehen
will, aber bei dieser Arbeit nur immer tiefer darein versinkt. Gewöhnlich ist
es freilich denen, die durch ihre eigenen Werke vor Gott gerecht zu werden
gedenken, damit kein wahrer Ernst; kommt es aber mit einem Menschen dahin, dass
er damit wirklich Ernst machen will, so muss er dabei notwendig in Verzagung
und Verzweiflung fallen, und anstatt endlich die vollkommene Liebe Gottes in
sein Herz zu bekommen, entsteht in ihm Hass und Feindschaft gegen Gott, der,
was der Mensch nicht leisten kann, von ihm fordere; wie es zum Beispiel vielen
im Papsttum und unter anderen Luther in seinem Kloster erging. Daher denn
Luther so singt:
Dem Teufel ich gefangen lag,
Im Tod war ich verloren;
Mein Sünd mich quälte Nacht und Tag,
Darin ich war geboren.
Ich fiel auch immer tiefer drein,
Es war kein Guts am Leben mein,
Die Sünd hat mich besessen.
Mein gute Werk, die golten nicht,
Es war mit ihn verdorben;
Der frei Will hasste Gott’s Gericht,
Er war zum Gut’n erstorben.
Die Angst mich zu verzweifeln trieb,
Dass nichts als Sterben bei mir blieb,
Zur Hölle musst ich sinken.
So ist‘s denn kein Zweifel: Der Mensch
wird nicht durch sein eigenes Werk vor Gott gerecht, sondern, soll er dies
werden, so muss es durch Gottes Gnade geschehen, aber, meine Lieben nicht durch
die göttliche Gnade überhaupt, sondern durch die Gnade Gottes in Christus
Jesus, im Glauben ergriffen. Und davon lasst mich nun noch zweitens zu euch
sprechen.
2.
So groß, meine Lieben, die Anzahl
derjenigen ist, welche in dem Wahn stehen, dass sie durch ihr eigenes Werk vor
Gott gerecht werden können, so gibt es doch auch eine nicht geringe Zahl von
solchen, die nicht so verblendet sind; die es einsehen, dass ihre eigene
Gerechtigkeit zu unvollkommen, zu befleckt ist, als dass sie damit vor dem
heiligen Gott, der das Herz ansieht, bestehen könnten; die sich aber nun auf
die allgemeine Liebe, Nachsicht und Gnade Gottes verlassen. Sie denken: Wollte
Gott mit ihnen nach seiner strengen Gerechtigkeit handeln, so müsste er sie
freilich verwerfen, denn bei allem Streben des Menschen nach Tugend und
Frömmigkeit bleibe der Mensch doch schwach, voll Fehler, Mängel und Gebrechen.
Daher müsse man sich darauf verlassen, dass Gott viel zu gütig sei, als dass er
nicht auch etwas übersehen und Gnade für Recht ergehen lassen sollte, wenn der
Mensch nur so viel tue, als er nach seinen schwachen Kräften vermöge. Viele,
die so denken, trösten sich dabei oft auch mit dem Beispiel des Zöllners, der
auch viele Fehltritte getan habe und von Gott doch angenommen worden sie, weil
er von Herzen gesagt habe: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ –
Alle aber, meine Lieben, die so denken,
gehen auf einem falschen Weg der Ewigkeit entgegen, haben einen falschen Trost
und nähren eine falsche Hoffnung, und wenn sie auf diesem Sandgrund stehen
bleiben, stürzen sie im zeitlichen Tod in den ewigen Tod und in die Verdammnis.
Nein, nein, meine lieben Zuhörer, Gott ist
nicht so, wie sich ihn die meisten Menschen vorstellen. Er ist keinem alten
schwachen Vater gleich, der die bösen Stücke seiner bösen Kinder übersieht und
aus einer weichlichen Liebe dieselben ungestraft lässt. Gott ist die
Gerechtigkeit und Heiligkeit selbst; von dem, was seine Heiligkeit und
Gerechtigkeit in seinem Gesetz fordert, kann er auch nicht einen Buchstaben,
nicht ein Jota nachlassen; ja, er ist und bleibt ein verzehrendes Feuer des
Zornes gegen die Sünde, das bis in die unterste Hölle brennt. Kann daher ein
Mensch nicht eine ganz vollkommene Gerechtigkeit, an der auch nicht der
geringste Mangel ist, aufweisen, so muss Gott den Menschen so gewiss ewig von
sich verstoßen und verdammen, so gewiss er Gott ist. So groß Gottes Liebe ist,
so kann sie doch seine Heiligkeit und Gerechtigkeit nicht aufheben.
Aber, werdet ihr vielleicht sagen, wäre dem
wirklich so, wie könnte dann och irgendein Mensch vor Gott gerecht werden? Wo
ist der Mensch, der der strengen Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes vollkommen
Genüge leisten könnte? Wo ist der Mensch, der nicht der Gnade, der Vergebung
bedürfte? Hast du, werdet ihr zu mir sagen, nicht selbst eben erwiesen, dass
der Mensch nicht durch seine Werke, sondern allein durch Gnade vor Gott gerecht
werden könne? Ist’s also nicht ein Widerspruch, wenn du nun dennoch behauptest,
dass Gott von seiner Gerechtigkeit nichts nachlassen könne und dass jeder
Mensch, wenn er vor Gott gerecht sein wolle, vor Gott eine vollkommene
Gerechtigkeit bringen müsse?
Wohl scheint das ein Widerspruch zu sein.
Aber wisst, meine Lieben, Gott hat nach seiner unergründlichen Weisheit einen
Weg erfunden, auf welchem er auch den größten Sünder für gerecht annehmen und
erklären kann, ohne von den Forderungen seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit
auch nur das Geringste nachlassen zu müssen. Gott hat nämlich, o Wunder der
göttlichen Weisheit und Liebe! seinen eingeborenen Sohn einen Menschen werden
lassen, und dieser hat nun als Gott und Mensch nicht nur alle unsere verdienten
Strafen abgetragen und alle unsere Schulden bezahlt, sondern auch, ob er es
gleich für sich nicht schuldig war, sich dem Gesetz Gottes unterworfen, es
vollkommen erfüllt und dadurch eine Gerechtigkeit erworben, die er selbst nicht
braucht. Wer nun an diesen Gottmenschen glaubt, das heißt, wer die von
demselben geleistete Bezahlung der Schuld aller Menschen und von ihm für alle
Menschen erworbene Gerechtigkeit annimmt, sie sich aneignet und sich darauf
verlässt: Den sieht Gott an, als hätte er selbst bezahlt, gelitten und getan,
was sein lieber Sohn gezahlt, gelitten und getan hat; dem vergibt er alle seine
Sünden und rechnet ihm seinen Glauben zur Gerechtigkeit an. Seht, freilich ist
es Gnade, allein Gnade, durch welche der Mensch vor Gott gerecht werden kann
und soll, aber es ist dies keine andere als die Gnade Gottes in Christus Jesus,
im Glauben ergriffen, denn nur vermöge dieser Gnade kann Gott einen Sünder für
gerecht annehmen und erklären und doch selbst gerecht und heilig bleiben.
Meint auch nicht, dass der Zöllner in
unserem Evangelium auf einem anderen Weg gerecht geworden sei; denn was Luther
mit dem Wort übersetzt hat: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“, das
heißt eigentlich buchstäblich nach dem Grundtext: „Gott, sei mir Sünder versöhnt!“
Nicht die Liebe und Gnade Gottes überhaupt war es also, zu welcher der Zöllner
seine Zuflucht nahm, denn daran hinderte ihn das Bewusstsein, dass Gott ja auch
gerecht und heilig sei und bleiben müsse, sondern die Gnade, von welcher er
Hilfe begehrte und auf die er sich verließ, war die, die der Messias nach dem
Zeugnis aller Propheten durch sein Versöhnungswerk erwerben sollte.
Wohlan, geliebte Zuhörer, die ihr Verlangen
in eurem Herzen tragt, vor Gott gerecht zu sein, hier habt ihr den Weg, auf
welchem ihr dieses köstlichste aller Güter erreichen könnt. Erkennt, dass ihr
verlorene und verdammte Sünder seid, und glaubt dann an Jesus Christus, der die
Gottlosen gerecht macht, so ist die Sache geschehen. Dann habt ihr vor den
Drohungen des Gesetzes gegen seine Übertreter nicht zu erschrecken, sondern ihr
könnt sagen: Was ich zu tun hatte, ist erfüllt: Dann habt ihr euch vor Gottes
Gerechtigkeit und Heiligkeit nicht zu fürchten, sondern ihr könnt sagen: Was
sie von mir fordern, ist geleistet. Dann habt ihr euch vor dem Tod und dem
darauf folgenden Gericht nicht zu entsetzen, sondern ihr könnt jubeln: Gott,
der Richter, hat mich nicht nur von allen meinen Sünden losgesprochen, sondern
mich auch schon für heilig und gerecht vor ihm erklärt.
Ach, meine Lieben, diese Lehre von der
gnädigen Rechtfertigung eines armen Sünders vor Gott durch den Glauben an
Christus ist zwar so einfach, dass sie ein Kind fassen kann, aber sie ist
zugleich die höchste Weisheit, die ein Mensch erlangen kann, die von Ewigkeit
in Gottes Herzen verborgen war, aber offenbart ist durch den Heilige Geist in
seinen heiligen Propheten und Aposteln. Diese Lehre ist der wahre stein der
Weisen, ein Geheimnis, das kein Philosoph hat ausdenken, kein Weiser dieser
Welt hat erforschen können. Diese Lehre ist das Fundament, worauf die ganze
christliche Kirche ruht und womit sie steht und fällt, und zugleich der höchste
Schatz, den sie besitzt und der außerhalb der Kirche nirgends zu finden ist.
Diese Lehre ist schnell gelernt, aber nie ausgelernt, vielmehr will sie täglich
studiert, getrieben und geübt sein, wenn der Mensch sie nicht wieder verlernen
und anstatt des süßen Kernes die leeren Schalen behalten will. Ohne diese Lehre
ist in der Seele jedes Menschen nichts als höllische Finsternis; wem aber diese
Lehre klar wird, in dessen Seele geht die Sonne aller Wahrheit auf, die die
Finsternis alles verderblichen Irrtums vertreibt. Diese Lehre, dass der Mensch
nicht durch sein eigenes Werk, sondern durch die Gnade Gottes in Christus,
durch den Glauben ergriffen, vor Gott gerecht wird, scheint wohl den Menschen
träge zu guten Werken zu machen, aber dem ist nicht so: Wer diese Lehre recht
in sein Herz dringen lässt, den erfüllt sie mit dem Feuer der Liebe Gottes und
des Nächsten und macht ihn willig, ja, lustig und fröhlich, sich Gott und dem
Nächsten nun ganz aufzuopfern in einem neuen heiligen Leben und Wandel.
So laufe sich denn niemand unter uns müde
in eigenen Werken und Wegen, eine Gerechtigkeit selbst zu erwerben, die vor
Gott gilt; sondern ein jeder gehe den Weg des Zöllners, so wird er, obwohl ein
Sünder in sich selbst, doch vor Gott gerechtfertigt aus- und eingehen.
Das helf uns allen der HERR Jesus Christ,
Der unser Mittler worden ist;
Es ist mit unserm Tun verlor’n,
Verdienen doch eitel Zorn. Kyrieleis.
Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserem Heiland, herzlich
geliebte Zuhörer!
„Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das
uns gleich sei“, das sind die Worte, mit welchen nach dem ersten Kapitel des
ersten Buches Mose der dreieinige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, den
Ratschluss seiner ewigen Liebe aussprach, das Menschengeschlecht ins Dasein zu
rufen. Kurz darauf heißt es daher: „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde,
zum Bilde Gottes schuf er ihn.“
Als also der Mensch aus der Hand Gottes
hervorging, trug er das Ebenbild Gottes an sich. Worin dasselbe bestanden haben
müsse, ist nicht schwer zu erraten, denn jedermann weiß, dass ein Ebenbild eine
solche Nachbildung einer Sache ist, die eine gewisse Gleichheit oder doch eine
sichtbare Ähnlichkeit mit derselben hat. Wird uns also offenbart, dass Gott den
Menschen nach seinem Bild geschaffen hat, so heißt das nichts anderes, als dass
der Mensch ursprünglich Gott ähnlich, ja, in einem gewissen Sinn Gott gleich
gewesen ist. Wer also einst den Menschen sah, der sah in ihm Gottes
Eigenschaften leuchten; das ganze Wesen des Menschen war ein treuer Abdruck
Gottes und ein lieblicher heller Wiederschein seiner Herrlichkeit., Wie sich
die Sonne in einem wellenlosen See spiegelt, so spiegelte sich der Schöpfer ab
in dem neugeschaffenen Menschen.
Wollen wir nun wissen, was sich eigentlich
in dem Menschen abgebildet habe, so dürfen wir uns nur die Beschaffenheit
Gottes vorstellen, denn alles, was Gott in der höchsten Vollkommenheit besitzt,
damit hatte Gott auch den Menschen nach dem Maß eines Geschöpfes aus ewiger
Liebe geschmückt. Gott ist nach seinem Wesen ein ewiger, allmächtiger Geist;
auch der Mensch, der nach seinem Bild geschaffen war, war daher ursprünglich
unsterblich; sein Leib war ewig jung und blühend, ohne Krankheit, ohne
Schmerzen, ohne Ermattung und ohne den Keim des Todes und der Verwerfung; keine
Hitze noch Kälte konnte ihm schaden. Dabei war er, wie ein Bild der göttlichen
Allmacht, stärkere als alle anderen irdischen Kreaturen, beherrschte mit seinem
Wink und Willen alle Tiere auf Erden und ging unter ihnen als ihr Herr und
König einher. Gott ist ferner nach seinem Verstand die ewige vollkommene
Wahrheit und Weisheit; auch der Mensch, der nach seinem Bild geschaffen war,
war daher einst voll Wahrheit, Weisheit und himmlischem Licht; ohne allen
Irrtum und ohne mühsames Erlernen erkannte der Mensch Gottes Wesen und Willen;
ohne Täuschung sich selbst und seine wahre Bestimmung; ohne Decke lag die ganze
Schöpfung vor ihm; sein heller Geist drang ungehindert in alle Geheimnisse der Natur
und ihrer wunderbaren Kräfte. Nach seinem Willen ist Gott ferner die
vollkommenste Heiligkeit; auch der Mensch, der nach seinem Bild geschaffen war,
war daher ursprünglich heilig; was Gott wollte, das wollte der Mensch auch;
sein Wille stand mit dem Willen Gottes in der schönsten Harmonie; Gott war sein
höchstes Gut, er liebte Gott wahrhaft über alles und seinen Nächsten wie sich
selbst; keine Sünde, keine böse Begierde, kein unheiliger Gedanke wohnte in des
Menschen Brust; auch sein Leib war rein von jeglicher sündlicher Reizung, ein
unbefleckter Tempel des Heiligen Geistes; viel weniger ging daher ein
sündliches Wort über seine Lippen, und alles eine Werke waren gut, denn sie
waren alle in Gott getan. Endlich ist Gott nach seinem Zustand auch vollkommen
selig; und auch hierin war der Mensch ein treues Abbild dieses allerseligsten
Wesens. Da der Mensch ohne Sünde war, so war auch keine Unruhe, keine
Bangigkeit, keine Furcht in seinem Herzen und Gewissen; er liebte nicht nur
Gott, er wusste auch, dass er von Gott geliebt, dass dieser sein gnädiger Gott
und Vater ist. Friede, Ruhe und die reinste Freude wohnten in seiner Seele.
Dazu kam nun noch, dass Gott den Menschen in ein Paradies gesetzt hatte, in
welchem nichts war, als was das Herz, das Auge und alle Sinne entzücken konnte;
auch lag damals noch kein Fluch auf der Erde, auf ihr wohnte noch keine Not,
kein Übel; die Tränen, die die Menschen weinten, waren nur Tränen der Liebe und
Freude; kurz, der Mensch war zeitlich selig und seine irdische Wohnung war ein
Vorhof des Himmels.
Seht, meine Lieben, das war der Zustand des
Menschen, als er noch das Ebenbild Gottes an sich trug; er war herrlicher als
es Menschen beschreiben, seliger, als wir es nur fassen und ahnen können. Aber
ach! Was ist geschehen? – Der Mensch ist durch Verführung Satans in die Sünde
gefallen, und die Sünde hat uns Menschen des Bildes Gottes wieder beraubt, uns
unseres ursprünglichen Schmuckes entkleidet, uns von dem Gipfel des seligsten
Glücks in Finsternis, Tod und Verderben herabgestürzt und diese Welt in einen
Schauplatz des Elendes verwandelt. Wer muss das nicht gestehen? Wer erfährt das
nicht an sich selbst, dass er von Natur nicht mehr glücklich und selig und dass
diese Erde kein Paradies, sondern ein Jammertal ist? Wer es leugnen will, der
muss sich mutwillig das Auge für die Not, die ihn umgibt und die in ihm selbst
wohnt, verschließen.
Doch wohl allen, die es mit Schmerzen
fühlen, was sie verloren haben, und die sich nach Wiedererlangung der
verscherzten Herrlichkeit sehnen, denn eben darum ist der Sohn Gottes in der
Welt erschienen, um das zerstörte Werk Gottes wieder aufzurichten, um das
Verlorene wiederzubringen, mit einem Wort, das uns geraubte göttliche Ebenbild
in uns wieder herzustellen. Davon lasst mich daher jetzt weiter zu euch
sprechen.
Markus 7,31-37: Und da er wieder ausging von den
Grenzen Tyrus und Sidon, kam er an das Galiläische Meer, mitten unter die
Grenze der zehn Städte. 32 Und sie brachten zu ihm einen Tauben, der stumm war;
und sie baten ihn, dass er die Hand auf ihn legte. 33 Und er nahm ihn von dem
Volk besonders und legte ihm die Finger in die Ohren und spützte und berührte
seine Zunge. 34 Und sah auf zum Himmel, seufzte und sprach zu ihm: Hephatha!
das ist: Tu dich auf! 35 Und alsbald taten sich seine Ohren auf, und das Band
seiner Zunge wurde los und er redete recht. 36 Und er gebot ihnen, sie sollten
es niemand sagen. Je mehr er aber verbot, je mehr sie es ausbreiteten. 37 Und
sie verwunderten sich über die Maßen und sprachen: Er hat alles wohl gemacht:
Die Tauben macht er hörend und die Sprachlosen redend.
Alles, meine Lieben, was Christus einst an
leiblich Elenden tat, war ein Bild von dem, was Christus überhaupt an den
Menschen tun wollte, er wollte nämlich alles Elend von dem Menschen nehmen und
ihn zu der verlorenen Herrlichkeit, die ihm Gott einst anerschaffen hatte,
zurückbringen, also, mit einem Wort, das Ebenbild Gottes in dem Menschen wieder
aufrichten. Lasst mich daher jetzt zu euch sprechen:
Von der Wiederherstellung des göttlichen Ebenbildes durch Christus
Und zwar
1.
Wie dieselbe
schon in diesem Leben beginnt, und
2.
Wie sie aber
erst in jenem Leben vollendet wird.
Herr Jesus Christus, der du uns nicht nur
die Sünde vergeben, sondern uns auch davon heilen und befreien und uns zu dem
göttlichen Bild wieder erneuern willst, zu welchem wir einst geschaffen worden
sind, erwecke doch in uns eine heilige Sehnsucht nach vollkommener Freiheit von
der Sünde und nach dem verlorenen Kleinod vollkommener Unschuld. Nimm von uns
den Sinn, dass wir von der Sünde wohllosgesprochen sein, aber sie dennoch nicht
völlig lassen wollen; dass wir nicht durch Betrug der Sünde endlich noch unser
Heil verscherzen, sondern uns schon hier verklären lassen in dein Bild von
einer Klarheit zur anderen durch deinen Geist, bis wir kommen zum Licht ewiger
Vollkommenheit. Amen.
1.
Dass wir, meine Zuhörer, nicht mehr so
beschaffen sind, wie Gott den Menschen ursprünglich geschaffen hat, das ist,
wie ich bereits in der Einleitung ausgesprochen habe, ganz unleugbar. Es ist
schon für unsere Vernunft höchst ungereimt, anzunehmen, dass der allmächtige,
allweise, heilige Gott Wesen geschaffen haben sollte, die mit Krankheit, Not
und Tod, mit Irrtum, Blindheit und Finsternis, mit Sünde und aller Unreinigkeit
und mit Unfrieden, Unruhe, Furcht, Angst und Gewissenspein beladen sind. Ein
solches Wesen ist aber der Mensch jetzt. Er ist sich bewusst, dass er für eine
andere Welt bestimmt ist, und doch ist er dem Tod, tausenderlei Krankheiten und
unzähligen Übeln unterworfen; er ist ohnmächtiger, hilfloser und bedürftiger
von Geburt an als viele unvernünftige Tiere; er weiß von Natur nichts Gewisses
von Gott und seinem Willen, ja, ist sich selbst ein Geheimnis; sein Dichten und
Trachten ist nur böse von Jugend auf; dabei ist er voll Unruhe und geht ohne
Frieden der Seele durch die Welt, als durch ein Tal voll Tränen und voll
Jammers. Sagst selbst: Hätte Gott den Menschen und die Welt so geschaffen, wie
sie jetzt sind, würde es da wohl haben heißen können: „Gott sah an alles, was
er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“? Keineswegs. Es ist daher außer
allem Zweifel: Diese Welt und besonders wir Menschen sind jetzt nicht mehr in
unserem ursprünglichen Zustand. Wir haben zwar noch das Licht der Vernunft,
wodurch wir uns von den Tieren unterscheiden, aber sie ist gleichsam nur eine
stehen gebliebene Ruine von dem vormaligen herrlichen göttlichen Bau; sie ist
ein Denkmal eines vormals besseren Zustandes; das wahre Ebenbild Gotts aber
haben wir verloren; unser Verstand ist verfinstert und ohne göttliches Licht,
das uns den Weg zur Seligkeit weisen könnte; unser Wille ist von Gott
abgewendet und unser Herz entfremdet von dem Leben, das aus Gott ist; unser
Zustand ist Unseligkeit, und unser Leib eine Wohnung der Sterblichkeit; wir
tragen daher nun alle, anstatt des Bildes Gottes, das Bild der Sünde und des
leiblichen und geistlichen Todes an uns.
Aber wohl uns! Wir sollen in diesem Elend
nicht bleiben. Eben darum ist Gottes Sohn uns gleich geworden, damit wir
wieder Gott gleich würden; eben darum hat er das Bild eines Sünders
an sich genommen, damit er uns Sünder wieder zu dem Bild Gottes brächte.
Daher spricht Johannes in seinem ersten Brief: „Dazu ist erschienen er Sohn
Gottes, dass er die Werke des Teufels zerstöre“; und Petrus predigt: „Christus
muss den Himmel einnehmen, bis auf die Zeit, da wiedergebracht werde alles, was
Gott geredet hat durch den Mund aller seiner heiligen Propheten.“
Wir dürfen also nicht denken, dass der Sohn
Gottes nur darum ein Mensch geworden sei, nur darum für uns mit seinem heiligen
Leben das Gesetz erfüllt und nur darum für unsere Sünde gelitten habe und am
Kreuz gestorben ist, uns Vergebung unserer Sünden zu erwerben, uns von den
verdienten Strafen derselben zu erlösen, uns mit Gott zu versöhnen und uns
trotz unserer Sünden den Himmel und die Seligkeit aufzuschließen. Viele danken
zwar so von Christus; sie suchen daher auch bei Christus nichts als Trost für ihr
unruhiges Gewissen, aber dass sie auch wirklich wieder geheiligt würden, danach
fragen sie nicht. Aber solche sind in einem großen, höchst gefährlichen Irrtum.
Wie nämlich Christus den Taubstummen in
unserem Evangelium nicht nur freundlich aufnahm und ihn damit seiner Gnade
versicherte, sondern wie er ihn auch, so zu sagen, in seine Kurz nahm, ihn von
allen seinen Gebrechen wirklich heilte, ihm Gehör und Sprache wiedergab und
einen gesunden Menschen aus ihm machte, so will Christus allen Menschen nicht
nur ihre Sünden vergeben, sondern sie auch von ihren Sünden befreien, sie nicht
nur aus Gnaden für gerecht erklären, sondern auch wahrhaft gerecht machen,
nicht nur ihr Herz trösten und beruhigen, sondern es auch reinigen und
heiligen, sie nicht nur mit Gott versöhnen, sondern auch wieder mit Gott
vereinigen, sie nicht nur Gott angenehm, sondern Gott ähnlich machen, kurz, das
ganze verlorene Ebenbild Gottes in ihnen wieder herstellen, sie zurückführen in
den Stand der Unschuld, sie an Leib und Seele vollkommen gesund machen und sie
so endlich doch zu dem seligen Ziel bringen, für welches sie Gott von Ewigkeit
bestimmt und in das Dasein gerufen hat.
Das Erste, was Christus an dem Sünder tun
muss, ist freilich dies, dass er ihm seine Sünden vergibt, denn kein Mensch
kann selbst für seine Sünden büßen und sie wieder gut machen. Täte aber
Christus mit der Sünde nichts weiter, als dass er sie vergäbe, so wäre er kein
vollkommener Seligmacher; ließe er die Menschen in der Sünde, so ließe er sie
auch in der Unseligkeit; zu wahrer Seligkeit gehört notwendig auch, dass die
Sünde wirklich in ihnen aufgehoben, ausgetilgt, zerstört und vernichtet werde.
Sobald daher ein Mensch an Christus von ganzem Herzen glaubt, so vergibt
Christus einem solchen Menschen nicht nur alles eine Sünde, sondern er gibt ihm
auch den Heiligen Geist, der nun gegen die Sünde im Fleisch streitet und das
Herz je mehr und mehr davon reinigt. Sobald daher ein Mensch Christi Gnade
annimmt, so verliert auch die Sünde in ihm die Herrschaft; der Hass gegen die
Sünde ist gleichsam der erste Zug von dem göttlichen Ebenbild, das Christus in
dem Menschen wiederherstellt. Dieser Hass gegen die Sünde offenbart sich aber
darin, dass der Mensch täglich seine begangenen Sünden bereut, beklagt, beweint
und sich deswegen vor Gott und Menschen demütigt; dass er aber auch gegen alles
ferne Sündigen betet, über die Versuchung zur Sünde wacht, auf die leisesten
Regungen der Sünde in seinem herzen merkt, sich gegen die Sünde, auch gegen
seine liebste, gegen seine Schoßsünde streitet und mit aller Macht danach
trachtet, von jeder Sünde befreit zu werden. So tut jeder, dem die Sünden durch
Christus wahrhaft vergeben sind, und wer in diesem Trachten, von seinen Sünden
ganz loszukommen, nicht steht, der steht auch gewiss nicht in der Gnade
Christi. Denn wem Christus Gnade gibt, dem gibt er auch Kraft, wenn er
Vergebung der Sünde schenkt, dem gibt er auch Hass gegen die Sünde und Eifer im
Kampf gegen sie. Wen Christus, wie den Taubstummen, gnädig aufnimmt, an dessen
Seelengebrechen beginnt er dann auch seine Heilung. Wer aber von Christus bloß
Vergebung der Sünde haben, aber manche Sünde noch behalten und von Christus
nicht ganz davon geheilt werden will, der macht Christus zu einem Sündendiener,
der glaubt gar nicht an den wahren Christus, der hat einen falschen Christus
und wird mit seinem selbstgemachten Sündenchristus verloren gehen. O, wie viele
Tausende, die ohne täglichen Kampf gegen die Sünde dahingehen, werden sich
daher einst betrogen finden!
Doch zur Wiederherstellung des göttlichen
Ebenbildes gehört nicht nur, dass die Sünde im Menschen zerstört, sondern auch
dass der Mensch erneuert und geheiligt werde. Es ist wohl wahr, dass kein
Mensch eine Gerechtigkeit wirken kann, die vor Gott gilt; Christus hat daher
für uns das Gesetz erfüllen müssen, damit wir, wenn wir an ihn glauben, um
seinetwillen aus Gnaden für gerecht erklärt werden können. Wir dürfen aber
nicht denken, dass Christus durch seine Gnade das Gesetz aufhebe und dass wir
es nun nicht zu erfüllen brauchten. Das sei ferne! Das Gesetz ist der erklärte,
ewig unveränderliche Wille Gottes; dasselbe ist daher durch das Evangelium
keineswegs widerrufen worden; nicht nur von Christus, sondern auch von einem
jeden einzelnen Menschen muss es daher bis auf den kleinsten Buchstaben erfüllt
werden; und zu dieser endlichen, ganz vollkommenen Erfüllung des göttlichen
Gesetzes die Menschen wieder zu bringen, das ist eben der letzte Endzweck der
ganzen Erlösung Jesu Christi. Deutlich spricht er: „Ihr sollt nicht wähnen,
dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten zu aufzulösen. Ich bin
nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen. Denn ich sage euch wahrlich:
Bis dass Himmel und Erde vergehen, wird nicht vergehen der kleinste Buchstabe noch
ein Tüttel vom Gesetz, bis dass es alles geschehe. Wer nun eins von diesen
kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute so, der wird der Kleinste heißen
im Himmelreich; wer es aber tut und lehrt, der wird groß heißen im
Himmelreich.“ Daher spricht auch St. Paulus: „Wie? Heben wir denn das Gesetz
auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf.“
Christus schenkt daher zwar zuerst seine
Gesetzeserfüllung denen, die an ihn glauben, und macht sie so vor Gott aus
Gnaden gerecht, aber nicht darum, dass sie nun das Gesetz ungescheut übertreten
könnten, sondern vielmehr darum, damit sie als Kinder Gottes wieder zur
Erfüllung des Gesetzes willig und fähig werden und endlich wieder zu dem
vollkommenen Ebenbild Gottes kommen, zu welchem sie geschaffen wurden. Sind
Menschen begnadigt, dann wird ihnen auch zugerufen, wie es im Brief an die
Epheser heißt: „Erneuert euch im Geist eures Gemüts; und zieht den neuen
Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und
Heiligkeit.“ Ferner, wie es im Brief an die Kolosser heißt: „Zieht den alten
Menschen mit seinen Werken aus; und zieht den neuen an, der da erneuert wird zu
der Erkenntnis nach dem Ebenbild des, der ihn geschaffen hat.“
Hiernach prüft euch denn, liebe Zuhörer;
ihr sagt, dass ihr durch Christus gerecht seid, nämlich durch den Glauben.
Wohl! – aber bedenkt: Ist das bei euch wirklich geschehen, hat euch Christus
wirklich seine Gerechtigkeit geschenkt, so wird Christus in euch die sehnliche
Begierde geweckt haben, Gottes Gesetz auch selbst zu erfüllen, Gottes Wesen und
Willen wahrhaft zu erkennen, Gott über alles zu lieben und Gott in
rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit zu dienen; dann werdet ihr auch
von Christus ein neues Herz bekommen haben, das da Lust hat zu dem Gesetz des
HERRN und von seinem Gesetz zu reden begehrt Tag und Nacht. Habt ihr aber
keinen Eifer, Gottes Gesetz auch selbst zu erfüllen, so ist euer Glaube an
Christi Erfüllung ein fleischlicher Trost, denn wer Christi Gnade wahrhaft
ergreift, den verklärt sie auch je mehr und mehr in Gottes Bild.
2.
Doch, meine Lieben, dies alles wird uns
noch klarer werden, wen wir nun zweitens betrachten, dass die Wiederherstellung
des göttlichen Ebenbildes durch Christus erst in jenem Leben vollendet wird.
So gewiss es nämlich ist, dass Christus
durch seine Gnade seine Gläubigen schon hier von ihrer natürlichen Blindheit
heilt, das Auge ihres Geistes ihnen öffnet, ein himmlisches Licht in ihnen
anzündet und eine wahre Erkenntnis Gottes wieder in ihnen wirkt, so kommen sie
doch hier noch nicht ganz zu der Erkenntnis, welche der Mensch einst hatte, da
er noch das Ebenbild Gottes an sich trug. Auch die erleuchtetsten Christen
müssen bekennen: „Unser Wissen ist Stückwerk.“ So gewiss es ferner ist, dass
Christus durch seine Gnade seine Gläubigen schon hier von der Sünde reinigt,
ihnen ein neues Herz gibt und andere Menschen aus ihnen macht, Hass gegen die
Sünde, wahre Liebe Gottes und des Nächsten und Eifer in der Heiligung und in
allen guten Werken in ihnen wirkt, so wird doch hier ihr Wille nie so
geheiligt, wie er im Stand der Unschuld war; sie bringen es nie zur
Vollkommenheit; vollkommene Heiligung in diesem Leben ist ein Traum
verblendeter, hoffärtiger Schwärmer; jeder, auch der eifrigste Christ, muss mit
Paulus sagen: „Nicht, dass ich es schon ergriffen habe oder schon vollkommen
sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von
Christus Jesus ergriffen bin.“ So gewiss es ferner ist, dass diejenigen, welche
gerechtfertigt werden durch den Glauben, nun auch Frieden bekommen durch
unseren HERRN Jesus Christus; aber zu einem ungestörten Frieden kommen sie hier
nie, wie ihn die Menschen im Paradies genossen; gar oft müssen selbst Gläubige,
wenn sie ihren Glauben nicht fühlen, mit David seufzen: „Es ist kein Friede in
meinen Gebeinen.“ So gewiss es endlich ist, dass Christus seinen Gläubigen
schon sein Reich in dieser Welt zu einem Himmelreich macht, so müssen sie doch
gar sehr empfinden, dass sie noch im Land der Versuchung, der Tränen und des
Todes sind; auch die glaubensstärksten Christen müssen daher oft mit Paulus
bekennen: „Wir haben vielmehr Lust, außer dem Leib zu wallen und daheim zu sein
bei dem HERRN.“
Christi Kirche auf Erden ist zwar kein
Totenhaus; seine Gläubigen sind alle geistlich lebendig, aber es ist auch kein
Haus der Gesunden, sondern ein Krankenhaus, ein Hospital, in welchem jeder auf
vollkommene Gesundheit seiner Seele wartet. Christen haben hier nur die
Erstlinge der Garben Christi, die volle Ernte ist ihnen noch nicht gekommen.
Die Beschaffenheit des Gnadenreiches Christi hier ist das Grünen und Blühen des
Frühlings, die Jahreszeit der vollen Reife kommt erst mit dem ewigen Leben.
Aber wohl allen Christen! Einst wird sie
kommen. Wie Christus den Taubstummen in unserem Evangelium nicht nur zum Teil,
sondern vollkommen wieder herstellte, so wird er an allen, die an ihn glauben,
das Bild Gottes, zu welchem sie einst geschaffen waren, in jener Welt auch
vollkommen wieder herstellen, ja, dort werden die Erlösten durch seine Gnade
noch herrlicher glänzen, als sie geglänzt haben würden, wären sie nicht
gefallen.
Dort wird das Stückwerk des Wissens
aufhören und alle Erlösten Christi durchleuchtet sein mit dem Licht einer
vollkommenen Erkenntnis. Dort wird die Sünde gänzlich aufgehoben sein, und die
Erlösten Christi erfüllt sein mit vollkommener Liebe und in dem Schmuck
vollkommener Unschuld und Heiligkeit prangen. Dort werden auch die letzten
Keime der Furcht und Unruhe zerstört sein, und die Erlösten Christi einen
vollkommenen Frieden in der heiligsten vollkommensten Gemeinschaft mit Gott
genießen. Dort wird alles Leid zu Ende sein, und die Erlösten Christi wieder
eingegangen sein durch die erst verschlossenen, nun aber geöffneten Pforten
eines schöneren Paradieses, als ihnen einst auf Erden angewiesen gewesen war.
Dort wird auch der Tod nicht mehr sein, sondern ewiges Leben, ewige _Freude,
ewige Seligkeit vor Gottes Angesicht. Kurz, dort werden die Erlösten Christi
wieder ganz erwachen nach Gottes Bild und sie werden sehen und erfahren, dass
Christus durch seine Erlösung eine schönere Welt wieder aufgehabt habe, als die
war, die durch die Sünde verderbt wurde. Hat es daher bei der ersten Schöpfung
geheißen: „Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe da, es war
sehr gut“, so werden noch viel mehr einst alle Erlösten bei dem Anblick der
zweiten Schöpfung ausrufen: „Der HERR hat alles wohlgemacht!“
Sollte wohl jemand unter uns sein, der
nicht wünschte, einst auch mit zu dem vollkommenen Bild Gottes wieder zu
erwachen? Gewiss keiner. Nun wohlan! Wollt ihr dies, so lasst Christus schon
hier eure Seelen heilen. Sei keiner so töricht, nur Vergebung und nicht auch
Befreiung von Sünden, nur Gerechterklärung und nicht auch Heiligung bei
Christus zu suchen! Dies ist und bleibt ja unzertrennlich: Wer von Christus
will begnadigt sein und bleiben, der muss sich auch von ihm heiligen lassen.
Wer daher hier Gottes Bild nicht im Anfang an sich wieder herstellen lässt, der
wird auch dort nicht zu Gottes Bild erwachen in der Vollendung. Amen.
Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus
Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit
euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
„Meister, was muss ich tun, dass ich das
ewige Leben erbe?“ So fragt in unserem heutigen Evangelium ein
Schriftgelehrter Christus. Diese Frage treffen wir auch an mehreren anderen
Stellen des Neuen Testaments an. Im zweiten Kapitel der Apostelgeschichte wird
erzählt, als Petrus in seiner Pfingstpredigt endlich den versammelten Juden
bezeugt hatte, dass Gott den Jesus, den sie gekreuzigt hat5ten, zu einem HERRN
und Christus gemacht hat, da gingen ihnen diese Worte durch das Herz und sie
sprachen: „Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?“ nämlich damit wir
selig werden? Im neunten Kapitel der Apostelgeschichte wird uns ferner erzählt,
als Saulus, mit Drohen und Morden schnaubend, auf dem Weg nach Damaskus war, um
auch da die Christen zu verfolgen, da umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom
Himmel, der HERR erschien ihm und rief ihm zu: „Ich bin Jesus, den du
verfolgst“; Saulus aber, zur Erde fallend, rief nun mit Zittern und Zagen:
„HERR, was willst du, dass ich tun soll?“ Endlich lesen wir im 16. Kapitel
desselben Buches, als sich der Kerkermeister zu Philippi in Verzweiflung selbst
umbringen wollte und Paulus ihm zurief: „Tue dir nichts Übles“, da fiel
derselbe Paulus und Silas zitternd zu Füßen mit den Worten: „Liebe Herren, was
soll ich tun, damit ich selig werde?“
Diese Frage ist, meine Lieben, ohne Zweifel
die wichtigste und nötigste, welche ein Mensch nur tun kann. Eben dadurch
unterscheidet sich ja der Mensch von dem Tier, dass seine Erwartungen und
Hoffnungen über diese kurze irdische Leben hinausgehen; wie kann daher ein
Mensch törichter handeln, als wenn er nur fragt, was er tun müsse, um hier eine
kurze Zeit glücklich zu sein, wenn er aber um sein Schicksal in einer
unendlichen Ewigkeit unbekümmert ist! Ein solcher Mensch, mag er sonst noch so
klug für dieses Leben handeln, ist zum vernunftlosen Tier herabgesunken,
verdienst selbst den Namen eines Menschen nicht mehr, geschweige denn den eines
Christen.
So wichtig und nötig aber die Frage: „Was
muss ich tun, dass ich das ewige Leben erbe?“ für einen jeden Menschen ist,
so selten wird sie im Ernst gestellt. Die Spötter und Lästerer stellen sie
nicht, weil sie sich dieser Frage schämen; die in das Irdische Versunkenen
stellen sie nicht, weil sie über den Sorgen oder Gütern oder Freuden dieser
Welt sie vergessen; die meisten anderen aber, die sich noch mit dieser Frage
beschäftigen, tun sie doch nicht ernstlich, weil sie es in ihren Gedanken nicht
bedürfen; sie halten die Antwort darauf für eine allbekannte Sache, die sie
schon in ihrer Schule gelernt hätten, die ihnen daher schon von Jugend auf
bekannt und die daher wenigstens für sie völlig überflüssig sei. Noch andere
aber fragen zwar nicht ohne allen Ernst nach dem Weg zum ewigen Leben, aber sie
lassen hierbei das Wort Gottes, leider! nicht allein ihres Fuße Leuchte und ein
Licht auf ihrem Weg sein; sie machen sie daher die Antwort auf diese
allerwichtigste Frage selbst oder nehmen doch in falschem Vertrauen die Antwort
von Menschen an, und verfehlen so trotz alles Eifers, den sie anwenden, das
selige himmlische Ziel.
O, möchte ich wenigsten von euch
allen, die ihr hier heute wieder erschienen seid, das Wort Gottes zu hören, die
gute Hoffnung haben dürfen, dass ihr schon jene wichtige Frage euch ernstlich
vorgelegt und die Antwort darauf in Gottes Wort gesucht und gefunden und zu
eurer Seligkeit angewendet habt und noch täglich dazu anwendet! Wie viele sind
aber unter uns, die schon deswegen die Heilige Schrift und andere christliche
Bücher mit ernstlichem Seufzen, Bitten und Flehen zu Gott gelesen haben und
noch immer lesen, um darauf auch für ihre Person zu erfahren, was sie
tun müssten, um das ewige Leben zu erlangen? Wie viele sind unter uns, die
jeden Sonntag mit dieser stillen Frage in ihren Herzen in das Haus des HERRN
kommen? Wie viele sind unter uns, die deswegen große Sorge in ihren Seelen tragen, dass sie nur auf dem
Weg nach der Ewigkeit nicht irre gehen, dass sie nur in Betreff ihrer
Hoffnungen für jenes Leben sich nicht täuschen, dass sie mit einem Wort nur ihrer Seligkeit gewiss werden,
sein und bleiben könnten? Müssen es nicht vielleicht gar manche unter uns
vielmehr, wenn sie aufrichtig sein wollen, eingestehen, dass ihnen die Fragen:
Was muss ich tun, dass ich reich werde, dass ich zu einem Haus oder zu einem
Stück Land oder zu einem einträglichen Geschäft komme, oder doch, dass ich mein
tägliches Brot verdiene – dass ihnen diese Fragen bisher wichtiger gewesen
seien und mehr Bekümmernis gemacht haben als die Frage: „Was muss ich tun,
dass ich das ewige Leben erbe?“
Da nun diese Frage für uns alle, auch für
diejenigen, die sie längst ernstlich erwogen haben, von der allerhöchsten
Wichtigkeit ist und bleibt, so lasst uns dieselbe bei Gelegenheit unseres
heutigen Evangeliums in dieser Stunde wieder einmal in ernstliche Erwägung
ziehen.
Luks 10,23-37: Und er wandte sich zu seinen Jüngern
und sprach besonders: Selig sind die Augen, die da sehen, was ihr seht. Denn
ich sage euch: Viele Propheten und Könige wollten sehen, was ihr seht, und
haben’s nicht gesehen; und hören, was ihr hört, und haben’s nicht gehört. Und
siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister,
was muss ich tun, dass ich das ewige Leben erbe? Er aber sprach zu ihm: Wie
steht im Gesetz geschrieben? Wie liest du? Er antwortete und sprach: Du sollst
Gott, deinen HERRN, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen
Kräften und von ganzem Gemüt und deinen Nächsten wie dich selbst. Er aber
sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tue das, so wirst du leben. Er aber
wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein
Nächster? Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von
Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Mörder; die zogen ihn aus und
schlugen ihn und gingen davon und ließen ihn halbtot liegen. Es begab sich aber
ungefähr, dass ein Priester diese Straße hinabzog; und da er ihn sah, ging er
vorüber. Desgleichen auch ein Levit: Da er kam zu der Stätte und sah ihn, ging
er vorüber. Ein Samariter aber reiste und kam dahin; und da er ihn sah,
jammerte ihn sein, ging zu ihm, verband ihm seine Wunden und goss drein Öl und
Wein und hob ihn auf sein Tier und führte ihn in die Herberge und pflegte ihn.
Am anderen Tag reiste er und zog heraus zwei Denare und gab sie dem Wirt und
sprach zu ihm; Pflege ihn; und wenn du was mehr wirst dartun, will ich dir’s
bezahlen, wenn ich wiederkomme. Welcher dünkt dich, der unter diesen dreien der
Nächste sei gewesen dem, der unter die Mörder gefallen war? Er sprach: Der die
Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So gehe hin und tue
desgleichen!
Aufgrund dieses verlesenen Evangeliums
lasst mich euch jetzt zeigen:
Was muss ein Mensch tun, dass er das ewige Leben erbt?
Bei
genauer Untersuchung werden wir finden, dass uns unser Evangelium hierüber
zweierlei lehrt:
1.
Der Mensch muss
erkennen, dass er hierzu selbst nichts tun kann,
2.
Er muss an den
glauben, der für ihn getan hat, was er tun sollte.
O HERR Gott, wenn du nicht das Gedeihen
dazu gibst, so ist das Pflanzen und begießen deiner Diener fruchtlos und
verloren, darum bitten wir dich, gib du jetzt deinem Wort Kraft, dass es
ausrichte, wozu du es sendest. Lass diesen Seelen den weg zum ewigen Leben
jetzt nicht nur einfältig und deutlich gezeigt werden, sondern tritt durch dein
Wort auch jetzt mit deinem Heiligen Geist vor eine jede hin, klopfe bei einer
jeden an, suche eine jede in Gnaden heim und erleuchte, erwecke und bewege eine
jede, dass wir alle nicht nur den rechten Weg kennen lernen, sondern ihn auch
betreten und darauf bleiben, bis wir endlich, vom ewigen Tod und von der Hölle
vollkommen erlöst, eingehen zum Leben und dich dort loben und preisen von
Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
1.
Dass sich der Mensch das ewige Leben nicht
selbst verdienen könne, dass dasselbe vielmehr ein Geschenk der freien Gnade
Gottes ist, dies steht auf allen Blättern der Heiligen Schrift so klar
geschrieben, dass es kein aufmerksamer Bibelleser leugnen kann. Es kommen darin
jedoch auch nicht wenig Aussprüche vor, die auf den ersten Anblick das
Gegenteil zu lehren scheinen, die aber, wenn sie genauer nach ihrem
Zusammenhang untersucht werden, die Lehre von der Seligkeit aus Gnaden nicht
weniger bestimmt enthalten. Gott redet offenbar darum in seinem Wort oft, so zu
sagen, verdeckt, um uns damit zu reizen, in seinem Wort desto ernstlicher zu
forschen, um die stolzen Geister, welche sein Wort verdachten und meistern, zu
strafen. Denn diesen werden solche scheinbar widersprechenden Reden der Schrift
zum Anstoß, ja, ein Geruch des Todes zum Tode.
Zu diesen Schriftstellen gehört unser
heutiges Evangelium. Auch dieses ist daher schon vielen Schriftfeinden ein
Geruch des Todes zum Tode geworden. Darin scheint nämlich Christus mit klaren
Worten zu lehren, dass sich der Mensch das ewige Leben durch die Liebe, also
durch eigene Werke, verdienen könne. Als nämlich einst, erzählt Lukas, ein
Schriftgelehrter Christus die Frage vorlegte: „Meister, was muss ich tun,
dass ich das ewige Legen erbe?“ so sprach Christus zu ihm: „Wie steht im
Gesetz geschrieben? Wie liest du?“ Der Schriftgelehrte antwortet: „Du
sollst Gott, deinen HERRN, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von
allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.“
Was antwortet nun Christus hierauf? Er spricht: „Du hast recht geantwortet;
tue das, so wirst du leben.“ Wie konnte Christus so antworten? Widerspricht
er sich hier nicht offenbar selbst, da er doch an anderen Stellen vielmehr
spricht: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater
außer durch mich. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er
gleich stürbe“?
Die Feinde des Glaubens benutzen freilich
Christi Rede in unserem Evangelium dazu, zu beweisen, dass auch nach der
Schrift nicht das Glauben, sondern das Tun den Menschen selig mache. Sie sagen,
spricht es hier Christus nicht klar und deutlich aus, dass auf die Frage: „Was
muss ich tun, dass ich das ewige Leben erbe?“ dies die rechte Antwort sei:
Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst? –
So scheint es freilich bei einer flüchtigen
Betrachtung; aber lasst uns unseren Text genau in seinem Zusammenhang
betrachten. Christus hatte, wie Lukas erzählt, vorher seine Jünger selig
gepriesen, dass sie ihn sähen und hörten. Unwillig hatte diese
Seligpreisung ein Schriftgelehrter mit angehört, Er mochte dabei in seinem
Herzen gedacht haben: Wie darf dieser armselige Jesus gerade diejenigen selig
preisen, die ihn sehen und hören? Ist es denn nicht genug, Mose und sein
göttliches Gesetz zu hören? Was bedarf ich dieses Menschen, wenn ich tue, was
im Gesetz geboten ist? Als daher dieser Christus die Frage vorlegte: „Was
muss ich tun, dass ich das ewige Leben erbe?“ so geschah dies nicht etwa
aus einem redlichen Verlangen, die Wahrheit zu erfahren, nicht aus Bekümmernis
um seine Seligkeit; Lukas sagt vielmehr ausdrücklich, der Schriftgelehrte habe
Christus mit dieser Frage nur versuchen wollen; er wollte nämlich sehen,
ob Christus so reden würde, dass er ihn hernach als einen Feind und Lästerer
des göttlichen Gesetzes anklagen könne. Christus, der ihm in das Herz sah,
antwortete ihm daher, wie er gefragt hatte, er wies ihn an das Gesetz; und als
er die Hauptsumme desselben angegeben hatte, so antwortet Christus: „Du hast
recht geantwortet; tue das, so wirst du leben.“ Hiermit hatte Christus die
vollkommenste Wahrheit gesagt, denn es ist allerdings wahr, würde ein Mensch
das Gesetz vollkommen halten, so würde er dadurch das ewige Leben gewiss
erlangen. Wo spricht aber Christus in unserem Evangelium davon, dass es
irgendeinen Menschen in der Welt gebe, der diesen Weg zum ewigen Leben nun auch
gehen könne? Davon spricht Christus kein Wort; er spricht wohl davon, dass der
Mensch das Gesetz halten soll, aber nicht, dass er es kann;
zwischen Können und Sollen ist aber ein so weiter Unterschied wie zwischen
Himmel und Erde. Wer daher aus unserem Evangelium beweisen will, dass der
Mensch durch seine Werke selig werden könne, der nimmt diese Lehre nicht aus
unserem Evangelium, sondern legt sie vielmehr hinein.
Aber, werdet ihr vielleicht sagen, kann der
Mensch nicht durch das Halten des Gesetzes selig werden, warum sollte denn dann
Christus zu dem Schriftgelehrten gesagt haben: „Tue das, so wirst du leben?“
Warum sagt er nicht vielmehr: „Glaube an mich, so wirst du eben?“
Christus tat dies, meine Lieben, aus großer Weisheit, um den Schriftgelehrten
erst zu der Erkenntnis zu bringen, dass er zur Erwerbung des ewigen Lebens
nichts tun kann. Denn hätte Christus zu ihm geradezu gesagt, du kannst durch
das Gesetz nicht selig werden, sondern allein durch den Glauben an mich, so
würde ihn der Schriftgelehrte verlacht haben, denn dieser meinte ja schon,
alles getan zu haben, was er zu tun schuldig sei. Als aber Christus zu ihm
sagte: „Tue das, so wirst du leben“, das heißt, versuche es nur, das
Gesetz vollkommen zu halten, so musste er gerade dadurch in Verlegenheit
geraten und endlich durch die Erfahrung überzeugt werden, dass er dies nicht
kann. Dass dies die rechte Auslegung ist, sehen wir unwidersprechlich daraus, dass
es im Folgenden heißt: „Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach
zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?“ Ist es hieraus nicht offenbar, dass
Christus jene Worte gesagt hatte, um dem Schriftgelehrten alle Hoffnung, dass
er sich selbst rechtfertigen könne, zu benehmen, und dass dies auch die Ursache
war, warum Christus in dem Folgenden das Gleichnis vom barmherzigen Samariter
ihm vorlegte? Ohne Zweifel. Christus wollte ihm hiermit zeigen, dass er selbst
das Gebot der Nächstenliebe nicht erfüllt habe, viel weniger das Gebot der
Liebe Gottes über alles; dass er also auf diesem Weg das ewige Leben nimmer
langen könne und sich daher nach einem anderen Weg umsehen müsse.
Zu dieser Erkenntnis aber, nichts zum
Erwerb des ewigen Lebens selbst tun zu können, zu welcher Christus den
Schriftgelehrten bringen musste, muss jeder Mensch kommen. Diese Erkenntnis ist
die erste Stufe auf der Leiter, auf welcher der Mensch den Himmel allein
ersteigen kann, und die enge Pforte, durch welche ein jeder Mensch, der das
ewige Leben erlangen will, hindurchdringen muss. Wer daher zu dieser Erkenntnis
nicht kommt, der kommt auch nicht zum ewigen Leben.
Meint aber nicht, meine Lieben, dass es
eine so leichte und gewöhnliche Sache sei, dass ein Mensch erkenne, nichts
selbst zur Erlangung des ewigen Lebens tun zu können. Es scheint freilich
nichts leichter zu sein, als dass ein Mensch gänzlich an allem seinem Tun
verzagte, aber es scheint nur so leicht. So blind der Schriftgelehrte war, dass
er meinte, sich selbst rechtfertigen zu können, so blind sind alle
Menschen von Natur. Von Natur hofft jeder Mensch, mit seiner Scheinliebe gegen
Gott und seinen Nächsten einst auskommen zu können. Selbst die offenbarsten
Übertreter des Gesetzes trösten sich gemeiniglich doch damit, das Gesetz doch
wenigsten einigermaßen gehalten zu haben, und selbst die, welche mit dem Mund
sagen, dass sie ihre Zuversicht allein auf Christus setzen, bauen meist, ohne
es zu ahnen, im tiefsten Grund ihres Herzens ihre Seligkeit allein auf ihr
Christentum. Das Herz des Menschen ist nach Gottes Wort ein trotziges und
verzagtes Ding. Entweder baut daher der Mensch auf seine Werke aus Trotz, das
heißt, aus Stolz und Hoffart, weil er sich vor Gott nicht demütigen und kein
Bettler sein will; oder aus Verzagtheit, weil er sich nicht traut, aus bloßer
Gnade das große Gut des ewigen Lebens zu hoffen und zu erlangen. Es gibt nicht
wenige, welche die Lehre zugeben, dass der Mensch nichts zum Erwerb des ewigen
Lebens beitragen könne, und die dennoch, ohne es zu wissen, von den Banden der
Selbstgerechtigkeit unauflöslich gebunden sind. Was ist die Quelle des
schwärmerischen Treibens und Laufens und Meinens der Sekten anderes als die
Selbstgerechtigkeit? Darum betet, darum kämpft, darum ringt man; man will sagen
können: Das oder das habe ich getan, so oder so habe ich erst gebetet, gerungen
und gekämpft, darum glaube ich auch nun, dass ich ein Christ und ein Erbe bin
des ewigen Lebens.
Glaubt es aber, meine Lieben, dies alles
ist noch nicht der Anfang des wahren Christentums, ja, nichts als
verfeinertes Pharisäertum. Soll ich euch den Anfang des rechten Weges zum
ewigen Leben mit kurzen Worten beschreiben, so ist es dieser: Der Mensch muss
sich in die Schule des Heiligen Geistes begeben; ihn muss er nämlich anrufen,
dass er ihm doch lebendig offenbare, wie er das göttliche Gesetz nicht
erfüllen, Gott nicht über alles und seinen Nächsten nicht wie sich selbst
lieben und zur Erwerbung des ewigen Lebens gar nichts tun könne. Wem es mit
diesem Gebet ein Ernst ist und wer, damit er zur lebendigen Erkenntnisseines
verderbten Herzens komme, auch das Wort Gottes treu gebraucht, dem wird der
Heilige Geist bald sein Herz auftun und seine Seele mit seinem himmlischen
Licht erleuchten. Kommt nun ein Mensch endlich dahin, dass er sich von allen
seinen vermeintlichen guten Werken verlassen sieht, wie sich ein Mensch von
aller menschlichen Hilfe verlassen sieht, der nicht schwimmen kann und der aus
dem Schiff ins Meer geworfen ist; kommt es mit ihm dahin, dass er mit Schrecken
einsieht, wenn ihm Gott nicht seine Gnadenhand reiche, so müsse er notwendig
ewig verloren sein; scheint es ihm dann, als sei es mit ihm aus, als müsse er
zur Hölle sinken: Dann gerade hat die Stunde der Rettung und des Heils für ihn
geschlagen, dann ist er auf dem rechten Weg, dann ist er in dem rechten
Zustand, in welchem sich Gott seiner nicht nur erbarmen will, sondern auch
erbarmen kann.
Doch dann ist noch eins nötig, und davon
lasst mich nun zweitens zu euch sprechen.
2.
Das Nächste, was, meine Lieben, Christus
mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter beabsichtige, war offenbar dies:
Der Schriftgelehrte sollte sich nach diesem Vorbild prüfen und daraus erkennen,
dass es mit seiner Nächstenliebe keineswegs so stehe, wie er sich bisher
eingebildet hatte, dass nämlich seine Nächstenliebe keineswegs rein ist, und
dass er daher damit nicht vor Gott bestehen könne. Ohne Zweifel hatte aber
Christus mit jenem schönen Gleichnis noch eine andere Absicht. Hatte der
Schriftgelehrte aus dem Beispiel des barmherzigen Samariters zu seiner
Beschämung sein liebeleeres, eigennütziges, parteiisches, kaltes Herz kennen
gelernt, so sollte er sodann durch dasselbe Beispiel zur Erkenntnis der Liebe
Christi geleitet werden. Denn ein rechter wahrer barmherziger Samariter ist
kein Mensch, das ist allein Christus. Dieser sah das ganze menschliche
Geschlecht, das Gott nach seinem Ebenbild geschaffen hatte, von dem höllischen
Räuber und Mörder, dem Satan, überfallen, nackt ausgezogen und in dem Blut
seiner Sünden hilflos liegen. Kein Mensch, ja, keine Kreatur konnte den
gefallenen Menschen helfen; sie mussten an ihnen, wie jener Priester und Levit,
vorübergehen. Aber der Sohn Gottes ließ sich unseres Elendes jammern; er kann
in die Welt zu uns, und indem er für uns litt und starb, verband er die Wunden
unserer Sünden; indem er uns sein Wort verkündigen ließ, goss er darein
gleichsam das Öl und den Wein seines himmlischen Trostes; und indem er uns
durch die heilige Taufe in sein Gnadenreich aufnahm, so führte er uns damit in
die Herberge seiner heiligen Kirche, wo wir nun mit Wort und Sakrament
verpflegt werden sollen, bis wir entweder durch einen seligen Tod ewig genesen,
oder bis er sichtbar wiederkommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten
und die Seinen aufzunehmen in sein seliges Himmelreich.
Seht hieraus Christi unendliche
Sünderliebe. Obgleich der Schriftgelehrte ihn nur heuchlerisch nach dem Weg zum
ewigen Leben gefragt hatte, in der Absicht, ihn zu versuchen, so antwortete ihm
dennoch Christus so, dass er daraus nicht nur seinen Irrtum, sondern auch den
Weg des Heils in Christus recht wohl hätte erkennen können. Hätte der
Schriftgelehrte sich nicht gegen Christi Wort verstockt, so würde er jetzt als
ein Erlöster und Auserwählter im Himmel triumphieren. Aber da er sich erst
nicht zu einer lebendigen Erkenntnis seiner Ohnmacht bringen ließ, so kam er
auch nicht durch das schöne Gleichnis vom barmherzigen Samariter zu einer
lebendigen Erkenntnis der Gnade, durch welches ihm geholfen werden sollte und
konnte.
Möchte dies bei keinem unter uns auch heute
der Fall sein!
Was ist aber nach jenem Gleichnis in
unserem Evangelium das Zweite, was ein Mensch tun muss, damit er das ewige
Leben erbe? Offenbar nichts anderes, als dieses, dass er sich als ein Hilfloser
und Elender dem himmlischen barmherzigen Samariter überlasse; dass er nämlich
an Christus glaube, der schon für ihn getan hat, was er tun sollte.
So wichtig und unerlässlich nämlich die
Erkenntnis seiner Ohnmacht ist, um das ewige Leben zu erlangen, so ist diese
Erkenntnis doch nicht das Wichtigste; die Hauptsache ist der Glaube. Durch jene
Erkenntnis soll der Mensch erst nur leer von dem eigenen falschen Trost werden,
durch den Glauben wird er dann erfüllt mit dem wahren Trost; durch seine
Erkenntnis soll der Mensch erst nur Gott die Ehre geben lernen, von ihm allein
Gnade zu bitten, durch den Glauben soll er sie ergreifen; durch jene Erkenntnis
soll er als ein Kranker zum Arzt getrieben werden, durch den Glauben aber soll
er, als durch die rechte Arznei, geheilt werden; durch jene Erkenntnis soll er
in seinen Gedanken an seiner Seele nackt ausgezogen werden und sich vor Gott
schämen lernen; durch den Glauben aber soll er mit den Kleidern des Heils und
der Gerechtigkeit angetan werden. Durch jene Erkenntnis soll er hungrig und
durstig, mit Sehnsucht und Verlangen der Seligkeit erfüllt werden, durch den
Glauben aber soll die Seligkeit ihm zugeeignet werden.
Auch hierbei werden vielleicht manche
denken: O, wenn es hauptsächlich auf den Glauben ankommt, dass man das ewige
Leben erlange, so ist es eine leichte Sache! Aber, meine Lieben, so leicht es
ist, sich einen Scheinglauben, nämlich einen bloßen Gedanken vom Glauben zu
machen, so schwer ist es, wahrhaftig zu glauben.
Der wahre Glauben ist eine lebendige,
gewisse Zuversicht auf Gottes Gnade in Christus, für deren Gewissheit man
bereit ist zu sterben; er ist ein himmlisches Licht, das Christus im Herzen
verklärt; er ist eine göttliche Kraft, sich auf Christus so fest zu verlassen,
dass man Christus nicht fahren lässt, ob auch alle Welt, ja, der Tod und alle
Teufel gegen den Gläubigen wüten. Der wahre Glaube ist ein heiliges,
geheimnisvolles Band, wodurch der Gläubige mit Christus auf das innigste
vereinigt wird, wie die Rebe mit dem Weinstock. Der wahre Glaube ist ein
göttlicher Keim, aus welchem in dem Menschjen eine ganz neue, göttliche und
heilige Gesinnung hervorwächst, die sich in einem ganz neuen, wahrhaft
gottseligen Leben, in Hass und steter Bekämpfung der Sünde, in Überwindung der
Welt, in Verleugnung des eigenen Willens und in einem wahren Eifer in der
Heiligung vor aller Welt kund tut.
Einen solchen Glauben bekommt auch der
Mensch allein in der Schule des Heiligen Geistes, und niemand bleibt in diesem
wahren, lebendigen Glauben, der nicht zugleich in der Schule des Heiligen
Geistes bleibt, wer nämlich seinen Glauben nicht durch fleißigen Gebrauch des
Wortes Gottes und der heiligen Sakramente und durch tägliches Gebet zu stärken
und zu erhalten sucht. –
So habe ich euch denn den rechten Weg zum
ewigen Leben aus Gottes Wort kurz gewiesen. So geht denn hin und tut so. Lernt
eure Ohnmacht und Christi Gnadenallmacht lebendig erkennen, in dieser
Erkenntnis euch üben und stärken und darin verharren bis an euer Ende. Meint
nicht, das alles seien euch alte bekannte Sachen, die ihr längst wüsstet; wer
so denkt, der hat gewiss nichts, als die Buchstaben der Erkenntnis, aber seine
Seele ist noch in Finsternis und in Sünden tot. Ein Christ, der wirklich auf
dem Weg zum ewigen Leben ist, der hat an der Anweisung, diesen Weg zu gehen,
bis an seinen Tod zu lernen; er bleibt des Wortes begieriger Schüler, und ihm
ist daher immer, als habe er kaum angefangen; er wird des Wortes nie
überdrüssig; das alte Wort ist ihm daher auch immer neu, immer teuer, köstlich
und lieblich.
Möge denn Jesus Christus, der barmherzige
Samariter, auch einen jeden unter uns mit Erbarmen ansehen; uns alle zum Gefühl
unserer brennenden Sündenwunden bringen, und unsere Seelen heilen durch sein
Wort und seine heiligen Sakramente, einst aber uns heimholen in seine
himmlische Herberge. Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN! Amen.
In demselben, unserem teuren Heiland,
herzlich geliebte Zuhörer!
Die Heilige Schrift berichtet uns zwar,
dass Gott, nachdem die Welt 2000 Jahre lang gestanden hatte, von dieser Zeit an
immer ein bestimmtes Volk erwählt habe, welchem er sich besonders offenbarte
und durch welches er die reine wahre Religion erhalten und fortpflanzen wollte,
aber nichtsdestoweniger berichtet uns die Heilige Schrift auch dieses, dass es
immer auch außer dem von Gott erwählten Volk Menschen gegeben habe, welche
ebenfalls den rechten Gott erkannt, an ihn geglaubt, ihm treu gedient und daher
auch das ewige Leben erlangt haben. Ja, die Schrift berichtet uns selbst
dieses, dass es außerhalb der sichtbaren rechtgläubigen Kirche Gottes oft
gerade die allertreuesten gläubigen Bekenner gegeben habe.
Durchlaufen wir das ganze Bibelbuch, so
werden wir dies bestätigt finden. Im 12. Kapitel des ersten Buches Mose wird
uns erzählt, dass Gott den Abraham und seine Nachkommenschaft zu seinem Volk
und zu seiner Kirche erwählt hat; man sollte daher meinen, dass es damals außer
Abraham und seiner Familie keine wahren Gläubigen auf Erden gegeben habe müsse.
Aber keineswegs. Schon in dem zweiten folgenden, nämlich im 14. Kapitel, wird
uns erzählt, dass, als Abraham einst aus einem Krieg zurückkehrte, ihm ein König
von Salem entgegenkam, mit Namen Melchisedek, von dem es heißt: „Er war ein
Priester Gottes des Höchsten.“ Also gab es damals auch außer Abrahams Familie
und sichtbarer Kirche noch immer wahre Knechte des wahren Gottes. Ja,
Melchisedek wird sogar über Abraham gestellt, denn es wird von ihm
gesagt, er habe Abraham gesegnet und dieser habe ihm den Zehnten
von aller seiner Habe gegeben.
Als ferner das Volk Israel als das
auserwählte Volk Gottes aus Ägypten ausgezogen war, die herrlichsten
Offenbarungen und Taten Gottes gesehen und die wunderbarsten göttlichen
Errettungen erfahren hatte und dennoch gegen den HERRN murrte und sich nach dem
heidnischen Ägypten zurücksehnte, siehe! da kam auf dem Weg durch die Wüste ein
Heide mit Namen Jethro zu ihnen, und als dieser hörte, was Gott an Israel getan
hatte, bekehrte er sich sogleich von Herzen zu dem wahren Gott, brach in lautes
Lob dieses Gottes aus, brachte ihm seine Opfer dar und sprach unter anderem:
„Nun weiß ich, dass Jahwe größer ist als alle Götter.“
Als ferner die Predigten des Propheten Jona
im Reich Israel unter dem Volk der wahren sichtbaren Kirche fast ganz ohne
Frucht geblieben waren, da sandte Gott diesen Propheten in die große heidnische
und gottlose Stadt Ninive, derselben Buße zu predigen. Und siehe! so fruchtlos
des Jona Bußpredigten unter dem eigentlichen Volk Gottes gewesen waren, so
herrlichen Erfolg hatten sie in jener Stadt. Alle Einwohner der Stadt, vom
König bis zum geringsten Bettler herab, taten Buße in Sack und Asche.
Gehen wir nun weiter in die Schriften des
Neuen Testaments, so finden wir wieder dasselbe. Es wird uns nämlich darin
erzählt, Christus kam in sein Eigentum, in seine auserwählte Kirche, und sie,
die Seinen, nahmen ihn nicht auf, nur wenige glauben an ihn; während oft gerade
Heiden oder solche, die aus irrgläubigen Sekten kamen, den allerstärksten
Glauben offenbarten. Wer war es z.B. von dem der HERR ausrief: „Wahrlich, ich
sage euch, solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden!“? Es war nicht
ein rechtgläubiger Jude, sondern der heidnische Hauptmann von Kapernaum. Und
wer war die Frau, über deren Glauben selbst der HERR sich verwunderte, so dass
er ihr zurief: „O Frau, dein Glaube ist groß! Dir geschehe, wie du willst“? Es
war nicht eine Israelitin, sondern eine heidnische kanaanäische Frau. Und wer
war endlich jener Barmherzige, von welchem das Evangelium des vorigen Sonntags
erzählte, der sich des unter die Mörder Gefallenen so herzlich annahm, während
der Priester und Levit aus der rechtgläubigen Kirche harten Herzens an dem
Elenden vorüberging? Es war ein Samariter, ein Mensch aus einer irrgläubigen
Gemeinschaft.
Ist es nicht merkwürdig, dass die Heilige
Schrift selbst so häufig ausdrücklich berichtet, dass oft gerade solche, die
nicht in der äußerlichen Gemeinschaft der wahren sichtbaren Kirche sich
befanden, den stärksten Glauben und die brünstigste Liebe gezeigt haben? Warum
mag uns dies wohl Gott in seinem Wort vorhalten? Etwa darum, dass wir es für
gleichgültig ansehen sollen, zu welcher Religion und Kirche man sich halte?
Etwa drum, dass wir denken sollen, dass jeder Glaube, auch ein falscher Glaube,
selig mache? – Das sei ferne! – Da wir nun auch in unserem heutigen Evangelium
hören, dass gerade ein Samariter fest im Glauben gewesen sei, während seine
neun israelitischen Genossen vom Glauben abfielen, so lasst uns jetzt die
Antwort auf die Frage suchen: Was lehrt uns die Vorstellung, dass unter zehn
gerade in Samariter im Glauben beständig blieb?
Lukas 17,11-19: Und es begab sich, da er reiste nach
Jerusalem, zog er mitten durch Samarien und Galiläa. Und als er in einen Markt
kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer, die standen von ferne und erhoben
ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! Und als er
sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern. Und es
geschah, da sie hingingen, wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, da er sah,
dass er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und
fiel auf sein Angesicht zu seinen Füßen und dankte ihm. Und das war ein
Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: Sind ihrer nicht zehn rein worden?
Wo sind aber die Neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte und,
gäbe Gott die Ehre, als dieser Fremdling? Und er sprach zu ihm: Stehe auf, gehe
hin! Dein Glaube hat dir geholfen.
Nachdem der Evangelist in dem verlesenen
Evangelium erzählt hat, dass von zehn Aussätzigen, welche Christus geheilt
hatte, nur einer im Glauben beständig blieb, zurückkehrte, Gott die Ehre gab
und Christus demütig dankte, so setzt er mit großem Nachdruck hinzu: „Und
das war ein Samariter.“ Ohne Zweifel darum, weil dieser Umstand den Lesern
eine höchst wichtige und nötige Lehre gibt. So lasst mich denn jetzt hiernach
die Frage beantworten:
Was
lehrt und die Tatsache, dass unter den zehn Aussätzigen gerade der Samariter im
Glauben beständig blieb?
Ich antworte, dies lehrt uns:
1.
Dass es auch unter den Irrgläubigen
Seelen gibt, die da selig werden, und
2.
Dass aber auch sie die Seligkeit
nur durch den wahren Glauben erlangen.
HERR Jesus, du bist der Weg, die Wahrheit
und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch dich. Du bist die Tür; so
jemand durch dich eingeht, der wird gerettet werden, und wird ein- und ausgehen
und Weide finden. In dir ruht alles unser Heil. Nichts kann uns verdammen,
keine Sünde, kein Irrtum, wenn wir an dich von ganzem Herzen glauben, aber
nichts kann uns auch selig machen, kein Werk und keine noch so große
Erkenntnis, wenn wir dich nicht im wahren Glauben ergreifen. O, so hilf denn,
dass wir alle unsere Hoffnung im Glauben allein auf dich setzen. Behüte uns
daher vor dem Betrug eines bloß eingebildeten Glaubens und wirke den wahren
Glauben selbst in unserer aller Herzen. Und da du uns die Gnade geschenkt hat,
in deiner reinen rechtgläubigen Kirche zu sein und dein reines Wort und
Sakrament zu genießen, so hilf, dass wir treu mit dieser großen Gnade umgehen,
dass nicht einst irrgläubige Samariter gegen uns auftreten und uns beschämen,
sondern dass wir einen guten Kampf hier kämpfen, Glauben halten und endlich die
Krone erlangen. Erhöre uns, HERR Jesus! Amen.
1.
In unseren Tagen lehren, meine Lieben,
nicht nur die römischen Priester noch immer, dass außer ihrer Kirche kein Heil,
keine Seligkeit sei, sondern selbst mitten in der protestantischen, ja mitten
in der lutherischen Kirche treten jetzt immer mehr Lehrer auf, welche von ihrer
Kirche dasselbe behaupten.[27]
Wäre dies nun wahr, gäbe es wirklich nur in
der sichtbaren rechtgläubigen Kirche Kinder Gottes und wahre Christen, gäbe es
nur da Seelen, die selig werden können, so stünde es in der Tat unaussprechlich
traurig und betrübt um Christi Reich und Werk. Wie gering ist z.B. die Anzahl
der lutherischen Christen gegen die vielen Millionen anderer Christen! Und wie
wenig wahre lebendig gläubige Christen gibt es wieder selbst unter denen, die
sich Lutheraner nennen! Welch ein armer König der Wahrheit und Gnade wäre also
dann unser lieber HERR Jesus Christus!
Ja, könnten nur diejenigen selig werden,
welche sich in der sichtbaren rechtgläubigen Kirche befinden, dann müssten
Millionen allein deswegen verloren gehen, weil sie von Eltern geboren wurden,
die ihnen frühzeitig manche Irrtümer einflößten; dann käme es bei dem
Seligwerden nicht allein auf den Glauben an Jesus Christus, sondern zugleich
auch auf eine gute reine vollständige Erkenntnis an; dann wäre es nicht genug,
wenn man seiner Seligkeit gewiss werden wollte, zu wissen, dass man einen
Heiland habe und sich seiner tröste, dann müsste ein jeder auch notwendig bei
Verlust seines Heils wissen, ob er sich auch in der wahren sichtbaren Kirche
befinde, und die Kirche wäre daher der einem Christen notwendige zweite
Heiland.
Es ist nun wohl wahr, sagte dies Gott
selbst in seinem Wort, so müssten wir es freilich glauben und unsere Hand auf
den Mund legen. Aber wo steht es geschrieben, dass niemand selig werden könne,
der noch in diesem und jenem Irrtum gefangen ist? Wo steht es geschrieben, dass
neben dem Glauben an den HERRN Jesus Christus noch etwas anderes zur Seligkeit
unbedingt notwendig ist? Davon finden wir nirgends etwas, weder in den
Schriften des Alten noch des Neuen Bundes, weder in den Schriften der Apostel
noch der Propheten. Vielmehr werden aber solle solche Gedanken unter anderem in
unserem heutigen Evangelium mit den kurzen Worten widerlegt: „Und das war
ein Samariter.“
Mit den Samaritern hatte es nämlich
folgende Bewandtnis. Als der assyrische König Salmanasser die zehn Stämme,
welche sich von dem Stamm Juda und Benjamin abgesondert hatten, in die
assyrische Gefangenschaft geführt hatte, da hatten nur wenige im Land
zurückbleiben dürfen, und als hierauf der König von Assyrien das Land Samarien
auch noch mit heidnischen Kolonisten besetzte, so entstand nun durch diese
Mischung von Israeliten und Heiden auch eine Vermischung und Verfälschung der
Religion. Während die eigentlichen Juden nach Gottes Befehl ihren Gottesdienst
im Tempel zu Jerusalem hielten, so bauten sich hingegen die Samariter ohne
Gottes Befehl in eigener Andacht einen Tempel auf dem Berg Garizim; und während
die eigentlichen Juden alle Schriften des Alten Testaments von Mose an bis zu
dem Propheten Maleachi als Gottes Wort annahmen, so erkannten hingegen die
Samariter allein die fünf Bücher Moses dafür an. Daher wurden denn die
Samariter von den Juden als gottlose, irrgläubige, ketzerische Menschen fast allgemein
verdammt und gemieden, so dass die Juden Christus nicht schwerer beschuldigen
zu können meinten, als wenn sie ihn einen Samariter nannten, womit sie sagen
wollten, Christus sei ein verstockter Ketzer.
Lasst uns nun in unseren Text zurückgehen
und sehen, wie sich Christus gegen einen solchen Samariter,d er sich unter den
Aussätzigen befand, verhielt. Der Samariter erhob, wie wir hören, mit den
anderen neun Aussätzigen, welche wahrscheinlich sämtlich Juden waren, seine
Stimme uns sprach: „Jesu, lieber Meister, erbarme dich unser.“ Und was
antwortet der HERR? Spricht er etwa: Euch Neun, die ihr Glieder der
rechtgläubigen jüdischen Kirche seid, will ich kann ich wohl helfen, aber unter
euch ist ein Glied einer irrgläubigen Sekte, ein Samariter, dem will und kann
ich nicht helfen, der trete erst heraus, der schwöre erst alle seine Irrtümer
ab, der verlasse erst seine irrige Gemeinschaft und werde ein Glied der wahren
sichtbaren Kirche, dann, aber nur dann, will ich auch seiner mich erbarmen.
Wie? Hören wir etwa etwas dergleichen aus Christi Mund? – Nein, nicht ein
Wörtlein; sondern kaum hat die ganze Schar flehentlich gerufen: „Jesu,
lieber Meister, erbarme dich unser“, so hilft Christus allen ohne Ausnahme,
dem Samariter sowohl wie den Juden, sogleich an Leib und Seele.
Nun sagt selbst, was ist es wohl zunächst,
was diese herrliche Tatsache uns lehrt? – Sie lehrt uns erstens klar und
unwidersprechlich, dass es also auch unter den Irrgläubigen Seelen gibt, die
Christi Hilfe erfahren und selig werden; denn das ist gewiss: Christus
verändert sich nicht; Jesus Christus gestern und heute, und derselbe in
Ewigkeit; wie er einst gesinnt war und handelte, so ist er noch jetzt gesinnt
und so handelt er noch jetzt.
Christus ist mit seiner Gnade nicht hier
und da, sondern allenthalben, wo sein Wort ist. Allenthalben steht daher jedem
Menschen der Himmel offen. Wie Christus einst nicht nur Judäa, sondern, wie wir
in unserem Evangelium hören, auch durch das von Irrgläubigen bewohnte Samaria
und Galiläa wanderte, so wandelt Christus noch jetzt auch durch die Gemeinden,
Städte und Länder, wo falsche Prediger sein Wort verkehren und verfälschen,
wenn sie sein Wort nur noch als sein Wort vor den Menschen bekennen. Ja, Christus
ist ein so guter Hirte, dass ihn der armen Seelen besonders jammert, die
dahingehen wie Schafe, die keinen Hirten haben. Je weniger solche verlassenen
Seelen in ihren Kirchen von dem rechten Himmelsweg hören, desto kräftiger wirkt
in ihnen Christus in der Stille durch seinen Heiligen Geist, wenn sie Licht und
Trost suchen in seinem Wort. Und wenn sie auch mitten unter dem Haufen der
Verführer und Ketzer zu ihm seufzen: „Jesus, lieber Meister, erbarme dich
unser!“ so steht Christus keine Person an, so hilft er ihnen allen doch,
ohne einen Unterschied zu machen, an Leib und Seele und macht sie selig. Und
wen nein Mensch aus Schwachheit in noch so großen Irrtümern steckt, ist es ihm
ein Ernst damit, selig zu werden, so hilft Christus ihm dennoch, wenn er sich
zu ihm wendet, wie er Lot geholfen hat mitten in Sodom, wie er den drei Männern
geholfen hat mitten im feurigen Ofen und wie er Daniel geholfen hat in der
Grube mitten unter den reißenden, brüllenden Löwen.
So lasst uns denn, meine Teuren, uns
lossagen von jenem gefährlichen Irrtum unserer Zeit, nach welchem man allen
denjenigen Gnade und Seligkeit abspricht, welche nicht die Gnade genießen, in
einer sichtbaren rechtgläubigen Kirche geboren, getauft, erzogen und
unterrichtet worden zu sein. Lasst uns nicht töricht und frevelhaft dem
helfenden Heiland die Hände, welche er nach allen Sündern ausstreckt, binden
und seiner unermesslichen Gnade Grenzen setzen wollen. Lasst uns mit Christus
bekennen: „Der Wind bläst, wo er will“, und ihn loben und preisen, dass er
allen Sündern und daher auch uns die Seligkeit so gerne gönnt und sich daher
Untertanen seines seligen Gnadenreichs macht selbst mitten unter seinen
Feinden.
2.
Doch, meine Lieben, die Tatsache, dass
unter den zehn Aussätzigen gerade der Samariter im Glauben beständig blieb,
lehrt uns noch eine zweite wichtige Wahrheit, und das lasst m ich euch nun noch
zweitens kurz vorstellen.
Wie es in unseren Tagen Christen gibt,
welche den Irrtum hegen, dass niemand außer der sichtbaren rechtgläubigen
Kirche selig werden könne, so gibt es jetzt auch solche sogenannten Christen,
welche den gerade entgegengesetzten Irrtum hegen, welche nämlich meinen, was
ein Mensch glaube, darauf komme es nichts an, wenn er nur recht lebe. Sie
sprechen: Glaube, was du willst, sei nur ein guter Mensch, so wirst du selig.
Sie denken, unter den verschiedenen Religionen sei eine so gut wie die andere;
und wenn es ein Mensch nur in seiner Religion ernst meine und nach seinem
Gewissen handle, so werde er selig. Ein Heide, der eifrig seinen Göttern diene,
ein Moslem, der streng nach seinem Koran lebe, und ein Jude, der sich
gewissenhaft nach seinem jüdischen Gesetz halte, komme ebenso gut in den Himmel
wie ein gläubiger Christ. Es gebe viele Himmelswege, und jede Religion sei ein
solcher Weg zum Himmel.
Wie? sollte dies etwa dadurch bestätigt
werden, dass sich Christus des irrgläubigen Samariters ebenso wohl erbarmt hat
wie der rechtgläubigen Juden? Sollte daraus wirklich folgen, dass man bei jedem
Glauben gerettet werden könne? – Da sei ferne! –
Lasst uns nur das Beispiel des Samariters
etwas genauer betrachten. Es ist wahr, meine Lieben, dieser Mann mag, weil r in
seiner irrgläubigen Sekte erzogen war, gar viele Irrtümer gehegt haben, und da
er als Samariter nur die fünf Bücher Mose für Gottes Wort hielt, so mag er viel
weniger von dem verheißenen Messias gewusst haben als die rechtgläubigen Juden.
Allein, was war mit ihm geschehen? Er war von Gott mit großer Not heimgesucht
worden; Gott hatte ihn in die furchtbarste und ekelhafteste aller Krankheiten,
in die des Aussatzes, fallen lassen, welche auch in den mosaischen Schriften
für ein Strafgericht Gottes um der Sünde willen erklärt wird. Dies hatte denn
den armen Samariter auch an seine Sünden erinnert und tief gedemütigt. Er
mochte wohl meinen, weil er ein so großer Sünder sei, so werde sich Gott seiner
nie wieder erbarmen. Doch siehe! er hörte, dass ein gewisser Jesus das Land
durchziehe, der auch gegen die größten Sünder überaus gnädig und freundlich
sei, allen Elenden helfe, die ihn anriefen, und große Wunder tue, welche ohne
Zweifel der verheißene Messias sei. Wie oft mag daher der arme Samariter
gedacht und geseufzt haben: O, dass doch dieser Jesus auch einmal in diese
Gegend käme! Und siehe! sein Wunsch wurde erfüllt: Jesus erschien. So erhob er
denn nun mit den übrigen neun jüdischen Aussätzigen alsbald auch seine Stimme
und sprach: „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Und als nun
hierauf Jesus zu den Aussätzigen sprach: „Geht hin und zeigt euch den
Priestern“, was tut da der Samariter? Er weigert sich nicht nur nicht, auch
mit zu den jüdischen Priestern zu gehen, weil er Jesus ihm gesagt hatte,
sondern wunderbarerweise ist gerade er es allein, der, als er sah, dass er
gesund geworden war, eilends wieder umkehrte, Gott mit lauter Stimme pries, auf
sein Angesicht zu Jesu Füßen fiel und ihm dankte.
Warum hat nun also wohl Christus dem
Samariter geholfen und helfen können, obgleich er Glied einer irrgläubigen
Sekte war? Etwa darum, weil er bei allem seinem Irrglauben ein rechtschaffener,
frommer, tugendhafter Mann war? – Nein, der HERR selbst sagt es, indem er ihm
endlich zuruft: „Stehe auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen.“
Was ist es also, was das Beispiel des
Samariters uns zweitens lehrt? Es ist offenbar dies: Dass es zwar auch unter
den Irrgläubigen Menschen gibt, die da Christi Hilfe erfahren und selig werden,
dass aber auch sie die Seligkeit nur durch den wahren Glauben erlangen.
Ja, meine Lieben, dass es auch unter den
Irrgläubigen Seelen gibt, die selig werden, kommt nicht daher, weil ein Mensch
auch durch den Unglauben oder durch einen falschen Glauben selig werden könnte,
sondern weil ein Mensch manche Irrtümer haben und doch dabei einen wahren,
lebendigen, durch den Heiligen Geist in ihm gewirkten Glauben an Jesus Christus
in seinem Herzen tragen kann.
Es ist wahr: Wer in einer rechtgläubigen
Kirche sich befindet und daher eine gute, reine buchstäbliche Erkenntnis aller
christlichen Lehren hat, der genießt einen großen Vorzug, aber er kann dennoch
bei aller seiner guten buchstäblichen Erkenntnis ohne den wahren Glauben sein
und verloren gehen. Denn wenn ein Mensch nicht in der Armut des Geistes steht,
wenn ein Mensch kein demütiges, zerschlagenes und zerbrochenes Herz hat, wenn
ein Mensch nicht in Furcht und Zittern lebt vor jeder, auch der geringsten
Sünde, dem wird seine gute Erkenntnis nur Gift und Verderben; von dem heißt es:
„Das Wissen bläht auf.“ Hingegen ist es ferner wahr: Wer sich in einer
irrgläubigen Sekte befindet und daher mancherlei Irrtümer hegt, der ist in
großer Gefahr, dass das Gift seiner Irrtümer seine Seele tötet; aber ist ein
irrender Christ aufrichtig, lässt er sich durch das Wort Gottes zur Erkenntnis
seines großen Sündenelendes bringen, so dass er alles Vertrauen auf sich selbst
wegwirft, nach Christi Gerechtigkeit hungert und dürstet und seine einzige
Hoffnung auf die freie Gnade Gottes in Christus setzt und in diesem Glauben
beständig bis ans Ende verharrt, so wird ein solcher Mensch so gewiss selig, so
gewiss Jesus Christus ein Heiland aller Sünder und zur Versöhnung der ganzen
Welt am Kreuz gestorben ist.
So lasst uns denn, meine Zuhörer, auch die
Warnung wohl zu Herzen nehmen, welche in der Geschichte des dankbaren und im
Glauben beständigen Samariters für uns liegt. Der irrgläubige Samariter kam zu
wahren Glauben, blieb darin beständig und wurde selig; die rechtgläubigen Juden
kamen zwar auch zum Glauben, aber fielen wieder ab und gingen verloren. So kann
es uns auch gehen. So manches Glied einer Sekte sucht noch jetzt seinen Heiland
ernstlich und redlich, mit aufrichtigen Tränen der Reue und herzlichen Seufzern
eines innigen Verlangens, verlässt die Welt und Sünde, sieht nie wieder zurück
und Christus deckt seine Sünden und Irrtümer gnädig zu und macht es selig. Was
hülfe es uns nun, dass hingegen wir zwar Glieder der rechtgläubigen Kirche
sind, wenn wir aber dabei Christus nicht ernstlich suchen und nicht treu
festhalten, sondern bei unserem Ruhm des Glaubens und der reinen lehre wieder
stolz, sicher, weltlich, geizig und dergleichen werden? – O, dass Christus
nicht einst sagen müsse: Sind nicht alle, die getauft worden sind, rein
geworden, wo sind aber meine lutherischen Christen? Denn so spricht Christus
ausdrücklich: „Viele werden kommen vom Morgen du vom Abend und mit Abraham und
Isaak und Jakob im Himmelreich sitzen, aber die Kinder des Reichs“, das heißt,
die äußerlichen Glieder der wahren sichtbaren Kirche, „werden ausgestoßen
werden in die äußerste Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und
Zähneklappen.“ O, dass dann keiner von uns Lutheranern in dieser Zahl seine
möge!
Ja, HERR Jesus!
Senk deine wahre
Furcht
In unser aller
Herzen,
Lass niemand mit
der Buß
Und wahrem Glauben
scherzen.
Lass uns in
heilger Furcht
Und in
Bereitschaft stehn,
Dass wir mit
Freudigkeit
Vor deinen Augen
gehn.
Amen.
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die
Liebe Gotte, des himmlischen Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geites
sei mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Im 50. Psalm, im 15. Vers, lesen wir den
herrlichen, bekannten Spruch: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich
erretten, sollst du mich preisen.“ Hieraus ersehen wir: Niemand hat Ursache, in
irgendeiner Not des Leibes oder der Seele zu verzagen. Mag nach diesem Spruch
ein Mensch von allen Menschen verlassen sein, einen Freund in der Not
hat er immer noch, den gnädigen Gott im Himmel, zu dem er nicht nur gehen und
den er nicht nur um Hilfe anrufen darf, sondern auch soll; Gott
hat es ihm sogar geboten, Gott selbst. Mag daher eines Menschen Not noch
so groß sein, dass es scheint, es sei aus derselben kein Ausweg mehr möglich;
er darf doch nicht verzagen; denn Gott ist ja allweise und allmächtig, er weiß
daher immer zu helfen und kann es immer tun; wie Paul Gerhardt so schön singt:
Weg hast du
allerwegen,
An Mitteln fehlt
dir’s nicht,
Dein Tun ist
lauter Segen,
Dein Gang ist laut
er Licht;
Dein Werk kann
niemand hindern,
Dein Arbeit darf
nicht ruhn,
Wenn du, was
deinen Kindern
Erspießlich ist,
willst tun.
Mag aber auch ein
Mensch erkennen, dass er sich noch nicht zu Gottes Kindern rechnen darf, mag er
der Hilfe Gottes ganz unwürdig sein; wenn nur der Mensch endlich die Not sich
zu Gott treiben lässt, wenn er nur endlich in der Not ernstlich anruft, so hat
er auch um seiner Unwürdigkeit willen nicht Ursache, in seiner Not zu verzagen.
Gott hat ja jedem Menschen befehlen: „Rufe mich an in der Not“, wer es auch
sei, und jedem Menschen verheißen: „So will ich dich erretten“; hiermit hat
Gott sich selbst gebunden, und da er wahrhaftig ist und nicht lügen, nicht mit
falschen Versprechungen und
Vorspiegelungen wie Menschen täuschen kann, so darf und soll jeder Mensch auf
Gottes Befehl und Verheißung hin in seiner Not Gott anrufen und ein jeder, ein
jeder soll dann erhört werden. Der Mensch darf nur nicht schnell müde werden im
Bitten und Flehen, er muss darin anhalten und nur Gott nicht die Zeit, wann,
noch die Art, wie er helfen soll, vorschreiben: Endlich erhört ihn Gott
gewiss.
Hilfe, die Gott
aufgeschoben,
Hat er drum nicht
aufgehoben,
Hilft er nicht zu
jeder Frist,
Hilft er doch,
wenn’s nötig ist.
Es ist daher eine große Sünde, Gott in der
Not nicht anzurufen. Dadurch versündigt sich der Mensch erstlich an Gott;
nämlich durch Ungehorsam, da es Gott befohlen, und durch Verachtung seiner Güte
und Wahrhaftigkeit, da Gott Erhörung zugesagt hat. Dadurch versündigt sich aber
der Mensch auch an sich selbst; denn dadurch, dass der Mensch in der Not Gott
nicht anruft, verstopft er sich selbst mutwillig die Quelle, aus welcher ihm
Hilfe zufließen könnte. St. Jakobus schreibt daher: „Ihr habt nicht, darum, dass
ihr nicht bittet“, und unser Paul Gerhardt wiederum:
Mit Sorgen und mit
Grämen
Und mit
selbsteigner Pein
Lässt Gott sich
gar nichts nehmen,
Es muss ergeben
sein. –
Doch, meine Lieben, obgleich sehr viele
Menschen, so lange es ihnen wohl geht, Gott fast ganz vergessen, so ist doch
nichts häufiger als dies, dass selbst die ärgsten Verächter Gottes, wenn sie in
Not geraten und besonders wenn ihre Not einen hohen Grad erreicht, sich dann
mit Seufzen und Beten zu Gott wenden. Wenige Menschen sind so verstockt wie
jener Schächer zu Linken des HERRN auf Golgatha, der noch in der
schrecklichsten Todesnot den Heiland verspotten und sagen konnte: „Bist du
Christus, so hilf dir selbst und uns.“ Die meisten Menschen, wenn sie nie an
Gott denken und nie mit Gott reden, ja, Gott verleugnen, nehmen, wie gesagt, in
der Not doch endlich noch ihre Zuflucht zu Gott. Jesaja schreibt daher im 26.
Kapitel seiner Weissagungen: „HERR, wenn Trübsal da ist, so sucht man dich;
wenn zu züchtigst, so rufen sie ängstlich.“ Und Gott selbst spricht Hosea im 5.
Kapitel von den gottlosen Juden: „Wenn es ihnen übel geht, so werden sie mich
früher suchen müssen und sagen: Kommt, wir wollen wir zum HERRN, denn er hat
uns zerrissen, er wird uns auch heilen; er hat uns zerschlagen, er wird und
auch verbinden.“
So viele aber, meine Lieben, jenes Wort
sich noch gesagt sein lassen: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich
erretten“, so wenige tun hingegen, was auf diesen Befehl und auf diese
Verheißung folgt: „So sollst du mich preisen.“ Kaum hat Gott das klägliche
Rufen des Menschen erhört, kaum hat er Hilfe geschaffen, kaum ist die Not
vorüber, so sind auch bei den meisten Menschen Gott und die erfahrene Hilfe
vergessen. Das natürliche herz des Menschen ist unaussprechlich undankbar. Ein
Beispiel hiervon wird uns in unserem heutigen Sonntagsevangelium vor die Augen
gestellt. Aufgrund desselben lasst mich daher heute von der großen
Undankbarkeit des menschlichen Herzens gegen Gott zu euch sprechen.
Lukas 17,11-19: Und es begab sich, da er reiste nach
Jerusalem, zog er mitten durch Samarien und Galiläa. Und als er in einen Markt
kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer, die standen von fern und erhoben
ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser! Und da er
sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeige euch den Priestern. Und es
geschah, da sie hingingen, wurden sie rein. Einer aber unter ihnen, da er sah,
dass er gesund worden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und
fiel auf sein Angesicht zu seinen Füßen und dankte ihm. Und das war ein
Samariter. Jesus aber antwortete und sprach: Sind ihrer nicht zehn rein worden?
Wo sind aber die Neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte und,
gäbe Gott die Ehre, als dieser Fremdling? Und er sprach zu ihm: Stehe auf, gehe
hin! Dein Glaube hat dir geholfen.
Aufgrund des
verlesenen Evangeliums spreche ich jetzt zu euch:
Von der großen Undankbarkeit des
menschlichen Herzens gegen Gott
Und zwar
1.
Worin diese besteht, und
2.
Wie man davon geheilt wird.
HERR, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise
geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter. Die Himmel erzählen deine Ehre
und die Feste verkündigt deiner Hände Werk. Ein Tag sagt’s dem anderen, und
eine Nacht tut’s kund der anderen. Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht
ihre Stimme hört. Alle Kreaturen bringen dir Dank, Lob, Ruhm und Ehre dar. Nur
wir, wir Menschen, wie Sünder, die du zum Schauspiel deiner höchsten Liebe
gemacht und über die du alle Fülle deiner Güte ausgeschüttet hast, wir sind
stumm, wir schweigen, wir wollen dich nicht loben, dir nicht danken. O, erbarme
dich unser, verändere unser Herz und entzünde es, dass auch unser Mund deinen
Ruhm verkündige, hier in der Zeit und dort in der Ewigkeit. Dazu segne dein
heiliges Wort auch in dieser Stunde um deiner grundlosen Liebe und Güte willen.
Amen!
1.
Als, meine Lieben, der HERR einst auf seiner Reise nach Jerusalem mitten
durch Galiläa und Samaria zog und in die Nähe eines Marktfleckens kam, begegnen
ihm zehn aussätzige Männer; Leute, die sich in dem allerbedauernswürdigsten
Zustand befanden. Behaftet mit einer überaus ekelhaften und ansteckenden
Krankheit, waren solche Personen ausgestoßen aus der menschlichen Gesellschaft.
Als ein Greuel von jedermann gescheut, mussten sie, außerdem noch Tag und Nacht
von heftigen Schmerzen in allen Glieder genagt, außerhalb der bewohnten Städte
und Dörfer verlassen umherirren. Da die Krankheit aller ärztlichen Hilfe
spottete, war bei aller ihrer gegenwärtigen großen Not ihr Zustand auch ein
hoffnungsloser. Die einzige Hoffnung, welche die Aussätzigen in unserem Evangelium
hatten, war, dass Christus vielleicht einmal in ihre Nähe kommen möge, von dem
sie gehört hatten, dass er mit göttlicher Macht selbst den unheilbaren Aussatz
wunderbar heilen könne und zu heilen immer bereit sei.
Lange mögen die Unglücklichen sehnlich auf einen solchen glücklichen
Augenblick gewartet haben. Und siehe! endlich erscheint dieser Augenblick.
Jesus kommt in die Gegend ihres Aufenthalts. So bald sie daher Jesus ansichtig
geworden sind, halten sie sich zwar in demütiger Ferne, aber sie erheben so
laut, wie sie bei ihrer mit der Krankheit verbundenen Heiserkeit vermögen, ihre
stimme und rufen: „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ Der HERR
sieht sie und spricht zu ihnen: „Geht hin und zeigt euch den Priestern.“
(Die Priester mussten nämlich entscheiden, ob ein Mensch den Aussatz noch habe
oder nicht.) Und was geschieht? – Da sie hingehen, werden sie rein.
Welche Freude das den Zehn gemacht haben muss, als sie sahen, dass sie
plötzlich rein und gesund gewesen waren, lässt sich mit Worten nicht
beschreiben. Es muss ihnen gewesen sein, als ob sie plötzlich aus einer abscheulichen
Schlammgrube herausgezogen und herrlich geschmückt an eine königliche Tafel
gesetzt, ja, aus einer Hölle in den Himmel erhoben worden seien.
Was hören wir nun aber weiter von ihnen? Sollte nun nicht alle Zehn,
sobald sie nach dem Gesetz sich den Priestern gezeigt hatten, umgekehrt sein,
sich Christus zu den Füßen geworfen, ihm brünstig gedankt und gesagt haben:
HERR, wie sollen wir dir nun vergelten alle Wohltat, die du an uns armen
Würmlein getan hast? Hier sind wir, du hast uns das Leben aufs Neue gegeben;
dein wollen wir nun auch mit Leib und Seele sein und dir dienen unser Leben
lang!? – Ach nein! – Nur einer von den Zehn tut so; klagend muss der HERR
sprechen: „Sind ihrer nicht zehn
rein worden? Wo sind aber die Neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder
umkehrte und, gäbe Gott die Ehre, als dieser Fremdling?“ Nein! Die Neun haben, nachdem sie
kaum die Wohltat erfahren haben, den gütigen Wohltäter vergessen; kein Wort des
Dankes und Lobes desselben kommt auf ihre Lippen, kein Gedanke an eine
schuldige Vergeltung der erfahrenen Wohltat in ihr Herz; ja, in schwarzem,
fluchwürdigem Undank scheinen sie sich, von den feindseligen Priestern
überredet, dass sie nicht durch Christus, sondern durch sie, die Priester und
ihre Opfer, gereinigt worden seien, zu Christi Feinden geschlagen und die durch
Christus erlangte Gesundheit nur dazu angewendet zu haben, Christus mit zu
lästern und zu verfolgen! –
Wer wendet
sich nicht, wenn er dies hört, von solchen verruchten, so schändlich
undankbaren Menschen mit tiefster Abscheu hinweg? Aber, meine Lieben, lasst uns
nur ja nicht bei ihrem Anblick uns selbst in unserem Herzen segnen und etwa mit
dem Pharisäer sprechen: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie diese
Leute.“ Denn so hart es klingen mag, so
wahr ist es, wenn ich sage: An den neun Aussätzigen haben wir ein lebendes Bild
der Undankbarkeit jedes menschlichen Herzens, so lange es in seinem natürlichen
Zustand und nicht durch die göttliche Gnade umgewandelt und erneuert ist. Lasst
uns nur einen Vergleich anstellen, so werden wir es nur zu bald erkennen.
Die
Undankbarkeit der neun geheilten Aussätzigen offenbarte sich vor allem darin,
dass sie erstlich die empfangene unaussprechlich große Wohltat vergaßen,
zweitens, das sie sie verschwiegen und dafür kein Wort des Lobes hatten,
drittens, dass sie sie ihrem Wohltäter zu vergelten und ihm dafür zu
dienen sich nicht bereit zeigten. …
Nun frage ich
euch: Verhalten sich die Menschen, die noch kein verändertes Herz bekommen
haben, gegen Gott etwa anders? – Im Gegenteil, es sind die neun undankbaren
Aussätzigen ihr treuer Spiegel.
Die Wohltaten,
welche jeder Mensch von Gott empfangen hat und fort und fort empfängt, sind
ebenso unaussprechlich der Zahl wie der Größe nach. Unser Dasein, unsere Seele
mit allen ihren Kräften und unser Leib mit allen seinen Gliedern sind eine Gabe
und Wohltat Gottes. Jeder Augenblick, den wir verleben, jeder Gedanke, den wir
denken, jeder Atemzug, den wir tun, jeder Pulsschlag, der unser Herz bewegt,
jede Speise, die wir essen, jeder Trank, den wir trinken, jeder Schlaf, den wir
schlafen, jeder Kraft zu der Arbeit, die wir tun, jedes Gelingen eines Werkes,
das wir vornehmen, jedes Gut, das wir besitzen, jede Freude, die wir genießen,
jede Errettung, die wir erfahren, jede Ermahnung vor irgendeinem Unglück, das
andere trifft, dies alles sind lauter Gaben der schaffenden, erhaltenden,
regierenden und vorsehenden Liebe und Güte Gottes. Kein Tag, keine Stunde, kein
Augenblick vergeht, in welchem wir nicht tausende von Wohltaten Gottes
genießen; wo wir gehen, stehen, sitzen oder liegen, überall sind wir von Gottes
Wohltaten umringt und von ihnen wie von der Luft umschlossen. Wenn Gott nicht
fort und fort uns zahllose Wohltaten wie in Strömen zufließen ließe, so könnten
wir keinen Augenblick bestehen; ja, sobald Gott seine milde Hand von uns
zurückzöge, sobald würden wir nichts empfinden als Hölle und ewigen Tod. Wollte
ich nun erst anfangen, die Wohltaten zu nennen, welche Gott allen Menschen
unaufhörlich auch im Geistlichen erweist, indem er ihnen nicht nur seinen
eingeborenen Sohn zu ihrer Errettung und Seligmachung geopfert und geschenkt
hat, sondern ihnen nun auch seine Gnade durch seine Gnadenmittel, sein Wort und
Sakrament, anbietet, durch diese mit seinem Heiligen Geist bei ihnen anklopft
und sie zieht und alles so leitet und lenkt, dass ihnen alles, selbst ihr
Unglück, zu ihrem Glück und zu ihrer ewigen Seligkeit dienen könnte und müsste,
wenn sie nur wollten: Wo fände ich Worte, die Größe des göttlichen Wohltuns zu
beschreiben, das jeder Mensch unausgesetzt erfährt?
Wie verhalten
sich nun die Menschen dagegen? Die allermeisten Menschen erkennen es erstlich
nicht einmal oder denken doch nie daran, dass alles, was sie sind und haben
eine Gabe und Wohltat Gottes ist. Sei gehen dahin wie die unvernünftigen Tiere,
die nichts von Gott wissen. Sie schwimmen gleichsam in einem Meer von Gaben
Gottes, und Herz und Mund sprechen dabei: „Es ist kein Gott, es ist alles
Natur.“ Andere bekennen es nun wohl, dass es einen Gott gibt; aber denken sie
daher auch dann und wann, wenn sie etwas Gutes von Gott empfangen, daran, dass
es von Gott komme: Kaum haben sie das Gute empfangen und genossen, so ist auch
der himmlische Geber vergessen. Behalten aber die meisten Menschen die
göttlichen Wohltaten nicht einmal in einem treuen dankbaren Herzen und
Gedächtnis, so ist natürlich noch viel weniger ihr Mund fort und fort darüber
voll Lob und Preis Gottes. Sind sie in Not, besonders in großer Not, dann rufen
sie wohl oft, wie wir oben schon gehört haben, alsbald zu Gott; dann soll Gott
sogleich helfen; hat Gott aber geholfen, dann fühlen nur wenige sich
gedrungen, das Opfer des Lobes dem gnädigen Gott für seine Wohltat
darzubringen. Die Menschen verschweigen dazu, was Gott an ihnen getan hat; ja,
nun suchen sie sich wohl zu überreden, dass nicht Gott ihr Gebet erhört,
sondern das sie sich selbst oder ein anderer Mensch ihnen geholfen oder ein
glücklicher Zufall sie errettet habe. Viele führen zwar noch bei allem Guten,
davon sie reden, das Wort im Mund: „Gott sei Dank, Gott Lob“ usw., aber während
diese Dankbarkeit heuchelnde Rede über ihre Lippen schwebt, weiß ihr Herz
nichts von dankbaren Empfindungen gegen den göttlichen Wohltäter. Haben die
Menschen besonders selbst Mühe angewendet, etwas zu erlangen, so achten sie e
für Torheit, Gott einen Dankpsalm dafür zu singen. Ohne Bittgebet gehen sie
daher, wie die Tiere, zur Mahlzeit, und ohne Dankgebet beschließen sie sie. Und
wo sind endlich die Menschen, welchen die Erkenntnis der Menge und Größe der
göttlichen Wohltaten, die sie täglich und stündlich genießen, das Herz
zerschmelzt, dass sie nun auch Tag und Nacht darauf sinnen, wie sie Gott diese
Wohltaten vergelten, wie sie ihm dafür immer treuer und eifriger dienen und ihm
ganz mit Leib und Seele leben, leiden und sterben wollen? In der Not versprechen
wohl viele noch Gott, dass sie, wenn Gott sie diesmal wieder erretten würde,
dann andere Menschen werden und ein ganz anderes Leben anfangen wollen. Aber
was geschieht in der Regel, wenn Gott ihr Gebet erhört hat? Wie es in jenem
Lied heißt: Da der Kranke genas, er desto schlimmer was. Weit entfernt, dass
sie dann ihre Gelübde dem HERRN bezahlen, vergelten sie ihm das Gute mit Bösem.
Dass sie durch Gottes Hilfe nicht mehr in Not sind, das wird ihnen nur die
Ursache, dass sie nicht mehr nach Gott fragen, dass sie nun ohne tägliches
Wachen und Beten, ohne täglichen Kampf gegen die Sünde, ohne täglichen
andächtigen Gebrauch des Wortes Gottes, ohne Sorge um Gottes Wohlgefallen und
um ihre Seligkeit in fleischlicher Sicherheit nach der Welt Weise in der Eitelkeit
ihres Gott vergessenden und verachtenden Herzens dahinleben. Gott hört nicht
auf, ihnen Tag und Nacht Gutes zu tun, seine Güte geht jeden Morgen mit der
Sonne über ihnen auf, und nährt und kleidet und stärkt und erfreut sie, und sie
– hören nicht auf, Tag und Nacht Gott zu beleidigen mit tausend Sünden.
O Undankbarkeit
des menschlichen Herzens! Erweist der Mensch selbst einem anderen Menschen nur
eine geringe Wohltat und der Empfänger zeigt sich dafür nicht dankbar, ja,
vergilt ihm wohl gar das Gute mit Bösem, wie empört dies den Geber! Wie
verächtlich, wie gottlos, wie verrucht erscheint da der gegen ihn undankbare
Mensch! Und er selbst lebt und webt in lauter Wohltaten Gottes und hält sich
noch für fromm, obwohl er Gott dafür weder im herzen noch mit den Lippen, noch
mit der Tat je aufrichtig dankt, sondern vielmehr täglich und stündlich Gottes
Willen entgegenlebt. O Undankbarkeit, o schwarze, verdammungswürdige
Undankbarkeit des menschlichen Herzens gegen Gott!
Wie nun? Meine
Lieben, gibt es denn kein Mittel, durch welches ein Mensch davon geheilt und
Gott dankbar werden kann? Ja, wohl gibt es ein solches Mittel, und davon lasst
mich nun noch zweitens zu euch sprechen.
2.
Einer war,
wie unser Evangelium uns berichtet, unter den zehn Aussätzigen, welcher sich
gegen Christus dankbar erzeigte. Es heißt von ihm: „Da er sah, dass er
gesund worden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel auf
sein Angesicht zu seinen Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.“
Gewiss ein liebliches Schauspiel! Wohl hatte auch er, wie alle Menschen, von
Natur ein undankbares Herz, aber ihm war sein Herz verändert worden. Was war
nun das Mittel gewesen, welches diese herrliche Veränderung bei ihm
hervorgebracht hatte? Der HERR entdeckt es uns, wenn er ihm am Schluss zuruft: „Stehe
auf, gehe hin, dein Glaube hat dir geholfen.“ Seht, der Glaube war
also das Mittel, durch welches dem Samariter völlig geholfen und er nicht nur
leiblich, sondern auch geistlich geheilt worden war und durch das er daher auch
sein dankbares Herz bekommen hatte. Als er Christus gläubig bittend angeschaut
hatte, war nämlich sein Glaube nicht nur auf seinen leiblichen, sondern auch
auf seinen geistlichen Aussatz, auf seine Sünde gerichtet gewesen. Und siehe!
dieser sein Glaube hatte ihn denn auch gesund gemacht an Leib und Seele.
Seht da, meine
Lieben, das Mittel, durch welches auch alle anderen Menschen allein von der
natürlichen Undankbarkeit ihres Herzens geheilt werden können: - es ist nichts
anderes als der Glaube.
Ein sicheres
Kennzeichen, dass ein Mensch noch keinen wahren Glauben hat, ist, dass ihm noch
ein dankbares Herz gegen Gott fehlt; ein sicheres Kennzeichen hingegen, dass
ein Mensch im wahren Glauben steht, ist, dass sein Herz mit Dankbarkeit gegen
Gott erfüllt ist. Eine schnelle vorübergehende Regung des Dankes kann sich zwar
auch in einem glaublosen Herzen zuweilen finden, aber den Zustand, in welchem
ein Mensch immer voll Dank gegen Gott ist über alles, was er ist und hat, wirkt
nur der Glaube´.
Einen solchen
Glauben kann sich aber ein Mensch nicht selbst geben; ihn kann niemand wirken
als Gott der Heilige Geist, und dieser wirkt ihn durch sein Wort.
Das erste
nämlich, wozu der Heilige Geist einen Menschen zu bringen sucht, ist, dass er
sich als einen überaus armen, großen, elenden, aller Gnade und Wohltat Gottes
unwürdigen Sünder erkennen lerne. Diese Erkenntnis wirkt aber der Heilige Geist
teils durch das Gesetz, das dem Menschen gepredigt wird, teils durch allerlei
Unglück, das ihn betrifft. Die meisten Menschen widerstreben dann freilich dem
Heiligen Geist. Mag ihnen noch so deutlich gezeigt werden, wie heilig und
streng Gott ist und wie vielfach und wie schwer sie gegen Gott gesündigt haben,
so suchen sie sich doch zu überreden, dass sie nicht so große und
verdammungswürdige Sünder seien, wie man ihnen vorsage; und wenn sie dann
schweres Unglück betrifft, so wird dadurch ihr Herz, anstatt sich erweichen zu
lassen, nur umso härter und verstockter. Anstatt sich selbst an Sünder
anzuklagen, klagen sie Gott der Ungerechtigkeit an. Widerstrebt aber ein Mensch
dem Heiligen Geist nicht, glaubt er, dass Gott allerdings ein Recht habe, von
ihm zu fordern, dass er vollkommen heilig sein solle und dass er daher ein
verdammungswürdiger Sünder sei; lasst er sich auch durch seine Not erweichen
und bewegen, seine Unwürdigkeit und Schuld immer tiefer und lebendiger
einzusehen: Dann fängt auch ein solcher Mensch an, sich nach einer Hilfe für
seine arme verlorene Seele umzusehen, die er in sich nicht finden kann; und
hört er nun in diesem Zustand das Evangelium von Christus, dem Heiland der
Sünder, dann erweckt ihn der Heilige Geist, wie die Aussätzigen in unserem Evangelium
zu seufzen: „O Jesus, lieber Meister, erbarme dich doch meiner!“
Und, o, selig
ist der Mensch, der sich vom Heiligen Geist so weit bringen lässt! Solche
Seufzer bringen nicht nur den wahren Glauben, sondern sind schon die ersten
Wirkungen und Offenbarungen des wahren Glaubens. Sobald aber auf diese Weise
der wahre Glaube in das Herz des Menschen kommt, sobald wird auch sein Herz
plötzlich göttlich umgewandelt. Mit dem Glauben kommt der Heilige Geist ins
Herz, mit dem Heiligen Geist die Liebe und mit der Liebe die Dankbarkeit.
Ein solcher
wahrhaft gläubig gewordener Mensch kann sich dann kaum der Tränen enthalten,
wenn er auf sein vergangenes Leben zurückschaut. Es will ihm oft fast das Herz
zerspringen, wenn er daran denkt, wie sündhaft bisher sein Leben gewesen ist
und mit welcher schändlichen Undankbarkeit er bisher täglich und stündlich
Gottes unzählige Wohltaten hingenommen und missbraucht hat. Mit dem wahren
Glauben an Christus ist dann in das Herz des Menschen eine solche Begierde,
Gott zu danken und ihn zu loben und zu preisen, gekommen, dass er nicht nur für
alles, auch das Allergeringste, das er hat und genießt, dessen er sich für ganz
unwürdig achtet, sondern selbst für das Kreuz, das ihm Gott zuschickt, ihm
danken und ihn loben und preisen muss. Er spricht dann mit David: „Das ist ein
köstlich Ding, dem HERRN danken und lobsingen deinem Namen, du Höchster; des
Morgens deine Gnade und des Nachts deine Wahrheit verkündigen.“ Ja, selbst in
der Trübsal ruft er mit Hiob, wenn auch nicht immer sogleich, doch endlich noch
aus: „Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei
gelobt.“ Einem wahrhaft Gläubigen macht daher vor allem dies das zeitliche
Leben so schwer und erweckt in ihm die Sehnsucht nach dem Himmel, dass er hier,
von seinem noch übrigen Fleisch niedergedrückt, sich oft so ungeschickt und
unlustig zu Gottes Lob fühlt. Er freut sich schon im Geist auf die Ewigkeit,
wenn er dann mit allen Engeln und Auserwählten Gott mit reinen Lippen und aus
voller Seele ewig danken und lobsingen zu können hofft.
Wie nun, meine
Lieben? Wem seid ihr ähnlich? Dem einen dankbaren Samariter oder jenen neun
Undankbaren? Habt ihr das alte undankbare Herz noch, oder ist euer Herz schon
durch einen wahren lebendigen Glauben umgewandelt worden? Ist es euch ein
köstlich Ding geworden, dem HERRN zu danken und zu lobsingen dem Namen des
Höchsten, und ist das nur euer Schmerz, dass ihr Gott nicht oft genug, nicht
brünstig genug, nicht fröhlich genug danken könnt? Kehrt ihr, wie der Samariter,
täglich des Morgens und des Abends, und so oft ihr Gottes Wohltaten genossen,
um und werft ihr euch, wie der Samariter, dann demütig dankend vor Gott auf
euer Angesicht?
Ach, denke
niemand, der hier nicht Gott täglich brünstig zu danken gelernt hat, dass er
dann einst unter den Lobsängern sein werde, die dort die Opfer des Lobes und
Dankens Gott in Ewigkeit darbringen. Wer dort nicht als ein von Gott
Verstoßener ewig heulen will, der lerne hier ihn loben und danken.
Ihm sei Ehre
und Preis in Zeit und Ewigkeit. Amen!
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserem teuren Heiland,
geliebte Zuhörer!
Dass jeder Mensch verpflichtet ist, Gott zu
dienen, ist eine Wahrheit, die in aller Menschen Herzen mit nie ganz
auszutilgender Schrift eingegraben ist. Zwar wird gerade in dieser unserer Zeit
die Anzahl derjenigen von Tag zu Tag größer, welche selbst diese Wahrheit nicht
anerkennen wollen; allein wollten es diese Unglückseligen nur gestehen, so
würden wir bald sehen, dass auch in ihrem Herzen fort und fort eine Stimme laut
wird, die sie vergeblich zum Schweigen zu bringen trachten, die ihnen zuruft:
„Es ist doch ein Gott, und diesem Gott sollst du dienen.“
Doch so furchtbar auch jetzt der Strom der
Gottesleugnung selbst durch die Christenheit braust, so hat er doch, Gott sei
Dank! Auch in dieser unserer Zeit noch nicht alles mit sich fortgerissen; noch
gibt es eine nicht geringe Anzahl Menschen, die es auch in unseren Tagen mit
Worten und Werken laut bekennen, dass sie an einen Gott noch glauben und ihm zu
dienen sich noch schuldig erkennen. Noch gibt es, Gott sei Dank! Millionen,
welche sich nicht schämen, allsonntäglich in die Gotteshäuser zu strömen, da
ihre Knie vor Gottes heiliger Majestät zu beugen, ihre Stimmen zu seiner
Anrufung und zu seinem Lob zu erheben und dem Wort dieses Königs aller Könige
und Herrn aller Herren ein aufmerksames Ohr zu leihen. Noch gibt es Millionen,
welche es glauben, dass sie einst vor Gottes Gericht werden erscheinen müssen,
um da von ihrem ganzen Leben Rechenschaft zu geben und zu empfangen, nachdem
sie gehandelt haben bei Leibesleben, es sei gut oder böse; die sich daher auch
fürchten, gegen Gott ihren Mund zu öffnen und offenbar gegen seine heiligen
Gebote zu handeln., Gehört nicht auch ihr alle zu dieser Zahl, die ihr hier
versammelt seid? Gewiss – wolltet ihr Gott nicht dienen, so würdet ihr heute
nicht in seinem Haus erscheinen sein.
So viele jedoch, meine Lieben, noch immer
auch zu unserer Zeit erkennen und mit Worten bekennen, dass sie
Gott zu dienen schuldig sind, dass er ihr HERR und dass sie seine ihm
unterworfenen Untertanen, seine in seinem Dienst und Brot stehenden Knechte und
Mägde sind, so lehrt es doch die Erfahrung, dass die Meisten Gott zwar dienen,
aber ihm nicht allein dienen wollen. Es ist ganz offenbar, die meisten
wollen ihr Herz zwischen Gott und der Welt teilen; Gott wollen sie zwar
freilich zum Freund haben, darum eben dienen sie ihm, aber die Freundschaft der
Welt darüber opfern, das wollen sie nicht; den Himmel wollen sie zwar freilich
nicht verlieren, aber die Güter und Freude der Erde dafür verleugnen, das
können sie nicht; ihrer Seele wollen sie zwar freilich einen guten Platz in
jener Welt sichern, aber hier für ihren Leib auf ein gutes bequemes Leben
deswegen zu verzichten, das scheint ihnen zu viel.
Oder ist es nicht so? Denken sie sehr
viele, man könne es in der Frömmigkeit auch zu weit treiben? Denken nicht sehr
viele, zum Gottesdienst sei ja der Sonntag bestimmt, in den Wochentagen habe
dazu ein Arbeitsmann keine Zeit, da müsse er seinen zeitlichen Geschäften
nachgehen? Ja, meinen nicht gar viele, wenn sie am Sonntag einmal in der Kirche
gewesen seien, so hätten sie Gott damit schon überflüssig seinen schuldigen
Dienst dargebracht; dann könne man es ihnen daher nicht verdenken, wenn sie
sich hierauf in den übrigen Stunden des Sonntags auch einmal wie andere Leute
ein Vergnügen gönnten? Sprechen nicht viele, wenn sie ermahnt werden, Gott
immer und ganz und allein zu dienen, so viel könne man doch nicht von ihnen
verlangen? Sie können doch nicht Gag und Nacht über den Büchern und auf den
Knien liegen? Sprechen nicht die meisten jungen Leute, auch die sonst Gott
nicht allen Dienst aufsagen wollen: Sollen wir denn die schönste Zeit unseres
Lebens nicht genießen? Sollen wir unsere Jugendzeit, die wir doch nur einmal
erleben, vertrauern? Sprechen oder denken nicht wenigstens die meisten
Geschäftsleute: Wie wollten wir bestehen, wenn wir es nicht mit der Welt halten
und unsere Kunden vor den Kopf stoßen wollten? Müssen wir nicht von der Welt
leben? Ja, denken nicht die meisten Christen: Wozu wäre denn der Glaube an
Christus nötig und nütze, wenn es dennoch nötig wäre, sich so sehr, wie manche
Prediger predigen, wegen der Seligkeit abzumühen? Wozu, wenn man dennoch so
ängstlich nach Heiligkeit trachten, mit jeder Sünde es so genau nehmen und sich
selbst von der Welt und ihren Freuden so gänzlich ausschließen müsste? Nein,
denkt man, dass man Gott nicht gar vergessen, dass man Gott auch diene, das sei
ganz recht; aber nichts in der Welt immer im Sinn zu haben, als Gott, ihm
immer, ihm ganz, ihm allein zu dienen, das sei zu viel verlangt; wer das tun
wolle, der könne dadurch endlich ganz tiefsinnig werden! Kurz, die meisten
Christen meinen, auch im Dienst Gottes gebe es, wie in allen Sachen, eine
Mittelstraße, welche darin bestehe, dass man weder der Welt noch Gott sich
allein hingebe, dass man vielmehr Gott zwar auch diene, aber auch gegen die
Freuden und Güter der Welt nicht ganz unempfindlich sei, mit einem Wort, dass
man Gottesdienst und Weltdienst fein klug verbinde.
Die nun diesen Grundsatz befolgen, meinen
freilich recht klug zu handeln, zwischen Gottlosigkeit und Schwärmerei
glücklich hindurch zu schiffen und den besten, sichersten und leichtesten Weg
zum Himmel zu gehen: aber sollten sie wirklich darin recht haben? – Ach,
wahrlich nein! Die Gedanken, dass es eine Mittelstraße gebe, die nach dem
Himmel führe, sind ein leerer Traum, und die sich damit trösten und dabei
bleiben, gehen damit unrettbar verloren. Unter den Wegen, die nach der Ewigkeit
führen, ist die Mittelstraße – die Höllenstraße. Wer Gott dienen und selig
werden will, muss ihm allein dienen, oder sein ganzer Dienst ist
vergeblich. Das bezeugt uns Christus in unserem heutigen Evangelium.
Matthäus 6,24-34: Niemand kann zwei Herren dienen.
Entweder er wird einen hassen und den anderen lieben, oder wird einem anhangen
und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon. Darum
sage ich euch: Sorgt nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet,
auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr
als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung? 26 Seht die Vögel unter dem
Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen;
und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als
sie? 27 Wer ist unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könne, ob er
gleich darum sorgt? Und warum sorgt ihr für die Kleidung? Schaut die Lilien auf
dem Feld, wie sie wachsen! Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage
euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist
wie deren eins. So denn Gott das Gras auf dem Feld also kleidet, das doch heute
steht und morgen in den Ofen geworfen wird, sollt’ er das nicht viel mehr euch
tun, o ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden
wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden? Nach solchem
allem trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles
bedürft. Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner
Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen. Darum sorgt nicht für den
anderen Morgen; denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug,
dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.
Unter allen Evangelien, welche an den
Sonntagen des ganzen Kirchenjahrs öffentlich verlesen und behandelt werden, ist
das eben verlesene ohne Zweifel eines der ernstesten und strengsten. Es enthält
eine Strafpredigt nicht für die offenbar Gottlosen, sondern für die, welche
fromm sein wollen und wegen ihrer Frömmigkeit nicht Bestrafung, sondern
Belohnung zu verdienen wähnen. Es zeigt nicht, dass die Gottlosen sich bekehren
sollen, sondern dieses, dass viele von denen, welche schon bekehrt zu sein
vermeinen, sich erst bekehren müssen, wenn sie selig werden wollen. Tausende,
welche sich für gute Christen achten, werden daher durch dieses Evangelium
gerichtet und verdammt. Kurz, dasselbe ist ein Evangelium besonders für uns,
die wir Gott noch dienen wollen, und sagt uns, dass wir entweder Gott allein
dienen oder Gott mit unserem halben Dienst verschonen sollen. Lasst mich euch
daher jetzt zeigen:
Wie töricht diejenigen handeln, welche Gott zwar dienen, aber nicht
allein dienen wollen
Die
Gründe dafür sind hauptsächlich zwei:
1.
Nämlich, weil
sie damit etwas durchaus Unmögliches und
2.
Weil sie damit
auch etwas höchst verderbliches unternehmen.
Gott, du bist nicht nur unser Schöpfer,
unser HERR, unser Gott, sondern auch die einige Quelle aller Freuden, aller
Seligkeit. Wir sind daher nicht nur schuldig, Dir zu dienen, wir können auch
nur dann, wen wir dir allein dienen, selig sein, denn dir dienen und nur dir
dienen ist ja Seligkeit. Aber ach, wir müssen dir klagen und bekennen, dass wir
so tief verderbt und verblendet sind, dass wir uns fürchten, dir zu dienen;
dass wir daher fort und fort unser Herz dir nur halb schenken wollen. Du
hättest darum wohl Recht, uns abtrünnige Knechte und Mägde von deinem heiligen
Angesicht auf ewig zu verstoßen. Aber, o Gott, der du deinen Sohn auch uns
geschenkt hast, wir bitten dich, erbarme dich unser um seinetwillen.
Zerschneide mit dem Schwert deines Wortes alle Fäden, damit unser armes Herz
noch gebunden ist an die Kreatur zu ihrem Dienst, und neige unser von dir
abgewandtes Herz wieder zu dir, dass wir dir dienen, dir allein dienen und in
deinem Dienst selig seien. Dazu segne auch die gegenwärtige Verkündigung deines
Wortes um Jesu Christi, deines Sohnes, unseres Mittlers, willen. Amen. Amen.
1.
Dass derjenige töricht handle, welcher
etwas unternimmt, was ganz unmöglich ist, das werdet ihr mit gewiss alle
zugestehen. Wollte z.B. ein Mensch zu gleicher Zeit zwei Wege gehen, einen
welcher rechts, und zugleich einen anderen, welcher links führt; einen, welcher
hinauf und vorwärts, und zugleich einen, welcher hinab und rückwärts führte, so
würde ihn sicherlich jeder für einen Toren achten; warum? – weil er damit etwas
Unmögliches unternähme.
Wie? wenn nun diejenigen, welche Gott zwar
dienen, aber ihm nicht allein dienen wollen, dasselbe täten? Handelten solche
Menschen dann nicht offenbar auch höchst töricht? Ohne Zweifel.
Wie spricht denn nun aber Christus in
unserem heutigen Evangelium? Er beginnt darin mit dem merkwürdigen runden
unzweideutigen Ausspruch: „Niemand kann zwei Herren dienen. Entweder er wird einen
hassen und den anderen lieben, oder wird einem anhangen und den anderen
verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ Klar und deutlich spricht es
hiermit der Mund der ewigen Wahrheit aus, so unmöglich es sei, dass ein Mensch
sich an zwei Herren zugleich zum Sklaven verkaufen und ihnen beiden zugleich den
schuldigen Dienst leisten könne, so unmöglich ist es, Gott zu dienen und
zugleich einem anderen Herren zu dienen. –
Aber sollte dies wirklich so ganz unmöglich sein? Gibt es nicht Tausende
und aber Tausende, welche dies recht wohl zu vereinigen wissen? Die zwar
freilich der Welt, dem Mammon und manchen Sünden dienen, die aber dabei Gott
keineswegs vergessen, ja, die dabei in ihrem Gottesdienst desto fleißiger sind,
fleißig zur Kirche gehen, fleißig zur Beichte und zum Abendmahl kommen, fleißig
Gottes Wort hören und lesen, fleißig auch zu Hause beten und singen?
Es ist wahr, meine Lieben: Wäre das wirklich schon Gott gedient, wenn
man solche äußerlichen sogenannten gottesdienstlichen Werke verrichtet, da
könnte man allerdings Gott und dem Mammon, Christus und der Welt, dem Schöpfer
und der Kreatur zugleich dienen. Aber man irrt sich. Verrichtet ein Mensch
solche sogenannten gottesdienstlichen Werke, da dient er eigentlich nicht Gott,
sondern Gott dient vielmehr ihm. Gott dienen ist etwas ganz anderes. Gott
dienen heißt, sich Gott ergeben, Gott seine Liebe geben, Gott seine Furcht
geben, Gott sein Vertrauen geben, kurz, Gott sein Herz geben. Was Gott für
einen Dienst verlange, zeigt er uns ja in dem ersten Gebot an, worin er
spricht: „Ich bin der HERR; dein Gott. Du sollst keine anderen Götter haben
neben mir“; Gott sollen wir also zu unserem Gott haben; was aber dieses „Gott
zu seinem Gott haben“ heißt, dies kann nicht deutlicher und bestimmter
ausgedrückt werden, als es Luther in unserem Kleinen Katechismus mit den Worten
der Erklärung ausgedrückt hat: „Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten,
lieben und vertrauen.“ Gott hat das erste Gebot aber auch selbst ausgelegt,
wenn er z.B. durch den weisen Salomo spricht: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz;
und lass deinen Augen meine Wege wohlgefallen.“ Und selbst also mit allem, was
wir sind und haben, unser Herz, unser Herz sollen wir Gott geben;
das, das ist der Dienst, den Gott von uns Menschen verlangt und womit wir ihm
allein dienen können. –
Wer ist nun so klug, dass er Gott so dienen und doch zugleich anderen
Herren neben ihm dienen könne? Dazu ist auch der Klügste nicht klug genug; denn
dies ist etwas durchaus Unmögliches.
Wohl dient mancher dem Mammon, das heißt, er trachtet, reich zu werden,
oder er setzt doch sein Vertrauen auf irdisches Gut, und meint dann erst recht
versorgt zu sein und der Zukunft ruhig entgegensehen zu können, wenn er ein
ziemliches Kapital zurückgelegt hat; oder er ängstigt sich um das Zeitliche ab
und fragt, an Gottes Versorgung sich nicht haltend, täglich ungläubig: „Was
werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden?“
oder es ist ihm doch ein Unglück, über das er sich kaum trösten kann, wenn er
um sein irdisches Vermögen gekommen ist. Und dennoch meinen Solche, weil sie
trotz diese ihres Mammondienstes fleißig zur Kirche gehen, dass sie dennoch
dabei Gott dienten. Aber sie täuschen sich; Gott verlangt ihr Herz, und dieses
ihr Herz, womit sie Gott allein dienen können, haben sie ja Gott längst
genommen und es dem Mammon gegebene! – Wohl dient ferner mancher andere der
Welt, das heißt, er geht noch mit der Welt, nimmt noch Teil an der Welt eitlen
Vergnügungen, oder er sucht doch noch die Gunst und Freundschaft der Welt; oder
er fürchtet sich doch noch vor dem Spott und der Verachtung der Welt und
unterlässt aus solcher Furcht das Bekenntnis seines Glaubens, ja, verleugnet
seinen Glauben wohl gar tatsächlich und ausdrücklich. Und dennoch meinen
solche, weil sie trotz dieses Weltdienstes etwa Gottes Wort fleißig hören und
lesen, dass sie dennoch dabei Gott dienten. Aber sie täuschen sich; Gott
verlangt ja ihr Herz, und dieses ihr Herz, womit sie Gott allein dienen können,
haben sie ja Gott genommen und es der Welt gegeben! – Wohl dienen endlich
manche offenbar der Sünde, das heißt, sie lassen diese oder jene offenbare
Sünde noch über sich herrschen; der eine die Ehrsucht, der andere den Neid, den
Zorn oder die Unversöhnlichkeit, der dritte den Geiz, der vierte die Wollust,
der fünfte die Eitelkeit, der sechste die Trunksucht, der siebte den Wucher und
heimlichen Betrug, und dergleichen. Und dennoch meinen solche, weil sie trotz
dieses Sündendienstes sich zu den Christen halten und an ihren
gottesdienstlichen Versammlungen und Übungen teilnehmen, dass sie doch dabei
Gott dienten. Aber sie täuschen sich. Gott verlangt ja ihr Herz, und dies ihr
Herz, womit Gott allein gedient werden kann, haben sie ja Gott längst genommen
und es der Sünde und damit dem Teufel gegeben.
O, erkennt es daher doch ihr alle, die ihr bisher Gott zwar habt dienen
wollen, die ihr aber auch daneben dem Mammon oder der Welt oder einer Sünde
gedient habt, erkennt doch, dass ihr etwas ganz Unmögliches unternommen habt.
Glaubt doch dem Mund der Wahrheit, der es so klar und deutlich in unserem
Evangelium ausspricht: „Niemand kann zwei Herren dienen. Entweder er wird
einen hassen und den anderen lieben, oder wird einem anhangen und den anderen
verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“ oder irgendeinem anderen
Herren. So wenig es möglich ist, dass ein Soldat sich bei beiden
kriegführenden Königen anwerben lassen und beiden dienen könnte, so wenig es
möglich ist, dass ein Mensch sich an zwei Herren zugleich als Sklave verkaufen
und beiden dienen könnte; so wenig es möglich ist, dass ein Mensch sich mit
zwei Bräuten verloben und beiden treu sein könnte: So wenig ist es möglich,
dass ein Mensch Gott dienen und zugleich noch anderen Herren dienen könnte. Wer
Gott nicht allein dient, der dient ihm gar nicht; sein Dienst mit
halbem, geteiltem Herzen ist ein bloßer Scheindienst, und daher kein Dienst,
und alles, was ein solcher halbherziger Gottesdiener tut, und wenn er sich auch
zuzeiten noch so sehr in seinem scheinbaren Gottesdienst abmüht, ist nichts
anderes als verlorene Arbeit, wofür er keinen anderen Lohn zu erwarten hat als
welchen Lohn der Soldat erwarten muss, der neben dem Dienst im eigenen Heer
auch dem Feind gedient hat, also den Lohn eines Verräters. Als daher einst auch
das Volk Israel Jahwe dienen, aber auch Baal dienen wollte, da rief ihm der
Prophet Elia mit göttlichem Feuereifer zu: „Wie lange hinkt ihr auf beiden
Seiten? Ist der HERR Gott, so wandelt ihm nach; ist es aber Baal, so wandelt
ihm nach.“ Und als einst der Bischof zu Laodicea auch Christus und der Welt
zugleich dienen wollte, da ließ ihm der HERR durch Johannes schreiben: „Das
sagt Amen, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Ursprung der Kreatur Gottes:
Ich weiß deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder
warm wärest! Weil du aber lau bist und weder kalt noch warm, werde ich dich
ausspeisen aus meinem Mund.“
Hört es, ihr alle, die ihr zwar Gott dienen, aber ihm nicht allein
dienen wollt, dieses schreckliche Drohwort des HERRN ist nicht nur an den
Bischof zu Laodicea, sondern auch an euch gerichtet. Wollt ihr nicht warm und
freudig sein in der Liebe Gottes, so mögt ihr immerhin kalt sein oder Gott will
euch ausspeien aus seinem Mund. Wollt ihr neben Gott noch dem Mammon oder der
Welt oder einer Sünde dienen, so spart nur eure Mühe, lasst euren Dienst, Gott
mag ihn nicht, Gott sieht ihn nicht an, er ruft euch das große „Entweder –
Oder“ zu: „Entweder sei ganz mein, oder lass es ganz sein.“ Wollt ihr aber Gott
dienen, wohlan! So dient ihm allein! „Trachtet“, wie der HERR in unserem
Text sagt, „am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner
Gerechtigkeit.“ Überschlagt aber die Kosten wohl! Versprecht nicht mehr,
als ihr halten wollt. Wollt ihr Gott dienen, so muss es, wie es nur Einen Gott
im Himmel gibt, auch nur Einen Gott in euren Herzen geben. Ihr müsst euch
entschließen, euer Herz von dem Mammon, das ist, von den zeitlichen Gütern ganz
loszureißen; mit der Welt müsst ihr dann für immer brechen und den Sünden einen
ewigen Scheidebrief geben. Ihr müsst dahin kommen, dass euer einziger
eigentlich Zweck auf der Erde ist, Gott zu Ehren zu leben und alles, was ihr
habt, zu Gottes Ehren anzuwenden. Ja, es muss mit euch dahin kommen, dass ihr
auf ein ruhiges, bequemes Leben, kurz auf sogenanntes Lebensglück für immer
verzichtet und mit Asaph sagen lernt: „HERR, wen ich nur dich habe, so frage
ich nicht nach Himmel und Erde, und wenn mir gleich Leib und Seele
verschmachtet, so bist du doch allezeit meines Herzens Trost und mein Teil“;
dass ihr daher bereit seid, um Gottes willen ebenso gern arm wie reich, ebenso
gern verachtet wie geehrt, ebenso gern krank wie gesund, ebenso sterbend wie
lebend zu sein. Ihr müsst aus Grund eures Herzens sprechen lernen, wie unsere
Kirche singt:
Gib, dass sonst nichts in meiner
Seel,
Als diene Liebe wohne;
Gib, dass ich diene Lieb erwähl
Als meinen Schatz und Krone;
Stoß alles aus, nimm alles hin,
Was mich und dich will trennen
Und nicht gönnen,
Dass all mein Mut und Sinn
In deiner Liebe brennen.
2.
Doch, meine Teuren, nachdem wir nun gesehen haben, dass diejenigen,
welche Gott zwar dienen, aber ihm nicht allein dienen wollen, höchst töricht
handeln, weil sie damit etwas Unmögliches unternehmen, so lasst uns nun
zweitens erwägen, dass dies aber auch darum höchst töricht ist, weil sie damit
auch etwas höchst Verderbliches unternehmen.
Diejenigen, welche Gott zwar dienen, aber ihm nicht allein dienen
wollen, sind freilich deswegen so gesinnt, weil sie meinen, wenn sie Gott
allein dienen wollten, so müssten sie ganz unglückselige Menschen werden, die
keine frohe Stunde mehr in dieser Welt genössen; wenn sie aber neben Gott auch
noch anderen Dingen, dem Mammon, der Welt, der Sünde dienten, so könnten sie
die Vorteile von beiden Diensten genießen, von dem Weltdienst hier die Lust,
von dem Gottesdienst dort die Seligkeit. Aber ach! wie ganz anders ist das, was
sie finden, als was sie suchen! Christus entwirft uns in unserem Evangelium
unter andrem ein Bild von dem Zustand derjenigen, welche neben Gott auch dem
Mammon dienen, und zeigt uns, wie elende Menschen sie sind. In ihrem Herzen wohnt
eine stete ängstliche Sorge für Leib, Leben, Speise und Kleidung. Da ist ein
stetes ängstliches Fragen: „Was werden wir essen, was werden wir trinken,
womit werden wir uns kleiden?“ Nicht genug, dass sie, wie jeder Mensch,
jedes Tages eigene Plage tragen müssen, so tragen sie sich auch mutwillig schon
im Voraus mit der ganzen schweren Last, welche die kommenden Tage ihnen etwa
bringen könnten. Nicht sie besitzen die zeitlichen Güter, sondern das zeitliche
Gut besitzt sie. Sie haben davon nicht die Lust, sondern die Last, nicht den
Genuss, sondern den Verdruss. Auf dieselbe Weise werden aber alle diejenigen
belohnt, welche neben Gott noch sonst irgend anderen Herren dienen wollen.
Solche Menschen sind viel elender als die, welche nach Gott gar nicht fragen und
ungescheut der Welt und Sünde dienen. Weil sie der Welt und Sünde auch mit
dienen wollen, so genießen sie nichts von der Seligkeit, die ein Mensch
schmeckt, der Gott allein dient; und weil sie doch auch Gott dienen und es mit
Gott nicht verderben wollen, so verderben sie sich damit die Lust, welche der
genießt, der allein der Welt und Sünde dient. Die Furcht vor Gott und seinem
Gericht vergällt ihnen die Freude an den irdischen Dingen, und das Anhangen an
den irdischen Dingen raubt ihnen den Trost in Gott, seiner Gnade und
Gemeinschaft. Sie schweben wie zwischen Himmel und Erde. Bei Gott, das fühlen
sie, stehen sie noch nicht recht, und bei der Welt, das sehen sie, stehen sie
auch verdächtig. Im Inneren, in ihrem Herzen und Gewissen, haben sie keinen Frieden,
sondern Unruhe, Zweifel, Furcht, und in den äußerlichen Dingen finden sie auch
keine Befriedigung. Vor allem aber macht solche auf beiden Seiten hinkenden
Christen der Gedanke an den Tod recht elend. Sie können die Furcht davor nie
überwinden. Ihr Gewissen sagt ihnen,
dass mit dem Tod vielleicht erst ihr wahres Unglück beginnen werde.
Und auch! meine Lieben, wenn diese Furcht derjenigen, welche zwei Herren
dienen wollen, eine unbegründete wäre, wenn sie wenigstens in jener Welt für
ihren vermeintlichen Dienst, den sie Gott geleistet haben, einen guten Lohn zu
erwarten hätten, so möchten sie immerhin für ihre Untreue und Halbherzigkeit
hier einige Not ausstehen müssen; so würden sie doch endlich ewig glücklich und
fröhlich. Aber das Schrecklichste ist dies: Wer Gott nicht allein dient, der
ist auch kein Christ, der steht nicht im Glauben, der hat keine Gnade, der
stirbt in seinen Sünden, der kann nicht selig werden, der geht verloren, sein
Lohn ist – die Strafe eines Feindes Gottes – die Hölle.
Ach, ihr unseligen Menschen, die ihr Gott zwar dienen, aber zugleich
auch dem Mammon, der Welt und dieser und jener Sünde und Gott nicht allein
dienen, ihm nicht euer ganzes Herz ergeben wollt, bedenkt, o bedenkt doch, wie
elend ihr seid. Ihr kommt schon hier zu keiner Ruhe, weder in Gott noch in der
Welt; und dort erwartet euch auch das traurigste Los. Ihr seid, wen ihr euch’s
auch wegen eures halben Gottesdienstes einb89ldet, doch keine Christen, keine
geistlichen Priester, keine Kinder Gottes; ihr steht nicht in dem Gnadenbund
eurer heiligen Taufe, denn ihr habt ja fort und fort euren Taufbund übertreten,
nach welchem ihr dem Teufel und allen seinen Werken und allem seinem Wesen
entsagt habt. Darum sucht doch das nicht zu vereinigen, was nicht zu vereinigen
ist. Wollt ihr den Mammon, die Welt und die Sünde nicht lassen, wohlan, so
dient auch diesen Göttern allein und macht euch doch keine Mühe damit, auch
Gott dienen zu wollen; es ist doch alle eure Mühe vergeblich und verloren; ja,
ihr vergrößert damit nur euer zeitliches und ewiges Elend. Wollt ihr aber Gott
dienen – und, o, dass ihr dazu euch entschließen möchtet! –, so dient doch ihm
allein. Das werdet ihr nimmer bereuen. Ihr verliert damit nur Not, Unruhe,
Sorge, kommt damit zur Gewissheit der göttlichen Gnade, zu Friede und Freude
hier im Heiligen Geist, und dort erwartet euch der ewige Gnadenlohn, den Gott
seinen treuen Dienern verheißen hat. O, wagt den kühnen Sprung, kündigt allen
anderen Herren den Dienst endlich einmal auf und sprecht, wie es in jenem alten
Lied heißt:
Mein Herz, entschließ dich nu,
Du musst es redlich wagen;
Du kommst nicht ehr zur Ruh:
Sagst du hiermit der Welt
Und was dem Fleisch gefällt,
Rein ab – und Christus an –
So ist die Sach getan.
Doch, meine Teuren, ehe ich schließe, muss ich noch Eines erwähnen,
damit sich niemand, der mir recht gibt, etwa dennoch um sein Heil betrüge.
Niemand denke nämlich, wenn er nun etwa spricht: „Wohlan, so will ich denn von
nun an Gott allein dienen“, dass es damit abgetan sei. Ach, schon Unzählige
sind endlich zu diesem Vorsatz gekommen, und sind dennoch verloren gegangen.
Sie haben nämlich Gott allein dienen wollen aus ihrer eigenen Kraft. Sie haben
gedacht, wenn sie einen guten Vorsatz fassen können, so würden sie ich auch
ausführen können. Aber siehe! in Kurzem war das erwärmte und angefeuerte Herz
wieder kalt, sie fielen wieder zurück in den Dienst des Mammons, der Welt und
der Sünde und gingen endlich verloren.
Willst du daher, lieber Zuhörer, von nun an Gott wirklich allein dienen
und selig werden, so musst du in die Ordnung dich begeben, die Gott dafür
gemacht hat; du musst nämlich erst aus Gottes Wort lebendig zu erkennen suchen,
was für ein armer, elender, verlorener Sünder und untreuer Knecht Gottes du
bisher gewesen bist. Um diese Erkenntnis musst du Gott unablässig auf deinen
Knien anrufen. Wirst du das aufrichtig tun, so wird dich Gott auch erhören;
Gott wird dir seinen Heiligen Geist geben und dieser wird dich göttlich
erleuchten, dass du klar und deutlich und mit schrecken dein ungeahntes
Verderben und Elend erkennen und bitterlich und aufrichtig beweinen wirst.
Dabei darfst du aber nicht stehen bleiben; drücken dich dann deine Sünden, so
musst du dann auch zu Christus fliehen, dem Heiland der Sünder; in seinem Blut
und Tod, in seiner Gnade und seinem Verdienst musst du dann Trost und
Beruhigung durch den Glauben suchen. Die gnadenvollen Verheißungen des
Evangeliums musst du dir dann aneignen und dann in Christus und seinem Wort
ganz leben, kämpfen, leiden und sterben.
O, wenn du das tun wirst, dann wirst du nicht mehr Gott und dem Mammon,
Christus und der Welt, der göttlichen Gnade und der Sünde zugleich dienen
wollen, dann wirst du gern mit Leib und Seele, mit deinem ganzen Herzen und
allem, was du bist und hast deinem Gott und Heiland dich allein ergeben, ihm
allein dienen, aber auch in ihm schon hier ungeahnte Seligkeit empfinden und
dort sie in Vollkommenheit ewig genießen. Denn wenn die Sonne der göttlichen
Gnade in dem Herzen des Menschen aufgeht, dann gehen alle die flimmernden
Wandelsterne der Sünden- und Weltlust darin unter; es folgt hier ein lichter,
heiterer Morgen der Gnade und des Friedens, dort aber ein ewiger Tag
unaussprechlich seligen Lebens. Amen.
Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus
Christus, die Liebe Gottes, des himmlischen Vaters, und die trostreiche
Gemeinschaft Gottes des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
„Mensch, du musst sterben!“ so ruft Gott in
seinem heiligen Wort uns allen zu. Gibt es irgendeine in der heiligen Schrift
ausgesprochene Wahrheit, die niemand leugnet, obgleich sie die allerernsteste
ist, so ist es diese. Kein Mensch, der da lebt, hat die Wahrheit: du musst
sterben, schon an sich selbst erfahren, aber dennoch wagt keiner, ihr zu
widersprechen; jeder glaubt daran, es sei gern oder ungern. – Wer dürfte aber
auch diese Wahrheit leugnen? Alle die ungezählten Millionen, die bisher gelebt
haben und gestorben sind, rufen, obgleich ihre Gebeine schweigend unter unseren
Füßen ruhen, als unwidersprechliche Zeugen lauter, als alle Lebenden, aus ihren
Gräbern einem jeden zu: „Mensch, du musst sterben!“ Und wollte jemand der
Geschichte nicht glauben, die von jedem endliche erzählt: „Und er
starb“, so rufen tausend Dinge vor unseren Augen, hier die hinwerfende
Krankheit, dort das bleichende des Alters, hier die verschlingende Wassersucht,
dort das verzehrende Feuer, hier der jähe Abgrund, dort der zerschmetternde Blitz,
hier der glühende Sonnenstrahl, dort die Schauer des Nordwindes, hier die
tödliche Waffe und dort die Giftschlange im Gras, ja, dies alles ruft, wo wir
gehen und stehen, uns zu: „Mensch, du musst sterben!“; und alle Sterbenden, an
deren Betten wir geführt werden, und alle Leichenzüge, denen wir in den Straßen
begegnen, und alle Gräber, die wir unseren Lieben graben und die wir mit
unseren Tränen benetzen, drücken den Worten: „du musst sterben“, das Siegel der
unleugbarsten Gewissheit auf. Blicken wir umher in der Welt, so sehen wir: Die
ganze Erde ist ein großes, weites Grab, auf dem wir eine Zeitlang wohnen, bis
endlich sein Deckel sich auftut und die Hand des Todes auch uns in seine
dunklen Kammern hinabzieht.
So gewiss hiernach alle Menschen glauben,
dass auch ihr Leben auf Erden nicht ewig dauern werden, so leben doch die
Meisten, als hätten sie, wie der Prophet sagt, mit dem Tod einen Bund und mit
der Hölle einen Verstand gemacht. Sicher und sorglos gehen sie dahin, bereiten
sich nicht auf die große wichtige Veränderung, die ihnen über kurz oder lang
bevorsteht, vor, und gehen ihrem Tod wie dem gleichgültigsten Vorfall ihres
Lebens ruhig entgegen.
Sagt, woher diese Gleichgültigkeit? Warum
sorgt man so eifrig für sein ungewisses Leben, und so wenig oder gar nicht für
seinen gewissen Tod? Die Ursache hiervor liegt darin: Man überlegt nie
ernstlich, was in den Worten liegt: „Mensch, du musst sterben.“ Wer diese Worte
recht überlegt, der wird gewiss ernstlich fragen: „Was muss ich tun, dass ich
gerettet werde?“
Denn was heißt das: „Mensch, du musst
sterben“? – Das heißt: Mensch, jetzt hängst du vielleicht dein Herz an die Welt
und suchst in ihren Gütern oder Freuden deine Lust, deinen Himmel auf Erden;
aber es kommt eine Stunde, da musst du die Welt auf ewig verlassen, und du hast
dann nichts als die Güter, die du für die Ewigkeit gesammelt, oder die
Sündenschulden, die du auf den Tag der Rechenschaft aufgehäuft hast. Jetzt hast
du vielleicht ohne all dein Verdienst ein besseres irdisches Los als viele
deiner Brüder, du bist vielleicht zu Reichtum oder zu Ehre unter den Menschen,
aber es kommt eine Stunde, da wird der Unterschied, der bisher zwischen dir und
einem Bettler stattfand, aufhören; da wirst du, und wärst du noch so reich und
angesehen, ja, ein König in dieser Welt gewesen, dem Geringsten in dieser Welt
plötzlich gleich sein, was du gesammelt
hast mit großer Mühe, wird aufhören, dein zu sein, andere werden es in
Besitz nehmen, und so nackt und bloß, wie du in die Welt gekommen bist, wirst
du wieder hinausgehen, hinaus in die unbekannte Ewigkeit, wo nur die mit
Freuden ernten werden, die hier mit Tränen säten, und wo nur die eingehen
werden zum ewigen Leben, die da Gutes taten und danach trachteten in guten
Werken. Jetzt schmückst du vielleicht deinen armen Leib und gehst stolz und
eitel daher nach der Welt Weise; aber es kommt eine Stunde, da werden dir deine
schönen Kleider ausgezogen und ein Sterbekittel dir angetan werden, da wird
dein jetzt vielleicht blühender Leib in Verwesung übergehen, ein unerträglicher
Pestgeruch wird von ich mausgehen und selbst deine Lieben werden eilen, deinen
zur faulenden Leiche entstellten Leib in die Erde zu verscharren. Aber noch
mehr! Jetzt wirst du von Menschen nach dem guten Schein beurteilt, den du um
dich verbreitest, und du weichst vielleicht selbst der Gelegenheit aus, dich
selbst ernstlich zu prüfen und dein Inneres kennen zu lernen; aber es kommt
eine Stunde, da musst du vor Gott erscheinen, der Augen hat wie Feuerflammen,
der Herz und Nieren prüft und erforscht; der wird nicht nur alle deine Werke
an das Licht bringen, sondern selbst den geheimen Rat deines Herzens
offenbaren, und du wirst gewogen werden auf der Waage einer Gerechtigkeit und
Heiligkeit, die kein Schein betrügen und kein noch so hartnäckiges Leugnen
täuschen kann. Jetzt, endlich, stehst du noch in der Zeit der Gnade, jetzt hast
du noch die Wahl, ob du den Weg des Lebens und des Heils oder den Weg des Todes
und Verderbens gehen willst; aber es kommt eine Stunde, da wird deine
Gnadenzeit abgelaufen sein, da wird sich dein Schicksal auf alle Ewigkeit
hinaus entschieden haben, da wird keine Buße, keine Umkehr mehr möglich sein,
da wird kein Bitten, kein Flehen und kein Weinen mehr helfen; bestehst du in
dieser Stunde nicht vor Gott, so wirst du hinausgeworfen werden in die äußerste
Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähneklappen. Seht, das heißt das
Wort: „Mensch, du musst sterben!“
Wie? Bedürfen wir also für diese Stunde
nicht der Gewissheit, dass wir bei Gott in Gnaden stehen? Muss es nicht
schrecklich sein, von seiner Todesstunde übereilt zu werden und nicht zu
wisssen, wie man mit Gott dran sei? Was gibt nun den rechten Trost in dieser
unserer letzten Not?
Lukas 7,11-17: Und es begab sich danach, dass er in
eine Stadt mit Namen Nain ging; und seiner Jünger gingen viele mit ihm und viel
Volk. Als er aber nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten
heraus, der ein einziger Sohn war seiner Mutter, und sie war eine Witwe. Und
viel Volk aus der Stadt ging mit ihr. Und da sie der HERR sah, jammerte sie ihn
und sprach zu ihr: Weine nicht! Und trat hinzu und rührte den Sarg an. Und die
Träger standen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, stehe auf! Und der Tote
richtete sich auf und fing an zu reden. Und er gab ihn seiner Mutter. Und es
kam sie alle eine Furcht an und priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer
Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk heimgesucht. Und diese
Rede von ihm erscholl in das ganze jüdische Land und in alle umliegenden
Länder.
Hier sehen wir, wie sich Christus einst als
einen Herrn auch des Todes bewies, indem er einen jungen Mann, dessen Leichnam
bereits nach seinem Grab getragen wurde, allmächtig aus dem Tod in das Leben
zurückrief. Diese Tatsache ist für uns ein Unterpfand, dass Christus auch uns
aus Todesnöten retten kann und will. Ich stelle euch daher jetzt vor:
Der
rechte Trost im Sterben
1.
Welchen Trost jeder Mensch im
Sterben braucht,
2.
Dass dieser Trost nicht in unseren
Werken und in unserer Frömmigkeit zu finden ist, und
3.
Dass man diesen Trost allein
Christus findet, wenn man sich auf ihn verlässt von ganzem Herzen.
Gott! Wir sind Sünder, und darum Kinder des
Todes, denn der Tod ist der Sünden Lohn; aber obwohl du nach deiner
Gerechtigkeit uns einst alle zum Tode verurteilen musstest, so willst du doch
nicht den Tod des Sünders, darum hast du uns eine ewige Hilfe von Tod und Hölle
bereitet. O, so hilf denn, dass, wenn einst auch unsere letzte Stunde gekommen
sein wird, unsere Seele nicht trostlos zage. Verlasse uns nicht, HERR, in jener
Stunde, da alle Kreaturen uns verlassen werden, und wenn nichts Irdisches uns mehr
trösten kann, so bleibe du doch unser Trost. Reiß uns heraus aus aller Angst
und Pein und geleite unsere Seele aus dem Kerker dieser Welt in das Paradies
deiner ewigen Freuden. Erhöre uns um der Marter, Angst und Todespein willen,
die dein lieber Sohn am Stamm des Kreuzes getragen hat. Amen.
1.
So lange, meine Lieben, ein Mensch nur
darauf denkt, hier in der Zeit glücklich zu sein, so lange kann ihn auch ein
bloß zeitlicher Trost recht wohl befriedigen. Da gereicht es ihm zu großem
Trost, wenn er sich mit zeitlichen Gütern wohl versorgt sieht, oder wenn er
sich doch in einer solchen Lage befindet, in welcher er die Aussicht hat, dass
es ihm am Zeitlichen nie fehlen werde. So lange ein Mensch an den ihm
bevorstehenden Tod nicht denkt, da dient es ihm zu großer Beruhigung, reiche
und angesehene Verwandte, Freunde und Gönner zu haben und von denen, unter
welchen er lebt, hoch geachtet und geehrt zu sein. Und will er ein Christ sein,
so ist es ihm dann genug, wenn nur andere ihn für einen Christen halten. Das
Mittel aber, welches die meisten Menschen gebrauchen, um sich hierbei aller
beunruhigenden Gedanken an den Tod zu entschlagen, ist der Vorsatz, sich später
noch zu Gott zu bekehren.
So vergänglich und zerbrechlich nun dieser
Trost ist, so wohl befinden sich doch dabei die meisten Menschen in der Welt;
und es ist wahr: Gäbe es keinen Tod, so würde er für die meisten Menschen
hinreichend sein. Aber der Mensch muss sterben. Dieses Leben ist nur eine
Saatzeit, in welcher wir das aussäen, was wir einst ernten werden. Dieses Leben
ist nur eine Vorbereitungsschule, in welcher wir das lernen sollen, was uns zum
Eingang in ein ewig seliges Leben nötig ist. Dieses Leben ist ein Lauf nach dem
Kleinod, das uns im Himmel aufbehalten ist, ein Kampf um die Siegerkrone, die
uns in jener Welt beigelegt ist.
Wird es daher einst mit uns zum Sterben
kommen, so wird uns der zeitliche Trost, der uns vielleicht im Leben völlig
beruhigt hatte, nichts mehr helfen. Da werden keinem irdisch gesinnten Reichen
seine Häuser, seine Äcker und sein Gold und Silber Trost geben; da werden
vielmehr alle diese irdischen Güter vor sein Sterbelager als seine Ankläger
treten. Da wird es in dem Gewissen heißen: Wie wirst du vor Gott bestehen? Wie
elend bist du nun, da du über dem Sammeln deiner zeitlichen Güter die Sorge für
deine unsterbliche Seele vergessen oder doch hintan gesetzt hast? Da ist’s auch
mit der Hilfe der menschlichen Verwandten, freunde und Gönner zu Ende. Da wird
auch das einen Sterbenden mit mehr beruhigen, dass ihn andere für einen
Christen gehalten haben und vielleicht noch halten. Da wird es auch nicht mehr
in dem Herzen heißen: Mache dir keine Unruhe wegen der Ewigkeit, du kannst dich
allezeit noch bekehren. Nein, im Tod braucht dann der Mensch einen anderen
Trost, soll er nicht verzagen oder doch durch den Tod in eine unselige Ewigkeit
eingehen.
Und welches ist der Trost, den wir dann
brauchen? Es ist kein anderer als dieser: Im Tod müssen wir vor allem wissen,
ob uns unsere Sünden vergeben sind, ob keine, auch nicht eine, unserer Sünden
noch in Gottes Schuldbuch angeschrieben ist, ob sie uns bei Gott nicht mehr
anklagen, ob wir mit Gott völlig ausgesöhnt sind, ob er nicht mehr mit uns
zürnt, ob er unser Vater ist und uns daher in Gnaden für seine lieben Kinder
ansieht. Im Tod müssen wir wissen, ob wir auch in dem strengen Gericht, das
nach dem Tod mit einem jeden gehalten werden wird, bestehen, ob wir dann nicht
werden verstummen und von Gott verurteilt werden müssen, sondern einen gnädigen
Richterspruch hören werden. Im Tod müssen wir wissen, ob wir nun nicht ewig
sterben, sondern durch den Tod zum ewigen Leben eingehen werden, und ob auch am
Jüngsten Tag unser armer Leib nicht in Schmach, sondern in Herrlichkeit wieder
werde auferweckt werden. Kurz, im Tod müssen wir wissen, ob die Hölle für uns
verschlossen und der Himmel für uns aufgetan sei, und ob wir wirklich zu den
Auserwählten gehören, die das Reich ererben werden, das ihnen bereitet wurde
von Anbeginn der Welt.
Ach, es ist ja schon traurig genug, wer das
in seinem Leben nicht weiß, aber über alles schrecklich ist es, ja, wer
mag den Jammer dessen beschreiben, der nun im Sterben liegt, an den Pforten der
Ewigkeit steht, es weiß, dass er wenig Augenblicken vor Gottes Richterstuhl
steht, und doch nicht weiß, ob er nun in die ewige Freude oder in den
ewigen Schmerz, in die ewige Ehre oder in die ewige Schande, in die ewige
Gemeinschaft mit Gott oder in die ewige Trennung von ihm, in die ewige
Seligkeit oder in die ewige Verdammnis, in den Himmel oder in die Hölle
eingehen werde?
2.
Doch, meine Lieben, hierin werdet ihr alle
mit mir übereinstimmen; lasst mich daher euch nun zweitens zeigen, dass der
Trost, den wir im Tod brauchen, nicht in unseren Werken und in unserer
Frömmigkeit zu finden ist.
Hätten, meine Lieben, alle diejenigen den
rechten Trost, welche in ihrer Sterbestunde ruhig und getrost sind, dann möchte
man allerdings glauben, dass der rechte Trost in unseren eigenen Werken zu
finden sei. Denn obwohl viele, die in ihrem Leben auf ihre Frömmigkeit sich
verlassen haben, endlich in ihren letzten Stunden wie aus einem Traum erwachen,
nun mit Schrecken einsehen, dass sie vor dem allerheiligsten Gott nicht werden
bestehen können, und daher unruhig und mit großer Herzensangst und Zagen erfüllt
werden, so sind doch die Meisten, die im Leben sicher dahingegangen
sind, auch in ihrem Tod ruhig und getrost. Entweder nämlich hoffen sie
bis auf den letzten Augenblick, sie würden jetzt noch nicht sterben und wieder
aufkommen, oder, wenn sie das nicht mehr hoffen können, so lassen sie doch
keine Gedanken, dass sie verloren gehen könnten, in ihr von der leiblichen
Angst des letzten Kampfes gefoltertes Herz. Die Verwandten und Freunde, die um
einen solche Sterbenden sind, suchen auch gewöhnlich alles zu vermeiden,
wodurch derselbe in Unruhe über seine Seligkeit gebracht werden könnte.
Aber mögen auch noch so viele getrost und
ruhig dahinsterben und sich damit trösten, sie hätte ja niemand etwas zu Leid
getan, sie hätten sich so gut, wie es in ihren Kräften gestanden habe, von
Jugend auf gehalten, sie seien ja nicht so große, keine offenbaren, groben
Sünder, darum würden sie ja gewiss in den Himmel kommen: Wer sich damit
tröstet, der hat den rechten Sterbenstrost noch nicht, und je ruhiger er
einschläft, desto schrecklicher wird sein Erwachen in der Ewigkeit sein. Von
dem reichen Mann wird uns nicht erzählt, dass er unter großer Angst gestorben
sei; da er zu seinen Brüdern gern zurückkehren wollte, um ihnen Buße zu
predigen, so müssen wir daraus schließen, dass er sanft und still eingeschlafen
ist, sodass man allgemein glaubte, er habe ein schönes, seliges Ende genommen
und sei in das Land einer ewigen Vergeltung ohne Qual und Pein
hinübergeschlummert. Aber wie schrecklich war sein Erwachen in jener Welt! Kaum
hatte sich seine Seele vom Leib getrennt, so lag sie auch in den Flammen der Hölle,
und während man vielleicht an seinem Grab von seinem schönen, erbaulichen Ende
redete und Lobreden auf seine Tugend hielt, war er selbst in der Hölle und in
der Qual. Ach, wie oft mag das noch jetzt geschehen!
Lasst euch darum nicht betören, meine
Lieben, zu glauben, dass ein Mensch in seinen eigenen werken den rechten Trost
in seinem Tod finden könne. Gesetzt, ein Mensch hätte alles getan, was er zu
tun schuldig war, so spricht Christus, er müsse selbst dann sagen, er sei ein
unnützer Knecht gewesen, der keine Belohnung dafür fordern und hoffen könne,
denn er habe dann doch eben nur getan, was er zu tun schuldig war. Aber wo gibt
es einen Menschen, der nur sagen kann, er habe seine Schuldigkeit vor Gott erfüllt?
Muss nicht jeder bekennen: „Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den
wir an Gott haben sollten“? Muss nicht jeder mit David besonders sagen: „HERR,
gedenke nicht der Sünden meiner Jugend noch aller meiner Übertretung“? Muss
nicht jeder gestehen, dass sein Gewissen gar manche Wunde habe, die er sich mit
dieser und jener Sünde schlug? Trägt nicht jeder die heimlichen Vorwürfe in
seinem Herzen mit sich herum: Siehe, das und das hast du getan? Menschen wissen
es wohl nicht, aber Gott, der alles sieht und hört, weiß es wohl, er wird’s
richten; wie wirst du bestehen?
Und, meine Lieben, hier rede ich nur von
der Sündenerkenntnis, die jeder Mensch hat, auch der sich nicht ernstlich nach
Gottes Wort prüft. Wer aber das tut, vor dem Heiligen Geist noch sein Herz
auftut, dass er ihm sein Herz recht aufdecken kann, der wird nicht nur diese
und jene Befleckung von Sünden an sich wahrnehmen, der wird noch ganz anders
reden und bald sagen: Ach, ich bin ein Sünder vom Scheitel bis zur Fußsohle;
das Dichten und Trachten meines Herzens ist böse gewesen von Jugend auf; meiner
Sünden sind mehr, als der Haare auf meinem Haupt und des Sandes am Meer; und wo
Gottes Gnade ja etwas Gutes durch mich ausgerichtet hat, da ist es doch immer
nicht rein, sondern ich habe es mit manchem Bösen, das Gott wohl an mir sah,
befleckt.
Muss aber jeder Mensch so von sich sagen,
wenn er sich nur einigermaßen selbst kennen gelernt hat, so frage ich euch: Wie
können also unsere eigenen Werke und unsere eigene Frömmigkeit der rechte Trost
im Tod sein? Wie kann man sich seiner Werke vor Gott trösten, da jedes, auch
das Beste, mit Sünden befleckt ist, und da noch außerdem unzählige Sünden uns
vor Gott verwerflich und verdammlich machen? Wer sich im Tod auf seine Werke,
auf seine Frömmigkeit, auf sein tugendhaftes Leben, auf sein Christentum, auf
sein Kirchen- und Abendmahlgehen, auf sein Beten und Singen und dergleichen
verlässt, der handelt ebenso töricht, als wollte er sich eine Brücke von Stroh
über einen Feuerstrom bauen. Eher wird ein Mensch auf einem Brett über das
brausende Weltmeer schiffen und die Ufer des jenseitigen Festlandes glücklich
erreichen, als dass ein Mensch mit seinen guten Werken über den Abgrund des
Todes kommen und glücklich das Ufer jener seligen Welt erreichen sollte.
3.
So entsteht nun die dritte und letzte
Frage: Welches ist also der einzige wahre Grund des Trostes im Sterben? Dies
zeigt uns unser Evangelium. Da sehen wir, wie auf Christi Wort und Willen Tod
und Hölle still stehen; wie er nicht nur den Trauernden zuruft: „Weine
nicht“, sondern ihre Tränen wirklich trocknet, indem er ihren Toten erweckt
und dem Grab seine Beute nimmt. Es ist also kein anderer als Jesus Christus,
auf den wir uns von ganzem Herzen verlassen müssen.
Es gibt, meine Lieben, viele, welche zwar
so viel einsehen, dass kein Mensch durch seine guten Werke sich den Himmel
verdienen und mit denselben im Tod sich wahrhaft trösten könne, die aber
dennoch ihren eigenen Trost nicht auf Jesus Christus setzen; sie bauen nämlich
auf die Liebe Gottes und hoffen, da Gott aller Menschen Vater sei, so sei er
auch ihr Vater, und er werde daher gewiss nicht nach aller Strenge mit ihnen
handeln, sondern aus Gnade und Liebe sie selig machen. Solche scheinen nun
freilich einen guten Grund des Trostes zu haben. Denn welchen besseren Grund
kann es geben als Gott und seine ewige Liebe?
Aber, meine Lieben, es scheint nur so. Denn
wohl ist Gott voll Liebe, nach welcher er alle Sünder selig machen will, aber
ist er nicht auch gerecht? Ist er nicht auch heilig? Vermöge seiner
Gerechtigkeit und Heiligkeit aber muss er die Sünder strafen und nach seiner
Gerechtigkeit und Heiligkeit hat Gott den Sündern schon im Paradies den Tod
gedroht; wer sich daher allein an Gott den Vater mit seinen Sünden wenden will
und dabei an dem Sohn vorübergeht, der muss unrettbar den ewigen Tod sterben.
Aber, werdet ihr sagen, muss dann nicht
alle Welt verloren sein, wenn Gottes Liebe selbst sie nicht retten kann? Ich
antworte: Nein. Eben darum ist Gottes Sohn den Tod der Sünder gestorben, damit
der Sünder leben könne. Eben darum hat Gottes Sohn die Todesstrafe, die Gott
allen Sündern gedroht hatte, auf sich genommen und des Todes Kelch geleert und
seine bitterste Bitterkeit in Gethsemane und Auf Golgatha geschmeckt, damit
Gott denjenigen die Strafe schenken könne, die sich auf seines Sohnes Tod
berufen und verlassen von ganzem Herzen. Außer Christus will und kann Gott
keinem Menschen gnädig sein; wer aber mit Christus vor Gott kommt, mit dem kann
und will Gott nicht zürnen; außer Christus muss Gott nach seiner strengen
Gerechtigkeit handeln, da ist er ein verzehrendes Feuer, wer aber mit Christus
sich ihm naht, der findet an Gott einen versöhnten Vater und einen
überfließenden Brunnquell von Liebe, Gnade und Erbarmen. Außer Christus muss
Gott alles an uns verwerfen und verdammen; kommen wir aber mit Christus vor ihn
so gefallen wir ihm wohl mit unserem ganzen Leben, und was noch sündlich und
befleckt an uns ist, deckt Gott um Christi Todes willen gnädig zu.
Wollt ihr daher, geliebte Zuhörer, einst in
eurer Todesnot einen wahren, festen, untrüglichen Trost haben, so müsst ihr
lernen, euch von ganzem Herzen und allein auf Christus zu verlassen. Aber
bedenkt wohl: allein und von ganzem Herzen. Viele sagen wohl: Ich
verlasse mich auf Christus; aber sie nehmen Christus nur neben ihren Werken
mit, neben ihrem Beten, neben ihrem Kirchengehen, kurz neben ihrem Christentum;
sie glauben an Christus, nicht weil sie erfahren haben, dass sie gar nichts
haben, sondern weil sie das Gewisse für das Ungewisse nehmen wollen.
Denn wer mit einem Auge auf sein Christentum und mit anderen dem Auge auf
Christus sieht, der will mit Christus die Ehre der Seligmachung teilen und
verwirft Christus, indem er meint, an ihn zu glauben.
Ja, sprichst du, wer kann sich hiernach
einen solchen Glauben geben? Und wer kann jemals gewiss wissen, ob er in diesem
Glauben stehe? Ich antworte: Du redest recht; kein Mensch ist im Stande, sich
einen solche Glauben selbst zu geben, und keiner im Stande, von sich selbst zu
wissen, ob er in dem rechten Glauben stehe. Er ist ein Geheimnis, das niemand
lehren kann als Gott der Heilige Geist. Denn, spricht St. Paulus: „Niemand kann
Jesus einen HERRN heißen außer durch den Heiligen Geist“; und Christus selbst
spricht: „Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit kommen wird, – derselbe
wird mich verklären.“ Ganz wahr spricht daher auch Luther in seiner Vorrede zum
Brief des Paulus an die Römer: „Bitte Gott, dass er den Glauben in dir wirke,
sonst bleibst du wohl ewig ohne Glauben, du dichtest und tust, was du willst
oder kannst.“
O, so wollt euch daher nicht selbst helfen,
meine Lieben, sondern bittet, bittet Gott, dass er den wahren Glauben, der sich
allein und von ganzem Herzen auf Christus verlässt, in euch wirke; und gibt
euch der Heilige Geist Zeugnis, dass er ihn in euch gewirkt habe, so bedenkt,
dass dieser Glaube gar leicht wieder verloren werde. Bittet daher täglich wie
die lieben Jünger: „HERR, stärke uns den Glauben“, das heißt, mache uns immer
ärmer in uns selbst, immer ärmer am Geist, dass wir unseren Reichtum, unsere
Gerechtigkeit, unseren Trost und unsere Seligkeit allein in Christus suchen.
Werdet ihr das tun, so wird Gott das Licht eures Glaubens, und wenn es auch oft
würde wie ein glimmendes Döchtlein, nie verlöschen lassen.
Und, o selig ist, wer dann in seiner
Todesstunde im lebendigen Glauben steht! Mag dann sein Herz Freudigkeit oder
Zagen, Gnade oder Zorn, Leben oder Tod fühlen; er hält sich an das Wort, das da
spricht: „Christus ist die Auferstehung und das Leben; wer an ihn glaubt, der
wird leben, ob er gleich stürbe.“ Mit dieser Leuchte in seinen Händen steigt
der Gläubige getrost hinab in das finstere Todestal; denn, wird es auch um ihn
immer finsterer und finsterer, umfangen ihn auch Schrecken der Hölle, brauchst
auch hier eine Tiefe und da eine Tiefe, in der er zu versinken scheint: Es
dauert nur wenige Augenblicke; nach kurzem Ringen und Kämpfen bricht er endlich
hindurch durch die enge Pforte, und er geht ein zum ewigen Leben. Drum:
Halte aus!
Zion, halte deine
Treu!
Lass dich ja nicht
laue finden.
Auf! Das Kleinod
rückt herbei,
Auf! Verlasse, was
dahinten.
Zion, in dem
letzten Kampf und Strauß
Halte aus!
Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserem teuren Heiland,
herzlich geliebte Zuhörer!
Zu den mancherlei Gesetzen, welche Gott
einst durch Mose dem Volk Israel auferlegt hat, gehört unter anderem das Gesetz
von den Sabbattagen und von den Sabbatjahren, welche dasselbe feiern sollte.
Der Sabbattag war der siebte Tag in
jeder Woche oder, wie wir ihn jetzt nennen, der Sonnabend. Davon spricht Gott
im dritten Gebot: „Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage
sollst du arbeiten und alle deine Werke tun; aber am siebten Tag ist der Sabbattag
des HERRN, deines Gottes. Da sollst du kein Werk tun, noch dein Sohn, noch
deine Tochter, noch dein Knecht, noch deine Magd, noch dein Vieh, noch dein
Fremdling, der in deinen Toren ist.“ Aus anderen Stellen der Heiligen Schrift
ersehen wir, dass die Israeliten am Sabbat daher auch keine Berufsreise
unternehmen, keine Last tragen, kein Holz lesen, nicht backen, nicht kochen
noch ein Feuer anzünden durften; und dies alles war ihnen so streng verboten,
dass der des Todes sterben sollte, welcher am Sabbattag irgendein Werk oder
eine Arbeit tun würde; daher, als einstmals ein Israelit in der Wüste am Sabbat
Holz las, derselbe auf Gottes besonderen und ausdrücklichen Befehl zu Tode
gesteinigt werden musste.
Doch Gott hat den Israeliten nicht nur an
einem jeden siebten Tag einen Sabbattag zu halten befohlen,
sondern, wie wir aus dem dritten Buch Mose, im 25. Kapitel, ersehen, auch an
einem jeden siebten Jahr ein ganzes Sabbatjahr zu feiern
verordnet. Während jedes solchen Sabbatjahres musste, wie Mose dort schreibt,
auch das Land seine große Feier dem HERRN feiern; der Israelit durfte daher in
diesem Jahr weder säen, noch ernten, weder seinen Weinberg beschneiden, noch
seine Trauben lesen; was in diesem Sabbatjahr von selbst, ohne Zutun und Arbeit
der Israeliten wuchs, das konnte jedermann essen, mochte er nun Herr oder
Knecht, Magd oder Tagelöhner, Hausgenosse, mochte er Israelit oder ein
Fremdling sein.
Doch außer diesem an jedem siebten
Jahr zu feiernden Sabbatjahr mussten die Israeliten noch ein zweiten nach
Verlauf von je siebenmal sieben Jahren, also an jedem fünfzigsten Jahr, halten.
Dies war das große Hall- und Jobeljahr oder allgemeine Erlassjahr. Da durfte
der Israelit nicht nur auch weder säen noch ernten, sondern da sollte auch
jeder wieder zu seiner Habe kommen. Wer von einem Israeliten ein Feld gekauft
hatte, der musste am Hall- und Jobeljahr es ihm wieder zurückgeben, und wer
einen Israeliten sich zum Knecht gekauft hatte, der musste ihn in diesem Jahr
wieder loslassen. Mit Anbruch dieses Jahres war der Schuldner und der Verkaufte
mit einem Mal wieder frei und der Verarmte und aus dem Erbe seiner Väter
Verdrängte kam plötzlich wieder zu dem Seinen.
Diese den Israeliten gegebenen Gebote von
der Feier von Sabbattagen und Sabbatjahren hatten, meine Lieben, einen
vierfachen Zweck: 1. Sollte der Israelit diese schwere Last tragen, damit er
dadurch zur Sehnsucht nach der Freiheit erweckt würde, welche der verheißene
Messias bringen sollte; 2. Sollte dadurch allen Arbeitern, besonders den armen,
eine Zeit leiblicher Ruhe verschafft und dem durch Unglück oder Unterdrückung
um das Seine Gekommene wieder zu dem Seinen verholfen und so dem Geiz, der
Habsucht und der Unterdrückung eine Grenze gesetzt werden; 3. Sollte dadurch
das israelitische Volk daran erinnert werden, dass es berufen sei, ein heiliges
Volk zu sein, dass seine Zeit und seine Güter dem HERRN zum Opfern darbringen
müsse; und endlich 4. Sollten sowohl die Sabbattage wie die Sabbatjahre
Nachbilder sein der Ruhe Gottes nach vollbrachtem Schöpfungswerk, und Vorbilder
der Ruhe des Messias nach vollbrachtem Erlösungswerk, der Ruhe der Gläubigen
des Neuen Bundes, und endlich der ewigen Ruhe aller Seligen im Himmel.
Ihr seht hieraus: da das Gebot sowohl der
bestimmten Sabbattage wie Sabbatjahre teils ein Zuchtgesetz für die Israeliten
war, teils zu den Vorbildern des Alten Testaments gehörte, so sind wir Christen
nun in der Zeit des Neuen Testaments davon frei. Zwar feiern wir Christen jetzt
den ersten Tag der Woche, nämlich jeden Sonntag, aber nicht, weil Gott selbst
den Sonntag dazu eingesetzt hätte, sondern als eine freie menschliche, jedoch
gute kirchliche und christliche Ordnung, zum Gedenken der Auferstehung Jesu
Christi, unseres Heilandes, von den Toten.
Dass dem so sei, sehen wir deutlich aus
mehreren klaren Stellen in den neutestamentlichen Schriften., Unter anderem
schreibt Paulus an die Kolosser, im 2. Kapitel, im 16. und 17. Vers: „So lasst
nun niemand euch Gewissen machen über Speise oder über Trank oder über
bestimmten Feiertagen oder Neumonden oder Sabbaten; welches ist der Schatten
von dem, was zukünftig war, aber der Körper selbst ist in Christus.“ Im 14.
Kapitel seines Briefes an die Römer aber sagt derselbe Apostel, dass ein
starkgläubiger Christ von rechter Erkenntnis „alle Tage gleich hält“, das
heißt, er hält keinen Tag an sich für heiliger als den anderen, er hält daher
jeden anderen Wochentag so heilig wie den Sonnabend und Sonntag.
Ihr werdet jedoch sagen: Hat denn Gott
nicht das dritte Gebot gegeben: „Du sollst den Feiertag heiligen“? Ist also der
Christ nicht noch immer auch im Neuen Testament verbunden, auch dieses Gebot zu
halten? Ich antworte: Allerdings; ja, wehe dem, welcher ein Christ sein und
doch den Sabbat nicht halten will! Dies bedarf jedoch einer näheren Erklärung.
Lukas 14,1-11: Und es begab sich, dass er kam in
ein Haus eines Obersten der Pharisäer auf einen Sabbat, das Brot zu essen. Und
sie hielten auf ihn. Und siehe, da war ein Mensch vor ihm der war
wassersüchtig. Und Jesus antwortete und sagte zu den Schriftgelehrten und Pharisäern
und sprach: Ist’s auch recht, auf den Sabbat heilen? Sie aber schwiegen still.
Und er griff ihn an und heilte ihn und ließ ihn gehen. Und antwortete und
sprach zu ihnen: Welcher ist unter euch, dem sein Ochse oder Esel in den
Brunnen fällt, und er nicht sogleich ihn herauszieht am Sabbattag? Und sie
konnten ihm darauf nicht wieder Antwort geben. Er sagte aber ein Gleichnis zu
den Gästen, da, er merkte, wie sie erwählten, obenan zu sitzen, und sprach zu
ihnen: Wenn du von jemand geladen wirst zur Hochzeit, so setze dich nicht
obenan, dass nicht etwa ein Ehrlicherer als du von ihm geladen sei, und so dann
kommt, der dich und ihn geladen hat, spreche zu dir: Weiche diesem! und du
müssest dann mit Scham untenan sitzen. Sondern wenn du geladen wirst, so gehe
hin und setze dich untenan, damit, wenn da kommt, der dich geladen hat, spreche
zu dir: Freund, rücke hinauf! Dann wirst du Ehre haben vor denen, die mit dir
zu Tisch sitzen. Denn wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden; und
wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden.
In diesem Evangelium hören wir, wie die
Pharisäer einst auf Christus wegen der Sabbatfeier hielten, und wie Christus
ihnen diese bei dieser Gelegenheit auslegte. Lasst mich euch daher jetzt
vorstellen:
Die
Sabbatfeier, welche Gott auch von den Christen des Neuen Testaments fordert
Wie sie nämlich
1.
Nicht sowohl eine äußerliche, als
vielmehr eine innerliche, und
2.
Nicht eine an einen bestimmten Tag
gebundene, sondern eine tagtägliche sei.
1.
Lesen wir, meine Lieben, die Geschichte des
israelitischen Volkes, wie uns dieselbe in den göttlichen Schriften des Alten
Testaments erzählt wird, so finden wir, dass zu allen Zeiten die meisten
Israeliten der Meinung gewesen sind, wenn sie die ihnen gebotenen äußerlichen
Werke pünktlich verrichteten, so hätten sie damit alles getan, was Gott von
ihnen fordere. Gott hatte ihnen nämlich die Gebote gegeben, sich beschneiden zu
lassen, gewisse äußerliche Reinigungen zu beobachten, gewisse Opfer darzubringen
und am Sabbat sich aller Werke des täglichen irdischen Berufs zu enthalten.
Taten sie dies nun, so meinten die Meisten, damit Gott genuggetan zu haben und
ihm schon damit wohlzugefallen. Dies war jedoch ein arger Wahn, den die
Propheten aller Zeiten ebenso oft wie ernstlich gerügt und gestraft haben. Sie
zeigten nämlich dem Volk, dass Gott vor allem das Innerliche, das Herz, den
Glauben und die Liebe, ansehe; ohne dies wollte er daher von keinem äußerlichen
Werk etwas wissen. So ruft z.B. der Prophet Jeremia den bereit s äußerlich
beschnittenen Juden im vierten Kapitel seiner Weissagungen zu: „Beschneidet
euch dem HERRN und tut weg die Vorhaut eures Herzens, damit nicht mein
Grim ausfahre wie Feuer“; und“ Wasche, Jerusalem, dein Herz von der
Bosheit, damit dir geholfen werde.“ Ferner schreibt Jesaja im ersten Kapitel:
„Was soll mir die Menge eurer Opfer? Spricht der HERR. Wer fordert solches von
euren Händen? Wascht, reinigt euch, tut euer böses Wesen von meinen Augen,
lasst ab vom Bösen, lernt, Gutes tun.“ Daher spricht auch Samuel zu Saul:
„Gehorsam ist besser als Opfer“, und der Prophet Hosea, kap. 6, im Namen des
HERRN: „Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer; und an der Erkenntnis
Gottes und nicht am Brandopfer.“ Dies wusste David wohl, daher spricht er in
seinem Bußgebet: „Du hast nicht Lust zum Opfer, ich wollte dir es sonst wohl
geben; und Brandopfer gefallen dir nicht. Die Opfer, die Gott gefallen, sind
ein geängstigter Geist.“ Ebenso straften aber die Propheten auch das
israelische Volk, wenn es meinte, dass es seine Sabbate und Feste durch bloßes
äußerliches Ruhen von aller Arbeit gottgefällig halte. So ruft daher unter
anderem der Prophet Amos im Namen des HERRN dem Volk zu im fünften Kapitel:
„Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie, und mag nicht riechen in eure
Versammlung. Tu nur weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein
Psalterspiel nicht hören.“ Ja, im Propheten Maleachi, im zweiten Kapitel, nennt
der HERR alle äußerliche Feier des Sabbats und der Feste ohne Herzensreinigkeit
Kot und spricht: „Ich will den Kot eurer Feiertage euch in das Angesicht
werfen.“
Von solcher Gesinnung waren den auch die
Pharisäer, von welchen in unserem heutigen Evangelium erzählt wird. Diese waren
so genau und streng darin, am Sabbat nicht das Geringste zu tun, was nicht zum
äußerlichen Gottesdienst gehörte, dass sie selbst über das Gesetz Moses
hinausgingen und es vor dem Volk für eine höchste verbrecherische
Sabbatschändung erklärten, dass Christus am Sabbat Gutes tat. Als daher
Christus nach unserem Text einst an einem Sabbat auf die Einladung eines
Obersten der Pharisäer zu einem Gastmahl in dessen Haus kam, da, heißt es, „hielten
sie auf ihn“. Um nämlich Christus nach ihrer Meinung in Versuchung zu
führen, hatten sie einen Wassersüchtigen herbeigeschafft. Aber was tut
Christus? Er legt sogleich den Pharisäern die Frage vor: „Ist’s auch recht,
auf den Sabbat heilen?“ Keiner wagte, hierauf zu antworten; keiner getraut
sich nämlich zu beweisen, dass es unrecht sei, am Sabbat einen Kranken
gesund zu machen; keiner will aber auch es zugestehen, dass es recht
ist. Da nun alles schweigt, greift Christus den Wassersüchtigen an, heilt ihn,
lässt ihn gehen und tut noch die Frage an die heuchlerischen Leute: „Welcher
ist unter euch, dem sein Ochse oder Esel in den Brunnen fällt, und er nicht
sogleich in herauszieht am Sabbattag?“ Geschlagen in ihrem Gewissen,
beobachtet die gegenwärtige Gesellschaft nun auch auf diese Frage ein tiefes
Stillschweigen; ihr Gewissen sagt es ihnen, dass Christus aus der Wahrheit ist
und dass hingegen ihre äußerliche Strange in der Sabbatfeier nichts als
Heuchelei ist.
Aber Christus lässt es auch hierbei nicht
bewenden. Als nämlich hierauf die sonst so fromm sich anstellenden Gäste „erwählten,
obenan zu sitzen“, straft er diesen ihren lächerlichen Stolz öffentlich und
zeigt ihnen, dass nur ein von Herzen Demütiger Gott gefalle, dass daher alle
äußerliche Strenge in der Sabbatfeier Gott nur ein Greuel ist, wenn hierzu
nicht der rechte innere Sabbat, nämlich das Ruhen von allen sündlichen
Begierden und Neigungen des Herzens, das Ruhen von Ehrsucht, Vergügungssucht
und Habsucht hinzukomme.
Ihr seht hieraus, meine Lieben: Einen
solchen geistlichen Sinn hatte also das Sabbatgesetz schon in der Zeit des
Alten Testaments. Hat es aber schon im Alten Bund einen solchen geistlichen
Sinn gehabt, so hat es denselben nun in der Zeit des Neuen Bundes noch viel
mehr.
Es ist zwar gewiss, obgleich ein Christ
weiß, dass Gott den Sonntag nicht eingesetzt und das Arbeiten an diesem Tag
nicht verboten hat, dass dies vielmehr nur eine menschliche kirchliche Ordnung
ist, so wird doch jeder Christ seinen Sonntag streng feiern: Er wird den
Gottesdienst besuchen und an diesem Tag auch zu Hause und bei guten Freunden
sich viel im Gottes Wort und göttlichen Dingen beschäftigen. Das ist das
Kernstück. Einige aber meinen, sie müssten dem Alten Testament nacheifern und
sagen, ein Christ dürfe am Sonntag, auch nach dem Gottesdienst, nimmermehr
seinem täglichen irdischen Beruf nachgehen; er müsse sich sorgfältig aller
Werke, welche nicht Not- und Liebeswerke sind, enthalten; er dürfe am Tag des
HERRN keine Vergnügungsreise machen, viel weniger öffentliche Vergnügungsorte
besuchen.[28]
Allein, mag ein Mensch den Sonntag noch so streng mit äußerlicher Ruhe von
aller Arbeit feiern, so ist das doch noch keineswegs die Sabbatfeier, welche
Gott auch von den Christen fordert. Ja, es kann ein Mensch vielleicht nie an
einem Sonn- oder Feiertag gearbeitet, vielleicht nie an diesem Tag an einem
weltlichen Vergnügen teilgenommen, hingegen jedem Gottesdienst und jeder
Betstunde pünktlich beigewohnt haben, und er kann bei alle dem doch noch nie
den neutestamentlichen Sabbat gefeiert haben.
Die wahre, eigentliche Beschaffung des
neutestamentlichen Sabbats drückt Luther in seinem Lied „Dies sind die heilgen
zehn Gebot“, kurz, klar und wahr mit den Worten aus: „Du sollst von dein’m Tun
lassen ab, dass Gott sein Werk in dir hab.“ Von Natur sind nämlich alle
Menschen gleich einem Schiff, das auf dem Meer dieses irdischen Lebens bald von
diesem, bald von jenem Sturm sündlicher Triebe und Leidenschaften unstetig
umhergetrieben wird. Von Natur irrt der Mensch in dieser Welt umher, sucht
Frieden und findet ihn nicht. Es ist bei ihm ein ewiges Ankern nach einem
verlorenen Ruhepunkt, den er nimmer trifft. Der Eine trachtet deswegen nach
Reichtum, der andere nach Vergnügen, einer dritter nach Ehre, aber auch dieses
ihr Ziel erreichen die Wenigsten, und wenn sie dasselbe erreichen, so finden
sie doch dabei die Ruhe und den Frieden des Herzens nicht, den sie davon
hofften; denn wahre Ruhe und wahren Frieden findet der Mensch nur, wenn er
wieder in Gott und Gott wieder in ihm ruht.
Seht hieraus, meine Lieben, der
Mensch allein feiert endlich den neutestamentlichen Sabbat, welcher nach
vergeblichem Ringen und Jagen nach dem Glück in der Welt endlich ruht von
seinen Sorgen, ruht von seinem Trachten nach Reichwerden, ruht von seinem
Laufen nach sinnlichen Vergnügungen, ruht von seinem Streben nach Ehre, kurz,
ruht von seinen sündlichen Leidenschaften und in Gott, in seiner Gnade und
Gemeinschaft die Befriedigung aller seine Wünsche findet. Er ruft mit jenem
gottseligen Dichter aus:
Ich habe gnug!
Ich lieg an Jesu
Brust
Und Gottes
Vaterherz,
Was will ich mehr?
Das gibet mir nur
Lust,
Durchsüßet meinen
Schmerz.
Den Vorschmack hab
ich schon auf Erden,
Was will in jener
Welt noch werden? –
Ich habe gnug!
Hiernach müsst ihr euch prüfen, wenn ihr
wissen wollt, ob ihr schon angefangen habt, den rechten christlichen Sabbat zu
halten; ob ihr auch sagen könnt, recht von Herzensgrund: „Ich habe gnug.“ Ob
ihr nämlich das Glück nicht mehr sucht in menschlicher Ehre, wie die Pharisäer,
oder in irdischen Gütern, in weltlicher Lust, sondern ob ihr, wen euch auch
alles Irdische genommen würde, sagen könnt: Das Beste habe ich doch nicht
verloren, ja, ich habe nichts verloren, denn ich habe noch Gott und ruhe in
seinen Armen.
Zu einem solchen innerlichen Sabbat muss
jeder Mensch schon hier kommen, sonst kommt er nicht zur ewigen Ruhe; zu jenem
Sabbat kommt aber der Mensch allein durch wahre Buße. Der Mensch muss nämlich
erst einmal zu rechter Unruhe über seine Sünden kommen, und zwar zu einer
solchen Unruhe, in welcher der Mensch nicht ruht, bis er sagen kann:
Ich habe nun den
Grund gefunden,
Der meinen Anker
ewig hält.
Wo anders als in
Jesu Wunden?
Da lag er vor der
Zeit der Welt.
Der Grund, der
unbeweglich steht,
Wenn Erd und
Himmel untergeht.
2.
Doch, meine Teuren, die Sabbatfeier, welche
Gott auch von den Christen des Neuen Testaments fordert, ist nicht nur eine
nicht sowohl äußerliche, als vielmehr innerliche, sondern auch zweitens nicht
eine an einen bestimmten Tag gebundene, sondern eine tagtägliche.
Über keine Lehre hat man seit länger als
200 Jahren selbst mitten in der lutherischen Kirche so falsche Ansichten
gehabt, wie über die Lehre vom Sabbat. Die Meisten haben nämlich geglaubt, wie
Gott für das Alte Testament den Sonnabend eingesetzt habe, so habe er nun für
das Neue Testament den Sonntag festgesetzt. Daher gibt es denn viele, welche,
wenn sie an jedem Sonntag nicht arbeiten und womöglich zweimal in die Kirche
und zuweilen zur Beichte und zum heiligen Abendmahl gehen, meinen, dass sie
damit alle ihre Christenpflichten erfüllt hätte, obgleich sie sonst an den
Wochentagen fast nur noch dem Irdischen trachten, keine tägliche Hausandacht
mit den Ihren halten, ja, sogar weder morgens noch abends, weder vor noch nach
Tisch beten. Solche meinen, sechs Tage hätten sie dazu, sie der Welt und ihrem
Fleisch zu opfern, und Gott wolle dann gern zufrieden sein, wenn man ihm den
siebten Tag opfere. Sechs Tage in der Woche wollen sie Nichtchristen sein, und
sonntags Christen.
Es gibt jedoch andere, die es wohl wissen,
dass der Sabbat des Alten Bundes aufgehoben und der Sonntag nicht von Gott,
sondern von der Kirche eingesetzt ist, die aber nun meinen, sie brauchten gar
keinen, auch den Sonntag nicht, zu feiern. Diese sind freilich ärger als jene.
Denn während jene wenigstens gesetzliche Sonntagschristen sind, so sind
hingegen diese gesetzlose Siebentagsnichtchristen.
Beide verstehen Gottes Wort falsch nach
ihres blinden, bösen Herzens Sinn und Neigung.
Es ist ja freilich wahr, dass Gott den
Sonntag nicht, wie einst den Sonnabend, eingesetzt hat; daher ist denn der
Gottesdienst aller derer verloren, welche in ihre strenge Sonntagsfeier ihre
Gerechtigkeit vor Gott setzen. Allein, wir dürfen nicht meinen, dass ein Christ
darum Gott an keinem Tag mehr Sabbat zu halten schuldig sei. Das sei
ferne! Schon Jesaja weissagt in dem letzten Kapitel seiner Weissagungen, dass
in der Zeit des Neuen Bundes vielmehr fort und fort „ein Sabbat nach dem
anderen“, das also bei den Christen alle Tage Sabbat sein werde. Dies
bestätigt St. Paulus, indem er denen, welche nach jüdischer Weise auf besondere
Tage hielten, zuruft: „Unser keiner lebt sich selber, unser keiner stirbt sich
selber. Leben wir, so leben wir dem HERRN, sterben wir, so sterben wir dem
HERRN. Darum, wir leben oder wir sterben, so sind wir des HERRN.“
Ihr seht also: Unsere ganze Zeit soll des
HERRN sein; will daher ein Mensch ein Christ sein, so muss er täglich Sabbat
halten; sein ganzes Leben nämlich und alle seine Werke müssen ein Gottesdienst
werden, das heißt, er muss alles im Namen des HERRN und zu seiner Ehre, im
Glauben und in der Liebe tun.
Wer nun aber das tut, der wird freilich mit
Freuden den von der Kirche eingesetzten Sonntag halten; er wird frei und ohne
Zwang sich aller irdischen Sorgen und Geschäfte am Sonntag entschlagen [wenn
sie nicht durch äußere Umstände nötig sind], Gottes Wort in dem Haus des HERRN
zu hören, nie aus fleischlichen Absichten versäumen und sodann auch den Tag
über vor allem mit göttlichen Dingen sich beschäftigen [, aber nicht als
Vorschrift]. Aber damit wird ein wahrer Christ sich nicht zufrieden stellen.
Sein eigenes Haus wird er zu einer Kirche machen, in welcher er täglich mit den
Seinen Gott dient. Er wird nicht nur des morgens und abends mit Gebet vor Gott
treten, nicht nur nie ohne Gebet sich zu Tisch setzen und von seiner Mahlzeit
aufstehen; er wird auch Gottes Wort für sich und mit den Seinen so oft treiben,
wie er sich nur dazu von seinen irdischen Geschäften losreißen kann. Auf dem
Altar seines Herzens aber wird Tag und Nacht die Flamme des Glaubens, der Liebe
und der Hoffnung brennen, und das sein herzlichster Wunsch sein, Gottes
Eigentum zu sein und zu bleiben nach Leib und Seele in Zeit und Ewigkeit.
Wenn ihr euch nun hiernach prüft, liebe
Zuhörer, was findet ihr da? Sind etwa auch unter uns solche Sonntagschristen,
die Gott den siebten Tag geben, aber die sechs Wochentage der Welt und ihrem
Fleisch opfern wollen? Sind ferner vielleicht selbst solche unter uns, die die
christliche Freiheit so verstehen, dass sie nun außer den Wochentagen auch den
Sonntag ihrem Fleisch opfern können? Wo sind aber die, die täglich Sabbat
halten? Deren Haus ein Tempel, deren Kammer eine Betkapelle, deren Leben ein
steter Gottesdienst, deren Familie eine Hausgemeinde und deren Herzen ein Altar
ist voll glühender, nie verlöschender Kohlen der Andacht, des Glaubens und der
Liebe?
O meine Lieben, täuscht euch nicht! Eben
darum ist Christus in die Welt gekommen, um uns in diese unruhevolle, friedlose
Welt den innerlichen steten Sabbat der Seelen zu bringen, dass wir in Gott
ruhen und Gott in uns ruhe. Nur wenn wir das in uns wirken lassen und bewahren,
so sind wir wahre Christen. Wohl uns aber dann! Denn ob wir auch hier noch
nicht zur vollkommenen Ruhe eingegangen sind, ob auch hier noch oft unser
Seelenfriede durch die Überbleibsel unserer Sünde und unseres Unglaubens, durch
der Welt Lockungen und Drohungen, durch äußerliche Trübsale und innerliche
Anfechtungen gestört wird, die Schrift ruft uns ja zu: „Es ist noch eine Ruhe
vorhanden dem Volk Gottes“, nämlich im Himmel; die wird vollkommen und
ungestört sein.
Mit dieser tröste dich, du müder kämpfender
Christ., Arbeite und kämpfe nur getrost fort, in Kurzem wirst du Feierabend
bekommen; bald werden die beschwerlichen Werktage dieses irdischen Lebens zu
Ende sein; mit deinem Tod wird, wenn du nur bis dahin treu bleibst, der ewige
Sabbat anbrechen in dem Tempel des Himmels. Da wirst du nicht mehr des Tages
Last und Hitze tragen müssen; da wirst du dein Brot nicht mehr im Schweiß
deines Angesichts essen müssen; denn „selig sind die Toten, die in dem HERRN
sterben; ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von aller ihrer Arbeit und ihre
Werke folgen ihnen nach“.
Dein Leib zwar wird eine kurze Zeit im Grab
liegen und vermodern, aber einst am Jüngsten Tag wirst du ihn herrlich verklärt
wieder bekommen und ihn anziehen als ein schönes Fest- und Feierkleid, das du
nun nicht wieder ablegst; denn dann feierst du mit allen Engeln und
Auserwählten das ewige Hall- und Jobeljahr in dem rechten gelobten Land, in dem
Kanaan des himmlischen Paradieses. Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserem Heiland, geliebte
Zuhörer!
Es gibt wohl keine Lehre der göttlichen
Offenbarung, welche nicht zu gewissen Zeiten von falschen Geistern angefochten
worden sein sollte, so wenig man es auch oft vermuten möchte. Zu diesen Lehren
gehört unter anderem auch die Lehre vom Gesetz. Wer sollte meinen, dass ein
Mensch das Gesetz verwerfen könne, da diese Lehre nicht allein in der Bibel
aufgezeichnet ist, sondern auch mit unauslöschlicher Schrift in aller Menschen
Herzen, auch der Heiden, eingegraben ist? Und doch ist es so.
Als vor 500 Jahren Luther das süße
Evangelium wieder aus dem Staub hervorzog, als er damit die armen,
erschrockenen Gewissen, die sich in eigenen Werken vergeblich abgemartert
hatten, aufrichtete und sie durch die Lehre von der freien Gnade Gottes in
Christus tröstete, da entstand gegen alles Vermuten Luthers bald eine Sekte,
welche behauptete, dass in der christlichen Kirche nicht mehr das Gesetz,
sondern allein das Evangelium gepredigt werden müsse. Diese Sekte nannte man
die Antinomer oder, auf Deutsch, Gesetzesstürmer; ihr Stifter war ein gewisser
Agricola, Prediger zu Eisleben in Sachsen.
Man darf jedoch nicht denken, dass diese
Gesetzesstürmer sich nicht auf die Heilige Schrift berufen hätten. Es ist in
der Christenheit kein Irrtum aufgekommen, wenn er auch noch so offenbar war,
den man nicht durch missgedeutete Bibelsprüche hätte verteidigen und
rechtfertigen wollen; so auch dieser nicht.
Die Hauptstelle aber, auf welche sich die
Gesetzesfeinde beriefen, war der Ausspruch des Paulus: „Wisse solches, dass dem
Gerechten kein Gesetz gegeben ist.“ Hieraus wollten sie beweisen, dass man
denjenigen, welche getauft und durch den Glauben gerecht geworden sind, kein
Gesetz predigen, sie dadurch nicht erschrecken, sondern allein durch die
Predigt von der Gnade zum Himmel leiten dürfe. Jenes Wort des Paulus hat aber
einen ganz anderen Sinn; er will damit so viel sagen: Sofern der Mensch
durch den Glauben gerecht ist, sofern er ein neues Herz und einen
willigen Geist hat, in allen Dingen Gottes Willen zu tun, sofern bedarf
auch ein solcher gläubiger und wiedergeborener Christ kein Gesetz; er bedarf
nämlich nicht, erst durch Drohungen erschreckt und gezwungen zu werden; er tut
das Gesetz schon selbst aus Liebe freiwillig.
Aber welcher Christ kann sagen, dass er
schon ganz geistlich sei, dass in ihm nichts als Lust und Liebe zu allem Guten
sich finde und in seinem Fleisch gar kein Widerstreben sich rege? Johannes
antwortet hieraus im Namen aller Christen: „So wir sagen, wir haben keine
Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns und
machen Gott zum Lügner.“ Damit stimmt auch St. Paulus, wenn er bekennt: „Ich
weiß, dass in mir, das ist, in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes.“
Hier habt ihr, meine Lieben, den Grund,
warum auch gläubigen Christen das Gesetz noch immer nötig ist, weil auch sie
nämlich noch immer das sündliche Fleisch an sich tragen, das gegen den Geist
gelüstet, das gekreuzigt und durch das Gesetz allerdings geschreckt und
in Schranken gehalten werden muss. Was würde daher wohl geschehen, wenn man in
der christlichen Kirche das Gesetz nicht mehr predigen wollte und nur
Evangelium? Man würde bald beides verlieren und alles in Sicherheit und
Ruchlosigkeit verfallen. Daher spricht Luther in seiner Kirchenpostille über
das Evangelium des heutigen Sonntags von den Lehren des Gesetzes und
Evangeliums so: „Welche der beiden eine untergeht, die nimmt auch die andere
mit sich; und wiederum, wo die eine bleibt und recht getrieben wird, bringt sie
die andere auch mit sich.“
Da es nun leider nicht zu verkennen ist,
dass manche unter uns jetzt auch fast nur von Gnade hören wollen und die ewig
gültige Lehre des Gesetzes zurücksetzen, so will ich euch heute zu eurer
Warnung zeigen, welche verderblichen Folgen die Verachtung des göttlichen
Gesetzes nach sich zieht.
Matthäus 22,34-46: Da aber die Pharisäer hörten, dass
er den Sadduzäern das Maul gestopft hatte, versammelten sie sich. Und einer
unter ihnen, ein Schriftgelehrter, versuchte ihn und sprach: Meister, welches
ist das vornehmste Gebot im Gesetz? Jesus aber sprach zu ihm: Du sollst lieben
Gott, deinen HERRN, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt.
Dies ist das vornehmste und größte Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du
sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. In diesen zweien Geboten hangt
das ganze Gesetz und die Propheten. Da nun die Pharisäer beieinander waren,
fragte sie Jesus und sprach: Wie dünkt euch um Christus? Wes Sohn ist er? Sie
sprachen: Davids. Er sprach zu ihnen:
Wie nennt ihn denn David im Geist einen HERRN, da er sagt: Der HERR hat gesagt
zu meinem HERRN: Setze dich zu meiner Rechten, bis dass ich lege deine Feinde
zum Schemel deiner Füße. So nun David ihn einen HERRN nennt, wie ist er denn
sein Sohn? Und niemand konnte ihm ein Wort antworten, und durfte auch niemand
von dem Tag an hinfort ihn fragen.
In dem verlesenen Text wird, meine Lieben,
Beides verhandelt, sowohl die Lehre des Gesetzes wie auch die Lehre von
Christus oder das Evangelium. Ich nehme hieraus die Gelegenheit, zu euch jetzt
davon zu sprechen:
Welche verderblichen Folgen die Verachtung des göttlichen Gesetzes
nach sich zieht
1.
Sie ist die
Ursache, dass so viele auch das Evangelium verachten, und daher kommt es auch,
2.
Dass so viele
mit einem falschen Glauben sich selbst täuschen.
Gott, du bist heilig; du bist nicht ein
Gott, dem gottloses Wesen gefüllt; wer böse ist, bleibt nicht vor Dir. Darum
bitten wir dich, regieren uns durch dienen Heiligen Geist, dass wir mit der
Sünde nicht scherzen, deine Gnade nicht auf Mutwillen ziehen, sondern in guten
Werken trachten nach dem ewigen Leben. Dazu erwecke uns auch jetzt durch dein
Wort um Jesu Christi willen. Amen.
1.
Es ist wahr, meine Lieben, dass allein die
Lehre des Evangeliums den Sündern den Weg zur Seligkeit zeigt; aber warum hat
wohl Christus nach dem Bericht in unserem Text den Pharisäern nicht nur das
Evangelium gepredigt, sondern auch die von ihnen vorgelegte Frage über den
wahren Inhalt des Gesetzes beantwortet? Darum, weil ohne Hilfe des Gesetzes
niemand zum rechten Verständnis des Evangeliums kommt und die Verachtung des
Evangeliums ihren Hauptgrund eben in nichts anderem als in der Verachtung des
Gesetzes hat.
Diejenigen, welche in unseren Tagen das
Evangelium verwerfen, geben zwar, wie einst die Pharisäer, vor, dass sie sich
allein mit dem Gesetz oder, wie man jetzt redet, mit der Moral, nämlich mit der
Lehre von der Tugend, von der Rechtschaffenheit und von den guten Werken
begnügen wollten. Denn, sagen sie, darauf komme es allein an, dass man ein
guter Mensch sei; wer ein rein moralisches Leben führe, von dem könne man auch
sagen, und zwar allein von einem solchen, dass er Religion habe. Aber dies sind
leider nichts mehr als leere Redensarten.
Dass einst die Pharisäer, und dass jetzt
die Ungläubigen vom Evangelium nichts wissen wollen, kommt keineswegs daher,
dass sie die ganze Last des Gesetzes lieber tragen und dasselbe in seinem
wahren Sinn erfüllen wollten. Im Gegenteil, weil man sich jetzt nicht mehr an
die Forderungen des göttlichen Gesetzes und seine Drohungen kehrt und diese
nicht glaubt, darum achtet man den Trost des Evangeliums so gering, ja,
nichts.
Das Evangelium ist eine Anweisung, wie man
Vergebung der Sünden erlangen, wie man von Gottes Zorn erlöst und von ihm
begnadigt werden, aus der Hölle und ewigen Verdammnis errettet und aus bloßem
Erbarmen selig werden könne. Wie nun derjenige allein den Arzt sucht, der sich
krank fühlt, nur der Brot begehrt, der Hunger empfindet, nur der um Hilfe ruft,
der seine Not und Gefahr sieht, so weiß man auch erst dann das Evangelium
zu schätzen und nimmt es erst dann mit Freuden an, wenn man sich mit Schrecken
für einen Sünder erkennt, wenn man es glaubt, dass man Gottes Zorn wirklich auf
sich geladen und mit seinen Sünden Tod und Verdammnis verdient habe.
Nimmt man aber, wen man das Evangelium
verachtet, es etwa dann mit dem Gesetz desto genauer? Nichts weniger.
Die meisten Glaubensfeinde leben in offenbaren Sünden und Schanden, in Fluchen
in Lästern, in Zorn und Rachgier, in Trunkenheit und Völlerei, in Unzucht und
Ehebruch, in Lug und Trug, in falschen Eidesschwüren, ja, in Hass bis zum Mord;
dabei fragen sie nach keinem Gesetz, sei es menschlich oder göttlich, nach
keinem Gott, keiner Hölle, keines Himmel und keinem einstigen Gericht; sie
sprechen mit Pharao: „Wer ist der HERR; des Stimme ich hören müsse?“ oder wie
Jesaja sagt: „Ihr Wesen hat sie kein Hehl und rühmen ihre Sünde, wie die zu
Sodom, und verbergen sie nicht.“ Heißt das aber nicht, das göttliche Gesetz
verachten?
Es kann jedoch nicht geleugnet werden, dass
es viele Ungläubige gibt, welche sich aller solcher groben Ausbrüche der Sünde
enthalten; viele leben ehrbar vor der Welt und verdienen sich mit ihrer ganzen
Handlungsweise vor Menschen den Ruhm strengmoralischer Männer. Aber wo gibt es
einen Ungläubigen, der wirklich erkannt, was die Sünde auf sich hat? Welcher
Ungläubige glaubt es, dass Gott ein Recht hat, von ihm zu fordern, dass er
heilig und vollkommen sei? Welcher Ungläubige erkennt es, dass er einst selbst
von jedem unnützen Wort Gottes werde Rechenschaft ablegen müssen, das über
seine Lippen gegangen ist? Welcher erkennt es, dass schon eine böse Begierde,
eine unreine Lust, ein ungöttlicher Gedanke eine große Sünde sei? Welcher
Ungläubige hält es wirklich für wahr, dass er vor Gott schon dann ein Greuel
sei, wenn er nur stolzen Gedanken in sich Raum gibt, wenn er die mindeste Ehre
vor Menschen sucht, wenn er sich über den geringsten Menschen in der Welt
erhebt, nicht sanftmütig und von Herzen demütig ist und sich nicht für Nichts
hält? Welcher Ungläubige, mag er auch noch so ehrbar und untadelhaft vor
Menschen leben, ist voll Furcht und Zittern vor der geringsten Sünde? Welcher
Ungläubige wacht und betet täglich, dass er nicht in Anfechtung falle? Welcher
kämpft und streitet unaufhörlich, dass in seiner Seele nichts sei, als eine
reine Liebe Gottes und seines Nächsten? Kommt bei ihnen nicht tausenderlei
Sündliches vor in Gedanken, Worten und Werken, was sie für Kleinigkeiten
achten? Worüber sie oft selbst lachen und scherzen?
Hier habt ihr, meine Lieben, den wahren
Grund, warum so viele das Evangelium von Christus und seiner Gnade verachten;
es kommt nicht daher, dass sie so leben, dass sie keinen Heiland bedürften; es
kommt ferner nicht daher, dass sie jetzt zu klug und aufgeklärt dazu wären: Es
kommt vielmehr daher, dass sie das göttliche Gesetz verachten, in welchem ihnen
Gott sagt, wie der Mensch sein soll; dass sie an Gottes Drohungen, an sein
gerechtes und strenges Gericht und an die ewigen Strafen nicht glauben, die der
Sünde folgen sollen. Seht, das, diese Geringachtung der Sünde, diese
pharisäische Einbildung ihres hohen Wertes, diese entsetzliche Verblendung, bei
welcher sie ihre täglichen und stündlichen Übertretungen in ihrer Große und
Menge nicht erkennen, das ist die eigentliche Wurzel ihres Unglaubens; darum
haben sie einen so großen Enkel an der Lehre von der Gnade, eine so tiefe
Feindschaft gegen Christus, den Gekreuzigten, und seine heilige, teure
Versöhnung.
Fängt ein Mensch an, an das Gesetz Gottes
mit Ernst zu glauben, dann ist er auch gewiss nicht fern von Christus und
seinem Reich.
Woher kam es denn, dass zu Luthers Zeit das
Evangelium mit so großer, fast allgemeiner Freude aufgenommen wurde? Woher kam
es, dass damals in kurzer Zeit ganze Länder umgewandelt wurden, dass die
Botschaft des Friedens mit so reißender Schnelligkeit die ganze gekannte Welt
durchlief und tausend und abertausend Herzen dem mutigen evangelischen Herold
sogleich entgegenschlugen, mit Freudentränen die kleinen Büchlein küssten, die
er herausgab, und Gott fröhlich dankten für seine teure Gnadenheimsuchung? Warum
hatte die Predigt des Evangeliums damals so große herrliche Erfolge und jetzt
nicht? – Der Grund liegt darin: Zur Zeit der Reformation war das arme Volk
niedergedrückt gewesen durch die Last des Gesetzes; denn so finster es gewesen
war, so hatten doch die ungeistlichen Priester das Gesetz scharf getrieben;
Unzählige waren daher erfüllt mit herzlicher Sorge für ihre Seligkeit und mit
großer Furcht und Angst vor der ewigen Verdammnis; Unzählige entsetzten sich
vor dem Hereinbruch des Jüngsten Tages heftig; Unzählige fühlten ihre Sünde:
Darum hörte man das Evangelium als eine so selige Botschaft, wie diejenigen
sich freuen, die lange in einem finsteren Kerker geschmachtet haben, wenn
endlich die Türen ihres Gefängnisses sich öffnen und ihnen zugerufen wird: Ihr
seid frei! – Diese Vorbereitung der Herzen durch die Wirkung des Gesetzes ist
es aber, welche jetzt allgemein fehlt.
Was war daher wohl die Ursache, dass Luther
so bald wieder über seine Zeitgenossen klagen musste, dass sie des Evangeliums
überdrüssig seien? Es kam daher, dass die meisten die evangelische Freiheit
missbrauchten und wieder sicher wurden, an die Drohungen des Gesetzes sich
nicht mehr kehrten und ihre Sünden wieder gering achteten. So kam es bald
wieder auch zur Verachtung des Evangeliums, die nun in unseren Tagen den
höchsten Gipfel erreicht hat.
2.
Doch zu den verderblichen Folgen der
Verachtung des Gesetzes gehört zweitens auch dieses, dass viele mit einem
falschen Glauben sich selbst täuschen.
Es gibt nämlich leider nicht wenige, welche
in offenbaren Sünden leben, und doch dabei im Glauben zu stehen sich einbilden.
Sie lassen den Zorn über sich herrschen, aber sie denken: Das mache der Glaube
wieder gut; sie sind nicht ehrlich und gewissenhaft in Handel und Wandel, sie
nehmen so viel, wie sie bekommen können, und auch das soll der Glaube wieder
gut machen; sie sind böse Schuldner, die ihre Gläubiger um das Ihre bringen,
indem sie leben, als hätte niemand an sie etwas zu fordern, und auch das soll
der Glaube wieder gutmachen; sie sind unwahrhaftig in ihren Reden,
unversöhnlich gegen ihre Beleidiger, eitel in ihrer Kleidung, weltlich in ihrem
Benehmen, Freunde der Weltkinder, höffärtig, aufgeblasen, geizig,
verleumderisch, und alles dies soll der Glaube wieder gutmachen. O des Elendes!
Sie denken wohl daran, dass nach St. Paulus der Mensch aus Gnaden selig wird,
aber sie denken nicht daran, was derselbe Apostel auch sagt: „Offenbar sind die
Werke des Fleisches; von welchen ich euch zuvor gesagt habe und sage noch
zuvor, dass, die solches tun, werden das Reich Gottes nicht ererben.“ Und
anderwärts: „So wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit
empfangen haben, haben wir weiter kein anderes Opfer mehr für die Sünde,
sondern ein schreckliches Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die
Widerwärtigen verzehren wird.“
Andere hingegen leben nicht in so
offenbaren Sünden, aber sie sind lau und träge, ihr ganzes Christentum ist
ihnen kein Ernst, es ist nicht mehr als ein Geschwätz, ein gefärbtes
Scheinwesen; ihr Gebet ist Lippenwerk; ihr Lesen und Hören des Wortes Gottes
ist kein durstiges Trinken aus der Quelle des ewigen Lebens, sie wollen daraus
nur klüger werden und über die Predigt nur in hochmütiger Einbildung
kritisieren; sie wachen nicht über ihr Herz, sie kämpfen nicht gegen ihr
Fleisch und Blut; sie sind mürrisch gegen die Ihren; ihre Gespräche betreffen
Disputiersachen, das Zeitliche und närrisches Geschwätz. Auch solche meinen,
wenn sie nicht schon verhärtet sind, es stehe freilich nicht zum Besten mit
ihnen, aber weil sie den Glauben hätten, so seien sie doch Christen und vor
Gott gerecht.
Seht, so macht man Christus zu einem
Sündendiener und den Glauben zu einem Schanddeckel und betrügt sich damit um
Leben und Seligkeit. Den nein Glaube, der solche Früchte bringt, ist ein
Schein- und Schaum-Glaube, nichts anders als eine fleischliche Sicherheit, ein
totes unwirksames Ding, wobei man zur Hölle eilt mit schnellen Schritten.
Woher kommt aber diese Selbsttäuschung? Sie
entspricht aus nichts anderem als aus Verachtung des heiligen Gesetzes Gottes.
Man meint, den Gläubigen gehe das Gesetz nichts mehr an; er habe sich an die
Forderungen desselben nicht mehr zu kehren und vor seinen Drohungen nicht mehr
zu fürchten. Aber wie greulich betrügt man sich damit! Deutlich spricht
Christus: „Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, das Gesetz und die
Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.
Denn ich sage euch wahrlich: Bis dass Himmel und Erde zergehen, wird nicht
zergehen der kleinste Buchstabe, noch ein Tüttel vom Gesetz, bis dass es alles
geschehe. Wer nun eins von diesen kleinsten Geboten auflöst und lehrt die Leute
so, der wird der Kleinste heißen im Himmelreich“, das heißt, nichts.
Wohl ist es wahr: Der Gläubige als Gläubiger
ist keinem Gesetz mehr unterworfen, sondern er ist frei und steht über allen
Gesetzen; denn er hat in Christus vollkommene Erfüllung des Gesetzes und hat
den Heiligen Geist, der in ihm das Gute will ohne alles Gesetz. Aber der
Gläubige als Gottes Geschöpf und als Sünder steht allerdings noch unter dem
Gesetz. Denn das Gesetz ist die Offenbardung des Willens Gottes; es ist darum
ewig und unveränderlich; es ist unmöglich, dass es durch den Glauben aufgehoben
werden könne, so wenig wie Gott selbst sich ändern und einer Kreatur zu
sündigen erlauben kann. Daher spricht St Paulus: „Wie? Heben wir denn das
Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz
auf.“ Der Apostel will nämlich sagen: Uns werden die Sünden nicht darum
vergeben, dass wir nun gegen das Gesetz handeln können, sondern eben darum,
dass wir den Heiligen Geist empfangen, durch welchen wir neue Menschen werden,
ein neues Herz und einen neuen Sinn bekommen, dass wir nun anfangen, das Gesetz
wirklich von Herzensgrund zu erfüllen.
Willst du also, o Zuhörer, nicht allen
Eifer anwenden, das Gesetz zu erfüllen, Gott über alles und deinen Nächsten wie
dich selbst zu lieben, willst du nicht in steter Scheu leben vor der Sünde und
Gottes Zorn, willst du der Heiligung nicht nachjagen mit ganzem Ernst: So
wisse, dass dir dein angeblicher Glaube nichts helfen wird, vielmehr wird er
dich vor Gott nur umso verwerflicher machen und desto tiefer verdammen, denn du
hast dann bekannt, du wollest Christus zum Erlöser annehmen und hast ihn allein
zu einem Sündendiener gemacht und unrein geachtet das Blut seiner heiligen
Versöhnung.
Wer da meint, wenn er das Evangelium
annimmt, dann könne er das Gesetz verachten, dann könne er sorgenlos, ohne
ernsten Kampf und Streit Tag und Nacht dahinleben, den treffen die Drohungen
des Gesetzes noch immer. Es hilft ihm dann nichts, dass er vorgeben wolle, er
suche Schutz bei Christus gegen die Anklagen und Verdammungen des Gewissens;
denn bei Christus finden nur die Schutz, die das Gesetz erschreckt hat, die es
so gern erfüllen möchten und darum nach Gnade, nach Kraft, nach Hilfe des
Heiligen Geistes seufzen. Wer die Sünde nicht mit Ernst los sein will,
dessen Sünden deckt auch Gott nicht durch Vergebung zu.
Zum
Kreuze geht kein satter Geist,
Der
noch mit Sünden spielt und scherzet,
Der
Fleischessinn nur Schwachheit heißt
Und
ihn gleichwie sein Schoßkind herzet.
Nur
ein zerbrochner Mut und Sinn
Geht
dürstend zu dem Kreuze hin.
Ach, wie mancher unter uns bekommt
hierdurch vielleicht einen weckenden Schlag an sein schlafendes Herz! Alle
diese bitte ich: Geht doch um Christi und eures Heils willen mit dieser
Bewegung des Heiligen Geistes treu um, unterdrückt sie nicht leichtsinnig
wieder in euch, fangt mit dieser Stunde ein besseres Christentum an, überlegt
in der Stille das bisherige Scheinleben, womit ihr euch tröstet, und ruft Gott
an, dass er aus dem Schein das Wesen, aus dem Wortchristentum ein
Kraftchristentum, aus dem Heuchtum Tat und Wahrheit machen wolle. Verachtet nur
meine Stimme nicht; ich bin es wahrlich nicht, der da redet, Gott ist es, der
durch sein Wort vor euren Herzen steht. Was helfen euch die Lampen eures
christlichen Scheins, wenn euch, wie den törichten Jungfrauen, das Öl des
wahren Glaubens, des Geistes und der Kraft fehlt? Denkt an die letzte Stunde,
wenn es heißen wird: „Der Bräutigam kommt, geht aus, ihm entgegen!“ Dann ist es
nicht Zeit, Öl zu kaufen; dann werdet ihr vergeblich rufen: „HERR, HERR, tue uns
auf“; der HERR wird euch antworten: „Wahrlich, ich sage euch, ich kenne euch
nicht.“
Drum,
Christen, auf, auf zu den Waffen,
Ergreift
das Wort mit Glaubensmut;
Mit
Furcht und Zittern müsst ihr schaffen,
Dass
ihr erlangt das höchste Gut.
Mit
Christus folgt auf harten Streit
Dort
Friede, Ruh und Seligkeit.
Amen.
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus, die
Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Die elendesten und unglückseligsten
Menschen sind ohne Zweifel diejenigen, welche noch keine Vergebung der Sünden
haben, mögen sie nun, was das Irdische betrifft, zu den Armen oder Reichen
gehören, Bettler oder Könige sein, in zeitlichem Elend oder in irdischer
Herrlichkeit leben. Hat ein Mensch noch keine Vergebung der Sünden, so steht er
noch unter der Obrigkeit der Finsternis und ist noch ausgeschlossen aus dem
seligen Reich des großen Gottes. Um seiner unvergebenen Sünden willen lebt er
noch mit Gott in Feindschaft, er ist Gottes Feind und Gott ist sein
Feind; er ist daher auch ein Abscheu der heiligen Engel; mit Entsetzen sehen
diese ihn als einen Widersacher des Allerheiligsten an, dem sie mit
ewiger Liebe und Frohlocken in tiefster Ehrfurcht dienen. Wer noch keine
Vergebung der Sünden hat, auf dem ruht noch Gottes Zorn; mag er daher tun, was
er will, so ist es Gott zuwider; nicht nur die offenbaren Sünden, sondern auch
die scheinbar guten Werke eines solchen Menschen gefallen Gott nicht, ja, auf
allem, was er vornimmt, auf seinem Eingang und Ausgang, auf seinem Arbeiten und
Ruhen, auf seinem Schlafen und Wachen, auf seinem Essen und Trinken, auf seiner
Freude und Trauer ruht der Fluch. Seine Hoffnung auf ein anderes, besseres
Leben, auf die ewige Seligkeit ist ein leerer Traum; er steht Tag und Nacht mit
Leib und Seele an einem furchtbaren Abgrund, in welchen er, wenn er endlich
stirbt, stürzen und darin er, von Gott ewig geschieden, mit Leib und Seele
untergehen muss.
Das Traurigste dabei ist, dass diejenigen,
welche keine Vergebung der Sünden haben, ihren schrecklichen Zustand, ihr
Elend, ihre Unseligkeit gewöhnlich nicht erkennen, sondern in dem Wahn stehen,
es stehe alles gut, es sei Friede und habe keine Gefahr. Sie sind unselig und
achten sich für selig; sie stehen unter Gottes Zorn und meinen, bei Gott in
Gnaden zu stehen; sie sind ausgeschlossen von Gottes Reich, und sie hoffen mit
Sicherheit auf die ewige Seligkeit.
Was kann hiernach, meine Lieben, wichtiger
und nötiger sein, als dass ein jeder sich ernstlich prüfe, ob er die Vergebung
seiner Sünden erlangt habe oder nicht, und wenn er dieses hohe Gut noch nicht
hat, dass er danach mit allem Ernst trachte? Denn, sagt selbst, welche
Täuschung kann bitterer sein als die, wenn man Vergebung erlangt zu haben
meint, und hat sie doch noch nicht? Was kann schrecklicher sein, als wenn Gott
noch mit uns zürnt, während wir in seinem Schoß zu sitzen meinen, was
entsetzlicher, als wenn wir hier sicher und sorglos sind, während wir als
Gottes Feinde hier leben und dort als seine Feinde vor seinem Richterstuhl
erscheinen müssen? –
Welcher Mensch kann hingegen glückseliger
sein als derjenige, welchem seine Sünden vergeben sind? Er hat Gott zum Freund,
und darum auch die heiligen Engel zu liebenden und schützenden Gefährten und
alle Kinder Gottes zu Brüdern und Schwestern. Was er auch tut, mag das Werk
auch noch so gering sein, so gefällt es doch Gott wohl, und was daran sündlich
ist, das deckt er aus Gnaden zu. Der Fluch ist von ihm weggenommen, dafür aber
ruht Segen auf allem, was er vornimmt und was ihm begegnet. Er kann getrost
sein in seiner Armut, denn er ist reich an himmlischen Gütern und Schätzen; er
kann getrost sein in der Trübsal, denn er weiß, dass ihm Gott alles nur aus
Liebe zuschickt und alles ihm daher zum Besten dienen muss; er kann getrost
sein, wenn ihn auch alle Menschen verlassen, ja, ihm feind sind. Gott verlässt
ihn nicht; ist aber Gott für ihn, wer kann gegen ihn sein? Er kann getrost sein
selbst im Tod, sein Tod ist ja nur das enge Pförtlein zum vollkommenen Leben,
denn wo Vergebung der Sünden ist, da ist auch Leben und Seligkeit.
Vergleicht nun, meine Lieben, den Zustand
derjenigen, die dieses Kleinod haben, und derjenigen, die es noch nicht haben,
solltet ihr da nicht alle von Herzen ausrufen: O, dass auch mir meine Sünden
vergeben sein möchten!? Gewiss, so werdet ihr mit mir alle denken. Lasst uns
daher heute mit herzlicher Andacht aus unserem Evangelium vernehmen, was ein
Mensch tun müsse, damit ihm Gott auch seine Sünden vergibt.
Matthäus 9,1-8: Da trat er in das Schiff und fuhr
wieder herüber und kam in seine Stadt. Und siehe, da brachten sie zu ihm einen
Gichtbrüchigen, der lag auf einem Bett. Da nun Jesus ihren Glauben sah, sprach
er zu dem Gichtbrüchigen: Sei getrost, mein Sohn; deine Sünden sind dir
vergeben. Und siehe, etliche unter den Schriftgelehrten sprachen bei sich
selbst: Dieser lästert Gott. Da aber Jesus ihre Gedanken sah, sprach er: Warum
denkt ihr so Arges in euren Herzen? Welches ist leichter zu sagen: Dir sind deine
Sünden vergeben, oder zu sagen: Stehe auf und wandele? Damit ihr aber wisst,
dass des Menschen Sohn Macht habe auf Erden, die Sünden zu vergeben, sprach er
zu dem Gichtbrüchigen: Stehe auf, heb’ dein Bett auf und gehe heim! Und er
stand auf und ging heim. Da das Volk das sah, verwunderte es sich und pries
Gott, der solche Macht den Menschen gegeben hat.
Aufgrund dieses Evangeliums lasst mich euch
jetzt die Frage beantworten:
Was muss ein Mensch tun, damit ihm Gott seine Sünden vergibt?
Ich antworte nach unserem Evangelium:
1.
Er muss
erkennen, dass er sich die Vergebung seiner Sünden mit nichts selbst verdienen,
sondern dieselbe allein aus Gnaden erlangen könne, und
2.
Er muss sich im
Glauben an das Wort halten, in welchem Gott allen Sündern Vergebung ihrer
Sünden verheißt.
Gott, „wo ist ein solcher Gott wie du bist?
Der die Sünde vergibt und erlässt die Missetat den Übrigen seines Erbteils; der
seinen Zorn nicht ewig behält; denn er ist barmherzig!“ O, so hilf, dass diese
deine wunderbare Liebe zu uns Sündern, diese deine Bereitwilligkeit, dich zu
erbarmen und uns unsere Sünden zu vergeben, uns nicht vergeblich offenbart sei.
Tue einem jeden unter uns, wie einst der Lydia, das Herz auf, dass wir uns
durch dien Wort leiten lassen auf den Weg des Heils und darauf bleiben und dort
deine sündenvergebende und beseligende Liebe und Gnade genießen ohne Ende immer
und ewig. Amen. Amen.
1.
„Sei getrost, mein Sohn“, so sprach
nach unserem Evangelium Christus einst zu einem Gichtbrüchigen, dem er die
Vergebung der Sünden mitteilen wollte. Würde ihn Christus wohl so angeredet
haben, wenn er gutes Muts und wegen seiner Sünden ohne Sorgen gewesen wäre und
gemeint hätte, dass er sich die Vergebung derselben leicht selbst verschaffen
und verdienen könne? Gewiss nicht. Aus dieser Anrede Christi geht deutlich
hervor, dass der Gichtbrüchige vorher trostlos, voll Angst und Unruhe wegen
seiner Sünden gewesen sein und selbst keinen Weg gewusst haben muss, wie er die
Vergebung erlangen könne. Wir sehen daher aus diesem uns vorgehaltenen
biblischen Beispiel: Das erste, was ein Mensch tun muss, um auch die Vergebung
seiner Sünden zu erlangen, ist, dass er lebendig erkenne, dass er sich mit
nichts die Vergebung seiner Sünden selbst verdienen, sondern dieselbe allein
aus Gnaden erlangen könne.
Aber durch diese enge Pforte wollen eben
die Meisten nicht hindurch.
Eine große Anzahl sogenannter Christen
kümmert sich gar nicht um die Vergebung ihrer Sünden. Entweder glauben sie gar
nicht an Gott, oder sie denken: Gott kümmere sich gar nicht um die
Kleinigkeiten der Menschen; oder er sei zu gütig, als dass er den Menschen um
menschlicher Fehler und Sünden willen strafen sollte; oder, er strafe die
Sünden schon hier, dem Gottlosen lasse er es schon hier zur Strafe übel gehen,
den Tugendhaften und Rechtschaffenen hingegen segne er. Manche sind so blind,
dass sie meinen, sie seien gar keine Sünder. Wenn man sie fragt: Hoffst du,
selig zu werden? so antworten sie: Ei, wer sollte das nicht hoffen! Fragt man
aber weiter: Worauf gründest du deine Hoffnung? so antworten sie: Ich bin von
Jugend auf fromm gewesen, ich habe niemand etwas zuleide getan, niemand kann
mir mit Recht etwas Böses nachsagen; ich bin nicht wie andere Leute, Flucher,
Sabbatschänder, Räuber, Mörder, Hurer, Ehebrecher, Diebe, Meineidige und
dergleichen; ich habe Gott immer vor Augen gehabt, fleißig gebetet, manchem
Armen ein Almosen gegeben und die heiligen zehn Gebote nach meinen schwachen
Kräften gehalten; ich habe nicht gelebt wir mancher: Warum sollte ich also
nicht selig werden?
Es gibt jedoch andere, welche wegen mancher
Sünden allerdings einige Unruhe empfinden, die daher allerdings zur Erlangung
der Vergebung der Sünden etwas tun wollen. Aber was tun sie? Sie wollen ihre
Sünden verbeten, sie wollen sie durch gewisse gute Werke, durch Haltung von
gewissen Gelübden, durch Ertragen von allerlei Leiden und dergleichen wieder
gutmachen.
Aber, meine Lieben, dies alles sind falsche
Wege, die nimmer zum Ziel führen. Ja, durch diese Wege wird Gott mehr erzürnt
als versöhnt, die Sünden vermehrt und nicht vergeben. Denn es ist etwa ein
offenbarer Frevel, danach zu trachten, dass wir von Gott die Vergebung der
Sünden als eine Schuldigkeit, als eine Pflicht fordern können? Sollen wir nicht
Gott alle Ehre geben? Sollen wir nicht alles, was wir sind und haben, der Güte
Gottes zuschreiben? Ist es nun nicht schrecklich, wenn ein Mensch zwar bekennen
will, dass ihn Gott aus freier Liebe geschaffen, ihm aus freier Liebe Leib und
Seele gegeben und erhalten und mit allem versorgt hat, und wenn er in Betreff
der höchsten Güter, der Vergebung der Sünden und Seligkeit, Gott die Ehre
nehmen und sie sich selbst zuschreiben will? Wehe allen solchen
Selbstgerechten! Ihnen werden ihre Spünden noch behalten immer und ewig.
Nein, will ein Mensch Vergebung der Sünden
erlangen, so muss er einen anderen Weg gehen. Bedenkt: Wäre der Mensch auch
kein Sünder, so könnte er sich doch nicht tief genug vor dem großen heiligen
Gott demütigen, denn obgleich die Engel nicht gefallen, sondern in ihrer
anerschaffenen Heiligkeit geblieben sind, so beugen sie sich doch vor Gott aufs
tiefste, sie geben ich allein die Ehre, sie wissen von nichts, das sie verdient
hätten, sie nehmen alles als Geschenke freier Erbarmung hin, sie werfen ihre Kronen
vor Gottes Thron nieder, verhüllen vor Gott ihr Angesicht und rufen ihm in
ehrfurchtsvoller Scheu das Dreimalheilig entgegen. Wie viel tiefer muss sich
daher der Mensch, der Übertreter der göttlichen Gebote, der Sünde, der
Gefallene, vor Gott demütigen, wenn er Vergebung dieser seiner Sünden vor dem
allerheiligsten Gott sucht!
Diese Demütigung besteht aber nicht bloß in
äußerlichen Gebärden, denn Gott sieht das Herz an. Sie besteht vor allem darin,
dass der Mensch seine Sünden lebendig erkennt, wie viel ihrer sind, wie groß
und schwer sie sind, wie er damit Gottes Zorn und Ungnade verdient hat, und wie
ihn nichts retten könne als Gnade, nichts als das freie Erbarmen Gottes.
Wer das lebendig erkennt, dass er trostlos wird wie der Gichtbrüchige,
dass er mit David spricht: „Ach HERR, strafe mich nicht in deinem Zorn und
züchtige mich nicht in deinem Grimm. HERR, sei mir gnädig, denn ich bin
schwach; heile mich, denn meine Gebeine sind erschrocken, und meine Seele ist
sehr schrecken, Ach, du, HERR, wie lange? Es ist kein Friede in meinen Gebeinen
vor meiner Sünde. Denn meine Sünden gehen über mein Haupt, wie eine schwere
Last sind sie mir zu schwer geworden. Aus der Tiefe rufe ich, HERR, zu dir4. So
du willst, HERR, Sünde zurechnen, HERR, wer wird bestehen? Denn bei dir ist die
Vergebung, dass man dich fürchte.“ Wer seine Sünden so lebendig erkennt, dass
er mit Paulus spricht: „Ich bin der größte unter den Sündern“: Der hat den
ersten Schritt zur Vergebung seiner Sünden getan.
Aber, meine Lieben, das kann kein Mensch in
sich selbst wirken! So tief kann nur der Heilige Geist einen Menschen
demütigen, und er tut dies durch das Wort Gottes. Wer daher dahin kommen will,
der muss Gottes Wort vor sich nehmen, besonders die heiligen zehn Gebote, und
sich danach prüfen, auf seine Knie niederfallen und zu Gott rufen: HERR, tue
mir Herz und Augen auf, das sich sehe die Wunder an deinem Gesetz und meine
Sünden lebendig erkenne. Wer das tut, des wird sich Gott bald erbarmen und ihm
sein sündliches Leben und sein sündliches Herz so lebendig vor die Augen
stellen, dass ihm um Trost bange werden wird.
2.
Doch, meine Teuren, damit ist es nicht
abgetan. Bloße Erkenntnis seiner Sünden, und wäre sie auch mit einer noch so
tiefen Reue verbunden, bringt keinen Menschen zur Vergebung der Sünden,
„vergösse er“, wie es in jenem Lied heißt, „in dem Weh auch einen Tränensee“.
Das zweite nämlich, was ein Mensch, der zur Vergebung seiner Sünden kommen
will, tun muss, ist, dass er sich im Glauben an das Wort hält, in welchem Gott
allen Sündern Vergebung der Sünden verheißt.
Hätte, meine Liebe, Gott nur die Eigenschaft
der Liebe, so könnte er einem jeden seine Sünden vergeben, der sich vor ihm
demütigte und von seiner freien Liebe die Vergebung begehrte. Aber Gott ist
nicht nur die selbständige Liebe, sondern auch die selbständige Gerechtigkeit
und Heiligkeit. Da nun aber die Gerechtigkeit und Heiligkeit die Bestrafung der
Sünden und die Bezahlung der Schuld unnachgiebig fordert, so kann Gott keinem
Menschen auf seine bloße demütige Bitte die Sünden vergeben; denn hörte Gott
auf, gerecht und heilig zu sein, so hörte er auch auf, Gott zu sein.
Doch Gott hat etwas getan, dass er gerecht
bleiben und doch die Sünde vergeben könne, er hat nämlich seinen lieben Sohn in
die Welt gesandt, ihn einen Menschen werden lassen, und obgleich er ohne Sünde
und den Gehorsam gegen das göttliche Gesetz nicht schuldig war, so hat ihn doch
Gott dem Gesetz unterworfen und ihn in Leiden und blutigen Tod dahingegeben.
Dieses alles hat der Sohn Gottes nicht für sich, sondern für die sündigen
Menschen getan und gelitten, für diese hat er das Gesetz erfüllt und ihnen damit
eine vor Gott gültige Gerechtigkeit erworben, für diese ist er gestraft worden
und gestorbene, und hat damit ihre Sünden versöhnt und gebüßt. Dieses alles hat
aber nun Gott aufschreiben und allen Menschen verkündigen lassen.
Was muss daher nun ein Mensch tun, wenn er
Vergebung seiner Sünden erlangen will? – Er muss annehmen, was ihm Gott in
seinem Wort verkündigen und anbieten lässt, und darauf sich verlassen oder, mit
Einem Wort: Er muss daran glauben.
Deutlich sehen wir dies an dem
Gichtbrüchigen in unserem Evangelium. Er war trostlos, er hatte seine Sünden
erkannt, lebendig erkannt, er wusste keinen Rat und keine Hilfe, er sah sich
für einen verlorenen Sünder an; doch das glaubte er fest, Christus werde ihm
helfen an Leib und Seele; denn es heißt ausdrücklich: Christus habe „ihren
Glauben gesehen“, nämlich den Glauben des Gichtbrüchigen und derer, die ihn
zu ihm brachten. Was tut nun Christus? Schreibt er ihm Werke vor? Legt er ihm
Büßungen auf? Nichts von alledem. Er spricht allein zu ihm: „Sei getrost,
mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Was hatte also der
Gichtbrüchige zu tun, um die Vergebung seiner Sünden zu erlangen? Nichts, als
das anzunehmen und zu glauben, was Christus zu ihm sprach.
Meint nun nicht, meine Lieben, dass zwar
der Gichtbrüchige, um Vergebung der Sünden zu erlangen, nichts bedurft habe als
nur den Glauben, weil Christus selbst zu ihm gesprochen habe: „Sei getrost“
usw. Sprecht nicht: Auch ich wollte dies freilich glauben, wenn es auch zu mir
gesagt würde. Nein, bedenkt: Christus ist für alle Menschen in die Welt
gekommen, hat aller Menschen Sünde gebüßt durch sein Leiden und Sterben, und
hat für alle Menschen Sünden eine vollkommene Gerechtigkeit erworben durch
seinen Gehorsam gegen das göttliche Gesetz. Dieses wird nun auch allen Menschen
verkündigt. Das Wort Gottes ist daher eine allgemeine Absolution aller
Menschen, allen, allen Menschen wird darin zugerufen: „Seid getrost“
usw., denn Jesus ist euer aller Heiland. Und so oft ein Mensch getauft wird, so
oft er das heilige Abendmahl genießt, so oft er besonders die Absolution hört,
so oft wird ihm auch besonders zugerufen: „Du, du, sei getrost, deine Sünden
sind dir vergeben.“ Was kann und soll also ein Mensch tun, um die Vergebung
seiner Sünden zu erlangen? Er soll das Wort, das allen Menschen, und so auch
ihm, Vergebung verkündigt, annehmen, soll darauf seines Herzens Vertrauen
setzen, soll daran glauben – so hat er, was er sucht.
Seht, welchen lieblichen und leichten Weg
hat uns Gott in den Himmel gebahnt! Wier wollen wir nun entfliehen, wenn wir
eine solche Seligkeit nicht achten? Ist’s nicht schrecklich, wenn nun ein
Mensch doch ohne Vergebung der Sünden bleibt, weil er etwa seine Sünden nicht
erkennen will? Weil er die göttliche Traurigkeit nicht erfahren will? Weil er
sich in seiner Weltlust nicht stören lassen will? Weil er gewisse Sünden nicht
fahren lassen will? Weil er sich vor der spottenden Welt nicht zu dem Wort
Gottes bekennen will?
O, möchte niemand unter uns diese Schuld
auf sich laden! Möchte nun jeder, dem der Weg zu Gnade und Vergebung gezeigt
worden ist, diesen Weg auch gehen, so werden wir hier als Gottes Kinder getrost
wandeln und dort als Gottes Erben ewig fröhlich und selig sein.
Das helfe uns Jesus Christus! Amen. Amen.
Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus
Christus, die Liebe Gottes, des himmlischen Vaters und die trostreiche
Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Geliebter Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Die Predigt des Evangeliums von Christus
wird in unserem heutigen Evangelium mit der Einladung zu einem Hochzeitsfest
verglichen. Hiermit soll angezeigt werden, dass das Evangelium eine solche
Lehre ist, die nicht schwere Werke, ja, gar keine Werke von uns fordert,
sondern uns nur verkündigt, was für Werke Gott für uns getan hat. Dieser
Vergleich soll uns zeigen, dass man nicht dadurch ein Christ wird und ist, dass
man sich durch seine Frömmigkeit vor Gott etwas verdient, sondern dass man auf
Gottes Gnadenstimme hört und sich der Gnade und Gerechtigkeit Christi tröstet
und sie genießt. Wir sollen daraus lernen, dass Christus nicht ein neuer
Gesetzgeber, nicht unser strenger Richter sein und unsere Sünde an uns strafen
wolle, sondern dass er uns unsere Sünde vergeben, uns gegen alle unsere
Zweifel an Gottes Gnade und gegen alle unsere Gewissensängste und Nöte eine
fröhliche Gewissheit der Gewogenheit Gottes, Friede und Freude im Heiligen
Geist und einst das ewige Leben, und zwar frei und umsonst, schenken, uns dort,
obgleich wir mit unseren Sünden nur eitel Strafe verdient haben, an die
Himmelstafel setzen und uns ewig laben und erquicken wolle. Kurz, wird in
unserem heutigen Evangelium das Evangelium eine Einladung zur Hochzeit genannt,
so sollen wir daraus erkennen, dass das Evangelium etwas ganze anderes ist als
das Gesetz; während nämlich das Gesetz eine traurige, für die Sünder
niederschlagende Botschaft ist, so ist hingegen das Evangelium eine süße,
selige Freudenbotschaft, die auch den größten Sünder mit der Hoffnung der
Seligkeit erfüllt.
Wohl gibt es nun zwar viele, welche diesen
Unterschied, der zwischen dem Evangelium und dem Gesetz stattfindet, nicht
finden können, viele, die das Gesetz ebenso wohl eine fröhliche, ja, für eine
noch viel fröhlichere Lehre ansehen als das Evangelium. Es gibt viele, welche
viel lieber davon predigen hören, dass der Mensch durch seine Tugend und edlen
Werke, als dass er durch Christus selig werde; die viel lieber davon reden
hören, dass der Mensch immer besser werden müsse, als dass er durch den Glauben
vor Gott gerecht werden könne; die viel lieber verkündigen hören, dass der
Mensch sich selbst mit Gott versöhnen müsse, als dass er durch Christus, den
Gekreuzigten, versöhnt ist.
Aber woher kommt es, dass man das Gesetz
lieber als das Evangelium hört? Etwa daher, weil man das, was das Gesetz
fordert, wirklich täte? – Ach nein! sondern vielmehr daher, weil man die erste
Stimme des Gesetzes hört, aber nicht glaubt, dass es damit so ernst gemeint
ist; weil man, wenn immer gepredigt wird, dass der Mensch durch sein gutes Herz
und seine edlen Werke sich den Himmel verdienen müsse und könne, dann endlich
in den süßen Traum eingewiegt wird, dass man auch wirklich ein solches gutes
Herz habe und gar oft solche edlen Werke vollbringe. Diejenigen Prediger
übrigens, welche das Evangelium von dem Heiland der Sünder nicht verkündigen,
predigen auch nie das Gesetz recht. Sie meinen einerseits das Bild eines
Sünders so scheußlich und auf der anderen Seite das Bild eines ehrbaren
Weltmenschen so lieblich, dass selbst die offenbarsten Sündendiener sich in
ihrem Herzen selbst segnen und denken: Nein, zu den Lasterhaften gehörst du
nicht, warum solltest du dich nicht auch zu den Tugendhaften zählen?
Wie ganz anders erscheint und wirkt aber
das Gesetz, wenn es einem Menschen nach seinem wahren Inhalt, in seinen für
alle Menschen unerfüllbaren Forderungen, in seiner auf das Herz gehenden
geistlichen Bedeutung und mit seinen gegen alle Übertreter gerichteten harten
und schrecklichen Drohungen gepredigt wird! Ach, dann ist das Gesetz für den
Menschen keine Freudenpredigt; dann ist es wie ein Donner Gottes, von welchem
der von seiner Sündhaftigkeit lebendig überzeugte Mensch erzittert und erbebt;
das Wort: Du sollst heilig sein, du bist aber ein Sünder! Schießt dann wie ein
aus dem Himmel herabgesandter tötender Blitzstrahl in das zagende Herz.
Aber wohl dem, welchem die Worte des
göttlichen Gesetzes durch das Herz zuckende Blitze geworden sind. Wird einem
solchen das Evangelium gepredigt, nämlich die Lehre von Christi Versöhnung am
Kreuz, o, welch eine herrliche Botschaft ist es ihm dann! Dann ist’s ihm, als
zerrissen die dunklen Gewitterwolken, als öffnete sich über ihm der lichte
Himmel, und als sähe er nun des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen und auf
ihn mit unaussprechlicher Huld herabrufen: Fürchte dich nicht! Du hast Gnade
gefunden!
O gewiss, meine Teuren, wenn nur alle
Menschen aus dem Gesetz die Sünde und den Fluch, der auf ihnen liegt,
erkennten, so würden auch alle das Evangelium von Christus wie eine Einladung
zum Hochzeitsfest annehmen. Da aber die meisten Menschen ihre Seelenangst nicht
erkennen noch fühlen, wie verhalten sie daher die meisten dagegen? Das lasst
mich euch in dieser Stunde zu Gemüt führen.
Matthäus 22,1-14: Und Jesus antwortete und redete
abermals durch Gleichnisse zu ihnen und sprach: Das Himmelreich ist gleich
einem König, der seinem Sohn Hochzeit machte. Und er sandte seine Knechte aus,
damit sie die Gäste zur Hochzeit riefen; und sie wollten nicht kommen. Abermals
sandte er andere Knechte aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit
habe ich bereitet, meine Ochsen und mein Mastvieh sind geschlachtet und alles
bereit; kommt zur Hochzeit! Aber sie verachteten das und gingen hin, einer auf
seinen Acker, der andere zu seiner Hantierung. Etliche aber griffen seine
Knechte, höhnten und töteten sie. Da das der König hörte, wurde er zornig und
schickte seine Heere aus und brachte diese Mörder um und zündete ihre Stadt an.
Da sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar bereit, aber die Gäste
waren es nicht wert. Darum gehet hin auf die Straßen und ladet zur Hochzeit,
wen ihr findet. Und die Knechte gingen aus auf die Straßen und brachten
zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute. Und die Tische wurden alle voll. Da
ging der König hinein, die Gäste zu besehen, und sah allda einen Menschen, der
hatte kein hochzeitlich Kleid an, und sprach zu ihm: Freund, wie bist du
hereinkommen und hast doch kein hochzeitlich Kleid an? Er aber verstummte. Da
sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn in
die äußerste Finsternis hinaus; da wird sein Heulen und Zähneklappen; 14 denn
viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.
In dem verlesenen Evangelium gibt Christus
durch ein Gleichnis einen Überblick der Schicksale, welche das Evangelium im
Laufe der Zeiten unter den Menschen gehabt hat. Er vergleicht dasselbe mit
einer Einladung zu einem Hochzeitsfest und zeigt, wie dieselbe besonders
dreimal an die Welt ergangen, aber auch bei den Meisten vergeblich gewesen ist.
Ich stelle euch daher jetzt vor:
Das
Verhalten der meisten Menschen gegenüber der Einladung Gottes zu seiner
himmlischen Hochzeit
1.
Entweder nämlich bleiben sie
gleichgültig dagegen und wollen nicht kommen,
2.
Oder sie lassen sich dadurch selbst
zu Hass und Verfolgung bewegen,
3.
Oder endlich, sie nehmen dieselbe
zwar äußerlich, aber nicht von Herzen an.
Gnädiger Gott und Vater. Du ladest alle
Menschen durch das Evangelium deines Sohnes so freundlich zu der himmlischen
Hochzeit der Gnade und Seligkeit ein. Wir müssen dir aber klagen und bekennen,
dass unser Herz leider von Natur lieber bei der Sünde und der trügerischen Lust
der Welt bleibt, oder sich doch lieber selbst helfen, als deiner Einladung
folgen und deine Gnade annehmen will. Ach, HERR, lass doch keine unter uns in
solchem schrecklichen Sinn; hilf, dass wir alle deiner Gnadenstimme in deinem Wort
von Herzen folgen, an deiner Gnade von ganzem Herzen hängen und in der Kraft
deiner Gnade als neue himmlisch gesinnte Menschen wandeln. Erhöre uns um Jesu
Christi, deines Sohnes, unseres Heilandes willen. Amen.
1.
Christus beginnt in unserem Evangelium mit
den Worten: „Das Himmelreich ist gleich einem König, der seinem Sohn
Hochzeit machte; und sandte seine Knechte aus, dass sie die Gäste zur Hochzeit
riefen; und sie wollten nicht kommen.“ In diesem ersten Teil des
Gleichnisses beschreibt Christus die Zeit, in welcher die himmlische Hochzeit
zwar beschlossen, aber noch nicht bereitet war; dies ist daher keine andere als
die ganze Zeit vor der Erscheinung Christi auf Erden. Den Erfolg dieser
Einladung zur himmlischen Hochzeit in dieser Zeit oder das Schicksal des
Evangeliums beschreibt Christus mit den kurzen Worten: „Und sie wollten
nicht kommen.“
Diese Worte geben uns einen wichtigen
Aufschluss. Blicken wir nämlich zurück auf den großen Abschnitt der Weltzeit
vor Christi Erscheinung, so nehmen wir mit Bestürzung wahr, dass während dieser
ganzen langen Jahrtausende immer nur so wenige etwas von dem Heiland der
Welt gewusst haben, so dass diese wenigen Gläubigen gegen die unermesslichen
Scharen glaubloser Heiden wir eine kleine Welle gegen das Weltmeer, wie ein
Sandkorn gegen einen großen Berg, wie ein Tröpflein im Eimer anzusehen waren.
Während z.B. zur Zeit der Sintflut sich Gott dem Noah und seiner Familie gnädig
offenbarte, gingen Millionen Seelen ohne Erkenntnis Gottes und des verheißenen
Heilandes in der natürlichen Blindheit ihres Herzens dahin. Während ferner Gott
später den Abraham aufsuchte und einen Gnadenbund mit ihm aufrichtete, lebten
alle anderen Völker ohne Gottes Wort, versunken in die elendeste Abgötterei und
in den greulichsten Götzendienst, Sonne, Mond und Sterne, ja, Holz und Steine
als ihre Götter verehrend. Während endlich später in Kanaan unter dem jüdischen
Volk das Licht der göttlichen Offenbarung so hell leuchtete, so deckte
Finsternis alle andren Teile des Erdreichs und Dunkel die Völker der ganzen
übrigen damals bewohnten Welt.
Erwägen wir dies, so muss in unserm Herzen
die Frage entstehen: Woher kommt es, dass in der ganzen Zeit vor Christi Geburt
so zahllose Menschen von der himmlischen Hochzeit ausgeschlossen blieben, dass
nämlich so viele Millionen ohne das Evangelium, ohne die Erkenntnis des wahren
Gottes und ohne den Trost, einen Heiland zu haben, in dieser Welt lebten und
endlich verloren gingen? Hat denn Gott selbst nach einem unbedingten Ratschluss
nur so wenige auserwählt, die er allein zur Erkenntnis seines Sohnes und der
ganzen seligmachen Wahrheit bringen wollte, während er an den meisten Menschen
mit seiner Gnade vorüberging und sie ohne Rettung erbarmungslos verloren gehen
ließ? Schon viele Feinde des Christentums haben darauf hingewiesen, dass ja die
Lehre der heiligen Schrift besonders vor Christi Zeit nur in einem Winkel der
Erde bekannt gewesen sei. Sie? Haben sie ausgerufen, wäre die Lehre der Bibel
die Offenbarung Gottes und enthielte sie den allein seligmachenden Glauben,
würde dann Gott, der die Liebe ist, nicht auch dafür gesorgt haben, dass diese
Lehre allen Menschen zu allen Zeiten bekannt werden könnte?
Den Schlüssel zu allen diesen scheinbaren
Widersprüchen und Unerklärlichkeiten geben uns die Worte Christi in unserem
Evangelium: „Und sie wollten nicht kommen.“ Hieraus ersehen wir: Ursache
davon, dass vor Christi Zeiten die meisten Völker der Erde nicht teilnahmen an
dem geistlichen Hochzeitsmahl des verheißenen Heilandes und dass sie ohne die
Erkenntnis von dem rechten Weg zur Seligkeit blieben, lag nicht darin, dass Gott
sie davon ausgeschlossen hätte, sondern dass sie auf Gottes Ruf nicht kommen
wollten, sich also selbst davon ausschlossen. Gott hat zu allen Zeiten
Anstalten getroffen, dass kein Mensch verloren werde, sondern ein jeder zur
Erkenntnis der Wahrheit komme, hingegeben haben aber die Menschen wiederum
alles aufgewendet, dem Wort Gottes unter ihnen den Eingang zu verschließen.
Kaum war der Mensch gefallen, so wurde ihm
auch schon das Evangelium von Gott selbst gepredigt, dass des Weibes same der
Schlange den Kopf zertreten werde. Hierauf lebte Adam noch 930 Jahre in der
Welt und lud in dieser Zeit seine Kinder gewiss treu und unermüdlich zur
himmlischen Hochzeit ein. Als Adam
starb, da hatte er 56 Jahre lang mit dem Vater Noahs, dem Lamech, gelebt, der
erst fünf Jahre vor dem Einbruch der Sintflut im Glauben an die Verheißung
entschlief. Diejenigen, welche im Jahr 1656 nach Erschaffung der Welt in der
Sintflut umkamen, hatten daher noch die Predigten eines Schülers Adams hören
können. Was war also schuld, wenn die meisten schon in den ersten 1600 Jahren
der Welt die im Evangelium verkündigte Seligkeit nicht erlangten? – Gott sandte
genug Boten aus, die alle einladen mussten, aber, spricht Christus: „sie
wollten nicht kommen“.
Später zwar erwählte Gott ein einziges
Volk, dem er seine Offenbarungen anvertraute, aber nicht darum, weil Gott and
en Heiden mit seiner Gnade vorübergehen wollte, sondern weil Gott seinen Sohn
in diesem Volk geboren werden lassen wollte und weil dieses Volk gleichsam der
Fackelträger sein sollte für alle anderen Völker. Darum führte Gott auch dieses
Volk so wunderbar und zerstreute es endlich in alle Welt, dass sie von dem
verheißenen Heil zeugen und dadurch auch alle anderen Völker zur Hochzeit rufen
möchten. Warum saßen also diese in Finsternis und Schatten des Todes, während
in Israel der Leuchter der göttlichen Offenbarung so hell brannte? – Etwa
darum, weil sich Gott ihrer nicht hätte erbarmen wollen? – Das sei ferne! Nein!
Christus sagt es uns: „Sie wollten nicht kommen.“
Seht, so lautet die traurige Geschichte des
Evangeliums von Christus. Gott ließ es der Welt sagen, er werde seinem eigenen
Sohn Hochzeit machen und auf dieser Hochzeit sollten alle Menschen Gäste sein,
aber siehe! die Welt glaubte das nicht, verachtete die Verheißung des Himmels
aus Gnaden, und suchte ihren Himmel auf der Erde.
2.
Lasst uns nun in unserm Gleichnis
weitergehen. Christus fährt darin so fort: „Abermals sandte er andere Knechte
aus und sprach: Sagt den Gästen: Siehe, meine Mahlzeit habe ich bereitet, meine
Ochsen und mein Mastvieh sind geschlachtet und alles bereit; kommt zur
Hochzeit! Aber sie verachteten das und gingen hin, einer auf seinen Acker, der
andere zu seiner Hantierung. Etliche aber griffen seine Knechte, höhnten und
töteten sie.“
Welche Zeit Christus hiermit beschreibt, ist nicht schwer zu erkennen;
er beschreibt nämlich hiermit offenbar die Tage seines Fleisches; denn als
Christus auf Erden war, lebte, litt und starb, da wurde gleichsam die Tafel für
alle Sünder gedeckt; da wurde Christus, das Lamm Gottes, das der Welt Sünde
trägt, aufgetragen; und als er am Kreuz rief: „Es ist vollbracht“, da konnten
alle Boten Gottes im vollkommensten Sinn des Wortes endlich rufen: „Es ist
alles bereit; kommt zur Hochzeit“; die Vergebung eurer Sünden ist bereitet,
die Versöhnung Gottes mit euch allen ist bereitet, die Gerechtigkeit, die ihr
vor Gott braucht, ist bereitet, Licht, Trost, Kraft, das ewige Leben, der
Himmel mit aller seiner Seligkeit und Herrlichkeit, kurz, alles, alles, ist bereitet,
ihr braucht nur zu kommen, das heißt, ihr braucht nur das Heil in Christus im
Glauben annehmen, euch seiner nur freuen und trösten und alles, was er euch
erworben hat, genießen. So lautete denn auch zu Christi Zeit, Christi, des
Johannes des Täufers und aller Apostel Predigt.
Wie verheilt sich nun die Welt gegen ihre freundliche, tröstliche und
noch gnadenvollere Einladung, als die Einladung der Erzväter und Propheten des
Alten Bundes gewesen war? Fing die Welt nicht wenigstens jetzt an, sich ihrer
bisherigen Gleichgültigkeit zu schämen? Ließ sie nicht wenigstens jetzt alles
liegen und stehen und eilte zur Hochzeit, welche der himmlische Vater seinem
Sohn gemacht und zu der er alle Sünder eingeladen hatte? – Ach nein! je größer
die Gnade war, welche den Menschen nun angeboten wurde, desto größer war ihr
Widerstreben; nicht genug, dass die Menschen die Einladung zur Hochzeit der
Gnade und Seligkeit verachteten und dachten: Ja, teilten Gottes Boten Geld,
Ehre und gute Tage aus, so wollten sie wohl kommen; nicht genug, dass diese
sich wegwendete, der eine seinen Acker, der andere seine Hantierung vorzog, so
wurden sogar etliche durch die freundliche Einladung so erbittert, dass sie die
Knechte des HERRN, ja, seinen Sohn selbst höhnten und töteten.
Ist das nicht ein finsteres Geheimnis der Bosheit des menschlichen
Herzens? Wäre Christus gekommen, um der Welt viel schwere Werke zu gebieten,
ihr unerträgliche Lasten aufzulegen und ihr nur zu zeigen, wie sie sich selbst
den Himmel verdienen müsse, dann möchte es wohl nicht wunder nehmen, wenn die
Welt seine Botschaft mit Widerwillen aufnahm, ja, sich erzürnt an ihm und
seinen Knechten vergriff; aber weg kann es begreifen, dass sie tobte und
wütete, da ihr nur zugerufen wurde: „Kommt, es ist alles bereit“? dass
sie da nicht ruhte, bis sie Christus ans Kreuz gebracht und seine heiligen
Apostel von dem Erdboden vertilgt hatte?
Aber, meine Lieben, so ist der Mensch, so lange er noch nicht ein von
Gott selbst umgeändertes Herz hat. Mit Freudenhört ein natürlicher Mensch die
strengste Lehre von der Tugend und den guten Werken, obgleich er nach nichts
weniger als nach Tugend trachtet und nichts weniger als gute Werke tut; wird
ihm aber Christus der Gekreuzigte gepredigt, wird ihm gepredigt, dass er ein
armer Sünder sei, der allein durch Christi Gnade vor Gott gerecht und selig
werden könne, und wird ihm dies alles aufs freundlichste angeboten, so erregt
ihn dies zu dem bittersten Hass, ja, wohl zu den grausamsten Verfolgungen.
Diesen Erfolg hatte die Gnadenpredigt von Christus nicht nur in den Tagen
seines Fleisches; zu allen Zeiten bis diese Stunde war das Verhalten der Welt
dagegen dasselbe. Warum haben die Zigtausende Märtyrer der ersten drei
Jahrhunderte in den Verfolgungen durch Heiden ihr Leben verblutet? Darum, weil
sie bekannten, dass in keinem anderen Heil, dass den Menschen auch kein anderer
Name gegen sei, darin sie selig werden können, als allein der Name Jesu Christi
des Gekreuzigten. Warum sind ferner unter der Herrschaft des Papsttums so viele
Unschuldige als Ketzer hingerichtet worden? Weil diese bekannt hatten, dass
Christus das einige Haupt seiner Kirche ist und dass nicht von Menschen
ersonnene Werke und Büßungen, sondern allein der Glaube an Christus vor Gott
gerecht und selig macht. Und was erweckt noch jetzt am meisten den Hohn und
Spott der Welt, ja, selbst den Hohn und Spott derer, welche die eifrigsten Christen
sein wollen? Nichts anderes, als wenn gelehrt wird, dass alles bereitet ist,
dass der Sünder bei Christus alles findet5, was er braucht, dass sich der
Mensch durch nichts etwas selbst verdienen und erkämpfen müsse, dass allein der
Glaube vor Gott gelte und dass allen Sündern im Evangelium, in der Taufe und in
dem heiligen Abendmahl die Tafel der Gnade deckt ist.
Doch hierbei wird uns in unserem Evangelium nicht allein das Verhalten der Menschengegen das
Evangelium, sondern auch das Verhalten Gottes gegen solche Verächter
geschildert; denn es heißt weiter: „Da das der König hörte, wurde er zornig
und schickte seine Heere aus und bracht diese Mörder um und zündete ihre Stadt
an.“ Hiermit verkündigte Christus im Voraus, welches das Schicksal
Jerusalems und es ganzen jüdischen Volkes werde, als sie die Einladung zur
himmlischen Hochzeit teils verachtet, teils mit glühendem Hass und mörderischer
Verfolgung beantwortet hatten. Und wie Christus verkündigt hatte, so geschah
es; die Römer erschienen, ohne dass sie s wussten, als das rächende Heer
Gottes, bereiteten den Juden einen beispiellos jammervollen Untergang, machten
Jerusalem dem Erdboden gleich und schrieben auf die verödete Stätte mit
blutiger Schrift: Das ist das endgültige Schicksal aller derer, die die
Einladung der Knechte Gottes zur himmlischen Hochzeit verachten und verwerfen.
Die Verächter des Evangeliums lachen freilich über diese Drohung. Sie
denken: O, dass Jerusalem so elend bald nach den Predigten Christi und der
Apostel zerstört wurde, war Zufall; es haben ja schon viele das Evangelium
verworfen, und es ist ihnen wohl gegangen bis an ihren Tod! Wohl ist das
Letztere wahr, aber die wahre Strafe für Jerusalems Bürger war nicht die
Verwüstung ihrer Stadt, das war nur ein geringes Vorspiel von dem, was in der
Ewigkeit sie erwartete, zur Warnung der Welt. Wehe der Welt, die sich nicht
warnen lässt; dort wird sie erfahren, was es heißt: Christus verachten und
seine Boten verfolgen; das himmlische Jerusalem wird sie nicht schauen und wird
verworfen werden in die rauchende Brandstätte der Hölle.
3.
Doch wir gehen
zum letzten Teil unseres Gleichnisses über. Christus schließt nämlich dasselbe
mit den Worten: „Da sprach er zu seinen Knechten: Die Hochzeit ist zwar
bereit, aber die Gäste waren es nicht wert. Darum gehet hin auf die Straßen und
ladet zur Hochzeit, wen ihr findet. Und die Knechte gingen aus auf die Straßen
und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute. Und die Tische wurden
alle voll. Da ging der König hinein, die Gäste zu besehen, und sah allda einen
Menschen, der hatte kein hochzeitlich Kleid an, und sprach zu ihm: Freund, wie
bist du hereinkommen und hast doch kein hochzeitlich Kleid an? Er aber
verstummte. Da sprach der König zu seinen Dienern: Bindet ihm Hände und Füße
und werft ihn in die äußerste Finsternis hinaus; da wird sein Heulen und
Zähneklappen; 14 denn viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“
Hiermit
beschreibt Christus das Verhalten der Welt gegen die Einladung zur himmlischen
Hochzeit in der ganzen Zeit nach ihm bis an das Ende der Tage. Christus sagt
nämlich, nach dem die Juden das Evangelium verworfen haben und Jerusalem
zerstört sein würde, würden Gottes Boten in alle Welt ausgehen und auch die
Heiden allenthalben aufsuchen und auch ihnen zurufen: „Kommt zur Hochzeit!“
Und siehe! unermessliche Scharen würden sich bald einfinden, aber nicht allein
Gute, sondern auch Böse; die Tische würden alle voll werden, doch würde nicht
jeder in dem hochzeitlichen Kleid des wahren Glaubens erscheinen.
Wir sehen aus
dieser Beschreibung Christi, dass vor seinen Blicken die ganze Zukunft
aufgedeckt lag, wie die Gegenwart. Denn ist diese seine Weissagung nicht
buchstäblich in Erfüllung gegangen? Ja, die Knechte des HERRN warfen das leere
Netz des Evangeliums in das Meer der Welt, und voll zogen sie es an das Ufer;
sie bestellten den wüsten Acker Gottes unter der blinden Heidenschaft, und bald
wogte darauf die reichste Saat; sie öffneten durch die heilige Taufe die
Pforten der Kirche, und bald zogen ganze Völker darin ein. Aber, so erfolgreich
hiernach die Arbeit der Knechte des HERRN am Abend der Welt zu sein scheint, so
ganz anders erscheint der Erfolg derselben, wenn er genauer betrachtet
wird. Das Netz des Evangeliums enthält nur zu viele faule Fische, der Acker
Gottes nur zu viel Unkraut, die christliche Kirche nur zu viel Heuchler. Soll
daher das Verhalten der Meisten gegen das Evangelium in der Zeit nach
Christus im Allgemeinen bezeichnet werden, so besteht es darin, dass man zwar
in dem Hochzeitshaus der christlichen Kirche erscheint, aber ohne das rechte
hochzeitliche Kleid; dass man die Einladung zwar äußerlich, aber meist nicht
von Herzen annimmt.
Dieser Teil des
Gleichnisses geht uns vor allen anderen an. Wir gehören zwar nicht zu denen,
die bei dem Ruf Christi durch seine Diener gleichgültig blieben und nicht
kommen wollten, noch weniger gehören wir zu denen, die das Wort der Gnade
offenbar verachten und die Verkündiger desselben höhnen und verfolgen, wir sind
vielmehr alle äußerlich auf die erhaltene Einladung in dem Hochzeitshaus der
christlichen Kirche erschienen, wir haben uns alle an Christi Tisch gesetzt,
denn wir gebrauchen seine Gnadenmittel, sein Wort und seine heiligen
Sakramente, aber sind wir auch bekleidet mit dem rechten Hochzeitskleid? Wollen
wir wirklich von Herzen geistliche Hochzeitsgäste sein? Wollen wir wirklich
geistliche Hochzeit feiern? Ist es unser Bemühen, dem wahren himmlischen
Bräutigam zu gefallen? Das heißt, gebrauchen wir wirklich deswegen die
Gnadenmittel, um Vergebung der Sünden zu genießen? Gehen wir deswegen in die
Kirche, um den Weg zur Seligkeit zu erfahren und ihn dann auch wirklich durch
Gottes Gnade zu gehen? Ist es uns ein wahrer Ernst, einen gnädigen Gott zu
haben? Lassen wir Gottes Wort wirklich in unser Herz dringen? Tun wir dabei
unser Herz dem Heiligen Geist auf und lassen durch denselben den wahren Glauben
in uns wirken? Haben wir uns schon durch Gottes Wort bekehren und unser Herz
verändern lassen, dass wir nun auch als neue Menschen wandeln? Oder meinen wir
etwa, damit sei schon alles ausgerichtet, wenn wir nur zur Kirche kommen, wenn
wir nur Gottes Wort lesen und hören und die heiligen Sakramente gebrauchen?
Dienen wir etwa noch heimlich der Sünde? Sind uns die zeitlichen Güter der Welt
noch lieber als die geistlichen Gnadengüter der himmlischen Hochzeit?
O, lasst uns
nicht selbst uns täuschen! Sind wir auch hier Gäste an Christi Gnadentafel,
sind wir aber ohne das hochzeitliche Kleid, so können wohl Menschen uns für
gute Gäste halten, aber es kommt ein Tag, da wird der König des Himmels seine
erschienen Gäste bestehen; wie unselig wären wir dann, wenn unser Christentum
nur Schein, nicht Kraft, nur äußerlich, nicht innerlich, nur halbiert, nicht
von ganzem Herzen war! Wie unselig, wenn wir dann ohne das hochzeitliche Kleid
eines wahren Herzensglaubens erfunden würden! Dann würden wir mit gebundenen
Füßen hinausgeworfen werden „in die äußerste Finsternis hinaus, wo wird sein
Heulen und Zähneklappen“.
Wohl uns aber,
wenn wir hier schon hungrig und durstig an der Gnadentafel des HERRN sitzen, so
wird er uns auch einst teilnehmen lassen an der Hochzeitsfreude des ewigen
Lebens. Das helfe er uns durch Jesus Christus! Amen.
Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem
Vater, und dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der Wahrheit und
in der Liebe sei mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Unser Heiland spricht: „Wer da glaubt und
getauft wird, der wird selig; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt.“ St.
Paulus spricht ferner im Brief an die Römer, im 14. Kapitel: „Was nicht aus
Glauben geht, das ist Sünde“; und im Brief an die Hebräer, im 11. Kapitel:
„Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen.“ Diese Aussprüche sind schon
vielen ein Dorn im Auge gewesen. Man spricht: Ja, ja, so sagen alle Religionen
in der Welt, dass der Glaube an ihre Geheimnisse unumgänglich notwendig sei;
sieht man aber nicht eben daraus, weil alle Religionen in der Welt dies
fordern, dass dies auf Irrtum und Betrug ruhen oder doch endlich darauf
hinauslaufen müsse? Und warum sollte es denn gerade auf den Glauben allein
ankommen? Ist es nicht natürlicher, dass es bei Gott vor allem auf den
Charakter, auf die edle Gesinnung, auf die rechten Grundsätze, auf die guten
Werke eines Menschen ankomme?
Wir antworten hierauf erstens: Dass alle
Religionen, auch die falschen, vor allem den Glauben von denen fordern, die da
selig werden wollen, die macht die Lehre nicht etwa verdächtig, sondern
bestätigt vielmehr ihre von keinem Menschen bestreitbare Wahrheit. Eben weil es
alle Menschen fühlen, dass es ohne Glauben unmöglich sei, das Wohlgefallen
Gottes zu besitzen, darum hat es noch keine Religion unter den Menschen
gegeben, deren erste Forderung nicht diese gewesen wäre: Du musst glauben.
Es kann aber auch nicht anders sein. Schon
uns Menschen kann niemand schwerer beleidigen und beschimpfen als derjenige,
welcher unseren Worten widerspricht, sie nicht glauben will und uns ins
Angesicht sagt: Es ist nicht wahr, was du redest. Fühlt sich nun schon ein
armer sündlicher Mensch tief gekränkt, wenn man ihm die Glaubwürdigkeit
abspricht, welch eine viel größere Beleidigung Gottes muss es sein, seinen
Worten nicht zu glauben! Ja, welche Sünde kann größer sein als der Unglaube!
Denn wer nicht glaubt, der tut nichts anderes, als dass er sagt: Gott ist ein
Lügner. So wenig nun ein Gotteslästerer einst in die selige Gemeinschaft Gottes
kommen kann, so gewiss schließt der Ungläubige von aller Seligkeit in Gott sich
selbst aus. Wer daher ein wahrer Christ ist, nimmt gefangen alle Vernunft unter
den Gehorsam Christi. Er spricht bei den offenbarten Geheimnissen nicht
ungläubig: Wie mag solches zugehen? Sondern: O, welch eine Tiefe! Ein wahrer
Christ macht auch keinen Unterschied in der Heiligen Schrift; er nimmt nicht
das Eine an, was er begreifen kann, und verwirft das Andere, was ihm
unglaublich scheint, sondern glaubt kindlich, wie geschrieben steht, jedes Wort
seines Gottes und hält fest daran, ob auch alle Welt davon abgeht. Er denkt:
Alle Menschen sind Lügner, aber was Gott sagt, ist wahr; was er verheißt, das
wird erfüllt; ihm ist kein Ding unmöglich. Wer diesen Glauben nicht hat, ist
kein Christ, denn wer Gott nicht glaubt, der hält Gott nicht für Gott und
versagt ihm das Erste, was zum wahren Gottesdienst gehört, nämlich das
Vertrauen.
Hierzu kommt nun noch dieses: Die Heilige
Schrift lehrt, dass der Sohn Gottes aller Menschen Heiland, Bürge und
Stellvertreter ist; dass derselbe für alle Menschen die Strafen der Sünden
getragen, das Gesetz erfüllt und ihre Schulden bei Gott bezahlt hat. Der Glaube
ist daher nichts anderes, als die Zustimmung der Menschen zu diesem Gnadenbund
oder das Annehmen dessen, was Christus für ihn getan und gelitten hat. Wer
daher nicht glaubt, der begeht nicht nur ein Versehen und fällt nicht nur in
einen Irrtum des Verstandes, sondern er nimmt dann Christus und seine Erlösung
nicht an, verwirft die für ihn von seinem Bürgen geleistete Bezahlung, weist
die ihm von seinem Heiland erworbene und aus Gnaden geschenkte Seligkeit zurück
und stürzt sich so selbst mutwillig in die Verdammnis. Ungläubig sein und
bleiben, und doch selig werden ist daher unmöglich, so gewiss Gottes Wort ewige
Wahrheit ist.
Doch, wie in dieser Welt nichts vollkommen
ist, so ist auch der Glaube der Christen doch nie vollkommen, er bleibt stets
noch mit etwas Unglauben vermischt; und von diesem Unglauben der Gläubigen
lasst uns jetzt zu unserem Unterricht und Trost weiter hören.
Johannes 4,47-54: Und es war ein königlicher Beamter,
des Sohn lag krank zu Kapernaum. Dieser hörte, dass Jesus kam aus Judäa nach
Galiläa, und ging hin zu ihm und bat ihn, dass er hinab käme und hülfe seinem
Sohn; denn er war todkrank. Und Jesus sprach zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und
Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Der Königliche sprach zu ihm: HERR, komm
hinab, ehe denn mein Kind stirbt! Jesus spricht zu ihm: Gehe hin, dein Sohn
lebt. Der Mensch glaubte dem Wort, das Jesus zu ihm sagte, und ging hin. Und
als er hinabging, begegneten ihm seine Knechte, verkündigten ihm und sprachen:
Dein Kind lebt. 52 Da forschte er von ihnen die Stunde, in welcher es besser
mit ihm geworden war. Und sie sprachen zu ihm: Gestern um die siebte Stunde
verließ ihn das Fieber. Da merkte der Vater, dass es um die Stunde wäre, in
welcher Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein Sohn lebt. Und er glaubte mit seinem
ganzen Haus. Das ist nun das zweite Zeichen, das Jesus tat, da er aus Judäa
nach Galiläa kam.
Dieses verlesene Evangelium gibt mir
Gelegenheit, heute eure Andacht auf einen sehr wichtigen Gegenstand zu lenken,
nämlich auf den Unglauben, der in diesem Leben auch noch in den Herzen der
Gläubigen zurückbleibt. Ich spreche also zu euch:
Von
dem Unglauben der Gläubigen
Und zwar
1.
Was es damit für eine Bewandtnis
habe, und
2.
Wie Gläubige davon immer mehr
geheilt werden.
HERR Jesus, der du der rechte Weinstock
bist und deine Gläubigen zu deinen Reben gemacht hast, du drohst nicht nur,
dass dein Vater eine jegliche Rebe an dir, die nicht Frucht bringt, wegnehmen
wolle, sondern du verheißt auch, dass er eine jegliche Rebe, die da Frucht
bringt, reinigen werde, damit sie mehr Frucht bringe: Wir bitten dich, lass das
Wort, das jetzt gepredigt werden soll, dazu dienen, dass alle deine Gläubigen
unter uns von den ihnen noch anklebenden Mängeln gereinigt und geläutert und
besonders von allen Überbleibseln des Unglaubens immer mehr geheilt und befreit
werden, damit sie ganz die Ruhe und den Frieden genießen, den du uns vom Himmel
gebracht hast, dir dienen mit Freuden und stündlich vor dein Angesicht kommen
mit Frohlocken, dass keine Trübsal sie abtreibe und sie endlich durch dich
fröhlich Sünde, Welt, Tod und Hölle überwinden und selig werden. Amen. Amen.
1.
In unserem Text wird uns zuerst erzählt: „Es war ein königlicher Beamter, des
Sohn lag krank zu Kapernaum. Dieser hörte, dass Jesus kam aus Judäa nach
Galiläa, und ging hin zu ihm und bat ihn, dass er hinab käme und hülfe seinem
Sohn; denn er war todkrank. Und Jesus sprach zu ihm: Wenn ihr nicht Zeichen und
Wunder seht, so glaubt ihr nicht. Der Königliche sprach zu ihm: HERR, komm
hinab, ehe denn mein Kind stirbt!“ Aus dieser Erzählung ersehen wir dreierlei: Erstens,
worin denn eigentlich der Unglaube bestehe, womit der Gläubige noch behaftet
ist; sodann, wann derselbe am stärksten sei, und endlich, unter welchen
Umständen er am meisten offenbar werde.
Es ist nämlich kein Zweifel, dass der Königliche oder der königliche
Hofbeamte, von welchem uns berichtet wird, den Keim des wahren Glaubens in
seinem Herzen getragen hat; denn wir hören, dass er fest geglaubt hat, Christus
könne nicht nur da helfen, wo alle Menschenhilfe zu Ende sei, sondern er hatte
auch das feste Zutrauen zu ihm, dass er auch helfen wolle und werde. Wer aber
alle Hilfe von Christus erwartet und zu ihm als dem Helfer aus aller Not
vertrauensvoll seine Zuflucht nimmt, der steht gewiss im wahren Glauben, bei
dem er nimmermehr zuschanden wird. Wenn Christus aber doch dem Königlichen den
Vorwurf macht: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht“,
so ersehen wir hieraus, dass auch in seinem Herzen noch ein bedeutender Rest
des Unglaubens zurückgeblieben war. Er glaubte nämlich, er könne sich nur dann
der Hilfe Christi gewiss versichert halten, wenn Christus mit ihm in sein Haus
ginge, da seine Hand auf das Haupt des totkranken Sohnes legte und etwa zu ihm
spräche: Sei gesund, mein Sohn, stehe auf und wandle. Der Königliche wollte
also zu seinem Glauben etwas, was er sehen, hören und mit seinen Sinnen
wahrnehmen könnte. Er machte Christus noch Vorschriften, wie er es machen
solle, und wollte sich also noch nicht auch mit verbundenen Augen ganz der
Treue Jesu Christi überlassen.
Diese Überbleibsel des Unglaubens finden wir aber bei allen Gläubigen zu
allen Zeiten, und je jünger jemand im Glauben ist, desto weniger ist er davon
frei. Die meisten Menschen liegen freilich in offenbarem Unglauben; sie gehen
entweder sicher dahin, bekümmern sich um das Wort Gottes und ihrer Seelen
Seligkeit gar nicht, suchen nur das Irdische, leben in Eitelkeit, halten sich
dabei für gute Menschen und verachten doch Christus und seine Gnade; oder sie
haben nur einen erträumten Glauben, der nur im Mund und Verstand, aber nicht im
Herzen ist. Es gibt aber doch, Gott sei Dank, noch Menschen, welchen das Wort
Gottes durch das Herz geht, die es erkennen, dass sie verlorene Sünder sind,
die daher über sich selbst erschrecken und nun ernstlich seufzen; Ach, was muss
ich tun, dass ich selig werde? Hören nun solche um ihr Seelenheil bekümmerte
Herzen das Evangelium von Christus, hören sie, dass Christus auch ihr Heiland
sei, der ihre Sünden durch sein Leiden und Sterben gutgemacht habe, und dass,
wer an ihn glaubt, dadurch Vergebung der Sünden erlange, vor Gott aus Gnaden um
Christi willen für gerecht angesehen und selig werden solle, o, welch eine
fröhliche Botschaft ist für solchen Menschen dies teure Evangelium von der
Gnade! Solchen ist nun Christus ein volles Meer von Seligkeit, Freude, Lust und
Wonne. Solche rufen dann aus: Ich habe Jesus gefunden und mit ihm mein ewiges
Heil; o, wie glücklich bin ich; wie wohl ist mir! Welche Ruhe, welchen Frieden,
welche Gewissheit habe ich jetzt, wovon ich vorher, ehe ich Christus lebendig
erkannte, nichts gewusst, ja, nichts geahnt habe! O, wenn doch alle Menschen
wüssten, sprechen solche jungen Gläubigen, wie gut man’s bei Jesus habe, so
würden sie, wie ich, die Welt und Sünde mit Freuden verlassen und zu ihm gehen
und selig sein wie ich!
Betrachtet man nun diesen Zustand junger Christen und hört man ihre
freudigen Bekenntnisse von ihrem Glauben, so scheint es, als hätten sie allen
Unglaubens ihres Herzens auf einmal für immer und gänzlich überwunden. Aber es
scheint nur so. Je weniger nämlich ein
Mensch noch Erfahrungen in den Wegen des HERRN gemacht hat, desto ähnlicher ist
er noch dem Königlichen in unserem Evangelium. Auch von anderen Neubekehrten
heißt es nämlich: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr
nicht.“ Denn wie ist gewöhnlich ihr Zustand? Die meisten sind darum ihres
Heils so bald und so freudig gewiss, weil sie jetzt süße Gefühle in ihrem
Herzen haben; weil sie es empfinden, dass Gott ihnen in ihrer Seele nun
freundlich Trost zuspricht; weil das Evangelium jetzt wie ein sanfter
erquickender Regen auf ihr erst verschmachtetes Herz fällt; weil ihr Herz und
Gewissen sie nicht mehr verdammt, und weil es ihnen Gott vielleicht gerade
jetzt auch im Zeitlichen wohlgehen lässt.
Betrachten wir aber einen solchen Neubekehrten in innerlicher oder
äußerlicher Not, was geschieht dann? Dann scheint es wieder oft, als sei das
Glaubenslicht in ihm wieder ganz erloschen. Fühlt er keine Gnade mehr im
Herzen, so denkt er, er habe nun wieder die Gnade verloren; empfindet er den
Trost des Evangeliums nicht mehr, so denkt er, dieser Trost gehe ihn nun gar
nichts mehr an; spürt er bei der Predigt oder dem lesen des Evangeliums keine
besondere Erquickung, so denkt er, er sei ganz verhärtet und verstockt und das
Wort Gottes mache gar keinen Eindruck mehr auf ihn; wird er von den Schlägen
des Gewissens wieder getroffen, regt sich die Sünde wieder stark in seinen
Gliedern, wird er wieder von Schrecken des Zornes Gottes und der Hölle
angefallen, so denkt er: Ach, du bist aus der Gnade in den Zorn Gottes, aus der
Gemeinschaft Christi unter die Herrschaft der Sünde, aus dem Himmel in die
Hölle gefallen. Findet sich nun vollends bei solcher inneren Trostlosigkeit
auch noch von außen Kreuz und Not, die über ihn hereinbricht; drückt ihn Armut
oder wird er auf ein langwieriges, schmerzensvolles Krankenlager geworfen, oder
gerät er in Schande, oder nimmt ihm Gott vielleicht ein liebes Kind oder einen
lieben Gatten oder den einzigen treuen Freund durch den Tod, wird es immer
trüber und dunkler um ihn: Ach, dann denkt er: Gott ist von mir gewichen; wie
kann ich Gottes Kind sein! Ach, mein Glaube war wohl nur Einbildung.
Seht, so zeigen sich gewaltige Regungen des Unglaubens bei jungen
Christen; sie leiden alle an der geistlichen Krankheit, immer erst sehen, erst
fühlen, erst empfinden, erst, so zu sagen, die Wunderhilfe Gottes wie der
Königliche mit Händen greifen, und dann erst fest glauben zu wollen.
Doch, obgleich bei erfahrenen Christen die Macht des Unglaubens schon
mehr gebrauchen ist und diese mehr gewohnt und geübt sind, Gott auch im Dunkeln
zu trauen, so ist doch kein Mensch in der Welt so fest, so hoch und so
vollkommen im Glauben, dass er nicht oft auch in ähnlicher Weise davon
angefochten würde. Das Verlangen, immer unter dem milden Sonnenschein der
göttlichen Freundlichkeit zu wandeln, bleibt bis an unseren Tod; das Verlangen,
auch sichtbare Stützen unseres Glaubens zu haben, verlässt uns nie, bis das
irdische Auge sich schließt und das Auge unseres Geistes seine Krone schaut und
die Hand unserer Seele die Palme des ewigen Sieges schwingt. Auch die
erfahrensten Christen müssen oft mit David im 30. Psalm von sich bekennen:
„HERR, durch dein Wohlgefallen hast du meinen Berg stark gemacht; aber da
du dein Antlitz verbargst, erschrak ist.“ Viele Beispiele hiervon gibt uns das
Wort Gottes. Selbst ein Mose wurde im Glauben schwach, als er mit dem Fels in
der Wüste nur reden sollte, dass er Wasser gebe für die Verschmachtenden;
ungläubig schlug er vielmehr an den Fels zweimal mit seinem Stab. Selbst die
Apostel rufen im schwankenden Schiff, das von den brausenden Meereswellen
umtobt wurde, dem schlummernden Gottessohn zu: „Meister, fragst du nichts
danach, dass wir verderben? Ach, HERR; hilf uns, wir verderben!“ Selbst die
Apostel sprachen nicht nur in der Wüste, als sich hier 4000 Hungrige um sie
versammelt hatten, kleingläubig: „Woher nehmen wir Brot hier in der Wüste, dass
wir sie sättigen?“ sondern auch kurz darauf, nachdem sie Zeugen von Christi
wunderbarer Speisung gewesen waren, bekümmerte es sie doch sehr, als sie wieder
einmal vergessen hatten, nur für sich und Christus Brot mit sich genommen zu
haben. So tief ist der Unglaube in des Menschen Herz eingewurzelt.
2.
Doch lasst uns nun auch zweitens hören, wie
die Gläubigen von dem noch in ihren Herzen übrig gebliebenen Unglauben durch
Gottes Gnade immer mehr geheilt und befreit werden.
Ein herrliches Beispiel hiervon ist der
Königliche in unserem Text. Dreierlei ist es aber, was wir Christus tun sehen,
damit derselbe von seinem Unglauben geheilt werde: Christus deckt ihm nämlich
erstens seinen Unglauben auf, weist ihn sodann allein auf sein Wort und krönt
endlich durch seine Wunderhilfe auch die geringe Glaubenstreue des Königlichen
über alles Erwarten herrlich.
Als der Königliche mit seinem schwachen
Glauben zu Christus kam, da verwarf ihn Christus zwar nicht, er nahm auch ihn
an, aber als er darauf dran, Christus solle mit ihm in sein Haus gehen und da
seine Wunderhilfe sehen lassen, so rief er ihm doch strafend zu: „Wenn ihr
nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht.“ Als der
Königliche nun des ungeachtet darauf bestand und flehentlich bat: „HERR,
komm hinab, ehe denn mein Kind stirbt,“ so gibt Christus ihm nun nur das
Verheißungswort: „Gehe hin, dein Sohn lebt.“ Dieses Wort drang aber mit
göttlicher Gewalt in sein unverständiges, verzagtes Herz, die Nebel des
Unglaubens wichen jetzt schnell aus seiner Seele und sein Glaube bekam große
kraft und Gewissheit, denn es heißt: „Der Mensch glaubte dem Wort,
das Jesus zu ihm sagte, und ging hin.“ Wie fröhlich, wie gestärkt, wie voll
Zuversicht wird nun der Königliche seine Straße gezogen sein! Und siehe! als er
am anderen Tag nicht m ehr fern von seiner Heimat ist, da kommen ihm seine
Knechte schon eilends entgegen und bringen ihm die fröhliche Botschaft: „Dein
Kind lebt.“ So gewiss nun der Königliche keine andere Nachricht erwartet
hatte, so hörte er sie doch mit besonderer Freude aussprechen. Er erkundigte
sich nun sogleich, wann es mit seinem Sohn besser geworden sei, und als er
hörte: „Gestern um die siebte Stunde verließ ihn das Fieber. Da merkte der
Vater, dass es um die Stunde wäre, in welcher Jesus zu ihm gesagt hatte: Dein
Sohn lebt. Und er glaubte mit seinem ganzen Haus“; das heißt, sein
schwacher Glaube wurde nun stark und groß, er wurde nun auch ein eifriger und
gesegneter Prediger des Glaubens in seiner Familie und brachte endlich Frau und
Kinder und Knechte dahin, dass sie mit ihm treue Glaubensjünger des HERRN Jesus
wurden.
Hier hören wir, meine Lieben, wie der
Gläubige von seinem Unglauben immer mehr geheilt wird. Erkennt hieraus
erstlich, dass Christus freilich diejenigen nicht verwirft, welche aus
Schwachheit nicht eher fest glauben wollen, als bis sie sehen, fühlen und
empfinden , aber dass er dies doch als ein großes Gebrechen an ihnen straft.
Lasst euch darum ja nicht von den Sektenpredigern unserer Tage einnehmen,
welche ihre Zuhörer dahin führen, dass sie unaufhörlich nach süßen Gefühlen der
Gnade und nach dem empfindlichen Zeugnis des Heiligen Geistes in ihren Herzen
ringen und sich nicht eher für Kinder Gottes halten sollen, als bis sie dies
erlangt haben. Das ist eine durchaus verkehrte Heilsordnung. Solche Prediger
suchen da sin ihre Zuhörer zu pflanzen, wovon Jesus Christus seine Christen zu
befreien trachtet; jene loben und preisen das an ihnen, als ein rechtes
Kennzeichen eines wahren Christen, was Christus an ihnen tadelt als eine
Schwachheit und Krankheit.
Wer also bisher auch sich nicht anders hat
beruhigen wollen, als bis Gott, so zu sagen, sichtbare und fühlbare Zeichen und
Wunder an ihm getan habe würde, der muss das als ein Überbleibsel seines
natürlichen Unglaubens erkennen, und sich von nun an gewöhnen, allein auf das
Wort alles zu bauen und zu gründen. Ein Christ muss wohl Gott danken, wenn er
ihm reichen empfindlichen Trost in sein Herz gibt, aber er muss nicht
verlangen, dass dieser immer im Herzen bleibe; er muss sich gewöhnen, in allen
Nöten des Leibes und der Seele, in allen Bekümmernissen, Ängsten und
Anfechtungen nicht zu fragen: Was sagt mein Herz dazu? wie fühle ich jetzt in
meinem Inneren? Sondern vielmehr: Wie steht geschrieben? Was verheißt Gott den
Sündern? O, wenn das ein Christ zu üben anfängt, wenn er anfängt, sich in allem
ein Wort Gottes zu seinem Trost zu suchen und sich nun daran zu halten, so muss
ein natürlicher Unglaube immer mehr weichen, und der Glaubenskeim, den er im
Herzen trägt, wächst immer mächtiger hervor und wird endlich zu einem
tiefgewurzelten Baum, den auch der gewaltigste Anfechtungssturm nicht
umzubrechen vermag. Da ist dann Gott auch so gnädig, dass er einen solchen
Christen, der sich an sein Wort in aller Not festhält, auch immer mehr erfahren
lässt, wie man niemals mit seinem Glauben zuschanden wird, wie Gott allezeit
denen, die auf ihn hoffen, um seines Namens Ehre, um seines Wortes, seiner
Verheißung und seiner Wahrheit willen helfen müsse. So kommt es denn endlich
bei einem oft angefochtenen Christen dahin, dass er spricht: „Wenn ich auch im
Finstern sitze, so ist doch der HERR mein Licht“; „ob ich schon wanderte im
finsteren Tal“, ob ich schon nichts fühle, ob ich im Gegenteil nichts als Zorn,
Verdammung des Gewissens und die Kraft der Sünde in mir empfinde, ja, ob es
auch so aussieht, als wäre ich von Gott verlassen, „so fürchte ich doch kein
Unglück, denn du, HERR, bist bei mir; dein Stecken und Stab trösten mich.“ O,
wenn es mit einem Christen dahin gekommen ist, dass er mit der einigen Stütze
des Wortes zufrieden ist, wenn er nichts begehrt, als dass Gott nur sein Wort
nicht von ihm nehmen und ihn dabei erhalten wolle, dann ist er stark im
Glauben, und so, wie es in unserer heutigen Epistel heißt, stark in dem HERRN
und in der Macht seiner Stärke, dann hat er angezogen den Harnisch Gottes, dass
er bestehen kann gegen die listigen Anläufe des Teufels. Dann hat er sich auch
vor seiner letzten Not, vor seiner Todesstunde nicht zu fürchten. Er weiß es
dann: Mag mir im Sterben alles vergehen und alle andere Trost zerrinnen, so
will ich mich doch auch dann an das Wort der Gnade für arme Sünder fest
anklammern und mit diesem Anker der Hoffnung getrost mich wägen in die
Meeresfluten des Todes; dieser Anker hält mir fest, mit ihm will ich ankommen
an den Ufern jener neuen seligen Welt, wo mein Glaube aufhören und seliges
Anschauen beginnen wird.
O, so lernt denn alle, meine Zuhörer, hier
an das Wort glauben in den Nächten dieses mühseligen Erdenlebens, so wird euch
endlich der ewige Tag aufgehen in dem neuen Himmel und auf der neuen Erde, da
Gerechtigkeit wohnen wird. Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben, unserem teuren Heiland,
herzlich geliebte Zuhörer!
Die Pflicht, seinen Mitbruder und seine
Mitschwester aus Gottes Wort zu strafen, wenn sie sündigen, ist zwar eine
selten geübte und freilich schwere, aber eine überaus nötige und heilige
Christenpflicht!
Dass diejenigen ihre sündigenden
Mitchristen nicht strafen, welche sich selbst ihr Christentum keinen Ernst sein
lassen, das ist kein Wunder, denn sie müssen fürchten, wenn sie andere strafen
wollen, dass man ihnen zurufen werde: „Ein jeder fege zuerst vor seiner Tür“
oder, wie es Röm 2. Heißt: „Du vermisst dich zu sein ein Leiter der Blinden,
lehrt andere, und lehrst dich selbst nicht. Du predigst, man soll nicht
stehlen, und du stiehlst. Du sprichst, man soll nicht ehebrechen, und du
brichst die Ehe. Dir sind die Götzen ein Greuel, und du raubst Gott, was sein
ist. Du rühmst dich des Gesetzes, und schändest Gott durch Übertretung des
Gesetzes.“ Doch selbst unter denen, welche sich befleißigen, als wahre Christen
zu wandeln, geschieht es leider sehr häufig, dass sie die Pflicht der
brüderlichen Bestrafung versäumen. Sie stoßen und ärgern sich wohl an den
Sünden derjenigen, welche Christen sein wollen und sich zu einer christlichen
Gemeinde halten; sie klagen auch über solche unchristlich und unordentlch wandelnde
Glieder heimlich und in vertrauten Gesellschaften; aber hingehen und den Sünder
ermahnen und strafen wollen sie nicht. Daraus entsteht denn unaussprechliches
Unheil. Die da sündigen, bleiben in ihrer Sünde und reißen noch mehrere mich
sich fort; die Gemeinde bekommt immer mehr faule Glieder und sinkt immer
tiefer in die Verderbnis hinein; die Ärgernisse mehren sich; die Gemeinschaft
wird vergiftet; die Brüderlichkeit schwindet und gegenseitiges Misstrauen nimmt
überhand; der Segen Gottes weicht; die Gemeinde hört auf, vor der Welt als eine
Stadt auf hohem Berg zu leuchten; redliche und eifrige, aber an Erkenntnis
schwache Seelen wollen sich dann nicht an eine solche Gemeinde anschließen, und
manche, die sich bis daher zu ihr gehalten haben, ziehen sich dann scheu zurück
und sondern sich ab.
Es ist freilich wahr: Die Pflicht der
brüderlichen Bestrafung ist, wie gesagt, eine der schwersten und, so zu sagen,
undankbarsten Christenpflichten; denn je eifriger und treuer ein Christ diese
Pflicht ausübt, desto übler ist sehr oft, ja, meistens, der Lohn, den er davon
einerntet. Man legt ihm seine Liebe für Lieblosigkeit aus, und der Gestrafte,
anstatt die Strafe anzunehmen und sich zu bessern, wird dem, der ihn straft,
feind.
Aber das soll dennoch einen Christen von
Erfüllung dieser Pflicht nicht zurückhalten denn es ist eine überaus nötige und
heilige Pflicht. So oft wir in Gottes Wort ermahnt werden, unseren Nächsten zu
lieben und auch für sein Seelenheil zu sorgen, so oft werden wir auch ermahnt,
ihn, wenn er an uns oder anderen sündigt, zu strafen. Unlautere Seelen sehen es
freilich für Lieblosigkeit an, wenn sie gestraft werden, aber ein Christ kann
im Gegenteil an seinem Mitchristen nicht liebloser handeln, als wenn er ihn
ungestraft in seiner Sünde dahingehen lässt; ja, dann wird er vor Gott als ein
Mensch angesehen, der seinen Nächsten hasst; die ungestraften Sünden des
Nächsten werden ihm mit angerechnet und alles das Verderben, welches er hätte
hindern können und doch aus sündlicher Menschenfurcht und Bequemlichkeit nicht
gehindert hat, das fällt auf sein Gewissen, als seine Schuld. Wie derjenige
billig für einen Mörder gehalten wird, welcher einen in das Wasser Gefallenen
nicht herauszieht oder einen Blinden nicht vor dem Abgrund warnt, auf welchen
derselbe zugeht, so ist der ein Seelenmörder, welcher seinen sündigenden
Mitbruder nicht straft.
Doch in Gottes Wort wird den Christen die
Pflicht der brüderlichen Ermahnung und Bestrafung auch ausdrücklich auferlegt
und eingeschärft. Dies finden wir schon in den Schriften des Alten Testaments.
Im dritten Buch Mose, im 19. Kapitel, heißt es: „Du sollst deinen Bruder nicht
hassen in deinem Herzen, sondern du sollst deinen Nächsten strafen, damit du
nicht seinethalben Schuld tragen musst.“ Ferner heißt es im 141. Psalm: „Der
Gerechte schlag mich freundlich und strafe mich, das wird mir so wohl tun wie
in Balsam auf meinem Haupt.“ Das Neue Testament endlich ist ähnlicher
Aussprüche voll. So heißt es unter anderem Hebr. 3: „Ermahnt euch selbst alle
Tage, so lange es heute heißt, dass nicht jemand unter euch verstockt werde
durch Betrug der Sünde.“ Vor allem aber ist wichtig die Ermahnung des
Heilandes, welche wir Matth. 18 finden. Dort spricht er: „Sündigt aber dein
Bruder an dir, so gehe hin und strafe ihn zwischen dir und ihm allein. Hört er
dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er dich nicht, so nimm noch einen
oder zwei zu dir, damit alle Sache bestehe auf zweier oder dreier Zeugen Mund.
Hört er die nicht, so sage er der Gemeinde. Hört er die Gemeinde nicht, so
halte ihn wie einen Heiden und Zöllner.“ O selige Gemeinde, wo diese
brüderliche Ermahnung und Bestrafung im Schwange geht! Wehe aber derjenigen, wo
sie unterlassen wird! Da muss trotz der reichsten und reinsten Predigt des
Wortes Gottes das Verderben endlich überhand nehmen; sie muss endlich geistlich
verwüstet werden; denn jede Gemeinde ist einem Körper gleich: Wollen da nicht
alle Glieder das Ihre tun, so muss notwendig endlich der ganze Leib sterben und
verderben. –
Doch wie? Sollte etwa damit, dass das
Bestrafen der Sünden des Mitbruders und der Mitschwester geboten ist, erlaubt
werden, seinen Bruder und seine Schwester, wenn sie sich an uns versündigt
haben, zu hassen und gegen sie hart und unversöhnlich zu sein? Das sei ferne!
So heilige Pflicht es für den Christen ist, die Sünden seines Nächsten zu
strafen, ebenso heilige Pflicht hat er auch, diese zu verzeihen und zu
vergeben.
Matthäus 18,23-35: Darum ist das Himmelreich gleich
einem König, der mit seinen Knechten rechnen wollte. Und als er anfing zu
rechnen, kam ihm einer vor, der war ihm zehntausend Pfund schuldig. Da er’s nun
nicht hatte zu bezahlen, hieß der Herr verkaufen ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was
er hatte, und bezahlen. Da fiel der Knecht nieder und betete ihn an und sprach:
Herr, habe Geduld mit mir! Ich will dir’s alles bezahlen. Da jammerte den Herrn
dieser Knecht und ließ ihn los, und die Schuld erließ er ihm auch. Da ging der
Knecht hinaus und fand einen seiner Mitknechte, der war ihm hundert Groschen
schuldig. Und er griff ihn an und würgte ihn und sprach: Bezahle mir, was du
mir schuldig bist! Da fiel sein Mitknecht nieder und bat ihn und sprach: Habe
Geduld mit mir! Ich will dir’s alles bezahlen. Er wollte aber nicht, sondern
ging hin und warf ihn ins Gefängnis, bis dass er bezahlte, was er schuldig war.
Da aber seine Mitknechte solches sahen, wurden sie sehr betrübt und kamen und
brachten vor ihren Herrn alles, was sich begeben hatte. Da forderte ihn sein
Herr vor sich und sprach zu ihm: Du Schalksknecht! Alle diese Schuld habe ich
dir erlassen, weil du mich batest; solltest du denn dich nicht auch erbarmen
über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe? Und sein Herr wurde
zornig und überantwortete ihn den Peinigern, bis dass er bezahlte alles, was er
ihm schuldig war. So wird euch mein himmlischer Vater auch tun, wenn ihr nicht
vergebt von eurem Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler.
In dem unserem Text Vorhergehenden lesen
wir, wie Christus den Jüngern die Pflicht der brüderlichen Bestrafung
einschärfte. Als Petrus dies angehört hatte, so legte er nun Christus die Frage
vor: „HERR, wie oft muss ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben?
Ist’s genug sieben Mal?“ Hierauf antwortete der HERR nicht nur: „Ich sage dir,
nicht sieben Mal, sondern siebzig Mal sieben Mal“, er legte ihm dann auch das
Gleichnis in unserem Text vor. Nach demselben lasst mich daher jetzt zeigen:
Wie
mächtig und dringend die bei Gott erlangte Vergebung einen Christen antreibe,
auch seinem Bruder seine Sünden zu erlassen
Die Ursachen sind:
1.
Weil die Sünden, die ihm Gott
erlassen, unvergleichbar größer sind als die, welche er seinem Nächsten
erlassen soll,
2.
Weil Gott die Vergebung, der er ihm
schenkte, ihm nicht schuldig war, er aber diese seinem Nächsten, als seinem
Mitknecht, allerdings schuldig ist, und endlich
3.
Weil Gott denen ihre Sünden wieder
zurechnen will, die sie ihrem Nächsten nicht vergeben wollen.
1.
Christus will, wie wir aus dem Schluss
unseres Evangeliums ersehen, durch dass darin enthaltene Gleichnis die Christen
antreiben, ihren Mitchristen ihre Sünden zu erlassen. Er stellt daher darin
einen König vor, von welchem er Folgendes erzählt: Der König wollte einst mit
seinen Knechten Rechnung halten, und siehe! da er anfing zu rechnen, fand sich
einer unter ihnen, der war ihm 10.000 Pfund schuldig. Dies war eine ungeheure
Summe, die er nimmer zu bezahlen im Stand war, denn ein einziges Pfund oder Talent
war nach unserer Rechnung schon anderthalbtausend Taler, so dass die ganze
Schuld 15 Millionen Taler betrug (ca. 450 Millionen EURO). Was tut nun der
König? Da der Knecht es nicht hatte zu bezahlen, hieß der HERR verkaufen ihn
und seine Frau und seine Kinder und alles, was er hatte, und bezahlen. Da fiel
der Knecht nieder, betete ihn an und sprach: „Herr, habe Geduld mit mir; ich
will dir’s alles bezahlen.“ Und siehe, da jammerte den Herrn der Knecht, er
ließ ihn los, und die Schuld erließ er ihm auch. doch was geschieht? Da ging
derselbe Knecht hinaus und fand einen seiner Mitknechte, der war ihm 100
Groschen schuldig (100 Tageslöhne, also ca. 8.000-10.000 EURO); und er ergriff
ihn, würgte ihn und sprach: „Bezahle mir, was du mir schuldig bist.“ Da
fiel sein Mitknecht nieder, bat ihn und sprach: „Hab Geduld mit mir; ich
will dir’s alles bezahlen.“ Er wollte aber nicht, sondern ging hin und warf
ihn ins Gefängnis, bis dass er bezahlte, was er schuldig war.
Was ist nun wohl die Bedeutung dieses
Gleichnisses? Sie liegt sehr nahe. Unter dem König stellt Christus Gott, den
König aller Könige vor, unter den Knechten dieses Königs die vernünftigen
Geschöpfe Gottes, Engel und Menschen, unter dem Knecht, der dem König 10.000
Pfundschuldig war, die Menschen, unter den 10.000 Pfund die Sünden der Menschen
gegen Gott, unter dem Mitknecht den Nächsten oder die Mitchristen und unter den
100 Groschen die Sünden, die ein Christ an den anderen begeht.
Was will nun aber wohl Christus zunächst
mit diesem ersten Teil seines Gleichnisses lehren? Er will offenbar
damit zeigen, dass es ein Christ erstlich Gott schuldig ist, seinem Mitknechten
seine Sünden zu vergeben; denn wie jener Knecht schon aus Liebe und Dankbarkeit
seinen Herrn, der ihm 10.000 Pfund erlassen hatte, auch seinem Mitknecht die
100 Groschen hätte erlassen sollen, so sollte auch ein Christ aus Liebe und
Dankbarkeit gegen seinen Gott, der ihm so viele Sünden vergeben hat, auch
seinem Nächsten seine Beleidigungen von Herzen vergeben. Und ist’s etwa nicht
so, ihr Christen?
Bedenkt, was Gott an euch getan hat! Ihr
wart, wie alle Menschen, Gott 10.000 Pfund schuldig, ihr hattet nämlich alle
zehn Gebote Gottes tausend, ja, unzählige Male übertreten; ihr hattet alle
Güter, die euch Gott anvertraut hatte, schändlich durchgebracht; ihr hattet mit
Gedanken, Worten und Werken Gott beleidigt durch Unterlassen des Guten und
Vollbringen des Bösen; ihr wart wert, mit allem, was ihr seid und habt,
zur Hölle verkauft zu werden als Sklaven der Sünde. Ihr wart nicht im Stand,
eure Schuld bei Gott zu bezahlen.
Was hat aber Gott getan? Hat er mit euch
gehandelt nach Recht? Nein, er hat schon von Ewigkeit daran gedacht, wie er
euch durch seinen Sohn helfen könne. Sobald ihr geboren wurdet, hat er euch
durch die Taufe eure Sünden abgewaschen und von neuem geboren. Aber ihr selbst
habt nach der Taufe neue Sünden angehäuft – da hat Gott zwar oft Rechnung in
eurem Gewissen mit euch gehalten, euch aus dem Gesetz eure Schuld vorgestellt
und euch darin mit Verstoßen gedroht, aber nur darum, damit ihr euch zu seiner
Gnade wenden möget; denn sobald ihr Gott um Geduld gebeten habt von Herzen, da
hat euch Gott alsbald die 10.000 Pund eurer Schuld gnädig erlassen.
Seid ihr nun dafür Gott nicht Dank
schuldig? Wie wollt ihr aber Gott danken? Gott tut euch ja nie etwas zu Leid,
das ihr ihm wieder vergeben könntet! Ihr könnt ihm auch nichts schenken, denn
es ist ja alles schon sein! – Seht, damit ihr ihm danken könnt, so hat er
erklärt: „Was ihr getan habt einem unter meinen geringsten Brüdern, das habt
ihr mir getan.“ Wenn nun einer eurer Mitbrüder oder eine eurer Mitschwestern an
euch sündigt, so wisst, da gibt euch Gott Gelegenheit, euch dankbar gegen ihn
und seine Vergebung zu beweisen.
Was tun also diejenigen, welche ihren
Mitchristen ihre Sünden nicht vergeben wollen? Sie zeigen damit eine so
schwarze Undankbarkeit gegen Gott, dass sich davor alle Kreaturen entsetzen
möchten. Sie verleugnen es damit völlig, dass ihnen Gott ihre Sünden vergeben
hat. Sie sind einem Mörder gleich, der schon auf dem Hochgericht angekommen
ist, um vom Leben zum Tod gebracht zu werden, der aber plötzlich begnadigt wird
und auf dem Rückweg zum Dank für die Begnadigung sogleich einen neuen Mord
begeht.
Ihr alle darum, die ihr Vergebung eurer
Sünden von Gott empfangen habt, wacht wohl über euer Herz. Versündigen sich
Menschen an euch, so denkt an die von Gott empfangene Gnade, und dass ihr daher
Gott schuldig seid, eurem Nächsten wieder zu vergeben.
2.
Doch gehen wir weiter. Christus fährt in
seinem Gleichnis so fort: „Da aber seine Mitknechte solches sahen, wurden sie sehr
betrübt und kamen und brachten vor ihren Herrn alles, was sich begeben hatte.
Da forderte ihn sein Herr vor sich und sprach zu ihm: Du Schalksknecht! Alle
diese Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich batest; solltest du denn dich
nicht auch erbarmen über deinen Mitknecht, wie ich mich über dich erbarmt habe?“ Das, worauf wir hierbei besonders
zu merken haben, ist, dass der König zu dem Schalksknecht sagt, sein Schuldner
sei ja sein Mitknecht; er will nämlich sagen: Ich war dein Herr, und doch habe
ich dir alle deine große schuld erlassen, wieviel mehr solltest du deinem
Schuldner seine geringe Schuld erlassen, da du nicht sein Herr, sondern sein
Mitknecht bist?
Hier haben wir daher die zweite Ursache, warum Christen ihren
Mitchristen ihre Sünden vergeben sollen, weil sie dies nämlich auch zweitens
ihren Mitchristen selbst schuldig sind.
Die meisten Menschen meinen, meine Lieben, wenn sie von einem Menschen
schwer beleidigt worden seien, so sei es zwar Unrecht, sich an demselben zu
rächen, aber ob sie ihm alle seine Beleidigungen vergeben, ob sie wieder Liebe
und Zuneigung zu ihm fassen wollen, das stehe ganz bei ihnen; täten sie dies,
so wäre dies ein besonderes Werk der Großmut und Gnade. aber dem ist nicht so.
Gott ist uns freilich keine Liebe, keine Vergebung schuldig, denn er ist unser
Schöpfer, unser Herr, unser unumschränkter Gewalthaber; wir gehören ihm an mit
allem was wir sind und haben; wir sind ihm gänzlich unterworfen; er kann mit
uns handeln wie der Töpfer mit dem Ton, der daraus machen kann, was er will,
ein Gefäß der Ehren oder der Unehren. Nachdem wir nun Gottes heilige Gebote
übertreten haben und alle Sünde geworden sind, so können wir keine Gnade von
ihm fordern. Hätte Gott alle Menschen verloren gehen lassen, so hätte kein
Mensch sagen können: Was machst du? Er wäre doch gerecht geblieben. Dass nun
Gott seinen eingeborenen Sohn zur Seligmachung der Menschen in die Welt gesandt
hat und dass er allen denjenigen ihre Sünden vergeben und sie selig machen
will, welche Buße tun und an seinen lieben Sohn glauben, das ist nicht
geschehen, weil Gott seine Gerechtigkeit dazu genötigt hätte; das war eine Tat
seiner freien, unergründlichen Liebe, Gnade und Barmherzigkeit. Daher
diejenigen, welche einst errettet sein werden, nichts als diese Gnade rühmen
werden in alle Ewigkeit samt allen heiligen Engeln.
Nicht so ist es mit uns Menschen. Keiner
ist des anderen Herr; im Gegenteil sind wir alle unsere Nächsten, und besonders
unserer M9tchritren Schuldner, wie der Apostel sagt: „Seid niemand etwas
schuldig, als dass ihr einander liebt.“ Die Liebe sind wir alle unserem
Nächten, unserem Mitchristen schuldig; wir sind ihm also auch schuldig, wenn er
uns beleidigt hat, ihm die Versöhnung anzubieten, und noch viel mehr, uns mit
ihm zu versöhnen, wenn er uns selbst darum bittet.
Was tun also diejenigen, welche ihren
Beleidigern nicht von Herzen vergeben, die nicht mehr freundlich mit ihnen
reden, nicht über ihre Schwelle kommen, sie nie wieder sehen, oder die, wie
sie, Gott spottend, sagen, die Beleidigung sei zwar vergeben, aber nicht
vergessen wollen? Was tun solche Unversöhnliche? Sie werden dadurch nicht nur
undankbar gegen Gott, sondern sie versündigen sich auch schwer an ihrem
Nächsten; sie unterlassen nicht nur die Übung einer edlen Großmut, sie versagen
ihrem Nächsten auch etwas, was sie ihm zu erweisen durchaus schuldig und
verbunden sind, und was dieser von ihnen zu fordern das vollkommenste Recht
hat; sie machen sich dadurch zu Gott selbst und werden dadurch größere und vor
Gott verwerflichere Sünder als der, der sie beleidigt hat, wäre die Beleidigung
auch noch so groß gewesen. Ja, sie werden dadurch dem Satan ähnlich, der auch
unversöhnlich in seinem Hass und Zorn ist; zürnen ist freilich menschlich, aber
im Zorn verharren wollen – das ist teuflisch.
3.
Doch, meine Lieben, ein Christ soll seinem Nächsten auch endlich
drittens darum seine Sünden vergeben, weil er sich dies selbst schuldig ist. So
heißt es nämlich zum Schluss unseres Textes: „Und sein Herr wurde zornig und
überantwortete ihn den Peinigern, bis dass er bezahlte alles, was er ihm
schuldig war. So wird euch mein himmlischer Vater auch tun, wenn ihr nicht
vergebt von eurem Herzen, ein jeglicher seinem Bruder seine Fehler.“
Hieraus sehen
wir: So lieb einem Christen seine Seele und seine Seligkeit ist, so ernstlich
hat er sich zu hüten, Hass und Groll in seinem Herzen zu halten und gegen seine
Beleidiger unversöhnlich zu sein. Denn auf der Unversöhnlichkeit ruht Gottes
Zorn. Er ist kein Christ und gehört nicht in Christi Reich, denn das Reich
Christi ist ein Reich der Liebe, Gnade und Versöhnung. Seine Sünden sind ihm
nicht vergeben, denn Gott will die Sünden nur so vergeben, wie der Mensch sie
seinem Nächsten vergibt; wie es in der fünften Bitte heißt: „Vergib uns unsere
Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.“ Hat ein Unversöhnlicher zuvor
Vergebung gehabt, so hat er sie durch seine Unversöhnlichkeit wieder verloren.
Er steht nicht im Glauben, und wenn er’s meint, so ist’s Täuschung, denn der
Glaube ist durch die Liebe tätig. Seine Taufe ist für ihn vergeblich, denn er
hat den Taufbund gebrochen. Vergeblich tut er andere sogenannte gute Werke,
denn sie kommen bei ihm aus der bösen Quelle eines unversöhnlichen Herzens, sie
gefallen daher Gott nicht. Vergeblich ist sein Gottesdienst, er dient dem
Teufel. Vergeblich betet er, er kann kein Vaterunser im Glauben beben, die
fünfte Bitte verdammt ihn; Gott erhört ihn nicht. Vergeblich geht er zur Kirche
und hört Gottes Wort, es kann ihn nicht selig machen, denn auf seinem Herzen
liegt ein Bann. Vergeblich geht er zum heiligen Abendmahl, er genießt sich’s
als ein Unwürdiger zum Gericht. Vergeblich ist’s, dass er sich anderer Sünden
enthält und ein eingezogenes Leben führt; denn wo die Sünde der
Unversöhnlichkeit herrscht, da herrschen alle Sünden; wer das ganze Gesetz hält
und sündigt an einem, der ist es ganz schuldig. Ein Unversöhnlicher hat sich
keiner Verheißung zu getrösten, alle Drohungen und Flüche Gottes in seinem Wort
sind gegen ihn gerichtet.
Wehe daher
einem Menschen, der in seiner Unversöhnlichkeit stirbt. Er stirbt unselig und
kommt nicht zum Anschauen Gottes; die Tür des Himmels ist ihm verschlossen;
vergeblich ruft er: „HERR, tue mir auf!“ Christus antwortet: „Ich habe dich
noch nie erkannt, weiche von mir, du Übeltäter.“ Er kommt in das Gericht, er
findet keine Gnade, Jesus steht ihm nicht zur Seite, er kennt ich nicht für den
Seinigen. Er wir so gewiss verdammt, so gewiss und wahrhaftig Gottes Wort ist.
Er wird zur Hölle verstoßen als ein Heuchler und Abgefallener und als ein Kind
der Sünde, der Finsternis und des Teufels. Er wird den Peinigern übergeben
werden und von ihnen gequält werden ohne Ende, und der Rauch seiner Qual wird
aufsteigen von Ewigkeit zu Ewigkeit. Sein Wurm wird nicht sterben und sein
Feuer nicht verlöschen. Er wird in Kainischer Reue sich selbst martern und doch
nie Barmherzigkeit finden, denn aus der Hölle ist keine Erlösung.
O, so lasst uns
denn erschrecken vor der furchtbaren teuflischen Sünde der Unversöhnlichkeit.
Lasst uns uns prüfen, ob wir mit irgendeinem Menschen in der Welt Zorn halten,
und findet dies jemand in sich, der tue in Zeiten Buße und versöhne sich eilend
mit Gott und Menschen, damit er am schrecklichen Tag der Rechnung bestehen und
nicht zuschanden werden möge. Das verleihe uns der himmlische Vater durch Jesus
Christus, seinen lieben Sohn, unseren HERRN und Heiland. Amen.
Die Gnade unseres HERRN und Heilandes Jesus
Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit
euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Von jeher ist denjenigen, welche treue
Knechte Gottes waren, der Vorwurf gemacht worden, dass sie Feinde und Störer
der allgemeinen bürgerlichen Wohlfahrt seien. Als der König Ahab den Propheten
Elia, der des Volkes Sünde und Abgötterei gestraft hatte, endlich nach langem
vergeblichem Suchen fand, rief jener ihm sogleich entgegen: „Bist du, der
Israel verwirrt?“ Aber Elia antwortete dem König kühn und furchtlos: „Ich
verwirre Israel nicht, sondern du und deines Vaters Haus, damit, dass ihr des
HERRN Gebote verlassen habt und wandelt Baalim nach.“ Dasselbe widerfuhr dem
Propheten Amos; als dieser Gottes Strafgerichte über das Land Israel
verkündigte, ließ der Priester Amazja dem König Jerobeam erzürnt sagen: „Der
Amos macht einen Aufruhr gegen dich im Haus Israel, das Land kann sein Wort
nicht leiden.“
Von der Last dieses Vorwurfs ist selbst
Christus, der Sohn Gottes, nicht frei geblieben. Als er vor Pilatus stand,
erhoben die Hohenpriester gegen ihn die Anklage. „Er hat das Volk erregt damit,
dass er gelehrt hat hin und her im ganzen jüdischen Land, und hat in Galiläa
angefangen, bis hierher.“ Womit nun Christus einst in der Welt geschmäht worden
ist, diese Schmach haben auch alle seine treuen Nachfolger ihm nachtragen
müssen. Auch den heiligen Aposteln erging es nicht besser. Als einst Paulus und
Silas das Friedensevangelium in Philippi gepredigt hatten, führte man sie vor
die Hauptleute der Stadt und sprach: „Diese Menschen machen unsere Stadt irre;
sie verkündigen eine Weise, welche uns nicht ziemt anzunehmen, noch zu tun,
weil wir Römer sind.“
So unbegründet nun diese Beschuldigung war,
dass die Lehre des Evangeliums zu Aufruhr Anlass gebe und den Staat umstürze,
so wurde sie doch fort und fort auch in den späteren Zeiten gegen die Christen
erhoben und als eine gewaltige Waffe gegen sie gebraucht. Weil sie dem Verbot,
nicht von Christus zu predigen, nicht nachkommen konnten, erklärte man sie für
Rebellen; weil sie vor dem Bild des Kaisers kein Räuchwerk, welches ein Zeichen
göttlicher Verehrung war, anzünden wollten, rief man sie für Majestätsschänder
aus; weil sie an den allgemeinen Volksbelustigungen, an den öffentlichen
Schauspielen und dergleichen nicht teilnahmen, brandmarkte man sie als düstere
Feinde des ganzen menschlichen Geschlechts. Um diese Gedanken von den ersten
Christen zu erhalten und zu nähren, ließ daher einst Kaiser Nero die Stadt Rom
in Brand stecken und klagte hierauf die Christen dieser furchtbaren
Brandstiftung an.
So oft das Evangelium in seiner göttlichen
Reinheit und Kraft in der Welt gepredigt worden ist, so oft ist auch gegen die
gläubigen Christen jener alte Vorwurf erneuert worden. Dies geschah unter
anderem auch einst zur Zeit der Reformation. Auch Luther und seine
Glaubensgenossen wurden da öffentlich des Aufruhrs und der Umwälzung aller
guten bürgerlichen Ordnung beschuldigt. Luther schreibt hiervon nach seiner
eigenen Erfahrung in einer Vorrede zu seinen Schriften: „Man schreit: Siehe, du
bekennst und klagst selbst, dass viel Aufruhr entstehe, wer hat daher anders
Ursache dazu gegeben, als eben du mit deiner Lehre? Das ist“, fährt Luther
fort, „jetzt ihre Kunst, damit sie des Luthers Lehre, wie sie sich dünken
lassen, zugrunde umstoßen. Wenn man aber dieser ihrer hohen Kunst nach sollte
klügeln, so müssten alle Propheten auch Aufrührer gewesen sein, denn für solche
sind sie von ihrem eigenen Volk gehalten, gescholten, verfolgt und gemeiniglich
alle hingerichtet. Auch musste Christus der HERR selbst (solches) von seinen
Juden hören und wurde auch endlich zum Tod am Kreuz verurteilt als ein
Aufrührer. So haben’s ja die Apostel und Jünger auch nicht besser gehabt als
ihr HERR und Meister. Ist dem nun so“, schließt Luther, „was Wunder ist’s, dass
auch wir, so jetzt in dieser letzten schrecklichen Zeit Christus predigen und
bekennen, dermaßen wie sie als Aufrührer verdammt werden?“
Hiernach dürfen aber wir, meine Brüder, uns
noch weniger wundern, dass die Ungläubigen dieses Landes noch jetzt öffentlich
mit der Behauptung hervortreten, dass das Christentum der Wohlfahrt dieses
Staates schädlich sei, dass dasselbe den Vereinigten Staaten noch den Untergang
bereiten werde, indem es wie ein Wurm an der Wurzel des Freiheitsbaumes nage;
kurz, dass eifrige Christen unmöglich zugleich gute Staatsbürger sein könnten.
Wie aber? Sollte dieser Vorwurf etwa doch
nicht so ganz ungerecht sein? sollte das Evangelium wirklich den heilsamen
Gesetzen eines Landes widerstreiten? Sollte Christi Kirche wirklich den Staaten
Gefahr drohen? Sollten die Regierenden der Welt wirklich von Christus, dem
König der Wahrheit, für ihr Volk und Regiment zu fürchten haben? sollte ein
guter Christ nicht zugleich ein guter Bürger sein können? Davon sagt uns unser
heutiger Text.
Matthäus 22,15-22:
Da gingen die Pharisäer hin und hielten einen Rat, wie sie ihn fingen in
seiner Rede. Und sie sandten zu ihm ihre Jünger samt des Herodes Dienern und
sprachen: Meister, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrst den Weg
Gottes recht und fragst nach niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der
Menschen. Darum sage uns, was dünkt dich? Ist’s recht, dass man dem Kaiser Zins
gebe, oder nicht? Da nun Jesus merkte ihre Schalkheit, sprach er: Ihr Heuchler,
was versucht ihr mich? Weist mir die Zinsmünze! Und sie reichten ihm einen
Groschen dar. Und er sprach zu ihnen: Wes ist das Bild und die Überschrift? Sie
sprachen zu ihm: Des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was
des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Da sie das hörten, verwunderten sie
sich und ließen ihn und gingen davon.
„So gebt dem Kaiser, was des Kaisers
ist, und Gott, was Gottes ist“, so lautet die Entscheidung, welche Christus
einst auf die Frage gab, ob es recht sei, dass man dem Kaiser Zins gebe, oder
nicht. Mit diesen kurzen Worten hat Christus deutlich ausgesprochen, dass die
Reiche der Welt neben dem Reich Gottes recht wohl bestehen und dass man also
ein Christ und zugleich ein guter Staatsbürger sein könne. Hiernach lasst mich
euch jetzt vorstellen:
Das
gegenseitige Verhältnis des Christen und des Staatsbürgers
Hierbei werden wie zweierlei lernen:
1.
Dass ein Mensch ein Christ und
zugleich ein guter Staatsbürger sein könne, ja, notwendig sein müsse; und
2.
Dass aber zu einem wahren Christen
mehr gehöre, als dass er nur ein guter Staatsbürger sei.
HERR Jesus, du ewiger König, du willst
zwar, dass deine Christen sich hier mit ihren Werken Menschen unterwerfen, aber
du willst auch, dass ihr Herz keinem anderen Herrn als dir ergeben und
unterworfen sei. Darum bitten wir dich, gib uns Gnade, aller menschlichen
Ordnung um deinetwillen in freier Liebe untertan zu sein; vor allem aber bitten
wir dich, nimmt du Besitz von unserem Herzen, wohne darin, herrsche darin, sei
König darin und bleibe darin, bis wir das sichtbare Reich dieser Welt verlassen
und dort in dem unsichtbaren Reich deiner Herrlichkeit zu deinen Füßen anbeten
von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
1.
In dem vor unserem Evangelium
vorhergehenden Abschnitt der evangelischen Geschichte wird uns, meine Lieben,
erzählt, dass Christus einst sein Reich unter dem Bild einer königlichen
Hochzeit dargestellt und dabei gezeigt hatte, wie die meisten Juden die
Einladung dazu verachtet haben, ja, wie etliche aus diesem Volk endlich die
Einladenden greifen, höhnen und töten, wie Gott aber diese Mörder umbringen,
ihre Stadt anzünden und nun an ihrer Statt die Heiden zur Hochzeit einladen
lassen werde. Mit verbisssenem Zorn hatten dies die Pharisäer mit angehört. Es
war ihnen nicht nur höchst ärgerlich, dass Christus sein Reich mit einem
Königreich verglich und sich damit für den Messias erklärte; sie wussten auch
gar wohl, dass Christus unter den Mördern niemand anderen als sie verstanden
hatte. Was tun sie? Sie versammeln sich und halten einen Rat, wie sie Christus
fangen wollen in seiner Rede. Sie beschließen, jetzt einen Hauptschlag gegen
Christus auszuführen, ihn nämlich zu locken, sich mit Worten gegen den Kaiser
zu vergehen, worauf sie ihm als einen Majestätsverbrecher den Untergang
bereiten zu können hoffen. Sie denken nämlich, da Christus sein Reich als ein
Königreich darstelle, so werde er sicher kein Freund des Kaisers sein, der
damals die Herrschaft über das jüdische Volk inne hatte. Um recht sicher zu
gehen, gehen daher die Pharisäer nicht selbst zu Christus, sondern senden zu
ihm ihre Jünger, und zwar in Begleitung von Dienern des Königs Herodes, welche
Christus sogleich festnehmen sollten, sobald sich dieser mit Worten gegen die
höchste Landesobrigkeit vergangen haben würde.
Die Jünger fangen es auch in der Tat klug
an. Mit freundlicher und ehrerbietiger Miene sprechen sie: „Meister, wir
wissen, dass du wahrhaftig bist und lehrst den Weg Gottes recht und fragst nach
niemand; denn du achtest nicht das Ansehen der Menschen.“ Mit diesen
Schmeichelworten hoffen sie, Christus sicher zu machen und seine vermeintlichen
geheimen Gedanken gegen die bestehende Regierung aus ihm herauszulocken.
Scheinbar ohne alles arg setzen sie daher nun hinzu: „Darum sage uns, was
dünkt dich? Ist es recht, dass man dem Kaiser Zins gebe, oder nicht?“
Was tut Jesus? Es heißt: „Da nun Jesus
merkte ihre Schalkheit, sprach er: Ihr Heuchler, was versucht ihr mich?“ –
Wie mögen die Elenden schon bei dieser Anrede erschrocken sein! Trotz aller
ihrer List sahen sie wider alles Erwarten ihr Geheimnis verraten. Christus
führt fort: „Weist mir die Zinsmünze! Und sie reichten ihm einen Groschen
dar. Und er sprach zu ihnen: Wes ist das Bild und die Überschrift? Sie sprachen
zu ihm: Des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So gebt dem Kaiser, was des Kaisers
ist, und Gott, was Gottes ist. Da sie das hörten, verwunderten sie sich und
ließen ihn und gingen davon.“ Worin bestand nämlich Christi Bescheid?
Darin: Da das kaiserliche Zinsgeld unter den Juden im Umlauf ist, so geht
daraus hervor, dass sie dem Kaiser zinspflichtig und ihm unterworfen sind; so
ist denn daher auch ein jeder rechtschaffene Israelit schuldig und verbunden,
dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, nämlich Zins, Steuer, Zoll, Ehre,
Gehorsam und dergleichen, und dies hindere keineswegs, auch Gott zu geben, was
Gottes ist.
Hiermit hat denn Christus auch die Frage
entschieden, ob ein Mensch als ein Christ in seinem Reich leben und doch
zugleich ein guter Staatsbürger sein könne, ja, sein müsse. Christus hat dies
hiermit einem einem entschiedenen Ja beantwortet.
Der erste Grund dafür liegt in der
Beschaffenheit des Reiches Christi und der Reiche dieser Welt. Es ist wahr:
Hätte Christus mit seinem Reich auch den Zweck, Länder zu gewinnen, und wendete
er zur Ausbreitung desselben auch leibliche Gewalt an, dann könnten wohl
Staaten den Christen die Aufnahme als Bürger verweigern und von ihnen
Verräterei und Unheil fürchten. Aber dem ist nicht so. Die Beschaffenheit des
Reiches Christi und der Reiche dieser Welt ist eine durchaus verschiedene.
Christi Reich ist ein unsichtbares, geistliches Reich, die weltlichen Reiche
sind sichtbare, leibliche Reiche; Christus will allein herrschen über die
Seelen der Menschen, die Weltreiche herrschen über ihre Leiber; in Christi
Reich handelt sich’s um himmlische Güter, in den Weltreichen um irdische;
Christi Reich hat das ewige Leben und den Himmel, die Weltreiche das zeitliche
Leben und diese Welt zu ihrem Zweck; in Christi Reich sind die einzigen Waffen
das Wort Gottes, das Gebet und die Tränen, in den Weltreichen gebraucht man
hingegen Waffen aus Stahl und Eisen; in Christi Reich ist der der Höchste, der
dem anderen am demütigsten dient, und der ist der ruhmvollste Überwinder, der
mit dem wenigsten Widerstreben leidet und duldet; in den Weltreichen hingegen
ist der der Höchste, der die Meisten beherrscht, und der der Überwinder, der
den anderen unterdrückt.
Sollte hiernach der Staat etwas von der
Kirche, die bürgerliche Ordnung etwas von dem Christentum, die Reiche dieser
Welt etwas von dem Reich Christi zu fürchten haben? Nein! Wo Christus mit
seinem Wort hinkommt, da schlägt er sein Reich allein in den Herzen der
Menschen auf; er begehrt keinen Geldzins, keine leibliche Steuer noch Zoll,
keinen irdischen Thron, keine sichtbare Burg, kein Schloss, keine befestigten
Städte und keine leiblich bewaffneten Söldner, die zum Schutz oder zur
Ausbreitung seines Reiches kämpfen sollten; er begehrt allein des Menschen
Herz, einen geistlichen Sinn, ein himmlisches Gemüt, Glauben und Vertrauen. Er
verspricht auch seinen Untertanen keine Ehrenstellen in dieser Welt, keinen
irdischen Reichtum, keine guten Tage, sondern Schmach, Armut, Trübsal,
Verfolgung, und erst nach dem Tod das ewige Leben.
So wenig es daher hindert, dass die Bürger
zugleich Väter, Mütter, Söhne, Töchter und zu Familien verbunden sind, so wenig
hindert es, dass die Bürger zugleich Christen sind, und dass sie außerdem noch
ein Bürgerrecht im Himmel haben. So wenig das Licht, wenn es in Städte und
Wohnungen eindringt, etwas darin zerstört und verrückt, so wenig stört und
verrückt das unsichtbare Reich Christi etwas, wenn es unter einem Volk
einzieht. Wenn Christus mit Wort und Sakrament in ein Land kommt, so kommt er
nicht, um eine Änderung in der Staatsverfassung, sondern in der menschlichen
Seelenverfassung vorzunehmen; er ruft dann vielmehr allen zu: „Ein jeglicher
bleibe in seinem Beruf, darin er berufen ist.“ Heimlich und ungesehen von
Menschenaugen, erobert Christus ganze Staaten, aber er lässt dem König seinen
Thron, den Staatsbeamten ihre Gewalten und Würden, den Richtern ihre
Gerichtsstühle, dem Land seine Gesetze, der Republik ihre Freiheit, den Städten
ihre Gerechtsame. Ja, Christus will gar nicht, dass die Weltreiche nach
seinem Evangelium regiert werden. In seinem Reich soll Versöhnung und Vergebung
der Sünden, auch der größten, selbst des Mordes, herrschen; in den Weltreichen
Rache und Strafe; da soll es heißen: Auge um Auge, Zahn um Zahn. In Christi
Reich soll kein Gläubiger Zinsen begehren und kein Schuldner zur
Wiederbezahlung gedrängt werden; hingegen in den Reichen dieser Welkt soll der
Richter die Schuld samt den Zinsen zu bezahlen mit Strenge fordern und mit
Strafen erzwingen. In Christi Reich soll keine Ehescheidung stattfinden, es sei
denn um der Hurerei willen; in den Weltreichen hingegen dürfen Obrigkeiten nach
Moses Beispiel, um größeren Schaden zu verhüten, den Gottlosen auch um anderer
Ursachen willen sich zu scheiden erlauben. Kurz, während Christus in seinem
Reich allein für das ewige Leben sogt, so sollen die Regenten im Weltreich,
auch wenn sie Christen sind, vor allem für die Wohlfahrt in diesem Leben
sorgen.
Hierzu kommt nun noch dieses. Das
Christentum legt noch besonders den Christen Gebote auf, welche es ihnen zur
Pflicht machen, treue Staatsbürger zu sein. Das Christentum gebietet ihnen, die
weltliche Obrigkeit als eine göttliche Gewalt auf Erden zu ehren, ihre
Ordnungen als Gottes Ordnungen zu achten, ihren Gesetzen Gehorsam zu leisten
und ihre Auflagen zu entrichten, kurz, sich auch durch alle bürgerlichen
Tugenden auszuzeichnen. Gottes Wort ruft ihnen zu: „Jedermann sei untertan der
Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit, außer von
Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun gegen die
Obrigkeit setzt, der widerstrebt Gottes Ordnung; die aber widerstreben, werden
über sich ein Urteil empfangen. Sie trägt das Schwert nicht umsonst, sie ist
Gottes Dienerin, eine Rächerin zu Strafe über den, der Böses tut. So seid nun
aus Not untertan, nicht allein um der Strafe willen, sondern auch um des
Gewissens willen. Gebt jedermann, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer
gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem
die Ehre gebührt.“ Selbst zum Kriegsdienst sollen Christen sich gebrauchen
lassen; denn als römische Soldaten zu Johannes dem Täufer kamen und ihn
fragten: „Was sollen wir tun?“ da hieß dieser Vorläufer Christi ihnen nicht,
ihren Beruf als einen unchristlichen zu verlassen, sondern, ihn bestätigend,
sprach er: „Tut niemand Gewalt oder Unrecht, und lasst euch genügen an eurem
Sold.“ Gottes Wort gebietet mit einem Wort den Christen, alles an ihrem Teil zu
tun, damit das Wohl des Staates gefördert und alles, was zu dessen Schaden
gereichen könnte, abgewendet werde. Daher erhielten die Israeliten, als sie
nach Babel geführt worden waren, durch den Propheten Jeremia den Befehl Gottes:
„Sucht der Stadt Bestes, dahin ich euch habe lassen wegführen, und betet für
sie zum HERRN; denn wenn es ihr wohl geht, so geht es euch auch wohl.“
Wohl darum dem Reich, in welchem auch
Christus unsichtbar seines Reiches Thron gebaut hat; der Grund seiner Wohlfahrt
ist dann wohl gelegt. Wohl dem Staat, dessen Bürger wahre Christen sind, sie
werden im Frieden des Landes feste Säule und im Krieg des Volkes beste
Schutzmauern sein. Wie sie in einem Königreich den Thron des Fürsten stützen,
so werden sie in einer Republik den Baum der Freiheit als freie Männer pflegen,
bewachen und beschützen.
2.
Doch, meine Lieben, nachdem wir nun gesehen
haben, dass ein Mensch ein Christ und zugleich ein guter Staatsbürger sein
könne, ja, notwendig zugleich sein müsse, so lasst uns nun zweitens auch darauf
achten, dass aber zu einem wahren Christen mehr gehört, als dass er nur ein
guter Staatsbürger ist.
Auch diese Betrachtung ist, meine Lieben,
höchst nötig und wichtig. Die meisten sogenannten Christen stehen nämlich in
dem gefährlichen Wahn, wenn sie der Obrigkeit, die Gewalt über sie hat,
untertan seien, wenn sie sich den bürgerlichen Gesetzen und Ordnungen ihres
Landes unterwerfen, wenn sie ihre Abgabe, Steuern und Zölle unweigerlich
entrichten, wenn sie ihre Oberen in Ehren halten, wenn sie als friedliebende
und dienstfertige Nachbarn sich erweisen, wenn sie durch ihren Fleiß und ihre
Betriebsamkeit um einen Staat oder eine Stadt sich verdient machen, wenn sie
nie Ursache geben, um vor Gericht und zur strafe gezogen zu werden, wenn sie
als Treue, Unbescholtene und Tugendhafte allenthalben gelobt und hoch geehrt
seien, dann seien sie gewiss auch rechtschaffene Christen.
Das ist aber, wie gesagt, nichts als ein
Wahn. Wer diesen Ruhm hat, der mag wohl ein guter Staatsbürger sein, aber ein
Bürger des Himmelreichs oder ein wahrer Christ ist er darum noch keineswegs.
Ein solcher Mensch gibt wohl dem Kaiser, was des Kaisers ist; aber Christus,
wenn er die Schuldigkeit seiner Christen beschreiben will, sagt nicht nur: „Gebt
dem Kaiser, was des Kaisers ist“, sondern er setzt auch hinzu: „Und
Gott, was Gottes ist.“
Hieraus ist offenbar, wie ich schon oben
erwähnt habe: Die Weltreiche und das Reich Gottes oder Christi sind zwei
verschiedene Reiche. Darum kann ein Mensch wohl als ein guter Bürger des ersten
sich erweisen, ohne ein Bürger des Reiches Christi zu sein. Merkt daher wohl
den Unterschied.
Bürger eines Staates wird man durch seine
leibliche Geburt und durch die Bitte um Aufnahme in die bürgerlichen Listen;
dadurch wird man aber kein Bürger des Reiches Christi; dies wird man vielmehr
durch die heilige Taufe [und Bekehrung]; da wird man geistlich geboren
und hierauf eingeschrieben in die Bürgerliste des Himmelreichs. Der Bürger
eines Staates muss seinen Bürgerschein aufbewahren und sich dadurch ausweisen,
dass er wirklich sei, wofür er sich ausgibt; dieser Bürgerschein gilt aber im
Himmelreich nicht; ein Bürger des Himmelreichs muss vielmehr durch Bewahrung
seines Taufbundes, dadurch, dass er den alten Menschen täglich ersäuft und sich
täglich im Geist erneuert, beweisen, dass er noch ein Christ ist. Der Bürger
eines Staates ist den Gesetzen und Ordnungen desselben unweigerlich gehorsam;
dieser Gehorsam gilt aber vor dem König aller Könige nichts; ein Bürger des
Himmelreichs muss sich als solcher vielmehr dem Wort Gottes mit unbedingtem
Gehorsam unterwerfen; das ist das rechte Gesetzbuch des Allerhöchsten. Der
Bürger eines Staates gibt seiner Obrigkeit den Zoll und die Steuer, die sie
verlangt; mit diesen Abgaben trägt aber ein Mensch nicht ab, was Gott
von seinen Untertanen fordert; in Gottes Reich ist Steuer und Zoll – des
Menschen Herz; das, das will Gott von seinen Untertanen haben.
Hiernach prüft euch denn, meine Zuhörer:
Habt ihr den Ruhm, gute Bürger zu sein, - wohl euch! – Aber meint nicht, dass
ihr schon darum auch gute Christen seid. Wollt ihr Christen sein, so sagt: Wo
ist euer Bürgerschein für das unsichtbare Himmelreich? – Ihr sprecht: Wir sind
getauft; wohl, – aber habt ihr auch diesen Bürgerschein euch bewahrt
durch tägliche Reue und Buße? Ersäuft ihr dadurch täglich den alten Dam mit
allen seinen Sünden und bösen Lüsten, und steht ihr täglich auf als neue
Menschen, die [im herzlichen Glauben an Jesus Christus] in Gerechtigkeit und
Reinigkeit vor Gott leben? Wollt ihr Christen sein, so frage ich euch ferner:
Seid ihr etwa zufrieden, wenn eure Werke nur mit den Gesetzen des Landes
übereinstimmen? – Bedenkt: Christen haben ein anderes Gesetzbuch als die, die
allein Bürger eines Weltreiches sein wollen; das Gesetz, nach welchem Christen
sich richten, ist Gottes Wort. Was Gottes Wort verbietet, das unterlassen
Christen, wenn es auch in keinem Gesetz des Landes verboten ist; und was Gottes
Wort von ihnen fordert, das tun sie, wenn es auch kein weltliches Gesetz von
ihnen forderte. Wollt ihr Christen sein, so frage ich euch endlich: Gebt ihr
Gott auch seinen Zoll und Steuer? Gebt ihr ihm euer ganzes Herz? Ist Gottes
Ehre, Gottes Wohlgefallen der letzte Grund aller eurer Handlungen? Ist es,
bedenkt, was ich euch frage, ist es euer ganzer Ernst, Gott euch aufzuopfern,
ihm zu leben, ihm zu leiden, ihm zu sterben? –
Das, das allein sind Kennzeichen, ob ihr
nicht nur gute Bürger eines Staates, sondern auch gute Christen seid.
O, dass sich hierin niemand unter uns
betrügen möchte! Denn wehe dem, welcher hier wohl als ein guter Bürger, gerühmt
und gelobt, einhergeht, und doch nicht zu dem unsichtbaren geistlichen Reich
Jesu Christi gehört. Es kommt ein Tag, da wird Gott den bloßen Bürger von dem
Christen scheiden; da wird auch der Ehrbarste und Unsträflichste nicht
bestehen; da wird der Ruhm vor Menschen zur Schande werden; denn „die Welt
vergeht mit ihrer Lust“, mit ihrer Gerechtigkeit, mit ihren Tugenden, mit ihrer
Ehre, „wer aber den willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit“. „So gebt
denn dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Amen.
Gott gebe euch allen viel Gnade und Friede
durch die Erkenntnis Gottes und Jesu Christi, unseres HERRN. Amen.
In demselben unserem Heiland, herzlich
geliebte Zuhörer!
Keine Lehre ist bei der ungläubigen Welt
und bei den schwärmerischen Sekten mehr in Verruf als die Lehre, dass der
Mensch allein durch den Glauben Gottes Gnade und die ewige Seligkeit
erlange.
Die ungläubige Welt behauptet, dass durch
die Lehre von der Seligkeit durch den Glauben aller Eifer zur Vollbringung
edler Taten erstickt, aller ernste Kampf gegen die eigenen Leidenschaften
unterdrückt und das Gewissen der Menschen bei allen ihren Sünden dadurch
fälschlich beruhigt und endlich gänzlich eingeschläfert werde. Obgleich die
Ungläubigen selbst ihren eigenen Lüsten völlig freien Zaum und Zügel lassen und
sich keiner Sünden schämen, als höchstens derjenigen, die sie in der Augen von
ihresgleichen verächtlich machen können, so schreiben sie doch jede Sünde, die
an denen offenbar wird, welche sich zu den Gläubigen gehalten haben, ihrem
Glauben, als der bösen Quelle derselben, zu; sie rufen dann aus: Seht, das sind
die traurigen Früchte der Lehre, dass man allein durch den Glauben selig werde!
Die Ungläubigen müssen es zugestehen, dass gerade diejenigen, welche allein aus
Gnaden selig werden wollen, in der Regel am eifrigsten sind in guten Werken und
sich am meisten durch wahrhaft christliche Tugenden auszeichnen, durch
Keuschheit, durch Liebe, durch Demut, durch Sanftmut, durch Freigiebigkeit,
durch Versöhnlichkeit, durch Mäßigkeit und dergleichen; findet sich aber einmal
unter der Gemeinschaft der Gläubigen auf nur ein offenbarer Heuchler, der den
Glauben im Mund führt, aber ihn mit seinen Werken verleugnet, dann ruft die
Welt aus: O, es ist mit dem Glauben nichts als Heuchelei; die Gläubigen sind
alle geheime Sündendiener!
Was die schwärmerischen Sekten unserer Tage
betrifft, so führen diese zwar selbst das Wort Glauben immer im Mund, so dass
man meinen könnte, diese seien gewiss keine Feinde der Lehre vom Glauben und
von der Seligkeit aus Gnaden; aber durch den bloßen häufigen Gebrauch des
Wortes Glaube darf man sich ja nicht täuschen lassen. Denn merkt man auf die
Rede der Falschgläubigen unserer Tage genauer, so wird man bald gewahr: Wenn
sie vom Glauben reden, so meinen sie nicht das, was eigentlich Glaube ist, sie
meinen nicht jenes kühne Vertrauen, das ein armer Sünder auf Gottes Gnade
setzt, die allen Menschen in dem Wort Gottes verheißen wird und angeboten wird
und die ihnen durch die Taufe und das heilige Abendmahl versiegelt werden soll,
sondern sie meinen unter dem Glauben gewisse süße Gefühle, die in einem
Menschen auf sein Lesen, Beten und Ringen entstehen. Dass man unter den Sekten
jetzt eigentlich dies allein unter dem Wort Glauben versteht, geht auch daraus
hervor, dass von den Sekten das Wort Gottes ganz verächtlich ein toter
Buchstabe genannt wird und diejenigen, welche sich auf den Buchstaben des
geschriebenen Wortes Gottes verlassen, von ihnen elende Buchstäbler oder
Buchstabenknechte gescholten werden. Dass die jetzigen Sekten wohl das Wort
Glaube oft im Mund führen, aber etwas ganz anderes darunter verstehen und die
wahre Lehre vom Glauben verwerfen, ist ferner deutlich daraus zu sehen, dass
sie von den heiligen Sakramenten, an die sie ja der Glaube hält, überaus
wegwerfend sprechen. Sie brechen nicht selten in solche unchristlichen Reden
aus: „Bekehrt euch; eure Taufe hilft euch nichts, und wenn ihr
täglich hundertmal getauft würdet; was kann euch eine Handvoll Wasser nützen?“
Will sich ein Sünder der erhaltenen Absolution und des empfangenen heiligen
Abendmahls trösten, so sagen sie, dass sei ein Kunstgriff des Teufels, wodurch
die Seelen nur sicher würden. Reden aber diese Schwarmgeister von ihren
Bußbänken, von ihren Klassenversammlungen, von ihren sogenannten Liebesfesten,
von ihren Feldversammlungen und dergleichen Menschensatzungen, da reden sie
nicht so: „Das hilft euch nichts!“ sondern darauf halten sie, als auf die
wirksamsten Gnadenmittel, und das preisen sie höher an als Taufe, Abendmahl,
Absolution und alles, was Gott selbst eingesetzt hat; und wer gegen diese
Menschenfündlein nur ein Wort zu sagen wagt, dessen Namen schlagen sie sogleich
in ihren Versammlungen und in ihren öffentlichen Blättern an den Schandpfahl,
als eines Feindes des wahren lebendigen Christentums.
Je größerer Eifer nun diese Schwärmer in
gottseligen Übungen zeigen, und je mehr sie dabei vom Glauben reden, desto
gefährlicher ist für wahre Christen ihre hochmütige Verwerfung der von Gott
verordneten Gnadenmittel und desto leichter können sie von dem wahren Glauben,
der sich auf das Wort und die heiligen Sakramente gründet, abführen. Es ist
daher überaus nötig, dass wir die rechte Lehre vom Glauben und seiner
herrlichen Kraft, zu trösten und selig zu machen, immer wieder aufs neue uns
vorhalten und unserem Herzen einprägen. Dies lasst uns denn in gegenwärtiger
Stunde tun.
Matthäus 9,18-26: Da
er solches mit ihnen redete, siehe, da kam der Obersten einer und fiel vor ihm
nieder und sprach: HERR, meine Tochter ist jetzt gestorben; aber komm und lege
deine Hand auf sie, so wird sie lebendig. Und Jesus stand auf und folgte ihm
nach und seine Jünger. 20 Und siehe, eine Frau, die zwölf Jahre die Blutung
gehabt, trat von hinten zu ihm und rührte seines Kleides Saum an. 21 Denn sie
sprach bei sich selbst: Könnte ich nur sein Kleid anrühren, so würde ich
gesund. 22 Da wandte sich Jesus um und sah sie und sprach: Sei getrost, meine
Tochter; dein Glaube hat dir geholfen. Und die Frau wurde gesund zu derselben
Stunde. 23 Und als er in des Obersten Haus kam und sah die Pfeifer und das
Getümmel des Volks, 24 sprach er zu ihnen: Weicht! denn das Mägdlein ist nicht
tot, sondern es schläft. Und sie verlachten ihn. 25 Als aber das Volk
ausgetrieben war, ging er hinein und ergriff sie bei der Hand. Da stand das
Mägdlein auf. 26 Und dies Gerücht erscholl in dasselbe ganze Land.
In diesem verlesenen Evangelium finden wir
zwei herrliche Beispiele davon, wie der Glaube die mächtigsten Feinde der
Menschen, nämlich Sünde und Tod, überwindet. Lasst mich daher jetzt hiernach zu
euch davon sprechen:
Dass
allein der Glaube die Kraft hat, Sünde und Tod zu überwinden
Und zwar:
1.
Die Sünde, und
2.
Den Tod.
1.
Das erste Beispiel von der Kraft des
Glaubens, das uns in unserem heutigen Evangelium vorgestellt wird, ist das
einer kranken Frau. Von dieser wird uns nämlich, nach dem Gesamtbericht der
drei ersten Evangelisten, Folgendes erzählt: Sie hatte zwölf Jahre Dauerblutung
gehabt und bei vielen Ärzten Hilfe für ihre Krankheit gesucht, aber vergeblich.
Markus und Lukas schreiben: „Sie hatte viel erlitten von vielen Ärzten, und
hatte all ihr Gut und Nahrung darüber verzehrt, und half ihr nichts, sondern
vielmehr wurde es ärger mit ihr, und sie konnte von niemand geheilt werden.“
Wie groß die Not war, in welcher diese Frau sich befand, können daher nur die
recht lebendig fühlen, die bei drückender Armut auch noch an einer ebenso
schmerzlichen wie unheilbaren Krankheit gelitten haben. Ihre Tränen und Seufzer
mögen Tag und Nacht die Speist der armen Frau gewesen sein. Doch was geschah?
Da ihre Not den höchsten Grad erreicht hatte und ihr alle Ärzte die Hoffnung,
noch geheilt zu werden, nun absagten, siehe, da erscheint Jesus in ihrer Stadt;
sie hört von ihm, von seiner Liebe und von seinen wunderbaren Taten; sogleich
wird in ihr die Hoffnung entzündet, dass sei der Mann, der ihr helfen könne und
werde. Sie eilt zu ihm; und da sie sieht, dass er von einer großen Menschenmenge
umgeben ist und sie nicht mit ihm allein sprechen könne, so verzagt sie doch
nicht, sondern spricht bei sich selbst: „Könnte ich nur sein Kleid anrühren,
so würde ich gesund.“ Sie drängt sich daher durch das Volk hindurch, und,
Christus von hinten nahend, „rührt“ sie mit bebendem Herzen „seines
Kleides Saum an“. Und siehe, augenblicklich ist der Brunnen ihres Blutes
vertrocknet, und sie fühlt, dass sie von ihrer Plage geheilt ist. Doch was tut
Christus? Ihm, dem Allwissenden, war freilich nicht verborgen geblieben, was
hinter ihm geschehen war; um nun dies herrliche Beispiel eines so lieblichen
Glaubens zum Heil auch anderer offenbar zu machen, spricht er vor allem Volk:
„Wer hat mich angerührt?“ Da nun die Umstehenden alle dies getan zu haben leugnen,
spricht hierauf Petrus: „Meister, das Volk drängt und drückt dich; und du
sprichst: Wer hart mich angerührt?“ Jesus aber antwortet: „Es hat mich jemand
angerührt, denn ich fühle, dass eine Kraft von mir gegangen ist.“ Die arme Frau
sieht nun wohl, dass ihre Sache nicht verborgen bleiben kann; mit Zittern tritt
sie daher endlich vor, wirft sich vor Christus nieder und sagt vor allem Volk
die ganze Wahrheit. Und Christus? Er wendet sich hierauf freundlich zu ihr und
spricht: „Sei getrost, meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen.“ „Und
die Frau wurde gesund zu derselben Stunde.“
Seht da, meine Lieben, ein Beispiel davon,
wie groß die Kraft des Glaubens ist. Ich habe jedoch schon öfters erwähnt, dass
die leiblichen Übel, von welchen Christus einst viele wunderbar heilte, ein
Bild des geistlichen Übels sind, nämlich der Sünde, welche zu heilen Christus
eben in die Welt gekommen ist. Wollen wir daher wissen, wie der Mensch die
Sünde überwinde, so zeigt uns dies das Beispiel der blutflüssigen Frau in
unserem Evangelium klar und deutlich.
Was dieser Frau widerfuhr, als sie noch
nicht wusste, dass ihre leibliche Krankheit unheilbar war, das widerfährt jedem
Menschen, so lange er noch nicht weiß, dass die Krankheit seiner Seele, die
Sünde, für menschliche Kräfte unheilbar ist: Er sucht nämlich bald in diesem,
bald in jenem Hilfe, ohne sie zu finden. Ja, wie es mit der Frau nur immer
ärger wurde, je mehr sie gegen ihre Krankheit menschliche Hilfe gebrauchte, so
wird es auch mit dem Seelenzustand eines Menschen nur immer ärger, je
mehr er sich abmüht, seine Sünden durch seine eigenen Kräfte zu überwinden. Die
meisten, welche auf die Bahn irgendeines Lasters geraten, erfahren es, dass sie
nur zu bald Sklaven desselben werden, und dass es ihnen unmöglich sei, davon
ganz frei zu werden. Schon mancher Dieb, der auf dem Hochgericht sein Leben
geendet hat, hat bekannt, dass auch er oft in seinem Leben den festen
Entschluss gefasst habe, seine Hände nie wieder nach fremdem Gut auszustrecken,
dass ihn aber eine gewisse in ihm wohnende Begierde nach fremdem Gut immer
wieder mit unwiderstehlicher Gewalt fortgerissen und wieder zu Fall gebracht
habe. Schon mancher Trunkenbold hat oft mit Tränen Gott und Menschen gelobt,
über sich zu wachen, dass er nie wieder in die ebenso große wie schimpfliche
Sünde der Trunkenheit falle, aber in der nächsten Stunde der Versuchung war das
heilige Gelübde bei ihm wieder vergessen und ein neuer Fall getan. Schon
mancher unzüchtige Wollüstling hat den ernsten Vorsatz gefasst, keusch und
züchtig zu werden; er sah das zeitliche und ewige Verderben im Voraus, in
welches er sich endlich durch sein Leben in schändlichen Lüsten stürzen werde;
aber siehe, schon in der nächsten neuen Reizung, die er erfuhr, konnte er nicht
widerstehen, die Lust des Fleisches zog ihn bald wieder wie ein Meeresstrudel
in die Tiefe der Sünde hinab. Schon mancher Lügner und Verleumder, und schon
manche Verschwender und Zornige haben ihren Sünden, weil sie ihnen vielleicht
nur zu böse Früchte brachten, oft mit bitterer Reue entsagt, aber nur zu bald sahen
sie sich wieder von ihnen überwunden. Zwar hat es allerdings Menschen gegeben,
die wirklich aus eigenen Kräften sich einigermaßen gebessert haben, die aus
erst Unehrlichen Ehrliche, aus Trunkenbolde Mäßige, aus Wollüstlingen Ehrbare,
aus Lügnern und Verleumdern Wahrheit Redende, aus Verschwendern und
Müßiggängern Haushälterische und Arbeitsame, aus Zornigen Gelinde und
dergleichen wurden; aber niemals ist e8in Mensch durch eigene Kräfte dahin
gekommen, dass er seine vorigen Sünden aus Furcht und Liebe zu Gott hätte
lassen und hassen können. Aus eigenen Kräften bringt es ein Mensch nicht
weiter, als dass er die schädlichen Folgen der Sünde hasst, aber nie
dahin, dass er der Sünde selbst feind wird. Dann aber überwindet nicht der
Mensch die Sünde, sondern die Sünde überwindet den Menschen. Wie
ein unfruchtbarer Baum nicht dadurch ein besserer, sondern nur ein stärkerer
Baum wird, wenn ihm einige Zweige abgeschnitten werden, so ist auch der Mensch
vor Gott kein besserer Mensch, wenn er nur einige Laster und sündliche Werke
abtut; dadurch wird der Mensch nur stolzer und eingebildeter. Und wie eine
äußerliche Krankheit, wenn sie schnell vertrieben wird, sich dann oft auf die
edleren inneren Teile des Körpers wirft und nur desto tiefer in das
ganze System desselben eindringt und da desto größere Verheerungen anrichtet,
so zieht sich die Sünde bei denjenigen, welche nur einige Laster äußerlich
abtun, dann nur umso tiefer in das Innere ihres Herzens zurück; der Mensch wird
dann für seine Sündhaftigkeit nur immer blinder, gegen Gott immer hoffärtiger,
selbstzufriedener und selbstgerechter, und endlich kommt es dahin, dass ein
solcher ganz Ehrbarer von Gottes Gnade gar nichts wissen will, sondern den
Himmel und die Seligkeit als eine ihm gebührende Schuld fordert, sich also
selbst zu seinem Gott macht. Ist es aber mit einem Menschen dahingekommen, dann
hat in seiner Seele die Sünde die höchste Stufe erreicht, obgleich der Mensch
denkt, er sei ein Muster von Tugend und Frömmigkeit.
Seht, das ist es, was sich der Mensch durch
seine eigenen Kräfte im Kampf gegen die Sünde erkämpft! – Die Sünde zieht sich
endlich in das Herz zurück und verblendet den Menschen, so dass er alle seine
eigennützigen und hoffärtigen Werke nicht mehr für Sünden, sondern für Tugenden
hält und so in den süßesten Hoffnungen dem ewigen Gericht entgegenreift.
Was soll nun der Mensch tun, dass dieser
Schlange der Kopf zertreten werde? – Hier ist kein anderer Rat als dieser: Mit
der blutflüssigen Frau erkennen, dass die Krankheit der Sünde für uns Menschen
ganz unheilbar ist, an aller Hilfe durch eigene Kräfte zu verzagen und im
Glauben den Saum des Kleides Christi zu erfassen. Denn obgleich Christus nicht
mehr sichtbar unter uns wandelt, so gibt es doch noch immer Kleider, in welche
auch jetzt Christus eingehüllt ist und bei denen wir ihn fassen können, und diese
Kleider Christi sind sein Wort und seine heiligen Sakramente. Wer ´, an sich
selbst verzagend, sich daran hält, dass das Wort Gottes allen Sündern Gnade und
Vergebung verkündigt, dass ihn Gott schon in seiner Taufe aus Gnaden in das
Buch des Lebens eingeschrieben, und dass im heiligen Abendmahl sich Christus
ihm ganz zu eigen gegeben hat mit seinem ganzen Blut, Tod und vollkommenem
Verdienst, wer sich, sage ich, daran hält, der rühr gleichsam wie die
blutflüssige frau den Saum des Kleides Christi an, und wen ein solcher Mensch
dann auch immer noch, wie diese Frau, zittert und zagt, und noch immer mit
vielen Zweifeln kämpfen muss, so geht doch dann eine seligmachende Kraft von
Christus auf ihn aus, und auch er hat sich dann das Wort anzunehmen, das Christus
zu jener Frau sprach: „Sei getrost, dein Glaube hat dir geholfen.“
Sobald das Wort von einem Menschen im Glauben gefasst wird, so wird er auch zur
Stunde gesund von der Krankheit seiner Seele, seine Sünden werden ihm vergeben,
Gott lässt nämlich ernstlich dann allen Zorn gegen ihn fahren und wendet sich
in Gnaden zu ihm, sieht ihn von nun an für gerecht an und legt ihm schon die
Krone des Lebens aus Gnaden bei. Von dem Augenblick an wird aber ein solcher
Gläubiger auch ein neuer Mensch; die Sünde verliert bei ihm ihre vorige
Herrschaft; er bekommt ein neues Herz, das die Sünde aus Liebe zu dem gnädigen
Gott hassen und lassen kann; er beginnt nun ein neues Leben in Liebe und Demut.
Hier spricht vielleicht mancher: „Wie?
Sollte das wirklich so sein? Ich bin ja schon viel mit Gottes Wort und seinen
heiligen Sakramenten umgegangen, habe also schon oft den Saum des Kleides
Christi angerührt, und doch ist es mit mir nicht anders geworden; sollte meine
Sündenkrankheit vielleicht selbst für Christus unheilbar sein oder sollte ich
vielleicht nicht zubereitet genug gewesen sein?“ – Du, der du so sprichst,
wisse, für Christus ist keine Krankheit zu groß und schwer, und käme es auf die
genügende Zubereitung zu seiner Gnade an, so würde kein Mensch sie erlangen;
darum prüfe dich, vielleicht warst du dem Volk in unserem Evangelium gleich,
das den HERRN zwar auch drängte und drückte, und doch ging keine Kraft von
Christus auf dasselbe aus; weil es nämlich wohl Christi Kleid berührte, aber
ohne Glauben. So hast du vielleicht auch Gottes Wort und Sakrament wohl gebraucht,
aber nie wahrhaft geglaubt, dass die darin liegende Gnade auch für dich
da ist. Lass denn, lieber Zuhörer, einmal die Gedanken von deiner eigenen
Zubereitung und Würdigmachung gänzlich fahren; wage es nur einmal, wie die
blutflüssige Frau, trotz des Gefühls deiner großen und vielen Sünden, die
Gnade, welche das Wort und die heiligen Sakramente verheißen, anzunehmen und
dich derselben zu trösten und so Christi Kleid, wen auch mit bebendem Herzen,
zu fassen, wage es nur einmal, und auch du wirst endlich ausrufen können:
Meine Seele ist
genesen!
Meine Sünde ist
besiegt!
Wie ich’s hab im
Wort gelesen,
Wie’s das
Sakrament verspricht,
So hat’s auch mein
Herz erfahren;
Helf mir‘s Gott
getreu bewahren!
2.
Doch, wir gehen nun weiter und erwägen, wie
der Glaube nicht nur allein die Kraft habe, die Sünde, sondern auch
zweitens den Tod zu überwinden.
In unserem Evangelium wird uns nämlich
ferner erzählt: Jairus, ein Synagogenvorsteher, hatte ein zwölfjähriges
Töchterlein, das wurde todkrank. Auch hier war bereits menschliche Hilfe zu
Ende; schon standen die Eltern mit heißen Tränen um das Lager des teuren
Kindes; schon erwarteten sie, dass dasselbe in dem nächsten Augenblick den
letzten schweren Atemzug tun werde. Da hören auch sie von Christi Ankunft in
der Stadt Kapernaum, in welcher derselbe schon manches herrliche Wunder getan
hatte. Sogleich macht sich der Vater auf, geht zu Christus, fällt zu seinen
Füßen und spricht zu ihm zuerst, wie uns Markus berichtet, mit flehentlicher
Stimme: „Meine Tochter ist in den letzten Zügen; du wollest kommen und deine
Hand auf sie legen, dass sie gesund werde und lebe.“ Sogleich folgt ihm
Christus freundlich nach. Kaum sind sie aber einige Schritte gegangen, da
kommen schon Goten aus dem Haus des betrübten Vaters und rufen ihm entgegen:
„Deine Tochter ist gestorben, bemühe den Meister nicht.“ Doch selbst jetzt wirft
Jairus noch nicht alle Hoffnung weg, er wendet sich noch einmal zu Christus und
spricht: „HERR, meine Tochter ist jetzt gestorben; aber komm und lege deine
Hand auf sie, so wird sie lebendig.“ Christus antwortet hierauf: „Fürchte
dich nicht; glaube nur, so wird sie gesund.“ Schweigend nahen sie sich nun dem
Trauerhaus; da dasselbe zu den vornehmsten der Stadt gehören mochte, so hatte
sich schon eine ganze Schar Leidtragender mit Trauermusik um das Haus
versammelt. Christus ruft ihnen daher zu: „Weicht; denn das Mägdlein ist
nicht tot, sondern es schläft.“ Hierauf antwortet nun zwar das versammelte
Volk mit Hohngelächter, Christus geht aber, ohne ein Wort zu sagen, mit den
Eltern und einigen Jüngern hinein in das Zimmer, in welchem der Leichnam des
Kindes aufgebahrt liegt, ergreift es mit den Worten bei der Hand: „Talitha
kumi!“ das heißt: „Mägdlein, ich sage ich, stehe auch!“ und siehe! das Mägdlein
öffnet zum Erstaunen der Umstehenden plötzlich seine Augen, steht auf und
wandelt, und Christus heißt des Eltern, zum Zeugnis, dass das Kind nicht nur
leben, sondern auch gesund ist, ihm zu essen zu geben.
Seht da, meine Lieben, ein zweites Beispiel
davon, wie groß die Kraft des Glaubens ist! Aus dieser Geschichte sollen wir
zwar freilich nicht den Schluss ziehen, dass wir durch unseren Glauben auch,
wie Jairus, unsere sterbenden Kinder in das Leben zurückrufen könnten, denn zu
einem solchen Glauben haben wir keine Verheißung. Was hülfe es uns auch,
wenn wir durch unseren Glauben auch alle unsere Lieben in diesem elenden Leben
zurückhalten könnten? Endlich würden wir uns doch mit den Unsrigen aus dieser armen
Welt hinaussehnen und mit Elia seufzen: „Es ist genug, HERR, so nimm nun unsere
Seele.“ Aber das Beispiel des Jairus soll uns einen viel größeren und
herrlicheren, einen ewigen Trost geben, nämlich diesen Trost, dass, wer an
Christus glaubt, dem der Tod nichts schaden könne, denn wie der gläubige Jairus
durch Christus den Tod seines Kindes überwand und ihn in Leben und vollkommene
Gesundheit verwandelte, so siegt jeder Gläubige durch Christus auch über seinen
eigenen Tod.
Ja, mag sich die ungläubige Welt oder der
unglückselige Schwärmer, der in seiner eigenen Heiligkeit Ruhe und Frieden
sucht, vor dem Tod fürchten: Der Christ, der an Christus glaubt, und wäre er
auch der schwächste, hat nicht Ursache sich vor diesem König der Schrecken zu
scheuen. Wer Christus nicht im Glauben ergreift, der muss sich wohl fürchten,
denn seine unvergebenen Sünden sind der scharfe Stachel, den sein Tod noch hat;
wer sich aber mit seinem Glauben an Christus hält, dessen Tod hat seinen Stachel
verloren, denn seine Sünden sind ihm ja vergeben, und der Tod ist gerade das
Mittel, durch welches er von allen seinen Sünden endlich völlig befreit werden
soll. Wer Christus nicht im Glauben ergreift, der muss sich wohl fürchten, denn
das zu erwartende einstige Gericht macht ihm den Tod zu einem Boten mit der
allertraurigsten Botschaft; wer sich aber mit seinem Glauben an Christus hält,
dessen Tod ist ein Bote des Friedens, denn Christus hat ja schon für ihn in
Gottes strengem Gericht gestanden und sein schreckliches Urteil gegen seine
Sünden erduldet. Wer da glaubt, kommt daher nun nicht in das Gericht, auf
seinen Tod folgt vielmehr eine völlige Lossprechung von aller Schuld vor allen
Engeln und Menschen. Wer Christus nicht im Glauben ergreift, der muss sich wohl
fürchten, denn die drohende Hölle und Verdammnis machen ihm den Tod zu einem
Ungeheuer, das seinen furchtbaren Rachen öffnet, ihn zu verschlingen und von
Gott und allen Seligen auf ewig zu trennen. Wer sich aber mit seinem Glauben an
Christus hält, dessen Tod ist eine Pforte des Himmels, ein Eingang zu ewiger
Seligkeit und Herrlichkeit; denn Christus hat ja schon für ihn den ewigen Tod
in Gethsemane am kreuz geschmeckt. Wer Christus nicht im Glauben ergreift, der
muss sich wohl fürchten, denn das Grab und die Verwesung machen ihm den Tod zu
einem ewigen Ende aller seiner Herrlichkeit; wer sich aber mit seinem Glauben
an Christus hält, dessen Tod ist ein süßes Entschlafen nach des Tages Last und
Hitze, der Anfang jenes stillen Schlummers in der Kammer des Grabes bis zu dem
schönen Morgen einer seligen Auferstehung, denn darum hat Christus im Grab
gelegen und ist wieder von den Toten erstanden, damit er einst auch alle seine
Gläubigen von den Toten erwecken, ihre Leiber verklären und mit ihren Seelen
vereinigen und sie endlich nach Leib und Seele in seine ewige Herrlichkeit
aufnehmen könnte.
Der du aber, lieber Zuhörer, dich bisher
vor dem Tod gefürchtet hast, gehe mit Jairus zu Christus und klage ihm deine
Not, so gilt auch dir jene Antwort Christi: „Fürchte dich nicht, glaube nur!“
Wie du glaubst, so wird dir geschehen. Glaubst du nicht, dass Christus auch
diene Sünde getilgt habe und auch dich der von ihm erworbenen Seligkeit
teilhaftig machen werde, so wirst du auch einst in deiner letzten Stunde keinen
Trost haben und des Todes Bitterkeit in alle Ewigkeit schmecken. Traust du es
aber Christus zu, dass er auch deinen Tod in seiner Hand habe, wie den Tod
jenes Mädchens; traust du es ihm zu, dass er dich durch den zeitlichen Tod zum
ewigen Leben führen werde, so kann Christus auch dienen Glauben an ihn nicht
zuschanden werden lassen, so wirst auch du, sobald du im Tod dein leibliches
Auge schließt, dort schauen, was du hier geglaubt hast.
Sei doch darum keiner unter uns so töricht,
entweder gar nicht gegen Sünde und Tod in den Kampf zu treten, oder sie in
eigenen Kräften, mit eigenen Werken, mit eigener Gerechtigkeit und Frömmigkeit
überwinden zu wollen. Sünde und Tod müssen von uns überwunden werden,
oder wir werden von ihnen überwunden und bleiben dann ihre Gefangenen
immer und ewig. Wir selbst aber sind viel zu ohnmächtig, diese furchtbaren
Feinde des menschlichen Geschlechts zu besiegen: Christus allein ist es, der
unsere Sünden getilgt und unserem Tod die Macht genommen hat. Seine schon
geschehene Sünden- und Todesüberwindung nehme daher ein jeder im Glauben an, so
wird Christi Gerechtigkeit seine Sünde auf ewig bedecken und Christi Leben
seinen Tod auf ewig verschlingen.
Ihm sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu
Ewigkeit. Amen.
Herr Jesus!
Wenn ich einmal soll
scheiden,
So scheide nicht
von mir;
Wenn ich den Tod
soll leiden,
So tritt du dann
herfür.
Wenn mir am
allerbängsten
Wird um das Herze
sein,
So reiß mich aus
den Ängsten
Kraft deiner Angst
und Pein.
Erscheine mir zum
Schilde,
Zum Trost in
meinem Tod,
Und lass mich sehn
dein Bilde
In deiner
Kreuzesnot.
Da will ich nach
dir blicken,
Da will ich
glaubensvoll
Dich fest an mein
Herz drücken:
Wer so stirbt, der
stirbt wohl! Amen.!
Lukas 2,22-32: Und da die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz. Moses
kamen, brachten sie ihn nach Jerusalem, dass sie ihn darstellten dem HERRN (wie
denn geschrieben steht in dem Gesetz des HERRN: Allerlei Männlein, das zum
ersten die Mutter bricht, soll dem HERRN geheiligt heißen), und dass sie gäben
das Opfer, nachdem gesagt ist im Gesetz des HERRN, ein Paar Turteltauben oder
zwei junge Tauben. Und siehe, ein Mensch war zu Jerusalem mit Namen Simeon; und
derselbe Mensch war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels;
und der Heilige Geist war in ihm. Und ihm war eine Antwort geworden von dem
Heiligen Geist, er sollte den Tod nicht sehen, er hätte denn zuvor den Christ
des HERRN gesehen. Und er kam aus Anregen des Geistes in den Tempel. Und da die
Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, dass sie für ihn täten, wie man
pflegt nach dem Gesetz, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und
sprach: HERR, nun lässt du deinen Diener im Frieden fahren, wie du gesagt hast;
denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast vor
allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volks
Israel.
In dem HERRN Jesus, herzlich geliebte
Zuhörer!
Nichts ist so gewiss als dies, dass wir
einmal sterben werden; nichts ist aber so ungewiss als dies, wie, wo oder wann
wir sterben werden. Nach hundert Jahren wird wohl auch nicht einer von uns, ja,
wohl nicht Einer unter allen den Bewohnern unserer großen Stadt noch leben.
Steht dann die Welt noch, so werden andere Menschen unser jetziges Eigentum
besitzen, andere Menschen werden in unseren Häusern wohnen; unser Leib aber
wird in Asche zerfallen sein und unsere Seele wird sich an dem Ort befinden,
den Gottes Urteil ihr zugesprochen hat. Niemand aber unter uns ist sicher
davor, dass er nicht schon morgen tot sei oder dass es nicht schon am nächsten
Sonntag von ihm von dieser Kanzel herab heiße: „Es hat dem HERRN über Leben und
Tod gefallen, aus der Zeitlichkeit in die Ewigkeit abzurufen – .“ Schon mancher
verließ am Morgen frisch und gesund sein Haus, und er kehrte nicht lebendig in
dasselbe zurück, sondern wurde als Leiche wieder nach Hause getragen. Schon
mancher legte sich gesund und frisch zu Bett und schlief ein – um nie wieder zu
erwachen; sein Bett wurde sein Sterbelager. – Aber wie dem auch sein möge;
mögen wir immerhin vielleicht noch manches Jahr durchleben: Endlich wird doch
auch unser Todesstündlein schlagen, unser Blut wird still stehen, unsere Pulse
werden stocken, unser Leib erkalten; noch ein Seufzer, noch ein Atemzug – und
unser irdisches Leben ist auf ewig zu Ende, unsere Gnadenzeit ist abgelaufen.
Woher kommt es nun wohl, dass Gott jedem
Menschen den Tod selbst so gewiss, den Ort, die Art und Zeit und Stunde seines
Todes so ungewiss gemacht hat? – Der wahre Grund hiervon ist ohne Zweifel kein
anderer als dieser: Damit kein Mensch seine Buße auch nur einen Tag, ja, auch
nur eine Stunde aufschiebe, und keiner etwa denke: „Mein Herr kommt noch lange
nicht“; sondern dass jeder Mensch fort und fort in wahrer Buße lebe und jede
Stunde sich bereit und fertig mache, vor Gottes Gericht zu erscheinen. Denn
bedächten die so sicher dahinlebenden Menschen nur ein wenig in welcher Gefahr
sie jeden Augenblick schweben, aus der Zeit in die Ewigkeit abgerufen zu
werden, so würden sie, wie jener aus seinem Sündenschlaf aufwachende
Weltmensch, zu sich selbst sprechen:
Ich lebe, und weiß
nicht, wie lange?
Ich sterbe, und
weiß nicht, wann?
Ich fahre, und
weiß nicht wohin?
Mich wundert, dass
ich so fröhlich bin.
Aber was tun die meisten Menschen, und zwar
selbst viele von denen, welche sich zu den Christen halten? Entweder glauben
oder denken sie gar nicht an die Notwendigkeit einer wahren Buße und Bekehrung
von ihrer Seite, oder sie schieben dieselbe doch von einem Tag zum anderen auf
und denken: Wenn sie einmal merken würden, dass nun ihr Ende herzu nahe, dann
wollten auch sie ihr Herz von allen Banden der Sünde und des Irdischen
losreißen; dann wollten auch sie endlich durchbrechen und mit ihrer Buße
endlich Ernst machen und ihre Rechnung zum Abschluss bringen. Und was
geschieht? – Endlich naht der Tod heran, und siehe! – er reißt sie entweder
schnelle und plötzlich in ihrer Unbekehrtheit, ehe sie es denken, dahin; oder
sie trösten sich auch in ihrer letzten Krankheit noch immer damit, dass sie
wieder aufkommen würden, und schieben daher auch jetzt noch die Sorge für ihrer
Seelen Seligkeit auf spätere Zeit auf; oder die leibliche Unruhe und der
leibliche Schmerz sind so groß, dass sie gerade jetzt am wenigsten dazu
geschickt sind oder auch nur daran denken können, sich in wahrer Buße zu Gott
zu bekehren. Wie es in jenem Lied heißt:
1) Die Welt
erzittert vor dem Tod;
Wenn jetzund kommt
ihr große Not,
Dann will sie erst
fromm werden;
Der schaffte dies,
der andre das,
Sein selbst er
aber ganz vergaß,
Dieweil er lebt
auf Erden.
2) Und wenn er
nimmer leben mag,
So hebt er an ein
große Klag,
Will sich jetzt
Gott ergeben:
Ich sorg fürwahr,
dass Gottes Gnad,
Die er allzeit
verspottet hat,
Ob ihm werd
schwerlich schweben.
O Torheit über alle Torheit! – Unchristlich
leben und doch christlich sterben wollen! Einen falschen Weg gehen, und doch
das rechte Ziel erreichen wollen! Nicht kämpfen, und doch den Kampfreis, den
Siegeskranz erlangen wollen! – Gott behüte uns alle vor diesem schrecklichen
Selbstbetrug!
Damit dies nun geschehe, so lasst mich euch
jetzt an dem Beispiel des alten Simeon in unserem heutigen Text zeigen:
Die
nötige rechte Vorbereitung auf einen seligen Tod
Diese besteht nämlich nach dem Beispiel
Simeons in zwei Stücken:
1.
Dass man fromm und gottesfürchtig
ist, und
2.
Dass man seinen Trost im Leben und
Sterben allein auf Jesus setzt.
1.
Dass der alte Simeon, von welchem in
unserem Text erzählt wird, selig gestorben ist, ist kein Zweifel; denn dies ist
es ja ganz offenbar, was der heilige Lukas damit anzeigen will, dass er unter
anderem erzählt, dieser Greis habe, sobald er das Jesuskindlein erblickte,
ausgerufen: „HERR, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du
gesagt hast.“ Simeon fühlte es also jetzt ohne alle Furcht, ja, mit
Freuden, dass nun die Stunde seines Abscheidens gekommen sei, und es ist sogar
wahrscheinlich, dass derselbe, wie eine Legende sagt, nach Beendigung seines
Schwanengesangs, sogleich umgesunken und in süßem Gottesfrieden entschlafen
sei.
Wer unter uns möchte nun nicht einst auch
einen solchen Tod sterben? – Wohlan, so lasst es uns von ihm lernen.
Das Erste, was uns Lukas von ihm erzählt,
ist dieses: „Derselbe Mensch war fromm und gottesfürchtig.“ Unter „fromm“
versteht der Evangelist hier, wie aus dem Urtext zu sehen ist, dass sich Simeon
gegen den Nächsten recht verhalten habe; unter „gottesfürchtig“
aber, dass er dabei auch im Dienst Gottes eifrig gewesen sei. Wenn aber
Lukas ferner von ihm sagt: „Und er wartete auf den Trost Israels, und der
Heilige Geist war in ihm“, so ist damit zugleich dies angezeigt, dass
Simeons Frömmigkeit und Gottesfurcht nicht etwa eine bloße gute Angewohnheit
und angenommene Familiensitte bei ihm war, oder bloß die Folge einer guten
natürlichen Gemütsart, sondern eine Frucht seines lebendigen Glaubens an den
von den Propheten verheißenen Trost Israels oder Heiland und eine Wirkung des
Heiligen Geistes, der in ihm war. Wie aber Simeon erstlich gegen seinen Nächsten
gesinnt war, sehen wir daraus, dass er, sobald er in dem Jesuskindlein den
verheißenen Messias erkannte, sich sozusagen selbst vergaß und Gott nur dafür
lobte, dass dies Kindlein der Heiland sei, „welchen Gott bereitet habe vor
allen Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis seines Volks
Israel“. Simeon gehörte also nicht zu jenen fleischlich gesinnten,
engherzigen, selbstsüchtigen Juden, die von dem Messias nur Reichtum, Ehre,
Macht und gute Tage, und zwar nur für die Juden, begehrten und hofften; nein,
sein liebendes Herz umfasste vielmehr „alle Völker“, auch die in
Finsternis und Schatten des Todes sitzenden „Heiden“, kurz, alle
Menschen, die ganze Sünderwelt. Dass auch für diese der Erlöser gekommen sei,
gerade das war es, was ihn so froh machte, dass er nun gerne sterben wollte;
denn damit war nun sein höchster, teuerster Wunsch für diese Welt erfüllt.
Lukas beschreibt uns aber, wie gesagt, nicht nur deutlich, wie Simeons
Frömmigkeit gegen den Nächsten, sondern auch, wie sein Verhalten gegen Gott,
wie sein Gottesdienst beschaffen gewesen sei. Er schreibt nämlich: „Und
er kam aus Anregen des Geistes in den Tempel.“ Nicht aus Gewohnheit also,
auch nicht aus Selbstgerechtigkeit, um nur das äußerliche Werk des
Gottesdienstes zu verrichten und sich damit bei Gott etwas zu verdienen, kam
Simeon in den Tempel, sondern „aus Anregen des Geistes“. Er ging also in
das Gotteshaus mit einem von geistlichem Leben erfüllten, brennenden Herzen,
voll heiliger Begierde, Hunger und Durst nach Gottes Wort. Wenn aber Lukas von
Simeon ausdrücklich sagt: „Derselbe Mensch war fromm und gottesfürchtig“,
so sehen wir hieraus ferner auch dieses, dass er seine Buße und Bekehrung also
nicht etwa bis in das Alter aufgeschoben, sondern dass er sich schon früh zu
Gott gewendet hatte und hierauf während seines ganzen langen Lebens immer „fromm
und gottesfürchtig“ gewesen und geblieben war. Dass Allermerkwürdigste
jedoch an dem Beispiel Simeons ist endlich, dass er, wie Lukas sagt, von Gott
eine Offenbarung erhalten hatte: „Er sollte den Tod nicht sehen, er hätte
denn zuvor den Christ des HERRN gesehen.“ Er wusste also ganz gewiss, dass
er nicht sterben werde, als bis er den Messias mit Augen gesehen haben würde.
Wurde er nun etwa dadurch sicher? Dachte er etwa: Wohlan, ich weiß, dass ich
noch eine Zeitlang nichts vom Tod zu fürchten habe; so will ich nun auch bis
dahin ohne alle Sorge mein Leben genießen? Nein! Im Gegenteil, je gewisser
Simeon seines Lebens war, mit desto größerem Eifer wendete er dasselbe
zu gottseliger Vorbereitung auf einen seligen Tod an.
Nun sagt selbst: Warum mang wohl Lukas, da
er Simeons Sterbensfreudigkeit darstellen wollte, zugleich so umständlich
erzählt haben, wie „fromm und gottesfürchtig“ er vorher in seinem Leben
gewesen sei? Es ist kein Zweifel, aus keinem anderen Grund, als um seinen
Lesern zu sagen: Wollt ihr Menschen einst auch, wie Simeon, so fröhlich und
selig sterben, so müsst ihr euch daher auch so ernstlich durch ein
wahrhaft frommes und gottesfürchtiges Leben, wie Simeon, auf euren Tod
vorbereiten.
Es ist ja freilich wahr, meine Lieben: In
der Heiligen Schrift wird und das Beispiel eines schon am Kreuz hängenden
Schächers vorgestellt, der sich nicht auf einen seligen Tod durch
Frömmigkeit und Gottesfurcht vorbereitet, sondern ein sicheres und gottloses
Leben geführt hatte, und der sich doch noch in seiner Todesstunde bekehrte und
daher wirklich noch selig starb; denn Christus selbst gab ihm ja die unaussprechlich
gnadenvolle Versicherung: „Wahrlich, ich sage dir, heute noch wirst du mit mir
im Paradies sein.“ Aber, meine Lieben, lest die ganze Heilige Schrift Alten und
Neuen Testaments durch, so werdet ihr kein zweites Beispiel eines Menschen
finden, der während seines ganzen Lebens in seiner Unbekehrtheit dahingegangen
wäre, und sich doch noch in der letzten Stunde bekehrt hätte und daher doch
noch selig gestorben wäre. Der Schächer ist und bleibt vielmehr das einzige
biblische Beispiel dieser Art. Von allen anderen, die bis zu ihrer
Todesstunde unbekehrt gewesen sind, sagt uns die Schrift, dass sie sich auch
nicht in der Todesstunde bekehrt haben, und daher verloren gegangen
sind; von allen aber, welche selig gestorben sind, sagt die Schrift, den
Einen Schächer am Kreuz ausgenommen, dass sie schon vorher in ihrem Leben
fromm und gottesfürchtig gewesen waren. Ist es also nicht ein Wahnsinn,
wenn ein Mensch darum seine Bekehrung bis auf seine letzten Stunden aufschiebt,
weil er weiß, dass Einer sich auch da noch bekehrt habe und also doch noch
selig geworden sei, während er doch von den anderen Millionen und aber
Millionen Menschen weiß, dass sie alle so gestorben sind, wie sie gelebt
haben? nach dem alten Sprüchlein:
Wie du lebst, so
stirbst du;
Wie du stirbst, so
fährst du;
Wie du fährst, so
bleibst du!
O, meine Lieben, denkt also nicht, wenn ihr
einst selig sterben wollt, es sei genug, dass ihr einst, wenn euer Ende
herannaht, nur mit Simeon sagen wollt: „HERR, nun lässt du deinen Diener in
Frieden fahren.“ Denn wie könnt ihr im Tod so mit Simeon sprechen, wenn ihr
im Leben nicht wirklich auch, wie Simeon, „Diener Gottes“ gewesen
seid? Dann gingt ihr ja mit einer Lüge aus der Welt und hättet daher nur umso
gewisser nichts anderes zu erwarten, als zu dem Vater der Lügen zu kommen,
dessen Diener ihr noch im Sterben gewesen seid! – Nein, wollen wir so selig und
im Frieden sterben wie Simeon, so müssen wir uns auch, wie Simeon, dazu
vorbereiten und, wie er, so fromm und gottesfürchtig leben. Es ist wahr:
Simeon ist nicht durch seine Frömmigkeit und Gottesfurcht selig geworden,
sondern allein dadurch, dass er auf den Trost Israels wartete, also allein
dadurch, dass er im Glauben stand; aber dieser sein Glaube war, wie wir gesehen
haben, weil er ein wirklicher, wahrer, vom Heiligen Geist selbst in ihm gewirkter
war, nicht ein leerer, toter, unfruchtbarer Kopf- und Mundglaube, sondern durch
die Liebe zu Gott und Menschen tätig. Daher denn auch Simeon, als er fühlte,
dass seine letzte Stunde gekommen sei, in seinem Gewissen nicht von dem
Gedanken gepeinigt war: Dein Glaube war nichts als Heuchelei; deine Frömmigkeit
und Gottesfurcht war nur ein äußerlicher Schein; deine Liebeswerke gegen den
Nächsten kamen nicht aus einem liebenden, sondern selbstgerechten, ehr-, lohn-
und selbstsüchtigen Herzen; dein Gottesdienst war nur eine Gewohnheitssache –
nein, ohne Widerspruch seines Gewissens konnte Simeon vielmehr zu Gott sagen:
Du weißt, mein Gott, dass ich kein Heuchler gewesen bin; du weißt, dass mein
Glaube durch deinen Heiligen Geist selbst gewirkt war; du weißt, dass ich
meinen Nächsten aufrichtig geliebt und dir aufrichtig gedient habe. Seht, so
konnte ihn denn auch bei diesem seligen Bewusstsein die Nähe des Todes nicht
schrecken oder ihn doch nicht überwinden und in Verzweiflung stürzen. Er erfuhr
vielmehr, was Johannes in seinem ersten Brief schreibt: „Ihr Lieben, so uns
unser Herz nicht verdammt, so haben wir eine Freudigkeit zu Gott, und was wir
bitten, werden wir von ihm nehmen.“ Darum, wollen auch wir uns nicht der Gefahr
aussetzen, dass, wenn einst Satan unser Leben verklagen wird, auch unser
Gewissen von uns abfalle und zu uns sagen: Du Heuchler! Dein ganzes Christentum
ist doch nur ein Schein gewesen, ein leeres HERR-HERR-Sagen, – wollen uns nicht
der Gefahr aussetzen, dass dann das etwa in uns glimmende Glaubensfünklein,
unter diesen Stürmen und Platzregen der Anklagen des Teufels und unseres
eigenen Gewissens, auslösche und wir in Verzweiflung dahinfahren; wollen wir
vielmehr, wie Simeon, in unserer Todesstunde ohne Qual des Gewissens sein und,
wie er, so friedlich, fröhlich und selig sterben, so müssen auch wir uns, wie
er, dazu dadurch vorbereiten, dass wir nicht ruhen, bis wir durch den Heiligen
Geist einen solchen Glauben erlangt haben, durch welchen unser Gewissen
gereinigt, unser Herz verändert und unser ganzes Leben ein Leben, obgleich
unvollkommener, doch aufrichtiger Liebe Gottes und des Nächsten wird. Dann, ja,
dann werden auch wir uns getrost auf das Sterbegett legen können, unserer
Erwählung gewiss, und ohne Widerspruch unseres Gewissens noch sterbend mit
Simeon in Wahrheit sagen können: „HERR, nun lässt du deinen Diener in
Frieden fahren.“
2.
Doch, meine Lieben, des alten Simeons
Beispiel zeigt uns nicht nur, dass zur nötigen rechten Vorbereitung auf einen
seligen Tod gehöre, vorher fromm und gottesfürchtig zu leben, sondern dass man
auch seinen Trost im Leben und Sterben allein auf Jesus setze. Und davon
lasst mich nun noch zweitens zu euch sprechen.
So wichtig es für den alten Simeon war,
dass ihm in der Todesstunde sein Gewissen nicht vorwarf, ein Leben ohne Gott
geführt zu haben, so war doch sein frommes und gottesfürchtiges Leben
keineswegs der Grund seines Sterbenstrostes. Lukas rühmt ihn
zwar, wie wir gesehen haben, hoch, aber er selbst rühmt sich seiner
Werke nicht. Er spricht nicht: „HERR, nun lässt du deinen Diener in Frieden
fahren“, denn ich habe fromm und gottesfürchtig gelebt, ich habe mir mit
meinen Werken das ewige Leben verdient, nun erwarte ich von deiner
Gerechtigkeit meinen Lohn, – nein, nichts von allem dem spricht der gottselige
sterbende Greis, sondern: „Denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
welchen du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden
und zum Preis deines Volks Israel.“ Seht, er stellt sich mitten unter die
größten Sünder des Heidentums; die Gnade, durch welche diese allein selig
werden können, ist auch sein einziger Trost; der Heiland der Sünder, an
den er auch als seinen Heiland geglaubt, auf den er, als den Trost, Israels,
schon im Leben gewartet hatte, der war sein einziger Trost nun auch im Sterben.
Ihn hatte er fort und fort in seinem Herzen getragen: Als er ihn nun auch in
seinen Armen trug und in sein freundliches Heilandsauge schaute, nun wollte er
auch sterben und, Jesus in Herz und Händen, entschlief er denn auch alsbald
sanft und selig.
Und dasselbe hören wir von allen, von deren
seligen Tod uns in der Heiligen Schrift Bericht erstattet wird. Sie alle haben
zwar so ernstlich gegen die Sünde gekämpft, sie haben so fromm und
gottesfürchtig gelebt, sie sind so eifrig in allerlei guten Werken gewesen, als
sollten und wollten sie sich damit den Himmel verdienen: Aber ihre einzige Hoffnung,
ihr einziger Trost im Leben und Sterben war ihr Heiland. Wer hat
gottseliger gewandelt als der alte Patriarch Jakob? Was sagte er aber als er
sterben sollte? Er rief aus: „HERR, ich warte auf dein Heil!“ das ist,
auf deinen Heiland, in welchem nach deiner Verheißung gesegnet werden sollen
alle Geschlechter der Erde. – Wer war eifriger im Dienst seines Gottes als der
königliche Prophet David? Welches sind aber seine letzten Worte, was ist, so zu
sagen, sein Testament gewesen? Er beginnt dasselbe so: „Es sprach David, der
Sohn Isai, es sprach der Mann, der versichert ist von dem Messias des Gottes
Jakobs.“ – Wer hatte heiliger gewandelt als der erste Märtyrer Stephanus?
Welche Gedanken waren aber in seiner Seele, als er um Christi willen gesteinigt
wurde? Der Gedanke an Jesus. Er rief: „HERR Jesus“, das ist, du
Seligmacher, „nimm meinen Geist auf!“ und mit diesem süßen Wort entschlief er.
– Wer hat ferner mehr für Christus getan und gelitten als Paulus? Er konnte
sagen: „Ich habe mehr gearbeitet als sie alle.“ Was aber war sein letzter
Trost? Er sprach: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf
vollendet, ich habe Glauben gehalten. Hinfort ist mir beigelegt die
Krone der Gerechtigkeit“; dass sein Kampf ein siegreicher Glaubenskampf,
dass sein Lauf ein Lauf im Glauben gewesen war, das war es also allein,
was ihn jetzt in der Nähe des Todes nicht verzagen ließ, sondern gewiss machte,
dass seiner die Krone der Überwinder warte. – Und wie starb endlich einst
Luther, nachdem er sein ganzes Leben zum Opfer gebracht hatte, Gott zu einem
süßen Geruch, und nachdem er Werke vollbracht hatte, die wirklich unsterblich
sind? Er starb als ein armer, nackter und bloßer Sünder mit dem Seufzer Davids:
„In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du
treuer Gott.“
Aus diesem allem sehen wir: So wichtig es
ist, wenn man einst selig sterben will, dass man sich darauf durch ein wahrhaft
gottseliges Leben vorbereite, so ist und bleibt doch das Allerwichtigste, die
Hauptsache bei unserer Vorbereitung, dass wir schon während unseres ganzen
Lebens unseren Trost allein auf Jesus setzen. Es ist ja freilich schrecklich,
wenn das Gewissen in der Todesstunde aufwacht und sagt: Du bist nichts anderes
als ein Heuchler gewesen! Deine Frömmigkeit ist dir nie ein aufrichtiger Ernst
gewesen! Deine äußerlichen Christenwerke sind ein leerer Schein gewesen! Dein
Glaube war nur in deinem Mund! Es ist schrecklich, wenn der Sterbende zu Gott
sagen will: „Ich habe Glauben gehalten“ während seine bösen Werke wie Zeugen
gegen ihn um sein Sterbelager stehen. Hingegen ist es eine köstliche Sache,
wenn man in der Todesstunde getrost zu Gott sagen kann: HERR; dir habe ich
gelebt, nun lass mich auch dir sterben! Ich habe dich geliebt, ich habe dich
gelobt, ich habe dich und dein Wort vor Menschen bekannt, nun bekenne mich auch
bei deinem himmlischen Vater! Es ist eine köstliche Sache, wenn in der
Todesstunde, in diesem göttlichen Vorgericht, die guten Werke des Sterbenden
als Zeugen seines ungeheuchelten Glaubens um sein Sterbelager stehen. Wie denn
unter anderen Hiskia, als er die Botschaft gehört hatte: „Bestelle dein Haus,
denn du wirst sterben und nicht lebendig bleiben“, weil ihm diese plötzliche
Todesbotschaft wie eine Verurteilung Gottes klang und wie eine Versuchung
Gottes erschien, zu Gott obwohl mit Tränen, sprechen konnte: „Gedenke doch,
HERR, wie ich vor dir gewandelt habe in der Wahrheit, mit vollkommenem“, das
ist, nicht mit halbem, geteiltem, „Herzen, und habe getan, was dir gefallen
hat.“ Aber wehe dem, welcher dies zu dem Grund seines Trostes macht! Denn vor
Gottes Gericht besteht kein frommes Leben die Probe, auch das beste nicht. Auf
der Waage des Gesetzes gewogen, werden auch die heiligsten Menschen zu leicht
gefunden. Auch nach seiner Bekehrung musste daher ein David ausrufen: „HERR,
wer kann merken, wie fot er fehlt? Verzeihe mir die verborgenen Fehler. Gehe
nichts ins Gericht mit deinem Knecht, denn vor dir ist kein Lebendiger
gerecht.“ Selbst ein frommer Hiob, dieses Vorbild aller frommen Kreuzesträger,
musste klagen: „Wer will einen Reinen finden bei denen, da keiner rein ist?
Wenn ich mich gleich mit Schneewasser wüsche und reinigte meine Hände mit dem
Brunnen, so wirst du mich doch tunken in den Kot, und werden mir meine Kleider
scheußlich anstehen.“ Selbst ein Paulus, jenes Muster aller Knechte Gottes,
musste bekennen: „Ich bin mir wohl nichts bewusst, aber darin bin ich nicht
gerechtfertigt. Nicht, dass ich’s schon ergriffen hätte oder schon vollkommen
sei; ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte, nachdem ich von
Christus Jesus ergriffen bin.“ Selbst der Jünger der Liebe, Johannes, musste,
sich selbst einschließend, bezeugen: „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so
verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.“ Und endlich
selbst der strenge und ernste Jakobus, der Feind alles toten Glaubens, musste
eingestehen: „Wir fehlen alle mannigfaltig.“
Wollen wir einst selig sterben, so ist
daher das eigentliche Kunststück, was wir dazu anzuwenden haben, dass wir uns
üben, täglich und stündlich den Heiland auf die Arme des Glaubens zu nehmen und
auf ihn allein all unseren Trost zu setzen, um von Grund des Herzens mit jenem
christlichen Dichter sprechen zu können:
Der Grund, da ich
mich gründe,
Ist Christus und
sein Blut,
Das machet, dass
ich finde
Das ewge wahre
Gut.
An mir und meinem
Leben
Ist nichts auf
dieser Erd:
Was Christus mir
gegeben,
Das ist der Liebe
wert.
Ja, meine Lieben, so eifrig man sein soll,
fromm und gottesfürchtig zu wandeln, wie Simeon es tat, so muss man doch noch
eifriger sein, wie Simeon, Christus als seinen Trost in das Herz zu fassen.
Denn gerade je tiefer dieser Trost in das Herz dringt, desto mehr wird
dann auch das Herz von Sünde und Liebe zu den eitlen Dingen dieser Welt gereinigt
und geheiligt; wie denn David sagt: „Wenn du mich tröstest, so
laufe ich den Weg deiner Gebote“, und Paulus: „Die Sünde wird nicht
herrschen können über euch, da ihr nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter
der Gnade.“
Was soll denn also wohl ein Mensch tun,
wenn es nun endlich an das Sterben geht? Soll er sich dann etwa vor allem
ängstlich umsehen nach den Zeugen seiner guten Werke? Oder soll er wenigstens
dann schnell gute Werke wirken, und etwa durch reiche Vermächtnisse an Arme
oder an die Kirche oder sonst an wohltätige Anstalten sich noch den Himmel zu
erkaufen suchen? – Nein, nein! Wohl magst du, wenn du noch Zeit hast, dein Haus
auch im Leiblichen recht bestellen und dabei auch, wenn du kannst, der Armen
und der Kirche gedenken. Aber wisse: Dann ist die Zeit guter Werke vorüber; mag
daher dann ein frommes oder ein gottloses Leben hinter dir liegen, dann gibt es
keinen anderen Rat, keine andere Hilfe, keinen anderen Weg noch Steg, als dass
du, wie in einem drohenden Schiffbruch im Sturm, zuerst alles, was du hast
ebenso deine guten Werke, wie deine Sünden, über Bord in das Meer der
göttlichen Erbarmung wirfst, und Jesus, als den einzigen, aber sicheren
Lebensretter, im Glauben ergreifst, um deine Brust tust und dich damit frisch
und keck in die brausenden Fluten des Todes stürzt. O, wohl dem, wer so tut!
Mögen dann immerhin die Wogen der Todesangst und des Todes selbst über ihm
zusammenschlagen: Jesus in einem noch ihm verlangenden Herzen, erreicht er
gewiss die seligen Ufer des ewigen Lebens; denn es steht geschrieben: „Wer den
Namen des HERRN wird anrufen, soll selig werden.“
O, so schenke uns denn allen Gott die
Gnade, dass wir leben wie Simeon, vor allem aber, dass wir sterben wie er und,
Jesus auf den Armen unseres Glaubens, wenn unser Ende gekommen ist, einstimmen
in seinen Schwanengesang: „HERR, nun lässt du deinen Diener in Frieden
fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast
vor allen Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines
Volkes Israel.“ Amen.
Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott,
unserem Vater, und von dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der
Wahrheit und in der Liebe sei mit euch allen. Amen.
Geliebte Brüder und Schwestern in Christus
Jesus!
Der Kirche scheinen nie größere Gefahren zu
drohen, als wenn sie blutig verfolgt wird; und Gott scheint seine Kirche nie
schwerer zu versuchen, als wenn er solche Verfolgungen über sie verhängt und
ihren Feinden gestattet, ihren glühenden Hass gegen die Christen in der
Ausübung der ausgesuchtesten Grausamkeiten abzukühlen. Die für die Kirche
gefährlichste und versuchungsvollste Zeit scheint daher die der ersten drei
Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung gewesen zu sein.
In den ersten drei Jahrhunderten nach
Christi Geburt haben nämlich die Christen durch die damals noch heidnischen
römischen Kaiser zehn langwierige und über alle Beschreibung grausame
Verfolgungen erdulden müssen. Da die Christen die Heide und die Juden nicht nur
durch ihre Worte und Werke straften, sondern auch von der heidnischen wie von
der jüdischen Religion sich lossagten, weder Tempel noch Altäre hatten und sich
von allen weltlichen Volksbelustigen ernst zurückzogen, so waren die der
Gegenstand des Hasses des ganzen gottlosen Juden- und Heidentums, und man sah
sie nicht nur für Gegner der Staatsreligion, sondern auch für Menschenfeinde
und Gottesleugner an. Jedes Unglück und jede Plage, welche das ganze Land und
Volk traf, wurde daher den Christen beigemessen und für eine Strafe der Götter
erklärt, die damit den durch das Christentum bewirkten Abgang ihrer Verehrung
rächten. Der Kirchenvater Tertullian schreibt um das Jahr 200 nach Christus:
„Wenn der Fluss Tiber die Straßen Roms überschwemmte, wenn der Nilstrom nicht
übertrat und die Fluren nicht wässerte, wenn die Wolken keinen Regen gaben,
wenn Erdbeben, Hungersnot oder Pest entstand, immer rief das Volk alsbald: Auf,
zu den Löwen mit den Christen!“
Schrecklich waren die Martern, welche in
dieser Zeit Tausende von Christen erdulden mussten. Man enthauptete und
verbrannte sie; man kreuzigte und geißelte sie zu Tode; man belastete sie mit
einem Mühlstein und warf sie in das Meer, ja, versenkte sie langsam in
siedendes Pech; man warf sie reißenden Tieren vor oder nähte sie in die Haut
eines wilden Tieres ein und hetzte sodann Hunde auf sie, die sie zerfleischten;
man renkte ihnen alle Glieder aus und schlug sie endlich Keulen tot; man
schnitt ihnen alles Fleisch von den Knochen und goss siedendes Blei in ihre
klaffenden Wunden; man röstet sie auf glühend gemachten eisernen Stühlen; man
hing sie in Ketten auf und ließ sie so entweder verhungern oder verschmachten
oder schürte unter ihnen ein mäßiges Feuer an und ließ sie so langsam vom Feuer
verzehrt werden; man band einen Pfahl mit ihnen zusammen, überzog sie dann mit
Wachs und Pech und brannte sie so als nächtliche Leuchten in den kaiserlichen
Gärten an. Man riss ihnen die Augen aus, schnitt ihnen einen Arm, ein Bein oder
ein anderes Glied ihres Leibes ab oder verstummelte sie auf andere
grauenerregende Weise und ließ sie dann in Bergwerken lebenslänglich arbeiten.
Drei Jahrhunderte lang blutete und
schmachtete die Christenheit mit wenigen Unterbrechungen unter diesen und
dergleichen Martern, wovon die Hölle selbst größere nicht hätte erfinden
können. Was war aber die Folge dieser blutigen Verfolgungen? Weit entfernt,
dass dadurch die Kirche erschüttert oder zerstört worden sein sollte, so ist
sie dadurch vielmehr erst recht fest gegründet und ausgebreitet worden. Der
Kirchengeschichtsschreiber Eusebius schreibt: „Die Mordschwerter selbst wurden
zuletzt stumpf und zerbrachen als abgenutzt; die Henker ermüdeten und mussten
sich ablösen; die Christen aber stimmten dem allmächtigen Gott zu Ehren Lob-
und Danklieder an bis zum letzten Hauch ihres Lebens.“ Die Anzahl derer, welche
aus Scheu vor der Marter Christus verleugneten und abschworen, war gering gegen
die Anzahl derer, welche beständig blieben. Ja, je mehr man wütete, desto
freudiger und mutiger wurden die Christen; die Schwachen wurden stark und
selbst Kinder wurden zu Helden, die aller Todesqualen spotteten. „Ich bin eine
Christin“, rief unter anderem immer aufs neue die jugendliche Sabina aus, „ich
bin eine Christin, und es wird nichts Böses bei uns begangen“, obgleich aus
ihrem mit spitzen Eisen aufgerissenen zarten Leib das Blut bereits stromweise
rann und obgleich man sie endlich in ein Netz wickelte und von den Hörnern
eines wilden Stieres zerstoßen ließ. Mit jeder neuen Verfolgung offenbarte sich
nur immer mehr die Gotteskraft des Evangeliums, welches die Christen in ihren
Herzen trugen. Die Heiden mussten erkennen, dass den Christen ihr Christus
einen Frieden in das Herz gebe, den die Welt ihnen weder geben noch nehmen
konnte, und eine Hoffnung, die selbst in den heißesten Flammen der
Scheiterhaufen nicht verwelkte, sondern davon, wie vom Himmeltau genetzt, nur
erfrischt wurde. Das Blut der heiligen Märtyrer erwies sich als ein fruchtbarer
Same, aus welchem immer mehr Christen hervorwuchsen. Oft sanken die rohesten
Peiniger der Christen selbst, bei dem Anblick der Freudigkeit derselben unter
ihren Martern, endlich gebrochenen Herzens zusammen, bekannten, von der
Wahrheit des Evangelium überzeugt worden zu sein, und erklärten sich nun
bereit, auch für Christus zu sterben.
Ihr seht hieraus, meine Teuren: Obgleich
die grausamen Verfolgungen, welche die Christen einst haben erdulden müssen,
für sie die schwersten unter allen Versuchungen gewesen zu sein schienen, so
waren sie es doch in der Tat nicht; sie waren vielmehr das Winzermesser, mit
welchem der himmlische Gärtner den Weinstock seiner Kirche beschnitt, dass er
desto reichere und süßere Früchte brächte. Die schwersten Versuchungen,
welche über die Christen ergehen können, sind vielmehr die Versuchungen mit
falscher Lehre; und das sind die, welche der Christenheit in Gottes Wort vor
allem für die letzte böse Zeit vorausverkündigt worden sind, in welcher wir
gegenwärtig leben. Eine solche Weissagung, begleitet mit einer dringenden
Warnung für die Christen der letzten Zeit, enthält auch unser heutiges
Evangelium. Darauf lasst uns daher jetzt unsere weitere Andacht richten.
Matthäus
24, 15-28: Wenn ihr nun sehen werdet den Greuel der Verwüstung, davon gesagt
ist durch den Propheten Daniel, dass er steht an der heiligen Stätte (wer das
liest, der merke darauf!), alsdann fliehe auf die Berge, wer im jüdischen Land
ist; und wer auf dem Dach ist, der steige nicht hernieder, etwas aus seinem
Haus zu holen; und wer auf dem Feld ist, der kehre nicht um, seine Kleider zu
holen. Wehe aber den Schwangeren und Säugerinnen zu der Zeit! Bittet aber, dass
eure Flucht nicht geschehe im Winter oder am Sabbat. Denn es wird alsdann eine
große Trübsal sein, wie nicht gewesen ist von Anfang der Welt bisher und als
auch nicht werden wird. Und wenn diese Tage nicht würden verkürzt, so würde
kein Mensch selig; aber um der Auserwählten willen werden die Tage verkürzt. So
alsdann jemand zu euch wird sagen: Siehe, hier ist Christus oder da! so sollt
ihr’s nicht glauben. Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten
aufstehen und große Zeichen und Wunder tun, dass verführt werden in den Irrtum
(wenn es möglich wäre) auch die Auserwählten. 25 Siehe, ich hab’s euch zuvor
gesagt! Darum wenn sie zu euch sagen werden: Siehe, er ist in der Wüste! so
geht nicht hinaus; siehe, er ist in der Kammer! so glaubt es nicht. Denn
gleichwie der Blitz ausgeht vom Aufgang und scheint bis zum Niedergang, so wird
auch sein die Zukunft des Menschensohnes. Wo aber ein Aas ist, da sammeln sich
die Adler.
HERR Jesus! Treu warnst du uns vor den
Gefahren der Zeit, in welcher wir jetzt leben. O hilf, dass wir nicht mit
unseren Ohren hören und noch nicht vernehmen; öffne unser verschlossenes Herz.
Lass uns nicht versinken in dem Verderben dieser Zeit, das wie eine Meeresflut
deine Christenheit überschwemmt hat; lass uns nicht verstrickt werden in den
Irrtümern und Verfälschungen deines Worts, die wie ein Netz über die Erde
ausgebreitet sind. Ob viel auch umkehrten zum größesten Haufen, so lass, HERR,
doch uns dir in Liebe nachlaufen; dein Wort ist, o Jesus, doch Leben und Geist;
was ist, das man, HERR, in dir nicht geneußt? Erhör uns, O Jesus! Amen.
1.
Unser Text besteht, meine Lieben, aus zwei
Teilen. In dem ersten weissagt der HERR, wie es den Juden ergehen werde nach
Verwerfung des ihnen verheißenen und gesendeten Messias und des ihnen
gepredigten Evangeliums; in dem zweiten Teil weissagt der HERR; wie es den
Christen ergehen werde in der letzten Zeit, dafür, dass sie die Liebe zur
Wahrheit nicht angenommen, dass sie selig würden.
Was zuerst die Juden betrifft, so sagt der
HERR; wenn man sehen werde den Greuel der Verwüstung, davon gesagt ist durch
den Propheten Daniel, dass er stehe an der heiligen Stätte, dann sei es Zeit,
eilend aus Judäa zu fliehen, denn, spricht er, „es wird alsdann eine große
Trübsal sein, wie nicht gewesen ist von Anfang der Welt bis dahin, und wie auch
nicht werden wird“. Die Erfüllung dieser Weissagung begann im Jahr 66, also
36 Jahre später; als nämlich die römischen Heere unter Gessius Florus, dem damaligen
Landpfleger, das erste Mal vor den Toren der heiligen Stadt erschienen. In
dieser Zeit flohen daher die Christen eilends aus dem jüdischen Land und
suchten in dem jenseits des Jordans liegenden Städtchen Pella eine
Zufluchtsstätte, die sie da auch fanden. Kaum aber waren die Christen in
Sicherheit, so brauch über das jüdische Volk die Trübsal ohnegleichen in der
Weltgeschichte herein, welche der HERR in unserem Text demselben
vorausverkündigt. Ein vierjähriger Krieg entspann sich durch das ganze Land,
der damit endete, dass Jerusalem mit seinem herrlichen Tempel in einen
Schutthaufen verwandelt, ja, dem Boden gleich gemacht wurde, dass mehr als eine
Million Juden teils durch das Racheschwert der Römer, teils durch Hunger, teils
durch Pest, teils durch Selbstmord umkamen und dass der jüdische Staat
unterging und die Überbleibsel des jüdischen Volkes ohne Opfer, ohne Tempel,
ohne Vaterland in alle Teile der Welt vertrieben und zerstreut wurden bis auf
den heutigen Tag. Die Jammerszenen in ihrer Schrecklichkeit zu beschreiben,
nach denen es mit den Juden zuletzt ein Ende nahm, ist kein menschlicher Mund,
keine Feder im Stande. Mit blutigen Buchstaben hat es Gott selbst auf die
Brandstätte Jerusalems und auf alle Straßen Judäas für alle Völker der Erde geschrieben:
„Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten; wer Gottes Wort verwirft, den
will Gott wieder verwerfen, und wer Gottes Gnadenstimmte im Evangelium nicht
hören will, dessen Stimme, dessen Jammergeschrei will dann Gott nicht hören am
Tag der Not.“
So viel von dem ersten Teil unseres Textes.
Im zweiten Teil desselben, in welchem der HERR von der letzten Zeit weissagt,
sind es nun zwar nicht große leibliche Trübsale, die er vorausverkündigt, aber
etwas ungleich Schrecklicheres. Er spricht nämlich: „Wenn diese Tage nicht
würden verkürzt, so würde kein Mensch selig; aber um der Auserwählten willen
werden die Tage verkürzt.“ In der letzten Zeit vor dem Untergang der Welt
wird es sich also nicht sowohl um den Verlust des irdischen Lebens handeln, wie
in der Zeit vor der Zerstörung Jerusalems und dem Untergang des jüdischen
Staates, sondern um etwas viel Größeres, nämlich um den Verlust der Seelen
Seligkeit.
Was wird aber nach Christi Weissagung in
der letzten Zeit vor allem eine so große Gefahr, verloren zu gehen,
herbeiführen? Dies zeigt Christus an, indem er fortfährt: „Wenn dann jemand
zu euch wird sagen: Siehe, hier ist Christus, oder da, so sollt ihr’s nicht
glauben.“ „Hier ist Christus, da ist Christus.“ Das ist also die
seelengefährliche Stimme der Verführung, welche sich nach Christi
Vorausverkündigung in der letzten Zeit von allen Seiten her in der Christenheit
erheben werde.
Welches mag nun, meine Zuhörer, der Sinn
dieser Worte wohl sein? – Es gibt Schwärmer, welche diese Worte auf die Predigt
gerade der rechtgläubigen Lehrer deuten. Rechtgläubige Lehrer predigen nämlich,
dass Christus zu da zu finden ist, wo Gottes Wort erschallt und wo die heiligen
Sakramente, die heilige Taufe und das heilige Abendmahl, nach Christi
Einsetzung verwaltet und gebraucht werden; sie rufen daher aller Welt zu:
Hierher müsst ihr kommen, die ihr Christus finden wollt; hier ist die einzig
rechte Quelle der Wahrheit, der Gnade, des Heils und der Seligkeit; hier und
nirgends anders ist Gottes Haus und die Pforte des Himmels. Hören dies nun die
Schwärmer, so rufen sie: Seht da, das ist die Stimme der Verführung, denn diese
Prediger rufen fort und fort: „Hier, hier ist Christus, da, da ist Christus“,
„hier ist des HERRN Tempel, hier ist des HERRN Tempel!“ (Jer. 7,4.) Aber, meine
Lieben, so viele unbefestigte Christen sich auch überreden lassen mögen, dass
diese Auslegung jener Worte ganz richtig und die darauf gegründete Anklage
gegen rechtgläubige Prediger ganz recht sei, so zeigt doch schon ein flüchtiger
Blick in die Heilige Schrift, wie falsch man jene Rede eines Verführers auslegt
und wie gänzlich grundlos und ungerecht die darauf gebauchte Anklage gegen die
Prediger der rechtgläubigen Kirche sei. Gott sagt schon durch Mose nach
Verkündigung der heiligen zehn Gebote: „An welchem Ort ich meines Namens
Gedächtnis stiften werde, da will ich zu dir kommen und dich segnen“; das
Gedächtnis des Namen Gottes wird aber da gestiftet, wo sein Wort verkündigt und
seine heiligen Sakramente verwaltet werden. Ferner gibt Christus den Seinen die
Verheißung: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende!“ Wer sind
aber die, welche Christus die Seinen nennt? Er sagt es selbst Lukas 8: „Meine
Mutter und meine Brüder“, spricht er, „sind diese, die Gottes Wort hören und
tun.“ Ferner spricht Christus im 18. Kapitel bei Matthäus, nachdem er seiner
Gemeinde die Verheißung gegeben hatte, dass ihr Lösen und Binden und ihr Flehen
und Bitten im Himmel gültig sein wolle: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen
versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“; in Christi Namen sind aber die
versammelt, welche auf seinen Befehl zusammenkommen und gemeinschaftlich sein Wort
treiben, durch die heilige Taufe seinen Gnadenhimmel aufschließen und an der
Gnadentafel seines heiligen Nachtmahls seinen Tod öffentlich verkündigen.
Ferner spricht Christus: „Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein
Vater wird ihn lieben; und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm
machen“; und Petrus: „Wir haben ein festes prophetisches Wort; und ihr tut
wohl, dass ihr darauf achtet, als auf ein Licht, das da scheint an einem
dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern“, nämlich Christus,
„aufgehe in euren Herzen“; und besonders von den heiligen Sakramenten spricht
St. Paulus: „Wie viel euer getauft sind,. die haben Christus angezogen“; und an
einer anderen Stelle: „Der gesegnete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht
die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht
die Gemeinschaft des Leibes Christi?“ Besonders deutlich spricht Paulus endlich
vom Wort Römer 10: „Sprich nicht in deinem Herzen: Wer will hinauf zum Himmel
fahren? (Das ist nicht anders, als Christus herab holen.) Oder, wer will hinab
in die Tiefe fahren? (Das ist nicht anders, als Christus von den Toten holen.)
Aber was sagt sie (nämlich die Gerechtigkeit des Glaubens)?“ „Das Wort
ist dir nahe, nämlich in deinem Mund und in deinem Herzen.“ – Urteilt nun
selbst: Isst nach diesen klaren Aussprüchen Christi, der Propheten und Apostel
Christus nicht wirklich und wahrhaftig da und zwar in Gnaden da, wo sein Wort
rein gepredigt und seine heiligen Sakramente nach seiner Einsetzung verwaltet
werden? – Was tun also diejenigen, welche das eine Stimme der Verführung
nennen, wenn die Prediger der rechtgläubigen Kirche predigen: Hier, wo das Wort
ist, da, wo die heiligen Sakramente sind, ist Christus, ist seine
Kirche, ist seine Gnade, ist die Seligkeit? Wer das für die stimme der
Verführung erklärt, der macht Christus selbst und seine Apostel und Propheten
zu Verführern und lästert das wahrhaftige Wort Gottes als Irrtum und Lüge.
Aber, meine Lieben, gerade das Gegenteil
ist es, was Christus meint, wenn er die Christen der letzten Zeit vor der
Stimme warnt, die da sagt: „Hier ist Christus, da ist Christus.“ Er
meint nämlich damit jene Irrlehrer, welche Gottes Wort verfälschen und die
Gedanken ihres eigenen Herzens und ihrer eigenen Vernunft verkündigen; die da
sagen: Nicht in dem Wort Gottes ist Christus zu suchen, sondern hier,
in diesem und jenem Werk, nicht in der Taufe und in dem heiligen
Abendmahl ist Christus zu finden, sondern „da“ in dieser und jener
Einrichtung und dergleichen, die wir gemacht haben; nicht auf die reine
Lehre und auf das unverfälschte Sakrament kommt es an, wenn wir Gnade finden
wollen, sondern auf unser Tun, auf unser eifriges Gebet, auf unser Ringen und
Kämpfen, auf unser Empfinden und Erfahren, auf unsere Besserung und Heiligung
und dergleichen.
Dass dies die rechte Auslegung ist, geht
unwidersprechlich daraus hervor, dass Christus sogleich hinzusetzt: Denn es
werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und große
Zeichen und Wunder tun, dass verführt werden in den Irrtum (wenn es
möglich wäre) auch die Auserwählten.“ Wir sehen hieraus: Da, wo man von
Christus zwar predigt, aber ihn „falsch“ predigt, Irrtümer verkündigt,
bei Gottes Wort nicht bleibt, sondern Gottes Wort verfälscht, von Gottes Wort
dabei abgeht und von Gottes Wort abführt; wo man daher nicht
predigt: Willst du Christus finden, so suche ihn nicht in dem und jenem, nicht in
deinem Herzen, noch über dir im Himmel, noch außer dir in deinen
Werken, sondern suche ihn in seinem Wort und in seinen heiligen Sakramenten;
wo man, sage ich, das nicht predigt, sondern Christus irgendwo anders suchen
heißt: Da, ja, da erschallt die Stimme der Verführung in der letzten Zeit: „Siehe,
hier ist Christus, da ist Christus.“
Doch Christus gibt uns noch mehr
Aufschluss; er fährt fort: „Darum, wenn sie zu euch sagen werden: Siehe, er
ist in der Wüste, so geht nicht hinaus; siehe, er ist in der Kammer, so glaubt
es nicht.“ Wer sind nun erstlich die, welche Sagen, Christus sei „in der
Wüste“? Die Antwort auf diese Frage liegt auf der Hand. Die Geschichte des
Papsttums von Anfang an bis auf diese Stunde zeigt nämlich, dass diese Stimme
der Verführung sich vor allem im Papsttum und in der römischen Kirche erhoben
hat. Denn wohin werden diejenigen im Papsttum gewiesen, die ihrer Seligkeit
recht gewiss werden wollen? – In die Wüste. Man spricht: Verkaufe und
verschenke, was du hast, und werde arm, entsage dem Ehestand, verlass hierauf
die Welt und gehe in ein Kloster, werde ein Mönch, werde eine Nonne, werde ein
Einsiedler und halte dann dein Ordensgelübde: Das ist2 der Weg, auf welchem dir
die Seligkeit gewiss nicht entgehen kann; das ist das Mittel, durch welches du
Christus gewiss findest. – Wer sind nun aber ferner die, welche sagen, Christus
sei „in der Kammer“? Auch das ist nicht schwer zu sagen. Das sind
nämlich alle jene Schwärmer, welche den öffentlichen Gottesdienst, die
Gemeinschaft mit einer geordneten Gemeinde, das heilige Predigtamt und die
öffentliche Verkündigung des Wortes Gottes und die öffentliche
Sakramentsverwaltung in den Kirchen verwerfen und sagen: Willst du Christus
finden, so suche ihn nicht in solchen äußerlichen Dingen; bleibe in der stille
deiner „Kammer“; steige hinab in die Tiefe deines Gemüts und versenke
dich in heilige Betrachtungen; da, da findest du die rechte Kirche, da hörst du
den rechten Prediger, da findest du den Geist, da findest du Christus, seine
Gnade und das ganze Himmelreich.
Merkt also wohl, meine Lieben, dass ich das
gesagte noch einmal wiederhole: Wenn Christus vor der Stimme warnt: „Siehe,
hier ist Christus oder da; er ist in der Wüste, er ist in der Kammer“ so
warnt er nicht vor denen, welche sagen, dass Christus an allen den Orten ist,
wo sein Wort und Sakrament ist, denn da ist er so gewiss, so gewiss er der
allgegenwärtige Sohn Gottes und so gewiss sein Wort und seine Verheißung
Wahrheit sind; sondern Christus warnt damit vor allen denen, welche eben von
diesem Wort und Sakrament hinwegweisen und ihn, Christus, in irgendetwas
anderem suchen heißen, die, anstatt Christus an seine Gnadenmittel zu finden,
an die er sich selbst gebunden hat, ihn an etwas anderes binden, es sei nun im
Himmel und auf Erden, was es wolle.
2.
Nachdem wir nun den Sinn jener in der
letzten Zeit sich erhebenden Stimme der Verführung kennen gelernt haben, so
lasst uns nun auch zweitens desto aufmerksamer hören die Stimme der Warnung,
welche wir hierbei zugleich aus Christi Mund vernehmen.
Hauptsächlich drei Warnungen sind es,
welche uns Christus in unserem heutigen Evangelium gibt. Die erste Warnung
liegt darin, dass er uns sagt, wenn diese Zeit der Verführung zum Irrtum durch
die falschen Propheten nicht verkürzt würde, so würde kein Mensch selig werden.
Fürwahr, eine ernstere Warnung vor falscher Lehre kann es nicht geben als
diese! O, möchten wir sie doch alle recht zu Herzen nehmen! Denn wie denkt man
jetzt gewöhnlich von falscher Lehre? Wenn es hoch kommt, so achtet man jetzt
etwa den groben Unglauben für verderblich, und man will daher allenfalls nichts
dagegen einwenden, wenn gegen offenbare Feinde und Lästerer Christi und seines
Evangeliums geeifert wird; aber bloße falsche und unreine Lehre achtet man in
unsern Tagen meist für etwas ebenso nicht so sehr Gefährliches, und man verargt
es daher in der Regel den Predigern sehr, die selbst gegen solche Lehrer
eifern, welche doch auch von Christus predigen, wenn sie ihn auch nicht ganz
rein verkündigen. Was tut aber Christus in unserem Text? Warnt er darin etwa
vor den offenbar Ungläubigen, vor den Lästerern seines Wortes und vor den
erklärten Feinden seines Kreuzes? Nein, denn solche Wölfe ohne Schafskleid sind
keinem wahren Christen gefährlich. Christus warnt vielmehr vor solchen, welche
ihn auch predigen, aber ihn falsch predigen; welche sein Wort nicht geradezu
verwerfen, sondern es nur verfälschen; welche die Wahrheit nicht verlästern,
sondern derselben nur ihre Irrtümer beimischen; und von solchen sagt er,
dass, wenn Gott ihnen lange Zeit zusehen würde, endlich kein Mensch selig
werden könnte. Wer soll nun Recht behalten, Christus, der die falsche Lehre für
so gefährlich erklärt, oder unser Herz, welches sie für eine unschuldige Sache
und für eine Kleinigkeit ansieht? Ach, hinweg mit unserem trüglichen Herzen;
Christus behalte Recht! Aus seiner Warnung lasst uns daher erkennen, Krieg,
teure Zeit, Pestilenz und alle übel in der Welt sind geringe Sachen gegen
falsche Lehre; denn jene Übel in der Welt bringen uns nur um zeitliche Güter, aber
falsche Lehre um die ewigen; ja, falsche Lehre ist selbst schrecklicher als
sündhaftes Leben; denn obwohl die Sünde den Menschen verdammt, so kann doch der
Mensch, wenn ihm die rechte Lehre gepredigt wird, dadurch von seinen Sünden
bekehrt und zur Gnade und Seligkeit gebracht werden, aber wo falsche Lehre im
Schwange geht und die Herzen einnimmt und vergiftet, da ist keine Hilfe noch
Rat, man nun ein Mensch dabei äußerlich noch so fromm leben.
Doch Christus erteilt uns noch eine zweite
Warnung in unserem Text, wenn er darin sagt, dass die falschen Propheten so
große Zeichen und Wunder tun würden, dass verführt würden in den Irrtum, wenn
es möglich wäre, auch die Auserwählten. Christus will uns hiermit davor warnen,
dass wir uns von dem guten herrlichen Schein nicht blenden lassen, von welchem
die falsche Lehre gerade in der letzten Zeit umgeben sein werde. Viele nämlich
meinen, nur diejenigen seien als Verführer zu fliehen, denen man es sogleich
ansieht und anhört, dass sie Feinde Jesu Christi sind; hingegen, wenn ein
Prediger Christus lobe und sichtlich fromm wandle, so sei es Frevel, ihn als
einen falschen Propheten zu fliehen und zu meiden. Aber Christus sagt uns in
unserm Text etwas ganz anderes. Wer sich durch vieles Reden über Christus
täuschen lässt, der wird bald um seine Seligkeit betrogen sein, denn nicht
jeder, sondern nur der rechte Christus, wie ihn die Bibel darstellt, kann uns
selig machen; und wer sich durch den Schein der Gottseligkeit sogleich
einnehmen lässt, der wird bald in seelenverderblichen Irrtum verführt sein;
denn obwohl die wahrhaft Gläubigen in keinen herrschenden Sünden leben, sondern
aufrichtig fromm sind, so liegt doch oft ihre aufrichtige Herzensfrömmigkeit
unter manchen Schwachheiten verborgen, während hingegen nicht selten die
Schalkheit einhertritt in dem Kleid hoher Geistlichkeit und vollkommenere
Heiligung; ja, während die Wahrheit wie ein verkanntes Kleinod im Staub liegt,
wird, wie Christus sagt, der Irrtum oft bestätigt mit großen glänzenden Werken
und Zeichen und Wundern. Wer daher unbetrogen bleiben will, der halte alles an
den Prüfstein des untrüglichen Wortes Gottes; so, aber nur so wird er auf der
rechten Bahn bleiben, ob auch Satan sich gegen ihn verstelle in einen Engel des
Lichts.
Doch noch eins ist es, was Christus den
Christen der letzten Zeit in unserem Text zuruft; darin heißt es nämlich
endlich zum Schluss: „Siehe, ich hab’s euch zuvor gesagt! Darum wenn sie zu
euch sagen werden: Siehe, er ist in der Wüste! so geht nicht hinaus; siehe, er
ist in der Kammer! so glaubt es nicht. Denn gleichwie der Blitz ausgeht vom
Aufgang und scheint bis zum Niedergang, so wird auch sein die Zukunft des
Menschensohnes. Wo aber ein Aas ist, da sammeln sich die Adler.“ Hiermit
warnt Christus seine Christen, nicht vorwitzig zu sein. „Glaubt es nicht,
geht nicht hinaus“, spricht er; er will sagen: Ach, das Kleinod ist bald
verloren; hier ist kein Scherz zu treiben; es darf niemand denken: Was wird es
mir schaden, wenn ich mich eine Zeitlang zu etwas Falschem halte? Ich kann ja
wieder umkehren. Nein, spricht Christus, bedenke, ich werde einst schnell wie
der Blitz wiederkommen; keine Stunde darfst du daher sicher sein. Es gilt also
wachen und jeden Augenblick bereit sein, Christus mit brennender Glaubenslampe
entgegen zu gehen. Wehe dem, welchen Christus übereilt in der Stunde, wenn er
sein reines Wort verlassen hat und einem falschen Christus nachgeeilt ist! Ein
solcher untreuer Christ wird, und wenn er hier auch bei seinem falschen
Christus Blut geschwitzt hätte, mit seinem falschen selbstgemachten Christus
verloren gehen. Wohl aber allen, die bei Christi reinem Evangelium und bei
seinen unverfälschten Sakramenten im lebendigen Glauben bleiben: Darin haben
sie den rechten Christus. Wenn daher Christus sichtbar wiederkommt, so werden
sie ihn auch mit Freuden schauen, mit Frohlocken ihm entgegengehen und mit
allen Auserwählten zu ihm versammelt werden in dem neuen Himmel und auf der
neuen Erde, darin Gerechtigkeit wohnt. Denn „wo ein Aas ist, da sammeln sich
die Adler.“ Amen.
Gesang: Wie soll ich dich empfangen
In deinem Namen, o HERR Jesus Christus, du
König Zions, du Aufgang aus der Höhe, treten wir ein neues Kirchenjahr an, denn
deine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu und
deine Treue ist groß. So bleibe denn mit deiner Gnade, mit deinem Wort, mit
deinem Glanz, mit deinem Segen, mit deinem Schutz, mit deiner Treue bei dieser
Gemeinde und ihren Dienern und bei allen Gemeinden deiner rechtgläubigen Kirche
und ihrer Hirten und Lehrer. O du, unser Heil, komm uns näher durch abermalige
Offenbarung deines Namens, dass du uns in lebendiger Erkenntnis deines Wortes
und wachsendem Glauben näher und näher zu dir ziehst, bis du uns zu dir holst
durch einen seligen Tod oder erscheinst in deiner Herrlichkeit. Hosianna dir,
dem Sohn Davids! Gelobt seist, der du kommst im Namen des HERRN! Hosianna in
der Höhe! O HERR hilf, o HERR, lass wohl gelingen! Amen.
Römer
13,11-14: Und weil wir solches wissen, nämlich die Zeit, dass die Stunde da
ist, aufzustehen vom Schlaf, da unser Heil jetzt näher ist, als da wir gläubig
wurden, die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeikommen: so lasst uns
ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes. Lasst uns
ehrbar wandeln, wie am Tag, nicht in Fressen und Saufen, nicht in
Ausschweifungen und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern zieht an den
HERRN Jesus Christus und wartet des Leibes, doch so, dass die Begierden nicht
geweckt werden.
Geliebte in dem HERRN! Indem wir abermals
durch Gottes Gnade an der Pforte eines neuen Kirchenjahres stehen, möchte ich
euch zuerst Glück wünschen, dass ihr einer Kirche angehört, welche durch die
Einrichtung eines besonderen Kirchenjahres die Zeit kirchlich teilt und
schmückt und so auch dadurch ihren Zusammenhang mit dem christlichen Altertum
bestätigt In der irrigen Meinung, dass die Einrichtung eines Kirchenjahres
papistischer Sauerteig sei, feiert man in allen sich protestantisch nennenden
Sekten, die Episkopalkirche allein ausgenommen, kein Kirchenjahr, sondern
Jahraus Jahrein eigentlich nur Einen Tag, den Sonntag, und auch diesen wieder
in der irrigen Meinung, als sei uns Christen der Sonntag anstatt des jüdischen
Sabbats geboten. Ja, freuen wir uns, dass Luther eine Einrichtung beibehielt,
die nachweislich ihren Ursprung in den frühesten Zeiten des Christentums hat
und die sich vervollständigte, ehe noch der Antichrist sich in den Tempel
Gottes setzte, und sowohl die vorhandenen Feste und Feiertage des kirchlichen
Altertums zu einem abgöttischen Werkdienst machte, als auch ihnen
selbsterdachte Feiertage hinzufügte, wie z.B. das Fest der Empfängnis und
Himmelfahrt Marias, das Fronleichnamsfest, Allerseelenfest u. dgl. Indem Luther
allein diese und andere antichristliche Feste und Feiertage unerbittlich abtat,
ist uns eine der edelsten Blüten erhalten worden, welche das Christentum
getrieben hat und welche gerade durch das rechte Verständnis und den Gebrauch
der christlichen Freiheit in der rechtgläubigen Kirche für den Rest der
Weltzeit unverwelklich geworden ist. Wie das Christentum durch die Baukunst so
herrliche, ehrwürdige und sinnig eingerichtete Kirchen und Dome schuf; wie es
durch Farbe und Pinsel, durch Hammer und Meißel die großen Taten Gottes im Bild
verherrlichte und wie es besonders die Dichtkunst und die edle Musik in den
Dienst des Evangeliums stellte und der Kirche in Lied und Melodie, in
kunstvollem Sang und Orgel- und Instrumentenklang einen unvergleichlichen
Schatz gab, besonders seit den Tagen der Reformation, so hat sie auch durch das
Kirchenjahr die Zeiteinteilung des HERRN geheiligt, denn jedes Fest hat zum
Gegenstand eine Heilstatsache nach dem zweiten und dritten Artikel unseres
Glaubens. Ist doch der eigentliche Zweck des Kirchenjahres der, dass man, wie
es Frage 50 unseres Katechismus[30] heißt,
1, die heilige Geschichte der Ordnung nach lerne, 2, die überaus hohen
Wohltaten, die uns eben hierdurch zuteil geworden sind, besonders erwäge und 3,
besonders Gott für diese Wohltaten den schuldigen Dank sage und sie zu Gottes
Ehre und unserer Seligkeit gebrauche. Da ist ja in das Jahr hinein das ganze
Bild Christi gezeichnet und wird so von Jahr zu Jahr der Gekreuzigte nach
seiner Person und Amt vollständig uns vor die Augen gemalt.
Zu dem Endzweck sind denn nun auch von
Alters her feststehende Schriftabschnitte zur Lesung und Predigt verordnet und
ist auch diese altkirchliche Ordnung von Luther beibehalten worden. Es sind das
die sogenannten Episteln und Evangelien. Wohl mag mancher schon gedacht haben:
Warum Jahr für Jahr immer dieselben Texte? Warum denn nicht zur Abwechslung aus
dem reichen Bibelbuch auch andere Texte? Allein, Geliebte, welch ein zweck- und
zielloses Umherschweifen in der Wahl der Predigttexte es ohne eine solche
Einrichtung geben würde, zeigt ein Blick auf die Weise der hiesigen Sekten und
wie wenig die erhoffte Förderung im Verständnis der Schrift und in der
Erkenntnis der heilsamen Lehre erzielt wird, zeigen die Früchte. Gemäß jener
alten bewährten Schulmeisterregel, nach welcher man das Unbekannte am Bekannten
am Besten lernt, wird, wie eine dreihundertjährige Erfahrung gerade unserer
Kirche lehrt, an den feststehenden Evangelien und Episteln im Volk das
Verständnis der Schrift und der Lehre recht erreicht, vorausgesetzt, dass der
Prediger gleich ist einem Hausvater, der aus seinem Schatz Altes und Neues
hervorbringt und einer Hausmutter, die zwar nicht jeden Tag ein ganz neues
Gericht auf den Tisch bringt, die aber doch das Hausgenossen schon bekannte
Gericht immer von neuem kost und dabei immer schmackhafter und nahrhafter zu
bereiten weiß. Und indem wir schon von Kindesbeinen an zum Voraus wissen,
welchen Text jeder Sonn- und Festtag hat und hierdurch schon vorbereitet zur
Predigt kommen, ist’s denn nicht dabei auch ein gar erhebender Gedanke, dass
aus tausend und abertausend Kanzeln der rechtgläubigen Kirche in mancherlei
Weise und in mancherlei Zunge ein und dasselbe Evangelium, ein und dieselbe
Epistel gepredigt wird und so Tausende und Abertausende unserer Glaubensbrüder
auf dem ganzen Erdkreis ein und dieselbe Heilstatsache mit uns andächtig
betrachten und ein und dasselbe Stück der seligmachenden Wahrheit in das Herz
gepflanzt wird?
Meine Geliebten! Da das Kirchenjahr mit der
vierwöchigen Adventsfeier beginnt, so weisen mit den Evangelien und Episteln
bald auf das Kommen Christi ins Fleisch, bald auf sein Kommen zum Gericht.
Auf welches sein Kommen weist uns nun die verlesene Epistel? Wir werden das
sehen, wen wir das Wort in den Mittelpunkt unserer Betrachtung stellen, das so
recht als apostolisches Adventswort gelten kann. Wir betrachten demnach
Das heutige apostolische Apostelwort: „Unser Heil ist jetzt näher,
als da wir’s glaubten“
Wir sehen
1.
Wozu es uns
heute anleitet und
2.
Wozu es uns
heute ermahnt.
1.
Meine Geliebten! Heute beginnen wir ein
Kirchenjahr und diese wird eröffnet durch die Adventszeit, wie schon bemerkt. Wozu
leitet uns da das heutige epistolische Adventswort an: „Unser Heil ist jetzt
näher, als da wir’s glaubten“?
Lasst uns vorerst Sinn und Inhalt dieses
Wortes zu erkennen suchen.
„Unser Heil“ ist Christus nach
seiner Person und nach seinem Amt, uns von Gott gemacht zur Weisheit, zur
Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung. Zuerst unseren gefallenen
Stammeltern im Paradies und dann in immer deutlicheren und zahlreicheren
Weissagungen den Vätern verheißen, ist er nach einer 4000jährigen Wartezeit
endlich gekommen. In ihm ist auf dieser unserer Erde die zweite Person der
Gottheit in Menschengestalt erschienen, ist durch die Geburt von der Jungfrau
Maria wirklich wahrhaftiger Mensch geworden, ohne damit aufzuhören,
wahrhaftiger Gott zu sein, eines Wesens mit dem Vater, denn es hat die Gottheit
mit der Menschheit persönlich und unzertrennlich im Sohn sich vereinigt. „Gott
ist offenbart im Fleisch“, ruft Paulus. Durch Leiden, Sterben, Auferstehen und
Himmelfahrt die verlorenen Kinder Adams zu erlösen und so ihr Heil zu sein,
dazu ist er nach dem erbarmungsvollen Liebesrat Gottes vor mehr als 2000 Jahren
Mensch geworden. Uns das hierdurch erworbene Heil durch den Glauben anzueignen,
kommt er seit seiner Auffahrt fort und fort im Wort und Sakrament zu uns,
jedoch unsichtbar. Um uns aber zum Vollgenuss dieses Heils zu führen, zugleich
aber durch einen unwiderruflichen strengen Richterspruch diejenigen auf ewig zu
verdammen, welche das mit so hohem Preis jedem Menschen erworbene Heil
verachten und von sich stießen, kommt er einst sichtbar, jedoch mit großer
Kraft und Herrlichkeit, wieder. Diese seine sichtbare Wiederkunft und mit ihr
unser Heil, unsere völlige Erlösung von allem Jammer, der uns im Fleisch noch
umgibt und drückt, rückt uns mit jedem Tag und mit jedem Jahr näher und näher.
Gleichwie sein ersten Kommen erfolgte, als die Zeit erfüllt wurde, so erfolgt
auch dieses, sowie die von Gott nach seiner Weisheit, Treue und Langmut
bestimmte Zeit erfüllt sein wird. Hieraus wird denn nun aber von selbst klar,
was der Apostel meint, wenn er sagt, dies unser noch bevorstehendes Heil durch
die Wiederkunft Christi sei uns näher, „als da wir’s glaubten“, denn
sieht er auch zunächst auf die Zeit zurück, da das in Christus verheißene Heil
uns nun näher ist als es den Vätern war – nicht dem Besitz, sondern der
Offenbarung nach – so schließt er doch mit die Zeit ein, da wir anfingen, das
nun erschienene Heil in wahrem Glauben für unsere Person zu erkennen und zu
ergreifen und nun als neue Menschen auf seine Wiederkunft warten, dass wir das
erkannte und ergriffene Heil nun auch haben dem Schauen und dem Vollgenuss
nach.
Das ist kurz der Sinn und Inhalt unseres
epistolischen Adventswortes.
Und nun frage ich, Geliebte, leitet
dasselbe uns nicht an, zunächst einen Rückblick auf die Vergangenheit zu
tun, auf die Zeit nämlich, da auch wir anfingen, das in Christus erschienene
Heil im Glauben zu erkennen und durch denselben es zu ergreifen? Ist es doch so
nötig, von Zeit zu Zeit einen solchen Rückblick zu tun, die dankbare Erinnerung
an die erfahrene Gnade lebendig zu erhalten und so demütig und gläubig an
derselben zu bleiben.
Wenn der Apostel in unserer Epistel ruft: „Die
Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen“, so hat er ja freilich
zunächst die Zeit des Alten Testaments und des Anbruchs des Neuen Testaments im
Auge, da es heißt: „Siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die
Völker; aber über dir geht auf der HERR und seine Herrlichkeit erscheint über
dir.“ (Jes. 60,2.) Aber obwohl nun schon seit 2000 Jahren diese Nacht vergangen
und der Tag herbeigekommen ist, so ist’s doch noch immer Nacht für das Menschenherz,
so lange es nicht auch bei ihm durch den Glauben Tag geworden ist. O eine
schaurige Nacht für jedes Menschenherz, für das des Gebildeten wie des
Ungebildeten. Das ist ja die Nacht der Unwissenheit in den wichtigsten Fragen,
nämlich wer und was Gott sei und was sein Wille gegen uns arme Sünder ist, die
Nacht des Unglaubens, der Sünde und des Fluches, der Furcht vor dem Tod und des
Schreckens vor dem Gericht, die Nacht der Trostlosigkeit und der Verzweiflung.
So oft wir daher an diese Nachtzeit unserer Seele zurückdenken und erwägen, wie
sie zu Ende gegangen war, da wir anfingen zu glauben, so oft rufen wir mit
demütigem Dank aus: „Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen.“
Und ob auch von denen unter uns, die ihre ganze schöne Jugendzeit oder auch nur
einen Teil derselben in solcher geistlichen Nacht des Unglaubens und Sünden-
und Weltdienstes zubrachte, zu diesem Dank immer wieder von neuem das Wehmütige
Bekenntnis sich gesellen muss:
Ach,
dass ich dich so spät erkannte,
Du
hochgelobte Schönheit du,
Und
dich nicht eher mein schon nannte,
Du
höchstes Gut und wahre Ruh;
Es
ist mir leid, ich bin betrübt,
Dass
ich dich hab so spät geliebt.
so
wird der Dank nur umso brünstiger. Man ginge ja noch immer in der Nacht des
Unglaubens dahin gleich so vielen anderen, wenn nicht Gott aus ganz
unbegreiflicher Gnade einem so lange nachgegangen wäre in die Irre. Womit hat
man es denn nun verdient, dass man endlich zum Glauben gebracht ist? Oder was
ist man im Grunde besser gewesen als die, mit denen man den Weg des Verderbens
lief? Nicht nur aber das! So manches Kirchenjahr ist gekommen und gegangen,
seitdem du, mein Bruder, meine Schwester, gläubig geworden ist; aber während
man so manchen unterdes vom Wort und Glauben hat wieder abfallen sehen, stehst
du noch im Glauben und hast mit anderen deiner Brüder noch Gottes Wort in seiner Reinheit und Lauterkeit und geniest
noch die Gemeinschaft der wahren Kirche Gottes. Und ist nicht auch das
purlautere Gnade? Hätte Gott nur einen Augenblick die Hand abgezogen, o, wie
wärst du sobald vom Wort und Glauben gefallen und wie kämst du dann dem Heil
ferner, je näher er kommt!
Das ist der Rückblick, zu dem heute wieder
unser epistolisches Adventswort uns anleitet. Ein nötiger Rückblick, aber auch
zugleich ein seliger. Welche traurigen und schmerzlichen Erinnerungen
gibt es doch beim Rückblick auf die Vergangenheit eines Menschen, der noch in
der Nacht des Unglaubens dahinwandelt! Welche Klagen und getäuschte Hoffnungen
und Erwartungen und über ein verfehltes Leben werden da laut! Welches Murren
gegen Gott und Menschen regt sich dann und macht den armen Menschen nur
unglücklicher!
Aber auch zu einem trostvollen Vorblick
in die Zukunft leitet das epistolische Adventswort heute an. Das noch
zukünftige Heil ist uns jetzt näher, als da wir gläubig wurden, und heute noch
näher als vor einem Jahr und viel näher noch als den Christen vor fünfhundert
Jahren, welche die Wiederbringung des ewigen Evangeliums durch die Reformation
erlebten und vollends erst im Vergleich zu den Christen der ersten Zeit. Und
doch hat Christus schon vor 2000 Jahren seiner Kirche sagen lassen: „Siehe, ich
komme bald!“, denn die Zeit des Neuen Testaments heißt die letzte Stunde und
diese als die Zeit der Erfüllung ist bei weitem kürzer als die erste Stunde,
die Zeit viertausendjähriger Verheißung und Weissagung, die Zeit des Alten
Testaments. Nun fehlen nur noch wenige Jahre und 2000 Jahre sind alsdann von
dieser letzten Stunde verflossen und über 500 Jahre sind es bereits, dass durch
die Reformation der Antichrist mit seinen Greueln offenbart ist und so jenes
kirchengeschichtliche Ereignis stattgefunden hat, das nach 2. Thess. 2 die
letzte große Gottestat vor dem jüngsten Tag sein soll. Alle übrigen Zeichen des
Jüngsten Tages sind längst geschehen und wiederholen sich jetzt nur, und selbst
die für die letzten Tage geweissagten allgemeine und freche Verhöhnung und
Verspottung Gottes und seines Wortes gehört nicht mehr zu den künftigen Dingen,
sondern geht gerade in unseren Zeiten reichlich im Schwang. Und wie einst in
der allerletzten Zeit vor der Erscheinung Christi im Fleisch die Welt in einem
solchen Zustand der Auflösung und des Verderbens sich befand, dass selbst ein
weiser Heide erklärte, sie könne nicht mehr weiter bestehen, es sei denn, ein
Gott käme auf die Erde, so auch jetzt die Welt vor der Wiederkunft Christi.
Auch denkende Weltkinder meinen, so kann es nicht mehr fortgehen. Kurz, alles
sagt uns, dass der Zeiger der Weltuhr auf die Mitternachtsstunde vorgerückt
ist, dass die Wiederkunft des HERRN ganz nahe sein müsse und damit unser Heil
im Vollbesitz und Vollgenuss unserer Seligkeit durch das Anschauen Gottes im
Leib der Auferstehung und durch das Zusammenwohnen mit allen Auserwählten und
allen heiligen Engeln vor ihm im himmlischen Paradies. Wie leicht kann daher
dieses Kirchenjahr schon das letzte sein! Doch wir wissen nicht Zeit noch
Stunde, die der Vater seiner Macht vorbehalten hat; wir wissen nicht, wie lange
er noch nach seiner grundlosen Langmut und Geduld mit seiner Wiederkunft
verzieht, so sehr es ihn zu seinen noch
hier seufzenden Auserwählten zieht. Aber wenn er auch in diesem Kirchenjahr
noch nicht kommt, wenn überhaupt unser keiner den Jüngsten Tag erleben soll, so
kommt uns doch die Stunde des Todes näher und näher und wird gewiss auch dieses
Kirchenjahr wieder für so manchen unter uns das letzte sein. Bringt denn nicht
auch das nahende Todesstündlein unser Heil? Ist nicht ein seliger Tod der
Eingang ins ewige Leben? Wir nicht den Gläubigen der letzte Tag auf Erden zum
ersten Tag im Himmelreich?
Welche herrliche Aussichten in die Zukunft
hat daher ein gläubiger Christ! Zu welch einem trostreichen Vorblick leitet
heute abermals unser epistoliches Adventswort uns an! Und ob auch nach des
HERRN Wor tim Weltlauf es immer schrecklicher und grausiger und es uns in der
Welt immer unleidlicher wird, so hören wir doch unseren lieben HERRN dabei
fortwährend seiner Jüngerschar zurufen: „Wenn aber dieses anfängt zu
geschehen, seht auf und hebt eure Häupter auf, darum, dass sich eure Erlösung
naht.“ Und es kann je nicht fehlen, dass wir erhobenen Hauptes ihm
antworten:
Auf
dein Zukunft, HERR Jesus Christ,
Hoffen
wir alle Stunden,
Der
Jüngste Tag nicht fern mehr ist,
Dann
werden wir entbunden.
Hilf
nur, dass wir fein wacker sein,
Wenn
du mit deinen Engeln fein,
Zu
dem Gericht wirst kommen.
2.
Ja, hilf nur, dass wir fein wacker sein.
Dass ist’s ja auch zusammenfassend, wozu uns das epistolische Adventswort
aufs neue und in mancherlei Weise ermahnt; denn da unser Heil jetzt näher,
als da wir zum Glauben kamen, so ruft der Apostel: „Und weil wir solches
wissen, nämlich die Zeit, dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, da
unser Heil jetzt näher ist, als da wir gläubig wurden, die Nacht ist vergangen,
der Tag aber herbeikommen: so lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und
anlegen die Waffen des Lichtes. Lasst uns ehrbar wandeln, wie am Tag, nicht in
Fressen und Saufen, nicht in Ausschweifungen und Unzucht, nicht in Hader und
Neid, sondern zieht an den HERRN Jesus Christus und wartet des Leibes, doch so,
dass die Begierden nicht geweckt werden.“
Aufzustehen vom Schlaf und sich zum
Wandel am Tag zu rüsten, ist demnach das erste. Wozu uns unser Adventswort
ermahnt. Der ganze geistliche Zustand des nichtwiedergeborenen Menschen heißt
bald Tod, bald Schlaf. Während nun aber Tod die gänzliche
Unfähigkeit des verlorenen und verdammten Menschen bezeichnet, etwas Gutes zu
tun oder auch nur zu wollen, aus eigenen Kräften irgendwie sich zu bekehren
oder auch nur das Jawort zur angebotenen Gnade zu geben, bezeichnet die Schrift
mit dem Ausdruck Schlaf seinen Zustand als den zustand nicht nur der
fleischlichen Sicherheit und Sorglosigkeit, sondern auch der steten und
gefährlichsten Selbsttäuschung. Wie nämlich ein Schlafender nicht merkt eine
große Gefahr, in der er etwa schwebt, oder den günstigen Augenblick, da ein
großes Glück sich ihm darbietet, unterdessen aber sein Geist mit Phantasie- und
Traumgebilden umgeht und diese für wirkliche Dinge zählt: So merkt der
natürliche Mensch nicht die große Gefahr seiner Seele, merkt sie selbst auch
dann nicht, wenn sie ihm vorgestellt wird, sondern bildet sich vielmehr ein,
dass es sogar gut mit ihm stehe. Das Irrlicht seiner fleischlichen Vernunft
hält er für das wahrhaftige Licht und daher ihre Gebilde für Weisheit und
Wahrheit. Seine äußerliche Ehrbarkeit und eigene Tugend erscheint ihm als
völlig ausreichend, dem Tod ohne Grauen entgegen zu sehen. Irdisches Wohlsein
ist ihm wahres Glück, Besitz von Geld und Gut wahrer Reichtum, der Ruhm, von
Menschen wahre Ehre und die bald feinere, bald auch größere Vollbringung der
Lüste des Fleisches, sofern sie nur keine äußeren Nachteile im Gefolge hat,
wahrer Genuss. Und doch ist’s alles Traum und Schaum und folgt ein
entsetzliches Erwachen. Ach, wie erschrickt schon ein zur Buße kommender
Mensch! Wie ist es ihm, als ob er aus tiefem Schlaf erwachte und wie erscheint
ihm im Licht des göttlichen Wortes sein ganzes Leben als eine jämmerliche und
schreckliche Selbsttäuschung. Hörte er da nicht das Wort „Gnade“, er ginge
unter in der Nacht der Verzweiflung. Wie aber nun, wenn solches Erwachen zu
spät kommt – etwa im letzten Augenblick des Scheidens von der Erde, etwa erst
drüben!
Wohl ist nun bei einem wiedergeborenen
Christen dem herrschenden Zustand nach dieser Schlaf der Sicherheit und der
Selbsttäuschung vorüber; aber weil er noch im Fleisch lebt, wird er ein ums
andere Mal von demselben angefochten, gleichwie am Tag bisweilen vom leiblichen
Schlaf der am Morgen Aufgestandene. Heißt es nicht von den fünf klugen
Jungfrauen, dass auch sie schläfrig wurden, als der Bräutigam verzog, ja, dass
sie sogar einschliefen? Ach, welcher gläubige Christ wüsste nicht aus
Erfahrung, wie ihn so oft der Schlaf der Sicherheit anficht, wie schwer er sich
zuzeiten auf die Augen legt! Eingedenk nun, dass es Tag ist und wir in so
herrlicher Gnadenzeit leben, eingedenk aber auch, dass die Wiederkunft unseres
HERRN Jesus Christus immer näher kommt und mit ihr unser Heil, soll sich jeder
gläubige Christ zu immer neuem Wachbleiben, zu immer neuer Sorge für die Seele,
zu immer neuer Bereitschaft auf die Wiederkunft des HERRN erwecken. Das ist die
eine Mahnung unseres Adventswortes.
Mit der hängt die andere zusammen; denn wie
man, wenn man vom Schlaf aufgestanden ist, die Nachtkleider ab- und die
Tageskleider anlegt, so heißt’s nun für die zu einem neuen Leben Erweckten und
Aufgestandenen: „Lasst uns ehrbar wandeln, wie am Tag, nicht in Fressen und
Saufen, nicht in Ausschweifungen und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern
zieht an den HERRN Jesus Christus und wartet des Leibes, doch so, dass die
Begierden nicht geweckt werden.“
Die „Werke der Finsternis“, die
Nachtkleider, in denen ein gläubig gewordener Mensch nicht mehr einhergehen
darf, sind u.a.: „Fressen und Saufen, Ausschweifungen und Unzucht, Hader und
Neid“, und die „Waffen des Lichts“, die Kleider des Tages für die Kinder
des Lichts sind die Werke im Wandel der lauteren Liebe zu Gott und den Nächsten
nach dem uns gelassenen Vorbild des, der gesagt hat: „Ich bin das Licht der
Welt5, wer mir nachfolgt, der wird nicht in Finsternis wandeln, sondern das
Licht des Lebens haben“ und von dem Petrus schreibt: „Christus hat uns ein
Vorbild gelassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen“, denn „Christus
anziehen“ heißt hier wandeln in Christi Fußstapfen und auch darin seinem Bild
ähnlich werden.
Wohl tut nun ein wiedergeborener
Christ die Werke der Finsternis nicht mehr, denn die Macht der Sünde ist durch
den Glauben gebrochen, aber weil er noch im Fleisch lebt, so regen sich in ihm
täglich die Lüste des Fleisches und finden sich ein ums andere Mal Ausbrüche
des Fleisches. Weil ihm nun die Sünde im Fleisch anklebt, so ist nötig, dass er
die Werke der Finsternis ablege, von der vorigen Sünde immer mehr sich reinige
und geschieht solches eben dadurch, dass der Getaufte in täglicher Reue und
Buße den alten Menschen mit seinen Lüsten und Begierden tötet. Wohl hat der
Gläubige bereits schon in der Taufe Christus angezogen nicht nur zur
Gerechtigkeit, sondern auch zur Heiligung; aber statt, dass man an ihm noch
allzu sehr auch im Wandel den Sünder in Adam sieht, soll immer mehr das Bild
des sanftmütigen, demütigen, in der Liebe allewege dienenden Jesus an ihm zu
Vorschein kommen. Das heißt dann, Christus immer wieder von neuem anziehen und
täglich anlegen die Waffen des Lichts. Dazu aber bedarf es großen Ernstes und
großen Fleißes, denn weil uns hierbei Teufel, Welt und Fleisch stets hindern,
stets müde und lässig zu machen suchen, ob wir nicht am Ende doch noch die
Krone verlieren möchten, so kann dieses Anlegen und Anziehen immer nur unter
Kampf geschehen, weshalb denn auch der Apostel nach der Erfahrung redet und die
Werke des Lichts „die Waffen des Lichts“ nennt. Und ob auch gegen die,
welche den Wandel im Licht in eine Geistlichkeit und Heiligkeit der Engel
setzen, der Apostel den Christen zuruft: „Wartet des Leibes“, so setzt
er gleichwohl hinzu: „doch so, dass die Begierden nicht geweckt werden“
und erinnert damit die Christen der dabei so nötigen steten Vorsicht und
Selbstverleugnung.
Weil denn mit diesem neuen Kirchenjahr der
HERR, unser Heil, in seiner Wiederkunft uns wieder um einen Schritt näher
gekommen ist und er bald, bald in großer Kraft und Herrlichkeit erscheinen
wird, o so lasst uns unter herzlichem und täglichem Gebet und dem fleißigen
Gebrauch der Gnadenmittel in diesem Kirchenjahr und so lange wir noch hier
wallen, einen rechten Eifer im Werk der täglichen Erneuerung beweisen, weil
ohne Heiligung niemand den HERRN sehen kann. „Lasst uns auch untereinander
wahrnehmen mit Reizen zur Liebe und guten Werken und nicht verlassen unsere
Versammlung, wie etliche pflegen, sondern untereinander ermahnen, und das so
viel mehr, so viel ihr seht, dass sich der Tag naht.“ (Hebr. 10,24.25.)
Wachet
auf, ruft uns die Stimme
Der
Wächter sehr hoch auf der Zinne,
Wach
auf, du Stadt Jerusalem!
Mitternacht
heißt diese Stunde;
Sie
rufen uns mit hellem Munde:
Wo
seid ihr klugen Jungfrauen?
Wohlauf,
der Bräutgam kommt,
Steht
auf, die Lampen nehmt!
Halleluja!
Macht
euch bereit
Zu
der Hochzeit,
Ihr
müsset ihm entgegen gehen.
Dich aber, der du bis jetzt noch in
geistlichem Schlaf gelegen hast und daher bis jetzt noch in den Werken der
Finsternis gewandelt bist, sei es in offenbarem Sünden- und Weltdienst oder in
irdischem Sinn und eigener Gerechtigkeit, ermahnt das heutige epistolische
Adventswort, deine Buße nicht abermals zu verschieben, da es doch schon längst
Tag ist und unser Heil näher kommt. Bedenke, der als unser Heil und unser
Erlöser von allem Übel kommt, der kommt zugleich als schrecklicher Richter
aller, welche die Gnadenzeit verschliefen und erst vom Schlaf erwachen, wenn
die Stunde des Todes oder der Tag seiner majestätischen Wiederkunft vorhanden
ist. Weil denn heute ein Tag der Gnade wieder erschienen ist, heute wieder die
Pforte eines Jahres der Gnade sich öffnet, o, so vernimm das heutige
Adventswort aus dieser Epistel, wie es einst Augustinus vernahm. Siehe, als
dieser reichbegabte und hochgebildete Geist, dieser Sohn so vieler Tränen und
Gebete einer um den Verlorenen hochbekümmerten Mutter sich noch in seinem
Sündenwesen umhertrieb, doch aber bereits den Saulusstachel im Herzen trug, da
hörte er, in ersten Gedanken seiner ringenden Seele versunken, vom
Nachbargarten herüber spielende Kinder singen: „Tolle lege, tolle lege!“, das
ist: „Nimm und lies, nimm und lies!“ Diese Worte klangen ihm wie eine
Aufforderung Gottes. Er eilte heim, er schlug ein auf dem Tisch liegendes Neues
Testament auf und die Worte, auf die sein Blick zuerst traf, waren die Worte
unserer heutigen Epistel: Und er stand von Stund an auf vom Schlaf und fing ein
neues Leben an und wurde durch Gottes Gnade ein Licht in dem HERRN, eine
Weckstimme für seine Mitsünder, der größte Lehrer nach den Aposteln im
christlichen Altertum.
Nun denn, da du heute die Worte auch
vernommen hast, so wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so
wird dich Christus erleuchten. Amen.
Gnade
sei mit euch und Friede von dem, der da war und der da ist und der da kommt. Amen.
Römer
15,4-13: Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben,
damit wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben. Der Gott aber der
Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einerlei gesinnt seid unter einander
nach Jesus Christus; damit ihr einmütig mit Einem Mund lobe Gott und den Vater
unsers HERRN Jesus Christus. Darum nehmt euch unter einander auf, gleichwie
euch Christus hat aufgenommen zu Gottes Lob. Ich sage aber, dass Jesus Christus
sei ein Diener gewesen der Beschneidung um der Wahrheit willen Gottes, zu
bestätigen die Verheißung, den Vätern geschehen. Dass die Heiden aber Gott
loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht: Darum will ich dich
loben unter den Heiden und deinem Namen singen. Und abermals spricht er: Freut
euch, ihr Heiden, mit seinem Volk. Und abermals: Lobt den HERRN, alle Heiden,
und preist ihn, alle Völker. Und abermals spricht Jesaia: Es wird sein die
Wurzel Jesse, und der auferstehen wird, zu herrschen über die Heiden, auf den
werden die Heiden hoffen. Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller
Freude und Frieden im Glauben, dass ihr völlige Hoffnung habt durch die Kraft
des Heiligen Geistes.
Geliebte in dem HERRN Wenn die heutige Adventsepistel
mit den Worten beginnt: „Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre
geschrieben, damit wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben“; und
wenn sie dann mehrere alttestamentliche Weissagungen von dem Heiland anführt,
der aus Juden und Heiden durch den Glauben Ein Volk machen wird: so hat hier
die Kirche bei der Wahl dieses epistolischen Abschnitts mehr auf die
gegenwärtige Festzeit überhaupt, als auf die besondere Absicht gesehen, in
welcher der Apoftel sich hier auf die Schrift des Alten Testaments bezieht und
auf den Zweck, den er dabei für die aus ehemaligen Juden und Heiden bestehenden
Christengemeinde zu Rom im Auge hat. Und welches ist diese Absicht, dieser
Zweck des Apostels? Das zeigen uns diese Worte unserer Epistel: „Der Gott aber
der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einerlei gesinnt seid unter
einander nach Jesus Christus, damit ihr einmütig mit Einem Mund lobt Gott und den
Vater unseres HERRN Jesus Christus. Darum nehmt euch untereinander auf, gleichwie
euch Christus aufgenommen Hat zu Gottes Lob.“ Wir sehen, des Apostels Absicht
und Zweck ist, die durch den Glauben an den Einen Gott und Heiland angefangene
Einigkeit des Sinnes unter den nach Herkunft und Gewohnheit so verschiedenartigen
beiden Teilen der römischen Gemeinde zu fördern, da solche Erhaltung und
Förderung der Einigkeit des Sinnes zur gedeihlichen Entwicklung des
Gemeindelebens unbedingt notwendig ist. Wenn nun aber der Apostel daher
ermahnt: „Darum nehmt euch unter einander auf, gleichwie euch Christus aufs
genommen hat zu Gottes Lob“: So bezieht er sich dabei auf das, was er
unmittelbar vor unserer Epistel gesagt hat und was eigentlich zu derselben in
dieser Hinsicht noch gehört. Da heißt es nämlich: „Wir aber, die wir stark sind,
sollen der Schwachen Gebrechlichkeit tragen und nicht Gefallen an uns selber
haben. Es stelle sich aber ein Jeglicher unter uns so, dass er seinem Nächsten
gefalle zum Guten, zur Besserung. Denn auch Christus nicht an sich selber
Gefallen hatte, sondern wie geschrieben steht: Die Schmach derer, die dich schmähen,
ist auf dich gefallen.” Da wir nun in unferen besonderen Adventsgottesdiensten
ohnehin mit Weissagungen des Alten Testaments uns beschäftigen, so betrachten wir
die heutige Epistel nach der Absicht und dem Zweck des Apostels. Reden wir daher:
Von der tragenden Liebe als einer notwendigen Bedingung zum
Gedeihen einer Gemeinde
Wir sehen hierbei
1.
An wen und wie
sich die tragende Liebe erweist und wie nötig sie zum Gedeihen einer Gemeinde
ist; sodann
2.
Wodurch sie die
tragende Liebe immerdar stärkt und ermuntert, damit sie nicht ermüde.
HERR
Gott, Heiliger Geist!
Du
wertes Licht, gib uns deinen Schein,
Lehr
uns Jesus Christ kennen allein,
Dass
wir an ihm bleiben, dem treuen Heiland,
Der
uns bracht hat zum rechten Vaterland.
Kyrieleis.
Du
süße Lieb, schenk uns deine Gunst,
Lass
uns empfinden der Liebe Brunst,
Dass
wir uns von Herzen einander lieben
Und
in Friede in Einem Sinn bleiben.
Kyrieleis.
Amen.
1.
Wenn der Apostel in den vorausgehenden
Worten sagt. „Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwachen Gebrechen
tragen“, so sehen wir daraus ja freilich, dass es die Schwachen
sind, welche die Liebe der Starken zu tragen haben. Wer sind denn nun aber die Schwachen
und die Starken in der Gemeidne?
Bei Beantwortung dieser Frage muss ich von
vornherein bemerken, dass man hier nur beziehungs- und vergleichsweise von
Schwachen und Starken reden kann; denn gegen das zu rechnen, was alle Glieder
einer rechtgläubigen Ortsgemeinde durch die reichliche Predigt des Wortes,
durch die regelmäßigen sonntäglichen Christenlehren, durch den ganzen christlichen Schul- und
Konfirmandenunterricht und durch so viel herrliche Erbauungsbücher und
Kirchenblätter empfangen haben, und was sie daher an Erkenntnis und geistlichem
Leben sein könnten und sollten, so sind sie meist mehr oder weniger schwach.
Ja, was sage ich! Im Vergleich mit dem Glaubens- und Liebesleben der Christen
des apostolischen Zeitalters sind wir Christen dieser letzten Zeit allzumal
Schwache zu nennen. Wir haben daher die Glieder einer Gemeinde untereinander zu
vergleichen. Und da gibt es jetzt, wie einst, in jeder Gemeinde Schwache und
Starke, nur dass heutzutage es überall der Schwachen recht viele gibt, ja, in
manchen Gemeinden die Starken noch recht dünn gesät sind.
Der Schwachen unter den Christen
sind zweierlei. Es gibt Schwache in der Erkenntnis. Wie manche haben in
Folge falschgläubigen, rationalistischen, unionistischen Jugendunterrichts
nicht einmal notdürftige, klare und richtige Begriffe in den Hauptstücken
christlicher Lehre. Wie manchem, den Gott allhier in eine rechtgläubige
Gemeinde geführt hat, hängt dies und das Irrige und Schwärmerische noch an, das
er durch schwärmerische Predigten und durch schwärmerische Erbauungsschriften
einst eingesogen hatte. Wie viele gibt es mancherorts, die nicht von ihrer
lutherischen Kirche abgehen möchten und die doch in groben Stücken zwischen
rechter und falscher Lehre noch nicht zu unterscheiden vermögen oder denen
trotz jahrelangem Hören der reinen Lehre und Warnen vor falschen Propheten doch
immer noch sehr an einem geschärften konfessionellen Gewissem fehlt, dass sie
es nicht für sündlich und gefährlich halten, dann und wann in einer
Sektenkirche oder in eine Kirche der betrügerisch lutherisch sich nennenden
Kirchen zu gehen und da mitzuhören, mitzusingen und mitzubeten. Und wo soll bei dem nachwachsenden Geschlecht
die so nötige Stärke, Klarheit und Festigkeit in der Erkenntnis der reinen
Lehre herkommen, wenn mancherorts Kinder erst die paar letzten Jahre in die
christliche Gemeindeschule geschickt werden und daher bis zur Konfirmation kaum
notdürftig lesen lernen, das Nötigste vom Katechismus sehr mangelhaft gefasst,
ja, sich auch nur recht eingeprägt haben, nach der Konfirmation ihren
Katechismus nicht mehr ansehen, selten die Christenlehre besuchen und dann nach
dem ersten oder zweiten Jahr gar nicht mehr kommen! Es gibt aber auch Schwache
im Leben. Das sind überhaupt alle, bei welchen es mit dem christlichen
Leben zwar einen geringen Anfang genommen hat, noch immer aber keinen rechten
Fortgang gewinnen will, oder die schon weiter im Christentum waren, aber ins
Abnehmen gekommen sind, ja, deren Christentum schier wieder verlöschen will.
Besonders aber gehören zu den Schwachen im leben diejenigen, welche nach Naturell
und Erziehung seltsame und wunderliche Leute sind, mit denen daher auch schwer
zu leben und umzugehen ist; aber es sind Christen, welche durch
Schwatzhaftigkeit, Heftigkeit, Unzuverlässigkeit, Eigennützigkeit u. dgl. harte
Anstöße geben je nachdem sie vom alten Adam her ihre Ecken, ihre schlimmen
Seiten haben, ja, die bisweilen auch sogar sehr straucheln, sogar öfter in
allerlei Sünde und Ärgernis fallen.
Das sind die Schwachen in der Erkenntnis
und die Schwachen im Leben. Wie gar manchmal jedoch finden sich beiderlei
Schwachheit in einerlei Person!
Und wer sind die Starken oder
vergleichsweise Stärkeren? Nun, das sind namentlich die, welche ihren
Brüdern nicht nur in der Erkenntnis der reinen Lehre, sondern auch an dem
inwendigen christlichen Leben und christlicher Erfahrung mehr oder weniger
voraus sind. Ich verbinde absichtlich beides, denn es meint mancher wunder, wie
stark er sei, weil er in der buchstäblichen Erkenntnis der Lehre anderen voran
ist, während es ihm doch an der rechten Anwendung derselben fehlt, weil es ich
noch ziemlich an geistlichem Leben und geistlicher Erfahrung mangelt oder er
kann selbst wenig tragen, wohl aber hat die Liebe an ihm in diesem und jenem
Stück mehr und schwerer zu tragen als an anderen sonst Schwachen.
Welche nun in Erkenntnis und Erfahrung
stark oder stärker sind, die sollen nach des Apostel Wort „der Schwachen
Gebrechlichkeit tragen“. Aber was heißt das? Was ist das für ein Tragen
der Liebe? Besteht es darin, dass die Liebe zu dem Irrtum oder zu der Sünde des
Mitchristen schweigt oder denselben eine lose Farbe anstreicht? Nein, das hieße
denselben zum Schaden seiner Seele in seinem Irrtum oder seiner Sünde bestärken
und so helfen, dass er immer tiefer darein gerät. Der Zweck des Tragens
der Schwachen ist ja gerade der, dass sie aus ihrer Schwachheit herauskommen.
Dazu gehört sowohl Lehren wie Ermahnen, letzteres bald mit gelinden, bald mit
scharfen Worten, damit der Bruder seinen Irrtum oder seine Sünde einsieht und
von denselben ablässt. So hing z.B. den Christen auf der Insel Kreta nach der
Schwachheit des Fleisches noch so manches an, was daran erinnerte, dass sie
ihrer leiblichen Abstammung nach Kreter waren, von deren Nationalcharakter
einer ihrer alten heidnischen Dichter schreib: „Die Kreter sind immer Lügner,
böse Tiere und faule Bäuche.“ Und Paulus, der geistliche Vater der Christen zu
Kreta? Er schreibt an Titus, dem die dortigen Gemeinden befohlen waren: „Dies
Zeugnis ist wahr. Um der Sache willen, so strafe sie scharf, damit sie gesund
seien im Glauben.“
Die tragende Liebe unterlässt also nicht
das Strafen, weder in der öffentlichen Predigt noch im Privatverkehr. Dies
übt sie aber so, dass sie eben als eine tragende Liebe erscheint. Beim
Strafen tritt hier der Stärkere dem Schwächeren entgegen, nicht mit
fortwährendem Meistern und Mäkeln, nicht mit bitterem Tadeln und herrischem
Zurechtweisen, was nur verwundet, nur aufreizt und störrig macht – nicht mit
unbilligem Beschuldigen und strengem Herzensrichten, das sich am Gewissen nie
bewahrheitet, wohl aber das Herz verschließt; sondern mit jener sanftmütigen
Unterweisung und Ermahnung, die aufrichtet und zurecht hilft, mit jenem Tadel,
der wohltut, mit jener Strafe, die gewinnt. Und mehr noch als durch Worte
sollen durch einen Wandel in der Furcht Gottes und durch ein
rücksichtsvolles, selbstverleugnendes Verhalten im Gebrauch der christlichen
Freiheit die Starken den Schwachen zu Hilfe kommen. Das alles aber mit
großer Geduld; denn so lange ein Mitchrist für das brüderliche Wort noch
zugänglich ist, so lange er, wenn auch nicht gleich, wenn auch nur langsam, von
seinem Irrtum oder seiner Sünde sich immer wieder überführen lässt und
Besserung verspricht, so soll man ihm auch häufige und schwere Verstöße nicht
so auslegen, als wäre er ganz und gar ein Nichtchrist. Ein andres freilich
ist’s, wenn der Irrende oder Fehlende Unterweisung und Ermahnung nicht mehr
annehmen will. Wer seinen Irrtum beharrlich verteidigt oder gar nach
Helfershelfern und Genossen sich umsieht, oder wer in einer Sache, die nicht
das Gewissen betrifft, sondern bei der man um der Liebe und des Friedens willen
der Mehrheit untertan sein soll, auf seinen Kopf besteht und sucht auch noch
andere aufzureden und auf seine Seite zu bringen: Der gehört dann nicht mehr zu
den Schwachen in der Erkenntnis, sondern zu den „Tobenden und
Plärrenden“, wie sie Dr. Luther in der heutigen Epistelpredigt nennt, die man
nicht mehr tragen, sondern fahren lassen, ja, mit Wort und Werk ihnen
widerstehen soll. Und wer nach langem geduldigen Tragen trotz aller herzlichen
stufenweisen Bestrafung und Ermahnung in Sünde und Ärgernisgeben fortfährt und
dabei noch Recht behalten will, der gehört nun nicht mehr zu den Schwachen im Leben,
sondern zu den offenbaren und unbußfertigen Sündern, die man nicht weiter in
Geduld tragen darf, sondern vielmehr von der christlichen Gemeinde ausschließen
muss.
O, wie nötig ist doch diese tragende
Liebe zum Gedeihen einer Gemeinde, denn nur wo sie im Schwang geht, kommt es
immer mehr zu der so gesegneten Einigkeit des Sinnes und zu der so
gottgefälligen Einmütigkeit im Lob Gottes. Eben deshalb schreibt der
Apostel den Gliedern der Gemeinde zu Rom und darum auch uns, den Gliedern
dieser Ortsgemeinde: Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch,
dass ihr einerlei gesinnt seid untereinander nach Jesus Christus; damit ihr
einmütig mit Einem Mund lobt Gott und den Vater unseres HERRN Jesus Christus.“
Wohl ist durch die reine Lehre und durch
den Einen Glauben an den HERRN der Grund zur Einigkeit des Sinnes gelegt
und diese in das Herz gepflanzt. So viel Schwachheit des Fleisches aber
noch vorhanden ist, so viel es an der Erkenntnis oder am Leben der einzelnen
Glieder einer Gemeinde noch einen Mangel hat, so viel Hindernis und Störung
dieser Einigkeit und bei des Teufels Neid, Bosheit und List so viel Gefahr des
gänzlichen Verlusts dieser Einigkeit ist noch vorhanden. Wie soll aber dies
beseitigt werden? Etwa dadurch, dass die Starken die Schwachen fahren lassen,
sie von sich hinaustun, oder sich von ihnen trennen, um eine Gemeinde von eitel
Starken zu bilden? Wie beides geraten ist, hat die Geschichte der Kirche alter
und neuer Zeit gelehrt. Anstatt Einigkeit hat beides nur Streit und Trennung
geboren. Es kann nur dadurch geschehen, dass die tragende Liebe im
Schwang geht, denn durch diese werden die Schwachen stärker, nur durch das
Herunterlassen der Starken zu den Schwachen werden diese auf eine höhere Stufe
des christlichen Lebens gehoben und die Gegensätze ausgeglichen, gleichwie auch
unter ihrer Arbeit die Boshaften, die hinausgehören, erst offenbar werden
können. Das zeigt uns ja die Gemeinde zu Rom, wie jede andere der apostolischen
Zeit. Auch sie war, wie gesagt, aus ehemaligen Juden und ehemaligen Heiden
gemischt. Hat es aber je größere Gegensätze gegeben als die zwischen Juden und
Heiden? Nachdem jedoch durch das Evangelium die Scheidewand niedergerissen und
aus beidem eins geworden war, so musste diese Einigkeit gepflegt 8und durch das
Band der Liebe befestigt werden, indem beide Teile sich untereinander
aufnahmen, einer des anderen Lasten trug, besonders der Starke des Schwachen
Gebrechlichkeit. Wie herrlich aber ist solches einst geraten, wie
herrlich gerät es heute überall noch, wo die tragende Liebe immer mehr in
Schwang gebracht wird, und wie ergießt sich der Segen des HERRN über die
Gemeinde, in der die Einigkeit durch die rechte Lehre angefangen und durch den
Fleiß in der tragenden Liebe erhalten und gepflegt wird. Da wird der Teufel
immer wieder zuschanden, so oft er stören will. Da gibt es dann ein rechtes
Zusammenwirken in allerlei gutem Werk, und da es, wie der Psalm 133 singt:
„Siehe, wie fein und lieblich ist es, dass Brüder einträchtig beieinander
wohnen. Wie der köstliche Balsam ist, der vom Haupt Aarons herabfließt in
seinen ganzen Bart, der herabfließt in sein Kleid, Wie der Tau, der vom Hermon
herabfällt auf die Berge Zions, denn daselbst verheißt der HERR Segen und Leben
immer und ewig.“
Und so kann es denn nicht fehlen, dass man
da einmütig mit Einem Mund lobt Gott und den Vater unseres HERRN Jesus
Christus“; denn da erklingen die Lobgesänge der feiernden Gemeinde im Haus
Gottes in rechter Harmonie und wird Gottes Name auch nach außen geheiligt und
gepriesen, wie der HERR sagt: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine
Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt.“
2.
Aber ach, Geliebte, diese tragende Liebe
recht zu üben, ist gar schwer und das sowohl um des sündlichen Fleisches
willen, das auch den Stärksten noch immer anklebt, als auch um des Teufels
willen, der uns dabei immer anficht. Wie bald wird man doch des Tragens müde
und überdrüssig! Wie leicht hat es der Teufel und das Fleisch einem
Christen angetan, dass er sich von den Schwachen in der Gemeinde und zuletzt
von der Gemeinde selbst um ihrer Schwachen willen zurückzieht, keine
Gemeindeversammlung mehr besucht, sogar wohl auch vom öffentlichen Gottesdienst
wegbleibt und denkt oder sagt: „Macht, was ihr wollt, ich bleibe jetzt für
mich!“ Bei solchem selbstsüchtigen und selbstgenügsamem Winkelchristentum hat
man dann freilich nach dem Fleisch mehr Ruhe, Friede und Genuss und weniger
Plage, Unannehmlichkeit, Ärger und Verdruss, aber dafür ist man dann nicht nur
selber ein Schwacher geworden, der gar nichts mehr tragen kann, sondern man
verkümmert auch immer mehr an seinem geistlichen Leben und wird zuletzt ein kahler
und unfruchtbarer Baum; denn unser Christentum gedeiht nur in der Gemeinschaft
recht, wie der Apostel sagt: „Lasst uns untereinander selbst wahrnehmen mit
Reizen zur Liebe und guten Werken, und nicht verlassen unsere Versammlung, wie
etliche pflegen, sondern untereinander ermahnen und das so viel mehr, so viel
ihr seht, dass sich der Tag naht.“ Eben darum bedarf es so sehr des
immerwährenden Ermahnens und der Stärkung.
Was ist es nun, wodurch sich diese
tragende Liebe immer wieder stärkt und ermuntert? Es ist nach unserer
Epistel ein Zweifaches.
Es ist zunächst das Wort Gottes
überhaupt, von dem es in unserem Text heißt: „Was aber zuvor geschrieben
ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und Trost der
Schrift Hoffnung haben.“ Damit nämlich verweist uns der Apostel an die
Quelle, aus welcher unser geistlicher Mensch Nahrung und Wachstum schöpft,
indem wir das Wort fleißig in der Predigt hören und täglich in der Bibel lesen;
denn wie wir durch das Wort der göttlichen Wahrheit und des ewigen Lebens zu
Kindern Gottes gezeugt werden, so wachsen wir auch durch dasselbe im neuen
Leben und werden durch dasselbe an dem inwendigen Menschen gestärkt und als ein
Mensch Gottes zu allem guten Werk geschickt. Nun gehört ja zu solcher tragenden
Liebe, dass man immerdar die rechte Weise, den rechten Griff lerne, wie
der Apostel in den vorausgehenden Worten sagt: „Es stelle sich aber ein
jeglicher unter uns so, dass er seinem Nächsten gefalle zum Guten, zur
Besserung.“ Und ebenso kann nur der die tragende Liebe fort und fort üben,
welcher immer mehr von Herzen demütig wird. Je weniger man noch ein
zerbrochenes Herz hat, je weniger kann man anderer Gebrechlichkeit tragen,
zumal wenn einem dabei nicht genug Ehre und Anerkennung wird. Je mehr wir noch
„Gefallen an uns selber tragen“, und so von uns selbst eingenommen sind, je
weniger sehen wir unsere eigenen Gebrechen, desto schärfer und erbarmungsloser
die Gebrechen anderer. Je gedemütigteren Geistes wir daher sind und darum auch
der göttlichen Gnade und Geduld leben, desto mehr findet sich die tragende
Liebe, welche in Erbarmen gegen den irrenden und sündigenden Nächsten denselben
nicht sogleich als einen unverbesserlichen Menschen ansieht, den man fahren
lassen muss, sondern als einen solchen, der noch zu gewinnen ist und welche für
dessen Behandlung immer mehr die evangelische Art sich aneignet. Solches aber
nur wirkt Gottes Geist, der im Wort ist und sich mitteilt denen, welche mit
seinem Wort immerdar umgehen, dass es ihnen nütze zur Lehre, zur Strafe, zur
Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit.
Dieses Wortes Kern aber ist Christus.
Dessen Gestalt steht vor dem Geistesauge des Christen, so oft er in der Bibel
liest oder die Predigt hört. Jesu Christi tragende Liebe erblickt er
dabei immer mehr und im Anblick derselben stärkt und ermuntert
sich fürs andere die tragende Liebe. Eben darum weist der Apostel auch Christi Beispiel
so ganz besonders hin. Da er vor unserer Epistel ermahnt, dass sich ein
jeglicher seinem Nächsten zum Guten, zur Besserung stellen soll, so fügt er
sogleich hinzu: „Denn auch Christus nicht an sich selber Gefallen hatte,
sondern wie geschrieben steht: Die Schmach derer, die dich schmähen, ist über
mich gefallen“ und von da aus ermahnt er dann in unserer Epistel, wir
sollen einerlei gesinnt sein „nach Jesus Christus“ und uns untereinander
aufnehmen, „gleichwie uns Christus hat aufgenommen zu Gottes Lob“, der,
um die Juden und Heiden zu gewinnen und aufzunehmen und beide so getrennten
Teile zu Einem Leib zu vereinigen, sei „ein Diener gewesen der Beschneidung,
der Wahrheit willen Gottes, zu betätigen die Verheißung, den Vätern geschehen,
dass die Heiden aber Gott loben um der Barmherzigkeit willen“. Ja, ja,
Geliebte, ihn lasst uns fleißig anschauen, wie er vom Himmel gekommen ist,
unsere Schmach und Schande, unsere Sünde und Schuld auf sich zu nehmen und so
uns zu erretten von der Hölle und in sein Reich zu versetzen; wie er sich der
Zöllner und Sünder annahm und um ihretwillen sich schmähen ließ als der
„Zöllner und Sünder Geselle“; wie ihn seine Jünger mit ihren großen Gebrechen
in der Lehre, mit ihrem Kleinglauben, mit ihren Verstößen gegen die Liebe
untereinander so viel zu schaffen machten, dass er einmal sogar ausrufen
musste: „O du ungläubige und verkehrte Art, wie lange soll ich bei euch sein?
Wie lange soll ich euch dulden?“ und wie doch seine Liebe die Jünger nicht
wegwarf, sondern fort und fort trug und – wie er dieselbe tragende Liebe
täglich auch an uns beweisen muss und wir sie täglich und reichlich an uns
selber erfahren. Es kann dann nicht fehlen, dass, wenn unsere Liebe im Tragen
einmal ums andere Mal ermüden will, wir bei solchem Anblick seiner tragenden
Liebe immer wieder aufs neue uns zum Tragen stärken und ermuntern und mit dem
Wunsch, an anderen zu üben, was er an uns getan, singen:
Ich
lag in schweren Banden,
Du
kommst und machst mich los;
Ich
stand in Spott und Schanden,
Du
kommst und machst mich groß
Und
hebst mich hoch zu Ehren
Und
schenkst mir großes Gut,
Das
sich nicht lässt verzehren,
Wie
irdisch Reichtum tut.
Nichts,
nichts hat dich getrieben
Zu
mir vom Himmelszelt
Als
das geliebte Lieben,
Damit
du alle Welt
In
ihren tausend Plagen
Und
großen Jammerslast,
Die
kein Mund kann aussagen,
So
fest umfangen hast.
Meine teuren Brüder und Schwestern! Die
Wiederkunft des HERRN ist nahe. Das predigt uns das Evangelium des heutigen
Sonntags, des zweiten Adventssonntags. Da nun er, der da sitzen wird, als ein
Richter auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit, in seinem Endgericht bei den Seinen
darauf sehen wird, wie der Glaube durch die Liebe tätig gewesen ist und sagen: „Was
ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir
getan“ und da er dann alle seine Auserwählten von Anfang der Welt her vor
seinem Angesicht versammeln und sie in seine Herrlichkeit einführen wird, wo
sie dann vollkommen „einerlei gesinnt“ sind und vollkommen „einmütig
mit Einem Mund loben Gott und den Vater unseres HERRN Jesus Christus“ – so
rufe ich euch in Betriff der heutigen Lehre und Ermahnung aus unserer Epistel
mit den Schlussworten derselben zu: „Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch
mit aller Freude und Friede im Glauben, dass ihr völlige Hoffnung habt durch
die Kraft des Heiligen Geistes.“ Amen.
O allmächtiger, barmherziger Gott und
Vater, du hast uns deinen Sohn Jesus Christus zu einem Beispiel der Geduld
vorgestellt und befohlen, dass, wie er unsere Sünde und Schwachheit auf sich
genommen und getragen hat, so auch wir der Schwachen Gebrechlichkeit mit Geduld
tragen sollen. Dieweil du aber weißt, wie untüchtig zu solchem unser Fleisch
und Blut ist, und dass uns auch der Teufel ohne Unterlass zur Ungeduld reizt:
So bitten wir dich, du wollest deinen Heiligen Geist, der ein Geist der Liebe
und des Friedens ist, in unsere Herzen geben und durch denselben christliche
Geduld und Sanftmut in uns wirken, damit wir mit Einem Mund dich loben hier
zeitlich und dort ewig – durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren HERRN.
Amen.
Lied:
Nun bitten wir den Heiligen Geist
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der
da war und der da ist und der da kommt. Amen.
1.
Korinther 4,1-5: Dafür halte uns jedermann, nämlich für Christi Diener und
Haushalter über Gottes Geheimnisse. 2 Nun sucht man nicht mehr an den
Haushaltern, als dass sie treu erfunden werden. Mir aber ist’s ein Geringes,
dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Tage; auch richte
ich mich selbst nicht. Ich bin mir wohl nichts bewusst, aber darin bin ich
nicht gerechtfertigt; der HERR ist’s aber, der mich richtet. Darum richtet
nicht vor der Zeit, bis der HERR komme, welcher auch wird ans Licht bringen, was
im Finstern verborgen ist, und den Rat der Herzen offenbaren; alsdann wird
einem jeglichen von Gott Lob widerfahren.
Geliebte in dem HERRN! Aufgrund göttlichen
Worts bekennt unsere evangelisch-lutherische Kirche im 8. Artikel des
Augsburgischen Bekenntnisses so: „Wiewohl die christliche Kirche eigentlich
nichts anderes ist als eine Versammlung aller Gläubigen und Heiligen, jedoch,
weil in diesem Leben viele falsche Christen und Heuchler sind, auch öffentliche
Sünder unter den Frommen bleiben, so sind die Sakramente gleichwohl kräftig,
obschon die Priester, dadurch sie gereicht werden, nicht fromm sind, wie
Christus selbst anzeigt. Matth. 23,2: ‚Auf dem Stuhl Moses sitzen die
Pharisäer‘ usw. Deshalb werden die Donatisten und alle anderen verdammt, so
anders halten.“ Die aber anders halten, sind überhaupt alle die, welche die
Kraft der Gnadenmittel an die Heiligkeit oder die Gabe der Person binden
wollen, und welche daher auch behaupten, dass nur eines bekehrten Predigers
Wort eine wahre Bekehrung wirken könne. Wie irrig! Oder verliert ein Goldstück
an Wert, wenn es durch die Hand eines Gottlosen gereicht wird? Aber auch wie
gefährlich!
Gleichwohl ist nicht zu leugnen, dass die
den Gnadenmitteln innewohnende Kraft nicht nach Gebühr auf das Herz eines
Empfängers wirken kann, wenn demselben das rechte Zutrauen zu der Mittelsperson
fehlt, durch deren Dienst Gott seine Gnade in den verordneten Mitteln
darreicht, wenn vielmehr Misstrauen und Widerwille gegen die Person des Dieners
am Wort das Herz gegen dessen Dienst verschließen. Wehe daher dem Prediger, der
zwar reines Wort und Sakrament bringt, aber durch einen anstößigen Wandel oder
durch allerlei offenkundige Leichtfertigkeit in seiner Amtsverwaltung oder
durch unlauteres Wesen oder durch Trachten nach dem Irdischen oder durch
Herrschsucht die Herzen seiner Zuhörer sich entfremdet und so den Lauf und die
Wirksamkeit des Wortes an seinem Teil hindert! Durch Mangel an rechter
Erkenntnis jedoch, durch Sattheit und Überdruss, wo man die Gabe des Wortes
schon Lage und dabei reichlich genossen hat, durch Redereien und
Verdächtigungen geschieht es bei des Teufels List und Bosheit und des Fleisches
Schwachheit gleichfalls zu leicht, dass auch dem Prediger sich nicht das
gewünschte Zutrauen zuwendet oder das Herz sich wieder abwendet, der bei reiner
Lehre sein Amt nicht nur gewissenhaft und in Lauterkeit des Herzens zu
verwalten sucht, sondern der dabei auch wie Johannes der Täufer im heutigen
Evangelium in Demut alle fleischliche Anhänglichkeit an seine Person und seine
Gabe von sich weist.
Das erfuhr selbst ein Paulus, erfuhr es zu
seinem Schmerz gerade in der Gemeinde zu Korinth, deren geistlicher Vater er
war und unter der er eineinhalb Jahre gewirkt hatte! Darum gleich zu Anfang
seines ersten Briefes sein Unterricht über das rechte Verhältnis zu den
berufenen Predigern, dessen Schluss die heutige Epistel bildet und deren
Anwendung er in den unmittelbar folgenden Worten macht und machen lehrt: „Solches
aber, liebe Brüder, habe ich auf mich und Apollos gedeutet um euretwillen, dass
ihr an uns lernt, dass niemand höher von sich halte als jetzt geschrieben ist,
damit sich nicht einer gegen den anderen um jemandes willen aufblase.“
Hiernach beantworten wir denn auch aus
unserer Epistel die so wichtige Frage:
Wodurch wird das nötige Zutrauen zu einem rechtschaffenen Prediger
erlangt und bewahrt?
Die Epistel antwortet:
1.
Dadurch, dass
man seinen Beruf und sein Amt erkennt; und
2.
Dadurch, dass
man nicht mehr als Treue an ihm sucht, und daher nicht vor der Zeit richtet!
HERR Jesus, weil dein das Amt ist, das du
mir an dieser Gemeinde befohlen hast, so öffne für das heutige Zeugnis von
demselben Mund und Ohren.
Hilf,
dass ich rede jetzt, womit ich kann bestehen,
Lass
kein unnützes Wort aus meinem Munde gehen;
Und
weil von meinem Amt ich reden soll und muss,
So
gib den Worten Kraft und Nachdruck ohn Verdruss.
Amen.
1.
„Ich bin paulisch! Ich bin apollisch! Ich
bin kephisch! Ich bin christisch!“ – so ging es nach des Apostels Weggang in
der Korinthischen Gemeinde wirr durcheinander. Das hatte aber den Apostel aufs
tiefste betrübt, als es ihm zu Ohren kam. Denn warum wollten es die einen mit
Paulus, die andern mit Apollos, die dritten mit Kephas oder Petrus halten und
die vierten mit keinem von den dreien, sondern angeblich sich allein mit
Christus und so ein jeder darüber die anderen verachten? Hatte denn Paulus eine
andere Lehre als Apollos und beide wieder eine andere als Petrus und
alle drei eine andere als Christus, der Meister? Oder war ihr Amt ein
wesentlich verschiedenes? Nein. Es waren das allein die Personen und die
Gaben dieser Prediger, auf die man sah und an die man sich hing und um
welcher willen man einen bösen Unterschied unter den Predigern machte.
Diesem aus dem Fleisch kommenden und dem
Segen des Wortes so nachteiligen Parteiwesen zu begegnen, weist er Apostel vor
allen Dingen die Korinther an, von den Personen und ihren Gaben abzusehen und
allein seiner und seiner Mitstreiter Beruf und Amt recht ins Auge
zu fassen, indem er schreibt: „Dafür halte uns jedermann, nämlich für
Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse.“ Seht da, wie
verschieden auch die Persönlichkeit und die Begabung der Genannten war, so
standen sie doch nach Beruf und Amt einander ganz gleich. Einer wie der andere
sollte darum für einen Diener Christi einer wie der andere für einen Haushalter
über Gottes Geheimnisse gehalten und behandelt werden. So aber will es der HERR
mit den Dienern am Wort noch heute gehalten haben. Jedermann, also der
Ungelehrte wie der Gelehrte, der Niedrige wie der Hohe, der Geförderte wie der
Anfänger im Christentum halte sie für nichts mehr, aber auch für nichts
weniger, als Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nicht so
sehr auf die Persönlichkeit und die Gabe eines Predigers sehe
man, als vielmehr vor allem und am meisten auf dessen Beruf und Amt. Im
Blick auf dieses nur kann man zu einem rechtschaffenen Prediger das so nötige
Zutrauen gewinnen und bewahren.
Jedermann halte also einen rechtschaffenen
Prediger erstlich für Christi Diener. Fragst du nun: Wobei soll ich denn
einen Prediger als Christi Diener erkennen? So ist die Antwort: an seinem Wort
und seinem Beruf. Predigt er dir nichts anders als deines und seines
HERRN Christi Wort und kann er beweisen, dass er dazu rechtmäßig berufen ist:
So halte Paulus, Apollos, Petrus oder wie der Prediger immer heißen mag, für
den Mann, der im Auftrag des HERRN Christus als sein Botschafter zu dir kommt,
der in seinem Namen, an seiner Statt dir sein Wort zu verkündigen hat. Sieh
nicht an seine Person, wie sie bei allem offenkundigen Fleiß in der Heiligung
doch mit Sünde, Schwachheit und Gebrechen behaftet ist und bleibt, sondern
bedenke, dass es Gott nun einmal in seinem weisen und gnädigen Rat gefallen
hat, nicht durch heilige, vollkommene, hochbegabte Engel, sondern durch
sündliche und gebrechliche Menschen sein seligmachendes Wort ordentlicherweise
predigen zu lassen. „Wir haben solchen Schatz in irdischen Gefäßen, damit
die überschwängliche Kraft sei Gottes und nicht von uns“, schreibt daher
der Apostel in seinem zweiten Brief, Kap. 4. Und ob der HERR diesen irdischen
Gefäßen mancherlei Gabe und mancherlei Gnade verliehen hat und deshalb das eine
Gefäß diesem und das andere einem andern mehr zusagt, so soll doch jedermann in
jedem Gefäß den Schatz der himmlischen Lehre erkennen, aus jedem Gefäß
denselben dankbar hinnehmen und zu seiner Seligkeit gebrauchen, dabei
eingedenk, dass Christus es ist, der, wie er jedem seiner Knechte seine
Pfündlein nach seinem Wohlgefallen verliehen, so auch bei der Berufung die
Auswahl unter seinen Dienern getroffen hat als der allein weiß, welcher Gaben
er sich zur Erbauung und zum Segen einer Gemeinde bedienen soll. Summa: Einen
jeden Prediger, der dir kraft seines Berufs, sei es als der Seelsorger der
Gemeinde, sei es als dessen Gehilfe oder zeitweiliger Stellvertreter Gottes
reines Wort predigt, sollst du für einen Diener Christi halten, der das Siegel
hat: „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet
mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat.“
Jedermann halte einen rechtschaffenen
Prediger zum anderen auch für einen Haushalter über Gottes Geheimnisse.
Gottes Haus ist die Gemeinde des lebendigen Gottes, wie Paulus 1. Tim. 3
schreibt, die Hausgenossen sind darum die Christen. Dieses Haus Gottes hat
seine Schätze und Güter, deren Besitzer und Nutznießer Gottes Hausgenossen
durch die Taufe geworden sind, davon sie leben, daran sie sich erquicken. Diese
Schätze und Güter sind in das Wort und in die Sakramente gefasst und diese
nennt der Apostel Geheimnisse: Denn ob sie wohl frei öffentlich
gehandelt werden, so kann sie doch menschliche Vernunft nicht begreifen und
allein nur der Glaube ergreifen. Weil nun der aber der HERR zur Verwaltung und
Austeilung dieser Güter durch die Gnadenmittel ein öffentliches Predigtamt
eingesetzt hat, so heißen in Bezug darauf Christi Diener „Haushalter über
Gottes Geheimnisse“. Das ist ihr eigentliches Amt!
Nun merkt! Sind Christi Diener Haushalter
über Gottes Geheimnisse, so sind sie ja freilich keine Herren,
wieder über diese Schätze noch über die Gemeinde, sondern eben Haushalter, die
als solche für ihre Verwaltung genaue Vorschriften von dem Hausherrn empfangen
haben. Wollen sie das aber das und nicht mehr sein, richten sie sich nach ihrer
Instruktion, predigen sie Gottes Wort rein und lauter, verwalten sie die
Sakramente nach Christi Einsetzung, so halte man sie auch für Gottes
Haushalter und meine nicht, dass Wort und Sakrament bei dem einen mehr und bei
dem anderen weniger zur Seligkeit kräftig und gesegnet sei. Und ferner merkt:
Damit alles ehrlich, d.i. zur Ehre Gottes und ordentlich im Haus Gottes zugehe,
so hat Gott sein Hausgesinde, je nach dem Ort, da es auf Erden wohnt, in verschiedene
kleine Häuflein abgeteilt und hat jedem Haushalter sein bestimmtes Häuflein
zugewiesen, das ausschließlich der Gegenstand seiner Sorge, seiner
Pflege, seiner Arbeit, seiner Hut sein soll, wie denn auch Petrus
den berufenen Bischöfen und Ältesten zuruft: „Weidet die Herde Christi, so
euch befohlen ist.“ Diese Häuflein sind die einzelnen Ortsgemeinden mit
ihren verordneten Predigern.
Wenn nun, meine Lieben, ein Christ als
Glied einer rechtgläubigen Gemeinde den Prediger derselben für den ihm von Gott
verordneten Haushalter über Gottes Geheimnisse in Wahrheit hält und dieser ihm
Gottes Wort rein und lauter predigt und sonst rechtschaffen in seinem Tun ist,
sollte er nicht gerade bei ihm am liebsten die Nahrung für seine Seele suchen,
als an den und nicht an einen anderen ihn Gott kraft des rechtmäßigen Berufs
gewiesen hat, als durch den und nicht durch einen anderen ihn Gott zur Seligkeit
erbauen will? Sollte er sich nicht auf den Sonntag freuen, da er zu Tisch sitzt
und der Haushalter oder dessen berufener Gehilfe ihm sein Gebühr gibt, zumal
wenn er zum Voraus weiß, dass derselbe jedes Mal aufs sorgfältigste sich auf
seine Predigt vorbereitet, um ihm, so viel er nur vermag, das Beste
vorzusetzen? Sollte er daher auch, wo der, so zu Tisch dient, im Tun oder
Lassen aus menschlicher Schwachheit es einmal ein wenig versieht, nicht solches
demselben zugute halten oder bescheiden vorhalten, desto mehr aber gegen andere
ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten zu kehren suchen
und das nicht allein, weil es das 8. Gebot, sondern auch das Amt und die
Wohlfahrt der Gemeinde fordert, damit mit Misstrauen in das Herz des Hausgesindes
gegen den verordneten Haushalter gesät wird? Eben deshalb auch schreibt der
Apostel: „Wir bitten auch, liebe Brüder, dass ihr erkennt, die an euch
arbeiten und euch vorstehen in dem HERRN und euch ermahnen. Habt sie desto
lieber um ihres Werkes willen und seid friedsam mit ihnen.“
Dafür also halte uns jedermann, nämlich
Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Das befiehlt nicht ein
Mensch, das befiehlt der HERR. Das ist aber das erste und nötigste, weil die
Grundlage der Erlangung und Bewahrung des Zutrauens zu einem rechtschaffenen
Prediger.
2.
„Nun sucht man an den Haushaltern nicht
mehr, als dass sie treu gefunden werden. Darum richtet nicht vor der Zeit.“
Das ist das Zweite.
Man muss ja freilich auch zusehen, dass ein
Prediger fähig und würdig für das heilige Amt erfunden werde.
Übergibt man doch schon in keinem weltlichen Haushalt, Geschäft und Amt die
Verwaltung einer unfähigen oder unwürdigen Person oder belässt sie in
demselben, wenn sie hernach sich als unfähig oder unwürdig erweist. Wie
vielmehr gilt solches in Betreff des Amtes, bei welchem es sich um Gottes Ehre
und der Seelen Seligkeit handelt. Allein die Frage nach der Fähigkeit und
Würdigkeit muss schon zur Genüge beantwortet sein, ehe man jemand durch den
Beruf das Haushalteramt übergibt. Wenn aber jemand, als fähig und würdig
erkannt, in das Amt gesetzt ist, was soll man dann an ihm suchen? Da ist
die Antwort des Apostels: Nichts anderes als Treue. Aber auch nur diese,
also nicht reiche Begabung, nicht glänzende in die Augen fallende Erfolge
der Amtswirksamkeit, nicht Ehre und Ruhm vor den Menschen; denn
eine reiche Begabung ist nicht unbedingt notwendig und der Erfolg, das Gedeihen
hängt allein vom HERRN ab und Ehre und Ruhm vor den Menschen ist sogar meist
ein schlimmes Zeichen für Christen, geschweige für einen Prediger, wie der HERR
spricht: „Wehe euch, so euch jedermann wohlredet.“ Aber die Treue ist
es, die man schon im häuslichen und bürgerlichen Wesen an einem Haushalter
sucht und sie bei einem sonst fähigen Verwalter höher anschlägt als den
Reichtum der Begabung.
Unmöglich kann nun hier der Apostel die
Treue des Herzens, die Lauterkeit und Wahrhaftigkeit der Gesinnung eines
Predigers meinen. Die muss allerdings vorhanden sein, denn aus der soll alle
andere Treue fließen, wenn sie Stich halten und nicht Schein sein soll. Aber ob
diese Treue auch nicht gar verborgen bleibt, so kann sie doch allein der HERR
suchen, denn er ist der Herzenskündiger. Die Treue, die der Zuhörer an seinem
Prediger suchen soll, muss eine für menschliche Augen leicht wahrnehmbare
Treue sein.
Da dem Prediger die Verwaltung der
Geheimnisse Gottes übertragen ist, so gehört ja freilich vor allem hierzu die
Treue in Verwaltung der ihm anvertrauten Gnadengüter selbst, dass er
einerseits sie vor Verfälschung bewahre und daher falsche Lehre tapfer
bekämpfe, andererseits, dass er sie rein und unverfälscht austeile, und zwar
nach der ihm von HERRN gegebenen Anweisung. Wenn er daher Gottes Wort rein und
lauter lehrt und die Sakramente nach Christi Einsetzung handelt; wenn er den
ganzen Rat Gottes zu unserer Seligkeit deutlich lehrt und von demselben nichts
verschweigt; wenn er Gesetz und Evangelium recht scheidet und wieder recht
verbindet; wenn er alles gottlose Wesen öffentlich und besonders straft und
sich nicht beirren lässt, ob es auch vielen Leuten übel gefällt, darüber Unruhe
und Zank selbst auch in der Gemeinde entsteht und man ihn darüber verkennt und
bedrängt; wenn er ebenso die Unverständigen zum Tisch des HERRN zu locken
sucht, den offenbar Unwürdigen den Zugang versagt und wenn er seine Kranken
seelsorgerlich betreut und sonst nach Maßgabe seiner Zeit und Kraft sich der
Privatseelsorge unterzieht: Siehe, so ist er treu in Betreff der ihm
anvertrauten Gnadengüter und damit der ihm anvertrauten Seelen.
Damit ist verbunden die Treue im Wandel,
denn der Prediger soll ja möglichst leben, was er lehrt, er soll ein Vorbild
der Herde sein und soll es immer mehr zu werden suchen in der Unanstößigkeit
des Wandels, in der Selbstverleugnung, im Eifer in guten Werken und im
geduldigen Ertragen der Leiden.
Das sind die beiden wichtigsten Stücke,
darin ein Prediger treu erfunden werden soll und kann. Doch sind damit noch
manch andere Erweisungen der Treue verbunden.
Dahin gehört zum Beispiel die Treue im Gebrauch
der verliehen Gaben, dass der Prediger dieselben zu wecken und zu mehren
und mit denselben der Gemeinde und, wo es von ihm gefordert sind und es möglich
ist, der ganzen Kirche zu dienen sucht. Man muss an ihm immer mehr wahrnehmen,
dass er nur seinem Amt lebt, dass er sich um Händel der Nahrung und um Händel
der Politik nicht kümmert, dass er überhaupt seine Hand von Dingen lässt, die
ihm nicht befohlen sind, sondern einfältig und mit aller Darangabe seiner zeit
und Anwendung seiner Kraft allein das tut, was ihm zu tun gebührt. Vor allem
aber gehört zu dieser Treue das fleißige und anhaltende Studieren und darum die
sorgfältige Vorbereitung auf die Predigten, da, wie die Apologie des
Ausgburgischen Bekenntnisses sagt, nichts die Leute mehr bei der Kirche hält
als eine gute Predigt. Wer seine Predigten aus dem Ärmel schütteln will, ist
gewiss ein untreuer Knecht. Er soll gleich sein einer Hausfrau, die zwar das
Kochen gelernt hat, aber die doch, so oft die Gäste bekommt, jede Mahlzeit aufs
neue herrichtet und dabei ihr Bestes zu tun sucht.
Und endlich gehört zu dieser Treue, dass
ein Prediger bei der ihm anvertrauten Gemeinde und in seinem Beruf aushält,
also nicht einmal ums andere auf eine Wegberufung denkt, oder das Amt
niederlegt, wenn es ihm nicht alsbald nach Wunsch geht, nicht flieht, wenn
Seuchen kommen, Kämpfe von außen und innen sich erheben und sonst auf allerlei
Weise ihm sein Amt schwer und sauer gemacht wird. Er4 soll ja nicht ein
Mietling sein, der flieht, sondern als ein guter Streiter sich leiden, der nur
dann seinen Posten verlässt, wenn es der Herr ihm offenbar heißt.
Das ist die Treue, darin ein Haushalter
über Gottes Geheimnisse vor Menschen erfunden werden soll. Mag dieselbe nun
auch ihre Grade und Stufen haben: Aber wo immer du sie erblickst,
da fasse ein herzliches Zutrauen zu denen, die am Wort und in der Lehre an dir
und anderen arbeiten und schließe deine Ohren und dein Herz vor denen zu, die
dich etwas anderes suchen lehren oder solches Zutrauen dir nehmen wollen. Diese
Treue ist die rechter Predigertugend, denn alles andere: viele Gaben, große
Gelehrsamkeit, hinreißende Beredsamkeit, einnehmende Persönlichkeit kann
mehr oder weniger fehlen und Gottes Reich doch gebaut werden; diese aber darf
nicht fehlen, ja, ohne sie können Begabung und Gelehrsamkeit sogar schädlich
werden. Sie allein nur hat die Verheißung des Segens. Sie allein suche um
deinet-, um des Predigers, um der Gemeinde willen. Suchst du mehr, sei
es Erwünschtes oder Verkehrtes, wie leicht kannst du unzufrieden werden mit der
in deinem rechtschaffenen Prediger dir geschenkte Gabe der göttlichen Güte, wie
leicht dich und andere in einen Missmut hineinreden und dich und sie um den
Segen bringen, den du doch haben könntest – und wie schwer kann da öffentlich
und heimlich einem treuen Diener Christi das Amt gemacht werden, dass er’s je
länger je mehr mit Seufzen tut, welches Seufzen ja denen nicht gut ist, die es
erwecken. Ach, es ist im tiefsten Grund doch nur Hochmut des Herzens, die
Sattheit und der Überdruss, ja, die verborgene angeborene innere Feindschaft
gegen den HERRN, wenn man mehr als solche Treue sucht!
Soll man nun aber an den Haushaltern nicht
mehr suchen, als dass sie treu gefunden werden, so soll man auch in Betreff
alles Übrigen nicht vor der Zeit richten. Deshalb setzt der Apostel
hinzu: „Mir aber ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder
von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir
wohl nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der HERR ist’s
aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der HERR komme,
welcher auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rat
der Herzen offenbaren; alsdann wird einem jeglichen von Gott Lob widerfahren.“
Dass hier nicht vom Richten und Urteilen
über die Lehre die Rede ist, liegt wohl auf der Hand. Ist doch gerade
die Reinheit der Lehre ein Hauptstück der Treue, die man an einem Prediger
suchen soll und ist Richten und Urteilen über die Lehre so sehr Christenrecht
und Christenpflicht, dass der verflucht sein soll, welcher dies Recht „auch nur
um ein Härlein kränkt“ und derjenige sich und anderen großen Schaden tut,
welcher solche Pflicht unterlässt. Es ist vielmehr ein Richten „vor der
Zeit“, ein Richten, das man erst dem Jüngsten Tag überlassen soll, das
daher auch ein Paulus nicht einmal über sich selbst zur letzten Entscheidung
vorzunehmen wagt, sondern es dem allwissenden, aber auch gnädigen und
barmherzigen Richter Jesus Christus anheim stellt.
Dies unzeitige und darum vermessene und
schädliche Richten betrifft vornehmlich den Grad der Treue eines
Predigers, den Erfolg seiner Arbeit und den Rat seines Herzens.
Was nämlich den Grad der Treue
betrifft, so sagt namentlich von diesem selbst ein Paulus von sich: „Ich bin
mir wohl nichts bewusst (nämlich keiner Amtsuntreue), aber darin bin ich nicht
gerechtfertigt, der HERR ist’s aber, der mich richtet.“ So ist es auch mit
dem Urteil über den Erfolg der Arbeit. Wie falsch kann oft da die
Vorstellung von dem sein, was man überhaupt oft auch in kirchlichen Dingen
„Erfolg“ zu nennen pflegt und man noch mehr kann das Urteil über die wahren Ursachen
einer scheinbaren oder wirklichen, größeren oder geringeren Erfolglosigkeit
irrig sein. Wie mancher fähige und treue Knecht darf vielleicht zu seiner
Arbeit Demütigung und Läuterung keine oder doch nur geringe Erfolge seiner
Arbeit sehen, und doch wird der HERR, wenn er kommt, seines Knechtes
Treue, seine Gebete, sein Ringen, seine Selbstverleugnung, seine vielen Leiden
und seine Geduld offenbaren, aber auch die bis dahin verborgenen schönen
Erfolge seiner Arbeit am Wort und so ihm Lob widerfahren lassen, je mehr es ihm
der Menschen Kurzsichtigkeit und Unverstand verweigerten. Dagegen wie mancher,
der nach der Menschen Urteil vielleicht große Dinge ausgerichtet hat, wird von
dem HERRN einst ein ganz anderes Urteil über seine Erfolge vernehmen und wir
gar manches ihm in Gottes Buch nicht als Lob angerechnet sein, sondern im
besten Fall unter der Rubrik vergebener Sünden stehen. Vollends aber lässt sich
bei einem sonst treu und lauter erfundene Prediger über den Rat seines
Herzens, über seine Gesinnung , und auch nicht immer und von jedermann über
die Richtigkeit seiner Beweggründe und seiner Handlungsweise
in so manchen schwierigen Fällen recht urteilen.
Darum „richtet nicht vor der Zeit, bis
der HERR komme, welcher wird auch ans Licht bringen, was im Finstern verborgen
ist und den Rat der Herzen offenbaren, alsdann wird einem jeglichen von Gott
Lob widerfahren“ – Lob jeglichem rechtschaffenen Prediger, den der
HERR treu erfunden hat, Lob aber auch jedem rechtschaffenen Zuhörer, der
sich vor unzeitigem und vermessenem Richten
über Christi Diener gehütet hat, da dasselbe doch nur Zerstörung des so
nötigen Zutrauens zu den berufenen Dienern -Christi und allerlei Verwirrung
anrichten kann. Wie ein Ehegatte, der von seines Gemahls Treue überzeugt ist,
für jede Zunge, und wäre es auch die eines nahen Anverwandten, unzugänglich
sein muss, wenn sie Misstrauen gegen dasselbe ins Herz zu säen sucht, so auch
die Zuhörer gegen alles unzeitige und vermessene Richten seines Seelsorgers,
den er treu erfunden hat.
Meine teuren und herzlich geliebten
Zuhörer! Durch den rechtmäßigen Beruf stiftet der HERR das innigste und
gesegnetste geistliche Verhältnis. Das ist das Verhältnis zwischen Prediger und
Gemeinde. Helfe er denn in Gnaden, dass wir, eure berufenen Prediger, immer
treu gefunden werden und ihr für seine Gnade immer dankbarer werdet, damit,
wenn er erscheinen wird in seiner Herrlichkeit und beiderseits von ihm Lob
widerfährt – uns wegen der Ausrichtung,
euch wegen dem Gebrauch unseres Amtes und so jeglicher die fröhliche
stimme höre: „Ei, du frommer und treuer Knecht; du bist über Wenigem treu
gewesen, ich will ich über viel setzen, ehe ein zu deines HERRN Freude!“
Amen.
Gebet:
Barmherziger, ewiger Gott, wir danken dir von Herzen, dass du uns arme
gebrechliche Menschen zu Haushaltern über deine göttlichen Geheimnisse gesetzt
hast. Weil wir aber solchen Schatz in irdischen Gefäßen tragen und ohne deine
Hilfe dieses hohe Amt nicht recht verrichten können, so bitten wir dich
demütig, du wollest durch deinen Heiligen Geist uns Lehrer und Zuhörer
regieren, damit wir beiderseits in deinem Dienst treu gefunden werden, und an
jenem Tag, wen du den Rat der Herzen offenbaren wirst, von dir die Krone der
ewigen Ehren und ewiges Lob empfangen – durch Jesus Christus, deinen lieben
Sohn, unseren HERRN. Amen.
Lied:
Wir danken dir, du treuer Gott
Lied:
Jesu, meine Freude
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der
da war und der da ist und der da kommt. Amen.
Philipper
4,4-7: Freut euch in dem HERRN allewege; und abermals sage ich: Freut euch!
Eure Lindigkeit lasst kund sein allen Menschen. Der HERR ist nahe. Sorgt
nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitte im Gebet und Flehen mit
Danksagung vor Gott kund werden. Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn
alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!
Wie mächtig, unsere Lieben, ruft uns in der
Nähe des Weihnachtsfestes diese letzte Adventsepistel zur Freude auf! Wie ist
sie in klaren, einfachen, kurzen und doch reichen Worten so ganz und gar
Ausdruck der Stimmung, die in allen Lagen eigentlich die herrschende und
bleibende eines Christenherzens ist, zu Zeiten jedoch auch mächtig herausbricht
und wo dann der freudige Geist, der da ist ein Geist der Gnaden und des Gebets,
dem beschwerten Herzen alle Last abnimmt und man zur Erquickung und Stärkung
für den weiteren Kampfes- und Leidensweg auf Tabors Höhe steht.
Lasst uns jedoch heute einmal unser
Augenmerk ausschließlich auf die Stelle der heutigen Epistel richten, welche
wir nicht nur jährlich einmal, nämlich am vierten Adventssonntag, vernehmen,
sondern an jedem Sonn- und Festtag und so oft wir zur Verkündigung des Wortes
versammelt sind. Es ist dies nämlich das Schlusswort: „Und der Friede
Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in
Christus Jesus.“ Diese Worte bilden in unserer Kirche bekanntlich den
Abschjedswunsch und Abschiedsgruß, mit welchem der Prediger die Kanzel zu
verlassen pflegt und könnte es wohl kaum ein passenderes Votum geben. Aber wer
sieht dieses segnende Abschiedswort wohl für etwas mehr an als für eine bloße
Zeremonie, für einen bloß äußerlichen Gebrauch? Wer denkt über seinen Inhalt
nach? Wer fragt sich, ob er auch dieses Friedens teilhaftig sei? Wer ist
bedacht, diesen hier gewünschten und angebotenen Frieden zu bewahren, so er ich
angenommen hat, dass er ihn wieder bewahre? Ach, weil man dies Wort fort und
fort hört, so geht es ihm wie dem Vaterunser, das man fort und fort betet.
Euch zum Verständnis und Gebrauch dieses
Abschiedswunsches und Abschiedsgrußes der Diener des Worts anzuleiten, spreche
ich zu euch
Von dem Frieden Gottes
Und
zeige euch
1.
Dessen Art
und
2.
Dessen Macht.
Lieber
HERR Jesus, dein Nahesein
Bringt
großen Frieden ins Herz hinein
Und
dein Gnadenanblick macht uns so selig
Dass
auch das Gebeine darüber fröhlich
Und
dankbar wird.
Darum sei auch laut deiner Verheißung jetzt
mitten unter uns, die wir in deinem Namen versammelt sind, zu hören alles, was
uns auf deinen Befehl voll verkündigt werden. Lass uns in der Predigt deines
Wortes deinen Friedensgruß vernehmen, sprich durch denselben deinen Frieden in
unser Herz, erfülle in ihm und durch ihn dasselbe mit umso größerer
Adventsfreude. Amen.
1.
Was ist das für ein Friede Gottes, der hier
gewünscht, ja, durch dies Wort mitgeteilt wird? Es ist kein leiblicher,
sondern ein geistlicher Friede, denn er besteht nicht in irdischem Glück
und Wohlsein, sondern in dem ruhig gewordenen Gewissen eines durch den Glauben
gerecht gewordenen Menschen und in der inneren Befriedigung und Ruhe der Seele,
wie sie die Erkenntnis Gottes und die Gemeinschaft mit ihm gewährt. Es ist
daher auch kein Friede, wie ihn die Welt gibt, sondern ein Friede von ganz wunderbarer
Beschaffenheit.
Der gefallene Mensch befindet sich in einem
Kriegszustand, in einer tief innerlichen Feindschaft gegen Gott, welche bei
Manchen in offenbaren Lästerungen der göttlichen Majestät, nicht selten aber
bei vielen zur Zeit der Trübsal in Klagen, Murren, feindseligen, giftigen
Worten gegen die göttliche Majestät herausbricht und sonst sich im Undank gegen
Gottes Wohltaten und im Ungehorsam gegen seine heiligen Gebote zeigt. Dabei
hält das böse, unversöhnte Gewissen Menschen in einer knechtischen Furcht
gefangen und erfüllt ihn bei dem Gedanken an Tod und Gericht mit Unruhe, Angst
und Schrecken. Ach, und dabei ist er ganz und gar in der Gewalt des Teufels und
hält es ganz und gar mit diesem abgesagten Feind Gottes und der Menschen, dem
Lügner und Mörder von Anfang, und möchte, wenn es möglich wäre, gleich ihm den
Allerhöchsten vom Thron stoßen. Unmöglich kann an solchen Geschöpfen Gott ein
Wohlgefallen haben. Aber siehe, aus unergründlichem Erbarmen hat Gott seinen
eingeborenen Sohn Mensch werden lassen, dass er unser Mittler, unser
Friedensstifter, unser Friedefürst sei. Durch sein stellvertretendes Leiden und
Sterben sollte er der göttlichen Gerechtigkeit ein Genüge leisten und so aus
dem Weg schaffen, was den feuerbrennenden Zorn des erregen muss, der gesagt hat:
„Ihr sollt heilig sein, den ich bin heilig“; durch Erwerben und Senden des
Heiligen Geistes aber sollte er unsere verderbte Natur verändern und heiligen
und so aus unserem Herzen die Feindschaft gegen Gott nehmen. Eben darum haben
die himmlischen Heerscharen in der heiligen Weihnacht gesungen: „Ehre sei Gott
in der Höhe und Friede auf Erden und dem Menschen ein Wohlgefallen“,
eben darum singen wir ihnen mit der Kirche alle Sonn- und Festtage nach:
Allein
Gott in der Höh sei Ehr
Und
Dank für seine Gnade,
Darum,
dass nun und nimmermehr
Uns
rühren kann kein Schade.
Ein
Wohlgefalln Gott an uns hat,
Nun
ist groß Fried ohn Unterlass,
All
Fehd hat nun ein Ende.
Und nun merkt! Wenn wir durch Wirkung des
Heiligen Geistes aus freier göttlicher Gnade das recht erkennen; wenn wir von
Herzen glauben, dass Gott um Christi willen uns alle unsere Sünden vergeben hat
und in ihm uns für gerecht ansieht und zu seinen Kindern und zu Erben des
ewigen Lebens annimmt – dann, o meine Geliebten, ist der am Kreuz errungene und
im Evangelium verkündigte Friede unser Eigentum geworden und in unser Herz
gekommen, denn so bezeugt Paulus: „Nun wir denn sind gerecht geworden durch
den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott.“ An die Stelle des verdammenden
Gewissens tritt ein ruhig gemachtes Gewissen, an die Stelle der vorigen
Feindschaft, des Argwohns und Misstrauens gegen Gott eine herzliche Zuneigung
zu Gott und ein kindliches Vertrauen gegen ihn, das sich von dem versöhnten
Vater alles Guten versieht und in jedem Anliegen zu ihm seine Zuflucht nimmt.
So kommt aus dem Frieden mit Gott der Friede in Gott, jene Ruhe
der Seele in Gott und in seinen unwandelbaren Verheißungen, da man durch die
Anklagen des Gewissens, durch den Fluch des Gesetzes, durch die Frucht des
zeitlichen und ewigen Todes, durch das Bedrängen durch den Teufel und die Welt
von Zeit zu Zeit zwar sehr angefochten werden kann, aber immer seinen festen
Halt behält und daher mit einem Paulus spricht: „Wer will die Auserwählten
Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht! Wer will verdammen?
Christus ist hier, der gestorben ist, ja, vielmehr, der auch auferweckt ist,
welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns! Wer will uns scheiden von der
Liebe Gottes? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder
Gefahr oder Schwert? … Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder
Engel noch Herrschaften, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Kräfte,
weder Hohes noch Tiefes noch keine andere Kreatur kann uns scheiden von der
Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem HERRN.“
Weil nun aber dieser Friede Gottes nach des
Apostels Wort „höher ist als alle Vernunft“, so muss er von ganz wunderbarer
Beschaffenheit sein.
Ja freilich kann sich die menschliche
Vernunft diesen Frieden nicht denken, vermag ihn nicht zu begreifen; es heißt
auch hier: „Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes, es ist ihm
eine Torheit und kann es nicht erkennen, denn es muss geistlich gerichtet
sein.“ Nach dem Urteil der Vernunft kann man den Frieden Gottes nur aufgrund
eigenen Wohlverhaltens und eigener Gerechtigkeit erlangen – ist’s daher
vor ihr nicht seltsam, dass dieser Friede erworben ist durch eine fremde
Gerechtigkeit, das man ihn durch den Glauben hat, ja, allein durch den
Glauben haben kann, da das aufgeweckte Gewissen sich nicht mit Werken stillen
lässt, sondern vielmehr immer unruhiger, immer verdammender wird, je mehr man
den Frieden in seinen Werken sucht? Unmöglich kann sich daher die Vernunft
darein finden, dass auf diesem Weg auch die größten Sünder zum Frieden Gottes
alsbald gelangen und so mit den größten Heiligen Kinder und Erben Gottes sein
sollen, ja, dass auch ein tiefgefallener David und Petrus des verlorenen
Friedens wieder teilhaftig und ein Schächer noch in der letzten Stunde mit ihm
begnadigt sein soll. – Menschliche Vernunft weiß ferner von keinem anderen
Frieden, als von einem solchen, der in der zeitlichen und leiblichen Sicherheit
und Ruhe besteht, oder, wo je eine Störung des leiblichen Wohlbefindens und
irdischen Glücks eingetreten ist, in der sofortigen Beseitigung dieser Störung.
Ist’s daher nicht gegen und über alle Vernunft, wenn derjenige, in welchem der
Friede Gottes wohnt, nicht alsbald darauf denkt, wie er des zeitlichen
Ungemachs und Leidens nur schnell wieder los sein könnte, sondern vielmehr vor
allem unter Gottes gewaltige Hand sich demütigt und sorgt, dass er Gott
geduldig still halte, wie lange die Trübsal auch wäre, dass er dann an Gottes
Treue sich hält, die ich nicht versucht werden lässt über sein Vermögen und an
die Versicherung, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen
müssen, die nach dem Vorsatz berufen sind und dass daher der HERR die Seinen
nach einem ewigen Rat leitet, und, wie wunderlich und seltsam er auch sie
führt, doch endlich sie mit Ehren annimmt? Ach ja, meine Lieben, dass ein David
rufen kann: „Meine Seele ist still zu Gott, der mir hilft, denn er ist mein
Hort, meine Hilfe und mein Schutz, dass mich kein Fall stürzen wird, wie groß
er ist!“ – dass ein Paulus sich der Trübsale rühmt und mit ihm jeder gläubige
Christ reich in der Armut, stark in der Schwachheit, fröhlich in der
Traurigkeit, getrost und unverzagt mitten in Angst und Schrecken sein, Unglück
für Glück, Hindernis für Förderung, den Tod für das Leben ansehen und deshalb
in aller Bedrängnis zur Welt und zum Teufel sagen kann: „Nur immer drauf los!
Ihr gedenkt, es böse mit mir zu machen, aber Gott gedenkt, es gut mit mir zu
machen, ja hat alles bei sich schon wohlgemacht!“ – kurz, dass ein
gläubiger Christ wie ein Gefäß mit Waser erscheint, bei dem das Öl, welches man
auf das Wasser gegossen hat, immer oben schwimmt, man rüttle und schüttle es,
wie man wolle: - Das kommt her von dem Frieden Gottes, das ist’s aber auch,
warum es ein Friede ist, der über alle Vernunft geht. J, auch für den, der ihn
hat, geht er „über alle Vernunft“, denn er ist ein so hohes Gut und ein
so edler Schatz, dass wir ihn in dieser Schwachheit nicht genug verstehen
können und sein genugsam zu gebrauchen wissen. Dazu kommt, dass, obschon wir
bald mehr oder weniger den Frieden Gottes schmecken und fühlen,
er doch auch zu Zeiten unserer Übung im Glauben an das bloße Wort in unserem
Inneren sich wieder so verbergen muss, dass wir gar nichts von ihm fühlen und
schmecken, ja in Zeiten hoher geistlicher Anfechtung statt seiner eitel
Schrecken vor Gottes Zorn, Höllenangst und Höllenmarter empfinden.
Dass nun der Apostel bei diesem Frieden mit
Gott und in Gott auch an den Frieden der Gläubigen untereinander denkt,
zeigt nicht nur die Verbindung seiner Worte mit den vorausgehenden Worten der
Epistel und dieser wieder mit den vorausgehenden Worten des 4. Kapitels,
sondern auch die Sache selbst, denn aus dem Frieden Gottes in den Herzen der
Gläubigen erwächst ja der Friede derselben untereinander. Ruft doch auch der
HERR: „Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.“
Gewiss, ein Friedensstörer, ein Stänker kann man unmöglich sein, wenn man den
Frieden Gottes hat. Allein, vergessen wir nicht, dass auch dieser Friede
„höher ist als alle Vernunft“. Der natürliche Mensch vernimmt auch hier
nichts vom Geist Gottes, es muss auch hier geistlich gerichtet sein. Es meint
nämlich die Vernunft, unter den Christen dürfe keinerlei Streit und Unruhe
vorkommen, da müsse alles voll Liebe und Friede sein. Damit in der christlichen
Gemeinschaft keinerlei Unruhe entstehe, solle man es daher mit dem Verhalten
der Leute nicht so genau nehmen, solle nur öffentlich und auch privat das
Gröbste strafen, oder, wenn die Leute die Strafe nicht leiden wollen, lieber
noch etwas zur Beschwichtigung nachgeben. Vollends aber solle man es mit der
Lehre nicht so genau nehmen, solle nicht gegen andere Kirchen predigen und
schreiben, sondern um des Friedens willen vorhandene Lehrunterschiede übersehen
und die Ansichten anderer auch gelten lassen, ja solle bei einem ausbrechenden
Streit um die Lehre hier möglichst viel nachgegen, wenn man eine drohende
Trennung und Spaltung damit verhüten kann. Nein, auch hier geht der Friede über
alle Vernunft; denn durch das Festhalten an Gottes Wort gegen alles Ungöttliche
in Lehre und Leben und durch das entschiedene unwandelbare Zeugnis der Wahrheit
wird nur der faule Friede gestört und beseitigt, und wie viel Unruhe und Rumor
auch darüber entsteht, die Wahrheit bleibt auf dem Plan und einigt die Herzen
und reinigt die Gemeinschaft von dem, was nicht aus der Wahrheit ist und kommt
aus solchem Streit und solcher Unruhe erst ein rechter gründlicher und
dauerhafter Friede der Gläubigen untereinander, die dann nur umso fester
zusammenstehen, wie oft auch der Teufel noch Unruhe erregen will.
Seht, das ist der Friede Gottes seiner Art
nach. Es ist ein geistlicher Friede, es ist ein Friede von ganz wunderbarer
Beschaffenheit.
2.
Der Apostel zeigt uns diesen Frieden jedoch
auch in seiner Macht, indem er von demselben den Philippern wünscht: „Der
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“
Sprachkundige Schriftforscher erinnern,
dass das hier von dem Apostel in seiner Sprache gebrauchte Wort eine Bewahrung
bedeute, wie sie durch die starke militärische Besetzung einer Festung
stattfindet, so dass alle feindliche Anläufe zuschanden werden.
Ein treffliches Bild! Eine köstliche
Versicherung! Ja, wir Christen sind allerdings in dieser Welt wie eine fort und
fort umlauerte und einmal ums andere angelaufene Festung. Hat uns doch Christus
von der Welt erwählt und ist doch jedes Christenhäuflein eine in Feindesland
errichtete Festung. Und es sind keine zu verachtenden Feinde, die gegen uns
anstürmen; denn das sind einerseits die Geister der Finsternis, die in der
Finsternis dieser Welt herrschen, die höllischen Legionen, und andererseits ist
es die im Argen liegende Welt, die ungläubige wie die falschgläubige Welt, die
Welt nicht nur außerhalb der wahren sichtbaren Kirche, sondern auch die Welt
innerhalb derselben, da allezeit Gottlose und Heuchler als Unkrautsame den
rechten Christen beigemischt sind. Der aber die Belagerung allemal betreibt,
die Welt als seine Bundesgenossin und Vasallin dazu aufstachelt, den
Angriffsplan entwirft und die ganze Belagerung leitet, das ist der Fürst der
Finsternis, das ist Satan, der die ganze Welt verführt, der darum auch der
„Fürst der Welt“ heißt, und von dem die Kirche singt:
Groß
Macht und viel List
Sein
grausam Rüstung ist,
Auf
Erd ist nicht seinsgleichen.
Auch
und in uns selbst wohnt, so lange wir noch in der Welt sind, als lauernder
Spion und Verräter das eigene verderbte Fleisch und können wir gegen dasselbe
nicht genug auf der Hut sein und müssen ihm immerdar das Gesetz als Riegel
vorschieben.
Doch getrost, meine Lieben! So lange der
Friede Gottes in uns wohnt, so lange sind wir gleich einer uneinnehmbaren
Festung, denn dieser Friede „bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus
Jesus“. Mag der Lügner von Anfang noch so viele Irrtümer und Ketzereien auf
die Bahn bringen und durch seine Apostel, die falschen Propheten, mit Gottes
Namen schmücken und als Wahrheit ausbreiten lassen, er berückt Herz und Sinne
nicht, denn wo der Friede Gottes ist, da ist Herz und Sinn einfältig auf das
Wort gerichtet und vor allem leuchtet im Herzen der Artikel von der
Rechtfertigung des armen Sünders allein durch den Glauben. Und mag die Welt5
uns in Verbindung mit unserem Fleisch und Blut und mit dem Zauber, mit welchem
der Teufel ihre Dinge umgibt, noch so sehr reizen, bald zur Augenlust, zum
Geiz, zum Mammonsdienst, bald zur Fleischeslust durch mancherlei Genüsse, bald
zum hoffärtigen Wesen durch Vernunftweisheit, Ehre, Macht und Pracht, oder mag
sie uns bedrohen durch Hass und Verfolgung, uns zaghaft und gegen sie
nachgiebig machen – der Friede Gottes bewahrt auch hier Herz und Sinne in
Christus Jesus, denn er erhält unser Herz bei dem Einen, dass wir seinen Namen
fürchten.
Das ist die Macht des Friedens
Gottes, der höher ist als alle Vernunft.
Steht es nun aber so mit diesem Frieden,
ist das seine Art und seine Macht5, so ist und bleibt da
derjenige ein glückseliger Mensch in Zeit und Ewigkeit, welcher diesen Frieden
besitzt und muss dagegen der ein ganz unglückseliger Mensch sein, welchem
dieser Friede fehlt, welcher entweder von demselben nie etwas erfahren oder denselben
wieder verloren hat. Man ist auch ohne diesen Frieden unglücklich. Man ist es,
selbst wenn man von dem Frieden nach der Vernunft, vom irdischen und zeitlichen
Glück, ein gut Teil vor anderen genießt und die Leute einen als Glückskind
betrachten; aber vollends unglücklich ist man, wenn einem auch der leibliche
Friede fehlt, wenn Armut, Krankheit, Verachtung, Unglück in der Ehe oder an den
Kindern das irdische Los ist. Geht’s dem Menschen äußerlich wohl, so zeigt er
doch Kains unstetes und flüchtiges Wesen, zumal, wenn er Sünde auf Sünde gegen
das Gewissen häuft; wie eilt er von Genuss zu Genuss, von einer Unternehmung
zur anderen, wie wechselt er oft Wohnung und Lebensstellung, ja, wie manchmal
verrät das Auge, dass dem Herzen der wahre Friede fehlt. Warum macht heutzutage
sogar mancher Glückliche mit eigener Hand seinem Leben ein Ende? Fehlt dem
armen Menschen aber vom Teil in diesem Leben viel, fehlt ihm zuletzt auch das Wenige,
das er besessen, o dann verzehrt ihn je länger, je mehr der Unmut und
verbittert und erschwert ihm das Leben; dann gerät er immer mehr ins Murren
gegen Gott und Menschen und ins Grollen gegen die bestehende Weltordnung, und
kein Wunder ist’s, wenn man zuletzt ihn sieht wandeln im Rat der Gottlosen und
der heutigen Umstürzler und treten auf den Weg der Sünder und sitzen, da die
Spötter sitzen. Und ebenso wenig kann es fehlen, dass der, welchem der
innerliche Gottesfriede fehlt, auch anderen keinen Frieden lassen kann, ein
Friedensstörer und Unruhestifter immer mehr wird und so auch anderen das Leben
schwer und sauer macht.
O darum ihr, die ihr diesen Frieden Gottes
nie erfahren oder wieder verloren habt, erkennt doch, wie es um euch steht und
forscht nach der Quelle, aus der eure ganze Friedlosigkeit quillt! Ach,
verstopft sie beizeiten durch rechtschaffene Buße und sucht den HERRN, weil er
zu finden und mit seinem Frieden nahe ist.
Ihr aber, die ihr aus Gottes grundloser
Barmherzigkeit und nach seiner freien Gnade durch den Glauben seines Friedens
teilhaftig geworden seid und nach derselben unverdienten Gnade ihn noch bis auf
diese Stunde besitzt, dankt Gott heute aufs neue für seine Gnade. Vergesst aber
nicht, dass man durch eigene Schuld den geschenkten Frieden gleichwohl wieder
verlieren kann. Darum heutet, hütet ihn ohne Unterlass. Pflegt und nährt ihn
vielmehr nach der Anweisung, welche uns der Apostel in der heutigen Epistel
gibt. Dafür lest und betrachtet sie oft, ja, lest das ganze Kapitel, aus dem
diese Freuden- und Friedensepistel genommen ist. Seht, was der Apostel hier
wunschweise ausspricht, ist eigentlich versicherungsweise geredet und steht es
nicht da als ein bloß angehängter apostolischer Segenswunsch, sondern als ein
mit dem Vorausgehenden zusammenhängendes Wort. Da erblicken wir nämlich in der
Freude in dem HERRN die Quelle und in der allen Menschen kundwerdenden Lindigkeit
und in jener heiligen Sorglosigkeit, da man betend und dankend alle
seine Anliegen auf den nahen HERRN wirft, zwei der herrlichsten Früchte
und Erweisungen des Friedens Gottes. Zur Pflege, zur Nahrung, Mehrung
und Erhaltung desselben ruft uns daher reizend und lockend der Apostel zu: „Freut
euch in dem HERRN allewege und abermals sage ich euch: Freut euch. Eure
Lindigkeit lasst kund sein allen Menschen. Der HERR ist nahe! Sorgt nichts,
sondern in allen Dingen lasst eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor
Gott kund werden: Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ Ja, in dieser Freude und
ihren Früchten und Erweisungen wird der Friede Gottes Herzen und Sinne
bewahren.
Und nun, meine Leben, welch eine Einladung
zu einer wahrhaft fröhlichen und seligen Weihnachtsfeier ist doch diese ganze
Epistel mit dem Wunsch und der Versicherung des Friedens durch den und in dem,
der da heißt Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewigvater, Friedefürst! Und wie ist
doch in diesem von der Kirche zum Abschied vom Predigtstuhl gebrauchten
apostolischen Wort der Versicherung und des Anwünschens des göttlichen Friedens
die Summe einer jeden erhörten evangelischen Predigt so lieblich zusammengefasst!
Der HERR tue uns darum nach jedem Hören der Predigt für dieses Wort immer
wieder aufs neue das Herz auf und verleihe, dass wir durch den Geist der Gnaden
und des Gebets immer von neuem dazu sprechen: Amen, das ist gewiss wahr! Amen,
Amen, ja, ja, es soll so geschehen! Amen.
Gebet:
Barmherziger, gnädiger Gott und Vater, du selbst hast uns geboten, unsere Bitte
im Gebet und Flehen mit Danksagung vor dir kund werden zu lassen, so bitten wir
denn, o HERR: Bereite besonders in dieser Gnadenzeit unsere Herzen und schmücke
sie mit deinem Frieden, welcher höher ist als alle Vernunft, zu einer reinen
Wohnung deines lieben Sohnes, damit, wenn derselbe bei uns einkehrt, wir ihn
mit Freuden aufnehmen und in seiner seligen Gemeinschaft dich allezeit mit
fröhlichem Mund rühmen können: Durch denselben Jesus Christus, unseren HERRN.
Amen.
Lied:
Jesu, meines Herzens Freud. Oder: Freuet euch, ihr Christen alle.
Gelobet
seist du, Jesus Christ,
Dass
du Mensch geboren bist
Von
einer Jungfrau, das ist wahr,
Drum
freuet sich der Engel Schar.
Kyrieleis.
Ach ja, Kyrielies, erbarme dich! Denn nicht
der Engel Natur hast du angenommen, sondern der Menschen Natur, nicht den
Engeln zugute bist du in menschlicher Gestalt auf Erden und unter den Sündern
erschienen, sondern uns Menschen zugute! O, dass darum vor allen Dingen wir
Menschen uns mit den Engeln deiner Geburt von Herzen freuten! Aber, o Heiland,
obwohl allen Menschen ohne Ausnahme in dir die heilsame rettende Gnade und die
Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes gegen die verlorene Sünderwelt erschien,
so findest du doch auch heute noch so wenige, die von solcher Freude in
Wahrheit wissen, dagegen viele, die dir sogar feind sind. Und bei diesen
wenigen ist die Freude noch immer nicht so groß, wie sie sein sollte, sondern
meist noch gar klein. Erbarme dich, o erbarme dich unser. Erscheinen an diesem
Fest in deinem Wort als der Aufgang aus der Höhe denen, die da noch sitzen in
Finsternis und Schatten des Todes und denen, welche ein klein wenig angefangen
haben, sich deiner allein zu freuen und zu trösten. Lege darum die
Freudenbotschaft jetzt nicht allein auf meine Lippen, der du sie ja gleich den
Menschen aufgetragen hast, nachdem Engelmund sie gebracht hat, sondern bringe
sie hinein in die Herzen aller, die sie jetzt aus deinem Wort durch meinen Mund
vernehmen sollen.
O
Jesus, schöne Weihnachtssonne,
Bestrahle
uns mit deiner Gunst,
Dein
Licht sei unsre Weihnachtswonne
Und
lehre uns die Weihnachtskunst,
Wie
man im Lichte wandeln soll
Und
sei des Weihnachtsglanzes voll.
Amen.
Titus
2,11-14: Denn es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen und
züchtigt uns, dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die
weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt und warten auf die selige Hoffnung und
Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsers Heilandes Jesus
Christus, der sich selbst für uns gegeben bat, damit er uns erlöste von aller
Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das fleißig
wäre zu guten Werken.
„Kündlich groß ist das gottselige
Geheimnis: Gott ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen
den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt von der Welt, aufgenommen in die
Herrlichkeit.“ So Geliebte, predigt der große Heidenapostel in seinem
ersten Brief an Timotheus, Kap. 3,16, von der heute vor über 2024 Jahren
geschehenen Menschwerdung Gottes. Aber ist es etwas anderes, was wir jetzt so
eben von ihm aus seinem Brief an Titus vernommen haben? Ist doch derselbe
gleichsam wie eine Auslegung und Anwendung jener Worte von dem kündlich großen
Geheimnis der Gottseligkeit und darum mit sicherem Takt zur eigentlichen
Epistel für den Hauptgottesdienst des Weihnachtsfestes von der alten Kirche erwählt,
gleichwie das für denselben bestimmte Evangelium die Geschichte der Offenbarung
Gottes im Fleisch verkündigt, die da geschehen ist zu Bethlehem und die der
HERR dort durch die Engel den Hirten und dann durch sie und von ihnen an durch
eine Wolke von Zeugen und kundgetan hat.
….[31] Hernach
hat der menschgewordene Heiland in einer großen Feier- und Freudenstunde
ausgerufen: „Ich preise sich, Vater und HERR Himmels und der Erden, dass du
solches den Weisen und Klugen verborgen hast und hast es den Unmündigen
offenbart. Ja, Vater, denn es ist so wohlgefällig gewesen vor dir.“ Matth.
11,25.26. Und als ihm bei seinem Einzug in Jerusalem nicht nur der Mund der von
den werk- und wissensstolzen Pharisäern und Schriftgelehrten für unmündig in
geistlichen Dingen erachteten Jünger, sondern auch der Mund der unmündigen
Kinder mit laut schallender Stimme ein Hosianna um das andere zujauchzte und
jene stolzen sich darüber voll Entrüstung aufhielten, antwortete er: „Habt ihr
nie gelesen: Aus dem Mund der Unmündigen und Säuglinge hast du Lob zugerichtet.“
(Matth. 21,16; Ps. 8,3.) Eine feine Sitte von sinniger Bedeutung daher, mag man
in christlicher Freiheit mit einem Kindergottesdienst das Fest einleiten oder
schließen. Es ruft uns dann dieselbe auch das gar nachdrücklich zu: „Wahrlich,
ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr
nicht in das Himmelreich kommen.“ (Matth. 18,3.) Es bleibt ja alles predigen
von diesem Geheimnis auch durch den Mund eines Mannes von großer Gelehrsamkeit
und Beredsamkeit nur Kindeslallen. Genug, wenn es dann aus einem Kinderherzen
erschallt und mit einem Kinderherzen gehört wird.
O, so möge Gott mir und euch jetzt euch ein
Kinderherz geben, wenn ich besonders mit einem Kindesmund von diesem Geheimnis
so lalle, dass ich in jene Worte des Paulus das Thema meiner Predigt fasse und
dieses mit unserer Epistel auslegen oder auszustreichen versuche.
Die Offenbarung Gottes im Fleisch als das kündlich große Geheimnis
der Gottseligkeit
In diese apostolischen Worte fasse ich den
mein Thema und zeige nach unserer Epistel diese Offenbarung Gottes
1.
Als das
kündlich große Geheimnis, und
2.
Als das
Geheimnis der Gottseligkeit
1.
1. Nachdem Gott auf mancherlei Weise den
Vätern erschienen ist und zu ihnen geredet hat, so ist er zuletzt im Fleisch
erschienen, d.i. das ewige, wesentliche Wort ist Fleisch, der eingeborene Sohn
vom Vater voller Gnade und Wahrheit ist Mensch geworden. Ja, geworden,
denn nicht ist er in der Gestalt eines menschlichen Pilgers, wie dem Abraham,
oder eines Gerüsteten, wie dem Gideon oder überhaupt in einer Menschengestalt
bloß erschienen, wie der Heilige Geist für einige Augenblicke in
Taubengestalt am Jordan sich sehen ließ, sondern er hat eine Menschengestalt
angenommen, die Fleisch und Blut hat mit einer vernünftigen Seele; der ewige
Gottessohn hat mit der menschlichen Natur persönlich und unzertrennlich sich
vereinigt. Und so ist er auf Erden erschienen. O Erscheinung über alle
Erscheinung, o Offenbarung über alle Offenbarung, o Geheimnis über alle
Geheimnisse! „Denn was von der Welt her verborgen war, ist heute erschienen und
ein neues Licht seiner Herrlichkeit hat unsere Augen erleuchtet. Sichtbar im Fleisch
wir Gott schauen“, rufen wir mit der Kirche in der heutigen Festpräfation und
bekennen voll Freude mit dem heiligen Johannes: „Das Wort wurde Fleisch und
wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des
eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit.“ Aber unser Staunen
wächst, das Wunder, das Geheimnis erreicht seine höchste Stufe, wenn wir nach
Bethlehem blicken. Dort liegt ein neugeborenes Knäblein, geboren von der zwar
aus dem Haus und Geschlecht Davids stammenden, aber dem armen Zimmermann
verlobten Jungfrau Maria. Es lieg tim Stall, weil man für das arme Paar keinen
Raum in der allgemeinen Herberge und noch weniger in einer der Wohnungen
Bethlehems hatte. Es liegt in Windeln gewickelt in einer Krippe auf Heu und auf
Stroh. Und dieses in der tiefsten Armut und Niedrigkeit geborene Knäblein ist
niemand anderes als Gott, offenbart im Fleisch!
Aber eben darum predigt auch unmittelbar
nach der Geburt dieses Knäbleins der Engel den Hirten: „Fürchtet euch nicht,
siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn
euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der
Stadt Davids.“ Und eben darum, weil die Offenbarung Gottes in solcher Weise
geschehen ist, sagt unsere Epistel: „Es ist erschienen die heilsame Gnade
Gottes.“
Meine teuren Zuhörer! Gott hat nicht
bloß Liebe, sondern er ist die Liebe; er ist ein großes, tiefes,
unergründliches, wallendes Meer von eitler Liebe. Wenn nun diese Liebe
herausbricht aus seinem göttlichen Herzen und tut der Kreatur in allerlei
Segnung wohl, so nennen wir die Liebe ich ihrer Äußerung Güte. Güte war
es z.B., dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild und zu seiner Gemeinschaft
schuf. Wenn ferner Gott des Menschen Not und Elend sich zu Herzen nimmt und
errettet und hilft ihm so nennen wir diese Erweisung der Liebe Gottes Erbarmen.
Wenn aber die Liebe Gottes in Güte und Erbarmen sich gegen solche erweist,
welche ihrer gar nicht einmal wert sind, sondern die vielmehr das Gegenteil
verdient haben, nämlich statt Liebe Zorn und Verdammnis, so nennen wir das Gnade.
Gnade ist daher die Erweisung der Liebe Gottes gegen die Sünder, gegen die
Gottlosen und Boshaften, welche das Gegenteil der Liebe sind, nämlich Gottes
Feinde.
Aber, Geliebte, dass Gottes Gesinnung gegen
das abgefallene, rebellische Sündergeschlecht immer noch Liebe sei und Gnade
für Recht ergehen lasse wolle und werde und unbeschadet seiner Heiligkeit und
Gerechtigkeit auf das herrlichste ergehen lassen könne, welcher Mensch, ja,
welcher Engel konnte das wissen oder erdenken! Seht da ein Geheimnis des
Gnadenrates Gottes zur Erlösung des menschlichen Geschlechts, der seinen
Ursprung in den Tiefen der Ewigkeit schon vor Grundlegung der Welt hatte, und
den wir nun heute zuerst in Bethlehem, in der Krippe, erscheinen sehen, bis die
in diesem Heiland erschienene heilsame, rettende Gnade am allerhöchsten dort
auf Golgatha und am Kreuz erscheint, daher denn auch der teure Apostel in
unserem Text noch das Kreuz neben die Krippe stellt, indem er dem Hinweis auf
die bevorstehende Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres
Heilandes Jesus Christus hinzufügt: „Der sich selbst für uns gegeben hat.“
Ja, darum ist Gott offenbart im Fleisch, darum hat er durch die Geburt von
einer Frau menschliche Natur angenommen, darum hat er sich schon gleich bei
seiner Erscheinung im Fleisch so tief erniedrigt, damit er uns in solchem Stand
mit seinem Gehorsam und Leiden erlösen könnte, welches bei stetigem völligen
Gebrauch seiner Herrlichkeit nicht hätte geschehen können.
Darum, o großes Geheimnis nicht nur der Allmacht,
durch welche Gott Mensch wird, geboren von einer Frau, nicht nur der Weisheit,
durch welche er hier einen Weg fand, seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit zu
genügen, sondern auch seiner Liebe, seiner Gnade. „So hat Gott
die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn
glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Es ist
erschienen, es ist leibhaftig geworden „die heilsame Gnade Gottes“.
2. Und ist erschienen „allen Menschen“,
denn „kündlich groß ist das gottselige Geheimnis: Gott ist offenbart im
Fleisch.“ Mit diesem Geheimnis ist’s ja nicht, wie mit den sogenannten
Logengeheimnissen, die man hinter verschlossenen und bewachten Türen und nach
Abnahme eines schauerlichen Eides oder eines eideskräftigen Versprechens nur
den Eingeweihten mittteilt, und die meist dann geringfügige, ja, läppische und
kindische Dinge betreffen, deren sich schon ein verständiger Mensch schämen
sollte. Nein, weil dieses Geheimnis die Seligkeit aller Menschen betrifft und
weil dabei Gottes Gnadenrat dahin geht, dass alle, die an den für uns Mensch
gewordenen und in den Tod des Kreuzes dahingegebenen Gottessohn glauben, nicht
verloren werden, sondern das ewige Leben haben, so musste die heilsame Gnade
allen Menschen erscheinen, und zwar auf dem Weg, dass Gottes Gnadenrat und
Gnadentat allen Menschen kund würde. Das ist denn auch vor der
leibhaftigen Erscheinung der Gnade dadurch stufenweise geschehen, dass Gott schon
im Paradies vor dem gefallenen Menschenpaar redete von dem Weibessamen, welcher
der Schlange den Kopf zertreten würde und hernach dann den Vätern und durch die
Propheten solche Verheißung und Weissagung immer deutlicher und immer reicher
widerfahren ließ. Und vollends ist es geschehen bei und nach erfolgter
Offenbarung Gottes im Fleisch. Denn bei derselben predigen dies Geheimnis die
Engel und die Hirten und nach denselben die heiligen Apostel durch die
Verkündigung des Evangeliums nicht bloß unter den Juden, sondern auch unter
allen Heiden. So, im Wort also, ist die heilsame Gnade Gottes allen Menschen
erschienen und erscheint ihnen fort und fort – hier in der Christenheit und
draußen in der Heidenwelt.
O, hört es, Geliebte: „Allen Menschen“
ist die heilsame Gnade Gottes in der Menschwerdung seines Sohnes erschienen.
Die heilsame Gnade ist in ihrem Ursprung, ihrer Erweisung, ihrer Erscheinung
eine allgemeine Gnade, von der selbst diejenigen auf Gottes Seite nicht
ausgeschlossen sind, die trotzdem verloren gehen. Weil Gottes Sohn aller
Menschen Natur angenommen hat, so bringt die Gnade im Wort und seinen Siegeln,
Taufe und Abendmahl, noch allen Menschen das Heil, so soll nach der
Absicht der Gnade kein einziger Mensch verloren gehen, auch der größte Sünder
und lasterhafteste Mensch nicht, sondern jeder Mensch selig werden, so dass die
Hölle eigentlich nur für den Teufel und seine Engel vorhanden wäre. Sie
erscheint daher auch jetzt wieder in dieser Predigt und in allen Predigten zu
diesem Fest auch euch, meine Lieben. Sie möchte jeden unter euch umfangen,
erretten, selig machen – auch den, welchem sie schon so viele Jahre vergeblich
erschienen ist.
Doch widerstrebe keiner dieser Gnade
mutwillig und beharrlich; denn so mächtig sie bei ihrer Allgemeinheit und in
ihrer Heilsamkeit auf jedes Menschenherz eindringt, so soll und will sie doch
nicht unwiderstehlich wirken. So gewiss „der Mensch sich weder zur göttlichen Gnade
bereiten, noch, wenn sie ihm angeboten wird, dieselbe annehmen“ kann, so gewiss
kann auch der Mensch durch seinen eigenen bösen Willen und des Teufels
Verblendung gegen die heilsame Wirkung dieser Gnade sich selbst verschließen
und verhärten und so trotz der Dahingabe des eingeborenen Sohnes durch eigene
Schuld verloren gehen. Seht, Geliebte, daher kommt’s, dass so viele Menschen
mit sehenden Augen nicht sehen und mit hörenden Ohren nicht hören, dass gerade
den Weisesten und Klügsten dieser Welt die Offenbarung Gottes im Fleisch ein
verschlossenes Geheimnis bleibt, und den einen eine Torheit, den anderen ein
Ärgernis ist, obwohl dies Geheimnis, so groß und unerforschlich es auch immer
bleibt, doch ein kündliches Geheimnis ist, das Gott in aller Welt ausrufen
lässt und das gläubige und seligmachende Verständnis desselben denen
erschließt, welche das Wort aufnehmen, und zwar so, dass auch die Unmündigen
Gottes süße Wundertat erkennen und zu preisen vermögen.
Wohl darum jeden unter uns, der heute aufs
Neue oder endlich das Wort annimmt. Er erblickt in dem Kindlein zu Bethlehem
nicht nur den im Fleisch offenbarten Gott, sondern auch in demselben die
Erscheinung der heilsamen Gnade und der Freundlichkeit und Leutseligkeit
desselben. An der Krippe stehend und im Anblick dieses Kindleins kann er an der
Hand dieses Geheimnisses einen Blick auch in die Tiefe dieses Geheimnisses tun.
Er wird dann anbetend sprechen:
Es
jammert Gott von Ewigkeit
Mein
Elend übermaßen.
Er
dacht an sein Barmherzigkeit
Und
wollt mir helfen lassen.
Er
wandt zu mir sein Vaterherz,
Es
war fürwahr bei ihm kein Scherz,
Er
ließ sein Bestes kosten.
Aber er wird dann auch bald wieder zur
Krippe zurückkehren und aufs neue seinen miterlösten Brüdern zurufen:
Nun
freut euch, liebe Christen gmein,
Und
lasst uns fröhlich springen,
Dass
wir getrost und all in ein
Mit
Lust und Liebe singen,
Was
Gott an uns gewendet hat,
Und
seine süße Wundertat.
Gar
teur hat er’s erworben.
2.
Das , Geliebte, ist das große und zugleich
kündliche Geheimnis, in das die Engel gelüstete zu schauen und das wir zwar
nicht mit unserer Vernunft begreifen, wohl aber durch die Wirkung des
gepredigten Wortes mit unserem Glauben ergreifen können. Da findet sich’s dann
auch im Werk, dass das Geheimnis der Menschwerdung das Geheimnis der
Gottseligkeit sei, denn die erschienene heilsame Gnade „züchtigt uns,
dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste und
züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt und warten auf die selige Hoffnung und
Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unsers Heilandes Jesus
Christus, der sich selbst für uns gegeben bat, damit er uns erlöste von aller
Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das fleißig
wäre zu guten Werken.“ Hören wir davon nun zweitens.
Uns verlorene und verdammte Sünder vom Zorn
Gottes und Fluch des Gesetzes, vom Tod und der Gewalt des Teufels zu erretten
und selig zu machen, dazu ist ja freilich zunächst die Gnade in der Offenbarung
Gottes im Fleisch leibhaftig erschienen. Eben darum heißt sie ja die „heilsame“
Gnade. Aber, Geliebte, sollte sie uns selig machen können, während wir noch in
unserem alten gottlosen Wesen verharren, in unserer Liebe zur Sünde und im Tun
und Wandel in der Sünde? Sollte die heilsame Gnade allen Menschen in all ihrer
Größe und Herrlichkeit dazu erscheinen, damit sie dieselbe desto mehr auf
Mutwillen ziehen? Oder sollte das wohl ein Leben in ewiger Freude und Seligkeit
sein, dass die Menschen ihr gottloses Wesen und Leben auf Erden droben im
Himmel fortsetzten, ja, immer ärger trieben, ihre Feindschaft gegen Gott, ihr
Fluchen und Lästern, und untereinander ihren Hass und Neid, Zank und Streit,
Schlagen und Morden, Huren und Saufen, Stehlen und Betrügen, Lügen und
Verleumden? Nein, Geliebte, das wäre dann kein Himmel mehr, sondern eine zweite
Hölle. Soll ferner die heilsame Gnade uns in den Himmel bringen wollen und
können, ohne dass wir andere Menschen zu werden brauchten und uns zu der
verlorenen Gemeinschaft mit Got5t gänzlich zurückführen können, ohne dass auch
zugleich das verlorene Ebenbild Gottes in und an uns wieder hergestellt würde?
Muss nicht vielmehr auf die Erlösung vom Fluch der Sünde und Zwang des Gesetzes
auch die Erlösung von der Herrschaft der Sünde und die Lust und Liebe zu Gottes
Gesetz, muss also nicht auf die Rechtfertigung die Heiligung notwendig folgen?
So ist es. Das große Geheimnis der Offenbarung Gottes im Fleisch ist zugleich
auch das Geheimnis der Gottseligkeit. Die erschienene Gnade ist nicht
allein eine heilsame, eine seligmachende Gnade, sondern auch eine züchtigende,
eine zur und in der Heiligung des Geistes und des Leibes erziehende Gnade. Ja,
auch dazu ist Gottes Sohn gerade in der Weise Mensch geworden, dass er durch
die Geburt von einer Frau ein Glied der Menschenfamilie wäre, um nicht nur als
deren erlösender Stellvertreter im göttlichen Gericht anerkannt werden zu
können, sondern auch, um so ein neues Leben in die durch und durch verdorbene
Menschenfamilie hineinzupflanzen. Und das ist denn auch die Ursache, warum
seiner Erscheinung im Fleisch die Erscheinung im gepredigten Wort
vorherging, sich durch die Engel- und Hirtenpredigt alsbald ihr beigesellte und
ihr nun in der Predigt des Evangeliums nachfolgt bis ans Ende der Tage; denn
durch die Erscheinung im Wort muss der Glaube gewirkt werden, dass er die Gnade
und den Gnadenbringer ergreife und indem er das tut, macht er als ein
göttliches Werk in uns auch zugleich aus uns ganz andere Menschen von Herz,
Mut, Sinn und allen Kräften.
Aber das ist nun eben wieder das Geheimnis,
dass die heilsame Gnade auch eine züchtigende Gnade ist und dass man
allein, aber in Wahrheit durch die Zucht oder Erziehung der Gnade ein anderer,
ein gottseliger Mensch wird. Es ist die Erscheinung der heilsamen Gnade ein
Geheimnis der blinden Papisten, denn die legen der Gnadenpredigt zur
Last, dass sie die Menschen lässig mache in guten Werken, während doch der
Apostel hier ausdrücklich sagt, durch sie reinige sich Christus „ein Volk
zum Eigentum, das da fleißig wäre zu guten Werken“. Es ist ein Geheimnis
den Schwärmern, welche der rechten Predigt vom Glauben nachsagen, dass
sie in Sünden sichere Leute mache und die deshalb Gesetz und Evangelium,
Rechtfertigung und Heiligung ineinander mengen, da doch der Apostel vielmehr
sagt, sie züchtige uns, „dass wir sollten verleugnen das ungöttliche Wesen
und die weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser
Welt“. Es ist aber auch ein Geheimnis vielen sogenannten Lutheranern,
denn die einen wollen trotz allem Hören der reinen und reichen Gnadenpredigt
doch noch immer mit Werken zum Seligwerden umgehen und aus eigenen Kräften
fromm werden und die anderen machen wirklich die große Gnade Gottes in Christus
in ihrer Sündenliebe oder in ihrem Mammonsdienst zu einem Sündenpolster und den
Mensch gewordenen und gekreuzigten Heiland zu einem Sündendiener. Ja, auch
selbst denen, welche in der Zucht der heilsamen Gnade stehen, bleibt diese insofern ein Geheimnis, insofern es
eben eine Zucht der Gnade und zwar der freien Gnade ist, dass sie ihnen
erschien, nicht, da sie einen kleinen Anfang der Besserung gemacht haben,
sondern ehe sie diesen Anfang machten, da sie ihnen so erschien wie dem
Schächer, da er schon am Kreuz hing und ihm von seinem schuldbeladenen
Verbrecherleben nur noch eine Spanne übrig war, oder wie dem Saulus, da er
schnaubend vor Wut und dürstend nach Christenblut wie ein reißendes Tier
dahinzog. Es ist und bleibt ihnen ein Rätsel, dass die Gnade im Werk der
Bekehrung anfangen, mitteln und vollenden muss und doch, dass so viele ohne
Bekehrung dahin gehen und verloren werden, die doch bei gleicher Verderbnis von
Adam her die gleiche bekehrende und seligmachende Predigt von Christus hören, –
ein Geheimnis freilich, darin sie nicht grübeln, sondern davor sie nur um so
demütiger anbeten und die geschenkten Kräfte dieser Gnade nebst den Mitteln der
Gnade nur umso gewissenhafter gebrauchen, damit sie dieselbe nicht wieder
verlieren, sondern vielmehr ihren Beruf und Erwählung fest machen.
Tun wir denn nun an der Hand unserer
Epistel einen Blick in die Arbeit dieser züchtigenden Gnade bei denen, welchen
sie nicht vergeblich als eine heilsame Gnade erschien, sondern welche durch sie
zum Glauben und durch diesen Glauben zum Anfang einer wahren Bekehrung gekommen
sind. Wie nun das Werk der Erneuerung unter der Zucht der Gnade fortgeht, das
ist’s, was wir nun hören werden.
Die heilsame Gnade züchtigt oder erzieht
uns vor allem, „dass wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und die
weltlichen Lüste“. Gott nicht fürchten, lieben und vertrauen, ihn nicht
ehren und ihm glauben, ihm sich nicht ergeben und ihn einen Gott sein lassen,
sondern sich vielmehr seiner Weisheit, seiner Gnade, seiner Tugend und
Vortrefflichkeit rühmen, das ist das ungöttliche Wesen. Zu diesem
ungöttlichen Wesen gehören daher alle die selbsterdachten Wege und Mittel, da
der Mensch sich selbst helfen will ohne Gott und sind diese Wege und Mittel die
ganze Werkerei und Möncherei im Papsttum, die Gesetzestreiberei und die
Vieltuerei der Schwärmer, die auf Menschenhilfe bauenden Verbindungen, an denen
diese Zeit des allgemeinen Abfalls so reich ist und immer reicher wird,
vornehmlich das ganze Logenwesen und wodurch sonst der Mensch teils zur
Gesittung und zum Wohltun besser angeleitet werden soll, als es bisher dem
Christentum möglich war, teils besser vor Not geschützt werden soll, als es
bisher unter der Regierung Gottes geschehen ist. Zu den weltlichen Lüsten
aber gehört nicht allein Fressen und Saufen, das Huren und Buben, sondern auch
die Prachtliebe und Modenarrheit, die mancherlei Lustbarkeiten der gottfremden
Welt, namentlich das heutige Ball- und Theaterwesen, Spiele an Apparaten und im
Internet, überhaupt die Handysucht – und eines vor allem nicht zu vergessen:
das Reichwerdenwollen.
Wenn nun der Apostel sagt, die heilsame
Gnade züchtige uns, das wir sollen verleugnen das ungöttliche Wesen und
die weltlichen Lüste, so gibt er damit allerdings nur zu deutlich zu verstehen,
dass auch noch im Stand der Bekehrung das verderbte Herz nur allzu sehr Hang
und Neigung zu dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Lüsten hat und fühlen
lässt. Oder wozu bedürfte es, dieselben zu verleugnen? Verleugnen heißt
ja, denselben absagen, sie nicht mehr kennen, nichts mehr mit ihnen zu tun
haben wollen. Zu solchem Verleugnen nun aber erzieht uns eben die
heilsame Gnade. Schon da sie uns zum Glauben gebracht hat, haben wir
angefangen, mit dem ungöttlichen Wesen
und den weltlichen Lüsten entschieden zu brechen, wie man das an jedem Menschen
alsbald wahrnehmen kann, der einen rechtschaffenen Anfang der Bekehrung gemacht
hat. Aber sie erzieht uns, dass wir das fort und fort und dass wir das immer
besser tun, indem sie uns nach dem neuen Menschen das ungöttliche Wesen außer
uns und in uns immer tiefer erkennen und immer herzlicher verabscheuen lässt,
dass wir dann auch in Verleugnung desselben des Teufels und der Welt
Feindschaft nicht scheuen, desgleichen auch, dass die heilsame Gnade uns Kraft
gibt, die weltlichen Lüste zu dämpfen und deshalb auch immer mehr in das so
heilsame Kreuz uns zu finden, als durch welches der äußerliche Mensch verwest,
damit der innerliche von Tag zu Tag erneuert werde. Dazu aber uns ein lustiges,
williges Herz zu machen, reizt uns die heilsame Gnade in ihrer ersten
Erscheinung selber. Da steht, auch wenn Weihnachten längst vorüber ist, vor uns
immer wieder die Liebe, die den Himmel zerrissen und sich in das Jammertal
niedergelassen, die, obwohl göttlicher Gestalt, sich selbst entäußert und
Knechtsgestalt angenommen und für den Himmelsthron die Krippe und das Kreuz um
unseretwillen erwählt hat. Da kann’s dann nicht fehlen, dass die innige,
dankbare Liebe immer mehr dein Herz ergreift, durch welche du alles meiden und
leiden kannst und nach deinem immer zarter werdenden Gewissen alsdann stets
fragst, was dein Jesus jetzt sagt und ob es seinem heiligen Wort zuwider und
deiner Seele schädlich ist? Und wenn es dann irgend heißt, das gefällt ihm
nicht, oder wenn es dir sogar zweifelhaft wird, ob es ihm gefällt, so
verleugnest du es.
Indem uns nun so die heilsame Gnade zur
Scheidung von dem ungöttlichen Wesen und den weltlichen Lüsten erzieht, geht
ihre Arbeit auf der anderen Seite dahin, dass wir „züchtig, gerecht und
gottselig leben in dieser Welt und warten auf die selige Hoffnung und
Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus
Christus.“ Sie erzieht uns, dass wir züchtig leben, d.i. mitten
unter einem verkehrten und ungeschlachtenen Geschlecht als solche leben, die
ihren Leib und Seele für Gott geheiligt ansehen und die daher auch nüchtern
bleiben nicht bloß in Bezug auf Essen und Trinken, sondern auch in Bezug auf
alles, was die Sinne benebelt und die Seele im Gebrauch dieser Welt trunken
macht. Die heilsame Gnade erzieht uns ferner, dass wir in dieser Welt, in der
die Ungerechtigkeit überhand nimmt und darum auch die Liebe in vielen erkaltet,
gerecht leben im Handel und Wandel, im Kaufen und Verkaufen, im Leihen
und Wiederbezahlen, im Reden und Urteilen. Sie erzieht uns weiter, dass wir
trotz überhandnehmender Gottentfremdung der Menschen in wahrer Buße und rechtem
Glauben gottselig leben, d.i. Gottes, seiner Güte und seines Vergnügens
voll, da man in Gott genug hat, wie Jakob, und nur in einem nicht genug
bekommt, nämlich im Hören und Lernen seines seligmachenden Wortes. Und endlich
erzieht sie uns, dass wir warten auf die Erscheinung der Herrlichkeit
des großen Gottes und unseres Heilandes Jesus Christus, auf seine andere
Erscheinung, die da nicht geschieht in so tiefer Niedrigkeit, sondern in aller
Herrlichkeit seiner Gottesgestalt, mit der dann auch unsere völlig Erlösung
erscheint, und mit ihr sein Lohn und unsere Herrlichkeit, da wir ihm werden
gleich sein, denn wir werden ihn sehen, wie er ist. Da geht dann auch dieser
Welt unser Weg himmelan, da haben wir unseren Wandel schon im Himmel – und über
eine Weile, so ist er dann und nimmt uns zu sich durch einen seligen Tod, noch
ehe er kommt, oder nach Leib und Seele, wenn er kommt.
So ist denn also, Geliebte in dem HERRN,
das kündlich große Geheimnis der Offenbarung Gottes im Fleisch auch das Geheimnis
der Gottseligkeit, „da sie alle von Einem kommen, beide, der da heiligt und
die geheiligt werden. Darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu heißen“
(Hebr. 2,11). Dass wir durch ihn, der durch seine Offenbarung im Fleisch
menschlichen Geschlechtes geworden ist, dass wir durch seine Heiligung immer
mehr göttlichen Geschlechts werden, das ist dann der durch die Erscheinung der
heilsamen Gnade uns geschenkte Adel, unsere wahre Menschenwürde, und zugleich
der andere und letzte Zweck seiner Erscheinung im Fleisch, indem er sich
selbst für uns gegeben hat, dass er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und
reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das da fleißig (d.i. eifrig) wäre
zu guten Werken“ besonders in den Werken unseres Berufs und Standes
hienieden, wie dies der Zusammenhang unserer Epistel mit den vorausgehenden
Worten zeigt.
Halleluja! Denn „das Wort wurde Fleisch
und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als
des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“. Welche ihn nun
aufnehmen, denen gibt er heute noch „Macht, Gottes Kinder zu werden, die an
seinen Namen glauben, welche nicht von dem Geblüt noch von dem Willen des
Fleisches, noch von dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind“. O,
so lasst uns ihn aufnehmen, der heute wieder durch Wort und Sakrament als die
heilsame Gnade uns erscheint, so werden wir heute und immer mehr, wenn auch in
Schwachheit, uns sein mit allen Engeln freuen, bis wir dort mit verklärten
Lippen, in höchster Vollkommenheit und in alle Ewigkeit inmitten der Menge der
himmlischen Heerscharen und der Auserwählten singen: „Ehre sei Gott in der
Höhe, und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Amen.
Lied:
Lobt Gott, ihr Christen all zugleich
Dies ist der Tag, den du, o HERR, uns
gemacht hast, der Tag der Menschwerdung deines eingeborenen Sohnes, unseres
einigen Heilandes. O verleihe durch deinen Heiligen Geist, dass auch wir uns
dieser heilsamen Geburt darin freuen und deshalb in den Lobgesang der
Heerscharen einstimmen und mit ihnen rühmen: Ehre sei Gott in der Höhe und
Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Amen.
Jesaja
9,2-7: Das Volk, so im Finstern
wandelt, sieht ein großes Licht, und über die da wohnen im finsteren Land,
scheint es helle. Du machst der Heiden viel, damit machst du der Freuden nicht
viel. Vor dir aber wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie
man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast das Joch ihrer Last und
die Rute ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie zur Zeit
Midians. Denn aller Krieg mit Ungestüm und blutig Kleid wird verbrannt und mit
Feuer verzehrt werden. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben,
welches Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunderbar, Rat,
starker Gott, Ewig–Vater, Friedefürst, damit seine Herrschaft groß werde und
des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich, dass er’s
zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.
In dem menschgewordenen Gott und Heiland,
herzlich Geliebte! Es sind nun über 2700 Jahre her, dass die jetzt verlesene
Weissagung des Propheten Jesaja geschehen ist. Aber welcher Christ könnte auch
nur einen Augenblick im Zweifel oder im Unklaren darüber sein, dass deren
Erfüllung vor mehr als 2000 Jahren bereits stattgefunden hat? Wer wüsste nicht,
dass das Kind, das uns geboren, der Sohn, der uns gegeben ist, dessen
Herrschaft auf seiner Schulter liegt und der da heißt Rat, starker Gott,
Ewigvater, Friedefürst, dasselbe Kind ist, das dort in der Krippe zu Bethlehem
liegt und von dem der Engel den Hirten predigt: „Fürchtet euch nicht, siehe,
ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch
ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der HERR, in der Stadt
Davids.“ Weissagt doch auch Jesaja mit so klaren und eigentlichen Worten,
als stünde er bereits an der Krippe und wäre Hörer der Predigt des Engels und
des Lobgesangs der himmlischen Heerscharen, ja auch schon Zeuge der
Auferstehung und der Himmelfahrt des menschgewordenen Heilandes. Wie herrlich
wird darum hier die Weissagung und die Erfüllung entsiegelt und
besiegelt und andererseits die Erfüllung durch die Weissagung bestätigt und
verklärt. Gerade bei dieser herrlichsten der Weissagungen Jesajas trifft das
Wort des alten Hieronymus so recht zu: „Was wir in dem Alten Testament lesen,
das finden wir auch in dem Evangelium; und was in dem Evangelium gelesen wird,
das ist aus dem Alten Testament hergenommen; in dem Alten ist das Neue und in
dem Neuen ist das Alte.“
Sei uns denn am heutigen Fest diese Epistel
der Christmette ein rechtes Weihnachtsevangelium, das uns durch die Erfüllung
die bereits vor über 2025 Jahren geschehene heilsame Geburt noch näher rückt
als dem Propheten, da er sie 700 Jahre zuvor im Geist als gegenwärtig erblickt
hat.
Worauf wird durch Jesajas prophetische Verkündigung der Geburt
Christi unser Blick am heutigen Fest vornehmlich gerichtet?
In der Antwort auf diese Frage bestehe mein
diesjähriges Festzeugnis. Es wird nämlich heute unser Blick auf zweierlei
gerichtet:
1.
Auf den Zustand
der Welt unmittelbar vor und nach dieser Geburt; und
2.
Auf den Heiland
selbst, welcher der Welt durch diese Geburt geworden ist.
1.
Auf den Zustand der Welt unmittelbar vor
Christi Geburt richtet der Prophet unseren Blick zunächst, wenn er ausruft:
„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über die da
wohnen im finsteren Land, scheint es hell.“ Wir wollen diesen Blick gerade
am heut5igen Fest tun, da er uns zeigt, dass es die höchste, aber auch
die rechte Zeit war, dass Christus, der Verheißene, geboren wurde.
Der Zustand wird von dem Propheten als ein
Zustand der Finsternis und des Dunkels bezeichnet, wie er auch
nachher im 60. Kapitel ausruft: „Siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und
Dunkel die Völker.“ Das „Volk, das im Finstern wandelt“ und die „so im
dunklen Land wohnen“ sind, wie wir dies aus Matthäus 4 ersehen, Juda und
Israel, samt den Heiden Galiläas und über seine Grenzen hinaus, und überhaupt
„der Umkreis der Heiden“, die Heidenschaft. Wandelte nun aber zur Zeit der
Geburt Christi Israel in Finsternis, welches doch das Gesetz und die Verheißung
hatte, wie müssen erst die Länder der Heiden ein „Ort und Schatten des Todes“
gewesen sein! Schrift und Geschichte zeigen es auch genügend.
Zwar war die ganze damalige Welt durch
Augustus unter Ein Zepter vereinigt. Dazu war ein allgemeiner Weltfriede
eingetreten; Handel und Wandel blühte, Kunst und Wissenschaft, Gesetzgebung und
Staatsweisheit hatten die höchste Stufe erreicht. Aber das alles war doch nur
ein glänzendes Elend. Umso dunkler und finsterer sah es in geistlicher und
sittlicher Beziehung aus. Gerade jetzt hatte die heidnische Religion mit ihrer
von den Dichtern so sinnreich ausgeschmückten Götterlehre völlig Bankrott
gemacht. Das gemeine Volk war in den krassesten Aberglauben versunken und die
Vornehmen und Gebildeten glaubten gar nichts mehr, sondern fragten wir Pilatus
spöttisch: Was ist Wahrheit? Bedienten sich aber dabei doch der Wahrsager und
Zeichendeuter, wie z.B. der große Kaiser Augustus, der ebenso ungläubig wie
abergläubisch war. Umso größer war der Sittenverfall. Welch eine Schilderung
desselben gibt uns Paulus Röm. 2! Auch selbst die heidnischen Schriftsteller
jener Zeit entrollen ein grauenvolles Bild: Alles sei voll Verbrechen, ein
ungeheurer Streit der Verworfenheit werde gestritten; tagtäglich wache die Lust
zur Sünde, tagtäglich weiche die Scham. Das war die Finsternis und der
Todesschatten, der die Heidenwelt zur Zeit der Geburt Christi bedeckte.
Und auch die Juden wandelten in
Finsternis. Das zeigen uns die Evangelien. Die Pharisäer und Schriftgelehrten
legten das Gesetz und die Propheten falsch aus und machten so alles voll
Selbstgerechtigkeit und falscher Messiashoffnung. Die Vornehmen waren zum Teil
Sadduzäer, die weder Engel, noch Teufel, noch eine Auferstehung glaubten,
bildeten also die aufgeklärte und freisinnige Partei, ähnlich den heutigen
Reformjuden; das junge Volk aber nahm viel Heidnisches in seine Denk- und
Handlungsweise auf, verweltlichte also immer mehr. Wie weit musste doch das
Volk Gottes in Blindheit und Finsternis geraten sein, dass der größte Teil
seinen Messias nicht kannte, als er kam, und dass man ihn, nachdem er drei
Jahre lang sich mächtig in Taten und Worten unter seinem Volk erwiesen hatte,
verwarf und an das Kreuz schlug!
Meine Lieben! Dass durch Überhandnehmen des
Unglaubens und der Spötterei, des Aberglaubens und der falschen Lehre, der
Sicherheit, Gottlosigkeit und Ruchlosigkeit der Zustand der heutigen Welt immer
schrecklicher, immer unerträglicher wird, je näher der Tag der sichtbaren
Wiederkunft des vor über 2000 Jahren erschienen Weltheilandes rückt, wird
heutzutage von allen Christen genug gefühlt und beseufzt; selbst nachdenkende
nüchterne Weltleute meinen, dass es mit der Welt nicht lange mehr so fortgehen
kann. Nun, so war es auch mit dem Zustand der Welt vor der ersten Ankunft
Christi. Die wenigen Gläubigen in Israel seufzten immer ängstlicher: „Ach, dass
die Hilfe aus Zion käme!“ Selbst verständige Heiden erklärten: Bei einem
zustand der Fäulnis und der Zersetzung in religiöser und sittlicher Beziehung
könne die Welt trotz alles äußerlichen Glanzes nicht weiter bestehen. Wenn
nicht einer der Götter vom Himmel käme, gäbe es weder Hilfe noch Rat, dem
Verderben zu steuern. Es war also die höchste Zeit, dass Christus, dass
ein Heiland geboren wurde.
Eben damit war es auch die rechte
Zeit. Ach, es ist ja heute noch so, dass ein Mensch nicht eher an diesen
Heiland denkt, als bis er entweder mit aller Weisheit und Gerechtigkeit
zuschanden geworden oder auf den Weg des Verderbens in Sünde und Elend geraten
ist, gleich dem verlorenen Sohn. So die ganze Menschheit. Auch sie musste dem
verlorenen Sohn gleich werden, ehe Gott seinen ewigen Liebesratschluss
ausführen und ihr einen Heiland geben konnte. Durch eine 4000jährige Erfahrung
war die Welt endlich inne geworden, dass durch eigene Kraft und Weisheit das
Heil nicht erlangt werden könne – nicht durch die versuchte Erfüllung des
Gesetzes, wie das Judentum bewies, und nicht durch menschliche Bildung, Kunst,
Wissenschaft und Staatsweisheit, wie das Heidentum zeigte. Das war auch der
Grund, warum Gott nicht gleich den verheißenen Heiland senden konnte, warum er
Israel 1500 Jahre sich unter dem Gesetz abmühen und noch viel länger die Heiden
ihren eigenen Weg gehen ließ. Aber indem es so auf dem Weg eigener Kraft und
Weisheit immer mehr abwärts ging, wurde durch die erziehende Weisheit Gottes
die Erwartung eines Heilandes immer größer und allgemeiner. In Israel, wo man
die Verheißung kannte, schaute man aus nach dem großen Davidssohn und besonders
war es das kleine Häuflein wahrhaft Gläubiger, welches „auf den Trost Israels
wartete“ und teils in Erinnerung uralter Hoffnungen, teils in Bekanntschaft mit
Israel trug man sich selbst unter den Heiden zuletzt mit der bestimmten
Erwartung, dass bald, und zwar aus Judäa, ein Weltherrscher kommen und das
ersehnte goldene, das glückliche Zeitalter herbeiführen werde.
Da endlich kam er Ersehnte, denn die Zeit
war erfüllt. Er wurde geboren zur Zeit, da Kaiser Augustus seinen
Schatzungsbefehl ausgehen ließ. Von seiner Geburt an wurde der Zustand der Welt
ein anderer. Es wurde, wie es Jesaja 800 Jahre zuvor gesehen und verkündigt
hatte.
In dem Kind zu Bethlehem war das Licht
der Welt, der Aufgang aus der Höhe erschienen. Nun hieß es von da an: „Das
Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über die, so da
wohnen im dunklen Land, scheint es hell.“ O, wie hat doch das kündlich
große Geheimnis der Offenbarung Gottes im Fleisch die Welt erleuchtet und
umgewandelt. Seit der heiligen Weihnacht ist es geworden, wie Luther singt:
Das
ewig Licht geht da herein,
Gibt
der Welt ein neuen Schein.
Es
leucht wohl mitten in der Nacht
Und
uns des Lichtes Kinder macht.
Und nun kam auch durch solches Licht die Freude,
die große Freude, die allgemeine Freude, die nicht bloß Israel, sondern allem
Volk widerfahren sollte. „Du machst der Heiden viel“ sagt Jesaja. Das
meint nicht: Du förderst das Heidentum, sondern: Du machst, dass die Heiden im
Licht wandeln und in dem Glanz der über Israel aufgeht. Zwar muss Jesaja
hinzusetzen: „Damit machst du der Freuden nicht viel“, denn das sich
verstockende Israel ärgerte sich, dass durch das Licht des Evangeliums auch die
Heiden gleicher Gnade teilhaftig wurden, aber umso mehr erfüllte sich unter den
Heiden, die nun an Israels Stelle angenommen wurden, das Wort unseres Textes: „Vor
dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich
ist, wenn man Beute austeilt.“
Warum sollte auch nicht durch das in
Bethlehem aufgegangene Licht Freude in das Jammertal gekommen sein? Ist doch
durch die Geburt Christi jene Erlösung gekommen, die der Prophet als
schon vollbracht im Geist erblickt und anspielend auf ein paar
alttestamentliche Tatsachen in bildlicher Rede so schildert: „Denn du hast
das Joch ihrer Last und die Rute ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers
zerbrochen wie zur Zeit Midian. Denn aller Krieg mit Ungestüm und blutig Kleid
wird verbrannt und mit Feuer verzehrt werden.“ Dass der Prophet auf die
Erlösung aus der ägyptischen Dienstbarkeit anspielt als einem Vorbild der
Erlösung durch Christus von allen unseren Sünden, vom Tod und der Gewalt des
Teufels, sei aus Mangel an Zeit hier nur angedeutet und dem weiteren nachdenken
empfohlen. Desgleichen auch die Anspielung auf die im Buch der Richter erzählte
Befreiung vom Joch der Midianiter, da der Held Gideon mit einer Handvoll Leute
und dem Schall der Posaunen die Feinde in die Flucht schlug und womit der Prophet
von Christus besonders das verkünden will, was Dr. Luther so meisterlich in den
bekannten Liedworten ausdrückt:
Gar
heimlich führt er sein Gewalt,
Er
ging in meiner armen Gstalt,
Den
Teufel wollt er fangen.
Und
wenn endlich der Prophet den durch Christus erworbenen und zustande gebrachten Frieden
auf Erden so beschreibt: „Denn aller Krieg mit Ungestüm und blutigem Kleid
wird verbrannt und mit Feuer verzehrt werden“ – so kommt es jeden alsbald
an, mit der Kirche den himmlischen Heerscharen nachzusingen:
Ein
Wohlgefalln Gott an uns hat,
Nun
ist groß Fried ohn Unterlass,
All
Fehd hat nun ein Ende.
2.
Damit hat, wie zur Einleitung, der Prophet
heute unseren Blick auf den Zustand der Welt unmittelbar vor und dann nach der
Geburt Christi gerichtet. Nun aber kommt die Hauptsache, nun richtet er den
Blick auf den Heiland selbst, der durch diese Geburt der Welt
geworden ist, der Licht in die Finsternis und Freude in das
Jammertal und Frieden auf Erden gebracht hat und es ist, als ob er allen
Gläubigen seiner Zeit und allen Gläubigen in der Zukunft zuriefe:
Herbei,
o ihr Gläubigen, fröhlich triumphierend
Kommet,
o kommet nach Bethlehem!
Sehet
das Kindlein, uns zum Heil geboren!
O
lasset uns anbeten den König.
Ach, Gott gebe euch die Ohren und die
Herzen der Hirten von Bethlehem, wenn ich nun als Engel des HERRN Zebaoth aus
der reichen, köstlichen, wunderbaren prophetischen Beschreibung dieser Geburt
zu zeigen versuche, was uns durch diese für ein Heiland geworden ist und das
umso mehr, da auch dies nur andeutungsweise geschehen kann. Denn so lautet die
prophetische Verkündigung weiter: „Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn
ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt
Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewig–Vater, Friedefürst, damit seine Herrschaft
groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Stuhl Davids und seinem
Königreich, dass er’s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit von nun
an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.“
Dass in fleischlicher Deutung dieser und
anderer prophetischer Worte von dem Davidssohn auf Davids Thron und seinem
Reich die Juden ein irdisches Messiasreich, also einen politischen Heiland,
erwarteten und Christus darum verwarfen, weil er sich nicht als ein solcher
erwies, ist bekannt. Das ist aber auch der Grund, warum heutzutage haufenweise
Christen von ihm abfallen und sich zu den geheimen Gesellschaften schlagen, ja
zum Teil selbst den gottesleugnerischen Träumern des Fleisches und
blutdürstigen Umsturzmännern nachlaufen, die ihnen leibliche Freiheit und
Glückseligkeit verheißen und den Glauben an Christus als das Haupthindernis der
Volksfreiheit und Volkswohlfahrt hinstellen. Aber was wäre doch der Welt mit
einem politischen Heiland geholfen! Abgesehen davon, dass leibliche Freiheit
und Glückseligkeit in den Händen des natürlichen Menschen nur zum Unheil
missbraucht wird und darum auch von kurzer Dauer ist: So ist im Genuss aller
Fülle irdischen Glücks und der größten bürgerlichen Freiheit doch kein Sünder
glücklich, so lange er nicht erlöst ist vom Fluch und Zwang des Gesetzes, von
Sünde, Tod und Teufel. Nein, wir brauchen einen anderen Heiland. Wir brauchen
einen Heiland, der uns von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels
erlöste und den ganzen Fall Adams wieder gutmachte. Und ein solcher ist der
Welt durch die Geburt jenes Jungfrauensohns aus Davids Geschlecht geworden, von
dessen Empfängnis Jesaja schon im 7. Kapitel geweissagt hat, dessen Geburt er
hier im 9. Kapitel verkündigt und dessen Person, Amt und Reich er
zugleich beschreibt.
„Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist
uns gegeben.“ Seht da den Heiland nach seiner Person geschildert. Er
ist der Immanuel, der Gott mit uns. Ein neugeborenes Kind ist er nach der Menschheit,
und der gegebene Sohn ist er nach der Gottheit; denn „so hat Gott die
Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab“. Gott hat also keinen
bloßen Menschen der Welt zum Heiland bestimmt; denn wenn er auch einen
neuen sündlosen Menschen geschaffen und etwa wie Adam aus einem Erdenklos
gebildet hätte, so hätte der zwar für seine Person keinen Heiland gebracht,
aber er hätte auch eines anderen Heiland nicht sein können, auch nicht eines
einzigen Menschen, geschweige aller Menschen, denn es kostet zu viel [, er
hätte nicht für uns alle stellvertretend das Gesetz erfüllen können, da er dies
ja für sich selbst hätte machen müssen]. Und aus demselben Grund hat er uns
keinen Engel zum Heiland verordnet. Nein, zur Erlösung von allen Sünden,
vom Tod und von der Gewalt des Teufels mussten wir einen Heiland haben, der Gott
und Mensch zugleich sein – Mensch, dass er für uns leiden und
sterben könnte, Gott, dass er unsere Last zu tragen, Gott mich uns zu
versöhnen und den Tod und Teufel zu überwinden vermochte. Und ein solcher ist
Christus; denn er ist „wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und
auch wahrhaftiger Mensch, von der Jungfrau Maria geboren“. Das ist er seiner Person
nach.
Und nun hört, was der Prophet voll
Entzücken von seinem Amt verkündigt. „Seine Herrschaft ist auf seiner
Schulter.“ Wem man ein Amt überträgt, den bekleidet man nicht bloß mit
einer Würde, sondern den belastet man auch mit einer Bürde. Diesem geborenen
Herrscher aus Davids Stamm liegt die ganze Menschheit mit ihrer Sündenlast und
mit ihrem Zornesfluch auf der Schulter. Und zwar ganz allein. Er hat dabei
keinen Mitträger, keinen obersten Minister, keinen Statthalter wie ein
weltlicher Fürst, der an des letzteren Regierungslast mitträgt, selbst seine
gepriesene Mutter kann er hier nicht gebrauchen, sondern muss vielmehr zu ihr
sprechen: „Frau, was habe ich mit dir zu schaffen?“ Er bedarf aber auch
keines Mitträgers, denn er ist der Gottmensch. Dessen Schultern vermögen
eine ganze Welt zu tragen. Und er hat die Last unserer Sünden weggetragen; er
trägt die Welt auf seinem hohenpriesterlichen Herzen und spricht zu seinen
Gläubigen: „Ich will euch heben und tragen bis ins Alter und bis ihr grau
werdet. Ich will’s tun, ich will heben, tragen und erretten.“ (Jes. 46,4.)
Dem entsprechend gibt der Prophet auch dem
Immanuel fünf merkwürdige Namen. Das sind aber nicht Namen, wie unsere
Namen sind, die ganz zufällig gegeben werden und nur dazu dienen, uns
anzureden, weiter aber keine Bedeutung haben; sondern das sind Namen zur
Bezeichnung seiner Person und seines Wesens, seines Amtes und seines Werkes. Er
heißt „Wunderbar“, denn er ist seiner Person nach der
Jungfrauensohn, empfangen vom Heiligen Geist, er ist das Kind, in dem die Fülle
der Gottheit leibhaftig wohnt, der Gottmensch, in dem Gottheit und Menschheit
persönlich und unzertrennlich vereinigt ist; und sein Amt und Werk besteht
darin, dass er durch Leiden des Todes mit Preis und Ehre gekrönt wird. Er heißt
Rat, denn er hat Rat gewusst, die Welt zu erlösen und leitet seine
Auserwählten nach einem ewigen, weisen, anbetungswürdigen, gegen alle Pforten
der Hölle bestehenden Rat ist er der Mann, von dem es schon im Voraus heißt:
„Er hat alles wohlgemacht“, wie wunderlich er auch seine Heiligen führt. Diesen
seinen Rat aber durchzuführen, heißt er großer Gott, daher auch niemand
seine Schafe ihm aus der Hand reißen kann, er ist der, der den über den Teufel
durch Tod und Auferstehung errungenen Sieg durchführt bis alle seine Feinde zum
Schemel seiner Füße liegen, so dass seine vom Teufel, Welt und Fleisch angefochtenen
Gläubigen rufen können:
Du
bist dem Vater gleich,
Führ
hinaus den Sieg im Fleisch,
Dass
dein ewig Gottsgewalt
In
uns das krank Fleisch enthalt.
Er
heißt „Ewigvater“, denn er ist der andere und neue Adam, der allen, die
an seinen Namen glauben, Macht gibt, Gottes Kinder zu werden, welche nicht von
dem Geblüt, noch von dem Willen des Fleisches, noch von dem Willen eines
Mannes, sondern von Gott geboren sind und der, weil er lebt und regiert, ihnen ewig
Vater bleibt und sie zu Miterben seiner Herrlichkeit macht. Und endlich heißt
er „Friedefürst“, denn er ist unser Mittler, der Frieden mit Gott
gemacht hat, sein Zepter ist das Evangelium des Friedens und seinen Frieden,
der höher ist als alle Vernunft, gibt er ins Herz und bewahrt durch denselben
Herz und Sinn in ihm zu ewigen Leben.
Und, ob welch ein seliges Reich hat
er aufgerichtet! Denn darum heißt er Wunderbar, Rat, großer Gott, Ewigvater,
Friedefürst, „auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein
Ende auf dem Stuhl Davids und seinem Königreich, dass er’s zurichte und stärke
mit Gericht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.“ Ja, bis in
Ewigkeit, trotz aller Hindernisse und Anstöße, denn „solches wird tun der
Eifer des HERRN Zebaoth“.
O, seht doch, meine herzlich Geliebten, was
für ein Heiland uns durch die Geburt in Bethlehem geworden ist. Darum
O
selig, selig alle Welt,
Die
sich an dieses Kindlein hält.
Wohl
dem, der dieses recht erkennt,
Und
Jesus seinen Heiland nennt.
„Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist
uns gegeben!“ So rief durch Jesajas Mund der ganze Chor der Gläubigen vor
Christi Geburt von Adam an, die Erfüllung der Verheißung in der Zukunft
erblickend. „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der
HERR“, erscholl es vor über 2025 Jahren aus Engelmund und: „Uns ist ein
Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben“, schallt’s nach dieser Geburt
seitdem auf der ganzen Erde, in allerlei Zungen und Sprachen und von einer
Schar, die niemand zählen kann. Und wo überall die heiligen Engel von
Menschenkindern das rühmen hören, da freuen sie, die in der heiligen Weihnacht
sich so über das Geheimnis der Offenbarung Gottes im Fleisch und das Flück der
so hoch und reich beschenkten Menschen freuten, sich aufs neue mit, denn die
das rufen, das sind Sünder, die Buße tun und die diesen Heiland nicht mehr
verachten und ihm andere Dinge vorziehen, sondern greifen im Glauben zu und
eignen sich diese Geburt an, weil sie nun erkennen, dass sie ohne diesen
Heiland in Zeit und Ewigkeit verlorene und verdammte Sünder sind, aber auch
glauben, dass Gott auch sie geliebt, auch für sie den eingeborenen Sohn
gegeben, auch ihnen denselben zum Geschenk vermeint hat.
Auf denn, meine Lieben! Nehmt alle der
himmlischen Weihnachtsgabe euch an, damit ihr alle auch den Heiland habt, der
für euch geboren ist und ihr in Wahrheit Weihnachten feiert. Es rufe in wahrer
Buße auch der größte Sünder; es rufe getrost auch der schwächste Gläubige, es
rufe mit desto freudigerem Glauben der geförderte Christ, es rufe Alt und Jung
im Chor: „Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben!“ – und
dann klinge es immer lieblicher und immer mächtiger in der einzelnen Seele
nach: „Auch mir ist dieses Kind geboren, auch mir ist dieser Sohn gegeben. Ja,
auch mir, auch mir! Halleluja! Amen.
Lied:
Wir singen dir, Immanuel
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem
Vater, und dem HERRN Jesus Christus. Amen.
Apostelgeschichte
6,8-15; 7,54-59: Stephanus aber, voll Glaubens und Kräfte, tat Wunder und
große Zeichen unter dem Volk. Da standen etliche auf von der Synagoge, die da
heißt der Libertiner und der Kyrener und der Alexanderer und derer, die aus
Zilizien und Asien waren, und befragten sich mit Stephanus. Und sie vermochten
nicht, zu widerstehen der Weisheit und dem Geist, aus welchem er redete. Da
richteten sie zu etliche Männer, die sprachen: Wir haben ihn gehört Lästerworte
reden gegen Mose und gegen Gott. Und bewegten das Volk und die Ältesten und die
Schriftgelehrten; und traten herzu und rissen ihn hin und führten ihn vor den
Rat; und stellten falsche Zeugen auf, die sprachen: Dieser Mensch hört nicht
auf, zu reden Lästerworte gegen diese heilige Stätte und das Gesetz. Denn wir
haben ihn hören sagen: Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören und
ändern die Sitten, die uns Mose gegeben hat. Und sie sahen auf ihn alle, die im
Rat saßen, und sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht. … Da sie solches
hörten, ging’s ihnen durchs Herz, und bissen die Zähne zusammen über ihn. Als
er aber voll Heiligen Geistes war, sah er auf zum Himmel und sah die
Herrlichkeit Gottes und Jesus stehen zur Rechten Gottes und sprach: Siehe, ich
sehe den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen. Sie
schrien aber laut und hielten ihre Ohren zu und stürmten einmütig zu ihm ein,
stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Und die Zeugen legten ab ihre
Kleider zu den Füßen eines Jünglings, der hieß Saulus. Und sie steinigten
Stephanus, der anrief und sprach: HERR Jesus, nimm meinen Geist auf!
Geliebte in dem HERRN! Durch die Feier des
St. Stephanustages am zweiten Christfesttag stellt die Kirche neben den
Geburtstag Christi einen Todestag, den Todestag des ersten Blutzeugen oder
Märtyrers der christlichen Kirche [Neuen Testaments]. Bekanntlich schreibt
sich’s aus den ersten und besten Zeiten der christlichen Kirche her, dass man
durch ein jährliches Gedächtnis die Todestage der heiligen Apostel, die mit
Ausnahme des h. Johannes alle den Märtyrertod starben, sowie auch die anderer
Märtyrer begeht. Man hatte dabei das apostolische Wort im Sinn: „Denkt an eure
Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schaut an und folgt
ihrem Glauben nach.“ Dazu war den ersten Christen die Vorstellung, dass der
Christ durch den Tod ins himmlische Leben geht, eine so vertraute und
geläufige, dass sie die Todestage der Märtyrer geradezu deren glückselige
Geburtstage nannten und war ihre Meinung, dass ein Christ dem Sterben nicht
bloß gefasst, ergeben, getröstet, sondern geradezu mit Freude und Triumph
sollte entgegen gehen.
Dass Stephanus bald nach dem Pfingstfest
den Märtyrertod erlitt, wird erhellt aus der Apostelgeschichte. Es wird
angenommen, dass dies im achten Monat nach demselben geschah. Ob nun gerade
aber am 26. Dezember, lässt sich nicht bestimmen. Wie jedoch von der
Vorstellung durchdrungen, dass die Todestage der Märtyrer deren herrliche
Geburtstage zum himmlischen Leben seien, die alte Kirche den Stephanustag in
Beziehung zum Christfest setzte, zeigen die Stimmen aus alter Zeit. „Gestern
haben wir die Geburt des HERRN gefeiert, beginnt eine Predigt des h. Augustin,
„heute feiern wir die Geburt des Knechtes. Die Geburt des HERRN feierten wir an
dem Tag, an welchem er sich herabließ, geboren zu werden; die Geburt des
Knechtes feiern wir an dem Tag, an welchem er gekrönt wurde. Wir feierten die
Geburt des HERRN an dem Tag, an welchem er die Hülle unseres Körpers annahm;
die Geburt des Knechtes feiern wir an dem Tag, an welchem er die Hülle seines
Körpers ablegte.“ Und in einer anderen Predigt heißt es: „Der HERR wurde
geboren, damit er für den Knecht stürbe, und der Knecht sich nicht fürchten
möchte, für den HERRN zu sterben.“ Diese und ähnliche Gedanken waren es wohl,
weshalb die alte Kirche den Stephanustag dem Christfesttag so nahe rückte.
Indem daher durch solche Zusammenstellung
das Weihnachtslist auf den ersten Blutzeugen der christlichen Kirche fällt,
wird er uns als solcher neben dem Bild der Hirten von Bethlehem auch zu einem
schönen, ja vervollständigenden Weihnachtsbild. Sehen wir nämlich in den Hirten
die ersten Zeugen, welche die Weihnachtsbotschaft im Glauben aufgenommen und
sogleich ausgebreitet haben, so erblicken wir in Stephanus den ersten Zeugen,
der für diese Weihnachtsbotschaft, die er aus dem Mund der Apostel vernommen und
dann auch ausgebreitet hat, sein Leben lassen musste, aber auch mit Freuden
gelassen hat. Und so zeigt er uns, wie ein Mensch glauben, leiden und sterben
kann, dessen Herz voll ist von der Gewissheit: „Uns ist ein Kind geboren, ein
Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter. Und er heißt
Wunderbar, Rat, starker Gott, Ewigvater, Friedefürst, damit seine Herrschaft
groß werde und des Friedens kein Ende, auf dem Stuhl Davids und seinem
Königreich, dass er’s zurichte und stärke mit Gericht und Gerechtigkeit, von
nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.“
Stephanus, der erste Märtyrer
Sei
daher der Gegenstand auch unserer heutigen Weihnachtspredigt. Wir betrachten
hierbei
1.
Die Ursache und
2.
Die Art seines
Todes.
HERR Jesus, da du Mensch wurdest, kamst du
in dein Eigentum, aber dein Volk nahm dich nicht auf, sondern verleugnete dich
vor Pilatus und forderte ungestüm deinen Tod am Kreuz und tötete danach auch
die Propheten, Schriftgelehrten und Weisen, die Apostel, Evangelisten, Hirten,
Lehrer und Zeugen, die du ihm nach deinem Erbarmen und Treue sandest. Und noch
heute sind dir, der du bist der süßeste Menschenfreud, noch so viele Menschen
feind und hassen und verfolgen die, welche glauben und bekennen, dass du seist
Jesus Christus, der Sohn Gottes, der in das Fleisch gekommen ist. Ach, so
stärke im Blick auf deinen ersten Blutzeugen auch uns, dass wir bei des
Fleisches Einfalt die Leiden nicht scheuen, in welche uns der Besitz und das
Bekenntnis des kündlich großen Geheimnisses deiner Menschwerdung versetzt.
Hilf, dass wir in Wort und Wandel deinen Namen verherrlichen, und dass wir um
des Bekenntnisses willen Schmach und Hass erdulden, ja, auch das Leben nicht
lieb haben, damit du uns auch bekennst vor deinem Vater und krönst mit dem
Krone der ewigen Ehren. Amen.
1.
Nach dem Gesetz des HERRN mussten nicht nur
Mörder, sondern auch die Gotteslästerer mit dem Tod bestraft werden. Als
daher die gottlose Königin Isebel von Israel ihrem von ihr beherrschten und zum
Baalsdienst noch mehr verführten Gemahl, dem König Ahab, um jeden Preis den
Weinberg des frommen Israeliten Naboth verschaffen wollte, wusste sie es zu
veranstalten, dass dieser auf falsch beschworene Anklage hin als Lästerer
Gottes und seines Gesalbten, des Königs, zu Tode gesteinigt wurde. Und als
Jesus vor dem Hohen Rat stand und selbst die falschen Zeugen, die man gegen ihn
bestellt hatte, mir ihrem beschworenen Zeugnis zuschanden wurden, da tat der
höllisch kluge Hohepriester den letzten, aber sicheren Wurf, indem er Jesus
aufforderte, unter Eid vor dem höchsten Gerichtshof Israels zu erklären, ob er
sei Christus, der Sohn Gottes. Und als die Antwort Jesu kam: „Du sagst es, ich
bin es!“ da zerriss der Hohepriester in scheinheiligem Entsetzen seine Kleider
und schrie: „Er hat Gott gelästert! Was bedürfen wir weiter Zeugnis! Was denkt
ihr?“ Und der Hohe Rat antwortete einstimmig: „Er ist des Todes schuldig.“ So
ist auch die Ursache des Todes des Stephanus nicht Mord, sondern Gotteslästerung,
aber wie bei seinem HERRN und Heiland und wie einst bei einem Naboth allein auf
falsche Anklage hin.
Stephanus, ein Glied der Gemeinde in
Jerusalem, hatte ein kirchliches Amt in dieser übernommen. Es war aber dasselbe
nicht das Amt der Haushalter über Gottes Geheimnisse, sondern das Amt derer,
die zu Tisch dienten, nicht das öffentliche Predigt- und Seelsorgeramt, sondern
das Gehilfenamt der Almosenpflege innerhalb der Gemeinde. Weil man in der alten
Kirche die Wahrheit so lebendig erfasste, dass der HERR Jesus arm wurde um
unseretwillen, damit wir durch seine Armut reich würden, und weil man da noch in
der frischen und vollen Freude über den menschgewordenen Gott und Heiland
stand, so war man auch reich an Liebe zu ihm und den Brüdern; und wie man an
Weihnachten am meisten aufgelegt ist zum Geben, so waren auch jene
apostolischen Christen in einem ganz außerordentlichen Maß fort und fort
aufgelegt zum Wohltun und Mitteilen. Jeder betrachtete sein Vermögen so wenig
als sein ausschließliches Eigentum, dass er vielmehr dasselbe für wohltätige
Zwecke den Aposteln zur Verfügung stellte. Damit jedoch trotz dieser ungemeinen
Liebestätigkeit kein armer Bruder und keine notdürftige verwitwete Schwester
übersehen würde oder zu kurz käme, so machte man diese Liebestätigkeit zu einer
mehr geordneten durch die Einrichtung eines besonderen Austeilungsamtes, des
Almosenpflegeramtes, der kirchlichen Armenpflege, in den apostolischen
Schriften genannt das Amt der Diakonie oder des Dienstes. Auf Vorschlag der
Apostel, welche bisher neben ihrem Predigtamt auch die ihnen übergebenen
Almosen verteilten, erwählte man sieben Männer, die einen guten Ruf hatten und
voll Geistes und Weisheit waren. Einer unter diesen Sieben, und zwar der
Hervorragendste von ihnen, war Stephanus. Er war ein Mann „voll
Glaubens und heiligen Geistes“ (Kap. 6,7) und voll „Kräfte“ und „tat
Wunder und große Zeichen unter dem Volk“.
Diese Wunder und große Zeichen unter dem
Volk tat Stephanus zur Bestätigung der Lehre von Christus, die er frei
und offen bekannte und seinen Brüdern nach dem Fleisch, den Juden, predigte.
Wir müssen den Christen an zweierlei Ort stellen. Ist er in einer Versammlung
von Christen, so ist er unter einer Versammlung von geistlichen Priestern, die
alle gleiche Rechte haben und darf daher nicht sich selbst hervortun mit
Predigen und Sakramentreichen, sondern muss dazu einen ordentlichen Beruf von
der Kirche bekommen. Anders aber, wenn Juden oder Heiden um ihn versammelt
sind. Da bedarf es nicht eines besonderen Berufs, sondern da kann jeder Christ,
den die Liebe dringt, denen die draußen sind, das Heil zu bezeugen, ohne
weiteres auftreten kraft des allgemeinen Befehls: „Predigt das Evangelium aller
Kreatur“, und kraft seines geistlichen Priestertums, nach welchem er
verkündigen soll die Tugenden des, der ihn berufen hat von der Finsternis zu
seinem wunderbaren Licht. So unter den Juden Stephanus, der unter den Christen
allein zur Almosenpflege Berufene.
Aber die Missionspredigt unter den Juden
zieht ihm großen Hass und eine sich steigernde Verfolgung zu. „Da
standen auf etliche von der Synagoge, die da heißt der Libertiner und der
Kyrener und der Alexanderer und derer, die aus Kilikien und Asien waren, und
befragten sich mit Stephanus.“ Da sind die Meister verschiedener jüdischer
Gelehrtenschulen in Jerusalem, denen es je länger je mehr Verdruss bereitete,
dass das Volk den Aposteln, diesen ungelehrten galiläischen Fischern und
Zöllnern, so nachläuft und nun auch dieser Almosenpfleger mit seiner von
Wundern und Zeichen begleiteten Predigt so viel Aufsehen macht und so viel
Erfolg hat. Es erscheint ihnen das alles als eine Ehrenkränkung, als eine
Herabsetzung ihrer Schriftgelehrsamkeit. Deshalb suchen sie an Stephanus
mittels öffentlicher Streitgespräche zum Ritter zu werden, suchen ihn durch
Disputierkünste, durch allerlei spitzfindige, verfängliche Fragen vor dem
zuhörenden Volk zuschanden zu machen, gleichwie seinerzeit Jesus die Pharisäer,
Sadduzäer und Schriftgelehrten. Man sagt im Sprichwort: „Viele Hunde sind des
Hasen Tod.“ Aber ob es auch viele und vielerlei sind, die mit solchen Fragen
auf diesen einen Menschen Stephanus einstürmen, sie alle werden an ihm
zuschanden. „Sie vermochten nicht zu widerstehen der Weisheit und dem Geist,
aus welchem er redete.“
Wenn man von der Macht der Wahrheit zwar
äußerlich besiegt, aber nicht innerlich überwunden ist, weil man durch Wirkung
des Teufels sein Herz gegen diese verhärtet, so wird man ein desto boshafterer
und unsinnigerer Feind der Wahrheit und ihrer Zeugen. Da greift man, wie wir es
auch erfahren müssen, noch etwas schamloser zu weiteren unehrlichen Mitteln.
Man verdächtigt, man verdreht die Worte der Zeugen Jesu, man
reißt ihre Worte aus dem Zusammenhang, man gibt vor, aus ihren eigenen
Schriften ihre Lehre darzustellen und liefert dann doch nur ein hässliches
Zerrbild ihrer Lehre. So hier. Zwar sie selbst ziehen sich ins Versteck zurück.
So schlau die Verdächtigung ausgedacht und deren Wirkung auf das Volk und seine
Obersten berechnet ist - es konnte am
Ende doch auch hier ein Fehlschlag erfolgen und dann ihre Niederlage umso
schmählicher sein. Darum laden sie bloß das Gewehr und lassen es andere für sie
abschießen. „Da richteten sie zu etliche Männer, die sprachen: Wir haben ihn
gehört Lästerworte reden gegen Mose und gegen Gott.“ Nun gerade eine solche
Brandfackel passte für das damalige Judenvolk, das, je mehr seinethalben Gottes
Name verlästert wurde und je weniger es für die Kreuzigung Christi Buße tun
wollte, desto mehr seine ganze Religion in einen fleischlichen blinden Eifer
für das väterliche Gesetz setze, bei welchem Eifer man dem alten Adam nicht nur
keinen Abbruch tut, sondern ihm vielmehr recht wohltut. Daher lesen wir: „Und
bewegten das Volk und die Ältesten und Schriftgelehrten.“ Die Aufregung aber
steigert sich zum Volksauflauf, zum „Mob“. „Und sie rissen ihn hin und
führten ihn vor den Rat.“
Aber was sollten es denn für Lästerworte
gewesen sein, die man aus des Stephanus Mund wollte vernommen haben? Hört nur
weiter: „Und sie stellten falsche Zeugen auf, die sprachen: Dieser Mensch
hört nicht auf zu reden Lästerworte gegen diese heilige Stätte und das Gesetz,
denn wir haben ihn hören sagen: Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören
und ändern die Sitten, die uns Mose gegeben hat.“ Seht da, welche
Verdrehung der Worte des Stephanus und wie ähnlich sieht sie der Verdrehung der
Worte des HERRN vom Abbrechen des Tempels seines Leibes! Dass Stephanus
predigte: Christus ist des Gesetzes Ende, denn in ihm sind alle Vorbilder
erfüllt und durch ihn alle Anforderungen des Gesetzes und dass man nicht durch
die Werke des Gesetzes, sondern allein durch den Glauben an Christus könne
gerecht und selig werden – daraus machen sie: „Jesus wird ändern die Sitten,
die uns Mose gegeben hat.“ Stephanus hatte gepredigt, dass, wenn sie auch
jetzt noch nicht Buße tun, sondern fortfahren würden, in Jesus den verheißenen
Messias zu verwerfen, so werde Jesu Weissagung von Jerusalems schrecklicher
Zerstörung nur umso schneller sich erfüllen – daraus machen sie: „Jesus von
Nazareth wird diese Stätte zerstören.“ Vielleicht aber beruhte diese
Darstellung der Lehre des Stephanus auf einem Missverständnis? Keineswegs! Es
waren dies ja falsche Zeugen, die sie sich erst zu verschaffen gesucht
haben, ja, die sie selber erst „zugerichtet“ hatten.
So steht denn nun Stephanus vor demselben Gerichtshof,
vor dem noch vor kurzem sein HERR und Heiland gestand hat und von dem er als
Gotteslästerer zum Tod verurteilt wurde. Somit hat der Knecht kein besseres Los
zu erwarten, aber, o wie ist dieser Knecht auch in seiner Erscheinung so
ähnlich seinem lieben HERRN! „Und sie sahen auf ihn alle, die im Rat saßen,
und sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht.“
Da fordert ihn der Hohepriester auf zur Verantwortung
durch die Frage: „Ist dem so?“ – nicht etwa dem Angeklagten Raum,
sondern dem schon beschlossenen Todesurteil einen Schein des Rechts zu geben.
Und nun hält Stephanus seine Verteidigungsrede. Sie ist uns im ganzen siebten
Kapitel bis vor dem zweiten Abschnitt unserer Epistel wiedergegeben, diese
wunderbare, gewaltige, zu Blitz und Donner sich steigernde Rede, in welcher er
aus der Geschichte Israels immer neue Schlaglichter auf die Zustände der Gegenwart
fallen lässt, bis er endlich seine Richter anklagt als die Mörder nicht nur der
Propheten, sondern auch des Gerechten, dessen Zukunft diese verkündigen. Und es
zeigen sich auch die Wirkungen. Leider ist’s nicht Buße, sondern rasende
Wut. „Da sie solches hörten, ging es ihnen durchs Herz und bissen die Zähne
zusammen über ihn.“
Während nun aber die satanische Wurt in den
Gliedern des Hohen Rats zunimmt, nimmt auch bei dem heiligen Märtyrer die Kraft
und Erleuchtung des Heiligen Geistes in solchem Grad zu, dass er mit innerem
eröffneten Auge die Herrlichkeit Gottes und in ihr den Sohn Gottes persönlich
sieht. Als er daher wahrnimmt, wie man die Zähne über ihn zusammenbeißt, bricht
er in das Bekenntnis aus: „Siehe, ich sehe den Himmel offen und des Menschen
Sohn zur Rechten Gottes stehen.“
Das Bekenntnis dieses Geistesblickes bringt
die Erbitterung des Hohen Rats auf den höchsten Gipfel. Erst wildes Geschrei,
dann greift man geradezu zur Lynchjustiz. Ohne weiteren Gerichtsbeschluss, mit
Verletzung aller Rechtsformen, schleppt man Stephanus zur Richtstätte. „Sie
schrien aber laut und hielten ihre Ohren zu und stürmten einmütig auf ihn ein
und steinigten ihn.“
Dies ist die Ursache des Todes des
Stephanus.
2.
Betrachten wir denn kurz die Art des
Todes des heiligen Märtyrers.
Er wird gesteinigt und zwar, wie es
im Gesetz Moses vorgeschrieben ist, durch die Zeugen, welche unter Eid ihn der
Gotteslästerung anklagten. „Und die Zeugen legten ihre Kleider ab zu den
Füßen eines Jünglings, der hieß Saulus, und steinigten Stephanus.“
Aber wie ist auch in seinem Tod der Knecht
seinem HERRN wieder so ähnlich, indem nämlich von Stephanus es sogleich weiter
heißt: „Er rief an und sprach: HERR Jesus, nimm meinem Geist auf! Er kniete
aber nieder und schrie laut: HERR, behalte ihnen diese Sünde nicht! Und als er
das gesagt, entschlief er.“ Seht, wie der Knecht unter den Steinwürfen der
Juden sein kostbares, im Glauben Gott geheiligtes Leben mit dem letzten und
ersten von den sieben Worten seines gekreuzigten HERRN und Heilandes im Mund
beschließt. Nur in einem Punkt ist er seinem HERRN unähnlich, nämlich darin,
dass er unter den Steinwürfen entschlief, ohne des Todes Bitterkeit zu
schmecken. Gottlob! Und möge nur jeder beim Sterben dem HERRN Jesus in diesem
Stück unähnlich sein, denn dies kommt daher, dass der HERR für uns des Todes
Bitterkeit geschmeckt und gesagt hat: „Wahrlich, ich sage euch: So jemand mein
Wort wird halten, der wird den Tod nicht sehen ewiglich.“
Stephanus heißt auf Deutsch: Krone.
Stephanus hat die Märtyrerkrone und nach dieser die Ehrenkrone erlangt, die ihm
darzureichen der HERR von seinem Thron sich erhoben hatte, daher Stephanus bei
seinem Blick in den geöffneten Himmel des Menschen Sohn nicht sitzen, sondern
stehen sah zur Rechten Gottes.
Welch eine Wolke von Blutzeugen ist
diesem ersten Märtyrer seitdem gefolgt – zuerst unter dem heidnischen, dann
unter dem antichristlichen Rom. Wird sie in dieser allerletzten Zeit noch um
ein bedeutendes vermehrt? Wohl lebt noch die geistliche Isebel, die
babylonische Hure, die trunken ist von dem Blut der Heiligen und auch im 19.
Jahrhundert nach demselben dürstet und es offen beklagt, dass dem Mann zu Rom
zur Zeit noch die Hände gebunden sind. Wohl mehrt sich der Haufe der raub- und
Mordgierigen Sozialisten, die ohne Scheu es sagen, dass sie das Christentum als
ein Hindernis des Menschenglücks auszurotten trachten. Wohl bedroht das
Staatskirchentum der alten Welt mit Gefängnis und Geldstrafen die freimütigen
Zeugen der lutherischen Wahrheit. Aber ob sich die blutigen Verfolgungen der
Vorzeit zuletzt erneuern werden, steht noch zu erwarten.[32] Ein
Schaden wäre es alsdann der Kirche nicht. Unser Text gerade zeigt uns, dass in
die durch Stephanus entstandene Zeugenlücke sogar ein Saulus treten musste,
der, ein Jüngling, damals noch Wohlgefallen an des Stephanus Tod hatte und
sogar ein blutdürstiger Christenverfolger wurde. Die Geschichte lehrt, dass das
Blut der Märtyrer der Same der Christen ist und mit Recht sang Luther über den
beiden um der lutherischen Wahrheit willen zu Brüssel verbrannten jungen
Mönchen [Voss und Esch]:
Die
Asche will nicht lassen ab,
Sie
stiebt in alle Landen.
Hier
hilft kein Bach, Loch, Grub noch Grab,
Sie
macht den Feind zuschanden.
Die er im Leben durch den Mord
Zu
schweigen hat gedrungen,
Die
muss er tot an allem Ort
Mit
aller Stimm und Zungen
Gar
fröhlich lassen singen.
Wie denn der Herr will. Lasst uns nur mit
Stephanus den im wahren Glauben aufnehmen, der um unseretwillen Mensch geworden
ist, diesen Glauben frei und offen mit dem Mund vor der Welt bekennen und dann
mit den Werken beweisen, so wird es, auch wenn wir nicht in den Zeiten des
Martyriums leben, an Hass, Feindschaft und Verfolgung nicht fehlen und wird der
eine und andere dazu noch erfahren müssen, dass der HERR Jesus gesagt hat: „Des
Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.“ Denn wer
Mit
Jesus sich verbindet,
Den
Satan flieht und hasst,
Der
wird verfolgt und findet
Ein
harte schwere Last
Zu
leiden und zu tragen,
Gerät
in Hohn und Spott,
Das
Kreuz und alle Plagen,
Die
sind sein täglich Brot.
Der
HERR wird uns aber erquicken, wie er den Stephanus erquickt hat, und wir werden
gleichfalls durch den Glauben an sein Gnadenwort des Todes Bitterkeit nicht
schmecken, und ob wir auch nicht gewürdigt sind des Martertodes, so bleiben wir
doch, wenn wir Treue beweisen bis in den Tod, gewürdigt der Krone der ewigen
Ehren. Amen.
Gebet:
HERR Gott, himmlischer Vater, der du den heiligen Stephanus seines Glaubens
halber hast leiden und steinigen lassen, anzuzeigen, dass dein Reich nicht von
dieser Welt ist, sondern in ein anderes Leben gehört, wir bitten dich: Wenn wir
um deines Wortes und Namens willen auch müssen leiden, stärke unsere Herzen
durch deinen heiligen Geist, dass wir fest bestehen, und uns mit deiner Gnade
und den ewigen Gütern anstatt der zeitlichen trösten mögen durch Jesus
Christus, unseren HERRN. Amen.
Lied:
Ich freue mich in dir.
Lied:
Das ist gewisslich wahr
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus und
die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen.
Galater
4,1-7: Ich sage aber, solange der Erbe ein Kind ist, so ist zwischen ihm und
einem Knecht kein Unterschied, ob er wohl ein Herr ist aller Güter, sondern er
ist unter den Vormündern und Pflegern bis auf die bestimmte Zeit vom Vater. So
auch wir, da wir Kinder waren, waren wir gefangen unter den äußerlichen
Satzungen. Als aber die Zeit erfüllt wurde, sandte Gott seinen Sohn, geboren
von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, so unter dem Gesetz
waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen. Weil ihr denn Kinder seid,
hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes in eure Herzen, der schreit: Abba,
lieber Vater! So ist nun hier kein Knecht mehr, sondern nur Kinder. Sind’s aber
Kinder, so sind’s auch Erben Gottes durch Christus.
Geliebte in dem HERRN! Da heute, am
Neujahrstag und dann noch viermal im Kirchenjahr die epistolische Lektion dem
Brief des Paulus an die Galater entnommen ist, so lasst mich eingangsweise mit
den Letzteren und der Veranlassung des apostolischen Sendschreibens an diese
euch etwas bekannt machen. Es wird das uns zugleich auf den Punkt führen, um
den es sich in der heutigen Epistel vornehmlich handelt.
Mehr als dreieinhalb Jahrhunderte vor
Christi Geburt brachen einst zwei wilde gallische Kriegerhorden aus der Gegend
am Rhein auf, wanderten entlang der Donau, durchzogen [Norditalien, plünderten
Rom, zogen dann durch] Ungarn und Mazedonien, setzten dort über das Meer,
drangen in Kleinasien ein, eroberten einen Landstrich und ließen sich auf dem
nieder. Da man damals nicht bloß das heutige Frankreich, sondern auch die
Rheingegenden Gallien hieß, so nannte man diese kriegerischen Eindringlinge
Gallier oder Galater und den von ihnen eingenommenen Landstrich Galatien. Der
Kirchenvater Hieronymus, der 400 Jahre nach Christus lebte und nicht nur in
Galatien, sondern auch in der Rheingegend gewesen war, berichtet, dass die
Sprache der Galater seiner Zeit noch immer eine auffallende Ähnlichkeit mit der
hätte, welche er in der Gegend von Trier habe sprechen hören: Klangen doch die
Namen der Führer dieser beiden galatischen Kriegshorden deutsch, denn der eine
soll Lutarius oder Lothar und der andere Leonarius oder Leonhard geheißen
haben. Ebenso auch sollen die Sitten der Galater die der alten Germanen gewesen
sein. Somit wären die Galater germanischer Abkunft gewesen.
Zu diesem Volk nun kam Paulus, der
eigentliche Apostel der Heiden, auf seiner kleinasiatischen Missionsreise zwei
Mal – das eine Mal, unter diesem wilden Volk die Kirche Christi zu pflanzen,
das andere Mal, die von ihm dort gegründeten Gemeinden zu stärken. Von welch
herrlichen Erfolgen seine Predigt unter diesem Volk war, zeigt der
Galaterbrief. Ruft er doch unter anderem aus: „Meine Anfechtungen, die ich
leide nach dem Fleisch, habt ihr nicht verachtet noch verschmäht, sondern wie
einen Engel Gottes nahmt ihr mich auf, ja, wie Christus Jesus. Wie wart ihr
damals so selig! Ich bin euer Zeuge, dass, wenn es möglich gewesen wäre, ihr
hättet eure Augen ausgerissen und mir gegeben.“ (Kamp. 4,14.15.) Sie zeigt aber
auch, warum der Apostel hernach an sie schreiben musste. Falsche Apostel hatten
nach des Apostels Weggang in kurzer Frist eine solche Verwirrung und Zerstörung
in den Gemeinden Galatien angerichtet, dass der Apostel unter anderem in Bezug
auf die Lehre ausrufen musste: „O ihr unverständigen Galater, wer hat euch
bezaubert, dass ihr der Wahrheit nicht gehorcht? Welchen Christus Jesus vor die
Augen gemalt war und jetzt unter euch gekreuzigt ist“ (Kap. 3,1); und in Bezug
auf die jetzige Stellung zu ihm, ihrem geistlichen Vater: „Bin ich denn so euer
Feind geworden, dass ich euch die Wahrheit vorhalte? Sie (die falschen Apostel)
eifern um euch nicht fein; sondern sie wollen euch von mir abfällig machen,
dass ihr um sie sollt eifern.“ (Kap. 4,16.17.)
Wodurch war nun solche Verwirrung und
Zerstörung angerichtet worden? Durch ein anderes Evangelium, das jene
falschen Apostel predigten. Und dies andere Evangelium? O, es schien kein anderes,
sondern nur ein vollständigeres Evangelium zu sein. Dass Jesus Christus
Gottes Sohn und der erschienene Heiland ist, dass man auf seinen Namen getauft
sein, an ihn glauben und zur Stärkung seines Glaubens das heilige Abendmahl
gebrauchen solle, dies und anderes lehrten die falschen Apostel auch, das
ließen sie von der Lehre des Paulus stehen. Sie behaupteten aber, dass die
Christen noch manches vom Gesetz Moses halten müssten, als da ist: die Beschneidung,
die Enthaltung von gewissen Speisen und Betränken, die Beobachtung des Sabbats
und etlicher anderer Feiertage. Das habe Paulus nicht gelehrt, sondern
vielmehr das Gegenteil behauptet, darum habe er nicht den ganzen Rat
Gottes zur Seligkeit verkündigt, den Galatern nicht das vollständige
Evangelium gebracht.
Zu den trügerischen Beweisen, welche jene
falschen Apostel für ihr falsches Evangelium brachten, gehörte auch der, dass,
weil die Kirche des Neuen Testaments doch eigentlich die Fortsetzung der Kirche
des Alten Testaments ist, so wären die Gebote und Gesetze, welche den Gläubigen
im Alten Bund gegen waren, auch für die Gläubigen im Neuen Bund noch
verbindlich. Da nun der Apostel das Irrige dieser Behauptung in der heutigen
Epistel aufdeckt, indem er nachweist, dass der Zustand der Kirche im Alten Bund
ein Zustand der geistlichen Unmündigkeit gewesen war, der mit der
Menschwerdung des Sohnes Gottes aufgehört hat, so wollen wir denn auch
weiter nachdenken und dasselbe bei dem Gedanken an den nun so nahen Ablauf des
alten Jahres auf uns anwenden. Ich fasse daher den Inhalt meiner Predigt in den
Satz:
Durch den Glauben an den menschgewordenen Heiland sind die Kinder
Gottes nunmehr mündig
Lasst mich zeigen
1.
Wie das zu
verstehen, und
2.
Wie das
anzuwenden ist.
O
Christe, Wahrheit und Leben,
Wir
bitten dich, du wollest uns geben
Deinen
Heiligen Geist von oben
Mit
seinen göttlichen Gaben,
Dass
dein Wort rein hier auf Erden
Mög
verkündigt werden.
O
gib, dass die Red, so vorhanden,
Recht
erklärt wird und verstanden.
Lass
es ihr gelingen
Und
sie unser Herz durchdringen,
Zu
Lob und Ehr deinem Namen.
Darauf
sprechen wir: Amen. Amen.
1.
Meine Geliebten! Jene falschen Apostel
spiegelten den Galatern vor: Die Gläubigen des Alten Bundes seien doch auch
Kinder Gottes und Erben der Verheißung gewesen und gleichwohl habe ihnen Gott
das Gesetz auferlegt und so viele Zeremonien zu halten geboten. Dagegen
schreibt nun der Apostel: „Ich sage aber, solange der Erbe ein Kind ist, so
ist zwischen ihm und einem Knecht kein Unterschied, ob er wohl ein Herr ist
aller Güter, sondern er ist unter den Vormündern und Pflegern bis auf die
bestimmte Zeit vom Vater. So auch wir, da wir Kinder waren, waren wir gefangen
unter den äußerlichen Satzungen.“ Der Apostel will damit sagen: Wohl sind
die Gläubigen des Alten Bundes ebenso gut Kinder und Erben Gottes wie die
Gläubigen des Neuen Bundes. Daraus folgt aber noch lange nicht, dass die
Letzteren alles das halten müssten, was den Ersteren auferlegt war. Mit der
Kirche Gottes überhaupt verhält sich’s wie mit einer Familie, in welcher die
Kinder bis zu einer gewissen Zeit im Stand der Unmündigkeit sich befinden und
in diesem ganz anders behandelt werden müssen als im Stand der Mündigkeit.
Obwohl ein Erbe der Güter des Vaters, kann der Unmündige sein Erbe zu
selbständiger Verwaltung doch nicht antreten, denn dazu gehört eine gewisse
Reife des Verstandes und der Erfahrung und werden ihm daher bis zu deren
Erlangung Lehrer und Vormünder gesetzt. So lange er aber unter diesen steht,
ist dem äußerlichen Ansehen nach zwischen dem noch unmündigen Erben und dem
Knecht des Hauses durchaus kein Unterschied; denn jener muss ebenso fremdem
Willen gehorchen und ist ebenso der Strafe unterworfen wie dieser. Was daher
Gott für die Kirche des Alten Testaments durch Mose angeordnet hat, ist
lediglich in Rücksicht auf die geistliche Unmündigkeit in der Zeit der
Verheißung geschehen und fällt daher nunmehr weg, weil mit der Erscheinung
Christi der Zustand der Unmündigkeit der Kinder Gottes aufgehört hat.
Dies ist im Allgemeinen der Sinn des
Apostels. Sehen wir nun vor allem, worin diese geistliche Unmündigkeit
der Kinder Gottes Alten Bundes im Einzelnen bestanden hat, denn nur so werden
wir recht verstehen, was die geistliche Mündigkeit ist.
Gleich im Voraus lasst mit bemerken, dass
wir hier nicht von einer geistigen Unmündigkeit reden, als ob dem
natürlichen Verstand nach die Kinder Gottes unmündig gewesen wären, wie
heutzutage die ungläubigen Narren sich eine solche denken, nach deren Meinung
der Mensch in einem halb- oder ganz wilden Zustand sich erst befunden und so
nach und nach geistig sich entwickelt habe. Welch eine tiefe und helle
Erkenntnis der Natur besaß doch Adam, als er jedem Tier den seiner Natur
entsprechenden Namen geben sollt! Wie bald verlegten sich die Nachkommen Kains
auf die Künste! Welch eine Kunde des gestirnten Himmels hatten man doch schon
im grauesten Altertum! Welche Bauwerke zeigen schon die frühesten Zeiten auf!
Auch von einer geistlichen Unmündigkeit der Kinder Gottes kann nicht
schlechtweg die Rede sein. Welch eine Erkenntnis göttlicher Dinge hatte doch
z.B. ein Abraham, ein Mose, ein David, ein Jesaja. Es ist hier allein von der
geistlichen Unmündigkeit in Absicht auf das Geheimnis der zukünftigen
Erlösung die Rede. Das Geheimnis unserer Erlösung zu schauen, gelüstete ja
selbst die Engel. Es ist demnach so groß, dass der göttliche Ratschluss den
Kindern Gottes erst nach und nach enthüllt werden musste, ehe die Zeit seiner
Verwirklichung kommen konnte; dazu hat der Fall Adams den Menschen so blind
über sein eigenes Elend gemacht, dass derselbe erst zur lebendigen Erkenntnis
desselben gebracht werden musste, um durch die Verheißung und Weissagung von
Christus dahin zu gelangen, dass er in gläubigem Verlangen nach dem zukünftigen
Erlöser ausschaute.
Deshalb begann nun zuerst die Zeit der
Verheißung. Es war das gleichsam die Zeit der ersten Kindheit, da Gott in
der Offenbarung seines Gnadenratschlusses mit den Vätern wie mit den Kindern
redete, zuerst von dem Weibessamen, welcher der Schlage den Kopf zertreten
würde, dann von dem Samen Abrahams, in welchem alle Geschlechter auf Erden
gesegnet sein sollten, dann von dem Helden aus Judas Stamm, dem die Völker
anhangen würden. Während nun aber die Weissagung fortging, und immer häufiger,
immer deutlicher, immer herrlicher wurde, kam, gleichsam dazwischen geschoben, die
Zeit des Gesetzes, damit dasselbe ein Zuchtmeister auf Christus sei. Zwar
stehen unter diesem Zuchtmeister alle Menschen, denn haben die Heiden auch
nicht das geschriebene Gesetz, so haben sie doch das natürliche Gesetz, wie ihr
Gewissen ihnen solches bezeugt. Durch das auf Sinai gegebene Gesetz aber hatte
Gott den Samen Abrahams dem Zuchtmeister noch besonders unterworfen und ihm
eine noch viel ausgedehntere Gewalt über die Kinder Gottes gegeben.
Da war nämlich zunächst in den 10 Geboten
ein Sittengesetz gegeben, das den heiligen und gerechten Willen Gottes
ihnen erst recht offenbarte und seine hohen unerfüllbaren Forderungen erst
recht an das Gewissen stellte. Zu diesem fügte Gott nun für ihr
gottesdienstliches und bürgerliches Leben ein Zeremonial- und
Polizeigesetz, welche beide eine Menge von Geboten enthielten oder
„äußerliche Satzungen“, wie sie Paulus in unserem Text nennt. Ort, Zeit und
Weise des Gottesdienstes waren den Juden im Zeremonialgesetz genau und bis ins
Einzelnste und Kleinste vorgeschrieben und ihnen hart eingeschärft, hier ja
nichts nach eigenem Gutdünken vorzunehmen. Und so geschah es auch durch das von
Gott gegebene Polizeigesetz hinsichtlich ihres bürgerlichen Lebens. Kurz,
keinerlei freie Bewegung war den Kindern Gottes im Alten Bund gestattet, ihr
ganzes religiöses und bürgerliches Leben war in einer Menge äußerlicher
Satzungen gefangen, alles war ihnen genau vorgeschrieben und streng zu halten
befohlen.
Doch, Geliebte, indem der Apostel hier von
den „äußerlichen Satzungen“ redet, hat er vornehmlich das Zeremonialgesetz
im Auge, da ja die falschen Apostel dessen Verbindlichkeit für die Christen den
Galatern eingeredet hatten. Dies heißt er eigentlich die „Elemente“ oder
Anfangsgründe in der Erkenntnis des Geheimnisses der zukünftigen Erlösung, da
alle diese vielen und mancherlei Opfer und Gottesdienste, alle die mancherlei
Feiertage und Sabbate, alle die einzelnen vielen Zeremonien der „Schatten von
dem, das zukünftig ist“ sein sollten. Sie waren nur Vorbilder und als
solche die Bilderschrift von der zukünftigen Erlösung, zu deren
Entzifferung die nach der Erkenntnis trachtenden Gläubigen an den Weissagungen
der Propheten den Schlüssel besaßen, daher denn auch David im 51. Psalm
spricht: „Du lässt mich wissen die heimliche Weisheit.“ Aber eben, weil alle
diese Opfer und alle diese Zeremonien nur „Schatten“ des Körpers, nur Vorbilder
auf Christus sein sollten, so waren sie auch die Kinderschule Israels, das
Bilder-ABC der Kinder Gottes im Alten Bund, daran sie lernen sollten, was ihnen
von Christus, als dem noch zukünftigen Heiland, zu wissen not war. Ganz
besonders auch zeigte sich die Bevormundung der Kinder durch die göttliche
Stiftung des levitischen Priestertums. Nur durch dieses konnten sie
damals mit Gott handeln, nur durch die Hand des Priesters die vorgeschriebenen
Opfer darbringen. Mit ihren Gebeten, mit ihren Fragen an den HERRN waren sie an
die Vermittlung des Priesters gewiesen.
Aber hatten denn diese Gläubigen von ihrer
Kindschaft und dem verheißenen Erbe dar nichts zu genießen? Gewiss, sie gingen
hier nicht leer aus. Bei dem Maß der Erkenntnis, das ihnen durch diese
Vorbilder in Verbindung mit den Weissagungen wurde, waren die Kinder Gottes im
Alten Bund ja freilich oft recht selig und darum viel besser daran als die
Heiden, die Gott ihre Wege gehen ließ und die daher immer tiefer in die
Finsternis des Götzen- und des Fleischesdienstes versanken. Wie freute sich
z.B. Abraham, als er den Geburtstag Christi von ferne sah! Wie kannte David
keine größere Seligkeit hienieden, als in der Bilderschrift der schönen
Gottesdienste das Geheimnis der Erlösung mehr und mehr zu lesen! Aber gegen die
Erkenntnis, welche durch die Erfüllung und durch die Predigt des Evangeliums
den Kindern Gottes im Neuen Bund von diesem Geheimnis geschenkt ist, war es im
Alten Bund doch nur ein geringes Maß. Und nicht nur war hierdurch das
Glaubensleben im Alten Bund noch sehr eingeschränkt, sondern es war auch die
gläubige Aneignung der Verheißung mit noch so viel Furcht und Zittern, die
Gemeinschaft mit Gott mit noch so viel Scheu vermengt. Es war ja das Gesetz ein
gar scharfer Vormund, der nicht nur viel forderte, sondern auch gar hart
strafte, selbst Vergehen gegen das Zeremonialgeestz. Dort in der Wüste musste
ein Mann auf Gottes Befehl zu Tode gesteinigt werden, weil er am Sabbattag bloß
etwas Holz zur Feuerung aufgelesen hatte. Weil bei einer Feierlichkeit in guter
Meinung Usa die Lade Gottes anrührte, schlug ihn alsbald die Hand des HERRN.
Welch ein schweres Joch auf dem Hals der Kinder Gottes das gesamte Gesetz Moses
war, bezeugt Paulus. Wie musste Gott ferner das ganze Volk mit so vielen
Gerichten, endlich gar mit der babylonischen Gefangenschaft heimsuchen, dass es
bei seiner Hinneigung zum Götzendienst sein Erbe nicht gar verscherzte, und wie
mussten die Kinder Gottes diese Offenbarungen des göttlichen Zornes mittragen!
Und bei dem noch so eingeschränkten Trost, wie mussten gerade die zarten Gewissen
in Anfechtung immer wieder geraten, je mehr sie inne wurden, dass man das
Gesetz nicht erfüllen könne und je größer das Verderben mit der Zeit wurde!
Alles das aber, damit das Gesetz der Zuchtmeister auf Christus sei.
Das also war die Unmündigkeit der Kinder
Gottes. Diese sollte nun selbstverständlich mit der Erscheinung des Heilandes
im Fleisch und durch die Vollbringung seines Erlösungswerkes ihr Ende
nehmen. Der Apostel fährt darum fort: „Als aber die Zeit erfüllt wurde,
sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,
damit er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft
empfingen. Weil ihr denn Kinder seid, hat Gott gesandt den Geist seines Sohnes
in eure Herzen, der schreit: Abba, lieber Vater! So ist nun hier kein Knecht
mehr, sondern nur Kinder. Sind’s aber Kinder, so sind’s auch Erben Gottes durch
Christus.“ In diesen Worten aber bezeugt er, dass mit der Erscheinung
Christi die Mündigkeit der Kinder Gottes gekommen ist und lehrt, worin
diese besteht.
Sie besteht nämlich erstens in der Freiheit
vom Gesetz, denn Christus ist darum unter das Gesetz getan, hat ihm darum
einen vollkommenen Gehorsam an unserer Statt geleistet und darum dessen Fluch
für uns auf sich genommen, „auf dass er die, so unter dem Gesetz waren,
erlöste“. Wir brauchen also keine jüdischen Zeremonien mehr zu beobachten,
selbst auch nicht mehr das jüdische Sabbatgebot, denn alle Vorbilder sind in
Christus erfüllt und wir haben in der Erfüllung und durch den Glauben das
Wesen, die Sache selbst. Gegen diejenigen, welche uns daher irgendein Zeremonialgebot
aufhalsen wollen, wie einst die falschen Apostel den Galatern und wie
heutzutage die Schwärmer mit ihrer falschen Sonntagslehre und ihrem
Abstinenzfanatismus, ruft daher der Apostel den Christen Kol. 2,16.17 zu: „So
lasst nun niemand euch Gewissen machen über Speise oder über Trank oder über
bestimmte Feiertage oder Neumonde oder Sabbate, welches ist der Schatten von
dem, das zukünftig ist, aber der Körper selbst ist in Christus!“ Wir sind
frei von dem jüdischen Polizeigesetz, denn Christus hat nun sein Reich
in allen Landen und unter allen Königreichen und seine heiligen Apostel
schreiben: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat“;
und: „Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des HERRN willen.“ Ja, wir
sind sogar frei von dem Sittengesetz [nach dem neuen Menschen, denn dem
ist’s ins Herz geschrieben], von seinem Fluch, wie von seinen Forderungen und
von seinem Zwang trotzdem, dass es seine Verbindlichkeit für uns behalten hat.
Welch eine Herrlichkeit im Neuen Bund das ist, dass diese Freiheit im
Evangelium gepredigt und durch den Glauben erlangt wird und wie da nun auch ein
Christ als ein mündiges Kind aus Dank und mit Lust des Vaters Willen tut,
werden wir besonders am Neujahrstag sehen.
Die Mündigkeit der Kinder Gottes im Neuen
Bund besteht zweitens im uneingeschränkten Gebrauch der Kinderrechte.
Das meint der Apostel, wenn er als Zweck der Freiheit vom Gesetz dies
bezeichnet, „dass wir die Kindschaft empfingen“. Zu dem Ziel hat Gott „den
Geist seines Sohnes“ in unsere Herzen gesendet, der schreit: „Abba, lieber
Vater!“ Um mit Gott zu handeln, braucht es demnach keines vermittelnden
Priestertums mehr wie im Alten Bund, denn es ist „nun hier kein Knecht mehr,
sondern nur Kinder“. Wie kindlich und zutraulich aufgrund der Erlösung
durch Christus die Kinder Gottes mit dem Allerhöchsten handeln dürfen und
können, beweist, dass es der Geist des Sohnes ist, den Gott in ihre Herzen
gegeben hat und sie daher durch denselben rufen: „Abba, lieber Vater!“ Eben
darum auch heißt Petrus die Kinder Gottes im Neuen Bund „das königliche
Priestertum“, eben darum hat Christus auch die Schlüssel des Himmelreichs
seiner Kirche unmittelbar gegeben.
Die Mündigkeit der Kinder Gottes im Neuen
Bund besteht endlich drittens in dem vollen Genuss des durch Christus
erworbenen Erbes. Dieses Erbe ist Vergebung der Sünden, Leben und
Seligkeit, und den vollen Genuss davon haben wir durch Wort und Sakrament,
durch welche uns der ganze Reichtum offenbart, angeboten, dargereicht und
besiegelt wird. Welch eine Erkenntnis Christi gibt uns doch das Evangelium!
Welch eine liebliche Sprache vom Tod führt es, wie tröstlich redet es von dem
Geheimnis unserer gnädigen Erwählung in Christus!
Einen solchen Vorzug also hat der Stand der
Kinder Gottes im Neuen Bund. Und nun wollten jene falschen Apostel die Galater
und wollen heute noch alle ihnen verwandten Geister die Christen wieder unter
das Gesetz führen!
2.
Wie das zu verstehen ist, dass die Kinder
Gottes im Neuen Bund durch den menschgewordenen Heiland nunmehr mündig geworden
sind, haben wir gesehen. Lasst mich andeutungsweise nun noch zeigen, wie dies anzuwenden
ist.
Sei uns das heute Vernommene zunächst eine Aufforderung
zum Dank für die reine Predigt des Evangeliums, welche wir wieder ein
ganzes Jahr genossen haben. Was hülfe es uns doch, dass wir durch Christus nun
zur geistlichen Mündigkeit gekommen sind, wenn es uns nicht rein und voll
gepredigt würde! Dann würden wir den Vorzug der Kinder Gottes im Neuen Bund ja
nicht erkennen, noch viel weniger im freudigen Glauben uns desselben annehmen
können. Denkt z.B. nur an unsere armen Mitchristen im Papsttum, die unter der
Vormundschaft ihrer Priester stehen, die selbst wieder elende Papstknechte
sind, und welche mit dem Gesetz gefangen und geschreckt und mit
Menschensatzungen geknechtet sind. Wie glücklich sind wir, da wir die Predigt
des Evangeliums so rein, so voll, so reichlich hören und dazu in einer
Synodalgemeinschaft uns befinden, die so sehr auf völlige Reinheit der Lehre
hält und die durch ihre ganze Verfassung, durch ihre Lehrverhandlungen auf
Synoden und durch ihre Zeitschriften darauf es anlegt, die Christen zum
Bewusstsein ihrer geistlichen Mündigkeit zu bringen und sie zum Gebrauch
derselben anzuleiten. Hüten wir uns aber vor Undank und Sattheit, denn da
hätten wir diese selige Zeit zum Längsten gehabt und blieben Rottengeister
nicht lange aus, die, wie bei den Galatern, in kurzer Frist zerstörten, was
durch jahrelange Mühe die reine Lehre gewirkt hat!
Doch auch zu einer Prüfung unserer
selbst lasst uns diese Lehre unserer heutigen Epistel anwenden.
Da nämlich Mündigkeit und Selbständigkeit,
wie Freiheit und Gleichheit zu den Schlagwörtern unserer Zeit gehören, so
lassen sich auch viele Christen von dem Geschrei der Freiheitsschwärmer betören
und verlieren die Unterscheidung zwischen leiblicher und zwischen geistlicher
Mündigkeit, ja, verlieren auch mehr und mehr den rechten Verstand eines
jeglichen. So kommt es, dass man schon bei der Erziehung der Kinder vergisst,
dass dieselben bis auf die bestimmte Zeit vom Vater unter den Pflegern und
Vormündern sein müssen, und daher ihnen allen Willen tun und sie in alles drein
reden lässt, statt sie an Gehorsam zu gewöhnen. Die Folge ist, dass die
heranwachsende Jugend nur zu bald in jeder Beziehung mündig und den Eltern und
anderen Vorgesetzten nicht mehr untertan sein will, alle Pietät, alle Scheu vor
dem Alter immer mehr auszieht und allewege das Wort vergisst: „Vor einem grauen
Haupt sollst du aufstehen“ und: „Einen Alten schilt nicht, sondern ermahne ihn
als einen Vater.“ Ach, und wie macht sich der fleischliche Verstand der
geistlichen Mündigkeit auch in der Stellung zum Wort Gottes und deren berufenen
und treuen Verkündigern geltend, indem man es als priesterliche Herrschaft und
Bevormundung ansieht, wenn man sich durch helle und klare Gottesworte lehren,
zurechtweisen, strafen, ermahnen und warnen lassen soll und in Sachen der Lehre
darauf gedrungen wird, dass man die Vernunft unter den Gehorsam des Glaubens
gefangen nehme.
Prüfe sich daher ein jeder unter Jung und
Alt, ob er nicht hier von diesem herrschenden Geist angesteckt worden ist und
habe sich einem fleischlichen Verstand und Gebrauch der geistlichen Mündigkeit
ergeben. Wisst, dass je mehr ein Christ durch den Glauben zur geistlichen
Mündigkeit gelangt, desto mehr wandelt er, besonders wenn er zu den Jüngeren
gehört, freiwillig in den Schranken des 4. Gebotes, desto mehr ist er Eltern,
Lehrern, Predigern, Hausherren und Hausfrauen untertan, desto mehr begegnet er
seinen Vorgesetzten und dem Alter mit Ehrerbietung und lässt sich überhaupt aus
Gottes Wort gern belehren und zurechtweisen, er sei jung oder alt. Und wiederum
je mehr man vom lebendigen Glauben abkommt und so seine geistliche Mündigkeit
wieder verliert, je ungebundener von Gottes Wort will man sein, je weniger
fragt man etwas nach göttlicher und menschlicher Ordnung.
Daher entsteht eigentlich für einen jeden
die Frage: Bin ich ein Kind Gottes? Bin in wiedergeboren? Stehe ich im
lebendigen Glauben? Oder habe ich den Heiligen Geist so betrübt, dass er wieder
von mir weichen musste und ich also nicht mehr Gottes Kind bin? Ach, das ist
die Hauptfrage, über die sich doch ein jeder gewiss werden muss. Lasst uns
nicht von dem alten Jahr scheiden, ohne auf sie eine bestimmte Antwort zu
haben. Können wir sie nicht bejahen, o, so lasst uns Buße tun, dass wir zur
Kindschaft und so zur geistlichen Mündigkeit wieder erneuert werden. Können wir
sie aber bejahen, o, so lasst uns dem HERRN allein die Ehre geben und ihn im
neuen Jahr desto fleißiger und brünstiger bitten, er wolle den Heiligen Geist,
den Geist seines Sohnes, den Geist der Kindschaft in unseren Herzen wohnen
lassen, damit wir versiegelt seien auf den Tag der Erlösung. Amen.
Gebet:
Allmächtiger, ewiger Gott, der du deinen Sohn darum hast lassen Mensch werden
und unter das Gesetz getan, damit er durch sein heiliges Leben, Leiden und
Sterben uns loskaufte von dem Gesetz und seinem Fluch; wir bitten dich:
Verleihe und gnädig deinen Heiligen Geist, damit wir solche deine große Liebe
und Barmherzigkeit wahrhaft erkennen, von Herzen an dieselbe glauben und durch
solchen Glauben den Geist der Kindschaft empfangen und bewahren mögen, bis du
dereinst am Ende dieser Zeit uns mit allen deinen Gläubigen das verheißene
ewige Erbe geben wirst – durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, unseren
HERRN. Amen.
Lied:
das vorige, V. 9 u. 10
Gesang:
Nun freue dich, o Christenheit.
Jesus Christus gestern und heute und
derselbe in Ewigkeit! Die Gnade dieses unseres HERRN Jesus Christus und die
Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch heute und
bleibe mit euch allen auch in diesem neuen Jahr. Amen.
Galater
3,23-29: Ehe denn aber der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahret
und verschlossen auf den Glauben, der da sollte
offenbart werden. So ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus,
damit wir durch den Glauben gerecht würden. Nun aber der Glaube gekommen ist,
sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. Denn ihr seid alle Gottes
Kinder durch den Glauben an Christus Jesus. Denn wieviel euer getauft sind, die
haben Christus angezogen. Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht
noch Freier, hier ist kein Mann noch Frau; denn ihr seid allzumal einer in
Christus Jesus. Seid ihr aber Christi, so seid ihr ja Abrahams Samen und nach
der Verheißung Erben.
Geliebte in dem HERRN! Auf seiner
beschwerlichen Pilgerfahrt aus der Fremde nach der Heimat begegnete im
Ostjordanland dem Erzvater Jakob eine himmlische Gesandtschaft, die ihn bei
Eintritt in das verheißene Land willkommen hieß und ihm den göttlichen Schutz
zusicherte. Es waren das die Engel Gottes. Hocherfreut und neu gestärkt zur
Fortsetzung seiner Pilgerreise rief er aus: „Es sind Gottes Heere!“ und nannte
die Stätte Mahanaim, zu Deutsch: „Doppelheer“.
Ich meine nun, ein himmlischer Doppelheer
begegnet auch uns Erdenpilgern heute beim Übergang aus dem alten Jahr in das
neue Jahr.
Das eine Heer ist das der heiligen Engel.
Sie sind ja „ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die
Seligkeit“. Und noch immer lagert sich der Engel des HERRN „um die her, die ihn
fürchten und hilft ihnen aus“.
Das andere Heer ist das der Heiligen
Gottes, die bereits unter dem Herzog der Seligkeit, Jesus Christus,
überwunden haben. Diese begegnen uns nämlich in dem Namensverzeichnis des
Büchleins, das uns wieder für ein ganzes Jahr die kirchliche und bürgerliche
Zeitteilung bringt. Das Büchlein ist der Kalender.
Voran steht der hochgelobte Name Jesu, der
Name, der über allen Namen ist. Warum? Schon darum, weil heute der Beschneidungs-
und Namenstag des neugeborenen Jesus ist; denn so heißt es im heutigen
Evangelium: „Und da acht Tage um waren, dass das Kind beschnitten würde, da
wurde sein Name genannt Jesus, welcher genannt war von dem Engel, ehe er denn
im Mutterleib empfangen wurde.“ Dass nun dieser Name beim Anfang eines
neuen Jahres obenan steht, dass die Feier des Beschneidungs- und Namensfestes
mit dem Anfang eines bürgerlichen Neujahrs zusammentrifft und man die Jahre
überhaupt von der Geburt Christi vorwärts wie rückwärts zählt, das ist für uns
Christen eine gar tröstliche Wahrnehmung, zugleich aber auch ein fortwährendes
gewaltiges Zeugnis an die ungläubige Welt, dass das von ihr unaufhörlich
verspottete und bekämpfte Christentum längst zur herrschenden Macht geworden
ist und dass der Name, außer welchem es kein Heil und keine Seligkeit gibt,
durch seine Heilwärtigkeit auch Glück in das bürgerliche Leben allüberall
gebracht hat, wo man ihm die Ehre gab, während das Unglück kam, wo überall man
mit beharrlicher Feindschaft diesem Namen begegnete.
An den hochgelobten Namen Jesu reihen sich
darauf eine Anzahl Namen, beginnend mit dem Namen Abel, des Ersten der
verzeichneten Heiligen Gottes, den um seines Glaubens willen Kain zerschlug und
der somit eigentlich der erste Blutzeuge im Alten Testament ist, wie nebst den
Kindlein zu Bethlehem Stephanus der erste Blutzeuge im Neuen Testament. Alle
diese Namen vom 2. Januar bis 31. Dezember, dem Tag Sylvesters, sind nämlich
das von der ältesten Kirche angelegten Namensverzeichnis der Märtyrer
zum jährlichen Gedächtnis derselben. Freilich befinden sich darunter genug
Namen fabelhafter und seltsamer Heiliger, die des Antichrists Hand
hineingesetzt hat. Aber diese abgerechnet, die füglich mit helleuchtenden Namen
lutherischer Märtyrer und Zeugen der Wahrheit ersetzt werden könnten, wie dies
auch bereits mit dem Namen Luther geschehen ist – abgesehen also von diesen
Namen: Was bedeuten uns die Namen von Heiligen Gottes, wie der eines
Abel und Henoch im Alten Testament, und eines Simon, Johannes des Täufers und
vornehmlich der heiligen Apostel im Neuen Testament mit dem Namen Jesu, des
Herzogs der Seligkeit, an der Spitze? Die schönste Deutung wird uns wohl durch
das apostolische Wort Hebr. 12,1 und 2 gegeben: Darum, weil wir einen
solchen Haufen Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen die Sünde, die uns
immerdar anklebt, und aufsehen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des
Glaubens, welcher, ob er wohl hätte können Freude haben, erduldete er das Kreuz
und achtete der Schande nicht und ist gesessen zur Rechten auf dem Stuhl
Gottes.“ Seht, das ist das andere Heer, das Heer aus der triumphierenden
Kirche, das uns, die wir noch in der streitenden Kirche wallen, von einem Jahr
zum anderen, durch das Namensverzeichnis des Kalenders in Erinnerung kommt und,
so weit es die Namen wahrer Heiliger sind, mit jedem neuen Jahr auf der
Pilgerreise uns begegnet.
Und nun seht, aus dieser Schar der
vollendeten und triumphierenden Gerechten tritt heute einer hervor und ruft uns
beim Eintritt ins neue Jahr zur Fortsetzung unserer Pilgerreise ein Wort zu,
indem er uns gleichsam grüßt, indem er uns gleichsam einen dreifachen
Glückwunsch zum neuen Jahr bringt. Schon in den Christfesttagen begegnete er
uns. Es ist dies Paulus, es ist dies der Apostel der Heiden, der uns, die wir
nach unserer Abstammung Heiden gewesen sind, allewege predigt, dass wir durch
Christus unter seinem Volk nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Bürger mit
den Heiligen und Gottes Hausgenossen sind. Seine Worte in der heutigen Epistel
werden uns zu einem dreifachen Glückwunsch an den mit dem Fest der Beschneidung
und des Namens Jesu verbundenen Neujahrstag.
Wohlan, so lasst uns denn hören und erwägen
Den dreifachen Glückwünsch, den uns der Apostel beim Eintritt in
das neue Jahr zur getrosten Fortsetzung der Pilgerreise entgegen bringt
Der Apostel wünscht uns nämlich Glück
1.
Zu unserer
Freiheit, damit uns Christus befreit hat;
2.
Zu unserer
Gleichheit, welche ebenso völlig wie lieblich ist, und
3.
Zu unserem
Erbe, das behalten wird im Himmel.
Jesus,
geh voran
Auf
der Lebensbahn.
Und
wir wollen nicht verweilen,
Dir
getreulich nachzueilen,
Führ
uns an der Hand
Bis
ins Vaterland.
Ordne
unsern Gang,
Liebster
lebenslang;
Führst
du uns durch raue Wege,
Gib
uns auch die nötge Pflege;
Tu
uns nach dem Lauf
Deine
Türe auf.
Ach, HERR; du menschgewordener Gottessohn,
du Anfänger und Vollender des Glaubens, Jesus Christus, gestern und heute und
in Ewigkeit, mache uns auch in dieser ersten Stunde unserer Versammlung im
neuen Pilgerjahr dazu recht willig und recht tüchtig um deines heilwärtigen
Jesusnamens willen. Amen.
1.
„Ehe denn aber der Glaube kam, wurden
wir unter dem Gesetz verwahret und verschlossen auf den Glauben, der da sollte
offenbart werden. So ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christus,
damit wir durch den Glauben gerecht würden. Nun aber der Glaube gekommen ist,
sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister.“ So grüßt uns der Apostel
zuerst. Fassen wir die Worte der heutigen Epistel als einen apostolischen
Glückwunsch zum neuen Jahr auf, so vernehmen wir hier einen Glückwunsch zu
unserer Freiheit, damit uns Christus befreit hat.
Aber was ist das für eine Freiheit? Ist es
z.B. die bürgerliche Freiheit? Wohl darf man gerade uns Christen dieses
Landes heute wieder Glück wünschen, dass wir des Vollbesitzes und des
Vollgenusses dieser durch die Landesverfassung gewährleisteten Freiheit uns
noch immer erfreuen, trotzdem die Papstknechte ausgesprochenermaßen und mit
Dienstbarmachung feiler Politiker wie Maulwürfe an deren Untergrabung arbeiten
und trotzdem, dass von den Gottlosen diese Freiheit je länger je schändlicher
zum Schaden des ganzen Landes missbraucht und in eine Gesetzlosigkeit verkehrt
werden soll. Ist doch das herrlichste Stück dieser bürgerlichen Freiheit die
uneingeschränkte Gewissensfreiheit. Dass wir lutherische Christen dieses Landes
noch immer unseren Glauben so frei von allem Druck und aller Bevormundung des
weltlichen Staates leben können, das ist eine Gnade, die wir zwar nicht
verdient haben, um welcher willen wir aber wohl zu beglückwünschen sind und
deren Vollbesitz und Vollgenuss wir daher heute umso mehr von Herzen auch
unseren bedrängten Glaubensbrüdern in anderen Ländern wünschen.
Aber so köstlich dieses Gut der
bürgerlichen Freiheit namentlich wegen der Gewissensfreiheit ist, der Apostel
redet doch von einer anderen Freiheit, von einer Freiheit, deren man teilhaftig
sein kann auch unter dem härtesten Tyrannenjoch und unter dem grausamsten
Sklavenjoch.
Es ist die Freiheit, zu der uns Christus
befreit hat, die Freiheit von dem Gesetz, das Gott einst durch Mose auf
dem Berg Sinai gegeben hat, wie die Worte der vorigen Epistel und so die Worte
dieser Epistel klar und deutlich lehren und von der wir bereits am vorigen
Sonntag gehandelt haben, daher es hier nur einer summarischen Wiederholung
bedarf.
„Ehe der Glaube kam“ – ehe nämlich
der verheißene Christus erschien, die Predigt des Evangeliums von der
Gerechtigkeit aus dem Glauben in aller Welt erscholl und der Geist der
Kindschaft in Fülle vom Himmel ausgegossen wurde, da „wurden wir unter dem
Gesetz verwahrt und verschlossen“. Durch das Gesetz Moses, das nicht allein
in den zehn Geboten, als dem Hauptteil, das sittliche Verhalten gegen Gott und
den Nächsten bestimmte, sondern auch eine große Menge von Geboten für den
äußerlichen Gottesdienst und für das bürgerliche Wesen enthielt, wurde um das
Volk Israel ein Zaun gezogen, der es nicht allein von allen heidnischen Völkern
streng abschloss, sondern der auch, wie wir am Sonntag sahen, die Kinder Gottes
unter Israel im fröhlichen Genuss und Gebrauch der Freiheit durch Christus, die
sie im Glauben an den Verheißenen doch auch schon hatten, nicht wenig
einschränkte, wie das Kind eines Königs im Gebrauch seiner erblichen Würde und
Macht noch sehr eingeschränkt ist, so lange es sich unter der Hand seines
Erziehers befindet, also, dass äußerlich zwischen ihm und irgendeinem
königlichen Diener kein Unterschied ist. Aber wie dies königliche Kind nur
darum unter dem Zuchtmeister oder Erzieher steht, dass es in den Jahren der
Mündigkeit seine Würde und Macht recht brauche, so wurden wir, sagt der
Apostel, unter dem Gesetz verwahrt und verschlossen, „auf den Glauben, der
da sollte offenbart werden. So ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf
Christus, damit wir durch den Glauben gerecht würden. Nun aber der Glaube
gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister.“
Zu dieser Freiheit vom Gesetz nun, die, wie
ihr wohl merkt, nicht eine fleischliche, sondern eine geistliche Freiheit ist,
beglückwünscht uns Pilgrime denn der Apostel am Morgen dieses neuen Jahres
durch den Zuruf: „Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr
unter dem Zuchtmeister.“
O überaus tröstlicher Glückwunsch! Denn was
verkündigt er uns? Im Allgemeinen verkündigt er uns, dass wie im vergangenen
Jahr die Zeit der Gnaden gewährt hat, so soll auch das junge Jahr für uns ein
Jahr der Gnade und der Predigt vom Glauben bleiben, wie viel sich auch in der
Welt umher und in unseren besonderen bürgerlichen, häuslichen und kirchlichen
Verhältnissen ändern mag. Was verkündigt er uns aber im Besonderen? Das zeigt
uns ein Blick auf die Frucht der Stellvertretung Christi, der durch die Beschneidung
am heutigen Tag [öffentlich] unter das Gesetz für uns getan worden ist, damit
er an unserer Statt es vollkommen erfüllte und an unserer Statt seinen Fluch
trüge und so uns von dem Fluch, wie von dem Zwang und den Forderungen
des Gesetzes erlöste.
So ruft uns denn der Apostel erstlich zu:
Heil euch, dir ihr glaubt an den Namen Jesu, denn ihr seid durch Christus frei
von dem Fluch des Gesetzes! Setzt darum getrost eure Pilgerreise fort!
Ach, Geliebte, welch eine schreckliche,
unerträgliche Last wäre doch dieser Fluch des Gesetzes. Heißt’s denn nicht am
Schluss der Gebote, dass er, der da ist ein starker und eifriger Gott, die
Sünde der Väter heimsucht an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied?
Heißt’s denn nicht bei der Wiederholung des auf Sinai gegebenen Gesetzes:
„Verflucht ist, wer nicht hält alle Worte dieses Gesetzes, dass er danach tue“?
Und was ist’s, das dem Sohn Gottes dort am Ölberg Zittern und Zagen erregt und
blutigen Schweiß hervortreib t, das ihn dreimal um Enthebung von dem bitteren
Kelch flehen lässt und das zu tragen seiner zarten Menschheit nur durch die in
ihm wohnende Gottheit möglich wurde? Was ist’s denn, das ihn an das Kreuz, in
den Tod, bis in Gottverlasseinsein bringt? Es ist der Fluch des Gesetzes, es
ist unser Fluch, den er von uns auf sich genommen hat.
Wer demnach heute und wer durch Gottes
Gnade in den kommenden Tagen sich zu dieser Stellvertretung Christi bekennt,
wer da von Herzen glaubt, dass Christus auch für ihn ein Fluch wurde, der soll
gewiss sein, dass er nicht mehr unter dem Fluch des Gesetzes steht. O
glücklicher Mensch, der frei von dieser Last den Pilgerweg weiter wallt! Nicht,
als ob nun die Sünde für ihn ein leichter Spielball geworden wäre, oder als ob
er diese Freiheit wie ein ungeratenes verblendetes Kind gebrauchen könnte,
dessen gemachte Schulden der Vater bezahlte und das nun desto flotter drauf los
lebt, in der Annahme, der Vater habe ja genug Geld, um neue Schulden für ihn zu
bezahlen. O nein, nein! Sünde bleibt Sünde auch für den Gläubigen und trifft
allein ihn darum nicht der Fluch, weil er sich unter die Flügel Christi
geflüchtet hat und so lange er von denselben bedeckt ist. Ein gläubig
gewordener Christ fürchtet sich vielmehr vor der Sünde, wie das gebrannte Kind
vor dem Feuer. Er nimmt sich vor derselben jetzt nur umso mehr in Acht, weil er
weiß, dass, wer nicht ernstlich gegen die Sünde streitet, der kommt wieder
unter ihre Knechtschaft und damit unter ihren Fluch, und, wenn er’s hat
versehen aus Schwachheit, tut’s ihm alsbald von Herzen leid und erschrickt er
vor den Drohungen des Gesetzes und dem Zorn Gottes. Aber eben, weil er durch
das Gesetz sich strafen lässt und so bußfertig bleibt, so bleibt er auch unter
der Gnade und schwebt über ihm kein Fluch; und weil er das durch den Glauben
von Jahr zu Jahr immer besser erkennt und anwenden lernt, so wird
im Fortgang seiner Pilgrimschaft sein Gewissen immer ruhiger, so weicht aus
seinem Herze nimmer mehr die Furcht vor Tod und Gericht. Blickt daher ein
solcher heute auf das verflossene Jahr zurück, so wird er ja freilich mit
tiefer Beschämung wahrnehmen, wie trotz alles Eifers in der Heiligung doch aus
Schwachheit so viel von ihm gesündigt und so viel Gutes von ihm unterlassen
oder doch höchst mangelhaft vollbracht worden ist. Wird doch gerade bei einem
wahren Christen von Jahr zu Jahr die Erkenntnis des erbsündlichen Verderbens
immer größer und das Gewissen immer zarter und geschärft er! Aber da erblickt
er gleich schon beim Anfang des neuen Jahres Jesus in seiner Beschneidung und
mit seinem heilsamen Namen horcherfreut ruft er aus:
Hier
lässet sich das fromme Kind
Für
alle Welt beschneiden,
Dass
alle, die wir Sünder sind,
Den
Fluch nicht müssen leiden.
Und weil er weiß, dass es auch im Fortgang
seiner Pilgerreise an Sünde und Schwachheit trotz allem Kampf gegen die Sünde
nicht fehlen wird, so spricht er schon heute:
Will
mich Moses Eifer drücken,
Blitzt
auf mich des Gesetzes Weh,
Droht
Straf und Hölle meinem Rücken,
So
steig ich gläubig in die Höh
Und
flieh in deiner Seite Wunden,
Da
hab ich schon den Ort gefunden,
Wo
mich kein Fluchstrahl treffen kann.
Tritt
alles gegen mich zusammen,
Du
bist mein Heil, wer will verdammen?
Die
Liebe nimmt sich meiner an.
Lässt sich da nicht auch leichter die Reise
fortsetzen zum Ziel, wenn dem Wanderer seine schwerste Last abgenommen ist?
Weil wir aber frei sind vom Fluch des
Gesetzes, so ruft uns der Apostel für’s andere zu: Heil euch, ihr seid auch
frei von den Forderungen wie von dem Zwang des Gesetzes, denn
Christus ist des Gesetzes Ende. Er hat allen seinen Forderungen an euch ein
Genüge getan und alles Vorbildliche in demselben erfüllt, auch hat er euch den
Heiligen Geist erworben, der Gottes Gesetz in euer Herz schreibt.
Wie schwer ist doch heute dem das Herz, der
bedeutenden Rechnungen entgegen sieht, die in den nächsten Wochen bei ihm
einlaufen sollen, und der nicht weiß, wie sie zu bezahlen. Wie leicht kann
daher heut dem Christen das Herz werden, da er aufs neue die Versicherung
erhält, dass, wer an Christus glaubt, an den kann das Gesetz keine Forderung
mehr machen. Ohnehin ist für ihn nur noch das Sittengesetz der zehn Gebote
vorhanden, denn das levitische, wie das bürgerliche Gesetz Israels ist durch
die Erscheinung Christi aufgehoben und ist uns Christen daher nichts geboten
als allein der Glaube und die Liebe. Aber auch von den Forderungen der zehn
Gebote sind wir durch den Glauben an Christus frei. Nicht, als ob seine
Forderungen an uns weniger streng geworden wären, oder als ob seine
Verbindlichkeit, die es für alle Menschen hat, für uns aufgehört hätte, wohl
aber können wir das Gesetz, so oft es seine Forderungen in unserem Gewissen
geltend macht, an Christus weisen, weil der für uns alle Gebote Gottes vollkommen
erfüllt hat, und Gott uns nun um seinetwillen ansieht, als hätten wir selbst
alle Gebote vollkommen erfüllt und erfüllten sie fort und fort vollkommen.
Erinnert euch doch nur, wie diese Forderungen des Gesetzes einen Luther im
Kloster von Jahr zu Jahr gemartert haben, so lange er den nicht erkannte, der
da ist des Gesetzes Erfüllung und der da heißt: Jahwe Zedakah, d.i. HERR, der
unsere Gerechtigkeit ist. Wie kann dagegen in seiner Erkenntnis ein Sünder
trotzen und mit Paulus rufen: „Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen?
Gott ist hier, der gerecht macht! Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der
auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und vertritt uns!“
Und doch wird dabei das Gesetz in uns
erfüllt dem Anfang nach, da uns Christus frei gemacht hat von dem Zwang
des Gesetzes. So lange ein Mensch an Christus nicht glaubt und doch auch nicht
ruchlos leben und mit den Gottlosen zur Hölle fahren will, so hat er weder
rechte Lust noch viel weniger Kraft zum Gehorsam gegen Gottes Gesetz. Es ist
ihm ein Joch, das er viel lieber abschütteln wollte. Nur die knechtische Furcht
ist’s, die ihn antreibt, äußerlich ehrbar zu leben und etliche gute Werke zu
tun. Das wird ihm aber trefflich sauer, und weil es dabei im Gewissen doch so
oft heißt: Das ist noch lange nicht genug! So regt sich auch heimlich
Feindschaft im Herzen gegen Gott, als der vom Menschen zu viel fordere. Wie
anders, wenn ein Mensch zum Glauben an Christus kommt. Da wandelt solcher
Glaube durch den Heiligen Geist sein Herz. Da bekommt er Lust an Gottes Gesetz
nach dem inwendigen Menschen und wird nach und nach in seinem Leben demselben
immer gehorsamer. Da ist ihm das Gesetz Gottes nicht mehr ein schauerlicher
Kerker, sondern nunmehr ein lieblicher Lustgarten, nicht mehr ein Riegel,
sondern eine Regel. Da greift er auch mit dem Bewusstsein, dass alle seine
Werke durch Christus Gott gefallen, besonders getrost zur Ausrichtung seines
zeitlichen Berufs und sorgt nicht so sehr, wie es gelinge, sondern wie er nur
recht Treue beweise. O, mit wie viel leichterem Herzen trägt der Pilger Gottes
die Beschwerden seines Berufs! Wie viel selbst verschuldeten Unglück erspart er
sich dabei! Und wie wird sein Gang durchs Leben zum Segen für andere, dieweil
er ihnen dient in der Liebe!
Seht, diese Freiheit vom Fluch, wie von den
Forderungen und vom Zwang des Gesetzes ist es, zu der uns heute Paulus Glück
wünscht.
O dass zu dieser Freiheit in diesem neuen
Frist- und Gnadenjahr so mancher unter uns durch die Predigt vom Glauben kommen
möchte, der noch unter der Knechtschaft des Gesetzes steht, weil er entweder
noch ein Sündendiener oder ein Selbstgerechter ist. O, dass jeder, der sie
heute durch den Glauben genießt, sie in diesem Jahr bewahre und keiner durch
falsche lehre oder geistlichen Hochmut oder fleischlichen Missbrauch sich
selbst wieder um sie bringe. Ihr aber, die ihr euch von den Freiheitsaposteln
unserer Tage habt verführen lassen, die eine Freiheit meinen, welche in der
vollendeten Gottlosigkeit, in der völligen Gesetzlosigkeit und im Umsturz aller
göttlichen und menschlichen Ordnung besteht – o dass ihr noch zur Besinnung
kämt und einsehen lernt, dass ihr in die schmählichste Knechtschaft geraten und
in dieser denn auch die Furcht vor Tod und Gericht nicht los geworden seid! „So
euch der Sohn frei macht, so seid ihr recht frei“ – und ihr könnt noch Genossen
unserer rechten Freiheit werden, so wie ihr glaubt an den Namen des
eingeborenen Sohnes Gottes.
2.
Mit dieser unserer rechten Freiheit ist
denn nun eine Gleichheit verknüpft, welche überaus herrlich ist. Im
Zusammenhang mit den vorausgehenden Worten beglückwünscht daher der Apostel uns
weiter so: „Denn ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben, denn wie
viel euer getauft sind, die haben Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch
Grieche, hier ist nicht Knecht noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau, denn
ihr seid allzumal Einer in Christus.“
Freiheit und Gleichheit sind bekanntlich
heutzutage die Losungsworte der Kinder dieser Welt in fast allen landen. Aber
wie die Freiheit ist, welche die Welt meint, so auch die von ihr gewünschte und
erstrebte Gleichheit. Sie meint nämlich die Aufhebung aller bestehenden
äußerlichen Unterschiede der Nationalität, des Standes und des Geschlechtes.
Wie es aber in der Welt aussehen würde, wenn es den heutigen Weltverbesserern
mit der Verwirklichung ihrer Gleichheitsträume gelänge, davon hat man in der
ersten französischen Revolution zu Ende des 18. Jahrhunderts ein abschreckendes
Vorspiel gehabt, Da haben diese Träumer alles so gleich gemacht, dass sie nicht
nur allen Leuten, die eines Hauptes länger waren, vom König bis zum
Gutsbesitzer, den Kopf abschlugen, sondern auch zuletzt dekretierten, in
Frankreich dürfe hinfort kein Gott mehr sein; wo noch die Herrschaft eines
höheren Wesen anerkannt würde, da sei unter den Menschen noch keine wahre
Gleichheit und darum noch keine wahre Freiheit. Ach, wie glücklich war nun das
Volk geworden, als da nun sich alle gleich fühlten und daher nun keiner mehr
dienen, sondern jeder jetzt herrschen wollte, als da geraubt, gemordet und
gewirtschaftet wurde nach Herzenslust, als die Guillotine täglich vom Morgen
bis zum Abend die Köpfe abhackte und es auch da mit dem Gleichmachen den
Führern nicht schnell genug ging und der Glaube an einen Gott schon hinreichend
war, um einen Menschen als Feind der Freiheit und des Vaterlandes auf das
Schafott zu bringen.
Die Gleichheit, die wir durch Christus und
in Christus haben, ist eine ganz andere, gleichwie ja auch die Freiheit, damit
uns Christus befreit hat, eine ganz andere ist. Weit entfernt, dass das
Evangelium die Ordnungen in der Welt ändert und die bestehenden äußerlichen
Unterschiede unter den Menschen aufhebt, bestätigt es vielmehr diese, lehrt die
Untergebenen, ihren Vorgesetzten untertan und gehorsam sein, ermahnt einen
jeglichen, in seinem Beruf zu bleiben und in dem desto mehr dem Nächsten nach
der Liebe zu dienen, und hält ein Paulus selbst den entlaufenen Sklaven
Onesimus an, zu Philemon, seinem Herrn, wieder zurückzukehren.
Worin nun diese unsere Gleichheit in
Christus besteht, sagt der Apostel klar und deutlich. Denn erst redet er davon,
dass wir alle durch den Glauben Gottes Kinder sind, und dann sagt er: „Hier“,
in Betreff dieser Gotteskindschaft, „hier ist nicht Jude noch Grieche, hier
ist nicht Knecht noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid
allzumal Einer in Christus.“ Bei dem äußerlichen Unterschied der
Abstammung, des Standes und des Geschlechts macht der Glaube an Christus darin
alle einander gleich, dass sie alle Gottes Kinder sind.
O überaus herrliche Gleichheit! Denn
ein Kind Gottes zu sein und zu heißen, darin besteht ja sowohl unsere höchste
Würde, unser höchster Adel, unsere höchste Bestimmung, als auch unser innigstes
Verhältnis zu dem allerhöchsten Gott. „Seht, welch eine Liebe hat uns der
Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder heißen sollen“, ruft darum Johannes aus.
Und nun seht, diese Würde, dieses
Verhältnis erkennt uns heute der Apostel wieder zu, ja mit ebenso großer Freude
wie Gewissheit ruft er uns entgegen: „Ihr seid alle Gottes Kinder durch den
Glauben!“ Und damit wir keinen Augenblick daran zweifeln dürfen, dass wir,
die wir Kinder des Zorns von Natur, Kinder der Hölle und des Todes waren, in
Wahrheit Kinder Gottes des Allerhöchsten sind, so weist der Apostel hin auf das
Mittel der Wiedergeburt und das Siegel des Glaubens, indem er hinzusetzt: „Denn
wie viel euer getauft sind, die haben Christus angezogen.“ Es ist wohl
keiner hier, der nicht schon getauft wäre und dürften vielleicht nur wenige
oder am Ende kein einziger hier sein, der nicht schon als unmündiges Kind
getauft worden wäre. Nun denn, „wie viel euer getauft sind, die haben Christus
angezogen“, und wie viel von euch Getauften noch im wahren Glauben an Christus
stehen, die sind noch Kinder Gottes, die haben Christus noch an. Diese wenigen
Worte am Anziehen Christi aber fassen mehr in sich als ein menschlicher
Verstand begreifen kann und zeigen abermals, dass die Kindschaft bei Gott die
höchste Würde sei; denn Christus anziehen heißt ja nicht, wie Irrlehrer
behaupten, Christus in seinem Wandel ähnlich werden, sonst könnte man in diesem
Sinn Petrus, Paulus und andere Heilige anziehen, sondern Christus anziehen
heißt: in die innigste Gemeinschaft mit Jesus, dem menschgewordenen Gottessohn,
durch den Glauben und vermittelst der Taufe kommen, dass er uns so nahe, ja
viel näher als das Kleid dem Leib ist, so dass er uns ganz und gar deckt mit
seiner Unschuld und Gerechtigkeit, ganz und gar uns gehört mit allem, was er
ist und hat, und daher der Vater sein innigstes Wohlgefallen an uns hat, weil
er an uns allein seines Sohnes Gerechtigkeit sieht und dabei auch seines Sohnes
Geist in unserem Herzen schreit: „Abba, lieber Vater!“
Ja, wahrlich, eine herrliche Gleichheit, da
Jude und Heide, Herr und Sklave, Mann und Frau gleiche Würde in Christus
besitzen und es bei einem jeden heißt:
Christi
Blut und Gerechtigkeit,
Das
ist mein Schmuck und Ehrenkleid;
Damit
will ich vor Gott bestehn,
Wenn
ich zum Himmel wird eingehn.
Und
da eines wie das andere zu dem Vater unseres HERRN Jesus Christus in einem
Verhältnis steht, das inniger noch ist als das Verhältnis eines leiblichen
Kindes zu seinem leiblichen Vater.
Ach, wie leicht lässt da dann der Druck des
äußerlichen Unterschieds während der Pilgrimschaft, wie leicht selbst das
Tyrannen- oder das Sklavenjoch sich tragen! Wie wird auch innerlich dadurch die
Kluft des äußerlichen Unterschiedes verengt, wenn ein Philemon in seinem
Sklaven Onesimus einen Menschen sieht, der in Christus ebenso ein Kind Gottes
ist wie er!
Und welch eine Fülle des Trostes für
die weitere Pilgerfahrt liegt doch in der Gewissheit, dass wir Gottes Kinder
sind! Als solche stehen wir für unsere noch übrige Pilgerfahrt unter Gottes
ganz besonderer Aufsicht und werden weiter geführt nach dem ewigen, weisen und
seligen Rat Gottes, nach welchem unser bisheriger Lebensgang geordnet war. Bist
du ein Kind Gottes, so darf kein Härlein dir gekrümmt werden ohne den Willen
deines himmlischen Vaters, so mögen Menschen über dich beschließen, was sie
wollen ,dein himmlischer Vater kennt ihren Rat und spricht abermals: „Mein
Rat besteht, den ich über mein Kind schon von Ewigkeit gefasst habe und wenn
ihr denkt, es böse zu machen, so gedenke ich, es gut zu machen.“ Ob auch wieder
die Zukunft dunkel und drohend vor uns liegt, so wissen wir als Kinder Gottes
doch eines zum Voraus gewiss, nämlich dies, dass denen, die Gott lieben, alle
Dinge zum Besten dienen, die nach dem Vorsatz berufen sind, und ob auch wieder
unser viele Trübsale warten und Gott uns wunderlich führt: Erkennen wir uns als
Kinder Gottes, so wird uns der Geist der Kindschaft abermals sprechen lehren:
„Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.
Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich endlich mit Ehren an. Rufen wir
zu ihm in unseren Nöten, so will er uns ferner erretten nach seiner Verheißung
und uns durch seinen Sohn gnädig erhören. Und wird’s in der zu Ende eilenden
Welt in diesem Jahr noch grausiger, so heißt er uns als seinen Kindern nur umso
mehr die Häupter zu erheben, darum, dass sich unsere Erlösung naht.
3.
Sind wir aber Kinder Gottes, so sind wir
auch Erben Gottes und Miterben Christi. Darum beglückwünscht uns auf der
Schwelle eines neuen Jahres der Apostel auch zu unserem Erbe, das behalten
ist im Himmel, indem er uns schließlich zuruft: „Seid ihr aber Christi,
so seid ihr ja Abrahams Same und nach der Verheißung Erben.“
Wunderbares Erbe, das wir als der
geistliche Same Abrahams nach der Verheißung und durch die Taufe nach der
Hoffnung haben. Es ist nicht das Land Kanaan, es liegt überhaupt nicht auf
Erden, sondern es ist das Erbe, von dem uns u.a. Petrus schreibt: „Gott hat uns
nach seiner Barmherzigkeit wiedergeboren zu einer lebendigen Hoffnung durch die
Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen, unbefleckten
und unverwelklichen Erbe, das behalten wird im Himmel euch, dir ihr aus Gottes
Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit.“ Es ist ein unvergängliches
Erbe, denn weil es die Vereinigung mit dem in sich fasst, der allein
Unsterblichkeit hat, so trägt es keinen Keim des Todes und des Verderbens in
sich, wie sonst alles Irdische. Es ist ein unbeflecktes Erbe, denn an
ihm haftet kein Mord, nicht Ungerechtigkeit, nicht sonstiger Schlamm, wie an so
manchem großen und kleinen irdischen Erbgut, denn es ist erworben durch
Christus. Es ist ein „unverwelkliches“ Erbe, denn es bleibt ewig schön
und ewig herrlich, während hier alle Schönheit verblüht und alle Herrlichkeit
ist wie des Grases Blume; und die Freude daran und der Genuss desselben bleibt
sich auch ewig gleich, während auf Erden schon die Freude an den irdischen
Gütern verwelkt, noch ehe diese verwelken. Und dieses Erbe ist uns sicher, ganz
sicher, denn es wird behalten, es wird deponiert im Himmel“, es
ruht in Gottes allmächtiger Hand, und damit wir es auch seiner Zeit erlangen,
so werden wir „aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt zur Seligkeit.“
Diesem unaussprechlich schönen und sicheren
Erbe, gegen welches alle Leiden dieser Zeit nichts sind, kommen wir mit jedem
Jahr um einen Schritt näher. Dieses erglänzt am Ende unseres Pilgerweges und
zeigt sich fort und fort dem Auge des Glaubens. O, wie versüßt es alles Leid!
Wenn jemand weiß, dass er auch nur zum Erben eines großen irdischen Vermögens
eingesetzt ist, wie leicht fällt es ihm da schon, für eine Zeitlang noch
trockenes Brot zu essen, geringe Kleider zu tragen, in armseliger Hütte zu
wohnen, verachtet zu sein und sonst sich drücken und behelfen zu müssen. Und ob
es auch geschehe, dass in diesem Jahr der Tod eines der Unseren raubt, oder die
Gesundheit schwindet, oder Geld und Gut zusammenschmilzt – des HERRN Wille
geschehe, genug, dass wir ein Erbe haben, das behalten wird im Himmel. Kommt
aber der Tod für den einen und den anderen unter uns in diesem Jahr, nun dann
versetzt er uns ins himmlische Erbe.
Auf denn, meine Brüder und Schwestern in
dem HERRN, greifen wir getrost zum Wanderstab nach einem solchen apostolischen
Glückwunsch zu unserer Freiheit, welches die rechte ist, zu unserer Gleichheit,
die wir durch den Glauben gemein haben und die so lieblich ist, und zu unserem
herrlichen Erbe, das behalten wird im Himmel. Lasst uns nur Gott bitten, dass
wir das, was wir hiervon wissen, auch mit dem Herzen im Glauben ergreifen im
Leben betätigen und im Leiden uns trösten und so dessen immer gewisser werden,
dass auch unser Name eingetragen ist im Buch des Lebens. Zu ihm, dem Treuen und
Wahrhaftigen, flehe daher jetzt und fort und fort ein jeglicher:
Schreib
meinen Nam aufs Beste
Ins
Buch des Lebens ein,
Und
bind mein Seel fein feste
Ins
schöne Bündelein
Der’r,
die im Himmel grünen
Und
vor dir leben frei,
So
will ich ewig rühmen,
Dass
dein Herz treue sei.
Gebet:
Barmherziger Gott und Vater, wir danken dir von Herzen, dass du uns Heiden zur
Erkenntnis deines Sohnes Jesus Christus und so zur Erbschaft des ewigen Lebens
berufen hast, und bitten dich, regiere uns durch deinen Heiligen Geist, dass
wir im Glauben täglich zunehmen und bis ans Ende verharren, auch in deinen
Geboten heilig und unsträflich wandeln und endlich mit dem gläubigen Abraham
das ewige Erbe besitzen, durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren HERRN.
Amen.
Lied:
Das neugeborne Kindelein
Lied:
Ach Gott, wie manches Herzeleid (Str. 1-8)
Gnade sei mit euch und Friede von Gott und
dem Vater unseres HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters. Amen.
1. Petrus
4,12-19: Ihr Lieben, lasst euch die Hitze, so euch begegnet, nicht befremden
(die euch widerfährt, dass ihr versucht werdet), als widerführe euch etwas
Seltsames, sondern freut euch, dass ihr mit Christus leidet, damit ihr auch zu
der Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude und Wonne haben könnt.
Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet über dem Namen Christi; denn der
Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch. Bei ihnen
ist er verlästert, aber bei euch ist er gepriesen. Niemand aber unter euch
leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder der in ein fremdes Amt
greift. Leidet er aber als ein Christ, so schäme er sich nicht; er ehre aber
Gott in solchem Fall. 17 Denn es ist Zeit, dass anfange das Gericht an dem Haus
Gottes. So aber zuerst an uns, was will’s für ein Ende werden mit denen, die
dem Evangelium Gottes nicht glauben? Und so der Gerechte kaum erhalten wird, wo
will der Gottlose und Sünder erscheinen? Darum, welche da leiden nach Gottes
Willen, die sollen ihm ihre Seelen befehlen als dem treuen Schöpfer in guten
Werken.
Geliebte in dem HERRN! Gleich am ersten
Sonntag des neuen Jahres predigen uns Epistel und Evangelium von den Leiden,
die uns in der Gemeinschaft Jesu verordnet sind. Kaum also haben wir den
Wanderstab zum Pilgerlauf für ein neues Erdenjahr ergriffen, so werden wir
erinnert, dass wir durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen müssen.
Für wie manchen unter uns war aber wohl der Schritt in das neue Jahr hinein nur
die Fortsetzung eines schon langjährigen, ja von Jahr zu Jahr rauer, steiler,
dornenvoller gewordenen Trübsalsweges, so dass er bereits von Jahr zu Jahr die
vorhin gesungene Klage auch diesmal hat wiederholen müssen:
Ach
Gott, wie manches Herzeleid
Begegnet
mir zu dieser Zeit,
Der
schmale Weg ist trübsalsvoll,
Den
ich zum Himmel wandern soll.
Nun, Geliebte, sei es, dass der Weg im
neuen Jahr für manchen unter uns erst trübsalsvoll wird oder bereits schon
trübsalsvoll ist, diese Epistel hat für leidende Christen Lehre und Trost die
Fülle. Sind doch die Episteln des Petrus ganz besonders für Leidende
geschrieben und zu solchen zu reden, war ein Petrus gerade der Mann, denn zu
ihm sprach einst der HERR: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Da jünger warst,
gürtetest du dich selbst und wandeltest, wohin du wolltest; wenn du aber alt
wirst, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und
führen, wo du nicht hin willst.“ Und dass der HERR hier Petrus den Kreuzestod
voraussagte, bemerkt der Evangelist.
Doch, Geliebte, indem wir uns jetzt
anschicken, diese lehrreichen und trostvollen Worte des Petrus für leidende
Christen zu erwägen, lasst uns beachten, dass der Apostel hier nicht nur von
den Leiden redet, die den Christen als solchen von Gott verordnet, sondern auch
von Leiden, die ihnen als solchen nicht verordnet sind.
Wir betrachten daher:
Die Leiden, welche dem Christen verordnet und welche ihm als
solchen nicht verordnet sind
Indem
wir sehen:
1.
Welches die
beiderlei Arten von Leiden sind und
2.
Wie sich ein
Christ hinsichtlich dieser beiderlei Arten von Leiden verhalten soll.
Ach, HERR Jesus, verleihe uns jetzt beim
Predigen und Hören des heutigen Wortes deines Apostels, dass wir uns in die
Leiden schicken lernen, welche du uns verordnet hast dir zur Ehre und uns zum
Besten, aber auch vor den Leiden uns bewahren lernen, welche du uns nicht
verordnet hast oder wo wir je aus List des bösen Feindes und Schwachheit des
Fleisches in ein solches Leiden geraten sind, dass wir uns keinen falschen
Trost machen, sondern vielmehr die wohlverdiente Strafe bußfertig erkennen,
damit du auch nach deiner Barmherzigkeit und Weisheit alles noch zum Besten
lenkst. Amen.
1.
Der Apostel unterscheidet hier zwischen
Leiden, welche den Christen als solchen von Gott dem Vater nach seinem weisen
Rat und nach seiner ewigen Vorsehung verordnet sind, und zwischen
Leiden, welche ihnen gerade als solchen nicht verordnet sind, in welche
sie daher durch eigene Schuld und in diesem Sinn nicht nach Gottes Willen
geraten sind. Und tut solche Unterscheidung je not, denn nur zu leicht
geschieht’s, dass ein Christ auch in Leiden der letzteren Art gerät und dann
auch diese als die ihm von Gott verordneten Leiden ansieht.
Zunächst nun: Welches sind die einem
Christen als solchen von Gott verordneten Leiden?
Gewiss auch die, welche um der Sünde willen
über das ganze menschliche Geschlecht gekommen sind und unter denen des Teufels
Kinder dahin gehen müssen, so sehr sie sich gegen dieselben sträuben und so
sehr sie auch fort und fort Mittel und Wege suchen, dieselben von der Erde zu
verbannen oder doch zu verringern, zum wenigsten für eine Weile sich dieselben
aus dem Sinn zu schlagen. Das sind die Leiden, welche Gott einst für unseren
gefallenen Stammvater Adam in die Worte gefasst hat: „Verflucht sei der Acker
um deinetwillen, mit Kummer sollst du dich darauf nähren dein Leben lang. Dorn
und Disteln soll er dir tragen und sollst das Kraut auf dem Feld essen. Im
Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zur
Erde werdest, davon du genommen bist; denn du bist Erde und sollst zur Erde
werden“; und für unsere Stammmutter Eva in die Worte: „Ich will dir viel
Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst. Du sollst mit Schmerzen Kinder
gebären und dein Wille soll deinem Mann unterworfen sein und er soll dein Herr
sein.“ Krankheit und Sterben in der Familie, die Nöte der Nahrung und des
Erwerbs, des ehelichen Lebens und des Hausstandes, sie sind auch gläubigen
Christen nicht erspart und ist oft da manchem Gotteskind eine weit größere Last
von Gott verordnet, als manchem Teufelskind auferlegt ist. Und wenn um
übermachter Sünden eines Ortes oder eines Landes willen Gott zu besonderen
Strafen gereizt wird, wie da sind Krieg, Pestilenz und Hunger oder doch je
nahrungslose teure Zeit, so müssen auch Gottes Kinder mit darunter leiden, und
oft auch da recht schwer, nur dass es dann für sie, denen die Sünde vergeben
ist, keine Zornesrute zur Strafe, sondern Vaterruten zu heilsamer Züchtigung
sind.
Es gibt jedoch Leiden, welche ausschließlich
den Christen als solchen verordnet sind. Das sind die Leiden um Christi
willen, die eigentlichen Christenleiden. Von diesen redet der Apostel
vornehmlich, wenn er sagt: „Ihr Lieben, lasst euch die Hitze, so euch
begegnet, nicht befremden (die euch widerfährt, dass ihr versucht werdet), als
widerführe euch etwas Seltsames, sondern freut euch, dass ihr mit Christus
leidet, damit ihr auch zu der Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit Freude
und Wonne haben könnt. Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet über dem Namen
Christi; denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht
auf euch. Bei ihnen ist er verlästert, aber bei euch ist er gepriesen.“ Die
Hitze, von welcher der Apostel hier redet, ist das Feuer der Christenverfolgung,
das der Teufel und die Welt einzig und allein aus Hass gegen Christus für
diejenigen anzünden, welche an seinen Namen glauben und diesen seinen Namen
frei und offen vor der Welt bekennen und ihr ihn predigen, dass auch sie zu
seiner seligen Erkenntnis komme. Zwar tun sie dabei niemand ein Leid, sondern
jedermann nur Gutes; zwar machen sie sich keiner Übeltat schuldig, sondern sie
befleißigen sich, jedermann zu dienen und selbst auch ihren bittersten
Verfolgern wohlzutun; zwar erweisen sie sich allewege als Segen der Welt; aber
weil die Welt Christus gehasst und verfolgt hat, so hasst und verfolgt sie auch
seine gläubigen Glieder. „Wärt ihr von der Welt“, spricht der HERR zu seinen
Jüngern, „so hätte die Welt das Ihre lieb; weil ihr aber nicht von der Welt
seid, sondern ich habe euch von der Welt erwählt, darum hasst euch die Welt.“
Ein solches Verfolgungsfeuer hatten denn auch damals Juden und Heiden den
Christen in Kleinasien, an welche Petrus hier schreibt, angezündet. Ein solches
entbrannte einmal ums andere im römischen Reich während drei Jahrhunderten und
loderte aufs neue auf in den Tagen der Reformation gegen die Bekenner der Lehre
Luthers, welche ist das Evangelium. Damals, als man die Christen einkerkerte,
in die Bergwerke oder auf die Galeeren schickte, als man sie von Frau und Kind,
Haus und Hof jagte oder sie marterte und tötete – damals war es freilich keine
Kleinigkeit, ein Christ zu werden und zu bleiben. Von solchem Verfolgungsfeuer
wissen wir Christen dieser Zeit und in Ländern, in denen bis jetzt noch volle
Gewissensfreiheit herrscht, eigentlich nichts; etwas mehr wissen davon unsere
Glaubensgeschwister [etwa in muslimischen, kommunistischen, hinduistischen,
buddhistischen, animistischen Ländern].
Gleichwohl soll es auch uns an
Verfolgungsleiden nicht fehlen, wenn wir an Christus glauben und seinen Namen
mit Wort und Tat bekennen. Finden sie sich nicht in Zeiten der Lehrkämpfe und
der Gemeindestreitigkeiten für die, welche bei Gottes Wort unverrückt stehen,
wenn es auch nicht blutige Verfolgungen sind? Und treffen sie nicht in Zeiten
der Ruhe wenigstens Einzelne? Versuch’s nur und beweise dich allewege als ein
entschiedener Christ, der alle falsche Lehre hasst und die rechte Lehre mit
Ernst meint, der sich im Urteilen, Reden und Handeln nicht nach den Leuten,
sondern nach Gottes Wort richtet, der sich in keinerlei Weise der Welt
gleichstellen will, sondern sich verändert durch tägliche Erneuerung seines
Sinnes, und es wird nicht fehlen an mancherlei öffentlicher Verfolgung durch
Spott und Hohn, Verlästerung und Verleumdung und noch mehr an mancherlei
heimlicher Verfolgung, da man dir viel Netze und heimliche Stricke legt und
durch allerlei Bedrängnis das Leben sauer macht. Die gottentfremdete ungläubige
Welt und die Anhänger falscher Lehre von außen her, falsche Brüder von innen
und dazu auch vielleicht noch die eigenen Hausgenossen werden zusammenhelfen,
der Teufel aber, durch dessen Betrieb das alles geschieht, wird dich sonst noch
plagen innerlich und wo und wie es ihm Gott gestattet, wie bei Hiob, auch
äußerlich. Kurz, wer Christus ernstlich angehören will, an dem wird mehr oder
weniger wahr, was der Dichter singt:
Wer
sich mit dem verbindet,
Den
Satan flieht und hasst,
Der
wird verfolgt und findet
Ein
harte, schwere Last
Zu
leiden und zu tragen,
Gerät
in Hohn und Spott,
Das
Kreuz und alle Plagen,
Die
sind sein täglich Brot.
Doch nun lasst uns erwägen, dass der
Apostel nach alledem hinzusetzt: „Niemand aber unter euch leide als ein
Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder der in ein fremdes Amt greift.“ Seht
da, es gibt Leiden, die nicht von Gott verordnet sind, am wenigsten aber
einem Christen, die nicht Gottes Namen verherrlichen, sondern um welcher willen
Gottes Name geschändet wird, wenn sie sich bei einem Menschen finden, der
Christi Namen trägt, die wegen gewisser Sünden verschuldete Leiden sind.
Dass ein Mörder, Dieb oder sonstiger
Übeltäter oder Verbrecher, der in großes Leiden gerät, wenn ihn die weltliche
Strafe betrifft, oder wenn er sonst durch allerlei Unglück in dieser Welt schon
seinen wohlverdienten Lohn findet, so er dem Richter entläuft oder seine Tat
nicht ans Licht kommt, nicht nach Gottes Willen leidet, geschweige nun gar um
Christi willen, bedarf ja keiner Besprechung. Dahin gehört auch all der Jammer,
den z.B. ein trunksüchtiger Mann durch Zerrüttung seiner Gesundheit, seines Familienlebens,
seiner Vermögensumstände sich zuzieht und darunter er dann auch die Seinen
schwer leiden sehen muss; oder die Folge des Ehebruchs und der Hurerei, der
Verschwendung, der Liederlichkeit, der Arbeitsscheu, sei es bei männlichen oder
weiblichen Personen. Da muss wohl jedermann bekennen, dass es hier heißt: „Es
ist deiner Bosheit Schuld, dass du so geschlagen wirst und deines Ungehorsams,
dass du so gestraft wirst. So musst du inne werden und erfahren, was für Jammer
und Herzeleid bringt, den HERRN, deinen Gott, verlassen und ihn nicht fürchten,
spricht der HERR Zebaoth.“ (Jer. 2,19.) Es sagt aber auch der Apostel: „Niemand
unter euch leide, als der in ein fremdes Amt greift.“ Weil dies jedoch sich
nicht nur auf diejenigen bezieht, welche durch Aufruhr, durch die Lynchjustiz
oder durch allerlei Racheakte der Obrigkeit ins Amt greifen und dadurch sich
meist noch größeres Elend oder sonst viel Unannehmlichkeiten zuziehen, sondern
auch auf viele andere Dinge noch und man dabei die dadurch herbeigeführten
Leiden nicht selten für Leiden um Christi willen ansieht: So ist wohl nötig,
dass wir hierbei noch etwas verweilen.
In ein fremdes Amt greift jeder, der sich
im Geistlichen wie im Leiblichen solcher Dinge annimmt, die ihm weder von Gott
noch von Menschen befohlen sind. In einer Randglosse zu diesen Worten
des Apostels bemerkt Luther mit Recht: „Dies Laster treibt der Teufel
allermeist in den falschen Christen, die wollen immer viel zu schaffen haben
und regieren, da ihnen nichts befohlen ist, wie die Bischöfe und Geistlichen
tun, regieren die Welt, ebenso die aufrührerischen und vorwitzigen Prediger,
schädliche und gefährliche Leute.“ Vor allem sind es so die päpstlichen
Bischöfe und Geistlichen, welche dadurch in ein fremdes Amt greifen, dass sie
sich ins weltliche Regiment, in die Politik mengen, die Obrigkeit lehren
wollen, wie sie regieren soll und, wenn sie ihnen nicht zu Willen ist, ihr den
Gehorsam auch in den Dingen verweigern, die nicht gegen Gottes Wort sind. Und
ebenso sind es die Sektenprediger, welche nicht bei ihren Gemeinden bleiben,
sondern in fremde Gemeinden einbrechen, um die Leute da nach ihrer Weise zu
bekehren. Diese alle müssen nun freilich darüber leiden, wie die rechten
Propheten, und hat sich auch für Märtyrer. Aber sie sind nicht Christi
Märtyrer, sondern des Teufels Märtyrer, denn sie leiden nicht um der
Wahrheit, sondern um der Unwahrheit und nicht um der Wohltat, sondern um der
Übeltat willen, denn sie nehmen sich solcher Dinge an, die nicht ihres Amtes
sind, die ihnen nicht befohlen sind, sie treiben das Laster, das da heißt „in
ein fremdes Amt greifen“.
Es redet hier Luther aber auch insgemein
von Christen, „die wollen immer viel zu schaffen haben und regieren, da ihnen
nichts befohlen ist“. Sie haben nämlich einen unwiderstehlichen Trieb, sich in
anderer Angelegenheit und Geschäfte, Dienst und Amtsführung einzumischen, weil
sie immer besorgen, dass dieselben es nicht allewege recht machen und sich mit
verantwortlich halten, wenn je durch andere ein Versehen geschieht. Kein
Wunder, wenn über solche ihrer Geschäftigkeit oder ihrem Bekehreifer nicht nur anderen,
sondern sie sich selbst Schmerzen und Plage immerdar zuziehen. Sie leiden aber
da nicht nach Gottes Willen, denn sie haben sich durch Einmischen in fremde
Dinge, durch ihr Handeln ohne Beruf dergleichen zugezogen und sind somit auch
des Teufels Märtyrer. O, wie viel liegt darum daran, dass die Lehre vom Beruf
fleißig getrieben werde, aber auch wie viel daran, dass man sie wohl fasse und
dann in der Anwendung den rechten Griff tun lerne, damit man nicht nur nicht
als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter leide, sondern auch als ein solcher
nicht, der da in ein fremdes Amt greift.
Sehr da allerlei Leiden, die uns von Gott
nicht verordnet sind. Darum welche Torheit, sich selbst allerlei Leiden
auflagen zu wollen, da nicht nur der von Gott verordneten genug sind, sondern
auch die selbst aufgeladenen Leiden viel schwerer drücken und durch keinerlei
Trost versüßt werden können.
2.
Lasst uns nun in der Kürze sehen, wie
sich ein Christ hinsichtlich dieser beiden Arten von Leiden verhalten soll.
Nehmen wir die letztere Art vorweg. Wie
hat sich ein Christ hinsichtlich der Leiden zu verhalten, die ihm nicht
verordnet sind? Da ist nun freilich die erste und nächste Antwort die:
Er hüte sich mit Fleiß vor denselben, denn der Apostel ermahnt so ernst: „Niemand
unter euch leide als ein Mörder oder Dieb oder Übeltäter oder der in ein
fremdes Amt greift.“ Wie nötig diese Ermahnung in Absicht auf das letztere
Stück ist, haben wir zum Teil gesehen; denn da die Lehre vom Beruf so wenig
erkannt und noch viel weniger recht angewendet wird, und man sich so gern über
sein berufloses Handeln täuscht, zumal wenn man eine gute Absicht dabei zu
haben meint, so geschieht es nur zu häufig, dass auch redliche Christen es
hierin bald da, bald dort versehen und sich Schmerzen bereiten, die sie sich
hätten ersparen können. Aber auch wegen der gröberen Stücke ist sie nötig.
Denke doch ja niemand: O, als ein Mörder, als ein Dieb, als ein Übeltäter werde
ich nie leiden müssen. Wie bald es selbst auch um einen Gläubigen geschehen
ist, wie rasch und tief er fallen kann, wenn Gott nur einen Augenblick seine
starke Gnadenhand zurückzieht, sieht man an David. Ist nicht er, der Mann nach
dem Herzen Gottes, auf einmal ein Ehebrecher und dann ein Mörder? Ist nicht
auch Petrus auf einmal tief gefallen? Oder ist nicht auch nach und nach ein
Apostel des HERRN, Judas Ischariot, zum Dieb und Verräter geworden?
Aber wenn ein Christ in solche und andere
Sünde leider geraten ist und nun unter den traurigen Folgen seiner Sünde
seufzen und jammern muss, wie soll er sich dann verhalten? Dann, meine Lieben,
mache er sich ja keinen falschen Trost, dass er denke, er leide mit Christus,
er müsse eben durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen. Ja, er leidet
mit Christus, aber nicht wie ein Christ, sondern wie die beiden Schächer, die
Christus zur Rechten und zur Linken gekreuzigt waren. Er tue aber mit dem
Schächer zur rechten Hand Buße, denn er sprach zuerst in wahrer Reue: „Wir
empfangen, was unsere Taten wert sind.“ Statt nach dem Leidenstrost
sogleich zu greifen, der ja doch erst haften kann, wenn man des Leidens Ursache
bußfertig erkannt hat, spreche ein solcher vielmehr: „Ich will des HERRN Zorn
tragen, denn ich habe gegen ihn gesündigt.“ Dasselbe aber geschehe auch, wenn
man leidet, weil man irgendwie in ein fremdes Amt gegriffen hat und das nicht
nur, weil man hierdurch gegen Gottes Wort gehandelt hat, sondern auch, weil
solche Überschreitung des Berufs doch aus dem Hochmut des Herzens kommt und
weil man, indem man sich um Dinge kümmert, die einem nicht befohlen sind,
gewöhnlich dann das nicht treu ausrichtet, das einem befohlen ist.
Hat man nun aber über sein verschuldetes
Leiden rechtschaffene Buße getan, dann tröste man sich, dass dasselbe durch die
göttliche Vergebung aus einer wohlverdienten Strafe eine heilsame
Züchtigung geworden ist und dass dann, wenn dieselbe ihren Zweck erreicht
hat und man unter derselben gründlich gedemütigt worden ist, Gott nach seiner
Barmherzigkeit und Weisheit endlich wohl machen werde, was man übel gemacht
hat.
Und nun hört andeutungsweise, wie man sich
verhalten soll, wenn man als ein Christ und besonders, wenn man um Christi
willen leidet, wenn es also von Gott verordnete Leiden sind.
Zunächst sollen wir es uns nicht befremden
lassen, als widerführe uns etwas Seltsames. „Ihr Lieben“, spricht der
Apostel, „lasst euch die Hitze, die euch begegnet, nicht befremden (die euch
widerfährt, dass ihr versucht werdet), als widerführe euch etwas Seltsames.“
Wohl nennt er’s eine Hitze; aber wie wehe diese Hitze dem Fleisch tut, so ist
sie doch das Feuer des himmlischen Goldschmieds, der uns durch diese läutert,
dass unser Glaube erfunden werde viel köstlicher als das vergängliche Gold und
Silber, das im Feuer bewährt und geläutert wird. Es muss und kann ja nur so
unser Glaube „versucht“ und bewährt werden. Bedenken wir das recht im
Leiden, dann hört das Befremden mehr und mehr auf, dann wird man gefasst zum
Leiden und spricht: Ich muss durch viel Trübsal ins Reich Gottes
eingehen, so hat es mir mein Gott zu meinem Besten verordnet.
Dagegen sollen wir uns
freuen, dass wir leiden müssen, leiden müssen nicht nur uns zum Besten,
sondern auch leiden müssen um Christi willen; denn der Apostel fährt
fort: „Sondern freut euch, dass ihr mit Christus leidet, damit ihr auch, zu
der Zeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit, Freude und Wonne haben könnt.“
Leiden wir als Christen und um Christi willen, so gehören wir ja zu den
Auserwählten, welche Gott verordnet hat, dass sie gleich sein sollen dem
Ebenbild seines Sohnes als des Erstgeborenen unter vielen Brüdern – hier durch
die Teilnahem und in der Ähnlichkeit seiner Leiden, dort durch die Teilnahme
und in der Ähnlichkeit der Offenbarung seiner Herrlichkeit und im Genuss
unaussprechlicher Freude und Wonne, da all unser Kreuz und Leid lauter Freude
und Wonne werden wird. Welch ein seliger Wechsel, welch ein herrlicher
Gnadenlohn! Da heißt es dann: Ich will das leiden.
Dazu kommt auch, dass uns die Schmach
Christi zu überaus großer Ehre und zu großem Trost wird; denn der Apostel
setzt hinzu: „Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet über dem Namen
Christi; denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht
auf euch. Bei ihnen ist er verlästert, aber bei euch ist er gepriesen.“ O,
seht doch, wie die lieben Apostel so fröhlich von des hohen Rates Angesicht
gingen, dass wie gewürdigt worden waren, um des Namens Christi willen Schmach
zu leiden. Dass man das aber für eine Ehre halten und daran sich freuen kann,
das macht der Tröster, der Heilige Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und
Gottes ist und der auf den von der Welt Geschmähten als Siegel und Unterpfand
der künftigen Herrlichkeit bereits ruht. Und ob uns die Welt sogar Mörder,
Diebe, Ungerechte, Eindringlinge und dergleichen schmäht und umso mehr meint,
ein Recht zu haben, uns als solche zu behandeln – genug, wenn wir es vor
Gott nicht sind und als solche nicht leiden. Der Apostel sagt
deshalb von dem so mit Unrecht Geschmähten: „Leidet er aber als ein Christ,
so schäme er sich nicht, er ehre aber Gott in solchem Fall.“ Es hebt dies
der Apostel hervor, weil es dem Christen überaus schmerzlich und empfindlich
ist, so sehr seinen guten Namen und seine Ehre vor der Welt unschuldigerweise
verlieren zu müssen. Wir ehren aber Gott in solchem Fall, wenn wir nicht nur
sprechen: Ich muss und will das leiden, sondern auch: Ich darf das
leiden und kann es auch durch den, der mich mächtig macht, Christus, und
ihm nach, den man einst auch Gotteslästerer und Aufrührer nannte und unter die
Übeltäter rechnete, so dass er klagte: „Die Schmach bricht mir mein Herz!“
Endlich sollen wir dabei unter Gottes
gewaltige Hand uns demütigen und im Übrigen getrost den Leidens- und Berufsweg
wandeln, bis uns Gott von allem Übel erlöst. „Denn es ist Zeit“, sagt
schließlich der Apostel, „dass anfange das Gericht am Haus Gottes. So aber
zuerst an uns, was will’s für ein Ende werden mit denen, die dem Evangelium
Gottes nicht glauben? Und so der Gerechte kaum erhalten wird, wo will der
Gottlose und Sünder erscheinen? Darum, welche da leiden nach Gottes Willen, die
sollen ihm ihre Seelen befehlen als dem treuen Schöpfer in guten Werken.“ Seht
da, dieselben Leiden, welche Gott uns verordnet hat als unseren Anteil an den
allgemeinen Leiden um Christi willen, sollen wir zugleich als ein „Gericht
am Haus Gottes“, d.i. an den Gläubigen betrachten, nicht zwar als ein
Strafgericht, wohl aber als ein Gericht über das sündliche Fleisch, das Gott im
Feuer seiner Liebe verbrennt, damit er desto bälder kommen könne zu unserer
völligen Erlösung. Eben darum sollen wir uns unter seine gewaltige Hand
demütigen, während wir auf der anderen Seite uns derselben rühmen. Will uns
aber die Trübsalsglut zu heiß vorkommen, so sollen wir daran denken, dass wir
von dem feuerfressenden Zorn Gottes, der die Welt treffen und von der
Höllenglut, in der sie einst leiden muss in Ewigkeit, auch in Ewigkeit errettet
sind. Getrost können und sollen wir da den Leidens- und Berufsweg fortgehen bis
zum Ziel, bis zum Erlösungsstündlein von allem Übel, für den Leidensweg ihm,
dem treuem Schöpfer, unsere Seele als sein Eigentum in seine starke Hand
befehlen, und auf unserem Berufsweg in Vollbringung guter Werke fleißig und in
der Bitte für unsere Feinde brünstig sein und so unseren Beruf und Erwählung
noch weiter festmachen.
So
lasst uns denn dem lieben HERRN
Mit
Leib und Seel nachgehen
Und
wohlgemut, getrost und gern
Bei
ihm im Leiden stehen,
Denn
wer nicht kämpft, trägt auch die Kron
Des
ewgen Lebens nicht davon.
Du aber, o HERR Gott Heiliger Geist, du
Geist der Herrlichkeit und Gottes,
Du
heilige Brunst, süßer Trost,
Ach
hilf uns fröhlich und getrost
In
deinem Dienst beständig bleiben,
Die
Trübsal uns nicht abtreiben.
O
HERR, durch dein Kraft uns bereit
Und
stärk des Fleisches Blödigkeit,
Dass
wir hier ritterlich ringen,
Durch
Tod und Leben zu dir dringen.
Halleluja,
Halleluja.
Amen.
Gebet:
O allmächtiger ewiger Gott! Wir bitten dich, lass uns wohl bedenken, dass wir
nicht von zeitlichen Freuen, sondern von dem zeitlichen Leiden zu den ewigen
Freuden gelangen, und deshalb alles Kreuz, das du uns zuschickst, mit vertragen
und uns erinnern, dass wir in keinem anderen als dem Kreuzorden leben, aber
auch gleichwohl dadurch in die Herrlichkeit des Himmels, gegen welche alle
Plagen dieser Welt für nichts zu achten sind, mit großem Jubilieren und Jauchen
eingehen werden – durch unseren HERRN Jesus Christus, deinen lieben Sohn, der
mit dir und dem Heiligen Geist, wahrer Gott, lebt und regiert von Ewigkeit zu
Ewigkeit. Amen.
Lied:
Das Vorige, V. 13-18
Lied:
Nun liebe Seel, nun ist es Zeit; oder: Brich auf und werde licht
Gebet:
Gott sei uns gnädig und segne uns. Lass uns dein Antlitz leuchte, dass wir auf
Erden erkennen deinen Weg, unter allen Heiden dein Heil. Es danken dir, Gott,
die Völker, es danken wir alle Völker, der du deinen eingeborenen Sohn in
dieser Welt hast erscheinen und Mensch werden lassen, nicht allein die Stämme
Jakobs aufzurichten, sondern ihn auch zum Licht der Heiden zu setzen. Ach,
HERR, lass dir heute unser armes Loben und Danken gefallen, dass du unsere
Väter, die einst Heiden gewesen sind, und uns, ihre Nachkommen, zu deinem Reich
berufen und in dasselbe hast eingehen lasen. Segne nun auch das Predigen und
Hören an diesem Fest, dass wir uns mit Zion aufmachen in rechter Glaubensfreude
über das Licht, das im Evangelium von deinem Sohn auch uns aufgegangen ist,
dass wir licht werden, dass wir im Licht wandeln, und dein Licht voll Freuden
hinaustragen zu den Heiden, bis die Fülle derselben eingegangen ist und wir mit
den Auserwählten aus Israel und denen aus der Menge der Heiden von mancherlei
Volk, Zunge und Sprache und mit der Menge der himmlischen Heerscharen für alle
deine Werke und Wege zu der Menschen Heil dich preisen von Ewigkeit zu
Ewigkeit. Amen.
Jesaja
60,1-6: Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die
Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir. Denn siehe, Finsternis bedeckt das
Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine
Herrlichkeit erscheint über dir. Und die Heiden werden in deinem Licht wandeln
und die Könige im Glanz, der über dir aufgeht. Hebe deine Augen auf und siehe
umher! Diese alle versammelt kommen zu dir! Deine Söhne werden von ferne kommen
und deine Töchter zur Seite erzogen werden. Dann wirst du deine Lust sehen und
ausbrechen, und dein Herz wird sich wundern und ausbreiten, wenn sich die Menge
am Meer zu dir bekehrt, und die Macht der Heiden zu dir kommt. Denn die Menge
der Kamele wird dich bedecken, die Läufer aus Midian und Epha. Sie werden aus
Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HERRN Lob verkündigen.
Geliebte in dem HERRN! Im Epiphanias- oder
Erscheinungsfest begehen wir das altkirchliche Missionsfest. Während uns daher
das Evangelium in den Weisen aus dem Morgenland den Eingang der Erstlinge
der Heiden in das Reich Christi zeigt, erblicken wir in der Epistel den über
700 Jahre zuvor geweissagten und über 1900 Jahren nun fort und fort in
Erfüllung gehenden Eingang der Fülle, d.i. der Menge, der Vollzahl der
Heiden. Ach, so mögen wir doch recht licht werden, wenn ich euch aus und nach
dieser Epistel nun vorzustellen suche
Den Eingang der Fülle der Heiden in das Reich Christi
1.
Wie er im Alten
Testament vorbereitet wurde; und
2.
Wie er im Neuen
Testament erfolgt ist und noch erfolgt.
1.
Meine Lieben! In seinem weisheitsvollen Rat
und nach seiner freien Gnade hatte es Gott gefallen, Abraham aus seinem
götzendienerischen Vaterhaus und Vaterland herauszuführen und ihn zum
Stammvater eines Volkes zu machen, dem er sich offenbarte, dem er sein Wort
anvertraute, aus dem dereinst der Heiland hervorgehen sollte. So tat er keinem
anderen Volk. Im Gegenteil ließ er alle übrigen Völker ihre eigenen Wege gehen,
auf denen sie dann immer tiefer ins Verderben gerieten. Israel war Gottes
auserwähltes Volk, sein Eigentumsvolk, ein priesterliches Königreich Jahwes.
Auf diesen großen Vorzug weist der Prophet
in unserem Text hin, indem er die unter mancherlei Anfechtung damals traurige
Kirche des Alten Testaments zur Freude aufruft. „Mache dich auf“, ruft
er, reiß dich empor aus deiner Bekümmernis, „werde Licht“, werde voll
Freuden: „Denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf
über dir“, der dir längst verheißene Heiland kommt aus dir, das ewige Wort
wird unter dir Fleisch und wohnt unter dir, und du sollst sehen seine
Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit.
Um nun aber die ausnehmende Gnade, die Israel in seiner Erwählung widerfahren
ist und die ihren Gipfel in der Erscheinung Christi unter diesem Volk erreicht,
desto mehr hervorzuheben, setzt der Prophet hinzu: „Denn siehe, Finsternis
bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR,
und seine Herrlichkeit erscheint über dir.“ Diese Finsternis, welche gerade
zur Zeit der Erscheinung Christi trotz aller Kunst, Wissenschaft und Bildung
die ganze Heidenwelt bedeckte, haben wir ja bereits am Christfest aus der dem
Propheten Jesaja gleichfalls entnommenen Epistel betrachtet. Gegenüber dem
grausigen Nachtbild, das uns der nüchterne, gelehrte und hocherleuchtete
Apostel Paulus als Zeitzeuge und durch Eingebung des Heiligen Geistes Römer 2
von Vers 19 an von dem griechischen und römischen Heidentum entwirft und
gegenüber den Jammerklagen und den Ausbrüchen der Trostlosigkeit und
Verzweiflung der Weisen und Dichter jener Völker, wie sie uns aus ihren
Schriften entgegen tönen, erscheint es nur umso als Träumerei eines selbst in
Dunkel und Finsternis irrenden Geistes, wenn einer der gefeiertsten Dichter
unserer Nation die Zeit der „Götter Griechenlands“ als das „holde Blütenalter
der Natur“ besingt und dessen Wiederkehr wünscht!
Wenn man nun nicht nur bedenkt, wie Gott
Israel erleuchtete, während „Finsternis das Erdreich und Dunkel die Völker“
deckte, sondern wenn man dabei auch gewahrt, wie dies Volk durch seine ganze
kirchliche und politische Verfassung, ja, durch strenge göttliche Verbote von
der Heidenwelt abgeschlossen war, so scheint es, als ob damals Gott um die
Bekehrung der Heiden sich nicht gekümmert hätte. Allein, es scheint nur so.
Gerade unsere Epistel ist ein laut redendes Zeugnis davon, welch ein wichtiges
Stück des göttlichen Liebesplanes die Bekehrung der Heiden war und wie sie Gott
im Alten Testament vorbereitete.
Solche Vorbereitung geschah nämlich
erstlich durch die ausdrückliche Weissagung von der Bekehrung der Heiden.
Den zu Jesajas Zeiten über die Abnahme der rechtschaffenen Kinder Gottes
trauernden Gläubigen tut hier der Prophet eine tröstliche Verkündigung durch
die Verheißung des außerordentlichen Zuwachses, den durch die Erscheinung des
Sohnes Davids Zion aus der Heidenwelt gleichsam als Ersatz erhalten soll. Es
ist das nun freilich die herrlichste Weissagung von der Bekehrung der Heiden,
aber nicht die einzige, sondern vielmehr das weitere Ende einer Reihe
vorausgegangener derartiger Weissagungen. Sie fangen an mit der Weissagung
Noahs über seine drei Söhne, denn wenn Japhet wohnen soll in den Hütten Sems,
so heißt das nichts anderes, als: Die Heiden sollen Bürger mit den Heiligen und
Gottes Hausgenossen sein, ja, anstatt des von Sem abstammenden Israel
angenommen werden und Hams Nachkommen sollen auch nicht ausgeschlossen sein,
sondern als Sems und Japhets Knechte auch am Evangelium Teil haben. Wie
deutlich weissagt Gott bei Abraham von der Bekehrung der Heiden, wenn durchs
Abrahams gebenedeiten Samen „alle Geschlechter der Erde“ gesegnet werden
sollen; oder wenn, laut Jakobs Weissagung, dem Held aus Juda „die Völker
anhangen“ werden. Und wie schallt’s und klingt’s hiervon in den Psalmen! „Heische
von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben und der Welt Ende zum
Eigentum“ heißt es gleich im zweiten Psalm. Vom großen Davidssohn singt
Psalm 72: „Die Könige am Meer und in den Inseln werde Geschenke bringen; die
Könige aus Reich Arabien und Saba werden Geschenke zuführen. Alle Könige werden
ihn anbeten, alle Heiden werden ihm dienen.“ Psalm 87 weissagt, dass zu
Zion „allerlei Leute geboren werden“ und dass der HERR „wird predigen
lassen in allerlei Sprachen, dass derer etliche auch daselbst geboren werden.“
Psalm 67, 96, 97 und 98 sind eitel Missionspsalmen und vollends nun der
Kleinste der Psalmen, Psalm 117: „Lobt den HERRN, alle Heiden, preist ihn,
alle Völker, denn seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit.
Halleluja.“
So suchte Gott durch das Wort der
Weissagung von der Bekehrung der Heiden zu dem in Israel erschienen Heiland
sein auserwähltes Volk auf dies große Gnadenwerk vorzubereiten. Wie notwendig
das war, zeigt, dass selbst den Apostel Christi es schwer fiel, in die freue
und volle Annahme der Heiden sich zu finden. Zugleich aber auch sollten an
solcher Weissagung die Frommen in Israel merken, was der eigentliche Zweck
der Erwählung und Abschließung Israels sei, nämlich nicht der, dass mit dieser
Erwählung Israels eine unbedingte Verwerfung der Heiden geschehe, sondern
vielmehr der, dass bei dem eilenden Verderben der Völker Gott wenigstens im
Samen Abrahams ein Volk sich erziehe und erhalte, aus welchem er den Heiland,
den Segensbringer über alle Völker, hervorgehen lassen könne.
Ja, auch den Heiden selbst sollte
nicht gar verborgen bleiben, dass Gott ihre Annahme in seinen Liebesrat
beschlossen habe. Dies geschah in Folge der Stellung und Führung
Israels, durch welche Gott fürs andere die Bekehrung der Heiden zu Christus,
den Eingang ihrer Fülle in sein Reich, vorbereitete. Bei aller Abschließung
Israels von den Heiden durch das Gesetz hatte doch der HERR in seinem
weisheits- und erbarmungsvollen Rat diesem Volk gleichwohl eine Stellung unter
den Völkern der Erde angewiesen und eine Führung ihm verordnet, durch welche
sein Liebesrat gegen die ganze Sünderwelt, soweit er im Wort der Verheißung
aufgeschlossen war, in der damaligen Heidenwelt schon bekannt werden konnte.
Nichts springt ja beim Überblick der Geschichte Israels mehr in die Augen als
seine weltgeschichtliche Bedeutung, d.h. seine Bestimmung, nach welcher, mit
unserm Text zu reden, die Heiden in seinem Licht wandeln sollen. Zu dem Zweck
lag das dem Samen Abrahams angewiesene Ländchen Kanaan inmitten der damals
bekannten Welt. Die drei Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob
mussten darum von Volk zu Volk ziehen, dass sie durch ihre Erscheinung, ihren
Verkehr, ihre Altäre, die sie überall zur Predigt von dem Namen des HERRN
errichteten, von Israels Gott und Israels Hoffnung, des Segensbringers, die
Heiden aufmerksam machten. Danach lässt Gott den Samen Abrahams nicht nur 400
Jahre unter den Ägyptern, dem damals gebildetsten Kulturvolk, wohnen, sondern
er lässt auch durch wunderbare Fügungen einen Israeliten, Joseph, den
Sohn Jakobs, die einflussreiche Stelle nach dem König Pharao einnehmen. Wie
verbreitet unter den Heiden die Kunde von Israels Ausführung aus Ägypten und
dessen wunderbare Errettung aus Pharaos Hand war, und wie richtig sie von
denselben aufgefasst wurde, zeigt die Rede der Rahab vor den
Kundschaftern. Davids Waffentaten und Salomos Weisheitsruhm
erfüllten die Welt. Die beiden gewaltigen Propheten Elia und Elisa
weissagten in Syrien überhaupt und Jona musste geradezu den Heiden
Ninives predigen. Und nun erst die Zerstreuung Israels unter die Heiden
während der noch übrigen Zeit des Alten Testaments! Im Jahr 722 vor Christus
gerät das Reich der zehn Stämme in die assyrische, über hundert Jahre danach
das Haus Juda in die babylonische Gefangenschaft. Unter den Gefangenen Babels
finden wir einen Hesekiel und einen Daniel. Und was der letztere
in seiner hohen Stellung als Staatsminister Nebukadnezars und seiner Nachfolger
zur Verbreitung der Erkenntnis Gottes und der Verheißung von Christus wirkte,
zeigt sein prophetisches Buch. Man denke an die Auslegung des Traumes
Nebukadnezars von den vier Weltmonarchien und dem die ganze Welt erfüllenden
Königreich vom Himmel! Mit einem Teil der damals vor Nebukadnezar nach Ägypten
geflüchteten Juden zieht Jeremia. Als Kyrus nach der Eroberung Babels
den Juden die Freiheit schenkt, kehrt nur ein Teil nach Jerusalem und ins Land
der Väter zurück, ein anderer Teil aber bleibt in Babel, von denen wieder viele
sich in andere Länder der Heiden zerstreuen. Die gläubige Jüdin Esther
wird des mächtigen Xerxes Gemahlin, ihr Onkel Mardochei dessen Ratgeber.
Der König Ptolomäus Lagi versetzt viele Juden nach Ägypten, wo sie sich
namentlich in Alexandrien, dem blühenden Sitz des Welthandels, der Kunst und
der Wissenschaft, niederlassen und selbst in der Weltstadt Rom wohnen zuletzt
viele Juden, denen Julius Cäsar allerlei Freiheiten verleiht. So fand man im
römischen Reich überall zuletzt Juden, deren Synagogen, in denen Mose und die
Propheten gelesen und gepredigt wurden, ebenso viel vorbereitende
Missionsstationen waren. Zu guter Letzt ließ ein heidnischer, die
Wissenschaften liebhabender König, das Alte Testament in die griechische
Sprache übersetzen, so dass nun die Heiden in der damaligen Weltsprache
die Verheißungen von Christus und ihrer Bekehrung zu ihm selber lesen konnten.
Bis zu welchem Grad sie dadurch mit denselben bekannt wurden, zeigt nicht nur
die allgemeine Erwartung eines von den Juden kommenden Weltherrschers, sondern
auch und namentlich die Frage der Weisen vom Morgenland nach dem neugeborenen
König der Juden.
So, meine Geliebten, wurde im Alten
Testament der Eingang der Fülle der Heiden vorbereitet. Gelobt sei Gott, unser
Gott, dass wir auch hier schon „erkennen seinen Weg, unter allen Heiden sein
Heil“!
2.
Sehen wir nun, wie im Neuen Testament
der Eingang der Fülle der Heiden erfolgt ist und noch erfolgt.
In einem großartigen, überaus lebendigen
prophetischen Bild wird hier derselbe dem bekümmerten Häuflien der Gläubigen
gezeigt, wenn es heißt: „Und die Heiden werden in deinem Licht wandeln und
die Könige im Glanz, der über dir aufgeht. Hebe deine Augen auf und siehe
umher! Diese alle versammelt kommen zu dir! Deine Söhne werden von ferne kommen
und deine Töchter zur Seite erzogen werden. Dann wirst du deine Lust sehen und
ausbrechen, und dein Herz wird sich wundern und ausbreiten, wenn sich die Menge
am Meer zu dir bekehrt, und die Macht der Heiden zu dir kommt. Denn die Menge
der Kamele wird dich bedecken, die Läufer aus Midian und Epha. Sie werden aus
Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HERRN Lob verkündigen.“
Es ist nicht das ganze prophetische Bild in diesen Worten vorgeführt, denn
unsere Epistel ist nur ein Teil der Weissagung Jesajas von dem Eingang der
Fülle der Heiden. Aber er ist der Hauptteil, das Übrige ist die weitere
Ausschmückung des farbenreichen Bildes. Um seinen Inhalt kurz zusammenzufassen,
so ist es vornehmlich dreierlei, was hier den Gläubigen jener Zeit und
bis zur Erscheinung Christi gezeigt wird. Es wird erstlich ihnen gezeigt, dass,
sowie Christus Mensch geworden sein wird, die Heiden in Massen nach Zion
kommen werden, natürlich nicht leiblich, nicht örtlich, sondern geistlich
und im Glauben, was wir ja daraus sehen, dass von der Kirche, als von der
Versammlung der Gläubigen, die Rede ist, dem Zion, das die Gläubigen des Alten
und Neuen Bundes umfasst, sowie auch, dass der HERR hernach die Apostel mit
Predigt und Taufe zu den Heiden sendet, so dass diese an ihrem Ort bleiben und
allein geistlich nach Zion kommen, was wieder nichts anderes heißt, als dass
sie durch den Glauben an Jesus Glieder der heiligen Kirche werden, „Bürger mit
den Heiligen und Gottes Hausgenossen“. Eben darum soll fürs zweite das
Evangelium zu den entferntesten Völkern der Erde gelangen, es soll aus
allerlei Volk dem HERRN durch die Taufe Kinder geboren werden wie der Tau aus
der Morgenröte: als geistliche Söhne, die von fern kommen und durch
Verkündigung des Lobes des HERRN zu geistlichen Vätern werden, als geistliche
Töchter, die genährt von der Kirche durch die Milch des Evangeliums und das
Sakrament des Leibes und Blutes Christi zu blühenden Christengemeinden
heranwachsen. Und endlich wird drittens gezeigt, dass auch Hohe und Mächtige
der Erde in die Kirche eingehen und deren Schirmer und Säugammen werden,
desgleichen, dass die Heiden überhaupt ihre Gaben, ihre irdischen Güter,
dazu Kunst und Wissenschaft in den Dienst des HERRN stellen würden, damit so
allewege und auf allerlei Weise des HERRN Lob verkündigt werde.
Was nun einst von dem Eingang der Fülle der
Heiden geweissagt war, ist bereits erfüllt und wird noch fort und
fort erfüllt. Das herrliche prophetische Bild, das hier über 700 Jahre die
Kirche alten Testaments vor Augen hatte, schaut die Kirche neuen Testaments als
historisches Bild. Nicht vorwärts mehr in eine große Zukunft schauen wir mit
den Vätern bei dieser Epistel, sondern zurück in eine 1800jährige
Missionsgeschichte und um uns in eine bedeutungsvolle Gegenwart.
Die Weisen aus dem Morgenland waren die
Erstlinge zur Erfüllung unseres Textes, denen dann der Hauptmann zu Kapernaum,
die kanaanäische Frau, der Hauptmann unter dem Kreuz, und nach dem Pfingstfest
der Kämmerer aus Mohrenland und der Hauptmann Cornelius folgten. Als aber bei
dem letzteren der Anfang der Ausgießung des Heilligen Geistes auch über die
Heiden gemacht wurde, da war auch schon in einem Paulus das Rüstzeug, der
Apostel der Heiden, vorhanden, durch den nebst den anderen Aposteln die
Weissagung von dem Eingang der Fülle der Heiden in Erfüllung gehen sollte.
Laut dieser Weissagung sollte „die Menge
am Meer“ den größten Zuwachs aus der Heidenschaft bilden. Es ist hier
nämlich nicht irgendein Meer gemeint, sondern das Meer, an welchem nach Westen
das jüdische Land liegt. Das ist das mittelländische Meer, das die Küsten
dreier Erdteile bespült: Asien, Afrika und Europa. Hier feierte denn auch das
Evangelium seine herrlichsten Siege, namentlich durch Paulus und seine
Gehilfen, dessen Missionsarbeit sich über das am mittelländischen Meer liegende
Kleinasien, Griechenland mit seinen Inseln, Italien und bis nach Spanien
hin erstreckte, während Markus in dem an diesem Meer liegenden Nordafrika,
namentlich in Ägypten, die Kirche ausbreitete. Mit den Worten aber: „Die
Menge der Kamele werden dich bedecken, die Läufer (Dromedare) aus Midian
und Epha“, richtet der Prophet den Blick auf die von Jerusalem aus gegen
Osten und Süden liegenden Gegenden, also in Asien nach Persien, von wo
die Weisen kamen, und nach Arabien bis nach Ostindien und in Afrika
nach Äthiopien, von wo der Kämmerer war. Dass nun der Apostel Thomas
nicht allein in Medien und Persien gepredigt, sondern auch in Ostindien
mit Bartholomäus die Kirhe gepflanzt hat, dass der an Judas Ischariots
stelle gewählte Matthias im südlichen Äthiopien und der Apostel Andreas
in der Gegend des Schwarzen Meeres und zuletzt in Peträa, Achaja und Kleinasien
gewirkt hat, berichten uns die alten Kirchengeschichtsschreiber. Und wo und
welche Heiden ein Johannes, Jakobus, Petrus, Judas Thaddäus predigten,
ersehen wir aus ihren uns hinterlassenen Briefen, zum Teil aus den Berichten der
Alten.
Wie weit nun überhaupt die sämtlichen
Apostel und die andere durch sie anwachsende Evangelistenschar des
apostolischen Zeitalters mit ihrer Predigt kamen und noch mehr, wie weit und
wohin überall das Gerücht von Christus und seiner Kirche drang, lässt sich
geschichtlich ja so genau nicht nachweisen. Dass aber die geweissagte große
Bekehrung der Heiden namentlich im apostolischen Zeitalter stattgefunden
hat, sagt uns der große Apostel der Heiden selber. Nicht nur bemerkt er, dass
durch ihn schon allein bis Illyricum alles mit dem Evangelium erfüllt sei,
sondern er ruft auch Röm. 10,18 aus: „Ich sage aber, haben sie es nicht alle
gehört? Zwar (d.i. in Wahrheit, vielmehr) es ist ja in alle Lande
ausgegangen ihr Schall und in alle Welt ihre Worte.“ Ebenso schreibt er
Kolosser 1,6 und 23, dass das Wort der Wahrheit wie zu den Kolossern, so „auch
in alle Welt gekommen“ sei, ja, „gepredigt ist aller Kreatur, die unter
dem Himmel ist“. Und Tatsache ist, dass trotz 300jähriger blutiger
Christenverfolgung im 5. Jahrhundert das Heidentum in der girechisch-römsichen
Welt vollständig besiegt war. Wurde doch im Jahr 324 erstmals ein römischer
Kaiser, Konstantin der Große, ein Christ und begann so mit ihm erfüllt zu
werden, dass „Könige“ im Glanz Jerusalems wandeln werden. Und wie in
jener Zeit und seitdem das Christentum eine Macht in der Welt geworden ist, „Gold
und Weihrauch“ gebracht, d.h. Reichtum und Macht, Kunst und Wissenschaft
dem HERRN Jesus zu Füßen gelegt und für den Dienst des Evangeliums, zur
Verkündigung der Lobes des HERRN verwendet.
Und so war denn auch die Stunde für die
Fülle der Heiden in Deutschland, in den nordischen Gegenden, und von da
aus weiter im Westen gekommen. Zwar war das Evangelium, das Bonifatius, den man
den Apostel der Deutschen nennt, predigten, bereits nicht mehr rein; zwar wurde
durch ihn die junge deutsche Kirche sogleich auch dem Antichrist unterworfen,
da man ihn damals schon in der Christenheit für den Statthalter Christi hielt;
allein gerade in der deutschen Kirche ging durch die Reformation das
Evangelium in seinem vollen Glanz wieder auf und schien dann auch nach und nach
wieder hell in die noch übrige heidnische Finsternis hinein. Zur Mission unter
den entfernt wohnenden Heiden griffen zuerst die reformierten Niederländer und
Engländer, weil es ihnen als seefahrenden Nationen leichter war, zu den Heiden
zu kommen, während die lutherische Kirche Schwedens und Norwegens bereits das
Evangelium zu den Heiden im Norden des eigenen Landes, den Finnen und Samen,
[und dann auch zu den Indianern im Bereich des Delaware in Nordamerika] trug.
Bald aber, zu Beginn des 18. Jahrhunderts, trat auch die lutherische
Kirche in die Missionsarbeit ein, indem der dänische König Friedrich IV. die
beiden Gottesmänner Bartholomäus Ziegenbalg und Heinrich Plütschau nach seinen
ostindischen Besitzungen sandte und so den Grund zu der noch ostindischen
Mission [und Kirche] der deutschen lutherischen Kirche gelegt wurde. Nicht
lange danach auch trieb ein unwiderstehliches, schier verzehrendes Liebesfeuer
den norwegischen Pastor Hans Egede nach den Schnee- und Eisfeldern des hohen
Nordens von Amerika und machte ihn zum „Apostel der Grönländer“. Seht da
zugleich, wie der im apostolischen Zeitalter in großartiger Weise begonnene
Eingang der Fülle der Heiden sich fortgesetzt hat, wenn auch in weit geringerer
Weise.
Weil nun aber die Zahl derer noch nicht
voll ist, die Gott auch aus den Heiden zum ewigen Leben verordnet hat, so
erfolgt auch in der Gegenwart dieser Eingang und das in ganz merkwürdiger
Weise, wenn schon derselbe mit dem des apostolischen Zeitalters bei weitem
nicht zu vergleichen ist. Obwohl nämlich in der alten Christenheit einerseits
ein massenhafter und totaler Abfall vom Glauben und aller Religion stattfindet,
andererseits falsche Lehre das Evangelium immer mehr verdunkelt und obwohl es
ja meistens nicht das lautere Evangelium ist, welches heutzutage zu den Heiden
hinausgetragen wird, so hat doch gleichwohl die Heidenmission einen ganz
denkwürdigen Aufschwung und eine bedeutende größere Ausdehnung genommen,
besonders aber für die alten Kulturvölker, wie China und Japan, und für das so
lange verschlossene Innere von Afrika mit seinen zahlreichen schwarzen Völkern.
Dies können wir uns nicht anders erklären, als dass Gott in seinem Erbarmen
gegen die verlorene Welt und in seiner besonderen Liebe zu seinen Auserwählten
große Eile hat, das, was noch von der Fülle der Heiden fehlt, gar einzubringen,
damit er umso bälder mit seinem Jüngsten Tag zur völligen Erlösung seiner
Auserwählten und zur Offenbarung seiner aus allen Heiden, Zungen und Völkern
gesammelten Kirche erscheinen könne. Darum bringt er durch Schiffahrt,
Welthandel, Entdeckungen und Erfindungen, durch Kolonisation, auch durch Kriege
und Eroberungen die noch übrigen Heidenvölker mit der Christenheit in so regen
Verkehr, wie er noch nie stattgefunden hat; darum stößt er gewaltsam die
verschlossensten Pforten der Heiden auf; darum nötigt er sie selbst durch
schreckliche Landplagen, das Evangelium anzunehmen, wie es z.B. vor 150 Jahren
durch die Hungersnot in China und Indien geschah.
O, so wollen wir doch mit der Kirche Gottes
uns freuen über solchen Eingang der Fülle der Heiden ins Reich Christi;
wollen Gott an dem heutigen Tag besonders preisen, dass auch wir zu
dieser Fülle gehören; wollen beten um den ferneren Lauf des Evangeliums
unter den Heiden; wollen mit Handreichung das Unsrige tun zur
Heranbildung und Aussendung von Boten des Friedens und darauf achten, wo
uns der HERR eine Tür auftut, wo er uns besonders ein Stück Missionsarbeit
anweist, wie z.B. im 19. Jahrhundert die Mission unter den Schwarzen in den
USA, dass wir diese recht pflegen und fördern als unsere nächste Aufgabe in der
Missionsarbeit. Vergessen wir aber nicht, dass, als über Zion die Herrlichkeit
des HERRN aufging, die Wenigsten aus den Juden sich aufmachten und licht
wurden und eben darum auch die Meisten sich nicht freuten und in Freude
ausbrachen, als die Macht der Heiden zu Zion kam und die Menge am Meer sich zu
Jesus, dem Sohn Davids und Heiland der ganzen Welt, bekehrte, sondern dass
diese vielmehr den Aposteln wehrten, den Heiden das Wort Gottes zu sagen und
überall die Heiden gegen das Evangelium zu erregen suchten. Erschütternd rief
ihnen daher der HERR schon während seines Erdenwandels zu: „Viele werden kommen
vom Morgen und vom Abend und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu
Tisch sitzen, aber die Kinder des Reiches werden ausgestoßen in die äußerste
Finsternis, da wird sein Heulen und Zähneklappen“; ebenso. „Das Reich Gottes
wird von euch genommen und den Heiden gegeben werden, die werden seine Früchte
bringen.“ Ach, wie bald sahen sich die Apostel genötigt, den halsstarringen
Juden zu erklären: „Euch musste zuerst das Wort Gottes gesagt werden; nun ihr
es aber von euch stoßt und achtet euch selbst nicht wert des ewigen Lebens,
siehe, so wenden wir uns zu den Heiden.“ Ja, ja, vergessen wir nicht, dass
aufgrund dieser Aussprüche gerade der Apostel der Heiden bezeugt, der
Reichtum der Heiden sei der Fall Israels und dass nach der göttlichen Regel
der Einladung zum großen Abendmahl erst dann auf andere Gäste übergeht, wenn
die früheren Geladenen nicht kommen wollen. Freuen wir uns daher mit Zittern,
wen wir in dieser Letztzeit das Evangelium wieder besonders hinausgehen sehen
zu den Heiden und wahrnehmen, wie Gott eilt, deren Zahl voll zu machen. Sehen
wir zu, dass, wenn Gottes Wort und Reich von uns ausgeht, um auch zu den
noch übrigen Heiden zu kommen, nicht es auch von uns zugleich weggeht,
um von uns zu weichen. Halten wir daher fest, was wir haben: Gottes Wort
und Reich, und lassen es immer mehr unseren Reichtum und unsere Lust
sein, so werden wir desto mehr auch die Heiden reich machen und dabei
selber reich bleiben. Wir gehen dann als die klugen Jungfrauen dem himmlischen
Bräutigam, der bald aufbrechen wird, entgegen und finden uns dort im
himmlischen Hochzeitssaal zusammen mit Abraham, Isaak und Jakob und deren
gläubigen Samen und mit jener großen Schar, „welche niemand zählen konnte, aus
allen Heiden und Völkern und Zungen und Sprachen“ und verkündigen mit ihnen
allen und mit den himmlischen Heerscharen des HERRN Lob immer und ewig. Darum „mache
dich auch und werde Licht, denn dein Licht kommt und die Herrlichkeit des HERRN
erscheint über dir!“ Ja, komm, komm bald, HERR Jesus! Amen.
Gebet:
HERR Gott, himmlischer Vater, wir danken wir von Herzen, dass du uns, die wir
einst ferne waren und Heiden nach dem Fleisch, abgesondert von der Bürgerschaft
Israels und fremd von den Testamenten der Verheißung, – nun nahe gebracht hast
durch das Blut Jesu Christi und uns zu Mitbürgern gemacht mit den Heilligen und
zu deinen Hausgenossen. Wir bitten dich: Erleuchte uns durch den Heiligen
Geist, dass wir solche deine Gnade recht erkennen, in wahrem Glauben uns mit
derselben trösten und durch heiligen Wandel die Tugenden dessen verkündigen,
der uns berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht: Durch Jesus
Christus, deinen lieben Sohn, unseren HERRN. Amen.
Lied:
Wir danken dir, HERR, insgemein
Lied:
Nun, liebe Seel, nun ist es Zeit
Die Gnade unseres HERRN Jesus Christus und
die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen.
Titus
3,4-7: Da aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres
Heilandes, nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit, die wir getan hatten,
sondern nach seiner Barmherzigkeit machte er uns selig durch das Bad der
Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, 6 welchen er ausgegossen hat
über uns reichlich durch Jesus Christus, unsern Heiland, 7 damit wir durch
dessen Gnade gerecht und Erben seien des ewigen Lebens nach der Hoffnung.
Geliebte in dem HERRN! Das Epiphaniasfest
ist der „Heiden Weihnacht“; denn die Weisen aus dem Morgenland, welche
wenige Wochen nach der Geburt des Heilandes den neugeborenen König der Juden
suchten und fanden, waren die Erstlinge aus der Fülle der Heiden, deren Eingang
die vorhin aus dem Propheten Jesaja verlesene Epistel weissagt, die
Missionsgeschichte seit über 1900 Jahren aufzeigt.
Da die Kirche des Abendlandes aus den
Heiden gesammelt ist, so beging diese von Alters her am Epiphaniasfest das
eigentliche kirchliche Missionsfest. Daher als Epistel die Weissagung von dem
Eingang der Fülle der Heiden in die Kirche, daher das Evangelium von den Weisen
aus dem Morgenland, als den Erstlingen der Heiden. Ursprünglich jedoch beging
man am Epiphaniasfest das Fest der Taufe Christi, damit seiner Offenbarung
oder Erscheinung und so denn auch das Fest unserer Taufe, als durch
welche wir Christen und Gottes Kinder und, wenn von den Heiden abstammend,
Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen geworden sind. Eben deshalb
besingt auch jenes alte Epiphaniaslied nicht nur die Weisen vom Morgenland,
sondern auch die Taufe Christi mit den Worten:
Die
Tauf im Jordan an sich nahm
Das
himmelische Gotteslamm,
Dadurch
der nie ein Sünde tat,
Von
Sünden uns gewaschen hat.
Darum das Evangelium, das von der Taufe
Christi handelt und diese Epistel, die unsere durch Christi Taufe gestiftete
Taufe preist.
Da nun, wie Dr. Luther im Taufbüchlein
sagt, die Taufe „unser einiger Trost und Eingang zu allen göttlichen Gütern und
aller Heiligen Gemeinschaft“ ist, so empfiehlt derselbe, am heutigen Fest auch
von der Taufe Christi und unserer Taufe zu predigen. Dies geschah denn auch
entweder, dass man den Nachmittag des heutigen, mit großer Feierlichkeit
begangenen Festes oder ein Epiphaniasfest um das andere dazu verwandte, oder
zum wenigsten über diese Epistel an Sonntag nach dem neuen Jahr predigte, wie
dies auch aus unserem Gesangbuch zu ersehen ist, falls sie nicht schon als
zweite Weihnachtsepistel gepredigt wurde.
Lasst uns daher heute durch Betrachtung dieser
Epistel das Epiphaniasfest, das Fest der Heiden, so miteinander begehen, dass
wir in Bezug darauf unserer Taufe gedenken. Zu dem Ziel stelle ich euch vor:
Dass wir durch die Taufe aus Heiden Christen, aus Kindern des Zorns
Kinder Gottes geworden sind
Vernehmt
1.
Den Nachweis
und
2.
Die Anwendung
hiervon.
Deine Freundlichkeit und Leutseligkeit, o
Gott unser Heiland, ist auch uns einst erschienen, da wir auf deinen Namen
getauft wurden. O so gib, dass solches jetzt recht gepredigt und von allen
recht erkannt werde, damit wir dir für unsere Taufe besser danken, als es
bisher geschehen ist und sie für uns und unsere Kinder recht und selig
gebrauchen. Das hilf uns, um deines Namens willen. Amen.
1.
Wenn unsere Epistel also beginnt: „Da
aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes“,
so merkt jeder, dass mit dem „da aber“ auf die vorausgehenden Worte
zurückgewiesen wird. Diese aber lauten so: „Wir waren auch einst unweise,
ungehorsam, irrig, dienend den Lüsten und mancherlei Wollüsten und wandelten in
Bosheit und Neid und hassten untereinander.“ An ihr früheres Heidentum
also, an ihren schrecklichen Zustand von Natur, soll Titus als ein treuer
Bischof die Christen auf der Insel Kreta fort und fort erinnern. In
diesem Zustand hätten sich diese befunden. Nur Sünde, Schande und Laster hätten
sie beherrscht, nur Gottes Zorn hätte über ihnen geschwebt, nur die Verdammnis
wäre ihr zeitliches und ewiges Teil gewesen. „Da aber erschien die Freundlichkeit und
Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes, nicht um der Werke willen der
Gerechtigkeit, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit machte
er uns selig.“
Damit erinnert uns der Apostel auch an unsere
Vorgeschichte. Auch unsere Väter, auch unsere alten Deutschen sind ja
Heiden gewesen und sind in ihren Wäldern hingegangen zu den stummen Götzen, wie
sie von ihren Priestern und Wahrsagern, den Druiden, geführt wurden. Und ob sie
auch als ein noch jugendliches Volk ein vergleichsweise besserer, von der
moralischen Fäulnis noch nicht so ergriffener Menschenschlag waren wie die
Griechen und Römer zur Zeit des Paulus, so gilt doch von ihnen gleichermaßen
das alles, was der Apostel von den Heiden seiner Zeit sagt. Namentlich
wandelten unsere heidnischen Vorfahren in „Bosheit und Neid“ und hassten
sich untereinander“, so dass der Neid und die Streitsucht der Deutschen
sprichtwörtlich geworden sind und sich bis auf den heutigen Tag noch zeigen. Da
war ein Stamm dem anderen feind, da gab’s jahraus jahrein Kriegs- und Raubzüge
gegen einander, bei denen die Kriegsgefangenen teils durch das Schlachtmesser
der Priester den Götter geopfert, teils zu Sklaven gemacht wurden. Gab es
keinen Kriegs- oder Jagdzug, so lagen die faulen Männer auf der Bärenhaut und
ließen die Arbeit von den Frauen und den Sklaven tun, just, wie die Indianer,
daher denn auch ganz Deutschland eine öde Wildnis von undurchdringlichen
Wäldern und großen Sümpfen war. Und ob sich die alten Deutschen auch durch
etliche natürliche Tugenden auszeichneten, nämlich durch ihre Keuschheit
und durch ihre Ehrlichkeit, so waren sie doch auch wieder dem Laste des Saufens
sehr ergeben, wie denn noch heute die Sauferei als ein Nationallaster der
Deutschen gilt. Und in diesem Zustand befanden sie sich noch 6-800 Jahre nach
der Erscheinung Christi, ja noch darüber.
Wohl sind wir, die Nachkommen, nicht von heidnischen,
sondern von christlichen Eltern geboren. Aber, Geliebte, wenn unsere
Eltern in Wahrheit keine Namenschristen, sondern gläubige Christen waren, haben
wir denn da von ihnen das geerbt, was sie von dem Heiligen Geist hatten? Nein,
nicht das mindeste, sondern allein das, was sie durch die fleischliche Geburt
von Adam hatten, nämlich jene Sünde, die, wie unser Katechismus sagt, das
allertiefste Verderben der ganzen menschlichen Natur ist, vermöge dessen dieselbe
der anerschaffenen Gerechtigkeit und Vollkommenheit beraubt und zu allem Bösen
geneigt ist und um welcher willen schon jeder Mensch von seiner Geburt an unter
Gottes Horn und zeitlicher Strafe und ewiger Verdammnis liegt, solange er nicht
von neuem geboren ist. Von jedem auch von christlichen Eltern gebornen Kind
heißt es: „Siehe, ich bin aus sündlichem Samen gezeugt, und meine Mutter hat
mich in Sünden empfangen.“ Jedes gehört, wie irgendein von Heiden geborenes
Kind, nach seiner natürlichen Abstammung zu den „Kindern des Zorns von Natur“
und „ist hier kein Unterschied“. Es gilt daher auch von jedem in der
Christenheit geborenen Kind die bestimmte beschworene Erklärung des Königs des
Himmelreichs: „Wenn jemand nicht geboren wird aus dem Wasser und Geist, so kann
er nicht in das Reich Gottes kommen. Was vom Fleisch geboren ist, das ist
Fleisch.“ Eben darum hat er denn auch die Taufe zu einem „Bad der
Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes“ eingesetzt.
Solches wird auch bei jeder Taufhandlung
von unserer Kirche mit bestimmten, nachdrücklichen Worten öffentlich bekannt
und bezeugt. Gleich in der einleitenden Taufermahnung wird auf die
Erbsünde hingewiesen und heißt es dann z.B. in vielen Agenden: „Auch dies
gegenwärtige Kindlein ist in seiner Natur mit gleicher Sünde, wie wir,
vergiftet und verunreinigt, weshalb es auch des ewigen Todes sein und bleiben
müsste.“ Und durchdrungen von der Gewissheit, dass auch das in der Christenheit
geborene Kind infolge der Erbsünde wirklich dem Tod und der Gewalt des Teufels
unterworfen ist, gebraucht die Kirche auch bei ihm, wie einst bei der Taufe der
Heiden, die alte Entsagungsformel und lässt daher durch die Paten das unmündige
Kind die dreifache Frage bejahen: „Entsagst du dem Teufel und allen seinen
Werken und allem seinem Wesen?“ Damit man aber nicht denke, das alles sei eben
eine altmodische Form oder eine bloße starke Redensart, so erklärt Luther in
der Vorrede zum Taufformular: „Denn du hier hörst in den Worten dieser Gebete,
wie kläglich und ernstlich die christliche Kirche das Kindlein herträgt und so
mit beständigen, unzweifelhaften Worten vor Gott bekennt, es sei vom Teufel
besessen und ein Kind der Sünden und Ungnaden und so fleißig bittet um Hilfe
und Gnade durch die Taufe, dass es ein Kind Gottes werden möge.“
So waren wir, da wir in diese Welt geboren
waren und an der Mutter Brust und in der Mutter Arm lagen, denn doch auch noch Heiden,
waren auch Kinder des Zorns von Natur, gleichwie die anderen. Da aber
schien uns gleichermaßen „die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes,
unseres Heilandes“, da sie in dem menschgewordenen Gottessohn vor über 2000
Jahren allen Menschen erschienen war. Nach der in ihm leibhaftig erschienen
Freundlichkeit und Leutseligkeit oder Menschenliebe Gottes hat er denn auch
gerufen: „Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehrt ihnen nicht, denn solcher
ist das Reich Gottes!“ und gehorsam diesem Wort haben uns unsere Eltern schon
in den ersten Tagen oder doch Wochen unseres Daseins zu ihm gebracht. Da hat er
auch uns geherzt und gesegnet, hat uns errettet von der Obrigkeit der
Finsternis und versetzt in sein Reich, kurz, hat uns als unser Heiland „selig“
gemacht. Und das alles auch „nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit,
die wir getan hatten“. Was für gute Werke sollte denn der Säugling damals
getan haben, der noch nicht einmal zum Bewusstsein erwacht war und welches Gute
überhaupt sollte Gott an ihm gesehen haben, der in Sünden empfangen und geboren
ein Kind des Zorns war von Natur! Nein, „nach seiner Barmherzigkeit
machte er uns selig“, allein unser Elend ging ihm zu Herzen. Wodurch selig?
„durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, 6
welchen er ausgegossen hat über uns reichlich durch Jesus Christus, unsern
Heiland, damit wir durch dessen Gnade gerecht und Erben seien des ewigen Lebens
nach der Hoffnung. Das ist gewiss wahr.“
Dass hier der Apostel von der Taufe
redet, weiß bei uns, Gottlob, jedes Kind, das seinen Katechismus gelernt hat;
denn auf die Frage der vernünftelnden Schwärmer: „Wie kann Wasser solche große
Dinge tun?“ antwortet Dr. Luther bekanntlich im vierten Hauptstück des
Katechismus: „Wasser tut’s freilich nicht, sondern das Wort Gottes, so mit und
bei dem Wasser ist, und der Glaube, so solchem Wort Gottes im Wasser traut;
denn ohne Gottes Wort ist das Wasser schlicht Wasser und keine Taufe; aber mit
dem Wort Gottes ist es eine Taufe, das ist ein gnadenreiches Wasser des Lebens
und ein Bad der neuen Geburt im Heiligen Geist“, worauf zum Schriftbeweis
dieses unser Textwort als Macht- und Hauptspruch angeführt wird. Bleiben wir
also dabei, dass, weil St. Paulus die Taufe „das Bad der Wiedergeburt und
Erneuerung des Heiligen Geistes“ nennt, diese das von Gott verordnete Mittel
ist, dadurch wir aus Heiden Christen und aus Kindern des Zorns Kinder Gottes
werden und rühmen wir den Taufschwärmern, den Baptisten, zum Trotz, Gott aber
zu Ehren, dass auch den unmündigen Kindlein die Taufe ein solch
gnadenreiches Wasser des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im Heiligen Geist
ist.
Die Taufe also ist das von Gott verordnete Mittel
oder das „Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes.“
Die Wiedergeburt ist die Entstehung
oder erste Wirkung und Anzündung des Glaubens in dem Menschen. Diese ist ganz
und gar ein Werk des Heiligen Geistes ohne alles und jedes Mitwirken des
Menschen. Das Mittel hierzu ist das Wort, und zwar die Predigt des
Evangeliums als das hörbare Wort und das Sakrament als das sichtbare
Wort. Bei den Erwachsenen zündet die Predigt zuerst den Glauben an und die
hinzukommende Taufe stärkt und mehrt alsbald den Glauben; bei den unmündigen
Kindern aber zündet der Heilige Geist solchen Glauben gleich durch die Taufe
an. [Denn übergeben in der Taufe, verbunden mit unserer Fürbitte, das Kind
Christus, der will, dass die Kinder zu ihm gebracht werden, damit er sie segne,
damit ihrer das Himmelreich ist, weshalb wir mehr als berechtigt sind zu
vertrauen, dass er den, noch unbewussten, Glauben in ihnen wirkt, auch wenn wir
nicht wissen, wie er das macht. Aber auch das Entstehen des Glaubens bei einem
Erwachsenen ist ein Wunder Gottes.] Lasst euch nicht irre machen durch das Geschwätz
der Schwärmer und anderer klug sein wollenden Leute, als ob die Kinder nicht
glauben könnten, weil sie noch nicht zum rechten Gebrauch ihrer Vernunft
gekommen sind. Bezeugt ja doch Christus, unser Herzenskündiger, ausdrücklich
von den Kleinen: Die an mich glauben.“ Und wenn er sagt: „Solcher ist
das Reich Gottes“, so müssen sie ja den Glauben haben, da ohne
denselben niemand Gott gefallen und selig werden kann. War doch ein Johannes
der Täufer selbst noch im Mutterleib mit dem Heiligen Geist und mit
Glaubensfreude erfüllt! Gerade im Herzen des Unmündigen kann der Heilige Geist
viel leichter den Glauben wirken, da er beim Erwachsenen ein viel stärkeres
Widerstreben zu überwinden hat, besonders der Vernunft. Dieser Glaube nun ist
es, welcher dem Wort Gottes im Wasser traut, welcher nimmt, was die Taufe
Großes gibt und wirkt. Sie wird da dem Menschen ein Bad der Abwaschung von
Sünden, der Erlösung vom Tod und Teufel und der Seligmachung in Zeit und
Ewigkeit. Damit sind dann ein Kind Gottes, von Gott angenommen, von Gott
geboren, „denn ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben“, sagt Paulus,
„denn wie viel euer getauft sind, die haben Christus angezogen.“
Die Taufe wird aber dabei zugleich ein Bad „der
Erneuerung des Heiligen Geistes“, welchen Gott der Vater „ausgegossen
hat über uns reichlich durch Jesus Christus, unseren Heiland“, als durch
welchen uns Vergebung der Sünden zu unserer Gerechtmachung und der Heilige
Geist zu unserer Erneuerung erworben ist, „auf dass wir durch desselben
Gnade gerecht und Erben des ewigen Lebens seien nach der Hoffnung“. Der von
dem Heiligen Geist angezündete Glaube ist nämlich ein solches göttliches Werk
in uns, das uns verwandelt und neu gebiert und macht uns zu ganz anderen
Menschen von Herz, Mut, Sinn und allen Kräften, kurz, der Heilige Geist macht
zugleich den Anfang zur Wiederherstellung des Ebenbildes Gottes in uns. Was er
hier dann in der Taufe angefangen hat, das setzt er durchs ganze Leben fort, so
er nur nicht mutwillig wieder vertrieben wird. In dem Getauften nicht müßig,
sondern geschäftig, erleuchtet er mehr und mehr dessen Verstand, treibt seinen
Willen zu allem Guten und gibt ihm Kraft, als ein Kind Gottes zu leben, den
angeborenen Lüsten zu widerstreben und je mehr und mehr als eine neue Kreatur
zum Ebenbild Gottes erneuert zu werden, bis endlich in der seligen Auferstehung
des Fleisches das Werk der Erneuerung vollendet ist und wir fähig gemacht sind
und gebracht werden zum Vollgenuss des ewigen Lebens, dessen Erbe nach der
Hoffnung wir durch die Taufe geworden waren.
Seht, so große dinge kann die Taufe tun,
solch ein gnadenreiches Wasser des Lebens und ein Bad der neuen Geburt im
Heiligen Geist wird sie durch das Wort, so mit und bei dem Wasser ist. Das ist
je gewiss wahr!
So ist es denn gewiss wahr, dass wir durch
die Taufe aus Heiden Christen, aus Kindern des Zornes Kinder Gottes
geworden sind. O, welches unverdientes Glück, welche unvergleichliche
Herrlicheit, ein Christ, ein Kind Gottes zu sein! Weil wir in der Taufe
Christus anziehen, so sind wir Christen, d.i. mit dem Heiligen Geist Gesalbte,
daher es auch im Lied heißt:
Du
bist das heilge Öle,
Dadurch
gesalbet ist
Mein
Leib und meine Seele
Dem
HERREN Jesus Christs
Zum
wahren Eigentum,
Zum
Priester und Propheten,
Zum
König, den in Nöten
Gott
schützt vom Heiligtum.
Und ein Kind Gottes zu sein, das
ist doch die höchste Bestimmung eines Menschen und sein vornehmster Adel, das
befreit alle Ehre alle Würde in sich, die uns Gott zugedacht und Christus uns
erworben hat, das bezeichnet unser innigstes Verhältnis, unsere innigste Gemeinschaft
mit dem dreieinigen Gott! Und Christen sind wir geworden, die wir Heiden,
Kinder Gottes, die wir Kinder des Zorns von Natur waren! O
wunderbarer, unbegreiflicher, seliger Wechsel!
2.
Lasst mich diese teure und gewisse Wahrheit
mit wenigem nun noch anwenden, und zwar zu einer doppelten Ermahnung
und Reizung.
Zunächst zu einer Ermahnung und Reizung für
die Eltern in Betreff ihrer noch unmündigen Kinder. Bekanntlich
verwerfen nur die Baptisten oder Wiedertäufer grundsätzlich die Kindertaufe.
Allein, der baptistische Geist hoch doch alle die anderen reformierten Gruppen
mit Ausnahme der Episkopalkirche durchdrungen, indem diese die Taufe mehr für
ein Sinnbild und eine Zeremonie zur Aufnahme in die äußerliche
Kirchengemeinschaft ansehen und nicht für „das Bad der Wiedergeburt und
Erneuerung des Heiligen Geistes“. Sie erteilen daher Kindern die Taufe, wenn es
die Eltern begehren; sie dringen aber nicht auf die Kindertaufe, sie lassen
dieselbe den Eltern frei. Die Folge ist, dass die Kindertaufe unter ihnen immer
mehr abkommt, und die Parochialberichte einen gar traurigen Ausweis liefern.
Nach dem Parochialbericht einer Presbyterianergemeinde z.B., die 271 Familien
und 674 Kommunikanten zählte, waren in einem Jahr nur 10 Kinder getauft worden.
Vor einer Reihe von Jahren wurde berichtet, dass unter den Kongregationalgemeinden
des Staates Connecticut 76 seien, in welchen während des Jahres kein einziges
Kind, in einer dieser Gemeinden seit zehn Jahren sogar überhaupt kein Kind
getauft worden war. Und seitdem ist dies, soweit man wahrnimmt, nicht besser,
sondern schlimmer geworden. Es wäre nun schon genug, dass durch die ohne Taufe
heranwachsenden Kinder solcher vom Christentum ganz abgefallener und nun ganz
kirchlos dahinlebender Eltern genug Heiden mitten unter den Christen wieder
werden; ist es aber nicht entsetzlich, dass auch innerhalb solcher Gemeinden
durch die Unterlassung der Kindertaufe ein neues Heidentum entsteht? Welch eine
bittere Frucht der falschen Lehre von der Taufe!
Sehen wir aber zu, ob wir von diesem
wiedertäuferischen und sektiererischen Geist nicht auch mehr oder weniger schon
angesteckt sind. Oder wie kommt’s, dass trotz der reinen Lehre von der Taufe,
die unter uns in Kirche und Schule, in Predigt und Katechisation im Schwang
geht und trotz oftmaliger Bitte und Ermahnung, die neugeborenen Kinder so
frühzeitig wie nur möglich zur Taufe zu bringen, doch noch immer es vorkommt,
dass dieselben Monate oder gar noch länger auf die Taufe warten müssen? Ist’s
denn möglich, dass Eltern, die Christen sein wollen, es ansehen können, dass
ihr Kind so lange ein Heide und ein Kind des Zorns bleibt, dass es so lange
nicht ein Christ, nicht ein Kind Gottes sein darf? Ach, man muss fürchten, dass
es solchen Eltern selber ganz gleichgültig ist, ob man ein Christ oder ein
Heide, ein Kind Gottes oder ein Kind des Zorns ist! Was wollen sie nun aber dem
HERRN antworten, der da ruft: „Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehrt ihnen
nicht“? Und was erst, wenn das ungetaufte Kind vom Tod übereilt würde? O, darum
lasst uns in die Fußstapfen unserer gottseligen Väter treten, die schon am
achten Tag und vielfach noch früher das neugeborene Kindlein zur Kirche trugen,
dass es in Gottes Namen getauft würde.
Damit ist aber noch nicht alles geschehen,
dass man die Kinder frühzeitig zur Taufe bringt. Wie das kleine Kind in Betreff
seiner Leibespflege sorgfältig in Acht genommen werden muss, wie die Mutter es
nährt, dass es zunimmt, und vor schädlichen Einflüssen es bewahrt, dass es
nicht krank wird und stirbt, so bedarf auch das geistliche Leben des getauften
Kindes, das auch noch so zart und schwach ist, wie sein leibliches Leben, der
größten Sorgfalt in seiner Pflege. Obwohl es aus einem Heiden ein Christ, aus
einem Kind des Zorns ein Kind Gottes durch die Taufe geworden, so ist doch in
ihm der alte Adam. Wie bald kann da nun durch böse Beispiele und lose Rede die
gute Wirkung der Taufe in einem Kind wieder zerstört werden! Und wie soll im
getauften Kind das neue Leben erhalten werden, wenn im Haus kein Gebet, kein
Gotteswort gehört wird, und man dann hernach dasselbe anstatt in die
christliche Gemeindeschule auf die religionslose oder antichristliche
Staatsschule schickt? Kein Wunder daher, dass schon in Folge der Erziehung in
vielen Getauften nichts mehr von einer Wiedergeburt, nicht mehr von einer
Erneuerung zu spüren ist und sie wieder Kinder des Zorns werden und wie Heiden
wieder dahin leben. Aber welch eine Verantwortung haben da Eltern auf sich
geladen!
Ihr nicht so, meine Lieben. Ach, lasst euch
durch das, was ihr heute von der Taufe gehört habt, ermahnen und reizen, eure
getauften Kinder in der Zucht und Ermahnung zum HERRN zu erziehen, dabei
auch herzlich und fleißig für dieselben zu beten, damit sie Christen, damit sie
Kinder Gottes bleiben und dereinst auch das ewige Erbe empfangen.
Sodann lasst mich die Lehre unserer
heutigen Epistel zu einer Ermahnung und Reizung für die Erwachsenen
insgesamt anwenden, für Jünglinge und Jungfrauen, für Männer und Frauen.
Sind wir nämlich durch die Taufe aus Heiden
Christen, aus Kindern des Zornes Kinder Gottes geworden, o, so lasst uns doch
oft, ja täglich an unsere liebe Taufe denken. In unserer Konfirmation
haben wir ihrer öffentlich gedacht und darum auch den in ihr mit dem
dreieinigen Gott geschlossenen Taufbund öffentlich und feierlich erneuert. Aber
so, wie bei der Konfirmation öffentlich, sollen wir bei uns selbst täglich
der Taufe gedenken.
Lasst uns daher vor allem Gott täglich danken,
der auch uns seine Freundlichkeit und Leutseligkeit hat erscheinen lassen
dadurch, dass er in die Finsternis unserer heidnischen Väter das Licht des
Evangeliums hat scheinen, ja, nach der Verdunkelung desselben durch den
Antichrist es durch Luther erst recht hell über die Welt und besonders das
deutsche Volk hat aufgehen lassen. Die Folge davon ist, dass wir die Lehre auch
von der Taufe rein haben und dass wir schon als zarte Kindlein dem HERRN
zugetragen, kaum eingetreten in die Welt aus unserem angeborenen Elend errettet
und selig gemacht, aus Heiden Christen, aus Kindern des Zorns Kinder Gottes
geworden sind. Hast du, mein lieber Zuhörer, Gott auch schon für deine Taufe
gedankt, besonders dafür, dass durch diese dir seine Freundlichkeit und
Leutseligkeit schon in deiner Kindheit erschienen ist und hat dich so selig, so
herrlich gemacht?
Dann lasst uns auch unsere Taufe recht gebrauchen
und uns, wie Luther sagt, unser ganzes Leben lang an der Taufe üben.
Zu solchem lebenslänglichen Gebrauch und zu
solcher steten Übung gehört vor allem, dass wir uns ihres herrlichen Trostes
in allen Anfechtungen annehmen. Ficht uns unsere tägliche Sünde an, so lasst
uns gedenken, dass wir durch unsere Taufe eine fortwährende Vergebung unserer
Sünden haben. Haben wir unseren Taufbund schändlich gebrochen und dadurch
Gottes Gnade und den Heiligen Geist verloren, und erkennen wir solches
bußfertig, so lasst uns gedenken, dass der mit uns in der Taufe geschlossene
Bund ein Gnadenbund ist, kraft dessen Gott einen Getauften so oft wieder in
Gnaden annimmt, so oft er sich bekehrt und Buße tut. Ficht uns Armut, Kreuz und
mancherlei Trübsal an – o, welchen Trost wird uns unsere Taufe geben, die uns
zu Gesalbten des HERRN, zu Kindern Gottes und zu Erben des ewigen Lebens
gemacht hat. Und dringt auf uns der Tod ein – denken wir an unsere Taufe, so
wird die Furcht des Todes schwinden, denn weil die Taufe die Sünde als den
Stachel des Todes wegnimmt, so kann einem getauften Christen der zeitliche Tod
nicht schaden und der ewige Tod, die ewige Verdammnis, an ihm keine Macht
finden. O, wie sollte doch im Andenken an die Taufe unser Herz immerdar hüpfen
und springen und in allen Nöten getrost und freudig sein!
Lasst uns aber auch unsere Taufe zu
fortgehender Erneuerung, zu gottseligem Wandel gebrauchen. Aber ach,
Geliebte, welch eine lange Bußpredigt wäre darüber zu tun, dass die meisten
Getauften das ganz und gar vergessen und so ganz aus ihrer Taufe fallen, dann
oft noch ärger werden als die Heiden und so unter einen noch größeren Zorn
Gottes geraten, indem sie nun erst recht sich erzeigen als „Unweise,
Ungehorsame, Irrige, den Lüsten und mancherlei Wollüsten Dienende“, und wandeln
„in Bosheit und Neid und hassen sich untereinander“, so dass um ihretwillen
auch unter den Ungläubigen und Heiden Gottes Name gelästert wird. Wer unter uns
so seine Taufe vergessen hat, der tue ja ungesäumt Buße. Nein, sind wir aus
Heiden Christen geworden, so lasst uns beweisen, dass wir jenes waren,
dieses aber nunmehr sind; hat uns Gott aus Kindern des Zorns zu seinen
Kindern gemacht, so lasst uns auch als Kinder Gottes heilig und ihm zu Ehren
leben und deshalb täglich den alten Menschen durch wahre Reue und Buße töten
und täglich im Geist unseres Gemüts uns erneuern. Lasst uns daran denken, dass
wir bei der Taufe und hernach bei der Konfirmation feierlich gelobt haben, zu
entsagen dem Teufel und allen seinen Werken und allen seinem Wesen, dafür aber
mit Leib und Seele dem dreieinigen Gott angehören zu wollen und dass wir durch
Gottes Gnade das halten können, weil uns die Taufe dazu die Kraft gibt.
Wohl uns! Wir werden so unsere Taufe
zieren, wir werden dann auch dabei rechte Missionsleute sein und unter Christen
und Heiden und Juden das Reich der Gnaden bauen helfen, bis wir kraft unserer
Taufe aus dem Reich der Gnaden endlich zum Reich der ewigen Herrlichkeit
gelangen. Das helfe uns Gott nach seiner großen Barmherzigkeit durch Jesus
Christus, unseren Heiland. Amen.
Gebet:
Barmherziger Gott und Vater, wir danken wir, dass du uns in Sünden empfangene
und geborene Menschen durch die heilige Taufe wiedergeboren und zu deinen
Kindern und Erben der ewigen Seligkeit aufgenommen hast, und bitten dich,
erhalte uns in dem mit dir gemachten Taufbund, dass wir in wahrem Glauben und
heiligem Wandel dir dienen und endlich das verheißene Erbe erlangen mögen durch
Jesus Christus, deinen Sohn, unseren HERRN. Amen.
Lied:
O Gott, da ich gar keinen Rat
Lied:
HERR Jesu, Gnadensonne
Gebet:
Ehre und Gewalt sei dir, HERR und Heiland, von Ewigkeit zu Ewigkeit, denn du
hast uns arme verlorene und verdammte Sünder erkauft mit deinem Blut aus
allerlei Geschlechtern und Zungen und Volk und Heiden und hast uns nach deiner
großen Barmherzigkeit durch die Taufe wiedergeboren und gemacht zu Königen und
Priestern vor Gott und deinem Vater. Lehre und solches heute und in den
kommenden Sonntagen recht verstehen durch den Unterricht deines auserwählten
Rüstzeuges, das besonders unter die Heiden deinen Namen tragen sollte, damit
wir in Wort und Werk verkündigen deine Tugenden, der du uns durch dein
Evangelium berufen hast von der Finsternis des Heidentums zu deinem wunderbaren
Licht und wir so unseres hohen und herrlichen Berufes würdig wandeln. Erhöre
uns um deines Namens willen. Amen.
Römer
12,1: Ich ermahne euch, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass
ihr eure Leiber begebt zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig
sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst.
Geliebte in dem HERRN! Unsere Väter sind Heiden
gewesen und sind hingegangen zu den stummen Götzen. Weil aber auch ihnen
Christus durch sein Evangelium einst erschienen ist, so sind wir, ihre
Nachkommen, nun Christen. Ein schöner Name! Christ heißt nämlich
ein Gesalbter. Gesalbte aber sind wir nach dem Wort des 45. Psalms: „Du
liebst Gerechtigkeit und hasst gottloses Wesen, darum hat dich, Gott, dein
Gott, gesalbt mit Freudenöl mehr als deine Gesellen.“ Dies Freudenöl ist
der Heilige Geist. Mit ihm ist Christus, unser HERR und Haupt, ohne Maßen
gesalbt zum Priester, König und Propheten; wir aber, die wir durch seine Hand
mit diesem Freudenöl nach dem Maß in der Taufe gesalbt wurden, sind in dieser
dreifachen Würde seine Gesellen, seine Genossen und können daher von dem
Heiligen Geist mit dem Dichter singen:
Du
bist das heilge Öle,
Dadurch
gesalbet ist
Mein
Leib und meine Seele
Dem
HERREN Jesus Christ
Zum
wahren Eigentum,
Zum Priester
und Propheten,
Zum König,
den in Nöten
Gott
schützt im Heiligtum.
Auf das eine Stück dieser dreifachen
Christenwürde, auf unser geistliches Priestertum, weist uns der Anfang
dieser Epistel mit den Worten: „Ich ermahne euch, liebe Brüder, durch die
Barmherzigkeit Gottes, dass ihre eure Leiber begebt zum Opfer, das da lebendig,
heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst.“
Diese teure Wahrheit aber ist gleichsam der rote Faden, der sich wie eine
Perlenschnur durch das ganze 12. Kapitel der Epistel an die Römer
hindurchzieht, von der ausgehend und getragen der Apostel der Heiden mit
dem im 12. Kapitel beginnenden zweiten Teil seiner Epistel die Christen ermahnt
und reizt zu den Früchten des Glaubens in gottseligem Wesen und Fleiß in
allerlei guten Werken, nachdem er im ersten Teil die hochwichtige Wahrheit, den
Kern und Stern aller Lehre, vorgetragen hat, „dass der Mensch gerecht werden
ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“. Da redet er denn V. 1. Von
dem priesterlichen Opfer der Gläubigen; V. 2 von der priesterlichen Absonderung
der Gläubigen von der gottentfremdeten Welt und von V. 3 an bis zum Ende von
dem priesterlichen Wandel der Gläubigen innerhalb und außerhalb des
Hauses Gottes, das da ist die Gemeinde des lebendigen Gottes.
Da wir nun, Geliebte, in die Epiphaniaszeit
eingetreten sind und dieses ganze 12. Kapitel für die Episteln der drei ersten
Epiphaniassonntage von der Kirche vorgeschrieben sind, so sei es mir in
Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse meiner lieben Zuhörer gestattet,
nach der jetzt angegebenen inhaltlichen Einteilung diese drei
Epiphaniasepisteln zu predigen und daher für jetzt euere Aufmerksamkeit allein
auf das priesterliche Opfer der Gläubigen zu richten, zuvor aber noch
einen kurzen Unterricht von dem geistlichen Priestertum zu tun.
Wie im Alten, so gibt es auch im Neuen Bund
ein Priestertum, von dem jenes aber, wie die ganze levitische Einrichtung des
jüdischen Gottesdienstes, nur ein weissagendes Vorbild auf dieses ist. So viel
daher z.B. das neutestamentliche Osterlamm, Christus, besser und herrlicher ist
als das alttestamentliche, so viel besser und herrlicher ist auch das
neutestamentliche Priestertum als das alttestamentliche, denn es ist nicht wie
dieses ein leibliches, sondern ein geistliches Priestertum.
Das levitische Priestertum gipfelte im Hohenpriester,
als dem Obersten der Priester. Der Hohepriester des geistlichen oder
neutestamentlichen Priestertums ist des Menschen Sohn, Christus Jesus,
wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch,
von der Jungfrau Maria aus dem Haus und Geschlecht Davids geboren. Von ihm
heißt es Psalm 110,4: „Der HERR hat geschworen, und es wird ihn nicht gereuen!
Du bist ein Priester ewiglich nach der Weise Melchisedeks.“ Und dass und
wie er und kein anderer dieser Hohepriester ist, weist den aus den Juden
stammenden Christen die Epistel an die Hebräer nach.
Aber welches ist nun die Priesterschaft,
die um diesen nicht von Levi, sondern von Juda nach dem Fleisch stammenden
Hohenpriester versammelt ist und Gottesdienst tut? Sind es etwa die berufenen
Diener der Kirche? Wohl behauptet das der Papst und ihm nach die
bischöfliche Kirche (Episcopal Church). Aber, Geliebte, obwohl das Amt der
berufenen Diener der Kirche im Neuen Testament eine göttliche Stiftung mit
vielen und herrlichen Namen geziert ist, obwohl diese heißen Christi Diener
und Haushalter über Gottes Geheimnisse, Pastoren oder Hirten,
welche der Heilige Geist gesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde
Gottes, Älteste, Lehrer, Gottes Mitarbeiter u.dgl., so werden sie doch
nicht ei einziges Mal ihrem Amt nach Priester geheißen. Wenn daher
manche unserer alten Lehrer diese Priester nennen, wie z.B. in den beiden
schönen Absolutionsliedern Nr. 192 und 193 [Missourisches Gesangbuch], so tun
sie es nur nach dem alten Sprachgebrauch, keineswegs in dem Sinn, in welchem
die Kirchendiener der papistischen und episkopalen Sekte Priester genannt
werden, sondern allein in dem Sinn, dass ihnen von Gemeinschaftswegen und Kraft
des Berufes der Kirche die öffentliche Verrichtung gewisser Rechte und
Pflichten des geistlichen Priestertums obliegt. Nein, das Priestertum des Neuen
Testaments ist nicht das Privileg Einzelner in der Kirche Gottes, nicht eines
gewissen Stammes oder Geschlechts, wie des Stammes Levi und Geschlechtes Aaron
im Alten Testament, ist also nicht ein gewisser Stand innerhalb der Kirche, wie
nach göttlicher Verordnung im Alten Testament, sondern es ist die ganze Schar
aller Gläubigen ohne Unterschied der Abstammung, des Geschlechts, des Alters,
des äußerlichen Standes und der mancherlei Begabung. Gerade der Apostel, den
man so gern zum sichtbaren Statthalter Christi auf Erden und darum zum
sichtbaren Oberpriester eines gegen die Schrift erdichteten Priestertums machen
möchte, gerade Petrus, bezeugt in seiner 1. Ep. Kap. 2,9 allen Gläubigen ohne
Ausnahme: „Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, das königliche
Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen
sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem
wunderbaren Licht.“ Und damit man nicht meine, das gehe bloß die Gläubigen
aus Israel an, so setzt er für die ehemaligen Heiden V. 10 hinzu: „Die ihr
einst nicht ein Volk wart, nun aber Gottes Volk seid, und einst nicht in Gnaden
wart, nun aber in Gnaden seid.“ Und ebenso werden in der Offenbarung an St.
Johannes dreimal die Gläubigen alle zusammen Priester genannt, besonders Kap.
5,9 und 10, wo die neutestamentlichen Gläubigen allzumal anbetend rufen: „Du
hast uns erkauft mit deinem Blut aus allerlei Geschlecht und Zungen und Volk
und Heiden und hast uns unserem Gott zu Königen und Priestern gemacht, und wir
werden Könige sein auf Erden.“ Wie man nun im Alten Testament nicht erst
durch die vorgeschriebene levitische Weihe, sondern durch die leibliche Geburt
von Levi her ein levitischer Priester wurde, so wird man im Neuen Testament
noch viel weniger durch die zeremonielle Weihe von einem Bischof ein
geistlicher Priester, sondern auch durch eine Geburt, aber durch eine
geistliche Geburt, durch die Geburt aus Wasser und Geist, durch die liebe
Taufe. Wer das glaubt und getauft ist, ob Mann oder Frau, ob Kinder oder Greis,
ob Weiß oder Schwarz, ob gelehrt oder ungelehrt, ob reich oder arm, der ist ein
Priester Gottes des Allerhöchsten.
O unvergleichliche Würde, welche
gleichfalls die Herrlichkeit und Sesligkeit der Gotteskindschaft mit sich
bringt! Denn was ist ein Priester nach Gottes Wort? Er ist nichts Geringeres
als eine von den Gemeinen abgesonderte und Gott geheiligte und geweihte
Person, welche sowohl mit dem heiligen Gott selbst zu handeln und ihm zu nahen
berechtigt und durch den Heiligen Geist dazu befähigt ist, als auch im Namen
Gottes zu den Menschen zu den und sie segnen darf, soll und kann.
Die Hauptverrichtung des Priestertums nun
ist das Opfer, wie der Hebräerbrief ja auch ausdrücklich sagt, dass ein
jeglicher Priester zur Darbringung des Opfers eingesetzt ist. Welches ist
demnach das eigentliche Opfer des neutestamentlichen, des geistlichen
Priestertums? Das eben lasst uns heute aus den Anfangsworten der Epistel noch
besonders lernen. Wir betrachten:
Das priesterliche Opfer der Gläubigen im Neuen Testament
Und
zwar:
1.
Dessen Art
2.
Dessen
Gegenstand und
3.
Dessen
Darbringung
1.
Meine Lieben! Ein Priester ohne Opfer ist
ebenso ein Unding wie ein König ohne Land und Leute, ein Pfarrer ohne Gemeinde
und ein Lehrer ohne Schüler; denn ein Priester ist eben dazu eingesetzt, dass
er mit Gott handle durch Darbringung eines Opfers und ob auch Opfern nicht die
einzige priesterliche Verrichtung ist, so ist sie doch die wesentlichste und
wichtigste Verrichtung. Wenn daher die römischen Messpriester zu den
sogenannten Priestern der anglikanischen Kirche sagen: „Ich seid keine
Priester, denn wo ist das Opfer, das ihr von Amtswegen Gott täglich darbringt?“
so haben sie so unrecht nicht, denn die Schrift selbst sagt, dass ein Priester
eingesetzt ist, ein Opfer zu tun. Wenn nun aber die römischen Messpriester
weiter behaupten: Eben darum sind wir in Wahrheit Priester Gottes, denn wir
haben in der Messe die tägliche Darbringung des neutestamentlichen Opfers! so
sagen wir Lutheraner: Ihr irrt und wisst nicht die Schrift noch die Kraft
Gottes; denn euer Messopfer ist ein erdichtetes Opfer, wie die Opfer der
Heiden, oder ja, ihr seid um eures Messopfers willen Priester, aber dann nicht
Priester Gottes, sondern Götzenpriester, Baalspriester, Teufelspriester. Nur
ein Gläubiger bringt fort und fort ein wirkliches Gott wohlgefälliges Opfer
dar. Welcher Art das ist und daher auch wie himmelweit von dem
papistischen verschieden schon in Bezug auf die Art, werden wir bald
sehen.
Die Opfer, welche nach göttlicher
Einsetzung die levitischen Priester darbringen mussten, waren nämlich zweierlei
Art: Sühnopfer und Dankopfer. Sollte Vergebung der Sünde erlangt
werden, so geschah durch die Hand des Priesters ein Sühnopfer; sollte
Gott für eine Gabe, für eine Wohltat gepriesen werden, so geschah ein Dankopfer.
Ein Sühnopfer soll denn nun auch die Messe oder das zu einem Opferdienst
verunstaltete heilige Abendmahl sein; denn in derselben will der Priester Brot
und Wein, die er in Leib und Blut Christi zu verwandeln vorgibt, Gott
darbringen für die Sünden der Lebendigen und der Toten und zwar als ein
unblutiges Opfer. Aber, Geliebte, nicht nur redet die Schrift allüberall nur
von der bereits auf Golgatha geschehenen Darbringung des Opfers des Leibes und
Blutes Christi und weiß nirgends etwas von einer unblutigen Wiederholung dieses
Opfers, sondern die Epistel an die Hebräer geht auch darauf aus, durch eine
Vergleichung des levitischen, vorbildhaften und des am Kreuz geschehenen
Sühnopfers zu zeigen, dass und warum es bei dem letzteren keinerlei
Wiederholung, ja, warum im Neuen Testament überhaupt es keinerlei Sühnopfer
mehr bedarf. Sie erklärt Kap. 9,24-28: „Christus ist nicht eingegangen in das
Heilige, das mit Händen gemacht ist (welches ist ein Gegenbild – Vorbild des
Rechtschaffenen), sondern in den Himmel selbst, nun zu erscheinen vor dem
Angesicht Gottes für uns. Auch nicht, dass er sich oftmals opfere,
gleichwie der Hohepriester geht alle Jahre in das Heilige mit fremdem Blut.
Sonst hätte er oft müssen leiden vom Anfang der Welt her. Nun aber am Ende der
Welt ist er einmal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde
aufzuheben. Und wie den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, danach aber
das Gericht: So ist Christus einmal geopfert, wegzunehmen vieler Sünden.
Zum zweiten Mal aber wird er ohne Sünde erscheinen denen, die auf ich warten
zur Seligkeit.“ Und ebenso deutlich heißt es im nächsten Kapitel V. 10.14: „In
welchem Willen wir sind geheiligt, einmal geschehen durch das Opfer des Leibes
Jesu Christi. Und ein jeglicher Priester (nämlich levitischer) ist eingesetzt,
dass er alle Tage Gottesdienst pflege und oftmals einerlei Opfer tue, welche
nimmermehr können die Sünden abnehmen. Dieser aber, da er hat Ein Opfer
für die Sünde geopfert, das ewig gilt, sitzt er nun zur Rechten Gottes und
wartet hinfort, bis dass seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt werden. Denn
mit Einem Opfer hat er in Ewigkeit vollendet, die geheiligt werden.“
Deutlicher könnte doch kaum wohl geredet werden, dass es im Neuen Testament nur
Ein Versöhnopfer gibt, nämlich das, welches Christus in der Opferung seines
eigenen Leibes und Blutes auf dem Altar des heiligen Kreuzes dargebracht hat.
Zwar sagen hierbei die Päpstler: „Ja, das blutige Opfer Christi am Kreuz
ist allerdings nur einmal geschehen und kann daher nicht wiederholt werden;
aber zur Zuwendung der Kraft jenes einmal geschehenen Ofers für die immer aufs
neue geschehenen Sünden bedarf es der steten unblutigen Wiederholung
dieses Opfers und die geschieht eben im heiligen Abendmahl durch das
Messopfer.“ Allein, das ist sowohl ein Menschenfündlein als auch ein Unding,
und darum eines wie das andere Gaukelei. Ein Menschenfündlein ist’s,
denn in der Einsetzung des heiligen Abendmahls verordnet der HERR ausdrücklich,
dass man seinen Leib unter dem gesegneten Brot allein essen und sein
Blut unter dem gesegneten Wein allein trinken soll und nicht, dass man
Brot und Wein oder Leib und Blut oder irgendetwas zugleich opfern soll.
Ein Unding ist’s, ein unblutiges Opfer zur Vergebung darbringen zu
wollen, denn der Apostel sagt ausdrücklich Hebr. 9,22: „Ohne Blutvergießen
geschieht keine Vergebung.“
Um des einigen, vollgültigen, ewigen
Versöhnopfers Christi am Kreuz willen, gibt es also im Neuen Testament
keinerlei Versöhnopfer mehr, weder blutige, noch viel weniger unblutige. Jede
Darbringung eines Opfers dieser Art ist daher Gott ein Greuel und geschieht zur
Schmach des Verdienstes Christi. Wohl aber soll im Neuen Testament die andere
Art der Opfer fort und fort geschehen. Dies sind die Lob- und
Dankopfer. Von diesen heißt es schon Ps. 110,3: „Nach deinem Sieg wird dein
Volk dir willig opfern in heiligem Schmuck“, und dann hernach beidem Propheten
Maleachi Kap. 1,11: „Vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang soll mein Name
herrlich werden unter den Heiden, und an allen Orten soll meinem Namen
geräuchert und ein reines Speisopfer geopfert werden. Den mein Name soll
herrlich werden unter den Heiden, spricht der HERR Zebaoth.“ Und indem der
Prophet hernach Kap. 3 von der Reinigung der Kinder Levis durch den Messias
spricht, sagt er abermals V. 3 und 4: „Dann werden sie dem HERRN Speisopfer
bringen in Gerechtigkeit und wird dem HERRN wohlgefallen das Speisopfer Judas
und Jerusalems, wie vorher und vor langen Jahren.“
Diese Art und nur diese meint denn auch der
Apostel in unserem Text, wenn er zur Darbringung unseres Lob- und Dankopfers „durch
die Barmherzigkeit Gottes“ ermahnt. Von dieser Barmherzigkeit hat er ja in
den vorausgehenden 11 Kapiteln mit reichem apostolischem Geist geredet, indem
er zeigte, wie Gott alles, Juden und Heiden, unter die Sünde beschlossen hat,
damit er sich in Christus aller erbarme, und zwar so, dass wir gerecht werden
ohne Verdienst allein aus seiner Gnade, die durch die Erlösung, so durch Jesus
Christus geschehen ist und durch den Glauben, der Gottes Zusage im Wort traut
und Christi Verdienst ergreift. Dann hat er gezeigt, wie wir durch solchen
gerechtmachenden Glauben Frieden haben und neue Menschen werden, an denen
nichts Verdammliches ist, Gottes Kinder und Erben, die er durch Leiden zur
Herrlichkeit zubereitet, ja, die er zu derselben in seinem ewigen Rat schon
erwählt hat, so dass sie nichts von seiner Liebe scheiden könne. Und ob er auch
sein Volk Israel verworfen und die Heiden an seiner Statt angenommen hat, so
ist jenes geschehen, weil Israel in Werkstolz nicht aus Gnaden und
Barmherzigkeit wollte selig gemacht sein wie die Heiden. Alles, was nun Gott
für solche erwiesene Barmherzigkeit fordert, ist der Dank der
Begnadigten. Das Opfer ihres Leibes, das sie zu dem Ende darbringen sollten,
ist daher seiner Art nach einzig und allein Dankopfer.
Ja, Geliebte, das priesterliche Opfer des
Neuen Testaments ist und soll nur sein Dankopfer; denn hier gibt es nichts mehr
zu versöhnen, nichts mehr zu büßen, nichts mehr zu verdienen, sondern hier gibt
es aus der Fülle der Barmherzigkeit Gottes und des allerheiligsten Verdienstes
Christi nur zu nehmen Gnade um Gnade, dessen sich alle Tage zu freuen und zu
trösten und darüber Gott zu loben und dafür ihm zu danken. Dank, Dank, Dank
ist daher der einzige Gottesdienst des Neuen Testaments und seines geistlichen
Priestertums.
2.
Welches ist nun der Gegenstand des
priesterlichen Opfers der Gläubigen im Neuen Testament? Was sollen sie
Gott zu Lob und Dank darbringen? Der Apostel spricht: „Ich ermahne euch,
liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber
begebt zu einem Opfer.“
Im Alten Testament wurden nicht nur zu
Sühnopfern, sondern auch zu Brand- oder Dankopfern Tierleiber genommen.
Man schlachtete und verbrannte auf dem Altar Schafe, Böcke und Stiere. Auch das
geschah zum Vorbild. Und zwar, wie das Wesen viel höher und herrlicher ist als
das Vorbild, so auch besonders hier der Gegenstand des Opfers. Zur Versöhnung
mit der Welt hat Christus nicht den Leib eines unvernünftigen Tieres
dargebracht, sondern seinen eigenen Leib. Den heiligen, von keiner Sünde
befleckten Leib, den Leib, in welchem die Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt,
hat er dargebracht an unseres Leibes statt. Den hat Gott auch als eine
vollgültige Gabe zur Versöhnung der Welt angenommen und war ihm durch die
freiwillige Liebe des Gottes- und Menschensohns zum himmlischen Vater und zu
den Sündern dieses Opfer ein gar süßer Geruch. Eben darum sollen auch wir als
seine heiligen Mitpriester unsere Leiber zum Opfer darbringen – aber
merkt wohl, nicht als Beitrag zu der von Christus geschehenen
Versöhnung, noch um uns der durch sein Opfer erworbenen Vergebung der Sünden
erst würdig machen zu wollen, sondern allein zu Dank und Lob
seines vollgültigen Opfers und der durch ihn empfangenen Gnade.
Wenn nun aber der Apostel sagt, dass wir
unsere Leiber Gott zu einem Opfer darbringen sollen, so schließt er
damit unsere Gebete und Lobgesänge oder unsere irdischen Gaben
zum Wohltun und zur Förderung des Reiches Christi in Kirchen und Schulen nicht
aus, sondern vielmehr ein, denn das alles gehört mit zum Opfer unseres Leibes,
das alles hat nur Wert, wenn es in Verbindung mit dem Opfer unseres Leibes
dargebracht wird. Er redet hier von dem Opfer unseres Leibes nur im Gegensatz
zu dem Opfer des Leibes der Tiere im Alten Testament, nur um zu zeigen, wie
viel höher das Wesen ist als das Vorbild. Eben darum will er noch
vielmehr die in dem Leib wohnende Seele mit allen ihren Kräften
eingeschlossen haben, denn wäre die nicht dabei, und wäre es in dieser nicht
die Liebe und der Dank, die zu solchem Opfer trieben, so träfe und das Wort:
„Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen und
hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.“ Nein, Leib und Seele, uns
selbst ganz und gar, unsere ganze Persönlichkeit sollen wir Gott opfern,
d.h. Gott hingeben zu seiner Ehre und zu seinem Dienst, dass wir sein eigen
sind. „Das ist fürwahr ein priesterliches Werk!“ ruft hierbei Luther aus. „Hat
jemand Lust und Liebe, Pfarrer (Priester) zu sein und am höchsten zu fahren,
der hebe hier an und nehme das Werk vor sich und opfere Gott seinen Leib.“ Dann
aber, nachdem er gezeigt hat, dass zwischen dem äußerlich scheinenden
papistischen Priestertum und dem vor der Welt verborgenen geistlichen Priestertum
aller wahren Christen ein großer Unterschied ist, also, dass beide sich
zusammen reimen wie Christus und Barrabas, so schließt er: „Name und Titel des
Priestertums ist herrlich und bald genannt, aber das Amt und Opfer ist selten,
da graut jedermann vor, denn es gilt Leben, Gut, Ehre, Freunde und was
die Welt hat. Da will niemand hinan.“
Ja fürwahr, „da will niemand hinan“.
Gilt es hier doch, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für uns
gestorben und auferstanden ist. Auch die Welt tut manchmal, wie wenn sie ihm
gelegentlich etwas opfern wollte, wenn es z.B. gilt, an wohltätigen Werken und
Hilfeleistungen der Christen sich zu beteiligen oder für Kirchen und Schulen
etwas zu tun. Aber sich selbst ihm geben, nicht mehr sich selbst leben,
da will sie nicht hinan, da klagt sie über zu strenge Forderungen. Sie kann es
auch nicht. Dazu muss man von neuem geboren sein. Nur der will und kann hinan,
der Gottes Barmherzigkeit in Christus im Glauben erkannt und an sich selbst
erfahren hat. Und auch der noch nicht so, wie es wohl sein sollte und wie er’s
nach dem neuen Menschen auch gern wollte. Um des alten Menschen willen steht es
mit diesem „Hinanwollen“ bei den meisten namentlich in heutiger weichlicher
Zeit viel mehr zum Teil noch recht gebrechlich. Was bedurfte es auch, dass der
Apostel selbst gefördertere Christen noch besonders zu diesem vornehmsten Stück
ihres geistlichen Priestertums anhalten und schreiben muss: „Ich ermahne
euch, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber
begebt zu einem Opfer.“
3.
Lasst uns daher noch die Darbringung dieses
Opfers unseres Leibes betrachten. Wir werden hier einesteils zu unserem Trost
sehen, wie bei allen Gläubigen eine solche wirklich stattfindet, wie sie alle
auf der Bahn sind, so lange sie im wahren Glauben stehen; wir werden aber auch
zu unserer Beschämung sehen, wie weit gegen andere wohl selbst noch zurück
sind, ja, dass es da mit dem Einen und dem Anderen sogar rückwärts geht statt
vorwärts.
Was heißt denn das: Seinen Leib zu einem
Opfer geben? Das heißt zunächst sein Fleisch kreuzigen samt den Lüsten
und Begierden. Es heißt also nicht, auf mönchische und heidnische Weise
seinen Leib kasteien, ihm die nötige Pflege entziehen, ihn mit Geiselhieben
zerfleischen, ihm sonst allerlei Selbstmarter auferlegen oder gar ihn töten,
sondern es heißt, gegen die Lüste und Begierden, welche durch die Glieder des
Leibes ihre Nahrung, ihren Willen, ihr Werk haben wollen, ernstlich streiten,
dass dem Auge verwehrt werde, wenn es an Wollust, Pracht, Eitelkeit und Hoffart
des Lebens sich ergötzen will; dass man das Ohr verstopft, wenn das Fleisch
reizt, unsaubere Worte und Scherze, Klatschereien, Lügen und Verleumdungen zu
hören und vor den Mund ein Schloss legt, wenn er solche Dinge reden oder sich
zum Fluchen und Schwören, zum Fressen und Saufen hergeben will; und dass man
den Händen wehrt, dass sie nicht in Hass und Feindschaft am Leib und in
Habsucht und Ungerechtigkeit am Gut des Nächsten sich vergreifen oder in
schändlicher Lust den eigenen Leib beflecken und dgl. m. Wer Gott in solcher
Kreuzigung seiner Lüste und Begierden den Leib zum Opfer bringt, der betet in
täglicher Buße:
Drum
so töt und nehme hin
Meinen
Willen, meinen Sinn,
Reiß
mein Herz aus meinem Herzen,
Solls
auch sein mit tausend Schmerzen.
Das
rechte Opfermesser ist deshalb bei diesem geistlichen Opfer des Leibes die Selbstverleugnung,
dass wir täglich und mit immer neuem Ernst in rechter Wachsamkeit über uns
selbst entsagen dem Teufel, allen seinen Werken und allem seinem Wesen. Weil
wir aber allezeit und das je schwächer unser Glaube ist, weichlich und zärtlich
gegen uns selbst sind, besonders in guten Tagen, so greift Gott zu Zeiten
selbst nach dem Opfermesser, so kommt er uns mit allerlei leiblicher Trübsal
und mit mannigfaltigem, oft immer schwererem Kreuz zu Hilfe, „denn wer am
Fleisch leidet, hört auf von Sünden“. Wenn wir da nun diesem Opfermesser Gottes
stillhalten, wie weh es auch dem Fleisch tut, wenn wir in Armut, in
Krankheit, in Schmach, in schwerer Arbeitslast der Ungeduld und dem Murren
wehren; wenn wir immer wieder sprechen: „HERR, nicht mein, sondern dein Wille
geschehe!“ So opfern wir da immer wieder unseren Leib Gott, opfern uns selbst
in seinen heiligen Willen.
Doch, Geliebte, weil es bei diesem unserem
priesterlichen Opfer auf etwas Ganzes abgesehen ist, weil wir Christen
nicht bloß das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste verleugnen, sondern
auch fleißig sein sollen zu guten Werken, nicht bloß Gott unterm Kreuz still
halten, sondern auch in seinem Dienst tätig und eifrig sein sollen, so gehört
zur Darbringung des Opfers unseres Leibes fürs andere auch dies, dass wir
den Leib mit allen seinen Gliedern, Kräften und Gaben in den Dienst Gottes und
des Nächsten stellen und das ganz ohne Eigennutz und Heuchelschein, allein
in aufrichtiger und demütiger Liebe. Beispiele können das am besten erläutern.
Wenn in Zeiten der Verfolgung die
Christen in Gefängnis, Marter und Tod oder in die Verbannung gingen und, wie es
unter den Verfolgungen des römischen Antichristen oder unter den Verfolgungen
einer anderen von der Staatsgewalt unterstützten falschen Kirche geschah, in
den Heldengesang einstimmten:
Nehmen
sie uns den Leib,
Gut,
Ehr, Kind und Weib,
Lass
fahren dahin,
Sie
haben’s kein Gewinn,
Das
Reich muss uns doch bleiben! –
Was
ist das anders als ein Opfern des Leibes? Oder wenn bald diesen, bald jenen die
Liebe Christi dringt, Vaterland, Verwandtschaft, vielleicht auch eine Ehre und
Gewinn bringende Stellung zu verlassen und einem Paulus nach hinzugehen, um den
Heiden das Evangelium zu predigen oder in den Weiten eines Landes unter viel
Entsagung und Entbehrung das Verwahrloste in Israel mit dem Wort Gottes
aufzusuchen – ist das nicht abermals eine Darbringung des Leibes zu einem
Opfer? Und nicht minder geschieht dies, wenn in Zeiten der Pest, der Cholera,
der Pocken, des Gelbfiebers und anderer böser ansteckender Seuchen einzelne
Christen mit Daransetzen nicht nur ihrer Bequemlichkeit, sondern auch ihrer
Gesundheit und ihres Lebens sich opfermutig dem Dienst der verlassenen Kranken
bei Tag und Nacht widmen, während alles vor Furcht der Ansteckung die Flucht
ergreift; oder wenn bei Feuers-, Wassers- und Kriegsgefahr ein Christ um
Christi willen mit eigener Lebensgefahr das Leben anderer zu retten sucht,
vielleicht sogar das Leben drüber verliert; oder wenn er als ein eifriger
Prediger, Lehrer, Christ zum Wohl und Heil anderer sich Ruhe, Genuss und die
nötige Pflege versagt und so dem Licht gleich ist, das, indem es anderen
leuchtet, sich selber verzehrt.
In diesen und ähnlichen Beispielen sehen
wir allerdings die Darbringung unseres Leibes zum Opfer Gottes auf die
herrlichste Weise im Schwang gehen, so, dass diesem Opfer selbst oft die Welt
ihre Bewunderung nicht versagen kann. Doch ist das, wenn ich so sagen darf, die
feierlichste und festlichste Weise, die nicht alle Tage
geschieht. Wenn du aber siehst, wie ein Christ seinen zeitlichen Beruf in
selbstverleugnender, uneigennütziger Liebe ausrichtet; wie ein Kind in
dankbarer Liebe, mit Geduld und Hintansetzen seiner Bequemlichkeit und seines
Genusses seine alten, gebrechlichen, kranken Eltern unverdrossen pflegt und
sonst allen Gehorsam erweist; oder wie ein Dienstmädchen auch dann bei seiner
Herrschaft treu ausharrt, wenn Krankheit, Not und Trübsal bei derselben
eingekehrt sind und die Arbeit sich verdoppelt, während sie anderwärts weniger
Arbeit und mehr Loh haben könnte; oder wie bei besonderen Unternehmungen des
Reiches Gottes sich auch ein Christ etwas besonders angreift, sich, um mit
voller Hand geben zu können, dies und das versagt: So ist auch das ein Opfern
des Leibes durch die Barmherzigkeit Gottes.
Das ist das priesterliche Opfer des Leibes
im Leiden und im Tun. Weil da nun das Opfern nicht in Schlachten und Verbrennen
von Tieren geschieht, sondern in der Darbringung seiner selbst als eines vom
geistlichen Tod zum Leben hindurchgedrungenen Menschen, so ist es ein „lebendiges“
Opfer; weil es willig geschieht, weil das Herz immer dabei
ist, was auch vom Leib Gottes zu Ehren getan wird und überhaupt von einem
geheiligten Menschen kommt, so ist es ein heiliges Opfer; und weil es
nicht aus eigener Andacht, sondern nach der Richtschnur der heiligen zehn
Gebote dargebracht wird und dabei aus dem wahren Glauben kommt, so ist es ein
Gott wohlgefälliges Opfer. Damit wird dann das ganze Leben eins
Christenmenschen zu einem Gottesdienst, und das nennt der Apostel einen „vernünftigen“
Gottesdienst – nicht in dem Sinn, als ob er von der fleischlichen Vernunft
erdacht oder von der Vernunft anerkannt wäre, denn der erscheint er vielmehr
als Torheit, sondern in dem Sinn, dass dies ein Gottesdienst ist, der nicht in äußerlichen
toten Gebräuchen besteht, sondern im Geist und in der Wahrheit, der aber auch
dann den äußerlichen Gottesdienst umso lieblicher, gesegneter und lebendiger
macht.
Wenn man nun mit diesen Worten unserer
Epistel von dem priesterlichen Opfer der Gläubigen unter die heutigen Christen
tritt und fragt nach demselben, so zeigt sich davon wenig, man möchte sagen, je
länger, je weniger. Ach wie viele von den Getauften leben nur dem Fleisch, die
einen auf grobe, die andere mehr auf feinere Weise. Und über wie vielen, die
zur Predigt und zum Sakrament gehen, zur Gemeinde sich halten, ehrbar wandeln,
Christen sein sollen, steigt bei so manchen Gelegenheiten der bange Zweifel
auf, ob sie wirklich auch nur angefangen haben, nicht mehr sich selber
zu leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist – oder
umgekehrt: Ob sie, die durch die Barmherzigkeit Gottes einst angefangen haben,
dem zu leben, der für sie starb und auferstand, darin durch den Heiligen Geist fortfuhren,
ob sie nicht vielmehr schon längst wieder mögen angefangen haben, sich selbst
zu leben. Wenn wir nun aber fragen, woher es rührt, dass selbst auch da, wo
Gottes Wort recht reichlich gelehrt und gepredigt wird und ein gewisses Maß
reiner Lehre und Erkenntnis schon vorhanden ist, bei vielen es doch zu keinem
rechten Anfang oder zu keinem rechten Fortgang im priesterlichen Opfer kommen
will und sonst noch es so schwach, so lahm, so gebrechlich hergeht, so werden
wir vielleicht eine Hauptquelle entdecken, wenn wir in der nächsten Predigt
nach V. 2 unseres Textes von der priesterlichen Absonderung der Gläubigen reden
und dabei unter anderem auf die Frage kommen werden, ob ein gläubiger Christ
auch von den weltlichen Vergnügungen sich absondern müsse, als da sind: Tanz,
Theater und dergleichen.
Nehmt denn zur weiteren Prüfung und
Ermunterung das Wort jetzt mit: „Ich ermahne euch, liebe Brüder, durch die
Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber begebt zum Opfer, das da lebendig,
heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst.“
Dann aber nehmt zur vorläufigen Einkehr, zum vorbereitenden Nachdenken das
damit verbundene andere Wort schon hinzu: „Und stellt euch nicht dieser Welt
gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen
könnt, welches da sei der gute, der wohlgefällige, der vollkommene Gotteswille.“
Amen.
Gebet:
HERR Gott, himmlischer Vater, der du uns durch deinen heiligen Apostel
befiehlst, dass wir unsere Leiber zum lebendigen, heiligen und dir
wohlgefälligen Opfer begeben und dass wir hierin deinen guten, vollkommenen
Willen erkennen und in solchem vernünftigen Gottesdienst dir dienen sollen:
Weil wir aber ohne deine gnädige Hilfe solches alles nicht vermögen, so bitten
wir dich von Herzen, du wollest uns durch deinen Heiligen Geist erleuchten und
regieren, damit wir diesem deinem Befehl treu nachkommen und demnach nicht
weiter, als sich’s gebührt, von uns halten, sondern in christlicher Demut und
rechtschaffener Buße stets vor dir wandeln, bis wir endlich selig werden durch
Jesus Christus, deinen Sohn, unseren HERRN. Amen.
Lied:
Was gibst du denn, o meine Seele
Lied:
Lasset uns mit Jesus ziehen
Gebet:
Du menschgewordener Gottessohn, HERR Jesus Christus, in dir ist die heilsame
Gnade Gottes allen Menschen und so auch unseren Vätern erschienen, dass wir,
ihre Kinder, nun nicht mehr wandeln in Finsternis und nach väterlicher Weise,
sondern als dein aus allen Völkern mit deinem Blut erkauftes, durch dein
Evangelium gesammeltes und durch die Taufe geborenes und geweihtes königliches
Priestertum. Preis und Dank sie dir dafür gesagt hier im Glauben, dort im
Schauen, hier in der Schwachheit, dort in der Vollkommenheit! Weil wir aber
mitten unter dem unschlachtigen und verkehrten Geschlecht dieser so im Argen
liebenden Welt uns noch befinden, so flehen wir:
Schenke
uns auf unsere Bitte
Ein
recht göttliches Gemüte,
Einen
königlichen Geist,
Uns
mit dir verlobt zu tragen,
Allem
freudig abzusagen,
Was
nur Welt und Weltlust heißt.
Hilf
darum, dass jetzt dein Wort nicht nur rein und eindringlich gepredigt, sondern
auch gebührlich aufgenommen werde, nämlich nicht als Menschenwort, sondern, wie
es denn wahrhaftig ist, als Gottes Wort, damit die in dir erschienene heilsame
Gnade uns züchtigen könne, zu verleugnen das ungöttliche Wesen und die
weltlichen Lüste und züchtig, gerecht und gottselig zu leben in dieser Welt
Amen.
Römer
12,2: Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern verändert euch durch
Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, welches da sei der gute, der
wohlgefällige und der vollkommene Gotteswille.
Geliebte in dem HERRN! Nachdem wir in der
vorigen Predigt eingangsweise von dem geistlichen Priestertum aller Christen
als der teuren Wahrheit gehandelt hatten, auf welche der Anfang der Epistel des
ersten Sonntags nach Epiphanias hinweist und welche durch das ganze 12. Kapitel
der Epistel an die Römer sich hindurchzieht, die Gläubigen zu der auf die
Rechtfertigung folgenden Heiligung zu ermahnen und zu reizen: So reden wir nach
V. 1 besonders von dem priesterlichen Opfer der Gläubigen, von
dessen Art, Gegenstand und Darbringung. Wenden wir uns nun zu
einem anderen Stück unseres geistlichen Priestertums. Das ist die Absonderung
von der Welt, davon der zweite Vers handelt. Dass diese von der Darbringung
des priesterlichen Opfers unzertrennlich ist, zeigt schon das V. 1 und V. 2
verbindende Wörtlein „und“ an und werden wir das im Lauf unserer
Betrachtung noch näher sehen. Und so sei denn der Gegenstand unserer
gegenwärtigen Erbauung:
Die priesterliche Absonderung der Gläubigen von der Welt
Ich werde zu zeigen such
1.
Worin diese
besteht und an welchen Dingen sie sich heutzutage und hierzulande besonders
erweise müsse, und
2.
Wodurch wir zu
derselben immer tüchtiger werden.
1.
Meine Lieben! Ein Priester ist eine
heilige, gottgeweihte und darum von der Welt abgesonderte Person. Diese
Absonderung seiner Person von der Welt ist nun zwar schon geschehen, da ihn
Gott durch das Evangelium aus der Welt zu seinem Reich berufen, durch Taufe und
Glauben zu seinem Kind gemacht und zu einer neuen Art, zu einem neuen Wesen
durch den Heiligen Geist wiedergeboren hat. Aber er soll nun auch in seinem
ganzen äußerlichen Wandel in seinem Tun und Lassen beweisen, dass er nicht mehr
zur Welt gehört. Er soll sich auch hier von der Welt absondern. Deshalb ruft
der Apostel allen Gläubigen noch besonders zu: „Und stellt euch nicht dieser
Welt gleich.“
Worin besteht nun aber diese Absonderung
von der Welt?
Etwa darin, dass man allen Verkehr mit ihr
gänzlich abbricht und sich hinter die Mauern eines Klosters vergräbt oder in
eine Felswüste, in eine Waldeinsamkeit sich zurückzieht? Nein, denn gegen eine
solche Absonderung spricht schon das apostolische Wort: „Ein jeglicher bleibe
in dem Beruf, darin ihn der HERR berufen hat.“ Oder besteht sie darin, dass man
in Kleidung, in Essen und Trinken, in der Lebensweise, im Beruf sich ganz und
gar nicht mehr an die jeweiligen Sitten und Einrichtungen der Welt kehrt? Auch
das nicht, denn das wäre die selbsterwählte Weise eines sauersehenden Heiligen,
ein selbsterdachter Gottesdienst. In dem schönen Lied. „Es glänzet der Christen
inwendiges Leben“ heißt es vielmehr von den Gläubigen:
Sonst
sind sie des Adams natürliche Kinder
Und
tragen das Bilde des Irdischen auch;
Sie
leiden am Fleische wie andere Sünder,
Sie
essen und trinken nach nötigem Brauch;
In
leidlichen Sachen, in Schlafen und Wachen,
Sieht
man sie vor andern nichts Sonderlichs machen,
Nur
dass sie die Torheit der Weltlust verlachen.
Nein, die Absonderung von der Welt ist
keine klösterliche, sondern eine priesterliche Absonderung. Diese
aber besteht nach des Apostels Worten eben darin, dass man sich der Welt
nicht gleichstellt.
Die Welt ist hier der Haufen der nicht
wiedergeborenen Menschen, unter denen wir Christen leben, mit denen wir an
einem Ort in Handel und Wandel verkehren, ein bürgerliches Gemeinwesen bilden,
zum Teil oft sogar in Blutsverwandtschaft stehen. Von dieser Welt aber bezeugt
uns die Schrift und die Erfahrung lehrt’s immer mehr, je näher der Jüngste Tag
kommt, dass sie „entfremdet ist von dem Leben aus Gott“, dass sie „im Argen
liegt“, dass sie beherrscht ist von dem dreiköpfigen Götzen: Augenlust,
Fleischeslust und hoffärtiges Leben. Obwohl wir nun aber unter diesem
gottentfremdeten, unschlachtigen und verkehrten Geschlecht leben und in vielen
äußerlichen Dingen uns nach der Welt richten müssen, so sollen wir doch
allewege uns nicht nach ihrer gottentfremdeten, verkehrten, bösen Art im
Denken und Reden, im Tun und Lassen richten, wie sehr auch diese zur
herrschenden Weise und Sitte wird, sondern sollen uns allewege so stellen, dass
man immer deutlicher merkt: Die Christen, die Glieder einer rechtgläubigen Gemeinde,
sind zwar in der Welt, aber nicht von der Welt. Wir sollen also
unter den bestehenden Einrichtungen und bürgerlichen Ordnungen Geschäfte
treiben, kaufen und verkaufen, werben und erwerben wie andere Leute, aber wir
sollen uns mit Wort und Werk als Christen ganz entschieden lossagen von der
wucherischen, eigennützigen, ungerechten, betrügerischen, glückspielerischen
und waghalsigen Art, in der die Welt Geschäfte betreibt. Wir sollen in der Kleidertracht
und häuslichen Einrichtung nichts Besonderes machen wollen, sondern uns
nach der bestehenden Sitte richten, und zwar nach der Maßgabe unserer
Vermögensverhältnisse, aber wir sollen dabei alles vermeiden, was nach der Welt
Modenarrheit, Eitelkeit und Hoffart schmeckt. Wir sollen nicht in mönchischer
Art aller leiblichen Ergötzung und alles geselligen Vergnügens uns begeben,
aber wenn wir uns dessen bedienen, so soll die Welt es mit Augen sehen und mit
Händen greifen einmal, dass wir Christen leibliches Ergötzen und geselliges
Vergnügen nun schon gar nicht in ihrer Gemeinschaft, nicht an den Orten
suchen, wo die gottentfremdete Welt das Regiment führt und den Ton angibt, aber
auch, wenn wir Christen unter uns sind und den Ton angeben können, dass wir auf
eine ganze andere Art und leiblich ergötzen und das gesellige Vergnügen
pflegen, als die Welt es zu tun gewohnt ist. Kurz, wo Christen gehen und
stehen, soll man an ihnen je länger je weniger weltförmiges Leben spüren. Wenn
das dann der gottentfremdeten Welt immer mehr auffällt, wenn sie vollends uns
lutherische Christen dann nicht begreifen kann, die wir doch auch wieder keine
sauersehenden Heiligen sein wollen, wenn sie ihrer Befremdung endlich Ausdruck
gibt, indem sie über uns spottet, uns Heilige, Fromme, Mucker, Pharisäer,
Heuchler nennt: So soll uns dies so wenig befremden, dass wir vielmehr darin
ein Siegel unseres Gehorsams gegen die apostolische Ermahnung erblicken: „Stellt
euch nicht dieser Welt gleich.“ Schreibt ja doch auch Petrus von den
Kindern der Welt an die gläubigen Christen: „Das befremdet sie, dass ihr
nicht mit ihnen lauft in dasselbe wüste, unordentliche Wesen und lästern.“
Es erfordert es aber die Notdurft, dass ich
ein paar derjenigen Dinge besonders namhaft mache und mit Gottes Wort
beleuchte, welche so ganz und gar zu dem Wesen der heutigen gottentfremdeten
Welt gehören und von ihr in Beschlag genommen sind, deren Mitgebrauch von
Seiten der Christen vor anderen als eine Gleichstellung mit der Welt nach
Gottes Wort erklärt werden muss, der aber von vielen Christen nicht dafür
erkannt wird, ja, den sich Glieder älterer Gemeinden unter Berufung auf ihre
christliche Freiheit immer mehr erlauben und dadurch bewirken, dass solche
Gemeinden allmählich verweltlichen und so als dumm gewordenes Salz nicht mehr
würzen.
Dahin gehört nun vor allem der weltübliche
Tanz. Wohl redet die Bibel nicht nur von Tänzen der Gottlosen, die dem
Teufel zu Ehren angestellt werden, als da sind der heidnische Opfertanz, wie
z.B. der Tanz der Israeliten um das goldene Kalb und der Tanz der Baalspriester
um den Opferaltar in der Geschichte des Elia oder der üppige, wollüstige Tanz
der Tochter der Herodias, dessen Folge die Ermordung Johannes des Täufers war;
es redet die Bibel auch von Tänzen der Heiligen, welche der Ausdruck
geistlicher Freude waren und die Ehre Gottes zum Zweck hatten, wie der
Reigentanz der israelitischen Frauen am Roten Meer unter Anführung Mirjams oder
der Tanz Davids bei Einholung der Bundeslade oder der angestellte Tanz bei der
Wiederkehr des verlorenen Sohnes, davon es heißt, dass der ältere Sohn bei der
Heimkunft vom Geld hörte „den Gesang und den Reigen“, d.i. die Musik und den
Reigentanz. Allein, Geliebte, gerade diese Beispiele zeigen uns, wie die Tänze
der Heiligen beschaffen waren. Sie waren nämlich nichts anderes als ein
bewegteres Wandeln nach dem Takt der Musik und des Gesangs, da eine Anzahl
Personen sich nur die Hand reichte und in gemessener Bewegung sich im Kreis
drehte, ähnlich wie heute noch unsere Kinder, wenn sie Ringelreihe spielen,
und, was die Hauptsache ist, da bei diesen Reihentänzen die Geschlechter
streng geschieden waren, Jungfrauen nur mit Jungfrauen und Jungmänner nur
mit Jungmännern einen solchen Reigentanz aufführten. Eben darum hat aber auch
mit diesen Reigentänzen der Bibel der heutige weltübliche Tanz nicht die
entfernteste Ähnlichkeit. Der Hauptunterschied ist hierbei der, dass sich
bei dem heutigen Tanz Personen von beiderlei Geschlecht umarmen und aufs engste
berühren und so im Kreis sich drehen und dass diese Personen nicht Mann und
Frau, Bräutigam und Braut ausschließlich sind, sondern dass dabei auch die
tanzenden Paare einmal ums andere wechseln, ist, dass es gerade Tanzregel ist,
mit fremden Personen zu tanzen. Das ist das eigentliche Unsittliche
des heutigen Tanzes, das ihn schon gegenüber dem 6. Gebot schlechthin zur Sünde
macht, nach welchem wir keusch und züchtig leben sollen in Worten und Werken
und um welches willen auch im Familienkreis, auch bei einer Hochzeit
deinem Christen der Tanz nicht gestattet werden kann. Das ist’s aber gerade,
warum das Tanzen so gesucht, getrieben, fest gehalten, in Schutz genommen wird.
Ja, es wird offen heraus gesagt, dass der Tanz an seinem Reiz viel verlieren
würde, wenn da nur der Mann mit seiner Frau und der Bräutigam mit seiner Braut
tanzen dürfte. Würde es z.B. bei einer Hochzeit heißen: „Wollt ihr tanzen, gut,
so geht ihr jungen Männer in diese Stube und ihr Mädchen in die andere und
tanze so jeder Teil für sich“, so würde es sofort von allen Seien heißen: „Für
ein solches Tanzen bedanken wir uns, da ist keinerlei Vergnügen dabei.“ Dass
nun aber dieses Berühren und Umfassen fremder Personen zweierlei Geschlechts
wirklich etwas Unsittliches ist, muss sogar ein ehrbarer Weltmensch zugeben;
denn wenn er zugeben muss, dass es gegen allen Anstand und Schicklichkeit wäre,
wenn zwei erwachsene Personen, die nicht mit einander verlobt oder verheiratet
sind, einander umarmen und herzen oder wie es bei dem heutigen Pfänderspiel die
Hauptsache ist, einander küssen, warum sollte das nun auf einmal beim Tanz
erlaubt und schicklich sein? Oder was würde er als Vater und Gatte sagen, wenn
eines Tages jetzt der, jetzt jener Fremde ins Haus käme, umarmte Frau und
Tochter und drehte sich mit ihnen im Kreis umher – würde er nicht ohne viel
Federlesens solche frechen Gesellen zum Haus hinauswerfen? Und bei einem Ball
soll es sich von selbst verstehen, dass bald dieser, bald jener mit seiner Frau
und Tochter einen Tanz die Nacht hindurch macht und er ebenso wieder mit
anderen Frauen, verheirateten und ledigen!
Wieviel ist aber bei dem heutigen Tanze
noch drum und dran, das ihn nun vollends zur Sünde gegen das 6. Gebot macht und
wenigstens eines Christen Herz mit Abscheu erfüllen sollte. Man tanzt nicht am
Tag, sondern am liebsten bei Nacht, man tanzt die Nächste hindurch, treibt also
einmal ums andere Nachtschwärmerei. Man treibt hier die höchste Kleiderpracht,
die Eitelkeit und Gefallsucht im höchsten Stil mit Kleiden, Schminken und
Frisuren; wie wirft man bei den Reichen für einen einzigen Balltanz oft Hunderte
von Euro hin, mit deren zehnten Teil man schon allein eine Anzahl Armer und
Kranker erquicken könnte. Und wie gegen alle Zucht und Scham ist oft gerade der
Schnitt der Ballkleider! Dazu kommt noch die üppige, wilde, sinnenberauschende
Musik, welche die Phantasie und die böse Lust nur noch mächtiger aufregen.
Gewiss, wenn irgendetwas im Dienst des dreiköpfigen Weltgötzen, der
Fleischeslust, der Augenlust und des hoffärtigen Lebens gekommen ist, so ist es
der heutige, weltübliche Tanz. Darum trägt er auch so hässliche Früchte. Wie
mancher hat durch eine einzige Ballnacht den Grund zum Siechtum und
frühzeitigen Tod gelegt und ist so vor Gott zum Selbstmörder geworden! Wie
viele haben sich schon den Brautkranz weggetanzt und sind zu Fall gekommen! Wie
viel Ehezwist ist schon durch den Tanz gestiftet worden! Wie viel Anlass zu
Blutvergießen, Mord und Todschlag geben so oft die Tanzvergnügungen! Und nun
nach alledem noch eine doppelte Frage. Die eine: Wie kommt’s, dass, wo immer
sich je ein Mensch von Herzen bekehrt hat, er auch sofort den Tanzboden mied
und man ihm erst gar nichts besonders aus Gottes Wort noch zu sagen braucht,
dass der heutige Tanz ebenso zu den Fleischeswerken gehört, die vom Reich
Gottes ausschließen, wie Fressen und Saufen, Mord und Unzucht, Diebstahl und
Betrug? Die andere: Wie kommt’s, dass jeder Tänzer, der noch an einen Himmel
und eine Hölle glaubt, doch nicht mitten im Tanzen vor Gottes Richterstuhl
erscheinen möchte, wenn schon er sonst ein äußerlich ganz ehrbarer Mensch wäre?
Die Fragen beantworte sich jeder selbst! Ach, nur der kann noch beharrlich
meinen, dass ein Christ an dem heute weltüblichen Tanz teilnehmen könne, der
entweder selbst noch nicht den Anfang einer wahren Bekehrung gemacht hat, oder
der, wenn er ein wahrer Christ war, längst schon wieder innerlich abgefallen
ist!
Müssen wir auch auf das so beliebte
Vergnügen des heutigen Tanzes nun aber für uns Christen das Wort anwenden: „Stellt
euch nicht dieser Welt gleich!“ – o, so bitte ich alle Hausväter, sie
wollen nicht nur die Ihren von den Tanzböden der Welt zurückhalten, sondern
auch in ihren Häusern keine Tanzereien gestatten, auch nicht bei einem
Hochzeitsfest. Und alle unsere Glieder bitte ich, sie wollen, wo man in ihrer
Gegenwart eine Tanzerei anfangen will, nicht nur sich nicht daran beteiligen,
sondern auch dagegen mit freundlichem Ernst zeugen und, wo dies nicht fruchtet,
sich entfernen, wenn immer solches in ihrer Macht steht. Und ebenso wollen sie
die stufenweise brüderliche Bestrafung an denen unter uns üben, welche hierin
der Welt sich gleichstellen.
Zur Gleichstellung mit der Welt gehört aber
auch ferner der Besuch des heutigen Theaters [und Kinos und ansehen vieler
Filme im Internet oder Fernsehen]. Es ist wahr, dramatische Darstellungen
fallen in den Bereich der Kunst und sind daher nicht unter allen Umständen
Sünde und dem Christen unstatthaft wie der heutige weltübliche Tanz. Aber man
bedenke nur den Umstand, dass es die gottentfremdete Welt ist, die das Theater
[Kino, überhaupt den Film] ganz und gar in Beschlag genommen hat. Ihr gehören
die heutigen Schauspieldichter an. Wohl sind deren Erzeugnisse nach Gegenstand,
Gehalt und Form sehr verschieden. Aber die Erzeugnisse der besten unter ihnen
kommen heutzutage selten auf die Bühne [oder Leinwand], denn das heutige und
gewöhnliche Publikum will solche Stücke sehen, dabei es viel zu lachen oder
doch viel das Fleisch zu kitzeln gibt. Ach, und selbst die besten
Schauspieldichtungen, sie entstammen doch dem Geist der Welt, sie erfüllen doch
das Herz meist mit dem Geist der Welt und dienen nur in feinerer Weise dem
Fleisch und das umso sicherer, je vollendeter die Darstellung ist. Noch mehr
aber gehören der gottentfremdeten Welt die Theater[- und Film]unternehmer und
die Darsteller, die Schauspieler an, die dazu oft noch ganz unsittliche,
unmoralische Menschen sind. Wie ist da von dem Unternehmer und von den Spielern
alles berechnet, das Fleisch zu reizen! Und wie wirkt alles, was man da sieht
und hört, so mächtig zusammen, Kopf und Herz einzunehmen, dass man zum Wort und
Gebet desto ungeschickter wird. Ach, je länger man in das heutige Theater [und
Filmwesen] mit Gottes Wort hineinleuchtet, je mehr erscheint es als der Tempel
des schnödesten und dabei bezauberndsten Kultus des Fleisches, wo das
ehebrecherische Geschlecht unserer Tage seine Erholung und seine Erbauung
sucht. Darum auch hier die Frage: Möchtest du vor Gottes Richterstuhl gerufen
werden, während du im Theater [oder vor den üblichen Filmen] sitzt? …
O darum, liebe Christen, stellt euch auch
hier nicht dieser Welt gleich! Bedenkt, ihr habt bei eurer Taufe und hernach
wieder bei eurer Konfirmation auch dem Wesen des Teufels entsagt. Unter
das Wesen des Teufels aber rechnete von Anfang an die Kirche auch das Theater,
daher jeder Schauspieler und jeder Schauspielbesucher einst demselben entsagen
musste, wenn er durch die Taufe in die Kirche wollte aufgenommen werden. Was
aber vom Theater gilt, das gilt auch vom Zirkus und von diesem im Grund wohl
noch mehr. Und ob Christen ja unter sich an dramatischen Aufführungen in der
Furcht Gottes sich vergnügen könnten, so ist es doch in den meisten Fällen
besser, sie unterlassen es um der Liebe willen und begeben sich des Gebrauchs
ihrer christlichen Freiheit, damit es auch nicht einmal den Schein habe,
als wollten sie sich hierin der Welt gleichstellen.[33]
Lasst mich, ehe wir uns zum anderen Teil
dieser Predigt wenden, noch eine dritte Sache namhaft machen und wenigstens
durch ein paar Andeutungen zeigen, dass auch sie zu den Dingen gehört, über
welchen sich Christen der Welt nicht gleichstellen sollen. Das ist namentlich
der hier zulande auch von vielen Gemeinden der Welt nachgeahmte Brauch zur
Unterstützung nützlicher, wohltätiger oder auch kirchlicher Unternehmungen
Fairs, Lotterien, Essen u.dgl. zu veranstalten. Wie machen sich auch hier
Fleischeslust, Augenlust und hoffärtiges Leben so breit! Wie unsaubere Geister
spielen da eine Rolle! Welch ein trauriges Zeichen für die sittliche
Erschlaffung der Welt ist’s doch, dass die Leute nur dann für eine gute Sache
etwas mehr geben wollen, wenn sie dafür einen desto reichen Genuss nach dem
Fleisch zugesichert bekommen! Und nun geht eine Kirchengemeinde um die andere
her, macht das der Welt nach, statt es zu strafen, erniedrigt sich zu solcher
Geldschneiderei und Bettelei bei Christen aller Farben, wie bei Juden und
Heiden, und macht so aus der Kirche ein Kaufhaus und eine Mördergrube! Ach, es
ist mit diesem Fair-, Lotterie- und Essenswesen der Kirchengemeinden bereits
schon so weit gekommen, dass es selbst zu ungläubigen Welt zu großem Ärgernis
gereicht, dass sie darüber in den Zeitungen sich aufhält, und wir daher mit
Scham an das Wort denken müssen: „Eurethalben wird Gottes Name gelästert unter
den Heiden.“ Es stellen sich aber nicht nur diejenigen Kirchengemeinden der
Welt gleich, welche solch Geldschneidereien anstellen, sondern auch
diejenigen Glieder anderer Gemeinden, welche an denselben teilnehmen.
O, darum lasst der ungläubigen wie
falschgläubigen Welt auch hier ihre Sachen. Stellt euch ihr hierin auch nicht
einmal darin gleich, dass ihr euch an denselben irgendwie beteiligt,
geschweige, dass ihr sie zum Besten von Kirche und Schule nachahmen wollt.
2.
Nachdem wir nun gesehen haben, worin die
priesterliche Absonderung der Gläubigen von der Welt besteht und bei welchen
Dingen sie sich heute besonders erweisen müsse, so will ich jetzt noch mit
Wenigem zeigen, wodurch wir zu dieser Absonderung immer tüchtiger werden.
Dies geschieht aber durch die stete Erneuerung unseres Sinnes, denn der
Apostel setzt zu den Worten: „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich“,
hinzu: „Sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr
prüfen könnt, welches da sie der gute, der wohlgefällige und der vollkommene
Gotteswille.“
Wohl ist der wahre Christ durch den Glauben
ein ganz neuer Mensch geworden von Herz, Mut, Sinn und allen Kräften. Aber
diese Erneuerung ist nur eine angefangene und keineswegs noch eine vollkommene,
sie ist hier im Werden und noch nicht im Gewordensein. Erst dort sind wir
völlig erneuert. Es findet sich dabei auch in einem gläubigen Christen noch
viel von der Welt Sinn und klebt ihm daher noch vieles an von der Welt Art.
Dies nun immer mehr an uns abzutun, dass unser Sinn und unsere Art immer
göttlicher, das Fleisch immer schwächer, der Geist in uns immer mächtiger
werde, darin besteht diese fortgehende Erneuerung. Und wie sie geschieht, das
zeigen uns die Worte des Katechismus von der Bedeutung des Wassertaufens: „Es
bedeutet, dass der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft
werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten und wiederum täglich
herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und
Reinigkeit vor Gott ewig lebe.“
O, wie nötig ist doch solche
fortgehende Erneuerung des Sinnes in täglicher Reue und Buße. Wird sie nämlich
unterlassen, so hat die Welt draußen einen zu mächtigen Reiz für den Christen,
als dass er ihr ernstlich widerstehen wollte und könnte. Er findet wieder mehr und
mehr Wohlgefallen an diesem und jenem und hält es nicht mehr für
gewissensbeschwerend und so verabscheuungswürdig. Er denkt: „Du bist bisher in
manchen Dingen doch zu streng, zu gesetzlich gewesen!“ und nun pocht er auf
seine christliche Freiheit, wenn ihn der Seelsorger oder ein Bruder freundlich
warnt. So erlaubt er sich denn jetzt dies, jetzt das, wird weltförmig, kommt so
der Welt immer näher und wird endlich auch äußerlich ein Demas, ein zur Welt
Abgefallener. Statt dass er die Welt zu Christus bekehrte, hat die Welt ihn zu
ihrem Fürsten, dem Teufel, bekehrt. Ach ja, es ist viel leichter, einen wahren
Christen wieder zu einem Weltkind zu machen, als ein Weltkind zu einem wahren
Christen, denn die Welt hat zu große Kraft und Macht, einen Menschen zu
verführen, daher wohl viel hunderttausend Menschen hätten können selig werden,
wenn sie sich nur der Welt hätten entschlagen können und bei einem Christen hat
sie den Vorteil, dass von ihrem Sinn nach dem alten Menschen noch so viel in
ihm sich findet und dieser nun aus Mangel an der täglichen Buße wieder zur
Kraft gekommen ist.
Welche gute Wirkung und Folge
hat dagegen solche fortgehende Erneuerung? Durch Erneuerung unseres Sinnes verändern
wir uns immer mehr. Anstatt der Welt immer näher zu kommen, treten wir ihr
immer ferner, statt immer weltförmiger zu werden, werden wir immer
weltunähnlicher. Je ferner wir aber der Welt treten, je ferner tritt auch die
Gefahr der Versuchung. Wohl werden wir da immer mehr ihr verhasst, aber dagegen
Gott und seinen Kindern immer angenehmer; wohl verlacht uns da die Welt immer
mehr als Narren und Toren, aber in Wahrheit werden wir immer mehr die Weisen
und Klugen vor Gott und durch seinen Geist. Durch diese Erneuerung unseres
Sinnes können wir nämlich immer mehr „prüfen, was da sei der gute, der
wohlgefällige und der vollkommene Gotteswille“. So lange es einem Menschen
noch nicht ein rechte Ernst ist mit dem Seligwerden, so lange ist ihm Regel und
Richtschnur der Wille der Welt und nicht der Wille Gottes; er fragt nicht nach
dem Urteil der Bibel, sondern nach dem urteil der Welt, nach dem, was nun
einmal in der Welt Satzung, Brauch und Mode ist, es stimme mit der Bibel oder
nicht. Und wenn ihm schon aus Gottes Wort klar und deutlich gezeigt wird, dies
und das stimme nicht mit der Bibel und darum müsse er es auch aufgeben, wenn er
wolle selig werden, koste es, was es wolle, so denkt er doch oder sagt es auch:
„Das geht nicht; man lebt nun einmal in der Welt und von der Welt, darum muss
man sich auch nach ihr in gar vielen Stücken richten und muss dies und jenes
mitmachen.“ So kommt man dann freilich von der gottentfremdeten Welt nie los,
sondern wird nur immer mehr in die Welt verflochten. Erneuern wir aber immer
mehr unseren Sinn, so fragen wir nichts mehr nach der Welt Meinung und Urteil,
Brauch und Sitte, sondern prüfen bei allem, was uns vorkommt, was Gottes
Wort dazu sagt, was Gottes Wille an uns ist und richten uns allein nach diesem,
sowie wir ihn erkannt haben. Und bei solchem Prüfen erkennen wir ihn auch immer
besser, als „den guten, den wohlgefälligen, den vollkommenen Gotteswillen“.
In zunehmender Erkenntnis und Erfahrung des göttlichen Wortes werden wir immer
mehr inne, dass der Wille Gottes an uns allewege nur gut und der
unbedingte Gehorsam gegen denselben nur von guten Folgen ist, während er dem
Fleisch übel erscheint. Dadurch wird uns dann dieser Wille immer mehr wohlgefällig,
er wird uns immer lieber und sein Vollbringen immer mehr unsere Speise und wird
uns mehr und mehr vollkommen, dass wir beim Handeln und Raten in
allerlei Fällen immer mehr den rechten
Griff tun lernen. Eben darum hat man auch den rechten Geist, zu prüfen,
besonders für alles, was die Welt heute schon aufgebracht hat und noch
aufbringen wird, um sich selbst zu helfen und ohne Gott glücklich zu sein und
worin sie in ihrer Gottentfremdung so erfinderisch ist und bedarf es alsdann
bei einem Christen nicht viel Fragens, ob er sich an diesem und jenem
beteiligen könne, und wie weit er im Gebrauch seiner christlichen Freiheit
gehen könne oder dürfe.
Seht, so werden wir in solcher Erneuerung
unseres Sinnes immer tüchtiger zur priesterlichen Absonderung von der Welt und
in dieser auch immer tüchtiger zum Darbringen unseres priesterlichen Opfers.
Dass so viele unter den Christen an dieses Opfer immer weniger hinanwollen, ist
daher kein Wunder, denn
Fleischesfreiheit
macht die Seele
Kalt
und sicher, frech und stolz,
Frisst
hinweg des Glaubens Öle,
Lässt
nichts als ein faules Holz.
Weil
sie aber aus Mangel an Erneuerung des Sinnes sich immer mehr der Welt
gleichstellen, werden sie ein dummes Salz und untüchtig und unwirksam, der Welt
die Tugenden Christi zu verkündigen, wie denn auch die Welt das Zeugnis von
Christus von denen am wenigsten annimmt, welche sich ihr gleichstellen. Weit
entfernt daher, dass wir durch die rechte Absonderung von der Welt unseren
Einfluss auf diese verlieren sollten, behalten wir vielmehr denselben und
gewinnen an demselben.
Gott versiegle daher an unserem Herzen auch
diese Predigt. Er gebe Buße denen, die durch die Taufe einst zu seinem Volk
gezählt waren, die in der Konfirmation sich seinem Dienst mit Leib und Seele
aufs neue und feierlich sich ergeben haben und die entweder ganz und gar zum
Demas geworden sind, der die Welt mit ihrer Fleischeslust, Augenlust und
hoffärtigem Leben wieder lieb gewonnen hat oder an denen man mehr die Demas-
als die Christengestalt sieht, weil sie sich der Welt so viel gleich stellen
und denen der HERR das Wort zurufen muss: „Weil du lau bist und weder kalt noch
warm, so will ich dich ausspeien aus meinem Mund.“ Er heilige alle
rechtschaffenen Christen unter uns durch und durch in lebendiger Erkenntnis und
Erfahrung seiner Barmherzigkeit und verleihe unserer Gemeinde mehr und mehr die
Gestalt eines von dem Unflat der Welt abgesonderten, Gott vernünftig dienenden
königlichen Priestertums.
Ehr
sei dem Vater und dem Sohn
Und
auch dem Heilgen Geiste,
Wie
es im Anfang war und nun,
Der
uns sein Hilfe leiste,
Dass
wir auf diesem Jammertal
Von
Herzen scheuen überall
Der
Welt gottloses Wesen,
Und
streben nach der neuen Art,
Dazu
der Mensch gebildet ward;
Wer
das begehrt, sprech: Amen.
Ja, ja, es geschehe so. Amen!
Gebet:
HERR Gott, wir bitten dich demütig, merke auf unser Flehen und erzeige deinem
Volk deine Treue vom Himmel, damit wir erkennen, was wir zu tun schuldig sind
und dasselbe zu vollbringen tüchtig werden; durch unseren HERRN Jesus Christus,
deinen Sohn, welcher mit dir und dem Heiligen Geist lebt und regiert in
Ewigkeit. Amen.
Lied:
Erneure mich, o ewges Licht
Lied:
O Gott, du frommer Gott
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem
Vater, und unserem HERRN Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat,
damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein
Volk zum Eigentum, das da fleißig wäre zu guten Werken. Amen.
Römer
12,3-16: Denn ich sage euch durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedermann
unter euch, dass niemand weiter von sich halte, als sich’s gebührt zu halten,
sondern dass er von sich mäßig halte, ein jeglicher, nach dem Gott ausgeteilt
hat das Maß des Glaubens. Denn gleicherweise wie wir in einem Leibe viele
Glieder haben, aber alle Glieder nicht einerlei Geschäft haben, so sind wir
viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und
haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat jemand
Weissagung, so sei sie dem Glauben gemäß. Hat jemand ein Amt, so warte er des
Amts. Lehrt jemand, so warte er der Lehre. Ermahnt jemand, so warte er des
Ermahnens. Gibt jemand, so gebe er einfältig. Regiert jemand, so sei er sorgfältig.
Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er’s mit Lust. Die Liebe sei nicht falsch.
Hasst das Arge, hangt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander sei
herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. Seid nicht träge in
dem, was ihr tun sollt. Seid brünstig im Geiste. Schickt euch in die Zeit. Seid
fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet. Nehmt euch der
Notdurft der Heiligen an. Herbergt gern. Segnet, die euch verfolgen; segnet und
flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. Habt
einerlei Sinn untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet
euch herunter zu den Niedrigen.
Geliebte in dem HERRN! Die Stäte des Opfers
und der Anbetung, des Gebets und des Lobes für einen Priester ist der Tempel.
Der Tempel aber, in welchem das geistliche Priestertum des Neuen Testaments
solcher priesterlichen Verrichtungen wartet, ist nicht von Holz und Stein und
erbaut von Menschenhänden, sondern ist ein geistlicher Tempel, es ist
die Gemeinde Gottes, „erbaut auf den Grund der Apostel und Propheten, da
Jesus Christus der Eckstein ist, auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt
wächst zu einem heiligen Tempel in dem HERRN, auf welchem auf ihr mit erbaut
werdet zu einer Behausung Gottes im Geist“. Von diesem geistlichen Tempel, der
die ganze Welt erfüllt, ist jede rechtgläubige Ortsgemeinde ein Teil, und zwar
um der wahren Gläubigen willen, die in derselben sind und um des reinen Wortes
und der Sakramente willen, dadurch der HERR sich unter ihr offenbart und
dadurch sie zugleich erkennbar wird.
Auf diese Stätte nun, da die Gläubigen
recht eigentlich ihr geistliches Priestertum ausüben, weist der Apostel in dem
letzten, jetzt mit verlesene Teil der vorigen Epistel, wenn er die ganze
Kirche, wie die Einzelgemeinde unter dem Bild eines Leibes darstellt,
der viele Glieder hat, die nicht alle einerlei Geschäft haben, die aber nach
ihrer verschiedenen Begabung und Bestimmung einander dienen zum Wohl und Besten
des ganzen Leibes und ein Glied des andern sich treu annimmt. In welcher
gesegneten Ordnung nun aber das geschieht, das zeigt er zugleich in diesem Teil
und in welcher gesegneten Weise, das lehrt er in der darauffolgenden heutigen
Epistel.
Demnach sei der Gegenstand unserer heutigen
Predigt:
Der priesterliche Wandel der Gläubigen in der Gemeinde
Wir sehen, wie er sich erzeigt,
1.
Im Gebrauch der
verliehenen Gaben
2.
Im Umgang mit
den Gliedern der Gemeinde.
HERR Jesus Christus, du Haupt deiner
Gemeinde und rechter Hoherpriester, der du uns als Glieder deines Leibes
zusammengefügt hast, lehre uns aus deinem heiligen Wort erkennen, was da sei
dein guter, wohlgefälliger Gotteswille an uns und mache uns dann zur
Vollbringung desselben in rechter Liebe und Treue immer tüchtiger zur Ehre
deines Namens und zum Segen deiner Gemeinde. Amen.
1.
In dem HERRN, Geliebte! Nachdem der Apostel
in V. 2 die Gläubigen an ihre so notwendige und heilsame priesterliche
Absonderung von der gottentfremdeten Welt erinnert hat, so weist er sie von V.
3 an und durch unsere ganze heutige Epistel hindurch auf ihre Zusammengehörigkeit
hin, indem er das Bild des Leibes mit seinen mancherlei Gliedern
voranstellt und dann des Weiteren die Anwendung macht, hinweisend sowohl auf
die Mannigfaltigkeit der Gaben und deren Zweck, als auch auf eine doppelte
notwendige Bedingung beim Gebrauch der mannigfaltigen Gaben zur Erreichung
dieses Zweckes.
1.
Sehen wir nun zuerst, was der Apostel von der Mannigfaltigkeit der Gaben
und dem Zweck ihrer Austeilung sagt.
„Denn ich sage euch durch die Gnade, die
mir gegeben ist, jedermann unter euch, dass niemand weiter von sich halte, als
sich’s gebührt zu halten, sondern dass er von sich mäßig halte, ein jeglicher,
nach dem Gott ausgeteilt hat das Maß des Glaubens.“ So beginnt der Apostel
seinen Unterricht von dem Gebrauch der Gaben, die Gott in seiner Kirche zum
allgemeinen Nutzen, zur Wohlfahrt der ganzen Gemeinde und damit zu seines
Namens Ehre „ausgeteilt hat“. Diese Austeilung heißt hier „das Maß
des Glaubens“, oder derjenige den Einzelnen zugemessene Teil an Heiligungsgaben,
wie an besonderen Natur- und Amtsgaben, welche letztere der
Kirche zur Gründung, Befestigung und Ausbreitung des christlichen Glaubens
verliehen sind. Dass nun aber bei dieser Austeilung nach dem Maß des Glaubens
Gott in seiner Weise eine große Mannigfaltigkeit beobachtet hat, macht
der Apostel am natürlichen Leib und seinen Gliedern anschaulich, mit dem er die
Kirche als den geistlichen Leib Christi vergleicht und zwar hier kurz,
ausführlich aber 1. Kor. 12. Er sagt nämlich: „Denn gleicherweise wie wir in
einem Leibe viele Glieder haben, aber alle Glieder nicht einerlei Geschäft
haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des
andern Glied, und haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.“
Und dann führt er etliche von diesen mancherlei Gaben auf und zeigt dabei deren
besonderen, Gott gewollten Gebrauch, indem er fortfährt: „Hat jemand
Weissagung, so sei sie dem Glauben gemäß. Hat jemand ein Amt, so warte er des
Amts. Lehrt jemand, so warte er der Lehre. Ermahnt jemand, so warte er des
Ermahnens. Gibt jemand, so gebe er einfältig. Regiert jemand, so sei er
sorgfältig. Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er’s mit Lust.“
Meine Lieben! Es gibt zweierlei Gaben – Naturgaben
und Gnadengaben. Naturgaben sind solche, welche ein Mensch schon
mit auf die Welt bringt, und die dann nur der Entwicklung und Ausbildung durch
Erziehung und Unterricht bedürfen, wie da sind außer den allgemeinen Gaben des
Leibes und der Seele besondere Anlagen des Verstandes, des Gedächtnisses, der
Phantasie, wie auch der Geschicklichkeit des Leibes. Die Gnadengaben sind
solche, welche man erst durch die Gnade empfängt, wenn man ein gläubiger Christ
wird und welche daher nur der Kirche verliehen sind, wie da sind außer den
Heiligungsgaben die besonderen Amtsgaben. In welcher Mannigfaltigkeit die
letzteren in der Kirche ausgeteilt sind, zeigt allein unser Text. Wir hören von
der Gabe der Weissagung, des Amtes oder der Diakonie, des Lehrens
oder der Unterweisung, der Ermahnung, des Gebens oder der
dienenden Liebe im Wohltun, der Regierung der Gemeinde und der Barmherzigkeit,
oder der besonderen Gabe, Kranken und Elenden aller Art zu dienen. Aus der
Apostelgeschichte und aus dem 12. Kapitel des ersten Korintherbriefes erfahren
wir noch von mehreren anderen Gaben, namentlich der Sprachengabe. Es
gehören diese Gaben und ihre Mannigfaltigkeit zu dem G4eschmeide, womit der
himmlische Bräutigam die Kirche als seine Braut zieren, der ewige Hohepriester
sein priesterliches Eigentumsvolk herrlich machen wollte.
Dass er nun vor allem zur Ehre seines
hochgelobten Namens seine Kirche mit solchem Reichtum und solcher
Mannigfaltigkeit der Gaben geziert hat, will ich hier nicht ausführen, sondern
nur auf den damit zusammenhängenden besonderen Zweck hinweisen, der uns
in dem von dem Apostel gebrauchten Bild von den vielen Gliedern des Einen
Leibes besonders entgegentritt. Wie das Auge die Gabe des Sehens, das Ohr die
Gabe des Hörens uns so jedes einzelne Glied sein besonderes Vermögen und seine
eigentümliche Fertigkeit zum Dienst der übrigen einzelnen Glieder und zum Wohl
des ganzen Leibes empfangen hat, so hat auch jedes einzelne Glied der Kirche
seine besondere Gabe nicht für sich empfangen, sondern es soll mit
derselben den anderen Gliedern dienen und in brüderlicher Verbindung und
einträchtigem Zusammenwirken mit den anderen das Wohl der Einzelgemeinde wie
der Kirche überhaupt fördern helfen. Zu dem Zweck teilte er zuerst und für eine
Zeitlang die Gnadengabe auf eine außerordentliche Weise, in
außerordentlicher Fülle und in außerordentlichem Grad aus, denn
es galt die Gründung der Kirche und deren rasche Ausbreitung unter Juden
und Heiden. Und zu dem Zweck hat die Kirche noch immer ordentlicherweise
ihre Gaben. Voran steht die Gabe der Weissagung, welches
ordentlicherweise die Gabe der Auslegung der Schrift, besonders des
prophetischen Wortes ist. O eine herrliche und nötige Gabe zur Erbauung der
Gemeinde Gottes, denn durch sie wird den Gläubigen der Reichtum der Schrift
erschlossen und werden dieselben in der Erkenntnis des göttlichen Rates und
Willens immer mehr gegründet und gefördert. Da dieselbe der Kirche am
allernötigsten ist, so hat sie auch Gott der Kirche aller Zeiten und aller Orte
geschenkt, zu mancher Zeit aber in besonderem Maß und Grad. Man denke an Luthers
Schriften und das Zeitalter der Reformation. Und wie reichlich er sie noch in
dieser Zeit des neuen großen Abfalls und der wachsenden Gottlosigkeit der
rechtgläubigen Kirche dieses Landes aus großen Gnaden zu deren Wiederaufblühen
geschenkt hat, beweisen allein die herrlichen Lehr-, Wehr- und
Erbauungsschriften, die Kirchenblätter und die alljährlichen Synodalberichte –
ein Reichtum, den man erst würdigen wird, wenn er um unserer Undankbarkeit
willen wieder geschmälert oder gar sollte genommen sein. Verbunden mit der Gabe
der Weissagung ist die Gabe der Lehre und der Ermahnung; denn die
Gabe der Lehre ist die Unterweisung im Katechismus und in der biblischen
Geschichte, beides der Kleinen und der Großen, der Jungen und der Alten, damit
die Unwissenden die Erkenntnis der seligmachenden Wahrheit erlangen und in
derselben dann befestigt und gegründet werden; und die Gabe der Ermahnung
dient dazu, dass die, so die Lehre wissen, nun auch nach derselben tun, dass
den Verzagten Mut, den Betrübten Trost, den Trägen Eifer, den Hitzigen Mäßigung
eingesprochen und der Sünder zur Buße gerufen wird. Und um nur auf eine von den
hier genannten Gaben hinzuweisen so erinnere ich an die Regiergabe, wie
sie jedem Prediger zwar in hinreichendem Maß verliehen sein muss, wie sie sich
ab er auch bei den einzelnen Zuhörern zeigt und man zur ordentlichen Verwendung
dieser Gabe eben schon in der Zeit der Apostel als Hilfs- und Zweigamt
des öffentlichen Predigeramtes das Vorsteheramt oder das Amt der
mitregierenden Ältesten errichtete; denn wie Pferd und Wagen eines Fuhrmanns
zum Lenken bedürfen, so bedarf eine einzelne Gemeinde, wie ein Verband von
Gemeinden, der äußerlichen Leitung und Regierung und das umso mehr, da, wie
Luther hierbei bemerkt, die Christenheit auf so gefährlichen Wegen und Straßen
zu fahren hat, auf welchen der Teufel besonders durch Rottengeister und
Unruhestifter den Wagen einmal um das andere umzuwerfen droht. Wie wichtig ist
es daher, solches Regieramt der Gemeindevorsteher und der Synodalpräisdes nur
solchen Brüdern zu befehlen, welche nächst der nötigen Erkenntnis und
Gottesfurcht besonders die Regiergabe besitzen!
Summa: Diese und alle anderen Gnadengaben,
auch die durch den Glauben geheiligten Naturgaben, sollen dienen „zum
allgemeinen Nutzen“, wie der Apostel hier lehrt und außerdem 1. Kor. 12,7
ausdrücklich bezeugt.
2.
Zur Erreichung des allgemeinen Nutzens kommt jedoch überaus viel darauf an, wie
man diese Gaben zum Dienst der Kirche gebraucht. Lasst uns deshalb die doppelte
Bedingung beherzigen, die wir in unserem Text angegeben finden und unter
welcher allein nur ein gesegneter Gebrauch der Gaben zu ihrem Zweck stattfinden
kann.
Die eine Bedingung ist die, „dass
niemand weiter von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er
von sich mäßig halte, ein jeglicher, nach dem Gott ausgeteilt hat das Maß des
Glaubens.“ Es soll ja ein Christ wissen und kennen die Gabe, die ihm vom
HERRN verliehen ist; denn tun, als hätte man nichts empfangen, ist eine falsche
Demut, bei der man Gott als den Geber aller guten und vollkommenen Gaben nicht
ehrt und mit seiner Gabe der Kirche nicht recht dient. Wiederum aber auch, wenn
man in Hochmut seine Gabe überschätzt oder sich Gaben einbildet, die man gar
nicht einmal besitzt, wenn man also nicht „mäßig“ von sich hält, so wird
der Kirche auch nicht wahrhaft gedient, sondern ihr vielmehr erst recht
geschadet. Oder sagt selbst, rühren nicht alle Ketzereien und alle Spaltungen
und alle Unruhen auf dem Gebiet der Kirche daher, dass man sowohl seine
verliehene Gabe überschätzt, als auch, dass man vergisst, man habe alle und
jede Gabe „nach der Gnade, die uns gegeben ist“?
Dies zeigt sich ja gleich und gerade hier
recht beim Gebrauch der für die Kirche höchsten und nötigsten Gabe der Weissagung.
„Hat jemand Weissagung, so sei sie dem Glauben ähnlich“, sagt der Apostel. Glaube
ist hier nämlich nicht die gewisse Zuversicht des Herzens zu Gottes Gnade und
Güte, oder der rechtfertigende und heiligende Herzensglaube, sondern Glaube ist
hier die Summe der klaren Stellen der Heiligen Schrift, welche diejenigen
Artikel der christlichen Lehre begründen, deren Erkenntnis und gläubige
Aneignung zum Seligwerden nötig ist. Diese klaren Schriftstellen nennt der
Apostel anderwärts „das Vorbild der heilsamen Worte“, und Judas heißt die Summe
der Schriftstellen, welche die Glaubensartikel der Kirche oder deren
öffentliche rechtgläubige Bekenntnisse begründen, „den Glauben, der einmal
(d.i. ein für allemal) den Heiligen vorgegeben ist“ und dafür sie kämpfen
sollen. Wer nun die Gabe der Weissagung hat und von dieser seiner Gabe nicht mäßig
hält, sondern sich einen Meister zu sein dünkt, oder wer vergisst, dass er
diese Gabe nur nach der Gnade hat und daher über ihren Besitz
aufgeblasen ist, der wird sich bei seiner Schriftauslegung nicht nach dem
Glauben richten, sondern wird den Ruhm haben wollen, dass er bei seiner
Schriftforschung neue Lehren entdecke, dass er ein besseres und tieferes Verständnis
der Schrift habe. Statt daher die Schrift auszulegen nach der Ähnlichkeit
des Glaubens, wird er sie auslegen nach den Eingebungen seiner Vernunft, statt
die Worte nach ihrem Inhalt auszulegen, wird er seine diesem Inhalt
widersprechenden Meinungen in dieselbe hineinlegen und dabei kühn und
dreist rufen: „So spricht der HERR!“; statt durch seine Schriftauslegung die
reine Lehre erhalten zu helfen, wird er gleich den anderen stolzen
Geistern die Lehre nur noch mehr verfälschen und verfolgen helfen und
durch das alles Zertrennung, Ärgernis und unsäglichen Schaden in
der Kirche anrichten.
Selbstverständlich fragt daher ein solcher,
der nicht mäßig von sich hält, auch nicht viel nach der anderen Bedingung zum
gesegneten Gebrauch der für die Gemeinde verliehenen Gaben. Es ist die, dass
man beim Gebrauch seiner Gabe auch demütig und einfältig bleibe in den
Schranken des ordentlichen Berufs, dass man nämlich nicht in Überschätzung
seiner Gabe und seiner Kunst sich um Dinge kümmere, die einem nun einmal nicht
befohlen sind und so in ein fremdes Amt greift, wodurch dann wieder die
Einigkeit gefährdet und der Segen gehindert wird. An diese so nötige Bedingung
erinnert der Apostel in seinem Bild vom Leib mit seinen Gliedern, wenn er
bemerkt, dass wir „in Einem Leib viele Glieder haben, aber alle Glieder
nicht einerlei Geschäfte haben“. Sagt selbst, was z.B. herauskommen
würde, wenn die Hände nicht bei ihrem „Geschäft“ bleiben, sondern sich auch des
Geschäfts der Füße, also des Gehens, mit annehmen wollten. Da würde unterdessen
die Arbeit unterbleiben, welche von den Händen zu verrichten ist und der
hurtige und gelenke Gang der Füße würde durch das Kriechen auf Händen und Füßen
nicht wenig gehindert, der ganze Leib aber verunstaltet. Eben darum ermahnt der
Apostel so nachdrücklich und deutlich, dass man nur des „warte“, was
einem befohlen ist, also warte des befohlenen Amtes, warte
des befohlenen Lehrens, warte des befohlenen Ermahnens. Und wenn er
ebenso ermahnt, dass das Geben oder das von der Gemeinde jemand übertragene
Austeilen der Almosen, der Opfergaben, „einfältig“ geschehe, das
befohlene Regieren „sorgfältig“ sei und das Üben der Barmherzigkeit oder
die befohlene Pflege der Witwen und Waisen, der Kranken und Elenden in der
Gemeinde „mit Lust“ oder von Herzen, mit voller Hingabe getan werde –
was ist das anders wieder als ein Ermahnen zum Warten des befohlenen
Werkes. Wartet nun aber ein jeglicher dessen, was ihm befohlen ist, so fehlt
ihm Zeit und Lust, sich um andere Dinge zu kümmern, desto besser aber wird er
das ausrichten, was ihm befohlen ist, desto besser in den Schranken des Berufs
seine Gabe zum Wohl der Gemeinde Gottes gebrauchen. O nötige, gesegnete
Beschränkung. Sie gelingt nur der Demut und Einfalt, und diese lehrt immer
wieder beten:
Gib,
dass ich tu mit Fleiß, was mir zu tun gebühret,
Wozu
mich dein Befehl in meinem Stande führet,
Gib,
dass ichs tue bald, zu der Zeit, da ich soll,
Und
wenn ichs tu, so gib, dass es gerate wohl.
Seht, Geliebte, so erzeigt sich der
priesterliche Wandel der Gläubigen innerhalb der Gemeinde im Gebrauch der
großen Mannigfaltigkeit ihr zu ihrer Erbauung verliehenen Gaben. Ja wohl ein
priesterlicher Wandel! Denn durch denselben wird das Haus Gottes erbaut und im
Stand erhalten und, solcher Gebrauch, der in der Demut und Einfalt des Herzens
geschieht und in den Schranken des befohlenen Berufs bleibt, ist nur der sich
selbst verleugnenden Liebe möglich und bildet daher ein nicht geringes Stück
unseres priesterlichen Opfers.
2.
Es folgen in unserem Text nun noch eine
Reihe kurzer, knapper Ermahnungen. Sie alle aber zeigen, wie der priesterliche
Wandel der Gläubigen innerhalb der Gemeinde sich auch in dem persönlichen
Verkehr mit den Gliedern der Gemeinde erweist.
Diese Ermahnungen beziehen sich zunächst
auf den brüderlichen Umgang, denn der Apostel sagt: „Die Liebe sei nicht
falsch. Hasst das Arge, hangt dem Guten an. Die brüderliche Liebe untereinander
sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor.“ Falsch
ist die Liebe, wenn man gegen seinen Bruder schön tut mit dem Mund, aber es
ganz anders meint mit dem Herzen, ihn ins Angesicht lobt und wohlredet und
hinter seinem Rücken ihn tadelt, ihn heruntersetzt und über ihn klagt; oder
sein Vertrauen zu gewinnen sucht und es dann hinterher missbraucht, indem man
seine Heimlichkeiten austrägt. Aufrichtige Liebe geziemt dem Priester
Gottes gegen seine Mitbrüder und Mitpriester. Und diese erweist sich gerade
dann als eine recht aufrichtige Liebe, wenn man am sündigenden und fehlenden
Bruder das Arge „hasst“ und es daher in freundlichem Ernst unter vier
Augen straft, gegen andere aber sein „Gutes“ an ihm rühmt und alles zum
Besten kehrt.
Zur Aufrichtigkeit geselle sich aber auch
die Herzlichkeit in der brüderlichen Liebe. Zwar sollen wir als Christi
Jünger alle Menschen ohne Unterschied ebenso aufrichtig wie herzlich lieben
nach dem Wort: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Aber wie
Gott, der die ganze Welt so hoch liebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab,
doch die mit der besonderen Vaterliebe umfängt, die an den Sohn glauben,
so sollen auch die Gläubigen einander zugetan sein mit der besonderen Bruderliebe.
Ist doch hier mehr, als bei den leiblichen Brüdern, nämlich die Geburt aus
Gott, welche die Herzen gläubiger Christen alsbald einander nahe bringt und
dann innig verbindet. Und ob ich da nun auch an manchem Glied so mancherlei
Unart und Gebrechen sehe, auch wohl zu einem anderen Glied mich persönlich mehr
hingezogen fühle, so soll ich doch auch zu dem ein Herz behalten, der
gebrechlich ist und für mich manches Abstoßende hat, soll Gottes Gnadenwerk
auch in der Schwachheit an ihm erkennen und das Beste von ihm hoffen. Wer aber
seine brüderliche Liebe eine herzliche sein lässt, der kommt auch dem
geringsten Bruder „mit Ehrerbietung zuvor“, denn die heilige, herzliche
Liebe macht im Umgang immer anspruchsloser und immer rücksichtsvoller und
höflicher auch selbst bei geringer äußerlicher Bildung. Sie macht besonders das
Alter ehren und lehrt den Vornehmen bei aller Beobachtung des äußerlichen
Standesunterschiedes auch den geringen Bruder als Gliedmaß Christi ehrerbietig
behandeln.
„Seid nicht träge, was ihr tun sollt.
Seid brünstig im Geist. Schickt euch in die Zeit“ – ermahnt der Apostel
weiter und meint da den Eifer um des HERRN Haus und die Förderung seines
Reiches, zunächst innerhalb der Gemeinde, aber auch über diese hinaus. Und
dieser Eifer sei rührig und brünstig, die kostbare Zeit auskaufend und sich in
die Umstände fügend, so dass in Sachen des göttlichen Reiches nichts auf die
lange Bank geschoben, sondern alles bald getan werde, zu der Zeit, da man soll,
nach dem Wort: Ich muss wirken, so lange es Tag ist“, aber auch nach dem Wort:
„Verflucht ist, wer des HERRN Werk lässig treibt.“
Weil nun aber es viel mehr Weh und Leid als
Freude für den Christen in der Welt gibt, so zeigt der Apostel das Verhalten in
Leid und Freud, es sei Freud und Leid sein oder der Brüder.
Er ruft den Gläubigen erstlich zu: „Seid
fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet.“ Wir
Christen leben ja in der Erwartung einer so großen Herrlichkeit; wir wissen ja,
dass der Weg zu dieser Herrlichkeit durch viel Trübsale geht; wir kennen ja das
Herz und den Reichtum Gottes: Warum sollten wir nicht nach des Apostels Vorbild
einander reizen zur Freude an der zukünftigen Herrlichkeit, zur Geduld
in der Trübsal, zum Anhalten am Gebet!
Weil es aber für die Christen auch Zeiten
schwerer Verfolgung oft gibt, da mancher von Haus und Hof gejagt wird, oder
sonst viel Bosheit, Falschheit und Ungerechtigkeit um des Evangeliums willen
erfahren muss, so ruft der Apostel: „Nehmt euch der Heiligen Notdurft an.
Herbergt gerne. Segnet, die euch verfolgen, segnet und flucht nicht.“ Ach,
durch solche Hilfe, wie sie die Christen den verfolgten Brüdern erwiesen und
durch die Sanftmut und Würde, mit der sie alle Verfolgungen ertrugen, hat die
Kirche Gottes geleuchtet unter der heidnischen und papistischen Welt und hat
dadurch zugleich die Heiden und Irrenden zu ihrem warmen Herd gelockt.
Ebenso weil die Gemeinde der Heiligen
Gottes heilige Familie ist, deren Glieder Freud und Meid miteinander
teilen, so heißt es: „Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den
Weinenden.“ Seht, solch eine Teilnahme an des Glaubens Genossen Wohl und
Wehe soll unter den Gliedern einer Gemeinde wahrgenommen werden, nicht der
blasse Neid der Scheinchristen und Heuchler, wenn es einem Glied wohl geht oder
es Anerkennung findet, oder deren Teilnahmslosigkeit, wenn es demselben übel
geht.
Zuletzt ermahnt der Apostel die Glieder der
Gemeinde zur Erhaltung der brüderlichen Einigkeit mit den Worten: „Habt
einerlei Sinn untereinander“, und weil nur dann das einzelne Glied nicht
auf seinem Sinn besteht, sondern in Sachen, die nicht das Gewissen betreffen,
den anderen nachgibt und weicht, wenn es in täglicher Reue und Buße den
angeborenen Hochmut bekämpft, der da hoch hinaus will und meint, alle Leute
sollen sich nach ihm richten, so setzt der Apostel hinzu: „Trachtet nicht
nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter zu den Niedrigen.“
Seht, das ist der priesterliche Wandel
innerhalb der Gemeinde im persönlichen Verkehr der Glieder untereinander. Auch
er fordert Selbstverleugnung und somit das priesterliche Opfer. Er geziemt sich
aber so ganz und gar Gottes priesterlichem Eigentumsvolk.
O, wie lieblich macht gerade er die
Gemeinschaft der Kirche! Welch einen Ersatz bietet er den Gläubigen und soll
ihn bieten für deren priesterliche Absonderung von der Welt, in Folge dessen
sie um des Gewissens willen so vieles sich versagen, dagegen so vieles von der
gottentfremdeten Welt erdulden müssen. Wie macht er die Lügen und Lästerungen
der Feinde der Kirche zu Schanden, dass sie vielmehr bekennen müssten: „Seht,
wie lieb sie sich untereinander haben!“ Und wie sehr könnte dieser Wandel in
der Liebe untereinander schwache Christen bei der Kirche erhalten und sie taub
machen gegen die Lockstimmen der geheimen Gesellschaften und anderer Vereine
der falschgläubigen und gottentfremdeten Welt.
Wie nun, teure Glieder dieser Gemeinde,
erzeigt sich unter uns solch ein priesterlicher Wandel sowohl durch den rechten
Gebrauch der Gnadengaben, als auch bei dem persönlichen Verkehr der
Gemeindeglieder untereinander? Bietet unsere Gemeinde das Bild eines
Gemeindeliebens, das dem ziemlich ähnlich ist, welches der Apostel uns jetzt
vor Augen gemalt hat? O, wir müssten doch in rechter pharisäischer Blindheit
stecken, wollten wir darauf mit Ja antworten. Hatte es doch selbst mit der
Gemeinde zu Rom, von deren Glauben an in aller Welt sagte, noch einen Mangel.
Wozu hätte sie sonst der Apostel durch die Barmherzigkeit Gottes so ermahnen
müssen! Ach nein, Geliebte, wir sind noch weit, weit von diesem Ziel. Wohin wir
blicken in unserem Gemeindeleben, - es hat überall Mangel, es fehlt noch viel
an der rechten Gestalt einer christlichen Gemeinde, von dem rechten Gebrauch
der zum allgemeinen Nutzen verliehenen Gaben und noch mehr von dem
priesterlichen Verkehr der Gemeindeglieder miteinander. Eben darum wird uns die
Betrachtung der nächsten Epistel zeigen, dass ebenso viel Mangel es hat am
priesterlichen Wandel gegen die, die draußen sind.
Fragen wir aber, ob wir als eine Gemeinde
gar nicht auf dem Weg zu solchem Ziel seien, so müssten wir abermals
pharisäisch blind sein, wollten wir darauf schlichtweg mit einem Nein
antworten. Gott sei Dank, wir sind auf dem Weg, ja, haben durch seine Gnade
schon manches Schrittlein vorwärts getan, wie weit wir von dem Ziel entfernt
sind. Das ist wenigstens bemerkbar für den, der ein geistliches Auge hat.
Wohlan, so lasst uns Gott bitten, dass er
uns in unserem Gemeindeleben Schritt für Schritt weiter führe und ihm es auch
zutrauen, dass er laut seiner Verheißung durch die Predigt seines Wortes
solches auch tun werde. Über das, was uns an solchem priesterlichen Wandel
fehlt, lasst uns vor ihm demütigen; über das, was er durch sein Wort unter uns
bereits ausgerichtet hat, lasst uns ihm stetig danken; beides aber sei uns ein
Antrieb, vorwärts zu trachten und einander dazu zu reizen. Und will uns das
Klagen ankommen, dass es in unserer Gemeinde noch gar nicht zugeht, wie es
zugehen soll, o, so wolle sich alsbald ein jeder selbst fragen, ob er denn mit
Rat und Tat, Mit Wort und Werk auf seinem Teil dazu helfen, dass es im Gebrauch
der Gnadengabe und im persönlichen Verkehr der Gemeindeglieder untereinander
besser und besser werde.
Du aber, mein lieber Mitchrist, der du zwar
ein fleißiger Besucher dieses Gotteshauses, aber noch kein Glied dieser
Gemeinde bisst, tritt ihr nun auch durch förmlichen Anschluss noch näher, damit
du einerseits deinen vollen Anteil an allen den Gaben und Gnaden und Gaben
empfängst, die ihr der HERR geschenkt hat, andererseits der Gefahr entgehst,
dein dir verliehenes Pfund im Schweißtuch zu vergraben. Bedenke, es ist nicht
Sache der Freiheit und der Willkür, sondern es ist des HERRN der Kirche Wille
und Gebot, dass man einer rechtgläubigen Gemeinde gliedlich angehöre. O, lass
dich von solchem Anschluss nicht abhalten durch die Wahrnehmung so vieler
Mängel und Gebrechen, Sünden und Ärgernisse, die leider unter uns noch
vorkommen. Bedenke, es gibt in der streitenden Kirche keine Gemeinde, da es
nicht mancherlei Mangel hat. Bedenke aber, es gibt in jeder rechtgläubigen
Gemeinde Kinder Gottes. Und mit denen gerade wirst du durch die volle
Gliedschaft erst recht Ein Leib und Ein Geist, deren Zahl gerade vermehrst auch
du dann und hilfst, dass sie zur herrschenden Macht werden. Unter denen
bereitet dich dann der HERR zur Herrlichkeit und bewahrt dich vor Verführung zu
falscher Lehre und ungöttlichem Wesens. Mit denen gehst du dann von Tag zu Tag
seiner herrlichen Zukunft entgegen. Und wenn an jenem Tag die Gemeinde der
Heilligen auch dieses Ortes befreit sein wird von allen Heuchlern und Gottlosen
und von allen Mängeln und Ärgernissen, wenn vor Engel und Menschen auch ihr
verborgenes Leben mit Christus wird offenbar werden, dann wirst auch du als ihr
wahrhaftes Glied mithören dürfen den Zuruf des HERRN: „Kommt her, ihr
Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reicht, das euch bereitet ist von Anbeginn
der Welt.!“ Amen! Das ist gewiss wahr! Amen.
Gebet:
HERR Gott, himmlischer Vater, wir danken dir herzlich, dass du uns bisher so
manche gute Gabe mitgeteilt hast. Wir haben aber leider dieselben zum
allgemeinen Nutzen und in brüderlicher Liebe nicht so fleißig gebraucht, wie
wir sollten. Wir bitten dich daher demütig, du wollest uns solches vergeben und
deine Gaben um unseres Undanks willen nicht von uns nehmen, sondern auch
hinfort sie uns gnädig verleihen und uns durch deinen Heiligen Geist regieren,
damit wir in deinem Dienst fleißiger seien, das Arge hassen und dem Guten
anhangen und uns des nicht überheben, sondern in rechter Demut vor dir wandeln,
bis wir endlich selig werden durch Jesus Christus, deinen Sohn, unsern HERRN.
Amen.
Lied:
Ich ruf zu dir, HERR Jesus Christ
Lied:
Jesus selbst, mein Licht und Leben
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem
Vater, und unserem HERRN Jesus Christus, der sich selbst für uns gegeben hat,
damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein
Volk zum Eigentum, das fleißig wäre zu guten Werken. Amen
Römer
12,17-21: Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet niemand Böses mit
Bösem. Befleißigt euch der Ehrbarkeit gegen jedermann. Ist es möglich, soviel
an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch selber nicht, meine
Liebsten, sondern gebt Raum dem Zorn; denn es steht geschrieben: Die Rache ist
mein; ich will vergelten, spricht der HERR. Wenn nun deinen Feind hungert, so
speise ihn; dürstet ihn, so tränke ihn. Wenn du das tust, so wirst du feurige
Kohlen auf sein Haupt sammeln. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern
überwinde das Böse mit Gutem.
Geliebte in dem HERRN! Obwohl nicht von
der Welt, so sind gläubige Christen doch in der Welt, den sie wohnen
unter Ungläubigen und Falschgläubigen, unter Gottlosen und Weltleuten und
müssen mit ihnen im häuslichen und bürgerlichen Leben nach ihrem Amt und Beruf
verkehren, ja, sind oft sogar durch die Bande des Bluts mit ihnen verbunden. Da
nun gläubige Christen bei aller Absonderung von der Welt doch in einem
häuslichen und bürgerlichen Verkehr mit der Welt stehen dürfen, ja, nach dem
Willen ihres Gottes stehen sollen, so zeigt uns die heutige Epistel den
priesterlichen Wandel des Christen im täglichen Verkehr besonders mit denen,
die draußen sind, damit sie scheinen als Lichter mitten unter dem verirrten und
verdorbenen Geschlecht dieser Welt, und auch durch ihren Wandel hier
verkündigen die Tugenden des, der sie berufen hat von der Finsternis zu seinem
wunderbaren Licht zur Ehre des Namens ihres Gottes und zur Bekehrung manches
Kindes dieser Welt.
Wenn nun aber die vorige Epistel uns den
Christen in seinem priesterlichen Wandel gegen die Gemeinde gezeigt hat,
wie er da die ihm verliehenen Gaben zum Nutzen derselben gebraucht und sonst
mit den Brüdern verkehrt, die heutige Epistel aber ihn unter die stellt, die
draußen sind, so dürfen wir hierbei nicht die Mischgestalt der
streitenden Kirche außer Acht lassen. Durch des Teufels List und Bosheit sind
als Unkraut unter dem Weizen allezeit und allerorts Gottlose und Heuchler
beigemischt, indem sie mit den Kindern Gottes zwar nicht den Geist und Glauben
gemein haben, wohl aber mit denselben „in äußerlicher Gesellschaft der Namen,
Zeichen und Ämter stehen“, sie die Apologie im Artikel von der Kirche sagt.
Ihrer Herzensstellung nach gehören diese zu denen, die draußen sind, und weil
das Evangelium nun einmal ohne Feindschaft und Verfolgung nicht sein kann und
daher von der Welt drinnen bedrängt wird, wenn die Verfolgung von draußen ein
wenig ruht, so haben wahre Christen von falschen Christen gar manches zu
erdulden und ist das schwerer und bitterer als die offenbare Feindschaft der
Welt. Des Paulus heutige Anweisung zu einem unserem geistlichen Priestertum
gemäßen Verhalten gilt daher auch nach dieser Seite hin.
Der priesterliche Wandel des Christen im Umgang besonders mit
denen, die nicht gläubig sind
Sei
es demnach, den wir aus der heutigen Epistel zu unserer Prüfung und Ermunterung
kennen lernen wollen. Der Apostel zeigt ihn uns
1.
Als einen
Wandel in der Friedensliebe und
2.
Als einen
Wandel in der Feindesliebe.
Gebet:
Weise uns HERR deinen Weg, dass wir wandeln in deiner Wahrheit. Erhalte unser
Herz bei dem Einen, dass wir deinen Namen fürchten. Lehre uns tun nach deinem
Wohlgefallen, denn du bist unser Gott, dein guter Geist führe uns auf ebener
Bahn. Amen.
1.
„Haltet euch nicht selbst für klug.
Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Befleißigt euch der Ehrbarkeit gegen
jedermann. Ist es möglich, soviel an euch ist, so habt mit allen Menschen
Frieden.“ So der erste Teil unserer Epistel. Dass der Kern und Stern dieser
apostolischen Ermahnungen eigentlich in die letzteren Worte gefasst ist, und
dass wir eben deshalb den priesterlichen Wandel des Christen als einen Wandel
in der Friedensliebe bezeichnen, wird sich zeigen, wenn wir nun erwägen, was
der Apostel mit den Worten meint: „Ist’s möglich, so viel an euch ist, so
habt mit allen Menschen Friede“, und welche Regeln er zur
Ausführung, zur Betätigung der Friedensliebe gläubiger Christen gibt.
So jemand ein wahrhaft gläubiger Christ
wird, so wird er auch durch die erneuernde Kraft des Heiligen Geistes ein
Liebhaber des Friedens. Weil er nicht nur den Frieden, wie alles Gute, an sich
selbst lieb hat, sondern auch, weil er weiß, welch eine edle, herrliche,
segensreiche Gabe der Friede im häuslichen, bürgerlichen und kirchlichen Leben
ist, so sucht er mit allen Menschen ohne Unterschied, Frieden zu haben.
Er fängt daher keinen Streit an und vermeidet sorgfältig auch allen Anlass zum
Streit. Ja, wenn der Friede zwischen ihm und anderen oder bei anderen
entfliehen will, da ist er fleißig, ihn aufzuhalten, und wo er entflohen ist,
eifrig, ihn wieder zurück zu bringen. Eben deshalb spricht der HERR in der
Bergpredigt: „Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder
heißen.“ Das ist es, was der Apostel mit den Worten meint: „So viel an euch
ist, so habt mit allen Menschen Frieden.“ Wir leben in einer Welt, in
welcher der Feind und Störer alles Friedens Herr und Fürst ist, in welcher es
daher so viel Unfriede, Zank und Streit gibt und wo etwas Friede besteht,
derselbe nur zu bald wieder gefährdet wird – was sollt es werden, wenn nun der
Friede an den Christen keinen Halt, keine Liebhaber und Förderer hätte!
Gleichwohl macht der Apostel eine
Einschränkung durch den Zusatz: „Ist’s möglich.“ Damit erinnert er, dass
es Christen bei aller Friedensliebe doch nicht stets möglich ist, mit allen
Menschen Frieden zu halten. Weil ein Christ, besonders ein lutherischer Christ,
die rechte Lehre bekennen, die falsche Lehre aber verwerfen, dazu Sünde und
Unrecht nirgends gutheißen kann, sondern strafen muss, auch weder mit der Welt
sich lustig machen, noch mit den Falschgläubigen irgendwelche Bruderschaft
eingehen darf, so geht es, wie der Psalmist sagt: „Ich halte Frieden, aber wenn
ich rede, so fangen sie Krieg an.“ Einen solchen Krieg aber fängt dann nicht
der Christ, sondern allein die Welt an, von der ja der HERR zu seinen Jüngern
sagt: „Wärt ihr von der Welt, so hätte die Welt das Ihre lieb; weil ihr aber
nicht von der Welt seid, sondern ich habe euch von der Welt erwählt, darum
hasst euch die Welt.“ Weil es sich hier um das Gewissen handelt, um das
Bekenntnis der Wahrheit, um die Ehre Gottes, um das Heil der Seele, so hat der
Christ hier nur die Wahl zwischen dem Frieden mit Gott und dem Frieden mit der
Welt.
Der Friede, den man mit allen Menschen
haben soll, betrifft daher nicht Sachen des Gewissens, sondern mehr leibliche
Dinge und ist daher ein mehr äußerlicher, leiblicher Friede. Damit wir
denselben mit allen Menschen halten, so viel an uns ist, so gibt der Apostel
eine dreifache Regel für unser Verhalten.
Die erste Regel lautet: „Haltet
euch selbst nicht für klug.“ Die Selbstklugheit ist Selbstüberschätzung des
eigenen Verstandes, der eigenen Einsicht, ist Eigendünkel. In der heutigen
Epistelpredigt beschreibt sie Dr. Luther so: „Es ist der steife Sinn im
weltlichen Wesen, der sich nicht sagen lässt, will alles besser wissen als
jemand sagen kann, es soll recht und wohlgetan sein, was er im Sinn hat und
weicht niemand. Ein Christ aber soll so gelenk sein in solchen Sachen und gerne
weichen, jedermann Recht lassen, solange es nicht Gottes Wort und Glauben
betrifft, sondern zeitlich Gut, Ehre und Freunde.“
O, dass doch ein Christ in allen
Lebensverhältnissen sich nach dieser kurzen apostolischen Regel halten möchte,
denn, wie die Erfahrung lehrt, kommt der meiste Hader und Unfriede daher, dass
man alles besser zu verstehen meint, seine Meinungen und Ratschläge für die
allein richtigen hält, in Folge des dieselben schlechtweg geltend zu machen
sucht, und daher überall Widerspruch erhebt oder erregt. Solche von sich
eingenommenen Leute mengen sich daher auch in Dinge, die sie nichts angehen
oder können nicht warten, bis man ihrer begehrt, weil sie immer in Sorge sind,
es könnten andere die Sache nicht recht machen, es ginge nicht ohne sie. Kein
Wunder daher, dass der Selbstkluge oft aus dem Hader gar nicht herauskommt,
obschon er vielleicht denselben nicht geflissentlich sucht und im Grund wohl
auch nicht liebt.
„Haltet euch selbst nicht für klug.“ Damit
wir in unserem Verkehr besonders mit denen, die draußen sind, allewege nach
dieser Regel einhergehen und so Friede mit ihnen halten, so viel an uns ist, so
lasst mich hierbei noch auf einen Umstand hinweisen. Wohl vernimmt der
natürliche Mensch nichts vom Geist Gottes; es ist ihm vielmehr alles Geistliche
Torheit und kann es nicht erkennen, denn es muss geistlich gerichtet sein. Wenn
es sich daher um die Frage handelt, ob dies oder das dem Wort Gottes gemäß oder
demselben entgegen ist, da ist der gläubige, in Gottes Wort gegründete und
erfahrene Christ gegenüber den Kindern der Welt allein klug. In den Dingen
aber, die allein der Vernunft unterworfen sind und deren Beurteilung und
Behandlung oft auch eine gewisse Reife des Verstandes, ein gewisses Maß von
Kenntnissen oder von Lebenserfahrung erfordert, da ist auch mancher Weltmensch
recht klug und weiß gar manchmal noch besser zu raten und anzugreifen, als
mancher fromme Christ. Es ist daher keine zu kühne Behauptung, sondern gründet
sich nur auf die rechte Unterscheidung von Christi Reich und Weltreich, wenn
Dr. Luther an einem Ort meint, dass z.B. in weltlichen Regierungssachen die
alten Heiden besser Bescheid gewusst hätten als selbst der hocherleuchtete Apostel
Paulus und andere Heilige. Welch ein hocherleuchteter Prophet und Regent war
doch Mose! Dennoch wies er nicht selbstklug die Rede seines Schwiegervaters
Jethro von sich, als dieser bei Gelegenheit eines Besuches die von Mose
gemachte Ordnung in der Rechtspflege als eine viel zu beschwerliche und
zeitraubende ihm nachwies und eine weit zweckmäßigere ihm vorschlug. Nun
gehörte ja freilich Jethro bereits auch zum Volk Gottes; aber wenn Jethro auch
noch Heide gewesen wäre, in seiner Demut und Friedfertigkeit hätte sich der
über ihn an Amt und Gabe hochstehende Mose gleichwohl den weisen Rat seines
Schwiegervaters gefallen lassen. Wie muss es daher Weltmenschen vom wahren
Christentum abstoßen, wenn sich Christen gegen andere selbstklug gebärden,
sogar in Dingen, wo jene vielleicht besser Bescheid wissen, wenn sie dann auf
ihrer Meinung gegen Christen und Nichtchristen bestehen, ins Streiten und
Disputieren geraten, mancherlei Unfrieden und Zwist anrichten und über dem, was
sie darüber leiden müssen, sich gar noch als Märtyrer Christi betrachten,
während sie doch in solchem Fall des Teufels Märtyrer sind. Dagegen, wie muss
es die Unwissenheit der törichten Menschen beschämen, und noch mehr wie
gewinnend muss es wirken, wenn ein gläubiger Christ als ein Kind des Friedens
sich nicht selbst für klug hält, sondern die Klugheit und Einsicht anderer in
äußerlichen, leiblichen Dingen auch gelten lässt; wenn er sich von anderen,
selbst von dem Geringsten auch sagen und raten lässt, statt empfindlich zu tun;
wenn er sich nicht in anderer Angelegenheit mengt, sondern wartet, bis man
seiner begehrt oder bedarf; ja, wenn er, um nicht das äußerliche friedliche
Verhältnis in der Familie, mit den Nachbarn, mit seinen Geschäftsgenossen, mit
seinen Mitbürgern zu stören, selbst da weicht und nachgibt, wo seine Meinung,
sein Rat richtig ist und statt sich verletzt zurückzuziehen, mit denselben in
gutem Einvernehmen nach wie vor bleibt.
Darum ihr, meine Mitchristen, befleißigt
euch der Demut und Bescheidenheit nicht nur gegen die, die drinnen sind,
sondern auch gegen die, so draußen sind, damit ihr auch dadurch ihrer etliche
gewinnt, weil ihr von ihnen mehr und mehr erkannt werdet als die friedfertigen
Gotteskinder. Zur Erhaltung des häuslichen Friedens aber folgt dieser Regel des
Paulus: „Haltet euch selbst nicht für klug“, ihr, meine Schwestern, die
ihr einen nichtchristlichen Mann habt, dem ihr gleichwohl untertan und gehorsam
sein sollt um des HERRN willen in allen Dingen, die nicht gegen das Gebot
Gottes sind, und ihr Kinder oder ihr Dienstboten, deren Eltern oder
Herrschaften dem Christentum oder der reinen Lehre nicht zugetan sind.
„Ist’s möglich, so viel an euch ist, so
habt mit allen Menschen Frieden.“ Darum – und dies ist die zweite Regel
des Apostels – „vergeltet niemand Böses mit Bösem.“ Das ist ja freilich
der Welt Grundsatz: „Wie man in den Wald hineinschreit, so schallt’s aus ihm
wieder heraus“, und nach ihrem verderbten Fleisch und Blut möchten Christen
nach diesem Grundsatz endlich auch Böses mit Bösem vergelten, zumal wenn sie es
mit einem Menschen zu tun haben, der wie ein ritziges Holz ist, das, man mag es
irgendwo und dabei noch so behutsam anfassen, einen verwundenden Splitter in
der Hand zurücklässt. Ach, und wenn sie da nicht ernstlich die Regungen ihres
Fleisches und Blutes bekämpfen und Gott um Sanftmut und Geduld ernstlich
bitten, wenn sie sich da einmal vergessen und vergelten Böses mit Bösem, so
müssen sie inne werden, dass aus dem kleinen Funken ein Brand geworden ist, der
auch andere ergreift, indem sie damit nur Holz zum entstandenen Feuer
herbeigetragen haben, welches ohne dasselbe vielleicht bald erloschen wäre. Das
traurigste dabei ist, dass Ungläubige und Falschgläubige von den Kirchenleuten
desto übler reden und wäre es auch nur ein einziger derartiger Fall, denn das
wissen sie gar wohl, dass für uns Christen in der Bibel geschrieben steht: „Vergeltet
niemand Böses mit Bösem“, und dass wir darin den uns gelassenen Fußtapfen
Christi als seine Jünger nachfolgen sollen. O, es gibt oft viel dem HERRN zu
bekennen, viel ihm abzubitten und darum auch, wo es sein muss, den Menschen,
Willst du darum, mein Christ, als ein
Priester Gottes, als ein friedfertiges Gotteskind auch gegen die wandeln, die
draußen sind, so vergilt niemand Böses mit Bösem – ja, niemandem, niemandem.
Werde nicht wieder heftig, wenn jemand gegen dich heftig wird, so ist’s abgetan
– wie oft wäre ein heftiges Wort ohne weitere Folgen geblieben, wenn nicht eine
noch heftigere Antwort darauf erfolgt wäre! Schilt dich jemand, so muss er
aufhören, wenn du nicht wieder schiltst. Geschieht dir Unrecht, so leide es
schweigend und die Friedensstörung greift nicht weiter. Geht es aber nicht
anders, dass du etwas erwidern musst, so lass es eine sanftmütige Vorstellung
des unrechts sein und das dann nicht zur Unzeit, wenn das Gemüt des, der den
Streit gesucht hat, noch aufgeregt ist. Und das kannst du durch die
Barmherzigkeit des, der auch um deinetwillen und für dich litt und dabei dir
zugleich zum Vorbild nicht wieder schalt, da er gescholten wurde, nicht drohte,
da er litt.
„Ist’s aber möglich, so viel an euch
ist, so habt mit allen Menschen Friede“; darum „befleißigt euch der
Ehrbarkeit gegen jedermann.“ Dies ist die dritte Regel des Apostels. Es
fasst das Wort „Ehrbarkeit“ viel in sich. Es meint nicht nur den
äußerlichen unsträflichen Wandel, sondern auch die zarte Rücksichtnahme auf den
Nächsten, da man ihn in keinerlei Weise zu verletzten, in keinerlei Weise
Anlass zur Klage zu geben sucht. Es soll die Welt den Christen nicht nachsagen
dürfen, dass sie in Handel und Wandel für Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit,
Billigkeit und Uneigennützigkeit nicht stets ein zartes Gewissen hätten, dass
sie leichtsinnige Borger seien, die man ans Zahlen immer mahnen müsse oder die
den Mahner gar mit beleidigenen Worten abweisen, oder dass sie Wortbrüchige
seien, deren Versprechungen nichts wert sind und durch die nur in Schaden und
Nachteil kommt, der sich auf sie verlässt. Wie viel an solcher Ehrbarkeit gegen
jedermann zur Erhaltung des häuslichen, nachbarlichen und bürgerlichen Friedens
liegt und welch einen guten Namen sie dem Evangelium macht, brauche ich wohl
nicht erst zu erweisen. So rufe ich euch den mit dem Apostel zu: „Befleißigt
euch der Ehrbarkeit gegen jedermann – gegen Erwachsene und Kinder, gegen
Männer und Frauen, gegen Ledige und gegen Verheiratete, gegen Vorgesetzte und
gegen Untergebene, gegen Hohe und gegen Niedrige, gegen die, so drin und gegen
die, so draußen sind. „Was ehrbar, was gerecht, was keusch, was lieblich, was
wohllautet, ist etwa eine Tugend, ist etwa ein Lob, dem denkt nach.“
So wandeln die Gläubigen als die
friedfertigen Gotteskinder, indem sie, so viel an ihnen und so viel es möglich
ist, Friede haben mit allen Menschen. Das kostet viel Selbstverleugnung und
gehört mit zu dem täglichen priesterlichen Opfer ihres Leibes. Darin aber auch
verkündigen sie mit die Tugenden ihres Friedensfürsten. Aber wenn sie nun
gleichwohl zu dem Ende nach der Regel des Apostels sich nicht selbst für klug
halten, niemandem Böses mit Bösem vergelten und sich der Ehrbarkeit gegen
jedermann befleißigen, so müssen sie doch um des Namens Jesu willen von der
ungläubigen und falschgläubigen Welt viel Böses erfahren und müssen für die
Ehre ihres HERRN in den Kampf und Streit hinein. Hören wir daher fürs zweite,
wie sich da ihr Wandel als ein Wandel in der Feindesliebe gestaltet.
2.
Wie der Apostel die Summe des ersten Teils
in die Schlussworte fasst, so auch die Summe des zweiten Teils in die Worte
nämlich: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse
mit Gutem.“ So also gestaltet sich ihr priesterlicher Wandel im Verkehr mit
der feindseligen Welt, so wandeln hier Gottes Kinder als die Friedfertigen.
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden“,
ruft der Apostel fürs erste und was er damit meint, erklärt er mit diesen
Worten: „Rächt euch nicht selbst, meine Liebsten, sondern gebt Raum dem
Zorn; denn es steht geschrieben: Die Rache ist mein, ich will vergelten,
spricht der HERR.“ Es geschieht ja himmelschreiend Böses denen, die
Christus angehören. Wie hat man’s den Aposteln und den Tausenden von Märtyrern
unter dem heidnischen Kaisertum in den drei ersten Jahrhunderten und den
Tausenden von Märtyrern unter dem antichristlichen Papsttum zur Zeit der
Reformation und nach derselben gemacht! So aber ist die Welt heute noch, je
nachdem sie die macht und die Gelegenheit dazu hat. Kann das ungerächt bleiben?
Nimmermehr. Die Geschichte seit 2000 Jahren hat es auch gezeigt, wie alle und
jede, öffentliche und heimliche, blutige und unblutige Christenverfolgung
gerächt wird. Aber die Rache ist nicht unser, sondern des HERRN,
und zwar sein ganz allein. Seinem Zorn sollen wir da völlig Raum lassen,
in sein Richteramt sollen wir nicht eingreifen, alle Rache sollen wir ihm
überlassen. Aber wie? Nicht mit einem Herzen, das da im Zorn betet: „O HERR,
räche mich an meinen Feinden! Bezahle ihnen ihre Übeltat an mir!“ Das hieße
eigentlich, Gott zum Vollstrecker unserer Rache zu machen, also doch wieder
sich selbst rächen. Nein, die Rache muss Gott unsererseits so gelassen werden,
dass wir mit erbarmendem Herzen beten: „HERR, behalte ihnen diese Sünde nicht!
Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun! Bekehre sie, dass sie
ablassen und sich mit mir sanftmütig und friedlich zu leben begeben!“ Und wenn
diese Bitte erhört werden würde, wenn dieser und jener Widersacher bekehrt und
mit uns zu des HERRN Füßen liegen, sein Unrecht bekennen, um Gnade schreien und
vom ewigen Zorn errettet werden würde – wären wir da nicht am besten und
schönsten gerächt?
„Rächt euch selbst nicht, meine
Liebsten!“ Zärtliche Worte, die der Apostel gebraucht, die Christen von
eigener Rache abzuhalten. Ach, er weiß ja wohl, wie auch bei ihnen wegen
unverdienter Feindschaft und Bosheit Fleisch und Blut wallt. Lasen wir durch
sie uns nur umso mehr bewegen, von eigener Rache abzustehen!
Wehe, wenn wir durch eigene Rache den Feind
zu besiegen meinen. Wir sind keineswegs die Sieger, wir sind vielmehr die
Besiegten, das Böse hat uns überwunden. Nicht nur ruft die Rache wieder
Gegenrache hervor, so dass des Rächens kein Ende ist und die Feindschaft
hinüber und herüber wütet wie eine verheerende Feuersbrunst, sondern ein
Christ, der sich selbst rächt, fällt damit auch aus der Gnade, verliert den
Frieden Gottes, gerät unter den Zorn, verfällt endlich der ewigen Verdammnis,
wenn er nicht noch in der Zeit rechtschaffene Buße tut.
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden,
sondern“ – setzt der Apostel fürs andere hinzu – „überwinde das Böse mit
Gutem.“ Das ist der Christen eigentliche Rache. Sie bitte nicht allein für
die Beleidiger und Verfolger, sie segnen nicht allein ihre Flucher und
Lästerer, sie tun auch wohl den Hassern. Darum zieht denn der Apostel
aus den Sprüchen die Worte an: „Wenn nun deinen Feind hungert, so speise
ihn, dürstet ihn, so tränke ihn“ und setzt hinzu: „Wenn du das tust,
wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“ Ja, nur so wird das Böse
überwunden. Wohl können Rache und Strafe den Feind äußerlich dämpfen, ihn klein
und still machen; aber wahrhaft überwunden ist er damit nicht, im herzen bleibt
er doch der Feind. Und ob man ihn auch nur mit der Schärfe des Verstandes, mit
mächtigen Beweisgründen, mit beißendem Witz besiegt – das Herz bleibt
unbesiegt. Das besiegst du nur mit den feurigen Kohlen des Guten, die du auf
sein Haupt schüttest, vorausgesetzt, dass diese Kohlen auch wirklich von der
erbarmenden, demütigen Liebe durchglüht sind und nicht vom Stolz, der einmal
auch auf diesem Weg über den Feind triumphieren will. Wenn Wohltaten dem Feind
so erwiesen werden, dass er den Eindruck hat, als wollte man sagen: „Sieh, ich
bin kein so erbärmlicher Mensch wie du, der du mir nur immer übel tust und nun
zur gerechten Strafe als ein Hungernder und Dürstender vor meine Tür kommen
musst. Ich will edler an dir handeln, hier, iss und trink.!“ Ach, diese Art
feuriger Kohlen macht ihn nur härter. Aber wenn du sein Übeltun und Wohltun in
einer Art erwiderst, die auf ihn nur den Eindruck der barmherzigen lauteren
Liebe macht, so sind Wort und Werk feurige Kohlen auf dem Haupt, deren Brennen
nicht weh tut, sondern läutert und erweicht, dass das feindselige, harte Herz des
Feindes in heilsame Reue und schmerzliche Beschämung gerät und zugleich
geschmolzen und weich wird. Dann hast du sein Herz besiegt und damit von selbst
den Verstand und den Mund, ja, den ganzen Menschen, und vielleicht wird dein
erbitterter Feind sogar noch dein Herzensfreund, dein glühender Lästerer noch
dein mannhafter Verteidiger.
So überwand der von Saul so unschuldig
gehasste, bis auf den Tod verfolgte David dort in der Höhle Adullam das Böse
mit Gutem, als er seines Königs Leben schonte und dann am Morgen aus der Ferne
so demütige und bewegende Vorstellungen machte. Zwar fiel ja der von Gott
verlassene Saul bald wieder in die alte Feindschaft zurück, aber dass damals
die feurigen Kohlen, welche die Liebeshand Davids durch des Königs Verschonung
und die ihm gemachten Vorstellungen auf sein Haupt gesammelt hatte, ihre
Wirkung taten, beweist, dass Saul auf einmal seine stimme aufhob und weinte und
rief: „Du bist gerechter als ich!“ (1. Sam. 24,18 ff.) Zur Veranschaulichung
aber, wie erfinderisch dabei oft die Liebe ist, die feurigen Kohlen auf des
Feindes Haupt zu bringen, lasst mich aus des gottseligen Scrivers
„Seelenschatz“ noch folgende Geschichte kurz und abschließend erzählen.
Ein frommer Christ hatte einen Nachbarn,
mit dem nicht nur überhaupt sehr schwer auszukommen war, sondern der auch jenem
fortwährend grollte und seinen Groll bei der geringsten Veranlassung
herausbrechen ließ. Vergebens, dass der Sanftmütige dem Feindseligen einmal ums
andere zusprach, doch seinen Groll fahren zu lassen, vergebens, dass auch der
erbetene Seelsorger jenem freundliche Vorstellungen machte. Zwar versprach er,
sich nicht mehr feindselig erweisen zu wollen, Groll und Feindschaft aber
blieben nach wie vor in seinem Herzen. Da geschah es, dass der Feindselige in
eine Geldverlegenheit geriet, die seinem ganzen Geschäft den Ruin drohte und
die auch in weiteren Kreisen nicht kund werden durfte. Der Sanftmütige und
Friedfertige wusste darum, und da er das nötige Kapital bei sich liegen hatte,
so beschloss er auch sogleich bei sich, seinem Feind durch ein Darlehen zu
helfen. Wie griff er das aber an? Da er wusste, dass es dem schlimmen Nachbarn
die übergroße Feindschaft nicht zuließ, aus seiner Hand das rettende
Darlehen anzunehmen, dass er lieber würde zugrunde gehen wollen, als von dem
vermeintlichen Feind einen Dienst, eine Wohltat anzunehmen, so legte er das
Geld in die Hände des Seelsorgers, dass dieser mit Verschweigen des Namens es
dem Nachbarn als zinsfreies Darlehen anbiete. Mit großem Dank nahm derselbe an,
in der Meinung, es käme vom Prediger. Doch siehe, als auf dem Geld ein
sichtbarer Segen geruht hatte, als der Gerettete mit Freuden davon dem Prediger
erzählte und nun das Kapitel ihm mit großem Dank zurückerstattete, dieser aber
entgegnete: „Nicht mir dankt, euer Nachbar ist’s gewesen, der freiwillig und im
Verborgenen das Geld in meine Hände legte, das sich euch damit zu Hilfe käme“ –
da schmolz unter solcher Liebesglut das eiserne Feindesherz, da eilte der so
Überwundene zum edlen Nachbarn, bat ihn unter Vergießen aufrichtiger Tränen
alle bewiesene Feindschaft und Unbill ab und nun wohnten die beiden von da an
nicht nur als treue Nachbarn, sondern auch als wahre Herzensfreunde beieinander.
So überwindet man das Böse mit Gutem, so
wandelt man als ein Mitpriester des großen Hohenpriestes unter Feinden, so
beweist man sich als friedfertiges Gotteskind, wenn man dem Streit nicht aus
dem Weg gehen kann, durch Feindesliebe, so gewinnt man ihrer Etliche aus der
verlorenen Welt für Christus mit dieser schönsten Verkündigung seiner Tugenden
durch Werk und Tat.
Meine Geliebten! Die draußen sind, sehen
bei uns Christen nicht zunächst auf die Lehre, sondern vor allem auf die Werke.
So helfe uns denn der HERR, dass wir auch durch Friedensliebe und Feindesliebe
der Welt unser geistliches Priestertum erweisen, damit hierin gleichfalls die
Leute unsere guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen. Amen.
Gebet:
Allmächtiger, ewiger Gott, der du deine Kinder durch den Hass und die
Feindschaft dieser argen Welt versuchen, läutern und für dein ewiges Reich der
Herrlichkeit vollbereiten willst: Wir bitten deine Barmherzigkeit, du wollest
durch deinen guten, sanftmütigen Geist unsere Herzen mit reiner und brünstiger
Liebe gegen alle Menschen erfüllen, damit wir frei von allem Eigendünkel,
Eigenwillen und Zorn alle unsere Feinde aufrichtig lieben und segnen und so
durch deine Gnade alles Böse, so uns in dieser Zeitlichkeit anficht, mit Gutem
überwinden können – um Jesu Christi, deines lieben Sohnes willen. Amen.
Lied:
Lasset uns mit Jesus ziehen; oder: Mir nach, spricht Christus, unser HERR.
Lied:
Hilf mir, mein Gott, hilf, dass nach dir
Gnade, Barmherzigkeit und Friede von Gott,
dem Vater, und dem HERRN Jesus Christus. Amen.
Römer
13,8-10: Seid niemand etwas schuldig, als dass ihr euch untereinander liebt;
denn wer den andern liebt, der hat das Gesetz erfüllt. Denn das da gesagt ist:
Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht stehlen; du
sollst nicht falsch Zeugnis geben; dich soll nichts gelüsten, und so ein
anderes Gebot mehr ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: Du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst: Die Liebe tut dem Nächsten nichts
Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
Geliebte in dem HERRN! Mit dem 12. Kapitel
hat, wie wir wissen, der Apostel seine Ermahnungen zu einem, dem Evangelium
würdigen, Wandel begonnen. Indem er nun diese mit dem 13. Kapitel fortsetzt,
kommt er zunächst auf das Verhältnis des Christen zur weltlichen Obrigkeit.
Damit berührt er eines der drei wichtigsten, von Gott selbst geordneten
Lebensverhältnisse. Ist dieses in das vierte Gebot gefasste Verhältnis wie es
sein soll, so wird es zur Quelle des reichsten irdischen Segens, denn er hat ja
mit Recht und Freiheit, mit Eigentum und Erwerb, mit Leib und Leben, dazu mit
Förderung von Kunst und Wissenschaft zu schaffen, welcher Segen dann auch
wieder der Kirche zugute kommt, wie Jeremia an die gefangenen Juden von der
Stadt schreibt, dahin sie als Gefangene Babels verpflanzt worden waren: „Wenn
es ihr wohl geht, so geht es auch euch wohl.“ (Jer. 29,7.) Und wiederum:
Gestaltet sich dies Verhältnis nicht der Bestimmung gemäß, wird es gestört und
in Ungerechtigkeit verkehrt durch Tyrannei von oben und durch Empörung von
unten nach oben, so wird es zur Quelle unbeschreiblicher Übel, wie die
Geschichte lehrt.
So hebt denn der Apostel an: „Jedermann
sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine
Obrigkeit, außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet.
Wer sich nun gegen die Obrigkeit setzt, der widerstrebt Gottes Ordnung.“
Doch ihr kennt ja diese und die weiteren Worte des Apostels von der weltlichen
Obrigkeit, da sie einen Teil der Haustafel im Katechismus bilden, jener
köstlichen Zusammenstellung Luthers von etlichen Sprüchen, „für allerlei
heilige Ordnungen und Stände, dadurch diese, als durch eigene Lektion, ihres
Amtes und Dienstes ermahnen“. Da nun die damalige Obrigkeit noch keine
christliche, sondern eine heidnische Obrigkeit war, und da diese den Christen
ja drei Jahrhunderte lang feindlich und blutig verfolgend gegenüber stand, ja,
da auf Roms Herrscherthron damals der schreckliche, grausame Nero saß, so
bedurften die Christen zweifach der Lehre und Weisung, damit auch ihr Verhalten
gegen die weltliche Obrigkeit ein dem Evangelium würdiges sei.
In seiner Ermahnung nun weiter gehend, den
Gesichtskreis erweiternd, aber doch im Zusammenhang mit dem Vorausgehenden,
ruft der Apostel auf einmal den Christen zu: „Seid niemand etwas schuldig,
als dass ihr euch untereinander liebt.“ Wie das nun mit dem Vorigen
zusammenhängt, und was der Apostel jetzt den Christen zu bedenken gibt, werden
wir sehen, wenn wir nun den Gegenstand betrachten, von welchem derselbe in der
heutigen Epistel handelt. Das ist
Die Liebesschuld der Christen
Ich werde hierbei zeigen, dass sie
1.
Die einzige,
aber auch
2.
Die unabtragbare
Schuld der Christen ist.
Schlicht und recht, das behüte uns, o HERR,
denn wir harren dein, der du uns geschaffen hast in Christus Jesus zu guten,
dass wir darin wandeln sollen. Weil wir aber ohne dich gleichwohl nichts
vermögen, so lehre und auch hier tun nach deinem Wohlgefallen, denn du bist
unser Gott, dein guter Geist führe uns auf ebener Bahn. Amen.
1
Wenn, meine Lieben, der Apostel sagt: „Seid
niemand etwas schuld“, so heißt das: Bleibt niemand etwas schuldig; wenn er
aber hinzusetzt: „Als dass ihr euch untereinander liebt“, so bezeugt er
damit, dass die Liebe des Nächsten, die allgemeine und die brüderliche Liebe,
die einzige Schuld ist, die ein Christ haben und behalten soll, und die
ein wahrer Christ auch wirklich hat und behält.
Vor allem soll und will ein wahrer Christ
der ihm von Gott gesetzten Obrigkeit keinerlei Pflichtleistung schuldig
bleiben. Dass darauf zunächst die Worte des Apostels gehen, zeigt der
Zusammenhang; denn nachdem Paulus ermahnt hat, dass jedermann der Obrigkeit
untertan sein soll, die Gewalt über ihn hat, so schärft er noch die Pflichtleistung
gegen die Obrigkeit im Einzelnen durch die Worte ein: „Deshalb müsst ihr
auch Steuer geben, denn sie sind Gottes Diener, die solchen Schutz sollen
handhaben. So gebt nun jedermann, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer
gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt“ –
worauf dann die Worte unseres Textes folgen.
Damit gibt der Apostel dem Gewissen der
Christen einen überaus wichtigen Unterricht bezüglich ihrer Stellung zur
weltlichen Obrigkeit. Erinnert euch, dass derselbe in seinen Ermahnungen von
der höchsten Würde und Herrlichkeit ausgeht, die der allerhöchste Gott einem
vernünftigen Geschöpf verleihen kann und uns armen Sündern auch wirklich
verleiht, und zwar nicht erst dort, sondern schon hier. Das ist, wie wir
gesehen haben, das geistliche Priestertum aller Christen. Wie leicht nun aber
das Fleisch meint, dass man im Besitz dieser Würde mit der weltlichen Obrigkeit
nichts mehr zu schaffen habe, am allerwenigsten mit dem Untertansein gegen
diese, lehrt die Geschichte. Denkt an das antichristliche Papsttum, das
aufgrund eines gegen das allgemeine Priestertum aller Christen erdichteten
Standespriestertums innerhalb der Kirche behauptet, dass der römische Papst der
Oberpriester der ganzen Christenheit sei, der als solcher nicht nur keiner
Obrigkeit untertan sein dürfe, sondern dem vielmehr alle Obrigkeiten in der
Welt untertan sein müssten, und der daher auch seine Bischöfe und Priester der
Obrigkeit nicht untertan sein lässt, sowie dieselbe ihm in seinen
antichristlichen Ansprüchen nicht zu Willen sein will. Oder erinnert euch an
das grauenhafte Schauspiel, das zur Zeit der Reformation die Wiedertäufer in
Münster aufführten, und von dem uns die „Abendschule“[34] soeben
ein so lebendiges Bild vor die Augen gemalt hat. Gegen diesen, Christi Reich
und Weltreich vermengenden, die geistlichen Dinge ins Fleisch ziehenden und die
von Gott geordneten Lebensverhältnisse verkehrenden papistischen und
wiedertäuferischen Wahn hat aufgrund der Schrift unsere teure lutherische
Kirche in ihrem Augsburger Bekenntnis den 16. Artikel „von Polizei und
weltlichem Regiment“ gestellt und auch im 17. Artikel gegenüber chiliastischen
Hoffnungen Bezug darauf genommen.
Wollen wir daher als geistliche Priester
gegenüber der weltlichen Obrigkeit richtig handeln und wandeln, wollen wir als
rechtschaffene Bekenner der reinen Lehre zeigen, dass das Evangelium die
weltlichen Ordnungen nicht aufhebt oder ändert, so lasst uns auch der hiesigen
Obrigkeit, der Obrigkeit eines Freistaates, in alledem nichts schuldig bleiben,
das sie nach Gottes Wort zu fordern berechtigt ist. Geben wir daher „Steuer,
dem die Steuer gebührt und Zoll, dem der Zoll gebührt“, d.h. seien wir ängstlich
gewissenhaft in Entrichtung der uns von der Stadt-, Staats- und Landesregierung
auferlegten Steuern und Abgaben – mögen noch so viele durch Umgehung des
Gesetzes sich von dieser Pflicht frei machen oder mögen viele zur Erzielung
einer verhältnismäßig geringen Taxe noch so betrügerische Angaben von ihrem
Vermögen machen und noch so gewissenlos verfahren, sei es in der Entrichtung
oder in der Verwaltung der Steuern. Ja, auch als eine christliche Ortsgemeinde,
als eine kirchliche Gemeinschaft, lasst uns den Gehorsam gegen dieses Wort
anerkennen und denselben leisten, wo er von uns gefordert würde; denn dass das
Kircheneigentum in manchem Staat ganz, und in manchen teilweise steuerfrei ist,
haben wir nach der hiesigen Verfassung, nach welcher Kirche und Staat streng
geschieden sind, nicht als ein Recht, sondern lediglich als eine löbliche
Vergünstigung zu betrachten, und müssten wir auch hier geben, was wir schuldig
sind, wenn aus triftigen Gründen eine Staatsgesetzgebung diese Steuerfreiheit
aufheben sollte.
Wollen wir ferner als geistliche Priester
und rechtschaffene Lutheraner der weltlichen Obrigkeit gegenüber dem Evangelium
würdig wandeln, so lasst uns nicht schuldig bleiben „Furcht, dem die Furcht
gebührt und Ehre, dem die Ehre gebührt“. Und ob wir auch in einem Freistaat
leben, in welchem das Volk sich selbst Gesetze gibt und seine Beamten erwählt,
so sollen und wollen wir es doch nicht mit denen halten, welche alle Scheu und
alle Furcht vor dem obrigkeitlichen Amt und deren Träger so sehr ausgezogen haben,
dass sie besonders bei Wahlen in maßloses Schmähen und Verdächtigen gegen die
Beamten oder Kandidaten der Gegenpartei sich ergehen, gleich, als stünde für
dieses Land das Wort nicht in der Bibel: „Furcht, dem die Furcht gebührt,
und Ehre, dem die Ehre gebührt“. Dieses Wort bleibt für uns Christen selbst
dann stehen, wenn wir in Sachen des Gewissens der Obrigkeit den geforderten
Gehorsam verweigern müssen; denn ob wir auch in einer Sache, die sie zu fordern
kein Recht hat, nichts schuldig sind, so bleiben wir doch alle zu Furcht und
Ehrerbietung verpflichtet.
„Seid niemand etwas schuldig.“ –
Dies Wort gilt aber auch in Bezug auf die Geldschulden. Wohl wäre dasselbe
nicht dem Glauben ähnlich, sondern schwärmerisch ausgelegt, wollte jemand es so
deuten, als dürfe ein Christ schlichtweg keine Geldschulden machen, d.h. Geld
von einem anderen borgen. Spricht doch Christus: „Gib dem, der dich bittet, und
wende dich nicht von dem, der von dir borgen will“, desgleichen: „Leiht, dass
ihr nichts dafür hofft; so wird euer Lohn groß sein, und werdet Kinder Gottes
des Allerhöchsten sein.“ Wäre nun das Borgen Sünde, so wäre auch das Leihen
Sünde, denn nur durchs Leihen wird das Borgen möglich, während doch da Leihen,
da man nichts dafür hofft, ein Werk der Liebe und Barmherzigkeit der Kinder
Gottes sein soll, das ihnen Gott dereinst wohl belohnen will. Wohl aber ist
unser Textwort nach dem Spruch auszulegen und anzuwenden: „Der Gottlose
borgt und bezahlt nicht.“ Da ruft es uns ein Doppeltes zu. Erstens: Borgt
nicht leichtsinnig, nicht ohne die dringendste Not. So borgt als ein Gottloser
derjenige, welcher sich nicht gern einen Genuss versagen, hinter anderen in
Kleidung, häuslicher Einrichtung und Vergnügen nicht zurückstehen, sondern
immer mitmachen will, oder derjenige, welcher, um schnell wie andere reich zu
werden, große Dinge anfängt und deshalb große Kapitalien aufnimmt – gelingt’s,
so gelingt’s und gelingt’s nicht, nun, so tut man, was viele andere tun, man
macht Bankrott und fängt mit Borgen von neuem an. Anders ein Christ oder der es
im Ernst sein will. Damit er, soviel an ihm liegt, keine Schulden zu machen
braucht, übt er Selbstverleugnung und schränkt sich auf alle Weise ein, darf
also manches nicht genießen, was zu genießen andern die Mittel gestatten, kann
manches Kleid nicht tragen, das er bei anderen sieht und muss auf manches in
seiner Haushaltung sogar verzichten, dessen Beschaffung gerade keine
Verschwendung wäre. Vollends aber kann ein Christ gewissenshalber nicht aufs
Borgen sich verlegen, um sich Vergnügungen zu verschaffen, denn da heißt’s hier
doppelt: „Stellt euch nicht dieser Welt gleich!“ oder um rasch reich zu werden,
denn da steht das warnende Wort für ihn: „Wenn wir Nahrung und Kleidung haben,
so lasst uns begnügen … denn die da reich werden wollen, die fallen in
Versuchung und Stricke und viele törichte und schädliche Lüste, welche
versenken den Menschen ins Verderben und Verdammnis.“ So hütet sich ein Christ
vor Geldschulden. Muss er aber trotzdem aus Not eine größere oder kleinere
Schuld aufnehmen, so sucht er sie ehrlich und wo möglich pünktlich
zu bezahlen. Und das ist das andere, darin er sich eben vom Gottlosen
unterscheidet, denn dieser denkt schon beim Borgen wenigstens nicht ernstlich
ans Wiederbezahlen, geschweige, dass er sich nachher einige Sorge darum machen
sollte. Wie aber der Christ auf alle mögliche Weise sich Abbruch tut und
einschränkt, damit er keine Schuld zu machen braucht, so noch mehr, damit er
die gemachte Schuld bezahlen kann. Das sogenannte Verschreiben des Eigentums an
die Frau oder einem anderen zu dem Zweck, dass der Gläubiger sich an dasselbe
nicht halten kann, verabscheut daher ein Christ als eine ganz greuliche Sünde
und als einen ganz gemeinen Diebstahl. Selbst wenn er ohne sein Verschulden in
Zeiten einer bedrohlichen Geschäftskrise durch die Zahlungsunfähigkeit anderer
selbst zahlungsunfähig auf einem werden sollte, verschmäht er diesen oder einen
ähnlichen Weg und könnte ich Beispiele von christlichen Geschäftsleuten
anführen, die nicht nur das Ihre zur vorläufigen Befriedigung der Gläubiger
hergaben, sondern die dann hernach, als es ihnen besser ging, möglichst sparsam
lebten, um ja das Fehlende nachzuzahlen, um so niemanden um das Seine zu
bringen und trotz des erlittenen Unglücks einen ehrlichen Namen zu
hinterlassen.
Ach, meine Lieben, in dieser Zeit und in
diesem Land, wo so viel geborgt und so wenig oft bezahlt wird, tut es je not,
unseren Text auf das Schuldenmachen praktisch anzuwenden, damit die Gewissen
unserer Gemeindeglieder doch nicht auch immer mehr abstumpfen, sondern immer
wieder etwas geschärft werden. Bleibt daher niemand auch hier etwas schuldig –
nicht dem Gläubiger, der euch geliehen, nicht dem Kaufmann, von dem ihr Waren
oder dem Bauern, von dem ihr Frucht oder Vieh empfangen habt und nicht dem Arbeiter,
der Lohn von euch zu fordern hat, letzteren nicht einmal so, dass ihr ihn mit
der Bezahlung hinhaltet, denn es steht auch das in Gottes heiligem Wort
geschrieben: „Es soll des Tagelöhners Lohn nicht bei dir bleiben bis an den
Morgen.“ (3. Mose 19,13.)
Es soll also ein Christ niemandem etwas
schuldig bleiben, weder der Obrigkeit in Ausrichtung ihres Amtes, noch dem
Nächsten in Handel und Wandel. Nur eines soll der Christ schuldig bleiben. Das
ist die Liebe nach der zweiten Tafel des göttlichen Gesetzes.
Dass aber dies die einzige Schuld ist, die
ein wahrer Christ haben soll und haben kann, bezeugt der Apostel nicht
nur, wenn er sagt: „Seid niemand etwas schuldig, als dass ihr euch
untereinander liebt“, sondern er begründet es auch, indem er fortfährt: „Denn
das da gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst
nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; dich soll nichts gelüsten,
und so ein anderes Gebot mehr ist, das wird in diesem Wort zusammengefasst: Du
sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst: Die Liebe tut dem Nächsten
nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.“ Weil also ein
jedes Gebot der zweiten Tafel des göttlichen Gesetzes in diesem Wort
zusammengefasst ist: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ und
Gott so in jedem immer nur dies Eine fordert, und weil das Gesetz erfüllt wird,
wo solche Liebe des Nächsten vorhanden ist, aber unerfüllt bleibt ohne sie,
auch wenn wir jemand nichts schuldig bleiben und jedem das Seine lassen, so ist
und bleibt sie ja freilich unsere einzige Schuld.
Doch, Geliebte, je mehr man diese Worte
erwägt, je mehr erkennt man, dass die Liebesschuld nicht nur die einzige,
sondern auch, dass sie die unabtragbare Schuld des Christen ist. Darum
lasst mich nun auch dies zeigen, wenn schon es nur in der Kürze geschehen kann.
2.
Eine Schuld ist ja freilich die
Liebe des Nächsten.
Sie ist’s schon wegen der göttlichen Forderung.
Gott sagt ja nicht: „Du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht töten“ usw.,
es ist aber schön, lieblich und löblich, wenn du deinen Nächsten oder diesen
und jenen Menschen dabei auch liebst und so noch ein Übriges tust, wozu du
gerade nicht ausdrücklich verpflichtet bist – nein, wenn er sagt: „Du sollst
nicht ehebrechen, du sollst nicht töten“ usw., so heißt das: „Du sollst deinen
Nächsten lieben wie dich selbst“, denn in diesem Wort sind alle Gebote der
zweiten Tafel zusammengefasst; und wenn er sagt: „Du sollst deinen Nächsten
lieben wie dich selbst“, so heißt das: „Du sollst nicht ehe brechen, du sollst
nicht töten“ usw., denn „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses“, sie kann das
gar nicht, wie man das schon an der natürlichen Liebe zwischen Eltern und
Kindern, Mann und Frau sieht; sie kann dem Nächsten vielmehr nur Gutes tun, wo
sie vorhanden ist. Gott fordert also die Liebe, fordert sie in jedem Gebot,
fordert nur sie. Eben darum ist sie auch die einzige Schuld seiner Christen. Er
fordert hier anders, als die Menschen fordern. Die Obrigkeit fordert nicht
Liebe, sondern nur den Gehorsam, die äußerliche Beobachtung ihrer Gesetze; der
Gläubige fordert nicht die Liebe des Schuldners, sondern nur die genaue und
pünktliche Rückzahlung seines Darlehens. Wer daher meint, weil er ein
untadeliger Bürger, ein pünktlicher Bezahler ist und so jedem nach menschlichem
Recht das Seine gibt, so haben er auch Ruhm vor Gott, zumal wenn er da und dort
noch Wohltaten spendet, da und dort noch einen Dienst leistet, der betrügt sich
freilich ganz jämmerlich, denn Gott fordert allüberall von ihm die Liebe, so
dass alle seine Werke tote Werke, ein Leib ohne Geist sind, wenn nicht die
Liebe die Triebfeder aller seiner Handlungen ist und wenn diese äußerlich nur
nach der Richtschnur des göttlichen Gesetzes geschehen und keine
selbsterwählten Werke sind.
Die Liebe ist aber auch eine Schuld von
wegen der menschlichen Leistung. Wir sollen ja nicht nur diesen und
jenen Menschen, sondern wir sollen jeden Menschen lieben, wir sollen
sogar auch den Feind lieben, denn unser Nächster ist jeder, der unseres
Rats, unserer Hilfe, unseres Beistandes bedarf, sei er, wer er wolle. Zar
unterscheidet die Schrift zwischen brüderlicher und allgemeiner Liebe, aber
beide zusammen sind eben die Liebe, denn in der brüderlichen Liebe sollen wir
auch darreichen allgemeine Liebe. Sei es nun aber die brüderliche oder die
allgemeine Liebe, so sollen wir überall den Nächsten lieben „wie uns selbst“,
d.h. wir sollen ihm so herzlich, so aufrichtig, so beständig alles Gute
wünschen und erweisen im Geistlichen und Leiblichen, auch von ihm alles Gute
reden, wie wir uns selbst tun und wünschen, dass andere sich gegen uns
bezeigen.
Nun frage ich aber: Welcher Mensch hat
solche Liebe? Von Natur hat sie kein einziger. Von Natur liebt jeder nur sich
selbst. Daher das böse Sprichwort: Jeder ist sich selbst der Nächste. Wohl
meint mancher, er liebe seinen Nächsten; aber sein Tun und Lassen zeugen auf
Schritt und Tritt gegen ihn, zeugt, dass nicht die aufrichtige Nächstenliebe,
sondern die Selbstsucht, die eigene Ehre, der eigene Nutzen die Triebfeder
aller seiner Handlungen ist. Und ob er auch aus eigenen Kräften einen Anlauf
nehmen wollte, den Nächsten zu lieben wie sich selbst – vergeblich, denn vom
Fleisch will nicht heraus, vom Gesetz erfordert allermeist. Da nun die Liebe
des Gesetzes Erfüllung ist, so bleibt die Liebe des Nächsten wie die Liebe
Gottes fort und fort bei dem natürlichen Menschen eine unerfüllte Forderung,
eine Schuld, an der er auch nicht das Mindeste abträgt, die aber immerzu
wächst.
Nur dann fängt der Mensch an, den Nächsten
zu lieben wie sich selbst, wenn er durch den Glauben an Jesus ein neuer Mensch
geworden ist. Da heißt es in Bezug auf Gott: „Lasst uns ihn lieben, denn er hat
uns zuerst geliebt“, und in Bezug auf den Nächsten:
Lass
mich an andern üben,
Was
du an mir getan
Und
meinen Nächsten lieben,
Gern
dienen jedermann
Ohn
Eigennutz und Heuchelschein,
Und
wie du mir erwiesen,
Aus
reiner Lieb allein.
Da
fängt er dann auch an, diese Liebesschuld abzutragen.
Da zeigt sich’s aber auch, dass die
Liebesschuld der Christen eine unabtragbare Schuld ist. Jede andere
Schuld wird durch Abzahlung kleiner und kleiner, endlich ist noch ein Rest
übrig, und wenn auch der abgetragen ist, so ist die Schuld bezahlt, so hört
alle Forderung auf. Anders ist es mit der Liebesschuld. Sie wird abgetragen, täglich
abgetragen und bleibt doch immerfort, immerfort dieselbe, immerfort gleich
groß; denn fort und fort bleibt das Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben
wie dich selbst“, und fort und fort haben wir Ursache und Gelegenheit,
Liebe zu üben und fort und fort dringt uns die Liebe Christi dazu. Ja, diese
Schuld nehmen wir sogar in die Ewigkeit mit hinüber, denn dort verwandelt sich
zwar der Glaube ins Schauen und die Hoffnung ins Haben, die Liebe aber bleibt
und wird mit der Ablegung des sündlichen Fleisches erst recht vollkommen und
währt in die ewigen Ewigkeiten.
Meint nun aber nicht, dass die
Liebesschuld, weil sie unabtragbar ist, dem Christenherzen eben darum zu einer
recht drückenden Last werde. Das ist wohl bei jeder anderen Schuld der
Fall, nicht aber bei dieser Schuld. Es ist ja eine Liebesschuld. Dazu
ist die Liebe Gottes in des Christen Herz ausgegossen durch den Heiligen Geist.
Auch sind wir nicht wie die Kinder Gottes im Alten Bund auch in Bezug auf den
Nächsten beschwert mit einer Menge von Zeremonial- und Sozialgesetzen und
Vorschriften, sondern es ist uns die Liebe allein geboten. Die soll die
Meisterin und Auslegerin aller Gebote sein die allein uns in allen Fällen
leiten. Zwar bleibt sie um des sündlichen Fleisches willen, das uns anklebt bis
in die Grube, hier immer Stückwerk, immer eine anfangende Liebe, aber
gleichwohl wächst im Lieben das Lieben, je mehr man liebt, je mehr will man
lieben und kann man lieben – selbst auch seine Feinde.
So helfe denn Gott, dass auch wir niemand
etwas schuldig seien, als dass wir uns untereinander lieben: als Glieder der
Gemeinde untereinander mit der brüderlichen Liebe und als Glieder der
menschlichen Gesellschaft mit der allgemeinen Liebe, damit wir hierdurch
beweisen, dass unser Glaube rechtschaffen und nicht Heuchelei sei und jedermann
erkenne, dass wir Jünger dessen sind, der aus Liebe für uns in den Tod ging,
dass er unsere Sündenschuld tilgte, dessen Liebe uns das Herz abgewonnen hat,
dessen vollkommene Liebe unsere unvollkommene Liebe bedeckt und der uns das
Wort hinterlassen hat: „Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger
seid, so ihr Liebe untereinander habt.“ Amen.
Gebet:
HERR Gott, himmlischer Vater! Du hast uns dein Gesetz gegeben und darin
befohlen, dass wir von Grund unseres Herzens den Nächsten lieben und ihm an
seinem Leib, Ehre und Gut keinen Schaden tun sollen: Weil wir aber unserer
verderbten Natur wegen nicht vermögen, solchen deinen Befehl vollkommen zu
halten, so bitten wir dich von Herzen, du wollest uns gnädig verzeihen alles,
damit wir gegen die Liebe des Nächsten gehandelt haben, und uns durch deinen
Heiligen Geist regieren, damit wir von Tag zu Tag in der Liebe völliger werden
und endlich auch ewig selig werden durch Jesus Christus, deinem Sohn, unserem
HERRN. Amen.
Lied:
Hilf mir, mein Gott, hilf dass nach dir. Str. 6 u. 7
Lied:
Gott, du hast in deinem Sohn
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der
uns geliebt hat und gewaschen von den Sünden mit seinem Blut und hast uns zu
Königen und Priestern gemacht vor Gott und seinem Vater; demselben sei Ehre und
Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.
Kolosser
3,12-17: So zieht nun an, als die Auserwählten Gottes, Heiligen und
Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld und
vertrage einer den andern, und vergebt euch untereinander, so jemand Klage hat
gegen den andern; gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr. Über
alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der
Friede Gottes regiere in euren Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in
einem Leib; und seid dankbar. Lasst das Wort Christi unter euch reichlich
wohnen in aller Weisheit. Lehrt und ermahnt euch selbst mit Psalmen und
Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern und singt dem HERRN in eurem
Herzen. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles in dem
Namen des HERRN Jesus und dankt Gott und dem Vater durch ihn.
Geliebte in dem HERRN! Nach Christus heißen
wir Christen, das ist Gesalbte. „Du liebst Gerechtigkeit und hasst
gottloses Wesen“ heißt es Psalm 45 von Christus, „darum hat dich, Gott, dein
Gott gesalbt mit Freudenöl mehr als deine Gesellen.“ Durch die Taufe sind wir
sein Eigentum und als solche seine „Gesellen“, seine Mitgenossen in der Salbung
geworden, nur mit dem Unterschied, dass Er ohne Maßen, in der vollkommensten
Weise und mit den unendlichen Gaben des Heiligen Geistes nach der Menschheit
gesalbt ist, wir aber aus seiner Fülle stückweise und nach dem Maß der Gnade.
Durch den Heiligen Geist, der in der Taufe reichlich über uns ausgegossen
worden ist, sind wir deshalb ihm nach Propheten, Priester und Könige
geworden, wie den auch Paul Gerhardt im Pfingstlied den Heiligen Geist preist:
Du
bist das heilge Öle,
Dadurch
gesalbet ist
Mein
Leib und meine Seele
Dem
HERREN Jesus Christ
Zum
wahren Eigentum,
Zum
Priester und Propheten,
Zum
König, den in Nöten
Gott
schützt im Heiligtum.
Mit dieser Herrlichkeit der Gläubigen,
welche der Name Christ in sich fasst, haben wir nun zwar bereits die erste
Hälfte der Epiphaniaszeit uns befasst, da wir etwas näher von dem geistlichen
Priestertum aller Christen handelten. Aber lasst mich, ehe wir die liebe
Epiphaniaszeit beschließen, auf diesen Gegenstand noch einmal etwas
zurückkommen, da mir gerade die heutige Epistel eine treffliche Gelegenheit
dazu gibt.
In die kleinasiatische Gemeinde zu Kolossä
waren namentlich jüdisch-gnostische Irrlehrer gekommen, welche nicht nur, wie
in Galatien, auf Beobachtung des levitischen Gesetzes drangen, sondern welche
auch von einer besonderen und tieferen Geheimlehre redeten, in der einem erst
die rechten Schätze der Weisheit aufgeschlossen würden, und besonders eine
tiefere Einsicht in das Wesen der Dinge, namentlich der Engel, verliehen sei.
Das Christentum, das Paulus und seine Mitarbeiter brächten, sei nur eine Religion
für die gewöhnlichen Leute; wer eine höhere Weisheit, eine engelische
Gemeinschaft und Heiligkeit, und so eine höhere Christenherrlichkeit begehre,
der solle sie hören. Diesen Schwarmgeistern nun zu wehren, richtete Paulus
durch Epaphras, der als Gründer und Seelsorger der Gemeinde Rat suchend zu ihm
nach Rom kam, ein überaus brünstiges Schreiben an die Kolosser, in welchem er
bei seinem Unterricht die Herrlichkeit der Person des Gottmenschen und in
seinen darauf folgenden Ermahnungen die Herrlichkeit seiner Gläubigen sichtlich
in den Vordergrund treten lässt.
Und so betrachten wir denn nachträglich
noch
Einiges von der Herrlichkeit gläubiger Christen
Nämlich
1.
Von der
priesterlichen Würde;
2.
Von ihrer
königlichen Erscheinung und
3.
Von ihrem
prophetischen Tun.
O
Christe, Wahrheit und Leben
Wir
bitten, du wollest uns geben
Deinen
Heiligen Geist von oben
Mit
seinen heiligen Gaben,
Dass
dein Wort rein hier auf Erden
Mög
verkündiget werden.
O
gib, dass die Red, so vorhanden,
Recht
erklärt werd und verstanden.
Lass
es ihr gelingen
Und
sie unser Herz durchdringen,
Zu
Lob und Preis deinem Namen,
Darauf
sprechen wir von Herzen: Amen.
Amen.
1.
„Auserwählte Gottes, Heilige und
Geliebte“ redet der Apostel die gläubigen Christen an. Seht sie da in ihrer
priesterlichen Würde. Denn dass dies Ehrentitel unseres geistlichen
Priestertums sind, sehen wir ja auch aus den Worten des Petrus, da derselbe im
2. Kapitel seiner ersten Epistel den Christen zuruft: „Ihr aber seid das aus
erwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des
Eigentums.“
„Auserwählte Gottes“ redet der
Apostel die Gläubigen zuerst an und weist uns damit hin auf das in der
Schriften vielen Orten uns zum Heil offenbarte, aber nicht der Vernunft zum
Spekulieren, sondern, wie alle göttlichen Offenbarungen, allein dem Glauben
kund getane Geheimnis unserer ewigen gnädigen Erwählung in Christus. Was er
freudigen Geistes mit diesem Titel alles sagen will, hat er besonders in einem
anderen Rundschreiben, in der Epistel an die Epheser, mit den bekannten Worten
erklärt: „Gelobt sei Gott und der Vater unsers HERRN Jesus Christus, der uns
gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch
Christus; wie er uns denn erwählt hat durch denselben, ehe der Welt Grund
gelegt war, dass wir sollten sein heilig und unsträflich vor ihm in der Liebe;
und hat uns verordnet zur Kindschaft gegen ihn selbst durch Jesus Christus,
nach dem Wohlgefallen seines Willens, zu Lob seiner herrlichen Gnade, durch
welche er uns hat angenehm gemacht in dem Geliebten.“ Seht, meine Lieben,
als Gott vor Grundlegung der Welt den Liebesratschluss der Erlösung des ganzen
menschlichen Geschlechts durch Christus fasste, da war mit ihm auch unsere
gnädige Erwählung verbunden. Da hieß es, menschlich davon zu reden, gleichsam
bei dem ewigen und allwissenden Gott: Der Teufel soll es mit dem Werk der
Erlösung nicht machen dürfen wie mit der Schöpfung; ich will dafür sorgen,
dass, ob auch meine Lieb ein der Dahingabe meines Sohnes und die durch
denselben geschehene allgemeine Erlösung bei den Meisten durch ihre eigene
Schuld und des Teufels Betrug vergeblich sein wird, doch eine große,
unermessliche Zahl Menschen trotz des Teufels Wüten ganz gewiss selig werden
soll. Das eben sind die Auserwählten. Indem aber Gott diese zur Seligkeit und
damit zu allem, was zu derselben gehört: zur Buße und Bekehrung, zum Glauben
und zur Beharrung in Christus erwählte, hat er dabei nicht gesehen auf
irgendetwas Gutes in dem Menschen. Er hat nicht auf das vorausgesehene
Verhalten desselben gegen die bekehrende Gnade, auf das vorausgesehene
Nichtwiderstreben, auf den von ihm vorausgesehenen beharrlichen Glauben
Rücksicht genommen und so nicht gewisse Menschen in Ansehung, Rücksicht,
aufgrund oder in Folge ihres Verhaltens und ihre Glaubens zur Seligkeit
erwählt; die Ursache der Erwählung ist nach der Schrift einzig und allein, ist
ausschließlich die unendliche Barmherzigkeit Gottes und Christi
allerheiligstes Verdienst. Es ist eine Wahl der freien Gnade,
daher Gnadenwahl, eine Wahl „nach dem Wohlgefallen seines Willens“.
Weit entfernt daher, dass der vorausgesehene beharrliche Glaube auch eine Ursache
der Erwählung wäre, ist vielmehr, wie die Schrift ausdrücklich lehrt, die Erwählung
eine Ursache des beharrlichen Glaubens. Ebenso unübertrefflich wie tröstlich
drückt dies unsere lieben Konkordienformel im 10. Artikel so aus: „Die ewige
Wahl Gottes sieht und weiß nicht allein zuvor der Auserwählten
Seligkeit, sondern ist auch aus gnädigem Willen und Wohlgefallen Gottes eine Ursache,
so da unsere Seligkeit, und was zu derselben gehört, schafft, wirkt,
hilft und fördert; darauf auch unsere Seligkeit so gegründet ist, dass
die Pforten der Hölle nichts dagegen vermögen sollen; wie geschrieben steht:
‚Meine Schafe wird niemand aus meiner Hand reißen‘; und abermals: ‚Und es
wurden gläubig, so viel ihrer zum ewigen Leben verordnet waren.‘“
„Auserwählte Gottes“ – o trostvoller
Name! Denn wer diesen Namen recht erkennt, wer in ihm sich angeredet weiß, der
stimmt immer wieder von neuem ein in das andere herrliche Wort des Paulus: „Wir
wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, die
nach dem Vorsatz berufen sind. Denn welche er zuvor versehen hat, die hat er
auch verordnet, dass sie gleich sein sollten dem Ebenbild seines Sohns, damit
derselbe der Erstgeborne sei unter vielen Brüdern.“
Da der Apostel nun aber mit diesem Titel alle
gläubigen Christen anredet, so soll sich auch jeder gläubige Christ getrost
für einen Auserwählten Gottes halten. Dazu bedarf es ja nicht erst einer
besonderen himmlischen Offenbarung, da wir in Christus, dem Heiland
aller Menschen und durch ihn zum Glauben erwählt sind, der Weg der allgemeinen
Gnadenordnung auch derselbe Weg ist, und kein anderer, auf welchem Gott seine
Auserwählten zur Seligkeit führt und daher Paulus einen Auserwählten danach
genau beschreibt, wenn er in der vorhin angefangenen Rede Röm. 8 fortfährt: „Welche
er aber verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen hat, die
hat er auch gerecht gemacht; welche er aber hat gerecht gemacht, die hat er
auch herrlich gemacht.” Siehe da die Offenbarung und Verwirklichung seines
ewigen verborgenen Ratschlusses auch über dich, der du durch das Wort berufen
und gläubig geworden bist. Daraufhin halte dich im Glauben an solche
Offenbarung für einen Auserwählten und weil wir in Christus erwählt sind, dass
wir „sollten sein heilig und unsträflich vor ihm in der Liebe“, so tue
in der Heiligung desto mehr Fleiß und du wirst dann, wie Petrus schreibt,
deinen „Beruf und Erwählung fest machen“ – nicht bei Gott, denn
da steht er fest schon von Ewigkeit, sondern bei dir, dass du nämlich
deines Berufs und deiner Erwählung im Glauben immer gewisser und darum auch
immer froher werdest.
Weil die gläubigen Christen die
Auserwählten Gottes sind, so betitelt sie Paulus auch als die „Heiligen und
Geliebten“. Haben wir es doch vorhin gehört, dass Gott sie erhält hat,
heilig und unsträflich vor ihm zu sein in der Liebe. Sie sind aber Heilige
nicht nach der Art der papistischen Kalenderheiligen mit ihrer selbsterwählten
Heiligkeit, die vor Gott ein Greuel ist und mit ihren seltsamen Wunderwerken,
die meistens erdichtet, mitunter aber auch Teufelswunder sind. Nein, sie sind
Heilige durch den Glauben, durch welchen sie Vergebung aller ihrer
Sünden haben und durch welchen sie zu wahrer Heiligkeit umgewandelt und dem
Anfang nach erneuert sind, bis sie dort vollkommen erneuert werden. Eben darum
schreibt der Apostel an die nun gläubig gewordenen Korinther, die vorher in
allerlei greulichen Sünden und Lastern gelebt hatten: „Ihr seid abgewaschen,
ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des HERRN Jesus
und durch den Geist unseres Gottes.“ Was Wunder, wenn sie nun auch die Geliebten
heißen? „Darin aber steht die Liebe“, schreibt St. Johannes, „nicht, dass wir
Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur
Versöhnung für unsere Sünde.“ Wie er mit Liebe die ganze verlorene Welt
umfangen hat, dass er für sie den Eingeborenen gab, da sie doch nur Zorn
verdient hatte, so hat er auch von Ewigkeit in dieser Liebe ihrer viele sich
ersehen, hat sie auserwählt und daher in der Zeit erklärt: „Ich habe dich je
und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.“ Und nun,
nachdem er sie zu sich gezogen und durch den Glauben angenehm gemacht hat in
Christus, dem Geliebten, nun umfängt er sie auch mit einer besonderen
Vatergüte, wie Christus spricht: „Der Vater selbst hat euch lieb, darum,
dass ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin.“
„Auserwählte Gottes, Heilige und
Geliebte“ – das also sind die Ehrentitel, welche der Apostel den Gläubigen
gibt und ist es daher keine strafwürdige Schmeichelei und Heuchelei, wenn auch
wir die gläubigen Christen in unseren Predigten so öffentlich anreden. Wir
erkennen ihnen da nur zu, was ein Stück ihrer priesterlichen Würde ist; wir
reden da von einer ungemeinen Herrlichkeit der Gläubigen.
Wer aber nun glauben wollte, dass dadurch
wahre Christen in ihrer Heiligung lässig und Heuchler, die sich bald dieser
Titel annähmen, nur umso sicherer würden, der wird wohl bald seinen Irrtum
einsehen, wenn wir nun auch einiges von ihrer königlichen Erscheinung
vernehmen.
2.
Wie wir durch den Glauben Priester sind, so
auch Könige. Wie wir aber keine leiblichen, sondern geistliche Priester
geworden sind, so sind wir auch keine leiblichen, keine weltlichen Könige,
sondern geistliche. Als solchen ist uns nichts von irdischer Pracht und
Herrlichkeit, Gewalt und Ehre verliehen. Unbeschadet ihrer Würde als geistliche
Könige sind die gläubigen Christen nach ihrem äußeren Stand unter der
weltlichen Obrigkeit, leben als Bürger und Untertanen in allen weltlichen
Reichen und unter den verschiedensten Regierungsformen, sind allewege und in
allen Dingen, die nicht das Gewissen betreffen, der Landesobrigkeit gehorsam
und widersetzen sich ihr nicht einmal, wenn sie dieselbe unverdient verfolgt,
sondern leiden und dulden unter Gebet und Tränen. Und o, wie ist doch so
mancher geistliche König vor anderen seiner Mitgenossen in das Gewand der Niedrigkeit
gehüllt! Wie mancher liegt als ein armer Lazarus vor der Tür des Reichen, wie
mancher hat ehedem das Sklavenjoch mit einem Joseph getragen! Dennoch ist unter
dieser Niedrigkeit eine innere Herrlichkeit verborgen, gegen welche die
äußerliche Herrlichkeit aller Kaiser und Könige auf Erden nichts ist. Während
nämlich die leiblichen weltlichen Könige nur über Leibliches und Irdischen
herrschen und im Tod, ja oft schon im Leben, Thron und Krone verlieren, während
diese trotz ihrer königlichen Pracht und äußerlichen Macht nur Schattenkönige
sind, so sind die Christen Leute, die in jedem Stand durch den Glauben die
ganze Welt überwinden, die über Fleisch, Sünde, Unglück, Tod, Teufel und Hölle
herrschen und die gerade, wenn sie sterben, die unverwelkliche Krone der Ehren
empfangen, um dieselbe ewig zu tragen und mit Christus ewig zu herrschen.
Obwohl nun aber diese königliche
Herrlichkeit der Gläubigen inwendig und dazu mit der Niedrigkeit des Kreuzes,
vielfach auch mit der Niedrigkeit des äußerlichen Standes und sonst auch mit
der Schwachheit des Fleisches sehr verhüllt ist: So haben sie doch etwas Königliches
in ihrer ganzen Erscheinung. Wenn ein Fürst rechter Art z.B. einmal in
einfacher Bürger- oder Arbeiterkleidung und ohne alles Gefolge, ohne alle
Abzeichen einer königlichen Würde sich unter das Volk mengt, so merkt man doch
mehr und mehr an seinem ganzen Verhalten, an seiner ganzen Art etwas Höheres,
etwas Königliches. So die gläubigen Christen als geistliche Könige. In welcher
Lebensstellung sich ein gläubiger Christ befindet – je besser Christ, je mehr
merkt man an seiner ganzen Erscheinung unter den Leuten, in seinem
ganzen Verhalten überhaupt eine rechte königliche Art, einen Ausdruck
innerer Hoheit.
Blicken wir in unseren Text. Da ermahnt
Paulus: „So zieht nun an, als die Auserwählten Gottes, Heiligen und
Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld und
vertrage einer den andern, und vergebt euch untereinander, so jemand Klage hat
gegen den andern; gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr. Über
alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der
Friede Gottes regiere in euren Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in
einem Leib; und seid dankbar.“ Dass der Apostel hier die gläubigen Christen
ermahnt und reizt zu einem äußerlichen Wandel, der ihrer hohen Würde als
„Auserwählte Gottes, Heiligen und Geliebten“ entspricht, zu einem Wandel, der
ihnen besonders daheim im Haus und unter der Gemeinde geziemt und zu dem sie
sich fort und fort erneuern sollen, bedarf wohl nicht einer besonderen
Erörterung. Für unseren Zweck aber lasst uns hierbei zweierlei erwägen.
Wenn nämlich fürs erste der Apostel ermahnt
und reizt: „So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, Heilige und
Geliebte“, nämlich alle diese Tugenden, so redet er offenbar von der äußerlichen
Erscheinung der Christen als Christen. Um bei dem hier gebrauchten Bild zu
bleiben, sollen diese Tugenden gleichsam das Hauskleid sein, in welchem
die Christen unter den Menschen erscheinen. Während sie innerlich und vor Gott
mit dem Schmuck und Ehrenkleid der Gerechtigkeit Christi zugerechneter Weise
erscheinen, sollen das herzliche Erbarmen, die Freundlichkeit, Demut, Sanftmut,
Geduld, samt der Verträglichkeit und Versöhnlichkeit, der das Regiment dabei
führende göttliche Friede und die kindliche Dankbarkeit für alles das Kleid
sein, in welchem sie auch vor dem Menschen einhergehen. In diesem sollen
sie erschienen nicht nur an den Sonntagen, sondern auch an den Werktagen, nicht
nur, wenn sie zur Kirche, zur Beichte, zum Abendmahl gehen, sondern auch, wenn
sie ihrem zeitlichen Beruf obliegen, nicht nur, wenn sie mit Christen zu tun
haben, sondern auch mit Nichtchristen, ja, gerade vor diesen um der Ehre des
Evangeliums willen erst recht. Wenn sie morgens erwachen und aufstehen, sollen
sie sich unter herzlichem Gebet zur Ausübung dieser Tugenden im Geist ihres Gemüts
erneuern und wenn sie sich abends niederlegen und sich trotzdem mancherlei
Sünde und Schwachheit zeihen müssen, sollen sie bußfertig ihre Kleider waschen
und hell machen im Blut des Lammes. Alle diese einzelnen Stücke ihres täglichen
Christenkleides sind zusammengehalten durch „die Liebe, die da ist das Band
der Vollkommenheit“, die sollen sie „über das alles“ anziehen, damit
solch ihr Kleid nicht als ein Flick- und Stückwerk erscheine, sondern als ein
unteilbares Ganzes, gleich dem ungenähten Rock Christi.
Alle diese Tugenden können wir nun freilich
nicht aus unserer eigenen Natur hervorbringen. Sie kommen nicht aus uns heraus,
sondern müssen erst in uns hineinkommen. Ehe sie als unser Kleid von uns
täglich von neuem angezogen werden können, müssen wir durch den Glauben erst
wiedergeboren, erst innerlich umgewandelt und erneuert sein; denn diese
Tugenden sind Früchte des Glaubens. Aber zeigen sie für’s andere nicht nach
außen die hohe Geburt, den hohen Adel, die königliche Art der Gläubigen?
Erblickt man nicht in der Ausübung dieser Tugenden die Gestalt des
Auferstandenen in seinen Gliedern? Sind Christen da nicht bei aller Niedrigkeit
ihrer sonstigen Erscheinung doch auch wieder eine recht königliche
Erscheinung mitten unter dem unschlachtigen und verkehrten Geschlecht
dieser Welt? O so verächtlich mit Recht der ungläubigen Welt das Christentum an
einem selbstgewachsenen Heiligen erscheint, der fleißig in die Kirche geht,
dann aber sich immer wieder in seinen Winkel zurückzieht und nur mit etlichen
seinesgleichen verkehrt und diese vor Liebe aufessen möchte, während er für
alle Übrigen nur ein hartes Urteil und abweisendes Verhalten beobachtet: So
sehr nötigt ihr bei allem Spott die Erscheinung eines Christen Achtung ab, so
sehr ahnt sie etwas Königliches, wenn derselbe, so oft er zu den Füßen Jesu
gesessen und bei seiner Gnadentafel gewesen ist, hinaustritt unter seine Brüder
und unter die, die draußen sind und nun immer wieder von neuem sein herzlichen
Erbarmen, seine Freundlichkeit, Demut, Sanftmut und Geduld gegen die Schwachen,
Gebrechlichen, Seltsamen und Unleidlichen beweist; wenn er nicht müde im
Vertragen und Vergeben wird; wenn er trotz allem Streit und Kampf gegen falsche
Lehre und ungöttliches Wesen sich doch immer wieder als ein Kind des Friedens
bewährt und so an ihm die Liebe als das Band der Vollkommenheit erscheint!
Das sind die Christen in ihrer
königlichen Erscheinung vor der Welt und unter der Welt. Dass wir uns
befleißigen, zur Ehre unseres Gottes und Heilandes dieses unser tägliches
Christenkleid immer wieder von neuem anzuziehen, dazu soll uns die Erinnerung
reizen, dass wir sind „Auserwählte Gottes, Heilige und Geliebte“. An beidem
aber wird es nicht fehlen, wenn wir uns nur immer in unserem prophetischen
Tun finden lassen, auf welches uns noch drittens unsere Text weist.
3.
Eines Propheten Amt ist, Gottes Namen
predigen. Da Priester- und Prophetentum sich nicht trennen lassen, so heißt es
denn auch von den gläubigen Christen als dem königlichen Priestertum, dass sie „verkündigen
die Tugenden des, der sie berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren
Licht“. Zu dem Ziel haben sie die Salbung empfangen, dass sie durch den
Heiligen Geist die rechte Erkenntnis Gottes und seines Willens besitzen, und
dringt sie der Heilige Geist, dass, was sie erkennen, auszusprechen zum Lob
Gottes und zum Heil ihrer Brüder, dass dieselben auch zur seligmachenden
Erkenntnis kommen oder in derselben erbaut und gefördert werden. Nicht, dass
sie sich dabei des öffentlichen, von Gott eingesetzten Predigtamts
unterfangen, da unter den Christen desselben sich niemand unterfangen darf ohne
ordentlichen Beruf, wohl aber, dass sie nach ihrem allgemeinen Christenberuf
und besonders in ihrem besonderen Lebensberuf solches ihr Prophetentum
ausrichten.
Eben darum ermahnt der Apostel: „Lasst
das Wort Christi unter euch reichlich wohnen in aller Weisheit. Lehrt und
ermahnt euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen
Liedern und singt dem HERRN in eurem Herzen.“ Gemäß dieser Ermahnung sollen
die Christen viel und auf mancherlei Weise mit dem Wort umgehen.
Vor allem soll es im öffentlichen
Gottesdienst reichlich und in aller Weisheit wohnen sowohl durch die
Predigt und durch die Katechismuslehre, als auch durch Lesen, durch Beten,
durch Loben und Danken. Ist es da auch der berufene Diener, welcher predigt und
lehrt, so ist der fleißige Besuch der Predigt und der Christenlehre, das
andächtige Hören und willige Lernen gleichfalls ein Bekennen und Verkündigen.
Und hören wir denn nur zu im öffentlichen Gottesdienst? Ertönen nicht aus aller
Versammelten Mund Psalmen und Lobgesänge und geistliche liebliche Lieder? Ist
nicht gerade unsere lutherische Kirche an denselben so reich und die Weise
ihres Gottesdienstes durch das Singen derselben seitens der Gemeinde und das
wechselseitige Singen zwischen dem Liturgen und der Gemeinde beim Beten, Loben
und Danken, beim Grüßen und Segnen so lieblich und erwecklich? O, wie vergessen
die ihr geistliches Priestertum, welche im Kirchenbesuch so lässig und säumig
sind, und um wie viel Segen bringen sie sich!
Dass aber der Apostel nicht bloß den
öffentlichen Gottesdienst, sondern auch den täglichen Hausgottesdienst
im Auge hat, ja diesen ganz besonders, das geben seine Worte klar und deutlich.
Es soll das Wort Christi unter ihnen wohnen, ja, reichlich wohnen, also
nicht bloß in der Kirche und Schule, sondern auch in den Häusern und Familien,
wie das ja schon im Alten Testament der HERR wiederholt den Hausvätern
eingeschärft hat. Da ist der Hausvater der Hauspriester, dem die Hausmutter
helfend zur Seite steht. Da soll der Hausvater täglich nach seiner Bibel
greifen und den Seinen einen Abschnitt vorlesen, auch, so gut er’s vermag, den
Inhalt ihnen ans Herz legen; da soll er aus dem Katechismus Hauptstück um
Hauptstück Kindern und Mitarbeitern „einfältig vorhalten“, wie die
ausdrückliche Anweisung Luthers lautet. Da soll er täglich auch mit ihnen beten
und womöglich auch etwas singen.
Wie steht es demnach mit diesem Stück des
prophetischen Tuns unter uns? Wie viel oder wie wenig Häuser gibt es unter uns,
in welchen ein regelmäßiger Hausgottesdienst eingeführt ist? Ach, am Ende gibt
es wohl noch so manches Haus, in welchem zwar schmucke, kostspielige Möbel und
Hausgeräte nicht fehlen, wohl aber eine Bibel, und so es nach dem Spruch geht:
Wo
keine Bibel ist im Haus,
Da
sieht’s gar öd und traurig aus;
Da
kehrt der böse Feind gern ein,
Da
kann der liebe Gott nicht sein.
Ach,
um eurer und eurer Kinder Seligkeit, um eures Hauses Wohlfahrt, um des
Gedeihens dieser Gemeinde willen bitte ich euch: Unterlasst nicht den
Hausgottesdienst und nehmt euch dazu die Zeit, komme sie, woher sie wolle.
Und nicht nur durch den täglichen
Hausgottesdienst, auch im sonstigen brüderlichen Verkehr der Christen
untereinander, in ihren Gesprächen, bei ihren gegenseitigen Besuchen soll
Christi Wort unter den Christen wohnen und es nach dieser apostolischen
Ermahnung gehen.
Von welchen herrlichen Folgen für
unser Leben, für unsere Häuser, für die Kirche und Gemeinde wird solches
prophetisches Tun sein! Denn da wird die Ermahnung immer besser verstanden und
geübt, mit der der Apostel schließt: „Und alles, was ihr tut mit Worten oder
mit Werken, das tut alles in dem Namen des HERRN Jesus und dankt Gott und dem
Vater durch ihn.“
Helfe uns denn der HERR durch seinen
Heiligen Geist die Herrlichkeit immer besser erkennen, die wir durch den
Glauben an den Namen seines eingeborenen Sohnes, unseres Mittlers, haben, damit
wir in unserer priesterlichen Würde, in königlicher Art und prophetischem Tun
immer mehr einhergehen – seinem Namen zur Ehre und uns und der Welt zum Heil.
Amen.
Gebet:
Barmherziger, ewiger Gott und Vater, wir danken dir von Herzen, dass du uns
arme, verlorene Sünder durch das Blut deines Sohnes gereinigt und zu neuen
Menschen und Erben des ewigen Lebens gemacht hast; und bitten dich, regiere uns
durch deinen Heiligen Geist, dass wir die Werke des alten, verderbten Menschen
ablegen und dagegen den neuen Menschen, der nach deinem Bild geschaffen ist,
mit seinen guten Werken anziehen und so im heiligen, unsträflichen Leben mit
gutem, fröhlichem Gewissen hier zeitlich vor dir wandeln und endlich auch dort
ewig selig werden durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn, unseren HERRN.
Amen.
Lied:
Nun bitten wir den Heiligen Geist
Lied:
Herr Zebaoth, den heilges Wort
Gnade, Barmherzigkeit und Friede von Gott,
dem Vater und dem HERRN Jesus Christus, dem Sohn des Vaters, in der Wahrheit
und in der Liebe, sei mit euch allen. Amen.
2.
Petrus 1,16-21: Denn wir sind nicht den klugen Fabeln gefolgt, da wir euch
kundgetan haben die Kraft und Zukunft unsers HERRN Jesus Christus, sondern wir
haben seine Herrlichkeit selber gesehen, da er empfing von Gott dem Vater Ehre
und Preis durch eine Stimme, die zu ihm geschah von der großen Herrlichkeit
dermaßen: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese
Stimme haben wir gehört vom Himmel gebracht, da wir mit ihm waren auf dem
heiligen Berg. Wir haben ein festes prophetisches Wort, und ihr tut wohl, dass
ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint in einem dunkeln Ort, bis
der Tag anbreche, und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen. Und das sollt
ihr für das erste wissen, dass keine Weissagung in der Schrift geschieht aus
eigener Auslegung; denn es ist noch nie keine Weissagung aus menschlichem
Willen hervorgebracht; sondern die heiligen Menschen Gottes haben geredet,
getrieben von dem Heiligen Geist.
Eine seltene Epistel, meine Geliebten, denn
selten hat ein Kirchenjahr sechs Epiphaniassonntage.[35] Und
welch einen passenden Schluss der Epiphaniaszeit bildet sie! Der Grundton
dieser Zeit ist ja doch: „Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir
sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater
voller Gnade und Wahrheit.“ Und hier, in dieser Epistel, wird hingewiesen auf
die höchste Offenbarung der Herrlichkeit Jesu während seines Erdenwandels und
auf das Wort, in welchem auch wir diese Herrlichkeit als in einem Spiegel
schauen und das uns der helle Stern ist, der uns zu Christus leitet.
Doch, Geliebte, lasst mich auch auf den Zusammenhang
aufmerksam machen, in welchem diese Epistel mit den vorausgehenden Worten
steht. Da schreibt nämlich der Apostel in den beiden vorhergehenden Versen: „Denn
ich weiß, dass ich meine Hütte bald ablegen muss, wie mir denn auch unser HERR
Jesus Christus eröffnet hat. Ich will aber Fleiß tun, dass ihr allenthalben
habt nach meinem Abschied solches im Gedächtnis zu halten.“ Demnach ist
dieser zweite Brief des Petrus der Abschieds-, der Sterbebrief des greisen, dem
nahen Märtyrertod entgegengehenden Apostels und hören wir, dass der Zweck
dieses Briefes ist, den Christen eine Erinnerung zum Vermächtnis zu
hinterlassen, dass sie die von dem Apostel ihnen gepredigte Wahrheit „im
Gedächtnis“ halten. Da nun aber gerade der hier vorliegende Abschnitt der Kern
und Stern dieses ganzen zweiten Briefes ist, so lasst uns unseren Text als
Das wichtige Vermächtnis des Petrus an die Christenheit
auffassen
und deshalb reden
1.
Von dem Inhalt
und der Wichtigkeit und
2.
Von dem Gebrauch
dieses Vermächtnisses
Heiliger Vater, heilige uns in deiner
Wahrheit, denn dein Wort ist die Wahrheit. Amen.
1.
Bekanntlich behauptet jeder Papst, er sei
der Stuhlerbe des Petrus, und zwar nunmehr der unfehlbare Stuhlerbe. Man beruft
sich hierbei auf die Worte des HERRN: „Du bist Petrus und auf diesen Felsen
will ich bauen meine Gemeinde, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht
überwältigen. Und ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben. Was du auf
Erden binden wirst, soll auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden
lösen wirst, soll auch im Himmel los sein.“ Durch diese Worte soll Petrus vom
HERRN zum Apostelfürsten gemacht, als sichtbares Haupt der Kirche, als der
Statthalter Christi auf Erden eingesetzt worden und so Petrus der erste Papst
gewesen sein. Wäre das nun wirklich durch diesen Ausspruch des HERRN geschehen,
so hätte Petrus gerade in seinem Sterbebrief von dieser Anordnung handeln und
darum auch eine Bestimmung betreffs seines Nachfolgers auf dem päpstlichen
Stuhl treffen müssen. Das wäre doch fürwahr der wichtigste Punkt seines
Vermächtnisses gewesen. Aber es findet sich davon keine Spur, weder in unserem
Text, noch im ganzen Brief. Wohl hat er in seinem ersten Brief von dem
öffentlichen Predigtamt gesprochen. Aber was? Das gerade Gegenteil von der
angemaßten Herrschaft des Papstes, denn er hat geschrieben: „Die Ältesten (die
Pastoren) ermahne ich als der Mitälteste (also nicht als der
Oberälteste, geschweige denn als der Apostelfürst, als der Statthalter Christi)
und Zeuge der Leiden, die in Christus sind, und teilhaftig der Herrlichkeit,
die offenbart werden soll: Weidet die Herde Christi, so euch befohlen ist, und
seht wohl zu, nicht gezwungen, sondern willig; nicht um schändlichen Gewinns
willen, sondern von Herzensgrund; nicht als die über das Volk herrschen,
sondern werdet Vorbilder der Herde.“
Das Vermächtnis des Petrus besteht in etwas
ganz anderem, besteht vielmehr im Gegenteil. Er hat hier nämlich folgende zwei
wichtige Wahrheitern der Christenheit als Vermächtnis hinterlassen: 1. dass
Jesus Christus sei der Sohn Gottes, der einige Mittler und Grundfels des Heils,
und 2. dass die Heilige Schrift sei das unfehlbare Wort Gottes, die
einige Quelle der Wahrheit und Offenbarung, die einige Regel und Richtschnur
des Glaubens. Lasst uns das sehen.
Die Christenheit ermahnt der Apostel, nach
seinem „Abschied“ erstlich folgendes im Gedächtnis zu halten: „Denn wir sind
nicht den klugen Fabeln gefolgt, da wir euch kundgetan haben die Kraft und
Zukunft unsers HERRN Jesus Christus, sondern wir haben seine Herrlichkeit
selber gesehen, da er empfing von Gott dem Vater Ehre und Preis durch eine
Stimme, die zu ihm geschah von der großen Herrlichkeit dermaßen: Dies ist mein
lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört
vom Himmel gebracht, da wir mit ihm waren auf dem heiligen Berg.“ Als die
Apostel „die Kraft und Zukunft unseres HERRN Jesus Christus, das ist seine
Zukunft ins Fleisch oder das Geheimnis der Offenbarung Gottes im Fleisch der
Welt verkündigten, da waren es keine klugen oder sinnreichen Fabeln, wie sie
die Vernunft und Phantasie des natürlichen Menschen zu erdichten und zu
schmücken weiß. Der Apostel hat hierbei jene Fabeln oder Sagen und
Überlieferungen im Auge, deren die ganze Mythologie oder Götterlehre der Heiden
voll war, und da auch Juden und ihnen nach vorwitzige Christen sich solchen
Träumereien ergaben, wenn sie z.B. außer der Schrift allerlei von Ordnungen,
Kräften und Herrlichkeit der Engel und dem Zustand der bösen Geister zu wissen
vorgaben. Nein, es sind lauter geschichtliche Tatsachen, welche die Apostel
predigten und auf die sie den Glauben gründeten, und Tatsachen sind eben
Tatsachen. Dazu aber kommt, dass sie diese Tatsachen nicht vom Hörensagen oder
aus dem Mund glaubwürdiger Zeugen hatten, sondern sie selbst waren Augen-
und Ohrenzeugen alles des, was sie von der Kraft und Zukunft unseres
HERRN Jesus Christus kundgetan haben. Als solche haben sie denn nicht bloß die
Strahlen seiner Herrlichkeit gesehen, da er vor ihnen und dem Volk allerlei
Wunder und Zeichen tat, sondern seine „Herrlichkeit selber“, da er, wie das
heutige Evangelium meldet, vor ihnen auf dem Berg Tabor nach seiner Menschheit
verklärt wurde, und nicht nur sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, sondern
auch „da er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme,
die zu ihm geschah von der großen Herrlichkeit dermaßen: Dies ist mein lieber
Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ In Bezug aber auf diese göttliche
Erklärung vom Himmel setzt Petrus, der mit Johannes und Jakobus Zeuge der
Verklärung gewesen war, nachdrücklich hinzu: „Und die Stimme haben wir
gehört vom Himmel gebracht, da wir mit ihm waren auf dem heiligen Berg.“
Bedenken wir nun, dass damals auf dem heilige Berg zugleich Mose und Elia vor
den Augen der Jünger erschienen und vor ihren Ohren mit dem verklärten
Menschensohn „redeten von dem Ausgang, welchen er erfüllten sollte zu
Jerusalem“, also von seinem versöhnenden Kreuzestod, so erblicken wir hier die
Verklärung Jesu nicht bloß nach seiner Person, als des eingeborenen Sohnes vom
Vater voller Gnade und Wahrheit, sondern auch nach seinem Mittleramt.
Wenn nun die göttliche Stimme vom Himmel lautet: „Dies ist mein lieber Sohn,
an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören“, so gibt der Vater
seinem eingeborenen Sohn zugleich das glaubwürdigste Zeugnis, dass er durch ihn
allen denen versöhnt sein wolle, die ihn hören, d.i., die an ihn als ihren
einigen Heiland glauben würden, und wiederholt über ihn damit nur in
feierlichster und erhabenster Weise die Worte, die er einst durch den Mund
Jesajas Kap. 42 von dem zukünftigen Heiland ausrief: „Siehe, das ist mein
Knecht, ich erhalte ihn, und mein Auserwählter, an welchem meine Seele
Wohlgefallen hat.“
Ja, meine Lieben, dass Jesus Christus
ist der eingeborene Sohn Gottes, der in das Fleisch zu unserer Erlösung
gekommen ist und darum der einige Mittler und Grundfels, auf dem unser ganzes
Heil ruht und daher auch seine ganze Gemeinde unüberwindlich gegründet ist
– diese Wahrheit, diesen Kern und Stern des ganzen Evangeliums predigt Wort und
Werk der Verklärung auf dem heiligen Berg, und wenn Petrus als Augen- und
Ohrenzeuge derselben angesichts seines nahe bevorstehenden Abschieds an diese
Begebenheit und an die vornehmlich auch durch sie offenbarte und von ihm
kundgetane Wahrheit die Gläubigen erinnert, so haben wir hier ja ein wichtiges
Vermächtnis des Petrus an die Christenheit.
Das ist aber nur der eine Teil des
Vermächtnisses. Der andere folgt mit diesen Worten: „Wir haben ein festes
prophetisches Wort, und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht,
das da scheint in einem dunkeln Ort, bis der Tag anbreche, und der Morgenstern
aufgehe in euren Herzen. Und das sollt ihr für das erste wissen, dass keine
Weissagung in der Schrift geschieht aus eigener Auslegung; denn es ist noch nie
keine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht; sondern die heiligen
Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen Geist.“ Dass der
Apostel unter dem prophetischen Wort die Schrift Alten Testaments meint,
und dass er sie so nennt um ihres Hauptinhalts willen, welches sind die vielen
Verheißungen und Weissagungen von Christus vom dritten Kapitel des 1. Buches
Moses an bis zu dem letzten Kapitel der Weissagung Maleachis, das, Geliebte,
brauche ich haute ja wohl nur anzudeuten und zu erinnern. Zum Verständnis der
Bedeutung und des Inhalts dieses wichtigen anderen Teils des apostolischen
Vermächtnisses aber will ich eine Doppelfrage beantworten.
Zunächst: In welchem Zusammenhang steht
dieser Teil mit dem vorausgehenden? Der Apostel will offenbar dieses sagen:
Nebst und mit dieser auf dem heiligen Berg geschehenen und von uns drei
Aposteln als Augen- und Ohrenzeugen den Christen kundgetanen Offenbarung der
Herrlichkeit Jesu als des einigen Gottessohnes und Mittlers haben wir, nämlich
wir mit euch, wir Christen aller Zeiten und aller Orten, das in den Schriften
des Alten Testaments aufbewahrte prophetische Wort und dies ist ein festes Wort.
Hieran aber reiht sich als andere Frage
die: Warum nennt der Apostel das prophetische Wort, die Schriften des Alten
Testaments, ein festes Wort? Ist nicht das Zeugnis der Apostel von
jener auf dem Berg geschehenen höchsten und herrlichsten Offenbarung der
Herrlichkeit Jesu nach Person und Amt auch ein festes Wort? Gewiss! Aber der
Apostel meint, und auch der Wortlaut selbst gibt es, dass das schriftlich
vorhandene prophetische Wort vergleichsweise doch ein noch festeres Wort ist.
Ich sage vergleichsweise. Wie im
Alten, so war auch im Neuen Testament Gottes Wort erst mündlich vorhanden und
wurde dann von Mund zu Mund fortgesetzt. Wiewohl nun Gottes Wort an sich selbst
die gewisse, feste, unwandelbare, seligmachende Wahrheit ist und bleibt, man
habe es mündlich oder schriftlich, da „die heiligen Menschen Gottes haben
geredet, getrieben von dem Heiligen Geist“, so ist doch in Absicht auf uns
Menschen das schriftliche Gotteswort ein festeres Wort als das mündliche.
Wie unzuverlässig ist doch das Gedächtnis des gefallenen Menschen geworden! Wie
nimmt im Allgemeinen die Kraft desselben ab, je älter die Menschheit wird und
das einzelne Glied derselben altert! Wie leicht vergisst man dies oder das oder
gar die Hauptsache von dem, was man gehört oder gesehen hat. Wie viel Irrung im
Verstehen und im Auffassen der Worte eines anderen gibt sich dabei auch so oft
kund! Und wenn nun das alles von Mund zu Mund erst fortgepflanzt wird, zu
welcher Entstellung der ursprünglichen Rede oder Sache kommt es zuletzt! So nun
schon von menschlichen Worten und Dingen; nun aber erst von göttlichen
Worten und göttlichen Sachen, da der natürliche Mensch nichts vom Geist
Gottes vernimmt und daher hier geistlich muss gereichtet sein.
Weil denn in Absicht auf uns Menschen das
schriftliche Wort fester und sicherer ist als das mündliche Wort, an Gottes
Wort aber Gottes Ehre und der Menschen Seligkeit hängt, so hat es auch Gott
nicht bei der mündlichen Offenbarung gelassen, sondern er sorgte dafür, dass
sein Wort auch aufgezeichnet wurde. Weil man nun aber Christi und der Apostel
Lehre erst anfing aufzuschreiben, als sie noch nicht ganz zwanzig Jahre
mündlich und ohne Schrift gepredigt worden; weil also damals noch der
Christenheit nur die Schriften des Alten Testaments gemein waren, seht, so
nennt vergleichsweise der Apostel das prophetische Wort ein noch festeres
Wort als z.B. selbst die Stimme, welche die drei Apostel auf dem
Heiligen Berg gehört hatten, und so lange dieselbe nicht gleichermaßen auch in
Schrift verfasst war, wie denn solches von den Evangelisten Matthäus, Markus
und Lukas geschehen ist, und zu denen nun bestätigend Petrus in unserer Epistel
kommt. Wie sehr aber damals dem Apostel am Herzen lag, das auch schriftlich
zu hinterlassen, was er mündlich gelehrt hatte, des sind ein deutlicher
Beweis seine beiden Briefe überhaupt und die unserer Epistel unmittelbar
vorhergehenden und bereits angeführten Worte, den nach denselben hat er
deswegen Fleiß getan, jene himmlische Stimme und was er überhaupt gelehrt hat,
aufzuschreiben, damit die Christen seine Lehre und Verkündigung nach seinem
Abschied desto mehr „im Gedächtnis zu halten“ vermöchten. So entstanden
denn auch nach und nach die Schriften des Neuen Testaments, so kam zu dem
schriftlichen prophetischen Wort das schriftliche apostolische
Wort und so hieß es denn nicht gegenüber den klugen Fabeln der Juden und
Heiden, sondern auch im Vergleich zu dem erst mündlich vorhandenen Wort des
Evangeliums erst recht: Wir haben ein festes prophetisches und apostolisches
Wort! Und das umso mehr, weil das prophetische Wort das Fundament des
apostolischen Worts und das apostolische Wort die Erfüllung des prophetischen
Worts ist.
Nun, meine Lieben, wenn angesichts seines
bevorstehenden Abschieds der greise Apostel so an das geschriebene Wort weist;
wenn er ernstlich ermahnt, auf dieses und auf sonst nichts zu achten; wenn er
versichert, dass die Christen auf dieses Wort in allen seinen Teilen und in
allen seinen Ausdrücken sich verlassen könnten, da „keine Weissagung aus
menschlichem Willen“, durch keinen menschliche Entschluss und durch
menschliches Nachdenken „hervorgebracht“ oder entstanden sei, sondern
dass „die heiligen Menschen Gottes haben geredet, getrieben von dem Heiligen
Geist“: So greift man ja mit Händen, was der andere Teil seines
Vermächtnisses an die Christenheit sein soll. Es ist dies die Wahrheit, dass
die Heilige Schrift ist das unfehlbare Wort Gottes, die einige Quelle der
Wahrheit und Offenbarung, die einige Regel und Richtschnur des Glaubens.
Diese zweifache Wahrheit also, die Wahrheit
in Bezug auf die Person und das Amt Christi und die Wahrheit in
Bezug auf das göttliche Ansehen und den göttlichen Ursprung der Heiligen
Schrift ist des Petrus Vermächtnis an die Christenheit. Nun wäre ja freilich
jetzt viel von der Wichtigkeit dieses Vermächtnisses zu sagen. Ich will
mich aber nur auf die Hauptsache beschränken, zumal da seine Wichtigkeit bei
der Erörterung seines Gebrauchs uns ohnehin wieder mit vor Augen treten wird.
Seht, Geliebte, die zwei Wahrheiten, die
hier der Apostel in gedrängter Kürze der Christenheit als schriftliches
Vermächtnis hinterlässt, sind eigentlich die beiden Grundwahrheiten, auf denen
die ganze christliche Religion beruht und mit denen es unser christlicher
Glaube zu tun hat. Die eine Wahrheit, dass Jesus Christus ist der Sohn Gottes,
der einige Mittler und Grundfels des Heils, zeigt den Erwerber unseres
ganzen Heils, und in ihm den Gegenstand des Glaubens, und die andere
Wahrheit, dass die Heilige Schrift ist das unfehlbare Wort Gottes, die einige
Quelle der Wahrheit und Offenbarung, die einige Regel und Richtschnur des
Glaubens, zeigt uns das Mittel unseres Heils und das Fundament unseres
Glaubens. Wenn nun der Apostel in diesem seinem Sterbebrief die Christen warnt
vor zweierlei Irrgeistern, die sich damals regten, nach des Apostels Abschied
und nach dem Heimgang der Apostel überhaupt aber immer kühner auftraten, vor
den antitrinitarischen und epikurischen Irrgeistern; und wenn er nun in unserem
Text bemüht ist, ein kurzes christliches Zeugnis jener beiden Grundwahrheiten
zu hinterlassen, so ist der Christenheit ja in diesem Vermächtnis das probate
Bewahrungsmittel gegen alle Verführung zur rechten und zur linken Hand
hinterlassen. Wer diese beiden Grundwahrheiten mit Herz und Mund festhält, der
ist verwahrt gegen alles Papsttum und gegen allen Unglauben, gegen alle
Gleißnerei und Werkerei und gegen allen Mammons- und Fleischesdienst.
Und nun noch dieses in Betreff auf die
Wichtigkeit dieses Vermächtnisses. Weil im Lauf der Zeit die Christenheit
dieses Vermächtnis je länger je mehr vergaß, so kam es endlich zu dem großen
tausendjährigen Abfall durch das antichristliche Papsttum. Und wodurch kam es
im 16. Jahrhundert zur Reformation? Dadurch, dass Luther zu diesem Vermächtnis
zurückkehrte und zurückführte; denn darin besteht das von Luther
wiedergebrachte ewige Evangelium, dass Christus ist der einige Sohn Gottes, der
einige Mittler und Grundfels unseres Heils, der den Sünder gerecht macht allein
aus seiner Gnade und allein durch den Glauben, und dass die Heilige Schrift
allein ist die Quelle der seligmachenden Wahrheit, die einzige Regel und
Richtschnur des Glaubens. Seht da zugleich, wie des Petrus Vermächtnis unserer
evangelisch-lutherischen Kirche zur Beglaubigung dient, dass sie sei die
Fortsetzung der apostolischen Kirche, die wahre sichtbare Kirche!
2.
Reden wir nun noch von dem Gebrauch
dieses wichtigen Vermächtnisses. Davon jedoch zur Unterweisung und zur Reizung
nur das Wichtigste.
Vor allen Dingen lasst uns Gott auf unseren
Knien danken, dass wir im vollen Besitz dieses Vermächtnisses uns befinden,
indem wir Glieder einer Kirche sind, welche sich als die Erbin und Bewahrerin
desselben erweist. In dieser Kirche sind wir größtenteils geboren und erzogen,
in ihr von Jugend auf zu Christus als unserem einigen Mittler hingeführt und
von Kindheit auf mit der Heiligen Schrift und durch sie mit dem Weg zur
Seligkeit bekannt geworden. Ach, wie viele, die keine Spötter sind, achten
dieses Erbe so gering. Ja, wenn es in Geld und liegenden Gütern bestünde!
Sodann lasst uns mit unserer Kirche über
diesem Erbe halten gegen alle Verführung dieser letzten Zeit. Gegenüber der
wachsenden Macht des Papsttums und seiner Gleißnerei, mit der es mehr und mehr
auch die Augen der Großen dieser Welt blendet, lasst uns mit Luther halten über
dem Bekenntnis, das ja einst schon Petrus mündlich tat und das er hier schriftlich
den Gläubigen hinterließ, nämlich, dass Christus ist der Sohn Gottes und einige
Mittler, und dass die Heilige Schrift ist die einzige Regel und Richtschnur des
Glaubens. Gegenüber aber der so überhandnehmenden und zum baren Unglauben
führenden Vernunftweisheit lasst uns festhalten, dass die Heilige Schrift von
Anfang bis zum Ende, vom ersten bis zum letzten Buch, die Schrift Alten
Testaments wie die Schrift Neuen Testaments, von Gott eingegeben ist und zwar
nicht bloß dem Inhalt, sondern auch den Worten nach, so dass sie
frei von jedem Irrtum, jedes Wort aber Geist und Leben ist. Wir haben keinen
unfehlbaren Papst, wir haben aber ein unfehlbares Wort, und das zu
verstehen bedarf es keiner menschlichen Kunst, denn die Schrift ist klar und
deutlich, sie legt sich selbst aus und hat jeder gläubige Christ den Heiligen
Geist als den rechten Ausleger der Schrift und in dem Artikel von der
Rechtfertigung den rechten Schlüssel zum Verständnis der Schrift.
Vor allen Dingen aber lasst uns das Wort
des Apostels beherzigen und üben, da er von dem festen prophetischen Wort sagt:
„Und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet, als auf ein Licht, das da scheint
in einem dunklen Ort.“ Mögen wir doch über menschlichen Büchern, auch über
christlichen guten Büchern, nicht die Bibel liegen lassen! Möge in keinem Haus
die Bibel fehlen und in keinem Haus sie unbenutzt im Winkel liegen! Wehe, wen
wir uns um sie nichts kümmerten! Da wir in einer Zeit leben, in welcher man so
leicht zum Besitz der Heiligen Schrift gelangen kann und einer Kirche
angehören, die ihren Gliedern das Lesen der Bibel nicht nur nicht verbietet,
sondern vielmehr dieselben zum Bibellesen anhält, so würde uns ob dem
liederlichen Versäumnis der Schrift doppelte Strafe treffen. Lasst uns daher in
der Schrift täglich lesen. Lasst uns sie lesen wie die Beroenser, die in ihr
forschten. Lasst uns Christus in ihr suchen, denn er ist Kern und Stern der
Schrift. Lasst uns mit Gebet um Erleuchtung durch den Heilige Geist in der
Schrift lesen und forschen und mit dem Verlangen, selig zu werden.
Wohl uns dann. Es wird laut unseres Textes
der „Tag“ der Erleuchtung unseres finsteren Herzens anbrechen und wird durch
den Glauben Christus, der helle „Morgenstern“, in unserem Herzen aufgehen. Wir
werden die hohen Gaben verstehen, „die Gottes Geist denen gewiss verheißt, die
Hoffnung darin haben“ und Gottes Wort wird unseres Fußes Leuchte und ein Licht
auf unserem Weg durch das dunkle Jammertal sein, dass wir trotz aller
Verführung zu falscher Lehre und bösem Leben das Ziel und Ende unseres Glaubens
erreichen, welches da ist der Seelen Seligkeit.
Der HERR; der uns in dieser letzten
schrecklichen Zeit mit reiner Lehre und Erkenntnis nach seiner Gnade so
reichlich heimgesucht hat, verleihe, dass wir ob dem Vermächtnis des Petrus
allezeit halten, damit wir nicht auch fallen von des Glaubens Trost und
von des rechten Glaubens Grund. Das helfe er uns durch seinen Heiligen
Geist um Christus, seines Sohnes und unseres Mittlers willen. Amen.
Gebet:
Allmächtiger, ewiger Gott, wir danken dir von Herzen, dass du uns dein heiliges
Wort als ein helles Licht in der Dunkelheit dieses Lebens geschenkt hast; und
bitten dich demütig: Verleihe uns deinen Heiligen Geist, dass wir auf dasselbe
treu achten, ihm fest trauen und uns von ihm zu Christus hinweisen lassen,
damit also derselbe dein lieber Sohn selbst mit seiner herrlichen Gnade in uns
aufgehe und als das wahrhaftige Licht uns stetig vorleuchte, bis einst die
Nacht vergangen und der volle Tag erschienen ist – durch denselben Jesus
Christus, unseren HERRN. Amen.
Lied:
Durch Adams Fall ist ganz verderbt. Str. 8 u. 9
Lied:
Rüstet euch, ihr Christenleute
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem
Vater und unserem HERRN Jesus Christus. Amen.
1. Korinther
9,24-10,5: Wisst ihr nicht, dass die, so in den Schranken laufen, die laufen
alle, aber einer erlangt das Kleinod? Lauft nun so, dass ihr es ergreift! Ein
jeglicher aber, der da kämpft, enthält sich alles Dinges: jene also, dass sie
eine vergängliche Krone empfangen, wir aber eine unvergängliche. Ich laufe aber
so, nicht als aufs Ungewisse; ich fechte so, nicht als, der in die Luft
streicht, sondern ich betäube meinen Leib und zähme ihn, dass ich nicht den
andern predige und selbst verwerflich werde. Ich will euch aber, liebe Brüder,
nicht vorenthalten, dass unsere Väter sind alle unter der Wolke gewesen und
sind alle durchs Meer gegangen und sind alle unter Mose getauft mit der Wolke
und mit dem Meer; und haben alle einerlei geistliche Speise gegessen und haben
alle einerlei geistlichen Trank getrunken; sie tranken aber von dem geistlichen
Fels, der mitfolgte, welcher war Christus. Aber an ihrer vielen hatte Gott kein
Wohlgefallen; denn sie sind niedergeschlagen in der Wüste.
Geliebte in dem HERRN! Wenn der Apostel die
Korinther fragt: „Wisst ihr nicht, dass die, so in den Schranken laufen, die
laufen alle, aber einer erhält das Kleinod?“ – so erinnert er sie an eine
gerade ihnen sehr wohl bekannte damalige Volkssitte. Das waren die sogenannten
isthmischen Spiele. Alle vier Jahre versammelten sich die alten Griechen auf
dem Isthmus oder der Landenge von Korinth zu Wettspielen, welche teils zu Ehren
ihrer Götter, teils zur Erprobung und Erweisung der körperlichen Kraft und Gewandtheit
ihrer Jünglinge und Männer veranstaltet wurden. Von nah und fern strömten da
die Griechen zusammen, und was ein jeder der Teilnehmer am Spiel vermochte, das
trug er hier zur Schau – der Läufer die Behändigkeit seiner Füße, der Starke
die Kraft und Gelenkigkeit seiner Glieder. Jeder aber rang dabei um den Preis,
welchen dazu bestellte Richter demjenigen zuerkannten, der es im Wettlauf oder
Wettkampf allen anderen zuvortat. Und dieser Siegespreis? O, er bestand nicht
in schnödem Geldgewinn, nicht wie bei dem Pferderennen oder Preis-Ballspielen
der heutigen Welt in Hunderten oder Tausenden von Dollars – nein, er bestand
nur in einem aus den Reisern des Öl- oder Lorbeerbaumes geflochtenen Kranz,
welcher dem Sieger oder Gewinner angesichts und unter dem Jubel des
versammelten Volkes als Ehrenkrone auf das Haupt gesetzt wurde, und in der
damit verbundenen Ehre, dass der Name des Gewinners in die Gedenkbücher
eingetragen und weit und breit ausgerufen wurde.
Warum nun der Apostel an diese griechischen
Volksspiele die Christen zu Korinth erinnert, zeigen alsbald seine Worte: „Lauft
nun so, dass ihr es ergreift! Ein jeglicher aber, der da kämpft, enthält sich
alles Dinges: jene also, dass sie eine vergängliche Krone empfangen, wir aber
eine unvergängliche.“
Meine Lieben! Diese und die übrigen Worte
unserer Epistel sind eine überaus eindringliche Mahnung zu einem rechten und
bis ans Ende ausdauernden Ernst in der Heiligung. Weil nun aber der Apostel
diesen Eifer besonders darstellt als ein Ringen nach einer unvergänglichen
Krone, die unser am Ziel unseres Christenlaufes und Christenkampfes wartet, so
spreche ich heute zu euch
Vom Ringen nach der unvergänglichen Krone
Wir betrachten hierbei
1.
Die
unvergängliche Krone, nach der wir ringen sollen, und
2.
Die
Notwendigkeit und Beschaffenheit des Ringens nach derselben
HERR Jesus, du willst allen, die deine
Erscheinung lieb haben und treu bleiben bis in den Tod, nach diesem Leben aus
Gnaden eine unvergängliche Krone geben, die Krone der Gerechtigkeit, der Ehren
und des Lebens. Hilf, dass unser Keiner dieselbe verachte, versäume und
verscherze. Gib sie uns darum in dieser Stunde recht zu erkennen und stärke uns
durch dein Wort und Geist, dass wir unverwandt nach derselben blicken und
unablässig nach derselben ringen. HERR Jesus, du Anfänger und Vollender des
Glaubens, erbarme dich über uns alle um deines Verdienstes willen. Amen.
1.
Eine vergängliche Krone war’s, um
welche einst bei den griechischen Wettspielen jene Wettläufer und Wettkämpfer
rangen. Wie bald war daher nicht nur der grüne Kranz, mit dem man ihr Haupt
schmückte, verwelkt, sondern auch die Ehre, die mit demselben verbunden war.
Und ob es auch eine goldene Königskrone gewesen wäre! Man trägt sie höchstens
doch nur für dies arme Leben und wie drückt sie oft das Haupt! Wie mancher Hohe
und Mächtige der Erde hat seine Krone jedoch schon bei Lebzeiten verloren. Die
Krone, welche am Ziel des Christenlaufs du Christenkampfes winkt ist eine unvergängliche
Krone. Sie bleibt ewig frisch und schön, übertrifft dabei an Pracht und
Herrlichkeit weit, weit alle Königskronen, und wem sie einmal vom HERRN
gereicht ist, der hat sie für immer und ewig.
Von dieser unvergänglichen Krone redet auch
anderswo die Schrift. So schreibt z.B. derselbe Apostel an Timotheus in
seiner 2. Epistel, Kap. 4,7 u. 8: „Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich
habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten; hinfort ist mir beigelegt
die Krone der Gerechtigkeit, welche mir der HERR, der gerechte Richter,
an jenem Tag geben wird, nicht mir aber allein, sondern allen, die seine
Erscheinung lieb haben.“ Hier nennt der Apostel diese unvergängliche Krone eine
Krone „der Gerechtigkeit“, teils, weil Christus, der HERR, unser
Gerechtigkeit mit seinem Gehorsam, Leiden und Sterben uns erworben hat, teils
weil er denen, die Glauben halten bis ans Ende, dieselbe gnädig verheißen hat
und vermöge der Gerechtigkeit, nach welcher er in seinen Verheißungen beständig
bleibt, nach diesem Leben auch sicher und gewiss gibt. Indem der heilige Petrus
in seinem 1. Brief, Kap. 4, die Ältesten, die Hirten der Gemeinden, zu treuer
Ausrichtung ihres Amtes ermahnt, verheißt er ihnen zur Ermunterung, dass sie
bei der Erscheinung des Erzhirten „die unverwelkliche Krone der Ehren“
empfangen werden und nennt er sie „Krone der Ehren“ teils, weil sie
lauter Ehre und Herrlichkeit in sich begreift, teils, weil sie an Herrlichkeit
alle irdischen Kronen weit übertrifft. In der Epistel des St. Jakobus,
wie in der Offenbarung des St. Johannes heißt sie die „Krone des
Lebens“, teils, weil sie nach diesem Leben im ewigen Leben den Auserwählten
gegeben wird, teils weil sie lauter Leben und immerwährende Glückseligkeit in
sich begreift. In letzterer Beziehung ruft der HERR einem jeden der Seinen zu:
„Sei treu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“
Doch, Geliebte, was haben wir uns unter
diesem bildlichen Ausdruck „unvergängliche Krone“ wohl vorzustellen? O
nichts Geringeres als den Vollbesitz und Vollgenuss der ewigen Seligkeit
und die zukünftige Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden, samt
dem verheißenen besonderen Gnadenlohn. Es ist das ewige Leben mit
einem Wort. Wiewohl es nun von demselben heißt: „Was kein Auge gesehen und kein
Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet
denen, die ihn lieben“; wiewohl wir es hienieden als „durch einen Spiegel in
einem dunklen Wort“ erblicken und Gott von den Dingen des zukünftigen Lebens in
menschlichen Worten, nach menschlichen Vorstellungen und darum meist in Bildern
zu uns reden muss; und obwohl wir hienieden die unvergängliche Krone nur von
ferne sehen: So erblicken wir doch genug und übergenug, um weit über alle
vergänglichen Kronen der Welt die unvergängliche Krone alles Ringens wert zu
erkennen.
Von dem Zustand des ewigen Lebens heißt es
Frage 319 unseres Katechismus[36]: „Es
wird da ewige Seligkeit sein verbunden mit unaussprechlicher Freude, Wonne und
Herrlichkeit.“ Seht da kurz und bündig die unvergängliche Krone aus Gottes
Wort beschrieben.
Die ewige Seligkeit besteht zunächst in der
Freiheit von allem Übel, denn „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren
Augen“, heißt es u.a. Offb. 21, „und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid,
noch Geschrei, noch Schmerzen wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen.“
Frei wird sein die Seele von aller Sünde, von aller Traurigkeit, von
aller Furcht, von allem Schrecken und frei der Leib vom Tod und aller
Beschwer, aller Krankheit, allen Übeln, die im Gefolge des Todes sind, und zwar
so, dass der Verlust der Unsterblichkeit und damit all dieser Freiheit bei den
Auserwählten nunmehr eine Sache der Unmöglichkeit geworden ist, denn es ist die
Seligkeit eine ewige und damit diese Freiheit von allem Übel eine ewige. Die
ewige Seligkeit besteht ferner in der völligen Erneuerung des göttlichen
Ebenbildes. Was für glückliche Leute sind wir hienieden schon durch die
Erstlinge des Geistes, durch den Anfang dieser Erneuerung, da vom Heiligen
Geist unser Verstand zunehmend erleuchtet und mit der Erkenntnis Gottes erfüllt
und unser Wille zunehmend zu allem Guten geneigt und dem Willen Gottes mehr und
mehr gleichförmig gemacht wird! Welches Glück wird daher diese Erneuerung in
ihrer Vollkommenheit sein, in der wir dann zugleich fähig sind,
das Höchste und den Inbegriff der Seligkeit, das Gute der Güter jener Welt, zu
verstehen und zu genießen. Das ist aber das Schauen Gottes, da wir Gott
nicht mehr sehen durch den Spiegel des Worts, sondern „von Angesicht“,
da wir ihn sehen „wie er ist“. Wir sehen ihn in seinem göttlichen Wesen
und in seinen Eigenschaften. Wir schauen aufgedeckt das hohe Geheimnis der
heiligen Dreieinigkeit und in demselben das Geheimnis der Menschwerdung des
Sohnes. Wir schauen den Willen Gottes, den Ratschluss der Erlösung, die ganze
wunderbare Ausführung desselben und in ihm das Geheimnis unserer ewigen
Erwählung zur Seligkeit und die daraus hervorgehende, uns in diesem Leben oft
so seltsam und wunderlich erscheinende und doch so weisheits- und gnadenvolle
Führung unseres Lebens, bei welcher uns alle Dinge zum Besten dienen mussten.
Welch ein unaufhörliches Verwundern, Anbeten, Danken und Loben wird’s da geben,
in welch einem Meer von Seligkeit werden wir uns da befinden! Ist doch dieses
Schauen Gottes eigentlich die innigste Verbindung und Vereinigung zwischen Gott
und den Seligen!
Mit dieser in der Freiheit von allem Übel,
in der völligen Erneuerung zum Ebenbild Gottes und vor allem im Schauen Gottes
selber bestehenden Seligkeit ist denn, wie in jener Katechismusfrage es weiter
heißt, unaussprechliche Freude, Wonne und Herrlichkeit verbunden.
Ach, wie sollte nicht Freude und Wonne uns, die wir aus dem Jammertal auf
einmal in die Seligkeit entrückt sind, ergreifen und uns ganz und gar
durchgehen, wenn wir Gott schauen, vor dem Freude die Fülle und liebliches
Wesen zu seiner Rechten ewig ist! Und diese Freude ist eben so unaussprechlich
wie ununterbrochen und ewig sich gleich. Denken wir zugleich auch daran, dass
wir uns dabei in der Gesellschaft aller heiligen Engel und aller Auserwählten
befinden, so dass es auch hier wohl heißen mag: „Geteilte Freude ist doppelte
Freude.“ Und vergessen wir nicht, dass zu solcher Freude und Wonne auch die Ruhe
kommt, die Ruhe von aller Arbeit und Mühsal, von allem Kampf und Streit dieses
Lebens. Was nun aber die zukünftige Herrlichkeit betrifft, so besteht
diese ja freilich schon in allem, was wir bisher von dem ewigen Leben gehört
haben; dazu aber kommt dann noch vom Jüngsten Tag an die Herrlichkeit unseres
von den Toten auferstandenen oder plötzlich verwandelten Leibes, da derselbe
nicht nur in seiner ursprünglichen Schöne und Vollkommenheit wieder
hergestellt, sondern auch verklärt werden soll nach der Ähnlichkeit des
verklärten Leibes Christi. Und zu dieser Herrlichkeit gehört dann
natürlich unser ewiger Aufenthaltsort, der uns bald als das himmlische
Jerusalem, bald als das Paradies Gottes, bald als der Schoß Abrahams in
bildlicher Rede vor Augen gemalt wird.
Doch ich habe bemerkt, dass zu dieser
unvergänglichen Krone auch der besondere Gnadenlohn gehört. Die Schrift
nämlich offenbart uns an verschiedenen Orten, dass, wiewohl bei allen
Auserwählten die Seligkeit ganz gleich ist, so soll doch die besondere
Herrlichkeit derselben eine mannigfaltige und dabei auch gradweise verschiedene
sein. Dass solche verschiedene Herrlichkeit sich namentlich auch an den
Leibern der Auserwählten zeigen wird, lehrt St. Paulus 1. Kor. 15; und dass es
in solcher besonderen Herrlichkeit Stufen oder Grade gibt und diese sich nach
dem bewiesenen Maß der Treue im Tun und Leiden richten, lehrt u.a. die
Gleichnisrede von den Pfunden und Zentnern, vom Säen mit Tränen und Ernten mit
Freuden, sowie des Apostels Versicherung, dass die Trübsal schaffe eine ewige
und über alle Maßen wichtige Herrlichkeit bei denen, die nicht sehen auf das
Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Um dieses Gnadenlohnes willen, den Gott
aus besonderer Güte zur Reizung und Ermunterung zum Fleiß in der Heiligung uns
verheißen hat, heißt derselbe, samt der ganzen Seligkeit, in der er allein
vorhanden ist, eine „Krone“, und besonders die Krone „der
Gerechtigkeit“ die Krone „der Ehren“, die Krone „des Lebens“.
Seht da die „unvergängliche Krone“,
nach der wir Christen ringen sollen, im Gegensatz zur „vergänglichen Krone“,
nach der einst die Griechen in ihren Nationalspielen rangen und nach welcher
heute noch alle diejenigen ringen, die ihr Teil suchen in diesem Leben, nämlich
im Besitz und Genuss irdischer Güter, irdischer Ehre und irdischer Macht. O,
wie wenig hat man an solch einer vergänglichen Krone gewonnen, wie viel
hingegen an jener unvergänglichen Krone! Wie ist sie unseres eifrigsten und
unablässigsten Ringens doch so wert, zumal, da, wer diese Krone nicht erringt,
ja damit alles, alles verliert und nur die Hölle gewinnt, die in Ewigkeit kein
Gewinn ist, sondern ewiger Verlust heißt.
2.
Warum nun das Ringen nach der
unvergänglichen Krone notwendig ist und wie solches Ringen beschaffen
sein muss, das lasst uns zum anderen sehen.
Dass das Ringen nach der unvergänglichen
Krone notwendig ist, darauf geht ja freilich unser ganzer Text. Das meint der
Hinweis auf die griechischen Wettspiele, auf des Apostels eigenes Beispiel und
auf Israels Wüstenwanderung. Ab er warum ist es notwendig? O, nicht darum, als
ob wir erst durch unser Ringen die Krone uns verdienen müssten. Die
unvergängliche Krone besteht ja, wie wir gehört haben, in dem Vollbesitz und
Vollgenuss des ewigen Lebens, ist die ewige Seligkeit und zukünftige
Herrlichkeit. Das ewige leben aber hat uns Christus verdient und durch Taufe
und Glauben uns bereits geschenkt. „Aus Gnaden seid ihr selig geworden durch
den Glauben“, schreibt Paulus, „und dasselbe nicht aus euch, Gottes Gabe
ist es, nicht aus den Werken, dass sich nicht jemand rühme.“ Und von der
Taufe schreibt er: „Nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir
getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit machte er uns selig durch das
Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, welchen er ausgegossen
hat über uns reichlich durch Jesus Christus, unseren Heiland, damit wir durch
dessen Gnade gerecht und Erbe seien des ewigen Lebens nach der Hoffnung.“
Die Seligkeit ist also ein freies Gnadengeschenk, von Christus uns erworben;
durch den Glauben haben wir bereits das ewige Leben dem Anfang nach. In der
Taufe ist es uns als Erbteil gegeben, weil wir Gottes Kinder geworden sind und
ein Kind ist zum Erben bestimmt nicht, weil es gut oder fromm, sondern weil es
eben Kind ist. Dazu ist auch der Glaube, durch den wir selig werden, Gottes
Gabe und Werk ohne alle unser Zutun und Mitwirken.
Sagt aber, Geliebte, kann man nicht ein
wertvolles Geschenk durch Unachtsamkeit verlieren? Kann man nicht sogar
sich um Kindschaft und Erbe selbst bringen? Gerade aber die Gabe des ewigen
Lebens können wir so leicht wieder verlieren, gerade um die empfangene
Gotteskindschaft und um das verheißene ewige Erbe können wir uns so leicht
bringen. Wir leben ja noch im sündlichen Fleisch, und dieses reizt uns
ohne Unterlass, dass wir im Guten träg und lässig werden, wieder sehen auf das
Sichtbare und nicht auf das Unsichtbare, die Sünde aber wieder in uns herrschen
lassen. Wir leben ja in der Welt, die im Argen liegt, die uns lockt,
dass wir sie wieder lieb gewinnen, die uns droht, dass wir vom Glauben an
Jesus, vom Bekenntnis seines Namens, vom Wandel in ihm lassen. Und in dieser
Welt, durch die unsere Pilgerfahrt nach der ewigen Heimat, nach dem verheißenen
himmlischen Erbe geht, ist Herr und Fürst der Teufel, des Macht groß und
des List viel ist und der uns bei Tag und Nacht innerlich und äußerlich mit
Lügen und Morden keine Ruhe lässt, uns um Kindschaft und Erbe zu betrügen. So
vereinigen sich denn Teufel, Welt und Fleisch, uns bald durch Hingabe an die
Sünde und an die Welt und bald durch Unglaube und falsche Lehre vom Glauben und
dadurch um die unvergängliche Krone zu bringen. Wie ist ihnen das schon bei
Unzähligen gelungen! Es gilt daher, nicht erst die Krone zu erwerben,
wohl aber gilt es, die schon beigelegte und auf uns wartende Krone nicht wieder
zu verlieren, sondern zu behalten. Eben darum ruft uns der HERR
zu: „Halte, was du hast, dass niemand dir deine Krone nehme!“
Darum, darum ist das Ringen nach der am
Ziel winkenden Krone so notwendig; darum die so überaus dringenden
Ermahnungen des Apostels zum Ringen nach der Krone, oder, was dasselbe ist, zu
einem rechten Ernst in der aus der Rechtfertigung folgenden Heiligung, ohne
welche niemand den HERRN sehen soll und kann, da die völlige Herstellung seines
Ebenbildes mit zu unserer Seligkeit gehört.
Und so lasst mich denn an der Hand unseres
Textes in kurzen kenntlichen Zügen noch zeigen, wie solches Ringen beschaffen
sein müsse.
Der Apostel weist uns zu dem Ende auf den Eifer
hin, der sich bei den griechischen Wettspielen im Ringen nach der
vergänglichen Krone, besonders im Wettlauf und Wettkampf kund
tat.
„Wisst ihr nicht, dass die, so in den
Schranken laufen, die laufen alle, aber Einer erlangt das Kleinod?“ Wie bei
unseren Rennbahnen waren auf beide Seiten Schranken gezogen, innerhalb deren
der Wettlauf stattfand und an deren Ende der Siegeskranz aufgehängt war.
Denkt sie euch nur, jene Wettläufer! Wie sie, die nun einmal als Preisbewerber
in die Schranken getreten sind, voll Begierde und Hoffnung sind, die Krone zu
erringen; wie sie, in Reih und Glied aufgestellt, ungeduldig auf das Zeichen
zum Beginn des Wettlaufs harren, und wie sie nun auf das gegebene Zeichen
dahinfliegen. Sie blicken nicht rechts und nicht links nach der Menge der
Zuschauer und ihren Beifallsbezeugungen. Sie blicken nicht rückwärts auf die
bereits zurückgelegte Strecke oder auf die Preisbewerber hinter ihnen, sie
blicken nur vorwärts auf das Ziel und unverwandt auf die an demselben winkende
Krone. Mit Aufbietung aller Kräfte und Sinne, in fieberhafter Spannung, sucht
einer den anderen zu überholen; denn nur „Einer erlangt das Kleinod“.
„Lauft nun so, dass ihr es ergreift!“
ruft der Apostel im Hinblick auf diese Wettläufer. Es ist nicht genug, dass wir
durch die Taufe in die Schranken getreten und denen zugesellt worden sind,
deren ganzes Leben ein Lauf nach dem himmlischen Kleinod sein soll, es muss bei
uns heißen, wie bei dem Apostel, wenn er an die Philipper Kap. 3 schreibt: „Ich
vergesse, was dahinten ist, und strecke mich zu dem, was da vorne ist; und jage
nach dem vorgesteckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische
Berufung Gottes in Christus Jesus.“ So vergiss du, mein Christ, was
dahinten ist. Sieh nicht wieder zurück nach der Welt, die du verlassen hast,
wie Lots Frau, dass du nicht zur Salzsäule werdest, noch nach dem, was du
bereits um Jesu willen getan und gelitten hast, damit du nicht lohnsüchtig
werdest und meinst, du habest in der Heiligung schon große Fortschritte
gemacht. Strecke dich mit Paulus vor nach dem, was du noch als Christ sein
sollst und jage ihm nach, dass du es werdest, ein im Glauben immer
stärkerer, in der Liebe immer brünstigerer, in der Hoffnung im fröhlicherer,
und an guten Werken immer reicherer Christ. Erneure dich bis ans Ende täglich
im Geist deines Gemüts und ziehe den neuen Menschen an, der nach Gott
geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit. Bekümmere dich
nicht um die müßigen Zuschauer, nicht um die Welt, die deinen Wettlauf als
Narrheit verspottet, nicht um die Heuchler und Scheinchristen, die deinen Ernst
als Übertreibung verurteilen. Blick du nur unverwandt auf das Ziel, die
unvergängliche Krone. Das wird dich immer von neuem stärken, wenn du ermüden
willst, das wird dich immer wieder anfeuern, mit rechtem und ausdauerndem Ernst
zu laufen, dass du das Kleinod erlangst, zwar hier nicht als der Einzige, wohl
aber als der Eine, der recht läuft, als Einer von den Berufenen, die zuletzt
als Auserwählte erfunden werden.
„Ein jeglicher aber, der da kämpft,
enthält sich alles Dinges“ sagt der Apostel weiter und hält uns damit das
Beispiel jener griechischen Wettkämpfer vor, die im Faustkampf oder im Werfen
des Spees und Diskus nach der Siegeskrone rangen und die, um die nötige
Gewandtheit und Kraft des Leibes zu erlangen, eine geraume Zeit vorher nicht
nur die entsprechenden Leibesübungen vornahmen, sondern auch unerbittlich von
Genüssen und Annehmlichkeiten des Lebens sich alles versagten, was den Körper
hatte schwächen oder verweichlichen können. Wie also das Bild der Wettläufer
den Ernst der Heiligung als ein Jagen nach derselben vorstellt, das mit
Vermeiden aller Halbheit und mit aller Ausdauer geschieht, so das Bild der Wettkämpfer
als fortwährende Strenge gegen sich selbst im Enthalten alles dessen,
was zum ernstlichen Kampf gegen die Feinde unserer Seele nicht taugt, was uns
darin hinderlich werden, was das geistliche Leben irgendwie schwächen könnte,
namentlich im Gebrauch der christlichen Freiheit, der, ach, so leicht zu weit
ausgedehnt und dann bald zur Fleischesfreiheit wird, von der es heißt:
Fleischesfreiheit
macht die Seele
Kalt
und sicher, frech und stolz;
Frisst
hinweg des Glaubens Öle,
Lässt
nichts als ein faules Holz.
Weil nun in diesem Lauf und Kampf zum
Erringen der unvergänglichen Krone ein Prediger seinem ihm anvertrauten
Christenhäuflein vorangehen soll, gleich einem Offizier seinen von ihm
befehligten Soldaten beim Angriff: So zeigt der Apostel an seinem eigenen
Beispiel, wie solches Ringen nach der Krone der Hauptsache nach beschaffen sein
müsse, indem er fortfährt: „Ich laufe aber so, nicht als aufs Ungewisse; ich
fechte so, nicht als, der in die Luft streicht, sondern ich betäube meinen Leib
und zähme ihn, dass ich nicht den andern predige und selbst verwerflich werde.“
Seht doch, wie es dem Apostel ein rechter und ganzer Ernst ist, selig zu
werden. Welchen Ernst beweist er in seinem Lauf nach der Krone! Seit er
dort auf dem Weg nach Damaskus von Christus ergriffen worden ist, sucht er
immer nur Eines, nämlich in Christus und seiner vollgültigen Gerechtigkeit
erfunden zu werden und so Glauben zu halten bis ans Ende. So läuft er nichts aufs
Ungewisse wie die, welche sich allerlei eigene Wege und Werke zum
Seligwerden erdenken und erwählen und so bei allem Schein der Heiligkeit das
Ziel verfehlen, denn allein durch den Glauben, allein aus Gnaden werden wir vor
Gott gerecht und selig. Werden wir zuletzt in unserer eigenen Gerechtigkeit
erfunden – und wie leicht kann man durch den Betrug des Fleisches seine
erfahrene Bekehrung und seine Heiligung dazu machen –: so geht uns die Krone
doch verloren, wie den murrenden Arbeitern im heutigen Evangelium die Güte des
Hausvaters und Dienst und Lohn in seinem Weinberg und es heißt: „Die Ersten
werden die Letzten sein.“ Welchen Ernst beweist der Apostel ferner in
seinem täglichen Kampf um das Kleinod durch die Strenge, die er gegen
sich selbst übt! Es ist in diesem Kampf nicht getan, dass man nur um sich haut,
dass man also etwa nur vom Saufhaus, vom Ballhaus, vom Schauspielhaus fern
bleibt und den groben Ausbrüchen des Fleisches wehrt. Der Apostel will keine Luftstreiche
tun. Die aber tut derjenige, welcher zwar mit anderer Christentum es sehr genau
nehmen will, aber desto leichter es mit sich, an anderen viel zu sehen und zu
fordern sucht, aber gegen sich umso blinder und umso nachgiebiger ist. Der
Apostel ist darauf bedacht, gegen den Hauptfeind zu kämpfen, und diesem
tödliche Streiche beizubringen. Dieser Hauptfeind im Lauf und Kampf des
Christen aber ist im Grund das eigene sündliche Fleisch, denn lassen wir dem
nicht die Zügel, so werden wir durch Gottes Gnade und durch den Glauben schon
mit der Welt und dem Teufel fertig. Diesem aber bringen wir die rechten
tödlichen Streiche bei, wenn wir den sündlichen Leib betäuben und
zähmen, welches freilich nicht auf römische Art durch Fasten und Kasteien
geschieht, sondern durch tägliche Reue und Buße, durch mancherlei Beschränkung
im Gebrauch der christlichen Freiheit, durch selbstverleugnenden Dienst in der
Liebe und besonders durch Strenge in dem Ausüben des anbefohlenen Berufs, dabei
man so wenig wie möglich sich selber schont, sondern wie ein Licht sein will,
das, indem es anderen leuchtet, sich selbst verzehrt.
O, lasst uns allesamt dem apostolischen
Beispiel folgen. Vor allem freilich wir berufenen Diener am Wort und jetzt
schon ihr die ihr für den Dienst am Wort vorbereitet werdet. Aber auch ihr,
geliebte Zuhörer. Meint doch nicht, dass geht mehr uns Prediger an! Ach, es
geht euch alle an, denn es gibt nicht ein besonderes Christentum für die
Prediger und ein besonderes für die Zuhörer, sondern es steht für Prediger und
Zuhörer geschrieben: „Niemand wird gekrönt, er kämpfe denn recht.“
Zur Warnung vor Sicherheit weist endlich
der Apostel hin auf Israels Wüstenwanderung. Er schreibt nämlich: „Ich will
euch aber, liebe Brüder, nicht vorenthalten, dass unsere Väter sind alle unter
der Wolke gewesen und sind alle durchs Meer gegangen und sind alle unter Mose
getauft mit der Wolke und mit dem Meer; und haben alle einerlei geistliche
Speise gegessen und haben alle einerlei geistlichen Trank getrunken; sie
tranken aber von dem geistlichen Fels, der mitfolgte, welcher war Christus.
Aber an ihrer vielen hatte Gott kein Wohlgefallen; denn sie sind
niedergeschlagen in der Wüste.“ Da die Epistel des 9. Sonntags die
Fortsetzung dieser ernstesten der apostolischen Warnungen bildet und wir dort
auf die Worte der heutigen Epistel besonders zurückkommen müssen, so lasst mich heute nur angeben, was der Apostel in
Summa mit diesen Worten sagen will. Und das ist dieses: Man kann getauft sein,
man kann zum Öfteren das heilige Abendmahl genießen und den Gottesdienst
fleißig besuchen; man kann zur rechten Kirche gehören und Glied einer
rechtgläubigen Gemeinde sein und seinen äußerlichen Pflichten gegen diese
pünktlich nachkommen und einen ehrbaren Wandel führen – und doch kann man
nichts ins himmlische Kanaan gelangen, doch die unvergängliche Krone nicht empfangen,
doch mit den Ungläubigen und Kirchenverächtern verloren gehen, wenn man sich
mit de bloßen Gebrauch der Gnadenmittel und der Zugehörigkeit zur Kirche
begnügt und solches nicht zu einem rechten und ausdauernden Ernst im
Christentum und Eifer in der Heiligung sich dienen lässt.
Wejl es denn mit dem Ringen nach der
unvergänglichen Krone eine solche Bewandtnis hat, so rufe ich euch allen, die
ihr wahrhaft zu den HERRN bekehrt seid, mit dem Apostel zu: „Schafft, dass
ihr selig werdet mit Furcht und Zittern, denn Gott ist’s, der in euch wirkt
beides, das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen.“ Ja, mein
Christ,
Ringe
recht, wenn Gottes Gnade
Dich
nun ziehet und bekehrt,
Dass
dein Geist sich ganz entlade
Von
der Last, die ihn beschwert.
Kämpfe
bis aufs Blut und Leben,
Dring
hinein in Gottes Reich,
Will
der Satan widerstreben,
Werde
weder matt noch weich.
Halt
ja deine Krone feste,
Halte
männlich, was du hast,
Recht
beharren ist das Beste,
Rückfall
ist ein böser Gast.
„Sei treu bis in den Tod“, spricht
der HERR, „so will ich dir die Krone des Lebens geben!“
Du aber, der du in der Hingabe an die Sünde
und die Welt, in der Verachtung und Versäumen der Kirche und ihrer Gnadenmittel
längst aus der Taufgnade gefallen bist und nun mit dem großen Haufen auf dem
breiten Weg des Verderbens wandelst – auch dir war ja die unvergängliche Krone
zugedacht, denn Christus hat auch dich mit seinem Blut erlöst und in der Taufe
auch dich zum Erben dieser Krone eingesetzt. Unglückseliger und Verblendeter,
um was hast du dich doch gebracht! Und wonach ringst du jetzt! Aber noch ist
die Krone nicht für ewig verloren, denn noch währt die Lebens- und darum die
Gnadenzeit. Wenn du dich daher jetzt rechtschaffen bekehrtest, so wäre die
Krone wieder dir beigelegt, so winkte sie dir doch noch am Ziel. Ach, dazu
segne dir der HERR die heutige Predigt. Aber eile, eile, dass du deine Seele
errettest! Amen.
Gebet:
Gnädiger Gott und Vater, wir danken dir von Herzen, dass du uns in deinem Wort
so gnädig offenbart hast das Ziel, worauf wir all unser Tun, Glauben und Wandel
richten sollen. Weil aber der leidige Teufel uns dasselbe gern verrücken wollte
und ohne das die Welt und unsere verderbte Natur uns im Lauf vielmals hindern,
so bitten wir demütig: Du wollest uns durch deinen Heiligen Geist auf den
rechten Weg leiten und erhalten, auch durch deine lieben Engel vor dem Teufel
und der Welt gnädig bewahren, damit wir nicht wie die Kinder Israel auf dem Weg
niedergeschlagen werden, sondern unseren Lauf selig vollenden und endlich auch,
wenn wir das Ziel erreicht haben, an jenem Tag die Krone der Ehren empfangen –
durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren HERRN. Amen.
Lied:
Sei Gott getreu. Str. 6-8
Lied:
In dich hab ich gehoffet, HERR
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem
Vater und unserem HERRN Jesus Christus! Amen.
2.
Korinther 11,19-12,9: Denn ihr vertragt gerne die Narren, weil ihr klug
seid. Ihr vertragt, wenn euch jemand zu Knechten macht, wenn euch jemand
schindet, wenn euch jemand nimmt, wenn jemand euch trotzt, wenn euch jemand in
das Angesicht streicht. Das sage ich nach der Unehre, als wären wir schwach
worden. Worauf nun jemand kühn ist (ich rede in Torheit), darauf bin ich auch
kühn. Sie sind Hebräer, ich auch. Sie sind Israeliter, ich auch. Sie sind
Abrahams Same, ich auch. Sie sind Diener Christi; (ich rede töricht) ich bin
wohl mehr. Ich habe mehr gearbeitet, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin
öfter gefangen, oft in Todesnöten gewesen. Von den Juden habe ich fünfmal
empfangen vierzig Streiche weniger eines. Ich bin dreimal gestäupt, einmal
gesteinigt, dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, Tag und Nacht habe ich
zugebracht in der Tiefe (des Meers). Ich bin oft gereist; ich bin in Gefahr
gewesen zu Wasser, in Gefahr unter den Mördern, in Gefahr unter den Juden, in
Gefahr unter den Heiden, in Gefahr in den Städten, in Gefahr in der Wüste, in
Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter den falschen Brüdern, in Mühe und Arbeit,
in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße, außer
was sich sonst zuträgt, nämlich dass ich täglich werde angelaufen und trage
Sorge für alle Gemeinden. Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer
wird geärgert, und ich brenne nicht? So ich mich je rühmen soll, will ich mich
meiner Schwachheit rühmen. Gott und der Vater unsers HEERRN Jesus Christus, welcher
sei gelobe in Ewigkeit, weiß, dass ich nicht lüge. Zu Damaskus, der Landpfleger
des Königs Aretas verwahrte die Stadt der Damasker und wollte mich greifen; und
ich wurde einem Korb zum Fenster aus durch die Mauer niedergelassen und entrann
aus seinen Händen. Es ist mir ja das Rühmen nichts nütze; doch will ich kommen
auf die Gesichte und Offenbarungen des HERRN. Ich kenne
einen Menschen in Christus vor vierzehn Jahren (ist er in dem Leib gewesen, so
weiß ich’s nicht, oder ist er außer dem Leib gewesen, so weiß ich’s auch nicht;
Gott weiß es); derselbe wurde entzückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne
denselben Menschen (ob er in dem Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich
nicht; Gott weiß es). Er wurde entzückt in das Paradies und hörte unaussprechliche
Worte, welche kein Mensch sagen kann. Davon will ich mich rühmen; von mir
selbst aber will ich mich nichts rühmen außer meiner Schwachheit. Und wenn ich
mich rühmen wollte, täte ich darum nicht töricht; denn ich wollte die Wahrheit
sagen. Ich enthalte mich aber des, damit nicht jemand mich höher achte, denn er
an mir sieht, oder von mir hört, Und damit ich mich
nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch,
nämlich des Satanas Engel, der mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht
überhebe. Dafür ich dreimal zum HERRN gefleht habe, dass er von mir wiche; und
er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in
den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner
Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.
Geliebte in Christus! Von Paulus, dem
Apostel der Heiden, vernehmen wir hier aus seinem eigenen Mund ein merkwürdiges
Stück seiner Lebensgeschichte. Viel erzählt uns ja St. Lukas in der
Apostelgeschichte gerade von diesem Apostel, mit dem er sich sogar vom 13.
Kapitel an allein beschäftigt; viel auch teilt er anlässlich von seinen
Arbeiten und Taten, Kämpfen und Leiden in seinen Briefen selbst mit. Hier aber
erfahren wir von Erlebnissen, von denen die Apostelgeschichte teils nur
einiges, teils aber auch gar nicht berichtet und die erst der Jüngste Tag
enthüllt haben würde, hätte Paulus nicht notgedrungen in seinem zweiten Brief
an die Korinther davon reden müssen; hier zieht er mit eigener Hand einen
Vorhang auf, hinter welchem unseren erstaunten Blicken ein wunderbar reiches
und außerordentliches Gnaden-, Arbeits- und Kampfesleben dieses Zeugen Christi
sich zeigt; hier erblicken wir ausnehmende Vorzüge des großen Apostels, aber
auch als Gegengewicht ausnehmende Leiden desselben. Und welch ein hell-leuchtendes
Vorbild ist dabei der teure Apostel in seinem ganzen Verhalten!
So wollen wir denn ungesäumt zur näheren
Betrachtung dieser merkwürdigen Selbstbekenntnisse des Paulus uns wenden, da
sie auch um unseretwillen auf Eingebung des Heiligen Geistes geschehen sind.
Lasst uns sehen
Welch ein zweifaches, schweres Leiden dem hochbegnadeten
Heidenapostel als Gegengewicht aufgelegt war und wie er sich dabei verhielt
Wir betrachten
1.
Dieses
zweifache Leiden des Apostels und
2.
Sein Verhalten
bei demselben.
O HERR, wir wissen ja, dass nur der
geistliche Mensch geistliche Dinge zu richten vermag. Deshalb gib uns auch
einen geistlichen Verstand der hohen Leiden, welche du um hoher Gnaden willen
deinem auserwählten Rüstzeug unter den Heiden nach deiner Weisheit einst
auferlegt hast und gib Gnade, dass wir in dieser Stunde daraus schöpfen, was
dir zur Ehre und uns zum Heil gereicht. Amen.
1.
Von Athen, der Stadt der Aufklärung, kam
Paulus nach Korinth, der großen Handelsstadt, der Stadt des Reichtums und der
Üppigkeit, dem Paris und London der alten Welt. Hatten ihn nun schon die in
Athen gemachten Erfahrungen niedergeschlagen und traurig gemacht, so begann er
seine Missionsarbeit nur umso mehr, wie er selbst bekennt, mit „Furcht und
Zittern“ und „in großer Schwachheit“. Jedoch der HERR, der ihn alsbald mit der
Versicherung gestärkt hatte, dass er in dieser Stadt ein großes Volk habe, tat
der einfältigen, von der Welt töricht verachteten Predigt vom Kreuz die Herzen
auf, und es entstand eine große, blühende, mit Gaben reich gesegnete und
zumeist aus Heiden gesammelte Christengemeinde. Während nun aber Paulus neu
gegründete Gemeinden mit berufenen Dienern des Worts alsbald zu versorgen und
dann mit dem Evangelium, an andere Orte zu eilen pflegte, bleib er bei dieser
Gemeinde über eineinhalb Jahre und pflegte sie, unterstützt von Mitarbeitern,
auf das Beste. Mit welcher Selbstverleugnung aber das geschah, beweist unter
anderem, dass er in Rücksicht auf die dortigen Verhältnisse das Evangelium ganz
umsonst verkündigte, während er doch von anderen Gemeinden Sold und Unterhalt
annahm. Er verdiente sich vielmehr dort seinen Unterhalt nebenbei durch
Teppichmachen, und wenn er trotzdem Mangel hatte, ließ er sich lieber von
Gemeinden aus Mazedonen denselben erstatten, als dass er von den Korinthern
etwas annahm.
Doch was geschah? Kaum hatte Paulus nach
solcher anderthalbjährigen, so reich gesegneten Arbeit Korinth verlassen, so
kamen falsche Apostel und betrügerische Arbeiter, die sich auf Kosten des
Paulus in das Vertrauen der Korinther einzuschleichen suchten, indem sie sich
ihrer angeblichen Vorzüge rühmten, mit giftiger, verleumderischer Zunge Paulus
herabsetzten und verdächtigten und so den Korinthern das Herz zu ihrem
geistlichen Vater zu stehlen suchten. Erst sollte das auserwählte Rüstzeug
Gottes seinen Wert in den Augen der Korinther verlieren, um dann desto
erfolgreicher sein Werk zu vernichten. Mit Verdächtigung der Person des
Apostels fingen diese Geister an, um dann auch das Vertrauen zu der Reinheit
und Richtigkeit seiner Lehre zu untergraben und so das Gift ihrer falschen
Lehre desto erfolgreicher in der Gemeinde auszubreiten. So verfahren ja
bekanntlich seit 500 Jahren die Papisten mit der Person Luthers und so die
Schwarmgeister seit den Tagen der Reformation bis auf den heutigen Tag mit
allen reinen lutherischen Predigern.
Nun, diese Geister hätten immerhin lügen
und wühlen können, so viel sie gelüstete. Falsche Lehrer und ihr Anhang können
nicht anders auf Antrieb ihres Vaters, des Teufels. Aber das ist der Jammer,
dass ihnen so gern Glauben geschenkt wird. Und so war es leider bei dem größten
Teil der Korinther. Von den Prahlereien der falschen Apostel ließen sie sich
imponieren, mit Misstrauen gegen ihren abwesenden geistlichen Vater und immer
größerer Geringschätzung seiner Person, seines Amtes, seiner Verdienste um sie
ließen sie sich immer mehr erfüllen. Allerlei verkehrte Reden und Urteile über
ihn liefen in zunehmender Gestalt von Mund zu Mund. Der hinter seinem Rücken in
der Gemeinde ausgestreute Unkrautsame der Verdächtigung und Verleumdung ging
groß auf. Nun war auch nichts Gutes mehr an dem armen Apostel. Selbst sein
anfänglich schüchternes Auftreten, selbst die seelsorgerliche Weisheit, mit der
er anfangs den Schwachen ein Schwacher wurde, selbst die Unansehnlichkeit
seiner äußeren Erscheinung, indem hier bei diesem Werkzeug ein gewaltiger Geist
in einer kleinen schwächlichen Leibesgestalt wohnte – auch dies alles wurde der
Verachtung preisgegeben, denn wie wir aus dem vorhergehenden Kapitel ersehen,
hieß es unter anderem: „Die Briefe sind schwer und stark, aber die Gegenwart
des Leibes ist schwach und die Rede verächtlich.“ So sank des Apostels Jesu
Christi Ansehen in Korinth, wühr4end das der Teufels-Apostel stieg. Wie sehr
letzteres der Fall war zeigt die wehmütige, mit etwas Ironie, mit etwas
heiligem Spott vermengte Klage des Apostels, mit der die heutige Epistel
beginnt und mit der er seinen hier nötig gewordenen apostolischen Selbstruhm
gegenüber den eitlen Prahlereien und Aufschneidereien der falschen Apostel
einleitet: „Denn ihr vertragt gerne die Narren, weil ihr klug seid. Ihr
vertragt, wenn euch jemand zu Knechten macht, wenn euch jemand schindet, wenn
euch jemand nimmt, wenn jemand euch trotzt, wenn euch jemand in das Angesicht
streicht.“ Dass also die falschen Apostel die Christen zu Korinth um ihre
evangelische Freiheit und unter das Joch des Gesetzes brachten; dass sie in
ihrem Geiz die Korinther nun tüchtig zahlen machten und ihnen die Haut über die
Ohren zogen; dass dieselben in ihrem Stolz prahlten und eine Priesterherrschaft
aufrichteten: das alles ließen die Korinther von den falschen Aposteln sich
bieten und gefallen und hielten sich darin noch für klug, während sie nun dem
Apostel misstrauten und verachteten, der ihnen die Freiheit in Christus
brachte, der keinen Heller von ihnen genommen hatte, damit er niemand
beschwerlich falle, und der unter ihnen das Gegenteil von Priesterstolz und
Pfaffenherrschaft war.
Das war also der Dank für all den
Segen, den Paulus in Korinth gestiftet, für all die beispiellose Treue, Liebe
und Uneigennützigkeit, mit der er in diesen achtzehn Monaten unter ihnen
gearbeitet hatte. Da hätten sie ihn doch besser kennen sollen. Wahrlich, sie
hatten nicht schön an ihrem Vater in Christus gehandelt, dass sie, beeinflusst
und beschwatzt von den falschen Aposteln, so gar das Herz zu ihm verloren, so
gar ihn verkannten!
Wie empfindlich weh tut es doch überhaupt
einem Christen, wenn er nichts als Verkennung seiner Person,
seiner aufrichtigen Gesinnung und seiner lauteren Absichten, seiner
selbstverleugnenden Liebe und seines richtigen Handelns erfahren muss, wo ihm
dankbare und ermunternde Anerkennung zuteil werden sollte und das gerade von
denen, welche solche reichlich erfahren haben, welche solch genugsam kennen
sollten, welche nicht mehr zur blinden, verkehrt urteilenden Welt, sondern zu
den Christen gehören wollen. Welch ein schweres Leiden ist nun aber erst solche
Verkennung für einen rechtschaffenen Diener Christi, sei er Pastor einer
Gemeinde, sei er Lehrer an einer höheren oder niederen Schule der Kirche. Ja,
wenn es sich dabei nur um seine Person handelte, das wäre schon leichter, wie
weh es auch immerhin täte! Aber hier handelt es sich um das einem Prediger oder
Lehrer so nötige Vertrauen seiner Zuhörer oder Schüler, ohne welches ja alle
seine Arbeit im Amt keine rechte Frucht haben kann. Wenn nun er aber solches
Vertrauen bereits besessen hat und es wird ihm durch Aufredereien und
dergleichen zerstört, so wird das Leiden solcher Verkennung noch empfindlicher.
Am schmerzlichsten aber ist es, wenn alsdann diese Verkennung von falschen
Lehrern und Winkelschleichern herbeigeführt worden ist, welche ganz nach Art
der korinthischen Schleicher in rechtgläubige Gemeinden einbrechen, wie dies
hierzulande viele unserer lutherischen Pastoren, namentlich aber unsere
Reiseprediger, erfahren müssen, und das nicht nur von Schwarmgeistern, sondern
auch von lutherisch sich nennenden betrügerischen Arbeitern, denn hier handelt
sich‘s um den Verlust der reinen Lehre und um die Zerstörung ganzer Gemeinden.
Welch ein schweres Leiden war nun vollends die einem Paulus durch die falschen
Apostel herbeigeführte Verkennung in der korinthischen Gemeinde! Wie wehe sie
ihm tat, sieht man daraus, dass er wenige Verse nach unserem Text klagt: „ich
will sehr gerne darlegen und dargelegt werden für eure Seelen, wiewohl ich euch
gar sehr liebe, und doch wenig geliebt werde.“
Nun, Geliebte, solche Verkennung schon
sollte nach der erziehenden Weisheit Gottes dem teuren Apostel ein Gegengewicht
sein, dass er sich der erstaunlichen Erfolge seiner Amtswirksamkeit und der
Anerkennung nicht überhebe, die ihm anderwärts zu Teil wurde, wie z.B. von den
Gemeinden in Mazedonien, vornehmlich aber von der Gemeinde in Philippi. Gott
hängte ihm dies Gegengewicht der Verlästerung und der Verkennung an, damit die
Uhr seines inwendigen Lebens im rechten Gang und er so bis an sein seliges Ende
das auserwählte Rüstzeug in der Hand des HERRN bliebe. Und dass dies heute noch
die Weise bei seinen ausgezeichneten Werkzeugen ist, sehen wir an lebenden
Beispielen.
Ungleich schwerer ist jedoch das andere
Leiden, darüber in heutiger Epistel gleichfalls sein Herz uns erschließt.
Es ist dies die satanische Misshandlung, welche ihm der HERR auferlegte,
damit er sich der ihm gewordenen hohen Offenbarung nicht überhöbe.
Blicken wir zunächst auf jene hohe
Offenbarung. Nachdem er nämlich, den Widersachern das Maul zu stopfen, in
den weiteren Worten unserer Epistel auf das hingewiesen hatte, wessen er sich
mit Recht gegenüber den falschen Aposteln rühmen könnte und worauf wir noch mit
Wenigem zurückkommen werden, so fährt er fort: „Es ist mir ja das Rühmen
nichts nütze, doch will ich kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des HERRN.“
Solche Gesichte und Offenbarungen hatte der Apostel ja freilich mehr als eine,
wie uns davon sein Reisegefährte und Mitarbeiter, der Evangelist Lukas, in der
Apostelgeschichte erzählt. Aber diese alle wurden von einer übertroffen, von
der er 14 Jahre lang niemandem etwas sagte und von der er auch bis an sein
seliges Ende geschwiegen haben würde, hätte er nicht um der Ehre Gottes und des
Heils der Seelen willen jetzt den Mund öffnen müssen. So führt er denn fort: „.
Ich kenne einen Menschen in Christus vor vierzehn Jahren (ist er in dem Leib
gewesen, so weiß ich’s nicht, oder ist er außer dem Leib gewesen, so weiß ich’s
auch nicht; Gott weiß es); derselbe wurde entzückt bis in den dritten Himmel.
Und ich kenne denselben Menschen (ob er in dem Leib oder außer dem Leib gewesen
ist, weiß ich nicht; Gott weiß es). Er wurde entzückt in das Paradies und hörte
unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann.“ Dass nun er selbst
dieser Mensch war, von dem er aus Bescheidenheit in der dritten Person redet,
vernehmen wir aus den gleich folgenden Worten: „Davon will ich mich rühmen;
von mir selbst aber will ich mich nichts rühmen außer meiner Schwachheit. Und
wenn ich mich rühmen wollte, täte ich darum nicht töricht; denn ich wollte die
Wahrheit sagen.“
Mit dieser Entzückung in der Paradies, bis
in den dritten Himmel, die für eine Weile bei Leibesleben des Apostels vor 14
Jahren ihm zuteil wurde und von der er selbst nicht weiß, wie es dabei zuging,
empfing der Apostel von Gott eine Auszeichnung, wie noch kein Sterblicher ihrer
gewürdigt wurde. Herrliche Gesichte haben Propheten gehabt. Mit Mose hat der
große Gott sogar geredet wie ein Freund mit seinem Freund. Die anderen Apostel
haben den Sohn Gottes im Fleisch gesehen und drei Jahre bei dem Schönsten unter
den Menschenkindern gewohnt, und Stephanus sah den Himmel offen und des
Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen. Aber bei Leibesleben auf eine Weile
bis ins Paradies, bis in den dritten Himmel, entrückt zu werden, das wurde nur
einem Paulus zuteil, wenigstens gedenkt die Schrift keines weiteren derartigen
Falls.
Es wäre ja nun ebenso vergeblich wie
unstatthaft, forschen zu wollen, was da der Apostel alles gesehen und gehört
hat, denn nicht nur äußert sich der #Apostel darüber in keiner Weise, sondern
er sagt auch ausdrücklich, dass er dort „unaussprechliche Worte“ gehört habe,
„welche kein Mensch sagen kann“. Das, was wir hier von dem Apostel hören,
genügt, umso mehr nach zukünftigen Herrlichkeit zu verlangen, zu welcher wir
durch einen seligen Tod der Seele nach und durch die Auferstehung am Jüngsten
Tag auch dem Leib nach gelangen sollen, und das nicht für eine Weile, sondern
dieser Welt ganz und gar entrückt für alle Ewigkeit.
Nicht um ihn mit dieser hohen Offenbarung
glänzen, sondern unter seiner ausnehmenden Amts- und Kreuzeslast eine besondere
Stärkung und Erquickung genießen zu lassen, wurde der Apostel derselben
gewürdigt. Dazu gerbrauchte er sie auch nur. Darum schwieg er 14 Jahre von
derselben und da er jetzt von ihr reden muss, macht er vor Menschen davon so
wenig wie möglich Aufhebens. Er spricht vielmehr: „Ich enthalte mich aber
des“ (nämlich von dieser Offenbarung viel Redens und Rühmens zu machen), „damit
nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört“. Bei
alledem war und bleib ihm doch das Höchste und Teuerste und Unentbehrlichste
die überschwängliche Erkenntnis Christi durchs Wort – und deren sind ja auch
wir gewürdigt, die wir keine Gesichte und Offenbarungen haben und sie nicht
begehren sollen.
In solcher Demut den lieben Apostel zu
erhalten, hatte eben Gott der hohen Offenbarung ein Gegengewicht gegeben. Das
die alsbald folgende und dann bleibende satanische Misshandlung. Diese
fasst er in die bildliche Rede: „Und damit ich mich nicht der hohen
Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des
Satanas Engel, der mich mit Fäusten schlage, damit ich mich nicht überhebe.
Dafür ich dreimal zum HERRN gefleht habe, dass er von mir wiche; und er hat zu
mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den
Schwachen mächtig.“
Da der Apostel sich über diese satanische
Misshandlung nicht näher ausspricht, so war sie für ihn ein heimliches
Leiden und sollte es auch so viel wie möglich bleiben. Es wäre daher nutzlos
und unstatthaft, dieses erklären zu wollen. Nur folgendes können wir aus allem
abnehmen. Da das Maß der Leiden, wie sie uns der Apostel in den vorausgehenden
Worten schildert, schon ein ganz ungewöhnliches ist, und doch als Gegengewicht
zu dieser hohen Offenbarung offenbar nicht ausreichend war, welch ein furchtbares
Leiden muss demnach diese satanische Misshandlung gewesen sein, in welchen
satanischen Plagen und Anfechtungen musste es bestanden haben! Können wir uns
doch von ihnen keine Vorstellung machen! Da ferner der Apostel ein ebenso
geübter wie williger Kreuzträger war, indem er sich sogar der Trübsale rühmte,
und er hier gleichwohl seinem Heiland nach den HERRN dreimal um Überhebung
dieses bitteren Kelches anflehte, so musste es wohl die Kräfte des Leibes und
der Seele so aufgerieben haben, dass es dem Apostel kommen wollte, es leide
sein Amt darunter, er könne es nach Gebühr nicht mehr ausrichten. Endlich aber,
da es ihm auf sein dreimaliges Flehen nicht angenommen wurde, indem er den
Bescheid erhielt: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in
den Schwachen mächtig“, so war es also zugleich ein langwieriges Leiden.
Nun weiß man ja aus der Erfahrung, dass die Langwierigkeit ein Leiden umso viel
schwerer macht.
So kennen wir denn nun mehr oder weniger
das zweifache, besonders schwere Leiden, das dem vorzugsweise begnadeten
Apostel vom HERRN als Gegengewicht auferlegt wurde. Lernen wir nun noch mit
wenigem sein Verhalten unter diesem doppelten Leiden kennen.
2.
Wie verhielt er sich demnach fürs erste bei
der ihm widerfahrenen Verkennung? Er schweigt nicht ganz still zu all
den Verdächtigungen und Verleumdungen, die in der Gemeinde zu Korinth über ihn
in Umlauf gebracht worden sind. Er denkt und sagt nicht: Es ist mir ganz
gleich, was die falschen Apostel von mir sagen und was die Korinther von mir
glauben. Genug, wenn ich mir vor Gott meiner Unschuld bewusst bin. Jenen
Verleumdern kann man doch den Mund nicht stopfen und haben mich die Korinther
während der anderthalb Jahre meiner Wirksamkeit unter ihnen nicht besser
kennengelernt, halten sie es nicht einmal der Mühe wert, sich an mich zu wenden
und mich zu fragen, ob sich’s auch so verhielte, wie die falschen Apostel von
mir sagen, sondern glauben flugs jenen Redereien über mich, nun so verdienen
sie es auch nicht, dass ich mich irgendwie vor ihnen zu rechtfertigen suche.
Sein Verhalten ist hier ein ganz anderes. So sehr es auch in anderen Fällen bei
ihm hieß: „Ich muss sein wie ein Tauber, der nicht hört, und wie ein Stummer,
der keine Widerrede im Mund hat“, hier verteidigt er sich unaufgefordert,
ja, gegenüber den Prahlereien der falschen Apostel rühmt er sich sogar
selbst und zählt nacheinander auf, wessen er sich in Wahrheit vor Gott und
Menschen rühmen könne. Er zeigt nicht nur, dass er das alles auch ist, dessen
sich die falschen Apostel rühmen, sondern dass er sie sogar in vielen anderen
Dingen weit übertreffe – in seinen Trübsalen, Verfolgungen, Beschimpfungen,
Gefahren, Mühsalen und Arbeiten um des Evangeliums willen, in seiner brennenden
Liebe zu den erlösten Seelen, in seinen wunderbaren Errettungen und zuletzt
auch in seinen Gesichten und Offenbarungen.
Aber warum verteidigt er sich hier
unaufgefordert gegen die Verdächtigungen und Verleumdungen? Warum greift hier
der so demütige und so bescheidene Apostel sogar zum Selbstruhm? Nun, die
Antwort liegt in den gleich zu Anfang geschilderten Umständen. Es gilt die
Rettung der Ehre seines Gottes, dessen Apostel er ist und dessen Wort er
predigt, das aber nun durch die falsche Lehre jener Teufelsapostel aus Korinth
verdrängt werden soll; es gilt die Rettung der Seelen seiner lieben
Korinther, die nun durch die falschen Apostel ganz und gar verstört sind, die
Rettung einer ganzen, bis dahin blühenden und großen Gemeinde aus den
Händen jener Verwüster. Hier wäre Schweigen nicht Demut und Sanftmut, sondern
Stolz und Lieblosigkeit gewesen. Ach, nur der Eifer um die Ehre seines
Gottes tat ihm auch hier den Mund auf, und die brennende Liebe zu seinen
Korinthern drang ihn, denselben sogar nachzugehen, obwohl er von ihnen so wenig
geliebt, so schnöde vielmehr behandelt worden war. Wie wenig ist daher um
solcher Ursachen willen der Selbstruhm des Paulus gegen die falschen Apostel
ein eitler, wie redet überall die herzlichste Demut, wie fühlt man es bei jedem
Wort, dass er in derselben viel lieber geschwiegen hätte, wie sagt er auch nur
so viel, wie er gerade muss.
In solchem Verhalten hat er denn uns auch
zugleich ein hell leuchtendes und lehrreiches Vorbild hinterlassen, das uns
zeigt, dass und wann und wie ein Christ einmal auch sich
selbst rühmen könne und solle.
Und wie verhielt er sich fürs andere bei
der satanischen Misshandlung? Wohl fleht er dreimal um Wegnahme
derselben; aber da er vernimmt, sie sei notwendig, damit er sich der hohen
Offenbarung nicht überhebe, dass er nicht wie Luzifer falle, sondern des HERRN
Apostel bleibe; da ihn Gott seiner fortwährenden Gnade versichert, durch die er
alles überwinde und die ihm alles Leid versüßen könne, und da er zugleich hört,
dass diese Faustschläge des Satans ihm in seinem Amt nicht nur nicht hinderlich
sein dürfen, sondern vielmehr förderlich sein müssen, da gerade in den
Schwachen Gottes Kraft mächtig ist, so gibt er sich nicht nur ganz zufrieden,
sondern bekennt auch am Schluss unseres Textes: „Darum will ich mich am
allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.“
Nun, Geliebte, wir haben heute einmal einen
Blick in des Apostels äußeres und inneres Leben getan, der uns viel Lehre, viel
Trost, viel Ermunterung zur Führung unseres Christentums gibt, auch wen wir nur
eine geringe Stellung im Reich Gottes einnehmen und weder von so hohen
Vorzügen, noch von so außerordentlichen Leiden wissen. Lasst mich jedoch zum
Schluss noch ein Doppeltes bemerken.
Wie tief muss doch im menschlichen Herzen
der Hochmut sitzen, dass selbst bei einem schon so gedemütigten Paulus
es noch eines solches Gegengewichts bedurfte, um ihn bei der hohen Offenbarung
in der Demut zu erhalten, und wie gefährlich muss doch derselbe einem Christen
und besonders einem berufenen Diener des Wortes sein, dass Gott sogar das
dreimalige Flehen eines Paulus um Wegnahme der satanischen Misshandlung nicht
erhören kann, obwohl dasselbe nicht aus Kreuzesflucht geschah! O, so werden
denn auch bei uns alle Trübsale, ob es gleich nicht satanische Misshandlungen
sind, besonders aber alle langwierigen und dabei heimlichen Leiden vornehmlich
dahin gemeint sein, uns in der Demut zu erhalten. Das lasst uns erkennen und
darum Paulus nach ergebungsvoll Gott still halten.
Was muss es aber um die Gnade
unseres Gottes sein, dass Gott einem Paulus auf sein Flehen antworten konnte: „Lass
dir an meiner Gnade genügen!“ Da nun dies Wort auch einem jeden unter uns
gilt, o, so lasst uns es recht gebrauchen. Sind dir also keine Vorzüge
verliehen, so beneide keinen Bruder um derselben willen, sondern bedenke nicht
nur, dass bei großen Vorzügen auch große leiden zur Demütigung sein müssen,
sondern auch, dass du einem Paulus und jedem anderen im Reich Gottes in einem
und zwar dem besten und nötigsten Stück völlig gleich gestellt bist. Das ist
die Gnade Gottes in Christus Jesus, die da in Vergebung der Sünden, in
der Kindschaft Gottes und in der Erbschaft des ewigen Lebens besteht und deren
du durch Wort und Sakrament immer von neuem gewiss gemacht wirst. An dieser
lass dir genügen, wenn du den Mangel an so manchen Vorzügen fühlst, vor
allem aber, wenn dein Weg immer trübsalsvoller wird und erfahre dann mit Dank
gegen den HERRN und zum Trost deiner Seele, wie seine Kraft in den Schwachen
mächtig ist, bis endlich das Stündlein kommt, das dich der Seele nach
oder der Tag, der dich auch dem Leib nach in das himmlische Paradies entrückt,
wo du dann nicht auf Augenblicke, sondern in Ewigkeit hörst und siehst, was
hienieden unaussprechlich und unerfasslich ist, Das helfe dir und mir durch
seinen Heiligen Geist der gnädige Gott um Christus, seines Sohnes, willen.
Amen.
Gebet:
HERR Gott, himmlischer Vater, bewahre uns vor Hoffart und gib Gnade, dass wir
uns das heilige Kreuz jederzeit zu deiner Furcht und christlicher Demut dienen
lassen, damit wir an jenem Tag als treue Haushalter deiner Güter und Gaben
erfunden und ewig selig werden durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren
HERRN. Amen.
Lied:
Schatz über alle Schätze. Str. 4-7
Lied:
Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
Gnade sei mit euch und Friede von Gott dem
Vater und dem HERRN Jesus Christus, der sich selbst gegeben hat für unser
Sünde, dass er uns errettete von dieser gegenwärtigen und argen Welt nach dem
Willen Gottes und unseres Vaters, welchem sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu
Ewigkeit. Amen.
1. Korinther
13: Wenn ich mit Menschen–und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe
nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich
weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte
allen Glauben, so dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre
ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib
brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze. Die Liebe ist
langmütig und freundlich; die Liebe ist nicht eifersüchtig; die Liebe treibt
nicht Mutwillen; sie bläht sich nicht auf; sie stellt sich nicht ungebärdig;
sie sucht nicht das Ihre; sie lässt sich nicht erbittern; sie trachtet nicht
nach Schaden; sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit; sie freut sich aber der
Wahrheit; sie verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet
alles. Die Liebe hört nimmer auf, so doch die
Weissagungen aufhören werden, und die Sprachen aufhören werden, und die
Erkenntnis aufhören wird. 9 Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser
Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das
Stückwerk aufhören. Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war
klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat
ich ab, was kindisch war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen
Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise;
dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleiben
Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
Geliebte in dem HERRN! Erhabener, schöner
und wahrer ist wohl noch nie das Lob der nicht aus natürlichen Kräften
erzeugten, sondern durch den Heiligen Geist gewirkten wahrhaftigen Liebe zu dem
Nächsten in menschlichen Worten ausgesprochen, als es hier auf Eingebung des
Heiligen Geistes durch den Mund des Paulus geschieht. Es hat ja auch der
heilige Johannes, getrieben von demselben Geist, gar herrlich und köstlich von
der aus dem Glauben kommenden Liebe zu dem Nächsten und besonders zu den
Brüdern geredet; doch dieses Lob der Liebe durch Paulus übertrifft alles. Mit
Recht hat man daher dieses 13. Kapitel des Korintherbriefes „das andere hohe
Lied von der Liebe“ genannt, denn wie einst der Heilige Geist durch den
Mund Salomos die Liebe der gläubigen Seele, wie der Gesamtheit aller gläubigen
Seelen, zu Christus, dem himmlischen Bräutigam, in einem hohen Lied besang, so
hier Paulus, die mit dieser Liebe zu Jesus gepaarte, aus dieser Liebe fließende
Liebe zu dem Nächsten, die bekanntlich in der ganzen zweiten Tafel der heiligen
zehn Gebote von uns gefordert wird und deren Summa ist: „Du sollst deinen
Nächsten lieben wie dich selbst.“
Des Paulus hohes Lied von der heiligen Liebe
Sei
daher Gegenstand meiner Predigt. Wir betrachten in derselben
1.
Den Inhalt,
2.
Den Zweck
3.
Den Sänger
dieses hohen Liedes.
HERR Gott, Heiliger Geist, gib mir hierzu
Mund und Weisheit und meinen Zuhörern Empfänglichkeit5. Lass auch meine Zunge
sein der Griffel eines guten Schreibers, so dass, ob ich wohl nur deinem
Apostel nachlallen kann, doch dies hohe Lied in unser Herz durch deinen Finger
geschrieben werde und aus demselben in Wort und Werk zur Ehre Jesu und zum Heil
dieser Gemeinde immer mehr widerhalle. Ach, das wollest du tun, der du ja durch
das gepredigte Wort wirkst und verheißen hast, dass es nicht leer wieder soll
zurückkommen. Amen.
1.
Dreiteilig ist der Inhalt dieses hohen
Liedes von der Liebe, denn der Apostel preist deren hohen Wert, deren
segensreiche Art und deren unvergängliche Dauer.
Von dem hohen Wert der Liebe sagt
er: „Wenn ich mit Menschen–und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe
nicht, so wäre ich ein tönend Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich
weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte
allen Glauben, so dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre
ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib
brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.“
Zungenreden oder die Gabe, in
fremden, noch nie gelernten Sprachen Gottes Ruhm verkündigen; Weissagen
oder die Gabe der Prophezeiung und Schriftauslegung; Erkenntnis oder
tiefe Einsicht in die göttlichen Geheimnisse und Glaube, nicht der
rechtfertigende, sondern der wundertätige Glaube – es sin d die herrlichsten
jener außerordentlichen Gaben, mit denen Gott vorzugsweise wegen der
schnelleren Ausbreitung seiner Kirche die apostolische Zeit bedacht hat. Sie
haben aber nur ihren Wert, versichert der Apostel, sie dienen nur dann ihrem
Zweck, wie sie sollen, wenn die Triebfeder bei ihrem Gebrauch nicht die eigene
Ehre, der eigene Nutzen, sondern die Liebe des Nächsten ist. Wenn ein Prediger
oder ein sonst hervorragender Christ in außerordentlicher oder ordentlicher
Weise mit Zungen redete, wie nur irgendein beredter Menschenmund, ja, über
Vermögen hinaus wie ein Engelmund – flöße seine herrliche Beredsamkeit nicht
aus der Liebe, so wäre er ein seelen- und herzloses Erz, gleich der Posaune
oder der Orgelpfeife und eine klingende Schelle, gleich der Glocke, die mit
metallener Zunge, selbst herzlos und ohne Mitgefühl, bei freudigen oder
traurigen Anlässen zum Gotteshaus ruft. Und ob man besonders mit dem Weissagen
und der Erkenntnis der Gemeinde noch so viel nütze und mit dem
wundertätigen Glauben Berge des Elends ins Meer würfe und damit zugleich
den Lauf des Evangeliums mächtig förderte – vor dem Herzenskündiger wäre ohne
die Liebe man nichts, wäre für den Heiligen Geist etwa nur die Röhre, durch
welche sich seine Wasser erfrischend und erquickend ergießen. Ja, man täusche
sich nicht! Selbst die Hingabe alles zeitlichen Besitztums zum Besten
der Armen, selbst die Erduldung des qualvollen Todes in den Flammen,
indem man andere denselben zu entreißen sucht – sie haben ihren Lohn dahin,
wenn etwa heimlich im Herzen der Ehrgeiz die eigentliche Triebfeder solcher
heroischen Taten ist und nicht die demütige Liebe, während durch sie vor dem
HERRN höher steht das Scherflein der Witwe dort beim Gotteskasten und jener
Dienst der Liebe im Verborgenen, jene nur Gott bekannte Treue im Geringen, bei
dem man seine Kräfte aufreibt und wie ein Licht ist, das sich allmählig selbst
still verzehrt, indem es andern leuchtet.
Damit man aber nur umso mehr erkenne, dass
die größten Gaben und Werke nur durch die Liebe recht ihrem Zweck dienen und
sich zu einem rechten Nutzen erzeigen, so redet der Apostel im zweiten Teil
seines hohen Liedes von der Art der heiligen Liebe und malt in
unvergleichlicher Weise das Bild ihres stillen Waltens und Wirkens in drei
Hauptzügen.
Erstens zweigt er, wie so wohltuend, so
gewinnend diese Liebe gegen den Nächsten sich hält, denn „die Liebe ist
langmütig und freundlich“. Sie wartet auf des Nächsten Besserung, pflegt
jedes gute Keimlein, das sie wahrnimmt, zeigt sich nicht mürrisch und
verdrossen, wenn‘s langsam geht und wandelt sich nicht in Kälte um, zieht nicht
die Hand zurück, wo Unverstand und Schwachheit ihr hindernd entgegentritt, wo
man sie kränkt oder verkennt. Überall spürt man das Herz, das da redet und
handelt, auch da, wo diese Liebe zürnen und strafen muss, vielleicht sogar nach
Notdurft mit harten Worten, wie Christus, da er zu seinem lieben Petrus sprach:
„Hebe dich weg von mir, Satan, denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was
menschlich ist.“
Zweitens zeigt der Apostel, wie die
Liebe sorgfältig alles meidet, was dem Nächsten weh tun, ihn kränken,
erbittern, zurückstoßen könnte. Er sagt: „Die Liebe ist nicht
eifersüchtig“, d.h. sie wird nicht eifersüchtig über die Vorzüge anderer
und deren Anerkennung oder fängt gar Rotterei an um unverdienter oder nur
vermeintlicher Zurücksetzung. Ferner: „Die Liebe treibt nicht Mutwillen“,
denn sie behandelt den Nächsten nicht übermütig, macht ihn nicht zum Gegenstand
des Witzes und Gelächters oder durch Ausplaudern seiner Heimlichkeiten zum
Gegenstand des Klatsches; eben deshalb verabscheut und straft sie z.B. auch den
hierzulande alljährlich im Schwang gehenden Valentinsunfug, da man hässliche,
beleidigende Zerrbilder mit eben solchen Verslein ohne Namensunterschrift dem
Nächsten durch die Post zusendet und durch solche feige Niederträchtigkeit zu
so viel Argwohn, Hass und Feindschaft Anlass gibt. Weiter: „Die Liebe bläht
sich nicht auf“, d.i. sie will nicht prahlen mit Geld und Gut, schönen
Kleidern und kostbarem Hausrat oder Gaben und Werken, sondern hält von anderen
gern höher, lässt lieber andere etwas gelten. „Die Liebe sucht nicht das
Ihre“, nämlich nicht ihren Vorteil mit des Nächsten Nachteil, ja, auch in
Erweisung von Dienst und Wohltat nicht Gegendienst oder auch nur Lohn und Dank
– o eines der herrlichsten Kennzeichen wahrer Liebe diese Selbstlosigkeit!
Weiter sagt der Apostel von dieser so herzlichen, sorgfältigen,
rücksichtsvollen Liebe: „Sie lässt sich nicht erbittern“, sie lässt sich
nicht dahin bringen, dass sie, wo sie Undank, Beleidigung, Verkennung erfährt,
das Herz von einzelnen Personen oder einer ganzen Gemeinde abwendet und
verletzt und gekränkt sich zurückzieht, sondern fährt fort, zu dienen und
wohlzutun. „Sie trachtet nicht nach Schaden“, nämlich, sie sinnt bei
erfahrener Beleidigung nicht nach Rache und Wiedervergeltung, sondern
entschuldigt auch da, wo sie nur kann und legt auch da alles noch zum Besten
aus. Endlich: „Sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit, sie freut sich aber
der Wahrheit.“ Und darin zeigt sich ihr göttlicher Ursprung, dass sie eine heilige
Liebe ist, die sich über alle Ungerechtigkeit in Lehre und Leben betrübt und
dagegen eifert, über alle Wahrheit aber, wo sie bekannt und betätigt wird, die
Freude äußert. Weil sie sich aber nur der Wahrheit und nicht der
Ungerechtigkeit freut, so arbeitet sie bei sich und anderen nur umso mehr der
so allgemeinen Krankheit unter den Menschen entgegen, deren Nachwehen leider
auch die Wiedergeborenen fort und fort bei sich spüren, da man nämlich sich so
gern mit dem Unrat zu schaffen macht, der vor fremden Türen liegt, über den man
sich in Gesellschaften belustigt, den von Haus zu Haus trägt, des etwaigen
Guten am Nächsten aber nicht gedenkt oder es doch verkleinert.
Und drittens rühmt der Apostel, wie diese
heilige, aus Gott geborene Liebe so viel tragen kann, ohne müde zu werden.
„Sie verträgt alles“, indem sie lieber zudeckt als aufdeckt und um des
Friedens willen allerlei Unarten und Gebrechen dem Nächsten zugute hält, so
viel sie immer kann. „Sie glaubt alles“ – nicht, dass sie leichtgläubig
ist, sondern dass sie besonders jedes Gemeindeglied, das nicht durch
beharrliche Leugnung in der Lehre oder beharrliche Verachtung und Versäumung
des Wortes und Sakraments oder Unbußfertigkeit im Wandel als ein Nichtchrist
offenbar geworden ist, noch für einen, wenn auch sehr schwachen, Christen hält.
„Sie hofft alles“ – hofft die Besserung des gebrechlichen und
strauchelnden Nächsten von einer Zeit zur anderen und gibt auch den Gottlosen
nicht rettungslos auf, sondern hält immer noch dessen Bekehrung für möglich und
betet um diese. „Sie duldet alles“, alle Beleidigung, alles Unrecht,
entweder mit sanftmütiger Vorstellung, den Nächsten zu gewinnen, oder mit
sanftmütigem Schweigen, dem alles anheimstellend, der da recht richtet.
Das ist die Liebe nach ihrer Art und Natur,
ihren Kräften und Werken. Wer erkennt gerade hieran nicht, dass sie ist „das
Band der Vollkommenheit“, welches die Gemeinde auf dem Grund der reinen Lehre
zusammenhält? Wer sieht nicht, dass selbst nicht die herrlichste Geistesgabe,
sondern die Liebe allein die Rechtschaffenheit des Christentums erweist und den
wahren Glauben bezeugt!
Zum völligen Lob der Liebe singt und sagt
endlich der Apostel auch von ihrer unvergänglichen Dauer. Das ist der
dritte Teil seines hohen Liedes.
Diese zeigt der Apostel zunächst in ihrem
Verhältnis zu den Wundergaben und Amtsgaben. „Die Liebe“,
sagt er, „hört nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden, und die
Sprachen aufhören werden, und die Erkenntnis aufhören wird. 9 Denn unser Wissen
ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene,
so wird das Stückwerk aufhören. Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind
und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann
ward, tat ich ab, was kindisch war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in
einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s
stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.“ Alle
Wunder- und Amtsgaben, die Gott seiner Kirche verliehen hat, haben also ihre
Dauer, ihre Bestimmung nur für dies zeitliche Leben. Dort bedarf es
keiner Zungen mehr, denn Engel und Auserwählte reden nur Eine Sprache,
die Sprache der zukünftigen Welt; die Liebe aber bleibt. Dort bedarf es auch
keiner Weissagung, keiner Prophezeiung, keiner Schriftauslegung, keiner Predigt
mehr, denn alles ist erfüllt, und wir schauen Gott von Angesicht zu Angesicht.
Dort bedarf es auch keiner Unterweisung in der Erkenntnis mehr; denn ob
auch unser Wissen von Gottes Wesen und Willen für dieses Leben vollkommen
richtig und zum Seligwerden völlig hinreichend ist, so ist es im Vergleich zur
Sache selbst und zu jenem Leben doch nur Stückwerk und haben wir hienieden von
den himmlischen Dingen Vorstellungen und Ausdrücke, wie in irdischen Dingen die
des unmündigen Kindes im Verhältnis zu denen des gereiften Mannes. Und obschon
das geschriebene Gotteswort in menschlicher Rede Gottes Wesen und Willen uns
genügend offenbart und das Nötigste auch ein Kind verstehen kann, so schauen
wir doch alles nur im Bild, nur im Spiegel des Worts. Aber während an die
Stelle all dieser Unvollkommenheit im Wissen und Erkennen die Vollkommenheit
durch die unmittelbare Anschauung Gottes tritt und alle Wundergaben aufhören,
braucht an die Stelle der Liebe dort nichts zu treten. Die Liebe bleibt.
Die unveränderliche Dauer der Liebe zeigt
der Apostel sogar in ihrem Verhältnis zu den Heiligungsgaben, denn er
fasst sein Lied von der Liebe in die bekannten, freilich auch sehr
missbrauchten herrlichen Worte: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe,
diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Wenn nun aber der
Apostel von Glaube, Hoffnung und Liebe sagt, dass die Liebe die größte unter
ihnen sei, so soll das nicht so verstanden werden, als komme nichts darauf an,
was jemand von Gott glaube oder nicht glaube, oder von dem Leben nach diesem
hoffe oder nicht hoffe, wie dies Ungläubige, Glaubensmenger und Schwärmer so
gerne deuten. Gerade solche verkehrten Gedanken abzuschneiden, bindet der
Apostel vielmehr diese drei mit den Worten zusammen: „Nun bleiben aber
Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei.“ Während nämlich die Wundergaben der
Kirche mehr nur für die Zeit der Pflanzung derselben gegeben sind, bleiben die
durch Wort und Sakrament geschenkten Heiligungsgaben, dieweil sie zum
Seligmachen einem jeden Menschen unbedingt nötig sind. Glaube, Hoffnung, Liebe
aber sind eben diese Heiligungsgaben; denn der Glaube, der das Verdienst
Christi ergreift, macht zum Christen, und die Liebe, in welcher dieser Glaube
tätig ist, beweist den Christen, und die Hoffnung, die nichts anderes ist als
das Warten des Glaubens auf die verheißene Hilfe und auf die zukünftige
Herrlichkeit, erhält und bewährt den Christen im Glauben und in der Liebe.
In einem ganz anderen Sinn bezeichnet der
Apostel die Liebe unter den Heiligungsgaben als die größte; denn nicht nur ist
sie das, weil der Glaube und die Hoffnung allein gegen Gott handeln, während
die Liebe gegen den Nächsten herausgeht und ihm allerlei Gutes tut, und nicht
nur wird durch sie, die aus dem Glauben geboren ist und von der Hoffnung
genährt wird, das Ebenbild des in uns hergestellt, von dem es heißt: „Gott ist
die Liebe“, denn „wer in der Liebe
bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“: sondern auch und vornehmlich, weil
sie unter diesen drei unzertrennlichen Heiligungsgaben die allein unveränderliche
ist. Der Glaube wird ja dort zum Schauen und die Hoffnung zum Haben, die Liebe
aber erfährt keinerlei Verwandlung, sie bleibt auch in jener Welt, was sie war
in dieser Welt, nur vollkommener, nur brünstiger gegen Gott und alle
Auserwählten, nur reiner und von allen Banden befreiter wird sie sein, eine
nunmehr himmlische Liebe in dem Sinn, dass sie nicht mehr trauen, nicht mehr
sich sehnen muss, sondern dass sie nur eine gesättigte, nur eine
selige, nur eine triumphierende Liebe ist!
Das, meine Zuhörer, ist das hohe Lied der
Liebe durch den Mund des Paulus seinem dreiteiligen Inhalt nach, den ich
freilich dem Apostel nur nachstammeln konnte.
2.
Fragen wir nun, welches der Zweck
dieses hohen Liedes sei, so finden wir ihn deutlich in den Worten angegeben,
welche unserer Epistel unmittelbar sowohl vorausgehen als auch nachfolgen. Nach
diesen ist er ein doppelter: Es stimmt der Apostel sein Lied zur Beschämung
und zur Reizung an.
Unmittelbar vor unserer Epistel, zur
Einleitung dieses Lobes der Liebe, schließt er nämlich das 12. Kapitel mit den
Worten: „Strebt aber nach den besten Gaben. Und ich will euch einen noch
köstlicheren Weg zeigen.“ Dieser köstlichere Weg ist eben die Liebe. Warum
muss nun aber der Apostel die Liebe als die köstlichste und nötigste aller
Gnadengaben erst noch zeigen und diese den Korinthern in so erhabenen,
schwungvollen Worten anpreisen, da sie es doch selbstverständlich ist? Die
Antwort liegt in den korinthischen Verhältnissen.
Es ist bereits in den vorausgehenden
Predigten bemerkt worden, dass die korinthische Gemeinde vor anderen Gemeinden
mit einer Fülle von Wundergaben bedacht war. Es geschah das, weil diese
Gemeinde inmitten einer großen Handelsstadt einen großen Missionsberuf hatte
und der hohe Bildungsgrad im griechischen Volksleben zu desto erfolgreicherer
Ausrichtung dieses Berufes einen Reichtum von Geistesgaben erheischte. Aber
diese auffallenden, früher nie gekannten Wirkungen der Ausgießung des Heiligen
Geistes hatte die Korinther bei ihrem Nachlassen in der Heiligung zu einer
Nahrung der Eitelkeit mehr oder weniger gebracht, hatten nach dem Wert und der
Größe der Gabe den Wert der Person und den Grad ihres Christentums bemessen und
dabei unter den Gaben nicht diejenigen aufs höchste geschätzt, mit welchen
zugleich auch der Gemeinde am meisten genützt werden konnte, wie z.B. die
Weissagung, sondern mit welchen man am meisten glänzen konnte, wie das
Zungenreden, dem als ordentliche Gabe die natürliche Beredsamkeit entspricht
und auf die auch heute noch unter den Christen ein ungebührlicher Wert gelegt
wird. Seht, darum sucht er im vorigen Kapitel die Korinther zur rechten
Wertschätzung zu führen. Indem er sie aber schließlich nach der besten, d.i.
nach den der Gemeinde nützlichen Gaben zu streben auffordert, ermahnt er sie,
über allem Köstlichen und Begehrenswerten das Köstlichste und Notwendigste
nicht zu versäumen, nämlich die Liebe. Und so beginnt er denn sein hohes Lied
von der Liebe.
Aber sagt, meine Lieben, muss dieses Lied
nicht für die Korinther erst sehr beschämend geklungen haben? Zeigen uns
nicht gerade alle die vorausgehenden Kapitel, dass die brüderliche Liebe in
dieser Gemeinde schon sehr ins Abnehmen gekommen war, während sie noch die
ganze Fülle außerordentlicher Gaben besaß? Musste es beim Lesen und Hören dieses
Liebespsalms der Gemeinde nicht gewesen sein, als ob der HERR ihr durch ihren
geistlichen Vater zuriefe: „Ich habe gegen dich, dass du die erste Liebe
verlässt. Gedenke, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten
Werke. Wenn aber nicht, werde ich dir kommen bald und deinen Leuchter wegstoßen
von seiner Stätte, wenn du nicht Buße tust“? Ach ja, nach diesem köstlicheren
Weg strebte die korinthische Gemeinde nicht mehr, darum die ernsten Ermahnungen
und Warnungen des Apostels in den vorausgehenden Kapiteln und so denn in
Verbindung mit diesem Lobpsalm auf die Liebe zunächst zur Beschämung.
Und dazu sollen und wollen wir ihn auch uns
zunächst dienen lassen, da bei vielen gar nicht einmal eine rechte Erkenntnis
der wahren Liebe vorhanden ist, geschweige diese dann selber. Wie wenig kann
die Welt auf uns mit den Worten hinweisen: „Seht, wie lieb sie sich
untereinander haben“; wie oft dagegen wird ihr Ursache gegeben auszurufen:
Seht, wie viel Hass, Feindschaft, Belügen, Verraten, Nachreden, Verleumden,
Richten, Parteiwesen, Übervorteilen, Ungerechtigkeit und dgl. unter ihnen ist,
welche sich der reinen Lehre rühmen; wie man ausweicht gleich dem Priester und
Leviten, wo ein Liebesdienst nötig ist oder erbeten wird. Zwar des Christen
Auge sieht ja andres als die Welt, sieht also die Spuren dieser von Paulus
gepriesenen Liebe auch unter uns, wie sie bei den Korinthern trotz alledem noch
zu sehen waren; aber gerade diejenigen, welche im Herzen solche Liebe noch
tragen, werden heute beschämt bekennen, dass solche Spuren nicht nur wenige
wahrzunehmen sind, sondern auch, dass ihre Liebe selber noch so klein und
schwach ist.
Doch, Geliebte, nie beschämt der Apostel
die Christen um des alten Menschen willen, ohne dass er sie nicht auch zugleich
reizt nach dem neuen Menschen. Und dass vornehmlich zur Reizung der
Liebe der Apostel diesen Lobpsalm auf die Liebe angestimmt hat, beweist schon,
dass es von ihm in so erhabener, herrlicher, schwungvoller Weise geschehen ist.
Es müsste doch einer schon recht gefühllos sein, wenn es ihn nicht nach Anhören
dieser Epistel bewegte, zu sagen oder zu denken: O, es ist doch um diese Liebe
etwas Wunderbares, Himmlisches, Göttliches! Wie ganz anders sähe es in der Welt
aus, erfüllte sie vieler Menschen Herzen! Wo aber wäre ein Christenherz, das,
indem es von diesem Lied der Liebe beschämt die Augen niederschlägt, nicht
zugleich wünscht und begehrt, von dieser Liebe doch immer mehr erfüllt zu
werden? Zu desto größerer Reizung und Lockung ruft darum der Apostel
unmittelbar nach seinem hohen Lied von der Liebe den Korinthern und uns allen
noch besonders zu: „Strebt nach der Liebe!“ Es will und kann ja freilich
nach der Liebe nur der streben, welcher bereits zum wahren Glauben und so zu
einem Anfang der wahren Liebe gekommen ist; aber vergeblich strebt nach ihr
kein gläubiger Christ, denn es handelt sich dabei um Vermehrung einer
Heiligungsgabe, die ein jeder Christ schon hat, also um Vermehrung des Glaubens
und der Hoffnung, so um Vermehrung der Liebe. Der HERR aber sagt: „Wer da hat,
dem wird gegeben werden, dass er die Fülle habe.“
3.
Weil aber Beispiele mächtig zu dem ziehen,
was Worte lehren, auch das, was die Worte lehren, desto mehr verdeutlichen, so
lasst uns drittens und schließlich noch einen flüchtigen Blick auf den Sänger
des hohen Liedes von der Liebe selbst werfen.
Wie oft besingen Dichter in ihrer Art
Herrliches, so herrlich und haben es doch selbst nicht oder sind selbst das
Gegenteil davon. Paulus singt hier das hohe Lied der Liebe; aber er ist hier
kein tönendes Erz und keine klingende Schelle. Was der Heilige Geist ihm hier
von der Liebe eingegeben hat, das lebt selber in seinem Herzen und damit ist er
freilich der geeignete Griffel des guten Schreibers, des Heiligen Geistes, zum
Schreiben eines so erhabenen Lobpsalms von der Liebe.
Ja, meine Lieben, wenn in irgendeines
Menschen Herz das Liebesfeuer gebrannt hat, so ist es das Herz eines Paulus.
Davon haben wir vor acht Tagen eine Probe bei seiner ihm von den Korinthern
widerfahrenen Verkennung gesehen. Davon zeugt sein ganzer apostolischer Lauf,
soweit er uns bekannt ist. Man könnte überall zu dem, was er von der Art dieser
Liebe hier singt, einen Zug aus seinem Leben als Illustration bringen, schier
möchte man sagen, dass er unbewusst hier sein eigenes Lebensbild gemalt hat.
Aber den herrlichsten Beweis, dass die von ihm besungene Liebe in einem
ungewöhnlichen Maß in ihm gelebt und aus ihm geleuchtet hat, erblicken wir doch
in seinem großen Schmerz und seiner steten Herzenstraurigkeit über die
Verblendung seiner Brüder nach dem Fleisch, in welcher er trotzdem, dass sie
ihn ohne Unterlass bis aufs Blut verfolgten, sogar ausruft: „Ich habe
gewünscht, verbannt zu sein von Christus für meine Brüder, die meine Verwandten
sind nach dem Fleisch!“ (Röm. 9,3.)
Das ist aber derselben Mann, der einst mit
Drohen und Morden gegen die Jünger des HERRN geschnaubt hat und der in seiner
Christenverfolgungswut geblieben und darin immer rasender geworden wäre, hätte
ihn nicht Christus nach seinem unbegreiflichen Erbarmen dort auf dem Weg nach
Damaskus plötzlich herumgeholt. Seht doch, was die Gnade selbst aus einem
schnaubenden Christenverfolger noch machen kann!
Als er nun aber einmal die Liebe erkannt,
mit der Christus auch ihn geliebt und sich für ihn in den Tod gegeben hat und
mit der er ihm dann auch seinem Verfolgungsweg nachging, da war auch die Liebe
Gottes in sein Herz ausgegossen durch den Heiligen Geist. An der Liebe, womit
sein Heiland ihn geliebt hat, entzündete sich auch die Liebe in ihm und je mehr
er diese Liebe in ihrer Höhe und Tiefe, Länge und Breite erkannte, je mehr
wollte, je mehr konnte er auch seine Miterlösten lieben, je mehr strebte er in
der Erkenntnis und Erfahrung der göttlichen Liebe nach der Gabe der wahren
Liebe zu den Brüdern und Feinden.
Meine Lieben! Heute treten wir wieder ein
in die heilige Passionszeit, da uns mehr als sonst im Kirchenjahr der
Gekreuzigte vor die Augen gemalt wird und wir in seiner Dahingabe in den
bitteren Tod am Kreuz sowohl die höchsten Offenbarung seiner Liebe gegen uns,
da wir noch seine Feinde waren, erblicken, als auch das höchste Vorbild der
Liebe für uns, wenn wir nun seine Freunde geworden sind. O, so lasst uns aufs
neue hören von dieser Liebe, aufs neue diese Liebe betrachten, aus neue flehen
zu dieser Liebe, dass sie in unser Herz ausgegossen werde und wir lieben
lernen, wie Paulus seinen HERRN und in ihm und um seinetwillen seinen Nächsten
geliebt hat. Das helfe er uns in Gnaden. Amen.
Gebet:
O HERR, vor dem alle unsere Taten ohne die Liebe nichtig sind: Sende uns deinen
Heiligen Geist, dass er in unsere Herzen die edle Gabe der Liebe ausgieße und
unsere Seelen in dies Band aller Tugend fasse, ohne welches für tot gerechnet
ist vor deinen Augen alles, was da lebt, durch Jesus Christus, unseren HERRN.
Amen.
Lied:
Wenn einer alle Kunst. Str. 9 und 10.
Lied:
Lass mich dein sein und bleiben
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, dem
Vater, und unserem HERRN Jesus Christus, der sich selbst für unsere Sünden
gegeben hat, damit er uns errettete von dieser gegenwärtigen und argen Welt,
nach dem Willen Gottes und unseres Vaters, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu
Ewigkeit. Amen.
2.
Korinther 6,1-10: Wir ermahnen aber euch als Mithelfer, dass ihr nicht
vergeblich die Gnade Gottes empfangt. Denn er spricht: Ich habe dich in der
angenehmen Zeit erhört und habe dir am Tag des Heils geholfen. Seht, jetzt ist
die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils. Lasst uns aber niemand
irgendein Ärgernis geben, damit unser Amt nicht verlästert werde; sondern in
allen Dingen lasst uns beweisen als die Diener Gottes: in großer Geduld, in
Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhren, in
Arbeit, in Wachen, in Fasten, in Keuschheit, in Erkenntnis, in Langmut, in
Freundlichkeit, in dem Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der
Wahrheit, in der Kraft Gottes, durch Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und
zur Linken; durch Ehre und Schande, durch böse Gerüchte und gute Gerüchte; als
die Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als
die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht
ertötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die
doch viele reich machen; als die nichts innehaben und doch alles haben.
Geliebte in dem HERRN! Wieder eingetreten
in die ernste, so reich gesegnete Passionszeit, empfängt uns am ersten Sonntag
in den Fasten der Apostel mit den Worten: „Wir ermahnen aber euch, als
Mithelfer, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt.“ Eine ebenso
wichtige wie dringliche Ermahnung, zumal in der Passionszeit! Da nun dieselbe
das eigentliche Thema der ganzen heutigen Epistel ist, so sei auch der Inhalt
meiner Predigt
Die dringende Ermahnung des Apostels, Gottes Gnade nicht vergeblich
zu empfangen
Lasst uns erwägen,
1.
Was der Apostel
mit dieser Ermahnung meint und
2.
Wie dringend er
diese macht.
Großer Hoherpriester, Jesus Christus, der
du einst mit starkem Geschrei und Tränen vor Gott getreten bist und dich zu
unserer Versöhnung in den Tod geopfert hast; der du auch bist erhört worden,
und hast uns Gnade erworben und sitzt zur Rechten Gottes und hast unter uns
aufgerichtet das Amt von der Versöhnung, dass du uns die erworbene Gnade auch
reichlich mitteilen könntest: Wir bitten dich, lass uns erkennen, dass du mit
dieser Gnade auch uns schon so lange und so reichlich heimgesucht hast, damit
wir doch endlich recht bedenken möchten, was zu unserem Frieden dient. Und weil
wir denn auch in gegenwärtiger Stunde solche Gnade durch die Predigt deines
Wortes empfangen, so hilf, dass wir recht hören und erfülle deine Verheißung:
Wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er die Fülle habe. Amen.
1.
Wir sollen zusehen, dass wir nicht
vergeblich die Gnade Gottes empfangen, ermahnt der Apostel. Was er mit
dieser Ermahnung meine, wird uns klar, wenn wir fragen 1. Was das für
eine Gnade sei und welcher Gestalt wir diese empfangen? Und 2.
Wer denn diese Gnade vergeblich empfange?
1.
Was das für eine Gnade sei, zeigt der Apostel an, wenn er seine Ermahnung mit
dem Zusatz begründet: „Denn er spricht: Ich habe dich in der angenehmen Zeit
erhört und habe dir am Tag des Heils geholfen“, und dann uns zuruft: „Seht,
jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils.“ Jene Worte sind
nämlich aus dem 49. Kapitel Jesajas genommen. Da spricht der Vater zu dem Sohn,
der mit starkem Geschrei und Tränen als unser Hoherpriester vor Gott
hingetreten ist: „Ich habe dich in der angenehmen Zeit erhört und habe dir
am Tag des Heils geholfen.“ Erhört ist er worden, dass Gott sein
Versöhnopfer als vollgültig anerkannt, ihn von den Toten ausgeführt und zu
seiner Rechten gesetzt hat und ihm nun die versprochene Menge gläubig
gewordener Sünder seitdem als Beute zuführt. Mit dem Tod und der Auferstehung
Christi ist demnach der „Tag des Heils“ für die ganze Welt angebrochen
und mit der Sendung des Heiligen Geistes und der in alle Welt ausgehenden
Predigt des Evangeliums die „angenehme Zeit“ vorhanden; denn das
Evangelium ist die frohe Botschaft von der durch Christus erworbenen Vergebung
der Sünden, der Errettung und Seligmachung der Sünder, und da Gott für die
Annahme der durch Christus erworbenen, durchs Wort verkündigten und in
demselben dargebotenen Gnade nichts fordert als den Glauben an dieselbe und
diesen Glauben sogar selber durch eben dasselbe Wort wirkt, so ist ja jedem
Menschen, der dies Wort hört, das Seligwerden, die Annehme des Heils überaus
leicht gemacht, so blutsauer dem Sohn Gottes die Erwerbung desselben geworden
ist. Das ist die Gnade Gottes, die wir empfangen.
Weil nun Gott das teuer erworbene Heil und
alle seine Gnade in das Wort des Evangeliums und in dessen Siegel, die heiligen
Sakramente, gefasst, zur Verwaltung der Gnadenmittel und Darreichung seiner
Gnade durch diese Mittel das heilige Predigtamt gestiftet hat und dessen
Ausrichtung unmittelbar oder mittelbar gewissen Personen überträgt, so folgt
daraus, dass jeder, welcher die reine Predigt des Evangeliums hört, jeder, dem
durch die Aufrichtung eines rechtgläubigen Predigtamtes an seinem Ort die
Gelegenheit geboten ist, sie zu hören und durch den Dienst rechtschaffener
Prediger gläubig und selig zu werden, auch die Gnade Gottes empfängt. Daran
erinnert auch der Apostel durch die Bemerkung: „Wir ermahnen aber auch als
Mithelfer.“ Mit dieser Bemerkung weist er ja zurück auf die unmittelbar
vorausgehenden Worte, da er schreibt: „Aber das alles von Gott, der uns mit ihm
selber versöhnt hat durch Jesus Christus, und das Amt gegeben, das die
Versöhnung predigt. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm
selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet
das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn
Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: ‚Lasst euch
versöhnen mit Gott!‘“
Seht, solchergestalt empfangen wir
die Gnade Gottes, empfangen sie insofern, insofern Gott seine Gnade im Wort und
durch den Dienst des Predigtamtes uns verkündigt, anbietet und darreicht,
empfangen sie erst als zuvorkommende Gnade und dann als angeeignete
Gnade.
2. Und nun unsere zweite Frage: Wer
empfängt die Gnade Gottes vergeblich? Im Allgemeinen gewiss jeder, der
den Tag des Heils, die angenehme Zeit, darin er heimgesucht ist, nicht erkennt
und nicht bedenkt, was zu seinem Frieden dient. Aber wie das im Allgemeinen,
wie im Besonderen geschieht, das lasst mich nach der Erfahrung etwas
beschreiben.
Dass wir inmitten dieser letzten
schrecklichen Zeit doch auch wieder in einer Zeit großer Gnadenheimsuchung
leben und das gerade in diesem Land, sei auch heute wieder erinnert. Gott hat
uns unverdientermaßen in besonderem Maß sowohl die Gnadengabe reiner Lehre und
Erkenntnis als auch das herrliche Gut der Gewissensfreiheit verliehen. In Folge
dieser zweifachen Gnade erfüllt sich fort und fort jenes Wort des 84. Psalms:
„Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten und von Herzen dir
nachwandeln“ (die in Lehre und Leben allein dein Wort zu ihrer Richtschnur
nehmen). „Die durch das Jammertal gehen und machen daselbst Brunnen“ (eröffnen,
Trübsal und Verfolgung nicht scheuend, von Ort zu Ort den Heilbrunnen rechter
Lehre durch Sammlung von Gemeinden, Errichtung von Kirchen und Schulen) „und
die Lehrer werden mit viel Segen geschmückt, dass man sehe, der rechte Gott sei
zu Zion.“ Und wie geht mit der zunehmenden mündlichen Verkündigung des reinen
Wortes die schriftliche Hand in Hand durch unsere Zeitschriften, unsere
Erbauungs- und Schulbücher und unsere Synodalberichte, in welch letzteren
besonders zunehmend die Schätze der himmlischen Lehre aufgespeichert werden.
Aber wer erkennt, wer benützt diese große Heimsuchung? Wer kauft ein, weil der
Markt vor der Tür ist? Wer bedenkt, dass auf die sieben fruchtbaren Jahre auch
sieben teure folgen können? Ach, es sind nur wenige, vollends wenige unter dem
heranwachsenden Geschlecht. Je länger vielmehr diese Zeit besonderer gnädiger
Heimsuchung wärt und je mehr Gott in derselben an uns tut, je weniger wird sie
erkannt und benützt. Wir werden ja gleich sehen, wie wenig sich das namentlich
im Gebrauch der Gnadenmittel zeigt.
Vor allem empfängt besonders der die Gnade
Gottes vergeblich, welcher von den Mitteln der Gnade gar keinen oder doch nur
einen höchst seltenen Gebrauch macht. Da besteht zum Beispiel an einem
volkreichen, von Lutheranern bewohnten Ort etwa schon seit einer Reihe von
Jahren eine durch die reine lutherische Predigt gesammelte und mehr oder
weniger geordnete Gemeinde. Je länger, je weniger bleibt sie der
Einwohnerschaft verborgen. Sie hat ein Gotteshaus und daneben oder in nächster
Nähe ein Schulhaus; denn wo eine lutherische Gemeinde entsteht, da entsteht
auch zugleich mit der Kirche eine Gemeindeschule. An Sonn- und Festtagen sieht
man viele Leute aus dem Gotteshaus, an Werktagen eine fröhliche Kinderschar aus
dem Schulhaus kommen. Amtshandlungen, besonders Leichen und Trauungen, führen
gelegentlich auch viele Fremde ins Gotteshaus oder machen sonst den Pastor der
Gemeinde diesen bekannt. Alles das sind Wege unseres Gottes, die Leute auf die
Mittel seiner Gnade aufmerksam zu machen. Aber wie viele sind, die gleichwohl
um eine Kirche oder Gemeinde sich rein nichts bekümmern, sondern leben ohne
Besuch des Gottesdienstes Jahr um Jahr so dahin. Und wenn wir an Sonn- und
Festtagen in die Kirche treten – sind denn das alle Gemeindeglieder, die wir
hier versammelt finden? Oder wenn wir uns einmal in der Gemeindeschule umsehen,
sind denn das alle schulpflichtigen und unterrichtsfähigen Gemeindekinder?
Wer nun aber von einer rechtgläubigen
Kirche und Schule gar keinen oder doch nur einen sehr seltenen, sehr wenig
Gebrauch macht, der empfängt durch solche Missachtung der Gnadenmittel und der
zu ihrem Gebrauch getroffenen Einrichtungen der Kirche doch offenbar die Gnade
Gottes vergeblich; denn das steht bei Gott unwiderruflich fest, dass er uns des
erworbenen Heils nicht anders teilhaftig machen will und kann als durch den
Glauben, aber auch, dass er dir den Glauben nicht anders geben, mehren und
erhalten will, du gebraucht denn immer wieder Wort und Sakrament. Willst du
dich in die göttliche Ordnung nicht schicken, so gehst du verloren, denn eine
andere Ordnung wird dir Gott nun einmal nicht machen. Prüfe dich demnach! Wie
oft gehst du zur Kirche? Wie lang ist’s her, dass du nicht mehr beim heiligen
Abendmahl warst? Wie hältst du es mit deinen schulpflichtigen Kindern? Behältst
du sie bis vor der Konfirmation daheim? Oder schickt du sie die meiste Zeit in
die religionslose Staatsschule? Du willst dich entschuldigen? O, lass das,
damit du deine Seele nicht noch mehr betrügst. Wie wenig Gott hier alle und
jede Entschuldigung gelten lässt, wie er den Nichtgebrauch oder den säumigen
Gebrauch seiner Gnadenmittel und Gnadenanstalten für Verachtung der Gnade schlechtweg
rechnet, zeigen dir die Gleichnisse vom großen Abendmahl und von der
königlichen Hochzeit Lukas 14 und Matthäus 22.
So gewiss nun aber derjenige Gottes Gnade
vergeblich empfängt, welcher die Gnadenmittel gar nicht oder nur sehr selten
gebraucht, so gewiss auch derjenige, welcher sie zwar häufig, aber nicht
heilsam gebraucht, nicht so gebraucht, dass er wahrhaft gläubig und durch
den Glauben ein seliger und wiedergeborener Mensch wird, also die Gnade sich
nicht aneignet. Das geschieht, wenn man sein Kirchen- und Abendmahlsgehen zu
einer bloßen Gewohnheitssache macht, sei es, dass man es als ein blinder
Pharisäer zum Verdienst vor Gott oder als ein in Sünden lebender Mensch zu
einem Pflaster auf das böse Gewissen gebraucht und so die Gnade auf Mutwillen
zieht. Und ob man auch bisweilen Rührungen hat, ob es auch bisweilen dort bei
dem von des Paulus Wort ergriffenen Agrippa heißt: „Es fehlt nicht viel, so
überredest du mich, dass ich ein Christ würde“ – kommt es nicht weiter, so hat
man die Gnade doch vergeblich empfangen, denn sie hat ihren ersten Zweck noch
gar nicht erreicht, nämlich eine wahre Bekehrung durch den Glauben.
Ja noch mehr! Wer sogar die Gnadenmittel
heilsam erst gebraucht und so ein wahrhaft gläubiger und gottseliger Mensch
geworden ist, fährt aber in solchem Gebrauch nicht fort, sondern gerät in
Sicherheit und damit in falsche Lehre, in pharisäisches oder fleischliches
Wesen, bei wem also der heilsame Gebrauch der Gnadenmittel nicht ein bis ans
Ende bleibender ist – auch der empfängt die Gnade vergeblich; denn nur „wer
beharrt bis ans Ende, der wird selig“, die Seligmachung aber ist der letzte
Zweck der uns widerfahrenden Gnade.
Dass wir also die Gnadenzeit des Neuen
Testaments, wie die Zeit besonderer Heimsuchung in derselben erkennen und
bedenken, was zu unserem Frieden dient; dass wir deshalb besonders die Mittel
der Gnade fleißig und heilsam gebrauchen und darin beharren bis an das Ende,
das, meine Lieben, meint der Apostel, wenn er ermahnt, die Gnade Gottes
nicht vergeblich zu empfangen.
2.
Lasst uns erwägen, wie dringend der
Apostel seine Ermahnung macht. Wir sehen das aber sowohl aus der von ihm
angedeuteten Ursache, die ihn zu dieser Ermahnung bewegt, als auch aus
der Art und Weise, in der diese Ermahnung geschieht.
„Seht, jetzt ist die angenehme Zeit,
jetzt ist der Tag des Heils!“ haben wir ihn bereits rufen hören. Damit
deutet er die Ursache an, die ihn zu solcher Ermahnung bewegt. Das ist jene
doppelte Gefahr, die zu allen Zeiten denen droht, welche die Gnade Gottes
empfangen haben.
Die eine ist die Gefahr der
Geringschätzung der empfangenen Gnade. Ist’s denn nicht Tatsache, dass der
Mensch in Folge des erbsündlichen Verderbens irgendein Gut mehr und mehr gering
schätzt, je reichlicher und je länger er’s hat? Ist’s nicht so hinsichtlich der
Gesundheit, des guten Auskommens, des vergleichsweise glücklichen
Familienlebens? Verlieren nun aber in unseren Augen irdische Güter an Wert und
Reiz, die wir von Natur am Sichtbaren und Zeitlichen hängen, wie erst die
geistlichen und ewigen Güter! Es lehrt’s auch die Erfahrung im Leben einer
ganzen Gemeinde, wie der Einzelnen ihrer Glieder: je reichlicher und länger
Gott sein Wort an einem Ort predigen lässt, je weniger achtet man die
empfangene Gnade, je mehr stellt sich Ekel, Überdruss und Verlangen nach einer
anderen Predigt oder nach einem anderen Prediger ein und sucht man, wenn es
nicht mehr recht voran gehen will, die Ursache nicht bei sich selbst, sondern
in diesem und jenem. Ach, was bedürfte es denn solcher Ermahnung! „Siehe!“
ruft darum der Apostel, d.i.: Erkennt doch, was ihr habt!
Die andere Gefahr ist die des Verlustes
der empfangenen Gnade. Dass diese der Apostel ganz besonders im Auge hat,
zeigen die angeführten Worte. „Jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt
ist der Tag des Heils!“ ruft er. Warum legt er denn solchen Nachdruck auf
das „Jetzt“? Offenbar darum, dass man nicht wähne, die angenehme Zeit
werde für jeden schlechthin fortwähren, die aufgegangene Gnadensonne für keinen
wieder untergehen. Dass die Gefahr des Verlustes aber mit der Gefahr der
Geringschätzung verbunden ist, zeigen die Juden. Welche angenehme Zeit, welcher
Tag des Heils brach an, als Johannes der Täufer dem HERRN den Weg bereitete und
welche Gnade, als nun der im Fleisch erschienene Gottessohn drei Jahre unter
diesem Volk sein prophetisches Amt ausrichtete. Aber lest nun Matthäus 11!
Welche bewegliche Klage des HERRN über die zunehmende Geringschätzung der
empfangenen Gnade, da den Leuten nicht nur die strenge Bußpredigt des Johannes,
sondern auch die süße Gnadenpredigt Christi je länger je weniger zusagte, da
die Weisheit sich von ihren Kindern musste rechtfertigen lassen, indem es von
Johannes hieß: „Er hat den Teufel!“ und von Jesus: „Der Mensch ist ein Fresser
und Weinsäufer, der Zöllner und der Sünder Geselle!“ Was lesen wir aber auch
Matth. 23? Da ruft der HERR: „Siehe, euer Haus soll euch wüste gelassen
werden!“ So folgte auf die Geringschätzung der empfangenen Gnade der Verlust
derselben. Auf diese Gefahr des Verlustes weist auch Dr. Luther in der heutigen
Epistelpredigt nachdrücklich hin, da er Gottes Wort mit einem fahrenden
Platzregen vergleicht, der „bald hier, bald da trifft“ und dann auch hier jenen
erschütternden Ausspruch wieder tut: „Das gibt auch die Erfahrung, dass an
keinem Ort der Welt das Evangelium lauter und rein geblieben ist über eines
Mannes Gedenken; sondern so lange die geblieben sind, die es aufgebracht haben,
ist’s gestanden und hat zugenommen; wenn die dahin waren, was das Licht auch
dahin.“
Empfängt also eine ganze Gemeinde die Gnade
Gottes vergeblich, so nimmt ihr Gott wieder die Mittel der Gnade. Das Geringste
ist, dass er den durch Tod oder Wegberufung leer gewordenen Predigtstuhl
längere Zeit, ja oft lange Zeit, leer und die Gemeinde von anderwärts her nur
notdürftig versorgen lässt. Doch ist das noch immer kein völliger
Verlust. Er ist nur eine Züchtigung zur Buße, ein Höherhängen des Brotkorbs,
dass die satten Kinder nach dem Brot wieder recht hungrig werden und dann, wenn
er’s wieder reichlich gibt, mit demselben nur umso dankbarer umgehen lernen.
Das Schrecklichste aber ist, wenn eine Gemeinde den Schatz der reinen Lehre
verliert und kommen an die Stelle er rechten Prediger und Lehrer Irrlehrer und
Rottengeister, welche verwüsten und zur Hölle führen. Zwar erfolgt der Verlust
der reinen Lehre oft ganz unvermerkt und nach und nach, aber doch immer mehr
und zuletzt ganz, denn „ein wenig Sauerteig versäuert den ganzen Teig.“
So eine ganze Gemeinde, eine ganze Synode,
eine ganze Kirche.
Und ein einzelner Christ? Ist’s ein
Prediger, ein Lehrer an hoher oder niederer Schule, so zeigt sich der Verlust
der Gnade Gottes darin, dass er entweder selber ein Irrgeist und Verführer, ein
Feind der Wahrheit und ein Abtrünniger wird, oder auch ein Bauchdiener, ein
Mietling, der nur das Irdische sucht, oder ein Judas, der Christus den Feinden
verrät, oder ein Demas, der die Welt wieder lieb gewinnt und sein Amt mit einem
einträglicheren Lebensberuf vertauscht. Und ist’s sonst ein Christ, so trennt er
sich vielleicht aus nichtiger Ursache von einer rechtgläubigen Gemeinde und
schließt sich einer falschgläubigen Gemeinde an oder schlägt sich zur Welt oder
zieht trotz aller Warnung an einen Ort, wo er aus Mangel an rechtgläubiger
Predigt eine Beute der Schwärmer wird oder er kommt in Todesnot und stirbt ohne
Wort und Sakrament, weil er im Leben nichts danach gefragt hat, als er’s
reichlich hätte haben können.
Seht da die von dem Apostel angedeutete
Gefahr der Geringschätzung und des darauffolgenden Verlustes der empfangenen
Gnade. Wie macht der Apostel durch deren Andeutung seine Ermahnung doch so
dringend! O, lassen wir uns warnen! Werden wir durch fremden Schaden klug!
Nicht weniger dringend macht er seine
Ermahnung durch die Art und Weise, in der sie geschieht und mit
der er ebenso sehr reizt, als er zuvor gewarnt hat.
Fürs erste gebraucht er nämlich diese
Worte: „Wir ermahnen aber euch als Mithelfer.“ Mit dem
Ausdruck „Mithelfer“ will er da zweierlei sagen.
Er
will zunächst sagen: O, ihr lieben Christen, wollt ihr die Gnade Gotts nicht
vergeblich empfangen, so „erkennt, die an euch arbeiten und euch
vorstehen in dem HERRN und euch ermahnen“. Bedenkt, wir Diener Christi sind
Gottes Mithelfer, Gottes Mitarbeiter, und zwar nicht in dem Sinn, wie ein
Geselle seines Meisters Mitarbeiter ist, als der unter und neben
dem Meister seine Arbeit tut, sondern in dem Sinn, dass der Heilige Geist durch
uns als seinen Werkzeugen wirkt, durch uns als seinen Botschaftern ermahnt. So
oft also ein Diener Christi uns ermahnt, Gottes Gabe nicht vergeblich zu
empfangen, so oft ermahnt uns Gott selbst. „Wer euch hört, der hört mich, und
wer euch verachtet, der verachtet mich“, spricht der HERR selbst. Wir sollen
darum auch keine Predigt eines seiner Werkzeuge verachten oder versäumen, da
man nicht weiß, welches Werkzeug und welches Stündlein Gott erwählt hat,
dadurch und darin er sein Gnadenwerk in uns verrichten will.
Sodann aber will er auch dieses sagen: O,
ihr lieben Christen, erweist euch selbst als Mithelfer, wollt ihr die
Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen. Erinnern wir uns hierbei, dass unsere
Bekenntnisschriften auch in solchem Sinn auf diese Worte unserer Epistel sich
beziehen und zwar zum Beweis dafür, dass, wenn ein Mensch durch die göttliche
Gnade bekehrt ist, er auch mit dieser Gnade nun an seiner Vollendung zur
Seligkeit wirken müsse. Ehe freilich ein Mensch bekehrt ist, kann er nicht mit
der Gnade wirken. Er kann sich weder zur Gnade bereiten, noch dieselbe
annehmen, noch sich selber erwecken, so wenig, wie sich ein Toter selbst
erwecken kann. Hier muss die göttliche Gnade alles tun. Anders aber, wenn er
zum Glauben gekommen ist; denn durch die Bekehrung wird der von der Sünde
gebundene, von Gott losgerissene Wille frei und Gott wieder zugeeignet und
untertan gemacht. Weil nun da der Mensch mit göttlichen Gnadenkräften erfüllt
ist so soll er diese als ein Pfund gebrauchen, damit er in dem neuen Leben
zunehme und so in der Gnade bleibe. Wohl ist es wahr, dass der Bekehrung nur so
lange mit der Gnade wirken kann, so lange ihn Gott mit seinem heiligen Geist
regiert; zieht er nur einen Augenblick die Hand von ihm ab, so ist’s um ihn
geschehen. Wie Gott daher sein gutes Werk in uns angefangen hat, so muss er’s
auch vollführen bis an den Tag Christi; er verfährt aber hierbei nach dem Wort:
„Wer da hat, dem wird gegeben werden, dass er die Fülle habe; wer aber nicht
hat, von dem wird auch das genommen werden, das er hat.“
Somit also erinnert der Apostel hierdurch
die Christen sowohl an das unter ihnen vorhandenen Gnadenmittelamts, als
auch an ihren Gnadenstand, ihrer hohen seligen Aufgabe, ihrer wichtigen
Verpflichtung, der Heiligung in der Furcht Gottes nachzujagen und macht auch
dadurch seine Ermahnung so dringend.
In Verbindung damit ruft er uns zum anderen
zu: „Lasst uns aber niemand irgendein Ärgernis unten, auf dass unser Amt
nicht verlästert werde, sondern in allen Dingen lasst uns beweisen als die
Diener Gottes.“ Und nun nennt er die Dinge alle, in denen wir uns als die
Diener Gottes beweisen und so im Stand der Bekehrung mit der Gnade wirken
sollen; nun malt uns, seine Ermahnung desto dringender machend, in den weiteren
Worten ein ergreifendes Bild der Diener Gottes vor Augen, das umso ergreifender
ist, weil wir da ihn selbst und alle heiligen Apostel und deren Gehilfen als
hellleuchtende Vorbilder, die Christen der ersten Zeit als deren treue
Nachfolger, sie alle aber als Nachbilder unseres HERRN Jesus Christus, der uns
ein Vorbild gelassen hat, dass wir nachfolgen seinen Fußstapfen.
Zuletzt noch dieses. Um seine ganze
Ermahnung zu verstärken, und so auch dadurch dringlich zu machen, redet der
Apostel in der Mehrzahl: „Wir ermahnen euch als die Mithelfer.“
Mit ihm ermahnen also uns viele. Ja, der ganze Chor der heiligen Apostel, die
ganze Schar ihrer ausgezeichneten Mitarbeiter, die ganze Wolke berufener Diener
am Wort bis zur Reformation und bis in unsere Tage – sie alle rufen uns vereint
und gewaltig zu: „Wir ermahnen euch aber als Mithelfer, dass ihr die Gnade
Gottes nicht vergeblich empfangt!“
So ermahnen denn auch wir berufene
Mithelfer der Gnade Gottes an dieser Gemeinde, ihr wollet die Gnade auch
eurerseits nicht vergeblich empfangen. „Vergeblich!“ O, dies schon in
irdischen Dingen so traurige Wort finde umso weniger in Absicht auf die uns
widerfahrene Gnade statt, da, je größer die vergeblich empfangene Gnade war,
desto größer der darauffolgende Zorn ist. Um Christi Erbarmung, um seiner Treue
willen heiße es vielmehr bei einem jeden wie bei einem Paulus: „Durch Gottes
Gnade bin ich, was ich bin, und seine Gnade ist an mir nicht vergeblich
gewesen.“ Amen, das helfe Gott! Amen.
Gebet:
Allmächtiger, ewiger Gott, der du uns in der gegenwärtigen Zeit abermals um des
heiligen Leidens und Sterbens deines lieben Sohnes willen so väterlich und
ernstlich Vergebung unserer Sünden, Leben und ewige Seligkeit anbietest: Wir
bitten dich, gib uns deinen Heiligen Geist, damit wir solche deine
zuvorkommende Gnade nicht leichtsinnig oder mutwillig verachten, sondern deinen
Ruf mit Freuden vernehmen, in kindlichem Gehorsam ihm folgen und durch
rechtschaffene Heiligung uns derselben würdig beweisen: durch Jesus Christus,
deinen lieben Sohn, unseren HERRN. Amen.
Lied:
Ach bleib mit deiner Gnade
[1]
Diese Predigt
stammt nicht aus Walthers Predigtbuch „Gnadenjahr“, da dort zu diesem Festtag
keine Predigt enthalten ist, sondern aus dem Predigtbuch von Reinhold Pieper:
Predigten über freie Texte. 2. Bd. Milwaukee
Wis.: Germania Publishing Co. 1903. S. 221 ff.
[2] Text durch Hrsg.
geändert. Walther
hatte: „…der auch in seinem Herzen die lebendige Erfahrung davon gemacht hat,
dass er ein ohnmächtiger Sünder sei, der sich selbst nicht erlösen konnte, dass
aber Jesus Christus, wie aller Menschen, so auch sein Heiland und
Seligmacher sei, dass er auch seine Sünden getragen und für dieselben am
Kreuz g4ebüßt habe, und dass alle diese seine Sünden ihm um Christi Willen
vergeben seien.“
[3]
Text durch
Hrsg. geändert. Walther hatte: „…erfuhr“
[4]
Text durch
Hrsg. geändert. Walther hatte: „… auch zu erfahren suchen“
[5]
Text durch
Hrsg. geändert. Walther hatte: „… auch in seinem Herzen zu erfahren
suche.“
[6]
Text durch
Hrsg. geändert. Walther hatte: „…in seinem Herzen nichts erfahren, fühlen und
empfinden dürfe“
[7]
Beifügung
durch Hrsg.
[8]
Beifügung
durch Hrsg.
[9]
Text durch
Hrsg. geändert. Walther hatte: „O selig, selig sind die Zuhörer, die solche
Erfahrungen machen! Sie haben die Weihnachtspredigt nicht vergeblich gehört.“
[10]
Wahrscheinlich
kamen sie aus dem Bereich des heutigen Irak, dem einstigen Babylonien, wohin ja
viele Juden durch die babylonische Gefangenschaft gekommen und bis nach dem
zweiten Weltkrieg auch viele gelebt haben. Durch sie wird, vor allem einst
durch Daniel, die Weissagung auf den Messias in diese Gegenden und in diese
Kreise gekommen sein, auch die Weissagung des Bileam, dass ein Stern aufgehen
wird aus Juda. Dadurch werden Erwartungen, Hoffnungen geweckt worden sein, die
Gott durch seinen Stern erneuerte, vertiefte und dann zum Ziel führte. (Anm. d.
Hrsg.)
[11]
Zu Walthers
Zeiten im 19. Jahrhundert war es allerdings den römischen Katholiken eher nicht
erlaubt, die Bibel zu lesen. Das hat sich nach dem Vaticanum II geändert.
(Walther hatte daher im Original anstatt „galt lange“ „gilt“.) Allerdings gilt
weiter, dass die Bibel dunkel sei und sie deshalb nur gemäß der Vorgabe Roms zu
verstehen sei. Anm. d. Hrsg.
[12]
Walther hat
anstatt „Verklärungssonntag“ „einen Sonntag, der selten im Kirchenjahr
vorkommt“, weil zu seiner Zeit der Verklärungssonntag nicht, wie heute,
regelmäßig als der letzte Sonntag nach Epiphanias gefeiert wurde, gleichgültig,
wieviel Sonntage nach Epiphanias es gibt, sondern tatsächlich nur, wenn es
wirklich sechs Epiphaniassonntage gab. Anm. d. Hrsg.
[13]
Walther
hatte: „letzten“. Anm. d. Hrsg.
[14]
Walther hat
im Original: „Petrus selbst nun hatte bis dahin noch nicht die Offenbarung
gehabt, dass auch die Heiden in das Reich Christi sollen eingeladen werden.
Diese Offenbarung bekam aber jetzt der heilige Apostel.“ Dies ist zumindest
missverständlich. Denn allerdings wusste eigentlich Petrus, dass auch die
Heiden einzuladen waren, denn Christi Missionsbefehle am Ende seines
Erdenlebens haben dies ganz eindeutig ausgesagt. Daher die Änderung im Text.
[15]
Einfügung
durch Hrsg.
[16]
Einfügung
durch den Hrsg.
[17]
Diese Predigt
stammt nicht aus Walthers Predigtbuch „Gnadenjahr“, da dort zu diesem Festtag
keine Predigt enthalten ist, sondern aus dem Predigtbuch von Reinhold Pieper:
Predigten über freie Texte. 2. Bd. Milwaukee Wis.: Germania Publishing Co.
1903. S. 221 ff.
[18]
Vgl. die
Erklärung dieser Stelle, Luther, E.A., Bd. 18, S. 169 ff.; R. Piepers Kl.
Katechismus Luthers, Bd. 1., T. 2, S. 131 ff.
[19]
Vgl. die
eingehendere Abhandlung hierüber bei Keil, Komm., S. 321; Menken: Der Prophet
Elia. S. 341 ff.
[20]
Hierin war
dem großen Propheten der selige Vorgänger Reinhold Piepers im Amt, Professor
Crämer, ähnlich. Auch er war ein überaus feuriger Charakter, ohne
Menschenfurcht, unter den Treuen der Treueste, uneigennützig in seltenem Maß,
nur dem HERRN lebend, in seinem Dienst seine letzten Kräfte verzehrend. Crämer
hatte nicht viele Bewunderer wie Dr. Walther, aber desto mehr innige Freunde
unter denen, die ich näher kannten. Obwohl schon so krank, dass er sich kaum
aufrecht halten konnte, betrat er dennoch mehrmals das Katheder und
unterrichtete seine Prophetenschüler mit Aufgebot aller seiner Kräfte. Seine
letzte öffentliche Handlung bestand darin, dass er R. Pieper in sein Amt
einführte. Bei dieser brach er vor Schwäche zusammen. Aber auf seinem
Sterbebett beschäftigte er sich in seinen Fiederphantasien fast unausgesetzt
mit seinen Studenten. Seiner Prophetenschule, an der er 40 Jahre hindurch als
Professor und Präses mit seltener Treue gewirkt hatte, galt seine letzte Sorge.
Sie befahl er R. Pieper noch besonders, legte sie ihm mit den bewegendsten
Worten ans Herz. Und sein Ende war in Wahrheit eine Himmelfahrt, ein
Triumphzug.
[21] Vgl. Luther, E.A.,
Bd. 17, S. 208.222.
[22]
Ergänzung
durch Hrsg.
[23]
Die Predigt
wurde im 19. Jahrhundert gehalten. Es dürfte sich da zumindest teilweise etwas
geändert haben. Wobei allerdings bestimmte Kreise, wie die „Fernsehprediger“
eher einen schlechten Ruf haben. Da Walther in dieser Predigt immer wieder auch
auf Zeitumstände zu sprechen kommt, wurde der Predigttext daher leicht so
angepasst, dass er auch für heute verwendet werden kann. (Anm. d. Hrsg.)
[24]
Ausbildungsstätten,
Seminare, Hochschulen gibt es inzwischen auch in den Staaten genug. Aber wie in
Europa auch, sind nicht wenige von der liberalen Theologie bestimmt, das heißt,
die Absolventen lernen nicht wirklich Gottes Wort, sondern werden zu kultisch
verbrämten Sozialarbeitern, die dem Zeitgeist huldigen und nicht Christus,
sondern irgendeine Ideologie oder Sozialarbeit verkünden und so die Gemeinden
und Kirchen vielfach ruinieren, wie es vor allem für die größeren
Kirchenverbände vielfach der Fall ist. Auch im sogenannten „evangelikalen“
Bereich ist die liberale Theologie weit eingebrochen, während einige
Kirchengemeinschaften noch um den Kurs kämpfen, zum Teil auch wieder zu einer
klareren Haltung gefunden haben. In der BRD sieht es da inzwischen viel
düsterer aus, da es an den Hochschulen für die Landeskirchen wohl keinen
Dozenten gibt, der die Verbalinspiration und Irrtumslosigkeit der Schrift
vertritt und die Kirchen durch die liberale Theologie, und zwar auch im
freikirchlichen Raum, weithin zerstört sind. (Anm. d. Hrsg.)
[25]
Das ist
gerade durch Willow Creek, Saddleback und die Gemeindewachstumsbewegung
gefördert worden. (Anm. d. Hrsg.)
[26]
Walther
spricht hier auf die Union an, die im 19. Jahrhundert in einer Reihe deutscher
Staaten durch die Despoten mit brutaler Gewalt durchgesetzt wurde. (Anm. d.
Hrsg.)
[27]
Im
19. Jahrhundert war das tatsächlich so; heute dürfte das kaum noch der Fall
sein. Selbst Rom lehrt das nicht mehr so deutlich; wenn es auch immer noch
behauptet, dass nur ihre Priester aufgrund ihrer „Weihe“ das rechte Abendmahl
reichen könnten und so nur durch sie das volle Heil zu erlangen sei. Anm. d.
Hrsg.
[28]
Der
Anfang dieses Abschnittes ist etwas gegenüber Walther verändert, da hier
Walther doch noch stark pietistisches Gedankengut brachte, was er und die
Missouri-Synode später bei Ludwig Harms zu Recht gerügt haben. Anm. d. Hrsg.
[29]
Entnommen
aus: C.F.W. Walther: Lutherische Brosamen. St. Louis, Mo.: M.C. Barthel. 1876. S. 78 ff.
[30]
Dr.
Martin Luthers Kleiner Katechismus in Frage und Antwort gründlich ausgelegt von
Dr. Joh. Conrad Dietrich usw.
[31]
Lochner
nimmt hier Bezug auf einen Gottesdienst, der in der Gemeinde am Tag zuvor mit
den Kindern gehalten worden war.
[32]
Fast
200 Jahre später müssen wir sagen: Ja, sie haben sich erneuert, wir haben in
den letzten 100 Jahren einen Umfang an Christenverfolgung und Martyrium für die
christliche Kirche gehabt- und haben sie noch, vor allem auch durch den Islam,
wie zuvor nicht in der Geschichte. Und es wird zunehmen, gerade auch durch die
antichristlichen linken Regierungen in den „westlichen“ Staaten und dem
staatlichen Antichristen, Islam.
[33]
Siehe
das treffliche Büchlein: „Tanz und Theaterbesuch. Je zwei Vorträge
hierüber in den vier dazu veranstalteten Gemeindeversammlungen, gehalten usw.
von C.F.W. Walther usw. St. Louis, Mo. Luth. Concordia-Verlag 1885.“
[34]
Jahrgang
Nr. 20-22
[35]
Damals
ist das Fest der Verklärung Christi noch nicht gesondert gefeiert worden.
Inzwischen ist der letzte Sonntag nach Epiphanias fester Bestandteil des
Kirchenjahres als Fest der Verklärung des HERRN und der Text kommt regelmäßig
vor. Anm. d. Hrsg.
[36]
Dr.
Martin Luthers Kleiner Katechismus in Frage und Antwort gründlich ausgelegt von
Dr. Joh. Conrad Dietrich usw. Luth. Concordia-Verlag
(M.C. Barthel, Agt.), St. Louis, Mo. Eine eingehende Verhandlung über das
ewige Leben nach dieser Stelle Dietrichs enthält der Synodalbericht des
Illinois-Distrikts der Synode von Missouri usw. 1885.