Der Brief des
Jakobus
Vorrede auf den Brief des Jakobus
Luther, Predigt von der zweifachen
Gerechtigkeit
Der Verfasser
dieses Briefes nennt sich „Jakobus, einen Knecht Gottes und des HERRN Jesu
Christi“ (Kap. 1,1) – eine Bezeichnung, die offenbar seinen ersten Lesern
genügende Auskunft über seine Person geben konnte. Während man späterhin darin
wohl einig wurde, dass derselbe Jakobus gemeint sei, der nach Angabe der
Apostelgeschichte und des Galatersbriefs in de
Jerusalemer Gemeinde einen so hervorragende Stellung einnahm (Apg. 12,17; 15,13
ff.; Gal. 1,19; 2,9), so disputiert man doch bis auf den heutigen Tag darüber,
ob dieser Jakobus zu den zwölf Aposteln gehört habe oder nicht 1). Auch über
die Zeit der Abfassung des Briefes und seine ersten Empfänger gehen die
Ansichten weit auseinander; doch halten wohl die meisten Forscher dafür, dass
der Verfasser des Briefs sich vornehmlich an die Judenchristen wende, die zu
den Gemeinden in und um Palästina gehörten, und dass er nach Abschluss der
Wirksamkeit des Paulus, aber noch vor der Zerstörung Jerusalems geschrieben
habe 2). Seinem Inhalt nach ist der Jakobusbrief nicht sowohl belehrend, als
vielmehr ermahnend (mehr paränetisch als dogmatisch). Veranlassung zum
Schreiben fand Jakobus in den Übelständen, die überall die rechte Gestalt der
Gemeinden beeinträchtigten: Äußere Bedrängnis, besonders durch die ungläubigen
Juden; Verlockung zum Abfall; falsche Ansichten über das Wesen des
seligmachenden Glaubens; Zank und Streit unter den Glieder und dergleichen mehr
3). Alle diese Punkt berührt Jakobus und behandelt sie in ganz eigener Weise,
scharf, kräftig und körnig ist seine Rede, auch nicht ohne Schwung, der an die
Form der alttestamentlichen Poesie erinnert. – Dass dieser Brief in der alten
Kirche nicht allgemeine Anerkennung fand, erklärt sich aus dem schon früher
entstandenen Streit über die Person des Verfassers, vor allem aber aus dem
vermeintlichen Widerspruch des Jakobus gegen die paulinische
Rechtfertigungslehre 4).
1) Der
Verfasser dieses Briefes tritt mit solchem Bewusstsein großen Einflusses auf,
dass man ihn nur unter den angesehensten Lehrern der apostolischen Zeit suchen
darf. Da der Apostel Jakobus der Ältere, der Sohn des Zebedäus und
Bruder des Apostels Johannes, schon um das Jahr 44 n. Chr. den Märtyrertod
erlitt (Apg. 12,2), also zu einer Zeit, in der die Kirche noch wenig
ausgebreitet war, kommt er als Verfasser hier nicht in Betracht. Wohl aber
hören wir, dass späterhin ein anderer Jakobus neben Petrus und Johannes als
eine Säule der Kirche zu Jerusalem angesehen wurde, und dass er kraft dieses
Ansehens bei wichtigen Vorgängen ein entscheidendes Wort mitreden durfte (siehe
die oben angeführte Stellen). Diese Angaben erheben es über alles Zweifel, dass
er den uns vorliegenden Brief verfasst hat. Dieser Jakobus hat, wie die
kirchliche Überlieferung berichtet, sein Amt in der jerusalemischen
Kirche bis an sein Ende verwaltet. Altchristliche Geschichtsschreiber erzählten
von ihm, er habe wegen seines unsträflichen Lebens oder auch wegen seiner
strengen Beobachtung des jüdischen Ritualgesetzes in der ganzen Stadt, auch bei
den ungläubigen Juden, den Zunamen „der Gerechte“ erhalten; als dann aber
Paulus der Rache seiner Feinde entzogen worden war, habe sich ihr Grimm auf
Jakobus übertragen. Sie hätten von ihm verlangt, dass er zu Ostern von der
Zinne des Tempels herab vor der versammelten Volksmenge ein Zeugnis gegen
Christus ablege; da er aber unerschrocken Jesus als den Sohn Gottes und den
Messias bekannte, sei er von der Zinne hinabgestürzt worden; da er noch gelebt
habe, sei man mit Steinwürfen auf ihn eingedrungen; endlich aber, da er gar für
seine Mörder betete, habe ihn ein Gerber mit einer Keule getötet. Nach diesen
Berichten hätte Jakobus um das Jahr 69 n. Chr. die Krone des Märtyrertums
erlangt.
Da nun in den
Apostelverzeichnissen (Matth. 10,2-4; Mark.
3,16-19; Apg. 1,13) neben Jakobus, dem
Sohn des Zebedäus (Jacobus maior), noch ein anderer
Jakobus, ein Sohn des Alphäus (Jacobus minor),
erwähnt wird, so erhebt sich die Frage, ob Jakobus, der Gerechte, und Jakobus,
des Alphäus Sohn, eine und dieselbe Person seien. Der
Jakobusbrief gibt darüber keinerlei Aufschluss; dennoch wäre der Streit
wohl nie entstanden, wenn nicht Paulus
Gal. 1,19 den Jakobus einen Bruder des HERRN nennte; denn dies erinnert an das
Zeugnis des Johannes (Joh. 7,3.5), dass die Brüder Jesu nicht an ihn geglaubt
haben – eine Angabe, die durchaus nicht auf einen Apostel zu passen scheint. Um
an dieser Stelle nicht zu weitläufig zu werden, führen wir hier nur die Gründe
an, die dafür zu sprechen seien, dass der Apostel Jakobus, des Alphäus Sohn, mit Jakobus, dem Gerechten, dem Verfasser des
Jakobusbriefs, eine Person ist. Die gegenteilige Ansicht erörtern wir an
anderer Stelle, so dass jedem Leser Gelegenheit wird, in dieser Frage ein
eigenes Urteil zu bilden.
Guericke
tritt aus folgenden Gründen dafür ein, dass der Verfasser des Jakobusbriefes
der Apostel Jakobus, Sohn des Alphäus, gewesen sei:
a. Von einem frühzeitigen Tod des Jakobus, des Sohnes des Alphäus,
hören wir in der Apostelgeschichte kein Wort, obschon er als Apostel keine so
unbedeutende Person gewesen ist, dass sein Abscheiden mit Stillschweigen
übergangen worden wäre; b. dass ein Mann so frühzeitig in der jerusalemischen Gemeinde so hohes Ansehen gewann, wie die
angeführten Stellen von Jakobus ausweisen, erklärt sich nicht leicht, wenn er
kein Apostel war; es wäre in diesem Fall sehr sonderbar, dass Paulus Gal. 2,9
seinen Namen dem der beiden anderen Apostel voransetzt. c. Nach der allein
natürlichen Deutung der Stelle Gal. 1,19 bezeichnet Paulus den Jakobus als
Bruder des HERRN und zugleich als Apostel; ebenso, wie es scheint, 1. Kor.
15,7. d. Vorsichtige alte Kirchenschriftsteller (Clemens Alexandrinus,
Hieronymus, Chrysostomos) haben aufgrund ihrer Forschungen diese Auffassung
bestimmt zu der ihrigen gemacht. – Über den auf Joh. 7,3.5 gegründeten Einwand
sagt Guericke: An dieser Stelle wird nicht ausdrücklich gesagt, dass keiner
der vier Brüder des HERRN damals an ihn geglaubt hat; aber selbst wenn Jakobus
minor dort eingeschlossen ist, so besagt die Stelle nicht, dass überhaupt
keiner der Brüder Jesu vor dem Tod des HERRN zum Glauben gekommen sei; das Wort
Jesu konnte hernach noch immer bei Jakobus diese Wirkung gehabt haben.
2) An Judenchristen
wendet sich Jakobus mit den ersten Worten: „den zwölf Geschlechtern in der
Zerstreuung (Diaspora)“ (Kap. 1,1). Damit kann er nicht solche meinen, die vor
Beginn der Missionstätigkeit des Paulus weit von Jerusalem entfernt etwa durch
die erste Pfingstpredigt zum Glauben gekommen waren, denn Jakobus scheint von
Verhältnissen zu reden, wie sie nur in älteren Gemeinden gefunden zu werden
pflegen, ganz abgesehen davon, dass er, wie es scheint, sehr häufig auf das
Matthäusevangelium (vgl. z.B. Kap. 1,22 mit Matth.
7,21; 2,13 mit Matth. 5,7; 18,30.34; 4,12 mit Matth. 7,1 usw.), ja, sogar auf paulinische Briefe anspielt
(vgl. Jak. 1,12 mit 2. Tim. 4,8; 2,5 mit 1. Kor. 1,26; besonders 4,5 mit Gal.
4,17). Demnach hat wohl Jakobus vornehmlich die Judenchristen der älteren
Gemeinden in und um Palästina im Auge gehabt, hat wohl an sie von Jerusalem aus
geschrieben, nachdem Paulus vom Schauplatz der Tätigkeit abgetreten war, aber
noch vor der Zerstörung Jerusalems, da er ja selbst diese nicht erlebt hat.
3) Die
Judenchristen, denen Jakobus schreibt, standen unter dem Druck und den
Lockungen ihrer ungläubigen Volksgenossen in großer Gefahr des Abfalls (Kap.
1,2-4; 5,7-11); besonders über die Erhörung gläubiger Gebete waren unter ihnen
Zweifel entstanden (Kap. 1,5-8; 5,15-18); die Reichen hatten um ihres Besitzes
willen Einfluss gewonnen, und die Armen wurden zurückgesetzt (Kap. 1,10;
2,1-13; 5,1-6, obwohl in letzterer Stelle vielleicht ungläubige Juden gemeint
sind)(; am gefährlichsten war der falsche Wahn, dass der wahre Glaube gar wohl
ohne Werke bestehen könne (Kap. 2,14-26); Zungensünden aller Art kamen häufig
vor (Kap 3; 4,11; 5,12).
4) Wie andere
vor ihm, hat Luther den Jakobusbrief „für keines Apostels Schrift“ gehalten.
Seinen Hauptgrund führt er in der Vorrede von 1522 mit folgenden Worten aus:
„Aufs erste, dass sie stracks gegen St. Paulus und alle andere Schrift den
Werken die Gerechtigkeit gibt und spricht: Abraham sei aus seinen Werken
gerecht geworden, da er seinen Sohn opferte, so doch St. Paulus Röm. 4,2.3
dagegen lehrt, dass Abraham sei ohne Werke gerecht geworden, allein durch seinen
Glauben, und beweist das mit Mose, 1. Mose 15,6, ehe denn er seinen Sohn
opferte. Ob nun dieser Epistel wohl möchte geholfen und solcher Gerechtigkeit
der Werke eine Glosse gefunden werden, kann man sie doch darin nicht schützen,
dass sie Kap. 2,23 den Spruch Mose 1, Mose 15,6 (welcher allein von Abrahams
Glauben und nicht von seinen Werken sagt, wie ich St. Paulus Röm. 4,3 führt)
doch auf die Werke zieht, darum dieser Mangel schleißt, dass sie keines
Apostels sei.“ Diese Ausstellung Luthers wird immer als ein Ausdruck der
althergebrachten Zweifel an der Echtheit des Jakobusbriefs Geltung behalten, so
dass trotz aller Glossen diese Epistel stets als eine Schrift zweiten
kanonischen Ranges angesehen werden muss. Doch hat folgende Ausgleichung des
scheinbaren Widerspruchs zwischen Paulus und Jakobus einiges Gewicht: Beide
reden von dem seligmachenden Glauben; aber während Paulus besonders hervorhebt,
dass die Werke keine Rechtfertigung bei Gott verdienen können, will Jakobus dem
falschen Gedanken entgegentreten, dass der Glaube nichts sei als ein bloßes Bekenntnis des Mundes, und
betont deshalb die Notwendigkeit, den wahren Herzensglauben durch gute Werke zu
betätigen. Die Rechtfertigung Abrahams durch die Werke bestand also darin, dass
die Werke die durch den Glauben erlangte Rechtfertigung auch nach außen hin
bewiesen, wie ja Gott auch am Jüngsten Tag an den Werken der Gläubigen
nachweisen wird, dass sie gerechtfertigt waren. Zu Jak. 2,23 macht die Weimar’sche Bibel folgende Glosse: „(Solcher Gestalt) ist
die Schrift zu ihrer Vollständigkeit gekommen, die da (zweierlei) sagt
(erstlich): Abraham glaubte Gott, und das wurde ihm zugerechnet zur
Gerechtigkeit (gerechtfertigt vor Gott); und (fürs andere, wie solche
Gerechtigkeit öffentlich bezeugt worden, indem er) Gottes Freund (Jes. 41,8)
genannt worden.“
Die letzten sieben Briefe des Neuen
Testaments sind als die allgemeinen oder katholischen Briefe bekannt. Sie
werden katholisch, universal oder kreisförmig genannt, weil sie nicht an eine
einzelne Gemeinde, Stadt oder Nation, sondern an alle Gläubigen geschrieben
wurden. „Die frühen Schreiber der Kirche, die diesen Begriff einführten,
wollten damit wahrscheinlich andeuten, dass diese Briefe in ihrem Inhalt und
ihrer Zielsetzung allgemeiner waren als die des Paulus, der seine Briefe an
bestimmte, namentlich genannte Gemeinden oder Einzelpersonen richtete, während
Petrus, Johannes, Jakobus und Judas ganze Gruppen von Gemeinden ansprachen.“
Der Verfasser gibt sich nicht eindeutig zu
erkennen, zumindest nicht, was die Menschen der späteren Zeit betrifft, denn er
nennt sich einfach Jakobus, oder Jacobus, ein Diener Gottes und des Herrn Jesus
Christus, Kap. 1,1. Aber obwohl es noch einige Zweifel gibt, wird doch
allgemein die Wahrscheinlichkeit zugegeben, dass der Verfasser Jakobus der
Geringere ist, Mark. 15,40, der Sohn des Alphäus und
der Maria, Matth. 10,3; Mark. 3,18; Luk. 6,15; Apg.
1,13; Matth. 27,56.61. Viele Ausleger meinen, dass er
mit Jakobus, dem Bruder Jesu, genannt der Gerechte, identifiziert werden muss, Matth. 13,55; Mark. 6,3; Gal. 1,19. Der Grund, warum man
heute allgemein annimmt, dass dieser Mann der Verfasser war, liegt darin, dass
er der einzige Mann war, der eine solche Autoritätsposition innehatte, wie sie
in diesem Brief angedeutet wird. Vgl. Gal. 1,18.19; Apg. 12,17; Gal. 2,9.12;
Apg. 15,4-29; 1. Kor. 15,7. Es wird angenommen, dass Jakobus der Geringere nach
dem Tod des älteren Jakobus, Apg. 12, 2. 17, das Oberhaupt der Gemeinde in
Jerusalem war und als solches eine Macht- und Vertrauensstellung innehatte, die
ihm einen großen Einfluss verlieh.
Der Brief ist „an die zwölf Stämme, die in
der Fremde zerstreut sind“ gerichtet, d. h. an die Judenchristen in der
Zerstreuung, die außerhalb Palästinas und besonders außerhalb von Judäa und
Jerusalem lebten. Es waren viele Tausende, Apostelgeschichte 21,22, und sie
waren vielen Prüfungen ihres Glaubens ausgesetzt, was ihnen eine große Geduld
abverlangte, Kap. 1,2.4; 5,7-18. Der Zustand der Gemeinden, wie er im Brief
beschrieben wird, macht es wahrscheinlich, dass er irgendwann in den sechziger
Jahren des ersten Jahrhunderts geschrieben wurde, und da es unmissverständliche
Bezüge zum Matthäusevangelium gibt, muss das Datum zwischen 63 und 69 n. Chr.
angesetzt werden.
Was die charakteristischen Merkmale des
Briefes anbelangt, so unterscheidet er sich in verschiedener Hinsicht von den
anderen Briefen des Neuen Testaments und erinnert oft an die Spruchweisheiten
des Alten Testaments. "Die Epistel ist weniger lehrhaft als alle anderen
im Neuen Testament. Das Ziel des Verfassers ist weniger die Belehrung als
vielmehr die Ermahnung und der Zuspruch. Dies ist die Epistel des heiligen
Lebens. Es wird großer Nachdruck auf die Werke gelegt, nicht als etwas anderes
als der Glaube, sondern als Beweis und Frucht des Glaubens. „Der Stil des
Briefes ist gefühlvoll und eindringlich, er springt schnell und manchmal ohne
erkennbare logische Struktur von einem Thema zum anderen. Indem er die Sünde in
scharfen Worten und einer geschliffenen, poetischen Sprache anprangert,
erinnert Jakobus an einen der alten hebräischen Propheten.“[1]
Der Brief hat keine eindeutige Gliederung,
da er eher eine pastorale Anweisung als eine lehrhafte Diskussion ist. Nach der
Ansprache können wir acht Gruppen von Ermahnungen unterscheiden, die in einer
eher lockeren Weise miteinander verbunden sind und alle das Thema darstellen:
Der Christ, wie er sein soll, ein vollkommener Mensch Gottes: 1) Eine Ermahnung
zur Standhaftigkeit in den Anfechtungen, die den Glauben prüfen. 2) Eine
Ermahnung an die Leser, sich als echte Täter des Wortes zu erweisen. 3) Eine
Warnung an die Reichen, die Armen nicht zu verachten. 4) Eine Warnung vor einem
toten, unfruchtbaren Glauben. 5) Eine Warnung vor den Sünden der Zunge. 6) Eine
Ermahnung, Zankereien zu vermeiden. 7) Eine Ermahnung zur Demut und
Barmherzigkeit. 8) Eine Ermahnung zur Geduld im Hinblick auf die Wiederkunft
des Herrn und zur bereitwilligen Liebe zu den Brüdern.[2]
Vielen Bibelstudenten ist eine scheinbare
Diskrepanz zwischen den Briefen des Paulus und dem vorliegenden Brief aufgefallen,
da es den Anschein haben könnte, dass die Lehre des Jakobus im Widerspruch zu
der von Paulus mit so viel Nachdruck gelehrten Lehre von der Rechtfertigung
allein durch den Glauben steht. Aber es gibt keinen wirklichen Konflikt. Paulus
schreibt gegen den selbstgerechten Menschen, der nicht allein durch die Gnade
Gottes in Christus Jesus gerechtfertigt und gerettet werden will, sondern
darauf besteht, dass gute Werke notwendig sind, um das Heil zu erlangen;
Jakobus schreibt gegen den eitlen, törichten Menschen, der für das Heil auf
eine unfruchtbare Orthodoxie vertraut und sich einbildet, dass ein bloßer
Glaube des Verstandes und ein bloßes Bekenntnis des Mundes ohne irgendwelche
Werke der rettende Glaube ist.[3]
Verschiedene Anfechtungen und deren Überwindung (1,1-15)
1 Jakobus, ein Knecht Gottes und des HERRN Jesus Christus, den zwölf
Geschlechtern, die da sind hin und her: Freude zuvor!
2 Meine lieben Brüder, achtet es eitel Freude, wenn ihr in mancherlei
Anfechtung fallt, 3 und wisst, dass euer Glaube, so er rechtschaffen ist,
Geduld wirkt. 4 Die Geduld aber soll festbleiben bis ans Ende, damit ihr seid
vollkommen und ganz und gar keinen Mangel habt. 5 So aber jemand unter euch
Weisheit mangelt, der bitte von Gott, der da gibt gern und ohne Tadel
jedermann; so wird sie ihm gegeben werden. 6 Er bitte aber im Glauben und
zweifle nicht; denn wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom
Wind getrieben und gewebt wird. 7 Solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von
dem HERRN empfangen werde.
8 Ein Zweifler ist unbeständig in allen seinen Wegen. 9 Ein Bruder aber,
der niedrig ist, rühme sich seiner Höhe, 10 und der da reich ist, rühme sich
seiner Niedrigkeit; denn wie eine Blume des Grases wird er vergehen. 11 Die
Sonne geht auf mit der Hitze, und das Gras verwelkt, und die Blume fällt ab und
seine schöne Gestalt verdirbt; so wird der Reiche in seiner Habe verwelken.
12 Selig ist der Mann, der die Anfechtung erduldet; denn nachdem er
bewährt ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat
denen, die ihn liebhaben. 13 Niemand sage, wenn er versucht wird, dass er von Gott
versucht werde; denn Gott ist nicht ein Versucher zum Bösen; er versucht
niemand; 14 sondern ein jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen
Lust gereizt und gelockt wird. 15 Danach, wenn die Lust empfangen hat, gebiert
sie die Sünde; die Sünde aber, wenn sie vollendet ist, gebiert sie den Tod.
Die Anrede (V. 1): Im Gegensatz zu
den Grußformeln, die den Anfang der Paulusbriefe kennzeichnen, ist diese
Ansprache sehr kurz, genau in dem Stil, der damals beim Schreiben von Briefen
verwendet wurde. Der Apostel Jakobus nennt sich selbst einen Diener, was sowohl
die Vorstellung eines Anbeters als auch eines Dieners beinhaltet. Er ist ein
Diener Gottes und des Herrn Jesus Christus, denn die beiden Personen der
Gottheit stehen in ihrer Göttlichkeit und Autorität auf der gleichen Stufe.
Dieser Brief ist an die zwölf Stämme gerichtet, wobei der Ausdruck ein Synonym
nicht nur für das gesamte jüdische Volk ist, sondern auch für das wahre Israel,
das geistige Volk des Alten Testaments, die Gesamtheit derer, die den Messias
in festem Glauben erwartet hatten und nun Christus als den verheißenen Messias
anerkannt hatten. Diese Gläubigen, diese christlichen Juden, lebten verstreut
in der Zerstreuung, in den Ländern außerhalb Palästinas und vor allem außerhalb
von Judäa. In vielen Fällen bildeten sie die Mehrheit der Gemeinde, und die
gesamte Politik der Gemeinde wurde von ihnen bestimmt. An sie alle richtet
Jakobus seinen Gruß in der üblichen Anredeform.
Anfechtung und Gebet (V. 2-7): Ohne
jede Einleitung oder Vorrede stürzt sich der Apostel sofort in seine
Ermahnungen, wobei er zuerst die Frage der Versuchung und des Gebets aufgreift:
Seid fröhlich, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Anfechtungen geratet, weil
ihr wisst, dass die Prüfung eures Glaubens Geduld erzeugt. Das Bild, das der
Verfasser verwendet, ist das eines Soldaten, der einem Gegner gegenübersteht,
vor dessen Angriff er gewarnt wurde und dessen Kampfweise er studiert hat. Die
Spannung des Wartens auf den drohenden Angriff ist vorbei; der Christ kann mit
seinen Feinden abschließen. Wie einen Soldaten in einem solchen Moment eine Art
von Jubel ergreift, weil er nun in den Kampf ziehen kann, so soll sich der
Christ freuen, dass er in den Kampf eintreten darf, den der geistliche Kampf in
dieser Welt von ihm verlangt. Denn er kämpft nicht in seiner eigenen Kraft,
sondern in der Macht des Herrn, die ihm durch den Glauben vermittelt wird. Wie
groß auch die Versuchung sein mag, so dient doch der Gedanke zum Trost, dass
die Erprobung des Glaubens durch die verschiedenen Versuchungen, mit denen die
Christen zu kämpfen haben, sie geduldiges Ausharren lehrt, ja diese Gesinnung
in ihnen bewirkt. Jeder bekennende Christ also, der inmitten solcher Prüfungen
standhaft bleibt, Eph. 6,10-16, gibt den Beweis, dass sein Glaube fest ist, und
dieser Beweis an sich veranlasst ihn, Mut zu fassen, geduldig zu ertragen und
auszuharren.
Diese Geduld ist für das Leben der Christen
notwendig, wie der Apostel sagt: Die Geduld aber soll ihre vollkommene Wirkung
haben, damit ihr vollkommen und vollständig seid und es euch an nichts mangelt.
Das geduldige Ausharren der Christen darf kein bloßer Schein sein, sondern muss
echt, wahrhaftig, das fertige Produkt sein, das den Namen mit vollem Recht
trägt. Denn nur dann werden die Gläubigen selbst so sein, wie sie sein sollten,
indem sie ihr Los in der Welt erfüllen, indem sie ihrer hohen Berufung voll und
ganz gerecht werden und indem es ihnen an nichts Wesentlichem der christlichen
Heiligung mangelt oder fehlt. Wenn jemand, der sich Christ nennt, schon beim
ersten Angriff seiner Feinde nachgibt oder ihren wiederholten Angriffen nicht
standhält, so ist das ein Beweis dafür, dass er noch nicht den Glauben besitzt,
der sich auf die Kraft des Herrn gründet, einen Glauben, der die Welt mit allen
ihren Versuchungen überwindet.
Der Apostel führt nun einen weiteren
Gedanken ein, der ebenso wichtig für das Leben der Christen ist: Wenn es aber
jemandem von euch an Weisheit mangelt, so bitte er Gott aufrichtig und ohne
Vorwurf, und sie wird ihm gegeben werden. Angesichts der Hilflosigkeit des
Menschen und seines Mangels an Klugheit und Voraussicht in den verschiedenen
Lebenssituationen ist diese Ermahnung mit ihrer Zusicherung ein großer Trost.
Es kommt so oft vor, dass Christen mit ihrem Latein am Ende sind, weil sie
weder wissen, was unter den gegebenen Umständen das Beste ist, noch wie sie das
Ziel erreichen können, das offensichtlich erreicht werden soll. In jeder noch
so komplizierten Situation haben wir jedoch die Gewissheit, dass Gott uns
hilft, und sollten deshalb in einfachem Vertrauen darum bitten, weil wir
wissen, dass Gott seine Gaben mit aller Zielstrebigkeit austeilt, ohne eine
Gegenleistung zu verlangen. Er nimmt es uns auch nicht übel, wenn unser Gebet
kindisch und seiner erhabenen Aufmerksamkeit nicht würdig erscheint. Weder
unsere eigene wesentliche Unwürdigkeit noch die Majestät des Herrn sollten uns
davon abhalten, ihn um das zu bitten, was wir brauchen, um uns in unserer
eigenen Heiligung und im Werk seines Reiches zu unterstützen. Vgl. Heb. 4,16.
Hier, wie auch an anderen Stellen der Heiligen Schrift, wird uns ausdrücklich
gesagt, dass Gott das Gebet derer erhören wird, die an ihn glauben. Vgl. Matth. 7,7; Mark. 11,24; Luk. 11,9; Joh. 14,13.
Aber der Apostel fügt ein Wort der Warnung
hinzu: Wer aber im Glauben bittet, der zweifelt nicht; denn wer zweifelt, der
ist wie eine Meereswoge, die vom Wind bewegt und geschaukelt wird. Denn der
Mensch soll sich nicht einbilden, dass er etwas von Gott empfangen wird. Jedes
wahre Gebet ist eine Frucht des Glaubens, durch die der Gläubige in die
Beziehung eines Kindes zu Gott eintritt. Wie liebe Kinder ihren lieben Vater
bitten, so sollte der Glaube der Christen sie dazu drängen, ihre Bedürfnisse
vor ihren Vater im Himmel zu bringen. Zweifeln ist das genaue Gegenteil von
Glauben und eine Beleidigung für die Güte und das Wohlwollen des Herrn. Der
Zweifler wird treffend als eine Welle beschrieben, eine Woge des großen Meeres,
die vom Wind erst in die eine und dann in die andere Richtung getrieben wird,
weshalb Wellen schon immer zur Beschreibung der Unbeständigkeit des Charakters
und der Gedanken verwendet wurden. Der Glaube eines Christen hat ein festes
Fundament; der Zweifel eines Ängstlichen, auch wenn er sich als Christ bekennt,
hat kein Fundament. Und deshalb sollte ein solcher Mensch sich nicht einbilden,
dass er irgendetwas vom Herrn erhalten wird, denn seine Haltung schließt ihn
von den Verheißungen aus, die dem Glauben und dem Gebet des Glaubens gegeben
wurden. Man beachte, dass in diesem Text ein Hauch von Verachtung mitschwingt,
wenn ein Mensch mit zögerlichem Glauben erwartet, dass sein Gebet erhört wird.
Demut tut not (V. 8-11): Im
Zusammenhang mit der Zurechtweisung des zweifelnden Herzens und der
Charakterisierung seiner Unbeständigkeit unter dem Bild der Meereswellen fügt
der Apostel die allgemeine Wahrheit hinzu: Ein doppelgesinnter Mensch ist er,
unzuverlässig auf allen seinen Wegen. Er ist sich nie ganz sicher: Soll ich dem
Herrn vertrauen, oder ist es nicht sicher, es zu tun? Einmal will er dem Herrn
von ganzem Herzen vertrauen, ein andermal setzt er sein Vertrauen auf Menschen.
Daraus folgt, dass nicht nur sein Gebet eine Sache des Zufalls ist, sondern
dass er in allem, worauf er sich verlässt, unzuverlässig ist; sein Christentum
ist keine verlässliche Tatsache, sondern eine ungewisse Größe ohne Wert.
Eine weitere Ermahnung betrifft die
verschiedenen Stellungen der Christen in diesem Leben: Der niedrige Bruder soll
sich freuen, dass er erhöht ist, der reiche aber, dass er erniedrigt ist; denn
er vergeht wie die Blume des Grases. Diese Worte lehren die richtige
Einstellung zur sozialen Stellung in ihrer Beziehung zum Christentum. Wenn ein
christlicher Bruder, der eine niedrige Stellung im Leben einnimmt, erhöht wird,
indem er am Reichtum Gottes im Evangelium teilhat, ist das ein Grund zur
Freude, denn es zeigt, dass es bei Gott keine Ansehen der Person gibt. Der
Reiche dagegen, der mit dem Besitz vieler irdischer Güter gesegnet ist und
deshalb in Gefahr steht, sich auf solche armseligen Segnungen zu verlassen,
sollte sich glücklich fühlen und jubeln, wenn die Lehren des Christentums ihn
zur Erkenntnis der Vergänglichkeit dieser Welt und aller ihrer Güter führen.
Denn nur in dem Maße, wie er sich selbst und alle Reichtümer dieser Welt
verleugnet, wird er den Reichtum der Segnungen Christi verstehen. Denn wenn er
auf die Dinge dieser Welt vertraut, können sie ihm bestenfalls für einige Jahre
dienen, da sie wie die Blumen des Grases vergehen müssen - kurzlebige Embleme
irdischer Herrlichkeit.
Dieser Gedanke wird noch etwas
ausführlicher ausgeführt: Denn kaum ist die Sonne mit dem Ostwind aufgegangen,
so erstickt sie das Gras, und seine Blüte fällt ab, und die Schönheit seines
Aussehens ist verdorben; so wird auch der Reiche in seinen Ratschlägen
verzehrt. Vgl. Jes. 40,6-8. Der Ostwind, der aus der syrischen Wüste heraufkam,
war ein heißer und trockener Wind, der die Vegetation auf den Hügeln und in den
Tälern Judäas verdorrte. Wenn die Sonne diesen Wind an einem Hochsommertag
unterstützte, wurde selbst das Laub der Bäume verdorrt, die Blumen sanken
verdorrt zu Boden und wurden ihrer ganzen Schönheit beraubt. Das ist auch das
Los des reichen Mannes, des Menschen, der in ungewöhnlichem Maße mit den Gütern
dieser Welt gesegnet ist. Ehe er sich dessen bewusst ist, reißt ihn die Hand
des Todes aus dem Land der Lebenden und legt ihn ins Grab, wo ihm alle
Reichtümer, die er angehäuft hat, nichts nützen werden. Umso mehr ist er
gezwungen, sein Vertrauen allein auf den Herrn zu setzen und nicht auf irgendeinen
seiner Besitztümer hier auf Erden. Man beachte, dass der Apostel dieses
Schicksal, das wirklich alle Menschen trifft, als nur den Reichen treffend
beschreibt, um diesem die Notwendigkeit einzuprägen, die Warnung zu beachten.
Anfechtungen aus unserem Inneren (V.
12-15): Nachdem der Apostel gleich zu Beginn, in V. 2, von Versuchungen
gesprochen hat, erklärt er nun den Begriff so, wie er ihn verstanden wissen
will: Selig ist der Mann, der die Versuchung erträgt; denn wenn er die Prüfung
bestanden hat, wird er die Krone des Lebens empfangen, die der Herr denen
verheißen hat, die ihn lieben. In V. 2 hatte der Apostel gesagt, dass die
Christen die Anfechtungen, in die sie geraten könnten, mit Freude betrachten
sollten, weil sie ihnen die Gelegenheit gaben, sich zu bewähren. Hier betont er
die Seligkeit eines jeden Gläubigen, der auf diese Weise erprobt wird, indem er
Versuchungen widersteht und Bedrängnisse erträgt. Denn jeder Mensch, der die
Prüfung im Glauben besteht, der dem Herrn bis zum Ende treu bleibt, wird den
Lohn der Gnade, die Krone des Lebens, empfangen, Offb. 2,l0. Dieses wunderbare
Geschenk seiner Gnade hat der Herr all denen versprochen, die ihren Glauben
durch ihre beständige Liebe zu ihm beweisen. So soll uns nicht nur die Prüfung
der Versuchung an sich, sondern auch der barmherzige Lohn, der uns in Aussicht
gestellt wird, dazu ermutigen, trotz aller Versuchungen im Glauben auszuharren.
Aber wir dürfen uns nicht darüber täuschen,
was der Apostel meint, wenn er von Versuchungen spricht: Wenn jemand versucht
wird, soll er nicht sagen: Ich werde von Gott versucht; denn Gott ist nicht zu
verachten, und er versucht niemanden. Der Apostel spricht von den Versuchungen,
die die Christen durch ihr eigenes Fleisch und durch die Feinde in der Welt und
den Satan treffen. Kein Mensch kann sich damit herausreden, dass er, wenn er
dem Unrecht nachgibt, dies auf Veranlassung Gottes tut. Diese Ausrede wird bis
heute von Menschen benutzt, die sich auf ihr Temperament oder ihre Neigung zu
der einen oder anderen Sünde berufen, als etwas, wofür sie nichts können, wofür
sie nicht verantwortlich gemacht werden können. Solche Menschen sollten sich an
eine doppelte Wahrheit erinnern: erstens, dass Gott nicht in der Lage ist, vom
Bösen versucht zu werden, und zweitens, dass er die Menschen unter keinen
Umständen zum Bösen verführen wird. Er ist in keiner Weise der Urheber der
Sünde und kann in keiner Weise für ihre Existenz verantwortlich gemacht werden,
denn er ist das Wesen der Heiligkeit und Reinheit.
In Wahrheit muss die Sache immer so
dargestellt werden: Ein jeder aber wird versucht, indem er von seiner eigenen
Begierde angelockt und verführt wird. Dann gebiert die Lust, nachdem sie
gezeugt ist, die Sünde; die Sünde aber, nachdem sie zur Reife gebracht ist,
bringt den Tod hervor. Das stimmt mit den Worten des Erlösers überein: Aus dem
Herzen kommen böse Gedanken, Matth. 15,19. Der
fleischliche Teil des Menschen, seine böse Natur, die Neigung und das Verlangen
nach allem Falschen, die er von seinen Eltern geerbt hat, verführt, lockt,
lockt, verführt ihn ständig und versucht, auch die Christen zu verschiedenen
Sünden gegen alle Gebote des Herrn zu verführen. Wenn es diesem lüsternen
Zustand des Herzens gelingt, auf den Verstand einzuwirken, alle Einwände zu
überwinden, die der neue Mensch oder das Gewissen vorzubringen hat, dann bricht
er in tatsächlichen Sünden aus. Und wenn dieser Sünde nicht rechtzeitig Einhalt
geboten wird, wenn sie nicht überwunden und unterdrückt wird, wenn sie den
Körper mit all seinen Gliedern in Besitz nimmt und ihren eigenen Willen in dem
Betreffenden wirkt und so ihre volle Reife erreicht, dann wird das Ende der Tod
sein, der ewige Tod, es sei denn, ein solcher Sünder kehrt in wahrer Reue zum
Herrn zurück. Man beachte, dass das Bild des Verführens
zur sinnlichen Sünde, des Anziehens wie mit der List einer Hure, durchgehend
beibehalten wird, um die heimtückische Bosheit der Sünde zu zeigen.
Gott,
unser Vater, und die Pflichten der Söhne und Töchter (1,16-27)
16 Irrt nicht, liebe Brüder! 17 Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe
kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine
Veränderung noch Wechsel des Lichts und Finsternis. 18 Er hat uns gezeugt nach
seinem Willen durch das Wort der Wahrheit, damit wir wären Erstlinge seiner
Kreaturen. 19 Darum, liebe Brüder, ein jeglicher Mensch sei schnell zu hören,
langsam aber zu reden und langsam zum Zorn; 20 denn des Menschen Zorn tut
nicht, was vor Gott recht ist. 21 Darum so legt ab alle Unsauberkeit und alle
Bosheit und nehmt das Wort an mit Sanftmut, das in euch gepflanzt ist, welches
kann eure Seelen selig machen.
22 Seid aber Täter des Worts und nicht Hörer allein, damit ihr euch
selbst betrügt. 23 Denn so jemand ist ein Hörer des Worts und nicht ein Täter,
der ist gleich einem Mann, der sein leibliches Angesicht im Spiegel beschaut;
24 denn nachdem er sich beschaut hat, geht er von Stund’
an davon und vergisst, wie er gestaltet war. 25 Wer aber durchschaut in das
vollkommene Gesetz der Freiheit und darin beharrt und ist nicht ein
vergesslicher Hörer, sondern ein Täter, derselbe wird selig sein in seiner Tat.
26 So aber sich jemand unter euch lässt dünken, er diene Gott, und hält seine
Zunge nicht im Zaum, sondern verführt sein Herz, dessen Gottesdienst ist
vergeblich. 27 Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott dem Vater ist
der: die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen und sich von der Welt
unbefleckt behalten.
Gott, unser Vater, und die Annahme
seines Wortes (V. 16-21): Der erste Satz dient als Überleitung zwischen den
beiden Absätzen: Täuscht euch nicht, meine geliebten Brüder. Es ist ein
feierlicher und ergreifender Appell, den der Apostel hier ausspricht, da so
viel von dem richtigen Verständnis dieser Tatsachen abhängt. Der Gedanke, dass
Gott in irgendeiner Weise für die Sünde verantwortlich gemacht werden kann, ist
ein Gedanke, der so stark nach Gotteslästerung riecht, dass alle Christen vor
dieser Vorstellung fliehen müssen. Der Mensch allein ist verantwortlich für das
Böse in seinem Herzen, das sich in den verschiedenen Übertretungen des
göttlichen Willens äußert.
Was Gott betrifft, so müssen wir immer
behaupten: Jede gute Gabe und jede vollkommene Ausstattung kommt immer vom
Vater des Lichts herab, bei dem es weder eine Veränderung noch einen
Schattenwurf einer Wendung gibt. Gott ist die Quelle, der Vater des Lichts;
alles, was wirklich Licht ist und Licht bringt, kommt von Ihm. Ohne Seine
allmächtige Macht ist weder geistige Erleuchtung noch irgendetwas, das in
geistiger Hinsicht einen Wert hat, möglich. Die fortwährende Verleihung guter
Dinge, der unaufhörliche Schauer geistiger Begabungen und Segnungen, mit denen
Er die Herzen der Menschen segnet, kommt von Ihm herab. So ist er der Urheber
all dessen, was ausgezeichnet und vollkommen ist. Er kann sich daher nicht
selbst verleugnen; er kann sein Wesen und seine Eigenschaften nicht ändern; in
seinem Fall kommt der eigentümliche Eintritt in den Halbschatten oder der
Verlust des Glanzes, wie er bei einigen Himmelskörpern auftritt, nicht in
Frage. Der Mond mag seine Phasen und die Sonne ihre Finsternisse haben, aber
unser Gott scheint auf seine geistlichen Kinder in ungetrübter Herrlichkeit, 1.
Joh. 1,5. Gottes barmherziges Antlitz ist seinen Kindern niemals verborgen,
ohne Veränderung und Unterbrechung lässt er sein Antlitz auf uns scheinen.
Von den vielen herrlichen Gaben Gottes
nennt der Apostel jene, die die höchste und beste
ist: Weil er es wollte, zeugte er uns durch das Wort der Wahrheit, damit wir
eine Art Erstlingsfrucht unter seinen Geschöpfen seien. Den guten und gnädigen
Willen Gottes, nach dem er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur
Erkenntnis der Wahrheit kommen, haben wir Christen erfahren. Er hat uns
gezeugt, wir sind seine Kinder geworden durch das Wort der Wahrheit, das
Evangelium, 1. Petr. 1,23. Als uns das Evangelium verkündet wurde, hat uns der
barmherzige Wille Gottes durch dieses Mittel der Gnade aus unserem natürlichen,
sündigen Leben herausgenommen und in ein neues, göttliches Leben versetzt.
Durch den Glauben sind wir wiedergeboren, neu geboren, zu Kindern Gottes
geworden. Und eine der Absichten Gottes, die er mit dieser Veränderung in uns
verfolgte, war, uns zu einer Art Erstlingsfrucht unter seinen Geschöpfen zu
machen. So wie die Erstlinge jeder Ernte in Judäa dem Herrn geweiht wurden, so
sind wir Christen von der sündigen Welt abgesondert worden, um Geschöpfe Gottes
zu sein, in denen das Bild Gottes erneuert wird, durch die Gott wahrhaft geehrt
wird. Wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, Eph.
2,10.
Angesichts dieser Gnade aber, deren wir
teilhaftig geworden sind, mahnt der Apostel: Das wisst ihr, meine geliebten
Brüder; ein jeder aber sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum
Zorn; denn der Zorn des Menschen fördert nicht die Gerechtigkeit Gottes. Die
Tatsachen, die der Apostel ihnen soeben dargelegt hatte, waren Wahrheiten, mit
denen die Judenchristen vertraut waren und von deren Richtigkeit sie sich immer
wieder vergewissern sollten, da auf diesem Wissen und Verständnis ihr ganzes Christentum
beruhte. Die Frucht einer solchen Erkenntnis würde mit Sicherheit folgen, denn
ein Mensch, der sich bewusst ist, was er dem Wort der Wahrheit verdankt, würde
sicherlich immer bereit und begierig sein, das Wort zu hören, und es unmöglich
finden, zu viel von seiner herrlichen Botschaft zu lernen. Von einem Christen
wird jedoch genau das gegenteilige Verhalten erwartet, wenn es um seinen
Nächsten geht. Er sollte zögern, etwas zu sagen, er sollte sich zurückhalten,
nichts im Zorn zu sagen. Wenn er merkt, dass in seinem Herzen Zorn aufsteigt,
sollte er sich beherrschen, damit sein Zorn nicht die Oberhand über seine neue
geistliche Natur gewinnt und ihn zur Sünde verleitet. Denn wenn es auch eine
gerechte Empörung über die Sünde gibt, die die Verantwortlichen dazu
veranlasst, jede Form von Übertretung mit aller heiligen Strenge zu tadeln, so
gilt doch für jede Form des Zorns, dass er nicht die Gerechtigkeit Gottes
bewirkt und fördert; seine Ausbrüche finden nicht die Zustimmung Gottes,
sondern eher seine Verurteilung, da sie nicht mit seinem heiligen und gerechten
Willen in Einklang gebracht werden können.
Da der Apostel die Gefahr eines
ungerechtfertigten Zorns kennt, fügt er die allgemeine Warnung hinzu: Darum
legt alle Bosheit ab und nehmt das euch eingepflanzte Wort, das eure Seelen
retten kann, mit Sanftmut auf. Als neue Geschöpfe, als Kinder Gottes, haben die
Christen einen ständigen Kampf mit ihrer alten bösen Natur, die immer wieder
ihr Haupt erhebt und versucht, sie in jede Form von Unreinheit und Sünde zu
führen. Aber Unreinheit jeder Art und mannigfaltige Bosheit sind mit dem
Zustand des Herzens und des Geistes, den Gott von seinen Kindern erwartet,
ebenso unvereinbar wie jeder Zorn und jede Gewalttätigkeit. Die Gesinnung der
Gläubigen ist vielmehr die, dass sie täglich und immer wieder neu das
eingepflanzte Wort empfangen, die Botschaft von ihrer Erlösung und Heiligung,
wie sie ihnen im Evangelium gebracht wird, neu annehmen. Die Saat, die in ihren
Herzen aufgegangen ist, soll zu einer starken, gesunden Pflanze heranwachsen,
und deshalb ist es notwendig, dass sie das Wort, das allein ihre Seelen retten
kann, Tag für Tag hören und lernen und seiner wunderbaren Wahrheiten nicht müde
werden. Dieses Handeln der Gläubigen erfordert Sanftmut, Sanftmut, Demut, denn
der Stolz des Menschen, seine Selbstgerechtigkeit und seine allgemeine
Abneigung gegen den Weg des Heils werden ihm immer im Wege stehen. Aber der
Preis, der den Gläubigen in Aussicht gestellt wird, die immerwährende Seligkeit
in der Gegenwart Gottes, ist so beschaffen, dass er sie mit immer neuen
Gedanken an ihre Heimat im Himmel erfüllt und sie so befähigt, die Angriffe
ihrer fleischlichen Natur erfolgreich zu bekämpfen.
Täter des Wortes (V. 22-27): Die Worte, mit denen dieser Abschnitt eingeleitet wird, bilden praktisch das Thema des gesamten Briefes, denn das Ziel des Apostels ist es, das reine Kopfchristentum zu bekämpfen, das schon damals das Leben der Kirche bedrohte: Werdet aber Täter des Wortes und nicht nur Hörer, die sich selbst betrügen. Die Judenchristen in Judäa hatten die Botschaft des Evangeliums nun schon etwa eine Generation lang gehört, und sie waren in Gefahr, von der ersten Liebe abzufallen. Sie kamen immer noch, um das Wort zu hören, aber damit war die Sache erledigt. In ihrem Leben gab es keinen Beweis dafür, dass sie den fruchtbringenden Glauben besaßen, der aus dem Hören kommen sollte, Röm. 10,17. Das Hören des Evangeliums, all der Predigten, mit denen sie so reich gesegnet waren, war bei ihnen zu einer toten Gewohnheit geworden, zu einer Gewohnheit ohne Leben. Das Hören aber sollte von einem lebendigen Glauben begleitet sein, von einem Glauben, der im ganzen Leben des Gläubigen seine Existenz beweist. Die Heiligung ist das Korrelat der Rechtfertigung. Die Predigt von Sünde und Gnade soll nicht wie ein toter Schall durch das Gehör des Christen gehen, sondern das geistliche Leben, das durch das Evangelium in den Christen gewirkt wurde, soll in Tat und Wahrheit seinen Ausdruck finden, soll lebendig und kraftvoll in guten Werken sein. Wenn es im Leben der Menschen, die sich als Christen bekennen, keinen solchen Beweis des Glaubens gibt, wenn die Heiligung nicht auf die Rechtfertigung folgt, dann täuschen sie ihr eigenes Herz, dann reden sie sich in einen Zustand fleischlicher Sicherheit hinein.
Der Apostel erklärt seine Bedeutung durch einen Vergleich: Denn wer das Wort hört und nicht tut, der gleicht einem Menschen, der sein natürliches Gesicht im Spiegel betrachtet; denn er sieht sich selbst an und geht weg und vergisst sogleich, wie er war. Ein Mensch, auf den diese Beschreibung zutrifft, bei dem das Hören des Wortes zu einer bloßen toten Gewohnheit geworden ist, ohne Sinn und Leben, lässt sich gut mit dem Durchschnittsmenschen vergleichen, der nur in den Spiegel schaut, um zu sehen, ob sein Gesicht sauber ist, ob seine Kleidung richtig geordnet ist. Es gibt nur sehr wenige Menschen, die in der Lage wären, sich an ihre eigenen Gesichtszüge zu erinnern, selbst wenn sie hunderte von Malen einen Spiegel benutzen würden. So gehen die bloßen Hörer des Wortes in ihren Alltag zurück und behalten weder die Botschaft des Evangeliums mit gläubigem Herzen, noch bringen sie mit Geduld Frucht, Luk. 8,15.
Solchen vergesslichen, eitlen Hörern des Wortes stellt der Apostel den wahren Gläubigen gegenüber: Wer aber das vollkommene Gesetz, das der Freiheit, genau betrachtet und dabei bleibt und sich nicht als vergesslicher Hörer, sondern als Täter des Wortes erweist, der wird in seinem Tun gesegnet sein. Es ist Gottes Wille, dass die Gläubigen, die durch seine allmächtige Kraft durch den Glauben erneuert worden sind, in der Heiligkeit, in der Vollkommenheit, nach seinem heiligen Willen wachsen sollen. Das vollkommene Gesetz oder die vollkommene Einrichtung der Freiheit ist das Evangelium von Jesus Christus, denn es lehrt uns, worin die wahre Freiheit besteht, nämlich darin, unserem himmlischen Vater durch Christus zu dienen. Der wahre Gläubige betrachtet diese Tatsache nicht nur flüchtig, sondern nimmt sich die Zeit, all die Dinge sorgfältig zu studieren, von denen er weiß, dass sie die Zustimmung des Herrn haben. Gerade weil er das Ausmaß und den wunderbaren Reichtum seiner Freiheit in Christus Jesus erkennt, strebt er danach, ein Täter des Wortes zu sein und Fortschritte in der Heiligung zu machen. Und wer auf diese Weise im Dienste seines himmlischen Vaters tätig ist, wird aus Liebe zu ihm im Glauben glücklich und gesegnet sein. Allein die Tatsache, dass er Werke tut, die seinem Herrn und Meister wohlgefällig sind, ist eine Befriedigung und ein Lohn, der ihn voll entschädigt, ganz zu schweigen von dem Gnadenlohn, den der Herr ihm am jüngsten Tag auszahlen wird. Indem der Christ den Willen Gottes tut, erkennt und erfährt er seinerseits, was das Wort Gottes in ihm zu bewirken vermag, dass es eine Kraft Gottes zum Heil ist.
Dass auf die Rechtfertigung die Heiligung folgen muss, zeigt der Apostel zum Schluss: Wer sich einbildet, ein religiöser Mensch zu sein, aber seine Zunge nicht zügelt und vielmehr sein eigenes Herz betrügt, dessen Religion ist eitel; eine reine und unbefleckte Religion vor Gott und dem Vater ist es, für Waisen und Witwen in ihrer Bedrängnis zu sorgen, sich von der Welt unbefleckt zu halten. Wenn jemand meint, er sei einer, der immer die Ehrfurcht vor Gott im Sinn hat, der sich vielleicht seiner Religion und seines Eifers für Gottes Wort rühmt und sich zugleich des dreifachen Missbrauchs der Zunge, der Verleumdung, des Fluchens und der unreinen Rede schuldig macht, so betrügt er sich damit selbst. Seine eigenen Worte und Taten strafen seine Beteuerungen Lügen; er verleugnet durch sein Leben unter der Woche, was er sonntags stolz rühmt, und deshalb ist seine sogenannte Religion eine vergebliche, nutzlose Sache. Die Kraft und Wirksamkeit des Wortes wird sich vielmehr, wie der Autor betont, bei allen wahren Gläubigen auf eine ganz andere Weise zeigen. Das ist reine, echte, unbefleckte, selbstlose Religion, eine echte Frucht des Glaubens, wie sie in der Liebe aktiv und wirksam ist, wenn Christen die Sorge für die Vaterlosen, die Witwen, für alle, die ihrer natürlichen Beschützer beraubt sind, zu ihrem besonderen Ziel machen und so ihre Not lindern, soweit es in ihrer Macht liegt. Die wahre Religion wird sich auch darin zeigen, dass die Gläubigen sich von der Welt unbefleckt erhalten, dass sie keinen Umgang mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis haben, die die Herzen und den Verstand verunreinigen und den Glauben aus dem Herzen vertreiben. So wird die Heiligung der Christen auf der ganzen Linie voranschreiten und ihr Glaube und ihre Liebe nach dem Willen ihres himmlischen Vaters ausgeübt werden.[4]
Zusammenfassung: Nach der Ansprache spricht der Apostel von den Versuchungen, die die Christen bedrängen, von der Kraft des Gebetes, von der Notwendigkeit der Demut, von der wahren Quelle der Versuchungen, von der Vaterschaft Gottes, von der Annahme seines Wortes mit Sanftmut und von der Heiligung als Frucht der Rechtfertigung.
Toter „Glaube“ verglichen mit lebendigem Glauben (2,1-26)
1 Liebe Brüder, haltet nicht dafür, dass der Glaube an Jesus Christus,
unseren HERRN der Herrlichkeit, Ansehen der Person leide. 2 Denn so in eure
Versammlung käme ein Mann mit einem goldenen Ring und mit einem herrlichen
Kleid, es käme aber auch ein Armer mit einem unsauberen Kleid, 3 und ihr säet
auf den, der das herrliche Kleid trägt, und sprächt zu ihm: Setze du dich her
aufs Beste, und sprächt zu dem Armen: Stehe du dort oder setze dich her zu
meinen Füßen, 4 und bedenkt es nicht recht, sondern ihr werdet Richter und
macht bösen Unterschied. 5 Hört zu, meine lieben Brüder! Hat nicht Gott die
Armen auf dieser Welt, die am Glauben reich sind und Erben des Reichs, welches
er verheißen hat denen, die ihn liebhaben? 6 Ihr aber habt dem Armen Unehre getan.
Sind nicht die Reichen die, die Gewalt an euch üben und ziehen euch vor
Gericht? 7 Verlästern sie nicht den guten Namen, davon ihr genannt seid? 8 Wenn
ihr das königliche Gesetz vollendet nach der Schrift: Liebe deinen Nächsten wie
dich selbst, dann tut ihr wohl. 9 Wenn ihr aber die Person anseht, tut ihr
Sünde und werdet gestraft vom Gesetz als die Übertreter.
10 Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt an einem, der
ist’s ganz schuldig. 11 Denn der da gesagt hat: Du sollst nicht ehebrechen, der
hat auch gesagt: Du sollst nicht töten. So du nun nicht ehebrichst, tötest
aber, bist du ein Übertreter des Gesetzes. 12 Also redet und also tut, als die
da sollen durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden. 13 Es wird aber ein
unbarmherziges Gericht über den gehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat; und
die Barmherzigkeit rühmt sich gegen das Gericht.
14 Was hilft’s, liebe Brüder, so jemand sagt, er habe den Glauben, und
hat doch die Werke nicht? Kann auch der Glaube ihn selig machen? 15 So aber ein
Bruder oder Schwester bloß wäre und Mangel hätte der täglichen Nahrung, 16 und
jemand unter euch spräche zu ihnen: Gott berate euch, wärmt euch und sättigt
euch! gäbt ihnen aber nicht, was des Leibes Notdurft ist, was hülfe ihnen das?
17 Also auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, ist er tot an sich selber. 18
Aber es möchte jemand sagen: Du hast den Glauben, und ich habe die Werke; zeige
mir deinen Glauben mit deinen Werken, so will ich auch meinen Glauben dir
zeigen mit meinen Werken. 19 Du glaubest, dass ein einiger Gott ist; du tust
wohl daran; die Teufel glauben’s auch und zittern. 20
Willst du aber wissen, du eitler Mensch, dass der Glaube ohne Werke tot ist?
21 Ist nicht Abraham, unser Vater, durch die Werke gerecht worden, da er
seinen Sohn Isaak auf dem Altar opferte? 22 Da siehst du, dass der Glaube
mitgewirkt hat an seinen Werken, und durch die Werke ist der Glaube vollkommen
geworden. 23 Und ist die Schrift erfüllt, die da spricht: Abraham hat Gott
geglaubt, und ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet, und ist ein Freund Gottes
geheißen. 24 So seht ihr nun, dass der Mensch durch die Werke gerecht wird,
nicht durch den Glauben allein. 25 Desgleichen die Hure Rahab,
ist sie nicht durch die Werke gerecht geworden, da sie die Boten aufnahm und
ließ sie auf einem anderen Weg hinaus? 26 Denn gleichwie der Leib ohne Geist
tot ist, also auch der Glaube ohne Werke ist tot.
Kein Ansehen der Person (V. 1-9): Es
ist eine merkwürdige Tatsache, dass sich die Geschichte wiederholt, dass in den
christlichen Gemeinden nach einer fast ebenso langen Zeit der Verkündigung des
Evangeliums die gleichen Zustände anzutreffen sind. Der Apostel zögert nicht,
das Übel mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft zu bekämpfen: Meine
Brüder, haltet den Glauben an Jesus Christus, unseren Herrn der Herrlichkeit,
nicht an Personen fest. Der christliche Glaube darf nicht missbraucht werden,
und der Name Jesu Christi, unseres Erlösers und Königs der Herrlichkeit, darf
nicht mit Schimpf und Schande behaftet werden. Der Hinweis bezieht sich
wahrscheinlich auf die Tatsache, dass die zweite Person der Gottheit in der
Wolke der Herrlichkeit anwesend war, die die Kinder Israels auf ihrem Weg durch
die Wüste begleitete und später bei der Einweihung des salomonischen Tempels
erschien. Ein solcher Zustand, eine solche unterwürfige Betrachtung der
Menschen, die ganz und gar nicht mit dem Geist übereinstimmt, den Jesus
Christus in seinem Umgang mit den Menschen gezeigt hat, hatte sich jedoch in
die Kirchen eingeschlichen. Die Menschen wurden nicht aufgrund ihres
Christseins, ihrer moralischen Vortrefflichkeit, ihrer persönlichen
Frömmigkeit, ihrer Nützlichkeit für die Gemeinde betrachtet, sondern aufgrund
des Reichtums, den sie angesammelt hatten.
Dies wird vom Apostel mit großer Betonung
und Wirksamkeit hervorgehoben: Denn wenn in eure gemeinsame Versammlung ein mit
goldenen Ringen geschmückter Mann in einem prächtigen Gewand hineingeht, aber
auch ein armer Mann in einem schäbigen Gewand, und ihr (würdet) dem Träger des
prächtigen Gewandes beistehen und zu ihm sagen: Setz dich hier an den besten
Platz, und zu dem armen Mann würdet ihr sagen: Bleib hier stehen oder setz dich
an meinen Fußschemel, unterscheidet ihr dann nicht untereinander und werdet
Richter nach bösen Erwägungen? Der Text schildert eine Zusammenkunft, eine
gottesdienstliche Versammlung, wie sie in jenen Tagen stattfand. Es tritt ein
Mann ein, dessen Reichtum und Einfluss auf den ersten Blick erkennbar sind. Er
ist mit goldenen Ringen geschmückt, er trägt das feine weiße Gewand, das reiche
Juden trugen. Kaum ist er zur Tür hereingekommen, drängen sich die Mitglieder
nach vorne, um ihn zu empfangen. Mit unterwürfiger Ehrerbietung stellen sie ihm
den besten Platz im Raum zur Verfügung, und ihre Gesichter zeigen gleichzeitig
die Bewunderung für Reichtum und Macht, die ihre Herzen erfüllt. Doch gleich
darauf tritt ein armer Mann ein, gekleidet in ein einfaches Gewand, vielleicht
sogar beschmutzt von der Arbeit seiner Hände. Er wird nicht ehrerbietig
hereingelassen, als er entschuldigend versucht, einen Platz zu finden, wo er
bleiben kann. Stattdessen wird ihm lapidar gesagt, er könne sich in den
hinteren Raum stellen oder, wenn ihm das nicht passe, sich auf den Boden
setzen. Anmerkung: Die Geschichte wiederholt sich auch darin, dass genau diese
Bedingungen in vielen sogenannten christlichen Kriegshäusern bis zum heutigen
Tag herrschen. Aber der Apostel sagt seinen Lesern in scharfen Worten, dass sie
damit eine falsche Unterscheidung treffen, eine falsche und törichte
Unterscheidung, dass sie die Gemeinde des Herrn ohne die Zustimmung des Herrn
in Parteien spalten, und zwar in einer Weise, die in keiner Weise mit seiner
eigenen Annahme von Zöllnern und Sündern übereinstimmt. Übrigens werden Menschen,
die sich Christen nennen und doch so handeln, zu Richtern nach bösen
Vermutungen, nach falschen Erwägungen. Einen Menschen nur nach seiner äußeren
Erscheinung zu beurteilen und ihn wegen seiner Armut zu verurteilen, bedeutet,
ihn in Gedanken und Taten zu verleumden, was ganz entschieden gegen das achte
Gebot verstößt.
In feierlicher Warnung ruft der Apostel
aus: Hört zu, meine geliebten Brüder: Hat nicht Gott die Armen nach dieser Welt
erwählt, die reich sind im Glauben und Erben des Reiches, das er denen
verheißen hat, die ihn lieben? Diese Tatsache sollten die Leser bedenken, sie
sollten sie nie aus den Augen verlieren. Es sind die Armen an den Gütern dieser
Welt, die Schwachen, die Törichten, die Gott erwählt hat, 1. Kor. 1,27.28. Die
Weisen und Mächtigen dieser Welt sind geneigt, das Evangelium der armen
galiläischen Fischer und des Nazareners, der am Kreuz starb, zu verspotten.
Deshalb hat der Herr die Armen auserwählt, nicht weil ihre Herzen von Natur aus
besser sind als die der Reichen und Mächtigen, sondern weil sie wenigstens
nicht das Handicap haben, mit dem der Reichtum zu kämpfen hat. Und es ist die
Erwählung des Herrn, die die Armen reich im Glauben gemacht hat, die ihnen das
Erbe der Heiligen im Licht gesichert hat, den herrlichen Lohn der
Barmherzigkeit im Himmel oben, den Gott denen verheißen hat, die ihn lieben.
Vorwurfsvoll schreibt der Apostel deshalb: Ihr aber beleidigt die Armen, indem
ihr sie entehrt und verachtet.
In diesem Zusammenhang erinnert der Apostel
die Judenchristen an eine weitere Tatsache: Unterdrücken euch nicht die Reichen
und zerren euch selbst vor ihre Gerichte? Lästern sie nicht den herrlichen
Namen, der durch eure Berufung auf euch gelegt wurde? Er spricht von den
Reichen als einer Klasse und charakterisiert sie durch das Verhalten, das
allgemein dort anzutreffen ist, wo sie die Macht haben. Sie üben Gewalt aus,
sie unterdrücken diejenigen, die nicht zu ihrer Klasse gehören, sie versuchen,
jederzeit über sie zu herrschen; sie fördern Prozesse, weil sie glauben, dass
ihr Geld ihnen die Entscheidung erkaufen wird, die die Gerechtigkeit niemals
fällen würde. Und allzu viele von ihnen wollen nicht glauben, dass sie des
Heilands und seiner Erlösung bedürfen, sie lästern den Namen dessen, der die
Christen durch den Glauben berufen und sie in die Gemeinschaft der Heiligen
aufgenommen hat. Umso verwerflicher ist das Verhalten der Gläubigen, die sich
gegenüber allen Reichen mit falscher Ehrerbietung verhalten.
Der Apostel zieht daraus die folgende
Schlussfolgerung: Wenn ihr das königliche Gesetz erfüllt, wie es in der Schrift
steht: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“, dann tut ihr gut;
wenn ihr aber auf Personen Rücksicht nehmt, begeht ihr eine Sünde und werdet
vom Gesetz als Übertreter verurteilt. Es gibt ein königliches Gesetz, eine
Regel des Reiches, die auch von den Christen beachtet werden sollte, weil sie
den Willen Gottes ausdrückt, nämlich das Gebot, dass sie ihre Nächsten lieben
sollen wie sich selbst und keinen Unterschied machen sollen zwischen reich und
arm, zwischen angesehen und unbedeutend. Ein solches Verhalten ist Gott
wohlgefällig. Wenn aber die Christen solche falschen Unterscheidungen treffen,
wie sie der Apostel oben skizziert hat, indem sie die Reichen und
Einflussreichen nur wegen ihres Geldes bevorzugen und nicht wegen ihres
christlichen Lebens und ihres moralischen Wertes, dann übertreten sie den
Willen Gottes und werden von ihm und seinem Gesetz verurteilt, das dann wieder gilt.
Es ist eine vorsätzliche, bewusste Sünde, derer sie sich schuldig machen
werden, und es wird keine Entschuldigung für sie geben. Es ist eine Warnung,
die sich in unseren Tagen wiederholen wird.
Gottes Wille muss in allen Teilen
gehalten werden (V. 10-13): Hier wird die Zusammengehörigkeit, die Einheit
des Willens Gottes herausgestellt. Denn im Zusammenhang mit der Tatsache, dass
eine fleischliche Bevorzugung von Personen eine Übertretung des heiligen
Willens Gottes ist, argumentiert der Apostel: Denn wer das ganze Gesetz hält,
aber in einem einzigen Ding übertritt, der ist an allem schuldig geworden. Man
könnte einwenden, dass ein Vergehen der Art, wie es der Apostel erklärt,
wirklich nicht viel ausmache, dass der Fehler, wenn er denn so bezeichnet
werden könnte, von Gott sicher übersehen würde. Tatsächlich aber gilt
derjenige, der in irgendeinem Punkt des Gesetzes Gottes übertritt, stolpert,
schuldig wird, wie unbedeutend er auch im Vergleich erscheinen mag, als
Übertreter des Ganzen. Ein einziges Gebot zu übertreten bedeutet, alle zu
übertreten.
Dies wird nun veranschaulicht: Denn der,
der gesagt hat: „Du sollst nicht ehebrechen“, hat auch gesagt: „Du sollst nicht
töten“; wenn du nun nicht die Ehe brichst, mordest aber, so bist du ein
Übertreter des Gesetzes. Der Wille des Herrn ist eins und kann nicht geteilt
werden, ebenso wenig wie sein Wesen und seine Eigenschaften geteilt werden
können. Sowohl Ehebruch als auch Mord sind von Gott verboten, und der
Ehebrecher kann sich nicht damit herausreden, dass er niemanden ermordet hat,
noch kann sich der Mörder darauf berufen, dass er sich des Ehebruchs nicht
schuldig gemacht hat. In beiden Fällen ist das Gesetz übertreten worden; in
beiden Fällen wird der Schuldige nach der gleichen Regel bestraft, die besagt,
dass die Seele, die sündigt, sterben muss.
Der Rat des Apostels lautet daher: Redet
und handelt so wie diejenigen, die durch das Gesetz der Freiheit gerichtet
werden wollen. Die Christen stehen als Christen nicht unter dem Gesetz, sondern
unter der Gnade. Ihr Leben der Heiligung wird durch das Gesetz der Freiheit
bestimmt, das heißt, sie richten ihre Worte und Taten nach ihrer Liebe zu Gott,
nach ihrer Beziehung zu ihrem himmlischen Vater als seinen lieben Kindern. Weil
sie frei sind und zu Dienern der Gerechtigkeit geworden sind, finden sie ihre
Freude daran, so zu reden und zu handeln, wie es ihrem himmlischen Vater und
Christus gefällt. So, nach diesem Maßstab, wollen die Christen beurteilt
werden.
Diejenigen, die diese Tatsache nicht
beachten wollen, werden gezwungen sein, die Warnung zu beachten: Denn das
Gericht ist unbarmherzig gegen den, der nicht Barmherzigkeit geübt hat; aber
die Barmherzigkeit wird sich rühmen im Angesicht des Gerichts. Wenn ein Mensch
in diesem Leben keine Barmherzigkeit und Nächstenliebe übt, auch nicht in
seinem Verhalten gegenüber seinem Nächsten von geringem Rang, dann wird ihm das
Gericht ebenfalls die Barmherzigkeit versagen; er wird nach dem vollen Maß der
Gerechtigkeit behandelt und verurteilt werden. Hat sich aber ein Christ zu
allen Zeiten barmherzig gezeigt, voller Liebe zu allen Menschen unter allen
Umständen, dann braucht er das Jüngste Gericht nicht zu fürchten, sondern darf
sich bei dem Gedanken daran freuen, denn Gott wird dann aus seiner grenzenlosen
Barmherzigkeit heraus Gnade schenken. Vgl. Matth.
5,7.
Beweise den Glauben in der brüderlichen
Liebe (V. 14-20): Dieser Abschnitt steht nicht im Gegensatz zu Röm.
3,21-28, sondern bietet die Gegenseite der Frage, wobei der Schlüssel zur
gesamten Diskussion in V. 17 gegeben ist. Der Apostel stellt zunächst eine
herausfordernde Frage: Was nützt es, meine Brüder, wenn einer sagt, er habe
Glauben, aber keine Werke hat? Kann dieser Glaube ihn retten? Der Apostel
charakterisiert hier eine Person, die nur mit dem Kopf, mit dem Verstand, über
die Tatsachen des Heils Bescheid weiß, aber nicht den Glauben des Herzens hat,
der in der Liebe tätig sein muss. Ein wirklicher Glaube, ein rettender Glaube,
ohne irgendeinen Beweis für seine Anwesenheit im Herzen, ist undenkbar. Ein
solcher Glaube hat nichts mit dem Heilsglauben gemein; ein solcher Glaube ist
eine Täuschung und Eitelkeit.
Um dies zu verdeutlichen, gibt der Apostel
ein Beispiel: Wenn ein Bruder oder eine Schwester schlecht gekleidet ist und
keine tägliche Nahrung hat, einer von euch aber zu ihnen sagen würde: Geht in
Frieden, wärmt und speist euch, aber ihr würdet ihnen nicht das Notwendige für
den Leib geben, was würde es ihnen nützen? Hier ist ein konkreter Fall, der
auch in unseren Tagen der gepriesenen Nächstenliebe nur allzu oft anzutreffen
ist. Ein Bruder oder eine Schwester mag in tatsächlicher Not sein, tatsächlich
ohne die Bedürfnisse des Körpers, unzureichend gekleidet, unterernährt oder gar
nicht ernährt, und doch begnügen sich manche Menschen mit dem frommen Wunsch,
Gott möge für ihre Bedürfnisse sorgen. Wenn ein solcher Wunsch von jemandem
geäußert wird, der in der Lage ist zu helfen, und eine tatsächliche
Bedürftigkeit besteht, dann ist nur eine Schlussfolgerung möglich, nämlich dass
eine solche Person nichts von dem wahren Glauben des Herzens weiß, wie er in
der Liebe, in guten Werken zur Hilfe für den Nächsten tätig sein muss. In einem
solchen Fall ist der fromme Wunsch ein Beispiel für die ärgste Heuchelei; denn
nichts als Selbstsucht vermag die dringende Notwendigkeit zu vernachlässigen,
wie sie unter solchen Umständen zur Kenntnis gebracht wird.
Die Folgerung wird daher zutreffen: So ist
auch der Glaube, wenn er keine Werke hat, tot, da er für sich allein steht. Die
Werke sind eine notwendige Begleiterscheinung, eine unvermeidliche Frucht des
wahren Glaubens. Ein falscher, heuchlerischer Glaube ohne Werke ist also kein
Glaube; oder wenn man annehmen will, dass es einmal einen Glauben gab, so ist
es gewiss, dass dieser Glaube gestorben ist und keine wirkliche Frucht in Form
von guten Werken mehr hervorbringen kann. Ein Glaube allein, ohne gute Werke,
ist einfach nicht denkbar.
Der Apostel erwartet nun einen Einwand von
Seiten einiger Leser: Es wird aber jemand sagen: Du hast Glauben; - ich habe
auch Werke; - zeige mir deinen Glauben ohne Werke, und ich will dir meinen
Glauben aus meinen Werken zeigen. Dies ist eine sehr anschauliche Darstellung
in Form eines Dialogs. Jemand könnte den Einwand erheben: Behauptest du, dass
du gläubig bist? und scheint damit die Sache in Zweifel zu ziehen. Aber der
Verfasser würde mit seiner Antwort sofort zur Stelle sein: Ja, ich bin gläubig,
und außerdem habe ich Werke, die das beweisen. Er könnte den Einwender sehr
wohl auffordern, seinen Glauben ohne Werke zu beweisen, und dann würde er, der
Verfasser, bald einen überzeugenden Beweis für die Existenz des wahren Glaubens
in seinem Herzen liefern, nämlich die guten Werke, die die Frucht des Glaubens
sind.
In einer fast sarkastischen Art und Weise
geht das Argument weiter, das gegen den Menschen mit einem unfruchtbaren
Glauben vorgebracht wird: Du glaubst, dass Gott einer ist; das tust du gut;
auch die Teufel glauben - und zittern. Willst du aber wissen, o eitler Mensch,
dass der Glaube ohne Werke nutzlos ist? Das ist ungefähr der Umfang und der
Inhalt des Glaubens, dessen sich der Widersprechende rühmen kann; er hat das
Wissen des Verstandes und des Kopfes, das ihm sagt, dass es nur einen wahren
Gott gibt, dass Gott seinem Wesen nach einer ist. Diese Erkenntnis ist gut
genug, soweit sie reicht. Aber der rettende Glaube ist es ganz gewiss nicht;
denn selbst die Teufel wissen so viel von Gott, dass der Herr ein einziger Herr
ist; ja, sie haben eine sehr vollständige und genaue Kenntnis des Wesens und
der Eigenschaften Gottes, Luk. 8,26 ff. Sie zittern und beben vor Gott, weil
sie genau wissen, dass sie vor seiner allmächtigen Macht hilflos sind. Wer sich
nun einbildet, den wahren Glauben zu besitzen, und über den Standpunkt der
Teufel nicht hinausgekommen ist, der verlässt sich auf ein bloßes Kopfwissen
ohne Werke, wie sie aus dem rettenden Glauben hervorgehen müssen, und hat daher
gewiss eine vergebliche und leere Hoffnung, die ihn trägt. Anmerkung: Wo immer
sich die Umstände so gestalten, wie sie in den Gemeinden, an die dieser Brief
gerichtet ist, liegen, kann das Übel nur durch klares Reden, wie es der Apostel
hier tut, mit Aussicht auf Erfolg bekämpft werden.
Das Beispiel von Abraham und Rahab (V. 21-26): Der Apostel führt Beispiele aus dem Alten Testament an, um seine Argumentation zu veranschaulichen, und bezieht sich dabei zunächst auf eine Begebenheit im Leben Abrahams: Wurde nicht Abraham, unser Vater, durch Werke gerechtfertigt, als er seinen Sohn Isaak auf dem Altar opferte? 1. Mose 22,9. Abraham hatte von Gott den Befehl erhalten, seinen einzigen Sohn Isaak zu nehmen, mit ihm eine dreitägige Reise zu einem bestimmten Berg zu machen und ihn dort auf einem von ihm errichteten Altar zu opfern. Die Tatsache, dass Abraham das Gebot Gottes ohne Widerrede ausführte, war ein Beweis für seinen Glauben, Hebr. 11,17; mit anderen Worten, sein Werk, seinen Sohn zu opfern, war ein Beweis dafür, dass der rechtfertigende, rettende Glaube in seinem Herzen lebte. Daraus folgt: Du siehst, dass sein Glaube sich als eins mit seinen Werken erwies, und dass der Glaube aus den Werken heraus vollendet wurde. Abrahams Glaube wirkte in seinen Werken, in allem, was mit diesem Opfer zusammenhing, so dass beide in ihrer Wirksamkeit verbunden waren und sein Glaube durch seine Werke seinen endgültigen und endgültigen Beweis erhielt. Das heißt, jeder, der sah, wie Abraham dieses Werk vollbrachte, wie es ihm vom Herrn befohlen worden war, konnte nicht eine Minute lang daran zweifeln, dass in seinem Herzen wahrer Glaube lebte.
Dass dies die Argumentation des Schreibers ist, zeigt der nächste Vers: Und es wurde erfüllt, was in der Schrift steht: Abraham glaubte Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet, und er wurde ein Freund Gottes genannt. Die Reihenfolge, die bei der Beurteilung des Glaubens zu beachten ist, lautet wie folgt: Abraham vollbrachte die ihm aufgetragene, sehr schwierige Aufgabe; dieses Werk konnte er nur durch den Glauben vollbringen; kraft dieses rettenden Glaubens wurde ihm die Gerechtigkeit des Messias zugerechnet, oder: sein Glaube wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet, 1. Mose 15,6; Röm. 4,3. Außerdem hat das Alte Testament Abraham aufgrund dieses Glaubensbeweises den Ehrentitel „Freund Gottes“ zuerkannt, 2. Chron. 20,7; Jes. 41,8. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Schlussfolgerung richtig: Man sieht, dass der Mensch aus Werken gerechtfertigt wird und nicht allein aus dem Glauben. Gute Werke sind nicht notwendig, um das Heil zu erlangen, aber sie sind notwendig als Beweis für das Vorhandensein des Glaubens im Herzen eines Menschen; denn wo sie zu finden sind, da kann man schließen, dass der wahre Glaube im Herzen lebt, und so rechtfertigen die Werke indirekt einen Menschen.
Auch das Beispiel der Rahab wird angeführt: So auch Rahab, die Hure: Wurde sie nicht aus Werken gerechtfertigt, als sie die Boten aufnahm und sie auf einem anderen Weg aussandte? Die Tat Rahabs, die die Kundschafter, die in ihr Haus kamen, verbarg, war eine Tat des Glaubens, Hebr. 11,31. Es war dieser Glaube, der sie dazu veranlasste, die Boten zu verstecken und ihnen bei der Flucht aus der Stadt zu helfen. Dieses gute Werk bewies das Vorhandensein des rettenden Glaubens in ihrem Herzen, und so wurde sie aufgrund der Tat, die den Zustand ihres Herzens offenbarte, gerechtfertigt. So schließt der Apostel von dem Standpunkt aus, den er seinen Lesern hier nahebringen will, zu Recht: Denn wie der Körper ohne Atem tot ist, so ist der Glaube ohne Werke tot. Ein Leichnam mag in jeder Hinsicht wie ein lebendiger Mensch aussehen, alle Glieder und Organe sind vorhanden und scheinbar funktionstüchtig. Aber solange der Lebensatem, die Seele, fehlt, ist dieser Körper tot und bleibt tot. So kann sich auch ein Mensch rühmen, dass er den Glauben besitzt, und er kann sogar zu denen gehören, die das Wort Gottes hören. Aber wenn der Beweis der guten Werke fehlt, ist dieser Glaube unecht, heuchlerisch, wertlos. Echter Glaube ist niemals ohne gute Werke.
Zusammenfassung: Der Apostel warnt seine Leser vor einer unchristlichen Parteilichkeit, indem er behauptet, der Wille Gottes verlange Nächstenliebe gegenüber allen Menschen gleichermaßen; er zeigt, dass der Glaube das Korrelat der brüderlichen Liebe erfordert, und führt das Beispiel von Abraham und Rahab an, um zu zeigen, wie der Glaube seinen Beweis in guten Werken erbringt.
Gehalten
über die Epistel am Palmsonntag, Philipper 2,5-6
1518
Übersetzt
von Georg SpalatinB
Philipper
2,5-6: Ein jeglicher sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war, welcher, ob
er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er’s nicht für einen Raub, Gott gleich
sein.
Liebe Brüder, so sollt ihr gegen
einander gesinnt sein, wie ihr seht in Christus; welcher, da er wohl hätte
können sich gegen uns gebärden wie ein Gott, hat er’s doch nicht getan, wie
etliche tun, die, gleichsam sie der anderen Gott wollten sein, solches sich
selbst zueignen und rauben, das ihnen doch nicht ziemt noch gebührt.
1.
Es gibt zweierlei Gerechtigkeit der Christen, wie auch die Sünde der
Menschen zweierlei ist. Die erste Gerechtigkeit ist eine fremde und von außen
eingegossen, das ist die, durch welche der HERR Christus gerecht ist und durch
den Glauben rechtfertigt; wie St. Paulus im ersten Brief an die Korinther im
ersten Kapitel, Vers 30, spricht: „Der uns gemacht ist von Gott zur Weisheit
und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung.“ Denn der HERR
Christus hat auch selbst, wie im Evangelium von St. Johannes im elften Kapitel,
Vers 25, steht, gesagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich
glaubt, wird nicht sterben in Ewigkeit.“ Und abermals bei St. Johannes im
Evangelium im 14. Kapitel, Vers 6: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“
2. Deshalb wird dieselbe Gerechtigkeit den
Menschen in der Taufe gegeben und zu aller Zeit in der wahren Buße, so dass
sich der Mensch mit Vertrauen kann in
dem HERRN Christus rühmen und freuen und sprechen: Das ist mein, was der HERR
Christus gelebt, gehandelt, getan, geredet und gelitten hat und in der Folge
gestorben ist, nicht anders, als wenn ich dasselbe Leben, Handeln, Wesen,
Reden, Leiden und Sterben geführt und erlitten hätte, eben wie der Bräutigam
alles das hat, das der Braut ist; und die Braut alles das hat, das des
Bräutigams ist. Denn alles, das sie haben, ist ihnen beiden gemeinsam, denn sie
sind ein einiges Fleisch; so sind der HERR Christus und die Kirche oder
christliche Versammlung ein einiger Geist; Eph. 5,29 ff.; Gal. 3,28.
3. So hat der gebenedeite Gott und Vater
der Erbarmung, Gnade und Barmherzigkeit, wie St. Petrus sagt, 2. Brief 1,4, die
allergrößten und kostbarsten Dinge uns in dem HERRN Christus geschenkt; und wie
St. Paulus in dem zweiten Brief an die Korinther, Kapitel 1,3, und an die
Epheser, Kapitel 1,3, schreibt: „Gelobt sei Gott und der Vater unsers HERRN
Jesus Christus, der Vater der Erbarmung und Gott alles Trostes, der uns
gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch
Christus.“
4. Diese Gnade und unaussprechlicher Segen
sind vor Zeiten dem Abraham verheißen worden, 1. Mose 12,3; 22,28: „In deinem
Samen, das ist, in Christus, sollen gesegnet werden alle Geschlechter der
Erde“; und Jesaja 9,6: „Ein Kind ist uns geboren, und ein Sohn ist uns
gegeben.“ Er spricht „uns“; denn er ist der Unsere ganz mit allein seinen
Gütern, wenn wir an ihn glauben; wie St. Paulus den Römern im 8. [Kapitel], V.
32 sagt: „Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern hat ihn für uns
alle dahingegebene; wie sollte er uns denn nicht mit ihm alles schenken?“ Darum
ist alles das unser, was der HERR Christus hat, das uns Unwürdigen und
Unverdienten alles aus lauter Barmherzigkeit gnädig und umsonst geschenkt ist,
weil wir doch nicht mehr als Zorn, Verdammnis und Hölle verdient hätten; weshalb auch der HERR Christus, der da sagt,
dass er gekommen sei, den allergütigsten Willen seines Vaters zu tun, Joh.
6,38; Hebr. 10,9, ist ihm gehorsam geworden, und alles, was er getan hat, hat
er uns getan, und hat wollen unser sein, sprechend, Luk. 22,27: „Ich bin mitten
unter euch als ein Diener.“ Und weiter, Luk. 22,19: „Das ist mein Leib, der für
euch gegeben wird“, oder verraten. So sagt Jesaja im 43. Kapitel, V. 24, auch:
„Du hast mich zum Diener gemacht mit deinen Sünden und hast mir Mühe gemacht in
deinen Missetaten.“
5. Deshalb wird durch den Glauben an
Christus die Gerechtigkeit Christi unsere Gerechtigkeit, und alles, das sein
ist; ja, er wird selbst der Unsere. Demnach nennt sie St. Paulus in der Epistel
an die Römer im ersten [Kapitel], V.17: „die Gerechtigkeit Gottes“. Die
Gerechtigkeit wird offenbart und entdeckt im Evangelium, wie geschrieben steht:
„Der Gerechte lebt seines Glaubens“; Hab. 2,4; Hebr.10,38. So wird auch ein
solcher Glaube genannt die Gerechtigkeit Gottes, wie St. Paulus meldet in der
berührten Epistel an die Römer im 3. [Kapitel], V. 28: „So halten wir es nun,
dass der Mensch gerecht werde allein durch den Glauben.“
6. Dieses ist die unendliche Gerechtigkeit,
die alle Sünden im Augenblick verzehrt; denn es ist unmöglich, dass eine Sünde
in oder an Christus hafte und hänge. Aber wer an Christus glaubt, der haftet an
ihm und ist ein einiges Ding mit Christus; hat auch eine einige Gerechtigkeit
mit ihm. Darum ist es unmöglich, dass in ihm Sünde bleibe.
7. Und dies ist die erste Gerechtigkeit,
der Grund, Ursache und Ursprung aller eigenen oder aber wirklichen
Gerechtigkeit. Denn sie wird wahrhaftig gegeben für die erste und ursprüngliche
Gerechtigkeit, die in dem Adam verloren ist, und wirkt eben das, ja mehr, als
diese ursprüngliche Gerechtigkeit gewirkt hat.
8. So wird verstanden dieser Spruch in dem
31. Psalm, V. 2: „HERR, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zu Schanden
werden; errette mich durch deine Gerechtigkeit.“ Er spricht nicht „in meiner“,
sondern „in deiner“, das ist, in der Gerechtigkeit Christi, meines Gottes, die
durch den Glauben, durch die Gnade, durch die Barmherzigkeit Gottes unser
geworden ist. Und die heißt im Psalter an vielen Enden „das Werk des HERRN“,
„das Bekenntnis“, „die Kraft oder Stärke Gottes“, die „Barmherzigkeit“, „die Wahrheit“,
„die Gerechtigkeit“. Denn dies sind alles Namen des Glaubens und Vertrauens auf
den HERRN Christus, ja, der Gerechtigkeit, die in Christus ist. Deshalb St.
Paulus in der Epistel an die Galater (2,20) sagen darf: „Ich lebe, doch nicht
ich, sondern Christus lebt in mir“; und an die Epheser im 3. Kapitel, V. 17:
„Damit er gebe euch, Christus zu wohnen durch den Glauben in euren Herzen.“
9. Darum ist das eine fremde Gerechtigkeit
und ohne unsere Werke, allein durch die Gnade uns eingegossen, wenn uns
inwendig der himmlische Vater zu dem Sohn Christus zieht; und wird
entgegengesetzt der Erbsünde, welche auch eine fremde ist, ohne unsere
Handlung, allein durch die Geburt an uns gewachsen, geflossen und gekommen. …
10. Die andere Gerechtigkeit ist unser und
eigen; nicht darum, dass wir sie allein wirken, sondern dass wir zusammen mit
der ersten, fremden wirken; das ist die gute Übung in den guten Werken, erstens
in der Tötung und Verzehrung des Fleisches und der Kreuzigung der Begierden
gegen sich selbst; wie St. Paulus an die Galater (5,24) schreibt: „Welche aber
Christus angehören, die kreuzigen ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden“;
zweitens in der Liebe gegen den Nächsten; drittens in der Demut und Furcht
gegen Gott. Davon sind der Apostel St. Paulus und alle Heilige Schrift voll.
Aber St. Paulus umfasst das alles kurz in der Epistel an Titus im 2. Kapitel,
V. 12, und spricht: „Züchtig“, das ist, gegen sich selbst in der Kreuzigung des
Fleisches, und „gerecht“, als gegen den Menschen, „und gottselig“, als gegen
Gott, sollen wir in dieser Welt leben.
11. Diese Gerechtigkeit ist ein Werk,
Frucht und Folge der ersten Gerechtigkeit, wie St. Paulus an die Galater (5,22)
schreibt: „Die Früchte aber des Geistes – das ist, des geistlichen Menschen,
der durch den Glauben in Christus wird – sind: Liebe, Freude, Friede, Geduld,
Freundlichkeit“ usw. Denn der geistliche Mensch wird an demselben Ort der Geist
genannt: Welches aus diesem erkennbar wird, dass dieselben Früchte sind Werke
des Menschen. Und Joh. 3,6: „Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und
was vom Geist geboren ist, das ist Geist.“ Diese Gerechtigkeit vollzieht … die
erste Gerechtigkeit, denn sie arbeitet und bemüht sich allezeit, auf dass der
Adam verderbt und der Leib der Sünde zerstört werde. Darum hasst sie sich
selbst und liebt den Nächsten; sie sucht nicht das Ihre, sondern was einem
andern dienstlich, gut und förderlich ist. Und in dem steht all ihr Wesen und
Übung; denn in dem, dass sie sich selbst hasst und nicht das Ihre sucht, macht
sie sich eine Kreuzigung des Fleisches; dass sie aber eines andern Frommen und
Förderung sucht, wirkt sie die Liebe. Und so tut sie in den beiden den Willen
Gottes, dass sie gegen sich selbst züchtig, gegen den Nächsten gerecht und
gegen Gott gottselig lebt.
14. Und in dem folgt sie dem Vorbild und
Beispiel Christi, 1. Petr. 2,21, und wird gleichförmig seinem Bildnis. Denn
dieses fordert Christus auch, eben da er alle Dinge für uns getan und nicht das
Seine, sondern allein das Unsere gesucht, und in dem Gott aufs allergehorsamste
gewesen ist, so will er, dass wir dies Beispiel auch gegen unseren Nächsten
erzeigen sollen. Diese Gerechtigkeit wird entgegengesetzt der werklichen und
unserer eigenen Sünde, wie zu den Römern im 6. Kapitel, V. 19: „Gleichwie ihr eure
Glieder begeben habt zu Dienst der Unreinigkeit und von einer Ungerechtigkeit
zu der andern; so begebt nun auch eure Glieder zu Dienst der Gerechtigkeit,
dass sie heilig werden.“
13. Deshalb entsteht durch die erste
Gerechtigkeit die Stimme des Bräutigams, der da spricht zu der Seele: Ich der
Deine; aber durch die andere Gerechtigkeit die Stimme der Braut, die da sagt:
Ich die Deine. Alsdann ist gemacht die feste, vollkommene und verbrachte Ehe,
wie in Canticis oder dem Hohelied steht, Kap. 2,16:
„Mein Freund ist mein und ich bin sein“; als spräche sie: Mein Geliebter ist
mein und ich bin die Seine. So sucht denn die Seele nicht weiter aus sich
selbst gerecht zu sein, sondern ihre Gerechtigkeit, Christus; deshalb sucht sie
allein der andern Seligkeit. …
14. Das ist das, was unser Text sagt: „Das
empfindet in euch, was auch in Christus Jesus war“; das ist, so sollt ihr gegen
andere gesinnt sein und tun, wie ihr seht, dass Christus gegen euch gewesen
ist. Wie? „Welcher, ob er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt er’s nicht für
einen Raub, Gott gleich sein; sondern entäußerte sich selbst und nahm
Knechtsgestalt an.“
15. Die Form oder Gestalt Gottes wird
allhier nicht genannt die Substanz oder das selbständige Wesen Gottes; denn
dessen hat Christus sie nie entledigt und entäußert; wie auch nicht die Form
des Knechtes die menschliche Substanz und Selbständigkeit kann genannt werden;
sondern „die Form Gottes“ ist die Weisheit, Macht, Gerechtigkeit, Frömmigkeit
und Freiheit, also, dass Christus Mensch ist gewesen, frei, mächtig, weise,
niemand unterworfen, weder den Sünden noch den Lastern untertänig, wie alle
Menschen sind. Denn er ist mit den Formen vortrefflich gewesen, die Gott am
allermeisten ausmachen; dennoch ist er in derselben Form nicht hoffärtig
gewesen, hat nicht damit gegen uns sich gebärdet oder gestellt, noch andere
verachtet und verschmäht, die Knechte gewesen sind und mancherlei Übel
unterworfen; wie der Pharisäer oder Gleisner,
der da sagt, Luk. 18,11: „Ich sage dir Dank, dass ich nicht bin wie die
andern Menschen“; der darin einen Wohlgefallen hatte, dass die andern unselig
waren, und je nicht wollte, dass sie ihm gleich wären. Und dieses ist der Raub,
damit sich der Mensch anmaßt, ja, vorbehält, was er hat, und es nicht rein
Gott, dessen es ist, zuschreibt, und damit den andern nicht dient, damit er
sich ihnen gleich mache. Und so wollen sie, gleichwie Gott, sich selbst
genügen, sich selbst gefällig, in sich ruhmbegierig und niemand verpflichtet
sein.
16. Aber der HERR Christus hat nicht diese
Meinung gehabt, hat nicht diese Weisheit gehabt; sondern hat diese Form Gott
dem Vater zugeschrieben und überreicht, und sich derselben entledigt und
entäußert, hat dieselben Titel gegen uns nicht wollen gebrauchen, hat uns nicht
ungleich und unähnlich sein sollen. Ja, er ist vielmehr geworden gleich wie
einer von uns und hat die Form des Knechts angenommen, das ist, er hat sich
allen Übeln unterworfen, wiewohl er frei war, wie auch St. Paulus spricht, 1.
Kor. 9,19: „Er ist geworden ein Knecht aller Menschen“, und hat sich nicht
anders gestellt, sondern als wären dieselben Übel und Beschwerden alle sein
eigen, die unser waren. Darum hat er sich unserer Sünde und Pein angenommen und
so gehandelt, dass er sie überwunden, als gehörten sie ihm selbst; so er sie
doch uns zugut und Heil überwunden hat, so dass, wiewohl er um unsertwillen so
getan war, dass er unser Gott und unser Herr hätte sein mögen; dennoch hat er
es nicht tun wollen, sondern lieber unser Knecht sein wollen; wie an die Röm4er
im 15. Kapitel, V. 3 steht: Wir sollen uns nicht selbst gefällig sein; denn der
HERR Christus war nicht sich selbst gefällig; sondern wie geschrieben steht Ps.
69,10: „Die Schmach derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen“; welches
eine gleiche Meinung ist mit der berührten.
17. Daraus folgt, dass dieser Spruch soll
negativ, das ist, verneinend verstanden werden, den viel Leute affirmativ, das
ist, behauptend verstanden haben: So, dass der HERR Christus hat sich Gott
nicht gleich geachtet, das ist, er hat nicht Gott gleich sein wollen; so wie
die tun, die sich des mit Hoffart unterwinden, die zu Gott sprechen: Wenn du
mir deine Ehre nicht wirst geben, wie St. Bernhardus
sagt, so will ich sie selbst nehmen. Und nicht affirmativ, das ist, behauptend,
so nämlich, er hat nicht geachtet, sich Gott gleich sein; das ist, dass er Gott
gleich ist, das hat er nicht für einen Raub gehalten. Denn diese Meinung hat
nicht einen bequemen Verstand, wenn er gesagt ist von Christus, dem Menschen.
18. Das ist des Apostels
Meinung, dass ein jeglicher Christenmensch soll, dem Beispiel Christi nach,
eines andern Christenmenschen Knecht werden. Und wenn einer
Weisheit, Gerechtigkeit oder Gewalt hat, damit er die andern mag übertreffen
und sich über sie erheben, wie in den Formen Gottes; so soll er das nicht
behalten, sondern das Gott wieder darreichen, zuschreiben und übergeben, und
allenthalben dermaßen werden, als hätte er dieselben gar nicht, und soll werden
wie deren einer, die das nicht haben, so, dass ein jeder seiner selbst vergesse
und, von den Gaben Gottes entledigt, mit seinem Nächsten der Meinung und
Gestalt umgehe und handle, als wäre die Schwachheit, Sünde und Torheit des
Nächsten sein eigen. Er soll nicht rühmen noch brüsten, noch ergeben, weder
diesen noch jenen verachten, noch über ihn triumphieren, als wäre er sein Gott
und als wäre er Gott gleich; welches, weil man es Gott allein lassen soll, so
geschieht durch einen solchen Menschen und durch den hochmütigen Frevel ein
Raub.
19. Deshalb wird die Form des Knechts so
genommen und dieser Spruch St. Pauli an die Galater im 5. Kapitel, V. 13,
erfüllt: „Ihr sollt durch die Liebe einer dem andern dienen“; und an die Römer
im 12. Kapitel, V. 4.5, und im ersten Brief an die Korinther im 12. Kapitel, V.
12 ff., durch das Gleichnis von den Gliedmaßen des Leibes lehrt er, wie die
starken, gesunden, ehrbaren Gliedmaßen nicht Hoffart treiben gegen die
geringeren, als beschwerten sie diese und als wären sie ihre Götter; sondern
sie dienen ihnen vielmehr und vergessen ihre eigene Herrlichkeit, Gesundheit
und Gewalt. Denn so dient kein Glied des Leibes sich selbst, sucht auch nicht
seinen eigenen Genuss, sondern des andern; und das umso viel mehr, so viel
schwächer, kränker und unehrbarer es ist. Und damit ich St. Paulus gebrauche,
1. Kor. 12,5: „die Glieder sorgen für einander in gleicher Weise“, damit keine
Empörung und Unfriede im Leib sei. Woraus nun offenbar ist, wie man sich in
allen Sachen gegen den Nächsten halten und erzeigen soll.
20.C
Es ist nämlich jene Lehre auszuüben: „Alles, was ihr wollt, dass auch die
Menschen tun sollen, das tut auch ihnen.“ Z.B.: Wenn ihr von eurem Nächsten
beleidigt worden seid, so kommt euch gleich der Gedanke, Rache und
Wiedervergeltung zu suchen, denn das ist der Natur aus Adam ähnlich. Hier
zeigen sich solch beide Formen, nämlich die Gerechtigkeit im Beleidigten und
die Ungerechtigkeit im Beleidiger. Wenn hier nun die Natur das Übergewicht
bekäme, was würde geschehen? Da sie sich nämlich selbst gefällt, so wird sie
gegen den Beleidiger entbrennen, ihn gleichsam durch ein Urteil als einen
Ungerechten verwerfen und richten und verdammen; so handelt er vermessen alles
gegen sich, was doch Sache Gottes ist; denn Gott ist die Ehre, die Rache und
das Gericht, nach Röm. 12,19: „Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht
der HERR; und Joh. 8,50: „Es ist einer, der da sucht und richtet.“
21. Hier also wird der Mensch ein
Blutmensch, zornig, neidisch, ungeduldig, und vergisst unterdessen ganz und
gar, dass auch er in so vielen und ganz andern Dingen Gott und Menschen
beleidigte. Und doch möchte er nicht in einem einzigen davon mit sich so
gehandelt haben, wie er bei dieser einzigen Sache mit seinem Nächsten handelt;
er möchte nicht gerächt, gerichtet und zu Schanden gemacht sein.
22. Zum zweiten, so schaut er auch nicht
auf das Vorbild Christi, der um des willen, dass er so vielfältig beleidigt
wurde, nicht nur keine Wiedervergeltung gegen solchen übte, sondern auch noch
mit ihm als einem armen, unverständigen Menschen Mitleid hatte und sich so
seiner Form unterwarf. Er tat mit der Sünde, mit der er beleidigt wurde, der
eigenen Form vergessend, nicht anders, als ob er sie selber getan hätte.
23. Zum dritten sieht er [der Mensch]
nicht, dass der Beleidiger sein Nächster, gleichsam sein eigenes krankes,
unehrbares und zu heilendes Glied ist, mit dem er, als des Mitleids und er
Heilung bedürftig, mehr Barmherzigkeit haben sollte, als dass er es durch die
Schärfe der Gerechtigkeit erbittere und zu Schanden mache. Denn so werden auch
wir von Christus getragen und nicht erbittert, den wir doch mit 500 Pfund, das
ist, mit weit größeren Schwachheiten und Beleidigungen, kränken, wo unser
Nächster uns kaum mit 50 Groschen, das ist, mit weit geringeren Beleidigungen,
kränkt und reizt. Dazu zwingt uns auch das Vaterunser: „Vergib uns unsere
Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“
24. Und wenn wir diese Formen Gottes nicht
gerne und mit Willen ausziehen und die Formen des Knechts antun wollen, so
werden wir dazu gezwungen werden und gegen unsern Willen ausgezogen und
derselben entblößt werden; davon die Historie und Geschichte des Lukas im 7.
Kapitel, V. 39 ff., bekannt ist, da Simon, der PharisäerD, in der Form Gottes und seiner
Gerechtigkeit sitzend, die Maria MagdalenaE, in der die Form des Knechts
war, hochmütig verurteilte und verachtete. Aber siehe den Richter an: Der HERR
Christus zog ihm die Form der Gerechtigkeit bald aus und zog ihm an die Form
der Sünde uns sprach: „Du hat mir den Kuss nicht gegeben, du hast mein Haupt
nicht gewaschen.“ Siehe, wie große Sünde, die er nicht sah; er hielt es auch
nicht dafür, dass er mit einer hässlichen Form ungestaltet wäre; seine guten
Werke sind in keinem Gedächtnis, der HERR Christus weiß die Form Gottes nicht,
in welcher Simon der PharisäerF sich selbst gefällt, sich
gebrüstet und Hochmut getrieben hat. Der HERR Christus erzählt und meldet
nicht, dass er von ihm geladen, gespeist und geehrt worden sei. Der PharisäerG
Simon ist nun nichts als ein Sünder, der sich selbst für so einen gerechten
Menschen hielt; ihm ist genommen worden die Ehre der Form Gottes, er sitzt
geschändet und zu Schanden gemacht in der Form des Knechts, er wolle oder wolle
nicht. Aber wiederum, die Maria Magdalena hat der HERR geehrt mit der Ehre
Gottes und die Sünden ihr abgelegt und sie über den Simon erhoben und
gesprochen: „Diese hat meine Füße gesalbt, geküsst, mit Zähren benetzt und mit
ihren Haaren getrocknet.“ Siehe, wie großes Verdienst, das weder sie noch Simon
sah; ihre Sünden sind in keinem Gedächtnis, der HERR Christus weiß die Form der
Dienstbarkeit an ihr nicht, welche er mit der Form der Herrschaft groß gemacht
hat. Und die Maria Magdalena ist nichts anders als eine Gerechte und Erhöhte in
der Ehre und Glorie der Form Gottes.
25. So wird er uns allen tun, so oft wir
uns der Gerechtigkeit oder Weisheit oder Gewalt erheben und zürnen gegen die
Ungerechten, Narren und die weniger mächtig als wir sind; alsdann, welches die
allergrößte Gefahr ist, wirkt die Gerechtigkeit gegen die Gerechtigkeit, die
Weisheit gegen die Weisheit und Gewalt gegen Gewalt. Denn du bist darum mächtig
und gewaltig, dass du die Ungewaltigen nicht ungewaltiger machst mit Unterdrückung, sondern sie
mächtiger machst mit Erhebung und Errettung; und darum bist du weise, nicht
dass du der Unweisen spottest und sie närrischer machst, sondern sie annehmest
und unterweisest, wie du es für dich selbst wolltest. So bist du gerecht, auf
dass du den Ungerechten rechtfertigst und entschuldigst, nicht dass du ihn
allein verdammst oder verurteilst, ihm nachredest, ihn richtest und rächst.
Denn diese ist das Vorbild des HERRN Christus gegen uns, da er gesagt hat: „Der
Sohn des Menschen ist nicht gekommen, dass er die Welt richte, sondern dass di
Welt durch ihn selig werde“, Joh. 3,17; und wiederum Luk. 9,55: „Ihr wisst
nicht, welches Geistes Kinder ihr seid; des Menschen Sohn ist nicht gekommen,
der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten.“
26.
Aber die stürmische Natur sperrt sich dagegen; denn sie hat große Lust
und Willen zur Rache und zu der Ehre eigener Gerechtigkeit und in der Schande
der Ungerechtigkeit ihres Nächsten. Darum treibt und handhabt sie ihre eigenen
Sachen und erfreut sich, dass ihre Sache besser ist als des Nächsten und
verfolgt die Sache des Nächsten und begehrt, dass sie arg und böse sei, der
Liebe entgegen und widerwärtig, „die da nicht das Ihre sucht“, 1. Kor. 13,5,
sondern des andern Vorteil, Frommen und Ehre. Denn der Mensch soll sich
betrüben, dass seines Nächsten Sache nicht besser ist als seine eigene Sache,
und wünschen, dass eines andern Sache besser als seine eigene Sache wäre, nicht
mit weniger Freude, als wenn er sich freut, dass seine eigene Sache besser als
seines Nächsten Sache sei: Denn dies ist das Gesetz und die Propheten.
27. Aber du sprichst: Gebührt sich denn
nicht, Böses zu strafen? Ziemt sich nicht, Sünde zu büßen? Wer ist nicht
schuldig, die Gerechtigkeit zu handhaben? Das wäre Ursache zu Sünden und Übel
zu tun geben.
28. Ich antworte so: Allhier kann
nicht eine schlichte Antwort gegeben werden; deshalb muss man einen Unterschied
von den Menschen machen: Denn es sind die Leute entweder öffentliche oder gemeinde oder besondere (private). Die öffentlichen oder
gemeinen Menschen, das ist, die in Gottes Amt sind, geht das, so gesagt ist,
nichts an. Denn ihnen gebührt von Amts und Not wegen, die Bösen zu strafen und
richten und die Unterdrückten und Beschädigten zu handhaben; denn sie tun das
nicht, sondern Gott, dessen Diener und Knechte sie in diesem sind, wie St.
Paulus an die Römer im 13. Kapitel, V. 4, in die Weite anzeigt und spricht:
„Denn die Gewalt oder Obrigkeit trägt das Schwert nicht vergeblich.“ Aber
dieses soll verstanden werden in der anderen Leute Sachen und nicht in eigenen
Sachen. Denn niemand ist Gottes Statthalter von wegen sein selbst und des
Seinen, sondern um der andern willen. Wenn aber die Gewalt oder Obrigkeit eine
eigene Sache hat, so soll sie einen andern Statthalter Gottes als sich selbst
suchen. Denn in solchem Fall ist sie nicht ein Richter, sondern ein Teil
(Partei). Aber davon reden andere auch sonst und andere Meinung, denn diese
Sache ist weitläufiger als sie jetzt kann erzählt werden.
29. Aber besonderer und eigener Sache
Menschen sind dreierlei. Die ersten, die die Rache, das Gericht und Urteil bei
den Statthaltern Gottes suchen; und derselben ist jetzt ein merklicher Haufe
und Anzahl: Diese duldet Paulus; aber er lobt sie nicht, an die Korinther, 1.
Brief 6,12: „Ich hab es alles Macht; es frommt aber nicht alles“; ja, er
spricht an demselben Ort, V. 7.8: „Es ist schon ein Fehler unter euch, dass ihr
miteinander rechtet.“ Aber dennoch, um eines größeren Übels willen wird dieses
kleinere Übel erduldet, auf dass sich die Leute nicht selbst rächen, und einer
dem andern Gewalt erzeige, Übel gegen Übel zu beweisen oder aber das Seine
wieder zu fordern. Aber dieselben werden in das Reich Gottes nicht gehen, sie
werden denn zur Besserung verwandelt und verlassen die gebührlichen oder
nachgelassenen Dinge und folgen den Dingen nach, die da dienen; denn die
Neigung seines eigenen Nutzens muss vertilgt werden.
30. Es sind andere Menschen, welche die
Rache nicht begehren, ja, sie sind bereit und willig, nach Unterweisung des
Evangeliums, Matth. 5,40, „dem, der ihnen den Mantel
nimmt, den Rock auch zu lassen“, und tun keinen Widerstand einigem Übel; diese
sind Kinder Gottes, Brüder Christi und Erben der zukünftigen Güter. Deshalb
werden sie in der Heiligen Schrift genannt Waisen, Witwen, Arme, deren Vater
und Richter Gott hat wollen genannt werden darum, dass sie sich selbst nicht
rächen, Ps. 68,6. Ja, wenn die Obrigkeit sie rächen will, entweder solches
nicht begehren noch suchen, oder aber allein gestatten; oder, wenn sie ganz
vollkommen sind, es wehren und hindern, sind bereit, lieber und eher andere
Dinge auch zu verlieren. Wenn du sagst: Dergleichen Leute sind überaus wenig,
und wer könnte in dieser Welt bleiben, wenn er dieses täte? Da antworte ich so:
Es ist jetzt nicht neu, dass wenig Leute selig werden, und dass die Pforte, so
zu dem Leben führt, eng ist und diese wenig Leute finden, Matth.
7,14. Und wenn es niemand täte, wie bestände die Schrift, welche die Armen,
Witwen und Waisen das Volk Christi nennt? Deshalb denselben Menschen die Sünde
ihrer Beleidiger weher tut, als dass sie ihre Beleidigungen und Beschwerungen
rächen; deshalb ziehen sie die Form ihrer Gerechtigkeit aus, ziehen ihrer
Feinde und Verfolger Form an und bitten für die, so sie verfolgen, sagen denen
Gutes nach, die ihnen übel reden, tun den Übeltätern Gutes und sind bereit und
willig, für ihre eigenen ‚Feinde die Strafe zu leiden und genug zu tun, auf
dass sie selig werden. Und dieses ist das Evangelium, Beispiel und Vorbild des
HERRN Christus, Matth. 5,43.
31. Die dritten Menschen sind, die mit der
Meinung und dem Willen, wie die zweiten und eben berührten sind, aber mit dem
Werk anders geschickt. Das sind, die das Ihre nicht wieder fordern, oder nicht
Rache suchen oder begehren darum, dass sie das Ihre suchen; sondern dass sie
durch diese Rache suchen die Wiedergebung oder
Besserung oder Rechtfertigung des Räubers, Entfremders
oder Beleidigers. Denn sie sehen, dass sie ohne Strafe nicht können gebessert
und gerechtfertigt werden. Diese werden genannt Zelosi,
das ist, die Rechtbegierigen, die gerne wollen, dass das Unrecht und Bosheit
ungestraft bliebe, und werden in der Heiligen Schrift gelobt. Aber des soll sich niemand unterstehen, er sei denn in dem eben
gezeigten zweiten Grad vollkommen und ganz geübt, damit er nicht den grimmigen
Zorn für den billigen und löblichen Zorn erwische; und da er sich lässt
bedünken, er tue es aus Liebe der Gerechtigkeit, erfunden werde, mehr aus Zorn
und Ungeduld getan zu haben. Denn der Zorn ist dem billigen Unwillen gleich und
die Ungeduld der Liebe der Gerechtigkeit; so dass eines vor dem andern von
niemandem als von den allergeistlichsten Leuten, kann unterschiedlich erkannt
werden. Ein solches Werk hat der HERR Christus getan, wie Joh. Im 2. Kapitel,
V. 15.16, steht, als er Geißeln machte, die Verkäufer und Käufer aus dem Tempel
trieb; und St. Paulus, als er an die Korinther schrieb, 1. Kor. 4,21: „Ich
werde mit der Rute zu euch kommen.“
Vorsicht im Blick auf falsche Aktivitäten zum Lehren
und im Blick auf den Gebrauch der Zunge (3,1-18)
1 Liebe Brüder, unterwinde sich nicht jedermann, Lehrer zu sein; und
wisst, dass wir desto mehr Urteil empfangen werden. 2 Denn wir fehlen alle
mannigfaltig. Wer aber auch in keinem Wort fehlt, der ist ein vollkommener Mann
und kann auch den ganzen Leib im Zaum halten. 3 Siehe, die Pferde halten wir in
Zäumen, dass sie uns gehorchen, und lenken den ganzen Leib. 4 Siehe, die
Schiffe, ob sie wohl so groß sind und von starken Winden getrieben werden,
werden sie doch gelenkt mit einem kleinen Ruder, wo der hin will, der es
regieret. 5 So ist auch die Zunge ein kleines Glied und richtet große Dinge an.
Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet’s an! 6 Und die Zunge ist
auch ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit. So ist die Zunge unter unseren
Gliedern und befleckt den ganzen Leib und zündet an allen unseren Wandel, wenn
sie von der Hölle entzündet ist.
7 Denn alle Natur der Tiere und der Vögel und der Schlangen und der
Meerwunder werden gezähmt und sind gezähmt von der menschlichen Natur; 8 aber
die Zunge kann kein Mensch zähmen, das unruhige Übel voll tödlichen Giftes. 9
Durch sie loben wir Gott den Vater, und durch sie fluchen wir den Menschen,
nach dem Bild Gottes gemacht. 10 Aus einem Mund gehen Loben und Fluchen. Es
soll nicht, liebe Brüder, so sein. 11 Quillet auch ein Brunnen aus einem Loch
süß und bitter? 12 Kann auch, liebe Brüder, ein Feigenbaum Öl oder ein
Weinstock Feigen tragen? So kann auch ein Brunnen nicht salziges und süßes
Wasser geben.
13 Wer ist weise und klug unter euch? Der erzeige mit seinem guten
Wandel seine Werke in der Sanftmut und Weisheit. 14 Habt ihr aber bitteren Neid
und Zank in eurem Herzen, so rühmt euch nicht und lügt nicht gegen die
Wahrheit. 15 Denn das ist nicht die Weisheit, die von oben herab kommt, sondern
irdisch, menschlich und teuflisch. 16 Denn wo Neid und Zank ist, da ist
Unordnung und eitel böses Ding. 17 Die Weisheit aber von oben her ist aufs
erste keusch, danach friedsam, gelinde, lässt sich sagen, voll Barmherzigkeit
und guter Früchte, unparteiisch, ohne Heuchelei. 18 Die Frucht aber der
Gerechtigkeit wird gesät im Frieden denen, die den Frieden halten.
Die Gefahr des Lehrens und des zu vielen
Sprechens (V. 1-6): Es scheint, dass in vielen der Gemeinden, die
größtenteils aus Judenchristen bestanden, der Brauch übernommen worden war,
fast jedem, der es wünschte, das Reden zu erlauben. Das war in mehr als einer
Hinsicht eine gefährliche Praxis, und deshalb schreibt der Apostel:
"Werdet nicht viele Lehrer, meine Brüder, da ihr wisst, dass wir (als
solche) die strengere Verurteilung empfangen werden. In den jüdischen
Synagogen, besonders in der Dispersion, in den Städten außerhalb Palästinas,
gab es wenig Beschränkung in Bezug auf Lehrer; fast jeder, der gehört werden
wollte, wurde gehört. Aber während alle Gläubigen Könige und Priester vor Gott
und dem Herrn Jesus sind, sind sie nicht alle Lehrer der Gemeinde, sie dürfen
sich nicht alle das Amt des Predigers anmaßen. Unter solchen Umständen bestand
aber nicht nur die Gefahr, dass die Botschaft des Evangeliums nicht die
gebührende Aufmerksamkeit erhielt, sondern die Redner neigten auch dazu, sich
von persönlichen Dingen leiten zu lassen, was zur Folge hatte, dass die Reden
in den gemeinsamen Versammlungen zuweilen alles andere als erbaulich waren. Es
war daher notwendig, die unbefugten Lehrer daran zu erinnern, dass die auf dem
Amt ruhende Verantwortung und die Rechenschaft, die die Lehrer am letzten Tag
ablegen müssen (Hebr. 13,17), die Strafe, die über sie verhängt wird, umso
härter machen würde.
Der Apostel begründet nun die Strenge
seiner Zurechtweisung: Denn wir sündigen vielfältig, wir alle. Wenn ein Mensch
nicht im Wort sündigt, ist er ein vollkommener Mensch, der auch den ganzen Leib
im Zaum zu halten vermag. Der allgemeine Lauf des Lebens kann als Weg
bezeichnet werden und jede einzelne Handlung als Schritt; daher kann jedes
Vergehen, jede Verfehlung oder Übertretung als Stolpern bezeichnet werden. Alle
Menschen ohne Ausnahme machen sich eines solchen Stolperns schuldig, selbst die
besten Christen unterliegen den Sünden der Schwäche. Indem Jakobus nun diese
allgemeine Wahrheit auf den vorliegenden Fall anwendet, erklärt er, dass ein
Mensch, der seine Rede jederzeit beherrscht und niemals auch nur durch ein
einziges Wort Anstoß erregt, durchaus als vollkommener Mensch angesehen werden
kann, denn die Fähigkeit, die Zunge zu beherrschen, spricht zumindest für die
Wahrscheinlichkeit, dass er den ganzen Körper beherrscht und alle Glieder vor
Sünde bewahrt. Wenn ein Mensch in der Lage ist, die schwierigere Aufgabe zu
bewältigen, wird er wenig Mühe mit der vergleichsweise leichten haben.
Aber die Schwierigkeit, die Zunge zu
beherrschen, wird nun an zwei Beispielen gezeigt. Zum einen schreibt der
Apostel: Wenn wir aber den Pferden Gebisse ins Maul geben, damit sie uns
gehorchen, und wir lenken ihren ganzen Körper. Das war ein Beispiel, das seinen
Lesern bekannt war und das sie verstanden. Die Pferde werden mit Hilfe der
Gebisse, die ihnen ins Maul gesteckt werden, angetrieben und unter Kontrolle
gehalten, wobei der Treiber lediglich an den Zügeln zieht, um den Kopf der
Pferde in jede beliebige Richtung zu lenken. In einem anderen Fall ist die
Leichtigkeit der Steuerung noch offensichtlicher und ebenfalls wunderbar: Siehe
auch die Schiffe, obwohl sie so groß sind und außerdem von heftigen Winden
umhergeworfen werden, werden doch mit einem sehr kleinen Ruder gelenkt, so wie
es der Geist des Steuermanns will. Diese Tatsache zeigt sich in unseren Tagen
noch mehr als in den Zeiten der kleinen Schiffe. Schiffe von vielen tausend
Tonnen Verdrängung gehorchen dem geringsten Druck des Steuermanns oder einer
leichten Drehung des Rades auf der Brücke. Selbst bei unruhiger See hat der
Lotse oder Offizier wenig Mühe, den Kurs des Schiffes so zu steuern, wie er es
für richtig hält, solange der Steuerapparat in Ordnung ist und das Ruder nicht
bricht. Es ist ein Wunder an menschlichem Einfallsreichtum, ein großes Schiff
mit so winzigen Geräten im Vergleich zu seiner Größe unter Kontrolle zu halten.
Der Apostel macht nun die Anwendung: So ist
auch die Zunge ein kleines Glied und rühmt sich doch großer Taten. Der
Schreiber spricht von der Zunge, als ob sie eine eigene Persönlichkeit hätte
und ihre Macht durch bewusstes Handeln ausnutzen würde. So klein sie unter den
Gliedern des Leibes auch ist, so kann sie sich doch rühmen, große Taten zu
vollbringen. Im Vergleich dazu ruft der Apostel erneut aus: Seht, welch kleines
Feuer, welch ein Wald, den es entfacht! oder: Welch unermessliches Feuer, welch
unermesslicher Wald, den die Zunge entfacht! Es bedarf nur eines kleinen
Feuers, eines unachtsam weggeworfenen brennenden Streichholzes, um ein Feuer zu
entfachen, das viele Quadratkilometer Wald verzehren kann. Und so ist auch die
zerstörerische Kraft der Zunge: Auch die Zunge ist ein Feuer, eine Welt der
Ungerechtigkeit; die Zunge tritt aus unseren Gliedern hervor, und sie befleckt
den ganzen Körper und entflammt das Rad der Natur und wird selbst von der Hölle
entflammt. Wie der kleine Feuerbrand, der den verheerenden Waldbrand
verursacht, so ist auch die Zunge in ihrem ungezügelten Zustand. Sie ist eine
Welt der Ungerechtigkeit, sie wirkt eine Welt des Unheils, ihr ganzer Bereich
wird zu dem der Ungerechtigkeit, wenn sie ihre Übertretungen beginnt. Die Zunge
tritt aus der Mitte der Glieder hervor, sie übernimmt die Führung unter ihnen,
sie beherrscht sie, sie zwingt sie, ihren Willen zu tun. So gelingt es ihr, den
ganzen Leib zu beflecken, alle Glieder zu verunreinigen; sie setzt das Rad der
Natur in Bewegung und entflammt den ganzen Kreislauf der angeborenen
Leidenschaften, der Eifersucht, der Verleumdung, der Lästerung und aller
niederen Taten. Wahrlich, die Zunge ist, wenn man ihr erlaubt, ungehindert
ihren Lauf zu nehmen, von der Hölle entflammt, sie ist in der Gewalt des Satans
selbst.
Warnung vor dem Missbrauch der Zunge
(V. 7-12): Es mag vielleicht den Anschein haben, dass der Redner hier von
seinem Thema mitgerissen wird; aber jeder, der die schreckliche Wirkung von
Verleumdung und Diffamierung beobachtet hat, die in unseren Tagen wie vor
Hunderten von Jahren betrieben wird, wird nur sagen, dass der Apostel im
Vergleich dazu spricht. In heiliger Entrüstung schreit er auf: Denn alle Tiere
und Vögel, Reptilien und Meerestiere sind von den Menschen gezähmt und gezähmt
worden, aber die Zunge kann niemand zähmen, dieses unruhige Übel, voll
tödlichen Giftes. Die Geduld und der Erfindungsreichtum des Menschen haben bei
der Zähmung und Abrichtung von Tieren aller Art, Säugetieren, Vögeln, Reptilien
und verschiedenen Meerestieren, fast Wunder gewirkt. Wenn auch die göttliche
Verheißung der Herrschaft des Menschen, 1. Mose 1,28, durch die Sünde etwas
gelitten hat, so kann doch die Herrschaft des Menschen über die Tiere nicht in
Frage gestellt werden, da letztere sowohl durch Schlauheit als auch durch
Gewalt unterworfen sind. Aber die Zunge scheint jenseits der Fähigkeit des
Menschen zu liegen, sie zu unterwerfen und zu zähmen; all das unermessliche
Übel, das sie seit dem Sündenfall Adams angerichtet hat, all die zahllosen
Warnungen, die seither von den Dienern Gottes ausgesprochen wurden, haben es
noch nicht vermocht, ihrer verderblichen Tätigkeit Einhalt zu gebieten. Ein
widerspenstiges, ein unruhiges Übel nennt es der Apostel, eines, das Unruhe und
Unordnung stiftet, das alle etablierten Regeln für seine Kontrolle umstößt. Es
ist voll todbringenden Giftes, Röm. 3,13; das Übel, das es verursacht, hat
dieselbe Wirkung wie das Gift der Ameisen, es zersetzt und tötet.
Wie sehr das zutrifft, zeigt der Apostel an
einem einzigen Beispiel: Mit ihm segnen wir den Herrn und Vater, und mit ihm
verfluchen wir die Menschen, die nach dem Bilde Gottes geschaffen sind; aus
demselben Mund kommt Segen und Fluch. Die Dinge werden hier so dargestellt, wie
sie in der Welt zu finden sind, und leider auch inmitten derer, die den Namen
Christi tragen und seinen heiligen Namen bekennen. Da die Zunge das Werkzeug
der Rede ist, wird sie von den Gläubigen und sogar von anderen zum Lob Gottes,
der unser Herr und Vater in Christus Jesus ist, gebraucht. Das ist auch gut so,
denn wir können denjenigen, der uns aus der Finsternis des geistlichen Todes in
das wunderbare Licht seiner Gnade geführt hat, niemals angemessen preisen. Aber
die traurige Seite des Bildes ist die, dass derselbe Mund auch für persönliche
Beleidigungen benutzt wird, um einen Mitmenschen zu verfluchen, der
ursprünglich nach dem Ebenbild Gottes geschaffen wurde. Denn Gott hat Adam als
sein Ebenbild geschaffen, und wenn auch der geistige Teil dieser
Ebenbildlichkeit infolge des Sündenfalls verloren gegangen ist, so verkünden
doch bestimmte äußere Merkmale, dass der Mensch die Krone der geschaffenen
Wesen ist. So wird die Zunge zu einem Werkzeug des Bösen, das Gottes Zorn und
Strafe über einen Mitmenschen herabruft. Dafür gibt es keine Entschuldigung,
weder Wutausbrüche noch hitzige Auseinandersetzungen. Es ist eine abscheuliche
Übertretung, eine schlechte Angewohnheit, die dadurch verschlimmert wird, dass
Segen und Fluch aus demselben Mund kommen. Jedem Menschen, der sich eines
solchen Verhaltens schuldig gemacht hat, sollte der Widerspruch sofort ins Auge
springen; er sollte spüren, dass ein solcher Zustand unmöglich auch nur mit dem
Anstand zu vereinbaren ist. Deshalb fügt der Apostel feierlich hinzu: Es sollte
nicht sein, meine Brüder, dass solche Dinge geschehen; der Mund, der Gott in
inbrünstigem Gebet segnet, sollte die Menschen nicht zu anderen Zeiten
verfluchen; ein solches Verhalten lässt sich nicht mit dem christlichen Bekenntnis
vereinbaren.
Wie völlig unvernünftig und widersprüchlich
die Haltung der Menschen ist, die sich noch in der beschriebenen Weise schuldig
machen, zeigt der Apostel an einigen Beispielen: Eine Quelle, die aus derselben
Öffnung sprudelt, schüttet doch nicht süßes und bitteres Wasser aus! Ein
Feigenbaum, meine Brüder, kann keine Oliven hervorbringen, und ein Weinstock
keine Feigen! Ebenso wenig kann Salzwasser frisches Wasser hervorbringen. Die
Natur selbst lehrt, dass das Verhalten der Menschen, wie es der Apostel gerade
beschrieben hat, unnatürlich und unvernünftig ist. Denn dieselbe Spalte,
dieselbe Öffnung einer Quelle oder eines Brunnens kann nicht gleichzeitig
süßes, frisches Wasser und bitteres, brackiges Wasser hervorsprudeln. Ein
Feigenbaum trägt keine Oliven und ein Weinstock keine Feigen, und ein
Süßwasserbrunnen kann kein Salzwasser und eine Salzwasserquelle oder das
salzige Meer kein Süßwasser hervorbringen. Wie viel mehr müssen die Christen
auf ihre Zunge aufpassen, damit nicht Gutes und Böses, Gesundes und Verdorbenes
aus demselben Mund ausgegossen wird!
Warnung vor Zwietracht (V. 13-18): Der Apostel wendet nun die Lehren aus dem ersten Teil des Kapitels direkt an: Wer ist weise und klug unter euch? Er soll seine Werke durch ein vorzügliches Verhalten in der Sanftmut der Weisheit zeigen. Die Christen sollten von der richtigen Weisheit, der Klugheit und dem gesunden Menschenverstand Gebrauch machen; sie sollten zeigen, dass ihre Intelligenz, die durch ihren Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes kontrolliert wird, gut in der Lage ist, ihr Handeln im Leben zu lenken. Solche Weisheit ist nicht prahlerisch und stolz und rühmt sich auf Kosten anderer, sondern sie ist bescheiden, demütig und sanftmütig. Sie tut das Richtige, sie verhält sich so, dass sie mit dem Willen Gottes übereinstimmt, nicht um ihren eigenen Ruhm zu suchen, sondern nur, um dem Herrn zu dienen, was an sich schon Lohn genug für den Gläubigen ist. In diesem Geist vollbringt er die Werke, die das Wort Gottes ihn lehrt, dem himmlischen Vater zu gefallen.
Bei einem Menschen, der voll fleischlichen Stolzes ist, kann man das Gegenteil erwarten: Wenn ihr aber bitteren Eifer und Streitsucht in euren Herzen habt, so rühmt euch nicht und lügt damit gegen die Wahrheit. Wenn Menschen, die sich Christen nennen, Eifersucht und Parteienstreit, Eifersucht und Rivalität hegen, wenn sie so aufgeblasen sind vor Stolz und Selbstzufriedenheit, dass sie darauf bestehen, immer im Recht zu sein, und immer behaupten, dass derjenige, der anderer Meinung ist als sie, im Unrecht ist, dann tun sie das auf Kosten der Liebe. Wenn sie unter solchen Umständen einen Vorteil über den anderen erlangen und sich in triumphaler Freude darüber rühmen, dass sie im Recht sind, wird dies fast immer eine Lüge gegen die Wahrheit sein, da die meisten Siege, die unter solchen Umständen errungen werden, auf Kosten der Wahrheit und der Liebe errungen werden und nicht dazu beitragen, die Harmonie zu fördern, die in einer christlichen Gemeinschaft herrschen sollte.
Über eine solche Zurschaustellung von Stolz sagt der Apostel: Diese Weisheit ist nicht von oben herab, sondern irdisch, sinnlich, teuflisch; denn wo Eifersucht und Rivalität sind, da ist Unordnung und jede böse Tat. Menschen, die sich solcher Mittel bedienen, um ihre Gegner zu besiegen, die immer darauf bestehen, im Recht zu sein und ihre Vorstellungen durchzusetzen, mögen sich für besonders weise halten, wie ja auch ihr selbstgenügsames Auftreten den Uneingeweihten glauben machen möchte. Aber die Weisheit, derer sie sich rühmen, hat nichts mit der wahren Weisheit gemein, wie sie von Gott gegeben wird, wenn die Kirche eine intelligente Leitung braucht. Es ist vielmehr eine Weisheit, die nur von dieser Erde ist; sie ist sinnlich, im Bereich der Sinne, und das ist so weit, wie der Mensch jemals gehen wird; sie ist teuflisch, sie schafft nur solche Zustände, die dem Teufel, der von Anfang an ein Lügner und Mörder ist, besonders angenehm sind. Das ist in der Tat die einzige Frucht, die dort zu erwarten ist, wo Eifersucht und Parteienstreit, Eifersucht und Rivalität herrschen, wo jeder darauf besteht, seine eigenen Ideen durchzusetzen, ohne Rücksicht auf die Ansichten der anderen. Natürlich wird es in einer solchen Gemeinde Unruhen, Störungen geben, alles wird durcheinander gebracht, ein Zustand wird entstehen, der zu jeder bösen Tat Anlass gibt, die Leidenschaften haben schließlich freie und volle Herrschaft.
Ganz anders verhält es sich dort, wo wahre Sanftmut und Freundlichkeit immer vorhanden sind: Die Weisheit von oben aber ist zunächst rein, dann friedfertig, nachsichtig, nachgiebig, voller Barmherzigkeit und guter Früchte, nicht kritisch eingestellt, nicht heuchlerisch. Diese Weisheit ist von oben, sie ist von Gott gegeben und soll im Gebet von ihm gefordert werden, Kap. 1,5. Wenn jemand meint, er brauche sie nicht, so wird er sicher einen Fehler nach dem anderen machen. Die Weisheit, die Gott gibt und die zu allen Zeiten in der Kirche herrschen soll, ist rein, keusch, heilig, sie hütet sich vor der Sünde in jeder Form; sie ist friedfertig, wo immer dies ohne Verleugnung der Wahrheit möglich ist, sie pflegt friedliche Beziehungen; sie ist nachsichtig, nachsichtig, auch bei schweren Provokationen; er ist nachgiebig, versöhnlich, bereit, einen Kompromiss einzugehen oder die Ansichten des Gegners zu akzeptieren, wenn dies ohne Schaden für das Werk des Herrn geschehen kann; er ist voller Barmherzigkeit, Mitgefühl und guter, gesunder Früchte, begierig, der Sache zu dienen; nicht kritisch eingestellt, sondern großzügig, selbst wenn die Diskussion dazu neigt, bitter zu werden; nicht heuchlerisch, sondern aufrichtig, der Christ bedient sich keiner Tricks und Mittel, um seinem Gegner eine Falle zu stellen.
Wenn dieser Zustand in einer christlichen Gemeinde, in einer christlichen Gemeinschaft gegeben ist, dann wird er sich einstellen: Die Frucht der Gerechtigkeit aber wird gesät in Frieden für die, die Frieden stiften. Wo immer die Tugenden geübt werden, die der Apostel im vorigen Vers beschrieben hat, da werden die Menschen, die sie üben, auch die Früchte ihrer Arbeit ernten. Wo der Friede Gottes das Herz beherrscht, da wachsen und gedeihen alle Tugenden, die ein wahres, gerechtes Leben ausmachen, in Fülle. Frieden und Gerechtigkeit sind also das Ergebnis der Weisheit, die von oben gegeben wird, eine wahrhaft prächtige Ernte für diejenigen, die die Gesinnung gezeigt haben, die die bekennenden Nachfolger Jesu immer kennzeichnen sollte.
Zusammenfassung: Indem der Apostel die Christen vor falscher Aktivität in der Lehre und dem Gebrauch der Zunge warnt, zeigt er ihnen die Gefahren auf, die mit viel Reden einhergehen, besonders wenn die Zunge fanatisch erregt ist; er warnt vor dem Missbrauch der Zunge und vor der Geisteshaltung, die Streit hervorruft.
Vorsicht vor weltlicher Gesinnung und deren Folgen (4,1-17)
1 Woher kommen Streit und Krieg unter euch? Kommt’s nicht daher, aus
euren Wollüsten, die da streiten in euren Gliedern? 2 Ihr seid begierig und
erlangt es damit nicht; ihr hasst und neidet und gewinnt damit nichts; ihr
streitet und führt Krieg. Ihr habt nicht, darum dass ihr nicht bittet. 3 Ihr
bittet und bekommt nicht, darum dass ihr übel bittet, nämlich dahin, dass ihr’s
mit euren Wollüsten verzehrt. 4 Ihr Ehebrecher und Ehebrecherinnen, wisst ihr
nicht, dass der Welt Freundschaft Gottes Feindschaft ist? Wer der Welt Freund
sein will, der wird Gottes Feind sein. 5 Oder lasst ihr euch dünken, die
Schrift sage umsonst: Den Geist, der in euch wohnt, begehrt und eifert?
6 Er gibt aber desto reichlicher Gnade, darum sagt sie: Gott widersteht
den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. 7 So seid nun Gott
untertänig. Widersteht dem Teufel, dann flieht er von euch. 8 Naht euch zu Gott,
dann naht er sich zu euch. Reinigt die Hände, ihr Sünder, und macht eure Herzen
keusch, ihr Wankelmütigen! 9 Seid elend und tragt Leid und weint! Euer Lachen
verkehre sich in Weinen und eure Freude in Traurigkeit. 10 Demütigt euch vor Gott,
so wird er euch erhöhen.
11 Redet nicht übel voneinander, liebe Brüder! Wer von seinem Bruder übel
redet und richtet seinen Bruder, der redet übel vom Gesetz und richtet das
Gesetz. Richtest du aber das Gesetz, so bist du nicht ein Täter des Gesetzes,
sondern ein Richter. 12 Es ist ein einiger Gesetzgeber, der kann selig machen
und verdammen. Wer bist du, der du einen anderen richtest?
13 Wohlan, die ihr nun sagt: Heute oder morgen wollen wir gehen in die
oder die Stadt und wollen ein Jahr da liegen und hantieren und gewinnen, 14 die
ihr nicht wisst, was morgen sein wird. Denn was ist euer Leben? Ein Dampf
ist’s, der eine kleine Zeit währt, danach aber verschwindet er. 15 Stattdessen
ihr sagen solltet: So der HERR will, und wir leben, wollen wir dies oder das
tun. 16 Nun aber rühmt ihr euch in eurem Hochmut. Aller solcher Ruhm ist böse.
17 Denn wer da weiß, Gutes zu tun, und tut’s nicht, dem ist’s Sünde.
Gegen eine lustorientierte,
streitsüchtige Haltung (V. 1-5): Der Tenor dieses Kapitels gibt Anlass zu
folgenden Bemerkungen: „Diese Verse offenbaren einen erschreckenden Zustand
moralischer Verderbtheit in den Gemeinden der Diaspora; Streit, Zügellosigkeit,
Wollust, Mord, Habgier, Ehebruch, Neid, Hochmut und Verleumdung sind weit
verbreitet; die Vorstellung vom Wesen des Gebets scheint bei diesen Menschen
völlig falsch gewesen zu sein, und sie scheinen sich ganz dem Vergnügen
hingegeben zu haben.“[5] Die Zurechtweisung des
Apostels entbehrt nicht einer gewissen Schärfe: Woher kommen die Kämpfe, woher
die Streitigkeiten in eurer Mitte? Ist es nicht von dort, nämlich von den
Leidenschaften, die in euren Gliedern Krieg führen? Die Situation in vielen judenchristlichen
Gemeinden war alles andere als das, was der Friedensfürst in seiner Kirche
befürworten würde. Es gab ständiges Gezänk, Zank, Streit, Kämpfe, ohne die
Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und friedlich zu wachsen, derselbe Zustand, der
auch heute noch in einigen christlichen Gemeinden anzutreffen ist. Der Apostel
sagt seinen Lesern unverblümt, was die Quelle all dieser Uneinigkeit und
Unordnung ist, nämlich die selbstsüchtigen Begierden, die bösen Lüste, die
ungezügelten Leidenschaften, denen sie erlaubten, in ihren eigenen Gliedern
Krieg zu führen; sie machten keinen Versuch, die bösen Regungen ihres Herzens
zu zügeln, sie machten ihre Glieder zu Werkzeugen der Ungerechtigkeit. Vgl.
Röm. 7,23; 1. Kor. 9,7.
Mit dramatischer Inbrunst fährt der Apostel
fort: Ihr begehrt und habt nicht; ihr mordet und seid voller Neid und könnt es
nicht erlangen; ihr zankt und streitet. Es kann kein Zweifel daran bestehen,
dass Jakobus hier durchweg die geistliche Auslegung des Gesetzes verwendet,
indem er die Sünden der Begierden und Gedanken beim richtigen Namen nennt und
auf ihren Stellenwert vor Gott hinweist. Die Menschen, an die dieser Brief
gerichtet war, waren unzufrieden, sie waren voller Sehnsucht nach etwas anderem;
ihre Hoffnungen und Erwartungen waren in einem sehr verschwommenen Zustand, wie
es gewöhnlich bei Menschen der Fall ist, die mit ihrem Los nicht zufrieden sind
und glauben, für Höheres bestimmt zu sein. Ihre Herzen waren voller Mord und
Neid, sie fürchteten immer, dass ein anderer Bruder zu größerer Ehre und
Ansehen in der Gemeinde gelangen könnte, und der Wunsch, er möge aus dem Weg
geräumt werden, mag oft durch Pläne zu seiner Entfernung ergänzt worden sein.
Aber bei all den Streitereien und Kämpfen, die in ihrer Mitte stattfanden,
erlangten sie keinen geistlichen Vorteil, da ihre eigene Gesinnung die
Segnungen des Herrn ausschloss.
Dieser Zustand wurde noch durch einen
anderen Faktor verschlimmert: Ihr habt nichts, weil ihr nicht darum bittet; ihr
bittet und empfangt nichts, weil ihr in falscher Weise bittet, um es für die
Befriedigung eurer eigenen Begierden auszugeben. In vielen Fällen wurde sogar
die Formalität des Gebets über dem unaufhörlichen Gezänk vergessen, und so war
natürlich auch an die Erfüllung guter Wünsche nicht zu denken. Aber selbst
dort, wo die Förmlichkeit des Gebetes eingehalten wurde, wo sie die Gebärden
vollzogen, die das Gebet begleiten sollten, gab es keine Chance, dass sie
erhört wurden und den Gegenstand ihrer Wünsche erhielten, weil ihr Gebet im
Interesse ihrer eigenen Selbstsucht erfolgte; ihr Ziel war es, die Gaben, die
sie von Gott erhalten könnten, zur Befriedigung ihrer eigenen Begierden zu
verwenden; sie wollten seine Segnungen bei der Durchführung verschiedener
eigener Pläne zu ihrem eigenen Nutzen und ihrer Vergrößerung verschwenden.
In heiligem Eifer warnt sie der Apostel:
Ihr liederlichen Geschöpfe, wisst ihr nicht, dass die Freundschaft der Welt
Feindschaft gegen Gott ist? Wer sich also entscheidet, ein Freund der Welt zu
sein, der wird zum Feind Gottes. Ehebrecher und Ehebrecherinnen nennt der
Apostel seine Leser, ganz allgemein gesprochen, denn ihr Verhalten näherte sich
nicht nur dem Götzendienst, der geistlicher Ehebruch ist, sondern ihr Verhalten
gegenüber der Welt gefährdete auch ihre leibliche Keuschheit. In den Gemeinden gab
es, wie auch heute, eine zunehmende Tendenz, die feste Front gegen die Welt und
ihre Vergnügungen aufzugeben; die Begierden der Welt drangen in die Kirche ein.
Die Christen zögerten nicht, die Freundschaft der Kinder der Welt zu suchen, um
an den besonderen Vergnügungen des Fleisches teilzuhaben, die die Kinder der
Welt pflegen. Aber damals wie heute galt, dass jeder, der sich eines solchen
Verhaltens schuldig machte, sich damit zum Feind Gottes machte, sich in
direkten Gegensatz zu Gott und seinem heiligen Willen stellte und die ersten
Schritte zu einem Leben des Götzendienstes tat.
Mit herausfordernder Inbrunst fragt der
Apostel: Oder meinst du etwa, dass die Schrift vergeblich sagt: "Bis zum
eifersüchtigen Neid sehnt sich der Geist, den er in uns wohnen ließ, nach
uns"? Ein solches Verhalten, wie es der Apostel gerade beschrieben hat,
ist absolut unvereinbar mit den Idealen, die der Herr den Christen in seinem
Wort vor Augen stellt. Vgl. Gal. 5,17.21; Röm. 8,6.8; 1. Kor. 3,16. Diese und
ähnliche Stellen, die sich an vielen Stellen der Heiligen Schrift finden,
weisen eindeutig darauf hin, dass der Herr mit eifersüchtigem Neid über das
Verhalten der Christen wacht. Der Heilige Geist, der gekommen ist, um in
unseren Herzen zu wohnen, strebt unablässig danach, dass wir dieselbe Liebe zu
Gott und seinem heiligen Willen erlangen, die er für uns und für unsere höchste
geistliche Entwicklung hegt. Jedes Verhalten unsererseits, das dazu neigt, den
Heiligen Geist aus unseren Herzen zu verdrängen, wird daher unser geistliches
Wachstum verzögern.
Von Christen wird eine demütige
Gesinnung verlangt (V. 6-10): Man kann sagen, dass alle Sünden ihre Wurzel
und ihren Ursprung im Stolz des menschlichen Herzens haben, das sich weigert,
sich dem Willen des Herrn zu beugen. Die Christen werden sich daher selbst
verleugnen und sich auf die von oben verheißene Hilfe verlassen: Er aber gibt
größere Gnade; darum sagt er: Gott stellt sich gegen die Stolzen; den Demütigen
aber schenkt er Gnade. Wenn der Geist, der bei uns Wohnung genommen hat, sein
Werk nur ungehindert durch willentliche Übertretungen und Ausbrüche böser
Begierden verrichten kann, dann wird der Herr uns durch sein Wirken in unseren
Herzen die Gnade zu einem Leben der rechten Heiligung geben. Für diese Wahrheit
haben wir die Autorität des Wortes, in dem der Heilige Geist selbst uns die
Gewissheit gibt, dass Gott zwar den Hochmütigen stets widersteht, es aber sein
Wohlgefallen ist, den Demütigen Gnade zu schenken. Vgl. Spr. 3,34; 1. Petr.
5,5. Das ständige Bemühen eines Christen wird also darin bestehen, den
natürlichen Stolz seines Herzens durch die Kraft des Geistes, der in ihm lebt,
zu überwinden und zu besiegen und dem Herrn stets ein Herz anzubieten, das
bereit ist, seinen Willen zu hören und zu halten. Beachten Sie, dass die
Göttlichkeit des Heiligen Geistes in diesem Abschnitt deutlich gelehrt wird.
Der Apostel spricht von der Notwendigkeit
einer solchen Haltung: Unterwerft euch also Gott; stellt euch aber dem Teufel
entgegen, so wird er vor euch fliehen. Das ist das Kennzeichen der Gläubigen
aller Zeiten, dass sie den Hochmut und Stolz ihrer bösen Natur mehr und mehr
überwinden und sich mit allen ihren Gaben und Fähigkeiten in die Hände Gottes
begeben, sei es in guten oder in schlechten Tagen, Ps. 37,5. Wie der Herr sie
in seinem Wort lehrt, so folgen sie ohne Zögern, auch wenn es die völlige Selbstverleugnung
bedeutet. Und indem sie diesen Teil ihrer christlichen Berufung erfüllen,
werden sie sich mit aller Kraft, die ihnen zur Verfügung steht, gegen die List
und die Versuchungen des Teufels stellen und ihnen widerstehen. Es geht um
unaufhörliche Wachsamkeit, um unermüdliches Kämpfen; aber es gibt nur ein
mögliches Ergebnis, nämlich die Flucht des Teufels. Wenn wir Gott und das Wort
auf unserer Seite haben, wird der Sieg unser sein.
Das erfordert, was der Apostel weiter
anmahnt: Nähert euch Gott, und er wird sich euch nähern. Je mehr sich unsere
neue, erneuerte, geheiligte Natur dem Herrn nähert, je fester wir mit ihm im
Glauben und in der Liebe auf der Grundlage seines Wortes verbunden sind, desto
besser sind unsere Chancen, alle Feinde zu überwinden, die versuchen, uns vom
Herrn wegzuziehen. Zu denen aber, die das nicht tun wollen, sagt der Apostel:
Reinigt eure Hände, ihr Sünder, und macht eure Herzen keusch, ihr
Doppelmoralischen. Wo immer es Menschen gibt, die sich Christen nennen und
immer noch nach den Fleischtöpfen der Welt lechzen, müssen sie durch einen
solchen lauten Ruf zur Treue wieder zur Vernunft gebracht werden. Sie sollten
die Hände reinigen, die durch jeden Kontakt mit den schmutzigen Dingen dieser
Welt beschmutzt worden sind; sie sollten dafür sorgen, dass ihre Herzen, deren
Treue sie zwischen Gott und der Welt zu teilen versucht haben, sich ganz allein
dem Herrn und seinem Willen zuwenden.
In den meisten Fällen würde dies eine
Rückkehr zum Herrn durch eine echte Reue erforderlich machen: Nehmt Not auf
euch und trauert und weint; euer Lachen soll sich in Wehklagen verwandeln und
eure Freude in Niedergeschlagenheit. In diesem Abschnitt finden sich viele
Anspielungen auf die alttestamentlichen Bußaufrufe, wie sie von den Propheten
geäußert wurden. Die Tatsache, dass sie sich vom Herrn abgewandt haben und sich
solcher Übertretungen schuldig gemacht haben, die der Apostel aufgezählt hat,
sollte die Schuldigen dazu veranlassen, sich elend und betrübt zu fühlen; ihre
Sünden sollten bei ihnen Trauer und Weinen hervorrufen, als Zeichen eines
echten Sinneswandels. Während sie früher in der ausgelassenen Art der Welt und
mit den Kindern dieser Welt gelacht haben, sollten sie jetzt bittere Klage
erheben; während sie ihre Freude in den zum Götzendienst neigenden Genüssen
fanden, sollte der Gedanke an ihre Übertretung sie niedergeschlagen und im
Geiste niedergeschlagen machen.
Wenn diese Haltung bei ihnen zu finden
wäre, eine echte Reue des Herzens, dann würden sie auch die Gewissheit haben:
Seid gedemütigt vor dem Herrn, und er wird euch erhöhen. Solange der Stolz das
Leben und die Werke eines Menschen beherrscht, solange wird Gott den Bemühungen
eines solchen Menschen widerstehen. Wenn aber ein armer Sünder all seine
Selbstgerechtigkeit, all den sündigen Stolz seines Herzens über Bord geworfen
hat und ein zerbrochenes und zerknirschtes Herz vor den Herrn legt, dann wird
der Herr selbst ihn erhöhen, seine Sünden vergeben und ihn durch die Verdienste
des Erlösers Jesus Christus annehmen.
Gegen liebloses Richten (V. 11-12): Die
Demut, die von den Christen verlangt wird, zeigt sich nicht nur in ihrem
Verhalten gegenüber Gott, sondern auch gegenüber dem Nächsten. Gegen die
häufigste Form der Übertretung in dieser Hinsicht schreibt der Apostel: Ihr
sollt nicht gegeneinander reden, liebe Brüder. Die Tatsache, dass die Christen
Brüder sind, ist an sich schon ein Grund, warum sie sich nicht in liebloser
Kritik ergehen sollten. Denn, wie Jakobus erklärt: Wer gegen seinen Bruder
redet oder seinen Bruder richtet, der redet gegen das Gesetz und richtet das
Gesetz; wenn du aber das Gesetz richtest, bist du nicht ein Täter des Gesetzes,
sondern ein Richter. Schlecht über einen Bruder zu reden, seinen Bruder zu
kritisieren und zu verurteilen, ist gegen den Willen Gottes, gegen sein
heiliges Gesetz, gegen das achte Gebot. Eine Person, die sich eines solchen
Verhaltens gegenüber ihrem Bruder schuldig macht, macht sich daher einer
Übertretung des Gesetzes schuldig. Zu sagen, dass das Gesetz diesen Fall nicht
abdeckt, bedeutet, das Gesetz falsch zu interpretieren, und diese Handlung ist
wiederum gleichbedeutend mit Kritik und Verurteilung des Gesetzes. Ein Mensch,
der sich ein solches Verhalten anmaßt, ist also kein Gesetzestäter, sondern ein
Richter über das Gesetz, und zwar ein schlechter.
Die Menschen, die sich diesem Zeitvertreib
hingeben, sollten sich daran erinnern: Einer ist es, der Gesetzgeber und
Richter ist, der zu retten und zu vernichten vermag; wer aber bist du, der du
deinen Nächsten richtest? Hier wird die arrogante Unverfrorenheit dessen
deutlich, der seinen Nächsten auf lieblose Weise richtet. Denn er maßt sich an,
ein Amt zu bekleiden, das allein Gott gehört, der das Gesetz gegeben hat und
der die Übertreter verurteilen und die Schuldigen bestrafen wird. Die Stelle
erinnert stark an Matth. 7,1-5; Luk. 6,37; Röm. 2,1.
Dass ein einfacher Mensch seinen Nächsten kritisiert und verurteilt, außer in
Fällen, in denen der Herr selbst die Gemeinde beauftragt hat, seine
Verurteilung auszuführen, ist völlig unberechtigt und wird von Gott als
Eingriff in seine Autorität missbilligt. Der Abschnitt enthält eine Warnung,
die nicht oft genug wiederholt werden kann.
Wesentlich ist Vertrauen in Gottes Weltregierung (V. 13-17): In den vorangegangenen Versen hat der Apostel die Anmaßung der Menschen sowohl gegenüber dem Herrn als auch gegenüber den Brüdern getadelt. Hier spricht er von einer anderen Form des Hochmuts, die die Vorsehung des Herrn und seine Herrschaft über die Welt kühl ignoriert: "Kommt her, ihr, die ihr sagt: Heute oder morgen werden wir in diese oder jene Stadt reisen; wir werden dort ein Jahr lang Geschäfte machen und Geld verdienen - ihr, die ihr nicht wisst, was morgen sein wird. Die unverschämte Unabhängigkeit, die sich in der Haltung vieler Menschen zeigt, wird hier gekonnt und realistisch herausgestellt. Ähnliche Reden kann man jeden Tag in allen Städten der Christenheit hören. Die Regierung und die Vorsehung des Herrn werden in aller Ruhe missachtet. Die Menschen machen ihre Pläne für Reisen, für die Ausweitung ihrer Geschäfte, für die Anhäufung von Reichtum, ohne den Herrn zu berücksichtigen. Und doch wissen sie nicht, was der morgige Tag bringen wird, ja nicht einmal, ob sie den morgigen Tag erleben werden!
Das stellt der Apostel trefflich heraus: Denn was ist euer Leben? Denn ihr seid ein Dunst, der eine kleine Weile sichtbar ist und danach vergeht. So wie alles in dieser Welt ungewiss und unbeständig ist, so gilt dies auch für das Leben des Menschen. Wer kann schon sagen, wie lange es dauern wird, wo doch alles darauf hindeutet, dass es die ungewisseste Größe ist, die wir uns vorstellen können? Das Leben des Menschen ist wahrhaftig wie ein Dunst, wie ein Hauch von Dampf, wie ein Nebelkranz, der in einem Augenblick in der Luft schwebt und im nächsten verschwindet, Hiob 14,1.2; Ps. 90,5.6.9. Wie müßig und töricht ist es daher, so zu reden und zu handeln, als ob wir Herren unseres Lebens und unseres Schicksals wären, wenn wir nicht unter Gottes Führung stehen!
Die richtige Haltung ist die, die der Apostel schildert: Anstatt zu sagen: Wenn der Herr es will und wir leben, werden wir dies oder jenes tun, oder: Wenn der Herr es will, werden wir leben. Unser ganzes Leben mit all seinen Wechselfällen ist in der Hand des Herrn, unter seiner Regierung. Arrogante Unabhängigkeit hat daher keinen Platz im Leben des Christen. Alle seine Pläne unterliegen der Zustimmung oder Ablehnung durch den Herrn, unter dessen Willen sich der Gläubige jederzeit beugt. So wie unsere Gebete in Bezug auf irdische Segnungen immer von seinem Wohlwollen abhängen, so sollten auch alle Wege und Pfade unseres Lebens in seine lenkende Hand gelegt werden, denn er weiß es am besten.
Damit diese Ermahnung nicht auf die leichte Schulter genommen wird, fügt der Apostel hinzu: Jetzt aber rühmt ihr euch in eurem stolzen Anspruch; alle solche Prahlerei ist böse. Eine Haltung stolzer Gleichgültigkeit gegenüber der Regierung des Herrn und seiner Kontrolle über die Angelegenheiten des menschlichen Lebens aufrechtzuerhalten, zeugt von einem Stolz, der mit dem wahren Christentum nicht zu vereinbaren ist; es ist ein böses Rühmen, dem viele Menschen nachgeben. So mancher, der seinen Willen über den des Herrn gestellt hat, hat zu seinem Leidwesen erfahren, dass der Herr sich nicht verhöhnen lässt, auch nicht in den so genannten Kleinigkeiten des täglichen Lebens. Und so kommt die abschließende Warnung mit feierlichem Nachdruck: Wer das Gute zu tun weiß und es nicht tut, für den ist es Sünde. Dieser Grundsatz wird auch von Jesus hochgehalten, Luk. 12,47.48. Einige der Christen mögen sich in Bezug auf die verschiedenen Punkte, die der Apostel in diesem Kapitel anführt, aus Unachtsamkeit geirrt haben. Diese Tatsache hätte sie nicht entschuldigt, aber es wäre eine wohlwollende Erklärung für ihr Verhalten gewesen. Nun aber, da die Tatsachen des Willens Gottes so ausführlich erörtert worden sind, ist auch der letzte Fetzen einer Entschuldigung weg. Jeder, der die hier dargelegten Punkte zur Heiligung der Gläubigen missachtet, hat niemand anderen als sich selbst zu tadeln, wenn das Gericht des Herrn das volle Maß an Strafen über ihn verhängt. Denn nicht nur begangene Sünden werden verurteilt, sondern auch Unterlassungssünden, wenn man nicht das tut, was vor Gott recht ist. Dieses Wort sollte auch in unseren Tagen mit der gebührenden Sorgfalt beachtet werden.
Zusammenfassung: Der Apostel warnt seine Leser vor jeglichem Auftreten von Begierde, Neid und weltlicher Gesinnung und fordert von ihnen wahre Demut, die Abwesenheit von lieblosem Urteilen und Vertrauen in Gottes Vorsehung und Regierung.
Verschiedene Ermahnungen, weil das Jüngste Gericht nahe
ist (5,1-20)
1 Wohlan nun, ihr Reichen, weint und heult über euer Elend, das über
euch kommen wird! 2 Euer Reichtum ist verfault; eure Kleider sind von Motten
zerfressen. 3 Euer Gold und Silber ist verrostet, und ihr Rost wird euch zum
Zeugnis sein und wird euer Fleisch fressen wie ein Feuer. Ihr habt euch Schätze
gesammelt in den letzten Tagen. 4 Siehe, der Arbeiter Lohn, die euer Land
eingeerntet haben, und von euch zurückbehalten wurde, der schreit; und das
Rufen der Erntearbeiter ist gekommen vor die Ohren des HERRN Zebaoth. 5 Ihr
habt wohlgelebt auf Erden und eure Wollust gehabt und eure Herzen geweidet als
auf einen Schlachttag. 6 Ihr habt verurteilt den Gerechten und getötet, und er
hat euch nicht widerstanden.
7 So seid nun geduldig, liebe Brüder, bis auf die Zukunft des HERRN!
Siehe, ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber,
bis dass er empfange den Morgenregen und Abendregen. 8 Seid ihr auch geduldig
und stärkt eure Herzen; denn die Zukunft des HERRN ist nahe. 9 Seufzt nicht gegen
einander, liebe Brüder, damit ihr nicht verdammt werdet! Siehe, der Richter ist
vor der Tür! 10 Nehmt, meine lieben Brüder, zum Beispiel des Leidens und der
Geduld die Propheten, die zu euch geredet haben in dem Namen des HERRN. 11 Siehe,
wir preisen selig, die erduldet haben. Von der Geduld Hiobs habt ihr gehört,
und das Ende des HERRN habt ihr gesehen; denn der HERR ist barmherzig und ein
Erbarmer.
12 Vor allen Dingen aber, meine Brüder, schwört nicht, weder bei dem
Himmel noch bei der Erde noch mit keinem anderen Eid. Es sei aber euer Wort:
Ja, das ja ist; und: Nein, das nein ist, damit ihr nicht in Heuchelei fallt. 13
Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Muts, der singe Psalmen. 14
Ist jemand krank, der rufe zu sich die Ältesten von der Gemeinde und lasse sie
über sich beten und ihn einreiben mit Öl in dem Namen des HERRN. 15 Und das
Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der HERR wird ihn aufrichten;
und wenn er hat Sünden getan, werden sie ihm vergeben sein.
16 Bekenne einer dem anderen seine Sünden und betet füreinander, damit
ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist. 17
Elia war ein Mensch gleich wie wir, und er betete ein Gebet, dass es nicht
regnen sollte; und es regnete nicht auf Erden drei Jahre und sechs Monate. 18
Und er betete abermals, und der Himmel gab den Regen, und die Erde brachte ihre
Frucht. 19 Liebe Brüder, so jemand unter euch irren würde von der Wahrheit, und
jemand bekehrte ihn, 20 der soll wissen, dass, wer den Sünder bekehrt hat von
dem Irrtum seines Weges, der hat einer Seele vom Tod geholfen und wird bedecken
die Menge der Sünden.
Warnung an die Reichen (V. 1-6): Zu
den Bemerkungen, die der Autor im ersten Teil seines Briefes über die Reichen
geschrieben hat, fügt er nun eine Ermahnung hinzu, in der er sie direkt
auffordert, ihr Verhalten zu überdenken: Kommt nun, ihr Reichen, und weint mit
Klagen über euer Unglück, das euch bevorsteht. Er will, dass die Reichen
aufhorchen, dass sie in ihrem wahnsinnigen Streben nach Reichtum einen Moment
innehalten. Denn schon eine oberflächliche Betrachtung ihrer tatsächlichen Lage
wird ihnen alle Selbstzufriedenheit und ihr vorgetäuschtes Glück aus Herz und
Mund nehmen und sie stattdessen veranlassen, bitterlich zu weinen, bis hin zum
Heulen, über das Elend und Unglück, das sich ihnen nähert. Es ist eine
prophetische Warnung von großer Kraft. Vgl. Luk. 6,24.
Der Grund, warum die Reichen, die sich auf
den Reichtum dieser Welt verlassen, in einen Zustand jämmerlichen Wehklagens
versetzt werden, wird vom Apostel genannt: Euer Reichtum verrottet, und eure
Kleider werden von Motten zerfressen. Die Menschen in diesem Zustand glauben,
dass ihr Geld, ihr Reichtum, gegen alle Eventualitäten gesichert ist, weshalb
sie auch ihr ganzes Vertrauen auf das setzen, was ihre Hände angehäuft haben.
In Wirklichkeit aber ist es am Verfaulen, am Verwesen; ihr Vertrauen ruht auf
einem morschen Fundament. Und ihre reichen und kostbaren Kleider und Gewänder,
die sie aus allen Ländern der Erde zusammengetragen haben, werden von Motten
zerfressen. Das ist es, woran sie ihre Freude haben, vergänglich, ohne
bleibenden Wert, ja, mehr noch, wertlos vor Gott. Vgl. Matth.
6,19.20. Das Gleiche wird im nächsten Satz gesagt: Euer Gold und Silber ist
verrostet, und ihr Rost wird ein Zeugnis gegen euch sein und wird euer Fleisch
wie Feuer verzehren; ihr habt Schätze angehäuft in diesen letzten Tagen. Der
Apostel verwendet eine starke bildliche Sprache. Das ganze Geld, auf das sich
die Reichen so hingebungsvoll verlassen, ist mit Schmutz bedeckt; es gehört zu
den verderblichen Gütern dieser Welt, die am Ende alle zu Staub zerfallen und
verzehrt werden. Dieser Staub oder Dreck oder Rost wird gegen sie zeugen, dass
sie ihr Vertrauen in solche verderblichen Dinge gesetzt haben. Anstatt die
Seele für immer zu befriedigen, wird die Zeit kommen, in der dieser Staub und
Unrat, für den die Menschen ihre unsterblichen Seelen verkauft haben, sich als
Qual erweisen und ihre Körper mit dem ewigen Feuer der Hölle verzehren wird.
Denn es wird ihnen vorgeworfen, dass sie in diesen letzten Tagen der Welt
Reichtümer für sich selbst angehäuft haben. Sie begnügten sich nicht mit dem
Segen, den der Herr auf ehrliche Arbeit legt, mit dem Lebensnotwendigen,
sondern glaubten sich verpflichtet, Reichtum anzuhäufen, nie zu ruhen, nie
zufrieden zu sein.
Der heilige Schreiber zeigt nun, auf welche
Weise diese Anhäufung von Reichtümern weitgehend geschah: Seht, der Lohn der
Arbeiter, die eure Felder geerntet haben, um die ihr sie betrogen habt, schreit
auf, und das Geschrei der Erntearbeiter ist an die Ohren des Herrn von Sabaoth
gedrungen. Es ist der uralte Streit zwischen Kapital und Arbeit, der hier
berührt wird. Die reichen Männer heuerten die Arbeiter an, um die reichen
Getreidefelder zu ernten, die sie als Segen des Herrn hätten betrachten sollen.
Aber nachdem die Arbeiter ihre Arbeit getan hatten, um die reichen Gaben der
Güte Gottes einzulagern, was den Besitzern ganz nebenbei neuen Reichtum
einbrachte, ignorierten letztere ruhig die Tatsache, dass der Lohn zu zahlen
war. Es ist dieselbe Klage, die seither tausende Male aufgetaucht ist, dass die
reichen Besitzer von Bauernhöfen und Fabriken den Männern, die für sie
arbeiten, den ihnen zustehenden Lohn vorenthalten, während sie selbst einen
unverhältnismäßigen Gewinn einstecken und so sowohl ihre Arbeiter als auch die
Öffentlichkeit betrügen. Wenn Kapitalisten und Arbeiter doch nur die Warnung
beherzigen würden, dass es Gott ist, der in solchen Fällen sogar das Weinen der
besinnungslosen Kreatur hört, und dass das Stöhnen derer, denen Unrecht
geschieht, zu seinen Ohren dringt! Er ist der Herr von Sabaoth, der König der
himmlischen Scharen, der allmächtige Gott, der gerechte Richter.
Es gibt noch eine weitere Anklage, die
vorgebracht werden muss: Ihr habt euch auf der Erde ausgetobt und ein
ausschweifendes Leben geführt; ihr habt eure Herzen gemästet wie am Tag der
Schlachtung. Das ist eine der größten Versuchungen, die mit dem Reichtum
verbunden sind, einer der Gründe, warum der Fluch Gottes oft mit seinem Erwerb
einhergeht, nämlich dass die Menschen ihren Reichtum dazu benutzen, ein Leben
des Vergnügens zu führen, dieses Leben in vollen Zügen zu genießen, köstlich
und wollüstig zu leben, in Ausschweifung und Wollust, in Selbstverliebtheit
jeder Art. Das wird sehr treffend ausgedrückt, wenn der Apostel sagt, dass sie
ihre Herzen mästen wie zur Zeit der Schlachtung, denn dann könnten sie sich
satt essen und trinken, jede Form der Mäßigung vergessen und ihren Bauch zu
ihrem Gott machen, Phil. 3,19. Um ihre Ziele zu erreichen, zögern diejenigen,
die reich sein wollen, nicht, jedes Mittel anzuwenden, das ihnen das ersehnte
Geld bringt: Du hast den Gerechten verurteilt und getötet, und er widersteht
dir nicht. Dies verdeutlicht die Abgründe der Verderbtheit, in die ein Mensch
getrieben wird, wenn die Gier nach Reichtum einmal sein Herz ergriffen hat. Es
kann sein, dass ein Gerechter im Weg steht, wie im Fall von Naboth.
Aber es scheint, dass diese Tatsache die Begierde des Habgierigen nur noch mehr
anheizt. Es gibt Tausende von Möglichkeiten, Gesetze zu umgehen oder so zu
gestalten, dass sie den Interessen der Reichen entgegenkommen, solange sie
bereit sind, für den gewünschten Rechtsbeistand eine angemessene Summe zu
bezahlen. Oft genug wird derjenige verurteilt, der eigentlich im Recht ist, und
es fehlt nicht an Beispielen, wo der Gerechte um ein paar lumpige Dollar willen
aus dem Weg geräumt wurde. Als Gerechter erträgt ein solcher Mensch die
Misshandlungen oft schweigend, weil er erkennt, dass es sinnlos ist, sich gegen
das Unrecht zu wehren. Die ganze Schilderung gibt ein anschauliches Bild von
den Verhältnissen, wie sie auch heute noch herrschen, und zwar mitten in den
sogenannten christlichen Gemeinden.
Ermahnung zur Geduld (V. 7-11): Wahrscheinlich
veranlasste der Gedanke an die unnachgiebige Geduld der Gerechten angesichts
der schlechten Behandlung durch die Reichen den Apostel, diesen Absatz über die
Geduld, die die Gläubigen zu allen Zeiten zeigen sollten, hinzuzufügen: Seid
also geduldig, Brüder, bis zur Ankunft des Herrn. Geduldiges, klagloses
Ausharren sollte die Christen zu allen Zeiten kennzeichnen. Denn es ist nur für
eine kurze Zeit, die sie zu leiden haben. Eine Tatsache wird ihnen immer vor
Augen gehalten, nämlich dass ihr Herr kommt, dass er gewiss in Herrlichkeit
wiederkommen wird. Noch eine kleine Weile, und der, der kommt, wird kommen und
nicht mehr lange bleiben, Hebr. 10,37.
Der Apostel verweist auf das Beispiel des
Bauern: Seht, wie der Bauer auf die kostbare Frucht des Landes wartet, indem er
sich in Geduld übt, bis er den Früh- und Spätregen erhält. Wenn es jemanden
gibt, dessen Arbeit ein hohes Maß an Geduld erfordert, dann ist es der Mensch,
der vom Boden lebt. Er erkennt, wie sehr die Menschheit in Bezug auf Nahrung
vom Herrn abhängig ist. Er legt seine Saat in das Land, das er vorbereitet hat,
und wartet geduldig ab, bis er seinen Lohn in Form einer reichen Ernte erhält.
In Palästina wusste er, dass sein Erfolg vom rechtzeitigen Einsetzen des ersten
oder herbstlichen Regens abhing, der das Land nach den heißen Sommermonaten in
einen Zustand versetzte, in dem es bebaut werden konnte, und vom zweiten oder
Frühlingsregen im April, der die Reifung der Ernte unterstützte. Seine ganze
Arbeit war also eine Sache des geduldigen Wartens.
Diesem Beispiel sollten die Christen
folgen. Habt auch ihr Geduld; stärkt eure Herzen, denn die Ankunft des Herrn
ist nahe. Geduldiges Ausharren sollte der Leitgedanke im Leben der Christen
sein. Unzählige Male ist ihr Herz kurz davor, schwach zu werden und den
scheinbar ungleichen Kampf aufzugeben. Doch mit Hilfe von oben finden sie sich
immer wieder in der Lage, ihr Herz zu stärken und zu festigen. Denn der Gedanke
hält sie aufrecht, dass das Kommen des Herrn zum Gericht nahe ist, dass Seine
Wiederkunft für sie ewige Seligkeit bedeutet. Es ist nur noch eine kurze Zeit
des Wartens, und dann wird die Ernte mit unaussprechlicher Freude eingebracht
werden.
Bis dahin sollten sie beherzigen, was der
Apostel ihnen sagt: Murret nicht gegeneinander, Brüder, damit ihr nicht
gerichtet werdet; denn siehe, der Richter steht vor der Tür. Die
offensichtliche Verzögerung der Wiederkunft des Herrn gemäß seiner Verheißung
hat viele Menschen dazu veranlasst, ungeduldig zu werden, ihr eigenes Los mit
dem der anderen zu vergleichen und das größere Glück der anderen zu
missbilligen. Ein solches Verhalten, das ganz und gar nicht mit dem Wort des
Herrn und mit der Gesinnung übereinstimmt, die er von denen erwartet, die ihm
gehören, wird seine Verurteilung über die Schuldigen herbeiführen. Für
diejenigen, die durch geduldiges Ausharren in guten Taten auf sein Kommen
warten, ist die Rettung nahe, aber für diejenigen, die voller Neid auf andere
sind und ihre Zeit damit verbringen, ihre vermeintlichen Missstände zu pflegen,
ist der Richter, der gerechte Richter, gekommen. Er steht schon jetzt vor der
Tür, und sein Eintritt in das Gericht ist nur eine Frage von kurzer Zeit, die
weitgehend durch die Tatsache seiner barmherzigen Liebe zu den Gefallenen
bestimmt wird, die er für das ewige Heil zu gewinnen sucht.
Es gibt auch Beispiele der Heiligen von
einst, die die Gläubigen ermutigen und stärken können: Als Beispiel für das
Erleiden des Bösen und für die Geduld, meine Brüder, nehmt die Propheten, die
im Namen des Herrn geredet haben. Vgl. Hebr. 11. Die meisten der alten
Propheten waren zwar damit beschäftigt, im Namen des Herrn zu predigen und
ihren Landsleuten die wunderbare Botschaft vom kommenden Messias zu verkünden,
doch waren sie vielerlei Verfolgungen ausgesetzt; sie mussten Böses in vielerlei
Gestalt ertragen. Sie können daher gut als Beispiele für Geduld und Ausdauer
dienen, die wir uns immer vor Augen halten sollten. Wenn der Herr ihnen die
Kraft gab, die mannigfaltigen Bedrängnisse, die über sie kamen, bis zum Ende zu
ertragen, wird er auch uns mit seinem Trost und seiner Kraft zur Seite stehen.
Und es gibt noch einen weiteren Punkt, der
Erwähnung verdient: Siehe, selig sind die Leidenden, die es ertragen haben. Von
der Geduld Hiobs habt ihr gehört, und das Ende des Herrn wisst ihr, dass der
Herr sehr barmherzig und voller Erbarmen ist. Hiob war bei den Juden zu allen
Zeiten ein beliebtes Beispiel für Geduld, und er ist es auch heute noch.
Christen sollten sich daran erinnern, dass wir gemeinhin und zu Recht denen,
die bis zum Ende durchgehalten haben, die Seligkeit, das Glück des Heils,
zuschreiben. Vgl. Matth. 5,11. Mit der Geschichte
Hiobs waren die Leser dieses Briefes vertraut; sie kannten das Ende und die
Absicht des Herrn in Bezug auf diesen geduldig leidenden Menschen. Gerade in
seiner Geschichte wurde ein Punkt so nachdrücklich deutlich, nämlich dass der Herr
sich so sehr über die Seinen erbarmt, dass sein Herz sich in Mitleid und
Barmherzigkeit nach seinen Kindern sehnt. So liegt in dieser Anspielung sowohl
Trost als auch Kraft für die Christen aller Zeiten.
Der falsche und der rechte Gebrauch des
Namens Gottes (V. 12-15): Der Apostel leitet einen neuen Abschnitt ein, der
zum Teil mit den Worten der eigenen Unterweisung des Herrn formuliert ist: Vor
allem aber, meine Brüder, schwört nicht, weder beim Himmel noch bei der Erde,
noch mit irgendeinem anderen Eid. Euer „Ja“ sei ein einfaches „Ja“ und euer „Nein“
ein einfaches „Nein“, damit ihr nicht in die Verdammnis fallt. Vgl. Matth. 5,34. Wie die Ermahnungen Jesu in der Bergpredigt
zielen auch diese Worte darauf ab, dem leichtfertigen Gebrauch des Eides ein
Ende zu setzen, der heute gewiss so weit verbreitet ist, wie er es in der
Geschichte der Welt je war, und der gewiss zum Himmel schreit. Wenn nicht das
Gebot der Regierung oder das Wohl des Nächsten oder die Ehre Gottes eine
eidesstattliche Versicherung verlangen, sollte eine einfache Versicherung der
Tatsachen oder ein einfaches Leugnen seitens der Christen ausreichen.
Derjenige, der ständig mit einem Eid bereit ist, verursacht bei denen, die ihn
hören, Zweifel an seiner Wahrhaftigkeit und bringt selbst die unter Eid
gemachten Aussagen in Misskredit: Es ist so, als ob man zu viel beweist und
damit nichts beweist. Und Gott verurteilt solche Schwüre in aller Deutlichkeit.
Was das allgemeine Verhalten der Christen
betrifft, so sagt der Apostel: Leidet jemand unter euch Böses? Dann lasst ihn
beten. Ist jemand guten Mutes? Dann soll er Loblieder singen. Anstatt
diejenigen anzuprangern und zu verfluchen, die uns bedrängen und uns Böses
erleiden lassen, sollten wir als Christen unsere Angelegenheit in die Hände
unseres himmlischen Vaters legen, damit er uns zurechtweist und richtet, und
ihn gleichzeitig um die Geduld bitten, die notwendig ist, um das Böse zu
ertragen. Wenn man andererseits guter Dinge ist und sich über irgendeine
Offenbarung der Güte oder Barmherzigkeit Gottes freut, ist die beste Art, seine
Wertschätzung zu zeigen, seinen heiligen Namen in Liedern der Dankbarkeit zu
preisen. Wir sollten nicht nur an den Herrn denken, wenn wir in Schwierigkeiten
sind, sondern auch an den Tagen, an denen wir uns seiner Segnungen erfreuen.
Eine weitere Anweisung betrifft das
Verhalten des Christen im Krankheitsfall: Ist jemand unter euch krank? Dann
soll er die Ältesten der Gemeinde rufen, und sie sollen über ihm beten und ihn
im Namen des Herrn mit Öl einreiben; und das Gebet des Glaubens wird den
Kranken retten, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er eine Sünde
begangen hat, so wird sie ihm vergeben werden. Man beachte, dass der Apostel
nicht erwartet, dass die Ältesten oder Presbyter selbst von der Krankheit eines
Gemeindemitglieds erfahren, sondern nur, dass sie auf Veranlassung des Kranken
darüber informiert werden. Hier wird für die geistliche Behandlung eines
Christen gesorgt, den der Herr auf ein Krankenbett gelegt hat. In einem solchen
Fall sollten die Ältesten an das Krankenbett gerufen werden, um
seelsorgerlichen Trost zu spenden. Dies geschah durch Gebet, begleitet von der Einreibung
des Kranken mit Öl, was ein üblicher jüdischer Brauch war. Wenn all dies in der
richtigen Weise geschah und der Kranke sich reumütig und begierig nach dem
Trost des Evangeliums zeigte, dann gab es keinen Zweifel an der Wirksamkeit des
Gebets an seinem Bett. Nicht nur würde das Glaubensgebet dieser kleinen
versammelten Hausgemeinde von Gott erhört werden, indem er dem reuigen Sünder
die Vergebung all seiner Sünden gewährt, sondern Gott würde ihn auch
wiederherstellen, auf jeden Fall geistig und körperlich nach seinem
Wohlgefallen. Anmerkung: Von einer Salbung als Sakrament finden wir in der
Heiligen Schrift kein Wort. Die Einreibung, von der Jakobus in diesem Abschnitt
spricht, vgl. Mark. 6,13, war ein außerordentliches Mittel, das in der frühen
Kirche für die wundersame Heilung von körperlichen Gebrechen verwendet wurde.
Diese Salbung geschah nicht, um den Kranken auf einen seligen Tod
vorzubereiten, sondern zum Zweck der Heilung; die Vergebung der Sünden wird
nicht dem Öl zugeschrieben, sondern dem Gebet des Glaubens.[6]
Ermahnung
zur Vergebung und liebenden Fürbitte (V. 16-20): Die am Ende des letzten
Abschnitts erwähnte Vergebung der Sünden veranlasst den Apostel nun, eine
allgemeine Ermahnung hinzuzufügen: Bekennt also einander eure Sünden und betet
füreinander, damit ihr geheilt werdet. Hier steht kein Wort über das ausschließliche
Recht der Ältesten oder der Priester, Sünden zu vergeben, die Aussage ist
vielmehr sehr allgemein gehalten. Alle Christen haben in ihrem täglichen Umgang
miteinander reichlich Gelegenheit, die Liebe zu üben, von der hier die Rede
ist. Wenn jemand seinem Bruder durch ein Wort oder eine Tat Schaden zugefügt
hat, soll er den anderen offen um Vergebung bitten. Gleichzeitig wird das fürbittende Gebet angemahnt; denn die Wirksamkeit eines
solchen Gebets, besonders in Fällen geistlicher Not, ist in der Heiligen
Schrift so stark begründet, dass seine Vernachlässigung in der heutigen Zeit
zutiefst bedauert wird.
Dieser
Punkt wird von dem Verfasser mit großem Nachdruck hervorgehoben: Eine große
Macht hat das Gebet eines rechtschaffenen Mannes in seiner Wirksamkeit: Elia
war ein Mann von gleichen Leidenschaften wie wir, und er betete ein Gebet, dass
es nicht regnen sollte, und es regnete nicht auf der Erde drei Jahre und sechs
Monate; und er betete wieder, und der Himmel ließ es regnen, und die Erde
blühte auf (und brachte ihre Früchte hervor). Der Apostel ermahnt die Gläubigen
zu einem schnelleren Gebet, und zwar zunächst durch eine allgemeine
Feststellung der Tatsachen. Wenn das Gebet des Gerechten mit vollem Vertrauen
auf seine Wirksamkeit gesprochen und deshalb mit aller Kraft zum Thron der
Gnade gebracht wird, dann hat es eine Kraft, die über die Erfahrung des durchschnittlichen
Christen in unseren Tagen hinausgeht. Das zeigt der Apostel am Beispiel von
Elia. Obwohl dieser Prophet des Herrn ein Mann mit der gleichen geistigen
Verfassung, mit den gleichen Neigungen und Leidenschaften war, wie wir sie in
uns selbst finden, verschloss sein erstes Gebet den Himmel für insgesamt drei
Jahre und sechs Monate, 1. Kön. 17,1; Luk. 4,25, während sein darauffolgendes
Gebet den Himmel öffnete, der so lange verschlossen war, und einen großen Regen
herabkommen ließ, 1. Kön. 18,42, und den Boden wieder in einen solchen Zustand
versetzte, dass er Pflanzen zum Blühen bringen und Früchte tragen konnte. Nur
wenige Menschen haben diese Lektion über die Notwendigkeit und die Kraft des
ernsten Gebets gelernt, unter ihnen Martin Luther; aber das Beispiel ist noch
da und drängt zur Nachahmung.
Abschließend spricht der Apostel von einer besonderen Wohltat, die von allen Christen praktiziert werden sollte, und zwar mit weit größerer Freigebigkeit, als dies gegenwärtig der Fall ist: Meine Brüder, wenn jemand unter euch von der Wahrheit abirrt und sich bekehrt, so soll er wissen, dass derjenige, der einen Sünder von seinem Irrtum bekehrt, seine Seele vor dem Tod bewahrt und eine Menge Sünden bedeckt. Es wird immer wieder vorkommen, dass ein Bruder oder eine Schwester trotz aller Wachsamkeit von der anerkannten Wahrheit, vom Wort des Heils, abweicht. Die Welt ist voll von Versuchungen, und unsere eigene Natur ist nur zu schwach, um dem Bösen zu widerstehen. Wenn dies aber der Fall ist und einer der anderen Brüder oder Schwestern es unternimmt, den Irrenden wieder auf den rechten Weg zu bringen, dann sollte ihn der Gedanke während des ganzen Vorgangs ermutigen, dass sein Handeln durch die Gnade Gottes dazu führen wird, eine Seele vor dem Tod, vor dem geistigen und ewigen Tod zu retten. In diesem Fall werden auch alle Sünden, die der irrende Bruder begangen hat, zugedeckt und vergessen sein um des Heils Christi willen, das gerade für solche Sünder gewonnen wurde. Diese Überlegung sollte alle Christen bereit machen, nicht nur über ihr eigenes Verhalten die größte Wachsamkeit walten zu lassen, sondern auch mit den Brüdern und Schwestern zu wachen, die zum Stolpern und Fallen geneigt sein könnten. Vor allem sollte in der christlichen Gemeinde eine solche Nächstenliebe und Geduld herrschen, die ihr Vorbild in der Liebe des Erlösers hat.
Zusammenfassung: Der Apostel
richtet verschiedene Ermahnungen an seine Leser im Hinblick auf den nahen Tag
des Gerichts: Er ermahnt die Reichen, die Rechte ihrer Angestellten gebührend
zu achten, drängt alle, in Bedrängnissen geduldig auszuharren, unterscheidet
zwischen dem falschen und dem richtigen Gebrauch des Namens Gottes und ermahnt
alle Christen, Vergebung und liebevolle Fürbitte zu üben.
A
Aus: Johann
Schaller: Kurze Bibelkunde. St. Louis, Missouri:
Concordia Publishing House 1899. S. 203-206 (Dies ist
KEINE Vorrede Luthers!)
[1] Concordia Bible Class, Nov. 1919,
173
[2] Fürbringer, Einleitung in das Neue Testament,
96
[3] Vgl. Concordia Triglotta, 189. 931; Apol. III,
123-125; Konk.Form., Aus. Erkl.
III, 42-43
[4] Für V. 16-27 vgl. Homiletisches
Magazin, 14 (1890), 142-153
B
Entnommen
aus: Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften. Hrsg. von Joh[ann] Georg Walch. Nachdr. der 2.,
überarb. Aufl. Bd. 10. Groß Oesingen: Verlag der
Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms. 1987. Sp.
1262 ff. Sprachlich überarbeitet vom Herausgeber.erHe
C
Die
folgenden §§ 20-23 stehen nicht in der Original-Ausgabe, noch auch in der
Übersetzung Spalatins, sondern sind in dieser revidierten Ausgabe aus der
lateinischen Jenaer Ausgabe herübergenommen worden. D. Red. [Walch, 2. Ausgabe,
St. Louis]
D
Im
Original steht „der Aussätzige“, aber nach dem biblischen Text ist da der
Pharisäer Simon gemeint.
E Ob
es sich hier tatsächlich um Maria Magdalena handelt, geht aus dem Bibeltext
nicht hervor; das ist nur ein Rückschluss Luthers.
F Siehe Anm. 3
G Siehe Anm. 3
[5] Expositor’s Greek Testament, 4,
456
[6] Günther, Populäre
Symbolik, 296; Pieper, Christliche Dogmatik, III, 136.
Hierzu ist noch vertiefend
anzumerken, dass diese „Salbung“, von der hier die Rede ist, keine
außerordentliche Handlung war, auch nicht eine besondere Handlung der frühen
Gemeinde, sondern vielmehr ein damals ganz normaler, üblicher Vorgang bei der
Behandlung von Kranken. Es gab zwar Ärzte, aber nur sehr wenig, und vielfach
standen sie nicht in einem guten Ruf. Daher haben sich viele mit den
Naturmitteln, die ihnen möglich waren, selbst geholfen. Den Kranken mit Öl
einzureiben, und zwar intensiv, wie bei einem Athleten, dass das Öl in die Haut
eindringt, war damals eine weit verbreitete medizinische Maßnahme. Und genau
davon spricht hier Jakobus, dass die Ältesten neben ihrem wichtigen geistlichen
Beistand auch den nötigen und möglichen medizinischen leisten. Denn es gilt zu
beachten, dass das Griechische zwei Worte verwendet, die im Griechischen
unterschiedlich gebraucht werden, aber, leider, oftmals ohne Unterschied mit „salben“
oder „Salbung“ übersetzt werden. „Chreoo“ steht für
das sakrale Salben, wie es der Hohepriester empfing, wie es auch Könige bei
ihrer Amtseinsetzung empfingen, wovon auch im Zusammenhang mit Christus
gesprochen wird (gesalbt mit dem Geist mehr als seine Gesellen) oder der
Geistessalbung der Gläubigen in 1. Joh. 2 (dort das entsprechende Substantiv „chrisma“). Jakobus aber verwendet bewusst „aleitho“, das Wort, das für die medizinische „Salbung“ oder
besser Einreibung mit Öl steht, wie sie damals, wie schon erwähnt, weithin
üblich war. Vgl. dazu auch: https://nouthetic.org/the-biblical-perspective-on-the-mind-body-problem-part-two/.
„Krankensalbung“, wie sie jetzt sowohl bei den Römern als auch Evangelischen
vorkommt, hat also keine biblischen Grundlagen.