Der Brief an die Hebräer

 

Luthers Vorrede auf die Epistel an die Hebraeer                  

Einleitung                                       

Kapitel 1                                         

Kapitel 2                                         

Kapitel 3                                         

Kapitel 4                                         

Kapitel 5                                         

Kapitel 6                                         

Kapitel 7                                         

Kapitel 8                                         

Kapitel 9                                         

Kapitel 10                                       

Kapitel 11                                       

Kapitel 12                                       

Kapitel 13                                       

 

Luthers Vorrede auf die Epistel an die Hebraeer

1522A

 

    1. Bisher haben wir die rechten gewissen Hauptbücher des Neuen Testaments gehabt.  Diese vier nachfolgenden aber haben vorzeiten [zuweilen] ein anderes Ansehen gehabt. Und aufs erste, dass diese Epistel an die Hebräer nicht St. Pauli noch einiges Apostels sei, beweist sich dabei, dass im zweiten Kapitel, V. 3, steht so: „Diese Lehre ist durch die, so es selbst von dem HERRN gehört haben, auf uns gekommen und geblieben.“ Damit wird es klar, dass er von den Aposteln redet als ein Jünger, auf den solche Lehre von den Aposteln gekommen sei, vielleicht lange hernach.  Denn St. Paulus Gal. 1,1 mächtig bezeugt, er habe sein Evangelium von keinem Menschen, noch durch Menschen, sondern von Gott selber.

    2. Über das hat sie einen harten Knoten, dass sie im sechsten und zehnten Kapitel stracks verneint und versagt die Buße den Sündern nach der Taufe und Kap. 12,17 spricht: Esau habe Buße gesucht und doch nicht gefunden. Welches, wie es lautet, scheint wider alle Evangelien und Episteln des St. Paulus zu sein. Und wiewohl man mag eine Glosse darauf machen, so lauten doch die Worte so klar, dass ich nicht weiß, ob’s genug sei. Mich dünkt, es sei eine Epistel von vielen Stücken zusammengesetzt, und nicht einerlei ordentlich handele.

    3. Wie dem [auch sei], so ist’s je eine ausbündige, feine Epistel, die vom Priestertum Christi meisterlich und gründlich aus der Schrift redet, dazu das Alte Testament fein und reichlich auslegt, dass es offenbar ist, sie sei eines trefflichen, gelehrten Mannes, der ein Jünger der Apostel gewesen, viel von ihnen gelernt und sehr im Glauben erfahren und geübt ist. Und ob er wohl nicht den Grund legt des Glaubens, wie er selbst zeugt, Kap. 6,1, welches der Apostel Amt ist, so baut er doch fein drauf Gold, Silber, Edelsteine, wie St. Paulus 1. Kor. 3,12 sagt. Deshalb uns nicht hindern soll, ob vielleicht etwa Holz, Stroh oder Heu mit untergemengt werde, sondern solche feine Lehre mit allen Ehren aufnehmen, nur dass man sie den apostolischen Episteln nicht in allen Dingen gleichen mag.

    4. Wer sie aber geschrieben habe, ist unbewusst, will ach wohl unbewusst bleiben noch eine Weile, da liegt auch nichts dran. Uns soll genügen an der Lehre, die er so beständig aus und in der Schrift gründet und gleich einen rechten, feinen Griff und Maß zeigt, die Schrift zu lesen und handeln.

 

 

Einleitung

 

    Der Verfasser des Hebräerbriefs nennt seinen Namen nicht, und auch der Brief selbst gibt keinen eindeutigen Hinweis auf seine Person. Es gibt nur einen einzigen direkten Hinweis auf die Person des Autors, Kap. 10,34: „Denn ihr hattet Erbarmen mit mir in meinen Banden“, aber das wird kaum mehr als eine allgemeine Vermutung sein. Unter den Männern, die als wahrscheinliche Verfasser dieses Briefes genannt worden sind, ist der Apostel Paulus, und diese Ansicht wird von einer großen Anzahl von Kommentatoren, sowohl in der Antike als auch in der Neuzeit, vertreten, vor allem aufgrund des Schlusses des Briefes, der mit anderen Schriften des Paulus übereinzustimmen scheint, Kap. 13,18-25, sowie auf Grund des Stils und der Sprache; dann auch Apollos, Barnabas, Lukas, Silvanus, Timotheus und andere. Aus der Wahl der Sprache und der Form der Darstellung geht hervor, dass der Verfasser ein Schüler und enger Gefährte des heiligen Paulus war, der gelernt hatte, die Lehre, die er in so ausgezeichnetem Griechisch lehrte, im Stil des großen Apostels selbst auszudrücken, wahrscheinlich auf Anregung und unter Anleitung des Paulus. Der Inhalt des Briefes ist jedenfalls stark paulinisch geprägt, und die Lehre von der Rechtfertigung allein durch die Verdienste Jesu Christi wird durchweg betont.

    Der Brief war an die Hebräer gerichtet, an die Christen jüdischer Abstammung, von denen sich viele vielleicht schon als Erwachsene zum wahren Messias bekehrt hatten und daher noch gut mit der jüdischen Form des Gottesdienstes vertraut waren. Zweifellos war der Brief ursprünglich für die Judenchristen Palästinas, insbesondere Jerusalems, bestimmt, denn der Tempeldienst wird als vor den Augen der Leser stattfindend beschrieben. „Außerdem waren in Palästina die Versuchungen zum Rückfall ins Judentum, vor denen der Verfasser seine Leser so sehr schützen will, am größten. Die sakrale Pracht des alten Heiligtums warf die einfachen Formen des christlichen Gottesdienstes in den Schatten, und die Flammen des patriotischen Eifers brannten im Heiligen Land heftiger als unter den Juden der Diaspora.“

    „Die Absicht des Schreibers des Briefes ist es offenbar, die Judenchristen zu ermutigen und zu ermahnen, im Bekenntnis ihres Glaubens zu verharren. Sie waren in großer Gefahr, vom Christentum abzufallen und ins Judentum zurückzufallen, Kap. 6,4-6. Eine der Gefahrenquellen war die Pracht des alten jüdischen Kultes. Eine andere Gefahr lag darin, dass sie von ihren Landsleuten verfolgt wurden und wegen ihres Glaubens an Christus den Raub ihrer Güter erlitten hatten. Vielleicht waren einige bereits zum Judentum zurückgekehrt, während andere bereit waren, zurückzukehren, Kap. 10,25. Um weiteren Abfall zu verhindern, wurde dieser Brief geschrieben. Er soll die hebräischen Christen davon abhalten, ihren neuen Glauben aufzugeben. Um diesen Zweck zu erreichen, wird darauf hingewiesen, dass das Christentum dem Judentum mit all seinem Pomp und seinen Zeremonien in jeder Hinsicht überlegen ist.“

    Der Brief wurde sicherlich vor dem Jahr 70 n. Chr. geschrieben, denn es gibt keinen Hinweis auf die Zerstörung des Tempels oder auch nur auf eine Gefahr, die Jerusalem bedroht, obwohl eine solche Tatsache hervorragend zu dem Argument des Verfassers hinsichtlich des vorübergehenden Charakters des jüdischen Kultes gepasst hätte. Im Gegenteil, der Verfasser verweist wiederholt darauf, dass der Tempel noch existiert und der Tempelkult ohne das geringste Hindernis fortgesetzt wird. Es scheint am sichersten, dass der Brief in der Mitte der sechziger Jahre des ersten Jahrhunderts entweder von Rom oder von Alexandria aus geschrieben wurde.

    Da der Verfasser die Überlegenheit der christlichen Religion gegenüber dem jüdischen Kult darlegen will, gliedert er seinen Brief in zwei Teile, von denen der erste Christus als Vermittler der Offenbarung, der zweite als Vermittler der Erlösung darstellt, immer im Vergleich mit dem alttestamentlichen Vorbild. Ohne besondere Einleitung führt der Verfasser den Beweis dafür an, dass die Offenbarung durch den Sohn in der Fülle der Zeit kam, nachdem die alttestamentliche Prophetie aufgehört hatte. Die göttliche Majestät des Gottessohnes, die die aller geschaffenen Wesen, selbst die der Engel, bei weitem übertrifft, verpflichtet jeden Gläubigen, seinem Wort gehorsam zu sein. Die Tatsache der Erniedrigung Christi, ja sogar sein Tod am Kreuz, berauben ihn keineswegs der ihm gebührenden Herrlichkeit; denn all das geschah zur Vollendung des Erlösungswerkes. Übrigens ist Christus weit über Mose erhaben; denn dieser war nur ein Knecht im Hause Gottes, Christus aber ist der Herr der christlichen Kirche und wird als der wahre Josua sein Volk zur verheißenen Ruhe Gottes führen. Christus ist auch mehr und besser als die Hohepriester des Alten Testaments, denn er hatte keine eigene Sünde zu sühnen, sondern wurde ein Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks durch das Opfer eines vollkommenen Gehorsams. Nach einer eindringlichen Ermahnung, diese Lehre anzunehmen und sich vor dem Abfall zu hüten, wird das Hohepriesteramt Christi ausführlich beschrieben. Er ist der vollkommene Hohepriester, in dem alle priesterlichen Vorbilder des Alten Testaments ihre Erfüllung gefunden haben. Er ist der Vermittler eines besseren Bundes als der der Juden, der nicht das Blut von Tieren opfern musste, sondern durch das Opfer seines eigenen Blutes eine vollkommene Erlösung für alle erwarb. Auf der Grundlage dieser lehrmäßigen Darlegung ermahnt der Autor seine Leser, ihrem Hohenpriester Jesus treu zu sein und nicht von der anerkannten Wahrheit abzuweichen, was das zornige Gericht und die Verurteilung Gottes nach sich ziehen würde. Als große Hilfe für die Standhaftigkeit im Glauben mag das Beispiel der alttestamentlichen Helden dienen, vor allem aber das Gedenken an Christus, der durch bitteres Leiden und Sterben auf den Thron Gottes erhoben wurde, und an Gott, in dessen Hand jede Form von Leiden nur eine nützliche Pein ist. Diese Überlegungen sollten den Lesern neuen Mut machen, sie veranlassen, alles Unreine abzulegen und sich als das wahre Volk des Bundes Gottes zu erweisen. Abschließend gibt es individuelle Ermahnungen, in den verschiedenen christlichen Tugenden zu wachsen, Berichte über persönliche Angelegenheiten, Grußworte und den apostolischen Segen.

 

 

Kapitel 1

 

Christus ist mehr als die Engel (1,1-14)

    1 Nachdem vorzeiten Gott manchmal und mancherlei Weise geredet hat zu den Vätern durch die Propheten, 2 hat er am letzten in diesen Tagen zu uns geredet durch den Sohn, welchen er gesetzt hat zum Erben über alles, durch welchen er auch die Welt  gemacht hat; 3 welcher, da er ist der Glanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort, nachdem er hat gemacht die Reinigung unserer Sünden durch sich selbst, hat er sich gesetzt zu der Rechten der Majestät in der Höhe;

    4 und so viel besser er geworden ist als die Engel, einen umso höheren Namen er vor ihnen ererbet hat. 5 Denn zu welchem Engel hat er jemals gesagt: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt? Und abermals: Ich werde sein Vater sein, und er wird mein Sohn sein? 6 Und abermals, da er einführt den Erstgeborenen in die Welt, spricht er: Und es sollen ihn alle Gottesengel anbeten. 7 Von den Engeln spricht er zwar: Er macht seine Engel Geister und seine Diener Feuerflammen; 8 aber von dem Sohn: Gott, dein Stuhl währt von Ewigkeit zu Ewigkeit; das Zepter deines Reichs ist ein richtiges Zepter. 9 Du hast geliebt die Gerechtigkeit und gehasst die Ungerechtigkeit; darum hat dich, o Gott, gesalbt dein Gott mit dem Öl der Freuden über deine Genossen; 10 und: Du, HERR, hast von Anfang die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. 11 Diese werden vergehen, du aber wirst bleiben; und sie werden alle veralten wie ein Kleid, 12 und wie ein Gewand wirst du sie wandeln, und sie werden sich verwandeln. Du aber bist derselbe, und deine Jahre werden nicht aufhören. 13 Zu welchem Engel aber hat er jemals gesagt: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße? 14 Sind sie nicht allzumal dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben sollen die Seligkeit?

 

    Die vollkommene Offenbarung Gottes in Christus (V. 1-3): Diese einleitenden Worte legen den Grundgedanken des ganzen Briefes dar, den obersten Artikel des Glaubens und der Gottheit Christi, wie Luther schreibt, nicht nur auf der Grundlage einer Tatsache, sondern aus einer großen Anzahl von Tatsachen, die sowohl die Person als auch das Werk Jesu betreffen. In stattlicher Größe wird der Brief eröffnet: An vielen Stellen und auf vielerlei Weise hat Gott vor langer Zeit zu unseren Vätern geredet durch die Propheten, am Ende dieser Tage hat er auch zu uns geredet in seinem Sohn. Auf vielerlei Weise hat Gott von alters her gesprochen: Er gab die Offenbarung des kommenden Heils nicht auf einmal und in seiner Gesamtheit, sondern Stück für Stück, indem er mal die eine, mal die andere Tatsache des kommenden Messias zeigte, indem er zuerst offenbarte, dass er von einer Frau geboren werden würde, dann, dass er aus dem Samen Abrahams stammen würde, dann, dass Juda sein Stammvater sein würde, dann, dass er ein Sohn Davids sein würde; zu anderen Zeiten stellte er sein Amt in seiner tiefsten Erniedrigung dar, dann wieder im höchsten Triumph seiner Erhöhung. Gott sprach in alter Zeit auf vielerlei Weise: manchmal durch die Einsetzung eines Ritus oder Opfers, manchmal durch ein Gleichnis, manchmal in einem Psalm, manchmal in einem Traum oder einer Vision. So sprach Gott zu den Juden in alten Zeiten, in den Zeiten vor langer Zeit. Aber das war nicht seine letzte Rede und Offenbarung. Die vollkommene Offenbarung, die klare Darlegung seines guten und gnädigen Willens gegenüber der Menschheit, soweit es den Menschen möglich ist, ihn durch den Geist Gottes zu erkennen und zu verstehen, kam endlich, am Ende der Tage oder des Zeitalters der Prophetie, in der Fülle der Zeit. Die Offenbarung in und durch Jesus Christus stellt die letzte Zeit und die letzte Art und Weise dar, in der Gott zu uns vor dem Tag des Gerichts sprechen will. Er hat zu uns gesprochen, die wir dieser Zeit, dem christlichen Zeitalter, angehören, wobei der Gegenstand der großen letzten Offenbarung sein eingeborener Sohn Jesus Christus ist, der selbst uns den Vater und den Ratschluss der Liebe des Vaters kundgetan hat.

    Von diesem Sohn, Jesus Christus, gibt der inspirierte Schreiber eine wunderbare Beschreibung: Ihn hat er zum Erben aller Dinge eingesetzt, durch den er auch die Welten gemacht hat. Hier ist zu beachten, dass, wie Luther bemerkt, alles, was von der Erniedrigung und Erhöhung Christi gesagt wird, dem Menschen zugeschrieben werden muss, denn die göttliche Natur kann weder erniedrigt noch erhöht werden. Der Mensch Jesus Christus, der Sohn Gottes nach seiner menschlichen Natur, ist von Gott zum Erben aller Dinge eingesetzt worden. Es war Gottes Wille, dass Christus auch nach seinem Menschsein Herr über alles sein sollte, und dass alles Geschaffene, das ganze Universum, ihm unterworfen und zu seinen Füßen gelegt werden sollte, Ps. 2,8; 8,6; 1. Kor. 15,27; Phil. 2,9-11. Denn als Sohn Gottes ist er auch nach seiner Menschwerdung der rechtmäßige Erbe des ewigen Gottes. Das ist ein Beweis für die Gottheit Christi. Dieser wird aber ergänzt durch die Aussage, dass Gott durch ihn die Welten gemacht hat, alle Teile des Universums, wie wir es kennen, durch seine allmächtige Kraft geschaffen hat, Joh. 1,3; Kol. 1,16. Jesus Christus, die zweite Person der Gottheit, der Person nach vom Vater unterschieden, ist dennoch wesensmäßig mit ihm eins, er selbst ist der Schöpfer der Welt.

    Aber das Thema Wunder ist noch nicht erschöpfend behandelt: Er ist der Glanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens, er trägt alles durch das Wort seiner Kraft, er hat die Reinigung von unseren Sünden vollbracht und hat sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt. Christus ist der Glanz, die Ausstrahlung der Herrlichkeit Gottes, wie wenn Lichtstrahlen aus einem leuchtenden Körper austreten und selbst einen ähnlichen Lichtkörper bilden, ohne jedoch die Helligkeit und Kraft des ursprünglichen Lichts zu vermindern. Es ist die Herrlichkeit Gottes, die strahlende Schönheit seiner Majestät, das wunderbare Wesen Gottes selbst, das der Sohn offenbart. Wer aber mit dem Wesen Gottes so vertraut ist, der muss selbst in die innersten Geheimnisse des göttlichen Wesens eingedrungen und wahrer Gott selbst sein. Er ist auch ein genaues Abbild, das ausdrückliche Ebenbild des göttlichen Wesens und der göttlichen Natur, und jede Eigenschaft und jedes Attribut weist ihn als wahren Gott mit dem Vater aus. Es gibt im Vater nichts, was sich nicht im Sohn wiederfindet; die beiden Personen sind wesensgleich. Deshalb wird von Jesus auch gesagt, dass er alles durch das Wort seiner Kraft trägt und hält. Nicht nur die Schöpfung, sondern auch die Erhaltung und Leitung der Welt, die Vorsehung, wird ihm zugeschrieben, Kol. 1,17. Diese Funktion wurde von Ihm sogar während Seines Lebens auf der Erde ausgeübt; Er hörte nie auf, die Rechte und Vorrechte eines Königs im Reich der Kraft auszuüben. Wichtiger aber ist in den Augen der Gläubigen die Tatsache, dass er auch die Reinigung von unseren Sünden vollbracht hat, indem er sich selbst als angemessenes Sühneopfer für die Sünden der ganzen Welt dargebracht hat, Kol. 1,14; 2,14; 2. Kor. 5,19, und dass sein Versöhnungswerk vom Vater angenommen worden ist, wodurch der Sohn auch nach seiner menschlichen Natur in den vollen und gleichen Besitz des göttlichen Wesens und in die Ausübung seiner Funktionen aufgenommen worden ist, da er sich zur Rechten der Majestät Gottes, des Vaters, gesetzt und die Gott innewohnende souveräne Majestät für sich angenommen hat, Ps. 110,1; Eph. 1,20-22. Christus übt nun die Fülle der göttlichen Macht und Ehre, die universale Herrschaft über alles Geschaffene aus, auch gemäß seiner menschlichen Natur. Wir haben hier also einen weiteren Beweis für die Gottheit Jesu Christi.

 

    Ein Vergleich zwischen Christus und den Engeln (V. 4-14): Nachdem der heilige Schriftsteller zu Beginn die Überlegenheit Christi über alle geschaffenen Wesen im gesamten Universum dargelegt hat, nimmt er die Gelegenheit wahr, zunächst die unermessliche Vortrefflichkeit unseres Herrn im Vergleich zu den besten aller Geschöpfe, den guten Engeln, aufzuzeigen: Er ist den Engeln so weit überlegen, dass er (durch Vererbung) einen vorzüglicheren Namen erhalten hat als sie. Die göttliche Vortrefflichkeit der erhabenen Stellung Christi entspricht der Überlegenheit der Namen, die ihm in der Heiligen Schrift gegeben werden, wobei letztere sofort darauf hinweisen, dass an einen wirklichen Vergleich zwischen dem göttlichen Christus und den geschaffenen Engeln nicht zu denken ist, da Jesus zu einer Klasse für sich selbst gehört.

    Die Aussage über die göttlichen Namen, die Christus gegeben wurden, untermauert der Autor nun durch einen Verweis auf die Heilige Schrift: Denn zu welchem der Engel hat Gott jemals gesagt: „Du bist mein Sohn; heute habe ich dich gezeugt? Und weiter: Ich werde ihm ein Vater sein, und er wird mir ein Sohn sein? Die Worte von Ps. 2,7 sind Teil einer messianischen Prophezeiung und richten sich daher nicht an einen Engel, sondern an den ewigen Sohn Gottes, dessen Inkarnation sein göttliches Wesen in keiner Weise verändert hat. Der Messias selbst, der von den Tagen der kommenden Dispensation prophezeit, behauptet, dass der Vater diese Worte auf ihn angewendet hat. Die Worte der zweiten zitierten Stelle sind nicht, wie Luther zeigt, auf 1. Chron. 22,10 zu beziehen, sondern auf 2. Sam. 7,14 zu beziehen, wo Gott selbst zu David spricht und ihm die Verheißung gibt, dass sein großer Nachkomme, dessen Reich für immer errichtet werden würde, der Messias selbst sein würde. Der Sohn Gottes aber, der von Ewigkeit her aus dem Wesen des Vaters gezeugt wurde, ist selbst wahrer und ewiger Gott. Vgl. Matt. 4,17; 17,5; Joh. 5,17-39.

    Aber nicht nur die göttlichen Namen, die Christus in der Schrift zugeschrieben werden, begründen die Tatsache seiner Gottheit und damit seine unermessliche Überlegenheit gegenüber den Engeln, sondern auch die Tatsache, dass letztere direkt aufgefordert werden, ihm Ehre und Huldigung zu erweisen, wie sie Gott selbst gebührt: Und wiederum, wenn er den Erstgeborenen in die Welt einführt, sagt er: Und alle Engel Gottes sollen ihn anbeten. Der griechische Text kann auch so wiedergegeben werden: Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in die Welt bringt. Der Titel „Sohn“ ist für Jesus, den Messias, reserviert, wie der Verfasser gezeigt hat, und diesen Sohn, den Erstgeborenen des Vaters, sollen die Engel Gottes anbeten. Der Zeitpunkt, auf den er sich bezieht, wenn Christus der bewohnbaren Welt vorgestellt wurde oder den Bewohnern der Welt zum zweiten Mal vorgestellt werden wird, ist entweder der der Auferstehung Christi oder, was wahrscheinlicher ist, der des zweiten Kommens Christi, seines Kommens zum Gericht. In Bezug auf dieses Ereignis zitiert der heilige Schriftsteller eine alttestamentliche Prophezeiung, nicht die von 5. Mose 32,43, sondern die von Ps 97,7, wo die Majestät des erhöhten Christus dargestellt wird. Alle Engel Gottes, die in diesem Fall im hebräischen Text als Götter bezeichnet werden, da sie Geschöpfe mit großer Macht und Autorität sind, sollten sich dennoch in Anbetung vor ihm verneigen; sicherlich ein überwältigender Beweis für seine Gottheit.

    Dieselbe Tatsache wird vom inspirierten Autor durch einen zweiten Vergleich hervorgehoben: Von den Engeln sagt er zwar: Er macht seine Engel zu Geistern und seine Diener zu Feuerflammen; aber vom Sohn sagt er: Dein Thron, o Gott, ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, und ein gerechtes Zepter ist das Zepter deines Reiches. Du hast die Gerechtigkeit geliebt und die Gesetzlosigkeit gehasst; darum hat Gott, dein Gott, dich mit dem Öl der Freude gesalbt, das deine Genossen übertrifft. Die Engel sind in der Tat Boten und Diener Gottes; er gebraucht sie, um ungewöhnliche Störungen in der Natur hervorzurufen; sie sind bei Stürmen und Blitzen zugegen, ob diese nun als gerechte Gerichte und Strafen Gottes oder nur als Zeichen seiner Allmacht gesandt werden, Joh. 5,4; 2. Sam. 24,16.17; Ps. 78,48. Die charakteristischen Funktionen der Engel bestehen nach der zitierten Stelle, Ps. 104,4, darin, dem Herrn zu dienen, und ihre Gestalt und ihr Erscheinen zu einer solchen Zeit hängen vom Willen ihres Meisters ab. In den meisten Fällen verrichten die Engel ihr Werk zweifellos in ihrer eigentlichen, unsichtbaren Natur; aber der Herr hat oft einen Grund, sie sichtbar zu machen, als Menschen, als Blitze und in anderen Formen, von denen die Schrift spricht. Mächtig und mächtig waren die Engel, wie viele Beispiele zeigen, und doch waren sie nur Diener Gottes, deren Rechte und Befugnisse streng begrenzt waren, da sie völlig von ihrem Herrn im Himmel abhängig waren.

    Im Gegensatz zu diesen Eigenschaften treten diejenigen, die dem Sohn zugeschrieben werden, umso deutlicher hervor Alter, auf das der heilige Schreiber Bezug nimmt, Ps. 45,6.7. Dort wird der Messias, Jesus Christus, mit Worten angesprochen, die seine Majestät und Macht als wahrer Gott mit dem Vater vollständig beschreiben. Als wahrer Gott ist sein Thron ein Thron, der für alle Zeiten, für alle Ewigkeit, errichtet ist. Der Autor schreibt Jesus Christus die göttliche Eigenschaft der Ewigkeit zu. Da er einen Thron hat und mit einer Herrschaft betraut ist, schwingt der Messias ein Zepter der Rechtschaffenheit; alle seine Urteile sind richtig und gerecht. Es ist daher bezeichnend für ihn, dass er die Gerechtigkeit geliebt und die Gesetzlosigkeit gehasst hat, beides Eigenschaften, die ihn zum Herrscher des Universums machen. Ob es sich bei der beschriebenen Szene nun um ein Hochzeitsfest oder um die Krönung eines Königs handelt, es ist jedenfalls klar, dass der Messias, Jesus Christus, mit dem Öl der Freude gesalbt worden sein soll, mehr als seine Gefährten oder Kameraden. Die Propheten, Priester und Könige des Alten Testaments wurden zwar auch gesalbt, aber nur mit vergänglichem Öl und für eine kurze Zeit des Dienstes. Der Messias aber wurde vom allmächtigen Gott selbst mit dem Öl der Freude und des Jubels gesalbt, mit den Gaben und Kräften des Heiligen Geistes, die immer dazu bestimmt sind, wahre und dauerhafte Freude in die Herzen aller Gläubigen zu bringen, hier in der Zeit und hier in der Ewigkeit. Jesus ist der wahre Prophet, Hohepriester und König, auf den alle Typen und Beispiele des Alten Testaments hinweisen.

    Und noch eine andere Stelle wird zitiert, um die Gottheit Christi zu belegen: Du, Herr, hast von Anfang an die Erde gegründet, und die Werke Deiner Hände sind die Himmel; sie werden vergehen, Du aber bleibst bestehen, und alle werden wie ein Kleid alt werden, und wie einen Mantel wirst Du sie zusammenrollen, und sie werden verwandelt werden. Du aber bist derselbe, und Deine Jahre haben kein Ende. Schon in alttestamentlicher Zeit galt der Psalm, dem dieser Abschnitt entnommen ist, Ps. 102,12.25-27, als eine Prophezeiung auf den Messias, und hier untermauert der heilige Schreiber diese Auffassung, indem er die Worte auf Christus anwendet. Christus ist es, der mit dem Vater die Welt geschaffen und die Erde gegründet hat; er hat auch die Himmel gemacht und sie an ihren Platz gesetzt. Und er, der allmächtige und ewige Schöpfer, wird bleiben, auch wenn die Himmel und alle Kreaturen alt werden und vergehen, wenn die Himmel im Feuer aufgelöst werden und die Elemente in glühender Hitze schmelzen, 2. Petr. 3,12.13. Sie werden zusammengerollt und ausgetauscht werden wie ein Kleid, ein Schleier oder ein Mantel, und der alte Himmel und die alte Erde werden nicht mehr bekannt sein. Nur Er, der wahre Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, bleibt unverändert, und Seine Jahre werden niemals zu Ende gehen. Jesus Christus ist nicht, wie die Engel, ein bloßer Diener Gottes; auch sind sein Reich, sein Amt, seine Macht und seine Herrlichkeit nicht begrenzt, vergänglich, vorübergehend, wie die Werke der Engel: ewig, allmächtig, unveränderlich steht er da, erhaben über alles Belanglose dieser Welt, wahrer Gott für immer.

    Und noch einen anderen Vers der Heiligen Schrift zitiert der inspirierte Autor: Zu welchem der Engel aber hat Er jemals gesagt. Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel für deine Füße mache? Diese Worte richtete Gott in der Prophezeiung an den Messias, Ps. 110,1, Jesus selbst benutzte das Argument gegen die Pharisäer, Matth. 22,41-46, vgl. Apg. 2,34-36; 1. Kor. 15,25 Das Sitzen zur Rechten Gottes wird ausdrücklich in Eph. 1,20-23 beschrieben und dort auch eindeutig Jesus Christus in seinem Zustand der Erhöhung zugeschrieben. Die endgültige, vollständige Herrschaft Christi wurde von alters her geweissagt und erfüllt sich jetzt in seiner Person, nicht in der eines Engels. Die Stellung der letzteren im Vergleich zu derjenigen Jesu wird kurz und klar beschrieben: Sind sie nicht alle dienende Geister, ausgesandt um derer willen, die das Heil erlangen sollen? Die Engel sind Diener; sie leisten Gott und den Menschen Dienste; sie werden von Gott besonders für die eingesetzt, die das Heil erben sollen, die Gläubigen an Christus. Das ist die Bestimmung derer, die ihr Vertrauen auf Jesus als ihren Retter setzen, das Erbe der Segnungen des Himmels. Und das ist eine ihrer Besonderheiten, dass sie die Engel, die Geister des Lichts, als ihre Diener unter der Leitung Gottes haben. Das ist ein Gedanke, den wir oft übersehen, der uns aber zu jeder Zeit ein großer Trost sein sollte. Zugleich aber ist diese Stellung und dieser Dienstzustand, den die Engel einnehmen, ein eindeutiger und unanfechtbarer Beweis für die Überlegenheit des Messias, Jesus Christus, wahrer Gott mit dem Vater und dem Heiligen Geist.[1]

 

Zusammenfassung: Der Autor zeigt, dass die vollkommene Offenbarung der Zeitalter in der Person Jesu Christi, wahrer Gott und Mensch, stattgefunden hat, der den Engeln, so mächtige Geister sie auch sein mögen, weit überlegen ist, und untermauert seine Argumente mit vielen Stellen aus dem Alten Testament.

 

 

Kapitel 2

 

Ein freudiger Gehorsam gegenüber Christus ist nötig (2,1-13)

    1 Darum sollen wir desto mehr achtgeben auf das Gehörte, damit wir nicht [vom Ziel] abgelenkt werden. 2 Denn so das Wort fest geworden ist, das durch die Engel geredet ist, und eine jegliche Übertretung und Ungehorsam hat empfangen seinen rechten Lohn: 3 Wie wollen wir entfliehen, wenn wir eine solche Seligkeit nicht achten? Welche, nachdem sie zuerst gepredigt ist durch den HERRN, ist sie auf uns gekommen durch die, so es gehört haben. 4 Und Gott hat ihr Zeugnis gegeben mit Zeichen, Wundern und mancherlei Kräften und mit Austeilung des Heiligen Geistes nach seinem Willen.

    5 Denn er hat nicht den Engeln untertan die zukünftige Welt, davon wir reden. 6 Es bezeugt aber einer an einem Ort und spricht: Was ist der Mensch, dass du sein gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du ihn heimsuchst? 7 Du hast ihn eine kleine Zeit niedriger als die Engel gemacht; mit Preis und Ehren hast du ihn gekrönt und hast ihn gesetzt über die Werke deiner Hände; 8 alles hast du untertan zu seinen Füßen. In dem, dass er ihm alles hat untertan, hat er nichts gelassen, das ihm nicht untertan sei; jetzt aber sehen wir noch nicht, dass ihm alles untertan sei. 9 Den aber, der eine kleine Zeit der Engel gemangelt hat, sehen wir, dass es Jesus ist, durch Leiden des Todes gekrönt mit Preis und Ehren, damit er von Gottes Gnaden für alle den Tod schmeckte.

    10 Denn es ziemte dem, um deswillen alle Dinge sind, und durch den alle Dinge sind, der da viele Kinder hat zur Herrlichkeit geführt, dass er den Herzog ihrer Seligkeit durch Leiden vollkommen machte. 11 Da sie alle von einem kommen, beide, der da heiligt, und die da geheiligt werden. Darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu heißen, 12 und spricht: Ich will verkündigen deinen Namen meinen Brüdern und mitten in der Gemeinde dir Lob singen. 13 Und abermals: Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen. Und abermals: Siehe da, ich und die Kinder, welche mir Gott gegeben hat.

 

    Die Herrlichkeit der Evangeliumsbotschaft (V. 1-4): Der Verfasser hat im ersten Kapitel die Überlegenheit des Sohnes gegenüber den Engeln bewiesen, indem er ihn als den ewigen und allmächtigen Schöpfer des Universums darstellte, gleich an Majestät und Herrlichkeit mit Gott, dem Vater, selbst. Aus diesen Tatsachen leitet er nun eine Warnung vor der Vernachlässigung des Heils ab, wie es vom Herrn selbst verkündet und von Gott in verschiedenen Wundern und Gaben des Heiligen Geistes bezeugt wird: Deshalb ist es notwendig, dass wir die Worte, die wir gehört haben, genauer beachten, damit wir nicht vielleicht abschweifen. Anstatt das Evangelium beim Namen zu nennen, umschreibt er den Begriff und erinnert seine Leser an das, was sie gehört haben, an das große Heil, das der Herr selbst verkündet und die Apostel und Evangelisten in die Welt getragen haben. Es ist nicht die Absicht des Schreibers, neue Wahrheiten vorzubringen, sondern alle Menschen dazu zu bringen, das zu bewahren, was von den Dienern Gottes von Anfang an verkündet worden ist. Denn alle Gläubigen sind verpflichtet, diesen Worten die größte Aufmerksamkeit zu schenken und sie mit allem Eifer zu beherzigen. Denn wenn wir uns die Worte entgleiten lassen, wenn wir uns von ihnen entfernen, werden wir im Leben ohne Halt sein, wie die Wolken und Wellen, die von jedem Wind hin und her getrieben werden. Es ist absolut notwendig, dass wir durch die Kraft Gottes einen festen Halt am Evangelium und an der Rettung, die im Evangelium angeboten wird, festhalten, Phil. 2,12.

    Diese Warnung bekräftigt der heilige Schreiber durch einen Vergleich zwischen dem Wort des Lam und der Verkündigung des Evangeliums: Denn wenn das Wort, das durch die Engel gesprochen wurde, sich als sicher erwiesen hat und jede Übertretung und jeder Ungehorsam eine gerechte Strafe erhalten hat, wie sollen wir dann entkommen, wenn wir eine so große Rettung vernachlässigen? Das Gesetz wurde den Kindern Israels durch die Anordnung von Engeln gegeben, Apg. 7,53, wobei der Herr diese Diener einsetzte, um den Menschen seinen Willen inmitten des Donners, des Blitzes und des Bebens auf dem Berg Sinai kundzutun. Dieses Wort des Gesetzes hatte außerdem Bestand, es erwies sich als gewiss und sicher, es war Gottes Wille, dass es von seinem Volk gehalten werden sollte. Als Zeichen dafür hat Gott jede Übertretung seines heiligen Gesetzes, jedes absichtliche Abweichen und Vernachlässigen, jeden Ungehorsam mit der gebührenden Strafe belegt, mit dem Lohn, den die Gerechtigkeit fordert. Sowohl die Weigerung, ein positives Gebot zu befolgen, als auch die Vernachlässigung des Gehorsams wurden vom Herrn mit der gleichen strengen Rache geahndet. Wenn dies aber bei jener Lehre der Fall war, deren Hauptfunktion eine vorbereitende war, deren Charakter vergänglich war, welche Chancen haben wir dann, dem Zorn Gottes und dem Endgericht zu entgehen, zu denen Gott durch den Sohn gesprochen hat, die wir die volle Offenbarung der Gnade und Barmherzigkeit Gottes in Christus Jesus im Wort des Evangeliums haben? Wenn wir das große und wunderbare Heil, das uns verkündet wurde, die wunderbare Botschaft von unserer Erlösung in Christus, vernachlässigen würden, wenn wir das, was wir als den einzigen Weg zum Himmel kennen, absichtlich beiseite lassen und verachten würden, gäbe es für uns keine Entschuldigung, wenn der Herr uns am letzten Tag zur Rechenschaft zieht.

    Diese Heilsbotschaft wird weiter beschrieben: Sie wurde ursprünglich vom Herrn gesprochen und uns von denen, die ihn hörten, bestätigt, wobei Gott zugleich ihr Zeuge war, durch Zeichen und Wunder und verschiedene Kräfte und Ausgießungen des Heiligen Geistes nach seinem Willen. Der inspirierte Autor wendet sich an Menschen, die den Herrn Jesus nicht persönlich gesehen haben, sondern die herrliche Nachricht des Evangeliums aus dem Mund derer erhalten haben, die das Glück hatten, ihn zu hören, als er den Weg zur ewigen Seligkeit und Herrlichkeit lehrte. Diese Männer, die Apostel und Evangelisten, hatten die Wahrheit der Botschaft, die sie verkündeten, bestätigt; sie hatten die unzweifelhafteste Gewissheit über die Wahrhaftigkeit und Bedeutung des Evangeliums gegeben. Darüber hinaus hatten sie ein solches Zeugnis zur Bestätigung ihrer Verkündigung erhalten, dass die Zustimmung aller Menschen geradezu gefordert wurde; denn Gott selbst hatte für sie Zeugnis abgelegt, hatte ihre Behauptungen durch Zeichen und Wunder und verschiedene Kräfte untermauert, Mark. 16,20. Die Wunder, die die Apostel vollbrachten, waren ein Beweis für die Gegenwart Gottes, sie machten auf die Macht Gottes aufmerksam, die durch diese Männer wirkte. Und der Herr bestätigte die Predigt seiner Diener nicht nur durch solche Wunder, die offensichtlich den Lauf und die Gesetze der Natur außer Kraft setzten, sondern auch durch solche besonderen Austeilungen und Gaben des Heiligen Geistes, Röm. 12,3; 1. Kor. 7,17, die einen unbestreitbaren Beweis für die Gegenwart Gottes in ihnen gaben. Alle diese Fälle der wunderbaren Bestätigung der Botschaft des Evangeliums geschahen nach Gottes eigenem Willen, da er es für nötig hielt, die Wahrheit des Evangeliums zu bezeugen, Eph. 4,17; 1. Kor. 12,11. So sprach der heilige Schreiber zu den Judenchristen, die in Gefahr waren, das gesegnete Evangelium Christi um des Gesetzes willen zu vernachlässigen, dessen untergeordnete Stellung in jeder Hinsicht offensichtlich war. Vgl. 2. Kor. 3,7-16.

    Ein weiteres Argument für die Überlegenheit von Christi Wort (V. 5-9): Neben dem ersten Beweis für die Überlegenheit Christi und seines Evangeliums bringt der inspirierte Verfasser nun einen weiteren Grund: Denn nicht den Engeln hat er die künftige Welt unterworfen, von der wir sprechen. Dies ist der positive Beweis für die Souveränität des Sohnes, die Tatsache, dass die Regierung und Verwaltung der zukünftigen Welt, des Reiches der Herrlichkeit, ihm zugeschrieben wird. Denn Gott hat dieses wunderbare Reich nicht in die Gewalt der Engel gegeben; dafür gibt es keine einzige Stelle in der Heiligen Schrift und keinen anderen Beweis.

    Was wir in Bezug auf das Reich der Gnade und der Herrlichkeit und seine Regierung glauben müssen, geht eindeutig aus der Stelle hervor, die der heilige Schreiber zitiert, Ps. 8,4-6, als das Zeugnis eines einzigen, nämlich des Propheten David, über die hier von ihm erörterten Tatsachen: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, oder der Menschensohn, dass du ihn besuchst? Für eine kleine Weile hast du ihn niedriger gemacht als die Engel; mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn gekrönt und ihn über die Werke deiner Hände gesetzt; alles hast du ihm unter seine Füße gelegt. Der Autor stellt hier klar, dass Ps. 8 ein messianischer Psalm ist und dass diese Worte von Jesus Christus gesprochen werden. Vgl. 1. Kor. 15,27; Eph. 1,22. Gott hat sich dieses Menschensohnes wahrhaftig in ganz außerordentlicher Weise angenommen, und zwar zum Wohl der ganzen Menschheit: Er hat ihn in einer Weise besucht, die zum Heil aller Menschen geführt hat. Es ist wahr, dass Christus in seinem Zustand der Erniedrigung eine Zeit lang den Engeln unterlegen war, so wie er auch unter den Menschen keine Gestalt und kein Aussehen hatte, Jes. 53,2. Aber als das Erlösungswerk vollendet war, krönte Gott den ehemals verachteten Jesus mit göttlicher Ehre und Herrlichkeit; er erhob ihn gemäß seiner menschlichen Natur in den vollen Besitz und Genuss aller göttlichen Eigenschaften und Kräfte und gab ihm uneingeschränkte Autorität über alle Werke der Schöpfung, über alle geschaffenen Wesen. Das gesamte Universum mit allem, was es enthält, ist Ihm untertan.

    Der Verfasser zieht nun eine Schlussfolgerung aus dieser Schriftstelle: Indem er sich alles untertan machte, ließ er nichts übrig, was ihm nicht untertan war. Daraus folgt natürlich, dass auch die Engel Christus unterworfen sind, dass sie sich in keiner Weise mit ihm an Macht und Autorität vergleichen können. Eph. 1,21.22; Kol. 2,10. Das ist in der Tat wahr: Aber jetzt sehen wir noch nicht, dass ihm alles unterworfen ist, 1 Kor. 15, 24-27; die Offenbarung der Fülle der göttlichen Macht Christi, wie er es den Juden im Hofe des Kaiphas sagte, ist eine Sache der Zukunft: sie wird am letzten Tag vor den Augen aller Menschen erscheinen. In der Zwischenzeit hat unser Glaube jedoch eine gewisse Grundlage: Jesus, der für eine kleine Weile niedriger war als die Engel, die wir sehen, wurde um seines Todesleidens willen mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, damit er durch die Gnade Gottes den Tod für alle Menschen schmecken konnte. Jesus Christus, der Sohn Gottes, hat in seinem Zustand der Erniedrigung die Leiden der Menschen auf sich genommen und schließlich sein Leben im Tod hingegeben. Auf diese Weise wurde der Menschheit die Gnade Gottes offenbart, denn Christus hat für jeden einzelnen Menschen und zur Erlangung des vollständigen Heils für alle Menschen die Bitterkeit des Todes geschmeckt, Röm. 5,8; Gal. 2,21. Dieser vollkommene Gehorsam des Erlösers ist nun anerkannt und belohnt worden durch die Verleihung der göttlichen und ewigen Herrlichkeit und Ehre, Phil. 2,6-11; Eph. 1,20-23; Matth. 28, 18. Ebenso sicher ist es, dass sich am Ende zeigen wird, dass Gott alles unter seine Füße gestellt hat. Wenn wir die Reihenfolge der Satzteile unverändert lassen wollen und an die Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit denken, die Christus auf dem Berg der Verklärung zuteil wurde, ist die Erklärung fast ebenso einfach: „Er wurde ein wenig niedriger gemacht als die Engel, um den Tod zu erleiden; aber er wurde mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, damit eben dieser Tod alle Menschen zu der Herrlichkeit der Überlegenheit bringe, die ihnen zusteht, wenn die Furcht vor dem Tod beseitigt ist.“[2]

 

    Die Demütigung des Sohnes rechtfertigte (V. 10-13): Es war zu erwarten, dass die menschliche Vernunft an dieser Stelle einen Einwand erheben würde, weil sie die Notwendigkeit einer solchen Erniedrigung, des Leidens und Sterbens Christi nicht versteht. Aber die Antwort ist eindeutig: Ihm, um dessentwillen alles ist und durch den alles entstanden ist, dem, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, kam es zu, den Fürsten ihres Heils durch Leiden vollkommen zu machen. Der Weg mag dem natürlichen Menschen fremd erscheinen, den Juden ein Stein des Anstoßes und den Griechen ein Ärgernis, aber das ist der Weg, den Gott, für den und durch den das Universum existiert und erhalten wird, in seiner Weisheit gewählt hat. Es war ein Weg, der gut zum Wesen und zu den Eigenschaften des großen Gottes passte, des Schöpfers und Erhalters aller Dinge im Himmel und auf Erden, desjenigen, der die Liebe ist und dessen Gnade schon in der Zeit vor Christus viele einfache Gläubige zum Segen der ewigen Herrlichkeit geführt hatte. Es war angemessen, dass dieser Gott unseres Heils Jesus Christus, den Fürsten unseres Heils, den Mann, der der Urheber und Vollender unseres Glaubens ist, Kap. 12,2, durch Leiden vervollkommnet, vollendet und verherrlicht, durch Leiden und Tod. Das Werk Christi hätte niemals jene Vollkommenheit erreicht, die seine Segnungen für alle Menschen verfügbar macht, wenn es nicht auf die im Evangelium beschriebene Weise vollbracht worden wäre.

    Die nächsten Verse enthalten einen Beweis dafür: Denn der, der heiligt, und die, die geheiligt werden, sind alle eins; darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu nennen, indem er sagt: Ich will meinen Brüdern deinen Namen verkünden, mitten in der Kirche will ich dir Loblieder singen; und wiederum: Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen; und wiederum: Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat. Der, der heiligt, Jesus Christus, und die, die geheiligt, Gott geweiht sind, die Kinder Gottes durch den Glauben an Christus Jesus, sind alle von einem, von dem einen Vater oben, Joh. 20,17. Und der Herr Jesus schämt sich nicht, diese Verwandtschaft anzuerkennen und den daraus erwachsenden Verpflichtungen nachzukommen. Er tat dies sogar in der Prophetie des Alten Testaments, als er die Gläubigen seine Brüder nannte, Ps. 22,22, oder als er als Mitglied der Gemeinde der Gläubigen sprach und ihren und seinen gemeinsamen Glauben an Gott zum Ausdruck brachte, Ps. 18,2; Jes. 12,2, oder wenn er als Fürsprecher für seine Brüder vor Gott trat und sie als die Kinder bezeichnete, die der Herr ihm gegeben hatte, Jes. 8,18. Dieses Verhalten Christi zeigt, warum es für Gott völlig angemessen und richtig war, den Weg der Erlösung durch sein Blut als den Weg zum Himmel für alle Menschen zu wählen. Dieser Gedanke wird nun zum Gegenstand eines besonderen Abschnitts gemacht.

 

Die Befreiung, die Christus bewirkt hat (2,14-18)

    14 Weil nun die Kinder Fleisch und Blut haben, ist er’s gleichermaßen teilhaftig worden, damit er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes Gewalt hatte, das ist, dem Teufel, 15 und erlöste die, so durch Furcht des Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten. 16 Denn er nimmt nicht die Natur der Engel an, sondern den Samen Abrahams nimmt er anB. 17 Daher musste er in allen Dingen seinen Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu versöhnen die Sünde des Volks. 18 Denn darin er gelitten hat und versucht ist, kann er helfen denen, die versucht werden.

 

    Dieser Abschnitt steht in engem gedanklichen Zusammenhang mit dem vorangegangenen Argument, denn er schließt den Beweis für die Notwendigkeit des stellvertretenden Werkes Christi ab. Christus hat die Gläubigen als Brüder anerkannt, auch in der messianischen Prophezeiung. Im Zusammenhang mit diesem Gedanken argumentiert der Autor: Da nun die Kinder Blut und Fleisch gemeinsam haben, ist auch er selbst ihrer teilhaftig geworden, um durch den Tod den zu beseitigen, der die Macht des Todes, d. h. des Teufels, hat, und die zu befreien, die durch die Furcht vor dem Tod ihr ganzes Leben lang in Knechtschaft waren. Die Bruderschaft Christi mit den Menschen schloss Inkarnation und Tod ein. Die Kinder, die menschlichen Brüder, mit denen sich der Sohn Gottes nach dem ewigen Ratschluss der Liebe identifizieren wollte, waren den Bedingungen unterworfen, die sich aus ihrem Besitz von Fleisch und Blut ergaben; und da ihre Natur von der Sünde durchdrungen war, waren sie alle zur Auflösung und zum Tod verurteilt. Da es aber das Ziel Christi war, die Menschen vor dem sicheren Verhängnis zu retten, das sie erwartete, nahm er in ähnlicher Weise, d. h. mit Ausnahme der Sünde, das Fleisch und Blut einer wahren menschlichen Natur auf sich, verbunden mit seiner göttlichen Natur: durch seine Inkarnation wurde er ein wahrer Mensch nach Leib und Seele. Auf diese Weise wurde Christus die Möglichkeit gegeben, den Teufel, der die Macht über den Tod hatte, außer Gefecht zu setzen, ihn zu zermalmen, ihn machtlos zu machen. Dies tat Christus durch seinen eigenen Tod; indem er sein Leben als Lösegeld für die Übertretungen der ganzen Welt hingab, vernichtete er die Macht des Teufels. So befreite und entließ er alle Menschen aus ihrer furchtbaren Sklaverei, die während ihres ganzen irdischen Lebens durch ihre Todesfurcht gefesselt und in Ketten gehalten worden waren. Wir haben hier zum einen ein Bild des natürlichen Loses und Zustandes aller Menschen. Sie werden von Satan in der erbärmlichsten und schändlichsten Knechtschaft gehalten. Indem er die Menschen an ihre Sünden erinnert, indem er als ständiger Ankläger aller Menschen auftritt, erzeugt er in ihnen die Furcht vor der Strafe des Todes. Ohne die Gewissheit der Erlösung durch Christus ist diese Knechtschaft und Furcht im Herzen eines jeden Menschen von Natur aus vorhanden. Und wer nichts von Christi Sühnetod weiß oder die Tatsache seiner Erlösung durch das Blut Jesu nicht annehmen will, der hat nur ein Schicksal zu erwarten, nämlich das der ewigen Verdammnis in einem endlosen, grausamen Tod. Aber auf der anderen Seite gibt es hier ein Bild von wunderbarer Schönheit und Trost. Denn wer im wahren Glauben auf Christus als seinen Erlöser schaut, der weiß, dass die Macht des Teufels gebrochen ist und dass der Tod, die ehemals stärkste Waffe in den Händen Satans, um die Menschen einzuschüchtern und in seiner Gewalt zu halten, ihren Schrecken verloren hat. Wir sind befreit, erlöst, erlöst durch das Sühnewerk unseres Stellvertreters, Jesus Christus. Das ist die Bedeutung des Werdegangs Christi für uns. Diese Erlösung wurde dadurch möglich, dass der Sohn Gottes, während er noch im Schoß des Vaters war, unser Fleisch und Blut wurde. Ein Kommentator drückt es so aus: „Für Ihn, der in seiner Sündlosigkeit jede Schwäche der Sterblichkeit erfahren hat, ohne seine ungebrochene Kraft der Gemeinschaft mit Gott zu schmälern, ist der Tod nicht das gefürchtete Zeichen der Trennung von Gottes Gnade, sondern ein Schritt in seiner göttlich bestimmten Laufbahn: nicht etwas, das Ihm gegen seinen Willen auferlegt wurde, sondern ein Mittel, mit dem Er bewusst und gewollt seine Berufung als Erlöser vollendet.“

    Die Erniedrigung Christi, einschließlich des Höhepunkts seines schändlichen Todes am Kreuz, war also durch die Erfordernisse der Situation vollkommen gerechtfertigt. Es ist also offensichtlich, was der Verfasser weiter ausführt: Denn es sind gewiss nicht Engel, die er errettet, sondern die Nachkommen Abrahams. Weder die guten Engel, die sündlose und geistige Wesen sind, noch die bösen Engel, die geistige Wesen sind, die nicht zurückgefordert werden können, sind in die Erlösung von Fleisch und Blut, wie sie von Christus vollzogen wird, einbezogen. Da der Brief an Judenchristen gerichtet ist, spricht der Verfasser von den Nachkommen Abrahams, wie er sonst alle Menschen bezeichnen würde. Vgl. Röm. 15,4-12. Indem Christus das Erlösungswerk auf sich nahm und vollbrachte, wie er es tat, brachte er der ganzen Menschheit ewige Hilfe und Rettung.

    Der inspirierte Autor fasst daher zusammen: Darum musste er in allem seinen Brüdern ähnlich werden, damit er ein barmherziger und treuer Hoherpriester in Sachen Gottes werde, um die Sünden des Volkes zu versöhnen; denn da er selbst gelitten hat und versucht wurde, kann er denen helfen, die versucht werden. Weil Gottes Ratschluss der Liebe über alle Menschen ging, weil es Christi Absicht war, allen ohne Ausnahme das Heil zu bringen, darum war es notwendig, dass er seinen Brüdern ähnlich wurde, dass er ein wahrer Mensch wurde, der seinen Brüdern in jeder Hinsicht glich, außer der, dass er sündlos war. Als wahrer Mensch, der wie alle anderen Menschen in der Welt Fleisch und Blut besaß, konnte Christus in das rechte Verständnis des menschlichen Elends und der Schwäche eintreten; Er konnte ein wahrhaft barmherziger und treuer Hoherpriester in allen Dingen werden, die vor den Herrn gebracht werden mussten; Er konnte für die Sünden aller Menschen Sühne leisten. Wie der Hohepriester des Alten Testaments das Opfer des großen Versöhnungstages im Namen und im Auftrag des ganzen Volkes darbrachte, so hat Jesus ein Opfer gebracht, das eine vollkommene, eine ewige Sühne für die Sünden aller Menschen bis zum Ende der Zeit bewirkt hat. Denn weil er selbst gelitten hat und an seinem Leib das Leiden und den Fluch der Sünden aller Menschen trug, weil er vor allem die Versuchungen des Satans erleiden musste, nicht nur in der Wüste, sondern in allen Intrigen der feindlichen Juden, und besonders in seiner letzten großen Passion, deshalb ist der Beistand, den er uns, seinen Brüdern, leisten kann, keine oberflächliche und erzwungene Hilfe, sondern ein williger und liebevoller Dienst. Wie groß auch die Versuchungen sein mögen, die uns bedrängen, so besteht doch unser untrüglicher Trost darin, dass Christus, unser Hoherpriester, jetzt auch unser Fürsprecher beim Vater ist und vor der ewigen Gerechtigkeit darauf drängt, dass er das Sühnopfer für die Sünden der ganzen Welt ist, 1. Joh. 2,1.2. So hat der heilige Schreiber gezeigt, dass es in der Tat angemessen war, dass Gott seinen Sohn auf diese Weise zum Opfer machte, dass er den einzigen Weg wählte, durch den der in Sünde verlorenen Welt die Erlösung gebracht werden konnte.

 

Zusammenfassung: Der inspirierte Autor setzt seine Argumentation über die Souveränität Christi über alle Geschöpfe, einschließlich der Engel, fort und betont die Notwendigkeit des fröhlichen Gehorsams gegenüber dem Herrn, wobei er nebenbei zeigt, dass der Weg der Erlösung, den Gottes Rat der Liebe beschlossen hat, der einzig gangbare Plan war.

 

 

Kapitel 3

 

Christus ist mehr als Mose (3,1-19)

    1 Deshalb, ihr heiligen Brüder, die ihr mit berufen seid durch die himmlische Berufung, nehmt wahr den Apostel und Hohenpriester, den wir bekennen, Christus Jesus, 2 der da treu ist dem, der ihn gemacht hat (wie auch Mose) in seinem ganzen Haus. 3 Dieser aber ist größerer Ehre wert als Mose, nachdem der eine größere Ehre am Hause hat, der es bereitet, als das Haus. 4 Denn ein jegliches Haus wird von jemand bereitet; der aber alles bereitet, das ist Gott. 5 Und Mose zwar war treu in seinem ganzen Haus als ein Knecht, zum Zeugnis des, das gesagt sollte werden; 6 Christus aber als ein Sohn über sein Haus; welches Haus sind wir, wenn wir denn das Vertrauen und den Ruhm der Hoffnung bis ans Ende fest behalten.

    7 Darum, wie der Heilige Geist spricht: Heute, wenn ihr hören werdet seine Stimme, 8 so verstockt eure Herzen nicht, wie geschah in der Verbitterung, am Tag der Versuchung in der Wüste, 9 da mich eure Väter versuchten; sie prüften mich und sahen meine Werke vierzig Jahre lang; 10 darum ich entrüstet wurde über dies Geschlecht und sprach: Immerdar irren sie mit dem Herzen, aber sie wussten meine Wege nicht, 11 dass ich auch schwur in meinem Zorn, sie sollten zu meiner Ruhe nicht kommen. 12 Seht zu, liebe Brüder, dass nicht jemand unter euch ein arges, ungläubiges Herz habe, das da abtrete von dem lebendigen Gott, 13 sondern ermahnt euch selbst alle Tage, solange es heute heißt, dass nicht jemand unter euch verstockt werde durch Betrug der Sünde. 14 Denn wir sind Christi teilhaftig geworden, wenn wir denn das angefangene Wesen bis ans Ende fest behalten,

    15 solange gesagt wird: Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht, wie in der Verbitterung geschah. 16 Denn etliche, da sie hörten, richteten eine Verbitterung an, aber nicht alle, die von Ägypten ausgingen durch Mose. 17 Über welche aber wurde er entrüstet vierzig Jahre lang? Ist’s nicht so, dass über die, so da sündigten, deren Leiber in der Wüste verfielen? 18 Welchen schwur er aber, dass sie nicht zu seiner Ruhe kommen sollten, wenn nicht den Ungläubigen? 19 Und wir sehen, dass sie nicht haben können hineinkommen um des Unglaubens willen.

 

    Christus verglichen mit Mose (V. 1-6): Nachdem der heilige Schriftsteller die Überlegenheit Christi über die Engel gezeigt hat, fährt er fort, die Treue seiner Leser zu stärken, indem er Christus als den endgültigen Vermittler vorstellt. Die Engel waren zwar Vermittler Gottes in der Anordnung des Gesetzes und von großer Macht in den Naturgewalten, konnten sich aber nicht mit dem Herrn der Engel vergleichen. Das Gleiche wird nun in Bezug auf den irdischen Vermittler des Gesetzes bewiesen: Darum, heilige Brüder, Mitarbeiter der himmlischen Berufung, achtet wohl auf den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, Christus Jesus, der dem treu war, der ihn eingesetzt hat, wie auch Mose in seinem ganzen Hause. Der inspirierte Autor geht hier offensichtlich auf die erste Aussage seines Briefes zurück, nämlich dass Gott sein letztes und erlösendes Wort durch seinen Sohn Jesus Christus gesprochen hat. Das sollten sich die Leser gut merken, weshalb sie durch die Bezeichnung "heilige Brüder", die der Verfasser auf sie anwendet, zärtlich ermahnt und ermutigt werden. Alle Christen sind heilig, geheiligt, Gott geweiht aufgrund des Glaubens, der in ihren Herzen entzündet wurde. Aufgrund dieser Tatsache sind sie auch Gefährten des Schreibers, die mit ihm in der himmlischen Berufung verbunden sind. Durch die Berufung Gottes im Evangelium haben sie tatsächlich Anteil an allen himmlischen Schätzen und Segnungen, Kol. 1,5. Dadurch sind die Leser auch in der Lage, Christus in der richtigen Weise zu betrachten, den Umfang seines Amtes zu erkennen, die Größe seiner Würde wenigstens ansatzweise zu verstehen. Denn er ist wahrhaftig von Gott zum Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses gemacht und eingesetzt worden. Er wurde von Gott mit der Botschaft unseres Heils ausgesandt, er wurde dazu bestimmt, unser Hoherpriester und unser Opfer am und auf dem Altar des Kreuzes zu sein. Das bekennen und preisen wir, die wir glauben, frei und gern. Die besondere Qualifikation Jesu für dieses wichtige Amt, auf die wir und alle Gläubigen unser Augenmerk richten sollten, ist seine Treue oder Vertrauenswürdigkeit. Es war die Treue des Sohnes zum Gehorsam des Vaters. Mose war in der Tat auch treu im Hause Gottes, in der Versammlung der Gläubigen des Alten Testaments, in der Kirche des Herrn. Dieses Zeugnis gab ihm Gott selbst, als er noch lebte, 4. Mose 12,7. Schon hier deutet die Struktur des Satzes, wenn nicht die Worte selbst, darauf hin, dass die Treue des Mose nicht wirklich mit der von Christus verglichen werden kann.

    Dieser Gedanke wird vom Schreiber noch stärker untermauert: Denn größerer Herrlichkeit als Mose ist dieser Mensch würdig, so wie der, der ein Haus errichtet, größer ist als das Haus. Denn jedes Haus wird von irgendjemandem errichtet, aber der, der alles errichtet, ist Gott. Mit Nachdruck sagt der Verfasser „dieser Mensch“, denn er bezieht sich auf den großen Gott und Menschen in einer Person, der eine wahre menschliche Natur annahm, um das Heil für die ganze Welt zu erlangen. Er ist von Gott zu größerer Ehre als Mose bestimmt worden, wobei die größere Ehre in der bedeutenderen Stellung gesehen wird, die er bei der Verwirklichung des göttlichen Heilsplanes einnimmt. Was den Wert und die Würde von Christus bzw. Mose betrifft, so besteht derselbe Unterschied wie zwischen einem Mann, der ein Haus errichtet und für den Einzug vorbereitet, und dem Haus selbst. Der Mann, der ein Haus plant, es baut und mit allen notwendigen Utensilien für einen gut geführten Haushalt ausstattet, ist größer als der Haushalt in seinem Zustand im Haus. Derjenige aber, der das Haus Gottes, die Kirche in ihrer ganzen Fülle, baut, herrichtet und ausstattet, ist Jesus Christus, der somit mit dem Erbauer des Hauses der Kirche, mit Gott selbst, identifiziert wird, während Mose nur als ein Teil des Hauses betrachtet wird. In Form eines Sprichworts fügt der Autor hinzu, dass jedes Haus natürlich jemanden hat, der den Bau und die Ausstattung plant, wobei Jesus Christus in diesem Fall der Baumeister des Baus der Kirche ist. Da Gott jedoch der Urheber und Schöpfer aller Dinge ist, folgt daraus, dass Christus auf einer Stufe mit Gott steht und viel mehr Ehre verdient als Mose.

    Das Argument wird in den nächsten Versen fortgesetzt: Und Mose war zwar treu in seinem ganzen Hause als Diener, zu einem Zeugnis der Dinge, von denen geredet werden sollte; Christus aber ist wie ein Sohn über sein Haus, dessen Haus wir sind, wenn wir unsere Zuversicht und den Ruhm unserer Hoffnung festhalten bis ans Ende. Dies ist kein unwilliges Zugeständnis, sondern ein williges Lob des Mose. Er war in jeder Abteilung des Hauses Gottes, in jedem Bereich seines schwierigen Dienstes treu. Aber er war doch nur im Hause Gottes, nur in der Versammlung der Gläubigen, als Diener Gottes, als Diener der heiligen Dinge. Was das Volk, die Kinder Israels, betrifft, so war die Tatsache, dass Gott selbst die Treue des Mose bezeugt hatte, auch die Garantie für die Vertrauenswürdigkeit des Berichts und der Botschaft, die er von dem gab, was der Herr auf dem Berg zu ihm gesprochen hatte. Das Gesetz, so wie er es predigte, war in der Tat das Wort Gottes, und als solches diente es in der Kirche des Alten Testaments einem ganz bestimmten Zweck. Aber Christus ist mehr. Als Sohn Gottes steht er über dem Haus, er ist der Herr über die Struktur der Kirche, zu der, wie der Autor hervorhebt, wir und alle Gläubigen gehören. Wir sind Glieder der Kirche Gottes und Christi, wenn wir bis zum Ende treu bleiben, wenn wir mit allem zuversichtlichen Rühmen an der Hoffnung unseres Heils bis zum Ende festhalten. Die Hoffnung der Christen ist nicht eine unbeständige, unsichere Größe, die jeder Gefühlsschwankung unterworfen ist, sondern sie ist, da sie in den Verheißungen des Herrn gegründet ist, eine fröhliche Zuversicht, ein stilles Rühmen, dass ihnen eine Krone der Gerechtigkeit aufbewahrt ist, die der Herr ihnen am letzten Tag geben wird, 2. Tim. 4,8. Im wahren Christen gibt es kein Selbstvertrauen, keine Selbstgenügsamkeit, sondern nur ein unerschütterliches Vertrauen auf die Liebe und Macht Gottes. „Die Hoffnung des Christen auf ein himmlisches Erbe, auf eine vollendete Gemeinschaft mit Gott, sollte so sicher sein, dass sie sich selbstbewusst verkündet und, statt sich zu schämen, die Zukunft rühmt, die sie vorwegnimmt. Und diese Haltung muss beibehalten werden, bis Schwierigkeiten und Prüfungen vorüber sind und die Hoffnung zum Besitz geworden ist.“[3]

 

    Eine warnende Lektion aus der Geschichte Moses (V. 7-14): Der letzte Gedanke im ersten Abschnitt des Kapitels war der des beharrlichen Glaubens und Vertrauens in Erwartung der freudigen Verwirklichung unserer Hoffnung am jüngsten Tag. Der heilige Schreiber möchte nun die Notwendigkeit dieser Treue zur Erlangung des Preises hervorheben und bezieht sich zu diesem Zweck auf die Reise der Kinder Israels durch die Wüste und einige der wichtigsten Ereignisse der vierzig Jahre, die zu dieser Reise gehörten. Er zitiert Ps. 95,7-11 und erklärt gleichzeitig, dass es der Heilige Geist war, dem die dort geschriebenen Worte als dem eigentlichen Urheber zuzuschreiben sind. Die Stelle gibt einen Grund für seine ernste Warnung: Wenn ihr heute seine Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht wie in der Versuchung (Meriba), wie am Tag der Versuchung (Massa) in der Wüste. Der Prophet bezieht sich auf die Begebenheit in 2. Mose 17,1 -7; 4. Mose 20,1-13, und der Schreiber unseres Briefes zitiert die griechische Übersetzung der hebräischen Worte, die wahrscheinlich die Eigennamen der Station in der Wüste sind, wo das Volk rebellierte. Ihr damaliges Verhalten war eine Provokation für den Herrn; es forderte seinen Zorn heraus, es verlangte seine Strafe. Denn, wie es im Zitat weiter heißt: Wo eure Väter mich prüften und mich auf die Probe stellten und meine Werke vierzig Jahre lang sahen. Es ist eine bittere Klage, die der Herr hier ausspricht. Die Kinder Israels haben durch ihr widerspenstiges Verhalten den Herrn auf die Probe gestellt, so als wollten sie sich selbst davon überzeugen, wie lange sie sich seinem Willen widersetzen können. Die gesamte Geschichte der Wüstenwanderung stellt praktisch eine Abfolge von Ereignissen dar, die den Zorn des Herrn erregen sollten.   Obwohl er während der ganzen Zeit vor ihren Augen Wunder der Güte, der Barmherzigkeit und des Gerichts vollbrachte, um sie für sich zu gewinnen, blieben sie ein widerspenstiges und rebellisches Geschlecht.

    Aber der Herr lässt sich nicht spotten, wie das Zitat des Propheten weiter sagt: Darum war ich über dieses Geschlecht entrüstet und sprach: Sie sind immer in ihrem Herzen verirrt; aber sie wollen meine Wege nicht verstehen; darum schwor ich in meinem Zorn: Sie sollen nie in meine Ruhe eingehen. Der Herr wurde schließlich der ständigen Anfechtung des Volkes Israel überdrüssig; er war verärgert, erfüllt von Ekel, Abscheu und Abscheu, wie der hebräische Text andeutet. Vgl. 4. Mose 14,21-23; 32,10-13; 5. Mose 1,34-36. Sie weigerten sich, anzuerkennen, dass er sie auf Pfaden der Güte, der Barmherzigkeit und der Langmut führte und dass sein ganzer Gedanke an sie ein Gedanke des Friedens war. So schwor der Herr schließlich in seinem bitteren Zorn über ihre Hartnäckigkeit, dass sie nicht in das Land kommen sollten, das er ihnen als Zufluchtsort, als Ort der Ruhe und Sicherheit zugedacht hatte. Der Gedanke an die Ruhe im Land der Verheißung erhielt im Übrigen eine größere Tragweite und eine tiefere Bedeutung, wie die Anwendung dieses Abschnitts im gesamten vorliegenden Brief zeigt.

    Nachdem der heilige Schreiber dieses Zitat mit seiner warnenden Lektion eingefügt hat, nimmt er den Faden seiner Argumentation wieder auf, indem er die Moral der Geschichte deutlich macht: Seht zu, Brüder, dass nicht einer von euch ein böses, ungläubiges Herz hat und sich von dem lebendigen Gott abwendet. Die ernste Besorgnis des Schreibers zeigt sich in der gesamten Struktur des Satzes, der im Übrigen so verkürzt ist, als hätte er in großer Aufregung geschrieben. Sie sollten aufpassen, sie sollten sich in Acht nehmen, damit nicht durch irgendeinen unglücklichen Zufall in irgendeinem der Leser ein schlechtes, böses, böses Herz sei, das durch einen Zustand des Unglaubens verursacht wird. Denn dieser Zustand würde sich darin zeigen, dass er sich von dem lebendigen Gott abwendet. Der Herr ist der Urheber und die Quelle des Lebens; er ist nicht nur in der Lage, allen Menschen, die in Not sind, zu Hilfe zu kommen, sondern er ist der Einzige, der das einzig wahre Leben in den Herzen der Seinen vermitteln und bewahren kann. Sollte also ein Gläubiger die Gemeinschaft Gottes verachten und verschmähen, indem er sich von Ihm und Seinem Leben entfernt, so hätte er die Schuld an der endgültigen Verdammnis, die über ihn kommen würde, nur sich selbst zuzuschreiben.

    Der heilige Schreiber setzt daher seine Warnung auf der positiven Seite fort: Ermahnt einander vielmehr jeden Tag, solange die Zeit währt, die "heute" genannt wird, damit nicht jemand von euch durch den Betrug der Sünde verstockt wird. Das ist eine der Aufgaben ihrer Berufung, die die Christen gerne übernehmen sollten: einander zu ermahnen, einander zu ermahnen, einander anzuspornen in der Heiligung. Es ist eine Freundlichkeit, die nicht einfach gleichgültig ist, sondern deren Äußerung durch die Pflicht, die Christen einander schulden, gefordert wird. Die Heiligung in jeder christlichen Gemeinde ist eine Angelegenheit, die ständige Wachsamkeit erfordert, eine Praxis der Liebe, die Tag für Tag fortgesetzt werden muss. Denn jetzt ist Gottes großes Heute, jetzt ist die Zeit der Gnade, jetzt ist die Zeit, in der er will, dass wir seiner wunderbaren Einladung zum himmlischen Mahl folgen. Solange Gott noch seinen flehenden Ruf ergeht, sollten wir uns hüten, ihn schnell zu beherzigen; denn wir wissen nicht, wann diese Zeit der Gnade zu Ende sein wird. Und es besteht immer die Gefahr, durch eine Vernachlässigung des Wortes zur rechten Zeit verstockt zu werden. Die Sünde tritt in so vielen angenehmen und trügerischen Gestalten auf, und der Teufel ist so ungewöhnlich geschickt in seiner Fähigkeit, die größten Abweichungen vom Willen Gottes als bloße unschuldige Zeitvertreibe erscheinen zu lassen, dass es die größte Wachsamkeit eines jeden Christen erfordert, damit er gegenüber den Bitten des Wortes Gottes nicht gleichgültig wird und dem ewigen Tod zum Opfer fällt. Die Sünde im Herzen oder im Leben macht den Menschen blind für die Schönheit und die Bedeutung des wunderbaren Heilsangebots Gottes.

    Zur Einhaltung dieser Wachsamkeit sollten wir uns auch von einer anderen Überlegung leiten lassen: Denn wir sind Christi teilhaftig geworden, wenn wir nur den Anfang unserer Zuversicht bis ans Ende festhalten. Vgl. V. 6. Das ist ein Gedanke, den der Apostel Paulus oft hervorhebt, wenn er die Christen vor fleischlicher Sicherheit warnt, und Petrus, wenn er uns auffordert, unsere Berufung und Erwählung zu sichern, 2. Petr. 1,10. Wir dürfen nie die Tatsache aus den Augen verlieren, dass wir durch unsere Bekehrung an Jesus Christus teilgenommen haben und jetzt an allen Segnungen und Gaben teilhaben, die er uns durch seine Erlösung erworben hat. Diese Tatsache verpflichtet uns jedoch, in seiner Gnade zu bleiben und bis zum Ende wenigstens jenes Maß an festem Vertrauen auf seine Erlösung zu bewahren, das das Wesen des Glaubens ist. Das Vertrauen des Gläubigen in seinen Herrn muss so sicher sein, dass es allen Angriffen bis zum Ende standhält, bis es jenseits von Prüfung und Versuchung, schließlich triumphierend, in der Gegenwart Christi sein wird. Festigkeit, Vertrauen, Treue werden von allen Jüngern des Herrn Jesus verlangt.

 

    Die Gefahr des Unglaubens (V. 15-19): Der inspirierte Autor definiert und rechtfertigt hier seinen Gebrauch des Wortes „heute“ im Zusammenhang mit seiner Warnung an alle Gläubigen, bis zum Ende standhaft zu bleiben: indem es heißt: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht wie in der Verbitterung“ (bei Meriba). Ps. 95,7.8. Dieser Tag ist die Zeit, derer wir sicher sein können; wir wissen, dass die Gnade des Herrn uns jetzt verkündigt wird. Deshalb sollten wir gerade jetzt die Warnung des Herrn beherzigen und die gegenwärtige Gelegenheit optimal nutzen. Denn die Gefahren, die mit einer unverschämten Prüfung der Geduld Gottes einhergehen, sind so groß, dass das Heil zu einer Sache des Zufalls und des Glücksspiels wird: Denn einige haben ihn zwar gehört, aber dennoch gereizt; waren das nicht alle, die durch Mose aus Ägypten ausgezogen waren? Obwohl alle Kinder Israels, die aus Ägypten ausgezogen waren, das Wort und den Willen Gottes hörten, stellten sie Gottes Regierung absichtlich und böswillig in Frage und machten sich daran, ihn zu verbittern und zu provozieren. Und leider gab es keine große Auswahl unter dem rebellischen Volk; sie waren alle schuldig an diesem provozierenden Verhalten, alle Männer, die Ägypten unter der Führung von Mose verließen. Es handelte sich nicht um einige wenige Ausnahmesünder, sondern die ganze Masse des glorreich geretteten Volkes, deren Glaube „sie zwischen den drohenden Wasserwänden hindurchgetragen hatte und über die Mirjam ihr Triumphlied sang“, war in der gleichen Verurteilung begriffen.

    Der heilige Schreiber, der eine weitere Lehre aus den Ereignissen in der Wüste zieht, fragt: Aber über wen war er zornig, zornig, vierzig Jahre lang? War es nicht über die, die gesündigt hatten und deren Leiber in der Wüste fielen? Es handelte sich nicht um einen Sinneswandel, nicht um eine törichte Laune Gottes, auch nicht um einen Mangel an Kraft, seine Verheißung an die Kinder Israels zu erfüllen. Aber ihr Verhalten erregte seinen Zorn, ihre Sünden forderten seine Strafe heraus, und das Ergebnis war, dass alle Männer von zwanzig Jahren und mehr, die das Land Ägypten verlassen hatten, in der Wüste in vergessene Gräber sanken. Das war die Strafe Gottes über sie wegen ihrer Sünde. Der Autor schließt daher seine Reihe rhetorischer Fragen mit der Frage ab: Und wem hat er geschworen, dass sie nicht in seine Ruhe eingehen sollten, wenn nicht denen, die nicht glauben? Nicht in erster Linie der Ungehorsam, sondern der Unglaube, der die Ursache für die verschiedenen Ausbrüche gegen den Herrn war, war der Grund für die Strafe, die sie traf. Mose sagte dem Volk genau diese Tatsache frei und offen, 4. Mose 14,28-35. Gott bekräftigte schließlich mit einem Eid, dass er seine Strafen ausgießen würde, da er die besten Gründe hatte, sein Vorgehen zu rechtfertigen. Sie erreichten das Land der Verheißung nicht, sie kamen nicht in die Segnungen der Ruhe und des Friedens, die der Herr gehorsamen, gläubigen Kindern verheißen hatte. Die Schlussfolgerung des heiligen Autors hebt genau diesen einen Punkt hervor: Und wir sehen, dass sie wegen ihres Unglaubens nicht hineingehen konnten. Sie konnten ihr Ziel, das Ende des Weges, nicht erreichen, weil ihrem ganzen widerspenstigen Verhalten die Weigerung zugrunde lag, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt an den Herrn, ihren Gott, zu glauben. Ihr Beispiel sollte seine Wirkung auf die Christen aller Zeiten nicht verfehlen. Jede Hinwendung zur Sünde mit ihren Tücken, jede Scheu vor dem Konflikt im Interesse des Herrn gefährdet den Glauben, wenn sie ihn nicht geradezu aus dem Herzen reißt. Unser Gottvertrauen muss, wenn es richtig sein soll, auf die Verheißungen der Heiligen Schrift gegründet sein und darf sich nicht von dieser Grundlage entfernen lassen. Es steht zu viel auf dem Spiel, um die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen oder sich leichtfertig auf eine sichere Lösung in der Zukunft zu verlassen. Heute ruft der Herr, heute sollten wir ihm Gehör schenken. Morgen könnte es zu spät sein. Unser Vermittler ist in jeder Hinsicht größer als Mose, aber gerade deshalb sollten wir uns in aller Demut des Herzens an ihn klammern.

 

Zusammenfassung: Der heilige Autor zeigt die Überlegenheit Christi über Mose, vergleicht die beiden Mittler, zieht eine warnende Lehre aus der Wüstenwanderung und stellt die Gefahren des Unglaubens dar.

 

 

Kapitel 4

 

Eine weitere Warnung vor Unglauben (4,1-10)

    1 So lasst uns nun fürchten, damit wir die Verheißung, einzukommen zu seiner Ruhe, nicht versäumen, und euer keiner dahinten bleibe. 2 Denn es ist uns auch verkündigt gleichwie jenen; aber das Wort der Predigt half jenen nichts, da nicht glaubten die, so es hörten. 3 Denn wir, die wir glauben, gehen in die Ruhe, wie er spricht: Dass ich schwur in meinem Zorn, sie sollten zu meiner Ruhe nicht kommen. Und zwar, da die Werke von Anbeginn der Welt waren gemacht,

    4 sprach er an einem Ort von dem siebten Tag so: Und Gott ruhte am siebten Tag von allen seinen Werken. 5 Und hier an diesem Ort abermals: Sie sollen nicht kommen zu meiner Ruhe. 6 Nachdem es nun noch vorhanden ist, dass etliche sollen zu derselben kommen, und die, denen es zuerst verkündigt ist, sind nicht dazu gekommen um des Unglaubens willen, 7 bestimmte er abermals einen Tag nach solcher langen Zeit und sagte durch David: Heute, wie gesagt ist, heute, so ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht! 8 Denn so Josua sie hätte zur Ruhe gebracht, würde er nicht hernach von einem anderen Tag gesagt haben. 9 Darum ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volk Gottes. 10 Denn wer zu seiner Ruhe gekommen ist, der ruht auch von seinen Werken, gleich wie Gott von seinen.

 

    Die Verheißung ist noch in Kraft (V. 1-3): Der inspirierte Schreiber fährt hier mit seiner Warnung fort, die sich auf die Geschehnisse während der Wüstenwanderung stützt: Lasst uns also fürchten, dass, obwohl die Verheißung, in seine Ruhe einzugehen, noch nicht erfüllt ist, einer von euch den Anschein erwecken könnte, dass er sie verfehlt hat. Das eigene Heil mit Furcht und Zittern zu erarbeiten, ist eine Pflicht, die allen Christen obliegt, Phil. 2,12. Das Leben der Gläubigen darf nicht in einer fleischlichen, falschen Sicherheit verbracht werden, mit der Vorstellung, dass sie leben und handeln können, wie es ihnen gefällt, und dabei noch ihre Lieblingssünden hegen. Vielmehr ist es so, dass den Gläubigen im Evangelium durch die Verheißung Gottes zugesichert wird, dass es eine Ruhe für sie gibt. Damit wird die Verheißung der bloß zeitlichen Segnungen, wie der Friede im Land der Verheißung hier auf Erden, um die ewige Ruhe beim Herrn im Himmel erweitert. Gott will, dass alle Menschen in das Heil eingehen, das für die Seinen in den himmlischen Wohnungen vorbereitet ist, und seine besonders dringende Bitte richtet sich an diejenigen, die die Hoffnung und die Garantie des zukünftigen Lebens durch den Glauben angenommen haben. Jeder Gläubige soll daher auf sich selbst achten, und die ganze Gemeinde der Gläubigen soll sorgfältig darauf achten, dass nicht durch irgendeine Versuchung Satans einer von ihnen in Gefahr gerät, den begehrten Preis zu verlieren, oder glaubt, zu spät zu sein, um ihn zu erlangen.

    Wir sollten den Israeliten in ihrem Unglauben an das Wort Gottes nicht ähneln, wie der Verfasser betonen möchte: Denn auch uns ist wie ihnen ein Evangelium verkündigt worden, aber das Wort, das sie hörten, hat ihnen nichts genützt, weil es sich bei denen, die es hörten, nicht gründlich mit dem Glauben vermischte. Die Verheißung Gottes an die Kinder Israels umfasste nicht nur die Verheißung des Besitzes von Kanaan, sondern auch die der Segnungen des Messias. Die erlösende Gnade und Gunst Gottes war ihnen zu verschiedenen Zeiten verkündet worden; die Abraham gegebene Verheißung, dass in ihm und in seinem Samen alle Völker der Erde gesegnet werden sollten, war ihr kostbares Erbe, dessen Bedeutung auch von ihren Lehrern verstanden wurde. Aber all diese glorreiche Verkündigung nützte ihnen nichts. Sie hörten sie zwar, sie wurde vom Vater auf den Sohn weitergegeben, aber sie vermischte sich nicht mit dem Glauben in ihren Herzen, sie setzten ihre Hoffnung auf Erlösung nicht auf die gnädigen Verheißungen, und so nützte sie ihnen wirklich nichts. Die Schuld lag also nicht bei Gott, denn er hatte für die Verkündigung des Evangeliums gesorgt, sondern bei ihnen selbst; sie verloren durch ihren Unglauben die Segnungen der Verheißung, Hos. 13,9.

    Dieses warnende Beispiel sollten die Gläubigen aller Zeiten daher im Auge behalten, damit sie des Segens teilhaftig werden und bleiben: Denn wir gehen in die Ruhe ein, wir, die wir geglaubt haben, wie er sagt: "Wie ich in meinem Zorn geschworen habe, so sollen sie nicht in meine Ruhe eingehen, obwohl die Werke vollendet sind von Grundlegung der Welt an. Der feierliche Schwur Gottes, mit dem er bestimmten Menschen den Eintritt in seine Ruhe verwehrte, richtete sich gegen die Ungläubigen. Was die Gläubigen betrifft, so gehen sie, wenn sie nur ihrem Glauben und ihrem Vertrauen in die Verheißungen des Evangeliums treu bleiben, in die ewige Ruhe im Himmel ein, sie gehen immer wieder ein. Einer nach dem anderen, wenn der Herr sie nach Hause ruft, verlassen sie die Schauplätze ihrer irdischen Pilgerschaft und werden in die Ruhe, in den Frieden des Himmels aufgenommen. Anmerkung: Wäre es nicht Gottes gnädiger Wille und ernsthafter Wunsch gewesen, dass alle Menschen gerettet werden und in seine Ruhe eingehen, könnte man nicht sagen, dass er sie später im Zorn über den Abfall einiger von den Segnungen, die auch für sie bestimmt waren, ausgeschlossen hat. Das Versagen der Ungläubigen, die Segnungen der ewigen Ruhe zu erlangen, war also nicht darauf zurückzuführen, dass die Ruhe noch nicht existierte, denn alle Werke Gottes waren vollendet, als die Welt gegründet wurde. Gott hatte die ewige Ruhe für die Seinen geplant und vorgesehen, als die Grundsteine der Welt gelegt wurden, und er wollte, dass alle Menschen die Schönheiten und Herrlichkeiten dieser Ruhe genießen. Diese Tatsache ist für die Gläubigen ein unermesslicher Trost, denn sie gibt ihnen die Gewissheit, dass Gott den ernsten, aufrichtigen Wunsch und Willen hat, alle Menschen zu retten. Dies wird im nächsten Absatz noch ausführlicher dargelegt.

 

    Die Ruhe, die für das Volk Gottes vorhanden ist (V. 4-10): Die Tatsache, dass alle Werke Gottes, einschließlich der ewigen Ruhe in den himmlischen Wohnungen, von Grundlegung der Welt an vollendet waren, wird hier durch die Heilige Schrift belegt: Denn er sprach irgendwo über den siebenten Tag so: Und Gott ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, 1. Mose 2,2. Man beachte, dass Gott sowohl in dieser als auch in der nächsten Stelle ausdrücklich als Urheber genannt wird. Das Argument ist, dass, wenn Gott von all seinen Werken geruht hat, dann muss auch die Vorbereitung der Ruhe, von der hier gesprochen wird, beendet sein. Nicht nur war die Erde als Schemel des Herrn geschaffen und mit den Herrlichkeiten seiner Güte erfüllt, sondern auch der Himmel selbst war zu dieser Zeit in Gemeinschaft mit der Erde in einem Paradies vereint, das ewig hätte dauern sollen. Die gesegnete Ruhe Gottes war für alle Menschen bereit, als die Schöpfungswerke vollendet waren. Das geht auch aus der Stelle hervor, auf die der inspirierte Schreiber in seiner gesamten Argumentation anspielt: Sie werden niemals in meine Ruhe eingehen, Ps. 95,11. Denn diese Worte beweisen, dass Gott eine Ruhe hatte und dass er diese Ruhe für alle Menschen vorgesehen hatte, wobei der Ungehorsam und Unglaube einiger Menschen es notwendig machte, dass der Herr sie von der Rettung ausschloss, die sein gnädiger Wille ihnen geben wollte. Der Herr hat also der Menschheit seine Ruhe nicht wegen der Sünde entzogen, vielmehr beruht die Verheißung dieser Ruhe auf Christus Jesus, dem Erlöser, aber er ist gezwungen, den Ungläubigen ihren Segen zu versagen, da der Unglaube die angebotene Gnade ablehnt und es vorzieht, ohne Gottes Segnungen zu leben.

    Der inspirierte Autor kehrt also zu seinem Argument zurück: Da es also noch einige gibt, die hineingehen sollen, und die, denen die frohe Botschaft zuerst verkündet wurde, wegen ihres Unglaubens nicht hineingegangen sind, setzt er wieder einen bestimmten Tag fest, nämlich heute, und sagt in David, und nach so langer Zeit, wie schon gesagt wurde: Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verstockt eure Herzen nicht. Aus den zitierten Stellen geht klar hervor, dass das übrige Heil Gottes noch da ist, dass es einigen vorbehalten ist, in es einzutreten, dass die Verheißungen Gottes sicher sind, dass Gott seinen Willen oder seine Meinung in Bezug auf den Genuss, den die Menschen in der himmlischen Seligkeit haben sollen, nicht geändert hat. In diesem Wissen und Glauben sollten wir uns nicht durch die Tatsache erschüttern lassen, dass diejenigen, die zuerst die Gelegenheit hatten, die gute Nachricht, die Botschaft des Evangeliums, wie sie den Patriarchen gegeben wurde, zu hören, nicht in die Ruhe des Herrn eintraten, denn dies war ausschließlich auf ihren Unglauben zurückzuführen. Zusätzlich zu diesen Tatsachen wird die Gewissheit, dass einige in die ewige Ruhe eingehen müssen, auch durch die Wiederholung der Verheißung gestützt. Viele Jahre nach den Tagen des Mose, zur Zeit Davids, setzte Gott durch den Mund Davids erneut einen Tag fest, an dem die Menschen in seine Ruhe eingehen sollten. Es ist dieselbe Stelle, auf die der inspirierte Schreiber seine Argumente in diesem langen Abschnitt gestützt hat. Bei dem ewigen Gott ist "heute" weder auf die Zeit Moses noch auf die Zeit Davids beschränkt, sondern erstreckt sich bis in die christliche Zeit und schließt die Zeitspanne der Gnadenverfügung Gottes bis zum Ende der Welt ein. Israel wurde durch seinen Unglauben der Ruhe beraubt; wir, die wir glauben, gehen in sie ein.

    Damit nun nicht ein Leser den Einwand erhebt, dass die Ruhe, auf die sich das Zitat aus Psalm 95 bezieht, nur die von Kanaan sei, beugt der Verfasser diesem Missverständnis vor: Denn wenn Josua sie zur Ruhe gebracht hätte, würde er nicht nach diesen Ereignissen von einem anderen Tag sprechen. Es stimmt natürlich, dass Josua durch die Siege über die Stämme Kanaans in den Besitz des verheißenen Landes gelangte. Aber dass diese Ruhe und dieser Friede nicht vollständig von der von Mose in der Verheißung des Evangeliums verkündeten Ruhe umfasst und nicht mit ihr identisch ist, geht aus der Tatsache hervor, dass der Herr lange nach diesen Ereignissen den Propheten die Stelle aufschreiben ließ, in der er sich auf ein Heute bezog, das offensichtlich nicht von der Zeit der Eroberung Kanaans umfasst war, durch die Josua das Volk zur Ruhe im Land seiner Väter brachte. Der inspirierte Schreiber kommt also erneut zu der Schlussfolgerung oder Aussage, die er als Thema an den Anfang der Diskussion gestellt hatte: Es bleibt also eine Sabbat-Ruhe für das Volk Gottes. Die Ruhe, die den Heiligen bestimmt ist, wird mit dem Namen "Sabbatruhe" bezeichnet, um anzuzeigen, dass sie derjenigen gleicht und zu ihr gehört, in die Gott selbst am siebten Tag eingetreten ist, 1. Mose 2,2. Es ist die Ruhe des vollkommenen Glücks und der Zufriedenheit, der unermesslichen und unaussprechlichen Seligkeit in der Gegenwart Gottes und Jesu Christi. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese Ruhe in dem Abschnitt gemeint ist, auf den sich die gesamte Argumentation des Autors stützt. Die große Sabbatruhe ist für das Volk Gottes bestimmt; sie ist sicher, geborgen. Für alle, die zum Volk Gottes gehören, ist sie sicher, die Jesus in jene gesegnete Gemeinschaft mit Gott zurückgebracht hat, die von Anfang an für alle Menschen bestimmt war. Für sie alle, für alle Gläubigen, ist die Ruhe Gottes ein ewiger Sabbat, der für sie im Himmel reserviert ist.

    Es ist die Ruhe Gottes, an der der Mensch auch in anderer Hinsicht teilhaben soll: Denn wer in seine Ruhe eingeht, der ruht auch selbst von seinen Werken, wie Gott von den seinen. Wie Gott am Ende der Schöpfung in seine Ruhe hineingegangen ist und jetzt von allen seinen Werken ruht, so werden die, die durch den Glauben dieser Ruhe teilhaftig werden, von ihrer Arbeit ruhen, Matth. 25,35-40; Offb. 14,13. Alle Werke der Gläubigen, so schwach und sündhaft sie auch sein mögen, sind doch dadurch geweiht, dass sie im Namen Jesu zur Ehre Gottes getan werden. In dieser Hinsicht wird die Ruhe der Ewigkeit eine Belohnung der Gnade sein. Und eine Ruhe wird sie auf jeden Fall für die Gläubigen sein, denn sie bedeutet eine Befreiung von allem Bösen, von allen Bedrängnissen, Prüfungen, Versuchungen, Bedrängnissen, Elend dieses irdischen Lebens, von allen Sorgen und Schmerzen und Nöten, Frieden, vollkommenen Frieden, in der Gegenwart Gottes. Deshalb ist das Herz des Christen, wie der heilige Augustinus sagt, nicht zufrieden, bis es in Ewigkeit im Herrn ruht.

 

Kühnheit im Glauben an unseren Hohenpriester (4,11-16)

    11 So lasst uns nun Fleiß tun, einzukommen zu dieser Ruhe, damit nicht jemand falle in dies Beispiel des Unglaubens. 12 Denn das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als ein zweischneidiges Schwert und durchdringt, bis dass es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. 13 Und ist keine Kreatur vor ihm unsichtbar; es ist aber alles bloß und entdeckt vor seinen Augen; von dem reden wir.

    14 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der zum Himmel gefahren ist, so lasst uns halten an dem Bekenntnis. 15 Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mitleid haben mit unserer Schwachheit, sondern der versucht ist allenthalben gleich wie wir, doch ohne Sünde. 16 Darum lasst uns hinzutreten mit Freudigkeit zu dem Gnadenstuhl, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden auf die Zeit, wenn uns Hilfe not sein wird.

 

    Die Kraft des Wortes Gottes angesichts des Unglaubens (V. 11-13): Die Ermahnung folgt natürlich aus der Auslegung: Lasst uns also ernstlich danach streben, in diese Ruhe einzugehen, damit nicht jemand in dieselbe Art von Unglauben verfällt. Die Christen sollen eifrig sein, sie sollen sich anstrengen, sie sollen mit der ganzen Kraft ihres erneuerten Herzens danach streben, in diese Ruhe einzugehen, die ihnen durch die Verheißung Gottes in Aussicht gestellt wird. Den Kindern Israels in der Wüste war das Wort Gottes verkündet worden; die Verheißung des Heils war ihnen von Mose in Aussicht gestellt worden, aber sie hatten sich geweigert, darauf zu hören und zu gehorchen, sie hatten der kostbaren und herrlichen Botschaft keinen Glauben geschenkt. Ihr Verhalten wird daher als warnendes Beispiel für alle Zeiten dienen, um die Menschen davor zu bewahren, sich einer ähnlichen Übertretung schuldig zu machen und als ungehorsame und ungläubige Kinder von Gott verworfen zu werden.

    Denn diese Angelegenheit darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden, wie der heilige Schreiber weiter ausführt: Denn lebendig ist das Wort Gottes und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist, Gelenk und Mark, und richtet die Vorstellungen und Gedanken des Herzens. Wäre die Heilsbotschaft ein toter, unwirksamer Klang, könnte ein Ungläubiger die Ausrede haben, dass das Hören des Wortes für ihn keinen Wert hätte. Aber uns wird gesagt, dass das Wort Gottes lebendig ist, von dem wunderbaren Leben seiner Quelle durchdrungen, voller belebender Kraft, Joh. 6,63; 1. Petr. 1,23. Es ist in sich selbst aktiv, wirksam, energisch, fähig, das Werk auszuführen, zu dem es bestimmt ist, Jer. 23,29; Röm. 1,16. Sie ist schärfer, schärfer als jedes zweischneidige Schwert, Offb. 1,16; 2,12; Eph. 6,17. Seine Durchschlagskraft ist so groß, dass es bis zur Trennung von Seele und Geist vordringt: Es trennt, es zieht eine klare Trennungslinie zwischen dem alten natürlichen und dem neuen geistlichen Leben eines Menschen, so wie eine Damaszenerklinge die Gelenke spaltet und das Mark der Knochen freilegt, Apg. 2, 37. Die ganze Stelle ist natürlich bildlich gemeint, und der Verfasser wollte durch die rhetorische Fülle des Ausdrucks eine Wirkung erzielen. In einfachen Worten, wie er hinzufügt, beurteilt das Wort Gottes die Vorstellungen und Ideen des Herzens. Die innersten Gedanken und tiefsten Regungen des Herzens sind offen vor dem allsehenden Auge Gottes und vor der Allwissenheit seines Wortes, Joh. 3,20.21; 1. Kor. 14,24.25. Es gibt nichts Verborgenes vor der Verkündigung des Willens Gottes, sowohl des heiligen und gerechten Willens als auch des guten und gnädigen Willens; er kennt unsere Herzen viel besser, als wir sie selbst kennen, und sein Wort erschließt uns verborgene Tiefen, von denen wir selbst nie geträumt haben.

    Die Betonung wird im nächsten Vers fortgesetzt: Und kein Geschöpf ist vor Ihm unentdeckt, sondern alles liegt nackt und bloß vor Seinen Augen, mit denen wir abrechnen. Das Bild, das der inspirierte Schreiber an dieser Stelle verwendet, ist das eines Opfertieres, dessen Kopf zurückgebogen und dann aufgeschnitten wurde, so dass das Innere den Augen des Priesters zugänglich war. Wer fatalerweise glaubt, er könne irgendeine Übertretung, irgendeinen sündigen Zustand vor den Augen Gottes und der durchdringenden Kraft seines Wortes verborgen halten, der täuscht sich selbst. Niemand darf für längere Zeit vergessen, dass es eine endgültige Abrechnung geben wird, bei der alle Heuchelei und Täuschung der Menschen in ihrer ganzen hässlichen Blöße aufgedeckt werden wird. In diesem Wissen werden wir Christen uns gewiss aller Versuche enthalten, den allwissenden Herrn zu täuschen, und uns mit allem Ernst bemühen, in die Ruhe einzugehen, die uns in den Wohnungen unseres Herrn bereitet ist. Denn wie können wir entkommen, wenn wir eine so große Erlösung vernachlässigen? Kap. 2,3.

 

    Die Ermutigung, die uns unser großer Hoherpriester darreicht (V. 14-16): Das Bild, das der inspirierte Schreiber soeben von der Allwissenheit Gottes, wie sie durch sein Wort offenbart wird, gezeichnet hat, könnte den durchschnittlichen Leser in Angst und Schrecken versetzen, weil er seine eigene Unbedeutendheit angesichts einer solchen göttlichen Vollkommenheit, seine eigene Sündhaftigkeit angesichts einer solchen göttlichen Heiligkeit empfindet. Aber hier ist eine tröstliche Zusicherung für alle armen Sünder: Da wir nun einen großen Hohenpriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an unserem Bekenntnis festhalten. Der Autor verliert nie aus den Augen, dass Jesus, der Heiland, sein großes Thema ist, Kap. 1,2.3; 2,17; 3,1, und dass die Verkündigung des Evangeliums des Heils der einzige Weg ist, den Glauben zu wirken. Von Jesus wird wahrhaftig gesagt, dass er die Himmel durchschritten hat. Denn wie der Hohepriester des Alten Testaments durch die Vorhöfe und hinter den Vorhang ging, um in das Allerheiligste des Tempels zu gelangen, so ging Jesus durch die Himmel und erschien inmitten der ewigen Wirklichkeiten im Thronsaal Gottes. Wir wissen, dass dieser unser Hoherpriester für uns für die Sühne plädiert, die er während seines ganzen Lebens geleistet und auf dem Hügel von Golgatha vollendet hat, und dass der Vater dem Plädoyer dieses Beistands nicht widerstehen kann. Und welches bessere und überzeugendere Argument könnte man sich ausdenken, um uns im Bekenntnis zu seinem heiligen Namen, in unserem christlichen Bekenntnis, zu halten, als dieses rettende Wissen?

    Diese Ermutigung wird noch weiter bestätigt: Denn wir haben keinen Hohenpriester, der mit unseren Schwächen nicht mitfühlen kann, sondern der in allem versucht wird wie wir, ohne Sünde. Dies ist ein besonderer Punkt von menschlichem Interesse, der unsere Herzen zu diesem großen Hohenpriester hinzieht. Er war und ist Fleisch von unserem Fleisch, ein wahrer Mensch. Und während seines irdischen Lebens durchlebte er die schwersten Versuchungen, die je auf einen Menschen eingewirkt haben. Es war nicht nur so, dass die Versuchung an ihn herankam, ohne ihn wirklich anzugreifen. Vielmehr war es so, dass sein ganzes Wesen, Leib und Seele, manchmal bis ins Innerste erschüttert wurde, wie zum Beispiel, als er erklärte, dass seine Seele bis zum Tod sehr betrübt sei, und als er sich von seinem himmlischen Vater verlassen fand, ganz zu schweigen von den Angriffen des Teufels, die ihn immer wieder heimsuchten. vgl. Matth. 4,1-11; Luk. 4,1-13; Matth. 16,21-23; 27,45.46; Ps. 22,2-21. Er kann also tatsächlich mit dem Gefühl unserer Schwachheit berührt werden, Er kann tatsächlich Mitgefühl mit unseren Schwächen haben; Er weiß, was es für schwaches Fleisch und Blut bedeutet, mit gefährlichen Feinden zu kämpfen. Da er aber in seinem Fall alle Versuchungen ohne Sünde überstanden hat, kann er unser Hoherpriester und Fürsprecher beim Vater sein.

    Diese Tatsache sollte uns daher ein Ansporn sein, unser ganzes Vertrauen mit aller Freudigkeit auf ihn zu setzen: Treten wir also vertrauensvoll vor den Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden, um in der Zeit der Not zu helfen. Normalerweise würde es kein Sünder wagen, sich dem heiligen und gerechten Gott zu nähern. Durch das Verdienst Jesu sind wir jedoch befähigt, diesen Akt der Anbetung, nämlich die Annäherung an den Thron des großen Gottes selbst, mit aller Fröhlichkeit und Zuversicht zu vollziehen. Denn es geht nicht darum, dass wir zu unserer Rechtfertigung irgendeinen Verdienst geltend machen wollen, sondern darum, dass wir wissen, dass wir Barmherzigkeit, die freie Gunst Gottes erlangen können, dass wir Gnade, Gottes freie Liebe, finden werden. In allen Stunden der Prüfung und des Leids also, wenn wir uns so sehr nach einem Trost sehnen, der nicht angefochten und angezweifelt werden kann, können wir uns auf diese Tatsache verlassen, dass unser Hoher Priester eine vollständige und vollkommene Versöhnung vollbracht hat und dass Gott nicht mehr zornig auf uns ist, sondern uns mit der ganzen Güte eines väterlichen Herzens annehmen und uns alles geben wird, was wir brauchen, um in seiner Gegenwart ewige Glückseligkeit zu genießen. So haben wir sowohl die Gewissheit der Vergebung als auch des göttlichen Beistands, und wir können mit der Fröhlichkeit des Glaubens durch das Leben gehen, weil wir wissen, dass uns am Ende des Weges die Ruhe des Herrn erwartet, wenn er uns nach Hause holt.

 

Zusammenfassung: Der heilige Schreiber setzt seine Warnung vor dem Unglauben fort, indem er aufzeigt, dass die Verheißung Gottes immer noch in Kraft ist, dass es immer noch eine Ruhe für das Volk Gottes gibt; er weist auf die Macht des Wortes Gottes hin und zeigt, dass wir uns kühn dem Thron Gottes nähern können im Vertrauen auf die Barmherzigkeit, die unser großer Hohepriester erworben hat.

 

 

Kapitel 5

 

Die Autorität Christi, unseres Hohenpriesters (5,1-10)

    1 Denn ein jeglicher Hoherpriester, der aus den Menschen genommen wird, der wird gesetzt für die Menschen gegen Gott, damit er opfere Gaben und Opfer für die Sünden, 2 der da könnte mitleiden über die, so unwissend sind und irren, weil er auch selbst umgeben ist mit Schwachheit. 3 Darum muss er auch, gleichwie für das Volk, so auch für sich selbst opfern für die Sünden. 4 Und niemand nimmt sich selbst die Ehre, sondern der auch berufen sei von Gott gleichwie Aaron.

    5 So auch Christus hat sich nicht selbst in die Ehre gesetzt, dass er Hoherpriester würde, sondern der zu ihm gesagt hat: Du bist mein Sohn; heute habe ich dich gezeugt. 6 Wie er auch am anderen Ort spricht: Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks. 7 Und er hat in den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen geopfert zu dem, der ihm von dem Tod konnte aushelfen; und ist auch erhört, darum dass er Gott in Ehren hatte. 8 Und wiewohl er Gottes Sohn war, hat er doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. 9 Und da er ist vollendet, ist er geworden allen, die ihm gehorsam sind, eine Ursache zur ewigen Seligkeit, 10 genannt von Gott ein Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks.

 

    Christus ist geeignet, unser Hoherpriester zu sein (V. 1-4): Der letzte Abschnitt von Kapitel 4 dient als Einleitung zu einer langen Abhandlung über das Amt Christi als unser Hohepriester. So wie Christus in Person und Amt den Engeln und Mose unendlich überlegen war, so ist er auch weit über Aaron und alle Hohepriester des Alten Testaments erhaben. Es war notwendig, dieses Thema ausführlich zu behandeln, weil die Judenchristen immer noch viel zu viel Wert auf den alttestamentlichen Kult und die Anbetung legten und glaubten, dass solche äußeren Formen für die richtige Einstellung zu Gott notwendig seien. Aber wo immer eine solche Vorstellung eine Gemeinschaft oder eine kirchliche Körperschaft ergreift, besteht immer die Gefahr, dass die Glaubens- und Heilslehre in den Hintergrund gerät, wenn sie nicht sogar ganz abgeschafft wird. Dass Christus in erster Linie für das Amt des Hohenpriesters geeignet war, geht aus der Tatsache hervor, dass er die Voraussetzungen für dieses Amt besaß. Von der ersten Qualifikation sagt der heilige Schriftsteller: Denn jeder Hohepriester, der aus den Menschen erwählt ist, ist für die Menschen bestellt in den Dingen, die Gott angehen, damit er sowohl Gaben als auch Opfer für die Sünden darbringen kann. Die Hohepriester des Alten Testaments wurden aus den Menschen genommen oder ausgewählt, aus ihren Brüdern, 3. Mose 21,10, aus dem Stamm Levi und aus dem Geschlecht Aarons. Der Auserwählte wurde dann in sein Amt eingeführt, indem er für die gottesdienstlichen Angelegenheiten, die das Heil der Menschen betrafen, geweiht oder eingesetzt wurde. Sein Amt war für die Menschen, das Volk seines Volkes, in Sachen Gott bestimmt; mit anderen Worten, die Tatsache, dass der Hohepriester ein Vermittler zwischen Gott und den Menschen war, wurde besonders und in erster Linie hervorgehoben. Bei der Ausübung seines Amtes brachte der Hohepriester sowohl Gaben als auch Sündopfer dar. Sowohl die unblutigen als auch die blutigen Opfer dienten dazu, die Sünden des Volkes zu sühnen; denn dies war der Hauptzweck des Amtes des Hohenpriesters.

    Es war bezeichnend, dass der Hohepriester aus seinen Brüdern ausgewählt wurde, denn dadurch konnte er jederzeit mit dem ganzen Volk in herzlicher Verbindung stehen: Er ist fähig, mit den Unwissenden und Irrenden sanft umzugehen, da er selbst mit Schwäche behaftet ist, und deshalb ist er verpflichtet, wie für das Volk, so auch für sich selbst Sündopfer zu bringen. Da der Hohepriester als sündiger Mensch denselben Schwächen unterworfen war wie das übrige Volk, da er wusste, wie leicht und schnell ein Mensch unter Umständen in Sünde fallen, irgendeiner Versuchung nachgeben kann, war er daher jederzeit in der Lage, seine Gefühle zu mäßigen, seinen gerechten Zorn über das Begehen von Sünden zu beherrschen, mit Nachsicht, Sanftmut und Mäßigung mit den Verfehlungen anderer umzugehen, vor allem, wenn von vornherein klar war, dass diese aus Unwissenheit, durch irgendeinen Fehltritt vom Weg der Rechtschaffenheit begangen wurden. Für Sünden, die in einem Geist hochmütiger Gewalttätigkeit und frecher Missachtung des Gesetzes Gottes begangen wurden, wurde der Übeltäter summarisch bestraft, indem er aus der Gemeinde des Herrn ausgeschlossen wurde. Aber für Sünden, die ohne Bosheit und Gemeinheit begangen wurden, konnte Sühne durch ein Opfer geleistet werden. Der Hohepriester, der sich seiner eigenen Schwäche und Unzulänglichkeiten bewusst war, konnte also nicht nur sanft mit denjenigen umgehen, die gegen das Gesetz Gottes verstießen, sondern er war auch verpflichtet, für seine eigenen Sünden Opfer zu bringen (3. Mose 16,6), was ihn in seinem Amt natürlich sanftmütig und demütig machen sollte. Die erste Qualifikation des Hohenpriesters bestand also darin, dass er im Bewusstsein seiner eigenen Schwäche und Sündhaftigkeit die richtige Haltung der Sanftmut im Umgang mit den anderen Mitgliedern der Gemeinde einnehmen konnte.

    Die zweite Qualifikation des Hohepriesters des Alten Testaments war: Niemand nimmt dieses ehrenvolle Amt für sich in Anspruch, sondern nur, wenn er von Gott berufen wird, so wie es auch bei Aaron der Fall war. Aaron wurde von Gott ausdrücklich und eindeutig zum ersten Hohepriester des jüdischen Volkes bestimmt und geweiht, 2. Mose 28. Zugleich legte der Herr die Nachfolge dieses höchsten Amtes fest. Der Hohepriester übernahm sein Amt also nicht aus eigenem Ehrgeiz, sondern durch den Ruf Gottes, um ihm zu dienen und die Menschen wieder in die rechte Gemeinschaft mit ihm zu bringen. Vgl. 4. Mose 3,10; Kap. 16-18. Dieselbe Haltung gegenüber dem heiligen Amt sollte zu allen Zeiten beachtet werden und kann sogar von den Predigern des Neuen Testaments erwartet werden: Der göttliche Ruf sollte die Annahme eines Amtes in der Kirche bestimmen, nicht die persönliche Wahl und der schäbige Ehrgeiz, der durch verschiedene zwielichtige Machenschaften unterstützt wird. Das war die zweite Qualifikation des alttestamentlichen Hohepriesters, dass er das ehrenvolle Amt durch eine Berufung von Gott innehatte. Anmerkung: Die römische Kirche hat versucht, diesen Abschnitt zu benutzen, um ihre Lehre vom Messopfer zu verteidigen. Aus dem gesamten Abschnitt geht jedoch hervor, dass der heilige Schriftsteller vom levitischen Priestertum nur insofern spricht, als es ein Vorbild für das Priestertum Christi war.[4]

 

    Die vollkommene Erlösung, durch Christus erworben (V. 5-10): Dass die erste Eigenschaft eines Hohenpriesters in Christus zu finden war, hatte der Schreiber am Ende von Kapitel 4 gezeigt, nämlich, dass er mit dem Gefühl unserer Schwachheit berührt wurde. Hier wird gezeigt, dass auch die zweite Eigenschaft eines Hohenpriesters bei Christus nicht fehlt, nämlich dass er berufen war, das Amt zu erfüllen: So verherrlichte sich auch Christus nicht selbst, um zum Hohenpriester gemacht zu werden, sondern Er (sorgte dafür), der sagte: Du bist mein Sohn, ich habe dich heute gezeugt; wie Er auch an anderer Stelle sagt: Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedek. Christus hat sich die Herrlichkeit und Ehre des von ihm ausgeübten hohenpriesterlichen Amtes nicht selbst zugeschrieben oder angemaßt. In Christus gab es weder persönlichen Ehrgeiz noch ein schmutziges Motiv. Er ist nicht in seinem eigenen Namen gekommen, noch hat er versucht, sich selbst zu verherrlichen. Vgl. Joh. 8,54; 5,31.43; 17,5. Es war ein anderer, der seine Ehre suchte und danach urteilte, nämlich sein himmlischer Vater, von dem der Messias selbst in Ps. 2,7 sagt, dass der Herr ihn ausdrücklich seinen ewigen Sohn genannt habe. Dieses Zitat zeigt, was für eine unermesslich große und hohe Person unser Hoherpriester ist: Gottes eigener ewiger Sohn. Die messianische Würde schloss die des Priestertums ein. Bei jemandem, der eine so hohe Stellung innehatte, kann die Tatsache, dass er der große Hohepriester wurde, nicht überraschen. Der zweite Abschnitt, Ps. 110,4, definiert genau die priesterliche Stellung und das Amt Jesu, auf die bereits allgemein hingewiesen wurde. Christus ist von Gott dazu berufen worden, unser Priester, unser großer Hoherpriester zu sein. Und der wahrhaftigste Typus von Christus in dieser Eigenschaft ist nicht Aaron, der Priester, sondern Melchisedek, wie der Verfasser später ausführlich darlegt. Seine Stellung, seine Qualität und seine Art stellen Jesus in eine Reihe mit diesem einzigartigen Priester des Alten Testaments, der zur Zeit Abrahams lebte.

    Der inspirierte Autor fährt nun fort zu zeigen, wie Jesus dem Ruf seines Vaters gehorsam wurde: Der in den Tagen seines Fleisches Gebete und Bitten mit starkem Weinen und Tränen zu dem vorbrachte, der ihn vom Tod erlösen konnte, und wegen seiner göttlichen Ehrfurcht erhört wurde. Als Christus zu unserem Hohenpriester ernannt wurde, wusste er, dass dieses Amt einen Gehorsam erforderte, der Fleisch und Blut gänzlich zuwider war, da es auch die Notwendigkeit beinhaltete, das Opferlamm für die Sünden der ganzen Welt zu werden. Doch in den Tagen seines Fleisches, als er sich in seinem Zustand der Erniedrigung befand, als er seinen Brüdern nach dem Fleisch an Leidensfähigkeit und Versuchung glich, zeigte er seinen Gehorsam, sogar inmitten seiner großen Passion. In Gethsemane, auf dem Kalvarienberg, brachte Er seinem himmlischen Vater nicht nur stille Gebete, sondern auch ernste, dringende Bitten dar. Das Leiden berührte Ihn so tief, dass Er starkes und bitteres Weinen und Tränen hinzufügte. Er schrie zu Gott, seinem himmlischen Vater, von dem er in der Tiefe der auf ihm liegenden Verdammnis verlassen worden war, um Befreiung von der schrecklichen Erfahrung des zeitlichen und ewigen Todes. Die Ernsthaftigkeit, mit der Christus um Befreiung bat, wurde durch die Tatsache verstärkt, dass er wusste, dass sein himmlischer Vater in der Lage war, ihn zu befreien, sei es durch die Entsendung von zwölf Legionen von Engeln oder auf andere Weise. Gerade angesichts der Tatsache, dass der Vater über allmächtige Macht und unendliche Mittel verfügte, hielt er an seinem Leiden fest. Sein Gehorsam wurde also belohnt, seine gottesfürchtige Ehrfurcht, mit der er sich stets die Notwendigkeit vor Augen hielt, den Rat der Liebe Gottes bis zum Ende auszuführen, wurde auf diese Weise anerkannt, dass sein Vater ihn erhörte. Er ging durch die schreckliche Prüfung, das Heil für alle Menschen zu erlangen, und wurde mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt und zur Rechten Gottes erhöht, Phil. 2,9-11. So hat Gott seinem Sohn die beste Antwort auf sein Gebet der ehrfürchtigen Unterwerfung gegeben, indem er ihm den Kelch bis zur Neige trinken ließ, um so das große Werk zu vollenden, zu dem er berufen war.

    Die Größe des opferbereiten Gehorsams wird noch weiter hervorgehoben: Obwohl er ein Sohn war, lernte er durch die Dinge, die er erlitt, den Gehorsam und wurde, nachdem er vollendet war, für alle, die ihm gehorchen, zur Quelle des ewigen Heils. Christus war der Sohn Gottes, von Ewigkeit her im Schoß des Vaters, der Besitzer vollkommener Glückseligkeit und Seligkeit, der Gegenstand der zärtlichen und fürsorglichen Liebe des Vaters. Deshalb wurde er von seinem Vater erhört, was zur Folge hatte, dass er litt, dass er den Willen seines himmlischen Vaters ausführte. Auf diese Weise lernte Er den Gehorsam, erwarb Er jene vollkommene Unterwerfung, die notwendig und zugleich dem Bedürfnis aller Menschen angemessen war. „Wenn ein Kind etwas tun soll, das ihm weh tut und vor dem es zurückschreckt, lernt es Gehorsam, lernt es, sich einem anderen Willen zu unterwerfen. Und das, was Christus erlitt, um dem Willen Gottes zu gehorchen, lehrte ihn vollkommene Unterwerfung und zugleich vollkommene Hingabe an den Menschen.“[5] Auf diese Weise wurde Christus vervollkommnet, wurde er mit allen Qualifikationen ausgestattet, die für das große Sühnewerk notwendig sind. Auf diese Weise wurde das ewige Heil erworben, wobei Christus selbst der Urheber und die Quelle dieses Heils wurde. Diese Erlösung wird nun tatsächlich in denen verwirklicht, die Christus gehorchen, die ihm den Gehorsam des Glaubens erweisen, 2 Kor. 10, 5. 6; Röm. 1,5, die ihn als ihren großen Hohenpriester und ihr Opfer annehmen. So wird er auch jetzt von Gott als Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks gegrüßt. Ein Ausleger schreibt dazu: „Als der Sohn aufstieg und im Heiligtum in der Höhe erschien, begrüßte Gott ihn oder sprach ihn als Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks an. Das ist eine Garantie dafür, dass das Erlösungswerk vollendet ist, dass es vor allen Menschen bereit liegt, dass Gott selbst es anerkannt und angenommen hat.“ Wir haben hier eine wunderbare Quelle des Trostes für unseren Glauben unter allen Umständen.

 

Eine Rüge geistlicher Unwissenheit (5,11-14)

    “11 Davon hätten wir wohl viel zu reden; aber es ist schwer, weil ihr so unverständig seid. 12 Und die ihr solltet längst Meister sein, bedürft ihr wieder, dass man euch die ersten Buchstaben der göttlichen Worte lehre, und dass man euch Milch gebe und nicht starke Speise. 13 Denn wem man noch Milch geben muss, der ist unerfahren in dem Wort der Gerechtigkeit; denn er ist ein junges Kind. 14 Den Vollkommenen aber gehört starke Speise, die durch Gewohnheit haben geübte Sinne zum Unterschied des Guten und des Bösen.

 

    Nach der Tendenz des letzten Abschnitts könnte man nun erwarten, dass an dieser Stelle eine vollständige Diskussion über das Hohepriestertum Christi beginnt. Stattdessen aber fügt der heilige Schreiber hier einen Tadel und eine Ermahnung ein, die darauf abzielen, seinen Lesern die Notwendigkeit zu vermitteln, die in diesem Brief enthaltenen Lehren richtig zu beherzigen. Zunächst wird der Grund für die Rüge genannt: Über ihn gibt es viel zu sagen und schwer zu erklären, da ihr träge geworden seid im Hören. Das ganze Thema, das jetzt angeschnitten wurde, nämlich dass Christus ein Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks ist, ist ein Thema, über das man viel schreiben könnte. Der Autor hat auch die Absicht, diesen wichtigen Vergleich ausführlich zu erörtern, Kap. 7, zu erörtern, auch wenn aufgrund der Schwierigkeit des Themas eine Erklärung nicht ohne weiteres möglich ist. Und der Grund liegt in diesem Fall nicht in der grundsätzlichen, inhärenten Unvernunft der Lehre, sondern in der Tatsache, dass die Leser träge geworden sind im Hören und Verstehen. Der Tadel trifft die Tatsache, dass die Judenchristen, an die der Brief gerichtet ist, in der Erkenntnis, im Studium, im Verständnis der Lehrinhalte zurückgeblieben sind. Dies ist in vielen Gemeinden oder Gemeinschaften der Fall, in denen das Wort Gottes seit einiger Zeit gepredigt wird. Es besteht immer die Gefahr, dass Menschen eine selbstzufriedene, selbstgenügsame Haltung gegenüber der Unterweisung in geistlichen Dingen einnehmen, die sich gegen jede Andeutung wehrt, dass sie einer solchen Unterweisung bedürfen. Wo immer diese „Alleswisser“-Haltung angenommen wird, ist ein Rückschritt in der geistlichen Erkenntnis und im geistlichen Leben vorprogrammiert.

    Dieser Zustand wird von dem inspirierten Schreiber dargestellt: Denn obwohl ihr nach der Länge der Zeit Lehrer sein solltet, habt ihr es doch nötig, wieder jemanden zu haben, der euch die Grundzüge des Anfangs der Orakel Gottes lehrt, und ihr seid geworden, als hättet ihr Milch nötig und nicht feste Speise. Wenn man bedenkt, wie lange das Evangelium schon in Judäa gepredigt wurde, nämlich mehr als eine Generation vorher, und wie viele Gelegenheiten die Judenchristen hatten, sich mit allen Zweigen der Lehre des Evangeliums vertraut zu machen, so war es keineswegs eine unangemessene Erwartung, dass sie alle die Fähigkeit besaßen, andere zu lehren, ihnen die wunderbaren Wahrheiten des Wortes Gottes zu vermitteln, sowohl die einfachen Lehren als auch diejenigen, die ein gewisses Maß an geistigem Verständnis erforderten. Aber der Verfasser ist gezwungen, seine Leser zu tadeln, weil es wieder notwendig geworden war, ihnen die Grundzüge der christlichen Lehre beizubringen, die grundlegenden Tatsachen, deren Kenntnis von den Katechumenen erwartet wurde, wenn sie in die Kirche aufgenommen wurden. Damals wie heute bildeten die zentralen Lehren des Christentums die Grundlage des Unterrichts und sollten von den Bewerbern um die Mitgliedschaft in der Gemeinde beherrscht werden. Daher war es in der Tat eine Schande, dass diese Judenchristen, die eigentlich Veteranen im christlichen Wissen hätten sein müssen, nicht das Verständnis aufbrachten, das von den Novizen verlangt wurde. Sie waren, was das geistliche Wissen anbelangt, wie Säuglinge, die keine feste Nahrung zu sich nehmen können, sondern ganz auf Milch angewiesen sind. Vgl. „Statt erwachsen zu werden, auf eigenen Füßen zu stehen und ihre eigene Nahrung auszuwählen und zu verdauen, waren sie in geistliche Verblödung gefallen und in eine zweite Kindheit eingetreten, in der sie nur die einfachste Nahrung aufnehmen konnten.“ (Dods.) Reife Christen sollten in der Lage sein, auch die fortgeschritteneren und komplizierteren Lehren des christlichen Glaubens zu verstehen und sie mit Nutzen für ihren Glauben zu betrachten.

    Der Sprache des heiligen Schriftstellers mangelt es in diesem Punkt nicht an Klarheit: Denn jeder, der noch von der Milch trinkt, ist unerfahren im Wort der Gerechtigkeit, denn er ist ein Säugling. Solange ein Mensch gezwungen ist, sich in Ermangelung eines tieferen Verständnisses auf die einfachste Darstellung der grundlegenden Wahrheiten des Christentums als einzige Nahrung zu verlassen, ist er ein geistlicher Säugling und Kleinkind. Er hat keine Vorstellung von der wunderbaren Tragweite, von den mannigfaltigen Schönheiten, die im Wort der Gerechtigkeit, dem Evangelium, enthalten sind, das die Gerechtigkeit lehrt, die von Gott angenommen wird, nämlich die Gerechtigkeit Christi, die dem Menschen von Gott durch den Glauben zugerechnet wird. Mit dem richtigen, eingehenden Studium des Wortes wird der Mensch tief und immer tiefer in die Geheimnisse Gottes eindringen und ständig neue Nahrung für seinen Glauben erhalten.

    Dazu sagt der inspirierte Autor zum Schluss: Feste Speise aber ist für die Reiferen, die aufgrund ihrer geistigen Übung ihre intellektuellen Fähigkeiten zur Unterscheidung von Gut und Böse trainiert haben. Christen, die einen gewissen Grad an geistlicher Reife erreicht haben, haben dies aufgrund der Gewohnheit getan, die sie durch ständige Übung im Wort Gottes entwickelt haben; das Ergebnis ist schließlich, dass ihre intellektuellen Fähigkeiten, kontrolliert durch ihren Glauben und ihre Liebe zu Christus, den Unterschied zwischen Gut und Böse leicht erfassen, zwischen Dingen, die für ihr geistliches Leben nützlich sind, und solchen, die schädlich sind. Ihre Wahrnehmung ist so geschärft, ihr Geschmack so entwickelt, dass sie das Gesunde und das Schädliche leicht erkennen können. Anmerkung: Alle Christen haben die Möglichkeit, in ihrer geistlichen Erkenntnis zu wachsen. Wenn sie tatsächlich Tag für Tag das Wort Gottes studieren, wenn sie jeden Gedanken unter den Gehorsam Christi gefangen nehmen, dann wird es bald Anzeichen von Reife im Verständnis aller biblischen Lehren geben und eine richtige Unterscheidung zwischen dem Heilsamen und dem Krankhaften und Schädlichen in Lehre und Leben. Der Tadel gilt heute wahrscheinlich genauso scharf wie damals, und unsere demütige Anerkennung dieser Tatsache kann den Weg für die notwendige Verbesserung ebnen.

 

Zusammenfassung: Der inspirierte Autor zeigt, dass Christus die notwendigen Qualifikationen besitzt, um unser Hoherpriester zu sein, und dass eine vollkommene Erlösung durch seinen Gehorsam verdient wurde; er fügt eine scharfe Rüge wegen der geistlichen Unreife seiner Leser ein.

 

 

Kapitel 6

 

Ein Aufruf zum Wachsen und zur Festigkeit im Glauben (6,1-20)

    1 Darum wollen wir die Lehre vom Anfang christlichen Lebens jetzt lassen und zur Vollkommenheit fahren, nicht abermals Grund legen von Buße der toten Werke, vom Glauben an Gott, 2 von der Taufe, von der Lehre, vom Händeauflegen, von der Toten Auferstehung und vom ewigen Gericht. 3 Und das wollen wir tun, so es Gott anders zulässt.

    4 Denn es ist unmöglich, dass die, so einmal erleuchtet sind und geschmeckt haben die himmlische Gabe und teilhaftig geworden sind des Heiligen Geistes 5 und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt, 6 wenn sie abfallen und wiederum sich selbst den Sohn Gottes kreuzigen und für Spott halten, dass sie sollten wiederum erneuert werden zur Buße. 7 Denn die Erde, die den Regen trinkt, der oft über sie kommt, und bequem Kraut trägt denen, die es bauen, empfängt Segen von Gott. 8 Welche aber Dornen und Disteln trägt, die ist untüchtig und dem Fluch nahe, welche man zuletzt verbrennt.

    9 Wir sind aber, ihr Liebsten, von einem Besseren überzeugt von euch, und dass die Seligkeit näher ist, obwohl wir so reden. 10 Denn Gott ist nicht ungerecht, dass er vergesse euer Werk und Arbeit der Liebe, die ihr bewiesen habt an seinem Namen, da ihr den Heiligen dientet und noch dient. 11 Wir begehren aber, dass euer jeglicher denselben Fleiß beweise, die Hoffnung festzuhalten bis ans Ende, 12 dass ihr nicht träge werdet, sondern Nachfolger derer, die durch den Glauben und Geduld ererben die Verheißungen.

    13 Denn als Gott Abraham verhieß, da er bei keinem Größeren zu schwören hatte, schwur er bei sich selbst 14 und sprach: Wahrlich, ich will dich segnen und vermehren. 15 Und so trug er Geduld und erlangte die Verheißung. 16 Die Menschen schwören wohl bei einem Größeren als sie sind; und der Eid macht ein Ende alles Haders, dabei es fest bleibt unter ihnen. 17 Aber Gott, da er wollte den Erben der Verheißung überschwänglich beweisen, dass sein Rat nicht wankte, hat er einen Eid dazugetan, 18 damit wir durch zwei Stücke, die nicht wanken (denn es ist unmöglich, dass Gott lüge), einen starken Trost haben, die wir Zuflucht haben und halten an der angebotenen Hoffnung, 19 welche wir haben als einen sicheren und festen Anker unserer Seele, der auch hineingeht in das Inwendige des Vorhangs, 20 dahin der Vorläufer für uns eingegangen, Jesus, der ein Hoherpriester geworden ist in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks.

 

    Christen sollen in der Erkenntnis wachsen (V. 1-3): Der inspirierte Schreiber setzt den Exkurs fort, der mit Kap. 5,11 begonnen hat, in dem er eine scharfe Zurechtweisung wegen der geistlichen Trägheit ausspricht, vor dem Abfall vom Glauben warnt und seine Leser ermahnt, sich mit großem Ernst um das weitere Wachstum und die sichere Bewahrung der vollen Gewissheit ihrer christlichen Hoffnung zu bemühen. Die ersten Worte dieses Kapitels bekräftigen die letzte Bemerkung des vorangegangenen Kapitels: Darum lasst uns, nachdem wir die Lehre vom Anfang Christi hinter uns gelassen haben, zur Vollkommenheit fortschreiten und den Grund der Buße von den toten Werken und des Glaubens an Gott, der Lehre von der Taufe, der Handauflegung, der Auferstehung der Toten und des ewigen Gerichts nicht neu legen. Weil die Judenchristen Palästinas trotz der vielen Vorteile, die sie genossen hatten, in geistlichen Dingen noch so träge waren, und weil man andererseits von ihnen erwarten konnte, dass sie den Zustand der geistlichen Kindheit und Unreife hinter sich ließen, fügt der Schreiber diese Ermahnung hinzu. Sie sollten die Elemente, die Grundlagen der christlichen Lehre hinter sich lassen und zur Vollkommenheit übergehen. Zu diesem Zustand sollten sie sich vorwärts treiben lassen, sie sollten sich dem Einfluss des Wortes in seiner Wirkung auf ihr Herz und ihren Verstand, ihren Willen und ihren Intellekt hingeben. Es sollte nicht nötig sein, immer wieder das Fundament der Buße und des Glaubens und all der einfachen Belehrungen zu legen, mit denen sie zu diesem Zeitpunkt bereits vertraut sein sollten.

    Dieser Punkt wird nun analysiert. Die Buße von den toten Werken, wie sie in den Menschen, die selbst geistlich tot sind, hervorgebracht wird, der Glaube an Jesus Christus als den einzigen Weg zur Erlösung, die Lehre von den Taufen, von der christlichen Taufe in ihrer Beziehung zu den jüdischen Waschungen, 1. Petr. 3,21, die Lehre von der Handauflegung bei den Neugetauften, um ihnen die Gabe des Heiligen Geistes zu vermitteln, Apg. 8,17-19; 19,6, die Lehre von der Auferstehung der Toten und vom ewigen Gericht: all dies ist das Material, aus dem die Grundlage der christlichen Erkenntnis besteht und auf dem die christliche Vollkommenheit beruht. Dieses Material ist in drei Gruppen unterteilt, die paarweise miteinander verbunden sind; die ersten beiden bezeichnen die grundlegende Forderung des christlichen Lebens, die nächste den Anfang, die letzte den Gegenstand oder das Ziel. Reue und Glaube sind die Voraussetzungen für das christliche Leben; sie kennzeichnen die Hinwendung des Menschen aus der geistlichen Finsternis zum Licht der Gnade Gottes in Christus Jesus. Durch die Taufe wird der Bekehrte ein Glied der Kirche und erhält durch Handauflegung die Gaben, die ihn für den Dienst im Hause Gottes befähigen. Schließlich freut er sich auf die Auferstehung der Toten und das Jüngste Gericht; denn dies bedeutet für jeden Gläubigen die Vollendung der Herrlichkeit, die niemals enden wird. Mit ermutigender Offenheit fügt der Verfasser hinzu: Und das werden wir tun, wenn der Herr es zulässt. Er will auf die Vollkommenheit hinarbeiten, auf die Reife, die den Christen gebührt, die die Vorteile hatten, die seine Leser genossen haben. Gleichzeitig weiß er nicht nur, dass der Erfolg dieses Vorhabens ganz vom Willen Gottes abhängt, sondern auch, dass es keineswegs selbstverständlich ist, dass Gott die Durchführung dieses Plans zulässt. Es könnten sich Schwierigkeiten ganz besonderer Art in den Weg stellen, die das Vorhaben ganz und gar verhindern könnten, wie im nächsten Absatz deutlich wird.

 

    Eine Warnung davor, den Glauben zu verleugnen (V. 4-8): Hier haben wir den Grund, warum an Fortschritt und Wachstum bei bestimmten Menschen nicht zu denken ist: Denn es ist unmöglich, dass Menschen, die einmal erleuchtet worden sind, die auch die himmlische Gabe geschmeckt haben und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden sind und das herrliche Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt gekostet haben und dann abgefallen sind, zur Buße erneuert werden, weil sie sich den Sohn Gottes gekreuzigt und zu Schanden gemacht haben. Diese schwierige Stelle muss sehr genau untersucht werden, wenn man den beabsichtigten Sinn erfassen will. Der Verfasser erklärt, dass es für bestimmte Personen schlichtweg unmöglich ist, erneuert zu werden, ein zweites Mal zur Buße zurückgebracht zu werden. Diese Personen charakterisiert er durch eine Beschreibung, die vier Punkte umfasst. Die Menschen, an die er denkt, sind solche, die vom Heiligen Geist durch das Wort erleuchtet worden sind, die ein geistliches Verständnis von Christus und ihrer Erlösung durch Christus haben, Eph. 1,18; 5,8; 1. Petr. 2,9, mit anderen Worten, Christen, solche, die aus der Finsternis der Gottlosigkeit zu dem wunderbaren Licht in Christus berufen worden sind. Die Menschen, auf die sich der Autor bezieht, sind außerdem solche, die die himmlische Gabe gekostet haben, die Gabe des Heils in Christus als kostbare Gnadengabe, die Vergebung der Sünden, alle Segnungen der Kindschaft, Frieden und Freude im Heiligen Geist. Sie sind ferner des Heiligen Geistes teilhaftig geworden, sie sind versiegelt worden mit dem Heiligen Geist der Verheißung, dem Vorgeschmack unseres Erbes bis zur Erlösung des erkauften Eigentums, Eph. 1, 14. Sie haben endlich das herrliche, das ausgezeichnete Wort Gottes und die Kräfte des zukünftigen Lebens gekostet; sie fühlen, sie erkennen den mächtigen Einfluss, den Gottes Wort der Verheißung auf Geist, Verstand und Seele ausübt. Sie haben die Kraft Gottes zum Heil erfahren, die alle ewigen, himmlischen Segnungen vermittelt; sie haben durch den Glauben den Genuss des künftigen Lebens vorweggenommen und sind in der Hoffnung der Herrlichkeit des Himmels teilhaftig.

    Wenn Personen, auf die diese Beschreibung zutrifft, Menschen, die zweifellos Jesus als ihren Erlöser angenommen, ihr Vertrauen auf sein Heil gesetzt und die Freuden des ewigen Lebens aufgrund der ihnen durch das Wort gegebenen Kraft vorweggenommen haben, nun trotz dieser rettenden Erkenntnis durch eine bewusste Verleugnung dieser Erkenntnis abfallen, dann ist ihre Rückkehr zur Umkehr ausgeschlossen. Der Grund für diese Tatsache ist nicht bei Gott zu suchen, als ob seine gnädige Absicht und sein Wille für sie nicht aufrichtig gewesen wären, sondern bei den Menschen selbst. Wenn ihr Abfall so geschieht, wie hier beschrieben, mit einer absichtlichen, böswilligen Verleugnung der Wahrheit, dann kreuzigen sie den Sohn Gottes für sich selbst und stellen ihn zu Schanden und Schmach vor die Menschen. Sie leugnen absichtlich und willentlich jede Verbindung mit dem Herrn, der für sie gekreuzigt wurde, sie brandmarken ihn als Verbrecher, als falschen Messias, der die Schande des Todes am Kreuz erlitten hat. All das verüben sie gegen den, den sie früher als Sohn Gottes anerkannt haben, von dem sie wussten, dass er der Erlöser der Welt ist. Sie können sich nicht auf Unwissenheit berufen oder darauf, dass sie in törichtem Unglauben gehandelt haben. Aus diesem Grund bringt ihr Verhalten das Gericht, die ewige Verdammnis über sie. Der Grund, warum ihre Herzen verstockt sind, warum es für sie unmöglich ist, umzukehren und zur Umkehr zu gelangen, liegt im Charakter ihrer Übertretung. Sie verharren hartnäckig und beharrlich in ihrem antichristlichen, gotteslästerlichen Verhalten, sie verhärten ihr eigenes Herz gegen alle Versuche des Wortes, Eingang zu finden, und werden so schließlich in ihrer Herzenshärte aufgegeben, Apg. 28,27.[6]   

    Der Verfasser sagt nicht, dass seine Leser dieses Stadium erreicht haben; er weist nur auf die Möglichkeit hin, dass es ihnen ebenso ergehen kann wie anderen, und warnt sie so vor geistlicher Trägheit, vor mangelndem Fleiß im Gebrauch der Gnadenmittel. Vgl. 2. Kor. 6,1. Und er unterstreicht seine Warnung durch ein Gleichnis: Denn das Land, das den Regen, der oft darauf fällt, aufnimmt und Pflanzen hervorbringt, die denen, die es bebauen, nützlich sind, hat teil am Segen Gottes; das Land aber, das Dornen und Disteln hervorbringt, ist wertlos und steht am Rande des Fluchs, und sein Ende ist das Verbrennen. Dies ist eine Analogie aus der Natur, um das Verhängnis des Abtrünnigen zu veranschaulichen. Wenn ein Stück Boden auf die Bearbeitung des Landwirts oder Gärtners reagiert und genügend Regen für die angebauten Pflanzen hat und eine Ernte einbringt, die den Erwartungen entspricht, die man in sie setzen konnte, dann zeigt sich Gottes Zustimmung in den reichen Erträgen des Bodens. Wenn sich aber ein Stück Boden, das mit aller Sorgfalt bearbeitet wurde und alle Feuchtigkeit erhält, die für eine gute Ernte nötig ist, und sich dennoch weigert, auf eine solche Behandlung zu reagieren, nicht als würdig erweist, muss es als wertlos verurteilt werden, und die Dornen und Disteln, die es hört, müssen schließlich verbrannt werden. Die Anwendung des Gleichnisses ist nicht schwer. Der reichliche und immer wiederkehrende Regen steht für das freie und beständige Angebot und die Gabe der Gnade Gottes, für die Erleuchtung durch das Wort Gottes, für das wirksame Wirken des Heiligen Geistes in den Herzen der Gläubigen. Dies sollte sie alle befähigt haben, Gott gegenüber richtige Frucht zu bringen. Wenn nun jemand, der diese Segnungen empfangen hat, sein Herz verhärtet und Früchte der Lästerung und böswilligen Verleugnung der Gnade hervorbringt, so hat er sein eigenes Verderben besiegelt. Denn das hier beschriebene Verhalten ist die Sünde gegen den Heiligen Geist, für die es keine Vergebung gibt, weder in dieser noch in der kommenden Welt. Vgl. Matth. 12,31.32; Mark. 3,28.29; Luk. 12,10.[7]

 

    Wachstum in der Heiligung (V. 9-12): Hier erklärt der inspirierte Autor ausdrücklich, dass er nicht andeuten will, dass sich einer seiner Leser im Zustand der Selbstverstockung befindet. Er will lediglich seine Warnung vor der Verleugnung des Glaubens sehr eindrücklich machen und gleichzeitig alle Fortschritte in der Heiligung anmahnen: Wir sind aber bei euch, Geliebte, von Dingen überzeugt, die besser und heilsfördernd sind, auch wenn wir so reden. Schon die Tatsache, dass er seine Leser als „Geliebte“ anspricht, zeigt, dass er das Bild, das er gerade gezeichnet hat, nicht auf sie in ihrem gegenwärtigen Zustand anwendet. Der inspirierte Autor ist voll und ganz davon überzeugt, dass ihnen ein ganz anderes und unermesslich besseres Los zuteil werden wird, das mit dem Heil ihrer Seele verbunden ist und auf dieses zustrebt, verbunden mit der ewigen Seligkeit des Himmels.

    Den Grund dafür, dass alle Bedenken, die der Autor gehabt haben mag, völlig verschwunden sind, nennt er jetzt: Denn Gott ist nicht ungerecht, dein Werk und die Liebe zu vergessen, die du seinem Namen erwiesen hast, indem du den Heiligen gedient hast und dienst. Der Schreiber kann nicht in die Herzen seiner Leser schauen und so seine Überzeugung kundtun, aber er kann aus dem Vorhandensein wirklich guter Werke auf das Vorhandensein des Glaubens in den Herzen schließen. Sie hatten den Heiligen Geist Gottes nicht so sehr betrübt, dass sie ihn aus ihren Herzen vertrieben hätten; es gab immer noch reichlich Beweise für das neue geistliche Leben, das durch den Glauben begonnen hatte. Es gab unbestreitbar gute Werke, gute Werke der Liebe, mit denen sie den Heiligen, ihren Brüdern im Glauben, dienten. Dieser Zustand war Gott in der Tat bekannt. Und von Ungerechtigkeit gibt es bei Gott nichts, sie ist nicht einmal zu denken. Er ist treu, er ist gerecht, er übersieht oder vergisst nicht, dass das ganze Leben der Judenchristen, die hier angesprochen werden, eine einzige lange Kette von Beweisen für das Vorhandensein des Glaubens in ihren Herzen ist, für die Liebe zur richtigen Heiligung seines Namens.

    Es reicht aber nicht aus, dass so viel zum Lob der Leser gesagt wird, sondern sie müssen auch Fortschritte machen: Wir erwarten aber von einem jeden von euch, dass er denselben Eifer für die Erfüllung der Hoffnung bis zum Ende an den Tag legt, damit ihr nicht träge werdet, sondern Nachahmer derer, die durch Glauben und Geduld jetzt Erben der Verheißung sind. Der heilige Schreiber hatte noch einige Bedenken hinsichtlich des geduldigen Ausharrens seiner Leser, denn er betont, dass er wünscht und ernsthaft erwartet, dass sich jeder einzelne in ihrer Mitte anstrengt. Anstelle der Lauheit und Halbherzigkeit, die sie im Allgemeinen an den Tag legten, wünschte er, dass ein jeder einen ernsten Fleiß und Eifer an den Tag lege, damit sie die volle Gewissheit ihrer christlichen Hoffnung hätten, eine Vollkommenheit, die nichts zu wünschen übrig lasse. Sie müssen die volle Gewissheit der Überzeugung haben, dass die Vollendung ihrer Erlösung in Christus eintreten wird. Fehlte ihnen diese Gewissheit für längere Zeit, so bestand die Gefahr, dass sie in ihrem christlichen Leben und damit auch in ihrem Glauben träge und schläfrig wurden, dass es ihnen an der Energie und der fröhlichen Zuversicht fehlte, die Gott von seinen Christen erwartet. Statt einem solchen Einfluss nachzugeben, sollten sie sich daher solche Menschen zum Vorbild nehmen, Nachahmer derer werden, die durch Glauben und Ausharren bis zum Ende das verheißene Erbe erlangt haben. Der Erfolg derer, deren Ausharren sie miterlebt hatten, sollte ein ständiger Ansporn für ihren Glauben sein. Das bedeutet natürlich eine tägliche Erneuerung des Glaubens, ein geduldiges Warten auf die endgültige Offenbarung der Herrlichkeit des Herrn. Was die Gläubigen der Vorzeit erreicht haben, was die Christen seit dem Kommen Christi im Fleisch als Frucht und Lohn ihres Glaubens genossen haben, das dürfen und sollen auch wir mit festem Vertrauen erwarten; denn die Verheißungen Gottes sind sicher, wie der Schreiber im nächsten Abschnitt zeigt.

 

    Die Gewissheit der Verheißungen Gottes (V. 13-20): Indem der inspirierte Autor seine Leser an die Sicherheit der Verheißungen Gottes erinnert, verliert er nie die Tatsache aus den Augen, dass er Interesse und weitere Ermutigung wecken will, damit die Gläubigen durch geduldiges Ausharren in ihrem Vertrauen auf Gott das Ziel des Glaubens erreichen können. Da der Verfasser es mit Judenchristen zu tun hat, erinnert er sie an das Beispiel Abrahams, der zu denen gehört, die die Verheißung geerbt haben: Denn Gott hat Abraham, da er bei keinem Größeren schwören konnte, bei sich selbst geschworen und gesagt: Segen will ich dir geben und mehren will ich dich. Der Herr hatte Abraham wiederholt die Verheißung gegeben, dass er Nachkommen seines eigenen Leibes haben sollte, eine Prophezeiung, die die messianische Verheißung einschloss, 1. Mose 12,1-3.7; 15,5; 17,5.6; 18,18. Aber diese Verheißung, so sicher sie an sich war, ergänzte der Herr zusätzlich mit einem Eid von sich selbst, da es keinen größeren gab, bei dem er schwören konnte, Gen 22, 16-18. Im Falle Abrahams zeigt sich also, dass die Verheißung sicher ist, denn Gott hat sich mit einem Eid verpflichtet, sie zu erfüllen. Aber ihre Vorteile können nur durch geduldiges Warten erlangt werden, wie im Fall des Patriarchen, dessen Glaube schließlich belohnt wurde. Er war sich der Erfüllung so sicher, dass er überzeugt war, Gott könne ebenso schnell aufhören zu sein, wie er die Einhaltung seiner Verheißung vernachlässigte. Seine Belohnung kam zur rechten Zeit: Da er Geduld bewiesen hatte, erlangte er die Verheißung. Obwohl eine Verzögerung auf die andere folgte und ein Jahr nach dem anderen verstrich, obwohl er zum Gast in einem fremden Land wurde und die Unfruchtbarkeit seiner Frau aller Hoffnung zu spotten schien, hielt er an seiner zuversichtlichen Erwartung fest, bis die Erfüllung des ersten Teils der Verheißung Gottes als Belohnung für seinen Glauben eintrat. Ihm wurde von Sara ein Sohn, Isaak, geboren, und er sah seine Enkelkinder als Träger der Verheißung, bevor der Herr ihn zu seinen Vätern holte. Die Geburt Isaaks war für Abraham eine Garantie, dass sich auch der messianische Teil der Prophezeiung erfüllen würde, dass Gott in einem seiner Nachkommen alle Völker erlösen und segnen würde, und so sah er im Geist den Tag des Herrn und freute sich, Johannes 8,56. Anmerkung: Da Christus der Erlöser nicht nur Abrahams, sondern der ganzen Welt ist, gelten die Verheißungen Gottes mit dem bestätigenden Schwur nicht nur Abraham, sondern den Gläubigen aller Zeiten.

    Der heilige Schreiber will seinen Lesern die volle Bedeutung der Verheißung und des Eides Gottes vor Augen führen und führt deshalb eine Analogie ein: Denn die Menschen schwören bei einem Größeren (als sich selbst), und für sie ist der Eid das Ende aller Anfechtung bis zur Bestätigung. Das ist seit jeher die Regel unter den Menschen gewesen. Wenn ein Eid wirklich erforderlich ist und aufrichtig geleistet werden kann, wie wenn die Regierung es befiehlt oder das Wohl des Nächsten oder die Ehre Gottes es verlangt, dann schwören die Menschen bei dem größeren Wesen, bei Gott selbst. Der Eid wird zur Bestätigung einer Aussage geleistet, er regelt den Streitfall, er bringt allen Streit zu einem schnellen Ende, 2. Mose 22,10.11.

    Der große Gott aber, um alle Zweifel aus den Herzen der Menschen zu entfernen, hat sich in diesem Fall an die durch den menschlichen Gebrauch begründete Sitte gehalten: In der Absicht, den Erben der Verheißung die Unveränderlichkeit seines Willens noch deutlicher vor Augen zu führen, griff Gott mit einem Eid ein. Der Herr passte sich der Schwäche der Menschen an, die in seinen gnädigen Willen einbezogen waren. Nachdrücklicher als durch eine bloße Verheißung wollte er uns die Unveränderlichkeit, die Unwandelbarkeit seines gnädigen und guten Willens vor Augen führen. Sein feierlicher Eid trat zwischen ihn und uns, als zusätzliche Garantie dafür, dass seine Verheißungen für uns alle bestimmt waren, damit nicht ein einziger von Zweifeln gequält würde. Damit setzte sich Gott über die implizite Beleidigung seiner Wahrhaftigkeit, der Gewissheit seines Wortes, hinweg, indem er sich auf eine Stufe mit den Menschen stellte. „Gott ist gleichsam von seiner eigenen absoluten Höhe herabgestiegen, um gleichsam nach Menschenart zu sich hinaufzuschauen und sich selbst zum Zeugen zu nehmen; und so in gnädiger Herablassung die Verheißung um ihrer Erben willen zu bestätigen“ (Delitzsch). „Er brachte sich selbst als Bürge ein, er vermittelte oder trat zwischen die Menschen und sich selbst, durch den Eid bei sich selbst“ (Davidson).

    Die Absicht Gottes, sich auf diese Weise herabzulassen, wird ausdrücklich erklärt: Durch zwei unveränderliche Dinge, in denen Gott unmöglich lügen konnte, sollten wir, die wir Zuflucht gesucht haben, einen starken Anreiz haben, uns an die Hoffnung zu klammern, die uns vorgehalten wird. Gottes Verheißung und Gottes Schwur sind die beiden unveränderlichen Dinge. Durch sie, seine Verheißung, die Gott unmöglich brechen kann, und seinen Eid, den er unmöglich brechen kann, haben wir eine solide und feste Ermutigung, einen Ansporn und einen Trost. Wir haben Zuflucht gesucht und in ihm gefunden und haben sie. Wir dürfen unbeirrt an der Hoffnung festhalten, die uns entgegengebracht wird, denn eine sicherere Garantie können wir nicht bekommen, ganz gleich, wo wir uns hinwenden. Auf der Flucht vor unseren eigenen Zweifeln und Schwächen haben wir eine sichere Zuflucht in der Verheißung des Herrn. Wir können uns ohne zu wanken an die Hoffnung auf das ewige Heil klammern, wie es uns in den Worten der Gnade Gottes zugesichert wird.

    Wie vollkommen und absolut sicher diese Hoffnung ist, geht aus der letzten Aussage hervor: Die wir haben als einen Anker der Seele, sicher und gewiss, und in den Teil hinter dem Vorhang eingehen, wo der Vorläufer für uns eingegangen ist, Jesus, der für immer ein Hoherpriester geworden ist nach der Ordnung Melchisedeks. So wie der Anker eines Schiffes, wenn er fest sitzt, das Schiff auch bei starkem Wind und gefährlichen Wellen sicher und fest hält, so gibt uns die Hoffnung unseres Glaubens, die in den Verheißungen des Herrn verankert ist, inmitten der Stürme dieser letzten Tage einen festen und sicheren Halt am Heil. Dieser Anker unserer Seele ist durch die Gnade Gottes fest verankert in der Gegenwart des allmächtigen Gottes, im Allerheiligsten des Himmels. Das Allerheiligste war das innerste Heiligtum des jüdischen Tempels, in das der Hohepriester nur einmal im Jahr im Namen des ganzen Volkes eintrat. So ist Jesus, unser Vorläufer und Hoherpriester, in die Gegenwart, zur Rechten seines himmlischen Vaters, erhoben worden. Er ist dort für uns eingetreten, um unser Fürsprecher beim Vater zu werden, um für uns Fürsprache einzulegen, mit einem ständigen Hinweis auf sein vollkommenes Sühnewerk. Jesus ist es, an den wir glauben, auf den wir vertrauen. Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat er für uns die Macht erlangt, in die himmlischen Wohnungen einzugehen, dem Weg zu folgen, den er uns gezeigt hat, als er in alle Ewigkeit Priester nach der Ordnung Melchisedeks wurde. Merke: Wenn wir Christen die Hoffnung unseres Heils auf die Verheißungen und den Eid Gottes setzen, dann ist unsere Hoffnung in dem allmächtigen Gott selbst verankert. Deshalb müssen wir alle Trägheit und Unbeweglichkeit ablegen, wenn wir die Verheißungen Gottes auf uns anwenden und so täglich unserer Erlösung sicherer werden.

 

Zusammenfassung: Der Verfasser setzt seine Ermahnung zum Fortschritt und zur Festigkeit im Glauben fort, indem er zeigt, wie notwendig der Fortschritt in der Erkenntnis ist, indem er vor der Verleugnung des Glaubens warnt, indem er zum Fortschritt in der Heiligung auffordert und indem er die Gewissheit der Verheißungen Gottes aufzeigt.

 

 

Kapitel 7

 

Ein Vergleich zwischen Christus und Melchisedek (7,1-28)

    1 Dieser Melchisedek aber war ein König zu Salem, ein Priester Gottes, des Allerhöchsten, der Abraham entgegenging, als er von der Könige Schlacht wiederkam, und segnete ihn, 2 welchem auch Abraham gab den Zehnten aller Güter. Aufs erste wird er verdolmetscht ein König der Gerechtigkeit; danach aber ist er auch ein König Salem, das ist, ein König des Friedens; 3 ohne Vater, ohne Mutter, ohne Geschlecht; und hat weder Anfang der Tage, noch Ende des Lebens. Er ist aber verglichen dem Sohn Gottes und bleibt Priester in Ewigkeit.

     4 Schaut aber, wie groß ist der, dem auch Abraham, der Patriarch, den Zehnten gibt von der eroberten Beute! 5 Zwar die Kinder Levi, da sie das Priestertum empfangen, haben sie ein Gebot, den Zehnten vom Volk, das ist, von ihren Brüdern, zu nehmen nach dem Gesetz, wiewohl auch sie den Lenden Abrahams gekommen sind. 6 Aber der, dessen Geschlecht nicht genannt wird unter ihnen, der nahm den Zehnten von Abraham und segnete den, der die Verheißung hatte. 7 Nun ist’s ohne alles Widersprechen so, dass das Geringere von dem Besseren gesegnet wird. 8 Und hier nehmen den Zehnten die sterbenden Menschen; aber dort bezeugt er, dass er lebe. 9 Und dass ich so sage, es ist auch Levi, der den Zehnten nimmt, verzehntet durch Abraham. 10 Denn er war je noch in den Lenden des Vaters, da ihm Melchisedek entgegenging.

    11 Ist nun die Vollkommenheit durch das levitische Priestertum geschehen (denn unter demselben hat das Volk das Gesetz empfangen), was ist denn weiter not zu sagen, dass ein anderer Priester aufkommen solle nach der Ordnung Melchisedeks und nicht nach der Ordnung Aarons? 12 Denn wenn das Priestertum geändert wird, muss notwendigerweise auch das Gesetz geändert werden. 13 Denn von dem solches gesagt ist, der ist von einem anderen Geschlecht, aus welchem nie jemand am Altar gedient hat. 14 Denn es ist ja offenbar, dass von Juda aufgegangen ist unser HERR; zu welchem Geschlecht Mose nicht geredet hat vom Priestertum. 15 Und es ist noch viel klarer, wenn nach der Weise Melchisedeks ein anderer Priester aufkommt, 16 welcher nicht nach dem Gesetz des fleischlichen Gebots gemacht ist, sondern nach der Kraft des unendlichen Lebens. 17 Denn er bezeugt: Du bist ein Priester ewiglich nach der Ordnung Melchisedeks. 18 Denn damit wird das vorige Gesetz aufgehoben, darum weil es zu schwach und nicht nütze war 19 (denn das Gesetz konnte nichts vollkommen machen), und wird eingeführt eine bessere Hoffnung, durch welche wir zu Gott nahen;

    20 und dazu, was viel ist, nicht ohne Eid. Denn jene sind ohne Eid Priester geworden; 21 dieser aber mit dem Eid durch den, der zu ihm spricht: Der HERR hat geschworen, und wird ihn nicht gereuen: Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks. 22 Also eines so viel besseren Testaments Ausrichter ist Jesus geworden.

    23 Und jener sind viel, die Priester wurden, darum dass sie der Tod nicht bleiben ließ; 24 dieser aber darum, weil er ewig bleibt, hat er ein unvergängliches Priestertum; 25 daher er auch selig machen kann immerdar, die durch ihn zu Gott kommen, und lebt immerdar und bittet für sie.

    26 Denn einen solchen Hohenpriester sollten wir haben, der da wäre heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sündern abgesondert und höher, als der Himmel ist, 27 dem nicht täglich not wäre wie jenen Hohenpriestern, zuerst für eigene Sünden Opfer zu tun, danach für des Volkes Sünden; denn das hat er getan einmal, da er sich selbst opferte. 28 Denn das Gesetz macht Menschen zu Hohenpriestern, die da Schwachheit haben; dies Wort aber des Eides, das nach dem Gesetz gesagt ist, setzt den Sohn, der in Ewigkeit vollkommen ist.

 

    Melchisedek, ein Bild auf Christus in einzigartiger Weise (V. 1-3): Dieser Absatz eröffnet einen der wichtigsten Abschnitte des ganzen Briefes, denn er soll die Überlegenheit Christi in besonderer Weise deutlich machen. Dies wird auch durch die Beschreibung von Melchisedek in der Heiligen Schrift deutlich gemacht: Denn dieser Melchisedek, der König von Salem, war ein Priester des höchsten Gottes, der Abraham begegnete, als er von der Ermordung der Könige zurückkehrte, und ihn segnete, und dem Abraham auch den zehnten Teil von allem (der Beute) gab. Vgl. 1. Mose 14,18-20. Aus der Geschichte, wie sie in der Genesis [1. Buch Mose] erzählt wird, ergeben sich die folgenden Fakten. Lot, Abrams Neffe, wurde von vier Königen, nämlich Kedorlaomer, Tidal, Amraphel und Arioch, bei ihrem Feldzug gegen Sodom und Gomorra in die Gefangenschaft geführt. Diese Könige wurden mit einiger Plausibilität mit Hammurabi, Eriaku, Kudurlachjumal und Tudchula identifiziert, die in alten Aufzeichnungen erwähnt werden, die den biblischen Bericht bestätigen. Der Patriarch versammelte daraufhin alle Männer, die er in seinem Haus versammeln konnte, verfolgte die Könige, schlug sie vernichtend und rettete Lot und seine Habe. Bei seiner Rückkehr wurde er von diesem König von Salem, Melchisedek, empfangen. Dabei ist es unerheblich, ob dieses Salem für das spätere Jerusalem oder für Salim im Tal von Schechem steht. Uns interessieren die Aussagen über den Mann und die Anwendung dieser Punkte. Er war ein König und damit nach altem Brauch auch Richter und Priester. Er wird ausdrücklich als Priester des allerhöchsten Gottes bezeichnet, 1. Mose 14,18. Als solcher segnete er Abraham und übertrug ihm die Gabe Gottes. Abraham wiederum teilte Melchisedek den Zehnten der Beute zu und erkannte ihn damit als Priester an.

    Diese besondere Persönlichkeit wird nun näher beschrieben: Zunächst als König der Gerechtigkeit, dann aber auch als König von Salem, d. h. als König des Friedens. Der heilige Autor nutzt jeden Faktor, jeden Punkt, der eine Möglichkeit zur Erklärung bietet. Der Name Melchisedek selbst ist hebräisch und wird mit "König der Gerechtigkeit" übersetzt, und das Wort Salem bedeutet „Frieden“, der König von Salem ist natürlich der "König des Friedens". Sowohl durch seinen Namen als auch durch sein offizielles Amt hob sich Melchisedek also von anderen Menschen ab. Und es ist bezeichnend, dass Gerechtigkeit und Frieden charakteristische Eigenschaften des messianischen Reiches sind, Ps. 72,7; Jes. 9,6.7; Sach. 9,9; Eph. 2 4.15.17.

    Ebenso wichtig ist der letzte Teil der Personenbeschreibung: Ohne Vater, ohne Mutter, ohne Stammbaum, weder Anfang der Tage noch Ende des Lebens habend, sondern dem Sohn Gottes gleichgemacht, bleibt er Priester auf ewig. Melchisedek steht in der Schrift absolut allein; es werden keine berühmten Eltern erwähnt, von denen er Macht und Autorität geerbt haben könnte, und sein priesterliches Amt konnte ihm auch nicht als Nachkomme einer priesterlichen Familie zufallen. Seine Abstammung und sein Stammbaum sind nirgends verzeichnet und aufgezeichnet. Weder von seiner Geburt noch von seinem Tod ist in der Heiligen Schrift die Rede, weder seine Einsetzung in das Amt noch sein Ausscheiden aus dem Amt werden beschrieben. Darin gleicht er dem ewigen Gottessohn, als dessen Typus er offenbar gedacht war. Die ganze Geschichte erweckt den Eindruck, dass zu jener Zeit priesterliche Dienste eines bestimmten Typs erforderlich waren, und dieser Mann war dazu da, sie zu verrichten. Aus dem gesamten Kontext geht also hervor, dass die Dauerhaftigkeit des Priestertums Melchisedeks zum Ausdruck gebracht werden sollte. Ein Kommentator drückt es so aus: „Hätte er in der Geschichte, wie es zweifellos der Fall war, einen Nachfolger im Amt gehabt, hätten wir von ihm sagen müssen, dass er der Priester von Salem in den Tagen Abrahams war. So wie der Fall liegt, ist er der Priester von Salem.“ (Bruce.)

 

    Melchisedek steht über den levitischen Priestern (V. 4-10): In diesem zweiten Argument der Reihe zeigt der inspirierte Autor, dass Melchisedek größer war als der Patriarch Abraham, von dem die jüdische Nation abstammt und dem der Segen Gottes anvertraut wurde. Wie viel mehr ist er dann größer als die Mitglieder des levitischen Priestertums, die von Abraham abstammten! Der Autor lenkt die Aufmerksamkeit der judenchristlichen Leser absichtlich auf diesen Punkt: Seht aber, wie groß dieser Mann war, dem sogar Abraham, der Patriarch, den Zehnten der Beute gab. Die Würde, die Vortrefflichkeit, die Überlegenheit Melchisedeks erscheint hier, wenn überhaupt. Alle Missverständnisse werden vermieden, wenn man den Abraham, von dem hier die Rede ist, als den Patriarchen, den Stammvater des jüdischen Geschlechts bezeichnet. Wenn sogar dieser Mann, der als fast übermenschlich angesehen wurde, Melchisedek den Zehnten, den besten Teil der Beute, die er aus der Schlacht mitbrachte, zahlte, muss letzterer im Besitz einer Größe und Würde von höchstem Rang sein.

    Diese Tatsache wird durch einen Vergleich zwischen dem Zehnten, der an die Priester gezahlt wurde, und dem Zehnten, den Abraham in dem erwähnten Fall zahlte, noch unterstrichen: Diejenigen von den Söhnen Levis, die den priesterlichen Dienst empfangen, sind zwar verpflichtet, den Zehnten nach dem Gesetz zu geben, d.h. ihre Brüder, obwohl sie aus den Lenden Abrahams hervorgegangen sind; aber derjenige, dessen Abstammung nicht unter ihnen aufgezeichnet ist, gab Abraham den Zehnten und segnete den, der die Verheißungen hatte. Die Nachkommen Aarons, die Mitglieder der levitischen Priesterschaft, 2. Mose 28,1-3; 4. Mose 3,10.38; 13,14.15, wurden durch ein Gebot Gottes angewiesen, vom Volk, ihren Brüdern, den Zehnten für ihren Unterhalt zu empfangen. Es geht hier nicht um persönliche Über- oder Unterlegenheit, sondern nur um die Einhaltung des Gesetzes, denn beide Parteien sind Söhne Abrahams und führen ihre Abstammung auf denselben berühmten Vorfahren zurück. Aber bei Abraham und Melchisedek war die Sache ganz anders. Denn letzterer, dessen Abstammung nicht bekannt ist, wird nicht zu Abraham gerechnet, hat nicht von ihm den Zehnten erhalten. In diesem Fall gab es kein besonderes Gesetz, kein besonderes Gebot Gottes, und dennoch zahlte Abraham. Mehr noch: Obwohl Abraham Träger der Segnungen und Verheißungen Gottes war und ihm zugesichert worden war, dass der Messias der Welt unter seinen Nachkommen sein würde (1. Mose 12,2.3; 13,14.15, und doch sprach Melchisedek seinen Segen über diesen Besitzer der messianischen Verheißungen aus. Abraham, groß und hoch und von Gott ausgezeichnet, wie er war, war dennoch froh, den Segen des Königs von Salem zu empfangen.

    Die Schlussfolgerung scheint also klar: Ohne jeden Widerspruch wird der Unterlegene vom Oberen gesegnet. Und hier erhalten Menschen, die sterben, den Zehnten; dort aber der, von dem bezeugt wird, dass er lebt. Über die erste Aussage kann es keine Frage, keinen Streit geben; es ist die allgemeine Regel, dass derjenige, der die höhere Stellung innehat, den Segen über denjenigen ausspricht, der eine Stellung unter ihm innehat. Daraus folgt, dass Melchisedek besser, höher als Abraham war, ihm überlegen, denn sein Segen war nicht nur Ausdruck seines persönlichen guten Willens, sondern eine von Gottes allmächtiger Macht unterstützte Vermittlung von Ergebnissen. Neben dieser bedeutsamen Tatsache lehrt die Begebenheit mit Melchisedek, dass in der jüdischen Kirche sterbliche, dem Tod unterworfene Menschen den Zehnten empfingen, während es sich bei diesem Priester von Salem um einen Mann handelte, von dem wir das Zeugnis haben, dass er lebt, Ps. 110,4. Die Mitglieder des levitischen Priestertums starben einer nach dem anderen und traten an die Stelle von Nachfolgern, die auch in dieser Hinsicht Melchisedek unterlegen waren, für den die Schrift keinen Nachfolger aufzeichnet.

    Dieses Argument verstärkt der Verfasser nun, indem er die Stellung Levis in seiner Beziehung zu Melchisedek durch Abraham festlegt: Und, ich möchte fast sagen, durch Abraham wurde auch Levi, der den Zehnten empfängt, der Zehnte gegeben, denn er war noch in den Lenden seines Vaters, als Melchisedek ihm begegnete. In der Person Abrahams, der den zehnten Teil der Beute an Melchisedek bezahlte, wurde auch Levi, dessen Nachkommen den Zehnten ihrer Brüder zu ihrem Unterhalt erhielten, der Zehnte gegeben. Es stimmt, dass Levi noch ungeboren war, denn Abraham war sein Urgroßvater, wie sich später herausstellte. Aber dieses Argument der Vererbung fand bei den jüdischen Lesern großen Anklang und ließ sich in diesem Fall hervorragend anwenden. Aus der Tatsache, dass der Urgroßvater Levis und der Vorvater aller Männer des levitischen Priestertums den Zehnten an Melchisedek zahlte, geht klar hervor, dass letzterer dem levitischen Priestertum in jeder Hinsicht überlegen war.

 

    Die Unvollkommenheit des levitischen Priestertums und des mosaischen Systems (V. 11-19): An dieser Stelle war vorsichtiges und taktvolles Argumentieren gefragt, damit die Judenchristen nicht ohne Not beleidigt werden und der Versuch, sie für ein gesundes Verständnis der Bedeutung Christi zu gewinnen, scheitert. Aber die Argumente schreiten mit unerbittlicher Kraft voran: Wenn also die Vollkommenheit durch das levitische Priestertum erfolgte - denn durch dieses empfing das Volk das Gesetz -, welche Notwendigkeit hätte es dann noch gegeben, dass ein anderer Priester auftaucht, der nicht nach der Ordnung Aarons benannt ist? Wenn das levitische Priestertum tatsächlich das zu leisten vermocht hätte, was viele behaupteten, wenn die Menschen durch seinen Dienst in den Zustand hätten gebracht werden können, in dem sie von einem gerechten Gott als vollkommen angesehen wurden, wenn Vergebung der Sünden, Leben und Erlösung durch die Lehre des Gesetzes und das Darbringen von Opfern hätten vermittelt werden können, dann wäre es töricht gewesen, einen anderen Priester kommen zu lassen. Es stimmte zwar, dass die Kinder Israels ihre gesamte Gesetzgebung auf der Grundlage des levitischen Priestertums erhielten. Alle Vorschriften des Zeremonialgesetzes, die gesamte Verwaltung der theokratischen Regierungsform, war mit dem priesterlichen Dienst verbunden. Und doch hat Gott einen anderen Priester bestimmt und eingesetzt, der merkwürdigerweise nicht nach der Ordnung Aarons berufen war, nicht dem Stamm Levi angehörte, sondern nach der Ordnung Melchisedeks auftrat. Wie der Schreiber andeutet, muss es einen wichtigen Grund gegeben haben, warum Gott diese Vorkehrung selbst im Zeitalter der Prophezeiung traf. Denn die Geschichte von Melchisedek wird aus einer Zeit aufgezeichnet, die mehr als vierhundert Jahre vor der Verkündigung des Gesetzes auf dem Berg Sinai liegt, und fast fünfhundert Jahre nach der Wüstenwanderung prophezeite David, dass ein anderer Priester nach der Ordnung Melchisedeks aufstehen würde (Ps 110,4).

    Es gibt noch einen weiteren Punkt, der in diesem Zusammenhang zu beachten ist: Denn wenn sich das Priestertum ändert, dann ändert sich notwendigerweise auch das Gesetz. Indem sie Jesus als den Hohenpriester der neuen Dispensation annahmen, hatten die Judenchristen offen eine Änderung des Priestertums anerkannt. Daraus ergab sich, dass auch das Gesetz, das mit dem alttestamentlichen Priestertum verbunden war, geändert oder aufgehoben wurde. Diese Änderung war notwendig, sie war eine logische Konsequenz. Die Opfergaben des Alten Testaments konnten Gott mit den Menschen nicht versöhnen. Nur Er, in dem sich alle Typen und Prophezeiungen des Alten Testaments erfüllen, konnte diesen vollkommenen Zustand herbeiführen.

    Diese gewaltige und epochale Veränderung vollzog sich in Übereinstimmung mit der Prophezeiung des Alten: Denn der, von dem dies gesagt wird, gehört zu einem anderen Stamm, von dem nie jemand am Altar diente; denn es ist offensichtlich, dass unser Herr aus Juda stammte, zu welchem Stamm Mose nichts über Priester sagte. Das Wort Davids, Ps. 110,4, wurde im Hinblick auf Jesus, den wahren Hohenpriester, gesagt, in dem alle alten Vorbilder erfüllt sind. Aber der Messias gehörte nicht zum Stamm Levi; er gehörte nicht zu denen, denen Gott den Dienst am Altar anvertraut hatte. Vielmehr wurde er durch seine Menschwerdung ein Glied eines anderen Stammes, des Stammes Juda, wie bekanntlich 1. Mose 49,8.10. Dies waren der Stamm und die Familie, aus der der Erlöser, unser großer Hohepriester, stammte, ein Stamm, dem Mose nichts von Priestern gesagt hatte und der keine Andeutung machte, dass jemals ein Priester aus seiner Mitte genommen werden würde. Die Tatsache also, dass Jesus sich als der große Hohepriester erwiesen hat und als solcher angenommen wurde, zeigt, dass das levitische Priestertum und das gesamte mosaische System abgeschafft wurden.

     Und noch deutlicher wird es, wenn nach dem Bilde Melchisedeks ein anderer Priester auftritt, der nicht nach dem Gesetz einer fleischlichen Ordnung, sondern nach der Kraft eines unauflöslichen Lebens zu einem solchen geworden ist. Durch die Weissagung Gottes sollte ein neuer und wunderbarer Priester erscheinen, der sein Amt nicht nach äußeren, zeitlichen Ordnungen, wie dem Stammbaum und der körperlichen Beschaffenheit des Leibes, 3. Mose 21,16-23, antreten sollte, sondern einer nach dem Bilde Melchisedeks, von dem dasselbe gesagt werden kann, der sein Amt nach der Kraft des unauflöslichen, unendlichen Lebens antrat, nach der einzigartigen Kraft des ewigen und unveränderlichen göttlichen Lebens, das auch auf seine menschliche Natur übertragen wurde. Selbst der Tod konnte die Kraft dieses göttlichen Lebens nicht auflösen und wegnehmen; denn Er hat den Tod besiegt und das ewige Leben aus dem Tod zurückgebracht. Was den Sohn Gottes befähigte, messianischer König und Hoherpriester der Menschen zu sein, ist sein Rang als Sohn, aber als der Sohn, der die Schwäche des menschlichen Fleisches und Blutes wahrhaftig in seine göttliche Person aufnahm und der Erlöser nach beiden Naturen wurde. All dies ist eingeschlossen, wenn Gott bezeugt: Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks. Nebenbei wird hier betont, dass das Erlösertum Christi nicht zu Ende gegangen ist, sondern dass es immer wieder neu ist und in voller Kraft zum Trost aller Sünder besteht.

    Durch diese Einsetzung Christi in sein Amt wurde die oben erwähnte Veränderung herbeigeführt: Denn das frühere Gebot ist wegen seiner Schwäche und Nutzlosigkeit aufgehoben worden; denn das Gesetz hat nichts vollendet, wohl aber die Einführung einer besseren Hoffnung, durch die wir Gott nahe kommen. Durch die Menschwerdung Christi in der Fülle der Zeit, durch seinen Eintritt in das Werk seines Amtes, insbesondere als unser großer Hoherpriester, wurde das frühere, alttestamentliche Gebot, das das levitische Priestertum begründet und aufrechterhalten hatte, aufgehoben und durch die Heilsordnung, in der Jesus Christus der Mittelpunkt ist, ersetzt. Dies musste aufgrund der Schwäche und Nutzlosigkeit des alttestamentlichen Priestertums geschehen, das völlig versagte, die Menschen wieder in die rechte Beziehung zu Gott zu bringen. Das Gesetz offenbarte den heiligen Willen Gottes; es lehrte Zeremonien, Rudimente; es deutete an, es ahnte voraus, es stellte Typen dar; aber es brachte nichts zur Vollkommenheit, bewirkte nicht die Rückkehr des Menschen in die Gemeinschaft mit Gott. Dies geschah erst durch die Einführung der besseren Hoffnung in Christus, der mächtigen, tröstlichen Hoffnung, durch die wir uns Gott nähern, ohne die Furcht vor ewiger Verdammnis, nicht im Vertrauen auf unsere eigenen Werke und Verdienste, sondern im schlichten Vertrauen auf die vollkommene Sühne und Versöhnung, die unser großer Hoherpriester für uns erwirkt hat. Wir brauchen kein levitisches Priestertum, kein mosaisches System mehr, wir brauchen uns nicht mehr auf ein unvollkommenes und nutzloses System äußerer Formen und Zeremonien zu verlassen; denn in Christus und seinem Werk haben wir die Hoffnung des Glaubens, die uns mit Sicherheit in Gottes Gegenwart und Gemeinschaft bringen wird.

 

    Der Eid Gottes garantiert, dass Christi Priestertum überlegen ist (V. 20-22): Dies ist ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt für den Beweis der größeren Vortrefflichkeit Christi: Und in dem Maße, wie er nicht ohne Eid zum Priester gemacht wurde, in dem Maße wurde Jesus auch Bürge für einen besseren Bund. Vv. 20a. 22. Jesus wurde unser Hoherpriester aufgrund und um der Erfüllung eines feierlichen Eides willen, den sein himmlischer Vater geleistet hatte. Dieser Eid ist einer der Beweise, die wir für die ernste Absicht und den Vorsatz Gottes in Bezug auf die Erlösung der gesamten Menschheit haben. Christus war der einzige, bei dem eine solche außergewöhnliche Ausnahme gemacht wurde. Deshalb ist er die Sicherheit, die Bürgschaft, die Garantie eines besseren, höheren, vorzüglicheren Bundes. Diese Tatsache wird noch deutlicher durch den Satz, den der Verfasser zur Erläuterung einfügt: Denn die einen sind Priester, ohne dass sie einen Eid geschworen haben, die anderen aber mit einem Eid von dem, der zu ihnen gesagt hat: Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks. Die Mitglieder des levitischen Priestertums wurden in ihr Amt eingesetzt und übten die Funktionen ihres Dienstes aus, ohne einen besonderen Eid des Einsetzenden oder eines Eides von ihnen selbst. Ihr Amt war durch das mosaische Gesetz klar definiert, und sie übten es in dem Bewusstsein aus, dass alle ihre Opfer nur Vorbilder für das Werk des Messias waren. Aber bei Christus, dem wahren Hohenpriester, hat Gott einen Eid geschworen und ihn durch seinen Propheten aufschreiben lassen (Ps. 110,4), in dem er seinen Sohn, den Messias der Welt, als den ewigen Hohenpriester bezeichnet. Die Menschwerdung Christi bedeutete also, dass das levitische Priestertum für die Vermittlung zwischen Gott und den Menschen nicht mehr benötigt wurde, und der Eid Gottes setzte das Priestertum Christi zusätzlich noch höher, indem Gott selbst auf die Überlegenheit des Amtes Christi hinwies.

 

    Eine andere Besonderheit des Priestertums Christi ist seine ewige Dauer (V. 23-25): Dies ist ein Punkt, in dem die Überlegenheit Christi sehr deutlich wird. Christus hat uns nicht nur wieder in das rechte Verhältnis zu Gott zurückgebracht, sondern er hat uns diese nahe Gemeinschaft mit Gott auf Dauer gesichert: Sie sind zwar zu Priestern gemacht worden, weil sie durch den Tod am Bleiben gehindert wurden, aber er hat durch sein Bleiben für immer sein Priestertum unantastbar. Es war ein eindeutiges und unveränderliches Handicap der Männer, die im Alten Testament das Priesteramt innehatten: Sie waren sterblich, dem Tod unterworfen, sie konnten nicht über die ihnen von Gott zugewiesene Lebensspanne hinaus im Leben und damit auch im Amt bleiben. Diejenigen, die starben, wurden ständig durch junge Männer ersetzt, und es gab einen ständigen Personalwechsel. Aber Christus, der ewige Sohn Gottes, Ps. 110,4; Dan. 7,14; Joh. 12,34, hat das Amt des Hohenpriesters bis in alle Ewigkeit inne. Es wird niemals übertragen werden, keine andere Person wird jemals in dieses Amt eintreten. Er ist der einzige und immerwährende Inhaber dieses einzigartigen Amtes und gibt keinen Nachfolger ab. Und daraus folgt: Daher ist er auch fähig, die, die durch ihn zu Gott kommen, bis zum Äußersten zu retten, indem er ewig lebt, um für sie Fürsprache zu halten. Weil Christus das Amt des Hohenpriesters in dieser einzigartigen und absoluten Weise innehat, ist das durch ihn erworbene Heil in jeder Hinsicht vollständig, es fehlt ihm an nichts. Jeder Mensch in der weiten Welt, der sich zum Heil an Christus wendet, der an ihn als seinen Mittler glaubt, hat ihn als den Weg, als den sicheren Zugang zu Gott. Er braucht keine Priester und Opfer und Zeremonien und besondere Feste, denn er ist für immer unser Mittler; er hat den Weg zur ewigen Liebe des Vaters geöffnet. Das ist deshalb so gewiss, weil Christus ewig lebt und seine Funktion in seinem Amt als Hoherpriester in der Gegenwart darin besteht, unser Fürsprecher beim Vater zu sein und für uns einzutreten, Röm. 8,34; 1. Joh. 2,1.2. So wie Christus sein Leben auf der Erde im Interesse der Menschen verbrachte, so verbringt er auch weiterhin sein Leben in unserem Namen. Die ganze Fülle seines gegenwärtigen Lebens ist dem Ziel gewidmet, den Menschen das ewige Heil zu sichern. Und wir haben noch einen weiteren Grund, die Überlegenheit des Amtes Christi gegenüber dem der alttestamentlichen Priester anzuerkennen.

 

    Der Schreiber schlussfolgert, dass Christus der vollkommene Hohepriester ist (V. 26-28): Die verschiedenen Vorzüge, die Christus Jesus im Vergleich zu den Männern genoss, die im Alten Testament als Priester unter der alten Dispensation amtierten, zwingen zu diesem Schluss: Denn so war der Hohepriester, der uns geworden ist, heilig, unschuldig, unbefleckt, abgesondert von den Sündern und höher als der Himmel. Jesus war der Einzige, der den Bedürfnissen der Menschheit voll entsprach. Das Priestertum des Alten Testaments war unvollkommen, in vielerlei Hinsicht unbefriedigend, es konnte den Menschen nicht die Gewissheit des Heils, der Versöhnung mit Gott geben. Aber alle Unvollkommenheiten sind bei unserem großen Hohenpriester nicht vorhanden. Er besitzt eine vollkommene persönliche Heiligkeit, weder eine ererbte noch eine tatsächliche Sünde ist bei ihm zu finden; er ist unschuldig, ohne Arglist in seiner Beziehung zu den Menschen; er hat sich niemals schuldig gemacht, einem Menschen Schaden zuzufügen; niemand könnte ihn der Sünde überführen; Er war unbefleckt, unbefleckt, unbefleckt trotz aller Berührung mit der sündigen Welt, ohne Makel inmitten der Menschen, die voller Makel sind; abgesondert von den Sündern, jetzt, da Er Sein Erlösungswerk vollendet hat und aus der sichtbaren Welt entfernt worden ist; und höher gemacht als die Himmel, in die Er durch den Vorhang eingegangen ist, Kap. 4,14; Eph. 4,10. Er ist zur Rechten seines Vaters erhöht worden; nicht nur seine göttliche, sondern auch seine menschliche Natur hat Anteil an der ganzen ewigen Macht und Gottheit. So hat „unser Hoherpriester durch alle Wirren und Wirrnisse und Verunreinigungen und Verzweiflungen des Lebens hindurch eine absolute Immunität von Ansteckung oder Befleckung getragen. Er war die ganze Zeit über bei Gott, und die ganze Zeit über war er durch eine eigene Atmosphäre von den Sündern getrennt.“ (Dods.)

    Aufgrund dieser Vorzüglichkeit des Charakters Christi hat auch sein Amt einen außergewöhnlichen Wert: Er hat es nicht nötig, wie die Hohepriester Tag für Tag zuerst für seine eigenen Sünden und dann für die des Volkes Opfer darzubringen; denn das hat er einmal getan, als er sich selbst opferte. Obwohl die Hohepriester des Alten Testaments nur an einem Tag im Jahr, am großen Versöhnungstag, persönlich die vorgeschriebenen täglichen Opfer darbrachten, indem sie zuerst für sich selbst und dann für das Volk opferten (3. Mose 9,7.8; 16,2; 2. Mose 29,38-42; 4. Mose 28,3-8), waren sie doch für alle mit den Riten des Volkes verbundenen Zeremonien verantwortlich. Aber all diese Dinge, die sie persönlich Jahr für Jahr und durch ihre Gehilfen Tag für Tag taten, brauchte Christus nicht. Für seine eigenen Sünden brauchte er keine Opfer zu bringen, denn er war sündlos. Und was die Menschen betrifft, deren Sünden er auf sich nahm, indem er sich selbst als stellvertretendes Opfer darbrachte, so tat er das ein für allemal, als er sein heiliges Blut vergoss, als er sein sündloses Leben auf Golgatha niederlegte. Aufgrund der Natur seines Opfers konnte sein Opfer nicht wiederholt werden, denn sein vollkommener und ewiger Wert machte eine Wiederholung überflüssig. Eph. 5,2.

    Dass Christus der einzige wahre Hohepriester ist, ergibt sich schließlich aus seiner eigenen Vollkommenheit: Denn das Gesetz setzt Menschen zu Hohenpriestern ein, die Schwachheit haben; das Wort des Eides aber, das nach dem Gesetz kam, setzt einen Sohn ein, der für immer vollkommen gemacht ist. Das mosaische System konnte bestenfalls schwache, sündige Männer für das Amt des Hohenpriesters vorsehen und einsetzen, denn obwohl sie von Levi abstammten, waren sie doch nur Menschen und nicht kraft ihres Amtes sündlos geworden. Aber das Wort des Eides, den der Herr in der Prophezeiung Ps 110,4 schwor, nachdem das Gesetz gegeben worden war, wies nicht nur darauf hin, dass das Gesetz einer Überarbeitung und Vervollkommnung bedurfte, sondern ernannte gleichzeitig den Sohn Gottes, Jesus Christus, der in der Ausübung seines Amtes als Hoherpriester für immer vollkommen gemacht wurde, da er in seiner eigenen Person, kraft seiner Gottheit, von Ewigkeit her vollkommen war. Die Vollkommenheit des Sohnes wurde durch den Kontakt mit der sündigen Welt und die vielen Versuchungen, die er als Vertreter der Menschheit überwinden musste, geprüft und deshalb durch seine Erhöhung bestätigt und besiegelt. Unser Hoherpriester, Jesus Christus, aus unserem eigenen Fleisch und Blut, hat alle Angriffe, die er aufgrund seiner Erniedrigung zu bekämpfen hatte, glorreich überstanden und ist deshalb in seiner menschlichen Natur in die Höhe erhoben worden.

 

Zusammenfassung: Der inspirierte Schreiber zeigt, dass Christus als die Erfüllung des Typus Melchisedeks, als über das unvollkommene levitische Priestertum erhaben, als kraft eines Eides Gottes ernannt, als der ewige Sohn Gottes, der einzige vollkommene Hohepriester ist, dessen Opfer ewigen Wert hat.

 

 

Kapitel 8

 

Christi ewiges Priestertum hat das zeitliche Priestertum Aarons abgelöst (8,1-13)

    1 Das ist nun die Hauptsache, davon wir reden: Wir haben einen solchen Hohenpriester, der da sitzt zu der Rechten auf dem Stuhl der Majestät im Himmel; 2 und ist ein Pfleger der heiligen Güter und der wahrhaftigen Hütte, die Gott aufgerichtet hat und kein Mensch. 3 Denn ein jeglicher Hoherpriester wird eingesetzt, zu opfern Gaben und Opfer. Darum muss auch dieser etwas haben, das er opfere. 4 Wenn er nun auf Erden wäre, so wäre er nicht Priester, dieweil da Priester sind, die nach dem Gesetz die Gaben opfern, 5 welche dienen dem Vorbild und dem Schatten der himmlischen Güter; wie die göttliche Antwort zu Mose sprach, da er sollte die Hütte vollenden: Siehe zu, sprach er, dass du machst alles nach dem Bild, das dir auf dem Berg gezeigt ist.

    6 Nun aber hat er ein besseres Amt erlangt, als der eines besseren Testaments Mittler ist, welches auch auf besseren Verheißungen steht. 7 Denn so jenes, das erste, untadelig gewesen wäre, würde nicht Raum zu einem anderen gesucht. 8 Denn er tadelt sie und sagt: Siehe, es kommen Tage, spricht der HERR, dass ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda einen neuen Bund schließen will; 9 nicht gemäß dem Bund, den ich gemacht habe mit ihren Vätern an dem Tag, da ich ihre Hand ergriff, sie auszuführen aus Ägyptenland. Denn sie sind nicht geblieben in meinem Bund; so habe ich auch auf sie nicht wollen achten, spricht der HERR. 10 Denn das ist der Bund, den ich machen will dem Haus Israel nach diesen Tagen, spricht der HERR: Ich will geben meine Gesetze in ihren Sinn, und in ihr Herz will ich sie schreiben, und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein. 11 Und wird nicht jemand seinen Nächsten lehren, noch jemand seinen Bruder und sagen: Erkenne den HERRN! Denn sie werden mich alle kennen, von dem Kleinsten an bis zu dem Größten. 12 Denn ich will gnädig sein ihrer Untugend und ihren Sünden, und ihrer Ungerechtigkeit will ich nicht mehr gedenken. 13 Indem er sagt: Einen neuen, macht er den ersten alt. Was aber alt und überlebt ist, das ist seinem Ende nahe.

 

    Das herrlichere Amt Christi (V. 1-5): Ab Kapitel 5 hat der inspirierte Autor das Amt des Hohenpriesters Christi behandelt. Er hat die Überlegenheit Christi sowohl in Bezug auf seine Person als auch in Bezug auf seine Qualifikationen aufgezeigt. Nun geht er dazu über, die größere Vorzüglichkeit des Amtes des Herrn durch eine Betrachtung des Ortes seines Dienstes hervorzuheben: Der Hauptpunkt von allem, was gesagt worden ist, ist dieser: Einen solchen Hohenpriester haben wir, der zur Rechten des Thrones der Majestät im Himmel sitzt. Viele Erwägungen sind bis jetzt angeführt worden, um den Anspruch auf die überragende Vorzüglichkeit Christi zu begründen; das Gesagte entbehrt gewiss nicht an Kraft und Klarheit. Aber das überzeugendste Argument, der entscheidende Punkt, der Gedanke, der den Schlussstein der Diskussion bildet, ist der, den der heilige Autor jetzt vorbringt. Mit feierlichem Nachdruck sagt er, dass der Hohepriester, den wir haben und dem wir unser Vertrauen schenken, so beschaffen ist, dass er einen Sitz zur Rechten der Majestät des ewigen Gottes in den Himmeln einnimmt. Der wichtigste Teil des Amtes Christi als Hoherpriester, was die Gewissheit des Glaubens betrifft, ist der, den er jetzt als unser Fürsprecher beim Vater ausübt. Sein Opfer hier auf Erden hat uns das Heil gebracht: Unser Glaube hält an den Verdiensten des Blutes fest, das auf Golgatha für uns vergossen wurde. Unsere Hoffnung auf die himmlische Glückseligkeit ruht aber darauf, dass die Fürsprache Christi für uns Tag für Tag weitergeht bis zur glorreichen Vollendung der Herrlichkeit, die uns zusteht, wenn auch noch in Hoffnung. Denn dadurch, dass Christus zur Rechten der Majestät sitzt, dass er auch nach seiner menschlichen Natur den freien und unbeschränkten Gebrauch der ihm verliehenen göttlichen Herrlichkeit und Majestät übernommen hat, hat seine Fürbitte für uns einen so großen und umfassenden Wert. So beweist „sein Sitzen zur Rechten des Thrones Gottes, 1. dass er höher ist als alle Hohenpriester, die es je gegeben hat; 2. dass das Opfer, das er für die Sünden der Welt dargebracht hat, hinreichend und wirksam war und als solches von Gott angenommen wurde; 3. dass er alle Macht im Himmel und auf Erden hat und fähig ist, alle, die durch ihn zu Gott kommen, zu retten und bis zum Äußersten zu verteidigen; 4. dass er nicht, wie die jüdischen Hohepriester, aus dem Allerheiligsten herausgegangen ist, nachdem er das Sühnopfer dargebracht hat, sondern dort am Thron Gottes als ständiger Priester verweilt, in der ständigen Handlung, Gott seinen gekreuzigten Leib darzubringen, für alle nachfolgenden Generationen der Menschheit.“[8]

    Damit seine Leser nicht die ganze Bedeutung der Unterscheidung, die in diesem Argument enthalten ist, übersehen, fügt der Verfasser hinzu: Ein Diener der heiligen Dinge und der wahren Hütte, die der Herr errichtet hat, nicht der Mensch. Das Wort, mit dem Christus hier bezeichnet wird, ist das Wort, das für die Amtsträger einer Kirche beim Gottesdienst und für die Priester bei der Erfüllung ihrer Aufgaben verwendet wird. Christus ist also in den Dienst der heiligen Dinge eingebunden; er nimmt an Zeremonien und an einer Anbetung teil, die unendlich höher ist als alle irdischen Dienste, selbst die des alten jüdischen Kultes. Der Dienst Christi findet in der wahren Stiftshütte des Himmels statt. Die Stiftshütte der Kinder Israels in der Wüste und in den ersten Jahrhunderten in Palästina war symbolisch, bildlich, typisch, ein Vorgeschmack auf die Stiftshütte, das Heiligtum, das für immer bleiben sollte. Denn die alte Stiftshütte war nur vorübergehend, obwohl sie auf Gottes Geheiß und nach den Plänen, die er Mose gezeigt hatte, gebaut worden war. Die bleibende, ewige Stiftshütte ist die obige, die der Herr selbst für seinen ewigen Tempel und seine ewige Wohnung gebaut hat. Vgl. Kap. 9,11.24.

    Der Verfasser erklärt nun seinen Gebrauch des Begriffs „Diener des Gottesdienstes“ in Bezug auf Christus: Denn jeder Hohepriester ist dazu berufen, sowohl Gaben als auch Opfer darzubringen, woraus sich die Notwendigkeit ergibt, dass auch dieser etwas zu opfern hat. Es war kein leerer, nichtssagender Begriff, den der inspirierte Autor verwendete, als er Christus einen Diener des Heiligtums nannte, sondern er war in jeder Hinsicht passend. Das war die Aufgabe der alten Hohepriester, darin bestand ihr Dienst, dass sie dem Herrn die Gaben und Opfer des Volkes darbrachten. Wir räumen also die Notwendigkeit ein, den gleichen Sachverhalt in Bezug auf Christus aufzeigen zu können. Und das stellt keine Schwierigkeit dar, denn Christus hatte etwas zu opfern, Kap. 7,27, Er vollzog sein priesterliches Amt, indem er sich selbst opferte. Sein eigenes Blut, ein Opfer, das seine Kraft in der Ewigkeit bewahrt.

    Im Zusammenhang mit diesem Gedanken, dass Christus tatsächlich ein Opfer darbringt, fügt der heilige Schriftsteller hinzu: Und wenn er auf Erden wäre, wäre er nicht einmal Priester, denn es gibt Menschen, die nach dem Gesetz Gaben darbringen. Wenn diese Tatsache als Wahrheit akzeptiert wird, dass Christus unser Hoherpriester ist, muss er sein Amt im Himmel ausüben. Zu der Zeit, als dieser Brief geschrieben wurde, stand der jüdische Tempel noch, und alle Verordnungen des jüdischen Gottesdienstes waren noch in Kraft. Dazu gehörte auch, dass das Priesteramt noch von den Angehörigen des Stammes Levi ausgeübt wurde. Das jüdische Zeremonialgesetz schloss Männer aus allen anderen Stämmen vom Priesteramt aus, und Jesus hätte als Angehöriger des Stammes Juda das Amt des levitischen Priestertums nicht ausüben können. Nur Männer, deren Abstammung von Levi anhand der Ahnentafeln eindeutig nachgewiesen werden konnte, durften die Opfer des Volkes im Tempel darbringen.

    Diese Tatsache schmälerte jedoch keineswegs die Bedeutung Jesu, sondern hob seine Überlegenheit umso mehr hervor: Er diente als bloßer Typus und Schatten der himmlischen Dinge, so wie Mose Anweisungen erhielt, als er die Stiftshütte bauen sollte; denn „Siehe zu“, sagte er, „du sollst alles nach dem Typus machen, der dir auf dem Berg gezeigt wurde“. Die Priester des Alten Testaments dienten zwar fleißig, aber ihr ganzer Dienst war, wie sie wussten, ein bloßer Umriss und ein prophetischer Schatten der himmlischen Dinge, die im Messias offenbart werden sollten. Diese Tatsache zeichnete ihren gesamten Dienst aus: Ihr Werk hatte keine Substanz in sich selbst, keine unabhängige Existenz. Ihr Dienst wäre wertlos gewesen ohne die Hoffnung auf die kommende Erfüllung aller Typen und Beispiele. Die gleiche Lehre lässt sich aus der Art und Weise ziehen, in der Mose den Bau der Stiftshütte vorbereitete. Als er sich mit Gott beriet, erhielt er den Auftrag, die Stiftshütte zu bauen und mit allem Zubehör auszustatten, und zwar nicht nach seinen eigenen Ideen und Entwürfen, sondern nach den Umrissen und Mustern, die ihm auf dem Berg gezeigt wurden (2. Mose 25,40). Es ist unerheblich, ob diese Skizzen Mose in einer Vision gezeigt wurden oder ob sie ihm durch die Hand von Engeln übermittelt wurden. Tatsache ist, dass Gott sich ihm in einer Weise mitteilte, die ihm seinen Willen kundtat, und dass Mose eine klare Vorstellung vom Willen Gottes in Bezug auf den gesamten Bau und alle seine Einrichtungen hatte. So wie der Dienst des Mose bei dieser Gelegenheit war auch der gesamte Dienst der alttestamentlichen Priester; alle gottesdienstlichen Handlungen, die sie vollzogen, waren bloße Vorbilder oder Muster, ob es sich nun um Opfer oder um das Verbrennen von Weihrauch oder um die Zeremonien der großen Feste handelte. Der Verfasser räumt also bereitwillig ein, dass Jesus nicht zu den Priestern der levitischen Ordnung gehörte, aber er betont es umso nachdrücklicher: Er hat aber ein höheres Amt erhalten. Die Tatsache, dass das Amt Christi jetzt im Himmel ausgeübt wird und dass es die Erfüllung aller Typen und Gestalten des Alten Testaments darstellt, erhebt es hoch über alle Tempeldienste der levitischen Priesterschaft.

 

    Der Beweis, dass Christi Amt das levitische Priestertum völlig ersetzt hat (V. 6-13): Die Wahrheit, dass wir einen vorzüglicheren Hohenpriester haben, wird nicht nur dadurch bestätigt, dass er den Ehrenplatz zur Rechten der Majestät einnimmt, sondern auch dadurch, dass er unser Vermittler ist: Aber wie es ist, hat er ein vorzüglicheres Amt erlangt, indem er auch Vermittler eines besseren Bundes ist, der auf besseren Verheißungen gegründet ist. Jetzt, da Christus nicht mehr auf der Erde ist, zeigt sich sofort die größere Überlegenheit seines Amtes, denn das, was himmlisch und wirklich ist, ist vorzüglicher als das, was hier auf der Erde und nur bildlich ist. Sein Amt ist in demselben Maße vortrefflicher, wie sein Mittleramt sich auf einen besseren Bund bezieht, sich mit Dingen befasst, die feststehen oder beschlossen sind, die auf einer solideren Grundlage ruhen. Die Verheißungen des Evangeliums sind besser, vorzüglicher als die Forderungen des Gesetzes; das Angebot, das Heil voll und frei zu vermitteln, ist besser als das absolute Bestehen auf der Vollkommenheit der Werke. Anmerkung: Christus ist unser Mittler; er stellt nicht nur die Erfüllung des Werkes Aarons dar, sondern er ist auch das wahre Gegenbild des Mose, des Mittlers des Alten Testaments, 2. Mose 20,19; Gal. 3,19. Er steht zwischen Gott und den Menschen, 1. Tim. 2,5, und vermittelt zwischen diesen beiden Parteien, indem er durch sein Opfer am Kreuz die Versöhnung zwischen ihnen herbeigeführt hat.

    Dass der neutestamentliche Bund auf besseren Verheißungen beruht als der alte, ergibt sich aus einer einfachen geschichtlichen Tatsache: Wäre nämlich jener erste Bund fehlerlos gewesen, so würde man keinen Platz für einen zweiten suchen. Wäre der alte Bund des Gesetzes, wie er am Sinai geschlossen wurde, völlig ausreichend gewesen, hätte er allen Anforderungen an das Heil der Menschen entsprochen, hätte es keinen einzigen Fehler in dieser Forderung nach Vollkommenheit bei der Wiederherstellung des rechten Verhältnisses zwischen Gott und Mensch gegeben, dann hätte es weder Bedarf noch Anlass für einen zweiten Bund gegeben, und Gott hätte natürlich keine Vorkehrungen getroffen, einen neuen Bund zu verkünden. Man beachte, dass die Forderung nach einem Bund, der die wahre geistige Gemeinschaft mit Gott wiederherstellt und dauerhaft macht, nicht von den Menschen ausgeht, sondern von Gott, der allein der Urheber unseres Heils ist.

    Diese Tatsache wird nun durch einen langen Abschnitt in der alttestamentlichen Schrift, nämlich Jer. 31,31-34, belegt: Denn da Gott an ihnen [dem Volk des ersten Bundes] Anstoß nahm, spricht er: Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich über das Haus Israel und über das Haus Juda einen neuen Bund schließe, nicht nach dem Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe an dem Tage, da ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen; denn sie hielten sich nicht an meinen Bund, und ich habe sie nicht beachtet, spricht der Herr. Hier findet ein feiner Wechsel statt: Statt den Bund mit seinen Unzulänglichkeiten zu tadeln, wird die Schuld auf die gelegt, deren Unzulänglichkeiten und Sündhaftigkeit es ihnen unmöglich machten, durch diesen Bund gerettet zu werden. Der alte Bund war unzureichend, weil er das Volk nicht in die Lage versetzte, seine Bedingungen zu erfüllen, und das Volk ist schuldig, weil es das Gesetz vorsätzlich übertritt. Aber die Worte der Prophezeiung, obwohl sie an Juda und Israel nach dem Fleisch gerichtet sind, betreffen in ihrer wahren Bedeutung nur das geistliche Juda und Israel. Mit ihnen will der Herr einen neuen Bund schließen, der für alle Bedürfnisse der Menschheit völlig ausreichend ist. Den einen Bund hatte der Herr mit ihren Vätern geschlossen, als er sie mit starkem Arm aus Ägypten, aus dem Haus der Knechtschaft, herausführte. Es war im dritten Monat nach dem Beginn der Reise, als der Herr ihnen seinen heiligen Willen in einem Bündel von Vorschriften kundtat, die nicht nur das Sittengesetz, sondern auch das Zeremonial- und Zivilgesetz enthielten. Die liebevolle Fürsorge, die der Herr seinem Volk in jenen Tagen entgegenbrachte, kommt gut in den Worten zum Ausdruck, dass er sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägypten herauszuführen, ein Zeichen zärtlicher Fürsorge, das sie ihrem Gott gegenüber treu halten sollte. Aber das Volk blieb nicht in seinem Bund; in unverschämtem Ungehorsam übertraten sie sein heiliges Gesetz und verwarfen den Herrn ihres Heils. Und deshalb missachtete und verwarf der Herr sie, gab sie zunächst in die Hände ihrer Feinde und ließ sie schließlich in eine schändliche Gefangenschaft verschleppen. So viel zum Bund des Alten Testaments.

    Doch nun kommt die tröstliche Prophezeiung: Denn das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel schließen will nach jenen Tagen, spricht der Herr: Ich will ihnen meine Gesetze in den Sinn geben und auf ihr Herz schreiben, und ich will ihnen ein Gott sein, und sie sollen mir ein Volk sein, und sie sollen nicht lehren, ein jeder seinen Mitbürger und ein jeder seinen Bruder, und sagen: Erkenne den Herrn; denn alle werden mich anerkennen, vom Kleinsten bis zum Größten; denn ich will mich ihrer Missetaten erbarmen und ihrer Sünden nicht mehr gedenken. Das wahre geistliche Haus Israel, die Gemeinde der Gläubigen, wie sie zu allen Zeiten in der Mitte des Volkes Gottes zu finden war, hat diese Verheißung als Bund des Herrn in ihrem Interesse empfangen. In diesem Bund, den der Herr zur Zeit der Verkündigung des Evangeliums unter seinem Volk geschlossen hat, sind drei Punkte hervorzuheben. „Er ist innerlich oder geistlich; er ist individuell und daher universal; er ist gnädig und bietet Vergebung.“ (Dods.) Er wollte dieses neue Gebot, die Botschaft des Evangeliums, in ihren Geist geben, damit sie es mit Sicherheit verstehen würden; Er wollte es in ihr Herz schreiben, damit sie es in liebevoller Erinnerung behalten würden. Die christliche Religion ist keineswegs eine Angelegenheit äußerer Formen und Zeremonien, sondern des Geistes und der Sehnsüchte des Menschen. Die Mühle des Menschen wird durch die Verkündigung des Evangeliums so beeinflusst, dass sie sich derjenigen Gottes anpasst, und so wird Gott von ihm als der wahre Gott anerkannt, der seinerseits die Gläubigen als sein Volk anerkennt und annimmt. Dies war zwar auch das Ziel des alttestamentlichen Bundes, aber das Gesetz konnte diese Beziehung zwischen Gott und Mensch nicht herstellen. Ein weiteres Merkmal des neuen Bundes ist, dass es sich nicht um ein Volk oder eine Ethnie als politische Körperschaft handelt, die von besonderen Schriftgelehrten und Priestern unterwiesen wird, deren Anweisungen als Vermittlungshandlungen notwendig waren. Die Tatsache machte es für jeden Menschen zwingend notwendig, seinen Nächsten und Bruder so gut wie möglich zu unterweisen. Jetzt aber, da die Botschaft des Evangeliums verbreitet wurde, ist das göttliche Licht so weit verbreitet, dass es keiner Vermittlungsdienste mehr bedarf und alle Menschen, vom Kleinsten bis zum Größten, den einzig wahren Gott und Jesus Christus, den er gesandt hat, kennen und annehmen können. Aber die grundlegende Tatsache, die auch dem ganzen Bund den wahren Wert gibt, ist die, dass Gottes Gnade und Barmherzigkeit, die Vergebung der Sünden, das wesentliche Thema des Evangeliums ist; um Christi willen ist er barmherzig gegen unsere Missetaten und gedenkt unserer Sünden nicht mehr. Die Zitierung des gesamten Prophetenwortes macht die Aussagekraft des Arguments umso größer.

    Der Verfasser hat also Recht, wenn er die Schlussfolgerung zieht: Indem er „ein neuer Bund“ sagt, macht er den ersten alt; aber das, was veraltet und alt ist, ist im Begriff zu verschwinden. Da Gott ausdrücklich von einem neuen Bund spricht, den er zu schließen beabsichtigt, bezeichnet er den ersten oder früheren, der im Alten Testament in Kraft war, als alt. Schon zur Zeit Jeremias zeigte die Tatsache, dass ein neuer Bund erforderlich war, dass der alte veraltet war, seinen Nutzen überlebt hatte und die Menschen nicht zur Vollkommenheit führen konnte. Aber wie bei anderen Dingen, so gilt auch hier, dass Dinge, die veraltet und alt sind, kein langes Leben mehr erwarten können; sie müssen damit rechnen, dass sie verworfen und durch etwas Neues ersetzt werden. Anmerkung: Der Bund der Gnade und Barmherzigkeit Gottes im Evangelium ist der Trost für alle Gläubigen. Anstelle des Gesetzes mit seinen Drohungen und Verurteilungen haben wir das Evangelium mit seinem Angebot der Vergebung der Sünden, des Lebens und der Erlösung. Durch diese herrliche Wahrheit haben wir die richtige Erkenntnis Gottes und sind Gottes Volk.

 

Zusammenfassung: Der Verfasser findet einen weiteren Beweis für das vorzüglichere Amt Christi in der Tatsache, dass sein Werk jetzt im Himmel vollbracht wird, und zeigt, dass Christus als Vermittler der Menschen jeden Priester des Alten Testaments vollständig ersetzt und abgelöst hat.

 

 

Kapitel 9

 

Der alttestamentliche Gottesdienst ist weniger als Christi vollkommenes Opfer (9,1-28)

    1 Es hatte zwar auch das erste seine Rechte des Gottesdienstes und äußerliche Heiligkeit. 2 Denn es war da aufgerichtet das Vorderteil der Hütte, darin waren der Leuchter und der Tisch und die Schaubrote; und dieses heißt das Heilige. 3 Hinter dem anderen Vorhang aber war die Hütte, die da heißt das Allerheiligste. 4 Die hatte das güldene Rauchfass und die Bundeslade, völlig mit Gold überzogen, in welcher waren der goldene Krug, der das Himmelbrot hatte, und die Rute Aarons, die gegrünt hatte, und die Tafeln des Testaments. 5 Oben drüber aber waren die Cherubim der Herrlichkeit, die überschatteten den Gnadenstuhl; von welchem jetzt nicht besonders zu sagen ist.

    6 Da nun solches so zugerichtet war, gingen die Priester allezeit in die vorderste Hütte und richteten aus den Gottesdienst. 7 In die andere aber ging nur einmal im Jahr allein der Hohepriester, nicht ohne Blut, dass er opferte für seine eigenen und des Volkes unwissentlich begangene Sünden. 8 Womit der Heilige Geist deutete, dass noch nicht offenbart wäre der Weg zur Heiligkeit, solange die erste Hütte stünde, 9 welche musste zu derselben Zeit ein Vorbild sein, in welcher Gaben und Opfer geopfert wurden, und konnten nicht vollkommen machen nach dem Gewissen den, der da Gottesdienst tut 10 allein mit Speise und Trank und mancherlei Taufen und äußerlicher Heiligkeit, die bis auf die Zeit der Besserung sind aufgelegt.

    11 Christus aber ist gekommen, dass er sei ein Hoherpriester der zukünftigen Güter, durch eine größere und vollkommenere Hütte, die nicht mit der Hand gemacht ist, das ist, die nicht so gebaut ist. 12 Auch nicht durch der Böcke oder Kälber Blut, sondern er ist durch sein eigenes Blut einmal in das Heilige eingegangen und hat eine ewige Erlösung erworben. 13 Denn so der Ochsen und der Böcke Blut und die Asche, von der Kuh gesprengt, heiligt die Unreinen zu der leiblichen Reinigkeit, 14 wieviel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst ohne allen Makel durch den Heiligen Geist Gott geopfert hat, unser Gewissen zu reinigen von den toten Werken, zu dienen dem lebendigen Gott!

    15 Und darum ist er auch ein Mittler des Neuen Bundes [Testaments], damit durch den Tod, so geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen, die unter dem ersten Bund waren, die, so berufen sind, das verheißene ewige Erbe empfangen. 16 Denn wo ein Testament ist, da muss der Tod geschehen des, der das Testament machte. 17 Denn ein Testament wird fest durch den Tod, sonst hat es noch nicht Macht, wenn der noch lebt, der es gemacht hat.

    18 Daher auch das erste nicht ohne Blut gestiftet wurde. 19 Denn als Mose ausgeredet hatte von allen Geboten nach dem Gesetz zu allem Volk, nahm er Kälber–und Bocksblut mit Wasser und Purpurwolle und Ysop und besprengte das Buch und alles Volk. 20 Und sprach: Das ist das Blut des Bundes, den Gott euch geboten hat. 21 Und die Hütte und alle Geräte des Gottesdienstes besprengte er ebenso mit Blut. 22 Und es wird fast alles mit Blut gereinigt nach dem Gesetz. Und ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung.

    23 So mussten nun der himmlischen Dinge Vorbilder mit solchem gereinigt werden; aber sie selbst, die himmlischen, müssen bessere Opfer haben, als jene waren. 24 Denn Christus ist nicht eingegangen in das Heilige, so mit Händen gemacht ist (welches ist ein Gegenbild des rechtschaffenen), sondern in den Himmel selbst, nun zu erscheinen vor dem Angesicht Gottes für uns. 25 Auch nicht, dass er sich oftmals opfere, gleichwie der Hohepriester geht alle Jahre in das Heilige mit fremdem Blut. 26 Sonst hätte er oft müssen leiden von Anfang der Welt her. Nun aber am Ende der Welt ist er einmal erschienen, durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. 27 Und wie den Menschen ist gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht, 28 so ist Christus einmal geopfert, wegzunehmen vieler Sünden. Zum zweiten Mal aber wird er ohne Sünde erscheinen denen, die auf ihn warten, zur Seligkeit.

 

    Beschreibung der Stiftshütte und ihrer Geräte (V. 1-5): In diesem Kapitel werden die Punkte, die in den vorangegangenen Abschnitten nur kurz erörtert wurden, ausführlicher behandelt, wobei die erste Hälfte des Kapitels den Beweis für die Überlegenheit des Amtes Christi über das Amt der alttestamentlichen Priester liefert. Der Autor fährt fort, dies zu beweisen, indem er sich zunächst auf den Ort des Gottesdienstes und seine Ausstattung bezieht: Auch der erste Bund hatte ja Gottesdienstordnungen und ein weltliches Heiligtum. Mit diesen Worten wird ein Zugeständnis an die Vorzüge des alttestamentlichen Bundes gemacht, um die Schönheiten des neuen Bundes umso deutlicher hervorzuheben. Es gab Vorschriften, Verordnungen für den Gottesdienst, die den öffentlichen Dienst in allen seinen Teilen regelten. Die Juden hatten auch ein Heiligtum, einen Ort der Anbetung, aber, wie der Autor sofort sagt, ein Heiligtum, das zu dieser Welt gehörte und nur für eine äußere Anbetung geeignet war, eine von Menschenhand errichtete Stiftshütte, die mit irdischem Material gebaut wurde.

    Er beschreibt dieses Heiligtum: Denn es wurde ein Zelt gebaut, das Vorzelt, in dem der Leuchter und der Tisch und die Darbietung der Brote waren, welches das Heiligtum genannt wird. Vgl. 2. Mose 25,23-39; 26,35; 3. Mose 24,5-9. Die Stiftshütte, die auf Geheiß Gottes errichtet wurde, bestand aus zwei Teilen. Der erste Teil des Zeltes, in den man vom Priesterhof aus hineinging, wurde das Heiligtum genannt. In diesem östlichen Teil der Stiftshütte befanden sich verschiedene Einrichtungsgegenstände, ein Leuchter aus Gold, der sehr schön war, und ein Tisch, der an der Südwand stand. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes stand der Tisch aus Akazienholz, mit Gold überzogen, der als Ständer für die Schaubrote oder das Dutzend Brotkuchen, das Brot des Antlitzes des Herrn, diente, die jeden Sabbat erneuert wurden.

    Auch der andere Teil der Stiftshütte wird beschrieben: Und nach dem zweiten Vorhang das Zelt, das heißt das Allerheiligste, mit dem goldenen Räucheraltar und der Bundeslade, die ganz mit Gold überzogen war, in der ein goldener Krug war, der Manna enthielt, und der Stab Aarons, der geknotet war, und die Tafeln des Bundes; und darüber Cherubim der Herrlichkeit, die den Gnadensitz überschatteten, von dem ich jetzt nicht im Einzelnen zu reden brauche. Das zweite oder innere Zelt war von dem Heiligtum durch einen zweiten Vorhang getrennt; der erste war der, der vor dem Heiligtum hing. Dieser Teil der Stiftshütte war ein Heiligtum, das Allerheiligste, das mit größter Sorgfalt vor jeder Entweihung bewahrt wurde. An seinem Eingang, an der Stelle, die am engsten mit dem Dienst des Versöhnungstages verbunden war, in der Mitte des prächtigen Vorhangs an der Ostseite, stand der goldene Räucheraltar mit seinem goldenen Räuchergefäß, 2. Mose 30,1-10; 37,25-28. Hier musste der Priester, der für dieses besondere Werk bestimmt war, sowohl beim Morgen- als auch beim Abendopfer Weihrauch verbrennen. Innerhalb des Vorhangs befand sich die Bundeslade, das einzige Möbelstück, das sich wirklich im Allerheiligsten befand, 2. Mose 25,10-16. Diese große Truhe aus Akazienholz war sowohl innen als auch außen mit Gold überzogen. Sie diente als Aufbewahrungsort für verschiedene Gegenstände. Da war ein goldenes Gefäß, in dem drei Quarts Manna aufbewahrt wurden, Ex. 16, 33; da war der Stab Aarons, der zu der Zeit geknospt hatte, als einige der Ältesten des Volkes ihre Unzufriedenheit mit der Anordnung des Herrn, ihn zum Fürsten in Israel zu machen, zum Ausdruck gebracht hatten, 4. Mose 17,8.10; da waren vor allem die beiden steinernen Tafeln, auf die der Herr die Worte des Gesetzes zum zweiten Mal mit seinem eigenen Finger geschrieben hatte, 5. Mose 31,25.26. Der Deckel der Lade oder Truhe wurde Gnadensitz genannt. Er war aus Gold gefertigt und enthielt als auffälligste Verzierung zwei Cherubim, die sich mit ausgebreiteten Flügeln über der Mitte gegenüberstanden. Sie werden die Cherubim der Herrlichkeit genannt, weil zwischen ihnen der Herr dem Mose erschien und mit ihm redete, 2. Mose 25,22. All diese Dinge erwähnt der Verfasser nicht, um sie im Einzelnen zu erörtern, sondern einfach, um zu zeigen, dass auch der alte Bund ein gewisses Maß an Herrlichkeit besaß. Seine Leser waren mit diesen Ausrüstungsgegenständen vertraut, da sie seit ihrer Jugend davon gehört hatten.

 

    Das Amt der alttestamentlichen Priester war unvollkommen (V. 6-10): Der heilige Schreiber bezieht sich nun auf die Form des Gottesdienstes in diesen beiden Teilen der Stiftshütte: Da diese Dinge so angeordnet waren, gingen die Priester zwar ständig in das vordere Zelt und verrichteten ihre Dienste, aber in das innere ging nur der Hohepriester einmal im Jahr, nicht ohne Blut. Nachdem die Stiftshütte nach Gottes Anweisungen gebaut und alle Geräte nach seinen Anweisungen aufgestellt worden waren, nahmen die Priester ihre Arbeit auf und verrichteten alle Handlungen ihres Amtes, wie es das Gesetz vorschrieb. Ihre Arbeit führte sie jeden Tag regelmäßig in das Außenzelt, denn das Räucheropfer musste sowohl morgens als auch abends dargebracht werden, 2. Mose 30,7-9. Auch die Lampe mit ihrem ewigen Licht musste mit der gleichen Regelmäßigkeit nachgeschmückt werden. Was aber die innere Stiftshütte betraf, so war der tägliche Gebrauch und das Betreten des Allerheiligsten untersagt. Nur einmal im Jahr, am zehnten Tag des siebten Monats, betrat der Hohepriester, und nur er, dieses Heiligtum und verrichtete die besondere Arbeit, die ihm durch die Vorschriften des Versöhnungstages auferlegt war. Mindestens dreimal schob er den schweren Vorhang beiseite, der das Allerheiligste verhüllte, und nahm zuerst den Weihrauch, dann das Blut des Stieres, das für seine eigenen Sünden und die seines Hauses büßte, und schließlich das Blut des Bockes für die Sünden des Volkes mit. Das Blutopfer, das Besprengen des Gnadenstuhls mit Blut, war also der wesentliche Teil des Dienstes des Hohenpriesters an diesem Tag. Vgl. 3. Mose 16. Das war die göttliche Regel für die Ausübung der priesterlichen Funktionen in der Stiftshütte und bis zu einem gewissen Grad auch im Tempel.

    Aber all dies war typisch und prophetisch für die Zeit des Neuen Testaments: Der Heilige Geist deutete damit an, dass der Weg ins Heilige noch nicht offenkundig war, solange das erste Zelt noch an seinem Platz stand. Solange die Anbetung der Juden noch in Stiftshütte und Tempel, in einem sogenannten Allerheiligsten, stattfand, solange der Vorhang selbst die Priester noch vom Heiligtum, dem inneren Heiligtum, trennte, während der gesamten Zeit des Alten Testaments, deutete der Heilige Geist in der Tat an, dass der wahre Zugang zu Gott noch nicht eingerichtet war, dass die Wiederherstellung der vollkommenen Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch noch nicht stattgefunden hatte. „Der eigentliche Zweck der Teilung der Stiftshütte in zwei Räume, einen äußeren und einen inneren, war es, den Menschen die Tatsache vor Augen zu führen, dass der Weg des Zugangs noch nicht offenbart worden war.“ (Dods.) Jetzt, da der Vorhang zerrissen ist, haben die Dinge ein anderes Stadium erreicht, Matth. 27,50.51. Ein levitisches Priestertum ist nicht mehr nötig; wir haben ungehinderten Zugang zum Thron der Gnade.

    Was aber die Stiftshütte und ihre Ausstattung betrifft, so betont der Verfasser erneut: Das ist ein Bild für die gegenwärtige Zeit, nach dem sowohl Gaben als auch Opfer dargebracht werden, die den, der den Dienst verrichtet, unmöglich in Bezug auf das Gewissen vollkommen machen können; sie beziehen sich nur auf Essen und Trinken und verschiedene Waschungen, Ordnungen des Fleisches, die bis zur Zeit der Korrektur auferlegt sind. Die Tatsache, dass es einen ersten Teil der Stiftshütte gab, der sich vom Allerheiligsten unterschied, war eine ständige Lektion für die Zeit und das Volk des Alten Testaments; wann immer sie das Doppelzelt betrachteten und sich an seine Bedeutung erinnerten, sollten sie an den vollkommeneren Weg des Heils denken, der in der messianischen Zeit offenbart werden sollte. Es entsprach dem Zweck der Stiftshütte, dass die Menschen Gaben und Opfer brachten; diese Gaben wurden damals von ihnen verlangt. Aber all diese Opfer allein konnten das Gewissen eines Anbeters unmöglich vollkommen und rein machen. Sie hatten keinen wirklichen Wert an sich, sondern nur insofern, als sie Vorbilder des vollkommenen Opfers waren, das von Christus dargebracht werden sollte. Diese Gaben und Opfer waren nur mit dem Essen und Trinken verbunden, 3. Mose 11; 4. Mose 6,2-4; 3. Mose 10,8-11; 11,34, mit verschiedenen Waschungen, religiösen Waschungen zum Zwecke der zeremoniellen Reinigung, 2. Mose 29,4; 3. Mose 11; 14,2-9; 15,5-13; 16,4.24-28; 4. Mose 8,7; 19,17-21.[9] All dies waren nur äußere Verordnungen, die sich auf das Fleisch, auf die Weihe des Leibes bezogen, und sie sollten nur bis zur Zeit der Besserung oder Korrektur in Kraft bleiben, bis der bessere Bund in Kraft treten würde. Es war also offensichtlich, dass das gesamte Alte Testament unvollkommen war und keine Vollkommenheit hervorbringen konnte, keinen Menschen in einen Zustand versetzen konnte, der ihn vor Gott annehmbar machen würde.

 

    Die Vollkommenheit des Opfers Christi (V. 11-14): Dieser Abschnitt enthält eine Schlussfolgerung, die praktisch die Diskussion des ganzen Briefes umfasst, wie Luther bemerkt: „Zum richtigen Verständnis dieses Abschnitts ist es notwendig, den ganzen Hebräerbrief zu verstehen.“[10] Die Vollkommenheit der Erlösung durch Christus wird so herausgestellt: Christus aber, der als Hoherpriester der zukünftigen Güter gekommen ist, ist durch ein besseres und vollkommeneres Zelt, das nicht von Menschenhand gemacht ist, das heißt nicht von dieser Schöpfung, auch nicht durch das Blut von Böcken und Rindern, sondern durch sein eigenes Blut ein für allemal in das Heilige eingegangen und hat die ewige Erlösung erlangt. Christus wird hier in den Mittelpunkt der Verkündigung des Evangeliums gestellt. Er ist gekommen, er hat sich selbst dargestellt, er wurde von Gott in der Fülle der Zeit als Hoherpriester gesandt, nicht für irdische und zeitliche Güter und Gaben, sondern für solche Gaben, Freuden und Segnungen, die uns in der Zukunft zuteil werden, wenn wir die Vollendung unseres Heils haben werden. Es ist eine ewige Erlösung, die er für uns verdient oder erlangt hat, indem er das von der Gerechtigkeit seines himmlischen Vaters geforderte Lösegeld bezahlt hat. Der inspirierte Autor erzählt genau, wie dies geschah, indem er sagt, dass Christus durch die größere und vollkommenere Hütte erschien, die nicht von Menschenhand gemacht ist, die nicht zu dieser gegenwärtigen Schöpfung, zu der sichtbaren Welt und dem sichtbaren Zeitalter gehört, die nicht aus Gold oder Silber oder gewebten Stoffen besteht. Es war die Hütte Seiner menschlichen Natur, Seines Fleisches und Blutes, die es Ihm ermöglichte, Sein Blut für uns zu vergießen, in dem Er zu Gott einging. Indem er sein Fleisch, sein menschliches Leben, in den Tod gab, wurde Christus der Herrlichkeit seines Vaters teilhaftig, wurde zur Rechten Gottes erhöht. Vgl. Kap. 10,19.20; Eph. 2,14. Es ist unerheblich, ob wir sagen, dass Christus durch den Vorhang seines Fleisches oder durch die Hütte seines Fleisches in die Herrlichkeit eingegangen ist. Es war nicht das Blut von Böcken oder Stieren, das dieser Hohepriester vergoss, wie es die Priester des Alten Testaments am Versöhnungstag und zu anderen Zeiten taten, sondern es war sein eigenes, höchst kostbares und göttliches Blut. Das ist es, was dem Lösegeld, das er bezahlte, den vollkommenen und ewigen Wert gab. Nur ein einziges Mal gab er sein Leben, nur ein einziges Mal vergoss er sein Blut für uns, aber dieses Opfer war ein einziges Mal und für immer, es bezahlte für die Erlösung der ganzen Welt für immer. Die Hohepriester des Alten Testaments mussten ihre Sühne für die Sünden des Volkes jedes Jahr erneuern, vor allem deshalb, weil die Opfer, die sie brachten, nur typisch und symbolisch waren; aber hier ist keine solche Wiederholung nötig: Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, reinigt uns von allen Sünden, 1. Joh. 1,7.

    Dies wird noch durch einen Vergleich untermauert: Denn wenn schon das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer Kuh, die die Unreinen besprengt, zur Reinheit des Fleisches reinigt, wie viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst durch den Heiligen Geist Gott unbefleckt dargebracht hat, euer Gewissen von toten Werken reinigen, um dem lebendigen Gott zu dienen. Der Autor bezieht sich hier auf das Werk, das Christus gegenwärtig in unserem Interesse vollbringt. Seine Leser waren mit den Erfordernissen des jüdischen Kultes vertraut, sie wussten, dass das Blut von Stieren und Böcken, das nicht nur am Versöhnungstag, sondern auch an anderen Tagen im Jahr verwendet wurde, dazu diente, einen Übertreter des Gesetzes Gottes in seine persönliche Reinheit zurückzuführen. Wenn die Asche einer roten Färse, mit Wasser vermischt, auf diejenigen gestreut wurde, die durch den Kontakt mit einem toten Körper verunreinigt worden waren, wurde die levitische Reinheit wiederhergestellt und es wurde ihnen erlaubt, in der Mitte des Volkes zu bleiben. Aber das Wissen um die Sünde, das Bewusstsein der Sündhaftigkeit, wurde durch all die Opfer und Waschungen des Alten Testaments nicht beseitigt. Die Gläubigen des Alten Testaments vertrauten nicht auf das wesentliche Verdienst ihrer Opfer, denn sie wussten, dass sie nur nach dem Maß ihrer prophetischen Qualität gültig waren, sondern auf den Messias und sein Werk, auf den alle ihre Zeremonien hinwiesen. Nun, da Christus tatsächlich gekommen ist, wissen wir, dass sein Blut unser Gewissen von allen toten Werken, von den eitlen und leeren Handlungen, von allen Übertretungen des Gesetzes, die das Gewissen verunreinigen, und von allen eitlen Bemühungen um Selbstgerechtigkeit zu reinigen vermag. Das ist wahr, denn er hat sich selbst durch den ewigen Geist als ein Opfer ohne Makel dargebracht. Der unvergleichliche, unbezahlbare Wert des Blutes Christi, der Opferung seines Lebens und seines Leibes, wird hier hervorgehoben. Es war der reine und heilige Sohn Gottes, der sich als unschuldiger Stellvertreter für die Sünden der ganzen Welt hingab. Er tat dies durch den ewigen Geist, durch sein unsichtbares, geistiges, göttliches Wesen, durch seine göttliche Natur. Durch und kraft seiner ewigen Gottheit opferte Christus sich selbst. Gottes Blut, Gottes Martyrium, Gottes Tod wurde in die Waagschale geworfen; diese Tatsache gibt uns die gesegnete Gewissheit unserer Errettung. Und diese Tatsache gibt uns auch die Bereitschaft und die Kraft, dem Herrn alle Tage unseres Lebens in Heiligkeit und Gerechtigkeit zu dienen, unser Leben zu einem ständigen Dankopfer zu machen für all die wunderbaren Gaben seiner Gnade, die wir ohne Unterlass genießen. Es ist der lebendige Gott, dem wir dienen, der selbst die Quelle des Lebens ist und der seine Freude daran hat, geistiges Leben und Kraft in reichem Maße über uns auszugießen.[11]

 

    Die Notwendigkeit des Todes Christi (V. 15-17): Nachdem er gezeigt hat, dass das hohepriesterliche Amt Christi in jeder Hinsicht vorzüglicher war als das der alttestamentlichen Hohepriester, liefert der Autor im zweiten Teil des Kapitels den Beweis dafür, dass Christus auch der Vermittler eines besseren Bundes ist als der des Alten Testaments. Indem er die Notwendigkeit des Todes Christi aufzeigt, verweist er vor allem auf die Wirkung und den Zweck des großen Opfers auf Golgatha: Darum ist er der Vermittler eines neuen Testaments, damit die Berufenen durch seinen Tod von den Übertretungen des ersten Bundes befreit werden und die Verheißung des ewigen Erbes empfangen. Weil Christus durch sein eigenes Blut in das Allerheiligste des Himmels eingegangen ist und weil sein Blut das Gewissen von toten Werken reinigt, um dem lebendigen Gott zu dienen, ist er der Vermittler des neuen Bundes. Durch das jährliche Sühnopfer der Hohepriester des Alten Testaments wurde der Bund Gottes mit seinem auserwählten Volk stets erneuert und Israel immer wieder in seine Rechte als Bundesvolk eingesetzt. Christus aber hat durch sein Blut, durch seine Erlösung, einen neuen Bund aufgerichtet, durch den wir Gottes Kinder, Gottes Volk sind, durch den wir der Barmherzigkeit Gottes gewiss sind und durch unseren Herrn Jesus Christus Gemeinschaft mit Gott haben, nicht nur für ein Jahr oder für einige Jahre, sondern für alle Ewigkeit. All dies ist durch den Tod Christi möglich geworden, der zur Befreiung von den Übertretungen des ersten Bundes geschah. Denn wenn diese Übertretungen, an denen alle Menschen schuldig waren, nicht gesühnt wurden, konnte kein Mensch das ewige Erbe empfangen. Da die Opfer des Alten Testaments nicht in der Lage waren, die Sünde zu sühnen, war ein neuer Bund mit einem Tod notwendig, der dieses notwendige Ziel erreichen konnte. Da der stellvertretende Tod Christi eine historische Tatsache ist, kann die Verheißung nun in die Tat umgesetzt werden. Wir, die wir durch das Evangelium berufen sind, können uns nun frei auf die Verheißung des ewigen Erbes im Himmel verlassen, wo wir die wahren, bleibenden Gaben und Segnungen genießen werden.

    Der Bund Gottes, der uns durch seine Verheißung zugesichert ist, ist zugleich das Testament, die letzte Mühle unseres Erlösers Jesus Christus. Und aus dieser Tatsache argumentiert der heilige Schreiber: Denn wo es ein Testament gibt, ist es notwendig, dass der Tod desjenigen, der das Testament gemacht hat, angegeben wird; denn ein Testament ist in Bezug auf tote Menschen in Kraft, da es niemals in Kraft ist, solange der Erblasser lebt. Die Veranschaulichung ist dem allgemeinen Brauch oder Gesetz in Bezug auf Testamente entnommen, denn der letzte Wille eines Menschen ist niemals gültig, solange der Erblasser noch lebt. Wenn die wirklichen oder vermeintlichen Erben in den Genuss des Erbes kommen wollen, muss zunächst der Tod des Erblassers nachgewiesen werden. Erst wenn diese Tatsache zweifelsfrei feststeht, wenn der Mann, der seinen letzten Willen zu Papier gebracht hat, nicht mehr unter den Lebenden weilt, sind die Bestimmungen des Testaments in Kraft. So war auch der Tod Christi notwendig, damit Christus wirklich der Vermittler eines neuen und besseren Bundes sein konnte.

 

    Die alttestamentlichen Opfer – ein Bild (Typos) auf Christus (V. 18-22): Die Aussage des vorangegangenen Abschnitts, dass Christus durch seinen Tod, durch das Vergießen seines Blutes, zum Mittler des Neuen Testaments geworden ist, wird hier durch einen Hinweis auf den Typus des Alten Testaments untermauert: Daher ist auch der erste (Bund) nicht ohne Blut eingeweiht worden. Die Kinder Israels wurden durch den Tod in den Bund des Herrn aufgenommen, und zwar über die toten Körper der Opfertiere, die das Volk repräsentierten. Der Tod dieser Tiere war notwendig, zum einen, um die Sünden des Volkes zu sühnen, zum anderen, um zu zeigen, dass das Volk der Vergangenheit gestorben und ganz und gar das besondere Volk des Herrn geworden war. So wurde auch der erste Bund, so unvollkommen und vorübergehend er auch war, nicht ohne das Blutvergießen und den daraus resultierenden Tod der Tiere, die für die Gläubigen eintraten, ratifiziert.

    Diese Tatsache wird an einem Beispiel deutlich: Denn als alle Gebote nach dem Gesetz von Nasen zum ganzen Volk gesprochen worden waren, nahm er das Blut von Stieren und Böcken mit Wasser und scharlachroter Wolle und Ysop und besprengte damit das Buch selbst und das ganze Volk und sprach: Das ist das Blut des Bundes, den Gott über euch verhängt hat. Der inspirierte Autor bezieht sich hier auf eine Geschichte, die seinen Lesern bekannt war. Nachdem Mose in Übereinstimmung mit dem Gebot des Herrn dem ganzen Volk alle Gebote wiederholt hatte, die Gott gesprochen hatte, und nachdem sie alle Gelegenheit gehabt hatten, die Verpflichtungen, die sie mit dem Eintritt in den Bund eingegangen waren, klar zu verstehen, prägte Mose ihnen die Sache durch eine feierliche Zeremonie ein. Nachdem die entsprechenden Tiere geschlachtet worden waren, nahm er das Blut von Stieren und Ziegen, fügte Wasser hinzu, entweder um die Gerinnung zu verhindern oder um die Tatsache der Reinigung zu symbolisieren, band etwas scharlachrote Wolle auf einen Stock aus Ysop oder wildem Majoran, der ebenfalls mit der Reinigung in Verbindung gebracht wurde, und benutzte diese Vorrichtung dann zum Besprengen. vgl. 4. Mose 19,6.7.18; 3. Mose 14,4-7.49-52. Er sprengte zuerst etwas von dem Blut auf das Buch selbst, d. h. auf die Rolle, auf die er die Worte des Herrn, die Bedingungen des Bundes, geschrieben hatte, und dann auf das Volk als Vertragspartner, wobei er gleichzeitig sagte, dass dieses Blut das Blut des Testaments sei, dass Gott damit den Bund zwischen sich und dem von ihm erwählten Volk bestätigte. Vgl. 2. Mose 24,3-8. Man beachte, dass die von Mose gebrauchten Worte denen sehr ähnlich sind, die Christus bei der Einsetzung der Eucharistie gebrauchte, womit der Herr anzeigte, dass allein durch das Vergießen seines Opferblutes zur Vergebung der Sünden der ewige Bund des Neuen Testaments ratifiziert wird.

    Aber der Autor fügt noch einen weiteren Punkt hinzu: Und er besprengte auch die Stiftshütte und die Gefäße des Dienstes mit Blut; und praktisch wird alles nach dem Gesetz mit Blut gereinigt, und ohne das Vergießen von Blut findet keine Vergebung statt. Was bei dieser Gelegenheit geschehen war, wurde später in ebenso feierlicher Weise wiederholt, 3. Mose 8,15.19, als die Stiftshütte mit entsprechenden Zeremonien eingeweiht wurde, wobei Aaron in diesem Fall auf Gottes Geheiß anstelle von Mose handelte. Es scheint, dass Mose die Salbung der Stiftshütte und ihre Ausstattung persönlich vornahm, 2. Mose 40,9-11, und auch das Blut des Sündopfers Aarons mit seinen eigenen Händen auf den Altar sprengte, während der Hohepriester danach die Weihe aller heiligen Gefäße vornahm, die für die Arbeit des levitischen Priestertums verwendet wurden. Der Autor hat also Recht, wenn er behauptet, dass nach dem Ritus des Alten Testaments praktisch alle Dinge durch Blut gereinigt wurden, wobei das Blut das Symbol oder das Mittel der Reinigung war. Wasser wurde nur für die Reinigung von bestimmten Verunreinigungen verwendet. Die Schlussfolgerung ist also völlig gerechtfertigt, dass es ohne Blutvergießen keine Vergebung der Sünden gibt. So war es auch im Alten Testament. Die Anwendung auf den neuen Bund ist offensichtlich, nämlich dass es keine Erlösung gibt außer durch den Opfertod Christi. Er gab sein Leben für das Leben der Welt und erlangte dadurch ewiges Leben für die Welt.

 

    Die Anforderungen des neuen Bundes sind durch Christi vollkommenes Opfer befriedigt (V. 23-28): Hier wird die Notwendigkeit der Reinigung des himmlischen Heiligtums sowie die Wirksamkeit und Endgültigkeit des einen Opfers Christi hervorgehoben. Über den ersten Punkt spricht der Autor: Es war also notwendig, dass die Kopien der Dinge in den Himmeln durch diese gereinigt wurden, die himmlischen Dinge selbst aber durch bessere Opfer als diese. Die Kopien oder Muster der himmlischen Dinge, die Stiftshütte und ihre Ausstattung, mussten mit dem Blut der Opfertiere gereinigt und geweiht werden. Das war die Vorschrift Gottes, und diese Form der Reinigung war ausreichend, solange es nur um die Dinge dieser Welt ging. Da die Stiftshütte mit allem, was sie enthielt, nur ein Typus und Schatten der himmlischen Dinge war, war mehr als diese Reinigung nicht nötig. Anders verhält es sich mit dem himmlischen Heiligtum selbst; denn seine Heiligkeit ist so unermesslich hoch über alles Irdische erhaben, dass es eines vorzüglicheren und vollkommeneren Opfers bedurfte, damit nicht der Einfluss menschlicher Sünde und Schwäche dieses göttliche Heiligtum verunreinige und den Eintritt in seine heilige Pforte unmöglich mache. Die himmlischen Dinge an sich bedürfen keiner Reinigung, aber wenn sie von sündigen Menschen betreten werden, brauchen sie sie.

    Die Reinigung wird nun erklärt: Denn nicht in die mit Händen gemachten Heiligtümer, die bloßen Gegenstücke des Echten, ist Christus eingegangen, sondern in den Himmel selbst, um nun für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen. Christus, unser Hohepriester, ist in jeder Hinsicht weit über die Hohepriester des Alten Testaments erhaben. Denn im Gegensatz zu ihnen ist er nicht in das Heiligtum, in das Allerheiligste der irdischen, von Menschenhand geschaffenen Stiftshütte eingetreten, die nur ein Typus, ein Abbild oder ein Gegenstück des wirklichen Heiligtums im Himmel ist. In den Himmel selbst, das wahre Heiligtum, ist Christus eingetreten; durch das Vergießen seines heiligen Blutes hat er den Eingang zum Allerheiligsten der Stiftshütte oben geöffnet. Und es ist nicht ein bloßer irdischer Gnadenstuhl, vor dem er erschienen ist, an einem Ort, an dem die Herrlichkeit des Herrn nur gelegentlich offenbart wurde, um mit seinen Dienern zu verkehren, sondern es ist der Thron der Herrlichkeit selbst, auf dem er jetzt steht, in der Gegenwart des Herrn der Herrlichkeit selbst. All das hat er für uns getan, als unser Vermittler, als Vermittler des neuen und besseren Bundes.

    Diese Tatsache des stellvertretenden Opfers Christi wird auch von einer anderen Seite her hervorgehoben: Nicht, dass er sich oft opfern könnte, wie der Hohepriester jährlich mit fremdem Blut in das Allerheiligste eintrat; denn dann hätte er seit Grundlegung der Welt oft leiden müssen; jetzt aber ist er einmal, am Ende der Weltzeit, zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer offenbart worden. Das Opfer, das Christus für uns gebracht hat, unterschied sich von dem, das die jüdischen Hohepriester Jahr für Jahr am großen Versöhnungstag darbrachten, auch darin, dass ihr Opfer wiederholt werden musste, jedes Jahr erneuert werden musste, sonst hätte der Bund keinen Bestand. Wie alles, was Menschen tun, waren auch alle Riten, Zeremonien und Opfer unvollständig und unvollkommen. Die Hohenpriester der alten Zeit vollbrachten darüber hinaus das Sühnewerk mit oder in fremdem Blut, denn das Blut des Opfers war das Instrument, das ihnen den Zugang zum Heiligtum ermöglichte. Das Opfern von fremdem Blut ist aber notwendigerweise unvollkommen. Wenn das auch auf Christus zuträfe, dann hätte er seit der Erschaffung der Welt immer wieder leiden müssen. Wenn der Eintritt immer eine Wiederholung erfordert hätte, dann wäre Jesus gezwungen gewesen, periodisch zu leiden und zu sterben. Da aber das Leiden und Sterben Christi ewig wirksam ist, genügte es völlig, dass er jetzt, bei der Vollendung der Zeitalter, in der Fülle der Zeiten, in der Weltperiode, in der alle Typen und Prophezeiungen des Alten Testaments ihre Deutung und Erfüllung finden, in der Zeit vor dem Ende der Welt erschien. Anstatt sein Opfer für jede nachfolgende Generation von Menschen zu bringen, hat er ein einziges Opfer dargebracht, das völlig ausreicht, um die Sünde für immer abzuschaffen und zu beseitigen, weil es aus seinem eigenen Körper als Opfer besteht. Aufgrund des einzigen Opfers Christi können wir mit Recht sagen, dass alles vollbracht ist, was für die Erlösung der Welt notwendig war.

    Um seine Aussage zu untermauern, dass das Opfer Christi ein für alle Mal war, verweist der inspirierte Schreiber auf die normalen Bedingungen des Todes der Menschen: Und wie es den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht, so wird auch Christus, der einmal geopfert wurde, um die Sünden vieler zu tragen, zum zweiten Mal ohne Sünde denen erscheinen, die ihn geduldig zur Erlösung erwarten. Es ist eine strenge Wahrheit, die der Schreiber hier benutzt, um das zu unterstreichen, was er sagen will. Es ist den Menschen, allen Menschen, bestimmt, einmal zu sterben. Das ist eine Tatsache, die in der Heiligen Schrift steht und durch die Erfahrung der Jahrhunderte bestätigt wird: Sterbliche Menschen müssen sterben. Aber der Tod ist nicht das Ende, der Tod ist nicht das Verderben; es ist vielmehr so, dass nach dem Tod das Gericht kommt, wenn alle Menschen vor dem Richterstuhl Christi erscheinen müssen, damit ein jeder empfange, was er an seinem Leibe getan hat, es sei gut oder böse, 2. Kor 5,10. Aber so wie die Folgen des Lebens eines jeden Menschen mit seinem Tod entschieden werden, so hat der Tod Christi die Frage der Sünde und des Heils entschieden. Er wurde einmal als Opfer dargebracht, um die Sünden vieler zu tragen. Das war die Last, die Christus auf sich nahm und bis zum Tod am Kreuz trug: die Übertretungen, die Schuld, die Strafe vieler, der ganzen Menschheitsfamilie. Aber ebenso sicher wie diese Tatsache ist die andere, dass Christus ein zweites Mal erscheinen wird, dass er in Herrlichkeit wiederkommen wird, um die Lebenden und die Toten zu richten. Und wenn er sichtbar erscheint, dann nicht, um hier auf Erden ein tausendjähriges Reich zu errichten, sondern um denen, die im Glauben geduldig auf ihn gewartet haben, das ewige Heil zu schenken und sie in die ewigen Wohnungen aufzunehmen. Vgl. 2. Tim. 4,8. So ist Jesus Christus der Vermittler eines besseren Bundes als der des Alten Testaments. So dürfen wir unser festes Vertrauen auf ihn als unseren Erlöser setzen.

 

Zusammenfassung: Um zu zeigen, dass der alttestamentliche Kult der Vollkommenheit des Opfers Christi unterlegen ist, gibt der inspirierte Schreiber eine Beschreibung der Stiftshütte und ihrer Ausstattung, zeigt auf, wie unvollkommen der Dienst der alttestamentlichen Priester im Vergleich zum Amt Christi war, argumentiert für die Notwendigkeit seines Todes und beweist nebenbei, dass die Forderungen des neuen und besseren Bundes durch das vollkommene Opfer Christi vollständig erfüllt sind.

 

 

 

 

Kapitel 10

 

Die Unzulänglichkeit der alttestamentlichen Opfer, verglichen mit dem einen vollkommenen Opfer Christi (10,1-18)

    1 Denn das Gesetz hat den Schatten von den zukünftigen Gütern, nicht das Wesen der Güter selbst. Alle Jahr muss man opfern immer einerlei Opfer und kann nicht, die da opfern, vollkommen machen; 2 sonst hätte das Opfern aufgehört, wenn die, so Gottesdienstteilnehmer sind, kein Gewissen sich mehr machten von den Sünden, wenn sie einmal gereinigt wären; 3 sondern es geschieht nur durch dieselben eine Erinnerung an die Sünden alle Jahr. 4 Denn es ist unmöglich, durch Ochsen–und Bocksblut Sünden wegzunehmen.

    5 Darum, da er in die Welt kommt, spricht er: Opfer und Gaben hast du nicht gewollt; den Leib aber hast du mir zubereitet. 6 Brandopfer und Sündopfer gefallen dir nicht. 7 Da sprach ich: Siehe, ich komme; im Buch steht vornehmlich von mir geschrieben, dass ich tun soll, Gott, deinen Willen. 8 Droben, als er gesagt hatte: Opfer und Gaben, Brandopfer und Sündopfer hast du nicht gewollt; sie gefallen dir auch nicht (welche nach dem Gesetz geopfert werden), 9 da sprach er: Siehe, ich komme zu tun, Gott, deinen Willen. Da hebt er das erste auf, dass er das andere einsetze. 10 In welchem Willen wir sind geheiligt, einmal geschehen durch das Opfer des Leibes Jesu Christi.

    11 Und ein jeglicher Priester ist eingesetzt, dass er alle Tage Gottesdienst pflege und oftmals einerlei Opfer tue, welche nimmermehr können die Sünden abnehmen. 12 Dieser aber, da er hat ein Opfer für die Sünden geopfert, das ewig gilt, sitzt er nun zur Rechten Gottes 13 und wartet hinfort, bis dass seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt werden. 14 Denn mit einem Opfer hat er in Ewigkeit vollendet, die geheiligt werden. 15 Es bezeugt uns aber das auch der Heilige Geist. Denn nachdem er zuvor gesagt hatte: 16 Das ist der Bund, den ich ihnen machen will nach diesen Tagen, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben, und in ihre Sinne will ich es schreiben, 17 und ihrer Sünden und ihrer Ungerechtigkeit will ich nicht mehr gedenken. 18 Wo aber derselben Vergebung ist, da ist nicht mehr Opfer für die Sünde.

 

    Die Unzulänglichkeit der alttestamentlichen Opfer (V. 1-4): Die Tatsache, die in der gesamten bisherigen Diskussion hervorgetreten ist, nämlich dass alle Kulthandlungen des alttestamentlichen Kultes nur bildlich, symbolisch, typisch waren, wird hier erneut betont, um die Endgültigkeit des einen Opfers Christi hervorzuheben: Denn das Gesetz, das nur ein Schatten des zukünftigen Guten, nicht aber die eigentliche Gestalt der Dinge ist, kann niemals mit denselben Opfern, die sie Jahr für Jahr unaufhörlich darbringen, diejenigen vollkommen machen, die sich nähern. Das Gesetz mit all seinen Riten, Zeremonien und Opfern war nur ein Schatten der wirklich guten Dinge, die in und mit Christus kommen werden; was es bot, war unzureichend, nicht substantiell. Mit dem Erscheinen Christi wurde der bessere Bund eingeläutet, denn er brachte die Wirklichkeit, in ihm wurde das Heil verwirklicht. Im Alten Testament wurde zwar das Kommen der großen geistlichen Segnungen angedeutet und prophezeit, und die Gläubigen setzten ihre Heilshoffnung auf den Messias, der offenbar werden sollte. Aber sie waren immer noch verpflichtet, Jahr für Jahr und von Generation zu Generation dieselben Opfer zu bringen, ihre Gaben zu erneuern, ihre Sünden durch symbolische Handlungen zu sühnen, den Gott des Bundes durch das Blut von Stieren und Böcken zu versöhnen, was alles für sich genommen die Anbeter nicht vollkommen machen konnte, so wie keine Wiederholung des Schattens die Substanz erreichen kann.

    Um diese Wahrheit zu unterstreichen, fragt der Verfasser: Sonst hätten sie sicher aufgehört, geopfert zu werden; - weil die Anbeter, die einst gereinigt waren, kein Sündenbewusstsein mehr hatten. Wenn der Gottesdienst, die Opfer, die Gaben des Alten Testaments die Menschen, die daran teilnahmen, vollkommen gemacht hätten, wenn sie tatsächlich von ihren Sünden und dem Bewusstsein der Schuld gereinigt worden wären, dann hätten sie sicher nicht Jahr für Jahr eine Erneuerung der Opfer verlangt. Denn der gesamte Kult der Juden hatte nur insofern Kraft, als er das vollkommene Opfer Christi vorwegnahm, als er überhaupt von Nutzen war. Da er aber nur ein Typus war, wurde die jährliche Wiederholung der Sühneopfer notwendig.

    Es bleibt also wahr, wie der Autor abschließend feststellt: Aber in ihnen wird jedes Jahr von neuem an die Sünden erinnert; denn es ist unmöglich, dass das Blut von Stieren und Böcken die Sünden wegnehmen kann. Da die Opfer an sich nicht in der Lage waren, Vollkommenheit in den Anbetern zu bewirken, wurde ihre jährliche Wiederholung tatsächlich zu einer jährlichen Erinnerung an die Sünden. Der Verfasser scheint vor allem den großen Versöhnungstag am zehnten Tag des siebten Monats im jüdischen Jahr im Sinn zu haben. An diesem Tag wurden im feierlichsten und eindrucksvollsten Tempeldienst des ganzen Jahres die Verfehlungen des ganzen Volkes vor der versammelten Menge bekannt, ihre Sünden wurden ihnen immer wieder ins Gedächtnis gerufen. Die Opfer des Tages konnten nur symbolisieren, auf das eine vollkommene Opfer hinweisen, das die Sünden der Welt wegnimmt; aber sie selbst waren nicht in der Lage, diese glorreiche Wirkung zu erzielen. Sie waren unzureichend, unzulänglich; sie konnten die Schuld, die das Gewissen des Menschen belastete, nicht beseitigen. Der alttestamentliche Gläubige, der seines Heils sicher sein wollte, konnte diesen glücklichen Zustand nur erreichen, indem er auf den kommenden Messias vertraute.

 

    Das willentliche Opfer Christi (V. 5-10): Nachdem die Unzulänglichkeit des Gesetzes, des alttestamentlichen Gottesdienstes mit seinen Opfern aufgezeigt worden ist, fährt der Autor sofort fort, darauf hinzuweisen, dass das Opfer Christi willig und völlig ausreichend war: Deshalb sagt er bei seinem Eintritt in die Welt: Opfer und Gaben hast du nicht gewollt, sondern einen Leib hast du mir bereitet; an Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen; - da sprach ich: Siehe, ich komme, in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben: Ich komme, zu tun deine Mühle, o Gott. Der Verfasser zitiert Ps. 40,6-8 und weist damit darauf hin, dass es sich um einen messianischen Psalm handelt und dass der Messias selbst den Umfang seines Werkes zum Ausdruck gebracht hat. Der Eintritt Christi in diese Welt, seine Menschwerdung, sein Leiden und sein Tod erfolgten in voller Übereinstimmung mit dem gnädigen Ratschluss des dreieinigen Gottes zur Rettung der Menschheit. Es war die Bereitschaft seines stellvertretenden Werkes, die ihm seinen wunderbaren Wert verlieh. Christus wusste, dass mit seinem Eintritt in die Welt der neue und bessere Bund begonnen hatte, dass die Opfer und Gaben, die ganzen Brandopfer und die Sündopfer des Alten Testaments, ihre Bedeutung verloren hatten. Gott wollte sie nicht mehr, er hatte kein Gefallen mehr an ihnen; da die Substanz erschienen war, bedurfte es keines Schattens, keines Typus mehr. Vgl. auch Ps. 50,7-15; 51,18-21; Jes. 1,11; Jer. 6,20; 7,21-23; Hos. 6,6; Amos 5,21-23. Stattdessen hatte der Herr einen Körper für den Messias geformt oder vorbereitet. Der hebräische Text lautet wörtlich: „Ohren hast du mir gegeben“, was sich auf 2. Mose 21,6; 5. Mose 15, 17 beziehen kann und darauf hinweist, dass Christus der willige Diener seines himmlischen Vaters in der Frage seines Leidens und Sterbens war. Oder, wenn wir uns strenger an den griechischen Text halten, ist es offensichtlich, dass der Messias seine Bereitschaft bekundet, den Willen Gottes in seinem menschlichen Körper zu vollenden. Dies kommt in seinem Schrei noch deutlicher zum Ausdruck: Ich komme, um deinen Willen zu tun, o Gott, wie es in der Rolle des Buches über mich geschrieben steht. Der ganze Dienst Christi, während dessen Er das Gesetz Gottes für uns erfüllte, und besonders Sein Leiden und Sterben, war nicht unvermeidlich in dem Sinne, dass Er sich ihm zwangsweise unterworfen hätte, sondern nur in dem Sinne, dass Er aus freiem Willen und nach dem gnädigen, ewigen Ratschluss Gottes Sein Leben für alle Menschen hingab, Joh. 10,17.18. Beachten Sie, dass er "in der Rolle des Buches" sagt und sich damit auf einen anerkannten Kanon der Schrift bezieht, sogar im Alten Testament. Das Wort "Rolle" bezeichnete ursprünglich das Ende des Stabes, auf dem das Pergament, aus dem ein Buch besteht, gerollt wurde, und schließlich die Rolle selbst.

    Der heilige Schriftsteller erklärt nun die Bedeutung des Zitats: Er sagt oben (im ersten Teil des Zitats): Opfer und Gaben und Brandopfer und Sündopfer hast du nicht gewollt, noch hast du Gefallen daran gefunden (und doch werden sie nach dem Gesetz dargebracht); dann fügt er hinzu: Siehe, ich komme, deinen Willen zu tun, o Gott! Er hebt das erste auf, um das zweite zu begründen. - Es stimmt zwar, dass das Zeremonialgesetz der Juden die Darbringung der verschiedenen Opfer vorschrieb, die für jeden Tag und für den Sabbat sowie die für die großen Feste und für den Versöhnungstag. Aber diese Opfer hatten im alten Bund ihren Zweck erfüllt. Sie wurden abgeschafft, aufgehoben, aufgehoben durch das Kommen Christi, der bereitwillig seinen Leib als angemessenes Opfer darbrachte, um eine vollkommene Erlösung für die Sünden der ganzen Welt zu erlangen. So wurde die alte Art von Opfern und Gaben durch das eine angemessene, ewige Opfer Jesu Christi ersetzt, und das alles in Übereinstimmung mit dem gnädigen Willen Gottes. Von diesem Willen sagt der Verfasser: in welchem Willen wir geheiligt werden durch das Opfer Christi ein für allemal. In oder durch den gnädigen Willen Gottes, wie er im Opfer seines eingeborenen Sohnes auf dem Altar des Kreuzes zum Ausdruck kommt, wie er sich in der vollkommenen Sühne Christi verwirklicht hat, sind wir nun geheiligt, heilig und gerecht vor Gott, denn die vollkommene Gerechtigkeit Christi, die durch seinen aktiven und passiven Gehorsam begründet wurde, wird uns durch den Glauben zugerechnet. So sind wir nun in die eine wahre Gemeinschaft mit Gott gebracht worden durch die Darbringung des Leibes Christi nach dem ewigen Willen des Vaters, ein Opfer, das so vollkommen ist, dass seine Angemessenheit in alle Ewigkeit andauert.

 

    Das eine vollkommene Opfer (V. 11-18): Dass das eine Opfer Christi vom himmlischen Vater als solches anerkannt und angenommen worden ist, wird dadurch veranschaulicht und bewiesen, dass er zur Rechten Gottes erhöht worden ist: Ein jeder Priester steht zwar Tag für Tag im Dienst und bringt oft dieselben Opfer dar, da sie nicht imstande sind, die Sünden jemals ganz zu beseitigen; dieser aber, der ein einziges Opfer für die Sünden gebracht hat, hat sich für alle Zeit zur Rechten Gottes gesetzt und wartet, was das Übrige betrifft, bis seine Feinde zum Schemel seiner Füße gemacht werden. Der Punkt, auf den hier zusätzlich zum Wesen der alten Opfer hingewiesen wird, ist derjenige, der sich auf das Handeln der Priester selbst bezieht. Es gab den unaufhörlichen, aber immer unwirksamen und vergeblichen Dienst der jüdischen Priester. Täglich standen sie in ihrem Dienst, immer wieder brachten sie dieselben Opfer dar; es wurde zu einer fast tödlichen mechanischen Routine, 5. Mose 10,8; 18,7; Ri. 20,28. Trotz alledem konnten sie die Sünden des Volkes durch all ihre Opfer nie ganz wegnehmen; das Beste, was sie tun konnten, war, die Anbeter mit dem Gegenbild des vollkommenen Opfers des Messias zu trösten. Aber Jesus steht nicht mehr in der Ausführung der Werke seines Amtes, wie es die Priester von einst tun mussten. Ein einziges Opfer hat er dargebracht, ein einziges Opfer hat er gebracht; aber so groß, so vollkommen war der Wert dieses einen Opfers, dass seine Vollkommenheit dadurch angezeigt wird, dass Christus zur Rechten Gottes sitzt als einer, der sein Werk ganz vollendet hat und weiß, dass seine Kraft und sein Wert in alle Ewigkeit andauern werden. Als Sieger über alle seine Feinde wartet er ruhig und zuversichtlich darauf, dass sie ihm alle zu Füßen gelegt und zum Schemel seiner Füße gemacht werden, Ps. 110,1; 1. Kor. 15,25-27.

    Es bedarf also keines weiteren Opfers: Denn durch ein einziges Opfer hat er die, die geheiligt werden, für alle Zeit vollkommen gemacht. Die Tatsache, dass er sich einmal als Stellvertreter der Menschheit in den Tod gegeben hat, die Tatsache, dass er einmal mit dem Preis seines heiligen Blutes den Preis für das Lösegeld aller Menschen bezahlt hat, das genügt. Mehr muss nicht getan werden, mehr kann nicht getan werden. Die Erlösung, die Versöhnung des Menschen mit Gott, ist für immer gesichert. In dem einen Opfer Christi gibt es eine Reinigung, die für alle Menschen ausreicht, um sie in die Gemeinschaft mit Gott zu bringen, indem ihnen die vollkommene Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes durch den Glauben zugerechnet wird, und um sie in dieser Gemeinschaft zu halten, indem ihre Herzen durch tägliche Reue und Buße erneuert werden und sie veranlasst werden, sich selbst, ihr Leben, mit jedem weiteren Tag ihres Lebens neu Gott zu weihen.

    Der heilige Schriftsteller führt nun Beweise aus der Schrift an, um zu zeigen, dass das eine Opfer unseres Mittlers endgültig ist: Es bezeugt uns aber auch der Heilige Geist; denn nachdem er gesagt hat: Das ist der Bund, den ich mit ihnen schließen will nach jenen Tagen, spricht der Herr: Ich will meine Gesetze auf ihr Herz setzen und in ihren Sinn einschreiben, und ihrer Sünden und ihrer Missetaten will ich nicht mehr gedenken. Man beachte, dass die hier zitierten Worte, die aus Jer. 31,33. 34 entnommen sind, direkt und ausdrücklich dem Heiligen Geist, dem wahren Autor der Heiligen Schrift, zugeschrieben werden. Durch Jeremia erklärte der Herr ausdrücklich, dass er nach jenen Tagen, wenn die Zeit des Alten Testaments zu Ende geht und die des Neuen Testaments mit der Menschwerdung Christi beginnt, einen neuen Bund mit seinem Volk schließen wird, mit denen, die er zu den Seinen erwählt hat. Die Bedingungen dieses Bundes sind klar formuliert und bestehen nur aus den Dingen, die Gott im Interesse der Menschheit zu tun gedenkt. Er wollte seine Gesetze, die Evangeliumsverkündigung des Neuen Testaments, in ihre Herzen legen; diese wunderbare Erlösungsbotschaft wollte er in ihren Geist einschreiben, sie ihnen durch den Glauben bekannt machen. Und dadurch, dass sie die Gewissheit ihrer Erlösung annahmen, sollten all ihre Sünden, all ihre Ungerechtigkeiten, all ihre Missetaten, all ihre Übertretungen, all ihre Schuld vergessen werden und nie wieder in Erinnerung kommen. Das ist Evangelium, herrliche, rettende Evangeliums-Wahrheit, nicht die Meinung eines fehlbaren Menschen, sondern die Zusicherung des Heiligen Geistes, des ewigen Gottes selbst.

    Und so schließt der Autor passenderweise die gesamte Diskussion, die mit Kapitel 5 begann: Wo aber Vergebung der Sünden ist, da gibt es kein Opfer mehr für Sünden. Wo Vergebung der Sünden ist, wo dieser herrliche Zustand der völligen und ewigen Vergebung der Sünden herrscht, wie es in unserem Fall wirklich der Fall ist, da das vollkommene Opfer Christi dargebracht und angenommen worden ist, da ist ein weiteres Sündopfer nutzlos und sinnlos, und die Behauptung der römischen Kirche mit ihrer Lehre vom Messopfer wird geradezu blasphemisch. Wir brauchen kein levitisches Priestertum mehr, wir brauchen keine weiteren Sündopfer mehr, da die Tatsache des ausreichenden, vollkommenen Opfers Christi so feststeht. Ganz gleich, wie lange die Erde noch bestehen mag, die Gewissheit der Vergebung der Sünden gehört uns, und in der Ewigkeit wird diese Tatsache das Thema unseres endlosen Lobpreises vor dem Thron des Lammes sein: Wir haben Vergebung der Sünden, wir haben die Gnade Gottes, wir haben das ewige Heil!

 

Eine Ermahnung, fest zu stehen im Glauben in Geduld und Dankbarkeit (10,19-39)

    19 So wir denn nun haben, liebe Brüder, die Freudigkeit zum Eingang in das  Heilige durch das Blut Jesu, 20 welchen er uns zubereitet hat zum neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist, durch sein Fleisch, 21 und haben einen Hohenpriester über das Haus Gottes: 22  So lasst uns hinzugehen mit wahrhaftigem Herzen, in völligem Glauben, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser; 23 und lasst uns halten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken, denn er ist treu, der sie verheißen hat. 24 Und lasst uns untereinander unser selbst wahrnehmen mit Reizen zur Liebe und guten Werken 25 und nicht verlassen unsere Versammlung, wie etliche pflegen, sondern untereinander ermahnen, und das viel mehr, soviel ihr seht, dass sich der Tag naht.

    26 Denn wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben, haben wir zukünftig kein anderes Opfer mehr für die Sünden, 27 sondern ein schreckliches Warten auf das Gericht und den Feuereifer, der die Widerwärtigen verzehren wird. 28 Wenn jemand das Gesetz Moses bricht, der muss sterben ohne Barmherzigkeit durch zwei oder drei Zeugen. 29 Wieviel meint ihr, ärgere Strafe wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen tritt und das Blut des Bundes unrein achtet, durch welches er geheiligt ist, und den Geist der Gnaden schmäht? 30 Denn wir kennen den, der da sagte: Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der HERR. Und abermals: Der HERR wird sein Volk richten. 31 Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen.

    32 Gedenkt aber an die vorigen Tage, in welchen ihr, erleuchtet, erduldet habt einen großen Kampf des Leidens, 33 zum Teil selbst durch Schmach und Trübsal ein Schauspiel geworden, zum Teil Gemeinschaft gehabt mit denen, denen es so geht. 34 Denn ihr habt mit meinen Banden Mitleid gehabt und den Raub eurer Güter mit Freuden erduldet, als die ihr selbst wisst, dass ihr eine bessere und bleibende Habe (im Himmel) habt.

    35 Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. 36 Geduld aber ist euch not, damit ihr den Willen Gottes tut und die Verheißung empfangt. 37 Denn noch über eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und nicht verziehen. 38 Der Gerechte aber wird des Glaubens leben. Wer aber weichen wird, an dem wird meine Seele kein Gefallen haben. 39 Wir aber sind nicht von denen, die da weichen und verdammt werden, sondern von denen, die da glauben und die Seele erretten.

 

    Die Notwendigkeit, das Bekenntnis des Glaubens festzuhalten (V. 19-25): Auf der Grundlage der gesamten Lehrdiskussion, wie sie der Autor im ersten Teil seines Briefes geführt hat, bietet er nun verschiedene Ermahnungen an, da es für einen Christen selbstverständlich ist, dass die Heiligung der Rechtfertigung folgt. Die Verbindung mit den Bildern des gesamten vorangegangenen Abschnitts ist sehr geschickt: So habt nun, liebe Brüder, Zuversicht zum Eingang in das Allerheiligste durch das Blut Jesu, durch einen neuen und lebendigen Weg, den er uns geweiht hat, durch den Vorhang, das heißt durch sein Fleisch, und einen Hohenpriester über das Haus Gottes. Weil Christus Jesus als der wahre Hohepriester uns durch sein einziges Opfer für immer vollendet hat, kann der Schreiber frei in diesem Sinne zu uns sprechen. Es ist die Anrede, die bei den Christen immer Eindruck macht und meist den gewünschten Erfolg hat. Unsere zuversichtliche Erwartung, in das Allerheiligste des Himmels einzugehen, gründet sich nicht auf irgendeinen Verdienst oder eine Würdigkeit in uns selbst, sondern auf das Blut, auf das Verdienst von Jesus. Denn Jesus selbst ist der neue, der lebendige Weg. Wenn wir nur mit ihm in der innigen Gemeinschaft des Glaubens verbunden sind, dann wird unser Weg mit ihm durch den Schleier seines eigenen Fleisches in die Gegenwart der göttlichen Herrlichkeit führen. Denn wie der Hohepriester in alter Zeit den Vorhang beiseite schob, der den Weg ins Allerheiligste versperrte, so legte Jesus die Sterblichkeit seines Fleisches, die Schwachheit seines irdischen Lebens ab und öffnete uns den Himmel selbst, um uns freien Zugang zum Thron der Gnade zu gewähren, Matth. 27,51; Mark. 15,31; Luk. 23,45. Und das ist noch nicht alles. Wir hatten nicht nur, als Jesus hier auf der Erde lebte, sondern wir haben auch jetzt einen großen Hohenpriester, der über das Heiligtum des Himmels wacht; denn gerade jetzt verrichtet Christus den Teil seines Werkes, der uns versichert, dass die himmlischen Wohnungen für uns bereitstehen; denn er ist unser Fürsprecher beim Vater. Denn er ist unser Fürsprecher beim Vater. Und wer sonst wäre befähigt, für uns in gleichem Maße einzutreten wie der, dem wir unsere Erlösung verdanken? Da wir das wissen, haben wir Mut und Zuversicht im Glauben. Wir wissen, dass der Weg für uns bereitet ist und dass wir in das Heiligtum des Himmels, in unsere Heimat oben, eintreten dürfen, wann immer der Herr uns ruft.

    Dies ist der Fall: Lasst uns mit aufrichtigem Herzen hingehen, in voller Gewissheit des Glaubens, besprengt in unseren Herzen von einem bösen Gewissen, und unsere Leiber gewaschen mit reinem Wasser. Indem er einen Begriff aus dem alttestamentlichen Kult verwendet, der sich auf das regelmäßige und wiederholte Eintreten der Priester bezieht, die sich dem Altar nähern, um das Werk ihres Amtes zu verrichten, fordert der inspirierte Schreiber uns als wahre Priester des Neuen Testaments auf, mit dem Vertrauen des Glaubens zum Herrn zu kommen. Wir sollen mit echtem Herzen kommen, nicht mit heuchlerischer Scheinheiligkeit, sondern so eingestellt, dass wir wirklich mit der ganzen Seele an der Anbetung des Herrn interessiert sind und seine Gnade suchen. In voller Glaubensgewissheit sollten wir uns nähern, nicht in absoluter Gewissheit, sondern im festen Vertrauen auf die durch das Blut Jesu erworbene Erlösung, denn das Korrelat des Glaubens ist immer das Wort des Evangeliums mit seiner Erlösungsbotschaft. Deshalb ist der Glaube keine subjektive Angelegenheit, keine Sache des Gefühls und der Veranlagung, sondern eine objektive Gewissheit, die sich an die Verheißungen des Herrn klammert. Wir sollten mit einem von bösem Gewissen besprengten Herzen kommen; in der Gewissheit, dass der Schmutz unseres Herzens durch das Blut Jesu abgewaschen wurde, können wir unsere Herzen für das Priesteramt des allmächtigen Herrn vorbereiten, 2. Mose 29,4; 30,20; 40,30, ebenso wie unsere Leiber mit reinem Wasser gewaschen sind, da das reinigende Wasser der Taufe alle unsere Sünden abgewaschen hat, Eph 5,26; Tit. 3,5. So vorbereitet, haben wir das Vorrecht, uns dem himmlischen Tempel und dem ewigen Altar jederzeit auf einem neuen und lebendigen Weg zu nähern, durch den Glauben in sein inneres Heiligtum einzutreten und uns in der Gegenwart Gottes zu zeigen.

    Daraus folgt: Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis unserer Hoffnung, denn treu ist der, der sie verheißen hat, und lasst uns aufeinander achten, um uns zur Liebe und zu guten Werken anzuspornen, indem wir die Versammlung nicht aufgeben, wie es bei einigen üblich ist, sondern einander ermahnen, und dies umso mehr, als ihr seht, dass der Tag nahe ist. ALLE Christen können so fest in ihrem Glauben und in ihrer Hoffnung sein, weil diese Hoffnung ein so festes Fundament hat, das nicht auf dem unsicheren Sand menschlicher Meinungen oder auf den Beteuerungen von Freundschaften ruht, sondern auf der Treue unseres Herrn, 1. Kor. 1,9; 10,13: 1. Thess. 5,24. Wir genießen noch nicht die Fülle des Segens, den er uns in Aussicht gestellt hat, wir erleben noch nicht die Vollendung unseres Heils, aber Gottes Verheißungen können nicht versagen, nicht eine von ihnen wird jemals zu Boden fallen. Solange wir aber noch im Fleisch wandeln, müssen wir unsere eigene Schwachheit und die unseres Nächsten berücksichtigen und deshalb einander in taktvoller Weise zur Liebe und zu guten Werken anspornen und ermuntern. Vgl. 1. Thess. 5,11. Dieses ständige Anspornen und Nacheifern kann natürlich nicht stattfinden, wenn die Christen nicht zusammenkommen, sowohl zum öffentlichen Gottesdienst als auch zu anderen Versammlungen, in denen das Wohl und Wehe des Werkes des Herrn besprochen wird. Der Verfasser ermahnt daher die Gläubigen, solche Zusammenkünfte nicht zu vernachlässigen. Schon damals hatten, wie der Schreiber anmerken muss, einige Gemeindeglieder die schlechte Angewohnheit, solchen Versammlungen zur Erbauung fernzubleiben, wahrscheinlich unter dem Vorwand des geschäftlichen Drucks oder aus Furcht vor Verfolgung, wie es auch heute der Fall ist. Die Nähe des Jüngsten Tages und die Erinnerung an die Rechenschaft, die wir an diesem Tag ablegen müssen, sollten uns jedoch bereit und eifrig machen, die hier gegebene Ermahnung zu beherzigen. Wenn Menschen, die sich zum christlichen Glauben bekennen, den Kirchgang und die Teilnahme an den Versammlungen, die der gegenseitigen Ermutigung und Ermahnung dienen, vernachlässigen, beleidigen sie nicht nur die Schwachen im Glauben, sondern gefährden selbst ihr Christsein, ihren Glauben. Der Wechsel vom Glauben zum Unglauben vollzieht sich oft so allmählich, so unmerklich, dass der Schaden angerichtet ist, bevor das verblendete Opfer sich dessen bewusst ist. Die Treue im regelmäßigen Gebrauch des Wortes und des Sakramentes sollte alle wahren Christen auszeichnen.

 

    Der heilige Schreiber unterstützt seine Ermahnung durch eine sehr ernste Warnung (V. 26-31): Hier wird das schreckliche Ergebnis und die letzte Konsequenz des Abfalls vom Glauben mit schrecklichem Realismus dargestellt: Denn wenn wir weiter mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit erlangt haben, bleibt kein Opfer mehr für die Sünden, sondern eine gewisse furchtbare Erwartung des Gerichts und eines Feuerzorns, der die Widersacher verzehren wird. Der Verfasser spricht hier nicht von einer gewöhnlichen Übertretung der Zehn Gebote, wie sie auch Christen täglich begehen. Er betont, dass er von einer vorsätzlichen Sünde spricht, die vor allem in der Vernachlässigung dessen besteht, wozu er soeben ermahnt hat, nämlich dass Menschen, die zum Glauben gekommen sind, das Bekenntnis der Hoffnung nicht festhalten, ohne zu wanken, dass sie die Gnadenmittel vernachlässigen, die Gottesdienste nicht mehr oder allenfalls sehr unregelmäßig besuchen und brüderliche Ermahnung weder anwenden noch annehmen. Die Verleugnung Christi ist die Sünde, und die Vernachlässigung der Gnadenmittel ist der Weg dorthin. Menschen, die sich dieser Sünde schuldig machen, tun dies absichtlich, mit Vorsatz, und sie sündigen weiter, sie verharren in ihrer Übertretung. Nachdem sie die Erkenntnis der Wahrheit empfangen und Jesus Christus und sein Heil angenommen haben, leugnen solche Menschen böswillig und lästernd die anerkannten Tatsachen, die Wahrheiten des Evangeliums. Und in ihrem Fall gilt, dass es das Opfer für die Sünden für sie nicht mehr gibt. Die Natur ihrer Sünde hat dies zur Folge; denn da sie das Sühneopfer Christi, das sie einst im Glauben angenommen hatten, verleugneten, haben sie das einzige Mittel zur Erlösung verworfen. Was sie daher zu erwarten haben, ist der Schrecken des Jüngsten Gerichts, des endgültigen Verderbens; was sie erwarten müssen, ist die Wut des Höllenfeuers, das die Widersacher des Herrn in alle Ewigkeit verzehren und vernichten wird. Die Intensität dieser Strafe ist so groß, dass es unmöglich ist, ihre Heftigkeit angemessen zu schildern.

    Der Verfasser versucht dies anhand eines Beispiels aus der Geschichte des Mose zu tun: Wer das Gesetz des Mose außer Kraft gesetzt hat, stirbt ohne Gnade auf Grund von zwei oder drei Zeugen; wie viel schlimmer wird wohl der bestraft werden, der den Sohn Gottes mit Füßen getreten und das Blut des Bundes, mit dem er geheiligt wurde, für eine gewöhnliche Sache gehalten und den Geist der Gnade beleidigt hat? Die Leser des Briefes kannten die Bestimmung des mosaischen Gesetzes, die die Sünde des Götzendienstes mit dem Tode bestrafte, 5. Mose 17,2-7. Wenn eine Person, die zu den Kindern Israels gehörte, dieser Sünde für schuldig befunden wurde, was durch das Zeugnis von zwei oder drei Zeugen bestätigt wurde, war die Todesstrafe die einzige Strafe, die als angemessen angesehen wurde. Denn Götzendienst ist im Wesentlichen Verleugnung, ein böswilliger Bruch des zwischen Gott und seinem Volk bestehenden Bundes. In einem solchen Fall wurde daher kein Unterschied gemacht, es gab keinen Respekt vor Personen: Die Todesstrafe war die Strafe. Der Autor überlässt es nun seinen Lesern, selbst zu beurteilen, welche Strafe für denjenigen angemessen ist, der den Glauben an Jesus Christus auf die hier beschriebene Weise verleugnet. Um die Abscheulichkeit des Vergehens zu zeigen, wird der gotteslästerliche Abfall charakterisiert. Er besteht darin, den Sohn Gottes als ein verächtliches Ding zu zertreten, das keiner besseren Behandlung würdig ist. Sie beinhaltet die Verachtung des Blutes des Bundes, des heiligen, unschuldigen Blutes Christi, als etwas Gewöhnliches, das nicht mehr wert ist als das Blut irgendeines „menschlichen Wesens“. Sie geht schließlich so weit, dass sie den Geist der Gnade beleidigt, denselben Geist, der in den Mitteln der Gnade die Erlösung durch Christus gegeben und die Heiligung im Herzen bewirkt hat. Ein solcher Mensch lästert absichtlich. So wird der Zustand eines Menschen beschrieben, der, nachdem er in der Bekehrung die Gnade Gottes empfangen hat, nun auf so schreckliche Weise sündigt, und zwar nicht nur einmal und unter besonderer Veranlassung, sondern immer wieder, mit einer gewissen teuflischen Freude daran, andere durch seine völlige Rücksichtslosigkeit zu schockieren. Anmerkung: Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Autor hier die Sünde gegen den Heiligen Geist beschreibt, die wegen ihres besonderen Charakters außerhalb des Bereichs der Vergebung Gottes liegt. Aber man beachte, dass er keinen seiner Leser anklagt, diese Sünde begangen zu haben; sein einziges Ziel ist es, sie zu warnen, damit sie nicht schuldig werden und für immer verloren sind.

    Um seiner Warnung Nachdruck zu verleihen, bezieht sich der heilige Autor auf zwei Stellen im Alten Testament: Denn wir wissen, wer gesagt hat: „Die Rache ist mein, ich will vergelten“, und weiter: „Der Herr wird sein Volk richten.“ Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen. 5. Mose 32,35.36; Ps. 135,14. Wenn Gott, der auch in der Einhaltung seiner Drohungen treu ist, zu Gericht sitzen und Rache üben wird, dann wird es zu spät sein, vor dem kommenden Zorn zu fliehen. Die Erkenntnis, dass es eine schreckliche Sache ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen, wird dann den Verurteilten nicht mehr zur Umkehr bewegen können. Wenn wir Gläubigen, die durch das Gesetz verdammt, aber durch die Gabe des Heiligen Geistes der Gnade Gottes teilhaftig geworden sind, die rettende Wahrheit und Gnade mutwillig und böswillig verleugnen und alle Heilsangebote lästerlich verschmähen, haben wir niemand anderen als uns selbst zu verantworten, wenn uns am Jüngsten Tag die schreckliche Rache Gottes trifft.[12]

 

    Ein Grund für christliche Geduld (V. 32-34): Hier ist ein weiterer hervorragender Punkt, den der Autor anführt, um seiner Ermahnung die richtige Kraft zu verleihen: Erinnert euch aber an die frühere Zeit, in der ihr, nachdem ihr erleuchtet worden wart, viel Ringen mit Leiden ertragen habt, teils indem ihr Vorwürfen und Bedrängnissen ausgesetzt wart, teils indem ihr euch denen angeschlossen habt, denen es so erging. Der Eifer und die Inbrunst der ersten Liebe sind immer ein geeignetes Argument, um in den Herzen der Christen überall neue Begeisterung zu wecken. Das galt auch für die Judenchristen. In den ersten Jahren nach ihrer Bekehrung, nachdem sie gerade die Erkenntnis der Wahrheit empfangen hatten, nachdem sie von der Liebe zu ihrem Erlöser beflügelt worden waren, ertrugen sie die Verfolgungen ihrer Landsleute und ihrer Obrigkeit freudig, Apg. 8,1; 12,1. Sie betrachteten es als eine Ehre, vor den Menschen mit Hohn und Spott, mit Vorwürfen und Verachtung bedacht zu werden. Es mag oft ein bitteres Ringen mit Bedrängnissen gewesen sein, an die sie überhaupt nicht gewöhnt waren, denn ihr eigenes Fleisch und Blut war ein gefährlicher Verbündeter der Feinde und sehr oft bereit, den scheinbar ungleichen Kampf aufzugeben. Aber so stark war ihr Glaube in jenen Jahren, so glühend ihre Liebe, dass sie nicht nur all diese Bedrängnisse des Spottes und der Verachtung ertrugen, sondern auch in gewissem Maße den Gegnern offen trotzten, indem sie sich mit denen verbanden, denen es ebenso erging; sie sympathisierten mit den Gefangenen und begrüßten die gewaltsame Beschlagnahmung ihres Besitzes. Dies erkennt der Autor in seinem eigenen Fall dankbar an: Denn ihr hattet Mitleid mit den Gefangenen (mich eingeschlossen) und habt die Beschlagnahme eures Besitzes freudig ertragen, weil ihr wusstet, dass ihr selbst einen besseren und bleibenden Besitz im Himmel habt. Das ist die Haltung der Gläubigen zu allen Zeiten. Da sie mit ihren Mitchristen durch die innigsten Bande des Glaubens und der Liebe verbunden sind, freuen sie sich mit denen, die glücklich sind, haben aber auch Mitleid mit denen, die Verfolgungen und Bedrängnisse ertragen müssen. Und was die Güter dieser Welt betrifft, so können sie ihren Verlust um so freudiger ertragen, als ihr wahrer Besitz in der Höhe liegt, in einem Reichtum, der dem Zugriff der Räuber und Tyrannen entzogen ist, Matth. 6,20; Luk. 12,33.

 

    Festigkeit ist nötig (V. 35-39): Mit all diesen Tatsachen, die sie in ihrem christlichen Leben anspornen sollen, kann der Verfasser wohl die abschließende Ermahnung hinzufügen: Werft also eure Zuversicht nicht weg, denn sie hat eine reiche Hoffnung auf Belohnung; denn ihr habt Geduld nötig, damit ihr, nachdem ihr den Willen Gottes getan habt, die Verheißung empfangt. Die Erinnerung an das, was sie schon erduldet haben, und das Bewusstsein ihres bleibenden Besitzes im Himmel sind die besten und dringendsten Beweggründe, die Christen fest und fröhlich zuversichtlich zu halten. Denn diese Hoffnung wird ganz gewiss nicht zuschanden werden, da sie die Verheißung des wunderbarsten Lohns der Gnade hat, nämlich den des ewigen Heils durch die Verdienste Jesu Christi. Das Ergebnis und die Belohnung, die ihrem unerschütterlichen Vertrauen folgt, ist also an sich schon ein Grund, der sie zu größtem Eifer und höchsten Anstrengungen anspornen sollte. Gleichzeitig brauchen sie dieses geduldige Ausharren, denn die Umstände und Bedingungen begünstigen die Christen in ihrer Stellung inmitten einer der Sache Christi feindlichen Welt gewiss nicht. Aber nur wenn sie bis zum Ende ausharren, wenn sie am Glauben an Christus festhalten und den Willen Gottes tun, solange das Leben währt, wird der verheißene Lohn kommen, Offb. 2,10.

    Damit diese Aussicht, die den Gedanken an das Kreuz, das das Los der Christen ist, in sich trägt, sie nicht entmutigt, fügt der Verfasser hinzu: Noch eine kleine Zeit, eine sehr kleine Zeit, und der, der kommen wird, wird gekommen sein und nicht zögern. Vgl. Hos. 2,3.4: Jes. 26,20. Es mag den Gläubigen oft so vorkommen, als würden sie unter einer überwältigenden Übermacht zermalmt werden; aber ihre endgültige Befreiung ist nahe. Es ist nur noch eine kleine, eine sehr kleine Weile, und der Herr wird zu seinem zweiten großen Kommen erscheinen, um die Lebenden und die Toten zu richten und seinem Volk die Freude des ewigen Heils zu bringen. Manchen mag es so vorkommen, als würde er zögern, als würde sich seine Verheißung nicht erfüllen; aber sein Tag kommt so sicher, wie sein Wort die Wahrheit ist, 2. Petr. 3,8.9. In diesem Sinne wird der Christ durch die Worte des Herrn in seinem Glauben gestärkt, Hab. 2,4; Röm. 1,17; Gal. 3,11: Mein Gerechter aber soll durch den Glauben leben, und wenn er zurückweicht, hat meine Seele kein Wohlgefallen an ihm. Nur derjenige, der bis zum Ende im Glauben an Jesus Christus bleibt, der sich ohne zu wanken an den Trost des vollkommenen Verdienstes Christi klammert und sich weder durch irgendeine Erwägung von innen noch durch irgendeinen Angriff von außen beirren lässt, wird leben. Treue und Loyalität sind die beiden Tugenden, die sich in jedem Gläubigen auszeichnen müssen.

    Sehr diplomatisch und taktvoll schließt der heilige Schriftsteller seine Ermahnung ab: Wir aber gehören nicht zu denen, die vor dem Verderben zurückschrecken, sondern zum Gewinn der Seele durch den Glauben. Indem der Autor sich selbst mit seinen Lesern einschließt, macht er seinen Appell umso wirksamer. Die wahren Gläubigen zeichnen sich nicht durch ein ängstliches Zurückweichen aus, das dazu führt, dass sie das Bekenntnis des Glaubens aufgeben. Ihr Glaube mag manchmal unter dem ständigen Druck, dem er ausgesetzt ist, schwach werden und alles andere als ein heroisches Aussehen haben. Männer des Glaubens müssen die Christen trotz aller Angriffe sein; denn nur so erlangen und bewahren sie ihr Seelenheil, erlangen sie die Befreiung ihrer Seelen, die sie als kostbarsten Besitz in alle Ewigkeit behalten werden.

 

Zusammenfassung: Der inspirierte Autor vergleicht die Unzulänglichkeit des alttestamentlichen Kultes mit dem einen willigen und vollkommenen Opfer Christi und fügt eine dringende Ermahnung hinzu, fest und geduldig im Glauben zu sein und so das Heil der Seelen zu erlangen.

 

 

Kapitel 11

 

Die Glaubensvorbilder des Alten Bundes –

eine wunderbare Geschichte der Kraft des Glaubens (11,1-40)

    1 Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, was man hofft, und nicht zweifeln an dem, was man nicht sieht. 2 Durch den haben die Alten Zeugnis überkommen.

    3 Durch den Glauben merken wir, dass die Welt durch Gottes Wort fertig ist, dass alles, was man sieht, aus nichts geworden ist. 4 Durch den Glauben hat Abel Gott ein besseres Opfer getan als Kain, durch welchen er Zeugnis überkommen hat, dass er gerecht sei, da Gott zeugte von seiner Gabe; und durch den redet er noch, wiewohl er gestorben ist. 5 Durch den Glauben wurde Henoch weggenommen, dass er den Tod nicht sähe, und wurde nicht gefunden, darum dass ihn Gott wegnahm; denn vor seinem Wegnehmen hat er Zeugnis gehabt, dass er Gott gefallen habe. 6 Aber ohne Glauben ist’s unmöglich, Gott zu gefallen; denn wer zu Gott kommen will, der muss glauben, dass er sei und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde. 7 Durch den Glauben hat Noah GOtt geehrt und die Arche zubereitet zum Heil seines Hauses, da er einen göttlichen Befehl empfing von dem, was man noch nicht sah; durch welchen er verdammte die Welt und hat geerbt die Gerechtigkeit, die durch den Glauben kommt.

    8 Durch den Glauben wurde gehorsam Abraham, da er berufen wurde, auszugehen in das Land, das er erben sollte; und ging aus und wusste nicht, wo er hinkäme. 9 Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Land als in einem fremden und wohnte in Hütten mit Isaak und Jakob, den Miterben dieser Verheißung. 10 Denn er wartete auf eine Stadt, die einen Grund hat, welcher Baumeister und Schöpfer Gott ist. 11 Durch den Glauben empfing auch Sarah Kraft, dass sie schwanger wurde, und gebar über die Zeit ihres Alters; denn sie achtete ihn treu, der es verheißen hatte. 12 Darum sind auch von einem, wie wohl erstorbenen Leib, viele geboren, wie die Sterne am Himmel und wie der Sand am Rand des Meeres, der unzählig ist.

    13 Diese alle sind gestorben im Glauben und haben die Verheißung nicht empfangen, sondern sie von ferne gesehen und sich der vertröstet und wohl genügen lassen und bekannt, dass sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind. 14 Denn die solches sagen, die geben zu verstehen, dass sie ein Vaterland suchen. 15 Und zwar, wenn sie das gemeint hätten, von welchem sie waren ausgezogen, hatten sie ja Zeit, wieder umzukehren. 16 Nun aber begehren sie ein besseres, nämlich ein himmlisches. Darum schämt sich Gott ihrer nicht, zu heißen ihr Gott; denn er hat ihnen eine Stadt zubereitet.

    17 Durch den Glauben opferte Abraham den Isaak, da er versucht wurde, und gab dahin den Eingebornen, da er schon die Verheißung empfangen hatte, 18 von welchem gesagt war: In Isaak wird dir dein Same geheißen werden, 19 und dachte: Gott kann auch wohl von den Toten erwecken; daher er auch ihn zum Vorbild wieder nahm. 20 Durch den Glauben segnete Isaak von den zukünftigen Dingen den Jakob und Esau. 21 Durch den Glauben segnete Jakob, da er starb, beide Söhne Josephs und neigte sich gegen seines Zepters Spitze. 22 Durch den Glauben redete Joseph vom Auszug der Kinder Israel, da er starb, und tat Befehl von seinen Gebeinen.

    23 Durch den Glauben wurde Mose, da er geboren war, drei Monate verborgen von seinen Eltern, darum dass sie sahen, wie er ein schönes Kind war, und fürchteten sich nicht vor des Königs Gebot. 24 Durch den Glauben wollte Mose, da er groß wurde, nicht mehr ein Sohn heißen der Tochter Pharaos 25 und erwählte viel lieber, mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben, 26 und achtete die Schmach Christi für größeren Reichtum als die Schätze Ägyptens; denn er sah an die Belohnung. 27 Durch den Glauben verließ er Ägypten und fürchtete nicht des Königs Grimm; denn er hielt sich an den, den er nicht sah, als sähe er ihn. 28 Durch den Glauben hielt er Passah und das Blutvergießen, damit, der die Erstgeburten würgte, sie nicht träfe. 29 Durch den Glauben gingen sie durch das Rote Meer wie durch trockenes Land; welches die Ägypter auch versuchten und ersoffen.

    30 Durch den Glauben fielen die Mauern Jerichos, da sie sieben Tage umhergegangen waren. 31 Durch den Glauben wurde die Hure Rahab nicht verloren mit den Ungläubigen, da sie die Kundschafter freundlich aufnahm. 32 Und was soll ich mehr sagen? Die Zeit würde mir zu kurz, wenn ich sollte erzählen von Gideon und Barak und Simson und Jephthah und David und Samuel und den Propheten, 33 welche haben durch den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit gewirkt, die Verheißung erlangt, der Löwen Rachen verstopft, 34 des Feuers Kraft ausgelöscht, sind des Schwerts Schärfe entronnen, sind kräftig geworden aus der Schwachheit, sind stark geworden im Streit, haben der Fremden Heer daniedergelegt. 35 Die Frauen haben ihre Toten von der Auferstehung wieder genommen; die anderen aber sind zerschlagen und haben keine Erlösung angenommen, damit sie die Auferstehung, die besser ist, erlangten. 36 Etliche haben Spott und Geißeln erlitten, dazu Bande und Gefängnis. 37 Sie sind gesteinigt, zerhackt, zerstochen, durchs Schwert getötet; sie sind umhergegangen in Pelzen und Ziegenfellen, mit Mangel, mit Trübsal, mit Ungemach 38 (deren die Welt nicht wert war) und sind im Elend gegangen in den Wüsten, auf den Bergen und in den Klüften und Löchern der Erde.

    39 Diese alle haben durch den Glauben Zeugnis überkommen und nicht empfangen die Verheißung, 40 darum, dass Gott etwas Besseres für uns zuvor versehen hat, dass sie nicht ohne uns vollendet würden.

 

    Glauben ist ein Vertrauen auf das, was unsichtbar und zukünftig ist (V. 1-2): Der heilige Schreiber formuliert hier den Grundgedanken dieses Kapitels, des eindrucksvollsten Abschnitts über die Kraft des Glaubens in seinem ganzen Brief, wenn nicht sogar in der ganzen Bibel. Er beginnt mit einer Definition des Glaubens: Der Glaube aber ist eine Überzeugung des Geistes von dem, was man hofft, eine Gewissheit von dem, was man nicht sieht. Der Glaube, der rettende Glaube, der Jesus und seine Gerechtigkeit angenommen hat, ist immer und ausnahmslos eine feste Gesinnung, eine bestimmte Überzeugung von den Dingen, die Gott uns in seinem Wort verheißen hat, damit wir unsere Hoffnung auf sie setzen; er ist eine unwandelbare Überzeugung des Herzens von den Dingen, die wir nicht sehen können, die zu ergründen und zu erkennen unseren Augen und unserer Vernunft und unserem Verstand unmöglich ist. Der Glaube bezieht sich also auf Dinge, die in der Zukunft liegen, auch wenn sie in diesem Leben ihren Anfang nehmen; er ist keine Erwartung schrecklicher Ereignisse, sondern eine Hoffnung auf gesegnete, herrliche Gaben; er behält seine eigentümliche Form und seine Eigenschaften, auch wenn er schwach ist, eine bloße glühende Kerze; er ist dem Zweifel und dem Unglauben entgegengesetzt. Der Glaube steht fest in allen Bedrängnissen. Der Glaube überwindet alle Schwäche, denn inmitten von Bedrängnis und Verfolgung erweist sich der Glaube als eine Überzeugung des Herzens, das an Gottes Verheißungen festhält. Diese Qualitäten oder Eigenschaften des Glaubens will der Autor nun anhand einer Reihe von Beispielen von Männern und Frauen des Alten Testaments herausstellen: Denn hierin lag das Lob der alten Männer. Die führenden Männer des Alten Testaments wurden von Gott aufgrund ihres Glaubens gelobt, und ihre Taten wurden zum Nutzen künftiger Zeitalter, der Generationen des Neuen Testaments, aufgezeichnet.

 

    Das Beispiel von Abel, Henoch und Noah (V. 3-7): Der heilige Schriftsteller beginnt seine Aufzählung mit einem allgemeinen Hinweis, der absichtlich nicht auf Adam oder einen einzelnen Gläubigen, sondern auf die Gläubigen aller Zeiten bezogen ist: Durch den Glauben erkennen wir, dass die Welten durch das Wort Gottes erschaffen worden sind und dass das, was wir sehen, nicht aus dem, was erscheint, entstanden ist. Die Existenz der Welt, ihre Erschaffung und Erhaltung ist bei den Christen keine Sache von Vermutungen, von müßigem Rätselraten, wie bei den Heiden und den Ungläubigen im Allgemeinen, die die Welt mit Theorien verblüfft haben, die selbst den Glauben der Gläubigen in Frage stellen. Wir halten nichts von solchen eitlen Theorien, den Produkten von Spekulationen, die auf falschen Annahmen beruhen. Wäre das sichtbare Universum wirklich aus Materialien entstanden, die sich unserer Kontrolle oder der Beobachtung durch andere Menschen entziehen, dann würde unser Standpunkt die Merkmale einer törichten Spekulation tragen. Aber die gesamte Art und Weise, in der die Welt entstanden ist, wobei alle Teile einander angepasst sind und das Ganze seinen Zweck erfüllt, ist keine Frage der vernünftigen Überlegung, sondern des Glaubens. Der Glaube ist das Wissen, das uns sagt, dass es das allmächtige Wort Gottes war, das die Dinge aus dem Nichts ins Dasein rief, etwas schuf, das vorher nicht da war. Und das Ergebnis dieses schöpferischen Aktes des allmächtigen Gottes ist die Existenz und Erhaltung aller Dinge, die das sichtbare Universum ausmachen. Anmerkung: Es ist ein Trost für uns zu wissen, dass derselbe allmächtige Gott heute das Universum regiert und dass seine Verheißung, die Welt zu erhalten, immer noch gilt (1. Mose 8,22).

    Wenn der Schreiber nun bestimmte Beispiele aufgreift, erwähnt er zuerst das von Abel: Durch den Glauben brachte Abel Gott ein angemesseneres Opfer dar als Kain, wodurch er als gerecht bestätigt wurde, da Gott seine Gaben bezeugte; und durch dasselbe spricht er, obwohl er tot ist, doch. Das bessere, vorzüglichere, angemessenere Opfer Abels, der besondere Wert seiner Gabe, lag nicht in der Wahl des Materials, sondern in der Tatsache, dass er Glauben hatte, dass er an den kommenden Messias glaubte. Aufgrund dieses Glaubens bezeugte Gott ihm auch, dass er gerecht war (1. Mose 4,3-5; Matth. 23,35). Gott nahm das Opfer Abels an und zeigte damit, dass er mit der Gabe und dem Gebet, das sie begleitete, vollkommen zufrieden war; er hatte Ehrfurcht vor ihm und seinem Opfer, wie es im Text der Genesis heißt. Der Glaube Abels war also der Grund, warum Gott ihm die Gerechtigkeit des kommenden Messias, auf den er seine Hoffnung setzte, zurechnete. Auf welche Weise Gott das Opfer Abels annahm, ob dadurch, dass er den Rauch des Opfers direkt zum Himmel aufsteigen ließ, oder dadurch, dass er Feuer vom Himmel fallen ließ, um sein Opfer zu verzehren, oder dadurch, dass er Adam als Priester der Familie seine Haltung offenbarte, wissen wir nicht. Sicher ist nur, dass seine Opfergabe aufgrund seines Glaubens angenommen wurde. Und eine weitere Tatsache ist zu beachten, nämlich dass der Mord an Abel nicht das Ende seiner Tätigkeit oder seines Einflusses war. Obwohl er tot ist, spricht er immer noch zu uns. Sein Glaube ist für alle Menschen ein leuchtendes Beispiel für die Art und Weise, wie man die Rechtfertigung erlangt, sowie für die Notwendigkeit, dem Herrn treu zu sein, auch wenn Hass und Feindschaft seitens der nächsten Verwandten die Folge sind, 1. Mose 4,10; Hebr. 12,24.

    Als nächstes wird das Beispiel Henochs angeführt: Durch den Glauben wurde Henoch entrückt, so dass er den Tod nicht sah, und er wurde nicht gefunden, weil Gott ihn entrückt hatte; denn vor seiner Entrückung hatte er das Zeugnis gehabt, dass er Gott wohlgefällig war. Von Henoch wird in der Heiligen Schrift nur sehr wenig gesagt, vgl. 1. Mose 5,22-24; Judas, V. 14.15. Seit den frühesten Tagen hatten die Kinder Gottes, die Nachkommen Adams, die auf die Barmherzigkeit des kommenden Messias vertrauten, die Verkündigung dieser Evangeliums-Wahrheit in ihrer Mitte veranlasst und sie ihren Kindern beigebracht. So hatte Henoch die Wahrheit und den Weg des Heils gelernt, so war er zum Glauben gekommen, und deshalb war er Gott wohlgefällig. In seinem Fall beschloss der Herr daher, sein Wohlgefallen auf eine besonders außergewöhnliche Weise zu bekunden. Er entfernte ihn von der Erde, damit er den Tod nicht sehe; auf irgendeine Art und Weise nahm der Herr seinen Leib mit hinauf in die Wohnung der Seligen. Und das alles, weil er glaubte und ein gottgefälliges Leben führte, das mit seinem Glauben übereinstimmte, weil er mit Gott wandelte, wie es im hebräischen Text heißt, 1. Mose 5,22.24. Er wurde entrückt, er wurde entfernt, er wurde nicht mehr gefunden. Es kann gut sein, dass seine Verwandten nach ihm suchten, wie die Kinder der Propheten nach Elia, 2. Kön. 2,16, und dass sie schließlich vom Herrn Informationen über die Art und Weise erhielten, wie ihr Verwandter von der Erde entfernt wurde. All dies war das Ergebnis seines Glaubens: Denn ohne Glauben ist es unmöglich, Gott wohlgefällig zu sein; denn wer zu Gott kommt, muss glauben, dass er existiert und dass er denen, die ihn fleißig suchen, ein Belohner ist. Der Autor benutzt wieder das Bild der Annäherung eines Priesters oder eines Anbeters an Gott, Kap. 7,25; 10,22. Ein solcher Mensch, der Gott in Wahrheit anbetet, wird nicht nur an die Existenz Gottes glauben, sondern auch wissen, dass Gott in seiner Barmherzigkeit diejenigen belohnen wird, die ihn suchen, und dass sein Geschenk an sie das ewige Leben durch Jesus Christus, den Erlöser, ist. Derjenige, dessen Christentum nicht eine Angelegenheit der bloßen Form und der äußeren Zeremonien ist, sondern eine wahre Herzensangelegenheit, derjenige, dessen Glaube von der Art ist, dass er nicht müde wird, den Herrn und seinen heiligen Willen zu suchen, der wird des barmherzigen Lohnes des Herrn teilhaftig werden.

    Das Beispiel Noahs lehrt dieselbe Lektion: Durch den Glauben baute Noah, nachdem er von Gott über das, was er noch nicht gesehen hatte, informiert worden war, in frommer Ehrfurcht eine Arche, um sein Haus zu retten; dadurch verdammte er die Welt und wurde Erbe der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt. 1. Mose 6,8-9,29. Noah war vollkommen in seinen Geschlechtern, inmitten einer Welt, die den Herrn lästerte und sein Wort verachtete: Er wandelte mit Gott und fand Gnade vor dem Herrn. Deshalb informierte ihn der Herr und warnte ihn vor den Plänen, die er in Bezug auf die Welt und ihre Bestrafung hatte. Als Noah auf Gottes Geheiß die Arche baute, tat er dies immer im Vertrauen auf Dinge, die noch nicht eingetroffen waren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass er den Hohn und Spott der Ungläubigen auf allen Seiten für seine Tat, ein Schiff auf trockenem Boden zu bauen, ertragen musste. Aber Noah setzte seine Arbeit in frommer Ehrfurcht fort, verbunden mit vorsichtiger Voraussicht, denn er wusste, dass diese Arche zur Rettung seines Hauses oder seiner Familie dienen würde, denn seit der Herr zum ersten Mal mit ihm gesprochen hatte, hatte er geheiratet, und seine drei Söhne waren erwachsen geworden und hatten sich ebenfalls Frauen genommen. Mit dieser Demonstration seines Glaubens verurteilte Noah die ungläubigen Kinder der Welt, denn zu diesem Zeitpunkt war die Gemeinde der Gläubigen auf seine Familie geschrumpft. Der Glaube Noahs ließ den Unglauben der Spötter umso deutlicher hervortreten. Er machte ihn übrigens zum Erben der Gerechtigkeit, die den Menschen durch den Glauben geschenkt wird. Er wurde zum Besitzer, zum Eigentümer der geistlichen Segnungen, die Gerechtigkeit des kommenden Erlösers wurde ihm von Gott zugerechnet, nicht durch den Akt seines Glaubens verdient, sondern durch diesen Glauben angenommen. Es ist genau derselbe Vorgang, der auch heute den Menschen das Heil bringt.

 

    Das Beispiel von Abraham und Sarah (V. 8-12): Da er der Vater der alttestamentlichen Gläubigen war, wird das Beispiel Abrahams ausführlich behandelt, wobei in diesem Kapitel nicht weniger als fünf Punkte genannt werden, in denen sein Glaube besonders hervorsticht: Durch den Glauben gehorchte Abraham, als er berufen wurde, an einen Ort zu ziehen, den er als Erbe erhalten sollte, und er zog aus, ohne zu wissen, wohin er ging. 1. Mose 12,1-4. Als der Herr seinen besonderen Ruf an Abraham erließ, lebte dieser mit seinem Vater Terach [Tharah] in Haran. Der Ruf Gottes beeinflusste sein Herz und seinen Verstand so sehr, dass er sich in keiner Weise mehr mit dem Götzendienst identifizierte, der im Haus seines Vaters betrieben wurde, und dass sein Glaube in ihm einen starken Gehorsam gegenüber dem Ruf des Herrn bewirkte. Es mag für Abraham, der zu diesem Zeitpunkt bereits fünfundsiebzig Jahre alt war und großen Reichtum besaß, nicht leicht gewesen sein, die Heimat seines Vaters zu verlassen und in ein unbekanntes Land zu ziehen, in dem zudem der Götzendienst genauso schlimm praktiziert wurde wie in Mesopotamien. Aber sein Glaube an die Verheißung des Messias gab ihm die Kraft, auch an die Verheißung des Landes zu glauben, das er auf Erden erben sollte.

    Abrahams Glaube wurde zu dieser Zeit auf eine harte Probe gestellt: Im Glauben hielt er sich im Land der Verheißung wie in einem fremden Land auf und lebte in Zelten mit Isaak und Jakob, die mit ihm Erben derselben Verheißung waren; denn er wartete auf die Stadt, die einen Grundstein hat und deren Baumeister und Erbauer Gott ist. Alle diese Tatsachen sind im Buch Genesis aufgezeichnet. Nachdem er in das Land der Verheißung, das Land Kanaan, gekommen war, erhielt Abraham, statt dass ihm das Land zum Besitz gegeben wurde, wie er es nach den Worten des Herrn hätte erwarten können, nicht einmal einen Fuß Land, das er sein eigen nennen konnte, und war sogar gezwungen, nach dem Tod Sarahs von den Kindern Heths eine Begräbnisstätte für sie zu kaufen. Er führte das Leben eines Nomaden, wohnte in Zelten und zog von einem Ort zum anderen, wenn sich die Gelegenheit bot. Dies war auch das Los seines Sohnes Isaak und seines Enkels Jakob. Sie lebten in dem Land, das Gott ihnen als ihr Erbe verheißen hatte, und doch war es für sie ein fremdes Land, in dem sie nur als Gast lebten. Dies war sicherlich eine starke Prüfung für den Glauben der Patriarchen. Aber Abraham war der Prüfung gewachsen. Obwohl er mehr als fünfzig Jahre lang keinen Fußbreit Boden in Kanaan besaß und dann nur eine kleine Höhle mit dem angrenzenden Land, betrachtete er dieses Land als seinen Besitz und ließ nicht zu, dass Elieser vorschlug, Isaak nach Mesopotamien zurückzubringen. In diesem Glauben wurde Abraham von seiner festen Hoffnung auf die künftige Herrlichkeit gestützt, von der er wusste, dass sie ihm aufgrund der Verdienste des Messias zustand. Solange er hier auf der Erde lebte, war er zwar gezwungen, ein Nomadenleben zu führen, aber das tat seiner festen Hoffnung keinen Abbruch, in das himmlische Jerusalem einzuziehen, in die Stadt, die Gott für die, die ihn lieben, geplant und gebaut hat. Das ist die Hoffnung der Gläubigen aller Zeiten; denn sie haben hier keine bleibende Stadt, sondern sie suchen die künftige.

    Der Glaube Abrahams wurde auch von seiner Frau Sarah geteilt, wenn auch nicht in gleichem Maße: Durch den Glauben erhielt auch Sarah Kraft, schwanger zu werden, und bekam einen Sohn, obwohl sie das übliche Alter überschritten hatte; denn sie hielt den für treu, der verheißen hatte. 1. Mose 18,12.15. Als Abraham nach Kanaan kam, war Sarah etwa fünfundsechzig Jahre alt und nicht nur unfruchtbar, sondern auch über das Alter hinaus, in dem sie nach dem Lauf der Natur ein Kind erwarten konnte, 1. Mose 18,11. Vierundzwanzig Jahre lang wartete sie auf die Erfüllung der Verheißung Gottes, und ihr Glaube war manchmal der Belastung nicht gewachsen, wie etwa, als sie Abraham ihre Magd Hagar als zweite Frau gab und als sie über die endgültige, endgültige Ankündigung des Herrn lachte, 1. Mose 18,12.13. Aber die sanfte Zurechtweisung des Herrn bei dieser letzten Gelegenheit scheint die wohltuende Wirkung gehabt zu haben, alle Zweifel aus ihrem Herzen zu verbannen, einfach weil sie sich auf Gottes Verheißung verließ. Es war dieser Glaube, der aus dem wahren Glauben an den verheißenen Messias erwuchs, der immer mit der Ankündigung Gottes an Abraham verbunden war, der ihr die Kraft gab, im Alter von neunundachtzig Jahren gegen den Lauf der Natur Mutter zu werden.

    Das Ergebnis dieses unerschütterlichen Vertrauens auf Gottes Wort und Verheißung war wirklich bemerkenswert: Darum wurden auch von einem, und zwar von einem so gut wie toten, diese (Nachkommen) gezeugt, wie die Sterne am Himmel zahlreich sind und wie der Sand am Meeresstrand unzählig ist. Auf solch wunderbare Weise wurde durch Sarah, die von Natur aus doppelt unfähig dazu war, eine Familie gegründet. Und noch etwas ist merkwürdig: Abraham war damals auch über das Alter hinaus, in dem ein Mensch gewöhnlich Kinder zu zeugen vermag; seine Zeugungskraft war nach dem gewöhnlichen Lauf der Natur geschwunden. Weil aber die Verheißung Gottes so sicher war, kam es dazu, dass die Nachkommen Abrahams durch Isaak, die Kinder Israels, schließlich so zahlreich waren wie die Sterne am Himmel oder der Sand am Meer. 1. Mose 21,2; 22,17; 32,12. So wurde der Glaube Abrahams und Sarahs auf wunderbare Weise gerechtfertigt.

 

    Eine Anwendung der hier dargelegten Wahrheiten (V. 13-16): Der heilige Schreiber zeigt hier, dass seine Definition des Glaubens im Fall von Abraham, Sara, Isaak und Jakob gut passt: Sie alle starben in ihrem Glauben, obwohl sie der Verheißungen nicht teilhaftig geworden waren, sondern sie von ferne gesehen und begrüßt hatten und bekannten, dass sie Fremde und Pilger auf Erden waren. Wie die Patriarchen zu Lebzeiten geglaubt hatten, so starben sie in ihrem Glauben, wie es den Menschen gebührt, die den Tag des Herrn, das kommende Heil, von ferne gesehen hatten, durch die Verheißungen des Herrn, Johannes 8, 56. Sie waren so fest davon überzeugt, dass Gott sein Wort in jeder Hinsicht erfüllen würde, dass sie die Erfüllung tatsächlich sahen. Sie begrüßten die Verheißungen aus der Ferne, so wie Menschen an Bord eines Schiffes einer Gruppe von Freunden am Ufer zuwinken können. Die Tatsache, dass sich die Verheißungen des Evangeliums nicht erfüllten, solange sie lebten, und dass sie den Messias nicht persönlich sahen, hatte keinen Einfluss auf ihren Glauben. Sie bekannten sich freudig dazu und nannten sich selbst Fremde und Pilger hier auf Erden, eine Tatsache, für die ihre Anwesenheit im Land der Verheißung ein Vorbild war. Vgl. 1. Mose 23,4; 47,9; Ps. 39,12; 1. Petr. 1,1; 2,11.

    Dieses offene Bekenntnis der Patriarchen, wie es sich in ihrem Leben zeigt, wird weiter erörtert: Denn wer so etwas sagt, zeigt deutlich, dass er auf der Suche nach einem Vaterland ist. Das Eingeständnis und Bekenntnis der Patriarchen, dass sie hier auf Erden Fremde und Gäste sind, dass diese Welt nicht ihre Heimat ist, macht deutlich, dass die wahre Heimat anderswo sein muss, dass sie sehnsüchtig darauf warten, an diesen verheißenen Ort zu gelangen. Sie denken an ein Land, das sie ihr Eigen nennen können, das ihnen durch die Gabe Gottes gehört, und sie streben danach. Ihr gesamtes Verhalten entsprach dieser Geisteshaltung: Hätten sie nämlich Erinnerungen an das Land, das sie verlassen hatten, gehegt, so hätten sie Gelegenheit gehabt, zurückzukehren; jetzt aber streben sie nach einem besseren, nämlich dem himmlischen Land. Hätten die Patriarchen während ihres Aufenthalts in Kanaan und auch in Ägypten zu irgendeinem Zeitpunkt bereut, Mesopotamien verlassen zu haben, hätten sie sich an das irdische Land erinnert, aus dem Abraham ausgezogen war, hätte sich ihr Seufzen auf ein rein irdisches Paradies bezogen, dann wäre es für sie ein Leichtes gewesen, in ihre alte Heimat zurückzukehren. Aber es war kein irdisches Land, nach dem ihr Glaube so sehnsüchtig verlangte, sondern das verheißene himmlische Land, die Stadt, deren Besitz durch die Verdienste des Messias gesichert war. So wird die herzliche Beziehung zwischen Gott und ihnen deutlich: Darum schämt sich Gott nicht, ihr Gott genannt zu werden; denn er hat ihnen eine Stadt bereitet. Weil der Glaube der Patriarchen an die Verheißungen Gottes so selbstverständlich war, weil sie Seinen Verheißungen Glauben schenkten, auch wenn sie selbst, während sie hier auf der Erde lebten, nicht wirklich an ihnen teilhatten, deshalb schämte sich Gott nicht ihrer, zögerte nicht, sie zu bekennen, war bereit, ihr Gott genannt zu werden, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, 2. Mose 3,15. Auch aus diesem Grund bereitete er ihnen eine Stadt vor, das himmlische Jerusalem, die Wohnungen in der Höhe, die in jeder Hinsicht die Hoffnungen und Erwartungen erfüllen würden, die sie ihr ganzes Leben lang gehegt hatten, Joh. 14,1-3. Dies ist auch das Ziel der Hoffnungen, die Erwartung des Glaubens aller Gläubigen bis zum heutigen Tag - Jerusalem, die schöne und hohe Stadt.

 

    Das Beispiel der Patriarchen (V. 17-22): Die Geschichte Abrahams erschöpft sich keineswegs in den in den vorangegangenen Abschnitten erwähnten Ereignissen. Es gibt noch eine weitere Lektion, die hier aufgezeichnet ist: Durch den Glauben opferte Abraham Isaak, als er auf die Probe gestellt wurde, und er, der die Verheißungen empfangen hatte, opferte seinen einzigen Sohn, von dem gesagt worden war, dass dir die Nachkommenschaft durch Isaak angerechnet werden sollte; denn er schloss daraus, dass Gott auch von den Toten auferwecken konnte, weshalb er ihn auch nach dem Vorbild empfing. 1. Mose 22. Gott hatte Abraham nach der Geburt Isaaks die Verheißung gegeben: In Isaak soll dein Same genannt werden, 1. Mose 21,12. Ismael war damit ausgeschlossen, ebenso wie die später geborenen Kinder Abrahams von Ketura. Isaak war also der eingeborene Sohn Abrahams, der Sohn der Verheißung, dessen Vater die Verheißungen Gottes mit gläubigem Herzen angenommen hatte; die Nachkommen Isaaks sollten als der wahre Same, als Erben der Verheißung, bezeichnet werden. Doch nun beschloss Gott, Abrahams Vertrauen und Glauben durch eine Prüfung zu testen, die so schwer war, dass sie jedes andere Herz hätte entmutigen können. Abraham sollte diesen einzigen Sohn dem Herrn opfern, opfern, opfern. Und er bereitete sich darauf vor, dies genau nach Gottes Anweisungen zu tun, wie uns der Bericht in der Genesis berichtet. Das konnte er nur tun, weil sein Glaube ihn gelehrt hatte, zu dem Schluss zu kommen, die Meinung zu vertreten, dass Gott auch von den Toten auferstehen kann. Dieser feste Glaube an die Allmacht Gottes und der Glaube an seine Verheißungen befähigten Abraham, seinen einzigen Sohn dem Tod auszuliefern. Dieser Glaube wurde von Gott sofort belohnt; denn der Vater holte seinen Sohn aus dem Rachen des Todes zurück, er entriss ihn dem Tod, „nicht tatsächlich, denn Isaak war nicht tot, sondern virtuell, denn er war dem Tod überlassen worden. Er war durch das Gleichnis des Todes hindurchgegangen, und seine Rückgabe an Abraham war ein Gleichnis der Auferstehung“ (Dods). Wie glorreich wurde der Glaube Abrahams hier begründet!

    Von den anderen Patriarchen sind ähnliche Glaubensbeweise überliefert: Durch den Glauben segnete Isaak Jakob und Esau in Bezug auf zukünftige Dinge. 1. Mose 27. Zwischen Isaak und Rebekka gab es einen Streit darüber, welcher Sohn die messianische Verheißung erhalten sollte. Als Isaak daher beschloss, seinen Söhnen vor seinem Tod den Segen zu erteilen, wies er Esau an, zuerst vor ihm zu erscheinen. Doch durch die Vorsehung Gottes erhielt Jakob den Segen für den Erstgeborenen, eine Tatsache, die Isaak anerkannte, als er sich weigerte, den Segen zu ändern und stattdessen Esau einen Segen gab, der nur sein Wohlergehen in dieser Welt betraf. Es war der Glaube Isaaks, der ihn dazu veranlasste, den Segen zu bestätigen, den er Jakob als Auserwähltem des Herrn zum Träger des messianischen Segens auferlegt hatte (1. Mose 28,3). Derselbe Glaube lebte auch in Jakob fast hundert Jahre später: Im Glauben segnete Jakob im Sterben jeden der Söhne Josephs, indem er sich im Gebet über das Haupt seines Stabes beugte. Kurz bevor der alte Jakob im Land Goschen starb, ließ er Josef seine beiden Söhne Ephraim und Manasse bringen, um ihnen den Segen seiner eigenen Kinder zu übertragen. 1. Mose 48,1-20. Er segnete jeden von ihnen einzeln, wobei er trotz Josephs Protest seine Hände kreuzte, so dass seine rechte Hand auf dem Kopf des Jüngeren und seine linke auf dem Kopf des Älteren ruhte. Mit dieser Unterscheidung im Segen, die sich später im Schicksal ihrer Nachkommen, in ihrem Erbe des verheißenen Landes, bestätigte, zeigte Jakob seinen Glauben. Anmerkung: Es gibt eine Ergänzung zu der in der Genesis erzählten Geschichte, denn hier heißt es, dass Jakob sich kurz vor seinem Tod nicht nur in einer Haltung der Anbetung über das Haupt des Bettes beugte, sondern sich dabei auf seinen Stab stützte. Von Joseph schließlich heißt es: Durch den Glauben erwähnte Joseph, als er starb, den Auszug der Kinder Israels und gab ein Gebot über seine Gebeine. 1. Mose 50,24. 25. Die Tatsache, dass Josef seinen Brüdern in so feierlicher Weise versicherte, dass sie nicht in Ägypten bleiben würden, sondern dass Gott sie von dort in das Land führen würde, das er ihren Vätern verheißen hatte, und dass er für seine eigene Person so fest auf die Verheißung des Herrn vertraute, dass er die Überführung seiner Mumie in das Land Kanaan zur Zeit dieser Befreiung anordnete, zeigt, dass Josef den Glauben seiner Väter an die messianischen Verheißungen teilte, die den Besitz des Landes Kanaan für die Kinder Israels einschlossen. Sein Glaube an den kommenden Messias veranlasste ihn, auch den anderen Verheißungen, die mit der Zusicherung seines Kommens verbunden waren, bedingungslos zu vertrauen.

 

    Das Beispiel Moses (V. 23-29): Die erste Begebenheit aus der Geschichte des Mose ist die, die den Glauben seiner Eltern illustriert: Durch Glauben wurde Mose, als er geboren war, von seinen Eltern drei Monate lang verborgen, weil sie sahen, dass das Kind wohlgestaltet war, und sie fürchteten sich nicht vor dem Befehl des Königs. 2. Mose 2,2: Mose wurde zu einer Zeit geboren, als in Ägypten eine neue Dynastie entstanden war und der König Pharao aus politischen Gründen befohlen hatte, alle männlichen Kinder der Kinder Israels in den Nil zu werfen, damit sie sterben. Aber die Eltern von Mose, die immer die Verheißung der Befreiung aus Ägypten im Sinn hatten, die mit der messianischen Verheißung verbunden war, und die sahen, dass ihr neugeborener Sohn sowohl intelligent als auch wohlgestaltet zu sein schien, widersetzten sich dem Befehl des Königs, und Jochebed, die Mutter von Mose, behielt ihn deshalb drei Monate lang zu Hause und schaffte es, ihn vor den vielen Spionen des Pharaos zu verbergen. Schließlich wurde das Leben von Mose auf wundersame Weise erhalten. Aber diese Tat der Eltern von Mose war ein Akt des Glaubens und ein gutes Beispiel für alle Zeiten.

    Mose erwies sich solcher Eltern würdig: Im Glauben weigerte sich Mose, als er erwachsen war, sich Sohn der Tochter des Pharao nennen zu lassen, und zog es vor, lieber mit dem Volk Gottes zu leiden, als eine Zeitlang in den Genuss der Sünde zu kommen; denn er hielt die Schmach Christi für einen größeren Reichtum als die Schätze Ägyptens; denn er hatte stets den Lohn vor Augen. 2. Mose 2,3-10. Als die Tochter des Pharao das Kind Mose am Ufer des Flusses fand, wurde seine eigene Mutter seine Amme und erhielt so Gelegenheit, ihn über seine Herkunft zu belehren. Die Belehrung, die Mose in seinen frühen Jahren erhielt, wurde durch all die späteren Studien, die er als Adoptivsohn der Tochter des Pharaos aufnahm, nicht aus seinem Herzen vertrieben. Als er erwachsen geworden war, etwa im Alter von vierzig Jahren (Apg. 7,23), verzichtete er auf seine Adoption als Sohn der Tochter des Pharao. Er zog es vor, mit seinen Landsleuten Misshandlungen und Verfolgungen zu erleiden, statt kurzzeitig in den Genuss der Sünde zu kommen. In seiner Position als adoptierter Fürst des Landes hätte er seine höchsten Ambitionen befriedigen und all seine feineren Vorlieben befriedigen können. Doch sein Aufenthalt am ägyptischen Hof brachte ihn täglich in Kontakt mit Götzendienst und Sünden aller Art. Sein Glaube, der ihm durch die Lehren seiner Mutter eingepflanzt worden war, ließ ihn daran festhalten, dass Gott seine Verheißung an sein Volk sicher erfüllen würde, auch wenn die Aussichten zu dieser Zeit eher düster waren. Es würde für ihn Schande bedeuten, soweit es diese Welt betraf, aber er war bereit, diese Verachtung, diese Schmach zu ertragen, da sie um des Messias willen, an dessen Kommen er glaubte, über ihn kam. Wenn er Christus auch nur in der Hoffnung sah, so war doch der Reichtum, den ihm sein Glaube einbrachte, unermesslich größer als alles, was ihm die Zivilisation Ägyptens stattdessen zu bieten vermochte. So wandte er sich entschlossen von den glitzernden Verheißungen dieses Lohnes ab und richtete seine Augen fest auf den Lohn, den die Verheißung Gottes ihm in Aussicht stellte. Ein solches Handeln, einen scheinbar sicheren Genuss von allem, was diese Welt zu bieten hat, für eine ungewisse und verschwommene Verheißung aufzugeben, wie es die Kinder des Unglaubens sehen, das ist bis heute das Kennzeichen des Glaubens.

    Eine zweite Begebenheit aus dem Leben des Mose wird als Beispiel angeführt: Durch den Glauben verließ er Ägypten und fürchtete nicht den Zorn des Königs, denn er wartete ab, um den zu sehen, der unsichtbar ist. Was Mose offen bekannte, als er auf seine Adoption als Sohn der Tochter des Pharao verzichtete, setzte er ebenso offen in die Tat um, indem er sein Los mit seinem eigenen Volk verteilte. Er verließ nicht nur den Hof des Pharaos und Ägypten selbst, sondern ließ sich auch in Goschen nieder, wo seine Landsleute lebten. Im Glauben trotzte er dem Zorn des Königs, weil er einen unsichtbaren Herrscher, der größer war als der Pharao, auf seiner Seite sah. Er konnte es sich also leisten, abzuwarten und zu warten, bis der Herr ihm zeigte, welchen Schritt er als nächstes tun sollte. Diese Gelegenheit ergab sich nach seiner Flucht nach Midian und seinem Aufenthalt dort: Im Glauben feierte er das Passahfest und die Besprengung mit Blut, damit der Verderber ihre erstgeborenen Söhne nicht anrühren konnte. Auch hier waren einfacher Glaube und Vertrauen in das Wort des Herrn erforderlich, um alle notwendigen Vorbereitungen für das erste Passahfest in der Geschichte Israels zu treffen. Es ging darum, einfach dem Befehl des Herrn zu gehorchen, was das Lamm und das gesamte Passahmahl betraf, insbesondere das Bestreichen der Türpfosten und des oberen Türsturzes mit dem Blut des geschlachteten Tieres, 2. Mose 12,7.22. Der Herr hatte erklärt, dass der Zweck dieses Besprengens oder Bestreichens mit Blut darin bestand, den großen Engel der Zerstörung, den Engel, der auf Gottes Befehl durch das Land Ägypten zog und das Erstgeborene in jeder Familie erschlug, von den Häusern der Kinder Israels fernzuhalten. Es war gewiss kein geringer Akt des Glaubens, der Mose veranlasste, dem Volk inmitten der allgemeinen Zerstörung zuversichtlich Sicherheit zu versprechen.

    Aber so wie sich das Volk als Ganzes Mose angeschlossen hatte, um das erste Passah in der von Gott vorgeschriebenen Weise zu halten, so zeigten die Israeliten bald darauf ihren Glauben: Durch ihren Glauben zogen sie wie auf dem Trockenen durch das Rote Meer, von dem die Ägypter, als sie es versuchten, verschluckt wurden, 2. Mose 14,22.23; 15,4. Das Rote Meer war die erste harte Prüfung für den Glauben der Israeliten, nachdem sie Ägypten verlassen hatten. Vor ihnen lag das Meer, hinter ihnen das Heer des Pharao; sie schienen dem Untergang geweiht zu sein. Da befahl der Herr dem Volk durch Mose, Ruhe zu bewahren, da sie weiterziehen würden. Auf diese Verheißung vertrauten sie, und als sich das Meer vor ihnen öffnete und das Wasser rechts und links feste Wände bildete, vergaßen sie den Zweifel und das Misstrauen, mit denen sie gekämpft hatten, und zogen mutig unter Gottes schützendem Arm weiter, um sicher auf die andere Seite hinüberzugehen. Die Ägypter aber, die kein solches Vertrauen hatten, sondern Feinde des wahren Gottes waren, forderten das Meer heraus, indem sie die Israeliten verfolgten, mit dem Ergebnis, dass sie alle umkamen und verschlungen wurden, als das Wasser wieder dem Gesetz der Natur folgte. Wieder ein Sieg des Glaubens.

 

    Die Siege des Glaubens zur Zeit Josuas und der Späteren (V. 30-38): Nachdem die Kinder Israels schließlich durch ein weiteres Wunder den Jordan überquert hatten, bekamen sie bei der Belagerung von Jericho Gelegenheit, ihren Glauben an den Herrn unter Beweis zu stellen: Durch Glauben fielen die Mauern von Jericho, nachdem sie sieben Tage lang umzingelt worden waren, Jos. 6. Es muss für die Soldaten des Heeres Josuas nicht leicht gewesen sein, Tag für Tag um die Stadt zu marschieren, ohne auch nur eine Waffe in die Hand zu nehmen, noch dazu verfolgt von den Spötteleien der Belagerten. Schlimmer noch: Als sie am siebten Tag immer wieder um die Stadt marschierten und dennoch davon abgehalten wurden, vor der vom Herrn festgesetzten Zeit Gewalt anzuwenden, war dies zweifellos eine harte Prüfung ihres Glaubens. Dennoch hielten sie durch, bis sich das Wort des Herrn buchstäblich erfüllte und sie ihre Feinde vernichten konnten.

    Eine Begebenheit, die im Zusammenhang mit dieser Belagerung berichtet wird, betrifft die Hure Rahab: Durch ihren Glauben kam Rahab, die Hure, nicht mit den Ungläubigen um, nachdem sie die Kundschafter in Frieden empfangen hatte. Schon als Josua in Schittim lagerte, bevor das Volk den Jordan überquerte, hatte er zwei Männer ausgesandt, um das Land zu besichtigen, das er sich zuerst untertan machen wollte, Jos. 2, 1. 2. Bei der Ausführung ihres Auftrags kamen diese Männer zum Haus der Rahab, weil sie hofften, dort die gesuchten Informationen zu erhalten. Rahab war zwar früher eine Hure, eine notorische Sünderin, aber sie war von den Berichten über den Kampf des Herrn für Israel beeindruckt und hatte sich zum Glauben an ihn bekehrt. Daher nahm sie die Spione in Frieden auf und rettete ihnen das Leben. Dieser Akt des Glaubens rettete später ihr eigenes Leben und das ihres gesamten Haushalts, weil sie nicht mit ihren ungehorsamen und ungläubigen Landsleuten unterging. Später wurde sie ein Mitglied des Volkes Gottes, und ihr Name erscheint in der Liste der Vorfahren Jesu.

    Aber es gibt so viele individuelle Beispiele des Glaubens in den Aufzeichnungen des Alten Testaments, die der inspirierte Autor zusammenfasst: Und was soll ich weiter sagen? Denn die Zeit würde mir fehlen, wenn ich von Gideon, Barak, Simson, Jephthah, David und Salomo und den Propheten erzählte, die durch den Glauben Königreiche unterwarfen, Gerechtigkeit wirkten, Verheißungen erlangten, Löwen das Maul stopften, die Kraft des Feuers auslöschten, der Schärfe des Schwertes entkamen, aus Schwachheit wiederhergestellt wurden, im Kampf mächtig wurden und die Armeen der Fremden schlugen. Der Verfasser hält sich absichtlich nicht an eine feste Reihenfolge der Erzählung, um die große Zahl und Vielfalt der Beispiele zu verdeutlichen, die er aufzählen könnte, wenn er nur die Zeit und den Raum dazu hätte. Da war Gideon, der mit nur dreihundert Mann das mächtige Heer der Midianiter besiegte, Ri. 7. Da war Barak, der mit Hilfe der Prophetin Debora Sisera und sein Heer vernichtete, woraufhin Jael, die Frau des Keniters Heber, den Angreifer im Schlaf tötete, Ri. 4. Es gab auch Simson, einen der Richter Israels, der eine Reihe von Siegen über die Philister errang, Ri. 14-16. Da war Jephthah, der die Ammoniter besiegte, Ri. 11. Die großen Taten Davids und Salomos für die Kinder Israel, das Volk Gottes, sind so bekannt, dass auch sie nur erwähnt werden, 2. Sam. 5,17-25; 8,l; 21,15-22; 10; 12,26-31. Einige dieser Männer und andere unterwarfen Königreiche, die aller Völker der Kanaaniter werden aufgezeichnet; sie regierten ihr Volk mit Recht und Gerechtigkeit, 2. Sam. 8,15; sie erhielten Verheißungen, nicht nur messianische Verheißungen, 2. Sam. 7, sondern auch einige allgemeiner Art, Jos. 21,45; Ri. 7,7; 13,5; 1. Kön. 8,56; sie hielten den Löwen das Maul zu, nicht nur Simson und David, sondern auch Daniel, Dan. 6,22; Ri. 14,6; 1. Sam. 17,34-36; die Macht des Feuers, zu verbrennen und zu vernichten, löschten sie aus, wie im Fall der drei Männer im Feuerofen, Dan. 3; sie entkamen der Schärfe des Schwertes, 1. Sam. 18,11; 19,10; 1. Kön. 19,1-3; sie wurden nach einem Schwächeanfall wiederhergestellt, Ri. 16,28-30; sie wurden mächtig im Kampf; der Herr war auf ihrer Seite, und so konnten sie allen Widerstand ihrer Feinde überwinden. Das waren die Siege des Glaubens.

    Aber der Glaube ist ebenso stark in der Überwindung von Elend und Leiden jeder Art: Frauen empfingen ihre Toten durch Auferstehung; andere aber wurden zu Tode geprügelt und nahmen die Befreiung nicht an, um eine bessere Auferstehung zu erlangen; wieder andere ertrugen die Prüfung des Spottes und der Geißelung und noch mehr die der Fesseln und des Gefängnisses; Sie wurden gesteinigt, in zwei Hälften zersägt, zerstückelt, starben in der Schlacht des Schwertes, zogen in Schafsfellen und Ziegenfellen umher, litten Not, wurden misshandelt, ertrugen Trübsal, deren die Welt nicht würdig war, und wanderten über Wüsten und Berge, in Höhlen und Erdlöchern. Es ist eine lange Aufzählung, die in ihren wichtigsten Punkten praktisch auf jedes Zeitalter der Verfolgung passen wird. Frauen, wie die Witwe von Sarepta und die Sunammitin, erhielten ihre Toten aus der Umarmung des Todes zurück. Von anderen wird berichtet (und die Wahrheit der Geschichte wird hier bestätigt), dass sie zu Tode geprügelt wurden, wahrscheinlich indem sie auf einem Rad zerbrochen wurden, 2. Makk. 6,17.28, und dass sie dies eher in Kauf nahmen, als eine Tat zu begehen, die ihr Gewissen nicht zuließ; sie wussten, auch wenn sie unter der Folter starben, erwartete sie eine bessere Auferstehung am Ende der Zeit. Verspottungen und Geißelungen wurden von einigen Märtyrern zur Zeit der Makkabäer ertragen, 2. Makk. 7,1.7, und es geschah oft, wie bei Jeremia, dass Männer in Ketten geworfen und eingekerkert wurden, Jer. 38, 9. Sie wurden gesteinigt, wie von Zacharias, dem Sohn Jojadas, berichtet wird, 2. Chron. 14,20, und von Jeremia berichtet wird, wobei der letztgenannte Vorfall in der Heiligen Schrift nicht belegt ist. Der grausamste Tod, bei lebendigem Leibe zersägt zu werden, wurde einigen Gläubigen des Alten Testaments zuteil, 2. Sam. 12,31; Amos 1,3, ein apokrypher Bericht, der dies auch von Jesaja berichtet. Andere wurden in Stücke geschnitten, rücksichtslos mit dem Schwert ermordet und auf andere Weise gequält, wie einige Berichte aus der Makkabäerzeit berichten. Da sie aus ihren Häusern vertrieben wurden, waren sie gezwungen, sich gegen die Unbilden des Wetters zu schützen, indem sie Schaf- oder Ziegenfelle anzogen und in den Wüsten und auf den Bergen lebten, wo immer eine Höhle oder auch nur ein Loch im Felsen ihnen etwas Schutz bot, 1. Kön. 18,4.13; 19,4-13; 1. Makk. 2,28.29; 2. Makk. 5,27; 6,11; 10, 6. All diese Leiden konnten sie dank ihres Glaubens ertragen. Die Bemerkung, dass die Welt ihrer nicht würdig war, zeigt uns die Wertschätzung, die der Herr der Standhaftigkeit dieser Märtyrer entgegenbringt.

 

    Die Schlussfolgerung des Schreibers (V. 39-40): In dieser Hinsicht dienen die Gläubigen der alten Zeit als ausgezeichnete Beispiele: Und diese alle haben, obwohl sie durch den Glauben bezeugt wurden, die Verheißung nicht empfangen, da Gott etwas Besseres für uns vorgesehen hat, damit sie ohne uns nicht vollendet werden. Es ist wahr, diese Helden des Alten Testaments sind ausgezeichnete Beispiele; Gott selbst hat für sie Zeugnis abgelegt, dass ihr Glaube von der echten Art war, die er von allen Menschen erwartet, die sich zu ihm bekennen. Ihr Heil wird daher ebenso vollkommen sein wie das eines jeden Christen des Neuen Testaments. Und doch sagt der inspirierte Schreiber, dass Gott etwas Besseres für uns vorgesehen hat; denn während alle diese Gläubigen, von denen er geschrieben hat, in der Zeit des Typus und der Prophezeiung lebten, leben wir Christen in der Zeit der Erfüllung. Unsere Erkenntnis Christi beruht nicht auf Zahlen und Zeichen und Opfern, sondern wir haben den vollständigen Bericht über sein Leben, seinen Dienst, sein Leiden, seinen Tod, seine Auferstehung und seine Himmelfahrt zur Rechten der Macht: Wir haben die vollkommene Offenbarung des Sohnes in seinem vollkommenen Bund und seinem vollkommenen Opfer. Wenn schon der Glaube der Patriarchen und Propheten und aller wahren Israeliten der Vorzeit so fest und unerschütterlich war, wie viel mehr müssen wir, denen Gott die vollkommene Offenbarung gegeben hat, allen Menschen ein Beispiel des Glaubens sein![13]

 

Zusammenfassung: Der inspirierte Schreiber gibt eine kurze Definition des Glaubens und führt das Beispiel der Patriarchen und vieler Propheten und Könige des Alten Testaments an, um die dargelegten Wahrheiten zu bekräftigen und die Christen des Neuen Testaments anzuspornen.

 

 

Kapitel 12

 

Ein Aufruf, die alttestamentlichen Beispiele zu beachten,

verbunden mit Gottes Züchtigung (12,1-13)

    1 Darum auch wir, dieweil wir solchen Haufen Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen die Sünde, so uns immer anklebt und träge macht, und lasst uns laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist, 2 und aufsehen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens, welcher, da er wohl hätte mögen Freude haben, erduldete er das Kreuz und achtete die Schande nicht und ist gesetzt zur Rechten auf den Stuhl Gottes. 3 Gedenkt an den, der ein solches Widersprechen von den Sündern gegen sich erduldet hat, damit ihr nicht in eurem Mut matt werdet und ablasst.

    4 Denn ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden über dem Kämpfen gegen die Sünde 5 und habt bereits vergessen den Trost, der zu euch redet als zu den Kindern: Mein Sohn, achte nicht gering die Erziehung des HERRN und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst; 6 denn welchen der HERR liebhat, den erzieht er; er schlägt aber einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt. 7 Wenn ihr die Erziehung erduldet, so erbietet sich euch Gott als Kindern; denn wo ist ein Sohn, den der Vater nicht erzieht? 8 Seid ihr aber ohne Erziehung, welcher sie alle sind teilhaftig geworden, so seid ihr Bastarde und nicht Kinder.

    9 Auch so wir haben unsere leiblichen Väter zu Erziehern gehabt und sie gescheut, sollten wir denn nicht viel mehr untertan sein dem geistlichen Vater, damit wir leben? 10 Und jene zwar haben uns erzogen wenige Tage nach ihrem Dünken, dieser aber zu Nutz, damit wir seine Heiligung erlangen. 11 Alle Erziehung aber, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit sein; aber danach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die dadurch geübt sind. 12 Darum richtet wieder auf die lässigen Hände und die müden Kniee 13 und tut gewissen Tritt mit euren Füßen, dass nicht jemand strauchele wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.

 

    Das Beispiel der Gläubigen des Alten Bundes und Christi (V. 1-3): Auf dem Vorbild des Glaubens, wie es uns die Gläubigen des Alten Testaments vorleben, beruht der Appell des Autors, gleichgesinnt zu sein: So lasst auch uns, da wir eine so große Wolke von Zeugen um uns haben, alles ablegen, was uns belastet, und die Sünde, die uns anhaftet, und mit Geduld den Lauf laufen, der vor uns liegt. Obwohl der heilige Schreiber, wie er selbst sagt, nur einige wenige der vielen Fälle von starkem Glauben in der Geschichte des Alten Testaments angeführt hat, so sind selbst diese leuchtende Beispiele, die uns wie eine helle Wolke umhüllen. Es ist eine große Zahl von Zeugen, die den Wert des Glaubens bezeugt haben, und wohin wir uns auch wenden mögen, finden wir ihr ermutigendes Beispiel. Und so wie sie unbeirrt und beharrlich ihren Weg verfolgten, bis sie ihr Ziel erreichten, so sollten auch wir mit unerschütterlicher, mutiger Geduld auf das himmlische Ziel unseres Strebens zugehen. Der Weg muss gegangen werden, und er erfordert die allergrößte Ausdauer. Wir müssen den vorgesehenen Weg annehmen, die Schwierigkeiten, die ihn begleiten, freudig anerkennen und unser Herz und unseren Verstand entsprechend vorbereiten. Wie ein Athlet, der sich mit größter Sorgfalt auf ein Rennen vorbereitet, um nicht auch nur ein Gramm Fleisch zu viel zu tragen, so müssen wir jede Last dieses Lebens, jedes Gewicht, jede Bürde ablegen, die uns auf dem vorgesehenen Weg zurückhalten könnte. Die größte dieser Belastungen ist die Sünde, unsere alte böse Natur, denn sie umgibt uns, sie haftet an uns und behindert den freien Gebrauch unserer geistigen Glieder, so wie ein langer und schwerer Mantel, der einem Athleten beim Laufen immer im Wege wäre. Unser ständiges Bestreben muss es daher sein, dieser Sünde täglich abzuschwören, sie abzuschütteln, ihre hinderliche Macht abzuwerfen.

    Unser Erfolg bei dieser höchst notwendigen Tätigkeit, die wir täglich durch Reue und Buße erneuern müssen, hängt von einer Bedingung ab: Wir müssen unsere Augen auf den Führer und Vollender des Glaubens, Jesus, richten, der in Anbetracht der Freude, die vor ihm lag, das Kreuz ertrug, ohne an die Schmach zu denken, und sich zur Rechten des Thrones Gottes gesetzt hat. Ein Sportler kann es sich nicht leisten, seinen Blick auf das Ziel zu richten und sich von anderen Interessen ablenken zu lassen. Auch wir Christen können es uns nicht leisten, dass Ablenkungen unseren festen Blick von Jesus ablenken, der uns zur Erlösung winkt. Denn er war es, der uns nicht nur ein Beispiel des unerschütterlichen Glaubens gegeben hat, sondern uns auch auf den Wegen des vollkommenen Gottvertrauens führt; er ist es, in dem der Glaube seine vollkommene Verkörperung findet. Er, der das gute Werk der Bekehrung und Heiligung in uns begonnen hat, wird es auch vollenden bis zum Tag der endgültigen Offenbarung der Herrlichkeit. Sein Beispiel besteht darin, dass er bereitwillig das Kreuz ertrug, die ganze Last der Passion, die in seiner Kreuzigung gipfelte, und dabei die Schande und Schmach, die die Menschen auf ihn häuften, nicht beachtete. Denn während dieser ganzen Zeit behielt Jesus den Preis vor Augen, die ewige Freude und Seligkeit, die ihm nach Vollendung seiner Aufgabe zuteil werden sollte, Phil. 2,9. Und er erhielt seinen Lohn; er wurde, auch seiner menschlichen Natur entsprechend, in die Stellung der Ehre und Herrlichkeit zur Rechten Gottes erhoben. Nachdem Er diese Stellung von Ewigkeit her kraft Seiner göttlichen Natur innehatte, hat Er sie nun auch kraft Seiner menschlichen Natur inne. Sein Beispiel dürfen wir nie aus den Augen verlieren.

    Es wird auch gezeigt, warum das Beispiel Jesu uns auf dem uns zugedachten Weg so gut zu dienen vermag: Denn bedenkt (eure Lage), indem ihr Ihn vergleicht, der durch die Hände der Sünder so furchtbaren Widerspruch gegen sich selbst standhaft ertragen hat, damit ihr nicht müde werdet und in euren Seelen ohnmächtig. Der Autor will, dass wir sorgfältig abwägen, dass wir unseren Vergleich im Hinblick auf das Beispiel Christi anstellen; das ist der höchste Anreiz, den er zu bieten hat. Die Kraft des Appells liegt darin, dass Christus während seines ganzen Lebens unter der Zurückweisung seiner Ansprüche gelitten hat. Er kam zu den Menschen mit der vollen Liebe und Barmherzigkeit seines himmlischen Vaters und sagte ihnen immer wieder, dass er der verheißene Messias, der Sohn Gottes, der Retter der Welt sei. Aber er stieß nur auf Spott, auf gotteslästerliche Verleugnung, die wenigen Jünger ausgenommen, die ihm treu blieben. So wie Jesus in seinem Werk der Seelenrettung nicht müde wurde, so dürfen auch wir nicht zulassen, dass geistliche Müdigkeit unsere Seelen ergreift und unsere Herzen in dem großen Werk der Heiligung müde werden. Sein Geist soll in uns leben und uns befähigen, in seinen Schritten zu folgen.

 

    Die Züchtigung durch Gott soll uns unterstützen (V. 4-8): Der inspirierte Schreiber fügt seinem Appell noch einen weiteren Gedanken hinzu, nämlich dass seine Leser die schlimmste Form der Verfolgung noch gar nicht erlebt haben: Noch nicht bis aufs Blut habt ihr widerstanden und gegen die Sünde gekämpft. Die hebräischen Christen in Judäa hatten in der Tat in gewissem Maße zu leiden, sowohl wegen ihrer Isolierung von anderen als auch wegen der Verachtung, die ihnen entgegengebracht wurde. Die Tatsache, dass sie gegen jede Form der Sünde ankämpften, insbesondere gegen den Unglauben an Jesus Christus, den Messias, brachte ihnen viele Feinde ein. Aber die Verfolgung war noch nicht so weit gediehen, dass viele von ihnen den Tod für Christus erlitten hätten, die Kirche in Judäa war noch keine Märtyrerkirche im eigentlichen Sinne geworden. Sie konnten noch schlimmere Bedingungen erwarten, die sie zu ertragen hatten.

    Ein anderer Gedanke wird hier den Lesern vor Augen geführt: Und ihr habt die Ermahnung ganz vergessen, die zu euch wie zu Söhnen spricht: Mein Sohn, schone die Züchtigung des Herrn nicht und werde nicht müde, wenn du von ihm gezüchtigt wirst; denn wen der Herr liebt, den züchtigt er, und jeden Sohn, den er aufnimmt, geißelt er. Die Christen werden hier daran erinnert, dass ihre Leiden Zeichen der väterlichen Liebe und Fürsorge Gottes sind. Sie dürfen niemals die Ermahnung und den Trost vergessen, die in den Worten des Herrn enthalten sind, Spr. 3,11.12. Diese Worte sind an Söhne, an Kinder gerichtet, und das ist an sich schon eine Auszeichnung, Söhne Gottes genannt zu werden. Die Gläubigen sollen die Zucht des Herrn, seine ganze Methode der Erziehung und Bildung seiner Kinder, besonders durch die notwendige Züchtigung, nicht verachten. Es darf keine Ohnmacht, keine Verzagtheit, kein Versagen im Glauben geben, wenn er mit Worten oder Taten zurechtweist. Denn es ist notwendig, dass alle Kinder Gottes der gleichen Züchtigung unterworfen werden; sie ist ein Zeichen der Liebe Gottes, eine Behandlung, die er nur denjenigen zukommen lässt, die er in sein Herz aufnimmt und mit der ganzen wunderbaren Liebe seiner väterlichen Barmherzigkeit hegt.

    Der Autor präsentiert nun seine Schlussfolgerung: Ihr ertragt die Disziplin, die Gott mit euch als Söhnen ausübt. Denn welcher Sohn ist da, den der Vater nicht züchtigt? Wenn ihr aber ohne Zucht seid, deren alle teilhaftig geworden sind, dann seid ihr Bastarde und keine Söhne. Das ist die Ansicht, die die Gläubigen vertreten sollten: Ihre Leiden sind der Beweis dafür, dass Gott sie als seine Söhne betrachtet und sie als solche behandelt; sie brauchen diese Erziehung, damit ihre Sohnschaft erhalten bleibt. Wenn ein Kind im Haus wäre und der Vater seine Züchtigung nicht in die Hand nähme, könnte man daraus schließen, dass dieses Kind kein echter Sohn ist, sondern ein Bastard, dem nicht die gleiche Behandlung zuteil wird wie den wahren Söhnen. In gleicher Weise sollten die Gläubigen, weit davon entfernt, sich über die Züchtigung, die Gott ihnen auferlegt, zu ärgern, vielmehr dankbar sein für diesen Beweis der Achtung und des Interesses ihres himmlischen Vaters.

 

    Wer von Gott gezüchtigt wird (V. 9-13): Hier wird eine weitere Erwägung des Arguments eingeführt: Wir hatten Väter unseres Fleisches, um uns zu züchtigen, und wir haben ihnen Ehrfurcht erwiesen; sollten wir uns nicht viel lieber dem Vater der Geister unterwerfen und leben? Die Schlussfolgerung ist die vom Kleineren zum Größeren. Wir Christen hatten, wie der Durchschnitt der Menschheit, menschliche Väter, Eltern aus eigenem Fleisch und Blut, die für unsere Erziehung verantwortlich waren, einschließlich der notwendigen Züchtigung, die nicht ohne verhängnisvolle Folgen unterlassen werden kann. Diesen Vätern haben wir gemäß dem Vierten Gebot Ehre und Respekt erwiesen. Wenn wir aber so viel für unsere irdischen Väter getan haben, die ja nur Menschen waren, ist es dann nicht folgerichtig, dass wir uns auch dem himmlischen Vater, dem Vater der Geister, den wir verehren und mit dem wir im Geiste in Berührung kommen, freudig und gehorsam unterordnen müssen? Denn abgesehen davon, dass diese Pflicht so selbstverständlich erscheint, gibt uns dieses gehorsame Verhältnis zu Gott, das aus dem Glauben erwächst, das wahre geistliche Leben.

    Dass dieser Gedanke durchaus vernünftig ist und alle Leser sofort ansprechen sollte, zeigt nun der Verfasser: Denn sie haben uns zwar einige Tage lang gezüchtigt, wie es ihnen am besten schien, er aber zu unserem Vorteil, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Die Wahrheit des Vergleichs ist offensichtlich. Die irdischen Väter hatten nur für eine kurze Zeit, für die kurze Zeit der Kindheit und Jugend, die Verantwortung für unsere Erziehung, und die Erziehung, die sie während dieser Zeit gaben, geschah sicherlich in Übereinstimmung mit den Idealen, die sie vor Augen hatten, unterlag aber dennoch Fehlern, besonders was die angewandten Mittel und den Grad der Strenge in verschiedenen Fällen anging. Aber die Zucht Gottes ist ohne Zweifel immer zu unserem Vorteil; er macht nie einen Fehler in der Art und im Ausmaß der Leiden, die er uns ertragen lässt. Denn durch diese Züchtigung werden wir zu dem Grad der Heiligkeit gebracht, den er für uns anstrebt. Seine Züchtigung erinnert uns ständig an die Pflicht, die wir Ihm schulden, und so werden wir mehr und mehr in seiner Nachfolge geschult.

    Der Autor antwortet hier auf einen Einwand, den einige Leser vorbringen könnten: Alle Züchtigung scheint in der Tat eine Zeit lang nicht Freude, sondern Leid zu sein; aber danach bringt sie denen, die durch sie gezüchtigt werden, die friedliche Frucht der Gerechtigkeit. Der Verfasser hat die ganze Zeit über mit großer Begeisterung von der Zucht Gottes gesprochen, und sein Eifer wird nicht durch den Einwand gedämpft, der zumindest in den Herzen derjenigen, die noch schwach im Glauben sind, aufkommen wird, dass Leiden aller Art eine höchst unangenehme Erfahrung sind. Das ist in der Tat wahr: Solange die Züchtigung andauert, solange Gott zulässt, dass das Leiden uns trifft, ist es gewiss eine Sache des Schmerzes und nicht der Freude. Aber ohne Erziehung, Zurechtweisung, heilsame Zurückhaltung, strenge Vorschriften und gelegentliche Strafen kann das Ziel Gottes gegenüber seinen Kindern nicht erreicht werden. Es ist daher allein in unserem Interesse, dass er diese Methode anwendet. Das Ergebnis ist immer, dass diejenigen, die durch sie geübt und erzogen werden, fähig sind, solch friedvolle Frucht der Gerechtigkeit zu bringen, die dem himmlischen Vater wohlgefällig ist. Durch diese Schulung des Herrn wird unser Glaube rein, wahrhaftig und kostbar, so dass wir selbst gründlich vorbereitet, gestärkt und gegründet werden zum ewigen Heil, 1. Petr. 1,6-9; 5,10; Röm. 8,25; 5,3-5.

    Da dies wahr ist, kann der Appell mit voller Kraft erfolgen: Darum hebt die kraftlosen Hände und die gelähmten Knie auf und macht die Wege gerade, dass eure Füße darauf gehen können, damit die Lahmen nicht vom Weg abkommen, sondern geheilt werden. Lustlose, nervöse Hände und schwache, gelähmte Knie sind nicht die Glieder, die man bei wahren Christen finden sollte, Jes. 35,3. Da sie wissen, dass der Herr ihnen gegenüber immer Gedanken des Friedens hegt, können sie sich auf seine Verheißung verlassen, die er ohne Zweifel einhalten wird, Jes. 40, 29-31. Statt mit wankenden Füßen zu gehen, wie unter einer schweren Last, die ihn zu Boden zu drücken droht, soll jeder Christ seine Füße auf dem von Christus vorbereiteten Weg der Heiligung geradeaus gehen lassen und weder nach rechts noch nach links ausweichen, Spr. 4,26.27; Jes. 30,21. Wenn das der Fall ist, dann werden auch die Lahmen und Hinkenden, die im Glauben noch schwachen Christenbrüder, nicht entmutigt und ganz vom Weg abgewiesen, sondern es wird ihnen Gelegenheit gegeben, von ihrer geistlichen Schwäche geheilt zu werden. Wenn die stärkeren Gläubigen in allen Dingen, die die Heiligung und die Nachfolge Christi betreffen, immer fest und unerschütterlich sind, dann wird ihr Beispiel den schwächeren Brüdern als Hilfe dienen und sie veranlassen, dem Meister ohne Zweifel und ohne Zögern zu folgen, bis sie das Ziel oben erreichen, Jes. 35,5.6.

 

Eine Warnung vor Abfall auf der Grundlage der Herrlichkeit des Neuen Bundes (12,14-29)

    14 Jagt nach dem Frieden gegen jedermann und der Heiligung, ohne welche wird niemand den HERRN sehen. 15 Und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume, damit nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte, und viele durch diese verunreinigt werden; 16 damit nicht jemand sei ein Hurer oder ein Gottloser wie Esau, der um einer Speise willen seine Erstgeburt verkaufte. 17 Wisst aber, dass er hernach, da er den Segen erben wollte, verworfen ist; denn er fand keinen Raum zur Buße, wiewohl er sie mit Tränen suchte.

    18 Denn ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, den man anrühren konnte, und der mit Feuer brannte, noch zu dem Dunkel und Finsternis und Ungewitter 19 noch zu dem Hall der Posaune und zur Stimme der Worte, bei welcher dringend baten, die sie hörten, dass ihnen das Wort ja nicht gesagt würde 20 (denn sie konnten’s nicht ertragen, was da gesagt wurde. Und wenn ein Tier den Berg anrührte, sollte es gesteinigt oder mit einem Geschoß erschossen werden. 21 Und so schrecklich war das Gesicht, dass Mose sprach: Ich bin erschrocken und zittere), 22 sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, zu dem himmlischen Jerusalem, und zu der Menge vieler tausend Engel 23 und zu der Gemeinde der Erstgebornen, die im Himmel angeschrieben sind,  und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollkommenen  Gerechten 24 und zu dem Mittler des Neuen Testaments, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das da besser redet als Abels.

    25 Seht zu, dass ihr euch dem nicht verweigert, der da redet! Denn wenn jene nicht entflohen sind, die sich verweigerten, da er auf Erden redete, viel weniger wir, wenn wir uns des verweigern dem, der vom Himmel redet, 26 welches Stimme zu der Zeit die Erde bewegte. Nun aber verheißt er und spricht: Noch einmal will ich bewegen nicht allein die Erde, sondern auch den Himmel. 27 Aber Solches „noch einmal“ zeigt an, dass das Bewegliche soll verändert werden, als das gemacht ist, damit da bleibe das Unbewegliche. 28 Darum, dieweil wir empfangen ein unbewegliches Reich, haben wir Gnade, durch welche wir sollen Gott dienen, ihm zu gefallen, mit Zucht und Furcht. 29 Denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.

 

    Das warnende Beispiel Esaus (V. 14-17): Von der Stelle in den Sprüchen, auf die sich der Autor soeben bezogen hat, Spr. 4, 26. 27, nimmt der Autor nun einen anderen Gedanken auf, nämlich den, friedliche Beziehungen mit anderen zu pflegen: Folge dem Frieden mit allen und der Heiligkeit, ohne die niemand den Herrn sehen wird. Es scheint, dass die Eigenschaften der Hebräer sie ungeduldig gegenüber Schwäche machten, ein Gefühl, das leicht zu Entfremdung und Streit führen konnte. Aber Gott will, dass seine Gemeinde in Frieden aufgebaut wird, Röm. 12,18; 2. Tim. 2,22, ein Friede, der auf der Einheit des Glaubens beruht und zur Heiligung im Allgemeinen führt, zur wahren Weihe an den Herrn und seine Sache, Eph. 5,5; Matth. 5,8. Die Heiligung wächst aus dem Glauben, aus demselben Samen, dem Wort Gottes, und ohne diese Heiligung ist es unmöglich, den Herrn zu sehen, von ihm als sein Kind angenommen zu werden. Nur derjenige, der das stellvertretende Opfer Christi in einem solchen Geist angenommen hat, dass er des Geistes teilhaftig wird, der in Christus gelebt hat, wird schließlich vor dem Herrn stehen und ihn von Angesicht zu Angesicht sehen.

    Das ist keine Sache, die man auf die leichte Schulter nehmen sollte, denn der Autor fährt fort: Seid wachsam, damit nicht jemand die Gnade Gottes verfehlt, damit nicht irgendeine Wurzel der Bitterkeit, die von neuem wächst, euch bedrängt und dadurch viele verunreinigt werden. Die Christen müssen immer auf der Hut sein, immer auf der Hut sein, dass nicht einer aus ihrer Mitte von der Gnade Gottes abfällt. Es besteht immer die Gefahr, dass der eine oder andere sich zu einer Sünde abwendet. Aber die Gläubigen sollten immer eine geschlossene Gesellschaft sein, die durch ihren Glauben und ihre Gemeinschaft in Christus eng zusammengehalten wird. Dass einer von ihnen sich abwendet, die Gnade Gottes versäumt, muss für sie alle eine ernste Angelegenheit sein. Und da sie so gemeinsam auf dem Weg bleiben, hüten sie sich auch vor einer solchen Verunreinigung, die entsteht, wenn in ihrer Mitte Wurzeln der Bitterkeit sprießen. Die Worte an dieser Stelle sind aus 5. Mose 29,18 entlehnt. Die Einführung böser, sündiger Praktiken in ihrer Mitte wäre wie eine giftige Wurzel und Pflanze, durch deren Verunreinigung sie nicht nur beunruhigt würden, sondern durch die sie auch unfähig würden, sich Gott zu nähern und mit ihm Gemeinschaft zu haben. Vgl. Gal. 5,9.

    Auf welche Weise dies geschehen könnte, führt der Autor nun aus: Damit es nicht einen Hurer oder einen Unzüchtigen gebe, wie Esau, der um ein einziges Mahl sein Erstgeburtsrecht verkaufte; denn ihr wisst, dass er nachher, obwohl er den Segen erben wollte, verstoßen wurde, weil er keinen Raum für eine Sinnesänderung (bei seinem Vater) fand, obwohl er ernstlich und unter Tränen darum bat. Hier sind Beispiele für die bitteren Wurzeln, für die giftigen Pflanzen der Sünde und des Bösen, wie sie in einer christlichen Gemeinde aufkeimen können. Es mag jemanden geben, der von der Sünde der Unzucht, die gegen das sechste Gebot verstößt, überwältigt und niedergeschlagen wird. Oder jemand wird versucht und fällt in die Sünde, Dinge zu entweihen, die in den Augen Gottes heilig sind. Wenn das reiche Festmahl der Gnade und Barmherzigkeit Gottes in ein und derselben Gemeinde über eine oder zwei Generationen ausgebreitet wird, besteht immer die Gefahr, dass jemand übersättigt wird und sein Heil gegen den Genuss der Sünde für eine Zeit lang eintauscht. Das war die Sünde Esaus, der das Recht des Erstgeborenen, das auch die Tatsache einschloss, dass der Erstgeborene der Träger des messianischen Segens war, so gering schätzte, dass er sein Erstgeburtsrecht für eine einzige Mahlzeit, für einen Haufen Mehl verkaufte (1. Mose 25,29-34). Sein Fall veranschaulicht die Gefahr verpasster oder abgelehnter Gelegenheiten. Denn als Esau später versuchte, den Segen des Erstgeborenen für sich selbst zu bekommen, hatte er keinen Erfolg, 1. Mose 27,30-40. Er bemühte sich ernsthaft, den Segen, der Jakob gegeben worden war, für sich selbst zu bekommen, und flehte seinen Vater unter Tränen an, seine Meinung zu ändern. Aber Isaak blieb standhaft; er erkannte, dass es der Wille Gottes war, dass Jakob den Segen des Erstgeborenen und die messianische Verheißung erhalten sollte, und weigerte sich daher, seine Entscheidung zu ändern. „Ich sage nicht, dass er nicht gerettet wurde, sondern dass er den Segen, den er einst verloren hatte, trotz aller Tränen nicht erhalten konnte.“[14]

 

    Der Bund der Furcht im Vergleich mit dem Bund der Gnade (V. 18-24): Hier ist ein weiterer Grund für die gesamte Aufforderung und Warnung, wie sie in diesem Kapitel enthalten ist, nämlich die Tatsache, dass die Gnade das zwingende Motiv im Leben des Christen ist, und nicht die Furcht: Denn ihr seid nicht zu dem Berg gekommen, den man anfassen kann und der mit Feuer brennt, zu Finsternis und Finsternis und Sturm und zu dem Schall einer Posaune und zu einer Stimme, die in Worten ertönte, von denen die, die sie hörten, ernstlich baten, dass ihnen keine weitere Rede hinzugefügt würde. Es handelt sich offensichtlich um die Verkündigung des Gesetzes auf dem Berg Sinai, 2. Mose 19; 5. Mose 4. Das war ein feierliches, ein furchterregendes Ereignis, denn der Berg selbst brannte mit Feuer, 5. Mose 4,11, und das übrige Land in der Umgebung war mit einer nebligen Düsternis, mit einer schweren Finsternis bedeckt, während ein Sturmwind von der Größe eines Orkans jedes Herz erbeben ließ, 5. Mose 4,11; 5,22. Zu dieser furchterregenden Szene gesellte sich noch der Schall einer Trompete, der an sich schon geeignet war, selbst ein starkes Herz unter solchen Umständen zusammenzuziehen, 2. Mose 19,16.19; 20,18, und dann die Stimme der Worte, die von der Spitze des Berges herab gesprochen wurden, 2. Mose 20; 5. Mose 5,4-22. Kein Wunder, dass die Kinder Israels von einem solchen Schrecken erfüllt waren, dass sie Mose inständig baten und anflehten, er möge dafür sorgen, dass diese furchterregende Stimme für sie nicht mehr ertönen würde, 2. Mose 20,18.19; 5. Mose 5,23-27. Schon die Aufzählung der verschiedenen Erscheinungen lässt den erschreckenden Charakter des Schauspiels erahnen.

    Wie groß der Schrecken des Volkes war, geht aus den folgenden Versen hervor: Denn sie konnten nicht ertragen, was befohlen worden war: Wenn auch nur ein Tier den Berg berührt, soll es gesteinigt werden, 2. Mose 19,12.13. Es war ein Tag, an dem alle Herzen vor Angst bebten, die sich nicht beruhigen ließ, denn die ganze Natur schien in Aufruhr zu sein, und der Herr selbst erschien ihnen als drohender Feind. Die Herrlichkeit und Majestät Gottes auf dem Berg Sinai war so unaussprechlich groß, dass Mose, als er mit den beiden Gesetzestafeln aus dem Angesicht Gottes zurückkehrte und feststellte, dass das Volk sich so weit vergessen hatte, dass es sich des gemeinsten Götzendienstes schuldig gemacht hatte, allein bei dem Gedanken an die mögliche Rache Gottes an ihnen erschrak und rief: Ich fürchte mich sehr und zittere, 5. Mose 9,9.15-19. Das ist ein Bild, das das Gesetz mit seinen schrecklichen Drohungen und Flüchen der Verdammnis richtig charakterisiert.

    Die Christen können sich glücklich schätzen, dass sie nicht mehr unter dem Gesetz stehen, dessen Erlass die Herzen eines ganzen Volkes in Angst und Schrecken versetzte: Ihr aber habt euch dem Berg Zion genähert und der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und Myriaden von Engeln, der allgemeinen Versammlung und der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel eingeschrieben sind, und Gott, dem Richter aller, und den Geistern der vollendeten Gerechten, und dem Mittler eines neuen Bundes, Jesus, und dem Blut der Besprengung, dessen Botschaft vortrefflicher ist als die Abels. Der Gegensatz zwischen dem alten und dem neuen Bund wird durch jede Äußerung hervorgehoben. Denn die heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, ist kein irdischer, sichtbarer Berg, sondern eine Gemeinschaft von Heiligen, deren Vorzüglichkeit mit den Attributen der menschlichen Sprache nur unzureichend ausgedrückt werden kann. Weil David, der Urvater Christi, auf dem Berg Zion und in der Stadt Jerusalem wohnte, und weil das Heil des Messias seinen Anfang in dieser Gegend nehmen sollte, darum wird die Gemeinde und Gemeinschaft der Heiligen, wo Gott mit seinem Heil in Christus wohnt, in den Prophezeiungen gemeinhin Berg Zion, die Stadt Gottes, genannt, Ps. 9,11; 76,2; 110,2; Jes. 2,2.3; Micha 4,1.2. Der ideale Zion ist der Ort, an dem Gott seine Gegenwart manifestiert, die Fülle seiner Gnade in Christus. Es ist das himmlische Jerusalem, denn es ist nicht irdisch und mit Händen gemacht, und doch wird es der endgültige Aufenthaltsort aller Gläubigen sein, Gal. 4, 26. Gott hat seine Wohnung, den Thron seiner Barmherzigkeit, inmitten seiner Kirche, Offb. 14,1; 21,2; 1. Kor. 3,16; 2. Kor. 6,16. In diese Gemeinschaft sind die Gläubigen eingetreten. So sind sie mit vielen Tausenden von Engeln in einer Gemeinschaft der Seligkeit vereint, denn Himmel und Erde sind durch das Kommen Christi vereint, Kol. 1,20; Eph. 1,10. Wir gehören durch den Glauben zur großen Festversammlung, zur Gemeinde der erstgeborenen Kinder Gottes, die sich zum Glauben an den vordersten Erstgeborenen, den ewigen Sohn Gottes, bekehrt haben. Wir sind zu Gott, dem Richter aller Menschen, gekommen und können durch den rechtfertigenden Glauben, der durch das Evangelium in unseren Herzen entzündet worden ist, vertrauensvoll vor ihm stehen. Wir sind sogar eine große Gemeinde mit den Geistern der Heiligen, die die letzte Vollendung, das letzte Ziel, die Seligkeit des Himmels erreicht haben, Luk. 23,43; 2. Kor. 5,8; Phil. 1,23. Das alles aber ist möglich, weil wir zu dem großen Mittler des Neuen Testaments, zu Jesus, gekommen sind, der die Menschheit durch sein eigenes heiliges, unschuldiges Blut, mit dem wir im Glauben besprengt worden sind, wieder in die ursprüngliche Beziehung der Kinder zum himmlischen Vater zurückgeführt hat. Das Blut Abels kann in der Tat als Zeugnis dienen und als solches einen Wert für dieses Leben haben, Kap. 11,4. Aber das Blut Jesu Christi hat uns von allen Sünden gereinigt und plädiert deshalb vor Gott mit einer so lauten und überzeugenden Stimme, dass es uns vollkommene Gerechtigkeit sichert. Auf diese Weise bringt uns der inspirierte Schreiber die Tatsache nahe, dass wir zu dem angenehmen, barmherzigen und rettenden Evangelium gekommen sind. Welch ein herrliches Privileg!

 

    Ehrfurcht und Gottesfurcht sind nötig (V. 25-29): Auf der Grundlage der im letzten Abschnitt dargelegten Wahrheiten, der Tatsache, dass das Evangelium mit der Fülle der Barmherzigkeit Gottes in Christus jetzt der Welt gepredigt und den Gläubigen gegeben wurde, startet der Autor einen letzten Appell: Seht zu, dass ihr nicht versucht, euch von dem abzuwenden, der redet; denn wenn jene Menschen nicht entkommen sind, die sich von dem abwandten, der auf Erden seine Worte sprach, so werden wir es noch viel weniger, wenn wir den verwerfen, der vom Himmel her spricht. Dies ist eine höchst feierliche Ermahnung, die den Christen gebietet, auf jeden Fall auf die Stimme des Herrn zu hören, der jetzt durch seinen Sohn, durch das Evangelium, zu uns spricht. Denn wenn im Alten Testament diejenigen, die sich weigerten, das Wort des Herrn zu hören, das er hier auf Erden sprach, das Wort des Gesetzes, nicht der Strafe entgingen, dann wird es keine Chance für denjenigen geben, der jetzt, wo der Reichtum der Barmherzigkeit Gottes ohne Einschränkung und ohne Bedingung angeboten wird, sich weigern sollte, seine freundliche Einladung zu hören. Es kann nicht oft genug und nicht nachdrücklich genug betont werden, dass die eine Sünde, die in der heutigen Zeit wirklich zur ewigen Verdammnis verurteilt, die Sünde des Unglaubens ist, die sich von der ausgestreckten Hand der Barmherzigkeit des Herrn abwendet und das Geschenk seiner Liebe ablehnt.

    Jeder Gläubige sollte sich daran erinnern: Damals erschütterte seine Stimme die Erde; nun aber hat er verheißen und gesagt: Noch einmal erschüttere ich nicht nur die Erde, sondern auch den Himmel. Als der Herr sein Gesetz vom Berg Sinai aus gab, wurde die Erde von gewaltigen Erdbeben erschüttert, 2. Mose 19,18. Aber das war nichts neben einer anderen Manifestation seiner Macht, die er für die Zeit des Neuen Testaments verheißen hat, indem er sagte, er werde Himmel und Erde noch einmal erschüttern, Hag. 2,7. Vgl. Jes. 64,1-3; Micha 7,15; Hag. 2,22.23. Denn, wie der Verfasser sagt: Das Wort „noch einmal“ bedeutet, dass das, was erschüttert wird, wie das, was gemacht ist, weggenommen wird, damit das, was nicht erschüttert wird, bestehen bleibt. Nur noch ein einziges Mal will Gott sich vor der Welt im Glanz seiner allmächtigen Majestät offenbaren, am letzten Tag der Welt. An jenem Tag, an dem Gott die Grundfesten der Erde und des Himmels erschüttern wird, wird alles Geschaffene in der Form, die es für diese Welt hatte, vergehen. Dann wird nur das, was nicht erschüttert wird, nämlich das Reich Christi, das Erbe der Christen, in alle Ewigkeit bestehen bleiben, 1. Petr. 1,4; Luk 1, 3; Jes. 65,17-19; 2. Petr. 3,13; Offb. 21,1-5.

    Dies ist wahr, denn die vergänglichen Dinge dieser Welt müssen vergehen: Darum wollen wir, da wir ein Reich empfangen, das nicht erschüttert werden kann, die Gnade haben, mit der wir Gott in Ehrfurcht und Furcht dienen können; denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer. Denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer. Unser Reich ist ein unbewegliches Reich, das Reich seiner Gnade und Herrlichkeit, in dem wir mit ihm als Könige herrschen werden, Offb. 1,6. Durch unsere Zugehörigkeit zu dieser herrlichen Gemeinschaft, der Festversammlung aller Engel und Heiligen, sind wir der Gnade, der barmherzigen Liebe Gottes in Christus Jesus gewiss. Im Besitz dieser Gnade können wir Gott in der rechten Weise dienen, wie es ihm wohlgefällig ist, mit frommer Ehrfurcht und Furcht, Kol. 1,12. Denn unser Gott ist ein Gott, dessen Zorn ein verzehrendes Feuer ist, 5. Mose 4,24, über alle, die seine Barmherzigkeit ablehnen und die Vergebung der Sünden in Christus Jesus verwerfen. So legt der Autor allen Gläubigen die größte Verpflichtung auf, ein gottgefälliges Leben zu führen und den rettenden Glauben an Jesus nicht aus ihrem Herzen zu lassen.

 

Zusammenfassung: Der heilige Verfasser appelliert an alle Christen, das Beispiel der alttestamentlichen Gläubigen und Christi zu beherzigen und sich durch die Züchtigung Gottes in der Heiligkeit zu stärken; er warnt vor dem Abfall, indem er auf das Beispiel Esaus hinweist und die größere Vorzüglichkeit des Bundes der Gnade gegenüber dem Bund der Furcht aufzeigt.

 

 

Kapitel 13

 

Abschließende Ermahnungen und Schluss (13,1-25)

    1 Bleibt fest in der brüderlichen Liebe! 2 Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt. 3 Gedenkt der Gebundenen als die Mitgebundenen und derer, die Trübsal leiden, als die ihr auch noch im Leib lebt. 4 Die Ehe soll ehrlich gehalten werden bei allen und das Ehebett unbefleckt; die Hurer aber und Ehebrecher wird Gott richten. 5 Der Wandel sei ohne Geiz; und lasst euch begnügen an dem, was da ist. Denn er hat gesagt: Ich will dich nicht verlassen noch versäumen, 6 so dass wir dürfen sagen: Der HERR ist mein Helfer, und will mich nicht fürchten; was sollte mir ein Mensch tun?

    7 Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach. 8 Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. 9 Lasst euch nicht mit mancherlei und fremden Lehren umtreiben; denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade, nicht durch Speisen, davon keinen Nutzen haben, so damit umgehen. 10 Wir haben einen Altar, davon nicht Macht haben zu essen, die der Hütte dienen. 11 Denn welcher Tiere Blut getragen wird durch den Hohenpriester in das Heilige für die Sünde, deren Leichname werden verbrannt außerhalb des Lagers. 12 Darum auch Jesus, damit er heiligte das Volk durch sein eigenes Blut, hat er gelitten außen vor dem Tor.

    13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen außerhalb des Lagers und seine Schmach tragen. 14 Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. 15 So lasst uns nun opfern durch ihn das Lobopfer Gott allezeit, das ist, die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. 16 Wohlzutun und mitzuteilen vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott wohl. 17 Gehorcht euren Lehrern und folgt ihnen; denn sie wachen über eure Seelen, als die da Rechenschaft dafür geben sollen, damit sie das mit Freuden tun und nicht mit Seufzen; denn das ist euch nicht gut.

    18 Betet für uns! Unser Trost ist der, dass wir ein gutes Gewissen haben und befleißigen uns, einen guten Wandel zu führen bei allen. 19 Ich ermahne euch aber zum Überfluss, solches zu tun, damit ich desto früher wieder zu euch komme. 20 Der Gott aber des Friedens, der von den Toten ausgeführt hat den großen Hirten der Schafe durch das Blut des ewigen Bundes, unseren HERRN Jesus, 21 der mache euch fertig in allem guten Werk, zu tun seinen Willen, und schaffe in euch, was vor ihm gefällig ist, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

    22 Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, haltet das Wort der Ermahnung zugute; denn ich habe euch kurz geschrieben. 23 Wisst, dass der Bruder Timotheus wieder frei ist, mit welchem, so er bald kommt, will ich euch sehen. 24 Grüßt alle eure Lehrer und alle Heiligen. Es grüßen euch die Brüder aus Italien. 25 Die Gnade sei mit euch allen! Amen. 

 

    Allgemeine Ermahnungen (V. 1-6): Der inspirierte Autor hat die Sache dargelegt, auf die er die besondere Aufmerksamkeit der hebräischen Christen lenken wollte. Aber im Zusammenhang mit dieser Lehre nimmt er nun die Gelegenheit wahr, einige besondere Ermahnungen an seine Leser zu richten: Die Bruderliebe soll fortbestehen. Die Liebe zu den Brüdern hatte in ihrer Mitte bestanden, wie er freimütig zugegeben hatte, Kap. 6, 10. Aber wenn sie den Appell und die Warnung, die im vorangegangenen Kapitel an sie gerichtet wurden, nicht beachteten, bestand die Gefahr, dass der allgemeine Verfall ihres Glaubens mit dem unvermeidlichen entsprechenden Verlust der wahren Bruderliebe einhergehen würde. Damit aber die brüderliche Liebe bestehen bleibt, bedarf sie einer ständigen Übung, von der hier zwei Formen genannt werden. Erstens: Die Bewirtung von Fremden nicht vernachlässigen; denn dadurch haben einige Engel bewirtet, ohne es zu wissen. Echte Gastfreundschaft wird hier ernsthaft empfohlen, nicht eine wahllose Speisung von Faulenzern. Die Umstände machten es in jenen Tagen oft notwendig, dass die Christen von einem Ort zum anderen zogen, und viele von ihnen konnten es sich nicht leisten, ein öffentliches Gasthaus zu benutzen. In solchen Fällen sollten die Geschwister bereit sein, ihre Liebe zu zeigen, indem sie andere, oft Geflüchtete, bei sich zu Hause aufnahmen und für ihre Bedürfnisse sorgten. Bei diesem Werk der Liebe sollten sie durch den Gedanken ermutigt werden, dass zumindest einige Menschen, die auf diese Weise Gastfreundschaft praktizierten, Engel beherbergt hatten, ohne es zu wissen (1. Mose 18,19). Die Gastfreundschaft der frühen Christen wurde sogar von heidnischen Schriftstellern wohlwollend kommentiert. Es ist eine Tugend, die in unseren Tagen mit weit größerer Freigebigkeit praktiziert werden könnte, wo eine verdächtige Kälte den Umgang der Christen untereinander kennzeichnet, Röm. 12,13; 1. Petr. 4,9; 1. Tim. 3,2; Tit. 1,8. Aber einige ihrer Mitchristen könnten sich in einer noch schlimmeren Lage befinden, und deshalb fährt der Text fort: Denkt an die Gefangenen wie an die Mitgefangenen, an die, die Böses erleiden, wie an euch selbst, die ihr im Leib seid. Die Christen, an die diese Worte gerichtet waren, lebten in unruhigen Zeiten. Die allgemeine Verfolgung, die nach dem Tod des Stephanus über sie hereinbrach, war zwar abgeklungen, aber der Hass ihrer Feinde blieb bestehen, und wahrscheinlich gab es örtliche Unruhen. Die Gläubigen sollten also ein betendes Mitgefühl für all jene empfinden, die um des Evangeliums willen im Gefängnis schmachten, als wären sie mit ihnen gefesselt gewesen und hätten dieselben Nöte erlitten. In gleicher Weise sollten sie derer gedenken, die misshandelt und missbraucht wurden, wobei sie diese herzliche Sympathie umso bereitwilliger zeigten, als sie als Leibeswesen ähnlichen Misshandlungen ausgesetzt waren. Nach diesen und ähnlichen Anweisungen verfassten die ersten Christen besondere Gebete für die Gefangenen und sorgten auf jede Weise für ihre Erleichterung.

    Eine besondere Ermahnung betrifft die Heiligkeit der heiligen Ehe: Die Ehe soll von allen in Ehren gehalten werden, und das Ehebett soll unbefleckt bleiben; aber Hurer und Ehebrecher wird der Herr richten. Ob jemand bereits in den Stand der heiligen Ehe eingetreten oder noch unverheiratet ist, die Ehe soll in Ehren gehalten werden, heilig als eine Einrichtung des Herrn. Ihre Heiligkeit darf nicht verletzt werden, weder von den Unverheirateten, indem sie sich die besonderen Funktionen dieses Standes anmaßen, noch von den Verheirateten, indem sie das Ehebett durch Untreue verunreinigen oder diesen heiligen Stand zur bloßen Befriedigung der sexuellen Lust betreten. Die ehelichen Beziehungen sollen keusch sein. Mit feierlichem Nachdruck fügt der Verfasser hinzu, dass Gott es ist, der die Hurer und Ehebrecher richten und verurteilen wird, die in irgendeiner Weise die Heiligkeit der Grenzen verletzen, die er um den Stand der Ehe gezogen hat.

    Über das gesamte Verhalten der Christen sagt der Autor: Euer Lebenswandel sei ohne Begehrlichkeit, indem ihr euch mit dem begnügt, was ihr habt; denn er selbst hat gesagt: Ich will dich nicht verlassen noch versäumen. Das ganze Leben der Christen, ihr ganzes Denken und Tun, ihr Verhalten unter allen Umständen, soll frei sein von Geiz, von der Liebe zum Geld, denn Gott verlangt, dass seine Kinder auf Erden zufrieden sind, zufrieden mit dem, was sie haben, mit dem, was er ihnen gegeben hat. Diese Genügsamkeit hat eine feste Grundlage in der Verheißung Gottes, dass er die Seinen unter keinen Umständen darben lassen und sie in keiner Weise im Stich lassen wird, 5. Mose 31,6.8; 1. Chron. 28,20. Vgl. 1. Mose 28,15; Jos. 1,5; Jes. 41,17. Da diese Verheißung Gottes sicher ist, können wir kühn sagen: Der Herr ist mein Beistand, ich fürchte mich nicht, Ps. 118,6. Der Psalmist stellt die herausfordernde Frage, aber der Autor ändert die Frage hier in die kühne Aussage des Glaubens, der keine Gefahr fürchtet, wenn Gott auf seiner Seite ist. Vgl. 1. Chron. 28,20. Die Menschen können uns im schlimmsten Fall nur das Leben nehmen; aber unser Heil in Christus Jesus ist sicher in den Händen des Vaters. Den Leib mögen sie töten, aber die Seele ist der Gewissheit ewiger Barmherzigkeit anvertraut.

 

    Eine Ermahnung zur Festigkeit (V. 7-12): Der erste Punkt, den der heilige Autor in diesem Abschnitt hervorhebt, ist der, dass man sich an die früheren Lehrer des Evangeliums erinnern soll: Behaltet die im Gedächtnis, die über euch herrschten, die euch das Wort Gottes verkündeten, auf deren Lebensende ihr genau schaut und ihren Glauben nachahmt. Die Christen sollten sich an ihre geistlichen Führer erinnern, sie in freundlichem und ehrendem Gedenken behalten. Dieses Gefühl sollte durch die Tatsache verstärkt werden, dass sie es waren, die ihnen das herrliche Evangelium ihrer Erlösung, Gottes Wort der Liebe, verkündet haben. Diese Führer, diese frühen Führer der hebräischen Christen, sind nun verstorben, aber sie wirkten noch immer als Beispiele durch ihr Verhalten. Diese Männer hatten ihre Lehre mit ihrem Leben besiegelt; sie waren in ihrem Glauben an das Evangelium bis zum Ende standhaft geblieben und hatten damit einen nachahmenswerten Glauben bewiesen. Die Gläubigen sollten dies sorgfältig bedenken; sie sollten denselben Glauben bewahren, und Gott würde sie bewahren.

    Dies kann umso nachdrücklicher betont werden, als sich der Gegenstand des Glaubens nicht verändert hat und nicht vergeht: Jesus Christus, immer derselbe, gestern und heute und in Ewigkeit. Das ist die Inschrift, die die Christen zu allen Zeiten auf ihr Banner schreiben können. Jesus Christus, der Sohn Gottes, der Retter der Welt, ist die Grundlage unseres Glaubens. Es gab und gibt und wird nur diesen einen Erlöser geben; aber in ihm haben wir alles, was wir für dieses Leben und für die kommende Welt brauchen, Apg. 4,12; 15,11; Offb. 13,5; 1. Kor. 3,11. „Gestern ist die Zeit vor seiner Menschwerdung, heute ist die Zeit seiner Offenbarung im Fleisch. So ist es jetzt und in Ewigkeit derselbe Christus, durch den und durch den allein alle Gläubigen in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der zukünftigen Zeit vom Gesetz befreit, gerechtfertigt und gerettet werden.“[15]

    Aus dieser Grundlage des Glaubens folgt: Lasst euch nicht durch verschiedene Lehren und fremde Lehren verführen; denn es ist gut, wenn das Herz durch die Gnade bestätigt wird und nicht durch das Fleisch, das denen, die sich darauf beriefen, nichts nützte. Dies war die große Gefahr, die die Judenchristen bedrohte. Es gab in jenen Tagen viele Männer, die sich um Aufnahme in die christlichen Gemeinden bemühten, die die alttestamentliche Lehre so auslegten und mit solchem Nachdruck auf den früheren Einrichtungen und Praktiken bestanden, dass die Bindung der Gläubigen an Christus als den einzigen Vermittler gelockert wurde. So mancher Christ, der nicht fest in der Freiheit Christi verankert war, wurde von der Flut fadenscheiniger Argumente, die von diesen judaisierenden Lehrern vorgebracht wurden, hinweggefegt. Es war daher notwendig, dass die Herzen der Christen gestärkt und gefestigt wurden, was nur die Gnade Gottes im Evangelium bewirken konnte. Es wäre sicherlich eine schöne und lobenswerte Sache, wenn alle Christen in der Erkenntnis der Wirksamkeit dieser Gnade feststehen würden, denn sie ist alles, was wir in diesem und im nächsten Leben brauchen. Der Verfasser weist in diesem Zusammenhang und um seiner Leser willen absichtlich den Gedanken zurück, dass dieses Ziel durch den Gebrauch bestimmter Speisen der Opfermahlzeiten erreicht werden könnte, von denen einige Judenchristen noch glaubten, dass sie die Kraft hätten, geistige Stärke zu verleihen. Alle Menschen, die jemals auf diese Opfermahlzeiten, auf den Verzehr des Fleisches und anderer Speisen, die mit der Darbringung bestimmter Opfer verbunden waren, vertraut hatten, hatten keinen Nutzen von ihrem Werk, sie waren dadurch nicht vor Gott gerecht geworden, Gal. 4,9.10; 5,1-4.

    Im Gegensatz zu diesem zeremoniellen Essen des Alten Testaments sagt der Autor: Wir haben einen Altar, von dem zu essen sie keine Macht haben, die der Stiftshütte dienen. Der Gegensatz besteht zwischen denen, die am levitischen Opferkult festhalten, und denen, die ihr Vertrauen allein auf die Barmherzigkeit und Gnade Gottes setzen. Diejenigen, die noch der Stiftshütte dienen, deren Herz an der Form des alttestamentlichen Gottesdienstes hängt, die darauf bestehen, dass die Einhaltung des Zeremonialgesetzes auch im Neuen Testament notwendig ist, haben keine Vollmacht, kein Recht und keine Macht, an den Segnungen teilzuhaben, die uns von unserem Altar, vom Kreuz Christi, auf dem das Lamm Gottes für die Sünden der Welt geopfert wurde, zufließen. Denn von diesem Altar zu essen bedeutet, der Wohltaten teilhaftig zu werden, die das große Opfer der Welt gebracht hat, es bedeutet, im Glauben die wahre Gerechtigkeit vor Gott und das ewige Heil anzunehmen. Vgl. Joh. 6,51-58.

    Dies wird durch einen weiteren Vergleich zwischen den Opfern des Alten Testaments und dem einen großen Opfer des Neuen unterstrichen: Denn von den Tieren, deren Blut der Hohepriester für die Sünde ins Heiligtum bringt, werden die Leiber außerhalb des Lagers verbrannt; darum hat auch Jesus, damit er das Volk durch sein eigenes Blut heilige, außerhalb des Tores gelitten. Nach dem Zeremonialgesetz der Juden wurden die Kadaver der Tiere, deren Blut am großen Versöhnungstag in das Allerheiligste gebracht und an den Gnadentisch gesprengt wurde, Kap. 9,8-25; 10,19, außerhalb des Lagers der Juden und später außerhalb der Stadt Jerusalem verbrannt werden mussten, 3. Mose 16,27. Von dem Fleisch dieser Opfer durfte also niemand essen, wie es bei vielen anderen Opfern der Fall war. Nun ist aber das Opfer des Versöhnungstages das Hauptbild des Opfers Jesu Christi, Kap. 9, 7-12. Aus diesem Grund litt und starb Christus vor den Toren der Stadt Jerusalem, um die Sünder sich selbst zu weihen und durch sein eigenes Blut die Erlösung der ganzen Menschheit zu bewirken. Wie ein Übeltäter wurde er aus der Stadt hinausgeführt und hingerichtet, 3. Mose 24,14; 4. Mose 15,35.36; 5. Mose 17,5; Mark. 15,20-28. Allein die Tatsache, dass Christus ausgestoßen, verurteilt und getötet wurde, hat allen Menschen die Erlösung gebracht. Diejenigen also, die immer noch darauf bestehen, alle Vorschriften des Zeremonialgesetzes zu halten, sind gezwungen, Christus als einen unreinen Verbrecher zu betrachten; während wir, die wir uns frei von den Forderungen des alten Kirchengesetzes der Juden wissen, uns freuen, dass Christus zur Sünde und zum Fluch gemacht wurde, weil wir wissen, dass es für uns geschehen ist, 2. Kor. 5,21; Gal. 3,13.

 

    Christi Schmach tragen und für seinen Ruhm wirken (V. 13-17): Hier zeigt sich die natürliche Konsequenz, dass wir unser Los mit dem gekreuzigten Christus geworfen haben: Lasst uns also zu ihm hinausgehen außerhalb des Lagers und seine Schmach tragen. Der Autor möchte, dass seine Leser es als ein Privileg betrachten, als Ausgestoßene und Verräter an der jüdischen Sache gebrandmarkt zu werden. Da sie Jesus als ihren Herrn und Meister erwählt haben, sollten sie sich freimütig dazu bekennen, dass sie bereit waren, seine Schande und Schmach als Übeltäter und Verbrecher in den Augen der Juden mitzutragen. Wahre Gläubige werden nichts mit dem Gesetz und seinen Verordnungen zu tun haben, die für ihre Errettung notwendig sind, sie werden nichts mit legalistischen Praktiken zu tun haben. Nachdem sie ihr Los mit Jesus und seiner Rettung allein aus Gnade geworfen haben, werden sie froh sein, die Schmach und den Vorwurf zu tragen, die um seinetwillen auf ihn gefallen sind.

    Sicherlich ist dieser Schritt einer, der im Herzen eines jeden, der Jesus in Wahrheit angenommen hat, kein Bedauern hervorrufen sollte: Denn wir haben hier unten keine bleibende Stadt, sondern wir suchen ernstlich die zukünftige. Die Gläubigen sind Fremde, Gäste in dieser Welt; sie sind Pilger des Herrn, Ps. 39,12. Die kurze Lebensspanne, die ihnen in dieser Welt vergönnt ist, ist nur eine Zeit der Vorbereitung auf die kommende Welt. Unsere wahre Heimat, wo wir unser wahres Bürgerrecht haben, ist im Himmel, Phil. 3,20. Nur das, was geistlich und ewig ist, kann das Streben wirklich befriedigen und das Herz mit dem Frieden erfüllen, der alles Verstehen übersteigt. Darum streben wir ernstlich nach der Stadt, die ewig bleibt; wir richten unsere Aufmerksamkeit auf ihre herrlichen Vorzüge, auf ihre unschätzbare Seligkeit.

    So können wir auch das tun, wozu uns der inspirierte Autor auffordert: Lasst uns also durch ihn Gott beständig das Opfer des Lobes darbringen, d. h. die Frucht der Lippen, die seinen Namen preisen. Wir glauben an die Kraft des Sühneopfers Christi, wir haben offen die Rolle dessen übernommen, der von den Menschen als Verbrecher verurteilt wurde; aber durch ihn sind wir auch mit dem Vater als seine Kinder und Anbeter identifiziert. Als solche ist es unsere freudige Pflicht, unser frohes Vorrecht, ihm durch Christus Opfer zu bringen. Nicht nur gelegentlich und periodisch, sondern ständig bringen wir Gott, unserem himmlischen Vater, die Frucht unserer Lippen zum Lob und zur Feier seines heiligen Namens dar. Hos. 14,3; Ps. 50,14.23; Jes. 57,19.

    Dabei verlieren wir nicht aus den Augen, dass unser Glaube, der im Opfer der Lippen zum Ausdruck kommt, sich auch in der Frucht der Hände äußern wird: Vergiss aber nicht die Wohltätigkeit und die Nächstenliebe; denn das sind die Opfer, die Gott wohlgefällig sind. Ein Herz, das sich der Gewissheit des Heils durch die Erlösung Christi erfreut, kann nicht umhin, etwas von der tiefen und wunderbaren Liebe zu spüren, die der Erlöser allen Menschen in seinem stellvertretenden Leiden und Sterben erwiesen hat. Alle Taten der Wohltätigkeit, alle Formen der Wohltätigkeit, der Kommunikation mit den Brüdern und allen Menschen in Not, sind daher der Bereich der Tätigkeit des Christen. Und solche guten Werke, die aus einem vom Glauben erfüllten Herzen erwachsen, sind, so unvollkommen sie auch sein mögen, dennoch vom himmlischen Vater mit Wohlgefallen betrachtet, da die Verdienste Christi alle ihre Unzulänglichkeiten überdecken. So leben wir Christen unter dem Wohlgefallen Gottes.

    Aber in diesem Zusammenhang gibt es noch einen weiteren Punkt, auf den der heilige Schreiber aufmerksam zu machen für nötig erachtet: Gehorcht euren Führern und ordnet euch ihnen unter; denn sie sind es, die über eure Seelen wachen, als Menschen, die über ihr Vertrauen Rechenschaft ablegen müssen; dass sie dies mit Freude tun und nicht mit Seufzen, denn das wäre ein Verlust für euch. Über das Beispiel der früheren Leiter hat der Verfasser oben, V. 7, gesprochen. Hier spricht er von den Lehrern, Hirten und Dienern, die gegenwärtig für ihr geistliches Wohlergehen verantwortlich sind. Sie sollen sich vertrauensvoll ihrer Lehre hingeben, solange sie das Wort Gottes, das reine Evangelium von der Erlösung aller Menschen, lehren, wie dies die Lehrer in Judäa taten. Die Christen sollten sich immer daran erinnern, welch große Verantwortung auf diesen Männern ruhte und auf den wahren Seelsorgern heute ruht, dass sie dem Herrn am letzten Tag für jede Seele, die ihrer Seelsorge anvertraut wurde, Rechenschaft ablegen müssen. Es ist ein feierliches Wort sowohl für die Lehrer als auch für die Hörer. Da es im Interesse der Seelen des Volkes liegt, dass die treuen Seelsorger ihre Pflicht erfüllen, so sollen die Gemeindemitglieder es sich zur Aufgabe machen, sich ihren Seelsorgern gegenüber stets so zu verhalten, dass diese das Werk ihres Amtes fröhlich und freudig und nicht seufzend und klagend verrichten; denn ein solcher Zustand würde sich gewiss so auf die Hörer auswirken, dass ihnen wenigstens ein Teil des Nutzens entzogen würde, den Gott ihnen durch den Dienst des Wortes zugedacht hat, Luk. 10,16; Hes. 3,17-21. Dieses Wort der Warnung sollte auch in unseren Tagen beherzigt werden, in denen die Menschen geneigt sind, mit leidendem Mitleid auf die Pfarrer zu schauen und ihre Lehre und Warnung aus dem Wort Gottes zu missachten. Andererseits sollte man bedenken, dass diese Stelle den Pfarrern nicht die absolute Macht über die Seelen der Gemeindemitglieder gibt, wie die Romanisten fälschlicherweise behaupten.[16]

 

    Eine Ermahnung, zu beten und gute Werke zu tun (V. 18-21): Der Schluss dieses Briefes atmet, wie alle Briefe des Apostels Paulus, den Geist der Vertrautheit, der die Gemeinschaft der ersten Christen kennzeichnete. Der inspirierte Autor bittet: Betet für uns, denn wir sind überzeugt, dass wir ein gutes Gewissen haben und in allen Dingen bereit sind, uns gut zu verhalten. Paulus bittet auch um die Fürsprache der Christen, an die er einige seiner Briefe richtet, 1. Thess. 5,25; 2. Thess. 3,1.2; Röm. 15,30-32; Eph. 6,19.20; Kol. 4,3. Weil die Verantwortung, die auf den Pfarrern ruht, so groß ist, werden ihre Gemeindemitglieder gut daran tun, sie und ihre Arbeit in ihr tägliches Gebet einzuschließen. Da sich der Verfasser der Tatsache bewusst war, dass die von ihm gelehrte Lehre für die judaisierenden Christen nicht annehmbar war, erklärt er kühn, dass er überzeugt ist, ein reines Gewissen zu haben, dass er sich keiner Beleidigung bewusst ist, dass sein Verhalten, soweit er wusste, zu allen Zeiten so war, dass er sich jetzt nicht entschuldigen muss. Er habe seine Absicht, sich allen Menschen gegenüber anständig und anständig zu verhalten, in die Tat umgesetzt. Aus diesem Grund ist sein Appell so dringlich: Ich appelliere umso eindringlicher an euch, dies zu tun, damit ich umso schneller wieder bei euch sein kann. Der Verfasser war entweder inhaftiert oder auf andere Weise daran gehindert worden, nach Palästina zu kommen. Aber er spürte, dass er und seine Arbeit zu ihnen gehörten und dass sie ebenso wie er seine Rückkehr mit offenen Armen empfangen würden. Das Vertrauen, das der Verfasser hier in die Kraft des Gebets zeigt, sollte in den Herzen aller Christen zu finden sein.

    Der heilige Autor fügt seinerseits ein Gebet für seine Leser hinzu, das mit einer Doxologie abschließt: Der Gott des Friedens aber, der unsern Herrn Jesus, den großen Hirten der Schafe, von den Toten auferweckt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der stärke euch in allem Guten, dass ihr seinen Willen tut, und wirke in uns, was ihm wohlgefällig ist, durch Christus Jesus, dem die Herrlichkeit gehört von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen. Er nennt Gott den Gott des Friedens, 1. Thess. 5,23; 2. Thess. 3,16; Röm. 14,33, weil durch das Verhältnis und den Zustand des Friedens, der durch die Erlösung Christi entstanden ist, wieder Frieden zwischen Gott und den Menschen herrscht, und weil die Gläubigen aufgrund dieser Erkenntnis fähig sind, dem Frieden von ganzem Herzen nachzujagen. Dass der Friede zwischen Gott und den Menschen tatsächlich eintritt, ist darauf zurückzuführen, dass Gott Jesus, den großen Hirten seiner Schafe, durch das Blut des ewigen Bundes wiederhergestellt, von den Toten zurückgeholt hat. Vgl. Joh. 10. Wie Christus selbst den Juden mitteilte, hat er als der gute Hirte sein Leben für seine Schafe hingegeben, er hat sein heiliges Blut vergossen als Folge des Bundes der Barmherzigkeit Gottes, des Rates der Liebe, der in der Ewigkeit geschlossen wurde und das Heil der ganzen Menschheit zum Ziel hat. Dieser Gott der Barmherzigkeit hat auch die Macht, den Gläubigen die nötige Kraft zu geben, die sie befähigt, eifrig zu sein für jedes gute Werk, für alles, was dem himmlischen Vater gefällt Das tun die Christen dann nicht aus eigener Vernunft und Kraft, sondern in Jesus Christus durch die Kraft, die von ihrem Erlöser durch den Glauben in ihre Herzen und ihren Verstand fließt Auf diese Weise wird durch das ständige Wachstum aller Gläubigen in der Heiligung das Ziel und der Zweck des Werkes Gottes in ihnen verwirklicht, indem Christus selbst verherrlicht wird, ohne Ende.

 

    Grüße und Segen (V. 22-25): Der Schreiber schließt nun seinen Brief ab. Taktvoll appelliert er an die hebräischen Leser: Ich bitte euch aber, liebe Brüder, ertragt das Wort der Ermahnung. Einige von ihnen könnten geneigt sein, ihm seine offene, freimütige Art, die Sache vorzubringen, übel zu nehmen, zumal ihr Gewissen etwas unruhig war. Sein Brief, erklärt er, sei sicherlich kurz genug gewesen; er habe sie absichtlich nicht ermüden wollen. Man beachte, dass er sich nicht für ein einziges Wort entschuldigt, sondern dass sein Plädoyer eher eine Ermahnung an sie ist, seine Worte mit Bedacht zu nehmen.

    Was Timotheus betrifft, so teilt er ihnen mit, dass er nun frei ist, nachdem er einige Zeit im Gefängnis war, wahrscheinlich in Rom, und dass er die Absicht hat, mit Timotheus nach Palästina zu kommen und sie alle zu besuchen. Er deutet an, dass dieses Ereignis bald stattfinden wird. Er grüßt ihre Vorsteher, ihre Hirten oder Amtsträger, denn der Brief ist für alle Gemeinden in Judäa oder Palästina bestimmt und schließt alle Heiligen ein, alle Gläubigen, die Gott durch den Glauben geweiht sind. Er sendet Grüße von den christlichen Brüdern in Italien, denn die Gemeinschaft zwischen den Gläubigen war damals viel herzlicher als in unseren Tagen. Die allerletzten Worte des Briefes sind die übliche, aber keineswegs bedeutungslose Formel: Die Gnade sei mit euch allen! Jeder Mensch, der sich der Barmherzigkeit und der Liebe Gottes in Jesus Christus versichert und diese Botschaft im einfachen Glauben annimmt, hat Anteil an dieser Gnade und an allen Segnungen, die sie vermittelt, hier in der Zeit und im Jenseits in der Ewigkeit.

 

Zusammenfassung: Der inspirierte Autor fügt dem lehrhaften Teil seines Briefes einige Ermahnungen allgemeiner Art hinzu, eine Ermahnung, standhaft zu bleiben, die Schmach Christi zu ertragen und ihn in ihr fürbittendes Gebet einzuschließen; er schließt mit einigen persönlichen Bemerkungen und Grüßen.

 



A Entnommen aus: Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Nachdr. der 2., überarb. Aufl. St. Louis, Missouri. Bd. 14. Groß Oesingen: Verl. der Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms. 1987. Sp. 126-129

[1] Für V. 1-12 vgl. Luther 12, 150-177

[2] Expositor’s Greek Testament, 4, 263

B „Denn er nimmt nicht der Engel sich an, sondern den Samens Abrahams nimmt er an sich“, wäre die sprachlich angemessenere Übersetzung; aber aus dem Zusammenhang ergibt sich ganz klar, dass die obige Wiedergabe die theologisch richtige und eindeutige ist.

[3] Expositor’s Greek Testament, 4, 274

[4] Vgl. Concordia Triglotta, 403, Apol. XXIV (XII), 52-55

[5] Expositor’s Greek Testament, 4, 289

[6] Für V. 4-6 vgl. Luther 7, 959

[7] Vgl. Lehre und Wehre, 1919, 290-298

[8] Clarke, Commentary, 6, 739

[9] Vgl. Theological Quarterly, XIII (1909), 219

[10] Luther, 12, 462

[11] Für die Verse 11-14 vgl. Luther 12, 462-467; Homiletisches Magazin, XIV (1890), 70-79

[12] Vgl. Lehre und Wehre, 1919, 302-306; Concordia Triglotta, 1077. 1091, Konk.Formel, Ausf. Erkl. XI, 42. 83

[13] Zum gesamten Kapitel vgl. Synodalbericht, Iowa-Distrikt, 1898 und 1900.

[14] Luther, 2, 123; vgl. Lehre und Wehre, 1919, 308-318

[15] Luther, 9, 475

[16] Concordia Triglotta, 449, Apol. XXVIII (XIV), 20