Der Brief an die
Hebräer
Luthers Vorrede auf die Epistel an
die Hebraeer
1522A
1. Bisher
haben wir die rechten gewissen Hauptbücher des Neuen Testaments gehabt. Diese vier nachfolgenden aber haben vorzeiten
[zuweilen] ein anderes Ansehen gehabt. Und aufs erste, dass diese Epistel an
die Hebräer nicht St. Pauli noch einiges Apostels sei, beweist sich dabei, dass
im zweiten Kapitel, V. 3, steht so: „Diese Lehre ist durch die, so es selbst
von dem HERRN gehört haben, auf uns gekommen und geblieben.“ Damit wird es
klar, dass er von den Aposteln redet als ein Jünger, auf den solche Lehre von
den Aposteln gekommen sei, vielleicht lange hernach. Denn St. Paulus Gal. 1,1 mächtig bezeugt, er
habe sein Evangelium von keinem Menschen, noch durch Menschen, sondern von Gott
selber.
2. Über das
hat sie einen harten Knoten, dass sie im sechsten und zehnten Kapitel stracks
verneint und versagt die Buße den Sündern nach der Taufe und Kap. 12,17
spricht: Esau habe Buße gesucht und doch nicht gefunden. Welches, wie es
lautet, scheint wider alle Evangelien und Episteln des St. Paulus zu sein. Und
wiewohl man mag eine Glosse darauf machen, so lauten doch die Worte so klar,
dass ich nicht weiß, ob’s genug sei. Mich dünkt, es sei eine Epistel von vielen
Stücken zusammengesetzt, und nicht einerlei ordentlich handele.
3. Wie dem
[auch sei], so ist’s je eine ausbündige, feine Epistel, die vom Priestertum
Christi meisterlich und gründlich aus der Schrift redet, dazu das Alte
Testament fein und reichlich auslegt, dass es offenbar ist, sie sei eines
trefflichen, gelehrten Mannes, der ein Jünger der Apostel gewesen, viel von
ihnen gelernt und sehr im Glauben erfahren und geübt ist. Und ob er wohl nicht
den Grund legt des Glaubens, wie er selbst zeugt, Kap. 6,1, welches der Apostel
Amt ist, so baut er doch fein drauf Gold, Silber, Edelsteine, wie St. Paulus 1.
Kor. 3,12 sagt. Deshalb uns nicht hindern soll, ob vielleicht etwa Holz, Stroh
oder Heu mit untergemengt werde, sondern solche feine Lehre mit allen Ehren
aufnehmen, nur dass man sie den apostolischen Episteln nicht in allen Dingen
gleichen mag.
4. Wer sie
aber geschrieben habe, ist unbewusst, will ach wohl unbewusst bleiben noch eine
Weile, da liegt auch nichts dran. Uns soll genügen an der Lehre, die er so
beständig aus und in der Schrift gründet und gleich einen rechten, feinen Griff
und Maß zeigt, die Schrift zu lesen und handeln.
Der Verfasser des Hebräerbriefs nennt
seinen Namen nicht, und auch der Brief selbst gibt keinen eindeutigen Hinweis
auf seine Person. Es gibt nur einen einzigen direkten Hinweis auf die Person
des Autors, Kap. 10,34: „Denn ihr hattet Erbarmen mit mir in meinen Banden“,
aber das wird kaum mehr als eine allgemeine Vermutung sein. Unter den Männern,
die als wahrscheinliche Verfasser dieses Briefes genannt worden sind, ist der
Apostel Paulus, und diese Ansicht wird von einer großen Anzahl von
Kommentatoren, sowohl in der Antike als auch in der Neuzeit, vertreten, vor
allem aufgrund des Schlusses des Briefes, der mit anderen Schriften des Paulus
übereinzustimmen scheint, Kap. 13,18-25, sowie auf Grund des Stils und der
Sprache; dann auch Apollos, Barnabas, Lukas, Silvanus, Timotheus und andere.
Aus der Wahl der Sprache und der Form der Darstellung geht hervor, dass der
Verfasser ein Schüler und enger Gefährte des heiligen Paulus war, der gelernt
hatte, die Lehre, die er in so ausgezeichnetem Griechisch lehrte, im Stil des
großen Apostels selbst auszudrücken, wahrscheinlich auf Anregung und unter
Anleitung des Paulus. Der Inhalt des Briefes ist jedenfalls stark paulinisch
geprägt, und die Lehre von der Rechtfertigung allein durch die Verdienste Jesu
Christi wird durchweg betont.
Der Brief war an die Hebräer gerichtet, an
die Christen jüdischer Abstammung, von denen sich viele vielleicht schon als
Erwachsene zum wahren Messias bekehrt hatten und daher noch gut mit der
jüdischen Form des Gottesdienstes vertraut waren. Zweifellos war der Brief
ursprünglich für die Judenchristen Palästinas, insbesondere Jerusalems,
bestimmt, denn der Tempeldienst wird als vor den Augen der Leser stattfindend
beschrieben. „Außerdem waren in Palästina die Versuchungen zum Rückfall ins
Judentum, vor denen der Verfasser seine Leser so sehr schützen will, am
größten. Die sakrale Pracht des alten Heiligtums warf die einfachen Formen des
christlichen Gottesdienstes in den Schatten, und die Flammen des patriotischen
Eifers brannten im Heiligen Land heftiger als unter den Juden der Diaspora.“
„Die Absicht des Schreibers des Briefes ist
es offenbar, die Judenchristen zu ermutigen und zu ermahnen, im Bekenntnis
ihres Glaubens zu verharren. Sie waren in großer Gefahr, vom Christentum
abzufallen und ins Judentum zurückzufallen, Kap. 6,4-6. Eine der
Gefahrenquellen war die Pracht des alten jüdischen Kultes. Eine andere Gefahr
lag darin, dass sie von ihren Landsleuten verfolgt wurden und wegen ihres
Glaubens an Christus den Raub ihrer Güter erlitten hatten. Vielleicht waren
einige bereits zum Judentum zurückgekehrt, während andere bereit waren,
zurückzukehren, Kap. 10,25. Um weiteren Abfall zu verhindern, wurde dieser
Brief geschrieben. Er soll die hebräischen Christen davon abhalten, ihren neuen
Glauben aufzugeben. Um diesen Zweck zu erreichen, wird darauf hingewiesen, dass
das Christentum dem Judentum mit all seinem Pomp und seinen Zeremonien in jeder
Hinsicht überlegen ist.“
Der Brief wurde sicherlich vor dem Jahr 70
n. Chr. geschrieben, denn es gibt keinen Hinweis auf die Zerstörung des Tempels
oder auch nur auf eine Gefahr, die Jerusalem bedroht, obwohl eine solche
Tatsache hervorragend zu dem Argument des Verfassers hinsichtlich des
vorübergehenden Charakters des jüdischen Kultes gepasst hätte. Im Gegenteil,
der Verfasser verweist wiederholt darauf, dass der Tempel noch existiert und
der Tempelkult ohne das geringste Hindernis fortgesetzt wird. Es scheint am
sichersten, dass der Brief in der Mitte der sechziger Jahre des ersten
Jahrhunderts entweder von Rom oder von Alexandria aus geschrieben wurde.
Da der Verfasser die Überlegenheit der
christlichen Religion gegenüber dem jüdischen Kult darlegen will, gliedert er
seinen Brief in zwei Teile, von denen der erste Christus als Vermittler der
Offenbarung, der zweite als Vermittler der Erlösung darstellt, immer im
Vergleich mit dem alttestamentlichen Vorbild. Ohne besondere Einleitung führt
der Verfasser den Beweis dafür an, dass die Offenbarung durch den Sohn in der
Fülle der Zeit kam, nachdem die alttestamentliche Prophetie aufgehört hatte.
Die göttliche Majestät des Gottessohnes, die die aller geschaffenen Wesen,
selbst die der Engel, bei weitem übertrifft, verpflichtet jeden Gläubigen,
seinem Wort gehorsam zu sein. Die Tatsache der Erniedrigung Christi, ja sogar
sein Tod am Kreuz, berauben ihn keineswegs der ihm gebührenden Herrlichkeit;
denn all das geschah zur Vollendung des Erlösungswerkes. Übrigens ist Christus
weit über Mose erhaben; denn dieser war nur ein Knecht im Hause Gottes,
Christus aber ist der Herr der christlichen Kirche und wird als der wahre Josua
sein Volk zur verheißenen Ruhe Gottes führen. Christus ist auch mehr und besser
als die Hohepriester des Alten Testaments, denn er hatte keine eigene Sünde zu
sühnen, sondern wurde ein Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks durch das
Opfer eines vollkommenen Gehorsams. Nach einer eindringlichen Ermahnung, diese
Lehre anzunehmen und sich vor dem Abfall zu hüten, wird das Hohepriesteramt
Christi ausführlich beschrieben. Er ist der vollkommene Hohepriester, in dem
alle priesterlichen Vorbilder des Alten Testaments ihre Erfüllung gefunden
haben. Er ist der Vermittler eines besseren Bundes als der der Juden, der nicht
das Blut von Tieren opfern musste, sondern durch das Opfer seines eigenen
Blutes eine vollkommene Erlösung für alle erwarb. Auf der Grundlage dieser
lehrmäßigen Darlegung ermahnt der Autor seine Leser, ihrem Hohenpriester Jesus
treu zu sein und nicht von der anerkannten Wahrheit abzuweichen, was das
zornige Gericht und die Verurteilung Gottes nach sich ziehen würde. Als große
Hilfe für die Standhaftigkeit im Glauben mag das Beispiel der
alttestamentlichen Helden dienen, vor allem aber das Gedenken an Christus, der
durch bitteres Leiden und Sterben auf den Thron Gottes erhoben wurde, und an
Gott, in dessen Hand jede Form von Leiden nur eine nützliche Pein ist. Diese
Überlegungen sollten den Lesern neuen Mut machen, sie veranlassen, alles
Unreine abzulegen und sich als das wahre Volk des Bundes Gottes zu erweisen.
Abschließend gibt es individuelle Ermahnungen, in den verschiedenen christlichen
Tugenden zu wachsen, Berichte über persönliche Angelegenheiten, Grußworte und
den apostolischen Segen.
Christus ist mehr als die Engel (1,1-14)
1 Nachdem vorzeiten Gott manchmal und mancherlei Weise geredet hat zu
den Vätern durch die Propheten, 2 hat er am letzten in diesen Tagen zu uns
geredet durch den Sohn, welchen er gesetzt hat zum Erben über alles, durch
welchen er auch die Welt gemacht hat; 3
welcher, da er ist der Glanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens
und trägt alle Dinge mit seinem kräftigen Wort, nachdem er hat gemacht die
Reinigung unserer Sünden durch sich selbst, hat er sich gesetzt zu der Rechten
der Majestät in der Höhe;
4 und so viel besser er geworden ist als die Engel, einen umso höheren
Namen er vor ihnen ererbet hat. 5 Denn zu welchem Engel hat er jemals gesagt:
Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt? Und abermals: Ich werde sein
Vater sein, und er wird mein Sohn sein? 6 Und abermals, da er einführt den
Erstgeborenen in die Welt, spricht er: Und es sollen ihn alle Gottesengel
anbeten. 7 Von den Engeln spricht er zwar: Er macht seine Engel Geister und
seine Diener Feuerflammen; 8 aber von dem Sohn: Gott, dein Stuhl währt von
Ewigkeit zu Ewigkeit; das Zepter deines Reichs ist ein richtiges Zepter. 9 Du
hast geliebt die Gerechtigkeit und gehasst die Ungerechtigkeit; darum hat dich,
o Gott, gesalbt dein Gott mit dem Öl der Freuden über deine Genossen; 10 und:
Du, HERR, hast von Anfang die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände
Werk. 11 Diese werden vergehen, du aber wirst bleiben; und sie werden alle
veralten wie ein Kleid, 12 und wie ein Gewand wirst du sie wandeln, und sie
werden sich verwandeln. Du aber bist derselbe, und deine Jahre werden nicht
aufhören. 13 Zu welchem Engel aber hat er jemals gesagt: Setze dich zu meiner
Rechten, bis ich lege deine Feinde zum Schemel deiner Füße? 14 Sind sie nicht
allzumal dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die ererben
sollen die Seligkeit?
Die vollkommene Offenbarung Gottes in
Christus (V. 1-3): Diese einleitenden Worte legen den Grundgedanken des
ganzen Briefes dar, den obersten Artikel des Glaubens und der Gottheit Christi,
wie Luther schreibt, nicht nur auf der Grundlage einer Tatsache, sondern aus
einer großen Anzahl von Tatsachen, die sowohl die Person als auch das Werk Jesu
betreffen. In stattlicher Größe wird der Brief eröffnet: An vielen Stellen und
auf vielerlei Weise hat Gott vor langer Zeit zu unseren Vätern geredet durch
die Propheten, am Ende dieser Tage hat er auch zu uns geredet in seinem Sohn.
Auf vielerlei Weise hat Gott von alters her gesprochen: Er gab die Offenbarung
des kommenden Heils nicht auf einmal und in seiner Gesamtheit, sondern Stück
für Stück, indem er mal die eine, mal die andere Tatsache des kommenden Messias
zeigte, indem er zuerst offenbarte, dass er von einer Frau geboren werden
würde, dann, dass er aus dem Samen Abrahams stammen würde, dann, dass Juda sein Stammvater sein würde, dann, dass er ein Sohn
Davids sein würde; zu anderen Zeiten stellte er sein Amt in seiner tiefsten
Erniedrigung dar, dann wieder im höchsten Triumph seiner Erhöhung. Gott sprach
in alter Zeit auf vielerlei Weise: manchmal durch die Einsetzung eines Ritus
oder Opfers, manchmal durch ein Gleichnis, manchmal in einem Psalm, manchmal in
einem Traum oder einer Vision. So sprach Gott zu den Juden in alten Zeiten, in
den Zeiten vor langer Zeit. Aber das war nicht seine letzte Rede und
Offenbarung. Die vollkommene Offenbarung, die klare Darlegung seines guten und
gnädigen Willens gegenüber der Menschheit, soweit es den Menschen möglich ist,
ihn durch den Geist Gottes zu erkennen und zu verstehen, kam endlich, am Ende
der Tage oder des Zeitalters der Prophetie, in der Fülle der Zeit. Die
Offenbarung in und durch Jesus Christus stellt die letzte Zeit und die letzte
Art und Weise dar, in der Gott zu uns vor dem Tag des Gerichts sprechen will.
Er hat zu uns gesprochen, die wir dieser Zeit, dem christlichen Zeitalter,
angehören, wobei der Gegenstand der großen letzten Offenbarung sein
eingeborener Sohn Jesus Christus ist, der selbst uns den Vater und den
Ratschluss der Liebe des Vaters kundgetan hat.
Von diesem Sohn, Jesus Christus, gibt der
inspirierte Schreiber eine wunderbare Beschreibung: Ihn hat er zum Erben aller
Dinge eingesetzt, durch den er auch die Welten gemacht hat. Hier ist zu
beachten, dass, wie Luther bemerkt, alles, was von der Erniedrigung und
Erhöhung Christi gesagt wird, dem Menschen zugeschrieben werden muss, denn die
göttliche Natur kann weder erniedrigt noch erhöht werden. Der Mensch Jesus
Christus, der Sohn Gottes nach seiner menschlichen Natur, ist von Gott zum
Erben aller Dinge eingesetzt worden. Es war Gottes Wille, dass Christus auch
nach seinem Menschsein Herr über alles sein sollte, und dass alles Geschaffene,
das ganze Universum, ihm unterworfen und zu seinen Füßen gelegt werden sollte,
Ps. 2,8; 8,6; 1. Kor. 15,27; Phil. 2,9-11. Denn als Sohn Gottes ist er auch
nach seiner Menschwerdung der rechtmäßige Erbe des ewigen Gottes. Das ist ein
Beweis für die Gottheit Christi. Dieser wird aber ergänzt durch die Aussage,
dass Gott durch ihn die Welten gemacht hat, alle Teile des Universums, wie wir
es kennen, durch seine allmächtige Kraft geschaffen hat, Joh. 1,3; Kol. 1,16.
Jesus Christus, die zweite Person der Gottheit, der Person nach vom Vater
unterschieden, ist dennoch wesensmäßig mit ihm eins, er selbst ist der Schöpfer
der Welt.
Aber das Thema Wunder ist noch nicht
erschöpfend behandelt: Er ist der Glanz seiner Herrlichkeit und das Abbild
seines Wesens, er trägt alles durch das Wort seiner Kraft, er hat die Reinigung
von unseren Sünden vollbracht und hat sich zur Rechten der Majestät in der Höhe
gesetzt. Christus ist der Glanz, die Ausstrahlung der Herrlichkeit Gottes, wie
wenn Lichtstrahlen aus einem leuchtenden Körper austreten und selbst einen
ähnlichen Lichtkörper bilden, ohne jedoch die Helligkeit und Kraft des
ursprünglichen Lichts zu vermindern. Es ist die Herrlichkeit Gottes, die
strahlende Schönheit seiner Majestät, das wunderbare Wesen Gottes selbst, das
der Sohn offenbart. Wer aber mit dem Wesen Gottes so vertraut ist, der muss
selbst in die innersten Geheimnisse des göttlichen Wesens eingedrungen und
wahrer Gott selbst sein. Er ist auch ein genaues Abbild, das ausdrückliche
Ebenbild des göttlichen Wesens und der göttlichen Natur, und jede Eigenschaft
und jedes Attribut weist ihn als wahren Gott mit dem Vater aus. Es gibt im
Vater nichts, was sich nicht im Sohn wiederfindet; die beiden Personen sind
wesensgleich. Deshalb wird von Jesus auch gesagt, dass er alles durch das Wort
seiner Kraft trägt und hält. Nicht nur die Schöpfung, sondern auch die
Erhaltung und Leitung der Welt, die Vorsehung, wird ihm zugeschrieben, Kol.
1,17. Diese Funktion wurde von Ihm sogar während Seines Lebens auf der Erde
ausgeübt; Er hörte nie auf, die Rechte und Vorrechte eines Königs im Reich der
Kraft auszuüben. Wichtiger aber ist in den Augen der Gläubigen die Tatsache,
dass er auch die Reinigung von unseren Sünden vollbracht hat, indem er sich
selbst als angemessenes Sühneopfer für die Sünden der ganzen Welt dargebracht
hat, Kol. 1,14; 2,14; 2. Kor. 5,19, und dass sein Versöhnungswerk vom Vater
angenommen worden ist, wodurch der Sohn auch nach seiner menschlichen Natur in
den vollen und gleichen Besitz des göttlichen Wesens und in die Ausübung seiner
Funktionen aufgenommen worden ist, da er sich zur Rechten der Majestät Gottes,
des Vaters, gesetzt und die Gott innewohnende souveräne Majestät für sich
angenommen hat, Ps. 110,1; Eph. 1,20-22. Christus übt nun die Fülle der
göttlichen Macht und Ehre, die universale Herrschaft über alles Geschaffene
aus, auch gemäß seiner menschlichen Natur. Wir haben hier also einen weiteren
Beweis für die Gottheit Jesu Christi.
Ein Vergleich zwischen Christus und den Engeln (V. 4-14): Nachdem der heilige Schriftsteller zu Beginn die Überlegenheit Christi über alle geschaffenen Wesen im gesamten Universum dargelegt hat, nimmt er die Gelegenheit wahr, zunächst die unermessliche Vortrefflichkeit unseres Herrn im Vergleich zu den besten aller Geschöpfe, den guten Engeln, aufzuzeigen: Er ist den Engeln so weit überlegen, dass er (durch Vererbung) einen vorzüglicheren Namen erhalten hat als sie. Die göttliche Vortrefflichkeit der erhabenen Stellung Christi entspricht der Überlegenheit der Namen, die ihm in der Heiligen Schrift gegeben werden, wobei letztere sofort darauf hinweisen, dass an einen wirklichen Vergleich zwischen dem göttlichen Christus und den geschaffenen Engeln nicht zu denken ist, da Jesus zu einer Klasse für sich selbst gehört.
Die Aussage über die göttlichen Namen, die Christus gegeben wurden, untermauert der Autor nun durch einen Verweis auf die Heilige Schrift: Denn zu welchem der Engel hat Gott jemals gesagt: „Du bist mein Sohn; heute habe ich dich gezeugt? Und weiter: Ich werde ihm ein Vater sein, und er wird mir ein Sohn sein? Die Worte von Ps. 2,7 sind Teil einer messianischen Prophezeiung und richten sich daher nicht an einen Engel, sondern an den ewigen Sohn Gottes, dessen Inkarnation sein göttliches Wesen in keiner Weise verändert hat. Der Messias selbst, der von den Tagen der kommenden Dispensation prophezeit, behauptet, dass der Vater diese Worte auf ihn angewendet hat. Die Worte der zweiten zitierten Stelle sind nicht, wie Luther zeigt, auf 1. Chron. 22,10 zu beziehen, sondern auf 2. Sam. 7,14 zu beziehen, wo Gott selbst zu David spricht und ihm die Verheißung gibt, dass sein großer Nachkomme, dessen Reich für immer errichtet werden würde, der Messias selbst sein würde. Der Sohn Gottes aber, der von Ewigkeit her aus dem Wesen des Vaters gezeugt wurde, ist selbst wahrer und ewiger Gott. Vgl. Matt. 4,17; 17,5; Joh. 5,17-39.
Aber nicht nur die göttlichen Namen, die Christus in der Schrift zugeschrieben werden, begründen die Tatsache seiner Gottheit und damit seine unermessliche Überlegenheit gegenüber den Engeln, sondern auch die Tatsache, dass letztere direkt aufgefordert werden, ihm Ehre und Huldigung zu erweisen, wie sie Gott selbst gebührt: Und wiederum, wenn er den Erstgeborenen in die Welt einführt, sagt er: Und alle Engel Gottes sollen ihn anbeten. Der griechische Text kann auch so wiedergegeben werden: Wenn er aber den Erstgeborenen wieder in die Welt bringt. Der Titel „Sohn“ ist für Jesus, den Messias, reserviert, wie der Verfasser gezeigt hat, und diesen Sohn, den Erstgeborenen des Vaters, sollen die Engel Gottes anbeten. Der Zeitpunkt, auf den er sich bezieht, wenn Christus der bewohnbaren Welt vorgestellt wurde oder den Bewohnern der Welt zum zweiten Mal vorgestellt werden wird, ist entweder der der Auferstehung Christi oder, was wahrscheinlicher ist, der des zweiten Kommens Christi, seines Kommens zum Gericht. In Bezug auf dieses Ereignis zitiert der heilige Schriftsteller eine alttestamentliche Prophezeiung, nicht die von 5. Mose 32,43, sondern die von Ps 97,7, wo die Majestät des erhöhten Christus dargestellt wird. Alle Engel Gottes, die in diesem Fall im hebräischen Text als Götter bezeichnet werden, da sie Geschöpfe mit großer Macht und Autorität sind, sollten sich dennoch in Anbetung vor ihm verneigen; sicherlich ein überwältigender Beweis für seine Gottheit.
Dieselbe Tatsache wird vom inspirierten Autor durch einen zweiten Vergleich hervorgehoben: Von den Engeln sagt er zwar: Er macht seine Engel zu Geistern und seine Diener zu Feuerflammen; aber vom Sohn sagt er: Dein Thron, o Gott, ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, und ein gerechtes Zepter ist das Zepter deines Reiches. Du hast die Gerechtigkeit geliebt und die Gesetzlosigkeit gehasst; darum hat Gott, dein Gott, dich mit dem Öl der Freude gesalbt, das deine Genossen übertrifft. Die Engel sind in der Tat Boten und Diener Gottes; er gebraucht sie, um ungewöhnliche Störungen in der Natur hervorzurufen; sie sind bei Stürmen und Blitzen zugegen, ob diese nun als gerechte Gerichte und Strafen Gottes oder nur als Zeichen seiner Allmacht gesandt werden, Joh. 5,4; 2. Sam. 24,16.17; Ps. 78,48. Die charakteristischen Funktionen der Engel bestehen nach der zitierten Stelle, Ps. 104,4, darin, dem Herrn zu dienen, und ihre Gestalt und ihr Erscheinen zu einer solchen Zeit hängen vom Willen ihres Meisters ab. In den meisten Fällen verrichten die Engel ihr Werk zweifellos in ihrer eigentlichen, unsichtbaren Natur; aber der Herr hat oft einen Grund, sie sichtbar zu machen, als Menschen, als Blitze und in anderen Formen, von denen die Schrift spricht. Mächtig und mächtig waren die Engel, wie viele Beispiele zeigen, und doch waren sie nur Diener Gottes, deren Rechte und Befugnisse streng begrenzt waren, da sie völlig von ihrem Herrn im Himmel abhängig waren.
Im Gegensatz zu diesen Eigenschaften treten diejenigen, die dem Sohn zugeschrieben werden, umso deutlicher hervor Alter, auf das der heilige Schreiber Bezug nimmt, Ps. 45,6.7. Dort wird der Messias, Jesus Christus, mit Worten angesprochen, die seine Majestät und Macht als wahrer Gott mit dem Vater vollständig beschreiben. Als wahrer Gott ist sein Thron ein Thron, der für alle Zeiten, für alle Ewigkeit, errichtet ist. Der Autor schreibt Jesus Christus die göttliche Eigenschaft der Ewigkeit zu. Da er einen Thron hat und mit einer Herrschaft betraut ist, schwingt der Messias ein Zepter der Rechtschaffenheit; alle seine Urteile sind richtig und gerecht. Es ist daher bezeichnend für ihn, dass er die Gerechtigkeit geliebt und die Gesetzlosigkeit gehasst hat, beides Eigenschaften, die ihn zum Herrscher des Universums machen. Ob es sich bei der beschriebenen Szene nun um ein Hochzeitsfest oder um die Krönung eines Königs handelt, es ist jedenfalls klar, dass der Messias, Jesus Christus, mit dem Öl der Freude gesalbt worden sein soll, mehr als seine Gefährten oder Kameraden. Die Propheten, Priester und Könige des Alten Testaments wurden zwar auch gesalbt, aber nur mit vergänglichem Öl und für eine kurze Zeit des Dienstes. Der Messias aber wurde vom allmächtigen Gott selbst mit dem Öl der Freude und des Jubels gesalbt, mit den Gaben und Kräften des Heiligen Geistes, die immer dazu bestimmt sind, wahre und dauerhafte Freude in die Herzen aller Gläubigen zu bringen, hier in der Zeit und hier in der Ewigkeit. Jesus ist der wahre Prophet, Hohepriester und König, auf den alle Typen und Beispiele des Alten Testaments hinweisen.
Und noch eine andere Stelle wird zitiert, um die Gottheit Christi zu belegen: Du, Herr, hast von Anfang an die Erde gegründet, und die Werke Deiner Hände sind die Himmel; sie werden vergehen, Du aber bleibst bestehen, und alle werden wie ein Kleid alt werden, und wie einen Mantel wirst Du sie zusammenrollen, und sie werden verwandelt werden. Du aber bist derselbe, und Deine Jahre haben kein Ende. Schon in alttestamentlicher Zeit galt der Psalm, dem dieser Abschnitt entnommen ist, Ps. 102,12.25-27, als eine Prophezeiung auf den Messias, und hier untermauert der heilige Schreiber diese Auffassung, indem er die Worte auf Christus anwendet. Christus ist es, der mit dem Vater die Welt geschaffen und die Erde gegründet hat; er hat auch die Himmel gemacht und sie an ihren Platz gesetzt. Und er, der allmächtige und ewige Schöpfer, wird bleiben, auch wenn die Himmel und alle Kreaturen alt werden und vergehen, wenn die Himmel im Feuer aufgelöst werden und die Elemente in glühender Hitze schmelzen, 2. Petr. 3,12.13. Sie werden zusammengerollt und ausgetauscht werden wie ein Kleid, ein Schleier oder ein Mantel, und der alte Himmel und die alte Erde werden nicht mehr bekannt sein. Nur Er, der wahre Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, bleibt unverändert, und Seine Jahre werden niemals zu Ende gehen. Jesus Christus ist nicht, wie die Engel, ein bloßer Diener Gottes; auch sind sein Reich, sein Amt, seine Macht und seine Herrlichkeit nicht begrenzt, vergänglich, vorübergehend, wie die Werke der Engel: ewig, allmächtig, unveränderlich steht er da, erhaben über alles Belanglose dieser Welt, wahrer Gott für immer.
Und noch einen anderen Vers der Heiligen Schrift zitiert der inspirierte Autor: Zu welchem der Engel aber hat Er jemals gesagt. Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel für deine Füße mache? Diese Worte richtete Gott in der Prophezeiung an den Messias, Ps. 110,1, Jesus selbst benutzte das Argument gegen die Pharisäer, Matth. 22,41-46, vgl. Apg. 2,34-36; 1. Kor. 15,25 Das Sitzen zur Rechten Gottes wird ausdrücklich in Eph. 1,20-23 beschrieben und dort auch eindeutig Jesus Christus in seinem Zustand der Erhöhung zugeschrieben. Die endgültige, vollständige Herrschaft Christi wurde von alters her geweissagt und erfüllt sich jetzt in seiner Person, nicht in der eines Engels. Die Stellung der letzteren im Vergleich zu derjenigen Jesu wird kurz und klar beschrieben: Sind sie nicht alle dienende Geister, ausgesandt um derer willen, die das Heil erlangen sollen? Die Engel sind Diener; sie leisten Gott und den Menschen Dienste; sie werden von Gott besonders für die eingesetzt, die das Heil erben sollen, die Gläubigen an Christus. Das ist die Bestimmung derer, die ihr Vertrauen auf Jesus als ihren Retter setzen, das Erbe der Segnungen des Himmels. Und das ist eine ihrer Besonderheiten, dass sie die Engel, die Geister des Lichts, als ihre Diener unter der Leitung Gottes haben. Das ist ein Gedanke, den wir oft übersehen, der uns aber zu jeder Zeit ein großer Trost sein sollte. Zugleich aber ist diese Stellung und dieser Dienstzustand, den die Engel einnehmen, ein eindeutiger und unanfechtbarer Beweis für die Überlegenheit des Messias, Jesus Christus, wahrer Gott mit dem Vater und dem Heiligen Geist.[1]
Zusammenfassung: Der Autor zeigt, dass die vollkommene Offenbarung der Zeitalter in der Person Jesu Christi, wahrer Gott und Mensch, stattgefunden hat, der den Engeln, so mächtige Geister sie auch sein mögen, weit überlegen ist, und untermauert seine Argumente mit vielen Stellen aus dem Alten Testament.
Ein freudiger Gehorsam gegenüber Christus ist nötig (2,1-13)
1 Darum sollen wir desto mehr achtgeben auf das Gehörte, damit wir nicht
[vom Ziel] abgelenkt werden. 2 Denn so das Wort fest geworden ist, das durch
die Engel geredet ist, und eine jegliche Übertretung und Ungehorsam hat
empfangen seinen rechten Lohn: 3 Wie wollen wir entfliehen, wenn wir eine
solche Seligkeit nicht achten? Welche, nachdem sie zuerst gepredigt ist durch
den HERRN, ist sie auf uns gekommen durch die, so es gehört haben. 4 Und Gott
hat ihr Zeugnis gegeben mit Zeichen, Wundern und mancherlei Kräften und mit
Austeilung des Heiligen Geistes nach seinem Willen.
5 Denn er hat nicht den Engeln untertan die zukünftige Welt, davon wir
reden. 6 Es bezeugt aber einer an einem Ort und spricht: Was ist der Mensch, dass
du sein gedenkst, und des Menschen Sohn, dass du ihn heimsuchst? 7 Du hast ihn
eine kleine Zeit niedriger als die Engel gemacht; mit Preis und Ehren hast du
ihn gekrönt und hast ihn gesetzt über die Werke deiner Hände; 8 alles hast du
untertan zu seinen Füßen. In dem, dass er ihm alles hat untertan, hat er nichts
gelassen, das ihm nicht untertan sei; jetzt aber sehen wir noch nicht, dass ihm
alles untertan sei. 9 Den aber, der eine kleine Zeit der Engel gemangelt hat,
sehen wir, dass es Jesus ist, durch Leiden des Todes gekrönt mit Preis und
Ehren, damit er von Gottes Gnaden für alle den Tod schmeckte.
10 Denn es ziemte dem, um deswillen alle Dinge sind, und durch den alle
Dinge sind, der da viele Kinder hat zur Herrlichkeit geführt, dass er den
Herzog ihrer Seligkeit durch Leiden vollkommen machte. 11 Da sie alle von einem
kommen, beide, der da heiligt, und die da geheiligt werden. Darum schämt er
sich auch nicht, sie Brüder zu heißen, 12 und spricht: Ich will verkündigen
deinen Namen meinen Brüdern und mitten in der Gemeinde dir Lob singen. 13 Und
abermals: Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen. Und abermals: Siehe da, ich
und die Kinder, welche mir Gott gegeben hat.
Die Herrlichkeit der Evangeliumsbotschaft
(V. 1-4): Der Verfasser hat im ersten Kapitel die Überlegenheit des Sohnes
gegenüber den Engeln bewiesen, indem er ihn als den ewigen und allmächtigen
Schöpfer des Universums darstellte, gleich an Majestät und Herrlichkeit mit
Gott, dem Vater, selbst. Aus diesen Tatsachen leitet er nun eine Warnung vor
der Vernachlässigung des Heils ab, wie es vom Herrn selbst verkündet und von
Gott in verschiedenen Wundern und Gaben des Heiligen Geistes bezeugt wird:
Deshalb ist es notwendig, dass wir die Worte, die wir gehört haben, genauer
beachten, damit wir nicht vielleicht abschweifen. Anstatt das Evangelium beim
Namen zu nennen, umschreibt er den Begriff und erinnert seine Leser an das, was
sie gehört haben, an das große Heil, das der Herr selbst verkündet und die
Apostel und Evangelisten in die Welt getragen haben. Es ist nicht die Absicht
des Schreibers, neue Wahrheiten vorzubringen, sondern alle Menschen dazu zu
bringen, das zu bewahren, was von den Dienern Gottes von Anfang an verkündet
worden ist. Denn alle Gläubigen sind verpflichtet, diesen Worten die größte
Aufmerksamkeit zu schenken und sie mit allem Eifer zu beherzigen. Denn wenn wir
uns die Worte entgleiten lassen, wenn wir uns von ihnen entfernen, werden wir
im Leben ohne Halt sein, wie die Wolken und Wellen, die von jedem Wind hin und
her getrieben werden. Es ist absolut notwendig, dass wir durch die Kraft Gottes
einen festen Halt am Evangelium und an der Rettung, die im Evangelium angeboten
wird, festhalten, Phil. 2,12.
Diese Warnung bekräftigt der heilige
Schreiber durch einen Vergleich zwischen dem Wort des Lam und der Verkündigung
des Evangeliums: Denn wenn das Wort, das durch die Engel gesprochen wurde, sich
als sicher erwiesen hat und jede Übertretung und jeder Ungehorsam eine gerechte
Strafe erhalten hat, wie sollen wir dann entkommen, wenn wir eine so große
Rettung vernachlässigen? Das Gesetz wurde den Kindern Israels durch die
Anordnung von Engeln gegeben, Apg. 7,53, wobei der Herr diese Diener einsetzte,
um den Menschen seinen Willen inmitten des Donners, des Blitzes und des Bebens
auf dem Berg Sinai kundzutun. Dieses Wort des Gesetzes hatte außerdem Bestand,
es erwies sich als gewiss und sicher, es war Gottes Wille, dass es von seinem
Volk gehalten werden sollte. Als Zeichen dafür hat Gott jede Übertretung seines
heiligen Gesetzes, jedes absichtliche Abweichen und Vernachlässigen, jeden
Ungehorsam mit der gebührenden Strafe belegt, mit dem Lohn, den die
Gerechtigkeit fordert. Sowohl die Weigerung, ein positives Gebot zu befolgen,
als auch die Vernachlässigung des Gehorsams wurden vom Herrn mit der gleichen
strengen Rache geahndet. Wenn dies aber bei jener Lehre der Fall war, deren
Hauptfunktion eine vorbereitende war, deren Charakter vergänglich war, welche
Chancen haben wir dann, dem Zorn Gottes und dem Endgericht zu entgehen, zu
denen Gott durch den Sohn gesprochen hat, die wir die volle Offenbarung der
Gnade und Barmherzigkeit Gottes in Christus Jesus im Wort des Evangeliums
haben? Wenn wir das große und wunderbare Heil, das uns verkündet wurde, die
wunderbare Botschaft von unserer Erlösung in Christus, vernachlässigen würden,
wenn wir das, was wir als den einzigen Weg zum Himmel kennen, absichtlich beiseite lassen und verachten würden, gäbe es für uns keine
Entschuldigung, wenn der Herr uns am letzten Tag zur Rechenschaft zieht.
Diese Heilsbotschaft wird weiter
beschrieben: Sie wurde ursprünglich vom Herrn gesprochen und uns von denen, die
ihn hörten, bestätigt, wobei Gott zugleich ihr Zeuge war, durch Zeichen und
Wunder und verschiedene Kräfte und Ausgießungen des Heiligen Geistes nach
seinem Willen. Der inspirierte Autor wendet sich an Menschen, die den Herrn
Jesus nicht persönlich gesehen haben, sondern die herrliche Nachricht des
Evangeliums aus dem Mund derer erhalten haben, die das Glück hatten, ihn zu
hören, als er den Weg zur ewigen Seligkeit und Herrlichkeit lehrte. Diese
Männer, die Apostel und Evangelisten, hatten die Wahrheit der Botschaft, die
sie verkündeten, bestätigt; sie hatten die unzweifelhafteste Gewissheit über
die Wahrhaftigkeit und Bedeutung des Evangeliums gegeben. Darüber hinaus hatten
sie ein solches Zeugnis zur Bestätigung ihrer Verkündigung erhalten, dass die
Zustimmung aller Menschen geradezu gefordert wurde; denn Gott selbst hatte für
sie Zeugnis abgelegt, hatte ihre Behauptungen durch Zeichen und Wunder und
verschiedene Kräfte untermauert, Mark. 16,20. Die Wunder, die die Apostel
vollbrachten, waren ein Beweis für die Gegenwart Gottes, sie machten auf die
Macht Gottes aufmerksam, die durch diese Männer wirkte. Und der Herr bestätigte
die Predigt seiner Diener nicht nur durch solche Wunder, die offensichtlich den
Lauf und die Gesetze der Natur außer Kraft setzten, sondern auch durch solche
besonderen Austeilungen und Gaben des Heiligen Geistes, Röm. 12,3; 1. Kor.
7,17, die einen unbestreitbaren Beweis für die Gegenwart Gottes in ihnen gaben.
Alle diese Fälle der wunderbaren Bestätigung der Botschaft des Evangeliums
geschahen nach Gottes eigenem Willen, da er es für nötig hielt, die Wahrheit
des Evangeliums zu bezeugen, Eph. 4,17; 1. Kor. 12,11. So sprach der heilige
Schreiber zu den Judenchristen, die in Gefahr waren, das gesegnete Evangelium
Christi um des Gesetzes willen zu vernachlässigen, dessen untergeordnete
Stellung in jeder Hinsicht offensichtlich war. Vgl. 2. Kor. 3,7-16.
Ein weiteres Argument für die Überlegenheit
von Christi Wort (V. 5-9): Neben dem ersten Beweis für die Überlegenheit
Christi und seines Evangeliums bringt der inspirierte Verfasser nun einen
weiteren Grund: Denn nicht den Engeln hat er die künftige Welt unterworfen, von
der wir sprechen. Dies ist der positive Beweis für die Souveränität des Sohnes,
die Tatsache, dass die Regierung und Verwaltung der zukünftigen Welt, des
Reiches der Herrlichkeit, ihm zugeschrieben wird. Denn Gott hat dieses
wunderbare Reich nicht in die Gewalt der Engel gegeben; dafür gibt es keine einzige
Stelle in der Heiligen Schrift und keinen anderen Beweis.
Was wir in Bezug auf das Reich der Gnade
und der Herrlichkeit und seine Regierung glauben müssen, geht eindeutig aus der
Stelle hervor, die der heilige Schreiber zitiert, Ps. 8,4-6, als das Zeugnis
eines einzigen, nämlich des Propheten David, über die hier von ihm erörterten
Tatsachen: Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, oder der Menschensohn,
dass du ihn besuchst? Für eine kleine Weile hast du ihn niedriger gemacht als
die Engel; mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn gekrönt und ihn über die Werke
deiner Hände gesetzt; alles hast du ihm unter seine Füße gelegt. Der Autor
stellt hier klar, dass Ps. 8 ein messianischer Psalm ist und dass diese Worte
von Jesus Christus gesprochen werden. Vgl. 1. Kor. 15,27; Eph. 1,22. Gott hat
sich dieses Menschensohnes wahrhaftig in ganz außerordentlicher Weise
angenommen, und zwar zum Wohl der ganzen Menschheit: Er hat ihn in einer Weise
besucht, die zum Heil aller Menschen geführt hat. Es ist wahr, dass Christus in
seinem Zustand der Erniedrigung eine Zeit lang den Engeln unterlegen war, so
wie er auch unter den Menschen keine Gestalt und kein Aussehen hatte, Jes.
53,2. Aber als das Erlösungswerk vollendet war, krönte Gott den ehemals
verachteten Jesus mit göttlicher Ehre und Herrlichkeit; er erhob ihn gemäß seiner
menschlichen Natur in den vollen Besitz und Genuss aller göttlichen
Eigenschaften und Kräfte und gab ihm uneingeschränkte Autorität über alle Werke
der Schöpfung, über alle geschaffenen Wesen. Das gesamte Universum mit allem,
was es enthält, ist Ihm untertan.
Der Verfasser zieht nun eine
Schlussfolgerung aus dieser Schriftstelle: Indem er sich alles untertan machte,
ließ er nichts übrig, was ihm nicht untertan war. Daraus folgt natürlich, dass
auch die Engel Christus unterworfen sind, dass sie sich in keiner Weise mit ihm
an Macht und Autorität vergleichen können. Eph. 1,21.22; Kol. 2,10. Das ist in
der Tat wahr: Aber jetzt sehen wir noch nicht, dass ihm alles unterworfen ist,
1 Kor. 15, 24-27; die Offenbarung der Fülle der göttlichen Macht Christi, wie
er es den Juden im Hofe des Kaiphas sagte, ist eine Sache der Zukunft: sie wird
am letzten Tag vor den Augen aller Menschen erscheinen. In der Zwischenzeit hat
unser Glaube jedoch eine gewisse Grundlage: Jesus, der für eine kleine Weile
niedriger war als die Engel, die wir sehen, wurde um seines Todesleidens willen
mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, damit er durch die Gnade Gottes den Tod für
alle Menschen schmecken konnte. Jesus Christus, der Sohn Gottes, hat in seinem
Zustand der Erniedrigung die Leiden der Menschen auf sich genommen und
schließlich sein Leben im Tod hingegeben. Auf diese Weise wurde der Menschheit
die Gnade Gottes offenbart, denn Christus hat für jeden einzelnen Menschen und
zur Erlangung des vollständigen Heils für alle Menschen die Bitterkeit des
Todes geschmeckt, Röm. 5,8; Gal. 2,21. Dieser vollkommene Gehorsam des Erlösers
ist nun anerkannt und belohnt worden durch die Verleihung der göttlichen und
ewigen Herrlichkeit und Ehre, Phil. 2,6-11; Eph. 1,20-23; Matth.
28, 18. Ebenso sicher ist es, dass sich am Ende zeigen wird, dass Gott alles
unter seine Füße gestellt hat. Wenn wir die Reihenfolge der Satzteile
unverändert lassen wollen und an die Offenbarung der göttlichen Herrlichkeit
denken, die Christus auf dem Berg der Verklärung zuteil
wurde, ist die Erklärung fast ebenso einfach: „Er wurde ein wenig
niedriger gemacht als die Engel, um den Tod zu erleiden; aber er wurde mit
Herrlichkeit und Ehre gekrönt, damit eben dieser Tod alle Menschen zu der
Herrlichkeit der Überlegenheit bringe, die ihnen zusteht, wenn die Furcht vor
dem Tod beseitigt ist.“[2]
Die Demütigung des Sohnes rechtfertigte
(V. 10-13): Es war zu erwarten, dass die menschliche Vernunft an dieser Stelle
einen Einwand erheben würde, weil sie die Notwendigkeit einer solchen
Erniedrigung, des Leidens und Sterbens Christi nicht versteht. Aber die Antwort
ist eindeutig: Ihm, um dessentwillen alles ist und durch den alles entstanden
ist, dem, der viele Söhne zur Herrlichkeit geführt hat, kam es zu, den Fürsten
ihres Heils durch Leiden vollkommen zu machen. Der Weg mag dem natürlichen
Menschen fremd erscheinen, den Juden ein Stein des Anstoßes und den Griechen
ein Ärgernis, aber das ist der Weg, den Gott, für den und durch den das
Universum existiert und erhalten wird, in seiner Weisheit gewählt hat. Es war
ein Weg, der gut zum Wesen und zu den Eigenschaften des großen Gottes passte,
des Schöpfers und Erhalters aller Dinge im Himmel und auf Erden, desjenigen,
der die Liebe ist und dessen Gnade schon in der Zeit vor Christus viele
einfache Gläubige zum Segen der ewigen Herrlichkeit geführt hatte. Es war
angemessen, dass dieser Gott unseres Heils Jesus Christus, den Fürsten unseres
Heils, den Mann, der der Urheber und Vollender unseres Glaubens ist, Kap. 12,2,
durch Leiden vervollkommnet, vollendet und verherrlicht, durch Leiden und Tod.
Das Werk Christi hätte niemals jene Vollkommenheit erreicht, die seine
Segnungen für alle Menschen verfügbar macht, wenn es nicht auf die im
Evangelium beschriebene Weise vollbracht worden wäre.
Die nächsten Verse enthalten einen Beweis
dafür: Denn der, der heiligt, und die, die geheiligt werden, sind alle eins;
darum schämt er sich auch nicht, sie Brüder zu nennen, indem er sagt: Ich will
meinen Brüdern deinen Namen verkünden, mitten in der Kirche will ich dir
Loblieder singen; und wiederum: Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen; und
wiederum: Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat. Der, der
heiligt, Jesus Christus, und die, die geheiligt, Gott geweiht sind, die Kinder
Gottes durch den Glauben an Christus Jesus, sind alle von einem, von dem einen
Vater oben, Joh. 20,17. Und der Herr Jesus schämt sich nicht, diese
Verwandtschaft anzuerkennen und den daraus erwachsenden Verpflichtungen
nachzukommen. Er tat dies sogar in der Prophetie des Alten Testaments, als er
die Gläubigen seine Brüder nannte, Ps. 22,22, oder als er als Mitglied der
Gemeinde der Gläubigen sprach und ihren und seinen gemeinsamen Glauben an Gott
zum Ausdruck brachte, Ps. 18,2; Jes. 12,2, oder wenn er als Fürsprecher für
seine Brüder vor Gott trat und sie als die Kinder bezeichnete, die der Herr ihm
gegeben hatte, Jes. 8,18. Dieses Verhalten Christi zeigt, warum es für Gott
völlig angemessen und richtig war, den Weg der Erlösung durch sein Blut als den
Weg zum Himmel für alle Menschen zu wählen. Dieser Gedanke wird nun zum
Gegenstand eines besonderen Abschnitts gemacht.
Die
Befreiung, die Christus bewirkt hat
(2,14-18)
14 Weil nun die Kinder Fleisch und Blut haben, ist er’s gleichermaßen
teilhaftig worden, damit er durch den Tod die Macht nähme dem, der des Todes
Gewalt hatte, das ist, dem Teufel, 15 und erlöste die, so durch Furcht des
Todes im ganzen Leben Knechte sein mussten. 16 Denn er nimmt nicht die Natur
der Engel an, sondern den Samen Abrahams nimmt er anB. 17 Daher musste er in allen Dingen seinen Brüdern gleich werden, damit er
barmherzig würde und ein treuer Hoherpriester vor
Gott, zu versöhnen die Sünde des Volks. 18 Denn darin er gelitten hat und
versucht ist, kann er helfen denen, die versucht werden.
Dieser Abschnitt steht in engem gedanklichen Zusammenhang mit dem vorangegangenen Argument, denn er schließt den Beweis für die Notwendigkeit des stellvertretenden Werkes Christi ab. Christus hat die Gläubigen als Brüder anerkannt, auch in der messianischen Prophezeiung. Im Zusammenhang mit diesem Gedanken argumentiert der Autor: Da nun die Kinder Blut und Fleisch gemeinsam haben, ist auch er selbst ihrer teilhaftig geworden, um durch den Tod den zu beseitigen, der die Macht des Todes, d. h. des Teufels, hat, und die zu befreien, die durch die Furcht vor dem Tod ihr ganzes Leben lang in Knechtschaft waren. Die Bruderschaft Christi mit den Menschen schloss Inkarnation und Tod ein. Die Kinder, die menschlichen Brüder, mit denen sich der Sohn Gottes nach dem ewigen Ratschluss der Liebe identifizieren wollte, waren den Bedingungen unterworfen, die sich aus ihrem Besitz von Fleisch und Blut ergaben; und da ihre Natur von der Sünde durchdrungen war, waren sie alle zur Auflösung und zum Tod verurteilt. Da es aber das Ziel Christi war, die Menschen vor dem sicheren Verhängnis zu retten, das sie erwartete, nahm er in ähnlicher Weise, d. h. mit Ausnahme der Sünde, das Fleisch und Blut einer wahren menschlichen Natur auf sich, verbunden mit seiner göttlichen Natur: durch seine Inkarnation wurde er ein wahrer Mensch nach Leib und Seele. Auf diese Weise wurde Christus die Möglichkeit gegeben, den Teufel, der die Macht über den Tod hatte, außer Gefecht zu setzen, ihn zu zermalmen, ihn machtlos zu machen. Dies tat Christus durch seinen eigenen Tod; indem er sein Leben als Lösegeld für die Übertretungen der ganzen Welt hingab, vernichtete er die Macht des Teufels. So befreite und entließ er alle Menschen aus ihrer furchtbaren Sklaverei, die während ihres ganzen irdischen Lebens durch ihre Todesfurcht gefesselt und in Ketten gehalten worden waren. Wir haben hier zum einen ein Bild des natürlichen Loses und Zustandes aller Menschen. Sie werden von Satan in der erbärmlichsten und schändlichsten Knechtschaft gehalten. Indem er die Menschen an ihre Sünden erinnert, indem er als ständiger Ankläger aller Menschen auftritt, erzeugt er in ihnen die Furcht vor der Strafe des Todes. Ohne die Gewissheit der Erlösung durch Christus ist diese Knechtschaft und Furcht im Herzen eines jeden Menschen von Natur aus vorhanden. Und wer nichts von Christi Sühnetod weiß oder die Tatsache seiner Erlösung durch das Blut Jesu nicht annehmen will, der hat nur ein Schicksal zu erwarten, nämlich das der ewigen Verdammnis in einem endlosen, grausamen Tod. Aber auf der anderen Seite gibt es hier ein Bild von wunderbarer Schönheit und Trost. Denn wer im wahren Glauben auf Christus als seinen Erlöser schaut, der weiß, dass die Macht des Teufels gebrochen ist und dass der Tod, die ehemals stärkste Waffe in den Händen Satans, um die Menschen einzuschüchtern und in seiner Gewalt zu halten, ihren Schrecken verloren hat. Wir sind befreit, erlöst, erlöst durch das Sühnewerk unseres Stellvertreters, Jesus Christus. Das ist die Bedeutung des Werdegangs Christi für uns. Diese Erlösung wurde dadurch möglich, dass der Sohn Gottes, während er noch im Schoß des Vaters war, unser Fleisch und Blut wurde. Ein Kommentator drückt es so aus: „Für Ihn, der in seiner Sündlosigkeit jede Schwäche der Sterblichkeit erfahren hat, ohne seine ungebrochene Kraft der Gemeinschaft mit Gott zu schmälern, ist der Tod nicht das gefürchtete Zeichen der Trennung von Gottes Gnade, sondern ein Schritt in seiner göttlich bestimmten Laufbahn: nicht etwas, das Ihm gegen seinen Willen auferlegt wurde, sondern ein Mittel, mit dem Er bewusst und gewollt seine Berufung als Erlöser vollendet.“
Die Erniedrigung Christi, einschließlich des Höhepunkts seines schändlichen Todes am Kreuz, war also durch die Erfordernisse der Situation vollkommen gerechtfertigt. Es ist also offensichtlich, was der Verfasser weiter ausführt: Denn es sind gewiss nicht Engel, die er errettet, sondern die Nachkommen Abrahams. Weder die guten Engel, die sündlose und geistige Wesen sind, noch die bösen Engel, die geistige Wesen sind, die nicht zurückgefordert werden können, sind in die Erlösung von Fleisch und Blut, wie sie von Christus vollzogen wird, einbezogen. Da der Brief an Judenchristen gerichtet ist, spricht der Verfasser von den Nachkommen Abrahams, wie er sonst alle Menschen bezeichnen würde. Vgl. Röm. 15,4-12. Indem Christus das Erlösungswerk auf sich nahm und vollbrachte, wie er es tat, brachte er der ganzen Menschheit ewige Hilfe und Rettung.
Der inspirierte Autor fasst daher zusammen: Darum musste er in allem seinen Brüdern ähnlich werden, damit er ein barmherziger und treuer Hoherpriester in Sachen Gottes werde, um die Sünden des Volkes zu versöhnen; denn da er selbst gelitten hat und versucht wurde, kann er denen helfen, die versucht werden. Weil Gottes Ratschluss der Liebe über alle Menschen ging, weil es Christi Absicht war, allen ohne Ausnahme das Heil zu bringen, darum war es notwendig, dass er seinen Brüdern ähnlich wurde, dass er ein wahrer Mensch wurde, der seinen Brüdern in jeder Hinsicht glich, außer der, dass er sündlos war. Als wahrer Mensch, der wie alle anderen Menschen in der Welt Fleisch und Blut besaß, konnte Christus in das rechte Verständnis des menschlichen Elends und der Schwäche eintreten; Er konnte ein wahrhaft barmherziger und treuer Hoherpriester in allen Dingen werden, die vor den Herrn gebracht werden mussten; Er konnte für die Sünden aller Menschen Sühne leisten. Wie der Hohepriester des Alten Testaments das Opfer des großen Versöhnungstages im Namen und im Auftrag des ganzen Volkes darbrachte, so hat Jesus ein Opfer gebracht, das eine vollkommene, eine ewige Sühne für die Sünden aller Menschen bis zum Ende der Zeit bewirkt hat. Denn weil er selbst gelitten hat und an seinem Leib das Leiden und den Fluch der Sünden aller Menschen trug, weil er vor allem die Versuchungen des Satans erleiden musste, nicht nur in der Wüste, sondern in allen Intrigen der feindlichen Juden, und besonders in seiner letzten großen Passion, deshalb ist der Beistand, den er uns, seinen Brüdern, leisten kann, keine oberflächliche und erzwungene Hilfe, sondern ein williger und liebevoller Dienst. Wie groß auch die Versuchungen sein mögen, die uns bedrängen, so besteht doch unser untrüglicher Trost darin, dass Christus, unser Hoherpriester, jetzt auch unser Fürsprecher beim Vater ist und vor der ewigen Gerechtigkeit darauf drängt, dass er das Sühnopfer für die Sünden der ganzen Welt ist, 1. Joh. 2,1.2. So hat der heilige Schreiber gezeigt, dass es in der Tat angemessen war, dass Gott seinen Sohn auf diese Weise zum Opfer machte, dass er den einzigen Weg wählte, durch den der in Sünde verlorenen Welt die Erlösung gebracht werden konnte.
Zusammenfassung: Der inspirierte Autor setzt seine Argumentation über die Souveränität Christi über alle Geschöpfe, einschließlich der Engel, fort und betont die Notwendigkeit des fröhlichen Gehorsams gegenüber dem Herrn, wobei er nebenbei zeigt, dass der Weg der Erlösung, den Gottes Rat der Liebe beschlossen hat, der einzig gangbare Plan war.
Christus ist mehr als Mose (3,1-19)
1 Deshalb, ihr heiligen Brüder, die ihr mit berufen seid durch die
himmlische Berufung, nehmt wahr den Apostel und Hohenpriester, den wir
bekennen, Christus Jesus, 2 der da treu ist dem, der ihn gemacht hat (wie auch
Mose) in seinem ganzen Haus. 3 Dieser aber ist größerer Ehre wert als Mose,
nachdem der eine größere Ehre am Hause hat, der es bereitet, als das Haus. 4
Denn ein jegliches Haus wird von jemand bereitet; der aber alles bereitet, das
ist Gott. 5 Und Mose zwar war treu in seinem ganzen Haus als ein Knecht, zum
Zeugnis des, das gesagt sollte werden; 6 Christus aber als ein Sohn über sein
Haus; welches Haus sind wir, wenn wir denn das Vertrauen und den Ruhm der
Hoffnung bis ans Ende fest behalten.
7 Darum, wie der Heilige Geist spricht: Heute, wenn ihr hören werdet
seine Stimme, 8 so verstockt eure Herzen nicht, wie geschah in der
Verbitterung, am Tag der Versuchung in der Wüste, 9 da mich eure Väter
versuchten; sie prüften mich und sahen meine Werke vierzig Jahre lang; 10 darum
ich entrüstet wurde über dies Geschlecht und sprach: Immerdar irren sie mit dem
Herzen, aber sie wussten meine Wege nicht, 11 dass ich auch schwur in meinem
Zorn, sie sollten zu meiner Ruhe nicht kommen. 12 Seht zu, liebe Brüder, dass
nicht jemand unter euch ein arges, ungläubiges Herz habe, das da abtrete von
dem lebendigen Gott, 13 sondern ermahnt euch selbst alle Tage, solange es heute
heißt, dass nicht jemand unter euch verstockt werde durch Betrug der Sünde. 14
Denn wir sind Christi teilhaftig geworden, wenn wir denn das angefangene Wesen
bis ans Ende fest behalten,
15 solange gesagt wird: Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so
verstockt eure Herzen nicht, wie in der Verbitterung geschah. 16 Denn etliche,
da sie hörten, richteten eine Verbitterung an, aber nicht alle, die von Ägypten
ausgingen durch Mose. 17 Über welche aber wurde er entrüstet vierzig Jahre
lang? Ist’s nicht so, dass über die, so da sündigten, deren Leiber in der Wüste
verfielen? 18 Welchen schwur er aber, dass sie nicht zu seiner Ruhe kommen
sollten, wenn nicht den Ungläubigen? 19 Und wir sehen, dass sie nicht haben
können hineinkommen um des Unglaubens willen.
Christus verglichen mit Mose (V.
1-6): Nachdem der heilige Schriftsteller die Überlegenheit Christi über die
Engel gezeigt hat, fährt er fort, die Treue seiner Leser zu stärken, indem er
Christus als den endgültigen Vermittler vorstellt. Die Engel waren zwar
Vermittler Gottes in der Anordnung des Gesetzes und von großer Macht in den
Naturgewalten, konnten sich aber nicht mit dem Herrn der Engel vergleichen. Das
Gleiche wird nun in Bezug auf den irdischen Vermittler des Gesetzes bewiesen:
Darum, heilige Brüder, Mitarbeiter der himmlischen Berufung, achtet wohl auf
den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses, Christus Jesus, der dem
treu war, der ihn eingesetzt hat, wie auch Mose in seinem ganzen Hause. Der
inspirierte Autor geht hier offensichtlich auf die erste Aussage seines Briefes
zurück, nämlich dass Gott sein letztes und erlösendes Wort durch seinen Sohn
Jesus Christus gesprochen hat. Das sollten sich die Leser gut merken, weshalb
sie durch die Bezeichnung "heilige Brüder", die der Verfasser auf sie
anwendet, zärtlich ermahnt und ermutigt werden. Alle Christen sind heilig,
geheiligt, Gott geweiht aufgrund des Glaubens, der in ihren Herzen entzündet
wurde. Aufgrund dieser Tatsache sind sie auch Gefährten des Schreibers, die mit
ihm in der himmlischen Berufung verbunden sind. Durch die Berufung Gottes im
Evangelium haben sie tatsächlich Anteil an allen himmlischen Schätzen und
Segnungen, Kol. 1,5. Dadurch sind die Leser auch in der Lage, Christus in der
richtigen Weise zu betrachten, den Umfang seines Amtes zu erkennen, die Größe
seiner Würde wenigstens ansatzweise zu verstehen. Denn er ist wahrhaftig von
Gott zum Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses gemacht und eingesetzt
worden. Er wurde von Gott mit der Botschaft unseres Heils ausgesandt, er wurde
dazu bestimmt, unser Hoherpriester und unser Opfer am
und auf dem Altar des Kreuzes zu sein. Das bekennen und preisen wir, die wir
glauben, frei und gern. Die besondere Qualifikation Jesu für dieses wichtige
Amt, auf die wir und alle Gläubigen unser Augenmerk richten sollten, ist seine
Treue oder Vertrauenswürdigkeit. Es war die Treue des Sohnes zum Gehorsam des
Vaters. Mose war in der Tat auch treu im Hause Gottes, in der Versammlung der
Gläubigen des Alten Testaments, in der Kirche des Herrn. Dieses Zeugnis gab ihm
Gott selbst, als er noch lebte, 4. Mose 12,7. Schon hier deutet die Struktur
des Satzes, wenn nicht die Worte selbst, darauf hin, dass die Treue des Mose
nicht wirklich mit der von Christus verglichen werden kann.
Dieser Gedanke wird vom Schreiber noch
stärker untermauert: Denn größerer Herrlichkeit als Mose ist dieser Mensch
würdig, so wie der, der ein Haus errichtet, größer ist als das Haus. Denn jedes
Haus wird von irgendjemandem errichtet, aber der, der alles errichtet, ist
Gott. Mit Nachdruck sagt der Verfasser „dieser Mensch“, denn er bezieht sich
auf den großen Gott und Menschen in einer Person, der eine wahre menschliche
Natur annahm, um das Heil für die ganze Welt zu erlangen. Er ist von Gott zu
größerer Ehre als Mose bestimmt worden, wobei die größere Ehre in der
bedeutenderen Stellung gesehen wird, die er bei der Verwirklichung des
göttlichen Heilsplanes einnimmt. Was den Wert und die Würde von Christus bzw.
Mose betrifft, so besteht derselbe Unterschied wie zwischen einem Mann, der ein
Haus errichtet und für den Einzug vorbereitet, und dem Haus selbst. Der Mann,
der ein Haus plant, es baut und mit allen notwendigen Utensilien für einen gut
geführten Haushalt ausstattet, ist größer als der Haushalt in seinem Zustand im
Haus. Derjenige aber, der das Haus Gottes, die Kirche in ihrer ganzen Fülle,
baut, herrichtet und ausstattet, ist Jesus Christus, der somit mit dem Erbauer
des Hauses der Kirche, mit Gott selbst, identifiziert wird, während Mose nur
als ein Teil des Hauses betrachtet wird. In Form eines Sprichworts fügt der
Autor hinzu, dass jedes Haus natürlich jemanden hat, der den Bau und die
Ausstattung plant, wobei Jesus Christus in diesem Fall der Baumeister des Baus
der Kirche ist. Da Gott jedoch der Urheber und Schöpfer aller Dinge ist, folgt
daraus, dass Christus auf einer Stufe mit Gott steht und viel mehr Ehre
verdient als Mose.
Das Argument wird in den nächsten Versen
fortgesetzt: Und Mose war zwar treu in seinem ganzen Hause als Diener, zu einem
Zeugnis der Dinge, von denen geredet werden sollte; Christus aber ist wie ein
Sohn über sein Haus, dessen Haus wir sind, wenn wir unsere Zuversicht und den
Ruhm unserer Hoffnung festhalten bis ans Ende. Dies ist kein unwilliges
Zugeständnis, sondern ein williges Lob des Mose. Er war in jeder Abteilung des
Hauses Gottes, in jedem Bereich seines schwierigen Dienstes treu. Aber er war
doch nur im Hause Gottes, nur in der Versammlung der Gläubigen, als Diener
Gottes, als Diener der heiligen Dinge. Was das Volk, die Kinder Israels,
betrifft, so war die Tatsache, dass Gott selbst die Treue des Mose bezeugt
hatte, auch die Garantie für die Vertrauenswürdigkeit des Berichts und der
Botschaft, die er von dem gab, was der Herr auf dem Berg zu ihm gesprochen
hatte. Das Gesetz, so wie er es predigte, war in der Tat das Wort Gottes, und
als solches diente es in der Kirche des Alten Testaments einem ganz bestimmten
Zweck. Aber Christus ist mehr. Als Sohn Gottes steht er über dem Haus, er ist
der Herr über die Struktur der Kirche, zu der, wie der Autor hervorhebt, wir
und alle Gläubigen gehören. Wir sind Glieder der Kirche Gottes und Christi,
wenn wir bis zum Ende treu bleiben, wenn wir mit allem zuversichtlichen Rühmen
an der Hoffnung unseres Heils bis zum Ende festhalten. Die Hoffnung der
Christen ist nicht eine unbeständige, unsichere Größe, die jeder
Gefühlsschwankung unterworfen ist, sondern sie ist, da sie in den Verheißungen
des Herrn gegründet ist, eine fröhliche Zuversicht, ein stilles Rühmen, dass
ihnen eine Krone der Gerechtigkeit aufbewahrt ist, die der Herr ihnen am
letzten Tag geben wird, 2. Tim. 4,8. Im wahren Christen gibt es kein
Selbstvertrauen, keine Selbstgenügsamkeit, sondern nur ein unerschütterliches
Vertrauen auf die Liebe und Macht Gottes. „Die Hoffnung des Christen auf ein
himmlisches Erbe, auf eine vollendete Gemeinschaft mit Gott, sollte so sicher
sein, dass sie sich selbstbewusst verkündet und, statt sich zu schämen, die
Zukunft rühmt, die sie vorwegnimmt. Und diese Haltung muss beibehalten werden,
bis Schwierigkeiten und Prüfungen vorüber sind und die Hoffnung zum Besitz
geworden ist.“[3]
Eine warnende Lektion aus der Geschichte
Moses (V. 7-14): Der letzte Gedanke im ersten Abschnitt des Kapitels war
der des beharrlichen Glaubens und Vertrauens in Erwartung der freudigen
Verwirklichung unserer Hoffnung am jüngsten Tag. Der heilige Schreiber möchte
nun die Notwendigkeit dieser Treue zur Erlangung des Preises hervorheben und
bezieht sich zu diesem Zweck auf die Reise der Kinder Israels durch die Wüste
und einige der wichtigsten Ereignisse der vierzig Jahre, die zu dieser Reise
gehörten. Er zitiert Ps. 95,7-11 und erklärt gleichzeitig, dass es der Heilige
Geist war, dem die dort geschriebenen Worte als dem eigentlichen Urheber
zuzuschreiben sind. Die Stelle gibt einen Grund für seine ernste Warnung: Wenn
ihr heute seine Stimme hört, so verstockt eure Herzen nicht wie in der
Versuchung (Meriba), wie am Tag der Versuchung
(Massa) in der Wüste. Der Prophet bezieht sich auf die Begebenheit in 2. Mose
17,1 -7; 4. Mose 20,1-13, und der Schreiber unseres Briefes zitiert die
griechische Übersetzung der hebräischen Worte, die wahrscheinlich die
Eigennamen der Station in der Wüste sind, wo das Volk rebellierte. Ihr
damaliges Verhalten war eine Provokation für den Herrn; es forderte seinen Zorn
heraus, es verlangte seine Strafe. Denn, wie es im Zitat weiter heißt: Wo eure
Väter mich prüften und mich auf die Probe stellten und meine Werke vierzig
Jahre lang sahen. Es ist eine bittere Klage, die der Herr hier ausspricht. Die
Kinder Israels haben durch ihr widerspenstiges Verhalten den Herrn auf die
Probe gestellt, so als wollten sie sich selbst davon überzeugen, wie lange sie
sich seinem Willen widersetzen können. Die gesamte Geschichte der
Wüstenwanderung stellt praktisch eine Abfolge von Ereignissen dar, die den Zorn
des Herrn erregen sollten. Obwohl er
während der ganzen Zeit vor ihren Augen Wunder der Güte, der Barmherzigkeit und
des Gerichts vollbrachte, um sie für sich zu gewinnen, blieben sie ein
widerspenstiges und rebellisches Geschlecht.
Aber der Herr lässt sich nicht spotten, wie
das Zitat des Propheten weiter sagt: Darum war ich über dieses Geschlecht
entrüstet und sprach: Sie sind immer in ihrem Herzen verirrt; aber sie wollen
meine Wege nicht verstehen; darum schwor ich in meinem Zorn: Sie sollen nie in
meine Ruhe eingehen. Der Herr wurde schließlich der ständigen Anfechtung des
Volkes Israel überdrüssig; er war verärgert, erfüllt von Ekel, Abscheu und
Abscheu, wie der hebräische Text andeutet. Vgl. 4. Mose 14,21-23; 32,10-13; 5.
Mose 1,34-36. Sie weigerten sich, anzuerkennen, dass er sie auf Pfaden der
Güte, der Barmherzigkeit und der Langmut führte und dass sein ganzer Gedanke an
sie ein Gedanke des Friedens war. So schwor der Herr schließlich in seinem
bitteren Zorn über ihre Hartnäckigkeit, dass sie nicht in das Land kommen
sollten, das er ihnen als Zufluchtsort, als Ort der Ruhe und Sicherheit
zugedacht hatte. Der Gedanke an die Ruhe im Land der Verheißung erhielt im
Übrigen eine größere Tragweite und eine tiefere Bedeutung, wie die Anwendung
dieses Abschnitts im gesamten vorliegenden Brief zeigt.
Nachdem der heilige Schreiber dieses Zitat
mit seiner warnenden Lektion eingefügt hat, nimmt er den Faden seiner
Argumentation wieder auf, indem er die Moral der Geschichte deutlich macht:
Seht zu, Brüder, dass nicht einer von euch ein böses, ungläubiges Herz hat und
sich von dem lebendigen Gott abwendet. Die ernste Besorgnis des Schreibers
zeigt sich in der gesamten Struktur des Satzes, der im Übrigen so verkürzt ist,
als hätte er in großer Aufregung geschrieben. Sie sollten aufpassen, sie
sollten sich in Acht nehmen, damit nicht durch irgendeinen unglücklichen Zufall
in irgendeinem der Leser ein schlechtes, böses, böses Herz sei, das durch einen
Zustand des Unglaubens verursacht wird. Denn dieser Zustand würde sich darin
zeigen, dass er sich von dem lebendigen Gott abwendet. Der Herr ist der Urheber
und die Quelle des Lebens; er ist nicht nur in der Lage, allen Menschen, die in
Not sind, zu Hilfe zu kommen, sondern er ist der Einzige, der das einzig wahre
Leben in den Herzen der Seinen vermitteln und bewahren
kann. Sollte also ein Gläubiger die Gemeinschaft Gottes verachten und
verschmähen, indem er sich von Ihm und Seinem Leben entfernt, so hätte er die
Schuld an der endgültigen Verdammnis, die über ihn kommen würde, nur sich
selbst zuzuschreiben.
Der heilige Schreiber setzt daher seine
Warnung auf der positiven Seite fort: Ermahnt einander vielmehr jeden Tag,
solange die Zeit währt, die "heute" genannt wird, damit nicht jemand
von euch durch den Betrug der Sünde verstockt wird. Das ist eine der Aufgaben
ihrer Berufung, die die Christen gerne übernehmen sollten: einander zu
ermahnen, einander zu ermahnen, einander anzuspornen in der Heiligung. Es ist
eine Freundlichkeit, die nicht einfach gleichgültig ist, sondern deren Äußerung
durch die Pflicht, die Christen einander schulden, gefordert wird. Die
Heiligung in jeder christlichen Gemeinde ist eine Angelegenheit, die ständige
Wachsamkeit erfordert, eine Praxis der Liebe, die Tag für Tag fortgesetzt
werden muss. Denn jetzt ist Gottes großes Heute, jetzt ist die Zeit der Gnade,
jetzt ist die Zeit, in der er will, dass wir seiner wunderbaren Einladung zum
himmlischen Mahl folgen. Solange Gott noch seinen flehenden Ruf ergeht, sollten
wir uns hüten, ihn schnell zu beherzigen; denn wir wissen nicht, wann diese
Zeit der Gnade zu Ende sein wird. Und es besteht immer die Gefahr, durch eine
Vernachlässigung des Wortes zur rechten Zeit verstockt zu werden. Die Sünde
tritt in so vielen angenehmen und trügerischen Gestalten auf, und der Teufel
ist so ungewöhnlich geschickt in seiner Fähigkeit, die größten Abweichungen vom
Willen Gottes als bloße unschuldige Zeitvertreibe erscheinen zu lassen, dass es
die größte Wachsamkeit eines jeden Christen erfordert, damit er gegenüber den
Bitten des Wortes Gottes nicht gleichgültig wird und dem ewigen Tod zum Opfer
fällt. Die Sünde im Herzen oder im Leben macht den Menschen blind für die
Schönheit und die Bedeutung des wunderbaren Heilsangebots Gottes.
Zur Einhaltung dieser Wachsamkeit sollten
wir uns auch von einer anderen Überlegung leiten lassen: Denn wir sind Christi
teilhaftig geworden, wenn wir nur den Anfang unserer Zuversicht bis ans Ende
festhalten. Vgl. V. 6. Das ist ein Gedanke, den der Apostel Paulus oft
hervorhebt, wenn er die Christen vor fleischlicher Sicherheit warnt, und
Petrus, wenn er uns auffordert, unsere Berufung und Erwählung zu sichern, 2.
Petr. 1,10. Wir dürfen nie die Tatsache aus den Augen verlieren, dass wir durch
unsere Bekehrung an Jesus Christus teilgenommen haben und jetzt an allen
Segnungen und Gaben teilhaben, die er uns durch seine Erlösung erworben hat.
Diese Tatsache verpflichtet uns jedoch, in seiner Gnade zu bleiben und bis zum
Ende wenigstens jenes Maß an festem Vertrauen auf seine Erlösung zu bewahren,
das das Wesen des Glaubens ist. Das Vertrauen des Gläubigen in seinen Herrn
muss so sicher sein, dass es allen Angriffen bis zum Ende standhält, bis es
jenseits von Prüfung und Versuchung, schließlich triumphierend, in der
Gegenwart Christi sein wird. Festigkeit, Vertrauen, Treue werden von allen
Jüngern des Herrn Jesus verlangt.
Die Gefahr des Unglaubens (V. 15-19): Der inspirierte Autor definiert und rechtfertigt hier seinen Gebrauch des Wortes „heute“ im Zusammenhang mit seiner Warnung an alle Gläubigen, bis zum Ende standhaft zu bleiben: indem es heißt: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht wie in der Verbitterung“ (bei Meriba). Ps. 95,7.8. Dieser Tag ist die Zeit, derer wir sicher sein können; wir wissen, dass die Gnade des Herrn uns jetzt verkündigt wird. Deshalb sollten wir gerade jetzt die Warnung des Herrn beherzigen und die gegenwärtige Gelegenheit optimal nutzen. Denn die Gefahren, die mit einer unverschämten Prüfung der Geduld Gottes einhergehen, sind so groß, dass das Heil zu einer Sache des Zufalls und des Glücksspiels wird: Denn einige haben ihn zwar gehört, aber dennoch gereizt; waren das nicht alle, die durch Mose aus Ägypten ausgezogen waren? Obwohl alle Kinder Israels, die aus Ägypten ausgezogen waren, das Wort und den Willen Gottes hörten, stellten sie Gottes Regierung absichtlich und böswillig in Frage und machten sich daran, ihn zu verbittern und zu provozieren. Und leider gab es keine große Auswahl unter dem rebellischen Volk; sie waren alle schuldig an diesem provozierenden Verhalten, alle Männer, die Ägypten unter der Führung von Mose verließen. Es handelte sich nicht um einige wenige Ausnahmesünder, sondern die ganze Masse des glorreich geretteten Volkes, deren Glaube „sie zwischen den drohenden Wasserwänden hindurchgetragen hatte und über die Mirjam ihr Triumphlied sang“, war in der gleichen Verurteilung begriffen.
Der heilige Schreiber, der eine weitere Lehre aus den Ereignissen in der Wüste zieht, fragt: Aber über wen war er zornig, zornig, vierzig Jahre lang? War es nicht über die, die gesündigt hatten und deren Leiber in der Wüste fielen? Es handelte sich nicht um einen Sinneswandel, nicht um eine törichte Laune Gottes, auch nicht um einen Mangel an Kraft, seine Verheißung an die Kinder Israels zu erfüllen. Aber ihr Verhalten erregte seinen Zorn, ihre Sünden forderten seine Strafe heraus, und das Ergebnis war, dass alle Männer von zwanzig Jahren und mehr, die das Land Ägypten verlassen hatten, in der Wüste in vergessene Gräber sanken. Das war die Strafe Gottes über sie wegen ihrer Sünde. Der Autor schließt daher seine Reihe rhetorischer Fragen mit der Frage ab: Und wem hat er geschworen, dass sie nicht in seine Ruhe eingehen sollten, wenn nicht denen, die nicht glauben? Nicht in erster Linie der Ungehorsam, sondern der Unglaube, der die Ursache für die verschiedenen Ausbrüche gegen den Herrn war, war der Grund für die Strafe, die sie traf. Mose sagte dem Volk genau diese Tatsache frei und offen, 4. Mose 14,28-35. Gott bekräftigte schließlich mit einem Eid, dass er seine Strafen ausgießen würde, da er die besten Gründe hatte, sein Vorgehen zu rechtfertigen. Sie erreichten das Land der Verheißung nicht, sie kamen nicht in die Segnungen der Ruhe und des Friedens, die der Herr gehorsamen, gläubigen Kindern verheißen hatte. Die Schlussfolgerung des heiligen Autors hebt genau diesen einen Punkt hervor: Und wir sehen, dass sie wegen ihres Unglaubens nicht hineingehen konnten. Sie konnten ihr Ziel, das Ende des Weges, nicht erreichen, weil ihrem ganzen widerspenstigen Verhalten die Weigerung zugrunde lag, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt an den Herrn, ihren Gott, zu glauben. Ihr Beispiel sollte seine Wirkung auf die Christen aller Zeiten nicht verfehlen. Jede Hinwendung zur Sünde mit ihren Tücken, jede Scheu vor dem Konflikt im Interesse des Herrn gefährdet den Glauben, wenn sie ihn nicht geradezu aus dem Herzen reißt. Unser Gottvertrauen muss, wenn es richtig sein soll, auf die Verheißungen der Heiligen Schrift gegründet sein und darf sich nicht von dieser Grundlage entfernen lassen. Es steht zu viel auf dem Spiel, um die Sache auf die leichte Schulter zu nehmen oder sich leichtfertig auf eine sichere Lösung in der Zukunft zu verlassen. Heute ruft der Herr, heute sollten wir ihm Gehör schenken. Morgen könnte es zu spät sein. Unser Vermittler ist in jeder Hinsicht größer als Mose, aber gerade deshalb sollten wir uns in aller Demut des Herzens an ihn klammern.
Zusammenfassung: Der heilige Autor zeigt die Überlegenheit Christi über Mose, vergleicht die beiden Mittler, zieht eine warnende Lehre aus der Wüstenwanderung und stellt die Gefahren des Unglaubens dar.
Eine weitere Warnung vor Unglauben (4,1-10)
1 So lasst uns nun fürchten, damit wir die Verheißung, einzukommen zu
seiner Ruhe, nicht versäumen, und euer keiner dahinten bleibe. 2 Denn es ist
uns auch verkündigt gleichwie jenen; aber das Wort der Predigt half jenen
nichts, da nicht glaubten die, so es hörten. 3 Denn wir, die wir glauben, gehen
in die Ruhe, wie er spricht: Dass ich schwur in meinem Zorn, sie sollten zu
meiner Ruhe nicht kommen. Und zwar, da die Werke von Anbeginn der Welt waren
gemacht,
4 sprach er an einem Ort von dem siebten Tag so: Und Gott ruhte am
siebten Tag von allen seinen Werken. 5 Und hier an diesem Ort abermals: Sie
sollen nicht kommen zu meiner Ruhe. 6 Nachdem es nun noch vorhanden ist, dass
etliche sollen zu derselben kommen, und die, denen es zuerst verkündigt ist,
sind nicht dazu gekommen um des Unglaubens willen, 7 bestimmte er abermals
einen Tag nach solcher langen Zeit und sagte durch David: Heute, wie gesagt
ist, heute, so ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht! 8
Denn so Josua sie hätte zur Ruhe gebracht, würde er nicht hernach von einem
anderen Tag gesagt haben. 9 Darum ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volk Gottes.
10 Denn wer zu seiner Ruhe gekommen ist, der ruht auch von seinen Werken, gleich
wie Gott von seinen.
Die Verheißung ist noch in Kraft (V.
1-3): Der inspirierte Schreiber fährt hier mit seiner Warnung fort, die sich
auf die Geschehnisse während der Wüstenwanderung stützt: Lasst uns also
fürchten, dass, obwohl die Verheißung, in seine Ruhe einzugehen, noch nicht
erfüllt ist, einer von euch den Anschein erwecken könnte, dass er sie verfehlt
hat. Das eigene Heil mit Furcht und Zittern zu erarbeiten, ist eine Pflicht,
die allen Christen obliegt, Phil. 2,12. Das Leben der Gläubigen darf nicht in
einer fleischlichen, falschen Sicherheit verbracht werden, mit der Vorstellung,
dass sie leben und handeln können, wie es ihnen gefällt, und dabei noch ihre
Lieblingssünden hegen. Vielmehr ist es so, dass den Gläubigen im Evangelium
durch die Verheißung Gottes zugesichert wird, dass es eine Ruhe für sie gibt.
Damit wird die Verheißung der bloß zeitlichen Segnungen, wie der Friede im Land
der Verheißung hier auf Erden, um die ewige Ruhe beim Herrn im Himmel
erweitert. Gott will, dass alle Menschen in das Heil eingehen, das für die
Seinen in den himmlischen Wohnungen vorbereitet ist, und seine besonders
dringende Bitte richtet sich an diejenigen, die die Hoffnung und die Garantie
des zukünftigen Lebens durch den Glauben angenommen haben. Jeder Gläubige soll
daher auf sich selbst achten, und die ganze Gemeinde der Gläubigen soll
sorgfältig darauf achten, dass nicht durch irgendeine Versuchung Satans einer
von ihnen in Gefahr gerät, den begehrten Preis zu verlieren, oder glaubt, zu
spät zu sein, um ihn zu erlangen.
Wir sollten den Israeliten in ihrem
Unglauben an das Wort Gottes nicht ähneln, wie der Verfasser betonen möchte:
Denn auch uns ist wie ihnen ein Evangelium verkündigt worden, aber das Wort,
das sie hörten, hat ihnen nichts genützt, weil es sich bei denen, die es
hörten, nicht gründlich mit dem Glauben vermischte. Die Verheißung Gottes an
die Kinder Israels umfasste nicht nur die Verheißung des Besitzes von Kanaan,
sondern auch die der Segnungen des Messias. Die erlösende Gnade und Gunst
Gottes war ihnen zu verschiedenen Zeiten verkündet worden; die Abraham gegebene
Verheißung, dass in ihm und in seinem Samen alle Völker der Erde gesegnet
werden sollten, war ihr kostbares Erbe, dessen Bedeutung auch von ihren Lehrern
verstanden wurde. Aber all diese glorreiche Verkündigung nützte ihnen nichts.
Sie hörten sie zwar, sie wurde vom Vater auf den Sohn weitergegeben, aber sie
vermischte sich nicht mit dem Glauben in ihren Herzen, sie setzten ihre
Hoffnung auf Erlösung nicht auf die gnädigen Verheißungen, und so nützte sie
ihnen wirklich nichts. Die Schuld lag also nicht bei Gott, denn er hatte für
die Verkündigung des Evangeliums gesorgt, sondern bei ihnen selbst; sie
verloren durch ihren Unglauben die Segnungen der Verheißung, Hos. 13,9.
Dieses warnende Beispiel sollten die
Gläubigen aller Zeiten daher im Auge behalten, damit sie des Segens teilhaftig
werden und bleiben: Denn wir gehen in die Ruhe ein, wir, die wir geglaubt
haben, wie er sagt: "Wie ich in meinem Zorn geschworen habe, so sollen sie
nicht in meine Ruhe eingehen, obwohl die Werke vollendet sind von Grundlegung
der Welt an. Der feierliche Schwur Gottes, mit dem er bestimmten Menschen den
Eintritt in seine Ruhe verwehrte, richtete sich gegen die Ungläubigen. Was die
Gläubigen betrifft, so gehen sie, wenn sie nur ihrem Glauben und ihrem
Vertrauen in die Verheißungen des Evangeliums treu bleiben, in die ewige Ruhe
im Himmel ein, sie gehen immer wieder ein. Einer nach dem anderen, wenn der
Herr sie nach Hause ruft, verlassen sie die Schauplätze ihrer irdischen
Pilgerschaft und werden in die Ruhe, in den Frieden des Himmels aufgenommen.
Anmerkung: Wäre es nicht Gottes gnädiger Wille und ernsthafter Wunsch gewesen,
dass alle Menschen gerettet werden und in seine Ruhe eingehen, könnte man nicht
sagen, dass er sie später im Zorn über den Abfall einiger von den Segnungen,
die auch für sie bestimmt waren, ausgeschlossen hat. Das Versagen der
Ungläubigen, die Segnungen der ewigen Ruhe zu erlangen, war also nicht darauf
zurückzuführen, dass die Ruhe noch nicht existierte, denn alle Werke Gottes
waren vollendet, als die Welt gegründet wurde. Gott hatte die ewige Ruhe für
die Seinen geplant und vorgesehen, als die Grundsteine der Welt gelegt wurden,
und er wollte, dass alle Menschen die Schönheiten und Herrlichkeiten dieser
Ruhe genießen. Diese Tatsache ist für die Gläubigen ein unermesslicher Trost,
denn sie gibt ihnen die Gewissheit, dass Gott den ernsten, aufrichtigen Wunsch
und Willen hat, alle Menschen zu retten. Dies wird im nächsten Absatz noch
ausführlicher dargelegt.
Die Ruhe, die für das Volk Gottes
vorhanden ist (V. 4-10): Die Tatsache, dass alle Werke Gottes,
einschließlich der ewigen Ruhe in den himmlischen Wohnungen, von Grundlegung
der Welt an vollendet waren, wird hier durch die Heilige Schrift belegt: Denn
er sprach irgendwo über den siebenten Tag so: Und Gott ruhte am siebenten Tage
von allen seinen Werken, 1. Mose 2,2. Man beachte, dass Gott sowohl in dieser
als auch in der nächsten Stelle ausdrücklich als Urheber genannt wird. Das
Argument ist, dass, wenn Gott von all seinen Werken geruht hat, dann muss auch
die Vorbereitung der Ruhe, von der hier gesprochen wird, beendet sein. Nicht
nur war die Erde als Schemel des Herrn geschaffen und mit den Herrlichkeiten
seiner Güte erfüllt, sondern auch der Himmel selbst war zu dieser Zeit in
Gemeinschaft mit der Erde in einem Paradies vereint, das ewig hätte dauern
sollen. Die gesegnete Ruhe Gottes war für alle Menschen bereit, als die
Schöpfungswerke vollendet waren. Das geht auch aus der Stelle hervor, auf die der
inspirierte Schreiber in seiner gesamten Argumentation anspielt: Sie werden
niemals in meine Ruhe eingehen, Ps. 95,11. Denn diese Worte beweisen, dass Gott
eine Ruhe hatte und dass er diese Ruhe für alle Menschen vorgesehen hatte,
wobei der Ungehorsam und Unglaube einiger Menschen es notwendig machte, dass
der Herr sie von der Rettung ausschloss, die sein gnädiger Wille ihnen geben
wollte. Der Herr hat also der Menschheit seine Ruhe nicht wegen der Sünde
entzogen, vielmehr beruht die Verheißung dieser Ruhe auf Christus Jesus, dem
Erlöser, aber er ist gezwungen, den Ungläubigen ihren Segen zu versagen, da der
Unglaube die angebotene Gnade ablehnt und es vorzieht, ohne Gottes Segnungen zu
leben.
Der inspirierte Autor kehrt also zu seinem
Argument zurück: Da es also noch einige gibt, die hineingehen sollen, und die,
denen die frohe Botschaft zuerst verkündet wurde, wegen ihres Unglaubens nicht
hineingegangen sind, setzt er wieder einen bestimmten Tag fest, nämlich heute,
und sagt in David, und nach so langer Zeit, wie schon gesagt wurde: Heute, wenn
ihr seine Stimme hört, verstockt eure Herzen nicht. Aus den zitierten Stellen
geht klar hervor, dass das übrige Heil Gottes noch da ist, dass es einigen
vorbehalten ist, in es einzutreten, dass die Verheißungen Gottes sicher sind,
dass Gott seinen Willen oder seine Meinung in Bezug auf den Genuss, den die
Menschen in der himmlischen Seligkeit haben sollen, nicht geändert hat. In
diesem Wissen und Glauben sollten wir uns nicht durch die Tatsache erschüttern
lassen, dass diejenigen, die zuerst die Gelegenheit hatten, die gute Nachricht,
die Botschaft des Evangeliums, wie sie den Patriarchen gegeben wurde, zu hören,
nicht in die Ruhe des Herrn eintraten, denn dies war ausschließlich auf ihren
Unglauben zurückzuführen. Zusätzlich zu diesen Tatsachen wird die Gewissheit,
dass einige in die ewige Ruhe eingehen müssen, auch durch die Wiederholung der
Verheißung gestützt. Viele Jahre nach den Tagen des Mose, zur Zeit Davids,
setzte Gott durch den Mund Davids erneut einen Tag fest, an dem die Menschen in
seine Ruhe eingehen sollten. Es ist dieselbe Stelle, auf die der inspirierte
Schreiber seine Argumente in diesem langen Abschnitt gestützt hat. Bei dem
ewigen Gott ist "heute" weder auf die Zeit Moses noch auf die Zeit
Davids beschränkt, sondern erstreckt sich bis in die christliche Zeit und
schließt die Zeitspanne der Gnadenverfügung Gottes bis zum Ende der Welt ein.
Israel wurde durch seinen Unglauben der Ruhe beraubt; wir, die wir glauben,
gehen in sie ein.
Damit nun nicht ein Leser den Einwand
erhebt, dass die Ruhe, auf die sich das Zitat aus Psalm 95 bezieht, nur die von
Kanaan sei, beugt der Verfasser diesem Missverständnis vor: Denn wenn Josua sie
zur Ruhe gebracht hätte, würde er nicht nach diesen Ereignissen von einem
anderen Tag sprechen. Es stimmt natürlich, dass Josua durch die Siege über die
Stämme Kanaans in den Besitz des verheißenen Landes gelangte. Aber dass diese
Ruhe und dieser Friede nicht vollständig von der von Mose in der Verheißung des
Evangeliums verkündeten Ruhe umfasst und nicht mit ihr identisch ist, geht aus
der Tatsache hervor, dass der Herr lange nach diesen Ereignissen den Propheten
die Stelle aufschreiben ließ, in der er sich auf ein Heute bezog, das
offensichtlich nicht von der Zeit der Eroberung Kanaans umfasst war, durch die
Josua das Volk zur Ruhe im Land seiner Väter brachte. Der inspirierte Schreiber
kommt also erneut zu der Schlussfolgerung oder Aussage, die er als Thema an den
Anfang der Diskussion gestellt hatte: Es bleibt also eine Sabbat-Ruhe für das
Volk Gottes. Die Ruhe, die den Heiligen bestimmt ist, wird mit dem Namen
"Sabbatruhe" bezeichnet, um anzuzeigen, dass sie derjenigen gleicht
und zu ihr gehört, in die Gott selbst am siebten Tag eingetreten ist, 1. Mose
2,2. Es ist die Ruhe des vollkommenen Glücks und der Zufriedenheit, der
unermesslichen und unaussprechlichen Seligkeit in der Gegenwart Gottes und Jesu
Christi. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese Ruhe in dem Abschnitt
gemeint ist, auf den sich die gesamte Argumentation des Autors stützt. Die
große Sabbatruhe ist für das Volk Gottes bestimmt; sie ist sicher, geborgen.
Für alle, die zum Volk Gottes gehören, ist sie sicher, die Jesus in jene
gesegnete Gemeinschaft mit Gott zurückgebracht hat, die von Anfang an für alle
Menschen bestimmt war. Für sie alle, für alle Gläubigen, ist die Ruhe Gottes
ein ewiger Sabbat, der für sie im Himmel reserviert ist.
Es ist die Ruhe Gottes, an der der Mensch
auch in anderer Hinsicht teilhaben soll: Denn wer in seine Ruhe eingeht, der
ruht auch selbst von seinen Werken, wie Gott von den seinen. Wie Gott am Ende
der Schöpfung in seine Ruhe hineingegangen ist und jetzt von allen seinen
Werken ruht, so werden die, die durch den Glauben dieser Ruhe teilhaftig
werden, von ihrer Arbeit ruhen, Matth. 25,35-40;
Offb. 14,13. Alle Werke der Gläubigen, so schwach und sündhaft sie auch sein
mögen, sind doch dadurch geweiht, dass sie im Namen Jesu zur Ehre Gottes getan
werden. In dieser Hinsicht wird die Ruhe der Ewigkeit eine Belohnung der Gnade
sein. Und eine Ruhe wird sie auf jeden Fall für die Gläubigen sein, denn sie
bedeutet eine Befreiung von allem Bösen, von allen Bedrängnissen, Prüfungen,
Versuchungen, Bedrängnissen, Elend dieses irdischen Lebens, von allen Sorgen
und Schmerzen und Nöten, Frieden, vollkommenen Frieden, in der Gegenwart
Gottes. Deshalb ist das Herz des Christen, wie der heilige Augustinus sagt,
nicht zufrieden, bis es in Ewigkeit im Herrn ruht.
Kühnheit
im Glauben an unseren Hohenpriester
(4,11-16)
11 So lasst uns nun Fleiß tun, einzukommen zu dieser Ruhe, damit nicht
jemand falle in dies Beispiel des Unglaubens. 12 Denn das Wort Gottes ist
lebendig und kräftig und schärfer als ein zweischneidiges Schwert und
durchdringt, bis dass es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist
ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. 13 Und ist keine Kreatur vor
ihm unsichtbar; es ist aber alles bloß und entdeckt vor seinen Augen; von dem
reden wir.
14 Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn
Gottes, der zum Himmel gefahren ist, so lasst uns halten an dem Bekenntnis. 15
Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte Mitleid haben mit
unserer Schwachheit, sondern der versucht ist allenthalben gleich wie wir, doch
ohne Sünde. 16 Darum lasst uns hinzutreten mit Freudigkeit zu dem Gnadenstuhl,
damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden auf die Zeit, wenn uns
Hilfe not sein wird.
Die Kraft des Wortes Gottes angesichts
des Unglaubens (V. 11-13): Die Ermahnung folgt natürlich aus der Auslegung:
Lasst uns also ernstlich danach streben, in diese Ruhe einzugehen, damit nicht
jemand in dieselbe Art von Unglauben verfällt. Die Christen sollen eifrig sein,
sie sollen sich anstrengen, sie sollen mit der ganzen Kraft ihres erneuerten
Herzens danach streben, in diese Ruhe einzugehen, die ihnen durch die
Verheißung Gottes in Aussicht gestellt wird. Den Kindern Israels in der Wüste
war das Wort Gottes verkündet worden; die Verheißung des Heils war ihnen von
Mose in Aussicht gestellt worden, aber sie hatten sich geweigert, darauf zu
hören und zu gehorchen, sie hatten der kostbaren und herrlichen Botschaft
keinen Glauben geschenkt. Ihr Verhalten wird daher als warnendes Beispiel für
alle Zeiten dienen, um die Menschen davor zu bewahren, sich einer ähnlichen
Übertretung schuldig zu machen und als ungehorsame und ungläubige Kinder von
Gott verworfen zu werden.
Denn diese Angelegenheit darf nicht auf die
leichte Schulter genommen werden, wie der heilige Schreiber weiter ausführt:
Denn lebendig ist das Wort Gottes und wirksam und schärfer als jedes
zweischneidige Schwert und dringt durch bis zur Scheidung von Seele und Geist,
Gelenk und Mark, und richtet die Vorstellungen und Gedanken des Herzens. Wäre die
Heilsbotschaft ein toter, unwirksamer Klang, könnte ein Ungläubiger die Ausrede
haben, dass das Hören des Wortes für ihn keinen Wert hätte. Aber uns wird
gesagt, dass das Wort Gottes lebendig ist, von dem wunderbaren Leben seiner
Quelle durchdrungen, voller belebender Kraft, Joh. 6,63; 1. Petr. 1,23. Es ist
in sich selbst aktiv, wirksam, energisch, fähig, das Werk auszuführen, zu dem
es bestimmt ist, Jer. 23,29; Röm. 1,16. Sie ist schärfer, schärfer als jedes
zweischneidige Schwert, Offb. 1,16; 2,12; Eph. 6,17. Seine Durchschlagskraft ist
so groß, dass es bis zur Trennung von Seele und Geist vordringt: Es trennt, es
zieht eine klare Trennungslinie zwischen dem alten natürlichen und dem neuen
geistlichen Leben eines Menschen, so wie eine Damaszenerklinge die Gelenke
spaltet und das Mark der Knochen freilegt, Apg. 2, 37. Die ganze Stelle ist
natürlich bildlich gemeint, und der Verfasser wollte durch die rhetorische
Fülle des Ausdrucks eine Wirkung erzielen. In einfachen Worten, wie er
hinzufügt, beurteilt das Wort Gottes die Vorstellungen und Ideen des Herzens.
Die innersten Gedanken und tiefsten Regungen des Herzens sind offen vor dem
allsehenden Auge Gottes und vor der Allwissenheit seines Wortes, Joh. 3,20.21;
1. Kor. 14,24.25. Es gibt nichts Verborgenes vor der Verkündigung des Willens
Gottes, sowohl des heiligen und gerechten Willens als auch des guten und gnädigen Willens; er kennt unsere Herzen viel
besser, als wir sie selbst kennen, und sein Wort erschließt uns verborgene
Tiefen, von denen wir selbst nie geträumt haben.
Die Betonung wird im nächsten Vers
fortgesetzt: Und kein Geschöpf ist vor Ihm unentdeckt, sondern alles liegt
nackt und bloß vor Seinen Augen, mit denen wir abrechnen. Das Bild, das der
inspirierte Schreiber an dieser Stelle verwendet, ist das eines Opfertieres,
dessen Kopf zurückgebogen und dann aufgeschnitten wurde, so dass das Innere den
Augen des Priesters zugänglich war. Wer fatalerweise glaubt, er könne
irgendeine Übertretung, irgendeinen sündigen Zustand vor den Augen Gottes und
der durchdringenden Kraft seines Wortes verborgen halten, der täuscht sich
selbst. Niemand darf für längere Zeit vergessen, dass es eine endgültige
Abrechnung geben wird, bei der alle Heuchelei und Täuschung der Menschen in
ihrer ganzen hässlichen Blöße aufgedeckt werden wird. In diesem Wissen werden
wir Christen uns gewiss aller Versuche enthalten, den allwissenden Herrn zu
täuschen, und uns mit allem Ernst bemühen, in die Ruhe einzugehen, die uns in
den Wohnungen unseres Herrn bereitet ist. Denn wie können wir entkommen, wenn
wir eine so große Erlösung vernachlässigen? Kap. 2,3.
Die Ermutigung, die uns unser großer Hoherpriester darreicht (V. 14-16): Das Bild, das der inspirierte Schreiber soeben von der Allwissenheit Gottes, wie sie durch sein Wort offenbart wird, gezeichnet hat, könnte den durchschnittlichen Leser in Angst und Schrecken versetzen, weil er seine eigene Unbedeutendheit angesichts einer solchen göttlichen Vollkommenheit, seine eigene Sündhaftigkeit angesichts einer solchen göttlichen Heiligkeit empfindet. Aber hier ist eine tröstliche Zusicherung für alle armen Sünder: Da wir nun einen großen Hohenpriester haben, der die Himmel durchschritten hat, Jesus, den Sohn Gottes, lasst uns an unserem Bekenntnis festhalten. Der Autor verliert nie aus den Augen, dass Jesus, der Heiland, sein großes Thema ist, Kap. 1,2.3; 2,17; 3,1, und dass die Verkündigung des Evangeliums des Heils der einzige Weg ist, den Glauben zu wirken. Von Jesus wird wahrhaftig gesagt, dass er die Himmel durchschritten hat. Denn wie der Hohepriester des Alten Testaments durch die Vorhöfe und hinter den Vorhang ging, um in das Allerheiligste des Tempels zu gelangen, so ging Jesus durch die Himmel und erschien inmitten der ewigen Wirklichkeiten im Thronsaal Gottes. Wir wissen, dass dieser unser Hoherpriester für uns für die Sühne plädiert, die er während seines ganzen Lebens geleistet und auf dem Hügel von Golgatha vollendet hat, und dass der Vater dem Plädoyer dieses Beistands nicht widerstehen kann. Und welches bessere und überzeugendere Argument könnte man sich ausdenken, um uns im Bekenntnis zu seinem heiligen Namen, in unserem christlichen Bekenntnis, zu halten, als dieses rettende Wissen?
Diese Ermutigung wird noch weiter bestätigt: Denn wir haben keinen Hohenpriester, der mit unseren Schwächen nicht mitfühlen kann, sondern der in allem versucht wird wie wir, ohne Sünde. Dies ist ein besonderer Punkt von menschlichem Interesse, der unsere Herzen zu diesem großen Hohenpriester hinzieht. Er war und ist Fleisch von unserem Fleisch, ein wahrer Mensch. Und während seines irdischen Lebens durchlebte er die schwersten Versuchungen, die je auf einen Menschen eingewirkt haben. Es war nicht nur so, dass die Versuchung an ihn herankam, ohne ihn wirklich anzugreifen. Vielmehr war es so, dass sein ganzes Wesen, Leib und Seele, manchmal bis ins Innerste erschüttert wurde, wie zum Beispiel, als er erklärte, dass seine Seele bis zum Tod sehr betrübt sei, und als er sich von seinem himmlischen Vater verlassen fand, ganz zu schweigen von den Angriffen des Teufels, die ihn immer wieder heimsuchten. vgl. Matth. 4,1-11; Luk. 4,1-13; Matth. 16,21-23; 27,45.46; Ps. 22,2-21. Er kann also tatsächlich mit dem Gefühl unserer Schwachheit berührt werden, Er kann tatsächlich Mitgefühl mit unseren Schwächen haben; Er weiß, was es für schwaches Fleisch und Blut bedeutet, mit gefährlichen Feinden zu kämpfen. Da er aber in seinem Fall alle Versuchungen ohne Sünde überstanden hat, kann er unser Hoherpriester und Fürsprecher beim Vater sein.
Diese Tatsache sollte uns daher ein Ansporn sein, unser ganzes Vertrauen mit aller Freudigkeit auf ihn zu setzen: Treten wir also vertrauensvoll vor den Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden, um in der Zeit der Not zu helfen. Normalerweise würde es kein Sünder wagen, sich dem heiligen und gerechten Gott zu nähern. Durch das Verdienst Jesu sind wir jedoch befähigt, diesen Akt der Anbetung, nämlich die Annäherung an den Thron des großen Gottes selbst, mit aller Fröhlichkeit und Zuversicht zu vollziehen. Denn es geht nicht darum, dass wir zu unserer Rechtfertigung irgendeinen Verdienst geltend machen wollen, sondern darum, dass wir wissen, dass wir Barmherzigkeit, die freie Gunst Gottes erlangen können, dass wir Gnade, Gottes freie Liebe, finden werden. In allen Stunden der Prüfung und des Leids also, wenn wir uns so sehr nach einem Trost sehnen, der nicht angefochten und angezweifelt werden kann, können wir uns auf diese Tatsache verlassen, dass unser Hoher Priester eine vollständige und vollkommene Versöhnung vollbracht hat und dass Gott nicht mehr zornig auf uns ist, sondern uns mit der ganzen Güte eines väterlichen Herzens annehmen und uns alles geben wird, was wir brauchen, um in seiner Gegenwart ewige Glückseligkeit zu genießen. So haben wir sowohl die Gewissheit der Vergebung als auch des göttlichen Beistands, und wir können mit der Fröhlichkeit des Glaubens durch das Leben gehen, weil wir wissen, dass uns am Ende des Weges die Ruhe des Herrn erwartet, wenn er uns nach Hause holt.
Zusammenfassung: Der heilige Schreiber setzt seine Warnung vor dem Unglauben fort, indem er aufzeigt, dass die Verheißung Gottes immer noch in Kraft ist, dass es immer noch eine Ruhe für das Volk Gottes gibt; er weist auf die Macht des Wortes Gottes hin und zeigt, dass wir uns kühn dem Thron Gottes nähern können im Vertrauen auf die Barmherzigkeit, die unser großer Hohepriester erworben hat.
Die Autorität Christi, unseres Hohenpriesters (5,1-10)
1 Denn ein jeglicher Hoherpriester, der aus
den Menschen genommen wird, der wird gesetzt für die Menschen gegen Gott, damit
er opfere Gaben und Opfer für die Sünden, 2 der da könnte mitleiden über die,
so unwissend sind und irren, weil er auch selbst umgeben ist mit Schwachheit. 3
Darum muss er auch, gleichwie für das Volk, so auch für sich selbst opfern für
die Sünden. 4 Und niemand nimmt sich selbst die Ehre, sondern der auch berufen
sei von Gott gleichwie Aaron.
5 So auch Christus hat sich nicht selbst in die Ehre gesetzt, dass er Hoherpriester würde, sondern der zu ihm gesagt hat: Du bist
mein Sohn; heute habe ich dich gezeugt. 6 Wie er auch am anderen Ort spricht:
Du bist ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks. 7 Und er hat in
den Tagen seines Fleisches Gebet und Flehen mit starkem Geschrei und Tränen
geopfert zu dem, der ihm von dem Tod konnte aushelfen; und ist auch erhört,
darum dass er Gott in Ehren hatte. 8 Und wiewohl er Gottes Sohn war, hat er
doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. 9 Und da er ist vollendet, ist er
geworden allen, die ihm gehorsam sind, eine Ursache zur ewigen Seligkeit, 10
genannt von Gott ein Hoherpriester nach der Ordnung
Melchisedeks.
Christus ist geeignet, unser Hoherpriester zu sein (V. 1-4): Der letzte Abschnitt
von Kapitel 4 dient als Einleitung zu einer langen Abhandlung über das Amt
Christi als unser Hohepriester. So wie Christus in Person und Amt den Engeln
und Mose unendlich überlegen war, so ist er auch weit über Aaron und alle
Hohepriester des Alten Testaments erhaben. Es war notwendig, dieses Thema
ausführlich zu behandeln, weil die Judenchristen immer noch viel zu viel Wert
auf den alttestamentlichen Kult und die Anbetung legten und glaubten, dass
solche äußeren Formen für die richtige Einstellung zu Gott notwendig seien.
Aber wo immer eine solche Vorstellung eine Gemeinschaft oder eine kirchliche
Körperschaft ergreift, besteht immer die Gefahr, dass die Glaubens- und Heilslehre
in den Hintergrund gerät, wenn sie nicht sogar ganz abgeschafft wird. Dass
Christus in erster Linie für das Amt des Hohenpriesters geeignet war, geht aus
der Tatsache hervor, dass er die Voraussetzungen für dieses Amt besaß. Von der
ersten Qualifikation sagt der heilige Schriftsteller: Denn jeder Hohepriester,
der aus den Menschen erwählt ist, ist für die Menschen bestellt in den Dingen,
die Gott angehen, damit er sowohl Gaben als auch Opfer für die Sünden
darbringen kann. Die Hohepriester des Alten Testaments wurden aus den Menschen
genommen oder ausgewählt, aus ihren Brüdern, 3. Mose 21,10, aus dem Stamm Levi
und aus dem Geschlecht Aarons. Der Auserwählte wurde dann in sein Amt
eingeführt, indem er für die gottesdienstlichen Angelegenheiten, die das Heil
der Menschen betrafen, geweiht oder eingesetzt wurde. Sein Amt war für die
Menschen, das Volk seines Volkes, in Sachen Gott bestimmt; mit anderen Worten,
die Tatsache, dass der Hohepriester ein Vermittler zwischen Gott und den
Menschen war, wurde besonders und in erster Linie hervorgehoben. Bei der
Ausübung seines Amtes brachte der Hohepriester sowohl Gaben als auch Sündopfer dar. Sowohl die unblutigen als auch die blutigen
Opfer dienten dazu, die Sünden des Volkes zu sühnen; denn dies war der Hauptzweck
des Amtes des Hohenpriesters.
Es war bezeichnend, dass der Hohepriester
aus seinen Brüdern ausgewählt wurde, denn dadurch konnte er jederzeit mit dem
ganzen Volk in herzlicher Verbindung stehen: Er ist fähig, mit den Unwissenden
und Irrenden sanft umzugehen, da er selbst mit Schwäche behaftet ist, und
deshalb ist er verpflichtet, wie für das Volk, so auch für sich selbst Sündopfer zu bringen. Da der Hohepriester als sündiger
Mensch denselben Schwächen unterworfen war wie das übrige Volk, da er wusste,
wie leicht und schnell ein Mensch unter Umständen in Sünde fallen, irgendeiner
Versuchung nachgeben kann, war er daher jederzeit in der Lage, seine Gefühle zu
mäßigen, seinen gerechten Zorn über das Begehen von Sünden zu beherrschen, mit
Nachsicht, Sanftmut und Mäßigung mit den Verfehlungen anderer umzugehen, vor
allem, wenn von vornherein klar war, dass diese aus Unwissenheit, durch
irgendeinen Fehltritt vom Weg der Rechtschaffenheit begangen wurden. Für
Sünden, die in einem Geist hochmütiger Gewalttätigkeit und frecher Missachtung des
Gesetzes Gottes begangen wurden, wurde der Übeltäter summarisch bestraft, indem
er aus der Gemeinde des Herrn ausgeschlossen wurde. Aber für Sünden, die ohne
Bosheit und Gemeinheit begangen wurden, konnte Sühne durch ein Opfer geleistet
werden. Der Hohepriester, der sich seiner eigenen Schwäche und
Unzulänglichkeiten bewusst war, konnte also nicht nur sanft mit denjenigen
umgehen, die gegen das Gesetz Gottes verstießen, sondern er war auch
verpflichtet, für seine eigenen Sünden Opfer zu bringen (3. Mose 16,6), was ihn
in seinem Amt natürlich sanftmütig und demütig machen sollte. Die erste
Qualifikation des Hohenpriesters bestand also darin, dass er im Bewusstsein
seiner eigenen Schwäche und Sündhaftigkeit die richtige Haltung der Sanftmut im
Umgang mit den anderen Mitgliedern der Gemeinde einnehmen konnte.
Die zweite Qualifikation des Hohepriesters
des Alten Testaments war: Niemand nimmt dieses ehrenvolle Amt für sich in
Anspruch, sondern nur, wenn er von Gott berufen wird, so wie es auch bei Aaron
der Fall war. Aaron wurde von Gott ausdrücklich und eindeutig zum ersten
Hohepriester des jüdischen Volkes bestimmt und geweiht, 2. Mose 28. Zugleich
legte der Herr die Nachfolge dieses höchsten Amtes fest. Der Hohepriester
übernahm sein Amt also nicht aus eigenem Ehrgeiz, sondern durch den Ruf Gottes,
um ihm zu dienen und die Menschen wieder in die rechte Gemeinschaft mit ihm zu
bringen. Vgl. 4. Mose 3,10; Kap. 16-18. Dieselbe Haltung gegenüber dem heiligen
Amt sollte zu allen Zeiten beachtet werden und kann sogar von den Predigern des
Neuen Testaments erwartet werden: Der göttliche Ruf sollte die Annahme eines
Amtes in der Kirche bestimmen, nicht die persönliche Wahl und der schäbige
Ehrgeiz, der durch verschiedene zwielichtige Machenschaften unterstützt wird.
Das war die zweite Qualifikation des alttestamentlichen Hohepriesters, dass er
das ehrenvolle Amt durch eine Berufung von Gott innehatte. Anmerkung: Die
römische Kirche hat versucht, diesen Abschnitt zu benutzen, um ihre Lehre vom
Messopfer zu verteidigen. Aus dem gesamten Abschnitt geht jedoch hervor, dass
der heilige Schriftsteller vom levitischen Priestertum nur insofern spricht,
als es ein Vorbild für das Priestertum Christi war.[4]
Die vollkommene Erlösung, durch Christus
erworben (V. 5-10): Dass die erste Eigenschaft eines Hohenpriesters in
Christus zu finden war, hatte der Schreiber am Ende von Kapitel 4 gezeigt,
nämlich, dass er mit dem Gefühl unserer Schwachheit berührt wurde. Hier wird
gezeigt, dass auch die zweite Eigenschaft eines Hohenpriesters bei Christus
nicht fehlt, nämlich dass er berufen war, das Amt zu erfüllen: So verherrlichte
sich auch Christus nicht selbst, um zum Hohenpriester gemacht zu werden,
sondern Er (sorgte dafür), der sagte: Du bist mein Sohn, ich habe dich heute
gezeugt; wie Er auch an anderer Stelle sagt: Du bist ein Priester in Ewigkeit
nach der Ordnung des Melchisedek. Christus hat sich die Herrlichkeit und Ehre
des von ihm ausgeübten hohenpriesterlichen Amtes
nicht selbst zugeschrieben oder angemaßt. In Christus gab es weder persönlichen
Ehrgeiz noch ein schmutziges Motiv. Er ist nicht in seinem eigenen Namen
gekommen, noch hat er versucht, sich selbst zu verherrlichen. Vgl. Joh. 8,54;
5,31.43; 17,5. Es war ein anderer, der seine Ehre suchte und danach urteilte,
nämlich sein himmlischer Vater, von dem der Messias selbst in Ps. 2,7 sagt,
dass der Herr ihn ausdrücklich seinen ewigen Sohn genannt habe. Dieses Zitat
zeigt, was für eine unermesslich große und hohe Person unser Hoherpriester ist: Gottes eigener ewiger Sohn. Die
messianische Würde schloss die des Priestertums ein. Bei jemandem, der eine so
hohe Stellung innehatte, kann die Tatsache, dass er der große Hohepriester
wurde, nicht überraschen. Der zweite Abschnitt, Ps. 110,4, definiert genau die
priesterliche Stellung und das Amt Jesu, auf die bereits allgemein hingewiesen
wurde. Christus ist von Gott dazu berufen worden, unser Priester, unser großer Hoherpriester zu sein. Und der wahrhaftigste Typus von
Christus in dieser Eigenschaft ist nicht Aaron, der Priester, sondern
Melchisedek, wie der Verfasser später ausführlich darlegt. Seine Stellung,
seine Qualität und seine Art stellen Jesus in eine Reihe mit diesem
einzigartigen Priester des Alten Testaments, der zur Zeit Abrahams lebte.
Der inspirierte Autor fährt nun fort zu
zeigen, wie Jesus dem Ruf seines Vaters gehorsam wurde: Der in den Tagen seines
Fleisches Gebete und Bitten mit starkem Weinen und Tränen zu dem vorbrachte,
der ihn vom Tod erlösen konnte, und wegen seiner göttlichen Ehrfurcht erhört
wurde. Als Christus zu unserem Hohenpriester ernannt wurde, wusste er, dass
dieses Amt einen Gehorsam erforderte, der Fleisch und Blut gänzlich zuwider
war, da es auch die Notwendigkeit beinhaltete, das Opferlamm für die Sünden der
ganzen Welt zu werden. Doch in den Tagen seines Fleisches, als er sich in
seinem Zustand der Erniedrigung befand, als er seinen Brüdern nach dem Fleisch
an Leidensfähigkeit und Versuchung glich, zeigte er seinen Gehorsam, sogar
inmitten seiner großen Passion. In Gethsemane, auf dem Kalvarienberg, brachte
Er seinem himmlischen Vater nicht nur stille Gebete, sondern auch ernste,
dringende Bitten dar. Das Leiden berührte Ihn so tief, dass Er starkes und
bitteres Weinen und Tränen hinzufügte. Er schrie zu Gott, seinem himmlischen
Vater, von dem er in der Tiefe der auf ihm liegenden Verdammnis verlassen
worden war, um Befreiung von der schrecklichen Erfahrung des zeitlichen und
ewigen Todes. Die Ernsthaftigkeit, mit der Christus um Befreiung bat, wurde
durch die Tatsache verstärkt, dass er wusste, dass sein himmlischer Vater in
der Lage war, ihn zu befreien, sei es durch die Entsendung von zwölf Legionen
von Engeln oder auf andere Weise. Gerade angesichts der Tatsache, dass der
Vater über allmächtige Macht und unendliche Mittel verfügte, hielt er an seinem
Leiden fest. Sein Gehorsam wurde also belohnt, seine gottesfürchtige Ehrfurcht,
mit der er sich stets die Notwendigkeit vor Augen hielt, den Rat der Liebe
Gottes bis zum Ende auszuführen, wurde auf diese Weise anerkannt, dass sein
Vater ihn erhörte. Er ging durch die schreckliche Prüfung, das Heil für alle
Menschen zu erlangen, und wurde mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt und zur
Rechten Gottes erhöht, Phil. 2,9-11. So hat Gott seinem Sohn die beste Antwort
auf sein Gebet der ehrfürchtigen Unterwerfung gegeben, indem er ihm den Kelch
bis zur Neige trinken ließ, um so das große Werk zu vollenden, zu dem er
berufen war.
Die Größe des opferbereiten Gehorsams wird
noch weiter hervorgehoben: Obwohl er ein Sohn war, lernte er durch die Dinge,
die er erlitt, den Gehorsam und wurde, nachdem er vollendet war, für alle, die
ihm gehorchen, zur Quelle des ewigen Heils. Christus war der Sohn Gottes, von
Ewigkeit her im Schoß des Vaters, der Besitzer vollkommener Glückseligkeit und
Seligkeit, der Gegenstand der zärtlichen und fürsorglichen Liebe des Vaters.
Deshalb wurde er von seinem Vater erhört, was zur Folge hatte, dass er litt,
dass er den Willen seines himmlischen Vaters ausführte. Auf diese Weise lernte
Er den Gehorsam, erwarb Er jene vollkommene Unterwerfung, die notwendig und
zugleich dem Bedürfnis aller Menschen angemessen war. „Wenn ein Kind etwas tun
soll, das ihm weh tut und vor dem es zurückschreckt, lernt es Gehorsam, lernt
es, sich einem anderen Willen zu unterwerfen. Und das, was Christus erlitt, um
dem Willen Gottes zu gehorchen, lehrte ihn vollkommene Unterwerfung und zugleich
vollkommene Hingabe an den Menschen.“[5] Auf diese Weise wurde
Christus vervollkommnet, wurde er mit allen Qualifikationen ausgestattet, die
für das große Sühnewerk notwendig sind. Auf diese Weise wurde das ewige Heil
erworben, wobei Christus selbst der Urheber und die Quelle dieses Heils wurde.
Diese Erlösung wird nun tatsächlich in denen verwirklicht, die Christus
gehorchen, die ihm den Gehorsam des Glaubens erweisen, 2 Kor. 10, 5. 6; Röm.
1,5, die ihn als ihren großen Hohenpriester und ihr Opfer annehmen. So wird er
auch jetzt von Gott als Hoherpriester nach der
Ordnung Melchisedeks gegrüßt. Ein Ausleger schreibt dazu: „Als der Sohn aufstieg und im Heiligtum in der Höhe erschien, begrüßte
Gott ihn oder sprach ihn als Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks an. Das
ist eine Garantie dafür, dass das Erlösungswerk vollendet ist, dass es vor
allen Menschen bereit liegt, dass Gott selbst es anerkannt und angenommen hat.“
Wir haben hier eine wunderbare Quelle des Trostes für unseren Glauben unter
allen Umständen.
Eine
Rüge geistlicher Unwissenheit (5,11-14)
“11 Davon hätten wir wohl viel zu reden; aber es ist schwer, weil ihr so
unverständig seid. 12 Und die ihr solltet längst Meister sein, bedürft ihr
wieder, dass man euch die ersten Buchstaben der göttlichen Worte lehre, und
dass man euch Milch gebe und nicht starke Speise. 13 Denn wem man noch Milch
geben muss, der ist unerfahren in dem Wort der Gerechtigkeit; denn er ist ein
junges Kind. 14 Den Vollkommenen aber gehört starke Speise, die durch
Gewohnheit haben geübte Sinne zum Unterschied des Guten und des Bösen.
Nach der Tendenz des letzten Abschnitts könnte man nun erwarten, dass an dieser Stelle eine vollständige Diskussion über das Hohepriestertum Christi beginnt. Stattdessen aber fügt der heilige Schreiber hier einen Tadel und eine Ermahnung ein, die darauf abzielen, seinen Lesern die Notwendigkeit zu vermitteln, die in diesem Brief enthaltenen Lehren richtig zu beherzigen. Zunächst wird der Grund für die Rüge genannt: Über ihn gibt es viel zu sagen und schwer zu erklären, da ihr träge geworden seid im Hören. Das ganze Thema, das jetzt angeschnitten wurde, nämlich dass Christus ein Hoherpriester nach der Ordnung Melchisedeks ist, ist ein Thema, über das man viel schreiben könnte. Der Autor hat auch die Absicht, diesen wichtigen Vergleich ausführlich zu erörtern, Kap. 7, zu erörtern, auch wenn aufgrund der Schwierigkeit des Themas eine Erklärung nicht ohne weiteres möglich ist. Und der Grund liegt in diesem Fall nicht in der grundsätzlichen, inhärenten Unvernunft der Lehre, sondern in der Tatsache, dass die Leser träge geworden sind im Hören und Verstehen. Der Tadel trifft die Tatsache, dass die Judenchristen, an die der Brief gerichtet ist, in der Erkenntnis, im Studium, im Verständnis der Lehrinhalte zurückgeblieben sind. Dies ist in vielen Gemeinden oder Gemeinschaften der Fall, in denen das Wort Gottes seit einiger Zeit gepredigt wird. Es besteht immer die Gefahr, dass Menschen eine selbstzufriedene, selbstgenügsame Haltung gegenüber der Unterweisung in geistlichen Dingen einnehmen, die sich gegen jede Andeutung wehrt, dass sie einer solchen Unterweisung bedürfen. Wo immer diese „Alleswisser“-Haltung angenommen wird, ist ein Rückschritt in der geistlichen Erkenntnis und im geistlichen Leben vorprogrammiert.
Dieser Zustand wird von dem inspirierten Schreiber dargestellt: Denn obwohl ihr nach der Länge der Zeit Lehrer sein solltet, habt ihr es doch nötig, wieder jemanden zu haben, der euch die Grundzüge des Anfangs der Orakel Gottes lehrt, und ihr seid geworden, als hättet ihr Milch nötig und nicht feste Speise. Wenn man bedenkt, wie lange das Evangelium schon in Judäa gepredigt wurde, nämlich mehr als eine Generation vorher, und wie viele Gelegenheiten die Judenchristen hatten, sich mit allen Zweigen der Lehre des Evangeliums vertraut zu machen, so war es keineswegs eine unangemessene Erwartung, dass sie alle die Fähigkeit besaßen, andere zu lehren, ihnen die wunderbaren Wahrheiten des Wortes Gottes zu vermitteln, sowohl die einfachen Lehren als auch diejenigen, die ein gewisses Maß an geistigem Verständnis erforderten. Aber der Verfasser ist gezwungen, seine Leser zu tadeln, weil es wieder notwendig geworden war, ihnen die Grundzüge der christlichen Lehre beizubringen, die grundlegenden Tatsachen, deren Kenntnis von den Katechumenen erwartet wurde, wenn sie in die Kirche aufgenommen wurden. Damals wie heute bildeten die zentralen Lehren des Christentums die Grundlage des Unterrichts und sollten von den Bewerbern um die Mitgliedschaft in der Gemeinde beherrscht werden. Daher war es in der Tat eine Schande, dass diese Judenchristen, die eigentlich Veteranen im christlichen Wissen hätten sein müssen, nicht das Verständnis aufbrachten, das von den Novizen verlangt wurde. Sie waren, was das geistliche Wissen anbelangt, wie Säuglinge, die keine feste Nahrung zu sich nehmen können, sondern ganz auf Milch angewiesen sind. Vgl. „Statt erwachsen zu werden, auf eigenen Füßen zu stehen und ihre eigene Nahrung auszuwählen und zu verdauen, waren sie in geistliche Verblödung gefallen und in eine zweite Kindheit eingetreten, in der sie nur die einfachste Nahrung aufnehmen konnten.“ (Dods.) Reife Christen sollten in der Lage sein, auch die fortgeschritteneren und komplizierteren Lehren des christlichen Glaubens zu verstehen und sie mit Nutzen für ihren Glauben zu betrachten.
Der Sprache des heiligen Schriftstellers mangelt es in diesem Punkt nicht an Klarheit: Denn jeder, der noch von der Milch trinkt, ist unerfahren im Wort der Gerechtigkeit, denn er ist ein Säugling. Solange ein Mensch gezwungen ist, sich in Ermangelung eines tieferen Verständnisses auf die einfachste Darstellung der grundlegenden Wahrheiten des Christentums als einzige Nahrung zu verlassen, ist er ein geistlicher Säugling und Kleinkind. Er hat keine Vorstellung von der wunderbaren Tragweite, von den mannigfaltigen Schönheiten, die im Wort der Gerechtigkeit, dem Evangelium, enthalten sind, das die Gerechtigkeit lehrt, die von Gott angenommen wird, nämlich die Gerechtigkeit Christi, die dem Menschen von Gott durch den Glauben zugerechnet wird. Mit dem richtigen, eingehenden Studium des Wortes wird der Mensch tief und immer tiefer in die Geheimnisse Gottes eindringen und ständig neue Nahrung für seinen Glauben erhalten.
Dazu sagt der inspirierte Autor zum Schluss: Feste Speise aber ist für die Reiferen, die aufgrund ihrer geistigen Übung ihre intellektuellen Fähigkeiten zur Unterscheidung von Gut und Böse trainiert haben. Christen, die einen gewissen Grad an geistlicher Reife erreicht haben, haben dies aufgrund der Gewohnheit getan, die sie durch ständige Übung im Wort Gottes entwickelt haben; das Ergebnis ist schließlich, dass ihre intellektuellen Fähigkeiten, kontrolliert durch ihren Glauben und ihre Liebe zu Christus, den Unterschied zwischen Gut und Böse leicht erfassen, zwischen Dingen, die für ihr geistliches Leben nützlich sind, und solchen, die schädlich sind. Ihre Wahrnehmung ist so geschärft, ihr Geschmack so entwickelt, dass sie das Gesunde und das Schädliche leicht erkennen können. Anmerkung: Alle Christen haben die Möglichkeit, in ihrer geistlichen Erkenntnis zu wachsen. Wenn sie tatsächlich Tag für Tag das Wort Gottes studieren, wenn sie jeden Gedanken unter den Gehorsam Christi gefangen nehmen, dann wird es bald Anzeichen von Reife im Verständnis aller biblischen Lehren geben und eine richtige Unterscheidung zwischen dem Heilsamen und dem Krankhaften und Schädlichen in Lehre und Leben. Der Tadel gilt heute wahrscheinlich genauso scharf wie damals, und unsere demütige Anerkennung dieser Tatsache kann den Weg für die notwendige Verbesserung ebnen.
Zusammenfassung: Der inspirierte Autor zeigt, dass Christus die notwendigen Qualifikationen besitzt, um unser Hoherpriester zu sein, und dass eine vollkommene Erlösung durch seinen Gehorsam verdient wurde; er fügt eine scharfe Rüge wegen der geistlichen Unreife seiner Leser ein.
Ein Aufruf zum Wachsen und zur Festigkeit im Glauben (6,1-20)
1 Darum wollen wir die Lehre vom Anfang christlichen Lebens jetzt lassen
und zur Vollkommenheit fahren, nicht abermals Grund legen von Buße der toten
Werke, vom Glauben an Gott, 2 von der Taufe, von der Lehre, vom Händeauflegen,
von der Toten Auferstehung und vom ewigen Gericht. 3 Und das wollen wir tun, so
es Gott anders zulässt.
4 Denn es ist unmöglich, dass die, so einmal erleuchtet sind und
geschmeckt haben die himmlische Gabe und teilhaftig geworden sind des Heiligen
Geistes 5 und geschmeckt haben das gütige Wort Gottes und die Kräfte der
zukünftigen Welt, 6 wenn sie abfallen und wiederum sich selbst den Sohn Gottes
kreuzigen und für Spott halten, dass sie sollten wiederum erneuert werden zur
Buße. 7 Denn die Erde, die den Regen trinkt, der oft über sie kommt, und bequem
Kraut trägt denen, die es bauen, empfängt Segen von Gott. 8 Welche aber Dornen
und Disteln trägt, die ist untüchtig und dem Fluch nahe, welche man zuletzt
verbrennt.
9 Wir sind aber, ihr Liebsten, von einem Besseren überzeugt von euch,
und dass die Seligkeit näher ist, obwohl wir so reden. 10 Denn Gott ist nicht
ungerecht, dass er vergesse euer Werk und Arbeit der Liebe, die ihr bewiesen
habt an seinem Namen, da ihr den Heiligen dientet und noch dient. 11 Wir
begehren aber, dass euer jeglicher denselben Fleiß beweise, die Hoffnung
festzuhalten bis ans Ende, 12 dass ihr nicht träge werdet, sondern Nachfolger
derer, die durch den Glauben und Geduld ererben die Verheißungen.
13 Denn als Gott Abraham verhieß, da er bei keinem Größeren zu schwören
hatte, schwur er bei sich selbst 14 und sprach: Wahrlich, ich will dich segnen
und vermehren. 15 Und so trug er Geduld und erlangte die Verheißung. 16 Die
Menschen schwören wohl bei einem Größeren als sie sind; und der Eid macht ein
Ende alles Haders, dabei es fest bleibt unter ihnen. 17 Aber Gott, da er wollte
den Erben der Verheißung überschwänglich beweisen, dass sein Rat nicht wankte,
hat er einen Eid dazugetan, 18 damit wir durch zwei Stücke, die nicht wanken
(denn es ist unmöglich, dass Gott lüge), einen starken Trost haben, die wir
Zuflucht haben und halten an der angebotenen Hoffnung, 19 welche wir haben als
einen sicheren und festen Anker unserer Seele, der auch hineingeht in das
Inwendige des Vorhangs, 20 dahin der Vorläufer für uns eingegangen, Jesus, der
ein Hoherpriester geworden ist in Ewigkeit nach der
Ordnung Melchisedeks.
Christen sollen in der Erkenntnis
wachsen (V. 1-3): Der inspirierte Schreiber setzt den Exkurs fort, der mit
Kap. 5,11 begonnen hat, in dem er eine scharfe Zurechtweisung wegen der
geistlichen Trägheit ausspricht, vor dem Abfall vom Glauben warnt und seine
Leser ermahnt, sich mit großem Ernst um das weitere Wachstum und die sichere
Bewahrung der vollen Gewissheit ihrer christlichen Hoffnung zu bemühen. Die
ersten Worte dieses Kapitels bekräftigen die letzte Bemerkung des
vorangegangenen Kapitels: Darum lasst uns, nachdem wir die Lehre vom Anfang
Christi hinter uns gelassen haben, zur Vollkommenheit fortschreiten und den
Grund der Buße von den toten Werken und des Glaubens an Gott, der Lehre von der
Taufe, der Handauflegung, der Auferstehung der Toten und des ewigen Gerichts
nicht neu legen. Weil die Judenchristen Palästinas trotz der vielen Vorteile,
die sie genossen hatten, in geistlichen Dingen noch so träge waren, und weil
man andererseits von ihnen erwarten konnte, dass sie den Zustand der geistlichen
Kindheit und Unreife hinter sich ließen, fügt der Schreiber diese Ermahnung
hinzu. Sie sollten die Elemente, die Grundlagen der christlichen Lehre hinter
sich lassen und zur Vollkommenheit übergehen. Zu diesem Zustand sollten sie
sich vorwärts treiben lassen, sie sollten sich dem Einfluss des Wortes in
seiner Wirkung auf ihr Herz und ihren Verstand, ihren Willen und ihren
Intellekt hingeben. Es sollte nicht nötig sein, immer wieder das Fundament der
Buße und des Glaubens und all der einfachen Belehrungen zu legen, mit denen sie
zu diesem Zeitpunkt bereits vertraut sein sollten.
Dieser Punkt wird nun analysiert. Die Buße
von den toten Werken, wie sie in den Menschen, die selbst geistlich tot sind,
hervorgebracht wird, der Glaube an Jesus Christus als den einzigen Weg zur
Erlösung, die Lehre von den Taufen, von der christlichen Taufe in ihrer
Beziehung zu den jüdischen Waschungen, 1. Petr. 3,21, die Lehre von der
Handauflegung bei den Neugetauften, um ihnen die Gabe des Heiligen Geistes zu
vermitteln, Apg. 8,17-19; 19,6, die Lehre von der Auferstehung der Toten und
vom ewigen Gericht: all dies ist das Material, aus dem die Grundlage der
christlichen Erkenntnis besteht und auf dem die christliche Vollkommenheit
beruht. Dieses Material ist in drei Gruppen unterteilt, die paarweise
miteinander verbunden sind; die ersten beiden bezeichnen die grundlegende
Forderung des christlichen Lebens, die nächste den Anfang, die letzte den
Gegenstand oder das Ziel. Reue und Glaube sind die Voraussetzungen für das
christliche Leben; sie kennzeichnen die Hinwendung des Menschen aus der
geistlichen Finsternis zum Licht der Gnade Gottes in Christus Jesus. Durch die
Taufe wird der Bekehrte ein Glied der Kirche und erhält durch Handauflegung die
Gaben, die ihn für den Dienst im Hause Gottes befähigen. Schließlich freut er
sich auf die Auferstehung der Toten und das Jüngste Gericht; denn dies bedeutet
für jeden Gläubigen die Vollendung der Herrlichkeit, die niemals enden wird.
Mit ermutigender Offenheit fügt der Verfasser hinzu: Und das werden wir tun,
wenn der Herr es zulässt. Er will auf die Vollkommenheit hinarbeiten, auf die
Reife, die den Christen gebührt, die die Vorteile hatten, die seine Leser
genossen haben. Gleichzeitig weiß er nicht nur, dass der Erfolg dieses
Vorhabens ganz vom Willen Gottes abhängt, sondern auch, dass es keineswegs
selbstverständlich ist, dass Gott die Durchführung dieses Plans zulässt. Es
könnten sich Schwierigkeiten ganz besonderer Art in den Weg stellen, die das
Vorhaben ganz und gar verhindern könnten, wie im nächsten Absatz deutlich wird.
Eine Warnung davor, den Glauben zu
verleugnen (V. 4-8): Hier haben wir den Grund, warum an Fortschritt und
Wachstum bei bestimmten Menschen nicht zu denken ist: Denn es ist unmöglich,
dass Menschen, die einmal erleuchtet worden sind, die auch die himmlische Gabe
geschmeckt haben und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden sind und das
herrliche Wort Gottes und die Kräfte der zukünftigen Welt gekostet haben und
dann abgefallen sind, zur Buße erneuert werden, weil sie sich den Sohn Gottes
gekreuzigt und zu Schanden gemacht haben. Diese schwierige Stelle muss sehr
genau untersucht werden, wenn man den beabsichtigten Sinn erfassen will. Der
Verfasser erklärt, dass es für bestimmte Personen schlichtweg unmöglich ist,
erneuert zu werden, ein zweites Mal zur Buße zurückgebracht zu werden. Diese
Personen charakterisiert er durch eine Beschreibung, die vier Punkte umfasst.
Die Menschen, an die er denkt, sind solche, die vom Heiligen Geist durch das
Wort erleuchtet worden sind, die ein geistliches Verständnis von Christus und
ihrer Erlösung durch Christus haben, Eph. 1,18; 5,8; 1. Petr. 2,9, mit anderen
Worten, Christen, solche, die aus der Finsternis der Gottlosigkeit zu dem
wunderbaren Licht in Christus berufen worden sind. Die Menschen, auf die sich
der Autor bezieht, sind außerdem solche, die die himmlische Gabe gekostet haben,
die Gabe des Heils in Christus als kostbare Gnadengabe, die Vergebung der
Sünden, alle Segnungen der Kindschaft, Frieden und Freude im Heiligen Geist.
Sie sind ferner des Heiligen Geistes teilhaftig geworden, sie sind versiegelt
worden mit dem Heiligen Geist der Verheißung, dem Vorgeschmack unseres Erbes
bis zur Erlösung des erkauften Eigentums, Eph. 1, 14. Sie haben endlich das
herrliche, das ausgezeichnete Wort Gottes und die Kräfte des zukünftigen Lebens
gekostet; sie fühlen, sie erkennen den mächtigen Einfluss, den Gottes Wort der
Verheißung auf Geist, Verstand und Seele ausübt. Sie haben die Kraft Gottes zum
Heil erfahren, die alle ewigen, himmlischen Segnungen vermittelt; sie haben durch
den Glauben den Genuss des künftigen Lebens vorweggenommen und sind in der
Hoffnung der Herrlichkeit des Himmels teilhaftig.
Wenn Personen, auf die diese Beschreibung
zutrifft, Menschen, die zweifellos Jesus als ihren Erlöser angenommen, ihr
Vertrauen auf sein Heil gesetzt und die Freuden des ewigen Lebens aufgrund der
ihnen durch das Wort gegebenen Kraft vorweggenommen haben, nun trotz dieser
rettenden Erkenntnis durch eine bewusste Verleugnung dieser Erkenntnis
abfallen, dann ist ihre Rückkehr zur Umkehr ausgeschlossen. Der Grund für diese
Tatsache ist nicht bei Gott zu suchen, als ob seine gnädige Absicht und sein
Wille für sie nicht aufrichtig gewesen wären, sondern bei den Menschen selbst.
Wenn ihr Abfall so geschieht, wie hier beschrieben, mit einer absichtlichen,
böswilligen Verleugnung der Wahrheit, dann kreuzigen sie den Sohn Gottes für
sich selbst und stellen ihn zu Schanden und Schmach vor die Menschen. Sie
leugnen absichtlich und willentlich jede Verbindung mit dem Herrn, der für sie
gekreuzigt wurde, sie brandmarken ihn als Verbrecher, als falschen Messias, der
die Schande des Todes am Kreuz erlitten hat. All das verüben sie gegen den, den
sie früher als Sohn Gottes anerkannt haben, von dem sie wussten, dass er der
Erlöser der Welt ist. Sie können sich nicht auf Unwissenheit berufen oder
darauf, dass sie in törichtem Unglauben gehandelt haben. Aus diesem Grund bringt
ihr Verhalten das Gericht, die ewige Verdammnis über sie. Der Grund, warum ihre
Herzen verstockt sind, warum es für sie unmöglich ist, umzukehren und zur
Umkehr zu gelangen, liegt im Charakter ihrer Übertretung. Sie verharren
hartnäckig und beharrlich in ihrem antichristlichen, gotteslästerlichen
Verhalten, sie verhärten ihr eigenes Herz gegen alle Versuche des Wortes,
Eingang zu finden, und werden so schließlich in ihrer Herzenshärte aufgegeben,
Apg. 28,27.[6]
Der Verfasser sagt nicht, dass seine Leser
dieses Stadium erreicht haben; er weist nur auf die Möglichkeit hin, dass es
ihnen ebenso ergehen kann wie anderen, und warnt sie so vor geistlicher
Trägheit, vor mangelndem Fleiß im Gebrauch der Gnadenmittel. Vgl. 2. Kor. 6,1.
Und er unterstreicht seine Warnung durch ein Gleichnis: Denn das Land, das den
Regen, der oft darauf fällt, aufnimmt und Pflanzen hervorbringt, die denen, die
es bebauen, nützlich sind, hat teil am Segen Gottes; das Land aber, das Dornen
und Disteln hervorbringt, ist wertlos und steht am Rande des Fluchs, und sein
Ende ist das Verbrennen. Dies ist eine Analogie aus der Natur, um das
Verhängnis des Abtrünnigen zu veranschaulichen. Wenn ein Stück Boden auf die
Bearbeitung des Landwirts oder Gärtners reagiert und genügend Regen für die
angebauten Pflanzen hat und eine Ernte einbringt, die den Erwartungen
entspricht, die man in sie setzen konnte, dann zeigt sich Gottes Zustimmung in
den reichen Erträgen des Bodens. Wenn sich aber ein Stück Boden, das mit aller
Sorgfalt bearbeitet wurde und alle Feuchtigkeit erhält, die für eine gute Ernte
nötig ist, und sich dennoch weigert, auf eine solche Behandlung zu reagieren,
nicht als würdig erweist, muss es als wertlos verurteilt werden, und die Dornen
und Disteln, die es hört, müssen schließlich verbrannt werden. Die Anwendung
des Gleichnisses ist nicht schwer. Der reichliche und immer wiederkehrende
Regen steht für das freie und beständige Angebot und die Gabe der Gnade Gottes,
für die Erleuchtung durch das Wort Gottes, für das wirksame Wirken des Heiligen
Geistes in den Herzen der Gläubigen. Dies sollte sie alle befähigt haben, Gott
gegenüber richtige Frucht zu bringen. Wenn nun jemand, der diese Segnungen
empfangen hat, sein Herz verhärtet und Früchte der Lästerung und böswilligen
Verleugnung der Gnade hervorbringt, so hat er sein eigenes Verderben besiegelt.
Denn das hier beschriebene Verhalten ist die Sünde gegen den Heiligen Geist,
für die es keine Vergebung gibt, weder in dieser noch in der kommenden Welt. Vgl.
Matth. 12,31.32; Mark. 3,28.29; Luk. 12,10.[7]
Wachstum in der Heiligung (V. 9-12):
Hier erklärt der inspirierte Autor ausdrücklich, dass er nicht andeuten will,
dass sich einer seiner Leser im Zustand der Selbstverstockung
befindet. Er will lediglich seine Warnung vor der Verleugnung des Glaubens sehr
eindrücklich machen und gleichzeitig alle Fortschritte in der Heiligung
anmahnen: Wir sind aber bei euch, Geliebte, von Dingen überzeugt, die besser
und heilsfördernd sind, auch wenn wir so reden. Schon die Tatsache, dass er
seine Leser als „Geliebte“ anspricht, zeigt, dass er das Bild, das er gerade
gezeichnet hat, nicht auf sie in ihrem gegenwärtigen Zustand anwendet. Der
inspirierte Autor ist voll und ganz davon überzeugt, dass ihnen ein ganz
anderes und unermesslich besseres Los zuteil werden
wird, das mit dem Heil ihrer Seele verbunden ist und auf dieses zustrebt,
verbunden mit der ewigen Seligkeit des Himmels.
Den Grund dafür, dass alle Bedenken, die
der Autor gehabt haben mag, völlig verschwunden sind, nennt er jetzt: Denn Gott
ist nicht ungerecht, dein Werk und die Liebe zu vergessen, die du seinem Namen
erwiesen hast, indem du den Heiligen gedient hast und dienst. Der Schreiber
kann nicht in die Herzen seiner Leser schauen und so seine Überzeugung kundtun,
aber er kann aus dem Vorhandensein wirklich guter Werke auf das Vorhandensein
des Glaubens in den Herzen schließen. Sie hatten den Heiligen Geist Gottes
nicht so sehr betrübt, dass sie ihn aus ihren Herzen vertrieben hätten; es gab
immer noch reichlich Beweise für das neue geistliche Leben, das durch den
Glauben begonnen hatte. Es gab unbestreitbar gute Werke, gute Werke der Liebe,
mit denen sie den Heiligen, ihren Brüdern im Glauben, dienten. Dieser Zustand
war Gott in der Tat bekannt. Und von Ungerechtigkeit gibt es bei Gott nichts,
sie ist nicht einmal zu denken. Er ist treu, er ist gerecht, er übersieht oder
vergisst nicht, dass das ganze Leben der Judenchristen, die hier angesprochen
werden, eine einzige lange Kette von Beweisen für das Vorhandensein des
Glaubens in ihren Herzen ist, für die Liebe zur richtigen Heiligung seines
Namens.
Es reicht aber nicht aus, dass so viel zum
Lob der Leser gesagt wird, sondern sie müssen auch Fortschritte machen: Wir
erwarten aber von einem jeden von euch, dass er denselben Eifer für die
Erfüllung der Hoffnung bis zum Ende an den Tag legt, damit ihr nicht träge
werdet, sondern Nachahmer derer, die durch Glauben und Geduld jetzt Erben der
Verheißung sind. Der heilige Schreiber hatte noch einige Bedenken hinsichtlich
des geduldigen Ausharrens seiner Leser, denn er betont, dass er wünscht und
ernsthaft erwartet, dass sich jeder einzelne in ihrer Mitte anstrengt. Anstelle
der Lauheit und Halbherzigkeit, die sie im Allgemeinen an den Tag legten,
wünschte er, dass ein jeder einen ernsten Fleiß und Eifer an den Tag lege,
damit sie die volle Gewissheit ihrer christlichen Hoffnung hätten, eine
Vollkommenheit, die nichts zu wünschen übrig lasse. Sie müssen die volle
Gewissheit der Überzeugung haben, dass die Vollendung ihrer Erlösung in
Christus eintreten wird. Fehlte ihnen diese Gewissheit für längere Zeit, so
bestand die Gefahr, dass sie in ihrem christlichen Leben und damit auch in
ihrem Glauben träge und schläfrig wurden, dass es ihnen an der Energie und der
fröhlichen Zuversicht fehlte, die Gott von seinen Christen erwartet. Statt
einem solchen Einfluss nachzugeben, sollten sie sich daher solche Menschen zum
Vorbild nehmen, Nachahmer derer werden, die durch Glauben und Ausharren bis zum
Ende das verheißene Erbe erlangt haben. Der Erfolg derer, deren Ausharren sie
miterlebt hatten, sollte ein ständiger Ansporn für ihren Glauben sein. Das
bedeutet natürlich eine tägliche Erneuerung des Glaubens, ein geduldiges Warten
auf die endgültige Offenbarung der Herrlichkeit des Herrn. Was die Gläubigen
der Vorzeit erreicht haben, was die Christen seit dem Kommen Christi im Fleisch
als Frucht und Lohn ihres Glaubens genossen haben, das dürfen und sollen auch
wir mit festem Vertrauen erwarten; denn die Verheißungen Gottes sind sicher,
wie der Schreiber im nächsten Abschnitt zeigt.
Die Gewissheit der Verheißungen Gottes (V. 13-20): Indem der inspirierte Autor seine Leser an die Sicherheit der Verheißungen Gottes erinnert, verliert er nie die Tatsache aus den Augen, dass er Interesse und weitere Ermutigung wecken will, damit die Gläubigen durch geduldiges Ausharren in ihrem Vertrauen auf Gott das Ziel des Glaubens erreichen können. Da der Verfasser es mit Judenchristen zu tun hat, erinnert er sie an das Beispiel Abrahams, der zu denen gehört, die die Verheißung geerbt haben: Denn Gott hat Abraham, da er bei keinem Größeren schwören konnte, bei sich selbst geschworen und gesagt: Segen will ich dir geben und mehren will ich dich. Der Herr hatte Abraham wiederholt die Verheißung gegeben, dass er Nachkommen seines eigenen Leibes haben sollte, eine Prophezeiung, die die messianische Verheißung einschloss, 1. Mose 12,1-3.7; 15,5; 17,5.6; 18,18. Aber diese Verheißung, so sicher sie an sich war, ergänzte der Herr zusätzlich mit einem Eid von sich selbst, da es keinen größeren gab, bei dem er schwören konnte, Gen 22, 16-18. Im Falle Abrahams zeigt sich also, dass die Verheißung sicher ist, denn Gott hat sich mit einem Eid verpflichtet, sie zu erfüllen. Aber ihre Vorteile können nur durch geduldiges Warten erlangt werden, wie im Fall des Patriarchen, dessen Glaube schließlich belohnt wurde. Er war sich der Erfüllung so sicher, dass er überzeugt war, Gott könne ebenso schnell aufhören zu sein, wie er die Einhaltung seiner Verheißung vernachlässigte. Seine Belohnung kam zur rechten Zeit: Da er Geduld bewiesen hatte, erlangte er die Verheißung. Obwohl eine Verzögerung auf die andere folgte und ein Jahr nach dem anderen verstrich, obwohl er zum Gast in einem fremden Land wurde und die Unfruchtbarkeit seiner Frau aller Hoffnung zu spotten schien, hielt er an seiner zuversichtlichen Erwartung fest, bis die Erfüllung des ersten Teils der Verheißung Gottes als Belohnung für seinen Glauben eintrat. Ihm wurde von Sara ein Sohn, Isaak, geboren, und er sah seine Enkelkinder als Träger der Verheißung, bevor der Herr ihn zu seinen Vätern holte. Die Geburt Isaaks war für Abraham eine Garantie, dass sich auch der messianische Teil der Prophezeiung erfüllen würde, dass Gott in einem seiner Nachkommen alle Völker erlösen und segnen würde, und so sah er im Geist den Tag des Herrn und freute sich, Johannes 8,56. Anmerkung: Da Christus der Erlöser nicht nur Abrahams, sondern der ganzen Welt ist, gelten die Verheißungen Gottes mit dem bestätigenden Schwur nicht nur Abraham, sondern den Gläubigen aller Zeiten.
Der heilige Schreiber will seinen Lesern die volle Bedeutung der Verheißung und des Eides Gottes vor Augen führen und führt deshalb eine Analogie ein: Denn die Menschen schwören bei einem Größeren (als sich selbst), und für sie ist der Eid das Ende aller Anfechtung bis zur Bestätigung. Das ist seit jeher die Regel unter den Menschen gewesen. Wenn ein Eid wirklich erforderlich ist und aufrichtig geleistet werden kann, wie wenn die Regierung es befiehlt oder das Wohl des Nächsten oder die Ehre Gottes es verlangt, dann schwören die Menschen bei dem größeren Wesen, bei Gott selbst. Der Eid wird zur Bestätigung einer Aussage geleistet, er regelt den Streitfall, er bringt allen Streit zu einem schnellen Ende, 2. Mose 22,10.11.
Der große Gott aber, um alle Zweifel aus den Herzen der Menschen zu entfernen, hat sich in diesem Fall an die durch den menschlichen Gebrauch begründete Sitte gehalten: In der Absicht, den Erben der Verheißung die Unveränderlichkeit seines Willens noch deutlicher vor Augen zu führen, griff Gott mit einem Eid ein. Der Herr passte sich der Schwäche der Menschen an, die in seinen gnädigen Willen einbezogen waren. Nachdrücklicher als durch eine bloße Verheißung wollte er uns die Unveränderlichkeit, die Unwandelbarkeit seines gnädigen und guten Willens vor Augen führen. Sein feierlicher Eid trat zwischen ihn und uns, als zusätzliche Garantie dafür, dass seine Verheißungen für uns alle bestimmt waren, damit nicht ein einziger von Zweifeln gequält würde. Damit setzte sich Gott über die implizite Beleidigung seiner Wahrhaftigkeit, der Gewissheit seines Wortes, hinweg, indem er sich auf eine Stufe mit den Menschen stellte. „Gott ist gleichsam von seiner eigenen absoluten Höhe herabgestiegen, um gleichsam nach Menschenart zu sich hinaufzuschauen und sich selbst zum Zeugen zu nehmen; und so in gnädiger Herablassung die Verheißung um ihrer Erben willen zu bestätigen“ (Delitzsch). „Er brachte sich selbst als Bürge ein, er vermittelte oder trat zwischen die Menschen und sich selbst, durch den Eid bei sich selbst“ (Davidson).
Die Absicht Gottes, sich auf diese Weise herabzulassen, wird ausdrücklich erklärt: Durch zwei unveränderliche Dinge, in denen Gott unmöglich lügen konnte, sollten wir, die wir Zuflucht gesucht haben, einen starken Anreiz haben, uns an die Hoffnung zu klammern, die uns vorgehalten wird. Gottes Verheißung und Gottes Schwur sind die beiden unveränderlichen Dinge. Durch sie, seine Verheißung, die Gott unmöglich brechen kann, und seinen Eid, den er unmöglich brechen kann, haben wir eine solide und feste Ermutigung, einen Ansporn und einen Trost. Wir haben Zuflucht gesucht und in ihm gefunden und haben sie. Wir dürfen unbeirrt an der Hoffnung festhalten, die uns entgegengebracht wird, denn eine sicherere Garantie können wir nicht bekommen, ganz gleich, wo wir uns hinwenden. Auf der Flucht vor unseren eigenen Zweifeln und Schwächen haben wir eine sichere Zuflucht in der Verheißung des Herrn. Wir können uns ohne zu wanken an die Hoffnung auf das ewige Heil klammern, wie es uns in den Worten der Gnade Gottes zugesichert wird.
Wie vollkommen und absolut sicher diese Hoffnung ist, geht aus der letzten Aussage hervor: Die wir haben als einen Anker der Seele, sicher und gewiss, und in den Teil hinter dem Vorhang eingehen, wo der Vorläufer für uns eingegangen ist, Jesus, der für immer ein Hoherpriester geworden ist nach der Ordnung Melchisedeks. So wie der Anker eines Schiffes, wenn er fest sitzt, das Schiff auch bei starkem Wind und gefährlichen Wellen sicher und fest hält, so gibt uns die Hoffnung unseres Glaubens, die in den Verheißungen des Herrn verankert ist, inmitten der Stürme dieser letzten Tage einen festen und sicheren Halt am Heil. Dieser Anker unserer Seele ist durch die Gnade Gottes fest verankert in der Gegenwart des allmächtigen Gottes, im Allerheiligsten des Himmels. Das Allerheiligste war das innerste Heiligtum des jüdischen Tempels, in das der Hohepriester nur einmal im Jahr im Namen des ganzen Volkes eintrat. So ist Jesus, unser Vorläufer und Hoherpriester, in die Gegenwart, zur Rechten seines himmlischen Vaters, erhoben worden. Er ist dort für uns eingetreten, um unser Fürsprecher beim Vater zu werden, um für uns Fürsprache einzulegen, mit einem ständigen Hinweis auf sein vollkommenes Sühnewerk. Jesus ist es, an den wir glauben, auf den wir vertrauen. Durch seinen Tod und seine Auferstehung hat er für uns die Macht erlangt, in die himmlischen Wohnungen einzugehen, dem Weg zu folgen, den er uns gezeigt hat, als er in alle Ewigkeit Priester nach der Ordnung Melchisedeks wurde. Merke: Wenn wir Christen die Hoffnung unseres Heils auf die Verheißungen und den Eid Gottes setzen, dann ist unsere Hoffnung in dem allmächtigen Gott selbst verankert. Deshalb müssen wir alle Trägheit und Unbeweglichkeit ablegen, wenn wir die Verheißungen Gottes auf uns anwenden und so täglich unserer Erlösung sicherer werden.
Zusammenfassung: Der Verfasser setzt seine Ermahnung zum Fortschritt und zur Festigkeit im Glauben fort, indem er zeigt, wie notwendig der Fortschritt in der Erkenntnis ist, indem er vor der Verleugnung des Glaubens warnt, indem er zum Fortschritt in der Heiligung auffordert und indem er die Gewissheit der Verheißungen Gottes aufzeigt.
Ein Vergleich zwischen Christus und Melchisedek (7,1-28)
1 Dieser Melchisedek aber war ein König zu Salem, ein Priester Gottes,
des Allerhöchsten, der Abraham entgegenging, als er von der Könige Schlacht
wiederkam, und segnete ihn, 2 welchem auch Abraham gab den Zehnten aller Güter.
Aufs erste wird er verdolmetscht ein König der Gerechtigkeit; danach aber ist
er auch ein König Salem, das ist, ein König des Friedens; 3 ohne Vater, ohne
Mutter, ohne Geschlecht; und hat weder Anfang der Tage, noch Ende des Lebens.
Er ist aber verglichen dem Sohn Gottes und bleibt Priester in Ewigkeit.
4 Schaut aber, wie groß ist der, dem auch Abraham, der Patriarch, den
Zehnten gibt von der eroberten Beute! 5 Zwar die Kinder Levi, da sie das
Priestertum empfangen, haben sie ein Gebot, den Zehnten vom Volk, das ist, von
ihren Brüdern, zu nehmen nach dem Gesetz, wiewohl auch sie den Lenden Abrahams
gekommen sind. 6 Aber der, dessen Geschlecht nicht genannt wird unter ihnen,
der nahm den Zehnten von Abraham und segnete den, der die Verheißung hatte. 7
Nun ist’s ohne alles Widersprechen so, dass das Geringere von dem Besseren
gesegnet wird. 8 Und hier nehmen den Zehnten die sterbenden Menschen; aber dort
bezeugt er, dass er lebe. 9 Und dass ich so sage, es ist auch Levi, der den
Zehnten nimmt, verzehntet durch Abraham. 10 Denn er war je noch in den Lenden
des Vaters, da ihm Melchisedek entgegenging.
11 Ist nun die Vollkommenheit durch das levitische Priestertum geschehen
(denn unter demselben hat das Volk das Gesetz empfangen), was ist denn weiter
not zu sagen, dass ein anderer Priester aufkommen solle nach der Ordnung
Melchisedeks und nicht nach der Ordnung Aarons? 12 Denn wenn das Priestertum
geändert wird, muss notwendigerweise auch das Gesetz geändert werden. 13 Denn
von dem solches gesagt ist, der ist von einem anderen Geschlecht, aus welchem
nie jemand am Altar gedient hat. 14 Denn es ist ja offenbar, dass von Juda aufgegangen ist unser HERR; zu welchem Geschlecht Mose
nicht geredet hat vom Priestertum. 15 Und es ist noch viel klarer, wenn nach
der Weise Melchisedeks ein anderer Priester aufkommt, 16 welcher nicht nach dem
Gesetz des fleischlichen Gebots gemacht ist, sondern nach der Kraft des
unendlichen Lebens. 17 Denn er bezeugt: Du bist ein Priester ewiglich nach der
Ordnung Melchisedeks. 18 Denn damit wird das vorige Gesetz aufgehoben, darum weil
es zu schwach und nicht nütze war 19 (denn das Gesetz konnte nichts vollkommen
machen), und wird eingeführt eine bessere Hoffnung, durch welche wir zu Gott
nahen;
20 und dazu, was viel ist, nicht ohne Eid. Denn jene sind ohne Eid
Priester geworden; 21 dieser aber mit dem Eid durch den, der zu ihm spricht:
Der HERR hat geschworen, und wird ihn nicht gereuen: Du bist ein Priester in
Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks. 22 Also eines so viel besseren
Testaments Ausrichter ist Jesus geworden.
23 Und jener sind viel, die Priester wurden, darum dass sie der Tod
nicht bleiben ließ; 24 dieser aber darum, weil er ewig bleibt, hat er ein
unvergängliches Priestertum; 25 daher er auch selig machen kann immerdar, die
durch ihn zu Gott kommen, und lebt immerdar und bittet für sie.
26 Denn einen solchen Hohenpriester sollten wir haben, der da wäre
heilig, unschuldig, unbefleckt, von den Sündern abgesondert und höher, als der
Himmel ist, 27 dem nicht täglich not wäre wie jenen Hohenpriestern, zuerst für
eigene Sünden Opfer zu tun, danach für des Volkes Sünden; denn das hat er getan
einmal, da er sich selbst opferte. 28 Denn das Gesetz macht Menschen zu
Hohenpriestern, die da Schwachheit haben; dies Wort aber des Eides, das nach
dem Gesetz gesagt ist, setzt den Sohn, der in Ewigkeit vollkommen ist.
Melchisedek, ein Bild auf Christus in
einzigartiger Weise (V. 1-3): Dieser Absatz eröffnet einen der wichtigsten
Abschnitte des ganzen Briefes, denn er soll die Überlegenheit Christi in
besonderer Weise deutlich machen. Dies wird auch durch die Beschreibung von
Melchisedek in der Heiligen Schrift deutlich gemacht: Denn dieser Melchisedek,
der König von Salem, war ein Priester des höchsten Gottes, der Abraham
begegnete, als er von der Ermordung der Könige zurückkehrte, und ihn segnete,
und dem Abraham auch den zehnten Teil von allem (der Beute) gab. Vgl. 1. Mose
14,18-20. Aus der Geschichte, wie sie in der Genesis [1. Buch Mose] erzählt
wird, ergeben sich die folgenden Fakten. Lot, Abrams Neffe, wurde von vier
Königen, nämlich Kedorlaomer, Tidal, Amraphel und Arioch, bei ihrem
Feldzug gegen Sodom und Gomorra in die Gefangenschaft geführt. Diese Könige
wurden mit einiger Plausibilität mit Hammurabi, Eriaku,
Kudurlachjumal und Tudchula
identifiziert, die in alten Aufzeichnungen erwähnt werden, die den biblischen
Bericht bestätigen. Der Patriarch versammelte daraufhin alle Männer, die er in
seinem Haus versammeln konnte, verfolgte die Könige, schlug sie vernichtend und
rettete Lot und seine Habe. Bei seiner Rückkehr wurde er von diesem König von
Salem, Melchisedek, empfangen. Dabei ist es unerheblich, ob dieses Salem für
das spätere Jerusalem oder für Salim im Tal von Schechem
steht. Uns interessieren die Aussagen über den Mann und die Anwendung dieser
Punkte. Er war ein König und damit nach altem Brauch auch Richter und Priester.
Er wird ausdrücklich als Priester des allerhöchsten Gottes bezeichnet, 1. Mose
14,18. Als solcher segnete er Abraham und übertrug ihm die Gabe Gottes. Abraham
wiederum teilte Melchisedek den Zehnten der Beute zu und erkannte ihn damit als
Priester an.
Diese besondere Persönlichkeit wird nun
näher beschrieben: Zunächst als König der Gerechtigkeit, dann aber auch als
König von Salem, d. h. als König des Friedens. Der heilige Autor nutzt jeden
Faktor, jeden Punkt, der eine Möglichkeit zur Erklärung bietet. Der Name
Melchisedek selbst ist hebräisch und wird mit "König der
Gerechtigkeit" übersetzt, und das Wort Salem bedeutet „Frieden“, der König
von Salem ist natürlich der "König des Friedens". Sowohl durch seinen
Namen als auch durch sein offizielles Amt hob sich Melchisedek also von anderen
Menschen ab. Und es ist bezeichnend, dass Gerechtigkeit und Frieden
charakteristische Eigenschaften des messianischen Reiches sind, Ps. 72,7; Jes.
9,6.7; Sach. 9,9; Eph. 2 4.15.17.
Ebenso wichtig ist der letzte Teil der
Personenbeschreibung: Ohne Vater, ohne Mutter, ohne Stammbaum, weder Anfang der
Tage noch Ende des Lebens habend, sondern dem Sohn Gottes gleichgemacht, bleibt
er Priester auf ewig. Melchisedek steht in der Schrift absolut allein; es
werden keine berühmten Eltern erwähnt, von denen er Macht und Autorität geerbt
haben könnte, und sein priesterliches Amt konnte ihm auch nicht als Nachkomme
einer priesterlichen Familie zufallen. Seine Abstammung und sein Stammbaum sind
nirgends verzeichnet und aufgezeichnet. Weder von seiner Geburt noch von seinem
Tod ist in der Heiligen Schrift die Rede, weder seine Einsetzung in das Amt
noch sein Ausscheiden aus dem Amt werden beschrieben. Darin gleicht er dem
ewigen Gottessohn, als dessen Typus er offenbar gedacht war. Die ganze
Geschichte erweckt den Eindruck, dass zu jener Zeit priesterliche Dienste eines
bestimmten Typs erforderlich waren, und dieser Mann war dazu da, sie zu
verrichten. Aus dem gesamten Kontext geht also hervor, dass die Dauerhaftigkeit
des Priestertums Melchisedeks zum Ausdruck gebracht werden sollte. Ein
Kommentator drückt es so aus: „Hätte er in der Geschichte, wie es zweifellos
der Fall war, einen Nachfolger im Amt gehabt, hätten wir von ihm sagen müssen,
dass er der Priester von Salem in den Tagen Abrahams war. So wie der Fall
liegt, ist er der Priester von Salem.“ (Bruce.)
Melchisedek steht über den levitischen
Priestern (V. 4-10): In diesem zweiten Argument der Reihe zeigt der
inspirierte Autor, dass Melchisedek größer war als der Patriarch Abraham, von
dem die jüdische Nation abstammt und dem der Segen Gottes anvertraut wurde. Wie
viel mehr ist er dann größer als die Mitglieder des levitischen Priestertums,
die von Abraham abstammten! Der Autor lenkt die Aufmerksamkeit der
judenchristlichen Leser absichtlich auf diesen Punkt: Seht aber, wie groß
dieser Mann war, dem sogar Abraham, der Patriarch, den Zehnten der Beute gab.
Die Würde, die Vortrefflichkeit, die Überlegenheit Melchisedeks erscheint hier,
wenn überhaupt. Alle Missverständnisse werden vermieden, wenn man den Abraham,
von dem hier die Rede ist, als den Patriarchen, den Stammvater des jüdischen
Geschlechts bezeichnet. Wenn sogar dieser Mann, der als fast übermenschlich
angesehen wurde, Melchisedek den Zehnten, den besten Teil der Beute, die er aus
der Schlacht mitbrachte, zahlte, muss letzterer im Besitz einer Größe und Würde
von höchstem Rang sein.
Diese Tatsache wird durch einen Vergleich
zwischen dem Zehnten, der an die Priester gezahlt wurde, und dem Zehnten, den
Abraham in dem erwähnten Fall zahlte, noch unterstrichen: Diejenigen von den
Söhnen Levis, die den priesterlichen Dienst empfangen, sind zwar verpflichtet,
den Zehnten nach dem Gesetz zu geben, d.h. ihre Brüder, obwohl sie aus den
Lenden Abrahams hervorgegangen sind; aber derjenige, dessen Abstammung nicht
unter ihnen aufgezeichnet ist, gab Abraham den Zehnten und segnete den, der die
Verheißungen hatte. Die Nachkommen Aarons, die Mitglieder der levitischen
Priesterschaft, 2. Mose 28,1-3; 4. Mose 3,10.38; 13,14.15, wurden durch ein
Gebot Gottes angewiesen, vom Volk, ihren Brüdern, den Zehnten für ihren
Unterhalt zu empfangen. Es geht hier nicht um persönliche Über- oder
Unterlegenheit, sondern nur um die Einhaltung des Gesetzes, denn beide Parteien
sind Söhne Abrahams und führen ihre Abstammung auf denselben berühmten
Vorfahren zurück. Aber bei Abraham und Melchisedek war die Sache ganz anders.
Denn letzterer, dessen Abstammung nicht bekannt ist, wird nicht zu Abraham
gerechnet, hat nicht von ihm den Zehnten erhalten. In diesem Fall gab es kein
besonderes Gesetz, kein besonderes Gebot Gottes, und dennoch zahlte Abraham.
Mehr noch: Obwohl Abraham Träger der Segnungen und Verheißungen Gottes war und
ihm zugesichert worden war, dass der Messias der Welt unter seinen Nachkommen
sein würde (1. Mose 12,2.3; 13,14.15, und doch sprach Melchisedek seinen Segen
über diesen Besitzer der messianischen Verheißungen aus. Abraham, groß und hoch
und von Gott ausgezeichnet, wie er war, war dennoch froh, den Segen des Königs
von Salem zu empfangen.
Die Schlussfolgerung scheint also klar:
Ohne jeden Widerspruch wird der Unterlegene vom Oberen gesegnet. Und hier
erhalten Menschen, die sterben, den Zehnten; dort aber der, von dem bezeugt
wird, dass er lebt. Über die erste Aussage kann es keine Frage, keinen Streit
geben; es ist die allgemeine Regel, dass derjenige, der die höhere Stellung
innehat, den Segen über denjenigen ausspricht, der eine Stellung unter ihm
innehat. Daraus folgt, dass Melchisedek besser, höher als Abraham war, ihm
überlegen, denn sein Segen war nicht nur Ausdruck seines persönlichen guten
Willens, sondern eine von Gottes allmächtiger Macht unterstützte Vermittlung
von Ergebnissen. Neben dieser bedeutsamen Tatsache lehrt die Begebenheit mit
Melchisedek, dass in der jüdischen Kirche sterbliche, dem Tod unterworfene
Menschen den Zehnten empfingen, während es sich bei diesem Priester von Salem
um einen Mann handelte, von dem wir das Zeugnis haben, dass er lebt, Ps. 110,4.
Die Mitglieder des levitischen Priestertums starben einer nach dem anderen und
traten an die Stelle von Nachfolgern, die auch in dieser Hinsicht Melchisedek
unterlegen waren, für den die Schrift keinen Nachfolger aufzeichnet.
Dieses Argument verstärkt der Verfasser
nun, indem er die Stellung Levis in seiner Beziehung zu Melchisedek durch
Abraham festlegt: Und, ich möchte fast sagen, durch Abraham wurde auch Levi,
der den Zehnten empfängt, der Zehnte gegeben, denn er war noch in den Lenden
seines Vaters, als Melchisedek ihm begegnete. In der Person Abrahams, der den
zehnten Teil der Beute an Melchisedek bezahlte, wurde auch Levi, dessen
Nachkommen den Zehnten ihrer Brüder zu ihrem Unterhalt erhielten, der Zehnte
gegeben. Es stimmt, dass Levi noch ungeboren war, denn Abraham war sein
Urgroßvater, wie sich später herausstellte. Aber dieses Argument der Vererbung
fand bei den jüdischen Lesern großen Anklang und ließ sich in diesem Fall
hervorragend anwenden. Aus der Tatsache, dass der Urgroßvater Levis und der
Vorvater aller Männer des levitischen Priestertums den Zehnten an Melchisedek
zahlte, geht klar hervor, dass letzterer dem levitischen Priestertum in jeder
Hinsicht überlegen war.
Die Unvollkommenheit des levitischen
Priestertums und des mosaischen Systems (V. 11-19): An dieser Stelle war
vorsichtiges und taktvolles Argumentieren gefragt, damit die Judenchristen
nicht ohne Not beleidigt werden und der Versuch, sie für ein gesundes
Verständnis der Bedeutung Christi zu gewinnen, scheitert. Aber die Argumente
schreiten mit unerbittlicher Kraft voran: Wenn also die Vollkommenheit durch
das levitische Priestertum erfolgte - denn durch dieses empfing das Volk das
Gesetz -, welche Notwendigkeit hätte es dann noch gegeben, dass ein anderer
Priester auftaucht, der nicht nach der Ordnung Aarons benannt ist? Wenn das
levitische Priestertum tatsächlich das zu leisten vermocht hätte, was viele
behaupteten, wenn die Menschen durch seinen Dienst in den Zustand hätten
gebracht werden können, in dem sie von einem gerechten Gott als vollkommen
angesehen wurden, wenn Vergebung der Sünden, Leben und Erlösung durch die Lehre
des Gesetzes und das Darbringen von Opfern hätten vermittelt werden können, dann
wäre es töricht gewesen, einen anderen Priester kommen zu lassen. Es stimmte
zwar, dass die Kinder Israels ihre gesamte Gesetzgebung auf der Grundlage des
levitischen Priestertums erhielten. Alle Vorschriften des Zeremonialgesetzes,
die gesamte Verwaltung der theokratischen Regierungsform, war mit dem
priesterlichen Dienst verbunden. Und doch hat Gott einen anderen Priester
bestimmt und eingesetzt, der merkwürdigerweise nicht nach der Ordnung Aarons
berufen war, nicht dem Stamm Levi angehörte, sondern nach der Ordnung
Melchisedeks auftrat. Wie der Schreiber andeutet, muss es einen wichtigen Grund
gegeben haben, warum Gott diese Vorkehrung selbst im Zeitalter der Prophezeiung
traf. Denn die Geschichte von Melchisedek wird aus einer Zeit aufgezeichnet, die
mehr als vierhundert Jahre vor der Verkündigung des Gesetzes auf dem Berg Sinai
liegt, und fast fünfhundert Jahre nach der Wüstenwanderung prophezeite David,
dass ein anderer Priester nach der Ordnung Melchisedeks aufstehen würde (Ps
110,4).
Es gibt noch einen weiteren Punkt, der in
diesem Zusammenhang zu beachten ist: Denn wenn sich das Priestertum ändert,
dann ändert sich notwendigerweise auch das Gesetz. Indem sie Jesus als den
Hohenpriester der neuen Dispensation annahmen, hatten die Judenchristen offen
eine Änderung des Priestertums anerkannt. Daraus ergab sich, dass auch das
Gesetz, das mit dem alttestamentlichen Priestertum verbunden war, geändert oder
aufgehoben wurde. Diese Änderung war notwendig, sie war eine logische
Konsequenz. Die Opfergaben des Alten Testaments konnten Gott mit den Menschen
nicht versöhnen. Nur Er, in dem sich alle Typen und Prophezeiungen des Alten
Testaments erfüllen, konnte diesen vollkommenen Zustand herbeiführen.
Diese gewaltige und epochale Veränderung
vollzog sich in Übereinstimmung mit der Prophezeiung des Alten: Denn der, von
dem dies gesagt wird, gehört zu einem anderen Stamm, von dem nie jemand am
Altar diente; denn es ist offensichtlich, dass unser Herr aus Juda stammte, zu welchem Stamm Mose nichts über Priester
sagte. Das Wort Davids, Ps. 110,4, wurde im Hinblick auf Jesus, den wahren
Hohenpriester, gesagt, in dem alle alten Vorbilder erfüllt sind. Aber der
Messias gehörte nicht zum Stamm Levi; er gehörte nicht zu denen, denen Gott den
Dienst am Altar anvertraut hatte. Vielmehr wurde er durch seine Menschwerdung
ein Glied eines anderen Stammes, des Stammes Juda,
wie bekanntlich 1. Mose 49,8.10. Dies waren der Stamm und die Familie, aus der
der Erlöser, unser großer Hohepriester, stammte, ein Stamm, dem Mose nichts von
Priestern gesagt hatte und der keine Andeutung machte, dass jemals ein Priester
aus seiner Mitte genommen werden würde. Die Tatsache also, dass Jesus sich als
der große Hohepriester erwiesen hat und als solcher angenommen wurde, zeigt,
dass das levitische Priestertum und das gesamte mosaische System abgeschafft
wurden.
Und noch deutlicher wird es, wenn nach dem
Bilde Melchisedeks ein anderer Priester auftritt, der nicht nach dem Gesetz
einer fleischlichen Ordnung, sondern nach der Kraft eines unauflöslichen Lebens
zu einem solchen geworden ist. Durch die Weissagung Gottes sollte ein neuer und
wunderbarer Priester erscheinen, der sein Amt nicht nach äußeren, zeitlichen
Ordnungen, wie dem Stammbaum und der körperlichen Beschaffenheit des Leibes, 3.
Mose 21,16-23, antreten sollte, sondern einer nach dem Bilde Melchisedeks, von
dem dasselbe gesagt werden kann, der sein Amt nach der Kraft des
unauflöslichen, unendlichen Lebens antrat, nach der einzigartigen Kraft des
ewigen und unveränderlichen göttlichen Lebens, das auch auf seine menschliche
Natur übertragen wurde. Selbst der Tod konnte die Kraft dieses göttlichen
Lebens nicht auflösen und wegnehmen; denn Er hat den Tod besiegt und das ewige
Leben aus dem Tod zurückgebracht. Was den Sohn Gottes befähigte, messianischer
König und Hoherpriester der Menschen zu sein, ist sein
Rang als Sohn, aber als der Sohn, der die Schwäche des menschlichen Fleisches
und Blutes wahrhaftig in seine göttliche Person aufnahm und der Erlöser nach
beiden Naturen wurde. All dies ist eingeschlossen, wenn Gott bezeugt: Du bist
ein Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks. Nebenbei wird hier
betont, dass das Erlösertum Christi nicht zu Ende
gegangen ist, sondern dass es immer wieder neu ist und in voller Kraft zum
Trost aller Sünder besteht.
Durch diese Einsetzung Christi in sein Amt
wurde die oben erwähnte Veränderung herbeigeführt: Denn das frühere Gebot ist
wegen seiner Schwäche und Nutzlosigkeit aufgehoben worden; denn das Gesetz hat
nichts vollendet, wohl aber die Einführung einer besseren Hoffnung, durch die
wir Gott nahe kommen. Durch die Menschwerdung Christi in der Fülle der Zeit,
durch seinen Eintritt in das Werk seines Amtes, insbesondere als unser großer Hoherpriester, wurde das frühere, alttestamentliche Gebot,
das das levitische Priestertum begründet und aufrechterhalten hatte, aufgehoben
und durch die Heilsordnung, in der Jesus Christus der Mittelpunkt ist, ersetzt.
Dies musste aufgrund der Schwäche und Nutzlosigkeit des alttestamentlichen
Priestertums geschehen, das völlig versagte, die Menschen wieder in die rechte
Beziehung zu Gott zu bringen. Das Gesetz offenbarte den heiligen Willen Gottes;
es lehrte Zeremonien, Rudimente; es deutete an, es ahnte voraus, es stellte
Typen dar; aber es brachte nichts zur Vollkommenheit, bewirkte nicht die
Rückkehr des Menschen in die Gemeinschaft mit Gott. Dies geschah erst durch die
Einführung der besseren Hoffnung in Christus, der mächtigen, tröstlichen
Hoffnung, durch die wir uns Gott nähern, ohne die Furcht vor ewiger Verdammnis,
nicht im Vertrauen auf unsere eigenen Werke und Verdienste, sondern im
schlichten Vertrauen auf die vollkommene Sühne und Versöhnung, die unser großer
Hoherpriester für uns erwirkt hat. Wir brauchen kein
levitisches Priestertum, kein mosaisches System mehr, wir brauchen uns nicht
mehr auf ein unvollkommenes und nutzloses System äußerer Formen und Zeremonien
zu verlassen; denn in Christus und seinem Werk haben wir die Hoffnung des
Glaubens, die uns mit Sicherheit in Gottes Gegenwart und Gemeinschaft bringen
wird.
Der Eid Gottes garantiert, dass Christi
Priestertum überlegen ist (V. 20-22): Dies ist ein weiterer wichtiger
Gesichtspunkt für den Beweis der größeren Vortrefflichkeit Christi: Und in dem
Maße, wie er nicht ohne Eid zum Priester gemacht wurde, in dem Maße wurde Jesus
auch Bürge für einen besseren Bund. Vv. 20a. 22.
Jesus wurde unser Hoherpriester aufgrund und um der
Erfüllung eines feierlichen Eides willen, den sein himmlischer Vater geleistet
hatte. Dieser Eid ist einer der Beweise, die wir für die ernste Absicht und den
Vorsatz Gottes in Bezug auf die Erlösung der gesamten Menschheit haben.
Christus war der einzige, bei dem eine solche außergewöhnliche Ausnahme gemacht
wurde. Deshalb ist er die Sicherheit, die Bürgschaft, die Garantie eines
besseren, höheren, vorzüglicheren Bundes. Diese Tatsache wird noch deutlicher
durch den Satz, den der Verfasser zur Erläuterung einfügt: Denn die einen sind
Priester, ohne dass sie einen Eid geschworen haben, die anderen aber mit einem
Eid von dem, der zu ihnen gesagt hat: Du bist Priester in Ewigkeit nach der
Ordnung Melchisedeks. Die Mitglieder des levitischen Priestertums wurden in ihr
Amt eingesetzt und übten die Funktionen ihres Dienstes aus, ohne einen
besonderen Eid des Einsetzenden oder eines Eides von ihnen selbst. Ihr Amt war
durch das mosaische Gesetz klar definiert, und sie übten es in dem Bewusstsein
aus, dass alle ihre Opfer nur Vorbilder für das Werk des Messias waren. Aber
bei Christus, dem wahren Hohenpriester, hat Gott einen Eid geschworen und ihn
durch seinen Propheten aufschreiben lassen (Ps. 110,4), in dem er seinen Sohn,
den Messias der Welt, als den ewigen Hohenpriester bezeichnet. Die
Menschwerdung Christi bedeutete also, dass das levitische Priestertum für die
Vermittlung zwischen Gott und den Menschen nicht mehr benötigt wurde, und der
Eid Gottes setzte das Priestertum Christi zusätzlich noch höher, indem Gott
selbst auf die Überlegenheit des Amtes Christi hinwies.
Eine andere Besonderheit des
Priestertums Christi ist seine ewige Dauer (V. 23-25): Dies ist ein Punkt,
in dem die Überlegenheit Christi sehr deutlich wird. Christus hat uns nicht nur
wieder in das rechte Verhältnis zu Gott zurückgebracht, sondern er hat uns
diese nahe Gemeinschaft mit Gott auf Dauer gesichert: Sie sind zwar zu Priestern
gemacht worden, weil sie durch den Tod am Bleiben gehindert wurden, aber er hat
durch sein Bleiben für immer sein Priestertum unantastbar. Es war ein
eindeutiges und unveränderliches Handicap der Männer, die im Alten Testament
das Priesteramt innehatten: Sie waren sterblich, dem Tod unterworfen, sie
konnten nicht über die ihnen von Gott zugewiesene Lebensspanne hinaus im Leben
und damit auch im Amt bleiben. Diejenigen, die starben, wurden ständig durch
junge Männer ersetzt, und es gab einen ständigen Personalwechsel. Aber
Christus, der ewige Sohn Gottes, Ps. 110,4; Dan. 7,14; Joh. 12,34, hat das Amt
des Hohenpriesters bis in alle Ewigkeit inne. Es wird niemals übertragen werden,
keine andere Person wird jemals in dieses Amt eintreten. Er ist der einzige und
immerwährende Inhaber dieses einzigartigen Amtes und gibt keinen Nachfolger ab.
Und daraus folgt: Daher ist er auch fähig, die, die durch ihn zu Gott kommen,
bis zum Äußersten zu retten, indem er ewig lebt, um für sie Fürsprache zu
halten. Weil Christus das Amt des Hohenpriesters in dieser einzigartigen und
absoluten Weise innehat, ist das durch ihn erworbene Heil in jeder Hinsicht
vollständig, es fehlt ihm an nichts. Jeder Mensch in der weiten Welt, der sich
zum Heil an Christus wendet, der an ihn als seinen Mittler glaubt, hat ihn als
den Weg, als den sicheren Zugang zu Gott. Er braucht keine Priester und Opfer
und Zeremonien und besondere Feste, denn er ist für immer unser Mittler; er hat
den Weg zur ewigen Liebe des Vaters geöffnet. Das ist deshalb so gewiss, weil
Christus ewig lebt und seine Funktion in seinem Amt als Hoherpriester
in der Gegenwart darin besteht, unser Fürsprecher beim Vater zu sein und für
uns einzutreten, Röm. 8,34; 1. Joh. 2,1.2. So wie Christus sein Leben auf der
Erde im Interesse der Menschen verbrachte, so verbringt er auch weiterhin sein
Leben in unserem Namen. Die ganze Fülle seines gegenwärtigen Lebens ist dem
Ziel gewidmet, den Menschen das ewige Heil zu sichern. Und wir haben noch einen
weiteren Grund, die Überlegenheit des Amtes Christi gegenüber dem der
alttestamentlichen Priester anzuerkennen.
Der Schreiber schlussfolgert, dass Christus der vollkommene Hohepriester ist (V. 26-28): Die verschiedenen Vorzüge, die Christus Jesus im Vergleich zu den Männern genoss, die im Alten Testament als Priester unter der alten Dispensation amtierten, zwingen zu diesem Schluss: Denn so war der Hohepriester, der uns geworden ist, heilig, unschuldig, unbefleckt, abgesondert von den Sündern und höher als der Himmel. Jesus war der Einzige, der den Bedürfnissen der Menschheit voll entsprach. Das Priestertum des Alten Testaments war unvollkommen, in vielerlei Hinsicht unbefriedigend, es konnte den Menschen nicht die Gewissheit des Heils, der Versöhnung mit Gott geben. Aber alle Unvollkommenheiten sind bei unserem großen Hohenpriester nicht vorhanden. Er besitzt eine vollkommene persönliche Heiligkeit, weder eine ererbte noch eine tatsächliche Sünde ist bei ihm zu finden; er ist unschuldig, ohne Arglist in seiner Beziehung zu den Menschen; er hat sich niemals schuldig gemacht, einem Menschen Schaden zuzufügen; niemand könnte ihn der Sünde überführen; Er war unbefleckt, unbefleckt, unbefleckt trotz aller Berührung mit der sündigen Welt, ohne Makel inmitten der Menschen, die voller Makel sind; abgesondert von den Sündern, jetzt, da Er Sein Erlösungswerk vollendet hat und aus der sichtbaren Welt entfernt worden ist; und höher gemacht als die Himmel, in die Er durch den Vorhang eingegangen ist, Kap. 4,14; Eph. 4,10. Er ist zur Rechten seines Vaters erhöht worden; nicht nur seine göttliche, sondern auch seine menschliche Natur hat Anteil an der ganzen ewigen Macht und Gottheit. So hat „unser Hoherpriester durch alle Wirren und Wirrnisse und Verunreinigungen und Verzweiflungen des Lebens hindurch eine absolute Immunität von Ansteckung oder Befleckung getragen. Er war die ganze Zeit über bei Gott, und die ganze Zeit über war er durch eine eigene Atmosphäre von den Sündern getrennt.“ (Dods.)
Aufgrund dieser Vorzüglichkeit des Charakters Christi hat auch sein Amt einen außergewöhnlichen Wert: Er hat es nicht nötig, wie die Hohepriester Tag für Tag zuerst für seine eigenen Sünden und dann für die des Volkes Opfer darzubringen; denn das hat er einmal getan, als er sich selbst opferte. Obwohl die Hohepriester des Alten Testaments nur an einem Tag im Jahr, am großen Versöhnungstag, persönlich die vorgeschriebenen täglichen Opfer darbrachten, indem sie zuerst für sich selbst und dann für das Volk opferten (3. Mose 9,7.8; 16,2; 2. Mose 29,38-42; 4. Mose 28,3-8), waren sie doch für alle mit den Riten des Volkes verbundenen Zeremonien verantwortlich. Aber all diese Dinge, die sie persönlich Jahr für Jahr und durch ihre Gehilfen Tag für Tag taten, brauchte Christus nicht. Für seine eigenen Sünden brauchte er keine Opfer zu bringen, denn er war sündlos. Und was die Menschen betrifft, deren Sünden er auf sich nahm, indem er sich selbst als stellvertretendes Opfer darbrachte, so tat er das ein für allemal, als er sein heiliges Blut vergoss, als er sein sündloses Leben auf Golgatha niederlegte. Aufgrund der Natur seines Opfers konnte sein Opfer nicht wiederholt werden, denn sein vollkommener und ewiger Wert machte eine Wiederholung überflüssig. Eph. 5,2.
Dass Christus der einzige wahre Hohepriester ist, ergibt sich schließlich aus seiner eigenen Vollkommenheit: Denn das Gesetz setzt Menschen zu Hohenpriestern ein, die Schwachheit haben; das Wort des Eides aber, das nach dem Gesetz kam, setzt einen Sohn ein, der für immer vollkommen gemacht ist. Das mosaische System konnte bestenfalls schwache, sündige Männer für das Amt des Hohenpriesters vorsehen und einsetzen, denn obwohl sie von Levi abstammten, waren sie doch nur Menschen und nicht kraft ihres Amtes sündlos geworden. Aber das Wort des Eides, den der Herr in der Prophezeiung Ps 110,4 schwor, nachdem das Gesetz gegeben worden war, wies nicht nur darauf hin, dass das Gesetz einer Überarbeitung und Vervollkommnung bedurfte, sondern ernannte gleichzeitig den Sohn Gottes, Jesus Christus, der in der Ausübung seines Amtes als Hoherpriester für immer vollkommen gemacht wurde, da er in seiner eigenen Person, kraft seiner Gottheit, von Ewigkeit her vollkommen war. Die Vollkommenheit des Sohnes wurde durch den Kontakt mit der sündigen Welt und die vielen Versuchungen, die er als Vertreter der Menschheit überwinden musste, geprüft und deshalb durch seine Erhöhung bestätigt und besiegelt. Unser Hoherpriester, Jesus Christus, aus unserem eigenen Fleisch und Blut, hat alle Angriffe, die er aufgrund seiner Erniedrigung zu bekämpfen hatte, glorreich überstanden und ist deshalb in seiner menschlichen Natur in die Höhe erhoben worden.
Zusammenfassung: Der inspirierte Schreiber zeigt, dass Christus als die Erfüllung des Typus Melchisedeks, als über das unvollkommene levitische Priestertum erhaben, als kraft eines Eides Gottes ernannt, als der ewige Sohn Gottes, der einzige vollkommene Hohepriester ist, dessen Opfer ewigen Wert hat.
Christi ewiges Priestertum hat das zeitliche
Priestertum Aarons abgelöst (8,1-13)
1 Das ist nun die Hauptsache, davon wir reden: Wir haben einen solchen
Hohenpriester, der da sitzt zu der Rechten auf dem Stuhl der Majestät im
Himmel; 2 und ist ein Pfleger der heiligen Güter und der wahrhaftigen Hütte,
die Gott aufgerichtet hat und kein Mensch. 3 Denn ein jeglicher Hoherpriester wird eingesetzt, zu opfern Gaben und Opfer.
Darum muss auch dieser etwas haben, das er opfere. 4 Wenn er nun auf Erden
wäre, so wäre er nicht Priester, dieweil da Priester sind, die nach dem Gesetz
die Gaben opfern, 5 welche dienen dem Vorbild und dem Schatten der himmlischen
Güter; wie die göttliche Antwort zu Mose sprach, da er sollte die Hütte
vollenden: Siehe zu, sprach er, dass du machst alles nach dem Bild, das dir auf
dem Berg gezeigt ist.
6 Nun aber hat er ein besseres Amt erlangt, als der eines besseren
Testaments Mittler ist, welches auch auf besseren Verheißungen steht. 7 Denn so
jenes, das erste, untadelig gewesen wäre, würde nicht Raum zu einem anderen
gesucht. 8 Denn er tadelt sie und sagt: Siehe, es kommen Tage, spricht der
HERR, dass ich mit dem Haus Israel und mit dem Haus Juda
einen neuen Bund schließen will; 9 nicht gemäß dem Bund, den ich gemacht habe
mit ihren Vätern an dem Tag, da ich ihre Hand ergriff, sie auszuführen aus Ägyptenland.
Denn sie sind nicht geblieben in meinem Bund; so habe ich auch auf sie nicht
wollen achten, spricht der HERR. 10 Denn das ist der Bund, den ich machen will
dem Haus Israel nach diesen Tagen, spricht der HERR: Ich will geben meine
Gesetze in ihren Sinn, und in ihr Herz will ich sie schreiben, und will ihr Gott
sein, und sie sollen mein Volk sein. 11 Und wird nicht jemand seinen Nächsten lehren,
noch jemand seinen Bruder und sagen: Erkenne den HERRN! Denn sie werden mich
alle kennen, von dem Kleinsten an bis zu dem Größten. 12 Denn ich will gnädig
sein ihrer Untugend und ihren Sünden, und ihrer Ungerechtigkeit will ich nicht
mehr gedenken. 13 Indem er sagt: Einen neuen, macht er den ersten alt. Was aber
alt und überlebt ist, das ist seinem Ende nahe.
Das herrlichere Amt Christi (V.
1-5): Ab Kapitel 5 hat der inspirierte Autor das Amt des Hohenpriesters Christi
behandelt. Er hat die Überlegenheit Christi sowohl in Bezug auf seine Person
als auch in Bezug auf seine Qualifikationen aufgezeigt. Nun geht er dazu über,
die größere Vorzüglichkeit des Amtes des Herrn durch eine Betrachtung des Ortes
seines Dienstes hervorzuheben: Der Hauptpunkt von allem, was gesagt worden ist,
ist dieser: Einen solchen Hohenpriester haben wir, der zur Rechten des Thrones
der Majestät im Himmel sitzt. Viele Erwägungen sind bis jetzt angeführt worden,
um den Anspruch auf die überragende Vorzüglichkeit Christi zu begründen; das
Gesagte entbehrt gewiss nicht an Kraft und Klarheit. Aber das überzeugendste
Argument, der entscheidende Punkt, der Gedanke, der den Schlussstein der
Diskussion bildet, ist der, den der heilige Autor jetzt vorbringt. Mit
feierlichem Nachdruck sagt er, dass der Hohepriester, den wir haben und dem wir
unser Vertrauen schenken, so beschaffen ist, dass er einen Sitz zur Rechten der
Majestät des ewigen Gottes in den Himmeln einnimmt. Der wichtigste Teil des
Amtes Christi als Hoherpriester, was die Gewissheit
des Glaubens betrifft, ist der, den er jetzt als unser Fürsprecher beim Vater
ausübt. Sein Opfer hier auf Erden hat uns das Heil gebracht: Unser Glaube hält
an den Verdiensten des Blutes fest, das auf Golgatha für uns vergossen wurde.
Unsere Hoffnung auf die himmlische Glückseligkeit ruht aber darauf, dass die
Fürsprache Christi für uns Tag für Tag weitergeht bis zur glorreichen
Vollendung der Herrlichkeit, die uns zusteht, wenn auch noch in Hoffnung. Denn
dadurch, dass Christus zur Rechten der Majestät sitzt, dass er auch nach seiner
menschlichen Natur den freien und unbeschränkten Gebrauch der ihm verliehenen
göttlichen Herrlichkeit und Majestät übernommen hat, hat seine Fürbitte für uns
einen so großen und umfassenden Wert. So beweist „sein Sitzen zur Rechten des
Thrones Gottes, 1. dass er höher ist als alle Hohenpriester, die es je gegeben
hat; 2. dass das Opfer, das er für die Sünden der Welt dargebracht hat,
hinreichend und wirksam war und als solches von Gott angenommen wurde; 3. dass
er alle Macht im Himmel und auf Erden hat und fähig ist, alle, die durch ihn zu
Gott kommen, zu retten und bis zum Äußersten zu verteidigen; 4. dass er nicht,
wie die jüdischen Hohepriester, aus dem Allerheiligsten herausgegangen ist,
nachdem er das Sühnopfer dargebracht hat, sondern dort am Thron Gottes als
ständiger Priester verweilt, in der ständigen Handlung, Gott seinen gekreuzigten
Leib darzubringen, für alle nachfolgenden Generationen der Menschheit.“[8]
Damit seine Leser nicht die ganze Bedeutung
der Unterscheidung, die in diesem Argument enthalten ist, übersehen, fügt der
Verfasser hinzu: Ein Diener der heiligen Dinge und der wahren Hütte, die der
Herr errichtet hat, nicht der Mensch. Das Wort, mit dem Christus hier
bezeichnet wird, ist das Wort, das für die Amtsträger einer Kirche beim
Gottesdienst und für die Priester bei der Erfüllung ihrer Aufgaben verwendet
wird. Christus ist also in den Dienst der heiligen Dinge eingebunden; er nimmt
an Zeremonien und an einer Anbetung teil, die unendlich höher ist als alle
irdischen Dienste, selbst die des alten jüdischen Kultes. Der Dienst Christi
findet in der wahren Stiftshütte des Himmels statt. Die Stiftshütte der Kinder
Israels in der Wüste und in den ersten Jahrhunderten in Palästina war
symbolisch, bildlich, typisch, ein Vorgeschmack auf die Stiftshütte, das
Heiligtum, das für immer bleiben sollte. Denn die alte Stiftshütte war nur
vorübergehend, obwohl sie auf Gottes Geheiß und nach den Plänen, die er Mose
gezeigt hatte, gebaut worden war. Die bleibende, ewige Stiftshütte ist die
obige, die der Herr selbst für seinen ewigen Tempel und seine ewige Wohnung
gebaut hat. Vgl. Kap. 9,11.24.
Der Verfasser erklärt nun seinen Gebrauch
des Begriffs „Diener des Gottesdienstes“ in Bezug auf Christus: Denn jeder
Hohepriester ist dazu berufen, sowohl Gaben als auch Opfer darzubringen, woraus
sich die Notwendigkeit ergibt, dass auch dieser etwas zu opfern hat. Es war
kein leerer, nichtssagender Begriff, den der inspirierte Autor verwendete, als
er Christus einen Diener des Heiligtums nannte, sondern er war in jeder
Hinsicht passend. Das war die Aufgabe der alten Hohepriester, darin bestand ihr
Dienst, dass sie dem Herrn die Gaben und Opfer des Volkes darbrachten. Wir
räumen also die Notwendigkeit ein, den gleichen Sachverhalt in Bezug auf
Christus aufzeigen zu können. Und das stellt keine Schwierigkeit dar, denn
Christus hatte etwas zu opfern, Kap. 7,27, Er vollzog sein priesterliches Amt,
indem er sich selbst opferte. Sein eigenes Blut, ein Opfer, das seine Kraft in
der Ewigkeit bewahrt.
Im Zusammenhang mit diesem Gedanken, dass
Christus tatsächlich ein Opfer darbringt, fügt der heilige Schriftsteller
hinzu: Und wenn er auf Erden wäre, wäre er nicht einmal Priester, denn es gibt
Menschen, die nach dem Gesetz Gaben darbringen. Wenn diese Tatsache als
Wahrheit akzeptiert wird, dass Christus unser Hoherpriester
ist, muss er sein Amt im Himmel ausüben. Zu der Zeit, als dieser Brief
geschrieben wurde, stand der jüdische Tempel noch, und alle Verordnungen des
jüdischen Gottesdienstes waren noch in Kraft. Dazu gehörte auch, dass das
Priesteramt noch von den Angehörigen des Stammes Levi ausgeübt wurde. Das
jüdische Zeremonialgesetz schloss Männer aus allen anderen Stämmen vom
Priesteramt aus, und Jesus hätte als Angehöriger des Stammes Juda das Amt des levitischen Priestertums nicht ausüben
können. Nur Männer, deren Abstammung von Levi anhand der Ahnentafeln eindeutig
nachgewiesen werden konnte, durften die Opfer des Volkes im Tempel darbringen.
Diese Tatsache schmälerte jedoch keineswegs
die Bedeutung Jesu, sondern hob seine Überlegenheit umso mehr hervor: Er diente
als bloßer Typus und Schatten der himmlischen Dinge, so wie Mose Anweisungen
erhielt, als er die Stiftshütte bauen sollte; denn „Siehe zu“, sagte er, „du
sollst alles nach dem Typus machen, der dir auf dem Berg gezeigt wurde“. Die
Priester des Alten Testaments dienten zwar fleißig, aber ihr ganzer Dienst war,
wie sie wussten, ein bloßer Umriss und ein prophetischer Schatten der himmlischen
Dinge, die im Messias offenbart werden sollten. Diese Tatsache zeichnete ihren
gesamten Dienst aus: Ihr Werk hatte keine Substanz in sich selbst, keine
unabhängige Existenz. Ihr Dienst wäre wertlos gewesen ohne die Hoffnung auf die
kommende Erfüllung aller Typen und Beispiele. Die gleiche Lehre lässt sich aus
der Art und Weise ziehen, in der Mose den Bau der Stiftshütte vorbereitete. Als
er sich mit Gott beriet, erhielt er den Auftrag, die Stiftshütte zu bauen und
mit allem Zubehör auszustatten, und zwar nicht nach seinen eigenen Ideen und
Entwürfen, sondern nach den Umrissen und Mustern, die ihm auf dem Berg gezeigt
wurden (2. Mose 25,40). Es ist unerheblich, ob diese Skizzen Mose in einer
Vision gezeigt wurden oder ob sie ihm durch die Hand von Engeln übermittelt
wurden. Tatsache ist, dass Gott sich ihm in einer Weise mitteilte, die ihm
seinen Willen kundtat, und dass Mose eine klare Vorstellung vom Willen Gottes
in Bezug auf den gesamten Bau und alle seine Einrichtungen hatte. So wie der
Dienst des Mose bei dieser Gelegenheit war auch der gesamte Dienst der
alttestamentlichen Priester; alle gottesdienstlichen Handlungen, die sie
vollzogen, waren bloße Vorbilder oder Muster, ob es sich nun um Opfer oder um
das Verbrennen von Weihrauch oder um die Zeremonien der großen Feste handelte.
Der Verfasser räumt also bereitwillig ein, dass Jesus nicht zu den Priestern
der levitischen Ordnung gehörte, aber er betont es umso nachdrücklicher: Er hat
aber ein höheres Amt erhalten. Die Tatsache, dass das Amt Christi jetzt im
Himmel ausgeübt wird und dass es die Erfüllung aller Typen und Gestalten des
Alten Testaments darstellt, erhebt es hoch über alle Tempeldienste der
levitischen Priesterschaft.
Der Beweis, dass Christi Amt das levitische Priestertum völlig ersetzt hat (V. 6-13): Die Wahrheit, dass wir einen vorzüglicheren Hohenpriester haben, wird nicht nur dadurch bestätigt, dass er den Ehrenplatz zur Rechten der Majestät einnimmt, sondern auch dadurch, dass er unser Vermittler ist: Aber wie es ist, hat er ein vorzüglicheres Amt erlangt, indem er auch Vermittler eines besseren Bundes ist, der auf besseren Verheißungen gegründet ist. Jetzt, da Christus nicht mehr auf der Erde ist, zeigt sich sofort die größere Überlegenheit seines Amtes, denn das, was himmlisch und wirklich ist, ist vorzüglicher als das, was hier auf der Erde und nur bildlich ist. Sein Amt ist in demselben Maße vortrefflicher, wie sein Mittleramt sich auf einen besseren Bund bezieht, sich mit Dingen befasst, die feststehen oder beschlossen sind, die auf einer solideren Grundlage ruhen. Die Verheißungen des Evangeliums sind besser, vorzüglicher als die Forderungen des Gesetzes; das Angebot, das Heil voll und frei zu vermitteln, ist besser als das absolute Bestehen auf der Vollkommenheit der Werke. Anmerkung: Christus ist unser Mittler; er stellt nicht nur die Erfüllung des Werkes Aarons dar, sondern er ist auch das wahre Gegenbild des Mose, des Mittlers des Alten Testaments, 2. Mose 20,19; Gal. 3,19. Er steht zwischen Gott und den Menschen, 1. Tim. 2,5, und vermittelt zwischen diesen beiden Parteien, indem er durch sein Opfer am Kreuz die Versöhnung zwischen ihnen herbeigeführt hat.
Dass der neutestamentliche Bund auf besseren Verheißungen beruht als der alte, ergibt sich aus einer einfachen geschichtlichen Tatsache: Wäre nämlich jener erste Bund fehlerlos gewesen, so würde man keinen Platz für einen zweiten suchen. Wäre der alte Bund des Gesetzes, wie er am Sinai geschlossen wurde, völlig ausreichend gewesen, hätte er allen Anforderungen an das Heil der Menschen entsprochen, hätte es keinen einzigen Fehler in dieser Forderung nach Vollkommenheit bei der Wiederherstellung des rechten Verhältnisses zwischen Gott und Mensch gegeben, dann hätte es weder Bedarf noch Anlass für einen zweiten Bund gegeben, und Gott hätte natürlich keine Vorkehrungen getroffen, einen neuen Bund zu verkünden. Man beachte, dass die Forderung nach einem Bund, der die wahre geistige Gemeinschaft mit Gott wiederherstellt und dauerhaft macht, nicht von den Menschen ausgeht, sondern von Gott, der allein der Urheber unseres Heils ist.
Diese Tatsache wird nun durch einen langen Abschnitt in der alttestamentlichen Schrift, nämlich Jer. 31,31-34, belegt: Denn da Gott an ihnen [dem Volk des ersten Bundes] Anstoß nahm, spricht er: Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich über das Haus Israel und über das Haus Juda einen neuen Bund schließe, nicht nach dem Bund, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe an dem Tage, da ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen; denn sie hielten sich nicht an meinen Bund, und ich habe sie nicht beachtet, spricht der Herr. Hier findet ein feiner Wechsel statt: Statt den Bund mit seinen Unzulänglichkeiten zu tadeln, wird die Schuld auf die gelegt, deren Unzulänglichkeiten und Sündhaftigkeit es ihnen unmöglich machten, durch diesen Bund gerettet zu werden. Der alte Bund war unzureichend, weil er das Volk nicht in die Lage versetzte, seine Bedingungen zu erfüllen, und das Volk ist schuldig, weil es das Gesetz vorsätzlich übertritt. Aber die Worte der Prophezeiung, obwohl sie an Juda und Israel nach dem Fleisch gerichtet sind, betreffen in ihrer wahren Bedeutung nur das geistliche Juda und Israel. Mit ihnen will der Herr einen neuen Bund schließen, der für alle Bedürfnisse der Menschheit völlig ausreichend ist. Den einen Bund hatte der Herr mit ihren Vätern geschlossen, als er sie mit starkem Arm aus Ägypten, aus dem Haus der Knechtschaft, herausführte. Es war im dritten Monat nach dem Beginn der Reise, als der Herr ihnen seinen heiligen Willen in einem Bündel von Vorschriften kundtat, die nicht nur das Sittengesetz, sondern auch das Zeremonial- und Zivilgesetz enthielten. Die liebevolle Fürsorge, die der Herr seinem Volk in jenen Tagen entgegenbrachte, kommt gut in den Worten zum Ausdruck, dass er sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägypten herauszuführen, ein Zeichen zärtlicher Fürsorge, das sie ihrem Gott gegenüber treu halten sollte. Aber das Volk blieb nicht in seinem Bund; in unverschämtem Ungehorsam übertraten sie sein heiliges Gesetz und verwarfen den Herrn ihres Heils. Und deshalb missachtete und verwarf der Herr sie, gab sie zunächst in die Hände ihrer Feinde und ließ sie schließlich in eine schändliche Gefangenschaft verschleppen. So viel zum Bund des Alten Testaments.
Doch nun kommt die tröstliche Prophezeiung: Denn das ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel schließen will nach jenen Tagen, spricht der Herr: Ich will ihnen meine Gesetze in den Sinn geben und auf ihr Herz schreiben, und ich will ihnen ein Gott sein, und sie sollen mir ein Volk sein, und sie sollen nicht lehren, ein jeder seinen Mitbürger und ein jeder seinen Bruder, und sagen: Erkenne den Herrn; denn alle werden mich anerkennen, vom Kleinsten bis zum Größten; denn ich will mich ihrer Missetaten erbarmen und ihrer Sünden nicht mehr gedenken. Das wahre geistliche Haus Israel, die Gemeinde der Gläubigen, wie sie zu allen Zeiten in der Mitte des Volkes Gottes zu finden war, hat diese Verheißung als Bund des Herrn in ihrem Interesse empfangen. In diesem Bund, den der Herr zur Zeit der Verkündigung des Evangeliums unter seinem Volk geschlossen hat, sind drei Punkte hervorzuheben. „Er ist innerlich oder geistlich; er ist individuell und daher universal; er ist gnädig und bietet Vergebung.“ (Dods.) Er wollte dieses neue Gebot, die Botschaft des Evangeliums, in ihren Geist geben, damit sie es mit Sicherheit verstehen würden; Er wollte es in ihr Herz schreiben, damit sie es in liebevoller Erinnerung behalten würden. Die christliche Religion ist keineswegs eine Angelegenheit äußerer Formen und Zeremonien, sondern des Geistes und der Sehnsüchte des Menschen. Die Mühle des Menschen wird durch die Verkündigung des Evangeliums so beeinflusst, dass sie sich derjenigen Gottes anpasst, und so wird Gott von ihm als der wahre Gott anerkannt, der seinerseits die Gläubigen als sein Volk anerkennt und annimmt. Dies war zwar auch das Ziel des alttestamentlichen Bundes, aber das Gesetz konnte diese Beziehung zwischen Gott und Mensch nicht herstellen. Ein weiteres Merkmal des neuen Bundes ist, dass es sich nicht um ein Volk oder eine Ethnie als politische Körperschaft handelt, die von besonderen Schriftgelehrten und Priestern unterwiesen wird, deren Anweisungen als Vermittlungshandlungen notwendig waren. Die Tatsache machte es für jeden Menschen zwingend notwendig, seinen Nächsten und Bruder so gut wie möglich zu unterweisen. Jetzt aber, da die Botschaft des Evangeliums verbreitet wurde, ist das göttliche Licht so weit verbreitet, dass es keiner Vermittlungsdienste mehr bedarf und alle Menschen, vom Kleinsten bis zum Größten, den einzig wahren Gott und Jesus Christus, den er gesandt hat, kennen und annehmen können. Aber die grundlegende Tatsache, die auch dem ganzen Bund den wahren Wert gibt, ist die, dass Gottes Gnade und Barmherzigkeit, die Vergebung der Sünden, das wesentliche Thema des Evangeliums ist; um Christi willen ist er barmherzig gegen unsere Missetaten und gedenkt unserer Sünden nicht mehr. Die Zitierung des gesamten Prophetenwortes macht die Aussagekraft des Arguments umso größer.
Der Verfasser hat also Recht, wenn er die Schlussfolgerung zieht: Indem er „ein neuer Bund“ sagt, macht er den ersten alt; aber das, was veraltet und alt ist, ist im Begriff zu verschwinden. Da Gott ausdrücklich von einem neuen Bund spricht, den er zu schließen beabsichtigt, bezeichnet er den ersten oder früheren, der im Alten Testament in Kraft war, als alt. Schon zur Zeit Jeremias zeigte die Tatsache, dass ein neuer Bund erforderlich war, dass der alte veraltet war, seinen Nutzen überlebt hatte und die Menschen nicht zur Vollkommenheit führen konnte. Aber wie bei anderen Dingen, so gilt auch hier, dass Dinge, die veraltet und alt sind, kein langes Leben mehr erwarten können; sie müssen damit rechnen, dass sie verworfen und durch etwas Neues ersetzt werden. Anmerkung: Der Bund der Gnade und Barmherzigkeit Gottes im Evangelium ist der Trost für alle Gläubigen. Anstelle des Gesetzes mit seinen Drohungen und Verurteilungen haben wir das Evangelium mit seinem Angebot der Vergebung der Sünden, des Lebens und der Erlösung. Durch diese herrliche Wahrheit haben wir die richtige Erkenntnis Gottes und sind Gottes Volk.
Zusammenfassung: Der Verfasser findet einen weiteren Beweis für das vorzüglichere Amt Christi in der Tatsache, dass sein Werk jetzt im Himmel vollbracht wird, und zeigt, dass Christus als Vermittler der Menschen jeden Priester des Alten Testaments vollständig ersetzt und abgelöst hat.
Der alttestamentliche Gottesdienst ist weniger als
Christi vollkommenes Opfer (9,1-28)
1 Es hatte zwar auch das erste seine Rechte des Gottesdienstes und
äußerliche Heiligkeit. 2 Denn es war da aufgerichtet das Vorderteil der Hütte,
darin waren der Leuchter und der Tisch und die Schaubrote; und dieses heißt das
Heilige. 3 Hinter dem anderen Vorhang aber war die Hütte, die da heißt das
Allerheiligste. 4 Die hatte das güldene Rauchfass und die Bundeslade, völlig
mit Gold überzogen, in welcher waren der goldene Krug, der das Himmelbrot
hatte, und die Rute Aarons, die gegrünt hatte, und die Tafeln des Testaments. 5
Oben drüber aber waren die Cherubim der Herrlichkeit, die überschatteten den
Gnadenstuhl; von welchem jetzt nicht besonders zu sagen ist.
6 Da nun solches so zugerichtet war, gingen die Priester allezeit in die
vorderste Hütte und richteten aus den Gottesdienst. 7 In die andere aber ging
nur einmal im Jahr allein der Hohepriester, nicht ohne Blut, dass er opferte
für seine eigenen und des Volkes unwissentlich begangene Sünden. 8 Womit der
Heilige Geist deutete, dass noch nicht offenbart wäre der Weg zur Heiligkeit,
solange die erste Hütte stünde, 9 welche musste zu derselben Zeit ein Vorbild
sein, in welcher Gaben und Opfer geopfert wurden, und konnten nicht vollkommen
machen nach dem Gewissen den, der da Gottesdienst tut 10 allein mit Speise und
Trank und mancherlei Taufen und äußerlicher Heiligkeit, die bis auf die Zeit
der Besserung sind aufgelegt.
11 Christus aber ist gekommen, dass er sei ein Hoherpriester
der zukünftigen Güter, durch eine größere und vollkommenere Hütte, die nicht
mit der Hand gemacht ist, das ist, die nicht so gebaut ist. 12 Auch nicht durch
der Böcke oder Kälber Blut, sondern er ist durch sein eigenes Blut einmal in
das Heilige eingegangen und hat eine ewige Erlösung erworben. 13 Denn so der
Ochsen und der Böcke Blut und die Asche, von der Kuh gesprengt, heiligt die
Unreinen zu der leiblichen Reinigkeit, 14 wieviel
mehr wird das Blut Christi, der sich selbst ohne allen Makel durch den Heiligen
Geist Gott geopfert hat, unser Gewissen zu reinigen von den toten Werken, zu
dienen dem lebendigen Gott!
15 Und darum ist er auch ein Mittler des Neuen Bundes [Testaments], damit durch den Tod, so geschehen ist zur Erlösung von den
Übertretungen, die unter dem ersten Bund waren, die, so berufen sind, das
verheißene ewige Erbe empfangen. 16 Denn wo ein Testament ist, da muss der Tod
geschehen des, der das Testament machte. 17 Denn ein Testament wird fest durch
den Tod, sonst hat es noch nicht Macht, wenn der noch lebt, der es gemacht hat.
18 Daher auch das erste nicht ohne Blut gestiftet wurde. 19 Denn als
Mose ausgeredet hatte von allen Geboten nach dem Gesetz zu allem Volk, nahm er
Kälber–und Bocksblut mit Wasser und Purpurwolle und Ysop und besprengte das
Buch und alles Volk. 20 Und sprach: Das ist das Blut des Bundes, den Gott euch
geboten hat. 21 Und die Hütte und alle Geräte des Gottesdienstes besprengte er ebenso
mit Blut. 22 Und es wird fast alles mit Blut gereinigt nach dem Gesetz. Und
ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung.
23 So mussten nun der himmlischen Dinge Vorbilder mit solchem gereinigt
werden; aber sie selbst, die himmlischen, müssen bessere Opfer haben, als jene
waren. 24 Denn Christus ist nicht eingegangen in das Heilige, so mit Händen
gemacht ist (welches ist ein Gegenbild des rechtschaffenen), sondern in den
Himmel selbst, nun zu erscheinen vor dem Angesicht Gottes für uns. 25 Auch
nicht, dass er sich oftmals opfere, gleichwie der Hohepriester geht alle Jahre
in das Heilige mit fremdem Blut. 26 Sonst hätte er oft müssen leiden von Anfang
der Welt her. Nun aber am Ende der Welt ist er einmal erschienen, durch sein
eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. 27 Und wie den Menschen ist gesetzt, einmal
zu sterben, danach aber das Gericht, 28 so ist Christus einmal geopfert,
wegzunehmen vieler Sünden. Zum zweiten Mal aber wird er ohne Sünde erscheinen
denen, die auf ihn warten, zur Seligkeit.
Beschreibung der Stiftshütte und ihrer Geräte
(V. 1-5): In diesem Kapitel werden die Punkte, die in den vorangegangenen
Abschnitten nur kurz erörtert wurden, ausführlicher behandelt, wobei die erste
Hälfte des Kapitels den Beweis für die Überlegenheit des Amtes Christi über das
Amt der alttestamentlichen Priester liefert. Der Autor fährt fort, dies zu
beweisen, indem er sich zunächst auf den Ort des Gottesdienstes und seine
Ausstattung bezieht: Auch der erste Bund hatte ja Gottesdienstordnungen und ein
weltliches Heiligtum. Mit diesen Worten wird ein Zugeständnis an die Vorzüge
des alttestamentlichen Bundes gemacht, um die Schönheiten des neuen Bundes umso
deutlicher hervorzuheben. Es gab Vorschriften, Verordnungen für den
Gottesdienst, die den öffentlichen Dienst in allen seinen Teilen regelten. Die
Juden hatten auch ein Heiligtum, einen Ort der Anbetung, aber, wie der Autor
sofort sagt, ein Heiligtum, das zu dieser Welt gehörte und nur für eine äußere
Anbetung geeignet war, eine von Menschenhand errichtete Stiftshütte, die mit
irdischem Material gebaut wurde.
Er beschreibt dieses Heiligtum: Denn es
wurde ein Zelt gebaut, das Vorzelt, in dem der Leuchter und der Tisch und die
Darbietung der Brote waren, welches das Heiligtum genannt wird. Vgl. 2. Mose
25,23-39; 26,35; 3. Mose 24,5-9. Die Stiftshütte, die auf Geheiß Gottes
errichtet wurde, bestand aus zwei Teilen. Der erste Teil des Zeltes, in den man
vom Priesterhof aus hineinging, wurde das Heiligtum genannt. In diesem
östlichen Teil der Stiftshütte befanden sich verschiedene
Einrichtungsgegenstände, ein Leuchter aus Gold, der sehr schön war, und ein
Tisch, der an der Südwand stand. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes
stand der Tisch aus Akazienholz, mit Gold überzogen, der als Ständer für die
Schaubrote oder das Dutzend Brotkuchen, das Brot des Antlitzes des Herrn,
diente, die jeden Sabbat erneuert wurden.
Auch der andere Teil der Stiftshütte wird
beschrieben: Und nach dem zweiten Vorhang das Zelt, das heißt das
Allerheiligste, mit dem goldenen Räucheraltar und der Bundeslade, die ganz mit
Gold überzogen war, in der ein goldener Krug war, der Manna enthielt, und der
Stab Aarons, der geknotet war, und die Tafeln des Bundes; und darüber Cherubim
der Herrlichkeit, die den Gnadensitz überschatteten, von dem ich jetzt nicht im
Einzelnen zu reden brauche. Das zweite oder innere Zelt war von dem Heiligtum
durch einen zweiten Vorhang getrennt; der erste war der, der vor dem Heiligtum
hing. Dieser Teil der Stiftshütte war ein Heiligtum, das Allerheiligste, das
mit größter Sorgfalt vor jeder Entweihung bewahrt wurde. An seinem Eingang, an
der Stelle, die am engsten mit dem Dienst des Versöhnungstages verbunden war,
in der Mitte des prächtigen Vorhangs an der Ostseite, stand der goldene
Räucheraltar mit seinem goldenen Räuchergefäß, 2. Mose 30,1-10; 37,25-28. Hier
musste der Priester, der für dieses besondere Werk bestimmt war, sowohl beim
Morgen- als auch beim Abendopfer Weihrauch verbrennen. Innerhalb des Vorhangs
befand sich die Bundeslade, das einzige Möbelstück, das sich wirklich im
Allerheiligsten befand, 2. Mose 25,10-16. Diese große Truhe aus Akazienholz war
sowohl innen als auch außen mit Gold überzogen. Sie diente als Aufbewahrungsort
für verschiedene Gegenstände. Da war ein goldenes Gefäß, in dem drei Quarts
Manna aufbewahrt wurden, Ex. 16, 33; da war der Stab Aarons, der zu der Zeit
geknospt hatte, als einige der Ältesten des Volkes ihre Unzufriedenheit mit der
Anordnung des Herrn, ihn zum Fürsten in Israel zu machen, zum Ausdruck gebracht
hatten, 4. Mose 17,8.10; da waren vor allem die beiden steinernen Tafeln, auf
die der Herr die Worte des Gesetzes zum zweiten Mal mit seinem eigenen Finger
geschrieben hatte, 5. Mose 31,25.26. Der Deckel der Lade oder Truhe wurde
Gnadensitz genannt. Er war aus Gold gefertigt und enthielt als auffälligste
Verzierung zwei Cherubim, die sich mit ausgebreiteten Flügeln über der Mitte
gegenüberstanden. Sie werden die Cherubim der Herrlichkeit genannt, weil
zwischen ihnen der Herr dem Mose erschien und mit ihm redete, 2. Mose 25,22.
All diese Dinge erwähnt der Verfasser nicht, um sie im Einzelnen zu erörtern,
sondern einfach, um zu zeigen, dass auch der alte Bund ein gewisses Maß an
Herrlichkeit besaß. Seine Leser waren mit diesen Ausrüstungsgegenständen
vertraut, da sie seit ihrer Jugend davon gehört hatten.
Das Amt der alttestamentlichen Priester
war unvollkommen (V. 6-10): Der heilige Schreiber bezieht sich nun auf die
Form des Gottesdienstes in diesen beiden Teilen der Stiftshütte: Da diese Dinge
so angeordnet waren, gingen die Priester zwar ständig in das vordere Zelt und
verrichteten ihre Dienste, aber in das innere ging nur der Hohepriester einmal
im Jahr, nicht ohne Blut. Nachdem die Stiftshütte nach Gottes Anweisungen
gebaut und alle Geräte nach seinen Anweisungen aufgestellt worden waren, nahmen
die Priester ihre Arbeit auf und verrichteten alle Handlungen ihres Amtes, wie
es das Gesetz vorschrieb. Ihre Arbeit führte sie jeden Tag regelmäßig in das
Außenzelt, denn das Räucheropfer musste sowohl morgens als auch abends
dargebracht werden, 2. Mose 30,7-9. Auch die Lampe mit ihrem ewigen Licht
musste mit der gleichen Regelmäßigkeit nachgeschmückt werden. Was aber die
innere Stiftshütte betraf, so war der tägliche Gebrauch und das Betreten des
Allerheiligsten untersagt. Nur einmal im Jahr, am zehnten Tag des siebten
Monats, betrat der Hohepriester, und nur er, dieses Heiligtum und verrichtete
die besondere Arbeit, die ihm durch die Vorschriften des Versöhnungstages
auferlegt war. Mindestens dreimal schob er den schweren Vorhang beiseite, der
das Allerheiligste verhüllte, und nahm zuerst den Weihrauch, dann das Blut des
Stieres, das für seine eigenen Sünden und die seines Hauses büßte, und
schließlich das Blut des Bockes für die Sünden des Volkes mit. Das Blutopfer,
das Besprengen des Gnadenstuhls mit Blut, war also der wesentliche Teil des
Dienstes des Hohenpriesters an diesem Tag. Vgl. 3. Mose 16. Das war die
göttliche Regel für die Ausübung der priesterlichen Funktionen in der
Stiftshütte und bis zu einem gewissen Grad auch im Tempel.
Aber all dies war typisch und prophetisch
für die Zeit des Neuen Testaments: Der Heilige Geist deutete damit an, dass der
Weg ins Heilige noch nicht offenkundig war, solange das erste Zelt noch an
seinem Platz stand. Solange die Anbetung der Juden noch in Stiftshütte und
Tempel, in einem sogenannten Allerheiligsten, stattfand, solange der Vorhang
selbst die Priester noch vom Heiligtum, dem inneren Heiligtum, trennte, während
der gesamten Zeit des Alten Testaments, deutete der Heilige Geist in der Tat an,
dass der wahre Zugang zu Gott noch nicht eingerichtet war, dass die
Wiederherstellung der vollkommenen Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch noch
nicht stattgefunden hatte. „Der eigentliche Zweck der Teilung der Stiftshütte
in zwei Räume, einen äußeren und einen inneren, war es, den Menschen die
Tatsache vor Augen zu führen, dass der Weg des Zugangs noch nicht offenbart
worden war.“ (Dods.) Jetzt, da der Vorhang zerrissen
ist, haben die Dinge ein anderes Stadium erreicht, Matth.
27,50.51. Ein levitisches Priestertum ist nicht mehr nötig; wir haben
ungehinderten Zugang zum Thron der Gnade.
Was aber die Stiftshütte und ihre
Ausstattung betrifft, so betont der Verfasser erneut: Das ist ein Bild für die
gegenwärtige Zeit, nach dem sowohl Gaben als auch Opfer dargebracht werden, die
den, der den Dienst verrichtet, unmöglich in Bezug auf das Gewissen vollkommen
machen können; sie beziehen sich nur auf Essen und Trinken und verschiedene
Waschungen, Ordnungen des Fleisches, die bis zur Zeit der Korrektur auferlegt
sind. Die Tatsache, dass es einen ersten Teil der Stiftshütte gab, der sich vom
Allerheiligsten unterschied, war eine ständige Lektion für die Zeit und das
Volk des Alten Testaments; wann immer sie das Doppelzelt betrachteten und sich
an seine Bedeutung erinnerten, sollten sie an den vollkommeneren Weg des Heils
denken, der in der messianischen Zeit offenbart werden sollte. Es entsprach dem
Zweck der Stiftshütte, dass die Menschen Gaben und Opfer brachten; diese Gaben
wurden damals von ihnen verlangt. Aber all diese Opfer allein konnten das
Gewissen eines Anbeters unmöglich vollkommen und rein machen. Sie hatten keinen
wirklichen Wert an sich, sondern nur insofern, als sie Vorbilder des
vollkommenen Opfers waren, das von Christus dargebracht werden sollte. Diese
Gaben und Opfer waren nur mit dem Essen und Trinken verbunden, 3. Mose 11; 4.
Mose 6,2-4; 3. Mose 10,8-11; 11,34, mit verschiedenen Waschungen, religiösen
Waschungen zum Zwecke der zeremoniellen Reinigung, 2. Mose 29,4; 3. Mose 11;
14,2-9; 15,5-13; 16,4.24-28; 4. Mose 8,7; 19,17-21.[9] All dies waren nur äußere
Verordnungen, die sich auf das Fleisch, auf die Weihe des Leibes bezogen, und
sie sollten nur bis zur Zeit der Besserung oder Korrektur in Kraft bleiben, bis
der bessere Bund in Kraft treten würde. Es war also offensichtlich, dass das
gesamte Alte Testament unvollkommen war und keine Vollkommenheit hervorbringen
konnte, keinen Menschen in einen Zustand versetzen konnte, der ihn vor Gott
annehmbar machen würde.
Die Vollkommenheit des Opfers Christi
(V. 11-14): Dieser Abschnitt enthält eine Schlussfolgerung, die praktisch die
Diskussion des ganzen Briefes umfasst, wie Luther bemerkt: „Zum richtigen
Verständnis dieses Abschnitts ist es notwendig, den ganzen Hebräerbrief zu
verstehen.“[10]
Die Vollkommenheit der Erlösung durch Christus wird so herausgestellt: Christus
aber, der als Hoherpriester der zukünftigen Güter
gekommen ist, ist durch ein besseres und vollkommeneres Zelt, das nicht von
Menschenhand gemacht ist, das heißt nicht von dieser Schöpfung, auch nicht
durch das Blut von Böcken und Rindern, sondern durch sein eigenes Blut ein für allemal in das Heilige eingegangen und hat die ewige
Erlösung erlangt. Christus wird hier in den Mittelpunkt der Verkündigung des
Evangeliums gestellt. Er ist gekommen, er hat sich selbst dargestellt, er wurde
von Gott in der Fülle der Zeit als Hoherpriester
gesandt, nicht für irdische und zeitliche Güter und Gaben, sondern für solche
Gaben, Freuden und Segnungen, die uns in der Zukunft zuteil
werden, wenn wir die Vollendung unseres Heils haben werden. Es ist eine
ewige Erlösung, die er für uns verdient oder erlangt hat, indem er das von der
Gerechtigkeit seines himmlischen Vaters geforderte Lösegeld bezahlt hat. Der
inspirierte Autor erzählt genau, wie dies geschah, indem er sagt, dass Christus
durch die größere und vollkommenere Hütte erschien, die nicht von Menschenhand
gemacht ist, die nicht zu dieser gegenwärtigen Schöpfung, zu der sichtbaren
Welt und dem sichtbaren Zeitalter gehört, die nicht aus Gold oder Silber oder
gewebten Stoffen besteht. Es war die Hütte Seiner menschlichen Natur, Seines
Fleisches und Blutes, die es Ihm ermöglichte, Sein Blut für uns zu vergießen,
in dem Er zu Gott einging. Indem er sein Fleisch, sein menschliches Leben, in den
Tod gab, wurde Christus der Herrlichkeit seines Vaters teilhaftig, wurde zur
Rechten Gottes erhöht. Vgl. Kap. 10,19.20; Eph. 2,14. Es ist unerheblich, ob
wir sagen, dass Christus durch den Vorhang seines Fleisches oder durch die
Hütte seines Fleisches in die Herrlichkeit eingegangen ist. Es war nicht das
Blut von Böcken oder Stieren, das dieser Hohepriester vergoss, wie es die
Priester des Alten Testaments am Versöhnungstag und zu anderen Zeiten taten,
sondern es war sein eigenes, höchst kostbares und göttliches Blut. Das ist es,
was dem Lösegeld, das er bezahlte, den vollkommenen und ewigen Wert gab. Nur
ein einziges Mal gab er sein Leben, nur ein einziges Mal vergoss er sein Blut
für uns, aber dieses Opfer war ein einziges Mal und für immer, es bezahlte für
die Erlösung der ganzen Welt für immer. Die Hohepriester des Alten Testaments
mussten ihre Sühne für die Sünden des Volkes jedes Jahr erneuern, vor allem
deshalb, weil die Opfer, die sie brachten, nur typisch und symbolisch waren;
aber hier ist keine solche Wiederholung nötig: Das Blut Jesu Christi, seines
Sohnes, reinigt uns von allen Sünden, 1. Joh. 1,7.
Dies wird noch durch einen Vergleich
untermauert: Denn wenn schon das Blut von Böcken und Stieren und die Asche
einer Kuh, die die Unreinen besprengt, zur Reinheit des Fleisches reinigt, wie
viel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst durch den Heiligen Geist Gott
unbefleckt dargebracht hat, euer Gewissen von toten Werken reinigen, um dem
lebendigen Gott zu dienen. Der Autor bezieht sich hier auf das Werk, das
Christus gegenwärtig in unserem Interesse vollbringt. Seine Leser waren mit den
Erfordernissen des jüdischen Kultes vertraut, sie wussten, dass das Blut von
Stieren und Böcken, das nicht nur am Versöhnungstag, sondern auch an anderen
Tagen im Jahr verwendet wurde, dazu diente, einen Übertreter des Gesetzes
Gottes in seine persönliche Reinheit zurückzuführen. Wenn die Asche einer roten
Färse, mit Wasser vermischt, auf diejenigen gestreut wurde, die durch den
Kontakt mit einem toten Körper verunreinigt worden waren, wurde die levitische
Reinheit wiederhergestellt und es wurde ihnen erlaubt, in der Mitte des Volkes
zu bleiben. Aber das Wissen um die Sünde, das Bewusstsein der Sündhaftigkeit,
wurde durch all die Opfer und Waschungen des Alten Testaments nicht beseitigt.
Die Gläubigen des Alten Testaments vertrauten nicht auf das wesentliche Verdienst
ihrer Opfer, denn sie wussten, dass sie nur nach dem Maß ihrer prophetischen
Qualität gültig waren, sondern auf den Messias und sein Werk, auf den alle ihre
Zeremonien hinwiesen. Nun, da Christus tatsächlich gekommen ist, wissen wir,
dass sein Blut unser Gewissen von allen toten Werken, von den eitlen und leeren
Handlungen, von allen Übertretungen des Gesetzes, die das Gewissen
verunreinigen, und von allen eitlen Bemühungen um Selbstgerechtigkeit zu
reinigen vermag. Das ist wahr, denn er hat sich selbst durch den ewigen Geist
als ein Opfer ohne Makel dargebracht. Der unvergleichliche, unbezahlbare Wert
des Blutes Christi, der Opferung seines Lebens und seines Leibes, wird hier
hervorgehoben. Es war der reine und heilige Sohn Gottes, der sich als unschuldiger
Stellvertreter für die Sünden der ganzen Welt hingab. Er tat dies durch den
ewigen Geist, durch sein unsichtbares, geistiges, göttliches Wesen, durch seine
göttliche Natur. Durch und kraft seiner ewigen Gottheit opferte Christus sich
selbst. Gottes Blut, Gottes Martyrium, Gottes Tod wurde in die Waagschale
geworfen; diese Tatsache gibt uns die gesegnete Gewissheit unserer Errettung.
Und diese Tatsache gibt uns auch die Bereitschaft und die Kraft, dem Herrn alle
Tage unseres Lebens in Heiligkeit und Gerechtigkeit zu dienen, unser Leben zu
einem ständigen Dankopfer zu machen für all die wunderbaren Gaben seiner Gnade,
die wir ohne Unterlass genießen. Es ist der lebendige Gott, dem wir dienen, der
selbst die Quelle des Lebens ist und der seine Freude daran hat, geistiges
Leben und Kraft in reichem Maße über uns auszugießen.[11]
Die Notwendigkeit des Todes Christi
(V. 15-17): Nachdem er gezeigt hat, dass das hohepriesterliche Amt Christi in
jeder Hinsicht vorzüglicher war als das der alttestamentlichen Hohepriester,
liefert der Autor im zweiten Teil des Kapitels den Beweis dafür, dass Christus
auch der Vermittler eines besseren Bundes ist als der des Alten Testaments.
Indem er die Notwendigkeit des Todes Christi aufzeigt, verweist er vor allem
auf die Wirkung und den Zweck des großen Opfers auf Golgatha: Darum ist er der
Vermittler eines neuen Testaments, damit die Berufenen durch seinen Tod von den
Übertretungen des ersten Bundes befreit werden und die Verheißung des ewigen
Erbes empfangen. Weil Christus durch sein eigenes Blut in das Allerheiligste
des Himmels eingegangen ist und weil sein Blut das Gewissen von toten Werken
reinigt, um dem lebendigen Gott zu dienen, ist er der Vermittler des neuen
Bundes. Durch das jährliche Sühnopfer der Hohepriester des Alten Testaments
wurde der Bund Gottes mit seinem auserwählten Volk stets erneuert und Israel
immer wieder in seine Rechte als Bundesvolk eingesetzt. Christus aber hat durch
sein Blut, durch seine Erlösung, einen neuen Bund aufgerichtet, durch den wir
Gottes Kinder, Gottes Volk sind, durch den wir der Barmherzigkeit Gottes gewiss
sind und durch unseren Herrn Jesus Christus Gemeinschaft mit Gott haben, nicht
nur für ein Jahr oder für einige Jahre, sondern für alle Ewigkeit. All dies ist
durch den Tod Christi möglich geworden, der zur Befreiung von den Übertretungen
des ersten Bundes geschah. Denn wenn diese Übertretungen, an denen alle
Menschen schuldig waren, nicht gesühnt wurden, konnte kein Mensch das ewige
Erbe empfangen. Da die Opfer des Alten Testaments nicht in der Lage waren, die
Sünde zu sühnen, war ein neuer Bund mit einem Tod notwendig, der dieses
notwendige Ziel erreichen konnte. Da der stellvertretende Tod Christi eine
historische Tatsache ist, kann die Verheißung nun in die Tat umgesetzt werden.
Wir, die wir durch das Evangelium berufen sind, können uns nun frei auf die
Verheißung des ewigen Erbes im Himmel verlassen, wo wir die wahren, bleibenden
Gaben und Segnungen genießen werden.
Der Bund Gottes, der uns durch seine
Verheißung zugesichert ist, ist zugleich das Testament, die letzte Mühle
unseres Erlösers Jesus Christus. Und aus dieser Tatsache argumentiert der
heilige Schreiber: Denn wo es ein Testament gibt, ist es notwendig, dass der
Tod desjenigen, der das Testament gemacht hat, angegeben wird; denn ein
Testament ist in Bezug auf tote Menschen in Kraft, da es niemals in Kraft ist,
solange der Erblasser lebt. Die Veranschaulichung ist dem allgemeinen Brauch
oder Gesetz in Bezug auf Testamente entnommen, denn der letzte Wille eines
Menschen ist niemals gültig, solange der Erblasser noch lebt. Wenn die
wirklichen oder vermeintlichen Erben in den Genuss des Erbes kommen wollen,
muss zunächst der Tod des Erblassers nachgewiesen werden. Erst wenn diese
Tatsache zweifelsfrei feststeht, wenn der Mann, der seinen letzten Willen zu
Papier gebracht hat, nicht mehr unter den Lebenden weilt, sind die Bestimmungen
des Testaments in Kraft. So war auch der Tod Christi notwendig, damit Christus
wirklich der Vermittler eines neuen und besseren Bundes sein konnte.
Die alttestamentlichen Opfer – ein Bild
(Typos) auf Christus (V. 18-22): Die Aussage des
vorangegangenen Abschnitts, dass Christus durch seinen Tod, durch das Vergießen
seines Blutes, zum Mittler des Neuen Testaments geworden ist, wird hier durch
einen Hinweis auf den Typus des Alten Testaments untermauert: Daher ist auch
der erste (Bund) nicht ohne Blut eingeweiht worden. Die Kinder Israels wurden
durch den Tod in den Bund des Herrn aufgenommen, und zwar über die toten Körper
der Opfertiere, die das Volk repräsentierten. Der Tod dieser Tiere war
notwendig, zum einen, um die Sünden des Volkes zu sühnen, zum anderen, um zu
zeigen, dass das Volk der Vergangenheit gestorben und ganz und gar das
besondere Volk des Herrn geworden war. So wurde auch der erste Bund, so
unvollkommen und vorübergehend er auch war, nicht ohne das Blutvergießen und
den daraus resultierenden Tod der Tiere, die für die Gläubigen eintraten,
ratifiziert.
Diese Tatsache wird an einem Beispiel
deutlich: Denn als alle Gebote nach dem Gesetz von Nasen zum ganzen Volk
gesprochen worden waren, nahm er das Blut von Stieren und Böcken mit Wasser und
scharlachroter Wolle und Ysop und besprengte damit das Buch selbst und das
ganze Volk und sprach: Das ist das Blut des Bundes, den Gott über euch verhängt
hat. Der inspirierte Autor bezieht sich hier auf eine Geschichte, die seinen
Lesern bekannt war. Nachdem Mose in Übereinstimmung mit dem Gebot des Herrn dem
ganzen Volk alle Gebote wiederholt hatte, die Gott gesprochen hatte, und
nachdem sie alle Gelegenheit gehabt hatten, die Verpflichtungen, die sie mit
dem Eintritt in den Bund eingegangen waren, klar zu verstehen, prägte Mose
ihnen die Sache durch eine feierliche Zeremonie ein. Nachdem die entsprechenden
Tiere geschlachtet worden waren, nahm er das Blut von Stieren und Ziegen, fügte
Wasser hinzu, entweder um die Gerinnung zu verhindern oder um die Tatsache der
Reinigung zu symbolisieren, band etwas scharlachrote Wolle auf einen Stock aus
Ysop oder wildem Majoran, der ebenfalls mit der Reinigung in Verbindung
gebracht wurde, und benutzte diese Vorrichtung dann zum Besprengen. vgl. 4.
Mose 19,6.7.18; 3. Mose 14,4-7.49-52. Er sprengte zuerst etwas von dem Blut auf
das Buch selbst, d. h. auf die Rolle, auf die er die Worte des Herrn, die
Bedingungen des Bundes, geschrieben hatte, und dann auf das Volk als
Vertragspartner, wobei er gleichzeitig sagte, dass dieses Blut das Blut des
Testaments sei, dass Gott damit den Bund zwischen sich und dem von ihm
erwählten Volk bestätigte. Vgl. 2. Mose 24,3-8. Man beachte, dass die von Mose
gebrauchten Worte denen sehr ähnlich sind, die Christus bei der Einsetzung der
Eucharistie gebrauchte, womit der Herr anzeigte, dass allein durch das
Vergießen seines Opferblutes zur Vergebung der Sünden der ewige Bund des Neuen
Testaments ratifiziert wird.
Aber der Autor fügt noch einen weiteren
Punkt hinzu: Und er besprengte auch die Stiftshütte und die Gefäße des Dienstes
mit Blut; und praktisch wird alles nach dem Gesetz mit Blut gereinigt, und ohne
das Vergießen von Blut findet keine Vergebung statt. Was bei dieser Gelegenheit
geschehen war, wurde später in ebenso feierlicher Weise wiederholt, 3. Mose
8,15.19, als die Stiftshütte mit entsprechenden Zeremonien eingeweiht wurde,
wobei Aaron in diesem Fall auf Gottes Geheiß anstelle von Mose handelte. Es
scheint, dass Mose die Salbung der Stiftshütte und ihre Ausstattung persönlich
vornahm, 2. Mose 40,9-11, und auch das Blut des Sündopfers
Aarons mit seinen eigenen Händen auf den Altar sprengte, während der
Hohepriester danach die Weihe aller heiligen Gefäße vornahm, die für die Arbeit
des levitischen Priestertums verwendet wurden. Der Autor hat also Recht, wenn
er behauptet, dass nach dem Ritus des Alten Testaments praktisch alle Dinge
durch Blut gereinigt wurden, wobei das Blut das Symbol oder das Mittel der
Reinigung war. Wasser wurde nur für die Reinigung von bestimmten
Verunreinigungen verwendet. Die Schlussfolgerung ist also völlig
gerechtfertigt, dass es ohne Blutvergießen keine Vergebung der Sünden gibt. So
war es auch im Alten Testament. Die Anwendung auf den neuen Bund ist
offensichtlich, nämlich dass es keine Erlösung gibt außer durch den Opfertod
Christi. Er gab sein Leben für das Leben der Welt und erlangte dadurch ewiges
Leben für die Welt.
Die Anforderungen des neuen Bundes sind durch Christi vollkommenes Opfer befriedigt (V. 23-28): Hier wird die Notwendigkeit der Reinigung des himmlischen Heiligtums sowie die Wirksamkeit und Endgültigkeit des einen Opfers Christi hervorgehoben. Über den ersten Punkt spricht der Autor: Es war also notwendig, dass die Kopien der Dinge in den Himmeln durch diese gereinigt wurden, die himmlischen Dinge selbst aber durch bessere Opfer als diese. Die Kopien oder Muster der himmlischen Dinge, die Stiftshütte und ihre Ausstattung, mussten mit dem Blut der Opfertiere gereinigt und geweiht werden. Das war die Vorschrift Gottes, und diese Form der Reinigung war ausreichend, solange es nur um die Dinge dieser Welt ging. Da die Stiftshütte mit allem, was sie enthielt, nur ein Typus und Schatten der himmlischen Dinge war, war mehr als diese Reinigung nicht nötig. Anders verhält es sich mit dem himmlischen Heiligtum selbst; denn seine Heiligkeit ist so unermesslich hoch über alles Irdische erhaben, dass es eines vorzüglicheren und vollkommeneren Opfers bedurfte, damit nicht der Einfluss menschlicher Sünde und Schwäche dieses göttliche Heiligtum verunreinige und den Eintritt in seine heilige Pforte unmöglich mache. Die himmlischen Dinge an sich bedürfen keiner Reinigung, aber wenn sie von sündigen Menschen betreten werden, brauchen sie sie.
Die Reinigung wird nun erklärt: Denn nicht in die mit Händen gemachten Heiligtümer, die bloßen Gegenstücke des Echten, ist Christus eingegangen, sondern in den Himmel selbst, um nun für uns vor dem Angesicht Gottes zu erscheinen. Christus, unser Hohepriester, ist in jeder Hinsicht weit über die Hohepriester des Alten Testaments erhaben. Denn im Gegensatz zu ihnen ist er nicht in das Heiligtum, in das Allerheiligste der irdischen, von Menschenhand geschaffenen Stiftshütte eingetreten, die nur ein Typus, ein Abbild oder ein Gegenstück des wirklichen Heiligtums im Himmel ist. In den Himmel selbst, das wahre Heiligtum, ist Christus eingetreten; durch das Vergießen seines heiligen Blutes hat er den Eingang zum Allerheiligsten der Stiftshütte oben geöffnet. Und es ist nicht ein bloßer irdischer Gnadenstuhl, vor dem er erschienen ist, an einem Ort, an dem die Herrlichkeit des Herrn nur gelegentlich offenbart wurde, um mit seinen Dienern zu verkehren, sondern es ist der Thron der Herrlichkeit selbst, auf dem er jetzt steht, in der Gegenwart des Herrn der Herrlichkeit selbst. All das hat er für uns getan, als unser Vermittler, als Vermittler des neuen und besseren Bundes.
Diese Tatsache des stellvertretenden Opfers Christi wird auch von einer anderen Seite her hervorgehoben: Nicht, dass er sich oft opfern könnte, wie der Hohepriester jährlich mit fremdem Blut in das Allerheiligste eintrat; denn dann hätte er seit Grundlegung der Welt oft leiden müssen; jetzt aber ist er einmal, am Ende der Weltzeit, zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer offenbart worden. Das Opfer, das Christus für uns gebracht hat, unterschied sich von dem, das die jüdischen Hohepriester Jahr für Jahr am großen Versöhnungstag darbrachten, auch darin, dass ihr Opfer wiederholt werden musste, jedes Jahr erneuert werden musste, sonst hätte der Bund keinen Bestand. Wie alles, was Menschen tun, waren auch alle Riten, Zeremonien und Opfer unvollständig und unvollkommen. Die Hohenpriester der alten Zeit vollbrachten darüber hinaus das Sühnewerk mit oder in fremdem Blut, denn das Blut des Opfers war das Instrument, das ihnen den Zugang zum Heiligtum ermöglichte. Das Opfern von fremdem Blut ist aber notwendigerweise unvollkommen. Wenn das auch auf Christus zuträfe, dann hätte er seit der Erschaffung der Welt immer wieder leiden müssen. Wenn der Eintritt immer eine Wiederholung erfordert hätte, dann wäre Jesus gezwungen gewesen, periodisch zu leiden und zu sterben. Da aber das Leiden und Sterben Christi ewig wirksam ist, genügte es völlig, dass er jetzt, bei der Vollendung der Zeitalter, in der Fülle der Zeiten, in der Weltperiode, in der alle Typen und Prophezeiungen des Alten Testaments ihre Deutung und Erfüllung finden, in der Zeit vor dem Ende der Welt erschien. Anstatt sein Opfer für jede nachfolgende Generation von Menschen zu bringen, hat er ein einziges Opfer dargebracht, das völlig ausreicht, um die Sünde für immer abzuschaffen und zu beseitigen, weil es aus seinem eigenen Körper als Opfer besteht. Aufgrund des einzigen Opfers Christi können wir mit Recht sagen, dass alles vollbracht ist, was für die Erlösung der Welt notwendig war.
Um seine Aussage zu untermauern, dass das Opfer Christi ein für alle Mal war, verweist der inspirierte Schreiber auf die normalen Bedingungen des Todes der Menschen: Und wie es den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht, so wird auch Christus, der einmal geopfert wurde, um die Sünden vieler zu tragen, zum zweiten Mal ohne Sünde denen erscheinen, die ihn geduldig zur Erlösung erwarten. Es ist eine strenge Wahrheit, die der Schreiber hier benutzt, um das zu unterstreichen, was er sagen will. Es ist den Menschen, allen Menschen, bestimmt, einmal zu sterben. Das ist eine Tatsache, die in der Heiligen Schrift steht und durch die Erfahrung der Jahrhunderte bestätigt wird: Sterbliche Menschen müssen sterben. Aber der Tod ist nicht das Ende, der Tod ist nicht das Verderben; es ist vielmehr so, dass nach dem Tod das Gericht kommt, wenn alle Menschen vor dem Richterstuhl Christi erscheinen müssen, damit ein jeder empfange, was er an seinem Leibe getan hat, es sei gut oder böse, 2. Kor 5,10. Aber so wie die Folgen des Lebens eines jeden Menschen mit seinem Tod entschieden werden, so hat der Tod Christi die Frage der Sünde und des Heils entschieden. Er wurde einmal als Opfer dargebracht, um die Sünden vieler zu tragen. Das war die Last, die Christus auf sich nahm und bis zum Tod am Kreuz trug: die Übertretungen, die Schuld, die Strafe vieler, der ganzen Menschheitsfamilie. Aber ebenso sicher wie diese Tatsache ist die andere, dass Christus ein zweites Mal erscheinen wird, dass er in Herrlichkeit wiederkommen wird, um die Lebenden und die Toten zu richten. Und wenn er sichtbar erscheint, dann nicht, um hier auf Erden ein tausendjähriges Reich zu errichten, sondern um denen, die im Glauben geduldig auf ihn gewartet haben, das ewige Heil zu schenken und sie in die ewigen Wohnungen aufzunehmen. Vgl. 2. Tim. 4,8. So ist Jesus Christus der Vermittler eines besseren Bundes als der des Alten Testaments. So dürfen wir unser festes Vertrauen auf ihn als unseren Erlöser setzen.
Zusammenfassung: Um zu zeigen, dass der alttestamentliche Kult der Vollkommenheit des Opfers Christi unterlegen ist, gibt der inspirierte Schreiber eine Beschreibung der Stiftshütte und ihrer Ausstattung, zeigt auf, wie unvollkommen der Dienst der alttestamentlichen Priester im Vergleich zum Amt Christi war, argumentiert für die Notwendigkeit seines Todes und beweist nebenbei, dass die Forderungen des neuen und besseren Bundes durch das vollkommene Opfer Christi vollständig erfüllt sind.
Die Unzulänglichkeit der alttestamentlichen Opfer,
verglichen mit dem einen vollkommenen Opfer Christi (10,1-18)
1 Denn das Gesetz hat den Schatten von den zukünftigen Gütern, nicht das
Wesen der Güter selbst. Alle Jahr muss man opfern immer einerlei Opfer und kann
nicht, die da opfern, vollkommen machen; 2 sonst hätte das Opfern aufgehört,
wenn die, so Gottesdienstteilnehmer sind, kein Gewissen sich mehr machten von
den Sünden, wenn sie einmal gereinigt wären; 3 sondern es geschieht nur durch
dieselben eine Erinnerung an die Sünden alle Jahr. 4 Denn es ist unmöglich,
durch Ochsen–und Bocksblut Sünden wegzunehmen.
5 Darum, da er in die Welt kommt, spricht er: Opfer und Gaben hast du
nicht gewollt; den Leib aber hast du mir zubereitet. 6 Brandopfer und Sündopfer gefallen dir nicht. 7 Da sprach ich: Siehe, ich
komme; im Buch steht vornehmlich von mir geschrieben, dass ich tun soll, Gott,
deinen Willen. 8 Droben, als er gesagt hatte: Opfer und Gaben, Brandopfer und Sündopfer hast du nicht gewollt; sie gefallen dir auch
nicht (welche nach dem Gesetz geopfert werden), 9 da sprach er: Siehe, ich
komme zu tun, Gott, deinen Willen. Da hebt er das erste auf, dass er das andere
einsetze. 10 In welchem Willen wir sind geheiligt, einmal geschehen durch das
Opfer des Leibes Jesu Christi.
11 Und ein jeglicher Priester ist eingesetzt, dass er alle Tage
Gottesdienst pflege und oftmals einerlei Opfer tue, welche nimmermehr können
die Sünden abnehmen. 12 Dieser aber, da er hat ein Opfer für die Sünden
geopfert, das ewig gilt, sitzt er nun zur Rechten Gottes 13 und wartet hinfort,
bis dass seine Feinde zum Schemel seiner Füße gelegt werden. 14 Denn mit einem
Opfer hat er in Ewigkeit vollendet, die geheiligt werden. 15 Es bezeugt uns
aber das auch der Heilige Geist. Denn nachdem er zuvor gesagt hatte: 16 Das ist
der Bund, den ich ihnen machen will nach diesen Tagen, spricht der HERR: Ich
will mein Gesetz in ihr Herz geben, und in ihre Sinne will ich es schreiben, 17
und ihrer Sünden und ihrer Ungerechtigkeit will ich nicht mehr gedenken. 18 Wo
aber derselben Vergebung ist, da ist nicht mehr Opfer für die Sünde.
Die Unzulänglichkeit der
alttestamentlichen Opfer (V. 1-4): Die Tatsache, die in der gesamten
bisherigen Diskussion hervorgetreten ist, nämlich dass alle Kulthandlungen des
alttestamentlichen Kultes nur bildlich, symbolisch, typisch waren, wird hier
erneut betont, um die Endgültigkeit des einen Opfers Christi hervorzuheben:
Denn das Gesetz, das nur ein Schatten des zukünftigen Guten, nicht aber die
eigentliche Gestalt der Dinge ist, kann niemals mit denselben Opfern, die sie
Jahr für Jahr unaufhörlich darbringen, diejenigen vollkommen machen, die sich
nähern. Das Gesetz mit all seinen Riten, Zeremonien und Opfern war nur ein
Schatten der wirklich guten Dinge, die in und mit Christus kommen werden; was
es bot, war unzureichend, nicht substantiell. Mit dem Erscheinen Christi wurde
der bessere Bund eingeläutet, denn er brachte die Wirklichkeit, in ihm wurde
das Heil verwirklicht. Im Alten Testament wurde zwar das Kommen der großen
geistlichen Segnungen angedeutet und prophezeit, und die Gläubigen setzten ihre
Heilshoffnung auf den Messias, der offenbar werden sollte. Aber sie waren immer
noch verpflichtet, Jahr für Jahr und von Generation zu Generation dieselben
Opfer zu bringen, ihre Gaben zu erneuern, ihre Sünden durch symbolische
Handlungen zu sühnen, den Gott des Bundes durch das Blut von Stieren und Böcken
zu versöhnen, was alles für sich genommen die Anbeter nicht vollkommen machen
konnte, so wie keine Wiederholung des Schattens die Substanz erreichen kann.
Um diese Wahrheit zu unterstreichen, fragt
der Verfasser: Sonst hätten sie sicher aufgehört, geopfert zu werden; - weil
die Anbeter, die einst gereinigt waren, kein Sündenbewusstsein mehr hatten.
Wenn der Gottesdienst, die Opfer, die Gaben des Alten Testaments die Menschen,
die daran teilnahmen, vollkommen gemacht hätten, wenn sie tatsächlich von ihren
Sünden und dem Bewusstsein der Schuld gereinigt worden wären, dann hätten sie
sicher nicht Jahr für Jahr eine Erneuerung der Opfer verlangt. Denn der gesamte
Kult der Juden hatte nur insofern Kraft, als er das vollkommene Opfer Christi
vorwegnahm, als er überhaupt von Nutzen war. Da er aber nur ein Typus war,
wurde die jährliche Wiederholung der Sühneopfer notwendig.
Es bleibt also wahr, wie der Autor
abschließend feststellt: Aber in ihnen wird jedes Jahr von neuem an die Sünden
erinnert; denn es ist unmöglich, dass das Blut von Stieren und Böcken die
Sünden wegnehmen kann. Da die Opfer an sich nicht in der Lage waren,
Vollkommenheit in den Anbetern zu bewirken, wurde ihre jährliche Wiederholung
tatsächlich zu einer jährlichen Erinnerung an die Sünden. Der Verfasser scheint
vor allem den großen Versöhnungstag am zehnten Tag des siebten Monats im
jüdischen Jahr im Sinn zu haben. An diesem Tag wurden im feierlichsten und
eindrucksvollsten Tempeldienst des ganzen Jahres die Verfehlungen des ganzen
Volkes vor der versammelten Menge bekannt, ihre Sünden wurden ihnen immer
wieder ins Gedächtnis gerufen. Die Opfer des Tages konnten nur symbolisieren,
auf das eine vollkommene Opfer hinweisen, das die
Sünden der Welt wegnimmt; aber sie selbst waren nicht in der Lage, diese
glorreiche Wirkung zu erzielen. Sie waren unzureichend, unzulänglich; sie
konnten die Schuld, die das Gewissen des Menschen belastete, nicht beseitigen.
Der alttestamentliche Gläubige, der seines Heils sicher sein wollte, konnte
diesen glücklichen Zustand nur erreichen, indem er auf den kommenden Messias
vertraute.
Das willentliche Opfer Christi (V.
5-10): Nachdem die Unzulänglichkeit des Gesetzes, des alttestamentlichen
Gottesdienstes mit seinen Opfern aufgezeigt worden ist, fährt der Autor sofort
fort, darauf hinzuweisen, dass das Opfer Christi willig und völlig ausreichend
war: Deshalb sagt er bei seinem Eintritt in die Welt: Opfer und Gaben hast du
nicht gewollt, sondern einen Leib hast du mir bereitet; an Brand- und Sündopfern hast du kein Gefallen; - da sprach ich: Siehe,
ich komme, in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben: Ich komme, zu tun
deine Mühle, o Gott. Der Verfasser zitiert Ps. 40,6-8 und weist damit darauf
hin, dass es sich um einen messianischen Psalm handelt und dass der Messias
selbst den Umfang seines Werkes zum Ausdruck gebracht hat. Der Eintritt Christi
in diese Welt, seine Menschwerdung, sein Leiden und sein Tod erfolgten in
voller Übereinstimmung mit dem gnädigen Ratschluss des dreieinigen Gottes zur
Rettung der Menschheit. Es war die Bereitschaft seines stellvertretenden Werkes,
die ihm seinen wunderbaren Wert verlieh. Christus wusste, dass mit seinem
Eintritt in die Welt der neue und bessere Bund begonnen hatte, dass die Opfer
und Gaben, die ganzen Brandopfer und die Sündopfer
des Alten Testaments, ihre Bedeutung verloren hatten. Gott wollte sie nicht
mehr, er hatte kein Gefallen mehr an ihnen; da die
Substanz erschienen war, bedurfte es keines Schattens, keines Typus mehr. Vgl.
auch Ps. 50,7-15; 51,18-21; Jes. 1,11; Jer. 6,20; 7,21-23; Hos. 6,6; Amos
5,21-23. Stattdessen hatte der Herr einen Körper für den Messias geformt oder
vorbereitet. Der hebräische Text lautet wörtlich: „Ohren hast du mir gegeben“,
was sich auf 2. Mose 21,6; 5. Mose 15, 17 beziehen kann und darauf hinweist,
dass Christus der willige Diener seines himmlischen Vaters in der Frage seines
Leidens und Sterbens war. Oder, wenn wir uns strenger an den griechischen Text
halten, ist es offensichtlich, dass der Messias seine Bereitschaft bekundet,
den Willen Gottes in seinem menschlichen Körper zu vollenden. Dies kommt in
seinem Schrei noch deutlicher zum Ausdruck: Ich komme, um deinen Willen zu tun,
o Gott, wie es in der Rolle des Buches über mich geschrieben steht. Der ganze
Dienst Christi, während dessen Er das Gesetz Gottes für uns erfüllte, und
besonders Sein Leiden und Sterben, war nicht unvermeidlich in dem Sinne, dass
Er sich ihm zwangsweise unterworfen hätte, sondern nur in dem Sinne, dass Er
aus freiem Willen und nach dem gnädigen, ewigen Ratschluss Gottes Sein Leben
für alle Menschen hingab, Joh. 10,17.18. Beachten Sie, dass er "in der
Rolle des Buches" sagt und sich damit auf einen anerkannten Kanon der
Schrift bezieht, sogar im Alten Testament. Das Wort "Rolle"
bezeichnete ursprünglich das Ende des Stabes, auf dem das Pergament, aus dem
ein Buch besteht, gerollt wurde, und schließlich die Rolle selbst.
Der heilige Schriftsteller erklärt nun die
Bedeutung des Zitats: Er sagt oben (im ersten Teil des Zitats): Opfer und Gaben
und Brandopfer und Sündopfer hast du nicht gewollt,
noch hast du Gefallen daran gefunden (und doch werden sie nach dem Gesetz
dargebracht); dann fügt er hinzu: Siehe, ich komme, deinen Willen zu tun, o
Gott! Er hebt das erste auf, um das zweite zu begründen. - Es stimmt zwar, dass
das Zeremonialgesetz der Juden die Darbringung der verschiedenen Opfer
vorschrieb, die für jeden Tag und für den Sabbat sowie die für die großen Feste
und für den Versöhnungstag. Aber diese Opfer hatten im alten Bund ihren Zweck
erfüllt. Sie wurden abgeschafft, aufgehoben, aufgehoben durch das Kommen
Christi, der bereitwillig seinen Leib als angemessenes Opfer darbrachte, um
eine vollkommene Erlösung für die Sünden der ganzen Welt zu erlangen. So wurde
die alte Art von Opfern und Gaben durch das eine angemessene, ewige Opfer Jesu
Christi ersetzt, und das alles in Übereinstimmung mit dem gnädigen Willen Gottes.
Von diesem Willen sagt der Verfasser: in welchem Willen wir geheiligt werden
durch das Opfer Christi ein für allemal. In oder
durch den gnädigen Willen Gottes, wie er im Opfer seines eingeborenen Sohnes
auf dem Altar des Kreuzes zum Ausdruck kommt, wie er sich in der vollkommenen
Sühne Christi verwirklicht hat, sind wir nun geheiligt, heilig und gerecht vor
Gott, denn die vollkommene Gerechtigkeit Christi, die durch seinen aktiven und
passiven Gehorsam begründet wurde, wird uns durch den Glauben zugerechnet. So
sind wir nun in die eine wahre Gemeinschaft mit Gott gebracht worden durch die
Darbringung des Leibes Christi nach dem ewigen Willen des Vaters, ein Opfer,
das so vollkommen ist, dass seine Angemessenheit in alle Ewigkeit andauert.
Das eine vollkommene Opfer (V.
11-18): Dass das eine Opfer Christi vom himmlischen Vater als solches anerkannt
und angenommen worden ist, wird dadurch veranschaulicht und bewiesen, dass er
zur Rechten Gottes erhöht worden ist: Ein jeder Priester steht zwar Tag für Tag
im Dienst und bringt oft dieselben Opfer dar, da sie nicht imstande sind, die
Sünden jemals ganz zu beseitigen; dieser aber, der ein einziges Opfer für die
Sünden gebracht hat, hat sich für alle Zeit zur Rechten Gottes gesetzt und
wartet, was das Übrige betrifft, bis seine Feinde zum Schemel seiner Füße
gemacht werden. Der Punkt, auf den hier zusätzlich zum Wesen der alten Opfer
hingewiesen wird, ist derjenige, der sich auf das Handeln der Priester selbst
bezieht. Es gab den unaufhörlichen, aber immer unwirksamen und vergeblichen
Dienst der jüdischen Priester. Täglich standen sie in ihrem Dienst, immer
wieder brachten sie dieselben Opfer dar; es wurde zu einer fast tödlichen
mechanischen Routine, 5. Mose 10,8; 18,7; Ri. 20,28. Trotz alledem konnten sie
die Sünden des Volkes durch all ihre Opfer nie ganz wegnehmen; das Beste, was
sie tun konnten, war, die Anbeter mit dem Gegenbild des vollkommenen Opfers des
Messias zu trösten. Aber Jesus steht nicht mehr in der Ausführung der Werke
seines Amtes, wie es die Priester von einst tun mussten. Ein einziges Opfer hat
er dargebracht, ein einziges Opfer hat er gebracht; aber so groß, so vollkommen
war der Wert dieses einen Opfers, dass seine Vollkommenheit dadurch angezeigt
wird, dass Christus zur Rechten Gottes sitzt als einer, der sein Werk ganz
vollendet hat und weiß, dass seine Kraft und sein Wert in alle Ewigkeit
andauern werden. Als Sieger über alle seine Feinde wartet er ruhig und
zuversichtlich darauf, dass sie ihm alle zu Füßen gelegt und zum Schemel seiner
Füße gemacht werden, Ps. 110,1; 1. Kor. 15,25-27.
Es bedarf also keines weiteren Opfers: Denn
durch ein einziges Opfer hat er die, die geheiligt werden, für alle Zeit
vollkommen gemacht. Die Tatsache, dass er sich einmal als Stellvertreter der
Menschheit in den Tod gegeben hat, die Tatsache, dass er einmal mit dem Preis
seines heiligen Blutes den Preis für das Lösegeld aller Menschen bezahlt hat,
das genügt. Mehr muss nicht getan werden, mehr kann nicht getan werden. Die
Erlösung, die Versöhnung des Menschen mit Gott, ist für immer gesichert. In dem
einen Opfer Christi gibt es eine Reinigung, die für alle Menschen ausreicht, um
sie in die Gemeinschaft mit Gott zu bringen, indem ihnen die vollkommene
Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes durch den Glauben zugerechnet wird, und um
sie in dieser Gemeinschaft zu halten, indem ihre Herzen durch tägliche Reue und
Buße erneuert werden und sie veranlasst werden, sich selbst, ihr Leben, mit
jedem weiteren Tag ihres Lebens neu Gott zu weihen.
Der heilige Schriftsteller führt nun
Beweise aus der Schrift an, um zu zeigen, dass das eine Opfer unseres Mittlers
endgültig ist: Es bezeugt uns aber auch der Heilige Geist; denn nachdem er
gesagt hat: Das ist der Bund, den ich mit ihnen schließen will nach jenen
Tagen, spricht der Herr: Ich will meine Gesetze auf ihr Herz setzen und in
ihren Sinn einschreiben, und ihrer Sünden und ihrer Missetaten will ich nicht
mehr gedenken. Man beachte, dass die hier zitierten Worte, die aus Jer. 31,33.
34 entnommen sind, direkt und ausdrücklich dem Heiligen Geist, dem wahren Autor
der Heiligen Schrift, zugeschrieben werden. Durch Jeremia erklärte der Herr
ausdrücklich, dass er nach jenen Tagen, wenn die Zeit des Alten Testaments zu
Ende geht und die des Neuen Testaments mit der Menschwerdung Christi beginnt,
einen neuen Bund mit seinem Volk schließen wird, mit denen, die er zu den
Seinen erwählt hat. Die Bedingungen dieses Bundes sind klar formuliert und
bestehen nur aus den Dingen, die Gott im Interesse der Menschheit zu tun
gedenkt. Er wollte seine Gesetze, die Evangeliumsverkündigung
des Neuen Testaments, in ihre Herzen legen; diese wunderbare Erlösungsbotschaft
wollte er in ihren Geist einschreiben, sie ihnen durch den Glauben bekannt
machen. Und dadurch, dass sie die Gewissheit ihrer Erlösung annahmen, sollten
all ihre Sünden, all ihre Ungerechtigkeiten, all ihre Missetaten, all ihre
Übertretungen, all ihre Schuld vergessen werden und nie wieder in Erinnerung
kommen. Das ist Evangelium, herrliche, rettende Evangeliums-Wahrheit, nicht die
Meinung eines fehlbaren Menschen, sondern die Zusicherung des Heiligen Geistes,
des ewigen Gottes selbst.
Und so schließt der Autor passenderweise
die gesamte Diskussion, die mit Kapitel 5 begann: Wo aber Vergebung der Sünden
ist, da gibt es kein Opfer mehr für Sünden. Wo Vergebung der Sünden ist, wo
dieser herrliche Zustand der völligen und ewigen Vergebung der Sünden herrscht,
wie es in unserem Fall wirklich der Fall ist, da das vollkommene Opfer Christi
dargebracht und angenommen worden ist, da ist ein weiteres Sündopfer
nutzlos und sinnlos, und die Behauptung der römischen Kirche mit ihrer Lehre
vom Messopfer wird geradezu blasphemisch. Wir brauchen kein levitisches
Priestertum mehr, wir brauchen keine weiteren Sündopfer
mehr, da die Tatsache des ausreichenden, vollkommenen Opfers Christi so
feststeht. Ganz gleich, wie lange die Erde noch bestehen mag, die Gewissheit
der Vergebung der Sünden gehört uns, und in der Ewigkeit wird diese Tatsache
das Thema unseres endlosen Lobpreises vor dem Thron des Lammes sein: Wir haben
Vergebung der Sünden, wir haben die Gnade Gottes, wir haben das ewige Heil!
Eine
Ermahnung, fest zu stehen im Glauben in Geduld und Dankbarkeit (10,19-39)
19 So wir denn nun haben, liebe Brüder, die Freudigkeit zum Eingang in
das Heilige durch das Blut Jesu, 20
welchen er uns zubereitet hat zum neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang,
das ist, durch sein Fleisch, 21 und haben einen Hohenpriester über das Haus
Gottes: 22 So lasst uns hinzugehen mit
wahrhaftigem Herzen, in völligem Glauben, besprengt in unsern Herzen und los
von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser; 23 und lasst
uns halten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken, denn er ist treu,
der sie verheißen hat. 24 Und lasst uns untereinander unser selbst wahrnehmen
mit Reizen zur Liebe und guten Werken 25 und nicht verlassen unsere
Versammlung, wie etliche pflegen, sondern untereinander ermahnen, und das viel
mehr, soviel ihr seht, dass sich der Tag naht.
26 Denn wenn wir mutwillig sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der
Wahrheit empfangen haben, haben wir zukünftig kein anderes Opfer mehr für die
Sünden, 27 sondern ein schreckliches Warten auf das Gericht und den Feuereifer,
der die Widerwärtigen verzehren wird. 28 Wenn jemand das Gesetz Moses bricht,
der muss sterben ohne Barmherzigkeit durch zwei oder drei Zeugen. 29 Wieviel
meint ihr, ärgere Strafe wird der verdienen, der den Sohn Gottes mit Füßen
tritt und das Blut des Bundes unrein achtet, durch welches er geheiligt ist,
und den Geist der Gnaden schmäht? 30 Denn wir kennen den, der da sagte: Die
Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der HERR. Und abermals: Der HERR
wird sein Volk richten. 31 Schrecklich ist’s, in die Hände des lebendigen
Gottes zu fallen.
32 Gedenkt aber an die vorigen Tage, in welchen ihr, erleuchtet,
erduldet habt einen großen Kampf des Leidens, 33 zum Teil selbst durch Schmach
und Trübsal ein Schauspiel geworden, zum Teil Gemeinschaft gehabt mit denen,
denen es so geht. 34 Denn ihr habt mit meinen Banden Mitleid gehabt und den
Raub eurer Güter mit Freuden erduldet, als die ihr selbst wisst, dass ihr eine
bessere und bleibende Habe (im Himmel) habt.
35 Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. 36
Geduld aber ist euch not, damit ihr den Willen Gottes tut und die Verheißung
empfangt. 37 Denn noch über eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen
soll, und nicht verziehen. 38 Der Gerechte aber wird des Glaubens leben. Wer
aber weichen wird, an dem wird meine Seele kein Gefallen haben. 39 Wir aber
sind nicht von denen, die da weichen und verdammt werden, sondern von denen,
die da glauben und die Seele erretten.
Die Notwendigkeit, das Bekenntnis des
Glaubens festzuhalten (V. 19-25): Auf der Grundlage der gesamten
Lehrdiskussion, wie sie der Autor im ersten Teil seines Briefes geführt hat,
bietet er nun verschiedene Ermahnungen an, da es für einen Christen
selbstverständlich ist, dass die Heiligung der Rechtfertigung folgt. Die Verbindung
mit den Bildern des gesamten vorangegangenen Abschnitts ist sehr geschickt: So
habt nun, liebe Brüder, Zuversicht zum Eingang in das Allerheiligste durch das
Blut Jesu, durch einen neuen und lebendigen Weg, den er uns geweiht hat, durch
den Vorhang, das heißt durch sein Fleisch, und einen Hohenpriester über das
Haus Gottes. Weil Christus Jesus als der wahre Hohepriester uns durch sein
einziges Opfer für immer vollendet hat, kann der Schreiber frei in diesem Sinne
zu uns sprechen. Es ist die Anrede, die bei den Christen immer Eindruck macht
und meist den gewünschten Erfolg hat. Unsere zuversichtliche Erwartung, in das
Allerheiligste des Himmels einzugehen, gründet sich nicht auf irgendeinen
Verdienst oder eine Würdigkeit in uns selbst, sondern auf das Blut, auf das
Verdienst von Jesus. Denn Jesus selbst ist der neue, der lebendige Weg. Wenn
wir nur mit ihm in der innigen Gemeinschaft des Glaubens verbunden sind, dann
wird unser Weg mit ihm durch den Schleier seines eigenen Fleisches in die Gegenwart
der göttlichen Herrlichkeit führen. Denn wie der Hohepriester in alter Zeit den
Vorhang beiseite schob, der den Weg ins
Allerheiligste versperrte, so legte Jesus die Sterblichkeit seines Fleisches,
die Schwachheit seines irdischen Lebens ab und öffnete uns den Himmel selbst,
um uns freien Zugang zum Thron der Gnade zu gewähren, Matth.
27,51; Mark. 15,31; Luk. 23,45. Und das ist noch nicht alles. Wir hatten nicht
nur, als Jesus hier auf der Erde lebte, sondern wir haben auch jetzt einen
großen Hohenpriester, der über das Heiligtum des Himmels wacht; denn gerade
jetzt verrichtet Christus den Teil seines Werkes, der uns versichert, dass die
himmlischen Wohnungen für uns bereitstehen; denn er ist unser Fürsprecher beim
Vater. Denn er ist unser Fürsprecher beim Vater. Und wer sonst wäre befähigt,
für uns in gleichem Maße einzutreten wie der, dem wir unsere Erlösung
verdanken? Da wir das wissen, haben wir Mut und
Zuversicht im Glauben. Wir wissen, dass der Weg für uns bereitet ist und dass
wir in das Heiligtum des Himmels, in unsere Heimat oben, eintreten dürfen, wann
immer der Herr uns ruft.
Dies ist der Fall: Lasst uns mit
aufrichtigem Herzen hingehen, in voller Gewissheit des Glaubens, besprengt in
unseren Herzen von einem bösen Gewissen, und unsere Leiber gewaschen mit reinem
Wasser. Indem er einen Begriff aus dem alttestamentlichen Kult verwendet, der
sich auf das regelmäßige und wiederholte Eintreten der Priester bezieht, die
sich dem Altar nähern, um das Werk ihres Amtes zu verrichten, fordert der
inspirierte Schreiber uns als wahre Priester des Neuen Testaments auf, mit dem
Vertrauen des Glaubens zum Herrn zu kommen. Wir sollen mit echtem Herzen
kommen, nicht mit heuchlerischer Scheinheiligkeit, sondern so eingestellt, dass
wir wirklich mit der ganzen Seele an der Anbetung des Herrn interessiert sind
und seine Gnade suchen. In voller Glaubensgewissheit sollten wir uns nähern,
nicht in absoluter Gewissheit, sondern im festen Vertrauen auf die durch das
Blut Jesu erworbene Erlösung, denn das Korrelat des Glaubens ist immer das Wort
des Evangeliums mit seiner Erlösungsbotschaft. Deshalb ist der Glaube keine
subjektive Angelegenheit, keine Sache des Gefühls und der Veranlagung, sondern
eine objektive Gewissheit, die sich an die Verheißungen des Herrn klammert. Wir
sollten mit einem von bösem Gewissen besprengten Herzen kommen; in der Gewissheit,
dass der Schmutz unseres Herzens durch das Blut Jesu abgewaschen wurde, können
wir unsere Herzen für das Priesteramt des allmächtigen Herrn vorbereiten, 2.
Mose 29,4; 30,20; 40,30, ebenso wie unsere Leiber mit reinem Wasser gewaschen
sind, da das reinigende Wasser der Taufe alle unsere Sünden abgewaschen hat, Eph 5,26; Tit. 3,5. So vorbereitet, haben wir das Vorrecht,
uns dem himmlischen Tempel und dem ewigen Altar jederzeit auf einem neuen und
lebendigen Weg zu nähern, durch den Glauben in sein inneres Heiligtum
einzutreten und uns in der Gegenwart Gottes zu zeigen.
Daraus folgt: Lasst uns festhalten
an dem Bekenntnis unserer Hoffnung, denn treu ist der, der sie verheißen hat,
und lasst uns aufeinander achten, um uns zur Liebe und zu guten Werken
anzuspornen, indem wir die Versammlung nicht aufgeben, wie es bei einigen
üblich ist, sondern einander ermahnen, und dies umso mehr, als ihr seht, dass
der Tag nahe ist. ALLE Christen können so fest in ihrem Glauben und in ihrer
Hoffnung sein, weil diese Hoffnung ein so festes Fundament hat, das nicht auf
dem unsicheren Sand menschlicher Meinungen oder auf den Beteuerungen von
Freundschaften ruht, sondern auf der Treue unseres Herrn, 1. Kor. 1,9; 10,13: 1.
Thess. 5,24. Wir genießen noch nicht die Fülle des Segens, den er uns in
Aussicht gestellt hat, wir erleben noch nicht die Vollendung unseres Heils,
aber Gottes Verheißungen können nicht versagen, nicht eine von ihnen wird
jemals zu Boden fallen. Solange wir aber noch im Fleisch wandeln, müssen wir
unsere eigene Schwachheit und die unseres Nächsten berücksichtigen und deshalb
einander in taktvoller Weise zur Liebe und zu guten Werken anspornen und
ermuntern. Vgl. 1. Thess. 5,11. Dieses ständige Anspornen und Nacheifern kann
natürlich nicht stattfinden, wenn die Christen nicht zusammenkommen, sowohl zum
öffentlichen Gottesdienst als auch zu anderen Versammlungen, in denen das Wohl
und Wehe des Werkes des Herrn besprochen wird. Der Verfasser ermahnt daher die
Gläubigen, solche Zusammenkünfte nicht zu vernachlässigen. Schon damals hatten,
wie der Schreiber anmerken muss, einige Gemeindeglieder die schlechte
Angewohnheit, solchen Versammlungen zur Erbauung fernzubleiben, wahrscheinlich
unter dem Vorwand des geschäftlichen Drucks oder aus Furcht vor Verfolgung, wie
es auch heute der Fall ist. Die Nähe des Jüngsten Tages und die Erinnerung an
die Rechenschaft, die wir an diesem Tag ablegen müssen, sollten uns jedoch
bereit und eifrig machen, die hier gegebene Ermahnung zu beherzigen. Wenn
Menschen, die sich zum christlichen Glauben bekennen, den Kirchgang und die
Teilnahme an den Versammlungen, die der gegenseitigen Ermutigung und Ermahnung
dienen, vernachlässigen, beleidigen sie nicht nur die Schwachen im Glauben, sondern
gefährden selbst ihr Christsein, ihren Glauben. Der Wechsel vom Glauben zum
Unglauben vollzieht sich oft so allmählich, so unmerklich, dass der Schaden
angerichtet ist, bevor das verblendete Opfer sich dessen bewusst ist. Die Treue
im regelmäßigen Gebrauch des Wortes und des Sakramentes sollte alle wahren
Christen auszeichnen.
Der heilige Schreiber unterstützt seine
Ermahnung durch eine sehr ernste Warnung (V. 26-31): Hier wird das
schreckliche Ergebnis und die letzte Konsequenz des Abfalls vom Glauben mit
schrecklichem Realismus dargestellt: Denn wenn wir weiter mutwillig sündigen,
nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit erlangt haben, bleibt kein Opfer mehr
für die Sünden, sondern eine gewisse furchtbare Erwartung des Gerichts und
eines Feuerzorns, der die Widersacher verzehren wird. Der Verfasser spricht
hier nicht von einer gewöhnlichen Übertretung der Zehn Gebote, wie sie auch
Christen täglich begehen. Er betont, dass er von einer vorsätzlichen Sünde
spricht, die vor allem in der Vernachlässigung dessen besteht, wozu er soeben
ermahnt hat, nämlich dass Menschen, die zum Glauben gekommen sind, das
Bekenntnis der Hoffnung nicht festhalten, ohne zu wanken, dass sie die
Gnadenmittel vernachlässigen, die Gottesdienste nicht mehr oder allenfalls sehr
unregelmäßig besuchen und brüderliche Ermahnung weder anwenden noch annehmen. Die
Verleugnung Christi ist die Sünde, und die Vernachlässigung der Gnadenmittel
ist der Weg dorthin. Menschen, die sich dieser Sünde schuldig machen, tun dies
absichtlich, mit Vorsatz, und sie sündigen weiter, sie verharren in ihrer
Übertretung. Nachdem sie die Erkenntnis der Wahrheit empfangen und Jesus
Christus und sein Heil angenommen haben, leugnen solche Menschen böswillig und
lästernd die anerkannten Tatsachen, die Wahrheiten des Evangeliums. Und in
ihrem Fall gilt, dass es das Opfer für die Sünden für sie nicht mehr gibt. Die
Natur ihrer Sünde hat dies zur Folge; denn da sie das Sühneopfer Christi, das
sie einst im Glauben angenommen hatten, verleugneten, haben sie das einzige
Mittel zur Erlösung verworfen. Was sie daher zu erwarten haben, ist der Schrecken
des Jüngsten Gerichts, des endgültigen Verderbens; was sie erwarten müssen, ist
die Wut des Höllenfeuers, das die Widersacher des Herrn in alle Ewigkeit
verzehren und vernichten wird. Die Intensität dieser Strafe ist so groß, dass
es unmöglich ist, ihre Heftigkeit angemessen zu schildern.
Der Verfasser versucht dies anhand eines
Beispiels aus der Geschichte des Mose zu tun: Wer das Gesetz des Mose außer
Kraft gesetzt hat, stirbt ohne Gnade auf Grund von zwei oder drei Zeugen; wie
viel schlimmer wird wohl der bestraft werden, der den Sohn Gottes mit Füßen
getreten und das Blut des Bundes, mit dem er geheiligt wurde, für eine
gewöhnliche Sache gehalten und den Geist der Gnade beleidigt hat? Die Leser des
Briefes kannten die Bestimmung des mosaischen Gesetzes, die die Sünde des
Götzendienstes mit dem Tode bestrafte, 5. Mose 17,2-7. Wenn eine Person, die zu
den Kindern Israels gehörte, dieser Sünde für schuldig befunden wurde, was
durch das Zeugnis von zwei oder drei Zeugen bestätigt wurde, war die
Todesstrafe die einzige Strafe, die als angemessen angesehen wurde. Denn Götzendienst
ist im Wesentlichen Verleugnung, ein böswilliger Bruch des zwischen Gott und
seinem Volk bestehenden Bundes. In einem solchen Fall wurde daher kein
Unterschied gemacht, es gab keinen Respekt vor Personen: Die Todesstrafe war
die Strafe. Der Autor überlässt es nun seinen Lesern, selbst zu beurteilen,
welche Strafe für denjenigen angemessen ist, der den Glauben an Jesus Christus
auf die hier beschriebene Weise verleugnet. Um die Abscheulichkeit des
Vergehens zu zeigen, wird der gotteslästerliche Abfall charakterisiert. Er
besteht darin, den Sohn Gottes als ein verächtliches Ding zu zertreten, das
keiner besseren Behandlung würdig ist. Sie beinhaltet die Verachtung des Blutes
des Bundes, des heiligen, unschuldigen Blutes Christi, als etwas Gewöhnliches,
das nicht mehr wert ist als das Blut irgendeines „menschlichen Wesens“. Sie
geht schließlich so weit, dass sie den Geist der Gnade beleidigt, denselben
Geist, der in den Mitteln der Gnade die Erlösung durch Christus gegeben und die
Heiligung im Herzen bewirkt hat. Ein solcher Mensch lästert absichtlich. So
wird der Zustand eines Menschen beschrieben, der, nachdem er in der Bekehrung
die Gnade Gottes empfangen hat, nun auf so schreckliche Weise sündigt, und zwar
nicht nur einmal und unter besonderer Veranlassung, sondern immer wieder, mit
einer gewissen teuflischen Freude daran, andere durch seine völlige
Rücksichtslosigkeit zu schockieren. Anmerkung: Es kann kein Zweifel daran
bestehen, dass der Autor hier die Sünde gegen den Heiligen Geist beschreibt,
die wegen ihres besonderen Charakters außerhalb des Bereichs der Vergebung
Gottes liegt. Aber man beachte, dass er keinen seiner Leser anklagt, diese
Sünde begangen zu haben; sein einziges Ziel ist es, sie zu warnen, damit sie
nicht schuldig werden und für immer verloren sind.
Um seiner Warnung Nachdruck zu verleihen,
bezieht sich der heilige Autor auf zwei Stellen im Alten Testament: Denn wir
wissen, wer gesagt hat: „Die Rache ist mein, ich will vergelten“, und weiter: „Der
Herr wird sein Volk richten.“ Schrecklich ist es, in die Hände des lebendigen
Gottes zu fallen. 5. Mose 32,35.36; Ps. 135,14. Wenn Gott, der auch in der
Einhaltung seiner Drohungen treu ist, zu Gericht sitzen und Rache üben wird,
dann wird es zu spät sein, vor dem kommenden Zorn zu fliehen. Die Erkenntnis,
dass es eine schreckliche Sache ist, in die Hände des lebendigen Gottes zu
fallen, wird dann den Verurteilten nicht mehr zur Umkehr bewegen können. Wenn
wir Gläubigen, die durch das Gesetz verdammt, aber durch die Gabe des Heiligen
Geistes der Gnade Gottes teilhaftig geworden sind, die rettende Wahrheit und
Gnade mutwillig und böswillig verleugnen und alle Heilsangebote lästerlich
verschmähen, haben wir niemand anderen als uns selbst zu verantworten, wenn uns
am Jüngsten Tag die schreckliche Rache Gottes trifft.[12]
Ein Grund für christliche Geduld (V.
32-34): Hier ist ein weiterer hervorragender Punkt, den der Autor anführt, um
seiner Ermahnung die richtige Kraft zu verleihen: Erinnert euch aber an die
frühere Zeit, in der ihr, nachdem ihr erleuchtet worden wart, viel Ringen mit
Leiden ertragen habt, teils indem ihr Vorwürfen und Bedrängnissen ausgesetzt
wart, teils indem ihr euch denen angeschlossen habt, denen es so erging. Der
Eifer und die Inbrunst der ersten Liebe sind immer ein geeignetes Argument, um
in den Herzen der Christen überall neue Begeisterung zu wecken. Das galt auch
für die Judenchristen. In den ersten Jahren nach ihrer Bekehrung, nachdem sie
gerade die Erkenntnis der Wahrheit empfangen hatten, nachdem sie von der Liebe
zu ihrem Erlöser beflügelt worden waren, ertrugen sie die Verfolgungen ihrer
Landsleute und ihrer Obrigkeit freudig, Apg. 8,1; 12,1. Sie betrachteten es als
eine Ehre, vor den Menschen mit Hohn und Spott, mit Vorwürfen und Verachtung
bedacht zu werden. Es mag oft ein bitteres Ringen mit Bedrängnissen gewesen
sein, an die sie überhaupt nicht gewöhnt waren, denn ihr eigenes Fleisch und
Blut war ein gefährlicher Verbündeter der Feinde und sehr oft bereit, den
scheinbar ungleichen Kampf aufzugeben. Aber so stark war ihr Glaube in jenen
Jahren, so glühend ihre Liebe, dass sie nicht nur all diese Bedrängnisse des
Spottes und der Verachtung ertrugen, sondern auch in gewissem Maße den Gegnern
offen trotzten, indem sie sich mit denen verbanden, denen es ebenso erging; sie
sympathisierten mit den Gefangenen und begrüßten die gewaltsame Beschlagnahmung
ihres Besitzes. Dies erkennt der Autor in seinem eigenen Fall dankbar an: Denn
ihr hattet Mitleid mit den Gefangenen (mich eingeschlossen) und habt die
Beschlagnahme eures Besitzes freudig ertragen, weil ihr wusstet, dass ihr
selbst einen besseren und bleibenden Besitz im Himmel habt. Das ist die Haltung
der Gläubigen zu allen Zeiten. Da sie mit ihren Mitchristen durch die innigsten
Bande des Glaubens und der Liebe verbunden sind, freuen sie sich mit denen, die
glücklich sind, haben aber auch Mitleid mit denen, die Verfolgungen und
Bedrängnisse ertragen müssen. Und was die Güter dieser Welt betrifft, so können
sie ihren Verlust um so freudiger ertragen, als ihr
wahrer Besitz in der Höhe liegt, in einem Reichtum, der dem Zugriff der Räuber
und Tyrannen entzogen ist, Matth. 6,20; Luk. 12,33.
Festigkeit ist nötig (V. 35-39): Mit all diesen Tatsachen, die sie in ihrem christlichen Leben anspornen sollen, kann der Verfasser wohl die abschließende Ermahnung hinzufügen: Werft also eure Zuversicht nicht weg, denn sie hat eine reiche Hoffnung auf Belohnung; denn ihr habt Geduld nötig, damit ihr, nachdem ihr den Willen Gottes getan habt, die Verheißung empfangt. Die Erinnerung an das, was sie schon erduldet haben, und das Bewusstsein ihres bleibenden Besitzes im Himmel sind die besten und dringendsten Beweggründe, die Christen fest und fröhlich zuversichtlich zu halten. Denn diese Hoffnung wird ganz gewiss nicht zuschanden werden, da sie die Verheißung des wunderbarsten Lohns der Gnade hat, nämlich den des ewigen Heils durch die Verdienste Jesu Christi. Das Ergebnis und die Belohnung, die ihrem unerschütterlichen Vertrauen folgt, ist also an sich schon ein Grund, der sie zu größtem Eifer und höchsten Anstrengungen anspornen sollte. Gleichzeitig brauchen sie dieses geduldige Ausharren, denn die Umstände und Bedingungen begünstigen die Christen in ihrer Stellung inmitten einer der Sache Christi feindlichen Welt gewiss nicht. Aber nur wenn sie bis zum Ende ausharren, wenn sie am Glauben an Christus festhalten und den Willen Gottes tun, solange das Leben währt, wird der verheißene Lohn kommen, Offb. 2,10.
Damit diese Aussicht, die den Gedanken an das Kreuz, das das Los der Christen ist, in sich trägt, sie nicht entmutigt, fügt der Verfasser hinzu: Noch eine kleine Zeit, eine sehr kleine Zeit, und der, der kommen wird, wird gekommen sein und nicht zögern. Vgl. Hos. 2,3.4: Jes. 26,20. Es mag den Gläubigen oft so vorkommen, als würden sie unter einer überwältigenden Übermacht zermalmt werden; aber ihre endgültige Befreiung ist nahe. Es ist nur noch eine kleine, eine sehr kleine Weile, und der Herr wird zu seinem zweiten großen Kommen erscheinen, um die Lebenden und die Toten zu richten und seinem Volk die Freude des ewigen Heils zu bringen. Manchen mag es so vorkommen, als würde er zögern, als würde sich seine Verheißung nicht erfüllen; aber sein Tag kommt so sicher, wie sein Wort die Wahrheit ist, 2. Petr. 3,8.9. In diesem Sinne wird der Christ durch die Worte des Herrn in seinem Glauben gestärkt, Hab. 2,4; Röm. 1,17; Gal. 3,11: Mein Gerechter aber soll durch den Glauben leben, und wenn er zurückweicht, hat meine Seele kein Wohlgefallen an ihm. Nur derjenige, der bis zum Ende im Glauben an Jesus Christus bleibt, der sich ohne zu wanken an den Trost des vollkommenen Verdienstes Christi klammert und sich weder durch irgendeine Erwägung von innen noch durch irgendeinen Angriff von außen beirren lässt, wird leben. Treue und Loyalität sind die beiden Tugenden, die sich in jedem Gläubigen auszeichnen müssen.
Sehr diplomatisch und taktvoll schließt der heilige Schriftsteller seine Ermahnung ab: Wir aber gehören nicht zu denen, die vor dem Verderben zurückschrecken, sondern zum Gewinn der Seele durch den Glauben. Indem der Autor sich selbst mit seinen Lesern einschließt, macht er seinen Appell umso wirksamer. Die wahren Gläubigen zeichnen sich nicht durch ein ängstliches Zurückweichen aus, das dazu führt, dass sie das Bekenntnis des Glaubens aufgeben. Ihr Glaube mag manchmal unter dem ständigen Druck, dem er ausgesetzt ist, schwach werden und alles andere als ein heroisches Aussehen haben. Männer des Glaubens müssen die Christen trotz aller Angriffe sein; denn nur so erlangen und bewahren sie ihr Seelenheil, erlangen sie die Befreiung ihrer Seelen, die sie als kostbarsten Besitz in alle Ewigkeit behalten werden.
Zusammenfassung: Der inspirierte Autor vergleicht die Unzulänglichkeit des alttestamentlichen Kultes mit dem einen willigen und vollkommenen Opfer Christi und fügt eine dringende Ermahnung hinzu, fest und geduldig im Glauben zu sein und so das Heil der Seelen zu erlangen.
Die Glaubensvorbilder des Alten Bundes –
eine wunderbare Geschichte der Kraft des Glaubens (11,1-40)
1 Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, was man hofft, und
nicht zweifeln an dem, was man nicht sieht. 2 Durch den haben die Alten Zeugnis
überkommen.
3 Durch den Glauben merken wir, dass die Welt durch Gottes Wort fertig
ist, dass alles, was man sieht, aus nichts geworden ist. 4 Durch den Glauben
hat Abel Gott ein besseres Opfer getan als Kain,
durch welchen er Zeugnis überkommen hat, dass er gerecht sei, da Gott zeugte
von seiner Gabe; und durch den redet er noch, wiewohl er gestorben ist. 5 Durch
den Glauben wurde Henoch weggenommen, dass er den Tod nicht sähe, und wurde
nicht gefunden, darum dass ihn Gott wegnahm; denn vor seinem Wegnehmen hat er Zeugnis
gehabt, dass er Gott gefallen habe. 6 Aber ohne Glauben ist’s unmöglich, Gott
zu gefallen; denn wer zu Gott kommen will, der muss glauben, dass er sei und
denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde. 7 Durch den Glauben hat Noah GOtt geehrt und die Arche zubereitet zum Heil seines
Hauses, da er einen göttlichen Befehl empfing von dem, was man noch nicht sah;
durch welchen er verdammte die Welt und hat geerbt die Gerechtigkeit, die durch
den Glauben kommt.
8 Durch den Glauben wurde gehorsam Abraham, da er berufen wurde,
auszugehen in das Land, das er erben sollte; und ging aus und wusste nicht, wo
er hinkäme. 9 Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen
Land als in einem fremden und wohnte in Hütten mit Isaak und Jakob, den
Miterben dieser Verheißung. 10 Denn er wartete auf eine Stadt, die einen Grund
hat, welcher Baumeister und Schöpfer Gott ist. 11 Durch den Glauben empfing
auch Sarah Kraft, dass sie schwanger wurde, und gebar über die Zeit ihres
Alters; denn sie achtete ihn treu, der es verheißen hatte. 12 Darum sind auch
von einem, wie wohl erstorbenen Leib, viele geboren, wie die Sterne am Himmel
und wie der Sand am Rand des Meeres, der unzählig ist.
13 Diese alle sind gestorben im Glauben und haben die Verheißung nicht
empfangen, sondern sie von ferne gesehen und sich der vertröstet und wohl
genügen lassen und bekannt, dass sie Gäste und Fremdlinge auf Erden sind. 14
Denn die solches sagen, die geben zu verstehen, dass sie ein Vaterland suchen.
15 Und zwar, wenn sie das gemeint hätten, von welchem sie waren ausgezogen,
hatten sie ja Zeit, wieder umzukehren. 16 Nun aber begehren sie ein besseres,
nämlich ein himmlisches. Darum schämt sich Gott ihrer nicht, zu heißen ihr Gott;
denn er hat ihnen eine Stadt zubereitet.
17 Durch den Glauben opferte Abraham den Isaak, da er versucht wurde,
und gab dahin den Eingebornen, da er schon die Verheißung empfangen hatte, 18
von welchem gesagt war: In Isaak wird dir dein Same geheißen werden, 19 und
dachte: Gott kann auch wohl von den Toten erwecken; daher er auch ihn zum
Vorbild wieder nahm. 20 Durch den Glauben segnete Isaak von den zukünftigen
Dingen den Jakob und Esau. 21 Durch den Glauben segnete Jakob, da er starb,
beide Söhne Josephs und neigte sich gegen seines Zepters Spitze. 22 Durch den
Glauben redete Joseph vom Auszug der Kinder Israel, da er starb, und tat Befehl
von seinen Gebeinen.
23 Durch den Glauben wurde Mose, da er geboren war, drei Monate
verborgen von seinen Eltern, darum dass sie sahen, wie er ein schönes Kind war,
und fürchteten sich nicht vor des Königs Gebot. 24 Durch den Glauben wollte
Mose, da er groß wurde, nicht mehr ein Sohn heißen der Tochter Pharaos 25 und
erwählte viel lieber, mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche
Ergötzung der Sünde zu haben, 26 und achtete die Schmach Christi für größeren
Reichtum als die Schätze Ägyptens; denn er sah an die Belohnung. 27 Durch den
Glauben verließ er Ägypten und fürchtete nicht des Königs Grimm; denn er hielt
sich an den, den er nicht sah, als sähe er ihn. 28 Durch den Glauben hielt er Passah
und das Blutvergießen, damit, der die Erstgeburten würgte, sie nicht träfe. 29
Durch den Glauben gingen sie durch das Rote Meer wie durch trockenes Land;
welches die Ägypter auch versuchten und ersoffen.
30 Durch den Glauben fielen die Mauern Jerichos, da sie sieben Tage
umhergegangen waren. 31 Durch den Glauben wurde die Hure Rahab
nicht verloren mit den Ungläubigen, da sie die Kundschafter freundlich aufnahm.
32 Und was soll ich mehr sagen? Die Zeit würde mir zu kurz, wenn ich sollte
erzählen von Gideon und Barak und Simson und Jephthah
und David und Samuel und den Propheten, 33 welche haben durch den Glauben
Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit gewirkt, die Verheißung erlangt, der Löwen
Rachen verstopft, 34 des Feuers Kraft ausgelöscht, sind des Schwerts Schärfe
entronnen, sind kräftig geworden aus der Schwachheit, sind stark geworden im
Streit, haben der Fremden Heer daniedergelegt. 35 Die
Frauen haben ihre Toten von der Auferstehung wieder genommen; die anderen aber
sind zerschlagen und haben keine Erlösung angenommen, damit sie die
Auferstehung, die besser ist, erlangten. 36 Etliche haben Spott und Geißeln
erlitten, dazu Bande und Gefängnis. 37 Sie sind gesteinigt, zerhackt,
zerstochen, durchs Schwert getötet; sie sind umhergegangen in Pelzen und
Ziegenfellen, mit Mangel, mit Trübsal, mit Ungemach 38 (deren die Welt nicht
wert war) und sind im Elend gegangen in den Wüsten, auf den Bergen und in den
Klüften und Löchern der Erde.
39 Diese alle haben durch den Glauben Zeugnis überkommen und nicht
empfangen die Verheißung, 40 darum, dass Gott etwas Besseres für uns zuvor
versehen hat, dass sie nicht ohne uns vollendet würden.
Glauben ist ein Vertrauen auf das, was unsichtbar und zukünftig ist (V. 1-2): Der heilige Schreiber formuliert hier den Grundgedanken dieses Kapitels, des eindrucksvollsten Abschnitts über die Kraft des Glaubens in seinem ganzen Brief, wenn nicht sogar in der ganzen Bibel. Er beginnt mit einer Definition des Glaubens: Der Glaube aber ist eine Überzeugung des Geistes von dem, was man hofft, eine Gewissheit von dem, was man nicht sieht. Der Glaube, der rettende Glaube, der Jesus und seine Gerechtigkeit angenommen hat, ist immer und ausnahmslos eine feste Gesinnung, eine bestimmte Überzeugung von den Dingen, die Gott uns in seinem Wort verheißen hat, damit wir unsere Hoffnung auf sie setzen; er ist eine unwandelbare Überzeugung des Herzens von den Dingen, die wir nicht sehen können, die zu ergründen und zu erkennen unseren Augen und unserer Vernunft und unserem Verstand unmöglich ist. Der Glaube bezieht sich also auf Dinge, die in der Zukunft liegen, auch wenn sie in diesem Leben ihren Anfang nehmen; er ist keine Erwartung schrecklicher Ereignisse, sondern eine Hoffnung auf gesegnete, herrliche Gaben; er behält seine eigentümliche Form und seine Eigenschaften, auch wenn er schwach ist, eine bloße glühende Kerze; er ist dem Zweifel und dem Unglauben entgegengesetzt. Der Glaube steht fest in allen Bedrängnissen. Der Glaube überwindet alle Schwäche, denn inmitten von Bedrängnis und Verfolgung erweist sich der Glaube als eine Überzeugung des Herzens, das an Gottes Verheißungen festhält. Diese Qualitäten oder Eigenschaften des Glaubens will der Autor nun anhand einer Reihe von Beispielen von Männern und Frauen des Alten Testaments herausstellen: Denn hierin lag das Lob der alten Männer. Die führenden Männer des Alten Testaments wurden von Gott aufgrund ihres Glaubens gelobt, und ihre Taten wurden zum Nutzen künftiger Zeitalter, der Generationen des Neuen Testaments, aufgezeichnet.
Das Beispiel von Abel, Henoch und Noah
(V. 3-7): Der heilige Schriftsteller beginnt seine Aufzählung mit einem
allgemeinen Hinweis, der absichtlich nicht auf Adam oder einen einzelnen
Gläubigen, sondern auf die Gläubigen aller Zeiten bezogen ist: Durch den
Glauben erkennen wir, dass die Welten durch das Wort Gottes erschaffen worden
sind und dass das, was wir sehen, nicht aus dem, was erscheint, entstanden ist.
Die Existenz der Welt, ihre Erschaffung und Erhaltung ist bei den Christen
keine Sache von Vermutungen, von müßigem Rätselraten, wie bei den Heiden und
den Ungläubigen im Allgemeinen, die die Welt mit Theorien verblüfft haben, die
selbst den Glauben der Gläubigen in Frage stellen. Wir halten nichts von
solchen eitlen Theorien, den Produkten von Spekulationen, die auf falschen
Annahmen beruhen. Wäre das sichtbare Universum wirklich aus Materialien
entstanden, die sich unserer Kontrolle oder der Beobachtung durch andere
Menschen entziehen, dann würde unser Standpunkt die Merkmale einer törichten
Spekulation tragen. Aber die gesamte Art und Weise, in der die Welt entstanden
ist, wobei alle Teile einander angepasst sind und das Ganze seinen Zweck
erfüllt, ist keine Frage der vernünftigen Überlegung, sondern des Glaubens. Der
Glaube ist das Wissen, das uns sagt, dass es das allmächtige Wort Gottes war, das
die Dinge aus dem Nichts ins Dasein rief, etwas schuf, das vorher nicht da war.
Und das Ergebnis dieses schöpferischen Aktes des allmächtigen Gottes ist die
Existenz und Erhaltung aller Dinge, die das sichtbare Universum ausmachen.
Anmerkung: Es ist ein Trost für uns zu wissen, dass derselbe allmächtige Gott
heute das Universum regiert und dass seine Verheißung, die Welt zu erhalten,
immer noch gilt (1. Mose 8,22).
Wenn der Schreiber nun bestimmte Beispiele
aufgreift, erwähnt er zuerst das von Abel: Durch den Glauben brachte Abel Gott
ein angemesseneres Opfer dar als Kain, wodurch er als
gerecht bestätigt wurde, da Gott seine Gaben bezeugte; und durch dasselbe
spricht er, obwohl er tot ist, doch. Das bessere, vorzüglichere, angemessenere
Opfer Abels, der besondere Wert seiner Gabe, lag nicht in der Wahl des
Materials, sondern in der Tatsache, dass er Glauben hatte, dass er an den
kommenden Messias glaubte. Aufgrund dieses Glaubens bezeugte Gott ihm auch,
dass er gerecht war (1. Mose 4,3-5; Matth. 23,35).
Gott nahm das Opfer Abels an und zeigte damit, dass er mit der Gabe und dem
Gebet, das sie begleitete, vollkommen zufrieden war; er hatte Ehrfurcht vor ihm
und seinem Opfer, wie es im Text der Genesis heißt. Der Glaube Abels war also
der Grund, warum Gott ihm die Gerechtigkeit des kommenden Messias, auf den er
seine Hoffnung setzte, zurechnete. Auf welche Weise Gott das Opfer Abels
annahm, ob dadurch, dass er den Rauch des Opfers direkt zum Himmel aufsteigen
ließ, oder dadurch, dass er Feuer vom Himmel fallen ließ, um sein Opfer zu
verzehren, oder dadurch, dass er Adam als Priester der Familie seine Haltung
offenbarte, wissen wir nicht. Sicher ist nur, dass seine Opfergabe aufgrund
seines Glaubens angenommen wurde. Und eine weitere Tatsache ist zu beachten,
nämlich dass der Mord an Abel nicht das Ende seiner Tätigkeit oder seines
Einflusses war. Obwohl er tot ist, spricht er immer noch zu uns. Sein Glaube
ist für alle Menschen ein leuchtendes Beispiel für die Art und Weise, wie man
die Rechtfertigung erlangt, sowie für die Notwendigkeit, dem Herrn treu zu
sein, auch wenn Hass und Feindschaft seitens der nächsten Verwandten die Folge
sind, 1. Mose 4,10; Hebr. 12,24.
Als nächstes wird das Beispiel Henochs
angeführt: Durch den Glauben wurde Henoch entrückt, so dass er den Tod nicht
sah, und er wurde nicht gefunden, weil Gott ihn entrückt hatte; denn vor seiner
Entrückung hatte er das Zeugnis gehabt, dass er Gott wohlgefällig war. Von
Henoch wird in der Heiligen Schrift nur sehr wenig gesagt, vgl. 1. Mose
5,22-24; Judas, V. 14.15. Seit den frühesten Tagen hatten die Kinder Gottes,
die Nachkommen Adams, die auf die Barmherzigkeit des kommenden Messias
vertrauten, die Verkündigung dieser Evangeliums-Wahrheit in ihrer Mitte
veranlasst und sie ihren Kindern beigebracht. So hatte Henoch die Wahrheit und
den Weg des Heils gelernt, so war er zum Glauben gekommen, und deshalb war er
Gott wohlgefällig. In seinem Fall beschloss der Herr daher, sein Wohlgefallen
auf eine besonders außergewöhnliche Weise zu bekunden. Er entfernte ihn von der
Erde, damit er den Tod nicht sehe; auf irgendeine Art und Weise nahm der Herr
seinen Leib mit hinauf in die Wohnung der Seligen. Und das alles, weil er
glaubte und ein gottgefälliges Leben führte, das mit seinem Glauben
übereinstimmte, weil er mit Gott wandelte, wie es im hebräischen Text heißt, 1.
Mose 5,22.24. Er wurde entrückt, er wurde entfernt, er wurde nicht mehr
gefunden. Es kann gut sein, dass seine Verwandten nach ihm suchten, wie die
Kinder der Propheten nach Elia, 2. Kön. 2,16, und dass sie schließlich vom
Herrn Informationen über die Art und Weise erhielten, wie ihr Verwandter von
der Erde entfernt wurde. All dies war das Ergebnis seines Glaubens: Denn ohne
Glauben ist es unmöglich, Gott wohlgefällig zu sein; denn wer zu Gott kommt,
muss glauben, dass er existiert und dass er denen, die ihn fleißig suchen, ein Belohner ist. Der Autor benutzt wieder das Bild der
Annäherung eines Priesters oder eines Anbeters an Gott, Kap. 7,25; 10,22. Ein
solcher Mensch, der Gott in Wahrheit anbetet, wird nicht nur an die Existenz
Gottes glauben, sondern auch wissen, dass Gott in seiner Barmherzigkeit
diejenigen belohnen wird, die ihn suchen, und dass sein Geschenk an sie das
ewige Leben durch Jesus Christus, den Erlöser, ist. Derjenige, dessen
Christentum nicht eine Angelegenheit der bloßen Form und der äußeren Zeremonien
ist, sondern eine wahre Herzensangelegenheit, derjenige, dessen Glaube von der
Art ist, dass er nicht müde wird, den Herrn und seinen heiligen Willen zu
suchen, der wird des barmherzigen Lohnes des Herrn teilhaftig werden.
Das Beispiel Noahs lehrt dieselbe Lektion:
Durch den Glauben baute Noah, nachdem er von Gott über das, was er noch nicht
gesehen hatte, informiert worden war, in frommer Ehrfurcht eine Arche, um sein
Haus zu retten; dadurch verdammte er die Welt und wurde Erbe der Gerechtigkeit,
die aus dem Glauben kommt. 1. Mose 6,8-9,29. Noah war vollkommen in seinen
Geschlechtern, inmitten einer Welt, die den Herrn lästerte und sein Wort
verachtete: Er wandelte mit Gott und fand Gnade vor dem Herrn. Deshalb
informierte ihn der Herr und warnte ihn vor den Plänen, die er in Bezug auf die
Welt und ihre Bestrafung hatte. Als Noah auf Gottes Geheiß die Arche baute, tat
er dies immer im Vertrauen auf Dinge, die noch nicht eingetroffen waren. Es ist
sehr wahrscheinlich, dass er den Hohn und Spott der Ungläubigen auf allen
Seiten für seine Tat, ein Schiff auf trockenem Boden zu bauen, ertragen musste.
Aber Noah setzte seine Arbeit in frommer Ehrfurcht fort, verbunden mit
vorsichtiger Voraussicht, denn er wusste, dass diese Arche zur Rettung seines
Hauses oder seiner Familie dienen würde, denn seit der Herr zum ersten Mal mit
ihm gesprochen hatte, hatte er geheiratet, und seine drei Söhne waren erwachsen
geworden und hatten sich ebenfalls Frauen genommen. Mit dieser Demonstration
seines Glaubens verurteilte Noah die ungläubigen Kinder der Welt, denn zu
diesem Zeitpunkt war die Gemeinde der Gläubigen auf seine Familie geschrumpft.
Der Glaube Noahs ließ den Unglauben der Spötter umso deutlicher hervortreten.
Er machte ihn übrigens zum Erben der Gerechtigkeit, die den Menschen durch den
Glauben geschenkt wird. Er wurde zum Besitzer, zum Eigentümer der geistlichen
Segnungen, die Gerechtigkeit des kommenden Erlösers wurde ihm von Gott
zugerechnet, nicht durch den Akt seines Glaubens verdient, sondern durch diesen
Glauben angenommen. Es ist genau derselbe Vorgang, der auch heute den Menschen
das Heil bringt.
Das Beispiel von Abraham und Sarah
(V. 8-12): Da er der Vater der alttestamentlichen Gläubigen war, wird das
Beispiel Abrahams ausführlich behandelt, wobei in diesem Kapitel nicht weniger
als fünf Punkte genannt werden, in denen sein Glaube besonders hervorsticht:
Durch den Glauben gehorchte Abraham, als er berufen wurde, an einen Ort zu
ziehen, den er als Erbe erhalten sollte, und er zog aus, ohne zu wissen, wohin
er ging. 1. Mose 12,1-4. Als der Herr seinen besonderen Ruf an Abraham erließ,
lebte dieser mit seinem Vater Terach [Tharah] in Haran. Der Ruf Gottes
beeinflusste sein Herz und seinen Verstand so sehr, dass er sich in keiner
Weise mehr mit dem Götzendienst identifizierte, der im Haus seines Vaters
betrieben wurde, und dass sein Glaube in ihm einen starken Gehorsam gegenüber
dem Ruf des Herrn bewirkte. Es mag für Abraham, der zu diesem Zeitpunkt bereits
fünfundsiebzig Jahre alt war und großen Reichtum besaß, nicht leicht gewesen
sein, die Heimat seines Vaters zu verlassen und in ein unbekanntes Land zu
ziehen, in dem zudem der Götzendienst genauso schlimm praktiziert wurde wie in
Mesopotamien. Aber sein Glaube an die Verheißung des Messias gab ihm die Kraft,
auch an die Verheißung des Landes zu glauben, das er
auf Erden erben sollte.
Abrahams Glaube wurde zu dieser Zeit auf
eine harte Probe gestellt: Im Glauben hielt er sich im Land der Verheißung wie
in einem fremden Land auf und lebte in Zelten mit Isaak und Jakob, die mit ihm
Erben derselben Verheißung waren; denn er wartete auf die Stadt, die einen
Grundstein hat und deren Baumeister und Erbauer Gott ist. Alle diese Tatsachen
sind im Buch Genesis aufgezeichnet. Nachdem er in das Land der Verheißung, das
Land Kanaan, gekommen war, erhielt Abraham, statt dass ihm das Land zum Besitz
gegeben wurde, wie er es nach den Worten des Herrn hätte erwarten können, nicht
einmal einen Fuß Land, das er sein eigen nennen konnte, und war sogar
gezwungen, nach dem Tod Sarahs von den Kindern Heths eine Begräbnisstätte für
sie zu kaufen. Er führte das Leben eines Nomaden, wohnte in Zelten und zog von
einem Ort zum anderen, wenn sich die Gelegenheit bot. Dies war auch das Los
seines Sohnes Isaak und seines Enkels Jakob. Sie lebten in dem Land, das Gott
ihnen als ihr Erbe verheißen hatte, und doch war es für sie ein fremdes Land,
in dem sie nur als Gast lebten. Dies war sicherlich eine starke Prüfung für den
Glauben der Patriarchen. Aber Abraham war der Prüfung gewachsen. Obwohl er mehr
als fünfzig Jahre lang keinen Fußbreit Boden in Kanaan besaß und dann nur eine
kleine Höhle mit dem angrenzenden Land, betrachtete er dieses Land als seinen
Besitz und ließ nicht zu, dass Elieser vorschlug, Isaak nach Mesopotamien
zurückzubringen. In diesem Glauben wurde Abraham von seiner festen Hoffnung auf
die künftige Herrlichkeit gestützt, von der er wusste, dass sie ihm aufgrund
der Verdienste des Messias zustand. Solange er hier auf der Erde lebte, war er
zwar gezwungen, ein Nomadenleben zu führen, aber das tat seiner festen Hoffnung
keinen Abbruch, in das himmlische Jerusalem einzuziehen, in die Stadt, die Gott
für die, die ihn lieben, geplant und gebaut hat. Das ist die Hoffnung der
Gläubigen aller Zeiten; denn sie haben hier keine bleibende Stadt, sondern sie
suchen die künftige.
Der Glaube Abrahams wurde auch von seiner
Frau Sarah geteilt, wenn auch nicht in gleichem Maße: Durch den Glauben erhielt
auch Sarah Kraft, schwanger zu werden, und bekam einen Sohn, obwohl sie das
übliche Alter überschritten hatte; denn sie hielt den für treu, der verheißen
hatte. 1. Mose 18,12.15. Als Abraham nach Kanaan kam, war Sarah etwa
fünfundsechzig Jahre alt und nicht nur unfruchtbar, sondern auch über das Alter
hinaus, in dem sie nach dem Lauf der Natur ein Kind erwarten konnte, 1. Mose 18,11.
Vierundzwanzig Jahre lang wartete sie auf die Erfüllung der Verheißung Gottes,
und ihr Glaube war manchmal der Belastung nicht gewachsen, wie etwa, als sie
Abraham ihre Magd Hagar als zweite Frau gab und als sie über die endgültige,
endgültige Ankündigung des Herrn lachte, 1. Mose 18,12.13. Aber die sanfte
Zurechtweisung des Herrn bei dieser letzten Gelegenheit scheint die wohltuende
Wirkung gehabt zu haben, alle Zweifel aus ihrem Herzen zu verbannen, einfach
weil sie sich auf Gottes Verheißung verließ. Es war dieser Glaube, der aus dem
wahren Glauben an den verheißenen Messias erwuchs, der immer mit der
Ankündigung Gottes an Abraham verbunden war, der ihr die Kraft gab, im Alter
von neunundachtzig Jahren gegen den Lauf der Natur Mutter zu werden.
Das Ergebnis dieses unerschütterlichen
Vertrauens auf Gottes Wort und Verheißung war wirklich bemerkenswert: Darum
wurden auch von einem, und zwar von einem so gut wie toten, diese (Nachkommen)
gezeugt, wie die Sterne am Himmel zahlreich sind und wie der Sand am
Meeresstrand unzählig ist. Auf solch wunderbare Weise wurde durch Sarah, die
von Natur aus doppelt unfähig dazu war, eine Familie gegründet. Und noch etwas
ist merkwürdig: Abraham war damals auch über das Alter hinaus, in dem ein
Mensch gewöhnlich Kinder zu zeugen vermag; seine Zeugungskraft war nach dem
gewöhnlichen Lauf der Natur geschwunden. Weil aber die Verheißung Gottes so
sicher war, kam es dazu, dass die Nachkommen Abrahams durch Isaak, die Kinder
Israels, schließlich so zahlreich waren wie die Sterne am Himmel oder der Sand
am Meer. 1. Mose 21,2; 22,17; 32,12. So wurde der Glaube Abrahams und Sarahs
auf wunderbare Weise gerechtfertigt.
Eine Anwendung der hier dargelegten
Wahrheiten (V. 13-16): Der heilige Schreiber zeigt hier, dass seine
Definition des Glaubens im Fall von Abraham, Sara, Isaak und Jakob gut passt:
Sie alle starben in ihrem Glauben, obwohl sie der Verheißungen nicht teilhaftig
geworden waren, sondern sie von ferne gesehen und begrüßt hatten und bekannten,
dass sie Fremde und Pilger auf Erden waren. Wie die Patriarchen zu Lebzeiten
geglaubt hatten, so starben sie in ihrem Glauben, wie es den Menschen gebührt,
die den Tag des Herrn, das kommende Heil, von ferne gesehen hatten, durch die
Verheißungen des Herrn, Johannes 8, 56. Sie waren so fest davon überzeugt, dass
Gott sein Wort in jeder Hinsicht erfüllen würde, dass sie die Erfüllung
tatsächlich sahen. Sie begrüßten die Verheißungen aus der Ferne, so wie
Menschen an Bord eines Schiffes einer Gruppe von Freunden am Ufer zuwinken
können. Die Tatsache, dass sich die Verheißungen des Evangeliums nicht
erfüllten, solange sie lebten, und dass sie den Messias nicht persönlich sahen,
hatte keinen Einfluss auf ihren Glauben. Sie bekannten sich freudig dazu und
nannten sich selbst Fremde und Pilger hier auf Erden, eine Tatsache, für die
ihre Anwesenheit im Land der Verheißung ein Vorbild war. Vgl. 1. Mose 23,4;
47,9; Ps. 39,12; 1. Petr. 1,1; 2,11.
Dieses offene Bekenntnis der Patriarchen,
wie es sich in ihrem Leben zeigt, wird weiter erörtert: Denn wer so etwas sagt,
zeigt deutlich, dass er auf der Suche nach einem Vaterland ist. Das
Eingeständnis und Bekenntnis der Patriarchen, dass sie hier auf Erden Fremde
und Gäste sind, dass diese Welt nicht ihre Heimat ist, macht deutlich, dass die
wahre Heimat anderswo sein muss, dass sie sehnsüchtig darauf warten, an diesen
verheißenen Ort zu gelangen. Sie denken an ein Land, das sie ihr Eigen nennen
können, das ihnen durch die Gabe Gottes gehört, und sie streben danach. Ihr
gesamtes Verhalten entsprach dieser Geisteshaltung: Hätten sie nämlich
Erinnerungen an das Land, das sie verlassen hatten, gehegt, so hätten sie
Gelegenheit gehabt, zurückzukehren; jetzt aber streben sie nach einem besseren,
nämlich dem himmlischen Land. Hätten die Patriarchen während ihres Aufenthalts
in Kanaan und auch in Ägypten zu irgendeinem Zeitpunkt bereut, Mesopotamien
verlassen zu haben, hätten sie sich an das irdische Land erinnert, aus dem
Abraham ausgezogen war, hätte sich ihr Seufzen auf ein rein irdisches Paradies
bezogen, dann wäre es für sie ein Leichtes gewesen, in ihre alte Heimat
zurückzukehren. Aber es war kein irdisches Land, nach dem ihr Glaube so
sehnsüchtig verlangte, sondern das verheißene himmlische Land, die Stadt, deren
Besitz durch die Verdienste des Messias gesichert war. So wird die herzliche
Beziehung zwischen Gott und ihnen deutlich: Darum schämt sich Gott nicht, ihr
Gott genannt zu werden; denn er hat ihnen eine Stadt bereitet. Weil der Glaube
der Patriarchen an die Verheißungen Gottes so selbstverständlich war, weil sie
Seinen Verheißungen Glauben schenkten, auch wenn sie selbst, während sie hier
auf der Erde lebten, nicht wirklich an ihnen teilhatten, deshalb schämte sich
Gott nicht ihrer, zögerte nicht, sie zu bekennen, war bereit, ihr Gott genannt
zu werden, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, 2. Mose 3,15. Auch aus diesem
Grund bereitete er ihnen eine Stadt vor, das himmlische Jerusalem, die Wohnungen
in der Höhe, die in jeder Hinsicht die Hoffnungen und Erwartungen erfüllen
würden, die sie ihr ganzes Leben lang gehegt hatten, Joh. 14,1-3. Dies ist auch
das Ziel der Hoffnungen, die Erwartung des Glaubens aller Gläubigen bis zum
heutigen Tag - Jerusalem, die schöne und hohe Stadt.
Das Beispiel der Patriarchen (V.
17-22): Die Geschichte Abrahams erschöpft sich keineswegs in den in den
vorangegangenen Abschnitten erwähnten Ereignissen. Es gibt noch eine weitere
Lektion, die hier aufgezeichnet ist: Durch den Glauben opferte Abraham Isaak,
als er auf die Probe gestellt wurde, und er, der die Verheißungen empfangen
hatte, opferte seinen einzigen Sohn, von dem gesagt worden war, dass dir die
Nachkommenschaft durch Isaak angerechnet werden sollte; denn er schloss daraus,
dass Gott auch von den Toten auferwecken konnte, weshalb er ihn auch nach dem
Vorbild empfing. 1. Mose 22. Gott hatte Abraham nach der Geburt Isaaks die
Verheißung gegeben: In Isaak soll dein Same genannt werden, 1. Mose 21,12.
Ismael war damit ausgeschlossen, ebenso wie die später geborenen Kinder
Abrahams von Ketura. Isaak war also der eingeborene
Sohn Abrahams, der Sohn der Verheißung, dessen Vater die Verheißungen Gottes
mit gläubigem Herzen angenommen hatte; die Nachkommen Isaaks sollten als der
wahre Same, als Erben der Verheißung, bezeichnet werden. Doch nun beschloss
Gott, Abrahams Vertrauen und Glauben durch eine Prüfung zu testen, die so
schwer war, dass sie jedes andere Herz hätte entmutigen können. Abraham sollte
diesen einzigen Sohn dem Herrn opfern, opfern, opfern. Und er bereitete sich
darauf vor, dies genau nach Gottes Anweisungen zu tun, wie uns der Bericht in
der Genesis berichtet. Das konnte er nur tun, weil sein Glaube ihn gelehrt
hatte, zu dem Schluss zu kommen, die Meinung zu vertreten, dass Gott auch von
den Toten auferstehen kann. Dieser feste Glaube an die Allmacht Gottes und der
Glaube an seine Verheißungen befähigten Abraham, seinen einzigen Sohn dem Tod
auszuliefern. Dieser Glaube wurde von Gott sofort belohnt; denn der Vater holte
seinen Sohn aus dem Rachen des Todes zurück, er entriss ihn dem Tod, „nicht
tatsächlich, denn Isaak war nicht tot, sondern virtuell, denn er war dem Tod
überlassen worden. Er war durch das Gleichnis des Todes hindurchgegangen, und
seine Rückgabe an Abraham war ein Gleichnis der Auferstehung“ (Dods). Wie glorreich wurde der Glaube Abrahams hier
begründet!
Von den anderen Patriarchen sind ähnliche
Glaubensbeweise überliefert: Durch den Glauben segnete Isaak Jakob und Esau in
Bezug auf zukünftige Dinge. 1. Mose 27. Zwischen Isaak und Rebekka gab es einen
Streit darüber, welcher Sohn die messianische Verheißung erhalten sollte. Als
Isaak daher beschloss, seinen Söhnen vor seinem Tod den Segen zu erteilen, wies
er Esau an, zuerst vor ihm zu erscheinen. Doch durch die Vorsehung Gottes
erhielt Jakob den Segen für den Erstgeborenen, eine Tatsache, die Isaak anerkannte,
als er sich weigerte, den Segen zu ändern und stattdessen Esau einen Segen gab,
der nur sein Wohlergehen in dieser Welt betraf. Es war der Glaube Isaaks, der
ihn dazu veranlasste, den Segen zu bestätigen, den er Jakob als Auserwähltem
des Herrn zum Träger des messianischen Segens auferlegt hatte (1. Mose 28,3).
Derselbe Glaube lebte auch in Jakob fast hundert Jahre später: Im Glauben
segnete Jakob im Sterben jeden der Söhne Josephs, indem er sich im Gebet über
das Haupt seines Stabes beugte. Kurz bevor der alte Jakob im Land Goschen
starb, ließ er Josef seine beiden Söhne Ephraim und Manasse bringen, um ihnen
den Segen seiner eigenen Kinder zu übertragen. 1. Mose 48,1-20. Er segnete
jeden von ihnen einzeln, wobei er trotz Josephs Protest seine Hände kreuzte, so
dass seine rechte Hand auf dem Kopf des Jüngeren und seine linke auf dem Kopf
des Älteren ruhte. Mit dieser Unterscheidung im Segen, die sich später im Schicksal
ihrer Nachkommen, in ihrem Erbe des verheißenen Landes, bestätigte, zeigte
Jakob seinen Glauben. Anmerkung: Es gibt eine Ergänzung zu der in der Genesis
erzählten Geschichte, denn hier heißt es, dass Jakob sich kurz vor seinem Tod
nicht nur in einer Haltung der Anbetung über das Haupt des Bettes beugte,
sondern sich dabei auf seinen Stab stützte. Von Joseph schließlich heißt es:
Durch den Glauben erwähnte Joseph, als er starb, den Auszug der Kinder Israels
und gab ein Gebot über seine Gebeine. 1. Mose 50,24. 25. Die Tatsache, dass
Josef seinen Brüdern in so feierlicher Weise versicherte, dass sie nicht in
Ägypten bleiben würden, sondern dass Gott sie von dort in das Land führen
würde, das er ihren Vätern verheißen hatte, und dass er für seine eigene Person
so fest auf die Verheißung des Herrn vertraute, dass er die Überführung seiner
Mumie in das Land Kanaan zur Zeit dieser Befreiung anordnete, zeigt, dass Josef
den Glauben seiner Väter an die messianischen Verheißungen teilte, die den
Besitz des Landes Kanaan für die Kinder Israels einschlossen. Sein Glaube an
den kommenden Messias veranlasste ihn, auch den anderen Verheißungen, die mit
der Zusicherung seines Kommens verbunden waren, bedingungslos zu vertrauen.
Das Beispiel Moses (V. 23-29): Die
erste Begebenheit aus der Geschichte des Mose ist die, die den Glauben seiner
Eltern illustriert: Durch Glauben wurde Mose, als er geboren war, von seinen
Eltern drei Monate lang verborgen, weil sie sahen, dass das Kind wohlgestaltet
war, und sie fürchteten sich nicht vor dem Befehl des Königs. 2. Mose 2,2: Mose
wurde zu einer Zeit geboren, als in Ägypten eine neue Dynastie entstanden war
und der König Pharao aus politischen Gründen befohlen hatte, alle männlichen
Kinder der Kinder Israels in den Nil zu werfen, damit sie sterben. Aber die
Eltern von Mose, die immer die Verheißung der Befreiung aus Ägypten im Sinn
hatten, die mit der messianischen Verheißung verbunden war, und die sahen, dass
ihr neugeborener Sohn sowohl intelligent als auch wohlgestaltet zu sein schien,
widersetzten sich dem Befehl des Königs, und Jochebed,
die Mutter von Mose, behielt ihn deshalb drei Monate lang zu Hause und schaffte
es, ihn vor den vielen Spionen des Pharaos zu verbergen. Schließlich wurde das
Leben von Mose auf wundersame Weise erhalten. Aber diese Tat der Eltern von
Mose war ein Akt des Glaubens und ein gutes Beispiel für alle Zeiten.
Mose erwies sich solcher Eltern würdig: Im
Glauben weigerte sich Mose, als er erwachsen war, sich Sohn der Tochter des
Pharao nennen zu lassen, und zog es vor, lieber mit dem Volk Gottes zu leiden,
als eine Zeitlang in den Genuss der Sünde zu kommen; denn er hielt die Schmach
Christi für einen größeren Reichtum als die Schätze Ägyptens; denn er hatte
stets den Lohn vor Augen. 2. Mose 2,3-10. Als die Tochter des Pharao das Kind
Mose am Ufer des Flusses fand, wurde seine eigene Mutter seine Amme und erhielt
so Gelegenheit, ihn über seine Herkunft zu belehren. Die Belehrung, die Mose in
seinen frühen Jahren erhielt, wurde durch all die späteren Studien, die er als
Adoptivsohn der Tochter des Pharaos aufnahm, nicht aus seinem Herzen
vertrieben. Als er erwachsen geworden war, etwa im Alter von vierzig Jahren
(Apg. 7,23), verzichtete er auf seine Adoption als Sohn der Tochter des Pharao.
Er zog es vor, mit seinen Landsleuten Misshandlungen und Verfolgungen zu
erleiden, statt kurzzeitig in den Genuss der Sünde zu kommen. In seiner
Position als adoptierter Fürst des Landes hätte er seine höchsten Ambitionen
befriedigen und all seine feineren Vorlieben befriedigen können. Doch sein
Aufenthalt am ägyptischen Hof brachte ihn täglich in Kontakt mit Götzendienst
und Sünden aller Art. Sein Glaube, der ihm durch die Lehren seiner Mutter
eingepflanzt worden war, ließ ihn daran festhalten, dass Gott seine Verheißung
an sein Volk sicher erfüllen würde, auch wenn die Aussichten zu dieser Zeit
eher düster waren. Es würde für ihn Schande bedeuten, soweit es diese Welt
betraf, aber er war bereit, diese Verachtung, diese Schmach zu ertragen, da sie
um des Messias willen, an dessen Kommen er glaubte, über ihn kam. Wenn er
Christus auch nur in der Hoffnung sah, so war doch der Reichtum, den ihm sein
Glaube einbrachte, unermesslich größer als alles, was ihm die Zivilisation
Ägyptens stattdessen zu bieten vermochte. So wandte er sich entschlossen von
den glitzernden Verheißungen dieses Lohnes ab und richtete seine Augen fest auf
den Lohn, den die Verheißung Gottes ihm in Aussicht stellte. Ein solches
Handeln, einen scheinbar sicheren Genuss von allem, was diese Welt zu bieten
hat, für eine ungewisse und verschwommene Verheißung aufzugeben, wie es die
Kinder des Unglaubens sehen, das ist bis heute das Kennzeichen des Glaubens.
Eine zweite Begebenheit aus dem Leben des
Mose wird als Beispiel angeführt: Durch den Glauben verließ er Ägypten und
fürchtete nicht den Zorn des Königs, denn er wartete ab, um den zu sehen, der
unsichtbar ist. Was Mose offen bekannte, als er auf seine Adoption als Sohn der
Tochter des Pharao verzichtete, setzte er ebenso offen in die Tat um, indem er
sein Los mit seinem eigenen Volk verteilte. Er verließ nicht nur den Hof des
Pharaos und Ägypten selbst, sondern ließ sich auch in Goschen nieder, wo seine
Landsleute lebten. Im Glauben trotzte er dem Zorn des Königs, weil er einen
unsichtbaren Herrscher, der größer war als der Pharao, auf seiner Seite sah. Er
konnte es sich also leisten, abzuwarten und zu warten, bis der Herr ihm zeigte,
welchen Schritt er als nächstes tun sollte. Diese Gelegenheit ergab sich nach
seiner Flucht nach Midian und seinem Aufenthalt dort: Im Glauben feierte er das
Passahfest und die Besprengung mit Blut, damit der Verderber ihre erstgeborenen
Söhne nicht anrühren konnte. Auch hier waren einfacher Glaube und Vertrauen in
das Wort des Herrn erforderlich, um alle notwendigen Vorbereitungen für das
erste Passahfest in der Geschichte Israels zu treffen. Es ging darum, einfach
dem Befehl des Herrn zu gehorchen, was das Lamm und das gesamte Passahmahl
betraf, insbesondere das Bestreichen der Türpfosten und des oberen Türsturzes
mit dem Blut des geschlachteten Tieres, 2. Mose 12,7.22. Der Herr hatte
erklärt, dass der Zweck dieses Besprengens oder Bestreichens mit Blut darin
bestand, den großen Engel der Zerstörung, den Engel, der auf Gottes Befehl
durch das Land Ägypten zog und das Erstgeborene in jeder Familie erschlug, von
den Häusern der Kinder Israels fernzuhalten. Es war gewiss kein geringer Akt
des Glaubens, der Mose veranlasste, dem Volk inmitten der allgemeinen
Zerstörung zuversichtlich Sicherheit zu versprechen.
Aber so wie sich das Volk als Ganzes Mose
angeschlossen hatte, um das erste Passah in der von Gott vorgeschriebenen Weise
zu halten, so zeigten die Israeliten bald darauf ihren Glauben: Durch ihren
Glauben zogen sie wie auf dem Trockenen durch das Rote Meer, von dem die
Ägypter, als sie es versuchten, verschluckt wurden, 2. Mose 14,22.23; 15,4. Das
Rote Meer war die erste harte Prüfung für den Glauben der Israeliten, nachdem
sie Ägypten verlassen hatten. Vor ihnen lag das Meer, hinter ihnen das Heer des
Pharao; sie schienen dem Untergang geweiht zu sein. Da befahl der Herr dem Volk
durch Mose, Ruhe zu bewahren, da sie weiterziehen würden. Auf diese Verheißung
vertrauten sie, und als sich das Meer vor ihnen öffnete und das Wasser rechts
und links feste Wände bildete, vergaßen sie den Zweifel und das Misstrauen, mit
denen sie gekämpft hatten, und zogen mutig unter Gottes schützendem Arm weiter,
um sicher auf die andere Seite hinüberzugehen. Die Ägypter aber, die kein
solches Vertrauen hatten, sondern Feinde des wahren Gottes waren, forderten das
Meer heraus, indem sie die Israeliten verfolgten, mit dem Ergebnis, dass sie
alle umkamen und verschlungen wurden, als das Wasser wieder dem Gesetz der
Natur folgte. Wieder ein Sieg des Glaubens.
Die Siege des Glaubens zur Zeit Josuas
und der Späteren (V. 30-38): Nachdem die Kinder Israels schließlich durch
ein weiteres Wunder den Jordan überquert hatten, bekamen sie bei der Belagerung
von Jericho Gelegenheit, ihren Glauben an den Herrn unter Beweis zu stellen:
Durch Glauben fielen die Mauern von Jericho, nachdem sie sieben Tage lang
umzingelt worden waren, Jos. 6. Es muss für die Soldaten des Heeres Josuas
nicht leicht gewesen sein, Tag für Tag um die Stadt zu marschieren, ohne auch
nur eine Waffe in die Hand zu nehmen, noch dazu verfolgt von den Spötteleien
der Belagerten. Schlimmer noch: Als sie am siebten Tag immer wieder um die
Stadt marschierten und dennoch davon abgehalten wurden, vor der vom Herrn
festgesetzten Zeit Gewalt anzuwenden, war dies zweifellos eine harte Prüfung
ihres Glaubens. Dennoch hielten sie durch, bis sich das Wort des Herrn
buchstäblich erfüllte und sie ihre Feinde vernichten konnten.
Eine Begebenheit, die im Zusammenhang mit
dieser Belagerung berichtet wird, betrifft die Hure Rahab:
Durch ihren Glauben kam Rahab, die Hure, nicht mit
den Ungläubigen um, nachdem sie die Kundschafter in Frieden empfangen hatte.
Schon als Josua in Schittim lagerte, bevor das Volk
den Jordan überquerte, hatte er zwei Männer ausgesandt, um das Land zu
besichtigen, das er sich zuerst untertan machen wollte, Jos. 2, 1. 2. Bei der
Ausführung ihres Auftrags kamen diese Männer zum Haus der Rahab,
weil sie hofften, dort die gesuchten Informationen zu erhalten. Rahab war zwar früher eine Hure, eine notorische Sünderin,
aber sie war von den Berichten über den Kampf des Herrn für Israel beeindruckt
und hatte sich zum Glauben an ihn bekehrt. Daher nahm sie die Spione in Frieden
auf und rettete ihnen das Leben. Dieser Akt des Glaubens rettete später ihr
eigenes Leben und das ihres gesamten Haushalts, weil sie nicht mit ihren
ungehorsamen und ungläubigen Landsleuten unterging. Später wurde sie ein
Mitglied des Volkes Gottes, und ihr Name erscheint in der Liste der Vorfahren
Jesu.
Aber es gibt so viele individuelle
Beispiele des Glaubens in den Aufzeichnungen des Alten Testaments, die der
inspirierte Autor zusammenfasst: Und was soll ich weiter sagen? Denn die Zeit
würde mir fehlen, wenn ich von Gideon, Barak, Simson, Jephthah,
David und Salomo und den Propheten erzählte, die durch den Glauben Königreiche
unterwarfen, Gerechtigkeit wirkten, Verheißungen erlangten, Löwen das Maul
stopften, die Kraft des Feuers auslöschten, der Schärfe des Schwertes entkamen,
aus Schwachheit wiederhergestellt wurden, im Kampf mächtig wurden und die
Armeen der Fremden schlugen. Der Verfasser hält sich absichtlich nicht an eine
feste Reihenfolge der Erzählung, um die große Zahl und Vielfalt der Beispiele
zu verdeutlichen, die er aufzählen könnte, wenn er nur die Zeit und den Raum
dazu hätte. Da war Gideon, der mit nur dreihundert Mann das mächtige Heer der
Midianiter besiegte, Ri. 7. Da war Barak, der mit Hilfe der Prophetin Debora Sisera und sein Heer vernichtete, woraufhin Jael, die Frau des Keniters
Heber, den Angreifer im Schlaf tötete, Ri. 4. Es gab auch Simson, einen der
Richter Israels, der eine Reihe von Siegen über die Philister errang, Ri.
14-16. Da war Jephthah, der die Ammoniter besiegte, Ri.
11. Die großen Taten Davids und Salomos für die Kinder Israel, das Volk Gottes,
sind so bekannt, dass auch sie nur erwähnt werden, 2. Sam. 5,17-25; 8,l;
21,15-22; 10; 12,26-31. Einige dieser Männer und andere unterwarfen
Königreiche, die aller Völker der Kanaaniter werden aufgezeichnet; sie
regierten ihr Volk mit Recht und Gerechtigkeit, 2. Sam. 8,15; sie erhielten
Verheißungen, nicht nur messianische Verheißungen, 2. Sam. 7, sondern auch
einige allgemeiner Art, Jos. 21,45; Ri. 7,7; 13,5; 1. Kön. 8,56; sie hielten
den Löwen das Maul zu, nicht nur Simson und David, sondern auch Daniel, Dan.
6,22; Ri. 14,6; 1. Sam. 17,34-36; die Macht des Feuers, zu verbrennen und zu
vernichten, löschten sie aus, wie im Fall der drei Männer im Feuerofen, Dan. 3;
sie entkamen der Schärfe des Schwertes, 1. Sam. 18,11; 19,10; 1. Kön. 19,1-3;
sie wurden nach einem Schwächeanfall wiederhergestellt, Ri. 16,28-30; sie
wurden mächtig im Kampf; der Herr war auf ihrer Seite, und so konnten sie allen
Widerstand ihrer Feinde überwinden. Das waren die Siege des Glaubens.
Aber der Glaube ist ebenso stark in der
Überwindung von Elend und Leiden jeder Art: Frauen empfingen ihre Toten durch
Auferstehung; andere aber wurden zu Tode geprügelt und nahmen die Befreiung
nicht an, um eine bessere Auferstehung zu erlangen; wieder andere ertrugen die
Prüfung des Spottes und der Geißelung und noch mehr die der Fesseln und des
Gefängnisses; Sie wurden gesteinigt, in zwei Hälften zersägt, zerstückelt,
starben in der Schlacht des Schwertes, zogen in Schafsfellen und Ziegenfellen
umher, litten Not, wurden misshandelt, ertrugen Trübsal, deren die Welt nicht
würdig war, und wanderten über Wüsten und Berge, in Höhlen und Erdlöchern. Es
ist eine lange Aufzählung, die in ihren wichtigsten Punkten praktisch auf jedes
Zeitalter der Verfolgung passen wird. Frauen, wie die Witwe von Sarepta und die
Sunammitin, erhielten ihre Toten aus der Umarmung des
Todes zurück. Von anderen wird berichtet (und die Wahrheit der Geschichte wird
hier bestätigt), dass sie zu Tode geprügelt wurden, wahrscheinlich indem sie
auf einem Rad zerbrochen wurden, 2. Makk. 6,17.28, und dass sie dies eher in
Kauf nahmen, als eine Tat zu begehen, die ihr Gewissen nicht zuließ; sie
wussten, auch wenn sie unter der Folter starben, erwartete sie eine bessere
Auferstehung am Ende der Zeit. Verspottungen und
Geißelungen wurden von einigen Märtyrern zur Zeit der Makkabäer ertragen, 2.
Makk. 7,1.7, und es geschah oft, wie bei Jeremia, dass Männer in Ketten
geworfen und eingekerkert wurden, Jer. 38, 9. Sie wurden gesteinigt, wie von
Zacharias, dem Sohn Jojadas, berichtet wird, 2.
Chron. 14,20, und von Jeremia berichtet wird, wobei der letztgenannte Vorfall
in der Heiligen Schrift nicht belegt ist. Der grausamste Tod, bei lebendigem
Leibe zersägt zu werden, wurde einigen Gläubigen des Alten Testaments zuteil, 2.
Sam. 12,31; Amos 1,3, ein apokrypher Bericht, der dies auch von Jesaja
berichtet. Andere wurden in Stücke geschnitten, rücksichtslos mit dem Schwert
ermordet und auf andere Weise gequält, wie einige Berichte aus der Makkabäerzeit berichten. Da sie aus ihren Häusern
vertrieben wurden, waren sie gezwungen, sich gegen die Unbilden des Wetters zu
schützen, indem sie Schaf- oder Ziegenfelle anzogen und in den Wüsten und auf
den Bergen lebten, wo immer eine Höhle oder auch nur ein Loch im Felsen ihnen
etwas Schutz bot, 1. Kön. 18,4.13; 19,4-13; 1. Makk. 2,28.29; 2. Makk. 5,27;
6,11; 10, 6. All diese Leiden konnten sie dank ihres Glaubens ertragen. Die
Bemerkung, dass die Welt ihrer nicht würdig war, zeigt uns die Wertschätzung,
die der Herr der Standhaftigkeit dieser Märtyrer entgegenbringt.
Die Schlussfolgerung des Schreibers (V. 39-40): In dieser Hinsicht dienen die Gläubigen der alten Zeit als ausgezeichnete Beispiele: Und diese alle haben, obwohl sie durch den Glauben bezeugt wurden, die Verheißung nicht empfangen, da Gott etwas Besseres für uns vorgesehen hat, damit sie ohne uns nicht vollendet werden. Es ist wahr, diese Helden des Alten Testaments sind ausgezeichnete Beispiele; Gott selbst hat für sie Zeugnis abgelegt, dass ihr Glaube von der echten Art war, die er von allen Menschen erwartet, die sich zu ihm bekennen. Ihr Heil wird daher ebenso vollkommen sein wie das eines jeden Christen des Neuen Testaments. Und doch sagt der inspirierte Schreiber, dass Gott etwas Besseres für uns vorgesehen hat; denn während alle diese Gläubigen, von denen er geschrieben hat, in der Zeit des Typus und der Prophezeiung lebten, leben wir Christen in der Zeit der Erfüllung. Unsere Erkenntnis Christi beruht nicht auf Zahlen und Zeichen und Opfern, sondern wir haben den vollständigen Bericht über sein Leben, seinen Dienst, sein Leiden, seinen Tod, seine Auferstehung und seine Himmelfahrt zur Rechten der Macht: Wir haben die vollkommene Offenbarung des Sohnes in seinem vollkommenen Bund und seinem vollkommenen Opfer. Wenn schon der Glaube der Patriarchen und Propheten und aller wahren Israeliten der Vorzeit so fest und unerschütterlich war, wie viel mehr müssen wir, denen Gott die vollkommene Offenbarung gegeben hat, allen Menschen ein Beispiel des Glaubens sein![13]
Zusammenfassung: Der inspirierte Schreiber gibt eine kurze Definition des Glaubens und führt das Beispiel der Patriarchen und vieler Propheten und Könige des Alten Testaments an, um die dargelegten Wahrheiten zu bekräftigen und die Christen des Neuen Testaments anzuspornen.
Ein Aufruf, die alttestamentlichen Beispiele zu
beachten,
verbunden mit Gottes Züchtigung (12,1-13)
1 Darum auch wir, dieweil wir solchen Haufen Zeugen um uns haben, lasst
uns ablegen die Sünde, so uns immer anklebt und träge macht, und lasst uns
laufen durch Geduld in dem Kampf, der uns verordnet ist, 2 und aufsehen auf
Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens, welcher, da er wohl hätte mögen
Freude haben, erduldete er das Kreuz und achtete die Schande nicht und ist
gesetzt zur Rechten auf den Stuhl Gottes. 3 Gedenkt an den, der ein solches
Widersprechen von den Sündern gegen sich erduldet hat, damit ihr nicht in eurem
Mut matt werdet und ablasst.
4 Denn ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden über dem Kämpfen
gegen die Sünde 5 und habt bereits vergessen den Trost, der zu euch redet als
zu den Kindern: Mein Sohn, achte nicht gering die Erziehung des HERRN und
verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst; 6 denn welchen der HERR liebhat,
den erzieht er; er schlägt aber einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt. 7 Wenn
ihr die Erziehung erduldet, so erbietet sich euch Gott als Kindern; denn wo ist
ein Sohn, den der Vater nicht erzieht? 8 Seid ihr aber ohne Erziehung, welcher
sie alle sind teilhaftig geworden, so seid ihr Bastarde und nicht Kinder.
9 Auch so wir haben unsere leiblichen Väter zu Erziehern gehabt und sie
gescheut, sollten wir denn nicht viel mehr untertan sein dem geistlichen Vater,
damit wir leben? 10 Und jene zwar haben uns erzogen wenige Tage nach ihrem
Dünken, dieser aber zu Nutz, damit wir seine Heiligung erlangen. 11 Alle Erziehung
aber, wenn sie da ist, dünkt sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit sein;
aber danach wird sie geben eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die
dadurch geübt sind. 12 Darum richtet wieder auf die lässigen Hände und die
müden Kniee 13 und tut gewissen Tritt mit euren Füßen, dass nicht jemand
strauchele wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.
Das Beispiel der Gläubigen des Alten
Bundes und Christi (V. 1-3): Auf dem Vorbild des Glaubens, wie es uns die
Gläubigen des Alten Testaments vorleben, beruht der Appell des Autors,
gleichgesinnt zu sein: So lasst auch uns, da wir eine so große Wolke von Zeugen
um uns haben, alles ablegen, was uns belastet, und die Sünde, die uns anhaftet,
und mit Geduld den Lauf laufen, der vor uns liegt. Obwohl der heilige
Schreiber, wie er selbst sagt, nur einige wenige der vielen Fälle von starkem
Glauben in der Geschichte des Alten Testaments angeführt hat, so sind selbst
diese leuchtende Beispiele, die uns wie eine helle Wolke umhüllen. Es ist eine
große Zahl von Zeugen, die den Wert des Glaubens bezeugt haben, und wohin wir
uns auch wenden mögen, finden wir ihr ermutigendes Beispiel. Und so wie sie
unbeirrt und beharrlich ihren Weg verfolgten, bis sie ihr Ziel erreichten, so
sollten auch wir mit unerschütterlicher, mutiger Geduld auf das himmlische Ziel
unseres Strebens zugehen. Der Weg muss gegangen werden, und er erfordert die
allergrößte Ausdauer. Wir müssen den vorgesehenen Weg annehmen, die
Schwierigkeiten, die ihn begleiten, freudig anerkennen und unser Herz und
unseren Verstand entsprechend vorbereiten. Wie ein Athlet, der sich mit größter
Sorgfalt auf ein Rennen vorbereitet, um nicht auch nur ein Gramm Fleisch zu
viel zu tragen, so müssen wir jede Last dieses Lebens, jedes Gewicht, jede
Bürde ablegen, die uns auf dem vorgesehenen Weg zurückhalten könnte. Die größte
dieser Belastungen ist die Sünde, unsere alte böse Natur, denn sie umgibt uns,
sie haftet an uns und behindert den freien Gebrauch unserer geistigen Glieder,
so wie ein langer und schwerer Mantel, der einem Athleten beim Laufen immer im
Wege wäre. Unser ständiges Bestreben muss es daher sein, dieser Sünde täglich
abzuschwören, sie abzuschütteln, ihre hinderliche Macht abzuwerfen.
Unser Erfolg bei dieser höchst notwendigen
Tätigkeit, die wir täglich durch Reue und Buße erneuern müssen, hängt von einer
Bedingung ab: Wir müssen unsere Augen auf den Führer und Vollender des
Glaubens, Jesus, richten, der in Anbetracht der Freude, die vor ihm lag, das
Kreuz ertrug, ohne an die Schmach zu denken, und sich zur Rechten des Thrones
Gottes gesetzt hat. Ein Sportler kann es sich nicht leisten, seinen Blick auf
das Ziel zu richten und sich von anderen Interessen ablenken zu lassen. Auch
wir Christen können es uns nicht leisten, dass Ablenkungen unseren festen Blick
von Jesus ablenken, der uns zur Erlösung winkt. Denn er war es, der uns nicht
nur ein Beispiel des unerschütterlichen Glaubens gegeben hat, sondern uns auch
auf den Wegen des vollkommenen Gottvertrauens führt; er ist es, in dem der
Glaube seine vollkommene Verkörperung findet. Er, der das gute Werk der
Bekehrung und Heiligung in uns begonnen hat, wird es auch vollenden bis zum Tag
der endgültigen Offenbarung der Herrlichkeit. Sein Beispiel besteht darin, dass
er bereitwillig das Kreuz ertrug, die ganze Last der Passion, die in seiner
Kreuzigung gipfelte, und dabei die Schande und Schmach, die die Menschen auf
ihn häuften, nicht beachtete. Denn während dieser ganzen Zeit behielt Jesus den
Preis vor Augen, die ewige Freude und Seligkeit, die ihm nach Vollendung seiner
Aufgabe zuteil werden sollte, Phil. 2,9. Und er
erhielt seinen Lohn; er wurde, auch seiner menschlichen Natur entsprechend, in
die Stellung der Ehre und Herrlichkeit zur Rechten Gottes erhoben. Nachdem Er
diese Stellung von Ewigkeit her kraft Seiner göttlichen Natur innehatte, hat Er
sie nun auch kraft Seiner menschlichen Natur inne. Sein Beispiel dürfen wir nie
aus den Augen verlieren.
Es wird auch gezeigt, warum das Beispiel
Jesu uns auf dem uns zugedachten Weg so gut zu dienen vermag: Denn bedenkt
(eure Lage), indem ihr Ihn vergleicht, der durch die Hände der Sünder so
furchtbaren Widerspruch gegen sich selbst standhaft ertragen hat, damit ihr
nicht müde werdet und in euren Seelen ohnmächtig. Der Autor will, dass wir
sorgfältig abwägen, dass wir unseren Vergleich im Hinblick auf das Beispiel
Christi anstellen; das ist der höchste Anreiz, den er zu bieten hat. Die Kraft
des Appells liegt darin, dass Christus während seines ganzen Lebens unter der
Zurückweisung seiner Ansprüche gelitten hat. Er kam zu den Menschen mit der
vollen Liebe und Barmherzigkeit seines himmlischen Vaters und sagte ihnen immer
wieder, dass er der verheißene Messias, der Sohn Gottes, der Retter der Welt
sei. Aber er stieß nur auf Spott, auf gotteslästerliche Verleugnung, die
wenigen Jünger ausgenommen, die ihm treu blieben. So wie Jesus in seinem Werk
der Seelenrettung nicht müde wurde, so dürfen auch wir nicht zulassen, dass
geistliche Müdigkeit unsere Seelen ergreift und unsere Herzen in dem großen
Werk der Heiligung müde werden. Sein Geist soll in uns leben und uns befähigen,
in seinen Schritten zu folgen.
Die Züchtigung durch Gott soll uns
unterstützen (V. 4-8): Der inspirierte Schreiber fügt seinem Appell noch
einen weiteren Gedanken hinzu, nämlich dass seine Leser die schlimmste Form der
Verfolgung noch gar nicht erlebt haben: Noch nicht bis aufs Blut habt ihr
widerstanden und gegen die Sünde gekämpft. Die hebräischen Christen in Judäa
hatten in der Tat in gewissem Maße zu leiden, sowohl wegen ihrer Isolierung von
anderen als auch wegen der Verachtung, die ihnen entgegengebracht wurde. Die
Tatsache, dass sie gegen jede Form der Sünde ankämpften, insbesondere gegen den
Unglauben an Jesus Christus, den Messias, brachte ihnen viele Feinde ein. Aber
die Verfolgung war noch nicht so weit gediehen, dass viele von ihnen den Tod
für Christus erlitten hätten, die Kirche in Judäa war noch keine Märtyrerkirche
im eigentlichen Sinne geworden. Sie konnten noch schlimmere Bedingungen
erwarten, die sie zu ertragen hatten.
Ein anderer Gedanke wird hier den Lesern
vor Augen geführt: Und ihr habt die Ermahnung ganz vergessen, die zu euch wie
zu Söhnen spricht: Mein Sohn, schone die Züchtigung des Herrn nicht und werde
nicht müde, wenn du von ihm gezüchtigt wirst; denn wen
der Herr liebt, den züchtigt er, und jeden Sohn, den er aufnimmt, geißelt er.
Die Christen werden hier daran erinnert, dass ihre Leiden Zeichen der
väterlichen Liebe und Fürsorge Gottes sind. Sie dürfen niemals die Ermahnung
und den Trost vergessen, die in den Worten des Herrn enthalten sind, Spr.
3,11.12. Diese Worte sind an Söhne, an Kinder gerichtet, und das ist an sich
schon eine Auszeichnung, Söhne Gottes genannt zu werden. Die Gläubigen sollen
die Zucht des Herrn, seine ganze Methode der Erziehung und Bildung seiner
Kinder, besonders durch die notwendige Züchtigung, nicht verachten. Es darf
keine Ohnmacht, keine Verzagtheit, kein Versagen im Glauben geben, wenn er mit
Worten oder Taten zurechtweist. Denn es ist notwendig, dass alle Kinder Gottes
der gleichen Züchtigung unterworfen werden; sie ist ein Zeichen der Liebe
Gottes, eine Behandlung, die er nur denjenigen zukommen lässt, die er in sein
Herz aufnimmt und mit der ganzen wunderbaren Liebe seiner väterlichen
Barmherzigkeit hegt.
Der Autor präsentiert nun seine
Schlussfolgerung: Ihr ertragt die Disziplin, die Gott mit euch als Söhnen
ausübt. Denn welcher Sohn ist da, den der Vater nicht züchtigt? Wenn ihr aber
ohne Zucht seid, deren alle teilhaftig geworden sind, dann seid ihr Bastarde
und keine Söhne. Das ist die Ansicht, die die Gläubigen vertreten sollten: Ihre
Leiden sind der Beweis dafür, dass Gott sie als seine Söhne betrachtet und sie
als solche behandelt; sie brauchen diese Erziehung, damit ihre Sohnschaft
erhalten bleibt. Wenn ein Kind im Haus wäre und der Vater seine Züchtigung
nicht in die Hand nähme, könnte man daraus schließen, dass dieses Kind kein
echter Sohn ist, sondern ein Bastard, dem nicht die gleiche Behandlung zuteil wird wie den wahren Söhnen. In gleicher Weise
sollten die Gläubigen, weit davon entfernt, sich über die Züchtigung, die Gott
ihnen auferlegt, zu ärgern, vielmehr dankbar sein für diesen Beweis der Achtung
und des Interesses ihres himmlischen Vaters.
Wer von Gott gezüchtigt wird (V.
9-13): Hier wird eine weitere Erwägung des Arguments eingeführt: Wir hatten
Väter unseres Fleisches, um uns zu züchtigen, und wir haben ihnen Ehrfurcht
erwiesen; sollten wir uns nicht viel lieber dem Vater der Geister unterwerfen
und leben? Die Schlussfolgerung ist die vom Kleineren zum Größeren. Wir
Christen hatten, wie der Durchschnitt der Menschheit, menschliche Väter, Eltern
aus eigenem Fleisch und Blut, die für unsere Erziehung verantwortlich waren,
einschließlich der notwendigen Züchtigung, die nicht ohne verhängnisvolle
Folgen unterlassen werden kann. Diesen Vätern haben wir gemäß dem Vierten Gebot
Ehre und Respekt erwiesen. Wenn wir aber so viel für unsere irdischen Väter
getan haben, die ja nur Menschen waren, ist es dann nicht folgerichtig, dass
wir uns auch dem himmlischen Vater, dem Vater der Geister, den wir verehren und
mit dem wir im Geiste in Berührung kommen, freudig und gehorsam unterordnen
müssen? Denn abgesehen davon, dass diese Pflicht so selbstverständlich
erscheint, gibt uns dieses gehorsame Verhältnis zu Gott, das aus dem Glauben
erwächst, das wahre geistliche Leben.
Dass dieser Gedanke durchaus vernünftig ist
und alle Leser sofort ansprechen sollte, zeigt nun der Verfasser: Denn sie
haben uns zwar einige Tage lang gezüchtigt, wie es ihnen am besten schien, er
aber zu unserem Vorteil, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Die
Wahrheit des Vergleichs ist offensichtlich. Die irdischen Väter hatten nur für
eine kurze Zeit, für die kurze Zeit der Kindheit und Jugend, die Verantwortung
für unsere Erziehung, und die Erziehung, die sie während dieser Zeit gaben, geschah
sicherlich in Übereinstimmung mit den Idealen, die sie vor Augen hatten,
unterlag aber dennoch Fehlern, besonders was die angewandten Mittel und den
Grad der Strenge in verschiedenen Fällen anging. Aber die Zucht Gottes ist ohne
Zweifel immer zu unserem Vorteil; er macht nie einen Fehler in der Art und im
Ausmaß der Leiden, die er uns ertragen lässt. Denn durch diese Züchtigung
werden wir zu dem Grad der Heiligkeit gebracht, den er für uns anstrebt. Seine
Züchtigung erinnert uns ständig an die Pflicht, die wir Ihm schulden, und so
werden wir mehr und mehr in seiner Nachfolge geschult.
Der Autor antwortet hier auf einen Einwand,
den einige Leser vorbringen könnten: Alle Züchtigung scheint in der Tat eine
Zeit lang nicht Freude, sondern Leid zu sein; aber danach bringt sie denen, die
durch sie gezüchtigt werden, die friedliche Frucht der Gerechtigkeit. Der
Verfasser hat die ganze Zeit über mit großer Begeisterung von der Zucht Gottes
gesprochen, und sein Eifer wird nicht durch den Einwand gedämpft, der zumindest
in den Herzen derjenigen, die noch schwach im Glauben sind, aufkommen wird,
dass Leiden aller Art eine höchst unangenehme Erfahrung sind. Das ist in der
Tat wahr: Solange die Züchtigung andauert, solange Gott zulässt, dass das
Leiden uns trifft, ist es gewiss eine Sache des Schmerzes und nicht der Freude.
Aber ohne Erziehung, Zurechtweisung, heilsame Zurückhaltung, strenge
Vorschriften und gelegentliche Strafen kann das Ziel Gottes gegenüber seinen
Kindern nicht erreicht werden. Es ist daher allein in unserem Interesse, dass
er diese Methode anwendet. Das Ergebnis ist immer, dass diejenigen, die durch
sie geübt und erzogen werden, fähig sind, solch friedvolle Frucht der
Gerechtigkeit zu bringen, die dem himmlischen Vater wohlgefällig ist. Durch
diese Schulung des Herrn wird unser Glaube rein, wahrhaftig und kostbar, so
dass wir selbst gründlich vorbereitet, gestärkt und gegründet werden zum ewigen
Heil, 1. Petr. 1,6-9; 5,10; Röm. 8,25; 5,3-5.
Da dies wahr ist, kann der Appell mit
voller Kraft erfolgen: Darum hebt die kraftlosen Hände und die gelähmten Knie
auf und macht die Wege gerade, dass eure Füße darauf gehen können, damit die
Lahmen nicht vom Weg abkommen, sondern geheilt werden. Lustlose, nervöse Hände
und schwache, gelähmte Knie sind nicht die Glieder, die man bei wahren Christen
finden sollte, Jes. 35,3. Da sie wissen, dass der Herr ihnen gegenüber immer
Gedanken des Friedens hegt, können sie sich auf seine Verheißung verlassen, die
er ohne Zweifel einhalten wird, Jes. 40, 29-31. Statt mit wankenden Füßen zu
gehen, wie unter einer schweren Last, die ihn zu Boden zu drücken droht, soll
jeder Christ seine Füße auf dem von Christus vorbereiteten Weg der Heiligung
geradeaus gehen lassen und weder nach rechts noch nach links ausweichen, Spr.
4,26.27; Jes. 30,21. Wenn das der Fall ist, dann werden auch die Lahmen und
Hinkenden, die im Glauben noch schwachen Christenbrüder, nicht entmutigt und
ganz vom Weg abgewiesen, sondern es wird ihnen Gelegenheit gegeben, von ihrer
geistlichen Schwäche geheilt zu werden. Wenn die stärkeren Gläubigen in allen
Dingen, die die Heiligung und die Nachfolge Christi betreffen, immer fest und
unerschütterlich sind, dann wird ihr Beispiel den schwächeren Brüdern als Hilfe
dienen und sie veranlassen, dem Meister ohne Zweifel und ohne Zögern zu folgen,
bis sie das Ziel oben erreichen, Jes. 35,5.6.
Eine
Warnung vor Abfall auf der Grundlage der Herrlichkeit des Neuen Bundes (12,14-29)
14 Jagt nach dem Frieden gegen jedermann und
der Heiligung, ohne welche wird niemand den HERRN sehen. 15 Und seht darauf,
dass nicht jemand Gottes Gnade versäume, damit nicht etwa eine bittere Wurzel
aufwachse und Unfrieden anrichte, und viele durch diese verunreinigt werden; 16
damit nicht jemand sei ein Hurer oder ein Gottloser wie Esau, der um einer
Speise willen seine Erstgeburt verkaufte. 17 Wisst aber, dass er hernach, da er
den Segen erben wollte, verworfen ist; denn er fand keinen Raum zur Buße,
wiewohl er sie mit Tränen suchte.
18 Denn ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, den man anrühren konnte,
und der mit Feuer brannte, noch zu dem Dunkel und Finsternis und Ungewitter 19
noch zu dem Hall der Posaune und zur Stimme der Worte, bei welcher dringend
baten, die sie hörten, dass ihnen das Wort ja nicht gesagt würde 20 (denn sie konnten’s nicht ertragen, was da gesagt wurde. Und wenn ein
Tier den Berg anrührte, sollte es gesteinigt oder mit einem Geschoß erschossen
werden. 21 Und so schrecklich war das Gesicht, dass Mose sprach: Ich bin
erschrocken und zittere), 22 sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu
der Stadt des lebendigen Gottes, zu dem himmlischen Jerusalem, und zu der Menge
vieler tausend Engel 23 und zu der Gemeinde der Erstgebornen, die im Himmel
angeschrieben sind, und zu Gott, dem
Richter über alle, und zu den Geistern der vollkommenen Gerechten 24 und zu dem Mittler des Neuen
Testaments, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das da besser redet als
Abels.
25 Seht zu, dass ihr euch dem nicht verweigert, der da redet! Denn wenn jene
nicht entflohen sind, die sich verweigerten, da er auf Erden redete, viel
weniger wir, wenn wir uns des verweigern dem, der vom Himmel redet, 26 welches
Stimme zu der Zeit die Erde bewegte. Nun aber verheißt er und spricht: Noch
einmal will ich bewegen nicht allein die Erde, sondern auch den Himmel. 27 Aber
Solches „noch einmal“ zeigt an, dass das Bewegliche soll verändert werden, als
das gemacht ist, damit da bleibe das Unbewegliche. 28 Darum, dieweil wir
empfangen ein unbewegliches Reich, haben wir Gnade, durch welche wir sollen Gott
dienen, ihm zu gefallen, mit Zucht und Furcht. 29 Denn unser Gott ist ein verzehrendes
Feuer.
Das warnende Beispiel Esaus (V.
14-17): Von der Stelle in den Sprüchen, auf die sich der Autor soeben bezogen
hat, Spr. 4, 26. 27, nimmt der Autor nun einen anderen Gedanken auf, nämlich
den, friedliche Beziehungen mit anderen zu pflegen: Folge dem Frieden mit allen
und der Heiligkeit, ohne die niemand den Herrn sehen wird. Es scheint, dass die
Eigenschaften der Hebräer sie ungeduldig gegenüber Schwäche machten, ein
Gefühl, das leicht zu Entfremdung und Streit führen konnte. Aber Gott will,
dass seine Gemeinde in Frieden aufgebaut wird, Röm. 12,18; 2. Tim. 2,22, ein
Friede, der auf der Einheit des Glaubens beruht und zur Heiligung im
Allgemeinen führt, zur wahren Weihe an den Herrn und seine Sache, Eph. 5,5; Matth. 5,8. Die Heiligung wächst aus dem Glauben, aus
demselben Samen, dem Wort Gottes, und ohne diese Heiligung ist es unmöglich,
den Herrn zu sehen, von ihm als sein Kind angenommen zu werden. Nur derjenige,
der das stellvertretende Opfer Christi in einem solchen Geist angenommen hat,
dass er des Geistes teilhaftig wird, der in Christus gelebt hat, wird
schließlich vor dem Herrn stehen und ihn von Angesicht zu Angesicht sehen.
Das ist keine Sache, die man auf die
leichte Schulter nehmen sollte, denn der Autor fährt fort: Seid wachsam, damit
nicht jemand die Gnade Gottes verfehlt, damit nicht irgendeine Wurzel der
Bitterkeit, die von neuem wächst, euch bedrängt und dadurch viele verunreinigt
werden. Die Christen müssen immer auf der Hut sein, immer auf der Hut sein,
dass nicht einer aus ihrer Mitte von der Gnade Gottes abfällt. Es besteht immer
die Gefahr, dass der eine oder andere sich zu einer Sünde abwendet. Aber die
Gläubigen sollten immer eine geschlossene Gesellschaft sein, die durch ihren
Glauben und ihre Gemeinschaft in Christus eng zusammengehalten wird. Dass einer
von ihnen sich abwendet, die Gnade Gottes versäumt, muss für sie alle eine
ernste Angelegenheit sein. Und da sie so gemeinsam auf dem Weg bleiben, hüten
sie sich auch vor einer solchen Verunreinigung, die entsteht, wenn in ihrer
Mitte Wurzeln der Bitterkeit sprießen. Die Worte an dieser Stelle sind aus 5.
Mose 29,18 entlehnt. Die Einführung böser, sündiger Praktiken in ihrer Mitte
wäre wie eine giftige Wurzel und Pflanze, durch deren Verunreinigung sie nicht
nur beunruhigt würden, sondern durch die sie auch unfähig würden, sich Gott zu
nähern und mit ihm Gemeinschaft zu haben. Vgl. Gal. 5,9.
Auf welche Weise dies geschehen könnte,
führt der Autor nun aus: Damit es nicht einen Hurer oder einen Unzüchtigen
gebe, wie Esau, der um ein einziges Mahl sein Erstgeburtsrecht verkaufte; denn
ihr wisst, dass er nachher, obwohl er den Segen erben wollte, verstoßen wurde,
weil er keinen Raum für eine Sinnesänderung (bei seinem Vater) fand, obwohl er
ernstlich und unter Tränen darum bat. Hier sind Beispiele für die bitteren
Wurzeln, für die giftigen Pflanzen der Sünde und des Bösen, wie sie in einer
christlichen Gemeinde aufkeimen können. Es mag jemanden geben, der von der
Sünde der Unzucht, die gegen das sechste Gebot verstößt, überwältigt und
niedergeschlagen wird. Oder jemand wird versucht und fällt in die Sünde, Dinge
zu entweihen, die in den Augen Gottes heilig sind. Wenn das reiche Festmahl der
Gnade und Barmherzigkeit Gottes in ein und derselben Gemeinde über eine oder
zwei Generationen ausgebreitet wird, besteht immer die Gefahr, dass jemand
übersättigt wird und sein Heil gegen den Genuss der Sünde für eine Zeit lang
eintauscht. Das war die Sünde Esaus, der das Recht des Erstgeborenen, das auch
die Tatsache einschloss, dass der Erstgeborene der Träger des messianischen
Segens war, so gering schätzte, dass er sein Erstgeburtsrecht für eine einzige Mahlzeit,
für einen Haufen Mehl verkaufte (1. Mose 25,29-34). Sein Fall veranschaulicht
die Gefahr verpasster oder abgelehnter Gelegenheiten. Denn als Esau später
versuchte, den Segen des Erstgeborenen für sich selbst zu bekommen, hatte er
keinen Erfolg, 1. Mose 27,30-40. Er bemühte sich ernsthaft, den Segen, der
Jakob gegeben worden war, für sich selbst zu bekommen, und flehte seinen Vater
unter Tränen an, seine Meinung zu ändern. Aber Isaak blieb standhaft; er
erkannte, dass es der Wille Gottes war, dass Jakob den Segen des Erstgeborenen
und die messianische Verheißung erhalten sollte, und weigerte sich daher, seine
Entscheidung zu ändern. „Ich sage nicht, dass er nicht gerettet wurde, sondern
dass er den Segen, den er einst verloren hatte, trotz aller Tränen nicht
erhalten konnte.“[14]
Der Bund der Furcht im Vergleich mit dem
Bund der Gnade (V. 18-24): Hier ist ein weiterer Grund für die gesamte
Aufforderung und Warnung, wie sie in diesem Kapitel enthalten ist, nämlich die
Tatsache, dass die Gnade das zwingende Motiv im Leben des Christen ist, und
nicht die Furcht: Denn ihr seid nicht zu dem Berg gekommen, den man anfassen
kann und der mit Feuer brennt, zu Finsternis und Finsternis und Sturm und zu
dem Schall einer Posaune und zu einer Stimme, die in Worten ertönte, von denen
die, die sie hörten, ernstlich baten, dass ihnen keine weitere Rede hinzugefügt
würde. Es handelt sich offensichtlich um die Verkündigung des Gesetzes auf dem
Berg Sinai, 2. Mose 19; 5. Mose 4. Das war ein feierliches, ein
furchterregendes Ereignis, denn der Berg selbst brannte mit Feuer, 5. Mose
4,11, und das übrige Land in der Umgebung war mit einer nebligen Düsternis, mit
einer schweren Finsternis bedeckt, während ein Sturmwind von der Größe eines
Orkans jedes Herz erbeben ließ, 5. Mose 4,11; 5,22. Zu dieser furchterregenden
Szene gesellte sich noch der Schall einer Trompete, der an sich schon geeignet
war, selbst ein starkes Herz unter solchen Umständen zusammenzuziehen, 2. Mose
19,16.19; 20,18, und dann die Stimme der Worte, die von der Spitze des Berges
herab gesprochen wurden, 2. Mose 20; 5. Mose 5,4-22. Kein Wunder, dass die
Kinder Israels von einem solchen Schrecken erfüllt waren, dass sie Mose
inständig baten und anflehten, er möge dafür sorgen, dass diese furchterregende
Stimme für sie nicht mehr ertönen würde, 2. Mose 20,18.19; 5. Mose 5,23-27.
Schon die Aufzählung der verschiedenen Erscheinungen lässt den erschreckenden
Charakter des Schauspiels erahnen.
Wie groß der Schrecken des Volkes war, geht
aus den folgenden Versen hervor: Denn sie konnten nicht ertragen, was befohlen
worden war: Wenn auch nur ein Tier den Berg berührt, soll es gesteinigt werden,
2. Mose 19,12.13. Es war ein Tag, an dem alle Herzen vor Angst bebten, die sich
nicht beruhigen ließ, denn die ganze Natur schien in Aufruhr zu sein, und der
Herr selbst erschien ihnen als drohender Feind. Die Herrlichkeit und Majestät
Gottes auf dem Berg Sinai war so unaussprechlich groß, dass Mose, als er mit
den beiden Gesetzestafeln aus dem Angesicht Gottes zurückkehrte und
feststellte, dass das Volk sich so weit vergessen
hatte, dass es sich des gemeinsten Götzendienstes schuldig gemacht hatte,
allein bei dem Gedanken an die mögliche Rache Gottes an ihnen erschrak und
rief: Ich fürchte mich sehr und zittere, 5. Mose 9,9.15-19. Das ist ein Bild,
das das Gesetz mit seinen schrecklichen Drohungen und Flüchen der Verdammnis
richtig charakterisiert.
Die Christen können sich glücklich
schätzen, dass sie nicht mehr unter dem Gesetz stehen, dessen Erlass die Herzen
eines ganzen Volkes in Angst und Schrecken versetzte: Ihr aber habt euch dem
Berg Zion genähert und der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen
Jerusalem, und Myriaden von Engeln, der allgemeinen Versammlung und der
Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel eingeschrieben sind, und Gott, dem
Richter aller, und den Geistern der vollendeten Gerechten, und dem Mittler
eines neuen Bundes, Jesus, und dem Blut der Besprengung, dessen Botschaft
vortrefflicher ist als die Abels. Der Gegensatz zwischen dem alten und dem
neuen Bund wird durch jede Äußerung hervorgehoben. Denn die heilige christliche
Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, ist kein irdischer, sichtbarer Berg,
sondern eine Gemeinschaft von Heiligen, deren Vorzüglichkeit mit den Attributen
der menschlichen Sprache nur unzureichend ausgedrückt werden kann. Weil David,
der Urvater Christi, auf dem Berg Zion und in der Stadt Jerusalem wohnte, und
weil das Heil des Messias seinen Anfang in dieser Gegend nehmen sollte, darum
wird die Gemeinde und Gemeinschaft der Heiligen, wo Gott mit seinem Heil in
Christus wohnt, in den Prophezeiungen gemeinhin Berg Zion, die Stadt Gottes,
genannt, Ps. 9,11; 76,2; 110,2; Jes. 2,2.3; Micha 4,1.2. Der ideale Zion ist
der Ort, an dem Gott seine Gegenwart manifestiert, die Fülle seiner Gnade in
Christus. Es ist das himmlische Jerusalem, denn es ist nicht irdisch und mit
Händen gemacht, und doch wird es der endgültige Aufenthaltsort aller Gläubigen
sein, Gal. 4, 26. Gott hat seine Wohnung, den Thron seiner Barmherzigkeit,
inmitten seiner Kirche, Offb. 14,1; 21,2; 1. Kor. 3,16; 2. Kor. 6,16. In diese
Gemeinschaft sind die Gläubigen eingetreten. So sind sie mit vielen Tausenden
von Engeln in einer Gemeinschaft der Seligkeit vereint, denn Himmel und Erde
sind durch das Kommen Christi vereint, Kol. 1,20; Eph. 1,10. Wir gehören durch
den Glauben zur großen Festversammlung, zur Gemeinde der erstgeborenen Kinder
Gottes, die sich zum Glauben an den vordersten Erstgeborenen, den ewigen Sohn
Gottes, bekehrt haben. Wir sind zu Gott, dem Richter aller Menschen, gekommen
und können durch den rechtfertigenden Glauben, der durch das Evangelium in
unseren Herzen entzündet worden ist, vertrauensvoll vor ihm stehen. Wir sind
sogar eine große Gemeinde mit den Geistern der Heiligen, die die letzte
Vollendung, das letzte Ziel, die Seligkeit des Himmels erreicht haben, Luk.
23,43; 2. Kor. 5,8; Phil. 1,23. Das alles aber ist möglich, weil wir zu dem
großen Mittler des Neuen Testaments, zu Jesus, gekommen sind, der die
Menschheit durch sein eigenes heiliges, unschuldiges Blut, mit dem wir im
Glauben besprengt worden sind, wieder in die ursprüngliche Beziehung der Kinder
zum himmlischen Vater zurückgeführt hat. Das Blut Abels kann in der Tat als
Zeugnis dienen und als solches einen Wert für dieses Leben haben, Kap. 11,4.
Aber das Blut Jesu Christi hat uns von allen Sünden gereinigt und plädiert
deshalb vor Gott mit einer so lauten und überzeugenden Stimme, dass es uns
vollkommene Gerechtigkeit sichert. Auf diese Weise bringt uns der inspirierte
Schreiber die Tatsache nahe, dass wir zu dem angenehmen, barmherzigen und
rettenden Evangelium gekommen sind. Welch ein herrliches Privileg!
Ehrfurcht und Gottesfurcht sind nötig (V. 25-29): Auf der Grundlage der im letzten Abschnitt dargelegten Wahrheiten, der Tatsache, dass das Evangelium mit der Fülle der Barmherzigkeit Gottes in Christus jetzt der Welt gepredigt und den Gläubigen gegeben wurde, startet der Autor einen letzten Appell: Seht zu, dass ihr nicht versucht, euch von dem abzuwenden, der redet; denn wenn jene Menschen nicht entkommen sind, die sich von dem abwandten, der auf Erden seine Worte sprach, so werden wir es noch viel weniger, wenn wir den verwerfen, der vom Himmel her spricht. Dies ist eine höchst feierliche Ermahnung, die den Christen gebietet, auf jeden Fall auf die Stimme des Herrn zu hören, der jetzt durch seinen Sohn, durch das Evangelium, zu uns spricht. Denn wenn im Alten Testament diejenigen, die sich weigerten, das Wort des Herrn zu hören, das er hier auf Erden sprach, das Wort des Gesetzes, nicht der Strafe entgingen, dann wird es keine Chance für denjenigen geben, der jetzt, wo der Reichtum der Barmherzigkeit Gottes ohne Einschränkung und ohne Bedingung angeboten wird, sich weigern sollte, seine freundliche Einladung zu hören. Es kann nicht oft genug und nicht nachdrücklich genug betont werden, dass die eine Sünde, die in der heutigen Zeit wirklich zur ewigen Verdammnis verurteilt, die Sünde des Unglaubens ist, die sich von der ausgestreckten Hand der Barmherzigkeit des Herrn abwendet und das Geschenk seiner Liebe ablehnt.
Jeder Gläubige sollte sich daran erinnern: Damals erschütterte seine Stimme die Erde; nun aber hat er verheißen und gesagt: Noch einmal erschüttere ich nicht nur die Erde, sondern auch den Himmel. Als der Herr sein Gesetz vom Berg Sinai aus gab, wurde die Erde von gewaltigen Erdbeben erschüttert, 2. Mose 19,18. Aber das war nichts neben einer anderen Manifestation seiner Macht, die er für die Zeit des Neuen Testaments verheißen hat, indem er sagte, er werde Himmel und Erde noch einmal erschüttern, Hag. 2,7. Vgl. Jes. 64,1-3; Micha 7,15; Hag. 2,22.23. Denn, wie der Verfasser sagt: Das Wort „noch einmal“ bedeutet, dass das, was erschüttert wird, wie das, was gemacht ist, weggenommen wird, damit das, was nicht erschüttert wird, bestehen bleibt. Nur noch ein einziges Mal will Gott sich vor der Welt im Glanz seiner allmächtigen Majestät offenbaren, am letzten Tag der Welt. An jenem Tag, an dem Gott die Grundfesten der Erde und des Himmels erschüttern wird, wird alles Geschaffene in der Form, die es für diese Welt hatte, vergehen. Dann wird nur das, was nicht erschüttert wird, nämlich das Reich Christi, das Erbe der Christen, in alle Ewigkeit bestehen bleiben, 1. Petr. 1,4; Luk 1, 3; Jes. 65,17-19; 2. Petr. 3,13; Offb. 21,1-5.
Dies ist wahr, denn die vergänglichen Dinge dieser Welt müssen vergehen: Darum wollen wir, da wir ein Reich empfangen, das nicht erschüttert werden kann, die Gnade haben, mit der wir Gott in Ehrfurcht und Furcht dienen können; denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer. Denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer. Unser Reich ist ein unbewegliches Reich, das Reich seiner Gnade und Herrlichkeit, in dem wir mit ihm als Könige herrschen werden, Offb. 1,6. Durch unsere Zugehörigkeit zu dieser herrlichen Gemeinschaft, der Festversammlung aller Engel und Heiligen, sind wir der Gnade, der barmherzigen Liebe Gottes in Christus Jesus gewiss. Im Besitz dieser Gnade können wir Gott in der rechten Weise dienen, wie es ihm wohlgefällig ist, mit frommer Ehrfurcht und Furcht, Kol. 1,12. Denn unser Gott ist ein Gott, dessen Zorn ein verzehrendes Feuer ist, 5. Mose 4,24, über alle, die seine Barmherzigkeit ablehnen und die Vergebung der Sünden in Christus Jesus verwerfen. So legt der Autor allen Gläubigen die größte Verpflichtung auf, ein gottgefälliges Leben zu führen und den rettenden Glauben an Jesus nicht aus ihrem Herzen zu lassen.
Zusammenfassung: Der heilige Verfasser appelliert an alle Christen, das Beispiel der alttestamentlichen Gläubigen und Christi zu beherzigen und sich durch die Züchtigung Gottes in der Heiligkeit zu stärken; er warnt vor dem Abfall, indem er auf das Beispiel Esaus hinweist und die größere Vorzüglichkeit des Bundes der Gnade gegenüber dem Bund der Furcht aufzeigt.
Abschließende Ermahnungen und Schluss (13,1-25)
1 Bleibt fest in der brüderlichen Liebe! 2 Gastfrei zu sein vergesst
nicht; denn dadurch haben etliche ohne ihr Wissen Engel beherbergt. 3 Gedenkt
der Gebundenen als die Mitgebundenen und derer, die Trübsal leiden, als die ihr
auch noch im Leib lebt. 4 Die Ehe soll ehrlich gehalten werden bei allen und
das Ehebett unbefleckt; die Hurer aber und Ehebrecher wird Gott richten. 5 Der
Wandel sei ohne Geiz; und lasst euch begnügen an dem, was da ist. Denn er hat
gesagt: Ich will dich nicht verlassen noch versäumen, 6 so dass wir dürfen
sagen: Der HERR ist mein Helfer, und will mich nicht fürchten; was sollte mir
ein Mensch tun?
7 Gedenkt an eure Lehrer, die
euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schaut an und folgt ihrem
Glauben nach. 8 Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.
9 Lasst euch nicht mit mancherlei und fremden Lehren umtreiben; denn es ist ein
köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade, nicht
durch Speisen, davon keinen Nutzen haben, so damit umgehen. 10 Wir haben einen
Altar, davon nicht Macht haben zu essen, die der Hütte dienen. 11 Denn welcher
Tiere Blut getragen wird durch den Hohenpriester in das Heilige für die Sünde,
deren Leichname werden verbrannt außerhalb des Lagers. 12 Darum auch Jesus, damit
er heiligte das Volk durch sein eigenes Blut, hat er gelitten außen vor dem
Tor.
13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen außerhalb des Lagers und seine
Schmach tragen. 14 Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die
zukünftige suchen wir. 15 So lasst uns nun opfern durch ihn das Lobopfer Gott allezeit, das ist, die Frucht der Lippen, die
seinen Namen bekennen. 16 Wohlzutun und mitzuteilen vergesst nicht; denn solche
Opfer gefallen Gott wohl. 17 Gehorcht euren Lehrern und folgt ihnen; denn sie
wachen über eure Seelen, als die da Rechenschaft dafür geben sollen, damit sie
das mit Freuden tun und nicht mit Seufzen; denn das ist euch nicht gut.
18 Betet für uns! Unser Trost ist der, dass wir ein gutes Gewissen haben
und befleißigen uns, einen guten Wandel zu führen bei allen. 19 Ich ermahne
euch aber zum Überfluss, solches zu tun, damit ich desto früher wieder zu euch
komme. 20 Der Gott aber des Friedens, der von den Toten ausgeführt hat den
großen Hirten der Schafe durch das Blut des ewigen Bundes, unseren HERRN Jesus,
21 der mache euch fertig in allem guten Werk, zu tun seinen Willen, und schaffe
in euch, was vor ihm gefällig ist, durch Jesus Christus, welchem sei Ehre von
Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
22 Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, haltet das Wort der Ermahnung
zugute; denn ich habe euch kurz geschrieben. 23 Wisst, dass der Bruder
Timotheus wieder frei ist, mit welchem, so er bald kommt, will ich euch sehen. 24
Grüßt alle eure Lehrer und alle Heiligen. Es grüßen euch die Brüder aus
Italien. 25 Die Gnade sei mit euch allen! Amen.
Allgemeine Ermahnungen (V. 1-6): Der
inspirierte Autor hat die Sache dargelegt, auf die er die besondere
Aufmerksamkeit der hebräischen Christen lenken wollte. Aber im Zusammenhang mit
dieser Lehre nimmt er nun die Gelegenheit wahr, einige besondere Ermahnungen an
seine Leser zu richten: Die Bruderliebe soll fortbestehen. Die Liebe zu den
Brüdern hatte in ihrer Mitte bestanden, wie er freimütig zugegeben hatte, Kap.
6, 10. Aber wenn sie den Appell und die Warnung, die im vorangegangenen Kapitel
an sie gerichtet wurden, nicht beachteten, bestand die Gefahr, dass der
allgemeine Verfall ihres Glaubens mit dem unvermeidlichen entsprechenden
Verlust der wahren Bruderliebe einhergehen würde. Damit aber die brüderliche
Liebe bestehen bleibt, bedarf sie einer ständigen Übung, von der hier zwei Formen
genannt werden. Erstens: Die Bewirtung von Fremden nicht vernachlässigen; denn
dadurch haben einige Engel bewirtet, ohne es zu wissen. Echte Gastfreundschaft
wird hier ernsthaft empfohlen, nicht eine wahllose Speisung von Faulenzern. Die
Umstände machten es in jenen Tagen oft notwendig, dass die Christen von einem
Ort zum anderen zogen, und viele von ihnen konnten es sich nicht leisten, ein
öffentliches Gasthaus zu benutzen. In solchen Fällen sollten die Geschwister
bereit sein, ihre Liebe zu zeigen, indem sie andere, oft Geflüchtete, bei sich
zu Hause aufnahmen und für ihre Bedürfnisse sorgten. Bei diesem Werk der Liebe
sollten sie durch den Gedanken ermutigt werden, dass zumindest einige Menschen,
die auf diese Weise Gastfreundschaft praktizierten, Engel beherbergt hatten,
ohne es zu wissen (1. Mose 18,19). Die Gastfreundschaft der frühen Christen
wurde sogar von heidnischen Schriftstellern wohlwollend kommentiert. Es ist
eine Tugend, die in unseren Tagen mit weit größerer Freigebigkeit praktiziert
werden könnte, wo eine verdächtige Kälte den Umgang der Christen untereinander
kennzeichnet, Röm. 12,13; 1. Petr. 4,9; 1. Tim. 3,2; Tit. 1,8. Aber einige
ihrer Mitchristen könnten sich in einer noch schlimmeren Lage befinden, und
deshalb fährt der Text fort: Denkt an die Gefangenen wie an die Mitgefangenen,
an die, die Böses erleiden, wie an euch selbst, die ihr im Leib seid. Die
Christen, an die diese Worte gerichtet waren, lebten in unruhigen Zeiten. Die
allgemeine Verfolgung, die nach dem Tod des Stephanus über sie hereinbrach, war
zwar abgeklungen, aber der Hass ihrer Feinde blieb bestehen, und wahrscheinlich
gab es örtliche Unruhen. Die Gläubigen sollten also ein betendes Mitgefühl für
all jene empfinden, die um des Evangeliums willen im Gefängnis schmachten, als
wären sie mit ihnen gefesselt gewesen und hätten dieselben Nöte erlitten. In
gleicher Weise sollten sie derer gedenken, die misshandelt und missbraucht
wurden, wobei sie diese herzliche Sympathie umso bereitwilliger zeigten, als
sie als Leibeswesen ähnlichen Misshandlungen ausgesetzt waren. Nach diesen und
ähnlichen Anweisungen verfassten die ersten Christen besondere Gebete für die
Gefangenen und sorgten auf jede Weise für ihre Erleichterung.
Eine besondere Ermahnung betrifft die
Heiligkeit der heiligen Ehe: Die Ehe soll von allen in Ehren gehalten werden,
und das Ehebett soll unbefleckt bleiben; aber Hurer und Ehebrecher wird der
Herr richten. Ob jemand bereits in den Stand der heiligen Ehe eingetreten oder
noch unverheiratet ist, die Ehe soll in Ehren gehalten werden, heilig als eine
Einrichtung des Herrn. Ihre Heiligkeit darf nicht verletzt werden, weder von
den Unverheirateten, indem sie sich die besonderen Funktionen dieses Standes
anmaßen, noch von den Verheirateten, indem sie das Ehebett durch Untreue
verunreinigen oder diesen heiligen Stand zur bloßen Befriedigung der sexuellen
Lust betreten. Die ehelichen Beziehungen sollen keusch sein. Mit feierlichem
Nachdruck fügt der Verfasser hinzu, dass Gott es ist, der die Hurer und
Ehebrecher richten und verurteilen wird, die in irgendeiner Weise die
Heiligkeit der Grenzen verletzen, die er um den Stand der Ehe gezogen hat.
Über das gesamte Verhalten der Christen
sagt der Autor: Euer Lebenswandel sei ohne Begehrlichkeit, indem ihr euch mit
dem begnügt, was ihr habt; denn er selbst hat gesagt: Ich will dich nicht
verlassen noch versäumen. Das ganze Leben der Christen, ihr ganzes Denken und
Tun, ihr Verhalten unter allen Umständen, soll frei sein von Geiz, von der
Liebe zum Geld, denn Gott verlangt, dass seine Kinder auf Erden zufrieden sind,
zufrieden mit dem, was sie haben, mit dem, was er ihnen gegeben hat. Diese
Genügsamkeit hat eine feste Grundlage in der Verheißung Gottes, dass er die
Seinen unter keinen Umständen darben lassen und sie in keiner Weise im Stich
lassen wird, 5. Mose 31,6.8; 1. Chron. 28,20. Vgl. 1. Mose 28,15; Jos. 1,5; Jes.
41,17. Da diese Verheißung Gottes sicher ist, können wir kühn sagen: Der Herr
ist mein Beistand, ich fürchte mich nicht, Ps. 118,6. Der Psalmist stellt die
herausfordernde Frage, aber der Autor ändert die Frage hier in die kühne
Aussage des Glaubens, der keine Gefahr fürchtet, wenn Gott auf seiner Seite
ist. Vgl. 1. Chron. 28,20. Die Menschen können uns im schlimmsten Fall nur das
Leben nehmen; aber unser Heil in Christus Jesus ist sicher in den Händen des
Vaters. Den Leib mögen sie töten, aber die Seele ist der Gewissheit ewiger
Barmherzigkeit anvertraut.
Eine Ermahnung zur Festigkeit (V.
7-12): Der erste Punkt, den der heilige Autor in diesem Abschnitt hervorhebt,
ist der, dass man sich an die früheren Lehrer des Evangeliums erinnern soll:
Behaltet die im Gedächtnis, die über euch herrschten, die euch das Wort Gottes
verkündeten, auf deren Lebensende ihr genau schaut und ihren Glauben nachahmt.
Die Christen sollten sich an ihre geistlichen Führer erinnern, sie in
freundlichem und ehrendem Gedenken behalten. Dieses Gefühl sollte durch die
Tatsache verstärkt werden, dass sie es waren, die ihnen das herrliche
Evangelium ihrer Erlösung, Gottes Wort der Liebe, verkündet haben. Diese
Führer, diese frühen Führer der hebräischen Christen, sind nun verstorben, aber
sie wirkten noch immer als Beispiele durch ihr Verhalten. Diese Männer hatten
ihre Lehre mit ihrem Leben besiegelt; sie waren in ihrem Glauben an das
Evangelium bis zum Ende standhaft geblieben und hatten damit einen
nachahmenswerten Glauben bewiesen. Die Gläubigen sollten dies sorgfältig
bedenken; sie sollten denselben Glauben bewahren, und Gott würde sie bewahren.
Dies kann umso nachdrücklicher betont
werden, als sich der Gegenstand des Glaubens nicht verändert hat und nicht
vergeht: Jesus Christus, immer derselbe, gestern und heute und in Ewigkeit. Das
ist die Inschrift, die die Christen zu allen Zeiten auf ihr Banner schreiben
können. Jesus Christus, der Sohn Gottes, der Retter der Welt, ist die Grundlage
unseres Glaubens. Es gab und gibt und wird nur diesen einen Erlöser geben; aber
in ihm haben wir alles, was wir für dieses Leben und für die kommende Welt brauchen,
Apg. 4,12; 15,11; Offb. 13,5; 1. Kor. 3,11. „Gestern ist die Zeit vor seiner
Menschwerdung, heute ist die Zeit seiner Offenbarung im Fleisch. So ist es
jetzt und in Ewigkeit derselbe Christus, durch den und durch den allein alle
Gläubigen in der Vergangenheit, in der Gegenwart und in der zukünftigen Zeit
vom Gesetz befreit, gerechtfertigt und gerettet werden.“[15]
Aus dieser Grundlage des Glaubens folgt: Lasst
euch nicht durch verschiedene Lehren und fremde Lehren verführen; denn es ist
gut, wenn das Herz durch die Gnade bestätigt wird und nicht durch das Fleisch,
das denen, die sich darauf beriefen, nichts nützte. Dies war die große Gefahr,
die die Judenchristen bedrohte. Es gab in jenen Tagen viele Männer, die sich um
Aufnahme in die christlichen Gemeinden bemühten, die die alttestamentliche
Lehre so auslegten und mit solchem Nachdruck auf den früheren Einrichtungen und
Praktiken bestanden, dass die Bindung der Gläubigen an Christus als den
einzigen Vermittler gelockert wurde. So mancher Christ, der nicht fest in der
Freiheit Christi verankert war, wurde von der Flut fadenscheiniger Argumente,
die von diesen judaisierenden Lehrern vorgebracht wurden, hinweggefegt. Es war
daher notwendig, dass die Herzen der Christen gestärkt und gefestigt wurden,
was nur die Gnade Gottes im Evangelium bewirken konnte. Es wäre sicherlich eine
schöne und lobenswerte Sache, wenn alle Christen in der Erkenntnis der
Wirksamkeit dieser Gnade feststehen würden, denn sie ist alles, was wir in
diesem und im nächsten Leben brauchen. Der Verfasser weist in diesem
Zusammenhang und um seiner Leser willen absichtlich den Gedanken zurück, dass
dieses Ziel durch den Gebrauch bestimmter Speisen der Opfermahlzeiten erreicht
werden könnte, von denen einige Judenchristen noch glaubten, dass sie die Kraft
hätten, geistige Stärke zu verleihen. Alle Menschen, die jemals auf diese
Opfermahlzeiten, auf den Verzehr des Fleisches und anderer Speisen, die mit der
Darbringung bestimmter Opfer verbunden waren, vertraut hatten, hatten keinen
Nutzen von ihrem Werk, sie waren dadurch nicht vor Gott gerecht geworden, Gal.
4,9.10; 5,1-4.
Im Gegensatz zu diesem zeremoniellen Essen
des Alten Testaments sagt der Autor: Wir haben einen Altar, von dem zu essen
sie keine Macht haben, die der Stiftshütte dienen. Der Gegensatz besteht
zwischen denen, die am levitischen Opferkult festhalten, und denen, die ihr
Vertrauen allein auf die Barmherzigkeit und Gnade Gottes setzen. Diejenigen,
die noch der Stiftshütte dienen, deren Herz an der Form des alttestamentlichen
Gottesdienstes hängt, die darauf bestehen, dass die Einhaltung des
Zeremonialgesetzes auch im Neuen Testament notwendig ist, haben keine
Vollmacht, kein Recht und keine Macht, an den Segnungen teilzuhaben, die uns
von unserem Altar, vom Kreuz Christi, auf dem das Lamm Gottes für die Sünden
der Welt geopfert wurde, zufließen. Denn von diesem Altar zu essen bedeutet,
der Wohltaten teilhaftig zu werden, die das große Opfer der Welt gebracht hat,
es bedeutet, im Glauben die wahre Gerechtigkeit vor Gott und das ewige Heil
anzunehmen. Vgl. Joh. 6,51-58.
Dies wird durch einen weiteren Vergleich
zwischen den Opfern des Alten Testaments und dem einen großen Opfer des Neuen
unterstrichen: Denn von den Tieren, deren Blut der Hohepriester für die Sünde
ins Heiligtum bringt, werden die Leiber außerhalb des Lagers verbrannt; darum
hat auch Jesus, damit er das Volk durch sein eigenes Blut heilige, außerhalb
des Tores gelitten. Nach dem Zeremonialgesetz der Juden wurden die Kadaver der
Tiere, deren Blut am großen Versöhnungstag in das Allerheiligste gebracht und
an den Gnadentisch gesprengt wurde, Kap. 9,8-25; 10,19, außerhalb des Lagers
der Juden und später außerhalb der Stadt Jerusalem verbrannt werden mussten, 3.
Mose 16,27. Von dem Fleisch dieser Opfer durfte also niemand essen, wie es bei
vielen anderen Opfern der Fall war. Nun ist aber das Opfer des Versöhnungstages
das Hauptbild des Opfers Jesu Christi, Kap. 9, 7-12. Aus diesem Grund litt und
starb Christus vor den Toren der Stadt Jerusalem, um die Sünder sich selbst zu
weihen und durch sein eigenes Blut die Erlösung der ganzen Menschheit zu
bewirken. Wie ein Übeltäter wurde er aus der Stadt hinausgeführt und
hingerichtet, 3. Mose 24,14; 4. Mose 15,35.36; 5. Mose 17,5; Mark. 15,20-28.
Allein die Tatsache, dass Christus ausgestoßen, verurteilt und getötet wurde,
hat allen Menschen die Erlösung gebracht. Diejenigen also, die immer noch
darauf bestehen, alle Vorschriften des Zeremonialgesetzes zu halten, sind
gezwungen, Christus als einen unreinen Verbrecher zu betrachten; während wir,
die wir uns frei von den Forderungen des alten Kirchengesetzes der Juden
wissen, uns freuen, dass Christus zur Sünde und zum Fluch gemacht wurde, weil
wir wissen, dass es für uns geschehen ist, 2. Kor. 5,21; Gal. 3,13.
Christi Schmach tragen und für seinen
Ruhm wirken (V. 13-17): Hier zeigt sich die natürliche Konsequenz, dass wir
unser Los mit dem gekreuzigten Christus geworfen haben: Lasst uns also zu ihm
hinausgehen außerhalb des Lagers und seine Schmach tragen. Der Autor möchte,
dass seine Leser es als ein Privileg betrachten, als Ausgestoßene und Verräter
an der jüdischen Sache gebrandmarkt zu werden. Da sie Jesus als ihren Herrn und
Meister erwählt haben, sollten sie sich freimütig dazu bekennen, dass sie
bereit waren, seine Schande und Schmach als Übeltäter und Verbrecher in den
Augen der Juden mitzutragen. Wahre Gläubige werden nichts mit dem Gesetz und
seinen Verordnungen zu tun haben, die für ihre Errettung notwendig sind, sie
werden nichts mit legalistischen Praktiken zu tun haben. Nachdem sie ihr Los
mit Jesus und seiner Rettung allein aus Gnade geworfen haben, werden sie froh
sein, die Schmach und den Vorwurf zu tragen, die um seinetwillen auf ihn
gefallen sind.
Sicherlich ist dieser Schritt einer, der im
Herzen eines jeden, der Jesus in Wahrheit angenommen hat, kein Bedauern
hervorrufen sollte: Denn wir haben hier unten keine bleibende Stadt, sondern
wir suchen ernstlich die zukünftige. Die Gläubigen sind Fremde, Gäste in dieser
Welt; sie sind Pilger des Herrn, Ps. 39,12. Die kurze Lebensspanne, die ihnen
in dieser Welt vergönnt ist, ist nur eine Zeit der Vorbereitung auf die
kommende Welt. Unsere wahre Heimat, wo wir unser wahres Bürgerrecht haben, ist
im Himmel, Phil. 3,20. Nur das, was geistlich und ewig ist, kann das Streben
wirklich befriedigen und das Herz mit dem Frieden erfüllen, der alles Verstehen
übersteigt. Darum streben wir ernstlich nach der Stadt, die ewig bleibt; wir
richten unsere Aufmerksamkeit auf ihre herrlichen Vorzüge, auf ihre
unschätzbare Seligkeit.
So können wir auch das tun, wozu uns der
inspirierte Autor auffordert: Lasst uns also durch ihn Gott beständig das Opfer
des Lobes darbringen, d. h. die Frucht der Lippen, die seinen Namen preisen.
Wir glauben an die Kraft des Sühneopfers Christi, wir haben offen die Rolle
dessen übernommen, der von den Menschen als Verbrecher verurteilt wurde; aber
durch ihn sind wir auch mit dem Vater als seine Kinder und Anbeter
identifiziert. Als solche ist es unsere freudige Pflicht, unser frohes
Vorrecht, ihm durch Christus Opfer zu bringen. Nicht nur gelegentlich und
periodisch, sondern ständig bringen wir Gott, unserem himmlischen Vater, die
Frucht unserer Lippen zum Lob und zur Feier seines heiligen Namens dar. Hos.
14,3; Ps. 50,14.23; Jes. 57,19.
Dabei verlieren wir nicht aus den Augen,
dass unser Glaube, der im Opfer der Lippen zum Ausdruck kommt, sich auch in der
Frucht der Hände äußern wird: Vergiss aber nicht die Wohltätigkeit und die
Nächstenliebe; denn das sind die Opfer, die Gott wohlgefällig sind. Ein Herz,
das sich der Gewissheit des Heils durch die Erlösung Christi erfreut, kann
nicht umhin, etwas von der tiefen und wunderbaren Liebe zu spüren, die der
Erlöser allen Menschen in seinem stellvertretenden Leiden und Sterben erwiesen
hat. Alle Taten der Wohltätigkeit, alle Formen der Wohltätigkeit, der
Kommunikation mit den Brüdern und allen Menschen in Not, sind daher der Bereich
der Tätigkeit des Christen. Und solche guten Werke, die aus einem vom Glauben
erfüllten Herzen erwachsen, sind, so unvollkommen sie auch sein mögen, dennoch
vom himmlischen Vater mit Wohlgefallen betrachtet, da die Verdienste Christi
alle ihre Unzulänglichkeiten überdecken. So leben wir Christen unter dem
Wohlgefallen Gottes.
Aber in diesem Zusammenhang gibt es noch
einen weiteren Punkt, auf den der heilige Schreiber aufmerksam zu machen für
nötig erachtet: Gehorcht euren Führern und ordnet euch ihnen unter; denn sie
sind es, die über eure Seelen wachen, als Menschen, die über ihr Vertrauen
Rechenschaft ablegen müssen; dass sie dies mit Freude tun und nicht mit
Seufzen, denn das wäre ein Verlust für euch. Über das Beispiel der früheren
Leiter hat der Verfasser oben, V. 7, gesprochen. Hier spricht er von den
Lehrern, Hirten und Dienern, die gegenwärtig für ihr geistliches Wohlergehen
verantwortlich sind. Sie sollen sich vertrauensvoll ihrer Lehre hingeben,
solange sie das Wort Gottes, das reine Evangelium von der Erlösung aller
Menschen, lehren, wie dies die Lehrer in Judäa taten. Die Christen sollten sich
immer daran erinnern, welch große Verantwortung auf diesen Männern ruhte und
auf den wahren Seelsorgern heute ruht, dass sie dem Herrn am letzten Tag für
jede Seele, die ihrer Seelsorge anvertraut wurde, Rechenschaft ablegen müssen.
Es ist ein feierliches Wort sowohl für die Lehrer als auch für die Hörer. Da es
im Interesse der Seelen des Volkes liegt, dass die treuen Seelsorger ihre
Pflicht erfüllen, so sollen die Gemeindemitglieder es sich zur Aufgabe machen,
sich ihren Seelsorgern gegenüber stets so zu verhalten, dass diese das Werk
ihres Amtes fröhlich und freudig und nicht seufzend und klagend verrichten;
denn ein solcher Zustand würde sich gewiss so auf die Hörer auswirken, dass
ihnen wenigstens ein Teil des Nutzens entzogen würde, den Gott ihnen durch den
Dienst des Wortes zugedacht hat, Luk. 10,16; Hes. 3,17-21.
Dieses Wort der Warnung sollte auch in unseren Tagen beherzigt werden, in denen
die Menschen geneigt sind, mit leidendem Mitleid auf die Pfarrer zu schauen und
ihre Lehre und Warnung aus dem Wort Gottes zu missachten. Andererseits sollte
man bedenken, dass diese Stelle den Pfarrern nicht die absolute Macht über die
Seelen der Gemeindemitglieder gibt, wie die Romanisten fälschlicherweise
behaupten.[16]
Eine Ermahnung, zu beten und gute Werke
zu tun (V. 18-21): Der Schluss dieses Briefes atmet, wie alle Briefe des
Apostels Paulus, den Geist der Vertrautheit, der die Gemeinschaft der ersten
Christen kennzeichnete. Der inspirierte Autor bittet: Betet für uns, denn wir
sind überzeugt, dass wir ein gutes Gewissen haben und in allen Dingen bereit
sind, uns gut zu verhalten. Paulus bittet auch um die Fürsprache der Christen,
an die er einige seiner Briefe richtet, 1. Thess. 5,25; 2. Thess. 3,1.2; Röm.
15,30-32; Eph. 6,19.20; Kol. 4,3. Weil die Verantwortung, die auf den Pfarrern
ruht, so groß ist, werden ihre Gemeindemitglieder gut daran tun, sie und ihre
Arbeit in ihr tägliches Gebet einzuschließen. Da sich der Verfasser der
Tatsache bewusst war, dass die von ihm gelehrte Lehre für die judaisierenden
Christen nicht annehmbar war, erklärt er kühn, dass er überzeugt ist, ein
reines Gewissen zu haben, dass er sich keiner Beleidigung bewusst ist, dass
sein Verhalten, soweit er wusste, zu allen Zeiten so war, dass er sich jetzt
nicht entschuldigen muss. Er habe seine Absicht, sich allen Menschen gegenüber
anständig und anständig zu verhalten, in die Tat umgesetzt. Aus diesem Grund
ist sein Appell so dringlich: Ich appelliere umso eindringlicher an euch, dies
zu tun, damit ich umso schneller wieder bei euch sein kann. Der Verfasser war
entweder inhaftiert oder auf andere Weise daran gehindert worden, nach
Palästina zu kommen. Aber er spürte, dass er und seine Arbeit zu ihnen gehörten
und dass sie ebenso wie er seine Rückkehr mit offenen Armen empfangen würden.
Das Vertrauen, das der Verfasser hier in die Kraft des Gebets zeigt, sollte in
den Herzen aller Christen zu finden sein.
Der heilige Autor fügt seinerseits ein
Gebet für seine Leser hinzu, das mit einer Doxologie abschließt: Der Gott des
Friedens aber, der unsern Herrn Jesus, den großen Hirten der Schafe, von den
Toten auferweckt hat durch das Blut des ewigen Bundes, der stärke euch in allem
Guten, dass ihr seinen Willen tut, und wirke in uns, was ihm wohlgefällig ist,
durch Christus Jesus, dem die Herrlichkeit gehört von Ewigkeit zu Ewigkeit,
Amen. Er nennt Gott den Gott des Friedens, 1. Thess. 5,23; 2. Thess. 3,16; Röm.
14,33, weil durch das Verhältnis und den Zustand des Friedens, der durch die
Erlösung Christi entstanden ist, wieder Frieden zwischen Gott und den Menschen
herrscht, und weil die Gläubigen aufgrund dieser Erkenntnis fähig sind, dem
Frieden von ganzem Herzen nachzujagen. Dass der Friede zwischen Gott und den
Menschen tatsächlich eintritt, ist darauf zurückzuführen, dass Gott Jesus, den
großen Hirten seiner Schafe, durch das Blut des ewigen Bundes
wiederhergestellt, von den Toten zurückgeholt hat. Vgl. Joh. 10. Wie Christus
selbst den Juden mitteilte, hat er als der gute Hirte sein Leben für seine
Schafe hingegeben, er hat sein heiliges Blut vergossen als Folge des Bundes der
Barmherzigkeit Gottes, des Rates der Liebe, der in der Ewigkeit geschlossen
wurde und das Heil der ganzen Menschheit zum Ziel hat. Dieser Gott der
Barmherzigkeit hat auch die Macht, den Gläubigen die nötige Kraft zu geben, die
sie befähigt, eifrig zu sein für jedes gute Werk, für alles, was dem
himmlischen Vater gefällt Das tun die Christen dann nicht aus eigener Vernunft
und Kraft, sondern in Jesus Christus durch die Kraft, die von ihrem Erlöser
durch den Glauben in ihre Herzen und ihren Verstand fließt Auf diese Weise wird
durch das ständige Wachstum aller Gläubigen in der Heiligung das Ziel und der
Zweck des Werkes Gottes in ihnen verwirklicht, indem Christus selbst
verherrlicht wird, ohne Ende.
Grüße
und Segen (V. 22-25): Der Schreiber schließt nun seinen Brief ab. Taktvoll
appelliert er an die hebräischen Leser: Ich bitte euch aber, liebe Brüder,
ertragt das Wort der Ermahnung. Einige von ihnen könnten geneigt sein, ihm
seine offene, freimütige Art, die Sache vorzubringen, übel zu nehmen, zumal ihr
Gewissen etwas unruhig war. Sein Brief, erklärt er, sei sicherlich kurz genug
gewesen; er habe sie absichtlich nicht ermüden wollen. Man beachte, dass er
sich nicht für ein einziges Wort entschuldigt, sondern dass sein Plädoyer eher
eine Ermahnung an sie ist, seine Worte mit Bedacht zu nehmen.
Was Timotheus betrifft, so teilt er ihnen mit, dass er nun frei ist, nachdem er einige Zeit im Gefängnis war, wahrscheinlich in Rom, und dass er die Absicht hat, mit Timotheus nach Palästina zu kommen und sie alle zu besuchen. Er deutet an, dass dieses Ereignis bald stattfinden wird. Er grüßt ihre Vorsteher, ihre Hirten oder Amtsträger, denn der Brief ist für alle Gemeinden in Judäa oder Palästina bestimmt und schließt alle Heiligen ein, alle Gläubigen, die Gott durch den Glauben geweiht sind. Er sendet Grüße von den christlichen Brüdern in Italien, denn die Gemeinschaft zwischen den Gläubigen war damals viel herzlicher als in unseren Tagen. Die allerletzten Worte des Briefes sind die übliche, aber keineswegs bedeutungslose Formel: Die Gnade sei mit euch allen! Jeder Mensch, der sich der Barmherzigkeit und der Liebe Gottes in Jesus Christus versichert und diese Botschaft im einfachen Glauben annimmt, hat Anteil an dieser Gnade und an allen Segnungen, die sie vermittelt, hier in der Zeit und im Jenseits in der Ewigkeit.
Zusammenfassung: Der inspirierte
Autor fügt dem lehrhaften Teil seines Briefes einige Ermahnungen allgemeiner
Art hinzu, eine Ermahnung, standhaft zu bleiben, die Schmach Christi zu
ertragen und ihn in ihr fürbittendes Gebet
einzuschließen; er schließt mit einigen persönlichen Bemerkungen und Grüßen.
A Entnommen aus: Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Nachdr. der 2., überarb. Aufl. St. Louis, Missouri. Bd. 14. Groß Oesingen: Verl. der Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms. 1987. Sp. 126-129
[1] Für V. 1-12 vgl.
Luther 12, 150-177
[2] Expositor’s Greek Testament, 4, 263
B
„Denn er nimmt nicht der Engel sich an,
sondern den Samens Abrahams nimmt er an sich“, wäre die sprachlich
angemessenere Übersetzung; aber aus dem Zusammenhang ergibt sich ganz klar,
dass die obige Wiedergabe die theologisch richtige und eindeutige ist.
[3] Expositor’s
Greek Testament, 4, 274
[4] Vgl. Concordia Triglotta, 403, Apol. XXIV (XII), 52-55
[5] Expositor’s Greek Testament, 4, 289
[6] Für V. 4-6 vgl.
Luther 7, 959
[7] Vgl.
Lehre und Wehre, 1919, 290-298
[8] Clarke, Commentary,
6, 739
[9] Vgl. Theological Quarterly,
XIII (1909), 219
[10] Luther,
12, 462
[11] Für
die Verse 11-14 vgl. Luther 12, 462-467; Homiletisches Magazin, XIV
(1890), 70-79
[12] Vgl.
Lehre und Wehre, 1919, 302-306; Concordia Triglotta,
1077. 1091, Konk.Formel, Ausf.
Erkl. XI, 42. 83
[13] Zum gesamten
Kapitel vgl. Synodalbericht, Iowa-Distrikt, 1898 und 1900.
[14] Luther, 2, 123;
vgl. Lehre und Wehre, 1919, 308-318
[15] Luther, 9, 475
[16] Concordia Triglotta, 449, Apol.
XXVIII (XIV), 20