Der erste Brief des Apostels Paulus an die Korinther

 

Luthers Vorrede auf die erste Epistel an die Korinther           

Einleitung                    

Kapitel 1                      

Kapitel 2                      

Kapitel 3                      

Kapitel 4                      

Kapitel 5                      

Kapitel 6                      

Kapitel 7                      

Kapitel 8                      

Kapitel 9                      

Kapitel 10                    

Kapitel 11                    

Kapitel 12                    

Kapitel 13                    

Kapitel 14                    

Kapitel 15                    

Kapitel 16                    

Kirchenzucht               

Ehestand                      

Wie ist die Pfingst- und charismatische Bewegung zu beurteilen?

Die Stellung der christlichen Frau, insbesondere als Mitarbeiterin in der

Kirche                          

 

Luthers Vorrede auf die erste Epistel an die Korinther

1522 und 1545A

 

    1. In dieser Epistel ermahnt St. Paulus die Korinther, dass sie sollen einträchtig sein im Glauben und in der Lehre und darauf sehen, dass sie das Hauptstück, nämlich dass Christus unser Heil ist, wohl lernen, an welchem sich alle Vernunft und Weisheit stoßen.

    2. Denn gleichwie jetzt zu unserer Zeit, so das Evangelium an den Tag gekommen ist, finden sich der tollen Heiligen viel (welche man Rottengeister, Schwärmer und Ketzer heißt), die allzu früh klug und gelehrt geworden sind, und können vor großer Kunst und Weisheit sich mit niemand gleich oder einträchtig halten: Einer will hier hinaus, der andere dort hinaus, als wäre es große Schande, wo nicht ein jeglicher etwas Besonderes vornähme und seine eigene Weisheit aufwürfe, welche niemand wiederum kann zu Narren machen, so sie doch im Grunde gar nichts von der rechten Hauptsache wissen noch verstehen, ob sie gleich mit dem Maul viel davon plaudern.

    3. So ging’s St. Paulus auch, da er seine Korinther hatte den christlichen Glauben und die Freiheit vom Gesetz gelehrt, fanden sich auch die tollen Heiligen und unzeitige Klüglinge, zertrennten die einträchtige Lehre und machten Spaltung unter den Gläubigen. Einer wollte Paulisch, der andere Apollisch, einer Petrisch, der andere Christisch sein. Einer wollte die Beschneidung haben, der andere nicht. Einer wollte die Ehe, der andere nicht. Einer wollte Götzenopfer essen, der andere nicht. Etliche wollten leiblich frei sein, etliche Frauen wollten in Haaren gehen und dergleichen; bis sie dahin gerieten, dass einer die Freiheit missbrauchte und nahm seine Stiefmutter zur Ehe, und etliche nichts von der Toten Auferstehung hielten, etliche nicht viel vom Sakrament; und ging wüst und ganz unordentlich zu, dass jeglicher wollte Meister sein und lehren und mit dem Evangelium, Sakrament und Glauben machen, was ihn gut dünkte. Und sie ließen dieweil das Hauptstück fein fahren und liegen, dass Christus unser Heil, Gerechtigkeit, Erlösung ist, als hätten sie es längst an den Schuhen zerrissen. Wie denn solch Stück nicht kann auf der Bahn bleiben, wo man beginnt zu klügeln und weise zu sein.

    4. Allerdings, wie es auch jetzt uns geht: Nachdem wir den Deutschen das Evangelium eröffnet haben, von Gottes Gnaden, da will auch ein jeglicher der beste Meister sein und den Heiligen Geist allein haben, gerade als wäre das Evangelium darum gepredigt, dass wir unsere Klugheit und Vernunft darin erzeigen und Ruhm suchen sollten, dass diese Korinther wohl könnten sein ein Exempel oder Beispiel unsern Leuten zu dieser Zeit, welche auch wohl eine solche Epistel bedürften. Es muss aber so sein, und soll dem Evangelium so gehen, dass tolle Heilige und unzeitige Klüglinge Rotten und Ärgernis anrichten, auf dass die Bewährten (wie hier St. Paulus auch sagt) offenbar werden.

    5. Darum straft und verdammt St. Paulus solche schädliche Weisheit gar ernst. Und er macht solche nasenweise Heiligen wieder zu Narren, spricht schlicht, dass sie nichts wissen von Christus noch von dem Geist und Gaben Gottes, uns in Christus gegeben, und sollen noch anheben zu lernen. Es müssen geistliche Leute sein, die es verstehen sollen. Weise sein wollen und Klugheit vorgeben im Evangelium, sei eben das rechte Ärgernis und Hindernis, Christus und Gott zu erkennen. Rotten und Zwietracht anzurichten, da mag die kluge Vernunft und Weisheit wohl zu dienen, dass eitel tolle Heilige und wilde Christen werden. Aber unsern HERRN Christus können sie nimmermehr erkennen, sie werden denn wiederum zu Narren und lassen sich demütig durchs einfältige Wort Gottes lehren und führen. Solches treibt er durch die ersten vier Kapitel.

    6. Im fünften straft er die große Unzucht des, der seine Stiefmutter genommen hatte, und will ihn in Bann tun und dem Teufel übergeben. Zeigt damit an, eine rechte Weise des Bannes zu gebrauchen, dass er mit Bewilligung der gläubigen Gemeinde gefällt soll werden über die öffentlichen Laster, wie auch Christus Matth. 18,17 lehrt.

    7. Im sechsten straft er das Hadern und Zanken vor Gericht, besonders vor den Heiden und Ungläubigen, und lehrt, dass sie untereinander selbst sollen die Sachen schlichten oder Unrecht leiden.

    8. Im siebten gibt er Unterricht von der Keuschheit und dem ehelichen Stand. Lobt die Keuschheit und Jungfrauschaft, dass sie nütze seien, des Evangeliums desto besser zu warten, wie Christus auch lehrt Matth. 19,12 von den Keuschen, die um des Evangeliums oder Himmelreichs willen keusch sind. Aber Paulus will sie unnötig und ungezwungen, und ohne Gefahr größerer Sünde gehalten haben; sonst sei besser freien als Keuschheit, die in stetiger Brunst steckt.

    9. Im achten bis aufs zwölfte behandelt er mancherlei Weise, wie man die schwachen Gewissen führen und halten soll in äußerlichen Sachen, als da sind Essen, Trinken, Kleider, Sakrament haben. Und wehrt allenthalben, dass die Starken nicht verachten sollen die Schwachen, da er selbst, ob er wohl ein Apostel sei, dennoch viel sich enthalten habe, da er wohl Recht zu hätte. Dazu sich die Starken wohl fürchten mögen, dieweil vor Zeiten in Israel so viel untergegangen sind, die doch allesamt durch Wunderwerk aus Ägypten geführt sind. Und macht daneben etliche Auszüge heilsamer Lehren.

    10. Im zwölften und dreizehnten behandelt er, wie mancherlei Gaben Gottes sind, unter welchen doch die Liebe das Beste sei, dass sie nicht sich erheben, sondern dienen sollen untereinander einmütig, dieweil es ist Ein Gott, Ein HERR, Ein Geist und alles Ein, wie mancherlei es auch sei.

    11. Im vierzehnten lehrt er die Prediger, Propheten und Sänger, dass sie ordentlich ihre Gaben gebrauchen und nur zur Besserung, nicht zu eigener Ehre, ihre Predigten, Kunst und Verstand vorgeben.

    12. Im fünfzehnten straft er die, so von der Auferstehung des Fleisches unrecht gelehrt und geglaubt haben.

    13. Im letzten ermahnt er sie zu brüderlicher Hilfe in zeitlicher Nahrung für die Dürftigen.

 

 

Einleitung

 

    Über diesen Brief schreibt Luther in seiner prägnanten Art: „In diesem Brief ermahnt Paulus die Korinther, dass sie im Glauben und in der Lehre einträchtig seien und darauf achten, dass sie dieses Hauptstück gut lernen, nämlich, dass Christus unser Heil ist, an dem alle Vernunft und Weisheit Anstoß nimmt.“[1]

    Der Verfasser dieses Briefes ist, wie er selbst sagt, der Apostel Paulus, Kap. 1,1: Er schreibt an die christliche Gemeinde in Korinth in Achaia. Paulus war auf seiner zweiten Missionsreise, Apostelgeschichte 18, 1, um 50 oder 51 n. Chr. in diese Stadt gekommen. Korinth war das Handelszentrum Griechenlands, aber auch eine Brutstätte der Korruption und des Lasters, „die Erbin einer glorreichen Geschichte, deren Denkmäler aus Metall und Marmor die Götter Griechenlands verherrlichten; die Mutter blühender Kolonien und die Hauptstadt der römischen Provinz Achaia; ein Zentrum des Welthandels, in dem es von Fremden und Arbeitern in verschiedenen Manufakturen wimmelte; eine Königin des Stils und des Luxus, die vor Wollust und Laszivität wimmelte, deren Götzendienst schreckliche Lüsternheit war, so dass der korinthische Brauch sogar unter den Heiden sprichwörtlich geworden war, um den Gipfel der Niedertracht zu bezeichnen; schwelgend im Reichtum und nebenbei voll des Elends missbrauchter Sklaven, auch berauscht von der Einbildung der Weisheit und dem Genuss der Kunst.“[2] Zu dieser schändlichen Berühmtheit trug nicht nur der Kosmopolitismus der Stadt bei, sondern auch die offene Weihe schamloser Unreinheit im Tempeldienst der Venus.

    Und doch hatte der Herr durch das Predigtwerk des Paulus eine christliche Gemeinde in dieser Stadt gegründet, Apg. 18, 7-11. Seine Bekehrten waren hauptsächlich Heiden, die größtenteils zu den ärmeren Schichten der Gesellschaft gehörten. Die Mitglieder der korinthischen Gemeinde waren, auch aufgrund ihrer Umgebung, etwas anfällig für Arroganz und Selbstüberschätzung, Kap. 1,17; 8,1, und hatten die Herrschaft der Sünden der Unkeuschheit noch nicht ganz abgelegt, Kap. 5,1-11; 6,15-18; 11,21. Nach anderthalb Jahren eines ausgesprochen segensreichen Dienstes setzte Paulus seine Reise fort, und der beredte Apollos nahm bald seinen Platz in Korinth ein, Apg. 18,24-19,1; 1. Kor. 3,5-9. Aber im Laufe der nächsten Jahre kamen auch einige Judenchristen nach Korinth. Diese Männer gehörten zur sogenannten judaisierenden Klasse, rühmten sich ihrer Nähe zu Petrus und Jakobus, bestanden auf der Einhaltung des Zeremonialgesetzes, stellten die Apostelschaft des Paulus in Frage und streuten auch sonst den Samen der Zwietracht aus. Aus diesem Grund und weil viele der korinthischen Christen durch den Glanz des Apollos übermäßig beeinflusst wurden, bildeten sich in der Gemeinde Fraktionen, die das gesamte Werk des Paulus zu stören suchten, 1. Kor 1,10-12; 3,3.4.21.22; 4,1-5; 11,18. Infolgedessen traten verschiedene Übel auf, wie Nachlässigkeit in der Gemeindezucht, Kap. 5,1-5; eine wachsende Gleichgültigkeit gegenüber den Sünden der Unkeuschheit, Kap. 6,9.13-19; Mitglieder der Gemeinde verklagten sich gegenseitig vor den Zivilgerichten, Kap. 6,1; die christliche Freiheit wurde durch die Teilnahme an Festen des Götzendienstes missbraucht, Kap. 8; 10,14-33; die Feier des Heiligen Abendmahls wurde durch Missbräuche und liebloses Verhalten entweiht, Kap. 11,17-22; die wunderbaren Gaben der Gnade wurden nicht immer zur Erbauung der Gemeinde verwendet, Kap. 12 und 14; einige leugneten sogar die Auferstehung der Toten, Kap. 15,12.

    Diese beunruhigenden Tatsachen waren Paulus zur Kenntnis gebracht worden, teils durch einzelne Mitglieder der korinthischen Gemeinde, 1. Kor 1,11; 5,1; 11,18; 15,12; teils durch einen Brief, den die korinthischen Christen an ihn gerichtet hatten, mit Fragen zum Zölibat, zur Ehescheidung, zum Verzehr von Fleisch aus heidnischen Opfern und zum Gebrauch der Gaben des Geistes. Alle diese Tatsachen veranlassten Paulus, seinen ersten Brief an die Korinther zu schreiben, den er am Ende seines dreijährigen Aufenthalts in Ephesus verfasste, Kap. 16,3.4. 8.19, wahrscheinlich um Ostern des Jahres 56. Der Brief wurde der Gemeinde in Korinth sehr wahrscheinlich durch ihre eigenen Vertreter, Stephanas, Fortunatus und Achaicus, Kap. 16,15-17, oder durch Timotheus, 1. Kor. 4,17; 16,10.[3]

    Der Inhalt des Briefes lässt sich kurz wie folgt zusammenfassen. Nach der Begrüßung und einer einleitenden Danksagung ermahnt Paulus die Korinther zur Einheit und tadelt ihre Zwistigkeiten und Spaltungen. Dann gibt er ihnen einige Anweisungen zur Kirchenzucht und rügt die Gleichgültigkeit, mit der die Mitglieder den Skandal in ihrer Mitte ungerügt weitergehen ließen. Er weist sie darauf hin, dass es nicht zulässig ist, dass Christen vor heidnischen Gerichten gegeneinander prozessieren, und gibt ihnen einige Informationen über das sechste Gebot und den Stand der Ehe. Er geht ausführlich auf die Pflicht zur Unterstützung des Dienstes ein, warnt vor fleischlicher Sicherheit und weist auf den richtigen Anstand in den kirchlichen Versammlungen hin, besonders bei der Feier der Eucharistie. Er belehrt sie über den Gebrauch der geistlichen Gaben zur Auferbauung der Gemeinde, gibt Anweisungen für die Kollekte, die für die armen Christen in Jerusalem gesammelt werden soll, und schließt mit Empfehlungen und Grüßen.

 

 

Kapitel 1

 

Begrüßung und Danksagung (1,1-9)

    1 Paulus, berufen zum Apostel Jesu Christi durch den Willen Gottes, und Bruder Sosthenes: 2 Der Gemeinde Gottes zu Korinth, den Geheiligten in Christus Jesus, den berufenen Heiligen samt allen denen, die anrufen den Namen unsers HERRN Jesus Christus an allen ihren und unseren Orten. 3 Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem HERRN Jesus Christus!

    4 Ich danke meinem Gott allezeit eurethalben für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus, 5 dass ihr seid durch ihn an allen Stücken reich gemacht, an aller Lehre  und in aller Erkenntnis 6 wie denn die Predigt von Christus in euch kräftig geworden ist, 7 so dass ihr keinen Mangel habt an irgendeiner Gabe und wartet nur auf  die Offenbarung unseres HERRN Jesus Christus, 8 welcher auch wird euch fest behalten bis ans Ende, dass ihr unsträflich seid auf den Tag unseres HERRN Jesus Christus. 9 Denn Gott ist treu, durch welchen ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres HERRN.

 

    Die Begrüßung der Gemeinde (V. 1-3): Wegen der besonderen Verhältnisse in Korinth zur Zeit seiner Niederschrift hält es Paulus für notwendig, sein Amt und die Art und Weise seines Amtsantritts zu betonen. Er ist berufen, auserwählt als Apostel Christi Jesu; er hat sich das Amt nicht angemaßt oder sich in seine heilige Verwaltung eingemischt, sondern er ist Apostel kraft einer besonderen Berufung durch den Herrn selbst. Und diese Berufung ist ihm auch durch den Willen Gottes zuteil geworden. Die Berufung Christi und der Wille Gottes haben zusammengewirkt, um ihm diese Auszeichnung zu verleihen. Nicht als Mitverfasser, sondern als Mitwirkender, als Zeuge und Befürworter des Inhalts des Briefes erwähnt Paulus Sosthenes. Ob dieser Mann mit dem in Apg. 18,17 genannten identisch war, lässt sich nicht feststellen; jedenfalls muss er in der Gemeinde in Korinth als Bruder im Herrn bekannt und geschätzt gewesen sein.

    Der Brief ist an die Gemeinde Gottes gerichtet, die sich in Korinth befand. Dieser Titel ist eine biblische Bezeichnung für ein göttlich versammeltes Volk, für ein Volk, das von Gott berufen oder auserwählt ist, seine besondere Nation zu sein, und, wie Chrysostomus sagt, ist es eine Bezeichnung nicht für Disharmonie, sondern für Einheit und Harmonie. In Korinth befand sich ein Teil der großen Gemeinde Gottes, derer, die er zu den Seinen erwählt hatte. Anmerkung: Obwohl Paulus sich völlig bewusst war, dass die Kirche im eigentlichen Sinne des Wortes unsichtbar ist, geht er in seiner Ansprache an die Korinther wohlwollend davon aus, dass sie alle Glieder der wahren Gemeinde des Herrn, der Gemeinschaft der Heiligen sind. Dies wird durch die Erklärung deutlich: Denen, die in Christus Jesus geheiligt sind, den auserwählten Heiligen. Paulus wendet sich an diejenigen, die geheiligt, von dem Bösen und Verderben ihrer Zeit und Stadt durch die Kraft des Evangeliums abgesondert worden sind, durch das sie die Erlösung durch das Blut Christi, die Vergebung der Sünden, erlangt haben. So wurden sie in Christus Jesus geweiht, so wurden sie als Heilige erwählt. Alle Gläubigen haben die Vereinigung mit Christus und das Heil durch Christus; sie haben Anteil an der Gerechtigkeit und Heiligkeit Christi durch den Ruf des Herrn im Evangelium, dem sie durch den Glauben Gehorsam geleistet haben. Im Übrigen sollten sich die Christen in Korinth stets der Tatsache bewusst sein, dass sie als Glieder des Leibes Christi in dieser innigsten Verbindung mit allen verbunden sind, die den Namen unseres Herrn Jesus Christus an jedem Ort anrufen, denn Christus ist überall der Herr und das Haupt der Kirche und steht in dieser Beziehung zu allen, die ihn als ihren Erlöser annehmen. Den Namen des Herrn anzurufen, ist ein Akt der göttlichen Anbetung, der aus dem Glauben an ihn erwächst, ist ein Ausdruck des vom Heiligen Geist gewirkten Glaubens. Der wahre Gläubige weiß, dass Christus der wahre Gott ist, und setzt dementsprechend sein Vertrauen auf ihn und erwartet zuversichtlich Hilfe von ihm als dem allmächtigen Gott, Kap. 12,3; Röm. 10,12.13; 15,6. Die Universalität, die wahre Katholizität der christlichen Kirche wird hier hervorgehoben.

    Der Apostel eröffnet seinen Brief mit seinem üblichen Gruß: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Die Gnade und Barmherzigkeit Gottes in Christus Jesus ist das größte Geschenk der Gläubigen; sie sind der Gunst Gottes durch die Erlösung Jesu gewiss. Und deshalb haben sie auch den Frieden mit Gott, den Frieden der Vergebung und der Versöhnung, der das geistliche Wohlergehen in allen Lebenslagen einschließt, die ruhige Gewissheit, das süße Bewusstsein, mit Gott versöhnt zu sein, die Gewissheit, dass wir Gott zum Freund haben und daher von ihm nur Gutes und Segen erwarten dürfen. Nichts anderes kann uns zuteil werden, da Gott unser Vater ist und nur unser größtes und höchstes Wohl will, und da Jesus Christus, der unsere menschliche Natur angenommen hat und unser Stellvertreter geworden ist, jetzt zum Herrn über alles erhoben ist; er ist das Haupt seiner Kirche und will schließlich alle Gläubigen zur ewigen Herrlichkeit führen. Man beachte, dass Jesus auch hier, wie an anderen Stellen in den Schriften des Paulus, mit dem Vater koordiniert ist.

 

    Die Danksagung des Apostels (V. 4-9): Trotz der Zustände, von denen Paulus wusste, dass sie in Korinth herrschten, musste er in ein Loblied der Dankbarkeit ausbrechen. „Die Verletzung der undankbaren Korinther war groß, aber ihre Undankbarkeit hat die Dankbarkeit des Paulus nicht verzehrt.“[4] Die Art und Weise, wie Paulus in diesem Fall handelte, ist übrigens ein schönes Beispiel dafür, dass die Liebe allen Dingen Glauben schenkt; denn er war sich sicher, dass die Missstände in der korinthischen Gemeinde nicht ihr wahres geistliches Wesen darstellten und dass seine Ermahnung bereitwillig beherzigt werden würde. Und deshalb war er stets damit beschäftigt, Gott zu danken, seine Barmherzigkeit zu segnen und zu preisen, was die korinthischen Christen betraf, für die Gnade Gottes, die ihnen in Christus Jesus gegeben wurde. Das war der Grund für seine ständige Danksagung. Trotz ihrer vielen Schwächen waren sie doch Gläubige; sie hatten von Gott seine Gnade als freies Geschenk in Christus Jesus empfangen und besaßen sie, ein Geschenk, das durch die Verdienste Christi in seinem stellvertretenden Amt ermöglicht wurde. „Das ist auch ein unaussprechlicher Schatz eines Christen, dass er gewiss zuerst das Wort Gottes hat, welches das Wort der ewigen Gnade und des Trostes ist, die Taufe, das Sakrament, das Verständnis der Zehn Gebote und des Glaubens, und darüber hinaus auch die sichere Zuflucht und Gewissheit, dass Er uns in der Not erhören wird, wenn wir Ihn anrufen wollen.“[5]

    Der Apostel zeigt nun, auf welche Weise die Gnade Gottes in den Herzen der korinthischen Christen einen praktischen Beweis ihrer lebendigen Kraft gegeben hat: Dass ihr in jeder Hinsicht reichlich gesegnet worden seid in ihm, nämlich in jedem Wort und in jeder Erkenntnis, in jeder Lehre und in jedem Verstand. „Das ist es, was der heilige Paulus ‚reich sein‘ nennt, zuerst ‚in aller Lehre oder Weisheit‘, das ist das hohe geistliche Verständnis des Wortes, das das ewige Leben betrifft, das heißt, der Trost des Glaubens an Christus, auch des Anrufens und Betens. Und ‚in allem Verstand‘, d.h. in der richtigen Kenntnis und Unterscheidung des gesamten äußeren physischen Lebens und Seins auf der Erde.“[6] Sie hatten den Weg zum ewigen Leben kennengelernt, sie waren erfüllt von dem Reichtum der Gewissheit der Gnade Gottes, und sie waren reich an allem Verstand, sie hatten Einsicht in die Wahrheit der Lehre Gottes in ihrer Anwendung auf das tägliche Leben, auf ihre Bedürfnisse in jedem Zustand des Lebens. Und die Fülle dieser Erkenntnis und dieses Verstehens stand bei ihnen im Verhältnis zu ihrer Annahme der Wahrheit des Evangeliums: So wie das Zeugnis von Christus in euch bestätigt wurde. Das Zeugnis von Christus, die frohe Botschaft Gottes über seinen Sohn, „die feststehende Wahrheit der Heilsbotschaft“, war in ihnen fest geworden; sie waren fest geworden, sie waren in der Wahrheit standhaft geblieben, ihre Herzen waren fest geworden, Hebr. 13,9, sie waren ihrer Wirklichkeit sicher. Wie damals, so ist auch heute diese Festigung im Zeugnis für Christus eine Sache seiner Gnade, ein Gegenstand des Gebets und ein Grund zur Dankbarkeit.

    Ein weiteres Ergebnis dieser Gnadengabe und der festen Verankerung des Evangeliums: Damit es euch an keiner Gabe mangelt. Den Christen in Korinth fehlte es an keiner Gnadengabe, die zur Auferbauung nötig war, durch die sie befähigt wurden, für den Herrn zu arbeiten durch Belehrung, durch Ermahnung, durch Leitung, durch Dienst. Keine Gemeinde der Frühzeit übertraf die von Korinth an der Vielfalt ihrer Gaben und der Zufriedenheit, die sie darin empfanden, Kap. 12,7-11. Die Gläubigen in jener heidnischen Stadt waren im Besitz solch reicher Ausstattungen, während sie sehnsüchtig auf das Kommen, die endgültige Offenbarung des Herrn Jesus Christus warteten. Sie empfingen die reiche Ausstattung mit Gnadengaben und setzten sie zum Nutzen der Arbeit für Christus ein, aber gleichzeitig waren ihre Herzen in sehnsüchtiger Erwartung auf ihre endgültige Erlösung gerichtet, Phil. 3,20; Titus 2,13; 2. Petr. 3,12. So ist das Herz eines jeden Gläubigen von Heimweh nach den himmlischen Wohnungen erfüllt; aber gerade diese Tatsache veranlasst ihn, im Interesse des Meisters zu arbeiten, solange es Tag ist, alle seine Gaben und Fähigkeiten im Interesse seines Herrn einzusetzen. In der Zwischenzeit weiß er, dass Christus, der Herr, uns bis zum Ende bestätigen und aufrichten wird, bis zum Ende der Welt, wenn dieses so nahe ist, oder bis zum Ende unseres Lebens, wenn der Herr uns vor seinem letzten großen Tag nach Hause ruft. Aber egal, wann der Tag kommen wird, er wird uns untadelig machen, so dass wir nicht mehr schuldig und unter der Verdammnis sind, Röm. 8,33.34. Diese Untadeligkeit der Christen besteht nicht in irgendwelchen Verdiensten ihrerseits, sondern darin, dass ihnen die Gerechtigkeit Christi durch den Glauben zugerechnet wird, Phil. 3,9. Der Grund für die Annahme eines jeden Gläubigen durch Gott wird somit auf die Seite Gottes und Christi allein gestellt, und die Verheißung wird mit so beruhigender Gewissheit gegeben, dass sie die Grundlage einer freudigen Hoffnung sein sollte, Johannes 10,27.28.

    Der letzte, der tiefste Grund der Hoffnung des Paulus auf die Rettung der korinthischen Christen ist die Treue Gottes: Treu ist Gott, durch den ihr auserwählt seid zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn. Unsere Hoffnung auf das ewige Leben gründet sich auf die Verheißung Gottes, der nicht lügen kann, Titus 1,2. Unsere Auserwählung zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, die Tatsache, dass wir durch ihn zum Glauben gebracht wurden und somit mit ihm in jener wunderbaren geistlichen Vereinigung von Gliedern seines Leibes vereint sind, ist sein ernsthaftes Zeichen für uns, dass unser Heil in seinen Händen sicher ist. Christus ist nur der Erstgeborene unter vielen Brüdern, und wir sind mit ihm Miterben der Segnungen des ewigen Lebens. Da er aber auch unser erhabener Herr ist, stattet uns unsere Gemeinschaft mit ihm mit seiner gegenwärtigen Größe aus und bescheinigt uns die Offenbarung seiner Herrlichkeit über uns. Der Glaube des Christen ist also keine vage und ungewisse Hoffnung, sondern beruht auf der Tatsache, dass er eine Garantie für die endgültige Vollendung seiner Hoffnungen erhalten hat. „Was Christus in dir begonnen hat und was er dir schon gegeben hat, darin wird er dich gewiss bis ans Ende und in die Ewigkeit bewahren, wenn du nur nicht willentlich davon abfällst und es von dir wegwirfst; denn sein Wort und seine Verheißung, die er dir gegeben hat, und sein Werk, das er in dir vollbringt, ist nicht wandelbar wie Menschenwort und Menschenwerk, sondern sichere, gewisse und göttlich unverrückbare Wahrheit. Da du also eine solche göttliche Berufung hast, so tröste dich darin und verlasse dich fest darauf.“[7] „So bezeugt auch die Heilige Schrift, dass Gott, der uns berufen hat, so treu ist, dass er, wenn er das gute Werk in uns begonnen hat, es auch bis zum Ende bewahren und vollenden wird, wenn wir uns nicht von ihm abwenden, sondern das begonnene Werk, zu dem er seine Gnade verheißen hat, fest bis zum Ende bewahren.“[8]

 

Eine Rüge der Spannungen in der Gemeinde (1,10-16)

    10 Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, durch den Namen unseres HERRN Jesus Christus; dass ihr alle einerlei Rede führt und lasst nicht Spaltungen unter euch sein, sondern haltet fest aneinander in einem Sinn und in einerlei Meinung. 11 Denn mir wurde erklärt, liebe Brüder, über euch durch die Leute der Chloe, dass Zank unter euch sei. 12 Ich sage aber davon, dass unter euch einer spricht: Ich bin paulisch; der andere: Ich bin apollisch; der dritte: Ich bin kephisch; der vierte: Ich bin christisch. 13 Wie? ist Christus nun zertrennt? Ist denn Paulus für euch gekreuzigt, oder seid ihr auf des Paulus Namen getauft? 14 Ich danke Gott, dass ich niemand unter euch getauft habe außer Crispus und Gajus, 15 damit nicht jemand sagen könne, ich hätte auf meinen Namen getauft. 16 Ich habe aber auch getauft des Stephanas Haushalt; danach weiß ich nicht, ob ich etliche andere getauft habe.”

 

    Der Apostel greift sogleich die Frage auf, die ihn in der Gemeinde von Korinth am meisten beunruhigt hat, nämlich die der drohenden Zerrüttung. Er bittet sie, er ermahnt sie, er bittet sie inständig, als Brüder, als seine Brüder und als Brüder untereinander. Er stützt sein Flehen auf die solideste Grundlage: Durch den Namen unseres Herrn Jesus Christus. Weil der Name, die Ehre Jesu, bei allen Handlungen der Christen eine Rolle spielt, müssen sie bei all ihren Handlungen doppelt vorsichtig sein. Die Heiligung des Namens Gottes und Christi erfordert, dass wir ihn jederzeit unbefleckt halten, unbefleckt von jeglichem Verhalten, das ihn in Ungnade bringen könnte. Deshalb bittet Paulus die Korinther, dass sie alle dasselbe sagen; es soll eine so vollkommene Übereinstimmung und Harmonie der Gefühle herrschen, dass in ihrem Glaubensbekenntnis vor den Menschen immer ihre Zustimmung zum Ausdruck kommt. Er fordert Einigkeit für die Einheit, nicht ein Ignorieren der grundlegenden Unterschiede durch zweideutige Bekenntnisse. Wenn ein Glaubensbekenntnis absichtlich so formuliert ist, dass es sowohl wahre als auch falsche Auslegungen einschließt oder zulässt, wird es der Sache der christlichen Harmonie nicht dienen. Paulus aber will die Einheit und den Zusammenschluss auf der Grundlage der Wahrheit, damit es unter ihnen nicht zu Spaltungen, Abspaltungen, Schismen und damit zu Trennungen kommt, obwohl sie in einer äußerlichen Organisation vereint sind. Stattdessen sollten sie gut und sicher eingestellt sein, zusammengehalten in einem Band vollkommener Einheit, in derselben Einsicht und in demselben Urteil. Sie sollen alle Bedingungen und Umstände, die den Glauben und die Arbeit der Kirche betreffen, richtig einschätzen und ihr Urteil auf dieses richtige Verständnis gründen; sie sollen ihre Meinung aus der richtigen Gesinnung heraus bilden, Apg. 4, 32. Wie die Christen im Glauben ein Herz sind, so sollen sie auch im Bekenntnis ein Mund sein. Wo es aber Meinungsverschiedenheiten gibt, die auf falsches Denken und Argumentieren zurückzuführen sind, da ist die vollkommene Verbindung und Harmonie aller Glieder der Kirche nicht möglich.

    Der Apostel nennt nun die Zeugen, auf deren Zeugnis er seine Ermahnung stützt: Denn es ist mir über euch, meine Brüder, von denen aus Chloes Haushalt bekannt gemacht worden, dass es unter euch persönliche Streitigkeiten gibt. Paulus hatte eine konkrete Information erhalten, sie war ihm als Tatsache offenbart worden. Chloe mag eine freie Frau gewesen sein, die zur Gemeinde in Ephesus gehörte, aber auch in Korinth bekannt war, deren Hausgenossen in der letztgenannten Stadt gewesen waren und ihren Bericht aus erster Hand überbrachten. Der Apostel wusste also um die persönlichen Streitigkeiten, die die korinthische Gemeinde zu zerrütten drohten; denn natürlich würde die Meinungsverschiedenheit zu Streitigkeiten führen, um die verschiedenen Meinungen durchzusetzen. Man beachte, dass Paulus trotz dieser Umstände die Christen in Korinth als seine Brüder anspricht. Der Apostel sagt, worin diese Zwistigkeiten bestanden: Ich meine aber dies, ich beziehe mich auf diese Tatsache, dass jeder von euch einzeln sagt: Ich bin von Paulus, ich aber von Apollos, ich aber von Kephas, ich aber von Christus. Wie die Korinther es in den Schulen ihrer heidnischen Philosophen sahen, so wandten sie es in ihrem Stolz und ihrer Selbstüberheblichkeit auf die christliche Gemeinde an: Sie bildeten Parteien und nannten sich nach dem Namen ihres Lieblingslehrers. Paulus war der erste Lehrer des Evangeliums in Korinth gewesen und hatte als Apostel der Heiden die Wahrheit mit aller Inbrunst gepredigt. Danach war Apollos gekommen, dessen brillante Rednergabe natürlich viele Mitglieder beeindruckt hatte. Diese beiden Lehrer betonten zweifellos die Universalität der Gnade Gottes in Christus, wie sie es tun mussten, um die Heiden für Christus zu gewinnen. Aber bald kamen die judaisierenden Lehrer, die das jüdische Zeremonialgesetz in allen Gemeinden einführen wollten und wahrscheinlich mit großer Plausibilität für ihre Position argumentierten. Und während der Streit auf seinem Höhepunkt war, bildete eine Reihe von Gliedern, die noch nicht involviert waren, ihre eigene Partei, die scheinheilig ihren Namen von Christus selbst übernahm und den anderen die wahre Jüngerschaft absprach. Das Ergebnis des ganzen Streits war, dass jede Partei für sich die einzig wahre Position beanspruchte und alle anderen verachtete. Man beachte, dass ein Merkmal der Bewegung das Festhalten an einem Namen war und dass sie ganz vom Parteigeist genährt wurde. Keine einzige von ihnen trat zur Verteidigung eines Grundprinzips der christlichen Wahrheit auf.

    Deshalb nimmt Paulus die Sache in aller Deutlichkeit in die Hand: Ist Christus geteilt? Ist Paulus für euch gekreuzigt worden, oder seid ihr auf den Namen des Paulus getauft worden? Ein geteilter Christus bedeutet einen Christus, der sich in Teilen aneignet, jedem sein bisschen, in diesem Fall in vier Teilen, wobei jede Fraktion seine Wahrheit für sich beansprucht. Das kann doch nicht die Absicht der korinthischen Christen sein; diesen Punkt haben sie in ihrem Streit sicher nicht bedacht! Und für Paulus steht der Gedanke im Vordergrund, dass seine Leser durch den Glauben an das Kreuz, an das Sühnopfer Christi, das ihnen in der Taufe besiegelt worden war, Glieder der Kirche geworden waren. Allein der Gedanke, dass Paulus für sie gekreuzigt worden sei, ist in seinen Augen ungeheuerlich. Und der Gedanke, dass irgendjemand von ihnen auf seinen Namen getauft und damit seiner Person geweiht worden wäre, ist seiner Demut vollkommen zuwider. „Die Tatsache, dass Paulus seinen Namen für alle anderen einsetzt, beweist, wie genial er gegen diesen ganzen Parteigeist war und wie demütig er darauf bedacht war, dass der Name Christi nicht durch seinen eigenen beeinträchtigt werden sollte.“[9] Er konnte es nicht ertragen, von denen auf ein Podest gestellt zu werden, die nicht allein auf das von ihm gepredigte Evangelium vertrauten, sondern sich mit der zweifelhaften Ehre rühmten, sich nach dem Namen eines so hervorragenden Predigers zu nennen.

    Mit einem Gefühl der Erleichterung ruft Paulus aus: Ich danke Gott, dass ich keinen von euch getauft habe außer Crispus und Gaius, damit nicht jemand sagt, dass ihr auf meinen Namen getauft seid. Ich habe aber auch das Haus des Stephanus getauft; aber sonst habe ich niemanden getauft, soweit ich weiß, V. 14-16. Weil ihm schon der Gedanke an einen auf persönlichen Vorlieben beruhenden Parteigeist schrecklich und abscheulich erscheint, betrachtet Paulus es als eine wahre Fügung der Vorsehung, dass so wenige Menschen von ihm persönlich in Korinth getauft worden sind. Crispus und Gaius gehörten zu seinen ersten Bekehrten, Apg. 18,8; Röm. 16,23, und jetzt, wo er daran dachte, erinnerte er sich auch daran, dass Stephanas mit seinem ganzen Hausstand die Taufe durch seine Hände empfangen hatte; aber er konnte sich an keinen anderen Fall erinnern. Und diese Tatsache, dass nur so wenige von ihm persönlich getauft worden waren, ist eine Quelle großer Genugtuung für ihn, damit nicht jemand unter den jetzigen Verhältnissen in Korinth den Vorwurf gegen ihn erhebt, er habe sie an seine Person binden und eine nach ihm benannte Partei bilden wollen. Man beachte die tiefe Demut des großen Apostels und die Vorsicht, mit der er sich ausdrückt, um nicht in Verdacht zu geraten.

 

Die Weisheit Gottes und die Torheit der Menschen (1,17-31)

    17 Denn Christus hat mich nicht gesandt zu taufen, sondern das Evangelium zu predigen, nicht mit klugen Worten, damit nicht das Kreuz Christi zunichte werde. 18 Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es eine Gotteskraft. 19 Denn es steht geschrieben: Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.

    20 Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weltweisen?  Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Torheit gemacht? 21 Denn weil die Welt durch ihre Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch törichte Predigt selig zu machen die, so daran glauben, 22 da die Juden Zeichen fordern, und die Griechen nach Weisheit fragen. 23 Wir aber predigen den gekreuzigten Christum, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit 24 Denen aber, die berufen sind, beide, Juden und Griechen, predigen wir Christus, göttliche Kraft und göttliche Weisheit. 25 Denn die göttliche Torheit ist weiser, als die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, als die Menschen sind.

    26 Seht an, liebe Brüder, euren Beruf: nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen. 27 Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden machte; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden machte, was stark ist; 28 und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, und was da nichts ist, damit er zunichte machte, was etwas ist, 29 damit sich vor ihm kein Fleisch rühme. 30 Von welchem auch ihr herkommt in Christus Jesus, welcher uns gemacht ist von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung, 31 damit (wie geschrieben steht), wer sich rühmt, der rühme sich des HERRN.

 

    Die Torheit der Botschaft des Evangeliums (V. 17-19): Der Apostel charakterisiert hier sein Amt und versucht, den korinthischen Christen klar zu machen, worin der Dienst des Evangeliums wirklich besteht. Er sagt von sich selbst, dass Christus ihn nicht gesandt und mit dem Amt eines Apostels betraut hat, um zu taufen, sondern um das Evangelium zu verkündigen. Die Ernennung zu diesem Amt schloss in der Tat die Aufgabe ein, die Taufe zu spenden, Matth. 28,19. Im Übrigen aber war das Werk der Verkündigung, das Zeugnis von Christus und seinem Sühnetod, die Hauptberufung des Apostels. Ohne das Wort des Evangeliums haben die Sakramente keine Wirkung. „Ohne das Wort Gottes ist das Wasser nur Wasser und keine Taufe.“ Die Aufgabe, das Sakrament der Taufe zu spenden, folgt aus der größeren Aufgabe, die Botschaft des Evangeliums zu verbreiten. „In dem Gebot der Verkündigung ist das Gebot der Taufe in der Weise enthalten, dass derjenige, der zur Verkündigung des Evangeliums berufen ist, auch zur Taufe befähigt ist; aber andererseits ist nicht jeder, der befähigt ist und das Recht hat, zu taufen, dadurch auch zum Predigen befähigt und berufen. Deshalb kann Paulus sagen, Christus habe ihn nicht zum Taufen gesandt, ohne damit die Taufe als Gnadenmittel zu entwerten. . . . Die eigentliche Durchführung der Taufhandlung, die zum Amt der Kirche gehört, Matth. 28,19, hätten die Apostel durch andere vollziehen können, Apg. 10,48; vgl. Joh. 4,1.2, die in diesem Dienst ihre Hände und die von Christus waren. Aber die Verkündigung des Evangeliums, durch die allein die Taufe ermöglicht wird, konnten sie zwar in Gemeinschaft mit anderen ausüben, aber sie konnten diese Aufgabe nicht persönlich unterlassen oder nur durch eine Abordnung von Predigern ausführen lassen, denn sie waren Trompeten in der Völkerwelt und Lichter in der Finsternis.“[10]

    Der Apostel zeigt nun, worin die wahre Kraft des Evangeliums besteht, zunächst von der negativen Seite her: Nicht in der Weisheit der Rede, nicht in der rhetorischen Argumentation der griechischen Philosophie, damit das Kreuz Christi nicht nichtig, wirkungslos wird. Die Verkündigung des Kreuzes in Worte menschlicher Weisheit zu kleiden, bei der Vermittlung seiner herrlichen Wahrheiten nach großer rednerischer Wirkung zu trachten, erweist nicht nur der Botschaft Christi keinen Dienst, sondern ist mit der größten Gefahr für das Evangelium behaftet, es richtet Schaden an; es schaltet die Kraft der göttlichen Botschaft aus. Der wahre Prediger des Evangeliums soll nicht in erster Linie als ein in der Kunst der Rhetorik geschulter Redner vor seiner Gemeinde stehen, sondern als ein Zeuge Christi, der Zeugnis ablegt von den großen Tatsachen, in denen und durch die Gott sich den Menschen offenbaren will. Die Lehre von der Rechtfertigung eines armen Sünders, deren Mittelpunkt das Kreuz von Golgatha ist, wird durch jede absichtliche Zurschaustellung von Kunst ihrer Wirksamkeit beraubt, die eher die Person des Boten als seine Botschaft in den Vordergrund stellt. In vielen modernen Kirchen, in denen das Evangelium Christi gelegentlich beiläufig erwähnt wird, neigt gerade das intellektuelle oder ästhetische Vergnügen, das die Zuhörer unter dem Einfluss der kunstvollen Beredsamkeit des Redners empfinden, dazu, den Einfluss des in der Botschaft des Predigers enthaltenen Evangeliums auszuschalten.

    Diese Behauptung stützt Paulus nun durch eine Tatsache aus der Erfahrung: Denn das Wort vom Kreuz ist denen, die verloren gehen, eine Torheit; uns aber, die wir gerettet werden, ist es eine Kraft Gottes. Das Wort vom Kreuz enthält den Bericht über all das, was am Kreuz für die ganze Welt getan wurde, die Botschaft von der Versöhnung durch das Werk des Erlösers am Kreuz. Und dieses Wort, dieses Evangelium, ist für die, die verloren gehen, die auf dem Weg in die Verdammnis sind, eine Torheit; dass sie es so betrachten, ist die Ursache ihres Verlorenseins; ihre Vernunft, ihre Weisheit, ihre ganze sündige Natur erhebt sich gegen eine Botschaft, die dem Stolz des Menschen so sehr widerspricht, und deshalb kommen sie nicht in den Genuss ihrer Zusicherung. Andererseits ist dieses Wort für die Geretteten, d. h. für uns Gläubige, die Kraft Gottes zur Rettung. Die Gläubigen aller Zeiten wissen, dass das Kreuz Christi, die Botschaft vom gekreuzigten Christus, eine rettende Kraft ist. In der Darlegung der Tatsachen der Erlösung der Welt liegt die Kraft des Evangeliums, nicht in der Art und Weise, wie ein Mensch sie darstellt. Und gerade die Tatsache, dass wir die Kraft des Wortes in unserem eigenen Herzen erfahren haben, ist für uns ein Zeugnis unserer Erlösung.

    Dass die Weisheit dieser Welt, wenn sie die Verkündigung des Evangeliums für eine Torheit hält, ihrer eigenen Verdammnis den Weg bereitet, führt Paulus mit einer Schriftstelle an: Ich will die Weisheit der Weisen verderben, und den Verstand der Klugen will ich vereiteln, Jes. 29, 14. Wie die Weisheit der Juden, die sich auf oberflächliche Schlauheit stützte, in den Tagen des Propheten zunichte gemacht wurde, wie ihre Heuchelei und ihre Lippenbekenntnisse zu ihrer Verwerfung führten, so wird die Weisheit dessen zunichte gemacht werden, der sich nach den Maßstäben dieser Welt für außerordentlich reich an Verstand hält und mit hochmütiger Überheblichkeit die Botschaft vom Kreuz verachtet. „Die heidnische und die jüdische Weisheit, die in der Verwerfung des Evangeliums vereint sind, stehen vor einem ähnlichen Zusammenbruch; und Paulus zieht eine eindringliche Warnung aus der heiligen Geschichte.“[11] Und die Warnung muss heute so eindringlich ertönen, wie sie jemals in der Weltgeschichte war.

 

    Gottes Torheit ist weiser, als die Menschen sind (V. 20-25): In einer Reihe von rhetorischen Fragen macht der Apostel deutlich, wie töricht die Weisheit dieser Welt im Vergleich zur Weisheit Gottes ist. Wo sind die Weisen? Wo sind all die Weisen der Welt mit all ihrer Weisheit? Was ist aus all den gelehrten Griechen geworden, deren Weisheit so hoch gepriesen wurde? Kein einziger Sünder hat sich jemals durch ihre Reden und Schriften bekehrt; kein einziger Mensch hat durch die Befolgung ihrer Verhaltensregeln das Heil erlangt. Wo ist der Schriftgelehrte? Was für die heidnischen Philosophen gilt, gilt auch für den jüdischen Schriftgelehrten und sein Beharren auf der Gerechtigkeit der Werke. All das ist falsche Weisheit und muss vor dem Licht der ewigen Wahrheit verschwinden. Wo ist der Disputator, der Rhetoriker dieser Welt? Die Männer, die sich ihrer Fähigkeit rühmten, Menschenmassen nach ihrem Willen zu beeinflussen, sie dazu zu bringen, das als richtig und wahr zu akzeptieren, was ihre Fähigkeiten ihnen diktierten, sind mit den anderen, die von intellektuellem Stolz erfüllt waren, verschwunden. Hat Gott nicht die Weisheit der Welt zum Narren gehalten? Für Gott war die Weisheit dieser Welt immer eine Torheit, aber durch die Offenbarung der himmlischen Weisheit im gekreuzigten Christus hat Gott die Weisheit dieser Welt als Torheit verurteilt und verdammt. Alles Wissen, das die Menschen seit Anbeginn der Geschichte erworben haben, alle Weisheit, die in zahllosen Köpfen gespeichert ist, alle vorherrschenden Ideen des gegenwärtigen Lebens sind eitel, wo die himmlische Weisheit fehlt, und völlig töricht, wenn sie versuchen, die Weisheit Gottes zu messen oder geistliche Dinge zu beurteilen. Dieser Gedanke wird vom Apostel noch weiter ausgeführt: Denn da die Welt in ihrer Weisheit Gott nicht erkannt hat, hat es Gott gefallen, durch die Torheit der Predigt die zu retten, die glauben. Obwohl die ganze Welt die Weisheit Gottes verkündet, obwohl seine Weisheit sowohl in den Werken der Schöpfung, Röm. 1,20, als auch in der Geschichte der Welt, Apg. 17,26, bewiesen wird, hat die Weisheit der Welt in all diesen weisen Plänen der Weltregierung versagt, die Erkenntnis Gottes zu gewinnen. Weil die Kinder der Welt weise geworden sind in ihren eigenen Vorstellungen, darum sind ihre törichten Herzen verfinstert worden, Röm. 1,21. Gott kann nicht durch intellektuelle Spekulationen begriffen werden, und alle Bemühungen der Philosophen, in das Geheimnis seines Wesens einzudringen, müssen zwangsläufig auf eine herbe Niederlage stoßen. Da nun die Welt mit ihrer eigenen Weisheit den Weg zur Weisheit Gottes nicht finden konnte, so gefiel es Gott nach dem Wohlgefallen seines Willens, die Menschen zur Erkenntnis seines Wesens auf einem Weg zu führen, der allein die sündige Menschheit zu ihm bringen kann. Durch das, was als Torheit der Predigt gilt, durch die Verkündigung einer Botschaft, die von den Weisen dieser Welt als unvernünftig verspottet wird, bringt Gott den Gläubigen das Heil. „Gottes souveräne Gnade rettet die bankrotte Weisheit des Menschen: Gott rettet durch den Glauben.“ Durch dieselbe Heilsbotschaft, die dem Menschen als Torheit erscheint, nimmt Gott die Einbildung dieser menschlichen Meinung weg und wirkt den Glauben in seinem Herzen.

    Auf welche Weise die Weisheit der Welt ihre eigenen Ziele vereitelt, erklärt der Apostel weiter: Denn da die Juden Zeichen fordern und die Griechen nach Weisheit trachten, so predigen wir Christus, den Gekreuzigten, V. 22.23. Das war bezeichnend für die Juden, dass sie sich nicht mit den Worten des Heils begnügten, sondern Zeichen vom Himmel verlangten, Joh. 4,48; Matth. 12,39; 16,4; ihre stolze Selbstgerechtigkeit ließ sich nicht so leicht unter dem Gehorsam Christi in Gefangenschaft bringen. Und für die Griechen war es charakteristisch, dass sie nach Weisheit strebten; sie wollten philosophische Beweise, logische Demonstrationen, sie wollten durch vernünftige Argumente überzeugt werden, Apg. 17,19; Kol. 2,4. Die Verkündigung des Kreuzes stand daher im entschiedenen Gegensatz zu beiden Positionen. Sie bot kein Zeichen, sondern verwies lediglich auf das größte Wunder, das je in der Welt gesehen wurde, den Tod und die Auferstehung Christi, Joh. 2,18.19; sie brachte keine vernünftigen Argumente, sondern predigte einfach den gekreuzigten Christus, verkündete die Erlösung der Menschheit durch die Verdienste dessen, der für alle gestorben ist. Dieser Christus ist in der Tat, wie er in dieser Botschaft offenbart wird, ein Ärgernis, ein Skandal für die Juden; sie wollen ihn nicht annehmen, und deshalb stürzen sie in ihrer Verbohrtheit über ihn wie über ein Hindernis, das ihnen in den Weg gelegt wird. Und für die Heiden im Allgemeinen, nicht nur für die Griechen, ist Christus, der Erlöser, eine Torheit; der Weg der Erlösung, wie er in der Heiligen Schrift gelehrt wird, ist für sie ein Wahnsinn. Denen aber, die von Gott berufen, von ihm in seiner großen Barmherzigkeit auserwählt sind, die den Ruf aus Gnaden gehört und befolgt haben, ob sie nun zum jüdischen oder zum griechischen Volk gehören, predigen wir Christus als die Kraft Gottes und als die Weisheit Gottes. In Christus ist die höchste, die herrlichste Macht Gottes, die seiner sühnenden und rettenden Liebe, offenbar geworden. Christus ist die Kraft Gottes für uns, weil er der Erlöser von Sünde, Tod und Teufel ist, weil er uns ewige Gerechtigkeit und Erlösung erworben hat, weil er uns durch seinen Geist Kraft aus der Höhe sendet. Und Christus ist für uns die Weisheit Gottes, weil wir in ihm die Fülle des geistlichen Verstandes haben, weil er die Finsternis unserer natürlichen Blindheit erhellen kann, weil er Mittel und Wege finden kann, uns sicher durch alle Versuchungen und Gefahren dieser Welt zu den ewigen Wohnstätten oben zu führen. Und dies wird noch weiter untermauert: Denn das, was bei Gott töricht ist, was der menschlichen Vernunft als eine törichte, schwache Politik erscheint, die Erlösung der Welt durch den Tod seines Sohnes am Kreuz, ist weiser als die Menschen. Alle Versuche der Menschen, einen Weg zur Barmherzigkeit Gottes und zur Seligkeit des Himmels zu finden, sind völlig gescheitert; aber der von Gott gewählte Weg, töricht, unvernünftig nach der Meinung der Menschen, erwies sich als der weise, der gangbare Weg. Und das, was in Gott schwach ist, was der törichten Vernunft des Menschen ganz und gar an innerer Kraft und Wirksamkeit zu fehlen schien, das ist stärker als die Menschen. Das ist das Geheimnis des Kreuzes, dass Christus im Sterben den Tod besiegt hat, dass in seiner Hingabe des Geistes der Tod im Sieg verschlungen wurde, 2. Kor 13,4. Dieselbe wunderbare Kraft ist der Kirche Christi verliehen worden, da sie inmitten aller Anfechtungen und Bedrängnisse, wenn sie fast besiegt und am Ende zu sein scheint, die göttliche Kraft hat, die sie stützt und zum endgültigen Sieg führt.

 

    Der Stand der Gläubigen (V. 26-31): Das wunderbare Wirken der Macht und Weisheit Gottes wird am Beispiel der korinthischen Christen selbst deutlich. Der Apostel fordert sie auf, ihre Berufung, den Akt der Berufung Gottes, in Bezug auf ihre eigenen Reihen ernsthaft zu betrachten. In ihrer Mitte gab es nicht viele, die nach dem Fleisch weise waren, nur wenige, die im Vergleich zu den Menschen dieser Welt einen hohen Wissensstand hatten; es gab nicht viele Mächtige, die aufgrund ihres Reichtums oder ihrer sozialen oder politischen Stellung in öffentlichen Angelegenheiten einflussreich waren; es gab nicht viele Adelige, Menschen, die von Geburt an einen aristokratischen Rang hatten. „Wenige intellektuelle Männer, wenige Politiker, wenige aus der besseren Klasse der freien Bürger nahmen das Christentum an.“ Das ist ein scharfer Kontrast: Aber die Toren der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zu beschämen. Die Christen gelten nicht nur als bigott, sondern tatsächlich als engstirnig und unfähig, ihr Denkvermögen richtig einzusetzen. Und die Schwachen der Welt hat Gott erwählt, um die Starken zu beschämen. Diejenigen, die zahlenmäßig alles andere als eine Macht in der Welt sind, bestimmen in vielen Fällen die Geschicke der Nationen. Und das Niedrige, das Niederträchtige der Welt und das völlig Verachtete hat Gott auserwählt, und das, was vor dem Stolz der Welt nicht existiert, woraus man absolut nichts macht, was man nicht für möglich hält, dass es irgendeine Bedeutung hat, um das, was im Urteil der Menschen etwas ist, nichtig zu machen, um es jeder Gültigkeit zu berauben. Seit der Zeit Christi sind die Gläubigen verachtet, geschmäht, ignoriert worden, und doch haben sie eine Kraft des Handelns und des Aushaltens gezeigt, die nicht durch vernünftige Vermutungen erklärt werden kann. Die Willkür der römischen Kaiser, die Tyrannei der mittelalterlichen Hierarchie, die Inquisition der Gegenreformation, alle so genannten gesicherten Ergebnisse der modernen Wissenschaft, die zu Unrecht so genannt werden, haben die Wahrheit und die Kraft des Evangeliums nicht überwinden oder überflüssig machen können. Denn es ist die Kraft Gottes, die in der Heilsbotschaft lebt, und es ist seine Gnade, die die Niedrigen erwählt hat. Und deshalb kann sich kein Fleisch, kein Mensch vor Gott rühmen. Wie weise, wie mächtig, wie reich die Kinder der Welt auch sein mögen, vor Gott können sie sich nicht rühmen. Kein Mensch kann sagen, dass er durch seine eigenen Bemühungen, seine Stellung oder seinen Wert etwas zum Erfolg des Evangeliums beigetragen hat. Und deshalb werden auch die Gefäße der Barmherzigkeit nie in Versuchung kommen, sich auf ihre eigene Eignung und ihre eigene Bereitschaft zu berufen, den Reichtum von Gottes Weisheit und Macht anzunehmen. Es ist alles die Barmherzigkeit der Erwählung Gottes, die Gnade der Berufung Gottes.

    Diesen Gedanken unterstreicht der Apostel zum Schluss: Aus ihm, aufgrund seiner Gnade und Kraft, seid ihr in Christus Jesus. Gott hat uns in die Gemeinschaft seines Sohnes, Jesus Christus, gebracht, weil wir durch seine Gnade geistliche Nachkommen Gottes sind und das Leben, das wir von Gott empfangen haben, in Christus begründet ist. Und was dieses Leben in Christus alles beinhaltet, zeigt der Apostel: Der uns von Gott zur Weisheit gemacht wurde, zur Gerechtigkeit sowie zur Heiligung und Erlösung. All dies ist uns durch den Glauben offenbart worden und durch den Glauben unser Eigentum geworden. Durch die Gnade Gottes ist uns Christus zur Weisheit geworden; in ihm und durch ihn ist uns das Geheimnis des göttlichen Heilsplanes erschlossen worden; in ihm und durch ihn erkennen wir Gott als unseren lieben Vater und haben durch diese Erkenntnis das ewige Leben, Joh. 17,3. Das wäre aber nicht möglich, wenn Christus uns nicht sowohl zur Gerechtigkeit als auch zur Heiligung geworden wäre, 2. Kor. 5,21; Jer. 23,5; Matth. 3,15; Gal. 2,16.17. Die Gerechtigkeit Christi ist uns zugerechnet worden, ebenso wie seine vollkommene Erfüllung des Gesetzes, und so ist unser ganzes Leben Gott geweiht, und jede Handlung ist ein Werk des göttlichen Dienstes. „Denn das ist die Regel Christi. Dazu ist er als Herr eingesetzt worden, damit er unter den Menschen solche Werke tue, sie rechtfertige und sie zur Gottesfurcht, zur Unschuld und zum Gehorsam zurückbringe, von denen wir im Paradies durch die List der Schlange abgefallen sind.“[12] Diese großen Wohltaten werden uns durch den Glauben zuteil, nicht weil der Glaube an sich ein Werk ist, das die Segnungen verdient, sondern weil er die von Gott gegebene Verheißung annimmt, dass er um Christi willen denen gnädig sein wird, die an ihn glauben.[13] Denn Christus ist unsere Erlösung; durch die Zahlung des Lösegeldes seines Blutes und seines Lebens hat er uns für immer aus der Macht aller unserer Feinde befreit; er hatte in sich selbst die Macht, diese Befreiung zu erreichen, 1. Thess. 1,10; Kol. 1,13.14. Und so haben wir in ihm die Garantie für die Herrlichkeit des ewigen Lebens, die uns am letzten Tag offenbart werden wird. Und das alles ist Gottes freies Gnadengeschenk, das jede Prahlerei unsererseits, jede Behauptung von Verdiensten vor ihm ausschließt. Wie es geschrieben steht: Wer sich rühmt, der rühmt sich des Herrn, Jer. 9,23.24. Man soll sich zwar rühmen und preisen, aber nur in Gott, als dem Urheber unseres Heils. Wo die Verkündigung des Kreuzes Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, Gottes Weisheit und Macht offenbart, soll nur ein Rühmen zu hören sein, nämlich dies: Alle Ehre sei Gott in der Höhe!

 

Zusammenfassung: Nachdem der Apostel seinen Brief mit einem Gruß eröffnet hat, dankt er Gott für die Offenbarung seiner Gnade, tadelt die korinthischen Christen für ihre Streitereien, die zur Bildung von Fraktionen geführt haben, und spricht ausführlich über die Weisheit und Macht Gottes, die im Evangelium offenbart werden.

 

 

Kapitel 2

 

Die Predigt vom Kreuz (2,1-16)

    1 Und ich, liebe Brüder, da ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch zu verkündigen die göttliche Predigt. 2 Denn ich hatte mich entschlossen, bei euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, und diesen als Gekreuzigten. 3 Und ich war bei euch mit Schwachheit und mit Furcht und mit großem Zittern. 4 Und mein Wort und meine Predigt waren nicht in vernünftigen Reden menschlicher Weisheit, sondern in Beweisung des Geistes und der Kraft, 5 damit euer Glaube bestehe nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.

    6 Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Obersten dieser Welt, welche vergehen; 7 sondern wir reden von der heimlichen, verborgenen Weisheit Gottes, welche Gott verordnet hat vor der Welt zu unserer Herrlichkeit, 8 welche keiner von den Obersten dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den HERRN der Herrlichkeit nicht gekreuzigt; 9 sondern wie geschrieben steht: Das kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz kommen ist, das Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.

    10 Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit. 11 Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, außer der Geist des Menschen, der in ihm ist? So auch weiß niemand, was in Gott ist, außer der Geist Gottes. 12 Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott gegeben ist.

    13 Welches wir auch reden, nicht mit Worten, welche menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Heilige Geist lehrt, und richten geistliche Sachen geistlich. 14 Der natürliche Mensch aber vernimmt nichts vom Geist Gottes; es ist ihm eine Torheit, und kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich gerichtet sein. 15 Der Geistliche aber richtet alles und wird von niemand gerichtet. 16 Denn wer hat des HERRN Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen? Wir aber haben Christi Sinn.

 

    Des Paulus Predigt geschah nicht in menschlicher Weisheit (V. 1-5): Paulus hat die Predigt von der Weisheit des Kreuzes gepriesen. Nun zeigt er, welches Interesse er in seiner eigenen Person und in seinem Amt an dieser Botschaft hat: Und auch ich, Brüder, als ich zu euch kam, kam nicht nach überragender Rede oder Weisheit. Wie bei den korinthischen Christen, denen Paulus den Ruf des Herrn überbracht hatte, so war es auch bei Paulus selbst; sie waren nicht weise oder einflussreich nach dem Maßstab dieser Welt und stimmten damit überein, dass auch er ohne Weisheit oder Kraft kam und nichts anderes im Sinn hatte als ihr geistliches Wohlergehen und die Herrlichkeit und das Lob des Herrn. Als er nach Korinth kam, trat er nicht in Übereinstimmung mit der Erwartung vor sie, die die Menschen in der Welt von ihm hatten, die ihn als einen Mann mit einzigartigen Fähigkeiten in der Redekunst und Weisheit ankündigten und auf einen glänzenden Erfolg in der großen Metropole vertrauten. Niemals war er sich auch nur einen Augenblick lang der Tatsache bewusst, dass er den Korinthern das Zeugnis Gottes verkündete. Das war das Thema, das war der Inhalt seines Zeugnisses und seiner Botschaft, und das schloss von Natur aus eine Demonstration von Beredsamkeit und Weisheit aus. Das Zeugnis über Christus und sein Heil ist nur dann von höchster Güte, wenn es in aller Einfachheit mitgeteilt wird.

    Und deshalb verkündet Paulus als Motto: Denn ich habe mir vorgenommen, unter euch nichts zu wissen als Jesus Christus und den Gekreuzigten; oder: Ich hielt es nicht für recht und billig, unter euch irgendeinen Beweis der Weisheit zu geben, sondern nur den, der Jesus Christus auf dem Höhepunkt seines stellvertretenden Werkes, als verurteilter Verbrecher auf Golgatha, betrifft. Paulus hätte die Ergebnisse seiner Studien, seine Kenntnisse auf dem Gebiet der Geschichte, der natürlichen Theologie und der philosophischen Systeme nutzen können, um sie den Korinthern vorzuführen. Aber all das verwarf er als unpassend und nicht geeignet, dem Evangelium zu dienen. Nur eine Tatsache wollte er den Korinthern vor Augen halten: die Kreuzigung Jesu Christi als Stellvertreter aller Menschen. „Was ist das für eine Prahlerei, dass er schreibt, er kenne nichts als den gekreuzigten Christus? Es ist eine Sache, die keine Vernunft oder menschliche Weisheit begreifen kann, auch nicht diejenigen, die das Evangelium schon studiert und gelernt haben; denn es ist eine Weisheit, die mächtig, geheim und verborgen ist und wie nichts erscheint, weil Er gekreuzigt wurde und alle Macht und Kraft der Gottheit aufgegeben hat, dort hängt wie ein elender, verlassener Mensch, und es scheint, als ob Gott ihm nicht helfen würde; von Ihm allein weiß ich zu sagen und zu predigen, sagt der heilige Paulus.“[14] Jesus Christus, der gekreuzigte Erlöser, ist das einzige Thema, das in der Verkündigung des Evangeliums nicht ausgeschöpft werden kann.

Nachdem das Thema oder der Gegenstand seiner Predigt verkündet wurde, beschreibt Paulus sich selbst als Prediger unter seinen Zuhörern und Lesern: Und ich kam und war unter euch in Schwachheit und Furcht und großem Zittern. Die Erfahrungen, die Paulus gerade in Thessalonich, Beröa und Athen gemacht hatte, bevor er nach Korinth kam, hatten ihn in einen Zustand tiefer Niedergeschlagenheit gebracht, Apg. 18,5.9. Und seine geistliche Schwäche wurde in diesem Fall noch durch seinen schwachen und gebrechlichen Körper verstärkt, 2. Kor. 10,1.10, der oft von Krankheiten geplagt wurde, Gal. 4,13.14. Er war sich immer bewusst, dass er für die Aufgabe, die vor ihm lag, nicht genügend Mittel zur Verfügung hatte, und war deshalb von Misstrauen und Schüchternheit geplagt, 2. Kor. 7,5. Zumindest nach seiner eigenen Meinung scheint Paulus das kühne Auftreten, die imposante Persönlichkeit gefehlt zu haben, die auf das durchschnittliche Publikum Eindruck macht. Aber gerade die Tatsache, dass er ohne alle künstlichen Hilfsmittel kam, diente als Folie, um die Qualität der Botschaft, mit der er betraut war, umso stärker hervorzuheben. Denn seine Rede und seine Verkündigung bestand nicht aus überzeugenden Worten der Weisheit; er bediente sich keiner philosophischen Argumentation, keiner rednerischen Tricks; er versuchte nicht, seine Botschaft durch die Kunstfertigkeit des geschulten Dialektikers plausibel zu machen. Aber gerade deshalb wurde die Botschaft des Apostels in der Demonstration des Geistes und der Kraft überbracht; der Heilige Geist gab durch die Predigt des Paulus die Demonstration seiner Kraft, 1. Joh. 5,6; es war die Kraft Gottes, die auf die Herzen der Zuhörer ausgeübt wurde, als Paulus seine Botschaft überbrachte, 1. Thess. 1,5. So wird die Demonstration des Geistes derjenigen der bloßen Worte und die Demonstration der Macht derjenigen der bloßen logischen Argumentation gegenübergestellt. Damit wollte Paulus erreichen, dass der Glaube seiner Zuhörer nicht auf die Weisheit der Menschen, sondern auf die Kraft Gottes gegründet wird. Hätten sie seiner Lehre nur als einem schönen philosophischen System zugestimmt, das vieles enthielt, um es plausibel zu machen, so wäre ihr Glaube auf tückischem Sand geruht. Paulus wollte daher ihre Herzen und Gedanken auf die Kraft Gottes lenken, durch die sie berufen, gesammelt, erleuchtet und geheiligt worden waren, damit Gott allein im Glauben der Korinther verherrlicht werde. So hat Paulus den Beginn seines Dienstes in Korinth in Bezug auf seine Haltung, sein Thema, sein persönliches Empfinden, seine Methode und sein Ziel beschrieben.

 

    Das Evangelium selbst ist wahre Weisheit (V. 6-9): Der Apostel hatte gesagt, dass sein Evangelium nach den Maßstäben dieser Welt eine Torheit ist, aber er macht immer wieder deutlich, dass es Weisheit ist, Gottes Weisheit: Und doch ist es Weisheit, von der wir bei den Erwachsenen, bei den Reiferen, die es verstehen können, den Gläubigen, sprechen. Mögen andere Menschen die Verkündigung des Kreuzes als unvernünftig und unsinnig abtun, diejenigen, deren Herz und Verstand der Geist durch den Glauben vorbereitet hat, sind fähig, ihre unaussprechliche Weisheit zu verstehen. Aber es ist keine Weisheit dieser vergänglichen Welt noch der Herrscher dieser Welt, die vergehen. Die Weisheit des Evangeliums hat nichts gemein mit den Ergebnissen philosophischer Studien und Forschungen, wie sie so oft verkündet werden. Alle großen intellektuellen Errungenschaften des Menschen werden das Schicksal der weltlichen Herrscher dieser Welt teilen: Sie werden vergehen, ihre Weisheit und ihre Macht werden zunichte gemacht werden. Vielmehr ist es so, dass wir, Paulus und alle wahren Prediger des Evangeliums, die Weisheit Gottes in einem Geheimnis verkünden; die Botschaft Gottes ist ein göttliches Geheimnis, das nur der Geist Gottes offenbaren kann, Eph. 3,3, das der menschlichen Vernunft verborgen und unverständlich bleibt, bis Gott seine Herrlichkeiten und seine Macht erschließt. Es ist diese Weisheit, die Gott vor den Zeiten, vor Grundlegung der Welt und vor Beginn der Zeit zu unserer Herrlichkeit vorherbestimmt hat. Der gesamte Heilsplan wurde von Gott von Ewigkeit her bestimmt, und sein letztes Ziel und sein Zweck, wie er von Jesus Christus ausgeführt wurde, ist die letzte Herrlichkeit, die den Gläubigen im Himmel offenbart werden soll. Von dieser Herrlichkeit haben wir einen Vorgeschmack und eine Garantie in den Segnungen des Evangeliums in der gegenwärtigen Zeit.

    Die Botschaft des Evangeliums mit all ihren herrlichen Vorteilen ist für alle Menschen ohne Ausnahme bestimmt, aber sie wird nur in den Gläubigen verwirklicht, wie Paulus durch den Kontrast zeigt: Welche Weisheit keiner der Herrscher dieser gegenwärtigen, vergänglichen Welt kannte; denn wenn sie sie gekannt hätten, wenn sie ein richtiges Verständnis und eine richtige Vorstellung von ihren Herrlichkeiten gehabt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. Hätten die Führer der Juden und Pilatus auch nur eine Ahnung von der Wahrheit des Evangeliums, von der Heilsbotschaft, wie sie in Jesus Christus verkörpert war, gehabt; hätten sie den Zweck seines Werkes verstanden und erkannt; wären sie sich des herrlichen Gewandes des Herrn Jesus bewusst gewesen, als er vor ihnen stand, dann hätten sie ihn nicht zum Tod am Kreuz verurteilt. Beachten Sie, dass die Bezeichnung „Herr der Herrlichkeit“ hier auf Christus gemäß seiner menschlichen Natur angewandt wird. „Darum hat der Sohn Gottes wahrhaftig für uns gelitten, jedoch nach der Eigenschaft seiner menschlichen Natur, die er in die Einheit seiner göttlichen Person aufgenommen und sich zu eigen gemacht hat, damit er leiden und unser Hoherpriester sein kann zu unserer Versöhnung mit Gott.“[15] „Darum ist der Gott gekreuzigt worden und gestorben, der Mensch geworden ist; nicht der getrennte Gott, sondern der mit der Menschheit vereinigte Gott; nicht nach seiner Gottheit, sondern nach der menschlichen Natur, die er angenommen hat.“[16]

    Die Tatsache, dass diese Weisheit des Evangeliums absolut jenseits des Verständnisses und der Einsicht des natürlichen Menschen liegt, ganz gleich, welche Bildung er erworben hat, ganz gleich, welche Stellung er einnimmt, wird durch eine Stelle aus dem Alten Testament belegt: Was das Auge nicht gesehen und das Ohr nicht gehört hat und was nicht in das Herz des Menschen gekommen ist, das hat Gott denen bereitet, die ihn lieben, Jes. 64,4. Die Stelle ist dem Adventsruf und der messianischen Prophezeiung entnommen, die die unaussprechliche Herrlichkeit des verheißenen Heils zu schildern versucht. Keinerlei Sinne, kein Verstand und kein Herz können die Herrlichkeit, die unaussprechliche Glückseligkeit begreifen, die in der Verkündigung der Erlösung enthalten ist, wie sie denen offenbart wird, deren Herz die Gabe des Glaubens empfangen hat und sich in glühender Liebe Gott zuwendet. Es ist eine in früheren Zeitaltern ungeahnte, allen Menschen von Natur aus unbekannte Herrlichkeit des Segens, die den Gläubigen in vollem Umfang zuteil wird. Das Heil wird nicht durch den Glauben des Menschen vollendet, aber seine wunderbaren Zusicherungen werden angeeignet. „Nicht als ob wir Gott vorher geliebt hätten, hat Gott in seiner ewigen Weisheit der Liebe uns das Heil bereitet, sondern weil er aus reiner Gnade das bereitet hat, wovon unsere Vernunft keinen Begriff oder die leiseste Ahnung hat, darum hat seine Liebe zu uns durch den Ruf des Evangeliums Liebe in unseren gläubigen Herzen entzündet, und als solche, die ihn im Gehorsam gegen sein Wort lieben, hat er sich selbst und seine Gaben, die volle Vorbereitung unseres Erbes, uns durch seinen Geist offenbart.“[17]

 

    Die Offenbarung des Geistes (V. 10-12): Während die Haltung der Herrscher dieser Welt, sowohl der intellektuellen als auch der weltlichen, durch einen völligen Mangel an Verständnis für die großen Dinge Gottes gekennzeichnet ist, hat er sie uns, die wir ihn lieben, durch den Geist offenbart. Der Geist ist das Werkzeug und der Agent Gottes, um die richtige Erleuchtung in unsere Herzen zu bringen. Bei den Aposteln wirkte der Geist durch direktes oder unmittelbares Wirken, als sie mit dem Werk der Verkündigung des Evangeliums beschäftigt waren, Gal. 1,12; 1. Petr. 1,12; und seit ihren Tagen kommt die Offenbarung zu uns durch die Predigt, die auf dem Wort der Apostel beruht, Hebr. 2,3. Dieses Werk der Offenbarung des Heilsweges kann durch den Geist geschehen; es ist die besondere Funktion des Geistes, denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes. Er hat Zugang zu den innersten Gedanken und Plänen Gottes und ist mit ihnen vertraut. Und was er entdeckt hat, teilt er uns mit. Die unerforschlichen, unergründlichen, bodenlosen Tiefen des Wesens Gottes, in denen der gnädige Wille Gottes zum Heil der Menschen verborgen liegt, hat der Geist uns kundgetan. Anmerkung: Da der Geist Zugang zu den innersten Geheimnissen Gottes hat, muss er das göttliche Wesen sein, er muss der wahre Gott sein. Diese Tatsache wird durch den Vergleich, den der Apostel einführt, deutlich gemacht: Denn wer unter den Menschen kennt die Dinge eines Menschen, seine Gedanken und Vorhaben, wenn nicht der Geist des Menschen, der in ihm ist? Niemand kann die innersten Gefühle und Wünsche eines anderen kennen, es sei denn, dieser offenbart sich ihm durch Wort oder Zeichen. So hat auch niemand durch Suchen, durch Erforschen Gott herausgefunden, hat Zugang zu seinen Absichten und Plänen; nur der Geist Gottes hat dieses Wissen und kann ihn daher offenbaren und tut es auch.

    Der Apostel wendet diese Tatsache an: "Wir aber haben nicht den Geist der Welt empfangen. Das ist der Geist, dessen Weisheit Gott als Torheit erwiesen hat, der Geist, der immer wieder bereit ist, den Herrn zu kreuzigen, der Geist, der verfinstert und verblendet ist gegen den Verstand Gottes. Unser Geist ist vielmehr der Geist, der uns von Gott geschenkt wurde, der Geist der geistlichen Erleuchtung. Und das Ergebnis ist, dass wir die Gaben, die Gott uns in seiner wunderbaren Gnade und Barmherzigkeit geschenkt hat, kennen, dass wir ein klares, unerschütterliches Wissen darüber haben. Alle diese Gaben sind in Christus enthalten und durch die Erlösung Christi möglich geworden. Diese Gaben, so wunderbar sie auch sind, wären für uns nutzlos gewesen, wenn der Geist uns nicht die Augen des Verstandes geöffnet hätte, um die unverdiente Gunst Gottes in Christus durch den Glauben zu sehen und anzunehmen. Beachten Sie, dass der Apostel den Besitz dieser Gaben nicht von unserem Gefühl abhängig macht, sondern von der Erkenntnis, die uns der Geist durch das Wort vermittelt.

    Das Wort und die geistliche Urteilskraft (V. 13-16): Der Apostel bezieht sich nun besonders auf sein Amt und stellt die anderen Apostel in eine Reihe mit sich selbst. Sie kennen die großen Dinge Gottes, und deshalb sagen sie sie, verkünden sie. Und dieses Reden geschieht nicht in Worten, die von menschlicher Weisheit gelehrt sind, nicht nach den Regeln weltlicher Redekunst und Logik, sondern in Worten, die vom Geist gelehrt sind. Paulus macht damit deutlich, dass nicht nur seine Gedanken, sondern auch seine Worte vom Geist gelehrt wurden; er bejaht für sich und seine Mitapostel die Verbalinspiration. In den richtigen Worten der Heiligen Schrift finden wir den klaren und richtigen Sinn Gottes. Und die Worte stimmen genau mit dem göttlichen Inhalt überein, denn Paulus sagt, dass sie geistliche Dinge neben geistliche Dinge stellen und die geistliche Wahrheit mit der geistlichen Formulierung übereinstimmt. In der Lehre des Apostels gibt es eine vollkommene Harmonie zwischen dem Inhalt und dem Ausdruck in Worten, mit der Form der Rede, wie sie seinen Lesern präsentiert wird. Die Sprache der Heiligen Schrift gibt die Gedanken Gottes, wie er sie uns zu unserem Heil mitteilen wollte, korrekt wieder. Die Bibel legt uns also die Gedanken und die Lehre Gottes klar vor Augen, und es ist nicht nötig, in irgendeinem ihrer Teile menschliche Weisheit hinzuzufügen.

    Im Gegensatz dazu verweist Paulus auf den Ungeistlichen: Der natürliche Mensch aber nimmt die Dinge des Geistes Gottes nicht an; der Unerweckte lehnt selbst im besten Fall die Gaben und Wohltaten ab, die der Heilige Geist ihm schenken will; er ist nicht nur neutral, apathisch, sondern offen feindselig: Er will nichts mit ihnen zu tun haben. Sie sind für ihn eine Torheit, und er kann sie nicht wahrnehmen, denn die Einschätzung des Menschen muss von der geistigen Seite her erfolgen. Wo also nicht ein Funken Geistigkeit ist, wo der Geist Gottes nicht die Wiedergeburt zu wirken vermochte, dort wird das Urteil eines jeden Menschen auf der völligen Sinnlosigkeit der Botschaft des Evangeliums bestehen. „Das Evangelium erscheint vor den natürlichen Menschen auf dem Prüfstand; wie die athenischen Philosophen hören sie es zum ersten Mal an, aber sie haben kein Organon (Regel der Führung), an dem sie es prüfen könnten. Die Untersuchung wird gleich zu Beginn durch die Unfähigkeit der Geschworenen vereitelt. Die ungeistlichen Menschen sind als Religionskritiker untauglich; sie sind taube Menschen, die über Musik urteilen.“ „Der natürliche Mensch nimmt die Dinge des Geistes nicht an (oder, wie das griechische Wort richtig heißt, begreift nicht, versteht nicht, nimmt nicht an), das heißt, er ist nicht fähig, geistliche Dinge zu verstehen; denn sie sind ihm Torheit, und er kann sie nicht erkennen. Noch viel weniger wird er dem Evangelium wahrhaftig glauben oder ihm zustimmen und es als Wahrheit ansehen.“[18]

    Anders verhält es sich mit dem Gläubigen: Der geistliche Mensch aber schätzt alles ein, prüft alles. Weil der Gläubige vom Geist durchdrungen ist und von ihm geleitet wird, wird sich sein Urteil, das vom Geist geleitet wird, auf alles erstrecken. Er kann seine Gedanken, Worte und Taten richtig einschätzen und beurteilen, ob sie sündhaft sind oder mit dem Wort und dem Willen Gottes übereinstimmen; er kann sich ein richtiges Urteil über die verschiedenen Bedingungen und Umstände im Leben bilden, ob bestimmte Dinge in die Kategorie der gleichgültigen Dinge gehören oder ob sie als sündhaft bezeichnet werden müssen; er kann sein Gewissen so leiten, dass es sich vor Fehlern in die eine oder andere Richtung hütet, vor Laxheit oder Strenge. Und bei der Ausübung dieser Funktion seines geistlichen Lebens steht der geistliche Mensch selbst nicht unter dem Urteil eines Menschen. Er kann die Kritik der Welt gut ertragen, weil sie ihn nicht in der Wahrheit trifft. Mit dem Wort Gottes und einem guten Gewissen auf seiner Seite kann es sich der Christ leisten, der ganzen Welt ins Gesicht zu schauen, denn er steht über Kritik und Verachtung. Er kann so fest auf der Grundlage stehen, die allein wahr ist, dass er mit Paulus ruhig sagen kann: Denn wer hat den Sinn des Herrn erforscht, Jes. 40,13; wer hat erforscht und untersucht, was der Herr denkt, um ihm Anweisungen zu geben? Kein Mensch ist je in die unergründliche Weisheit eingedrungen, die in Gottes Heilsplan zum Ausdruck kommt. Jeder, der versucht, ein Urteil über geistliche Personen zu fällen, maßt sich an, ein Ratgeber des Herrn zu sein; jeder, der sich bemüht, die Worte der Lehre des Geistes zu korrigieren, maßt sich an, ein Lehrer Gottes zu sein. Allen fleischlich gesinnten Kritikern können wir Christen daher die Stirn bieten: Was uns betrifft, so haben wir den Geist Christi. Christus lebt in uns, und sein Geist beherrscht unseren Geist und befähigt uns, alle Verhältnisse und Umstände richtig einzuschätzen, dass wir aber auch das Kreuz von Golgatha und das ganze Evangelium nicht mit natürlichen, sondern mit geistlichen Augen sehen, dass wir die Fülle aller Weisheit in dem Geheimnis Christi, des Gekreuzigten, finden. „Wir haben den Geist Christi. Das ist, wie oben gesagt, so zu verstehen, dass wir das, was zu unserem Heil dient, erkennen und herausfinden können. Dieser Sinn und Verstand ist der Glaube, dass der geistliche Mensch ohne alle Werke, allein durch das Wort gerettet wird; danach kann er auch alles beurteilen, was richtig oder falsch ist; so kennt er auch alle Gedanken und Ränke des Teufels und wogegen sie gerichtet sind, nämlich dass er den Glauben und das Wort Gottes und alles, was zum Heil notwendig ist, unterdrücken und ausrotten will: das alles weiß er. Der Verstand besteht also vor allem darin, dass ich den Willen Gottes kenne, was ihm gefällt, damit ich sagen kann, ob eine Sache richtig ist oder nicht.“[19]

 

Zusammenfassung: Der Apostel zeigt, in welchem Geist er nach Korinth gekommen ist, beweist, dass das Evangelium die Weisheit des Geheimnisses Gottes ist, und erklärt, wie der Geist dieses Geheimnis durch Verbalinspiration im Evangelium offenbart und so die Gläubigen befähigt, sich ein richtiges Urteil über alle menschlichen Zustände und Angelegenheiten zu bilden.

 

 

Kapitel 3

 

Rüge des geistlichen Stolzes (3,1-23)

    1 Und ich, liebe Brüder, konnte nicht mit euch reden wie mit Geistlichen, sondern wie mit Fleischlichen, wie mit Kleinkindern in Christus. 2 Milch habe ich euch zu trinken gegeben und nicht Speise; denn ihr konntet noch nicht; auch könnt ihr jetzt noch nicht, 3 dieweil ihr noch fleischlich seid. Denn da Eifer und Zank und Zwietracht unter euch sind, seid ihr denn nicht fleischlich und wandelt nach menschlicher Weise?

    4 Denn so einer sagt: Ich bin paulisch, der andere aber: Ich bin apollisch, seid ihr denn nicht fleischlich? 5 Wer ist nun Paulus? Wer ist Apollos? Diener sind sie, durch welche ihr seid gläubig worden, und dies wie der HERR einem jeglichen gegeben hat. 6 Ich habe gepflanzt, Apollos hat begossen, aber Gott hat das Gedeihen gegeben. 7 So ist nun weder der da pflanzt, noch der da begießt, etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt. 8 Der aber pflanzt und der da begießt, ist einer wie der andere. Ein jeglicher aber wird seinen Lohn empfangen nach seiner Arbeit.

    9 Denn wir sind Gottes Mitarbeiter; ihr seid Gottes Ackerwerk, Gottes Bauwerk. 10 Ich von Gottes Gnaden, die mir gegeben ist, habe den Grund gelegt als ein weiser Baumeister; ein anderer baut darauf. Ein jeglicher aber sehe zu, wie er darauf baue. 11 Einen andern Grund kann zwar niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.

    12 Wenn aber jemand auf diesen Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu, Stoppeln, 13 dann wird eines jeglichen Werk offenbar werden; der Tag wird’s klar machen. Denn es wird durchs Feuer offenbar werden, und welcherlei eines jeglichen Werk sei, wird das Feuer bewähren. 14 Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn empfangen. 15 Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er dadurch Schaden leiden; er selbst aber wird selig werden, aber doch wie durchs Feuer.

    16 Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid, und der Geist Gottes in euch wohnt? 17 So jemand den Tempel Gottes verderbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig; der seid ihr. 18 Niemand betrüge sich selbst! Welcher sich unter euch dünkt, weise zu sein, der werde ein Narr in dieser Welt, dass er möge weise sein. 19 Denn dieser Welt Weisheit ist Torheit bei Gott. Denn es steht geschrieben:  Die Weisen erhascht er in ihrer Klugheit. 20 Und abermals: Der HERR weiß der Weisen Gedanken, dass sie vergänglich sind.

    21 Darum rühme sich niemand eines Menschen! Es ist alles euer, 22 es sei Paulus oder Apollos, es sei Kephas oder die Welt, es sei das Leben oder der Tod, es sei das Gegenwärtige oder das Zukünftige: alles ist euer. 23 Ihr aber seid Christi; Christus aber ist Gottes.

 

    Die Merkmale des fleischlichen Menschen (V. 1-3): Paulus hat den Christen in Korinth die wunderbaren Segnungen vor Augen geführt, die allen Gläubigen durch das Evangelium zuteil werden und die von ihnen in der richtigen Weise genutzt und ausgeübt werden sollten. Zu seinem großen Bedauern muss er feststellen, dass die Korinther, an die er sich wendet, noch nicht dem Standard entsprechen, der bei denen zu finden sein sollte, die das richtige Verständnis haben. Aber um sein Vertrauen in sie zu zeigen, spricht er sie auch in diesem Abschnitt als „Brüder“ an. Seine Worte sind hart, denn er verbindet seine Zurechtweisung mit der Feststellung, dass der natürliche Mensch die Dinge des Geistes Gottes nicht annimmt: Und so konnte ich auch nicht zu euch reden wie zu Geistlichen, sondern wie zu Fleischlichen, wie zu Unmündigen in Christus. Er deutet an, dass er zu diesem Zeitpunkt hätte erwarten können, dass er sie als Menschen ansprechen könnte, die in allen Dingen vom Geist Gottes geleitet werden. Stattdessen sieht er sich jedoch gezwungen, zu ihnen als Menschen zu sprechen, die den Gedanken des Fleisches folgen, die von ihrer unerneuerten Natur, vom alten Adam, beherrscht werden. Zu kleinen Kindern, zu wahren Säuglingen in Christus, muss er reden. Man beachte, wie der Zusatz "in Christus" die Härte des Tadels abmildert und an die bessere Erkenntnis der korinthischen Christen appelliert. Aber der Tadel bleibt bestehen: Sie sind zwar Kinder Gottes in Christus, aber noch ohne die Erfahrung und Reife, die man mit Recht von ihnen erwarten kann. Diesen Gedanken unterstreicht er mit einem eindringlichen Vergleich: Milch habe ich euch zu trinken gegeben, nicht feste Speise; denn ihr wart ihr noch nicht gewachsen. Er war verpflichtet, ihnen während der gesamten Zeit, die er mit ihnen auf der zweiten Reise verbrachte, eine ihrem Alter entsprechende Nahrung zu geben. Er konnte sie nur in den Grundlagen der christlichen Erkenntnis unterweisen. Vgl. Heb. 5,13.14. Sie machten so langsame Fortschritte in der christlichen Erkenntnis, dass der Apostel in seiner Unterweisung nicht über die einfachsten und leichtesten Wahrheiten hinausgehen konnte. Aber die Sache wäre nicht so ernst gewesen, wenn sie jetzt, nach einer Pause von mehreren Jahren, in der Lage gewesen wären, feste Nahrung zu empfangen und in der Erkenntnis zur Vollkommenheit voranzuschreiten. Aber auch jetzt waren sie noch nicht stark genug in der geistigen Erkenntnis, sie hatten keine Fortschritte gemacht, die im Verhältnis zu den Erwartungen ihres Lehrers standen. Und je mehr Anmaßung sie in ihrem Parteigeist an den Tag legten, als ob sie die elementare Abteilung der christlichen Lehre absolviert hätten, desto schärfer war der Tadel ihres Lehrers, der ihnen sagte, er könne ihre Beförderung nicht in Betracht ziehen. Und den Grund sagt er ihnen ganz offen: Denn noch seid ihr fleischlich. Sie wurden immer noch von Überlegungen ihres Fleisches, ihrer ungeistlichen Natur geleitet; sie erlaubten den Begierden des Fleisches, ihr Handeln zu kontrollieren, anstatt sich der sanften Führung des Geistes zu beugen. Unter ihnen herrschte immer noch Eifersucht, Zwietracht, Zank, die im Wesentlichen Werke des Fleisches sind, Gal. 5,20; sie ließen zu, dass parteiische Rivalität unter ihnen herrschte. Und das war ein eindeutiger Beweis dafür, dass sie fleischlich waren, dass ihr unerwecktes, fleischliches Selbst, Röm. 7, die Oberhand gewonnen hatte. Und so war die Schlussfolgerung, die Paulus in Form einer Frage stellt, richtig, nämlich, dass sie sich so verhielten, wie sich die Unbekehrten unter ähnlichen Umständen zu verhalten pflegen, Röm. 8,5, dass sie sich dem durchschnittlichen Zustand des Menschen anpassten, der nicht religiös ist.

 

    Alle Diener Christi sind gleichwertig (V. 4-8): Paulus wiederholt hier seine Hauptbeschwerde gegen die korinthischen Christen, dass sie dem Parteigeist nachgeben und Fraktionen bilden: Denn wenn einer sagt: Ich gehöre zu der Partei des Paulus, ein anderer aber: Ich zu der des Apollos, seid ihr dann nicht nur Menschen? Paulus spricht hier nur von zwei Parteien, weil sie ausreichen, um seine Aussage zu verdeutlichen. Und er wirft seinen Lesern vor, dass sie sich schuldig machen, weil sie dem Beispiel des Durchschnittsmenschen folgen, der sich nicht von den Gedanken des Willens Gottes leiten lässt. Die Gesinnung Christi ist unabänderlich gegen Disharmonie und Spaltung. Ein solcher Parteigeist ist in der christlichen Kirche besonders töricht: Was ist denn Apollos? Was aber ist Paulus? Solche Fragen zum Gegenstand des Streits zu machen, als ob Apollos und Paulus in ihrer eigenen Person etwas wären! Geistliche sind sie, nicht die Urheber eures Glaubens, sondern Diener und Werkzeuge Gottes, um euch zum Glauben zu bringen. Der Meister und Herr des Werkes ist Jesus Christus, und diejenigen, die den Nutzen des Werkes haben, sind die Glieder der Gemeinde. Was aber Apollos und Paulus betrifft, so haben sie keinen höheren Ehrgeiz, als Diener zu sein, jeder mit seinen besonderen Gaben, wie der Herr sie ihm verliehen hat. Es ist ganz und gar die Sache des Herrn, und er stellt die Fähigkeit für die Arbeit sowie die Gelegenheit zur Verfügung, in seinem Dienst tätig zu sein, wie er es für das Wohl seiner Kirche für richtig hält. Beide Tatsachen schließen also jede Neigung zur Prahlerei aus.

    Der Apostel zeigt, wie der Herr die Dinge in Korinth geordnet und sich der Talente dieser beiden Diener bedient hat: Ich habe gepflanzt, Apollos hat gegossen, aber Gott hat das Wachstum hervorgebracht; die ganze Zeit über, während der Arbeit der beiden Männer, hat Gott das Wachstum gegeben. Die Arbeit in Korinth bestand darin, eine geistliche Ernte zu erzielen. Paulus fiel die Aufgabe zu, den Boden aufzubrechen und den Samen des Wortes zu säen; Gott ließ den Samen Wurzeln schlagen und aufkeimen. Dann kam Apollos und pflegte die jungen Pflanzen, indem er das Glaubensleben entwickelte und die Gläubigen in ihrer christlichen Erkenntnis bestärkte; Gottes barmherzige Macht begleitete seine Bemühungen und ließ die Pflanzen Frucht bringen. Daraus folgt, dass weder derjenige, der pflanzt, noch derjenige, der bewässert, etwas ist; sie sind nur Werkzeuge in der Hand Gottes, des Herrn der Ernte, der allein das Wachstum schenkt und dem daher alle Ehre gebührt: Er ist alles, er allein bleibt, alle anderen sind ausgeschlossen. Dies wird durch den Gedanken noch stärker hervorgehoben: Aber der Pflanzer und der Gießer sind eins, sie sind eins, ein einziges Werkzeug in den Händen Gottes, und sie haben nur ein Interesse und Ziel, das Wachstum der Kirche. Sie sind keine Rivalen, sondern Mitarbeiter in derselben Sache; ihre Arbeit ist nicht konkurrierend, sondern ergänzend. Aber jeder wird seinen eigenen Lohn bekommen, entsprechend seiner eigenen Arbeit. Wenn die Werke mit dem Ziel getan werden, sich vor Gott etwas zu verdienen, um durch ihre Ausführung ewiges Heil zu erlangen, sind sie nutzlos und schlimmer als nutzlos. Wenn sie aber in einfachem Glauben und in Liebe getan werden, im Dienst des Herrn, zu seiner Ehre und seinem Ruhm, dann wird Gott selbst den endgültigen Lohn der Barmherzigkeit hervorbringen; um Jesu willen wird er sie als einen Lohn verdienend ansehen, und er wird entsprechend handeln, Luk. 19,15.16; Matth. 19,28; 1. Petr. 5,4; Dan. 12,3. Und es ist besonders tröstlich, dass der Lohn im Verhältnis zur Arbeit und nicht zum Erfolg steht, so dass unermüdliche Treue und nicht glänzende Leistungen der Maßstab sind, an dem Gott sich orientiert. „Wir bekennen auch, was wir schon oft bezeugt haben, dass zwar die Rechtfertigung und das ewige Leben zum Glauben gehören, dass aber gute Werke andere leibliche und geistliche Belohnungen und Belohnungsgrade verdienen.“[20]

 

    Die Mitarbeiter und der Grundstein (V. 9-11): Der Apostel verwendet nun eine andere Figur, um einen anderen Gedanken zu verdeutlichen, der eng mit seiner heutigen Rede zusammenhängt. Die Glieder der Gemeinde versündigen sich sowohl gegen ihre Lehrer als auch gegen Gott, wenn sie sie nach der äußeren Begabung und Fähigkeit einschätzen. Denn die Lehrer sind Gottes Mitarbeiter; sie sind in der Aufgabe beschäftigt, die der Herr ihnen gegeben hat, um seinen geistlichen Tempel zu bauen; und sie sind in diesem Werk Mitstreiter, nicht Rivalen; sie ziehen an einem Strang für dasselbe Ziel. Beachten Sie, dass der Dienst des Amtes als Arbeit bezeichnet wird, dass er Arbeit erfordert, wenn er richtig ausgeführt werden soll. Andererseits sind die Zuhörer, die Glieder der Gemeinde, Gottes Acker, ein Acker, der durch die Arbeit dieser Diener mit dem Samen des Wortes Gottes besät ist. Und um den Gedanken der geistlichen Gemeinschaft, die unter den Gläubigen herrscht, und der gegenseitigen Anpassung aller Teile zu betonen, nennt Paulus sie Gottes Gebäude, einen Tempel des Herrn, in dem die dreieinige Gottheit wohnen will.

    Der Apostel hebt nun die individuelle Verantwortung hervor: Nach der Gnade Gottes, die mir gegeben ist, habe ich als ein weiser Baumeister, als ein Ingenieur, der sein Handwerk versteht, einen Grundstein gelegt, aber ein anderer baut darauf. Man beachte, dass die Gnade Gottes in den Vordergrund gestellt wird; Paulus deutet an, dass das Werk ohne sie weder in Angriff genommen noch bis zum jetzigen Stand gebracht werden konnte. Die Gnade Gottes ist die eigentliche Triebfeder für die Arbeit der Kirche zu allen Zeiten. Und Paulus weiß, dass er durch diese Gnade sein Werk weise getan hat; er hatte ein Fundament gelegt. Paulus besaß nicht nur eine einzige Gnadengabe, durch die er nur in einer einzigen Funktion in der Kirche hätte dienen können, als Ermahner oder als Pastor, sondern er war mit solchen Talenten ausgestattet, die ihn zu einem leitenden Mitarbeiter machten: Er hatte große Führungsqualitäten, er war ein eindringlicher Prediger, er besaß großes Fingerspitzengefühl im Umgang mit schwierigen Fällen, er konnte sich mit großer Bereitschaft an die verschiedensten Bedingungen anpassen. Das war der Grund, warum die Gnade des Herrn ihn auserwählt hatte, so viele der ersten Gemeinden, wie die von Korinth, zu gründen. Auf seinem Fundament, der Basis, die er gelegt hatte, würde ein anderer das Gebäude errichten. Das war das unvermeidliche Ergebnis in Korinth und anderswo. Bis ans Ende der Zeit bauen die christlichen Amtsträger durch die Verkündigung des Evangeliums den Tempel Gottes auf dem Fundament der Apostel und Propheten auf. Und die Warnung des Paulus kommt immer zur rechten Zeit: Ein jeder aber achte darauf, wie er darauf baut, wie er den Tempel des Herrn zu errichten sucht. Ein bloßer Eifer für den Herrn, ein bloßer Arbeitseifer reicht nicht aus, um die Methode des Dienstes Christi zu bestimmen. Der kleine Handwerker muss die Anweisungen des Baumeisters befolgen, die Linien müssen klar festgelegt sein, und er muss geeignetes Material verwenden. Wenn die Lehre irgendeines christlichen Predigers nicht mit der Lehre Jesu Christi und der Apostel übereinstimmt, besonders wenn sie zur Rechtfertigung durch Werke führt und so unter dem Namen des Glaubens falsche Christen und Arbeitsheilige macht, wie Luther schreibt, dann müssen die Methoden absolut verurteilt werden. Denn, wie der Apostel feierlich erklärt: Einen anderen Grund kann niemand legen als den, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus, V. 11. Wenn Männer, Lehrer, innerhalb oder außerhalb der Kirche auftauchen und behaupten, sie hätten einen neuen Weg des Heils, einen anderen Weg zum Himmel als Christus, der allein der Weg ist, dann sind sie niederträchtige Verführer, die versuchen, einen anderen Grund zu legen im Gegensatz zu dem einen und einzigen existierenden, der Jesus Christus ist. Dieses Fundament wurde von Gott von Ewigkeit her gelegt, als er seinen Sohn dazu bestimmte, der Eckstein und das Fundament der großen Kirche zu sein, des geistlichen Tempels, der der Heiligen Dreifaltigkeit geweiht ist, und dieses Fundament wird als einziges Fundament bestehen bleiben, trotz aller Bemühungen der Feinde, es zu stürzen. Wie Luther sagt: „Ich habe in allen Geschichten der ganzen Christenheit erfahren und bemerkt, dass alle, die den Hauptartikel Jesu Christi richtig hatten und hielten, gut und sicher im wahren christlichen Glauben blieben. Und wenn sie auch anders geirrt und gesündigt haben, so sind sie doch zuletzt bewahrt worden. Denn wer hierin richtig und fest steht, dass Jesus Christus wahrer Gott und Mensch ist, der für uns gestorben und auferstanden ist, für den werden sich alle anderen Artikel einreihen und fest an seiner Seite stehen, so ganz sicher ist es, was der heilige Paulus sagt: Christus ist das Hauptgut, Grundlage, Fundament und alles in einem.“[21]

 

    Das Bauwerk selbst (V. 12-15): Paulus spricht hier von dem Überbau, der auf dem einen Fundament errichtet wird, und unterscheidet zwischen reichem und dauerhaftem Material auf der einen und armem, armseligem und vergänglichem auf der anderen Seite, die jedoch beide für die Errichtung des Gebäudes nützlich sind. Er bezieht sich nicht so sehr auf die Gläubigen, die den Tempel Gottes bilden, als vielmehr auf die Lehre, durch die sie für Christus gewonnen werden, und auf die Art und Weise, wie ihr Glaube dem ganzen Gebäude in allen Formen christlicher Werke dient, wobei beide Bilder in seinem Denken eng miteinander verbunden sind. Unter diesen aber [in dem Leib, der auf dem wahren Fundament, d.h. auf Christus und dem Glauben, erbaut ist] gibt es auch viele Schwache, die auf das Fundament Stoppeln bauen, die verderben werden, d.h. gewisse unrentable Meinungen [einige menschliche Gedanken und Ansichten], die ihnen aber, weil sie das Fundament nicht umstürzen, sowohl vergeben als auch berichtigt werden. Und die Schriften der heiligen Väter bezeugen, dass sie manchmal sogar Stoppeln auf das Fundament gebaut haben, was aber ihren Glauben nicht umgestürzt hat.[22] Und wir brauchen nicht einmal an menschliche Gedanken, Meinungen und Fehler zu denken, sondern nur an die große Vielfalt der Gaben und Fähigkeiten im Reich Gottes, da der Bau auf demselben guten Fundament, Jesus Christus, steht. „Ob es das Gold der Prophetie ist oder das Silber der Lehre oder die Edelsteine der Hymnen oder das Holz der Rangordnung oder das Heu der Zucht oder die Halme der Almosen; ob es hohe, glänzende Gaben sind oder Gaben für den Dienst in kleinen, unbedeutenden Dingen; ob es die Redekunst der geistlichen Zungen ist oder die Hand, die Hilfe leistet: Alles kann zum Nutzen der Gemeinde dienen und den Arbeiter am Bau Gottes belohnen, wenn er es nur in der Absicht Christi darbringt, damit es zum Wachstum des Baues auf dem gelegten Fundament dient, nicht nur als bloßes äußeres Anhängsel, sondern innerlich mit dem Fundament verwachsen und mit der Liebe des Geistes aufgeladen.“[23] Von all diesen Versuchen sagt der Apostel: Das Werk eines jeden Menschen wird offenbar werden, denn der Tag wird es offenbaren. So viel ist zwar schon jetzt ersichtlich, mit welcher Art von Material ein jeder in der Kirche dient; es ist einigermaßen ersichtlich, welche besonderen Fähigkeiten er besitzt; aber wie ein Mensch arbeitet, welchen Erfolg er in seinen Bemühungen hat, ob sie zum Segen oder zum Schaden der Gläubigen in der Kirche gereichen, das wird offenbart und offenbar gemacht werden an dem Tag, dem großen Tag, dem Tag des Gerichts und der Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus. Denn an jenem Tag wird es mit Feuer, im Feuer, geoffenbart werden, und das Werk eines jeden Menschen, welcher Art es ist, wird das Feuer prüfen, wird zeigen. Es ist ein Feuer der Bewährung, nicht des Fegefeuers; und nicht die Personen werden diesem Feuer unterworfen, sondern ihre Werke in der Kirche. Die Vorstellung eines physischen Fegefeuers liegt dieser Passage völlig fern. Verzehrendes Feuer ist das Element des letzten Tages, und in flammendem Feuer wird sich der Herr Jesus vom Himmel her offenbaren, 2. Thess. 1,8: „Dieses Feuer wird offenbaren, was weltlich und vergänglich war, und was geistlich und unvergänglich war im Bau Gottes. . . . Äußere Ehre und Unehre, der Glanz der Weisheit und die Hülle der Torheit werden dann unfehlbar beurteilt werden; das Feuer der Bewährung wird durch alle Vorwände hindurch in die innere Substanz eindringen, und es wird nur das übrigbleiben, was christlich gebaut wurde, getragen von und aus demselben Material wie das unzerstörbare Fundament, Jesus Christus. . . . Die Schlacke der Vernunft und die Launen der Menschen, auch wenn sie noch so gut gemeint sind, werden sich mit der Asche vermischen, und im Lichte der vollkommenen Erkenntnis, mit der das Feuer jenes Tages um uns leuchten wird, wird offenbar werden, was Einbildung und was göttliche Weisheit war, was hohles Gerede der Kunst und was mächtiges Wort, was bloße Meinung und was unfehlbare Wahrheit war.“[24] Man beachte, dass all dies ein Gebäude auf dem Fundament Jesu Christi und seines gesegneten Wortes voraussetzt.

    Das Ergebnis der Prüfung wird jetzt gezeigt: Wenn das Werk eines Menschen, das er gebaut hat, bestehen bleibt, wird er einen Lohn erhalten; wenn das Werk eines Menschen verbrannt wird, wird er Verlust erleiden; er selbst aber wird gerettet werden, aber auf diese Weise wie durch Feuer. Die Aussage ist sehr allgemein und bezieht sich auf jede Art von Material, auf alle verschiedenen Fähigkeiten und Gaben. Denn ob ein Christ hochbegabt, mäßig begabt oder gering begabt ist, ist für die Arbeit in der Kirche wenig oder gar nicht von Bedeutung; alles hängt vielmehr davon ab, dass die Arbeit in der Kirche frei von der Schlacke menschlicher Vernunft und Eitelkeit ist, dass sie auf dem wahren Fundament ruht und von der Liebe zu Christus geleitet wird. In dem Maße, in dem das Werk eines Christen der Prüfung des letzten Tages standhält, wird er den Lohn der Gnade erhalten. Und welcher Teil des Werkes der Prüfung durch das Feuer jenes Tages nicht standhält, wird verzehrt werden. In dem Maße, in dem die Unvollkommenheit des Werkes eines jeden Menschen aufgedeckt wird, in dem Maße wird sein Gnadenlohn geschmälert werden, in dem Maße wird er das verlieren, was er hätte besitzen können, wenn sein Werk dem von Gott gesetzten Maßstab entsprochen hätte. Aber wenn ein solcher Mensch auch nicht in den Genuss eines außergewöhnlichen Maßes an Herrlichkeit kommen wird, so wird er doch das himmlische Heil besitzen, aber wie durch Feuer. Er gleicht einem Menschen, der mit dem nackten Leben einem Feuer entkommen ist, das Tod und Verderben angedroht hat, oder einem, der einem Schiffbruch entkommt, aber Geld und Gut verliert. Den besonderen Lohn, den Gott treuer und vortrefflicher Arbeit verheißt, verlieren solche Menschen, aber das, was nicht der Lohn ihrer Arbeit, sondern allein Christi Verdienst ist, nämlich Leben und Heil, das erben sie, weil sie den Glauben an die Vergebung ihrer Sünden, auch ihrer verborgenen Sünden, bis an ihr Ende bewahrt haben. Man beachte, dass der Apostel in diesem Abschnitt vor allem an die Lehrer der Kirche denkt, dass aber die anderen in all ihren verschiedenen Ämtern in der Kirche keineswegs ausgeschlossen sind.

    Jeder Christ ist ein Tempel Gottes (V. 16-20): Das ist nicht nur eine Warnung, damit keiner der Leser das Schicksal derer teilt, die sich am Jüngsten Tag nicht bewähren, sondern es ist eine Anklage gegen diejenigen, die zu Zerstörern des Hauses Gottes werden, die Gott also seinerseits zerstören wird. Um dies zu verdeutlichen, zeigt Paulus eine andere Seite des Bildes: Wisst ihr nicht, dass ihr ein Tempel Gottes seid, und dass der Geist Gottes in euch wohnt? Alle Christen, die auf dem Fundament Jesu Christi und der Apostel gebaut sind, haben den Heiligen Geist, den dreieinigen Gott, als Mieter in ihrem Herzen empfangen. Ihre Herzen sind ein Heiligtum, ein wahrer Tempel der Gottheit geworden. Und der zugrunde liegende Gedanke ist, dass sie alle, aufgrund dieser Einwohnung, zusammen den großen Tempel der unsichtbaren Kirche bilden, die Wohnung Gottes durch den Geist. Wenn also jemand den Tempel Gottes verdirbt, verunreinigt, entweiht, dann wird Gott diesen Menschen vernichten. Wenn die Aufwiegler und Irrlehrer in Korinth, wenn die Irrlehrer aller Zeiten darauf beharren, den heiligen Ort des reinen Tempels Gottes im einzelnen Christen wie in der Kirche als solcher zu verunreinigen, indem sie die Lehre verdrehen, indem sie Zank und Streit schüren, dann wird der Zorn Gottes sie endlich treffen. Denn die Heiligkeit Gottes kann niemals zulassen, dass eine solche Verunreinigung ungestraft bleibt; jede Verletzung dieser Art ist eine Entweihung der Heiligkeit des Tempels. Und der Zusatz „die ihr seid“ erinnert die Korinther an die Verpflichtung, die ihnen durch ihre Heiligkeit auferlegt ist; er mahnt sie, sich vor den Verunreinigern ihres Tempels in Acht zu nehmen und die Entweihung nicht zuzulassen. Das Werk, mit dem sie beschäftigt sind, ist ein heiliges Werk; sie selbst sind geheiligt und Gott geweiht; deshalb müssen sie mit eifrigem Blick über ihre Heiligkeit wachen.

Da die Gefahr groß war, dass einige der korinthischen Christen so sehr von der glitzernden Show menschlicher Weisheit in der Arbeit der Kirche durchdrungen waren, dass sie die Warnung des Apostels nicht beachteten, fügt er ein weiteres Wort hinzu. Niemand in ihrer Mitte sollte sich selbst täuschen; niemand sollte sich in Irrtum und Blindheit verstricken; niemand sollte sich mutwillig anmaßen, mehr über diese Sache zu wissen als der Apostel. Wenn jemand unter ihnen meinte, er sei weise in der Weisheit dieser vergänglichen Welt, so sollte er besser ein Narr nach den Maßstäben dieser Welt werden, denn nur dann könnte er weise vor Gott werden. „Diejenigen, die menschlicher Weisheit folgen, verherrlichen menschliche Herren auf Kosten der Ehre Gottes, und es gibt Lehrer, die sich diesem Irrtum hingeben und so unwürdig auf dem christlichen Fundament bauen, - einige, die sogar unter dem Vorwand, zu bauen, den Tempel Gottes zerstören.“[25] Die Macht des Wortes Gottes über das Herz des Menschen muss sich darin zeigen, dass er alle Weisheit dieser Welt der wahren Weisheit von oben zur Verfügung stellt und alle Weisheit, die in irgendeiner Weise mit der geoffenbarten Wahrheit der Bibel in Konflikt steht, zurückweist, auch wenn er tausendmal als hoffnungsloser Narr und engstirniger Fanatiker verspottet und verhöhnt wird. Denn nur wenn der Mensch alle menschlichen Gedanken und Meinungen unter den Gehorsam Christi gefangen nimmt, wird er in die Lage versetzt, die Weisheit Gottes im Wort des Heils zu verstehen. Um dies zu untermauern, bekräftigt Paulus, was er in Kapitel 1 ausführlich dargelegt hat: Denn die Weisheit dieser Welt ist eine Torheit bei Gott; und als solche verdient sie nur ein einziges Schicksal, nämlich als wertlos vor Gott verworfen zu werden. Diese Aussage untermauert der Apostel mit zwei Stellen aus dem Alten Testament. In Hiob 5,13 heißt es über den Herrn: Er, der die Weisen in ihrer List, in ihrer vermeintlichen Weisheit, ergreift, fängt. Die Weisheit der Welt wird hier als eine List, als ein raffinierter Handel dargestellt, der zum Schaden anderer betrieben wird. Gott aber ertappt diejenigen, die eine solche List ausüben, in ihren eigenen Täuschungen und zeigt damit, wie töricht ihre Bekenntnisse sind. Die zweite Stelle stammt aus Ps. 94,11: Der Herr versteht das Gerede der Weisen, dass es vergeblich ist. Was für die Eitelkeit des menschlichen Denkens im Allgemeinen gilt, gilt im Besonderen für diejenigen, die in den Ratschlägen der menschlichen Philosophie die führende Position einnehmen. Sobald sie sich von der ewigen Wahrheit des Wortes Gottes entfernen, werden sie haltlos, leer von Wahrheit und daher voller Torheit.

 

    Der Schluss (V. 21-23): Da die Weisheit der Welt eine Torheit vor Gott ist, soll sich niemand der Menschen rühmen. Sowohl das Selbstlob der Weltweisen als auch die törichte Anbetung, die ihnen zuteil wird, wird hier verurteilt; und das umso mehr, als alles den Christen in der Kirche, in ihrem Glauben, dienen soll. So eng ist die Kirche, so eng sind alle Gläubigen mit Christus verbunden, dass sie an seiner wunderbaren Herrlichkeit teilhaben, Eph. 1,19-23. Sie sind in keiner Weise mehr abhängig von den Menschen, von der Weisheit dieser Welt, sondern haben einen direkten Anspruch auf den Dienst an allem, was Gott und Christus gehört. Im Dienst der Gläubigen stehen durch die Gnade Gottes Paulus und Apollos und Kephas, alle Apostel und Diener, die er gesandt hat, um die herrlichen Wahrheiten des Heils zu verkünden. In ihrem Dienst steht die Welt selbst, die ganze Welt mit all ihren Kräften und Mitteln; der rechte Gebrauch von ihnen allen ist die Förderung der Sache Christi. Im Dienst der Gläubigen stehen Leben und Tod; ob sie leben, leben sie für den Herrn, und ob sie sterben, sterben sie für den Herrn, Röm. 14,8. In ihrem Dienst stehen sowohl die gegenwärtigen als auch die zukünftigen Dinge; alle Staaten, Zustände, Ämter, Berufe, alles soll der Verbreitung des Evangeliums, des christlichen Glaubens dienen. „Alles in der weiten Welt gehört Christus, dem Herrscher. Was Kaiser, Könige, Fürsten, Regierung und Untertanen haben und besitzen, das gehört alles Christus. Es ist alles ihm unterworfen. Alle Menschen müssen unter diesem König und Herrscher sein, entweder in Gnade oder in Ungnade. Christus hat alles in seiner Hand und Macht.“[26] Und so schließt Paulus in einem Ausbruch von zuversichtlichem Triumph: Ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes. Da die Gläubigen durch den Glauben zu Christus gehören, wird in und durch ihn ihre königliche Macht ausgeübt. In dieser Beziehung gibt es also keinen anderen als Christus zu loben. Und Christus ist Gottes, so dass die Gläubigen durch den Sohn auch mit dem Vater verbunden sind und an seiner ewigen Macht teilhaben. Gott ist also alles in allem, und es obliegt allen Christen, statt wertvolle Zeit mit kleinlichem Gezänk, mit der Bildung von Fraktionen und mit dem Rühmen von Menschen zu verbringen, die Energie des Glaubens für die Verbreitung seiner Ehre und Herrlichkeit einzusetzen. Gottes Acker, Gottes Gebäude, Gottes Tempel sind wir Christen, weil wir zu Christus gehören. Und diese große Ehre, um derentwillen wir in demütiger Anbetung vor Gott niederfallen, lehrt uns, die Gottlosigkeit des Menschenlobs zu verleugnen und uns allein des Herrn zu rühmen.

 

Zusammenfassung: Der Apostel tadelt die Korinther für ihr fleischliches Verhalten bei der Bildung von Fraktionen, zeigt die Gleichheit aller Amtsträger auf, weist auf Christus als das einzige Fundament der Kirche hin, sagt voraus, dass die feurige Prüfung des letzten Tages alles außer der Substanz der in der Kirche vollbrachten Werke verbrennen wird, und warnt vor der Entweihung des Tempels Gottes.

 

 

Kapitel 4

 

Die Arbeit der Diener Christi (4,1-21)

    1 Dafür halte uns jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse. 2 Nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, als dass sie treu erfunden werden. 3 Mir aber ist’s ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen (Gerichts)Tag; auch richte ich mich selbst nicht. 4 Ich bin mir wohl nichts bewusst, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der HERR ist’s aber, der mich richtet. 5 Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der HERR komme, welcher auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rat der Herzen offenbaren; alsdann wird einem jeglichen von Gott Lob widerfahren.

    6 Solches aber, liebe Brüder, habe ich auf mich und Apollos gedeutet um euretwillen, dass ihr an uns lernt, dass niemand höher von sich halte, als jetzt geschrieben ist, damit sich nicht einer gegen den anderen um jemandes willen aufblase. 7 Denn wer hat dich vorgezogen? Was hast du aber, das du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, was rühmst du dich denn, als der es nicht empfangen hätte?

    8 Ihr seid schon satt geworden; ihr seid schon reich geworden; ihr herrscht ohne uns. Und wollte Gott, ihr herrscht, damit auch wir mit euch herrschen könnten. 9 Ich halte aber, Gott habe uns Apostel für die Allergeringsten dargestellt, als dem Tod übergeben. Denn wir sind ein Schauspiel geworden der Welt und den Engeln und den Menschen. 10 Wir sind Narren um Christi willen, ihr aber seid klug in Christus; wir schwach, ihr aber stark; ihr herrlich, wir aber verachtet. 11 Bis auf diese Stunde leiden wir Hunger und Durst und sind nackt und werden geschlagen und haben keine gewisse Stätte 12 und arbeiten und wirken mit unseren eigenen Händen. Man schilt uns, so segnen wir; man verfolgt uns, so dulden wir’s, man lästert uns, so flehen wir. 13 Wir sind wie der Kehricht der Welt geworden und ein Abschaum aller Leute.

    14 Nicht schreibe ich solches, dass ich euch beschäme, sondern ich ermahne euch als meine lieben Kinder. 15 Denn ob ihr gleich zehntausend Zuchtmeister hättet in Christus, so habt ihr doch nicht viele Väter. Denn ich habe euch gezeugt in Christus Jesus durch das Evangelium. 16 Darum ermahne ich euch: Seid meine Nachfolger! 17 Aus derselben Ursache habe ich Timotheus zu euch gesandt, welcher ist mein lieber und treuer Sohn in dem HERRN, dass er euch erinnere meiner Wege, die da in Christus sind, gleichwie ich an allen Enden in allen Gemeinden lehre. 18 Es blähen sich etliche auf, als würde ich nicht zu euch kommen. 19 Ich will aber gar in Kürze zu euch kommen, so der HERR will, und erlernen nicht die Worte der Aufgeblasenen, sondern die Kraft. 20 Denn das Reich Gottes steht nicht in Worten, sondern in Kraft. 21 Was wollt ihr? Soll ich mit der Rute zu euch kommen oder mit Liebe und sanftmütigem Geist?

 

    Treue wird gefordert (V. 1-5): Der Apostel hatte das Verhältnis von sich und den anderen Lehrern zur Kirche Christi, zum Tempel Gottes, aufgezeigt, nämlich dass sie Diener sind. Daraus folgt aber nicht, dass die Christen die Herren ihrer Lehrer sind. Gott ist der Hausherr, der Meister, und deshalb haben all jene, die in der Gemeinde in Korinth Fraktionen bildeten und sich so anmaßten, andere Lehrer als ihr eigenes angenommenes Oberhaupt zu beurteilen und zu tadeln, ein Amt an sich gerissen, das eigentlich Christus allein gehört. So sagt er: "Man denke, wir seien Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes. Das ist die richtige, die angemessene Art und Weise, in der jeder Mensch, besonders aber die Mitglieder der christlichen Gemeinden, die Apostel und alle Diener Christi betrachten sollten. So sollten sie an sie denken, diese vernünftige Einschätzung sollten sie jederzeit von ihnen haben. Diener Christi sind sie, das Wort bezeichnete ursprünglich Ruderer auf einer Galeere, wurde aber später für Hausangestellte verwendet, die das Vertrauen ihres Herrn genossen, die gewissermaßen Gehilfen waren: So sind die Männer, die in der Lehre arbeiten, die vertrauten Diener Christi. Und sie sind Verwalter der Geheimnisse Gottes. „Der Verwalter war der Stellvertreter des Herrn, der die Angelegenheiten der Familie regelte, die Nahrung für den Haushalt bereitstellte und dafür sorgte, dass sie zu den richtigen Zeiten und in der richtigen Menge ausgegeben wurde. Er nahm das gesamte Geld entgegen, gab aus, was für den Unterhalt der Familie notwendig war, und führte genau Buch, das er zu bestimmten Zeiten dem Herrn vorlegen musste.“[27] So sind die Amtsträger die Verwalter der Geheimnisse Gottes; sie sind für die Verwaltung der Gnadenmittel, durch die Gott den Menschen den Reichtum seiner Gnade in Christus Jesus offenbart und vermittelt, zuständig und Gott gegenüber verantwortlich. "Was sind nun diese Geheimnisse Gottes? Nichts als Christus selbst, d.h. der Glaube und das Evangelium Christi; denn alles, was im Evangelium gepredigt wird, ist den Sinnen und der Vernunft entzogen und vor aller Welt verborgen; auch können sie nur durch den Glauben erlangt werden, wie er selbst sagt, Matth. 11,25: „Ich danke dir, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor den Weisen und Klugen verborgen und den Unmündigen offenbart hast.“[28] Diese Beschreibung des Apostels umfasst in jeder Hinsicht die gesamte Arbeit des wahren Amtes des Pfarrers, über die keine Gemeinde hinausgehen sollte, wenn sie Anforderungen an die Fähigkeit und Zeit des Pfarrers stellt. „Wir haben also die Aussage des Apostels in diesen Worten, dass ein Diener Christi ein Verwalter der Geheimnisse Gottes ist, d.h. er sollte sich selbst so betrachten und betrachten lassen, dass er den Gliedern des Hauses Gottes nichts anderes predigt und gibt als nur Christus und über die, die in Christus sind; d.h. er sollte das reine Evangelium, den reinen Glauben predigen, dass Christus allein unser Leben, Weg, Weisheit, Kraft, Lob und Heil ist, usw., und dass unsere Dinge nichts sind als Tod, Irrtum, Torheit, Ohnmacht, Schande und Verdammnis. Wer etwas anderes predigt, den soll niemand als einen Diener Christi und als einen Verwalter göttlicher Schätze ansehen, sondern ihn als einen Boten des Teufels meiden.“[29]

    Aus der Aussage von V. 1 zieht Paulus nun eine klare Schlussfolgerung: Da dies der Fall ist, bleibt es dabei, dass die gesuchte Eigenschaft der Verwalter darin besteht, dass sich ein jeder als treu erweist. Das ist freilich eine Forderung, aber es ist die einzige Forderung, die gestellt werden kann und soll, dass der Diener Christi in seinem Amt treu ist. Der Herr verlangt nicht, wie Luther sagt, dass er so heilig ist, dass er die Toten durch seinen Schatten auferwecken kann, oder dass er so weise ist, wie alle Propheten und Apostel es waren. Er verlangt auch nicht, dass er ein geistreicher Redner, ein geistreicher Gesprächspartner, ein guter Mixer oder einer der vielen anderen Punkte ist, die heutzutage als wesentliche Eigenschaften eines Pastors genannt werden. Über all diese Dinge sagt der Herr nichts. Er will nur, dass seine Verwalter das Wort Gottes verwalten, das Evangelium predigen, die notwendige geistliche Nahrung aus der reichen Schatzkammer der Geheimnisse Gottes hervorbringen und sich dabei der richtigen pastoralen Weisheit bedienen: das ist die Treue, die der Herr von seinen Dienern erwartet. Dazu gehört, dass ein treuer Pastor die in seiner Gemeinde und in der Welt um sie herum vorherrschenden Sünden zurechtweist, dass er die Sünder zur Buße ruft, dass er den verstockten Sündern den süßen Trost des Evangeliums verweigert, dass er alle Pläne ablehnt, die zu billiger Popularität führen, dass er vor allem nicht müde wird, den verlorenen Lämmern und Schafen der Herde Christi nachzufolgen, dass er alle Glieder seiner Gemeinde in seinem Herzen trägt und in seinen Gebeten für sie vor Gott gedenkt.

     Und wenn ein Seelsorger so treu ist und die Talente, die der Herr ihm gegeben hat, in seiner Seelsorgearbeit einsetzt, dann darf er mit dem Apostel sagen: Mir aber ist es gleichgültig, ob ich von euch oder von irgendeinem menschlichen Gerichtstag gerichtet werde; andererseits prüfe ich mich auch nicht selbst, V. 3. Paulus stand in Korinth gewissermaßen vor Gericht; die Mitglieder urteilten über seine Talente, über seine Motive, über seine Verwaltung. Aber es beunruhigt ihn nicht ernsthaft, dass dies der Fall ist, dass seine Person und seine Arbeit untersucht werden; er hält wenig von jedem menschlichen Urteil, fragt nicht einmal nach seinem eigenen, versucht sich nicht einmal selbst. Vor dem Richterstuhl all dieser menschlichen Meinungen angeklagt, erklärt Paulus ruhig, dass er alle ihre Feststellungen im Vergleich zu denen seines himmlischen Meisters als sehr gering einschätzt. Denn, wie er weiter sagt, ist er sich keiner besonderen Anklage gegen sich selbst in seiner Arbeit als Diener Christi bewusst; er hat seine Arbeit als Verwalter mit der ganzen Treue eines gläubigen Herzens getan. Er weiß natürlich, dass er dadurch vor dem höchsten Gericht nicht gerechtfertigt ist; denn das letzte Urteil hat der Herr, und der Apostel kann nicht hoffen, freigesprochen zu werden, bevor die Prüfung des Herrn abgeschlossen ist. Die Erfahrung hat Paulus gelehrt, dass er sich nicht auf das Urteil seines Gewissens verlassen kann, außer auf das von Christus. Er wusste, dass in seinem Fleisch nichts Gutes wohnte, Röm. 7,18, dass auch das Gute, das er tat, nicht ohne die Mitwirkung des sündigen Fleisches getan werden konnte. Deshalb verlässt er sich auf die Gnade und Barmherzigkeit seines Herrn und Erlösers Jesus Christus. Er weiß, dass derselbe Herr, dem die letzte Prüfung obliegt, auch der Herr ist, der die Sünder rechtfertigt, selbst in Bezug auf ihre geheimen Fehler. „Seit Paulus die Rechtfertigung durch den Glauben an Christus angenommen hat, ist nicht seine Unschuld, sondern das Verdienst seines Erlösers zu seinem festen Grund der Gewissheit geworden.“[30]

     Und so fügt er ein Wort der sanften, aber nachdrücklichen Warnung hinzu: Lasst euch also nicht dazu hinreißen, vor der Zeit zu urteilen, urteilt nicht voreilig in meinem Fall oder in dem eines anderen Geistlichen. Alle Urteile sollten vielmehr in der Schwebe gehalten werden, bis der Herr kommt. Wenn der Herr zur großen Endprüfung erscheinen wird, dann können und müssen wir mit seinen Erkenntnissen übereinstimmen. Denn er wird die verborgenen Dinge der Finsternis ans Licht bringen und die Ratschlüsse der Herzen offenbaren. Vor den Augen des Menschen sind die meisten Dinge, die sich im Innersten des Herzens befinden, absolut unbekannt und können daher in einem Prozess nicht vorgebracht werden. Vor dem allsehenden Auge Gottes aber sind alle Dinge offen; er wird die im Dunkeln verborgenen Geheimnisse enthüllen, insbesondere die Beweggründe, die die Menschen bei der Erfüllung ihrer Pflichten bewegt haben. Er wird die Ratschläge des Herzens offenbaren; die innersten Beweggründe und Wünsche kristallisieren sich in den Gedanken des Herzens, in Vorhaben verschiedener Art, ob zum Guten oder zum Bösen. Dann wird man mit Sicherheit wissen, ob es Treue und Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes war, was die Diener Christi bewegte; dann wird sich das volle Maß ihrer Liebe zu Christus und zu den unsterblichen Seelen, die ihrer Obhut anvertraut sind, zeigen. Alle menschlichen Untersuchungen und Prüfungen, alle voreiligen Urteile und Verurteilungen werden dann zu Schanden werden, wie Luther sagt, „als wollte ich Eier auf einer Waage wiegen und würde sie allein nach der Schale wiegen und das Eigelb und das Eiweiß draußen lassen.“ Und dann, im gerechten Gericht Gottes, wird ein jeder von Gott gelobt werden. In dem Maße, in dem der Herr die Treue findet, die aus der Liebe zu Christus und den Gläubigen fließt, in dem Maße wird er jeden seiner Diener und Verwalter offen loben, nicht aus vagen Meinungen und Einschätzungen, sondern aus der Klarheit allwissender Erkenntnis heraus. Das Lob Christi, der im Namen Gottes urteilt, ist allein von Wert, eine Belohnung, die von jedem Pastor begehrt werden könnte. „Das Lob, mit dem die korinthischen Parteigänger ihre bewunderten Führer überhäuften: das ist Gottes Vorrecht, sie sollen ihre unverschämten Lobreden zurückhalten.“

 

    Alle geistlichen Gaben kommen von Gott (V. 6-7): Um die Veranschaulichung zu konkretisieren und den Lesern zu verdeutlichen, bezog sich Paulus absichtlich hauptsächlich auf die Beziehungen zwischen ihm und Apollos einerseits und der Gemeinde andererseits. In der Art und Weise, wie er ihnen die ganze Angelegenheit dargelegt hatte, war sie der Situation angepasst, die diese beiden Lehrer betraf. Und das hatte er um ihretwillen getan, zu ihrer besseren Belehrung, denn sie hätten seinen Sinn vielleicht nicht so leicht verstanden, wenn er allgemeiner gesprochen hätte. Seine Zurechtweisung richtet sich an die Leute, die den unangenehmen und sündigen Parteigeist an den Tag legten, und bezieht sich keineswegs auf die Männer, die ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung an die Spitze der korinthischen Fraktionen gesetzt worden waren. Und seine Absicht war, dass seine Leser von den Lehrern, die sie durch ihr Gezänk entehrten, eine andere Regel und Methode des Vorgehens lernen sollten, nämlich nicht über das hinauszugehen, was geschrieben steht. Sie sollten sich an die Regel der Schrift halten, sie sollten die so oft wiederholte Aufforderung befolgen, dass Gott alle Ehre gegeben werden soll. Und daraus folgt, dass sich keiner von ihnen für seinen eigenen Lehrer gegen den anderen aufplustern soll. Das war das Unangenehme, das Verwerfliche an der ganzen Bewegung in Korinth, dass jeder sich auf seinen eigenen Lehrer und Führer rühmte auf Kosten aller anderen. Vorgeblich zur Verherrlichung des Paulus rühmten sich diejenigen, die sich nach seinem Namen nannten, gegen diejenigen, die dasselbe mit Bezug auf Apollos taten. Aber letztlich rühmte sich jede Partei ihrer selbst, ihrer eigenen Klugheit, einen so gelehrten und begabten Verfechter ausgewählt zu haben. Wenn wir die Diener Christi in unserer Mitte richtig einschätzen, wenn wir immer das offenbarende Licht des kommenden großen Tages vor Augen haben, dann werden alle derartigen Manifestationen fleischlicher Gesinnung in unseren Gemeinden verschwinden, und wir werden zögern, von unseren Pastoren mehr zu verlangen, als dass sie Gehilfen Gottes zur Erbauung der Gemeinde sind.

    Die Torheit ihres eingebildeten Verhaltens wird den korinthischen Christen durch drei gezielte Fragen vor Augen geführt: Denn wer zeichnet dich aus, setzt dich in eine Klasse oder Partei für dich selbst? Wer hat ihnen das Recht und die Berechtigung gegeben, solche törichten Unterscheidungen zu treffen und auf diese Weise Cliquen und Bruderschaften zu bilden? Auch: Was hast du denn, das du nicht empfangen hast? Alle geistlichen Gaben, die die Gemeinde in Korinth besaß, einschließlich der Tatsache, dass sie treue Pastoren hatte, waren barmherzige Geschenke aus der Hand Gottes, und es gab nichts an ihnen, was irgendeine Gegenleistung von Gott verdiente. Sie hatten kein Werk, dessen sie sich vor Gott rühmen konnten, keine göttliche Weisheit, keine Wiedergeburt, keinen Glauben, keine Liebe, überhaupt nichts als ihre eigene Leistung und ihr eigenes Produkt: es war alles Gottes Gnade. Und deshalb schließlich: Wenn du aber alle diese Gaben durch die Barmherzigkeit Gottes empfangen hast, warum rühmst du dich dann als einer, der sie nicht empfangen hat? Welch eitle Einbildung, welch leere Prahlerei, welch ungerechtfertigter Stolz auf die Gabe ihrer Lehrer, an der sie selbst keinen Anteil hatten! Alles aus freier Gnade und Barmherzigkeit empfangen zu haben und sich dennoch zu rühmen, ist ein höchst widerwärtiger Widerspruch. Nur das demütigste Gebet, Lob und Dank sollte zu allen Zeiten im Mund aller Christen zu finden sein. „Derjenige, der sein eigenes Herz nicht kennt, ist sich der Möglichkeit des Stolzes nicht bewusst, der sich hinter dem Ausruf ‚Warum ich?‘ verbirgt, wenn er seinen eigenen gnädigen Zustand mit dem eines anderen vergleicht, der nicht wiedergeboren ist.“

 

    Der Status der Verkündiger der Erlösung (V. 8-13): Das Verhalten der Korinther hatte zu einem höchst unglücklichen Zustand geführt, nämlich zu dem, dass sie sich in ihrem Gemeindeleben für vollkommen hielten und es ihnen an nichts mangelte. Mit höhnischer Ironie stellt Paulus ihnen diese Tatsache vor Augen, und zwar mit einer Schärfe, die die Aufregung zeigt, die ihn erregte: So schnell seid ihr satt geworden; so schnell seid ihr reich geworden; ohne unser Zutun habt ihr euer Reich erlangt! Der Apostel setzt einen absichtlichen Höhepunkt, indem er ihre falsche Zufriedenheit, ihre eitle Selbstgenügsamkeit, ihre hochmütige Haltung verspottet. Sie dachten, sie wüssten alles in geistlichen Dingen, jede weitere Belehrung sei überflüssig und daher unerwünscht. So schnell hatten sie die Nase voll, so sehr glaubten sie sich unterwiesen, so sehr strotzten sie vor Wissen und Verstand, dass sie es ablehnten, wenn man ihnen eine weitere Wahrheit sagte. Sie hielten sich für so reich an geistigen Talenten und Gnaden, dass ihnen jede Andeutung geistiger Armut äußerst unangenehm war; sie hatten die ganze Haltung der Neureichen, eine Zurschaustellung von Reichtum, die ihren geistigen Besitz verdarb; denn wer mit seinem Wissen in geistigen Dingen zufrieden ist, verschließt sich vor weiterem Gewinn. Aber der Höhepunkt ihrer selbstgefälligen Torheit war darin erreicht, dass einige der korinthischen Christen glaubten, einen Zustand erreicht zu haben, in dem sie sich selbstverliebt und fatalistisch im Vollbesitz des verheißenen Reiches wähnten. Sie waren nicht nur über die Lehre des Paulus hinausgewachsen, sondern lehnten nicht nur den Gedanken ab, dass er ihnen noch etwas mitzuteilen hätte. Die Schande der Törichten, die Niedrigkeit der Schwachen, das Kreuz der Verfolgten gab es für sie nicht mehr. Für sie hatte das Reich Gottes nicht in der Demonstration des Geistes und der Kraft begonnen, sondern in der äußerlichen Betrachtung. Wo sowohl die unergründlichen Tiefen der Sünde als auch die unerreichbaren Höhen der Herrlichkeit der Barmherzigkeit nicht verstanden werden, da täuschen sich seichte Christen, wie in unseren Tagen, und träumen von einem Reich Christi hier auf Erden und von der Erde, das trotz aller schönen Schriftworte, mit denen es gepriesen wird, wesentlich irdisch ist und mit dem wahren Reich Christi nichts gemein hat. Aber Paulus ruft in seinem großen Kummer über die Blindheit der Korinther aus: Und ich wollte, du wärest in dein Reich gekommen! Wenn es doch wahr wäre, dass auch wir mit dir an deiner Herrschaft teilhaben könnten! Wenn diese Zeit nur da wäre, damit wir von allem Übel der gegenwärtigen Verfolgungen und Bedrängnisse erlöst würden!

    Diesen bitteren Schrei über die Undankbarkeit der Menschen untermauert Paulus nun: Denn meiner Meinung nach hat Gott uns, die Apostel, als die letzten, als zum Tode bestimmte Menschen ausgestellt. Paulus denkt dabei entweder an einen öffentlichen Zug an einem großen Festtag, bei dem die verurteilten Verbrecher auf dem Weg in die Arena als letzte marschierten, oder er denkt an Gladiatoren, die, so oft sie an einem Tag oder zu einer Jahreszeit dem Tod entkamen, immer wieder hervorgeholt wurden und damit zum Tode verurteilt waren. Das war die Schmach, der die Apostel ausgesetzt waren: Sie waren ein Schauspiel für die Welt geworden, sowohl für die Engel als auch für die Menschen. So weit der Bereich ihres Wirkens sich über die ganze damals bekannte Welt erstreckte, so weit waren sie der öffentlichen Verachtung ausgesetzt, wobei sowohl die Menschen hier unten als auch die unsichtbaren Beobachter um sie herum und über ihnen das Spektakel beobachteten.

    Der Apostel nennt nun einige Einzelheiten, in denen ein Teil der Schande deutlich wird: Wir sind Narren um Christi willen, ihr aber seid weise in Christus, V. 10. Die Diener Christi müssen als Narren durchgehen, weil sie den gekreuzigten Christus predigen, eine Botschaft, die in keiner Weise mit der Weisheit der Welt übereinstimmt. Aber die Korinther und viele ihrer Anhänger in der heutigen Zeit sind weise, vernünftig, sie sind sehr darauf bedacht, sich mit der Welt gut zu stellen, wobei das Bekenntnis zu Christus diskret im Hintergrund gehalten wird. Man beachte, dass der Apostel durchgehend in einem Ton der Ironie und des Spottes spricht. Er fährt fort: Wir sind schwach, ihr aber seid stark. Das Verhalten der Korinther deutete darauf hin, dass sie der Meinung waren, Paulus habe nicht die richtige Energie in seine Arbeit gesteckt, dass die bloße Verkündigung des Evangeliums in ihrer gelehrten Stadt nicht ausreichte. Im Gegensatz zu dieser Schwäche waren sie entschlossen, den richtigen Geist und die richtige Kraft an den Tag zu legen, sie zeigten mit Stolz ihre Fähigkeit, das Werk des Herrn nach ihrer eigenen Art zu tun. Und schließlich: Ihr in Ehren, wir aber in Unehren. Sie waren prächtig, glorreich; ihre Ideen zur Verbesserung der Welt waren wunderbar und umfassend und ließen Großes für die Kirche Gottes erwarten. Im Vergleich zu ihnen waren die Apostel ohne jedes Ansehen, in Schande und Entehrung. Paulus hatte das Gefühl, dass er und sein einfaches, törichtes Evangelium dort, wo solch wunderbare Pläne heranreiften, überhaupt keinen Auftritt hatten.

    Bewusst fährt Paulus fort, seinen eigenen Zustand zu beschreiben: Bis zu dieser Stunde hungern und dürsten wir und sind schlecht gekleidet, V. 11. Er teilte das Schicksal der Menschen, die an den Gütern dieser Welt arm sind, wie so viele seiner Nachfolger seit seiner Zeit. Und wir werden gewaltsam behandelt, wobei die Gewalt manchmal bis zur körperlichen Misshandlung, zu Schlägen und Handgreiflichkeiten reicht. Wir haben kein festes Zuhause; Paulus musste immer damit rechnen, dass er wegen Verfolgungen fliehen musste. Und wir arbeiten hart, wir arbeiten mit unseren eigenen Händen. Die ganze Arbeit seines Dienstes war harte Arbeit; aber darüber hinaus entschied sich Paulus, seinen Lebensunterhalt mit Handarbeit zu bestreiten, Apg. 18,3; 20,34. Man beachte, dass die Worte des Apostels gerade in dieser Stunde, inmitten unserer sogenannten aufgeklärten Zivilisation, ihre Anwendung finden, und dass so mancher Geistliche bis zuletzt dieselben Nöte erträgt, nicht aus freien Stücken, sondern aus Notwendigkeit - schade eigentlich!

    Mit diesem traurigen Zustand, mit den besonderen Nöten, die er zu ertragen hatte, stimmte der Geist überein, den Paulus zu allen Zeiten zu zeigen pflegte: Geschmäht vor unseren Augen, tief beleidigt, segnen wir. Was die Welt für einen unterwürfigen, feigen Geist hält, ist das Kennzeichen der Diener Christi, und es gehört mehr Charakter dazu, eine Beleidigung schweigend zu ertragen und mit einem Segen zu antworten, als sie zu erwidern. Verfolgt, ertragen wir es; die Diener Christi wenden weder physische Gewalt an, um dem Übel zu widerstehen, noch versuchen sie, sich ihm zu entziehen, indem sie ihren Herrn verraten; sie ertragen alle solchen Zustände geduldig. Wenn wir verleumdet werden, bitten wir darum; auf verleumderische Reden erwidern die Diener Christi Abmahnungen. In allem ist ihr Ziel, wenn möglich, den Feind zu gewinnen: sie bitten die Menschen, nicht böse zu sein, sondern sich zu bessern, sich zu Christus zu bekehren. Und nun präsentiert der Apostel den Höhepunkt der Erniedrigung: Wie die Abwässer der Welt sind wir geworden, wie der Abschaum aller Dinge. Er vergleicht sich und die anderen Diener Christi mit dem Abschaum, dem Bodensatz, dem letzten Bodensatz in einem schmutzigen Kessel, der abgekratzt werden muss; und mit dem Schmutz, der von den Schuhen abgekratzt wird, nachdem man durch Dreck und Schlamm gewatet ist. Das ist es, was die treuen Diener des Evangeliums in den Augen der Welt sind, wie „der Dreck, den man durch die Spüle und den Rinnstein loswird“. Und diese Begriffe, wie sie hier verwendet werden, können noch eine weitere Bedeutung haben. Denn die Worte wurden „vor allem für jene verurteilten Verbrecher der untersten Klasse verwendet, die wegen ihres unwürdigen Lebens als Sühneopfer, gewissermaßen als Sündenböcke, geopfert wurden. In Athen war es Brauch, bestimmte wertlose Personen zu reservieren, die im Falle von Seuchen, Hungersnöten oder anderen Heimsuchungen des Himmels ins Meer geworfen werden konnten, in dem Glauben, dass sie die Schuld des Volkes ‚wegputzen‘ oder ‚auslöschen‘ würden.“ (Lightfoot.) Anmerkung: Die Stimmung in der Welt hat sich seit der Zeit des Paulus nur wenig geändert, obwohl es einen Anstrich von Freundlichkeit und Toleranz für die Diener des Evangeliums gibt. Bei der geringsten vermeintlichen Provokation und dem geringsten Verdacht wird jedoch die Maske heruntergezogen, und es zeigt sich deutlich, dass sie, wie Luther sagt, „als der Kehricht der Welt und jedermanns Abfall und Fußmatte“ betrachtet werden.[31]

 

    Des Apostels väterliche Zucht (V. 14-21): Der Apostel hatte den letzten Abschnitt in heiliger Entrüstung geschrieben; wie ein Strom hatte sich seine Rede ergossen und die Bedrängnisse geschildert, die auf die Diener des Herrn gehäuft wurden. Und er kann die tiefe Demütigung, das Gefühl der Verwirrung, das an diesem Punkt in die Herzen seiner Leser eindringen muss, fast spüren. Als weiser Lehrer fügt er deshalb einen Abschnitt hinzu, der verhindern soll, dass sie verbittert werden. Er konnte seine Zurechtweisung zwar nicht aussprechen, ohne dass sie sich gedemütigt fühlten, aber dieses Gefühl sollte zu einer wahren kindlichen Ehrfurcht vor seiner Stellung und seinen Worten führen. Seine Strenge entspringt dem besorgten Herzen eines Vaters, der die tiefste Sorge um seine Kinder empfindet: Ich schreibe dies nicht, um euch zu beschämen, sondern um euch als meine geliebten Kinder zu warnen. Er betrachtete sie immer noch mit der ganzen Fülle väterlicher Zuneigung, und es betrübte ihn, dass sie Anzeichen eines solchen untreuen Verhaltens zeigten, daher sein dringender Appell an sie.

    Paulus begründet sein Recht auf eine solche väterliche Ermahnung: Denn wenn ihr auch zehntausend Pädagogen in Christus hättet, so doch nicht viele Väter. Das Wort Pädagoge bezeichnete damals den Familiensklaven, dessen Aufgabe es war, die Jungen zur Schule zu bringen und sie nach Hause zu begleiten. Sie beaufsichtigten die Jungen auch in den Stunden, die sie nicht in der Schule verbrachten, und halfen so bei ihrer Ausbildung. Paulus wendet das Wort hier auf die anderen Lehrer an, die es in Korinth gegeben haben mag, gute und rechtmäßige Lehrer, die ihr Werk in Christus und zu seiner Ehre taten. Von diesen mögen sie noch so viele gehabt haben, aber sie hatten nur einen Vater, nur einen, der mit ihnen durch die Bande wahrer väterlicher Zuneigung verbunden sein konnte: Denn in Christus Jesus, durch das Evangelium, habe ich euch gezeugt. Sie waren seine geistlichen Kinder, ihre Berufung in die Gemeinschaft Jesu Christi, ihre Wiedergeburt verdanken sie seinem persönlichen Wirken; das macht sie ihm so nahe und lieb. Vgl. 1. Petr. 1,23; 1. Thess. 1,5; 2, 9; Joh. 6,63.

    Von seinem Recht als Vater macht der Apostel nun Gebrauch: So ermahne ich euch nun, dass ihr mich nachahmt, V. 16. Die Kinder sollen den Charakter des Vaters zeigen, sie sollen ihn zu ihrem Vorbild machen, sie sollen ihn nachahmen, sie sollen ihm in seinem Verhalten als Christ und wahrer Jünger des Herrn folgen. Wenn dieser Weg ein Weg des Kreuzes und der Trübsal war (V. 9-12), so diente er ganz nebenbei dazu, ihren Charakter zu stärken und sie sicherer gegen Verleugnung zu machen, jetzt und in den kommenden Tagen. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte Paulus gerade seinen jungen Gehilfen, den er ein geliebtes Kind von ihm und treu im Herrn nennt, 1. Tim. 1,2; 2. Tim. 1,2. Auch Timotheus war durch das Werk des Paulus bekehrt worden, hatte durch seine Bemühungen geistliches Leben erlangt und wurde daher vom Apostel als ein wahrer Sohn angesehen. Und da er sich durch das Wirken des Herrn Jesus Christus in seinem Herzen durch Treue in seinem christlichen Verhalten auszeichnete, war er genau der richtige Mann für diesen Auftrag: Der soll euch an meine Wege in Christus Jesus erinnern, so wie ich überall lehre, in jeder Gemeinde. Die Korinther hatten offensichtlich nicht nur einen großen Teil der Lehre des Paulus vergessen, sondern auch seine Lebensgewohnheiten, die er in ihrer Mitte an den Tag legte; ihr Wissen war durch jene bösen Einflüsse verdrängt worden, von denen Paulus im ganzen Brief gesprochen hat. Es hätte also keine geeignetere Person gefunden werden können, um sowohl das Verhalten als auch die Worte des Paulus in Erinnerung zu rufen, als der Mann, den Paulus zu seinem Vertreter erwählt hatte, der seine Mahnung in Übereinstimmung mit der Lehre des Paulus durchführen würde, denn diese war in allen heidnischen Gemeinden gleich. Denn sie wollten sich gewiss nicht von der apostolischen Lehre trennen, die überall in Mode war; sie würden gewiss die freundliche Ermahnung seines persönlichen Vertreters beherzigen und zur rechten christlichen Vernunft zurückkehren.

    Und damit nicht einige der Korinther versucht sein könnten, den Auftrag des Timotheus falsch zu verstehen, beeilt sich Paulus, hinzuzufügen: Aber als ob ich nicht zu euch käme, haben sich einige aufgeblasen. Da der Apostel zu dieser Zeit nicht persönlich kam, begann eine Gruppe von Personen, die Paulus wahrscheinlich feindlich gesinnt waren, prahlerische Mutmaßungen zu verbreiten. Sie verhielten sich umso unverschämter, als sie dachten, dass Paulus sich vor ihnen fürchten könnte. Doch ihre Anmaßung sollte sich bald als falsch erweisen, denn der Apostel kündigt an, dass er bald kommen werde, sobald er entsprechende Vorkehrungen treffen könne. Dies schreibt er in betonter Gelassenheit und im Bewusstsein des Amtes, das er ausfüllt. Aber der Geist, sich in allem dem Herrn zu unterstellen und sich von seinem Willen leiten zu lassen, veranlasst Paulus, hinzuzufügen: Wenn der Herr will. Vgl. Apostelgeschichte 18,21. Denn er war nicht so eingebildet, dass er sich in der Kirche für unentbehrlich hielt, und ohne den Herrn wollte er keinen Schritt tun. Wenn er aber käme, dann würde er wissen, nicht auf das Wort der Aufgeblasenen (der Bläser) zu achten, sondern auf die Kraft. Um ihre Worte kümmerte er sich nicht, mit ihnen war er hinreichend vertraut, hohle Anmaßungen berührten ihn nicht im Geringsten. Er wollte sich nur vergewissern, ob in den Taten, die ihren prahlerischen Worten folgten, etwas vom Geist Gottes zu spüren war. Er wollte herausfinden, ob diese angeblichen Führer in der Gemeinde von Korinth in ihrem Kampf mit der Sünde Ergebnisse zeigten, ob sie tatsächliche Beweise des Glaubens und der Geduld in der Bedrängnis zeigten. Und dazu fühlte er sich verpflichtet, denn nicht im Wort liegt das Reich Gottes, sondern in der Kraft. Die Korinther setzten ihren Glauben auf Äußerlichkeiten, sie nahmen an, dass das Reich Christi, die Kirche im eigentlichen Sinn, eine sichtbare, konkrete Substanz sei. Doch damit lagen sie, wie ihre modernen Anhänger, falsch. Das Reich Christi besteht nicht in dürftiger Beredsamkeit, in großen, schwülstigen Worten der Eitelkeit, sondern in der Kraft des Heiligen Geistes, die durch das Wort auf die Herzen der Menschen einwirkt. Wo diese Kraft regiert, da ist das Reich des Erlösers. "Der Glaube ist etwas Lebendiges, Substanzielles, er erneuert den Menschen von Grund auf, verändert sein Denken und bekehrt ihn ganz und gar. Er geht bis auf den Grund und bewirkt dort eine Erneuerung des ganzen Menschen, so dass ich, wenn ich vorher einen Sünder sah, jetzt an seinem anderen Verhalten, an seinen anderen Wegen, an seinem anderen Leben sehe, dass er glaubt. So eine große Sache ist das mit dem Glauben. Und so hat der Heilige Geist das Beharren auf den guten Werken bewirkt, denn sie sind Zeugen des Glaubens. Bei wem also die Werke nicht auffällig sind, da können wir bald sagen und schließen: Sie haben vom Glauben gehört, aber er ist nicht auf den Grund gesunken. Denn wenn du in Hochmut und Unkeuschheit, in Geiz und Zorn liegen bleibst und doch viel vom Glauben schwärmst, wird der heilige Paulus kommen und sagen: Höre, mein lieber Freund, das Reich Gottes besteht nicht in Worten, sondern in Kraft und Taten; es will leben und getan werden und nicht in leerem Gerede.“[32] 32) Und deshalb fragt Paulus zum Schluss: Was wollt ihr? Was ist euch lieber? Soll ich mit einer Rute zu euch kommen oder in der Liebe und in einem Geist der Sanftmut? Dass er kommen wird, überlässt er nicht ihrer Entscheidung, das ist Sache seines Amtes. Aber es hängt von ihrem Verhalten ab, auf welche Weise er kommen wird. Bleiben sie in ihrer eitlen und anmaßenden Art, dann wird er gezwungen sein, mit einer scharfen Zurechtweisung zu ihnen zu kommen, Tit. 1,13, damit sie ihren Ungehorsam spüren. Aber Paulus möchte viel lieber mit aller Sanftmut und Freundlichkeit kommen, denn der Beweis seiner Liebe in der Freundlichkeit ist ihm viel angenehmer als Strenge. Er deutet ihnen daher an, dass sie den jetzigen sanften Hinweis und die Warnung annehmen und ihm so eine unangenehme Aufgabe ersparen sollten. Man beachte die Kraft des Textes. „An Nervenstärke und Kraft, an Würde und gelassener Zuversicht ist diese Passage nicht einmal bei Demosthenes selbst leicht zu übertreffen.“ (Bloomfield.)

 

Zusammenfassung: Paulus zeigt das Verhältnis der Diener Christi zum Herrn selbst, skizziert die Behandlung, die ihnen in der Welt gewöhnlich zuteil wird, und tadelt als wahrer geistlicher Vater die Korinther wegen ihrer Nachlässigkeit in der Heiligkeit.

 

 

Kapitel 5

 

Die Notwendigkeit von Kirchenzucht (5,1-13)

    1 Es ist allgemein hörbar, dass Hurerei unter euch ist, und eine solche Hurerei, da auch die Heiden nicht von zu sagen wissen, dass einer seines Vaters Frau habe. 2 Und ihr seid aufgeblasen und habt nicht vielmehr Leid getragen, damit, der das Werk getan hat, von euch getan würde.

    3 Ich zwar, als der ich mit dem Leib nicht da bin, doch mit dem Geist gegenwärtig, habe schon als gegenwärtig beschlossen über den, den solches also getan hat: 4 In dem Namen unseres HERRN Jesus Christus, in eurer Versammlung mit meinem Geist und mit der Kraft unseres HERRN Jesus Christus, 5 ihn zu übergeben dem Satan zum Verderben des Fleisches, damit der Geist selig werde am Tag des HERRN Jesus.

    6 Euer Ruhm ist nicht fein. Wisst ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig den ganzen Teig versäuert? 7 Darum fegt den alten Sauerteig aus, damit ihr ein neuer Teig seid, gleichwie ihr ungesäuert seid. Denn wir haben auch ein Passah(Oster-)lamm, das ist Christus, für uns geopfert. 8 Darum lasst uns Ostern halten, nicht im alten Sauerteig, auch nicht im Sauerteig der Bosheit und Schalkheit, sondern in dem Süßteig der Lauterkeit und der Wahrheit.

    9 Ich habe euch geschrieben in dem Brief, dass ihr nichts sollt zu schaffen haben mit den Hurern. 10 Das meine ich gar nicht von den Hurern in dieser Welt oder von den Geizigen oder von den Räubern oder von den Abgöttischen; sonst müsstet ihr die Welt räumen. 11 Nun aber habe ich euch geschrieben, ihr sollt nichts mit ihnen zu schaffen haben; nämlich, so jemand ist, der sich lässt einen Bruder nennen, und ist ein Hurer oder ein Geiziger oder ein Abgöttischer oder ein Lästerer oder ein Trunkenbold oder ein Räuber, mit dem sollt ihr auch nicht essen. 12 Denn was gehen mich die draußen an, dass ich sie sollte richten? Richtet ihr nicht, die da drinnen sind? 13 Gott aber wird, die draußen sind, richten. Tut von euch selbst hinaus, wer da böse ist!

 

    Ein Fall von Inzest (Blutschande) (V. 1-2): Der Apostel eröffnet hier einen neuen Abschnitt seines Briefes, in dem er einige Fragen der sozialen Moral behandelt. Die Sache mit dem Parteienstreit in Korinth war ihm von einigen Zeugen berichtet worden, aber der ungeheuerliche Fall, den er jetzt kurz behandelt, ist berüchtigt, ist ein allgemeiner Skandal, wird überall herumgereicht, wo der Name Korinth erwähnt wird: Man hat tatsächlich von Unzucht unter euch gehört. Es handelte sich nicht um einen vagen Bericht, sondern um eine bestätigte, unzweifelhafte Tatsache, von der allgemein und überall mit Entsetzen gesprochen und berichtet wurde. Denn es handelte sich um eine Form der Unzucht, der sexuellen Unreinheit, die selbst unter den Heiden unbekannt war, nämlich dass ein Mann seine Stiefmutter zur Frau hatte. Vgl. 5. Mose 22, 30. Das war ein Verwandtschaftsgrad, der überall verboten war, selbst bei den Heiden, die neben allen Naturgesetzen die Ehrfurcht vor der Frau des Vaters achteten. Aber das schuldige Mitglied der korinthischen Gemeinde dachte wahrscheinlich, wie so viele fleischliche Christen seit seinen Tagen, dass die christliche Freiheit darin bestehe, zu tun, was ihm gefällt, und machte so aus der Freiheit eine Lizenz. Das war die Situation, das war die Abscheulichkeit der Verdorbenheit inmitten der korinthischen Gemeinde. Das veranlasst den Apostel zu fragen: Und ihr seid aufgeblasen? Ist es unter diesen Umständen noch möglich, dass einige eurer Glieder prahlen und sich rühmen und so tun, als wärt ihr unbelehrbar? Einmütig hätten sie sich wegen dieses unerhörten Skandals erniedrigen müssen, statt Parteigeist zu pflegen. Und hättet ihr nicht lieber getrauert, in Trauer ausgebrochen, mit dem Ergebnis, dass derjenige, der diese Tat begangen hat, aus eurer Mitte entfernt werden sollte? Sie waren so sehr mit ihrer eingebildeten intellektuellen Brillanz, mit ihrem falschen religiösen Enthusiasmus beschäftigt, dass sie sich keine Zeit nahmen, den Schaden zu untersuchen, der ihrer Gemeinde durch diese ständige Beleidigung ihres Mitbruders zugefügt wurde. Wahrscheinlich zuckten sie mit den Schultern und beschlossen, die unangenehme Angelegenheit zu ignorieren, weil sie, wie viele Christen unserer Tage, glaubten, dass die Angelegenheit wirklich nicht von großer Bedeutung sei; sie betrachteten den Inzest in ihrer Mitte nicht als eine Beleidigung der Kirche Christi, als eine Entweihung des Tempels Gottes. Es war ein unglücklicher Vorfall, aber das war allein die Sache des Mannes! Paulus aber drückt ihnen das Verantwortungsbewusstsein auf, dass sie eine solche Verunreinigung nicht zulassen können; sie müssen zum Handeln aufgerüttelt werden. Denn der Sünder muss entweder seinen öffentlichen Skandal beenden, oder er muss aus ihrer Mitte ausgeschlossen werden; er kann nicht länger als Mitglied der Gemeinde angesehen werden. Anmerkung: Die Frage der Gemeindezucht wird in vielen Teilen der Kirche leider vernachlässigt. Aber die Gemeinden und die einzelnen Glieder dürfen nie vergessen: Wenn die Liebe zur unsterblichen Seele ihres Nächsten sie nicht dazu veranlasst, alles für ihn zu tun, bis hin zum Ausschluss aus ihrer Mitte, dann sollte die Ehrfurcht vor dem Namen, den sie tragen und den sie nicht ungestraft entehren dürfen, sie dazu bewegen, sich ernsthaft mit der Frage der richtigen Kirchenzucht zu befassen.

 

    Das Urteil des Apostels (V. 3-5): Der Fall war so klar, dass Paulus seinerseits eine Entscheidung getroffen hatte. Die korinthischen Christen waren jeden Tag inmitten des Skandals anwesend und schienen keine Unannehmlichkeiten zu empfinden, während der Apostel, obwohl er nicht leiblich, sondern nur im Geiste anwesend war, sich unter der Beleidigung, die der Kirche Gottes durch diese schamlose Übertretung zugefügt worden war, dennoch winden musste. Und so gab es nur ein Urteil zu fällen: Ich habe das Urteil über den, der dies getan hat, schon gesprochen, als wäre ich dabei. Beachten Sie, wie der Apostel die Schamlosigkeit, die Abscheulichkeit des Vergehens hervorhebt. Es handelte sich um einen Fall, in dem lange Verhandlungen und Diskussionen überflüssig waren; es ging um eine Sünde, die sowohl das griechische als auch das römische Recht als schändlich einstufte, die den Gipfel des widernatürlichen Lasters darstellte. Und hier, unter diesen Bedingungen, setzte sich ein Mann vor den Augen der ganzen Gemeinde über seine Schande hinweg. Unter diesen Umständen war nur eine Entscheidung möglich. Das energische und prompte Verhalten des abwesenden Apostels bildet einen umso auffälligeren Kontrast zu der Nachlässigkeit derer, unter denen der schändliche Skandal stattgefunden hatte.

    Der Apostel verkündet nun sein Urteil: den Mann dieser Art dem Satan zu überliefern, um sein Fleisch zu verderben, damit der Geist am Tag des Herrn Jesus gerettet werde. Aber er zeigt auch, in welcher Weise das Urteil gesprochen werden soll: Im Namen unseres Herrn Jesus Christus, wenn ihr euch zu einer feierlichen Versammlung versammelt habt, und in meinem Geist, zusammen mit der Kraft des Herrn Jesus. Die korinthischen Christen sollten also eine Versammlung der Brüder einberufen, und in dieser Versammlung sollten sie unter dem lenkenden Einfluss des Geistes des Paulus, dessen Meinung in dieser Angelegenheit nun bekannt war, das Urteil verkünden. Und dies sollte im Namen des Herrn Jesus geschehen, in dem allein jede kirchliche Handlung ihre Gültigkeit hat; da die Sünde ein Vergehen gegen seinen heiligen Namen war, musste das Urteil als von ihm kommend gefällt werden. Und es muss mit der Macht unseres Herrn Jesus ausgesprochen werden, mit jener besonderen kirchlichen Macht, mit der jede christliche Gemeinde ausgestattet ist, nämlich die Sünden der unbußfertigen Sünder festzuhalten, solange sie nicht Buße tun. Durch seine Macht konnte auch der Inhalt des entsetzlichen Urteils vollstreckt werden. Der Übeltäter sollte dem Satan ausgeliefert, durch förmlichen Beschluss seiner Beziehung zum Herrn des Lichts beraubt und in das Reich der Finsternis hinausgestoßen werden, wo der Gott dieser Welt das Sagen hat, 2. Kor. 4,4; Eph. 2,2; 6,12; Kol. 1,13. Zum Verderben des Fleisches sollte der inzestuöse Mensch befreit werden. Indem er sich einer solch abscheulichen Sünde hingab, hatte der Täter seinen Körper der Macht Satans ausgeliefert. Und Satan würde durch die Auswirkungen der Sünde, vielleicht gerade durch diese Übertretung, den Körper zerstören, ihn mit Krankheiten befallen, die für ein solch unnatürliches Laster und wollüstiges Verhalten typisch sind. Und so würde der erhabene Herr den Teufel selbst als sein Werkzeug gebrauchen, um im Geist des Übertreters Furcht und Schrecken vor seiner Sünde und ihren Folgen zu erzeugen, damit schließlich der Geist am Tag des Herrn Jesus gerettet werden könnte. Durch die Strafe, die der Satan als gerechtes Urteil vollzieht, hofft der Herr, den Menschen zu heilen und so seine Seele wie ein Brandmal dem Feuer zu entreißen. Satan hat nichts anderes im Sinn als die ewige Zerstörung von Leib und Seele des Sünders, aber der Herr, der barmherzig ist, auch wenn die Anordnungen seiner Heiligkeit ausgeführt werden müssen, will die Strafe als Mittel benutzen, um den Sünder zur Buße zu rufen. So mag mancher Sünder, über den das Urteil der Exkommunikation ausgesprochen werden musste, nach dem gnädigen Willen des Herrn durch die Wirkungen und Folgen seiner Sünde zur Erkenntnis seiner Übertretung gekommen sein und sich, wie der Schächer am Kreuz, noch in der letzten Stunde zu seinem Erlöser bekehrt haben. Am großen Tag des Herrn, an dem über das Heil oder das Verderben eines jeden Menschen entschieden wird, mag so mancher zur Rechten des Herrn gestellt werden, weil die gnädige Absicht des Herrn auf diese Weise verwirklicht wurde. Anmerkung: Eine christliche Gemeinde muss sich immer vor Augen halten, dass der Zweck der Exkommunikation nicht die Vernichtung, sondern die Rettung der Seele ist.

 

    Die allgemeine Notwendigkeit, die christliche Gemeinde zu reinigen (V. 6-8): Der Fall der inzestuösen Person war nicht das Einzige, was in der Gemeinde in Korinth nicht in Ordnung war. Es stimmte im Allgemeinen, dass ihre Prahlerei, das, womit sie sich rühmten, nicht gut war, nicht von annehmbarer Qualität. Unter den Gliedern in Korinth gab es viele, die alles andere als ein vorbildliches, reines Leben führten, weshalb jede Prahlerei und jedes Rühmen ihrerseits hätte unterlassen werden müssen. Dass ihre Prahlerei ihnen nicht zur Ehre gereichte und dass die Verderbtheit, die in ihrer Mitte zu finden war, sie vielmehr zu tiefster Demut hätte veranlassen müssen, veranschaulicht Paulus durch einen bekannten Vergleich, durch ein sprichwörtliches Wort: Ein wenig Sauerteig durchsäuert die ganze Masse, das ganze Kneten. Eine solche Sünde verunreinigt die ganze Gemeinschaft. So wie der einzelne Christ keine noch so kleine Sünde dulden kann, ohne dass sie sein ganzes Wesen verdirbt, so wird eine ganze Gemeinde die Folgen erleiden, wenn sie auch nur einem ihrer Glieder erlaubt, in einem offenen und flagranten Vergehen fortzufahren. „Und hierin liegt das Schlimmste, dass eine solche Verderbnis so mächtig Fuß fasst und sich so hartnäckig hält, dass sie nicht wieder ausgerottet werden kann; wie der Sauerteig, so wenig er auch dem Teig beigemischt wird, ihn durchfrisst, so dass alles bald sauer ist und niemand verhindern kann, dass es so wird, oder es wieder süß macht.“[33]

    Aus diesem Grund gibt Paulus den Rat: Räumt den alten Sauerteig gründlich aus. Er erinnert seine Leser an die Vorbereitungen für das alte Passahfest. Die Beseitigung des Sauerteigs, 2. Mose 12,18.19, wurde am 13. oder spätestens am Morgen des 14. Nisan durchgeführt, und zwar mit der größten Sorgfalt. Alle Stellen im Haus, an denen Brot aufbewahrt wurde oder wo Krümel heruntergefallen sein könnten, wurden mit brennenden Fackeln abgesucht und alle dunklen Ecken sorgfältig ausgekratzt, damit kein Sauerteig zurückblieb, der der Familie das Fest verderben konnte. In gleicher Weise müssen die Korinther den Inzestler aus ihrer Mitte entfernen und alle offenen Vergehen ausmerzen. Und so reinigen die Christen aller Zeiten den alten Sauerteig der Sünde durch tägliche Reue und Buße in sich selbst und bestehen auf der Anwendung der Bannmacht im Falle notorischer Übertretungen bei Kirchenmitgliedern. Und das Ziel einer solchen Reinigung soll nach Gottes Willen sein: Dass ihr eine neue Masse seid, so wie ihr ungesäuert seid. Wenn ein Christ darauf achtet, seinen eigenen alten Adam zurückzuhalten, und alles in seiner Macht Stehende tut, um die Reinheit der christlichen Gemeinde aufrechtzuerhalten, dann verwirklicht sich der Wille Gottes in der allmählichen Herstellung einer geheiligten Masse, aus der alle bösen Gärungen entfernt sind, die nur vom Geist Gottes regiert wird. Und die Fähigkeit, so viel zu erreichen, beruht auf der Gnadengabe Gottes, der Tatsache, dass alle Christen um Christi Sühne willen als ungesäuert, rein und sauber angesehen werden, Joh. 15,3: „Der Apostel befiehlt, den alten Sauerteig auszukehren, und gibt diesen Grund an: Denn ihr seid ein neues und ungesäuertes Mahl. Eine neue oder süße Masse zu sein, nennt er, den Glauben zu haben, der an Christus festhält und glaubt, dass er durch ihn Vergebung der Sünden hat; wie er gleich darauf von Christus, unserem Passah, das für uns geopfert wurde, sagen wird usw. Durch denselben Glauben sind wir von dem alten Sauerteig, d.h. von den Sünden und dem bösen Gewissen, gereinigt und haben nun begonnen, neue Menschen zu sein... . . Siehe, das ist das eine, was uns dieser Text lehrt, dass auch in den Heiligen noch Schwachheit und viel Unreines und Sündhaftes bleibt, das gereinigt werden muss, und doch wird es ihnen nicht zugerechnet, da sie in Christus sind und solchen Sauerteig ausreinigen.“[34] Dass die Christen durch die Verdienste Christi als rein und sauber vor Gott gelten und sich deshalb bemühen sollen, diese Reinheit zu bewahren und ihre Kleider unbefleckt zu halten, beruht auf einer Tatsache: Denn auch unser Passah, Christus, ist für uns geopfert. Menschen, die mit den Bräuchen des jüdischen Festes vertraut sind, muss allein schon der Gedanke daran aufhorchen lassen: Das Passahlamm ist geschlachtet, und der Sauerteig ist noch nicht ausgetrieben! Es sollte sie eifrig auf jeden Fortschritt in der Heiligung hinweisen, und zwar in jeder Form, denn alle Christen sind Teilhaber dieser wunderbaren Gabe. Christus ist das wahre Passahlamm, und alle Festlämmer des Alten Testaments waren nur Typen, die auf die große Erfüllung hinweisen, Jes. 53. Christus wurde geopfert, geschlachtet, als ein Lamm, das die Sünden der Welt trug. Die Sünden der Welt sind so groß und schrecklich, dass der große, ernste und schreckliche Zorn Gottes wegen der Sünden, wie Luther sagt, nicht davor zurückschrecken konnte, das Todesurteil an dem Stellvertreter aller Menschen zu vollstrecken. Gott hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle dahingegeben. So ist Christus wahrhaftig unser Passah geworden; um seinetwillen, um des Blutes willen, das er vergossen hat und das auf die Pforten unserer Herzen gestrichen ist, geht der Engel des Verderbens an den Gläubigen vorüber, so dass die Plage der ewigen Verdammnis sich unserer Wohnung nicht nähern kann.

    Alle Bedingungen sind auf diese Weise erfüllt: Lasst uns also das Fest halten, lasst uns das Festmahl feiern und uns weiterhin seiner Segnungen erfreuen. Und da wir Christen, wie Luther schreibt, immer Ostern haben, da unser Passahlamm ewig währt, so soll das Werk der Heiligung, das in uns bei der Wiedergeburt begonnen wurde, unser ganzes Leben lang andauern; ein geweihtes Leben folgt natürlich aus der innigen Verbindung zwischen Christus und den Gläubigen. Dies erklärt der Apostel: Nicht in dem alten Sauerteig, auch nicht in dem Sauerteig der Schlechtigkeit und Gemeinheit, sondern in dem ungesäuerten Brot der Aufrichtigkeit und Wahrheit. Der alte Sauerteig, alles, was nach der alten sündigen Natur riecht, ist ausgemerzt, er soll nie wieder die Herrschaft in den Herzen der Gläubigen übernehmen. Und es werden zwei besondere Erscheinungsformen dieses alten Adams genannt: der Sauerteig der Bosheit, der Böswilligkeit, jeder Verfehlung, mit der man dem Nächsten Schaden zufügt, und der Sauerteig der Gemeinheit, der Bosheit, der darauf abzielt, die Menschen vom rechten Verständnis des Wortes abzubringen und jede Art von Vergehen zu begehen. Dieser lasterhaften Gesinnung und deren aktiver Ausübung steht die Bewahrung des Festes im ungesäuerten Brot der Reinheit und der Wahrheit gegenüber, eine richtige innere Gesinnung, die keine Arglist kennt, mit der auch das ganze äußere Leben eines Menschen übereinstimmt, „dass wir sowohl die reine Lehre des Evangeliums bewahren als auch uns mit einem heiligen Leben und Beispiel danach richten und so beständig richtig leben, wie an einem ewigen Osterfest, . . in dem wir als neue Menschen im Glauben an Christus rechtschaffen, heilig und rein leben und bleiben, in Frieden und Freude des Heiligen Geistes, solange wir hier auf Erden sind.“[35]

 

    Eine missverstandene Aussage wird erklärt (V. 9-13): Paulus hatte einige Zeit zuvor einen Brief an die Korinther geschrieben, der verloren gegangen ist und wahrscheinlich aus irgendeinem Grund sofort vernichtet wurde. In diesem Brief hatte er einen Begriff verwendet, der falsch verstanden worden war: Nicht mit Unzüchtigen intim werden. Die korinthischen Christen hatten das Wort in einem sehr strengen Sinn interpretiert, nämlich so, dass sie unter keinen Umständen, auch nicht im Geschäft und in der Ausübung ihrer bürgerlichen Pflichten, mit Personen verkehren sollten, die unsittlichen Gewohnheiten anhingen. Das Wort, das Paulus wörtlich verwendet hatte, bedeutet „sich mit jemandem vermischen“, und er legt es nun für sie aus: Ich habe euch nicht gänzlich verboten, mit den Huren dieser Welt oder mit den Geizigen, Räubern oder Götzendienern Verkehr zu haben. Wenn sie die Absicht hatten, sich von allen Menschen, die sich dieser Sünden schuldig gemacht haben, völlig abzuschotten, selbst in ihrem gewöhnlichen Geschäftsleben, dann wäre die unvermeidliche Folge, dass sie aus der Welt gehen müssten. Es war unmöglich, in Korinth irgendeinen Beruf auszuüben, ohne täglich mit unmoralischen, räuberischen und götzendienerischen Menschen in Kontakt zu kommen. Paulus war sich dieses unvermeidlichen Umgangs sehr wohl bewusst; er war weit davon entfernt, das Leben von Verankerten, Einsiedlern und Mönchen vorzuschlagen oder zu billigen. Aber jetzt, in diesem Brief, formuliert er seine Ermahnungen in einer Sprache, die seine Bedeutung unmissverständlich macht. Wenn jemand noch im Zweifel über die Auslegung des ersten Briefes war, so ist es unmöglich, seinen Sinn jetzt zu verkennen: Wenn jemand, der sich Bruder nennt und behauptet, ein Glied der christlichen Gemeinde zu sein, und als einer der ihren eingeschrieben ist, ein Hurer oder Geizhals oder Götzendiener oder Lästerer oder Schänder oder Trunkenbold ist, mit dem soll man nicht einmal essen. Paulus nennt hier nur einige Beispiele für krasse, abscheuliche Vergehen, die einen Menschen offensichtlich unwürdig machen, zur Gemeinschaft der christlichen Brüder zu gehören. Ein Christ mag mit solchen Personen Geschäfte machen, aber mit ihnen in freundschaftliche Beziehungen zu treten, mit solchen Menschen brüderlichen und freundschaftlichen Umgang zu pflegen, ein solches Verhalten ist niemals mit dem christlichen Bekenntnis vereinbar. Was die Ungläubigen anbelangt, so hat die christliche Gemeinde keine Gerichtsbarkeit über sie: Was geht es mich an, über die zu richten, die draußen sind? Wir Christen wissen zwar, dass die Ungläubigen und groben Sünder unter der Verdammnis Gottes stehen, und es kommt oft vor, dass wir sie darauf hinweisen, aber der Apostel spricht hier von Gemeinschaft, von sozialer Vertrautheit innerhalb der Gemeinde, von christlicher Gemeinschaft. Da Ungläubige keine Mitglieder der christlichen Gemeinde sind, erstreckt sich die Gerichtsbarkeit der Gemeinde nicht auf sie. Richtet ihr nicht die, die drinnen sind, während Gott die draußen richtet? Als Richter der Welt kümmert sich Gott um das Urteil über die Außenstehenden, die Ungläubigen. Was die Gemeinde in Korinth betrifft, so sollte sie den Bösewicht aus ihrer Mitte entfernen, ihn aus ihrer Gemeinschaft ausschließen und so die Reinheit ihrer Mitgliedschaft in Christus bewahren. Der förmliche Ausschluss des bösartigen Sünders muss von der Gemeinde als selbstverwalteter Körperschaft ausgehen. Anmerkung: Die Notwendigkeit der Gemeindezucht wird hier aufrechterhalten und muss aufrechterhalten werden, wenn die christliche Gemeinde ihre Bestimmung und ihren Zweck erfüllen soll.

 

Zusammenfassung: Paulus wirft den Korinthern ernsthaft vor, dass sie es versäumt haben, eine inzestuöse Person in ihrer Mitte zu züchtigen, warnt sie, den alten Sauerteig auszutreiben, und korrigiert ein Missverständnis in Bezug auf die soziale Intimität mit schamlosen Übertretern des Dekalogs, deren Ausschluss aus der Gemeinde er fordert.

 

 

KIRCHENZUCHT

 

    Die Frage der Kirchenzucht in einer christlichen Gemeinde gehört nicht zu den gleichgültigen Dingen, wie Paulus im obigen Kapitel zeigt, sondern ihr Gebrauch wird in der Heiligen Schrift mit allem Nachdruck geboten und gefordert. Die Tatsache, dass sehr viele Gemeinden diesen wichtigen Teil der ihnen vom Herrn der Kirche auferlegten Pflichten vernachlässigen, spricht für die zunehmende Weltlichkeit der Kirche, ist in der Tat in vielen Fällen ein Zeichen des Zerfalls. Die Lehre der Heiligen Schrift zu diesem Punkt ist sehr eindeutig.

    Der Herr gibt zunächst sehr deutliche Anweisungen, bei welchen Personen die Kirchenzucht ausgeübt werden soll. Das sind die Brüder und Schwestern, die zur Gemeinde gehören, die sich der Gemeinde angeschlossen haben, sei es durch Taufe und Konfirmation, sei es aufgrund eines Entlassungsbriefes aus einer anderen Gemeinde, sei es durch ein Glaubensbekenntnis, das die völlige geistliche Einheit erkennen ließ. Solange jemand in diesem Sinne Mitglied der Gemeinde ist, steht er oder sie unter der Jurisdiktion der Gemeinde, was die Kirchenzucht betrifft, Matth. 18,15; 1. Kor. 5,11. Wenn jemand erklärt, er sei kein Gemeindeglied mehr und wolle mit der Gemeinde nichts mehr zu tun haben, so kann diese nur eine Erklärung abgeben, dass er zu denen gehört, die draußen sind, 1. Kor. 5,12. Es muss aber ausdrücklich verstanden werden, dass die Gerichtsbarkeit der Gemeinde nicht auf die stimmberechtigten Mitglieder und auch nicht auf die Männer beschränkt ist, sondern alle Glieder der Gemeinde, Männer und Frauen, Junge und Alte, umfasst.

    Um der Kirchenzucht unterworfen zu werden, muss eine Person ein Sünder sein, und zwar nicht in dem Sinne, dass wir alle versagen, dass wir täglich viel sündigen und nichts als Strafe verdienen, dass wir uns gezwungen sehen, unsere Sünden durch tägliche Reue und Buße abzulegen, sondern in dem Sinne, dass wir ein schamloser, offener, vorsätzlicher Übeltäter und Übertreter des Willens Gottes sind. Die Sünden, um die es hier geht, sind Übertretungen eines unmissverständlichen Wortes Gottes, Sünden, die den Glauben aus dem Herzen nehmen und den Menschen zu einem Nichtchristen machen. Einige davon werden in 1. Kor. 5,11 genannt. Andere sind: absichtliche Vernachlässigung der christlichen Unterweisung der Kinder, Nachlässigkeit im Gebrauch der Gnadenmittel, hartnäckiges Verteidigen einer offensichtlichen Irrlehre, Feindseligkeit und Unversöhnlichkeit, Leugnen einer grundlegenden Wahrheit der Heiligen Schrift und vieles mehr. Wenn ein Mitglied der Gemeinde sich dieser und ähnlicher Sünden schuldig macht, wie sie im Dekalog eindeutig verboten sind, dann wird es der Kirchenzucht unterworfen.

    Der Herr hat auch vorgeschrieben, in welcher Form die Gemeindezucht zu erfolgen hat. In der Regel sind die in Matth. 18,15-18 angegebenen Schritte zu beachten. Derjenige, der von der begangenen Sünde weiß, soll zuerst auf den Sünder zugehen und versuchen, den Bruder zu gewinnen. Wenn alle seine Bemühungen fehlschlagen, soll er einen oder zwei Zeugen mitnehmen und den Versuch wiederholen. Liebevolle Geduld ist an diesem Punkt unerlässlich. Wenn aber jeder Versuch auf den gleichen hartnäckigen Widerstand stößt, dann muss die Angelegenheit schließlich der Gemeinde vorgetragen werden. Und auch hier muss alle Langmut angewandt werden, solange noch irgendeine Hoffnung besteht, das fehlbare Mitglied zu gewinnen. Erst wenn sich alle Bemühungen als vergeblich erweisen, sollte der Beschluss zur Exkommunikation gefasst werden. Unter Umständen, besonders wenn die Sünde der Mehrheit der Gemeindemitglieder bekannt ist, wenn es sich um eine notorische Schande oder einen Skandal handelt, kann dieses Verfahren ausgesetzt werden, 1. Tim. 5,20. Aber auch in diesem Fall wird die Weisheit der Nächstenliebe gewöhnlich feststellen, dass es besser ist, die Angelegenheit zunächst in einem kleineren Kreis zu behandeln. Die Glieder der Gemeinde müssen sich stets der Tatsache bewusst sein, dass der Geist Jesu Christi in ihnen leben muss und dass alle ihre Bemühungen von einem wahrhaft evangelischen Geist geleitet sein müssen. Denn das Ziel der Gemeindezucht ist immer, den Bruder, wenn möglich, zu gewinnen, ihn zur Einsicht in seine Übertretung zu bringen und ihn in der Mitte der Gemeinde zu halten. Und selbst wenn das Dekret der Exkommunikation ausgesprochen werden muss, soll es in Trauer und in der Hoffnung geschehen, dass der Geist des Übertreters in der Vorsehung Gottes am Tag des Herrn Jesus noch gerettet werden kann, 1. Kor. 5,5.

    Die Kirchenzucht obliegt der Gemeinde, Matth. 18,20; 1. Kor. 5,4: „Es stimmt, dass unsere Versammlung der stimmberechtigten Mitglieder nicht die gesamte Gemeinde ist, aber sie repräsentiert die gesamte Gemeinde und bildet eine Versammlung, die für die Ausübung der Kirchenzucht gut geeignet ist. Es ist völlig klar, dass Kinder und Unmündige noch nicht in der Lage sind, an der Ausübung dieser Macht teilzunehmen. Denn dies setzt ein gewisses Maß an christlicher Erkenntnis und eine gewisse charakterliche Reife voraus. Außerdem hat der Herr selbst die Frauen von der öffentlichen Rede und Abstimmung in der Gemeinde ausgeschlossen. Und so ist es bei uns Brauch geworden, den männlichen Gemeindegliedern, die das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben, das Wahlrecht zu geben und die Leitung der Gemeinde und die Ausübung der Kirchenzucht in die Hände dieser Mitglieder zu legen. Es kann sogar vorkommen, dass die Ausübung der Ermahnung im dritten Schritt einem kleineren Kreis anvertraut wird. Dies ist besonders dann der Fall, wenn es sich um eine Person weiblichen Geschlechts handelt, die zu schüchtern sein könnte, vor einer größeren Versammlung von Männern aufzutreten. In diesem Fall kann das Ziel der Kirchenzucht, nämlich die Gewinnung der Schwester, in einem kleineren Kreis leichter erreicht werden.“[36]

Kapitel 6

 

Mit Brüdern vor Gericht gehen (6,1-11)

    1 Wie kann jemand unter euch es wagen, wenn er eine Streitsache hat mit einem anderen, zu Gericht zu gehen vor den Ungerechten und nicht vor den Heiligen? 2 Wisst ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten werden? Wenn denn nun die Welt soll von euch gerichtet werden, seid ihr denn nicht gut genug, geringere Sachen zu richten? 3 Wisst ihr nicht, dass wir über die Engel richten werden? wieviel mehr über die zeitlichen Güter! 4 Ihr aber, wenn ihr über zeitlichen Gütern Sachen habt, so nehmt ihr die, so bei der Gemeinde verachtet sind, und setzt sie zu Richtern.

    5 Euch zur Schande muss ich das sagen. Ist so gar kein Weiser unter euch oder doch nicht einer, der da könnte richten zwischen Bruder und Bruder? 6 Sondern ein Bruder hadert mit dem anderen, dazu vor den Ungläubigen. 7 Es ist schon ein Fehler unter euch, dass ihr miteinander rechtet. Warum lasst ihr euch nicht viel lieber unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht viel lieber übervorteilen? 8 Sondern ihr tut unrecht und übervorteilt, und solches an den Brüdern.

    9 Wisst ihr nicht, dass die Ungerechten werden das Reich Gottes nicht ererben? Lasst euch nicht verführen: Weder die Hurer noch die Götzendiener noch die Ehebrecher noch die Wollüstlinge noch die Homosexuellen 10 noch die Diebe noch die Habsüchtigen noch die Trunkenbolde noch die Lästerer noch die Räuber werden das Reich Gottes ererben. 11 Und solche sind euer etliche gewesen; aber ihr seid abgewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht worden durch den Namen des HERRN Jesus und durch den Geist unseres Gottes.

 

    Die fragliche Sache (V. 1-4): Der Anfang dieses Kapitels ist gekennzeichnet durch einen plötzlichen Ausbruch von Empörung über das unwürdige Verhalten einiger korinthischer Christen, die wahrscheinlich heidnischer Herkunft waren: Wagt es jemand von euch, wenn er eine Sache gegen einen anderen hat, vor den Ungerechten zu klagen und nicht vor den Heiligen? Hat jemand das Herz, das zu tun, wovor ihn ein gerechter Sinn für christliche Würde hätte zurückhalten müssen? Errötet denn niemand über seine eigene Dreistigkeit, auf diese Weise Klage zu erheben? Das Wort, das der Apostel verwendet, bezieht sich auf einen Zivilprozess, bei dem es in der Regel um Geld und Besitztümer geht. Für Paulus war es einfach unerhört, dass Streitigkeiten unter den Christen vor den Gerichten der Heiden ausgetragen wurden. Für ihn war es selbstverständlich, dass alle Streitfragen in ihrer eigenen Mitte, unter ihren eigenen Leuten, geregelt werden sollten. Denn es schien ein Widerspruch in sich selbst zu sein, dass diejenigen, die von den Christen als ungerecht, als ungerecht bezeichnet wurden, aufgefordert werden sollten, Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde zu schlichten, den Heiligen Recht zu verschaffen, deren sittliche Würde die Absurdität dieser Haltung hätte spüren müssen. „Paulus verurteilt hier nicht diejenigen, die aus Not eine Sache vor ungläubigen Richtern haben, wie wenn jemand vor Gericht geladen wird, sondern diejenigen, die von sich aus ihre Brüder in diese Lage bringen und sie gleichsam durch Ungläubige schikanieren, während es in ihrer Macht steht, ein anderes Mittel anzuwenden.“ (Calvin.)

    Der Apostel schließt seine Anklage mit einem Hinweis auf ihre unvergleichlichen Vorrechte an: Oder wisst ihr nicht, oder ist es möglich, dass ihr es nicht wisst, dass die Heiligen die Welt richten werden? Dies ist die einzige Stelle in der Heiligen Schrift, die von der Teilnahme der Gläubigen am Gericht der Welt spricht. Was von den Aposteln im Besonderen gesagt wurde, Matth. 19,28, wird hier auf alle wahren Nachfolger Christi ausgedehnt. Vgl. Dan. 7,22; Offb. 2,26.27; 20,4-6; 2. Thess. 1,10; Judas 14. So innig und vollkommen ist die Verbindung der Glieder mit Christus, ihrem Haupt, dass, wenn das Haupt in der Herrlichkeit des Gerichts erscheint, auch die Glieder an dieser richterlichen Funktion teilhaben werden. Und deshalb fragt Paulus: Wenn nun unter euch, vor euch, die Welt gerichtet wird, seid ihr dann der kleinsten Gerichte unwürdig, seid ihr unfähig, über vergleichbare Kleinigkeiten zu richten? Wenn sie an der großen und herrlichen Sitzung des Jüngsten Gerichts teilnehmen sollen, kann das Irdische, das Alltägliche, das Unbedeutende nicht zu schwer für sie sein. Wie absurd, dass sie so handeln!

    Der Apostel erhebt sich zu noch größeren Höhen: Wisst ihr nicht, dass wir die Engel richten werden, dass es zu unseren Aufgaben gehören wird, über die himmlischen Mächte selbst zu urteilen? Die guten Engel sind davon ausgenommen, da sie bereits in ihrer Seligkeit bestätigt sind und am Tag des Gerichts zum Gefolge Christi gehören werden. Über die bösen Engel aber werden die Gläubigen am Jüngsten Tag das Urteil der Verurteilung aussprechen. Satan selbst, der Gott dieser Welt, 2. Kor. 4,4, und seine Engel, selbst Weltherrscher, Eph. 6,12, werden ihr Urteil auch von den Gläubigen hören, die sie hier von Christus wegzulocken versuchten. Über das endgültige Schicksal der Engel wird ihr Urteil entscheiden, ganz zu schweigen von den weltlichen Dingen, von den Dingen, die nur dieses Leben betreffen! Solche Dinge werden die Christen nicht als unter ihrer Würde betrachten; vielmehr wird die Gewissheit ihrer künftigen erhöhten Stellung sie umso vorsichtiger und gewissenhafter in ihrem Urteil über die Dinge dieses Lebens machen, falls es unter ihnen in irgendeiner Frage eine Meinungsverschiedenheit geben sollte.

    Der Apostel zeigt nun, wie weit ihre Praxis von dem Idealzustand abweicht, den er vor Augen hatte: Wenn nun eure Gerichte zur Erledigung von Zivilprozessen abgehalten werden, wenn ihr sie zur Regelung eurer weltlichen Angelegenheiten abhaltet, dann setzt ihr diejenigen, die in der Kirche völlig verachtet sind, als Richter ein. Wenn in Korinth Gericht gehalten wurde, waren die Parteien verpflichtet zu erscheinen, die eine Zivilklage zu erheben hatten. Zum Zwecke der Urteilsfindung konnten die streitenden Parteien dann eine Anzahl von Männern aus der Liste der Adligen, deren Namen in den Listen eingetragen waren, als mögliche Richter auswählen; denn nach römischem Brauch wurde den streitenden Parteien dieses Recht zugestanden, damit sie volles Vertrauen in die Integrität der Männer setzen konnten, die als Richter fungieren sollten. Was für ein absurder Widerspruch! Die Christen, die zu der Hoffnung berufen waren, die Welt und sogar die himmlischen Mächte zu richten, wählten diejenigen zu Richtern, die trotz des Ansehens, das sie als Bürger genossen, vom Standpunkt der Gläubigen aus als ohne jede Ehre und Achtung angesehen wurden. Man kann sich gut vorstellen, welch selbstgefälliges, triumphierendes Lächeln auf den Gesichtern der Richter erschien, wenn streitende Christen ihren Fall vor sie brachten! Was für eine Schande für das christliche Bekenntnis und den Namen Christi, vor einem heidnischen Gericht zu feilschen und zu streiten, während man bekennt, Anhänger des Friedensfürsten zu sein!

 

    Des Apostels Rüge (V. 5-8): Kein Wunder, dass Paulus unter diesen Umständen Scham über sie ausrufen muss; ihr Verhalten ist schändlich und entspricht ganz und gar nicht dem eines sanftmütigen und barmherzigen Christen. Und er betont diesen Punkt noch mehr: Ist es denn so weit gekommen, dass nicht ein einziger weiser Mann unter euch ist, der zwischen seinen Brüdern entscheiden könnte? Gab es nicht einen einzigen Mann, der genug Erfahrung hatte, um eine Sache zu schlichten, wenn eine Sache anstand? Er kommt zu dem Schluss, dass es offensichtlich keinen solchen Mann gibt, da ein Bruder mit einem anderen in einen Rechtsstreit verwickelt ist, und das vor den Ungläubigen! Wenn es nur einen einzigen Mann in der Gemeinde gäbe, der weise genug wäre, solche Angelegenheiten unter vier Augen zu regeln, dann hätten sie ihn sicherlich hinzugezogen, um die Streitigkeiten zu entscheiden. Und so tragen sie ihre Klagen gegeneinander vor den ungläubigen Richtern vor. War das nicht gleichbedeutend mit einem Geständnis des Bankrotts?

    Paulus legt nun den wahren Kern der Sache offen: Es ist in der Tat ganz und gar ein Nachteil für euch, eine rundum schlechte Sache, dass ihr Rechtsstreitigkeiten habt. Es ist für sie von vornherein eine moralische Niederlage, dass es überhaupt so weit kommt, dass ihre Streitigkeiten überhaupt so groß werden. Ihr Fall ist verloren, bevor sie überhaupt den Gerichtssaal betreten haben, und ihr Vorgehen bedeutet ein Herabsinken von dem hohen Standard des reinen christlichen Gefühls. Der Sache des Christentums wird durch ein solches Verhalten zwangsläufig Schaden zugefügt, denn die Heiden werden den moralischen Wert der Bewegung natürlich nach dem Beweis ihrer Macht im Leben der Christen beurteilen. Wie sich die Gläubigen aller Zeiten in Fällen verhalten sollen, die sich nach der allgemeinen Erfahrung der Menschheit zu Prozessen entwickeln könnten, gibt der Apostel in der auffälligeren Form von Fragen an: Warum erduldet ihr nicht lieber Ungerechtigkeit? Warum unterwerft ihr euch nicht lieber dem Betrug? Paulus gibt hier die Lehre Jesu wieder, Luk. 6, 27-35. Indem sie dem Beispiel Jesu und des Paulus folgen, werden die Gläubigen stets dazu angehalten, lieber Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu erdulden. Aber die streitsüchtigen Mitglieder der korinthischen Gemeinde hatten diese Stufe der selbstlosen Liebe noch nicht erreicht: Vielmehr begeht ihr Unrecht und betrügt, beraubt euren Nächsten um das, was ihm gehört, und das buchstäblich zu euren Brüdern! Die geistige Verwandtschaft, die zwischen den Gläubigen besteht, sollte sie um so mehr bereit machen, sich dem Bruder in Liebe zu ergeben, aber stattdessen provozieren sie Streit, fügen Unrecht zu. „Paulus greift hier nicht das Gericht an, sondern den Fehler des Herzens, dass ein Bruder den anderen vor das weltliche Gericht, nämlich vor die Feinde des Glaubens, gerufen hat. Denn die Gerechtigkeit anzurufen und den Unterhalt des Lebens zu suchen, verbietet er nicht, sonst wäre es einem Herrn nicht erlaubt, das Lamm dem Wolf zu entreißen. Sie aber suchten ihre eigene Rache; sie versuchten, Schande über ihren Bruder zu bringen. Aber dieser Text will uns lehren, dass nicht Eifer oder Rachegelüste unser Motiv sein sollen, den Richter um Hilfe zu bitten, sondern Gerechtigkeit und Notwendigkeit.“[37]

 

    Eine Warnung an die unzüchtigen Christen (V. 9-11): Der Apostel hatte den Korinthern gerade gesagt, dass sie weit davon entfernt seien, die Gesinnung Christi zu zeigen, dass sie vielmehr Unrecht täten, dass sie eine rachsüchtige, ungerechte Gesinnung an den Tag legten, indem sie ihre Brüder vor den heidnischen Gerichten verklagten. Diesen Gedanken führt er nun weiter aus: Oder wisst ihr nicht, dass die Übeltäter das Reich Gottes nicht erben, die Vollendung aller christlichen Hoffnungen nicht erreichen werden? Ihr Verhalten, auch wenn es auf Unwissenheit beruht, stellt sie auf eine Stufe mit den Heiden. Und so fügt Paulus eine Warnung hinzu: Lasst euch nicht täuschen; lasst nicht zu, dass törichte Vorstellungen von eurem Geist Besitz ergreifen. Seine Leser sollten nicht den Fehler machen, dass die Freiheit des Evangeliums gleichbedeutend sei mit Lüsternheit und Freizügigkeit; freie Gnade bedeute nicht das Recht zu sündigen. Im Gegenteil, die Sünden, die in Korinth so weit verbreitet waren und denen einige der Gemeindemitglieder verfallen waren, schlossen den Übertreter absolut vom Erbe des Reiches Gottes aus. Zu diesen eklatanten Übertretern des heiligen Willens Gottes gehörten die Hurer, die ihre Lust außerhalb der Ehe befriedigen wollten; die Götzendiener, die fremde Götter anbeteten; die Ehebrecher, die das Eheband brachen; - diese drei Sünden wurden in Korinth im Kult der heidnischen Göttin offen praktiziert; - die Wollüstigen, die allen Formen der Sinnlichkeit verfallen waren; die Sodomiten, die sich der unnatürlichen Laster schuldig machten, wie sie von den Griechen so schamlos praktiziert wurden; die Diebe, die Habgierigen, die Trunkenbolde, die Lästerer, die Räuber oder Wucherer. Man beachte, wie die Wiederholung der Verneinung die Tatsache ihres absoluten Ausschlusses von den Segnungen, die Gott den Gläubigen vorbehalten hat, hervorhebt.

    Und nun erinnert der Apostel nach seiner üblichen Art die korinthischen Christen an die herrlichen Gaben der Barmherzigkeit, die sie empfangen haben, und vergleicht ihren jetzigen Zustand mit dem vor ihrer Bekehrung: Und diese Dinge waren einige von euch. Solch ein Zeug, solch ein Haufen, solch ein Greuel waren sie, das heißt, einige von ihnen; die Mehrheit von ihnen hatte sich glücklicherweise nicht solch extremer Laster schuldig gemacht. Aber diese Dinge gehören nun der Vergangenheit an, denn sie wurden in der Taufe rein gewaschen, die Kraft Gottes im Sakrament nahm all ihre Unreinheit weg, Tit. 3,5; Apg. 22,16; Kol. 2,11.12; Eph. 5,26.27. Sie wurden geheiligt; sie wurden von der Welt getrennt und durch dieselbe heilige Handlung Gott geweiht, sie wurden in die Gemeinschaft mit Gott versetzt. Sie waren gerechtfertigt; sie waren in jenen Zustand eingetreten, in dem Gott sie als gerecht und rechtschaffen ansieht, indem er ihnen die Gerechtigkeit Jesu Christi zurechnet. Und dies alles geschah im Namen des Herrn Jesus Christus, durch den alle Gnadengaben möglich geworden sind, und im Geist unseres Gottes, durch dessen Kraft die Wiedergeburt bewirkt wird. Die Gläubigen sind das heilige und lebendige Eigentum Christi, weil der Geist Gottes in ihnen lebt. Auf diese Weise wird der Eintritt der Christen in den Gnadenstand in seinem ganzen herrlichen Gegensatz zu dem armseligen Zustand der Unerweckten dargestellt, damit das Gedenken an diese Vorrechte sie stets zu einem Leben ansporne, das ihrer himmlischen Berufung entspricht.

 

Die Notwendigkeit, den Leib unbefleckt zu halten (6,12-20)

    12 Ich hab’ es alles Macht; es frommt aber nicht alles. Ich hab’ es alles Macht; es soll mich aber nichts gefangen nehmen. 13 Die Speise dem Bauch und der Bauch der Speise; aber Gott wird diesen und jene hinrichten. Der Leib aber nicht der Hurerei, sondern dem HERRN und der HERR dem Leib. 14 Gott aber hat den HERRN auferweckt und wird uns auch auferwecken durch seine Kraft.

    15 Wisst ihr nicht, dass eure Leiber Christi Glieder sind? Sollte ich nun die Glieder Christi nehmen und Hurenglieder daraus machen? Das sei ferne! 16 Oder wisst ihr nicht, dass, wer an der Hure hangt, der ist ein Leib mit ihr? Denn sie werden (spricht er) zwei in einem Fleisch sein. 17 Wer aber dem HERRN anhangt, der ist ein Geist mit ihm. 18 Fliehet die Hurerei! Alle Sünden, die der Mensch tut, sind außer seinem Leib; wer aber hurt, der sündigt an seinem eigenen Leib. 19 Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist der in euch ist, welchen ihr habt von Gott, und seid nicht euer selbst? 20 Denn ihr seid teuer erkauft. Darum so preist Gott an eurem Leib und in eurem Geist, welche sind Gottes.

 

    Christliche Schicklichkeit (V. 12-14): Der Apostel hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die christliche Freiheit und die Freiheit des Fleisches unvereinbar sind. Die Liebe Christi soll den Gebrauch der christlichen Freiheit nach der Regel regeln, dass alle meine Taten, zu denen ich die Macht habe, meinem Nächsten zu helfen und zu nützen; und andererseits wird die christliche Freiheit nicht zulassen, dass etwas, worüber ich die Macht habe, mich überwältigt und gefangen nimmt. Die Laxheit der Sitten in der korinthischen Gemeinde konnte nicht mit dem Motto entschuldigt werden: Alles ist in meiner Macht, Kap. 3,22. Die Tatsache an sich ist richtig, aber sie muss durch das Prinzip der Zweckmäßigkeit und durch die Unterscheidung zwischen Freiheit und Erlaubnis ausgeglichen werden. Ein Christ mag die Macht haben, alles zu tun, aber er wird feststellen, dass nicht alles vorteilhaft ist, dass es nicht gut für sein eigenes Wohlergehen ist. Und weiter: Gewisse Dinge mögen in der Macht des Christen stehen, aber es wäre töricht, sie im Übermaß zu gebrauchen (Mäßigkeit, Enthaltsamkeit), denn dann könnten sie ihn beherrschen, und so wird er durch den Missbrauch seiner Freiheit die reichsten Früchte dieser Freiheit einbüßen.

    Der Apostel führt zwei Beispiele an, um zu verdeutlichen, was er meint: Speisen für den Magen und der Magen für seine Speisen. Gott hat die verschiedenen Arten von Nahrungsmitteln dazu geschaffen, dass sie vom Körper im Magen aufgenommen und verdaut werden, und er hat den Magen dazu geschaffen, dass er die Nahrungsmittel aufnimmt und an ihrer Verdauung teilnimmt. Und Gott wird schließlich sowohl den Magen als auch die Nahrungsmittel abschaffen, zerstören. Der Vorgang des Essens ist also an sich eine moralisch gleichgültige Sache. Aber sich zum Sklaven des Magens zu machen, sich der Unmäßigkeit hinzugeben, ist offensichtlich ein Missbrauch der von Gott gegebenen Macht. Der andere Fall ist schwerwiegender: Der Leib nicht für die Unzucht, sondern für den Herrn, und der Herr für den Leib. Man kann nicht behaupten, dass die Zeugungsfähigkeit und die geschlechtliche Begierde zu irgendeinem Zeitpunkt eine Übertretung der heiligen Regel Gottes über die Heiligkeit des Ehebandes rechtfertigen. Unzucht ist eine Perversion des legitimen Gebrauchs des Leibes, der wichtigere, lebenswichtigere Beziehungen hat als die, die mit diesem irdischen Leben verbunden sind. Der Körper gehört dem Herrn, er ist für den Gebrauch des Herrn geschaffen; er sollte in seinem Dienst eingesetzt werden. Und der Herr wird seinerseits in dem Leib leben, er selbst wird seine wahre Nahrung und sein Unterhalt sein, Joh. 6,15.33.53. Diese Tatsache wird umso deutlicher hervorgehoben, als die Bestimmung des Leibes das ewige Leben ist: Gott aber hat den Herrn auferweckt und wird uns durch seine Kraft auferwecken. Die Auferweckung Christi aus dem Grab kam zuerst, aber wir, als seine Brüder und Glieder, werden unseren Erstlingen in seiner Auferstehung folgen, und unsere Leiber werden seinem unsterblichen Leib gleichgestaltet werden. Wie kann aber ein Christ unter diesen Umständen seinen Leib noch als Werkzeug der Unmoral hergeben?

 

    Eine ernste Warnung vor Unmoral (V. 15-20): Der Apostel spricht in heiligem Eifer, mit gerechter Empörung, ohne Vorbehalt, und bringt die Wahrheit in ihrer hässlichen Nacktheit. Sein Ziel ist es, seinen Lesern den abscheulichen Charakter des Lasters, das in ihrer Stadt so schamlos seine Fahne zur Schau stellte, deutlich vor Augen zu führen; er entfaltet es in seiner ganzen Abscheulichkeit, indem er es anschaulich und konkret darlegt: Wisst ihr nicht, dass unsere Leiber Glieder Christi sind? Sollte ich also die Glieder Christi wegnehmen und sie zu Gliedern einer Hure machen? Mitnichten. Christus ist das Haupt der Kirche, und jeder Gläubige wird durch den Glauben ein Glied dieses einen Hauptes; er ist eines der Organe dieses großen Leibes und soll nur im Interesse des Herrn wirken. Sollte also jemand die Würde, die Christus und seinem Dienst gebührt, so weit vergessen, dass er seinen Leib zu einem Glied der Hure macht und damit seiner Berufung und seinem Herrn untreu wird? Allein der Gedanke daran erfüllt den Apostel mit Entsetzen; denn wie könnte man eine Hure Christus vorziehen? Wie könnte man seine Zuneigung von ihrem eigentlichen Besitzer entfremden und sie in einer solch unheiligen Verbindung konzentrieren?

    Aus Furcht, die Korinther könnten ihn noch nicht verstanden haben oder seine Worte absichtlich falsch verstehen, fügt Paulus noch mehr hinzu: Oder wisst ihr nicht, dass derjenige, der sich mit der Hure vereinigt, ein Leib mit ihr ist? Denn, so sagt Gott, die beiden werden ein Fleisch sein, 1. Mose 2,24. Dieser Segen Gottes sollte den rechtmäßigen Verkehr der Ehe heiligen. Wer aber das Gebot Gottes bricht und außerhalb der Ehe die Befriedigung der bloßen Lust sucht, wird ein Leib mit einer, die nicht seine Frau ist. Aber das Wort des Herrn bleibt bestehen: Der fleischliche Verkehr bedeutet die Einheit der Leiber. Die geschlechtliche Vereinigung stellt ein dauerhaftes Band zwischen den Schuldigen dar, denn das Wort des Herrn gilt für jede solche Vereinigung, ob sie rechtmäßig oder unrechtmäßig, ehrenhaft wahr oder schändlich ist. Keine Darstellung könnte die Sünde der Unzucht in ihrer abscheulichen Widerwärtigkeit genauer beschreiben als die, die der Apostel hier verwendet.

    Noch einmal hebt er den Kontrast hervor: Wer aber dem Herrn anhängt, ist ein Geist mit ihm. Eine wunderbare, wirkliche, dauerhafte und gesegnete Verbindung ist die, die der Gläubige in und durch die Wiedergeburt eingeht. Denn der Glaubensakt schafft ein Band inniger Gemeinschaft mit Christus, er macht den Gläubigen im Geiste eins mit seinem Heiland in der Liebe, nicht nur durch die gnädige Zurechnung seiner Gerechtigkeit, sondern auch durch die Einwohnung seines Geistes im Herzen, Joh. 14,20; 15,4; 17,23; Eph. 3,17. Kein Wunder, dass diese Tatsache den Apostel dazu drängt, seine dringende Ermahnung zu wiederholen: Flieht die Unzucht. Bei dieser Sünde wäre es töricht, stehen zu bleiben und den Kampf zu suchen, denn hier ist „der stärkste Schwur Stroh gegen das Feuer im Blut“. Wie im Falle Josephs ist die mutige Flucht die einzige Lösung der Schwierigkeit, Spr. 6,28. Und niemand soll sich mit der Ausrede täuschen, er schade niemandem, wenn er sich dieser Sünde hingibt: Jede Sünde, die ein Mensch begeht, ist außerhalb des Leibes; wer aber Unzucht treibt, sündigt gegen seinen eigenen Leib. Die Sünden gegen alle anderen Gebote des Dekalogs haben ihr Ziel außerhalb des Leibes; wenn sie die Organe des Leibes betreffen, wie im Falle der Unmäßigkeit, so betreffen und verletzen sie nur die vergänglichen und verderblichen Organe des Leibes und erfordern zu ihrer Begehung Mittel, die von außen kommen und an sich dem Leib fremd sind. Aber die Sünden gegen das sechste Gebot beinhalten eine Verletzung des Selbst, der innersten geistigen Wünsche und körperlichen Fähigkeiten; der ganze Körper wird verunreinigt und entehrt, nicht nur in einem Geschlecht, sondern in beiden, denn die christliche Religion kennt keine Doppelmoral.

    Um den korinthischen Christen das Gewicht seines Arguments zu verdeutlichen, verweist der Apostel auf die bekannte Würde, die der Leib der Gläubigen als solcher besitzt: Oder wisst ihr nicht, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes in euch ist, den ihr von Gott habt, und dass ihr nicht euer Eigentum, eure eigenen Herren seid? „Was sind denn alle anderen Gaben“, sagt Luther, „außer dieser Gabe, dass der Geist Gottes selbst, der ewige Gott, in unsere Herzen, ja in unsere Leiber herabkommt und in uns lebt, uns regiert, leitet und führt!“ Obwohl Paulus die ganze Gemeinde anspricht, spricht er dennoch vom Leib in der Einzahl, um noch einmal deutlich zu machen, dass sie alle eins sind in Christus Jesus. Jeder für sich und alle zusammen sind der Tempel des Heiligen Geistes, der sich herabgelassen hat, sie zu seiner Wohnung zu machen, seine Wohnung in ihren Herzen und in ihren Leibern zu nehmen. Und deshalb sind sie nicht mehr Herren ihres eigenen Leibes, um ihre eigenen Lüste und Begierden auszuleben. Nach heidnischer Vorstellung war die Prostitution eine Weihe des Leibes; nach christlicher Vorstellung ist sie die schmutzigste Entweihung des Leibes. Die Christen dürfen ihren Körper nicht mehr zur Befriedigung ihrer sündigen Leidenschaften gebrauchen, sondern sind verpflichtet, ihn zur Erfüllung des heiligen Willens Gottes einzusetzen. Und zu diesem Zweck schließt der heilige Paulus mit einem eindringlichen Appell: Denn ihr seid um einen Preis erkauft worden; so verherrlicht Gott in eurem Leib! Wir Christen wurden erkauft, befreit, erlöst von der Macht der Sünde und des Teufels, nicht mit vergänglichen Dingen, wie Silber und Gold. Der Preis unserer Erlösung war vielmehr so beschaffen, dass wir in aller Ewigkeit in anbetendem Staunen und Lobpreis stehen: mit dem kostbaren Blut Christi, wie von einem Lamm ohne Fehl und Makel, 1. Petr. 1,18. 19. Durch diese Erlösung sind wir das Eigentum Christi geworden und sollen ihm in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit dienen. Das ist die Schlussfolgerung des Apostels: Verherrlicht Gott in eurem Leib; alle Handlungen aller eurer Organe und Glieder sollen dazu dienen, seine Ehre und Herrlichkeit zu mehren; euer Leib soll ein Tempel sein, in dem jeder Mensch dem höchsten Gott in aller Keuschheit und Anständigkeit als Priester dient.

 

Zusammenfassung: Der Apostel tadelt die korinthischen Christen dafür, dass sie mit ihren Brüdern vor den heidnischen Gerichten vor Gericht gehen; er warnt sie vor verschiedenen Sünden, besonders aber vor der Unzucht, denn ihr Leib ist der Tempel des Heiligen Geistes.

 

 

Kapitel 7

 

Unterweisungen zur Ehe (7,1-40)

    1 Von dem ihr aber mir geschrieben habt, antworte ich: Es ist dem Menschen gut, dass er keine Frau berühre. 2 Aber um der Hurerei willen habe ein jeglicher seine eigene Frau, und eine jegliche habe ihren eigenen Mann. 3 Der Mann leiste der Frau die schuldige Pflicht, desgleichen die Frau dem Mann. 4 Die Frau ist ihres Leibes nicht mächtig, sondern der Mann. Desgleichen der Mann ist seines Leibes nicht mächtig, sondern die Frau. 5 Entziehe sich nicht eins dem andern, es sei denn aus beider Bewilligung eine Zeitlang, dass ihr zum Fasten und Beten Muße habt; und kommt wieder zusammen; damit euch der Satan nicht versuche um eurer Unkeuschheit willen.

    6 Solches sage ich aber aus Erlaubnis und nicht aus Gebot. 7 Ich wollte aber lieber, alle Menschen wären, wie ich bin; aber ein jeglicher hat seine eigene Gabe von Gott, einer so, der andere so. 8 Ich sage zwar den Ledigen und Witwen: Es ist ihnen gut, wenn sie auch bleiben wie ich. 9 Wenn sie aber sich nicht enthalten, so lass sie freien; es ist besser freien, als Brunst leiden. 10 Den Ehelichen aber gebiete nicht ich, sondern der HERR, dass die Frau sich nicht scheide von dem Mann. 11 Wenn sie sich aber scheidet, dass sie ohne Ehe bleibe oder sich mit dem Mann versöhne, und dass der Mann die Frau nicht von sich lasse.

    12 Den anderen aber sage ich, nicht der HERR: Wenn ein Bruder eine ungläubige Frau hat, und diese lässt es sich gefallen, bei ihm zu wohnen, der scheide sich nicht von ihr. 13 Und wenn eine Frau einen ungläubigen Mann hat, und er lässt es sich gefallen, bei ihr zu wohnen, die scheide sich nicht von ihm. 14 Denn der ungläubige Mann ist geheiligt durch die Frau, und die ungläubige Frau wird geheiligt durch den Mann. Sonst wären eure Kinder unrein; nun aber sind sie heilig. 15 Wenn aber der Ungläubige sich scheidet, so lass ihn sich scheiden. Es ist der Bruder oder die Schwester nicht gefangen in solchen Fällen. Im Frieden aber hat uns Gott berufen. 16 Was weißt du aber, du Frau, ob du den Mann werdest selig machen? Oder du Mann was weißt du, ob du die Frau werdest selig machen? 17 Doch wie einem jeglichen Gott hat ausgeteilt. Ein jeglicher, wie ihn der HERR berufen hat, so wandele er. Und so schaffe ich’s in allen Gemeinden.

    18 Ist jemand beschnitten berufen, der zeuge keine Vorhaut. Ist jemand berufen in der Vorhaut, der lasse sich nicht beschneiden. 19 Die Beschneidung ist nichts, und die Vorhaut ist nichts, sondern Gottes Gebote halten; 20 Ein jeglicher bleibe in dem Beruf, darin er berufen ist. 21 Bist du als Sklave berufen, sorge dich nicht; doch kannst du frei werden, dann mache davon desto lieber Gebrauch. 22 Denn wer als Sklave berufen ist in dem HERRN, der ist ein Freier des HERRN; desgleichen, wer als Freier berufen ist, der ist ein Knecht Christi. 23 Ihr seid teuer erkauft; werdet nicht der Menschen Knechte! 24 Ein jeglicher, liebe Brüder, worin er berufen ist, darin bleibe er bei Gott.

    25 Von den Jungfrauen aber habe ich kein Gebot des HERRN; ich sage aber meine Meinung, als der ich Barmherzigkeit erlangt habe von dem HERRN, treu zu sein. 26 So meine ich nun, solches sei gut um der gegenwärtigen Not willen, dass es dem Menschen gut sei, so zu sein. 27 Bist du an eine Frau gebunden, so suche nicht, los zu werden; bist du aber los von der Frau, so suche keine Frau. 28 Wenn du aber freist, sündigst du nicht; und wenn eine Jungfrau freit, sündigt sie nicht; doch werden solche leibliche Trübsal haben. Ich verschone aber euer gerne.

    29 Das sage ich aber, liebe Brüder: Die Zeit ist kurz. Weiter ist das die Meinung: Die da Frauen haben, dass sie seien, als hätten sie keine, und die da weinen, als weinten sie nicht, 30 und die sich freuen, als freuten sie sich nicht, und die da kaufen, als besäßen sie es nicht, 31 und die diese Welt gebrauchen, dass sie die nicht missbrauchen; denn das Wesen dieser Welt vergeht.

    32 Ich wollte aber, dass ihr ohne Sorge wärt. Wer ledig ist, der sorgt, was dem HERRN angehört, wie er dem HERRN gefalle. 33 Wer aber freit, der sorgt, was der Welt angehört, wie er der Frau gefalle. Es ist ein Unterschied zwischen einer Frau und einer Jungfrau. 34 Welche nicht freit, die sorgt, was dem HERRN angehört, dass sie heilig sei, beide, am Leib und auch am Geist; die aber freit, die sorgt, was der Welt angehört, wie sie dem Mann gefalle. 35 Solches aber sage ich zu eurem Nutz; nicht dass ich euch einen Strick an den Hals werfe, sondern dazu, dass es fein ist, und ihr stets und ungehindert dem HERRN dienen könnt.

    36 Wenn aber jemand sich lässt dünken, es sei unziemlich mit seiner Jungfrau, weil sie wohl reif zur Ehe ist, und es will nicht anders sein, so tue er, was er will; er sündigt nicht, er lasse sie freien. 37 Wenn einer aber sich fest vornimmt, weil er ungezwungen ist und seinen freien Willen hat, und beschließt solches in seinem Herzen, seine Jungfrau so bleiben zu lassen, der tut wohl. 38 Endlich, welcher verheiratet, der tut wohl; welcher aber nicht verheiratet, der tut besser. 39 Eine Frau ist gebunden an das Gesetz, solange ihr Mann lebt; wenn aber ihr Mann entschläft, ist sie frei, sich zu verheiraten, welchem sie will; allein, dass es in dem HERRN geschehe. 40 Seliger ist sie aber, wenn sie so bleibt, nach meiner Meinung. Ich halte aber, ich habe auch den Geist Gottes.

 

    Die Schicklichkeit und Pflicht in der Ehe (V. 1-5): Dieses Kapitel enthält die große Lehre des Paulus über den Stand der Ehe, die mit den verschiedenen Stellen, besonders im Alten Testament, verglichen werden muss, wo der heilige Stand der Ehe beschrieben wird. In diesem Kapitel ist zu beachten, dass die Grundsätze für alle Zeiten gelten, dass aber die besondere Anwendung, die Paulus vornimmt, sich auf die Verhältnisse bezieht, wie sie zu seiner Zeit, besonders in der Gemeinde von Korinth, herrschten. Diese Unterscheidung wird im Text in der Weise beachtet, dass die Grundsätze, die Paulus behandelt, als Gebote des Herrn eingeführt werden, seine besondere Anwendung für den ihm vorgelegten Fall als sein Urteil oder Rat. Vgl. V. 1.26.29. Der Anlass des Gesprächs war eine Frage oder Anfrage, die dem Apostel von den Korinthern gestellt worden war: Was aber das betrifft, worüber du geschrieben hast, das, was du in deinem Brief vorgebracht hast. Die Fragen lauteten offenbar wie folgt: Sollte ein Mensch verheiratet sein oder nicht? Wie steht es mit den besonderen Pflichten der Ehe? Ist die Auflösung des Ehebandes zulässig, wenn eine der Parteien Nichtjüdin ist?

    Die Antwort des Paulus auf die erste Frage: Es ist richtig, sittlich angemessen, ehrenhaft, lobenswert (im Sinne von „nicht zu verurteilen“), wenn einer, wenn eine Person, eine Frau nicht berührt. Daraus ist nicht abzuleiten, wie die falschen Asketen meinen, dass schon die bloße körperliche Berührung der Hand oder der Haut einer Frau den Mann verunreinigt, obwohl unter Umständen ein Händedruck, das geringste Berühren der Haut einer Frau, zu einer unerlaubten Liebkosung und Verunreinigung werden kann. Der heilige Paulus spricht hier offensichtlich von der wahren Ehelosigkeit, die auf der Gabe der Keuschheit in ihrer strengsten Auslegung beruht, und verteidigt sie gegen diejenigen, die sie für unmenschlich halten. Wie Luther sagt, „war es dem heiligen Paulus ein Bedürfnis, diejenigen nicht ohne Trost zu lassen, die es vorzogen, ein zölibatäres Leben zu führen.“ Aber er beeilt sich, hinzuzufügen: Aber wegen der Sünden der Unzucht soll jeder seine eigene Frau haben, und jede Frau soll ihren eigenen Mann haben.[38] Die Situation war damals ähnlich wie heute: Die Sünden der Ausschweifung, des Libertinismus, jeder Form von Unzucht waren so weit verbreitet, dass es wirklich ein ungewöhnliches Maß an der Gabe der Keuschheit erforderte, inmitten so vieler Versuchungen rein zu bleiben. Damals wie heute bestand die einzige Möglichkeit, der Unzucht zu entfliehen, darin, die Keuschheit der Ehe zu suchen. Er spricht natürlich von einer christlichen Ehe, in der der Mann nur eine, seine eigene Frau, und die Frau nur einen, ihren eigenen Mann, hat. Der heilige Paulus träumte nicht von einer unmöglichen Heiligkeit, sondern er befasste sich mit der Situation, wie sie tatsächlich bestand, und er schrieb das Heilmittel vor, das der Herr vorgesehen hatte. Denn die eheliche Beziehung zwischen Mann und Frau kann zwar wegen der ihr innewohnenden Sünde kein ganz reiner und unbefleckter Dienst Gottes sein, ist aber dennoch keine Unmoral an sich, da die natürliche Neigung der Geschlechter in diesem Fall durch Gottes Einsetzung geheiligt ist und die Verheirateten den Trost haben, dass Gottes Gnade in Christus alles überdeckt, was vom alten Fleisch in ihrem Verkehr noch vorhanden ist.

    Von der besonderen Pflicht der Ehe sagt der Apostel: Der Mann soll der Frau geben, was ihr gebührt, die Frau aber dem Mann. Die Frau hat nicht Macht über ihren eigenen Leib, sondern der Mann; aber auch der Mann hat nicht Macht über seinen eigenen Leib, sondern die Frau. Wenn ein Mann oder eine Frau in den Stand der heiligen Ehe eintritt, stellt er oder sie den Körper in den Dienst des anderen in einem ehrbaren und unbefleckten Verkehr. Jeder hat daher einen legitimen Anspruch auf den Körper des anderen, und weder Willkür noch bloße Leidenschaft sollten diesen Gebrauch bestimmen, Hebr. 13,4. Beachten Sie, dass hier nicht mit zweierlei Maß gemessen wird: Sie ist ebenso Herrin über seine Person wie er Herr über die ihre. Beachte auch, dass dies eine sehr starke Stelle für die Einehe ist, da hier offensichtlich nur von einem Mann und einer Frau die Rede ist. Und in dieser Beziehung sollen sich Mann und Frau nicht gegenseitig um die besondere Pflicht der Ehe betrügen oder berauben; Paulus verbietet die willkürliche Verweigerung des Verkehrs, wenn der andere es wünscht. Etwas anderes ist der Verzicht auf das eheliche Recht im gegenseitigen Einverständnis, wenn beide Parteien damit einverstanden sind und so die Rechte beider gewahrt bleiben. Eine solche Vereinbarung kann für eine gewisse Zeit getroffen werden, zum Beispiel, um sich zum Gebet zurückzuziehen. Paulus macht dies nicht zu einem Gesetz - er impliziert das Vorrecht der ehelichen Pflichten -, aber es ist eine Anregung, der sie folgen könnten. Solche außergewöhnlichen und ausgedehnten Andachtsübungen wurden später für die Festzeiten vorgeschrieben. Aber der Apostel will die Zeit nicht ins Unendliche verlängern: Und seid wieder beieinander, nehmt den unterbrochenen ehelichen Verkehr wieder auf, damit der Satan euch nicht wegen eurer mangelnden Selbstbeherrschung in Versuchung führt. Der Herr kennt die Schwäche des menschlichen Herzens und hütet sich vor einer Enthaltsamkeit, die nur eine Form der Heuchelei ist. Er hat die sexuelle Neigung in Mann und Frau geschaffen, er kennt ihre Macht seit dem Sündenfall, und er will nicht, dass die Verheirateten sich einer unnötigen Askese hingeben, die zu einer Verunreinigung des Geistes und des Herzens führen kann.

 

    Heirat unter Umständen notwendig (V. 6-11): Der Apostel bezieht sich hier auf den einleitenden Satz des Kapitels, wonach er die Ehe zur Regel machte, obwohl er die Ehelosigkeit für gut hielt. Dies sagt er mit Rücksicht auf die Erlaubnis. Der Herr, der Paulus zu diesem Brief inspiriert hat, hat ihm erlaubt, auf die Umstände und das Temperament Rücksicht zu nehmen, allgemeine Grundsätze auf die damaligen Verhältnisse anzuwenden. Aber das ändert nichts an dem Gebot und der Anordnung des Herrn. Wo immer Paulus in Fragen der christlichen Freiheit spricht und seine Meinung und seinen Rat gibt, V. 25, ist er sich bewusst, dass er als ein Mann spricht, der den Geist Gottes hat, V. 40. In diesem Sinne schreibt er auch: Ich will aber, dass alle Menschen seien wie ich. Gott hatte ihm die besondere Gabe der Enthaltsamkeit geschenkt, und angesichts des nahen zweiten Kommens Christi, wenn alles Heiraten und Geben in der Ehe aufhören würde, war es sein Wunsch, dass diese Gabe allgemeiner besessen werden könnte. „Er wünschte, dass jeder die außerordentliche Gnade der Enthaltsamkeit besäße, damit er von den Sorgen und Ängsten der Ehe verschont bliebe und sich in vollkommener Freiheit nur mit Gott und seinem Wort beschäftigen könnte.“[39] Aber er ist kein Fanatiker, er weiß, dass jeder seine eigene Gnadengabe von Gott erhalten hat, der eine auf diese, der andere auf jene Weise. Der Herr verteilt seine Gaben für den Dienst an seinem Reich nach seinem Gutdünken und stattet jeden seiner Diener entsprechend der Arbeit aus, die er von ihm erwartet. In den meisten Fällen ist die Eignung eines Christen für den Ehestand an sich eine besondere Gabe Gottes, denn die Sorge und Leitung einer Familie ist eine ausgezeichnete Schulung für die größeren Aufgaben in der Kirche, 1. Tim. 3,4.5.

    Der Apostel geht in seinen Ausführungen mit großer Sorgfalt vor: Ich aber sage den Unverheirateten und den Witwen: Es ist gut für sie, wenn sie so bleiben wie ich; er weiß, dass der zölibatäre Zustand ganz und gar ehrenhaft ist. Er weiß, dass der zölibatäre Zustand durchaus ehrenwert ist. Aber sein Rat ist angesichts seiner eigenen außergewöhnlichen Gabe an eine Bedingung geknüpft: Wenn sie sich nicht beherrschen können, wenn sie nicht die Gabe der Enthaltsamkeit haben, sollen sie heiraten; denn es ist besser, zu heiraten, als zu brennen und von ständigem sexuellem Verlangen verzehrt zu werden, denn das ungestillte Verlangen ist eine unaufhörliche Versuchung. Sie sollen nicht das geringere Übel wählen, sondern das tun, was keine Sünde ist, um das zu vermeiden, was Sünde ist; denn das Brennen in der geschlechtlichen Erregung ist außerhalb der Ehe nicht erlaubt, und die hier ausgesprochene Regel kann nicht durch irgendwelche Gelübde der erzwungenen Ehelosigkeit aufgehoben werden. Es kann natürlich vorkommen, dass ein unverheirateter Mann oder eine Witwe aufgrund von Umständen, auf die sie keinen Einfluss haben, keine Möglichkeit hat, zu heiraten. In solchen Fällen darf jeder Christ auf den Herrn vertrauen, dass er von ihm die nötige Kraft erhält, seinen Leib untertan zu halten und die Begierde des Fleisches zu überwinden, wie dies auch der Fall ist, wenn entweder der Mann oder die Frau zu den besonderen Pflichten der Ehe unfähig sind.

    Für die Verheirateten gilt einmal und für alle Zeiten eine Regel: Den Verheirateten gebiete ich, doch nicht ich, sondern der Herr, dass die Frau sich nicht von ihrem Mann trennt; hat sie sich aber getrennt, so soll sie unverheiratet bleiben oder sich mit ihrem Mann versöhnen, und der Mann soll seine Frau nicht entlassen. Nach der Regel Christi ist das Eheband unauflöslich; der von ihm erwähnte Ausnahmegrund der Ehescheidung findet bei verheirateten Christen keine Anwendung. Paulus gibt hier mit großem Nachdruck den Willen, das Gesetz Gottes wieder, wie es unter allen Umständen gilt. Der Fall der Frau wird wahrscheinlich zuerst erwähnt, weil sie in der heidnischen Welt eine besondere Stellung eingenommen hatte oder weil die Zahl der Frauen in der korinthischen Gemeinde die der Männer überstieg. Die Frau soll ihren Mann nicht verlassen; weder Unverträglichkeit noch asketische Abneigung können vor dem Gericht Gottes geltend gemacht werden. Aber wenn es einen solchen Fall gibt, in dem das Gesetz Gottes von einer Frau übertreten wurde, soll sie unverheiratet bleiben oder sich mit ihrem Mann versöhnen. Dies ist nicht gleichbedeutend mit der Erlaubnis für die Frau, sich scheiden zu lassen, sondern vermittelt genau das Gegenteil. Wenn sie sich ohne triftigen Grund getrennt hat, soll sie in ihrer Launenhaftigkeit und ihrem schlechten Gewissen streng allein gelassen werden, wobei ihr nur eine einzige Alternative bleibt, nämlich zu ihrem Mann zurückzukehren, sich mit ihm zu versöhnen; und er darf sie unter diesen Umständen nicht entlassen, ebenso wenig wie er nach jüdischem Brauch das Recht hat, ihr zu irgendeinem Zeitpunkt einen Scheidungsbrief auszustellen. Die Intimität des Ehebandes macht alle Bemühungen, die auf seine Auflösung abzielen, zu einer Sünde.

 

    Über gemischte Ehen (V. 12-17): Im vorigen Abschnitt hatte sich der Apostel an die Ehepaare in der Gemeinde gewandt, bei denen sowohl der Mann als auch die Frau Christen waren. Jetzt spricht er zu solchen christlichen Männern und Frauen, bei denen die Frau oder der Mann nicht zur christlichen Gemeinschaft gehörten. Und auch hier wendet er den Grundsatz der Heiligen Schrift auf einen besonderen Umstand an. Jesus hatte keine Gelegenheit gehabt, sich zu solchen Fällen zu äußern, und deshalb bringt Paulus sein Urteil. Die grundsätzliche Sache war klar, sein inspiriertes Urteil wendet sie auf den fraglichen Punkt an. Der Ehemann und die Ehefrau werden gleichgestellt. Der christliche Bruder, der eine ungläubige Frau hat, die gerne bei ihm in der Ehe wohnt, soll sie nicht entlassen. Und eine christliche Frau, die einen ungläubigen Ehemann unter den gleichen Bedingungen hat, soll nicht daran denken, ihn zu verlassen. Was den christlichen Teil eines Ehepaares anbelangt, so gilt die Regel des Herrn, die bei der Einsetzung der heiligen Ehe aufgestellt wurde. Die Christen sollten niemals den ersten Schritt tun und sich auch nicht in irgendeiner Weise der Anstiftung zur Trennung in der Ehe schuldig machen. Das Vorhandensein von Mischehen ist zutiefst zu bedauern, und in vielen Fällen führen sie zu Prüfungen und Versuchungen, die den Begriff „Ehebrecher“ durchaus passend machen; aber solange der ungläubige Teil die Gültigkeit des Ehebandes anerkennt und in Übereinstimmung mit diesem Glauben lebt, kann der gläubige Teil den Ehepartner nicht verstoßen.

    Der Apostel begegnet nun einem Einwand, den Christen im Hinblick auf die Gefahren einer solchen fortdauernden Verbindung mit einem Ungläubigen zu machen geneigt sein könnten: Denn geheiligt ist der ungläubige Ehemann in der Ehefrau, und geheiligt ist die ungläubige Ehefrau in dem Bruder, in dem Christen. Obwohl der Ungläubige nicht durch die heiligmachende Kraft des Glaubens geweiht ist, hat er kraft der innigen, lebendigen Verbindung, die das Wesen der Ehe ausmacht, an der Weihe des gläubigen Partners in der Weise teil, dass er durch den gläubigen Ehepartner mit der Kirche Gottes verbunden ist; die Heiligkeit des Ehebandes umfasst beide, Mann und Frau. „Die gläubige Frau ist ihrem Mann ein Heiligtum, auch wenn er ungläubig ist, denn er ist ihr Mann; und der gläubige Mann ist seiner Frau ein Heiligtum, auch wenn sie ungläubig ist, denn sie ist seine Frau.“[40] Dies wird noch deutlicher, wenn es um ihre Kinder geht: Sonst sind eure Kinder unrein, jetzt aber sind sie heilig. Wenn der Zustand der Ehe, auch wenn die Ehe mit einem Ungläubigen geschlossen wurde, kein heiliger Zustand wäre, dann wären die Kinder unrein. Nun aber gelten die Kinder als heilig, also auch der Zustand der Ehe, selbst wenn es sich um eine Mischehe handelt; die Kinder sind wegen des christlichen Elternteils als Glieder der christlichen Gemeinschaft zu betrachten. „Sie sind nicht heilig in ihrer eigenen Person, denn von dieser Heiligkeit spricht der heilige Paulus hier nicht; aber sie sind euch heilig, damit eure Heiligkeit sich ihrer annehmen und sie erziehen kann, damit ihr nicht an ihnen entweiht werdet, als ob sie ein unheiliges Ding wären.“[41]

    Diese Regeln gelten, solange der ungläubige Ehepartner die Gültigkeit des Ehebandes aufrechterhält. Wenn aber der Ungläubige sich (von seinem Ehepartner) trennt, so soll er sich trennen; wenn der Nichtchrist darauf besteht, die eheliche Verbindung zu lösen, so soll dies nicht verweigert werden; die Trennung kann ihren Lauf nehmen. In diesem Fall erleidet der gläubige Ehegatte den Bruch des Ehebandes, und der Bruder oder die Schwester in der Gemeinde wird unter solchen Umständen nicht in Knechtschaft gehalten; ihnen soll nicht gesagt werden, dass sie noch gebunden sind, sondern sie dürfen sich als frei betrachten, gerade als ob der andere Teil gestorben wäre. Von den Formalitäten, die vor dem Zivilgericht zu beachten sind, sagt der Apostel nichts, weil es für einen Christen selbstverständlich ist, sie zu beachten. Nach dem Willen Gottes ist es verboten, den Ehepartner zu verstoßen, aber er verbietet dem verstoßenen Ehepartner nicht, die Entlassung anzunehmen. Dies wird durch die Hinzufügung der Worte noch deutlicher bestätigt: In Frieden aber hat uns Gott berufen. Sollte der christliche Ehepartner darauf bestehen, die Ehebeziehung trotz der Ablehnung fortzusetzen, würde dies zu Hass und Streit führen. Wenn der Ungläubige den Ehefrieden gebrochen hat, indem er die Ehe als einen Vertrag ansieht, der nach Belieben eines oder beider Vertragspartner aufgelöst werden kann, dann ist der Christ frei vom Band der Ehe und erleidet, was er nicht gesucht hat und nicht vermeiden kann.

    Der Apostel weist nun auf mögliche Skrupel hin, die der christliche Ehepartner im Falle einer solchen Trennung empfinden könnte: Denn woher willst du wissen, Frau, ob du deinen Mann retten wirst; oder woher willst du wissen, Mann, ob du deine Frau retten wirst? Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass es einem christlichen Ehemann oder einer christlichen Ehefrau gelingt, den anderen für Christus zu gewinnen. Aber warum sollte man sich mit einer so unbegründeten Hoffnung an ihn oder sie klammern, besonders wenn der ungläubige Ehepartner den Christen abgelehnt hat? „Darum ist es nicht nur Anmaßung, wenn ein Christ mit dem Gedanken heiratet, er könne nachher eine Ehe im Herrn zustande bringen, sondern es ist auch unangebracht und aufdringlich, wenn ein Bruder oder eine Schwester sich an einen ungläubigen Ehepartner gebunden sehen will in der Hoffnung, durch solche Treue sein Herz zu bewegen und ihn dadurch zu bekehren.“[42] In der ganzen Angelegenheit der Ehe, und besonders der gemischten Ehen, gilt die Regel: Nur, wie der Herr einem jeden ausgeteilt hat, wie Gott einen jeden berufen hat, so soll er sich verhalten. Wenn der Herr einem Christen einen Ehepartner geschenkt hat, der sich ungewöhnlich gütig verhält, indem er alle Erfordernisse des Eheverhältnisses gemäß der göttlichen Einsetzung beachtet, so soll er in der Ehe als wahrer Teilhaber an ihren gemeinsamen Freuden und Leiden leben. Wenn aber der Ungläubige durch Gottes Fügung das Band der Ehe, das auf Gottes Einsetzung beruht, zerreißt, dann kann der Christ die ihm dadurch aufgezwungene Freiheit mit gutem Gewissen annehmen. So ordnete der Apostel in allen Gemeinden. Alle Gemeinden hielten sich in dieser sehr wichtigen Angelegenheit an dieselben Regeln, damit eine Verschiedenheit der christlichen Bräuche der Sache des Herrn nicht schadet. „Das Christentum stört nicht die bestehenden Verhältnisse, soweit sie nicht sündhaft sind, sondern will ihnen nur den rechten Geist einflößen, wie es dem Willen Gottes entspricht.“

 

    Eine allgemeine Anwendung dieser Wahrheiten (V. 18-24): So wie Paulus die Ehe so regelte, dass niemand anmaßend handeln, sondern immer die Gabe und Berufung Gottes beachten sollte, so wollte er, dass auch in anderen Bereichen des täglichen Lebens die gleichen Grundsätze gelten: Wurde jemand als Beschnittener berufen? Versucht nicht, sein Zeichen zu entfernen. Paulus bezieht sich hier auf solche abtrünnigen Juden, von denen es in der korinthischen Gemeinde einige gegeben haben mag, die zu einer Operation griffen, um das Zeichen ihrer Nationalität auszulöschen, wahrscheinlich um ihre völlige Ablehnung des Gesetzes zu signalisieren. Sein Urteil richtet sich strikt gegen diese Praxis. Und zum anderen: Wer als Nichtjude unbeschnitten ist, ist berufen? Er soll sich nicht beschneiden lassen. Ebenso wenig war es zu befürworten, dass die Heidenchristen versuchten, den höchsten Stand der Vollkommenheit zu erreichen, indem sie sich dem jüdischen Sakrament unterwarfen. Und der Grund für diese kompromisslose Haltung des Paulus war: Die Beschneidung ist nichts, und die Unbeschnittenheit ist nichts; von keinem von beiden hängt der Wert eines Christen in den Augen Gottes ab, in keiner Weise stellen sie religiöse Qualifikationen dar. Die Befolgung der Gebote Gottes, der Glaube, der durch die Liebe wirkt, eine neue Kreatur, ist alles. Die Beschneidung ist kein Sakrament mehr, sondern eine bloße Sitte ohne den geringsten religiösen oder moralischen Wert; Gott schaut auf das Herz, auf die Aktivität, die der Glaube in der Befolgung der Forderungen seines heiligen Willens entwickelt. Vgl. Gal. 6,15. Wo wahrer, lebendiger Glaube ist, da sind die Glieder einer Nation wie die einer anderen, da ist weder Jude noch Grieche, weder Deutscher noch Amerikaner, sie sind alle eins in Christus Jesus. Vgl. Gal. 3,28. Und so bleibe ein jeder in dem Stand, in den er berufen ist. Es ist nicht nötig, die Nationalität oder den Stand zu wechseln, um dem Herrn wohlgefällig zu sein: Er versteht jede Sprache gleich gut, und die gefühllosen Flecken an den Händen eines Menschen schließen ihn nicht von einem der Vorrechte des Reiches Gottes aus.

    Paulus veranschaulicht dies durch ein zweites Beispiel, das die sozialen Unterschiede der damaligen Zeit besonders deutlich macht: Bist du als Sklave berufen worden? Lass dich davon nicht beunruhigen; wenn du aber frei werden kannst, so mache lieber davon Gebrauch. Die Mitglieder der korinthischen Gemeinde, die Sklaven waren, waren natürlich bestrebt, ihre Freiheit zu haben, und die Lehre des Evangeliums wurde von ihnen so verstanden, dass sie diese Sehnsucht unterstützte. Aber ein christlicher Sklave sollte nicht befürchten, dass er dem Herrn in diesem Zustand nicht dienen und ihm genauso lieb sein könnte. Der Herr, der ihn durch das Evangelium berufen hatte, während er sich in dieser sozialen Stellung befand, würde ihm weiterhin seine Barmherzigkeit erweisen, auch wenn er für den Rest seines Lebens ein Sklave bliebe. Gleichzeitig räumt der Apostel jedoch ein, dass ein Sklave durchaus die Möglichkeit nutzen kann, frei zu werden, um ein solches Gnadengeschenk aus Gottes Hand anzunehmen. In jedem Fall macht der soziale Status keinen Unterschied, soweit es den Herrn betrifft: Denn der Mensch, der im Herrn als Sklave berufen ist, ist, obwohl er die Stellung, den Stand eines Sklaven innehat, dennoch der freie Mann des Herrn; ebenso ist der Mensch, der berufen ist, während er frei ist, der Knecht Christi. Dies ist ein Paradoxon, aber eine sehr schöne Art und Weise, die Beziehung des Gebundenen und des Freien zum Herrn zu beschreiben. "Christus kauft uns von unserem alten Herrn, der Sünde, und macht uns dann frei; aber der Freigelassene ist dem Gönner noch einen Dienst schuldig." Die Freiheit, von der hier die Rede ist, ist natürlich die geistliche Freiheit, nach der unsere Befreiung von der Macht der Sünde uns die Kraft gibt, dem Herrn von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt zu dienen. Und hier ruft der Apostel eine nachdrückliche Warnung aus: Mit einem Preis seid ihr erkauft worden, 1. Petr. 1,18.19. Der Preis der Erlösung, der gezahlt werden musste, um uns von der Sklaverei der Sünde und des Satans zu befreien, war so unermesslich groß, dass er für alle Zeiten dazu dienen muss, uns von einem sehr törichten Schritt abzuschrecken, nämlich dem, Knechte der Menschen zu werden, uns in die übelste Sklaverei zu verkaufen, indem wir die Wahrheit der Heiligen Schrift aufgeben und uns von der Phantasie und Weisheit der Menschen beeinflussen und leiten lassen. Und die Korinther konnten das Wort leicht auf ihren eigenen Fall anwenden, nämlich sich nicht so abhängig von einem Menschen zu machen, dass sie sich einbildeten, sie seien nicht wirklich frei, obwohl sie einen Herrn über sich hatten. Und so fasst Paulus noch einmal den Gedanken des ganzen Abschnitts zusammen: Ein jeder, in dem er berufen ist, Brüder, in diesem soll er vor Gott bleiben. Das Verhältnis, die Stellung im Leben, die ein Mensch innehatte, als er zum Glauben kam, darf er ohne Bedenken bis ans Ende seiner Tage behalten. Es soll nur vor Gott gelten, dass das ganze Leben ein Leben des Glaubens und der heiligen Werke ist, die dem Herrn wohlgefällig sind.

 

    Die Frage der Ehelosigkeit im Allgemeinen (V. 25-28): In diesem Abschnitt geht Paulus erneut von der allgemeinen Regel aus, die sich auf die Institution der Ehe und ihre Segnung durch Gott stützt, dass der normale Erwachsene in diesem Zustand zu finden sein wird. Seine Worte beziehen sich also wieder auf eine besondere Ausnahme, und er wendet sein Urteil auf den vorliegenden Fall an, wodurch der Unterschied zwischen Prinzip und Einzelfall aufrechterhalten wird. Was die Unverheirateten, insbesondere die Jungfrauen, anbelangt, so hatte er kein Gebot des Herrn, das zu allen Zeiten und unter allen Umständen anwendbar wäre, und so bot er seinen inspirierten Vorschlag an, um diese Ausnahme abzudecken, da er vom Herrn die Gnade erhalten hatte, treu zu sein. Da sich die Barmherzigkeit des Herrn in seinem Fall bewährt und ihn zu einem treuen Diener des Herrn gemacht hatte, ist auch sein Rat vertrauenswürdig. Und so vertritt er, wie am Anfang des Kapitels, die Meinung, dass es gut, vorteilhaft und lobenswert ist, so zu sein, d.h. unverheiratet zu bleiben. Aber man beachte, dass er eine einschränkende Klausel einfügt, die das gesamte Kapitel in ein neues Licht rückt: Wegen der jetzt bestehenden Bedrängnis. Das Wort Bedrängnis, wörtlich „Enge, Beklemmung“, bezeichnet solche Nöte und Schwierigkeiten, wie sie in der Zeit der Unterdrückung und Verfolgung auftreten. Eine solche Zeit befand sich damals für die Christen, nicht nur wegen der Feindschaft der Juden, sondern auch wegen der zunehmenden Unfreundlichkeit der Heiden. Der Tyrann Nero hatte erst vor kurzem den Thron bestiegen, und die erste schwere Christenverfolgung wurde von ihm eingeleitet. Bei solchen gegenwärtigen Nöten und drohenden Gefahren waren in der Tat die Unverheirateten im Vorteil. Vgl. Matth. 24,10.

    Paulus wendet seinen Rat nun im Detail an: Seid ihr an eine Frau gebunden? Strebe nicht nach Trennung. Bist du (als Junggeselle oder Witwer) ohne Frau? Suche nicht nach einer Frau. Im ersten Fall sündigt der rechtmäßig Verheiratete, indem er versucht, das Eheband zu brechen; im zweiten Fall macht sich derjenige, der den Rat des Paulus nicht befolgt, vielerlei Unannehmlichkeiten schuldig. Aber Paulus will nicht missverstanden werden, als ob er mit der allgemeinen Regel Gottes in Konflikt käme, deshalb beeilt er sich hinzuzufügen: Wenn ihr aber geheiratet habt, so habt ihr nicht gesündigt, und wenn eine Jungfrau heiratet, so hat sie nicht gesündigt. Die korinthischen Christen sollten mit dem Verbot der Ehe nicht ein falsches asketisches Ideal aufstellen. Es war keine Sünde, in diesen Zustand einzutreten oder in diesem Zustand zu sein. Das Einzige war, wie Paulus sagt: Aber Trübsal für das Fleisch werden solche haben; ich aber will euch schonen. Er bezieht sich nicht in erster Linie auf das besondere Kreuz der verheirateten Frau, 1. Mose 3,16, sondern auf alle Formen der Bedrängnis, die den Körper, das physische Leben, in solchen Zeiten treffen können, wie sie die Christen zu erleiden hatten. Die Verfolgung war für die Verheirateten bitterer zu ertragen, weil zu den Gefahren, die Leib und Leben bedrohten, die Sorgen und Nöte um das Wohl der Familienmitglieder hinzukamen. Sehr oft bestand die Alternative zwischen der Pflicht gegenüber Gott und der Zuneigung zu Frau und Kindern. In diesem Sinne möchte Paulus sie verschonen und ihnen mit seinem Rat viel zeitliches Ungemach ersparen.

 

    Keine irdischen Bindungen sollten den Dienst für Gott hindern (V. 29-31): Ganz gleich, unter welchen Bedingungen ein Mensch lebt und arbeitet, seine erste Pflicht gilt dem Herrn, dem das ganze Leben eines Christen geweiht sein muss. Es gibt einen triftigen Grund, die Korinther daran zu erinnern: Dies aber, liebe Brüder, behaupte ich, ist die Zeit kurz bestimmt worden. Der große Tag des Herrn, auf dessen Kommen die Gläubigen ängstlich warteten, 1. Thess. 5,2, war sehr nahe, und deshalb muss es unser beständiges Ziel und Bemühen sein, für sein Kommen bereit zu sein, Luk. 12,35.36; Mark. 13,35.36. Infolgedessen müssen alle Dinge dieses Lebens gegenüber den Angelegenheiten des Reiches Gottes eine untergeordnete Stellung einnehmen: Diejenigen, die eine Frau haben, sollen so sein, als ob sie keine hätten, die Weinenden so, als ob sie nicht weinen würden, die Fröhlichen so, als ob sie sich nicht freuen würden, die Käufer so, als ob sie nichts hätten, die, die von der Welt Gebrauch machen, als ob sie sie nicht missbrauchen würden, als ob sie sich nicht so sehr mit ihr beschäftigen würden, dass sie ihre geistlichen Interessen vernachlässigen. „Das Heim mit seinen Freuden und Leiden, das Geschäft, der Gebrauch der Welt, muss von Menschen, die bereit sind, sich von den Ufern der Zeit zu lösen, wie unter einer Kündigung betrieben werden.“[43] All diese Dinge, die die Aufmerksamkeit des Menschen in dieser Welt beschäftigen und die der Herr dem Menschen in die Hand gegeben hat, sollten nicht zum Zweck und Ziel des Lebens werden. Ehemann und Ehefrau mögen die Freuden und Sorgen des Familienlebens teilen, aber in guten wie in bösen Tagen muss das Verlangen ihres Herzens auf die Herrlichkeit gerichtet sein, die sie oben erwartet. Geschäftsleute, die in einem Beruf tätig sind, der sich ausschließlich mit den Dingen dieser Welt befasst, dürfen ihr Herz nicht an den Gewinn und die Freuden dieser Welt hängen, sondern müssen ihre Augen stets auf das größte Geschenk und den größten Segen richten, nämlich auf die endgültige Vollendung des Heils im Himmel. Wie ein Kommentator sagt, haben wir hier „das Bild der geistlichen Gelassenheit in den verschiedenen Situationen des Lebens“. Und so soll es auch sein: Denn vergänglich ist die Form, der gegenwärtige Schein dieser Welt. Die Dinge, die die Aufmerksamkeit der Menschen in dieser Welt auf sich ziehen, sind nicht von Dauer, sondern vergänglich; Heiraten und Märkte, Feste und Beerdigungen ziehen vor unseren Augen in einer endlosen, ständig wechselnden Prozession vorbei; es gibt nichts Bleibendes, nichts von dauerhaftem Wert in all dem, was diese Welt bieten mag. Vgl. Phil. 3,20; Kol. 3,1; Hebr. 13,14.

 

    Ein Vergleich des verheirateten und unverheirateten Zustandes (V. 32-35): Der Apostel legt hier seine Gründe für seinen Ratschlag dar, denn er will, dass seine Leser frei von Sorgen und Kümmernissen sind, die ihre Aufmerksamkeit von dem ablenken, was sie wirklich brauchen, nämlich von Sorgen aller Art, besonders aber von Ehesorgen. Denn der Unverheiratete ist um die Dinge des Herrn besorgt, wie er dem Herrn gefallen kann. Das ist der ideale Zustand, den Paulus gerne sehen würde, dass der Unverheiratete seine Fähigkeiten und Energien dem Dienst des Herrn widmet, mit dem Ziel, das zu tun, was ihm allein gefällt. Hier liegt eine Ermahnung für die unverheirateten Männer unserer Zeit, von denen viele von der Heirat absehen, weil sie die Unannehmlichkeiten und Mühen des Ehestandes fürchten, und doch auch zu selbstsüchtig sind, um sich dem Herrn und dem Werk der Kirche zu widmen. Der Verheiratete aber, sagt der Apostel, ist um die Dinge dieser Welt besorgt, wie er seiner Frau gefallen kann. Das ist natürlich eine Gefahr, die mit dem Ehestand verbunden ist, dass der Ehemann so sehr von der Liebe zu seiner Frau und der Sorge um den Haushalt eingenommen ist, dass er die Pflicht vergisst, die er dem Herrn schuldet. Paulus spricht hier aus, was in der Praxis und allzu oft auch in unseren Tagen anzutreffen ist, wenn der Gedanke an eine Partnerschaft im biblischen Sinne und an ein Heim und eine Familie zugunsten eines Lebens in üppiger Bequemlichkeit und sozialem Ehrgeiz aufgegeben worden ist. In beiden Fällen leidet der Dienst für den Herrn, aber das ist keine notwendige Begleiterscheinung der Ehe.

    Paulus betrachtet auch die Seite der Frau: Und ein Unterschied ist auch zwischen der Ehefrau und der Jungfrau; zwischen ihnen besteht eine Verschiedenheit in Bezug auf die Sorge; sie sind getrennt, geteilt, in ihren Interessen. Wenn die unverheiratete Frau ihre Möglichkeiten richtig erkennt und nutzt, wird sie um die Dinge des Herrn besorgt sein. Das tut sie, indem sie sowohl nach ihrem Körper als auch nach ihrem Geist heilig ist, das heißt, sie widmet sich ganz dem Herrn und dient ihm mit ihrer ganzen Person und all ihren Kräften. Das ist ein Ideal, das allen christlichen jungen Frauen vor Augen stehen sollte; denn in der heutigen Zeit wird viel zu viel Wert auf das Vergnügen und den Dienst des Fleisches gelegt, da die Welt in die Kirche eindringt, und viel zu wenig auf den Dienst für den Herrn und seine Kirche, obwohl es so viele Möglichkeiten gibt, wie ein ernsthafter Christ bei der Ausbreitung des Reiches Gottes helfen kann. Auf der anderen Seite ist die verheiratete Frau um die Dinge dieser Welt besorgt, da die Sorge um so viele Dinge in der Familie und im Haushalt natürlich auf sie fällt; und sie ist darauf bedacht, ihrem Mann zu gefallen. Das wiederum bedeutet nicht, dass dies der einzige Bereich ist, den die christliche Ehefrau kennt, und dass es für sie unmöglich ist, nicht in der Arbeit der Kirche tätig zu sein. Im Gegenteil, so manche verheiratete Frau hat mit ihrem Eifer für den Fortschritt in der Gemeinde die jungen Frauen in den Schatten gestellt. Aber Paulus spricht von einem Durchschnittsfall und stellt die Tatsachen so dar, wie sie gewöhnlich anzutreffen sind.

    Gleichzeitig ist sich der Apostel darüber im Klaren, dass seine persönliche Empfehlung für den unverheirateten Zustand, selbst unter den damaligen Bedingungen, mit gewissen Gefahren verbunden ist. Deshalb fügt er hinzu: Dies aber sage ich zu eurem eigenen Vorteil, nicht dass ich euch eine Schlinge um den Hals lege. Er will seine Leser nicht fangen und sie in einen unfreiwilligen, unverheirateten Zustand einsperren; auch will er nicht ihr Gewissen beherrschen und sie zwingen, so zu denken wie er selbst. Sein Argument ist nur, dass er für das Angemessene, Anscheinende, Angemessene spricht, das, was zur Zeit dem Verhalten der Christen entspricht, und das, was auf ein eifriges und ungestörtes Warten auf den Herrn und sein Kommen hinausläuft. Paulus wollte alle Ablenkungen und Zerstreuungen irdischer Einflüsse beseitigt wissen, um dem Herrn den uneigennützigsten und ungehindertsten Dienst zu leisten. Wenn ein Mensch unverheiratet bleiben kann und darf, sollte er diese Worte des Apostels immer im Hinterkopf behalten. Es gäbe wenig oder gar keine Schwierigkeiten, die äußeren Aufgaben der Kirche zu erfüllen, wenn alle, die ungebunden sind, ihre freie Zeit dem Herrn widmen würden, und zwar mit einer Energie, die der Bedeutung der Arbeit entspricht.

 

    Das Recht des Vaters, seine Tochter zu verheiraten (V. 36-40): Obwohl Paulus so sehr für das Zölibat eintrat, war er doch sehr vorsichtig, um nicht einer falschen Askese zuzustimmen. Deshalb schreibt er: "Wenn jemand der Meinung ist, dass er sich seiner jungfräulichen Tochter gegenüber ungebührlich verhält, denn es galt als gesellschaftlich verwerflich, eine Tochter unverheiratet zu Hause zu behalten. Das Zeugungsvermögen ist eine Schöpfung und ein Segen Gottes, und deshalb handelt der normale Erwachsene und auch die erwachsene Jungfrau, besonders wenn sie die Blüte der Jugend hinter sich hat und nicht die Gabe der Enthaltsamkeit besitzt, unter normalen Umständen in Übereinstimmung mit der göttlichen Einrichtung, wenn sie die Ehe wünscht. In einem solchen Fall kann die Pflicht es verlangen, und so soll die Sache weitergehen, soll sie zu Ende gebracht werden, und der Vater oder der Vormund soll so handeln, wie er will und wie es die Umstände nahelegen: Er sündigt nicht, er lässt die Ehe ihren Lauf nehmen. Andererseits kann ein Vater seine Jungfrau unverheiratet lassen und unter bestimmten Bedingungen gut daran tun, so zu handeln. Er muss in seiner eigenen Meinung gefestigt sein, er muss sicher sein, dass sein Weg der richtige ist. Wenn er selbst im Zweifel ist und dennoch seine Tochter dazu bringen will, sich seinem Willen zu beugen, würde er sündigen, Röm. 14,23. Die zweite Bedingung ist die Abwesenheit von Zwang, damit die Keuschheit und der Seelenfrieden der Jungfrau nicht gefährdet werden. Die dritte ist, dass der Vater oder Vormund Macht und Autorität über seinen eigenen Willen hat, dass er seinem Willen folgen kann, ohne mit dem höheren Gebot der Liebe in Konflikt zu geraten. Und viertens, dass er in seinem eigenen Herzen zu einer Entscheidung kommt, dass er im vollen Bewusstsein seiner eigenen Verantwortung handelt. Die Eltern von heute täten gut daran, diese Worte des Apostels zu beherzigen und ihren Kindern nicht zu erlauben, törichte und leichtfertige Ehen zu schließen, vor allem dann nicht, wenn sie noch nicht in der Lage sind, die Pflichten und die Verantwortung zu erkennen, die der Ehestand sowohl dem Mann als auch der Frau auferlegt. Die Anwendung, die Paulus vornimmt, und die Schlussfolgerung, zu der er kommt, lautet also: Wer also seine Jungfrau in die Ehe gibt, tut gut daran, er handelt in voller Übereinstimmung mit Gottes Einsetzung; und wer sie nicht in die Ehe gibt, tut besser daran, er erwägt die Vorteile sorgfältiger, indem er die Zeiten und die zu erfüllenden Pflichten bedenkt. So empfiehlt der Apostel das, was ihm unter den gegebenen Umständen als das allgemein Richtige erscheint, ohne auch hier das Gewissen zu binden und die Grundprinzipien der göttlichen Einsetzung außer Kraft zu setzen.

    Dieselben Überlegungen werden auf den Fall der Witwen angewandt: Eine Frau ist nach dem Gesetz so lange gebunden, wie ihr Mann lebt. Vgl. Röm. 7,2. Aber sie wird durch den Tod ihres Mannes, wenn er entschläft, von allen Verpflichtungen gegenüber ihrem Mann befreit, wie Paulus schreibt. Dann ist sie auch frei, wieder zu heiraten, wenn sie will. Eine Wiederheirat nach dem Tod des ersten Mannes ist einer Witwe keineswegs verwehrt, 1. Tim. 5,11-14. Weder die Ehrfurcht vor dem früheren Mann, noch die Unterwerfung unter den Willen eines anderen, noch die Einwände böser Zungen brauchen eine Frau zu veranlassen, auf ihre Rechte in dieser Hinsicht zu verzichten. Nur eine Überlegung muss sie, wie alle Christen zu allen Zeiten, beachten: Der Schritt muss im Herrn getan werden. Wenn der Mann, den sie zu heiraten beabsichtigt, zu den von Gott verbotenen Graden gehört, oder wenn er die erklärte Absicht hat, ihre Religion und deren Ausübung zu stören, dann würde sie ihre zweite Ehe gewiss nicht im Herrn schließen. Und ganz allgemein sagt Paulus: Aber glücklicher wird sie sein, sowohl in ihrer Freiheit von den besonderen Sorgen des Ehestandes als auch in ihrer Möglichkeit, sich ausschließlich dem Dienst des Herrn zu widmen, wenn sie unverheiratet bleibt. Aber wieder fügt er hinzu: Nach meinem Rat. Er bezieht sich auf die Verhältnisse, wie er sie vor sich sah, auf die Gefahren, die drohten. Aber er dachte, dass er auch den Geist Gottes hatte, dass seine Ratschläge und Meinungen sowie seine auf Prinzipien beruhenden Befehle unter göttlicher Führung standen. „Der Apostel empfiehlt seinen Rat in all diesen Dingen, weil er weiß, dass er aus der höchsten Quelle stammt und nicht das Ergebnis bloßer menschlicher Klugheit oder persönlicher Neigung ist.“[44]

 

Zusammenfassung: Der Apostel gibt Anweisungen über die Angemessenheit der Ehe, die Pflichten des Ehestandes, die Frage der Mischehen, der Ehescheidung und des Zölibats sowie über das Ausmaß und die Grenzen der Autorität eines Vaters, wenn er seine Tochter in die Ehe gibt.

 

 

Vom heiligen Stand der Ehe

 

    Es ist ein Zeichen unserer Zeit, dass die Institution der heiligen Ehe so allgemein in Verruf geraten ist. Der sittliche Verfall ist so groß geworden, dass das Wissen um die Heiligkeit der Ehe und um die Heiligkeit ihrer Pflichten verloren gegangen ist. Die verzerrtesten Ansichten über die Beziehung der Geschlechter innerhalb und außerhalb der Ehe werden durch klug geschriebene Artikel in Zeitschriften, Romane der vorherrschenden entarteten Art und die Abscheulichkeiten der durchschnittlichen Kinofilme frei verbreitet. Eine Ehe ohne die Zustimmung der Eltern zu schließen, ist zur Regel geworden. So mancher junge Mann sucht die schnelle Ehe mit dem erstbesten hübschen Gesicht, das ihm gefällt, nur um seine sexuellen Wünsche zu befriedigen, ohne daran zu denken, ein Heim zu gründen und eine Familie zu unterhalten. Oder er macht sich bewusst daran, ein reiches Mädchen zu heiraten, um es sich in einem Schmarotzerleben bequem zu machen. Und die kaltblütige Planung, die die Heiratsversuche vieler moderner Mädchen kennzeichnet, lässt die Heiligkeit der Ehe jenseits aller Hoffnungen auf Reinigung besudelt zurück. Unfähig und unwillig, wahre Helferinnen und Ehefrauen zu sein, lassen sich viele dieser Mädchen verheiraten, das heißt, die Formalität einer Hochzeitszeremonie wird noch eingehalten, aber sie haben nicht die Absicht, Ehefrau oder Mutter zu werden. Ihr Motiv ist Bequemlichkeit, Egoismus, sie heiraten, um in einem Stil unterstützt zu werden, den sie für ihre Schönheit und ihre Leistungen für angemessen halten. Und die Mutterschaft ist in den Augen der Mehrheit eine verlorene und verachtete Kunst.

    Wir Christen sollten immer daran denken, was die Heilige Schrift über den heiligen Stand der Ehe sagt. Sie wurde von Gott selbst eingesetzt, der es in seiner Weisheit für das Beste hielt, eine Frau zu erschaffen und sie Adam als seine Frau zu geben. Der Zustand der heiligen Ehe mit dem daraus resultierenden Familienleben ist die Grundlage für alle wahre Gesundheit in der Gesellschaft und für die Stabilität des Staates. In der ganzen Bibel wird vom Ehestand immer in einem Ton höchster Achtung gesprochen, während die Sünden, die gegen seine Heiligkeit begangen werden, mit einer Offenheit und übrigens auch mit einem Gefühl des gerechten Zorns verurteilt werden, die keinen Zweifel an der Bedeutung des Willens Gottes lassen. Die höchsten Lobpreisungen des Ehestandes werden in den beiden Psalmen der Grade, Ps. 127 und 128, gesungen. Die Bibel zeigt deutlich, was der Zweck der Ehe ist und bis zum Ende der Zeit sein soll. Der Herr selbst sagte: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Hilfe machen, die ihm entspricht“ (1. Mose 2,18). Der Herr hat jede Frau dazu bestimmt, dem Mann eine treue und zuverlässige Gefährtin, Helferin und Partnerin zu sein; der Ehestand ist eine Partnerschaft der gegenseitigen Liebe und Hilfsbereitschaft. Der Herr hat auch gewollt, dass das Menschengeschlecht durch die Ehe fortgepflanzt wird, durch die rechtmäßige Zeugung von Kindern in der heiligen Ehe, 1. Mose 1,27.28. Deshalb hat er ausdrücklich und nachdrücklich alle Unzucht und jeden Ehebruch verboten. Seit dem Sündenfall hat sich der ursprüngliche, schöpferische Trieb verkehrt, so dass die Ehe auch einen vorbeugenden Grund haben muss, nämlich den, die Unzucht zu vermeiden, wobei der besondere Akt des Ehestandes in der heiligen Ehe erlaubt und geboten ist, während er außerhalb der Ehe in allen seinen Erscheinungsformen streng verboten ist, 1. Kor. 7,2. In Übereinstimmung mit dieser Einrichtung und dem Segen Gottes sind die Pflichten von Mann und Frau eindeutig vorgeschrieben. Der Mann soll seine Frau als eine Gabe des Herrn betrachten, Spr. 18,22; 19,14; 31,10. Er soll ihr die Ehre erweisen, die ihr als dem schwächeren Gefäß gebührt, 1 Petr. 3, 7, wobei er immer daran denkt, dass die Frau, die mit ihm an den Herrlichkeiten des Himmels teilhaben soll, auch hier auf Erden mit der Achtung behandelt werden muss, die der Herr verlangt, 1. Kor. 13,4.7. Er wird sie lieben und mit ihr nach der Erkenntnis leben, indem er immer daran denkt, dass der Ehestand eine Einrichtung Gottes ist, damit ein jeder sein Gefäß in Heiligung und Ehre zu besitzen weiß, 1. Thess. 4,4. Der Mann soll sich jederzeit seiner Stellung als Haupt der Frau bewusst sein, Eph. 5,23; 1. Kor. 11,3, nicht in gesetzlicher Weise, wie ein Tyrann, sondern in wahrer evangelischer Weise. Es gibt einige schöne Beispiele in der Heiligen Schrift, 1. Sam. 1,5.8; 1. Mose 25, 21. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass der Mann seine Frau hegt und pflegt, Eph. 5,29; 1. Tim. 5,8.

    Aber so wie der Mann seine Frau wahrhaftig und aufrichtig lieben wird, Kol. 3,19; Eph. 5,25-33, so wird auch die Frau ihren Mann lieben und achten. Er ist ja nach Gottes Ordnung ihr Haupt, 1. Tim. 2,13.14; 1. Kor. 11,7-9; 1. Mose 3, 16. Aber es geht nicht um die Überlegenheit, sondern um das Haupt nach der Ordnung Gottes, und deshalb keine Strafe, keine Erniedrigung für die Frau, Eph. 5,23. Es ist keine Schande für die Frau, ihrem Mann im biblischen Sinne gehorsam zu sein, sondern eine Ehre, denn es ist ein williger, freudiger Gehorsam, der auf gegenseitigem Einverständnis nach der unfehlbaren Regel Gottes beruht, Kol. 3,18; 1. Petr. 3,1.6. Die Frau wird ihrem Mann eine treue Gehilfin und eine glückliche Mutter der Kinder sein, die als Segen des Herrn zu ihr kommen, wenn sie allezeit die Gebote und das Beispiel des Herrn vor Augen hat. Sie wird ihm Gutes tun und nicht Böses, alle Tage ihres Lebens, Spr. 31,12. Sie wird nicht streitsüchtig und zänkisch sein, Spr. 19,13; 21,9; 25,24; 27,15; 30,21.23. Sie wird das Lob beherzigen, das die Bibel der fleißigen, vernünftigen, tugendhaften, gütigen und bescheidenen Frau zuteil werden lässt, Spr. 11,16; 12,4; 14,1; 19,14; 31,10; 1. Tim. 2,9.10. Sie wird eine wahre Mutter in ihrem Haus sein, weil sie weiß, dass sie dem Herrn in einem Zustand dient, der ihm wohlgefällig ist.[45]

 

 

Kapitel 8

 

Christliche Freiheit in Sachen des Essens von den Götzen geopfertem Fleisch (8,1-13)

    1 Von dem Götzenopfer aber wissen wir; denn wir haben alle das Wissen. Das Wissen bläst auf; aber die Liebe bessert. 2 So aber sich jemand dünken lässt, er wisse etwas, der weiß noch nichts, wie er wissen soll. 3 So aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt.

    4 So wissen wir nun von der Speise des Götzenopfers, dass ein Götze nichts ist in der Welt, und dass kein anderer Gott ist als der eine. 5 Und wiewohl sind, die Götter genannt werden, es sei im Himmel oder auf Erden, da es sind viele Götter und viel Herren: 6 So haben wir doch nur einen Gott, den Vater, von welchem alle Dinge sind und wir in ihm, und einen HERRN, Jesus Christus, durch welchen alle Dinge sind und wir durch ihn.

    7 Es hat aber nicht jedermann das Wissen. Denn etliche machen sich noch ein Gewissen über dem Götzen und essen es für Götzenopfer; damit wird ihr Gewissen, weil es so schwach ist, beflecket. 8 Aber die Speise fördert uns nicht vor Gott. Essen wir, so werden wir darum nicht besser sein; essen wir nicht, so werden wir darum nichts weniger sein.

    9 Seht aber zu, dass diese eure Freiheit nicht gerate zu einem Anstoß der Schwachen. 10 Denn so dich, der du die Erkenntnis hast, jemand sähe zu Tisch sitzen im Götzenhaus, wird nicht sein Gewissen, weil er schwach ist, verursacht, das Götzenopfer zu essen? 11 Und wird so über deiner Erkenntnis der schwache Bruder umkommen, um welches willen doch Christus gestorben ist. 12 Wenn ihr aber so sündigt an den Brüdern und schlagt ihr schwaches Gewissen, so sündigt ihr an Christus. 13 Darum, wenn die Speise meinen Bruder ärgert, wollte ich nimmermehr Fleisch essen, damit ich meinen Bruder nicht ärgerte.

 

    Wissen und Liebe (V. 1-3): In diesem Kapitel gibt der Apostel die Antwort auf eine zweite Frage, die ihm von den korinthischen Christen gestellt worden war: War es für einen Christen richtig, Fleisch zu essen, das einem Götzen geopfert worden war? Die Situation war etwas kompliziert, da das gesamte öffentliche und gesellschaftliche Leben der Korinther und der Bürger aller großen Städte in jenen Tagen von der Verehrung von Götzen durchdrungen war und in gewissem Maße von ihr bestimmt wurde. Feste und Bankette, sowohl öffentliche als auch private, waren gewöhnlich mit dem Namen irgendeines heidnischen Gottes verbunden. Ein großer Teil des Fleisches, das in den Geschäften verkauft wurde und daher auf dem durchschnittlichen Tisch zu finden war, stammte aus den Tempeln, und so wurde es schwierig, seine Verwendung zu vermeiden. Dies erklärt die Verwirrung der Korinther, die sie zu ihrer Frage an den Apostel veranlasste. Bevor er seine eigentliche Antwort gibt, erinnert er sie in Form einer Klammer an einige grundlegende Fakten. Mit einem Anflug von Sarkasmus schreibt er, dass er sich der Tatsache bewusst sei, dass alle den Besitz von Wissen beanspruchten. Sie alle waren sich sicher, dass sie keine weiteren Informationen über die Grundlagen des Christentums benötigten. Paulus fährt fort, diese Vorstellung zu korrigieren: Wissen bläht auf, bläht auf, aber Liebe baut auf. Viele der korinthischen Christen, wie auch viele Gläubige heute, taten so, als wären sie so fest im Kopfwissen verankert, dass sie sich über alle Vorurteile erhoben. Aber das Ergebnis war eine stolze Selbstzufriedenheit, die jede Rücksicht auf den Nächsten vergaß. Und deshalb sagt Paulus seinen Lesern freimütig, dass eine solche Haltung, nach der man glaubt, über allen heidnischen Aberglauben erhaben zu sein und die volle und vollständige Erkenntnis Gottes und seines Wesens zu haben, eitel und sündhaft ist, wenn sie nicht von der rechten Frucht der Liebe in guten Werken begleitet wird.

    Dieser Grundsatz wird vom Apostel weiter ausgeführt: Wer aber meint, etwas zu wissen (das wird ihm hiermit ausdrücklich gesagt), das er noch nicht so gelernt hat, wie er es sollte, der hat noch nicht die wirkliche Grundlage der wahren Erkenntnis erlangt. Sobald ein Mensch irgendeine Einbildung über sein geistiges Wissen zeigt, beweist diese Tatsache, dass er noch weit davon entfernt ist, jenes volle, tiefe, durchdringende, erschöpfende Wissen zu besitzen, das im Christentum enthalten ist. Denn je mehr ein Mensch in aller Demut und unter der gnädigen Führung Gottes die wunderbaren Lehren studiert, die Gott den Menschen in seinem Wort der Gnade gegeben hat, desto mehr muss diese Demut zunehmen, desto mehr wird er bekennen: Wir wissen nur einen Teil, und zwar einen sehr kleinen Teil. Selbstüberschätzung und wirkliche Erkenntnis sind in geistlichen Dingen unvereinbar. Auf der anderen Seite: Wer aber Gott liebt, der ist von ihm erkannt. Wenn der Glaube eines Christen seinen richtigen Ausdruck in der Liebe zu Gott gefunden hat, aus der die Liebe zum Nächsten hervorgeht, 1. Joh. 5,2, dann weiß er auch, dass sein Wissen um die Liebe die Folge davon ist, dass Gott ihn erkannt hat. Wenn Gott jemanden auf diese Weise kennt, ist es eine wirksame Erkenntnis, Gal. 4,9; Röm. 8,29, sie bringt ihn in die Gemeinschaft, in die Sohnschaft, mit Gott, in die innigste Beziehung von Geist und Seele. Dazu gehört natürlich auch, dass jeder Mensch, der Gegenstand einer solchen wirksamen Gotteserkenntnis ist, seinerseits Gott erkennen wird, Tag für Tag in der Erkenntnis wächst bis zum Tag der Vollendung aller Hoffnungen und Erkenntnisse. Gott zu erkennen, wie er uns in Christus erkannt hat, das ist die kindliche Erkenntnis, die nicht aufbläht, sondern im Gegenteil ein ständiger Ansporn ist, die große Liebe Gottes nachzuahmen, die sich zu uns in unserem Elend und unserer Erbärmlichkeit herabbeugte und uns das Heil brachte.

 

    Um die Götzen wissen und Gott kennen (V. 4-6): Nach dem einleitenden Satz kehrt der Apostel hier zu seinem Thema zurück: Was nun die Speise der Götzenopfer betrifft, so wissen wir, dass ein Götze nichts in der Welt ist, dass kein Götze in der Welt existiert. Das Entsetzen, das die Christen, vor allem die schwächeren in ihrer Mitte, angesichts der Götzenopfer empfanden, ist sehr leicht zu erklären, da sie sich von ihnen abgewandt hatten wie von den Mächten der Finsternis. Dieses Gefühl ist also nicht nur gerechtfertigt, sondern auch sehr lobenswert. Zugleich dient es der Beruhigung der Leser, dass all die fremden Götter, die in den damaligen Hymnen beschrieben wurden, keine Wirklichkeiten waren, in deren Macht man geriet, wenn man das Fleisch der Opfer zu sich nahm, sondern nichts waren; sie hatten keine Existenz, es gab sie wirklich nicht. Für alle Zeiten gilt als unumstößliche Wahrheit: Es gibt keinen Gott außer dem Einen. Vgl. 5. Mose 6,4. Der Monotheismus ist die einzig wahre Religion, wie sie in der Bibel offenbart wird, die einzige Religion, die ein Recht auf Existenz hat.

    Der Apostel erweitert diesen Gedanken um der Klarheit und Betonung willen: Denn wenn man auch die Existenz sogenannter Götter zugestehen sollte, so spricht man doch von jenen Bildern der menschlichen Phantasie, ob sie nun im Himmel oder auf Erden sein sollen. Die Griechen und Römer hatten sowohl die Erde als auch den Himmel mit ihren Götzen, mit den Produkten ihrer Phantasie, mit einer erstaunlichen Vielzahl von angeblichen Gottheiten gefüllt. Und die Bibel selbst spricht manchmal von Götzen als Göttern, um ihre Nichtigkeit neben dem wahren Gott zu zeigen, 5. Mose 10,17; Ps 136,2. So würde das Wort „Götter“ auf die vermeintlichen Götter der Heiden zutreffen und das Wort „Herren“ auf ihre vermeintliche Herrschaft. Für uns Christen aber gibt es nur einen Gott, nämlich den Vater, von dem alle Dinge sind und wir für ihn, und einen Herrn, nämlich Jesus Christus, durch den alle Dinge sind und wir durch ihn. Es gibt nur einen Gott, und er zeichnet sich dadurch aus, dass er der Vater ist, der ewige Vater des ewigen Sohnes, der der Ursprung aller Dinge ist und alle Dinge zu seinem Nutzen und seiner Ehre bestimmt hat. Deshalb sind auch wir Ihm zugehörig, Ziel und Zweck unseres Lebens soll es sein, Ihm als Seine wahren Kinder zu dienen und so Seinen Namen zu heiligen, 1. Petr. 2,9; Jak. 1,18; Joh. 17,9.10. Und Christus, dessen wahre Gottheit hier bezeugt wird, ist der Herr im absoluten Sinne, denn durch ihn ist alles, das Universum ist ein Werk seiner Schöpferkraft. Vgl. Kol. 1,16; Offb. 4,11; Hebr. 1,3. Und wir sind durch ihn, Röm. 11,36, wir verdanken unseren christlichen Zustand dem Erlösungswerk Christi, Eph. 2,18; Röm. 8,29. Es gibt nicht zwei Götter oder zwei Herren, sondern es gibt nur einen Gott und einen Herrn. Unser neues Leben ist auf Gott ausgerichtet, ein Ergebnis der Vermittlung Christi in unserem Namen, und diese beiden sind eins; der Vater und der Sohn, der dreieinige Gott, ist der Vermittler unseres Heils. Man beachte, wie klar und nachdrücklich hier ein Teil der Lehre von Gott, von seiner Person und von seinem Hauptwerk an uns, herausgestellt wird. Und es bleibt nicht der kleinste Fleck im ganzen Universum für andere Gottheiten übrig.

 

    Die Schwachen im Glauben belasten ihr Gewissen (V. 7-8): Alle Gläubigen in Korinth stimmten mit Paulus in seinem großen Bekenntnis über den wahren Gott überein; in dieser Hinsicht war ihr Wissen solide. Aber nicht alle von ihnen wussten, dass es so etwas wie einen falschen Gott, einen Götzen, nicht gab, und dass deshalb das den Götzen geopferte Fleisch wie jedes andere Fleisch war, unbefleckt von der Weihe an eine Sache, die es in Wirklichkeit nicht gab, außer in der Vorstellung der Heiden. Einige von ihnen konnten sich aufgrund der Tatsache, dass sie an den Götzen gewöhnt waren, da dies die vertraute Art war, von dem Götzen zu sprechen, da sie ihn immer benutzt hatten, nicht von der Vorstellung befreien, dass es etwas Reales an dem Götzen gab. Und darum aßen sie, wie Paulus schreibt, bis auf den heutigen Tag das Fleisch als Götzenopfer, und so wurde ihr Gewissen, da es schwach war, verunreinigt, Röm. 14,23. „Das Bewusstsein, an der Götzenanbetung teilzuhaben, verunreinigt den Geist eines Christen". Der Gedanke, dass der Götze doch ein reales Wesen war, gab ihnen ein schlechtes Gewissen, und deshalb wurde ihr Essen, obwohl es an sich nicht falsch war, sündig. "Ihr Gewissen war gereinigt durch das Blut Christi, Hebr. 9,14, an den sie glaubten; aber es war schwach, weil das bestätigende Wort Gottes noch nicht die Erkenntnis in ihnen gewirkt hatte, durch die ein Christ in dem Herrn Jesus weiß und sicher ist, dass nichts an sich unrein ist, Röm. 14,14.“[46]

    Um der Schwachen willen schreibt Paulus also: Die Nahrung aber wird uns nicht vor Gott empfehlen, wird unser Verhältnis zu Gott nicht beeinflussen; die Nahrung, die wir essen, kann unser geistliches Leben nicht beeinflussen. Wenn wir am Jüngsten Tag Gott zum Gericht vorgeführt werden, wird er uns nicht aufgrund der Nahrung, von der wir uns in dieser Welt ernährt haben, richten und verurteilen, so wie wir auch jetzt nicht aus diesem Grund unsere Stellung vor ihm verlieren. Denn weder sind wir besser dran, wenn wir essen, noch sind wir schlechter dran, wenn wir nicht essen; es macht keinen Unterschied vor dem Herrn; diese äußeren Dinge haben keinen Einfluss auf unsere Stellung bei ihm. In jedem Fall wird die Einhaltung oder Nicht-Einhaltung des Essens uns nicht in der geistlichen Gnade befördern, noch wird es die Segnungen schmälern, deren wir uns erfreuen können.[47]

 

    Eine Warnung vor dem rücksichtslosen Gebrauch der christlichen Freiheit (V. 9-13): Der Zusammenhang zwischen diesem Abschnitt und dem vorhergehenden ist der folgende. Paulus, der über die Verunreinigung des Gewissens bei schwachen Brüdern schreibt, V. 7, fängt den Einwand der stärkeren Christen ab: „Ihr sagt, dass das Gewissen des schwächeren Bruders durch das Essen von Götzenopfern verunreinigt wird. Aber wie? Man hat uns gelehrt, dass Gott uns nicht wegen solch geringfügiger äußerer Dinge richten wird.“ Paulus zeigt, dass das stimmt, aber er fügt nun ein Wort der Warnung hinzu und tadelt die Haltung der stärkeren Christen mit einem sehr ernsten Hinweis auf die Folgen ihres lieblosen Verhaltens: Seht zu, hütet euch, dass dieses euer Recht nicht zum Hindernis für die Schwachen wird. Es war zwar richtig, dass sie in dieser Angelegenheit an sich die Freiheit der Wahl hatten; sie hatten Recht, wenn sie behaupteten, es sei nichts Sündhaftes daran, an Götzenopferfleisch teilzunehmen. Aber dieses Recht hörte auf, eine Sache der christlichen Freiheit zu sein, eine gleichgültige Sache, wenn der Genuss ein Hindernis für ihren schwachen Bruder darstellte, über das er stolperte, wenn ihr Essen ihrem schwachen Bruder Anlass zur Sünde gab.[48]

    Paulus erklärt nun im Einzelnen: Denn wenn jemand dich, einen Wissenden, der auf sein rechtes Verständnis der christlichen Freiheit stolz ist, an einem Tisch im Götzentempel sitzen sähe, würde dann nicht sein Gewissen, solange er noch schwach ist, bevor er seine eigentümlichen Vorurteile überwunden hat, so erbaut werden, dass er von den Götzenopfern essen wird? Die stärkeren Brüder in der Gemeinde von Korinth gingen also so weit, dass sie Einladungen zu Gastmählern in den Tempeln der heidnischen Götter gerne annahmen. Dabei hatten sie wahrscheinlich die Vorstellung, dass dies der wirksamste Weg sei, die Schwachen von ihrer törichten Haltung zu überzeugen. Aber das war eine fragwürdige Erbauung und konnte nur zu einem führen, nämlich zu einem Schaden für die Schwachen. Ohne die Sache wirklich verstanden und zugestanden zu haben, würden diese auch solche Einladungen annehmen, mit der Folge, dass ihr Gewissen verunreinigt würde. Das Verhalten der Starken war also das genaue Gegenteil von Nächstenliebe, es war egoistische Anmaßung. Anstatt den schwachen Bruder aufzurichten und zu stärken, geht also der Schwache auf dem Boden deines Wissens zugrunde, der Bruder, für den Christus gestorben ist. Der Appell an das Werk Christi richtet sich an die stärksten Motive, die einen Christen antreiben können: brüderliche Liebe und Treue zu Christus. Der starke Christ sollte bedenken, dass sein Bruder durch ein solch rücksichtsloses Verhalten nicht zur besseren Erkenntnis gebracht werden kann; im Gegenteil, der eigentliche Zweck des Todes Christi wird im Falle des schwächeren Bruders durch ein solches rücksichtsloses Verhalten vereitelt. Christus ist gestorben, um allen Menschen die Erlösung zu bringen; seine Erlösung steht eigentlich vor der ganzen Welt bereit, und es ist seine Absicht, dass sie bei jedem Menschen verwirklicht wird. Aber hier wird der schwache Christ von dem starken versucht, an einer Mahlzeit teilzunehmen, die er als sündig ansieht, und beschmutzt so sein Gewissen, verliert seinen Glauben und wird auf den Weg der Verdammnis gebracht, und das alles wegen der herzlosen Torheit des Christen, der sich seines Wissens rühmt und auf die Ausübung seiner christlichen Freiheit pocht.

    Der Apostel beschreibt nun die weitere Folge eines solchen Verhaltens: Wenn ihr so gegen die Brüder sündigt und ihrem schwachen Gewissen einen Schlag versetzt, sündigt ihr gegen Christus. Es ist also nicht nur der schwache Bruder, der in einem solchen Fall durch sein Nachgeben sündigt, sondern auch der stärkere Christ, der ihn versucht hat, sündigt. Und seine Verdammnis ist größer; denn er versetzt dem Gewissen des Schwächeren nicht nur einen Schlag, der es in seinem geistlichen Leben betäubt, erschüttert und entstellt, es unbrauchbar macht, sondern er sündigt direkt gegen Christus. Vgl. Matt. 18,6 ff.; 25,40.45. Hier erreicht die Tat ihren Höhepunkt und zeigt den Gipfel ihrer Schuldigkeit, denn der Zweck des Todes des Erlösers kann durch sie nicht erreicht werden. Jedes Vergehen, mit dem wir uns gegen die Brüder versündigen, wird Christus geopfert, und das schwache Gewissen eines Bruders zu treffen, ist um so verwerflicher, als es unter dem Vorwand geschieht, in seinem Interesse zu wirken, obwohl der Täter dabei auf fatale Weise seine eigene Selbstsucht zur Schau stellt.

    Umso stärker hebt sich die Selbstverleugnung des Paulus davon ab: Wenn nun das Essen meinen Bruder beleidigt, so will ich für immer kein Fleisch essen, damit mein Bruder nicht beleidigt wird. Man beachte, dass er „mein Bruder“ sagt, mit besonderer Betonung. Um der Bruderliebe willen und im Interesse der schwächeren Brüder ist der Apostel bereit, noch mehr von seiner Freiheit aufzugeben; er wird auch auf andere Speisen verzichten, über die ein anderer noch im Zweifel sein mag, nicht nur auf die Opferspeisen. Das Prinzip, das den Gebrauch der gleichgültigen Dinge zu allen Zeiten und unter allen Umständen regeln muss, ist also das der Liebe.

Zusammenfassung: Bei der Erörterung der Frage des Genusses von Speisen, die den Götzen geopfert wurden, zeigt Paulus, dass die Rücksicht auf das geistliche Wohl des schwächeren Bruders das Motiv sein muss, das das Verhalten der stärkeren Christen in Bezug auf die gleichgültigen Dinge regelt.

 

 

Kapitel 9

 

Paulus, der freie Diener Christi (9,1-27)

    1 Bin ich nicht ein Apostel? Bin ich nicht frei? Habe ich nicht unseren HERRN Jesus Christus gesehen? Seid nicht ihr mein Werk in dem HERRN? 2 Bin ich anderen nicht ein Apostel, so bin ich doch euer Apostel; denn das Siegel meines Apostelamts seid ihr in dem HERRN. 3 Wenn man mich fragt, so antworte ich also: 4 Haben wir nicht Macht, zu essen und zu trinken? 5 Haben wir nicht auch Macht, eine Schwester zur Frau mit umherzuführen wie die anderen Apostel und des HERRN Brüder und Kephas? 6 Oder haben allein ich und Barnaba nicht Macht, solches zu tun? 7 Welcher zieht jemals in den Krieg auf seinen eigenen Sold? Welcher pflanzt einen Weinberg und isst nicht von seiner Frucht, oder welcher weidet eine Herde und isst nicht von der Milch der Herde?

    8 Rede ich aber solches auf Menschenweise? Sagt nicht solches das Gesetz auch? 9 Denn im Gesetz Moses steht geschrieben: Du sollst dem Ochsen nicht das Maul verbinden, der da drischt. Sorgt Gott für die Ochsen? 10 Oder sagt er’s nicht gerade um unsertwillen? Denn es ist ja um unseretwillen geschrieben. Denn der da pflügt, soll auf Hoffnung pflügen, und der da drischt, soll auf Hoffnung dreschen, dass er seiner Hoffnung teilhaftig werde. 11 So wir euch das Geistliche säen, ist’s ein großes Ding, ob wir euer Leibliches ernten? 12 Wenn aber andere dieser Macht an euch teilhaftig sind, warum nicht viel mehr wir? Aber wir haben solche Macht nicht angewandt, sondern wir vertragen allerlei, dass wir nicht dem Evangelium Christi ein Hindernis machen.

    13 Wisst ihr nicht, dass, die da opfern, essen vom Opfer, und die den Altar pflegen, genießen vom Altar? 14 So hat auch der HERR befohlen, dass, die das Evangelium verkündigen; sollen sich vom Evangelium nähren. 15 Ich aber habe der keines angewandt. Ich schreibe auch nicht darum davon, dass es mit mir so sollte gehalten werden. Es wäre mir lieber, ich stürbe, als dass mir jemand meinen Ruhm sollte zunichte machen.

    16 Denn dass ich das Evangelium predige, darf ich mich nicht rühmen; denn ich muss es tun. Und wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predigte! 17 Tue ich’s gerne, so wird mir gelohnt; tue ich’s aber ungerne, so ist mir das Amt doch befohlen. 18 Was ist denn nun mein Lohn? Nämlich dass ich predige das Evangelium Christi und tue das frei, umsonst, damit ich nicht meine Freiheit missbrauche am Evangelium.

    19 Denn wiewohl ich frei bin von jedermann, hab’ ich mich doch selbst jedermann zum Knecht gemacht, damit ich ihrer viel gewinne. 20 Den Juden bin ich geworden wie ein Jude, damit ich die Juden gewinne.  Denen, die unter dem Gesetz sind, bin ich geworden wie unter dem Gesetz, damit ich die, so unter dem Gesetz sind, gewinne. 21 Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich wie ohne Gesetz geworden (so ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi), damit ich die, so ohne Gesetz sind, gewinne. 22 Den Schwachen bin ich geworden wie ein Schwacher, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin jedermann allerlei worden, damit ich allenthalben ja etliche selig mache 23 Solches aber tue ich um des Evangeliums willen, damit ich sein teilhaftig werde.

    24 Wisst ihr nicht, dass die, so in den Schranken laufen, die laufen alle, aber einer erlangt das Kleinod? Lauft nun so, dass ihr es ergreift! 25 Ein jeder aber, der da kämpft, enthält sich alles Dinges: jene also, dass sie eine vergängliche Krone empfangen, wir aber eine unvergängliche. 26 Ich laufe aber also, nicht als aufs Ungewisse; ich fechte also, nicht als, der in die Luft streicht, 27 sondern ich betäube meinen Leib und zähme ihn, dass ich nicht den anderen predige und selbst verwerflich werde.

 

    Paulus verteidigt seine christliche Freiheit (V. 1-7): Paulus hatte den Leitsatz seines Lebens formuliert: Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles ist zweckmäßig, Kap. 6,12. Nach diesem Grundsatz hatte er aus Liebe zum Herrn und zu den Brüdern Selbstverleugnung geübt, er hatte auf eigene Rechte und Privilegien verzichtet, um Seelen für Christus zu gewinnen und das Evangelium zu verbreiten. Und deshalb verteidigt er nun seine Stellung und seine christliche Freiheit in einer der erhabensten und schönsten Passagen des gesamten Neuen Testaments. Er hat die gleichen Rechte wie andere Christen, wie andere Apostel, und wenn er sich entscheidet, diese Rechte nicht auszuüben, so nimmt ihm das nicht seine Vorrechte, sondern sollte die korinthischen Christen vielmehr veranlassen, ihn wegen seiner Selbstverleugnung in ihrem Namen umso höher zu schätzen. Dies waren seine Vorrechte: Er war frei, er war der Freiheit teilhaftig geworden, mit der Christus ihn frei gemacht hatte, und in der Ausübung dieser Freiheit war er niemandem Rechenschaft schuldig; er war ein Apostel, und das, obwohl einige Betrüger die Gewissheit seiner Berufung in Zweifel zogen, 2. Kor 11,13. Was die Korinther betrifft, so wird sein Apostelamt auf zweierlei Weise begründet: Er hat mit den Augen des Leibes den Herrn, ihren gemeinsamen Herrn, Jesus Christus, gesehen, Apg. 9, als der Herr ihm auf dem Weg nach Damaskus erschien; die Korinther selbst sind sein Werk, der konkrete Beweis seiner Berufung, durch sein Werk hatte der Herr sie zu neuen Geschöpfen gemacht, die Verkündigung des Evangeliums war bei ihnen wirksam gewesen, was sie empfangen hatten, war die Gnade und der Segen des Herrn, der durch das Wort und das Werk seiner Diener gegeben wird.

    Der Apostel sieht sich gezwungen, diesen Punkt zu betonen: Wenn ich für andere kein Apostel bin, so bin ich es auf jeden Fall für euch. In anderen Gemeinden, in denen die judaisierenden Lehrer sehr stark waren, könnten sie sein Apostelamt leugnen, weil sie der Meinung sind, dass seine Behauptungen nicht gut begründet sind. Was aber die Korinther betrifft, so können sie ihn nicht anders als anerkennen, denn die einfache Tatsache ihrer Bekehrung war eine ständige Bestätigung seiner Behauptung: Sie waren das Siegel seines Apostelamtes im Herrn. Der Herr besiegelte das Werk seines Dieners, indem er seinen Worten die Kraft zur Bekehrung der Korinther gab. Vgl. Joh. 3,33. Paulus war unter den Gläubigen in Korinth mit den Zeichen eines Apostels gewesen, 2. Kor. 12,12, und der Herr hatte die Vermehrung auf so wunderbare Weise gegeben, dass sie Paulus‘ Auftrag in den Augen aller Menschen, die nicht durch Vorurteile verblendet waren, bestätigte. Und das ist die Entschuldigung, die Antwort an seine Kritiker, an diejenigen, die sein Apostelamt in Frage stellen, die seine Ansprüche untersuchen wollen; er verweist einfach auf die korinthische Gemeinde, da er keine andere Verteidigung braucht.

    Paulus verteidigt nun andere Rechte: Haben wir nicht das Recht, zu essen und zu trinken? Stellt irgendjemand unseren Anspruch auf Unterhalt in Frage? Mark. 6,10; Luk. 10,7; 22,30. Er hatte das Recht zu erwarten, dass das Volk, dem er diente, angemessen für seinen Unterhalt sorgte, damit er auf Kosten der Gemeinde leben konnte, in deren Interesse er arbeitete. Ein anderes Recht: Haben wir nicht das Recht, eine christliche Schwester als Ehefrau mit uns zu nehmen? Er hat das Recht, sich zu verheiraten, wenn er es will. Es ist nicht nur ein Recht der christlichen Amtsträger, die heilige Ehe einzugehen, sondern der Apostel erklärt es sogar für eine Sache der christlichen Freiheit, dass ein Wanderprediger, ein Missionar, verheiratet ist und seine Frau zu den verschiedenen Stationen mitnimmt. Wenn eine Gemeinde einen unverheirateten Pastor vorzieht, weil sein Unterhalt nicht so viel Geld erfordert, so ist das eine Bedingung, die nicht mit der Heiligen Schrift in Einklang gebracht werden kann. Die anderen Apostel machten von ihrem Recht Gebrauch, und ihre Frauen begleiteten sie gewöhnlich. Die Brüder (Stiefbrüder, Cousins) des Herrn Jesus folgten dem Brauch der Juden, verheiratet zu sein, und von Petrus wird ausdrücklich gesagt, dass er eine Frau hatte. Anmerkung: Der Ausdruck „Brüder des Herrn“ kann wörtlich genommen werden. Denn, wie ein Kommentator sagt, „die Aussage ‚von der Jungfrau Maria geboren‘ ist ein Artikel des Glaubensbekenntnisses der Kirche; aber die Frage, ob sie danach Kinder gebar, betrifft keinen Punkt des christlichen Glaubens.“ Ein letztes Recht: Ist es so, dass nur ich und Barnabas nicht die Macht haben, mit der Arbeit aufzuhören, die manuelle Arbeit für unseren eigenen Unterhalt aufzugeben? Barnabas, der mit Paulus in der ersten Zeit in Kleinasien zusammenarbeitete (Apg. 4,36; 11,22; 13,14), hatte sein Vermögen in Jerusalem zugunsten der Gemeinde veräußert und war dem Beispiel des Paulus gefolgt, indem er sich auch auf Missionsreisen durch die Arbeit seiner Hände ernährte, was Paulus hier offen zugibt. Dieser Hinweis auf seinen ehemaligen Kollegen zeigt übrigens, dass ihre Meinungsverschiedenheit, Apg. 15,37.38, nicht zu einer dauerhaften Entfremdung führte, sondern dass die beiden Leiter ihre Schwierigkeiten bereinigten, auch wenn sie weiterhin ihre individuelle Meinung über ihre Präferenz in dieser Angelegenheit vertraten. Paulus besteht darauf, dass sie nicht verpflichtet waren, für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten, während sie predigten, was bedeutet, dass sie ihn nicht missverstehen sollten, sondern vielmehr erkennen sollten, dass seine Absicht nicht darin bestand, sie zu belasten, 2. Kor 12,16. Die drei Rechte, für die Paulus plädiert, laufen also „in Wirklichkeit auf das eine hinaus, für das Paulus im Folgenden plädiert: Er hätte mit Recht seinen persönlichen Unterhalt, und zwar in der teureren Eigenschaft eines verheirateten Mannes, den christlichen Gemeinden auferlegen können, für die er arbeitete, und sich so die Nachteile und Mühen der Handarbeit ersparen können.“[49]

    Mit drei Gleichnissen veranschaulicht der Apostel sein Recht und seine Befugnis, auf Kosten der Gemeinde Unterhalt zu erhalten, wobei die Figuren dem Lager, dem Weinberg und der Herde entnommen sind: Wer dient schon im Heer auf eigene Kosten? Wer pflanzt einen Weinberg und isst nicht seine Früchte? Oder wer hütet eine Herde und isst nicht von der Milch der Herde? Wenn jemand auf eigene Kosten als Soldat dient, wenn jemand sich die Mühe macht, einen Weinberg zu pflanzen, und die Früchte nicht nutzt, wenn ein Hirte eine Herde hütet und den Teil der Milch, der ihm zusteht, nicht nutzt, dann tut er etwas Ungewöhnliches und kann sich einer Güte rühmen, die niemand von ihm verlangt, denn die Regel ist genau andersherum. Beachte, dass alle drei Figuren ihre Anwendung in der Arbeit eines treuen Dieners finden: der tapfere Soldat, der die Schlachten des Herrn kämpft; der unermüdliche Winzer, der mit den Pflanzen des Weinbergs des Herrn beschäftigt ist; der treue Hirte, der die Verantwortung für jedes Schaf und Lamm der Herde des Herrn fühlt.

 

    Der Schriftbeweis und seine Anwendung (V. 8-12): Der Apostel untermauert hier mit einer Schriftstelle den Grundsatz, dass die Diener des Herrn das Recht haben, von ihren Gemeinden materielle Unterstützung zu erwarten. Denn er sagt ausdrücklich, dass er nicht nach allgemeiner menschlicher Praxis argumentiert, sondern eine positive göttliche Vorschrift anführt. Damit entkräftet er das Argument, er nehme Beispiele aus dem täglichen Leben, um seine Forderung nach dem Unterhalt der Pastoren zu untermauern. Es steht geschrieben und gilt daher für alle Zeiten im Gesetz des Mose, in dem Buch, das den Namen des Mose trug, 5. Mose 25,4: Du sollst dem Dreschochsen keinen Maulkorb anlegen. Vgl. 1. Tim. 5,18. Im Text des Alten Testaments ist dies eine der Stellen, die eine humane Behandlung der Tiere vorschreiben. Das Dreschen geschah in der Regel, indem die Ochsen die Körner aus den Schalen traten, Micha 4,12.13, oder indem man sie an einen schweren Schlitten spannte, den sie über die Tenne zogen, 2. Sam. 24,22. Die Vorschrift verbot es, den Ochsen bei dieser Arbeit einen Maulkorb anzulegen, so dass sie frei waren, die Getreidehalme aufzulesen, wenn sie hungrig waren. Paulus verteidigt seine Anwendung des alttestamentlichen Textes auf den fraglichen Punkt mit der Frage: Geht es Gott um die Ochsen, oder sagt er es nicht vielmehr um uns herum? „Es ist eine sprichwörtliche Redewendung, die Paulus ausführlich erläutert, so dass er sagt: Kümmert sich Gott um die Ochsen? Als ob er sagen wollte: Gott sorgt zwar für die Ochsen, aber er lässt dies nicht um der Ochsen willen schreiben, denn sie können nicht lesen; das ist der Sinn des Paulus: Dieser Vers ist nicht nur von den Ochsen, sondern von den Arbeitern überhaupt zu verstehen, dass sie von ihrer Arbeit leben sollen.“[50] Paulus hat also recht, wenn er die Anwendung macht: Denn es ist um unseretwillen geschrieben, dass der Pflüger in der Hoffnung pflügen und der Drescher in der Hoffnung auf Teilhabe seine Arbeit tun muss. Sowohl das Pflügen als auch das Dreschen ist eine mühsame Arbeit, und deshalb passt das Bild gut in den Kontext; es zeigt typisch die Arbeit der christlichen Lehrer in der Sprache des Gesetzes und unter den Formen der landwirtschaftlichen Arbeit. Die Erwartung, an der Frucht teilzuhaben, gebührt dem Arbeiter, ob Tier oder Mensch, und daher ist die Anwendung offensichtlich. Die Hoffnung desjenigen, der in der geistlichen Welt pflügt und drischt, ist zwar auf eine geistliche Frucht gerichtet, Joh. 4,36, aber da er die Arbeit seines Leibes, seines physischen Lebens, in seiner Berufung einsetzt, hat er nach der Regel Gottes das Recht zu erwarten, dass der Glaube, der auf die Predigt folgt, auch in der Liebe tätig sein wird, und so wird für die leiblichen Bedürfnisse der geistlichen Arbeiter in angemessener Weise gesorgt werden.

    Diese Schlussfolgerung zieht der Apostel ganz offen: Wenn wir zu euch geistliche Dinge gesät haben, ist es dann eine große Sache, ist es zu viel, dass wir eure fleischlichen Dinge ernten? Diese Frage trifft die Einbildung solcher Christen, die einen hohen Wert auf die Gaben legen, die sie ihren Hirten mitteilen, während sie selbst das, was sie von ihnen erhalten haben, gering schätzen. Denn alle geistlichen Dinge, die in der Mitte einer Gemeinde zu finden sind: die Gaben des Geistes, Glaube, Liebe, Hoffnung, Erkenntnis, Eifer, Gebetseifer usw., sind allesamt Früchte des Evangeliums, wie es durch die Lehre des Pastors gesät wird, öffentlich und privat. Sicherlich wird der Christ, der den unschätzbaren Wert dieser Gaben auch nur ansatzweise erkennt, nicht zögern, wenigstens den Versuch zu machen, die geistlichen Segnungen durch die Früchte seiner Hände zurückzuzahlen, denn eine vollständige Rückgabe ist unmöglich. Luther sagt: „Ich mag nicht solche Texte erklären, die auf unserer Seite sind, als Diener des Wortes. Es mag scheinen, wenn solche Texte vor dem Volk richtig ausgelegt werden, als ob es aus Habgier geschähe. Aber es ist notwendig, dass das Volk belehrt wird, damit es weiß, welche Art von Ehre und Unterstützung es seinen Lehrern schuldet, die von Gott verpflichtet sind.“

    Paulus stellt nun seinen eigenen Fall in einem noch stärkeren Licht dar, indem er sich mit anderen Lehrern vergleicht, die sich der Unterstützung der Gemeinden bedienten: Wenn andere dieser Macht teilhaftig sind und von ihrem Recht über euch Gebrauch machen, warum nicht auch wir? Paulus hatte als erster Lehrer der korinthischen Gemeinde ein größeres Anrecht darauf, an ihrem Bereich teilzuhaben, gewissermaßen die Herrschaft über sie auszuüben, da er derjenige war, der den Boden brach und die Pflanzung vornahm. Aber, so sagt er, wir haben von diesem Recht keinen Gebrauch gemacht, nicht weil er zu stolz war oder weil er sich nicht traute, sondern weil er alles schweigend ertragen wollte, er wollte es ertragen, ohne zu klagen, damit er dem Evangelium Christi kein Hindernis in den Weg legte. In der heidnischen Welt wurde die Annahme von Lohn durch einen wandernden Lehrer als Geiz erklärt, was der Sache natürlich schadete. Außerdem wollte Paulus nicht an eine bestimmte Gemeinde gebunden sein, denn seine Berufung beinhaltete die Betreuung aller von ihm gegründeten Gemeinden und die Gründung weiterer, wenn sich die Gelegenheit bot. Hier zeigt sich die Selbstlosigkeit des Paulus, der sogar auf ein ihm zustehendes Recht verzichtet, damit er nicht missverstanden wird und die Verkündigung des Evangeliums darunter leidet.

 

    Die Pflicht der Hörer (V. 13-15): Damit die korinthische Gemeinde ihn nicht missversteht und auf die Notwendigkeit der Selbstlosigkeit der Prediger pocht, verweist Paulus erneut auf die stets zu beachtende Grundregel, dass die Gemeinden im Normalfall für die leiblichen Bedürfnisse ihrer Pastoren sorgen sollen. Einen weiteren Grund für sein Argument leitet er aus dem Tempeldienst ab: Wisst ihr nicht, dass die, die in den heiligen Ämtern tätig sind, die, die mit den heiligen Dingen im Tempel beschäftigt sind, das essen, was von der heiligen Stätte kommt? Der Apostel spricht vom Tempeldienst, insbesondere von dem, der mit der Darbringung von Opfern verbunden ist. Die Männer, die diesen Dienst überall ausübten, nicht nur bei den Juden, sondern auch bei den Heiden, erhielten ihren Unterhalt aus dem Tempel, aus den Gaben und Opfergaben des Volkes. Vgl. 4. Mose 18,8 ff.; 5. Mose 18,1 ff. Und diejenigen, die am Altar warten, die tatsächlich mit der Durchführung der Opferriten beschäftigt sind, haben ihren Anteil am Altar, wobei ein Teil des Opfers für den Gebrauch der Priester reserviert ist, 3. Mose 10,12-15. Nach diesem Präzedenzfall gilt die Regel auch im Neuen Testament: So hat auch der Herr für die, die das Evangelium verkündigen, bestimmt, dass sie vom Evangelium leben sollen. Markus: Das ist ein Gebot des Herrn, das nicht ungestraft übergangen werden darf. Da alle Dinge in der Welt wirklich sein Eigentum sind und nur den Nutzern für eine gewisse Zeit anvertraut wurden, ist es seine Aufgabe und sein Vorrecht, zu entscheiden, wie die Güter dieser Welt verwendet werden sollen. Da die Pastoren ausschließlich mit der Verkündigung des Evangeliums beschäftigt sind und ihre ganze Zeit dem Studium der herrlichen Heilsbotschaft und der Anwendung ihrer tröstlichen Wahrheiten widmen, will der Herr, dass ihre materiellen Bedürfnisse von den Menschen, denen das Evangelium dient, befriedigt werden; die Mittel, nicht für die bloße Existenz oder den Lebensunterhalt, sondern für einen angemessenen Lebensunterhalt, sollten aus dem reichen Vorrat der Segnungen Gottes, die seinen Kindern gegeben wurden, kommen.

    Paulus beeilt sich, hinzuzufügen, dass sein eigener Fall eine Ausnahme ist: Aber was mich betrifft, so habe ich nichts von diesen Dingen gebraucht. Er hatte das Recht und die Vollmacht, von der korinthischen Gemeinde einen Unterhalt zu erwarten, wie er ihn oben in V. 4-6 skizziert hat. Auf diese Privilegien hat er bewusst verzichtet; er hatte sich aus bestimmten Gründen zu dieser Politik entschlossen, vor allem aus dem Wunsch heraus, dem Evangelium umso wirksamer zu dienen. Und so erklärt er weiter: Ich habe dies jedoch nicht geschrieben, damit dies in meinem Fall geschieht, getan wird. Er spricht nicht für sich selbst, in seinem eigenen Interesse. Er erklärt mit Nachdruck: Denn es ist gut, ehrenvoll, vorteilhaft für mich, lieber zu sterben als - mein Rühmen soll niemand zunichte machen! In seiner Erregung vergisst der Apostel sogar den grammatikalischen Aufbau. Starke Gefühle, Ungeduld, Empörung haben Paulus oft auf diese Weise beeinflusst. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, das Evangelium ohne Bezahlung durch die Gemeinden zu predigen, und er wollte lieber tot sein, als dass ihm diese Ehre genommen würde. Jeder zeitliche Verlust oder Mangel erschien ihm unbedeutend neben dem Verlust seines besonderen Ruhms, den er über das Grab hinaus mitnehmen wollte. Nicht, dass Paulus sich vor den anderen Aposteln besonders hervortun wollte, aber seine Demut war so groß, dass er das, was er für sie als ihr Recht einforderte, als Undankbarkeit bezeichnet hätte.

 

    Paulus rühmt sich nicht seines Predigens (V. 16-18): Auch hier beugt Paulus einem möglichen Missverständnis vor. Er war viel zu demütig, um sich der Verkündigung des Evangeliums für würdig zu halten, und noch viel weniger wollte er, dass seine Verkündigung zum Gegenstand der Prahlerei wird: Denn wenn ich das Evangelium verkündige, so ist das für mich kein Grund, mich zu rühmen. Sein Vorteil bestand darin, dass er auf sein Recht auf Unterhalt verzichtete und ohne Bezahlung predigte. Denn bei der Verkündigung war er in eine Notlage geraten, er war in den Dienst des Evangeliums gedrängt, der souveräne Wille Gottes bestimmte sein Apostelamt, und außerdem war er dem Herrn für seine verzeihende Gnade unermesslich verpflichtet. Wenn aber der Dienst unter solchen Bedingungen geleistet wird, kann von Prahlerei keine Rede sein. Und mehr noch: Denn wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde! Er war im Geiste verpflichtet, er war gelobt, als Diener Christi und bis zur Grenze seiner Kräfte und Fähigkeiten, Gott durch den Dienst des Evangeliums zu preisen. Und er musste damit rechnen, dass die Strafe des Herrn über ihn hereinbrechen würde, wenn er es wagte, dem himmlischen Ruf nicht zu gehorchen. Die Haltung des Paulus war ganz anders als die vieler Prediger und Lehrer in unseren Tagen, die jeden Vorwand begrüßen, um den Dienst des Herrn zu verlassen.

    Der Apostel erklärt seine Haltung: Denn wenn ich dies freiwillig tue, wenn ich aus freiem Willen in diesem Werk tätig bin, habe ich Lohn. Allein die Tatsache, dass jemand in dem herrlichen Dienst der Belehrung und Errettung von Seelen für Christus tätig ist, macht es lohnend und stellt eine Belohnung dar; aber darüber hinaus gibt es den Lohn der Gnade, Matth. 19,28.29, den der Herr für diejenigen vorgesehen hat, die in der Ausübung ihres Amtes bis zum Ende treu bleiben. Wenn er aber andererseits sein Werk unwillig, unter Zwang tut, so ist er doch mit dem Amt betraut worden. Der Verwalter hatte im Haus des Herrn eine Vertrauensstellung inne; aber wie er auch zu seiner Arbeit stehen mochte, sie war für ihn auserwählt, und von ihm wurde treuer Gehorsam erwartet. Vgl. 1. Tim. 1,12.13. Er konnte keinen verdienten Lohn für treu geleistete Arbeit erwarten, denn das würde nie über seine Pflicht hinausgehen, aber er konnte mit Strafe rechnen, wenn er versagte. Im Übrigen scheint der Gedanke enthalten zu sein, wie es ein Kommentator ausdrückt: „Als Knecht Christi verlange ich keinen Lohn für mein Amt; Gottes Vertrauen ist mir genug.“

    Paulus erklärt, worin sein Lohn besteht: Was ist denn nun mein Lohn, der Lohn der Barmherzigkeit, der Lohn, der die Arbeit allemal lohnend macht? Und er antwortet: Dass ich durch die Verkündigung des Evangeliums das Evangelium unentgeltlich weitergeben darf. Die Befriedigung, die er empfindet, wenn er einen wirklichen Dienst leistet, und die Genugtuung, diesen Dienst unentgeltlich zu leisten, allen, an die er sich wendet, das Heil ohne Geld und ohne Preis anzubieten, das ist an sich schon ein Lohn. Und er tut dies, um sein Recht am Evangelium nicht zu missbrauchen, das Recht, das mit der Verkündigung des Evangeliums verbunden ist. Es war ihm eine Freude und Ehre, dass er nicht nur würdig war, das Evangelium zu verkünden, sondern dass er dieses Werk auch unentgeltlich tat. Die Korinther haben nichts für ihn ausgegeben, aber er hat alles, auch sich selbst, für sie ausgegeben. Eine solche Haltung der selbstlosen Hingabe an die Sache Christi kann alle Pastoren und alle Christen zu allen Zeiten inspirieren.

 

    Hingebende Arbeit für die Sache des Evangeliums (V. 19-23): Hier wird der Grundsatz der Selbstverleugnung des Paulus im Detail erläutert. Er nimmt den Gedanken von V. 1 wieder auf und erklärt: Denn während ich von allen Menschen frei bin, habe ich mich allen Menschen zum Knecht gemacht, damit ich umso mehr gewinne. Ein wahrer Diener Christi nutzt seine Freiheit im Evangelium auf keine andere Weise als zur Erbauung seines Nächsten und zum Lob Gottes. Paulus war frei, er war nicht an die Willkür eines Menschen gebunden, sondern ging seinen Weg unabhängig vom Urteil der Menschen, ganz vom Geist Christi, der in ihm lebte, getrieben und geleitet. Aber diese Freiheit machte er auf eine ganz besondere Weise geltend, vom Standpunkt des Menschen aus gesehen, nämlich in völliger Selbstverleugnung. Durch die Liebe ist jeder Christ Schuldner seines Nächsten, stellt sich in den Dienst seines Nächsten, hat stets sein wahres geistliches Wohl im Auge, Röm. 13,8. Und das einzige Ziel des Paulus war es, durch diesen Dienst umso mehr Seelen für Christus zu gewinnen. Das war ein Gewinnstreben, das nicht anders konnte, als die Zustimmung auch derer zu gewinnen, die immer geneigt waren, seinen Beweggründen zu misstrauen. Mit der ihm eigenen Energie und Weisheit widmete er sich dieser Aufgabe, indem er die Lage sorgfältig analysierte und seine Pläne entsprechend ausrichtete. Den Juden gegenüber wurde er wie ein Jude, um die Juden zu gewinnen; ohne ein Wort der ewigen Wahrheit zu leugnen oder beiseite zu schieben, passte er seine Methoden den Umständen an, immer in der Absicht, Seelen für Christus zu gewinnen, Apg. 16,3; 18,18; 21,23 ff. Denen, die unter dem Gesetz standen, ob sie nun zur jüdischen Nation oder zu den Heiden (hauptsächlich beschnittenen Heiden) gehörten, gegenüber wurde er wie einer unter dem Gesetz, um die unter dem Gesetz Stehenden zu gewinnen; er war bereit, sich den unter ihnen herrschenden Sitten, Lebensweisen und Lehrmethoden anzupassen, solange diese Dinge wirklich gleichgültig waren. Den Gesetzlosen, den Heiden im strengen Sinne des Wortes, gegenüber wurde er wie ein Gesetzloser, obwohl er für sich selbst unter dem Gesetz Christi verpflichtet war, um die Gesetzlosen zu gewinnen; wenn Paulus in einer heidnischen Gemeinschaft die jüdischen Bräuche nicht praktizierte, was die Heiden nur verärgert hätte, ließ er jeden Hinweis auf streng jüdische Vorschriften des Alten Testaments weg. Und das tat er, weil er im Gesetz Christi stand und sein Erlöser, der Erfüller des Gesetzes, sein Leben war. Die Liebe Christi war das Motiv für alle seine Handlungen, ein Leben, das in ihn eingepflanzt war und sich im Dienst an den Heiden bewähren wollte; inmitten des heidnischen Götzendienstes fand Paulus Anknüpfungspunkte für die Anwendung des Wortes der Gnade. Den Schwachen gegenüber wurde der Apostel schwach, um die Schwachen zu gewinnen; seine liebevolle Einsicht befähigte ihn, die Skrupel und Schwächen derer zu verstehen, die in der christlichen Erkenntnis noch nicht weit fortgeschritten waren. Vgl. 2. Kor. 11,29. Jeder wahre Diener Christi muss von dem Apostel lernen, niemanden zu verachten und nicht zuzulassen, dass Abscheu über törichte Schwächen in sein Herz dringt. Es mag viel geistliches Unvermögen vorhanden sein, aber die Fähigkeit, die Geschichte des Evangeliums zu hören, wird in den meisten Fällen erhalten bleiben; und das Ziel ist, auch die Schwachen zu gewinnen. Deshalb fasst Paulus zusammen: Ich bin allen Menschen alles geworden, um mit allen Mitteln einige zu retten. Auf diese Weise zeigt sich die praktische Weisheit der pastoralen Liebe und Selbstverleugnung des Paulus. Es war keine Doppelzüngigkeit, wie seine Feinde behaupteten (2. Kor 1,12; 4,2; 12,16; Gal. 1,10), sondern der Ausdruck eines Herzens, das unter der Zucht des heiligenden Geistes handelte. Und das alles geschah um des Evangeliums willen, damit er an ihm teilhabe. Jede neu für Christus gewonnene Seele zeigte dem Apostel die Herrlichkeit des dreieinigen Gottes und die Schönheit des Erlösers, und in der Gemeinschaft all dieser Heiligen wirkten die Segnungen des Evangeliums auf ihn ein und ließen ihn an den belebenden Wirkungen des Evangeliums noch stärker teilhaben. Der treue Diener des Evangeliums wird selbst die reichen Früchte seiner Arbeit ernten.

 

    Die Notwendigkeit der Selbstzucht (V. 24-27): Eine solche Haltung und Gewohnheit der Selbstverleugnung, wie sie Paulus praktizierte, erwirbt man nicht einfach so, sondern sie erfordert die Anwendung strengster Selbstdisziplin, und er veranschaulicht an seinem eigenen Fall, wie ein Christ dieses Stadium erreichen und beibehalten kann. Um den Korinthern zu verdeutlichen, was er meint, benutzt Paulus das Bild der athletischen Spiele, die ihnen vertraut waren, weil in der Nähe ihrer Stadt alle drei Jahre die Isthmischen Spiele stattfanden: Wisst ihr nicht, dass die, die im Stadion und auf der Rennbahn laufen, zwar alle laufen, aber nur einer erhält den Preis? Lauft also, damit ihr ihn sicher bekommt. Der Vergleichspunkt ist der eifrige Einsatz für den Gedanken, den Preis zu gewinnen, zu erringen. Der Preis bei den Isthmischen Spielen war nur ein Kranz aus der griechischen Kiefer, aber für die Griechen konnte ihr Wert nicht in Geld gemessen werden. Der Preis, nach dem die Christen mit allen Nerven und Fasern ihres Wesens streben sollen, ist unvergleichlich wunderbar, und deshalb sollten sie daran denken, dass die Teilnahme am Rennen nicht gleichbedeutend mit dem Sieg ist; sie sollten sich nicht mit dem bloßen Laufen begnügen, sondern darauf achten, den Preis zu gewinnen.

    Der Wettlauf lehrt eine Lektion, der Boxkampf eine andere: Jeder Kämpfer, jeder Athlet, übt sich in allem in Mäßigung; sie zwar, um eine vergängliche Krone zu erhalten, wir aber eine unvergängliche. Alle Athleten der griechischen Spiele, ganz gleich, wo sie sich aufhielten, vor allem die Boxer, gönnten sich nichts, was ihre Muskeln oder ihre Widerstandskraft schwächen könnte; sie übten sich in solcher Strenge, dass sie sich auch nur der geringsten Zugeständnisse an Essen oder Trinken enthielten, die sie einen Tag in ihrem Training zurückwerfen könnten. Und das alles für eine Girlande, die in kurzer Zeit verwelkte, für die Ehre, dass ihre Namen in den Oden der Feste gesungen wurden. Wie viel mehr sollten nun die Christen, die den unvergänglichen Preis ihrer himmlischen Berufung vor Augen haben, mit der ganzen Kraft ihres geheiligten Herzens und Verstandes danach streben, diesen herrlichen Lohn zu erlangen! Ewige Seligkeit und Herrlichkeit ist der Lohn der Gnade, 2. Tim. 4,8; Jak. 1,12; 1. Petr. 5,4.

    Der Apostel hält den korinthischen Christen sein eigenes Beispiel vor Augen: Ich für meine Person laufe also, wie auf keinen Fall; ich boxe also, nicht wie einer, der die Luft schlägt. Wie der Läufer nur eines im Sinn hat, nämlich das Rennen zu gewinnen; wie er seine Augen mit unerschütterlicher Festigkeit auf das Ziel gerichtet hält, so hält der Apostel seinen Geist fest auf den Preis gerichtet, der den treuen Christen erwartet, wenn er seinen Lauf vollendet hat. Wie der Faustkämpfer seine Kraft nicht mit sinnlosen Schlägen in die Luft vergeudet, sondern versucht, jeden Schlag auszuführen, so hat der Apostel in seinem Kampf mit dem Satan, der Welt und seinem eigenen Fleisch den Feind nicht mit Samthandschuhen angefasst, sondern mit harten Schlägen geschlagen, weil er wusste, dass von seinem Sieg die Gewissheit seines Heils abhing. Auch deshalb hat Paulus seinen Körper (buchstäblich) entkräftet, er hat ihn grün und blau geschlagen, er hat sich in der Verfolgung seines Ziels der strengsten körperlichen Disziplin unterworfen; er hat seinen Körper dem Diktat seines Willens unterworfen. Das ist einer der Gründe, warum dieser Apostel, dessen körperliche Konstitution alles andere als robust gewesen zu sein scheint, so viel im Werk des Herrn vollbringen konnte. Aber er tat es, um sich beim Predigen nicht selbst als verwerflich zu erweisen, d.h. nach den Gesetzen, die den Wettbewerb regierten, ausgeschlossen, verworfen zu werden, oder, falls er zum Wettbewerb zugelassen werden sollte, bei seinem Versuch, den Preis zu gewinnen, erfolglos zu bleiben. „Was für ein Argument und was für ein Tadel ist das! Die leichtsinnigen und lustlosen Korinther dachten, sie könnten sich sicher bis an den Rand der Sünde hingeben, während dieser hingebungsvolle Apostel sich in einem Lebenskampf um sein Heil befand. ... Es ist der nachlässige und selbstverliebte Christ, der immer im Zweifel ist.“ (Hodge.)

 

Zusammenfassung: Der Apostel verteidigt sein Apostelamt und sein Recht auf Unterhalt durch die Gemeinden und zeigt, dass sein Fall eine Ausnahme für die Verkündigung des Evangeliums ist; er hält seinen Lesern das Beispiel seiner eigenen Selbstdisziplin zur Nachahmung vor.

 

 

Kapitel 10

 

Warnung vor fleischlicher Sicherheit (10,1-13)

    1 Ich will euch aber, liebe Brüder, nicht in Unwissenheit darüber lassen, dass unsere Väter sind alle unter der Wolke gewesen und sind alle durchs Meer gegangen 2 und sind alle unter Mose getauft mit der Wolke und mit dem Meer; 3 und haben alle einerlei geistliche Speise gegessen 4 und haben alle einerlei geistlichen Trank getrunken; sie tranken aber von dem geistlichen Fels, der mitfolgte, welcher war Christus. 5 Aber an ihrer vielen hatte Gott kein Wohlgefallen; denn sie sind niedergeschlagen in der Wüste.

    6 Das ist aber uns zum Vorbild geschehen, damit wir uns nicht gelüsten lassen des Bösen, gleichwie jene gelüstet hat. 7 Werdet auch nicht Abgöttische, gleichwie jener etliche wurden, wie geschrieben steht: Das Volk setzte sich nieder, zu essen und zu trinken, und stand auf zu spielen. 8 Auch lasst uns nicht Hurerei treiben, wie etliche unter jenen Hurerei trieben, und fielen auf einen Tag dreiundzwanzigtausend. 9 Lasst uns aber auch Christus nicht versuchen, wie etliche von jenen ihn versuchten und wurden von, den Schlangen umgebracht. 10 Murrt auch nicht, gleichwie jener etliche murrten und wurden umgebracht durch den Verderber.

    11 Solches alles widerfuhr ihnen zum Vorbild; es ist aber geschrieben uns zur Warnung, auf welche das Ende der Welt gekommen ist. 12 Darum, wer sich lässt dünken, er stehe, mag wohl zusehen, dass er nicht falle. 13 Es hat euch noch keine als menschliche Versuchung betreten; aber Gott ist treu, der euch nicht lässt versuchen über euer Vermögen, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende gewinne, dass ihr’s könnt ertragen.

 

    Das Gericht an Israel in der Wüste (V. 1-5): In diesem Abschnitt bietet der Apostel einige Seiten aus der Geschichte des alten Israel als warnendes Beispiel für diejenigen, die in Gefahr sind, der fleischlichen Sicherheit nachzugeben. Von allen erwachsenen Israeliten, die das Land Ägypten verließen, zogen nur zwei, Josua und Kaleb, in das verheißene Land ein. Deshalb sollte die Lektion beherzigt werden: Denn ich will nicht, dass ihr in Unwissenheit bleibt, Brüder, dass unsere Väter alle unter der Wolke waren und alle durch das Meer gegangen sind. Paulus spricht offen von „unseren Vätern“ und identifiziert damit die neutestamentliche Kirche mit dem wahren Israel, Röm. 4,1.11; 11,17.18. Als die Kinder Israel Ägypten, das Land ihrer Knechtschaft, verließen, ging der Herr bei Tag in einer Wolkensäule vor ihnen her, um ihnen den Weg zu zeigen, 2. Mose 13,21. Und auch die ganze Gemeinde zog wie auf trockenem Boden durch das Rote Meer, indem der Herr selbst das Wasser wie eine Mauer auf beiden Seiten stehen ließ, 2. Mose 14,22. Die barmherzige Gegenwart Gottes umgab und begleitete sie auf jedem Schritt ihres Weges. Man beachte, dass alle Israeliten ohne Ausnahme aus dem Haus der Knechtschaft entkamen, dass sie alle in die wundersame Befreiung im Roten Meer eingeschlossen waren; und doch kamen die meisten von ihnen danach um! Paulus sagt außerdem, dass sie alle ihre Taufe auf Mose in der Wolke und im Meer empfingen. Die Wolke und das Meer wurden zusammen zu den Elementen, durch die die Kinder Israels vor dem Herrn gereinigt und als das Volk des Bundes abgesondert wurden. So waren die Wolke und das Meer Vorbilder für das neutestamentliche Sakrament der Taufe; sie waren Gottes Siegel und Unterpfand für seine barmherzigen Verheißungen, so wie es die Sakramente in Wahrheit auch heute noch sind. Durch die Wolke und durch das Meer rettete Gott sein Volk aus der Tyrannei des Pharao und führte es in die Freiheit. Und so befreit Gott uns durch die Taufe aus der Macht Satans und versetzt uns in sein Reich, damit wir für immer seine freien, gesegneten Kinder sind. Wenn der Apostel sagt, dass die Kinder Israels auf Mose getauft wurden, so meint er damit, dass sie in eine innige Beziehung oder Gemeinschaft mit Mose als dem Vermittler der göttlichen Offenbarungen traten; sie nahmen die Verpflichtung auf sich, ihm als dem ihnen von Gott gegebenen Führer treu nachzufolgen, 2. Mose 14,31, so wie ein auf Christus getaufter Gläubiger ihn zum großen Führer seines Lebens macht, Gal. 3,27.

    Aber die Aufzählung der Barmherzigkeit Gottes gegenüber den Israeliten ist noch lange nicht zu Ende: Und alle aßen dieselbe geistliche Speise, und alle tranken denselben geistlichen Trank. Das war die Art und Weise, in der ihr Leben erhalten wurde. Sie alle aßen geistliche Nahrung, Nahrung vom Himmel, Manna, das Gott ausschließlich zu diesem Zweck gegeben hatte, 2. Mose 16,13 ff. Nicht nur einmal, sondern zweimal wurde ihnen durch ein offensichtliches Wunder des Herrn Wasser aus einem Felsen zu trinken gegeben, 2. Mose 17,1 ff.; 4. Mose 20,2ff. Beides, Essen und Trinken, diente aber nicht nur der Erhaltung des körperlichen, sondern auch des geistlichen Lebens. In dieser Hinsicht sind die Speisen und Getränke der Eucharistie ein treffendes und zugleich übertreffendes Gegenbild zu den wunderbaren Speisen und Getränken Israels in der Wüste. Damals wie heute ist es das Wort Gottes, das dem Mahl Wirksamkeit verleiht, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg bei Gläubigen und Ungläubigen. Das wundersame Wasser wird von Mose weiter erklärt: Denn sie tranken während der ganzen Zeit ihrer Wüstenreise von dem geistlichen Felsen, der sie begleitete; dieser Fels aber war Christus. Während ihr Mund von dem Wasser trank, das zu ihren Füßen floss, wurde ihr Geist durch den Glauben an Christus erfrischt, der als der Fels ihres Heils bei ihnen war. „Das heißt, sie glaubten an denselben Christus, obwohl er noch nicht leibhaftig erschienen war, sondern erst später kommen sollte; und das Zeichen ihres Glaubens war der leibhaftige Fels, aus dem sie Wasser tranken, so wie wir im leibhaftigen Brot und Wein auf dem Altar den wahren Christus geistig essen und trinken, das heißt, im äußeren Essen und Trinken üben wir unseren Glauben innerlich aus. Denn wenn jene nicht Gottes Wort und Glauben gehabt hätten, während sie Wasser aus dem Felsen tranken, so hätte es keinen Wert für ihre Seelen gehabt.“[51]

    Wie aber revanchierte sich das Volk für die wunderbare Freundlichkeit Gottes? Aber Gott hatte kein Wohlgefallen an den meisten von ihnen, denn sie wurden in der Wüste niedergeschlagen. Wegen ihres Unglaubens und ihrer Hartherzigkeit, Hebr. 3,19, wurde Gottes Unwillen, sein Zorn und seine Empörung erregt. Er hatte Geduld, er wandte sich immer wieder an sie, aber sie wollten ihm nicht den Gehorsam von ganzem Herzen leisten, den er verlangte, und so kam seine Strafe über sie. Durch verschiedene besondere Gerichte, von denen Paulus später spricht, wurde die gesamte ältere Generation vernichtet, da sie das verheißene Land nicht erreichen konnte, mit Ausnahme von Josua und Kaleb. „Welch ein Anblick für die Augen der selbstzufriedenen Korinther: all diese Leichen, vollgesogen mit wunderbarer Nahrung, die den Boden der Wüste übersäen!“ (Godet.)

 

    Warnung vor dem Verderben durch Abgötterei und damit verwandte Sünden (V. 6-10): Der Apostel untermauert seine Warnung, indem er sich auf eine Reihe von Ereignissen in der Wüste bezieht, die zeigen, warum das Missfallen Gottes die Kinder Israels traf: Diese Dinge aber, diese Gerichte, sind in der Schrift als Typen oder Beispiele zur Warnung aufgezeichnet; sie stellen für uns unser Los dar, wenn wir nicht auf die Stimme Gottes in der Geschichte der Wüste hören. Wir sollen nicht lüstern sein nach bösen Dingen, wir sollen nicht eifrig sein, das zu tun, was dem Herrn missfällt, wie sie auch lüstern waren. Kaum waren die Israeliten aus der Hand des Pharaos und der Ägypter gerettet, da waren sie unzufrieden mit ihrer Reise durch die Wüste und sehnten sich nach den Fleischtöpfen Ägyptens, 2. Mose 16,3. Immer wieder erhoben sie auf ihrer weiteren Reise ihre Stimme in aufrührerischem Murren und verlangten weitere Gaben von der Güte und dem Wohlwollen des Herrn, 4. Mose 11,5-20. Und immer wieder nahm ihre Auflehnung die Form von besonderen Sünden der Untreue an, von Vergehen, die in den Augen Gottes besonders verhasst waren.

    Einige der Anlässe, die unter diese Überschrift fallen, sollen nun aufgezählt werden: Und werdet nicht zu Götzendienern wie einige von ihnen, wie geschrieben steht: „Das Volk setzte sich nieder, um zu essen und zu trinken, und stand auf, um sich im Tanz zu vergnügen. Dieses Verhalten war nur der äußere Ausdruck des Abfalls ihrer Herzen, 2. Mose 32,18.19. Sie bereiteten absichtlich ein Opfermahl für das goldene Kalb vor, das Aaron auf ihr Verlangen hin gemacht hatte, und sie brachten ihre götzendienerischen Gefühle zum Ausdruck, indem sie um das von Menschenhand geschaffene Götzenbild sangen und tanzten. „Es war eine Szene wilder, sorgloser Fröhlichkeit, die unter den gegebenen Umständen schockierend und höchst gefährlich war und die Mose miterlebte, als er herabstieg und die Gesetzestafeln trug.“[52] Zweifellos gab es auch in der korinthischen Gemeinde solche, die ihre Teilnahme an den Gastmählern in den heidnischen Tempeln mit dem Argument zu entschuldigen suchten, sie hätten nur die Ehre Gottes im Sinn; aber gerade dadurch, dass sie sich mit den götzendienerischen Genüssen auf eine Stufe stellten, hatten sie sich des Götzendienstes schuldig gemacht. Ein zweites Vergehen: Wir wollen auch nicht Unzucht treiben, wie einige von ihnen Unzucht trieben und auf einen Tag dreiundzwanzigtausend fielen, 4. Mose 25. Nach dem böswilligen Rat Bileams, 4. Mose 31,16, luden die Moabiter und Midianiter die Israeliten zu ihren Festen ein, bei denen zu Ehren ihrer Götter die schamloseste Unzucht getrieben wurde. Das Ergebnis war eine Verderbnis und Verunreinigung, die sich über die Kinder Israels ausbreitete und zur Strafe Gottes über sie führte, indem dreiundzwanzigtausend Menschen an einem Tag getötet wurden. Anmerkung: Es gibt keine Diskrepanz zwischen diesem Abschnitt und dem Text in Numeri, da Paulus ausdrücklich die Zahlen für einen Tag angibt, während der historische Bericht die Gesamtzahl der Toten erwähnt.     Die Warnung war besonders im Fall der Korinther angebracht, die den schamlosen Praktiken des Venuskultes in ihrer Stadt ausgesetzt waren. Keiner von ihnen solle glauben, dass er gegen solche unmoralischen Laster gefeit sei, wenn er sich bewusst den Heiden bei ihren Festen anschließe. Und keiner der Christen der Gegenwart soll sich vor den Verlockungen und Täuschungen der Welt sicher wähnen, wenn er es sich zur Gewohnheit macht, an den Orten zu sitzen, an denen die Sünden der Unmoral in mehr oder weniger verborgener Form präsentiert werden.

    Ein drittes Vergehen: Wir wollen den Herrn nicht versuchen, wie einige von ihnen versucht und von den Schlangen getötet wurden, 4. Mose 21,5.6. Indem sie von dem Brot, das der Herr ihnen täglich vom Himmel gab, sagten, dass ihre Seele dieses leichte Brot verabscheute, forderten sie Gott heraus, sie begingen die Sünde der Anmaßung, sie forderten seine Urteile heraus. Ihre Unzufriedenheit mit der von Gott gelieferten Nahrung war auf ihren Unglauben zurückzuführen, und dieser Unglaube wurde durch die von Gott gesandten feurigen Schlangen bestraft. Dieselbe Sünde, nämlich sich die göttliche Nachsicht und Geduld anzumaßen, begehen Christen, die sich nicht mit der festen und nahrhaften Nahrung zufrieden geben, die ihnen in der Verkündigung des Evangeliums gegeben wird, sondern darauf bestehen, die Stätten des Götzendienstes der Welt aufzusuchen, in der Hoffnung, dort eine Nahrung zu erhalten, die ihrem müden Appetit besser entspricht. Ein solches Verhalten ist eine Versuchung für Christus und wird entsprechend bestraft werden. Ein viertes Vergehen: Murrt nicht, wie auch einige von ihnen murrten und durch den Verderber umkamen, durch den Engel Gottes, der die Befehle Gottes ausführt, 2. Sam. 24,16; Jes. 37,36. Die ganze Geschichte der Wüstenwanderung ist eine Geschichte des Murrens, aber einige Ereignisse stechen besonders hervor, vor allem der Aufstand von Korah und seinen Freunden und der anschließende Aufstand der ganzen Gemeinde, 4. Mose 16. Hätte Mose damals nicht zwischen den Toten und den Lebenden gestanden, wäre vielleicht das ganze Volk ausgelöscht worden. Diese Lektion sollten die Korinther rechtzeitig anwenden, denn sie waren bereit, gegen die ihnen von Gott gegebenen Lehrer Widerstand zu leisten, einen Widerstand, der den Herrn selbst direkt traf. Und in unseren Tagen brauchen wir nur auf die allgemeine Unzufriedenheit und die Unzufriedenheit mit Gottes Wegen und seiner Regierung in Kirche und Staat hinzuweisen. Es ist an der Zeit, dass wir uns daran erinnern, was der Herr sagt Klagel. 3, 39.

 

    Die Anwendung der Lektion (V. 11-13): Wie alle anderen Dinge, die in der Heiligen Schrift erzählt werden, für uns mehr als nur von archäologischem oder historischem Interesse sind, so sind auch diese Begebenheiten der Wüstenwanderung für die Israeliten ein Beispiel; ihre Geschichte dient als Lehre für alle Zeiten. Und die Berichte wurden zu unserer Ermahnung geschrieben, damit wir nicht den Sünden verfallen, derer sie sich schuldig gemacht haben. Denn für uns ist das Ende der Zeiten gekommen; wir leben in der Zeit, die der gerichtlichen Krise vorausgeht. Vgl. Heb. 9,26; 1. Petr. 1,20; 1. Joh. 2,18. Jetzt ist die Zeit der schweren Prüfungen und daher auch des allgemeinen Abfalls; deshalb müssen wir uns in dieser Zeit vor den uns umgebenden Gefahren hüten und dürfen nicht zulassen, dass die Vertrautheit mit ihnen uns blind macht für ihre Heimtücke. „Daran erinnert uns auch der heilige Paulus und weist darauf hin, wenn er sagt, es sei zu unserer Ermahnung geschrieben, über die das Ende der Welt gekommen ist. Das heißt, wir befinden uns jetzt in der letzten und bösesten Zeit, die eine viel größere und schwerere Gefahr und eine viel schrecklichere Strafe bringt; denn es ist in der Schrift vorausgesagt und von Christus und den Aposteln geweissagt worden, dass schreckliche, schmerzliche Zeiten kommen würden, in denen ein großer Abfall von der wahren Lehre und eine schreckliche Verwüstung der Kirche geschehen würde, wie sie jetzt leider vor unseren Augen ist, die sowohl durch viel Ketzerei als auch durch Mohammed und das Papsttum in einer allzu schrecklichen Weise erfüllt worden ist.“[53]

    Aus diesen Tatsachen folgert Paulus: Wer also meint, er stehe, der sei auf der Hut, der sei auf der Hut, dass er nicht falle. Die Korinther standen tatsächlich im Glauben, durch die Gnade Gottes; sie waren auf dem Fundament Jesu Christi und der Apostel aufgebaut. Sobald aber aufgrund dieser Gnade die Eitelkeit das Herz eines Menschen ergreift, entsteht eine falsche Sicherheit, die die Gefahren und Versuchungen geflissentlich ignoriert und so häufig dem Fall vorausgeht. Die tapfere Heilsgewissheit, die einen Christen auszeichnen muss, ist jedoch eng verbunden mit einer demütigen Vorsicht und Wachsamkeit nach dem Beispiel des Paulus, damit nicht eine fleischliche Überschätzung der eigenen Kraft den Feinden die Öffnung verschafft, die sie gesucht haben. Aber zum Trost der ernsthaften und demütigen Leser fügt der Apostel hinzu: Die Versuchung hat euch nicht anders als menschlich ergriffen; die Verlockungen zur Sünde, die zu ihnen kamen, waren solche, die von Menschen, von dem sie umgebenden heidnischen Leben ausgingen. Aber Gott ist treu, dass er nicht zulässt, dass ihr über euer Vermögen hinaus versucht werdet, sondern dass er mit der Versuchung auch einen Ausweg, einen Ausweg gibt, den man zu ertragen vermag. Wenn wir Christen nur auf die allmächtige Kraft des treuen Gottes vertrauen, dann gibt es keine Versuchung, die uns völlig überwältigen kann, denn er wird nicht zulassen, dass die Versuchung solche Ausmaße annimmt, dass wir keinen Ausweg mehr haben. Wir können der Belastung standhalten, weil es die sichere Verheißung gibt, dass wir am Ende aus dem Kampf herauskommen werden. Aber wir müssen unsererseits unsere Augen beständig auf Ihn richten, um Hilfe zu erhalten. „Denn diese beiden Dinge meint Paulus hier: erstens, dass Gott, unser lieber Herr, uns mitten in der Versuchung helfen will, sie zu ertragen; zweitens, dass auch die Versuchung ein Ende haben wird, dass wir nicht in ihr bleiben: wahrlich, er ist ein treuer Gott.“[54]

Verhalten gegenüber den Schwachen im Glauben (10,14-33)

    14 Darum, meine Liebsten; flieht von dem Götzendienst! 15 Als mit den Klugen rede ich; richtet ihr, was ich sage! 16 Der Kelch des Segens, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? 17 Denn ein Brot ist’s; so sind wir viele ein Leib, dieweil wir alle eines Brotes teilhaftig sind.

    18 Seht an den Israel nach dem Fleisch. Welche die Opfer essen, sind die nicht in der Gemeinschaft des Altars? 19 Was soll ich denn nun sagen? Soll ich sagen, dass der Götze etwas sei, oder dass das Götzenopfer etwas sei? 20 Aber ich sage, dass die Heiden, was sie opfern, das opfern sie den Teufeln und nicht Gott. Nun will ich nicht, dass ihr in der Teufel Gemeinschaft sein sollt. 21 Ihr könnt nicht zugleich trinken des HERRN Kelch und der Teufel Kelch; ihr könnt nicht zugleich teilhaftig sein des Tisches des HERRN und des Tisches der Teufel.

    22 Oder wollen wir dem HERRN trotzen? Sind wir stärker als er? 23 Ich habe es zwar alles Macht; aber es frommt nicht alles. Ich habe es alles Macht; aber es bessert nicht alles. 24 Niemand suche was sein ist, sondern ein jeglicher, was dem anderen nutzt.

    25 Alles was feil ist auf dem Fleischmarkt, das esst und forscht nichts, damit ihr das Gewissen verschont. 26 Denn die Erde ist des HERRN, und was darin ist. 27 So aber jemand von den Ungläubigen euch ladet, und ihr wollt hingehen, so esst alles, was euch vorgetragen wird, und forscht nichts, damit ihr das Gewissen verschont. 28 Wenn aber jemand würde zu euch sagen: Das ist Götzenopfer, so esst nicht, um deswillen, der es anzeigte, damit ihr das Gewissen verschont. Die Erde ist des HERRN, und was darin ist. 29 Ich sage aber nicht von deinem eigenen Gewissen, sondern dem des anderen. Denn warum sollte ich meine Freiheit lassen urteilen von eines anderen Gewissen? 30 Denn so ich’s mit Danksagung genieße, was sollte ich denn verlästert werden über dem, dafür ich danke?

    31 Ihr esst nun oder trinkt, oder was ihr tut, so tut es alles zu Gottes Ehre. 32 Gebt kein Ärgernis weder den Juden noch den Griechen noch der Gemeinde Gottes, 33 gleichwie ich auch jedermann in allerlei mich gefällig mache und suche nicht, was mir, sondern was vielen nutzt, damit sie selig werden.

 

    Ein Bezug zum heiligen Abendmahl (V. 14-17): Die ersten Sätze haben den Charakter einer Überleitung zwischen den beiden Abschnitten des Kapitels. Das traurige Schicksal der Israeliten in der Wüste, die Ähnlichkeit ihrer Prüfungen mit denen der korinthischen Christen, die Möglichkeit, allen Versuchungen wirksam zu widerstehen, und die sichere Erleichterung, die wir von unserem treuen Gott erwarten dürfen: all diese Tatsachen verleihen dem Aufruf, dem Götzendienst zu entfliehen, der die Grundlage aller Sünde ist, Gewicht und Nachdruck. Paulus ist tief bewegt, und er will mit seinem Appell einen tiefen Eindruck auf seine Leser machen, da er sie als seine „Geliebten“ anspricht. Doch nun leitet er zu dem anderen Gedanken über, nämlich der Notwendigkeit, das Heilige Abendmahl ungetrübt zu halten. Wie eine Aufforderung klingen seine Worte: Ich spreche zu Menschen mit Verstand; beurteilt selbst, was ich sage. Er hat sie vor einer Sicherheit gewarnt, die sich auf falsches Wissen gründet; hier fordert er sie auf, ihre geistliche Weisheit in der richtigen Weise anzuwenden, denn die Sache, die er zur Sprache bringen will, betrifft Dinge, die der geistliche Mensch gut beurteilen kann, Kap. 2,15. Sie sind intelligent, sie sind klug, sie sind scharfsinnig: Deshalb hat er uneingeschränktes Vertrauen in seine Fähigkeit, eine so offenkundige Wahrheit ihrer Entscheidung anzuvertrauen.

    Das Geheimnis der Eucharistie: Der Segenskelch, den wir segnen, den wir in der heiligen Kommunion durch Gebet für einen heiligen Gebrauch aussondern, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen (nachdem wir auch darüber das Gebet des Lobes und des Dankes gesprochen haben), ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Der ganze Text atmet das Bewusstsein, die Gewissheit der christlichen Gemeinschaft, erstens mit Christus, an dem sie durch den Wein und das Brot teilhaben, und zweitens mit den anderen Kommunikanten, die an demselben Brot und demselben Kelch teilhaben. Hier haben wir das Wesentliche des Abendmahls in einem Satz: Es gibt die irdischen, sichtbaren Elemente, Brot und Wein; es gibt die unsichtbaren Segnungen, die Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi; die himmlischen Gaben sind in, mit und unter den irdischen Elementen gegenwärtig, denn es gibt in beiden Fällen eine Gemeinschaft der beiden, und es wird nichts von einer Veränderung oder Transsubstantiation gesagt; die Gemeinschaft ist mit Christus, als dem Urheber und Vollender unseres Heils. Es gibt keine sakramentale Gegenwart außerhalb des Sakraments; es ist notwendig, dass Brot und Wein gesegnet und dann gemäß der Einsetzung Christi eingenommen werden, damit die Realpräsenz wirksam wird; wer am Brot teilnimmt, nimmt am Leib Christi teil, und wer am Kelch teilnimmt, nimmt am Blut Christi teil. „Was die Transsubstantiation betrifft, so kümmern wir uns nicht um die sophistische Spitzfindigkeit, mit der gelehrt wird, dass Brot und Wein ihre eigene natürliche Substanz verlassen oder verlieren und dass nur das Aussehen und die Farbe des Brotes übrigbleiben, nicht aber das wahre Brot. Denn es steht in vollkommener Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift, dass es Brot gibt und dass es Brot bleibt. . . . Wir glauben, lehren und bekennen, dass der Leib und das Blut Christi mit dem Brot und dem Wein nicht nur geistlich durch den Glauben, sondern auch mündlich empfangen werden, jedoch nicht auf eine kapernaitische, sondern auf eine übernatürliche, himmlische Weise, aufgrund der sakramentalen Vereinigung, wie die Worte Christi deutlich zeigen.“[55]

    Die Gemeinschaft, das Einssein der Gläubigen mit Christus durch die Eucharistie wird hervorgehoben: Denn ein Brot, ein Leib, sind wir viele, denn an dem einen Brot haben wir teil. Es ist die engste Beziehung, die lebendigste Gemeinschaft, von der Paulus hier sagt, dass sie besteht. Alle Kommunikanten nehmen an dem einen Brot teil, das die Gemeinschaft des Leibes Christi ist, und deshalb sind sie nicht nur mit Christus, sondern auch untereinander aufs innigste verbunden; die Gemeinschaft der Gläubigen wird durch die Worte des Paulus mit größtem Nachdruck hervorgehoben. Zugleich ist zu bemerken, dass die Heuchler und Ungläubigen, die zum Tisch des Herrn kommen, ohne dass die Gemeinde es weiß, am Leib und Blut Christi in und mit dem Brot und Wein teilhaben, aber sie nehmen nicht wirklich am Heiligen Abendmahl teil, denn ihr Unglaube schließt sie von der Gemeinschaft der Heiligen aus, und sie empfangen den Leib Christi als ihren Richter und das Sakrament zu ihrer Verdammnis, Kap. 11,29.

 

    Die Anwendung dieser Wahrheiten auf götzendienerische Praktiken (V. 18-21): In seinem Bemühen, den Korinthern klarzumachen, dass die Teilnahme an götzendienerischen Festen der Anbetung von Götzen gleichkommt, führt der Apostel nun die Analogie der jüdischen Form der Anbetung ein: Man beachte das Volk Israel als Nation. Sind nicht diejenigen, die die Opfer essen, Teilhaber des Altars; treten sie nicht in Gemeinschaft mit dem Altar? Diese Tatsache wurde an den großen Festen, wie dem Passahfest, besonders deutlich, als die gesamte Gemeinde Israels ihre Gemeinschaft demonstrierte, indem sie sich im Passahopfer vereinigte und zur gleichen Zeit und auf die gleiche Weise an dem damit verbundenen Mahl teilnahm. Es war wahrscheinlich, dass die Leser an dieser Stelle die Tendenz der Bemerkungen des Apostels erkennen würden, dass er sich auf ihre Teilnahme an heidnischen Festen beziehen würde. Doch bevor sie den Einwand vorbringen können, den sie wahrscheinlich vorbringen werden, entwaffnet der Apostel sie: Was sage ich jetzt? Widerspreche ich mir selbst (vgl. Kap. 8,4-6), dass das Götzenopfer etwas ist, oder dass ein Götze etwas ist? Er hatte die tatsächliche Existenz, die Persönlichkeit der Götzen geleugnet und damit auch die mit ihrer Verehrung verbundenen Riten als sinnlose Zeremonien verworfen. An diesem Standpunkt hielt er nach wie vor fest.

    Aber es gab noch einen weiteren Aspekt, auf den er die Aufmerksamkeit seiner Leser lenken wollte: Das, was sie opfern, opfern sie vielmehr den Dämonen und nicht Gott. Bei den Götzenfesten werden quasi Teufel angebetet, und so kommen sie durch die Teilnahme an heidnischen Festen in Gemeinschaft mit Teufeln, und er will nicht, dass sie Gemeinschaft mit Teufeln haben. Der Aufruhr und die Ausschweifungen bei heidnischen Festen, von Schlimmerem ganz zu schweigen, zeigten, dass üble Geister des Bösen über sie herrschten. Und so wendet Paulus die Wahrheit an, die ihnen ihre Klugheit sicher als richtig gezeigt hat: Ihr könnt nicht den Kelch des Herrn trinken und den Kelch der Dämonen; ihr könnt nicht am Tisch des Herrn teilhaben und am Tisch der Dämonen. Der Kelch des Herrn in der Eucharistiefeier ist die Gemeinschaft mit dem Herrn und verlangt daher die engste Bindung an ihn; die Teilnahme an den Götzenfesten, bei denen der Kelch der Teufel im Gebrauch war und die Gemeinschaft mit den Teufeln gefeiert wurde, muss daher das Band brechen, das an den Herrn bindet. Und in gleicher Weise konnte die Gemeinschaft mit dem Herrn, die am Tisch des Heiligen Abendmahls hergestellt wurde, nicht aufrechterhalten werden, wenn ein Christ an heidnischen Festen teilnahm; es war eine moralische Unmöglichkeit. Jede Faser des wiedergeborenen Wesens eines Christen muss gegen eine solche gotteslästerliche Verwirrung aufschreien. Anmerkung: Die Worte des Apostels finden heute genauso ihre Anwendung wie damals in Korinth. Wenn Christen sich an den wilden und ausschweifenden Gelagen und Ausschweifungen der Welt beteiligen, insbesondere an solchen, die zu Ehren antichristlicher Personen oder Prinzipien veranstaltet werden, sind sie nicht weniger schuldig als die prahlerischen Korinther zu ihrer Zeit.

 

    Christliche Grundsätze sind einzubeziehen (V. 22-24): Der Apostel erwähnt hier einen Gedanken, der vielleicht in den Herzen einiger Korinther zu finden war: Wollen wir etwa den Herrn zur Eifersucht reizen? War das der Gedanke, der sie dazu brachte, an beiden Tischen teilzunehmen? Sollten Christen einen solchen Weg einschlagen? Vgl. 5. Mose. 32,21. Sie können sicher sein, dass der Herr über einen solchen Beweis ehebrecherischer Liebe sein größtes Missfallen empfinden würde. Und: Sind wir stärker als Er? Sollen wir uns anmaßen, seinen Unmut in diesem Ausmaß zu riskieren? Können wir die Macht seines Zorns abwenden? Allein die Tatsache, dass Paulus sich selbst in die Frage einbezieht, sollte seine Leser ermutigen und ermahnen, sich auf seine Seite zu stellen und mit Nachdruck zu antworten: Nimmermehr! Aber er drängt auch auf eine Überlegung, die er schon einmal vorgebracht hat: Alles steht in meiner Macht, aber alles ist nicht zweckmäßig, nicht vorteilhaft, wenn man das Wohl meines Nächsten im Auge hat. Zwischen dem Recht, eine bestimmte Sache zu tun, und dem Beharren darauf, von diesem Recht immer und unter allen Umständen Gebrauch zu machen, besteht ein großer Unterschied. Und weiter: Alle Dinge stehen in meiner Macht, aber nicht alle sind erbaulich. Eine Handlung, von der ich weiß, dass sie richtig und gut ist, kann von einem schwachen Bruder als höchst unpassend angesehen werden, und deshalb wird mein Tun dazu führen, dass er beleidigt wird, anstatt dass er in der Frömmigkeit und im gerechten Leben gefördert wird. Vgl. Kap. 6,12. Immer ohne barmherzige Sorgfalt in eingebildeter Sicherheit voranzugehen, kann dazu führen, dass die unsterbliche Seele eines Mitchristen in Gefahr gerät. Aber ein Grundprinzip der christlichen Liebe ist: Niemand soll sein eigenes Interesse oder seinen eigenen Vorteil suchen, sondern das des anderen, des Nächsten, des christlichen Bruders. Das eigene Vergnügen, die eigenen Rechte, die eigene Freiheit ohne Rücksicht auf das Wohl der anderen zur alleinigen und vorrangigen Erwägung zu machen, ist das Wesen der Selbstsucht, ein Verstoß gegen das große Gesetz der Liebe. Auch das Gleichgültige wird zur Sünde, wenn es dem Nächsten Schaden zufügt.

    Verhaltensregeln (V. 25-30): Die Anwendung der Grundsätze der christlichen Liebe auf die Situation in Korinth war nicht sehr schwierig. Alles, alles Fleisch, das auf dem Fleischmarkt zum Verkauf angeboten wurde, durften sie essen. Aber dabei sollten sie um ihrer schwachen Brüder willen nicht fragen, woher das Fleisch stammte, ob es aus dem Tempel geschickt worden war oder nicht. Auf diese Weise würden sie eine Verlegenheit vermeiden, falls sie ihrerseits befragt werden sollten. Diesen Handlungsspielraum untermauert Paulus mit einem Bibelzitat: Denn des Herrn ist die Erde und ihre Fülle, alles, was in ihr ist, alles, was sie enthält, Ps. 24,1. Die Christen dürfen also alle Gaben Gottes, die sie in der Welt vorfinden, ohne das geringste Zögern gebrauchen, sofern kein Hindernis besteht, wie es hier erwähnt wird. Der Apostel weist auch darauf hin, dass die ängstliche Suche nach  Gewissenskonflikten, die manche für das Wesen des Christentums halten, nicht auf dem Willen Gottes beruht.

    Wenn ein Christ von einem Ungläubigen eingeladen würde und es für das Beste hielte, dorthin zu gehen, um die Einladung anzunehmen, sollte dieselbe allgemeine Regel gelten. Er sollte alles essen, was serviert wird, aber wiederum keine Fragen stellen. Die Chancen stehen gut, dass er nicht nur von dem Nichtchristen, der wahrscheinlich Opferfleisch verwenden würde, sondern auch von jedem schwachen Christen, der zur gleichen Zeit anwesend sein könnte, genau beobachtet werden würde. Wenn dann aber jemand bemerken sollte, dass Opferfleisch serviert wird, sollte der Christ nicht mehr davon essen. Ob die Information nun aus Höflichkeit und dem Wunsch heraus gegeben wird, den Skrupeln des Christen zu helfen, oder aus Spott, um ihn in Verlegenheit zu bringen - was auch immer der Anlass oder das Motiv sein mag, es verändert die Situation und veranlasst den Gläubigen, das Fleisch abzulehnen, nicht um seines eigenen Gewissens willen, sondern um des schwachen Bruders willen. Aus Rücksicht auf die Skrupel seines Mitchristen wird sich der Gläubige unter diesen Umständen des Fleischessens enthalten. Und wenn der Einwand erhoben wird, dass die Entscheidung darüber, was gut und was nicht gut ist, beim einzelnen Christen liegen muss, so möchte der Apostel ihn daran erinnern: Denn wozu wird meine Freiheit von einem anderen Gewissen beurteilt; welchen Vorteil habe ich davon, wenn ich darauf bestehe, unter diesen Umständen zu essen, und dann den Tadel der Skrupel eines anderen Menschen zu erwarten habe, der einfach nicht sehen kann, dass mein Verhalten ganz und gar mit dem Wort Gottes übereinstimmt? Anstatt Nutzen aus seinem unbedachten Gebrauch seiner Freiheit zu ziehen, könnte er Schaden erleiden: Wenn ich mit Danksagung daran teilnehme, warum werde ich dann wegen dem, wofür ich gedankt habe, gelästert und verurteilt? Wenn ein Christ in einer solchen Situation nicht nur isst, sondern auch Gott für die Speise dankt, wird das von den Heiden und den Brüdern, die nicht die richtige Erkenntnis haben, als Heuchelei angesehen werden. Das ist der Grund, warum ein Christ aus Rücksicht auf das Gewissen des schwächeren Bruders und um keinen Anstoß zu erregen, es ablehnen wird, am Opferfleisch teilzunehmen.

 

    Die Schlussfolgerung (V. 31-33): Indem der Apostel den Grundsatz der christlichen Liebe anwendet, stellt er eine allgemeine Maxime der christlichen Pflicht auf. Ganz gleich, in welcher besonderen Situation des täglichen Lebens sich ein Gläubiger befindet, ganz gleich, wie er sich betätigt, sei es beim Essen oder beim Trinken oder bei irgendeiner anderen Arbeit, die Ehre Gottes muss sein Ziel sein. „Vergiss dich selbst. Lass dein Auge auf Gott gerichtet sein. Lass die Förderung seiner Herrlichkeit dein Ziel in allem sein, was du tust. Strebe in allem danach, so zu handeln, dass die Menschen den Gott preisen, dem du zu dienen bekennst.“ (Hodge.) Und die zweite allgemeine Regel lautet: Nehmt keinen Anstoß an den Juden wie an den Heiden wie an der Gemeinde Gottes. Gib niemandem Anlass, an der christlichen Religion Anstoß zu nehmen; verhalte dich in allen Dingen so, dass du keine Lästerung gegen den heiligen Namen Gottes verursachst. Ein leichtsinniger Umgang mit der christlichen Freiheit kann zum Gipfel der Torheit werden und der Sache des Herrn schweren Schaden zufügen. Ob es sich nun um Juden mit ihrem legalistischen Standpunkt handelt oder um Heiden mit ihren götzendienerischen Praktiken oder um schwächere Brüder mit ihren besonderen Skrupeln: Handle so, dass das Wohlergehen deines Nächsten nicht gefährdet wird, und vor allem, dass die Herrlichkeit des Herrn nicht unter deiner Anstiftung leidet. Und hier führt Paulus wieder sein eigenes Beispiel an: Wie auch ich in allen Dingen allen gefalle und nicht meinen eigenen Vorteil suche, sondern den der Vielen, einer möglichst großen Zahl, damit sie gerettet werden. Vgl. Kap. 9,22. Vom Standpunkt des Menschen aus betrachtet, gab Paulus alles auf, Ehre, Stellung, Reichtum, alle Vorteile dieser Welt, um sich ganz in den Dienst seines Herrn und seiner Mitmenschen zu stellen, egal unter welchen Bedingungen er ihnen begegnete. Und er hat sich nicht darum gekümmert, dass viele ihn in dieser Haltung missverstanden haben, sondern er hat weiter in ihrem Interesse gearbeitet. „Wenn also der heilige Paulus sagt: ‚Ein jeder tue seinem Nächsten Gutes‘, so will er nicht, dass wir dafür sorgen, dass es unserem Nächsten gefällt, denn das ist nicht unsere Sache, sondern dass wir nach der Liebe so viel tun, dass es ihm nach der Gerechtigkeit gefallen soll, und es ist nicht unsere Schuld, wenn es ihm nicht gefällt.“[56] Der feine, taktvolle Anstand des Paulus in allen erdenklichen Situationen zwang die Menschen, ihn zu respektieren, und öffnete in vielen Fällen den Weg für das Werk des Evangeliums.

 

Zusammenfassung: Paulus warnt die Korinther vor falscher Sicherheit und der Teilnahme an götzendienerischen Festen und zeigt, dass die Ehre Gottes und das Wohl des Nächsten die Beweggründe sein müssen, die den Gläubigen zu jeder Zeit antreiben.

Kapitel 11

 

Verhalten im öffentlichen Gottesdienst (11,1-34)

    1 Seid meine Nachfolger, gleichwie ich Christi! 2 Ich lobe euch, liebe Brüder, dass ihr an mich denkt in allen Stücken und haltet die Anweisungen, wie ich sie euch gegeben habe.

    3 Ich lasse euch aber wissen, dass Christus ist eines jeglichen Mannes Haupt, der Mann aber ist das Haupt der Frau; Gott aber ist Christi Haupt. 4 Ein jeglicher Mann, der da betet oder weissagt und hat etwas auf dem Haupt, der schändet sein Haupt. 5 Eine Frau aber, die da betet oder weissagt mit unbedecktem Haupt, die schändet ihr Haupt; denn es ist ebenso viel, als wäre sie geschoren. 6 Will sie sich nicht bedecken, so schneide man ihr auch das Haar ab. Nun es aber übel steht, dass eine Frau verschnittenes Haar habe oder geschoren sei, so lasst sie das Haupt bedecken.

    7 Der Mann aber soll das Haupt nicht bedecken, da er ist Gottes Bild und Ehre; die Frau aber ist des Mannes Ehre. 8 Denn der Mann ist nicht von der Frau, sondern die Frau ist vom Mann. 9 Und der Mann ist nicht geschaffen um der Frau willen; sondern die Frau um des Mannes willen. 10 Darum soll die Frau eine Macht auf dem Haupt haben um der Engel willen. 11 Doch ist weder der Mann ohne die Frau, noch die Frau ohne den Mann in dem HERRN. 12 Denn wie die Frau von dem Mann, so kommt auch der Mann durch die Frau, aber alles kommt von Gott.

    13 Richtet bei euch selbst, ob es wohl steht, dass eine Frau unbedeckt vor Gott bete. 14 Oder lehrt euch auch nicht die Natur, dass es einem Mann eine Unehre ist, wenn er lange Haare zeugt, 15 und der Frau eine Ehre, wenn sie lange Haare zeugt? Das Haar ist ihr zur Decke gegeben. 16 Ist aber jemand unter euch, der Lust zu zanken hat, der wisse, dass wir solche Weise nicht haben, die Gemeinden Gottes auch nicht.

    17 Ich muss aber dies befehlen: Ich kann’s nicht loben, dass ihr nicht auf bessere Weise, sondern auf ärgere Weise zusammenkommt. 18 Zum ersten, wenn ihr zusammenkommt in der Gemeinde, höre ich, es seien Spaltungen unter euch; und zum Teil glaube ich’s. 19 Denn es müssen Rotten unter euch sein, damit die, so rechtschaffen sind, offenbar unter euch werden. 20 Wenn ihr nun zusammenkommt, so hält man da nicht des HERRN Abendmahl. 21 Denn so man das Abendmahl halten soll, nimmt ein jeglicher sein eigenes vorweg, und einer ist hungrig, der andere ist trunken. 22 Habt ihr aber nicht Häuser, da ihr essen und trinken könnt? Oder verachtet ihr die Gemeinde Gottes und beschämt die, so da nichts haben? Was soll ich euch sagen? Soll ich euch loben? Hierin lobe ich euch nicht.

    23 Ich habe von dem HERRN empfangen, was ich euch gegeben habe. Denn der HERR Jesus in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, 24 dankte und brach’s und sprach: Nehmt, esst; das ist mein Leib der für euch gebrochen wird. Solches tut zu meinem Gedächtnis! 25 Desgleichen auch den Kelch nach dem Abendmahl und sprach: Dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut. Solches tut, so oft ihr’s trinkt, zu meinem Gedächtnis!

    26 Denn so oft ihr von diesem Brot esst und von diesem Kelch trinkt, sollt ihr des HERRN Tod verkündigen, bis dass er kommt. 27 Welcher nun unwürdig von diesem Brot isst oder von dem Kelch des HERRN trinkt, der ist schuldig an dem Leib und Blut des HERRN. 28 Der Mensch prüfe aber sich selbst und so esse er von diesem Brot und trinke von diesem Kelch. 29 Denn welcher unwürdig isst und trinkt, der isst und trinkt sich selber das Gericht damit, dass er nicht unterscheidet den Leib des HERRN.

    30 Darum sind auch so viel Schwache und Kranke unter euch, und ein gut Teil schlafen. 31 Denn wenn wir uns selber richteten, so würden wir nicht gerichtet. 32 Wenn wir aber gerichtet werden, so werden wir von dem HERRN gezüchtigt, damit wir nicht samt der Welt verdammt werden. 33 Darum, meine lieben Brüder, wenn ihr zusammenkommt, zu essen, so harre einer auf den anderen. 34 Hungert aber jemand, der esse daheim, damit ihr nicht zum Gericht zusammenkommt. Das andere will ich ordnen, wenn ich komme.

 

    Eine vorangestellte Ermahnung (V. 1-2): Der Eröffnungsvers gehört eigentlich zum vorhergehenden Kapitel, denn er bezieht sich auf das Beispiel, das Paulus gibt, indem er unter allen Umständen den richtigen christlichen Takt anwendet. Durch sein eigenes Vorbild verweist er seine Leser auf das seines Meisters und das der ihren: Werdet meine Nachahmer, gleichwie ich Christi. Er will, dass sie dem Beispiel folgen, das er ihnen durch sein Verhalten gegeben hat, in dem er auf alle selbstsüchtigen Interessen verzichtet hat, um Seelen für Christus zu gewinnen. Im Übrigen will er aber nicht, dass sie an seiner Person hängen, sondern sie sollen in seinem Verhalten den Einfluss des erhöhten Christus erkennen; sie sollen ihn insoweit nachahmen, als er ihnen das Bild Christi vor Augen stellt. Das erforderte Zeit und ständiges Bemühen, denn ein Christ ist immer im Werden, aber ihr Vorbild war so beschaffen, dass es sie zur Nachahmung anregte und ihren christlichen Ehrgeiz zu allen Zeiten anspornte. Und um sie zu den beharrlichsten Anstrengungen anzuspornen, zögert der Apostel nicht, den korinthischen Christen alle Ehre für ihre Haltung in bestimmten Dingen zu machen: Ich lobe euch aber, dass ihr an alles denkt, was ich euch gegeben habe, dass ihr in allem an mich denkt und die Weisungen befolgt, wie ich sie euch gegeben habe. Die Korinther waren zwar im Allgemeinen weit hinter dem Apostel zurück, was die Selbstverleugnung anbelangt, aber sie hielten sich im Allgemeinen an die göttlichen Weisungen, die er ihnen gegeben hatte. Diese Anweisungen, 2. Thess. 2,15; 3,6, die sowohl mündlich als auch schriftlich überliefert wurden, betrafen Lehre und Leben und schlossen auch gottesdienstliche Bräuche und Zeremonien ein. Obwohl die letzteren den ersteren keineswegs gleichwertig sind, dienen sie doch der Auferbauung der Kirche, und ihre Annahme kann sogar in dieser Zeit ratsam sein. Anmerkung: Der Papst hat in dieser Passage keinen Halt für sein Beharren auf dem Wert der mündlichen Überlieferung, denn das Wort wird in der Bibel nur für die unmittelbaren Anweisungen inspirierter Männer verwendet und niemals für eine Ansammlung von Lehren, für die der Papst das Recht des alleinigen Richters beansprucht.

 

    Der Schleier der Frau (V. 3-6): Der Apostel relativiert hier das Lob, das er soeben ausgesprochen hat. Er hat gehört, dass einige Frauen in den öffentlichen Gottesdiensten der korinthischen Gemeinde sprachen, und zwar ohne Kopfbedeckung. Deshalb belehrt er sie über die Unangemessenheit eines solchen Verhaltens: Ich will aber, dass ihr wisst, dass das Haupt eines jeden Mannes Christus ist, das Haupt der Frau aber ist der Mann, das Haupt Christi aber ist Gott. Dies ist die lehrmäßige Grundlage für die praktische Unterweisung, die er nun geben wird. Die besondere Auffassung von christlicher Freiheit, die sich in der Gemeinde von Korinth durchgesetzt hatte, zeigte sich auch darin, dass die Frauen von der im Osten herrschenden Sitte abwichen, nach der sie in der Öffentlichkeit einen Schleier tragen mussten.56a Christus ist das Haupt eines jeden Menschen; der Mann hat die Stellung, vor allem im Gottesdienst und in der Familie, ohne sichtbaren Vorgesetzten inne; er hat das Haupt von Christus und ist nur ihm direkt verantwortlich. Aus diesem Grund ist der Mann das Haupt der Frau, die sich ihm unterordnet, was keineswegs eine Unterlegenheit bedeutet, sondern lediglich ein von Gott festgelegtes Verhältnis. Die Frau hat in ihrer Beziehung zu ihrem Mann, wenn sie eine Ehefrau ist, oder hinsichtlich ihrer Tätigkeit im öffentlichen Gottesdienst ihren Halt, ihre Bestimmung und ihre Würde im Mann. Dass diese Stellung keineswegs eine Herabsetzung ihres Intellekts, ihrer Fähigkeiten oder ihres sittlichen Charakters darstellt, zeigt die Tatsache, dass Gott in der Parallelstelle als Haupt des erhöhten Christus bezeichnet wird. In diesem Fall besteht eine absolute Wesensgleichheit, und dennoch stimmt der vollkommene Gehorsam Christi gegenüber dem Vater einer Unterordnung im Amt zu. Vgl. Kap. 15,28; Gal. 4 4; Hebr. 5,5.8.

    Eine Folgerung aus dieser Lehre: Jeder Mann, der betet oder weissagt, während er diese gottesdienstliche Handlung vollzieht, trägt einen Schleier vom Haupt herab und bringt damit sein Haupt in Schande und Schande. Wenn ein Mann in der öffentlichen Anbetung spricht oder leitet und sein Haupt verhüllt oder bedeckt hat, entehrt er sein Haupt, weil er nur Christus über sich hat und sein Verhalten ihn der abhängigen Frau unterordnet, es bringt Schande über Christus. Zum anderen: Jede Frau aber, die mit unverhülltem Haupt betet oder weissagt, entehrt ihr Haupt, denn sie ist ein und dasselbe, sie steht auf einer Stufe mit der, die geschoren ist. Frauen waren zwar keine Lehrerinnen in der Gemeinde, Kap. 14,34; 1. Tim. 2,12, aber sie waren nicht von den außerordentlichen Gaben des Geistes ausgeschlossen, Joel 2,28. 29; Apg. 2,17.18; 21,9. Es konnte also auch vorkommen, dass sie in einer öffentlichen Versammlung beteten oder prophezeiten, ohne dadurch die Leitung zu übernehmen. Wenn in einem solchen Fall eine Frau den Schleier, der ihr Gesicht bedeckte, zurückwarf und so mit unbedecktem Haupt dastand, brachte sie ihr eigenes Haupt in Schande; die Schande, die dem herrschenden Geschlecht angetan wurde, fiel auf sie selbst zurück. Sie stellte sich auf eine Stufe mit den freien, lockeren Frauen (heterae), die in den griechischen Städten so zahlreich waren. Daraus folgt, dass eine Frau, die darauf besteht, unverschleiert zu gehen, genauso gut ihr Haupt kurzgeschoren halten kann und sich damit auf eine Stufe mit Sklavinnen und anderen stellt, deren kurzgeschorenes Haupt ihre Berufung vor aller Welt verkündet. Wenn es aber für eine Frau eine Schande ist, kahlgeschoren oder rasiert zu sein, dann soll sie verschleiert sein; das heißt, wenn eine Frau einen kahlen Kopf vorzieht, soll sie rasiert sein. Da aber das weibliche Empfinden gegen das letztere spricht, gilt das gleiche Argument auch für das erstere, da beiden die gleiche Schande anhaftet. Die körperliche Entblößung ließ Rückschlüsse auf die Moral einer Frau zu, vor allem in einer Stadt wie Korinth; und es war für eine christliche Frau selbstverständlich, selbst den Anschein des Bösen zu vermeiden.

 

    Der Apostel bringt ein weiteres Argument für den Schleier der Frau (V. 7-12): Die relative Stellung der Geschlechter beruht hier auf dem biblischen Schöpfungsbericht: Denn der Mann soll ja sein Haupt nicht verhüllen, weil er Gottes Bild und Herrlichkeit ist. Vgl. 1. Mose 1, 26. Er ist nach dem Bilde Gottes geschaffen und stellt es dar, und in diesem Bilde trägt er auch den sichtbaren Glanz Gottes; er herrscht in seinem Bereich kraft der ihm von Gott verliehenen Macht und Freiheit, und dieses Verhalten dient der Ehre Gottes. Die Frau aber ist die Herrlichkeit des Mannes; sie hat die Würde ihrer Stellung vom Mann; in ihrem Amt im Haus repräsentiert sie die Majestät des Mannes. Anmerkung: Aus dieser Aussage folgt, dass die Achtung, die der Frau entgegengebracht wird, das Maß und der Schutz der menschlichen Würde ist. Dass die Unterscheidung, die zur Zeit der Schöpfung getroffen wurde, auch in der christlichen Kirche zu beachten ist, geht im Übrigen aus der Erzählung von der Erschaffung Evas hervor, Gen 2, 18-25. Denn nicht der Mann ist von der Frau, sondern die Frau vom Manne; und nicht der Mann wurde um der Frau willen geschaffen, sondern die Frau um des Mannes willen. Bei allen anderen organischen Geschöpfen schuf der Herr sie gleich in zwei Geschlechtern, aber Adam wurde am Anfang allein geschaffen, und erst danach entstand die Frau, die aus einer seiner Rippen gemacht wurde. Indem der Herr die Frau auf diese Weise schuf, wollte er das Bedürfnis des Mannes befriedigen; sie sollte ihm eine Gehilfin sein. Es ist eine Umkehrung der Schöpfungsordnung, wenn die Frau ihren Mann als Diener ihrer Lust, als Instrument ihres Lebensunterhalts betrachtet.

    Der Apostel hält die Aufrechterhaltung und Einhaltung des von Gott festgelegten Verhältnisses zwischen den Geschlechtern für so wichtig, dass er auch das äußere Zeichen der Hilfsstellung der Frau beibehalten will: Deshalb soll die Frau „Macht auf dem Haupt“ haben; sie soll das Zeichen oder Emblem ihres Standes, den Schleier, tragen, als Hinweis auf die Macht, die sie vom Mann ableitet, und zwar wegen der Engel. Die Engel, die bei der öffentlichen Anbetung anwesend sind, werden durch Respektlosigkeit und Fehlverhalten beleidigt. Auch wenn Männer es unter Umständen nicht als anstößig oder skandalös empfinden, wenn eine Frau die Würde ihres Amtes ablegt, sollte die Anwesenheit von Gottes heiligen Engeln eine wahre Frau von unweiblichem Verhalten abhalten.[57]

    Indem Paulus so offen über ihre Stellung spricht, hat er nicht die Absicht, den Zustand der Frauen herabzusetzen oder ihnen eine Minderwertigkeit zuzuschreiben: Dennoch und doch ist weder die Frau ohne den Mann noch der Mann ohne die Frau im Herrn; denn wie die Frau aus dem Mann hervorgeht und von ihm abstammt, so ist auch der Mann durch die Frau; aber alles ist von Gott, der der Urheber von allem ist. Die Frau ist nicht in dem Herrn außer dem Mann, sie hat keinen Anspruch auf einen Herrn für sich allein: derselbe Christus ist der Herr beider, was auch für den Mann gilt. Sie stehen gleichberechtigt nebeneinander im Reich der Gnade. Das Weib wurde dem Manne entnommen, er war die ursprüngliche Ursache des Seins des Weibes; andererseits ist das Weib nach der göttlichen Ordnung der Natur die instrumentelle Ursache des Seins des Mannes. Aber diese Tatsachen geben keiner der beiden Parteien das Recht, sich zu rühmen, denn schließlich ist Gott die Quelle, der Schöpfer aller Dinge; vor ihm müssen beide Ehrfurcht haben. Das gilt besonders für das häusliche Leben. Der Mann soll sich um seiner Frau willen als im Herrn lebend betrachten, und ebenso die Frau um ihres Mannes willen. Die Eheleute gehören zusammen im Hause Gottes, zusammen am Tisch des Herrn, zusammen in der häuslichen Andacht, zusammen in allen Dingen, in denen das Leben im Herrn gepflegt wird; sie sind gemeinsam Erben der Gnade des Lebens, 1. Petr. 3,7.

 

    Der natürliche Sinn für Schicklichkeit unterstützt den Apostel (V. 13-16): Abgesehen von allen äußeren Autoritäten appelliert der Apostel hier an das natürliche Empfinden seiner Leser; sie sollten selbst entscheiden, ob der angeborene Sinn für Anstand und Bescheidenheit es nicht zu erfordern schien, es nicht für angemessen oder geeignet hielt, dass eine Frau am öffentlichen Gebet teilnimmt, das sie richtig verhüllt. Oder lehrt nicht die Natur selbst, dass, wenn ein Mann sein Haar lang trägt, es eine Schande für ihn ist, wenn aber eine Frau ihr Haar lang trägt, ist es eine Ehre für sie? Es ist bezeichnend, dass praktisch alle Nationen der Welt darin übereinstimmen, dass die Männer ihr Haar kurz und die Frauen lang tragen; langes Haar bei einem Mann gilt als Zeichen von Verweichlichung, während langes Haar bei einer Frau als ihre krönende Schönheit angesehen wird. Und obwohl die sündige Eitelkeit der Frauen, unterstützt durch die törichte Bewunderung der Männer, das Haar in den Dienst der Sünde gestellt hat, 1. Petr. 3,3; 1. Tim. 2,9, bleibt es dennoch wahr: Es ist ihr gegeben, um als Bedeckung zu dienen, in der Art einer Haube. Die Natur selbst hat darauf bestanden, dass die Frau ihr Haupt verhüllt, und deshalb ist es angemessen, dass sie diese Absicht durch das Bedecken ihres Hauptes zum Ausdruck bringt.

    Da einige der Korinther geneigt sein könnten, an diesen Aussagen des Paulus Anstoß zu nehmen, schließt er die Diskussion mit einem scharfen Wort der Warnung ab: Wenn aber jemand meint, sich anmaßt, zu streiten, so soll er wissen, dass wir diese Sitte nicht haben, auch nicht die Gemeinden Gottes. Paulus kannte die streitsüchtige Gesinnung einiger Korinther; er wusste, dass er damit rechnen musste, wegen seiner Haltung in dieser Sache angegriffen zu werden. Und so erklärt er einfach, dass es bei ihm und seinen Amtsbrüdern keinen solchen Brauch gab.57a Paulus glaubte weder an eine Ausdehnung der christlichen Freiheit über die Grenzen des Anstands hinaus noch an die besondere Praxis, die Frauen unverschleiert am öffentlichen Gottesdienst teilnehmen zu lassen. Damit beendet er jede weitere Diskussion über diese Angelegenheit, indem er sich auf den allgemeinen christlichen Brauch beruft. Anmerkung: Der vom Apostel dargelegte Grundsatz gilt bis heute, und wenn Anstand und Sitte in einer bestimmten Angelegenheit von den Christen ein gewisses Entgegenkommen verlangen, werden sie bereit sein, um des Evangeliums willen in diesem Punkt nachzugeben.

 

    Unziemliches Verhalten im öffentlichen Gottesdienst (V. 17-22): Die Angelegenheit, die der Apostel jetzt anspricht, ist keine bloße Gewohnheit oder Sitte, die das richtige christliche Urteil den Erfordernissen der Situation anpassen kann, sondern eine Regel, zu der er Zustimmung verlangt: Aber indem ich euch dieses Gebot gebe, lobe ich euch nicht, weil ihr nicht zum Guten, sondern zum Schlechten zusammenkommt. Die Anweisung betrifft die richtige Form des öffentlichen Gottesdienstes, insbesondere wenn er mit der Feier des Abendmahls verbunden ist. Er lobt sie nicht, er kann seinen Unmut, seinen Tadel nicht zurückhalten: Denn nicht zum Besseren, sondern zum Schlechteren seid ihr zusammengekommen. Anstatt erbaut zu werden, in ihrem geistlichen Wachstum gefördert zu werden, wurden sie in ihrem Glauben geschädigt; ihre Zusammenkünfte wurden in einem Geist der Leichtfertigkeit abgehalten, der der Heiligkeit des Anlasses keine Rechnung trug. Der Grund dafür war in erster Linie: Wenn ihr in der Versammlung zusammenkommt, höre ich immer wieder, dass unter euch Spaltungen und Zwietracht herrschen; und zum Teil glaube ich den Geschichten. Der Gottesdienst, von dem Paulus spricht, ist derjenige, der mit der Feier des Abendmahls verbunden war, die oft, zumindest jeden Sonntag, stattfand. Dieser Gottesdienst fand ausschließlich innerhalb der Gemeinde statt, kein Außenstehender wurde zugelassen, kein Ungläubiger oder Heide war anwesend. Zuerst wurde ein gemeinsames Mahl eingenommen (das so genannte Liebesmahl), danach folgte das Heilige Abendmahl. In Korinth hatte sich die Gemeinde in Cliquen aufgespalten, die teils durch soziale Unterschiede, teils durch das Gefühl der Spaltung in ihrer Mitte voneinander getrennt waren. Anstatt ein gemeinsames Mahl abzuhalten, suchte sich jede Clique eine Ecke für sich aus und ließ die anderen strikt in Ruhe. Wie Paulus sagt, konnte er das sehr wohl glauben, denn das schien eine Notwendigkeit der Sache zu sein: Denn es müssen ja auch Irrlehren, Parteien, unter euch bestehen, damit das wirklich Bewährte in ihrer Mitte offenbar werde. Dies entsprach der göttlichen Verwaltung, durch die das Böse, weit davon entfernt, zu behindern, zum Diener des Guten gemacht wird. Gott wird schließlich die hartnäckigen Zänker, die sich an Zorn, Streit, Aufruhr und Ketzerei ergötzen, ihrem bösen Geist überlassen, so dass die wahren Christen, die von Gott anerkannt sind, in der Gemeinde offenbar werden. Augustinus sagt sehr richtig: Häresien sind der Schleifstein der Kirche. Ihre Sünde dient dazu, sie zu entlarven und so die christliche Gemeinde von einem unangenehmen unstimmigen Element zu reinigen.[58]

    Der Apostel erhebt nun eine konkrete Anklage: Wenn ihr euch also an demselben Ort versammelt, ist das kein Abendmahlsessen. Es scheint, dass die korinthische Gemeinde schon damals einen festen Versammlungsort hatte, denn Paulus spricht hier offensichtlich nicht von Hausgemeinden. Ihr Zweck war zweifellos die Feier des Abendmahls, und die irdischen Elemente, Brot und Wein, fehlten nicht, aber die Art und Weise, wie sie zusammenkamen, machte die Feier zu einer Farce und einer Gotteslästerung. Denn während des Essens, als die Stunde des Mahls gekommen war, nahm jeder sein eigenes Abendmahl heraus, brachte es eilig herbei, suchte sich seine eigenen Freunde aus und setzte sich zu ihnen. Früher war es Brauch gewesen, dass die Mitglieder mitbrachten, was sie wollten und was sie sich leisten konnten, und die Speisen wurden dann gleichmäßig unter allen aufgeteilt. Nun aber, da sich die neue egoistische Sitte durchsetzte, hatten die armen Leute wenig oder nichts und mussten deshalb hungern, während die wohlhabenderen Mitglieder mehr als genug für ihre Bedürfnisse hatten und sich berauschten. "Der Schauplatz der Sinnesgier und des Stolzes konnte durchaus in der Trunkenheit gipfeln." Sicherlich ein schändliches Schauspiel für eine christliche Gemeinde!

    Die Zurechtweisung des Paulus entbehrt daher nicht einer gewissen Schärfe: Habt ihr keine Häuser, in denen ihr essen und trinken könnt? Sicherlich konnten sie nicht in einer solchen Notlage sein, dass die Befriedigung ihres Appetits im öffentlichen Gottesdienst notwendig war. Oder verachtet ihr etwa die Gemeinde Gottes und macht die Mittellosen zu Schanden? Wenn das ihre Absicht war, die Gemeinde Gottes zu verhöhnen und die armen Glieder ihre Armut spüren zu lassen, ihre Unfähigkeit, ihren Teil zu einem solch verschwenderischen Verhalten beizutragen, dann war ihr Handeln umso verwerflicher. Was konnte und sollte der Apostel unter diesen Umständen zu ihnen sagen? War es ihm möglich, sie für ein solches Verhalten zu loben? Er sagte ihnen freimütig, dass dies nicht in Frage käme. Wie hätte er eine solche unentschuldbare Leichtfertigkeit entschuldigen können, zumal sie im Zusammenhang mit der Feier des heiligen Abendmahls geschah!

 

    Des Herrn Offenbarung über die Einsetzung des heiligen Abendmahls (V. 23-25): Vgl. Matth. 26,26-28; Mark. 14,22-24; Luk. 22,19.20. Der Apostel hätte mit vollem Recht sagen können, dass er die Lehre über das Heilige Abendmahl empfangen hat, auch wenn er sie nur aus dem Munde der Apostel gehört hätte, die bei der Einsetzung anwesend waren. Wenn er jedoch eine direkte und unmittelbare Mitteilung Gottes erwähnt, will er damit seine apostolische Berufung und die Echtheit und Autorität seiner Verkündigung unterstreichen. Der Herr hatte ihm die Informationen durch direkte Offenbarung gegeben, und in diesem Sinne sollten sie seine Lehre annehmen. Vgl. Gal. 1,12. Er hatte sie so gelehrt, als er mit ihnen in Korinth war, und er schrieb hier die Tatsachen so auf, wie der Herr sie ihm bekannt gemacht hatte. Es war in der Nacht, in der er verraten wurde, buchstäblich während des Verrats, als der Herr das wunderbare Mahl seines Leibes und Blutes einführte. Während seine Feinde eifrig mit den Vorbereitungen für seine Ergreifung beschäftigt waren, bereitete der Heiland das himmlische Mahl zum Trost der Gläubigen vor. Er nahm ein Stück Brot, eines der ungesäuerten Brote, die beim Passahmahl verwendet wurden. Und nachdem er gedankt hatte, sprach er nicht nur das übliche Tischgebet, das der jüdische Brauch für dieses Mahl vorgesehen hatte, sondern segnete das Brot als Träger himmlischer Gaben besonders. Dann brach er, während er von einem zum anderen unter seinen Jüngern ging, Brotstücke von geeigneter Größe ab und verteilte sie, indem er sie aufforderte, sie zu nehmen und zu essen, und erklärte, dass dieses Brot, das sie empfingen, sein Leib sei, derselbe Leib, der für sie gebrochen oder gegeben wurde, an ihrer Stelle und zu ihrem Nutzen. Das Brot trug, bot und vermittelte den Jüngern damals wie heute den Leib des Erlösers und besiegelte den Gläubigen alle Wohltaten seiner Erlösung.

     Und auf dieselbe Weise nahm Jesus als wesentlichen Teil des neuen Sakraments den Kelch, nachdem sie gegessen hatten, nachdem das Osterlamm und der Hauptgang des Abendmahls serviert worden waren. Während er von einem Jünger zum anderen ging, änderte er die Austeilungsformel nur wenig, wie wir aus der engen Übereinstimmung der vier Berichte ersehen können. Er nannte den Kelch mit dem darin enthaltenen Wein das neue Testament in seinem Blut, den neuen Bund, der durch das Vergießen seines Blutes errichtet wurde; durch ihn schloss er einen Bund der Barmherzigkeit mit allen, die an diesem neuen Sakrament teilnahmen. Eine Tatsache sticht mit unbestreitbarer Kraft hervor, nämlich dass alle Anwesenden sowohl am Kelch als auch am Brot teilgenommen haben und dass es keine wahre Eucharistie geben kann, wenn nicht alle Kommunikanten beide Elemente empfangen haben.[59] Beachte, dass der Herr in beiden Fällen sagt: Dies tut zu Meinem Gedächtnis, zu Meinem Gedächtnis. Und im Falle des Kelches fügt er hinzu: So oft ihr ihn trinkt. So oft der Gläubige das Verlangen und die Sehnsucht nach der Gewissheit der Vergebung der Sünden hat, und egal wie oft, diese Gewissheit findet er im Heiligen Abendmahl. Mehr als diese feste Zusage dürfte es nicht brauchen, um einen Christen zum häufigen Empfang des Sakraments zu bewegen. „Und nun bedenke, mein lieber Freund, was wir von solchen Menschen denken müssen, die sich rühmen, Christen zu sein, und doch vielleicht ein ganzes Jahr, zwei, drei Jahre und noch länger nicht das heilige Sakrament empfangen. Sicherlich hat der Teufel sie so sehr besessen, dass sie entweder ihren Sünden keine Beachtung schenken und deshalb nicht daran denken, sie loszuwerden, oder sie finden mehr Gefallen an diesem gegenwärtigen Leben als an dem ewigen. In beiden Fällen ist es schrecklich, so etwas zu hören. Wer also ein Christ sein will und sich auch seinem Namen gemäß christlich verhalten will, der soll sich dieses Abendmahls nicht enthalten, sondern es sehr oft gebrauchen. Denn wir haben es sehr nötig, wie uns hier mitgeteilt wird.“[60]

 

    Würdige und unwürdige Abendmahlsteilnehmer (V. 26-29): Der Apostel gibt nun den Christen in Korinth und zu allen Zeiten einige Regeln für die richtige Vorbereitung und Feier des Heiligen Abendmahls. Einer ihrer Zwecke war, wie Paulus soeben erklärte, dass sie dem Gedenken an den Herrn dienen sollte. Aber die Häufigkeit der Feier und die Vertrautheit mit der Eucharistie sollten die Ehrfurcht vor ihrer Heiligkeit nicht abschwächen. Deshalb sagt der Apostel: Denn sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt. Jede Eucharistiefeier ist eine offene Verkündigung, eine Veröffentlichung des Todes des Herrn, der Tatsache, dass er durch die Hingabe seines Leibes und durch das Vergießen seines Blutes die Erlösung bewirkt hat. Natürlich ist die richtige Haltung gegenüber dem Sakrament diejenige, in der sich das Herz der Segnungen, die der Mund bekennt, voll bewusst ist. Diese Tatsache wird jeden Kommunikanten sowohl demütig als auch eifrig für die wunderbare Gnade Gottes machen, wie sie im Heiligen Abendmahl gegeben wird. Bis zu seinem Kommen, bis zu seiner Wiederkunft in Herrlichkeit, soll das Sakrament seines Leibes und Blutes das Mittel der Mitteilung von ihm an uns sein.

    Aber die wunderbare Gabe und Zweck des Heiligen Abendmahls verlangt zugleich eine sehr sorgfältige Vorbereitung des Kommunikanten: Wer das Brot unwürdig isst oder den Kelch des Herrn unwürdig trinkt, der ist schuldig am Leib und Blut des Herrn. Unwürdig zu essen bedeutet, sich in einem solchen geistigen Zustand zu befinden oder sich so zu verhalten, dass es mit der Würde und der Heiligkeit des himmlischen Mahles nicht in Einklang steht. Wenn jemand zum Abendmahl kommt wie zu jeder anderen Mahlzeit, wenn er seine Handlungen als bloßes Essen von Brot und bloßes Trinken von Wein betrachtet, wenn er weder Verlangen nach der Gnade Gottes noch Andacht bei der Aussicht auf die Teilnahme an der Wundermahlzeit empfindet, dann macht er sich nicht nur eines gedankenlosen Essens und Trinkens schuldig, sondern einer Entweihung des Leibes und Blutes des Herrn. Er wird zeigen, dass er weder eine Vorstellung von seiner Sündhaftigkeit noch ein Verlangen nach der Gnade Gottes hat; und so wird seine Schuld darin bestehen, dass er die Gnade Gottes im Sakrament verhindert, die bereit ist, ihm Vergebung der Sünden, Leben und Erlösung zu schenken.

    Daraus folgt für jeden ernsthaften Christen: Man prüfe sich selbst, prüfe sorgfältig seine Gesinnung und Haltung, erforsche alle geheimen Winkel seines Herzens, nicht, wie manche Kommentare sagen, um zu sehen, ob er religiös und sittlich geeignet, persönlich würdig ist, Gast des Herrn zu sein, sondern, wie unsere liturgische Formel sehr richtig sagt, um zu sehen, ob er von Herzen seine Sünden bereut, an Jesus Christus glaubt und aufrichtig und ernsthaft sein sündiges Leben bessern will. Nach dieser Prüfung, vorzugsweise mit Hilfe der Fragen im Fünften Hauptteil, in der Tabelle der Pflichten und in den christlichen Fragen, die in unserem Kleinen Katechismus angeboten werden, kann ein Christ kommen und am Gnadenmahl Gottes teilnehmen. Der Zweck der Ermahnung ist also nicht, solche Christen abzuschrecken und zu verscheuchen, bei denen die Selbstprüfung viele Sünden in Gedanken, Worten und Taten offenbart, sondern das rechte Verlangen nach der Gnade Gottes anzuregen, deren Notwendigkeit diese Selbstprüfung gezeigt hat.[61] „Darum sollen wir hier fleißig lernen und darauf achten, dass solche Personen das Sakrament nicht unwürdig empfangen, die sagen und bekennen, dass sie arme Sünder sind, verschiedene Versuchungen verspüren.... Wenn du das Sakrament nicht empfangen wolltest, wenn du nicht frei von allen Sünden wärst, so würde daraus folgen, dass du niemals zum Sakrament gehen würdest. Diejenigen aber, die wissentlich in Sünden verharren, empfangen das ehrwürdige Sakrament unwürdig, wie z.B. mörderischer Hass auf den Nächsten, Mord, Unzucht, Ehebruch und andere, ähnliche öffentliche Übertretungen, und haben nicht die Absicht, sie abzustellen. Denn das Sakrament ist von Christus, dem Herrn, eingesetzt worden, nicht damit die Menschen in den Sünden bleiben, sondern damit sie Vergebung erlangen und in der Heiligkeit wachsen. ... Ich kann mit Autorität davon sprechen, welche Folgen es hat, wenn man sich eine Zeit lang des Sakraments enthält; auch ich bin in solchem Feuer des Teufels gewesen, dass ich dem ehrwürdigen Sakrament entfremdet wurde, und dass ich mit umso größerem Widerwillen teilnahm, je länger dies dauerte. Hüte dich davor und gewöhne dich daran, oft hinzugehen, besonders wenn du dazu in der Lage bist, das heißt, wenn du merkst, dass dein Herz wegen deiner Sünden schwer und schüchtern ist, damit du unseren Herrn und Heiland Jesus Christus nicht vergisst, sondern seines Opfers und Todes gedenkst; denn sonst verlangt er nichts von uns.“[62]

    Von den Unwürdigen aber sagt der Apostel: Denn wer unwürdig isst und trinkt, der wird verurteilt, der isst und trinkt für sich selbst, weil er den Leib Christi nicht erkennt, nicht unterscheidet. Er macht keinen Unterschied zwischen einer gewöhnlichen Mahlzeit und diesem himmlischen Mahl; er erkennt nicht, dass hier der wahre Leib und das wahre Blut seines Erlösers gegenwärtig sind, und dass deshalb ein gedankenloser Gebrauch des Sakraments Gotteslästerung ist und die endgültige gerechte Strafe Gottes zur Folge hat. Denn wer in solcher Leichtfertigkeit an den Tisch des Herrn tritt, der wird zwar auch den Leib und das Blut Christi in, mit und unter Brot und Wein empfangen, aber nicht als den seines Erlösers, sondern als den seines Richters, der ihm am Jüngsten Tag mit scharfer Abrechnung Rechenschaft ablegen wird, weil das äußere Verhalten nur ein Zeichen und ein Beweis für den Unglauben des Herzens ist. „Wir lehren, glauben und bekennen auch, dass es nur eine Art von unwürdigen Gästen gibt, nämlich solche, die nicht glauben, von denen geschrieben steht, Johannes 3, 18: 'Wer nicht glaubt, ist schon verurteilt', und dieses Gericht wird größer und schmerzlicher, wenn es durch den unwürdigen Gebrauch des heiligen Abendmahls verschärft wird, 1. Kor 11,29.“[63]

 

    Eine abschließende Ermahnung, sorgfältig zu sein, wenn man zum heiligen Abendmahl geht (V. 30-34): Praktisch alle Ausleger sind sich darin einig, dass in V. 30 von körperlichen Gebrechen und Schwächen, von Schwäche und Krankheit die Rede ist; viele fügen hinzu, dass diese Zustände die Folge der in V. 21 erwähnten Unmäßigkeit waren. Andere haben vorgeschlagen, dass solche außergewöhnlichen und direkten Heimsuchungen und körperlichen Strafen für geistliche Unzulänglichkeiten ein Merkmal des apostolischen Zeitalters waren. Aber der Text selbst deutet nichts dergleichen an, und die Vorstellung, dass einige der korinthischen Christen im physischen Tod schliefen, stimmt weder mit dem Gebrauch des Wortes noch mit der Lehre der Heiligen Schrift in diesem Punkt überein. Die Bedeutung des Apostels ist eindeutig: Viele der Glieder in ihrer eigenen Mitte waren schwach, es fehlte ihnen an geistlicher Kraft, Matth. 26,41; Röm. 14,1.2; 1. Kor. 1,27; 9,22; andere waren schwer krank im Geiste, es fehlte ihnen die Kraft und Stärke des idealen Christen, Matth. 9,12; Luk. 5,31; und wieder andere dösten im geistlichen Schlaf, Eph. 5,14; 1. Thess. 5,6, und deshalb fehlte ihnen die Wachsamkeit, die geistliche Wachsamkeit, die den Christen zu allen Zeiten kennzeichnen sollte, damit er nicht in die Schlingen des Teufels fällt, 1. Petr. 5,8. Mit anderen Worten: Viele der korinthischen Christen waren zwar nominell noch gläubig und galten als vollwertige Mitglieder der Gemeinde, befanden sich aber in Wirklichkeit in einem geistlichen Zustand, der zeigte, dass energische Maßnahmen nötig waren, um sie zum wahren Glauben und zum aktiven Leben in Christus zurückzubringen. Damals wie heute war dieser Zustand das Ergebnis des Missbrauchs des Sakraments, des unwürdigen Essens und Trinkens, der mangelnden Unterscheidung zwischen dem Abendmahl und allem anderen Essen und Trinken.

    Dieser traurige Zustand hätte durch die Wachsamkeit vermieden werden können, die die Christen zu allen Zeiten auszeichnen sollte: Wenn wir jedoch selbst unterscheiden würden, sollten wir nicht verurteilt werden. Eine ernsthafte Selbstprüfung vor jeder Kommunion, verbunden mit einer freimütigen Verurteilung all dessen, was von der Norm des heiligen Willens Gottes abweicht, bewahrt die Gläubigen vor dem Urteil der unwürdigen Kommunikanten. Aber jetzt, da wir unter dem Gericht stehen, da der Herr unsere Nachlässigkeit und Respektlosigkeit in Bezug auf den Gebrauch seines heiligen Abendmahls kritisiert und verurteilt, hat er einen pädagogischen Zweck. Durch die ernste Zurechtweisung des Apostels wollte der Herr die Christen von Korinth züchtigen, damit sie nicht in ihrem geistlichen Schlaf verharren und am Ende der endgültigen Verdammnis anheimfallen.

    Und so wiederholt der Apostel, nachdem er alle Argumente zusammengetragen hat, die notwendig waren, um die Korinther zur Erkenntnis ihrer Lage zu bringen, zum Schluss seine Ermahnung: Deshalb, meine Brüder, wenn ihr zusammenkommt, um zu essen, wartet aufeinander. Sie sollen nicht die Praxis fortsetzen, sich in Parteien und Cliquen aufzuteilen und dadurch das dem Abendmahl vorausgehende Liebesmahl in ein Gelage zu verwandeln, sondern sie sollen auch dieses anständig und gemeinsam feiern, damit die Eucharistie nicht entweiht wird. Und sie sollen den Anschein des Schlemmens vermeiden. Wenn jemand hungrig war, sollte er seinen Hunger zu Hause stillen, damit sie sich nicht zum Schlechten, zum Gericht, versammelten. Andere Dinge, die die richtige Ordnung und den Anstand bei der Feier der Eucharistie und des öffentlichen Gottesdienstes betrafen, wollte Paulus regeln, wenn er kommen würde. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, wann er Korinth besuchen konnte, aber er war entschlossen, zu kommen, sobald die Umstände es ihm erlaubten, die Reise anzutreten.

 

Zusammenfassung: Der Apostel erörtert die Verschleierung der Frauen im Gottesdienst und ihre Stellung in der Gemeinde, er tadelt die korinthischen Christen für die Anzeichen von Spaltungen unter ihnen, die sich sogar bei der Feier des Abendmahls zeigten, und spricht ausführlich über die Vorbereitung und die richtige Feier des Abendmahls.

 

 

Kapitel 12

 

Der Gebrauch und der Zweck der geistlichen Gaben (12,1-31)

    1 Von den geistlichen Gaben aber will ich euch, liebe Brüder, nichts vorenthalten. 2 Ihr wisst, dass ihr Heiden seid gewesen und hingegangen zu den stummen Götzen, wie ihr geführt wurdet. 3 Darum tue ich euch kund, dass niemand Jesus verflucht, der durch den Geist Gottes redet; und niemand kann Jesus einen HERRN heißen außer durch den Heiligen Geist. 4 Es sind mancherlei Gaben, aber es ist ein Geist. 5 Und es sind mancherlei Ämter, aber es ist ein HERR. 6 Und es sind mancherlei Kräfte, aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.

    7 In einem jeglichen erzeigen sich die Gaben des Geistes zum allgemeinen Nutzen. 8 Einem wird gegeben durch den Geist, zu reden von der Weisheit; dem anderen wird gegeben, zu reden von der Erkenntnis nach demselben Geist; 9 einem andern der Glaube in demselben Geist; einem anderen die Gabe, gesund zu machen, in demselben Geist; 10 einem anderen, Wunder zu tun; einem anderen Weissagung; einem anderen, Geister zu unterscheiden; einem anderen mancherlei Sprachen; einem anderen, die Sprachen auszulegen. 11 Dies aber alles wirkt derselbe eine Geist und teilt einem jeglichen seines zu, wie er will.

    12 Denn gleichwie ein Leib ist und hat doch viel Glieder, alle Glieder aber eines Leibes, wiewohl ihrer viel sind, sind sie doch ein Leib: so auch Christus. 13 Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Knechte oder Freie, und sind alle zu einem Geist getränkt. 14 Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. 15 Wenn aber der Fuß spräche: Ich bin keine Hand, darum bin ich des Leibes Glied nicht, sollte er um deswillen nicht des Leibes Glied sein? 16 Und wenn das Ohr spräche: Ich bin kein Auge, darum bin ich nicht des Leibes Glied, sollte es um deswillen nicht des Leibes Glied sein? 17 Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Wenn er ganz Gehör wäre, wo bliebe der Geruch? 18 Nun aber hat Gott die Glieder gesetzt, ein jegliches besonders am Leib, wie er gewollt hat.

    19 So aber alle Glieder ein Glied wären, wo bliebe der Leib? 20 Nun aber sind der Glieder viele, aber der Leib ist einer. 21 Es kann das Auge nicht sagen zu der Hand: Ich bedarf dein nicht; oder wiederum das Haupt zu den Füßen: Ich bedarf euer nicht; 22 sondern vielmehr, die Glieder des Leibes, die uns dünken, die schwächsten zu sein, sind die nötigsten, 23 und die uns dünken, die unehrlichsten sein, denen legen wir am meisten Ehre an, und die uns übel anstehen, die schmückt man am meisten.

    24 Denn die uns wohl anstehen, die bedürfen’s nicht. Aber Gott hat den Leib so vermengt und dem dürftigen Glied am meisten Ehre gegeben, 25 damit nicht eine Spaltung im Leib sei, sondern die Glieder füreinander gleich sorgen. 26 Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit; und wenn ein Glied wird herrlich gehalten, so freuen sich alle Glieder, mit.

    27 Ihr seid aber der Leib Christi und Glieder, ein jeglicher nach seinem Teil. 28 Und Gott hat gesetzt in der Gemeinde aufs erste die Apostel, aufs andere die Propheten, aufs dritte die Lehrer, danach die Wundertäter, danach die Gaben, gesund zu machen, Helfer, Regierer, mancherlei Sprachen. 29 Sind sie alle Apostel? Sind sie alle Propheten? Sind sie alle Lehrer? Sind sie alle Wundertäter? 30 Haben sie alle Gaben gesund zu machen? Reden sie alle mit mancherlei Sprachen? Können sie alle auslegen? 31 Strebt aber nach den besten Gaben! Und ich will euch noch einen köstlicheren Weg zeigen.

 

    Alle geistlichen Gaben kommen von Gott (V. 1-6): Andere Dinge könnten aufgeschoben werden, bis der Apostel seinen Plan, Korinth zu besuchen, verwirklichen kann, aber das Thema, das er in diesem Abschnitt anspricht, muss sofort behandelt werden: Aber über geistliche Dinge, d.h. über Gaben oder Kräfte, Brüder, will ich nicht, dass ihr unwissend seid. Er wollte den richtigen Gebrauch der geistlichen Gaben lehren, so wie er sie über die Feier des Abendmahls richtig informiert hatte; denn mit diesen Gaben war eine gewisse Gefahr verbunden, da es sich im Allgemeinen um übernatürliche Erscheinungen handelte, die vom Geist ausgingen und zu seinem Bereich gehörten. Und um seine Leser in das richtige Verhältnis zu der Ermahnung zu bringen, die er ihnen geben will, und um sie in dem richtigen Zustand der Demütigung zu halten, was ihren absoluten Mangel an Verdienst bei der Annahme dieser Gaben betrifft, erinnert er sie an ihren früheren heidnischen Zustand: Ihr wisst, dass ihr einst Heiden wart, die sich zu den stummen Götzen hinreißen ließen, wie ihr geführt wurdet. Zwei Gedanken werden hier deutlich, nämlich, dass das Heidentum eine Entfremdung vom wahren Gott und eine Sklaverei der niedrigsten Art ist. Zur Anbetung von Götzen verführt zu werden, die der Apostel als stumm und stimmlos bezeichnet (Ps. 115,5; 135,16), kennzeichnet die gesamte heidnische Welt. Die Heiden lassen sich zu dieser törichten, vergeblichen Anbetung hinreißen; ihre Priester wissen sehr wohl, dass die Ansprüche, die sie erheben, unbegründet sind; aber sie halten das Volk in abergläubischer Sklaverei. Auf das Nicken ihrer Priester beugten sich die unwissenden Heiden in Anbetung vor ihren toten Götzen, deren Stummheit ein Teil ihrer Nichtigkeit war und die niemals eine Antwort gaben, egal wie dringend das Flehen war. Das Wissen um ihren früheren Zustand war so, dass die Gnade Gottes in ihrem Bewusstsein immer noch wunderbarer hervortrat.

    Aber die Korinther verstanden noch nicht, wie der Geist Gottes in ihren Herzen wirkte, wie er seine Macht ausübte. Deshalb fährt Paulus fort, sie zu belehren. Damit sie das Wirken und die Gaben des Geistes richtig einschätzen können, teilt er ihnen mit, dass niemand, der im Geist Gottes redet, sagt: Jesus ist verflucht; und niemand kann sagen: Jesus ist Herr, außer im Heiligen Geist. Die Geister der Falschheit und der Wahrheit kämpften in Korinth miteinander, und der Schlachtruf einer der beiden Parteien wird hier aufgezeichnet. Was verflucht oder anathema war, in dem von den Juden verwendeten Sinn, wurde Gott zur Vernichtung als unter seinem Fluch stehend gepriesen. Zu sagen, dass eine Person oder eine Sache anathema sei, bedeutete, den Fluch über die betreffende Person oder Sache auszusprechen. Die fanatischen Juden machten dies zu ihrem Schlachtruf in ihrem unaufhörlichen Kampf gegen die christliche Religion, und der einprägsame Ausdruck wurde vom heidnischen Mob gerne aufgegriffen, wenn eine Demonstration gegen die Christen in Gang gesetzt wurde. Es stand also von Anfang an fest, dass niemand, der sich dieser Form der Gotteslästerung bediente, als vom Geist Gottes sprechend angesehen werden konnte; ganz gleich, welchen Anspruch er in dieser Hinsicht erhob, die Tatsache blieb bestehen, dass ein solcher Gotteslästerer außerhalb des Bereichs der Christenheit stand und stehen musste, bis er sich völlig änderte. Die Bemerkung Luthers an dieser Stelle ist ebenfalls eine Überlegung wert: „Denn was er hier ‚Jesus verfluchen‘ nennt, ist nicht allein dies, dass ein Mensch öffentlich den Namen oder die Person Christi lästert und verflucht, wie es die gottlosen Juden oder Heiden taten, . . . sondern [dies geschieht auch], wenn jemand unter den Christen den Heiligen Geist lobt und dennoch Christus nicht richtig als die Grundlage unseres Heils predigt, sondern dies vernachlässigt und zugunsten von etwas anderem verwirft, unter dem Vorwand, dass es vom Heiligen Geist herrührt und viel besser und notwendiger ist als die gewöhnliche Lehre des Evangeliums.“[64] Dagegen ist das aufrichtige Bekenntnis, Jesus sei der Herr, ein Produkt des wahren Glaubens, und kann daher nicht aus der Vernunft und Kraft eines Menschen gemacht werden. Vgl. 1. Joh. 4,2 ff. Es ist ein Bekenntnis zu Christus im vollen Bewusstsein seines Erlösungswerkes, wie es durch die Kraft des Heiligen Geistes gewirkt wurde. Da aber dieses öffentliche Bekenntnis die Hauptaufgabe der christlichen Seelsorger ist, gelten diese Worte des Apostels für sie mit besonderer Kraft. „Jesus den Herrn zu nennen, heißt, sich als sein Diener zu bekennen und allein seine Ehre zu suchen, als einer, der von ihm gesandt ist oder sein Wort und seinen Befehl hat. Denn er spricht hier vor allem von dem Amt, das von Christus predigt und seinen Befehl bringt. Wo dieses Amt im Gebrauch ist und die Menschen zu Christus (wie zum Herrn) führt, das ist gewiss die Predigt des Heiligen Geistes. … So kann auch dies nicht ohne den Heiligen Geist geschehen, dass jeder Christ in seinem Werk oder Amt mit allem Ernst Christus seinen Herrn nennt, das heißt, mit Gewissheit feststellt, dass er ihm darin dient.“[65]

    Diese Einheit des Glaubens und des Bekenntnisses trägt nun reiche Frucht in „Gnadenverteilungen, Diensten, Werken“: Aber es gibt Verteilungen, Verschiedenheiten, Verschiedenheiten der Gaben, und doch denselben Geist; und es gibt Verschiedenheiten der Dienste, und doch denselben Herrn; und es gibt Verschiedenheiten der Wirkungen, und doch denselben Gott, der wirkt, der bewirkt, alles in allem. Hier stellt der Apostel den stummen Götzen der Heiden den allmächtigen, dreieinigen Gott der Christen gegenüber, der weder sprechen noch Macht ausüben kann, sondern sich mit allmächtiger Kraft in der Kirche und in der Versammlung der Heiligen offenbart. Der Geist, der Herr und Gott der Vater sind unablässig und gnädig an der Erbauung der Kirche durch die den einzelnen Christen verliehenen Talente tätig. Alle herausragenden Begabungen, Qualifikationen, Fähigkeiten der Christen, die ihrem Stand als Christen eigen sind, seien es die der Heilung, der Wunder, der Zungenrede, der Weissagung, der reichen Bibelauslegung, der erbaulichen Anwendung des Wortes, werden vom Heiligen Geist, von dem einen Geist, verliehen. Und diese wunderbaren Gnadengaben werden in der Kirche in den verschiedenen Ämtern und Diensten, in den mannigfaltigen Funktionen und Arbeitsbereichen eingesetzt, Eph. 4,12, aber immer unter der Leitung des einen Herrn, Jesus Christus, des Königs der Kirche, und Ihm zur Verfügung gestellt. Es liegt in seinem Interesse, dass die Christen ihre Gaben gebrauchen, jeder ausnahmslos so, wie Christus sie ihm zugeteilt hat; denn nur wenn die verschiedenen Gaben in den mannigfaltigen Ämtern und Stationen im Dienst des einen Herrn gebraucht werden, wird der Zweck des Herrn, der die Gaben gegeben hat, verwirklicht werden. So gibt es schließlich verschiedene Wirkungen der Arbeit der Christen, entsprechend ihren Gaben und ihrer Stellung im Dienst; aber es ist der eine Gott, der ständig alles bewirkt, was zum Nutzen seiner Kirche notwendig ist, und an alle wahren Christen teilt er ohne Unterlass aus seinem Vorrat an Gaben aus. So ist der dreieinige Gott die Quelle aller Gnade und Kraft in der Kirche, der unmittelbare Spender jeder guten und vollkommenen Gabe. „Der Geist entzündet das Feuer der Erbauungsgaben, der Sohn lenkt die Strahlen der Erbauungsdienste, der Vater schafft die Wärme der Erbauungskräfte: in ungeteiltem Wesen regiert der dreieinige Gott seine Kirche; welch ein Frevel, in ihrer Mitte Spaltungen zu verursachen!“[66]

 

    Die verschiedenen Gaben, die der Geist gibt (V. 7-11): Der Apostel zeigt nun, wie sich die verschiedenen Gaben des Geistes, an denen die Gemeinde in Korinth so reich war, manifestierten und welchen Zweck sie im Auge behalten sollten: Einem jeden (Christen) aber wird die Offenbarung des Geistes zum gemeinsamen Nutzen gegeben. Er spricht sehr allgemein, indem er sagt, dass jeder Christ eine Gnadengabe besitzt, die ihm nicht nur einmal in grauer Vorzeit geschenkt wurde, sondern die ihm Tag für Tag zuteil wird. Ihr Ziel und Zweck ist daher nicht, zur persönlichen Vergrößerung und zum persönlichen Vergnügen zu dienen, sondern der ganzen Gemeinde und Kirche zur Verfügung zu stehen und zum geistlichen Nutzen zu dienen. Jeder Christ soll sich als guter Verwalter der vielfältigen Gnade Gottes erweisen, 1. Petr. 4,10; Matth. 25,14-30.

    Wie die geistlichen Begabungen der einzelnen Christen zum Nutzen der ganzen Gemeinde dienen sollen, zeigt Paulus an einer Reihe von Beispielen: Dem einen wurde durch den Geist, durch seine Kraft, das Wort der Weisheit gegeben; er hatte eine außerordentlich gründliche Kenntnis der großen Wahrheiten der Schrift, des Geheimnisses des Evangeliums, des Wortes vom Kreuz, und konnte sie in ihrem Zusammenhang klar und überzeugend darlegen. Einem anderen aber wurde das Wort des Verstandes gegeben, nach demselben Geist, geleitet von seiner Kraft; er hatte die Gabe, das Wort Gottes auf einzelne Fälle des Lebens anzuwenden, sie in der richtigen Weise zu beleuchten, auf der Grundlage des klaren Verstandes die richtige Schlussfolgerung zu ziehen. Die Weisheit ist die theoretischere, die Erkenntnis die praktischere; das sind die Qualifikationen des Lehrers und Seelsorgers im Besonderen.

    In der zweiten Reihe der Gaben wird einem anderen der Glaube an denselben Geist, an seine Macht und Gabe allein gegeben; nicht jener Glaube, der das Heil in Christus annimmt, nicht der rechtfertigende Glaube, sondern ein starkes und unerschütterliches Vertrauen in die Allmacht Gottes oder in die Macht Christi, die fähig ist, sich in außergewöhnlichen Taten zu offenbaren und das zu vollbringen, was den Menschen unmöglich erscheint.[67] Diese Gabe des heldenhaften Glaubens war besonders in den ersten Tagen der Kirche notwendig, ist aber seither in vielen Dienern des Herrn erschienen, die mit Hilfe des Herrn das scheinbar Übernatürliche vollbrachten. Anderen wurden die Gaben der Heilung in der Verleihung desselben Geistes gegeben; es gab in der Frühzeit Christen, die fähig waren, Kranke ohne Medikamente zu heilen und andere Wunder zu vollbringen, wie die Auferweckung von Toten, die Bestrafung der Bösen durch einige außergewöhnliche Manifestationen des Zorns Gottes, wie im Fall von Ananias und Saphira, Elymas, usw. Eng mit diesen Gaben verbunden waren die Gaben der Machtausübung, des Wirkens von Wundern im Allgemeinen.

    In der dritten Gruppe von Gaben erwähnt Paulus, dass einem anderen Christen die Prophetie gegeben ist, die nicht nur die Fähigkeit umfasst, in die Zukunft zu sehen und kommende Ereignisse im Voraus zu verkünden, sondern auch die, das Wort Gottes in der Lehre und Ermahnung anzuwenden. „Prophezeiung ist, dass man die Schrift richtig auslegen und erklären kann, und daraus in mächtiger Weise die Glaubenslehre beweisen und die Irrlehre umstürzen; auch durch sie das Volk ermahnen, bedrohen oder stärken und trösten, indessen den kommenden Zorn, die Strafe und Rache über die Ungläubigen und Ungehorsamen, und wiederum göttliche Hilfe und Belohnung für die Gläubigen und Frommen anzeigen kann, wie es die Propheten aus dem Wort Gottes, sowohl aus dem Gesetz als aus den Verheißungen, getan haben.“[68] Einem anderen ist die Unterscheidung der Geister gegeben, die Fähigkeit, sehr leicht zwischen wahren und falschen Lehrern zu unterscheiden, 2. Thess. 2,9; 1. Joh. 4,1. Als Satan merkte, dass offene Feindschaft und Verfolgung nicht nach seinem Plan Erfolg hatten, bediente er sich der List und der Heimlichkeit, indem er mitten in den christlichen Gemeinden Irrlehrer aufstellte, denen es oft gelang, mit ihrer flinken Zunge Lehren einzuführen, die dem reinen, von den Aposteln verkündeten Evangelium widersprachen. Deshalb war eine Person mit der Fähigkeit, zu unterscheiden und die schwache und gefährliche Position der Irrlehrer sofort aufzudecken, ein großer Gewinn in einer Gemeinde. Noch einem anderen Christen wurden Arten von Zungen gegeben; er konnte die großen Dinge Gottes in fremden Sprachen reden, die er nie gelernt hatte, Mark. 16,17, oder er konnte den Herrn in einer ganz neuen, unbekannten Sprache preisen, geradezu in der Sprache der Engel, Kap. 13,1. Da aber diese Gabe an sich unbrauchbar gewesen wäre, hatte der Herr einem anderen auch die Auslegung der Zungen gegeben, die Fähigkeit, die unbekannte Sprache zum Nutzen der Gemeinde und zur Erbauung der Zuhörer zu übersetzen.

    Der Apostel erinnert seine Leser deutlich daran, dass alle diese Gaben, so groß der Unterschied zwischen ihnen auch sein mag, so sehr die Inhaber der verschiedenen Talente auch dazu neigen mögen, ihre eigene besondere Begabung hervorzuheben, alle von ein und demselben Geist gewirkt werden, der sie jedem einzelnen Menschen so zuteilt, wie es seinem Willen entspricht. Zwei Gedanken stehen hier im Vordergrund: Dass es der Geist allein ist, der mit jedem Einzelnen umgeht, dass es seine Wahl und sein Urteil ist, die die Gaben bestimmen, dass aber auch kein Verdienst des Empfängers in Frage kommt; das Maß des Heiligen Geistes ist sein freier, gnädiger Wille und Ratschluss. Anmerkung: Von den Gaben, die der Apostel hier erwähnt, „sind vier ganz aus der christlichen Kirche verschwunden, die anderen fünf sind noch zu finden, wenn auch in geringerem Maße. Die Gabe, ohne Anwendung von Medikamenten zu heilen, die Gabe, andere Wunder zu vollbringen, die Gabe, fremde Sprachen ohne vorheriges Studium und Gebrauch zu sprechen, und schließlich die Gabe, solche Sprachen auszulegen, die man nie gelernt hat, sind völlig verschwunden. Das gilt aber nicht für die anderen von den Aposteln erwähnten Gaben, nämlich für die Gabe, durch den Geist von Weisheit und Erkenntnis zu reden, für die Gabe der Weissagung, d. h. der Schriftauslegung, für die Gabe eines ungewöhnlich hohen, starken und heroischen Glaubens und schließlich für die Gabe, die Geister zu unterscheiden.“[69] Wenn diese Gaben doch nur öfter und in aller Demut zum Nutzen der Kirche eingesetzt würden!

 

    Der Leib Christi und seine Glieder (V. 12-18): Die Tatsache, dass der Geist Gottes in der Kirche durch vielfältige Gnadengaben, in verschiedenen Personen und doch immer zu demselben Zweck, der Erbauung des ganzen Leibes als Einheit, wirkt, wird hier durch die Analogie eines Körpers veranschaulicht. Die Einheit der Kirche ist nicht die der anorganischen Natur, in der viele ähnliche oder unähnliche Körper ohne organische Verbindung aneinandergereiht sind; sie ist vielmehr die Einheit eines lebendigen Organismus, dessen Glieder zwar verschiedenartig sind, aber doch alle dem einen Zweck, der Gesundheit und dem Wohl des ganzen Leibes, dienen: Denn wie der Leib eines Menschen einer ist und er viele Glieder hat, aber alle Glieder des Leibes, so zahlreich sie auch sind, ein Leib sind, so ist es auch mit Christus. Die Einheit des menschlichen Leibes entfaltet sich in einer Vielzahl von Gliedern, aber mit all seiner großen Vielfalt von Teilen ist er nur ein einziges System; ebenso umfasst Christus Haupt und Herz und alle Glieder des Leibes in einem System, wobei jeder Teil und jedes Glied für die Integrität oder Vollständigkeit des Ganzen notwendig ist, aber der gesamte Leib von dem einen Haupt, Christus, regiert wird.

    Die Einheit des einen großen Kirchensystems wird durch die Taufe bewirkt: Denn in einem Geist sind wir auch alle zu einem Leib getauft worden, es seien Juden oder Griechen, es seien Sklaven oder Freie, und wir sind alle aus einem Geist getränkt worden. Die Taufe ist die Waschung der Wiedergeburt und die Erneuerung durch den Heiligen Geist; er ist die Kraft, die unsere Herzen und unseren Verstand beeinflusst und in die rechte Beziehung zu Christus gebracht hat, uns als Glieder in seinen Leib aufgenommen hat, unser Heil besiegelt und uns bezeugt hat. Die Nationalität und die soziale Stellung des einzelnen Menschen hat mit diesem Vorgang nichts zu tun, denn der Geist macht keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen, zwischen Sklaven und Freien; sie alle haben denselben identischen Geist empfangen, sie alle sind mit demselben Leben Christi durchdrungen. Und übrigens wurden wir alle dazu gebracht, von demselben Geist zu trinken; er war und ist die geistige Erquickung, die unsere Seelen durch den Glauben empfangen; denn das Trinken schließt die gesamte Nahrung der Seele ein, wie sie zum Nutzen des ganzen Körpers und aller seiner Glieder empfangen wird.

    Dieser Gedanke, dass die Einheit der leiblichen Organisation eine Mehrzahl von Gliedern eher einschließt als ausschließt, wird nun im Einzelnen ausgeführt: Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele. Vom Leib als einem Glied zu sprechen, ist ein Widerspruch in sich: Viele Glieder, viele Organe, bilden den einen Leib. Und doch ist keines von ihnen in sich vollständig, noch könnte es für sich allein existieren, so wie jedes seine eigene Funktion ausübt, sein eigenes Werk im Körper verrichtet, das ohne es nicht vollendet werden könnte. Zu behaupten, der Fuß sei kein Glied des Körpers, weil er nicht die Hand ist, wäre ebenso töricht, wie zu behaupten, das Ohr könne kein Glied des Körpers sein, weil es nicht das Auge ist. Die Funktion eines jeden Organs und eines jeden Gliedes ist eindeutig festgelegt, und deshalb trennt sich der Fuß oder das Ohr nicht vom Körper, indem er sich von der Hand oder dem Auge unterscheidet; sein törichtes Argument lässt ihn genau dort, wo er vorher war. Das Auge ist zwar ein edleres Glied als das Ohr, so wie die Hand ein edleres Glied als der Fuß ist, aber alle Glieder des Körpers dienen einander. Anmerkung: „Die offensichtliche Pflicht, die hier eingeschärft wird, ist die der Genügsamkeit. Es ist ebenso unvernünftig und absurd, wenn der Fuß sich beklagt, dass er nicht die Hand ist, wie wenn ein Glied der Kirche sich beklagt, dass es nicht ein anderes ist; das heißt, wenn ein Lehrer sich beklagt, dass er kein Apostel ist, oder wenn eine Diakonisse sich beklagt, dass sie kein Presbyter ist, oder wenn jemand, der die Gabe der Heilung hatte, sich beklagt, dass er nicht die Gabe der Zungenrede hatte.“ (Hodge.)

    Dass alle Glieder und Organe dem ganzen Leib, dem ganzen System, dienen sollen, jedes in seinem eigenen Bereich, stellt der Apostel sehr deutlich heraus: Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo wäre dann das Gehör? Wenn der ganze Leib das Gehör wäre, wo wäre dann der Geruchssinn? Nun aber, wie die Dinge nach Gottes Willen sind, hat er die Glieder, jedes einzelne von ihnen, in den Leib eingesetzt, wie er es wollte. Unzufriedenheit mit der besonderen Gnadengabe, mit der besonderen Stellung in der Kirche, die jemand hat und einnimmt, ist Rebellion gegen den Willen Gottes, gegen die Herrschaft des Herrn der Kirche; es ist Untreue ihm gegenüber und Misstrauen gegen seine Weisheit. Gott hat die Dinge so eingerichtet, es ist eine Sache seines bestimmenden Willens, und der gehorsame Christ wird sich nicht beschweren und Einspruch erheben.

 

    Alle Glieder werden gebraucht (V. 19-23): Der Apostel entwickelt sein Argument in alle Richtungen und zeigt hier, dass eine Anzahl, eine Vielfalt von Gliedern und Organen für den Organismus des Leibes und auch der Kirche notwendig ist. Wer darauf bestehen würde, dass alle Glieder gleich sind, würde die Einheit und damit den Organismus des Leibes zerstören. Dies bekräftigt Paulus mit großem Ernst: Nun aber sind es zwar viele Glieder, aber ein Leib. Kein Glied des Leibes ist in der Lage, alle Funktionen zu erfüllen, die in der Sphäre des Leibes liegen; sie bedingen sich gegenseitig; und nur so verwirklicht der Leib seinen Zweck in der Welt.

    Dass alle verschieden begabten Glieder vom Körper als Ganzem gebraucht werden und folglich aufeinander angewiesen sind, dass sie ohne die Hilfe des anderen ihre Arbeit nicht richtig verrichten können, wird als nächstes deutlich. Das Auge kann nicht leugnen, dass die Hand zu ihrem Dienst unentbehrlich ist, wenn der ganze Körper seine Arbeit in der richtigen Weise verrichten soll. Dasselbe gilt für die Beziehung der Füße zum Kopf. Der Körper könnte zwar ohne Füße leben, aber der Organismus wäre verkrüppelt. Die edleren Glieder bedürfen der weniger edlen, wenn das System des Körpers die Funktionen ausüben soll, für die es geschaffen und bestimmt ist. Hochmut ist daher in der Kirche ebenso verwerflich wie Unzufriedenheit.

    Der Apostel hat den höheren Gliedern etwas zu sagen, die mit selbstgefälliger Selbstgefälligkeit auf die vermeintlich minderwertigen Gefährten herabblicken: Vielmehr muss man die Situation so sehen: Die schwächeren Glieder des Leibes, wie sie auch scheinen mögen, sind notwendig; und die Glieder des Leibes, die uns unehrenhafter erscheinen, setzen wir mit reichlicherer Ehre um, und unsere unschicklichen Teile bringen eine reichlichere Schicklichkeit mit sich. Einige Organe des Körpers sind äußerst schwach und empfindlich, wie das Herz, das Auge, das Ohr; und doch kann ihre Notwendigkeit nicht in Frage gestellt werden. Andere Organe, z. B. die des Unterleibs, sind unansehnlich, obwohl ihre Funktion an sich nicht unrein ist; aber wir geben ihnen reichlich Kleidung. Wieder andere Organe, die mit der Fortpflanzung der Gattung zusammenhängen, sind aufgrund der Sünde mit dem Mantel der Sünde und Unanständigkeit überzogen worden, obwohl keines in seiner gottgegebenen Funktion heiliger sein könnte; und so verbergen wir sie vor den Augen, wobei der Zweck der Kleidung darin besteht, der Anständigkeit zu dienen. Anmerkung: Das absichtliche Andeuten von Reizen, die mit der Fortpflanzung der Gattung verbunden sind, wie es in der unanständigen Kleidung unserer Tage geschieht, verstößt nicht nur gegen das Gebot Gottes, sondern auch gegen den natürlichen Anstand, den das Gewissen verlangt.

 

    Die Anwendung des Bildes vom Leib (V. 24-26): Bei der Bedeckung und dem Schmücken der unehrenhaften, unanständigen Körperteile schließen wir die anständigen Teile, den Kopf und das Gesicht, nicht mit ein, es sei denn, wir wollen barbarische Tendenzen zeigen. Der Unterschied zwischen ihnen ist so offensichtlich, dass jede Verzierung den Betrachter vor den Kopf stößt. Gott aber hat die Glieder des Leibes vermischt, er hat sie zusammengefügt, indem er dem Teil, der es nötig hat, mehr Ehre zukommen ließ. Das griechische Wort bedeutet das Mischen von Zutaten, wie es im Laboratorium geschieht, und bezeichnet „eine solche gegenseitige Abstimmung der Teile im Körper, dass die Unterschiede ausgeglichen werden, so dass ein Teil den anderen qualifiziert“. Es ist also nicht so, dass die guten und ehrenhaften Glieder alle an einem Ort sind und die unedlen und unanständigen an einem anderen, sondern dass es eine vollständige Harmonie im Aussehen und in der Funktion des Körpers gibt, zusammen mit einer angenehmen Mannigfaltigkeit und einem Austausch. Und das Ziel ist, dass es keine Spaltungen im Leib gibt, sondern dass die Glieder die gleiche Sorge füreinander haben. Wenn die Hauptorgane des Leibes sich weigern sollten, ihre Arbeit richtig zu verrichten, solange die unehrlichen Glieder noch mit dem Leib verbunden sind, würde natürlich der ganze Leib leiden. Es ist der Wille des Schöpfers, dass jeder Teil etwas zur allgemeinen Proportion, Symmetrie und Schönheit des Körpers beitragen soll. Das ist auch ganz natürlich: Wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied verherrlicht wird, freuen sich alle Glieder mit ihm. Dies ist ein Beispiel für die selbstlose Sorge der Glieder des Leibes füreinander. Sie sind alle so eng in dem einen Organismus des Körpers vereint, dass der Schmerz eines Organs normalerweise vom ganzen Körper als solchem empfunden wird; und andererseits bewirkt eine besondere Ehre, die einem Glied, besonders den schönen Gliedern, zuteil wird, dass der ganze Körper mit Freude erfüllt wird, wobei sich die Haltung des Geistes in der Haltung, in den Gesten, in jeder Gliederung des Körpers widerspiegelt.

 

    Die geistliche Bedeutung dieses Vergleichs (V. 27-31): Paulus hatte ab V. 12 das Zusammenspiel der Glieder und Organe im menschlichen Organismus ausführlich dargestellt, aber schon in V. 13 angedeutet, dass er die Anwendung auf die Kirche wünscht. Und hier erklärt er, dass der gesamte Abschnitt auf die christliche Gemeinde anzuwenden ist: Ihr seid der Leib Christi und einzelne Glieder; zu Christus habt ihr das Verhältnis eines Leibes, zueinander habt ihr das Verhältnis von Gliedern. Deshalb sollten die Lektionen über die Unzufriedenheit der weniger edlen Glieder, über den Stolz der ansehnlicheren Glieder und über die gegenseitige Sorge und Fürsorge der Glieder im Allgemeinen in der Kirche beherzigt werden. Und Paulus stellt offen fest, dass es in der Kirche tatsächlich eine Vielfalt von Begabungen, von Ämtern, von Wirkungen gibt. Es war Gott, der diese Unterscheidung getroffen hat; er war es, der bestimmte Amtsträger in der Kirche erwählt und eingesetzt hat; sie hatten ihr Amt nach seinem Willen inne, Apg. 20,28. Da waren erstens die Apostel, die Lehrer der ganzen Kirche bis ans Ende der Zeiten, ursprünglich durch das gesprochene Wort, später durch ihre schriftlich überlieferte Lehre. Zweitens gab es Propheten, Männer, die die Gabe der Weissagung hatten, V. 8.10. Drittens gab es Lehrer, Männer, die fähig waren, die überlieferte Lehre zu lehren, sie auf den Einzelfall anzuwenden. Diese drei repräsentierten die Lehraufträge. Und in der Gemeinde im Allgemeinen und ohne Unterschied des Amtes gab es Wunderkräfte, Gaben der Heilung, V. 9.10; das Helfen, das Werk, das hauptsächlich von den Diakonen verrichtet wurde; das Regieren, das Werk, das von den leitenden Amtsträgern in der Organisation der Gemeinde verrichtet wurde; und schließlich die Gaben der Zungenrede, V. 10. Anmerkung: Der Apostel bezieht sich hier offensichtlich auf die sichtbare Gemeindeorganisation, der er die Verwaltung der Gnadenmittel anvertraut hat. Wenn jemand, der sich Christ nennt, den Geist der Unabhängigkeit zeigt und behauptet, er könne das Werk des Amtes ignorieren, so steht er nicht im Einklang mit diesem Abschnitt der Heiligen Schrift.

    Gott hat die Ämter gegeben und die Gaben verteilt, aber er selbst hat die Unterscheidung getroffen und die Mittel seiner Gnade so ausgewählt, wie er es für richtig hielt. Unzufriedenheit mit der Position, die jemandem in der Kirche zugewiesen wurde, ist Rebellion gegen seine Regierung: Sind alle Apostel? alle Propheten? alle Lehrer? alle Kräfte? Haben alle die Gabe der Heilung? Reden alle in Zungen? Können alle auslegen? In der Kirche Christi können nicht alle Christen alles sein, sie können nicht alle Ämter bekleiden, sie können nicht alle die gleichen Gaben haben; der Herr hat die Gaben verteilt, und ihm gegenüber sind sie alle verantwortlich, ob die ihnen anvertraute Begabung vor den Menschen groß oder klein ist. Der Apostel, der Prophet, der Lehrer, der Heiler, der Dolmetscher, der Diakon, jeder soll sein Werk an dem ihm zugewiesenen Platz tun, ohne Eifersucht und ohne mit seinem Los unzufrieden zu sein. Alle diese Ämter sind notwendig und bedingen sich gegenseitig; sie sollen alle zur Ehre des Herrn und zum Wohl seines Volkes dienen. Selbstverherrlichung und Eifersucht sind der Tod der wahren Gemeindearbeit.

    Anstatt Stolz und Eitelkeit zu pflegen, sollten die Christen aller Zeiten ihre Anstrengungen lieber auf andere Weise einsetzen: Seid aber eifrig um die besten Gaben bemüht, strebt nach den Gaben des Geistes, die dem Werk des Herrn in der Kirche den größten Nutzen bringen. Wenn die Christen wirklich bestrebt sind, mit ganz uneigennütziger Arbeit dem Werk des Herrn zu dienen, dann wird der Herr diesen betenden Eifer belohnen; solchen Menschen wird die Möglichkeit gegeben, ihre Talente in den Dienst des Gnadenkönigs zu stellen. Und zu diesem Zweck will Paulus seine Leser nicht nur ermahnen, sondern ihnen auch einen ausgezeichneten Weg zeigen, einen Weg ohnegleichen, durch den sie zur Erfüllung ihres Wunsches gelangen und in eine Stellung versetzt werden können, in der sie der Kirche in allen ihren Gliedern zur Ehre Gottes dienen können.

 

Zusammenfassung: Der Apostel erörtert die Vielfalt der Gaben des Geistes als Beitrag zum Leben der Kirche, die alle notwendig und in ihrem richtigen Gebrauch ehrenvoll sind, wie er durch einen detaillierten Vergleich der Glieder des menschlichen Organismus und ihrer Funktionen zeigt, aber keine im Geiste der Nachahmung anstreben sollten.

 

 

Wie haben wir die Pfingst- und charismatische Bewegung zu beurteilen?

 

1. Historischer Hintergrund:

Der Methodismus John und Charles Wesleys

Die moderne Pfingst- und charismatische Bewegung, wie sie Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA entstanden ist, ist theologiegeschichtlich ein Kind der Heiligungsbewegung und damit ein Enkel des Methodismus, wie er von den Brüdern John und Charles Wesley im 18. Jahrhundert geformt wurde. Dieser wiederum empfing entscheidende Prägung vom Arminianismus (freier Wille, Entscheidungsdenken) und dem herrnhutischen Pietismus (Erfahrungsorientierung). Bedeutend für den wesleyanischen Methodismus ist sein Hang zum Perfektionismus, also die Behauptung, dass „Sündlosigkeit“ möglich sei, und, damit verbunden, das Sehnen nach einer „zweiten Segnung“ oder besonderen Erfahrung nach der Bekehrung, einer Segnung, die zu einer „völligeren“ Heiligung, eben zur Sündlosigkeit (gegen 1. Joh. 1) führen sollte. Dieses Sehnen ist immer wieder für den Methodismus in seiner weiteren Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert ausschlaggebend gewesen. Sein Ringen um Erweckungen hatte nicht zuletzt solche „zweite Segnung“, begleitet von emotionalen und physischen Phänomenen (etwa 1775 bei der Jarrott-Erweckung), zum Ziel.

 

Die Heiligungsbewegung und deren Perfektionismus

Daraus erwuchs ab 1867 die „Heiligungsbewegung“, der es um die „völlige Heiligung“ ging, und zwar, in Verbindung mit den „Camp meetings“ dadurch, dass der Heilige Geist in einer besonderen Weise komme und eine Erneuerung bewirke. Man sprach von der „völligen Heiligung“ als von einem Zustand, in dem keine willentliche Sünde mehr getan werde, in dem man sich und seinen Willen völlig Gott übereignet habe. Der Unterschied zu Wesley war hier nur, dass er meinte, dieser Zustand werde allmählich erreicht, während die Heiligungsbewegung ihn augenblicklich, durch eine „zweite Segnung“ erreichen wollte. Hier zeigt sich, dass die biblische Theologie des Kreuzes, wie sie 1. Kor. 1 und 2 und Röm 7 gelehrt wird, überhaupt nicht verstanden wurde, ja völlig unbekannt war und ist. Dort wird, wie 1. Joh. 1, deutlich gelehrt, dass auch der Wiedergeborene, der an Jesus Christus als seinen Heiland Gläubige, Gerechter und Sünder zugleich ist (simul iustus et peccator) und der alte Mensch, wiewohl in der Taufe und Wiedergeburt gekreuzigt, dennoch noch lebendig ist und täglich sündigt und darum auch täglich neu in den Tod gegeben werden muss (Eph. 4,22-24), wir auch als Christen nie über den Stand hinaus kommen, Sünder zu sein, die allein aus der Vergebung leben. Der Methodismus wie die Heiligungsbewegung – und in ihrem Gefolge dann die Pfingst- und charismatische Bewegung – hängen dagegen einer Herrlichkeitstheologie an, die eben diesen Kreuzesweg nicht gehen will, sondern die himmlische Herrlichkeit schon hier auf Erden haben möchte. Wie im Methodismus und der Heiligungsbewegung, so gelten auch in der Pfingst- und charismatischen Bewegung die Gnadenmittel Gottes, das Evangelium in Wort, Taufe und Abendmahl, wenig, wird insbesondere geleugnet bzw. nicht beachtet, dass der Heilige Geist durch diese Mittel den Glauben wirkt und erhält. Die Bedeutung des Gesetzes für den Christen wird völlig verkannt.

Dabei kommt es zugleich dazu, dass der Sündenbegriff und damit die Sündenerkenntnis entscheidend abgeschwächt wurde, nämlich die Erbsünde nicht mehr als Schuld gesehen wurde, solange sie nicht willentlich bewusst akzeptiert worden sei. Auch die Heiligung wird deshalb sehr abgeschwächt und „völlige Heiligung“ dann erreicht, wenn der Gläubige Christus gemäß seiner Erkenntnis völlig diene. Für einige in der Heiligungsbewegung spielt dabei die Lehre von „Christus in uns“ eine besondere Rolle, ein Eingießen Christi in den Gläubigen. Die Bibel kennt diese Art von Einwohnung und Einssein mit Christus nicht. Christus wohnt in uns durch den Glauben, leitet und regiert uns durch sein Wort – aber wir haben ihn auch nur allein durch Wort und Sakrament im Glauben. Der Hintergrund des Perfektionismus ist die rationalistische Behauptung, dass, weil Gott etwas fordere, es auch möglich sein müsse, es auszuführen.

In der Heiligungsbewegung wurde die „zweite Segnung“ zu einem besonderen, entscheidenden Faktor für das Wesen des Christseins, zu einem zweiten Gnadenakt des Heiligen Geistes. Als aber auch damit noch nicht erreicht werden konnte, was man suchte, weil immer neue Erfahrungen nötig waren, sprach Benjamin Irwin dann von der „Feuertaufe“ als einer „dritten Segnung“. Während die „zweite Segnung“ zuvor die „völlige Heiligung“ gebracht habe, sollte diese „Feuertaufe“ eine besondere Fülle des Heiligen Geistes bringen. Sie war dort, wo sie angeblich auftrat, begleitet von Schreien, angeblicher Zungenrede, Fallen in Trance, „heiligem Tanzen“, „heiligem Lachen“ – Phänomenen, die dann später auch in der Pfingst- und charismatischen Bewegung auftreten.

 

Ein entscheidender weiterer Schritt von der Heiligungsbewegung zur Pfingstbewegung geschah durch Charles F. Parham, der ursprünglich von den Bischöflichen Methodisten kam, dann zur Heiligungsbewegung ging und kirchliche Bindung ablehnte. Er brachte nun die Frage auf nach einem „Zeichen“ für das Erwerben der „zweiten Segnung“ und verfiel da nun auf die „Zungenrede“ als eben diesem Zeichen und sah ihren Empfang als „dritte Segnung“ an

Im Jahr 1900 gründete Parham eine Bibelschule in Topeka, Kansas, und lehrte dort unter Bezugnahme auf die Apostelgeschichte, dass die Zungenrede notwendiges Zeichen sei, das man sie und den Heiligen Geist durch lange Gebete suchen müsse. Am 1. Januar 1901 redete dann Agnes Ozman, nachdem er ihr die Hände aufgelegt hatte, in Zungen, wie sie meinte, in Chinesisch. William J. Seymour hörte Parham 1905 in Houston, Texas, und brachte 1906 dessen Lehren nach Los Angeles, wohin er eingeladen wurde. Dort kam es dann unter dem Eindruck seiner Predigt im Hause Richard Asburys zu Ekstase, Zungenrede und damit zu den Anfängen der modernen Pfingstbewegung, die sich von dort aus über die USA und andere Länder und Kontinente ausbreitete.

 

Geschichtlicher Blick auf die frühe Pfingst- und die charismatische Bewegung

    Es ist bezeichnend, dass der norwegische Methodist Barratt, der das Pfingstlertum nach Europa brachte, in den USA 39 Tage um den „Geist“ gebetet habe, bis er in „Zungen“ reden konnte. Hier wird deutlich, dass diese Bewegung den Geist Gottes nicht souverän sein lässt, sondern Wirkungen erzwingen will – und schließlich Wirkungen bekommt, die dann aber nicht von oben, sondern von unten sind.

    Bereits in Los Angeles, dann aber auch etwa in Kassel und an vielen anderen Orten waren die Veranstaltungen von Tumulten, Ekstase, krampfhaft verzerrte Mienen, Fallen auf den Rücken, Gelächter, Geschrei, Um-sich-Schlagen, Zuckungen begleitet, was dem widerspricht, dass Gott keine Unordnung duldet, sondern ein Gott des Friedens ist, 1. Kor. 14,33, der will, dass alles ehrlich und ordentlich zugehe, 1. Kor. 14,40. Diese Erscheinungen können hysterisch, seelisch aber auch dämonisch sein. (Vielfach hat sich „Geistbegabung“ später als Besessenheit erwiesen.) Wie P. Heinrich Dallmeyer und andere, die zeitweilig selbst der Bewegung angehörten, in ihrer Arbeit erfuhren, haben dämonische Irrgeister diese Bewegung bewirkt, die zunächst scheinbar christlich, biblisch auftrat, aber da, wo man die Geister im Namen Jesu aufforderte zu bekennen, wer sie seien, mit ihren Lästerungen ihren höllischen Ursprung zu erkennen gaben (ein Vorfall glich ganz dem, den Dallmeyer in der Seelsorge mit einem spiritistischen Medium erlebt hatte). Dass in diesen Bewegungen auch wirkliche Heilungen vorkommen, sollte nicht verwundern, da Satan das auch kann, 2. Thess. 2 ist ebenso wir Matth. 24 deutlich von den verführerischen Wundern Satans die Rede. Und dass da, wo Gottes Wort noch verkündigt wird, es durch das Wort, trotz des falschen Geistes, der in der Bewegung ist, dennoch Bekehrungen gibt, sollte auch nicht verwundern. Nur: All das legitimiert diese Bewegungen nicht. In den „Pophetien“ (Wahrsagen) sind Wahrheit und Lüge vermischt, wie es für die Geister der Finsternis üblich ist. Diese Geister unterwerfen, wie die vielerlei Vorkommnisse auch bezeugen, vor allem die Körper der Menschen, vergewaltigen sie geradezu und machen sie zu willenlosen Werkzeugen, während doch Gottes Geist sich dem Geist der Menschen bezeugt, ihn bekehrt und so auch den Körper dienstbar macht (s. Röm. 6). Vor allem legen die Irrgeister es darauf an, den Verstand auszuschalten (und dagegen Gefühl, Phantasie freien Lauf zu lassen), was Gottes Geist niemals macht, ihn vielmehr erleuchtet, schärft, nicht umnebelt, umnachtet. Die Wirkungen dieser Geister führen auch zu Unkeuschheit, wie es damals etliche Male geschah.

    Auffallend ist auch, dass Redner oft „Ich-Botschaften“ weitergaben, also faktisch wie ein Medium wirkten, was stark an den Spiritismus und andere esoterische Phänomene erinnert. Außerdem waren Frauen stark an der Verkündigung beteiligt, was 1. Kor. 14 und 1. Tim. 2 eindeutig widerspricht. Es ist auch bezeichnend, wenn aufgefordert wird, den Verstand beiseite zu legen – das ist ein eindeutig okkultes Phänomen. Dieser Geist von unten, der dort hervorkam, fing zwar mit Gottes Wort an, drängte es dann aber in den Hintergrund durch sogenannten „Weissagungen“, „Botschaften“.

    Selbst Pfingstprediger, wie Pastor Regehly haben zugegeben, dass 99 % von dem, was auf den Pfingstversammlungen sich zuträgt, menschlich-seelische Äußerungen sind, also nicht geistgewirkt. (Gerade an ihm wurde auch deutlich, dass die Behauptung der Pfingstler, dass da, wo der rechte Glaube sei, die Krankheit verschwinde, falsche Lehre ist, denn er wurde unheilbar krank und starb daran.) Viele der „Prophetien“ haben sich auch als falsch erwiesen. Auch andere Pfingstprediger haben bezeugt, dass in ihrer Bewegung viel Fleischeswesen vorhanden ist, dass sie zu immer neuen Spaltungen führt. Ja, P. Jonathan Paul, ein Führer der frühen Pfingstbewegung, spricht sogar von dem Wirken von Höllenmächten und dass er selbst „vom Gift der Schlange“ getrunken habe. Das Tragische – und zeigt sich, wie finstere Mächte hier Menschen in ihrer Macht hielten – ist, dass trotz solch klarer Erkenntnisse viele dennoch den Irrweg weiter gegangen sind, selbst da, wo sie solchen, die sich, und zwar nach äußerst schweren Kämpfen, weil die Finsternismächte ihre Beute nicht loslassen wollten, getrennt haben und ihnen die Gründe dafür darlegten, recht gaben.

    Die Charismatische Bewegung ist zwar aus der Pfingstbewegung (Assemblies of God als Bindeglied) entstanden, legt aber andere Schwerpunkte, spricht nicht vom reinen Herzen, legt ein Hauptaugenmerk neben der Zungenrede auf die Heilungen, betont aber auch hier wieder, dass Heilung da geschehe, wo ein „Tun des Willens Gottes“ vorliege, behauptet also weiter, dass jemand, der „richtig glaube“ nicht krank werden könne bzw. gesund würde, rückt vielfach Heilungen und Zungenrede in das Zentrum und behauptet, sie seien Erweis des persönlichen Glaubens, was so nicht mit der Bibel übereinstimmt. Auch die charismatische Bewegung bekennt sich zur Pfingstbewegung als geistesverwandt und ist in besonderer Weise offen für neue Offenbarungen, Visionen, Wunder. Beide, Pfingst- wie charismatische Bewegung, treiben oft einen unbiblischen Personenkult. Vieles von dem, was bei ihnen geschieht, gleicht Phänomenen im esoterischen, okkulten Bereich.

    Beiden ist gemeinsam, dass sie von einer „Geistestaufe“ sprechen als einem besonderen Ereignis der Geistbegabung, die nach der Wiedergeburt komme und so Gläubige ohne und mit „Geistestaufe“ unterscheiden, was die Bibel nicht kennt, also schriftwidrig ist, denn jeder, der wiedergeboren ist, hat durch das Wort den Geist Gottes, Gal. 3,2.14, denn wer Gottes Geist nicht hat, der ist nicht sein, Röm. 8,9. Die frühe Pfingstbewegung hatte zudem noch die perfektionistische Irrlehre vom „reinen Herzen“, die eindeutig 1. Joh. 1 widerspricht, die aber Grundlage für die „Geistestaufe“ sein sollte, für die dann die „Zungenrede“ der Beweis sei.

    Es ist daher nicht von ungefähr, sondern aufgrund klarer biblischer Beurteilung, wenn die Verantwortlichen in der Gemeinschaftsbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannten, dass es sich bei der Pfingstbewegung um einen Schwarmgeist handelt, um einen Geist von unten, eine von dämonischen Kräften, irreführenden Geistern initiierte und getriebene Bewegung (s.a. 1. Tim. 4,3 f.) (s. Berliner Erklärung von 1909). (Das darf nicht mit Besessenheit verwechselt werden, die zwar als Folge auch auftreten kann, sondern hier stehen die Menschen unter dem Einfluss dieser Mächte.) Der Schwarmgeist schaltet dabei die Vernunft, das Denken, den nüchternen Sinn, das kritische Hinterfragen aus oder vernebelt es zumindest und bietet ein „höheres Christentum“ an, ist „Finsternis in Lichtgestalt“, „Hochmut in Scheindemut“, oft Mischung aus Wahrheit und Irrtum. Solcher Schwarmgeist kann begleitet sein von Wundern, von Heilungen, von Zungenreden, von Aufdecken verborgener Sünden, auch von Bekehrungen – aber das allein legitimiert ihn nicht, es gibt keinen Beweis aus dem „Erfolg“, s. Matth. 24,24. Im Spiritismus, bei der „Christlichen Wissenschaft“ (Christian Science) und im Heidentum sind ganz ähnliche Erscheinungen zu finden.

    Die Berliner Erklärung hat mit Recht festgehalten, dass wir die immer wieder nötige Fülle des Heiligen Geistes nicht anders als durch die innige Gemeinschaft mit dem gekreuzigten, auferstandenen und erhöhten Herrn bekommen, und zwar durch Wort und Sakrament, in rechter Sündenerkenntnis, Umkehr, Vergebung, und dass wir nicht auf ein neues Pfingsten, sondern auf den wiederkommenden Herrn warten.

 

Die Pfingst- und charismatische Bewegung ist unionistisch, ökumenisch und synkretistisch

Während diese ältere Pfingstbewegung (die auch den Perfektionismus der Heiligungsbewegung übernommen hatte) sich zunächst, da die bestehenden Konfessionen deutlich sich gegen sie positionierten, als eigenständige Konfession etablierte, ging sie in den 1960er Jahren dazu über (ausgehend hauptsächlich von den Assemblies of God), diesen Geist in die anderen Konfessionen hineinzutragen, zunächst die anglikanische Kirche, dann auch in andere protestantische und auch die römisch-katholische, die sich im 2. Vatikanischen Konzil offiziell dieser Bewegung öffnete, die unter dem Namen „Charismatische Bewegung“ bekannt wurde (die oftmals dem Perfektionismus nicht huldigt). Der Weg dieses Geistes in alle Konfessionen zeigt, dass es ihm nicht um eindeutige, klare, verbindliche biblische Lehre geht, um Trennung von Wahrheit und Irrlehre, sondern dass er wirken kann unabhängig von der Konfession. Er ist also eindeutig ein unionistischer, ja, ökumenistischer und synkretistischer Geist und damit auch in dieser Hinsicht deutlich antibiblisch, gegen Röm. 16,17.18; 2. Kor. 6,14-18; 1. Joh. 4,1-3, 2. Joh. 8-11 gerichtet. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in den USA ca. 25 % der Pfingstler Unitarier sind, also die Dreieinigkeit leugnen und damit überhaupt außerhalb des Christentums stehen, und dass bei den Kimbanguisten, die ebenfalls weit außerhalb des Christentums stehen, ganz vergleichbare Phänomene auftreten. Ähnlich wie schon im alten Pietismus (Spener, Francke) und noch stärker im Neupietismus, so spielt auch in der Pfingst- und charismatischen Bewegung die Lehre, soweit sie überhaupt vorhanden ist, eine eher untergeordnete Rolle, entscheidend ist die „gleiche Erfahrung“, die dann verbinden soll. In der charismatischen Bewegung wird die Bedeutung der Bibel auch dadurch relativiert, dass sie dort als „vergangenes Wort“ angesehen wird, die angebliche derzeitige „Prophetie“ aber als „gegenwärtiges Wort“. Die Gemeinde Jesu Christi ist aber an das Wort der Apostel gebunden, Joh. 17,20, ist gegründet auf den Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, Eph. 2,19-21. Vorzeiten hat Gott durch die Propheten geredet, in der letzten Zeit aber durch seinen Sohn, Hebr. 1,1.2, womit auch angezeigt ist, dass wir keine neuen Offenbarungen mehr zu erwarten haben und damit alle neuzeitliche Prophetie unnötig und irreführend ist, denn wir haben alles mit dem Wort der Bibel. Neue Offenbarungen sind uns darum nicht verheißen; ja, wer vorgibt, neue Offenbarungen zu haben, verstößt eindeutig gegen Gottes Wort, Offenb. 22.

Jesus Christus aber will, dass wir „sie sollen lehren halten alles, was er uns gelehrt hat“, Matth. 28,19, dass die Gemeinde Jesu Christi, als das Haus Gottes, ein Pfeiler und eine Grundfeste der Wahrheit sei, 1. Tim. 3,15, und wir wie Paulus daher den ganzen Ratschluss Gottes verkündigen sollen, Apg. 20,27, und die ganze biblische Lehre auch für verbindlich erachten und demgemäß in Gemeinde und Mission lehrhaft verkündigen, unterweisen und konsequent zwischen Wahrheit und Irrlehre und damit auch zwischen rechtgläubiger und falschgläubiger Kirche unterscheiden, Röm. 16,17.18; 2. Kor. 6,14-18; 2. Joh. 8-11, und uns von letzterer getrennt halten.

 

2. Geistestaufe:

Im Zentrum der Aussagen der Pfingst- und charismatischen Bewegung steht die „Geistestaufe“, nämlich die Forderung, jeder solle danach ernsthaft suchen, mit dem Heiligen Geist erfüllt zu werden und den Geistesempfang durch die Zungenrede ausdrücken und weitere Gaben empfangen. Diese „Geistestaufe“ wird von der Taufe wie auch von der Wiedergeburt und Bekehrung getrennt als eine „zweite Segnung“. Die Pfingst- und charismatische Bewegung unterscheidet also zumindest ein zweistufiges Christentum, nämlich solche Christen, die zwar wiedergeboren sind, aber diese „Geistestaufe“ nicht hätten, daher nicht den Heiligen Geist im Herzen wohnen hätten, daher nicht das „volle Evangelium“ hätten, und solchen Christen, die die „Geistestaufe“ empfangen hätten und nun das „volle (oder „vierfache“) Evangelium hätten, nämlich den Heiligen Geist im Herzen wohnen, die volle Heiligung, körperliche Heilung und geistliche Gaben. Diese Geistestaufe wird als eine „Erfahrung“ postuliert, die für eine „volle Beziehung“ zu Christus notwendig sei, um die nötige Kraft für ein christliches Leben und den Dienst zu haben. Das „vierfache Evangelium“ meint dabei Jesus Christus als den „Erlöser, den Heiliger, den Heiler und den zukünftig kommenden König“.

Diese „Geistestaufe“ wird in ihrer Bedeutung ins Zentrum des christlichen Glaubens gestellt, während die Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnaden, allein um Christi Verdienst willen, allein durch den Glauben dann nur eine Randbedeutung hat. In der Pfingst- und Charismatischen Bewegung tritt der Heilige Geist als Person zurück und wird mehr zu einer Kraft, die mitgeteilt wird. Damit ist auch die Unnüchternheit verbunden, der Hang zur Ekstase, eben dazu, mit dieser „Kraft“ angetan, berauscht zu werden anstatt von der Person des Heiligen Geistes gelehrt, gereinigt, geleitet und erneuert zu werden. Auch das ist unbiblisch.

 

Taufe mit dem Heiligen Geist und Erfülltsein mit dem Heiligen Geist

Wie ist diese „Geistestaufe“ von der Bibel her zu beurteilen? Die „Geistestaufe“, wie sie in der Pfingst- und charismatischen Bewegung auftritt, ist nicht Wirkung des Evangeliums, sondern tritt auf durch die Verbindung zu anderen Personen, die in dieser Weise „geistesgetauft“ sind, soweit man sich diesem Geist öffnet, ihm nicht beharrlich und bewusst widersteht. Das heißt, dieser Geist legt sich über den schon bestehenden Glauben, der aber dadurch verändert wird. Daher kann dieser Geist in den verschiedensten Konfessionen, ja auch außerhalb des Christentums, auftreten. All dies widerspricht der Heiligen Schrift. Nach Gal. 3,2.5.14; 1. Kor. 12,13 ist der Geistempfang eine Wirkung der Evangeliumspredigt, geschieht mit dem Glauben an Jesus Christus, dem Retter für Sünder, fällt also zusammen mit der Wiedergeburt, Bekehrung. Darum heißt es auch von den Christen in Röm. 8, dass der Heilige Geist in ihnen wohnt, dass umgekehrt ohne dieses Wohnen des Heiligen Geistes im Herzen ein Christsein gar nicht möglich ist. Die Trennung von Wiedergeburt und Geistesempfang ist also unbiblisch. Die „Geistestaufe“ fällt daher mit der Wiedergeburt zusammen, wie ja auch die Bekehrung und Wiedergeburt ein Werk des Heiligen Geistes durch das Evangelium in Wort und Taufe ist. Auch in der (Wasser-)Taufe wird der Heilige Geist gemäß Joh. 3,3.5 und Tit. 3,4-7, dargereicht und da empfangen, wo die Taufe im Glauben empfangen, ergriffen wird. Es ist daher auch nicht mit der Bibel vereinbar, dass um eine besondere Geistestaufe lange gerungen, gebetet werden müsse. Nirgends werden die Christen in der Bibel dazu aufgefordert, dass sie sich um den Heiligen Geist bemühen, ihn suchen, um ihn ringen müssten. Apg. 2,38.39 macht deutlich, dass zwischen der Taufe im Namen Jesu und der Geistestaufe kein zeitlicher Zwischenraum besteht.

Das, was in Apg. 8; 10; 19 berichtet wird über den Geistempfang in Samaria, bei Hauptmann Cornelius und den Johannesjüngern kann nicht zu einem für alle Zeiten gültigen Vorgang gemacht werden. Wir erkennen hier vielmehr, dass wir gemäß Apg. 1,8 die jeweilige Ausweitung der Mission vor Augen haben, die für die Gemeinde legitimiert wurde durch diese besonderen Zeichen, die übrigens auch nur in Verbindung mit den Aposteln geschahen, eben, gemäß 2. Kor. 12,12, zu den „Zeichen und Wundern eines Apostels“ gehören.

Ebenso finden wir nirgends irgendwelche Vorbedingungen für den Geistesempfang – außer eben dass der Mensch zum rettenden Glauben an den Herrn Jesus Christus kommt, denn ohne die Wiedergeburt, Bekehrung gibt es keine Taufe mit dem Heiligen Geist. Aber es gibt keine menschlichen Anstrengungen, die voran gehen müssten, s. Apg. 1,4.5; 8; 10; 19, denn der Heilige Geist kommt nicht durch das Gesetz – also menschliches Wirken, Anstrengen, Bemühen -, sondern durch das Hören des Evangeliums der Gnade Gottes in Jesus Christus.

Etwas völlig anderes ist es, dass wir auch als Christen immer wieder darum bitten müssen, dass wir in der Fülle des Heiligen Geistes stehen, dass wir für unsere Aufgaben mit ihm ausgerüstet sind, dass wir von ihm geführt werden, Eph. 5,18; Apg. 6,3.10. Das hat aber nichts mit einer besonderen Geistestaufe zu tun und ebenso wenig mit besonderen „Gaben“. Vielmehr hat der Heilige Geist, wie der dreieinige Gott insgesamt, Wohnung im Herzen des Christen, ist unser Leib als Christ ein Tempel auch des Heiligen Geistes, 1. Kor. 3,16 f.; 6,19.

Die Phänomene, wie sei bei der „Geistestaufe“ der Pfingstler und Charismatiker auftreten, wie Schreien, Umfallen auf den Rücken, Daliegen, als sei man tot, Lachen, Kreischen, Tanzen, sind allesamt unbiblisch und entsprechen keineswegs dem, was in der Bibel von Pfingsten und dem Geistesempfang gesagt wird. Ekstase hat mit Wiedergeburt nichts zu tun, sie ist vielmehr gerade in den heidnischen Religionen zu finden.

Joel 2,28-29 wartet nicht noch auf Erfüllung, sondern ist, gemäß Apg. 2, bereits mit dem Pfingsten damals in Jerusalem erfüllt. Allerdings hat jeder Christ in sofern sein „eigenes Pfingsten“, als jeder Christ mit der Wiedergeburt und Bekehrung für sich den Heiligen Geist empfängt – aber er bedarf keiner weiteren, zusätzlichen „Geistestaufe“.

 

Das Amt des Heiligen Geistes – christozentrisches Wirken

Die Bedeutung und das Amt des Heiligen Geistes werden in der Pfingst- und charismatischen Bewegung völlig schief gesehen. Der Schwerpunkt liegt auf Zeichen und Wundern, auf „völliger Heiligung“ (Sündlosigkeit), Heilungen, Prophetien, besonderen Erfahrungen. Die biblische Lehre tritt, trotz oftmals guter Bibelkenntnis, dagegen in den Hintergrund; und da, wo Lehre geübt wird, hat sie nicht den verbindlichen, scheidenden Wert, wie es gemäß Röm. 16,17.18 in der Bibel sein sollte, denn wie schon oben dargestellt, ist die Pfingst- und charismatische Bewegung stark ökumenisch ausgerichtet. Gemäß der Heiligen Schrift aber kann das Wirken des Heiligen Geistes gar nicht von Jesus Christus, dem Heiland der Welt, und seiner Lehre getrennt werden. Nach Joh. 15,26 ist er der Geist der Wahrheit, der darum auch in alle Wahrheit leitet, Joh. 16,13, und von Christus zeugt. Er ist also ein lehrhafter Geist, dem es wirklich darum geht, wie unser Herr und Heiland Matth. 28,19 uns aufgetragen hat, dass gelehrt wird alles, was er, Jesus Christus, uns befohlen hat. Sein Amt ist es, Jesus Christus zu verklären, ihn groß zu machen, das zu reden, was Christus ihm gegeben hat, Joh. 16,13-15. Sein Ziel ist es nicht, besondere, auffällige „Gaben“ zu verteilen, besondere „Erfahrungen“ zu bewirken, sondern vielmehr die Christen zu befähigen, Zeugen zu sein, Apg. 1,8, ist es, Menschen der Sünde zu überführen und durch das Evangelium den Glauben an Jesus Christus, den Heiland der Sünder, zu wecken, Joh. 16,8-11. Im Zentrum seines Wirkens steht daher Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, der darum auch im Zentrum des christlichen Glaubens und der christlichen Lehre steht, 1. Kor. 2,2; Röm. 4,25. Der Heilige Geist ist der Geist Christi, sein Wirken ist christozentrisch; er ist ein dienender Geist. Die gesamte biblische Theologie ist, 1. Kor. 2,2; Luk. 24,26, christozentrisch. Und wer Jesus Christus durch den Glauben hat, der hat damit auch seinen Geist. Die Rechtfertigungslehre ist die Zentrallehre des biblischen christlichen Glaubens, nicht die Lehre von einer besonderen „Geistestaufe“.

Der Heilige Geist leitet darum durch das Wort die Gemeinde und die missionarische Arbeit (als wirkliche missio Dei), Joh. 15, 26 f.; Apg. 8,29; 13,1-3; 16,6-10 und führt zu Christus. Gott begegnet uns in seinem Wort und Sakrament, weil dadurch Christus zu uns kommt. In der Pfingst- und Charismatischen Bewegung sind sie nicht mehr die Mitte.

 

Wie also ist die „Geistestaufe“ der Pfingstler und Charismatiker zu beurteilen? Aufgrund der Umstände, wie der Geist empfangen wird, wie auch aufgrund der Wirkungen, die dieser Geist hervorbringt, sowohl in den direkten Auswirkungen, wie auch im Blick auf die Lehre, wie auch hinsichtlich der „Zeichen und Wunder“, wie auch der Tatsache, dass er völlig unabhängig von der Lehre und der Religion empfangen wird, ist es eindeutig, dass in dieser „Geistestaufe“ nicht der Heilige Geist, sondern ein anderer Geist, ein Geist von unten, empfangen wird, der zwar mächtig ist, aber ein Finsternisgeist, ein verführerischer Geist, der den Heiligen Geist auch imitiert. In der Seelsorge an Menschen aus dem Pfingst- und charismatischen Bereich ist es zunächst wichtig festzustellen, ob diese Menschen überhaupt im rettenden Glauben an Jesus Christus stehen, also rechte Sündenerkenntnis haben, an Jesus Christus als dem Retter für Sünder glauben, die Rettung allein aus Gnaden, allein um Christi Verdienst willen, allein durch den Glauben bekennen und für sich persönlich bewusst in Anspruch nehmen. Dann sind mit diesen Menschen anhand der Bibel die Unterschiede zu betrachten zu dem biblischen Geistempfang und dem Empfang dieses falschen Geistes, zwischen den Wirkungen des Heiligen und dieses falschen Geistes, um sie so Schritt für Schritt aus dieser Bindung zu lösen.

 

3. Zeichen und Wunder:

Engstens mit der „Geistestaufe“ der Pfingstler und Charismatiker verbunden ist das Phänomen der Zeichen und Wunder. Insbesondere wird ja behauptet, die Zungenrede müsse als Merkmal dafür, dass man die „Geistestaufe“ empfangen habe, vorhanden sein, und dann kämen noch weitere Dinge hinzu, etwa völlige körperliche Heilung, Krankenheilungen, Prophetien. Wie ist das zu beurteilen?

 

Die Zungenrede

Es ist richtig, dass in der frühen Gemeinde zur Apostelzeit, und in Anlehnung an sie und ihre direkten Schüler manche besonderen Zeichen und Wunder aufgetreten sind. Wir lesen in der Apg 2., dass die Apostel und anderen Jünger, die an Pfingsten gepredigt haben, in fremden Sprachen predigten, die sie zuvor nicht erlernt hatten; wir lesen Apg. 8, dass die Apostel nach Samarien kommen mussten, um den dort bekehrten Samaritanern zu einem besonderen Geistesempfang die Hände aufzulegen; in Apg. 10, dass Hauptmann Cornelius und die anderen Heidenchristen in seinem Haus in Zungen redeten und in Apg. 19, dass die Johannesjünger, die von Paulus getauft wurden, ebenfalls nach dem Geistempfang in Zungen redeten. Ist also die Zungenrede ein geläufiges Phänomen nach der Bekehrung? Nein! Wir lesen nichts davon, dass die 3000 Menschen, die an Pfingsten durch die Predigt des Petrus bekehrt wurden und in Buße und Taufe den Heiligen Geist empfingen, der so auch uns allen verheißen ist, Apg. 2,36 ff., in Zungen geredet hätten. Überhaupt hat die Zungenrede in der christlichen Gemeinde in der Bibel überhaupt nicht diesen Stellenwert, der ihr in der Pfingst- und charismatischen Bewegung beigemessen wird. Wir lesen neben dem besonderen Ereignis an Pfingsten nur an drei Stellen im Neuen Testament von ihr, nämlich in Verbindung mit Hauptmann Cornelius, mit den Johannesjüngern in Ephesus und dann in den Ausführungen des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth, 1. Kor. 12-14. Schon das zeigt, wie gering die Bedeutung der Zungenrede bereits damals war. Und Paulus spielt ihre Bedeutung im ersten Korintherbrief noch weiter herunter, gerade weil sie bei den zur Schwärmerei neigenden Korinthern so hoch angesiedelt war. Und welcher Sinn wurde ihr zugemessen? Für denjenigen, der in Zungen redete, war sie gar kein Zeichen, schon gar keine Bestätigung dafür, dass er Christ sei. Für den Gemeindegottesdienst hatte sie nur dann eine Bedeutung, wenn eine Auslegung folgte, sonst auch nicht. Und selbst dann siedelt der Apostel Paulus die normale Rede weit höher an. Ja, er stellt ins Zentrum der Gaben des Geistes die Liebe, und dann als besondere Gabe für den Dienst in der Gemeinde die Weissagung, was hier, wie der Zusammenhang zeigt, nicht Voraussagen, sondern wie zumeist im Alten und Neuen Testament, Schriftauslegung bedeutet, also das Lehren der Gemeinde anhand der Bibel.

Eine besondere Bedeutung hatte die Zungenrede an Pfingsten, bei Hauptmann Cornelius und den Johannesjüngern und der besondere Geistempfang bei den Samaritanern. Die Bedeutung ist jeweils ähnlich: Wenn wir Apg. 1,8 ansehen, so wird da in konzentrischen Kreisen das missionarische Wirken beschrieben. Pfingsten ist der Anfang, die Grundlegung der neutestamentlichen Gemeinde Jesu Christi. In Samarien wird ein neuer Kreis der Missionsarbeit eröffnet; mit Hauptmann Cornelius beginnt der Übergang zu den Heiden, was ja auch Entsetzen bei den Judenchristen hervorrief und eine Auseinandersetzung in der Jerusalemer Gemeinde für den Apostel Petrus zur Folge hatte. Die Zungenrede war hier für die Judenchristen ein Zeichen, dass auch die Heiden das Evangelium und damit den Heiligen Geist empfangen hatten. Was die Johannesjünger in Ephesus angeht, so bezeugte hier die Zungenrede, dass ein Übergang von Johannes dem Täufer zu Jesus Christus nötig ist.

 

Heilung

Die meisten Pfingst- und auch viele charismatische Kreise behaupten, dass körperliche Heilung durch „völlige Übergabe an Christus“ bewirkt würde, denn Christus habe uns „das volle Heil“ gebracht. Krankheit wird dabei grundsätzlich mit einer konkreten Sünde in Verbindung gebracht. Dies aber widerspricht z.B. Joh. 9,3, ebenso Hiob 1 und 2 sowie Phil. 2,30 und 3. Joh. 2. Außerdem machen die Beispiele von Krankheiten bei Paulus, Epaphroditus und Timotheus deutlich, dass allerdings auch der Christ krank werden kann und nicht durch Wunder geheilt wird, sondern den „gewöhnlichen“ medizinischen Weg gehen muss (so der Rat des Paulus an Timotheus, 1. Tim. 5,23, oder die Bezeichnung für Lukas, „geliebter Arzt“, Kol. 4,14) oder auch mit der Krankheit leben muss, wie z.B. Paulus (2. Kor. 12,7-10). Umgekehrt hat Christus auch nicht nur solche geheilt, die an ihn geglaubt haben.

Jes. 53 wird völlig schief aufgefasst, wenn damit behauptet wird, weil Christus alles auf sich genommen habe, sei damit auch die Krankheit beseitigt. Dies ist vielmehr ein sehr typischer Ausdruck der Herrlichkeitstheologie. Jesaja 53,4 aber ist ein prophetischer Hinweis auf Jesus Christus; mit „Krankheit“ und „Schmerzen“ sind hier keineswegs körperliche, sondern geistliche Leiden gemeint, wie der Zusammenhang deutlich macht (die Verben „tragen“, „aufladen“ werden in den Versen 11 und 12 eindeutig auf das Erlösungshandeln bezogen.) Die hebräischen Wörter für Krankheit und Schmerzen können nämlich sowohl körperliche als auch geistliche Leiden beschreiben. Matthäus 8,14-17 ist keineswegs ein Zitat aus Jesaja, sondern nur eine Anspielung auf diesen Text, wobei die Verben so verändert sind, dass sie im Zusammenhang von Matth. 8 sich auf körperlich-medizinische Dinge beziehen. Der Heilige Geist macht damit deutlich, dass die körperlichen Heilungen und Exorzismen Jesu Christi in Kapernaum eine Vorschattung sind auf die viel größere geistliche Heilung, die in Jesaja 53 angekündigt und dann auf Golgatha vollbracht wurde.

Die Heilige Schrift zeigt uns, auch durch die angeführten Beispiele, dass Christus nicht als der Wunderheiler gekommen ist, denn er hat auch keineswegs alle Kranken seiner Zeit geheilt, s.a. Mark. 1,32-39, wo er ausdrücklich die Menschen in Kapernaum, die in ihm einen Wunderheiler sahen, verlässt, um anderswo zu predigen, sondern als der Hohepriester, Prophet und König. Die Krankenheilungen (wie die Dämonenaustreibungen, Sturmstillungen, Totenauferweckungen) waren messianische Zeichen, die punktuell die zukünftige Herrlichkeit vorweg nahmen, eine Herrlichkeit, wie wir sie erst im Himmel, im neuen Jerusalem haben werden, Offenb. 21,4. Die geistliche Heilung des Herzens steht nach der Heiligen Schrift im Wirken Jesu Christi, die allein geschieht durch den Glauben an den Herrn Jesus Christus, Apg. 16,31; Mark. 1,15; Apg. 4,12. Dies hebt unser Heiland deutlich hervor in Mark. 2,1-12, ebenso Matth. 10,28; 16,26. Die Vergebung der Sünden ist das Eigentliche, was wir brauchen, die körperlichen Heilungen damals waren eine Bekräftigung der geistlichen Vollmacht Jesu.

Jesus Christus hat auf Golgatha für uns die vollkommene Erlösung erworben – aber bestimmte Folgen des Sündenfalls werden erst in der Herrlichkeit endgültig aufgehoben sein, Offenb. 21,3-5. Bis dahin sind wir wohl bereits gerettet – aber auf Hoffnung, Röm. 8,24. Paulus, Trophimus, Epaphroditus, Timotheus sind beredte Beispiele dafür, dass zu diesen Folgen eben auch Krankheit gehört, 2. Kor. 12,9; 2. Tim. 4,20; 1. Tim. 5,23.

Die Gemeinde Jesu Christi ist in dieser Welt Gemeinde unter dem Kreuz, nicht schon Gemeinde in der Herrlichkeit, und lebt daher in der Spannung, dass sie schon jetzt vollständig gerechtfertigt ist, Vergebung der Sünden hat, 1. Joh. 1,8 f., Bürgerrecht im Himmel, Phil. 3,20, Trost des Heiligen Geist, Eph. 1,13, die Gotteskindschaft, Joh. 1,12; Röm. 8,14, aber erst in der Herrlichkeit vieles noch dazu geschenkt bekommt. Hier auf Erden gilt es, noch vom Herrn erzogen zu werden, um in der Heiligung zu wachsen, Eph. 2,10; 1. Joh. 3,3; 2. Kor. 3,18.

Nach Jakobus 5,13-20 hat die Gemeinde Jesu Christi an den Kranken einen Gebetsdienst zu verrichten, durch die Gemeinde wie durch die Ältesten, 5,16.14, der, in Verbindung mit dem Sündenbekenntnis dann auch zur Heilung führen soll, wenn die Ursache der Krankheit nichtorganisch ist, also in konkreten Sünden liegt. Außerdem fordert der Heilige Geist durch Jakobus eine gute ärztliche Behandlung, wenn er auffordert, das der Kranke mit Öl eingerieben werden soll. Das griechische Wort für „salben“ (aleipho) spricht gerade nicht von zeremoniellem Salben (das wäre „chrio“), sondern von Einreiben oder Auftragen. Öl war damals das Heilmittel. Es geht hier also gar nicht um „Glaubensheilung“ ohne Gebrauch ärztlicher Hilfe, sondern um ärztliche Hilfe in Verbindung mit dem Gebet – und dem Gebet wird die Hauptursache für die Heilung zugeschrieben. Wir haben keine Verheißung, dass der Kranke in jedem Fall gesund wird, wohl aber, dass der Herr ihn „aufrichten“ wird (V. 15), was unter Umständen auch körperliche Heilung heißen kann, aber ebenso auch „nur“ körperliche Erleichterung, oder Kraft zum Tragen, Trost, Ermutigung. (Es ist übrigens das Gebet des Glaubens der Ältesten, dem hier diese Wirkungen zugeschrieben werden, nicht, wie die Pfingstler und Charismatiker behaupten, sei es der Glaube des Kranken, aufgrund dessen er gesund würde.) Wie Gott antwortet, das liegt in seiner Souveränität und nicht in unserer Verfügbarkeit. (Zu beachten ist auch, dass in Jak. 5,15 b.16 von einer Krankheit die Rede ist, die als Folge einer Sünde über den Menschen verhängt wurde. In diesem Zusammenhang haben wir eine Verheißung der Gesundung, wenn zuvor die Ursache der Krankheit, die Sünde, durch Buße, Bekenntnis, Umkehr ausgeräumt wurde. Die Gemeinde Jesu Christi soll sich also gerade mit den Menschen befassen, die aufgrund von Sünde krank sind.) Wir haben keine Verheißung, dass wir unbeschwert den Pilgerweg gehen werden oder dass Gott auf unser Gebet alle Schwierigkeiten wegnehmen wird. Vielmehr müssen wir durch viel Trübsal in das Reich Gottes eingehen, Apg. 14,22, und der Herr will uns dadurch umgestalten in das Bild seines Sohnes Jesus Christus, 2. Kor. 3,18. Die Leiden aber dieser Zeit sind nicht wert der Herrlichkeit, die an uns einst soll offenbar werden, ja, verglichen mit der Herrlichkeit, sind sie zeitlich und leicht, Röm. 8,18; 2. Kor. 4,17.18

 

Eines Apostels Zeichen

Diese Ereignisse, wie auch überhaupt das Auftreten besonderer Zeichen und Wunder – und zwar in Verbindung mit den Aposteln, denn sie waren die „Zeichen eines Apostels“, 2. Kor. 12,12 – stehen durchaus in Parallelität zu den Zeichen und Wundern zur Zeit des Mose und der frühen Propheten (Elia, Elisa). Wir finden solche Zeichen und Wunder bei besonderen heilsgeschichtlichen Schnittstellen, nämlich der Formung des Bundesvolkes unter Mose, dem Beginn der Prophetenzeit und dann die messianischen Zeichen und Wunder Jesu Christi als Bezeugen seiner Autorität (der Begriff „Zeichen“ hat eine große Bedeutung im Evangelium nach Johannes) und die Zeichen der Apostel bei der Grundlegung der neutestamentlichen Gemeinde. Wir finden keinerlei ähnliche Zeichen und Wunder bei den Erzvätern und Patriarchen, auch nicht bei den großen Gottesmännern wie Samuel oder David, auch nicht bei den anderen frommen Königen, wie Josia, und ebenso nicht bei den späteren Propheten. Dies macht deutlich, dass sie besondere Zeichen für besondere heilsgeschichtliche Zeiten sind, für die der dreieinige Gott sie als wichtig und notwendig erachtete. Deshalb heißt es in Hebr. 2,4, dass „Gott ihr Zeugnis gegeben hat mit Zeichen, Wundern und mancherlei Kräften und mit Austeilung des Heiligen Geistes nach seinem Willen“. Die Zeitform, die im Griechischen dort steht, macht deutlich, dass diese Beigabe der Zeichen, Wunder und Kräfte abgeschlossen ist. Dies stimmt auch mit 1. Kor. 13,8 überein, wo es heißt, dass die Weissagungen (Prophetie) abgetan wird, die Sprachen (Zungenrede) aufhören (beendet werden) wird, die (offenbarungsmäßige) Erkenntnis abgetan wird. Die Verse 9 und 10 sprechen zwar von der Vollendung, also Christi Wiederkunft, womit aber nicht ausgesagt wird, dass Prophetie, Offenbarungserkenntnis und Zungenrede bis dahin andauern. Dies ist vielmehr aus den einschlägigen Stellen 2. Kor. 12,12 und Hebr. 2,4 zu beleuchten. (Weissagung im Sinn von Schriftauslegung, Lehre sowie Erkenntnis im Sinn von Schriftverständnis sind hier nicht gemeint; sie sind Dienstgaben, die für die gesamte Zeit bis zu Christi Wiederkunft nötig sind.) Sie gehört, wie aus all den Umständen ihres Auftretens in der Apostelgeschichte und den Briefen deutlich ist, zu der „Apostel Zeichen“ und hört damit auf mit der Zeit der Apostel und ihrer unmittelbaren Schüler. Wir haben also keinerlei Verheißungen für die außerordentlichen Gaben (Apostelzeichen) über die Apostelzeit hinaus. (Damit ist Gott nicht gehindert, sie in besonderen Missionssituationen zu geben, aber das liegt in seiner Souveränität. So wurde etwa Ludwig Nommensen von heidnischen Bataks das Essen vergiftet – und er starb nicht daran. Wir hören immer wieder, dass der dreieinige Gott unter Moslems zunächst durch Träume wirkt, um sie auf das Evangelium aufmerksam zu machen. Andererseits aber werden Missionare umgebracht oder sterben an Krankheiten – und Gott verhindert das nicht.) Dies ist auch nicht nötig, denn wir haben als Gemeinde Jesu Christi diejenigen Zeichen und Wunder, die unser Heiland Jesus Christus und seine Apostel getan haben – und sie reichen aus für die gesamte neutestamentliche Heilsgeschichte.

Dabei gilt es weiter zu bedenken, dass die Gaben des Geistes gegeben wurden, um die rechte biblische Lehre zu bekräftigen. Satan aber kann mit seinen Dämonen sehr wohl auch Zeichen und Wunder nachäffen, wie wir es insbesondere für den Antichristen und die letzte Zeit lesen – dann aber, um seine falsche Lehre damit zu bekräftigen. Darum ist es auch wichtig, welche Lehre denn bekräftigt werden soll, s.a. 5. Mose 13,1-4; Matth. 24,24; 2. Thess. 2,9 ff. Falsche Lehre kann gar nicht durch Zeichen und Wunder des dreieinigen Gottes bekräftigt werden.

Wenn die Pfingstler und Charismatiker behaupten, dass bei ihnen die Zeichen und Wunder der Apostelzeit wieder vorhanden wären, dann sind sie verpflichtet, sie allesamt aufzuweisen, etwa auch, dass giftige Schlangen ihnen nichts anhaben können, dass Gift ihnen nichts tun kann. (Wobei die Haltung der Pfingstler und Charismatiker auch in sofern falsch ist, als sie sich souverän meinen über die Gaben, Zeichen und Wunder und damit verkennen, dass allein der Heilige Geist souverän ist und nur er sie in den besonderen Lagen einsetzt.)

Mark. 16,17-18 besagt nicht, dass alle Christen aller Zeiten die dort angeführten Gaben haben müssten, das war nicht einmal in der Apostelzeit so, 1. Kor. 12,26 ff., sondern besagt nur, dass Gott der Herr zur Bekräftigung der Predigt diese Zeichen und Wunder geben kann, wann und wo er es für nötig hält. Die Zeitform in Vers 20 macht dabei übrigens deutlich, dass diese besondere Bekräftigung der Predigt durch Zeichen und Wunder abgeschlossen ist. Es ist auch falsch, die Aussagen in 1. Kor. 12-14, weil sie in allgemeiner Form gehalten sind, so zu verstehen, dass da der Gemeinde besondere Gaben für alle Zeiten verheißen würden. Vielmehr galten diese Verse zuerst und vor allem der Gemeindesituation in Korinth für die Apostelzeit; in ihrer weiteren Geltung sind sie zu betrachten von dem her, was der Heilige Geist in 2. Kor. 12,12, Hebr. 2,4 sagt, wo er die außerordentlichen Gaben (die Zeichen waren), an die Apostel bindet und gerade im Hebräerbrief aussagt, dass dies abgeschlossen ist. Übrigens macht auch Mark. 16,20 deutlich, dass Mark. 16,17-18 eben gerade mit dem Wirken der Apostel zu verknüpfen ist.

Es wäre auch völlig verkehrt zu behaupten, dass da, wo Wunder, „Zeichen“ auftreten, sie eine göttliche Legitimierung darstellten. Kein Zeichen und Wunder ist an sich schon eine göttliche Aussage. Es muss vielmehr der Gesamtzusammenhang beachtet werden, ob die rechte biblische Lehre mit Christus im Zentrum und der Rechtfertigung allein aus Gnaden, allein um Christi Verdienst willen, empfangen allein durch den Glauben der Kern ist. Außerdem ist zu bedenken, dass für die letzte Zeit eben nicht der Gemeinde großartige Zeichen und Wunder vorhergesagt sind, sondern vielmehr den antichristlichen Mächten, um damit zu verführen, Matth. 24,24; 2. Thess. 2,11, wie ja Satan sich auch in einen Engel des Lichts verstellen kann.

 

Die Gemeinde Jesu Christi – vollmächtig ausgerüstet mit den Gnadenmitteln

Die Gemeinde Jesu Christi ist durch ihren Herrn und Heiland Jesus Christus gemäß Matth. 28,18-20; Joh. 20,21-23 bestens ausgerüstet, um ihren Auftrag, das rettende Evangelium allen Völkern zu bringen und sie zu Jüngern zu machen, auszuführen: nämlich mit dem Evangelium in Wort und Sakrament. Gottes Wort ist kein leeres, wirkungsloses Wort, die Sakramente sind keine leeren Zeichen, sondern Gottes Wort ist in ihnen kräftig und im Wort Gottes ist der Heilige Geist wirkend gegenwärtig. Wir haben keinerlei Verheißung, dass der Heilige Geist unabhängig von den Gnadenmitteln wirkt, aber die feste Zusage, dass er durch die Gnadenmittel sein Werk tut, wann und wo er will. Das Evangelium ist darum vollmächtig und wirkkräftig, Jes. 55,10.11; Röm. 1,16.17; 10,14-17; 1. Petr. 1,23; Joh. 3,3.5; Eph. 5,25; Tit. 3,4-7. Die Wirkkraft der Gnadenmittel ist also nicht abhängig von demjenigen, der sie austeilt, dass er sie erst kräftig machen müsse, sondern sie sind kräftig, weil der Heilige Geist in ihnen wirkend gegenwärtig ist, Joh. 6,62. Unabhängig vom Wort, das machen all diese Stellen deutlich, gibt der dreieinige Gott weder seine Gnade noch seiner Gemeinde seine Gaben. Auch den Heiligen Geist haben wir, wie oben dargelegt, allein durch das Wort.

 

Der Heilige Geist ist souverän und ist Person

Wenn wir weiter durch 1. Kor. 12-14 bedenken, was über die Gaben des Heiligen Geistes gesagt wird, so erkennen wir, dass der Heilige Geist souverän darüber ist, 1. Kor. 12,4-6.11.18, dass er gibt, wann, wo und wem er will, so, wie es für die Gemeinde Jesu Christi am Besten ist. Hier ist nicht von einem Gebetsringen, etwa tage- und nächtelang, die Rede, nicht also von einem faktischen Erzwingen irgendwelcher Gaben – was gerade dem Eindringen eines Irrgeistes Vorschub leistet. Diese Gaben dienen weder der Selbstverwirklichung, noch der Demonstration oder Selbsterbauung, sondern dem allgemeinen Nutzen, 1. Kor. 12,7.

Der Heilige Geist ist Person (denn er tröstet, Joh. 15,26; er straft die Welt, Joh. 16,8-11; er sendet aus, Apg. 13,1-3; er kann belogen werden, Apg. 5,9). Dem widerspricht eine Tendenz in der Pfingst- und charismatischen Bewegung, den Heiligen Geist nicht (oder nicht ausschließlich) als Person zu verstehen, sondern primär als „Kraft“ oder „Energie“, womit sich die Pfingst- und charismatische Bewegung eindeutig heidnisch-magischen Einflüssen öffnet (etwa auch im Zusammenhang mit der „inneren Heilung“, die eindeutig tiefenpsychologisch-okkulten Hintergrund hat und mit Suggestion arbeitet). Die Methode der Visualisierung, die dabei verwendet wird, ist schamanistisch, nämlich der Weg, durch die „Kraft der Gedanken“ mit „geistigen Führern“ (Kontrollgeistern) in Verbindung zu treten.

Damit wird auch, wie schon im Blick auf die „Zeichen“ und „Gaben“, in der Pfingst- und charismatischen Bewegung versucht, über den Heiligen Geist zu verfügen, denn er wird dann nur wie eine „Kraftwirkung“ verstanden, die man einsetzen und durch die man bestimmte Phänomene machtvoll ausführen könne (ähnliches geschieht auch bei dem sogenannten „Befreiungsdienst“ in der charismatischen Okkultseelsorge), etwa „energiegeladene Hände“, ein Phänomen, das so auch bei okkulten Geistheilern auftritt.

Dem aber steht Gottes eindrückliche Warnung 5. Mose 18,9-12 entgegen, nicht durch bestimmte Techniken in die verborgene Welt einzudringen. Wir haben nur einen einzigen Weg, mit der unsichtbaren Welt in Verbindung zu treten – das Gebet. Und damit können und dürfen wir auch allein zu dem dreieinigen Gott kommen.

 

Die unterschiedlichen Gaben

Weiter lässt sich anhand der Bibel, wie schon dargelegt, ein Unterschied im Blick auf die verschiedenen Geistesgaben feststellen: Offenbarungsgaben, Zeichengaben und Dienstgaben. Die Offenbarungsgabe war diejenige, durch die der Heilige Geist bis dahin unbekannte göttliche Wahrheit offenbarte, also die Inspiration, durch die die Propheten und Apostel sprachen und schrieben, Röm. 16,25; 1. Kor. 14,6.26.30; 2,13; Joh. 17,20. Sie hat ihren Abschluss gefunden mit der Vollendung des Neuen Testamentes, denn damit ist die Offenbarung Gottes hinsichtlich neuer Wahrheiten abgeschlossen, Joh. 17,20; Hebr. 1,1.2; Offenb. 22,18.19.

Die Zeichengaben umschreiben die Zeichen und Wunder der Apostel, also die besonderen Zeichen und Wunder, die der Heilige Geist durch sie wirkte, um ihre Predigt bei der Grundlegung der neutestamentlichen Gemeinde zu bekräftigen, 2. Kor. 12,12. Sie zielten in erster Linie auf die Ungläubigen, nur beschränkt in zweiter Linie auf die Gläubigen, und hatten ihren Sinn und Zweck, solange die Bibel noch nicht vollendet und die Gemeinde nicht fest gegründet war. Zu diesen Zeichengaben lassen sich die Sprachenrede (mit Übersetzung), die Wunderkräfte, die Heilungen rechnen, und fanden mit der Apostelzeit ihren Abschluss, Hebr. 2,4; 2. Kor. 12,12.

Die Dienstgaben nun sind diejenigen Gaben, die nötig und wichtig sind zum Bau der Gemeinde Jesu Christi, bis er wiederkommt am Jüngsten Tag. Sie werden z.B. Röm. 12,6-8 dargestellt. Zu ihnen zählen: Schriftauslegung unter Geistesleitung (prophetische Rede); Diakonie; Lehren als Unterweisung im Wort; Ermahnen durch das Wort; Geistesunterscheidung; Vorstehen. Diese Dienstgaben teilt der Heilige Geist bis zu Christi Wiederkunft aus, sie werden besonders im Zusammenhang mit dem Ältesten- oder Hirtenamt erwähnt, 1. Tim. 3,1 ff.; Tit. 1,5 ff. Dazu kommt noch die Krankenheilung durch Gebet da, wo es Gottes Wille ist, Jak. 5.

 

Wenn nun die sogenannten „Zeichen und Wunder“ bei den Pfingstlern und Charismatikern betrachtet werden, so können wir feststellen, dass Jesus Christus und die Apostel, wenn sie Zeichen und Wunder taten, immer „Erfolg“ damit hatten – die Wundertäter der Pfingstler und Charismatiker keineswegs. Die Zungenrede in der Heiligen Schrift ist stets Reden in einer Fremdsprache, die nicht erlernt wurde; bei den Pfingstlern und Charismatikern ist es keineswegs so (wenn es in einer Fremdsprache geschieht, ist das, was dabei zu hören ist, oftmals sogar gotteslästerlich; vielfach aber ist das, was als „Zungenrede“ behauptet wird, überhaupt keine Sprache, sondern nur ein Plappern und Lallen ohne jegliche Grammatik). Die Zungenrede wird bei den Pfingstlern und Charismatikern als ein Erweis des Glaubens und des Geistempfanges gewertet. Gemäß der Schrift, Röm. 8, aber gibt der Heilige Geist Zeugnis unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind, also ohne solche „äußeren Zeichen“. Prophetie ist in der Schrift nur in bestimmten Fällen Vorhersagen bestimmter Ereignisse der Zukunft, dann aber eindeutig, sonst Schriftauslegung. Die „Prophetie“ der Pfingstler und Charismatiker dagegen hat nur manchmal etwas mit der Wahrheit zu tun, ist oft zweideutig und vielfach falsch. Die „Verheißungen“ oder Versprechungen, die die Pfingstler und Charismatiker machen, gehen über die Verheißungen Gottes hinaus. Nirgends wird in der Heiligen Schrift uns verheißen, dass durch den Glauben wir auch körperlich geheilt werden. Gott kann dies tun, und Jesu Heilungen waren messianische Zeichen und Wunder, eine Vorwegnahme der himmlischen Herrlichkeit. Aber er hat auch damals nicht alle Menschen geheilt, siehe etwa Markus 1,32-39. Auch die Apostel haben nicht alle heilen können. Paulus selbst ist krank gewesen, ebenso Timotheus, Epaphroditus. Krankheiten sind keineswegs und stets ein Zeichen für unbewältigte Sünde (siehe auch Joh. 9), sondern haben vielerlei Gründe und sind immer auch Gottes Arbeiten an uns. Jak. 5 verheißt keineswegs, dass auf das Gebet stets völlige körperliche Heilung erfolgt. Es ist von Besserung die Rede, die keineswegs nur körperlich sein muss, auch geistlich-seelisch sein kann. Gott verbietet nicht die Medizin. Christus hat unsere Sünde getragen, aber er hat, wie dies und auch Röm. 7 deutlich macht, nicht die Folgen der Sünde in dieser Zeit für uns schon völlig beseitigt. Hier wird deutlich, wie weit die Pfingst- und charismatische Bewegung von der biblischen Theologie des Kreuzes entfernt ist, wie sehr sie einer Theologie der Herrlichkeit fröhnt (was sich übrigens auch darin zeigt, wie wenig letztlich, trotz formalem Bekenntnis zur Verbalinspiration und Irrtumslosigkeit der Schrift zumindest bei der alten Pfingstbewegung, tatsächlich die Bibel und ihre Lehre und die vollmächtige Wirkung des Wortes, Joh. 6,62, gilt).

Was ist daraus zu schließen? Wie wir schon feststellen mussten, dass der Geist, der bei der „Geistestaufe“ der Pfingstler und Charismatiker weitergegeben wird, ein falscher Geist, ein Geist von unten ist, so ist es nur folgerichtig, dass auch die „Zeichen und Wunder“, die er hervorbringt, nur Imitationen, Nachäffungen dessen sind, was der wahre Heilige Geist bewirkt – und dazu dem widerspricht, was wir in der Heiligen Schrift finden, sowohl was das Auftreten der damaligen Zeichen und Wunder angeht, die anders waren, als auch, was die Frage angeht, ob für heute überhaupt solche Zeichen und Wunder zu erwarten sind, eine Frage, die gemäß Mark. 16,20 und Hebr. 2,4 klar mit Nein zu beantworten ist. Tatsache ist weiter, dass die Gemeinde Jesu Christi zu ihrem missionarischen Wirken diese Zeichen und Wunder auch gar nicht benötigt, wie auch Jesu Christi sie in seinen Lehrreden über das Wirken des Heiligen Geistes Joh. 14-16 nicht erwähnt. 1. Kor. 12-14 sind daher auf die „Zeichen und Wunder“ der Pfingstler und Charismatiker gar nicht anwendbar, da es sich dabei ja nicht um Zeichen und Wunder des Heiligen Geistes handelt.

 

Warnung Jesu Christi vor den falschen Zeichen und Wundern in der letzten Zeit

Tatsache ist weiter, und das sollte allen sehr zu denken geben, dass vielmehr unser Heiland und Herr in der Endzeitrede Matth. 24 die letzte Zeit als eine solche beschreibt, in der viele Verführer auftreten, V. 5, sich viele falsche Propheten erheben und viele verführen, V. 11, dass falsche Christusse erscheinen werden, V. 23.24, dass die falschen Propheten große Zeichen und Wunder tun werden, eben um in den Irrtum zu verführen, V. 24. (In besonderer Weise gilt dies ja vom Antichristen, 2. Thess. 2,9.10, weshalb gerade bei Rom die (falschen) Wunder überhäufig sind und viele dadurch verführt werden.)

 

Der Glaube gründet auf dem Wort und den Sakramenten

Unser Glaube soll gemäß Luk. 16,31; Joh. 17,20; Eph. 2,19-21; 2. Tim. 3,14-17 nicht auf Zeichen und Wunder, nicht auf besondere Erfahrungen, nicht auf besondere Ereignisse gegründet sein, sondern allein auf das Wort, die Heilige Schrift. Jesus Christus warnt davor, unseren Glauben auf Zeichen und Wunder zu gründen, Joh. 4,48 ff.; 1. Kor. 1,22; 12,31. Dies gilt besonders in der letzten Zeit, wo die Verführung durch falsche Lehrer, falsche Christusse, auch falsche Zeichen und Wunder besonders groß ist. Darum ist es unbedingt wichtig, dass die Gemeinde Jesu Christi fest gegründet ist in der biblischen Lehre – und diese Lehre auch verbindlich ist für Lehre und Leben der Kirche und der einzelnen Christen, etwa gerade auch hinsichtlich Kirchengemeinschaft und missionarischer Arbeit. Die Pfingst- und charismatische Bewegung hat dagegen eine sehr starke Neigung, der persönlichen Erfahrung, dem Sensationellen, Spektakulären ein großes Gewicht zu geben, das dann auch das objektive Gotteswort verdrängt. Damit hängt auch eine Neigung zur Mystik zusammen.

Es ist auch irrig, wenn behauptet wird, durch Zeichen und Wunder kämen Menschen zum Glauben. Die Bibel, besonders im Johannesevangelium 2; 3; 6-8; 12,37 f., bezeugt es anders. Der „Glaube“, der da entspross, war kein rettender Glaube, sondern bloßes oberflächliches Hängen an dem Wundermann Jesus. Wahrer, rettender Glaube entsteht durch das Wort, hält sich an das Wort und gehorcht ihm, Joh. 6,63 ff.

Wir sind vor dem Jüngsten Tag als Gemeinde Jesu Christi zum Glauben aufgerufen, nicht zum Schauen, 2. Kor. 5,7, und darum allein an das Wort Gottes, die Bibel, gebunden, nicht an menschliche Erfahrungen. Die Macht Jesu können und sollen wir erkennen durch die Wunder, die unser Herr damals getan hat, Joh. 20,31.

 

Sogenannte „Geistliche Kampfführung“

Durch die Charismatische Bewegung und die sogenannte „Dritte Welle“ ist eine angebliche „geistliche Kampfführung“ aufgebracht worden. Damit in engem Zusammenhang steht die Behauptung, dass Städte, Regionen, Länder, Kontinente von Dämonen gefangen gehalten würden und durch Gebetsversammlungen, Gebetsmärsche („Jesusmärsche“) und ähnliches diese Dämonen vertrieben werden könnten, so dass diese Gebiete dann für Erweckungen frei würden.

Die Bibel aber kennt diese geistliche Kampfführung überhaupt nicht. Wir wissen nur, dass es in der unsichtbaren Welt Kämpfe gibt, mehr nicht. Sie gibt uns nirgends Anweisungen, Dämonen zu identifizieren; wir sollen auch nicht offensiv den Kampf gegen die finsteren Mächte führen, sondern nur da, wo wir angegriffen oder herausgefordert werden, ihnen entgegen treten.69a

 

 

Quellenangaben:

 

Jay E. Adams: Befreiende Seelsorge. 7. Aufl. Gießen und Basel 1984.

Heinrich Dallmeyer: Die Zungenbewegung. 3. Aufl. Langenthal 1989.

Rudolf Ebertshäuser: Die Charismatische Bewegung im Licht der Bibel. Bielefeld 1995.

Flugfeuer fremden Geistes. 4.Aufl. Denkendorf 1976.

Robert J. Koester: The Pentecostal and Charismatic Movement (Wisconsin Lutheran Seminary Library, Internet)

Robert Krueger: The Pentecostal Movement and Lutheran Theology (WLS Library, Internet)

Lutheran Church – Missouri Synod, Commission on Theology and Church Relations: The Charismatic Movement and Lutheran Theology. 1972.

F.E. Mayer: The Religious Bodies of America. 4th ed. St. Louis, Missouri 1961.

Richard Mayhue: Dein Glaube hat dich geheilt. Bielefeld 1999.

Wolfgang Nestvogel, Manfred Weise (Hrsg.): Heil oder Heilung? Oerlinghausen 2007.

 

 

Kapitel 13

 

Der köstlichere Weg – das Hohelied der Liebe im Neuen Testament (13,1-13)

    1 Wenn ich mit Menschen– und mit Engelszungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. 2 Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. 3 Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze.

    4 Die Liebe ist langmütig und freundlich; die Liebe eifert nicht; die Liebe treibt nicht Mutwillen; sie bläht sich nicht auf; 5 sie stellt sich nicht ungebärdig; sie sucht nicht das Ihre; sie lässt sich nicht erbittern; sie trachtet nicht nach Schaden; 6 sie freut sich nicht der Ungerechtigkeit; sie freut sich aber der Wahrheit; 7 sie verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.

    8 Die Liebe hört nimmer auf, so doch die Weissagungen aufhören werden, und die Sprachen aufhören werden, und die Erkenntnis aufhören wird. 9 Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser Weissagen ist Stückwerk. 10 Wenn aber kommen wird das Vollkommene, dann wird das Stückwerk aufhören. 11 Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindisch war. 12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. 13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

 

    Der hohe Wert der Liebe (V. 1-3): Paulus hatte in der Einleitung zu diesem herrlichen Lobgesang auf die vollkommene christliche Liebe geschrieben, dass er seinen Lesern den höchst vortrefflichen Weg zeigen wolle, um der besseren geistlichen Gaben teilhaftig zu werden, derjenigen, die für die Erbauung der Gemeinde von größerem Wert sind, der Weisheit, der Erkenntnis, der Prophetie. Dieser Weg, der nach dem Besitz der Gaben strebt, die am meisten zum Dienst am Mitchristen und an der Kirche beitragen, ist der Weg der Liebe. Die höchste Vorzüglichkeit dieser Gabe Gottes wird auf wunderbare Weise deutlich: Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen rede, aber ohne Liebe bin, so bin ich ein tönendes Erz und eine klingende Zimbel geworden. Bei der Gegenüberstellung der verschiedenen Gaben des apostolischen Zeitalters mit den besseren Gaben, die durch die Liebe zum Ausdruck kommen, erwähnt der Apostel vor allem die Gabe der Zungenrede. Bei jemandem, der diese Gabe besaß, ersetzte eine eigentümliche Ekstase die gewöhnliche Funktion des Verstandes, und in diesem Zustand gebrauchte der Geist Gottes die Zunge in neuen und fremden Sprachen, um die großen Werke Gottes zu preisen. Wenn aber ein Mensch diese Gabe in einem ganz außergewöhnlichen Maße besaß, wenn er nicht nur das Pfingstwunder, sondern auch ekstatische und unartikulierte Formen der Rede verkörperte, die besonderer Dolmetscher bedurften; ja, wenn diese mystische Äußerung solche Höhen erreichte, dass er in den unaussprechlichen Formen der himmlischen Sprache reden konnte; wenn er aber keine Liebe zu seinen Brüdern in seinem Herzen hatte, würde diese wunderbare Gabe keinen Wert für ihn haben. Wie ein totes Blechinstrument wäre er geworden, wie eine klappernde Zimbel, die beide einen Ton von sich geben, wenn man sie anschlägt, die eine einen dumpfen, tiefen, die andere einen schrillen, durchdringenden, aber absolut ohne Leben. Man beachte, dass hier der Gedanke der Instrumentalität hervorgehoben wird. Der Christ, der irgendeine Gabe besitzt, ist ein Werkzeug des Heiligen Geistes, indem er sie zum Dienst an seinem Nächsten einsetzt. Wer seine Gaben vor anderen zur Befriedigung der Eitelkeit, zur Schau und in der Erwartung von Lob zur Schau stellt, zieht sich die schärfste Zurechtweisung Gottes zu.

    Paulus verweist auf eine zweite Gabe: Und wenn ich die Weissagung habe und alle Geheimnisse und alle Erkenntnis kenne, - die Weissagung in ihrer weitesten Ausdehnung ist nichts ohne die Liebe. Die Gabe der Prophetie ist eine höhere Gabe als die der Zungenrede, denn sie dient unmittelbar der Erbauung der Gemeinde, indem sie die Zukunft enthüllt und ernste Ermahnungen mit dieser Form der Verkündigung der Geheimnisse Gottes verbindet. Einige der ersten Christen besaßen diese Gabe in einem solchen Ausmaß, dass sie Einblick in die Geheimnisse Gottes hatten und die Herrlichkeiten seines Wesens darlegen konnten. „Man kann ein Prophet sein und nur wenige Geheimnisse kennen; und man kann alle Geheimnisse kennen und doch einen anderen Punkt der Erkenntnis vermissen.“[70] Wäre ein solcher Mensch nicht von der Liebe beseelt, die ihre höchste Freude darin findet, dem Nächsten zu dienen, dann könnte sein Werk zwar heilsame Wirkungen haben, aber er selbst würde als unwürdig ausgestoßen werden. Und so ist es auch mit der Gabe des Herzens: Und wenn ich allen Glauben hätte, einen Berg nach dem anderen abzutragen, aber keine Liebe hätte, würde ich vor Gott wieder nichts gelten. Man kann einen heroischen Glauben haben, ein Vertrauen, das Wunder wirkt, Matth. 17,20; 21,21, und doch persönlich wertlos sein. Denn ein solcher Glaube begreift Christus nur in seiner wundersamen Kraft und ist nicht unbedingt die Folge eines rettenden Glaubens. Aber ohne Liebe ist ein Mensch, obwohl er mit diesen höchst bemerkenswerten Gaben ausgestattet ist, die auch so hoch geschätzt werden und von so wunderbarem Wert sein können und auf eine besondere göttliche Gunst hinzuweisen scheinen, in Wirklichkeit eine bloße Nichtigkeit in den Augen Gottes.

    Es mag sogar Äußerungen geben, die alle Anzeichen echter Nächstenliebe zu haben scheinen: Und wenn ich mein ganzes Vermögen an die Armen verteile, wenn ich es nach und nach verschenke, bis ich nichts mehr habe, und wenn das Opfer, das ich bringe, darin gipfelt, das Leben selbst zu opfern, den Märtyrertod in seiner schlimmsten Form zu erleiden, aber das Motiv für all das ist nicht die Liebe, dann hat es vor Gott überhaupt keinen Wert. Hieronymus schreibt: „Es ist schrecklich zu sagen, aber wahr: Wenn wir das Martyrium ertragen, um von unseren Brüdern bewundert zu werden, dann ist unser Blut umsonst vergossen worden.“ Dass jemand all sein Hab und Gut den Bedürftigen gibt, dass er Leib und Leben opfert, kann wie ein Akt reiner Liebe aussehen, aber es kann auch aus selbstsüchtigen Motiven heraus geschehen und den eigenen Zweck verfolgen und wird deshalb zu seiner Verurteilung führen.

    Anmerkung: Was der Apostel hier lehrt und sehr eindrücklich anmahnt, sollten auch die Christen von heute beherzigen. Die außerordentlichen Gaben der apostolischen Zeit sind in unseren Gemeinden heute nicht mehr zu finden, aber es gibt noch die im vorigen Kapitel erwähnten Gaben. Der eine besitzt einen reichen Schatz an christlichem Wissen, ein anderer hat die Gabe, von göttlichen Dingen klar, interessant und tröstlich zu reden, einem dritten ist ein ungewöhnliches Maß an Glaubensstärke, an christlicher Tatkraft gegeben worden. Und so kann es leicht geschehen, dass ein Christ oder ein christlicher Prediger oder Lehrer einen gewissen Stolz auf seinen Verstand und sein Wissen empfindet, ein gewisses Maß an Befriedigung über seine Fähigkeit, durch sein Reden Eindruck zu machen, über seine guten Werke, seine Gaben an die Armen, seinen Eifer für Gottes Reich und Ehre, anstatt nur die Erbauung seiner Brüder im Auge zu haben. Ein solcher Mensch sollte bedenken, dass er vor Gott mit all seinem Wissen und seinen Werken nichts ist, nichts wert ist und nichts gewinnen wird, wenn sein einziger Beweggrund nicht die selbstlose Liebe ist, die aus dem wahren Glauben fließt.[71]

 

    Eine Beschreibung der wahren Liebe (V. 4-7): Der Apostel schildert hier die Bruderliebe, indem er sie personifiziert, sowohl von der negativen als auch von der positiven Seite; er gibt keine abstrakte Definition, sondern beschreibt die Liebe in ihrer Substanz, ihrem Verhalten und ihren Handlungen. Inmitten der Sünden, Übel und Prüfungen der gefallenen Welt leidet die Liebe lange, ist langmütig, geduldig gegenüber verletzenden und provozierenden Personen. Luther schreibt: „Vor allem ist die Liebe langmütig, d.h. geduldig, sie ist nicht eilig und schnell zum Zorn, zur Rache, zur Ungeduld und zum Beharren auf dem eigenen Recht, sondern ist geduldig und erträgt die Ungerechten und Schwachen, bis sie endlich kommen.“ Die Liebe ist gütig, wohlwollend; sie erweist anderen einen gnädigen, wohlwollenden Dienst, ist voll guten Willens gegen jedermann in Taten, Worten und Verhalten. Wie der Herr Geduld hat mit den Sündern, mit den Schwächen seiner Auserwählten, 2. Petr. 3,9; Luk. 18,7; wie er gut und freundlich ist, 1. Petr. 2,3, und seine Güte in Christus allen Menschen erwiesen hat, Titus 3,4, so sollen auch alle Christen sich in den Tugenden des Herrn ergehen.

    Die nächsten Sätze zeigen, dass die Liebe sich aller Verhaltensweisen enthält, die den Nächsten verletzen oder ihm schaden können. Die Liebe neidet nicht, sie ist nicht von selbstsüchtigem Eifer, von leidenschaftlichem Ungestüm erfüllt; wenn es nötig ist, im Interesse der Wahrheit zu kämpfen, so geschieht das nie in leidenschaftlichen Ausbrüchen; wenn andere sich durch ihre Person oder ihr Vermögen auszeichnen, so wird die Liebe nur zu freudiger Bewunderung angeregt. Die Liebe gibt nicht mit sich selbst an, sie vermeidet es sorgfältig, sich zu rühmen, zu prahlen, ihre eigenen wirklichen oder vermeintlichen Vorzüge hervorzuheben; die Zurschaustellung von Überlegenheit, besonders von vermeintlicher Überlegenheit, ist das genaue Gegenteil von Liebe. Die Liebe ist nicht aufgeblasen, macht sich nicht der moralischen Unanständigkeit oder des schlechten Geschmacks schuldig, ist nicht stolz auf ihre eigene Überheblichkeit und sieht auf andere als minderwertig herab. Die Liebe verhält sich nicht unanständig, sie hat den richtigen Instinkt für das, was dem Nächsten gegenüber anständig ist, sie verhält sich stets würdevoll und edel, sie ist niemals taktlos, vergisst ihren eigenen Platz und ihre Pflicht und versäumt es, dem anderen die ihm gebührende Achtung, Ehre und Rücksicht zu erweisen. Ein solches Verhalten ist dem Wesen der Liebe entgegengesetzt, die ein stilles, sanftmütiges und demütiges Verhalten verlangt, das im Interesse des Nächsten das Tugendhafte und Ehrenhafte zu übertreffen sucht, um das Herz des Mitchristen zu gewinnen.

    Der Apostel fährt nun mit seiner Beschreibung der Liebe fort, indem er ihre Denkweise, ihren inneren Charakter herausstellt. Die Liebe sucht nicht ihren eigenen Vorteil, ihr eigenes Vergnügen, ihren Gewinn, ihre Ehre; sie ist bereit, auf ihren eigenen Gewinn zu verzichten, wenn es dem Nächsten nur nützt. Und deshalb ist die Liebe nicht verbittert; sie lässt sich nicht durch die Undankbarkeit irritieren, die die Menschen für die ihnen erwiesene Freundlichkeit zeigen. Im Gegenteil, gerade unter diesen Bedingungen nimmt die Liebe keine Rücksicht auf das Böse, wirft es niemandem vor, behält es nicht im Gedächtnis, sondern vergibt es gern und frei. Und im Allgemeinen freut sich die Liebe nicht über das Unrecht, sie freut sich nicht über das Böse, das dem bösen Nächsten widerfährt, und auch nicht darüber, dass er in seinem bösen Tun verharrt. Die Liebe freut sich vielmehr an der Wahrheit, an denen, die auf der Seite des Rechts und der Wahrheit stehen; wenn Gottes Wahrheit über die Mächte der Finsternis siegt und die Menschen von aller Ungerechtigkeit und allem Unrecht frei macht, ist das für alle wahren Christen ein Grund zu großer Freude. Und besonders, wenn ein christlicher Bruder das erhält, was ihm in der Gerechtigkeit zusteht, dann empfindet die Liebe die Freude des Mitgefühls.

    Der Apostel erreicht nun den Höhepunkt in seiner Charakterisierung der Liebe in vier positiven Aussagen. Die Liebe duldet alles, nicht in dem Sinne, dass sie das Unrecht deckt und schützt, sondern in dem Sinne, dass sie das erträgt, was von außen zugefügt werden kann. Die Betonung liegt auf „alles“. Wie schwer auch immer die Beleidigung von Seiten derer sein mag, die die Liebe umarmt hat, die Liebe wird mit unverminderter Kraft weitermachen. Die Liebe glaubt alles; sie weigert sich einfach, den Verdächtigungen des Zweifels und der daraus folgenden Entmutigung nachzugeben; sie findet immer eine Entschuldigung für den Geliebten, verteidigt ihn immer, spricht gut von ihm, macht aus allem das Beste. Obwohl ihre Einfachheit und ihr Vertrauen immer wieder missbraucht werden, glaubt sie immer noch, dass die Dinge so kommen werden, wie sie kommen sollen. Das heißt nicht, dass die Liebe blind ist für die Fehler des Geliebten oder dass sie die Sünden des Bruders nicht tadeln würde. Aber dabei hofft die Liebe auf alles; immer blickt sie in die Zukunft mit der Gewissheit, dass der Geliebte sich den Überzeugungen des Guten beugen wird; sie nimmt alles Unangenehme, alle Schwierigkeiten der Situation auf sich, immer mit der Hoffnung, dass die Arbeit der Liebe nicht für immer vergeblich sein kann. Und so erträgt die Liebe alles, sie gibt nie auf, wenn sie besiegt wird. „Hier sehen wir die innere Kraft der Liebe: ihr Haupt hoch erhoben, ihre Augen hell und leuchtend, ihre Hand fest und treu, ihr Herz stark durch die Kraft von oben.“[72] So beschreibt Paulus die brüderliche Liebe, die zugleich das Vorbild jener Liebe ist, die wir allen Menschen, auch unseren Feinden, schulden. Wenn wir uns diese Eigenschaft stets vor Augen halten, dann kann es nicht ausbleiben, dass das Bild in unseren Herzen den Wunsch weckt, die wahre Liebe in dieser höchsten und besten Form zu besitzen und alles zu meiden, was mit dem hier skizzierten herrlichen Bild nicht übereinstimmt.

 

    Die Liebe bleibt ewig (V. 8-13): Der erste Satz ist das Thema des letzten Abschnitts dieses Kapitels: Die Liebe versagt nie, sie übertrifft alle Gaben, sie hört nie auf zu existieren; wie der ewige Gott, dem sie ihr Dasein verdankt, währt sie ewig. Die Gabe der Weissagung, der Inspiration durch den Herrn, der Vorhersage künftiger Ereignisse und der Erklärung des Wortes Gottes in diesem Zusammenhang, wird vergehen, nutzlos und nichtig werden, abgeschafft werden. Da der Inhalt aller Prophezeiungen in Erfüllung gehen wird, da alles Verborgene klar offenbart werden wird, wird es dann keine Prophetie mehr brauchen. Die Gabe der Zungen, der ekstatischen Äußerungen in fremden und unbekannten Sprachen, wird aufhören, da sie nur eine vorübergehende Bedeutung hatte; sie verfiel und endete, als ihr Ziel erreicht war. Die Gabe der Erkenntnis, des Begreifens der geoffenbarten Dinge, wird abgeschafft werden. Es wird eine Zeit kommen, in der sie, wie alle anderen, ihren Zweck erfüllt hat und deshalb für immer abgeschafft wird.

    Da die Behauptung, dass die Gaben der Erkenntnis und der Prophetie aufhören werden, seltsam erscheinen mag, erklärt Paulus seine Aussage: Denn zum Teil wissen wir, und zum Teil weissagen wir; wenn aber das Vollkommene kommt, wird das Unvollkommene aufhören. Unser Wissen in dieser Welt ist unvollkommen, unzureichend für ein vollständiges Verständnis Gottes, seines Wesens, seines Willens. Es sind nur kleine Teile der ewigen, himmlischen Wahrheit, die wir verstehen, selbst mit unserer erleuchteten christlichen Vernunft. Wir haben keinen umfassenden Überblick über das Ganze, über den Zusammenhang der göttlichen Gedanken und Ratschlüsse; die Fülle der Größe und Majestät Gottes ist uns noch verborgen. Wir wissen nur so viel von Gottes Wesen und Willen, wie für unser Heil notwendig ist. Und die erleuchtetsten und inspiriertesten Kommentatoren der Bibel sind nur in der Lage, durch die Offenbarung, die uns im Evangelium gegeben wird, einen flüchtigen Blick auf die Geheimnisse der geistigen Welt, auf die himmlischen Herrlichkeiten zu werfen. Aber dieser unvollkommene Zustand wird aufhören, das teilweise Erkennen und Prophezeien wird ein Ende haben, sobald das Vollkommene erscheint, so wie die Morgenröte verschwindet, wenn die Sonne in vollem Glanz über dem Horizont aufgeht. Wenn Christus in Herrlichkeit wiederkommen wird, wenn wir mit ihm im Himmel verherrlicht werden, dann werden alle Unvollkommenheiten dieser gegenwärtigen Erkenntnis hinter uns liegen.

    Der große Unterschied zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Zustand wird im Text durch den Unterschied zwischen dem Stand eines Kindes und dem Stand eines Mannes veranschaulicht: Als ich ein Kind war, sprach ich wie ein Kind, ich dachte wie ein Kind, ich argumentierte wie ein Kind; meine Sprache, meine Ziele und meine geistige Aktivität waren die eines kleinen Kindes, unreif, unvollkommen. Unsere Vorstellungen von den himmlischen, göttlichen Dingen entsprechen heute nicht der Herrlichkeit und Würde des Subjekts. Jetzt, wo ich ein Mann geworden bin, habe ich die Dinge des Kindes abgeschafft; der Erwachsene hat nicht mehr die unvollkommenen, unreifen Meinungen und Vorstellungen des Kindes. So ist auch die volle, reife, vollständige Erkenntnis Gottes der jenseitigen Welt vorbehalten. Aber beachte, dass wir im Himmel dieselben göttlichen, schönen, geistigen Dinge haben werden, die uns jetzt in der Welt erfreuen: Das, was wir jetzt nur zum Teil verstehen und kennen, wird uns dann in seiner Gesamtheit, in der vollen Herrlichkeit seines Wesens offenbart werden. Wie die Blüte ihre Blütenblätter verliert, aber ihren Kern behält, der schließlich zur vollkommenen Frucht heranreift, so werden wir die unvollkommenen Meinungen unseres Verstandes abstreifen, während wir den Kern in seinem voll entwickelten Zustand behalten und seine Frucht im Himmel sehen.

    Der Gegensatz zwischen der gegenwärtigen unvollkommenen und der zukünftigen vollkommenen Erkenntnis wird durch ein anderes Bild veranschaulicht: Denn jetzt sehen wir durch einen Spiegel, in einem Rätsel; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Die alten Spiegel waren aus poliertem Metall, das ein Bild nur schwach reflektierte, ohne scharfe und deutliche Umrisse; so sehen wir die Herrlichkeiten Gottes, die uns in seinem Wort angeboten werden, nicht, weil das Wort dunkel ist, sondern weil unser Verstand nicht ausreicht, um die Wunder seines Wesens und seiner Eigenschaften zu erfassen. Und wir sehen in einem Rätsel, was wir oft für ein Rätsel halten; wegen unseres verfinsterten Verstandes, selbst in unserem wiedergeborenen Zustand, bereitet uns die Ausdrucksweise des Herrn in seinem Wort oft Schwierigkeiten, wir können oft nur eine undeutliche und unsichere Vorstellung von seiner Bedeutung bekommen. Das sagt der heilige Paulus ganz offen, indem er seine eigene Person zum Beispiel für die Christen im Allgemeinen macht: Jetzt erkenne ich nur zum Teil, dann aber werde ich erkennen, wie auch ich erkannt werde. Weil der Herr die himmlischen Geheimnisse an die unvollkommene Sprache der Menschen anpassen musste, weil er seine ewigen, göttlichen Gedanken in Worte, Ausdrücke, Bilder, Gleichnisse kleiden musste, die dieser vergänglichen Welt entnommen sind, deshalb muss die Vollkommenheit der göttlichen Herrlichkeit unseren Augen verborgen bleiben. Aber im Himmel wird jeder Gläubige die Fülle des göttlichen Wesens, der göttlichen Eigenschaften, der göttlichen Pläne, der göttlichen Ratschlüsse in einem vollkommenen und gesegneten Verständnis sehen, kennen und verstehen, so gründlich, wie er selbst von Gott erkannt wurde, als der Herr sein Herz bei der Bekehrung veränderte. Es ist ein vollkommenes und gesegnetes Wissen von Gott. Gott wird dann nichts Fremdes, Fremdes, Feindliches mehr zwischen ihm und uns sehen. Alle unsere Sünden werden völlig aus seinem Blickfeld entfernt sein. Luther schreibt: „Ich werde Ihn dann auf die klarste Weise erkennen, ohne Bedeckung; denn die Bedeckung ist nicht von Ihm genommen, sondern von mir, denn Er hat keine vor sich.“ Im Himmel werden wir Gott endlich in Liebe durch direkten Kontakt erkennen, und alles vermittelte, unvollkommene Wissen, das uns jetzt möglich ist, wird weit zurückgelassen und in der Seligkeit des vollkommenen Heils ganz vergessen sein. Vgl. Ps. 17,15.

    Die Aussicht auf diese wunderbare Seligkeit veranlasst den Apostel, seinen Psalm der Liebe mit einem wunderbaren Ausbruch triumphaler Freude zu schließen: Aber es bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Alle anderen Gaben, alle anderen Tugenden vergehen, diese drei bleiben für immer. Glaube, Hoffnung, Liebe bleiben in der Ewigkeit, weil das, was ein Christ glaubt, hofft, liebt, ewig bleibt, weil Gott ewig ist, mit dem wir in Glaube, Hoffnung und Liebe verbunden sind. Diese Schlussfolgerung wird durch die Aussage, dass alle unvollkommenen Dinge abgeschafft werden, praktisch gefordert. Denn von diesen dreien sagt der Apostel nicht, dass sie unvollkommen sind, dass wir zum Teil glauben, zum Teil hoffen, zum Teil lieben. Der Glaube, auch der schwache Glaube, obwohl er Gott nur zum Teil kennt, nimmt doch als rettender Glaube den ganzen Gott, den ganzen Christus, die ganze Erlösung in Christus, die ganze Vergebung der Sünden an. Auch die Hoffnung, die nur einige Strahlen der zukünftigen Herrlichkeit sieht und kennt, hat die ganze zukünftige Welt zum Gegenstand. Und die Liebe konzentriert sich auf den ganzen dreieinigen Gott unseres Heils, nicht auf einen kläglichen Rest. Aber die Liebe ist nicht beständiger, sondern größer unter diesen, die größte der drei. Auch Glaube und Hoffnung bleiben ewig, denn das, woran wir glauben, das, worauf wir hoffen, bleibt ewig. Aber das Wesen des Glaubens und der Hoffnung wird vergehen; denn was wir hier geglaubt und gehofft haben, werden wir dort besitzen und genießen. Unser Glaube wird die Vollkommenheit seines Zustandes im Schauen erreichen; unsere Hoffnung wird im Genießen vollendet werden. Aber unsere Liebe zu Gott und Christus, und damit auch zu allen unseren Brüdern, wird völlig unverändert sein, nur geläutert, denn alle Hindernisse, die hier die Tätigkeit der Liebe behindern, werden dort beseitigt sein. Im Himmel wird die Liebe ganz frei und ungehindert sich bewähren können, und überall wird sie Gegenliebe finden und so in der Gemeinschaft Gottes, der heiligen Engel und aller Heiligen gesegnet werden.

    Anmerkung: Die Tatsache, dass die Liebe hier als die größte Tugend bezeichnet wird, widerspricht in keiner Weise der Tatsache, dass der Glaube das einzige Mittel zur Erlangung des Heils ist. „Aber sie [unsere Gegner] wenden ein, dass die Liebe dem Glauben und der Hoffnung vorgezogen wird. Denn Paulus sagt, 1. Korinther 13,13: Die größte unter ihnen ist die Liebe. Nun ist es vernünftig, dass die größte und wichtigste Tugend rechtfertigt. ... Dennoch wollen wir den Gegnern zugestehen, dass die Liebe zu Gott und zum Nächsten die größte Tugend ist, denn das Hauptgebot ist dieses: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben“, Matthäus 22, 37. Aber wie wollen sie daraus ableiten, dass die Liebe rechtfertigt? Die größte Tugend, sagen sie, rechtfertigt. Mitnichten. [Es wäre wahr, wenn wir wegen unserer Tugend einen gnädigen Gott hätten. Es ist aber oben bewiesen worden, dass wir um Christi willen angenommen und gerechtfertigt sind, nicht um unserer Tugend willen; denn unsere Tugend ist unrein.] Denn wie auch das größte oder erste Gesetz nicht rechtfertigt, so rechtfertigt auch die größte Tugend des Gesetzes nicht. [Denn da das Gesetz und die Tugend höher sind und unsere Fähigkeit, dasselbe zu tun, entsprechend geringer, sind wir nicht gerecht wegen der Liebe.] Aber jene Tugend rechtfertigt, die Christus begreift, die uns die Verdienste Christi mitteilt, durch die wir Gnade und Frieden von Gott empfangen. Diese Tugend aber ist der Glaube. Denn wie oft gesagt worden ist, ist der Glaube nicht nur Wissen, sondern vielmehr Bereitschaft, das zu empfangen oder zu begreifen, was in der Verheißung über Christus angeboten wird.[73]

 

Zusammenfassung: Der Apostel lobt den hohen Wert der Liebe, beschreibt ihre wesentlichen Merkmale und beschreibt ihre ewige Dauer.

 

 

Kapitel 14

 

Der Gebrauch der geistlichen Gaben im öffentlichen Gottesdienst (14,1-40)

    1 Strebt nach der Liebe! Befleißigt euch der geistlichen Gaben, am meisten aber, dass ihr weissagen könnt. 2 Denn der mit der Zunge redet, der redet nicht den Menschen, sondern Gott. Denn ihm hört niemand zu; im Geist aber redet er die Geheimnisse. 3 Wer aber weissagt, der redet den Menschen zur Besserung und zur Ermahnung und zur Tröstung. 4 Wer mit Zungen redet, der bessert sich selbst; wer aber weissagt, der bessert die Gemeinde. 5 Ich wollte, dass ihr alle mit Zungen reden könntet, aber viel mehr, dass ihr weissagtet. Denn der da weissagt, ist größer, als der mit Zungen redet, es sei denn, dass er es auch auslege, dass die Gemeinde davon gebessert werde. 6 Nun aber, liebe Brüder, wenn ich zu euch käme und redete mit Zungen, was wäre ich euch nütze, so ich nicht mit euch redete entweder durch Offenbarung oder durch Erkenntnis oder durch Weissagung oder durch Lehre?

    7 Hält sich’s doch auch so in den Dingen, die da lauten und doch nicht leben, es sei eine Pfeife oder eine Harfe; wenn sie nicht unterschiedliche Stimmen von sich geben, wie kann man wissen, was gepfiffen oder geharft ist? 8 Und so die Posaune einen undeutlichen Ton gibt, wer will sich zum Streit rüsten? 9 Also auch ihr, wenn ihr mit Zungen redet, wenn ihr nicht eine deutliche Rede gebt, wie kann man wissen, was geredet ist? Denn ihr werdet in den Wind reden. 10 Zwar es ist mancherlei Art der Stimmen in der Welt, und deren ist doch keine undeutlich. 11 Wenn ich nun nicht weiß der Stimme Deutung, werde ich undeutsch sein dem, der da redet, und der da redet, wird mir undeutsch sein. 12 Also auch ihr, da ihr euch befleißigt der geistlichen Gaben, trachtet danach, dass ihr die Gemeinde bessert, damit ihr alles reichlich habt. 13 Darum, wer mit Zungen redet, der bete so, dass er’s auch auslege.

    14 Wenn ich aber mit Zungen bete, so betet mein Geist; aber mein Sinn bringt niemand Frucht. 15 Wie soll es aber denn sein? Nämlich also: Ich will beten mit dem Geist und will beten auch im Sinn; ich will Psalmen singen im Geist und will auch Psalmen singen mit dem Sinn. 16 Wenn du aber segnest im Geist, wie soll der, so anstatt des Laien steht, Amen sagen auf deine Danksagung, da er nicht weiß, was du sagst? 17 Du danksagst wohl fein; aber der andere wird nicht davon gebessert. 18 Ich danke meinem Gott, dass ich mehr mit Zungen rede als ihr alle. 19 Aber ich will in der Gemeinde lieber fünf Worte reden mit meinem Sinn, damit ich auch andere unterweise, als sonst zehntausend Worte mit Zungen. 20 Liebe Brüder, werdet nicht Kinder an dem Verständnis, sondern an der Bosheit seid Kinder; an dem Verständnis aber seid vollkommen.

    21 Im Gesetz steht geschrieben: Ich will mit anderen Zungen und mit anderen Lippen reden zu diesem Volk, und sie werden mich auch also nicht hören, spricht der HERR. 22 Darum so sind die Zungen zum Zeichen, nicht den Gläubigen, sondern den Ungläubigen; die Weissagung aber nicht den Ungläubigen, sondern den Gläubigen. 23 Wenn nun die ganze Gemeinde zusammenkäme an einem Ort und redeten alle mit Zungen, es kämen aber hinein Laien oder Ungläubige, würden sie nicht sagen, ihr wärt unsinnig? 24 So sie aber alle weissagten und käme dann ein Ungläubiger oder Laie hinein, der würde von denen allen gestraft und von allen gerichtet. 25 Und so würde das Verborgene seines Herzens offenbar, und er würde also fallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig in euch sei.

    26 Wie ist ihm denn nun, liebe Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeglicher Psalmen, er hat eine Lehre, er hat Zungen, er hat Offenbarung, er hat Auslegung. Lasst es alles geschehen zur Besserung! 27 So jemand mit der Zunge redet oder zween oder aufs meiste’ drei, eins ums andere; so lege es einer aus. 28 Ist er aber nicht ein Ausleger, so schweige er unter der Gemeinde, rede aber bei sich selber und Gott, 29 Die Weissager aber lasst reden, zwei oder drei, und die andern lasst richten. 30 Wenn aber eine Offenbarung geschieht einem anderen, der da sitzt, dann schweige der erste. 31 Ihr könnt wohl alle weissagen, einer nach dem anderen, damit sie alle lernen und alle ermahnt werden. 32 Und die Geister der Propheten sind den Propheten untertan. 33 Denn Gott ist, nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens wie in allen Gemeinden der Heiligen.

    34 Eure Frauen lasst schweigen unter der Gemeinde; denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, dass sie reden, sondern untertan sein, wie auch das Gesetz sagt. 35 Wollen sie aber etwas lernen, so lasst sie daheim ihre Männer fragen. Es steht den Frauen übel an, unter der Gemeinde zu reden. 36 Oder ist das Wort Gottes von euch auskommen, oder ist’s allein zu euch gekommen? 37 Wenn sich jemand lässt dünken, er sei ein Prophet oder geistlich, der erkenne, was ich euch schreibe; denn es sind des HERRN Gebote. 38 Ist aber jemand unwissend, der sei, unwissend. 39 Darum, liebe Brüder, befleißigt euch des Weissagens und wehrt nicht, mit Zungen zu reden. 40 Lasst alles ehrlich und ordentlich zugehen!

 

    Die Gabe der Weissagung ist größer als die der Zungenrede (V. 1-6): Um seine Ermahnungen fortzusetzen, greift Paulus hier noch einmal auf seinen großen Psalm zum Lob der Liebe zurück: Trachtet nach der Liebe! Das sollte ihr Hauptanliegen sein, denn, wie es ein Ausleger formuliert: Die Liebe ist die Herrin; alle geistlichen Gaben sind Dienerinnen, Mägde. Während die Korinther also weiterhin eifrig nach der Liebe streben, sollen sie sich auch um die geistlichen Gaben bemühen, wobei der Gebrauch aller Gaben zur Auferbauung der Gemeinde durch den von der Liebe gesetzten Maßstab geregelt wird. Und in dieser Hinsicht steht die Gabe der Weissagung über den anderen, denn ihr Hauptzweck war es, andere in den Dingen ihres Heils zu lehren und zu unterweisen. Diese Gabe sollten sie mehr als alle anderen Gaben begehren, auch mehr als die Gabe der Zungenrede, die natürlich einen tiefen Eindruck auf die Korinther machte und als besonders wünschenswert angesehen wurde.

    Der Apostel gibt die Gründe für seine Bevorzugung an: Denn wer mit einer Zunge redet, in einer fremden Sprache, die durch den Geist hervorgerufen wird, besonders wenn dies im öffentlichen Gottesdienst geschieht, der spricht nicht zu den Menschen, sondern zu Gott; die Menschen haben keinen Nutzen von seinem Reden, weil sie ihn nicht verstehen können. Die Menschen haben keinen Nutzen von seiner Rede, denn sie können ihn nicht verstehen. Sie hören den Klang seiner Stimme, aber sie haben keine Vorstellung von der Bedeutung seiner Äußerungen, denn im Geist spricht er Geheimnisse, die Geheimnisse Gottes bleiben weiterhin verborgen, verborgen vor den Zuhörern und wahrscheinlich auch vor dem Sprecher. Der Prophet hingegen, der Mann, der die Gabe der Weissagung hat, spricht zu den Menschen; seine Rede, die von ihnen verstanden wird, dient als Kommunikationsmittel; er vermittelt ihnen Ideen, Erbauung und Ermahnung und Trost. Die Rede des Propheten dient dazu, die Christen in der Erkenntnis wachsen zu lassen und so den Fortschritt der Kirche zu fördern; sie ermahnt sie, sie spornt sie an, sich ernsthafter ihrer christlichen Pflicht zu widmen; sie gibt ihnen geistliche Kraft und Trost, wenn sie in Gefahr sind, von Angst überwältigt zu werden. Das ist also der Hauptzweck des öffentlichen Gottesdienstes, dass das Wort Gottes gepredigt und angewandt wird, damit die Menschen die Rede verstehen und erbaut, ermahnt und getröstet werden. Dieser Zweck wird bei demjenigen, der mit der Zunge spricht, nicht erreicht. Er erbaut bestenfalls sich selbst, während derjenige, der prophezeit, die Gemeinde erbaut. Es ist wahr, dass derjenige, der in Zungen redete, in seinem Glauben bestätigt wurde, denn er muss die Kraft des Geistes gespürt haben, der seinen Mund als Werkzeug für seine Äußerung benutzte. Aber er war der Einzige, der davon betroffen war, während bei dem, der prophezeite, die versammelte Gemeinde davon profitierte.

    Mit dieser Aussage will Paulus nicht missverstanden werden, als ob er die Gabe der Zungenrede geringschätzen würde: Ich will aber nicht, dass ihr alle in Zungen redet, sondern dass ihr prophezeit. Er macht also keine schwachen Zugeständnisse an die Korinther, er ist sich der Tatsache bewusst, dass die Gabe der Zungenrede einen tiefen Eindruck auf einen Ungläubigen, der in ihre Versammlungen kommt, machen und ihm den Weg zu seiner Bekehrung ebnen könnte; aber für den tatsächlichen, praktischen Gebrauch weiß er, dass die Gabe der Weissagung vorzuziehen ist. Außerdem ist derjenige, der weissagt, größer als derjenige, der mit Zungen redet; er nimmt eine Position von größerer Nützlichkeit und daher auch von größerer Würde ein, es sei denn, derjenige, der mit Zungen redet, hat gleichzeitig die Gabe und die Fähigkeit, seine ekstatischen Äußerungen auszulegen, so dass alle Menschen ihn verstehen können und die Gemeinde dadurch erbaut wird.

    In einer an sie alle gerichteten Frage appelliert Paulus an ihr Urteilsvermögen in dieser Angelegenheit: Nun aber, Brüder, ist die Lage in Korinth zur Zeit so, dass, wenn ich zu euch käme und in Zungen redete, was würde ich euch nützen, was würde ich euch helfen, wenn ich nicht in Offenbarung oder in Erkenntnis oder in Weissagung oder in Lehre zu euch reden würde? Wäre Paulus nur ein Zungenredner gewesen und nicht in der Lage, die Geheimnisse, die der Heilige Geist durch seinen Mund aussprach, zu deuten, so hätte sein Werk offensichtlich keinen Wert gehabt, es sei denn, er hätte sich in verständlicher Rede, in Offenbarung und Prophetie verständlich machen können, indem er die großen Geheimnisse, die er verstand, lehrte, indem er Wissen und Lehre zusammenbrachte. Die Weissagung bezieht sich auf besondere Tatsachen, für deren Verständnis weiteres Licht erforderlich war, auf Geheimnisse, die nur durch Offenbarung bekannt werden konnten; Lehre und Wissen wurden aus dem Glaubensbekenntnis der Christen abgeleitet und dienten dazu, die Gläubigen in der Frage ihres Heils zu bestätigen. Dieser Appell an den gesunden Menschenverstand der Korinther konnte nicht ausbleiben, um sie von der Wahrheit der Argumentation des Paulus zu überzeugen, da sie wussten, dass er stets ihr geistliches Wohlergehen und nicht sein eigenes geistliches Vergnügen und seine eigene Erbauung gesucht hatte.

 

    Öffentliches Sprechen ist nutzlos, wenn es nicht verstanden wird (V. 7-13): Der Apostel zieht hier einen Rückschluss vom Geringeren auf das Größere: Auch die leblosen Dinge geben zwar Töne von sich, wie die Flöte oder die Harfe, aber wenn es keinen Unterschied in ihren Tönen oder Klängen gibt, wie kann man dann das unterscheiden, was geflötet oder geharft wird? Der Apostel bezieht sich hier entweder auf die Qualität der Töne oder auf die Intervalle oder auf die Unterscheidung der Tonhöhen, was auch immer die Musik der verschiedenen Instrumente auszeichnet. Wenn die Spieler es zulassen, dass die Töne in völliger Verwirrung durcheinander laufen, unter völliger Missachtung der Gesetze der Harmonie und der Grenzen der verschiedenen Instrumente, wie kann der Zuhörer dann die Luft erkennen? Anstelle einer Melodie wird er nichts als wirre Geräusche hören. Und wenn die Trompete, die im Krieg oder in der Schlacht die Signale gibt, eine unsichere Stimme von sich gibt, werden die Soldaten nicht unterscheiden können, ob sie vorrücken, sich zurückziehen oder eine andere Bewegung ausführen sollen: eine verhängnisvolle Situation.

    Die Anwendung der beiden Vergleiche ist einfach: Wenn auch ihr nicht mit der Zunge, indem ihr die Gabe der Zungen gebraucht, eine deutliche Rede von euch gebt, Worte, deren Bedeutung für die Hörer klar ist, wie soll das, was gesprochen wird, von den Hörern unterschieden und verstanden werden? Denn ihr werdet solche sein, die in die Luft reden. All das schöne Reden in den kirchlichen Versammlungen, sei es in fremden Sprachen oder in der Sprache, um die das Volk selbst gebeten hat, ist ohne Wert und schlimmer als nutzlos, wenn der Inhalt für die Gemeinde nicht klar ist, wenn die Hörer die fein artikulierten Worte und gut modulierten Sätze des Sprechers nicht verstehen. Merke: Es gibt in unseren Tagen viel zu viele Predigten, die alle Vorzüge der Lehrbücher in Bezug auf Gliederung, Diktion, Absätze usw. verkörpern, denen es aber an dem einen wichtigsten Punkt fehlt: an erbaulicher Klarheit. Das Motto unserer Tage scheint zu sein: Wasch mich, aber mach mich nicht nass; das heißt, auch nicht: Den zerklüfteten Text höflich zurechtstutzen und die Verdammnis schön aus dem Blickfeld halten, oder: Halte die Liebe Gottes mit aller Macht heraus und schließe das Heil aus dem Blickfeld.

    Um die Situation zu verdeutlichen, fügt Paulus das Beispiel der Vielfalt der menschlichen Sprachen und Dialekte hinzu: Es gibt ja so viele verschiedene Stimmen auf der Welt, und keine davon ist stumm. In der großen Zahl von Sprachen auf der ganzen Welt, überall dort, wo Menschen ihre Stimme als Kommunikationsmittel benutzen, gibt es keine einzige, die nicht die Grundvoraussetzung einer Sprache hat: Sie hat eine Bedeutung für jemanden; sie kann von denen verstanden werden, die mit ihr vertraut sind. Wenn ich also die Bedeutung der Stimme nicht kenne, wenn ich ihre Bedeutung nicht verstehe, bin ich für den, der spricht, ein Barbar, und der, der spricht, ist für mich ein Barbar. Das Wort „Barbar“ wurde von den Griechen und Römern auf alle Menschen angewandt, die nicht ihre Sprache sprachen. Eine fremde Sprache ist für mich ein verworrener Jargon von Lauten, und ich kann ihren Sinn nicht verstehen; es kann kein Verstehen geben. So sind alle unausgelegten Zungen im öffentlichen Gottesdienst der Gemeinde nutzlos, und gerade die Tatsache, dass die fremde Sprache einen wertvollen Sinn vermitteln kann, kann umso mehr provozieren.

    Der Apostel wendet dies nun auf die Situation in Korinth an: So auch bei euch; da ihr nach geistlichen Gaben begierig seid, bemüht euch um die Auferbauung der Gemeinde, damit ihr euch darin auszeichnen könnt. Das ist der rechte Eifer im Streben nach geistlichen Gaben, sie nicht zur eigenen Befriedigung und Selbstverherrlichung zu begehren, sondern stets den eigentlichen Zweck aller geistlichen Gaben im Auge zu haben, die Auferbauung der Gemeinde, den Dienst an der Kirche. Wer mit einer Zunge redet, soll darum beten, dass er auslegen kann. Äußerer Eindruck und Prestige zählen in der Kirche nichts, sondern können sogar großen Schaden anrichten. Wenn der Zungenredner sich also hinterher an manches erinnern könnte, was er gesagt hat, während sein Mund das Werkzeug des Heiligen Geistes war, und wenn er das Gesagte in die gewöhnliche, vernünftige Sprache übersetzen könnte, dann wäre das wertvoll, dann wäre seine Gabe für die Gemeinde von Wert. Und deshalb sollte er sich durch Gebet ernsthaft um diese Auslegung seiner eigenen Äußerungen bemühen.

 

    Nur das Verstehen des Sprechens im Geist durch den Hörer führt zu rechter Erbauung (V. 14-20): Da der Zweck jeder Funktion im öffentlichen Gottesdienst darin besteht, den Anwesenden geistlichen Nutzen zu bringen, muss die Gabe der Zungenrede als zweitrangig betrachtet werden: Denn wenn ich in Zungen bete, so betet mein Geist, aber mein Verstand ist ohne Frucht. Wie ein Ausleger schreibt: Die Frucht des Sprechers findet sich im Nutzen des Hörers. Wenn ein Mann im öffentlichen Gottesdienst in Korinth aufstand und mit der ekstatischen Äußerung dieser besonderen Gabe betete, hatte sein eigener Geist zwar den Nutzen, sich als Werkzeug des Heiligen Geistes zu fühlen, aber alle anderen Anwesenden hatten keinerlei Nutzen von seinem Gebet, denn es gab keinen Berührungspunkt zwischen ihnen, sie konnten den Sprecher nicht verstehen, es sei denn, er legte seine Äußerungen auch aus. Was folgt nun aus diesem Sachverhalt? Der Apostel schreibt: Ich will im Geist beten, aber auch mit dem Verstand, mit dem Gemüt; ich will Psalmen singen im Geist, aber auch mit dem Verstand, mit dem Gemüt. Die wunderbaren Äußerungen, die dem Apostel zur Artikulation gegeben wurden, wollte er auch seinen Zuhörern zugänglich machen, sei es in der Form des Gebets oder in der des Gesangs, und dazu war es notwendig, dass er den Inhalt der Zungenrede in der Form der gewöhnlichen Sprache wiedergab. Der Verstand und das Herz des Hörers konnten ohne Auslegung nicht erreicht werden, und ohne diese konnte es keine Erbauung geben.

    Diese Tatsache stellt der Apostel von einer anderen Seite dar: Denn wenn du unter diesen Umständen im Geist segnest, wenn dein Lob zur Ehre Gottes aufgestiegen ist, während du dich in jenem Zustand der Ekstase befandest, der die Zungenrede begleitete, wie wird dann derjenige, der den Platz des Laien, des Uneingeweihten einnimmt, sein Amen zu deinem Segen, zu deiner Doxologie sagen? Das Gebet und der Gesang des Sprechenden in einer unbekannten Sprache mag noch so gehaltvoll sein, der nicht eingeweihte Zuhörer wüsste nicht, worum es geht, und könnte daher nicht mit dem bekannten, aus dem Synagogengottesdienst übernommenen „Amen“ zustimmen, mit dem er zum Ausdruck bringt, dass er das Gebet oder die Doxologie als sein Bekenntnis annimmt. Und so mag der Lobpreis des Sprechers über jeden Tadel erhaben sein, als Produkt des Geistes muss er ausgezeichnet sein, aber er ist verschwendet, was die Erbauung der Gemeinde betrifft.

    Und damit niemand denkt, dass der Tadel des Paulus auch nur von dem geringsten Gefühl der Rivalität diktiert wurde, bemerkt er: Ich danke Gott, dem er im Übrigen die ganze Gabe zuschreibt, mehr als ihr alle, dass ich mit einer Zunge rede. Paulus hatte ekstatische Erfahrungen gemacht, die weit über das Maß hinausgingen, das dem Durchschnittschristen zugestanden wurde; er hatte die Kraft dieser Gnadengabe in einem viel höheren Maße erfahren als die Korinther. Trotzdem sagt er freimütig, dass er in der Gemeindeversammlung lieber fünf Worte mit seinem Verstand in der alltäglichen, verständlichen Sprache sprechen würde, damit er auch andere lehren kann, als zehntausend Worte in Zungen. Das Reden in Zungen mag auf eine ungewöhnliche Kraft, auf eine außergewöhnliche Vertrautheit mit dem Geist hinweisen, aber es ist nicht dienlich, es führt nicht zur Verbesserung der Gemeinde. Des Paulus Ziel war es immer, zu „katechisieren“, durch mündliche Unterweisung zu vermitteln, was die Christen für den Glauben und das Leben brauchten, und zu diesem Zweck waren fünf Worte in der gewöhnlichen Sprache nützlicher als jede Menge Artikulationen in ekstatischer Rede.

    Auf höchst überzeugende Weise appelliert Paulus nun an den gesunden Menschenverstand der Leser: Brüder, seid nicht Kinder im Verstand, im Gemüt, im Urteil, in der Fähigkeit zu denken; gebraucht euren gesunden Menschenverstand richtig, wie Erwachsene, nicht wie unreife Kinder. Es ist bezeichnend für Kinder, dass sie das Lustige dem Nützlichen, das Glänzende dem Festen vorziehen, wie ein Kommentator es ausdrückt. In der Bosheit verhaltet euch vielmehr wie Kinder, aber im Urteil zeigt ihr euch vollkommen. In Bezug auf alles Böse sollen sich die Christen von aller sittlichen Verderbnis der Welt fernhalten und keine experimentelle Bekanntschaft mit ihr suchen. Wenn jemand von den Korinthern die Gabe der Zungenrede empfangen hatte, sollte er sie wie ein Kind gebrauchen, ohne sich aufzuspielen und zu prahlen, Matth. 18,2. Nach gesundem christlichem Ermessen sollte jedoch jeder Gläubige versuchen, voranzukommen, von Tag zu Tag zu wachsen, bis die Vollkommenheit der Erkenntnis erreicht ist, soweit das in diesem Leben möglich ist. Die kindliche Unschuld und die Reife des Verstandes zusammen in das Herz zu pflanzen: das ist das große Problem der Heiligung. Vgl. Ps. 19,8.

 

    Fremde Zungen können gefährlich werden (V. 21-25): Um den Korinthern das richtige Verständnis der Gabe der Zungenrede zu vermitteln, führt Paulus nun eine Schriftstelle ein: Im Gesetz, im Buch der alttestamentlichen Schriften, steht geschrieben: Durch Menschen, die eine fremde Sprache reden, und durch fremde Lippen will ich zu diesem Volk reden, und wenn sie mich auch nicht hören wollen, so höre doch auf mich, spricht der Herr, Jes. 28,11.12. Im Original heißt es: „Die trunkenen Israeliten verspotten in ihren Bechern die Lehre Gottes durch seinen Propheten, als ob sie nur für eine Kleinkinderschule geeignet wäre; im Zorn droht er deshalb, seine Lehren durch den Mund fremder Eroberer zu erteilen.“ Paulus zitiert diese Stelle, um zu zeigen, dass die Zungenrede in der Kirche Schaden anrichten kann: Darum sind die fremden Zungen ein Zeichen, sie dienen zum Zeichen, nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; durch diese Gabe hat Gott seine Gegenwart offenbart, nicht so sehr um der Glieder der Gemeinde willen, sondern für die, die noch ungläubig waren. Wenn Gott so unverständlich spricht, zeigt er sich „nicht als einer, der seine Gedanken den Gläubigen öffnet, sondern als einer, der sich vor denen verschließt, die nicht glauben wollen“. Die verhärteten Ungläubigen, die die klare und unmissverständliche Verkündigung des Kreuzes abgelehnt haben, sehen sich also durch dieses Phänomen bestätigt und ihrer Meinung nach sogar gerechtfertigt. Andererseits ist die Gabe der Prophetie nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen bestimmt. Die richtige Verkündigung des Evangeliums der Erlösung wirkt nicht nur den Glauben und stärkt ihn, sondern sie dient auch als Zeichen der Barmherzigkeit Gottes und verwandelt Ungläubige in Gläubige. So lehnt Paulus die Gabe der Zungenrede ab und missbilligt ihren Gebrauch in öffentlichen Gottesdiensten, weil der Zweck der Erbauung durch ihre Ausübung nicht erreicht wird.

    Der Apostel zeigt nun den verhängnisvollen Eindruck, den die Ausübung der Zungengabe auf Menschen machen muss, die in keiner Weise mit der Gemeinde verbunden sind: Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort versammelt ist und alle in Zungen reden, und es kommen Menschen herein, die mit den Verhältnissen nicht vertraut sind, oder Ungläubige, werden sie nicht sagen, dass ihr verrückt seid, dass ihr alle den Verstand verloren habt? Das Bild ist kein bisschen überzeichnet, sondern lässt sich gut vorstellen unter den Umständen, wie sie in Korinth herrschten, oder wie diejenigen, die die Gabe der Zungenrede besitzen wollten, sie gemacht hätten: Ein regelmäßiger Gottesdienst mit Lehre, Lobpreis und Gebet; alle Christen waren eifrig mit Gebet und Lobpreis in fremden Sprachen beschäftigt; Heiden, die mit den Verhältnissen nicht vertraut waren, oder Ungläubige kamen herein - was lag näher als die Vermutung, dass diese Männer alle in Wahnsinn redeten? Denn es war nur angemessen, dass solche Besucher eine klare Darlegung einer christlichen Lehre erwarteten, und nicht ein endloses, zusammenhangloses, heterogenes Geschwätz. Anmerkung: Dieser Gedanke könnte heute auf viele Gemeinden angewandt werden, in denen der Predigtdienst zu einem fruchtlosen Geschwätz über halb verdaute Themen geworden ist, die nur entfernt, wenn überhaupt, mit der Lehre der Heiligen Schrift zu tun haben.

    Ganz anders ist die Wirkung der Gabe der Weissagung: Wenn aber alle prophezeien und ein Ungläubiger oder Uneingeweihter eintritt, wird er von allen überführt und von allen gerichtet. Die Gabe der Weissagung beinhaltete eine klare und unmissverständliche Erklärung und Darlegung des Wortes Gottes in gewöhnlicher Sprache, mit der richtigen Anwendung auf die bestehenden Umstände. Und so würde jeder zufällige Besucher des Gottesdienstes oder jemand, der im Unglauben lag, durch das Zeugnis der Heiligen Schrift, das auf seinen Fall angewandt wurde, überführt und sich seiner Sünde und seines Unglaubens bewusst werden. Und ganz nebenbei würde er durch die Worte der allwissenden Weisheit erforscht werden, die geheimen Dinge seines Herzens, die verborgenen Sünden würden offenbart werden. Und das Ergebnis könnte sehr wohl sein, dass ein solcher Mensch auf sein Angesicht fällt und Gott anbetet und offen zugibt, dass Gott in der Mitte der christlichen Gemeinde ist. Nichts ist mächtiger als das lebendige Wort Gottes, durch das er Herzen und Sinne erforscht, Hebr. 4,12, und die Gedanken und Absichten des Herzens erkennt. So würde die Gabe der Prophetie nicht nur dazu führen, dass Seelen für Christus gewonnen werden, sondern auch dazu, dass der Herr verherrlicht wird.

 

    Die praktische Anwendung dieser Wahrheiten im öffentlichen Gottesdienst (V. 26-33): Der Apostel gibt hier Anweisungen für die Gestaltung des Gottesdienstes, damit sein Ziel der Auferbauung der Gemeinde am besten erreicht werden kann. Was war in Korinth zu tun, und was ist, wenn alles gleich ist, in allen christlichen Gemeinden bezüglich der Ordnung des öffentlichen Gottesdienstes zu tun? Wie es damals in Korinth war, trug jeder etwas zu den Versammlungen bei, je nach der besonderen geistlichen Gabe, die ihm gegeben war: Einer hat einen Psalm zu singen, ein anderer eine Lehre, ein anderer eine Offenbarung mitzuteilen, ein anderer hat eine Zunge, ein anderer eine Auslegung zu geben. Es fehlte also weder an Gaben noch an der Bereitschaft, die Gabe weiterzugeben; vielmehr waren alle bestrebt, sofort zu sprechen, Frauen wie Männer. Die Gaben waren da, und sie waren nicht zu verachten; der Geist hatte vielmehr für sie alle Verwendung. Aber alles sollte zur Auferbauung getan werden, um die Gemeinde zu erbauen. Wenn sie weiterhin Gottesdienste ohne Ordnung abhielten, würde das Ende hoffnungslose Verwirrung, wenn nicht gar unangenehmer Streit sein.

    Der Apostel schlägt daher folgende Ordnung für ihre Versammlungen vor: Wenn jemand mit der Gabe der Zungenrede anwesend ist, sollen zwei oder höchstens drei die Gelegenheit erhalten, der Reihe nach zu sprechen, und zwar einer nach dem anderen, nicht alle auf einmal, was zu ihrer eigenen Verwirrung und der der Gemeinde führen würde. Danach sollte einer, der diese Gabe hat, die soeben empfangenen Botschaften auslegen. Indem nur ein Dolmetscher für mehrere Zungenreden eingesetzt wird, wird Zeit für andere erbauliche Teile des Gottesdienstes gewonnen. Wenn aber kein Dolmetscher anwesend war, sollte derjenige, der in Zungen reden wollte, sich des Redens in der Versammlung enthalten und lieber allein mit Gott reden; im heimlichen Gespräch mit Gott konnte er immer noch die volle Freude daran empfinden, ein Gefäß des Heiligen Geistes zu sein.

    Dann sollten auch die Personen, die die Gabe der Weissagung hatten, der Reihe nach reden, zwei oder drei in einer Versammlung, und die anderen sollten unterscheiden, d.h. diejenigen, die bei der Verkündigung halfen und ein Urteil über die diskutierte Sache hatten, wie Luther sagt. Indem sie das taten, übten diese Männer eine Gabe aus, die auch in der Kirche sehr notwendig ist, Kap. 12,10; Röm. 12,7. Wenn in der Zwischenzeit der Heilige Geist einem der Propheten oder Lehrer eine besondere Offenbarung gab und er sich zum Zeichen dieser Tatsache von seinem Platz erhob, sollte der Redner dem neuen Mann das Wort erteilen und seine eigene Ansprache so schnell wie möglich abschließen. Auf diese Weise konnten sie alle abwechselnd prophezeien, ihr Wort der Lehre und der Ermahnung einbringen, so dass alle Glieder der Versammlung lernen konnten und alle ermutigt und auf dem Weg der Heiligung vorwärts gedrängt wurden und alle Zuhörer auf diese Weise Nutzen daraus zogen. Und damit niemand denkt, dass das Beharren auf Ordnung das Wirken des Geistes beeinträchtigen würde, sagt der Apostel den Korinthern, dass die Natur der prophetischen Inspiration die Aufrechterhaltung einer solchen Ordnung nicht behindert, sondern eher fördert: Die Geister der Propheten sind den Propheten untertan. Die göttliche Gabe ist keine unverantwortliche, unberechenbare Kontrolle, sondern kann nach dem Willen des Besitzers mit Umsicht und brüderlicher Liebe ausgeübt werden. Menschen, die behaupten, einen Geist zu besitzen, aber nicht in der Lage sind, seine Äußerungen zu kontrollieren, fehlt das notwendige Kennzeichen der Innewohnung des Heiligen Geistes. Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens. Die Annahme, dass Gott seine Propheten zu zweit oder zu dritt inspiriert und so Verwirrung im öffentlichen Gottesdienst stiftet, widerspricht seinem Wesen. Und damit die Korinther nicht denken, dass Paulus ihnen eine Last aufbürdet, von der er die anderen Gemeinden entlastet, fügt er hinzu: Wie es in allen Gemeinden der Heiligen ist. In allen Versammlungen der ersten Christen wurde eine anständige Ordnung eingehalten, nach denselben Grundsätzen, wie sie hier von Paulus dargelegt werden. Ohne eine solche Ordnung, auf die sich alle geeinigt haben oder die von allen akzeptiert wird, würden mit Sicherheit Verwirrung und Zwietracht entstehen, und das wollte der Apostel mit allen Mitteln vermeiden, da es dem Willen Gottes widerspricht.

 

    Abschließende Ordnungen (V. 34-40): Sowohl die griechische und römische als auch die jüdische Sitte verbot das öffentliche Auftreten von Frauen, insbesondere ihre Teilnahme an öffentlichen Reden. Es scheint, dass die christlichen Frauen von Korinth eine falsche Vorstellung von der Bedeutung der christlichen Freiheit hatten, indem sie annahmen, dass die alte, von Gott getroffene Unterscheidung aufgehoben worden sei. Aber diese von Gott aufgestellte Regel, dass der Mann das Haupt der Frau ist, gilt für alle Zeiten und unter allen Umständen. Es geht nicht um Über- oder Unterordnung, sondern um die Vorsteherschaft und die Leitung in den Angelegenheiten der Kirche. Frauen sollen in den Gemeinden schweigen; sie sollen sich nicht an der öffentlichen Lehre in der Kirche beteiligen, sie sollen keine autoritativen Weisungen erhalten. Das öffentliche Reden und Lehren in der Gemeinde auf der Grundlage des Wortes Gottes ist ein Regieren und Leiten, das im Widerspruch zu der Stellung steht, die Gott der Frau nicht nur seit dem Sündenfall, sondern auch vorher gegeben hat. Und eine christliche Frau, die um die hohe Wertschätzung weiß, die ihr sonst nach dem Wort Gottes zukommt (vgl. Eph. 5,22-33), wird nicht versuchen, diese Regel zu brechen, 1. Mose 3,16, sondern wird sich gerne in seinen Willen fügen, weil sie weiß, dass es ihr nicht erlaubt ist, im öffentlichen Gottesdienst der Gemeinde zu lehren, 1. Tim. 2,12, sondern untertan sein und den Männern die Führung, die Lehre und die Leitung zu überlassen. Christliche Frauen werden dadurch nicht vom Lernen ausgeschlossen, sie werden vielmehr ermutigt, ein intelligentes Interesse an der Arbeit der Gemeinde zu haben; sie sollten frei Fragen stellen und Angelegenheiten des Reiches Gottes zu Hause mit ihren Ehemännern diskutieren. Und weit davon entfernt, durch diese Anordnung Gottes eine unehrenhafte Stellung einzunehmen, wissen christliche Frauen, dass es schändlich ist und das moralische Empfinden erschüttert, wenn Frauen danach streben, in der öffentlichen Rede und Lehre und in der Gemeindeleitung gleichberechtigt mit den Männern zu sein, und dies auch annehmen. Anmerkung: Hier, wie auch in den Parallelstellen, bezieht sich der Apostel auf das öffentliche Lehren vor der ganzen Gemeinde; die Arbeit von Lehrerinnen in Schulen und Gymnasien wird hier nicht verurteilt und an anderen Stellen, Titus 2, 3; Apostelgeschichte 18, 26, eher implizit gelobt.

    Für den Fall, dass einige der Korinther nun denken könnten, der Apostel überschreite seine Autorität, indem er ihnen diese Vorschriften gibt, unterstreicht er ihren Wert, wenn sie richtig angewendet werden: Oder ist das Wort Gottes von euch ausgegangen? Oder ist es allein zu euch gekommen? Die korinthischen Christen neigten dazu, so selbstgefällig zu sein, dass sie den Eindruck erweckten, die Urchristen zu sein und dass die ganze Welt von ihnen lernen müsse. Aber sie sollten bedenken, dass sie weder die erste noch die einzige christliche Gemeinde waren; das Evangelium war weder von Korinth als Quelle ausgegangen, noch hatte es nur sie erreicht. Deshalb sollten sie ihre Kirchenordnung an die der anderen Gemeinden anpassen, um sich der größeren Erfahrung derjenigen anzupassen, die Gelegenheit hatten, die Regeln des Gottesdienstes zu erproben. Und wenn einer von ihnen in seiner Widerspenstigkeit verharrte, wenn er glaubte, einen prophetischen oder geistlichen Einblick in die Dinge zu haben, sollte er wissen und, wenn er ein wahrer Prophet ist, mit Sicherheit zugeben, dass die Dinge, die der Apostel schreibt, ein Gebot des Herrn sind. Der Herr der Kirche, Jesus Christus, hat den Aposteln nicht nur die Fähigkeit gegeben, alle Dinge zu beurteilen, Kap. 2,15, sondern er hat ihnen auch solche Regeln anvertraut, die der Auferbauung der Gemeinde dienlich sein werden. Wenn aber jemand in seiner Unwissenheit verharrt, so soll er unwissend sein. Seine vorsätzliche Unwissenheit veranlasst den Herrn, ihn zu verleugnen, so wie er auch von den Gliedern der Gemeinde missachtet und seinem eigenen Willen überlassen wird.

    Und so fasst der Apostel zum Schluss noch einmal zusammen: Und so, meine Brüder, trachtet eifrig nach der Gabe der Weissagung, und hindert nicht, mit Zungen zu reden. Letztere soll in der Gemeinde erlaubt sein, aber nicht wie die Prophetie gefördert werden; man soll ihr kein Hindernis in den Weg legen, sondern der Gabe, deren Kraft zur Erbauung so offensichtlich war, den entschiedenen Vorzug geben. Und was die öffentlichen Gottesdienste im Allgemeinen anbelangt: Alles soll in guter christlicher Schicklichkeit und Benehmen und ordentlich geschehen. Sowohl Unschicklichkeit als auch Tumult in einer christlichen Versammlung sind mit dem Willen des Herrn der Kirche unvereinbar. Regeln und Ordnungen mögen mechanisch sein, aber sie dienen der Verkündigung des Evangeliums und der Erbauung der Gemeinde und sollten daher keineswegs verachtet werden.

 

Zusammenfassung: Unter allen geistlichen Gaben empfiehlt Paulus die Prophetie als der Auferbauung der Gemeinde dienend und der Gabe der Zungensprache vorzuziehen; er schlägt eine Gottesdienstordnung vor, verbietet die öffentliche Lehre von Frauen und betont, dass Gott ein Gott des Friedens und der Ordnung ist.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DIE STELLUNG DER CHRISTLICHEN FRAU, INSBESONDERE ALS MITARBEITERIN IN DER KIRCHE

 

von

Dr. Paul E. Kretzmann

 

Die Frau im nichtchristlichen Altertum

 

    Die Stellung der Frau in den meisten heidnischen Völkern und Stämmen ist gekennzeichnet von unglaublicher Erniedrigung und unaussprechlichem Elend. In den meisten Fällen war sie selbst unter den aufgeklärteren Völkern des Altertums nicht viel mehr als ein bloßer Gegenstand. Nach dem alten römischen Gesetz, zum Beispiel, hatte ein Ehemann völlige Gewalt über Leben und Tod seiner Ehefrau und die völlige Kontrolle über ihr Eigentum. (Brace: Gesta Christi. S. 20.) In Athen, im Zeitalter der Redner, war die Frau gezwungen, ohne Widerrede eine Stellung einzunehmen, die in besonderem Maße unter derjenigen der Männer war, sowohl intellektuell als auch sozial. „Das Leben der athenischen Frau war nicht nur außerordentlich eng begrenzt und abgeschlossen, sondern sie wurde auch tatsächlich während ihres Lebens als etwas Geringwertiges behandelt und stand unter ständiger Vormundschaft, sei es nun, je nach der Zeit, unter der Autorität ihres Vaters, Bruders, Großvaters, Ehemannes, Sohnes oder Hüters. Sie hatte praktisch keinerlei Autorität, ausgenommen im Bereich der Hauswirtschaft.“ (Savage: The Athenian Family. S. 25.) Was nun die heutigen Naturvölker in Afrika, Australien, Südamerika und anderswo angeht, so ist es so, daß selbst eingehendste Bekanntschaft mit der Geschichte und der Fortschritt der Missionsarbeit hinsichtlich der Frauen weiterhin eine Haltung von Knechtschaft und Sklaverei belassen, die sie in vielen Fällen unter den Stand eines Tieres in ihrem intellektuellen und sozialen Bereich stellt. Nur in einigen der deutschen und skandinavischen Stämmen war der Frau eine Ehrenstellung gegeben, als der Gemahlin und Gehilfin des Mannes. (vgl. Hastings: Encyclopedia of Religion and Ethics sub vocibus “Emancipation”, “Marriage”, usw.)

 

 

Die biblische Grundordnung des Verhältnisses von Mann und Frau in der Schöpfung

 

    Wenn wir uns nun der Bibel zuwenden, so finden wir dort Gottes feste und fehlerfreie Ordnung, wie sie dargelegt ist im Zusammenhang mit der Schöpfung von Mann und Frau. Die konzentrierte und wohlabgerundete Aussage von 1 Mose 1,27.28 wird in Kapitel 2 ergänzt durch eine mehr ins Einzelne gehende Beschreibung der Weise, wie der Mensch erschaffen wurde und wodurch Gott Adam die Frau zur Gemahlin gab. Die Worte des HERRN, bevor er die Frau schuf, sind ausdrücklich gegeben: „Und sagte Jahwe Elohim [Gott, der HERR]: Nicht gut ist es dem Manne, allein mit sich zu sein; ich werde ihm eine Gehilfin machen, die ihm entspricht. „1 Mose 2,18. Die Frau, die von Gott aus der Rippe, die er aus der Seite des Mannes nahm, geschaffen wurde, sollte eine Helferin oder Gehilfin sein, die seinen Bedürfnissen entsprechen sollte, fähig, ihm zur Seite zu stehen, ihn zu unterstützen. Sie stand jedoch nicht in einem gleichrangigen Verhältnis zu ihm, obwohl beide in jeder Hinsicht auf einer Ebene waren; aber sie war ihm auch nicht, auf der anderen Seite, absolut untergeordnet. Sie sollte an seiner Seite sein, in einer untergeordneten Stellung, aber doch mehr in der Art einer Gehilfin. Luthers Bemerkungen zu dieser Beziehung sind sehr eindrücklich: „Die Frau aber im menschlichen Geschlecht ist also geschaffen, dass sie um ihren Mann überall und allezeit sein soll; ... Da muss sich die Frau dem Manne also verpflichten, dass sie um ihn bleiben und bei ihm als Ein Fleisch wohnen muss. Und so Adam im Stande der Unschuld geblieben wäre, so wäre zwischen Mann und Weib dieses die allerlieblichste Gesellschaft gewesen, ... Das ist wohl gar ein großes Lob und Ruhm des Mannes und der Frau, dass der Mann im Kinderzeugen ein Vater, die Frau aber eine Mutter und Gehilfin des Mannes ist.“ (Walch , I, 143 f.)

 

 

Die Festigung dieser Ordnung nach dem Sündenfall und ihre Ausgestaltung im alttestamentlichen Israel

 

    Mit dem Sündenfall wurde die untergeordnete Stellung der Frau stärker betont. Als der HERR das Urteil über die Frau sprach, sagte Er ihr: „Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären; und dein Wille soll deinem Mann unterworfen sein, und er soll dein Herr sein.“ 1 Mose 3,16. Das war eine doppelte Last, die der HERR hiermit auf alle Frauen legte: die Schmerzen der Geburt und die Unterordnung unter ihren Ehemann. Im heiligen Ehestand, der hier als der normale Stand der erwachsenen Frau angenommen wird, soll das Gebären verbunden sein mit Schmerzen der Arbeit, wie auch der Herr JESUS feststellt: „Eine Frau, wenn sie gebiert, so hat sie Traurigkeit“, Joh. 16,21. Aber etwas zweites kam noch zu dieser Last hinzu, nämlich der Wunsch, das innige Verlangen der Frau, der Ehefrau, nach ihrem Ehemann, während er gleichzeitig die Stellung eines Führers und Herrschers einnimmt. Sie hatte sich selbst emanzipiert von seiner Leitung, als sie auf die versuchenden Worte der Schlange hörte, und darum sollte sie immer gezwungen sein, an das schlimme Ergebnis dieses falschen Schrittes zu denken. Das ist eine Tatsache; und kein aufkommender Groll kann diese Tatsache ändern. So wenig die Menschheit als solche sich ehrlicherweise darüber aufregen kann, dass ihr Adams Schuld und die Tatsache der ursprünglichen oder Erbsünde zugerechnet wird, so wenig kann die Tatsache dieser Stellung der Frau gemäß Gottes Anordnung geändert werden. Der Apostel Paulus zieht daher seine Schlüsse hinsichtlich der untergeordneten Stellung der Frau in zwei kurzen Sätzen: „Denn Adam ist am ersten gemacht, danach Eva. Und Adam ward nicht verführt; die Frau aber wurde verführt und hat die Übertretung eingeführt“, 1. Tim. 2,13.14.

    Im Alten Testament hielt man sich an den Bericht in 1. Mose 2 und 3 und beachtete die Ordnung Gottes. Die Stellung, die von der Frau in Israel eingenommen wurde, war nach der Ethik der inspirierten Bücher eine solche von Ehre und Respekt. Obwohl die Frau nur eine nachgeordnete, wenn nicht untergeordnete, Rolle im Haus und in der Gesellschaft einnahm, so bewahrten doch die Anordnungen Gottes sie davor, zu einem bloßen Gegenstand zu werden.

    Viele der Gesetze, die die Frauen betreffen, halten ihre Würde hoch und erweisen sich als ein wirksames Hindernis gegenüber den Launen des Mannes. Obwohl die Scheidung, vor allem in der späteren Zeit, vergleichsweise leicht durchgeführt werden konnte, so schützten doch die betreffenden Ordnungen, 5. Mose 24,1-4, die Ehefrau in einem Maße, wie es unter den heidnischen Völkern unbekannt ist, denn das Scheidungsdokument sollte wenigstens den vorgegebenen Grund dafür enthalten, warum die Ehefrau entlassen wurde. Selbst die Anordnung über das bittere Eiferwasser, 4. Mose 5,11-3 1, enthält starke Elemente zugunsten der Frau, denn die Demütigungen, die eine unbegründete Anschuldigung begleiten, sollten den gewöhnlichen Mann davon abgehalten haben, seine Frau einer solchen Prüfung zu unterziehen. Die Beachtung, die der gefangenen Frau entgegengebracht werden musste, nachdem sie gedemütigt war, stellte sie weit über ihre unglücklichen Schwestern in heidnischer Umgebung, 5. Mose 21,10-14. Polygamie [Vielehe], obwohl unter Gottes Zulassung praktiziert, wurde zwar sorgsam durch Ihn geordnet, 5. Mose 21,15-17, wurde aber nie anerkannt, wie Jesus Matth. 19,4.5 bemerkte, wo Er sich auf.die ursprüngliche Einsetzung bezieht. Die Bibel vertritt beharrlich die Einehe in Übereinstimmung mit Gottes Schöpfung und Ordnung, 1. Mose 2 und 3; Ps. 128,3 spricht von „deinem Weib“, nicht von Weibern. Und die gleiche Tatsache wird deutlich aus Spr. 5,18-20, wo durchgehend die Einzahl verwendet wird. Selbst die Encyclopedia of Religion und Ethies bemerkt: „Die Ehefrau wurde ihrem Ehemann untergeordnet; aber die Ehe wurde dennoch ehrbar gehalten und eine tugendsame Ehefrau wurde höher geachtet als köstliche Perlen, Spr. 31,10-31. Die Mutter wurde hoch geschätzt, und die Witwe wurde der Unterstützung wert geachtet.“ (unter „Emancipation“)

 

 

Mutterschaft - die höchste Ehre einer Frau

 

    Nach der Heiligen Schrift, des Alten wie des Neuen Testamentes, ist die höchste Ehre, die einer gläubigen Frau widerfahren kann die, dass sie eine Ehefrau und Mutter wird; und dieser Stand wurde als der einzig normale Stand für die erwachsene, normale Frau angesehen. Wir wissen, wie sehr Sarah, Rebeka, Rahel, Lea, Hanna, die Sunammitin und andere heilige Frauen der alten Zeit darauf aus waren, Mütter zu werden; und dieser Wunsch wurde von Elisabeth geteilt, der Ehefrau des Zacharias. Von Ruth, der Ehefrau des Boas, wird es ausdrücklich gesagt, dass der HERR ihr gab, dass sie schwanger ward, und sie gebar einen Sohn, Ruth 4,13. Vom HERRN wird gesagt, dass Er „die Unfruchtbare im Hause wohnen macht, dass sie eine fröhliche Kindermutter wird“, Ps. 113,9; und wieder: „Er ist ein GOTT, der den Einsamen das Haus voll Kinder gibt“, Ps. 68,7; und wieder: „Dein Weib wird sein wie ein fruchtbarer Weinstock um dein Haus herum, deine Kinder wie die Ölzweige um deinen Tisch her. Siehe, also wird gesegnet der Mann, der den HERRN fürchtet.“ Ps. 128,3.4. Andererseits wird gesagt, dass der HERR all die Leiber im Hause Abimelechs um Sarahs, Abrahams Frau, willen fest verschlossen hatte, 1. Mose 20,18. Und einer der schlimmsten Flüche des Alten Testamentes wird von Hosea berichtet: „HERR gibt ihnen! Was willst du ihnen aber geben? Gib ihnen unfruchtbare Leiber und versiegende Brüste!“ Kap. 9,14. Die Haltung des HEERN änderte sich nicht in der Zeit des Neuen Testamentes, denn der heilige Apostel schreibt: „So will ich nun, dass die jungen Witwen freien, Kinder zeugen, haushalten, dem Widersacher keine Ursache geben zu schelten.“ 1. Tim. 5,14. Und an Titus schreibt der Apostel Paulus: „... dass sie [die älteren Frauen] die jungen Weiber lehren züchtig sein, ihre Männer lieben, Kinder lieben, sittig sein, keusch, häuslich, gütig, ihren Männern untertan, auf dass nicht das Wort GOTTES verlästert werde.“ Kap. 2,4.5. Und was das allgemeine Verhältnis der Frau zu ihrem Ehemann angeht, so schreibt der heilige Apostel: „Die Weiber seien untertan ihren Männern als dem HERRN. Denn der Mann ist des Weibes Haupt, gleichwie auch Christus das Haupt ist der Gemeinde, ... Aber wie nun die Gemeinde ist Christo untertan, also auch die Weiber ihren Männern in allen Dingen.“ Eph. 5,22-24. So ist, im Allgemeinen, die Stellung der christlichen Frau, nach dem Worte Gottes, als Ehefrau und Mutter. Das christliche Haus ist der ideale Raum für die Tätigkeit einer christlichen Frau, der Ort, an dem sie am meisten tun kann, der Kreis, den Gott als ihren besonderen Bereich bestimmt hat.

 

 

Die Frau in der Kirche

 

    Die nächste Frage, die sich wie von selbst in diesem Zusammenhang ergibt, ist: Was sagt die Bibel über die Teilnahme der Frauen im öffentlichen Leben, über ihre direkte Teilnahme in der Regierung und Leitung insbesondere der Kirchenangelegenheiten? Die Antwort ist, zumindest zum Teil, in den positiven Aussagen des HERRN enthalten, die den Bereich und die Aufgaben der christlichen Frau betreffen; denn Er erwartet von ihr, vornehmlich, dass sie das Amt der Hausfrau, einer rechten Heimmacherin, ausübt, 1. Tim. 5, 14; Tit. 2,4.5. Darüber hinaus haben wir aber einige sehr klare Aussagen zur Stellung der Frauen in der christlichen Gemeinde. Der Apostel Paulus schreibt: „Ich lasse euch aber wissen, dass Christus ist eines jeglichen Mannes Haupt; der Mann aber ist das Haupt der Frau; ... Denn der Mann ist nicht von der Frau, sondern die Frau ist vom Mann. Und der Mann ist nicht geschaffen um der Frau willen, sondern die Frau um des Mannes willen.“ 1. Kor. 11,3.8.9. Dies sind die göttlichen Grundsätze und sie setzen klar die nachgeordnete Stellung der Frauen in der Kirche fest. Aus diesem Grund will der Apostel, dass die christlichen Frauen Korinths sich in keiner Weise auf eine Stufe stellen mit den emanzipierten heidnischen Frauen der Stadt. Dies wäre nicht in Übereinstimmung mit der Stellung und der Würde der christlichen Frau; es würde sie auf eine Stufe stellen, die unter der wäre, die der Schöpfer beabsichtigte, ihnen zu geben.

    Noch eindrücklicher ist der Abschnitt 1. Kor. 14,34.35, wo uns gesagt wird: „Eure Weiber lasset schweigen unter der Gemeinde; denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, dass sie reden, sondern untertan sein, wie auch das Gesetz sagt. Wollen sie aber etwas lernen, so lasset sie daheim ihre Männer fragen. Es steht den Weibern übel an, unter der Gemeinde zu reden.“ Das Verb lalein beschrieb ursprünglich jegliche Kommunikation durch Laute, dann im Besonderen dies, seinen Gedanken Ausdruck zu geben, an irgendeiner Diskussion teilzunehmen, selbst wenn dies nicht durch eine formale Rede geschieht. Alle öffentliche Mitteilung solcher Art ist damit den Frauen in den Versanmlungen der Gemeinde untersagt; sie sollen nicht die Stellung eines Lehrers einnehmen und ebenso auch nicht an der Diskussion teilnehmen. Sie können sehr wohl anwesend sein, und das waren sie auch, nicht nur in den Predigtversammlungen, sondern auch in den Gemeindeversammlungen, in denen die Angelegenheiten des Reiches Gottes besprochen wurden, doch eine öffentliche Teilnahme an solchen Unterredungen in der Gemeinde ist ihnen nicht erlaubt, bei denen Männer anwesend sind, denn den Männern gegenüber sollen die christlichen Frauen sich als in einer nachgeordneten Stellung betrachten. Sie können jedoch ihre Männer zu Hause fragen, denn es wurde angenommen, dass ihr Interesse an den Kirchenangelegenheiten sich auf diese Weise zeigen würde und sollte. Es wurde aber als ein schändlicher Akt für sie angesehen, solche Dinge öffentlich zu besprechen und zu diskutieren.

    Ein anderer Abschnitt, der den betreffenden Grundsatz feststellt, ist 1. Tim. 2,11.12, wo wir lesen: „Ein Weib lerne in der Stille mit aller Untertänigkeit. Einem Weibe aber gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie des Mannes Herr sei, sondern stille sei.“ Die der gläubigen Frau zugeschriebene Stellung, auch im Neuen Testament, ist die der Unterordnung (Hypotagee), eine Stellung, in der sie aus freier Haltung den Mann das Haupt sein lässt. Das erfordert von ihr, im Blick auf öffentliche Diskussionen irgendwelcher Art zu schweigen. Sie soll an solchen Diskussionen nicht teilnehmen; sie darf nicht als Lehrer der Gemeinde auftreten; sie darf nicht eine leitende Tätigkeit einnehmen, Autorität über Männer ausüben. Wenn immer eine Versammlung stattfindet, die für die gesamte Gemeinde angesetzt ist, sei es nun ein Predigtgottesdienst oder eine Versammlung, in der die Arbeit der Kirche besprochen oder die Heilige Schrift studiert wird, dann ist Gottes Wille deutlich ausgedrückt: die christliche Frau darf nicht die Aufgabe des Lehrers oder Gesprächsleiters übernehmen; sie darf nicht die Angelegenheiten der öffentlichen Versammlung leiten; sie darf keinerlei leitende Rolle einnehmen noch sonst irgendwie über den Mann dominieren. Gott hat die Angelegenheiten der Kirche in die Hände der Männer gelegt. Daher ist jeglicher Versuch einer Frau, öffentlich diese Angelegenheiten zu beeinflussen, eine Anmaßung von Rechten, die nicht mit Gottes klarem Befehl und Verbot in Übereinstimmung gebracht werden kann. Wenn eine Gemeinde oder Gesellschaft nur aus Frauen bestünde, so beträfe sie dieser Abschnitt natürlich nicht.

    Das Ideal, das in den verschiedenen oben angeführten Abschnitten aufgestellt wurde, wird vom HERRN sogar festgehalten im Falle der Witwen. Der Apostel betrachtet ihre Stellung etwas länger in 1. Tim. 5,3 ff. Er will, dass den Witwen alle Ehre erwiesen wird, aber er ermahnt Timotheus, den jungen Witwen nicht die gleiche Achtung zu schenken, da sie doch vielmehr wieder heiraten sollten. Seine einzelnen Ausführungen schließen die Absage an alle Lüsternheit und weltlichen Vergnügen ein von Seiten derer, die Witwen sind, wie sie sein sollen, ebenso schließen sie auch ein, dass sie damit fortfahren, untertan zu sein und Tag und Nacht zu beten. Andere Eigenschaften sind die, dass eine Witwe, um Achtung von Seiten der Gemeinde zu erlangen, einen guten Ruf um ihrer guten Werke willen hat, dass sie Kinder aufgezogen hat, dass sie die Angefochtenen tröstete, dass sie eifrig jeglichem guten Werk nachgegangen ist, selbst bis dahin, dass sie um des selbstlosen Dienstes willen niedrige Arbeiten verrichtete. Dass dieselben Forderungen auch für die älteren Frauen gelten, die offensichtlich ihre eigenen Kinder aufgezogen haben und dann genügend freie Zeit hatten, sich dem Dienste an anderen zu widmen, ergibt sich aus Titus 2,3 ff. Es ist in diesem Abschnitt bezeichnend, dass der Apostel, nachdem er die üblen Gewohnheiten des Lästerns und maßlosen Trinkens abgewiesen hat, von dem Einfluss spricht, den die älteren Frauen dadurch ausüben sollen, dass sie gute Dinge lehren, eine Aussage, die in einer ausführlicheren Darlegung ihrer Beziehung zu den jüngeren Frauen erklärt wird. Ihre Hauptaufgabe sollte ganz offensichtlich sein, das Leben ihrer jüngeren Schwestern in der Gemeinde zu beeinflussen und zu leiten durch Unterweisung und Beispiel. Diese Aufgabe kann mit gutem Erfolg ausgeübt werden in einer Frauenorganisation oder den Frauenhilfevereinen innerhalb einer Gemeinde, vorausgesetzt, dass der Verein in Übereinstimmung mit Gottes Wort geleitet wird.

    Es ist eine Tatsache, dass Dienste dieser Art, nämlich die Arbeit der Gemeinde und Kirche auf die Weise zu unterstützen, den Gottesdienstraum zu verschönern, an verschiedenen Bemühungen der Barmherzigkeit teilzunehmen, stets das Vorrecht der gläubigen Frauen gewesen ist. Als die Stiftshütte in der Wüste gebaut wurde und der Ruf erging um Beiträge der verschiedensten Art, auch für die verschiedenen Kleidungsstücke und Behänge, da hieß es ausdrücklich: „Und welche verständige Weiber waren, die wirkten mit ihren Händen und brachten ihr Werk von gelber Seide, Scharlaken, Rosinrot und weißer Seide. Und welche Weiber solche Arbeit konnten und willig dazu waren, die wirkten Ziegenhaar.“ 2. Mose 35,25.26. Diese Dienste wurden vom HERRN und Mose hoch geschätzt. Wenig später wird uns berichtet: „Und machte das Handfass von Erz und seinen Fuß auch von Erz, gegen den Weibern, die vor der Tür der Hütte des Stifts dienten“, 2. Mose 38,8; 1. Sam. 2,22. Hier lernen wir, dass einige Frauen im Hof der Stiftshütte dienten und dass diese Frauen auch ihren Teil beitrugen zu einer der Aufgaben im Hof der Priester, nämlich am Handfass. Ein anderes Ereignis aus der Wüstenwanderung der Kinder Israel ist hier auch von Interesse, nämlich die Tatsache, dass Miriam, die Schwester von Mose und Aaron, die Prophetin, einen Frauenchor organisierte, der den HERRN im Wechselgesang lobte für die Erlösung von den Ägyptern und die Niederwerfung der Letzteren im Roten Meer.

    Wenn wir uns nun dem Neuen Testament zuwenden, so wird unsere Aufmerksamkeit erneut darauf gelenkt, dass die Frauen der frühen christlichen Kirchen, während sie einerseits die Einschränkungen beachteten, die der HERR ihnen auferlegt hat, sie nichtsdestoweniger ihren Teil im Dienst beitrugen, so dass einige von ihnen hoch gelobt werden für ihren hingebungsvollen Dienst. Uns wird von einigen der Frauen berichtet, die Jesus nachfolgten: „Dazu etliche Frauen. die er gesund hatte gemacht von den bösen Geistern und Krankheiten, nämlich Maria, die da Magdalena heißt, von welcher waren sieben Teufel ausgefahren, und Johanna, die Frau Chusas, des Pflegers des Herodes, und Susanna und viele andere, die ihm Handreichung taten von ihrer Habe.“ Luk. 8,2.3. Die Liebe, die diese Frauen zu ihrem Meister hatten, fand offensichtlich einen entsprechenden Ausdruck darin, dass sie Ihm dienten, und wurde äußerst dankbar aufgenommen und berichtet. Diese gläubigen Frauen nehmen eine beneidenswerte Stellung unter den Gliedern der frühen Kirche ein; und einige von ihnen wurden, zusammen mit anderen Schwestern im Glauben, geehrt durch eine frühe Erscheinung des auferstandenen HERRN, Matth. 28,1 ff.; Mark. 16,1 ff.; Luk. 24,1-6. 22. 23; Joh. 20,1. 2. 11-18.

    Dieser Liebesdienst der gläubigen Frauen setzte sich während des apostolischen Zeitalters fort. Besonders Röm. 16 wurde die „Ehrentafel“ der christlichen Frauen genannt. Wir hören zunächst von Phöbe, die eine Dienerin oder Diakonin in der Gemeinde zu Kenchrea war. Zu dieser Zeit war die weibliche Form des Wortes offensichtlich noch nicht in Gebrauch, denn der Apostel nennt sie einen diakonos. Aber weniger als ein Jahrzehnt später beschreibt er das Werk solcher Diakonissen, denn 1. Tim. 3,11 beschreibt ihre Eigenschaften: Ernst, Nüchternheit und Treue. Eine andere Frau auf der Ehrentafel ist Priscilla, die Frau des Aquila, die Paulus in den höchsten Tönen lobt. Diese beiden guten Leute, von denen Prisca oder Priscilla zuerst 2. Tim. 4,19 erwähnt wird, halten einen Rekord in der Geschichte der apostolischen Kirche, denn von zwei Abschnitten und 1 Kor. 16,19 ist es klar, dass sie ihr Haus der Gemeinde zu Korinth, zu Rom und offensichtlich auch zu Ephesus öffneten, während Apg. 18,24-28 zeigt, dass sie auch andere wertvolle Dienste für die Kirche zu verschiedenen Zeiten ausübten. Andere Namen, die in die Tafel auftauchen, sind Maria, „welche viel Mühe und Arbeit mit uns gehabt hat“, Röm. 16,6; Tryphäna und Tryphosa, „welche in dem HERRN gearbeitet haben", auch die liebe Persida, "welche in dem HERRN viel gearbeitet haV, V. 12; die Mutter des Rufus und andere. Und wenn wir uns zum Philipperbrief wenden, Kap. 4,2.3, so finden wir, dass Euodias und Syntyche bedeutende Mitarbeiterinnen in der Kirche gewesen sein müssen. In der Gemeinde zu Philippi haben wir auch Lydia, die Purpurhändlerin, die erste Bekehrte des Apostels auf europäischem Boden, deren Gastfreundschaft von Lukas Apg. 16,15.40 so betont wird. Eine andere Frau, die das Vorrecht der Gastfreundschaft gegenüber einer gesamten Gemeinde ausübte, war Maria, die Mutter des Johannes Markus, Apg. 12,12. Das erschöpft noch nicht die Liste der heiligen Frauen im Neuen Testament; denn Paulus sendet Grüße von Claudia aus Rom, 2. Tim. 4,21, und schließt Apphia ein in die Grüße im Brief an Philemon, während Johannes einen ganzen Brief schreibt „der auserwählten Frau und ihren Kindern“, und er schließt diesen Brief mit den Worten: „Es grüßen dich die Kinder deiner Schwester, der Auserwählten.“ V. 13.

    Dass diese verschiedenen Hinweise und Ermahnungen in der frühen Kirche bekannt waren und beachtet wurden, ist offensichtlich von vielen langen Gesprächen, die oft zu Büchern von einiger Länge anwuchsen, die von frühen christlichen Lehrern geschrieben wurden. Die folgende Bücher oder Sammlungen sind von besonderem Wert für den, der wünscht, dieses Feld ausführlich zu erforschen: Tertullian: Ad Uxorem,- De Virginibus Velandis; Exhortatio ad Castitatem; De Modestia; De Spectaculis; De Cultu Mulierum; Clemens von Alexandrien: Paidagogos; Stromata; Cyprian: De Habitu Virginum; Cyrill von Jerusalem: Mystagogical Lectures; Gregor von Nyssa: De Virginitate; Hieronymus: Briefe an Paula. Die Hauptpunkte der christlichen Ethik, die in diesen Sammlungen und Büchern angeführt werden, sind zu finden, in Zusammenfassung, in der sogenannten Apostolischen Verfassung und Kanons, von der einige Abschnitte auf das zweite Jahrhundert zurückgehen, wenn auch zusätzliche Änderungen und Ergänzungen erst im achten Jahrhundert gemacht wurden. Kapitel 8 von Buch I handelt von der „Untergeordneten Stellung der Frau“, und die Grundsätze der Schrift werden in einer sehr klaren und überzeugenden Weise dargelegt; die Hauptstellen, die betrachtet werden, sind 1. Kor. 11; Spr. 31,10-3 1; 12,4; 14, 1; 18,3; 21,9.19. Im Buch VIII handeln die Teile 19 und 20 von der Einsegnung der Diakonissen, mit einem Gebet, das zu diesem Zweck bis zum heutigen Tage verwendet wird.

 

 

Zusammenfassende Schlussfolgerungen

 

    Auf der Grundlage dieser Abschnitte und der erbrachten historischen Tatsache ist es offensichtlich, dass der [Wirkungs-]Bereich der christlichen Frau in der apostolischen Kirche nicht annähernd so eingeschränkt war, wie einige Hauptvertreter der Emanzipationsbewegung uns glauben machen wollen. Innerhalb der Grenzen der weiblichen Bescheidenheit, Mäßigkeit und Zurückhaltung wurde jeder gläubigen Frau eine große Anzahl an Aktivitäten im Dienste der Kirche angeboten. Ihr natürlicher und hauptsächlicher Kreis von Wirksamkeit blieb, wie es von Alters her gewesen war, das Haus; und ihre Hauptaufgabe und ihr Ruhm war der einer Ehefrau und Mutter. Die Sorge für das Haus und die Kinder, das Führen des Haushaltes und häuslich sein, wie es der HERR nennt, 1. Tim. 5, 14; Tit. 2,5, dem Ehemann untertan sein im Gehorsam gegenüber dem sechsten Gebot, wie es die Bibel lehrt, 1 Petr. 3, 1; Eph. 5,22 ff., das sind die Werke der „Unterhaltung“ für die christliche Frau, das ist es, wie sie sich gibt und verhält. Das ist die höchste Stellung, die sie anstreben mag.

    Und wenn der HERR ihr nicht diese höchste Stellung gegeben hat, für die er am Anfang die Frau erschuf, so hat Er deutlich angegeben, wo ihr Bestreben sich ordentlicherweise betätigen darf. Das ist in Lehrpositionen in der Kirche, wo sie nicht zum Haupt oder zur Leitung über Männer wird (und so finden wir, dass Frauen, von Anfang an, als Lehrer kleiner Kinder Verwendung fanden); es ist in den Werken der Barmherzigkeit, wie sie Tabitha oder Dorcas, Apg. 9,36.39, einen Namen gemacht haben, die stehen für den köstlichsten Eifer der Barmherzigkeit in unaufdringlichem Dienen; es ist in den Arbeiten einer Diakonin im Kreise einer oder mehrerer Gemeinden (wie es bei Phöbe der Fall war); es ist dadurch, dass sie dem HERRN mit ihrem Hab und Gut dienen, gemäß dem Beispiel der heiligen Frauen im Kreis von Jesu Jüngern. Zu dieser Aufzählung können wir gut den Dienst hinzutun, der mit solcher Anerkennung im Alten Testament angeführt wird, nämlich dass sie sich kümmern um die Kleidung für das Heiligtum des HERRN.

    Die Anwendung all dieser Punkte auf die heutigen Bedingungen kann leicht gemacht werden. Eine christliche Frau hat genügend Gelegenheit, ihre Fähigkeiten und Talente (die nicht im Haus als Tochter, Ehefrau und Mutter Verwendung finden) einzusetzen in solchen Liebesdiensten, die am besten zu ihrer weiblichen Art, Charakter und Fähigkeit passen, zusammen mit der nachgeordneten Stellung, die der HERR ihr angewiesen hat. Die Frauenhilfe, die unter der Aufsicht der Gemeinden eingerichtet und geleitet wird und sich betätigt in der Erziehungsarbeit der eigenen Glieder und in den Werken der Barmherzigkeit und Mission; besondere Hilfsorganisationen, deren Ziel es ist, Einrichtungen und Vereinigungen der Barmherzigkeit oder der Mission spezielle Unterstützung zukommen zu lassen; Altargilden, die sich kümmern um die Paramente und Kleider der Gemeinde und die Verschönerung der Kanzel gemäß dem lutherischen Brauch; Nähkreise für die Armen und Bedürftigen zu Hause und anderswo - all das wird, wenn es richtig durchgeführt und geleitet wird, der Kirche gewiss einen großen Segen einbringen.

    Über diesen Bereich, wie er in der Schrift festgelegt ist, hinauszugehen, ist gefährlich, um es gelinde auszudrücken, besonders wenn Einzelne vorangehen und die Grenzen der einzelnen Gemeinden überschreiten. Die Gemeinde ist, gemäß der Schrift, die Einheit, in der die kirchliche Arbeit stattfindet. Wenn die Kontrolle irgendeiner Bewegung über die Kontrolle durch die einzelne Gemeinde hinausgeht, so ist damit eine Gefahr in einem Grad verbunden, die leicht bedrohliche Ausmaße annehmen kann. Ein lutherischer Synodalverband ist nur, oder sollte es sein, ein Bund von Gemeinden, um diejenige notwendige Arbeit in der Kirche zu erleichtern, die die einzelne Gemeinde nicht genauso gut ausführen oder erfüllen kann. Es bleibt dabei, dass die einzelne Gemeinde unabhängig und autonom bleibt, und unser Synodalverband hat nie angestrebt, diese Beziehungen über die Verpflichtungen hinaus zu stören, die sich dem Christen ergeben aus dem Gesetz der Liebe und den Forderungen der christlichen Einheit. Wenn irgendeine Organisation es versuchte, die Arbeit der Gemeinden, wie sie durch deren eigenen Bund oder Synodalverband ausgeübt werden, zu kopieren, so gefährdete sie den Frieden und die Eintracht der Kirche, wie lobenswert auch immer ihre Motive sein mögen und wie rein ihre Absichten. Und was nun die Frauenvereinigungen angeht, so geht die gesamte Linie der Schrift dahin, wie oben festgestellt, dass sie nicht die öffentliche Initiative oder Führung übernehmen sollten in der Arbeit der Gemeinde oder der Großkirche. Die Grenzen ihrer öffentlichen Wirksamkeit sind zu klar festgelegt, als dass Ausnahmen gestattet werden könnten. Auch dürfen wir einen anderen Punkt nicht übersehen, nämlich dass große Organisationen oder Bünde von Frauenvereinen innerhalb der Kirche in der Gefahr stehen, übereifrig zu werden in den Angelegenheiten anderer, weil ihre Begeisterung für die Sache, an die sie glauben, geeignet ist, sie zu einem öffentlichen Eifer führen, der in die Arbeit der einzelnen Gemeinde eingreifen kann. Die Erfahrung in anderen Kirchenkörpern hat gezeigt, dass das Werben von Mitgliedern Übereifrige zu einem Punkt führen kann, an dem sie in Gemeinden eindringen ohne die Zustimmung derselben oder des Pastors, gar nicht zu sprechen davon, dass Druck auf die ordentlich eingerichteten Leitungskörper in der Gemeinde und Synode ausgeübt wurde, was in ernster Weise in die friedliche und gesegnete Ordnung der Arbeit des HERRN eingriff.73a

 

 

Kapitel 15

 

Von der Auferstehung der Toten (15,1-58)[74]

    1 Ich erinnere euch, aber, liebe Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, welches ihr auch angenommen habt, in welchem ihr auch steht, 2 durch welches ihr auch selig werdet, welcher Gestalt ich es euch verkündigt habe, so ihr’s behalten habt, es wäre denn, dass ihr’s umsonst geglaubt hättet. 3 Denn ich habe euch als erstes gegeben, welches ich auch empfangen habe, dass Christus gestorben ist für unsere Sünden nach der Schrift, 4 und dass er begraben ist, und dass er auferstanden ist am dritten Tag nach der Schrift, 5 und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölf. 6 Danach ist er gesehen worden von mehr denn fünfhundert Brüdern auf einmal, deren noch viele leben, etliche aber sind entschlafen. 7 Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. 8 Am letzten nach allen ist er auch von mir, als einer unzeitigen Geburt, gesehen worden; 9 denn ich bin der geringste unter den Aposteln, als der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, darum dass ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. 10 Aber von Gottes Gnaden bin ich, was ich bin, und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle, nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. 11 Es seien nun ich oder jene, so predigen wir, und so habt ihr geglaubt.

    12 Wenn aber Christus gepredigt wird, dass er ist von den Toten auferstanden, wie sagen denn etliche unter euch, die Auferstehung der Toten sei nichts? 13 Ist aber die Auferstehung der Toten nichts, dann ist auch Christus nicht auferstanden. 14 Ist aber Christus nicht auferstanden, dann ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. 15 Wir würden aber auch erfunden falsche Zeugen Gottes, dass wir gegen Gott gezeugt hätten, er hätte Christus auferweckt, den er nicht auferweckt hätte, da die Toten nicht auferstehen. 16 Denn wenn die Toten nicht auferstehen, dann ist Christus auch nicht auferstanden. 17 Ist Christus aber nicht auferstanden, dann ist euer Glaube vergeblich, dann seid ihr noch in euren Sünden, 18 dann sind auch die, welche in Christus entschlafen sind, verloren. 19 Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.

    20 Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten und der Erstling geworden unter denen, die da schlafen, 21 da durch einen Menschen der Tod und durch einen Menschen die Auferstehung der Toten kommt. 22 Denn gleichwie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden. 23 Ein jeglicher aber in seiner Ordnung. Der Erstling Christus, danach die Christus angehören, wenn er kommen wird. 24 Danach das Ende, wenn er das Reich Gott und dem Vater überantworten wird, wenn er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und Gewalt. 25 Er muss aber herrschen, bis dass er alle seine Feinde unter seine Füße lege. 26 Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod. 27 Denn er hat ihm alles unter seine Füße getan. Wenn er aber sagt; dass es alles untertan sei, ist’s offenbar, dass ausgenommen ist, der ihm alles untertan hat. 28 Wenn aber alles ihm untertan sein wird, alsdann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles untertan hat, damit Gott sei alles in allen.

    29 Was machen sonst, die sich taufen lassen über den Toten, wenn die Toten überhaupt nicht auferstehen? Was lassen sie sich taufen über den Toten? 30 Und was stehen wir alle Stunde in der Gefahr? 31 Bei unserm Ruhm, den ich habe in Christus Jesus, unserem HERRN, ich sterbe täglich. 32 Hab’ ich menschlicher Meinung zu Ephesus mit den wilden Tieren gefochten, was hilft’s mir, wenn die Toten nicht auferstehen? Lasst uns essen und trinken; denn morgen sind wir tot. 33 Lasst euch nicht verführen! Böse Geschwätze verderben gute Sitten. 34 Werdet doch einmal recht nüchtern und sündigt nicht; denn etliche wissen nichts von Gott, das sage ich euch zur Schande.

    35 Will aber jemand, sagen: Wie werden die Toten auferstehen; und mit welchem Leib werden sie kommen? 36 Du Narr, was du säst, wird nicht lebendig, es sterbe denn. 37 Und was du säst, ist ja nicht der Leib, der werden soll, sondern ein bloßes Korn, nämlich Weizen oder der anderen eines. 38 Gott aber gibt ihm einen Leib, wie er will, und einem jeglichen von den Samen seinen eigenen Leib. 39 Nicht ist alles Fleisch einerlei Fleisch, sondern ein anderes Fleisch ist der Menschen, ein anderes des Viehes, ein anderes der Fische, ein anderes der Vögel. 40 Und es sind himmlische Körper und irdische Körper. Aber eine andere Herrlichkeit haben die himmlischen und eine andere die irdischen. 41 Eine andere Klarheit hat die Sonne, eine andere Klarheit hat der Mond, eine andere Klarheit haben die Sterne; denn ein Stern übertrifft den anderen an Klarheit. 42a Also auch die Auferstehung der Toten.

    42b Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. 43 Es wird gesät in Unehre und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft. 44 Es wird gesät ein natürlicher Leib, und wird auferstehen ein geistlicher Leib. Hat man einen natürlichen Leib, so hat man auch einen geistlichen Leib, 45 wie es geschrieben steht: Der erste Mensch, Adam, wurde gemacht eine lebendige Seele, und der letzte Adam ein lebendigmachender Geist. 46 Aber der geistliche Leib ist nicht erste, sondern der natürliche, danach der geistliche. 47 Der erste Mensch ist von der Erde und irdisch; der andere Mensch ist der HERR vom Himmel. 48 Welcher Art der irdische ist, solcher Art sind auch die irdischen; und welcher Art der himmlische ist, solcher Art sind auch die himmlischen. 49 Und wie wir getragen haben das Bild des irdischen, so werden wir auch tragen das Bild des himmlischen.

    50 Davon sage ich aber, liebe Brüder, dass Fleisch und Blut nicht können das Reich Gottes ererben; auch wird das Verwesliche nicht erben das Unverwesliche, 51 Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, 52 und das plötzlich, in einem Augenblick, zu der Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. 53 Denn dies Verwesliche muss anziehen das Unverwesliche, und dies Sterbliche muss anziehen die Unsterblichkeit 54 Wenn aber dies Verwesliche wird anziehen das Unverwesliche, und dies Sterbliche wird anziehen die Unsterblichkeit, dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht: 55 Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? 56 Aber der Stachel des Todes ist die Sünde; die Kraft aber der Sünde ist das Gesetz. 57 Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern HERRN Jesus Christus! 58 Darum, meine lieben Brüder, seid fest, unbeweglich und nehmt immer zu in dem Werk des HERRN, da ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem HERRN.

 

    Die Tatsachen der Auferstehung Christi (V. 1-11): Es scheint, dass es in Korinth falsche Apostel oder sehr unwissende Mitglieder gab, die behaupteten, es gäbe keine Auferstehung der Toten. Deshalb nimmt Paulus eine ausführliche Verteidigung und Darlegung der Lehre in seinen Brief auf. Dieser Abschnitt ist die Krönung des Briefes, ein Beweis für die Wahrheit einer zukünftigen Auferstehung. Der Zweifel, den der Apostel hier bekämpft, ist ein Zweifel, der das Christentum an der Wurzel trifft, der die grundlegende Tatsache des Evangeliums betrifft - die Wahrheit. In einem Ausbruch erhabener und nachhaltiger Beredsamkeit belehrt der geduldige Lehrer die Korinther erneut über die ersten Dinge, über die Lehre, ohne die das Christentum ein Rätsel wäre: Ich aber verkündige euch, Brüder, das Evangelium, das ich euch verkündet habe. In den Worten liegt ein gewisser Tadel, ein Vorwurf, dass es für ihn notwendig geworden ist, so bald einige Informationen zu wiederholen, die zu den grundlegenden Lehren ihres Glaubens gehörten. Man beachte, dass Paulus hier, wie auch an anderen Stellen, seine Leser nicht auf menschliche Gefühle oder Meinungen verweist, sondern auf einen festen Fundus christlichen Wissens, auf das Evangelium, die gute Nachricht von der Erlösung der Menschheit, wie sie von allen Aposteln in die Welt getragen wurde. Von diesem Evangelium sagt er: Welches ihr auch empfangen habt, in welchem ihr auch feststeht, durch welches ihr auch gerettet werdet. Dies sind die Schritte im christlichen Leben: Der Glaube wird im Herzen entzündet, die Botschaft des Evangeliums wird angenommen; der Glaube bleibt im Herzen, der Gläubige setzt seine ganze Hoffnung auf Rettung in das Evangelium, Tag für Tag, und so sind die Wohltaten des Evangeliums, da sie beständig sind, auch fortschreitend, die Rettung ist dem Gläubigen ganz sicher, er hat ihre Wohltaten, er genießt sie Tag für Tag. Das Evangelium ist das Mittel unseres Heils; es ist der Anfang, die Mitte und das Ende unserer Erlösung zum ewigen Leben, denn es macht uns den Reichtum der Gnade Gottes in Christus Jesus zugänglich. Der Glaube an das Evangelium, der Glaube an die Auferstehung Jesu, war in der Gemeinde in Korinth noch vorhanden, sonst hätte der Apostel sein großes Argument nicht auf diese historische Tatsache aufbauen können.

    Aber die Korinther brauchten eine Warnung: In welchem Wort ich euch gepredigt habe, wenn ihr es festhaltet, wenn ihr nicht vergeblich glaubt. Er hatte ihnen den Inhalt des Evangeliums mitgeteilt, was sie sehr wohl wussten, wenn sie sich daran hielten, wie sie sollten. Die Kraft dieses Wortes war so stark, dass es in ihren Köpfen Überzeugungsarbeit leistete und sie ständig in den Genuss des ihnen zuteil gewordenen Heils kamen. Es konnte doch nicht sein, dass sie vergeblich geglaubt hatten, dass ihre Annahme des Wortes des Evangeliums eine rein äußerliche Annahme war, in achtloser Leichtfertigkeit, ohne ernsthaftes Begreifen der damit verbundenen Teile! Die Fülle des Heils und alle seine Wohltaten werden durch das Evangelium geschenkt, aber Torheit und Leichtfertigkeit werden ihre Herrlichkeit verlieren.

    Mit großem Nachdruck verweist Paulus auf die Echtheit seines Evangeliums, auf die Tatsache, dass Gott allein sein Urheber ist: Denn das, was ich empfangen habe, habe ich euch an erster Stelle überliefert, als das Wichtigste, was zu den wichtigsten Glaubensartikeln gehört. Ob Paulus sich hier auf direkte Offenbarung oder auf seine ersten Lektionen im christlichen Glauben aus dem Mund seiner Lehrer bezieht, ist unerheblich. Diese ersten und wichtigsten Glaubensartikel sind, dass Christus für unsere Sünden gestorben ist, wie es in der Schrift steht, dass er begraben wurde und dass er am dritten Tag auferstanden ist, wie es in der Schrift steht. Man beachte die Wiederholung des Hinweises, der zeigt, dass der stellvertretende Tod Christi, sein Begräbnis und seine glorreiche Auferstehung die Erfüllung alttestamentlicher Prophezeiungen und Vorbilder waren, so wie Christus gewohnt war, auf die geschriebenen Schriften zu verweisen, die von seinem Leiden, seinem Tod und seiner Auferstehung erzählen, Luk. 24,46.47. Durch seinen Tod bezahlte Christus die Schuld der Sünde und der Übertretung in vollem Umfang, sein Begräbnis stellte die Gewissheit seines Todes außer Zweifel, und seine Auferstehung am dritten Tag bewies die Vollständigkeit seines Erlösungswerkes. Wäre auch nur eine einzige Sünde nicht bezahlt, eine einzige Übertretung nicht gesühnt worden, hätte die Auferstehung Christi nicht stattfinden können, hätte die Gerechtigkeit Gottes die Rückkehr dessen, der bei der Erlösung der Welt versagt hatte, ins Leben nicht zugelassen. Aber seine Auferstehung ist eine Tatsache, und deshalb ist auch unsere Erlösung eine Tatsache.

    Und für diese Tatsache bringt der Apostel das Zeugnis der Augenzeugen, der Menschen, die den auferstandenen Herrn gesehen hatten, denn er war von Kephas, Petrus, irgendwann am Ostertag gesehen worden, Lukas 24, 34, wahrscheinlich am Nachmittag. Dann wurde er von den Zwölf, d.h. von den elf Jüngern oder Aposteln, am Abend des Ostertages gesehen, Luk. 24,36; Joh. 20,19, wobei die Erscheinung am darauffolgenden Sonntagabend eingeschlossen ist. Einige Zeit danach wurde Christus von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal gesehen, in einer großen Versammlung, wahrscheinlich in Galiläa, von der gesamten Zahl der Männer und Frauen, die während seines irdischen Wirkens zum Glauben an ihn gekommen waren. Vgl. Matth. 26,32. Zu den Hundertzwanzig, die um die Pfingstzeit anwesend waren, gehören auch die Brüder, die in und um Jerusalem lebten. Von diesen fünfhundert glücklichen Augenzeugen, auf die sich Paulus bezieht, lebten die meisten noch, als er diesen Brief verfasste, etwa fünfundzwanzig Jahre nach dem hier so hervorgehobenen Ereignis, aber einige waren entschlafen; als Kinder der Auferstehung hatten sie ihre Augen vor dieser Welt verschlossen, weil sie wussten, dass sie bald für immer bei ihrem Herrn sein würden. Danach wurde Jesus von Jakobus, dem Bruder des Herrn, gesehen, der später zusammen mit Petrus eine Säule der Gemeinde in Jerusalem war, Gal. 1,19; 2,9.12; dann erschien er allen Aposteln zum letzten Mal am Tag seiner Himmelfahrt, Apg. 1,1-13. Und jeder dieser Jünger war ein Zeuge für die Wahrheit der Auferstehung Christi.

    Paulus fügt sein eigenes Zeugnis hinzu: Zuletzt aber ist er auch mir erschienen, gleichsam zur Abtreibung. Seine große Demut veranlasst den Apostel, sich selbst auf diese unhöfliche Weise als untaugliches und abstoßendes Geschöpf zu bezeichnen, das vor der rechten Zeit auf die Welt gekommen ist. Wie ein Kommentator sagt, beschreibt Paulus sich so im Gegensatz zu denen, die, als Jesus ihnen erschien, bereits Brüder oder Apostel waren, die bereits als Kinder Gottes in das Leben des Glaubens an Christus hineingeboren waren. Und er wiederholt diese herabsetzende Meinung über sich selbst mit einem Bekenntnis seiner eigenen Unwürdigkeit: Denn ich bin der geringste der Apostel, der nicht würdig ist, den Namen eines Apostels zu tragen, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe. Die Tatsache, dass er in der Verblendung seines pharisäischen Stolzes ein Lästerer, Verfolger und Schädiger gewesen war, hat den Apostel immer wieder in tiefe Bedrängnis gebracht, Gal. 1,13; 1. Tim. 1,13-16, ließ ihn seine Unwürdigkeit, seinen Mangel an moralischer Qualifikation, an Eignung, an Kompetenz beklagen. Dennoch fügt er dem Zeugnis der anderen Jünger sein Wort hinzu, denn er hat den auferstandenen Christus tatsächlich gesehen, Apg. 9,5; 22,7-9; 26,15. Und er lobt und preist den Herrn, dass er ihn für würdig erachtet hat, Zeuge der Auferstehung und ihrer herrlichen Wohltaten zu sein: Aber durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin, und seine Gnade, die mir erwiesen wurde, war nicht vergeblich, nicht unwirklich. Als eine Gnade, als eine völlig unverdiente Gunst betrachtete Paulus die Tatsache, dass er in die Reihen der Apostel berufen wurde, zumal dies eine vorherige Vergebung und Annahme voraussetzte. Er rühmte sich nicht seiner selbst, seiner persönlichen Leistungen, sondern hatte nur den einen Gedanken, die Gnade Gottes zu verherrlichen, Röm. 1,5. Und das Ergebnis war, dass er sich mehr abmühte als sie alle. Es war harte, schmerzhafte, anstrengende Arbeit, aber sie brachte auch reichen Ertrag; durch seinen ununterbrochenen, systematischen Einsatz hatte Paulus in der Ausbreitung des Reiches Gottes mehr erreicht als alle anderen Apostel bis zu dieser Zeit. Und doch weist er noch einmal den Gedanken an persönlichen Wert oder Verdienst zurück: Nicht ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir war. Paulus war nur das Werkzeug der Barmherzigkeit und Macht Gottes zum Nutzen vieler Menschen, Juden und Heiden. So kann er diesen Abschnitt mit den fröhlichen Worten abschließen: Ob nun ich es war, der gepredigt hat, oder sie, die anderen Apostel, die in dieses Amt eingesetzt worden waren: So haben wir gepredigt, und so habt ihr geglaubt. Alle Apostel waren sich darin einig, dass die großen Tatsachen der Erlösung des Menschen, die grundlegenden Lehren, zuerst dargelegt werden mussten. Und die Korinther selbst, die die von Paulus und den anderen Aposteln verkündete Lehre annahmen, bezeugten deren Richtigkeit durch ihren Glauben.

 

    Die Auferstehung Christi ist die Grundlage für den christlichen Glauben (V. 12-19): Alle Korinther mussten zugeben, dass die Apostel in der Lehre von der Auferstehung Christi (wie in allen anderen Lehren des christlichen Glaubens) in vollkommener Harmonie lehrten. Es wurde gepredigt, dass Christus von den Toten auferstanden sei, und diese historische Tatsache akzeptierten sie als Wahrheit. Gleichzeitig gab es jedoch in ihrer Mitte einige, die behaupteten, dass es so etwas wie eine Auferstehung der Toten nicht gab. Das war ein höchst merkwürdiger Widerspruch, der ihnen aber nicht als solcher bewusst geworden war. Eine solch pauschale Leugnung neben der ruhigen Akzeptanz der großen historischen Tatsache der Auferstehung Christi war so seltsam, dass der Apostel einen Aufschrei der verärgerten Überraschung ausstieß.

    Nun fährt er fort, sie durch ein doppeltes Argument aufzuklären, indem er zeigt, dass, wenn ihre Position richtig war, die christliche Lehre falsch und der Glaube nutzlos sein musste. Was folgt aus dem Standpunkt, den diese Brüder in Korinth eingenommen haben? Wenn die leibliche Auferstehung der Toten ein Ding der Unmöglichkeit ist, so ist auch Christus nicht auferstanden; die Vorstellung eines auferstandenen, lebendigen Christus ist dann absurd, denn die Leugnung der leiblichen Auferstehung muss Christus ebenso treffen wie alle anderen Toten, da er als wahrer Mensch starb. Eine andere Folge: Wenn aber Christus nicht auferweckt wird, dann ist auch unsere Verkündigung vergeblich, vergeblich auch euer Glaube. Das wäre die zweite Konsequenz der Leugnung: Wenn die Tatsache der Auferstehung Christi aufgegeben würde, wie es dem ersten Argument entspricht, dann müsste auch das Zeugnis der Auferstehung diskreditiert werden; und da die Botschaft unwahr ist, folgt daraus, dass der Glaube, der sich auf eine falsche Darstellung stützt, keine Grundlage hat, er ist hohl, unwirksam, nutzlos. Wollte jemand von den Korinthern behaupten, dass das Evangelium mit all seinen herrlichen Wirkungen eine Täuschung sei? Und was würde das Ergebnis sein, was den Charakter, die Wahrhaftigkeit der Apostel anbelangt? Wir aber müssten als lügnerische Zeugen Gottes gefunden, entlarvt, in Schande gebracht werden, weil wir gegen Gott bezeugen, dass er Christus auferweckt hat, den er nicht auferweckt hat, wenn die Behauptung über die Absurdität der leiblichen Auferstehung Bestand haben soll. Wenn jemand von Gott sagt, er habe etwas getan, was er in Wirklichkeit nicht getan hat, obwohl er dazu in der Lage wäre, dann legt er ein falsches Zeugnis gegen Gott ab. Daraus würde folgen, dass die Apostel nicht nur verblendete Narren, sondern auch Betrüger und Hochstapler waren. Das ist die eine Folge, wenn man darauf besteht, die Auferstehung des Leibes zu leugnen.

    Der Apostel wiederholt nun die Behauptung der fehlgeleiteten korinthischen Christen, um eine zweite unvermeidliche Konsequenz dieser Position aufzuzeigen, nämlich, dass das gesamte Gefüge des christlichen Glaubens und Lebens unwirklich und ein Hohn ist. Er beginnt erneut mit der Feststellung, dass die Tatsache der Auferstehung Christi nicht aufrechterhalten werden kann, wenn es keine leibliche Auferstehung gibt. Was folgt daraus? Wenn Christus nicht auferstanden ist, ist dein Glaube nutzlos, eitel, ohne nützliche Ergebnisse, eine Täuschung. Und da dieser Glaube im Wesentlichen das Vertrauen auf die Vergebung der Sünden ist, die durch das Werk Christi ermöglicht und durch seine Auferstehung besiegelt wurde, folgt daraus, dass ihr noch in euren Sünden seid; das Sühnopfer ist eine Verhöhnung. Und was diejenigen betrifft, die im Vertrauen auf Jesu vollkommene Erlösung entschlafen sind, so sind sie in einer vergeblichen Hoffnung gestorben; statt die Seligkeit einer vollkommenen Erlösung in der Gegenwart Gottes zu erlangen, ist ihr Schicksal das der Verdammnis. „Wenn Christus nicht zu unserer Rechtfertigung auferstanden ist, dann sind diejenigen, deren Tod nur ein seliger Schlaf für ein glückliches Erwachen in der Gemeinschaft mit ihrem lebendigen und verherrlichten Erlöser zu sein schien, so weit davon entfernt, in das ewige Leben aufgenommen worden zu sein, dazu verdammt, weiterhin unter der elenden Herrschaft des Todes zu bleiben.“[75] Und um die Wahrheit, die er den Korinthern einprägen will, zu verdeutlichen, fügt der Apostel hinzu: Wenn wir in diesem Leben nur Hoffende in Christus sind, wenn alle Hoffnung auf die Zukunft eitel und eine törichte Täuschung ist, wenn es keine Vergebung der Sünden, keine Hoffnung auf ein künftiges Erbe im Himmel gibt, dann sind wir Christen in der Tat von allen Menschen am meisten des Mitleids bedürftig. Denn auf einer Hoffnung zu beharren, die keinen Grund hat, die sich niemals erfüllen kann, und für eine solche Hoffnung alles materielle Gut zu verleugnen, - das würde den Ungläubigen das Recht geben, uns für schwachsinnige Narren zu halten, die man wegen ihrer elenden Verblendung bemitleiden muss. Das Argument des Paulus ist umso wirkungsvoller, als es jeden wahren Christen in der korinthischen Gemeinde praktisch dazu zwang, die Schlussfolgerung zu ziehen: Ich weiß, dass mein Glaube kein vergebliches Vertrauen ist; die christliche Lehre beruht nicht auf einer Täuschung; ich bin mir der Vergebung meiner Sünden sicher, die mir im Evangelium zugesichert wurde; die Apostel müssen wahre Zeugen sein; Christus ist von den Toten auferstanden; es muss eine Auferstehung des Leibes geben.

 

    Die siegreiche Linie der Argumentation (V. 20-28): Im Gegensatz zu den beklagenswerten Folgen, die sich aus der Annahme ergeben würden, wie sie von den unwissenden Leugnern der Auferstehung des Leibes vertreten wird, stellt Paulus seinen Lesern nun triumphierend die Tatsache der Auferstehung und ihre glorreichen Folgen vor Augen. Wäre Christus nicht auferstanden, so hätten sich all die verhängnisvollen Ereignisse von selbst ergeben müssen. Aber so wie die Dinge jetzt stehen, wenn wir die Situation betrachten, wie sie wirklich ist: Christus ist von den Toten auferweckt worden als Erstling der Entschlafenen. Die Tatsache seiner Auferstehung ist über jeden Zweifel und jede Anfechtung erhaben, sie wird sogar von jenen korinthischen Christen nicht in Frage gestellt, die in Bezug auf diese Lehre eine falsche Auffassung vertreten. Und so wird uns Christus als die Erstlingsfrucht, das erste Opfer der neuen Ernte vor Augen gestellt, 3. Mose 23,10, ein Zeichen und Hinweis darauf, dass die gesamte Ernte dem Herrn geheiligt ist. Er war der erste Tote, der alle Sterblichkeit ablegte und einen geistlichen Leib annahm, der in alle Ewigkeit nicht dem Tod unterworfen sein würde. Und so werden auch die in Christus Entschlafenen in der Hoffnung auf das ewige Leben von den Toten auferstehen; der ersten Erntegarbe werden alle anderen Garben folgen; die Leiber aller Gläubigen werden die Sterblichkeit ablegen; sie werden, Gott geweiht, derselben Geistigkeit teilhaftig werden, Kol. 1,18; Offb. 1,5.

    Der Apostel erklärt, wie dieses Ergebnis zustande gekommen ist: Denn da durch einen Menschen der Tod ist, ist auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. Ein Mensch, Adam, war das Mittel, das Werkzeug, durch das der Tod in die Welt kam. Er hat von der verbotenen Frucht gegessen und damit den Fluch Gottes wirksam werden lassen; er hat die Menschheit dem physischen Tod unterworfen. Andererseits ist durch den Menschen auch die Auferstehung der Toten; Jesus, der wahre Mensch, hat durch seine Auferstehung den Bann des Todes gebrochen, ist der erste einer neuen Menschheit geworden, über die der Tod keine Macht mehr hat, Röm. 6,9. Denn wie im Adam, in diesem einen Menschen, der die ganze Menschenwelt repräsentiert, alle Menschen sterben, so werden auch im Christus, im verheißenen Messias, alle lebendig gemacht werden. Wie der Tod in allen Fällen in Adam begründet ist, so ist das Leben in allen Fällen in Christus begründet. Wie in Adam alle sterben, die zu Adam gehören, die sündige Menschen sind, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden, die durch den Glauben an ihn zu Christus gehören.

    Die Art der Auferstehung wird dieselbe sein, aber es wird eine Unterscheidung der Reihenfolge oder des Ranges geben: Aber jeder in seinem eigenen Rang, in seiner richtigen Reihenfolge - Christus, der Erstling, dann die, die zu Christus gehören, bei seinem Kommen. Mit dieser Aussage soll ein Einwand ausgeräumt werden, den Menschen vorbringen könnten, indem sie darauf hinweisen, dass die Gläubigen an Christus in ihren Gräbern an der Seite derer liegen, die aufgrund des Fluchs, der in Adam über die Welt kam, dem Tod unterworfen waren. Paulus sagt einfach, dass der Herr nach seinem Plan eine bestimmte Ordnung einhält. Christus ist als Erstling in die Fülle des Lebens eingegangen, hat in seiner menschlichen Natur die Unsterblichkeit, einen unvergänglichen Leib angenommen. Und die, die durch den Glauben zu Christus gehören, werden in denselben herrlichen Zustand eingehen, wenn er am letzten großen Tag wiederkommt.

    Wenn Christus also kommt, dann ist das Ende; seine Wiederkunft zum Endgericht bedeutet den Abschluss der Weltgeschichte, wenn er das Reich seinem Gott und Vater übergibt, wenn er jede Herrschaft und jede Obrigkeit und jede Macht niedergelegt und abgeschafft hat. Christus ist jetzt der König im Reich der Macht und im Reich der Gnade. Und er übt die Pflichten dieses Amtes unablässig aus; er fügt seinem Gnadenreich weitere Seelen hinzu, er legt Fürbitte ein für die, die durch den Glauben in seine Herrschaft aufgenommen wurden. Dieses Werk der Barmherzigkeit dauert bis zum letzten Tag an, wenn die Geschichte dieser Welt zu Ende geht und die letzten Auserwählten der vom Herrn festgelegten Zahl hinzugefügt werden. Bis dahin wird er auch alle Mächte des Bösen beseitigen, die sich seinem Gnadenwerk widersetzen, wie fest ihre Herrschaft auch sein mag, wie weitreichend ihre Autorität auch sein mag, wie groß ihre Macht auch im Augenblick zu sein scheint. Und dann wird Christus seinem Vater das Reich zu Füßen legen; das wird das Ende des Gnadenreichs sein, denn an jenem Tag wird die streitende Kirche in die triumphierende Kirche umgewandelt werden, und das Reich der Herrlichkeit wird seinen Anfang haben. Dies ist kein Ende der Herrschaft Christi, sondern der Beginn des ewigen Reiches Gottes; als siegreicher Fürst des Lebens legt er die Beute, die Macht und die Herrschaft aller seiner Feinde, dem Vater zu Füßen und geht dann mit dem Vater in vollkommener Wesenseinheit zur Herrschaft in alle Ewigkeit über. Was die gegenwärtige Welt, den gegenwärtigen Zeitabschnitt betrifft, so muss Christus so lange herrschen, bis er alle seine Feinde unter seine Füße gelegt hat, Ps. 110,1. Satan, der Erzfeind Christi, und alle mit ihm verbündeten Mächte, die sich Gott widersetzen, müssen in die vollkommenste Unterwerfung, in die tiefste Erniedrigung gebracht werden. Der letzte Feind, der absolut machtlos gemacht werden soll, dessen Herrschaft ihm genommen werden soll, ist der Tod: Der Tod ist der letzte Feind, der seinen Untergang erlebt. Wenn die Auferstehung am Jüngsten Tag vollendet ist, wird die Macht des Todes für immer aufgehoben sein, es wird kein Sterben und kein Totsein mehr geben; das letzte Bollwerk Satans wird zerstört sein, nachdem er seine Waffen niedergelegt hat. Es ist ein Siegesruf, den der Apostel hier ausstößt, als er den Höhepunkt dieses Abschnitts erreicht.

    Die unbegrenzte Herrschaft, die Christus durch die Beseitigung aller seiner Feinde zukommen wird, wird schließlich dargestellt: Denn „alles hat er unter seine Füße gelegt“. Wenn er aber sagt: „Alles ist unterworfen“, - offensichtlich mit Ausnahme dessen, der ihm alles unterworfen hat, - wenn ihm alles unterworfen sein wird, dann wird sich auch der Sohn selbst dem unterwerfen, der ihm (dem Sohn) alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem sei. Der Apostel wendet hier die Worte aus Ps. 8, 6 auf Jesus an, den Menschen, der über allen Menschen steht. Vgl. Eph. 1,22. Gott hat Christus gemäß seiner menschlichen Natur Macht und Herrschaft über alle Dinge gegeben und alles seinem Willen unterworfen. Dieses „alles“ ist so absolut und allumfassend, dass nur der Vater selbst davon ausgenommen ist, da er die unbegrenzte Oberhoheit hat. Und im Übrigen wird sich der Sohn dann dem Vater unterordnen, nicht als ihm wesensmäßig untergeordnet, sondern in der freien Unterwerfung der Liebe. In allen Werken Seines Amtes als Erlöser war Er Seinem Vater in vollkommenem Gehorsam treu, und nun unterwirft sich der Sohn in Seiner Sohnschaft Seinem Vater als Vater, damit Gott alles sei, der einzige Gegenstand des Lobes, der Herrlichkeit und der Anbetung, in allem, wobei die Gläubigen Ihm die freudige Verehrung ihrer Seligkeit erweisen und die Ungläubigen und alle anderen Geschöpfe sich vor Ihm als dem höchsten Herrn verneigen. Merke: Diese Worte lehren keineswegs, dass der Sohn dem Vater wesensmäßig unterlegen ist; im Gegenteil, die absolute Einheit in der Unterscheidung der Personen tritt umso deutlicher und auffallender hervor. Was der Sohn an Herrlichkeit erlangt hat, ist der Herrlichkeit und Macht des Vaters gewidmet, der seinerseits den Sohn verherrlicht. Vgl. Kap. 3,22; 11,3.[76]

 

    Die Wirkung des Unglaubens in der Lehre von der Auferstehung (V. 29-34): Nachdem der Apostel die Folgen der Auferstehung Christi bis zu einem triumphalen Ausbruch des Sieges vorgetragen hat, kehrt er nun zu seinem allgemeinen Satz zurück, um hier die Vergeblichkeit aller christlichen Hingabe zu zeigen, wenn der Tod das endgültige Ende ist. Er bezieht sich dabei auf einen Ritus, der damals in einigen christlichen Gemeinschaften üblich war, nämlich entweder, dass Menschen anstelle von Toten getauft wurden, in dem törichten Glauben, dass die Wohltaten des Sakraments den Toten gutgeschrieben würden, oder dass einige Christen es vorzogen, über den Gräbern der heiligen Toten getauft zu werden, als Bekenntnis ihres Glaubens, dass die Segnungen der Auferstehung Christi in der Taufe übertragen werden und dass die getauften Gläubigen mit Christus zum ewigen Leben auferstehen werden, erklärt Paulus, dass dieser Brauch ohne Sinn und Verstand wäre, wenn es keine Auferstehung des Leibes gibt. Denn das war die Parole der Ungläubigen: Die Vorstellung von einer leiblichen Auferstehung ist absolut falsch! Auf seinen eigenen Fall bezogen, fragt Paulus: Und warum laufen wir stündlich in Gefahr? Welchen Sinn hätte es, Tag für Tag dem Tod zu trotzen, wenn es für die Apostel keine Hoffnung auf Belohnung für ihre Mühen der Selbstverleugnung im Zustand der Auferstehung gäbe? Nimm einem Christen die Hoffnung auf ein zukünftiges Leben mit Christus, und du machst das Elend und die Trübsal dieses gegenwärtigen Lebens unerträglich. Paulus unterstreicht diesen Punkt mit größter Vehemenz: Täglich sterbe ich; wegen der vielen Gefahren, die mich bedrohen, bin ich immer am Rande des Todes. Es gab keinen Tag, keine Stunde des Tages, an dem er nicht damit rechnen musste, ergriffen und zu seiner Hinrichtung geführt zu werden. Und um den Korinthern klar zu machen, was er damit sagen will, fügt er den feierlichen Schwur hinzu: Bei eurer Verherrlichung, Brüder, die ich in Christus Jesus, unserem Herrn, habe. Die korinthischen Gläubigen selbst waren der Ruhm des Paulus, den er als ihr Apostel in Christus Jesus hatte, Kap. 9,1.2, die er als kostbares Gut in die Hände seines Erlösers gelegt hatte.

    Paulus führt ein konkretes Beispiel an, in dem ihn die Hoffnung auf das künftige Leben gestützt hat: Wenn ich in Ephesus nach Menschenart mit wilden Tieren gekämpft habe, was nützt es mir? Wenn die Toten nicht auferstehen (es gibt nur eines zu tun): Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir! Einige Gelehrte, darunter auch Luther, glauben, dass der Apostel tatsächlich dazu verurteilt worden war, im Stadion von Ephesus den wilden Tieren vorgeworfen zu werden, und dass er durch ein Wunder gerettet wurde.[77] Es ist aber wahrscheinlich, dass Paulus bildlich spricht und sich auf den Pöbel in Ephesus bezieht, der von den Heiligtumsmachern aufgewiegelt wurde (Apg. 19,23-41), oder auf die Juden, die ihm ständig auflauerten, um ihn zu töten (Apg. 20,19). Wenn er alle Mühen dieses Kampfes auf sich genommen hätte, wie es die Menschen im Allgemeinen tun, um des Beifalls, des Geldes, des Ruhmes usw. willen, so hätte es ihm unter den gegebenen Umständen nichts genützt, wenn die Argumente der unwissenden Korinther stichhaltig wären. Denn wenn es keine Auferstehung des Leibes gibt, kann man sich genauso gut dem Spruch der leichtsinnigen Spötter der Welt anschließen: Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir, Jes. 22,13. Wenn der Tod das Ende ist, wenn der physische Tod gleichbedeutend ist mit der Vernichtung, dann können die Christen ihr Christentum genauso gut über Bord werfen und nach dem Spruch leben: Ein kurzes Leben und ein fröhliches!

    Doch Paulus hebt warnend den Finger: Lasst euch nicht verführen! Lasst euch von niemandem in die Irre führen! Schlechte Gespräche, schlechte Gesellschaft verderben die guten Sitten. Wenn ein Mensch in der Gesellschaft lockerer Menschen der Versuchung nachgibt, wird seine moralische Natur zwangsläufig darunter leiden. Sein Charakter wird durch böses Gerede untergraben; seine Ehrlichkeit wird durch Schurkerei überwunden. Der Apostel zitiert dies als eine Art Sprichwort, ein Wort, das wahrscheinlich in aller Munde war, obwohl es auch in der klassischen griechischen Dichtung, ursprünglich bei Euripides, aber auch bei Menander, enthalten ist.[78] Mit einem Ausruf voller apostolischer Erhabenheit wendet sich Paulus an die gesamte korinthische Gemeinde: Werdet richtig nüchtern und hört auf zu sündigen! Er will, dass sie alle zu einem Verstand voller Nüchternheit, Vernunft und gesundem Menschenverstand zurückkehren und ihn pflegen, und zu diesem Zweck auch die Sündhaftigkeit dieser Lehrmeinung, wie sie in ihrer Mitte vertreten wurde, erkennen, denn falsche Lehre ist eine Sünde gegen die erste Tafel des Gesetzes. Denn einige ihrer Mitglieder hielten bewusst an einer Position der Unwissenheit fest, wie Paulus sagen muss, zu ihrer aller Schande. Bei allem Stolz auf ihre Weisheit halten sie absichtlich an falschen Ansichten fest, die die gesamte Struktur der christlichen Lehre untergraben. Diesem Übel könnte nur durch eine gründliche Reaktion abgeholfen werden, die auf dem offenen Eingeständnis der in ihrer Mitte bestehenden falschen Ansichten und der raschen Annahme der geoffenbarten Wahrheit beruht.

 

    Wie unsere Auferstehung sein wird (V. 35-42a): Die Auferstehung des Leibes nicht zu kennen, nicht daran zu glauben, das ist für einen Christen eine Schande und Schmach; aber die Art und Weise der Auferstehung ist ein Geheimnis, das allenfalls durch analoge Vorgänge in der Natur illustriert werden kann. Auf diese Weise begegnet Paulus der Frage: Wie werden die Toten auferweckt? Und mit welcher Art von Körper kommen sie? Die lauernden Vorstellungen von der Unmöglichkeit und Unvorstellbarkeit der Auferstehung des Leibes werden aufgegriffen; denn der Apostel ist sich darüber im Klaren, dass jemand argumentieren könnte: Die Auferstehung, wie sie von den Aposteln verkündet wird, ist absurd; wie kann man sich einen neuen Leib vorstellen, der aus einem von Würmern zerfressenen oder zu Staub zerfallenen Leichnam auferstehen soll? Was das erste Argument betrifft, so zögert Paulus keinen Augenblick, seinen Verfechter der geistigen Dummheit zu bezichtigen, denn die ganze Natur lehrt, dass der Tod nur ein Übergang zum neuen Leben ist: Was du gesät hast, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt. Das Geheimnis der Auferstehung ist in jedem aufkeimenden Samen enthalten. Die Schale, die als Hülle, als Träger für den Keim dient, wird verfaulen und sterben, während der Inhalt des Kerns durch einen chemischen Prozess, den nur der Schöpfer erklären kann, unter den richtigen Bedingungen für die Keimung zu neuem Leben aufsteigen wird.

    Auf das Argument, dass ein solcher Vorgang nicht vorstellbar ist, antwortet Paulus mit der Analogie desselben Bildes: Was du säst, säst du nicht den Leib, der werden soll, sondern das nackte Korn, wobei es keinen Unterschied macht, ob es vom Weizen oder von einem der anderen Körner ist. Was wir Jahr für Jahr vor unseren Augen sehen, mag für uns unbegreiflich sein, aber man kann nicht mehr sagen, es sei unvernünftig. Wenn der Bauer oder Gärtner die Saat in die Erde legt, weiß er, dass er keinen neuen Körper pflanzt, der nur wachsen müsste. Er legt das nackte, unbekleidete Korn irgendeines Samens in die Erde und lässt sich nicht durch den Einwand irgendeines Dummkopfes, der noch nie etwas sprießen gesehen hat, abschrecken, dass sein Samen in der Erde nur verrotten wird. Die Erfahrung hat den Landwirt gelehrt, dass das Weizenkorn, obwohl es an sich so leblos ist wie ein Sandkorn, unter den richtigen Bedingungen dennoch einen neuen Körper hervorbringen wird. Gott ist es, der dem keimenden Samen die Kraft und der Pflanze den Körper gibt, gemäß seinem Schöpfungsdekret, das den Fortbestand des Lebens durch diese Form der Fortpflanzung bestimmt hat. Und er gibt jedem Samen einen eigenen Körper. Es ist sein ganzes wunderbares Wirken, aber dieselbe Macht ist auch in der Lage, uns bei der Auferstehung unseren Körper zurückzugeben.

    Paulus zieht nun einen zweiten Vergleich heran, um zu zeigen, mit welcher Art von Körper die Toten kommen werden: Nicht alles Fleisch ist gleich, sondern verschieden ist das der Menschen, verschieden das der Tiere, verschieden das der vierfüßigen Tiere, verschieden das Fleisch der geflügelten Tiere, verschieden das der Fische. Alle diese Geschöpfe haben Fleisch in ihrem Körper, und doch ist es nicht dasselbe; es gibt eine Vielfalt nicht nur in der Organisation, sondern auch in der Zusammensetzung, wie sowohl der Gefühls- als auch der Geschmackssinn bezeugen können. Der Gott, der eine so wunderbare Macht hat, diese Vielfalt hervorzubringen, wird sicherlich in der Lage sein, jedem Menschen bei der Auferstehung einen Körper zu geben. Wiederum argumentiert der Apostel: Es gibt himmlische Leiber und irdische Leiber; aber die Herrlichkeit der himmlischen Leiber ist eine, die der irdischen Leiber eine andere. Die Sterne und alle himmlischen Körper haben durch Gottes Schöpfung eine andere Herrlichkeit als die irdischen Körper, obwohl die Schönheit der letzteren in den mannigfaltigen Wundern der Natur durchaus mit ihnen verglichen werden kann. Schließlich unterscheiden sich auch die Himmelskörper untereinander in ihrer Schönheit und Helligkeit: Sonne, Mond und Sterne zeigen eine Vielfalt an Herrlichkeit, die man sofort erkennen muss: Alle sind herrlich, aber in verschiedenen Abstufungen. Und derselbe Gott, der all diese Wunder vollbracht hat, ist auch in der Lage, für seine Heiligen zur Zeit der Auferstehung Leiber zu schaffen, die ganz der Herrlichkeit des kommenden Reiches Christi entsprechen werden. Paulus fasst also alles zusammen, was er in dem ganzen Abschnitt vorgebracht hat: So ist es auch mit der Auferstehung der Toten. Sie ist so vernünftig wie das immer wiederkehrende Wunder der Keimung und des neuen Wachstums, und die Körper, die sie notwendig machen wird, können von demselben Gott bereitgestellt werden, der alle wunderbaren Geschöpfe vor unseren Augen ins Dasein ruft. Nur weil unsere Körper jetzt grobstofflich sind, wäre es ein Fehler, daraus zu schließen, dass sie nicht auf Gottes Geheiß in einem völlig anderen und weit höheren Zustand existieren können.

 

    Ein Unterschied zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Zustand (V. 42b-49): Während der Apostel diesen schönen Kontrast entwickelt, behält er die Bildsprache der im vorangegangenen Abschnitt verwendeten Bilder bei und macht so seine Darstellung konkret, leicht verständlich, in einem feinen, symmetrischen Muster. Wie mit dem Samenkorn, so verhält es sich auch mit dem menschlichen Körper, insbesondere mit dem der Gläubigen: Er wird in Verwesung gesät, er wird in Unverweslichkeit auferweckt. Der tote Körper wird in seine letzte Ruhestätte, das Grab, gelegt. Wir säen ihn als Samen in Gottes Acker, weil wir wissen, dass er zu unvergänglichem Leben aufgehen wird. Die Verwesung mag die leblose Hülle ergreifen, die Fäulnis mag zur völligen Zersetzung des Körpers führen, doch die allmächtige Kraft des Herrn wird ihn zu einem herrlichen, himmlischen Zustand aufrichten. In Unehre gesät, wird er in Herrlichkeit auferweckt. Der irdische Leib ist durch das Wirken der Sünde und ihre Folgen unschicklich, schändlich, Phil. 3,21, und bei seiner Beerdigung ist das wenige, was er an Anziehungskraft und Schönheit besessen haben mag, verschwunden; er muss vor den Augen der Menschen verhüllt werden. Aber wenn Gott ihn aus dem Grab herausruft, wird er in Herrlichkeit auferstehen, erneuert zum Glanz seines Bildes, das ihn geschaffen hat, geformt wie der herrliche Leib Christi selbst. „Durchsichtig wie Kristall wird der Leib der Auferstehung die Herrlichkeit ausstrahlen, die der Geist Christi ihm verleiht; das Fleisch wird nicht mehr eine trübe Hülle sein, sondern eine Leuchte geistigen Lichts, so wie Christus auf dem heiligen Berg verklärt wurde.“[79] Es wird in Schwachheit gesät, es wird in Kraft auferweckt. Der Körper, den wir dem Grab übergeben, ist im Begriff, zu dem Staub zurückzukehren, aus dem er gemacht wurde; das wenige an körperlicher und geistiger Kraft, das in diesem ungeliebten Körper lebte, ist verflogen; er ist eine träge, hilflose Masse von verwesendem Fleisch. Wenn aber der Posaunenruf des Herrn die Gebeine zusammenführt, dann wird derselbe Leib mit Kraft aus der Höhe bekleidet sein, sein Wesen wird dem des Leibes Christi gleichen. Und alle diese Tatsachen fasst Paulus zusammen: Es wird ein natürlicher, ein fleischlicher Leib gesät, der in allen seinen Handlungen von der Seele beherrscht wird, aber dennoch der Vergänglichkeit, der Unehre und der Schwäche unterworfen ist. Und es wird ein geistlicher Leib auferweckt, der die Eigenschaften eines Geistes hat, mit Unverweslichkeit, Herrlichkeit und Kraft. Denn wenn es einen natürlichen Leib gibt, in dem die Seele die Trägerin des natürlichen Lebens ist, dann gibt es keinen Grund anzunehmen, dass es nicht auch einen geistlichen Leib gibt, der vom Geist durch die Kraft Gottes besessen, vergeistigt wird. So gilt der Vergleich: Der Auferstehungsleib ist zwar nicht derselbe schwache, verdorbene Leib, der ins Grab gelegt wurde, und doch sind es nicht zwei verschiedene Leiber, wobei der natürliche Leib vernichtet und der geistige Leib mit der Seele des früheren Menschen erfüllt wird. Der geistliche Leib, der christliche Auferstehungsleib, ist vielmehr der Auswuchs des neuen Menschen, der durch das Wort und die Sakramente als Keim des künftigen verherrlichten Leibes in den Christen eingepflanzt wurde.

    Der Apostel untermauert diese Lehre mit einem Schriftzitat: Der erste Mensch, Adam, wurde eine lebendige Seele, 1. Mose 2,7. Das war der natürliche Zustand Adams als Repräsentant und Urvater des ganzen Menschengeschlechts; er wurde als leibliches, beseeltes Wesen geschaffen und existierte als solches während seines irdischen Lebens. Im Gegensatz dazu sagt Paulus, dass der letzte Adam, der Stammvater der neuen geistigen Menschheit, ein lebensspendender Geist wurde, denn Christus ist das Gegenbild Adams. Von Adam als Urvater erhielt das Menschengeschlecht nur das seelische, irdische, natürliche Leben; von Christus aber, dem Urvater des geistigen Menschengeschlechts, erhalten die Gläubigen das wahre geistige Leben, das über das Grab hinausreicht und uns zu Besitzern der göttlichen Herrlichkeit macht: Er ist die Quelle des himmlischen und ewigen Lebens.

    Sollte nun jemand einwenden, warum Gott nicht gleich jeden Menschen so erschaffen hat, dass er den Leib gleich vergeistigt, um Seele, Leib und Geist das ewige, himmlische Leben zu geben, so antwortet Paulus: Aber nicht zuerst ist das Geistige, sondern das Seelische, das Natürliche, dann das Geistige. Auch der Leib Adams, des ersten Menschen, war nicht geistig, sondern natürlich, denn nach Gottes Absicht sollte der vergeistigte Zustand dadurch erreicht werden, dass der Mensch in ständiger Gemeinschaft mit dem Herrn blieb, wozu Adam die Kraft erhalten hatte. Durch den. Durch den Sündenfall wurde die Absicht Gottes natürlich durchkreuzt, und jetzt ist der Leib der Sünde mehr denn je ein natürlicher Leib, wahrhaft aus dem Fleisch geboren. Nur durch die Kraft des Geistes in den Mitteln der Gnade wird das geistliche Leben in uns eingepflanzt, und nur durch die Anwendung derselben Kraft wird er uns als geistliche Körper aufrichten. Daraus folgt, dass der erste Mensch von der Erde ist, irdisch, sein Körper hat Anteil an der Natur des Staubes, aus dem er geformt wurde. Der zweite Mensch, Christus, hatte keinen solchen Ursprung, auch wenn er im Leib der Jungfrau Maria menschliche Natur annahm. Vom Augenblick seiner Empfängnis an war er der Herr vom Himmel, der Menschensohn, der im Himmel ist, Joh. 3,13. Und so hat er den ersten Vater der Menschheit abgelöst und verdrängt; er ist vom Himmel, der Gottmensch. Wie die Irdischen, so sind auch die Irdischen; alle, die von Adam abstammen, sind wie er von irdischer Natur. Anstatt sich zu einem geistigen Zustand zu erheben, fiel Adam in die Sünde; und wir, die wir seine leiblichen Nachkommen sind, sind in seinem Fall gefallen und tragen sein rein natürliches, irdisches Leben. Und wie die Himmlischen, so auch die, die himmlisch sind; wie der erhöhte Christus, der Erstgeborene von vielen Brüdern, an der Fülle der himmlischen Herrlichkeit in seinem geistigen Leib teilhat, so werden auch die auferstandenen Nachfolger Christi, deren Leib seinem eigenen herrlichen Leib gleichgestaltet ist, an dieser Herrlichkeit teilhaben. Und wie wir das Bild des Irdischen, die äußere, leibliche Gestalt unseres Stammvaters Adam, getragen haben, so sollen auch wir das Bild des Himmlischen tragen. Wir schleppen diesen Sündenleib mit uns herum und haben während unseres irdischen Lebens Heimweh nach dem wahren Leben oben; aber wir freuen uns auf den glücklichen Tag unserer endgültigen Befreiung, wenn wir nach seinem Bild wiederhergestellt werden und wieder, nach Seele und Leib, in die Reihen der Kinder Gottes eintreten, 1. Joh. 3,2; Kol 3,4. „Das Tragen der moralischen Ähnlichkeit Christi hier bringt das Tragen seiner körperlichen Ähnlichkeit im Jenseits mit sich.“

 

    Die Verwandlung am letzten Tag und der Sieg über den Tod (V. 50-58): Der Apostel legt hier ein letztes Argument für die Auferstehung des Leibes vor. Denn die Beerdigung der Toten mit ihrem Bild von Verwesung und Verderbnis erschüttert keineswegs unseren Glauben an die Realität der Auferstehung, sondern lehrt uns vielmehr, dass der Leib in seinem gegenwärtigen Zustand vergehen und verwandelt werden muss, bevor er die Herrlichkeiten des Himmels erben kann. Mit großem Nachdruck schreibt Paulus: Dies aber sage ich, Brüder, dass Fleisch und Blut, der natürliche Leib als solcher, das Reich Gottes nicht erben kann; auch erbt das Vergängliche nicht das Unvergängliche. Wenn der Mensch Besitzer der himmlischen Herrlichkeit werden will, mit all der Glückseligkeit, die in ihrem Genuss enthalten ist, dann ist es absolut notwendig, dass er die Veränderung durchläuft, durch die dieses irdische Kleid und diese Fessel der Vergänglichkeit beseitigt wird.

    Diese unabdingbare Verwandlung bei den noch lebenden Menschen ist Gegenstand einer wunderbaren Offenbarung, die Paulus im Folgenden mitteilt und dabei auf ihre Bedeutung hinweist: Siehe, ich sage euch ein Geheimnis! Er öffnet vor ihren Augen eines der Geheimnisse, die der Herr ihm kundgetan hatte. Nicht alle werden wir entschlafen, nicht alle Gläubigen werden am letzten Tag im Schlaf des Todes liegen, sondern wir werden alle verwandelt werden. Unser vergänglicher Körper, ob durch den Tod oder nicht, muss die Verwandlung erfahren, durch die er geistig wird. Die Verwandlung wird universell sein und sich auf alle Lebenden erstrecken, wenn der Jüngste Tag anbricht. In einem Augenblick, buchstäblich in einem Atom der Zeit, in der Dauer eines Lidschlages, während des Ertönens der letzten Posaune, wird dies geschehen. Das wird eines der sicheren Zeichen für die Ankunft des Herrn sein: Die letzte Posaune wird ertönen, und die Toten, alle, werden auferstehen, werden auferweckt mit ihren unvergänglichen Leibern. Zu diesem Zeitpunkt wird auch die eigentümliche Verwandlung der Lebenden stattfinden, durch die ihre sterblichen, vergänglichen Leiber unsterblich, unvergänglich werden. Dieser Wandel muss stattfinden, er ist eine Notwendigkeit nach dem Willen Gottes: Das Vergängliche muss Unvergänglichkeit anziehen, und das Sterbliche muss Unsterblichkeit anziehen. Man beachte, dass Paulus im gesamten Text davon ausgeht, dass die Gläubigen die Gewissheit der kommenden Unsterblichkeit spüren.

    Welche Herrlichkeiten sich dann vor unseren Augen auftun werden, schildert der Apostel in einem triumphalen Ausbruch von Siegesgeschrei: Wenn dies vollbracht ist, wie es gewiss eintreten wird, wenn dieser vergängliche Leib mit Unvergänglichkeit und dieser sterbliche Leib mit Unsterblichkeit ausgestattet ist, dann wird das Wort seine Erfüllung finden, das geschrieben steht Jes. 25,8; Hos. 13,14, das Paulus aus dem griechischen Text zitiert, aber in der korrigierten Form. Der Tod ist zum Sieg verschlungen worden; der gierige, unersättliche Feind ist zum Nachgeben gezwungen und seinerseits verschlungen worden; das letzte Bollwerk des Feindes ist zerstört worden, V. 26. In triumphalem Jubel ertönt die Herausforderung:

Tod, wo ist dein Stachel?

Hölle, wo ist dein Sieg?

Aber der Stachel des Todes ist die Sünde; und die Kraft der Sünde ist das Gesetz;

Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat

durch unsern Herrn Jesus Christus!

Der Tod, der wie eine giftige Schlange seinen Stachel benutzt hat, um die Menschen zu töten, hat diesen Stachel verloren. Derjenige, der gewohnt war, immer den Sieg zu haben, ist selbst endgültig besiegt worden. Denn der Stachel des Todes ist die Sünde, durch die er in die Welt gekommen ist, Röm. 5, 12, und Jesus hat alle Sünde getragen, alle Schuld bezahlt, alle Übertretungen in den Tiefen des Meeres versenkt. Und die Kraft der Sünde ist das Gesetz, Röm. 8, 2, denn es verheißt den Menschen das Heil unter Bedingungen, die sie nicht erfüllen können, und lässt so die Sünde überhandnehmen; Jesus aber hat das Gesetz erfüllt und so die Kraft der Sünde beseitigt. Darum sei Gott, dem dreieinigen Gott, dem Urheber unseres Heils, gedankt, der uns den Sieg schenkt durch unseren Herrn Jesus Christus! Christus hat einen vollen und vollständigen Sieg errungen, und seine ganze Fülle und Vollkommenheit gehört uns kraft des Werkes unseres Erlösers, das wir im Glauben annehmen. Als Christen besitzen wir schon jetzt das ewige Leben; für uns als Christen hat der Tod nicht mehr den bitteren Geschmack des Zornes Gottes. An den Gräbern derer, die in Christus entschlafen sind, singen wir diesen großen Siegesgesang, weil wir wissen, dass der Tod und das Grab ihre Macht über die verloren haben, die in Christus Jesus sind, und dass der Tod für die Gläubigen der Eingang zu den ewigen Freuden ist.

    Paulus schließt das Kapitel ab, indem er die wunderbare Lehre auf den Zustand der korinthischen Gemeinde anwendet, deren Mitglieder aufgrund der Zweifel, die in ihrer Mitte herrschten, in ihrer christlichen Arbeit nachlässig geworden sein könnten. Flehentlich und eindringlich schreibt er: Darum, meine geliebten Brüder, seid fest, erweist euch als standhaft, lasst euch das Fundament eures Glaubens nicht wegnehmen; seid unbeweglich, lasst euch nicht von anderen verführen. Das ist die eine Seite ihrer Arbeit. Aber die andere wird folgen: Immer im Werk des Herrn zu sein, in dem Werk, das Gott durch euch tut und das ihr zu seiner Ehre ausführt; wissend, dass eure Mühe, eure anstrengende Arbeit, im Herrn nicht leer ist; sie kann nicht ohne Frucht und Wirkung bleiben, wenn sie in seinem Namen begonnen, in seiner Kraft ausgeführt und zu seiner Ehre bestimmt ist.

 

Zusammenfassung: Der Apostel bringt den historischen und logischen Beweis für die Auferstehung des Leibes, beschreibt das Wesen dieser Auferstehung, offenbart die Tatsache der Verwandlung am letzten Tag und schließt mit einem triumphalen Siegeslied.

 

 

Kapitel 16

 

Abschließende Ermahnungen (16,1-24)

    1 Hinsichtlich der Sammlung aber, die den Heiligen geschieht, wie ich den Gemeinden in Galatien geordnet habe, so tut auch ihr. 2 An jeglichem ersten Tag der Woche lege bei sich selbst ein jeder unter euch ein und sammle, was ihn gut dünkt, damit nicht, wenn ich komme, dann erst die Sammlung geschehe. 3 Wenn ich aber gekommen bin, welche ihr durch Briefe dafür anseht, die will ich senden, dass sie hinbringen eure Wohltat nach Jerusalem. 4 So es aber wert ist, dass ich auch hinreise, sollen sie mit mir reisen.

    5 Ich will aber zu euch kommen, wenn ich durch Mazedonien ziehe; denn durch Mazedonien werde ich ziehen. 6 Bei euch aber werde ich vielleicht bleiben oder auch überwintern, damit ihr mich geleitet, wo ich hinziehen werde. 7 Ich will euch jetzt nicht sehen im Vorüberziehen; denn ich hoffe, ich wolle etliche Zeit bei euch bleiben, wenn es der HERR zulässt. 8 Ich werde aber zu Ephesus bleiben bis Pfingsten. 9 Denn mir ist eine große Tür aufgetan, die viele Frucht wirkt, und sind viel Widerwärtige da. 10 Wenn Timotheus kommt, so seht zu, dass er ohne Furcht bei euch sei; denn er treibt auch das Werk des HERRN wie ich. 11 Dass ihn nun nicht jemand verachte! Geleitet ihn aber im Frieden, dass er zu mir komme; denn ich warte auf ihn mit den Brüdern. 12 Von Apollos, dem Bruder, aber wisst, dass ich ihn sehr viel ermahnt habe, dass er zu euch käme mit den Brüdern, und es war allerdings sein Wille nicht, dass er jetzt käme; er wird aber kommen, wenn es ihm gelegen sein wird.

    13 Wacht, steht im Glauben, seid männlich und seid stark! 14 Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen. 15 Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, ihr kennt das Haus des Stephanas, dass sie sind die Erstlinge in Achaja und haben sich selbst verordnet zum Dienst den Heiligen, 16 damit auch ihr solchen untertan seid und allen, die mitwirken und arbeiten. 17 Ich freue mich über die Ankunft von Stephanas und Fortunatus und Achaicus; denn wo ich euer Mangel hatte, das haben sie erstattet. 18 Sie haben erquickt meinen und euren Geist. Erkennt, die solche sind!

    19 Es grüßen euch die Gemeinden in Asien. Es grüßen euch sehr in dem HERRN Aquila und Priscilla samt der Gemeinde in ihrem Haus. 20 Es grüßen euch alle Brüder. Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss. 21 Ich, Paulus, grüße euch mit meiner Hand. 22 So jemand den HERRN Jesus Christus nicht liebhat, der sei Anathema, Maharam Motha. 23 Die Gnade des HERRN Jesus Christus sei mit euch! 24 Meine Liebe sei mit euch allen in Christus Jesus! Amen.

 

    Im Blick auf die Sammlung für Jerusalem (V. 1-4): Dass es Gott keineswegs gleichgültig ist, wie der geschäftliche Teil der Arbeit einer Gemeinde abläuft, geht aus diesem Absatz hervor. Während Paulus auf seiner dritten Missionsreise war, sammelte er fleißig Geld für die armen Brüder in Jerusalem, wie die Hinweise in seinen Briefen zeigen: Gal. 2,10; 2. Kor. 8 und 9; Röm. 15,25.26. Es war das Bestreben des Apostels, der Gemeinde in Jerusalem ein reiches Dankopfer von den Christen der heidnischen Länder zu bringen. Und so erinnert er hier die Korinther an diese „Sammlung“, die für die Heiligen gemacht wurde.[80] Auf seiner Visitationsreise durch Südgalatien, Apg. 18,23, hatte er kurz zuvor den Gemeinden dieses Abschnitts Anweisungen gegeben, er hatte ihnen die Sache vorgelegt und ihre bereitwillige Zustimmung zu dem Plan erhalten. Und diesen Plan wollte er auch den Korinthern nahebringen, wie seine eindringlichen Worte zeigen.

    Der Plan des Apostels lautete: An jedem Ersten der Woche soll jeder von euch für sich selbst eine bestimmte Summe einlegen (einen Vorrat anlegen), was immer er an Wohlstand hat, entsprechend seinem Einkommen, damit die Kollekte nicht gemacht werden muss, wenn ich komme. Wir haben hier die früheste Erwähnung des christlichen Sonntags als geeigneter Tag für Taten der Nächstenliebe, wenn auch nicht als ausschließlicher Tag für Gottesdienste und nicht nach göttlicher Vorschrift festgelegt. Jeder der Christen sollte sich an diesem Werk der Nächstenliebe beteiligen, wie der Kontext zeigt, jeder, der in irgendeiner Form ein eigenes Einkommen hatte; der Apostel beschränkte seine Anweisungen nicht auf die erwachsenen Männer. Es gab keinen Zwang in irgendeiner Form, aber die Verpflichtung war um so nachdrücklicher, als es sich um ein freiwilliges Opfer handelte. Jeder sollte den Betrag selbst bestimmen, so wie es ihm sein Herz sagte, dass er es sich leisten konnte; und die Größe seiner Gabe sollte an dem Segen gemessen werden, den Gott ihm in seiner Arbeit oder seinem Geschäft gegeben hat. Auf diese Weise würde sich der Schatz des Herrn mit der Zeit ansammeln, und der Gesamtbetrag sollte ausgezahlt werden, wenn Paulus kam. Durch die Zustimmung zu diesem Plan würden die Korinther die Notwendigkeit vermeiden, bei der Ankunft des Paulus Kollekten durchzuführen, da es schwierig sein könnte, plötzlich eine große Geldsumme aufzubringen, abgesehen davon, dass Paulus es vorzog, seine Zeit den Angelegenheiten seines Lehramtes zu widmen. Anmerkung: Regelmäßiges, systematisches Spenden nach diesem Plan des Paulus wird vom Herrn selbst gebilligt und hat sich als die wirksamste Methode erwiesen, Mittel für das Werk des Herrn aufzubringen.

    Des Paulus Plan beinhaltete auch eine solche Sorgfalt im Umgang mit dem gesammelten Geld, die jeden Grund für Misstrauen beseitigen würde. Er wollte, dass die Gemeinde in Korinth Delegierte aus ihrer Mitte wählte, bewährte Männer, vertrauenswürdige Brüder, und dass diese Männer mit den richtigen Zeugnissen ausgestattet wurden. Alles, was Paulus dann nach seiner Ankunft zu tun hatte, war, diese Männer anzuweisen, sie als Überbringer der Almosen mit dem Empfehlungsschreiben nach Jerusalem zu schicken. Und sein Interesse an dieser wichtigen Angelegenheit blieb nicht dabei stehen, sondern wenn es ihm lohnenswert erscheinen sollte, mit ihnen zu reisen, hatte er die Absicht, dies zu tun. Hier deutet sich an, dass Paulus sich nicht an einer kleinen und unbedeutenden Wohltätigkeit beteiligen will; der Betrag muss groß genug sein, um seine Teilnahme an der Sache zu rechtfertigen. Das war kein Hochmut, sondern eine gerechte Einschätzung der Sache des Herrn. Anmerkung: Da wir nur Verwalter von Gottes Gaben sind, müssen wir uns immer vor Augen halten, dass unsere Beiträge für jeden in der Bibel genannten Zweck im Verhältnis zu dem Wohlstand stehen müssen, den seine Güte uns gewährt hat. Geiz in den Geschäften der Kirche und in wahrer Nächstenliebe wird sich ungünstig auf den Begehrenden auswirken.

 

    Die Reise nach Korinth, die Paulus sich vorgenommen hat (V. 5-12): Der frühere Plan des Paulus scheint gewesen zu sein, zuerst nach Korinth zu gehen und dann nach Norden in Mazedonien zu reisen. Er hatte immer noch die Absicht, sie zu besuchen, aber erst nach einer Missionsreise durch Mazedonien, bei der er die gesamte Region durchquerte. Tatsächlich nahm diese Evangelisationsreise, wie Paulus angibt, einen großen Teil des Sommers und des Herbstes in Anspruch, denn er drang über Mazedonien hinaus bis nach Illyrien vor, Röm. 15,19, was ihn erst kurz vor dem Winter nach Korinth brachte. Wenn es möglich war, wollte Paulus, wenn er es einrichten konnte, den ganzen Winter über in Korinth bleiben, in der Metropole bleiben, anstatt die Provinz zu bereisen, und erwarten, dass er seinerseits von einer Abordnung von ihnen begleitet würde, damit sie ihn weiterschicken könnten, wohin auch immer er gehen würde, wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher, nach Jerusalem. Man beachte, wie vorsichtig sich der Apostel in Bezug auf seine Pläne ausdrückt, da sie ganz in Gottes Hand lagen, und wie taktvoll er sich an die Korinther wendet, um ihren guten Willen zu bewahren und nicht herrisch zu wirken: Denn ich möchte euch nicht jetzt sehen, nur im Vorübergehen; er fühlte, dass eine Stippvisite nicht akzeptabel wäre. Er hoffte vielmehr, einige Zeit bei ihnen bleiben zu können, wenn der Herr es zulassen würde. Das ist die Sprache eines Christen, der alles in die Hände Gottes legt, zu jeder Zeit.

    Paulus erklärt den Korinthern freimütig, warum er nicht sofort zu seiner geplanten Reise aufbricht: Ich will aber in Ephesus bleiben, bis Pfingsten. Zu der Zeit, als er diesen Brief schrieb, mag es kurz vor Ostern gewesen sein. Er spürte, dass er noch etwa zwei Monate in Asien bleiben musste: Denn es ist mir eine Tür aufgetan, groß und wirksam, und viele Widersacher sind da. Der Herr hatte eine große Tür für das Evangelium geöffnet, der Herr hatte viele Herzen bereit gemacht, die großen Wahrheiten des Heils zu hören; und diese weit geöffnete Tür versprach viel, der Einfluss des Evangeliums breitete sich aus. Allerdings gab es auch viele Feinde. Apostelgeschichte 19, wie der Tumult bald darauf zeigte, der den ernsthaftesten Einsatz des Apostels notwendig machte. Und als treuer Hirte würde er seinen Posten in der Zeit der Gefahr, in der seine Anwesenheit am dringendsten benötigt wurde, nicht verlassen.

    Der Apostel fügt an dieser Stelle einige Worte über Timotheus und Apollos hinzu. Wie er bei anderer Gelegenheit seinen jungen Helfer ermahnte, niemandem zu erlauben, seine Jugend zu verachten, 1. Tim. 4,12, so warnt er hier die Gemeinde, Timotheus wegen seiner Jugend nicht gering zu schätzen. Timotheus und Erastus wurden auf eine Mission nach Mazedonien gesandt, oder sie könnten die Überbringer dieses Briefes gewesen sein, Apg. 19,21.22. Deshalb sollten die Korinther bei seiner Ankunft dafür sorgen, dass Timotheus ohne Furcht bei ihnen sein konnte, dass er sich dem Werk seiner Berufung unter ihnen widmen konnte, ohne durch die hochmütige Behandlung seitens der Gemeinde niedergedrückt zu werden. Denn, wie Paulus sagt, arbeitete er am Werk des Herrn, er war damit beschäftigt, den Dienst des Evangeliums weiterzuführen, wie der Apostel selbst. Niemand sollte ihn also zurechtweisen, indem er behauptet, er besitze nicht die volle Vollmacht Gottes, das Werk eines Evangelisten zu tun. Sie sollten ihn vielmehr, nachdem er das ihm anvertraute Werk vollbracht hat, in Frieden weiterschicken, ihn friedlich, ohne Ärger und mit freundlicher Zuneigung entlassen. Sie sollten daran denken, dass Paulus auf Timotheus und die Brüder, die bei ihm waren, wartete und ihre Rückkehr nach Ephesus erwartete, bevor er von dort abreiste. Apollos, der in Korinth mit so großem Erfolg gewirkt hatte, war von Paulus nachdrücklich aufgefordert worden, mit den Brüdern nach Korinth zu reisen; er hatte keine Bedenken, ihn gehen zu sehen, sondern hatte volles Vertrauen zu ihm. Apollos aber, der zu jener Zeit in Ephesus gewesen sein musste, ließ sich nicht überreden; es war ganz und gar nicht sein Wille, dass er jetzt kommen sollte. Aber er hatte die Absicht, zu kommen, sobald sich eine gute Gelegenheit bot. Angesichts der Situation in Korinth hatte er vielleicht keine große Lust, sich in die Schwierigkeiten einzumischen, oder andere Umstände oder Verpflichtungen hielten ihn zurück.

 

    Abschließende Ermahnungen (V. 13-18): Nach seiner Gewohnheit fasst der Apostel hier alle seine Ermahnungen in einigen kurzen Sätzen zusammen. Die ungewöhnlichen und reichlichen Gnadengaben, die der Herr der Gemeinde in Korinth geschenkt hatte, hatten in ihrer Mitte eine fleischliche und gefährliche Schläfrigkeit hervorgerufen. Daher die Aufforderung: Wacht, steht fest im Glauben, erweist euch als Männer, seid stark, mannhaft, mächtig tätig. Wachsamkeit ist notwendig, damit sie nicht wieder den Sünden verfallen, die Paulus in seinem Brief an sie gerügt hat, damit sie nicht dem Angriff verräterischer Feinde von außen und von innen ausgesetzt sind. Diese Wachsamkeit geht Hand in Hand mit der Standhaftigkeit im Glauben, einem Glauben, der nicht von der Weisheit des Menschen abhängt, sondern von der Kraft Gottes. Dieser Glaube war ein Geschenk der Gnade Gottes und muss als solcher mit aller Festigkeit bewahrt werden. Er führte wiederum zu einer mutigen, mannhaften Haltung und zu einer Sammlung von Kräften, um der Macht jedes Feindes zu widerstehen. Es ist dieselbe Ermahnung, die wir in Eph. 6,10-17 finden. Andererseits sollten die Korinther aber auch daran denken, dass alles, was sie taten, in Liebe geschehen sollte. Wo der wahre Geist Christi lebt, wo der Geist des selbstlosen Dienstes die unbestrittene Herrschaft hat, müssen alle Spaltungen und Streitigkeiten aufgegeben werden.

    Die korinthischen Christen hätten eine gute Gelegenheit, die richtige brüderliche Liebe gemäß der Ermahnung des Paulus zu üben, wenn es sich um das Haus und die Familie des Stephanas handelte, den er die Erstlinge der Provinz Achaja nennt. Es gab zwar schon früher einzelne Bekehrte in der Provinz, Apg. 17,34, aber diese Familie als solche war die erste, die durch die Taufe in die christliche Kirche aufgenommen wurde und so den Kern einer späteren christlichen Gemeinde bildete.[81] Der Apostel gibt ihnen das Zeugnis, dass sie alle, die ganze Familie, sich für den Dienst an den Heiligen einsetzten, immer bereit waren, ihre Fähigkeiten und ihre Zeit im Interesse eines Dienstes an den Brüdern zu geben. Als Gegenleistung für solche Dienste, die die Korinther genossen hatten, will der Apostel sehen, dass sie bereit sind, sich solchen wie diesen zu unterwerfen, da sie wahrscheinlich Ämter in der Gemeinde innehatten, Hebr. 13,17, und jedem, der sich an den Arbeiten und Mühen beteiligt. Diese Ermahnung stellt keine Hierarchie auf, sondern „gebietet lediglich die spontane Unterordnung unter die Leitung derer, die fähig und bereit sind, in guten Werken zu führen.“ Die Gabe eines angemessenen, taktvollen Dienstes sollte von jeder Gemeinde anerkannt werden, und die Brüder und Schwestern, die sie besitzen, sollten entsprechend geehrt werden.

    Die Ankunft von Stephanas, Fortunatus und Achaikus hatte dem Apostel große Freude bereitet. Sie hielten sich zur Zeit als Abgesandte der korinthischen Gemeinde in Ephesus auf, und Paulus war sehr froh darüber. Wenn sie nach Korinth zurückkehrten, würden die Brüder ihnen sicher die Achtung entgegenbringen, die ihnen in Liebe gebührt. Diese Männer waren wahrscheinlich die wichtigsten, wenn nicht die einzigen Überbringer des vorliegenden Briefes an die Korinther. Paulus freute sich über ihre Anwesenheit, denn sein Mangel an ihnen (den Korinthern) wurde durch diese Männer ausgeglichen. Hier zeigt sich ein weiterer Beweis für das Fingerspitzengefühl des Paulus; denn seine Worte deuten darauf hin, dass die Gläubigen von Korinth, wenn sie nur anwesend wären, ihn durch ihre Liebe und Freundlichkeit aufmuntern würden; da dies aber im Augenblick nicht möglich ist, vertraten ihre Abgesandten sie auch in dieser Hinsicht und füllten den Platz ihrer Gemeinde in sehr annehmbarer Weise aus. Und indem sie das taten, erquickten sie sowohl den Geist des Paulus als auch den der Brüder, die sie vertraten; denn das ist die erholsame Wirkung eines freundlichen Gesprächs und der Sympathie: Sie erheitert den Empfänger und wirkt auf den Geber. Deshalb werden die Korinther sicher anerkennen, dass solche Männer wie diese nicht nur ihren Fähigkeiten entsprechend angesehen, sondern auch mit der gebührenden Zuneigung und Achtung behandelt werden - ein gutes Beispiel für christliche Gemeinden zu allen Zeiten.

 

    Schlussgrüße (V. 19-24): Zum Schluss seines Briefes grüßt Paulus vor allem die Gemeinden in Asien, der römischen Provinz am Ägäischen Meer. Obwohl er nicht alle Gemeinden, die in der Provinz und in dem Bezirk, dessen Verteilungszentrum Ephesus war, persönlich besucht hatte (Offb. 1,11), stand er mit ihnen allen in Verbindung und kannte ihre Gefühle gegenüber den Brüdern in Griechenland. Aquila und Priscilla, die zu dieser Zeit in Ephesus lebten, wo sie sehr treu gearbeitet hatten, waren wieder, wie in Korinth, Gastgeber für eine Hausgemeinde. Vgl. Apg. 18; Röm. 16,4. Viele und herzliche Grüße sandte dieses würdige Paar durch den Apostel an die Gemeinde in Korinth, nicht nur wegen ihrer persönlichen Freundschaft mit vielen der korinthischen Christen, sondern wegen ihres eifrigen Interesses für das Wohlergehen und das Wachstum des Werkes des Herrn, wie der Zusatz "in dem Herrn" zu zeigen pflegt. Drittens schickten alle Brüder von Ephesus gemeinsam Grüße nach Korinth, nicht nur die eben erwähnte kleine Hausgemeinde. Als Zeichen der richtigen Annahme dieser Grüße fordert Paulus die korinthischen Christen auf, einander mit einem heiligen Kuss zu grüßen, mit dem Kuss, der heilig ist, wobei die Männer die Männer und die Frauen die Frauen grüßen. Dieser Brauch des heiligen Kusses wurde bei der Feier des Heiligen Abendmahls über mehrere Jahrhunderte beibehalten.

    Bis zu diesem Punkt hat Paulus den Brief diktiert. Nun aber nimmt er persönlich die Feder in die Hand und beglaubigt den Brief mit seiner eigenhändigen Unterschrift, 2. Thess. 3,17. Und er fügt ein doppeltes Motto und seinen eigentlichen Gruß hinzu: Wer unseren Herrn Jesus Christus nicht liebt, der sei verflucht. Herr, komm! oder: Der Herr kommt. Nicht nur derjenige, der den Herrn Jesus hasst, sondern auch derjenige, der keine wirkliche Liebe zum Heiland im Herzen hat, sondern nur eine vorgetäuschte, eine falsche Liebe, ist verflucht und verdammt. „Diejenigen, die das Knie vor ihm mit falschem Herzen beugen, sind selbst anathema“, stehen unter dem Fluch. Auf der anderen Seite, der eifrige Schrei: Herr, komm! oder: Der Herr kommt, war in der frühen Kirche ein beliebtes Gebet, wie ein Seufzer nach schneller Befreiung. Vgl. Phil. 4,5; Offb. 1,7; 3,11; 22,20. Es war sowohl eine Losung als auch eine Parole unter den frühen Christen, die stets in ihrer Seele erklang und mit immer größerer Inbrunst ausgesprochen wurde.

    Der persönliche Wunsch des Apostels an die Korinther ist, dass die Gnade, die Vergebung der Sünden, die volle göttliche Gunst des Herrn Jesus Christus mit ihnen sei, und dass seine Liebe, die ihnen allen gegenüber gleich stark ist, mit ihnen sei. Es war die Liebe, die er in seinem heiligen Psalm gepriesen hatte: alles ertragen, alles glauben, alles hoffen, alles ertragen, Kap. 13,7. Es war diese Liebe, die Paulus dazu veranlasste, zu wünschen, dass alle Spaltungen und Schismen beiseite gelegt und eine vollkommene Einheit in Christus Jesus gesichert würde.

 

Zusammenfassung: Der Apostel empfiehlt der korinthischen Gemeinde, regelmäßig und systematisch für die Armensammlung zu spenden, erörtert seinen Plan, sie in naher Zukunft zu besuchen, schließt alles, was er gesagt hat, in eine Ermahnung zur Wachsamkeit und Liebe ein und übermittelt Grüße und persönliche Wünsche.

 



A Entnommen aus: Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Nachdr. der 2., überarb. Aufl. St. Louis, Missouri. Bd. 14. Groß Oesingen: Verl. der Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms. 1987. Sp 110-113

[1] Luther, 14, 112

[2] Besser, Bibelstunden, 8, 9

[3] Fürbringer, Einleitung in das Neue Testament, 54-56

[4] Besser, Bibelstunden, 8, 16

[5] Luther, 12, 904

[6] Luther, 12, 905

[7] Luther, 12, 911

[8] Concordia Triglotta, 1073, Konk.Formel, Ausf. Erkl., XI, 32

[9] Neander, in Lange-Schaff, 1 Corinthians, 30

[10] Besser, Bibelstunden, 8, 55

[11] Expositor’s Greek Testament, 2, 767

[12] Luther, 3, 1967

[13] Concordia Triglotta, 147, Apol. IV (II), 86

[14] Luther 11, 685

[15] Concordia Triglotta, 821, Konk.Formel, Kurze Erkl. VIII, 14

[16] Luther, 3, 749. 658

[17] Besser, Bibelstunden, 8, 118

[18] Concordia Triglotta, 885, Konk.Formel, Ausf. Erkl., II, 12

[19] Luther, 11, 2085

[20] Concordia Triglotta, 219, Apol., III, 244

[21] Luther, 10, 998

[22] Concordia Triglotta, 233, Apol., VII, VIII, 20

[23] Besser, Bibelstunden, 8, 170

[24] Besser, Bibelstunden, 8, 174

[25] Expositor’s Greek Testament, 2, 793

[26] Luther, 5, 236

[27] Clarke, Commentary, 6, 207; vgl. Luther, 12, 59

[28] Luther, 12, 60

[29] Luther, 12, 62

[30] Expositor’s Greek Testment, 2, 798

[31] Concordia Triglotta, 627, Gr. Kat., I, 4, 158

[32] Luther, 11, 1490

[33] Luther, 12, 480

[34] Luther, 12, 483. 485

[35] Luther, 12, 488

[36] Vgl. Homiletisches Magazin, 1906, März ff.; 1902, Juli; Synodalbericht, Mittlerer Distrikt, 1904; Minnesota, 1918

[37] Luther, 22, 1958

[38] Vgl. dazu auch die ausführliche Besprechung dieses Abschnittes in „Von der Priesterehe“, Concordia Triglotta, 363 ff., Apol. XXIII (XI)

[39] Luther, 8, 1039

[40] Besser, Bibelstunden, 8, 356; vgl. Concordia Triglotta, 371, Apol. XXIII (XI), 31

[41] Luther, 8, 1061

[42] Besser, Bibelstunden, 8, 361

[43] Expositor’s Greek Testament, 2, 833

[44] Expositor’s Greek Testament, 2, 838

[45] Vgl. Kretzmann: Keuschheit und Zucht. Kap. IV. V

[46] Besser, Bibelstunden, 8, 410

[47] Vgl. Concordia Triglotta, 429, Apol., XXVII (XIII), 26; Luther, 3, 536

[48] Concordia Triglotta, 829, Konk.Formel, Kurze Darl., X, 5 (3.)

[49] Expositor’s Greek Testament, 2, 847

[50] Luther, 3, 1592

[51] Luther, 12, 403; vgl. 7, 2051

[52] Expositor’s Greek Testament, 2, 860

[53] Luther, 12, 809

[54] Luther, 12, 1622

[55] Concordia Triglotta, 493 (Schm. Art., III, VI, 5). 811 (Konk.Formel, Kurze Erkl., VII, 9); vgl. 977 (Konk.Formel, Ausf. Erkl. VII, 14-16). 991 (ebd. VII, 54). 993 (ebd. VII, 58-59). 1001 (ebd. VII, 79-21); Luther, 11, 616

[56] Luther, 12, 30

56a Der Herausgeber teilt die Auffassung Kretzmanns nicht, dass die Ordnung sich an eine Sitte der Umgebung anlehnte. Denn das Tragen von Kopfbedeckungen, gerade im religiösen Bereich, war bei Römern und Griechen durchaus unterschiedlich; und Priesterinnen entblößten eher ihr Haupt bei religiösen Handlungen, s. Philipp Bachmann und Frédéric Godet in ihren Kommentaren. Die grundsätzliche Sitte allerdings, die bei allen Kulturen galt, war die, dass, bei allen Unterschieden im Detail, Mann und Frau in ihrer Außenerscheinung deutlich zu unterscheiden waren und jegliche emanzipatorische Gleichmacherei verfemt war. Und genau eine solche sittliche Ordnung galt auch in den christlichen Gemeinden, auf der Grundlage der allezeit und an allen Orten gültigen Schöpfungsordnung, die das weibliche Geschlecht grundsätzlich dem männlichen unterordnet, ausgenommen natürlich erwachsene Frauen Kindern und Jugendlichen gegenüber.

[57] Vgl. Theological Quarterly, XXIV (1920), 46-47

57a Mit dem Brauch ist nicht das Streiten gemeint, denn so etwas darf in christlichen Gemeinden überhaupt nicht Brauch sein, sondern die Ordnung der unterschiedlichen äußeren Erscheinung von Mann und Frau. Mit dieser Bemerkung macht Paulus auch deutlich, dass es sich hier nicht um ein ewig gültiges Gesetz Gottes handelt (denn es widerspräche ja der göttlichen Ordnung für die Priester im Alten Testament), sondern um eine zeitbedingte Ordnung, die je nach der Zeit geändert werden kann, wenn dabei nur das, was der Ordnung zugrunde liegt, nämlich die auf der Schöpfungsordnung beruhende Unterordnung der Frau, beachtet und deutlich bleibt. (Anm. d. Hrsg.)

[58] Vgl. Luther, 11, 1423

[59] Vgl. Concordia Triglotta, 357 ff., Apol. XXII (X)

[60] Luther, 13a, 309

[61] Vgl. Luther, 12, 1342-1351

[62] Luther, 13a, 311. 315

[63] Concordia Triglotta, 813, Konk.Form., Kurze Erkl. VII, 18; vgl. C.T. 977, Konk.Form. Ausf. Erkl. VII, 16 (Wittenberger Konkordie), C.T. 993, Ausf. Erkl. VII, 60

[64] Luther, 12, 1821

[65] Luther, 12, 823

[66] Besser, Bibelstunden, 8, 596

[67] Vgl. Luther, 12, 827

[68] Luther, 12, 827

[69] Walther, Epistel-Postille, 334

69a Der Text stammt vom Herausgeber und wurde von ihm hinzugefügt.

[70] Lenski, St. Paul, 127

[71] Vgl. zu dem gesamten Abschnitt: Homiletisches Magazin, XVII (1893), 40

[72] Lenski, St. Paul, 135

[73] Concordia Triglotta, 183, Apol. III, 104-107

73a Der Text wurde vom Herausgeber dazugefügt; Zwischenüberschriften vom Herausgeber ergänzt.

[74] Vgl. zum ganzen Kapitel Luthers ausführliche Darlegung, 8, 1094-1351

[75] Lange-Schaff, 1. Corinthians, 314

[76] Vgl. Luther, 8, 1187

[77] Barton, Archeology of the Bible, 224

[78] Cobern, The New Archeological Discoveries, 43

[79] Besser, Bibelstunden, 8. 758

[80] Cobern, The New Archeological Discoveries, 35. 125

[81] Ramsay, The Bearing of Recent Discovery, 385-411