Der
Brief des Paulus an die Roemer
Luthers Vorrede auf die Epistel St.
Pauli an die Roemer
Des Christen Verhalten in den
Mitteldingen
Die Lehre von Kirchengemeinschaft und Trennung
Hat Luther recht getan, „allein“ in Roemer 3,28 einzufuegen?
1522A
1. Diese
Epistel ist das rechte Hauptstück des Neuen Testaments und das allerlauterste
Evangelium, welche wohl würdig und wert wäre, dass sie ein Christenmensch nicht
allein von Wort zu Wort auswendig wisse, sondern täglich damit umgehe als mit
täglichem Brot und der Seele. Denn sie nimmer kann zu viel und zu wohl gelesen
oder betrachtet werden, und je mehr sie gehandelt wird, je köstlicher sie wird
und besser schmeckt.
2. Darum ich
auch meinen Dienst dazu tun will und durch diese Vorrede einen Eingang dazu
bereiten, so viel mir Gott verliehen hat, damit sie desto besser von jedermann
verstanden werde. Denn sie bisher mit Glossen und mancherlei Geschwätz übel
verfinstert ist, die doch an sich selbst ein helles Licht ist, fast genugsam,
die ganze Schrift zu erleuchten.
3. Aufs erste
müssen wir der Sprache kundig werden und wissen, was St. Paulus meint durch
diese Worte: Gesetz, Sünde, Gnade, Glaube, Gerechtigkeit, Fleisch, Geist
und dergleichen, sonst ist kein Lesen nützlich daran.
4. Das Wörtlein „Gesetz“ musst du hier nicht verstehen nach
menschlicher Weise, dass [es] eine Lehre sei, was für Werke zu tun oder zu
lassen sind, wie es mit Menschengesetzen zugeht, da man dem Gesetz mit Werken
genug tut, ob’s Herz schon nicht da[bei] ist. Gott richtet nach des Herzens
Grund und lässt sich an Werken nicht genügen, sondern straft vielmehr die
Werke, ohne Herzensgrund getan, als Heuchelei und Lügen. Daher alle Menschen
Lügner heißen, Ps. 116,11, darum, dass keiner aus Herzensgrund Gottes Gesetz
hält noch halten kann; denn jedermann findet bei sich selbst Unlust zum Guten
und Lust zum Bösen. Wo nun nicht ist freie Lust zum Guten, da ist des Herzens
Grund nicht am Gesetz Gottes; da ist denn gewiss auch Sünde und Zorn verdient
bei Gott, ob gleich auswendig viel gute Werke und ehrbares Leben erscheinen.
5. Daher
schließt St. Paulus Kap. 2,12.13, dass die Juden alle Sünder sind und spricht,
dass allein die Täter des Gesetzes gerecht sind bei Gott. Will damit, dass
niemand mit Werken des Gesetzes Täter ist, sondern sagt vielmehr zu ihnen so,
V. 22: „Du lehrst, man soll nicht ehebrechen, und du brichst die Ehe“; ebenso,
V. 1: „Worin du einen andern richtest, darin verdammst du dich selbst, weil du
eben dasselbe tust, das du richtest.“ Als sollte er
sagen: Du lebst äußerlich fein in des Gesetzes Werken und richtest, die nicht
so leben, und weißt, jedermann zu lehren; den Splitter siehst du in der andern
Auge, aber des Balkens in deinem Auge wirst du nicht gewahr [Matth. 7,3].
6. Denn ob du
wohl auswendig das Gesetz mit Werken hältst, aus Furcht der Strafe oder Liebe
des Lohns, so tust du doch alles ohne freie Lust und Liebe zum Gesetz, sondern
mit Unlust und Zwang, wolltest lieber anders tun, wenn das Gesetz nicht wäre.
Daraus denn sich schließt, dass du von Herzensgrund dem Gesetz feind bist. Was
ist’s denn, dass du andere lehrst nicht stehen, so du im Herzen selbst ein Dieb
bist und äußerlich gerne wärst, wenn du dürftest? Wiewohl auch das äußerliche
Werk die Lange nicht nachbleibt bei solchen Heuchlern. Also lehrst du andere,
aber dich selbst nicht; weißt auch selbst nicht, was du lehrst, hast auch das
Gesetz noch nie recht verstanden. Ja, dazu mehrt das Gesetz die Sünde, wie er
sagt im 5. Kapitel, V. 20, darum, dass ihm der Mensch nur mehr feind wird, je
mehr es fordert, des er keines kann.
7. Darum
spricht er im siebten Kapitel, V. 14: „Das Gesetz ist geistlich.“ Was ist das?
Wenn das Gesetz leiblich wäre, so geschähe ihm mit Werken genug; nun es aber
geistlich ist, tut ihm niemand genug, es gehe denn von Herzensgrund alles, was
du tust. Aber ein solches Herz gibt niemand als Gottes Geist, der macht den
Menschen dem Gesetz gleich, dass er Lust zum Gesetz gewinnt von Herzen und
hinfort nicht aus Furcht oder Zwang, sondern aus freiem Herzen alles tut. Also
ist das Gesetz geistlich, das mit solchem geistlichen Herzen will geliebt und
erfüllt sein, und fordert einen solchen Geist. Wo der nicht im Herzen ist, da
bleibt Sünde, Unlust, Feindschaft gegen das Gesetz, das doch gut, gerecht und
heilig ist.
8. So gewöhne
dich nun an die Rede, dass es ein ganz anderes Ding ist, „des Gesetzes Werke
tun“ und „das Gesetz erfüllen“. Des Gesetzes Werk ist alles, das der Mensch tut
oder tun kann am Gesetz, aus seinem freien Willen und eigenen Kräften. Weil
aber unter und neben solchen Werken bleibt im Herzen Unlust und Zwang zum
Gesetz, sind solche Werke alle verloren und nichts nütze. Das meint St. Paulus
Kap. 3,20, da er spricht: „Durch des Gesetzes Werk wird vor Gott kein Mensch
gerecht.“ Daher siehst du nun, dass die Schulzänker und Sophisten Verführer
sind, wenn sie lehren, mit Werken sich zur Gnade bereiten. Wie kann sich mit
Werken zum Guten bereiten, der kein gutes Werk ohne Unlust und Unwillen im
Herzen tut? Wie soll das Werk Gott gelüsten, das aus einem unlustigen und
widerwilligen Herzen geht?
9. Aber das
Gesetz erfüllen ist, mit Lust und Liebe seine Werke tun und frei ohne des
Gesetzes Zwang göttlich und wohl leben, als wäre kein Gesetz oder Strafe.
Solche Lust aber freier Liebe gibt der Heilige Geist ins Herz, wie er spricht
Kap. 5,5. Der Geist aber wird nicht als allein in, mit und durch den Glauben an
Jesus Christus gegeben, wie er in der Vorrede sagt. So kommt der Glaube nicht
als allein durch Gottes Wort oder Evangelium, das Christus predigt, wie er ist
Gottes Sohn und Mensch, gestorben und auferstanden um unsertwillen, wie er im
dritten [V. 25], vierten [V. 25] und zehnten Kapitel [V. 9] sagt.
10. Daher
kommt’s, dass allein der Glaube gerecht macht und das Gesetz erfüllt, denn er
bringt den Geist aus Christi Verdienst. Der Geist aber macht ein lustig und
frei Herz, wie das Gesetz fordert; so gehen denn die guten Werke aus dem
Glauben selber. Das meint er Kap. 3,31, nachdem er des Gesetzes Werke verworfen
hat, dass es lautet, als wollte er das Gesetz aufheben durch den Glauben. Nein
(spricht er), „wir richten das Gesetz auf durch den Glauben“, das ist, wir erfüllen’s durch den Glauben.
11. „Sünde“
heißt in der Schrift nicht allein das äußerliche Werk am Leib, sondern alle das
Geschäfte, das sich mit regt und bewegt zu dem äußerlichen Werk, nämlich des
Herzens Grund, mit allen Kräften. Also, dass das Wörtlein
„tun“ soll heißen, wenn der Mensch ganz dahinfällt und -fährt in die Sünde.
Denn es geschieht auch kein äußerliches Werk der Sünde, der Mensch fahre denn
ganz mit Leib und Seele hinan. Und besonders sieht die Schrift ins Herz und auf
die Wurzel und Hauptquelle aller Sünde, welche ist der Unglaube im Grund des
Herzens. Also dass, wie der Glaube allein gerecht macht und den Geist und Lust
bringt zu guten äußerlichen Werken, so sündigt allein der Unglaube und bringt
das Fleisch auf und Lust zu bösen äußerlichen Werken, wie Adam und Eva geschah
im Paradies, 1. Mose 3.6.
12. Daher
Christus allein den Unglauben Sünde nennt, da er spricht Joh. 16,8.9: „Der
Geist wird die Welt strafen um die Sünde, dass sie nicht glauben an mich.“
Darum auch, ehe denn gute oder böse Werke geschehen, wie die guten oder bösen
Früchte, muss zuvor im Herzen da sein Glaube oder Unglaube als die Wurzel, Saft
und Hauptkraft aller Sünde, welches in der Schrift auch darum der Schlange Kopf
und des Drachen Haupt heißt, den des Weibes Same, Christus, zertreten muss, wie
Adam verheißen ward. 1. Mose 3,15.
13. „Gnade“
und „Gabe“ sind des Unterschiedes, dass Gnade eigentlich heißt Gottes Huld oder
Gunst, die er zu uns trägt bei sich selbst, aus welcher er geneigt wird,
Christus und den Geist mit seinen Gaben in uns zu gießen, wie das aus dem
fünften Kapitel, V. 15, klar wird, da er spricht: „Gnade und Gabe in Christus“
usw. Ob nun wohl die Gaben und der Geist in uns täglich zunehmen und noch nicht
vollkommen sind, dass also noch böse Lüste und Sünde in uns überbleiben, welche
wider den Geist streiten, wie er sagt Röm. 7,14 f. 23 und Gal. 5,17, und wie 1.
Mose 3,15 verkündigt ist, der Hader zwischen des Weibes Same und der Schlange
Samen, so tut doch die Gnade so viel, dass wir ganz und für voll gerecht vor
Gott gerechnet werden. Denn seine Gnade teilt und stückt sich nicht, wie die
Gaben tun, sondern nimmt uns ganz und gar auf in die Huld, um Christi, unseres
Fürsprechers und Mittlers willen, und [dar]um, dass
in uns die Gaben angefangen sind.
14. Also
verstehst du denn das siebte Kapitel, da sich Paulus noch einen Sünder schilt,
und doch im achten V. 1. Spricht, es sei nichts Verdammliches an denen, die in
Christus sind, der unvollkommenen Gaben und des Geistes halben. Um des ungetöteten Fleisches willen sind wir noch Sünder; aber
weil wir an Christus glauben und des Geistes Anfang haben, ist uns Gott so
günstig und gnädig, dass er solche Sünde nicht achten noch richten will,
sondern nach dem Glauben in Christus mit uns fahren, bis die Sünde getötet
werde.
15. „Glaube“
ist nicht der menschliche Wahn und Traum, den etliche für Glauben halten. Und
wenn sie sehen, dass keine Besserung des Lebens noch gute Werke folgen und doch
vom Glauben viel hören und reden können, fallen sie in den Irrtum und sprechen:
Der Glaube sei nicht genug, man müsse Werke tun, soll man fromm und selig
werden. Das macht, wenn sie das Evangelium hören, so fallen sie daher und
machen sich aus eigenen Kräften einen Gedanken im Herzen, der spricht: Ich
glaube. Das halten sie denn für einen rechten Glauben. Aber wie es ein
menschliches Gedicht und Gedanken ist, den des Herzens Grund nimmer erfährt, so
tut er auch nichts und folgt keine Besserung hernach.
16. Aber
Glaube ist ein göttlich Werk in uns, das uns wandelt und neu gebiert aus Gott,
Joh. 1,13, und tötet den alten Adam, macht uns ganz andere Menschen von Herzen,
Mut, Sinn und allen Kräften, und bringt den Heiligen Geist mit sich. O, es ist
ein lebendig, geschäftig, tätig, mächtig Ding um den Glauben, dass [es]
unmöglich ist, dass er nicht ohne Unterlass sollte Gutes wirken. Er fragt auch
nicht, ob gute Werke zu tun sind, sondern ehe man fragt, hat er sie getan und
ist immer im Tun. Wer aber nicht solche Werke tut, der ist ein glaubloser
Mensch, tappt und sieht um sich nach dem Glauben und guten Werken und weiß
weder was Glaube oder gute Werke sind, wäscht und schwatzt doch viel Worte vom
Glauben und guten Werken.
17. Glaube
ist eine lebendige, verwegene Zuversicht auf Gottes Gnade, so gewiss, dass er
tausendmal darüber stürbe. Und solche Zuversicht und Erkenntnis göttlicher
Gnade macht fröhlich, trotzig und lustig gegen Gott und alle Kreaturen, welches
der Heilige Geist tut im Glauben. Daher der Mensch ohne Zwang willig und lustig
wird, jedermann Gutes zu tun, jedermann zu dienen, allerlei zu leiden Gott zu
Liebe und Lob, der ihm solche Gnade erzeigt hat, so dass [es] unmöglich ist,
Werke vom Glauben [zu] scheiden, ja so unmöglich wie Brennen und Leuchten vom
Feuer mag geschieden werden. Darum siehe dich vor vor
deinen eigenen falschen Gedanken und unnützen Schwätzern, die vom Glauben und
guten Werken klug sein wollen zu urteilen, und sind die größten Narren. Bitte
Gott, dass er den Glauben ein dir wirke, sonst bleibst du wohl ewig ohne
Glauben, du dichtest und tust, was du willst oder kannst.
18.
„Gerechtigkeit“ ist nun solcher Glaube, und heißt Gottes Gerechtigkeit, oder
die vor Gott gilt, darum, dass sie Gott gibt und rechnet für Gerechtigkeit, um
Christi willen, unsers Mittlers, und macht den Menschen, dass er jedermann
gibt, was er schuldig ist. Denn durch den Glauben wird der Mensch ohne Sünde
und gewinnt Lust zu Gottes Geboten; damit gibt er Gott seine Ehre und bezahlt
ihm, was er ihm schuldig ist; aber den Menschen dient er willig, womit er kann,
und bezahlt damit jedermann. Solche Gerechtigkeit können Natur, freier Wille
und unsere Kräfte nicht zuwege bringen. Denn wie niemand sich selbst kann den
Glauben gebe, so kann er auch den Unglauben nicht wegnehmen; wie will er denn
eine einige kleinste Sünde wegnehmen? Darum ist alles falsch, Heuchelei und
Sünde, was ohne den Glauben oder im Unglauben geschieht, Röm. 14,23, es gleiße,
wie gut es mag.
19. „Fleisch“
und „Geist“ darfst du hier nicht so verstehen, dass „Fleisch“ alleine sei, was
die Unkeuschheit betreffe, und „Geist“, was das Innerliche im Herzen betreffe,
sondern Fleisch heißt St. Paulus, wie Christus, Joh. 3,6, alles, was aus
Fleisch geboren ist, den ganzen Menschen, mit Leib und Seele, mit Vernunft und
allen Sinnen; darum, dass es alles an ihm nach dem Fleisch trachtet; so, dass
du auch den „fleischlich“ wissest zu heißen, der ohne Gnade von hohen
geistlichen Sachen viel dichtet, lehrt und schwatzt; wie du aus den Werken des
Fleisches, Gal. 5,20, wohl kannst lernen, da er auch Ketzerei und Hass
Fleisches Werke heißt. Und Röm. 8,3 spricht er, dass durchs Fleisch das Gesetz
geschwächt wird, welches nicht von Unkeuschheit, sondern von allen Sünden,
allermeist aber vom Unglauben gesagt ist, der das allergeistlichste Laster ist.
20. Wiederum
auch den „geistlich“ heißt, der mit den alleräußerlichsten Werken umgeht, wie
Christus, da er der Jünger Füße wusch, und Petrus, da er das Schiff führte und
fischte. Also, dass Fleisch sei ein Mensch, der inwendig und auswendig lebt und
wirkt, das zu des Fleisches Nutz und zeitlichem Leben dient, Geist sei, der
inwendig und auswendig lebt und wirkt, das zu dem Geist und zukünftigen Leben
dient.
21. Ohne
solchen Verstand dieser Wörter wirst du diese Epistel St. Pauli, noch irgendein
Buch der Heiligen Schrift, verstehen. Darum hüte dich vor allen Lehrern, die
anders diese Worte gebrauchen, sie seien auch, wer sie wollen, ob’s gleich
Hieronymus, Augustinus, Ambrosius, Origenes und ihresgleichen und noch Höhere
wären. Nun wollen wir zu Epistel greifen.
22. Dieweil
einem evangelischen Prediger gebührt, am ersten durch Offenbarung des Gesetzes
und der Sünden alles zu strafen und zu Sünden [zu] machen, was nicht aus dem
Geist und Glauben an Christus gelebt wird, damit die Menschen zu ihrer eigenen
Erkenntnis und Jammer geführt werden, dass sie demütig werden und Hilfe
begehren, so tut St. Paulus auch und fängt an im ersten Kapitel und straft die
groben Sünden und Unglauben, die öffentlich sind am Tag, wie der Heiden Sünden
waren und noch sind, die ohne Gottes Gnade leben und spricht: Es werde
offenbart durchs Evangelium Gottes Zorn vom Himmel über alle Menschen, um ihres
gottlosen Wesens und Ungerechtigkeit willen. Denn ob sie gleich wissen und
täglich erkennen, dass ein Gott sei, so ist doch die Natur an sich selbst,
außer der Gnade, so böse, dass sie ihm weder dankt noch ihn ehrt, sondern
verblendet sich selbst und fällt ohne Unterlass in ärgeres Wesen, bis dass sie
nach Abgöttereien auch die schändlichsten Sünden mit allen Lastern wirkt,
unverschämt, und dazu ungestraft lässt an den andern.
23. Im
zweiten Kapitel streckt er solche Strafe auch weiter auf die, so äußerlich
fromm schienen oder heimlich sündigten, wie die Juden waren und noch alle
Heuchler sind, die ohne Lust und Liebe wohl [und ehrbar]B
leben, und im Herzen Gottes Gesetz feind sind und doch andere Leute gerne
verurteilen, wie aller Gleißner Art ist, dass sie sich selbst rein achten, und
doch voll Geiz, Hass, Hoffart und allen Unflat stecken, Matth.
23,25. Die sind’s eben, die Gottes Gütigkeit verachten und nach ihrer Härtigkeit den Zorn über sich häufen, so, dass St. Paulus,
als ein rechter Gesetzeserklärer, niemand ohne Sünde bleiben lässt, sondern
allen den Zorn Gottes verkündigt, die aus Natur oder freiem Willen wollen wohl
leben, du lässt sie nichts Besseres sein als die öffentlichen Sünder; ja er
spricht, sie seien Hartmütige und Unbußfertige.
24. Im
dritten wirft er sie alle beide in einen Haufen und spricht: Einer sei wie der
andere, allzumal Sünder vor Gott, nur dass die Juden Gottes Wort gehabt;
wiewohl viel nicht dran geglaubt haben, doch damit Gottes Glaube [Treue] und
Wahrheit nicht aus ist. Und führt zufällig ein den Spruch aus dem 51. Psalm, V.
6, dass Gott gerecht bleibt in seinen Worten. Darnach kommt er wieder darauf
und beweist auch durch Schrift, dass sie alle Sünder sind und durch Gesetzes
Werk niemand gerecht werde, sondern das Gesetz nur, die Sünde zu erkennen,
gegeben sei.
25. Darnach
fängt er an und lehrt den rechten Weg, wie man müsse fromm und selig werden,
und spricht: „Sie sind alle Sünder und mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben
sollten, müssen aber ohne Verdienst gerecht werden“ durch den Glauben an
Christus, der uns solches verdient hat durch sein Blut und uns ein Gnadenstuhl
geworden von Gott, der uns alle vorige Sünde vergibt; damit er beweise, dass
seine Gerechtigkeit, die er gibt im Glauben, alleine uns helfe, die zur der
Zeit durchs Evangelium offenbart und zuvor durchs Gesetz und die Propheten
bezeugt ist. So wird das Gesetz durch den Glauben aufgerichtet, obwohl des
Gesetzes Werke damit werden niedergelegt, samt ihrem Ruhm.
26. Im
vierten, nachdem nun durch die ersten drei Kapitel die Sünde offenbart und der
Weg des Glaubens zur Gerechtigkeit gelehrt ist, fängt er an zu begegnen
etlichen Einreden und Ansprüchen und nimmt als ersten den vor, den allgemein
tun alle, die vom Glauben hören, wie er ohne Werke gerecht mache, und sprechen:
Soll man denn nun keine guten Werke tun? So hält er sich selbst vor den Abraham
und spricht: Was hat denn Abraham mit seinen Werken getan, ist’s alles umsonst
gewesen? Waren seine Werke nichts nütze? Und schließt, dass Abraham ohne alle
Werke, allein durch den Glauben, gerecht geworden sei, so
gar, dass er auch vor dem Werk seiner Beschneidung durch die Schrift
alleine seines Glaubens wegen gerecht gepriesen werde, 1. Mose 15,6. Hat aber
das Werk der Beschneidung zu seiner Gerechtigkeit nichts getan, das doch Gott
ihm gebot und ein gutes Werk des Gehorsams war, so wird gewiss auch kein
anderes gutes Werk zur Gerechtigkeit etwas tun, sondern wie die Beschneidung
Abrahams ein äußerliches Zeichen war, damit er seine Gerechtigkeit im Glauben
bewies, so sind alle guten Werke nur äußerliche Zeichen, die aus dem Glauben
folgen, und beweisen, als die guten Früchte, dass der Mensch schon vor Gott
inwendig gerecht sei.
27. Damit
bestätigt nun St. Paulus, als mit einem kräftigen Beispiel aus der Schrift,
seine vorige Lehre im dritten Kapitel, V. 27, vom Glauben und führt dazu noch
einen Zeugen [an], David, aus dem 32. Psalm, der auch sagt, dass der Mensch
ohne Werke gerecht werde; wiewohl er nicht ohne Werke bleibt, wenn er gerecht
geworden ist. Darnach breitet er das Beispiel aus wider alle anderen Werke des
Gesetzes und schließt, dass die Juden nicht können Abrahams Erben sein, da
Abraham vor dem Gesetz, beide, Moses und der Beschneidung, durch den Glauben
ist gerecht geworden und ein Vater genannt aller Gläubigen. Dazu auch das
Gesetz vielmehr Zorn wirke als Gnade, dieweil es niemand mit Lust und Liebe
tut, dass vielmehr Ungnade als Gnade durch des Gesetzes Werke kommt. Darum darf
allein der Glaube die Gnade, Abraham verheißen, erlangen. Denn auch solche
Beispiele um unseretwillen geschrieben sind, dass wir auch sollen glauben.
28. Im
fünften kommt er auf die Früchte und Werke des Glaubens, als da sind Friede,
Freude, Liebe gegen Gott und jedermann, dazu Sicherheit, Trotz, Freudigkeit,
Mut und Hoffnung in Trübsal und Leiden. Denn solches alles folgt, wo der Glaube
recht ist, um des überschwänglichen Guts willen, das uns Gott in Christus
erzeigt, dass er ihn für uns hat sterben lassen, ehe wir ihn darum bitten
konnte, ja, da wir noch Feinde waren. So haben wir denn, dass der Glaube ohne
alle Werke gerecht macht, und doch nicht daraus folgt, dass man darum keine
guten Werke tun solle, sondern dass die rechtschaffenen Werke nicht außen
bleiben, von welchen die Werkheiligen nichts wissen, und dichten sich selbst
eigene Werke, darin weder Friede, Freude, Sicherheit, Liebe, Hoffnung, Trotz,
noch eines rechten christlichen Werks und Glaubens Art ist.
29. Darnach
tut er einen lustigen Ausdruck und Spaziergang und erzählt, wo beide, Sünde und
Ungerechtigkeit, Tod und Leben herkommen; und hält die zwei fein gegen
einander, Adam und Christus. Will also sagen: Darum musste Christus kommen, ein
anderer Adam, der seine Gerechtigkeit auf uns erbte durch eine neue, geistliche
Geburt im Glauben, gleichwie jener Adam auf uns geerbt hat die Sünde, durch die
alte fleischliche Geburt.
30. Damit
aber wird kund und bestätigt, dass sich niemand kann selbst aus Sünden zur
Gerechtigkeit mit Werken helfen, so wenig er kann wehren, dass er leiblich
geboren wird. Das wird auch damit bewiesen, dass das göttliche Gesetz, das doch
billig helfen sollte, so etwas helfen sollte zur Gerechtigkeit, nicht allein
ohne Hilfe gekommen ist, sondern hat auch die Sünde gemehrt, darum, dass die
böse Natur ihm desto feinder wird und ihre Lust desto
lieber büßen will, je mehr ihr das Gesetz wehrt. Dass also das Gesetz Christus
noch nötiger macht und mehr Gnade fordert, die der Natur helfe.
31. Im
sechsten nimmt er das besondere Werk des Glaubens vor sich, den Streit des
Geistes mit dem Fleisch, vollends zu t5öten die übrigen Sünden und Lüste, die
nach der Gerechtigkeit überblieben, und lehrt uns, dass wir durch den Glauben
nicht so befreit sind von Sünden, dass wir müßig, faul und sicher sein sollte,
als wäre keine Sünde mehr da. Es ist Sünde a, aber wird nicht zur Verdammnis
gerechnet, um des Glaubens willen, der mit ihr streitet. Darum haben wir mit
uns selbst genug zu schaffen unser Leben lang, dass wir unsern Leib zähmen,
seine Lüste töten und seine Gliedmaßen zwingen, dass die dem Geist gehorsam
seien und nicht den Lüsten, damit wir dem Tod und Auferstehung Christi gleich
seien und unsere Taufe vollbringen (die auch den Tod der Sünden und neues Leben
der Gnade bedeutet), bis dass wir gar rein von Sünden, auch leiblich mit
Christus auferstehen und ewig leben.
32. Und das
können wir tun, spricht er, weil wir in der Gnade und nicht in dem Gesetz sind.
Welches er selbst auslebt, dass ohne Gesetz sein, sei nicht so viel gesagt,
dass man kein Gesetz habe und könne tun, was jedermann gelüstet, sondern unter
dem Gesetz sein ist, wenn wir ohne Gnade mit Gesetzes Werken umgehen. Alsdann
herrscht gewiss die Sünde durchs Gesetz, da niemand dem Gesetz hold ist von
Natur; dasselbe aber ist die große Sünde. Die Gnade macht uns aber das Gesetz
lieblich; so ist denn keine Sünde mehr da, und das Gesetz nicht mehr gegen uns,
sondern eins mit uns.
33. Dasselbe
aber ist die rechte Freiheit von der Sünde und vom Gesetz, von welcher er bis
ans Ende dieses Kapitels schreibt, dass es sei eine Freiheit, nur Gutes zu tun
mit Lust und wohl leben ohne Zwang des Gesetzes. Darum ist die Freiheit eine
geistliche Freiheit, die nicht das Gesetz aufhebt, sondern darreicht, was vom
Gesetz gefordert wird, nämlich Lust und Liebe, damit das Gesetz gestillt wird
und nicht mehr zu treiben und zu fordern hat. Gleich als wenn du einem
Lehnsherrn schuldig wärst und könntest nicht bezahlen. Von dem könntest du in
zweierlei weise los werden: Einmal, dass er nichts
von dir nähme und sein Register zerrisse; das andere Mal, dass ein frommer Mann
für dich bezahlte und gäbe dir, damit du seinem Register genug täte. Auf diese
Weise hat uns Christus vom Gesetz frei gemacht. Darum ist’s nicht eine wilde,
fleischliche Freiheit, die nichts tun solle, sondern die viel und allerlei tut
und von des Gesetzes Fordern und Schuld ledig ist.
34. Im
siebten bestätigt er solches mit einem Gleichnis des ehelichen Lebens. Als,
wenn ein Mann stirbt, so ist die Frau auch ledig und ist so eines des andern
los und ab. Nicht so, dass die Frau nicht möge oder solle einen andern Mann
annehmen, sondern vielmehr, dass sie nun allererst recht frei ist, einen andern
zu nehmen, dass sie vorher nicht konnte tun, ehe sie jenes Mannes los war.
35. So ist unser Gewissen verbunden dem Gesetz unter
dem sündlichen alten Menschen; wenn der getötet wird
durch den Geist, so ist das Gewissen frei und eines des andern los. Nicht dass
das Gewissen solle nichts tun, sondern nun allererst recht an Christus, dem
andern Mann, hangen, und Frucht bringen des Lebens.
36. Darnach
streicht er weiter aus die Art der Sünden und des Gesetzes, wie durch das
Gesetz die Sünde sich nun recht regt und gewaltig wird. Denn der alte Mensch
wird dem Gesetz nur desto mehr feind, weil er nicht kann bezahlen, was vom
Gesetz gefordert wird. Denn Sünde ist seine Natur, und [er] kann von sich
selbst nicht anders; darum ist das Gesetz sein Tod und alle seine Marter.
Nicht, dass das Gesetz böse sei, sondern dass die böse Natur nicht leiden kann
das Gute, dass es Gutes von ihm fordere, gleichwie ein Kranker nicht leiden
kann, dass man von ihm fordere Laufen und Springen und andre Werke eines
Gesunden.
37. Darum
schließt St. Paulus hier, dass, wo das Gesetz recht
erkannt und aufs beste erinnert uns unserer Sünde und
tötet uns durch dieselbe und macht uns schuldig des ewigen Zorns, wie das alles
fein sich lehrt und erfährt im Gewissen, wenn’s mit dem Gesetz recht getroffen
wird, so, dass man muss etwas anderes haben und mehr als das Gesetz, den
Menschen fromm und selig [zu] machen. Welche aber das Gesetz nicht recht
erkennen, die sind blind, gehen mit Vermessenheit dahin, meinen ihm mit Werken
genug zu tun, denn sie wissen nicht, wie viel das Gesetz fordert, nämlich ein
freiwilliges, lustiges Herz; darum sehen sie Mose nicht recht unter Augen, das
Tuch ist ihnen davor gelegt und zugedeckt.
38. Darnach
zeigt er, wie Geist und Fleisch miteinander streiten in einem Menschen, und
setzt sich selbst zu einem Beispiel, dass wir lernen, das Werk (die Sünde in
uns selbst zu töten) recht erkennen. Er nennt aber beide den Geist und das
Fleisch ein Gesetz, darum, dass, gleichwie des göttlichen Gesetzes Art ist,
dass es treibt und fordert, so treibt und fordert und wütet auch das Fleisch
gegen den Geist und will seine Lust haben. Wiederum treibt und fordert der
Geist gegen das Fleisch und will seine Lust haben. Dieser Zank währt in uns, so
lange wir leben, in einem mehr, im andern weniger, darnach der Geist oder
Fleisch stärker wird. Und ist doch der ganze Mensch selbst alles beides, Geist
und Fleisch, der mit sich selbst streite, bis er ganz geistlich werde.
39. Im achten
tröstet er solche Streiter, dass sie solch Fleisch nicht verdamme, und zeigt
weiter an, was Fleisches und Geistes Art sei und wie der Geist kommt aus
Christus, der uns seinen heiligen Geist gegeben hat, der uns geistlich macht
und das Fleisch dämpft und uns versichert, dass wir dennoch Gottes Kinder sind,
wie hart auch die Sünde in uns wütet, so lange wir dem Geist folgen und der
Sünde widerstreben, sie zu töten. Weil aber nichts so gut ist, das Fleisch zu
betäuben, wie Kreuz und Leiden, tröstet er uns im Leiden, durch Beistand des
Geistes der Liebe und aller Kreaturen, nämlich dass beide, der Geist in uns
seufzt und die Kreatur sich mit uns sehnt, dass wir des Fleisches und der
Sünden los werden. So sehen wir, dass diese drei Kapitel, 6,7,8, auf das einige
Werk des Glaubens treiben, das da heißt, den alten Adam töten und das Fleisch
zwingen.
40. Im
neunten, zehnten und elften Kapitel lehrt er von der ewigen Vorsehung Gottes,
daher es ursprünglich fließt, wer glauben oder nicht glauben soll, von Sünden
los oder nicht los werden kann; damit es je gar aus unsern Händen genommen und
allein in Gottes Hand gestellt sei, dass wir fromm werden. Und das ist auch
aufs allerhöchste not. Denn wir sind so schwach und ungewiss, dass, wenn es bei
uns stünde, würde freilich nicht ein Mensch selig, der Teufel würde sie gewiss
alle überwältigen. Aber nun Gott gewiss ist, dass ihm sein Vorsehen nicht
fehlt, noch jemand ihm wehren kann, haben wir noch Hoffnung wider die Sünde.
41. Aber hier
ist den freveln und hochfahrenden Geistern ein Mal zu
stecken, die ihren Verstand am ersten hierher führen und oben anheben, zuvor
den Abgrund göttlicher Vorsehung zu erforschen, und vergeblich damit sich
bekümmern, ob sie versehen sind. Die müssen sich denn selbst stürzen, dass sie
entweder verzagen oder sich in die freie Schanze schlagen.
42. Du aber
folge dieser Epistel in ihrer Ordnung, bekümmere dich zuvor mit Christus und
dem Evangelium, dass du deine Sünde und seine Gnade erkennst, darnach mit der
Sünde streitest, wie hier das 1., 2., 3., 4., 5., 6., 7., 8. Kapitel gelehrt
haben. Darnach, wenn du in das achte [Kapitel] gekommen bist, unter das Kreuz
und Leiden, das wird dich recht lehren die Vorsehung im 9., 10. [und] 11.
Kapitel, wie tröstlich sie sei. Denn ohne Leiden, Kreuz und Todesnöte kann man
die Vorsehung nicht ohne Schaden und heimlichen Zorn gegen Gott behandeln.
Darum muss Adam zuvor wohl tot sein, ehe er dies Ding leide und den starken
Wein trinke. Darum siehe dich vor, dass du nicht Wein trinkst, wenn du noch ein
Säugling bist. Eine jegliche Lehre hat ihre Maße, Zeit und Alter.
43. Im
zwölften lehrt er den rechten Gottesdienst und macht alle Christen zu Pfaffen,
dass sie opfern sollen; nicht Geld noch Vieh, wie im Gesetz, sondern ihre
eigenen Leider, mit Tötung der Lüste. Darnach beschreibt er den äußerlichen
Wandel der Christen im geistlichen Regiment, wie sie lehren, predigen,
regieren, dienen, geben, leiden, lieben, leben und tun sollen, gegen Freund,
Feind und jedermann. Das sind die Werke, die ein Christ tut. Denn, wie gesagt,
[der] Glaube feiert nicht.
44. Im
dreizehnten lehrt er das weltliche Regiment ehren und gehorsam sein, welches
darum eingesetzt ist: Ob’s wohl die Leute nicht fromm macht vor Gott, so
schafft’s doch so viel, dass die Frommen äußerlich Frieden und Schutz haben,
und die Bösen ohne Furcht oder mit Frieden und Ruhe nicht können frei Übels
tun. Darum es zu ehren ist, auch den Frommen, ob sie wohl sein nicht bedürfen.
Endlich aber fasst er alles in die Liebe und beschließt es in das Beispiel Christi,
wie er uns getan hat, dass wir auch so tun und ihm nachfolgen.
45. Im
vierzehnten lehrt er die schwachen Gewissen im Glauben säuberlich führen und
ihrer schonen, dass man der Christen Freiheit nicht
gebrauche zum Schaden, sondern zur Förderung der Schwachen. Denn wo man das
nicht tut, da folgen Zwietracht und Verachtung des Evangeliums, daran doch alle
Not liegt; dass es besser ist, den Schwachgläubigen ein wenig weichen, bis sie
stärker werden, als dass allerdinge die Lehre des Evangeliums sollte
untergehen. Und ist solches Werk ein besonders Werk der Liebe, das wohl auch
jetzt vonnöten ist, da man mit Fleischessen und anderer Freiheit frech und rau,
ohne alle Not, die schwachen Gewissen zerrüttet, ehe sie die Wahrheit erkennen.
46. Im
fünfzehnten setzt er Christus zum Beispiel, dass wir auch die andern Schwachen
dulden, als die sonst gebrechlich sind, in öffentlichen Sünden oder von
unlustigen Sitten; welche man nicht darf hinwerfen, sondern tragen, bis sie
auch besser werden. Denn so hat Christus mit uns getan und tut noch täglich,
dass er gar viel Untugend und böse Sitten, neben aller Unvollkommenheit, an uns
trägt, und hilft ohne Unterlass.
47. Darnach
zum Beschluss bittet er für sie, lobt sie und befiehlt sie Got5t und zeigt sein
Amt und Predigt an und bittet sie gar säuberlich um Steuer an die Armen zu
Jerusalem; und ist eitel Liebe, davon er redet und damit er umgeht.
48. Das
letzte Kapitel ist ein Grußkapitel; aber darunter vermischt er gar eine edle
Warnung vor Menschenlehren, die da neben der evangelischen Lehre einfallen und
Ärgernis anrichten, gerade als hätte er gewiss ersehen, dass aus Rom und durch
die Römer kommen sollten die verführerischen, ärgerlichen Canones
und Dekretalen und das ganze Geschwürm und Gewürm
menschlicher Gesetze und Gebote, die jetzt die Welt ersaufen, und diese Epistel
und alle Heilige Schrift, samt dem Geist und Glauben vertilgt haben, dass
nichts mehr da geblieben ist als der Abgott Bauch, dessen Diener sie hier St.
Paulus schilt. Gott erlöse uns von ihnen, Amen!
49. So finden
wir in dieser Epistel aufs allerreichlichste, was ein Christ wissen soll,
nämlich, was Gesetz, Evangelium, Sünde, Strafe, Gnade, Glaube, Gerechtigkeit,
Christus, Gott, gute Werke, Liebe, Hoffnung, Kreuz sei und wie wir uns gegen
jedermann, er sei fromm oder Sünder, stark oder schwach, Freund oder Feind, und
gegen uns selber verhalten sollen. Dazu das alles mit Schriften trefflich
gegründet, mit Beispielen seiner selbst und der Propheten bewiesen, dass nichts
mehr hier zu wünschen ist. Darum es auch scheint, als habe St. Paulus in dieser
Epistel wollen einmal in die Kürze verfassen die ganze christliche und
evangelische Lehre und einen Eingang bereiten in das Alte Testament. Denn ohne
Zweifel, wer diese Epistel wohl im Herzen hat, der hat des Alten Testaments
Licht und Kraft bei sich. Darum lasse sie ein jeglicher Christ sich gemein und
stetig in Übung sein. Da gebe Gott seine Gnade zu, Amen.
Der Verfasser des Römerbriefs war, wie er
selbst in der Einleitung sagt, der Apostel Paulus, Kap. 1,1. Ein großer Teil
des Lebens dieses großen Missionars wird in der Apostelgeschichte geschildert,
und eine kurze Geschichte seiner Jugend und seines Wirkens als Apostel Christi
wird in Artikeln im Anhang zu den Apostelgeschichten 9 und 28 dieses KOMMENTARS
gegeben. „Es genügt hier festzustellen, dass Saulus (später Paulus genannt) in
Tarsus, einer Stadt in Zilizien, von jüdischen Eltern geboren wurde, die das
römische Bürgerrecht besaßen; dass er als junger Mann nach Jerusalem geschickt
wurde, um eine jüdische Erziehung zu erhalten; dass er dort dem Unterricht des
berühmten Rabbi Gamaliel unterstellt wurde und sich
der Sekte der Pharisäer anschloss, deren System er mit allem Stolz,
Selbstbewusstsein und Intoleranz verinnerlichte, wodurch er sich als einer der
unverbesserlichsten Feinde der christlichen Sache auszeichnete; aber nachdem er
sich durch eine höchst merkwürdige Fügung der göttlichen Vorsehung und Gnade
bekehrt hatte, wurde er einer der eifrigsten Förderer und erfolgreichsten Verteidiger
der Sache, die er zuvor so unerbittlich verfolgt hatte.“[1] Der Brief trägt
durchgängig die charakteristische Handschrift des Paulus, sowohl in Inhalt als
auch in Form. Er ist ein Teil der apostolischen Lehre, ein Teil der durch
Gottes Eingebung gegebenen Schrift, um uns weise zu machen zum Heil durch den
Glauben, der in Christus Jesus ist.
Der Brief ist an die Römer gerichtet, das
heißt „an alle, die in Rom sind, die von Gott geliebt und zu Heiligen berufen
sind“, Kap. 1,7.: „Aus den Kapiteln. 1,8 und 16,19 geht hervor, dass die
Gemeinde in Rom schon seit einiger Zeit bestand, als Paulus diesen Brief
schrieb. Wie war sie gegründet worden? Offensichtlich nicht durch die
Verdienste des Paulus selbst. Als er seinen Brief schrieb, war er nie in Rom
gewesen (Kap. 1,10.13; 15,23). Die römisch-katholische Kirche von heute
behauptet, dass der heilige Petrus der Gründer der Kirche in Rom war und dass
er ihre Geschicke fünfundzwanzig Jahre lang als ihr erster Bischof leitete.
Diese Behauptung hat keine biblische Grundlage. Sie widerspricht in der Tat
allen Beweisen des Neuen Testaments. Hier sind einige der Beweise. 1. Bis zur
Zeit des apostolischen Konzils... befand sich der heilige Petrus noch in
Jerusalem (Apg. 12,4; 15,7; Gal. 2,1 ff.). Nach vertrauenswürdiger
Überlieferung starb er im Jahr 67. Von 51 bis 67 sind es jedoch keine
fünfundzwanzig Jahre. 2. Paulus schrieb seinen Brief an die Römer Anfang des
Jahres 58. Aber in diesem Brief erwähnt er den heiligen Petrus mit keinem Wort,
was er sicher getan hätte, wenn ein so prominenter Apostel die römische Kirche
gegründet hätte. 3. In seinem Brief (Kap. 16, 3-16) sendet Paulus besondere
Grüße an eine große Zahl von Christen in Rom. Aber der Name des heiligen Petrus
wird in der langen Liste derer, die Paulus grüßt, nicht erwähnt. Was hat das zu
bedeuten? Es kann nur bedeuten, dass der heilige Petrus zu dieser Zeit nicht in
Rom war. Es ist also klar, dass weder der heilige Petrus noch der heilige
Paulus die Kirche in Rom gegründet haben. Wir haben auch keinen Beweis dafür,
dass irgendein anderer Apostel der Gründer war. Der Ursprung dieser Kirche muss
wahrscheinlich folgendermaßen erklärt werden. Rom, die Herrin und Metropole der
Welt, hatte zu jener Zeit eine große Anzahl jüdischer Einwohner. Einige von
ihnen waren am großen Pfingsttag in Jerusalem anwesend, als der Heilige Geist
auf die Jünger ausgegossen wurde (Apg. 2, 10). Höchstwahrscheinlich waren
einige dieser „Gastarbeiter aus Rom“ unter den 3.000, die sich bekehrten und
tauften. Als sie nach Rom zurückkehrten, trugen diese Bekehrten das Evangelium
Christi mit sich. Das war der Anfang der Kirche in Rom.“[2]
Das Ziel des Briefes wird von Paulus selbst
genannt (1,11-15; 15,22-32). Da er schon lange vorhatte, die Gemeinde in Rom zu
besuchen, kündigt er hier sein wahrscheinliches Kommen in naher Zukunft an. Er
wollte die Gemeinde in Rom darauf vorbereiten, eine geeignete Basis für die
Weitergabe des Evangeliums nach Westen zu werden. Die Anweisungen des Paulus in
diesem Brief nehmen daher die Ausmaße einer vollständigen und erschöpfenden
lehrhaften Abhandlung an, der systematischsten und vollständigsten aller Paulusbriefe:
„Eine Darstellung des göttlichen Ratschlusses der Gnade und des Heils in seiner
Universalität, die für Juden und Heiden gleichermaßen bestimmt und notwendig
ist.“ Die Gemeinde, die sich aus Juden und Griechen zusammensetzte, wobei die
Heidenchristen in der Überzahl waren, bildete noch kein harmonisches Ganzes, da
die Juden glaubten, sie seien dazu bestimmt, besondere Vorrechte im Reich
Gottes zu genießen, und die Heiden dazu neigten, auf die jüdischen Brüder
herabzusehen. Die Ausführungen des Paulus in diesem Brief zielten darauf ab,
die beiden Parteien zu vereinen. Wegen dieser beiden Züge ist der Römerbrief
die wichtigste Schrift des Paulus, oder, wie Luther es ausdrückt, „das
Hauptbuch des Neuen Testaments und das reinste Evangelium, welches wohl wert
ist, dass ein Christ es nicht nur auswendig, Wort für Wort, wisse, sondern
täglich gebrauche als das tägliche Brot der Seele; denn man kann es nie zu oft
und zu gut lesen und studieren, und je mehr man es gebrauche, desto kostbarer
wird es, und desto besser schmeckt es.“[3]
Aus Apg. 20,2.3; Röm. 16,1.2.23; 1. Kor.
1,14 geht hervor, dass Paulus diesen Brief auf seiner dritten Missionsreise, im
Winter 58-59, kurz vor seiner Abreise nach Jerusalem, geschrieben hat. Die
Bedingungen für die Absendung des Briefes zu diesem Zeitpunkt waren günstig,
denn Phöbe, eine Diakonisse aus Kenchrea, einer
Hafenstadt in Korinth, war im Begriff, nach Rom zu reisen, und wurde so zur
Überbringerin der kostbaren Botschaft (Kap. 16,1.2). Der Brief wurde von Paulus
an Tertius, einen seiner Gefährten und Helfer, im
Haus des Gajus in Korinth diktiert.
Der Römerbrief lässt sich eindeutig in
einen lehrhaften und einen praktischen Teil unterteilen. Der erste Teil, der
die Kap. 1-11, umfasst vier Unterabschnitte. Nach der Einleitung wird das Thema
des Briefes angekündigt: die Rechtfertigung durch den Glauben, wie sie im
Evangelium offenbart wird. Der Apostel zeigt, dass weder die Heiden noch die
Juden vor Gott gerecht sind, sondern von Natur aus unter dem Zorn Gottes
stehen. Die Gerechtigkeit Gottes, die durch die stellvertretenden Verdienste
Christi erworben wurde, mit all ihren Segnungen, wird als nächstes dargestellt.
Eine notwendige Frucht und Folge der zugerechneten Gerechtigkeit ist die
Heiligung, die sich in guten Werken manifestiert. Die universale Gnade Gottes
ist die Grundlage der Erwählung aus Gnade, wie Paulus am Beispiel Israels und
der heidnischen Welt zeigt. Im praktischen, mahnenden Teil seines Briefes zeigt
der Apostel dann, welche christlichen Tugenden aus der Liebe zu Christus
erwachsen: Demut, Nächstenliebe, Gehorsam, ein heiliges Leben im Allgemeinen.
Im Schlussteil des Briefes rechtfertigt Paulus sein Schreiben, drückt die
Hoffnung aus, bald nach Rom zu kommen, lobt Phöbe, richtet seinen persönlichen
Gruß aus, warnt vor Irrlehrern, schließt Grüße seiner Gefährten ein und
schließt mit einer Doxologie.
Schöner als in den Worten Luthers kann man
die Zusammenfassung des gesamten Briefes nicht wiedergeben: „So finden wir in
dieser Epistel in reichstem Maße, was ein Christ wissen soll, nämlich was
Gesetz, Evangelium, Sünde, Strafe, Gnade, Glaube, Gerechtigkeit, Christus,
Gott, gute Werke, Liebe, Hoffnung, Kreuz ist, und wie wir uns verhalten sollen
gegen jedermann, es sei ein Frommer oder ein Sünder, stark oder schwach, Freund
oder Feind, und gegen uns selbst. Und dies alles wohl begründet mit der Heiligen
Schrift, bewiesen mit Beispielen aus seiner eigenen Erfahrung und von den
Propheten, dass hier nichts mehr zu wünschen ist. Daher scheint es, dass Paulus
in diesem Brief einmal die gesamte christliche und evangelische Lehre in einer
kurzen Zusammenfassung zusammenfassen und eine Einführung in das gesamte Alte
Testament vorbereiten wollte. Denn ohne Zweifel hat derjenige, der diesen Brief
gut im Herzen trägt, das Licht und die Kraft des Alten Testaments in sich.
Darum soll jeder Christ es zu seiner gewöhnlichen und beständigen Beschäftigung
und Übung machen. Wozu Gott seine Gnade gibt! Amen.“[4]
Der
Eingangsgruß
(1,1-7)
1 Paulus, ein
Knecht Jesu Christi, berufen zum Apostel, ausgesondert, zu predigen das
Evangelium Gottes, 2 welches er zuvor verheißen hat durch seine Propheten in
der Heiligen Schrift, 3 von seinem Sohn,
der geboren ist von dem Samen Davids nach dem Fleisch 4 und kräftig erwiesen
ein Sohn Gottes nach dem Geist, der da heiligt, seit der Zeit er auferstanden
ist von den Toten, nämlich Jesus Christus,
unser HERR 5 (durch welchen wir haben empfangen Gnade und Apostelamt,
unter allen Heiden den Gehorsam des
Glaubens aufzurichten unter seinem Namen, 6 welcher ihr zum Teil auch seid, die
da berufen sind von Jesus Christus): 7 Allen, die zu Rom sind, den Liebsten
Gottes und berufenen Heiligen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem
Vater, und dem HERRN Jesus Christus.
Anstatt die übliche, konventionelle Form
der Kurzansprache in diesem Brief zu verwenden, erweitert Paulus die übliche
Anrede auf wahrhaft christliche und apostolische Weise, um in seinen
einleitenden Gruß den Wunsch nach dem höchsten geistlichen Wohlergehen der
Brüder in Rom aufzunehmen. Einen Diener nennt Paulus sich selbst. Das Wort,
wenn es allein verwendet wird, bezeichnet den Christen, insofern er sich in der
Ausübung seiner besonderen christlichen Berufung ganz dem Willen Gottes
überlässt und seinen eigenen Vorzug ausschließt. Aber Paulus modifiziert das
Wort, indem er sich selbst als "Knecht Jesu Christi" bezeichnet,
nicht als Leibeigenen oder Sklaven, wie es der wörtlichen Bedeutung des Wortes
in der klassischen Sprache entspräche, da dieser Begriff etwas Vorwurfsvolles
enthält, sondern als einen Menschen, der Christus gegenüber eine Verpflichtung
hat, die er niemals vollständig und angemessen erfüllen kann. Er hatte sich
selbst, seine Person, sein Leben, seine Kräfte seinem Herrn und Heiland Jesus
Christus gegeben, anvertraut; er war ihm ganz und gar im Geiste des
opferbereiten Gehorsams, der ständigen, vollständigen und tatkräftigen
Erfüllung des göttlichen Willens ergeben. Während er jedoch diese Beziehung zu
Christus mit jedem wahren Gläubigen gemeinsam hatte, gab es eine
Unterscheidung, die er genoss, die sehr ungewöhnlich und einzigartig war. Er
wurde durch eine besondere Berufung von Gott zum Apostel berufen, durch eine
unmittelbare Berufung, Apg. 9,1 ff.; Gal. 1,12. Er hatte das besondere Vorrecht
des Apostolats: er hatte den auferstandenen Herrn gesehen, 1. Kor 15,8, er
hatte direkte Mitteilungen von ihm empfangen, 1. Kor. 11,23; 15,3. Als Apostel
war Paulus abgesondert, von anderen Menschen getrennt, mit einem besonderen Amt
betraut, dem Evangelium Gottes zugeordnet, für dessen besonderen Dienst. Es ist
das Evangelium Gottes, die frohe Botschaft, deren Urheber er ist und die seine
Gnade möglich gemacht hat. Die Botschaft, die Paulus durch Mund und Brief
überbrachte, war keine unbestimmte Philosophie, sondern das Wort Gottes, wie es
für die Rettung der Menschen bestimmt ist.
Dieses Evangelium Gottes, diese herrliche,
frohe Botschaft, ist keine neue Lehre, sondern eine, die schon vorher durch
seine Propheten in den heiligen Schriften verheißen wurde, die uralte Wahrheit,
die von den glaubwürdigsten Zeugen verkündet und in verbürgten Schriften
festgehalten wurde. Die Worte des Paulus sind ein Zeugnis für die Inspiration
der Heiligen Schrift, wie sie den Juden damals bekannt war. Es war Gott, der
die Verkündigung in alten Zeiten machte; es waren seine Propheten, die
predigten und schrieben, nicht was ihnen passte, sondern was sein Heiliger
Geist ihnen befahl, für künftige Generationen niederzuschreiben; und deshalb
sind die Schriften, die durch die Jahrhunderte überliefert wurden, heilig, als
ein Produkt des heiligen Gottes und seines Heiligen Geistes. Die Tatsache, dass
die Lehre des Paulus voll und ganz mit dem Zeugnis der Propheten übereinstimmt,
ist für uns auch eine tröstliche Gewissheit, dass das Evangelium, wie es in
unserer Mitte gepredigt wird, die ewige Wahrheit ist.
Der Ursprung des Evangeliums ist göttlich;
seine Übereinstimmung mit dem Zeugnis der Propheten kann nicht in Frage
gestellt werden; sein Inhalt ist Jesus. Es handelt von Seinem, Gottes, Sohn,
Gott selbst gibt im Evangelium Zeugnis von Seinem Sohn. Der Sohn Gottes, dessen
Ewigkeit und Göttlichkeit durch den Namen hervorgehoben wird, Ps. 2,7, wurde
aus dem Samen Davids nach dem Fleische geboren. Der eingeborene Sohn des
Vaters, Joh. 1,14; Kol. 1,15, nahm die menschliche Natur als Nachkomme Davids
an, da seine Mutter Maria aus dem Hause und Geschlecht Davids stammte. Aus dem
Samen Davids wurde er geboren, nach dem Fleisch, Luk. 3,23 ff.; er war ein
wahrer Mensch, Fleisch und Blut wie alle Menschen, alle Menschen. Er wurde den
Menschen ähnlich gemacht, Phil. 2,7, wenn auch nicht nach der gewöhnlichen
Empfängnis und Geburt; er war uns, seinen Brüdern, in jeder Hinsicht gleich,
denselben Schwächen und Übeln unterworfen, die dem Fleisch eigen sind, aber
ohne Sünde, Hebr. 2,17.
Derselbe Jesus aber, der ein wahrer Mensch
ist, wird zugleich zum Sohn Gottes in Macht, zum allmächtigen Sohn Gottes
erklärt, geweiht, ernannt, eingesetzt. Er war immer der Sohn Gottes, aber im
Zustand seiner Erniedrigung hatte er seine göttliche Majestät unter der Gestalt
eines Knechtes verborgen. Nun aber wurde er als Sohn Gottes mit dem vollen
Besitz der göttlichen Herrlichkeit und Majestät offenbart und eingesetzt. Der
Sohn Davids, der schwache und verachtete Jesus von Nazareth, übt gemäß seiner
menschlichen Natur unbegrenzte Autorität, absolute Souveränität aus. Und das
alles geschah nach dem Geist der Heiligkeit, nach seiner höheren, himmlischen,
göttlichen Natur, 2. Kor. 3,17. Diese einzigartige Natur wird Geist der
Heiligkeit genannt, weil sie der übermenschlichen, überirdischen Welt angehört,
weil sie nur in dem zu finden ist, der über allem ist, zur Rechten Gottes in
den himmlischen Örtern, Eph. 1,20-23 „Das ganze Evangelium des Paulus ist in
diesem geschichtlichen Jesus enthalten, der im Fleisch erschienen ist, der aber
auf Grund des Geistes der Heiligkeit, der sein Wesen ausmacht, als Christus und
Herr erhöht worden ist.“ Es ist die ewige Gottheit, die nun, da sie zur Rechten
Gottes erhöht worden ist, in Christus erscheint und sein ganzes Wesen bestimmt.
Seine göttliche Natur hat sein menschliches Wesen mit ihrer Herrlichkeit und
Macht durchdrungen und aufgeladen. Und all das ist wahr als Folge der
Auferstehung der Toten und durch sie. Durch seinen Tod legte Christus alle
menschliche Schwäche für immer ab. Dann ist er von den Toten auferstanden. Es
war eine wahre Auferstehung oder Wiedergeburt; er trat in ein neues Leben und
Wesen ein; er übernahm die uneingeschränkte Ausübung der göttlichen
Eigenschaften, die auf seine menschliche Natur übertragen worden waren. Deshalb
ist in und mit der Auferstehung Christi auch die Auferstehung der Gläubigen zum
ewigen Leben garantiert, 1. Kor. 15,12 ff. All diese wunderbaren Dinge werden
von Jesus Christus, dem Gottmenschen, gesagt, der von Gott gesalbt wurde, um
der Retter der Welt zu sein, und daher unser Herr, der Meister und König aller
Gläubigen. Alle Werke seines Amtes hat er vollbracht und vollbringt sie noch
immer, damit wir sein Eigentum sind und unter ihm in seinem Reich leben und ihm
in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit dienen können.
Derselbe Herr Jesus Christus, der sich auf
so wunderbare Weise offenbart hat, ist auch derjenige, durch den Paulus Gnade
und Apostolat empfangen hat. Durch das Wirken des erhöhten Christus wurde
Paulus bekehrt, er wurde der Gnade Gottes im Erlöser teilhaftig, der vollen und
vollständigen Vergebung der Sünden. Und dann erhielt er als besondere
Auszeichnung von Jesus, dem Herrn der Kirche, das Amt des Apostels, Gal. 1,1.
Er gehörte zu der besonderen Klasse von Lehrern, die der Herr der Kirche in den
ersten Tagen zur Errichtung seines Reiches in den Herzen der Menschen gab.
Zweck und Ziel seiner Arbeit in seinem Amt war es, den Gehorsam des Glaubens
unter allen Völkern, inmitten aller heidnischen Völker, zu begründen. Das Ziel
der Predigt des Paulus war es, Glauben zu wirken, in den Herzen der Menschen
Gehorsam gegenüber der Norm und Regel des Evangeliums zu schaffen; denn der
christliche Glaube ist im Wesentlichen ein solcher williger Gehorsam, Röm.
10,16; 1. Petr. 2,8; 4,17. Die Verkündigung des Evangeliums, die das
wesentliche Werk des Apostolats unter den Heiden war, hat in sich selbst die
Kraft, Zustimmung und Glauben zu bewirken. Und so dient der Glaube der
Christen, durch den sie Jesus als ihren Retter annehmen, der Verherrlichung des
Namens Jesu, damit der Name Christi über alle Namen erhaben sei. Im Evangelium
wird Jesus gepredigt, darin wird er den Menschen offenbart, und ihre Annahme
seines Heils trägt zu seiner Ehre bei.
Nachdem Paulus auf diese Weise den Inhalt
und die Herrlichkeit des Evangeliums und sein Amt bei der Verkündigung der
wunderbaren Botschaft erläutert hat, wendet er sich direkt an die Mitglieder
der Gemeinde in Rom und sagt ihnen, dass sie, die große Mehrheit von ihnen, von
Geburt an zu den heidnischen Völkern gehörten, aber dennoch von Jesus Christus
berufen waren. Der Ruf Jesu Christi durch das Evangelium ist bei ihnen wirksam
geworden; kraft seines Rufes gehören sie zu ihm als die Seinen, sie sind wiedergeboren
oder bekehrt, sie sind Untertanen Christi geworden. Aber nicht nur an diese
Christen aus den Heiden, sondern an alle, die in der Stadt Rom von Gott geliebt
sind, die als seine geliebten Kinder zu Gott gehören, an alle, die heilig
genannt werden, die durch den Ruf Gottes heilig geworden sind, die von der Welt
getrennt und Gott geweiht wurden, wendet sich Paulus. Sie sind nicht von Gott
berufen worden, weil sie heilig sind, sondern ihre Heiligkeit ist die Folge
seiner Berufung, die ihnen aus seiner großen Liebe heraus zuteil
wurde, ein Ausdruck seiner aufrichtigen Liebe zu ihnen. Man beachte,
dass Paulus alle Mitglieder der Gemeinde in Rom mit diesen ehrenden Titeln
anspricht. Für ihn sind sie alle von Gott geliebt und werden Heilige genannt,
so wie wir heute alle Mitglieder einer wahren christlichen Gemeinde als liebe
Kinder Gottes betrachten, auch wenn es in ihrer Mitte Heuchler gibt.
Anstelle der kurzen Formel, die der Brauch
in förmlichen Briefen verlangt, veranlasst die Liebe des Paulus ihn, das Wort
zu einem Gruß zu erweitern, der das ganze Ausmaß seiner Wertschätzung zeigt. Er
wünscht ihnen alle Gnade, die volle Barmherzigkeit Gottes, die freie Vergebung
ihrer Sünden, die Grundlage und Quelle jeder guten Gabe, die von oben
herabkommt. Er wünscht ihnen Frieden, als glückliche Folge des Besitzes von
Gnade und Barmherzigkeit. Wir haben Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus
Christus. Seine Erlösung hat die Ursache des Streits beseitigt, der Vater ist
mit uns versöhnt. Dieser glückliche Zustand der Gewissheit der Gnade Gottes,
der Gewissheit seines versöhnten Herzens, soll fortbestehen und ihr Glaube an
diese Gaben Gottes gestärkt werden. Gott der Vater soll diese Segnungen
gewähren, aber sie sollen zugleich auch von Christus selbst ausgehen, in dem
wir das Recht haben, Gott unseren Vater zu nennen und die Fülle der geistlichen
Segnungen aus seiner Hand zu erwarten. Gott der Vater und Jesus Christus sind
also in gleichem Maße und mit gleicher Kraft die Quelle unseres Heils. Welch
ein Trost ist der Glaube an Jesus, den Erlöser.
Die Einleitung zum Brief (1,8-15)
8 Aufs erste danke ich meinem Gott durch Jesus Christus wegen euch
allen, dass man von eurem Glauben in aller Welt spricht. 9 Denn Gott ist mein
Zeuge, welchem ich diene in meinem Geist am Evangelium von seinem Sohn, dass
ich ohne Unterlass euer gedenke 10 und allezeit in meinem Gebet flehe, ob
sich’s einmal zutragen wollte, dass ich zu euch käme durch Gottes Willen. 11
Denn mich verlangt, euch zu sehen, auf dass ich euch mitteile etwas geistlicher
Gabe, euch zu stärken, 12 das ist, dass ich samt euch getröstet würde durch
euren und meinen Glauben, den wir untereinander haben.
13 Ich will euch aber nicht verhalten, liebe Brüder, dass ich mir oft
habe vorgesetzt, zu euch zu kommen (bin aber verhindert bisher), dass ich auch
unter euch Frucht schaffte gleichwie unter anderen Heiden. 14 Ich bin ein
Schuldner beider, der Griechen und der Nichtgriechen, beider, der Weisen und
der Unweisen. 15 Darum, soviel an mir ist bin ich geneigt, auch euch zu Rom das
Evangelium zu predigen.
Des Paulus Verlangen, die Christen in
Rom zu sehen (V. 8-12): In dieser Einleitung verfolgt Paulus den Weg, den
er gewöhnlich in seinen Briefen einschlägt, nämlich sich zuerst in Beziehung zu
seinen Lesern zu setzen; und sein erster Berührungspunkt mit ihnen ist die
Dankbarkeit für ihre Teilnahme am Christentum. „Zuerst“, vor allen Dingen, vor
allem anderen. Sehr nachdrücklich bringt Paulus diesen Gedanken seiner
aufrichtigen Dankbarkeit zum Ausdruck, die im Leben eines Christen immer an
erster Stelle stehen und allen Gebeten und Wünschen vorausgehen muss. Man
beachte, dass der Apostel sich auf „meinen Gott“ bezieht. Das ist das Wesen des
wahren Glaubens, dass der Gläubige sein persönliches Vertrauen in Gott setzt
und die Sprache der persönlichen Anwendung mit einem vollen Verständnis der
persönlichen Verpflichtung verwendet. Es ist der Gott, dessen er ist und dem er
dient (Apg 27,23). Durch Jesus Christus dankt Paulus
Gott; denn ohne die durch unseren großen Stellvertreter erlangte Erlösung
könnte der Mensch nicht in die richtige Beziehung zu Gott treten, noch könnte
irgendein Werk des Menschen, selbst Gebet und Danksagung, Gott wohlgefällig
sein. Der kostbare Name Jesu Christi, der in der Anrede dreimal genannt wurde,
erscheint auch in der eigentlichen Einleitung, am Anfang des Briefes. Sein Dank
an Gott gilt ihnen allen, denn sie sind davon beseelt, dass ihr Glaube, der
durch seine Früchte und Äußerungen, durch ihr christliches Leben, für alle
Menschen sichtbar war, in der ganzen Welt bekannt wurde. Da Rom die Hauptstadt
der Welt war, wurde alles Ungewöhnliche, das dort geschah, mit großer
Sicherheit weitergegeben und verbreitete sich mit großer Schnelligkeit in alle
Teile der Welt. Es war ein schönes Zeugnis für die Festigkeit ihres Glaubens,
dass die römischen Christen überall dort, wo die christliche Religion bekannt
war, einen so beneidenswerten Ruf genossen.
Die Danksagung des Paulus war natürlich
eine Angelegenheit zwischen ihm und Gott; sie war der Beobachtung der Menschen
entzogen. Er appelliert daher an Gott, der seine unablässigen Gebete für die
römischen Christen erhört, als Zeuge für die Wahrheit seiner Aussage, für die
Aufrichtigkeit der Liebe, die er ihnen entgegenbringt, obwohl er bis jetzt
nicht in persönlicher Beziehung zu ihnen stand. Es war dieser Gott, an den sich
Paulus hier in feierlichem Bekenntnis wandte, dem er in seinem Geist im Evangelium
seines Sohnes diente. Sein Geist, sein wiedergeborenes Herz, befähigt ihn, sein
Werk in betender Gemeinschaft mit Gott zu verrichten. Er dient Gott im
Evangelium seines Sohnes, in der Verkündigung der Erlösung, die durch das Blut
des Gottessohnes erworben wurde. Dieser Dienst ist ein Opferdienst, ein wahrer
Akt der Anbetung, eine schöne äußere Manifestation der inneren Beziehung zu
Gott. Ein wahrer Diener des Wortes dient Gott nicht nur im Evangelium, wenn er
das Wort öffentlich und privat verkündet, sondern auch, wenn er mit Gott allein
verkehrt, in der Gemeinschaft des Gebets für sich selbst und alle, die seiner
geistlichen Sorge anvertraut sind.
Zu seiner Danksagung für die römischen
Christen fügte Paulus eine ständige Erinnerung an sie hinzu, indem er den Herrn
anflehte, ob er gemäß seinen Gebeten jemals das Glück haben würde, durch den
Willen Gottes zu ihnen zu kommen. Das war einer der sehnlichsten Wünsche des
Apostels, die Brüder in Rom von Angesicht zu Angesicht zu sehen, auf dem Weg zu
ihnen beschleunigt zu werden, das Glück zu haben, die Reise zu ihnen machen zu
können. Aber er legt die Angelegenheit in die Hände Gottes. Der Herr des Universums
und der Kirche, dessen allmächtige Hand die Umstände und Schicksale lenkt,
könnte und würde sicher zu seiner Zeit die Dinge so regeln, dass Paulus Rom
sehen würde, Jak. 4,15.
Als Grund für sein ernsthaftes Bitten und
Flehen gibt Paulus sein aufrichtiges Verlangen an, die Christen in Rom zu
sehen, sie persönlich kennenzulernen, um ihnen irgendeine geistliche Gabe zu
übermitteln, um sie zu bestätigen, um sie aufzubauen. Welche Gnadengabe Paulus
ihnen auch immer in Form von Lehre, Ermahnung, Trost mitteilen konnte, er
schrieb sie nicht seiner eigenen Persönlichkeit und seinen Gaben zu, sondern
der Barmherzigkeit Gottes, deren sie durch den Geist Gottes teilhaftig wurden.
Denn der Heilige Geist allein ist es, der durch die Verkündigung des Wortes
geistliche Wohltaten in den Herzen der Menschen wirkt. Während aber die Brüder
in Rom auf diese Weise in ihrem Glauben und in ihrem christlichen Leben
bestätigt und gestärkt werden, wird Paulus selbst nicht ohne Nutzen bleiben. Er
selbst wird bei ihnen Trost und christliche Ermutigung finden, wenn sie
gestärkt sind. Beide Parteien werden also durch den Glauben aneinander, durch
ihren gegenseitigen Glauben, dessen Einheit hier betont wird, einen Vorteil
erlangen. Wie Paulus seinen Glauben beweist, indem er die römischen Christen
belehrt, indem er seinen Glauben bezeugt, so bezeugen sie ihren Glauben, indem
sie das Wort Gottes mit Freude annehmen. So erhalten beide Trost und Ermutigung
in ihrem Glauben. Wer andere lehrt und bestätigt, hat selbst Nutzen davon und
wird erbaut, weil er sieht, dass das Wort von den Zuhörern mit allen Zeichen
der gnädigen Kraft Gottes aufgenommen wird.
Ein weiterer Grund für des Paulus
Verlangen, nach Rom zu kommen (V. 13-15): Zu dem oben genannten Grund, dass
er den Brüdern in Rom eine geistliche Gabe vermitteln und mit ihnen gestärkt
werden wollte, fügt Paulus hier eine Erklärung vom Standpunkt seines Amtes als
Apostel der Heiden hinzu. Er will nicht, dass sie in Unkenntnis darüber sind,
dass er schon oft die ernste Absicht hatte, zu ihnen zu kommen, Apg. 19,21. Bis
zu diesem Zeitpunkt war er daran gehindert worden, sein Vorhaben auszuführen,
Kap. 15,20-22. Es war nicht mangelndes Interesse an ihnen, Gleichgültigkeit
gegenüber dem Werk, das in ihrer Mitte getan wurde, das ihn davon abgehalten
hatte, denn er war sich seiner Stellung als Apostel Jesu Christi für die Heiden
voll bewusst. Er war bestrebt, auch unter den Römern Frucht zu bringen, zu
sehen, wie einige Menschen als Ergebnis seiner evangelistischen Arbeit der
Gemeinde hinzugefügt wurden, so wie er solche Ergebnisse unter anderen
heidnischen Völkern gesehen hatte; er wollte Frucht für das ewige Leben
sammeln, Joh. 4,36. Die Seelen, die ein Prediger des Evangeliums durch sein
Zeugnis gewinnt, werden vom Herrn als Frucht, als Garben der Ernte angesehen,
und deshalb wollte Paulus mitten in der Hauptstadt der Welt arbeiten, um mehr
Seelen für die große geistliche Ernte zu gewinnen.
All diese Sorge und dieses Verlangen
gründet Paulus also auf die Verpflichtung, die er in Bezug auf die Verkündigung
des Evangeliums auf sich ruhen sieht. Den Griechen, denjenigen, die mit der
griechischen Sprache und der höchsten Kultur der Römer vertraut waren, wie auch
den Barbaren, dem Volk, das mit diesen Vorzügen nicht vertraut war; den Weisen
nach dem Maßstab dieser Welt wie auch den Ungebildeten und Unwissenden war er
etwas schuldig, er sah sich in der Pflicht. Er fühlte, dass er ihnen das Evangelium
von Jesus Christus schuldete; er konnte nicht eher zufrieden sein, bis er diese
Schuld beglichen hatte. Deshalb richtete sich seine Bereitschaft auf die
Erreichung dieses Ziels: Er seinerseits war ganz und gar vorbereitet und
bereit, seine Bereitschaft war eine Tatsache, er wollte das Evangelium auch in
Rom predigen. Diese so umfassend begründete Zusicherung reichte zweifellos aus,
um den Brüdern in Rom alle Skrupel und Zweifel zu nehmen, die sie hinsichtlich
der persönlichen Gefühle des großen Apostels für sie hegen konnten. Anmerkung:
Das Evangelium Christi ist für die unzivilisierten Völker ebenso bestimmt wie
für die zivilisierten; die Barbarei ist ebenso wenig ein Hindernis für die
Verbreitung des Evangeliums wie weltliche Kultur und Gelehrsamkeit eine Hilfe
für seine Ausbreitung sind. Das gilt auch für Markus: Die Christen sollten sich
jederzeit verpflichtet fühlen, das Evangelium zu predigen; solange es auch nur
einen einzigen Menschen in der Welt gibt, bei dem keine Anstrengungen
unternommen wurden, ihn mit dem herrlichen Evangelium Jesu Christi bekannt zu
machen, solange besteht eine Schuld gegenüber den Christen; es ist an der Zeit,
dass wir uns beeilen, diese Schuld zu begleichen.
Das Thema des Briefes (1,16-17)
16 Denn ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht; denn es ist
eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben, die Juden
vornehmlich und auch die Griechen, 17 da darin offenbart wird die Gerechtigkeit,
die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie denn geschrieben
steht: Der Gerechte wird seines Glaubens leben.
Paulus hatte sich bereit erklärt, das
Evangelium in Rom, der Hauptstadt der Welt, zu verkünden. Und all die Weisheit
und der Stolz der hochmütigen Metropole würden ihn nicht davon abhalten. „Zweifellos
könnte man überall Bedenken haben, sich mit einer Botschaft zu identifizieren,
die einen Menschen zum Gegenstand hat, der als Verbrecher hingerichtet wurde;
überall war das Kreuz für die Juden ein Stolperstein und für die Griechen eine
Torheit. Aber ausgerechnet in Rom, wo die ganze wirksame Kraft der Menschheit
versammelt zu sein schien, könnte man sich schämen, als Vertreter einer
scheinbar ohnmächtigen und unwirksamen Sache aufzutreten. Aber das ist das
Evangelium nicht; es ist genau das Gegenteil davon, und deshalb ist der Apostel
stolz darauf, sich mit ihm zu identifizieren.“[5] Paulus schämt sich
keineswegs für das Evangelium, die herrliche Heilsbotschaft. Denn er weiß und
bekennt, dass es eine Kraft Gottes ist, die zum Heil führt. Was keine
menschliche Lehre, keine weltliche Philosophie zu leisten vermag, das bewirkt
die einfache Botschaft von Jesus Christus. Sie ist nicht nur unter bestimmten
Umständen von der Kraft Gottes begleitet, sondern sie ist in sich selbst, zu
allen Zeiten, eine Kraft Gottes. Darin liegt der höchste, der wunderbarste
Zweck: Sie bringt jedem, der glaubt, das Heil. Indem sie die Sünder von Sünde,
Tod und Verdammnis befreit, bringt sie ihnen Leben und Heil und vermittelt es
ihnen. Die Kraft ist immer da, ob man die Wahrheit des Evangeliums annimmt oder
nicht; „aber der Mensch kann diese Kraft nur erfahren und genießen, wenn er sie
im Glauben annimmt.“ 1. Kor. 15,l ff.; Jak. 1,21. Und diese Kraft und
Herrlichkeit des Evangeliums ist für alle bestimmt, für die Juden zuerst, aber
auch für die Griechen. Dem jüdischen Volk hatte sich Gott zuerst geoffenbart,
in seiner Mitte hatte der Erlöser gelebt, eine fortwährende lebendige
Manifestation des Evangeliums, eine Offenbarung der barmherzigen Macht Gottes.
Aber die frohe Botschaft war nicht auf die Juden beschränkt: Juden und Griechen
bedurften gleichermaßen der Botschaft des Heils. Denn weder das Gesetz und die
Werke des Gesetzes noch Weisheit und Kultur können den Menschen aus dem Elend
der Sünde und ihrer Folgen befreien. Die Erlösung ist nur durch die Kraft des
Evangeliums möglich.
Wie das Evangelium eine göttliche
Heilskraft ist, erklärt Paulus nun, nämlich weil in ihm die Gerechtigkeit
Gottes offenbart wird. Die Gerechtigkeit, der Zustand des Gerechtseins,
der eine Bedingung für das Heil ist, fehlt seit dem Sündenfall bei jedem
Mitglied der Menschheitsfamilie. Nun aber wird die Gerechtigkeit, der Zustand,
in dem ein Mensch vor Gott annehmbar ist, Gott auf seiner Seite hat, im
Evangelium offenbart, bekannt gemacht. Es ist die Gerechtigkeit Gottes, nicht
nur eine Gerechtigkeit, die in Gott entspringt und von Gott kommt, sondern eine
Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, die in seinen Augen volle Anerkennung findet,
2. Kor 5,21. Es handelt sich nicht um eine Gerechtigkeit, die ihren Sitz im
Menschen hat, die das Ergebnis der eigenen Bemühungen des Menschen ist, sondern
um eine Gerechtigkeit, die dem Menschen von Gott zugerechnet wird und deshalb
vor ihm volle Geltung hat. Diese Gerechtigkeit ist offenbart, unverhüllt. Sie
ist gegenwärtig, war von Ewigkeit her gegenwärtig, in Jesus Christus, dessen
stellvertretender, aktiver Gehorsam ein barmherziges Gericht Gottes
herbeigeführt hat. Aber ohne die Offenbarung des Evangeliums bliebe diese
Tatsache dem Menschen unbekannt, und deshalb wird die Gerechtigkeit, die durch
die Verdienste Christi erlangt wurde, im Evangelium allen Menschen offenbart
und angeboten. Sie wird aus dem Glauben in den Glauben geoffenbart: Sie ist
eine Gerechtigkeit aus dem Glauben, sie wird unser voller Besitz als Folge des
Glaubens; und sie ist eine Gerechtigkeit in den Glauben, sie ist ausdrücklich
für den Glauben bestimmt, sie kann nur durch den Glauben erlangt werden. Sobald
der Mensch das Evangelium Jesu Christi annimmt, wird er der Gerechtigkeit
teilhaftig, die im Evangelium für ihn bereit liegt; der Mensch muss nur nehmen,
was Gott ihm gibt, und er hat den Besitz und den Genuss des großen Segens, von
dem Leben und Heil abhängen. Und um zu zeigen, dass die Lehre, die er hier
verkündet, in voller Übereinstimmung mit den Schriften des Alten Bundes steht,
zitiert Paulus das Wort eines Propheten, Hab. 2,4: Der Gerechte wird durch den
Glauben, in Folge des Glaubens, durch den Glauben leben; er wird niemals das
Verderben sehen, sondern in vollem Genuss der höchsten Form des Lebens sein, in
und mit Gott, für immer. Damit hat Paulus eine Zusammenfassung seines
Evangeliums gegeben; er hat in diesen beiden Sätzen das Thema oder die These
seines Briefes an die Römer dargelegt.
Die Verkommenheit der heidnischen Welt (1,18-32)
18 Denn Gottes Zorn vom Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen
und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit
aufhalten. 19 Denn dass man weiß, dass Gott sei, ist ihnen offenbar; denn Gott
hat es ihnen offenbart 20 damit, dass Gottes unsichtbares Wesen, das ist, seine
ewige Kraft und Gottheit, wird ersehen, so man des wahrnimmt an den Werken,
nämlich an der Schöpfung der Welt, so dass sie keine Entschuldigung haben, 21
da sie wussten, dass ein Gott ist, und haben ihn nicht gepriesen als einen Gott
noch gedankt, sondern sind in ihrem Dichten eitel geworden, und ihr
unverständiges Herz ist verfinstert.
22 Da sie sich für weise hielten, sind sie zu Narren geworden 23 und
haben verwandelt die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes in ein Bild gleich
dem vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüßigen und der
kriechenden Tiere. 24 Darum hat sie auch Gott dahingegeben in ihrer Herzen
Gelüste, in Unreinigkeit, zu schänden ihre eigenen Leiber an sich selbst. 25
Die Gottes Wahrheit haben verwandelt in die Lüge und haben geehrt und gedient
dem Geschöpf mehr als dem Schöpfer, der da gelobt ist in Ewigkeit. Amen.
Die Weigerung, die natürliche Offenbarung Gottes zu beachten (V.
18-21): Paulus hatte sich die Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes im
Evangelium vorgestellt. Und diese Offenbarung war dringend nötig angesichts
einer anderen Offenbarung Gottes, nämlich der seines Zorns, der als Reaktion
auf seine Heiligkeit und Gerechtigkeit gegen jede Übertretung seines Willens
aufgedeckt und bekannt gemacht wird. Unten, gegen jede Gottlosigkeit und
Ungerechtigkeit der Menschen, wird dieser Zorn deutlich und übt seine Macht
aus. Ob ein Mensch sich neutral und unreligiös verhält oder ob er das göttliche
Gesetz offen verleugnet und übertritt: In jedem Fall wird Gott vom Thron seiner
Majestät und Macht aus seinen Zorn im letzten Gericht offenbaren und tut es
jetzt. Die Strafe, die den vorsätzlich ungerechten Gotteslästerern auferlegt
wird, ist Teil des Endgerichts über sie. Sein Kommen ist unausweichlich, denn
diese ungläubigen und unmoralischen Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass
sie die Wahrheit in Ungerechtigkeit zurückgehalten, gehemmt, verdrängt,
behindert haben. Die Menschen haben die Wahrheit, die Offenbarung Gottes in der
Natur. Und diese Wahrheit ist dazu bestimmt, moralisch zu wirken, die Menschen
in Schach zu halten, sie auf den Weg der bürgerlichen Rechtschaffenheit zu
führen. Aber sie halten die Wahrheit zurück, sie widerstehen ihrem Einfluss,
sie verschließen ihre Augen vor ihren Eingebungen; und das alles in
Ungerechtigkeit. Die Menschen dienen bereitwillig der Ungerechtigkeit und nicht
der Wahrheit; sie lehnen die Wahrheit ab und nehmen die Ungerechtigkeit und
Gottlosigkeit an, und so wird ihre Schuld umso deutlicher sichtbar.
Die Bedeutung der Wahrheit, die Paulus im Sinn hat, bringt er im
nächsten Satz zum Ausdruck. Was von Gott erkannt werden kann, ist für sie
offensichtlich, denn Gott hat ihnen Beweise dafür gegeben. Was man von Gott
wissen kann, was die Menschen von seinem Wesen mit ihren Sinnen begreifen
können, das ist den Herzen der Menschen klar: Er hat ihnen diese Erkenntnis
gegeben, er hat sie ihnen deutlich gemacht. Es ist eine Erkenntnis, die den
Menschen durch die Werke der Schöpfung vermittelt wird. Denn die unsichtbaren
Eigenschaften Gottes, einige Phasen seines göttlichen Wesens, sind seit der
Erschaffung der Welt deutlich sichtbar und werden den Menschen durch die Dinge,
die gemacht sind, durch die Geschöpfe selbst zur Kenntnis gebracht. Die
menschliche Vernunft kann, wenn sie richtig eingesetzt wird, nicht umhin, die
göttlichen Eigenschaften wahrzunehmen, die sich im Werk der Schöpfung und der
Vorsehung zeigen. Für den menschlichen Verstand ist es klar, dass es eine ewige
Macht geben muss, die das Universum regiert, und dass diese Gottheit auch
andere Eigenschaften hat, wie Weisheit und Güte. Die vollendete Schöpfung
predigt diese Eigenschaften ihres Meisters; sie preist die unvergleichliche
Größe und Herrlichkeit Gottes.[6] Diese
Beweise für die Existenz Gottes, für die Erschaffung und Erhaltung des
Universums durch seine allmächtige Macht, Weisheit und Güte sind so klar und
unmissverständlich, dass die Menschen ohne Entschuldigung und Verteidigung
sind. Der von Gott gegebene Impuls, dass alle Menschen seine Majestät erkennen
und ihre Herzen entsprechend vorbereiten sollten, ist so groß, dass jede
Umgehung ihrer schlichten Pflicht sie mit einem schlechten Gewissen
zurücklässt. Sie werden nicht einen einzigen Grund vorbringen können, um ihr
Vergehen zu mildern. Es kann nicht die Schuld Gottes und seiner Schöpfung sein,
wenn der Mensch ihn nicht richtig erkennt und ihm dient; am Tag des Gerichts
wird sich niemand auf die Unschuld der Unwissenheit berufen können. Anmerkung:
Der Apostel stellt die natürliche Gotteserkenntnis nicht als eine Art
Gnadenmittel dar, durch das die Menschen zur rettenden Gotteserkenntnis
gelangen können. Erst wenn sich ein Mensch durch das Evangelium zu Gott bekehrt
hat, macht er von der natürlichen Offenbarung Gottes den richtigen Gebrauch.
Aber die natürliche Gotteserkenntnis soll ein Ansporn sein, ernsthaft und
unermüdlich nach dem wahren Gott zu suchen (Apg
17,27).
Nachdem Paulus dargelegt hat, worin die Wahrheit besteht, die die
Menschen so konsequent verhindern und ablehnen, zeigt er nun, auf welche Weise
die Menschen sich der Wahrheit widersetzen und ihren Einfluss zunichte machen. Obwohl die Menschen Gott durch die
natürliche Erkenntnis kennengelernt haben, obwohl diese Erkenntnis immer vor
ihren Augen ist, obwohl die Idee des Monotheismus immer inmitten des
Polytheismus zu finden ist, wollen die Menschen den wahren Gott nicht als Gott
preisen und danken. Sie weigern sich, ihr Wissen auf ihr Handeln, ihre
Lebensweise einwirken zu lassen. Sie wollen nicht zulassen, dass ihr passives
Wissen zu einer aktiven Anbetung wird. Stattdessen verfielen sie in
Überlegungen über das Wesen und den Kult Gottes, und in ihren perversen,
eigenwilligen Überlegungen und Spekulationen wurden sie eitel; ihre instinktive
Wahrnehmung Gottes wurde verwirrt und unsicher; ihr unintelligentes, törichtes
Herz wurde verfinstert. Ihre Gedanken waren auf eitle, törichte, vergängliche
Dinge gerichtet; sie weigerten sich, Belehrungen zu ihrem eigenen Nutzen
anzunehmen. Das ist der Zustand, in dem sich alle Menschen von Natur aus
befinden. Das Buch der Werke Gottes in der Schöpfung liegt vor ihren Augen, und
sie können nicht anders, als die Existenz Gottes und das Vorhandensein gewisser
göttlicher Erscheinungen anzuerkennen, aber sie weigern sich, dieses Wissen auf
ihr Denken und ihren Willen einwirken zu lassen; sie verhindern absichtlich
alle guten Wirkungen des instinktiven Wissens. Und was sie selbst
schlussfolgern und spekulieren, alle ihre Schlussfolgerungen und Urteile, ist
völlig falsch und verkehrt, ebenso wie sie nicht den geringsten Wunsch und die
Absicht haben, irgendeine Dankbarkeit für die von der Vorsehung Gottes
empfangenen Segnungen zu zeigen.
Das Ergebnis der selbsterwählten Narrheit (V. 22-25): Hier wird
gezeigt, was passiert, wenn man Gott ignoriert und die Führung der natürlichen
Gotteserkenntnis bewusst beiseite lässt. Wenn die
Menschen ihre eigene Weisheit beanspruchten, behaupteten, sich ihrer rühmten,
1. Kor. 1,22, wurden sie zu Narren, sie verdummten im Verstand. Die wahre
Weisheit, die von oben herabkommt, ist immer demütig, aber wo die göttliche
Wahrheit fehlt, tritt die menschliche Philosophie mit ihrer prahlerischen
Haltung in Erscheinung. Und so war das Endergebnis der Eitelkeit ihres
Verstandes, der Finsternis und Torheit ihres Intellekts, dass die Menschen die
Herrlichkeit des unsterblichen Gottes gegen den Schein des Bildes des
sterblichen Menschen ausgetauscht haben. Der Schein, der an die Stelle Gottes
gesetzt wurde, war das Bild eines Menschen oder eines Tieres, entweder eines
Vogels oder eines vierfüßigen Tieres oder eines Reptils. Ein solches Götzenbild
sollte ein Abbild der Gottheit sein, Jes. 44,12-19; Ps. 115,4-8; 135,15-18. Die
Geschichte gibt viele Beispiele dafür; denn die Götzenbilder der Griechen und
Römer sowie der alten Deutschen waren Statuen in Menschengestalt; der Adler des
Jupiter und der Ibis und Falke der Ägypter waren heilige Vögel; der weiße Ochse
der Ägypter, das goldene Kalb der Israeliten, Ziegen und Affen in anderen
Völkern waren vierfüßige Götzenbilder; und unter den Reptilien waren das
Krokodil und verschiedene Schlangen, die alle göttliche Ehren erhielten. Dies
waren und sind die Erscheinungsformen der falschen Religionen der Menschen,
wenn sie sich von dem wahren Gott abwenden. In der Torheit ihres unnatürlichen
Götzendienstes verdrehen sie die ursprüngliche Ordnung Gottes. „Der Mensch, der
nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde, macht nun Gott zu seinem Bilde; und der
Herr des Tierreichs hat seine Würde so weit vergessen, dass er die Bilder der
Tiere anbetet, die ihm untertan sein sollten.“
Die Folge dieses Götzendienstes ist der Verlust jeglicher wahrer Moral,
was Gott als wohlverdiente Strafe zugelassen hat. Deshalb hat Gott die
Götzendiener wegen ihrer Gottlosigkeit und ihres Götzendienstes in die
Unreinheit entlassen. Das ist eine göttliche Strafe und ein göttliches
Schicksal; Gott straft Sünde mit Sünde. In den Begierden ihres Herzens, in dem
Zustand, in dem sie sich infolge ihres gottlosen, irreligiösen Verhaltens
befanden, an dem sie ihre Freude hatten, hat Gott sie in die Unreinheit
überführt. Die sündigen Begierden und Begierden des Herzens waren das eigene
Werk des Volkes, und die entehrenden Praktiken, die darauf folgten, waren
Gottes Strafe. Wenn der Mensch sich weigert, auf die Warnungen Gottes in der
Natur und im Gewissen zu hören, dann werden diese Warnungen schließlich
zurückgenommen, der Ungerechte wird der Befriedigung seiner Begierden und
Lüste, jeder Form von Unreinheit und Unmoral überlassen, so wie ein Arzt einen
uneinsichtigen Patienten schließlich sich selbst überlassen kann. Und so führt
die Unreinheit der Götzendiener zu groben Übertretungen des sechsten Gebotes,
dass ihre Körper an sich entehrt werden. Durch alle unsittlichen Laster wird
der Leib des Menschen schändlich behandelt; die Unreinheit nimmt dem Leib des
Menschen alle Ehre, die er als Geschöpf Gottes besitzt, 1. Kor. 6,18.
Der Apostel betont nun noch einmal, dass der Beweggrund, der Gott zu
dieser Strafe veranlasst hat, in den Übertretern selbst liegt. Sie vollzieht
sich bei all denen, die die Wahrheit Gottes, die wahre Anbetung Gottes, den
wahren Gott selbst, in eine Lüge, in Götzendienst und götzendienerische
Praktiken verwandelt haben. Die Menschen haben den wahren, lebendigen Gott
gegen Götzen ausgetauscht, denen sie fälschlicherweise den Namen Götter
anhängen. Und so haben sie das Geschöpf anstelle des Schöpfers geehrt und ihm
gedient, statt dem wahren Gott, dem allein aller Segen und alle Ehre gebührt,
wie Paulus durch den Schluss mit dem hebräischen Amen unterstreicht. Derselbe
nachdrückliche Glaube und dasselbe Bekenntnis muss in den Christen aller Zeiten
lebendig sein: Es gibt nur einen wahren Gott, der sich in seinem Wort zum Heil
der Menschen offenbart hat.
Die Untiefen der Unmoral und Gottlosigkeit (1,26-32)
26 Darum hat sie Gott auch dahingegeben in schändliche Lüste. Denn ihre
Frauen haben verwandelt den natürlichen Gebrauch in den unnatürlichen 27
Desgleichen auch die Männer haben verlassen den natürlichen Gebrauch der Frau
und sind aneinander erhitzet in ihren Lüsten, und haben Mann mit Mann Schande
gewirkt und den Lohn ihres Irrtums (wie es denn sein sollte) an sich selbst
empfangen.
28 Und gleichwie sie nicht geachtet
haben, dass sie Gott erkennten, hat sie Gott auch dahingegeben in verkehrten
Sinn, zu tun, was nicht taugt, 29 voll aller Ungerechtigkeit, Hurerei,
Schlechtigkeit, Habgier, Bosheit, voll Neides, Mordlust, Haders, List,
Niedertracht; Schmeichler, 30 Verleumder, Gottesverächter, Frevler, Hochmütige,
Prahler, voll Bösem, den Eltern ungehorsam, 31 unvernünftig, Treulose,
Lieblose, unversöhnlich, unbarmherzig. 32 Sie wissen Gottes Gerechtigkeit,
dass, die solches tun, des Todes würdig sind, und tun es nicht allein, sondern
haben auch Gefallen an denen, die es tun.
Dies ist eine eindrucksvolle und
schreckliche Anklage und Charakterisierung der heidnischen Welt zur Zeit des
Paulus und der ungläubigen Welt aller Zeiten. Weil die Heiden in ihren
götzendienerischen Praktiken verharrten und sich weigerten, der Erkenntnis
Beachtung zu schenken, die vor ihren Augen stand und ihre Intelligenz von allen
Seiten bombardierte, gab Gott sie auf, ließ sie im Stich: Sie stürzten in die
tiefsten Tiefen, die bestialische Leidenschaften erreichen können, in Lüste und
Begierden der Schande und Schmach. Die Abscheulichkeit ihrer Übertretung wird
durch die Worte, die sich auf das Geschlecht der Übertreter beziehen,
hervorgehoben, denn sie machten sich der unnatürlichsten und abscheulichsten
Unreinheit schuldig, da die Personen des weiblichen Geschlechts unter ihnen
(sie können nicht mehr als Frauen bezeichnet werden) den natürlichen Gebrauch
nach Gottes göttlicher Einsetzung in einen völlig naturwidrigen umwandelten,
indem die Frauen Unkeuschheit mit den Frauen praktizierten. Und in gleicher
Weise haben die Menschen des männlichen Geschlechts den natürlichen Gebrauch
des anderen Geschlechts in den Banden der heiligen Ehe aufgegeben und sind in
ihrer venerischen Lust und Begierde zueinander entbrannt, wobei die Männer
schamlose Handlungen mit den Männern begingen und den Lohn, die Strafe für
ihren Irrtum, für ihre vorsätzliche, schwerwiegende Abweichung von der Ordnung
Gottes erhielten. Es war notwendig, dass sie an sich selbst, an ihrem eigenen
Körper bestraft wurden; das verlangte die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes.
Die Strafe für die Sünden der Unkeuschheit, von denen hier die Rede ist, steht
im Verhältnis zu ihrer Unnatürlichkeit und zu dem Ausmaß, in dem die Sünder vom
Dienst des wahren Gottes abgewichen sind und alle Arten von niederem
Götzendienst betreiben.
Der Apostel fügt nun einen weiteren Faktor
für die Schuld der Götzendiener hinzu. So wie sie Gott nicht für würdig
hielten, in ihrer Erkenntnis bewahrt und angesehen zu werden, hat Gott sie auch
ihrem verwerflichen Geist überlassen. Ihr Verhalten und die Folgen ihres
Handelns werden erneut in Beziehung zueinander gesetzt. Gott hatte ihnen die
Möglichkeit gegeben, ihn zu erkennen, das Buch der Natur lag offen vor ihren
Augen, und sie konnten und wollten die darin angebotene Offenbarung lesen. Aber
sie weigerten sich, die Erkenntnis ihrer eigenen Intelligenz anzunehmen; sie
hielten es nicht für lohnend, den wahren Gott zu suchen; sie wollten die wahre
Erkenntnis Gottes nicht bewahren. Sie zeigten einen verwerflichen Geist, und zu
diesem Geist wurden sie verurteilt. Sie haben jegliches moralische
Unterscheidungsvermögen verloren, und deshalb sind sie ihren ruchlosen
Handlungen überlassen, um das zu tun, was nicht in Ordnung ist. Der Apostel
gibt einen langen Katalog ihrer Sünden, an denen sie ihre Freude haben. Vgl. 2.
Kor. 12,20; Gal. 5,19 ff.; 1. Tim. 1,9 ff.; 2. Tim. 3,2 ff. Sie sind von
Ungerechtigkeit erfüllt, ihr Herz und ihr Verstand kennen nichts anderes als
Ungerechtigkeit, sie haben Freude daran, nicht nur alle göttlichen, sondern
auch alle menschlichen Gesetze zu übertreten, besonders solche, die das Wohl
des Nächsten betreffen. Sie sind erfüllt von Bosheit, von der Lust, Böses zu
tun, von Schlechtigkeit oder Verderbtheit, von Begehrlichkeit, die nur ihren
eigenen Vorteil sucht. Sie sind voll von verschiedenen Lastern: Neid, Mord,
Streit, Betrug, Bosheit. Der Neider missgönnt seinem Nächsten jeden Vorteil und
kommt oft so weit, dass er seine Beseitigung plant und in die Tat umsetzt. Und
wenn es nicht so weit kommt, gibt es Streit, üble Nachrede und Verleumdung.
Leib und Leben, Geld und Güter, Ehre und guter Ruf werden von Menschen
angegriffen, die Gott verlassen haben und ihrerseits von ihm verlassen wurden.
Die dritte Gruppe umfasst im Allgemeinen solche Menschen, die jeden Sinn für
Moral und Anstand verloren haben: verleumderische Einflüsterer, die jede Gelegenheit
nutzen, um den Ruf ihres Nächsten zu schädigen; freche, von Gott verhasste
Menschen, die es sich zur Gewohnheit machen, ihre Nächsten mit niederträchtiger
Gemeinheit zu behandeln; anmaßende Prahler, die sich auf Kosten anderer in den
Vordergrund stellen, die mit ihren wirklichen und eingebildeten Vorzügen und
Tugenden prahlen und angeben; Erfinder aller Übel und Bosheiten, die sich die
Bosheit ausdenken kann, um ihren Nächsten zu schaden; ungehorsam gegenüber den
Eltern, die sogar die natürliche Zuneigung verweigern: ohne Verstand, sich
weigernd, Ratschläge von anderen anzunehmen; ohne jede natürliche Zuneigung der
Liebe; ohne Barmherzigkeit, absolut gefühllos gegenüber den Nöten und der Not
anderer; kurz, sie haben jedes menschliche Gefühl und Mitgefühl verleugnet, sie
sind zu unnatürlichen Monstern geworden. Und das alles, weil sie Gott nicht als
ihren Gott anerkennen wollten. Das Ausmaß ihrer Verschwendungssucht wird
schließlich in einem zusammenfassenden Satz deutlich: Da sie so beschaffen sind,
dass sie das gerechte Urteil Gottes kennen, ihm das Recht zugestehen, das
Verhältnis der Menschen zueinander zu bestimmen, und sich auch der Tatsache
bewusst sind, dass alle, die die vom Apostel genannten Sünden begehen, des
Todes schuldig sind, bestehen sie nicht nur darauf, sie zu tun, sondern
ermutigen auch hartnäckige Übeltäter in ihrer anhaltenden Verderbtheit.
Diese Beschreibung der gottlosen Welt ist
zu allen Zeiten auffallend zutreffend, selbst inmitten der höchsten
intellektuellen Aufklärung. Wenn die Menschen Gott absichtlich die Ehre nehmen
und sie auf die Geschöpfe übertragen, wird das Ergebnis sein, dass Gott sie den
schrecklichsten Lastern, der Unreinheit, der Unkeuschheit, dem Mangel an
Nächstenliebe und Barmherzigkeit und jeder Form von Ungerechtigkeit überlässt.
Solche Zustände sind kein Zeichen von Barbarei, sondern finden sich gerade in
den Hauptstädten der Kultur und Gelehrsamkeit unserer Tage. Die Worte des
Apostels charakterisieren genau die gegenwärtige Situation in der Welt. Die
Verehrung von Helden und Geistesriesen ist an die Stelle des wahren Dienstes
für den geoffenbarten Gott getreten. Die Lust des Fleisches, die Begierde der
Augen, die Lüsternheit, die unaussprechlichen Sünden, sind weit verbreitet.
Korruption, unersättliche Gier und Habsucht sind an die Stelle echter
Menschlichkeit und Nächstenliebe getreten, und alle Bemühungen um Reformen, vor
allem auf dem Wege der Gesetzgebung, sind vergeblich. Die Welt driftet rasch
auf einen Abgrund zu und wird bald zu ihrem Entsetzen feststellen, dass der Tag
des Gerichts angebrochen ist.
Zusammenfassung: Der Apostel grüßt
die Christen in Rom, berichtet von seiner Sehnsucht, sie zu sehen, und von der
Pflicht, die er ihnen in der Botschaft des Evangeliums schuldet, nennt das
Thema seines Briefes und schildert die tiefe Verderbtheit der Heiden, die sich
weigern, die Ermahnung der natürlichen Gotteserkenntnis zu beachten.
Die Schuld der
Juden (2,1-10)
1 Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du bist, der
da richtet; denn worin du einen anderen richtest, verdammst du dich selbst, da
du eben dasselbe tust, was du richtest. 2 Denn wir wissen, dass Gottes Urteil
ist recht über die, so solches tun. 3 Denkst du aber, o Mensch, der du richtest
die, so solches tun, und tust auch dasselbe, dass du dem Urteil Gottes
entrinnen werdest? 4 Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und
Langmütigkeit? Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?
5 Du aber nach deinem verstockten und unbußfertigen Herzen häufst dir
selbst den Zorn auf den Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes 6 welcher geben wird einem
jeglichen nach seinen Werken, 7 nämlich Preis und Ehre und unvergängliches
Wesen denen, die mit Geduld in guten
Werken trachten nach dem ewigen Leben, 8 aber denen, die da zänkisch sind und
der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber dem Ungerechten, Ungnade und Zorn;
9 Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun,
vornehmlich der Juden und auch der Griechen [Heiden]; 10 Preis aber und Ehre
und Friede allen denen, die da Gutes tun, vornehmlich den Juden und auch den
Griechen [Heiden].
Korrektes Wissen und Richten allein erbringt
nichts (V. 1-4): Der Apostel hatte die tiefe moralische Verderbtheit der
heidnischen Welt aufgedeckt, eine Beschreibung, die den Leser mit Schaudern,
Entsetzen und Abscheu erfüllen kann. Aber nun bestand die Gefahr, und die
Befürchtung hatte sich offenbar bewahrheitet, dass jemand, und besonders ein
Jude, wie der Zusammenhang zeigt, beim Anblick der beispiellosen moralischen
Verkommenheit der Heiden seine Verurteilung von den Sünden auf den Sünder
übertragen würde, während er selbst in selbstgefälliger Selbstzufriedenheit und
Selbstüberhebung zurückbliebe. Aber ein solcher Mensch vergisst, dass das
gleiche Prinzip, nach dem der Heide verurteilt wird, nämlich trotz besseren
Wissens Böses zu tun, auch ihn verurteilt. Wer also einen anderen richtet und
verurteilt, ist selbst unentschuldbar, ist in derselben Verurteilung. Jeder,
der urteilt: Paulus macht die Aussage absichtlich sehr allgemein, sie gilt für
alle Menschen zu allen Zeiten. Denn dadurch, dass du einen anderen richtest,
verurteilst du dich selbst: Indem der Mensch die sündige Handlung beurteilt,
indem er den Übertreter verurteilt, verurteilt er sich selbst, denn er macht es
sich zur Gewohnheit, dieselben Sünden zu begehen, die er bei anderen so gerne anprangert.
Man beachte, dass sich die Worte des Apostels vor allem gegen die lieblose
Verurteilung der Person des Nächsten richten, die aus den Übertretungen eine
persönliche Angelegenheit macht. Es gibt immer mehr Menschen, die immer bereit
sind, die Sünden anderer zu tadeln und zu verurteilen, die aber selbst die
gleichen Sünden begangen haben, über die sie so entsetzt sind, und der Tadel
des Paulus kommt zur rechten Zeit.
Zu der Tatsache, dass die lieblosen
Kritiker ohne Verteidigung und Entschuldigung sind, fügt der Apostel einen
nachdrücklichen Hinweis auf das kommende Gericht hinzu. Wir, d.h. der Apostel
und vor allem seine jüdischen Leser, wissen, dass das Gericht Gottes der
Wahrheit entspricht, dass es mit den Tatsachen übereinstimmt und dass es sich
deshalb gegen diejenigen richtet, die solche Dinge praktizieren. Zwei Tatsachen
stechen hier hervor: Das Gericht Gottes ist sicher, unvermeidlich; es wird die
Schuldigen treffen, unabhängig von ihrer Stellung, ihrer tatsächlichen oder
vermeintlichen Bedeutung im Leben, ihrer vermeintlichen Überlegenheit über
andere. Das wird vor allem durch die rhetorischen Fragen deutlich, die Paulus
hier nicht ohne eine gewisse Ironie einfügt. Ist jemand der Meinung, dass er,
zumindest was seine eigene Person betrifft, dem gerechten Gericht Gottes
entgehen wird, während er über diejenigen urteilt, die es sich zur Gewohnheit
machen, die oben aufgezählten Sünden zu begehen, und doch dieselben Dinge tun?
Die Zahl der Vorbilder der Tugend und der Moral, die größtenteils ihrer eigenen
Einbildung entspringen und glauben, dass Gott in ihrem Fall eine Ausnahme
machen wird, dass ihre bessere Erkenntnis und ihr richtiges Urteilsvermögen sie
vor dem kommenden Zorn schützen werden, hat in unseren Tagen aufgrund der
überall verkündeten Religion der Werke alarmierende Ausmaße angenommen. Aber
das ist eine vergebliche Hoffnung; die Heiligkeit und Gerechtigkeit Gottes
erwartet viel mehr als eine eingebildete Überlegenheit und eine hochmütige
Abgehobenheit.
Paulus stellt die Sache aus einem etwas
anderen Blickwinkel dar. Wenn der Mensch seinem eigenen Urteil nicht entgehen
kann, wenn seine eigene Vernunft ihn verurteilen muss, erwartet er dann, dass
er auf Grund der besonderen Güte Gottes entkommt? Verachtet er den Reichtum der
Güte, der Geduld und der Nachsicht Gottes, weil er das wahre Wesen und die
Absicht der Güte Gottes, die ihn zur Umkehr führen soll, nicht versteht oder
begreift? Die Freundlichkeit und Güte Gottes in der gegenwärtigen Zeit ist
lediglich eine Manifestation seiner Vorsehung, Mt. 5, 45, und rechtfertigt
nicht die Schlussfolgerung, dass diese Segnungen unbegrenzt andauern werden,
noch dass die Selbstbeherrschung, das geduldige Warten des Herrn nicht bald ein
Ende haben könnte. Die Güte Gottes ist vielmehr eine zärtliche Einladung und
Ermahnung, einen völligen Sinneswandel zu bewirken, im Herzen des Menschen Buße
zu tun. Anmerkung: Das ist seit jeher die Haltung der großen Mehrheit der
Menschen gegenüber der Vorsehungsgüte Gottes gewesen: Sie betrachten seine Güte
als selbstverständlich, als ihr Recht, als eine Verpflichtung, die er ihnen
schuldet, und sind höchst entrüstet, wenn "die Welt ihnen nicht das Leben
gibt, das sie erwarten." Nur derjenige, den das Wort Gottes zum rechten
Verständnis der Güte und Barmherzigkeit Gottes und damit zur rechten Umkehr
geführt hat, wird die Geduld und Nachsicht Gottes zu seinem eigenen Heil
nutzen.
Das gerechte Urteil Gottes (V.
5-10): Die Güte Gottes ist weit davon entfernt, eine Entschuldigung für falsche
Sicherheit zu sein, sondern führt, wenn sie missbraucht wird, zu einer
Verschlimmerung der Schuld des Menschen. Wer sein Herz hartnäckig gegen die
barmherzigen Absichten Gottes verhärtet und sich absichtlich ein Herz bewahrt,
das sich nicht bekehren will, der wird sich nach Maß und Verhältnis seiner
Verstocktheit und seines unbußfertigen Herzens Zorn anhäufen am Tag des Zorns
und der Offenbarung der Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit Gottes in seinem
Gericht. Der Tag des Gerichts, dessen Kommen ohne den Schatten eines Zweifels
gewiss ist, wird für einen solchen Menschen der Tag des Zorns sein, 2. Kor.
1,14; Matth. 11,22; Joh. 6,39; 1. Kor. 3,13; Hebr.
10,25. Er reiht Sünde an Sünde, missbraucht die reichen Gaben der göttlichen
Güte zur Befriedigung seiner fleischlichen Begierden, füllt die Stunden der
Gnadenzeit mit Übertretungen des göttlichen Gesetzes aus und wird so
schließlich den Sturm des gerechten Zorns Gottes und die ewige Strafe ernten.
Dieser Gedanke steht nun an der Spitze
einer weiteren Reihe von Sätzen, in denen die Gewissheit, die
Unvermeidlichkeit, die Unparteilichkeit und die Vollständigkeit von Gottes
gerechtem Gericht beschrieben wird. Gott wird ausnahmslos jedem nach seinen Taten
vergelten, Matth. 25,31-46. Die Werke der Menschen
werden der Beweis für den Glauben oder Unglauben ihres Herzens sein, sie werden
die sichtbaren Zeichen für den Zustand ihres Geistes sein. Der Apostel
veranschaulicht diese Bedeutung in beide Richtungen. Einigen wird Gott
entsprechend ihrer Standhaftigkeit, ihrem geduldigen Ausharren, ihrem
Lebenswerk, Gutes zu tun, Herrlichkeit und Ehre und Unbestechlichkeit
verleihen, wie denen, die nach dem ewigen Leben streben. Gott wird ihr
geduldiges Ausharren im Tun des Guten anerkennen, indem er ihnen Herrlichkeit
gewährt, indem er die Gerechten leuchten lässt wie die Sonne im Reich ihres
Vaters, Matth. 13,43; Ehre, die Auszeichnung, mit
Christus zu herrschen, 2. Tim. 2,12; unvergängliches Sein und Dasein, ein unbeflecktes
und unvergängliches Erbe, 1. Petr. 1,4. Wie die Gläubigen unablässig zu jedem
guten Werk eifern, so streben sie auch ernstlich danach, gerettet zu werden;
und diese Manifestationen ihres Glaubens werden durch die Auszahlung der
barmherzigen Gabe Gottes, des ewigen Lebens, belohnt.
Der Apostel stellt nun die andere Seite
dar. Denen, die von Streit und Parteigeist getrieben sind, die gemein und
selbstsüchtig veranlagt sind, deren ganzer Lebenswandel von der Selbstsucht
beherrscht wird, die also der Wahrheit, der von Gott gesetzten Norm und Regel
für das menschliche Verhalten, nicht gehorchen und der Ungerechtigkeit, der
Verdrehung und Übertretung der göttlichen Wahrheit bereitwillig Gehorsam
leisten: denen gibt Gott auch den verdienten Lohn, die bleibende Entrüstung,
die immer wieder durch neuen Zorn über ihren Unglauben und Ungehorsam erneuert
wird.
Der Apostel wiederholt nun mit Nachdruck
den doppelten Lohn, den der Herr in umgekehrter Reihenfolge austeilt. Trübsal
oder Bedrängnis von außen, Angst oder innere Bedrängnis, die Folter eines bösen
Gewissens, wird über jede Seele eines Menschen kommen, der Böses tut, der
absichtlich und mit Freude Böses tut, über jeden einzelnen Menschen, zuerst
über den Juden, entsprechend den Vorzügen, die seine Nation genoss, aber auch
über den Griechen. Aber Herrlichkeit und Ehre und Friede, volles, vollkommenes
Wohlergehen, vollkommene Glückseligkeit wird das Los dessen sein, eines jeden
Menschen, der das Gute tut, wobei seine Neigung nicht so sehr zum Bösen als zum
Guten gerichtet ist; und auch hier sind sowohl der Jude als auch der Grieche
eingeschlossen, denn der Lohn Gottes ist allgemein. Paulus sagt hier, was am
großen Tag des Gerichts geschehen wird, so wie der Herr an anderen Stellen über
die Ereignisse dieses Tages Auskunft gibt: Matth
16,27; Joh. 5,29; 2. Kor. 5,10; Gal. 6,7-9; Eph. 6,8; Kol. 3,24; Offb. 2,23;
20,12. Die Stellung und das Verhältnis eines jeden Menschen zu Christus zeigt
sich in seinen Werken, und deshalb wird am Jüngsten Tag auf sie Bezug genommen
werden. Indem der Herr die guten Werke der Gläubigen mit der Gnadengabe des
ewigen Lebens belohnt, krönt er lediglich sein eigenes Werk in ihnen mit seiner
vollen Anerkennung vor der ganzen Welt. Nur durch den Glauben an den Erlöser
sind gute Werke möglich, und der Glaube selbst ist eine Gabe Gottes; und
deshalb wird das Jüngste Gericht ein herrlicher Beweis dafür sein, dass das
Heil den Menschen „ganz aus Gnade“ kommt.
Die Notwendigkeit, das Gesetz richtig
einzuhalten (2,11-29)
11 Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott. 12 Welche ohne Gesetz
gesündigt haben, die werden auch ohne Gesetz verloren werden; und welche am
Gesetz gesündigt haben, die werden durchs Gesetz verurteilt werden, 13 da vor
Gott nicht, die das Gesetz hören, gerecht sind, sondern die das Gesetz tun,
werden gerecht sein. 14 Denn so die Heiden, die das Gesetz nicht haben und doch
von Natur tun des Gesetzes Werk, diese, dieweil sie das Gesetz nicht haben,
sind sie sich selbst ein Gesetz 15 damit, dass sie beweisen, des Gesetzes Werk
sei beschrieben in ihrem Herzen, da ihr Gewissen sie bezeugt, dazu auch die
Gedanken, die sich untereinander verklagen oder entschuldigen, 16 auf den Tag,
da Gott das Verborgene der Menschen durch Jesus Christus richten wird laut
meines Evangeliums.
17 Siehe aber zu, du heißt ein Jude und verlässt dich aufs Gesetz und
rühmst dich Gottes 18 und weißt seinen Willen, und weil du aus dem Gesetz
unterrichtet bist, prüfst du, was das Beste zu tun sei, 19 und vermisst dich,
zu sein ein Leiter der Blinden ein Licht derer, die in Finsternis sind, 20 ein
Züchtiger der Törichten, ein Lehrer der Einfältigen, hast die Form der Erkenntnis
und der Wahrheit im Gesetz. 21 Nun lehrst du andere und lehrst dich selber
nicht. Du predigest, man solle nicht stehlen, und du stiehlst. 22 Du sprichst,
man solle nicht ehebrechen, und du brichst die Ehe. Du hast ein Greuel vor den Götzen und raubst Gott, was sein ist. 23 Du
rühmst dich des Gesetzes und schändest Gott durch Übertretung des Gesetzes. 24
Denn eurethalben wird Gottes Name gelästert unter den Heiden, wie geschrieben
steht.
25 Die Beschneidung ist wohl nützlich wenn du das Gesetz hältst; hältst
du aber das Gesetz nicht, so ist deine Beschneidung schon eine Vorhaut worden.
26 So nun die Vorhaut das Recht im Gesetz hält, meinst du nicht, dass seine
Vorhaut werde für eine Beschneidung gerechnet? 27 Und wird also, was von Natur
eine Vorhaut ist und das Gesetz vollbringt, dich richten, der du unter dem
Buchstaben und Beschneidung bist und das Gesetz übertrittst. 28 Denn das ist
nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist, auch ist das nicht eine
Beschneidung, die auswendig im Fleisch geschieht, 29 sondern das ist ein Jude,
der inwendig verborgen ist, und die Beschneidung des Herzens ist eine
Beschneidung, die im Geist und nicht im Buchstaben geschieht, welches Lob ist
nicht aus Menschen, sondern aus Gott.
Nicht das Hören, sondern das Tun des
Gesetzes hat Wert (V. 11-16): Der Apostel hatte deutlich gesagt, dass das
Gericht Gottes am letzten Tag ein gerechtes Gericht sein wird. Diese Aussage
bekräftigt er nun, indem er erklärt, dass es bei Gott keine Ansehen der Person
gibt; der äußere Zustand, die Stellung oder der Stand eines Menschen, sein
Reichtum und seine sozialen Beziehungen haben absolut keinen Einfluss auf ihn;
er ist gerecht und unparteiisch. Denn wer ohne Gesetz gesündigt hat, geht auch
ohne Gesetz zugrunde; und wer im oder unter dem Gesetz gesündigt hat, wird
durch das Gesetz gerichtet und verurteilt. Wenn irgendein Volk in der Welt
nicht im Besitz des kodifizierten Gesetzes ist, der Erklärung des Willens
Gottes, wie sie in den Zehn Geboten enthalten ist, dann werden diese Menschen,
offensichtlich Heiden, zugrunde gehen, werden ohne ein formelles Gericht nach
einer solchen Regel verloren sein, sie werden den ewigen Tod erleiden. Wenn
aber ein Volk - und das gilt vor allem für die Juden - ein sündiges Leben
geführt hat, während es im Besitz des Gesetzes war, in voller Kenntnis seiner
Forderungen, Verheißungen und Drohungen, dann wird sein Gericht und seine
Verurteilung gemäß und durch das Urteil des Gesetzes erfolgen. Unabhängig
davon, ob die Menschen das Gesetz tatsächlich besessen haben oder nicht, ob sie
Juden oder Heiden waren, in jedem Fall zieht der Sünder die Strafe des Zorns
Gottes auf sich. Und das besondere Vorrecht der Juden, dass sie die
schriftliche Offenbarung Gottes empfangen hatten, hätte keinen Wert als
Entschuldigung für die Übertretung des Gesetzes. Denn, wie Paulus sehr
nachdrücklich erklärt, würden nicht die Hörer des Gesetzes als gerecht vor Gott
gelten, sondern die Täter des Gesetzes würden für gerecht erklärt werden. Kein
Grad äußerer Vertrautheit mit den Worten des Gesetzes wird vor dem Richterthron
Gottes Gewicht haben; wenn es eine Rechtfertigung im Zusammenhang mit dem
Gesetz geben soll, muss es die einer vollkommenen Erfüllung des Gesetzes sein,
Lukas 10, 28. Daraus folgt natürlich, dass kein lebender Mensch durch das
Halten des Gesetzes in seiner eigenen Kraft, durch seine eigenen Verdienste,
tatsächlich gerechtfertigt werden kann. Dass die Gläubigen vom Herrn als Täter
des Gesetzes angesehen werden, Röm. 8, 4, liegt an der vollkommenen
Gerechtigkeit Jesu, in der er das Gesetz für uns erfüllt hat, die durch den
Glauben auf uns übertragen und dann von Gott als unser eigenes Eigentum
angesehen wird, obwohl sie ganz und gar das Ergebnis des stellvertretenden
Gehorsams Christi ist.
Der Apostel hatte in V. 12 gesagt, dass die
Menschen, die ohne das Gesetz gesündigt hatten, ohne das geschriebene Gesetz
verurteilt werden und die ewige Verdammnis erleiden würden. Dies beweist er nun
in einem Nebensatz. Wann immer oder weil die Heiden, die das Gesetz, das
geschriebene Gesetz, nicht haben, dennoch von Natur aus das tun, was im Gesetz
geboten ist, tun sie das, was im Gesetz des Mose geboten ist, aufgrund der
Erkenntnis, die sie von Natur aus besitzen, in allen solchen Fällen sind diese
Heiden, obwohl sie das Gesetz nicht haben, doch ein Gesetz für sich selbst.
Diese Tatsachen sind in der Geschichte vollständig belegt. Es gibt viele
Heiden, Ungläubige, die, der Eingebung ihres Gewissens folgend, jede Form von
außerordentlicher Schande und Lasterhaftigkeit meiden, die Arbeit ihres Berufes
mit allem Fleiß verrichten, den Armen helfen und auch sonst Taten vollbringen,
die in völliger Übereinstimmung mit den Geboten des geschriebenen Gesetzes zu
stehen scheinen. Sie sind sich selbst ein Gesetz, sie wachen über ihre eigenen
Taten und unterscheiden zwischen Gut und Böse. Dies wird in V. 15 weiter
untermauert: Sie sind damit Menschen, die zeigen, beweisen, dass das Werk des
Gesetzes, das, was das Gesetz verlangt, in ihre Herzen geschrieben ist. Wie die
Juden die Worte des Gesetzes auf steinerne Tafeln geschrieben hatten, so hatten
die Heiden den Inhalt des heiligen Willens Gottes in ihre Herzen geschrieben,
nicht in seiner konkreten Form, sondern nach seiner allgemeinen Richtung; das
Wissen um seine Forderungen war ein geistiger Besitz der Menschen. Und nun
beweisen die Heiden, dass das Werk des Gesetzes in ihrem Herzen geschrieben
steht, wobei ihr eigenes Gewissen dies bezeugt, ihr eigenes Bewusstsein als
Zeuge für oder gegen sie auftritt. Das natürliche Gesetz Gottes, der Abdruck
seines heiligen Willens im Herzen des Menschen, der ihm allgemein sagt, was
richtig und was falsch ist, wird begleitet und ergänzt durch die Stimme des
Gewissens, das die konkreten einzelnen Handlungen des Menschen beurteilt, ihm
sagt, ob das bestimmte, was er getan hat oder tun wird, richtig oder falsch
ist. Dies geschieht in der Weise, dass sich die Gedanken untereinander
gegenseitig anklagen oder verteidigen. Die einzelnen Urteile, die einzelnen
Handlungen des Gewissens sind in einen Streit über die Zulässigkeit oder
Unzulässigkeit bestimmter Taten verwickelt, die der Mensch ins Auge fasst oder
vollzogen hat. Die Schilderung des Apostels erinnert an eine förmliche
Gerichtsverhandlung und macht nebenbei deutlich, dass die Urteile des Gewissens
nicht immer verlässlich sind und dass ein irrendes Gewissen möglich ist.
Nach diesem parentheseartigen
[wie ein Einschub] Exkurs setzt der Apostel nun seinen Gedanken über das
Gericht des großen Tages fort, ein Gedanke, der auch lose mit diesem Satz
verbunden ist: An dem Tag, an dem Gott die verborgenen Dinge der Menschen
richten wird, nach meinem Evangelium, durch Christus Jesus. Das Evangelium, wie
es von Paulus gepredigt und mit Nachdruck als sein Evangelium erklärt und ihm
anvertraut wurde, das wird die Norm sein, nach der am Jüngsten Tag das Urteil
gefällt wird, Johannes 12, 48. Die Entscheidung über Heil oder Verdammnis wird
von der Haltung abhängen, die ein Mensch gegenüber dem Evangelium und gegenüber
Jesus, dem Mittler seines Heils, eingenommen hat, ob er Jesus und das Heil des
Erlösers im Glauben angenommen hat oder nicht. Und da sich dieser Glaube in
Worten und Taten offenbaren wird, ist es richtig zu sagen, dass das Urteil auch
auf der Grundlage der Werke gefällt wird, wie sie im Leben eines jeden Menschen
erschienen sind.
Die Schuld des Juden (V. 17-24): Hier
wendet sich der Apostel direkt an die Juden, die er offensichtlich im gesamten
Abschnitt hauptsächlich im Auge hatte; er spricht zu ihnen als Nation. Anstelle
von „siehe“ lesen wir "aber wenn", wobei der ganze Abschnitt die
starke Erregung zeigt, unter der der Apostel litt: Wenn jemand Jude genannt
wird, wenn er diesen Namen mit Stolz auf sich selbst anwendet, um sich von
anderen Völkern zu unterscheiden, und wenn er sich auf das Gesetz, auf das
gesamte mosaische System stützt und sein Vertrauen darauf setzt und sich auf
Gott beruft. Das waren wirkliche Vorrechte der Juden, denn ihnen hatte sich der
wahre, lebendige Gott geoffenbart; ihnen hatte er nicht nur das Sittengesetz,
sondern auch das Zeremonialgesetz gegeben, und alles, was das Wort in seinem
weitesten Sinne umfasste. Und die Juden glaubten, dass diese äußeren Vorteile
ihre Stellung unter allen Umständen sicher machten. Und sie hatten noch andere
Vorteile, die sich aus dem Besitz des Gesetzes ergaben. Sie kannten den Willen
Gottes, den absoluten Willen, da sie durch das Gesetz unterwiesen worden waren,
und deshalb konnten sie richtig zwischen richtig und falsch, zwischen gut und böse unterscheiden; sie
konnten das Vorzüglichere gutheißen, entscheiden, was dem Willen Gottes
entsprach. Jeder Jude fühlte sich auch sicher, dass er in seiner eigenen Person
ein Führer der Blinden, der Heiden und derer, denen das Wissen der Kinder
Israels fehlte, und damit ein Licht derer, die im Dunkeln waren, sein konnte.
Darüber hinaus vertraute er auf sich selbst, dass er ein Erzieher derer sein
konnte, denen es an richtigem Verstand und Urteilsvermögen fehlte, ein Lehrer
der jungen Menschen, da er mit all seinen Mitmenschen im jüdischen Volk die
Verkörperung des Wissens und der Wahrheit im Gesetz hatte. Die Juden hatten im
Gesetz des Mose den vollen und angemessenen Ausdruck des göttlichen Willens,
während das natürliche Gesetz, das in die Herzen der Menschen geschrieben ist,
wegen der Sünde fast unlesbar geworden ist. Und die Juden waren sich ihrer
bevorzugten Stellung mehr als bewusst, behaupteten aber fälschlicherweise, dass
sie sie aufgrund ihrer eigenen Vorzüge innehätten, und entwickelten daher die
typische Form des Pharisäertums, wie sie es zur Zeit Jesu und der Apostel zeigten.
Paulus fährt nun, nachdem er so viel
festgestellt hat, in Form einer rhetorischen Frage fort: Wenn du einen anderen
lehrst, lehrst du dann nicht dich selbst? Der Besitz des geschriebenen Gesetzes
befähigte die Juden, Lehrer anderer zu sein; aber ihr gesamtes Verhalten stand
in krassem Gegensatz zu den Forderungen des Gesetzes. Sie selbst hatten eine
wahre Lehre auf der Grundlage des Gesetzes bitter nötig. Du predigst, nicht zu
stehlen, und du stiehlst selbst? Das Stehlen umfasst alle Ungerechtigkeiten, alle
Formen des Betrugs, derer sich die Juden in ihren Geschäften schuldig gemacht
haben. Wenn du sagst, du sollst nicht ehebrechen, treibst du dann selbst
Ehebruch? Die Nachlässigkeit in der Einhaltung der ehelichen Keuschheit war
schon immer ein Merkmal des jüdischen Volkes gewesen. Verabscheust du die
Götzen, wirst du zum Tempelräuber? Die Juden zeigten den größten Abscheu vor
heidnischen Götzen und bekannten heiligen Eifer für den Herrn Jehova, aber sie
selbst hatten eine respektlose Missachtung Gottes und der heiligen Dinge und
enthielten Gott das vor, was ihm gebührte, ein Raub und eine Entweihung, die
der Prophet mit unmissverständlichen Worten anprangert, Mal. 3,8. Du, der du
dich des Gesetzes rühmst, durch die Übertretung des Gesetzes entehrst du Gott?
Eine dreifache Anklage erhebt der Apostel gegen die Juden: Sünde gegen den
eigenen Leib, Schädigung des Nächsten und mangelnde Ehrfurcht vor Gott. Und die
Schuld der Juden ist noch größer als die der Heiden, denn sie schmückten ihre
Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit mit dem Wort und Namen Gottes. Denn der Name
Gottes wurde um ihretwillen unter den Heiden gelästert, wie geschrieben steht.
Der heilige Paulus bezieht sich hier auf Jes. 52,5, wobei er die griechische
Version für seinen Zweck übernimmt. Als die Heiden sahen, dass unter den Juden
so grobe Übertretungen des Gesetzes stattfanden, zogen sie ganz natürlich den
Schluss, dass der Gott der Juden selbst sie dieses Verhalten lehrte, dass es
mit der Religion übereinstimmte, wie sie ihnen offenbart worden war. Das ist
die schwerste Form der Schuld, die eine direkte Entehrung und Entweihung Gottes
beinhaltet. Anmerkung: Die Anklage des Paulus gilt auch für alle Heuchler unter
den Christen, Menschen, die den christlichen Namen tragen und sich der reinen Lehre
des göttlichen Wortes rühmen, sich aber nebenbei der Unehrlichkeit im Geschäft,
der Sünden der Unkeuschheit, der Pietätlosigkeit gegenüber Gott, der
Vorenthaltung ihrer Beiträge zum Reich Gottes usw. schuldig machen.
Wahre und falsche Beschneidung oder Beschnittensein (V. 25-29): Gegen die Anklage des
Paulus hätten die Juden den Einwand erheben können, er vergesse das Sakrament
der Beschneidung und die besondere Bedeutung, die diesem Ritus zukomme, durch
den die Juden von den Heiden um sie herum getrennt, abgesondert würden. Aber
die Beschneidung ändert die Argumentation des Paulus in keiner Weise. Es stimmt
zwar, dass sie ihren Wert hat, wenn man das Gesetz praktiziert, seine
Anweisungen jederzeit und in allen Fällen befolgt. Wenn ein beschnittener Jude
das Gesetz übertritt, ist der Hauptzweck des Sakraments verloren, denn es band
die Juden an den Gehorsam gegenüber dem Gesetz. Wenn das Halten des Gesetzes
nicht auf die Beschneidung folgte, befand sich der Jude genau in der gleichen
Lage wie der Heide. Wenn nun die Unbeschnittenen die Forderungen des Gesetzes
erfüllen, wird dann nicht die Unbeschnittenheit eines
solchen Menschen als Beschneidung angesehen? Das Argument lautet: Wenn ein
Jude, obwohl er beschnitten ist, das Gesetz bricht, wird er verurteilt; wenn
also ein Nichtjude, obwohl er unbeschnitten ist, das Gesetz hält, wird er
gerechtfertigt werden. Was folgt daraus? Und der von Natur aus Unbeschnittene
(der Heide, von Natur aus unbeschnitten und daher unrein), der das Gesetz
erfüllt, wird dich richten und verurteilen, der du trotz des Buchstabens und
der Beschneidung ein Übertreter des Gesetzes bist. Ein Heide, dem es mit seinem
unvollkommenen Naturgesetz gelingt, einige seiner Forderungen zu erfüllen, kann
durchaus einen Juden verurteilen, der sich des geschriebenen Gesetzes und des
Ritus der Beschneidung rühmt und dennoch das Gesetz nicht durch seine
Einhaltung ehrt.
Und so kommt Paulus zu seinem Schluss.
Nicht derjenige, der dem Anschein nach ein Jude zu sein scheint, ist wirklich
ein Jude; auch ist diejenige Beschneidung nicht wahr, die offensichtlich im
Fleisch vollzogen worden ist. Die bloße Tatsache, dass jemand ein Nachkomme
Abrahams ist und den Ritus der Beschneidung an seinem Körper empfangen hat,
macht ihn nicht zu einem Mitglied des wahren Israels des Herrn, des
auserwählten Volkes im eigentlichen Sinne des Wortes. Die Situation ist
vielmehr die folgende: Er ist in der Tat ein Jude, ein wahrer Israelit, nämlich
einer im Herzen, im inneren Menschen; und die wahre Beschneidung ist die des
Herzens, die im Geist, nicht im Buchstaben vollzogen wird. Wenn der Heilige
Geist durch das Wort das unbußfertige, ungläubige Herz in ein gläubiges Herz
verwandelt, dann ist das die wahre Beschneidung. Und der Mensch, an dem dieses
Wunder geschehen ist, hat sein Lob nicht von Menschen, sondern von Gott, 5.
Mose 10,16. Er verlässt sich nicht auf die äußere Abstammung und die Zeremonien,
auf die er stolz verweisen könnte, sondern er erkennt, dass seine Bekehrung das
Werk Gottes allein ist, 5. Mose 30,6. Er gibt Gott allein alles Lob und alle
Ehre. Beachte: In ähnlicher Weise gilt für die Taufe, dass sie nicht als ein
Aufnahmeritus betrachtet werden darf, unabhängig von Glauben und Herzenswandel.
Sie ist eine Waschung der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes und
verpflichtet und befähigt den Getauften, ein gottgefälliges Leben zu führen.
Zusammenfassung: Gott, der
unparteiische Richter, wird jedem Menschen nach dem Evangelium seinen Lohn aus
den Beweisen seiner Werke zuteilen; die Juden, die sich des Gesetzes rühmen und
doch das Gesetz übertreten, werden vor dem Herrn schuldig und müssen seinen
Zorn ertragen; dabei wird ihnen die Beschneidung nichts nützen, denn der rein
äußere Ritus hat vor Gott keinen Wert, wenn er nicht auch von einer
Beschneidung des Herzens begleitet wird, die sich in der Erfüllung des Gesetzes
zeigt.
Des Menschen Schuld
und Gottes Gerechtigkeit (3,1-8)
1 Was haben denn die Juden für einen Vorteil, oder was nützt die
Beschneidung? 2Allerdings sehr viel. Zum ersten, ihnen ist vertraut, was Gott
geredet hat. 3 Dass aber etliche nicht glauben an das, was liegt daran? Sollte
ihr Unglaube Gottes Treue aufheben? 4 Das sei ferne! Es bleibe vielmehr so, dass
Gott sei wahrhaftig und alle Menschen falsch; wie geschrieben steht: Auf dass
du gerecht seist in deinen Worten und überwindest, wenn du gerichtet wirst.
5 Ist’s aber so, dass unsere Ungerechtigkeit Gottes Gerechtigkeit
preist, was wollen wir sagen? Ist denn Gott auch ungerecht, dass er darüber
zürnt? (Ich rede also auf Menschenweise.) 6 Das sei ferne! Wie könnte sonst Gott
die Welt richten? 7 Denn so die Wahrheit Gottes durch meine Lüge herrlicher
wird zu seinem Preis, warum sollte ich denn noch als ein Sünder gerichtet
werden 8 und nicht vielmehr so tun, wie wir gelästert werden, und wie etliche
sprechen, dass wir sagen sollen: Lasst uns Übel tun, auf dass Gutes daraus
komme? Welcher Verdammnis ist ganz recht.
Der Vorteil der Juden (V. 1-4): Der
Apostel hatte zuletzt gezeigt, dass der bloße äußere Besitz des Gesetzes die
Juden nicht von Gericht und Verdammnis befreit, da Gott ein Halten des Gesetzes
verlangt und sich nicht mit einem bloßen Hören zufrieden gibt; er hatte ferner
argumentiert, dass die Beschneidung am Fleisch, obwohl sie das Siegel des
Bundes Gottes und das Unterpfand seiner Verheißungen ist, nur dann von Wert
sein kann, wenn sie von einer Beschneidung des Herzens begleitet wird. Aber der
jüdische Leser könnte nun entgegnen, dass diese Aussagen mit der anerkannten
Überlegenheit und den Vorrechten seines Volkes unvereinbar seien. Diesem
Einwand begegnet der Apostel hier. Infolge dessen, was gerade dargelegt wurde:
Was ist denn der Vorteil, der Vorzug, die Überlegenheit des Juden, oder was ist
der Nutzen, der Wert, der Gewinn der Beschneidung? Die beiden Fragen haben
denselben Gedanken, denn durch die Beschneidung wurde der Nachkomme Abrahams
ein Mitglied der jüdischen Nation. Die Antwort lautet: Viel, in jeder Hinsicht,
in jeder Hinsicht. Die Überlegenheit der Juden war in allen Lebensbereichen
offensichtlich. Aber Paulus erwähnt hier nur das Hauptvorrecht: Erstens den
herausragenden und unverkennbaren Vorteil, dass ihnen die Orakel, die
besonderen Aussprüche Gottes, die Offenbarungen Gottes, wie sie in den
alttestamentlichen Schriften, sowohl im Gesetz als auch im Evangelium,
enthalten sind, anvertraut wurden. Durch die Hinterlegung dieses Schatzes in
ihrer Mitte gewährte Gott den Juden einen Vorzug vor allen anderen Völkern; er
setzte fast unbegrenztes Vertrauen in sie und erwartete von ihnen ein
angemessenes Maß an Treue.
Der Apostel hält es nun für notwendig, sich
gegen einen weiteren möglichen Einwand zu rechtfertigen: Denn wie ist die Lage?
Wenn einige untreu waren, wird ihre Untreue doch nicht die Treue Gottes
unwirksam machen! Die Juden, die Mehrheit der Juden, waren untreu gewesen; sie
hatten die göttlichen Offenbarungen nicht richtig gewürdigt und verehrt; sie
hatten den Verheißungen Gottes nicht geglaubt. Daraus könnte man schließen,
dass, da sie ihr Vertrauen gebrochen hatten und dem Gesetz Gottes nicht
gehorsam waren, auch Gottes Teil des Bundes annulliert worden war. Doch Paulus
antwortet mit einem nachdrücklichen: Ganz und gar nicht! Mitnichten! Schon der
Gedanke daran scheint dem Apostel nach Gotteslästerung zu riechen; der Gedanke,
dass der Glaube Gottes unwirksam geworden ist, dass ihm sein Vertrauen entzogen
wurde, ist keine angemessene Schlussfolgerung aus seiner Lehre. In der
Verurteilung der gottlosen Juden ist „kein Bruch der Verheißungen Gottes
enthalten“. Die Situation ist vielmehr die folgende: Gott sei wahr, aber jeder
Mensch ein Lügner. Gott wird sich immer als treu erweisen, wenn er seinen Teil
des Bundes einhält, und er muss als wahr erkannt und anerkannt werden. Das wird
das Endergebnis und die Konsequenz der Entwicklung der Dinge sein: Gott wird
vor der ganzen Welt als der Treue dastehen, der sich streng an seine
Verheißungen gehalten hat, die Juden aber als Lügner, die das Wort Gottes
verlassen haben. Aber Paulus spricht absichtlich in allgemeinen Worten. Alle
Menschen sind, im Vergleich zu Gott, in ihrem Verhältnis zu Gott, Lügner, Ps.
116,11. Allen hat sich Gott geoffenbart, wenn auch nicht in gleichem Maße, und
alle haben sich von ihm abgewandt und sich der Eitelkeit und der Lüge
zugewandt. Diese Aussage untermauert der Apostel mit einer Schriftstelle, Ps.
51,4: Damit du gerecht wirst in deinem Reden und überwindest, siegreich
bleibst, wenn du gerichtet wirst. Letztlich wird Gott immer als gerecht und
wahrhaftig befunden werden, der Fall wird und muss zu seinen Gunsten
entschieden werden, wenn nicht vor, so doch ganz sicher am Jüngsten Tag. Die
Beweise werden zeigen, dass Gott den Menschen nur Güte und Barmherzigkeit
erwiesen hat, dass sie ihn aber beleidigt und den Bund des Vertrauens zu allen
Zeiten gebrochen haben. Und so werden gerade die Übertretungen der Menschen
dazu dienen, die unveränderliche Treue Gottes umso deutlicher hervorzuheben.
Anmerkung: Die Worte des Paulus in diesem Fall sollten für jeden Christen der
stärkste Ansporn sein, sich ihm gegenüber jederzeit treu zu erweisen und sich
nicht auf eine bloße konventionelle Form der religiösen Beobachtung zu
verlassen.
Gott wird in jeglicher Hinsicht
gerechtfertigt (V. 5-8): Ein neuer Gedanke wird hier vom Apostel
eingeführt. Denn wenn die Argumentation der Verse 3 und 4 richtig ist, dann
dient der Unglaube der Juden tatsächlich als Folie, um die Treue Gottes
hervorzuheben; er macht seine Wahrheit umso deutlicher; er trägt tatsächlich zu
seiner Ehre bei: warum sollten sie dann noch dem Gericht und der Verdammnis
ausgesetzt sein? Wenn unsere Ungerechtigkeit, unsere Schlechtigkeit, unser
Zustand der Ungläubigkeit und der Neigung zur Lüge tatsächlich die
Gerechtigkeit, die Rechtschaffenheit, die moralische Vortrefflichkeit Gottes
zeigt, was sollen wir dann sagen, was folgt daraus, welche Schlussfolgerung
können wir ziehen? Ein Jude könnte meinen, dass sein Zustand nicht so
beschaffen sein kann, dass er der ewigen Verdammnis ausgesetzt ist, da Gottes
Treue ihm sein Heil verspricht und seine Schlechtigkeit die Rechtschaffenheit
Gottes zeigt. Der heilige Paulus führt ein solches Argument an: Kann das sein?
Dürfen wir annehmen oder folgern, dass Gott ungerecht ist, wenn er Rache übt?
Da die ganze Situation so offensichtlich zu einem Vorteil für Gott führt,
scheint es dann nicht, wenn man von einem rein menschlichen Standpunkt aus
argumentieren will, dass Gott, wenn er die Strafe verhängt, rachsüchtig und
boshaft handelt? Aber der Apostel weist genau diese Vermutung mit einem
nachdrücklichen: Nein! Mitnichten! Denn wenn es wahr ist, dass Gott zu solchen
kleinlichen Formen der Rache greift und dadurch ungerecht wird, wie will er dann
die Welt richten? Wenn er selbst ungerecht wäre, könnte er seinen Zorn nicht an
der Ungerechtigkeit der Menschen auslassen (1. Mose 18,25). Wenn Gott
tatsächlich ungerecht wäre, käme es für ihn nicht in Frage, die Welt zu
richten.
Paulus verstärkt und bestätigt nun die
Antwort an die Juden in V. 6, indem er seine eigene Person in den Vordergrund
stellt: Denn wenn die Wahrheit Gottes durch meine Lüge zu seiner Verherrlichung
reich geworden ist, warum sollte ich dann noch als Sünder verurteilt werden? Er
argumentiert so, wie es ein Mitglied der menschlichen Familie am Tag des
Jüngsten Gerichts tun könnte. Wenn die Tatsache, dass das Festhalten Gottes an
seinen Verheißungen durch die Falschheit und Schlechtigkeit des Menschen so stark
zum Vorschein kommt, wenn dadurch die Herrlichkeit Gottes umso deutlicher
hervortritt, warum sollte der Mensch dann als Sünder gerichtet und verurteilt
werden? Gott sollte sich damit zufrieden geben, dass die Sünde des Menschen
seine eigene Herrlichkeit und Ehre vergrößert. Die Antwort des Paulus ist in
Form einer Frage formuliert. Dass Gott dennoch verurteilt, liegt an der Schuld
und dem Verschulden der Sünde, dass er, der der Heilige und Gerechte ist und
bleibt, nicht anders kann, als die Übertretung des Sünders zu verurteilen, auch
wenn dies seiner Ehre und Herrlichkeit zugute kommt.
Die Gerechtigkeit Gottes kann unmöglich dulden, dass der, der Böses getan hat,
ungestraft bleibt.
Dieser Gedanke wird in V. 8 noch deutlicher
zum Ausdruck gebracht. Wäre das Argument der Juden stichhaltig, dann könnte
nicht nur jeder Sünder eine Befreiung beanspruchen, sondern es würde auch
bedeuten, dass man aus freien Stücken Böses tun könnte, unter dem
fadenscheinigen Vorwand, es würde etwas Gutes dabei herauskommen: Warum ist es
nicht so, wie wir verleumdet werden und wie einige berichten, dass wir sagen:
Lasst uns das Böse tun, damit das Gute kommt? Wenn das Prinzip, das in dem
Einwand zum Ausdruck kommt, richtig wäre, dann wäre diese Schlussfolgerung
vollkommen logisch und akzeptabel. Jede weitere Sünde erhöht die Herrlichkeit
Gottes; darum lasst uns sündigen, mit allen Mitteln. Solche Vorschläge wurden
den Christen damals ebenso verleumderisch unterstellt wie heute. Die
Schlussfolgerung, die die Ungläubigen aus der Rechtfertigungslehre ziehen, ist,
dass die Christen absichtlich böse Taten verübten, damit die Gnade Gottes in
der Vergebung der Sünden umso herrlicher hervortreten könne. Aber eine solche
Theorie und Praxis gibt es bei den Christen nicht, wie der heilige Paulus hier
sowohl durch die negative Fragewortpartikel als auch durch die Worte
unterstreicht: Dessen Verurteilung ganz und gar gerecht ist. Menschen, die
darauf beharren, die Rechtfertigung aus Gnade durch den Glauben, wie sie in der
Heiligen Schrift gelehrt wird, misszuverstehen, werden eine gerechte Strafe
über sich bringen. So ist auch diese letzte Aussage des Apostels eine
Rechtfertigung der göttlichen Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit und eine
Widerlegung der falschen Schlussfolgerung, dass Gott ungerecht sei, wenn er die
Sünder verurteilt. Anmerkung: Die Christen stehen bis heute wegen der
Rechtfertigungslehre unter Verdacht. Der Fehlschluss wird ihnen in die Schuhe
geschoben: Je schlechter wir sind, desto besser; denn je böser wir sind, desto
auffälliger wird die Barmherzigkeit Gottes in unserer Begnadigung sein. Aber
die Christen sind sich trotz dieser Verleumdung der Schuld und der
Verwerflichkeit der Sünde voll bewusst, der Tatsache, dass Gottes gerechter
Zorn alle Übertreter treffen wird, vor allem aber der Tatsache, dass jede Sünde
dem Heiligen Geist Gottes und Jesus Christus, dem Erlöser, Kummer bereitet.
Der Schriftbeweis für die allgemeine
Schuld der Menschheit (3,9-20)
9 Was sagen wir denn nun? Haben wir einen Vorteil? Gar keinen. Denn wir
haben droben bewiesen, dass beide, Juden und Griechen, alle unter der Sünde
sind, 10 wie denn geschrieben steht: Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht
einer; 11 da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der nach Gott fragt.
12 Sie sind alle abgewichen und allesamt untüchtig worden; da ist keiner, der
Gutes tut, auch nicht einer. 13 Ihr Schlund ist ein offen Grab; mit ihren
Zungen handeln sie trügerisch; Otterngift ist unter ihren Lippen; 14 ihr Mund
ist voll Fluchens und Bitterkeit; 15 ihre Füße sind eilend, Blut zu vergießen;
16 in ihren Wegen ist lauter Unfall und Herzeleid 17 und den Weg des Friedens
wissen sie nicht. 18 Es ist keine Furcht Gottes vor ihren Augen.
19 Wir wissen aber, dass, was das Gesetz, sagt, das sagt es denen, die
unter dem Gesetz sind, auf dass aller Mund verstopft werde, und alle Welt Gott
schuldig sei 20 darum, dass kein Fleisch durch des Gesetzes Werke vor ihm gerechtfertigt
wird; denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.
Die Schrift schließt alle Menschen unter
der Sünde ein (V. 9-18): Der Apostel schließt sich selbst in die Reihe der
Juden ein und macht die allgemeine Schuld der Menschheit deutlich, sowohl der
Juden als auch der Nichtjuden: Wie nun? Wie ist die Lage? Haben wir als Juden
irgendeine Bevorzugung oder einen Vorteil gegenüber den Nichtjuden? Haben wir
einen besseren Anspruch auf die Privilegien des Reiches Gottes als sie? Seine
Antwort ist eine entscheidende: Ganz und gar nicht. Die Juden waren in ihrer
Beziehung zu Gott in keiner Weise besser als die Heiden; denn wir haben zuvor
sowohl den Juden als auch den Heiden vorgeworfen, dass sie alle unter der Sünde
stehen, dass ihr Zustand ein Zustand der Übertretung und Schuld ist. Dies hatte
der Apostel ausführlich getan, beginnend mit Kap. 1,18. Verunreinigt durch die
Sünde und der Verdammung der Sünder unterworfen: das ist der Zustand aller
Menschen, ob sie Juden oder Heiden sind.
Diese Aussagen untermauert Paulus nun mit
einem Verweis auf die Heilige Schrift. Was er selbst sagt und schreibt, ist an
sich die Wahrheit, das Wort Gottes. Aber um alle Widerstände im Voraus zu
überwinden, fügt er dem inspirierten Wort seines Briefes die Autorität der
alttestamentlichen Prophetie hinzu. Dort steht es geschrieben: Es ist
geschrieben worden, und es steht da als die ewige Wahrheit. Der Apostel zitiert
hier frei aus dem Alten Testament: Ps. 14,1-3; 53; 5,10; 10,7; Jes. 59,7.8; Ps.
36,1. Er bietet die Texte in freier Übersetzung oder nach der griechischen
Version an, wobei der Heilige Geist die Worte der ewigen Wahrheit so
arrangiert, dass sie zu dem vorliegenden Argument passen. Diese Methode der
Argumentation mit der Anwendung allgemeiner Passagen ist völlig legitim. Das
Vorherrschen bestimmter Handlungen und Verbrechen in einem Volk kann durchaus
als Ausdruck des nationalen Charakters angesehen werden. Es ist eine
schreckliche Anklage gegen die Menschheit, die hier erhoben wird. Es gibt nicht
einen Gerechten, nicht einmal einen einzigen; die Universalität der Sünde wird
unverblümt ausgesprochen. Es gibt keinen verständigen Menschen, keinen mit
echtem Sinn und Weisheit in der Religion. Es gibt nicht einen, der Gott sucht,
der Eifer und Fleiß anwendet, um den Herrn zu finden. Sie haben sich von Gott
entfremdet und sind nun völlig gleichgültig gegenüber seinem Willen und seiner
Anbetung. Alle haben sich von dem rechten und angemessenen Weg abgewandt, den
der Wille Gottes aufgezeigt hat; sie sind allesamt unbrauchbar, wertlos, zu
nichts mehr zu gebrauchen, was geistliche Dinge betrifft. Keiner ist da, der
Gutes tut, nicht ein einziger.
Diese Verderbtheit der Menschen zeigt sich
sowohl in ihrer Rede als auch in all ihren Handlungen. Ihre Kehle ist ein weit
geöffnetes Grab: Sie atmen den Tod aus, sie haben nur im Sinn, mit ihren Zungen
Schaden anzurichten. Mit ihrer Zunge betrügen sie: sie machen ihre Zunge glatt,
sie schmeicheln, sie reden verräterisch, betrügerisch. Unter ihren Lippen ist
das Gift der Wespe: Inmitten all ihrer vorgetäuschten Freundlichkeit und
Schmeichelei haben sie böse, verräterische Absichten, Leid zuzufügen, erfreut
ihre bösartige Seele. Ihr Mund ist voll von Flüchen und Bitterkeit, und sie
hören nicht auf mit Verwünschungen und Lästerungen, sondern setzen ihren Weg
mit Gewaltsünden fort. Schnell sind ihre Füße, um Blut zu vergießen: Sie sind
begierig, sie können nicht warten, sie finden ihre Freude daran, ihrem Nächsten
das Leben zu nehmen: Wo immer sie ihrem Nächsten an Leib und Leben schaden
können, ergreifen sie die Gelegenheit mit mörderischer Freude. Zerstörung und
Elend liegen auf ihren Wegen: Ihr Lebensweg ist geprägt von armen,
unglücklichen Menschen, die sie mit Füßen getreten und ins Unglück gestürzt
haben. Und den Weg des Friedens haben sie nicht kennengelernt: Eine
Lebensweise, durch die sie Frieden, Heil und Segen spenden könnten, hat sie nie
ernsthaft beschäftigt. Sie haben keine Gottesfurcht vor Augen: Das ist die
Ursache ihrer ganzen Verderbtheit; das Fehlen der Gottesfurcht, der Ehrfurcht,
der Frömmigkeit zeigt sich in ihrem ganzen Leben und in allen ihren Taten. Ein
Mensch, der die Furcht Gottes in seinem Herzen und das Bild Gottes vor Augen
hat, wird sich bemühen, ein Leben nach seinem Willen zu führen. Der heilige
Paulus hat also eine vollständige Beschreibung der Verderbtheit des natürlichen
Menschen gegeben, ein Bild, das in der heutigen Zeit genauso gilt wie vor
mehreren tausend Jahren. Vom Menschen, wie er die Hand des Schöpfers verlassen
hat, mit dem Abdruck des göttlichen Bildes auf seiner Vernunft und seinem
Willen, bleibt nur eine Karikatur übrig, die das Herz des Betrachters mit
Schaudern und Entsetzen erfüllt.
Ein besonders Wort an die Juden (V.
19-20): Im vorangegangenen Abschnitt hatte der Apostel von den Menschen im
Allgemeinen gesprochen, sowohl von den Juden als auch von den Heiden, und ihren
natürlichen Zustand ausführlich und detailliert beschrieben. Jetzt wendet er
den Gedanken auf die Juden im Besonderen an, auf diejenigen, die in einem
besonderen Sinn unter dem Gesetz standen. Wie wir wissen, handelt es sich um
eine allgemein anerkannte Tatsache, um eine Aussage, die sofort und ohne
weitere Beweise vorausgesetzt werden kann. Was auch immer, alles, was das
Gesetz sagt, es spricht in Bezug auf den Gesetzgeber und den Zweck seines
Willens zu denen, die unter dem Gesetz sind, die sich des mosaischen Gesetzes
rühmen, deren ganzes Leben bis in die kleinsten Einzelheiten durch seine
Bestimmungen geregelt ist. Aber der Zweck des Gesetzes und aller Unterweisung
im Gesetz ist, dass jeder Mund zum Schweigen gebracht wird und die ganze Welt
vor Gott schuldig wird. Bei den Heiden waren die Taten ihrer Verderbtheit
offenkundig strafbar. Aber die Juden, bei denen die Laster und Übertretungen
oft durch eine gewisse äußere Rechtschaffenheit und den Anschein von Heiligkeit
verdeckt waren, waren vor dem Gesetz Gottes ebenso schuldig. Es kann nicht ein
einziger Mund aufgetan werden, um für Unschuld und Gerechtigkeit zu plädieren,
sondern die ganze Welt, ohne Rücksicht auf Rasse und Nationalität, soll wegen
der Sünde schuldig gesprochen und bestraft werden. Und warum wird die ganze
Welt vor Gott schuldig werden? Weil durch die Werke des Gesetzes kein Mensch
vor ihm gerechtfertigt werden kann. Es ist unmöglich, dass jemand durch die
Werke, die das Gesetz verlangt, vor Gott steht und von ihm als Gerechter
angenommen wird; kein Sünder kann das Gesetz in seinen wirklichen Anforderungen
erfüllen, alle seine Forderungen in Bezug auf Unterlassung und Begehung
tatsächlich einhalten. Denn durch das Gesetz, durch das Gesetz, ist die
Erkenntnis der Sünde. Das Gesetz überführt uns der Sünde; es zeigt uns unsere
mannigfaltigen Übertretungen; es verurteilt uns, indem es uns die Tatsache vor
Augen führt, dass unsere Sünde den Zorn Gottes verdient; und diese Erkenntnis
ist vollständig und genau. „Durch das Gesetz wächst mein Gewissen und erfüllt
mich mit Zorn gegen das Gesetz und gegen Gott, der das Gesetz gegeben hat, und
so wird die Sünde durch das Gebot überaus sündhaft.“ (Luther.) Einen Sünder zu
rechtfertigen, ihn vor Gott für gerecht zu erklären, das ist nicht der Zweck
des Gesetzes; dazu war es nie bestimmt. Anmerkung: Dieser Zweck des Gesetzes
wird von den Christen jeden Tag bei der Prüfung ihres Lebens genutzt; denn wie
in einem Spiegel offenbart es die Sünden und Unzulänglichkeiten des Menschen,
es überzeugt ihn von seiner Schuld und Verdammnis.
Die Rechtfertigung mittels des Glaubens (3,21-31)
21 Nun aber ist ohne Zutun des
Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart und bezeugt durch das
Gesetz und die Propheten. 22 Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott,
die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen und auf alle, die da
glauben. 23 Denn es ist hier kein Unterschied; sie sind allzumal Sünder und
mangeln des Ruhms, den sie an Gott haben sollten, 24 und werden ohne Verdienst
gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, so durch Christus Jesus geschehen
ist, 25 welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem
Blut, damit er die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete, in dem, dass er
Sünde vergibt, welche bisher geblieben war unter göttlicher Geduld, 26 auf dass er zu diesen Zeiten darböte die
Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, auf dass er allein gerecht sei und gerecht
mache den, der da ist des Glaubens an Jesus.
27 Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist aus. Durch welches Gesetz? durch der
Werke Gesetz? Nicht so, sondern durch des Glaubens Gesetz. 28 So halten wir es
nun, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den
Glauben. 29 Oder ist Gott allein der Juden Gott? Ist er nicht auch der Heiden Gott? Ja freilich, auch der Heiden Gott. 30 Da es
ist ein einiger Gott, der da gerecht macht die Beschneidung aus dem Glauben und
die Vorhaut durch den Glauben. 31 Wie? heben wir denn das Gesetz auf durch den
Glauben? Das sei ferne! sondern wir richten das Gesetz auf.
Die offenbarte Gerechtigkeit Gottes
(V. 21-26): „Nachdem Paulus bewiesen hat, dass die Rechtfertigung auf der
Grundlage von gesetzlichem Gehorsam oder persönlichen Verdiensten für alle
Menschen unmöglich ist, fährt er fort, die im Evangelium dargestellte Methode
der Erlösung zu entfalten.“ (Hodge.) In V. 20 wurde das Urteil der Verdammnis
über sie alle verkündet. Und nur derjenige, der diese Sündenerkenntnis hat,
wird nebenbei begreifen, verstehen, was mit der vor Gott gültigen Gerechtigkeit
wirklich gemeint ist. Der Apostel setzt seine Aussagen als Ausdruck der
logischen Konsequenz: „Nun aber“. Obwohl also alle Menschen unter dem Urteil
der Verdammnis stehen, gibt es für sie noch Hoffnung, steht ihnen ein Weg der
Rechtfertigung, des Heils, offen. Ohne das Gesetz wird die Gerechtigkeit Gottes
offenbart, manifestiert. Das Gesetz hat nichts mit dieser Offenbarung zu tun;
die Gerechtigkeit, von der hier die Rede ist, ist nicht die des Gesetzes. Es
ist Gottes Methode der Rechtfertigung, die hier vorgestellt wird, wie in Kap.
1,17. Es ist die Gerechtigkeit, deren Quelle und Urheber Gott ist, die von ihm
allein kommt, die er allein geben kann und die deshalb in seinen Augen
annehmbar ist. Es ist die Gerechtigkeit, die uns von Gott um Jesu Christi
willen zugerechnet wird, zu der sich Luther bekennt: „Darum ist das eine
herrliche Predigt und himmlische Weisheit, dass wir glauben: unsere
Gerechtigkeit, Heil und Trost ist außerhalb von uns, dass wir gerecht,
annehmbar, heilig und weise vor Gott sein sollen, und ist doch in uns nur
Sünde, Ungerechtigkeit und Torheit. In meinem Gewissen ist nichts als das
Gefühl und die Erinnerung an die Sünde und an die Schrecken des Todes, und doch
sollte ich anderswo hinschauen und glauben, dass Sünde und Tod nicht da sind.“[7] Die Rechtfertigung
bezeichnet nicht eine sittliche Veränderung im Menschen, sondern einen
forensischen Akt Gottes, durch den er uns eine Gerechtigkeit zuschreibt, die
uns nicht zustand, die wir nicht verdient haben: Wen
Gott aber rechtfertigt, für gerecht erklärt, der ist gerecht, obwohl alle Welt
und alle Teufel sich vereinen, ihn zu verurteilen, obwohl sogar sein eigenes
Gewissen ihn tadelt und verdammt. Diese Gerechtigkeit ist offenbart, sie ist
deutlich gemacht, ins Licht gestellt. Das Urteil Gottes, nach dem der Sünder
für gerecht erklärt wird, wurde gesprochen und war in Christus schon vor
Grundlegung der Welt vorhanden. Und dies wird nun den Sündern durch das
Evangelium bekannt gemacht, durch das Zeugnis des Gesetzes und der Propheten,
der beiden Hauptteile der alttestamentlichen Schriften, in denen die Botschaft
des Evangeliums eindeutig enthalten war; denn die Prophezeiungen auf Christus
verkündeten die Erlösung in und durch Christus.
Dieser Gedanke wird im nächsten Vers zur
weiteren Erläuterung wieder aufgegriffen: Die Gerechtigkeit, nämlich vor Gott,
durch den Glauben an Jesus Christus, für alle und auf alle, die glauben. Das
ist die Gerechtigkeit, auf die sich der Apostel bezieht, die Gerechtigkeit, die
vor Gott gilt und von ihm angenommen wird. Sie wird zum Besitz all derer, die
an Jesus Christus, den Gottmenschen, den Messias, glauben und damit das Heil
annehmen, das die Rechtfertigung ermöglicht hat. Die Botschaft des Evangeliums
wirkt den Glauben in den Herzen der Menschen, und dieser Glaube erwirbt oder
verdient die Gerechtigkeit vor Gott nicht, sondern nimmt die zugerechnete
Gerechtigkeit an, empfängt sie und macht sie sich zu eigen. Der Glaube ist die
vertrauensvolle Annahme der Gnade des Heils. Durch den Glauben an das
Evangelium nimmt der Gläubige seinen Erlöser, Jesus Christus, und damit auch
die Gerechtigkeit, die Jesus bereitet hat, an und macht sie sich zu eigen. Die
Gerechtigkeit Gottes ist für alle bestimmt, die glauben, und deshalb ergießt
sie sich auch wie ein Strom über alle, die glauben. Wer glaubt, unabhängig von
seiner Vorgeschichte und seinem Werdegang, empfängt durch seinen Glauben das,
was Gott anbietet, und wird so zum Besitzer dieses großen Segens des Neuen
Testaments.
Dass es bei den Gläubigen weder das
Verdienst einer natürlichen Vorzüglichkeit noch das des Glaubensaktes geben
kann, geht aus den letzten Worten des Apostels hervor: Denn es gibt keinen
Unterschied, keine Unterscheidung unter den Menschen, was ihr Verhältnis zu
Gott betrifft; denn sie alle, auch die Gläubigen, haben gesündigt und ermangeln
der Herrlichkeit Gottes; sie haben von Natur aus keine Stellung vor Gott, sie
haben nichts, dessen sie sich vor ihm rühmen könnten. Gerade weil sie sich
ihrer eigenen Sündhaftigkeit und ihrer moralischen Unzulänglichkeit vor dem
allwissenden und heiligen Gott bewusst sind, halten sie sich im Glauben an
ihren Erlöser und nehmen seine Gerechtigkeit an, die sie vor Gott annehmbar und
gerecht macht.
Die Rechtfertigung wird also, wie der
Apostel sagt, aus freien Stücken, als Geschenk, durch die Gnade Gottes
übertragen, die allein die Quelle der Barmherzigkeit sein kann. Und sie wird
durch die Erlösung, wörtlich: durch die Befreiung durch die Zahlung eines
Lösegeldes, von Jesus Christus ermöglicht. Jesus hat uns von all unseren Sünden
und vom Zorn Gottes erlöst, indem er einen Preis, ein Lösegeld, für unsere
Seelen eingesetzt hat, Matth. 20,28; Mark. 10,45; 1.
Tim. 2,6; Tit. 2,14. Und dieser Preis des Lösegeldes war kein anderer als sein
eigenes kostbares Blut. Eph. 1,7; Kol. 1,14; 1. Petr. 1,18.19. Und die Art und
Weise, in der er diesen wunderbaren Preis bezahlt hat, wird ausführlich
beschrieben. Gott hat ihn durch den Glauben an sein Blut als Gnadenstuhl
eingesetzt; das war die Absicht Gottes, die im Opfer von Golgatha in die Tat umgesetzt
wurde, Joh. 3,14. Jesus ist der wahre Gnadenstuhl, von dem die Decke der Lade
im Allerheiligsten nur ein schwaches Abbild war. So wie der Hohepriester des
Alten Testaments am großen Versöhnungstag das Blut des Opfers an den Deckel der
Lade sprengte und damit die Sünden des ganzen Volkes versöhnte. 3. Mose 16,30,
so ist Jesus der vollkommene Gnadenstuhl in seinem eigenen Blut. Als
Hohepriester, Opfer und Gnadenstuhl in einer Person hat Jesus alle Arten von
alttestamentlichen Opfern erfüllt, indem er sein heiliges Blut als Lösegeld für
die Sünden der Welt vergossen hat. So wurde er zum wahren Mittler zwischen Gott
und den Menschen, indem er all unsere Sünde, Schuld, Schande und Blöße vor den
Augen Gottes bedeckte und eine vollkommene Erlösung für alle Menschen erwirkte.
Und die so erlangte Versöhnung wird durch den Glauben an sein Blut zu unserem
Besitz und Eigentum: Gott schaut auf das kostbare Blut seines Sohnes, durch das
die Sünden der ganzen Welt gesühnt werden, durch das alle Sünder von Sünde,
Schuld, Zorn und Verdammnis befreit werden; und um dieses blutigen Opfers und
vollkommenen Verdienstes Christi willen erklärt er die Sünder für gerecht und
heilig.
Nachdem Paulus das Wesen und den Grund der
Rechtfertigungsmethode des Evangeliums dargelegt hat. nennt Paulus nun ihren
Zweck: Zur Bekräftigung seiner Gerechtigkeit. Gott hat Jesus, seinen Sohn, den
Erlöser, als den wahren Gnadenstuhl hingestellt und stellt ihn immer noch vor
die Augen der ganzen Welt der Sünder, Gal. 3,1, um seine Gerechtigkeit zu
zeigen. Es war ein Akt der Gerechtigkeit Gottes, dass er seinen Sohn, den
Stellvertreter aller Sünder, zum gewaltsamen Tod am Kreuz verurteilte; indem er
Christus in seinen Wunden und seinem Blut vor den Augen aller Menschen
darstellte, erklärte er seine Gerechtigkeit vor der ganzen Welt. Die rächende
Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes konnte sich nicht mit weniger zufrieden
geben, sie musste das höchste Opfer verlangen. Und eine solche offene Erklärung
und Demonstration der wesentlichen Gerechtigkeit Gottes war umso notwendiger,
als die zuvor begangenen Sünden durch die Nachsicht Gottes übergangen wurden.
Aufgrund der großen Geduld und Nachsicht Gottes in der Zeit vor Christus waren
die Sünden der Menschen ungestraft geblieben, abgesehen von einigen
außergewöhnlichen Manifestationen der rächenden Gerechtigkeit Gottes, Apg 14,16; 17,30. Obwohl der Tod, der Lohn der Sünde, von
Adam bis Christus herrschte, war dies eine Zeit relativer Straffreiheit, und es
war ein Beweis für die Nachsicht Gottes, dass sündige Menschen Jahre und
Generationen in ihren Sünden leben konnten, bevor sie vom Tod abgerufen wurden.
Aber jetzt, in der neuen Zeit, in der neuen Dispensation. Gott hat seine
Gerechtigkeit bewiesen. Das Übersehen der Sünden in der Zeit vor der Ankunft
Christi geschah im Hinblick auf diese Demonstration seiner Gerechtigkeit in der
jetzigen Zeit. In all den Jahrhunderten vor dem Kommen Christi hatte die
göttliche Gerechtigkeit aufgrund der Gerechtigkeit Gottes die Bestrafung der
Sünder gefordert. Und die volle Strafe wurde an Christus, dem Stellvertreter
für alle Sünder aller Zeiten, vollstreckt. "Der Tod Christi rechtfertigte
die Gerechtigkeit Gottes bei der Vergebung der Sünden in allen Zeitaltern der
Welt, da diese Sünden durch den gerechten Gott in Christus bestraft
wurden." Die von Christus übernommene Strafe für die Sünder ist die volle
Sühne für alle Sünden; durch sein Leiden und Sterben hat er die Schuld
vollständig beglichen, er hat den Zorn und das Gericht erschöpft. Und die
Aufstellung Christi als des wahren Gnadensitzes geschah schließlich zu dem
Zweck, um selbst gerecht zu sein und den zu rechtfertigen, der des Glaubens
Jesu ist; indem Gott von Christus, dem Stellvertreter der Sünder, die volle
Bezahlung der Sündenschuld verlangte, erwies er sich als der Gerechte. Und
indem er Christus sandte, um dieses stellvertretende Opfer zu bringen, und
indem er in Christus war, um die Welt zu versöhnen, rechtfertigte Gott die
Sünder, erklärte sie für rein und gerecht, wobei die Rechtfertigung tatsächlich
zum Besitz dessen wird, der sie durch den Glauben an Jesus annimmt, für den
dieser Glaube charakteristisch ist, dessen ganzes religiöses und sittliches
Wesen seinem Glauben an Jesus entspringt.[8]
Die gewaltige Schlussfolgerung des
Apostels (V. 27-31): Hier bietet der Apostel den Abschluss des herrlichen
Heilsplans an, wie er ihn gerade entfaltet hat. Wenn das der Fall ist, wo ist
dann der Akt des Rühmens? Welchen Grund haben die Menschen, sich zu rühmen?
Alle Menschen, nicht nur die Juden, haben von Natur aus ein stolzes Herz, das
sich gerne der eigenen Tugenden und Taten rühmt. Nun aber ist die Prahlerei ein
für allemal ausgeschlossen, sie ist nicht erlaubt.
Durch welches Gesetz, durch welche Regel oder Ordnung, allgemein gesprochen?
Durch die Regel, die Werke verlangt? Die Regel der Werke ist identisch mit dem
Gesetz Gottes. Hier gäbe es in der Tat die Möglichkeit, sich zu rühmen, da
fleischlich gesinnte Menschen aufgrund einer äußerlichen, buchstäblichen
Erfüllung der Forderungen des Gesetzes zur Selbstbeweihräucherung und
Selbstbeweihräucherung neigen. Jedes Rühmen wird jedoch durch die Regel oder
Norm des Glaubens, durch die Ordnung des Heils, wie sie im Evangelium
dargestellt wird und den Glauben einschließt, wirksam ausgeschlossen. Das
Evangelium spricht immer wieder von der Notwendigkeit des Glaubens, nicht im
Sinne einer Forderung des Glaubens als eines verdienstlichen Werkes, sondern im
Sinne einer an alle Menschen gerichteten Einladung, die Verheißung Gottes
anzunehmen. Der rechtfertigende Glaube kann in keiner Weise als ein Akt
verstanden werden, durch den man sich das Heil Jesu verdient, genauso wenig wie
man sagen kann, dass ein Bettler das Stück Brot oder die Münze verdient, für
die er seine Hand ausstreckt. Was also das Evangelium betrifft, so ist jede
Prahlerei ausgeschlossen, beseitigt, denn (V. 28) wir schließen daraus, dass
der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird, ohne die Werke des Gesetzes,
unabhängig davon. Das ist die Schlussfolgerung, die jeder wahre Christ mit
Paulus ziehen muss. Die Rechtfertigung, der forensische Akt Gottes, durch den
er den Sünder für gerecht, rein, heilig und annehmbar vor ihm erklärt, wird
durch den Glauben empfangen, indem der Sünder einfach die Tatsache der Erlösung
durch Christus glaubt und sie auf sich anwendet. Menschliche Werke, Werke des
Gesetzes, persönliche Verdienste sind ausgeschlossen. Der Grund für unsere
Rechtfertigung liegt völlig außerhalb von uns selbst. Der Gegensatz besteht,
wie ein Kommentator bemerkt, zwischen dem, was wir selbst tun, sei es im
Zustand der Natur oder der Gnade, und dem, was Christus für uns getan hat.
Durch den Glauben, und nur durch den Glauben, der ganz und gar und allein eine
Gabe Gottes ist, treten wir in jene Beziehung zu Gott, die uns vor ihm
annehmbar macht und uns zu seinen lieben Kindern werden lässt.
Der Apostel hatte absichtlich und mit
Nachdruck geschrieben: Ein Mensch ist gerechtfertigt, jeder Mensch, ohne
Rücksicht auf Rasse und Nationalität. Aber er hält es für notwendig, die
Universalität der Rechtfertigung durch eine ausdrückliche Erklärung hervorzuheben
und so die Idee einer besonderen Gnade, einer rassischen oder nationalen
Unterscheidung vor Gott auszuschließen. Oder ist er nur für die Juden Gott,
nicht auch für die Heiden? (Haben die Juden Anspruch auf irgendeinen Vorteil?
Haben sie irgendein Vorrecht in Bezug auf den Inhalt des Glaubens?) Paulus
antwortet: Ja, auch für die Heiden. Und warum? Weil Gott einer ist. Aus der
Einheit Gottes als Axiom leitet Paulus die Universalität des im Evangelium
dargestellten Heils ab. Folglich wird er die Beschnittenen aus dem Glauben und
die Unbeschnittenen aus dem Glauben heraus rechtfertigen. Alle Menschen, Juden
und Heiden, werden auf dieselbe Weise gerechtfertigt und gerettet, nämlich
durch den Glauben. Der Glaube ist das Mittel der Rechtfertigung; der Glaube
allein ist notwendig für die Aneignung der Gerechtigkeit Gottes, für die
Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Ein Gott und ein Mittler, ein Heil und ein
Heilsweg für die ganze Menschheit, deren Glieder alle in der gleichen
Verdammnis stehen, das ist die Predigt des Paulus, das ist die Grundlehre des
Christentums.[9]
Am Ende dieses Abschnitts begegnet Paulus
einem möglichen Einwand, der immer wieder gegen diese zentrale Lehre des
Christentums vorgebracht wurde. Machen wir also das Gesetz ungültig,
annullieren wir es, setzen wir es außer Kraft? Vorerst begnügt er sich damit,
diesen Gedanken mit einem knappen „Nein" zurückzuweisen: In der Tat nicht,
sondern wir begründen, bestätigen das Gesetz. Nicht eine einzige sittliche
Verpflichtung wird geschwächt, nicht eine einzige Sanktion wird missachtet, 1
Tim. 1, 8. 9. Wie der neue Gehorsam aus dem Glauben folgt, zeigt er an einer
anderen Stelle seines Briefes. "Der Glaube erfüllt alle Gesetze; die Werke
erfüllen nicht ein einziges Pünktchen des Gesetzes.“ (Luther.)
Zusammenfassung: Der Mensch ist
und bleibt schuldig vor Gott, wenn auch die Falschheit der Menschen die
Wahrheit Gottes nicht aufhebt, und wenn auch die Sünden der Menschen zu Gottes
Ehre gereichen; und so wird der Mensch ohne die Werke des Gesetzes, ohne alles
Rühmen und Verdienst, nur durch die Gnade, durch die Erlösung Christi
gerechtfertigt, welche der einzige Weg des Heils für alle Menschen, Juden und
Heiden, ist.
Die Lehre von der Rechtfertigung des armen
Sünders vor Gott ist die zentrale Lehre des christlichen Glaubens, die Lehre,
mit der die Kirche steht und fällt. „Wenn dieser Artikel der Rechtfertigung
verloren geht, so geht zugleich die ganze christliche Lehre verloren.... Denn
in ihm sind alle anderen Artikel unseres Glaubens enthalten, und wenn dieser
eine im richtigen Licht betrachtet wird, dann werden auch alle anderen richtig
beurteilt.... Wird dieser Artikel beiseite gelegt, so
bleibt nichts übrig als Irrtum, Heuchelei, Gottlosigkeit, Götzendienst, so sehr
er auch als höchste Wahrheit erscheinen mag.“[10] „Von diesem Artikel
können wir nichts weichen oder zurücktreten, auch wenn Himmel und Erde fallen
und alles, was nicht bleiben wird. Denn es ist kein anderer Name unter dem
Himmel unter den Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden müssen, sagt
Petrus, Apg. 4,12. Und durch seine Striemen sind wir geheilt, Jes. 53,3. Und
auf diesem Artikel ruht alles, was wir lehren und leben gegen den Papst, den
Teufel und die Welt. Darum müssen wir dessen ganz sicher sein und nicht
zweifeln, sonst ist alles verloren, und Papst und Teufel und alles wird den
Sieg und das Recht gegen uns haben und behalten.“[11]
Die Sektierer und Irrlehrer haben sich alle
Mühe gegeben, die Kraft der herrlichen Stelle in Röm. 3,21-28 abzuschwächen.
Einige haben behauptet, die Gerechtigkeit Gottes, von der hier die Rede ist,
sei lediglich ein göttliches Attribut, die Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und
allgemeine Rechtschaffenheit Gottes. Wäre dies jedoch der Fall, dann würde
diese Eigenschaft Gottes außerhalb des Gesetzes offenbart, V. 22, und würde
durch den Glauben zum tatsächlichen Eigentum und Attribut des Gläubigen, V. 23.
Andere haben erklärt, dass die Gerechtigkeit Gottes die Eigenschaft ist, gut zu
sein, wie es das Gesetz verlangt und wie es durch die Kraft Gottes in den
Herzen der Menschen gewirkt wird. Aber die Gerechtigkeit, von der im Text die
Rede ist, wird ohne die Mitwirkung des Gesetzes offenbart, und eine vollkommene
moralische und bürgerliche Gerechtigkeit ist ohne das von Gott gegebene Gesetz
nicht möglich. Die Gerechtigkeit, von der der Apostel spricht, ist eine
Gerechtigkeit ohne das Gesetz, mit der das Gesetz nichts zu tun hat. Sie ist
die Methode Gottes zur Rechtfertigung. „Da die Methode der Rechtfertigung durch
Werke unmöglich ist, hat Gott eine andere offenbart, die schon im Gesetz und
bei den Propheten gelehrt wurde, eine Methode, die nicht gesetzlich (ohne
Gesetz) ist, d.h. nicht unter der Bedingung des Gehorsams gegenüber dem Gesetz,
sondern unter der Bedingung des Glaubens, die für alle Menschen gilt und
vollkommen unentgeltlich ist.“ Die Rechtfertigung ist also der Akt Gottes,
durch den er einen Menschen für gerecht erklärt, ihn für rechtschaffen erklärt,
ihn vom Urteil der Verurteilung freispricht, offen erklärt, dass der Angeklagte
nicht mehr schuldig oder strafwürdig ist.
Diese Rechtfertigung, diese barmherzige
Erklärung Gottes, wird dem Sünder durch den Glauben zugerechnet, Apg. 13,38.39,
ohne die Taten des Gesetzes. Alle Verdienste des Menschen, sowohl was die
gerechten Taten als auch die richtige Einstellung zu Gott und seiner
Barmherzigkeit betrifft, sind ausgeschlossen, und sogar der Glaube selbst als
Quelle oder Wurzel oder Keimkraft der guten Werke. Selbst wenn der Glaube sein
eigenes Amt und seine eigene Eigenschaft ausübt und auf diese Weise die Gnade
Gottes und die Gerechtigkeit Christi ergreift und annimmt, kommt der Glaube nur
insofern in Betracht, als er die Schöpfung Gottes im Herzen des Menschen ist,
um das Urteil der Gnade zu empfangen. Nicht der Akt des Erkennens rechtfertigt
den Gläubigen, sondern nur das, was erkannt wird. Der Faktor, der Gott dazu
veranlasst, einen Menschen für gerecht und angemessen zu erklären, ist ganz und
gar und allein der Gegenstand des Glaubens. Wahrlich, „aus Gnade seid ihr selig
geworden durch den Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es, nicht
aus Werken, damit sich nicht jemand rühme“, Eph. 2,8.9. „Da wir wissen, dass
der Mensch nicht durch des Gesetzes Werke gerechtfertigt wird, sondern durch
den Glauben an Jesus Christus, so haben auch wir an Jesus Christus geglaubt,
damit wir durch den Glauben an Christus gerechtfertigt werden und nicht durch
des Gesetzes Werke; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Fleisch gerecht.“
Gal. 2,16.
Objektive
Rechtfertigung (Zusatz durch
den Hrsg.)
Anmerkungen zu
den Auseinandersetzungen über die allgemeine oder grundsätzliche Rechtfertigung
oder Versöhnung
Seit dem 19. Jahrhundert ist es besonders unter den lutherischen
Kirchengemeinschaften Nordamerikas immer wieder zu Auseinandersetzungen über
diejenigen Heilstatsachen gekommen, die theologisch auch mit den Begriffen
„allgemeine Rechtfertigung“ oder „universelle Rechtfertigung“ bezeichnet
werden. Besonders der Gnadenwahlstreit und der Streit um die Bekehrung waren
davon gekennzeichnet. In jüngster Zeit hat diese Auseinandersetzung neue
zusätzliche Akzente bekommen durch die falschen Lehren, die durch Walter A.
Maier III in Fort Wayne und die Kokomo-Thesen
innerhalb der Wisconsin-Synode verbreitet wurden und die Antworten, die, etwa
durch den unabhängigen Pastor Gregory Jackson, darauf gegeben wurden. Die
folgenden Anmerkungen beziehen sich hauptsächlich auf das Buch des
Letztgenannten, „Thy Strong Word“, in dem er einen breiten Abschnitt diesem
Thema widmet. (Es ist dabei zu bedenken, dass P. Jackson seinen theologischen
Hintergrund, soweit er lutherisch ist, ursprünglich gerade in denjenigen
Synoden hatte (ULC), die Gegner Missouris in den Kämpfen des 19. Jahrhunderts
waren.)
Was lehren die evangelisch-lutherischen
Bekenntnisschriften?
Dieser Abschnitt ist daher besonders wichtig, weil P. Jackson, ähnlich
wie andere Gegner der biblisch-lutherischen, von Alt-Missouri vertretenen,
Lehre behaupten, dass die lutherischen Bekenntnisschriften die Lehre von der
objektiven Rechtfertigung gar nicht kennen würden, es sich dabei vielmehr um
eine erst im 19. Jahrhundert aufgekommene, durch Walther, Pieper und Stöckhardt geförderte neue Lehre handele. Was den
theologischen Begriff der ‚allgemeinen Rechtfertigung’ angeht, so ist
dies sicher richtig. Anders aber ist es mit dem Faktum selbst.
Gott bietet den Sündern Vergebung an: „Diese Gerechtigkeit, die vor
Gott gilt, ist ohne Gesetz offenbart“, das ist, umsonst wird Vergebung der
Sünden angeboten. (Apol. IV,42; Trigl. 132) – Wenn sie aber angeboten wird, dann
muss sie auch vorhanden sein, das ist: Christus hat für alle Menschen die
Vergebung der Sünden, und das ist gleichbedeutend mit dem Freispruch im
Jüngsten Gericht, erworben. Aber der einzelne Mensch hat dies damit noch nicht.
Gott sieht ihn – IN CHRISTUS – in Gnaden an: Aber wenn er nicht an
Christus glaubt, also gar nicht in Christus ist, so bleibt der Zorn Gottes über
diesem Menschen, Joh. 3,36. Darum heißt es richtig weiter: ... welche Zusage
niemand mit Werken fassen kann, sondern allein durch den Glauben an Christus.
(Apol. IV, 44; Trigl. 132)
Nur der Glaube fasst also die Verheißung und Zusage in Christus, nämlich dass
Christus für ihn die Vergebung der Sünden erlangt hat (die also schon da ist),
die uns Menschen nun durch Wort, Taufe und Abendmahl dargereicht wird. Aber
die göttliche Zusage, die bietet uns an, als denjenigen, die von der Sünde und
Tod überwältigt sind, Hilfe, Gnade und Versöhnung um Christi willen, welche
Gnade niemand mit Werken fassen kann, sondern allein durch den Glauben an
Christus. Derselbe Glaube bringt noch schenkt Gott dem Herrn kein Werk, kein
eigen Verdienst, sondern baut bloß auf lauter Gnade und weiß sich nichts zu
trösten noch zu verlassen als allein auf Barmherzigkeit, die verheißen ist in
Christus. (Apol. IV, 44.45; Trigl.
132) (Diese Aussage über den rettenden Glauben ist sehr wichtig, da die Gegner
der allgemeinen Rechtfertigung zwar eine allgemeine Versöhnung lehren, aber in
dem Sinne, als gebe diese Gott nur die Möglichkeit, den Menschen die Sünden zu
vergeben (d.i. auf Golgatha hätte nicht schon die Vergebung stattgefunden),
aber der Glaube (der damit praktisch zur sittlichen Tat des Menschen wird) sei
die vom Menschen zu leistende Vorbedingung dafür. Das aber ist nur eine andere
Form des Synergismus, der Selbsterlösung.) Diese Vergebung der Sünden also
erlangt der Glaube allein aus Gnaden.
Schon dieser Abschnitt macht deutlich: Nicht der Glaube wirkt oder
verdient etwas (denn das wäre die Kon-sequenz daraus, wenn man sagt, Vergebung
der Sünden, Freispruch im Jüngsten Gericht in Christus (denn nichts anderes
wird auch in der allgemeinen Absolution Röm. 4,25 oder der objektiven
Rechtfertigung ausgedrückt) sei noch nicht vorhanden, sondern käme erst durch
den Glauben), sondern er ergreift oder empfängt etwas, eben das Heil in
Christus. Das ist allerdings etwas völlig anderes als ein bloß äußerliches
darüber informiert sein oder bloß äußerliches Wissen, es ist vielmehr ein die
ganze Person umgreifendes Erkennen: Ich elender, verlorener Sünder habe in dem
lebendigen Gott Jesus Christus Heil und Erlösung – und darauf traut der Glaube.
(Es ist also unabdingbar, dass dem rettenden Glauben durch das Evangelium die
Arbeit des Gesetzes voran geht, die zur Erweckung, Sündenerkenntnis, Reue,
Buße, Zerknirschung, also einem geängsteten und
zerschlagenen Herzen, Ps. 51, führt; ohne das gibt es für den im Bewusstsein
stehenden Menschen keinen rettenden Glauben.)
Dass dem Glauben, der geweckt und dann gestärkt werden soll, das Heil
dargereicht wird (und nicht der Glaube es erst bewirkt: es geht also gerade
auch darum, was der Glaube in der Rechtfertigung ist: ist er rein instrumental,
Nehmehand, oder ist er wirkende Ursache), bezeugt
auch Par. 53: Derhalben, sooft wir reden von
dem Glauben, der gerecht macht, oder fide iustificante, so sind allezeit diese drei Stücke oder obiecta beieinander: erstlich, die göttliche Verheißung,
zum andern, dass dieselbe umsonst, ohne Verdienst, Gnade anbietet,
für das dritte, dass Christi Blut und Verdienst der Schatz ist, durch
welchen die Sünde bezahlt ist. Die Verheißung wird durch den Glauben
empfangen; dass sie aber ohne Verdienst Gnade anbietet, da geht alle unsere
Würdigkeit und Verdienst unter und zu Boden und wird gepriesen die Gnade und
große Barmherzigkeit. (Apol. IV, 53; Trigl. 134.136) Es gehören also zusammen: die göttliche
Verheißung, die die Gnade uns anbietet, und Christi Blut als der Schatz, durch
den für die Sünde bezahlt IST. Und diese Tatsache, dass auf Golgatha ein
volles Lösegeld ein für allemal bezahlt wurde, diese
Tatsache ergreift der Sünder als ihm zugehörig – und das ist der rettende
Glaube. Allgemeine Rechtfertigung meint ja nichts anderes als dies, dass auf
Golgatha für alle Sünder aller Zeiten die Sünden bezahlt, die
Genugtuung geleistet wurde durch Christus und Gott in der Auferweckung Christi
das versiegelt, bekräftigt, bestätigt hat, eben dass Christus für alle Sünder
die Absolution, Vergebung der Sünden, den Freispruch im Jüngsten Gericht
erworben hat – und das reicht Gott uns dar, eignet er zu durch die
Gnadenmittel.
Darum heißt es: Das Evangelium auch straft alle Menschen, dass sie in
Sünden geboren seien, und dass sie alle schuldig des ewigen Zorns und Todes
seien, und bietet ihnen an Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit durch
Christus. Und dieselbe Vergebung, Versöhnung und Gerechtigkeit wird durch den
Glauben empfangen. (Apol. IV, 62; Trigl. 138) Das Evangelium also bietet Vergebung der
Sünden, Gerechtigkeit durch Christus an: damit aber ist das alles ja bereits
schon vorhanden, und der Glaube empfängt es (denn der Glaube muss ja allerdings
einen Inhalt haben, etwas, woran er sich hält). Vor Gott gerecht sein heißt: Wir
halten, die Widersacher müssen bekennen, dass vor allen Dingen zu der
Rechtfertigung vonnöten sei Vergebung der Sünden. Darum so schließen wir nun
also: Vergebung der Sünden erlangen und haben, dasselbe heißt vor Gott gerecht
und fromm werden, wie der 32. Psalm sagt: „Wohl dem, dem die Übertretung
vergeben ist.“ Allein aber durch den Glauben an Christus, nicht durch
die Liebe, nicht um der Liebe oder Werke willen, erlangen wir Vergebung der
Sünden, wiewohl die Liebe folgt, wo der Glaube ist. (Apol.
IV, 75.76; Trigl. 142) Diese beiden Dinge gehören
also zusammen, um gerettet zu sein: Vergebung der Sünden haben – und diese
Vergebung erlangt allein der Glaube. So falsch es also ist (Kokomo),
aus der objektiven Rechtfertigung oder den durch Christus auf Golgatha
geschaffenen Tatsachen zu schließen, alle Menschen seien längst automatisch
Heilige, bräuchten das Gericht nicht mehr zu fürchten und so die persönliche
Aneignung des Heils im Glauben mit voraufgehender Buße und Bekehrung zu
leugnen, so falsch ist es andererseits auch, aus der Tatsache, dass allein
der Glaube das auch erlangt, was Christus ihm, dem Sünder erworben hat, zu
schließen, das, was der Glaube erlangt sei vorher, vor dem Glauben, gar nicht
vorhanden. Objektive und subjektive Rechtfertigung, Christi Erlösungswerk und
der persönliche Glaube gehören zusammen, wenn es um das Heil des Menschen geht.
Denn: wir haben das, was Christus uns erworben hat, nur in Christus. Ohne das,
ohne den Glauben, bleibt der Zorn Gottes über uns, Joh. 3,36.
Im Par. 82 heißt es daher: Zum andern ist’s
gewiss, dass die Sünden vergeben werden um des Versöhners Christus willen, Röm.
3,25: „Welchen Gott dargestellet hat zu einem
Gnadenstuhl“ oder zu einem Versöhner, und setzt klar dazu: „durch den Glauben“.
So wird uns der Versöhner nun also nütz, wenn wir durch den Glauben fassen das
Wort, dadurch verheißen wird Barmherzigkeit, und dieselbe halten gegen Gottes
Zorn und Urteil. (Apol. IV, 82; Trigl. 144) Der Glaube fasst also das Wort, das die – damit
schon vorhandene – Barmherzigkeit verheißt; die Vergebung der Sünden wird um
Christi willen verheißen – eben darum kann dann der Glaube sie fassen. Christus
hat sie ja bereits erworben. Zum vierten, Vergebung der Sünden ist verheißen
um Christi willen. Darum kann sie niemand erlangen als allein durch den
Glauben. (Apol. IV, 84; Trigl.
144)
Die Bekenntnisschriften betonen zu recht immer wieder die enge
Verknüpfung von objektiver und subjektiver Rechtfertigung – und es ist ein
Zeichen des Niedergangs, wenn eine allversöhnerisch
angekränkelte „Theologie“ diese Verknüpfung auflöst und zu so einer
verheerenden Irrlehre wie Kokomo kommt (denn da
stimmt nicht nur die Rechtfertigungslehre nicht mehr, sondern auch die
Unterscheidung und rechte Anwen-dung von Gesetz und
Evangelium fehlt). Darum heißt es: Das Gesetz kann niemand gerecht machen.
Darum wird uns durch Christus Gerechtigkeit zugerechnet, wenn wir glauben, dass
uns Gott durch ihn gnädig ist. (Apol. IV, 97; Trigl. 148) Das aber heißt auch: Die Gerechtigkeit für uns
ist durch Christus schon vorhanden, sie entsteht nicht erst durch den Glauben.
Das hebt auch Par. 103 hervor: ...; aber der Herr Christus ist ge-kommen und hat uns die Sünde, welche niemand konnte
meiden, geschenkt und hat die Handschrift durch Vergießen seines Bluts
ausgelöscht. (Apol. IV, 103; Trigl.
150) Das ist auf Golgatha geschehen. Und das wird dem Sünder angeboten,
dargereicht, damit der Glaube geweckt wird.
Die Konkordienformel bekräftigt deshalb, dass Christus uns die Vergebung
der Sünden und ewiges Leben verdient hat (und das ist ja nichts anderes, als
was doch Worte wie Absolution in Christus, Freispruch in Christus,
gerechtfertigt in Christus ausdrücken) – und das ergreift dann der Glaube. Wir
glauben, lehren und bekennen, dass allein der Glaube das Mittel und das
Werkzeug sei, damit wir Christus und also in Christus solche Gerechtigkeit, die
vor Gott gilt, ergreifen, um welches willen uns solcher Glaube zur
Gerechtigkeit zu-gerechnet wird, Röm. 4. (FC, Epit.,
III,3; Trigl. 792) Das heißt: Nur der Sünder
hat das, was ihm dargereicht wird, wirklich, der es im Glauben ergreift. Darum
heißt es weiter: Gott rechnet uns Christi Gehorsam und Gerechtigkeit zu; oder:
Allein der Glaube ist das Mittel, diese Gerechtigkeit zu ergreifen. (FC, Epit., III, 4,5; Trigl. 792) Das
ist also damit gemeint, wenn es heißt, dass uns der Glaube gerechnet wird zur
Gerechtigkeit.
Alles andere wäre eine Entleerung des Evangeliums, das uns FC, Epit., V, 5 so beschrieben wird: Christus hat für alle
Sünden gebüßt und bezahlt, hat ohne unser Verdienst erlangt und erworben
Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit, ewiges Leben (und nichts anderes wird
beschrieben mit dem Begriff „objektive Rechtfertigung“). Das Evangelium aber
sei eigentlich eine solche Lehre, die da lehrt, was der Mensch glauben soll,
der das Gesetz nicht gehalten hat und durch dasselbe verdammt wird, nämlich
dass Christus alle Sünden gebüßt und bezahlt und ihm ohne all sein Verdienst
erlangt und erworben habe Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit, die vor Gott
gilt, und das ewige Leben. (FC, Epit., V, 4; Trigl. 800.801) Alle diese Gaben sind also da, Christus hat
sie längst auf Golgatha erworben – aber der Glaube muss sie ergreifen, damit
der Sünder all das auch tatsächlich hat. Darum heißt es in der Ausführlichen
Darlegung, dass Christi (geschehener) Gehorsam dem Glauben zugerechnet wird,
bzw. dass der Glaube die ihm in der Verheißung vorgetragenen (also vorhandenen)
Güter ergreift. ... dass also die Gerechtigkeit des Glaubens sei Vergebung
der Sünden, Versöhnung mit Gott, und dass wir zu Kindern Gottes angenommen
werden um des einigen Gehorsams Christi willen, welcher allein durch den
Glauben, aus lauter Gnade, allen wahrhaft Gläubigen zur Gerechtigkeit
zugerechnet wird, und sie um desselben willen von all ihrer Ungerechtigkeit
absolviert werden.... Welche Güter uns in der Verheißung des heiligen
Evangeliums durch den Heiligen Geist vorgetragen werden, und ist allein der
Glaube das einige Mittel, dadurch wir sie ergreifen, annehmen und uns
applizieren und zueignen; welcher ist eine Gabe Gottes, dadurch wir Christus,
unsern Erlöser, im Wort des Evangeliums recht erkennen und auch ihn vertrauen,
dass wir allein um seines Gehorsams willen, aus Gnaden, Vergebung der Sünden
haben, für fromm und gerecht von Gott dem Vater gehalten und ewig selig werden.
(FC, SD, III, 4,10; Trigl. 916.918) Im Par. 13 heißt es daher: Der Glaube macht gerecht, weil er
das Verdienst Christi ergreift. Die Gerechtigkeit, die zugerechnet wird (und
daher ja schon vorhanden ist), ist Christi Gehorsam, Leiden, Sterben,
Auferstehung – nicht unser Glaube! (Dies muss unbedingt festgehalten werden.
Der Begriff der ‚objektiven Rechtfertigung’ dient gerade auch dazu
herauszuheben, dass die Gerechtigkeit, die den Gläubigen zugerechnet wird, eine
fremde ist, die außerhalb von uns vorhanden ist, nicht eine durch den Glauben
erst bewirkte. Das droht aber bei der Richtung, die P. Jackson propagiert,
zumindest verdunkelt zu werden, da er letztlich den Glauben zu bewirkenden
Ursache der Gerechtigkeit macht.) In Par. 16 heißt es daher, dass diese
Gerechtigkeit uns im Evangelium und den Sakramenten vorgetragen und durch den Glauben
zugeeignet wird. Wodurch wir Vergebung der Sünden haben. Solche
Gerechtigkeit wird durchs Evangelium und in den Sakramenten von dem Heiligen
Geist uns vorgetragen und durch den Glauben appliziert, zugeeignet und
angenommen, daher die Gläubigen haben Versöhnung mit Gott, Vergebung der
Sünden, Gottes Gnade, die Kindschaft und Erbschaft des ewigen Lebens. (FC,
SD, III,16; Trigl. 920) In Par. 30 wird es so
dargestellt: Die Gerechtigkeit des Glaubens vor Gott besteht in gnädiger
Versöhnung und Vergebung der Sünden, um Christi willen geschehen, im Evangelium
verheißen, im Glauben empfangen. Auch hiernach muss diese Gerechtigkeit also
schon vorhanden sein, weil Christus sie ja erworben hat, sonst könnte sie nicht
im Evangelium verheißen werden. Der Glaube, so wird es dargestellt, verlässt
sich auf Christi vollkommenen Gehorsam, der uns zur Gerechtigkeit zugerechnet
wird. Also auch verlässt sich der Glaube in der Rechtfertigung vor Gott
weder auf die Reue noch auf die Liebe oder andere Tugenden, sondern allein auf
Christus und in demselben auf seinen vollkommenen Gehorsam, damit er für uns
das Gesetz erfüllt hat, welcher den Gläubigen zur Gerechtigkeit gerechnet wird.
(FC, SD, III, 30; Trigl. 924)
Im fünften Artikel der Konkordienformel wird der Inhalt des Evangeliums
so beschrieben: Christus hat den Fluch auf sich genommen, hat alle unsere
Sünden bezahlt und gebüßt; durch ihn allein kommen wir bei Gott zu Gnaden und
erlangen die Vergebung der Sünden durch den Glauben. (Das Evangelium beschreibt
also genau das, was Christus uns erworben hat und anbietet – und das nennen wir
objektive Rechtfertigung – damit wir es durch den Glauben erlangen; das
Evangelium reicht es dar – und der Glaube ergreift und hat es.) s. FC, SD, V,
20; Trigl. 956.958.
Im Blick auf die Gnadenwahl heißt es im elften Artikel im Bezug auf Röm. 8; Eph. 1; Matth.
22: Das ganze menschliche Geschlecht ist erlöst und versöhnt mit Gott
durch Christus, der also allen Gerechtigkeit, ewiges Leben verdient hat.
(Und genau das ist es ja, was der Begriff ‚objektive Rechtfertigung’
umschreibt, eben das, was Christus für jeden erworben hat, was aber der
Einzelne allein durch den Glauben hat. 1. Dass wahrhaftig das menschliche
Geschlecht erlöst und mit Gott versöhnt sei durch Christus, der uns mit seinem
unschuldigen Gehorsam, Leiden und Sterben Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und
das ewige Leben verdient habe. 2. Dass solch Verdienst und Wohltaten Christi
durch sein Wort und Sakrament uns sollen vorgetragen, dargereicht und ausgeteilt
werden. (FC, SD, XI, 15,16; Trigl. 1068) Und das,
was Christus uns erworben hat, was also da ist, dieses Verdienst bieten und
Wort und Sakrament an. Persönlich gerecht erklärt (subjektive Recht-fertigung)
wird aber nur der, zur Kindschaft Gottes und Erbe angenommen wird nur der, der
in wahrer Buße durch rechten Glauben Christus annimmt, Par. 18. Beides gehört
unbedingt zusammen: die von Christus erworbenen Heilstatsachen und der rettende
Glauben, der sie ergreift. Die Verheißung des Evangeliums ist universal, Luk.
24; Joh. 3;1;6; 1 Joh. 1; Röm. 11 – aber nur der hat sie, der sie in Buße durch
den Glauben er-greift. Derhaben, wenn wir
unsere ewige Wahl zur Seligkeit nützlich betrachten wollen, müssen wir in allen
Wegen steif und fest darüber halten, dass, wie die Predigt der Buße, also auch
die Verheißung des Evangeli-ums universalis sei, das ist, über alle Menschen
gehe, Luk. 24. Darum Christus befohlen hat zu predigen in seinem Namen Buße und
Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Denn Gott hat die Welt geliebet und der-selben seinen Sohn gegeben, Joh. 3.
Christus hat der Welt Sünde getragen, Joh. 1; sein Fleisch gegeben für
der Welt Leben, Joh. 6; sein Blut ist die Versöhnung für der ganzen
Welt Sünde, 1 Joh. 2. (FC, SD, XI, 28; Trigl.
1070)
Die Gerechtigkeit
Gottes, an der Geschichte aufgezeigt
(4,1-25)
1 Was sagen wir denn von unserem Vater Abraham, dass er gefunden habe
nach dem Fleisch? 2 Das sagen wir: Ist Abraham durch die Werke gerecht, so hat
er wohl Ruhm, aber nicht vor Gott. 3 Was sagt denn die Schrift? Abraham hat
Gott geglaubt, und das ist ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. 4 Dem aber, der mit
Werken umgehet, wird der Lohn nicht aus Gnade zugerechnet, sondern aus Pflicht.
5 Dem aber, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der die Gottlosen
gerecht macht, dem wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit.
6 Nach welcher Weise auch David sagt, dass die Seligkeit sei allein des
Menschen, welchem Gott zurechnet die Gerechtigkeit ohne Zutun der Werke, da er
spricht: 7 Selig sind die, welchen ihre Ungerechtigkeiten vergeben sind, und
welchen ihre Sünden bedeckt sind. 8 Selig ist der Mann, welchem Gott keine
Sünde zurechnet.
9 Nun, diese Seligkeit, geht sie über die Beschneidung oder über die
Vorhaut? Wir müssen je sagen, dass Abraham sei sein Glaube zur Gerechtigkeit
gerechnet. 10 Wie ist er ihm denn zugerechnet, in der Beschneidung oder in der
Vorhaut? Ohne Zweifel nicht in der Beschneidung, sondern in der Vorhaut. 11 Das
Zeichen aber der Beschneidung empfing er zum Siegel der Gerechtigkeit des
Glaubens, welchen er noch in der Vorhaut hatte, auf dass er würde ein Vater
aller, die da glauben in der Vorhaut, dass diesen solches auch gerechnet werde
zur Gerechtigkeit 12 und würde auch ein Vater der Beschneidung, nicht allein
derer, die von der Beschneidung sind, sondern auch derer, die wandeln in den
Fußtapfen des Glaubens, welcher war in der Vorhaut unseres Vaters Abraham.
13 Denn die Verheißung, dass er sollte sein der Welt Erbe, ist nicht
geschehen Abraham oder seinem Samen durchs Gesetz, sondern durch die
Gerechtigkeit des Glaubens. 14 Denn wenn die vom Gesetz Erben sind, so ist der
Glaube nichts, und die Verheißung ist ab. 15 Denn das Gesetz richtet nur Zorn
an; denn wo das Gesetz nicht ist, da ist auch keine Übertretung. 16 Deshalb
muss die Gerechtigkeit durch den Glauben kommen, auf dass sie sei aus Gnaden,
und die Verheißung fest bleibe allem Samen, nicht dem
allein, der unter dem Gesetz ist, sondern auch dem, der des Glaubens Abrahams
ist, welcher ist unser aller Vater.
17 Wie geschrieben steht: Ich habe dich gesetzt zum Vater vieler Heiden
vor Gott, dem du geglaubt hast, der da lebendig macht die Toten und ruft dem,
das nicht ist, dass es sei. 18 Und er hat geglaubt auf Hoffnung, da nichts zu
hoffen war, auf dass er würde ein Vater vieler Heiden, wie denn zu ihm gesagt
ist: So soll dein Same sein. 19 Und er wurde nicht schwach im Glauben, sah auch
nicht an seinen eigenen Leib, welcher schon erstorben war, weil er fast
hundertjährig war, auch nicht den erstorbenen Leib der Sara. 20 Denn er
zweifelte nicht an der Verheißung Gottes durch Unglauben, sondern wurde stark
im Glauben und gab Gott die Ehre 21 und wusste aufs allergewisseste, dass, was
Gott verheißt, das kann er auch tun. 22 Darum ist’s ihm auch zur Gerechtigkeit
gerechnet.
23 Das ist aber nicht geschrieben allein um seinetwillen, dass es ihm
zugerechnet ist, 24 sondern auch um unsertwillen, welchen es soll zugerechnet
werden, so wir glauben an den, der unsern HERRN Jesus auferweckt hat von den
Toten. 25 welcher ist um unserer Sünden willen dahingegeben und um unserer Rechtfertigung
willen auferweckt.
Die Rechtfertigung Abrahams (V.
1-5): Paulus hatte gelehrt, dass wir durch den Glauben gerechtfertigt werden.
Um diese Lehre zu demonstrieren und zu bekräftigen sowie um einem möglichen
Einwand der Juden zuvorzukommen, bezieht er sich nun auf den Fall Abrahams, des
Vaters der jüdischen Nation. Was sollen wir also sagen, dass Abraham, unser
Urvater, nach dem Fleisch gefunden hat? Wie ist sein Fall zu beurteilen? Was
hat er nach dem Fleisch gewonnen, indem er dem Gesetz und allen Geboten Gottes,
insbesondere dem Ritus der Beschneidung, gehorsam war? Wenn er die
außergewöhnlichen Segnungen, die er genoss, insbesondere seine Rechtfertigung,
aufgrund seiner äußerlichen Befolgung des alttestamentlichen Sakraments
erlangte, dann hätten die Juden sicherlich Anspruch auf Berücksichtigung aus
demselben Grund. Die Antwort liegt auf der Hand: Wir müssen sagen, dass Abraham
nicht durch Werke gerechtfertigt wurde. Diese Schlussfolgerung verteidigt der
Apostel. Denn wenn Abraham durch Werke gerechtfertigt war, hat er Gründe, Ruhm
und Lob zu erwarten, er könnte zwar seinen Anspruch auf das Vertrauen und die
Gunst seiner Mitmenschen geltend machen; aber er hätte keinen Grund, sich vor
Gott zu rühmen. Das verkürzte Argument würde in vollem Umfang lauten: Wäre
Abraham durch Werke gerechtfertigt, so könnte er sich seiner Verdienste rühmen;
nun aber hat er nichts, was er als rühmenswert vorbringen könnte; darum ist er
nicht durch Werke gerechtfertigt. Dass Abraham keinen Grund hatte, sich vor
Gott zu rühmen, beweist Paulus aus der Heiligen Schrift. Denn was sagt die
Schrift, 1. Mose 15,6? Abraham glaubte Gott, und das wurde ihm zur
Gerechtigkeit gerechnet. Nach dieser unfehlbaren Autorität wurde Abraham für
gerecht und gerecht erklärt; die Rechtfertigung wurde ihm gutgeschrieben, weil
er sie im Glauben angenommen hatte. Auf diese Weise wurde der Glaube Abrahams,
der an sich alles andere als gerecht war, an sich ohne Verdienst, ihm als
Gerechtigkeit angerechnet. Obwohl er weder angeborene noch gewohnheitsmäßige
Gerechtigkeit besaß, wurde er von Gott als gerecht angesehen und behandelt. Der
Wert des Glaubens Abrahams lag also nicht in irgendeiner subjektiven
Eigenschaft, sondern in seinem Gegenstand und Inhalt; weil der Glaube auf Gott
und in Gott auf Christus, den Erlöser, gerichtet war, wurde Abraham die
Gerechtigkeit Christi als seine eigene zugerechnet, und er wurde vor Gott für
annehmbar erklärt.
Dies erklärt der Apostel in den Versen 4
und 5 ausführlicher. Dem aber, der arbeitet, der das Gesetz hält mit der
Vorstellung, einen entsprechenden Lohn, einen angemessenen Lohn für seine
Arbeit zu erhalten, wird der Lohn nicht als Gnade, sondern als Schuld
gerechnet. Wer aber nicht arbeitet, seine Werke nicht zur Grundlage der
Hoffnung auf Gott macht, sondern an den glaubt, der die Gottlosen rechtfertigt,
dem wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet. Es gibt nur zwei
Möglichkeiten, die wir überhaupt in Betracht ziehen können, nämlich durch Werke
und durch den Glauben gerechtfertigt und gerettet zu werden; es gibt einen
absoluten Gegensatz zwischen der Gerechtigkeit der Werke und der Gerechtigkeit
des Glaubens. Im Falle Abrahams, der durch den Glauben gerechtfertigt wurde,
war also die andere Möglichkeit, die Gerechtigkeit aus Werken, ausgeschlossen.
Der Apostel argumentiert hier nicht damit, dass eine vollständige und
angemessene Werkgerechtigkeit für alle Menschen unmöglich ist, sondern einfach mit
der Tatsache. Wenn ein Arbeiter seine Arbeit vorschriftsmäßig verrichtet hat,
erhält er den versprochenen und festgesetzten Lohn, den er mit Recht einfordern
kann. So auch im geistlichen Bereich: Wenn jemand, der sich in Gesetzeswerken
betätigt, die Absicht hat, die Forderungen Gottes zu erfüllen, und alle Gebote
hält, dann wird Gott ihm den versprochenen Lohn, die Gerechtigkeit, als eine
Frage der Gerechtigkeit geben, vorausgesetzt natürlich, dass er einen
vollkommenen Gehorsam geleistet hat. Das genaue Gegenteil eines solchen
Menschen ist derjenige, der seinen Glauben, nicht als bloße Zustimmung, sondern
als Vertrauensakt, auf den setzt, der den Gottlosen rechtfertigt, der also das
göttliche Recht verletzt hat, der Gott den gebührenden Gehorsam verweigert hat,
dem jegliche Ehrfurcht vor ihm fehlte. Wenn ein solcher gottloser Mensch vor
dem Richterstuhl Gottes steht, kann er nach menschlichem Ermessen nichts
anderes erwarten als das Urteil der ewigen Verdammnis. Doch statt dieses zu
erwartende Urteil auszusprechen, erklärt Gott den Sünder für gerecht und
rechtschaffen, Jes. 1,18. Es ist nicht die Absicht des Paulus, hier zu zeigen,
wie dieses Urteil möglich ist, dass der Sünder seine Schuld fühlen und
anerkennen muss, dass er auf die Barmherzigkeit Gottes in Jesus, seinem Retter,
vertrauen muss: Paulus macht den Kontrast absichtlich so groß wie möglich, um
den unvergleichlichen Trost der Rechtfertigungslehre herauszustellen. Wahrlich,
er ist ein wunderbarer Gott, wie er sich in Christus, im Evangelium, offenbart
hat, der Gott, der die Gottlosen rechtfertigt, der den Glauben des Sünders zur
Gerechtigkeit rechnet. "Das ist ein Wunder. Es ist etwas, das nur Gott
vollbringen kann und das alle Kräfte der göttlichen Natur in Aktion und
Offenbarung ruft. Es wird durch eine unvergleichliche Offenbarung des Gerichts
und der Barmherzigkeit Gottes erreicht. Das Wunder des Evangeliums besteht
darin, dass Gott den Gottlosen mit einer Barmherzigkeit begegnet, die ganz und
gar gerecht ist, und sie durch den Glauben befähigt, trotz ihres Zustandes in
eine neue Beziehung zu sich selbst einzutreten, in der ihnen das Gute möglich
wird. Es kann überhaupt kein geistliches Leben für einen sündigen Menschen
geben, wenn er nicht die anfängliche Gewissheit einer unveränderlichen Liebe Gottes
erhält, die tiefer ist als die Sünde, und diese erhält er am Kreuz. Er bekommt
sie durch den Glauben an Jesus, und das ist die Rechtfertigung durch den
Glauben".[12]
Anmerkung: Der Akt der Rechtfertigung, die Zurechnung der Gerechtigkeit, hat an
sich nichts mit dem moralischen Charakter der Betroffenen zu tun. Zu erklären,
die Rechtfertigung sei die Zuführung moralischer Gerechtigkeit, wie es die
Papisten tun, bedeutet, Rechtfertigung und Heiligung, Gesetz und Evangelium zu
verwechseln.
Ein Beweis aus den Psalmen (V. 6-8):
Der Apostel führt hier ein neues Zeugnis für die Wahrheit der tröstlichen Lehre
ein, die er lehrt. 1. Mose 15,6 stimmt genau mit Ps. 32,1.2 überein. So wie
auch David die Glückseligkeit des Menschen ausdrückt, ausspricht, segnet,
spricht. Der ganze Abschnitt bei David ist eine Erklärung über das Glück des
Menschen, dem Gott Gerechtigkeit zuschreibt, unabhängig von den Werken, ohne
Bezug auf irgendetwas, das er getan hat. Hier wird die Gerechtigkeit als
unmittelbarer Gegenstand der Zurechnung durch Gott dargestellt, identisch mit
der Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit. Das Fehlen jeglichen Verdienstes
des Menschen wird nachdrücklich hervorgehoben. Wie in den Tagen Abrahams, am
Anfang der alttestamentlichen Geschichte, so wurde auch während des Goldenen
Zeitalters des jüdischen Volkes der eine Weg des Heils gelehrt, der heute allen
Menschen durch das Evangelium verkündet wird. Selig sind die Menschen, denen
die Übertretungen des Gesetzes vergeben und deren Sünden zugedeckt werden.
Selig ist der Mensch, dessen Sünde der Herr nicht anrechnet. Die Zurechnung der
Gerechtigkeit ohne Werke und die freie Vergebung der Sünden sind für Paulus
offensichtlich ein und dasselbe. Sündenvergebung, Sündenverzeihung,
Sündenüberdeckung, Nichtberücksichtigung der Sünde sind parallele Ausdrücke für
die Rechtfertigung des Sünders. Die Erklärung der Annehmbarkeit vor Gott ist
also auch eine tatsächliche Verleihung seiner Gnade, eine tatsächliche Annahme
bei Gott. Die Folgen der Sünde mögen noch vorhanden sein, aber die Vergebung
des Herrn deckt sie vor seinen Augen zu, "macht sie unsichtbar vor dem
heiligen Gott und gerade so, als ob sie nicht geschehen wäre." Der Akt der
Rechtfertigung und der Akt der Vergebung der Sünden sind identisch.[13] „Dieses Wort zeigt mit
mehr als ausreichendem Nachdruck, wie Paulus die Rechtfertigung versteht. Nicht
als sittliche Veränderung des Menschen, auch nicht als göttliche Anerkennung
eines entsprechenden sittlichen Zustandes des Menschen, sondern identisch mit
der Vergebung der Sünden, als Annehmbarkeit des Menschen in den Augen Gottes
trotz des Fehlens einer entsprechenden sittlichen Eigenschaft.“ (Luthardt.)
Rechtfertigung setzt nicht die Erfüllung
des Gesetzes voraus (V. 9-12): Der heilige Paulus hatte bewiesen, dass
Abraham nicht durch das Halten des Gesetzes, sondern durch seine Verdienste im
Allgemeinen gerechtfertigt worden war; nun zeigt er, dass die Beschneidung
weder die Grundlage noch die Bedingung für seine Annahme ist. Dass der freudige
Ausruf Davids über die Seligkeit des Volkes, das er beschreibt, auf die
Beschnittenen angewandt werden konnte, bedurfte keines Beweises; aber die
Schwierigkeit war, ob er auch auf Menschen angewandt werden konnte, die das
Sakrament der Beschneidung nicht empfangen hatten. Und so greift der Apostel
erneut den Fall Abrahams auf. Kommt diese Seligkeit nun über die Beschnittenen
oder über die Unbeschnittenen? Bezieht sich die Seligpreisung des Psalmisten
nur auf die Beschnittenen? Ist die Beschneidung notwendig für die
Rechtfertigung? Denn wir sagen, dass der Glaube Abraham zur Gerechtigkeit
gerechnet wurde. Dieser deklarative Satz dient zur Veranschaulichung der Frage,
er nennt eine konkrete Tatsache, anhand derer allein die allgemeine Frage
beantwortet werden kann. Wie wurde sie denn zugerechnet? In welchem Zustand
befand sich Abraham, als er die Erklärung Gottes über seine Rechtfertigung
erhielt? Die Geschichte gibt die Antwort: Nicht als er beschnitten war, sondern
als er unbeschnitten war, bevor der Herr ihm den Ritus der alttestamentlichen
Einweihung gegeben hatte. Die Rechtfertigung Abrahams fand etwa vierzehn Jahre
vor seiner Beschneidung statt; es war also nicht der spezifische jüdische
Ritus, auf den er für die Annahme bei Gott angewiesen war. Welche Beziehung
bestand also zwischen der Erklärung Gottes und der Einsetzung des Sakraments?
Was war das wahre Wesen, der Zweck und das Ziel der Beschneidung? Abraham empfing
das Zeichen der Beschneidung, das Zeichen, das in der Beschneidung bestand, als
Siegel der Glaubensgerechtigkeit, die er in seinem unbeschnittenen Zustand
gehabt hatte. Die Juden rühmten sich gerne der Beschneidung, nicht nur als
Zeichen, um sich von den Heiden zu unterscheiden, sondern auch als eine Form
des Verdienstes, indem sie lehrten, dass jeder Beschnittene durch dieses
Zeichen der Segnungen des Reiches teilhaftig wurde. So glaubten sie auch von
Abraham, dass er durch das bloße äußere Werk der Ausführung des Gebots Gottes,
alle männlichen Mitglieder seines Hauses zu beschneiden, gottgefällig gewesen
sei. Aber Paulus betont hier, dass Abraham den Ritus als Geschenk und nicht als
Verdienst empfing; und dass Abraham erst beschnitten wurde, nachdem er durch
das ausdrückliche Urteil Gottes gerechtfertigt worden war. Und Gott verfolgte
mit dieser Anordnung einen doppelten Zweck. Abraham sollte erstens der
geistliche Vater derer sein, die wie er selbst die Rechtfertigung im Zustand
der Unbeschnittenheit empfingen, damit auch ihnen die
Gerechtigkeit zugerechnet würde. Und zweitens sollte Abraham der geistige Vater
derer sein, die, nachdem sie den Ritus der Beschneidung empfangen hatten, sich
als wahre Kinder Abrahams erwiesen, indem sie in den Fußstapfen des Glaubens
wandelten, den er hatte, lange bevor Gott das Sakrament einsetzte und es ihm
anvertraute. „Es war Gottes Absicht, dass Abraham der repräsentative und
typische Gläubige sein sollte, in dem alle Gläubigen ohne Unterschied ihren
geistlichen Vater erkennen sollten.“ Anmerkung: Die Gerechtigkeit der Christen
ist die Gerechtigkeit des Glaubens, das heißt, die Gerechtigkeit, die sie durch
den Glauben empfangen und auf sich selbst anwenden. Beachte auch: Alle
Gläubigen sind geistliche Kinder Abrahams, sie haben die Art ihres Vaters, sie
besitzen denselben rechtfertigenden Glauben. „So sind alle, die nach dem
Vorbild Abrahams glauben, Abrahams Same und des Segens teilhaftig, es seien
Heiden oder Juden, Beschnittene oder Unbeschnittene.“[14]
Die Verheißung kommt nicht durch das
Gesetz (V. 13-16): Der Apostel hatte erklärt, dass Abraham der geistliche
Vater aller Gläubigen sein sollte, seien es Juden oder Heiden, Beschnittene
oder Unbeschnittene, weil er durch den Glauben gerechtfertigt worden war, bevor
er unter dem Ritus der Beschneidung stand. Denn nicht durch das Gesetz kam die
Verheißung zu Abraham oder zu seinem Samen, seinen Nachkommen, dass er der Erbe
der Welt sein sollte, sondern durch die Gerechtigkeit des Glaubens. Hätte Gott
die Verheißung, die er Abraham gegeben hat, an die Ordnung der Einsetzung des
alttestamentlichen Sakraments geknüpft, dann wäre sie mit dem Gesetz verbunden
gewesen. Aber die Verheißung an Abraham, Erbe der Welt zu sein (denn das
irdische Kanaan war nur ein Typus des vollkommenen Erbes, des himmlischen
Kanaans), war mit seiner Rechtfertigung verbunden, und daher: da die Verheißung
nicht durch das Gesetz erfolgt, kann auch die Rechtfertigung nicht erfolgen.
Dies wird durch die Geschichte Abrahams bestätigt; denn für ihn als Gläubigen
war, nachdem er durch den Glauben gerechtfertigt worden war, der Besitz Kanaans
und damit auch der zukünftigen Welt gesichert. Und wie Abraham haben alle seine
Nachkommen, alle seine geistlichen Kinder, die Verheißung der Stadt, die einen
Grund hat, deren Baumeister und Erbauer Gott ist, Hebr. 11,10. Es ist ihr
Besitz durch die Gerechtigkeit des Glaubens, durch die Annahme der
Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, durch den Glauben. Wer durch den Glauben vor
Gott gerechtfertigt ist, wird dadurch Erbe der Welt Gottes, der Welt der
Herrlichkeit, der Wohnung der ewigen Gerechtigkeit, die Gott den
Menschenkindern bereitet hat.
Andererseits, so argumentiert Paulus, wird
der Glaube, wenn die, die unter dem Gesetz stehen, Erben sind, aller Macht
beraubt, er ist nichtig und hat keine Wirkung in Bezug auf seinen Gegenstand,
und die Verheißung ist aufgehoben. Der Glaube war die ursprüngliche Bedingung,
unter der Gott die Verheißung gegeben hat. Wenn nun eine neue Bedingung an ihre
Stelle tritt, nach der das Volk, das die Natur des Gesetzes in sich hat, das
hofft, durch die Werke des Gesetzes gerettet zu werden, zu Erben gemacht wird,
dann wird der Glaube natürlich nutzlos, er wird leer und eitel, er hat nichts,
woran er sich halten kann, und die Verheißung wird aufgehoben: der ganze Plan
und die Ordnung des Heils wird umgestoßen. Und das wiederum folgt aus der
Tatsache, dass das Gesetz Zorn wirkt; denn wo es kein Gesetz gibt, gibt es auch
keine Übertretung. Wenn die Verheißung vom Gesetz, von der Erfüllung des
Gesetzes abhinge, dann würde, da alle Menschen Übertreter des Gesetzes sind,
der Zorn Gottes über sie kommen, und die Verheißung des Heils würde
folgerichtig fallen. Das Gesetz verlangt seinem Wesen nach vollkommenen
Gehorsam und verurteilt alle, die nicht vollkommen sind; daher ist es seinem
Wesen nach nicht geeignet, den Sündern das Leben zu geben. Hätte Gott also die
Verheißung des Heils an die Bedingung geknüpft, das Gesetz zu halten, und
denen, die unter dem Gesetz stehen, das Erbe seiner ewigen Segnungen
versprochen, so wäre die Verheißung Gottes allein durch diese Tatsache
wirkungslos geworden. Daraus folgt einmal mehr, dass die Verheißung an den
Glauben gebunden ist. Darum ist sie aus dem Glauben, damit sie der Gnade gemäß
sei. Wegen dieser Tatsache, dass die Verheißung Gottes von vornherein nutzlos
wäre, ist sie an den Glauben geknüpft; das selige Erbe der himmlischen Glückseligkeit
ist aus dem Glauben, um der Gnade zu entsprechen. Glaube und Gnade sind
Korrelate: wie der Mensch aus Gnade gerechtfertigt wird, durch den Glauben, so
wird er auch aus Gnade gerettet, durch den Glauben. Und dazu hat Gott die
Verheißung des künftigen Erbes der Welt aus freier Gnade gegeben, ohne die
geringste Rücksicht auf die Werke der Menschen und ohne Bezug auf sie, damit
die Verheißung des Heils sicher und gewiss sei, da sie nicht von irgendeinem
Werk oder Zustand des Menschen abhängt, sondern einzig und allein von der Gnade
Gottes, die durch den Glauben ergriffen wird. Und Paulus unterstreicht die
Universalität der Gnade und der Verheißung, indem er sagt, sie gelte dem ganzen
Samen, allen Nachkommen Abrahams, nicht nur denen, die den Weg und die Form des
Gesetzes haben, also den gläubigen Juden, sondern auch denen, die aus dem
Glauben Abrahams sind, den geistlichen Kindern Abrahams unter den Heiden, die
mit Abraham nichts gemein hatten außer seinem Glauben. Die Verheißung gilt
allen Gläubigen, ob Juden oder Heiden; denn Abraham ist ihr aller geistlicher
Vater, und ihr Glaube macht sie des Abraham verheißenen Erbes teilhaftig, 1.
Mose 17, 5, Anm.: Alle Christen sind in Wahrheit Israeliten, in der Tat Kinder
Abrahams durch den Glauben, den sie mit ihm gemeinsam haben und der sie mit dem
alten Patriarchen in einer engeren Beziehung verbindet, als es bloße Bluts- und
Familienbande je vermögen.
Der Schriftbeweis (V. 17-22): Dass
Abraham der Vater aller Gläubigen ist, steht im Einklang mit der Schrift, Gen
17, 5. Nicht nur nach der inspirierten Auslegung des Paulus, sondern auch nach
dem offensichtlichen Verständnis des Urtextes muss die genannte Stelle im Sinne
der geistlichen Nachkommenschaft verstanden werden. Jetzt, in der Zeit des
Neuen Testaments, wird Abraham als Vater vieler Völker, aller Gläubigen, gleich
welcher Rasse oder Nationalität, dargestellt. Vor Gott, der ihm erschienen war
und vor dem Abraham als Vater vieler Völker stand, glaubte er auch; sein ganzes
Leben, das er vor dem allwissenden Auge Gottes führte, war ein Leben des
Glaubens. Und dieser Gott besaß die Eigenschaften, die ihn befähigten, seine
Verheißung zu erfüllen. Er belebt die Toten, er macht sie lebendig; er nennt
das, was nicht ist, als ob es wäre. Die Bekehrung der vielen Völker zu den
geistlichen Kindern Abrahams war eine wahre Auferweckung von den Toten, Eph.
2,4 ff.; Kol. 2,13. Und Gott nennt das, was nicht existiert, ein Sein, Jes.
48,13; 41,4; Eph. 2,10; die Bekehrung der Heiden ist ein Akt der schöpferischen
Kraft Gottes. So stand Abraham, obwohl er kinderlos war, vor Gott und wurde von
Gott zum Vater vieler Völker erklärt; und der Gott, der die Toten belebt und
ins Dasein ruft, was vorher nicht existierte, wird zu gegebener Zeit die
heidnische Welt, die jetzt tot ist in Übertretungen und Sünden, zu einem neuen
geistlichen Leben erwecken und die Kinder Abrahams durch sein mächtiges,
schöpferisches Wort ins Dasein rufen. Und das war der Inhalt und das Ziel des
Glaubens Abrahams: Er glaubte dem Herrn, er vertraute auf seine Verheißungen,
auch in dem Maße, in dem sie später erfüllt wurden.
Dieser Glaube Abrahams wird nun genauer
beschrieben. Er glaubte gegen die Hoffnung an die Hoffnung. Soweit es die Natur
betraf, war sein Glaube gegen die Hoffnung; und er stützte sich auf die
Hoffnung, indem er zuversichtlich glaubte, dass Gott in seinem Fall tun könne,
was die Natur nicht vermochte. So hielt er sein Vertrauen gegen alle
menschliche Hoffnung und vernünftige Erwartung aufrecht, damit er ein Vater
vieler Völker werden konnte. Das war der Zweck und das Ziel Gottes in Bezug auf
den Glauben Abrahams, an sich sein Werk, dass Menschen aus vielen Völkern in
die Fußstapfen Abrahams treten und dadurch zu Kindern Abrahams werden sollten.
Denn der Patriarch vertraute fest auf das Wort des Herrn: So soll dein Same
sein, 1. Mose 17,6; 15,5. Das ist das Kennzeichen des Glaubens zu allen Zeiten,
dass er gegen die Hoffnung an die Hoffnung glaubt, dass er sich gegen die Natur
und scheinbar gegen die Vernunft einfach auf das Wort des Herrn verlässt.
Es folgt eine weitere Aussage über den
Glauben Abrahams in seiner praktischen Bewährung. Er war nicht schwach im
Glauben und achtete daher nicht auf seinen eigenen Körper, der das Alter für
die Zeugung von Kindern längst überschritten hatte, da er nun etwa hundert
Jahre alt war; er achtete auch nicht auf die Unfruchtbarkeit von Sara, die das
Alter für die Zeugung von Kindern längst überschritten hatte, da sie neunzig
Jahre alt war. Diese Umstände, diese physischen Hindernisse, berücksichtigte
Abraham nicht, er ließ nicht zu, dass sie Gewicht hatten und ihn beeinflussten,
er konzentrierte sich nicht auf die offensichtlichen Schwierigkeiten des
Falles, wie er sich ihm darbot. Vgl. 1. Mose 17. Er schob den Gedanken an
seinen eigenen körperlichen Zustand und den seiner Frau völlig beiseite und
ließ nicht zu, dass die Natur, die Vernunft, das Gefühl, die Wahrnehmung seinen
Glauben beeinflussten und schwächten. Vielmehr zweifelte er, was die Verheißung
Gottes betraf, nicht durch Unglauben, obwohl er innerlich mit dem Zweifel
kämpfte, 1. Mose 17,17. Aber er wurde stark im Glauben in Bezug auf die
Verheißung Gottes. Weil er, wie alle wahren Gläubigen, seine Aufmerksamkeit
ganz und gar und allein auf die Verheißung Gottes richtete und nicht auf
vernünftigen Verstand und Erklärungen, darum wurde er gestärkt; er stärkte sich
durch den festen Blick des Glaubens und gab so auch Gott alle Ehre. Der
Unglaube raubt Gott seine Ehre, aber der Glaube mit seinem absoluten,
schlichten Vertrauen in das Wort Gottes und in seine Allmacht gibt dem Herrn
dadurch die anbetungswürdige Anerkennung, die ihm zu allen Zeiten gebührt Das
ist das Kennzeichen des rettenden Glaubens auch heute. Der Gläubige vertraut
Gott und weiß, dass er ihm trotz aller Unzulänglichkeiten und Unwürdigkeiten
des Sünders das geben wird, was er ihm in und durch Christus verheißen hat:
Gerechtigkeit, Leben, Heil; und dieser Glaube gereicht Gott zu Lob und Ehre. So
war Abraham völlig überzeugt, ganz sicher, dass Gott in der Lage ist, zu tun,
was er verheißen hat. Er wusste, dass die Wahrheit Gottes ihn dazu
verpflichtet, seine Verheißung zu erfüllen, und dass seine Macht ihn dazu
befähigt. Und deshalb wurde ihm sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet;
deshalb war Gott gnädig, ihm seinen Glauben zur Gerechtigkeit anzurechnen. Der
Glaube war nicht der Grund, sondern die Bedingung seiner Rechtfertigung, „so
wie wir jetzt glauben und als gerecht anerkannt werden, nicht aufgrund eines
Verdienstes in unserem Glauben, sondern einfach aufgrund der Gerechtigkeit
Christi, die uns zugerechnet wird, wenn wir glauben“ (Hodge).
Der Abschluss des Arguments (V.
23-25): Was in diesem Kapitel und in anderen Teilen der Bibel, insbesondere im
Buch Genesis, über Abraham geschrieben steht, ist nicht nur um Abrahams willen
geschrieben. Die Geschichte des Glaubens und der daraus folgenden
Rechtfertigung Abrahams wurde nicht in der bloßen Absicht in die Heilige
Schrift aufgenommen, eine korrekte Geschichte des Patriarchen zu bieten, um die
Nachwelt wissen zu lassen, dass sein Glaube ihm zur Gerechtigkeit angerechnet
wurde. In der gesamten Diskussion muss Abraham als Vertreter aller Gläubigen
betrachtet werden. Was sich in seinem Fall bewahrheitet hat, wird auch für alle
Menschen gelten, die in der gleichen Beziehung zu Gott stehen. Der Herr hat nur
eine Methode, Sünder zu rechtfertigen. So ist der Bericht über Abrahams Glauben
um unseretwillen, um der Gläubigen des Neuen Testaments willen erhalten; denn
es ist die Absicht Gottes, dass dieselbe Gerechtigkeit auch uns zugerechnet
werden soll, wenn wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, von den Toten
auferweckt hat. Jesus war nicht einer der gewöhnlichen Sterblichen, die die
allmächtige Kraft Gottes durch ein Wunder ins Leben zurückgerufen hat, wie es
in den Evangelien und in mehreren Büchern des Alten Testaments berichtet wird,
sondern er ist der Herr, unser großer Stellvertreter und unser Haupt. Deshalb
war die Auferweckung Jesu von den Toten eine Verkündigung, dass er in
Wirklichkeit das ist, was er zu sein behauptete, der Sohn Gottes und unser
Erlöser. Da die Auferstehung Christi der entscheidende Beweis für die
Göttlichkeit seines Werkes und die Gültigkeit all seiner Behauptungen war,
bedeutet der Glaube daran, dass er von den Toten auferstanden ist, zu glauben,
dass er der Sohn Gottes, die Sühne für unsere Sünden, der Erlöser und Herr der
Menschen ist. Er wurde wegen unserer Vergehen ausgeliefert und zu unserer
Rechtfertigung auferweckt. Wegen unserer Vergehen, unserer Sünden und
Übertretungen, hat Gott Christus von den Toten auferweckt, weil es sein Ziel
war, uns zu rechtfertigen, und dieses Ziel wurde in der Auferstehung erreicht.
So hat die Auferstehung Christi unsere Rechtfertigung bewirkt. Die Sühne durch
Christi Leiden am Kreuz, die Versöhnung mit dem Tod, ist durch die Auferstehung
Christi besiegelt worden; denn sie ist eine Erklärung vor aller Welt, dass der
Zweck des Todes Christi erreicht ist, dass Gott die Versöhnung angenommen hat,
dass der Sieg Jesu eine formelle und feierliche Absolution ist, die Gott über
die sündige Menschheit ausgesprochen hat. Und so ist er unser Herr, und wir
sind sein Eigentum geworden. Durch den Glauben, den Gott in unseren Herzen
gewirkt hat, haben wir sein Sühnopfer angenommen und werden vor Gott für
gerecht erklärt.
Zusammenfassung: Abraham ist der
geistliche Vater aller Gläubigen, da sie alle, wie er, allein durch den
Glauben, durch die Gnade gerechtfertigt werden und so das Erbe empfangen, da
der Glaube Abrahams in allen Gläubigen lebt, die ihre eigene Person außer Acht
lassen und sich allein an die Verheißung Gottes klammern.
Die gesegneten
Folgen der Rechtfertigung (5,1-11)
1 Nun wir denn sind gerecht worden durch den Glauben, so haben wir
Frieden mit Gott durch unsern HERRN Jesus Christus, 2 durch welchen wir auch
einen Zugang haben im Glauben zu dieser Gnade darin wir stehen, und rühmen uns
der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben soll. 3 Nicht allein
aber das, sondern wir rühmen uns auch der Trübsale, weil wir wissen, dass
Trübsal Geduld bringt 4 Geduld aber bringt Bewährung, Bewährung aber bringt
Hoffnung, 5 Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden.
5b Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unser Herz durch den
Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist. 6 Denn auch Christus, da wir noch
schwach waren nach der Zeit, ist für uns Gottlose gestorben. 7 Nun stirbt kaum
jemand um des Rechtes willen; um etwas Gutes willen dürfte vielleicht jemand
sterben. 8 Darum preist Gott seine Liebe gegen uns, dass Christus für uns
gestorben ist, da wir noch Sünder waren. 9 So werden wir je viel mehr durch ihn
behalten werden vor dem Zorn, nachdem wir durch sein Blut gerecht geworden
sind. 10 Denn so wir Gott versöhnt sind durch den Tod seines Sohns, da wir noch
Feinde waren, viel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, so wir nun
versöhnt sind. 11 Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes
durch unseren HERRN Jesus Christum, durch welchen wir nun die Versöhnung
empfangen haben.
Eine Aufzählung der Segnungen (V.
1-5a): Der Apostel nimmt den Faden seiner Erörterung wieder auf, indem er
einige der gesegneten Ergebnisse nennt, die aus dem Zustand der Rechtfertigung
folgen, indem er das Werk Gottes für uns darstellt, wie er es den
gerechtfertigten Sündern zeigt, indem er die Beziehung der Gläubigen zu Gott
aufzeigt, die sich aus der Sühne der Sünde und der daraus folgenden
Rechtfertigung ergibt. Nachdem sie also aus dem Glauben heraus gerechtfertigt
worden sind, schreibt der Apostel. Der Zustand oder die Bedingung der
Gerechtigkeit, der Rechtfertigung, ist unser geworden, wir sind in ihn
eingetreten als Ergebnis des Glaubens. Und darum haben wir, buchstäblich,
Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus. Durch das stellvertretende
Werk Christi ist die Feindschaft, die aufgrund unserer Sünden zwischen Gott und
uns bestand, beseitigt worden; durch ihn wurde der Friede in Bezug auf Gott
erlangt und ist nun das Eigentum der Menschen in der Rechtfertigung. Dieser
Friede ist also nicht das Ergebnis der absoluten Vergebung unserer Sünden,
sondern beruht auf der durch das Sühnopfer begründeten Versöhnung, die das
Verhältnis Gottes zu ihnen völlig verändert hat. Dieser Friede ist durch die
Vermittlung Jesu Christi zustande gekommen, durch den auch wir durch den
Glauben Zugang zu der Gnade erhalten haben, in der wir jetzt stehen. Der
Eingang, der Weg zum Heil, liegt offen vor uns; Christus hat die Tür geöffnet,
die direkt zur Gnade führt; durch ihn haben wir nun einen Stand als Christen.
Daraus ergibt sich das Verhältnis des Friedens zu Gott. Wir sind von den Sünden
gerechtfertigt, unsere Sünden sind vergeben, es gibt kein Hindernis zwischen
Gott und uns. Folglich rühmen wir uns auf der Grundlage der Hoffnung auf die
Herrlichkeit Gottes. Die Hoffnung des Christen ist ein kostbarer Besitz, über
den er sich freut und rühmt, denn der Gegenstand dieser Hoffnung ist die
Herrlichkeit Gottes, deren wir schließlich teilhaftig werden, Kap. 8,17. Die
Zukunft, die sich vor den Augen des Gläubigen auftut, ist so beschaffen, dass
sie sein ganzes Leben zu einem Warten macht, das er mit Spannung erwartet. Und
deshalb rühmen wir uns auch der Trübsale, wir rühmen uns ihrer. Ihr
Vorhandensein und ihre Bedrängnis ist für uns kein Grund zur Trauer, sondern zur
Freude, denn wir wissen, dass auf die Bedrängnis die Geduld folgt, auf die
Geduld die Zustimmung und auf die Zustimmung die Hoffnung. Die Bedrängnisse des
gegenwärtigen Lebens haben alle einen Nutzen für uns, denn in diesen Prüfungen
wird unser Glaube geübt und bestätigt. Der erste Nutzen ist Geduld, Ausdauer,
Standhaftigkeit. Je schwerer die Prüfungen sind, desto mehr bedarf es des
geduldigen Aushaltens der Leiden, der Treue zur Wahrheit und zur Pflicht. Und
dieses Ausharren bewirkt die Bewährung, den Zustand des Geistes, der die
Prüfung ertragen hat, Jak. 1,12. In der Trübsal wird der Glaube auf die Probe
gestellt, er wird erprobt. Wenn er von der richtigen Art ist, wird er aus dem
Schmelztiegel gereinigt und geläutert hervorgehen, er wird gestärkt werden in
der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. Und die Hoffnung des Christen wird
sich nicht schämen; ihre Erfüllung ist absolut sicher, sie muss das Heil
bringen, Kap. 9, 33, sie kann nicht enttäuschen, Ps. 22, 5. Das ist die goldene
Kette von Segnungen, die über den Gläubigen aufgrund seiner Rechtfertigung
kommen, die sein ganzes Leben zu einer glücklichen Erwartung der Herrlichkeit
machen, die uns am großen Tag offenbart werden soll.
Die Grundlage der Hoffnung des Christen
(V. 5b-11): Warum die Hoffnung des Christen ihn nicht zuschanden macht, sich
nicht als trügerisch erweist, erklärt der Apostel jetzt: Denn die Liebe Gottes
ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.
Die Liebe Gottes, die Liebe, die er zu uns hat und die er uns durch den Tod
seines Sohnes Jesus Christus bewiesen hat, ist in unsere Herzen ausgegossen
worden und wird weiterhin ausgegossen, damit sie uns in Fülle zuteil wird. Nicht in geringem Maße, sondern in einem
vollen und reichen Strom göttlicher Zuneigung breitet sie sich in der ganzen
Seele aus und erfüllt sie mit dem Bewusstsein und dem großen Glück seiner
Gegenwart und Gunst. Und das ist durch den Heiligen Geist geschehen, der uns
gegeben wurde, Apg. 10,4.5; Tit. 3,6. Es ist das Zeugnis des Geistes, das uns
reichlich und täglich davon überzeugt, dass Gott uns liebt, dass seine Liebe
unser volles Eigentum in Christus, unserem Erlöser, ist; wir sind unserer
Seligkeit absolut sicher und gewiss. Die Liebe Gottes, die auf dem
stellvertretenden Tod Christi ruht, ist die ausreichende und sichere Grundlage
unserer Hoffnung auf das zukünftige Heil.
Inwiefern die Liebe Gottes die Gewissheit
der Hoffnung des Christen ist, wird nun erläutert, V. 6 ff. Denn Christus ist
schon, als wir noch schwach waren, als wir in einem Zustand der Unfähigkeit
waren, etwas Gutes zu tun, zur festgesetzten Zeit, zur Zeit, die Gott in seinem
ewigen Ratschluss der Liebe festgesetzt hat, für die Gottlosen gestorben.
Christus starb für uns gottlose Menschen, und diese Tatsache offenbart das
Geheimnisvolle der göttlichen Liebe. Auf Seiten des Menschen gab es nur eine
totale moralische Wertlosigkeit; auf Seiten des Menschen gab es keinen einzigen
Punkt, der die wohlwollende Betrachtung Gottes hervorgerufen hätte. Vielmehr
war die Gottlosigkeit an einem Tiefpunkt angelangt, und es gab keine Hoffnung
mehr für die Übertreter. Doch dann kam das stellvertretende Werk Christi, das
in seinem Tod am Kreuz gipfelte, einem Tod an unserer Stelle, als unser
Stellvertreter. 1. Joh. 4,10. So wurde die Liebe Gottes offenbart, und so haben
wir in der Vollkommenheit des Opfers Christi die Gewissheit, dass die Liebe
Gottes beständig und unveränderlich ist. Der Apostel hebt die Größe dieser
Liebe durch einen anderen Vergleich hervor, V. 7: Denn kaum wird jemand für
einen Gerechten sterben; für eine gute Sache nämlich könnte man es vielleicht
wagen zu sterben. Es besteht eine gewisse Möglichkeit, dass ein Mensch unter
Umständen anstelle eines Gerechten stirbt, als dessen Stellvertreter;
wahrscheinlicher ist es, dass ein Mensch sein Leben für eine gute Sache gibt,
als ein bloßer Vorschlag für die bürgerliche Gerechtigkeit. So ist der Zustand
unter den Menschen, wenn alle Dinge für eine äußere Moral besonders günstig
sind. Aber Gott zeigt und beweist seine Liebe zu uns dadurch, dass Christus,
als wir noch Sünder waren, an unserer Stelle und um unseretwillen gestorben
ist. Wir waren nicht rechtschaffen, unsere Sache war alles andere als gut und
lobenswert. Deshalb hebt sich die Liebe Gottes in Christus so deutlich davon
ab: Er beweist seine Liebe zu uns in dem, was Christus für uns getan hat. Die
heilsamen Wirkungen des Todes Christi bleiben für alle Zeiten bestehen: Sie
sind heute für alle Menschen da, auch wenn diese völlig wertlos sind und nicht
den geringsten Liebesbeweis verdienen. Das ist die einzigartige,
unvergleichliche Liebe Gottes, eine Liebe, die alles übersteigt, was wir uns
vorstellen können, die unser menschlicher Verstand vergeblich zu fassen und zu
messen versucht.
Und deshalb zieht der Apostel aus der
Tatsache der glühenden Liebe Gottes zu uns wertlosen Sündern den Schluss, V. 9.
Wenn uns also damals, als wir in Sünde und Gottlosigkeit waren, solche Gnade
erwiesen wurde, wie viel mehr, wie viel eher, wie viel gewisser werden wir
jetzt, da wir durch das Blut Christi gerechtfertigt wurden, durch ihn vor dem
Zorn Gottes gerettet werden! Als Feinde wurden wir durch das Blut Jesu
gerechtfertigt; als seine Teilhaber am Frieden werden wir vor dem Zorn und der
Strafe des letzten großen Tages bewahrt werden. Unsere Rechtfertigung ist die
Garantie für unsere Befreiung von dem kommenden Zorn; wir waren gottlos, sind
aber nun gerecht geworden, wir sind genauso, wie Gott uns haben will, weil er
uns für gerecht erklärt hat: deshalb sind wir sicher vor der Verdammnis. Diesen
Gedanken wiederholt der Apostel, um den Gläubigen seine tröstliche Wahrheit
einzuprägen. Wenn wir, als wir Feinde waren, als wir Objekte des Missfallens
Gottes waren, mit Gott versöhnt wurden, in den Besitz seiner Gnade gelangten,
in ein solches Verhältnis zu ihm gestellt wurden, dass er nicht mehr unser
Gegner sein musste, wie viel eher werden wir durch sein Leben gerettet, da wir
versöhnt wurden, da wir wieder in seine Gnade aufgenommen wurden! Während wir
Objekte der göttlichen Feindseligkeit waren, wurde uns eine so grenzenlose
Barmherzigkeit zuteil; daraus folgt, dass die Liebe, die in unserer äußersten
Not in so wunderbarem Maße für uns gewirkt hat, zweifellos unsere Rettung bis
zum Ende vollbringen wird. Derselbe Erlöser, der für uns gestorben ist, ist zum
ewigen, vollkommenen Leben auferstanden, und sein Leben ist diesem einen Zweck
gewidmet, uns ewig zu heiligen, zu schützen und zu retten, uns in jenes
wunderbare Leben göttlicher Herrlichkeit zu bringen.
Und so bricht der Apostel in den freudigen
Ausruf aus: Aber nicht nur das, wir rühmen uns auch Gottes durch unseren Herrn
Jesus Christus, durch den wir jetzt die Versöhnung empfangen haben. Nichts
könnte die vollständige Wiederherstellung des Verhältnisses der Liebe zu den
Sündern gründlicher und genauer veranschaulichen als diese Worte. Die
Versöhnung Gottes mit den Sündern ist so gründlich, dass er die wärmste
Freundschaft für sie empfindet, und dass sie sich ihrerseits freuen und ihren
Gott preisen. Jeder Gläubige, der durch Christus mit Gott versöhnt ist, ist
sicher, dass jede weitere Feindschaft ausgeschlossen ist. „Wir rühmen uns in
Gott, dass Gott unser ist und wir sein sind, und dass wir alle Güter von ihm
und mit ihm in aller Zuversicht gemeinsam haben.“ (Luther.) Das ist kein
selbstgerechtes Rühmen, denn das hätte den sofortigen Verlust aller geistlichen
Gaben und Segnungen zur Folge, sondern eine Fröhlichkeit und Zuversicht durch
unseren Herrn Jesus Christus, der unsere Schuld gesühnt, unsere Schuld getilgt
hat. Die Hoffnung auf das ewige Heil, die sich aus der Rechtfertigung ergibt,
ist eine sichere und endgültige Hoffnung, eine Hoffnung, die das Herz der
Gläubigen mit stiller Freude erfüllt und sie dazu veranlasst, sich mit ganzem
Geist auf die herrliche Tatsache ihrer Rechtfertigung einzulassen.
Der erste und der zweite Adam (5,12-21)
12 Deshalb, wie durch einen Menschen die Sünde ist gekommen in die Welt
und der Tod durch die Sünde, und ist so der Tod zu allen Menschen
durchgedrungen, weil sie alle gesündigt haben; 13 (denn die Sünde war wohl in
der Welt bis auf das Gesetz; aber wo kein Gesetz ist, da achtet man der Sünde
nicht, 14 sondern der Tod herrschte von Adam an bis auf Mose, auch über die,
die nicht gesündigt haben mit gleicher Übertretung wie Adam, welcher ist ein
Bild des, der zukünftig war.
15 Aber nicht verhält sich’s mit der Gabe wie mit der Sünde. Denn so an
eines Sünde viele gestorben sind, so ist viel mehr Gottes Gnade und Gabe vielen
reichlich widerfahren durch die Gnade des einigen Menschen, Jesus Christus. 16
Und nicht ist die Gabe allein über eine Sünde wie durch des einigen Sünders
einige Sünde alles Verderben. Denn das Urteil ist kommen aus einer Sünde zur
Verdammnis; die Gabe aber hilft auch aus vielen Sünden zur Gerechtigkeit. 17
Denn so um des einigen Sünde willen der Tod geherrscht hat durch den einen,
viel mehr werden die, so da empfangen die Fülle der Gnade und der Gabe zur
Gerechtigkeit, herrschen im Leben durch einen, Jesus Christus):
18 Wie nun durch eines Sünde die Verdammnis über alle Menschen gekommen
ist, so ist auch durch eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über
alle Menschen gekommen. 19 Denn gleichwie durch eines Menschen Ungehorsam viel
Sünder geworden sind, so auch durch eines Gehorsam werden viel Gerechte. 20 Das
Gesetz aber ist neben eingekommen, auf dass die Sünde mächtiger würde. Wo aber die Sünde mächtig worden ist, da ist
doch die Gnade viel mächtiger geworden, 21 auf dass, gleichwie die Sünde
geherrscht hat zu dem Tod, also auch herrsche die Gnade durch die Gerechtigkeit
zum ewigen Leben durch Jesus Christum, unsern HERRN.
Der Tod ist die Folge der Sünde (V.
12-14): Der Apostel stellt hier einen ausführlichen Vergleich zwischen der
Erlösung, die wir Christus verdanken, und dem Unheil der Übertretung Adams mit
ihren Folgen an. Mit großem Nachdruck eröffnet er diesen Abschnitt: Darum, oder
weil. Aus den Tatsachen, die er über die Art und Weise der Rechtfertigung
angeführt hat, folgt, dass, wie durch einen Menschen alle zu Sündern geworden
sind, so werden durch einen Menschen alle gerecht gemacht. Durch einen
Menschen, durch Adam, der Eva beim Essen der verbotenen Frucht folgte, kam die
Sünde in die Welt. Sünde ist jede Übertretung des göttlichen Gesetzes, wenn die
Werke, Gedanken und Wünsche des Menschen ihr Ziel verfehlen und nicht dem
Willen Gottes entsprechen. Durch den Ungehorsam Adams kam die Sünde in die
Welt, sie trat in der Welt in Erscheinung, sie begann zu existieren. Und durch
die Sünde kam der Tod. Der Ungehorsam Adams trug bittere Früchte: Erstens war
er die Ursache der Sünde, er brachte sie zu den Menschen, er trug dazu bei,
dass sie in die Rasse eindrang; und so wurden die Menschen durch die Sünde dem
Tod unterworfen. Adam sündigte, und die Folge, die Strafe seiner Sünde, war der
Tod; der Tod Adams war der Beginn der menschlichen Sterblichkeit. An dem Tag,
an dem Adam von der verbotenen Frucht aß, begann die Verwirklichung des
angedrohten Unheils, die Vollstreckung des Todesurteils; von dieser Stunde an
war der Keim des Todes in seinem Wesen, sein Leib war ein sterblicher Leib, und
es war nur eine Frage der Zeit, wann er wieder zu Staub werden würde. Und so
ist der Tod zu allen Menschen durchgedrungen, hat alle erreicht, weil alle
gesündigt haben. Der Tod ist allumfassend, weil die Sünde allumfassend ist;
alle Menschen sind schon durch ihre Empfängnis und Geburt dem Tod unterworfen;
ihr ganzes Leben ist ein Lauf, der den Tod zum Ziel hat. So absolut ist der
Mensch dem Tod unterworfen, vom ersten Augenblick der Empfängnis an, dass der
heilige Paulus nur vom Tod sagt, er sei zu allen Menschen durchgedrungen. Und das
ist wahr, weil alle gesündigt haben, gesündigt in Adam, gesündigt durch oder
durch diesen einen Menschen. Nicht so, als ob sie alle in der Person ihres
Stammvaters tatsächlich diese erste Übertretung des Gebots Gottes begangen
hätten, sondern dass durch seinen Ungehorsam alle Menschen von Gott als Sünder
angesehen und behandelt werden. Wegen des Ungehorsams Adams sieht Gott sie alle
als Sünder an; Gott hat allen Menschen die Sünde Adams zugerechnet. Dieser
Grundsatz zieht sich durch alle großen Vorsehungstaten: Die Nachkommenschaft,
die natürliche und die föderale, trägt die Schuld (Kanaan, Gehasi,
Moabiter und Amalekiter usw.).
Als Beweis für die soeben gemachte Aussage
führt Paulus eine historische Tatsache ein. Er bezieht sich auf die Zeit vor
dem Gesetz, bevor das Gesetz förmlich gegeben, geschrieben und kodifiziert
wurde. Zu dieser Zeit war die Sünde dennoch in der Welt, die Menschen haben den
heiligen Willen Gottes übertreten. Aber die Sünde wird dem Übertreter nicht
angelastet, wenn es kein bestimmtes Gesetz gibt, sie wird von Gott nicht als
Übertretung eines göttlichen Gebots auf der Sollseite verbucht. Vgl. Kap. 4,15.
Und doch herrschte der Tod im Menschengeschlecht, hatte absolute königliche
Autorität von Adam bis Mose, während der gesamten Zeitspanne, auch über
diejenigen, die nicht nach dem Vorbild der Übertretung Adams gesündigt hatten.
Es herrschte eine uneingeschränkte Souveränität und Tyrannei des Todes über
alle Menschen, nicht nur über diejenigen, die nie ein positives, kodifiziertes
Gesetz gebrochen hatten, sondern auch über diejenigen, die in ihrer eigenen
Person nie gegen ein einzelnes Gebot verstoßen hatten, auf das ihre
Verurteilung zum Tode zurückgeführt werden konnte. Paulus lehrt also eindeutig,
dass die Sünder der ersten Weltperiode, vor Mose, aufgrund der einen
Übertretung Adams dem Tod unterworfen wurden. Der Tod kam über sie, bevor sie
selbst positive Sünden begangen hatten; aber da die Strafe des Todes eine
Übertretung des Gesetzes voraussetzt, folgt daraus, dass Gott sie aufgrund des
Ungehorsams Adams als Sünder betrachtete und behandelte. Das gilt für alle
Zeiten. Die eine Übertretung Adams war die Ursache, die den Tod aller Menschen
herbeiführte. Es ist wahr, dass jede Sünde den Tod verdient, auch wenn sie
nicht zu einer bewussten Übertretung des göttlichen Gesetzes geworden ist, auch
wenn sie nur im innersten Verlangen des Herzens besteht, das der Heiligkeit
Gottes zuwiderläuft. Aber es ist auch wahr, dass der Ungehorsam Adams, der den
Fluch des Todes auf ihn herabzog, allen Menschen so gründlich zugerechnet wird,
dass sie tatsächlich in den Tod geboren werden. Aber diesen Tod benutzt Gott
nun, um individuelle Sünden und Sündhaftigkeit zu bestrafen. Von Adam sagt der
Apostel schließlich: Er ist das Abbild, die Gestalt, der Typus dessen, der
kommen sollte. Der erste Adam ist ein prophetischer Typus, 1. Kor. 10,6.11, für
den kommenden Adam, für Christus. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden ist nicht
zufällig, sondern vorherbestimmt. Die Sünde des ersten Adam war der Grund
unserer Verurteilung; die Gerechtigkeit des zweiten Adam ist der Grund unserer
Rechtfertigung.
Ähnlichkeit und Gegensatz (V.
15-17): Der Apostel erklärt hier seine Aussage, dass Adam ein Vorbild für
Christus ist. Aber nicht wie das Vergehen, die Übertretung, so ist auch die
Gnadengabe, die Gabe, die den Sündern im Evangelium frei zur Verfügung gestellt
wird, in ihrer Wirkung auf die Menschen. Die Betonung der Gerechtigkeit und des
Lebens, in denen die Erlösung in Christus besteht, wird vom Apostel sehr stark
hervorgehoben. Der Fall ist nicht mit der gnädigen Wiederherstellung zu
vergleichen. Es ist natürlich wahr, dass durch den Fall des einen, Adams, die
vielen, alle anderen Menschen in der Welt, dem Tod unterworfen wurden und
gestorben sind; aber andererseits ist es auch wahr, dass die Gnade Gottes und
die Gabe in der Gnade des einen Menschen Jesus Christus viel mehr, viel
gewisser, zu denselben Menschen, den vielen, übergeflossen ist. Der
bedauerliche Irrtum, die Übertretung des einen Menschen hatte in der Tat böse,
schreckliche Folgen, aber die Segnungen, die durch Christus vermittelt wurden,
sind unendlich viel größer als die Übel, die durch Adam verursacht wurden. Und
nicht nur das, sondern die Gnade Gottes und die Gabe, die in der Gnade des
einen Menschen Jesus Christus zum Ausdruck kommt und in ihr besteht, durch die
wir das Heil haben, ist viel sicherer zu erwarten. Das eine ist in der Tat
geschehen - die Verdammnis ist über alle Menschen gekommen; aber die andere
Tatsache hat so unzweifelhafte Beweise auf ihrer Seite, dass wir unser
Vertrauen darauf im Leben und im Tod sicher setzen können.
Und eng verbunden mit diesem Gedanken ist
ein weiterer: Nicht wie durch einen, der gesündigt hat, die Gabe. Auf der Seite
des Typus, Adam, wurde das, was geschehen ist, was über alle Menschen gekommen
ist, durch den einen Menschen verursacht, der gesündigt hat. Auf der anderen
Seite, im Gegenbild, in der Gabe Christi, ist dieser Zustand nicht gegeben. Das
Urteil der Verurteilung, das über alle Menschen um Adams willen erging, war
wegen eines Vergehens eines Menschen, während wir durch Christus wegen vieler
Vergehen gerechtfertigt werden. Denn das Gericht ist von einem Menschen zu
einem Urteil der Verurteilung, die Gnadengabe aber von den Verfehlungen vieler
zu einem Zustand der Gerechtigkeit, einem Urteil der Rechtfertigung. Gott hat
die Menschen, alle Menschen, gerichtet, und seine Erkenntnis hat zu einem
Urteil der Verurteilung wegen des einen Menschen, Adam, geführt. Da die Sünde
Adams allen Menschen zugerechnet wurde, resultierte daraus der Fluch der Sünde,
der Tod, als Folge des Verdammungsurteils über die Sünde. Andererseits hat die
Gabe der Gnade dazu geführt, dass der Zustand der Gerechtigkeit aus den
Übertretungen vieler entstanden ist. Das war der frühere Zustand der vielen,
aller Menschen: sie waren in Übertretungen und Sünden, Eph. 2,1. Aber dieser
Zustand ist nun überwunden, und sie sind in einen neuen, anderen Zustand
eingetreten, den der zugerechneten Gerechtigkeit, der Rechtfertigung, nicht nur
ist die eine Übertretung Adams, die ihnen allen zugerechnet wurde, vergeben,
sondern sie sind von allen ihren individuellen Sünden und Übertretungen
freigesprochen, sie sind für gerecht erklärt worden. Diese Tatsache, dass wir
durch Christus nicht nur von der Schuld der ersten Sünde Adams, sondern auch
von unseren eigenen zahllosen Übertretungen gerechtfertigt sind, erfährt eine
weitere Bestätigung: Denn wenn durch die Schuld des einen der Tod geherrscht
hat, so werden viel mehr, viel eher, viel gewisser diejenigen, die die Fülle
der Gnade und der Gabe der Gerechtigkeit empfangen, durch den einen, Jesus
Christus, im Leben herrschen. Auf der einen Seite haben wir den Typus: Durch
den einen Menschen, Adam, durch sein Vergehen oder seine Übertretung ist es geschehen,
dass der Tod jetzt auf Erden die Oberhand hat; sein Vergehen war die Ursache
dafür, dass der Tod über alle Menschen kam, seine Sünde war der Grund für das
Urteil der Verdammnis, das über die ganze Menschheit verhängt wurde. Nun aber,
andererseits, wenn dies wirklich der Fall ist, so wird das andere um so sicherer geschehen, nämlich dass wir im Leben
herrschen werden. Das ewige Leben ist Befreiung, Freiheit; es erhebt
diejenigen, die es empfangen, in eine Stellung der Autorität und Herrschaft, 1.
Kor. 4,8; 6,2.3; 2. Tim. 2,12. Dieses Recht und diese Autorität wird uns
übertragen, weil ich durch den Glauben die Fülle der Gnade und der Gabe der
Gerechtigkeit empfange. Die Gnade Gottes ist uns reichlich zuteil geworden, wir
empfangen sie reichlich und täglich; und sie ist die Quelle der Gabe der
Gerechtigkeit, wobei die Gerechtigkeit selbst die angebotene und empfangene
Gabe ist. Und das alles haben wir durch Jesus Christus, denn er ist es, der uns
das Leben verdient und die Fülle der Gerechtigkeit für uns bereitet hat. Und
die Herrschaft des Lebens ist viel sicherer als die Herrschaft des Todes.
Christus hat nicht nur den Schaden, den Adam angerichtet hat, wiedergutgemacht,
sondern auch alle Menschen von ihren individuellen Übertretungen gerechtfertigt;
und deshalb ist es viel sicherer, dass diejenigen, die dieses unvergleichliche
Geschenk und den Segen der Gerechtigkeit empfangen, im Leben herrschen werden,
als dass die Sünde des einen den Tod über alle Menschenkinder gebracht hat. Für
den Gläubigen, der durch die Verdienste Christi gerechtfertigt wurde, ist nur
eines gewisser als die Tatsache, dass er sterben muss, nämlich die Tatsache,
dass er mit Christus in dem Leben leben und herrschen
wird, das ihm durch die freie Gabe Gottes zusteht.
Eine Zusammenfassung der Argumentation
(V. 18-21): Paulus nimmt nun den Faden der Argumentation auf, die er in V. 12
eingeleitet hat. Er leitet die Schlussfolgerung aus der ganzen Diskussion mit
"warum" ein. So wie die Übertretung des einen die Verurteilung aller
Menschen zur Folge hatte, so hat die Gerechtigkeit des einen für alle Menschen
die Rechtfertigung des Lebens zur Folge. Als Adam von der verbotenen Frucht aß,
war das ein einziger Akt des Ungehorsams; aber als Folge dieser einen
Übertretung wurde das Urteil der Verdammnis über alle Menschen verhängt.
Dagegen hat die Gerechtigkeit Christi, der alle Forderungen der Gerechtigkeit
des Gesetzes erfüllt hat, dazu geführt, dass alle Menschen für gerecht erklärt
werden und das Urteil des Lebens über sie gesprochen wird. Und in engem
Zusammenhang damit stehen zwei weitere Tatsachen: Denn so wie durch den
Ungehorsam des einen Menschen viele, alle Menschen, vor Gott als Sünder
hingestellt wurden, so werden auch durch den Gehorsam des einen Menschen alle
Menschen als gerecht und rechtschaffen hingestellt. Zunächst wurde der
Ungehorsam Adams allen Menschen zugerechnet: Gott sah sie wegen der Sünde Adams
als ungehorsam an; dann aber kam Christus mit seinem vollkommenen Gehorsam für
alle Menschen, mit seiner vollständigen Erfüllung des Gesetzes, und durch
diesen stellvertretenden Gehorsam werden die vielen, alle Menschen, in den
Rang, in die Kategorie der Gerechten und Gerechten gestellt. Auf diese Weise
hat Christus die Gerechtigkeit für alle Menschen erworben; die objektive
Rechtfertigung betrifft die ganze Welt: Jeder Mensch ohne Ausnahme gehört zur
Zahl derer, für die der Nutzen des Werkes Christi erlangt wurde. Davon, dass
diese objektive Rechtfertigung durch den Glauben tatsächlich zum Eigentum des
einzelnen Menschen wird, spricht Paulus an anderer Stelle; hier aber haben wir
den vollen Trost der Gewissheit, dass die Gerechtigkeit Christi ausreichte, um
alle Menschen in die Klasse derer zu stellen, für die die Hindernisse ihres
Heils beseitigt und die volle Gerechtigkeit erlangt worden ist.
Damit ist der Vergleich zwischen Adam und
Christus abgeschlossen. Aber der Apostel hatte sich oben, in V. 13, auf das
Gesetz und auf Mose bezogen. Es könnte sich daher die Frage stellen, was diese
mit der vorliegenden Diskussion zu tun haben, da sie in der Geschichte zwischen
Adam und Christus stehen, wie Paulus sagt: Das Gesetz kam hinzu, als etwas
Zusätzliches oder Untergeordnetes; es hatte nicht die entscheidende Bedeutung
und den Einfluss, den die Sünde bei ihrem Kommen hatte. Es kam nur zu dem Zweck,
dass die Übertretung Adams durch tatsächliche Übertretungen eines
feststehenden, geschriebenen Gesetzes vergrößert oder verstärkt werden konnte.
Denn nun, da es eine eindeutige Norm des Willens Gottes gab, wurde die Zahl der
Sünden, die nachgewiesen werden konnten, enorm erhöht. Aber gerade dadurch
erhielt die gnädige Absicht Gottes gegenüber den Menschen Gelegenheit, sich zu
offenbaren. Wo aber die Sünde im Überfluss vorhanden war, da war auch die Gnade
im Überfluss vorhanden; sie wurde in reichstem Maße und in demselben Bereich
verteilt. So vereitelte das Gesetz nicht das gnädige Ziel, das im Werk Christi
vorgesehen war, sondern förderte es. Denn die Herrschaft der Sünde, die durch
das Gesetz hervorgehoben wurde, musste der Herrschaft der Gnade weichen, damit,
wie die Sünde im Tode herrschte, so auch die Gnade durch die Gerechtigkeit zum
ewigen Leben herrsche durch Jesus Christus, unseren Herrn. Der Tod, sowohl der
geistliche als auch der zeitliche, war der Bereich oder die Provinz, in der die
Macht oder der Triumph der Sünde ausgeübt und manifestiert wurde. Aber das
Ziel, das Ende der Gnade ist das ewige Leben. Die unverdiente Liebe Gottes in
Christus Jesus zeigt sich reichlich und wirksam in der Sicherung des ewigen
Lebens. Diese herrliche Wirkung wird durch die Gerechtigkeit gesichert, die
volle und vollständige Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus, unseren Herrn,
ist. Und so finden die gesegneten Ergebnisse der Erlösung durch Jesus Christus,
die dem Menschen durch den Glauben zuteil werden,
ihre herrliche Verwirklichung in jenem Leben der ewigen Seligkeit, das das Ziel
der Rechtfertigung ist.
Zusammenfassung: Der Apostel
beschreibt die gesegneten Folgen der Rechtfertigung, wie sie uns durch die
Liebe Gottes und den Tod Christi garantiert werden; er zeigt, dass, wie die
Sünde Adams zur Verdammnis aller Menschen geführt hat, so die Gerechtigkeit
Christi zur Rechtfertigung aller Menschen, deren Ende für die Gläubigen das
ewige Leben ist.
Die Heiligung,
eine Frucht der Rechtfertigung (6,1-14)
1 Was wollen wir hierzu sagen? Sollen wir denn in der Sünde beharren,
auf dass die Gnade desto mächtiger werde? 2 Das sei ferne! Wie sollten wir in
der Sünde wollen leben, der wir abgestorben sind?
3 Wisst ihr nicht, dass alle, die wir in Jesus Christus getauft sind,
die sind in seinen Tod getauft? 4 So sind wir je mit ihm begraben durch die
Taufe in den Tod, auf dass, gleichwie Christus ist auferweckt von den Toten
durch die Herrlichkeit des Vaters, so sollen auch wir in einem neuen Leben
wandeln. 5 So wir aber samt ihm gepflanzt werden zu gleichem Tod, so werden wir
auch der Auferstehung gleich sein, 6 dieweil wir wissen, dass unser alter
Mensch samt ihm gekreuzigt ist, auf dass der sündliche
Leib aufhöre, dass wir hinfort der Sünde nicht dienen. 7 Denn wer gestorben
ist, der ist gerechtfertigt von der Sünde. 8 Sind wir aber mit Christo
gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden 9 und wissen,
dass Christus, von den Toten erwecket, hinfort nicht stirbt; der Tod wird
hinfort über ihn nicht herrschen. 10 Denn das er gestorben ist; das ist er der
Sünde gestorben zu einem Mal; das er aber lebt, das lebt er Gott. 11 Also auch
ihr, haltet euch dafür, dass ihr der Sünde gestorben seid und lebet Gott in
Christus Jesus, unserem HERRN.
12 So lasst nun die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leib, ihm
Gehorsam zu leisten in seinen Lüsten. 13 Auch begebt nicht der Sünde eure
Glieder zu Waffen der Ungerechtigkeit, sondern begebet euch selbst Gott, als die
da aus den Toten lebendig sind, und eure Glieder Gott zu Waffen der
Gerechtigkeit, 14 Denn die Sünde wird nicht herrschen können über euch, da ihr
nicht unter dem Gesetz seid, sondern unter der Gnade.
Rechtfertigung gibt keine Erlaubnis zur
Sünde V1-2): Der Apostel hat seine Darlegung der Rechtfertigungslehre
abgeschlossen und dabei immer wieder betont, dass die Erlösung vollständig und
frei ist. Er sieht sich nun genötigt, dem häufigsten, einleuchtendsten
und doch unbegründetsten Einwand gegen die Lehre von
der Rechtfertigung durch den Glauben zu begegnen, nämlich dass sie den Menschen
erlaubt, in der Sünde zu leben und weiterhin Böses zu tun, damit die Gnade
reichlich sei. Was sollen wir dann sagen? Welche Schlussfolgerung sollen wir
aus der Gnadenlehre ziehen? Sollen wir in der Sünde bleiben, in der Sünde,
damit die Gnade reichlich vorhanden ist? Diese Schlussfolgerung wurde von den
Feinden Christi von der Frühzeit der Kirche bis in die jüngste Zeit hinein
immer wieder vorgebracht; das Argument, dass die Lehre von der Rechtfertigung
aus Gnade durch den Glauben die Sünde fördere und die wahre Moral untergrabe.
Doch Paulus weist genau diese Unterstellung mit Entsetzen zurück: Mitnichten!
Nur einer, der nichts von der Gnade weiß, wird so reden und argumentieren. Wer
auch nur die geringste Ahnung von der Herrlichkeit und Schönheit der Gnade hat,
wird die Sünde immer hassen und verabscheuen und sein ganzes Leben von der
Barmherzigkeit Gottes geprägt sein. Wie sollten wir, wie könnten wir, die wir
der Sünde tot sind, noch länger in ihr leben? Weil die Gläubigen den Reichtum
der Barmherzigkeit Gottes gekostet haben, weil sie der Sünde gestorben sind,
jede Gemeinschaft mit der Sünde aufgegeben haben, können sie nicht mehr in der
Sünde leben. Tod und Leben sind Gegensätze, sie schließen sich gegenseitig aus.
Wir haben uns endgültig von der Sünde abgewandt, als wir Christus als unseren
Erlöser annahmen. Es ist daher ein Widerspruch in sich, zu sagen, dass die
freie Rechtfertigung eine Lizenz zur Sünde ist. Allein die Tatsache, dass wir
der Sünde gestorben sind und deshalb frei von der Sünde sind, nicht mehr unter
ihrer Herrschaft und in ihrer Macht stehen, muss dazu führen, dass wir die
Sünde hassen, dass wir jede Übertretung des heiligen Willens Gottes meiden.
Gott hat uns von der Knechtschaft der Sünde befreit, und diese Tatsache ist die
Grundlage der christlichen Heiligung. Der Zustand eines Christen ist ein
Zustand der Freiheit von der Sünde.
Die Kraft der Taufe (V. 3-11): Die
Tatsache, dass die Christen von der Macht und der Knechtschaft der Sünde
befreit sind, wird von Paulus durch einen Hinweis auf die Taufe und ihre Kraft
deutlich gemacht. Oder wisst ihr das nicht, ist euch diese Tatsache unbekannt?
Wenn seine Leser daran zweifeln sollten, dass sie durch die Rechtfertigung der
Sünde gestorben sind, sollten sie sich daran erinnern, was sie über ihre Taufe
wussten, deren Bedeutung ihnen erklärt worden war. Alle, die auf Christus Jesus
getauft sind, sind auf seinen Tod getauft. Die Christen werden nicht nur in
Bezug auf Christus getauft, um mit ihm in seinem Tod vereint zu sein und seiner
Wohltaten teilhaftig zu werden, sondern, wie die Papyri zeigen, wurde jeder,
der auf den Namen einer Person der Gottheit getauft wurde, dadurch Eigentum der
angegebenen göttlichen Person.[15] Die Erlösung Christi ist
unsere Erlösung, weil wir auf seinen Tod getauft wurden. Indem er unsere Sünden
auf sich genommen und durch sein Leiden und seinen Tod den vollen Preis dafür
bezahlt hat, hat Christus uns nicht nur von der Schuld und Strafe, sondern auch
von der Macht der Sünde befreit. Und da wir durch die Taufe Christus angehören
und auf seinen Tod getauft wurden, sind wir von der Macht des Todes befreit;
seine Autorität und Herrschaft über uns ist beendet.
Da dies das Wesen unserer Vereinigung mit
Christus ist, die uns in der Taufe geschenkt und besiegelt wird, folgt daraus,
dass wir mit Christus durch die Taufe in den Tod begraben sind, Kol. 2,12,
damit, wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt
wurde, auch wir in einem neuen Leben wandeln. In der Taufe stirbt der Gläubige
in einem geistlichen Sinn mit Christus. Er geht durch einen Tod hindurch,
stirbt der Sünde, ist wirklich, ganz und gar, tot für die Sünde. Aber dieses
Sterben und Begrabenwerden mit Christus hatte den
Zweck, und das war die Absicht Gottes, dass auch wir gemäß der Auferstehung
Christi in einem neuen Leben wandeln sollten. Christus ließ die Schwäche der
Erniedrigung seines Leibes und die Sünde, die er an seinem Leib trug, im Grab
zurück. Und er wurde durch die Herrlichkeit des Vaters, durch eine besondere
Offenbarung seiner Allmacht, von den Toten auferweckt und trat in ein neues,
geistliches Leben ein. Und diesem Leben Christi entspricht das neue Leben der
Christen, das Leben nach der Taufe. Es ist ein neues Leben, und in diesem neuen
Leben sollen wir wandeln, unser Gespräch führen, es in allen Handlungen unseres
täglichen Lebens zeigen. Das Heil, dessen wir in der Taufe teilhaftig werden,
wirkt in uns die Heiligung. Der Gedanke der Reinheit ist in der Heiligen
Schrift immer mit dem der Neuheit verbunden, und so sagen wir mit Luther, dass
die Folge unserer Taufe sein muss, dass wir für immer in Gerechtigkeit und
Reinheit vor Gott leben.
Wie dieses neue Leben in uns gewirkt worden
ist, wird im letzten Satz erklärt. v.5. Denn wenn wir mit dem Gleichnis seines
Todes verwachsen sind, werden wir auch mit dem seiner Auferstehung sein. Wir
sind zusammengewachsen, wir sind durch unser typisches Sterben in der Taufe in
die innigste Verbindung mit dem Tod Christi getreten. Unser Sterben für die
Sünde und der Tod Christi sind also ähnlich, und der Apostel kann von einer
Ähnlichkeit, von einem Bild sprechen, das der Tod Christi ist. Nun: Wenn wir mit
Christus im Tod vereint sind, werden wir gewiss mit ihm im Leben vereint sein.
Wenn das eine geschehen ist, wird das andere mit Sicherheit folgen. Im Fall von
Christus waren sein Tod und seine Auferstehung eng miteinander verbunden. Wer
also an seinem Tod teilhat, hat auch an seiner Auferstehung teil und ist
verpflichtet, das neue geistliche Leben zu zeigen, mit dem er ausgestattet
wurde und das er in der Taufe empfangen hat. All das kann man behaupten, wenn
man weiß, dass unser alter Mensch mit Christus gekreuzigt ist, damit der Leib
der Sünde ganz abgetan wird, jeden Einfluss, jede Macht und Herrschaft
verliert, damit wir nicht mehr der Sünde dienen. Die Christen sollen jederzeit
wissen und daran denken, dass ihr alter Mensch, ihr verdorbener, sündiger
Zustand, ihre natürliche Verderbtheit, in der Taufe mit Christus gekreuzigt
wird, da sie in der Taufe des Todes Jesu am Kreuz und seiner Frucht teilhaftig
geworden sind. Dadurch wird der Leib der Sünde, der sündige Leib, der Leib, den
die Sünde zu ihrem Werkzeug gemacht hat, außer Dienst gestellt, er kann nicht
mehr in dieser Eigenschaft dienen, und deshalb dienen wir nicht mehr der Sünde.
Das ist Gottes Ziel und Absicht, dass wir fortan nicht mehr, wie früher, der
Sünde dienen; das hat unsere Taufe in uns gewirkt, bewirkt. Weil der alte Adam
in der Taufe mit all seinen bösen Begierden getötet worden ist und den
Organismus des Leibes nicht mehr als sein Werkzeug beherrscht, darum brauchen
wir nicht mehr, sollen wir nicht mehr der Sünde dienen. Denn, wie Paulus im
nächsten Satz in Form eines allgemeinen Axioms erklärt, ist der Tote frei von
Sünde, ist freigesprochen, freigesprochen von Sünde, ist in jeder Hinsicht für
gerecht und frei von Sünde erklärt: sowohl von ihrer Herrschaft als auch von
ihrem Fluch, wobei die Betonung auf der Befreiung von ihrer Gerichtsbarkeit
liegt. Da unser alter Mensch mit Christus gekreuzigt wurde, findet das Axiom
seine Anwendung in der Weise, dass die Sünde nun Macht und Herrschaft über uns
verloren hat und wir nicht mehr verpflichtet sind, der Sünde zu dienen und zu
gehorchen. Das ist der wunderbare Segen und Nutzen der Taufe.
Aber der Apostel zieht noch eine weitere
Schlussfolgerung aus der Tatsache, dass wir am Tod Christi teilhaben: Wenn wir
mit Christus gestorben sind, wenn wir mit Christus tot sind, glauben wir, sind
wir überzeugt, vertrauen wir darauf, dass wir auch mit ihm leben werden. Indem
wir seines Todes teilhaftig geworden sind, sind wir nicht nur von jeglichem
Übel befreit worden, sondern haben auch positive Wirkungen empfangen. Und dies
wird weiter erklärt: Da wir wissen, dass Christus von den Toten auferweckt worden
ist, wird er nicht mehr sterben; der Tod herrscht nicht mehr über ihn. Da
Christus von den Toten auferweckt wurde, ist die Herrschaft des Todes in seinem
Fall zu Ende. Als Jesus am Kreuz starb, gab er seinen Geist auf, er gab sein
Leben hin. Aber in seiner Auferstehung nahm er sein Leben wieder auf und
zeigte, dass der Tod nicht sein Herr und Meister war. Er ist in den vollen und
ungehinderten Genuss des Lebens gekommen, dessen Herr er ist. Denn was er
gestorben ist, ist ein für allemal der Sünde gestorben;
was er aber lebt, lebt er für Gott. Jesus stand in Beziehung zur Sünde, er
hatte die Sünde auf sich genommen, und was er als unser Stellvertreter tat, tat
er, um die Sünde zu sühnen; das krönende Werk seines Lebens in dieser Hinsicht
war sein Tod, durch den die Sünde beseitigt wurde, für immer, soweit es
Christus betrifft. Deshalb ist auch für UNS, kraft unserer Taufe in den Tod
Christi, die Sünde beseitigt, sie hat ihre Herrschaft und Macht verloren. Was
Christus jetzt lebt, lebt er für Gott: Seinem himmlischen Vater. Er ist in den
Zustand seiner Verherrlichung eingetreten, zur Rechten seines himmlischen
Vaters. Und so betrachten auch wir uns nach der Ermahnung des Apostels als der
Sünde tot, aber Gott lebend in Christus Jesus. In gleicher Weise wie Christus,
wenn auch nicht in gleichem Maße, sind wir Christen kraft unserer Taufe der
Sünde tot und leben Gott, weil das neue Leben Gottes in der Taufe in unsere
Herzen eingepflanzt ist. Wir leben Gott nach dem inneren Menschen, nach dem
wiedergeborenen Geist und Herzen. Und das ist uns möglich, weil wir in der
Gemeinschaft mit Christus leben und unser Leben mit Christus in Gott verborgen
ist.
Die Herrschaft der Sünde ist definitiv
beendet (V. 12-14): Das ist die praktische Schlussfolgerung und Ableitung
aus den vorangegangenen Ausführungen. Da die Gläubigen durch die Taufe in die
innigste Verbindung mit Christus, mit den Früchten seines Todes und mit den
Segnungen seines Lebens eingetreten sind, müssen sie mit allen früheren
Verbindungen brechen: Die Sünde soll nicht mehr in eurem sterblichen Leib
herrschen, um ihren Begierden zu gehorchen. Der Leib des Menschen, auch des
Gläubigen, ist sterblich und als solcher dem Tod und der Sünde unterworfen. Da
der Mensch sterblich ist, muss er sterben. Aber die Sünde, obwohl sie noch im
Leib lebt und ihn scheinbar ihrem eigenen Lohn unterwirft, soll nicht Herr und
Meister über den Leib sein; die sündigen Begierden sollen nicht ihre Herrschaft
über den Leib ausüben: Sie sollen die Glieder des Leibes nicht zu ihren
Werkzeugen und Instrumenten für das Wirken des Bösen machen. Wenn die Christen
den Lüsten und Begierden ihres Herzens Gehorsam leisten würden, dann würden sie
ihren sterblichen Leib zu einem sündigen Leib machen, der sich der Sünde
unterwirft, der Sünde unterworfen ist. Die Heiligung der Christen wird sich
vielmehr so zeigen, dass die Christen den Leib mit all seinen Gliedern, Händen,
Füßen, Augen, Ohren, Zunge usw. beherrschen, sie vom Dienst der Sünde
zurückhalten und den Begierden nicht erlauben, ihre Befriedigung in
tatsächlichen Übertretungen zu finden. Der Wille der Christen wird sich der
Sünde entgegenstellen und so den Körper in den Grenzen halten, die das Wort und
der Wille Gottes vorschreiben. Sie werden ihre Glieder nicht als Waffen der
Ungerechtigkeit für die Sünde anbieten.
Das ist die eine Seite der Heiligung. Aber
es gibt auch die positive Seite: Stellt euch vielmehr Gott dar, stellt euch
Gott zur Verfügung als lebendig von den Toten und eure Glieder als Waffen der
Gerechtigkeit für Gott. Die Christen befanden sich früher, bevor die erneuernde
Kraft der Taufe zu ihnen kam, in einem Zustand des geistlichen Todes, Eph. 2,1
ff. In diesem Zustand dienten sie allen Begierden, waren allen Lastern
unterworfen. Aber von diesem geistlichen Tod sind sie erweckt worden und sollen
deshalb ihr Leben, ihren Leib, ihre Glieder, ihr Herz, ihren Verstand, ihre
Gedanken in den Dienst Gottes stellen, zur Förderung seiner Ehre und
Herrlichkeit. Das bedeutet nicht, dass der Herr eine falsche Askese verlangt,
sondern ist eine Ermahnung, die im gewöhnlichen, alltäglichen Leben eines jeden
Christen, in der Verrichtung der Werke seiner Berufung ihre Anwendung finden
soll. Wenn der Leib und alle seine Glieder auf diese Weise Gott in der
Gerechtigkeit des Lebens dienen, dann wird das Werk der Heiligung in einer Gott
wohlgefälligen Weise vollzogen.
Und die Christen können diese Gebote
befolgen, diese Anweisungen befolgen, wie die Ermutigung des Apostels, V. 15,
zeigt. Es ist kein aussichtsloser Kampf, in dem sich die Christen befinden und
dessen Ausgang von vornherein für ihren Glauben und ihr geistliches Leben
ungünstig ist, sondern es ist eine Anstrengung, die zum Erfolg führen wird. Der
Apostel ist freudig zuversichtlich, weil er weiß, dass die Macht der Sünde
endgültig gebrochen ist und dass der Triumph der Sache Christi durch die
Vollendung des Werkes Christi gesichert ist. Denn die Sünde wird nicht über
euch herrschen, sie wird nicht wieder die Oberhand gewinnen. Und der Grund
dafür ist: Denn ihr seid nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. Das
Gesetz fordert immer, gibt aber nicht die Kraft, seine Forderungen zu erfüllen,
und kann daher nicht von der Herrschaft der Sünde befreien. Die Gnade aber,
unter die wir uns bei der Bekehrung, in der Taufe, gestellt haben, befreit uns
nicht nur von der Schuld und Macht der Sünde, sondern gibt uns auch die
Fähigkeit, der Sünde zu widerstehen, das Böse zu meiden und das zu tun, was dem
Herrn gefällt. So verzichten wir auf jede Abhängigkeit von unserem eigenen
Verdienst und unserer eigenen Kraft, nehmen das Angebot der Gnade, der freien
Rechtfertigung als Geschenk Gottes an und empfangen die Befreiung von der Sünde
und die Kraft, unserem himmlischen Vater zu gefallen.
Der Dienst der Gerechtigkeit (6,15-23)
15 Wie nun? sollen wir sündigen, dieweil wir nicht unter dem Gesetz,
sondern unter der Gnade sind? Das sei ferne! 16 Wisst ihr nicht, welchem ihr
euch begebt zu Knechten in Gehorsam, des Knechte seid ihr, dem ihr gehorsam
seid, es sei der Sünde zum Tode oder dem Gehorsam zur Gerechtigkeit? 17 Gott
sei aber gedankt, dass ihr Knechte der Sünde gewesen seid, aber nun gehorsam
worden von Herzen dem Vorbild der Lehre, welchem ihr ergeben seid. 18 Denn nun
ihr frei worden seid von der Sünde, seid ihr Knechte worden der Gerechtigkeit.
19 Ich muss menschlich davon reden um der Schwachheit willen eures
Fleisches. Gleichwie ihr eure Glieder begeben habt zu Dienst der Unreinigkeit
und von einer Ungerechtigkeit zu der andern, also begebt nun auch eure Glieder
zu Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden. 20 Denn da ihr der Sünde
Knechte wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit. 21 Was hattet ihr nun zu
der Zeit für Frucht? Welcher ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist
der Tod. 22 Nun ihr aber seid von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden,
habt ihr eure Frucht, dass ihr heilig werdet, das Ende aber das ewige Leben. 23
Denn der Tod ist der Sünde Sold; aber die Gabe Gottes ist das ewige Leben in
Christus Jesus, unserem HERRN.
Die herausfordernde Kraft des Dienstes
(V. 15-18): Der Apostel hält es für notwendig, ein weiteres Mal ein mögliches
Missverständnis, eine falsche Schlussfolgerung, die aus der Aussage, dass wir
unter der Gnade stehen, gezogen werden könnte, zu verhindern. Was also? Wie ist
die Lage? Wie sieht es aus? Sollen wir sündigen, weil wir nicht unter dem
Gesetz, sondern unter der Gnade stehen, weil die Herrschaft des Gesetzes nicht
über uns waltet, sondern nur die angenehme Herrschaft der Gnade? Sollen wir
sündigen, weil unser Leben nicht von Satzungen im alttestamentlichen Sinn
bestimmt wird, sondern von dem, was wir der freien, verzeihenden Barmherzigkeit
Gottes verdanken? Sollen wir den heiligen Willen Gottes übertreten, weil uns
die Gewissheit gegeben wird, dass Gott die Gottlosen durch die Verdienste
Christi rechtfertigt? Und wieder kommt das entsetzte Wort des Apostels:
Mitnichten! Und er untermauert seine nachdrückliche Ablehnung dieses Gedankens:
Wisst ihr nicht, dass ihr Sklaven seid zum Gehorsam gegenüber dem, dem ihr euch
als Sklaven anbietet, sei es als Sklaven der Sünde zum Tod, sei es als Sklaven
des Gehorsams zur Rechtschaffenheit? Wer sich freiwillig unter die Herrschaft
eines anderen begibt und ihm aus freiem Willen Gehorsam leistet, begibt sich in
die Sklaverei; er hat nicht mehr die Freiheit, zu tun, was er will, sondern ist
verpflichtet, zu tun, was sein Herr von ihm verlangt; und er ist an diesen
Herrn gebunden, er kann ihn nicht nach Belieben verlassen. Diese allgemeine
Regel wendet Paulus nun bei den Sündern und bei den Gläubigen an. Wer sich in
den Dienst der Sünde gestellt hat, ist der Sklave der Sünde; er steht unter
ihrer Macht, ist ihr hörig. Er mag seinen Herrn hassen, seine Vernunft und sein
Gewissen mögen dagegen argumentieren und protestieren, aber die Unterwerfung
ist dauerhaft und absolut. Und das Ende dieser Sklaverei ist der Tod, der
geistliche und ewige Tod: V. 23; Johannes 8, 34. Wird der Mensch dagegen zum
Diener des Gehorsams gegenüber Gott bis zur Gerechtigkeit, wenn er Gott den
Gehorsam leistet, der ihm gebührt und den alle Menschen leisten sollten, wenn
er in allen Dingen das tut, was der Gehorsam Gottes von ihm verlangt, dann wird
das Ergebnis ein gerechtes Leben sein, eine Übereinstimmung mit dem Willen, mit
dem Bild Gottes: die Gewohnheit eines aufrechten, von Gott anerkannten Lebens.
Der Apostel ist sich sicher, er geht bei
allen seinen Lesern davon aus, dass sie in den Gehorsam Gottes eingetreten sind
und in jenem Zustand der Gerechtigkeit leben, der dem Herrn wohlgefällig ist.
Und deshalb überströmt sein Herz mit einer Doxologie: Gott sei Dank, dass ihr
Sklaven der Sünde wart, dass dieser Zustand der schändlichen Sklaverei für
immer vorbei ist, dass ihr aber jetzt der Lehre, die euch überliefert wurde,
oder besser gesagt, der ihr überliefert wurdet, von Herzen gehorsam seid, um zu
betonen, dass es kein Verdienst ihrerseits war. Bei der Bekehrung verzichten
die Gläubigen auf die Knechtschaft der Sünde und leisten vollen und freien
Gehorsam, sie unterwerfen sich freiwillig und aufrichtig der Art der Lehre, der
sie überliefert wurden, der evangelischen Wahrheit in der Form, wie sie in der
Verkündigung des Paulus erschienen ist, der Form, die die Verkündigung in der
christlichen Kirche zu allen Zeiten aufweisen sollte. Der Gehorsam gegenüber
der christlichen Lehre ist nichts anderes als der Glaube, denn der Glaube ist
Gehorsam gegenüber dem Evangelium und damit gegenüber Christus. Und dieser
freiwillige Glaubensgehorsam ist eine Gabe Gottes, für die man Gott, und nur
ihm, danken und loben muss. Und nun zieht der Apostel die Schlussfolgerung aus
dem Vorangegangenen: Da ihr aber frei geworden seid, befreit von der Sünde,
seid ihr Knechte der Gerechtigkeit geworden. Die Sünde war ein despotischer
Herr, ein Sklaventreiber. Aber durch die Gnade Gottes werden die Gläubigen von
der Tyrannei der Sünde befreit und gleichzeitig der Gerechtigkeit unterworfen,
zu Dienern der Gerechtigkeit gemacht. Sie sind nun der Gerechtigkeit verpflichtet,
ihr ganzes Leben ist der Gerechtigkeit gewidmet, die Gerechtigkeit des Lebens
wird ihnen gleichsam zur zweiten Natur. Und diese Unterwerfung der Christen
unter Gott und den Gehorsam des Glaubens, die zur wahren Heiligung führt, ist
das Wesen der wahren geistlichen Freiheit. Joh. 8,36.
Diener der Gerechtigkeit zum ewigen
Leben (V. 19-23): Paulus hatte einen sehr starken Ausdruck verwendet:
"Sklaverei der Gerechtigkeit", um seine Bedeutung zu
veranschaulichen, ein Vergleich, der aus den gewöhnlichen Beziehungen der
Menschen genommen wurde, um die Beziehung der Gläubigen zu Gott darzustellen.
Und so entschuldigt er sich hier gewissermaßen dafür, dass er dieses
menschliche Bild des Verhältnisses von Sklave und Herr benutzt hat, um die
große geistliche Wahrheit zu vermitteln, die er seinen Lesern einprägen will.
Es war notwendig, in so einfachen Worten und Bildern zu sprechen, wegen der
Schwäche ihres Fleisches, nicht so sehr wegen ihrer intellektuellen, sondern
wegen ihrer moralischen Schwäche, denn die Heidenchristen neigten immer noch zu
einer gewissen Laxheit in der Moral, zum Missbrauch der christlichen Freiheit.
Und deshalb setzt Paulus die Anwendung seiner starken Redewendung fort: Wie sie
die Glieder und Organe ihres Leibes hingegeben, geopfert, dargebracht hatten,
gebunden in die Sklaverei der Unreinheit, der Verunreinigung des eigenen
Leibes, der Seele und des Geistes, und der Ungerechtigkeit, der
Gesetzlosigkeit, der Übertretung des göttlichen Gesetzes überhaupt. Das sind
die Früchte des natürlichen Zustands des Menschen: das Böse in seinen
verschiedenen Formen, ein Fortschreiten des gesetzlosen Verhaltens, wobei eine
Sünde die Ursache und der Anstoß für eine andere ist. Aber ihr veränderter
Zustand verlangt jetzt, und der Apostel fügt die Dringlichkeit seiner Ermahnung
hinzu: So bringt nun eure Glieder dar, die der Gerechtigkeit unterworfen sind,
zur Heiligkeit. Die Gläubigen sind nicht nur zu einem rechtschaffenen Leben
verpflichtet, sondern sie stehen in dessen Dienst. Und das Ergebnis ist
Reinheit des Herzens und des Lebens, eine innere Übereinstimmung mit dem
göttlichen Bild, 1. Thess. 4,7.
Der Apostel bekräftigt nun seine Ermahnung
weiter: Als ihr Sklaven der Sünde wart, wart ihr frei von der
Rechtschaffenheit. Was die Gerechtigkeit betrifft, so waren sie frei; sie
hatten mit der Gerechtigkeit nichts zu tun, sie dienten einem anderen Herrn;
sie hatten mit der Gerechtigkeit nichts gemein, waren absolut unfähig und
untauglich, etwas zu tun, was vor Gott annehmbar gewesen wäre. Und was war das
Ergebnis? Welche Früchte sind unter diesen Bedingungen gereift? Was war das
Ergebnis der Sklaverei der Sünde? Die Antwort kann nur eine sein: Solche Dinge,
die dich jetzt beschämen, wenn du dich an deine frühere Lebensweise erinnerst,
denn es waren schreckliche Laster, schändliche Vergnügungen, die unweigerlich
in Tod und Verderben für Seele und Leib münden werden. Jetzt aber ist die
Situation umgekehrt: Von der Sünde emanzipiert, befreit und an den Herrn
gebunden, hast du deine Frucht zur Heiligung, am Ende aber das ewige Leben in
deinem Besitz. Die ganze Situation stellt den Gegensatz zur fleischlichen
Gesinnung dar. Bei den Gläubigen ist der böse Herr, die Sünde, abgesetzt
worden; an ihre Stelle ist der beherrschende Einfluss der Kraft des Geistes
getreten. Und das Ergebnis des auf diese Weise begonnenen Dienstes für Gott ist
Heiligkeit, wobei alle Wünsche, Gedanken und Handlungen der Ausführung des
Willens Gottes gewidmet sind. Und das Ende, das Ergebnis dieses Dienstes der
Gerechtigkeit, ist das ewige Leben, die Fülle des Lebens in der Gegenwart
Gottes für immer und ewig. Der Apostel schließt daher mit einer unumstößlichen
Feststellung: Denn der Lohn der Sünde ist der Tod; was die Sünde als
tyrannischer Herrscher ihren Untertanen zahlt, ist ihr gebührender und
wohlverdienter Lohn. Die Sünde darf nicht unbelohnt, d.h. ungestraft bleiben.
Ein überzeugter Sünder, der auf Vergebung ohne Sühne hofft, hofft auf das
Unmögliche, nämlich dass Gott sich am Ende als ungerecht erweisen wird. Der
Kontrast ist so groß wie der zwischen Himmel und Hölle: Die freie Gabe Gottes
ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn. Hier gibt es kein Wort,
keinen Hinweis auf eine Belohnung: Das ewige Leben ist ein freies, ein
unverdientes Geschenk der Gnade und Barmherzigkeit. Die Strafe der Hölle ist
immer verdient, die Seligkeit des Himmels nie. In Jesus Christus ist der Besitz
des ewigen Lebens gesichert, denn er hat es möglich gemacht, und in und durch
ihn sind wir in den Besitz dieses herrlichen Geschenks gelangt. Mit diesem
gesegneten Ziel vor Augen werden die Gläubigen auch mit Umsicht auf den Pfaden
der Gerechtigkeit wandeln und jedem Versuch der Sünde, die Oberhand zu
gewinnen, widerstehen, um nicht die Gabe zu verlieren, die ihnen durch den
Glauben zuteil geworden ist, und die Hoffnung, die die himmlische Berufung in
Christus Jesus für sie bereithält.
Zusammenfassung: Der Apostel
ermahnt die Christen, nicht mehr der Sünde zu dienen, sondern in der
Gerechtigkeit zu wandeln, indem er sie daran erinnert, dass sie in Christus
Jesus der Sünde gestorben und des neuen geistlichen Lebens teilhaftig geworden
sind, durch das sie Diener der Gerechtigkeit geworden sind und das Ziel des
ewigen Lebens vor sich haben.
Frei vom Gesetz (7,1-6)
1 Wisst ihr nicht, liebe Brüder (denn ich rede mit denen, die das Gesetz
wissen), dass das Gesetz herrscht über den Menschen, solange er lebt? 2 Denn
eine Frau, die unter dem Mann ist, solange der Mann lebt, ist sie gebunden an
das Gesetz; wenn aber der Mann stirbt, so ist sie los vom Gesetz, das den Mann
betrifft. 3 Wenn sie nun bei einem anderen Mann ist, solange der Mann lebt,
wird sie eine Ehebrecherin geheißen; so aber der Mann stirbt, ist sie frei vom
Gesetz, dass sie nicht eine Ehebrecherin ist, wenn sie bei einem anderen Mann
ist. 4 So auch, meine Brüder, seid ihr getötet dem Gesetz durch den Leib
Christi, dass ihr bei einem anderen seid, nämlich bei dem, der von den Toten
auferweckt ist, auf dass wir Gott Frucht bringen. 5 Denn da wir im Fleisch
waren, da waren die sündlichen Lüste, welche durchs
Gesetz sich erregten, kräftig in unseren Gliedern, dem Tod Frucht zu bringen. 6
Nun aber sind wir vom Gesetz los und ihm abgestorben, das uns gefangen hielt,
so dass wir dienen sollen im neuen Wesen des Geistes und nicht im alten Wesen
des Buchstabens.
Paulus führt hier eine weitere
Veranschaulichung der Aussage in V. 14 des vorangegangenen Kapitels ein, dass
wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade stehen: Oder wisst ihr
nicht, Brüder, dass das Gesetz Macht über einen Menschen hat, solange er lebt?
Er appelliert an ihr Wissen und ihre Vertrautheit mit dem Gesetz und den
rechtlichen Verfahren, insbesondere auf der Grundlage des mosaischen Gesetzes.
Wer das Argument des Paulus, die Gläubigen seien frei von allen rechtlichen
Verpflichtungen, nicht akzeptieren will, dem bleibt nur die Möglichkeit,
anzunehmen, dass die Adressaten jenes große Prinzip nicht kennen, nach dem alle
Verpflichtungen gegenüber dem Gesetz mit dem Tod enden. Die Autorität und das
Recht des Gesetzes gegenüber einem Menschen erstrecken sich auf sein ganzes
Leben, aber nicht darüber hinaus. Wenn ein Mensch tot ist, kann es weder eine
Erfüllung noch eine Übertretung des Gesetzes geben. Der Apostel argumentiert
natürlich ausschließlich vom Standpunkt des Gesetzes aus. Und er demonstriert
und illustriert seine allgemeine Aussage durch ein Beispiel, nämlich das der
Verpflichtung zur Ehebindung. Die dem Mann unterworfene Frau, die verheiratete
Frau, ist durch das Gesetz an ihren Mann gebunden, solange er lebt; aber wenn
ihr Mann tot ist, wird das Gesetz, das sie an ihren Mann bindet, das Gebot über
den Mann, aufgehoben, nämlich dass sie seine Frau ist und die eines anderen
Mannes nicht. Durch den Tod ihres Mannes wird die rechtliche Beziehung zu ihrem
Mann ungültig, nichtig, abgebrochen, und sie ist frei, sie ist nicht mehr durch
diese besondere Regel gebunden. Und aus dieser Darstellung folgt, dass sie als
Ehebrecherin bezeichnet wird, wenn sie zu Lebzeiten ihres Mannes mit einem
anderen Mann ein Eheverhältnis eingegangen ist; aber der Tod ihres Mannes
befreit sie von diesem besonderen Gesetz, damit sie nicht als Ehebrecherin
gilt, wenn sie die Frau eines anderen wird. Das ist nach der göttlichen
Ökonomie der Zweck ihrer Freiheit vom Gesetz, ihrer Befreiung von der
besonderen Verordnung über die verheirateten Frauen, damit sie nach dem Tod
ihres Mannes heiraten kann, ohne sich des Ehebruchs schuldig zu machen. Das
bedeutet, dass auch der Mann durch seinen Tod nicht mehr an das Gesetz für
seine Frau gebunden ist. Die Institution und die Verordnung der Ehe beinhalten
eine gegenseitige Verpflichtung und Haftung, die ihre Gültigkeit verliert, wenn
eine der Vertragsparteien stirbt.
Was der Apostel mit diesem Hinweis auf die
Verbindlichkeit des Eherechts im Sinn hatte, wird in seinem Antrag deutlich: So
seid auch ihr, meine Brüder, durch den Leib Christi dem Gesetz abgestorben,
damit ihr einem anderen untertan werdet, dem, der aus den Toten auferweckt
wurde, damit wir Gott Frucht bringen. Der Fall der Gläubigen im Neuen Testament
ist dem der verheirateten Frau, über die gerade gesprochen wurde, sehr ähnlich.
Sie sind tot für das Gesetz. Christus wurde gewaltsam zu Tode gebracht und sie
mit ihm. Aber durch diese Tatsache sind sie durch den Tod Christi völlig von
jeder Verbindung mit dem Gesetz getrennt worden und gehören nun kraft seiner
Auferstehung zu Jesus. Die Ähnlichkeit und die Symbolik sind durchweg deutlich.
So wie der Tod jeden Menschen von der Verbindlichkeit des Gesetzes befreit, so
hat der Tod Christi uns endgültig von der Verbindlichkeit des Gesetzes befreit,
ja, das Gesetz außer Kraft gesetzt. Und während die Gläubigen vor ihrer
Bekehrung unter dem Gesetz gebunden waren, sind sie nun durch den Tod Christi
von der früheren Verpflichtung befreit und gehören nun dem auferstandenen
Christus als ihrem rechtmäßigen Bräutigam an. Und das Ergebnis dieser
wunderbaren Verbindung ist das Hervorbringen von Frucht für Gott, die Frucht
guter Werke, die zum Lob und zur Ehre Gottes getan werden.
Nachdem der Apostel auf diese Weise gezeigt
hat, dass die Gläubigen durch den Tod Christi vom Gesetz befreit sind, fährt er
fort, die Notwendigkeit und die Folgen dieser Veränderung aufzuzeigen: Denn als
wir im Fleisch waren, wirkten in unseren Gliedern die Leidenschaften der
Sünden, die bösen Neigungen der Sünden, die durch das Gesetz wirksam gemacht
und in Bewegung gesetzt wurden, um Frucht zu bringen bis zum Tod. Nun aber sind
wir vom Gesetz befreit, das Gesetz ist in unserem Fall außer Kraft gesetzt,
weil wir dem gestorben sind, in dem wir festgehalten wurden, was zur Folge hat,
dass wir in der Neuheit des Geistes und nicht in der Altheit
des Buchstabens dienen. Dieses Ergebnis kann und soll in unserem Fall erreicht
werden. Alle Menschen sind in dem Zustand vor ihrer Bekehrung im Fleisch, sie
sind sündige, schwache, sterbliche Geschöpfe, mit einem Geist, der ständig auf
das Böse gerichtet ist oder sich bestenfalls mit einer äußeren Moral zufrieden
gibt. In diesem Zustand waren die Leidenschaften, die Neigungen und Begierden,
die den Menschen in seinem unbekehrten Zustand beherrschen, in unseren Gliedern
wirksam, da unsere Glieder die bösen Gedanken des Herzens ausführten. Und die
Leidenschaften waren dabei umso erfolgreicher, als sie durch das Gesetz
angestachelt wurden. Das Gesetz dient also im fleischlichen Menschen nur dazu,
die Sünde zu fördern oder zu vermehren, da es die Leidenschaften nicht
beseitigt, sondern sie nur anregt. Und das Ziel der Leidenschaften war
letztlich, dass wir Frucht in den Tod bringen sollten. Das ist immer die
Tendenz der Leidenschaften, in den eigentlichen Sünden wirksam und aktiv zu
sein, um solche schändlichen Werke hervorzubringen, die schließlich zum Tod und
Verderben des Sünders führen, Jak. 1,15. Aber durch Christus ist eine
Veränderung eingetreten. Das Gesetz ist für uns außer Kraft gesetzt worden, es
hat keine Herrschaft mehr über uns. Und das ist dadurch geschehen, dass wir dem
gestorben sind, an dem wir festgehalten haben. Indem wir Christus im Glauben
angenommen haben, sind wir Teilhaber an seinem stellvertretenden Tod geworden,
der eine Genugtuung für das Gesetz war. Und so sind wir, nachdem wir unserem
sündigen Fleisch und der Sünde gestorben sind, von der Herrschaft des Gesetzes
befreit. In unserem gegenwärtigen Zustand dienen wir also infolge dieser
Befreiung vom Gesetz Gott in der Neuheit des Geistes und nicht in der Altheit des Buchstabens. Im früheren Zustand des Menschen,
unter dem Gesetz, hat er nur die buchstäblichen Forderungen des Gesetzes vor
Augen, die ihm keine Kraft und Macht zum Guten geben, sondern nur alle sündigen
Begierden schüren. Im Christen aber wird das neue Leben und Wesen durch den
Geist Gottes geschaffen und gelenkt. Es ist der auferstandene Christus, der
durch den Heiligen Geist alles Gute in den Christen wirkt, prächtige Früchte
der Heiligung hervorbringt. Anmerkung: Wir Christen sind aller Segnungen der
Erlösung durch Christus teilhaftig geworden und damit nicht nur vom Fluch des
Gesetzes, sondern auch von der Herrschaft und Verpflichtung des Gesetzes
befreit. Das Gesetz, das geschriebene Gesetz des Mose, ist nicht mehr unser
Herr und Meister, wir sind nicht mehr durch seine Fesseln gebunden. Als
wiedergeborene Kinder Gottes, als seine neuen Geschöpfe, sind wir an sein
Wohlgefallen gebunden und tun seinen Willen um unseres seligen Erlösers willen.
Wir werden nur von der Liebe regiert, nur von der Gnade geleitet.
Der Zweck des Gesetzes und seine Wirkung (7,7-25)
7 Was wollen wir denn nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne!
Aber die Sünde erkannte ich nicht außer durchs Gesetz. Denn ich wusste nichts
von der Lust, wenn das Gesetz nicht hätte gesagt: Lass dich nicht gelüsten! 8
Da nahm aber die Sünde Ursache am Gebot und erregte in mir allerlei Lust. Denn ohne das Gesetz war die Sünde tot. 9 Ich
aber lebte etwa ohne Gesetz. Da aber das Gebot kam, ward die Sünde wieder
lebendig. 10 Ich aber starb; und es befand sich, dass das Gebot mir zum Tod
gereichte, das mir doch zum Leben gegeben war. 11 Denn die Sünde nahm Ursache
am Gebot und betrog mich und tötete mich durch dasselbe Gebot. 12 Das Gesetz
ist je heilig, und das Gebot ist heilig, recht und gut.
13 Ist denn, was da gut ist, mir ein Tod worden? Das sei ferne! Aber die
Sünde, auf dass sie erscheine, wie sie Sünde ist, hat sie mir durch das Gute
den Tod gewirkt, auf dass die Sünde würde überaus sündig durchs Gebot. 14 Denn
wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist; ich aber bin fleischlich, unter die
Sünde verkauft. 15 Denn ich weiß nicht, was, ich tue; denn ich tue nicht, was
ich will, sondern was ich hasse, das tue ich. 16 So ich aber das tue, was ich
nicht will, so willige ich, dass das Gesetz gut ist. 17 So tue nun ich dasselbe
nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnt.
18 Denn ich weiß, dass in mir, das ist, in meinem Fleisch, wohnt nichts
Gutes. Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich nicht, 19 Denn
das Gute, das ich will, das tue ich nicht, sondern das Böse, das ich nicht
will, das tue ich. 20 So ich aber tue, was ich nicht will, so tue ich dasselbe
nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnt.
21 So finde ich mir nun ein Gesetz, der ich will das Gute tun, dass mir
das Böse anhängt. 22 Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen
Menschen. 23 Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das da
widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüte und nimmt mich gefangen in der Sünde
Gesetz, welches ist in meinen Gliedern. 24 Ich elender Mensch, wer wird mich
erlösen von dem Leib dieses Todes? 25 Ich danke Gott durch Jesus Christus,
unsern HERRN. So diene ich nun mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber mit dem
Fleisch dem Gesetz der Sünde.
Der Gegenstand des Gesetzes (V.
7-12): Im vorangegangenen Abschnitt hatte der Apostel den Christen bezeugt,
dass sie sowohl von der Sünde als auch vom Gesetz befreit sind, und damit die
Befreiung von der Sklaverei der Sünde und vom Joch des Gesetzes auf dieselbe
Stufe gestellt. Er sieht sich nun gezwungen, einer falschen Schlussfolgerung zu
begegnen, die aus diesen Aussagen gezogen werden könnte: Welche
Schlussfolgerung sollen wir denn ziehen? Ist das Gesetz Sünde, ist es an sich
böse? Verursacht es Schaden? Der heilige Paulus antwortet mit Nachdruck: Ganz
gewiss nicht! Und obwohl das Gesetz an sich nicht böse ist, steht es doch in
einer gewissen Beziehung zur Sünde. Es ist die Quelle und die einzige Quelle
der Erkenntnis der Sünde: Ich hätte die Sünde nicht kennengelernt, wenn ich
nicht durch das Gesetz dazu gekommen wäre; so wie ich auch die Lust nicht
kennengelernt hätte, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: Du sollst nicht
begehren. Paulus spricht hier aus der Sicht des wiedergeborenen Gläubigen und
schildert seine Erfahrungen, wie sie für die Menschen kurz vor und zur Zeit
ihrer Bekehrung üblich sind. Was er sagt, ist im Grunde Folgendes: Jeder Mensch
lebt in Irrtümern, Übertretungen und Sünden von der Stunde seiner Geburt an;
aber er wird nichts anderes zugeben als natürliche Schwächen, kleine Fehler,
wie sie jeder Mensch zu begehen pflegt; erst wenn das Gesetz ihm die Augen
öffnet, sieht er seine Sünde als das, was sie wirklich ist, ein gottloses
Verhalten, eine Beleidigung der Heiligkeit und Reinheit des Herrn. Und um diese
Erkenntnis zu erlangen, ist das Gebot, nicht zu begehren, von großer Bedeutung.
Dieses Gebot zeigt dem Menschen das Bewusstsein seines Begehrens, das gegen das
Gesetz strebt. Denn da die bösen Wünsche und Begierden, die allen Sünden
zugrunde liegen, als Übertretung des Gesetzes, als ein Übel in den Augen
Gottes, offenbart ihr Vorhandensein dem Menschen die böse Quelle, der sie
entspringen. Auf diese Weise wird der Mensch davon überzeugt, dass alle
Wünsche, Vorstellungen, Begierden und Gedanken seines Herzens von Natur aus
gegen den Willen Gottes gerichtet sind.
Aber es gibt noch einen weiteren Punkt, der
in Bezug auf die Beziehung zwischen dem Gesetz und der Sünde zu bedenken ist.
Das Gesetz dient nicht nur zur Erkenntnis der Sünde, sondern hilft auch, böse
Begierden zu wecken: Die Sünde aber, durch das Gebot angestachelt, wirkte in
mir Begierde aller Art; denn ohne das Gesetz war die Sünde tot. Wenn das Gesetz
dem Sünder vor Augen gehalten wird, wirkt es wie ein Anreiz, ein Anstoß, eine
Beleidigung für sein sündiges Herz. Von Angesicht zu Angesicht mit der Sünde,
wie sie wirklich existiert, und mit dem Zorn und der Verurteilung Gottes, wird
das Herz des Menschen mit Groll gegen Gott und sein Gesetz erfüllt, mit Hass
gegen denjenigen, der durch diese Offenbarung der Sünde dem Sünder Unbehagen
und das Gefühl der Schuld bringt. Die Sünde also, die Verderbtheit der Natur,
bringt jede Form von Lust und bösem Verlangen und schließlich auch jede Art von
sündigem Tun hervor.
In welcher Weise die Sünde, die perverse
Tendenz des von Natur aus bösen Willens des Menschen, das Gebot als Anreiz und
Anstiftung zur bösen Lust benutzt, erklärt der Apostel: Denn ohne das Gesetz
war die Sünde tot; ich aber lebte einst ohne das Gesetz; als aber das Gebot
kam, wurde die Sünde wieder lebendig. Wo es kein Gesetz gibt, gibt es auch
keine Sünde, und deshalb kann sich der Mensch ihrer Existenz nicht bewusst
sein; und wo es keine Kenntnis des Gesetzes Gottes gibt, gibt es auch keine
Kenntnis der Sünde. Die Sünde ist unbekannt, wird nicht als solche erkannt, bis
sie durch das Gesetz ans Licht gebracht wird. Und Paulus sagt, indem er sein
eigenes Beispiel für das aller Wiedergeborenen, die eine ähnliche Erfahrung
gemacht haben, verwendet, dass er, als er das Gesetz nicht kannte, sein Leben
ohne das Gesetz lebte und in Unkenntnis seiner wirklichen Schuld sündigte: Er
hatte kein schmerzliches Bewusstsein der Sünde, auch wenn sein Gewissen ihn
mehr oder weniger geplagt haben mag. Aber als ihm das Gebot zur Kenntnis
gebracht wurde, als ihm das Gesetz in seinem vollen Umfang und in der
Geistigkeit seiner Forderungen offenbart wurde, da lebte die Sünde wieder auf,
da gewann sie in ihrer Feindschaft gegen Gott, in ihrem Wirken gegen seinen
heiligen Willen ihre eigentliche Lebendigkeit und Kraft zurück. Nur weil es ein
bestimmtes Verbot gibt, wehrt sich das natürliche Herz des Menschen gegen das
Gebot als einen ungerechtfertigten Eingriff in seine Rechte, wie ein wilder
Bergbach, der seinen Weg durch einen Damm versperrt sieht. Es macht in diesem
Fall keinen wesentlichen Unterschied, ob der Mensch seinen Unmut tatsächlich in
bewussten Sünden zeigt, oder ob er durch äußere Erwägungen dazu gebracht wird,
eine pharisäische Gerechtigkeit an den Tag zu legen, während das Herz nebenbei
ein Tumult der wildesten Begierden und Wünsche ist.
Was das Ergebnis dieser Offenbarung der
Sünde in seinem eigenen Fall war, sagt Paulus ganz offen: Ich aber starb, und
es zeigte sich, dass das Gebot, das eigentlich zum Leben bestimmt war, in
meinem Fall zum Tod führte. Denn die Sünde hat mich, indem sie an dem Gebot
Anstoß nahm, getäuscht und mich dadurch getötet. Mit dem Gefühl der bewussten
Schuld tritt das Gefühl der Todesstrafe in Erscheinung. Wenn ein Mensch das
Gesetz halten könnte, dann könnte er durch das Gesetz leben. Aber dieses Ziel
kann nicht erreicht werden; im Gegenteil, der Sünder beginnt angesichts der
Verurteilung durch das Gesetz, den Schrecken von Tod und Hölle zu spüren. Er
erkennt seine völlige Unfähigkeit, das Gesetz so zu erfüllen, wie Gott es
verlangt, und dieses Bewusstsein zeichnet das Bild des Todes vor seine Augen.
Die Sünde in ihrem törichten Groll gegen das Gesetz Gottes versucht, die
verbotenen Freuden und Vergnügungen als einen höchst wünschenswerten Gewinn,
als großes Glück darzustellen. Aber das ist alles nur Betrug, denn die
verbotene Frucht enthält den Keim des Todes und des Verderbens in sich, und
jeder, der dem verführerischen Flehen nachgibt, wird sich unter der Verdammung
des Todes wiederfinden, ein Kandidat der ewigen Verdammnis. Das gleiche
Ergebnis ist zu verzeichnen, wenn die Sünde versucht, den Menschen dazu zu
bewegen, seine eigene Kraft gegen Gott einzusetzen; jede Anstrengung, mit Hilfe
des Gesetzes zur Vollkommenheit zu gelangen, vergrößert nur die Schuld und das
Elend des Sünders.
Und so zieht der Apostel eine
Schlussfolgerung, die fast wie ein Paradoxon klingt: Und so ist das Gesetz in
der Tat heilig und das Gebot heilig und gerecht und gut. Das Gesetz an sich ist
nach seinem ganzen Inhalt heilig, es ist mit allen seinen Forderungen eine
Offenbarung der Heiligkeit Gottes, und jedes seiner Gebote ist heilig, recht
und vortrefflich und verlangt vom Menschen nur das, was gerecht, gut und
lobenswert ist. Das Wohl des Menschen, nicht sein Leid, ist sein natürlicher
Zweck und sein Ziel. Damit beugt Paulus einem möglichen Missverständnis seiner
Position gegenüber dem Gesetz Gottes vor. Anmerkung: Christen sind keine Antinomisten, sie lehnen das Gesetz Gottes nicht ab; aber
sie unterscheiden mit Paulus sehr sorgfältig zwischen dem Sein unter dem Gesetz
und dem Sein unter der Gnade.
Die praktische Wirkung dieser Lehre
(V. 13-17): Um sicherzugehen, dass jedes Missverständnis ausgeräumt wird, fragt
Paulus hier, wenn er vom Kampf des Wiedergeborenen um die Heiligung spricht:
Ist mir denn das Gute zum Tod geworden? Ist das Gebot, das heilig, gerecht und
gut ist, die Ursache für meinen Tod? Und mit großem Nachdruck antwortet er:
Gewiss nicht! Nicht das Gesetz, das gut ist, sondern im Gegenteil die Sünde
wurde ihm zum Verhängnis. Die Sünde, um sich zu offenbaren, um offen als Sünde
zu erscheinen, war für ihn auf diese Weise verhängnisvoll, dass sie durch das
Gute, durch das Gesetz, den Tod in ihm bewirkte, damit die Sünde durch das
Gebot im Übermaß sündig werde. Das Böse, das Trügerische der Sünde zeigt sich
gerade darin, dass sie das heilige und gute Gesetz missbraucht, um Tod und
Verderben zu wirken. Hierin hat sich die Sünde tatsächlich selbst übertroffen
und ein wahres Meisterwerk der Perversität vollbracht, indem sie das Gebot in
ihren Dienst drängte und es zum Fluch und Verderben des Menschen machte.
Dass das Gesetz an dieser Verurteilung der
Sünde keinen Anteil hat, bekräftigt Paulus weiter: Denn wir wissen, dass das
Gesetz geistlich ist, ich aber bin fleischlich und unter die Sünde verkauft.
Hier ist eine vollkommene Rechtfertigung des Gesetzes: Weil es von Gott gegeben
wurde, trägt es die Eigenschaft Gottes, des göttlichen Geistes, und diese
geistliche Art zeigt sich darin, dass es ein geistliches, heiliges Verhalten
fordert, ein Verhalten, das dem geistlichen Gott gefällt, ein Verhalten, das
man nur bei einem Menschen finden kann, der so verändert wurde, dass er immer
nach dem Willen Gottes lebt. Aber Paulus, der von seinem gegenwärtigen,
wiedergeborenen Zustand spricht (V. 22), in dem sein Geist zwar ganz dem Willen
Gottes hingegeben ist, in dem ihm aber sein alter Adam einen ständigen Kampf
bereitet, sagt von sich selbst, dass er fleischlich, fleischlich ist; die Art
und Weise und der Zustand der sündigen Natur prägen noch immer sein ganzes
Verhalten, und zwar in einem solchen Maße, dass er tatsächlich unter die Macht
der Sünde verkauft ist. Er ist nicht mehr ein williger Sklave, wie in seinem
nicht wiedergeborenen Zustand, sondern er ist einer Macht unterworfen, in ihre
Knechtschaft versetzt, die, obwohl er sich abmüht und ernsthaft wünscht, frei
zu sein, immer noch mehr oder weniger ihre Autorität geltend macht. „Dies ist
genau die Knechtschaft der Sünde, der sich jeder Gläubige bewusst ist. Er
spürt, dass es in seinen Gliedern ein Gesetz gibt, das ihn dem Gesetz der Sünde
unterwirft; dass sein Misstrauen gegenüber Gott, seine Herzenshärte, seine
Liebe zur Welt und zu sich selbst, sein Stolz, kurz, die ihm innewohnende
Sünde, eine wirkliche Macht ist, von der er sich frei zu sein wünscht, gegen
die er kämpft, von der er sich aber nicht befreien kann.“ (Hodge.)
Der Apostel zeigt, wie er in der
Unterwerfung gehalten wird: Denn was ich tue und vollbringe, was ich
tatsächlich in die Tat umsetze, weiß ich nicht; das heißt, nach griechischem
Sprachgebrauch in ähnlichen Zusammenhängen erkennt er das, was er tut, nicht
als richtig und gut an, er erkennt es nicht als das Seine an, er erkennt es
nicht als etwas an, mit dem er zu tun hat. Denn das, was er will, was sein
geistiger Wille begehrt, das übt er nicht aus; das, was er nach dem inneren,
erneuerten Menschen liebt und sich daran erfreut, das kann er nicht dazu
bringen, sich ständig damit zu beschäftigen. Was er aber nach der Erkenntnis,
die er aus dem richtigen Verständnis des Willens Gottes gewonnen hat, hasst,
das tut er, das findet er, dass er es ausführt. Anmerkung: Jeder Christ weiß
aus eigener Erfahrung, dass dieser Kampf in seinem Herzen stattfindet, und dass
das Ergebnis gewöhnlich das ist, was hier so anschaulich beschrieben wird.
Stolz, Mangel an Nächstenliebe, Trägheit und viele andere Gefühle, die er missbilligt
und hasst, belästigen ihn ständig und machen ihre Macht über ihn geltend. Und
trotz des besten Willens und der besten Absicht bleibt seine Leistung weit
hinter dem zurück, was er sich wünscht.
Aus diesen dargestellten Tatsachen zieht
der Apostel zwei Schlüsse: Wenn ich nun das tue, was ich nicht will, so stimme
ich mit dem Gesetz völlig darin überein, dass es gut ist, um bewundert zu
werden; und so tue ich es nicht mehr, sondern die Sünde, die in mir lebt. Der
heilige Paulus fühlt und erkennt also, dass die Schuld bei ihm selbst liegt und
nicht dem Gesetz anzulasten ist. Und doch behauptet er, dass dieser Zustand mit
seinem Christsein völlig vereinbar ist. Die Tatsache, dass er etwas Böses tut,
von dem er weiß, dass es böse ist, zeigt, dass sein Urteil mit dem des Gesetzes
übereinstimmt, dass er dessen Vortrefflichkeit freiwillig anerkennt. Und wenn
er auch keineswegs seine eigene Schuld und sein Verschulden mildern will, so
will er doch zeigen, dass seine Erfahrung aufgrund des Ausmaßes und der Macht
der ihm innewohnenden Sünde dennoch mit seinem Christsein vereinbar ist. Die
Tiefe und Macht des Bösen im alten Adam ist so groß, dass es ihm immer wieder
gelingt, seine Herrschaft zu behaupten. Aber das neue Leben des Christen lässt
dies nicht zu, er kämpft dagegen an, er sucht Befreiung davon.
Der Kampf zwischen Fleisch und Geist im
Gläubigen (V. 18-20): St. Paulus wiederholt und vertieft hier seine
Aussagen über den Kampf zwischen Fleisch und Geist im Wiedergeborenen: Denn ich
weiß, dass in mir, d. h. in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt. Er macht einen
Unterschied zwischen sich selbst, seinem wirklichen, wiedergeborenen Selbst,
und seinem Fleisch, seiner alten, verkehrten Natur. Sofern und soweit er diese
Natur noch in sich hat, lebt nichts Gutes in ihm. Das bedeutet übrigens, dass
im wirklichen Selbst des wiedergeborenen Menschen tatsächlich etwas Gutes,
etwas Geistiges, etwas, das mit den Forderungen des Willens Gottes
übereinstimmt, vorhanden ist. Denn das Wollen, die Entschlossenheit, das Gute
zu tun, liegt neben ihm, ist für ihn bereit, und sein Gebrauch bietet keine
Schwierigkeit. Aber das Vortreffliche zu vollbringen, das findet er nicht, er
weiß nicht, wo es ist, es ist nicht zu finden. Die Absicht, den heiligen Willen
Gottes zu erfüllen, ist also da, aber die Schwierigkeit liegt in der Ausführung
dessen, was er als vorzüglich anerkennt. Denn das Gute, das er begehrt, führt
er nicht aus, aber das Böse, das er nicht begehrt, das praktiziert er. Die
Entschlossenheit, nach dem Willen Gottes zu leben, ist nicht ganz ohne Wirkung,
der Kampf wird keinen Augenblick lang aufgegeben, obwohl das Böse immer wieder
begangen wird. Und so schließt der Apostel erneut: Wenn ich also etwas tue, was
ich nicht beabsichtige, dann bin nicht mehr ich es, der es tut, sondern die
Sünde, die in mir wohnt. „Die Dinge, die ich tue, wenn sie den
charakteristischen Wünschen und Absichten meines Herzens zuwiderlaufen, sind
wie die Handlungen eines Sklaven zu betrachten. Sie sind in der Tat meine
eigenen Handlungen, aber da sie nicht mit der vollen und freudigen Absicht des
Herzens ausgeführt werden, sind sie nicht als ein angemessenes Kriterium für
den Charakter zu betrachten.“ (Hodge.)
Die Schwierigkeit des Kampfes und die
Bitte um Erlösung (V. 21-25): Der heilige Paulus gibt nun eine Erklärung
für die besondere Situation, die er gerade beschrieben hat. Er hat durch
Erfahrung eine konstante Tatsache, eine Regel oder ein Gesetz entdeckt und
gefunden, dass, wenn seine Neigung und Absicht, das Gute zu tun, ist, das Böse
bei ihm gegenwärtig ist, immer zur Hand ist. Sein Wunsch und seine
Entschlossenheit ist es, das Gute zu tun, aber das Böse, das immer vorhanden
ist, bietet sich an, mischt sich unter all sein Tun und Unterlassen. Er spricht
nicht von einem ungewöhnlichen, einem außergewöhnlichen Zustand, sondern von
einem, der die Regel ist, in dem er sich Tag für Tag befindet, eine Erfahrung,
die auch allen Gläubigen gemeinsam ist. Diese Aussage wird vom Apostel sowohl
erklärt als auch bestätigt: Denn ich finde meine Lust am Willen Gottes nach dem
inneren Menschen; aber ich sehe, ich werde gewahr, eine andere Regel, eine
andere Norm in meinen Gliedern, die kämpft, die kämpft gegen das Gesetz meines
Verstandes, das mich gewaltsam unterwirft, das mich in die Gefangenschaft des
Gesetzes der Sünde bringt, das in meinen Gliedern ist. Der innere Mensch, das
wiedergeborene Selbst, der neue Mensch des Apostels, freut sich über das Gesetz
Gottes, findet seine Freude daran, seinen heiligen Willen zu tun. Aber es gibt
eine andere, eine andere Regel und Norm, die durch den Willen des alten Adam in
seinen Gliedern repräsentiert wird. Die Regel in den Gliedern des Körpers ist
das Gesetz der Sünde, die Sünde selbst, insofern sie versucht, die Handlungen
der Glieder zu lenken und in sündige Bahnen zu lenken. Der verkehrte Geist und
Wille, wie er im alten Adam verkörpert ist, ist bestrebt, die Glieder des
Körpers in Unterordnung unter seinen Willen und seine Führung zu halten. Und
damit beginnt der Kampf. Wenn die niedere Natur die Oberhand gewinnt, führt sie
den Menschen in die Gefangenschaft des Gesetzes der Sünde, das seine Macht
durch die Glieder des Körpers zeigt und ausübt. In der Seele des wiedergeborenen
Menschen kämpft der wiedergeborene Verstand mit dem verderbten Fleisch, und der
Verstand kann sich nicht völlig von der Herrschaft und der Macht des Fleisches
befreien, obwohl er einen unaufhörlichen Kampf gegen das Fleisch führt und
immer das Ideal der vollkommenen Heiligung im Auge behält. Und so sehnt sich
der wiedergeborene Mensch, der sich in seinem unwilligen Dienst abmüht und
quält, nach dem Tag, an dem er die endgültige, vollständige Erlösung von der
Macht der Sünde genießen wird.
Dieser Gedanke bringt den letzten Ausruf
des Apostels hervor: O elender, geplagter, unglücklicher Mensch, der ich bin!
Wer wird mich erlösen, mich herausreißen aus diesem Leib des Todes oder aus dem
Leib dieses Todes? Hier kommt die ganze Sehnsucht des Gläubigen nach der
endgültigen Befreiung seines sterblichen Leibes zum Ausdruck, der noch ein so
unsicheres, schwaches Organ des Geistes ist und so leicht der Sünde verfällt.
Jeder Christ wartet sehnsüchtig auf den Tag, an dem seine Sklaverei der Sünde
endgültig ein Ende haben wird, an dem er mit verklärtem Leib und im ewigen
Leben Gott leben und ihm ungehindert dienen wird. Aber dem Schrei des Apostels
nach Befreiung folgt ein Schrei des Dankes: Gott sei Dank durch Jesus Christus,
unseren Herrn! Die Befreiung ist bereits erlangt, die endgültige Erlösung ist
gewiss, und ihre volle Vollendung ist für jeden Gläubigen nur noch eine Frage
von wenigen Tagen oder Jahren. So dient also Paulus für sich selbst, gemäß
seinem wiedergeborenen Selbst, mit seinem Geist, mit seinem neuen Menschen, dem
Gesetz Gottes, aber mit seinem Fleisch, mit seinem alten Adam, dem Gesetz der
Sünde. Sein wirklicher, williger Dienst wird also Gott angeboten, auch wenn
sein Fleisch ihn manchmal noch zum Nachgeben zwingt. Und so überwiegt im Leben
der Christen das Gefühl der Freude und der Dankbarkeit. Inmitten ihres
gegenwärtigen sündigen Elends geben sie nie den Kampf gegen die Sünde auf, sie
verlieren nie aus den Augen, dass sie Christen sind, und danken deshalb auch
immer Gott durch Jesus Christus, dem sie ihren gegenwärtigen gesegneten Zustand
der Wiedergeburt verdanken.
Zusammenfassung: Der Apostel
erinnert die Christen daran, dass sie zu Christus, ihrem auferstandenen
Heiland, gehören und von seinem Geist regiert werden; er zeigt, dass das Gesetz
die Erkenntnis der Sünde lehrt und den Tod durch die Sünde verursacht, die sich
des Gesetzes bedient; er schildert den ständigen Kampf zwischen Fleisch und
Geist, weist aber schließlich auf die kommende Befreiung von allem Bösen hin.
Das Leben im Geist (8,1-17)
1 So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christus Jesus sind,
die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist. 2 Denn das Gesetz
des Geistes der da lebendig macht in Christus Jesus, hat mich freigemacht von
dem Gesetz der Sünde und des Todes. 3 Denn was dem Gesetz unmöglich war (da es
durch das Fleisch geschwächt wurde), das tat Gott und sandte seinen Sohn in der
Gestalt des sündlichen Fleisches und verdammte die
Sünde im Fleisch durch Sünde, 4 auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz
erfordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch wandeln
sondern nach dem Geist.
5 Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber
geistlich sind, die sind geistlich gesinnt. 6 Aber fleischlich gesinnt sein ist
der Tod, und geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede. 7 Denn fleischlich
gesinnt sein ist eine Feindschaft gegen Gott, da es dem Gesetz Gottes nicht
untertan ist; denn es vermag es auch nicht. 8 Die aber fleischlich sind, können
Gott nicht gefallen. 9 Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, wenn
Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat der ist nicht
sein. 10 So aber Christus in euch ist so ist der Leib zwar tot um der Sünde
willen; der Geist aber ist das Leben um der Gerechtigkeit willen. 11 So nun der
Geist des, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird auch
dieser, der Christus von den Toten auferweckt hat, eure sterblichen Leiber
lebendig machen um deswillen, dass sein Geist in euch wohnt.
12 So sind wir nun, liebe Brüder, Schuldner nicht dem Fleisch, dass wir
nach dem Fleisch leben. 13 Denn wenn ihr nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr
sterben müssen; wenn ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so
werdet ihr leben. 14 Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes
Kinder. 15 Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr
euch abermals fürchten müsstet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist
empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! 16 Derselbe Geist gibt
Zeugnis unserem Geist, dass wir Gottes Kinder sind. 17 Sind wir denn Kinder, so
sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir
wirklich mit leiden, auf dass wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.
Wandeln gemäß dem Geist (V. 1-4): „Darum“,
eine Folgerung vor allem aus dem letzten Vers des vorangegangenen Kapitels.
Denn da die Christen mit ihrem Fleisch noch dem Gesetz der Sünde dienen und
wegen der Schwachheit ihres verdorbenen Fleisches täglich und viel sündigen,
könnte man auch von ihnen selbst den Schluss ziehen, dass sie durch ihre Sünden
der Schwachheit, mit denen sie täglich zu kämpfen haben, Gottes Zorn und
Verdammnis auf sich laden, dass sie, obwohl sie sich im Zustand der
Rechtfertigung durch die Verdienste Christi befinden, sich im Zustand der
Verdammnis befinden und der väterlichen Zuneigung Gottes niemals sicher sein
können. Aber dieses Gefühl, das auch dazu neigt, die Gewissheit der Erlösung
wegzunehmen, ist nicht gerechtfertigt. „Obwohl die Sünde noch im Fleisch wütet,
verdammt sie doch nicht, weil der Geist gerecht ist und gegen sie kämpft.“
(Luther.) Das erklärt Paulus mit großem Nachdruck: Eine Verurteilung ist in
jeder Hinsicht ausgeschlossen; es gibt keine, weder nach Art noch nach Grad;
kein Urteil der Verurteilung kann sie berühren. Es ist natürlich wahr, dass
alle Sünden der Christen, auch die Sünden der Schwachheit, an sich unter dem
Urteil der Verurteilung stehen, dass die Gläubigen täglich Vergebung für sie in
den Wunden Christi suchen müssen. Diese Tatsachen sind jedoch im Zusammenhang
mit der Rechtfertigung eines armen Sünders vor Gott ausführlich erörtert
worden. Aber hier behandelt Paulus das große Werk der Heiligung, das auf die
Rechtfertigung folgt. Es gibt Christen, die tief besorgt darüber sind, dass ihr
Leben und ihre Werke, ihr Gespräch als Gläubige, noch so weit von der
Vollkommenheit entfernt sind, dass ihre Erfüllung des Willens Gottes so weit
hinter ihren Absichten und Wünschen zurückbleibt. Aber hier wird uns die
Gewissheit gegeben, dass Gott, der mit allen Menschen in Christus Jesus
versöhnt ist, auf die gerechtfertigten Sünder, auf die wiedergeborenen,
gläubigen Christen schaut, als ob sie ganz im Geist wären, als ob sie kein
sündiges Fleisch mehr hätten, das sie daran hindert. Für die, die in Christus
Jesus sind, die lebendig in ihm sind, durch jene wunderbare Verbindung, von der
der Herr spricht Johannes 15, l-7, die durch den rechtfertigenden Glauben in
ihm sind, für die, die nicht wandeln, nicht ihr ganzes Leben nach dem Fleisch,
nach ihren sündigen Begierden regeln, sondern den Geboten des Geistes folgen,
für diese gibt es kein Urteil der Verdammnis.
Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in
Christus Jesus hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
Der gegenwärtige, erneuerte Zustand der Christen, in dem wir nicht nach dem
Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln, ist ein Beweis dafür, dass der Geist
uns wirklich vom Gesetz der Sünde und des Todes befreit hat. Das Gesetz des
Geistes des Lebens ist der Heilige Geist, denn er bestimmt unser ganzes
Verhalten und vermittelt uns das Leben, das in Christus ist, so dass wir in
Christus und mit Christus leben. Und indem der Geist dies für uns tut, hat er
uns von dem Gesetz der Sünde und des Todes befreit, von der Sünde, die unser
Leben beherrschen und lenken und uns der Macht des Todes ausliefern wollte, der
wir von Natur aus unterworfen waren. So ist nicht mehr die Sünde, sondern der
Geist der bestimmende Faktor im Leben der Gläubigen. Durch das Wirken des
Geistes sind wir der Sünde gestorben und der Auferstehung Christi teilhaftig
geworden. "Wo der Geist nicht ist, da ist das Gesetz geschwächt und wird
durch das Fleisch übertreten, so dass das Gesetz dem Menschen nicht helfen
kann, sondern nur zur Sünde und zum Tod führt. Darum hat Gott seinen Sohn
gesandt und unsere Sünde auf ihn gelegt und uns so geholfen, das Gesetz zu
erfüllen durch seinen Geist." (Luther.) Was die Schwäche, die Ohnmacht des
Gesetzes betrifft, die darauf zurückzuführen ist, dass es durch das Fleisch
geschwächt wurde, so sollte man immer daran denken, dass Gott, indem er seinen
eigenen Sohn in der Gestalt des sündigen Fleisches und um der Sünde willen
sandte, die Sünde im Fleisch verurteilt hat. Das Gesetz Gottes ist nicht an
sich schwach und ohnmächtig, aber es wird so gemacht, seine Kraft und Wirkung
wird durch den Einfluss des sündigen Fleisches aufgehoben. Unsere Verderbtheit
macht es dem Gesetz unmöglich, uns zu retten, denn sie macht die Erfüllung des
Gesetzes unmöglich. Aber als diese Situation völlig hoffnungslos war, was die
Rettung des Menschen betraf, trat die Barmherzigkeit Gottes ein. Er sandte
seinen eigenen Sohn, den Sohn, der ihm an Wesen und Macht gleich war, der
dieselbe Gottheit besaß. Er sandte ihn in der Gestalt des Fleisches der Sünde,
gleich den Sündern in der Menschheit, einen wirklichen Menschen und den
Stellvertreter des Menschen, der die Sünde der ganzen Welt mit all ihren Folgen
trug, um die Sünde und ihre Schuld für immer zu beseitigen. Christus war die
Sühne, das Opfer für die Sünde. Und so verurteilte Gott die Sünde im Fleisch,
sprach das Urteil der Verurteilung über sie aus; das Opfer, der Tod Christi
zeigt, dass Gottes Gerechtigkeit die Sünde, die in der verdorbenen Natur des
Menschen herrscht, verurteilt hat. Christus wurde zum Fluch gemacht, weil er
den Fluch trug, der die Sünde treffen muss. Und damit hat Gott erklärt, dass
die Sünde nicht mehr das Recht hat, den Menschen zu knechten und ihn zu
zwingen, das Gesetz Gottes zu übertreten; er hat die Menschen von der
Gerichtsbarkeit der Sünde befreit. Und so kann das Gebot, die rechtmäßige
Forderung des Gesetzes, erfüllt werden, kann in uns erfüllt werden, das heißt
in den Menschen, die nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln.
Indem Christus uns von der Herrschaft der Sünde befreit hat, hat er es uns
ermöglicht, das Gesetz Gottes zu erfüllen, das Fleisch zu verleugnen und zu
kreuzigen und nach dem Geist zu leben. Und der Geist Christi, der Geist des
Lebens in Christus, hat uns von den Fesseln, von der Herrschaft und
Jurisdiktion der Sünde und des Todes befreit und lehrt uns nun, unser ganzes
Leben in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes zu führen.
Der Unterschied zwischen fleischlichem
Sinn und geistlichem Sinn (V. 5-11): In diesem Abschnitt wird der Gegensatz
zwischen Fleisch und Geist und zwischen denen, die sich einem von beiden
verschrieben haben, noch deutlicher und deutlicher. Diejenigen, die nach dem
Fleisch sind, die die moralische Natur und das Wesen des Fleisches haben, haben
ihr ganzes Denken auf die Dinge des Fleisches gerichtet; die Interessen des
Fleisches nehmen ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Ihre ganze Phantasie,
ihre Lüste und Begierden sind auf die Befriedigung sinnlicher, weltlicher
Gedanken und Vorstellungen gerichtet, Gal. 5,24. Diejenigen aber, die die Natur
des Geistes haben, die aus dem Geist neu geboren sind, haben nur ein Ziel,
nämlich die Werke des Geistes zu vollbringen und seine Früchte hervorzubringen,
Gal. 5,22. Denn das Denken des Fleisches, der Gegenstand und das Ziel der
Phantasie des natürlichen, sündigen Herzens, ist der Tod. Die fleischlichen
Freuden und Vergnügungen des Menschen werden schließlich zum Tod führen, zum
ewigen Tod. Aber das Denken des Geistes, das Ergebnis des Verlangens des
Geistes, das Objekt, auf das sich das ängstliche Verlangen des Geistes
konzentriert, wenn er im Geist des wiedergeborenen Menschen lebt, ist Leben und
Frieden. Das geistliche Leben eines Christen, wie es sich in seinem ganzen
Denken manifestiert, ist nicht die Ursache für das Leben in Frieden mit Gott,
für die Verwirklichung der Versöhnung mit Gott, sondern dieses Leben und dieser
Friede wird dem geistlichen Leben von Gott gegeben. Dieser Gegensatz zwischen
Fleisch und Geist wird von einer anderen Seite her betont: Denn der Geist, die
Gesinnung des Fleisches, ist Feindschaft gegen Gott. Das Fleisch findet das
Ziel seines Denkens im ewigen Tod, weil es Gott, der Quelle des Lebens,
feindlich gegenübersteht. Die Menschen, die dem Diktat ihres Fleisches folgen,
entscheiden sich bewusst für die Werke des Fleisches, weil sie böse sind und
sich gegen Gott und seinen heiligen Willen richten. Dem Gesetz Gottes wird das
Fleisch nicht gehorchen, weil ihm der Gedanke, dies zu tun, von Natur aus fremd
ist. Der Gegensatz zwischen dem Fleisch, der sündigen Natur des Menschen, und
dem reinen und heiligen Gesetz Gottes ist so groß, dass eine Einigung nicht in
Frage kommt: Die Kluft zwischen ihnen kann nicht überbrückt werden. Diejenigen,
die im Fleisch sind, die die Natur, die Eigenart des Fleisches in sich tragen,
können Gott nicht gefallen. Das Wesen des fleischlichen Geistes ist Rebellion
und Hass gegen Gott, und diese Veranlagung kann sich nicht anders zeigen als
durch den bewussten Ausdruck dieser Neigung in Handlungen, die dem Herrn
missfallen. Die Christen unterscheiden sich grundlegend von Menschen, die eine
solche Feindseligkeit gegenüber Gott an den Tag legen: Ihr aber seid nicht im
Fleisch, sondern im Geist; der Geist Gottes, der in den Gläubigen lebt, ist ihr
Lebens- und Wirkungsbereich, in ihm leben und bewegen sie sich. Und sie können
nicht anders, als unter der Herrschaft und Leitung des Geistes zu stehen, wenn
der Geist wirklich, wirklich in ihnen lebt. Das ganze Leben und Verhalten der
Christen entspricht den Anforderungen des wahren geistlichen Lebens, denn das
ist die natürliche, die unvermeidliche Folge und Konsequenz der Innewohnung des Heiligen Geistes in ihren Herzen. Es ist
notwendig, diesen Punkt zu betonen; denn wenn jemand den Geist Christi nicht
hat, ist er keiner der Seinen. Ein Mensch muss in Wahrheit regeneriert sein und
nicht nur dem Anschein nach; er muss tatsächlich den Geist Christi empfangen
haben und diesen Geist in sich wohnen haben, sonst wird Christus ihn nicht als
einen der Seinen anerkennen. Man beachte, dass der Geist hier der Geist Christi
genannt wird, dass also Christus mit dem Vater gleichgesetzt wird als
derjenige, von dem der Geist ausgeht.
Und nun präsentiert der Apostel seine
Schlussfolgerung: Wenn aber Christus in euch ist, wenn er die treibende Kraft
eures Lebens ist, die durch das Wirken seines Geistes in eure Herzen kommt, Joh.
14,16-18.23, dann ist zwar der Leib, das Werkzeug der Sünde, tot, d.h. vom
ersten Augenblick seines Daseins an dem Tod durch die Sünde unterworfen; aber
der Geist, der erneuerte und erneuerte menschliche Geist, der neue Mensch, ist
Leben durch die Gerechtigkeit. Der Geist, die Seele des Menschen, hat, nachdem er
die vollkommene Gerechtigkeit Christi in der Rechtfertigung empfangen hat, das
geistige Leben, das ihm eine unsterbliche und gesegnete Existenz sichert. Durch
den Glauben an Christus werden die Christen des ewigen Lebens teilhaftig. So
wird auch hier angedeutet, dass der höchste Segen der Ewigkeit allein auf
Christus beruht, damit niemand einen Grund zur Prahlerei hat. Und wir haben
nicht nur das Pfand des unsterblichen Lebens in und durch Christus, was unsere
Seele betrifft, sondern wir haben auch die Gewissheit, dass unser Leib
auferstehen wird: Wenn der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt
hat, in euch lebt, dann wird er, der Christus Jesus von den Toten auferweckt
hat, eure toten Leiber lebendig machen durch den Geist, der in euch wohnt. Das
Leben, das wir durch den Glauben in unserer Seele haben, wird schließlich zu
einem vollständigen Triumph über den Tod führen. Beachten Sie, wie treffend
diese Beschreibung Gottes in diesem Zusammenhang ist. Beachten Sie auch, dass
die drei Personen der Gottheit hier als Teilnehmer an der endgültigen
Auferstehung der Toten erwähnt werden, so wie sie alle bei der Bekehrung des
Menschen tätig waren. Derselbe Gott, der Jesus von den Toten auferweckt und
damit bewiesen hat, dass er die Quelle, der allmächtige Quell des Lebens ist,
wird auch unsere toten Leiber lebendig machen, ihnen Leben schenken; und dieses
Werk wird er durch seinen Heiligen Geist vollbringen, den Geist des Sohnes, der
Christus ist, der für uns gestorben und auferstanden ist und uns das Leben der
Verherrlichung bereitet hat, der Mittler unseres Heils. Unsere Auferstehung und
Verherrlichung hat ihre Grundlage in der Auferstehung Christi von den Toten. So
hat das geistliche Leben der Christen, der Geist Gottes und Christi, der in den
Christen lebt, das ewige Leben zum Ziel, mit der Verherrlichung unseres Leibes.
Der Geist der Gotteskindschaft in den
Christen (V. 12-17): Nachdem der Apostel den gesegneten Zustand der
Christen dargestellt hat, legt er ihnen nun eine Ermahnung in Form einer
Schlussfolgerung vor: So sind wir also, liebe Brüder, Schuldner. Alle Christen
sind aufgrund der empfangenen Wohltaten und Segnungen sehr stark verpflichtet.
Aber nicht gegenüber dem Fleisch, um nach dem Fleisch zu leben, denn der
natürliche Mensch ist geneigt zu glauben, dass er seinem Fleisch die
Befriedigung seiner Begierden schuldet, dass er verpflichtet ist, nach seinen
Forderungen zu leben. Mit dieser Redewendung bringt der Apostel sehr deutlich
zum Ausdruck, was er damit meint: Wir sind dem Geist etwas schuldig. Denn, so
argumentiert er, wenn ihr Christen nach dem Fleisch lebt, seinen Geboten und
Neigungen folgt, dann ist die unausweichliche Folge, die euch zwangsläufig
ereilen muss, der Tod. Die bloße Tatsache, dass ein Mensch zu irgendeinem
Zeitpunkt seines Lebens die Wahrheit in Christus angenommen hat, macht ihn noch
lange nicht für alle Zeiten sicher. Wenn Christen zulassen, dass ihr Fleisch,
ihre alte böse Natur, wieder die Oberhand gewinnt, ihr Leben und ihre
Handlungen bestimmt, dann gibt es nur ein mögliches Ergebnis: den ewigen Tod.
Wenn aber die Christen zu allen Zeiten durch den Geist, durch die Kraft des
Heiligen Geistes in ihnen, die Praktiken, die betrügerischen Handlungen des
Leibes als Werkzeug des Bösen abtöten, dann werden sie leben, für das ewige
Leben bewahrt werden: Heiligkeit, Glück und ewige Seligkeit.
Diese Tatsache, die Gewissheit der Gabe des
ewigen Lebens durch die Barmherzigkeit Gottes, wenn wir auf dem Weg der
Gerechtigkeit bleiben und die Taten des Leibes vernichten, ist nun bewiesen:
Denn so viele sich vom Geist Gottes leiten lassen, das sind die Kinder Gottes.
Nur die, die den Geist Gottes haben, sind in Wahrheit Glieder Christi. Und
dieser Geist bewegt, leitet, treibt die Christen an, wobei alle, die unter
diesem ständigen und wirksamen Einfluss des Geistes stehen, als Söhne Gottes
gelten, ja durch das Wirken des Geistes zu Söhnen Gottes gemacht werden. In und
durch Christus, dessen Erlösung ihnen durch den Geist vermittelt wird, werden
sie in jene innige Beziehung zu Gott gebracht, dass er ihr Vater ist und sie
seine Kinder durch Adoption sind, Gal. 3, 26. Und ihr Zustand und ihre
Beziehung zu Kindern wird dadurch bewiesen, dass der Geist sie ständig auf dem
Weg der Gerechtigkeit führt. Diese Beziehung zu Gott ist auch eine angenehme
Beziehung, eine, die einlädt und Vertrauen schafft: Denn ihr habt nicht wieder
den Geist der Knechtschaft zur Furcht empfangen. Jeder Mensch führt von Natur
aus ein Leben in Furcht und Angst, wie ein Sklave, der den Zorn und die Strafe
seines Herrn fürchtet. In gewissem Maße war die Religion des Alten Testaments
eine Religion, die den Geist der Knechtschaft förderte, demzufolge die Juden
immer in Furcht und Zweifeln lebten, ob sie das Gesetz vollkommen einhalten
würden. Aber der Geist, den die Gläubigen empfangen haben, ist der Geist der
Adoption, der Kinder Gottes. Der Heilige Geist bewirkt diese Beziehung der
Gläubigen zu Gott, er versichert ihnen mit dem durch den Glauben bewirkten
Vertrauen, dass Gott sie um Jesu willen als seine Kinder angenommen hat, und in
diesem Vertrauen rufen sie zu ihm: Abba, Vater, letzteres Wort ist die
Übersetzung des aramäischen Wortes, das bis heute in Gebrauch ist. Es ist ein
ernster Schrei, eine vehemente Ansprache, voller Sehnsucht, Vertrauen und
Glauben. So gibt uns der Geist Gottes in uns, indem er uns lehrt, Gott mit
einfachem, kindlichem Glauben zu vertrauen, ein sicheres, ein unzweifelhaftes
Zeugnis, einen definitiven Beweis und eine Gewissheit, dass wir Kinder Gottes
sind. Es ist eine Überzeugung, die nicht in unserem eigenen Geist zu finden
ist, die kein Mensch durch seine eigene Vernunft und Kraft haben kann, die
allein der Geist Gottes geben kann und gibt. Gerade die Tatsache, dass dieses
Zeugnis des Geistes völlig unabhängig ist von unseren eigenen Gefühlen, von
unserem jeweiligen Gemütszustand, macht es so sicher und zuverlässig, dass wir
liebe Kinder unseres himmlischen Vaters sind. Wenn aber Kinder, dann auch
Erben. Wenn wir Kinder Gottes sind, dann sind wir auch sicher, am Erbe der
Heiligen im Licht teilzuhaben; wir sind sicher, das Erbe Christi selbst zu
besitzen, mit dem wir durch die Tatsache unserer Adoption Miterben sind. Als
Kinder Gottes haben wir Anspruch auf die Seligkeit des Himmels, wie Gott sie
für seinen eingeborenen Sohn bereitet hat, für den, der aus der Fülle seines
göttlichen Wesens geboren wurde. Es gibt nur eine äußere Bedingung, die
unvermeidlich ist: Wenn es so ist, wenn wir nur mit ihm leiden, damit wir auch
mit ihm verherrlicht werden können. Die Christen sind der Leiden Christi
teilhaftig, sie sind verpflichtet, um seines Namens willen vielerlei Leiden zu
ertragen. Der Versuch, sich diesen Leiden zu entziehen, ist gleichbedeutend mit
der Weigerung, das Kreuz Christi zu tragen, Mark. 8,34; Luk. 9,23. Das Tragen
des Kreuzes ist keine absolute Bedingung, sondern das unvermeidliche Los derer,
die die Herrlichkeit der ewigen Seligkeit erwarten, Gal. 4,7. Und so dient die
schöne, tröstliche Lehre von der Adoption der Christen als Kinder Gottes, von
ihrem Erbe des ewigen Lebens, dazu, sie zu ermahnen, dem Fleisch zu sterben und
durch den Geist zu leben.
Trost in den mannigfaltigen Widrigkeiten
dieses Lebens (8,18-39)
18 Denn ich halte es dafür, dass dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit
nicht wert sei, die an uns soll offenbart werden. 19 Denn das ängstliche Harren
der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes, 20 da die Kreatur
unterworfen ist der Vergänglichkeit ohne ihren Willen, sondern um deswillen,
der sie unterworfen hat auf Hoffnung. 21 Denn auch die Kreatur frei werden wird
von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder
Gottes. 22 Denn wir wissen, dass alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstigt
sich noch immerdar.
23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir haben des
Geistes Erstlinge, sehnen uns auch bei uns selbst nach der Kindschaft und
warten auf unsers Leibes Erlösung. 24 Denn wir sind wohl selig, doch in der
Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann
man des, hoffen, das man sieht? 25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht
sehen, so erwarten wir es durch Geduld. 26 Desgleichen auch der Geist hilft
unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie
sich’s gebührt, sondern der Geist selbst vertritt uns aufs Beste mit
unaussprechlichem Seufzen. 27 Der aber die Herzen erforscht, der weiß, was des
Geistes Sinn sei; denn er vertritt die Heiligen nach dem, was Gott gefällt.
28 Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten
dienen, die nach dem Vorsatz berufen sind. 29 Denn welche er zuvor versehen
hat, die hat er auch verordnet, dass sie gleich sein sollten dem Ebenbild
seines Sohns, auf dass derselbe der Erstgeborne sei unter vielen Brüdern. 30
Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen
hat, die hat er auch gerecht gemacht; welche er aber hat gerecht gemacht, die
hat er auch herrlich gemacht.
31 Was wollen wir denn hierzu sagen? Ist Gott für uns, wer kann gegen
uns sein? 32 Welcher auch seines eigenen Sohnes nicht hat verschont, sondern
hat ihn für uns alle dahingegeben, wie sollte er uns mit ihm nicht alles
schenken? 33 Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der
da gerecht macht. 34 Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist,
ja vielmehr, der auch auferweckt ist, welcher ist zur Rechten Gottes und
vertritt uns. 35 Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst
oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? 36 Wie
geschrieben steht: Um deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wir sind
geachtet für Schlachtschafe. 37 Aber in dem allem überwinden wir weit um
deswillen, der uns geliebt hat. 38 Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch
Leben, weder Engel noch Herrschaften, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch
Kräfte, 39 weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns kann
scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm HERRN.
Das Sehnen der Kreatur (V. 18-22): In
V. 18 nennt der Apostel kurz das Thema des zweiten Teils dieses Kapitels: Denn
ich erwäge es; er gibt es als Ausdruck seiner stärksten Gewissheit, nicht als
eine unsichere Meinung oder das zweifelhafte Ergebnis von Vermutungen. Nicht
würdig sind die Leiden der gegenwärtigen Zeit, die nur zu diesem Leben gehören
und mit dem Ende dieser Weltperiode enden, im Vergleich zu der Herrlichkeit,
die uns offenbart werden soll. Alle Not, alle Bedrängnisse, alle Verfolgungen,
alles Leid, das den Christen um Jesu willen widerfährt, ist nur von kurzer
Dauer, wie die Zeit vor Gott gerechnet wird, und wird überdies von der
Herrlichkeit, die die Heiligen erben werden, so weit aufgewogen, dass sie nicht
recht in Betracht kommen kann. „Seht, wie er der Welt den Rücken kehrt und sein
Angesicht auf die künftige Offenbarung richtet, als sähe er nirgends auf Erden
Unglück oder Weh, sondern nur Freude. Wahrlich, auch wenn es uns schlecht geht,
sagt er, was ist unser Leid im Vergleich zu der unaussprechlichen Freude und
Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll? Es ist nicht würdig, verglichen
zu werden oder Leiden genannt zu werden.“[16]
Nachdem Paulus so den Leitgedanken dieses
ganzen Abschnitts dargelegt hat, unterstreicht er nun die Größe der
Herrlichkeit, die in uns geoffenbart werden soll, indem er die kommende
Befreiung der Schöpfung im Allgemeinen beschreibt, die mit all ihren Segnungen
unermesslich größer ist, als alles Leiden des gegenwärtigen Zustands sein
könnte. Die ernste Erwartung, das Wachen mit ausgestrecktem Haupt, das
sehnsüchtige, ängstliche Verlangen der Schöpfung, der Gesamtheit der
organischen und anorganischen geschaffenen Materie, insbesondere der tierischen
Geschöpfe, wartet geduldig, erwartungsvoll auf die Offenbarung der Kinder
Gottes. In dieser Welt erscheinen die Söhne Gottes gewöhnlich nicht, um in den
Augen der Welt zur Geltung zu kommen, sie werden nicht offenkundig: Es wird
nicht offen gezeigt, was für eine große und herrliche Sache es ist, ein Kind
Gottes zu sein, welche wunderbaren Segnungen der Herr für diejenigen vorgesehen
hat, die ihn lieben. Aber es wird die Zeit kommen, in der sie offenbar werden, in
der ihnen die Herrlichkeit des Himmels offenbart wird und sie vor den Augen
aller Menschen zu ihrem Eigentum werden. Und auf diesen Tag wartet die gesamte
tierische Schöpfung, die gesamte Natur, sehnsüchtig. Denn jetzt ist die
Schöpfung, diese Gesamtheit der Geschöpfe Gottes um uns herum, die wir
gemeinhin Natur nennen, der Eitelkeit unterworfen, nicht aus freien Stücken,
sondern wegen dessen, der sie unterworfen hat, weil Gott in seiner Weisheit es
so wollte. Da das Universum und alle sichtbaren Objekte um uns herum aus der
Hand Gottes entstanden sind, hatten sie die Kraft des Lebens in sich selbst.
Aber mit dem Sündenfall und dem darauf folgenden Fluch wurde die Natur der
Eitelkeit, der Unnützlichkeit und der Nutzlosigkeit
der sündigen Wünsche und Absichten des Menschen unterworfen. Wie Luther sagt,
klagen und schreien Sonne, Mond und Sterne, Himmel und Erde, das Getreide, das
wir essen, das Wasser oder der Wein, den wir trinken, Ochsen, Kühe, Schafe und
alles, was der Mensch benutzt, über die Tatsache ihrer Unterwerfung unter die
Eitelkeit, unter den Dienst der Sünde in den Händen des Menschen. Doch indem
Gott die Schöpfung im Allgemeinen in seinen Fluch über die Sünde einbezog,
hatte er zugleich eine künftige Änderung dieses beklagenswerten Zustands im
Sinn, wonach die leidende Schöpfung auf eine Befreiung aus diesem Zustand der
unfreiwilligen Unterwerfung hoffen darf; denn die Schöpfung selbst, die ganze
Natur um uns herum, wird aus der Knechtschaft der Verderbnis, der Sklaverei,
die aus der Verderbnis durch die Sünde entstanden ist, in die herrliche
Freiheit der Kinder Gottes, in die Freiheit von der Eitelkeit und Verderbnis
der Sünde und ihrer Folgen, befreit werden. Der Tag des Gerichts wird der
tierischen Schöpfung, der gesamten organischen und anorganischen Materie, die
Befreiung von der Tyrannei des Menschen bringen, der die Geschöpfe Gottes zu
Zwecken der Eitelkeit und Sünde benutzt. Wenn Himmel und Erde vergehen, wenn
die Erde und ihre Werke verbrannt werden, 2. Petr. 3,10, wird das das Ende der
unfreiwilligen Sklaverei in der ganzen Welt bedeuten. Und wie die Gläubigen
dann einen neuen Himmel und eine neue Erde erwarten, in denen Gerechtigkeit
wohnt, 2. Petr. 3,13, so werden alle Substanzen der alten Erde, nachdem sie die
Tyrannei der Sünde abgeworfen haben, jene Freiheit genießen, für die der Herr
sie im Anfang geschaffen hat. Inzwischen wissen wir, dass die ganze Schöpfung
mit uns Gläubigen seufzt und bis heute die heftigsten Schmerzen empfindet. Und
so leidet und wartet die ganze Schöpfung, wie Luther sagt; und worauf? „Auf die
herrliche Freiheit der Kinder Gottes, wenn sie nicht nur von ihrem Dienst
befreit sein wird, dass sie keinem Schurken mehr dient, sondern auch frei und
viel schöner sein wird, als sie jetzt ist, und nur den Kindern Gottes dient,
nicht mehr unter dem Teufel gefangen ist, wie sie jetzt gefangen ist.“[17]
Das sehnende Hoffen der Christen und des
Geistes Fürsprache (V. 23-27): Aber nicht nur das, nicht nur die ganze
Schöpfung seufzt und sehnt sich nach Erlösung, sondern auch wir selbst, die wir
die Erstlingsgabe des Geistes haben: auch wir seufzen in uns selbst und sehnen
uns nach der Annahme, der Erlösung unseres Leibes. Wir Christen, die wir den
Geist Gottes von oben empfangen haben, haben die Erstlingsgabe der zukünftigen
Welt, der himmlischen Herrlichkeit, in unserem Herzen, als eine sichere
Garantie der vollen Seligkeit, die uns in der Zukunft zuteil
werden soll, Eph. 1,14; 2. Kor. 1,22. Und doch erheben sich Seufzer aus
der Tiefe unserer Seele, Seufzer und Schreie nach Befreiung. Wir Christen sind
tief betroffen, schmerzlich berührt von den Nöten und dem Elend der
gegenwärtigen Welt. Und deshalb ist unser Seufzen auch Ausdruck unserer
ängstlichen, sehnsüchtigen Sehnsucht nach der vollen Offenbarung unserer
Sohnschaft. Wir sind schon jetzt Kinder Gottes, durch den Glauben, durch das
Wirken des Geistes. Aber wir sehnen uns danach, in den vollen Besitz und Genuss
unseres Erbes oben einzutreten, in die Erlösung unseres Leibes, die
vollständige Befreiung von allen Folgen der Sünde. Alle Augen und alle Herzen
sind auf jene gesegnete Stunde gerichtet, in der Christus unseren sterblichen
Leib endlich und vollständig von den Banden der Eitelkeit und des Todes
befreien wird, in der er unseren vergänglichen Leib verwandeln wird, damit er
seinem herrlichen Leib gleichgestaltet werde, Phil. 3,21.
Die Christen sind sich der endgültigen
Teilhabe an der Befreiung des Leibes und des vollen Genusses ihrer Sohnschaft
sicher. Aber in der Zwischenzeit ist die gegenwärtige Zeit, die Zeit in dieser
Welt, eine Zeit des Wartens und Hoffens. Wir haben die Herrlichkeiten des
Himmels in Erwartung oder Aussicht: Das Heil ist ein Segen, den wir in der
Hoffnung haben, den wir sicher in der Zukunft besitzen werden. Denn wenn der
Gegenstand der Hoffnung, der volle Genuss unserer Adoption, die vollkommene
Befreiung von der Sünde und ihren Folgen, eine Sache der Gegenwart und des
Besitzes wäre, dann könnte man nicht von Hoffnung sprechen; denn wenn man eine
Sache vor sich sieht, warum sollte man dann noch hoffen? Hoffen und Sehen
schließen sich gegenseitig aus. Und so schließt der Apostel mit Blick auf die
Besonderheit der Hoffnung, ihr wesentliches Merkmal: Wenn wir auf das hoffen,
was wir nicht sehen, dann warten wir mit Geduld und Ausdauer, wir warten
beharrlich und sehnsüchtig auf es. In der Gegenwart sind wir Christen unter die
Pflicht der Geduld, unter die Notwendigkeit der bangen Erwartung gestellt. Da
wir die Gewissheit unserer zukünftigen Seligkeit kennen, können alle Nöte der
Gegenwart und des Lebens unsere Hoffnung nicht erschüttern. „Das Heil in seiner
Fülle ist kein gegenwärtiges Gut, sondern eine Sache der Hoffnung und natürlich
der Zukunft; und wenn sie in der Zukunft liegt, müssen wir sie in geduldiger
und freudiger Erwartung erwarten.“ (Hodge.)
Nachdem der Apostel gezeigt hat, dass die
ganze Schöpfung sich nach Erlösung sehnt und dass auch die Christen seufzen und
seufzen, um die volle Offenbarung ihres Heils und seiner herrlichen Segnungen
zu erwarten, erklärt er nun zu unserer weiteren Ermutigung, dass der Geist auch
unserer Schwachheit zu Hilfe kommt. Obwohl wir Christen die Erkenntnis unseres
Heils haben und der endgültigen Offenbarung der Herrlichkeit Gottes in uns
sicher sind, kämpfen wir doch immer wieder mit unserer eigenen Schwäche im
Glauben und in der Hoffnung; manchmal fällt es uns schwer, die Verheißungen
Gottes bezüglich unserer Sohnschaft festzuhalten. Und so kommt der Geist
unseren wankenden, unsicheren Schritten zu Hilfe; seine Kraft dient dazu, uns
in unserer Schwachheit zu stützen. Der göttliche Beistand ist deshalb so
notwendig, weil wir Christen nicht die richtige Vorstellung von der Art und
Weise und der Eindringlichkeit des Gebets für die Dinge haben, die wir
brauchen; unsere Gebete entsprechen selten der Bedeutung der Segnungen, um die
wir bitten, sie sind dem Gegenstand unserer Gebete nicht angemessen. Und
deshalb kommt uns der Geist zu Hilfe: Er hält uns den großen Segen vor Augen,
auf den alle Gebete der Christen letztlich hinauslaufen: das Heil unserer
Seelen. Und nicht nur das, sondern er selbst tritt für uns ein mit einem
Seufzen und Stöhnen, das sich nicht in menschliche Worte kleiden lässt. Der
Kontrast zwischen dem gegenwärtigen Zustand der Bedrückung und Trübsal und dem
zukünftigen Zustand der Herrlichkeit ist so groß, dass wir Christen keine
angemessenen Worte der flehentlichen Bitte finden können, die unsere Sehnsucht
nach der endgültigen Befreiung angemessen ausdrücken würden. Aber unser großer
Tröster und Fürsprecher bringt in seinem Seufzen für uns unsere Sache vor Gott;
er spricht zu Gott durch das unartikulierte Seufzen der Herzen der Gläubigen.
Wenn das Kreuz der Christen schwer zu tragen ist, wenn sie sich verlassen und
allein fühlen, wenn sie keinen Tröster unter den Menschen haben, der versteht,
was ihr Herz bedrückt, dann wird ein unaussprechliches Sehnen und Seufzen nach
der Erlösung ihres Leibes aus ihrer Seele gedrückt. Und dann wird ihr
schwankender Glaube neu gestärkt, dann ergreift eine neue Freude und ein neuer
Trost von ihren Herzen Besitz, und die Gläubigen dürfen wieder in gläubiger
Zuversicht zu Gott aufschauen. All diese unartikulierten Seufzer in den Herzen
der Christen sind, obwohl sie nicht in die Worte der menschlichen Sprache
gekleidet sind und auch nicht gekleidet werden können, dennoch für Gott völlig
verständlich. Derjenige, der die Herzen erforscht, ist sich der Gedanken des
Geistes voll bewusst und kennt sie genau. Der allwissende Gott weiß, was der
Geist in diesem Seufzen denkt, dessen Inhalt nicht mit den Worten der
menschlichen Sprache ausgedrückt werden kann. Denn der Geist legt Fürsprache
für die Heiligen ein, wie die Gläubigen aufgrund der reinigenden Kraft des
Blutes Christi, die sie erfahren haben, zu Recht genannt werden, und zwar in
einer Weise, die völlig mit dem Willen und der Herrlichkeit Gottes
übereinstimmt. Mit heiligem, göttlichem Eifer, in voller Übereinstimmung mit
dem unermesslichen, göttlichen Inhalt unserer Hoffnung, mit der Inbrunst der
göttlichen Liebe tritt er für uns bei Gott ein, um uns die Herrlichkeit zu sichern,
die uns im Himmel bereitet ist. So ist die unaussprechliche Größe der
Herrlichkeit, die in uns geoffenbart werden soll und für deren Besitz der
Heilige Geist sein fürbittendes Flehen und Seufzen
hinzufügt, eine Quelle ständigen, herrlichen Trostes für die Christen.
Die Gewissheit von Gottes ewigem
Ratschluss (V. 28-30): In seiner Kette von Argumenten zum Trost der
Christen fügt Paulus nun ein weiteres Glied hinzu: Weiter wissen wir. Es ist
eine Sache der Glaubensgewissheit, dass denen, die Gott lieben, in denen ihr
Glaube diese Frucht des liebenden Gottvertrauens hervorgebracht hat, alle
Dinge, auch die Leiden dieser Zeit, zusammenwirken, zu Hilfe kommen, zum Guten,
zum Besten und damit auch zur Herrlichkeit dienen, die Paulus im ganzen
Abschnitt im Sinn hat. Nach dem Vorsatz Gottes muss alles, auch Trübsal und
Leiden, zum Guten und Heilsamen für die führen, die Gott lieben, oder, wie es
weiter heißt, die nach einem Vorsatz berufen sind, in denen der Ruf Gottes zum
Heil wirksam geworden ist, die wirklich zur Annahme der Segnungen gebracht
worden sind, zu denen Gott alle Menschen im Evangelium einlädt. Durch den Ruf
Gottes sind sie in die Gemeinschaft Jesu Christi gestellt worden, 1. Kor. 1,9;
sie sind aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen worden, 1. Petr.
2,9. Es war nicht ihr eigenes Tun, dessen Unzulänglichkeit später Zweifel an
der Gewissheit ihres Heils aufkommen lassen konnte, sondern es ist der wirksame
Ruf des treuen Gottes, 1. Kor. 1,9. Über diejenigen, die der Einladung und dem
Ruf Gottes im Evangelium nicht folgen, wird in diesem Abschnitt nichts gesagt.
Der gegenwärtige und künftige Zustand solcher Menschen ist nicht auf einen
Beschluss Gottes zurückzuführen. Von den Ungläubigen sagt die Bibel lediglich,
dass Gott auch ihnen die Einladung und den Ruf des Evangeliums zukommen lässt,
dass er nichts für sie übersehen und unterlassen hat, sondern dass sie
ihrerseits die Wirkung des Wortes mutwillig behinderten, sich dem Heiligen
Geist in seinem Bemühen um Bekehrung konsequent und bewusst widersetzten, dass
sie auf seinen Aufruf nicht hören wollten und daher ihre endgültige Verdammnis
nur sich selbst zuzuschreiben haben Die Schuld an der Verdammnis eines Menschen
liegt in keiner Weise bei Gott, sondern ganz und gar und allein beim Menschen.
Aber der Apostel spricht in unserem Abschnitt nur von denen, die durch den Ruf
Gottes wiedergeboren worden sind, und in die Zahl dieser schließt er sich
selbst und seine Leser ganz allgemein ein, ohne irgendeinen bösen Unterschied
zu machen.
Von denen, die so nach dem Vorsatz Gottes
berufen sind, ist nun die Rede: Diejenigen aber, die er vorher kannte, die hat
er auch berufen. Die Berufung Gottes ist das Ergebnis seines vorherigen
Vorherwissens: Er kannte sie vorher als die Seinen, es war ein ewiges
Vorherwissen, das mit wirksamer Liebe verbunden war; er hat sie in Gnade
bedacht, er hat sie im Voraus als solche auserwählt, die er mit der Zeit zu den
Seinen machen würde. Und in Übereinstimmung mit
diesem Vorherwissen erging der Ruf Gottes an sie und wurde in ihnen wirksam,
als sie das Wort des Evangeliums hörten. Doch bevor dies geschah, gab es einen
zweiten Akt von Seiten Gottes: Denn die er vorher kannte, die hat er auch
vorherbestimmt, bestimmt, verordnet, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu
werden, damit sie seinem Sohn gleichgestaltet seien nach Aussehen und Wandel,
damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Aufgrund und in seinem
Vorherwissen, aufgrund seiner ewigen Auserwählung durch die Gnade, hat Gott
auch die Auserwählten zur göttlichen Sohnschaft mit der Fülle der himmlischen
Herrlichkeit vorherbestimmt oder vorherbestimmt, wobei Christus der
Erstgeborene und der eingeborene Sohn und Erbe Gottes ist, aber alle die vielen
adoptierten Kinder in reichstem Maße an derselben Seligkeit mit ihm teilhaben.
Der Vorsatz und die Entscheidung Gottes in Bezug auf diejenigen, in denen seine
Berufung wirksam ist, umfasst also sowohl das Vorherwissen als auch die
Vorherbestimmung und hat die Darstellung der himmlischen Herrlichkeit in Christus
zum Ziel.
Und nun wird die tatsächliche Ausführung
dieses Ratschlusses und Vorsatzes, wie er in der Ewigkeit gemacht und geformt
wurde, beschrieben: Die er vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; und die
er berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt; und die er gerechtfertigt hat,
die hat er auch verherrlicht. Die Vorherbestimmung Gottes hat sich an denen
vollzogen, die er in seiner Barmherzigkeit zu den Seinen erwählt hat. Seine
gnädige Berufung war in ihrem Fall wirksam; sie entfachte den Glauben an Jesus
Christus und seine Erlösung. Und so führte der Ruf oder die Bekehrung zu ihrer
Rechtfertigung, die Gerechtigkeit Christi wurde ihnen zuteil, Gott erklärte sie
für gerecht um Jesu Christi willen, den sie durch den Glauben angenommen
hatten. Und so zieht die Rechtfertigung ihrerseits die Verherrlichung nach sich
und geht in ihr auf. Die volle Offenbarung der Herrlichkeit liegt noch in der
Zukunft, aber ihr Besitz ist schon jetzt sicher, nur ihr Genuss ist eine Frage
der Hoffnung. So werden der Beschluss Gottes und seine Ausführung vom Apostel
in ihrer Reihenfolge nach dem Gnadenband Gottes über die Gläubigen dargestellt.
Er hat die Gewissheit der zukünftigen Erlösung und Herrlichkeit, die sich auf
den ewigen Ratschluss und die Verordnung Gottes gründet, in großartiger Weise
herausgestellt.
Die Gewissheit von Gottes unwandelbarer
Liebe in Christus Jesus (V. 31-39): In allen Briefen des Paulus gibt es nur
wenige Abschnitte, die diesem Lobgesang des Triumphes, des siegreichen
Glaubens, an erhabener und nachhaltiger Kraft gleichkommen, und keinen, der ihn
übertrifft. An die Christen gerichtet, wie es hier der Fall ist, sollte es nie
versäumen, sie zu höchster Glaubensbegeisterung und zu größter Zuversicht und
Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes und ihres Erlösers Jesus Christus
aufzurütteln. "Was sollen wir also sagen?" Welche Schlussfolgerung
sollen wir aus der gesamten Darstellung ziehen? „Der Apostel hat das Leiden,
das diejenigen zu ertragen haben, die an der Herrlichkeit Christi teilhaben
wollen, im Vergleich zu dieser Herrlichkeit herabgesetzt (V. 18); er hat es (V.
19-27) als eine Art Prophetie der Herrlichkeit gedeutet, die folgen wird; er
hat in diesen letzten Versen die Gegenwart eines ewigen, siegreichen Ziels der
Liebe durch das ganze Leben des Christen behauptet.“ (Denney.) Welche
Schlussfolgerung muss er nun ziehen und mit ihm jeder Gläubige? Wenn Gott für
uns ist, wer ist dann gegen uns? Die erste Schlussfolgerung ist, dass Gott auf
unserer Seite ist; dass Gott, der uns zur Herrlichkeit bestimmt hat und seinen
Ratschluss in unserem Fall ausführt, auf unserer Seite ist, und deshalb kann
uns kein Feind wirklich schaden; alle ihre Versuche müssen ins Leere laufen. Es
ist kein herausfordernder Schrei, sondern einer der Siegesgewissheit, in der
Gewissheit, dass alle Macht des Feindes von vornherein zunichte gemacht wird.
Der Grund für diese Zuversicht und
Sicherheit ist die Liebe Gottes: Er, der auch seinen eigenen Sohn nicht
verschont hat, sondern ihn als Opfer für uns alle in den Tod gab, - wie sollte
er uns mit ihm aus freier Gnade nicht alles schenken? Paulus schließt sich hier
selbst mit allen gläubigen, auserwählten Kindern Gottes ein. Christus ist das
Sühnopfer für die Sünden der ganzen Welt. Aber der Zweck seines Opfers
verwirklicht sich nur in den Gläubigen; sie wenden die Liebe Gottes nur auf
sich selbst an und werden seiner Erlösung teilhaftig, wobei der Sohn Gottes
selbst das größte Geschenk der Gnade ist und alle anderen Segnungen Gottes,
insbesondere die zukünftige Erlösung und Herrlichkeit, einschließt. Diese
Segnungen sind untrennbar mit Christus verbunden, und wer den Erlöser aufnimmt,
wird dadurch des ganzen Reichtums der Gnadenschätze Gottes teilhaftig. Wer will
die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist es, der rechtfertigt. Wer die
Auserwählten Gottes, die Gläubigen, von denen in V. 28 die Rede ist, vor den
Richterstuhl Gottes ziehen will, wird bitter enttäuscht werden. Denn anstatt zu
beweisen, dass sie unter Gottes Urteil der Verurteilung stehen, wird er
feststellen, dass Gott sie für gerecht erklärt hat. Wer würde das Urteil der
Verurteilung über sie sprechen? Es werden vier schlüssige Gründe angeführt,
warum ein solches Urteil nicht in Frage kommt: der Tod Christi, seine
Auferstehung, seine Erhöhung und seine Fürbitte. Christus starb, aber nicht für
sich selbst, sondern nur als unser Stellvertreter, indem er mit seinem Tod den
Preis für all unsere Schuld bezahlte; er stand von den Toten auf und erhielt so
das Siegel und die Gewissheit der Annahme des Opfers durch Gott; er fuhr zur
Rechten Gottes auf, er nahm den vollen Gebrauch seiner göttlichen Macht und
Herrlichkeit an, auch gemäß seiner menschlichen Natur; und sein ständiges Werk
in der Gegenwart ist seine Fürsprache für uns, sein Handeln als unser
Fürsprecher bei Gott, 1. Joh. 2,l.
Und nun kommt die allerletzte Stufe auf
dem Höhepunkt der Argumentation des Apostels, „der Gipfel des Berges der
Zuversicht, von dem aus er auf seine Feinde als ohnmächtig herabschaut und
vorwärts und aufwärts mit der vollen Gewissheit eines endgültigen und
reichlichen Triumphes“. Anklagen haben keine Wirkung, Verurteilungen können uns
nichts anhaben, und auch jeder Versuch von Gewalt muss von vornherein
scheitern. Wer soll uns von der Liebe Christi trennen, uns wegnehmen? Mit
Christus sind wir untrennbar verbunden durch seine Liebe zu uns, durch den
Glauben. Kann irgendjemand oder irgendetwas das Band unserer Gemeinschaft mit
Christus zerreißen und uns den Glauben aus dem Herzen nehmen? Der Apostel nennt
einige der Faktoren, die uns in dieser Hinsicht am ehesten schaden können,
feindliche Mächte und Einflüsse, wie sie von Satan und von den Kindern der Welt
eingesetzt werden: Trübsal, Bedrängnis, Notlagen aller Art, Verfolgung durch
unsere Feinde, Hunger, Nacktheit, Gefahr, Schwert, wobei die Verfolgung unter
bestimmten Umständen ihren Höhepunkt finden wird. Nebenbei weist Paulus darauf
hin, dass das Ertragen all solcher Schwierigkeiten und Bedrängnisse in der
Heiligen Schrift prophezeit wird, indem er auf Ps. 44,22 verweist, wo die
Kirche des Alten Testaments beklagt, dass viele ihrer Glieder um ihres festen
Standes auf der Seite Gottes willen den Märtyrertod erleiden müssen, dass sie
wie Schafe zum Schlachten gerechnet und behandelt werden. Aber all diese Dinge
übergeht Paulus mit einer Schroffheit, die an Ungeduld grenzt: Vielmehr sind
wir in all diesen Dingen, in all diesen Bedrängnissen und Schwierigkeiten, mehr
als Überwinder durch den, der uns geliebt hat. Unsere Feinde sind nicht nur
nicht in der Lage, uns wirklich zu schaden, sondern sie werden sogar besiegt,
bevor sie Gelegenheit hatten, Böses zu tun. Der Christ ist sich des Sieges im
Voraus sicher, nicht durch seine eigene Kraft und Macht, sondern durch seinen
Erlöser Jesus Christus und seine Liebe. Und so schließt Paulus mit einem
Ausbruch triumphaler Beredsamkeit: Denn ich bin überzeugt - und mit ihm alle
wahren Christen -, dass weder der Tod, noch das Martyrium, noch das Leben mit
seinen verschiedenen Wechselfällen und Prüfungen, noch die Engel, noch die
Fürstentümer, noch die mächtigen Geister aller Art, noch die gegenwärtigen
Dinge, die jetzt auf uns lasten, noch die zukünftigen, wie bedrohlich sie auch
aussehen mögen; noch Mächte, welcher Art sie auch sein mögen; weder Höhe noch
Tiefe, alle feindlichen Angriffe, ob von oben oder von unten, die ihren
Ursprung in gottfeindlichen Kräften haben, noch irgendein anderes Geschöpf,
eine allumfassende Bestimmung, können uns von der Liebe Gottes, die in Christus
Jesus, unserem Herrn, ist, trennen und unsere innige Gemeinschaft mit ihr
durchschneiden. So erreicht das Lied des Glaubens seinen Höhepunkt in einer
siegreichen Melodie, die die Gewissheit des Christen, sein Glaubensvertrauen in
die Liebe Gottes und Christi zum Ausdruck bringt. Es ist ein Thema, das es wert
ist, in einem solchen Glaubenslied besungen zu werden.
Zusammenfassung: Der Apostel
erinnert die Christen daran, dass sie verpflichtet sind, der Führung des
Geistes zu folgen, der in ihnen lebt und ihnen die Garantie ihrer Adoption
gibt, und dass die gegenwärtige Zeit, eine Zeit der Trübsal, dazu bestimmt ist,
durch einen umso herrlicheren Kontrast die Größe und die Gewissheit der
endgültigen Erlösung zu verdeutlichen, derer uns niemand berauben kann.
Der Abschnitt aus Röm. 8,28-30 ist einer
der Beweistexte für die Lehre von der Erwählung aus Gnaden, eine Wahrheit, die
in der Heiligen Schrift eindeutig gelehrt wird. Und hier ist zunächst zu
bemerken, dass der Apostel diese Lehre erst behandelt, nachdem er die
grundlegenden Artikel der christlichen Lehre, von Sünde und Gnade, von
Rechtfertigung und Heiligung, ausführlich dargelegt hat. Er wendet sich
speziell an die wiedergeborenen, gerechtfertigten und geheiligten Kinder Gottes
und lenkt ihre Aufmerksamkeit auf den wunderbaren Ratschluss Gottes zu ihrer
Heiligung. Die Lehre von der Prädestination zum Grundprinzip und zur Quelle
aller christlichen Lehren zu machen, steht nicht im Einklang mit der Heiligen
Schrift. Die Lehre von der Auserwählung aus Gnaden ist eine Quelle reichen
Trostes für gläubige Christen, für die, die im Geist wandeln und sehnsüchtig
die künftige Herrlichkeit erwarten, und sie kann daher nur von diesen
verstanden und richtig gewürdigt werden. Es ist auch zu beachten, dass der
Apostel nur von einer Erwählung aus Gnaden zum ewigen Leben spricht und
nirgends eine Erwählung zur Verdammnis lehrt. Aus der Tatsache, dass bestimmte
Menschen von Gott zur ewigen Rettung vorherbestimmt sind, zu schließen, dass
die anderen zur ewigen Verdammnis bestimmt sind, bedeutet, Gesetz und
Evangelium zu verwechseln und das Christentum zu verwerfen. Die Erwählung der
Gnade hat jeden einzelnen der Auserwählten zum Gegenstand; sie betrifft nur die
Kinder Gottes, die zum ewigen Leben erwählt und auserwählt sind. Denn diese
Personen sind die Kinder Gottes, die Gott lieben, die Christen. In den Briefen
des Neuen Testaments werden die Ausdrücke „berufen“, „geheiligt“, „geliebt“ und
„auserwählt“ ganz unterschiedlich verwendet. Und in den lutherischen
Bekenntnissen werden die Titel „Auserwählte“, „Christen“ und „Kinder Gottes“
als Synonyme verwendet. Wenn die Heilige Schrift also von den Auserwählten
spricht, von denen, die Gott vorherbestimmt hat, sollten wir an gläubige
Christen denken und uns sicher sein, dass wir selbst zu den Auserwählten
gehören. Es ist übrigens wahr, dass nur diejenigen wirklich auserwählt sind,
die bis zum Ende im Glauben bleiben und schließlich verherrlicht werden. Aber
die Heilige Schrift spricht immer wieder von den Christen und beschreibt sie
als Menschen, deren Merkmal der Glaube ist und die das Ziel des Glaubens, das
Heil ihrer Seelen, empfangen. Deshalb definiert Luther die heilige christliche
Kirche oder die Gemeinschaft der Heiligen als die Gesamtheit derer, die der
Heilige Geist beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und mit Jesus Christus in
dem einen wahren Glauben bewahrt. Nun lehrt die Erfahrung, dass viele, die
einmal gläubig waren, früher oder später ihren Glauben verlieren. Und die Bibel
warnt eindringlich vor dem Rückfall und spricht von solchen, die nur eine Zeit
lang gläubig sind. Aber all das gehört nicht zur Lehre von der Erwählung aus
Gnaden; denn diese betrifft nur die Menschen, die glauben und gerettet werden.
Die ewige Erwählung oder Prädestination, da sie nur bestimmte Personen
betrifft, unterscheidet sich gerade deshalb vom Rat der Erlösung, von der
ausdrücklichen Lehre der allgemeinen Gnade, die alle Menschen betrifft. Die
ewige Erwählung der Gnade bedeutet, dass Gott jeden einzelnen der Auserwählten,
die jetzt Christen sind und Gott und damit auch uns lieben, vor Grundlegung der
Welt zu sich, zu den Seinen, erwählt und zur ewigen Herrlichkeit bestimmt hat;
dieser Beschluss wurde in der Zeit vollzogen, als Gott diese Menschen berief
und ihnen den vollen Segen der Rechtfertigung durch die Verdienste Jesu
übermittelte. Und dieser Vorsatz Gottes wird sich mit Sicherheit erfüllen. Die
Erwählung Gottes ist also nicht nur die Ursache für unsere Errettung, sondern
auch für unsere Berufung, Bekehrung und Rechtfertigung. Der Glaube ist die
Folge der Erwählung Gottes und gibt dem Gläubigen die Garantie, dass er zu den
Auserwählten gehört und schließlich die ewige Herrlichkeit erlangen wird. Und
deshalb ist die Lehre von der Erwählung aus Gnaden, wie sie oben und an anderen
Stellen gelehrt wird (Eph. 1,3 ff.; 2 Thess. 2,13 ff.; 2 Tim. 1,9: 1 Petr. 1,1.2),
ist voller Trost für die Christen. Wenn je ein Zweifel an unserem Heil in
unserem Herzen aufsteigen will, dann sollten wir uns daran erinnern und uns an
das Wissen klammern, dass Gott von Ewigkeit her die Sache unseres Heils und
alles, was dazu gehört, in seine barmherzige und mächtige Hand genommen hat.
Inmitten aller Kreuze und Prüfungen, wenn es scheint, dass Gott uns völlig
verlassen hat, sollten wir unseren Glauben auf sein Wort stützen, das uns sagt,
dass alle Drangsale dieser Zeit nur Zwischenfälle auf dem Weg zum Himmel sind
und in keiner Weise mit der Herrlichkeit verglichen werden können, die am Tag
unserer endgültigen Erlösung an uns offenbart werden soll. Wenn wir uns also
streng an die Argumentation der Schrift halten und den Trost der Schrift auf
unser Herz anwenden, dann werden unsere Gedanken nicht zu anderen umkehren,
dann werden wir nicht der Versuchung nachgeben, über diese Lehre in ihren
sogenannten vernünftigen Schlussfolgerungen zu spekulieren, und werden so vor
den Gefahren bewahrt, in die solche Spekulationen führen. Wenn wir also an der
Wahrheit festhalten, dass die Erwählung aus Gnaden keine absolute Erwählung
ist, dass sie kein willkürlicher Akt des souveränen Wohlgefallens Gottes war,
sondern aus dem ewigen Ratschluss der Liebe hervorgeht, dass sie allein auf
seiner Gnade und Barmherzigkeit beruht und dass ihr Zweck darin besteht, uns
bis zu unserem Ende in seinem Wort und Glauben zu bewahren, dann werden alle Gedanken
des Zweifels aus unseren Herzen verschwinden, und unser Glaube wird sehr fest
stehen.[18]
Der Unterschied
zwischen dem wahren und dem falschen Israel (9,1-13)
1 Ich sage die Wahrheit in Christo und lüge nicht, des mir Zeugnis gibt
mein Gewissen in dem Heiligen Geist, 2 dass ich große Traurigkeit und Schmerzen
ohne Unterlass in meinem Herzen habe. 3 Ich habe gewünscht, verbannt zu sein
von Christus für meine Brüder, die meine Verwandten sind nach dem Fleisch, 4
die da sind von Israel, welchen gehört die Kindschaft und die Herrlichkeit und
der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißung; 5 welcher auch
sind die Väter, aus welchen Christus herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott
über alles, gelobt in Ewigkeit! Amen.
6 Aber nicht sage ich solches, dass Gottes Wort darum aus sei. Denn es
sind nicht alle Israeliten, die von Israel sind; 7 auch nicht alle, die
Abrahams Same sind, sind darum auch Kinder, sondern: In Isaak soll dir der Same
genannt sein. 8 Das ist, nicht sind das Gottes Kinder, die nach dem Fleisch
Kinder sind, sondern die Kinder der Verheißung werden für Samen gerechnet. 9
Denn dies ist ein Wort der Verheißung, da er spricht: Um diese Zeit will ich
kommen, und Sara soll einen Sohn haben.
10 Nicht allein aber ist’s mit dem also, sondern auch, da Rebecka von
dem einigen Isaak, unserem Vater, schwanger wurde; 11 ehe die Kinder geboren
waren und weder Gutes noch Böses getan hatten, auf dass der Vorsatz Gottes
bestünde nach der Wahl, wurde zu ihr gesagt, 12 nicht aus Verdienst der Werke,
sondern aus Gnaden des Berufes, also: Der Ältere soll dienstbar werden dem
Jüngeren, 13 wie denn geschrieben steht: Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe
ich gehasst.
Die Verwerfung der Juden macht traurig
(V. 1-5): Der Apostel hat den ersten Teil seines Briefes, die positive
Darlegung seines Evangeliums, abgeschlossen. Er eröffnet nun einen völlig neuen
Abschnitt, indem er sich einigen praktischen Problemen widmet, die mit der
Lehre des Evangeliums von der Erlösung durch Christus Jesus verbunden sind. Die
Wahrheit, die ich in Christus sage, lüge ich nicht. Es ist eine sehr feierliche
und nachdrückliche Beteuerung in einer Angelegenheit, die ihm sehr am Herzen
liegt. Er spricht die Wahrheit in dem, dessen Herrschaft und Regierung er in
allen Lebenslagen angenommen hat, und setzt damit seine Gemeinschaft mit
Christus in die Praxis um: Nicht nur als ehrlicher Mensch, sondern als Christ
und als Diener Jesu Christi sagt er die Wahrheit, beweist er den Glauben seines
Herzens. Und um die Wahrheit seiner Aussage noch mehr zu unterstreichen,
bekräftigt er, dass sein Gewissen mit seinen Worten im Heiligen Geist Zeugnis
ablegt. Paulus ist sich der Tatsache voll bewusst und sicher, dass sein
Gewissen in diesem Fall nicht irrt, dass der Heilige Geist selbst sein Führer
in dieser Sache ist und dass das Zeugnis seines Gewissens somit ganz und gar
zuverlässig ist. Der Inhalt seiner feierlichen Behauptung ist zunächst einmal:
Ich habe große Schwere und beständigen Kummer in meinem Herzen. Er trägt eine
schwere Last von Kummer und Schmerz, die sein Herz in große Bedrängnis bringt.
Er konnte kaum Worte finden, die stark genug waren, um sein Gefühl
auszudrücken. Denn er war alles andere als ein gleichgültiger Beobachter des
zeitlichen und geistlichen Leids, das über seine Landsleute hereinbrechen
sollte. Er drückt nun seine grenzenlose Liebe zu seinen jüdischen Brüdern mit
den allerschärfsten Worten aus: Ich könnte wünschen, dass ich selbst für meine
Brüder ein Fluch wäre, weg von Christus, anstelle meiner Brüder, meiner
Verwandten nach dem Fleisch. Bis zu diesem Extrem wäre Paulus bereit zu gehen,
wenn es dem Willen Gottes entspräche, wenn die Sache erlaubt, möglich,
angemessen wäre. Sein eigenes Seelenheil ist Paulus bereit, aufs Spiel zu setzen,
um den Fluch und das Verderben, das den Juden, seinen Verwandten dem Fleische
nach, droht, zu ersetzen. Paulus ist hier, wie Mose vor ihm, 2. Mose 32, 32,
bereit, seine Seele als Lösegeld für die Seelen seines Volkes zu geben, und
zeigt damit eine fast unglaubliche Kraft, Tiefe und Glut der Liebe, die weit
über das gewöhnliche Mitgefühl hinausgeht. Das Innerste seines Wesens wurde
durch seine liebevolle Zuneigung zu den Menschen seines eigenen Volkes
erschüttert.
Paulus zählt nun einige Vorzüge seines
Volkes auf, die es uns ermöglichen, die Glut seiner Liebe zu ihnen und die
Tiefe seines Schmerzes über ihren Ausschluss vom Heil in Christus zu ermessen:
Sie sind Israeliten, ausgezeichnet und geehrt durch den Namen, den der Engel
des Herrn dem Patriarchen Jakob gegeben hat, 1. Mose 32,20, worauf sie sehr
stolz waren. Sie waren Söhne: Sie waren von Gott auserwählt, sein Volk in einem
besonderen Sinne zu sein, Hos. 11,1; 2. Mose 4,22.23; 19,5, „auserwählt, die
Empfänger besonderer Segnungen zu sein und in einer besonderen Beziehung zu
Gott zu stehen“. Zu ihnen gehörte die Herrlichkeit des Herrn, jene einzigartige
Manifestation der Gegenwart Gottes, nach der Gott inmitten seines Volkes mit
seiner barmherzigen Gegenwart lebte, 2. Mose 40,34; 29,43; 3. Mose 16,2; 1. Kön.
8,11. Sie hatten die Bündnisse oder Testamente. Gott hatte wiederholt einen
förmlichen Bund mit den Patriarchen geschlossen und ihnen ausdrücklich
zugesichert, dass er ihr Gott und der Gott ihrer Nachkommen sein würde. Ihr
Vorrecht war die Übergabe des Gesetzes, die feierliche und eindrucksvolle
Erklärung des göttlichen Willens vom Berg Sinai, eine Auszeichnung, auf die die
Juden besonders stolz waren. Ihnen gehörte auch der Gottesdienst, das ganze
Ritual, die schöne und eindrucksvolle Form des Gottesdienstes in der
Stiftshütte und im Tempel. Zu ihnen gehörten die Verheißungen des Messias und
seiner Erlösung; sie waren in ihrer Mitte von ihren eigenen Propheten empfangen
worden. Zum jüdischen Volk gehörten auch die Väter, die Stammväter des Messias,
von denen Jesus, der von der Jungfrau Maria, einer echten Jüdin, geboren wurde,
seine menschliche Natur annahm. Dies war wahrlich das größte Privileg und die
größte Auszeichnung, wie der heilige Paulus in seiner Doxologie hervorhebt: Der
über alles Gott ist, gepriesen in Ewigkeit. Amen. Jesus Christus, wahrer
Mensch, geboren als Angehöriger des jüdischen Volkes, ist zugleich Gott über
alles, wahrer Gott von Ewigkeit, mit seiner allmächtigen Macht, die sich über die
ganze Welt, über alle Geschöpfe erstreckt. Und als solcher gebührt ihm die
Ehre, die Gott zuteil wird, Segen und Herrlichkeit in
alle Ewigkeit, für immer und ewig. Zu dieser Erklärung sagen wir Amen, denn sie
ist wahr. Man beachte, dass die Gottheit Christi hier mit größtem Nachdruck
bekräftigt und hervorgehoben wird, ebenso wie im gesamten Johannesevangelium
und in anderen Stellen der Heiligen Schrift, Phil. 2,6; Kol. 2,9: Eph. 5,5; 2.
Thess. 1,12; Tit. 2,13. beachte auch, dass die großen Vorrechte und Vorteile,
die der heilige Paulus hier aufzählt, eine ausreichende Erklärung für die Glut
seiner Liebe bieten. Er war alles andere als ein Feind seines Volkes: Seine
Fürsorge war von aufrichtiger Zuneigung getragen.
Die Verheißungen Gottes gelten sich auf
die geistlichen Nachkommen Abrahams (V. 6-9): Nach dem, was der Apostel in
den ersten Versen des Kapitels gesagt hatte, könnten die Juden argumentieren,
dass er genau die Verheißungen Gottes beiseite schob,
die er gerade als Vorrecht der Israeliten erwähnt hatte. Er fährt daher fort zu
zeigen, dass die Ablehnung des jüdischen Volkes nicht beweist, dass die ihnen
gegebenen Verheißungen Gottes nicht erfüllt werden. Er macht deutlich, was er
meint: Aber ich will nicht sagen, dass das Wort Gottes zu Boden gefallen ist,
ins Leere gegangen ist. Die Verheißung Gottes, dass Israel das Volk Gottes und
der Träger der Prophezeiung über Christus sein sollte, sei weiterhin gültig und
verlässlich. Der Prophet von Nazareth war auch der Retter Israels, er sollte
allen Kindern Abrahams gegeben werden. Und das äußere Israel ist ein Fluch und
ein Greuel vor dem Herrn geworden. Diesen scheinbaren
Widerspruch löst Paulus nun auf: Denn nicht alle, die aus Israel sind, die
durch fleischliche Abstammung und Verwandtschaft zum jüdischen Geschlecht
gehören, sind wirklich Israel in dem Sinne, in dem Gott den Ausdruck gebraucht:
gemeint sind die geistlichen Nachkommen Israels, die, die dem Patriarchen in
seinem Glauben gefolgt sind. Auch die, die der Same sind, die Kinder Abrahams
nach dem Fleisch, sind nicht alle Kinder in Wahrheit und von Gott als solche
anerkannt; sondern: In Isaak soll dein Same genannt werden, 1. Mose 21,12; nach
Isaak soll dein Same genannt werden; die Nachkommen Isaaks sind, wörtlich
genommen, als die wahren Kinder Abrahams zu betrachten. Eine rein fleischliche
Abstammung von den Patriarchen kann nicht als Grundlage für eine Prahlerei
dienen, denn Ismael wurde trotz seiner natürlichen Abstammung von Abraham
verworfen, und deshalb kann Gott auch die Juden verwerfen, obwohl sie ihre
Abstammung auf Abraham zurückführen können.
Neben dem geschichtlichen Beweis, den
Paulus soeben angeführt hat, stellt er nun die geistliche Bedeutung heraus, die
in der Verheißung Gottes an Abraham enthalten ist: Das heißt: Nicht die Kinder
des Fleisches, die nach dem gewöhnlichen Lauf der Natur geboren werden, sind
Kinder Gottes, sondern die Kinder der Verheißung werden zum Samen gerechnet,
als die wahren Nachkommen Abrahams. Denn so lautet das Wort der Verheißung:
Nach dieser Zeit, der Zeit, die der Lauf der Natur erfordert, werde ich kommen,
und Sara wird einen Sohn haben. Rein historisch betrachtet, könnten diese
Worte, 1. Mose 18,10, bedeuten, dass Isaak aufgrund einer besonderen Verheißung
geboren wurde. Aber der Apostel bezieht hier den weiteren, geistlichen Sinn mit
ein. Die Kinder der Verheißung sind diejenigen, die die Verheißung, die
Prophezeiung und Botschaft des Messias, durch den Glauben angenommen haben,
Gal. 4,24-28; in diesem Sinne ist Isaak der Typus der geistlichen Kinder der
Verheißung, derer, die durch die Annahme der göttlichen Verheißung in Christus
Jesus Kinder Gottes geworden sind, die Gläubigen aller Zeiten. Die Tendenz der
Argumentation des Paulus ist also, dass Gott, so wie er einen Unterschied
zwischen den Kindern, den Nachkommen Abrahams, gemacht hat, immer noch unterscheidet:
Die Tatsache, dass viele Menschen, die große Mehrheit der Juden, das Evangelium
nicht annehmen und von Gott verstoßen werden, beweist ebenso wenig, dass die
Verheißung gescheitert ist, wie die Tatsache, dass Gott früher nur Isaak
erwählte und Ismael beiseite ließ.
Ein zusätzliches Beispiel für Verwerfung
(V. 10-13): Um seine Aussagen zusätzlich zu bekräftigen! Paulus führt ein
weiteres Beispiel aus der Geschichte der Patriarchen ein: Aber nicht nur
dieses. Das eben zitierte Beispiel ist nicht das einzige; auch Rebekka liefert
einen Beweis für den fraglichen Punkt. „Im ersten Fall könnte man annehmen,
dass Isaak deshalb auserwählt wurde, weil er der Sohn von Sara, einer freien
Frau, und der rechtmäßigen Ehefrau Abrahams war, während Ismael der Sohn einer
Magd war.“ (Hodge.) Aber hier würde eine solche Annahme nicht zutreffen. Denn
Jakob und Esau hatten einen Vater und eine Mutter und waren Zwillingssöhne,
Kinder von derselben Empfängnis und Geburt. Es gab also, menschlich gesprochen,
nur einen Punkt, in dem eine Bevorzugung möglich war, und zwar aufgrund des
Rechts des Erstgeborenen. Aber genau dieser Faktor wurde von Gott außer Acht
gelassen, als er zu Rebekka sagte: „Der Größere, der Ältere, soll dem
Kleineren, dem Jüngeren, dienen“ (1. Mose 25, 21-26). Durch den Willen Gottes
und durch seine Macht erhielt Jakob, der Jüngere, der die jüdische Nation
repräsentierte, die Verheißung Gottes und wurde zum Träger der messianischen
Prophezeiung, während Esau, der Ältere, der die Edomiter
repräsentierte, nicht zum auserwählten Volk Gottes gehörte. Diese allgemeine
Aussage über die Vorliebe Gottes und seine bewusste Auswahl wird durch drei
modifizierende Sätze erläutert und in Beziehung zur Argumentation des Apostels
gesetzt. Der erste lautet: Denn obwohl sie noch nicht geboren waren, hatten sie
weder etwas Gutes noch etwas Böses getan. Dies dient der Information von
Menschen, die mit der Situation nicht vertraut waren und daher denken könnten,
dass die Entscheidung Gottes durch die Handlungen der beiden Söhne bestimmt
wurde. Gott berücksichtigte in keiner Weise den natürlichen Zustand oder das
Verhalten von Esau und Jakob. Die zweite Erklärung lautet: Dass der Beschluss
Gottes nach der Wahl bestehen bleiben könnte. Gott hatte zu Rebekka gesagt,
dass der Ältere dem Jüngeren dienen würde, damit der Vorsatz Gottes nach der
Auserwählung bestehen bleibt, erfüllt und verwirklicht wird. Gott war fest
entschlossen, Jakobs Nachkommen als sein Volk anzunehmen und ihnen seine
Urteile und Zeugnisse zu offenbaren, nach denen der Retter der Welt aus Jakob
hervorgehen sollte. Es handelte sich um eine Auswahl oder Wahl; Gott wählte den
jüngeren Sohn Rebekkas für seine Zwecke aus. Jakob, nicht Esau, sollte der
Stammvater des Volkes Gottes sein, er sollte die Verheißung des Erbes
weitergeben, er sollte der Vorfahre des Erlösers selbst sein. Der dritte
Modifizierungssatz lautet: Nicht aus Werken, sondern aus dem, der berufen hat.
Die Aussage Gottes gegenüber Rebekka erfolgte nicht aufgrund von Werken, nicht
in Anbetracht eines künftigen besseren Verhaltens des jüngeren Sohnes, sondern
allein aufgrund dessen, der berufen hat, denn Gott hat in seiner souveränen
Freiheit beschlossen, Jakob zum Träger der Verheißung zu machen; durch seine
Worte an die Mutter hat Gott Jakob in sein Amt als Patriarch eingesetzt. Und
die Berufung Jakobs war die Folge, die Verwirklichung der Erwählung Gottes.
Die so herausgestellte Wahrheit wird durch
einen Abschnitt aus den Schriften des Alten Testaments weiter bestätigt: Jakob
habe ich geliebt, Esau aber habe ich gehasst, Mal. 1,2.3. Die besondere
Auszeichnung, die Jakob nach dem souveränen Willen Gottes zuteil
wurde, wurde Esau verwehrt. Die Schrift spricht hier in Übereinstimmung
mit der Art und Weise, wie ein Mensch die Situation beurteilt; bei den Menschen
wäre eine solche Behandlung, wie sie hier beschrieben wird, die Folge von Liebe
und Hass; bei Gott ist es die Manifestation gnädiger Liebe im einen Fall und
die Vorenthaltung derselben im anderen Fall. Gott hat Jakob und seinen
Nachkommen das Vorrecht seiner Offenbarung und seiner Gegenwart verliehen,
wonach er die Juden als sein Volk angenommen und ihnen sein Wort und seine
Verheißung anvertraut hat. Der gesamte Abschnitt bezieht sich also nicht auf
die Erwählung aus Gnade zum Heil, sondern nur auf die relative Stellung der
Israeliten und der Edomiter gegenüber der
Heilsgeschichte. Sowohl Ismael als auch Esau können sehr wohl gerettet worden
sein; es gibt keine Stelle in der Heiligen Schrift, die uns zwingt, ihre
endgültige Verdammung anzunehmen. Aber die allgemeine Tendenz der Argumentation
des Paulus bleibt bestehen und wird durch diesen historischen Hinweis
bestätigt. Dass Esau vom Erbe der Verheißung ausgeschlossen wurde, ist ein
Beweis dafür, dass nicht alle Israeliten, die von Abraham abstammen, Israeliten
im wahren Sinne des Wortes sind. Und so wie Jakob von Gott zu seiner
herausragenden Stellung in der Heilsgeschichte auserwählt wurde, ohne dass er
sich irgendetwas verdient oder verdient hätte, so werden die geistlichen Kinder
Gottes, die Gläubigen, aus der Mitte der erlösten Menschheit durch die
barmherzige Wahl Gottes auserwählt.
Die göttliche Souveränität und ihr
Ergebnis (9,14-33)
14 Was wollen wir denn hier sagen? Ist denn Gott ungerecht? Das sei
ferne! 15 Denn er spricht zu Mose: Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig,
und welches ich mich erbarme, des erbarme ich mich. 16 So liegt es nun nicht an
jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. 17 Denn die Schrift
sagt zu Pharao: Eben darum hab’ ich dich erweckt, dass ich an dir meine Macht
erzeige, auf dass mein Name verkündigt werde in allen Landen. 18 So erbarmt er
sich nun; welches er will, und verstockt, welchen er will.
19 So sagst du zu mir: Was beschuldigt er denn uns? Wer kann seinem
Willen widerstehen? 20 Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott
rechten willst? Spricht auch ein Werk zu
seinem Meister: Warum machst du mich so? 21 Hat nicht ein Töpfer Macht, aus
einem Klumpen zu machen ein Fass zu Ehren und das andere zu Unehren?
22 Deshalb, da Gott wollte Zorn erzeigen und kundtun seine Macht, hat er
mit großer Geduld getragen die Gefäße des Zorns, die da zugerichtet sind zur
Verdammnis, 23 auf dass er kundtäte den Reichtum seiner Herrlichkeit an den
Gefäßen der Barmherzigkeit, die er bereitet hat zur Herrlichkeit, 24 welche er
berufen hat, nämlich uns, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den
Heiden. 25 Wie er denn auch durch Hosea spricht: Ich
will das mein Volk heißen, das nicht mein Volk war, und meine Liebe, die nicht
die Liebe war. 26 Und soll geschehen, an dem Ort, da zu ihnen gesagt ward: Ihr
seid nicht mein Volk, sollen sie Kinder des lebendigen Gottes genannt werden.
27 Jesaja aber schreit für Israel: Wenn die Zahl der Kinder von Israel würde
sein wie der Sand am Meer, so wird doch das Übrige selig werden; 28 Denn es
wird ein Verderben und Steuern geschehen zur Gerechtigkeit, und der HERR wird
dies Steuern tun auf Erden. 29 Und wie Jesaja davor sagt: Wenn uns nicht der
HERR Zebaoth hätte lassen Samen überbleiben, so wären wir wie Sodom worden und
gleichwie Gomorra.
30 Was wollen wir nun hier sagen? Das wollen wir sagen: Die Heiden, die
nicht haben nach der Gerechtigkeit gestanden, haben die Gerechtigkeit erlangt;
ich sage aber von der Gerechtigkeit, die aus dem Glauben kommt. 31 Israel aber
hat dem Gesetz der Gerechtigkeit nachgestanden und hat das Gesetz der
Gerechtigkeit nicht überkommen. 32 Warum das? Darum, dass sie es nicht aus dem
Glauben, sondern als aus den Werken des Gesetzes suchen. Denn sie haben sich
gestoßen an den Stein des Anlaufens, 33 wie geschrieben steht: Siehe da, ich
lege in Zion einen Stein des Anlaufens und einen Fels des Ärgernisses; und wer
an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.
Antwort auf einen ernsten Einwurf
(V. 14-18): Welche Schlussfolgerung sollen wir aus dem Argument ziehen, das im
ersten Teil des Kapitels dargelegt wird? Der Apostel macht sich bereit, einem
Einwand zu begegnen, den er nicht nur von Seiten der Juden, sondern von Seiten
jedes Menschen, der diese Worte lesen könnte, vorwegnimmt, nämlich dass die
souveräne Freiheit Gottes im Grunde ungerecht sei. Er zeigt, dass Gott in
seiner souveränen Entscheidung nicht ungerecht handelt, denn er beansprucht für
sich in der Heiligen Schrift die Freiheit, sowohl zu begünstigen als auch zu
verstocken, wie er will. Mit Entsetzen weist der Apostel daher die
Unterstellung zurück: Wir können doch nicht behaupten, dass es bei Gott
Ungerechtigkeit gibt? Keineswegs! Die Prinzipien, die der souveräne Gott für
sein eigenes Handeln wählt, können nicht ungerecht sein, auch wenn unser
schwacher menschlicher Verstand dazu neigen sollte, diesen Schluss zu ziehen.
Und der Apostel zitiert eine Stelle aus dem feierlichen Gespräch Gottes mit Mose,
2. Mose 33,18.19, um seine Behauptung zu beweisen. Gott sagte dort zu Mose:
Barmherzigkeit will ich erweisen, wem ich Barmherzigkeit erweisen will, und
Erbarmen will ich haben, wem ich Erbarmen geben will. Die Barmherzigkeit und
das Erbarmen Gottes haben ihre Grundlage allein in Gott, in seiner
Barmherzigkeit und seinem Erbarmen; sie hängen allein von seinem eigenen
souveränen Willen ab; er ist niemandem außer sich selbst verantwortlich; er
muss niemandem außer sich selbst Rechenschaft ablegen; er ist niemandem
gegenüber verpflichtet. Es ist wichtig zu beachten, dass diese Worte im Fall
von Mose gesprochen wurden, denn in seinem Fall, wenn auch in dem jedes anderen
Menschen auf der Welt, hätte sich der Herr veranlasst sehen können, eine
Ausnahme zu machen. Da aber in seinem Fall die gleiche Regel galt wie bei allen
anderen Menschen, schließt Paulus: Es liegt also nicht an dem, der will, noch
an dem, der läuft, sondern an Gott, der Barmherzigkeit erweist. Die barmherzige
Anwendung des Erbarmens Gottes hängt keineswegs von den Bemühungen und
Anstrengungen der Menschen ab, sondern allein von Gott. Und was Gott auf diese
Weise für richtig und gut erklärt, ist demnach auch richtig und gut. Der
Apostel stützt sich auf zwei Voraussetzungen, nämlich darauf, dass die Schrift,
aus der er zitiert, das Wort Gottes ist, und dass keine Tat Gottes eigentlich
ungerecht sein kann. Und damit hat er alle Einwände entkräftet.
Aber Paulus ist noch nicht zufrieden. Er
will auch am Beispiel eines Menschen, der Gottes Zorn und Unwillen erfahren
hat, zeigen, dass es bei Gott keine Ungerechtigkeit und kein Unrecht gibt. Denn
die Schrift sagt zu Pharao, 2. Mose 9,16: Dazu habe ich dich aufstehen,
hervortreten, in der Geschichte erscheinen lassen, damit ich an dir meine Macht
zeige und mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde. Das war der Grund,
warum der Pharao der Heiligen Schrift auf der Bühne der Geschichte erschien,
damit er ein Beispiel für die Offenbarung der Macht Gottes sei, der Macht, die
fähig ist, die Vernichtung hartnäckiger Sünder zu bewirken. Und nachdem dieser
Plan Gottes in Erfüllung gegangen war, 2. Mose 9,15-17, wurde der Bericht über
die Bestrafung des Pharaos und die Befreiung der Kinder Israels weit und breit
unter den Heidenvölkern verbreitet und diente dazu, das Gericht und die
Gerechtigkeit, die Herrlichkeit Gottes zu begründen. Und so schließt Mose,
indem er Pharao als Typus für die verstockten Sünder nimmt: Gott ist also
gnädig, wem er will, aber wen er will, den verhärtet er. Das Beispiel des
Pharao zeigt die schreckliche Wirkung der Selbstverhärtung. Gott hat Gedanken
der Gnade und Barmherzigkeit gegenüber allen Menschen, er will ernsthaft das
Heil aller Menschen. Er bietet seine Gaben der Barmherzigkeit ausnahmslos allen
an, 1. Tim. 2,4; Röm. 11,32; Hes. 33,11. Gott hatte
seinen Ruf auch auf den Pharao ausgedehnt; er sandte seine Boten zu ihm, er
flehte ihn an, er züchtigte ihn, um ihn auf den Weg der Buße und der
Gerechtigkeit zu führen. Aber der stolze König weigerte sich, auf jedes Angebot
zu hören; er wandte sich absichtlich von den Versuchen Gottes ab, seine Füße
auf den Weg des Friedens zu lenken. Und so überließ Gott ihn schließlich seinem
bösen Willen und seiner Absicht; er zog seine Hand, seine rettende Gnade, von
ihm zurück. Das war das Urteil, durch das das Herz des Pharao verstockt wurde.[19]
Den argumentierenden Widersacher zur
Ruhe bringen (V. 19-21): Paulus führt hier den Einwand nicht eines
demütigen Wahrheitssuchers ein, sondern eines wahrhaft modernen Fehlersuchers,
der auf seinen Intellekt und seine Logik stolz ist. Wenn er hört, dass Gott
seine gnädige Hand von dem verstockten Sünder zurückzieht, könnte er fragen:
"Warum findet Gott immer wieder Fehler? Wer wird sich seinem erklärten
Willen widersetzen? Der gotteslästerliche Einwender bringt den Gedanken vor,
dass Gott, wenn er allen Menschen ernsthaft seine Gnade und Barmherzigkeit
offenbaren wollte, dies sicherlich tun könnte. Und wer könnte ihm widerstehen?
Die Antwort ist naheliegend: Keiner! Wenn Gott seine souveräne Majestät und
Herrlichkeit bei der Ausführung eines Werkes einsetzt, wird seine allmächtige
Kraft den Versuch immer zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Aber Gott
beschließt nicht, auf diese Weise mit den Menschen umzugehen, wenn es um ihre
Erlösung geht. Er wirkt durch die Mittel des Evangeliums und der Sakramente,
ohne willkürliche Anwendung seiner souveränen Macht. Wenn also ein Mensch die
Mittel der Gnade konsequent ablehnt und sich weigert, auf alle Versuche Gottes
zu hören, wie auch immer sie aussehen mögen, dann wird seine Selbstverhärtung
zu Recht durch den Entzug der Gnade Gottes bestraft, und er hat sich seine
Verdammnis selbst zuzuschreiben. Gott ist nicht für das Böse verantwortlich,
und die Schuld an der Verstockung eines Menschen kann ihm nicht angelastet
werden.
Der Apostel wählt daher nicht einmal den
Weg, um den Irrtum und die Torheit des gegnerischen Arguments aufzuzeigen,
sondern stellt eine Gegenfrage, die eine deutliche Rüge für den respektlosen
Geist enthält, mit dem die Menschen über die Taten Gottes urteilen: Ja, Mensch,
wer bist du, der Gott antwortet? Wie kann ein einfacher Mensch es wagen, Gott
zur Rechenschaft zu ziehen oder seine Gerechtigkeit in Frage zu stellen? Die
Unbedeutsamkeit und Schwäche des Menschen im Vergleich zur Vollkommenheit des
großen Gottes ist so groß, dass selbst der Verdacht, er sei in irgendeiner
Weise der Ungerechtigkeit schuldig, eine Unverschämtheit und Anmaßung ist. Das
Geformte wird doch nicht zu dem, der es geformt hat, sagen: Warum hast du mich
so gemacht? Oder hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus demselben Klumpen
oder derselben Masse das eine Gefäß zur Ehre, das andere zur Unehre zu machen?
Der Apostel stellt seinen Gegner vor die Alternative, entweder die absolute
Autorität Gottes in der Stille anzuerkennen oder die absurde Behauptung
aufzustellen, der Töpfer habe keine Macht über den Ton, aus dem er Gefäße
formt. Das Bild, das der Apostel verwendet, findet sich häufig im Alten
Testament und in ähnlichen gedanklichen Zusammenhängen, Jes. 29,16; 45,9; 64,7;
Jer. 18,6. Allein der Gedanke, dass ein vom Töpfer hergestelltes Gefäß sich
gegen die Form und den Verwendungszweck, für den es bestimmt ist, wehren
sollte, erscheint so töricht, dass eine Antwort nicht nötig ist. Genauso
unsinnig ist es aber nach der Argumentation des Paulus, dass irgendein Mensch
in der Welt Gott für die Art und Weise, wie er die Welt regiert, zur
Rechenschaft zieht. Gott hat als Schöpfer und Herrscher das Recht, sich zu
erbarmen, mit wem er will, und zu verstocken, wen er will, in dem oben
dargelegten Sinne. Der Apostel geht nicht über diese Tatsache hinaus, noch
begibt er sich in den Bereich der Spekulation. Er will nicht, dass daraus
Schlüsse gezogen werden, die zur Rebellion verleiten. Anmerkung: Für einen
Christen ist es nicht nur Zeitverschwendung, sich in Spekulationen über Lehren
zu ergehen, die Gott nicht in seinem Wort offenbart hat, sondern führt sehr oft
zu einem falschen Verständnis der Wahrheiten, die in dem unfehlbaren Buch
Gottes klar dargelegt sind.
Gott wendet seine Macht zugunsten der
Menschen an (V. 22-29): Wenn es sich nur um eine Frage des Rechts Gottes
handelt, dann kann die Antwort nur die sein, die Paulus in den Versen 19-21
gegeben hat. Eine ganz andere Frage aber ist die, ob Gott von dieser absoluten
Souveränität und Macht im Hinblick auf das ewige Schicksal des Menschen, sein
Heil oder seine Verdammnis, Gebrauch macht. Wenn aber Gott, um seinen Zorn zu
zeigen und seine Macht bekannt zu machen, die Gefäße des Zorns, die zur
Verdammnis bestimmt sind, in großer Langmut ertragen hat -! Werden die
vernünftigen Einwände noch aufrechterhalten? Obwohl Gott, indem er das Gericht
der Verstockung und Verdammung über die Sünder vollzog, seinen Zorn zeigen und
seine Macht kundtun wollte, ertrug er die Gefäße dieses Zorns zuvor mit der
größten Geduld. Die Menschen hatten Gottes Zorn auf sich gezogen, sie
verdienten das volle Maß seiner Empörung und seines Zorns. Aber der Herr war
voller Barmherzigkeit und Langmut; seine Geduld hatte den Zweck, die Sünder zur
Umkehr zu führen, 2. Petr. 3,9. Obwohl die Sünder ganz und gar zum Verderben
bestimmt waren, hatte Gott doch Geduld mit ihnen; das Maß ihrer Übertretung ist
übervoll, und doch gießt Gott nicht die Schalen seines Zorns über sie aus. Er
lässt nichts unversucht, um sie zur Vernunft zu bringen. Das ist die andere
Seite des Wesens Gottes, in der seine Liebe und Barmherzigkeit zum Tragen
kommt. Das ist die Art und Weise, in der sich die Geduld Gottes manifestiert,
wie viele Beispiele aus der Geschichte zeigen werden. Und diese Tatsachen
entziehen dem Argument des Gegners jede Kraft.
Aber Gott hatte noch einen zweiten Zweck im
Auge, als er die Gefäße des Zorns ertrug: um den Reichtum seiner Herrlichkeit
an den Gefäßen der Barmherzigkeit kundzutun, die er zuvor zur Herrlichkeit
bereitet hat, uns, die er auch berufen hat, nicht nur aus Juden, sondern auch
aus Heiden. Die Tatsache, dass Gott im Fall der Gefäße des Zorns eine solche
Fülle von Geduld zeigte, hatte übrigens den Zweck, einen Beweis und eine
Manifestation seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Barmherzigkeit, den
Gläubigen, zu geben, in denen sein herrlicher Plan verwirklicht wird. Indem er
die Gläubigen aus der Mitte der Juden und Heiden berief und sie zu Christus
bekehrte, hat er sich selbst verherrlicht, Eph. 1,6; sein Werk diente seinem
eigenen Lob und seiner Ehre. Denn durch den Ruf Gottes haben die Gefäße der
Barmherzigkeit sein Erbarmen empfangen, er hat sie zu Empfängern und Trägern
seiner Gnade in Jesus Christus gemacht. Und dasselbe Volk ist im Voraus für die
Herrlichkeit des Himmels zubereitet worden, Matthäus 25, 34: Sowohl ihre
Berufung als auch ihr Eintritt in die Herrlichkeit ist eine Folge von Gottes
Ratschluss der Gnade. So hat Gott sich an den Gefäßen der Barmherzigkeit durch
die Offenbarung seiner Gnade verherrlicht und zugleich aus Juden und Heiden ein
Volk für sich gesammelt, das hier die Fülle seiner Güte und Barmherzigkeit
sieht und genießt und schließlich seine Herrlichkeit in aller Ewigkeit schauen
wird.
Diese Tatsachen untermauert Paulus nun
durch einen Hinweis auf die alttestamentlichen Schriften, indem er zunächst ein
freies Zitat aus Hosea, Kap. 2,23, anführt, um zu
zeigen, dass Gottes Volk auch aus den Heiden gesammelt werden soll: Ich will
die, die nicht mein Volk sind, mein Volk nennen, und die, die nicht geliebt
sind, Geliebte; und an dem Ort, wo man zu ihnen gesagt hat: Mein Volk seid ihr
nicht, da wird man sie Söhne des lebendigen Gottes nennen. Vgl. 1. Petr. 2,10.
Obwohl sich der Prophet auf die Wiederzulassung Israels als Volk Gottes
bezieht, ist das Zitat des Paulus zugunsten der Aufnahme der Heiden völlig
gerechtfertigt, denn die Worte weisen nebenbei auf die Art und Weise hin, in
der Gott zu allen Zeiten Fremde in die Gemeinschaft mit ihm aufnimmt. Aus dem
Land der Heiden, aus der Mitte der Heiden, aus allen Völkern der Erde wollte
der Herr seine Kirche sammeln und sammelt sie zu sich. Er dehnt seine
Barmherzigkeit aus, ruft, bekehrt auch die Heiden, macht sie zu den Seinen,
damit sie unter ihm in seinem Reich leben und ihm in ewiger Gerechtigkeit,
Unschuld und Seligkeit dienen.
Paulus führt aber auch Zitate an, um seine
Aussage zu untermauern, dass Gott die Glieder seiner Kirche aus der Mitte der
Juden beruft. Er bezieht sich auf Jes. 10, 22. 23, wo Jesaja über Israel
ausruft: Wenn die Zahl der Kinder Israel wäre wie der Sand am Meer, so wird der
Überrest gerettet werden; denn das Wort, das Orakel Gottes, wird zu Ende
gebracht und in Gerechtigkeit vollendet; denn das Gericht wird schnell
vollzogen werden. Es ist ein letztes und entscheidendes Werk, das der Herr im
Lande vollbringt, indem er den Überrest Israels inmitten der allgemeinen
Zerstörung, die über die hartnäckigen Sünder kommt, rettet. Wenn die große
Masse Israels von der Flutwelle des göttlichen Vernichtungsgerichts getroffen
wird, wird der Herr einen Überrest retten und einige wenige von ihnen zur
Erkenntnis ihres Erlösers, des wahren Messias, führen. Das zweite Zitat aus
Jesaja, Kap. 1, 9, steht in wörtlicher Übereinstimmung mit der griechischen
Übersetzung: Hätte der Herr von Sabaoth uns nicht einen Samen gelassen, so
wären wir wie Sodom geworden und hätten uns wie Gomorra verhalten. Über die
große Mehrheit des jüdischen Volkes wurde das Gericht Gottes von der Zeit
Jesajas bis zur endgültigen Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 n. Chr.
ausgegossen. Nach menschlichem Ermessen wäre das Ende die Vernichtung der
jüdischen Rasse gewesen, wie das Schicksal, das Sodom und Gomorrha ereilte.
Aber der Herr bewahrte sich einen Samen, einen entkommenen Teil, einen
Überrest, der für die Zukunft gerettet wurde, die kleine Schar der wahren
Israeliten, die Jesus als ihren Erlöser annahmen. Und so hat der Herr, wie
Paulus behauptet, die Seinen sowohl aus den Heiden als auch aus den Juden
auserwählt und sie zu sich selbst in seine Kirche versammelt. Deshalb muss auch
jeder Einwand gegen das Werk Gottes zurückgenommen werden, jede Beleidigung
muss als falsch und töricht anerkannt werden. Die hier dargelegten Tatsachen
sind dazu bestimmt, alle falschen Vorstellungen von Gott zu beseitigen. Wenn
wir uns nur die Liebe und Barmherzigkeit Gottes vor Augen halten, wie wir sie
so reichlich erfahren haben, dann wird das einzige Gefühl, das in unseren
Herzen zu finden ist, ein Gefühl der Freude und Dankbarkeit über die Wunder der
Gnade Gottes sein, die uns täglich gezeigt werden.
Der Schluss (V. 30-33): Der Apostel
hatte gezeigt, dass Gott seine Kirche baute, indem er die Seinen aus den Heiden
und aus einem kleinen Rest Israels berief, während die große Mehrheit des
jüdischen Volkes, die Nation als solche, verworfen wurde. Welche
Schlussfolgerung ist aus diesen Tatsachen zu ziehen, die genau mit den
Prophezeiungen übereinstimmten? Paulus bringt die Antwort in Form eines
Paradoxons, in dem die Worte wie ein Widerspruch klingen: Die Heiden, die der
Gerechtigkeit nicht nachgefolgt sind, haben die Gerechtigkeit erlangt, aber die
Gerechtigkeit des Glaubens. Die Heiden versuchten nicht, durch das Halten des
Gesetzes vollkommen zu werden, sie kümmerten sich nicht um die Gerechtigkeit
des Lebens, wie sie das heilige Gesetz Gottes verlangt. Aber im Wort des
Evangeliums wurde ihnen die Gerechtigkeit vor Augen gestellt, nicht dass sie
heilig und vollkommen gemacht wurden, sondern dass ihnen die Gerechtigkeit
durch den Glauben geschenkt wurde. Gott bewirkte durch das Evangelium den
Glauben in ihren Herzen, und durch diesen Glauben ergriffen sie die
Gerechtigkeit; Gott erklärte sie für gerecht, er sah sie an, als seien sie
vollkommen rein und gerecht. Und diese Tatsache erwähnt der Apostel, um den
Zustand der Juden zu betonen. Aber Israel, das nach dem Gesetz der
Gerechtigkeit strebte und es ernsthaft suchte, hat dieses Gesetz nicht
erreicht. Die Juden hatten das mosaische Gesetz, und sie glaubten, sie könnten
dieses Gesetz vollkommen erfüllen und so die Gerechtigkeit erlangen, die sie
vor Gott durch ihre Werke annehmbar machen würde. Aber alle diese Bemühungen
erwiesen sich als vergeblich; Israel wurde den Anforderungen des Gesetzes nicht
gerecht, es konnte den Anforderungen, die es anstrebte, nicht gerecht werden.
Es gelang den Juden, eine äußere Fassade des rechten Lebens zu erwerben, aber
die wahre geistige Erfüllung des Gesetzes erreichten sie nicht. Da aber die
vollkommene Gerechtigkeit eine Bedingung für die Erlösung ist, folgten die
Verwerfung der Juden, der Zorn und die Verdammung, ganz selbstverständlich.
Und der Zusammenhang wird in den letzten
Versen deutlich gemacht. Warum ist Israel nie so weit gekommen, dass es in
vollkommener Übereinstimmung mit dem Gesetz war? Warum ist es den Juden nicht
gelungen, die Gerechtigkeit zu erlangen? Weil sie sie nicht durch den Glauben
erlangten, sondern, wie man zu sagen pflegt, als ob sie sie durch Werke des
Gesetzes erlangen könnten. Da das Gesetz für die Bedürfnisse der Sünder
unzureichend war, hatte Gott eine Methode der Rechtfertigung vorgeschlagen, die
allein für Sünder geeignet war. Aber das wussten sie nicht; sie lehnten die
vollkommene Gerechtigkeit ab, die für sie vorbereitet war, und weigerten sich,
das Evangelium von Jesus Christus anzunehmen. Und so stolperten sie über den
Stein des Anstoßes, den Messias selbst; wie vorhergesagt, nahmen sie Anstoß an
dem Heilsplan, der in Jesus Christus offenbart und durch sein stellvertretendes
Opfer ermöglicht wurde. Sie sind über ihn gestolpert und dadurch zu Fall
gekommen. Und so erfüllte sich die Prophezeiung Jesajas, Kap. 28,16; 8,13-15,
deren Inhalt Paulus kurz wiedergibt: Siehe, ich lege in Zion einen Stein des
Anstoßes und einen Fels des Ärgernisses, und wer an ihn glaubt, wird nicht
zuschanden werden. Der kostbare Stein, den der Herr als Fundament und Eckstein
in seinen geistlichen Tempel gelegt hat, ist Jesus, die einzige Quelle des
Heils. Aber Israel hat die Erlösung durch diesen Messias abgelehnt, und deshalb
ist er für das ungehorsame, ungläubige Volk ein Stein des Anstoßes und ein Fels
des Ärgernisses geworden. Das ist das Urteil Gottes über die willentlichen
Verächter seiner Gnade und seiner Heilsmethode: Sie nehmen Anstoß an Christus
und dem Evangelium und werden so schließlich an einen Punkt gebracht, an dem
sie die Erlösung nicht mehr annehmen können und der Verdammung und dem
Verderben preisgegeben sind. Anmerkung: Wer den Plan und die Methode der
Erlösung, die Gott vorschlägt, ablehnt und versucht, durch seine eigenen Werke
und die Erfüllung des Gesetzes Gerechtigkeit zu erlangen, wird sich in der Lage
der ungläubigen Juden wiederfinden und ihre Verurteilung teilen.
Zusammenfassung: Der Apostel
zeigt, dass die Verheißung Gottes an die Patriarchen nicht wirkungslos war,
sondern in den geistlichen Kindern Abrahams ihre Verwirklichung gefunden hat;
dass Gott zwar die souveräne Macht hat, Barmherzigkeit zu zeigen und zu
verstocken, dass er aber tatsächlich große Geduld mit dem ungehorsamen Volk
gezeigt und seine Kirche aus Heiden und Juden gesammelt hat, wobei das Volk als
solches wegen seiner Ablehnung des Messias verworfen wurde.
Die Juden haben
ihre Verwerfung selbst verursacht
(10,1-21)
1 Liebe Brüder, meines Herzens Wunsch ist, und flehe auch zu Gott für
Israel, dass sie selig werden. 2 Denn ich gebe ihnen das Zeugnis, dass sie
eifern um Gott, aber mit Unverstand. 3 Denn sie erkennen die Gerechtigkeit
nicht, die vor Gott gilt, und trachten, ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten,
und sind so der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, nicht untertan. 4 Denn
Christus ist des Gesetzes Ende; wer an den glaubt, der ist gerecht.
5 Mose schreibt wohl von der Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz
kommt: Welcher Mensch dies tut, der wird
darin leben. 6 Aber die Gerechtigkeit aus dem Glauben spricht so: Sprich nicht
in deinem Herzen: Wer will hinauf zum Himmel fahren? (Das ist nichts anderes,
als Christus herabholen.) 7 Oder: Wer will hinab in die Tiefe fahren? (Das ist
nichts anderes, als Christus von den Toten holen.) 8 Aber was sagt sie? Das
Wort ist dir nahe, nämlich in deinem Mund und in deinem Herzen. Dies ist das
Wort vom Glauben, das wir predigen. 9 Denn so du mit deinem Mund bekennst
Jesus, dass er der HERR sei, und glaubest in deinem Herzen, dass ihn Gott von
den Toten auferweckt hat, so wirst du selig. 10 Denn so man von Herzen glaubt,
so wird man gerecht, und so man mit dem Munde bekennt, so wird man selig.
11 Denn die Schrift spricht: Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden
werden. 12 Es ist hier kein Unterschied unter Juden und Griechen; es ist aller
zumal ein HERR, reich über alle, die ihn anrufen. 13 Denn wer den Namen des HERRN
wird anrufen, soll selig werden.
14 Wie sollen sie aber anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie
aber glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne
Prediger? 15 Wie sollen sie aber predigen, wo sie nicht gesandt werden? Wie
denn geschrieben steht: Wie lieblich sind die Füße derer, die den Frieden
verkündigen, die das Gute verkündigen!
16 Aber sie sind nicht alle dem Evangelium gehorsam. Denn Jesaja
spricht: HERR, wer glaubt unserm
Predigen? 17 So kommt der Glaube aus der Predigt, das Predigen aber durch das Wort
Gottes. 18 Ich sage aber: Haben sie es nicht gehörte? Zwar es ist je in alle
Lande ausgegangen ihr Schall und in alle Welt ihre Worte. 19 Ich sage aber: Hat
es Israel nicht erkannt? Der erste Mose spricht: Ich will euch eifern machen
über dem, das nicht mein Volk ist, und über einem unverständigen Volk will ich
euch erzürnen 20 Jesaja aber darf wohl so sagen: Ich bin gefunden von denen,
die mich nicht gesucht haben, und bin erschienen denen, die nicht nach mir
gefragt haben. 21 Zu Israel aber spricht er: Den ganzen Tag habe ich meine
Hände ausgestreckt zu dem Volk, das sich nicht sagen lässt und widerspricht.
Ihre Weigerung, die Gerechtigkeit Gottes
anzunehmen (V. 1-4): Der Apostel setzt den Gedankengang fort, den er in
Kap. 9, 30 begonnen hatte. 9,30. Aber er kann nicht weitergehen, ohne der
tiefen Trauer Ausdruck zu verleihen, die ihn in dieser Situation bewegt. Er
versichert seinen Brüdern, seinen Lesern in der Gemeinde in Rom und anderswo,
dass ihm das Heil der Juden ein Anliegen ist, dass er alles andere als
Genugtuung über die Notwendigkeit empfindet, von ihrer Verwerfung durch Gott zu
sprechen. Sein herzliches und ernsthaftes Verlangen für sie, der höchste Wunsch
seines Herzens, der in seinem Flehen zu Gott seinen Ausdruck findet, ist ihre
Rettung. Das ist das Ziel, das er vor Augen hat, wenn er vor Gott fleht, wenn
er für sie eintritt, damit sie das Heil erlangen. Weit davon entfernt, das Böse
in ihrem Verhalten zu übertreiben und hochzuspielen, ist der Apostel vielmehr
geneigt, ihnen alles, was an ihrem Verhalten lobenswert sein mag, voll
zuzugestehen. Er legt ihnen Zeugnis ab, er ist durchaus bereit, für sie zu
bezeugen, dass sie einen Eifer für Gott, gegenüber Gott haben. So viel muss man
ihnen zugestehen und zugestehen, dass sie Gott und seiner Ehre nicht
gleichgültig gegenüberstehen. Jahrhundertelang hatten sie an der Lehre und dem
Kult ihrer Väter, wie sie ihn verstanden, festgehalten und sogar blutige
Verfolgungen um Jahwes willen ertragen. Und sie glaubten, dass sie durch dieses
Beharren auf den äußeren Formalitäten der Religion das Heil verdienten, Apg.
26,7. Aber trotz all dieser gut gemeinten Bemühungen entsprach ihr Eifer nicht
der richtigen Erkenntnis. Ihr Mangel an richtigem Wissen war nicht nur ein
intellektueller, sondern auch ein moralischer Fehler. Trotz aller Belehrungen
durch die Propheten hielten sie an ihrer äußeren Anbetung fest und weigerten
sich, die richtige Erkenntnis Gottes anzunehmen. Sie hielten an einem
Gottesdienst fest, wie sie ihn für sich selbst entwickelt hatten, und verwarfen
alle anderen Meinungen. Aber der wahre Eifer für Gott und seine Ehre bleibt
innerhalb der Grenzen der göttlichen Offenbarung und folgt nicht der
menschlichen Meinung.
Und nun stellt Paulus den Gegensatz zu
seinem eigenen Wunsch und Gebet in dem Verhalten der Juden nach ihrer falschen
Erkenntnis dar. Denn da sie die Gerechtigkeit Gottes nicht kennen und ihre
eigene Gerechtigkeit zu errichten suchen, haben sie sich nicht unter die
Gerechtigkeit Gottes gestellt. Statt der richtigen Erkenntnis zeigten die Juden
Unwissenheit; statt die wahre Gerechtigkeit zu haben, waren sie gezwungen, ihre
eigene hervorzubringen. Gott hat einen Weg gefunden, die Sünder zu
rechtfertigen; er hat für sie eine vollkommene Gerechtigkeit vorbereitet: Er
bietet ihnen diese Gerechtigkeit im Evangelium an. Aber weil die Juden diese
Gerechtigkeit Gottes vorsätzlich ignorieren, weil sie seine Rechtfertigung
böswillig ignorieren und entschlossen sind, ihre eigene Werksgerechtigkeit
aufzustellen, wollten und haben sie sich der Gerechtigkeit Gottes, der
göttlichen Ordnung und Anordnung für das Heil der Menschen, dem Weg der
Rechtfertigung, nicht unterwerfen. Und deshalb wird ihnen all ihr Eifer für Gott
nichts nützen, weil sie sich weigern, den einen Weg des Heils zu sehen, nämlich
die Annahme der Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben.
Und Paulus bringt einen weiteren Beweis
dafür, dass das Streben nach eigener Gerechtigkeit durch die Befolgung des
Gesetzes ein Fehler ist und nicht zum Heil führen kann: Denn das Ende des
Gesetzes ist Christus zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt. Christus ist das
Ende des Gesetzes: Er hat alle seine Forderungen vollkommen und bis ins Detail
erfüllt, und deshalb hat das Gesetz in Christus sein Ende, seine Vollendung
gefunden. Dass das Gesetz auch in der neutestamentlichen Kirche noch seinen
Wert hat, hat der Apostel oben, 3, 20; 7, 7 ff. gezeigt. Das Gesetz, das durch
Christus erfüllt ist, kann uns nicht mehr anklagen und verurteilen, denn die
volle und vollkommene Gerechtigkeit ist nun vorhanden und bereit für jeden, der
glaubt; das ist das Ziel, dass Christus das Ende des Gesetzes ist. Der Mensch
braucht nur die Erfüllung des Gesetzes anzunehmen, den vollkommenen Gehorsam,
den Christus dem Gesetz geleistet hat, und er wird durch diesen Glauben die
Gerechtigkeit Christi besitzen, die ihm in und durch den Akt der Rechtfertigung
zugerechnet wird. Und das nicht wegen eines inneren Verdienstes im Glaubensakt,
sondern weil er das einzige Mittel ist, die für uns errungene Gerechtigkeit
Christi zu erfassen und sich anzueignen. Auf diese Weise ist V. 4. eine
Zusammenfassung der gesamten Botschaft des Evangeliums.
Die Universalität der
Glaubensgerechtigkeit, bewiesen aus dem Alten Testament (V. 5-10): Der
Apostel hatte deutlich gezeigt, dass der Glaube an die von Gott geschenkte
Gerechtigkeit zu allen Zeiten eine Voraussetzung für das Heil war. Und nun
bringt er Beweise aus dem Alten Testament, die deutlich zeigen, dass Mose die
Unterscheidung zwischen den beiden Formen der Gerechtigkeit lehrte. Denn Mose
schreibt über die Gerechtigkeit des Gesetzes, 3. Mose 18,5, dass der Mensch,
der sie tut, in ihr leben wird. Jeder Mensch, der
alle Gebote und Vorschriften des Gesetzes vollkommen hält, wird dadurch das
Leben erlangen, das wahre, ewige Leben, 5. Mose 27,26; Gal. 3,10; Jak. 2,10; Luk.
10,28. Das ist die Voraussetzung, die eine Bedingung, von der das Heil abhängt:
der vollkommene Gehorsam gegenüber dem Gesetz. Es ist nicht so, als ob je ein
Mensch durch das Halten des Gesetzes gerettet worden wäre, und zwar aus dem
einfachen Grund, weil seit dem Sündenfall Adams niemand mehr die Vorschriften
des Gesetzes erfüllt hat. Die Gerechtigkeit des Gesetzes existiert nicht in
Wirklichkeit, sondern ist eine Forderung Gottes an alle Menschen, eine
Bedingung für das Heil, so wie Mose sie in der zitierten Stelle beschreibt.
Mose beschreibt die Gerechtigkeit des Gesetzes, aber er behauptet nicht, dass
sie in irgendeinem Menschen existiert. Wenn ein Mensch die Situation so
versteht, wird er an der Gerechtigkeit des Gesetzes verzweifeln und sich der
Gerechtigkeit des Glaubens zuwenden, die die einzige Möglichkeit ist, gerettet
zu werden.
Dieser Gegensatz wird in den nächsten
Versen deutlich, wo der Inhalt von 5. Mose 30,11-14 in einer freien Wiedergabe
wiedergegeben wird. Aber die Gerechtigkeit, die aus dem Glauben ist, hat
folgendes zu sagen: Die Gerechtigkeit, die Gott durch den Glauben zuschreibt,
beschreibt ihren eigenen Charakter in Worten, die aus den Schriften des Mose
entnommen sind, aber auf die Situation angewandt werden, wie sie durch das Werk
Christi geschaffen wurde. Der Rat, den diese Gerechtigkeit gibt, lautet
folgendermaßen: Sprich nicht in deinem Herzen: Wer wird in den Himmel
hinaufsteigen? oder: Wer wird hinabsteigen in den Abgrund? Dass die
Gerechtigkeit des Gesetzes durch Werke unerreichbar ist, hatten die Worte des
Mose angedeutet. Aber wie steht es mit der Gerechtigkeit des Glaubens? Niemand
sollte auf die Idee kommen oder sich selbst etwas vormachen: Wer wird in den
Himmel hinaufsteigen, um Christus vom Himmel herunterzuholen? Wer wird in die
Tiefe hinabsteigen, an den Ort der Toten, um Christus von den Toten zu holen?
Solche verzweifelten und ängstlichen Nachforschungen sind ganz und gar töricht.
Es ist nicht nötig, all diese Mühen auf sich zu nehmen, es ist nicht nötig,
Christus aus großer Entfernung zu holen, denn er ist nicht unerreichbar. Im
Gegenteil, der Erlöser ist gegenwärtig; Christus ist vom Himmel herabgestiegen,
er ist von den Toten auferstanden, um alle Menschen zu erlösen; er hat sein
Werk auf Erden getan und die Gerechtigkeit des Gesetzes erfüllt. In und mit
Christus ist die vollkommene Gerechtigkeit für alle Menschen erlangt worden.
Und deshalb hat die Gerechtigkeit des Glaubens eine kühne und freudige
Ermahnung: Nahe bei dir ist das Wort, in deinem Mund und in deinem Herzen: Das
ist das Wort des Glaubens, das wir verkünden. An die Stelle Christi, von dem er
im ersten Teil seiner Ermahnung gesprochen hat, setzt Paulus das Wort des
Evangeliums, das Wort, das ihm zur Verkündigung anvertraut worden war, das Wort
des Glaubens, das einfach geglaubt werden sollte, dessen Inhalt, Jesus
Christus, durch den Glauben angenommen werden sollte. Christus und sein volles
Heil ist immer bei uns gegenwärtig, in der Botschaft des Evangeliums, die
verkündet wird, in den Schriften, die gelesen werden, in den Bibeltexten, die
auswendig gelernt werden. Und nichts anderes ist nötig als der Glaube an dieses
Wort, die Zustimmung zu seinem Inhalt und das Vertrauen auf seine Verheißungen.
Der Apostel erklärt diese Aussage weiter
und wendet sie auf den durchschnittlichen Gläubigen in seinem Leben an: Denn
wenn du mit deinem Munde Jesus Christus bekennst und in deinem Herzen glaubst,
dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, so wirst du gerettet werden; denn
mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit, mit dem Munde aber bekennt man zum
Heil. Glaube und Bekenntnis werden hier als die beiden Voraussetzungen für die
Errettung genannt. Die Erlösung Jesu ist jedem Menschen in der Welt durch das
Wort der Botschaft des Evangeliums so nahe, dass man nur mit dem Herzen zu
glauben und mit dem Mund zu bekennen braucht, um aller ihrer Segnungen
teilhaftig zu werden. Wenn jemand von Herzen glaubt und mit dem Mund bekennt,
dass Jesus der Herr ist und dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, dann
hat er den Glauben, der ihm das Heil gibt. Beachten Sie, dass Paulus hier
Jesus, den Herrn, als die Zusammenfassung und den Inhalt des Evangeliums, des
Glaubens und des Heils, darstellt. Der Gedanke ist für jeden Menschen in der
weiten Welt so wichtig, dass Paulus ihn in einem Parallelsatz wiederholt, indem
er ein Herz, das zur Gerechtigkeit glaubt, und einen Mund, der zum Heil
bekennt, nebeneinander stellt. Der Glaube des Herzens genügt zur Erlangung der
Gerechtigkeit, und das Bekenntnis des Mundes genügt zur Erlangung des Heils.
Der Glaube des Herzens, wie er im Bekenntnis des Mundes zum Ausdruck kommt,
bringt dem Gläubigen Gerechtigkeit und Heil, und kein Werk und kein Verdienst
wird dieses Ergebnis haben. So wie das Herz und der Mund zusammen erwähnt
werden, so können Glaube und Bekenntnis nicht getrennt werden: Der Glaube muss
seinen Ausdruck im Bekenntnis des Mundes finden. "Der Glaube des Herzens,
gefolgt vom Bekenntnis des Mundes, führt zur Gerechtigkeit und zum Heil".
Paulus spricht von einem wahren und lebendigen Glauben, nicht von einem
heuchlerischen Notbehelf und Ersatz. In Christus, im Wort des Heils, hat Gott
allen Menschen das Heil gebracht, und er erkennt nur das Vertrauen des Herzens
an, das sich durch sein Wirken die Erlösung tatsächlich aneignet und dies vor
allen Menschen offen bekennt.
Das Schriftzeugnis für die
Rechtfertigung mittels des Glaubens (V. 11-13): Die Form oder Methode des
Heils, wie sie im Evangelium gelehrt wird, ist nicht nur der einzige Weg, um in
den Himmel zu gelangen, sondern auch die einzige Methode, die auf Juden und
Heiden gleichermaßen anwendbar ist: durch den Glauben gerettet zu werden.
Paulus untermauert dies mit einem Abschnitt aus der Heiligen Schrift, einem
Namen, der durchgehend verwendet wird, um die Sammlung alttestamentlicher
Schriften zu bezeichnen, wie sie unter den Juden in Gebrauch war. Es ist eine
umfassende, allumfassende Aussage: Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden
werden, Jes. 28,16. Die beiden Gedanken, die der Apostel im Sinn hat, werden
hier klar herausgestellt. Wer auch immer, ein jeder, gleich welcher Rasse oder
Nationalität er ist, gleich welche Vorgeschichte er hat, es gibt keinen
Unterschied. Und jeder, der glaubt: Der Glaube ist das einzige Mittel, um die
Segnungen des Heils zu erlangen, er ist die einzige Bedingung für die Annahme durch
Gott. Und der Apostel erklärt: Denn es ist kein Unterschied zwischen dem Juden
auf der einen und dem Griechen auf der anderen Seite. Was ihre Beziehung zum
Heil, zu seiner Notwendigkeit und zu der Methode, es zu erlangen, betrifft, so
wird Gott einen jeden annehmen, sobald er glaubt. Denn ein und derselbe, Jesus
Christus, ist der Herr aller, ein Besitzer von Reichtümern, von unschätzbaren
geistlichen Segnungen und Wohltaten für alle und für alle, die ihn anrufen.
Christus ist der Herr und Erlöser aller Gläubigen, und seine Verfügungsgewalt
über geistliche Mittel und Reichtümer ist so groß, dass er den Reichtum seiner
Gnade an jeden einzelnen und an alle zusammen ausgeben kann, die ihn im Glauben
anrufen und ihn als ihren Erlöser anbeten. Denn dass das Heil ihrer Seelen der
Gegenstand ihres Gebets ist, geht aus den Worten hervor: Jeder, der den Namen
des Herrn anruft, wird gerettet werden. Vgl. Joel 2,32. Den Namen Jahwes
anzurufen ist identisch mit dem Anrufen des Namens des Herrn Jesus Christus.
Christen rufen den Namen des Herrn Jesus Christus als den Namen Gottes an und
beten ihn an. Ihre Anbetung ist eine Frucht, ein Ausdruck ihres Glaubens. Und
durch diesen Glauben, der in diesem Bekenntnis zum Ausdruck kommt, ergreifen
sie das ewige Heil, sie sind gerettet durch den Herrn, auf den sie ihr
Vertrauen gesetzt haben. So hebt der Apostel die Universalität des Heils
hervor, die Tatsache, dass es für alle Menschen bestimmt ist und dass das
Evangelium deshalb in der ganzen Welt verkündet werden muss.
Dies ist der Gedanke, der nun verbreitet
wird, die Notwendigkeit weltweiter Evangeliumspredigt
(V. 14-15): Der Apostel erklärt hier, was mit dem Anrufen des Herrn verbunden
ist (V. 13). Er hatte erklärt, dass diese Anbetung des Herrn im Glauben eine
Bedingung für das Heil ist, und nun führt er diesen Gedanken weiter aus, indem
er zeigt, was in diesem Wort des Herrn enthalten ist. Wie ist es möglich, dass
sie den anrufen, an den sie nicht glauben? Die Anbetung ist ein Akt des
Glaubens; wo also der Glaube nicht vorhanden ist, ist die richtige Anbetung des
Herrn ausgeschlossen. Wie ist es ihnen möglich, an den zu glauben, von dem sie
nicht gehört haben, oder wo sie nicht gehört haben? Wo die Stimme Christi im
Evangelium nicht gehört worden ist, da ist der Glaube ausgeschlossen. Und das
führt zur nächsten Frage: Wie aber können sie hören, wenn keiner predigt? Wenn
niemand da ist, der das Evangelium verkündet, ist an das Hören der frohen
Heilsbotschaft offensichtlich nicht zu denken. Und schließlich: Wie können sie
das Evangelium verkünden, wenn sie nicht gesandt worden sind? 1. Kor. 1,17.
Wenn der Herr die Prediger des Evangeliums nicht sendet, wenn er die Herzen der
Menschen nicht bereit macht, sich auf das Amt vorzubereiten, wenn er seinen Ruf
nicht durch die Gemeinde oder die Kirche ausspricht, wie kann dann das Amt
versorgt werden? So kommt Paulus durch eine Reihe überzeugender logischer
Folgerungen zu dem Schluss, dass die Verkündigung des Evangeliums an alle
Menschen Pflicht ist. „Wie die Anrufung den Glauben voraussetzt, wie der Glaube
die Erkenntnis, die Erkenntnis die Unterweisung und die Unterweisung den
Lehrer, so ist es klar, dass Gott, wenn er will, dass alle Menschen ihn
anrufen, Prediger zu allen gesandt hat, deren Verkündigung der Barmherzigkeit,
wenn sie gehört wird, geglaubt werden kann und, wenn sie geglaubt wird, die
Menschen dazu bringt, ihn anzurufen und gerettet zu werden.“ (Hodge.) Diese
Argumentation stimmt genau mit einer Prophezeiung von Jesaja überein, die
gegenwärtige Notwendigkeit wird durch den prophetischen Spruch erfüllt, Jes.
52,7: Wie schön sind die Füße derer, die das Evangelium des Friedens verkünden,
die das Evangelium der guten Dinge verkünden! Die Füße der Boten des
Evangeliums sind schön, weil ihr Kommen erfreulich ist, weil sie eifrig sind,
die frohe Botschaft zu bringen. Der Inhalt ihrer Verkündigung ist der Friede,
die Versöhnung mit Gott durch Jesus, das Gute, die Fülle der Segnungen Gottes
durch das Werk Jesu. Auf diese Weise wird die Aussage des Propheten, der von
der Freude spricht, mit der das Kommen der Boten des Evangeliums überall
empfangen werden wird, dazu benutzt, die Notwendigkeit der Verkündigung des
Evangeliums an alle Menschen zu beweisen.
Glauben und Unglauben in ihrem
Verhältnis zum Evangelium (V. 16-21): Paulus hatte erklärt, dass die
Verkündigung des Evangeliums sowohl an die Juden als auch an die Heiden dem
Willen Gottes entspreche. Da er will, dass alle Menschen gerettet werden, will
er auch, dass das Evangelium allen Menschen verkündigt wird. Und das bleibt
auch so, obwohl nicht alle Menschen (insbesondere die Juden) dem Evangelium
Gehorsam geleistet haben; viele haben seine schöne Botschaft abgelehnt. Und
dieses Verhalten wurde auch von Jesaja vorhergesagt, Kap. 53,1: Herr, wer wird
unserem Bericht glauben, der Botschaft, die wir verkünden? Der Bericht oder die
Botschaft Jesajas, des Evangelisten des Alten Testaments, ist identisch mit der
Verkündigung des Evangeliums zu allen Zeiten; und seine Erfahrung stimmt mit
der der Apostel und Prediger des Neuen Testaments überein. Es gibt nur wenige,
sehr wenige, die bereit sind, der Botschaft ihres Heils Gehör zu schenken. Es
ist eine bittere Klage, die der Prophet ausspricht, und zugleich eine
schmerzliche Anklage.
Der Apostel zieht nun eine Schlussfolgerung
aus den Worten des Propheten: Der Glaube kommt also durch die Botschaft der
Verkündigung. Dort, wo das Evangelium von Jesus Christus verkündet wird, darf
man erwarten, dass der Glaube entzündet wird; denn diese Verkündigung ist die
Voraussetzung des Glaubens, der Glaube hängt von der Verkündigung des
Evangeliums ab. Und die Verkündigung wiederum geschieht durch das Wort Christi.
Die Verkündigung geschieht kraft und auf der Grundlage des Wortes und des
Befehls Christi, der als Herr der Kirche Apostel und Prediger des Evangeliums
aussendet. Die von ihnen überbrachte Botschaft ist somit eine sichere Grundlage
des Glaubens. Umso größer ist die Schuld der Juden und aller Ungläubigen, wenn
sie sich der von Gott festgelegten Heilsordnung widersetzen, wenn sie Gottes
Plan und Vorbereitung für ihre ewige Seligkeit vereiteln.
Aber der Apostel erhebt hier selbst einen
Einwand: Ich aber sage: Haben sie nicht gehört? Es ist doch nicht möglich, dass
das Evangelium von Jesus Christus nie zu ihren Ohren gelangt ist. Der Apostel
will den Eindruck korrigieren, als habe er zu viel gesagt, als sei seine
Annahme falsch, dass alle Juden, auch die außerhalb Palästinas, die Chance
gehabt hätten, das Evangelium zu hören. Aber er bestreitet sofort, dass eine
solche Entschuldigung für den Unglauben der Juden geltend gemacht werden kann.
Nein, im Gegenteil: In alle Lande ist ihr Schall ausgegangen, und bis an die
Enden der Erde ihre Worte. Der Apostel kleidet hier sein Argument in die Worte
von Ps. 19,5. Der Klang des Evangeliums, die Stimme der Verkündiger des
Evangeliums, ist in alle Welt hinausgegangen; selbst zu der Zeit, als Paulus
schrieb, war es praktisch in alle Teile des großen römischen Reiches
hinausgetragen worden, besonders in die Länder, in denen Juden lebten. Der Name
Christi war in der ganzen zivilisierten Welt bekannt. Daher können die Juden
ihren Unglauben nicht mit dem Vorwand entschuldigen, sie hätten keine
Gelegenheit gehabt, die Botschaft des Evangeliums zu hören.
Der Apostel, der damit allen Einwänden
zuvorkommt und alle Ausreden von vornherein zurückweist, fährt fort: Ich aber
sage: Hat Israel es nicht gewusst? Sicherlich wird niemand das Unglaubliche
annehmen wollen, indem er sagt, dass Israel, das auserwählte Volk Gottes, dem
Gott sein Wort und seine Verheißungen von alters her anvertraut hatte, sie
nicht kannte, sich weigerte, sie anzuerkennen und anzunehmen, sie vorsätzlich
ignorierte und verwarf! Die Frage ist nicht nur eine Frage des Erstaunens und
der Überraschung, sondern auch der Empörung darüber, dass Israel nicht wissen
und nicht glauben wollte. Aber dieses Verhalten stimmt mit der Prophezeiung der
Heiligen Schrift überein, nicht nur in einem, sondern in mehreren Fällen. Als
erstes sagt Mose, 5. Mose 32,21: Ich will dich zur Eifersucht reizen mit einem
Volk, das kein Volk ist, mit einem törichten Volk will ich dich zum Zorn
reizen. Dies hatte der Herr selbst durch Mose gesagt. So wie die Kinder Israels
schon damals Gott provoziert hatten, indem sie Götzen anbeteten, die keine
Götter waren, so würde er sie seinerseits provozieren. In den Augen Gottes gab
es nur ein Volk, sein auserwähltes Volk, die Kinder Israels. Alle heidnischen
Völker verdienten diesen Ehrentitel nicht. Aber Gott würde die Menschen aus
diesen Nicht-Völkern bewusst als sein eigenes Volk aufnehmen, zum großen
Verdruss und zur Empörung der Juden. Weil sie sich als uneinsichtig erwiesen
hatten, wollte der Herr das Volk zu seinem eigenen machen, das sie für töricht
hielten. Vgl. Apostelgeschichte 13,42 ff.
Und Mose war nicht der einzige, der die
Rebellion und den Abfall der Juden voraussagte. Jesaja macht eine sehr kühne
Aussage, Kap. 65,1.2: Ich bin von denen gefunden worden, die mich nicht gesucht
haben, ich bin denen offenbart worden, die nicht nach mir gefragt haben. Der
Herr hat sich nach dieser Prophezeiung offenbart und sich von Fremden finden
lassen, von Menschen, die vorher nicht mit ihm in Verbindung standen. Die
Heiden, die ursprünglich dem Bund der Verheißung fremd waren, haben sich
bekehrt und sich Gott zugewandt, als ihnen die Botschaft des Evangeliums
gebracht wurde. Umso größer ist der Kontrast, den die Juden darstellen, zu
denen der Herr im selben Abschnitt sagt Den ganzen Tag habe ich meine Hände
nach einem Volk ausgestreckt, das ungehorsam und widerspenstig ist. Gott hatte
seine Hände einladend, bittend, ja flehend ausgestreckt; er hatte die Juden
immer wieder aufgefordert, zu ihm zurückzukehren, aber sie hatten alle seine
Bemühungen um sie mutwillig verschmäht. Vgl. Matth.
23,37. Und das Gleiche gilt für die Ungläubigen aller Zeiten. Gottes ernste
Einladung und Aufforderung ergeht immer wieder: Lasst euch mit Gott versöhnen,
und doch weisen sie seine Angebote der Liebe und des ewigen Heils zurück. Und
deshalb sind sie selbst schuld, wenn die unausweichliche Strafe über ihre
schuldigen Häupter hereinbricht.
Zusammenfassung: Der Apostel
beklagt bitter die Tatsache, dass, während die Heiden die Gerechtigkeit des
Glaubens angenommen haben, Israel den Gehorsam gegenüber dem Evangelium
verweigert und das allen Menschen angebotene Heil zurückgewiesen hat.
Ein Rest von
Israel wird gerettet (11,1-10)
1 So sage ich nun: Hat denn Gott sein Volk verstoßen? Das sei ferne!
Denn ich bin auch ein Israelit von dem Samen Abrahams, aus dem Geschlecht
Benjamin. 2a Gott hat sein Volk nicht verstoßen, welches er zuvor versehen hat.
2b Oder wisst ihr nicht, was die Schrift sagt von Elia, wie er tritt vor
Gott gegen Israel und spricht: 3 HERR, sie haben deine Propheten getötet und
haben deine Altäre ausgegraben; und ich bin allein übrig geblieben, und sie
stehen mir nach meinem Leben? 4 Aber was sagt ihm die göttliche Antwort? Ich
habe mir lassen überbleiben siebentausend Mann, die nicht haben ihre Knie
gebeugt vor dem Baal. 5 So geht’s auch jetzt zu dieser Zeit mit diesen
Übriggebliebenen nach der Wahl der Gnaden. 6 Ist’s aber aus Gnaden, so ist’s
nicht aus Verdienst der Werke, sonst würde Gnade nicht Gnade sein. Ist’s aber
aus Verdienst der Werke, so ist die Gnade nichts, sonst wäre Verdienst nicht
Verdienst. 7a Wie denn nun? Was Israel sucht, das erlangt es nicht.
7b Die Wahl aber erlangt es. Die anderen sind verstockt, 8 wie
geschrieben steht: Gott hat ihnen gegeben einen erbitterten Geist, Augen, dass
sie nicht sehen, und Ohren, dass sie nicht hören, bis auf den heutigen Tag. 9
Und David spricht: Lass ihren Tisch zu einem Strick werden und zu einer
Berückung und zum Ärgernis und ihnen zur Vergeltung. 10 Verblende ihre Augen,
dass sie nicht sehen, und beuge ihren Rücken allezeit.
Paulus begegnet einem weiteren Einwurf (V.
1-2a): Der Apostel weist hier mit seinen eigenen Worten auf eine falsche
Schlussfolgerung hin, die einige seiner Leser aus seinen vorherigen
Ausführungen ziehen könnten. Soll daraus gefolgert werden, dass Gott sein
eigenes Volk, die, die in Wahrheit sein Eigentum sind, verworfen hat? Vgl. Ps.
14,14. Beachten Sie die Betonung des Pronomens „sein“. Es besteht ein großer
Unterschied zwischen dem Volk der Juden und seinem Volk Israel. In Anbetracht
dieser Tatsache: Ist die Lehre des Paulus unvereinbar mit dem Wort Gottes?
Paulus antwortet mit großem Nachdruck: Mitnichten! Gott würde sich selbst
widersprechen, wenn er sein eigenes Volk ablehnen würde. Und um seine Worte zu
untermauern, verweist Paulus auf seinen eigenen Fall. Er selbst war ein
Israelit nach dem Fleisch, das Blut der alten Patriarchen floss in seinen
Adern. Er war ein Nachkomme Abrahams aus dem Stamm Benjamin, dem jüngsten Sohn
Jakobs, also Israels. Die Tatsache, dass Paulus für sich selbst einen Anteil am
Reich des Messias beansprucht, zeigt, dass er nicht die Verwerfung des wahren
Israel lehrt.
Der Apostel wiederholt seine Behauptung in
V. 2: Gott hat sein Volk, das er vorherbestimmt hat, nicht verworfen. Das wahre
Israel, das geistliche Israel, die wirklichen Kinder Gottes, stand von Ewigkeit
her vor den Augen Gottes als sein eigenes Volk, als diejenigen, die er zu den
Seinen erwählt hatte, die er nach seinem ewigen Ratschluss zu den Seinen
erwählte. Diese Tatsache macht die spätere Verwerfung des Volkes zu einem Ding
der Unmöglichkeit.
Ein Beispiel aus der Geschichte (V.
2b-7a): Paulus zitiert zur Bestätigung seiner Behauptung eine Schriftstelle
über Elia aus dem Abschnitt des Alten Testaments, der hauptsächlich das Leben
und die Taten Elias schildert. Selbst in den dunkelsten Tagen Israels gab es
immer einen Überrest, eine kleine Zahl von Menschen, die dem Herrn treu blieben
und gerettet wurden. Der Prophet Elia hatte sich damals mit einem Wort der
Bitte gegen Israel an den Herrn gewandt, einer Art Anklage, in der er kurz und
bündig erklärte, dass die Kinder Israel die Propheten des Herrn getötet und
seine Altäre völlig zerstört hätten und dass er, der Prophet, als einziger der
wahren Gläubigen übrig geblieben sei und sogar sein Leben wegen ihrer
Feindschaft und ihres Hasses in ständiger Gefahr sei, 1 Kön. 19,10. König Ahab
und seine ehebrecherische Frau Isebel waren besonders aktiv in ihren
Bemühungen, die wahre Religion in Israel auszurotten. Deshalb war Elia völlig
entmutigt und glaubte, dass die Anbetung des wahren Gottes praktisch aufgegeben
worden war und dass kein wahrer Anbeter Gottes mehr übrig war. Aber das
göttliche Orakel oder die Antwort zeigte, dass die Situation ganz anders war,
als er sie sich vorgestellt hatte. Denn der Herr hatte siebentausend Männer,
die ihr Knie nicht vor Baal, der phönizischen Göttin Baaltis
oder Astarte, gebeugt hatten, für sich selbst zurückgelassen und für die Seinen
behalten. Inmitten des allgemeinen Glaubensabfalls und der Verfolgung hatte der
Herr diese wenigen Gläubigen für sich selbst reserviert. Und so gibt es auch in
der Gegenwart, so argumentiert der heilige Paulus in Übereinstimmung mit der
alttestamentlichen Erfahrung, einen Überrest nach der Erwählung der Gnade. Das
Volk Israel im Allgemeinen hat die Gnade des Herrn verschmäht und ist
seinerseits von ihm verworfen worden; aber einige wenige aus dem Volk haben
sich als wahre Israeliten erwiesen; sie haben den Erlöser angenommen, sie sind
in die Kirche Christi eingetreten. Und das haben sie aufgrund der Auserwählung
der Gnade getan, weil Gott sie in seiner wunderbaren Gnade und Barmherzigkeit
zu diesem Zweck erwählt hat. Aus der Masse der Kinder Israels, die alle durch
das Blut Christi erlöst sind, hat Gott sie auserwählt, seines Heils teilhaftig
zu werden.
Und die Tatsache, dass diese Erwählung
allein aus Gottes Gnade geschieht, wird vom Apostel in ihrer ganzen Stärke
herausgestellt: Wenn aber aus Gnade, dann nicht mehr aus Werken, denn sonst ist
die Gnade keine Gnade mehr. Die Gnade hört auf, Gnade zu sein, sobald das Werk
und das Verhalten des Menschen in irgendeiner Weise mit ihr vermengt wird. Die
Begriffe „Gnade“ und „Werke“ schließen sich gegenseitig aus. Wenn die Gedanken,
Taten und das Verhalten der Menschen Gott bei seiner Erwählung aus Gnade
beeinflusst haben, dann hört diese Erwählung auf, eine aus Gnade zu sein, und
die Lehre gehört nicht mehr zum Evangelium, sondern zum Gesetz. Wenn aus
Werken, dann gibt es keine Gnade mehr, sonst ist das Werk kein Werk mehr. Will
man auch von Werken und von Gnade sprechen, gleichzeitig und im gleichen
Zusammenhang, so ergibt sich wieder ein Widerspruch in sich, denn ein Werk, das
seinen Gegenstand nicht tatsächlich in Form eines Lohnes erhält, hat kein
Verdienst mehr, kann nicht als eine Leistung gelten, die Eigenwert hat. Was ist
dann die Schlussfolgerung der gesamten Argumentation, wenn die Annahme von V.
1. nicht standhalten kann, wenn es nicht wahr sein kann, dass Gott sein eigenes
Volk verworfen hat? Die Situation ist die folgende: Israel, die Nation als solche,
hat nicht das erreicht, wonach es so ernsthaft strebte. Das Volk als Ganzes,
die Nation als solche, war entschlossen, das ewige Heil durch Werke zu
verdienen; aber da diese Methode nicht Gottes Weg ist, und da sie sich
weigerten, die Methode anzunehmen, die er ihnen im Evangelium anbot, war das
Heil für sie aufgrund ihrer eigenen Perversität verloren; ihre Verwerfung ist
ihre eigene Schuld, ebenso wie die aller, die ihr Vertrauen auf ihr eigenes
Werk und den selbst gewählten Weg zum Himmel setzen.
Das Ergebnis, wenn man sich dem Heilsweg
Gottes verweigert (V. 7b-10): Nur die Auserwählten, die nach Gottes
gnädigem Ratschluss auserwählt wurden, erlangten das Heil in Christus. Aber der
Rest, die große Mehrheit, das ganze Volk Israel als solches, wurde verstockt.
Sie lehnten Gottes Heilsweg ab, und deshalb verwarf Gott sie; ihr willentlicher
Widerstand gegen Gottes Willen und Wort war die Ursache dieser Verstockung; sie
waren die alleinige Ursache ihres eigenen Untergangs. Und dieses Ergebnis war
von den Propheten vorhergesagt worden. Es war vorausgesagt worden, wie Paulus
schreibt, indem er 5. Mose 29,4 mit Jes. 29,9-12: Gott hat ihnen einen Geist
der Erstarrung gegeben, Augen, die nicht sehen, und Ohren, die nicht hören, bis
zum heutigen Tag. Sie sind so betäubt und dumm geworden, dass sie das Wort der
Prophezeiung einfach nicht mehr richtig verstehen können. Die Verblendung und
Verstockung Israels begann in den Tagen Jesajas, man kann sogar sagen, dass sie
bis in die Tage Moses zurückreichte; aber die Prophezeiung erfüllte sich in
ihrer schrecklichen Vollständigkeit in der Zeit Jesu und der Apostel, Matth. 13,14.15; Mark. 4,12; Luk. 8,10; Apg. 28,26-28. Und
das letzte Zitat stammt aus Ps. 69,22, einer messianischen Prophezeiung, in der
der leidende, sterbende Messias über die Schmach klagt, die er durch die Hand
seiner Feinde zu ertragen gezwungen ist: Ihr Tisch möge ihnen zur Schlinge, zur
Falle oder zum Netz werden und zum Stolperstein und zum Lohn der Strafe; ihre
Augen seien verfinstert, dass sie nicht sehen, und beugen ihren Rücken zusammen
allezeit. Der Tisch der Feinde Christi, ihre Freude, ihr Vergnügen und ihr
Glück, soll sich in eine Schlinge für ihre Füße verwandeln, in eine Falle, in
der sich ihre Füße verfangen und sie zu Fall bringen können, in eine Verfolgung
und Vernichtung, wie die Jagd für das Wild wird, in eine Vergeltung, mit der
Gott sie für ihre Feindschaft gegen Christus bestraft. All dies ist natürlich
in einem geistlichen Sinn gemeint. Die Strafe für die ungehorsamen und feindseligen
Juden bestand darin, dass sie so gründlich verblendet wurden, dass sie den Weg
des Heils nicht mehr sehen konnten; dass ihnen ihre geistliche Kraft genommen
wurde, so dass sie nicht mehr auf dem Weg der Gebote Gottes wandeln konnten. So
überließ Gott sie ihrem verstockten Geist und zog seinen Geist und seine Gnade
von ihnen zurück. Und so werden auch heute die hartnäckigen ungehorsamen und
ungläubigen Feinde Christi auf die Weise bestraft, die sie selbst gewählt
haben: Von Gott und seinem Geist verlassen, sind sie gänzlich unfähig, die
Wahrheit zu erkennen und zu Buße, Glauben und Gehorsam zu kommen.
Eine Warnung und Ermutigung an Heiden und
Juden (11,11-36)
11 So sage ich nun: Sind sie darum angelaufen, dass sie fallen sollten?
Das sei ferne! Sondern aus ihrem Fall ist den Heiden das Heil widerfahren, auf
dass sie denen nacheifern sollten. 12 Denn so ihr Fall der Welt Reichtum ist,
und ihr Schade ist der Heiden Reichtum, wieviel mehr, wenn ihre Zahl voll
würde?
13 Mit euch Heiden rede ich; denn dieweil ich der Heiden Apostel bin,
will ich mein Amt preisen, 14 ob ich möchte die, so mein Fleisch sind, zu
eifern reizen und ihrer etliche selig machen. 15 Denn so ihr Verlust der Welt
Versöhnung ist, was wäre das anders, als das Leben von den Toten nehmen?
16 Ist der Anbruch heilig, so ist auch der Teig heilig, und so die
Wurzel heilig ist, so sind auch die Zweige heilig. 17 Ob aber nun etliche von
den Zweigen zerbrochen sind, und du, da du ein wilder Ölbaum warst, bist unter
sie gepfropft und teilhaftig geworden der Wurzel und des Safts im Ölbaum, 18 so
rühme dich nicht gegen die Zweige. Rühmst du dich aber gegen sie, so sollst du
wissen, dass du die Wurzel nicht trägst, sondern die Wurzel trägt dich. 19 So
sprichst du: Die Zweige sind zerbrochen, dass ich hineingepfropft würde. 20 Ist
wohl geredet. Sie sind zerbrochen um ihres Unglaubens willen; du stehst aber
durch den Glauben. Sei nicht stolz, sondern fürchte dich. 21 Hat Gott die
natürlichen Zweige nicht verschont, dass er vielleicht dich auch nicht
verschone. 22Darum schaue die Güte und den Ernst Gottes: den Ernst an denen,
die gefallen sind, die Güte aber an dir, sofern du an der Güte bleibst; sonst
wirst du auch abgehauen werden. 23 Und jene, so sie nicht bleiben in dem
Unglauben, werden sie eingepfropft werden; Gott kann sie wohl wieder
einpfropfen. 24 Denn so du aus dem Ölbaum, der von Natur wild war, bist
ausgehauen und wider die Natur in den guten Ölbaum gepfropft, wieviel mehr
werden die natürlichen eingepfropft in ihren eigenen Ölbaum!
25 Ich will euch nicht verhalten, liebe Brüder, dieses Geheimnis, auf
dass ihr nicht stolz seid. Blindheit ist Israel einesteils widerfahren, so
lange, bis die Fülle der Heiden eingegangen sei, 26 und so das ganze Israel
selig werde, wie geschrieben steht: Es wird kommen aus Zion, der da erlöse und
abwende das gottlose Wesen von Jakob. 27 Und dies ist mein Testament mit ihnen,
wenn ich ihre Sünden werde wegnehmen.
28 Nach dem Evangelium halte ich sie für Feinde um euretwillen; aber
nach der Wahl habe ich sie lieb um der Väter willen. 29 Gottes Gaben und
Berufung mögen ihn nicht gereuen. 30 Denn gleicherweise, wie auch ihr nicht
habt geglaubt an Gott, nun aber habt ihr Barmherzigkeit überkommen über ihrem
Unglauben, 31 so auch jene haben jetzt nicht wollen glauben an die
Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, auf dass sie auch Barmherzigkeit
überkommen. 32 Denn Gott hat alles beschlossen unter den Unglauben, auf dass er
sich aller erbarme.
33 O welch eine Tiefe des Reichtums, beide, der Weisheit und Erkenntnis
Gottes! Wie gar unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine
Wege! 34 Denn wer hat des HERRN Sinn erkannt? Oder wer ist sein Ratgeber
gewesen? 35 Oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, das ihm werde wieder
vergolten? 36 Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei
Ehre in Ewigkeit! Amen.
Das Ergebnis von Israels Abfall für die
Heiden (V. 11-12): Der Apostel hütet sich auch hier vor einer falschen
Schlussfolgerung: Ist Israel, die große Masse des jüdischen Volkes, nicht
deshalb ins Straucheln geraten, um zu fallen? War der Fall der Juden, das
Ergebnis ihrer Beleidigung des Messias, ein Ziel und Zweck Gottes, in dem
Sinne, dass er Freude und Genugtuung an ihrer Zerstörung hat? Das ist ein
grobes Missverständnis des Wesens und der Eigenschaften Gottes, das viele
Menschen auch heute noch in die Argumente des Paulus hineinlesen. Und deshalb
wirft er entsetzt ein: Mitnichten! Gott beabsichtigt und plant unter keinen
Umständen die Vernichtung eines Menschen; er hat niemals Gefallen am Unrecht
und an der daraus folgenden Verdammnis der Sünder. Aber der Plan, den Gott aus
dem selbst auferlegten Unglück und der Verurteilung der Juden zog, war ein
anderer: dass durch ihre Übertretung das Heil zu den Heiden kommen und die
Juden zum Eifer gereizt und zur Nachfolge angeregt werden sollten. Der Unglaube
der Juden, ihre Ablehnung des Messias, hat dazu geführt, dass das Evangelium
des Heils zu den Heiden gebracht wurde, wie die Apostelgeschichte an vielen
Stellen zeigt. Aber die Tatsache, dass die Heiden nun das Wort des Heils
annahmen, hatte den Zweck, die Israeliten zur Nachahmung anzuregen, sie zu
drängen, dem Beispiel der Heiden zu folgen und ebenfalls der Erlösung in
Christus teilhaftig zu werden. In der großen Masse der Juden, die Christus noch
nicht angenommen hatten, gab es viele, die ihr Herz noch nicht verstockt
hatten, sondern die einfach ihren Führern folgten, ohne die Gefährlichkeit
ihrer Lage richtig zu erkennen. Auf diese, den Überrest gemäß der Gnadenwahl,
sollte die Tatsache, dass die Heiden das Evangelium und den Messias annahmen,
einen solchen Eindruck machen, dass sie dadurch gedrängt würden, das Heil
Christi ebenfalls anzunehmen.
Und eine weitere Folge der Übertretung
Israels wird festgestellt: Wenn schon ihre Übertretung der Reichtum der Welt
ist und ihre Verminderung der Reichtum der Heiden, wie viel mehr ihre Fülle!
Die Übertretung der Juden, ihre Verleugnung und Verwerfung des Messias, hat der
ganzen Welt denselben Reichtum, das Heil in Christus, gebracht; es war zum
großen Teil auf ihren Abfall zurückzuführen, dass die Apostel gezwungen waren,
sich den Heiden zuzuwenden. Und so war der Verlust der Juden, das, was sie
verloren haben, ihr Schaden, ihr Leid, das, was sie sich selbst durch ihre
Torheit vorenthalten haben, der Gewinn der Welt außerhalb Israels, es brachte
den Heiden das Heil. Wenn das aber wahr ist, wie viel mehr wird die Fülle der
Juden den Heiden zum Nutzen gereichen! Die Fülle ist das, was aufgefüllt, voll gemacht, vollendet wird, die Summe derer aus der Mitte
des jüdischen Volkes, die unter der Wahl der Gnade stehen, V. 5. Die Tatsache,
dass ihre volle Zahl allmählich erreicht wird, dass der Leib der Gläubigen aus
ihrer Mitte vollendet wird, wird zu einem weiteren Gewinn für die Welt führen.
Dies wird im nächsten Abschnitt ausführlich behandelt.
Eine Warnung an die Heiden (V.
13-15): Der Apostel wendet sich in dem gesamten nun folgenden Abschnitt an
seine heidnischen Leser. Insofern er tatsächlich der Apostel der Heiden ist,
will er sein Amt preisen. Er will die Heiden daran erinnern, dass er in seiner
Eigenschaft als Heidenapostel dieses sein Amt in seiner treuen Ausübung auch
dadurch verherrlicht, dass er dadurch die Juden aufrütteln und anspornen will,
und so, wenn möglich, einige von ihnen retten. Die Heidenchristen sollen
wissen, dass der Apostel sich bei seiner ernsten Arbeit für sie immer auch für
die Juden verantwortlich fühlt. Wenn es ihm nur gelänge, unter denen, die von
seinem Fleisch sind, wenigstens einige von ihnen zur Nachahmung anzuregen, sie
zur Erkenntnis und Annahme ihres Heilands zu bringen und ihnen so die Segnungen
des Heils zu schenken: das ist der ernste Wunsch des Apostels. Denn wenn ihre
Verwerfung die Versöhnung der Welt ist, was wird ihre Annahme anderes sein als
Leben aus dem Tod? Mit der Verwerfung der Juden, die sie selbst verschuldet
haben, konnte die Versöhnung bekannt gemacht und so in den weiteren Kreisen der
ganzen Welt verwirklicht werden. Das Evangelium von der Versöhnung Gottes mit
den Menschen, wie es sich in Christus vollzogen hat, wurde durch die Verwerfung
der Juden in die heidnische Welt hineingetragen. Aber wenn diese Bestrafung der
Juden ein so gesegnetes Ergebnis hatte, welcher Segen, welches Leben wird dann
aus ihrer Annahme fließen, aus der Bekehrung derjenigen, die durch die vom
Apostel angewandte Methode noch gewonnen werden könnten! Wenn der Überrest aus
Israel sich zum Messias bekehrt hat, dann wird das Ziel Gottes verwirklicht
sein, dann wird das herrliche Leben in und mit Christus in alle Ewigkeit
kommen, dann werden sowohl Juden als auch Griechen durch den Glauben das Reich
erben, das vor Grundlegung der Welt für sie bereitet war. Anmerkung: Die
Geschichte wiederholt sich, auch in Bezug auf die Aufnahme des Wortes Gottes
und seine Reaktion auf das Verhalten der Menschen. Das Evangelium wird den Undankbaren
weggenommen und denjenigen gegeben, die seinen Wert mehr zu schätzen wissen.
Und in vielen Fällen hat die Gründung neuer Gemeinden, in denen die erste Liebe
reiche Früchte hervorgebracht hat, auf ältere Gemeinden positiv reagiert, indem
sie neues Interesse für das Werk des Reiches Gottes geweckt hat.
Eine Warnung an die Christen aus den
Heiden (V. 16-24): Der Apostel beugt hier einer Gefahr vor, nämlich der,
dass seine vorangegangenen Ausführungen missverstanden werden. Denn das, was er
über den Sündenfall und die daraus resultierende Verwerfung der Juden
geschrieben hatte, könnte dazu führen, dass solche Heidenchristen, die sich
leicht von ihrem Fleisch leiten lassen, von Stolz und Überheblichkeit erfüllt
werden und sich auf Kosten der Juden rühmen. Paulus stellt zunächst einleitend
eine allgemeine Wahrheit fest: Wenn der erste Teil des Teiges heilig ist, dann
auch die ganze Masse; und wenn die Wurzel heilig ist, dann auch die Zweige. Der
Apostel spielt in der ersten Hälfte des Satzes darauf an, dass der erste Teil
des Teiges, der erste Teig, der aus dem Mehl jeder neuen Ernte gemacht wurde,
dem Herrn gegeben werden musste, 4. Mose 15,19-21. Dieser erste Teil des Teiges
und das gesamte Opfer wurden heilig, indem sie dem Herrn geweiht wurden. Das
Bild im zweiten Teil des Satzes hat dieselbe Bedeutung: Wenn die Wurzel Gott
geweiht und von Ihm angenommen ist, werden auch die Zweige Ihm wohlgefällig
sein. Die Wurzel des wahren Israels, des Leibes, der dem Herrn geweiht ist und
es immer sein wird, sind die Patriarchen, und die Zweige sind die wahren
geistlichen Kinder der Patriarchen, zusammen mit einigen, die den Anschein
wahrer Zweige hatten, deren trügerische Natur aber mit der Zeit entdeckt wurde,
so dass sie entfernt wurden. Der Ölbaum stellt also die Gesamtheit der wahren
geistigen Kinder Abrahams dar, die heilige christliche Kirche, die Gemeinschaft
der Heiligen, aller Zeiten. Jeder Mensch, der den Messias durch den Glauben
annimmt, ist ein Zweig dieses Stammes oder Körpers, wird Teilhaber der
göttlichen Verheißungen und Segnungen.
Der Apostel hält sich gut an dieses Bild
und spricht eine ernste Ermahnung an jeden überheblichen Christen aus den
Heiden aus: Wenn einige der Zweige abgebrochen sind und du als wilder Ölbaum
unter sie eingepfropft wurdest und an der Wurzel des fetten Ölbaums
teilhattest, dann rühme dich nicht gegen die Zweige. Das Abbrechen der Zweige
geschah zur gleichen Zeit, als die Zweige des wilden Ölbaums eingepfropft
wurden. Das Erscheinen Christi in der Welt brachte alle Juden in eine Krise.
Eine große Zahl von ihnen nahm Anstoß an dem gekreuzigten Christus und an der
Predigt vom Kreuz, und das Ergebnis war, dass sie vom Baum der Kirche
abgebrochen und entfernt wurden. Denn mit dem Kommen des Messias war die Kirche
der Gläubigen zur Kirche Jesu Christi geworden, und jeder, der Jesus nicht als
den verheißenen Messias annahm, schloss sich selbst aus der Gemeinschaft der
Heiligen aus, denn der Prüfstein des Glaubens bestand in der Anwendung der
messianischen Prophezeiungen auf Jesus von Nazareth. Anstelle solcher Zweige,
die ihren Charakter verloren hatten und deshalb entfernt worden waren, pfropfte
der Herr jedoch einige Zweige von einem wilden Ölbaum ein; er rief einige
Heiden in die Gemeinschaft der Heiligen. Sie wurden aus der Mitte der
verlorenen und verdammten heidnischen Welt herausgenommen, sie wurden einfach
in die Gemeinschaft des Herrn aufgenommen und wurden so lebendige Glieder
seiner Gemeinde. Und zugleich wurden sie aller Wohltaten des Heils teilhaftig,
der Versöhnung mit dem Vater, der Vergebung der Sünden, der vollen und
vollständigen Rechtfertigung, des Sieges über den Tod und der ewigen Seligkeit.
Der Gedanke, den der Apostel hervorhebt, ist der, dass die Juden die
ursprünglichen Kinder Gottes waren, dass sie die ersten Besitzer dieser
Vorteile und Vorrechte waren, dass ihnen als den ersten die Segnungen Gottes in
Jesus offenbart wurden, Matth. 8,11; Joh. 10,16; Eph.
2,11 ff. Und darum sollte sich der Heidenchrist sehr davor hüten, sich auf
Kosten der Juden zu rühmen, auf Kosten derer, die es törichterweise versäumt
hatten, den Messias in der Fülle der Zeit anzunehmen. Sich eines Besitzes zu
rühmen, der nicht verdient wurde, sondern ein Geschenk der freien Gnade ist,
anstatt Gott allein alle Ehre zu geben, ist immer töricht und verwerflich, aber
dies auf Kosten derer zu tun, die verworfen wurden, weil sie sich in ihrer
Blindheit von den Segnungen des Reiches ausgeschlossen haben, ist der Gipfel
des tadelnswerten Verhaltens.
Deshalb schließt der Apostel seine Warnung
mit einer Erklärung an: Wenn du dich aber rühmst (wenn du der Versuchung nicht
widerstehen kannst, dich zu rühmen), dann denke daran, dass nicht du die Wurzel
trägst, sondern die Wurzel dich. Die Wurzel besteht aus den Patriarchen
Israels, die durch Gottes Wort und Verheißung dazu gemacht wurden. Und dieselbe
Kraft hält die Zweige am Leben. Die Juden waren der Kanal des Segens für die
Heiden; das Heil kam von den Juden. Deshalb sollte jede kleinliche und
selbstbewusste Prahlerei seitens der Heidenchristen und der Christen aller
Zeiten ausgeschlossen werden. Und wenn einer von ihnen im Geiste der gleichen
kleinlichen Selbstgefälligkeit Einspruch erheben wollte: Die Zweige wurden
herausgebrochen, damit ich eingepfropft werde, dann hat Paulus die Antwort: Nun
gut, lassen wir das stehen, es ist wahr genug, dass die Verwerfung der Juden
nach ihrer Abkehr von Christus die Bekehrung der Heiden zur Folge hatte; aber
das geschah nicht, weil die Heiden von Natur aus besser waren als die Juden
oder weil der Herr an den Heiden besonderes Wohlgefallen hatte. Eine solche
Schlussfolgerung wäre völlig falsch. Nicht weil sie Juden waren, hatte der Herr
sie verworfen, sondern durch ihren Unglauben, wegen ihres Unglaubens waren sie
zerbrochen; weil sie sich weigerten, den Retter anzunehmen, hatte der Herr sie
verworfen, denn der Glaube ist das einzige Mittel, durch das die Beziehung zu
Gott aufrechterhalten werden kann. Die Heiden befanden sich in einem Zustand
der Gnade und des Heils nur durch den Glauben, der ein Geschenk der
Barmherzigkeit Gottes ist. Anstatt sich also zu rühmen, stolz zu sein in ihrer
eigenen Einbildung, eine ungerechtfertigte Einschätzung ihrer eigenen
Wichtigkeit in den Augen Gottes vorzunehmen, sollten sie sich fürchten, Phil.
2,12.13. Denn wenn Gott die natürlichen Zweige nicht verschont hat, so wird er
auch dich nicht verschonen. Da der Heidenchrist nur durch den Glauben im Stand
der Gnade ist und der Glaube die Prahlerei ausschließt, sollte er sich hüten,
in seinem Stolz vom Glauben abzufallen und das gleiche Schicksal zu teilen wie
die, die er zu verachten versucht war. In der Tat war es wahrscheinlicher, dass
die Juden verschont wurden als die Heiden, da sie schon so lange mit ihm in
enger Verbindung standen.
Der Apostel zieht nun eine Schlussfolgerung
aus den soeben dargelegten Tatsachen: Siehe also die Güte und die Strenge
Gottes; über die Gefallenen die Strenge, über dich aber die Güte Gottes, wenn
du an seiner Güte festhältst, denn im umgekehrten Fall wirst auch du verstoßen
werden, V. 22. Bei den Gefallenen, deren Unglaube sie von der Gnade und der
Gemeinschaft Gottes und der Heiligen ausgeschlossen hat, ist die Strenge Gottes
offenbar geworden. In seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit ist Gott gezwungen,
denen, die die Gemeinschaft, in der sie seine Gnade und Güte genossen haben,
verlassen, sein Missfallen zu zeigen, indem er ihnen alle seine Barmherzigkeit
und Liebe entzieht. Aber im Fall des Heidenchristen hat Gott seine Güte und
Freundlichkeit gezeigt, indem er ihn aus der Mitte der Gottlosigkeit und der
Feindschaft gegen Gott herausgenommen und ihn als Glied seiner Kirche
angenommen hat. Für einen solchen Menschen gilt es daher, sein Heil mit Furcht
und Zittern zu erarbeiten und an der Güte Gottes festzuhalten, damit er nicht
auch von Gott verstoßen wird, Joh. 15,1-6. Wenn Christen vergessen, dass sie
ihren Gnadenstand, ihre Zugehörigkeit zur Gemeinde des Herrn, allein der Güte
und Barmherzigkeit Gottes verdanken, und sich anmaßen, sich über andere zu
erheben, insbesondere indem sie die Verworfenen verachten, dann verleugnen sie
ihrerseits die Güte Gottes, verlieren ihren Glauben und werden verstoßen. In
ihrem Fall fordern sie die Güte Gottes heraus, sich in Strenge zu verwandeln.
Und noch etwas darf der Heidenchrist nicht
übersehen, wenn er anmaßende Gedanken in seinem Herzen aufsteigen fühlt: Aber
auch sie werden, wenn sie nicht im Unglauben verharren, wieder eingepfropft
werden, denn Gott ist durchaus fähig, sie wieder einzupfropfen, V. 23.
Diejenigen, die heute stehen, können sehr leicht und schnell fallen, besonders
wenn Gedanken des Stolzes und der Selbstgefälligkeit ihr Herz erfüllen.
Andererseits wird sich die Barmherzigkeit Gottes schnell denen zuwenden, die
gefallen sind, wenn sie nicht in ihrem Unglauben verharren, wenn sie ihr Herz
nicht so verhärtet haben, dass sie von Gott endgültig verworfen werden. Wenn
sie nur auf seinen Ruf hören und sich Jesus als ihrem Retter zuwenden, wird
Gott sie gerne wieder als Mitglieder seiner Kirche aufnehmen und ihnen alle
Rechte und Privilegien der anderen Gläubigen gewähren. Mehr noch, dieses
Ereignis ist, wenn man es für sich betrachtet, wahrscheinlicher als die
Berufung der Heiden. Denn wenn du, der du aus deinem natürlichen Baum, dem
wilden Ölbaum, herausgeschnitten wurdest, gegen deine Natur in den guten Ölbaum
eingepfropft wurdest, wie viel mehr werden die, die von Natur aus Zweige sind,
in ihren eigenen Ölbaum eingepfropft werden! V.24. Die Heidenchristen waren die
Zweige des wilden Ölbaums, die keine natürliche Verbindung mit dem guten Ölbaum
hatten, in den sie eingepfropft wurden; die Juden waren die natürlichen Zweige.
Nun wird das, was mit der Natur übereinstimmt, viel leichter geschehen als das,
was gegen die Natur ist. Deshalb könnte die Wiedervereinigung der Juden mit dem
Leib der Kirche Gottes, den sie törichterweise verlassen haben, aller
Wahrscheinlichkeit nach viel leichter zustande kommen als die Vereinigung der
Heidenchristen mit einer Gemeinschaft, mit der sie nie etwas gemeinsam hatten.
Nicht, dass die Juden als Rasse für das Evangelium empfänglicher wären als die
Heiden; denn Juden und Heiden sind gleichermaßen unfähig und untauglich, sich
selbst zu retten oder das geringste verdienstvolle Werk für ihr eigenes Heil zu
vollbringen, eine Wahrheit, die für alle Zeiten gilt und beherzigt werden
sollte.
Die Fülle aus den Heiden und ganz Israel
(V. 25-27): Es gibt hier keine Grundlage für den tausendjährigen Traum von der
endgültigen Bekehrung aller Juden, aber der Apostel spricht von Israel in
demselben Sinn, den er fast ausschließlich im gesamten Brief verwendet. Paulus
hatte erklärt, dass die totale Verstockung nicht bei allen Mitgliedern des
jüdischen Volkes stattfinden würde, sondern dass die Möglichkeit der Bekehrung
einiger von ihnen während der gesamten neutestamentlichen Ära besteht. Aber in
diesem Zusammenhang will der Apostel seinen Brüdern, den Gliedern der Gemeinde
in Rom, die größtenteils aus Heidenchristen bestand, ein Geheimnis mitteilen:
Ich will nicht, dass ihr in Unkenntnis dieses Geheimnisses, dieses
Geheimnisses, bleibt, damit ihr nicht in euch selbst weise seid. Das Geheimnis,
von dem Paulus spricht, ist dieses: Die Verstockung, die Blindheit, ist zum
Teil Israel widerfahren, bis die ganze Zahl der Heiden hereinkommen wird, und
so wird ganz Israel gerettet werden. Damit die römischen Christen sich nicht
ihre eigene Meinung darüber bilden, nicht ihren eigenen Gedanken folgen, hält
er es für das Beste, ihnen das gleich zu sagen. Die Verblendung oder
Verstockung, von der er sprach, betraf nicht alle Glieder des Volkes, sondern
nur einen Teil von ihnen, nämlich insofern, als einige von ihnen endgültig
verworfen worden waren; von den übrigen aber bekehrten und erretteten sich zwar
einige fortwährend und allmählich. Während die Fülle der Heiden für Christus
gesammelt wird, während die Zahl derer aus den Heiden, die schließlich den Leib
derer bilden werden, die zum Heil bestimmt sind, durch das Evangelium gerufen
wird, werden auch Seelen aus der Mitte der Juden gewonnen werden. Bis zum Tag
der Offenbarung Jesu Christi in seiner Herrlichkeit wird es also immer einige
aus der Mitte der selbstverstockten Israeliten geben, die zur Erkenntnis des
Erlösers kommen werden. Und so wird das Endergebnis sein, dass ganz Israel
gerettet werden wird, alle, die in Tat und Wahrheit Kinder Abrahams sind, nicht
nur nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist. Das sind die aus allen Völkern
unter der Sonne, die der Herr zu den Seinen erwählt hat und die sein erlösender
Ruf früher oder später erreichen wird.
Dass dies das richtige Verständnis des
Textes ist, geht auch aus der messianischen Prophezeiung hervor, die der
Apostel nun zitiert: Aus Zion wird der Erlöser kommen; er wird die
Gottlosigkeit von Jakob abwenden. Und das ist mein Bund mit ihnen, was ich in
mir selbst fest beschlossen habe, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde. Dies
ist eine Kombination aus verschiedenen prophetischen Sprüchen, Jes. 59,20.21;
10,11 12; 27,9; Jer. 31,31-34. In der wichtigsten Prophezeiung, auf die sich
der Apostel bezieht, werden die Mitglieder des jüdischen Volkes, die in ihrer
Ablehnung der Barmherzigkeit Gottes verharren, denjenigen gegenübergestellt,
die sich zum Messias bekehren werden. Als Jesus, der Messias, nach Israel kam,
brachte er Befreiung, er wandte die Gottlosigkeit von Jakob ab. Und sein Bund
bestand in der Vergebung ihrer Sünden; darin war sein Bund verwirklicht. Der
Nutzen des Werkes des Messias beschränkte sich also nicht auf die Kinder
Israels nach dem Fleisch, sondern schloss alle ein, die den Erlöser als ihren
Befreier annahmen und jenen wunderbaren Bund mit ihm
schlossen, durch den ihre Sünden vergeben wurden.
Gottes Barmherzigkeit über allen (V.
28-32): Diese Aussage ist eine Parallele zur vorhergehenden; sie macht
praktisch dieselbe Behauptung in Bezug auf die große Masse der ungläubigen
Juden. Nach dem Evangelium, was das Evangelium betrifft, sind sie Feinde um
euretwillen, nach der Erwählung aber, was die Erwählung betrifft, sind sie
geliebt um der Väter willen. Einerseits sind die Juden Feinde Gottes, weil sie
dem Evangelium gegenüber feindselig eingestellt sind. Und diese Haltung hat den
Heiden zum Vorteil gereicht, sie hat ihnen das Heil geschenkt. Das gilt für den
Unglauben im Allgemeinen. Andererseits sind sie von Gott geliebt, was die
Auserwählung anbelangt. Gott liebt die Juden, auf die sich der Apostel hier
bezieht, weil er sie von Anfang an auserwählt hat, sie zu den Seinen erwählt
hat. Dieser Akt Gottes geschah um der Väter, der Patriarchen willen, im
Interesse der Väter; denn die Gaben und die Berufung Gottes werden nicht
bedauert. Was Gott einmal in Bezug auf die Erwählung der Gnade beschlossen hat,
kann er nicht mehr ändern und widerrufen. Indem er seine gnädige Berufung auf
die Patriarchen ausdehnte, indem er sie zu Trägern der Verheißung machte, hat
er sie zum Heil in Christus berufen. Weil Gott die Juden von Anfang an
auserwählt und durch und in der den Vätern gegebenen Verheißung zum Heil in
Christus berufen hat, und weil diese Erwählung und Berufung Gottes ihr Ziel
sicher erreichen muss, sind die Juden, an die Paulus hier denkt, auch jetzt
noch, obwohl sie noch keinen Glauben haben, von Gott geliebt. Nach ihrem
Unglauben sind sie Feinde Gottes, die ihren Hass gegen ihn verurteilen müssen;
nach der Erwählung aber sind sie seine Geliebten, obwohl sie noch nicht im
Besitz des Heils sind.
Diese Aussage klingt so widersprüchlich,
dass Paulus ein weiteres Wort der Erklärung hinzufügt: Denn wie ihr einst Gott
ungehorsam wart, nun aber durch den Unglauben dieser Juden seine Barmherzigkeit
erfahren habt, so sind auch diese jetzt ungehorsam geworden, damit sie durch
die Barmherzigkeit, die ihr erfahren habt, nun auch Barmherzigkeit empfangen,
V. 30.31. Die Heidenchristen waren vor ihrer Bekehrung dem Willen Gottes
ungehorsam gewesen, Kap. 1,18 ff. Aber jetzt, nachdem sie das Evangelium gehört
hatten, hatten diese ehemaligen Heiden die Barmherzigkeit Gottes erfahren und
empfangen. Und dieser große Segen war durch den Ungehorsam der Juden über sie
gekommen, weil die Juden damals den Messias und den Gehorsam des Evangeliums
nicht annehmen wollten. Und ebenso, so argumentiert der heilige Paulus, sind
die Juden in den Zustand des Ungehorsams, des Unglaubens, eingetreten und
können daher wohl die Barmherzigkeit Gottes zur Bekehrung erfahren, dieselbe
Barmherzigkeit und Gnade, die die Heiden erfahren haben. Was Gott an den Heiden
getan hat, kann er auch an den Juden tun, die sich jetzt in der Stellung zu
Gott befinden, die früher die Heiden innehatten; er kann den Ungehorsam der
Juden in Gehorsam verwandeln, wie er es bei den Heiden getan hat. Denn Gott hat
alle zusammen unter den Ungehorsam gefasst, um sich aller zu erbarmen; er hat
alle Völker, von denen der Apostel spricht, dem Ungehorsam überlassen, um sie
zu seiner Zeit zum Glauben zu bringen und ihnen seine Barmherzigkeit in Jesus
Christus zu schenken. Was für ein unermesslicher Reichtum an Barmherzigkeit ist
das, wenn unser Gott sogar den Eigensinn und die Übertretungen der Menschen
benutzt, um anderen den Reichtum seiner Gnade zu bringen! Anmerkung: Diese
Barmherzigkeit sollte sich auch auf uns in der Weise auswirken, dass wir beim
Richten und im Umgang mit anderen Menschen barmherzige Geduld walten lassen.
Was Gott für uns getan hat, kann er auch für die tun, die jetzt in tiefem
Unglauben und Widerspruch gegen Gott stecken, und sie so in die Gemeinschaft
seines Sohnes Jesus Christus bringen.
Ein abschließender Lobpreis (V.
33-36): Der Apostel hat den geschichtlichen Teil seiner Ausführungen zu Ende
gebracht. Und mit all den Wundern der Gnade und Barmherzigkeit Gottes vor
Augen, wie sie sich in seinem Umgang mit Juden und Heiden zeigen, sieht sich
Paulus gezwungen, in einen Lob- und Dankgesang auszubrechen. Welch
unergründliche und unerforschliche Tiefen seines Reichtums an Weisheit und
Erkenntnis werden hier vor unseren Augen ausgebreitet! Seine grundlegende
Weisheit ist so groß, dass er immer weiß, wie er sein Ziel erreichen kann, dass
er immer die richtigen Mittel wählt. Die Erkenntnis Gottes ist so reich, dass
kein Mensch sie erfassen oder ermessen kann; seine Weisheit ist so tief, dass
keine menschliche Vernunft ihre Tiefen ergründen kann. Seine Urteile liegen
jenseits des menschlichen Verstandes und seine Wege jenseits ihres
Verständnisses. Die Gerichte Gottes sind vor allem seine Urteile der
Verstockung und Verurteilung. Allein die Tatsache, dass Gott zulässt, dass sich
hartnäckige Sünder in den Maschen ihres eigenen Widerstands verfangen, und dann
ihre Ablehnung zugunsten der Gefäße seiner Barmherzigkeit wendet, übersteigt
unser Fassungsvermögen und lässt uns in hilfloser Verwirrung zurück. Allein die
Tatsache, dass Gottes Vorsehung die Welt aufrechterhält, bis er seine Pläne der
Barmherzigkeit in Bezug auf die Auserwählten zur Ausführung gebracht hat, zeigt
eine so unerforschliche, unbegreifliche Weisheit und Barmherzigkeit, dass wir
nur in bewundernder Bewunderung dastehen können; wir können den Schleier nicht
lüften, der das Wunder dieser Geheimnisse Gottes enthüllen würde.
Dass die Gerichte und Wege Gottes
unerforschlich und unbegreiflich sind, unterstreicht der Apostel nun in drei
Fragen, die aus Jes. 40,13; Hiob 41,3. Wer hat den Sinn des Herrn verstanden?
Oder wer wurde sein Ratgeber? Oder wer hat ihm zuerst gegeben, und es wird ihm
zurückgegeben werden? Wer kennt die Gedanken und Pläne Gottes und den Grund
seiner Anordnungen? Wer stand dann an seiner Seite, um ihm Ratschläge für die
Art und Weise ihrer Ausführung zu geben? Wie wäre es möglich, dass ein Mensch,
ja ein Geschöpf, Gott in die Pflicht nimmt? Es sind nur drei Fälle denkbar, in
denen ein Mensch wissen könnte, was Gott geplant hat und wie er seine Pläne
auszuführen gedenkt: Wenn er Zugang zum Verstand, zu den Gedanken Gottes hätte;
wenn er an der Planung teilgenommen hätte; wenn er in der Lage wäre, aus den
Verdiensten seiner eigenen Beziehung zu Gott herauszufinden, was er von Gott
als Gegenleistung erwarten kann. Das Geschöpf hat in Bezug auf Gott überhaupt
kein Verdienst, denn Gott ist selbst alles in allem: Von ihm, durch ihn und zu
ihm sind alle Dinge. Alle Dinge, die in der Welt geschehen, insbesondere alle
Umstände, die mit dem Heil des Menschen zusammenhängen, haben ihren Ursprung in
Gott, werden von Gott ausgeführt und dienen den Zwecken Gottes. Anstatt also zu
versuchen, in die Geheimnisse Gottes einzudringen und seine unerforschliche,
unbegreifliche Weisheit aufzudecken, sollen alle Menschen und besonders alle
Gläubigen ihre Knie in Lob und Anbetung beugen und mit dem Apostel sagen: „Ihm
sei Ehre in Ewigkeit! Ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen.“
Zusammenfassung: Der Apostel
beklagt die Tatsache, dass die Juden ihr Heil abgelehnt haben, zeigt, dass die
Ablehnung der Juden wiederum zum Nutzen der Heiden diente, wie auch zur Rettung
des Überrestes in Israel, wobei die Auserwählten aus Juden und Heiden
schließlich die Fülle des geistlichen Israels bilden; schließlich fügt er ein
Gebet der staunenden Dankbarkeit gegenüber der Weisheit Gottes hinzu.
Des Christen Leben
ein vernünftiger Gottesdienst (12,1-21)
1 Ich ermahne euch, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass
ihr eure Leiber begebt zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig
sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst. 2 Und stellt euch nicht dieser
Welt gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr
prüfen könnt, welches da sei der gute, der wohlgefällige und der vollkommene
Gotteswille.
3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedermann unter
euch, dass niemand weiter von sich halte, denn sich’s gebührt zu halten,
sondern dass von sich mäßig halte, ein jeglicher nachdem Gott ausgeteilt hat
das Maß des Glaubens. 4 Denn gleicherweise, wie wir in einem Leib viel Glieder
haben, aber alle Glieder nicht einerlei Geschäft haben, 5 so sind wir viele ein
Leib in Christus; aber untereinander ist einer des anderen Glied. 6 Und haben
mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat jemand Weissagung, so
sei sie dem Glauben ähnlich. 7 Hat jemand ein Amt so warte er des Amts. Lehrt
jemand, so warte er der Lehre. 8 Ermahnt jemand, so warte er des Ermahnens.
Gibt jemand, so gebe er einfältig. Regiert jemand, so sei er sorgfältig. Übt
jemand Barmherzigkeit, so tu er’s mit Lust.
9 Die Liebe sei nicht falsch. Hasst das Arge, hangt dem Guten an. 10 Die
brüderliche Liebe untereinander sei herzlich. Einer komme dem anderen mit
Ehrerbietung zuvor. 11 Seid nicht träge, was ihr tun sollt. Seid brünstig im
Geist. Schickt euch in die Zeit. 12 Seid fröhlich in Hoffnung; geduldig in
Trübsal, haltet an am Gebet. 13 Nehmt euch der Heiligen Notdurft an. Herbergt
gerne. 14 Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. 15 Freut euch
mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. 16 Habt einerlei Sinn
untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern haltet euch herunter
zu den Niedrigen.
17 Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet niemand Böses mit
Bösem. Befleißigt euch der Ehrbarkeit
gegen jedermann. 18 Ist es möglich, soviel an euch ist, so habt mit allen
Menschen Frieden. 19 Rächt euch selber nicht, meine Liebsten, sondern gebt Raum
dem Zorn; denn es stehet geschrieben: Die Rache ist mein; ich will vergelten,
spricht der HERR. 20 So nun deinen Feind hungert, so speise ihn; dürstet ihn,
so tränke ihn. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt
sammeln. 21 Lass dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit
Gutem.
Die grundlegende Ermahnung (V. 1-2):
Paulus hat den ersten Teil seines Briefes an die Römer, den lehrhaften Teil,
abgeschlossen. Er hat die mannigfaltigen und unterschiedlichen Manifestationen
des göttlichen Mitleids und der Barmherzigkeit gegenüber den Menschen
beschrieben, die suchende Liebe Gottes inmitten von Ungehorsam und
Undankbarkeit. Auf der Grundlage dieser Offenbarung der Liebe Gottes fügt der
Apostel nun den praktischen Teil seines Briefes hinzu. Nun aber, oder deshalb,
beschwöre ich euch. Seine gesamte Ermahnung stützt sich auf die Tatsachen, die
in der Darlegung seiner These, Kap. 1,16.17, auf den Tatsachen der
Rechtfertigung, der Heiligung und des Heils des Menschen. Er schreibt nicht:
Ich befehle euch, sondern: Ich beschwöre, fordere auf, bitte, ermahne, flehe
euch an. Es handelt sich um eine evangelische Ermahnung, nicht um eine
Forderung des Gesetzes. Die Dinge, die er bespricht, sind solche, die das Leben
des Christen in Übereinstimmung mit dem heiligen Willen Gottes bringen, aber nicht
in dem Sinne, dass die Werke an sich das Heil verdienen. Er nennt die Christen
in Rom Brüder, da sie mit ihm Kinder desselben himmlischen Vaters sind und ihm
daher zu allen Zeiten und in allen Dingen verpflichtet sind. Durch die
Barmherzigkeit Gottes ermahnt und bittet der Apostel. Was er bisher geschrieben
hatte, war eine Verkündigung, ein Lob der vielen Beweise und Manifestationen
der Barmherzigkeit Gottes, seiner Gnade in Christus Jesus. Diese unverdiente
Gnade Gottes, sein unerforschlicher Reichtum an Barmherzigkeit, den die Leser
in ihrem eigenen Herzen und Leben erfahren haben, das ist der eigentliche
Beweggrund und Ansporn für eine christliche Lebensweise. „Er sagt nicht: Ich
befehle euch; denn er predigt denen, die schon Christen und fromm sind durch
den Glauben an den neuen Menschen, die nicht mit Geboten gezwungen, sondern
willig ermahnt werden sollen, das zu tun, was mit dem sündigen alten Menschen
zu tun ist. Denn wer es nicht willig tut, nur auf Grund freundlicher Ermahnung,
der ist kein Christ; und wer es mit Gesetzen aus den Unwilligen erzwingt, der
ist schon dann kein christlicher Prediger oder Vorsteher mehr, sondern ein
weltlicher Kerkermeister.... Wer sich also mit solch süßen und lieblichen
Worten der Barmherzigkeit Gottes, die uns in Christus in so unermesslicher
Menge gegeben ist, nicht anregen und überreden lässt, dass er auch so mit Lust
und Liebe tut, zur Ehre Gottes und zum Besten seines Nächsten, der ist nichts,
und alles ist verloren in seinem Fall.... Nicht die Barmherzigkeit der Menschen,
sondern die Barmherzigkeit Gottes ist es, die uns geschenkt wird und die der
heilige Paulus uns ansehen, anspornen und bewegen lassen will.“[20]
Der Apostel ermahnt die Christen vor allem,
ihren Leib als ein lebendiges Opfer darzubringen. Vgl. Kap. 6,12.13.19. Ihr
Leib, ihr physischer Organismus mit allen seinen Gliedern, soll dem Dienst
Gottes geweiht werden. Die Christen bringen ihren Leib als Opfer für Gott dar,
wenn sie ihn nicht als ihr Eigentum betrachten, das sie nach eigenem Gutdünken
gebrauchen oder missbrauchen können, sondern ihn stets als Werkzeug des
heiligen Willens Gottes betrachten. So ist der Leib der Christen ein lebendiges
Opfer, ihr ganzes Leben steht im Dienst des Herrn, und alle Handlungen aller
ihrer Glieder sollen gute Werke sein. Und deshalb sind diese Opfer auch heilig,
Gott abgesondert, Gott geweiht, der Heiligung seines Namens dienend, und
annehmbar, Gott wohlgefällig, der große Freude an ihnen hat. Und übrigens ist
die gesamte Darbringung dieses Opfers während des ganzen Lebens eines Christen
ein vernünftiger Dienst, ein Kult oder eine Anbetung Gottes, die nur seine Ehre
sucht, die mit dem Geist oder dem Verstand erfolgt und vom Geist Gottes gelenkt
wird. So ist der Dienst, den ein Christ Gott anbietet, indem er alle seine
Glieder dem heiligen Willen Gottes unterwirft, kein toter und formaler
Ritualismus, sondern ein Kult, eine Anbetung des Geistes, wobei der Geist
unaufhörlich tätig ist, um zu planen und zu überlegen, wie der Körper mit allen
seinen Gliedern zur Ehre Gottes leben kann.
Derselbe Gedanke wird nun von einer anderen
Seite angeboten: Und seid nicht gleichförmig dieser Welt, sondern nehmt eine
andere Gestalt an durch die Erneuerung eures Sinnes, dass ihr zu erforschen
sucht, was der Wille Gottes ist, was gut und wohlgefällig und vollkommen ist.
Die Gewohnheit, das Verhalten, die ganze Art und Weise, wie der Christ sich
verhält, darf nicht mit der gegenwärtigen Welt übereinstimmen, mit dem
Verhalten der Menschen, die nur für diese Welt leben, Gal. 1,4; Eph. 2,1; 2
Kor. 4,4. Die Gläubigen werden sich unter keinen Umständen den bösen Sitten,
Gewohnheiten, Praktiken anpassen, die in der Welt üblich sind. Weil sie, was
ihren inneren Menschen, ihr Herz und ihre Seele betrifft, von der Welt entfernt
sind, weil sie nicht mehr von der Welt sind, obwohl sie noch in der Welt leben,
werden sie in der Welt einen anderen Charakter und ein anderes Aussehen
annehmen. Dies geschieht durch die Erneuerung des Geistes, durch die
Veränderung des Herzens, die mit der Bekehrung beginnt und das ganze Leben
hindurch andauert, denn der Kampf zwischen Fleisch und Geist muss ohne
Unterlass geführt werden. Die Veränderung des äußeren Charakters und der
Gewohnheiten eines Menschen ist die Folge der inneren Veränderung. Und so ist
es die ständige Sorge des Christen, sorgfältig zu prüfen, zu versuchen, immer
herauszufinden, was der Wille Gottes ist, das heißt, was in seinen Augen gut
und wohlgefällig und vollkommen ist. Der natürliche Mensch hat nur einen
Gedanken und eine Sorge, nämlich das zu tun, was seinem sündigen Fleisch
gefällt. Aber ein Christ ist, obwohl sein Können und seine Leistung nicht
seinem Wollen entsprechen, aktiv und unermüdlich darin, den Willen Gottes aus
der Offenbarung der Heiligen Schrift zu erforschen und die so gewonnene
Erkenntnis in allen Lebenslagen, unter allen Umständen und gegenüber jedem
Menschen in der Welt zu praktizieren. Ein solches Verhalten und Benehmen ist
der wahre Charakter der Christen und hilft ihnen, das wahre Ziel und den Zweck
ihres Daseins in der Welt zu erreichen.
Der rechte Gebrauch von Gottes
Gnadengaben (V. 3-8): Die allgemeine Ermahnung der ersten Verse führt
Paulus nun im Detail aus, indem er ihren Inhalt spezialisiert und auf konkrete
Situationen im Leben der Gläubigen anwendet. In diesem Abschnitt spricht er von
den besonderen Gnadengaben, die im Gemeindeleben ihre Anwendung finden. Jeder
Christ hat eine solche Gabe empfangen, und es ist der Wille Cods, dass er sie
anwendet, dass er sie in den Geschäften der Gemeinde praktisch unter Beweis
stellt. Paulus macht diese Ermahnung durch die Gnade, die ihm kraft seines
Apostelamtes gegeben wurde, Kap. 15,15; Eph. 3,7.8, die ihn befähigt, mit
Vollmacht zu reden; die gewöhnlichen und außergewöhnlichen Gaben, die er auf
diese Weise empfangen hatte, qualifizierten ihn für seine Aufgaben und gaben
seinen Anweisungen Autorität.
Und seine allererste Belehrung betrifft ein
sehr schweres Ärgernis und eine Sünde, die man oft bei denen fand und auch
heute noch findet, die bestimmte Gaben in der Kirche besitzen: Dass er nicht
mehr von sich halten soll, als er halten soll, sondern dass er bescheiden sein
soll. Und das sagt der Apostel zu einem jeden von ihnen, zu einem jeden, wie
Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat. Die besonderen Gnadengaben, die Gott
zu allen Zeiten den Gliedern seiner Kirche in gewissem Maße gegeben hat, wie z.
B. die Fähigkeit zur Leitung, die Eignung und Geschicklichkeit in der Lehre,
die Begabung für eine einfache und klare Darstellung der Heiligen Schrift und
andere, sind von einigen Christen immer wieder zur Selbsterhöhung begehrt und
ausgeübt worden. Und deshalb sagt Paulus zu jedem von ihnen, egal wer er ist
und welche Position er innehat, dass er keine Meinung von sich selbst haben
soll, die das Maß christlicher Bescheidenheit überschreitet. Ein Christ kann
sich einer Gabe in der Kirche, die ihm der Herr gegeben hat, ganz oder
teilweise bewusst sein. Aber dieses Bewusstsein darf nicht zu einer
Selbstverherrlichung führen. Schlichte, vernünftige Bescheidenheit und Demut
müssen das Urteil des Christen über seine Fähigkeiten und seine Arbeit im Reich
Gottes prägen. Und das soll er tun, weil erstens seine besondere Gabe von Gott
kommt, ein freies Geschenk seiner Gnade ist, und zweitens diese Gabe mit dem
Glauben zusammenhängt, weil Gott jedem Christen sein Maß an Glauben, an
Festigkeit, an Vertrauen, an Zuversicht in Gott ausgeteilt hat, 1. Kor. 12,9.
Wenn ein Christ seine besondere Gnadengabe richtig anwenden soll, dann ist ein
gewisses Maß an Zuversicht nötig, die Überzeugung, dass Gott ein bestimmtes
Werk von ihm verlangt, dass er Gott und der Gemeinde Gottes mit seiner Gabe
dienen muss und dass er dazu die richtige Fröhlichkeit besitzt. Der Apostel
spricht natürlich nicht von den seltsamen Selbsttäuschungen, nach denen
Menschen sich für Ämter berufen fühlen, für die sie weder geeignet noch
befähigt sind, und sich ganz auf ihr eigenes verkehrtes Urteil verlassen. Er
warnt ausdrücklich vor solchen Verblendungen und Selbstüberschätzungen.
Diese Warnung vor Hochmut und seine
Ermahnung zur Bescheidenheit untermauert der Apostel nun mit der Tatsache: Denn
wie wir in einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe
Aufgabe haben, so haben auch wir, die wir viele sind, einen Leib in Christus,
aber jeder ein Glied des anderen, V. 4.5. Vgl. 1. Kor. 12,12; Eph. 4,15.16;
Kol. 1, 8. Der menschliche Organismus hat viele Glieder; aber sie sind nicht
alle gleich, sondern unterscheiden sich ganz entschieden in ihrer Funktion oder
Aufgabe, und doch dienen sie dem Leib, jedes in seinem Bereich und auf seine
besondere Weise. Und ebenso bilden wir viele, alle Christen zusammen, den Leib
Christi, die Gemeinschaft der Heiligen, aber einzeln, was unser individuelles
Verhältnis betrifft, sind wir Glieder eines anderen und können daher dem Leib
nur dann richtig dienen, wenn wir gemeinsam arbeiten, geleitet vom Geist
Gottes. Mit diesem Bild will der Apostel also zeigen, dass die Verschiedenheit
der Ämter und Gaben unter den Christen keineswegs im Widerspruch zu ihrer
Einheit als ein Leib in Christus steht, sondern vielmehr zur Vollkommenheit und
Nützlichkeit des Leibes notwendig ist. Indem sie sich gegenseitig ergänzen und
dienen, dienen alle Gläubigen Christus.
Der Apostel setzt nun seinen Gedanken fort,
indem er aufzeigt, dass wir, die wir so unterschiedliche Gaben haben, diese
auch nach dem Willen Gottes einsetzen sollen, so wie es seinem Willen
entspricht. Die Gnadengaben der Christen sind vielfältig, aber ihr Ziel und
Zweck ist derselbe: dem Herrn zu dienen und nicht dem eigenen Vorteil. Wenn
jemand die Gabe der Weissagung hat, soll er sie nach dem Vorbild des Glaubens
gebrauchen. Wenn wir unter Prophetie hier die besondere Gabe des apostolischen
Zeitalters verstehen, als eine außerordentliche Darlegung der göttlichen
Wahrheit, dann bedeutet die Ermahnung des Apostels zu sagen, dass jede solche
Darlegung mit dem inspirierten Wort übereinstimmen und das Vertrauen des
Glaubens zum Ausdruck bringen muss. Da sich die Prophetie in diesem Abschnitt
aber wahrscheinlich auf die Auslegung der Schrift zu allen Zeiten bezieht, mit
den Gaben, wie sie vielen Gliedern der neutestamentlichen Kirche gegeben
wurden, könnten die Worte umgeschrieben werden: Alle Schriftauslegung zu allen
Zeiten muss der Analogie des Glaubens, des rettenden Glaubens folgen. Wie
dieser Glaube sich ganz und allein auf das inspirierte Wort Gottes gründet und
niemals der Vernunft oder der Philosophie folgt, so geht auch eine
Bibelexegese, die diesen Namen wirklich verdient, niemals mit vorgefassten
Meinungen und Vorstellungen, mit einem Lehrsystem, in das die Schriftstellen
auf Biegen und Brechen eingepasst werden müssen, an ihre Aufgabe heran, sondern
sie schöpft die Wahrheit aus der Schrift, sie stützt sich allein auf die Bibel,
1. Kor 2,13.
Der Apostel fährt fort: Wenn wir einen
Dienst oder ein Amt haben, lasst uns diesem Dienst Aufmerksamkeit schenken.
Alle Ämter in der Kirche sind dem großen Dienst der Verkündigung des Wortes
tributpflichtig, aber es gibt viele Formen dieses Dienstes. Egal, welche
besondere Berufung jemand in der Kirche oder Gemeinde hat, egal, für welche
besondere Arbeit er ausgestattet ist, er sollte sie mit Freude und
Bescheidenheit ausüben, ohne sich in die Sphäre anderer einzumischen oder sie
um ihre höheren Gaben zu beneiden. Das gilt zunächst für diejenigen, die in der
Gemeinde das Amt eines Lehrers innehaben, gleichgültig in welcher Form: Wenn
jemand Lehrer ist, so soll er sich um die Lehre kümmern. Hat Gott jemanden zum
Prediger für die öffentliche Verkündigung des Wortes oder zum Lehrer für die
Unterweisung der Kinder und Jugendlichen auf dem Weg des Heils berufen, so soll
er sich mit der Arbeit dieses Amtes befassen, hierin tätig sein und unter dem
Segen Gottes etwas zum Nutzen der Gemeinde und aller Glieder vollbringen. Wenn
jemand ein Ermahner ist, soll er sich um die
Ermahnung kümmern. Wenn ein Christ die besondere Gabe empfangen hat, das Wort
Gottes in den verschiedenen Lebensumständen anzuwenden, wird die Versammlung
der Gemeinde oder irgendeines Gremiums im Dienst der Gemeinde ihm reichlich
Gelegenheit geben, diese Gabe zu gebrauchen und so dem Herrn zu dienen. Und
ganz allgemein schreibt der Apostel: "Wenn jemand etwas von seinen
reicheren Gaben den Ärmeren an den Gütern dieser Welt oder den Bedürftigen und
Notleidenden gibt, so soll er es in Aufrichtigkeit tun, mit dem einzigen und
ungeteilten Vorsatz, dem Herrn zu dienen, und nicht, um sich selbst ein Denkmal
zu setzen oder um Lob und Ehre von den Menschen zu erhalten. Wenn jemand ein
Amt innehat, eine besondere Stellung als Leiter oder Vorsteher eines
kirchlichen Werkes, so soll er seine Arbeit mit Eifer verrichten und sie nicht
durch Trägheit und Nachlässigkeit entwürdigen, sondern ihr stets volle
Aufmerksamkeit widmen. Wenn jemand Barmherzigkeit übt, soll er dies mit einem
schnellen Verstand tun. Den Kranken und Bedrängten unter den Brüdern und
Schwestern soll die Barmherzigkeit, die tätige Anteilnahme der anderen zuteil werden, nicht mit widerwilliger Lieblosigkeit,
sondern in dem Geist, der sich über die Möglichkeit freut, anderen helfen zu
können, der immer ein mitfühlendes, lächelndes Antlitz zeigt bei der Aussicht,
Leiden jeder Art zu lindern.
Des Christen Weise in seinen
persönlichen Beziehungen (V. 9-16): Der Apostel spricht nun ganz allgemein
über das Verhältnis des Christen zu seinen Mitchristen und zu seinen
Mitmenschen. Von der Liebe im Allgemeinen sagt er, dass sie sich nicht
verstellen soll, dass sie nicht nur in Worten, sondern in aufrichtigen Taten
bestehen soll; sie soll von Herzen kommen und wirklich das Wohl des Nächsten
wünschen. Eine solche wahre Liebe zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht
zögert, jede Form von Sünde und Übertretung zu tadeln und auch das Gute, das
sie in ihrem Nächsten findet, anzuerkennen und zu fördern. Diese Ermahnung ist
übrigens eine Zusammenfassung aller nun folgenden Ermahnungen. Was die
brüderliche Liebe betrifft, so soll eure Liebe zueinander und zu den anderen
als Kindern in der einen großen Familie Gottes zärtlich und liebevoll sein. Die
Beziehung der Gläubigen zueinander, als Glieder des einen Leibes Christi, als
Besitzer desselben Glaubens an die Erlösung durch ihren Erlöser, ist in
gewisser Weise inniger als die Blutsverwandtschaft zwischen den Mitgliedern
einer Familie. Und deshalb sollte sie in ihren Äußerungen zärtlich und
liebevoll sein. Und mit dieser Liebe sollte die gegenseitige Achtung verbunden
sein: durch die Ehre, die man sich gegenseitig erweist, indem man sich
gegenseitig die Ehre gibt. Zwischen den Christen sollte ein freundschaftlicher
Wettstreit herrschen, um sich gegenseitig in jeder Form der freundlichen
Ehrerbietung als Teilhaber derselben Gnade des himmlischen Vaters zu übertreffen.
Ein bloßes passives Gefühl reicht nach der Ermahnung des Apostels jedoch nicht
aus: Im Eifer oder Willen, nicht faul, eifrig im Geist, dem Herrn zu dienen.
Wenn es darum geht, dem Bruder oder dem Nächsten in irgendeiner Weise zu
dienen, darf man nicht zögern, nicht zaudern, nicht träge und nicht müde
werden. Vielmehr sollte unser Geist vor Eifer glühen, wir sollten mit
beharrlichem Enthusiasmus an seinem Wohlergehen interessiert sein. Und bei
aller Rücksichtnahme auf die Erfordernisse der verschiedenen Lebensumstände
sollte der Christ dennoch nie vergessen, dass seine Tätigkeit und sein Eifer
von dem Wunsch, Christus zu dienen, angetrieben und geleitet werden, ein
Faktor, der auch dazu beitragen wird, jeden Gedanken der Selbsterhöhung und des
Stolzes bei der Erfüllung unserer Pflichten zu vermeiden. Der Gedanke, dass die
Christen in allen Werken ihrer Berufung im Dienst des Herrn stehen, wird eine
weitere positive Wirkung haben: Was die Hoffnung betrifft, so werden sie voller
Freude sein; sie werden sich freuen, weil sie der Leiden Christi teilhaftig
sind, damit sie auch seiner Herrlichkeit teilhaftig werden, 1. Petr. 4,13. Was
Bedrückung, Not, Elend, Trübsal aller Art betrifft, so sind sie geduldig; sie
denken immer daran, dass die Leiden dieser Zeit nicht wert sind, mit der
Herrlichkeit verglichen zu werden, die offenbart werden soll, Kap. 8,18. Im
Gebet sollt ihr eifrig und beharrlich sein; die Christen sollen sich diesem
Zeichen und Ausdruck ihres geistlichen Lebens mit aller Inbrunst und
Eindringlichkeit widmen, wie der Herr sie so oft ermahnt, nicht mit
herkömmlicher Trägheit, sondern mit dem Eifer, der aus dem festen Vertrauen auf
seine väterliche Güte erwächst.
Nachdem der Apostel auf diese Weise gezeigt
hat, wie das Gefühl des persönlichen Dienstes an Gott das persönliche Verhalten
des Christen beeinflussen wird, wendet er sich wieder dem Verhältnis zum
Nächsten zu, V. 13-16. Nimm teil an den Nöten der Heiligen, lass sie deine
ernste Sorge sein wie auch die, mit denen du zu kämpfen hast, mach dir ihre Not
zu eigen und handle danach. Und dies wird weiter erklärt: Nach der
Gastfreundschaft. Da die Gläubigen Glieder des Leibes Christi sind, werden sie
natürlich sowohl ihre Sorgen als auch ihre Freuden teilen. In Zeiten der
Verfolgung, wie sie die ersten Christen oft erlebten, war es für die Gläubigen
sehr notwendig, die Fremden in der Gemeinschaft des Glaubens zu bewirten, da
sie von Tyrannen aus ihren Häusern vertrieben wurden. Aber inmitten solcher
Verfolgungen sollten die Christen das Beispiel und das Gebot ihres Herrn in
Bezug auf ihre Feinde nicht vergessen: Segnet die, die euch verfolgen; segnet,
und flucht nicht. Um dies zu unterstreichen, wiederholt der Apostel seine
Ermahnung, dass die Gläubigen aktiv ihre Feinde segnen sollen. Selbst wenn die
Verfolgung unerträgliche Ausmaße annimmt, müssen die Christen die Gewohnheit
pflegen, ihren Verfolgern Gutes zu wünschen. „Es reicht nicht aus, zu
vermeiden, Böses mit Bösem zu vergelten, und auch nicht, Rachegefühle zu
verbannen; wir müssen in der Lage sein, ihr Glück aufrichtig zu wünschen.“
(Hodge.) Und wenn wir diesen Geisteszustand kultivieren, werden wir umso besser
in der Lage sein, die Ermahnung zu befolgen, die wiederum vor allem die Brüder
betrifft: sich mit denen zu freuen, die sich freuen, mit denen zu weinen, die
weinen. Das Interesse eines christlichen Bruders oder einer christlichen
Schwester steigert ihre Freude über jeden Segen des Herrn; und ihr Mitgefühl
erleichtert jede schwere Last, vor allem, wenn ihre Worte nicht die
konventionellen, stereotypen Phrasen der so genannten höflichen Gesellschaft
sind, sondern die Worte des aufrichtigen Mitgefühls, die von der Liebe Christi
diktiert werden. Dieselbe Liebe wird auch bewirken, dass die Christen einander
gegenüber dasselbe denken; ein Gefühl der Übereinstimmung oder Harmonie, der
Einmütigkeit bestimmt ihr Handeln, Phil. 2,2; 4,2; 2. Kor. 13,11. Weil die
Liebe des Christen zu seinem Mitchristen ihn immer dazu veranlassen wird, sich
in die Lage des anderen zu versetzen, wird er daher in der Lage sein,
Zwietracht und Disharmonie zu bekämpfen. Dies wird ihm um so
besser gelingen, je mehr er die Aufforderung befolgt: Habt nicht im Sinn, setzt
nicht eure Gedanken auf hohe Dinge, sondern seid bereit, mit den Niedrigen
mitzuziehen; seid nicht weise in eurer eigenen Schätzung. Alle
Selbstüberheblichkeit steht nicht im Einklang mit den Forderungen der
christlichen Liebe; nicht ehrgeizig, sondern demütig zu sein, muss der
Charakter eines jeden Nachfolgers des niedrigen Nazareners sein. Unmäßiger
Ehrgeiz, der all jene verachtet, die nicht die gleichen intellektuellen oder
geistlichen Gaben empfangen haben, einerseits, zusammen mit einer Verachtung
für ihre niedrigen Personen oder Bestrebungen, sind absolut unvereinbar mit der
Idee der vollkommenen christlichen Einheit, die der Herr zu allen Zeiten im
Sinn hatte. Die Niedrigkeit des Geistes, die in Christus Jesus zu finden war,
der mit Zöllnern und Sündern, mit den Ausgestoßenen der Gesellschaft verkehrte,
weil sie seine Heilsbotschaft angenommen hatten, muss in allen seinen wahren
Dienern zu finden sein. Wenn sich aber jemand durch seinen intellektuellen
Stolz aufbläht, durch eine eingebildete Überlegenheit gegenüber den anderen,
dann stört er absichtlich die Harmonie, die die christliche Gemeinschaft
kennzeichnen sollte, und kann den Geist, der im Meister lebt, nicht richtig
beanspruchen.
Des Christen Beziehung zu seinen Feinden
(V. 17-21): Das Verhältnis zu seinen Mitchristen verlangt dem wahren Jünger
Christi sehr viel ab, und er ist verpflichtet, täglich Demut und Dienst von dem
zu lernen, der für alle Zeiten unser Vorbild ist. Aber in gewisser Weise
verlangt das Verhältnis eines Christen zu denen, die nicht zum Haus des
Glaubens gehören, noch mehr, weil er von ihnen nichts anderes als
Feindseligkeit und bittere Verfolgung erwarten darf. Deshalb schreibt der
heilige Paulus: Niemand soll Böses mit Bösem vergelten; wie groß auch die Provokation
seitens ihrer Feinde sein mag, die Christen sollen nicht mit gleicher Münze
zurückzahlen; Vergeltung und Rache müssen ihrem Wesen fremd sein. Vielmehr
sollen wir uns bemühen, das zu erreichen, was vor allen Menschen ausgezeichnet
ist, wir sollen uns jederzeit so verhalten, dass wir das Vertrauen und die
Achtung aller Menschen gewinnen, dass wir uns ihnen als ehrenhaft, aufrichtig,
rein in allem Umgang empfehlen], so dass kein Fleck unseren Charakter vor der
Welt befleckt. Vgl. Spr. 3,4. Dazu gehört noch eine weitere Ausprägung des
christlichen Charakters: Wenn es euch möglich ist, haltet Frieden mit allen
Menschen, soweit es euch betrifft. Christen zetteln nie Streit an und sind auch
keine Verfechter der Devise "Frieden um jeden Preis". Es gibt Zeiten,
in denen den Christen ein Streit aufgezwungen wird, in denen die Wahrheit, das
Recht, die Gerechtigkeit und die Pflicht verlangen, dass sie sich verteidigen,
so wie es der Herr im Palast des Hohenpriesters tat. Aber solange es mit gutem
Gewissen möglich ist, werden die Christen mit allen Menschen Frieden halten;
sie sind niemals die Ursache von Zwietracht und Streit in dem Sinne, dass die
Schuld tatsächlich bei ihnen liegt. Und dazu gehört ein weiterer Gedanke: Rächt
euch nicht, Geliebte, sondern gebt dem Zorn nach. Diese Worte enthalten eine
weitere Anwendung und Verstärkung des letzten Gedankens. Der Gedanke an Rache
muss den Herzen der Gläubigen fremd sein, denen, die die Geliebten des Herrn
sind, die sich an der Fülle seiner Liebe und Barmherzigkeit erfreuen. Und wenn
der fleischliche Zorn in ihre Herzen eindringen will, wenn er wie ein wildes
Tier daherkommt, um sich des Verstandes zu bemächtigen, dann sollten wir einen
weiten Bogen um ihn machen und ihn nicht zum Ziel kommen lassen, denn der Zorn
des Menschen wirkt nicht die Gerechtigkeit Gottes, Jak. 1,19.20; Kol. 3,8. Im
Gegenteil, wir sollten uns daran erinnern, was in 5. Mose 32,35 geschrieben
steht: Mir gehört die Rache; ich will vergelten, spricht der Herr. Wir sollten
daher die Bestrafung des Bösen in den Händen des Herrn lassen und nicht
versuchen, sie in unsere eigenen Hände zu nehmen. Das Vorrecht Gottes als
Rächer des Bösen an denen, die Böses tun, darf von keinem Menschen usurpiert
werden. Ein Christ, der wirklich vom Geist Christi durchdrungen ist, wird
vielmehr befolgen, was der heilige Paulus anmahnt: Wenn dein Feind hungert, so
gib ihm zu essen, und wenn ihn dürstet, so gib ihm zu trinken; denn dadurch
wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt häufen. Der Apostel spricht hier mit
Worten des Alten Testaments, Spr. 25,21 ff., und folgt der ernsten Ermahnung
des Herrn, Matth. 5,44. Die glühenden Kohlen sind ein
passendes Bild für die Unruhe des Gewissens, die im Falle von Freundlichkeit
unter den im Kontext angenommenen Umständen zwangsläufig folgen muss. Anstatt
das Unglück seines Feindes auszunutzen, egal in welcher Form, ergreift der
Christ die Gelegenheit, ihm jede Freundlichkeit zu erweisen. Und dieses
Zurückzahlen von Gutem für Böses wird den Feind in den meisten Fällen so tief
berühren, dass er gewonnen wird, oder zumindest, dass sein Herz seine eigene
Unterlegenheit angesichts einer solchen Behandlung anerkennen muss. Und so
schließt der Apostel ab: Lass dich nicht von dem Bösen, das dein Feind dir
zeigt, überwältigen, lass dich unter keinen Umständen zu Gedanken der
Feindschaft und Rache verleiten, sondern überwinde das Böse, indem du Gutes
tust. Bezwinge deine Feinde durch Freundlichkeit, nicht durch Gemeinheit. Denn
das Gute zu tun ist der Bereich, in dem wir Gläubigen uns immer bewegen sollten,
und das muss seinen Einfluss auf unsere Feinde ausüben. So mancher erbitterte
Feind ist durch christliche Großherzigkeit überwunden und zum Freund der
christlichen Sache geworden.
Zusammenfassung: Der Apostel
ermahnt die Christen zu treuem Dienst in der Gemeinde und zu wahrer
christlicher Liebe zu den Brüdern und zu allen Menschen.
Vom Gehorsam
gegenüber der Regierung, von der Liebe zum Nächsten und dem Wandel im Licht
(13,1-14)
1 Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es
ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott
verordnet. 2 Wer sich nun gegen die Obrigkeit setzt, der widerstrebt Gottes
Ordnung; die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil empfangen. 3 Denn
die Gewaltigen sind nicht den guten Werken, sondern den bösen zu fürchten.
Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, so wirst du
Lob von ihr haben; 4 denn sie ist Gottes Dienerin dir zu gut. Tust du aber
Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst; sie ist
Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut.
5 So seid nun aus Not untertan, nicht allein um der Strafe willen,
sondern auch um des Gewissens willen. 6 Deshalb müsset ihr auch Steuern geben;
denn sie sind Gottes Diener, die solchen Schutz sollen handhaben. 7 So gebt nun
jedermann, was ihr schuldig seid: Steuer dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der
Zoll gebührt; Furcht dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.
8 Seid niemand etwas schuldig, als dass ihr euch untereinander liebt;
denn wer den anderen liebt, der hat das Gesetz erfüllt. 9 Denn das da gesagt
ist: Du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht töten; du sollst nicht
stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis geben; dich soll nichts gelüsten, und
so ein anderes Gebot mehr ist, das wird in diesem Wort verfasst: Du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst: 10 Die Liebe tut dem Nächsten nichts
Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung.
11 Und weil wir solches wissen, nämlich die Zeit, dass die Stunde da
ist, aufzustehen vom Schlaf, da unser Heil jetzt näher ist, als da wir gläubig
wurden, 12 die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeikommen: So lasst uns
ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichtes. 13 Lasst
uns ehrbar wandeln, als am Tag, nicht in Fressen und Saufen, nicht in
Ausschweifungen und Unzucht, nicht in Hader und Neid. 14 sondern zieht an den
HERRN Jesus Christus und wartet des Leibes, doch so, dass nicht die Begierden geweckt
werden.
Die Regierungsgewalt ist von Gott20A (V. 1-4): Der Apostel zeigt nun
in seiner Ermahnung die Pflichten auf, die jeder Mensch der Regierung schuldet
und in denen die Christen alle anderen mit fröhlichem Pflichtgefühl führen
sollen. Da dies die einzige Stelle ist, an der Paulus ausführlicher auf die
Pflichten gegenüber der Obrigkeit eingeht, ist es wahrscheinlich, dass die
Umstände es notwendig machten, diese Information an dieser Stelle aufzunehmen,
entweder um den Geist der Judenchristen zu zügeln oder um alle Christen Roms
auf die Behandlung vorzubereiten, die sie später durch den Tyrannen Nero
erfuhren. Die Aussagen des Paulus sind sehr allgemein und finden ihre Anwendung
in allen Zeitaltern der Welt; sie weisen genau auf das göttliche Recht und die
göttliche Würde der Regierung hin, beschränken aber gleichzeitig die Funktionen
der zivilen Obrigkeit auf diesseitige Angelegenheiten, auf das leibliche Wohl
der Untertanen und auf die Pflichten der Bürgerschaft.
Die Worte des Apostels sind allumfassend:
Jede Seele soll sich der über ihr stehenden Obrigkeit unterwerfen. Ausnahmslos
jeder Mensch innerhalb einer Gemeinschaft, eines Staates oder eines Landes ist
mit diesem Gebot angesprochen. Er soll sich bereitwillig, ohne Anwendung von
Gewalt oder Zwang, den bestehenden Mächten oder Autoritäten, den mit Macht
ausgestatteten Personen, den Inhabern des Regierungsamtes unterwerfen. Die
diesen Personen kraft Gottes Vorsehung oder Erlaubnis übertragene
Regierungsgewalt verleiht ihnen eine Stellung, in der sie uns an Würde und
Autorität überragen; sie sind unsere Vorgesetzten im Sinne des vierten Gebots.
Dies wird ausdrücklich hervorgehoben: Denn es gibt keine Obrigkeit außer der
von Gott; die aber, die es gibt, sind von Gott eingesetzt. Wenn eine Regierung
tatsächlich an der Macht ist, sei es eine tyrannische oder eine andere, kann
ihre Existenz nur durch die Annahme erklärt werden, dass sie auf Gottes
Einsetzung zurückzuführen ist, entweder durch seine Vorsehung oder durch seine
Erlaubnis. Es wäre für jede Regierung unmöglich, das Böse in Schach zu halten,
wenn die allmächtige Hand Gottes nicht die stützende Kraft wäre. "Die
menschliche Regierung ist nicht nur eine göttliche Einrichtung, sondern auch
die Form, in der diese Regierung besteht, und die Personen, die ihre Funktionen
ausüben, sind durch seine Vorsehung bestimmt. Alle Amtsträger, gleich welchen
Ranges, sind als durch göttliche Einsetzung handelnd zu betrachten; nicht, dass
Gott die Personen bestimmt, sondern dass, da es sein Wille ist, dass es
Amtsträger gibt, jede Person, die faktisch mit Autorität bekleidet ist, als mit
einem Anspruch auf Gehorsam ausgestattet zu betrachten ist, der auf dem Willen
Gottes beruht." (Hodge.) Da dies der Fall ist, widersetzt sich also jeder,
der sich der Macht widersetzt, der Einrichtung Gottes. Wer der Regierung, der
er unterworfen ist, in irgendeinem Punkt, der durch Gottes ausdrückliches Gebot
oder Verbot freigestellt ist, den Gehorsam verweigert, rebelliert nicht nur
gegen die rechtmäßige Autorität der Regierung, sondern im Übrigen auch gegen
Gott selbst, der die Regierung eingesetzt hat. Und wer sich widersetzt, wird
das Gericht, das Urteil der Verdammung, auf sich nehmen. Sie machen sich nicht
nur der Verfolgung und Bestrafung durch die Regierung schuldig, sondern werden
auch von Gott als Rebellen angesehen und behandelt, der nicht zulassen wird,
dass die von ihm verliehene Autorität missachtet wird. Die Geschichte zeigt,
dass die Heimsuchungen Gottes gegen rebellische Völker sehr streng waren.
Der Apostel bringt nun einen weiteren Grund
für die im ersten Vers auferlegte Pflicht: Denn die Obrigkeit, die
Herrschenden, sind ein Schrecken, ein Grund zur Furcht, nicht für das gute
Werk, sondern für das böse. Das ist der Zweck, zu dem Gott die Regierung
eingesetzt hat: Sie soll Furcht einflößen, ihre Macht soll Schrecken in die
Herzen der Widerspenstigen bringen, so wie ihre Würde Ehrfurcht und Respekt in
den Gemütern aller Untertanen hervorrufen soll. Nur derjenige, der Böses tut,
muss die Obrigkeit fürchten, nicht derjenige, der Gutes tut. Wer gegen die
Gesetze des Landes verstößt und sich weigert, nach den Forderungen der
bürgerlichen Rechtschaffenheit zu leben, muss damit rechnen, so behandelt zu
werden, wie es sein Verhalten verdient. Wenn also jemand nicht in ständiger
Angst vor der Regierung leben will, die ihre Pflichten rechtmäßig erfüllt,
sollte er darauf bedacht sein, Gutes zu tun, den Gesetzen des Landes gerecht zu
werden und seine Pflicht als Bürger zu erfüllen. Dann wird er von der Obrigkeit
oder der Regierung gelobt; er wird als guter, pflichtbewusster Bürger anerkannt
und behandelt. Denn die Magistrate, die Personen in der Autorität, die sich der
ihnen übertragenen Verantwortung und Macht tatsächlich bewusst sind, werden
dann so handeln, dass die Regierung für jeden guten Bürger der Diener Gottes
sein wird. Zu diesem Zweck wird die Regierung von Gott eingesetzt und
aufrechterhalten, zum Nutzen der gesetzestreuen Bürger, um sie vor Unrecht zu
schützen und zu verteidigen, um in jeder Hinsicht das Wohl der Gesellschaft zu
suchen. Wenn aber jemand Unrecht tut, die Gesetze der Stadt, des Staates oder
des Landes, in dem er lebt und dessen Schutz er genießt, vorsätzlich übertritt,
dann sollte er sich fürchten. Nicht umsonst trägt die Regierung das Schwert,
das Symbol der Autorität, nirgends; nicht umsonst sind die zivilen Behörden mit
dem Recht ausgestattet, die Übertreter des Gesetzes zu bestrafen, wenn nötig,
mit der Verurteilung zum Tod. Die Macht der Regierung ist die eines Ministers
Gottes, der sowohl schützt als auch bestraft, und im letzteren Fall rächt sie
sich bis zum Zorn, indem sie Rache und Zorn an demjenigen übt, der Böses zu tun
pflegt. So ist die Regierung nach dem Willen Gottes der Hüter von Recht und
Ordnung, einschließlich der äußeren Moral. Und dieser Grund reicht aus, um die
Christen friedlich und gesetzestreu zu halten, ganz gleich, unter welcher
Regierungsform sie leben, ganz gleich, ob die Regierenden moralisch verdorben
sind. Wenn die Glieder des Reiches Gottes nur ein ruhiges und friedliches Leben
in aller Frömmigkeit und Aufrichtigkeit führen und die Kirche Christi aufbauen
können, sind sie Gott zu Dank verpflichtet. Und wenn eine feindliche Regierung
tyrannische Maßnahmen ergreift, um das Werk der Kirche zu unterdrücken, werden
die Christen keine rebellische Haltung einnehmen, sondern versuchen, ihr Ziel
mit legitimen Mitteln zu erreichen, indem sie sich auf die Gesetze und die
Verfassung ihres Staates oder Landes berufen. Nur wenn die Regierung etwas
verlangt, das eindeutig dem geoffenbarten Willen Gottes widerspricht, weigern
sich die Christen ruhig, aber entschieden, zu gehorchen (Apg. 5,29).
Untertan um des Gewissens willen (V.
5-7): Um der Notwendigkeit willen sind die Christen der Regierung unterworfen;
sie fühlen sich verpflichtet; sie wissen, dass dieses Verhalten Teil ihres
Gehorsams gegenüber Gott ist. Dabei lassen sie sich nicht vom Zorn leiten,
nicht weil sie die unvermeidliche Strafe fürchten, die ihren Gehorsam dem eines
Sklaven gleichmachen würde. Sondern sie unterwerfen sich um des Gewissens
willen, aus gewissenhaften Motiven. Die Christen wissen, dass der Herr, dem sie
dienen, die Regierung eingesetzt und sie zu seinem Organ gemacht hat, um seinen
Willen zur Erhaltung von Recht und Ordnung in der Welt zu erfüllen. Deshalb
leisten sie der öffentlichen Gewalt um des Herrn willen fröhlichen Gehorsam.
Und nachdem die Situation so klar geworden ist, ist die Ermahnung des heiligen
Paulus gut begründet: Denn darum sollt ihr Steuern zahlen. Da die Regierung zum
Nutzen der Gesellschaft und zum Schutz und zur Verteidigung auch der Gläubigen
eingesetzt ist, sollen sie das zu ihrem Unterhalt notwendige Geld freudig
entrichten. Denn sie, die Magistrate, die Mitglieder der Regierung, sind Diener
Gottes, wissentlich oder unwissentlich, und sind mit eben dieser Sache
beschäftigt, mit dem Schutz gegen das Böse und mit ihren Bemühungen um den Frieden
der Stadt; sie sind im Dienst und zum Nutzen aller guten Bürger tätig.
"Wer kraft seines Amtes der Gemeinschaft dient, hat das Recht und die
Pflicht, von der Gemeinschaft die für die Ausübung seines Amtes notwendige
Unterstützung zu verlangen." Diese Tatsache unterstreicht der Apostel in
einer besonderen Ermahnung: Zahlt also allen, was ihr schuldig seid, und
entrichtet, was ihr schuldig seid: Wer Steuern verlangt, der zahle die Steuern;
wer Zoll verlangt, der zahle den Zoll; wer zu fürchten ist, der fürchte; wer zu
ehren ist, der ehre. Die Regierung hat das Recht,
Personen- und Vermögenssteuern zu erheben, und es ist die Pflicht des Christen,
die Steuern zu zahlen; die Umgehung dieser Pflicht ist sündhaft. Die Regierung
hat das Recht, Zölle auf exportierte oder importierte Waren zu erheben, und der
Christ, der unter eine solche Regelung fällt, wird die geforderte Zahlung
leisten. Die Regierung nimmt eine Position der Ehrfurcht und Furcht ein, und
Furcht und Ehrfurcht sollen allen ihren Vertretern zuteil
werden. Und in der letzten Ermahnung geht Paulus sogar über die
Obrigkeit hinaus, indem er alle Gläubigen auffordert, alle Menschen zu ehren,
denen Ehre gebührt, sei es wegen ihrer Stellung oder wegen verdienstvoller
Arbeit für das Gemeinwohl. Auf diese Weise erfüllt jeder Christ die Pflichten
seines Bürgerrechts und dient dem Herrn gemäß dem vierten Gebot.
Die Pflicht zu christlicher Liebe
(V. 8-10): Der Apostel hat ausführlich über die Aufgaben und Pflichten
gesprochen, die den Christen in ihrer Eigenschaft als Bürger des Staates und
des Landes obliegen. Nun aber dehnt er die Ermahnung auf das Verhältnis eines
Christen zu seinen Mitmenschen im Allgemeinen aus. Und dort lautet seine
Aufforderung: Seid niemandem etwas schuldig, haltet eure Angelegenheiten so,
dass niemand ein Recht auf euch hat, besonders in Bezug auf Steuern, Zoll,
Furcht und Ehre. In dieser äußeren Hinsicht seid niemandem verpflichtet, egal
wer es in der weiten Welt ist; die Pflichten, die uns in jedem Zustand des
Lebens obliegen, müssen richtig, fröhlich und rechtzeitig erfüllt werden. Aber
eine Pflicht, eine Verpflichtung gibt es, die niemals ausreichend erfüllt
werden kann, nämlich die Pflicht der Nächstenliebe. Es ist eine Pflicht, die
sich nie erschöpfen kann; ja, je mehr sie ausgeübt wird, desto mehr fühlt sie
sich selbst verpflichtet. Paulus bringt Beweise, um diese Forderung zu untermauern:
Denn wer seinen Nächsten liebt, hat das Gesetz erfüllt. Wenn ein Mensch
tatsächlich in der Lage wäre, seinem Nächsten unter allen Lebensumständen die
Fülle einer freien und selbstlosen Liebe zu geben, hätte er damit das Gesetz
erfüllt. Denn alle Gebote, die der Apostel jetzt zitiert, das sechste, das
fünfte, das siebte, das achte, das neunte und jedes andere Gebot, das erwähnt
werden kann, - sie sind alle unter einer Überschrift, in einer Zusammenfassung
enthalten, und die lautet: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.
Man beachte, dass Paulus hier, wie auch an anderen Stellen der Schrift, Mark.
10,19; Luk. 18,20; Jak. 2,11, nicht der herkömmlichen Reihenfolge der Gebote
folgt, wie sie im Dekalog gegeben ist; die Aufzählung und Reihenfolge der
Gebote ist von sehr geringer Bedeutung, ihr Inhalt ist das Wesentliche. Und sie
sind alle in dem einen Gebot enthalten und erfasst, nämlich den Nächsten, jeden
Mitmenschen, mit der gleichen Liebe zu lieben, mit der wir unsere eigenen
Belange betrachten und vor jeder Übertretung bewahren. Und dies wird noch durch
die Aussage bestätigt: Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses; wer tatsächlich
von der Liebe erfüllt ist, die mit dem Willen Gottes übereinstimmt, wird nichts
tun, was dem Nächsten schaden könnte, wird alle Sünden meiden, die in den
Geboten genannt sind. Das Wort "Nächster" wird hier im Urtext als
derjenige erklärt, der uns nahe ist. Jeder Mensch in unserer unmittelbaren
Umgebung, mit dem wir zu tun hatten, den die Vorsehung Gottes in unsere Nähe
gestellt hat, ist unser Nächster, und zu einem solchen, besonders wenn er zum
Haus des Glaubens gehört, Gal. 6, 10, soll sich unsere Liebe in Taten der Güte
zeigen, wie es dem Willen Gottes entspricht. Und deshalb ist die Erfüllung des
Gesetzes die Liebe, der Beweis und der Beleg für die vollendete Erfüllung; in
der Liebe ist das Tun aller Gebote, sowohl der ersten als auch der zweiten
Tafel, enthalten, ihr Wesen erfüllt und umfasst alle Forderungen. Es ist ein
Ideal, nach dem die Gläubigen ihr ganzes Leben lang streben und arbeiten, um
diesem Maßstab gerecht zu werden, und durch die Gnade Gottes kommen sie ihrem
Ziel immer ein wenig näher.
Des Christen Wandel im Licht (V.
11-14): Wie das ganze Leben des Christen ein Wandel in der Liebe ist, mit dem
ernsten Vorsatz, sich jederzeit so zu verhalten, dass er den Willen seines
himmlischen Vaters zu erfüllen sucht, so ist es auch ein Wandel im Licht, in
der Rechtschaffenheit und Heiligkeit, die Gott wohlgefällig ist. Zu diesem
Zweck ist es sehr notwendig, sich nicht durch die Welt und ihre bösen Wege
beflecken zu lassen. Die Ermahnung passt daher sehr gut: Und dies wissend,
nämlich die Zeit, dass die Stunde jetzt gekommen ist, aus dem Schlaf zu
erwachen. Die Christen kennen die Zeit und die Umstände, unter denen sie leben,
und sie sollten daher die Lektion, die ihnen die Betrachtung der Situation vor
Augen führt, genau beachten. Sie sollten nicht warten, keine Zeit verlieren,
sondern mit größter Sorgfalt beobachten, in welche Richtung alle Anzeichen
weisen und welche Notwendigkeit sich ihnen aufdrängt. Es ist höchste Zeit, der
kritische Augenblick, dass die Gläubigen aus dem Schlaf erwachen, Eph. 5,14; 1.
Thess. 5,6. Der Apostel bezieht sich auf den geistlichen Schlaf, der sich in
keinem wesentlichen Merkmal vom geistlichen Tod, dem Schlaf der Sünde,
unterscheidet. Aus dem Schlaf zu erwachen, in geistlichen Dingen hellwach zu
sein, ist die besondere Pflicht der Christen, allem sündigen Wandel und
Verhalten abzuschwören, den ganzen Sinn und das ganze Herz auf die Erfüllung
des heiligen Willens Gottes zu richten. Dieser Zustand wurde bei den Gläubigen
erreicht, als sie sich bekehrten, als sie sich von der Finsternis zum Licht,
von der Ungerechtigkeit zur Gerechtigkeit, von der Macht des Satans zu Gott
wandten. Aber das Werk der Wiedergeburt, das in diesem Augenblick oder zu
diesem Zeitpunkt begonnen wurde, muss das ganze Leben hindurch fortgesetzt
werden; die Heiligung muss unaufhörlich fortschreiten. Das ist die Aufgabe des
Christen, was sein eigenes geistliches Leben betrifft, immer wachsam und
aufmerksam zu sein, damit er nicht zurückfällt und in seinen früheren Sünden
und Begierden verstrickt wird. In diesem Sinne ist das ganze Leben eines
Christen eine fortwährende Bekehrung; in diesem Sinne ist auch diese Ermahnung
immer zur rechten Zeit, denn der neue Mensch im Herzen muss täglich
hervorkommen und aufstehen.
Warum es für die Gläubigen jetzt immer Zeit
ist, hellwach und wachsam zu sein, zeigt der nächste Satz: Denn jetzt ist unser
Heil näher als zu der Zeit, als wir zu glauben begannen. Die Rettung der
Gläubigen ist nahe. So wie die Kinder Gottes im Alten Testament, beginnend mit
Eva, stets wach und aufmerksam auf das Kommen des Messias warteten und ihr
Interesse nie erlahmen ließen, obwohl einige Jahrtausende verstrichen, ohne
dass die verheißene Erlösung eintrat, so sind auch die Gläubigen des Neuen
Testaments ständig auf der Suche nach ihrer endgültigen Erlösung. Alles, was
zur vollkommenen Erlösung der Gläubigen gehört, ist vollbracht worden, und
deshalb warten sie sehnsüchtig auf den Anbruch der letzten großen Erlösung,
wenn die endgültige Befreiung von allem Bösen zu ihnen kommen wird. Als wir zum
Glauben kamen, ging es uns vor allem um die Befreiung vom Zorn Gottes, um
unsere Rechtfertigung vor ihm, Gal. 2, 16. Nun aber, da wir die Versöhnung mit
Gott erlangt haben, sind die Augen unseres Glaubens in sehnsüchtiger Erwartung
auf das Kommen unseres Herrn Jesus Christus gerichtet, 1. Kor 1,7.
Um unsere Wachsamkeit anzuregen und in
unseren Herzen die richtige Wachsamkeit zu erzeugen, fügt der Apostel hinzu:
Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe; die Morgenröte bricht bald an. Der
Tag, an dem unsere endgültige Erlösung an uns vollendet wird, der Tag, der uns
den vollen Besitz der Segnungen unseres Erlösers bringt, ist der letzte Tag,
der Tag unseres Herrn Jesus Christus, Phil. 1,6; 2,10; 1. Thess. 5,2; 1. Kor.
3,13. Die Nacht, die diesem herrlichen Tag vorausgeht, ist die Zeit dieser Welt.
Die Zeit, in der wir leben, ist Nacht, sie wird von Sünde und Tod beherrscht;
der Fürst der Finsternis hat sein Werk in den Kindern des Unglaubens. Zur Zeit
seufzen die Gläubigen: Wächter, ist die Nacht bald um? Aber wir wissen, dass es
die letzte Stunde ist. Noch eine kleine Weile, und die Morgendämmerung der
Ewigkeit wird anbrechen; der Tag unseres Heils wird kommen und mit ihm unser
Lohn der Gnade, unser ewiges Heil.
So lasst uns denn die Werke der Finsternis
ablegen und lieber die Waffen des Lichts anziehen. Weil der Tag der ewigen
Seligkeit anbricht, sollen wir die Werke der Finsternis, die Werke, die die
Menschen gewöhnlich im Dunkeln begehen, die Sünden, die sie vor dem
allwissenden Auge Gottes nicht sehen wollen, wie ein unreines Kleid ausziehen
und ablegen. Handlungen, die das Licht des Tages nicht ertragen, sollten von
den Christen zu allen Zeiten gemieden werden, besonders aber jetzt, wo der
große Tag der endgültigen Erlösung so nahe ist. Anstelle des schmutzigen
Gewandes solcher Werke sollten die Christen die Waffen des Lichts anziehen,
sich damit bekleiden. Paulus spricht nicht von Kleidern, sondern von Waffen,
von Rüstungen des Lichts, weil ein rechtschaffenes Verhalten auch ein ständiger
Kampf mit den Mächten der Finsternis ist, Eph. 6,10-17. Der neue Mensch wurde
zwar in der Taufe in den Gläubigen geschaffen, aber sie haben noch den sündigen
alten Adam zu kreuzigen und zu unterwerfen, ganz zu schweigen von der
feindlichen Welt und Satan. Deshalb muss der Krieg ohne Unterlass geführt
werden, zumal die Nacht dieser Welt bald zu Ende sein wird und das Heil
anbricht. Darum eilen wir der Ankunft des Tages Gottes entgegen mit allem
heiligen Wandel und aller Heiligkeit, 2. Petr. 3,11.12, darum bemühen wir uns,
aufrichtig und ohne Anstoß zu sein bis zum Tag Christi, erfüllt mit den
Früchten der Gerechtigkeit, Phil. 1,10.11.
Und wieder ruft Paulus seine warnende
Ermahnung aus: Wie am Tage, so lasst uns auch in unserem Wandel redlich sein;
lasst uns anständig leben, anständig, anständig, anständig. Diese Lebensweise
schließt drei Sünden aus, zu denen es in Rom, der Hauptstadt der Welt, eine
große Versuchung gab: Unmäßigkeit, Unreinheit, Unfrieden. Kinder Gottes werden
sich nicht bei Festen, Gelagen und Rauschzuständen aufhalten; all das
unordentliche Verhalten, das die großen heidnischen Feste damals und heute
kennzeichnete, muss im Verhalten der Christen fehlen. Man wird sie auch nicht
beim Müßiggang, beim verbotenen Geschlechtsverkehr, bei jeder Art von Wollust
und Lüsternheit finden, Sünden aller Art, die gegen das sechste Gebot
verstoßen; viele unnatürliche und abscheuliche Sünden werden damals wie heute
praktiziert. Kinder Gottes können sich auch nicht an Streit, Zank und
Rivalität, an Zwietracht jeglicher Art beteiligen. Alle diese Werke finden sich
bei den Kindern des Unglaubens. Sie alle aber können das Licht des großen Tages
nicht ertragen, sie können vor dem heiligen Gott nicht bestehen; um ihretwillen
wird der Zorn Gottes über die Ungläubigen kommen, Eph. 5,6. Deshalb müssen die
Christen, obwohl sie den heimtückischsten Versuchungen von Seiten der Kinder
dieser Welt ausgesetzt sind, die von ihren eigenen Begierden und Wünschen
unterstützt werden, alle diese bösen Neigungen und Sünden überwinden.
So wie der Apostel die Christen vor den
großen Übertretungen gewarnt hat, die ihre Seele zu beflecken drohen, so hält
er ihnen auch die positive Seite ihres Verhaltens vor Augen: Zieht vielmehr den
Herrn Jesus Christus an. Unseren Heiland und Herrn, den wir in der Taufe
angezogen haben, Gal. 3,27, sollen wir Tag für Tag weiter anziehen, wir sollen
unsere Seele nach seinem Beispiel und Vorbild bekleiden und ihm auf den Wegen
der Heiligung folgen. Christus lebt in den Gläubigen, in ihrem ganzen Leben und
Verhalten, und die Tugenden Christi, seine Heiligkeit, Reinheit, Keuschheit,
Liebe, Güte, Demut, Freundlichkeit, sind in allen ihren Worten und Taten
sichtbar. Und so erwarten die Gläubigen mit dem Bild Christi als ihrer größten
Zierde jenen großen Tag, an dem sie endlich nach dem Bild dessen erneuert
werden, der sie geschaffen hat. Übrigens sorgen die Christen nicht für das
Fleisch, um seine sinnlichen Begierden zu befriedigen oder irgendeinen Beweis
der verderbten Natur zu erhalten. Es ist die Pflicht eines jeden Christen, für
den Körper zu sorgen, ihn gesund zu erhalten, indem er die Anforderungen einer
vernünftigen Hygiene erfüllt. Aber die große Gefahr besteht darin, dass der
Körper durch falsche Zärtlichkeit verdorben wird, durch eine übermäßige Pflege,
die dazu neigt, die Begierden und Lüste zu erwecken, anstatt sie zu zügeln. Da
dies die Berufung der Christen und ihre Vorbereitung auf das Kommen des großen
Tages entscheidend beeinträchtigen würde, werden sie diese Gefahr mit ihren
Versuchungen meiden und sich rein halten.
Zusammenfassung: Der Apostel
gebietet Gehorsam gegenüber der Regierung als Organ Gottes, Nächstenliebe als
Erfüllung des Gesetzes und ein offenes und ehrliches Verhalten angesichts der
Tatsache, dass der Tag des Herrn nahe ist.
Das Verhalten der
Christen denen gegenüber, die schwach im Glauben sind (14,1-23)
1 Den Schwachen im Glauben nehmt auf und verwirrt die Gewissen nicht. 2
Einer glaubt, er könne alles essen; welcher aber schwach ist, der isst Kraut. 3
Welcher isst, der verachte den nicht, der da nicht isst; und welcher nicht
isst, der richte den nicht, der da isst; denn Gott hat ihn aufgenommen. 4 Wer
bist du, dass du einen fremden Knecht richtest? Er steht oder fällt seinem
Herrn. Er kann aber wohl aufgerichtet werden; denn Gott kann ihn wohl
aufrichten. 5 Einer hält einen Tag vor dem andern; der andere aber hält alle
Tage gleich. Ein jeglicher sei seiner Meinung gewiss. 6 Welcher auf die Tage
hält, der tut’s dem HERRN; und welcher nichts darauf hält, der tut’s auch dem
HERRN. Welcher isst, der isst dem HERRN; denn er dankt Gott. Welcher nicht
isst, der isst dem HERRN nicht und dankt Gott.
7 Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. 8
Leben wir, so leben wir dem HERRN; sterben wir, so sterben wir dem HERRN. Darum, wir leben oder sterben, so sind wir
des HERRN. 9 Denn dazu ist Christus auch gestorben und auferstanden und wieder
lebendig geworden, dass er über Tote und Lebendige HERR sei. 10 Du aber, was
richtest du deinen Bruder? Oder du anderer, was verachtest du deinen Bruder?
Wir werden alle vor dem Richterstuhl Christi dargestellt werden, 11 wie
geschrieben steht: So wahr als ich lebe, spricht der HERR, mir sollen alle Knie
gebeugt werden, und alle Zungen sollen Gott bekennen. 12 So wird nun ein
jeglicher für sich selbst Gott Rechenschaft geben.
13 Darum lasst uns nicht mehr einer den anderen richten, sondern das
richtet vielmehr, dass niemand seinem Bruder einen Anstoß oder Ärgernis
darstelle. 14 Ich weiß und bin’s gewiss in dem HERRN Jesus, dass nichts gemein
ist an sich selbst; außer dem, es rechnet für gemein,
dem ist’s gemein. 15 So aber dein Bruder über deine Speise betrübt wird, so
wandelst du schon nicht nach der Liebe. Lieber, verderbe den nicht mit deiner
Speise, um welches willen Christus gestorben ist! 16 Darum schafft, dass euer
Schatz nicht verlästert werde! 17 Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und
Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. 18
Wer darin Christus dient, der ist Gott gefällig und den Menschen wert.
19 Darum lasst uns dem nachstreben, was zum Frieden dient, und was zur
Besserung untereinander dient. 20 Lieber, zerstöre nicht um der Speise willen Gottes Werk! Es ist zwar alles rein, aber es ist
nicht gut dem, der es isst mit einem Anstoß seines Gewissens. 21 Es ist besser,
du isst kein Fleisch und trinkst keinen Wein oder das, daran sich dein Bruder
stößt oder ärgert oder schwach wird. 22 Hast du den Glauben, so habe ihn bei
dir selbst vor Gott. Selig ist, der sich selbst kein Gewissen macht in dem, was
er annimmt. 23 Wer aber darüber zweifelt und isst doch, der ist verdammt; denn
es geht nicht aus dem Glauben. Was aber nicht aus dem Glauben geht, das ist
Sünde.
Bedenken wegen der Speise (V. 1-6): Der
vorliegende Abschnitt des Paulusbriefes bezieht sich auf eine besondere Gruppe
von Menschen in der römischen Gemeinde, nämlich auf die Schwachen im Glauben,
denen der Apostel ebenso wie den anderen Gemeindegliedern einige Regeln für ihr
Verhalten untereinander gibt. Er wendet sich in erster Linie an die, die fest
im Glauben stehen, die nicht mit Gewissensbissen behaftet sind, was die
verschiedenen Speisen angeht, vor allem das Fleisch, das in den Läden zum
Verkauf angeboten wurde. Diejenigen, die schwach im Glauben sind, die noch
nicht so fest auf dem Boden ihres Glaubens stehen, nimmt er als vollwertige und
gleichwertige Mitglieder auf. Es gab nur wenige solcher Mitglieder in der
Gemeinde in Rom, aber Paulus war genauso um ihr geistliches Wohlergehen
besorgt, als ob es eine große Zahl gewesen wäre. Diese kleine Minderheit sollte
willkommen geheißen werden und alle Vorrechte der Mitgliedschaft in der
Gemeinde erhalten, aber nicht, um Gedanken zu verurteilen, nicht, um über ihre
seltsamen Vorstellungen oder Skrupel zu richten. Die Mitglieder sollten alle
Freundlichkeit und Brüderlichkeit zeigen, mit den wenigen Skrupellosen mit
allem christlichen Takt umgehen, damit nicht durch lieblose Kritik Zwietracht
entsteht. Denn wer im Glauben stark ist, hat die Zuversicht, alles zu essen.
Die stärkeren Glieder hielten es nicht für ein großes Wagnis, alle Speisen,
auch Fleisch, zu essen, und ihr Verhalten hat ihnen keinen geistlichen Schaden
zugefügt. Ihr Gewissen blieb rein, ganz gleich, welche Speisen ihnen vorgesetzt
wurden. Sie hatten die Überzeugung, dass ihr Verhalten beim Essen aller Dinge
Gott in keiner Weise missfiel und ihr Christsein nicht beeinträchtigte. Und
diese Überzeugung beruhte wiederum auf ihrem Glauben an Christus, der sie dazu
veranlasste, nur das zu wählen und zu tun, was ihrem Erlöser wohlgefällig war.
Diejenigen aber, denen dieses Vertrauen fehlte, aßen nur pflanzliche Nahrung,
weil sie sich fürchteten, an Fleisch teilzuhaben, das als heidnisches Opfer dargebracht
werden könnte, oder sie glaubten, dass der Verzehr von Fleisch an sich für ihr
geistliches Leben schädlich sei. Der heilige Paulus wendet sich an beide
Parteien und gibt jedem die Unterweisung, die für die Aufrechterhaltung der
christlichen Harmonie und Nächstenliebe notwendig ist: Wer isst, der verachte
nicht den, der nicht isst; ein solcher soll nicht mit Verachtung auf seinen
schwächeren Bruder und seine Skrupel in Bezug auf das Essen herabsehen.
Andererseits soll derjenige, der sich weigert, am Essen teilzunehmen,
denjenigen, der isst, nicht verurteilen, als ob er weniger geistlich wäre, als
ob sein Christentum nicht so stark zum Ausdruck käme und so konsequent ausgeübt
würde. Diese Warnung vor einer Verurteilung wird durch die Aussage untermauert:
Denn Gott hat ihn angenommen: Wer ohne Skrupel Fleisch isst, handelt in voller
Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, er ist der Gnade Gottes gewiss. Denn wer
ist der Lügner, der es wagt, den Knecht eines anderen Menschen zu verurteilen
und zu verdammen? Es gehört sich nicht, es sollte nicht geschehen, dass jemand
über einen christlichen Bruder urteilt, der Christus gehört; Christus hat ihn
als einen seiner Diener angenommen. Er steht und fällt mit seinem eigenen
Herrn. Es ist die Sache eines jeden Herrn, es geht nur ihn an, ob sein Knecht
steht oder fällt; er wird dafür sorgen. Aber er wird stehen bleiben, er wird in
seinem christlichen Zustand bleiben; denn Gott ist durchaus imstande, ihn
aufrecht zu halten, ihn aufrecht zu halten und ihn in seinem Christentum nicht
zu Fall kommen zu lassen. Es ist für Gott ein Leichtes, auch einen solchen
Bruder zu leiten und zu behüten, dessen Gewissen ihm erlaubt, allerlei Speisen
zu sich zu nehmen, um deren Beständigkeit die schwächeren Brüder zu Unrecht
besorgt sind.
Ein zweiter Streitpunkt wird nun berührt:
Der eine unterscheidet nämlich zwischen verschiedenen Tagen, während der andere
alle Tage gleich bewertet; ein jeder möge sich in seiner Meinung völlig sicher
sein. Wer an einem bestimmten Tag festhält, der tut es vor dem Herrn; und wer
nicht auf einem bestimmten Tag besteht, der tut es vor dem Herrn, V. 5.6a. Die
schwächeren Brüder in der Gemeinde zu Rom unterschieden die Tage um des
Gewissens willen und zogen einen bestimmten Wochentag für die Anbetung des Herrn
vor, weil sie glaubten, es sei unbedingt notwendig, einen Tag ganz dem Gebet,
dem Lobpreis und der Danksagung, der geistlichen Erbauung zu widmen. Die
anderen aber, die im Glauben stärker waren, die das Vertrauen der christlichen
Überzeugung hatten, das sich auf ihre Kenntnis des Willens Gottes gründete,
schätzten alle Tage gleich und gaben keinem einen besonderen Vorzug. Für sie
waren alle Tage gleichermaßen heilig und geeignet für die Anbetung Gottes und
das Studium seines Wortes. Und nun sagt der Apostel, dass sowohl derjenige, der
auf einer Unterscheidung zwischen den Tagen besteht, als auch derjenige, der
eine solche Bevorzugung nicht befürwortet, in seinem eigenen Geist davon
überzeugt sein sollte, dass sein Weg derjenige ist, der seinen individuellen
Bedürfnissen am besten entspricht. Er deutet damit an, dass es vor Gott keine
Unterscheidung der Tage im Neuen Testament gibt und dass daher die Wahl eines
bestimmten Wochentages als Tag der Anbetung ganz und gar eine Sache der
christlichen Freiheit ist. Wer also um einen bestimmten Tag besorgt ist und
glaubt, dass es im Interesse seines geistlichen Lebens liegt, immer einen
bestimmten Tag einzuhalten, der hält ihn dem Herrn ein; er muss sich vor Augen
halten, dass es zum Dienst und zur Ehre des Herrn ist, dass er die
Unterscheidung macht, und darf nicht auf die Idee kommen, dass er ein
ungewöhnliches Werk des Verdienstes vollbringt. In der Tat dient auch der
Stärkere, der alle Tage gleich hält und jeden Tag durch das Wort Gottes und das
Gebet heiligt, dem Herrn. Deshalb „soll der Starke den Skrupellosen nicht
verachten und der Skrupellose den Starken gegenüber nicht tadeln.“ Das zeigt
sich auch an der Unterscheidung zwischen dem Verzehr bestimmter Nahrungsmittel
und dem Verzicht auf sie. Wenn man alle Speisen isst, ohne sich um irgendwelche
besonderen Unterscheidungen zu kümmern, Apg. 10,14.15, und sich auch nicht
darum kümmert, dass das Fleisch von Tieren stammt, die den Götzen geopfert
wurden, 1. Kor. 10,25, so nutzt er die Freiheit, die er in Christus hat, und
ehrt damit seinen Herrn und Heiland, wie auch daraus hervorgeht, dass er Gott
für die Speisen dankt, 1. Kor. 10,30; 1. Tim. 4,4. Und wenn jemand nicht isst,
wenn er sich des Essens von Fleisch oder irgendeiner anderen Speise enthält, in
der Überzeugung, dass er dadurch in eine bessere Lage versetzt wird, dem Herrn
zu dienen, so tut er das seinem Herrn; aber er dankt Gott auch für jede Speise,
die er zu sich nehmen kann. Was den Ausdruck der religiösen Überzeugung und den
Zustand des Herzens in Bezug auf Gott betrifft, so gibt es keinen Unterschied
zwischen den Starken und den Schwachen im Glauben.
Dem HERRN leben (V. 7-12): Der
Apostel wendet hier den in den ersten Versen des Kapitels angedeuteten Gedanken
an und stützt ihn auf eine größere Wahrheit, von der er ein Teil ist. Die
Gedanken des Christen, ob er nun bestimmte Speisen zu sich nimmt oder nicht, ob
er bestimmte Tage einhält oder nicht, sind immer auf den Herrn gerichtet, denn
das ganze Leben des Christen, wie auch sein Tod, ist dem Herrn geweiht und
geweiht. Da seine Seele und sein Leib, sein Denken und Handeln dem Herrn
geweiht sind, wird der Gläubige natürlich in allen Dingen zuerst an seine Ehre
denken. Denn keiner von uns lebt für sich selbst, und keiner stirbt für sich
selbst; wenn wir also leben, leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben,
sterben wir für den Herrn, V. 7.8a. Kein Christ hält sich für seinen eigenen
Herrn, um mit seinen Gaben, Fähigkeiten und seiner Zeit zu tun, was ihm
gefällt, nach seinem eigenen Willen oder zu seinem eigenen Zweck. Im Dienst und
zur Ehre des Herrn wird das ganze Leben der Christen verbracht. Und wenn sie
sterben, folgen sie bereitwillig dem Ruf des Herrn; sie vertrauen ihre Seelen
freudig den Händen ihres himmlischen Vaters und ihres Erlösers Jesus Christus
an; sie sind froh, diese Welt zu verlassen und zu ihm zu kommen, indem sie
alles seinem gnädigen Willen anvertrauen. Und dieses Verhalten unsererseits in
Bezug auf den Herrn beruht auf der Tatsache, dass wir dem Herrn gehören, sein
kostbarer Besitz sind, ob wir nun noch in dieser Welt leben oder ob wir diese
Welt verlassen, um für immer bei ihm zu sein. Wir gehören Christus, weil er das
Lösegeld für unsere Erlösung bezahlt hat. Und deshalb sind wir während des
Lebens und über das Grab hinaus sein Eigentum, in alle Ewigkeit. „Im Leben und
im Tod, Herr, bleibe bei mir!“ Dafür haben wir die Garantie seines Todes und
seiner Auferstehung: Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig
geworden, um Herr zu sein über die Toten und über die Lebenden, V. 9. Es war
die ausdrückliche Absicht des Herrn, und diese Absicht ist vollständig
verwirklicht worden, dass er im Leben und im Sterben unser Herr werden sollte
und wir die Seinen. Durch seinen Tod ist Christus in das Leben eingetreten und
hat so die herrliche Stellung erlangt, die die Krone seines Erlösungswerkes
ist; er hat das Recht erworben, unser Herr zu sein. Als der lebendige, erhabene
Christus hat er uns durch sein Wort und seinen Geist im Glauben als sein
Eigentum beansprucht, nicht nur im Leben, sondern auch über den Tod hinaus,
wenn wir mit ihm in alle Ewigkeit leben und herrschen werden. Wenn wir aber dem
Herrn dienen und dem Herrn gehören, ob wir nun leben oder tot sind, dann kann
der kleine Unterschied zwischen Essen und Nicht-Essen nicht in Frage kommen.
Vielmehr sollte es für die Christen in ihren brüderlichen Beziehungen ein
Leichtes sein, in wahrer Nächstenliebe über solche unwichtigen Dinge
hinwegzusehen.
Und so kehrt der Apostel zu seiner ersten
Warnung zurück: Du aber, der du so unbedeutend bist neben dem Herrn, warum
richtest und verurteilst du deinen Bruder? Wie können wir es wagen, angesichts
unserer gemeinsamen Verantwortung vor ihm und der Tatsache, dass wir alle eins
sind in ihm, einander zu richten? Oder auch du, der Schwächere, warum
verachtest du deinen Bruder? Es ist ganz und gar unvereinbar mit der
Brüderlichkeit der Gläubigen, wenn eine nörgelnde und kritisierende Haltung die
Beziehung trübt. Es ist eine Praxis, die nicht nur nicht mit dem Geist Christi,
der in den Gläubigen lebt, in Einklang steht, sondern auch sehr gefährlich ist:
Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl Gottes stehen. Wie kann es jemand
wagen, sich das Vorrecht anzumaßen, das Christus und Gott allein zusteht,
nämlich einen Bruder zu verurteilen? Durch Christus wird Gott die Welt richten;
der Richterstuhl Christi ist der Gottes, 2. Kor. 5,10; Joh. 5,22. Deshalb
müssen wir es unterlassen, uns in sein Werk einzumischen, zumal wir vor seinem
Richterthron gleich sein werden, wie der Prophet schreibt, Jes. 45,23: So wahr
ich lebe, spricht der Herr, vor mir wird sich jedes Knie beugen, und jede Zunge
wird Gott bekennen, wird seine Macht als Gott, den obersten Herrscher und Richter,
anerkennen. Beachten Sie, dass Jesus Christus nach der Lehre des Paulus Gott
ist. Daraus ergibt sich für die Christen: Darum muss nun ein jeder von uns vor
Gott Rechenschaft ablegen, V. 12. Jeder, ohne Ausnahme, jeder für seine Person,
wird sich für seine Werke verantworten müssen; deshalb sollten wir seine
Entscheidung abwarten und uns nicht anmaßen, als Richter über unsere Brüder
aufzutreten. Wer sich diese Tatsache immer vor Augen hält, wird sehr leicht den
Wunsch besiegen, zu meckern und zu kritisieren.
Vom Missbrauch der christlichen Freiheit
(V. 13-18): Seine gesamte Ermahnung bis zu diesem Punkt fasst der Apostel nun
in einem kurzen Satz zusammen: Lasst uns nun nicht mehr einander richten. Es
geht hier nicht nur um die Verurteilung der Starken durch die Schwachen,
sondern auch um die Verachtung, die die Starken für die Schwachen empfinden
können. ALLE derartigen Äußerungen sind unter Christen entschieden fehl am
Platz. Die christliche Freiheit, wie sie von wahrer Liebe geleitet wird, wird
vielmehr in der Weise ausgeübt, dass wir es uns zur Regel oder Maxime im Umgang
mit den Brüdern machen, unserem Bruder keinen Stolperstein oder Anstoß zu
bereiten. Wir sollen dem schwächeren Bruder weder etwas in den Weg legen,
worüber er stolpern wird, noch sollen wir ihm ein Ärgernis bereiten, das ihn
zur Sünde anstiften würde. Auf welche Weise dies geschehen kann, erklärt der
nächste Satz: Ich weiß und habe die volle Überzeugung in dem Herrn Jesus, dass
nichts an sich gemein ist, sondern nur dem, der etwas für gemein hält, dem ist
es gemein. Paulus hat die göttliche Gewissheit aufgrund seiner innigen
Verbundenheit mit Christus, dessen Diener er ist, dass nichts an sich, keine
Speise, auch nicht das Fleisch der Tiere, die in den Ställen gekauft werden, an
sich geeignet ist, einen Menschen unrein zu machen. Ganz gleich, welche Nahrung
der Christ für sich selbst wählt, der Verzehr dieser Speise wird sein Gewissen
nicht beflecken oder eine Sünde sein. Es gibt nur eine Einschränkung, nämlich
die, die sich aus dem Gemütszustand des Essenden ergibt: Es sei denn, die
Meinung des Essenden hält es für profan und schädlich. Wenn jemand glaubt, dass
eine Speise ihn unrein macht, sündigt er, wenn er diese Speise zu sich nimmt.
Es ist nicht so, dass die Speise von sich aus die Kraft hätte, unrein zu
machen, sondern derjenige, der glaubt, dass es einen Unterschied zwischen
reinen und unreinen Speisen gibt, begeht eine Sünde, indem er seinem Gewissen
Gewalt antut. Und diese Sünde wird von dem Bruder begangen, der jede
Rücksichtnahme und jedes Fingerspitzengefühl vermissen lässt und in Gegenwart
des schwächeren Bruders absichtlich von der fraglichen Speise isst und so den
anderen durch sein Beispiel dazu verleitet, ihm zu folgen. Der schwächere
Bruder hat in diesem Fall noch nicht den Stand der Erkenntnis erreicht, nach
dem sein irrendes Gewissen berichtigt worden ist, und das Ergebnis ist eine
Sünde. Und so trifft die Reaktion auch den stärkeren Bruder: Denn wenn dein
Bruder durch dein Essen betrübt wird, wandelst du nicht mehr nach der Liebe.
Der Genuss an sich mag harmlos und unschuldig genug sein, aber wenn er auf
diese Weise den christlichen Brüdern Schaden zufügt, dann wird der Genuss zu
einem Verstoß gegen das Gesetz der Liebe, zu einer lieblosen Handlung, zu einer
Sünde. Indem der stärkere Christ, auf dem die Pflicht der Liebe ruht, in
Gegenwart des schwächeren Bruders von der fraglichen Speise isst und ihn damit
herausfordert, an derselben Speise teilzunehmen, macht er sich eines lieblosen
Verhaltens schuldig. Die Ermahnung ist daher sehr nachdrücklich: Verderbe nicht
durch deine Speise den, für den Christus gestorben ist. Es hat Christus das
Leben gekostet, deinen Bruder vor der ewigen Verdammnis zu retten, und es ist
eine schreckliche Sache, das Heil eines Menschen durch ein liebloses Pochen auf
die christliche Freiheit zu gefährden. Es ist gewiss nicht zu viel verlangt, um
eines Bruders willen auf das Essen einer bestimmten Speise zu verzichten, um
ihm keinen Anstoß zu geben, wenn Christus sein Leben als Lösegeld gab, um ihn
vor der ewigen Verdammnis zu bewahren! „Wenn Christus ihn so sehr geliebt hat,
dass er für ihn gestorben ist, wie niederträchtig wäre es dann von uns, nicht
ein wenig Selbstverleugnung für sein Wohlergehen auf sich zu nehmen!“
Zugleich sollen die Christen ein solches
Leben führen und sich jederzeit und unter allen Umständen so verhalten, dass
sie den Außenstehenden keinen Anstoß geben: Lasst also euer Gutes nicht
lästern. Dies ist an alle Christen gerichtet und sollte von ihnen immer
beachtet werden. Der große Besitz der Christen, das höchste und herrlichste
Gut, ist das Heil in Christus, durch das ihnen die Erlösung zuteil geworden
ist. Die Gläubigen sollten den Ungläubigen niemals Anlass geben, über diese
wunderbare Gabe abfällig zu sprechen, sie zu lästern, wie sie es tun würden,
wenn sie um Lebensmittel feilschen. Ein solches Verhalten der Glieder der
Kirche verleitet die Ungläubigen natürlich zu der Annahme, dass rein äußerliche
Dinge das Wesen des Christentums ausmachen, dass das Heil davon abhängt, ob
jemand bestimmte Nahrungsmittel zu sich nimmt oder nicht. Der Apostel
untermauert dies: Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern
Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist; denn wer Christus darin
dient, ist Gott wohlgefällig und den Menschen angenehm. Die Dinge, um die sich
die Christen kümmern sollten, sind diejenigen, die zum Reich Gottes gehören, zu
dem großen unsichtbaren Reich, das Christus errichtet hat, zur Gemeinschaft der
Heiligen. Der Akt des Essens und Trinkens hat keinen Einfluss auf die Stellung
eines Menschen in diesem Reich. Was wirklich zählt, ist die Rechtfertigung, die
Gewissheit, dass wir die Gerechtigkeit Gottes durch den Glauben besitzen, der
Friede mit Gott durch die Verdienste Jesu Christi und die Glaubensfreude, die
alle wahren Christen auszeichnet und die durch den Heiligen Geist in ihren
Herzen gewirkt wird. Dies sind die wesentlichen Segnungen des Reiches Gottes,
von denen alles abhängt. Wenn jemand in der Gewissheit, diese Gaben und
Segnungen zu besitzen, nach dieser Erkenntnis lebt, dann hat Gott Gefallen an
ihm, und er wird den Menschen wohlgefällig sein. Jeder, der durch Christus vor
Gott gerechtfertigt ist, der durch Christus Frieden mit Gott hat, der sich
wahrhaftig an der Erlösung durch den Glauben an Christus freut, wird es sich
zum Ziel seines Lebens machen, dem Herrn Jesus mit allen Kräften des Leibes und
des Geistes zu dienen. So wird die Erinnerung an das Verhältnis, in dem der
Mensch zu Gott steht, zusammen mit dem daraus resultierenden christlichen
Verhalten und seiner Wirkung auf die Ungläubigen alle Christen veranlassen, die
Ermahnung des Apostels zu beherzigen, ihr Gutes nicht schlecht reden zu lassen.
Vermeide jegliches Ärgernis (V.
19-23): Paulus zieht nun eine Schlussfolgerung, die auf alle Bedingungen und
Umstände der Christen anwendbar ist: Lasst uns nun dem nachgehen, was zum
Frieden und zur gegenseitigen Erbauung dient. Alles, was Frieden stiftet und
bewahrt, alles, was zur gegenseitigen Erbauung führt, soll von den Christen
jederzeit ernsthaft angestrebt und gefördert werden. Weil wir durch Christus
Frieden mit Gott haben, wollen wir ihm so dienen, dass wir in Frieden
miteinander leben und uns gegenseitig im Glauben und im Verhalten erbauen,
statt uns zu streiten und einander zu schaden. Und deshalb wiederholt Paulus
den Gedanken von V. 15: Zerstört nicht wegen der Speisen das Werk Gottes. Wenn
wir, anstatt unseren Mitchristen im Glauben, in seinem geistlichen Leben zu
erbauen, das Werk Gottes, den geistlichen Tempel, in seinem Herzen
niederreißen, und das wegen einer armseligen Speise, so werden wir gewiss
schuldig vor ihm. Es ist zwar wahr, dass alle Dinge rein sind, jede Art von
Nahrung ist an sich rein und bringt keine geistliche Unreinheit hervor; aber
sie sind alle schlecht und verwerflich für den, der davon mit Beleidigung, mit
einem schlechten Gewissen isst. Deshalb wagen wir es nicht, einen Bruder zu
verführen und dazu zu bringen, etwas zu tun, von dem er glaubt, dass es falsch
ist, und so das Werk Gottes in ihm zu zerstören. Wenn unser Verhalten den
schwachen Bruder dazu bringt, mit Unrecht zu essen, an dem teilzuhaben, was er
für unrein hält, dann ist unser Verhalten schädlich, verwerflich. Andererseits
ist es richtig und lobenswert, kein Fleisch zu essen und keinen Wein zu trinken
und nichts zu tun, woran unser Bruder Anstoß nimmt, V. 21. Wie mit dem Fleisch,
so war es auch mit dem Wein in jenen Tagen: Viele der schwächeren Christen mögen
sich vor seinem Gebrauch gefürchtet haben, weil er für Götzenopfer verwendet
worden sein könnte. Es geht nicht so sehr darum, das Richtige für die eigene
Person zu tun, sondern zu vermeiden, dem schwachen Bruder Unrecht zu tun; daher
die Ermahnung des Apostels. Dies wird uns im nächsten Satz vor Augen gehalten:
Den Glauben, den du mit dir selbst vor Gott hast. Die Form des Satzes ist
nachdrücklich: Was dich betrifft, so hast du das feste Vertrauen, die
unerschütterliche Überzeugung, dass du mit dem Essen von Fleisch und dem
Trinken von Wein vor Gott recht tust. Von den stärkeren Brüdern wird nicht
verlangt, dass sie ein prinzipielles Zugeständnis machen oder der Wahrheit
abschwören; alles, was von ihnen verlangt wird, ist, dass sie ihre Freiheit
rücksichtsvoll und wohltätig nutzen. Ihre Überzeugung konnten sie auch vor Gott
vertreten; sie sollte nicht zum Schaden eines anderen zur Schau gestellt
werden, denn Gott würde sie sehen und anerkennen.
Und so schließt Paulus ab: Glücklich ist
der, der sich nicht selbst verdammt in dem, was er gutheißt. Der Starke im
Glauben nutzt Speisen und Getränke aller Art, auch Fleisch und Wein. Und es
muss ihm eine Quelle großer Befriedigung und Freude sein, wenn er die
Überzeugung eines freien Gewissens hat und sicher ist, dass er das Richtige
tut. Es ist ein Glück, wenn man von allen Gaben Gottes Gebrauch machen kann,
ohne sich Vorwürfe zu machen. Welche bösen Folgen es aber haben kann, wenn
jemand von seiner christlichen Freiheit taktlos Gebrauch macht und damit seinen
schwachen Bruder beleidigt, zeigt der letzte Satz: Wer aber beim Essen
zweifelt, ist verdammt, denn es ist nicht aus dem Glauben; alles aber, was
nicht aus dem Glauben ist, ist Sünde. Wenn der schwächere Christ so weit kommt,
dass er schwankt und zweifelt, kann er schließlich, bevor er zur rechten
Einsicht kommt, dem Beispiel des stärkeren Christen folgen und so endlich essen
und trinken, was er in seinem Gewissen noch verurteilt. Aber ein solcher
Gewissensbruch lässt sich nicht mit dem Glauben vereinbaren, da er nicht mit
der Gewissheit geschieht, dass es richtig ist, mit der Gewissheit der auf
Wissen beruhenden Überzeugung. Aber alles, was der Mensch tut, ohne sicher zu
sein, dass er dabei das Richtige tut, alles, was er sich mit der Befürchtung
gönnt, dass es wahrscheinlich falsch ist, das ist Sünde. „Jede Handlung des
Menschen, von der er nicht überzeugt ist, dass sie mit dem Willen Gottes
übereinstimmt, ist sündig.“
Zusammenfassung: Der Apostel
ermahnt die Schwachen, die anderen nicht zu verurteilen, die Starken im
Glauben, die Schwachen nicht zu verachten und ihnen keinen Anstoß zu geben, und
beide Parteien, sich um das zu bemühen, was den Frieden und die gegenseitige
Erbauung fördert.
Die Ermahnung, die der heilige Paulus den Schwachen
im Glauben in der Gemeinde zu Rom wie auch ihren stärkeren Brüdern gab, ist die
vollständigste Belehrung, die wir über den Gebrauch der gleichgültigen Dinge
haben, die an sich unschädlich sind, aber unter Umständen zur Sünde werden
können. Denn das war der Unterschied zwischen den Starken und Schwachen in der
Gemeinde, dass die ersteren von ihrer christlichen Freiheit Gebrauch machten
und glaubten, alle Gaben Gottes genießen zu können, während die letzteren im
Zweifel waren, was das Essen von Fleisch und das Trinken von Wein betraf, und
immer mit einem schlechten Gewissen kämpften.
Nun ist es zwar richtig, dass die
indifferenten Dinge im neutralen Bereich liegen; sie sind weder geboten noch
verboten. Daraus folgt aber nicht, dass ein Christ in seinem Umgang mit diesen
Dingen seinen christlichen Status verlässt und eine neutrale Position einnimmt.
Der Christ dient dem Herrn und gehört dem Herrn, auch wenn er isst, trinkt und
schläft; er lebt für den Herrn und stirbt für den Herrn, und seine Heiligung
umfasst sein ganzes Leben. Solange die gleichgültigen Dinge nur den einzelnen
Christen betreffen, hat er das Recht, so zu handeln, wie er es für richtig und
angemessen hält. Er muss natürlich von sich aus davon überzeugt sein, dass er
mit der von ihm gewählten Handlungsform dem Herrn dient.
Ein Unterschied in gleichgültigen Dingen
hat keine Auswirkungen auf die Beziehung der Gläubigen zu Christus, noch sollte
er irgendeinen Einfluss auf brüderliche Zuneigung und gegenseitiges Verständnis
haben. Einheitlichkeit in gleichgültigen Dingen ist für die Einheit der Kirche
nicht wesentlich. Und da der Apostel den Frieden in der Gemeinde in Rom zu
bewahren sucht, ermahnt er beide Parteien, sich trotz dieser Unterschiede als
Brüder zu betrachten; er warnt sie vor vorwurfsvoller Kritik und Verurteilung.
Und dieselbe Ermahnung und Warnung ist heute in allen Fällen angebracht, in
denen eine offensichtliche Meinungsverschiedenheit in Angelegenheiten besteht,
für die der Herr keine Regel festgelegt hat. Die richtige Vorgehensweise in
einem solchen Fall ist, die Meinung des anderen zu respektieren. Denn derartige
Angelegenheiten sollten den Frieden der Kirche nicht stören, wenn die Christen
nur in Fragen des Glaubens und des Gehorsams gegenüber dem Wort Gottes
übereinstimmen und so in Frieden und Liebe miteinander leben. Kritik ist
berechtigt und sollte nur dann geübt werden, wenn ein Bruder anders lehrt oder
lebt, als es das Wort Gottes lehrt. In einem solchen Fall den Frieden zu
bewahren, würde bedeuten, sich offen gegen das Gebot Gottes zu stellen und es
zu verleugnen. Wo aber eine Angelegenheit im Wort Gottes unentschieden bleibt,
da sind Meinungsverschiedenheiten gerechtfertigt, und jeder muss mit seinem
eigenen Herrn stehen oder fallen. Natürlich kann der Bruder, der von einem
irrenden Gewissen geplagt wird, mit aller Geduld belehrt werden, um ihm seine
törichten Skrupel zu nehmen; aber wenn er nicht überzeugt werden kann, muss ihm
schließlich erlaubt werden, in seinen Vorstellungen zu bleiben. Unter
bestimmten Umständen bleibt das, was gleichgültig ist, für eine unbestimmte
Zeit gleichgültig.
Aber unter anderen Umständen kann eine
Sache, die gleichgültig ist, aufhören, zu dieser Kategorie zu gehören. Wenn ein
Christ von Gewissensskrupeln hinsichtlich des Gebrauchs einer bestimmten Sache
geplagt wird, deren Gebrauch von Gott weder geboten noch verboten ist, wenn er
glaubt, dass die Nachsicht in dieser Sache seinem geistlichen Leben und seinem
Seelenheil nicht dienlich ist, dann ist der Gebrauch einer solchen Sache für
ihn eine Sünde, solange sich sein Gewissen im Zweifel befindet. Und wenn ein
anderer Christ, dessen Gewissen stärker und freier ist, von seiner christlichen
Freiheit so Gebrauch macht, dass er jede Rücksicht auf seinen schwächeren
Bruder vergisst und etwas tut, was an sich nicht falsch ist, aber den
schwächeren Bruder kränkt, dann sündigt er, indem er die Nächstenliebe beiseite lässt. Dabei ist es durchaus recht und billig,
unter Umständen sogar geboten, dass wir auf unserer christlichen Freiheit
beharren gegenüber solchen Menschen, die wider besseres Wissen unser Gewissen
mit den Fesseln des Gesetzes zu binden trachten. Es versteht sich auch von
selbst, dass die Christen immer prüfen werden, ob die betreffende Angelegenheit
vor dem heiligen Gott wirklich gleichgültig ist, damit nicht sündige Freuden
und Praktiken auf die freie Liste gesetzt werden.[21]
Eine Ermahnung zu
Geduld und Eintracht (15,1-13)
1 Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwachen Gebrechlichkeit
tragen und nicht Gefallen an uns selber haben. 2 Es stelle sich aber ein
jeglicher unter uns so, dass er seinem Nächsten gefalle zum Guten, zur
Besserung. 3 Denn auch Christus nicht an sich selber Gefallen hatte, sondern
wie geschrieben steht: Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind über mich
gefallen. 4 Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben,
auf dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben. 5 Der Gott aber
der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einerlei gesinnt seid
untereinander nach Jesus Christus, 6 auf dass ihr einmütig mit einem Mund lobt
Gott und Vater unseres HERRN Jesus Christus.
7 Darum nehmt euch untereinander auf, gleichwie euch Christus hat
aufgenommen zu Gottes Lob. 8 Ich sage aber, dass Jesus Christus sei ein Diener
gewesen der Beschneidung um der Wahrheit willen
Gottes, zu bestätigen die Verheißung, den Vätern geschehen, 9 dass die Heiden
aber Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht: Darum will
ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen. 10 Und abermals
spricht er: Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk! 11 Und abermals: Lobt den
HERRN, alle Heiden, und preist ihn, alle Völker! 12 Und abermals spricht
Jesaja: Es wird sein die Wurzel Jesse, und der auferstehen wird, zu herrschen
über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen. 13 Der Gott aber der
Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr völlige
Hoffnung habt durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Christen sollen nicht sich selbst zu
Gefallen leben (V. 1-6): Im vorangegangenen Abschnitt hatte Paulus von den
gleichgültigen Dingen gesprochen und von der Rücksicht, die die Starken im
Glauben auf die Schwachen in dieser Hinsicht nehmen sollten. Nun weitet er den
Begriff der Starken und Schwachen etwas aus und spricht von dem Verhalten der
Christen im Allgemeinen, mit Bezug auf das Beispiel Christi. Aber es ist die
Pflicht der Starken, die Schwächen der Schwachen zu ertragen und sich nicht
selbst zu gefallen. Die Starken oder Tüchtigen sind die Christen, die sich
eines starken, kräftigen Christentums erfreuen, ohne freilich vollkommen zu
sein; die Schwachen dagegen sind die Wankelmütigen, die Schwachen, die sowohl
in der Erkenntnis als auch im christlichen Leben schwach sind. Luther sagt von
den letzteren: „Solche Schwache sind solche, die zuweilen in offener Sünde
straucheln, oder solche, die wir im Deutschen seltsame Köpfe und eigentümliche
Leute nennen, die bei der geringsten Aufreizung auffliegen oder andere
Schwächen haben, um welcher Ursache willen es schwer ist, mit ihnen
auszukommen; wie dies besonders zwischen Mann und Weib, zwischen Herr und
Knecht, zwischen Regierung und Untertanen geschehen kann.“[22] Es ist die Pflicht der
Starken, die Schwachen zu dulden, zu ertragen, sie in ihrer Schwäche, in ihren
Vorurteilen, Irrtümern und Fehlern aufrechtzuerhalten, wobei der Zweck solcher
Freundlichkeit darin besteht, dem Mitchristen zu helfen, seine Fehler loszuwerden,
von seiner Schwäche geheilt zu werden. Denn Ziel und Zweck des Lebens und
Verhaltens eines Christen ist es nicht, sich selbst zu gefallen, nur zu seinem
eigenen Nutzen zu leben; ein solches Verhalten, das nur auf seine eigene
Erbauung abzielt, ist der Gipfel der Selbstsucht und der selbstgefälligen
Heuchelei.
Paulus lehrt, dass ein wahrer Christ eine
ganz andere Gesinnung und ein ganz anderes Verhalten an den Tag legt: Jeder von
uns soll seinem Nächsten zum Guten dienen, zur Erbauung. Wahre Christen sind
nicht nur um ihren eigenen Fortschritt in der geistlichen Erkenntnis besorgt,
sondern immer bereit, wenn auch nicht aufdringlich, das geistliche Leben ihrer
Nächsten in der Kirche zu fördern; denn das Gute, das wir in erster Linie im
Auge haben müssen, ist die religiöse Vervollkommnung anderer, besonders wenn
sie nicht die Vorteile hatten, die wir durch die Gnade Gottes genossen haben.
Dabei werden wir durch das höchstmögliche Beispiel inspiriert und angetrieben:
Denn auch Christus gefiel sich nicht selbst, sondern er handelte nach dem, was
über ihn geschrieben ist: Die Schmähungen und Verleumdungen derer, die dich
geschmäht haben, sind auf mich gefallen. Der Apostel zitiert hier aus Ps. 69,9,
aus einem messianischen Psalm; denn der Heiland selbst sprach durch den
inspirierten Propheten und schilderte einige Begebenheiten seines Leidens. Vgl.
Joh. 2,17; 15,25; 19,28; Apg. 1,20. Auch Jesus, der von solchen Verpflichtungen
befreit ist, weil er wahrer Gott ist, lebte nicht nur zu seinem eigenen
Vergnügen, lebte nicht nur, um die Herrlichkeit zu genießen, die seiner
menschlichen Natur verliehen worden war, sondern war ohne Unterlass um die
Befreiung und Erlösung der sündigen Menschheit bemüht und ließ sich in diesem
Ziel durch alle lästerlichen Vorwürfe aller Feinde, die sein Werk zu vereiteln
versuchten, nicht beirren. Wenn also Christus alle Rücksichten auf sich selbst beiseite legte und das Wohlergehen der Sünder zum Hauptziel
seines Lebens machte, wird sicherlich kein Christ sich für zu gut halten, um
diesem Beispiel zu folgen und sich auf jede nur mögliche Weise zu bemühen, zur
Erbauung seines Nächsten bis zum ewigen Leben beizutragen. Es kann und darf
kein Gedanke an eine Last aufkommen, sondern nur an ein Vorrecht.
Paulus rechtfertigt nun seinen Gebrauch des
alttestamentlichen Textes und zeigt, dass die in der Heiligen Schrift
aufgezeichneten Tatsachen zu unserer Belehrung bestimmt sind und daher ohne
weiteres in ihrer Erfüllung angewendet werden können. Denn alles, was vorher
geschrieben ist, in alten Zeiten, ist zu unserer Belehrung geschrieben worden,
damit wir durch die Geduld und durch den Trost der Schrift die Hoffnung haben,
V. 4. Der Apostel bezieht sich auf das gesamte Alte Testament, wie es damals in
Gebrauch war. Die Bücher, die unter dem Sammeltitel „Die Heilige Schrift“
bekannt sind, wurden von ihren Verfassern nicht verfasst, um nur ihren eigenen
Zeitgenossen zu dienen, sondern der Heilige Geist, der Chefredakteur, der
eigentliche Autor der Bibel, hatte die Bedingungen aller Zeiten bis zum Ende
der Zeit im Sinn. Die Bibel ist daher der Lehrer, der Unterweiser der Kirche
nach Christus wie auch vor Christus. Eine solche Anwendung der Schrift, wie sie
der Apostel hier vornimmt, steht also ganz im Einklang mit dem Zweck des
heiligen Buches; sie soll dazu dienen, die Christen in ihrem Glauben zu
stärken. Einen Zweck der Schrift nennt der Apostel, nämlich uns zu belehren,
damit wir durch die Geduld und den Trost, den die Schrift in uns erzeugt und
wirkt, die Hoffnung auf die zukünftige Herrlichkeit haben und festhalten.
Dieses Ziel kann in uns erreicht werden, weil die Bibel uns nicht nur ermahnt,
geduldig und standhaft bis zum Ende auszuharren, sondern uns auch mit der
Gewissheit der Hilfe des Heiligen Geistes tröstet und so in uns sowohl Geduld
als auch Trost zum Warten und Ausharren wirkt, da die Verwirklichung unserer
Hoffnung nur eine Sache von kurzer Zeit ist. Wenn wir die Heilige Schrift
regelmäßig und richtig gebrauchen, dann schöpfen wir aus ihr von Tag zu Tag
mehr Kraft, Trost, Mut und Zuversicht und behalten so das Ziel unseres
Glaubens, das Heil unserer Seelen, stets vor Augen.
Der Apostel schließt nun seine Ermahnung
mit dem herzlichen Wunsch ab: Der Gott der Geduld und des Trostes aber gebe
euch, dass ihr ein und dasselbe untereinander denkt nach dem Vorbild Christi
Jesu, damit ihr einmütig und mit einem Munde Gott und den Vater unseres Herrn
Jesus Christus preist, V. 5.6. Wie die Heilige Schrift soeben als Anleitung zu
unserer Geduld und zu unserem Trost bezeichnet wurde, so werden dieselben Titel
hier auf Gott angewandt: Er ist der Gott der Geduld und des Trostes, der durch
den Gebrauch der Schrift, in der er sich selbst offenbart, in unseren Herzen
Standhaftigkeit und Ermutigung weckt. Und wenn diese Gaben Gottes durch die
Gabe Gottes in uns gefunden werden, dann werden wir und alle Christen einander
gleichgesinnt sein, dann wird es unter uns eine gottgefällige Harmonie geben,
dann werden wir einander als Brüder betrachten und einen wahrhaft brüderlichen
Geist zeigen, frei von jeder Selbstsucht. Solche brüderliche Harmonie im Geiste
Jesu Christi ist Voraussetzung und Grundlage des gegenseitigen Tragens, der
gegenseitigen Förderung und Erbauung, die in jeder christlichen Gemeinde zu
finden sein soll. Das ist der Wille Christi, dessen Gebet um diese Gabe von
allen Gläubigen stets im Auge behalten werden soll, Joh. 17,11. Und daraus wird
folgen, dass diejenigen, die wirklich eine Einheit im Geiste Gottes sind, auch
einmütig in einem Chor des Lobes zu Gott und dem Vater unseres Herrn Jesus
Christus übereinstimmen werden, von dem alle diese großen geistlichen Gaben stammen,
dessen Liebe in Christus Jesus sie ermöglicht und uns übermittelt hat.
Anmerkung: Gott ist sowohl der Gott als auch der Vater unseres Herrn Jesus
Christus; es ist eine höchst eigenartige Beziehung, die jedoch zum Heil der
Menschheit angenommen wurde.
Brüderliche Eintracht macht gemeinsamen
Lobpreis Gottes möglich (V. 7-13): Damit also ein solcher Lobpreis möglich
ist und das Ziel eines solchen harmonischen Lobes erreicht wird, nehmt einander
an, nehmt einander auf; beide Seiten sollen den Geist zeigen, der in Christus
ist, nach dem Willen Christi. Und diese gegenseitige Annahme und freundliche
Behandlung soll nach dem Maß der Annahme Christi an uns erfolgen und zur Ehre
Gottes, dem Endziel des ganzen Lebens des Christen, beitragen. Wir Christen
sind zur Gemeinschaft mit seinem Sohn, Jesus Christus, unserem Herrn, berufen,
1. Kor 1,9. Daraus ergibt sich für uns die Verpflichtung, den Geist der
Harmonie zu pflegen. Das harmonische Leben und die Anbetung der Gläubigen wird
nun im Einzelnen beschrieben: Denn ich sage, dass Christus ein Knecht der
Beschneidung geworden ist um der Wahrheit Gottes willen, um die den Vätern
gegebenen Verheißungen zu bestätigen, V. 8, und damit die Heiden Gott
verherrlichen für seine Barmherzigkeit, V. 9a. Als Christus kam, war sein
erster direkter Dienst im Interesse des beschnittenen Volkes oder der
beschnittenen Nation, der Juden; in seinem Dienst diente er hauptsächlich den
Juden, weil er zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt war, Matth. 15,24, und aus ihrer Mitte seine eigene kleine
Gemeinde von Jüngern sammelte. Und die Apostel nahmen sein Werk auf, wo er
aufgehört hatte: Sie predigten zuerst den Juden und gründeten Gemeinden in
Judäa. Dieses Werk seines prophetischen Amtes übte Christus um der Wahrheit
Gottes willen, im Interesse der Wahrhaftigkeit Gottes, aus, nämlich um die den
Vätern gegebenen Verheißungen zu bestätigen. Der Messias war den Patriarchen
und dann den Kindern Israels verheißen worden; aus ihnen sollte er dem Fleische
nach geboren werden; in ihrer Mitte sollte er leben und sein Werk vollbringen.
Diese Verheißung Gottes hat sich erfüllt; die Wahrhaftigkeit Gottes hat sich
bestätigt. Und alle wahren Israeliten, die durch den Glauben des Heils Christi
teilhaftig geworden sind, preisen nun Gott und rühmen seine Herrlichkeit dafür,
dass er seine Verheißungen gegenüber den Vätern erfüllt hat. Während aber die
Juden Gott für die Bestätigung, für die Verwirklichung seiner Verheißungen
lobten, verherrlichen die Heiden seinen Namen wegen seiner Barmherzigkeit, weil
Gott ihnen aus freier Gnade die gleiche herrliche Gabe und Wohltat gegeben hat
wie den Kindern Israels, denen die Verheißungen anvertraut waren. So ist Jesus
Christus auch ein Diener der Heiden geworden, indem er nämlich seine Boten zu
allen Völkern aussandte und seine Kirche aus allen Völkern der Welt durch die
Verkündigung des Evangeliums sammelte. Der Treue Gottes verdanken die Juden und
der Barmherzigkeit Gottes verdanken die Heiden den Besitz des Heils in Jesus
Christus.
Diesen letzten Gedanken untermauert der
Apostel nun durch einen Hinweis auf mehrere Stellen des Alten Testaments, in
denen die Bekehrung der Heiden prophezeit wurde, und zeigt damit, dass sich der
ewige Ratschluss Gottes in ihrem Fall verwirklicht. Der erste Hinweis bezieht
sich auf Ps. 18,49: Darum will ich dich bekennen und dich preisen unter den
Heiden und deinem Namen Hymnen singen. Der Messias, der durch den Mund Davids
spricht, preist die Wunder, die Gott an den Völkern, mitten unter den Heiden, zu
deren Rettung getan hat. Und die Botschaft des Heils ruft den Lobpreis der
Heiden hervor, wie die folgenden Zitate beweisen: Freut euch, ihr Heiden, mit
Seinem Volk, 5. Mose 32,43; Ihr Heiden, lobt den Herrn, und preist Ihn hoch,
ihr Völker, Ps 117,1. Die Heiden werden zusammen mit den Kindern Israels
eindringlich aufgefordert, Gott für die Fülle Seiner Barmherzigkeit zu loben
und damit ihre Zugehörigkeit zum wahren, geistlichen Israel zu zeigen. Das
vierte Zitat stammt aus Jes. 11,10: „Es wird die Wurzel Isais
sein, und er wird aufstehen, um über die Heiden zu herrschen; auf ihn werden
die Heiden hoffen.“ Christus, der Nachkomme Isais,
der Nachkomme Davids nach dem Fleisch, wird durch die Verkündigung des
Evangeliums seine Gnadenherrschaft unter den Heiden ausdehnen, und das Ergebnis
wird sein, dass die Heiden ihre Hoffnung auf ihn als ihren einzigen Retter und
Erlöser setzen werden. So ist die Kirche des Neuen Testaments eine Gemeinschaft
von gläubigen Juden und wiedergeborenen Heiden, die in der Anbetung des wahren
Gottes und Vaters Jesu Christi, ihres Erlösers, vereint sind. Und diese
Harmonie soll ihren Ausdruck in der gesamten Beziehung der Gläubigen zueinander
finden, wobei die wohltätige Rücksichtnahme auf die Brüder das Motiv all ihrer
Handlungen ist. Dieses Ideal kann natürlich nicht durch ihre eigene Vernunft
und Kraft erreicht werden; es bedarf der ständigen Hilfe des Heiligen Geistes.
Und deshalb schreibt Paulus zum Abschluss dieses Abschnitts und des Hauptteils
des Briefes: Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und allem
Frieden im Glauben, damit ihr in der Kraft des Heiligen Geistes in der Hoffnung
überströmt, V. 13. Der Gott, der die Hoffnung zu geben vermag und gibt, der die
Gedanken der Gläubigen auf die große Erfüllung all ihrer Wünsche richtet, ist
auch fähig, die Herzen seiner Kinder mit der größten Freude zu erfüllen, mit
aller möglichen Freude und mit jenem Frieden, der alles Verstehen übersteigt,
da beides auf dem Glauben an Jesus, den Erlöser, beruht und aus ihm fließt. Mit
diesem Beistand Gottes wird die Hoffnung der Christen nicht eine schwankende
und unsichere Meinung sein, sondern eine göttliche Gewissheit, die sie in der
Hoffnung überfließen lässt und ihnen die freudige Zuversicht auf die Erfüllung
ihres Heils, auf die Verwirklichung der zukünftigen Herrlichkeit gibt. Diese
wunderbare Gabe wird in uns durch die Kraft des Geistes ermöglicht, der die
Freude und den Frieden mit der Hoffnung wachsen lässt und so unser Herz und
unseren Verstand auf das gesegnete Ziel unserer Bestimmung hinführt.
Die Schlussrede des Briefes (15,14-33)
14 Ich weiß aber sehr wohl von euch, liebe Brüder, dass ihr selbst voll
Gütigkeit seid, erfüllt mit aller Erkenntnis, dass ihr euch untereinander könnt
ermahnen. 15 Ich hab’s aber dennoch gewagt und euch etwas wollen schreiben,
liebe Brüder, euch zu erinnern, um der Gnade willen, die mir von Gott gegeben
ist, 16 dass ich soll sein ein Diener Christi unter den Heiden, zu opfern das
Evangelium Gottes, auf dass die Heiden ein Opfer werden, Gott angenehm,
geheiligt durch den Heiligen Geist.
17 Darum kann ich mich rühmen in Jesus Christus, dass ich Gott diene. 18
Denn ich dürfte nicht etwas reden, wo dies Christus nicht durch mich wirkte,
die Heiden zum Gehorsam zu bringen durch Wort und Werk, 19 durch Kraft der
Zeichen und Wunder und durch Kraft des Geistes Gottes, so dass ich von Jerusalem an und umher bis an
Illyricum [Westbalkan] alles
mit dem Evangelium Christi erfüllt habe,
20 und mich sonderlich beflissen, das
Evangelium zu predigen, wo Christi Name nicht bekannt war, auf dass ich nicht
auf einen fremden Grund baute 21 sondern wie geschrieben steht: Welchen nicht
ist von ihm verkündigt, die sollen’s sehen, und
welche nicht gehört haben, sollen’s verstehen.
22 Das ist auch die Sache, darum ich vielmals verhindert bin, zu euch zu
kommen. 23 Nun ich aber nicht mehr Raum habe in diesen Ländern, habe aber
Verlangen, zu euch zu kommen, von vielen Jahren her: 24 Wenn ich reisen werde
nach Spanien, will ich zu euch kommen. Denn ich hoffe, dass ich da durchreisen
und euch sehen werde und von euch dorthin geleitet werden möge, so doch, dass
ich zuvor mich ein wenig mit euch ergötze. 25 Nun aber fahre ich hin nach
Jerusalem, den Heiligen zu Dienst. 26 Denn die aus Mazedonien und Achaja [Kern-Griechenland] haben willig
eine gemeine Steuer zusammengelegt den armen Heiligen zu Jerusalem. 27 Sie
haben’s willig getan und sind auch ihre Schuldner. Denn so die Heiden sind
ihrer geistlichen Güter teilhaftig worden, ist’s billig, dass sie ihnen auch in
leiblichen Gütern Dienst beweisen.
28 Wenn ich nun solches ausgerichtet und ihnen diese Frucht versiegelt
habe, will ich durch euch nach Spanien ziehen. 29 Ich weiß aber, wenn ich zu
euch komme, dass ich mit vollem Segen des Evangeliums Christi kommen werde. 30
Ich ermahne euch aber, liebe Brüder, durch unsern HERRN Jesus Christus und
durch die Liebe des Geistes, dass ihr mir helft kämpfen mit Beten für mich zu
Gott, 31 auf dass ich errettet werde von den Ungläubigen in Judäa, und dass
mein Dienst, den ich zu Jerusalem tue, angenehm werde den Heiligen, 32 auf dass
ich mit Freuden zu euch komme durch den Willen Gottes und mich mit euch
erquicke. 33 Der Gott aber des Friedens sei mit euch allen!
Der Grund, warum Paulus geschrieben hat
(V. 14-16): Nachdem der Apostel nun die Belehrung und Ermahnung an die Christen
in Rom beendet hat, fügt er mit seiner üblichen Milde und Bescheidenheit eine
Erklärung hinzu, um zu zeigen, warum er sich so an sie gewandt hat, wie er es
tat. Indem er sie mit dem vertrauten und ehrenden Titel „meine Brüder“ anredet,
sagt er ihnen freimütig, dass er für seine eigene Person voll und ganz davon
überzeugt ist, dass sie ihrerseits von Güte erfüllt sind, dass sie die rechte
christliche Gesinnung und Vortrefflichkeit besitzen. Er ist auch in einem Maße
überzeugt, das keinen Zweifel zulässt, dass seine Leser von aller Erkenntnis
erfüllt sind, dass sie die christliche Lehre vollständig und richtig verstehen.
Diese gute Meinung führt natürlich zu der Zuversicht, dass sie unter allen
Umständen das Richtige und Angemessene tun werden. Wenn eine Belehrung oder
Ermahnung in der Lehre und im Leben notwendig ist, werden sie sich sicher in
angemessener Weise darum kümmern. Da Paulus die führenden Mitglieder der
Gemeinde in Rom persönlich kannte und auch um die Kraft des Evangeliums wusste,
das unter ihnen gepredigt wurde, konnte er diese Behauptung in aller Zuversicht
aufstellen. Die Art und Weise, wie er schrieb, würde ihnen als Anreiz und
Ansporn dienen, sowohl im Verstehen als auch in der Heiligung rasch
Fortschritte zu machen.
Aber trotz dieser guten Meinung, die er von
ihnen hatte, war Paulus verpflichtet gewesen, ihnen zu schreiben: Denn ich habe
euch zum Teil recht kühn geschrieben, als einer, der euch mahnt durch die
Gnade, die mir von Gott gegeben ist, V. 15. Es gab Abschnitte in seinem Brief,
in denen Paulus sehr kühn vorgegangen war, seine Argumente mit auffallender und
bezeichnender Kraft vorgebracht hatte. Und in dieser Methode war er ganz und
gar gerechtfertigt; er hätte nicht anders handeln können, da es seine Pflicht
war, ihnen bestimmte Dinge ins Gedächtnis zu rufen. Was die Christen einmal
gelernt, gewusst und verstanden haben, muss ihnen immer wieder in Erinnerung
gerufen werden, damit ihre Kenntnisse vertieft und bestätigt werden. Die
Gläubigen aller Zeiten werden sich immer wieder an die in diesem inspirierten
Brief enthaltenen Anweisungen wenden, um die Geheimnisse ihrer Rechtfertigung
und ihres Heils immer besser kennenzulernen, um immer eifriger in Glaube,
Hoffnung und Liebe zu werden.
Aber es gab noch eine andere Pflicht, die
es Paulus auferlegte, diesen Brief an die Christen in Rom zu richten, nämlich
die Gnade, die ihm von Gott gegeben wurde, dass er ein Knecht, ein Diener
Christi Jesu für die Heiden sein sollte, um das Evangelium Christi und Gottes
zu verkünden, damit das Opfer der Heiden annehmbar sei, geheiligt durch den
Heiligen Geist, V. 15b.16. Sein Amt, sein Apostelamt, war ein Geschenk der
Gnade Gottes, ein Dienst, dessen er sich unwürdig wusste, Eph. 3,8. Aber es war
ihm durch eine besondere Berufung Gottes gegeben worden, und deshalb musste er
als wahrer Priester Gottes das Evangelium verwalten, es unter den Heiden
verkünden, damit durch seine Vermittlung die Opferung der Heiden zustande
komme. Die Heiden selbst, durch die Botschaft des Evangeliums überzeugt, waren
ein Opfer für Gott, sie brachten sich ihrem Herrn als lebendiges Opfer dar,
Kap. 12,1. Durch den Einfluss und das Werk des Evangeliums war ihr Opfer also
Gott wohlgefällig, annehmbar, Phil. 2,17; 2. Tim. 4,6. Um Jesu willen hat sich
Gott den früheren Heiden in Gnade zugewandt. Und darum sind sie auch geheiligt
im Heiligen Geist, weil der Geist ihre Herzen Gott geheiligt, geweiht hat. Zu
allen Zeiten und an allen Orten, wo immer das Evangelium gepredigt wird, werden
die Herzen der Menschen erneuert, zu Gott bekehrt, als Gottes Eigentum
geopfert; und der Zweck des Evangeliums ist es, sie im Zustand der Heiligung zu
erhalten, bis Hoffnung und Glaube durch ewigen Besitz ersetzt werden.
Paulus preist sein Apostelamt (V.
17-21): Der Apostel ist bestrebt, seine Leser verstehen zu lassen, was genau
diese Gabe seines Apostelamtes beinhaltet und warum es ihm oblag, so kühn zu
schreiben, sowohl in der Belehrung als auch in der Ermahnung: Ich habe also die
Ehre in Christus Jesus, nämlich in dem, was Gott gehört. Als Heidenapostel, dem
das Evangelium Jesu Christi anvertraut wurde, hat er Grund, sich seines Werkes
für Gott, seiner Berufung durch Gott zu rühmen und stolz darauf zu sein. Dabei
ist er sich immer bewusst, dass sein Rühmen in Christus Jesus ist, dass es
aufgrund seiner Gnade geschieht und nicht aufgrund seiner persönlichen
Fähigkeit oder Würdigkeit für das Amt. Worauf er stolz ist und in welcher
Weise, sagt er sehr deutlich: Denn ich werde es nicht wagen, etwas von dem zu
sagen, was Christus nicht durch mich bewirkt hat zum Gehorsam der Heiden durch
Wort und Tat, in der Kraft von Zeichen und Wundern, in der Kraft des Geistes
Gottes, so dass ich von Jerusalem und ringsumher bis nach Illyrium
das Evangelium erfüllt, vollendet, vollständig gepredigt habe, V. 18.19. Der
Zweck der Berufung Christi hat sich erfüllt; es ist ihm gelungen, viel für den
Gehorsam der Heiden zu tun, den Gehorsam des Glaubens unter den Heiden zu
begründen. Dies hat er durch Wort und Tat bewirkt, hauptsächlich durch seine
Predigt, aber auch durch das Beispiel seines Lebens. Erfolg hatte er durch
Zeichen und Wunder, Wunder verschiedener Art, die er tat und die dazu dienten,
seine Verkündigung zu untermauern. Vor allem aber schreibt er die Wirkung seines
Wirkens der Kraft des Heiligen Geistes, des Geistes Gottes, zu. Der Heilige
Geist ist im Wort des Evangeliums und wirkt den Glauben, den Gehorsam des
Evangeliums, durch eben dieses Wort. Paulus hat erfolgreich in allen Ländern
von Jerusalem bis Illyricum gewirkt. In Jerusalem
hatte er den Auftrag erhalten, Gottes Bote unter den Heiden zu sein, Apg.
22,21. Er hatte nicht gezögert, gerade in der Stadt, die ihn als Lästerer
kannte, von Christus zu zeugen, Apg. 9,20 ff. Und dann hatte er alle Länder
besucht, die zwischen Jerusalem und Illyricum liegen
und eine Art Halbkreis um das östliche Ende des Mittelmeeres bilden. Illyricum, das Land westlich von Mazedonien, hatte Paulus
erst kürzlich, auf seiner dritten Missionsreise, besucht. In all diesen Ländern
hat Paulus das Evangelium Jesu Christi erfüllt, es vollendet, seinen Dienst zu
Ende geführt, den vollen Ratschluss Gottes zum Heil der Menschen verkündet und
durch sein Apostelamt das Verständnis und die Annahme des Evangeliums bewirkt,
Kol. 1,25. Das ist das Geschäft, das Ziel des Evangeliums in Bezug auf alle
Menschen der Erde, nämlich dass es überall bekannt und angenommen wird; und
dieses Werk des Evangeliums hat Paulus vollbracht. Und trotz des Erfolges, der
seine Bemühungen begleitete, würde Paulus es nicht wagen, sich zu rühmen und
von etwas zu sprechen, wenn nicht Christus es durch ihn vollbracht hätte; die
wirkliche Wirksamkeit und Effizienz der Verkündigung des Evangeliums schreibt
er zu Recht allein Christus zu. Wie jeder Prediger des Evangeliums war Paulus
ein Organ, ein Werkzeug Christi und seines Geistes.
Bei seiner rastlosen Tätigkeit in der
Mission hat Paulus noch einen anderen Faktor im Sinn, nämlich nur dort zu
wirken, wo das Evangelium noch unbekannt war, damit der Beweis für sein
Apostelamt unbestreitbar sei: So aber habe ich es mir zur Ehre gemacht, das
Evangelium nicht dort zu predigen, wo der Name Christi angerufen wurde, damit
ich nicht auf dem Fundament eines anderen baue, V. 20. Paulus war in diesem
Punkt empfindlich, nicht aus einem Geist der Rivalität heraus, sondern in
seinem Ehrgeiz, für den Herrn zu arbeiten: Er hatte nie versucht, Christus zu
predigen, wo das Christentum bereits etabliert war, er hatte sich nie in das
Werk eines anderen eingemischt, hatte nie auf einem Fundament gebaut, das er
nicht selbst gelegt hatte; er war bereit, die Schuld für jeden Fehler auf sich
zu nehmen, so wie er Christus alle Ehre gab. Diese Maxime seiner Arbeit fand er
in Jes. 52,15: Das Volk, dem nichts von ihm verkündigt wurde, wird sehen, und
die, die nichts gehört haben, werden verstehen. Der Prophet hatte deutlich
gesagt, dass die Könige und Völker der Erde zur Zeit des Kommens des Messias
etwas hören und sehen würden, was bis dahin nicht zu ihnen durchgedrungen war,
nämlich die herrliche Nachricht vom Gottesknecht. Deshalb brachte Paulus das
Evangelium an solche Orte und in solche Länder, in denen es vorher unbekannt
war, obwohl dieser Grundsatz ihn nicht daran hinderte, an solche Gemeinden zu
schreiben und mit ihnen zu kommunizieren, die nicht von ihm gegründet worden
waren, wie zum Beispiel die Gemeinde in Rom selbst. Sein Amt als Apostel der
Heiden machte dies zur Pflicht.
Die Gründe, die Paulus bisher gehindert
haben, Rom zu besuchen (V. 22-17): Aus diesem Grund, weil Paulus Christus
dort bekannt machen wollte, wo er noch nicht gepredigt worden war, war er daran
gehindert worden, nach Rom zu kommen. Dies war in den meisten Fällen der Fall,
wenn sich die Gelegenheit bot, nach Rom zu reisen; seine Arbeit im Orient hatte
ihn zu sehr in Anspruch genommen; zu anderen Zeiten mögen es andere Faktoren
gewesen sein, die sein Kommen verhindert haben. Aber jetzt hat er keinen Platz
mehr in diesen Regionen, seine Arbeit im Orient ist beendet. Was noch zu tun
ist, können die gegründeten Gemeinden gut bewältigen. Da Paulus also schon seit
vielen Jahren den Wunsch, den ernsten Wunsch hatte, nach Rom zu kommen, hoffte
und beabsichtigte er, seinen Plan zu verwirklichen, sobald er seine Reise nach
Spanien antreten würde. Er hatte die Absicht, aus dem Osten, aus Palästina,
kommend, durch Rom zu reisen, dort einige Zeit zu verweilen, um die Brüder in
Rom zu sehen, sie zu besuchen, und er erwartete, auf dem Weg von der Hauptstadt
zu seinem Ziel von einer Abordnung aus ihrer Mitte geleitet zu werden, aber
erst, nachdem er ihre Gesellschaft genossen, das Vergnügen gehabt hatte, einige
Zeit mit ihnen zu verkehren. Das war sein Plan. Bevor dieser Plan jedoch
ausgeführt werden konnte, hatte Paulus eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Er
wollte jetzt die geplante Reise nach Jerusalem antreten, um den Heiligen, den
Mitgliedern der Gemeinde in dieser Stadt, einen bestimmten Dienst zu erweisen.
Denn die Gemeinden in Mazedonien und Achaja, vor
allem die von Philippi, Thessalonich, Beröa und Korinth, hatten sich bereit erklärt, für die
Armen unter den Gliedern in Jerusalem einen Beitrag von einiger Größe zu
leisten. Mit dieser Kollekte sollten die Armen in Jerusalem an dem Reichtum der
Brüder in Mazedonien und Achaja teilhaben. Und das
war auch gut so, und die Entscheidung war nur zu begrüßen, denn die
Heidenchristen waren den Judenchristen wirklich etwas schuldig. In Jerusalem
war die Mutterkirche der Christenheit, und alle geistlichen Gaben und Wohltaten
des Christentums hatten sich von Jerusalem aus über die Erde verbreitet. Und
deshalb war es nur recht und billig, dass die bekehrten Heiden denen dienten,
deren geistliche Gaben sie mit ihrem Überfluss an irdischen Gütern teilhaftig
geworden waren. An diesen Grundsatz sollte man sich in unseren Tagen erinnern,
in denen die Menschen so leicht die Werkzeuge der Gnade Gottes für sie
vergessen, seien es einzelne Menschen oder ganze Gemeinschaften.
Ein abschließendes Wort (V. 28-33): Der
Gott des Friedens sei mit euch allen! Amen. Die Reise nach Jerusalem musste
zuerst gemacht werden, dieser Plan konnte nicht geändert werden. Aber sobald
Paulus dieses Geschäft zu Ende gebracht und diese Frucht der Liebe, wie man die
Sammlung als Ergebnis des in der Liebe tätigen Glaubens wohl nennen kann, den
Gliedern der Gemeinde in Jerusalem sicher übergeben hatte, würde er auf seinem
Weg nach Spanien durch Rom ziehen. Und einer Sache war er sich schon damals sicher,
nämlich dass er, wenn er zu ihnen käme, mit der Fülle des Segens Christi und
des Evangeliums kommen würde. Das, womit er versorgt werden würde, das würde er
in reicher Fülle mitbringen. Denn er war überzeugt, dass Christus, der durch
sein Wirken so reichlich geistlichen Segen über die heidnischen Gläubigen
ausgegossen hatte, auch die Gemeinde in Rom nicht übersehen würde.
Aber bei all seinen zuversichtlichen
Verheißungen kann Paulus nicht umhin, eine Befürchtung, eine Vorahnung des
Bösen zu äußern. Er hatte so viel unter der Verfolgung durch die Juden
gelitten, dass er die Vorahnung von Unheil, das ihm in Jerusalem widerfahren
könnte, nicht ganz abschütteln konnte. Deshalb bittet er die Christen in Rom
inständig, durch den Herrn Jesus Christus und durch die Liebe des Geistes mit
ihm zu kämpfen, indem sie für ihn zu Gott beten. Durch das Werk Jesu Christi
sind alle Gläubigen in einer innigen Gemeinschaft verbunden und können
füreinander mit aller Inbrunst Fürsprache einlegen. Und die Liebe, die der
Heilige Geist in die Herzen der Christen eingepflanzt hat, drängt sie, einander
im Gebet beizustehen. Und ihr Gebet ist so ernst und dringlich, dass es den
Charakter eines Kampfes annimmt, eines Kampfes gegen die unsichtbaren,
feindlichen Mächte, die versuchen, die Arbeit des Apostels zu behindern. Mit
solchen Gebeten zu seiner Unterstützung kann er erwarten, dass er von den Ungehorsamen
in Judäa, von denen, die dem Evangelium den Gehorsam verweigern, befreit wird.
Und ihr fürbittendes Gebet mag auch so viel bewirken,
dass sein Dienst in Jerusalem den Heiligen annehmbar gemacht wird, dass sie die
Hilfe, die ihnen so von Paulus und seinen Gefährten zuteil
wurde, gerne in Anspruch nehmen werden. Aus Apostelgeschichte 21,17 ff.
wissen wir, dass das Gebet des Paulus und der Christen in Rom erhört wurde,
dass er von den Mitgliedern der Gemeinde in Jerusalem mit Freude aufgenommen
wurde. Und wenn Paulus auch nicht auf dem Wege nach Rom kam, den er zu dieser
Zeit zu gehen gedachte, so wurde er doch durch die Vorsehung Gottes rechtzeitig
dorthin gebracht, von ihnen mit großer Freude aufgenommen und fand durch den
Verkehr mit ihnen manche Erquickung für die weitere apostolische Arbeit. Mit
dem ernsten Gebet, das auf einen Segen hinausläuft, dass der Gott des Friedens,
der mit uns versöhnt ist durch Christus, unseren Frieden, mit ihnen allen sein
möge, schließt St. Paulus den Epilog seines Briefes.
Zusammenfassung: Der Apostel
ermahnt die Christen, die Schwächen der Brüder zu ertragen und als wahres Haus
Gottes stets in brüderlicher Eintracht zu leben; er teilt ihnen mit, dass er
auf dem Weg nach Spanien Rom zu besuchen gedenkt, und bittet sie, in ihren
Gebeten an ihn zu denken.
Eine
Empfehlung, Grüße und abschließende Ermahnung (16,1-27)
1 Ich befehle euch aber unsere Schwester Phöbe an, welche ist am Dienst der
Gemeinde zu Kenchreä, 2 dass ihr sie aufnehmt in dem
HERRN, wie sich’s ziemt den Heiligen, und tut ihr Beistand in allem Geschäft,
darin sie euer bedarf. Denn sie hat auch vielen Beistand getan, auch mir
selbst.
3 Grüßt die Priscilla und den
Aquila, meine Gehilfen in Christus Jesus, 4 welche haben für mein Leben ihre
Hälse dargegeben, welchen nicht allein ich danke,
sondern alle Gemeinden unter den Heiden. 5 Auch grüßt die Gemeinde in ihrem
Haus. Grüßt Epänetum, meinen Liebsten, welcher ist
der Erstling unter denen aus Achaja in Christus. 6
Grüßt Maria, welche viel Mühe und Arbeit mit uns gehabt hat. 7 Grüsst den Andronikus und den Junias, meine Verwandten und meine Mitgefangenen, welche
sind berühmte Apostel und vor mir gewesen in Christus. 8 Grüßt Amplias, meinen Lieben in dem HERRN. 9 Grüßt Urban, unsern
Gehilfen in Christus und Stachys, meinen Lieben. 10
Grüßt Apelles, den Bewährten in Christus. Grüßt, die da sind von des Aristobulus Haushalt. 11 Grüßt Herodionus,
meinen Verwandten. Grüßt, die da sind von des Narcissus Haushalt in dem HERRN.
12 Grüßt die Tryphäna und die Tryphosa,
welche in dem HERRN gearbeitet haben.
Grüßt die Persida, meine Liebe, welche in dem HERRN
viel gearbeitet hat. 13 Grüßt Rufus, den Auserwählten in dem HERRN, und seine
und meine Mutter. 14 Grüßt Asynkritus und Phlegon, Hermas, Patrobas, Hermes
und die Brüder bei ihnen. 15 Grüßt Philologus und die
Julia, Nereus und seine Schwester und Olympas und
alle Heiligen bei ihnen. 16 Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss. Es
grüßen euch die Gemeinden Christi.
17 Ich ermahne aber euch, liebe
Brüder, dass ihr aufseht auf die, die da Zertrennung und Ärgernis anrichten
neben der Lehre, die ihr gelernt habt, und weicht von denselben! 18 Denn solche
dienen nicht dem HERRN Jesus Christus, sondern ihrem Bauch; und durch süße
Worte und prächtige Rede verführen sie die unschuldigen Herzen. 19 Denn euer
Gehorsam ist unter jedermann ausgekommen. Deshalb freue ich mich über euch. Ich
will aber, dass ihr weise seid aufs Gute, aber einfältig aufs Böse. 20 Aber der
Gott des Friedens zertrete den Satan unter eure Füße in kurzem! Die Gnade
unseres HERRN Jesus Christus sei mit euch!
21 Es grüßen euch Timotheus, mein
Gehilfe, und Lucius und Jason und Sosipater, meine Verwandten.
22 Ich, Tertius, grüße
euch, der ich diesen Brief geschrieben habe, in dem HERRN 23 Es grüßt euch
Gajus, mein und der ganzen Gemeinde Wirt. Es grüßt euch Erastus, der Stadt
Rentmeister, und Quartus, der Bruder. 24 Die Gnade
unsers HERRN Jesus Christus sei mit euch allen! Amen.
25 Dem aber, der euch stärken
kann laut meines Evangeliums und Predigt von
Jesus Christus, durch welche das Geheimnis offenbart ist, das von der
Welt her verschwiegen gewesen ist, 26 nun aber offenbart, auch kundgemacht
durch der Propheten Schriften aus Befehl des ewigen Gottes, den Gehorsam des
Glaubens aufzurichten unter allen
Heiden: 27 Demselben Gott, der allein weise ist, sei Ehre durch Jesus Christus
in Ewigkeit! Amen.
Eine Empfehlung der Phöbe (V. 1-2): Der
eigentliche Brief hatte mit dem fünfzehnten Kapitel geendet, aber Paulus fügt
hier in Form eines Postskripts verschiedene persönliche Dinge hinzu. Er
empfiehlt der besonderen Fürsorge der Brüder in Rom Phöbe, eine christliche
Schwester, die sehr wahrscheinlich die Überbringerin dieses Briefes nach Rom
ist. Sie war Mitglied der Gemeinde in Kenchrea, der
östlichen Hafenstadt von Korinth, und bekleidete das Amt einer Diakonisse. So
wie die Gemeinde in Jerusalem Diakone für den Dienst an den Armen und
Bedürftigen gewählt hatte, so hatten auch andere Gemeinden in apostolischer
Zeit Diakonissen, vor allem für die Arbeit unter den Frauen, 1. Tim. 3,ll.
Phöbe war im Begriff, vom westlichen Hafen der Stadt Korinth, Lechaeum, aus nach Rom zu reisen. Der Apostel wollte, dass
die Christen in Rom sie im Herrn als Mitglied der Kirche Jesu Christi
aufnahmen, wie es den Heiligen gebührte. Sie sollten ihr nicht nur
Gastfreundschaft erweisen, sondern ihr auch jeden Dienst erweisen, der ihr in
allen Angelegenheiten, die sie brauchen könnte, helfen würde. Auf diese Weise
sollten die Christen in Rom ihre gegenseitige Gemeinschaft mit Christus unter
Beweis stellen. Paulus stellt Phöbe ein gutes Zeugnis aus, indem er sagt, dass
sie vielen, auch ihm selbst, eine wahre Freundin, Beschützerin, Helferin und
Gönnerin gewesen sei. Als Mitchristin und als jemand, der sich im Dienst des
Herrn ausgezeichnet hat, sollte sie daher jede Rücksichtnahme erfahren und
gerne die Unterstützung erhalten, die sie benötigen könnte. Anmerkung: Es wäre
von großem Wert für die Kirche, wenn alle Christen, die in andere Teile des
Landes oder der Welt reisen, wo es rechtgläubige Gemeinden gibt, ihre Pastoren
um Empfehlungsschreiben bitten würden, und wenn die Brüder in jeder Gemeinde
ihre Mitchristen im Geiste Christi empfangen würden. Christliche Freundlichkeit
und Höflichkeit kosten wenig und können reichlich zurückgegeben werden.
Grüße von Paulus an Freunde und Bekannte
(V. 3-16): Dies ist ein schöner Abschnitt, der ein sehr interessantes Licht auf
die innige Liebe wirft, die die ersten Christen verband. Übrigens ist das
Interesse, das Paulus den einzelnen Christen entgegenbringt, und die Art und
Weise, in der er ihre besonderen Verdienste hervorhebt, sehr charakteristisch.
Sein erster Gruß gilt Priscilla oder Prisca und ihrem Mann Aquila, wobei die
Frau als die Begabtere und Tatkräftigere zuerst genannt wird. Diese beiden
waren alte Freunde des Apostels und ernste Arbeiter für das Reich Christi.
Paulus hatte bei ihnen in Korinth übernachtet (Apg. 18,2), und sie hatten mit
ihm nicht nur im gleichen Handwerk, dem der Zeltmacher, sondern auch in der
gleichen Sache, nämlich der Christi, gearbeitet. Sie hatten ihn nach Ephesus
begleitet, Apg. 18,18, und waren auch dort seine Mitarbeiter für das Reich
Gottes gewesen. Und nun hatten sie, wie in Ephesus, in Rom eine Hausgemeinde
versammelt: wahre Missionare immer. Paulus gibt ihnen das Zeugnis, dass sie um
seines Lebens willen ihren eigenen Hals riskiert hatten, wahrscheinlich zur
Zeit des Aufruhrs in Ephesus, Apg. 19, wofür nicht nur er ihnen aufrichtigen
Dank schuldete, sondern auch alle Gemeinden der Heiden, denn durch ihren
Einsatz war das Leben des Paulus für weitere Arbeit im Weinberg des Herrn
erhalten worden. Eine solche Selbsthingabe und Selbstaufopferung im Interesse
des Evangeliums und seiner Ausbreitung kann auch heute noch als Beispiel
dienen. Paulus schließt in seinen Gruß auch die Gemeinde ein, die sich in ihrem
Haus zu versammeln pflegte. Vgl. 1. Kor. 16,19.
Über die Personen, die in den anderen
Grüßen des Paulus erwähnt werden, haben wir keine weiteren Informationen. Von Epaenetus heißt es, er sei der Erstling Asiens (nicht
Achaia) für Christus gewesen; er war der erste Mann aus der römischen Provinz
Asien, der für Christus gewonnen wurde. Von Maria, einer Jüdin nach ihrem
Namen, sagt der Apostel, dass sie ihm einst fleißig gedient habe. Nach einigen
Lesarten diente ihr Einsatz den Gläubigen in Rom. Andronikus
und Junias werden als Verwandte des Paulus und als
einstige Mitgefangene erwähnt. Vgl. 2. Kor. 11,23. Diese beiden Männer waren
unter den Aposteln im weiteren Sinne des Wortes bzw. von den Aposteln im
engeren Sinne des Wortes bekannt, angesehen und hoch geachtet. Sie waren auch
schon vor Paulus in Christus gewesen, hatten sich in den frühen Tagen der
Kirche bekehrt, bevor der Herr selbst Paulus als Werkzeug seiner Gnade berufen
hatte. Amplias wird von Paulus als sein Geliebter im
Herrn bezeichnet und Stachys als sein Geliebter; von
Urban aber sagt er, dass er sein Helfer im Herrn sei, dass er im Dienst Christi
tätig sei, und von Apelles, dass er ein bewährter, ein erprobter Christ sei,
dass er den in ihm lebenden Glauben unter Beweis gestellt habe. Paulus schloss
in seine Anrede auch die Christen ein, die zum Haushalt eines Aristobulus und eines Narzissus
gehörten, Sklaven, die zu ihren Gütern gehörten. Solche niederen Brüder waren
dem großen Apostel ebenso nah und lieb wie die einflussreichsten Mitglieder der
Gemeinde. Herodion wird als Verwandter des Paulus
erwähnt. Tryphena, Tryphosa
und vor allem Persis werden in der Liste als Frauen
aufgeführt, die für den Herrn arbeiteten und deren Liebe einen Weg fand, das
Evangelium durch individuellen Dienst zu verbreiten. Rufus wird als
Auserwählter des Herrn hervorgehoben, als einer derjenigen, die in den Augen Gottes
wertvoll sind und sich in seinem Dienst vor den Menschen auszeichnen. Die
besondere Bezeichnung ist umso treffender, als Rufus wahrscheinlich der Sohn
des Simon war, der das Kreuz Christi trug, Mark. 15,21. Die Mutter des Rufus
hatte dem Apostel viel mütterliche Liebe und Fürsorge erwiesen, wahrscheinlich
zu der Zeit, als er in Jerusalem war, und deshalb ehrt er sie mit dem Titel „Mutter“.
Die Männer und Frauen, die in den Versen 14 und 15 genannt werden, waren
solche, die Paulus bekannt waren, mit denen er sich angefreundet hatte, von
denen er gehört hatte, zu denen er aber keine so innige Beziehung hatte wie zu
den anderen, die oben erwähnt wurden. Mit seinem Gruß an alle Hausgemeinden hat
der Apostel an alle Mitglieder der römischen Kirche gedacht. Und er ermahnt sie
nun, die Gemeinschaft der Liebe, in der sie standen, dadurch zu bezeugen, dass
sie sich gegenseitig mit dem heiligen Kuss grüßen. Dies war kein willkürliches
Zeichen natürlicher Zuneigung, sondern ein Brauch, der in den ersten Gemeinden
lange Zeit nach dem Gebet und vor der Feier des Heiligen Abendmahls gepflegt
wurde, wobei die Männer die Männer und die Frauen die Frauen grüßten und so
ihre gegenseitige Zuneigung und Gleichheit vor Gott zum Ausdruck brachten. Der
Apostel sendet schließlich Grüße aus allen Gemeinden. Sein Plan, Rom bei der
ersten Gelegenheit zu besuchen, war bekannt, und deshalb beauftragten ihn die
Christen in allen Städten, die er besuchte, den Brüdern in Rom zu gedenken.
Warnung vor falschen Lehrern (V.
17-20): Diese Warnung kommt im Postskriptum wie ein nachträglicher Gedanke vor.
Wahrscheinlich war die Gemeinde in Rom noch nicht beunruhigt, aber Paulus hält
es für notwendig, seine Christen vor einer Gefahr zu warnen, die sie jederzeit
treffen könnte. Es sind nicht die offenen Feinde der christlichen Kirche, die
den größten Schaden anrichten, sondern die Irrlehrer, die sich nach dem Namen
Christi nennen und vorgeben, an die Bibel zu glauben und sie zu lehren, und die
durch heimtückische Propaganda die Grundlagen der gesunden Lehre untergraben.
Der heilige Paulus warnt daher die Gläubigen in Rom und die Christen aller
Zeiten vor solchen Leuten, die eine Lehre lehren, die im Widerspruch zu den
klaren Wahrheiten steht, wie er sie verkündet hat. Er bittet sie, als
christliche Brüder, sie mit allem Ernst zu kennzeichnen, wörtlich, sie im Auge
zu behalten, ständig nach ihnen Ausschau zu halten, die Spaltungen und Skandale
verursachen, die im Gegensatz zu der Lehre stehen, die sie gelernt hatten und
die all die Jahre in Rom gepredigt worden war, und sich von diesen falschen
Lehrern abzuwenden. Der Apostel mag an solche Gegner und Unruhestifter gedacht
haben, die versucht hatten, den Lauf des Evangeliums in Antiochien, Galatien
und Achaja zu behindern. Solche Menschen würden
zweifellos versuchen, auch in die Gemeinde in Rom einzudringen und ihre falsche
Lehre zu verbreiten. Aber Paulus sagt den römischen Christen und den wahren
Gläubigen aller Zeiten deutlich, dass sie nicht nur die falsche Lehre ablehnen,
sondern auch die Irrlehrer jeder Art und jedes Grades meiden sollen. Es ist der
ausdrückliche Wille Gottes, dass Christen und christliche Organisationen, die
eine solide biblische Grundlage haben, sich von allen Konfessionen, in denen
Irrlehren und Irrlehrer zugelassen sind, trennen und getrennt bleiben müssen.
Jeder Unionismus, der versucht, Wahrheit und
Falschheit in derselben kirchlichen Organisation zu vereinen, wird in diesem
Abschnitt klar verurteilt. Vgl. 2. Thess. 3,6; Tit. 3,10; 1. Kor. 5,11; 2.
Johannes 10.
Der Grund für diese eindeutige Haltung wird
von Paulus genannt: Denn solche Menschen, die zu ihrer Klasse gehören, stehen
nicht im Dienst Christi, unseres Herrn, sondern in dem ihres eigenen Bauches,
und durch fadenscheiniges Gerede und schöne Worte verführen sie die Herzen der
Unvorsichtigen, V.18. Obwohl die Irrlehrer vorgeben, dem Herrn Jesus Christus
zu dienen, soll dieser vermeintliche Eifer Eindruck auf den Unvorsichtigen
machen: Ihr eigentliches Ziel sind niedere Interessen. Mit einem anzüglichen
Ton und in feinem Stil, mit glitzernden Worten und verlockenden Formulierungen
versuchen sie, ihre wahren Absichten zu verschleiern. „Die hier gegebene
Beschreibung trifft in hohem Maße auf Irrlehrer in allen Zeiten zu. Sie werden
nicht von Eifer für den Herrn Jesus angetrieben; sie sind selbstsüchtig, wenn
nicht gar sinnlich, und sie sind glaubwürdig und betrügerisch.“ (Hodge.) „Die
Kirche Gottes ist immer mit solchen angeblichen Pastoren behelligt worden -
Männer, die sich selbst ernähren und nicht die Herde; Männer, die zu stolz
sind, um zu betteln, und zu faul, um zu arbeiten; die weder die Gnade noch die
Gaben haben, die Fahne des Kreuzes in das Gebiet des Teufels zu pflanzen und
durch die Kraft Christi in sein Reich einzudringen und ihn seiner Untertanen zu
berauben. Im Gegenteil, indem sie die Saat der Zwietracht säen, durch
zweifelhafte Disputationen und die Verbreitung von Skandalen, durch grelle und
anzügliche Reden, weil sie Eleganz und gute Erziehung vortäuschen, zerreißen
sie christliche Gemeinden, bilden eine Partei für sich selbst und leben so von
der Beute der Kirche Gottes.“[23]
Der Apostel zeigt nun, warum er seine
Warnung ausgesprochen hat, V. 19. Im Unterschied zu den Einfältigen, den
Unvorsichtigen, war der Gehorsam, den die Gläubigen in Rom dem Evangelium
entgegenbrachten, zu allen Menschen hinausgegangen, er war in allen christlichen
Gemeinden bekannt. Paulus hatte volles Vertrauen in sie, dass sie auch einer
solchen Situation mit der richtigen Weisheit begegnen würden, entsprechend dem
Gehorsam gegenüber dem Evangelium, den sie immer gezeigt hatten. Und doch kann
er nicht umhin, ein Gefühl seiner Besorgnis zu vermitteln. Er freut sich über
sie, aber er will auch, dass sie weise sind gegenüber dem Guten, aber rein und
unschuldig gegenüber dem Bösen, gegenüber allem Schlechten, dass sie sich nicht
in das Netz der falschen Lehre verstricken. Zugleich ist es für Paulus und die
Christen in Rom ein tröstlicher Gedanke, dass der Gott des Friedens den Satan,
in dessen Dienst die Irrlehrer stehen, zermalmen, zertreten wird, und zwar
bald. Der Tag ist nicht mehr fern, an dem der Herr den Satan zermalmen,
ausrotten, ihn für immer hilflos machen und so die Seinen von allen Angriffen
des alten bösen Feindes befreien wird. Vgl. 1. Mose 3,15. Der Segensspruch: Die
Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit euch, schließt diesen Abschnitt des
Nachwortes ab. Es ist Gottes mächtige Barmherzigkeit, die allein die Christen
in allen Lebenslagen aufrichten und erhalten kann.
Grüße von Begleitern und Freunden von
Paulus (V. 21-24): Amen. In vielen Briefen des Paulus wird der Name des
Timotheus in der Grußformel mit dem des Paulus verbunden, vor allem, wenn er in
der Gemeinde persönlich bekannt war und sich in irgendeiner Weise verdient
gemacht hatte. Das war in Rom nicht der Fall, aber als Mitarbeiter des Paulus
hatte er natürlich auch ein großes Interesse an den römischen Christen und
grüßte sie. Neben seinem Namen werden auch die Namen von Lucius, Jason, Apg.
17,5, und Sopater, Apg. 20,4, genannt. Es ist sehr
wahrscheinlich, dass diese Männer die Abgesandten ihrer jeweiligen Gemeinden in
der Sache der Armensammlung in Jerusalem waren und nach Korinth gekommen waren,
um Paulus von dieser Stadt nach Judäa zu begleiten. Tertius,
der Schreiber, der den Brief nach dem Diktat des Paulus schrieb, fügte seine
eigene Anrede ein. Dann diktierte Paulus weiter und sandte Grüße von Gaius, in
dessen Haus er wohnte und der allen Christen in nah und fern offenstand, 1. Kor
1,14. Auch von Erastus, dem Quästor, dem Kämmerer der Stadt, war ein Gruß
dabei. Obwohl ihre Zahl von Anfang an gering war, 1. Kor 1,26, waren es doch
immer einige der reicheren und einflussreicheren Leute, die durch die
Verkündigung des Evangeliums für Christus gewonnen wurden. Paulus wiederholt
hier seinen apostolischen Segensspruch, denn sein Herz brennt in glühender
Liebe zu den Christen in Rom, und er möchte sie gerne der Fülle der Gnade und
Barmherzigkeit Gottes in Jesus Christus, ihrem Erlöser, versichert wissen
lassen.
Der abschließende Lobpreis (V.
25-27): Es steht ganz im Einklang mit dem reichen Inhalt des Römerbriefes, dass
Paulus ihn mit einer so bemerkenswerten Doxologie abschließt, einem wahren
Erguss glühender Gedanken, verwoben mit einer schönen Lobrede auf das
Evangelium. Er gibt Gott alle Ehre, dem, der die Christen fest und beständig im
Glauben und im heiligen Leben zu machen vermag. Gott festigt, bestätigt die
Gläubigen in ihrem Glauben nach dem Evangelium, das zugleich Norm und Mittel
ist, durch das Gott wirkt. Dieses Evangelium ist, was seinen Inhalt betrifft,
nichts anderes als die Verkündigung Jesu Christi, der das Alpha und das Omega,
der Anfang und das Ende aller wahren evangelischen Verkündigung ist. Das
Evangelium wird weiter als ein Geheimnis beschrieben, nämlich als das Geheimnis
Christi und des Heils in Christus. Es war von alters her, von Ewigkeit her,
verborgen, geheim gehalten, unbekannt und unentdeckbar für die menschliche
Vernunft. Der Ratschluss Gottes zur Erlösung der Menschen war in Gott verborgen,
Eph. 3,9, und wurde erst mehrere Jahrtausende nach der Erschaffung der Welt in
seiner Fülle und Herrlichkeit bekannt gemacht. Nun aber ist dieses Geheimnis
aufgedeckt, bekannt gemacht, offenbar geworden. Jesus Christus hat den
Ratschluss Gottes zur Erlösung ausgeführt, die Offenbarung wurde den Aposteln
übergeben mit dem Auftrag, sie allen Geschöpfen zu verkünden. Und die
Verkündigung geschieht durch die Schriften der Propheten, wobei die Apostel
stets auf die Verheißungen des Messias hinweisen und ihre Erfüllung in Christus
aufzeigen. Durch die Verkündigung des Evangeliums werden die Schriften der
Propheten verdeutlicht und es wird gezeigt, dass sie herrliche
Evangeliums-Wahrheiten enthalten. Und so wird das Werk des neutestamentlichen
Dienstes nach dem Gebot des ewigen Gottes zum Gehorsam des Glaubens
vorangetrieben, um diesen Gehorsam in den Herzen der Menschen zu bewirken,
damit er allen Heiden bekannt gemacht wird. Kurz gesagt, das Evangelium, das in
der Predigt des Neuen Testaments offenbart wird, soll zum Heil aller Menschen
dienen. Und Gott, der durch das Evangelium den Glauben an Christus Jesus wirkt,
wird durch dieselbe Predigt die Gläubigen im Glauben stärken und bestätigen bis
ans Ende. Ihm also, der allein weise ist, der das Wesen aller Weisheit ist, wie
sein wunderbarer Plan zur Rettung aller Menschen zeigt, sei Ehre in Ewigkeit
durch Jesus Christus, unseren Erlöser! Ehre sei dem Vater und dem Sohn, gleich
an Macht, Majestät und Herrlichkeit, in Ewigkeit! Amen.
Zusammenfassung: Der Apostel
sendet Grüße, sowohl seine eigenen als auch die seiner Gefährten, fügt eine
Warnung vor falschen Lehrern ein und schließt mit einer wunderbaren Doxologie.[24]
Es ist Gottes Wille, dass die Christen
halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens, Eph. 4,1-6, nämlich
dass sie bleiben an Jesu Rede, Joh. 8,31-32, dass sie einerlei Rede führen,
fest aneinander halten in einem Sinn und einerlei Meinung und daher keine
Spaltung zulassen, 1. Kor. 1,10. Die Kirche, das Haus Gottes, soll ein Pfeiler
und eine Grundfeste der Wahrheit sein, 1. Tim. 3,15, in dem gelehrt wird alles,
was Christus uns befohlen hat, Matth. 28,19, in dem
nichts von Gottes Wort weggenommen und auch nichts hinzugetan wird, Offenb. 22,18-19, sondern der ganze Ratschluss Gottes
gelehrt wird, Apg. 20,27. Gottes Wille und Befehl ist daher die Kirche des
reinen Wortes und der unverfälschten Sakramente, in der keine falsche Lehre und
auch keine der Schrift widersprechende Praxis geduldet werden, sondern die
Einheit in der Wahrheit aufrecht erhalten wird. Die Gemeinschaft wird
praktiziert vor allem durch die Gemeinschaft unter dem Wort und in den
Sakramenten, aber auch in allen anderen Bereichen, in denen der christliche
Glauben gelebt wird, z.B. Gebet, Diakonie, Mission, Schularbeit,
Literaturarbeit, Musik- und Chorarbeit. Das heißt: In allen Bereichen des
christlichen Glaubens kann die Gemeinschaft nur da praktiziert werden, wo
tatsächlich die Einheit in der Wahrheit vorliegt, und zwar von Kirche zu
Kirche, da ja der einzelne Christ Glied einer Kirche als einer
Bekenntnisgemeinschaft ist. Ob Einheit vorliegt, also, ob Rechtgläubigkeit
vorliegt, das kann allein anhand der Kennzeichen der Kirche, also dem
gelehrten, gepredigten Wort und den verwalteten Sakramenten, festgestellt
werden und an nichts anderem.
Die Heilige Schrift ist die einzige Regel
und Richtschnur für alle Lehre und Lehrer und das Leben der Kirche Gottes (ekkleesia tou theou).
Sie ist daher die höchste Autorität in der Kirche (ekkleesia).
Gottes Wort aber fordert unsere Antwort, unser Bekenntnis des Glaubens, Matth. 16,13-16; Joh. 6,68-69; 1. Petr. 3,15, nicht zuletzt
auch gegenüber den Irrlehren, die auftauchen. Daher genügt es nicht, wenn die
Kirche Jesu Christi sich zur Heiligen Schrift als dem verbalinspirierten und
irrtumslosen Wort Gottes bekennt, sondern sie muss auch bezeugen, wie sie
dieselbe versteht, wie sie dies zum einen durch ihre Bekenntnisse, zum anderen
durch ihre öffentliche Lehre auf Kanzel, Katheder und in den Medien macht. Die
rechte Kirche ist daher Bekenntniskirche. Die Bekenntnisse sind aber nicht eine
Autorität neben der Heiligen Schrift, sondern als Bezeugung der Lehre der
Heiligen Schrift, von dieser abgeleitet, nur Autorität unter der Heiligen
Schrift (norma normata).
Für die Rechtgläubigkeit einer Kirche ist dabei nicht nur ihr juristisches
Bekenntnis entscheidend, sondern die tatsächliche Lehre, die von Kanzel,
Katheder und in den Medien getrieben wird, und zwar im Blick auf alle Artikel
der Heiligen Schrift, nicht nur die in den Bekenntnissen behandelten. Es ist
daher auch schriftwidrig, wenn im Blick auf eine aktuelle Bekenntnissituation
behauptet wird, man könne in ihr mit solchen Kirchen geistlich
zusammenarbeiten, mit denen tatsächlich keine Einheit in allen Lehrartikeln
besteht.
Solche Kirchenkörper, die falsche Lehre in
ihren Reihen dulden, bei denen aber dennoch das Evangelium noch soweit im
Schwange geht, dass Menschen dadurch zum rettenden Glauben kommen können,
werden richtig auch noch als „Kirche“ bezeichnet, eben um der gewiss
vorhandenen Gläubigen in ihrer Mitte willen, und somit von weltlichen
Vereinigungen unterschieden, auch wenn sie zugleich als falsche Kirche (ecclesia falsa) bezeichnet werden
müssen aufgrund der geduldeten Irrlehre in ihrer Mitte.
Darum hat schon Jesus Christus seine Jünger
aufgefordert: „Sehet euch vor vor den falschen
Propheten“, Matth. 7,15, und seine Gemeinde oder
Schafe als solche beschrieben, die einem Fremden nicht folgen, Joh. 10,5. Darum
ist die Gemeinde Jesu Christi aufgefordert, die ecclesia
simplex wie auch die ecclesia
composita, „aufzusehen auf die, die da Zertrennung
und Ärgernis anrichten neben der Lehre, die ihr gelernt habt, und weichet von
denselben“, Röm. 16,17, sie soll von ihnen ausgehen, sich von ihnen absondern,
2. Kor. 6,14-18: Denn durch die falsche Lehre wird die Einheit in der Wahrheit
zerstört, wer falsch lehrt trennt sich von Gottes Lehre und damit auch von der
rechtgläubigen Kirche; und diejenigen, die an der rechtgläubigen, der
biblischen Lehre festhalten und dies feststellen, die halten die wahre Einheit,
nämlich die Einheit in der göttlichen Wahrheit, aufrecht, auch wenn sie
gegenüber den anderen eine Minderheit sein sollten und es nach außen so
aussieht, dass sie sich von den anderen um der Wahrheit willen trennen.
Es ist die Frage aufgekommen, wann die
Trennung zu erfolgen hat. Die Grundlage für die Antwort ist durch den Heiligen
Geist selbst in Röm. 16,16 vorgegeben: Dann, wenn für eine Kirche (Ortsgemeinde
oder Synodalverband) als eine solche festgestellt werden muss, dass sie falsch
lehrt, also nicht mehr die Kennzeichen der Kirche rein und unverfälschthat,
dann ist auch die Trennung zu vollziehen, das lässt sich nicht trennen. Falsch
lehrend ist eine ekkleesia noch nicht, wenn
gelegentlich in ihr falsche Lehre auftaucht, die aber nicht geduldet, sondern
bekämpft und somit schriftgemäß überwunden wird. Etwas anderes ist es, wenn
falsche Lehre auftaucht, sie aber, sie wird bekämpft oder nicht, dennoch
bleiben kann und auch weitere Ermahnung, etwa auch durch Schwesterekkleesien,
nicht das schriftgemäß geforderte Ergebnis, das Abtun der Irrlehre, erbringt.
Dann ist solch eine ekkleesia zu einer
falschlehrenden, heterodoxen ekkleesia geworden, die
gemäß Röm. 16,16 f. zu meiden, zu fliehen ist.[25]
Das
Widerstandsrecht bei Luther[26]und im Gnesioluthertum
des 16. Jahrhunderts
Wie
weit aber geht nun die Gewalt der Obrigkeit? Gott hat, wie gesagt, zwei Reiche.
Und jedes dieser Reiche hat seine eigenen Gesetze, Ordnungen. Das Reich der
Welt geht über Leib und Gut, also das, was äußerlich ist auf Erden, dagegen
nicht über die Seele. „Das
weltliche Regiment hat Gesetze, die sich nicht weiter erstrecken als über Leib
und Gut und was äußerlich ist auf Erden. Denn über die Seele kann und will Gott
niemand lassen regieren als sich selbst allein. Darum, wo weltliche Gewalt sich
vermisst, der
Seele Gesetze zu geben, da greift sie Gott in sein Regiment und verführt und
verderbt nur die Seelen.“[27]
Das heißt: Alles, was mit der Seele, mit dem Inneren des Menschen, seinen
Gedanken, Ideen, Wünschen, Begierden, Ansichten und deren Ausdruck nach außen
zu tun hat, so lange nicht zur Gewalt aufgerufen wird, geht die Regierung
nichts an. Darüber bestimmen zu wollen, ist der Beginn totalitärer Herrschaft.
Sie hat daher auch kein Recht, der Kirche in Glaubenssachen und ihrer Ausübung
etwas zu gebieten. Entweder sie geht überein mit dem, was Gott sowieso geordnet
hat, dann braucht die Kirche keine weltlichen Verordnungen, oder aber die
Regierung würde gegen Gottes Ordnungen und Willen handelt, und dann sind ihre
Anweisungen vom Teufel und die Kirche, der Christ dürfen nicht gehorchen. Die Aufgabe der Obrigkeit ist es, „die Frommen zu
schützen und die Bösen zu strafen“ (Röm. 13), was letztlich nichts anderes
heißt, als gemäß dem natürlichen Recht die Ordnung zu wahren und zu gestalten. „Darum
ist’s gar überaus ein närrisch Ding, wenn sie gebieten, man solle der Kirche,
den Vätern, Konzilien glauben, ob gleich kein Gottes Wort da sei.
Teufelsapostel gebieten solches und nicht die Kirche; denn die Kirche gebietet
nichts, sie wisse denn gewiss, dass es Gottes Wort sei, wie St. Petrus sagt, 1.
Ep.
4,11: ‚Wer da redet, der rede es als Gottes Wort.‘“[28] In
Glaubensdingen aber darf keinerlei Gewalt angewandt werden. „Weil
es denn einem jeglichen auf seinem Gewissen liegt, wie er glaubt oder nicht
glaubt, und damit der weltlichen Gewalt kein Abbruch geschieht, soll sie auch
zufrieden sein und ihres Dinges warten und lassen glauben so oder so, wie man
kann und will, und niemand mit Gewalt dringen. Denn es ist ein freies Werk um
den Glauben, dazu man niemand kann zwingen. Ja, es ist ein göttlich Werk im
Geist, geschweige denn, dass es äußerliche Gewalt sollte
erzwingen und schaffen. Daher ist der gemeine Spruch genommen, den Augustinus
auch hat: Zum Glauben kann und soll man niemand zwingen.“[29]
Daher ist auch kein Christ der Obrigkeit in Sachen der Seele zum Gehorsam
verpflichtet. „Wenn
nun dein Fürst oder weltlicher Herr dir gebietet, es mit dem Papst zu halten,
so oder so zu glauben, oder gebietet dir, Bücher von dir zu tun, sollst du so
sagen: Es gebührt Luzifer nicht, neben Gott zu sitzen; lieber Herr, ich bin
euch schuldig zu gehorchen mit Leib und Gut, gebietet mir nach eurer Gewalt Maß
auf Erden, so will ich folgen. Heißt ihr aber mich glauben und Bücher von mir
tun, so will ich nicht gehorchen;
denn da seid ihr ein Tyrann und greift zu hoch, gebietet, da ihr weder Recht
noch Macht habt usw. Nimmt er dir darüber dein Gut und straft solchen
Ungehorsam; selig bist du, und danke Gott, dass du würdig bist, um göttlichen
Worts willen zu leiden. Lass ihn nur toben, den Narren, er wird seinen Richter
wohl finden.“[30] Hier
wird deutlich: Der Widerstand, den der Christ der tyrannischen Obrigkeit
gegenüber leistet, ist grundsätzlich ein passiver Widerstand, das heißt, er
führt Anweisungen nicht aus, die sich gegen Gottes Gebot, Wort, Ordnung, Willen
richten. Dafür muss er dann auch bereit sein zu leiden. Aber Gewaltanwendung
ist normalerweise ausgeschlossen.
Röm. 12,19; Matth. 7,1; 2. Mose 22,28; 1. Tim. 2,2;
Apg. 23,5.[31] „Denn
der Obrigkeit soll man nicht widerstehen mit Gewalt, sondern nur mit Erkenntnis
der Wahrheit; kehrt sie sich dran, ist’s gut; wo nicht, so bist du entschuldigt
und leidest Unrecht um Gottes willen.“[32]
Gewalt ist nur gegen solche erlaubt, die rechtlich auf der gleichen Stufe
stehen oder darunter, nicht aber gegen die, die uns übergeordnet sind. „Ist
aber der Widerpart deinesgleichen oder geringer als du, oder fremder Obrigkeit;
so sollst du ihm auf’s
erste Recht und Friede anbieten, wie Mose die Kinder Israel lehrt. Will er dann
nicht, so gedenke dein Bestes und wehre dich mit Gewalt gegen Gewalt.“[33] Es
gibt also kein Recht auf eine aktive Rebellion gegen die Obrigkeit. Tut sie
Unrecht, so ist das zu leiden.[34]
Denn: Es sind zwei ganz verschiedene Dinge, eine Obrigkeit zu stürzen und etwas
Besseren an ihre Stelle zu setzen. „Obrigkeit
ändern und Obrigkeit bessern sind zwei Dinge, so weit
voneinander wie Himmel und Erde. Ändern mag leicht geschehen; bessern ist
misslich und gefährlich. Warum? Es steht nicht in unserem Willen und Vermögen,
sondern allein in Gottes Willen und Hand.“[35] Etwas
anderes ist es, wenn ein Herrscher wahnsinnig würde, also nichts Vernünftiges
mehr tun oder leiden kann: Dann soll man ihn absetzen. Luther unterscheidet das
sehr klar von der Tyrannei. „Das
ist wohl billig, wo etwa ein Fürst, König oder Herr wahnsinnig würde, dass man
denselben absetze und verwahrte. Denn der ist nun fortmehr
nicht für einen Menschen zu halten, weil die Vernunft dahin ist. … Aber doch
sage ich meine Meinung darauf, dass es nicht gleich ist mit einem Wahnsinnigen
und Tyrannen. Denn der
Wahnsinnige kann nichts Vernünftiges tun noch leiden, es ist auch keine
Hoffnung da, weil der Vernunft Licht weg ist. Aber ein Tyrann tut dennoch viel
dazu; so weiß er, wo er Unrecht tut, und es ist Gewissen und Erkenntnis noch
bei ihm und Hoffnung auch, dass er sich möge bessern, sich sagen lassen und
lernen und folgen, welches keines bei den Wahnsinnigen ist, welcher ist wie in
Klotz oder Stein. Über das ist noch dahinten eine böse Folge oder Exemple;
dass, wo es gebilligt wird, Tyrannen zu ermorden oder
verjagen, reißt es bald ein und wird ein gemeiner Mutwille daraus, dass man
Tyrannen schilt, die nicht Tyrannen sind, und sie auch ermordet, wie es dem
Pöbel in den Sinn kommt; …“[36]
Luther macht in dem Zusammenhang auch
deutlich, und das war für damals (16. Jahrhundert) geradezu revolutionär: Der
Staat hat ebenso kein Recht, der Ketzerei zu wehren, es fällt nicht in sein
Amt. „So
sprichst du abermals: Ja, weltliche Gewalt zwingt nicht zu glauben, sondern
wehrt nur äußerlich, dass man die Leute mit falscher Lehre nicht verführe; wie
könnte man sonst den Ketzern wehren? Antwort: Das sollen die Bischöfe tun;
denen ist solch Amt befohlen, und nicht den Fürsten. Denn Ketzerei kann man nimmermehr
mit Gewalt wehren, es gehört ein anderer Griff dazu, und ist hier ein anderer
Streit und Handel als mit dem Schwert. Gottes Wort soll hier streiten; wenn das
nichts ausrichtet, so wird’s wohl unausgerichtet
bleiben von weltlicher Gewalt, ob sie gleich die Welt mit Blut füllt. Ketzerei
ist ein geistlich Ding, das kann man mit keinem Eisen hauen, mit keinem Feuer
verbrennen, mit keinem Wasser ertränken.“[37]
Eine Frage im Zusammenhang mit
obrigkeitlichem Dienst war auch damals schon aktuell: Kann, darf ein Christ
Soldat sein? Luther sagt Ja, so lange es sich um einen Verteidigungskrieg
handelt. „Denn
weil dein ganzes Land in der Gefahr steht, musst du wagen, ob dir Gott helfen
wollte, dass es nicht alles verderbt werde. Und ob du nicht wehren kannst, dass
etliche Witwen und Waisen drüber werden; so musst du doch wehren, dass nicht
alles zu Boden gehe und eitel Witwen und Waisen werde. Und hierin sind die Untertanen
schuldig zu folgen, Leib und Gut daran zu setzen. Denn in solchem Fall muss
einer um des andern willen sein Gut und sich selbst wagen. Und in solchem Krieg
ist es christlich und ein Werk der Liebe, die Feinde getrost zu würgen,
berauben und brennen, und alles tun, was schädlich ist, bis man sie überwinde,
nach Kriegsläuften;
nur dass man sich vor Sünden hüte, Frauen und Jungfrauen nicht schänden, und
wenn man sie überwunden hat, denen, die sich ergeben und demütigen, Gnade und
Friede erzeigen; so dass
man in solchem Fall den Spruch lasse gehen: Gott hilft dem Kecksten.“[38]
Kriegsdienst im Verteidigungsfall ist also ein Akt der Nächstenliebe, die in
solch einer Situation geboten ist. Ja, Krieg ist Teil von Gottes Ordnung für
die gefallene Welt und wird daher in der gefallenen Welt nicht aufhören: „Denn
weil das Schwert ist von Gott eingesetzt, die Bösen zu strafen, die Frommen zu
schützen und Friede handzuhaben, Röm. 13,1 ff.; 1. Petr. 3,14 ff., so ist’s
auch gewaltig genug bewiesen, dass Kriegen und Würgen von Gott eingesetzt ist,
und was Kriegslauft und Recht mitbringt. Was
ist Krieg anders als Unrecht und Böses strafen? Warum kriegt man, als dass man
Friede und Gehorsam haben will?“[39] Etwas
anderes ist es, wenn es ein ungerechter Krieg ist, ein Angriffskrieg, ein
Krieg, der aus unlauteren Motiven oder hinterhältig vom Zaun gebrochen wurde,
dann darf ein Christ nicht gehorchen und muss auch alle daraus kommenden Folgen
tragen. Wieder anders ist es, wenn es ihm in der konkreten Situation nicht
möglich ist, oder nicht mit letzter Gewissheit möglich ist, festzustellen, ob
der Krieg gerechtfertigt ist oder nicht, ob es sich um einen Angriffskrieg
handelt oder nicht – dann muss er gehorchen und soll getrost seinen Dienst tun.
Wenn der Krieg ungerecht ist, tragen diejenigen die Schuld vor Gott, die ihn zu
verantworten haben. „Wie,
wenn dein Fürst unrecht hätte, ist ihm sein Volk auch schuldig zu folgen?
Antwort: Nein, denn gegen Recht gebührt niemand zu tun; sondern man muss Gott,
der das Recht haben will, mehr gehorchen als den Menschen, Apg. 5,29. Wie, wenn
die Untertanen nicht wüssten, ob er recht hätte oder nicht? Antwort: Weil sie
nicht wissen noch erfahren können durch möglichen Fleiß, so
mögen sie folgen ohne Gefahr der Seelen.“[40] „Wer
Krieg anfängt, der ist unrecht, und ist billig, dass er geschlagen oder doch
zuletzt gestraft werde, der am ersten das Messer zuckt. … Denn weltliche
Obrigkeit ist nicht eingesetzt von Gott, dass sie soll Frieden brechen und
Kriege anfangen; sondern dazu, dass sie den Frieden handhabe und den Kriegen
wehre, wie Paulus Röm. 13,4 sagt, des Schwertes Amt sei schützen und strafen,
schützen die Frommen im Frieden und strafen die Bösen im Krieg. … Darum, lasst
euch sagen, ihr lieben Herren, hütet euch vor Krieg,
ews
sei denn, dass ihr wehren und schützen müsst und euer aufgelegtes Amt euch
zwingt zu kriegen. Alsdann so lasst’s
gehen und haut drein, seid dann Männer und beweist euren Harnisch; da gilt’s
denn nicht, mit Gedanken kriegen.“[41] Es
kann also sehr wohl die Situation kommen, dass ein Christ passiv widerstehen
muss, dann, wenn die Obrigkeit Unrecht tut, von ihm verlangt, an Unrecht sich
zu beteiligen. „Wie,
wenn mein Herr Unrecht hätte zu kriegen? Antwort: Wenn du weißt gewiss, dass er
unrecht hat, so sollst du Gott mehr fürchten und gehorchen als Menschen, Apg.
5,29, und sollst nicht kriegen noch dienen, denn du kannst da kein gutes
Gewissen vor Gott haben. Ja, sprichst du, mein Herr zwingt mich, nimmt mir mein
Lehen, gibt mir mein Geld,
Lohn und Sold nicht, dazu würde ich verachtet und geschändet als ein Verzagter,
ja als ein Treuloser vor der Welt, der seinen Herrn in Nöten verlässt usw.
Antwort: Das musst du wagen und um Gottes willen lassen fahren, was da fährt,
er kann dir’s wohl hundertfältig wiedergeben, wie er im Evangelium verheißt, Matth.
19,29: ‚Wer um meinetwillen verlässt Haus, Hof, Frau, Gut, der soll’s
hundertfältig wieder kriegen‘ usw.“[42] Damit
ist Gewalt, wie schon oben dargelegt, ausgeschlossen, vielmehr heißt es dann:
leiden. „Aber
nach der Schrift will sich’s in keinem Weg ziemen, dass sich jemand, der ein
Christ sein will, gegen seine Obrigkeit setze, Gott gebe, sie tue recht oder
unrecht; und ein Christ soll Gewalt und Unrecht von seiner Obrigkeit leiden.
Denn obgleich hierin kaiserliche Majestät unrecht täte und ihre Pflicht und Eid
übertritt, ist damit seine kaiserliche Obrigkeit und seiner Untertanen Gehorsam
nicht aufgehoben; so lange
das Reich und die Kurfürsten ihn für einen Kaiser haben und nicht absetzen.“ [43]
Die einzige Möglichkeit, die legal ist, ist also die verfassungskonforme
Absetzung der Obrigkeit. Gewalt aber darf normalerweise nicht angewandt werden,
auch nicht von der regionalen Obrigkeit gegen die höhere, etwa um die eigenen
Bürger zu schützen. „…
und schickt sich nicht, dass jemand mit Gewalt des Kaisers Untertanen gegen den
Kaiser, ihren Herrn, wollte schützen; gleichwie sich’s nicht ziemt, dass der
Bürgermeister zu Torgau wollte die Bürger mit Gewalt schützen gegen den
Kurfürsten zu Sachsen, so lange
er Kurfürst zu Sachsen ist.[44] Auch
der Glauben darf nicht mit Gewalt beschützt werden, vor allem nicht von den
Bürgern. „Darum
achte ich’s, es sei vor dem Garn gefischt, so man um Verteidigung willen des
Evangeliums sich gegen die Obrigkeit legt, und gewiss ein rechter Missglaube,
der Gott nicht vertraut, dass er uns ohne unsern Witz und Macht durch mehr
Weise wohl wisse zu schützen und zu helfen.“[45] Es
gilt auch dann also: nicht Gewalt anwenden, sondern leiden; Gott wird zu seiner
Zeit strafen. „Und
derhalben
entweder entsagen und legen ab Papst, Kardinäle, Bischöfe und Kaiser den Namen
Christi und bekennen öffentlich, dass sie die sind, wie sie es denn gewiss
sind, die in des Teufels Dienst einherreiten und sein eigen sind: So will ich
raten, wie zuvor, dass man ihnen als heidnischer Obrigkeit, die das Evangelium
nicht leiden wollen, Raum gebe und leide. Oder aber, wo sie unter Christi Namen
gegen die rechten Christen als Widerchristliche wissentlich würden etwas
anfangen und den Stein über sich werfen: So mögen
sie auch gewarten,
dass der Stein auf ihren Kopf falle und sie billig die Strafe des andern Gebots
empfangen.“[46]
Die Möglichkeiten der Gegenwehr damals, als
es um das Evangelium ging, waren für Luther durch die damalige Konstruktion der
Reichsverfassung gegeben, nämlich dass der Kaiser ja nicht Alleinherrscher war,
nicht einmal die Kurfürsten eigenmächtig absetzen konnte, auch nicht
eigenmächtig die Verfassung ändern.[47]
Darum haben die Fürsten, besonders die Kurfürsten, damals Macht und Recht
gehabt, gegen unrechte Handlungsweisen des Kaisers vorzugehen. „Weil
denn das keinerlei Weise um weltlicher Händel und Sachen willen geduldet werden
kann und darf; wieviel weniger wäre es zu leiden, wo kaiserliche Majestät um
fremder Ursache und des Teufels willen Krieg anfinge oder vornähme.“[48] Auch
hier aber ist deutlich: Der Widerstand, gerade der aktive, ist nur denen
erlaubt, denen er verfassungsmäßig zusteht, nicht einfach jedem Bürger, also
denen, die auch die Macht haben, die eine Obrigkeit durch eine andere zu
ersetzen, ohne dass Chaos entsteht.
Anders sah es Luther dann, wenn der Kaiser
ohne Rechtssatz, also ohne päpstliche oder Reichstagsbeschlüsse (damals vor
allem: vor dem Konzil), gegen das Evangelium vorgeht, da Willkür übt und damit
„notorisches Unrecht“. In einem solchen Fall sah er die gewaltsame Gegenwehr
als zulässig an. Luther geht dabei sogar so weit, dass er sagt, dass jede
Obrigkeit schuldig sei, die Christen und den rechten Gottesdienst gegen
unrechte Gewalt zu schützen.[49] „Hier
ist weiter die Frage: Was einem Fürsten gegen seinen Herrn, als den Kaiser, in
solchem Fall zu tun gebühre? Darauf ist auch gleiche Antwort: Erstlich, weil
das Evangelium bestätigt weltliche leibliche Regimente, so soll sich ein
jeglicher Fürst gegenüber seinem Herrn oder Kaiser verhalten vermöge derselben
natürlichen und weltlichen Regimente und Ordnungen. Wenn der Kaiser nicht
Richter ist und will gleichwohl Strafe üben, als pendente appelatione
(während die Appelation
noch anhängig ist), so heißt solch
sein tätlich Vornehmen injuria notoria
(offenbares, notorisches Unrecht). Nun ist dieses natürliche Ordnung der
Regimente, dass man sich schützen möge und Gegenwehr gebrauchen gegen solche notoriam injuriam.“[50]
Was aber, wenn ein entsprechender Beschluss eines Konzils, des Papstes, des
Reichstages vorläge, Beschlüsse, die sich gegen das Evangelium Gottes stellen?
Solch ein Beschluss, der sich damit ja gegen Gottes Wahrheit richtet, ist
ebenfalls notorisches Unrecht. „Und
zu setzen, dass gleich der Papst mit dem Prozess sich glimpflich erzeigt, und
doch im Sentenz (Urteilsspruch) öffentliche idolotaria
(Götzendienst) und Abgötterei und öffentliche injurias
wollte bestätigen; so halten wir dennoch, dass die Fürsten
Recht haben, sich dawider zu setzen und die Ihren hierin zu schützen. Exempel:
So ein christlicher Fürst unter dem Türken wäre, und der Türke wollte den
Mahomet oder andere Abgötterei in des Fürsten Gebieten aufrichten; da hätte der
christliche Fürst Macht und Recht, sich gegen den Türken zu setzen; wäre auch
schuldig, kraft des andern Gebots, solches zu wehren und die Seinen bei rechtem
Gottesdienst zu handhaben; wie Makkabäus,
2. Makk. 3, sich gegen Antiochus setzte. Doch mag davon weiter disputiert werden,
so man von dem allen reden wird.“[51] Dieses
Sache ist, siehe Darlegung bei Anm. 36, durchaus fragwürdig. Klarer, das hat
auch Luther so gesehen, liegt die Sache, wenn offenbar gegen die natürliche
Ordnung verstoßen wird, etwa wenn die Priesterehen zerrrissen werden sollen. „Der
andere Fall ist leichter: Wenn die Sentenz geht, dass der Priester Ehe unrecht
sei und sollen verboten und zerrissen werden. Dieses ist eine notoria injuria,
und sind weltliche Sachen, darinnen natürliche Vernunft, als Gottes Ordnung,
selbst Richter ist. Wider solche öffentliche
injuriam
ist der Schutz und die Gegenwehr zugelassen. Als, so sich einer gegen einen
Mörder auf der Straße wehrte, oder ein Ehemann tötete den Ehebrecher, begriffen
in der Tat; solche Injurien sind ausgenommen in allen Pflichten und Bündnissen.
Als Exempel: Konstantinus und Licinius waren beide Mitregenten und Kaiser, mit
Eiden verbunden; es verfolgte aber Licinius die Christen grausam, so dass
Orient Hilfe suchte bei Konstantinus. Nun waren Konstantinus und Licinius
miteinander verbunden; gleichwohl,
nachdem Licinius, nachdem er oft ermahnt, nicht von der Persecution
(Verfolgung) lassen wollte, zog Konstantinus gegen ihn, unangesehen ihres
Bündnisses. Denn in allen Bündnissen und Verpflichtungen sollen öffentliche
Injurien ausgenommen seien.“[52] Auch
hier ist es aber so, dass dies allein obrigkeitlichen Kräften zusteht, da diese
schuldig sind, öffentliche Gewalt, Unzucht usw. zu wehren, also notorisches
Unrecht, Unrecht, das gegen die natürliche, von Gott gesetzte, Ordnung ist.[53]
Wie sieht es nun aus, wenn die Obrigkeit
den Christen um seines Glaubens willen verfolgt? Dann soll der Christ das Land
verlassen und sich ihr nicht widersetzen.[54] Dagegen
stellt der Papst keine von Gott geordnete Obrigkeit dar, denn er gehört weder
ins Hausregiment, noch ins Staats- oder ins Kirchenregiment.[55] Er
kann im Kirchenregiment keine Obrigkeit sein: „Dass
aber der Papst im Kirchenregiment keine Obrigkeit sei, ist darum offenbar, weil
er durch seine im sogenannten geistlichen Recht enthaltenen Gotteslästerungen
das Evangelium verdammt und mit Füßen tritt.“[56] Er
ist vielmehr „jenes
Ungeheuer, von dem Daniel spricht, dass es sich aufwerfe wider alles, was Gott
ist, ja wider den Gott aller Götter, Dan. 12,1.“[57] Das
heißt dann: Wenn der Papst Krieg anzettelt, als ein wütendes und besessenes
Ungeheuer, dann muss man sich ihm widersetzen, weil er dann kein Bischof, kein
Fürst, kein Tyrann ist, sondern ein alles verwüstendes wildes Tier.[58] Das
heißt, dieses Ungeheuer verwüstet göttliche und menschliche Ordnung, darum ist
ihm zu widerstehen.[59]
Wenn wir all das überblicken, so erkennen
wir, dass die Grundordnung und die Grundhaltung für den Christen die ist: kein
aktiver Widerstand, vielmehr: leiden und wenn nötig weichen, fliehen, das Land
verlassen, so weit es noch möglich ist. Widerstand
anderer Kräfte der Obrigkeit ist im verfassungsrechtlichen Rahmen möglich, wenn
fortgesetztes öffentliches Unrecht geschieht, alle natürliche Ordnung, Recht,
Vernunft umgestoßen werden und wenn die betreffenden Obrigkeiten zu Unrecht
Verfolgte gegen die unrecht handelnde Obrigkeit verteidigt.
Als einen besonderen Fall hat Luther noch
den Papst behandelt, in dem er zu Recht den Antichristen sah, der sich gegen
alle Ordnungen Gottes setzt, göttliche und menschliche Ordnung umstößt, um
seinen Willen durchzusetzen. Ihn hat er als ein Ungeheuer angesehen, gegen das
jeder unbedingt auch aktiv Widerstand leisten muss, weil das Papsttum sich
Rechte und Macht anmaßt, die ihm weder von Gott noch nach natürlichem Recht
zustehen.
Ob solche Beschreibung auch auf eine
Obrigkeit übertragen werden kann? Wenn, dann nur in absoluten Ausnahmefällen.
Selbst totalitäre Ordnungen fallen nicht automatisch darunter, sondern nur
dann, wenn sie sich gegen jegliche göttliche und natürliche Ordnung stellen und
sie umstoßen und in großem Maße in umfassend verbrecherischer Weise Unrecht
verüben, so dass die von ihnen noch aufrecht erhaltenen staatlichen Ordnungen
gegenüber dem furchtbaren Unrecht, mit dem sie weite Kreise überziehen, oder
auch einzelne Kreise im besonderen Maß, nicht mehr wirklich ins Gewicht fallen.
Auch da gilt aber, dass der aktive Widerstand der Aufrichtung rechter
staatlicher Ordnung nach göttlichem und menschlichem Recht dient und auch
herbeiführen kann, und nicht vielmehr Volk und Staat in noch größeres Chaos,
Anarchie stürzen. Aber, wie gesagt, dies ist eine absolute Ausnahmesituation,
die bei Luther direkt so nicht zu finden ist (weil es den totalitären Staat mit
dem extremen Unrecht, wie wir es im 20. Jahrhundert kennengelernt haben, noch
nicht gab), sondern abgeleitet.[60] Da
er Empörung gegen die Obrigkeit ist, steht der aktive
Widerstand in Konflikt mit Römer 13. Andererseits kann es in den absoluten
Ausnahmefällen sein, dass das Unterlassen des Widerstandes Unterlassen der
Nächstenliebe und der daraus folgenden Hilfe ist. Das heißt: Das ist eine
Situation, in der es ohne Sündigen nicht abgeht. Entweder man sündigt, indem
man den Gequälten, Unterdrückten, Verfolgten keine Hilfe leistet, oder man
sündigt, weil man gegen die vorgesetzte Obrigkeit aktiv vorgeht. Wir leben in
einer gefallenen Welt, in der es um des Teufels und der Sünde willen solche
Situationen geben kann, in denen es ohne Sünde nicht abgeht und es abzuwägen
gilt, was schwerer wiegt, welche Sünde da auf sich zu nehmen ist im Vertrauen
auf die Gnade in Christus.
Luther hat aber seine Lehre vom Widerstand
weiterentwickelt und vertieft, vor allem nach dem Augsburger Reichstag 1530,
als es ganz offenbar wurde, dass die Gefahr da war, dass Kaiser und Papst
zusammen gewaltsam gegen das Evangelium, die Lutheraner vorgehen werden, wie es
16 Jahre später ja auch tatsächlich geschehen ist. Luther bleibt zwar
einerseits bei der Grundhaltung, dass von Seiten der Gläubigen kein Krieg
begonnen werden und der Friede gesucht werden soll. Aber er sieht auch, welch
ein antichristliches und auch gegen jedes Recht streitendes Wüten vor der Tür
war, so dass er daran erinnert: „Gott kann aber wohl etwa einen Judas Makkabäus erwecken (obgleich ich und die Meinen
still sitzen und leiden), der den Antiochus mit seinem Heer zerschmettere und
recht kriegen lehre; wie er uns an den Böhmen lehrte kriegen und Frieden
halten.“[61] Unter welchen Umständen kann es also dazu
kommen, dass auch die Christen zu den Waffen greifen und vor allem dem Kaiser
und ihrem Fürsten unter Umständen keinen Gehorsam leisten? „Weiter, wo es
zum Krieg kommt, da Gott vor sei! So will ich das Teil, so sich wider die
mörderischen und blutgierigen Papisten zur Wehr setzt, nicht aufrührerisch
gescholten haben noch schelten lassen, sondern will’s lassen gehen und
geschehen, dass sie es eine Notwehr heißen, und will sie damit ins Recht und zu
den Juristen weisen. Denn ich solchem Fall, wenn die Mörder und Bluthunde je
kriegen und morden wollen, so ist es auch in der Wahrheit kein Aufruhr, sich
wider sie setzen und wehren. Nicht, dass ich hiermit wolle jemand reizen noch
erwecken zu solcher Gegenwehr, noch sie rechtfertigen, denn das ist meines
Amtes nicht, viel weniger auch meines Richtens und Urteils. Ein Christ weiß
wohl, was er tun soll, dass er Gott gebe, was Gotts ist, und dem Kaiser auch,
was des Kaisers ist, aber doch nicht den Bluthunden, was nicht ihr ist; sondern
dass ich einen Unterschied gebe, zwischen Aufruhr und andern Taten, und den
Bluthunden den Schanddeckel nicht lassen will, dass sie rühmen sollten, als
kriegten sie wider aufrührerische Leute und hätten’s
guten Fug nach weltlichem und göttlichem Recht, wie sich das Kätzlein gern
putzen wollte und schmücken. … Dass also die Gegenwehr wider die Bluthunde
nicht aufrührerisch sein kann; denn die Papisten fangen an und wollen kriegen
und nicht Frieden halten, noch den andern lassen, die doch gerne Frieden
hätten; dass also die Papisten dem Namen und der Tugend, so Aufruhr heißt, viel
näher sind. Denn sie haben gar kein Recht, weder göttlich noch weltlich, für
sich, sondern handeln aus Bosheit, wider alle göttlichen und weltlichen Rechte
als die Mörder und Bösewichte. Das ist leicht zu beweisen: Denn sie wissen
selbst wohl, dass unsere Lehre recht ist, und wollen sie doch ausrotten.“[62]
Schließlich fasst Luther die Ursachen
zusammen, weshalb ein Christ dem Kaiser in bestimmten Fällen nicht gehorsam
sein darf: „Die erste Ursache, dass du in solchem Fall dem Kaiser nicht
sollst gehorsam sein und kriegen, ist diese: Dass du (sowohl als der Kaiser
selbst auch) in der Taufe geschworen hast, das Evangelium Christi zu halten und
nicht zu verfolgen noch zu bestreiten.“[63] Das heißt:
Da, wo es gegen Christi Lehre geht, wo das Tun eindeutig widergöttlich,
widerchristlich ist, da darf der Christ nicht mitmachen. „Die andere Ursache
ist: Wenn gleich unsere Lehre nicht recht wäre (wie sie doch alle anders
wissen), so sollte dich doch alleine allzusehr
abschrecken, dass du mit solchem Streiten auf dich ladest, dich teilhaftig und
schuldig machst vor Gott aller der Greuel, die im
ganzen Papsttum begangen sind und fort begangen werden. Diese Ursache begreift
in sich unzählige Greuel und alle Bosheit, Sünde und
Schaden.. Kurz, es ist die grundlose Hölle hier selbst, mit allen Sünden,
welcher du musst aller teilhaftig sein, wo du dem Kaiser gehorsam bist in
diesem Fall.“[64] Ein weiterer
Grund, den Gehorsam zu verweigern, ist der, dass man sonst teilhaftig wird all
der abscheulichen Sünden, Greuel und Schäden, die
durch die andere Seite begangen und gefördert werden. „Die dritte Ursache,
dass du dem Kaiser in solchem Aufgebot nicht sollst gehorsam sein, ist, dass du
nicht allein solche Greuel musst auf dich laden und
helfen stärken, sondern musst auch helfen stürzen und ausrotten all das Gute,
so durch das liebe Evangelium ist wieder aufgebracht und angerichtet. Denn die
Bösewichter wollen nicht genug daran haben, dass sie solche Teufelei und Greuel erhalten, dazu (wie sie im Edikt gebieten) keine
Neuerung dulden, sondern ausrotten und ganz vertilgen alles, was wir je
gelehrt, gelebt und getan haben und noch tun und leben.“ [65] Dies ist
ein weiterer wichtiger Grund des Widerstands gegen den Kaiser, nämlich wenn
alles Gute, alles, was Gott geordnet und gewollt hat, alle rechte und
natürliche Ordnung und vor allem das Evangelium dadurch umgestoßen würde. Hier
gilt eindeutig: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apg. 5,29). Luther
fordert nicht direkt zum aktiven Widerstand auf, aber er hindert ihn in solchen
Fällen auch nicht, sieht ihn als gerechtfertigt an.
Dass aber auch aktiver Widerstand
gerechtfertigt ist, hat er später im Torgauer Gutachten (Oktober 1530)
hervorgehoben, als er näher über den Aufbau des Reiches unterrichtet war mit
seiner dualistischen Souveränität, die neben dem Kaiser auch die Reichsstände,
also untere Autoritäten, kannte. „Denn was wir bisher gelehrt, stracks nicht
zu widerstehen der Obrigkeit, haben wir nicht gewusst, das solches der
Obrigkeit Rechte selbst geben, welchen wir doch allenthalben zu gehorchen
fleißig gelehrt haben.“[66] Denn: Der
Kaiser hat nicht Macht, die Gebote Gottes zu ändern; ebenso wenig hat er Fug
und Recht, die Untertanen und Glieder des Reiches einfach mit Krieg zu
überziehen. Der Widerstand geht dabei zuerst und vor allem von den unteren
Autoritäten aus, die ihre ihnen anvertrauten Bürger schützen sollen. Zu
unterscheiden ist auch zwischen dem Amt, das Gott eingesetzt hat (Obrigkeit)
und den Personen, die es ausüben und unter Umständen missbrauchen.[67]
In dem Brief, den Luther zusammen mit
Justus Jonas und Johannes Bugenhagen im Juli 1539 an Kurfürst Johann Friedrich
im Blick auf Bündnisse und Gegenwehr sandte, hat er dies noch weiter vertieft.
Er betont dabei zunächst, dass ein jeder zunächst nach seinem Beruf, seinem
Stand und Amt sich zur Gegenwehr bereit machen muss: „Dabei ist gleichwohl
wahr, dass ein jeder nach seinem Beruf seine Arbeit tun muss; die Herren müssen
sich rüsten mit Leuten und anderer Bereitschaft, so viel nötig, müssen
streiten, so es not ist, wie Joab sprach 2. Kge 10.“[68] Er verweist
weiter darauf, dass auch ohne Bündnisse ein jeder schuldig ist, dem anderen
Hilfe zu leisten, wenn die rechte Sache Hilfe benötigt. Vor allem aber ist die
Pflicht dann da, wenn es zur Rettung der Ehre Gottes und zur Zerstörung der
Abgötterei gilt. „Und solches wird oft in leiblichen Sachen geübt, vielmehr
ist man solches zur Rettung göttlicher Ehre und zur Zerstörung der Abgötterei
schuldig. Denn der Potentat soll vor allen Dingen Gottes ehre schützen,
handhaben und mit allem Ernst fördern.“[69] Grundsätzlich
ist Gegenwehr gegen Stände, die auf derselben Ebene stehen oder unter einem
geboten. Aber sie ist selbst gegen den Kaiser nötig, wenn der öffentlich und
dauerhaft Gewalt ausübt. Vor allem aber ist sie geboten, wenn der Kaiser
dadurch Gotteslästerung stärken und fromme Christen und Prediger verfolgen
wollte. Solches Verhalten, die andauernde ungerechte Gewalt, hebt jegliche
Lehenspflicht auf. Das gehört zum göttlichen wie auch natürlichen Recht, die
beide durch das Evangelium bestätigt werden. „Dergleichen, so König und
Kaiser öffentlich und dauerhaft Gewalt üben, ist die Gegenwehr auch recht,
besonders wenn sie Krieg vornehmen zur Bestätigung öffentlicher
Gotteslästerung, um fromme unschuldige Christen, Prediger und andere zu töten,
eheliche Personen voneinander zu reißen. Diese und dergleichen Stücke sind
öffentlich und dauerhaft unrechte Gewalt, dadurch die Lehensleute von ihrer
Pflicht frei werden, wie von einem Mörder auf der Straße. Nun bestätigt das
Evangelium göttliches und natürliches Gesetz, zerreißt es nicht, welches ist
ein göttliches Licht und Ordnung in der Natur, wie das Evangelium andere
natürliche Gaben auch preist. … Nun ist die Gegenwehr ein Stück desselben
natürlichen und göttlichen Rechts, das Christen zu gebrauchen Macht haben.“[70]
Zusammenfassend heißt das: Da, wo die
Obrigkeit öffentlich und auf Dauer gegen alles Recht und Ordnung Gewalt ausübt,
die göttliche Ordnung umstürzt, da ist auch der höheren Gewalt gegenüber
Gegenwehr erlaubt, vor allem und zuerst den anderen Obrigkeitskräften. Das
gründet schon im natürlichen Recht und soll auch dem Schutz der Unschuldigen,
besonders der Familien, dienen.[71]
Diese Lehre Luthers ist besonders in der
Zeit nach dem unglücklichen Schmalkaldischen Krieg, als der Kaiser durch das
Augsburger (und in Sachsen der Kurfürst durch das Leipziger) Interim versuchte,
die Evangelischen in die römische Kirche zurück zu zwingen und dabei auch vor
äußerster Gewalt, Vertreibung, militärischem Einsatz, besonders gegen die Stadt
Magdeburg, nicht zurückschreckte, von großer Bedeutung gewesen und im Magdeburger
Bekenntnis von 1550 klar bezeugt und entfaltet worden. Darin wird zunächst
nochmals betont, dass die Christen vor allem Frieden und freie
Religionsausübung suchen, nicht Gewalt und Krieg. In dem Zusammenhang wird dann
auch betont, dass die untere Obrigkeit ihre Untertanen auch gegen die höhere
Obrigkeit verteidigen darf, auch mit Gewalt, wenn die höhere mit Gewalt gegen
Gottes Lehre und für die Abgötterei eintritt. „Wir wollen aber uns vornehmen
zu beweisen, dass eine christliche Obrigkeit mag und soll ihre Untertanen
verteidigen, auch gegen eine höhere Obrigkeit, so die Leute mit Gewalt zwingen
will, Gottes Wort und rechten Gottesdienst zu verleugnen und Abgötterei
anzunehmen.“[72] Grundlage
dafür sind sowohl Gottes Wort als auch das von Gott gegebene natürliche Recht.
Es wird auch betont, dass Christen nicht mit Gewalt zum Glauben zwingen: „Die
christliche Kirche hat niemals jemand mit dem Schwert zum Glauben gezwungen.“[73]
Da, wo eine Obrigkeit sich als Wüterich
erweist, die gegen Gottes Ordnung antritt, da haben die unteren Obrigkeiten das
Recht, dagegen auch mit Gewalt Widerstand zu leisten. „Müssen, sollen und
wollen deshalb die Unseren und alle Christen treu lehren, ermahnen und
anhalten, dass, gleichwie jene Juden und Makkabäer über das Gesetz Gottes, auch
diese über die wahre Religion, das Evangelium Christi, herzlich eifern, und
dass sie für das Testament unseres Gottes, dasselbe bei uns und unseren
Nachkommen zu erhalten, auch mit Leib und Leben fechten, kämpfen und streiten
sollen, auf Vertrauen göttlicher Gnade, ob Gott auf unserer Seite, wie bei den
Makkabäern, mit Glück und seligem Sieg, wie wir bitten und hoffen, sein wollte,
und seiner Kirche ein gnädiges Auskommen geben.“[74]
Es wird weiter betont, dass die Obrigkeit
gemäß Römer 13 dazu eingesetzt ist, das Gute zu schützen und zu fördern, das
Böse dagegen zu verfolgen und zu bestrafen. Dann, wenn dies faktisch umgekehrt
wird, wenn sie Gottes Ordnungen umstürzt und das Gute verfolgt und das Böse
fördert, ist sie nicht mehr Obrigkeit nach Römer 13, sondern Handlanger des
Teufels, dem auf keinen Fall gehorcht werden darf. Setzt sie dabei etwa eine
gute untere Obrigkeit ab, um eine böse zu installieren, so ist solches Absetzen
vor Gott ungültig und die bisherige Obrigkeit aufgerufen, ihr Schutzamt weiter
auszuüben.[75]
Dabei unterscheidet das Magdeburger
Bekenntnis verschiedene Grade des Sündigens der Obrigkeit – denn nur im
äußersten Fall ist gewaltsamer Widerstand erlaubt, in den meisten Fällen ist
ihre Bosheit zu erleiden und die Obrigkeit zu ermahnen, vor allem wenn es sich
um geringere Sachen handelt, nicht umfassend Gottes Ordnung umgestoßen wird
(„wunderliche Herren“, 1. Petr. 2).[76] Selbst wenn
die Gewalt öffentlich wird, etwa ein ungerechter Krieg gegen eine niedere
Obrigkeit, ohne damit Gottes Willen und Ordnung grundsätzlich umzustoßen, ist
das zu erleiden.[77] Dann aber,
wenn die Obrigkeit anfängt zu verfolgen, wenn sie sich gegen das höchste
göttliche Recht, auch gegen Gottes natürliche Ordnung, setzt, alle Ordnung
faktisch umstößt, um eine Unrechts„ordung“ zu
installieren, dann soll man ihr wehren.[78]
Es wurde auch betont, dass die weltliche
Obrigkeit kein Recht hat, gemäß Matth. 22, sich in
geistliche Dinge, in kirchliche Angelegenheiten einzumischen; ebenso wenig,
sich etwas anzueignen, was ihr nicht gehört (Beispiel Ahab und Naboth).[79]
(Der nachfolgende Text ist entnommen aus:
Georg Stöckhardt: Commentar
über den Brief Pauli an die Römer. St. Louis, Mo.: Concordia Publishing House.
1907. S. 164-167) Was das heißt, dass der Mensch durch den Glauben gerecht
wird, [in]wiefern der Glaube rechtfertigt, was es um
den rechtfertigenden Glauben ist, das macht der Apostel nun noch klarer und
deutlicher, indem er hinzufügt chooris ergoon nomou. „Ohne des Gesetzes
Werke“, abgesondert von des Gesetzes Werken wird der Mensch gerecht. Des
Gesetzes Werke konkurrieren hierbei in keiner Weise, bestimmen Gott nicht im
mindesten, auch nicht zum geringsten Teil, dem Sünder ein günstiges Urteil zu
sprechen, kommen vor Gott, wenn er den Menschen rechtfertigt, gar nicht in
Betracht. „Dass dadurch alle eigenen Werke, Verdienst, Würdigkeit, Ruhm und
Vertrauen aller unserer Werke in dem Artikel von der Rechtfertigung ganz und
gar ausgeschlossen werden, also dass unser Werk weder Ursach
noch Verdienst der Rechtfertigung, darauf Gott in diesem Artikel und Handlung
sehen, oder wir uns darauf verlassen möchten und sollten, noch zum Ganzen, noch
zum Halben, noch zum wenigsten Teil gesetzt und gehalten sollen werden.“
Konkordienformel, Ausf. Darl.,
Art. 3. Müller S. 618. Diese Näherbestimmung chooris ergoon nomou schließt in sich,
dass der Mensch allein durch den Glauben gerecht wird. Entweder wird der Mensch
durch den Glauben oder durch die Werke gerecht. Tertium non datur. [Etwas
Drittes gibt es nicht.] Nun sind die Werke gänzlich abgesondert und
ausgeschlossen. Also bleibt nur der Glaube übrig. So ist das sola, sola fide,
das „allein durch den Glauben“ in der Lutherischen Übersetzung nicht nur dem
Kontext entsprechend, sondern vom Text selbst gegeben. „Wir glauben, lehren und
bekennen, dass zur Erhaltung reiner Lehre von der Gerechtigkeit des Glaubens
vor Gott über den particulis exclusivis
[ausschließende Worte], das ist über nachfolgende Worte des heiligen Apostels
Pauli, dadurch der Verdienst Christi von unsern Werken gänzlich abgesondert und
Christus die Ehre allein gegeben, mit besonderm Fleiß
zu halten sei, da der heilige Apostel Paulus schreibt: Aus Gnaden, ohne
Verdienst, ohne Gesetz, ohne Werke, nicht aus den Werken, welche Worte alle
zugleich so viel heißen wie: allein durch den Glauben an Christus werden wir
gerecht und selig.“ Konkordienformel, Kurze Darl.,
Art. 3, Müller S. 529. So haben wir auch schon vor Luther die italienischen
Übersetzungen zu Genua 1476 und Venedig 1538 per la sola
fede, auch die katholische Nürnberger Bibelausgabe
1483 „nur durch den Glauben“ (auch Gal. 2,16, wo Luther das „allein“ nicht
hat). … Es möge hier noch die klassische
Stelle aus Luthers Sendbrief vom Dolmetschen, in welcher derselbe seine
Übersetzung von Röm. 3,28 rechtfertigt, einen Platz finden. „Ich habe eure
Schrift empfangen mit den zwei Quästionen oder Fragen, darin ihr meines
Berichts begehrt; erstlich, warum ich in Römer im 3. Kapitel die Worte St.
Pauli Arbitramur, hominem justificari
ex fide absque operibus so verdeutscht habe: Wir halten, dass der Mensch
gerecht werde ohne des Gesetzes Werk, allein durch den Glauben. Und zeigen
daneben an, wie die Papisten sich über die Maßen unnütze machen, weil im Text
Pauli nicht steht das Wort sola, allein, und sei
solcher Zusatz von mir nicht zu leiden in Gottes Worten usw. Ich habe hier Röm.
3 sehr wohl gewusst, dass im lateinischen und griechischen Text das Wort solum nicht steht, und hätten mich solches die Papisten
nicht müssen lehren. Wahr ist’s, diese vier Buchstaben, sola,
stehen nicht drinnen, welche Buchstaben die Eselsköpfe ansehen, wie die Kuh ein
neues Tor. Sehen aber nicht, dass gleichwohl die Meinung des Textes in sich
hat, und wo man’s will klar und gewaltig verdeutschen, so gehört es hinein.
Denn ich habe deutsch, nicht lateinisch noch griechisch reden wollen, da ich deutsch zu reden im Dolmetschen vorgenommen hatte. Das ist
aber die Art unserer deutschen Sprache, wenn sich eine Rede begibt von zwei
Dingen, der man eins bekennt und das andere verneint, so braucht man das Wort solum, allein, neben dem Wort nicht oder kein. Als wenn man
sagt: Der Bauer bringt allein Korn und kein Geld. Nein, ich habe wahrlich jetzt
kein Geld, sondern allein Korn. Ich habe allein gegeben und noch nicht
getrunken. Hast du allein geschrieben und nicht übergelesen? Und dergleichen
unzählige Weise im täglichen Gebrauch. In diesen Reden allen, ob’s gleich die
lateinische oder griechische Sprache nicht tut, so tut’s doch die deutsche, und
ist ihre Art, dass sie das Wort allein hinzusetzt, auf dass das Wort nicht oder
kein desto völliger und deutlicher sei. Denn wiewohl ich auch sage: Der Bauer
bringt Korn und kein Geld, so lautet doch das Wort kein Geld nicht so völlig
und deutlich, als wenn ich sage: Der Bauer bringt allein Korn und kein Geld;
und hilft hier das Wort allein dem Wort kein so viel, dass es eine völlige
deutsche klare Rede wird. Denn man muss nicht die Buchstaben in der
lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch reden, wie diese Esel tun,
sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen
Mann auf dem Markt darum fragen, und denselben auf das Maul sehen, wie sie
reden, und darnach dolmetschen, so verstehen sie es dann und merken, dass man
deutsch mit ihnen redet. … Aber nun habe ich nicht allein der Sprachen Art
vertraut und gefolgt, dass ich Röm. 3,28 solum,
allein, habe hinzugesetzt; sondern der Text und die Meinung St. Pauli fordern
und erzwingen’s mit Gewalt. Denn er handelt ja
daselbst das Hauptstück christlicher Lehre, nämlich dass wir durch den Glauben
an Christus, ohne alle Werke des Gesetzes, gerecht werden, und schneidet alle
Werke so rein ab, dass er auch spricht, des Gesetzes, das doch Gottes Gesetz
und Wort ist, Werke nicht helfen zur Gerechtigkeit. … Wo man aber alle Werke so
rein abschneidet, da muss ja die Meinung sein, dass allein der Glaube gerecht
mache. Und wer deutlich und dürre von solchem Abschneiden der Werke reden will,
der muss sagen: allein der Glaube, und nicht die Werke machen uns gerecht. Das
zwingt die Sache selbst neben der Sprachen Art. Lieber, was soll man sagen,
ist’s nicht viel ärgerlicher, dass St. Paulus selbst nicht sagt, allein der
Glaube, sondern schüttet’s wohl gröber heraus und stößt dem Fass den Boden aus
und spricht, ohne des Gesetzes Werke? Und Gal. 2,16: Nicht durch die Werke des
Gesetzes, und des viel mehr an andern Orten. Denn das Wort, allein der Glaube,
möchte noch eine Glosse finden, aber das Wort, ohne Werke des Gesetzes, ist so
grob, ärgerlich, schändlich, dass man mit keiner Glosse helfen kann. Wie viel
mehr möchten hieraus die Leute lernen, keine guten Werke zu tun, da sie hören
mit so dürren, starken Worten von den Werken selbst predigen: keine Werke, ohne
Werke, nicht durch Werke. Ist nun das nicht ärgerlich, dass man, ohne Werke,
keine Werke, nicht durch Werke, predigt, was sollt’s
denn ärgerlich sein, so man dies, allein der Glaube, predigt? … Sage mir doch,
ob Christi Tod und Auferstehen unser Werk sei, das wir tun, oder nicht? Es ist
ja nicht unser Werk, noch einiges Gesetzes Werk. Nun macht uns ja allein
Christi Tod und Auferstehen frei von Sünden und fromm, wie St. Paulus sagt Röm.
4: Er ist gestorben um unserer Sünde willen und auferstanden um unserer
Gerechtigkeit willen. Weiter sage mir, welches ist das Werk, damit wir Christi Tod und Auferstehung fassen
und halten? Es kann ja kein äußerlich Werk, sondern allein der einige Glaube im
Herzen sein; derselbe allein, ja gar allein, und ohne alle Werke, fasst solchen
Tod und Auferstehen, wo es gepredigt wird durchs Evangelium. Was ist’s denn
nun, dass man so tobt und wütet, ketzert und brennt, so die Sache im Grunde
selbst klar da liegt und beweist, dass allein der Glaube Christi Tod und
Auferstehung fasse ohne alle Werke, und derselbe Tod und Auferstehen sei unser
Leben und Gerechtigkeit? … Auch bin ich’s nicht allein, noch der erste, der da
sagt, allein der Glaube macht gerecht; es hat es vor mir Ambrosius, Augustinus
und viele andere gesagt. Und wer St. Paulus lesen und verstehen soll, der muss
wohl so sagen, und kann nicht anders, seine Worte sind zu stark und leiden
kein, ja gar kein Werk. Ist’s kein Werk, so muss es der Glaube allein sein.“
A Entnommen aus: Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Nachdr. der 2., überarb. Aufl. St. Louis, Missouri. Bd. 14. Groß Oesingen: Verl. der Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms. 1987. Sp. 94-109
B Die Worte „und ehrbarlich“ fehlen in der Erlanger Ausgabe, stehen aber sowohl in der Weimarschen als auch in der Altenburger Bibel. Das Lateinische gibt hierüber keinen Aufschluss.
[1] Clarke, Commentmy, 6, 3.
[2] Concordia Bible
Class,
August, 1919, 131. 132.
[3] Luther, 14,
94.
[4] Luther, 14,
109.
[5] Expositor’s Greek Testament, 2,589.
[6] Vgl. Theological Quarterly, 10, 9 ff.
[7] Luther, zitiert in Stöckhardt, Römerbrief, 131.
[8] Vgl. Art. Schmalkald. Art.. Conc. Trigl., 461. [Schm. Art., II, 1,3]
[9] Vgl. Form. Conc. Conc. Trigl., 795 [Ausf. Darl. III, 6.42]; Luther, 19, 1436-1459. 968-982.
[10] Luther, 9, 24. 376.520.
[11] Art.
Schmalkald. Art. II, 1,5. Müller, 300.
[12] Expositor’s Greek Testament, 2,616.
[13] Conc. Trigl., 923. [Ausf. Darl. III, 23]
[14] Luther, 1, 1101.
[15] Cobern, The
New Archeological Discoveries, 229.
[16] Luther,
12,717.
[17] Luther,
12,734.
[18] Stöckhardt, Römerbrief,
403-405.
[19] Luther, 18, 1828-38; Conc. Trigl., 1091. [Konk. Formel, Ausf. Darl., XI, 84.]
[20] Luther, 12, 318.
20A Vgl. dazu die Ausführungen zum
Widerstandsrecht im Luthertum ganz am Ende des Römerbriefkommentars.
[21] Stöckhardt, Römerbrief,
610-612.
[22] Luther, 12,
25. 26.
[23] Clarke, Commentary,
6, 164.
[24] Der größere Teil dieses Kommentars zum Römer ist eine Zusammenfassung aus Stöckhardt, Römerbrief.
[25] Text
vom Hrsg. aus einer Abhandlung zu Kirche und Amt
[26] Entnommen dem
Aufsatz: Roland Sckerl: Das Widerstandrecht bei Luther.
In: Der Bekenntnislutheraner. 29. Jg. Heft 2. Durmersheim
2021. S. 3 ff. Vgl. auch unten S. 187 ff.
[27] Luther, Obrigkeit,
in Walch 2, Sp.
395
[28] ebd. Sp. 396
[29] ebd. Sp. 398
[30] ebd. Sp. 401
[31] vgl. Martin Luther:
Ob Kriegsleute auch in einem seligen Stand sein können. 1526. In: Walch,
a.a.O., Sp. 503
[32] Obrigkeit, a.a.O., Sp. 412
[33] ebd. Sp. 412 f.
[34] vgl. Kriegsleute,
a.a.O., Sp. 501
[35] ebd. Sp. 507
[36] ebd. Sp. 501.502
[37] Obrigkeit, a.a.O., Sp. 403
[38] ebd. Sp. 413
[39] Kriegsleute, a.a.O., Sp. 492
[40] Obrigkeit, a.a.O.
[41] Kriegsleute, a.a.O., Sp. 513. 516
[42] ebd. Sp. 524 f.
[43] Schreiben an Kurfürst
Johann zu Sachsen, die Gegenwehr belangend. 6. März 1530. In: Walch, a.a.O., Sp. 545 f.
[44] ebd. Sp. 547
[45] ebd. Sp. 548
[46] Martin Luther:
Schrift an Johann Lübeck, Pfarrer zu Cottbus, von der Gegenwehr. 8. Februar
1539. In: Walch, a.a.O., Sp. 557
[47] vgl. ebd. Sp. 557 f.
[48] ebd. Sp. 558
[49] vgl. Drittes Bedenken
der Theologen zu Wittenberg von der Gegenwehr. In: Walch, a.a.O., Sp. 563. Allerdings ist es fraglich, ob man wirklich so
weit gehen kann, wie Luther es in diesem Zusammenhang macht, und der Obrigkeit
auch die Aufrechterhaltung des zweiten Gebots überträgt, das heißt, die
Lästerung des Namens Gottes zu verhüten (Sp. 564).
(Das ist übrigens wohl der theologische Hintergrund für Luthers harte
Spätschriften gegen die Juden, da er davon ausging, dass in ihren Gebeten und
Gottesdiensten Christus und Maria gelästert würden und dies um des zweiten
Gebots willen nicht geduldet werden dürfe, solle der Staat nicht dem Gericht
Gottes anheimfallen.)
[50] ebd. Sp. 564
[51] ebd. Sp. 565. Ob es allerdings mit der Begründung des zweiten
Gebots wirklich zulässig wäre, wage ich zu bezweifeln, da so
weit der Auftrag der Obrigkeit nicht geht. Hier wäre dann schon die
Frage, ob die Gemeinde nicht vielmehr sich dem antichristlichen Handeln passiv
widersetzen, Verfolgung erdulden und, wenn möglich, das Land verlassen sollte.
[52] ebd. Sp. 566 f.
[53] vgl. ebd. Sp. 567
[54] vgl. Disputation über
die Worte Christi: Gehe hin und verlaufe alles, was du hast, und gib’s den
Armen. Vom Besitz und Verlassen des Eigentums und vom Widerstand wider
Obrigkeit und Papst. [Zirkulardisputation.]
Wittenberg. 1539. In: Walch, a.a.O., Sp. 580
f. (Thesen 36; 45)
[55] vgl. ebd. Sp. 581 (Thesen 51-52)
[56] ebd. Sp. 582 (These 53)
[57] ebd. (These 56)
[58] vgl. ebd. Sp. 583 (Thesen 66-69)
[59] vgl. ebd. Sp. 585 (Thesen 86-91)
[60] Ich selbst kann mir
diesen Widerstand nur vorstellen im Zusammenhang mit dem Hitlerregime, wie es
sich seit Kriegsbeginn immer mehr ausbildete, und wahrscheinlich auch
hinsichtlich des Regimes der Roten Khmer, die große Teile des eigenen Volkes
systematisch ermordeten. Ansonsten sehe ich die Voraussetzungen aus meiner
Sicht nicht gegeben. (Selbst im Blick auf Rot-China unter Mao während der
Kulturrevolution habe ich starke Bedenken, dass das Regime darunter fiele.)
Absolute Aussagen sind da aber wohl nicht möglich, sondern die Einschätzung
muss nach jeweils vorliegenden Kenntnissen und Einblicken und daraus folgenden
Erwägungen erfolgen und kann daher unter Umständen zu unterschiedlichen
Ergebnissen kommen.
[61] Warnung Dr. Martin
Luthers an seine lieben Deutschen. 1530. In: Martin Luther: Sämtliche
Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Bd. 16. Nachdr.
der 2., überarb. Aufl. Groß Oesingen: Verl. der
Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms. 1987. Sp.
1630
[62] Ebd. Sp. 1631-1633
[63] Ebd. Sp. 1647
[64]
Ebd. Sp. 1648
[65] Ebd. Sp. 1662
[66] Gerhard Ruhbach: Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen
Protestanten 1523-1546. In: Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte. Hrsg.
Heiz Scheible. Gütersloh 1969. S. 67. H. 10. In: Uwe Siemon-Netto: Luther als
Wegbereiter Hitlers? Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus. 1993. S. 69
[67] Vgl. Walch 2, 17,1373; 22,1458;
Ryan C. MacPherson: The Magdeburg Interpretation of Romans 13: A Lutheran
Justification for Political Resistance. https://www.hausvater.org/articles/336-the-magdeburg-interpretation-of-romans-13-a-lutheran-justification-for-political-resistance.html Melanchthon zählt
den Schutz der christlichen Untertanen und des rechten Gottesdienstes sowie der
christlichen Lehre zur vornehmsten Aufgabe des christlichen Fürsten. Vgl. CR
III, 128 f., in: : Eike Wolgast: Die Wittenberger Theologie und die Politik der
evangelischen Stände. Gütersloh: Gütersloher Verl.Haus
Gerd Mohn. 1977. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte. Bd. 47.)
S. 226
[68] WA Br. 8, 3369
[69] Ebd.
[70] Ebd.
[71] Vgl. dazu auch die
Zusammenfassung von Richard R. Benert in
Siemon-Netto, a.a.O., S. 69 f.
[72]
Bekenntnis,
Unterricht und Ermahnung der Pfarrherrn und Prediger der christlichen Kirchen
zu Magdeburg, Anno 1550. [S. 67] (neuhochdeutsch vom Hrsg.)
[73] Ebd. [S. 70]
[74] Ebd. [S. 77 f.]
[75] Vgl. ebd. [S. 79
f.]
[76] Vgl. ebd. [S. 81] Das Bekenntnis führt vier Grade auf: 1) Wenn die Regierung
aus fleischlicher Schwachheit ihre Macht missbraucht, das soll das Volk in Ruhe
tragen, die unteren Autoritäten können die Herrschenden auf ihre Grenzen und
den Missbrauch hinweisen. 2) Wenn die Regierenden mehr systematisch gegen ihren
Eid und das Gesetz, vor allem auch das Naturrecht, verstoßen, soll das Volk
auch das leidend tragen und wenn nötig passiven Widerstand leisten; die unteren
Autoritäten sind frei, zum Schutz ihrer Bürger Maßnahmen zu ergreifen. 3) Wenn
die Regierenden zu bestimmten Sünden zwingen wollen, heißt das für das Volk,
passiven Widerstand zu leisten und, wenn nötig, die Folgen zu erleiden; die
unteren Autoritäten sollen nach sorgfältigem und eingehendem Untersuchen
Widerstand leisten. 4) Wenn die Regierenden systematisch Menschen verfolgen,
Gottes Ordnung bewusst umstoßen und damit die Guten terrorisieren und die Bösen
ehren, ist Römer 13 auf den Kopf gestellt, dann sind alle aufgerufen,
Widerstand zu leisten. Vgl. Ryan C. MacPherson: The Lutheran Teaching concerning
Political Resistance in the Magdeburg Confession of 1550. https://www.hausvater.org/download/events/r2w-standing-on-the-shore-2021.pdf
[77] Vgl. ebd. [S. 82]
[78] Vgl. ebd. [S.
83-86]
[79] Vgl. ebd. [S.
87-88]