Die Apostelgeschichte des Lukas
Luthers Vorrede auf der Apostel
Geschichte
Die Fruehgeschichte
des Lebens des Paulus
Die Glaubwuerdigkeit
des Lukas als Historiker
Theophanie (Gotteserscheinung) und Angelophanie (Engelerscheinung)
Zusammenfassung des spaeteren
Verlaufs des Lebens des Paulus
1534I
1. Dies Buch soll man lesen und ansehen,
nicht wie wir etwa getan haben, als hätte St. Lukas darin allein die eigenen
persönlichen Werke oder Geschichte der Apostel geschrieben, zum Beispiel guter
Werke oder guten Lebens, wie auch St. Augustinus und viele andere dies für das
beste Beispiel drinnen gesehen haben, dass die Apostel haben mit den Christen
alle Güter gemeinsam gehabt usw., welches doch nicht lange währte und zeitlich
aufhören musste; sondern darauf soll man merken, dass St. Lukas mit diesem Buch
die ganze Christenheit lehrt, bis an der Welt Ende, das rechte Hauptstück
christlicher Lehre, nämlich wie wir müssen alle gerecht werden allein durch den
Glauben an Jesus Christus, ohne alles Zutun des Gesetzes oder Hilfe unserer
Werke.
2. Solches Stück ist seine vornehmste
Meinung und Ursache, dieses Buch zu schreiben. Darum treibt er auch so
gewaltig, nicht allein die Predigt der Apostel vom Glauben an Christus, wie
beide, Heiden und Juden, dadurch haben müssen gerecht werden ohne alle
Verdienst und Werke, sondern auch die Beispiele und Geschichten solcher Lehre,
wie die Heiden sowohl als die Juden allein durchs Evangelium, ohne Gesetz, sind
gerecht geworden, und wie St. Petrus zeugt Kap. 10,28 und 15,9, Gott in solchen
Stück keinen Unterschied gehalten habe unter Juden und Heiden; sondern
gleichwie er den Heiden, so ohne Gesetz lebten, den Heiligen Geist gab durch
das Evangelium, so habe er denselben auch den Juden durch das Evangelium und
nicht durch das Gesetz oder um ihrer Werke und Verdienst willen gegeben. Setzt
also in diesem Buch beieinander beides, die Lehre vom Glauben und auch die
Beispiele des Glaubens.
3. Darum dies Buch wohl könnte heißen eine
Glosse über die Episteln St. Pauli. Denn das St. Paulus lehrt und treibt mit
Worten und Sprüchen auch der Schrift, das zeigt hier St. Lukas an und beweist
es mit Beispielen und Geschichten, dass es so ergangen sei und so ergehen
müsse, wie St. Paulus lehrt, nämlich, dass kein Gesetz, kein Werk die Menschen
gerecht mache, sondern allein der Glaube an Christus. Und findest hier in
diesem Buch einen schönen Spiegel, darin du sehen magst, dass es wahr sei: Sola fides justificat,
allein der Glaube macht gerecht. Denn da sind des Stücks alle Beispiele und
Geschichten drinnen gewisse und tröstliche Zeugen, die dir nicht lügen noch
fehlen.
4. Denn da siehe an, wie St. Paulus selbst
ist bekehrt. Ebenso, wie der Heide Cornelius wird bekehrt durch St. Peters
Wort, wie der Engel ihm zuvor sagte, Petrus würde ihm predigen, dadurch er
sollte selig werden. Ebenso der Landvogt Sergius und alle Städte, da St. Paulus
und Barnabas predigten. Siehe an das erste Konzil der Apostel zu Jerusalem,
Kap. 15,2. Siehe an alle predigten des St. Petrus, Paulus, Stephanus und
Philippus, so wirst du finden, dass es alles dahin geht, dass wir allein durch
den Glauben an Christus, ohne Gesetz und Werke, müssen zur Gnade kommen und
gerecht werden. Und man kann mit diesem Buch nach dieser Weise den Widersachern
das Maul gar meisterlich und gewaltig stopfen, welche uns aufs Gesetz und
unsere Werke weisen, und ihren törichten Unverstand offenbaren vor aller Welt.
5. Darum spricht auch Lukas, dass solche
Beispiele des Glaubens auch die frommen Juden (so gläubig geworden waren) fast
bestürzt machten und die andern ungläubigen Juden toll und töricht drüber
wurden. Welches doch kein Wunder war, weil sie im Gesetz auferzogen
und desselben von Abraham her gewohnt waren, und es verdrießlich sein musste,
dass die Heiden, so ohne Gesetz und Gott waren, sollten ihnen gleich sein in
der Gnade Gottes.
6. Aber dass unsere Leute, die wir alle
Heiden sind, solchen Artikel so lästern und verfolgen, das ist zehnmal ärger
als wir doch hier sehen und nicht leugnen können, dass Gottes Gnade und Christi
Erkenntnis auf unsere Vorfahren gekommen sei ohne Gesetz und Verdienst, ja in greulichen Abgöttereien und Lastern. Aber sie werden auch
ebenso viel mit ihrem Lästern und Verfolgen daran gewinnen, wie die Juden mit
ihrem Wüten und Toben daran gewonnen haben. Denn der zuvor den Juden solches
gedroht hatte und durch Mose lassen singen: „Ich will euch erzürnen über dem,
das nicht mein Volk ist, und über einem unwissenden Volk euch toll machen“; und
Hosea Kap. 2,23: „Ich will mein Volk nennen, das
nicht mein Volk ist“ (das ist, so ohne Gesetz und Werk lebt), und hat’s ihnen
gehalten; eben derselbe droht solches auch unsern Lästerern und, wie er schon
wohl angefangen, wird er’s ihnen gewiss halten. Das glauben sie aber nicht, bis
sie es (wie die Juden) erfahren. Amen.
Der Autor der Apostelgeschichte ist nach
einhelliger Meinung der frühen Kirche Lukas, der „geliebte Arzt“, der Freund,
Begleiter und Mitarbeiter des heiligen Paulus. Das Buch ist nach eigenem
Zeugnis eine Fortsetzung des Lukasevangeliums. Vgl. Kap. 1, 1 mit Luk. 1,1-4.
All jenen, die an der Urheberschaft des Lukas zweifeln, muss nach einem
Vergleich dieses Buches mit dem dritten Evangelium und der Feststellung der
Ähnlichkeit in Stil, Sprache und Wortschatz gesagt werden, wie es ein
Kommentator formuliert: „Die Frage der Urheberschaft liegt zwischen Lukas und
einem anderen Autor; und das gegenteilige Zeugnis sollte, um schlüssig zu sein,
diesen anderen Autor nennen.“[1]
Lukas hatte die beste Gelegenheit, seine Informationen aus den authentischsten
Quellen zu erhalten, von den Aposteln, besonders von Paulus selbst, und durch
seine eigene persönliche Beobachtung, wie die sogenannten „Wir“-Passagen
zeigen. Wenn man in Betracht zieht, dass der Heilige Geist, indem er die
heiligen Schriftsteller als seine Werkzeuge für die Abfassung der göttlichen
Wahrheiten benutzte, sich ihrer natürlichen Gaben und erworbenen Fähigkeiten
bediente, wird der „paulinische Charakter“ des Buches sehr deutlich
hervortreten. Die Apostelgeschichte ist wie das Lukasevangelium an Theophilus
gerichtet, der höchstwahrscheinlich ein römischer Konvertit war, der zu den
wohlhabenderen und einflussreicheren Schichten gehörte. Sie richtet sich also
hauptsächlich an die Heidenchristen in Italien und anderswo, für die der
einfache Stil und das fließende Griechisch des Verfassers leicht zu verstehen
waren.
Das Ziel oder der Zweck, den Lukas mit dem
Verfassen der Apostelgeschichte verfolgte, wird in jedem Kapitel und fast auf
jeder Seite deutlich. Er wollte in erster Linie berichten, auf welche Weise die
Gabe des Heiligen Geistes am Pfingsttag gegeben wurde und dass das
anschließende Wirken der Apostel ganz auf sein Wirken und seinen Dienst
zurückzuführen war. Da der Heilige Geist und sein Wirken etwa siebzig Mal
erwähnt werden, ist dieser Aspekt so wichtig, dass ein Kirchenlehrer das Buch
als Evangelium des Heiligen Geistes bezeichnet hat. Eng verbunden mit diesem
Merkmal ist die Tatsache, dass alle Ereignisse in der Geschichte der frühen
Kirche auf der Auferstehung Jesu Christi beruhen und als Folge davon
erscheinen. Aus diesem Grund nannte ein anderer Lehrer der alten Kirche das
Buch die Demonstration der Auferstehung. Aber zweitens wollte Lukas die
Ausbreitung des Christentums nicht nur unter den Juden, sondern auch unter den
Heiden durch die missionarischen Bemühungen der Apostel schildern. „Der beherrschende
Ton des Buches ist die missionarische Sache.“ Die Apostelgeschichte will die
Geschichte Jesu, wie sie im Lukasevangelium steht, durch eine Geschichte der
Apostel ergänzen und den siegreichen Weg des Evangeliums Jesu von Jerusalem,
der Hauptstadt des Judentums, nach Rom, der Hauptstadt der Welt, anschaulich
darstellen. Aber auch ein dritter Zweck ist in der Apostelgeschichte erkennbar.
„Dieses Buch solltet ihr lesen und nicht nur als die Aufzeichnung des Lukas
über die persönlichen Taten oder die Geschichte der Apostel betrachten, sondern
ihr solltet vielmehr folgendes beachten, nämlich dass Lukas mit diesem Buch die
ganze Christenheit bis ans Ende der Welt den wahren Hauptartikel der
christlichen Lehre lehrt, der uns sagt, dass wir alle allein durch den Glauben
an Jesus Christus gerechtfertigt werden müssen, ohne das Gesetz oder unsere
eigenen Werke.“[2] Daher
der häufige Gebrauch des Wortes „Gnade“ und der ständige Hinweis auf die frohe
Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes in Christus Jesus.
Was die Entstehungszeit der
Apostelgeschichte betrifft, so ist es wahrscheinlich, dass sie bald nach dem
Evangelium, vor der Zerstörung Jerusalems, aber nicht lange vor dem Jahr 70 n.
Chr. geschrieben wurde. Die letzten Verse deuten darauf hin, dass sie vor dem
Tod des Paulus geschrieben worden sein muss, der im Jahr 67 oder Anfang 68
eintrat. Alles zusammengenommen scheint die Schlussfolgerung gut begründet, das
Jahr 65 als Datum der Abfassung und Rom als Ort anzunehmen.
Die Apostelgeschichte lässt sich ohne
weiteres in zwei Hauptteile unterteilen. Im ersten Teil schildert Lukas die
allgemeine Geschichte der christlichen Kirche bis zum Tod des Herodes (Kap.
1,1-12, 25). Dieser Teil kann wiederum unterteilt werden, da der Autor zunächst
die frühe Geschichte der Gemeinde in Jerusalem (1,1-8, 4) und dann die
Ausbreitung der Kirche in Judäa, Samarien und dem umliegenden Land (8,5 bis
12,25) schildert. Die zweite Hauptabteilung des Buches berichtet über das Leben
und Wirken des Apostels Paulus. Wir haben hier in erster Linie eine Geschichte
seiner Predigtreisen unter den Heiden bis zu seinem Besuch in Jerusalem (13,1
bis 21,16). Und am Ende des Buches wird die Geschichte seiner fünfjährigen
Gefangenschaft erzählt.
„In der Apostelgeschichte sehen wir, wie
die Kirche Christi gebildet und gegründet wurde. Die Apostel verkünden einfach
die Wahrheit Gottes in Bezug auf das Leiden, den Tod, die Auferstehung und die
Himmelfahrt Christi; und Gott begleitet ihr Zeugnis mit der Demonstration
seines Geistes. Was war die Folge? Tausende erkennen die Wahrheit an, nehmen
das Christentum an und bekennen sich offen dazu, auch wenn sie dabei ihr Leben
riskieren. Der Wandel ist nicht nur ein Wechsel einer religiösen Gesinnung oder
einer Art der Anbetung gegen eine andere, sondern ein Wechsel der Gemüter, der
Leidenschaften, der Aussichten und des moralischen Verhaltens. Vorher war alles
irdisch oder tierisch oder teuflisch oder alles zusammen; aber jetzt ist alles
heilig, geistig und göttlich: der himmlische Einfluss breitet sich aus, und die
Völker werden Gott geboren. Und wie wurde dies alles erreicht? Nicht durch
Macht und Gewalt, nicht durch das Schwert, nicht durch weltliche Autorität,
nicht durch weltliche Motive und Aussichten, nicht durch fromme Betrügereien
oder listige Verschlagenheit, nicht durch die Kraft überzeugender Beredsamkeit,
mit einem Wort, durch nichts anderes als durch den alleinigen Einfluss der
Wahrheit selbst, die dem Herzen durch die Kraft des Heiligen Geistes bezeugt
wird.“[3]
Die Himmelfahrt
Jesu
(1,1-11)
1 Die erste Rede habe
ich zwar getan, lieber Theophilus, von alledem, das Jesus anfing, beides, zu
tun und zu lehren, 2 bis an den Tag, da er aufgenommen ward, nachdem er den
Aposteln (welche er hatte erwählt) durch den Heiligen Geist Befehl getan hatte,
3 welchen er sich nach seinem Leiden lebendig erzeigt hatte durch mancherlei
Erweisung; und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit
ihnen vom Reich Gottes. 4 Und als er sie versammelt hatte, befahl er ihnen,
dass sie nicht von Jerusalem wichen, sondern warteten auf die Verheißung des
Vaters, welche ihr habt gehört (sprach er) von mir. 5 Denn Johannes hat mit
Wasser getauft; ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht
lange nach diesen Tagen.
6 Die aber, so
zusammenkommen waren, fragten ihn und sprachen: HERR, wirst du auf diese Zeit
wieder aufrichten das Reich Israel? 7 Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch
nicht, zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater seiner Macht vorbehalten
hat, 8 sondern ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, welcher auf
euch kommen wird; und werdet meine Zeugen sein zu Jerusalem und in ganz Judäa
und Samarien und bis an das Ende der Erde.
9 Und da er solches
gesagt, wurde er aufgehoben zusehends, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren
Augen weg. 10 Und als sie ihm nachsahen zum Himmel fahren, siehe, da standen
bei ihnen zwei Männer in weißen Kleidern, 11 welche auch sagten: Ihr Männer von
Galiläa, was steht ihr und seht zum Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist
aufgenommen in den Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt zum Himmel
fahren.
Die letzte Anweisung Jesu (V. 1-5):
„Die frühere Abhandlung“, die erste Rede, hatte Lukas nämlich in seinem
Evangelium verfasst, auf das er sich hier offensichtlich bezieht. Die
vorliegende Geschichte ist eine Fortsetzung der Erzählung im Evangelium; wie
die erste Schrift über das Wirken Jesu berichtet hatte, so soll das vorliegende
Buch über die Arbeit seiner Diener berichten. Dieses Buch ist wie das
Evangelium an Theophilus gerichtet und ihm gewidmet, der ein Bürger Roms
gewesen sein könnte, der eine hohe offizielle Position innehatte,
wahrscheinlich ein Reiter, und der in der Kaiserstadt wohnte. Im Evangelium
hatte Lukas von allem gesprochen; er hatte einen vollständigen Bericht über das
Wirken Jesu gegeben. Die Formulierung "begann zu tun und zu lehren"
ist ein idiomatischer Ausdruck, so wie im Englischen "both
did and taught". Aber
es gibt auch einen Hinweis auf die Tatsache, dass Jesus das Werk des
Evangeliums begann und dessen Fortführung seinen Jüngern anvertraute. Die Lehre
Jesu ging gewissermaßen auch nach seiner Auferstehung weiter, obwohl er dann
nicht mehr vor der Allgemeinheit, sondern nur noch zu den Gläubigen sprach. In
jenen Tagen, bis zum Tag seiner Himmelfahrt, - und besonders an diesem Tag -
beauftragte er die Apostel, er legte ihnen eine bestimmte Verpflichtung auf.
Diesen Auftrag erteilte er entsprechend der innigen Verbindung in der Gottheit
nicht auf unabhängige Weise, sondern durch denselben göttlichen Geist, den sie
kurz nach seiner Himmelfahrt in außerordentlichem Maße empfingen. Alle
Mitteilungen Jesu an seine Jünger werden durch den Geist übermittelt, den er
ihnen am Osterabend einhauchte (Joh. 20,22). Man beachte die Unterscheidung:
Jesus hatte die Jünger aus der ungläubigen Welt erwählt, und er hatte die
Apostel aus den Reihen der Gläubigen erwählt. Den letzteren wurde der besondere
apostolische Auftrag anvertraut. Jesus selbst wurde zu dieser Zeit entrückt, er
wurde in die Höhe erhoben, er erlebte seine Himmelfahrt als ein Handeln des
Vaters. Aber in der Zeit zwischen seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt
hatte Jesus eine Reihe von Gelegenheiten ergriffen, um sich seinen Jüngern als
ihr lebendiger Erlöser zu zeigen. Sie hatten ihn leiden sehen; sie hatten den
Beweis für seinen Tod erhalten. Deshalb gab er ihnen nicht nur einen, sondern
viele unzweifelhafte Beweise für seine Auferstehung von den Toten. Während
eines Zeitraums von vierzig Tagen wurde er von ihnen bei verschiedenen
Gelegenheiten gesehen. Und jede neue Erscheinung war ein weiteres Glied in der
Kette der überzeugenden, sicheren Beweise dafür, dass er lebte. Er erschien Maria
Magdalena, Johannes 20, 14-18; den Frauen, die vom Grab zurückkehrten, Matth. 28,9.10; den Emmausjüngern,
Luk. 24,15; Simon Petrus, Luk. 24,34; zehn Aposteln, wobei auch andere Jünger
anwesend waren, Luk. 24,36; Joh. 20,19; den elf Jüngern eine Woche später, Joh.
20,26; sieben Aposteln in Galiläa, Joh. 21,4; Jakobus und 500 Brüdern auf
einmal, 1. Kor 15,6.7; zu der Versammlung der Jünger am Himmelfahrtstag, Lukas
24, 50. Anmerkung: Es gibt keine Diskrepanz zwischen Luk. 24,43-51 und dem
vorliegenden Text, denn im ersten Bericht hat Lukas die Gespräche der beiden
Erscheinungen zusammengefasst, während er in dieser Erzählung die
Unterscheidung beibehält. Bei jeder Erscheinung des auferstandenen Christus
betrafen sein Gespräch und sein Auftrag an seine Jünger Angelegenheiten des
Reiches Gottes, er übertrug ihnen die Verantwortung für die Wahrheiten und
Gebote. In Wort und Tat sollen die Apostel und alle Jünger des Herrn dieses
Reich verkünden. Die eine große Botschaft der Kirche für alle Zeiten soll die
Annahme Jesu, des Erlösers, durch den Glauben sein, durch den der Gläubige ein
Glied des Reiches Gottes wird.
Nachdem Lukas die Ereignisse der vierzig
Tage zwischen der Auferstehung und der Himmelfahrt zusammengefasst hat, gibt er
nun den Inhalt des Gesprächs wieder, das am letzten Tag des sichtbaren Christus
auf Erden stattfand. An diesem Tag hatte Christus seine Jünger zum letzten Mal
versammelt, nicht nur die Apostel, sondern alle Gläubigen, eine große
Versammlung, wie es im Griechischen heißt. Zu diesem Zeitpunkt forderte Jesus
die versammelte Gemeinde der Gläubigen mit einem ausdrücklichen Befehl auf,
nicht von Jerusalem wegzugehen. Sie sollten dort bleiben und auf die Verheißung
des Vaters warten, die Verheißung des Heiligen Geistes, die er ihnen am Abend
vor seinem Tod gegeben hatte, Joh. 14,26: 15,26.27; 16,12.13. Diese Verheißung
hatten sie gehört, und das ruft er ihnen ins Gedächtnis. Und er erinnert sie an
eine weitere Tatsache. Die Taufe des Johannes war nur eine Wassertaufe gewesen,
sie hatte auf eine andere, größere Taufe hingedeutet, von der Johannes sprach,
auf eine Taufe mit dem Heiligen Geist und mit Feuer, Lukas 3, 16. Die
außergewöhnliche Mitteilung der Gaben des Heiligen Geistes sollte, wie Jesus
verheißt, in nicht allzu vielen Tagen stattfinden, nach nicht allzu vielen
Tagen. Die Prophezeiung von Joel 3,18 stand kurz vor der Erfüllung Beachte,
dass Jesus in den Herzen der Jünger eine freudige Sehnsucht und ein Verlangen
nach der wunderbaren Gabe weckt, die jetzt so nahe ist, und den Glauben der
Apostel an sein Wort stärkt.
Die nochmalige Verheißung des Heiligen
Geistes (V. 6-8): Als Jesus auf das Nahen der großen Offenbarung der Gaben
des Geistes hinwies, dachten die Jünger, deren Hoffnung auf eine Art zeitliches
Königreich unter der Führung Christi seit seiner Auferstehung wieder aufgelebt
war, dass er sich auf diese glückselige Vollendung ihrer Hoffnungen bezog.
Diejenigen, die sich also versammelt hatten, wahrscheinlich in Jerusalem,
stellten dem Herrn die Frage: Willst Du Israel zu dieser Zeit das Reich
wiedergeben? Ihr Denken war ganz zum irdischen, fleischlichen Verstand
zurückgekehrt. Sie verstanden die alten Prophezeiungen wie auch die
Verheißungen des Herrn über die Wiederherstellung des Königreichs für Israel,
die durch die völlige Vernichtung der Feinde Gottes und den vollständigen Sieg
der Juden vollzogen werden sollte. Ihre törichten Gedanken wurden erst durch
den Pfingstgeist, der auf sie ausgegossen wurde, wirksam zerstreut. Obwohl die
Frage der Jünger in aller Aufrichtigkeit und Nüchternheit gestellt worden war,
sprach sie für einen bemerkenswerten Mangel an richtigem Verständnis nach all
der geduldigen Lehre Jesu. Seine Antwort ist daher in gewisser Weise eine
Zurechtweisung. Denn er verweist sie auf das wahre messianische Reich, auf das
künftige Reich der Herrlichkeit, in dem die volle Offenbarung der Majestät
Christi vor den Augen aller Menschen stattfinden wird, was für diejenigen, die
mit ihrem Erlöser an dieser Glückseligkeit teilhaben sollen, sehr tröstlich
ist. Jesus hütet hier das königliche Vorrecht, die ausschließlichen Rechte des
Vaters. Es ist nicht Sache der Jünger, die kritischen und anderen Zeiten und
Jahreszeiten zu kennen, die von der ausschließlichen Autorität und Macht des
Vaters kontrolliert werden. Es ist nicht ihre Sache, nach der kritischsten Zeit
und Stunde zu fragen, die über das Schicksal der Menschheit entscheiden wird.
Anmerkung: Was auch immer mit der Offenbarung der Majestät Gottes
zusammenhängt, sollte für die Christen kein Gegenstand ängstlichen Nachdenkens
sein: Sowohl die Regierung der Welt und der Kirche als auch die Offenbarung der
zukünftigen Herrlichkeit liegen in seiner Hand und sollen zu seiner Zeit
offenbart werden. Jesus erinnert die Apostel vielmehr daran, dass sie Macht,
Kraft erhalten werden, die sie in den großen Aufgaben ihrer Berufung einsetzen
und einsetzen sollen. Diese Kraft würde ihnen zuteil werden,
wenn der Heilige Geist auf sie herabkommen würde. Gemeint ist offensichtlich
die Kraft, wirksame Zeugen für Christus zu sein. Erfüllt von dieser Kraft von
oben, sollten die Jünger Zeugnis ablegen, sollten sie erzählen, was sie von
Christus gesehen und gehört hatten, dessen Botschaft sie verkünden sollten und
der der Inhalt ihrer Botschaft sein sollte. In Jerusalem sollte ihr Werk
beginnen, aber nicht auf diese Stadt beschränkt bleiben. In immer weiteren
Kreisen sollte sich ihr Einfluss kraft der ihnen durch den Heiligen Geist
verliehenen Macht über ganz Judäa, Samarien und bis an das Ende der Welt
erstrecken. Für das Evangelium Jesu Christi gibt es weder Grenzen noch Begrenzungen.
Anmerkung: Die Gläubigen von heute haben denselben Ruf und dieselbe Verheißung,
müssen aber auch denselben Befehl befolgen, Zeugen Christi und seines Heils zu
sein bis an die äußersten Enden der Erde.
Die Himmelfahrt Christi (V. 9-11): Jesus
hatte die Worte seines letzten Auftrags an seine Jünger beendet; er hatte ihnen
die Verkündigung des Evangeliums an alle Völker anvertraut, Matth.
28,19. Aber während sie noch in ängstlicher Erwartung auf ihn blickten und mehr
Worte des Trostes und der Kraft aus seinem Mund zu hören wünschten, wurde er
vor ihnen emporgehoben. Er war gerade dabei, sie mit erhobenen Händen zu
segnen, als er von ihnen genommen wurde. Das ist das Bild von Christus, das
einem Christen am liebsten im Gedächtnis bleiben sollte: Seine segnend über sie
ausgestreckten Hände. Und eine Wolke, das Symbol der göttlichen Herrlichkeit,
ein wahrhaft königlicher Wagen, versperrte dem Meister den Blick der Jünger,
als er in ihren Schoß einfuhr. Es gab keine Täuschung, keine optische
Täuschung; die Himmelfahrt Jesu ist eine historische Tatsache, die nicht
angezweifelt werden kann. Der Herr ist mit Jauchzen und Posaunenschall
aufgefahren, Ps. 47,5. Er ist in die Höhe gefahren und hat die Gefangenen
gefangen geführt, Ps. 68,18. Er hat Fürstentümer und Mächte verderbt, er hat
sie öffentlich zur Schau gestellt und über sie triumphiert, Kol. 2,15. Er ist
weit über alle Himmel hinaufgestiegen, damit er alles erfülle, Eph. 4,10. Durch
seine Erhöhung und Himmelfahrt ist der Menschensohn auch seinem menschlichen
Leib nach in den vollen und unbegrenzten Gebrauch seiner göttlichen
Allgegenwart getreten. Seine gnädige Gegenwart ist daher seiner Gemeinde auf
Erden gewiss. Er ist jetzt seinen Gläubigen näher, als er es zu seinen Jüngern
in den Tagen seines Fleisches war. Er sitzt jetzt zur Rechten seines
himmlischen Vaters. Als unser Bruder hat er den vollen Gebrauch der göttlichen
Macht und Majestät übernommen. Er regiert mit Allmacht über alle Dinge,
besonders aber auch über seine Kirche. Gott hat ihm alles unter die Füße gelegt
und ihn zum Haupt über alle Dinge der Kirche gegeben, die sein Leib ist, die
Fülle dessen, der alles in allem erfüllt, Eph. 1,22. 23. Durch sein Wort und
Sakrament sammelt er sich eine Gemeinde und Kirche auf Erden. Er wirkt in und
mit seinen Dienern; er regiert inmitten seiner Feinde. Er bewahrt und beschützt
seine Kirche gegen alle Feindseligkeit der feindlichen Welt und gegen die
Pforten der Hölle selbst. Und seine Fürsprache bei seinem himmlischen Vater
macht unsere Rettung zur Gewissheit, Röm. 8,34.
Während die Jünger noch mit sehnsüchtigen
Blicken ihrem Herrn nachsahen, erschienen plötzlich zwei Männer in weißen
Gewändern, in glänzenden Kleidern, zwei Engel, die soeben dem siegreichen Herrn
das Geleit gegeben hatten. Diese Engel erweckten die Jünger aus der Ruhe, in
die sie beim Blick auf ihren Herrn versunken waren. Die himmlischen Boten
sprachen die Apostel als Männer aus Galiläa an und sagten ihnen, dass die Zeit,
in der sie sehnsüchtig die sichtbare Gegenwart oder Wiederkunft Christi
herbeisehnten, vergeudet sei. Und sie gaben ihnen und allen Gläubigen eine
freudige Gewissheit. Derselbe Jesus, der hier in den Himmel aufgenommen und
ihnen scheinbar entrissen wurde, wird auf dieselbe Weise wiederkommen, auf die
sie ihn aus ihrem Blickfeld verschwinden sahen. Jesus wird sichtbar und
leibhaftig wiederkommen. Mit demselben Körper, bekleidet mit derselben
menschlichen Natur, wird er vom Himmel herabsteigen, um die Lebenden und die
Toten zu richten. Das ist die Hoffnung aller Gläubigen, dass sie Jesus mit
ihren eigenen Augen sehen werden. Und in der Zwischenzeit leben sie unter
seiner barmherzigen Herrschaft und Regierung, sicher und geborgen, weil sie
wissen, dass er bei ihnen ist bis ans Ende der Welt. Diese Hoffnung und
Gewissheit macht die Gläubigen bereit, für den Herrn zu arbeiten und die Werke
ihrer Berufung auf Erden in seinem Namen und zu seiner Ehre zu tun. Die Zeit
ist kurz, und seine Wiederkunft ist sicher und steht unmittelbar bevor, Joh.
9,4.
Die Wahl des
Matthias
(1,12-26)
12 Da wandten sie um
nach Jerusalem von dem Berg, der da heißt der Ölberg, welcher nahe ist bei
Jerusalem und liegt einen Sabbatweg davon. 13 Und als sie hineinkamen, stiegen
sie auf den Söller [Obergemach], da denn sich aufhielten Petrus und Jakobus,
Johannes und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus,
des Alphäus Sohn, und Simon Zelotes
und Judas, des Jakobus Sohn. 14 Diese alle waren stets beieinander einmütig mit
Beten und Flehen samt den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen
Brüdern.
15 Und in den Tagen trat
auf Petrus unter die Jünger und sprach (es war aber die Schar der Namen zuhauf
bei hundertundzwanzig) 16 Ihr Männer und Brüder, es
musste die Schrift erfüllt werden, welche zuvor gesagt hat der Heilige Geist
durch den Mund Davids, von Judas, der ein Vorgänger war derer, die Jesus
fingen. 17 Denn er war mit uns gezählt und hatte dies Amt mit uns überkommen.
18 Dieser hat erworben den Acker um den ungerechten Lohn und sich erhenkt und ist mitten entzwei geborsten, und alle seine Eingeweide
ausgeschüttet. 19 Und es ist kund geworden allen, die zu Jerusalem wohnen, so
dass dieser Acker genannt wird auf ihre Sprache Hakeldama,
das ist, ein Blutacker. 20 Denn es steht geschrieben im Psalmbuch:
Ihre Behausung müsse wüste werden, und sei niemand, der drinnen wohne, und sein
Bistum empfange ein anderer.
21 So muss nun einer
unter diesen Männern, die bei uns gewesen sind die ganze Zeit über, welche der
HERR Jesus unter uns ist aus und ein gegangen, 22 von der Taufe des Johannes an
bis auf den Tag, da er von uns genommen ist, ein Zeuge seiner Auferstehung mit
uns werden. 23 Und sie stellten zwei, Joseph, genannt Barsabas,
mit dem Zunamen Just, und Matthias, 24 beteten und sprachen: HERR, aller Herzen
Kündiger, zeige an, welchen du erwählt hast unter diesen zwei, 25 dass einer
empfange diesen Dienst und Apostelamt, davon Judas abgewichen ist, dass er
hinginge an seinen Ort. 26 Und sie warfen das Los über sie; und das Los fiel
auf Matthias. Und er ward zugeordnet zu den elf Aposteln.
Die Rückkehr nach Jerusalem (V.
12-14): Die Himmelfahrt Jesu fand auf dem Ölberg statt, östlich von Jerusalem,
nicht sehr weit von der Stadt Bethanien entfernt (Luk. 24,50). Die Entfernung
von der jüdischen Hauptstadt beträgt eine Sabbat-Tagesreise, siebeneinhalb
Stadien (etwas mehr als 1500 Meter). Es gibt keinen Widerspruch zwischen den
Berichten über die Lage der verschiedenen Orte und den genauen Ort, an dem die
Himmelfahrt stattfand. Der Gipfel des Berges war etwa siebeneinhalb Stadien von
Jerusalem entfernt, Bethanien war fast doppelt so weit entfernt, und die
Himmelfahrt fand in der Gegend von Bethanien statt, am Südosthang des Berges.
Nachdem ihr Herr auf so wundersame Weise abgenommen worden war, kehrten die
Jünger nach Jerusalem zurück. Beachten Sie, wie genau Lukas die geografische
Lage für seine nichtjüdischen Leser beschreibt. In Jerusalem sollten sie auf
das große Wunder der Ausgießung des Geistes warten. So gingen sie zu ihrem
üblichen Versammlungsort, dem Obergemach, wahrscheinlich im Haus eines der
Jünger. Die Jünger hielten öffentliche Versammlungen im Tempel ab, Luk. 24,53,
vor allem im Interesse der Missionsarbeit. Aber um sich gegenseitig zu trösten
und zu ermutigen, trafen sie sich in den Häusern der Gemeindemitglieder. Die
Namen der wichtigsten Männer und einiger Frauen dieser ersten Versammlung sind
hier aufgezeichnet. Petrus wird, wie in den Evangelien üblich, an erster Stelle
genannt; Jakobus, der Ältere, und Johannes, der jüngere Sohn des Zebedäus,
werden als nächstes genannt. Diese drei stehen an der Spitze der Liste als die
besonderen Vertrauten des Herrn: Philippus, ebenfalls aus Bethsaida;
Thomas, genannt Didymus; Bartholomäus, früher bekannt
als Nathanael; Matthäus, der Zöllner, früher bekannt als Levi; Jakobus, der
Sohn des Alphäus; Simon, der Zelot, aus Kana; und
schließlich Judas, der Bruder des Jakobus. Alle diese Männer waren bewahrt
worden, obwohl der Sturm des Unglücks, der durch das Leiden und den Tod Christi
ausgelöst worden war, sie mit großer Härte getroffen hatte. Aber sie waren nun
alle bereit, ihren Posten einzunehmen, begierig, das ihnen zugewiesene Werk zu
beginnen, und warteten nur noch auf die verheißene Kraft aus der Höhe, auf die
Sendung des Heiligen Geistes. Die elf Jünger verbrachten die Zeit zwischen Himmelfahrt
und Pfingsten auf die bestmögliche Art und Weise: Sie beteten unablässig und
ausdauernd, und alle waren einmütig und gleich gesinnt. Ihre Gebete waren
sowohl allgemein als auch speziell, denn sie fühlten ihre Schwachheit und
geistliche Armut zutiefst, und sie waren bestrebt, die von ihrem Meister
verheißene Gabe des Geistes zu empfangen. Ihr Handeln ist als Beispiel für die
Gläubigen aller Zeiten zu empfehlen, die öffentlich und privat um die Gabe des
Heiligen Geistes beten, ohne dessen Kraft und Erleuchtung wir nichts tun
können. Bei diesem Gebetsdienst waren die Apostel nicht allein, denn es waren
auch einige der gläubigen Frauen dabei, wahrscheinlich diejenigen, die dem
Herrn schon in Galiläa gedient hatten und später nach Jerusalem gereist waren, um
unter dem Kreuz dabei zu sein, das Begräbnis mitzuerleben und die Botschaft des
auferstandenen Herrn zu empfangen. Eine Frau wird namentlich erwähnt: Maria,
die Mutter Christi. Sie war nicht nach Nazareth zurückgekehrt, da Johannes der
Bitte des gekreuzigten Jesus, Maria als seine Mutter zu betrachten, treu
nachkam. Zweifellos wurde Maria von den Aposteln mit großem Respekt betrachtet,
aber es gibt keinen Hinweis auf die götzendienerische Verehrung, die ihr später
in verschiedenen Kirchen zuteil wurde. Zu dieser
kleinen Gemeinde oder diesem inneren Kreis gehörten nun auch die Brüder
(Halbbrüder, Vettern) des Herrn, die zuvor als ungläubig erwähnt werden,
Johannes 7, 5. Wann genau sie ihren Unglauben aufgaben
und Jesus als ihren Retter und Herrn annahmen, ist in den Evangelien nicht
überliefert, aber sie waren von diesem Zeitpunkt an treue Anhänger Jesu.
Anmerkung: Egal wie energisch sich ein Mensch früher gegen das Evangelium der
Erlösung gewehrt hat, all das sollte vergessen sein, sobald er die Wahrheit des
Evangeliums annimmt. Die Überzeugung des Glaubens ist in einem solchen Fall
gewöhnlich mit dem festen Vorsatz verbunden, umso demütiger und aufrichtiger
für den einst verachteten Meister zu arbeiten.
Die Ansprache des Petrus (V. 15-20):
„In jenen Tagen“, an einem der zehn Tage, die zwischen der Himmelfahrt Christi
und der Ausgießung des Heiligen Geistes lagen. Bei einer der Versammlungen, die
in jenen Tagen stattfanden, ergriff Petrus die Initiative, indem er sich erhob
und vor die Jünger trat, um sie in einer sehr wichtigen Angelegenheit
anzusprechen. Bei dieser Gelegenheit waren etwa hundertzwanzig
Jünger versammelt, wahrscheinlich alle, die sich zu jener Zeit in Jerusalem zum
Herrn bekannt hatten. Man beachte, dass sie als Brüder bezeichnet werden, die
durch den gemeinsamen Glauben und die gemeinsame Liebe enger miteinander
verbunden sind als durch die Bande der Blutsverwandtschaft. Beachte auch, dass
Petrus, obwohl er als Sprecher auftritt, dennoch einer der Brüder ist; er
handelt mit ihrer Zustimmung und tut nichts aufdringlich. Sehr feierlich
spricht Petrus die Versammlung als "Männer und Brüder" an, und die
Bedeutung seines Themas spiegelt sich in seiner gesamten Rede wider. Er weist
darauf hin, dass es zunächst notwendig war, dass sich die Schrift durch den
Abfall des Judas Iskariot erfüllte. Sein Verrat an Christus war vorhergesagt
worden, Ps. 41,9. Mehr als tausend Jahre zuvor hatte der Messias die
Schamlosigkeit des Verräters bitter angeprangert. Es war Judas, der bei der
Gefangennahme Jesu die Schar der Feinde anführte und den Soldaten und Dienern
den Weg zu dem wahrscheinlichen Aufenthaltsort Christi in jener Nacht wies. Man
beachte, mit welchem Takt Petrus das heikle Thema behandelt, indem er den
Verräter weder verhöhnt noch beschimpft, sondern mit aller Nachsicht von ihm
spricht. Seinem Beispiel könnte man auch in der heutigen Zeit folgen, ganz
gleich, von wessen Tod die Rede ist. Judas war zu den zwölf Aposteln gezählt
worden; er war vom Herrn als einer der Männer auserwählt worden, die als seine
Boten und Botschafter dienen sollten, um das Evangelium zu allen Menschen zu
bringen; er hatte durch die tatsächliche Auswahl Jesu ein Los oder einen Anteil
an diesem Dienst erhalten; er sollte einen Auftrag erhalten, wie es auch die
anderen Apostel taten. Die Berufung Jesu ist immer aufrichtig und in der
Absicht, den Gläubigen an seiner Seite zu halten; der Abfall des Ungläubigen
ist ganz und gar auf seine eigene Schuld zurückzuführen.
Die Verse 18 und 19 sind wahrscheinlich als
eine von Lukas zum Verständnis der heidnischen Leser eingefügte Notiz zu
betrachten. Judas hatte eine bestimmte Geldsumme, dreißig Denare, den Preis
eines Sklaven, als Blutpreis für den Verrat an seinem Meister erhalten. Als er
dann von Reue und Furcht wegen seiner schrecklichen Tat ergriffen wurde,
brachte er das Geld zu den Hohepriestern zurück, und da diese sich weigerten,
es anzunehmen, warf er es in den Tempel. Mit diesem Geld, das die
heuchlerischen jüdischen Führer immer noch als Eigentum von Judas betrachteten,
kauften sie den Töpferacker, der somit in Wirklichkeit Judas' Eigentum war und
von seinen Erben hätte beansprucht werden können. So kaufte der Lohn der
Ungerechtigkeit, der Untreue, den Begräbnisplatz für die unbekannten Fremden.
Diese Tatsache, besonders nach dem schrecklichen Ende des Verräters, wurde in
der ganzen Stadt bekannt, und dieses Feld, da alle Bewohner der Stadt die
Geschichte dieses Stücks Bodens kannten, erhielt daher bald einen Namen, in der
aramäischen oder chaldäisch-syrischen Sprache Hakeldama,
was „ein Feld des Blutes“ bedeutet, erkauft mit dem Preis des Lebens des Blutes
des Herrn Jesus. Und Judas selbst hatte ein grausames Ende. Es scheint, dass,
nachdem er sich erhängt hatte, das Seil riss und er rückwärts einen Abhang
hinunterstürzte, mit dem Ergebnis, dass sein Körper aufplatzte und alle seine
Eingeweide heraussprudelten. Das war offensichtlich das Urteil Gottes über
diesen verstockten Sünder; er war an den Ort gegangen, der für solche wie ihn
vorgesehen war, den Ort der Verdammten. Aber in all diesen Ereignissen, so
schrecklich sie in der Erzählung auch klingen mögen, findet Petrus die
Erfüllung der Heiligen Schrift. In Ps. 69,25 hatte der Herr geweissagt: Ihre
Behausung soll wüst werden, und niemand soll in ihren Zelten wohnen, und in Ps.
109,8: Ein anderer soll sein Amt übernehmen. Die Auslegung von Petrus zeigt,
dass diese Abschnitte ihre strengste Erfüllung in Judas Iskariot und seinem
Schicksal fanden, als Warnung an alle Menschen für alle Zeiten. Die Wohnung des
Judas war wüst geworden; er hatte seinen Dienst, sein Amt verloren, als er den
Glauben verleugnete und seinen Herrn verriet. Man beachte den tiefen Eindruck,
den das Ende des Verräters auf die anderen Jünger gemacht hatte, und wie sie
die in der Geschichte enthaltene Warnung beherzigten, so wie alle Gläubigen
sich an das schreckliche Ende der Abtrünnigen erinnern werden, sei es hier oder
in der Zukunft, damit sie nicht in das gleiche Beispiel des Unglaubens fallen.
Die Wahl des Matthias (V. 21-26): Nachdem
Petrus kurz auf die bedauerliche Vakanz in der Zahl der Apostel hingewiesen
hat, macht er nun einen Vorschlag zur Auswahl eines Mannes, der die Nachfolge
von Judas in dem hohen Amt antreten soll, das er innehatte. Er erklärt, es sei
notwendig, dass sie einen der Jünger wählen, der von Anfang an mit ihnen und
mit Jesus verbunden war, einen, der während der ganzen Zeit, in der Jesus vor
ihnen ein- und ausging, ihr Gefährte gewesen war, einen, der mit anderen Worten
ein Zeuge des gesamten Lebenslaufs Christi gewesen war, beginnend mit seiner
Taufe durch Johannes und endend mit dem Tag seiner Himmelfahrt aus ihrer Mitte.
Man beachte, dass Petrus von dem aufgestiegenen Christus als einem menschlichen
Wesen spricht, als einem, der noch im Fleisch ist, obwohl er ihn beiläufig Herr
nennt und ihm damit die volle göttliche Ehre und Majestät zuerkennt. Aber der
wichtigste Punkt, den es zu berücksichtigen galt, war der, dass der zu wählende
Mann ein durch und durch kompetenter Zeuge der Auferstehung Christi sein
musste. Die Auferstehung Christi ist, wie der heilige Paulus in 1. Korinther 15
darlegt, das Siegel Gottes auf dem vollendeten Erlösungswerk Jesu. Ohne ihre
Gewissheit wird das Christentum zur Illusion und zur Farce. Es versteht sich
von selbst, dass die Erfahrung von Tatsachen mit dem Besitz eines festen
Glaubens an die bezeugten Dinge einhergeht. Die Apostel waren berufen, das zu
bezeugen, was sie mit eigenen Augen gesehen und gehört hatten. Die Kirche hat
das Evangelium Christi aus dem Mund glaubwürdiger Augen- und Ohrenzeugen
erhalten. Nachdem die Versammlung den Vorschlag des Petrus angenommen hatte,
schlug sie zwei Männer für die zu besetzende Stelle vor: einen Joseph Barsabas, offenbar einer der siebzig Jünger, dessen
Nachname Justus nach dem Brauch der damaligen Zeit angenommen worden war, und
Matthias. Diese beiden Männer dürften die einzigen gewesen sein, die alle von
Petrus festgelegten Qualifikationen besaßen. Für diese beiden Männer, die
Kandidaten für die vakante Stelle in der Zahl der Apostel, sprachen die
versammelten Jünger nun ein ernsthaftes Gebet. Sie richteten ihr Gebet wörtlich
an den Herzenskenner, an ihren auferstandenen Herrn, Jesus Christus. Vgl. Jer.
17,10. Die Gedanken und Gebete aller wahren Christen sind nun immer auf ihren
erhabenen Herrn und Erlöser gerichtet. Er weiß alles; er lenkt alle Dinge im
Interesse seiner Gläubigen und zu ihrem Nutzen. Der Herr kennt die Herzen der
Menschen, Johannes 2, 25; Er konnte die Qualifikationen der beiden Kandidaten
genau beurteilen; Seine Wahl musste nicht das Ergebnis langen und bewussten
Abwägens und Nachdenkens sein. Er sollte lediglich seine Wahl dieser beiden
Männer bezeichnen, damit der Auserwählte den Platz des von Judas vakant
gelassenen Amtes und Apostelamtes einnehmen konnte. Man beachte noch einmal den
taktvollen Hinweis auf den Verräter, der „an seinen eigenen Platz“ gegangen
ist. Wie die Worte lauten, können sie sich sowohl auf den Ort der Belohnung als
auch auf den der Strafe beziehen. Die Jünger überlassen die Entscheidung in
dieser schwerwiegenden Angelegenheit ganz richtig dem großen Richter im Himmel
und sprechen die Verurteilung nicht selbst aus, obwohl es heißt, dass Judas an
den Ort ging, an den die Heuchler und Abtrünnigen nach dem Tod gehen. Auch
Markus: Das Gebet der Jünger ist ein Musterbeispiel dafür. „Die Bittsteller
hatten ein einziges Anliegen, für das sie sich vor dem Herrn verneigten, und
auf die angemessene Darstellung dieses Anliegens beschränkten sie ihre Worte.
Sie wiederholen weder einen Gedanken, noch führen sie ihn bis zur
Unkenntlichkeit aus.... Ein so kurzes Gebet zu einem so wichtigen Anlass würde
in unserem wortreichen Zeitalter kaum noch als Gebet angesehen werden.“[4]
Nachdem die Jünger auf diese Weise die Gelegenheit mit dem Wort Gottes und dem
Gebet geheiligt hatten, waren sie bereit, den zwölften Apostel zu wählen. Zu
diesem Zweck gaben sie ihr Los ab. Wie das genau geschah, ist nicht sicher.
Aber es ist wahrscheinlich, dass der im Alten Testament vorherrschende Brauch
eingehalten wurde. „Es wurden Tafeln verwendet, auf denen die Namen von Joseph
und Matthias geschrieben waren; diese wurden in der Vase oder einem anderen
Gefäß, in dem sie deponiert waren, geschüttelt, und das Los, das zuerst
herausfiel, brachte die Entscheidung.“[5]
Vgl. 1. Chron. 24 5; 25,8; 3. Mose 16,8; 4. Mose 34,13. Nachdem Matthias auf
diese Weise bestimmt worden war, wurde er von nun an als zwölfter Apostel zu
den elf Aposteln gezählt. Die Art und Weise, wie der Mann ausgewählt wurde, der
die durch Judas' Abtrünnigkeit entstandene Lücke füllen sollte, war ungewöhnlich
und wurde in diesem Fall zweifellos auf einen besonderen Befehl Gottes hin
angewandt. Die Methode ist daher nicht als ein Beispiel zu betrachten, das
unter ähnlichen Umständen befolgt werden sollte. Aber der Gebrauch des Wortes
Gottes und die ernsthafte Bitte an den Herrn, die Wahl der Amtsträger der
Kirche nach seinem Willen und zum Wohl seines Reiches zu lenken, sollte bei
keiner Versammlung zur Wahl von Amtsträgern in einer christlichen Gemeinde
fehlen.
Zusammenfassung: Der Autor gibt
einen kurzen Bericht über die letzten Reden des Herrn, seine Himmelfahrt, die
Versammlung der Jünger und die Wahl von Matthias.
Das Pfingstwunder (2,1-13)
1 Und als der Tag der
Pfingsten erfüllt war, waren sie alle einmütig beieinander. 2 Und es geschah
schnell ein Brausen vom Himmel als eines gewaltigen Windes und erfüllte das
ganze Haus, da sie saßen. 3 Und man sah an ihnen die Zungen zerteilt, als wären
sie feurig. Und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen. 4 Und sie
wurden alle voll des Heiligen Geistes und fingen an, zu predigen mit anderen
Zungen, nachdem der Geist ihnen gab auszusprechen.
5 Es waren aber Juden zu
Jerusalem wohnend, die waren gottesfürchtige Männer aus allerlei Volk, das
unter dem Himmel ist. 6 Da nun diese Stimme geschah, kam die Menge zusammen und
wurden bestürzt; denn es hörte ein jeglicher, dass sie mit seiner Sprache
redeten. 7 Sie entsetzten sich aber alle, verwunderten sich und sprachen
untereinander: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? 8 Wie
hören wir denn ein jeglicher seine Sprache, darin wir geboren sind? 9 Parther
und Meder und Elamiter, und die wir wohnen in
Mesopotamien und in Judäa und Kappadozien, Pontus und Asien. 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und an den Enden der Libyen bei Kyrene,
und Ausländer von Rom, 11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: Wir hören
sie mit unseren Zungen die großen Taten Gottes reden. 12 Sie entsetzten sich
alle und wurden irre und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13
Die andern aber hatten’s ihren Spott und sprachen:
Sie sind voll süßen Weins.
Die Apostel werden mit dem Heiligen
Geist erfüllt (V. 1-4): In der vollständigen Erfüllung des Pfingsttages,
als der Tag ganz erfüllt war, nach hebräischer Redeweise, als er ganz gekommen
war. So wie Lukas das Wort verwendet, zeigt es an, dass dieser Tag zu dieser
Zeit die Erfüllung der ernsten und sehnlichen Erwartung der Jünger brachte und
dass man sich deshalb für immer an seine Bedeutung erinnern sollte. Es war der
Pfingsttag, der fünfzigste Tag nach Ostern, das zweite große Fest des jüdischen
Kirchenjahres, das am Tag nach Vollendung von sieben vollen Wochen nach dem
zweiten Tag der Passahwoche gefeiert wurde, als die Erstlinge der Gerstenernte
vor dem Herrn geweht wurden. An diesem Tag, der in jenem Jahr zufällig ein
Sonntag war, waren sie alle versammelt. Man hat darunter nur die zwölf Apostel
verstanden, von denen im letzten Vers des ersten Kapitels die Rede ist. Aber
die Tatsache, dass die Pfingstgaben zwar zuerst von den Aposteln ausgeübt
wurden, aber nicht nur von ihnen, sondern auch von anderen Jüngern, macht es
plausibler, anzunehmen, dass die gesamte Gemeinde von Jerusalem, die hundertzwanzig Jünger, Kap. 1,15, und auch andere, die noch
dazukamen, die Pfingstgaben ausübten. 1,15, und auch andere, die zu dem Fest
nach Jerusalem gekommen waren, versammelt waren. Sie waren an einem Ort
versammelt, und obwohl der Tempel nicht genannt wird wie an anderen Stellen,
Kap. 3,2.11; 5,21, aber die Tatsache, dass es eine so große Versammlung gab und
dass danach Tausende von Menschen Zeugen des Wunders wurden, deutet darauf hin,
dass ein oberer Raum in der Stadt unzureichend gewesen wäre und dass das Wunder
wahrscheinlich in einer der Tempelhallen stattfand, die an die weitläufigen
Höfe anschlossen. Und es geschah plötzlich vom Himmel her ein Brausen wie von
einem gewaltigen Wind, der mit großer Kraft daher fuhr. Das Geräusch kam ohne
Vorwarnung und ohne sichtbare Ursache, denn es waren keine Gewitterwolken
aufgezogen, und die Ruhe des Himmels war durch keinerlei Anzeichen einer
Störung beeinträchtigt. Aus dem Himmel drang das Geräusch mit einer Lautstärke,
die sofort die Aufmerksamkeit auf sein rauschendes Zischen lenkte, denn es war
auf das eine Haus oder den einen Saal gerichtet, in dem die Jünger versammelt
waren. Die übernatürliche Erscheinung setzte sich auch im Inneren des Saales
fort und ließ Wände und Decke mit ihrer Gewalt widerhallen. Nebenbei wurde noch
ein zweites Phänomen sichtbar. Über den Jüngern erschienen gespaltene Zungen,
die in ihrem Aussehen und ihrer Helligkeit dem Feuer glichen. Der Text lässt es
so erscheinen, als ob es ursprünglich eine große Flamme wie von Feuer war, die
das Rauschen begleitete, von der sich nun die kleineren Flammen teilten oder
abspalteten. Und so entstand der Anschein von Feuer auf jedem einzelnen von
ihnen. Das Feuer und die Flammen waren Symbole für die hörbaren Zungen, in
denen die Apostel bald sprechen sollten. Denn während die Erscheinung für alle
Anwesenden sichtbar war, geschah das eigentliche und wichtigste Pfingstwunder.
Sie wurden alle mit dem Heiligen Geist erfüllt. Die vorangegangenen
Offenbarungen waren nur die Vorboten des Geistes, der nun herabkam, um mit
seinen wundersamen Gaben von den Herzen und dem Verstand der Jünger Besitz zu
ergreifen. Es ist nicht so, als ob die Apostel den Geist nicht schon vorher
gehabt hätten. Sie hatten ihn empfangen, als sie an Christus als ihren Erlöser
glaubten, und vor allem am Osterabend, mit dem Auftrag des Herrn, Joh.
20,22.23. Aber die Apostel hatten nur ein sehr geringes Maß an Verständnis in
geistlichen Dingen gezeigt, und was die Kraft zum Wirken und den Mut zum
Bekenntnis zu ihrem Herrn anbelangt, so war dies alles seltsam und bedauerlich
abwesend gewesen. Hier aber empfingen sie den Geist in besonderem Maße; nicht
nur wurde der Glaube ihres Herzens bestätigt wie nie zuvor, sondern sie
erhielten auch ein ungewöhnliches Maß an Kraft, sowohl zur Arbeit als auch zum
Ausharren. Und das stärkste Merkmal dieser Geistverleihung bestand in der Gabe
der Wunder, die sofort an ihnen offenbar wurde. Denn sie begannen nun, zusammenhängend
in anderen, fremden Zungen zu reden, in Sprachen und Dialekten, von denen sie
wahrscheinlich zum größten Teil noch nie gehört hatten. Der Heilige Geist
lehrte sie nicht nur die verschiedenen Sprachen zu ihrem eigenen Verständnis,
sondern gab ihnen tatsächlich die Fähigkeit, sich in diesen Sprachen richtig
auszudrücken. Es war eine wunderbare Manifestation und Übertragung von
Wunderkräften. Der Bericht ist so klar, dass es für einen unvoreingenommenen
Verstand keinen Zweifel an dem Wunder geben kann, das uns in dieser Erzählung
vor Augen geführt wird, nämlich dass die fremden Sprachen für die ungelehrten
Fischer von Galiläa zu ihren eigenen wurden, dass sie die verschiedenen
Sprachen vollkommen beherrschten und sich frei ausdrücken konnten, wenn sich
die Gelegenheit bot. Und all dies geschah durch den Geist, der ihnen die
Sprache gab und sie befähigte, die Orakel Gottes zu sprechen. „Der Heilige
Geist drang so in ihre Herzen ein, dass sie in einem Augenblick das rechte
Verständnis von Gott und seinem Sohn Jesus Christus hatten und die ganze
Heilige Schrift verstanden und einen solchen Mut hatten, dass sie dieses
Verständnis nicht für sich behalten, sondern es wagen, es frei und offen zu
bekennen .... Er kommt herab und erfüllt die Herzen der Jünger, die zuvor in
Trauer und Furcht dasaßen, und gibt ihnen feurige Zungen, dass sie mutig werden
und frei von Christus predigen und nichts fürchten.“[6]
Die Wirkung des Wunders auf die Menschen
(V. 5-13): Da dies das Pfingstfest war, eines der Feste, an denen alle Juden in
Jerusalem erscheinen sollten (2. Mose 23, 13-17; 4. Mose 16), lebten Menschen
aus allen Teilen der Welt in Jerusalem oder hielten sich dort auf. Viele von
ihnen, die früher in fernen Ländern gelebt hatten, mögen in die Stadt ihrer
Väter zurückgekehrt sein, um ihren Lebensabend in ihrer heiligen Stadt zu
verbringen und in Sichtweite des Tempels zu sterben. Die Menschen, von denen
hier die Rede ist, waren aufrichtige, fromme Menschen, Luk. 2,25, und keine
Heuchler wie die jüdischen Herrscher. Und sie stammten aus allen Nationen unter
dem Himmel. Seit der Zeit des babylonischen Exils hatte die Handelslust der
Juden sie mehr und mehr in andere Länder geführt. In manchen Ländern, wie in
Ägypten, gab es große Kolonien von ihnen, mit einflussreichen Männern vom
Schlage eines Philo. Und dass sie in ganz Kleinasien, aber auch in Teilen
Griechenlands und Italiens keineswegs wenige waren, geht aus den vielen Stellen
der Apostelgeschichte hervor, in denen die Synagogen der Juden erwähnt werden.
Diese Juden, die als Juden der Diaspora bekannt sind, sprachen die Sprache des
Volkes, unter dem sie lebten, und behielten das Hebräische nur für den Sabbatgottesdienst
bei. Als nun dieses große Geräusch wie von einem gewaltigen Wind zu hören war,
richtete sich die Aufmerksamkeit aller Zuhörer natürlich auf den Saal, in dem
die Apostel und Jünger versammelt waren, und eine große Menschenmenge kam
zusammen, um den Grund für dieses übernatürliche Ereignis zu erfahren. Und was
sie sahen und hörten, erfüllte ihre Gemüter mit solcher Unruhe und
Beunruhigung, dass sie ihres Verstandes nicht mehr sicher waren; sie waren ganz
verwirrt und durcheinander. Denn hier hörten sie, ein jeder, die Sprache des
Volkes, in dem er geboren worden war. Es gab Juden aus dem Osten oder aus
Babylonien, Parther aus der Gegend des Kaspischen Meeres, Meder vom
südwestlichen Ufer desselben Meeres, Elamiter aus dem
heutigen Westpersien, die in Mesopotamien an den Flüssen Euphrat und Tigris
lebten; es gab syrische Juden, aus Judäa, dem südlichen Teil des heutigen
Syriens, aus Kappadozien im östlichen Kleinasien, aus Pontus, südlich des
Schwarzen Meeres, aus Asien, den Teilen des westlichen Kleinasiens im
Allgemeinen, entlang des Ägäischen Meeres, aus Phrygien im westlichen
Kleinasien, aus Pamphylien im südlichen Kleinasien;
es gab ägyptische Juden, aus Ägypten selbst, sowie aus den Teilen Libyens im
westlichen Teil, um Kyrene, dem modernen Tripolis; es gab römische Juden,
Gastarbeiter aus dieser Stadt. Und schließlich erwähnt Lukas Juden von der
Mittelmeerinsel Kreta und aus Arabien, die nur in geringer Zahl anwesend waren.
In der Versammlung waren sowohl Juden als auch Proselyten vertreten, solche,
die von Geburt an der jüdischen Nation angehörten, und solche, die Proselyten
des Tores (durch Anerkennung der Wahrheit der jüdischen Lehre) oder der
Gerechtigkeit (durch förmliche Annahme aller Riten und Zeremonien wie auch der
Lehre) geworden waren. Und alle Mitglieder dieser großen Versammlung hörten,
wie die Apostel in ihrer eigenen Sprache sprachen und sie fließend ansprachen,
als hätten sie die Dialekte und Sprachen ihr ganzes Leben lang gesprochen. Ein
solches Wunder war unerhört, und Lukas erschöpft sein Vokabular, wenn er
versucht, die Wirkung auf die Menge zu beschreiben: Sie waren verwirrt, sie
staunten, sie wunderten sich, sie waren verwirrt, sie fragten einander nach dem
Sinn des Wunders, dessen sie Zeuge wurden. Und die ganze Zeit über predigten
die Apostel die großen und wunderbaren Taten Gottes, nämlich dass Gott die
Prophezeiungen an ihre Väter erfüllt habe, dass er seinen Sohn Jesus gesandt
habe, um die Erlösung der ganzen Welt zu bewirken, und dass diese Erlösung nun
ausnahmslos allen angeboten werde.[7]Aber
während die Mehrheit der versammelten Juden bereit war, den Beweis für eine
außergewöhnliche Manifestation der Macht Gottes in diesen ungelehrten
Galiläern, wie sie sie nannten, zu akzeptieren, gab es auch einige, die
spotteten und verhöhnten, indem sie erklärten, die Apostel seien voll süßen
Weins, entweder der Most von Trauben, die noch in der Gärung waren, oder ein
erlesener süßer Wein, der in Palästina gebräuchlich war. Merke: Wo immer der
Geist Gottes durch das Wort wirkt, gibt es immer einige, die die herrliche
Wahrheit annehmen, während andere absichtlich beleidigt sind und über den
Geist, der in den Christen lebt, spotten.
Die Predigt des
Petrus und ihre Wirkung (2,14-47)
14 Da trat Petrus auf
mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer,
und alle, die ihr zu Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine
Worte zu euren Ohren eingehen! 15 Denn diese sind nicht trunken, wie ihr wähnt,
da es ist die dritte Stunde am Tag. 16 Sondern das ist’s, das durch den
Propheten Joel zuvor gesagt ist: 17 Und es soll geschehen in den letzten Tagen,
spricht Gott, ich will ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure
Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte
sehen, und eure Ältesten sollen Träume haben. 18 Und auf meine Knechte und auf
meine Mägde will ich in denselben Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie
sollen weissagen. 19 Und ich will Wunder tun oben im Himmel und Zeichen unten
auf Erden: Blut und Feuer und Rauchdampf. 20 Die Sonne soll sich verkehren in
Finsternis und der Mond in Blut, ehe denn der große und offenbare Tag des HERRN
kommt. 21 Und soll geschehen, wer den Namen des HERRN anrufen wird, soll selig
werden.
22 Ihr Männer von
Israel, hört diese Worte: Jesus von Nazareth, den Mann von Gott, unter euch mit
Taten und Wundern und Zeichen bewiesen, welche Gott durch ihn tat unter euch
(wie denn auch ihr selbst wisst), 23 denselben (nachdem er aus bedachtem Rat
und Vorsehung Gottes ergeben war) habt ihr genommen durch die Hände der
Ungerechten und ihn angeheftet und erwürgt. 24 Den hat Gott auferweckt und
aufgelöst die Schmerzen des Todes, nachdem es unmöglich war, dass er sollte von
ihm gehalten werden.
25 Denn David spricht
von, ihm: Ich habe den HERRN allezeit vorgesetzt vor mein Angesicht; denn er
ist an meiner Rechten, auf dass ich nicht bewegt werde. 26 Darum ist mein Herz
fröhlich, und meine Zunge freuet sich; denn auch mein Fleisch wird ruhen in der
Hoffnung. 27 Denn du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen, auch nicht
zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe. 28 Du hast mir kundgetan die
Wege des Lebens; du wirst mich erfüllen mit Freuden vor deinem Angesichte.
29 Ihr Männer, liebe
Brüder, lasst mich frei reden zu euch von dem Erzvater David: Er ist gestorben
und begraben, und sein Grab ist bei uns bis auf diesen Tag. 30 Da er nun ein
Prophet war und wusste, dass ihm Gott verheißen hatte mit einem Eid, dass die
Frucht seiner Lenden sollte auf seinem Stuhl sitzen, 31 hat er’s zuvor gesehen
und geredet von der Auferstehung Christi, dass seine Seele nicht in der Hölle
gelassen ist, und sein Fleisch die Verwesung nicht gesehen hat. 32 Diesen Jesus
hat Gott auferweckt; des sind wir alle Zeugen.
33 Nun er durch die
Rechte Gottes erhöht ist und empfangen hat die Verheißung des Heiligen Geistes
vom Vater, hat er ausgegossen dies, was ihr seht und hört. 34 Denn David ist
nicht zum Himmel gefahren. Er spricht aber: Der HERR hat gesagt zu meinem
HERRN: Setze dich zu meiner Rechten, 35 bis dass ich deine Feinde lege zum
Schemel deiner Füße. 36 So wisse nun das ganze Haus Israel gewiss, dass Gott
diesen Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zu einem HERRN und Christus gemacht hat.
37 Da sie aber das
hörten, ging’s ihnen durchs Herz, und sprachen zu Petrus und zu den anderen
Aposteln: Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun? 38 Petrus sprach zu
ihnen: Tut Buße, und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi
zur Vergebung der Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen
Geistes. 39 Denn euer und eurer Kinder ist diese Verheißung und aller, die
ferne sind, welche Gott, unser HERR, herzurufen wird. 40 Auch mit viel andern
Worten bezeugte er und ermahnte und sprach: Lasst euch helfen von diesen
unartigen Leuten! 41 Die nun sein Wort gerne annahmen, ließen sich taufen, und
wurden hinzugetan an dem Tag bei dreitausend Seelen.
42 Sie blieben aber
beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und
im Gebet. 43 Es kam auch alle Seelen Furcht an, und geschahen viel Wunder und
Zeichen durch die Apostel. 44 Alle aber, die gläubig waren geworden, waren
beieinander und hielten alle Dinge gemeinsam. 45 Ihre Güter und Habe verkauften
sie und teilten sie aus unter alle, nachdem jedermann not war. 46 Und sie waren
täglich und stets beieinander einmütig im Tempel und brachen das Brot hin und
her in Häusern, 47 nahmen die Speise und lobten Gott mit Freuden und
einfältigem Herzen und hatten Gnade bei dem ganzen Volk. Der HERR aber tat
hinzu täglich, die da selig wurden, zu der Gemeinde.
Die Einleitung der Predigt (V.
14-21): Als die Gabe der Zungenrede auf die Apostel übertragen wurde, befanden
sie sich nicht in einem Zustand der Ekstase, der sie von den Geschehnissen um
sie herum ablenkte. Sie waren ganz normal und vernünftig. Und Petrus hörte die
Bemerkung der Spötter. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Apostel
hingesetzt; nun aber erhob sich Petrus und mit ihm die Elf, um nachdrücklich
gegen diese blasphemische Unterstellung zu protestieren, die im Übrigen sehr
töricht war. Als Sprecher der Zwölf erhebt Petrus absichtlich seine Stimme, um
sich für alle Zuhörer verständlich zu machen, und spricht dann feierlich und
eindrücklich: "Im Namen Gottes". Er spricht die versammelte Menge
sehr respektvoll als „Männer aus Judäa und Bewohner Jerusalems“ an und
unterscheidet damit zwischen den Einwohnern und den Bewohnern für die Zeit des
Festes. Er wollte ihnen etwas mitteilen, er wollte sie auf eine Tatsache
aufmerksam machen, und deshalb bittet er sie alle, seinen Worten, seinen
Aussprüchen, seiner lockeren Rede aufmerksam zuzuhören, zuzuhören. Er bringt
vor allem die Bedeutung des Pfingstwunders zur Sprache. Zunächst widerlegt er
den Vorwurf, dass diese Männer berauscht sein könnten. Es war jetzt erst die
dritte Stunde des Tages, neun Uhr morgens, und schon die Uhrzeit machte es
höchst unwahrscheinlich, dass diese Männer betrunken sein könnten. Aber die
eigentliche Widerlegung der Unterstellung kam mit der Erklärung des Wunders.
Die Erscheinung, deren Zeuge sie geworden waren, war dem Geist Gottes zu
verdanken, in Erfüllung der Prophezeiung von Joel, Kap. 2,28-32. Gott selbst
hatte durch diesen Propheten verheißen, dass er in den letzten Tagen der Welt
seinen Geist über alles Fleisch ausgießen würde, dass als Folge dieses Wunders
sowohl die Söhne als auch die Töchter des Volkes prophezeien würden, dass sie
in der Lage sein würden, die Zukunft zu enthüllen, dass die jungen Männer
Visionen sehen würden und die alten Männer Offenbarungen in Träumen empfangen
würden. Und noch mehr war in dieses wundersame Geschehen eingeschlossen. Denn
auch die Leibeigenen, die Sklaven, männlich und weiblich, würden die gleiche
Gabe des Heiligen Geistes erhalten, so dass auch sie in der Lage sein würden,
zu prophezeien. Menschen aller Nationalitäten und jeden Ranges und Standes
würden so des Geistes und seiner wunderbaren Gaben teilhaftig werden. Und diese
Erscheinung würde nicht auf ein einziges Ereignis beschränkt bleiben, sondern
bis zu dem Tag andauern, an dem Gott am Himmel oben Wunder zeigen und geben und
auf der Erde unten Zeichen seiner Majestät, Blut, Feuer und Rauchschwaden. Die
Sonne wird sich völlig verändern, ihren Glanz verlieren und sich in Finsternis
verwandeln, und auch der Mond wird sich in eine blutige Masse verwandeln.
Blutvergießen und kriegerische Verwüstungen werden diesem letzten großen Tag
des Herrn vorausgehen, dessen Absicht deutlich sichtbar sein wird, sobald er
über der zermürbten Welt anbricht. Vgl. 1. Thess. 5,2; 1. Kor. 1,8; 2. Kor.
1,14; 2. Thess. 2,8. Die schrecklichen Aspekte des Endes der Welt werden hier
dem erschrockenen Blick der Menge als Warnruf zur Umkehr vor Augen geführt.
Aber in der Zwischenzeit gibt es auch eine herrliche Verheißung für alle, die
sich dem Herrn in Reue und Glauben zuwenden und seinen Namen als den des einzigen
Erlösers inbrünstig anrufen. Anmerkung: Wir Christen leben in der Zeit der
Erfüllung von Joels Prophezeiung, in der Zeit des neutestamentlichen
Pfingstfestes. Die Verkündigung Christi, die von den bescheidenen Fischern in
Galiläa begonnen wurde, ist in die ganze Welt hinausgegangen. Und durch dieses
Evangelium sendet der erhöhte Christus, Gott selbst, und gießt seinen Geist
aus. Der gekreuzigte Christus, der jetzt zur Rechten Gottes erhöht ist, ist der
allmächtige Gott.[8] Er
sammelt seine Kirche aus allen Völkern der Welt zu sich. Söhne und Töchter,
Alte und Junge, Knechte und Mägde, empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. Und
obwohl sich das Wirken des Geistes nicht mehr in der gleichen Weise wie in den
ersten Tagen der Kirche in Visionen, Träumen und Prophetie zeigt, so lebt der
Geist doch in den Herzen der Gläubigen, gibt ihnen die Erkenntnis Jesu Christi,
ihres Erlösers, und drängt sie dazu, von dem zu sprechen, woran sie so fest
glauben, und den Namen des Herrn anzurufen. Die Ausgießung des Geistes ist das
letzte der großen Wunder Gottes bis zum großen Tag seiner Wiederkunft zum
Gericht. In der Zwischenzeit haben wir den Trost, dass unser Heil in ihm sicher
ist. Was bedeutet es, zu retten? „Es bedeutet, von Sünde und Tod zu befreien.
Denn wer gerettet werden will, darf nicht unter dem Gesetz sein, sondern muss
unter der Gnade sein. Wenn er aber nicht unter dem Gesetz, sondern unter der
Gnade ist, dann darf er nicht unter der Sünde sein. Ist er unter der Sünde, so
ist er unter dem Gesetz, d.h. unter dem Zorn Gottes, unter dem ewigen Tod und
der Verdammnis und unter der Gewalt des Teufels. Wenn er aber gerettet werden
soll, dann müssen alle diese Feinde, Sünde, Tod, Teufel, beseitigt werden.
Retten heißt also nichts anderes, als von Sünde und Tod, vom Zorn Gottes und
der Macht des Teufels, vom Gesetz und vom schlechten Gewissen befreien und frei
machen. Nun sagt Petrus nach dem Propheten Joel: Der Herr, der seinen Heiligen
Geist über alles Fleisch ausgießt, wird alle retten, die seinen Namen anrufen,
d.h. er wird durch den Glauben an ihn von Sünde und Tod befreien.“[9]
Des Petrus Zeugnis von Jesus (V.
22-24): Petrus beginnt hier seine eigentliche Predigt, um von Christus als
Davids Sohn und Davids Herrn zu zeugen. Er wendet sich an seine Zuhörer als
Israeliten, als Mitglieder des Bundesvolkes Gottes, und bittet sie erneut,
seine Worte gut zu beachten. Er stellt den Namen Jesus, den Nazarener, an den
Anfang dieses Abschnitts, um seine Absicht, Jesus in den Mittelpunkt seiner
Ausführungen zu stellen, deutlich zu machen. Dieser Jesus war ihnen von Gott
bestätigt worden; Gott hatte deutlich gezeigt, dass Jesus sein Gesandter bei
den Juden war, wobei die Demonstrationen seiner Macht im Wort und im Werk Jesu
durchweg offensichtlich waren. Die Kräfte, Wunder und Zeichen, die er tat,
waren durch ihn in ihrer Mitte von Gott gewirkt worden, so wie er es selbst
behauptet hatte. Petrus sagt den Juden geradeheraus, dass sie sich dieser
Tatsachen sehr wohl bewusst waren, dass es ihnen unmöglich war, auch nur eine
einzige davon zu leugnen, Joh. 11,47. Petrus teilt den Juden außerdem mit, dass
es nach Gottes vorherbestimmtem Plan, nach seinem feststehenden Willen und
seinem Vorherwissen geschah, dass Jesus in ihre Gewalt überliefert, ans Kreuz
geheftet und mit bösen Händen getötet wurde, und nicht, weil er von ihrer Kraft
überwunden worden war. Und schließlich sagt er seinen Zuhörern kühn, dass Gott
Jesus vom Tod auferweckt hat, indem er die Qualen des Todes löste und wegnahm,
denn es war dem Tod nicht möglich, den Fürsten des Lebens zu halten. Der Tod
hatte ihn umgarnt, aber er konnte seine Beute nicht halten. Wie ein
Vorschlaghammerschlag kommt die kraftvolle, kurze Darstellung dieser Tatsachen
von den Lippen des Petrus, Tatsachen, die seine Zuhörer taumeln und schwanken
lassen und die ihnen die Überzeugung aufzwingen, dass dieser Petrus die
Wahrheit sagen muss. „Wir könnten die Welt herausfordern, eine Parallele dazu
in den Reden ihrer Redner oder den Liedern ihrer Dichter zu finden. Es gibt
keinen solchen Donnerschlag in all den Lasten der Propheten Israels oder unter
den Stimmen, die in der Apokalypse widerhallen.“[10]
Für uns Christen ist es sehr tröstlich, dass der Höhepunkt dieses Abschnitts in
der großartigen Aussage erreicht wird: Den Gott auferweckt hat. Auf die
Tatsache der Auferstehung Jesu gründen wir unsere Hoffnung auf ewiges Heil.
Der Beweis durch David (V. 25-28): Petrus
hatte den Juden erklärt, dass Jesus nach dem Vorherwissen Gottes überliefert
worden war und dass Gott ihn von den Toten auferweckt hatte. Da diese beiden
Aussagen eines Beweises bedurften, geht der Apostel dazu über, ihn aus der
Heiligen Schrift zu erbringen. Er zitiert Ps. 16,8-11. Dort sagt David
bestimmte Tatsachen über den Herrn, und der Messias spricht durch ihn. Der
Messias erklärt, dass er den Herrn, Jehova, immer vor seinem Angesicht sieht;
er ist im Schoß des Vaters von Ewigkeit zu Ewigkeit. Gott, sein himmlischer
Vater, ist zu seiner Rechten, als sein Verteidiger und Helfer, so dass er nicht
dauerhaft niedergeschlagen sein kann. Deshalb ist das Herz des Messias voll
Freude und seine Zunge voll Jubel, seine Seele voll freudiger Zuversicht. Denn
sein Fleisch, sein lebendiger, beseelter Leib, darf in froher Hoffnung wohnen;
das ganze Leben des Messias konnte in zuversichtlicher und ruhiger Betrachtung
des Endes, das ihn erwartete, verbracht werden. Denn der Herr, sein himmlischer
Vater, würde seine Seele im Reich des Todes nicht aufgeben, nicht im Stich
lassen, würde nicht zulassen, dass er zur ständigen Beute des Todes wird, noch
würde er seinen Heiligen der Verwesung überlassen. Er weiß und ist überzeugt,
dass seine Seele nicht in der Totenwelt und im Verderben aufgegeben und
verlassen wird, dass sein Leib nicht im Grab verwesen wird, wie es der
allgemeinen Erfahrung der Menschheit entspricht. Im Unterschied dazu hat der
Herr dem Messias die Wege des Lebens bekannt gemacht; er hat ihn mit Freude
erfüllt, weil er ohne Unterbrechung in seiner Gegenwart ist. Für den Messias
würde kein Tod, auch nicht für einen Augenblick, die Verbindung zwischen ihm
und seinem Gott und Herrn trennen. Anmerkung: Die Worte des Psalms sind eine
schöne und klare Darstellung des Messias in Bezug auf seinen Tod und die
Verherrlichung, die ihm durch seinen Tod zuteil wird.
Die Anwendung der Weissagung (V.
29-32): Petrus verwendet in diesem Abschnitt seiner Predigt die vertrauliche
und intime Anrede „Männer und Brüder“. Er will den Leuten das Gefühl geben,
dass es in ihrem Interesse ist, ihn in seiner Argumentation anzuhören. Er hatte
einen Abschnitt aus einem Psalm zitiert, der, wie die Leute wussten, von David
geschrieben worden war, ein Abschnitt, der durchgehend in der ersten Person
gehalten war. Die Frage war also, wer sprach, als David schrieb, er selbst oder
ein anderer. Was nun David betrifft, den Petrus hier einen Patriarchen, den
Stammvater eines königlichen Geschlechts, nennt, so konnte er frei und ohne
Furcht vor Widerspruch sagen, dass er gestorben und begraben war; sein Grab
befand sich in Jerusalem und war allen Juden wohlbekannt. Der Tod Davids war
also eine Tatsache, und das Vorhandensein seines Grabes bedeutete, dass dieser
Vorfahre der Könige seinerseits das Verderben gesehen hatte. Von sich selbst
hatte David also mit Sicherheit nicht gesprochen. Andererseits hatte er, wie
die Juden wussten, die Stellung eines Propheten inne, durch den der Herr die
Zukunft voraussagte, und als solcher wusste er durch eine Offenbarung Gottes,
dass Gott ihm mit einem Eid versprochen hatte, dass ein Nachkomme von ihm auf
seinem Thron sitzen würde. Vgl. 2. Sam. 7,12.13. Mit diesem Wissen schrieb
David die Prophezeiung des 16. Psalms, in der er von der Auferstehung Christi
spricht, dass er im Reich des Todes nicht verlassen werde und sein Fleisch die
Verwesung nicht sehen werde. So beweist Petrus mit seinem Text eindeutig, dass
Jesus nach einem vorherbestimmten und ausgesprochenen Ziel Gottes den Tod
erlitt, dass der Tod Ihn aber nicht halten konnte, dass Er schlicht und einfach
von den Toten auferstehen musste und auferstand. Und dass sich diese
Prophezeiung erfüllt hat, konnten auch die Apostel, die zwölf Männer, die vor
ihnen standen, bezeugen; sie waren Zeugen der Auferstehung Jesu. Ihre Augen,
ihre Sinne haben sie nicht getäuscht; sie waren bei dem auferstandenen Herrn gewesen;
sie hatten seinen Auftrag erhalten. Diese Tatsache ist auch für uns ein großer
Trost, die wir auf die Botschaft des auferstandenen Herrn vertrauen, wie sie
von diesen Zeugen seiner Auferstehung berichtet wird.
Die Schlussfolgerung in der Predigt des
Petrus (33-36): Ein kraftvolles Schlusswort! Nach seinem Zeugnis über die
Auferstehung Jesu musste Petrus noch einen weiteren Punkt anführen, nämlich den
Beweis für die Erhöhung Christi in die Herrlichkeit mit der dazugehörigen
Majestät und Macht. In diesem Fall berief er sich nicht auf das persönliche
Zeugnis der Apostel, da dieser Schritt der Verherrlichung Christi den
menschlichen Augen verborgen geblieben war. Aber die Himmelfahrt und Erhöhung
war eine notwendige Folge der Auferstehung. Jesus wurde durch die rechte Hand
Gottes erhöht, durch die allmächtige Kraft Gottes zur höchsten Würde im Reich
der Herrlichkeit erhoben; Jesus empfing vom Vater die Verheißung des Heiligen
Geistes; Jesus goss den Geist auf die Jünger aus, wie die Juden nun zu ihrem
großen Erstaunen bezeugten, sowohl mit ihren Augen, als sie die Feuerzungen
sahen, als auch mit ihren Ohren, als sie die ungelehrten Fischer die großen
Wunder Gottes in mehr als einem Dutzend Sprachen und Dialekten verkünden
hörten. Es war ein Zeugnis von einer Art, die kein vernünftiger Mensch unter
den Zuhörern in Frage zu stellen wagte. Und dieses Wunder des erhöhten Christus
war wiederum im Alten Testament vorhergesagt, eine weitere Tatsache, die sie
von der Wahrheit der Bemerkungen des Petrus überzeugen sollte. Denn David war,
wie sie wohl wussten, nicht in den Himmel aufgefahren. Die Worte, die er
geschrieben hatte, Ps. 110,1: Der Herr sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu
meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel für deine Füße mache, konnten
daher nicht auf David zutreffen. Die Stelle musste sich also, wie selbst die
Juden zugaben, auf Christus beziehen; die Worte hatten ihre Erfüllung in der
Himmelfahrt Jesu gefunden. Nachdem Petrus also die Aussagen, die er in seiner
Einleitung gemacht hatte, mit den stichhaltigsten Beweisen untermauert hatte,
war er bereit für die logische, kraftvolle Schlussfolgerung und Anwendung. Mit
überzeugender Zuversicht und verblüffender Direktheit appelliert er nicht nur
an die anwesenden Zuhörer, sondern an das ganze Haus Israel, das sie vertraten,
die Tatsachen, die er in seiner Predigt dargelegt hatte, richtig zu verstehen,
nämlich dass Gott denselben Jesus, den sie gekreuzigt hatten, sowohl zum Herrn
als auch zum Christus gemacht hatte. Er hatte ihn zum Herrn gemacht, indem er
ihn auf den ewigen Thron der Majestät und der Macht erhob, und er hatte ihn zum
Christus gemacht, indem er alle alten Prophezeiungen über den Messias als auf
Jesus von Nazareth bezogen bestätigte. Jesus und sein ganzes Wirken wurden auf
herrlichste und unwiderlegbare Weise gerechtfertigt. Das ist die Verkündigung
Christi, die es in der christlichen Kirche zu allen Zeiten geben sollte. Das
ist der Inhalt aller christlichen Verkündigung: Jesus Christus, wahrer Gott und
Mensch, gekreuzigt und auferstanden, unser Herr und Erlöser.
Die unmittelbare Wirkung der Predigt
(V. 37-41): Petrus hatte seine Predigt mit den Worten beendet: Gott hat diesen
Jesus, den ihr gekreuzigt habt, zum Herrn und Christus gemacht. Diese
abschließenden Worte, die nach seiner kraftvollen Darlegung der Wahrheit kamen,
konnten ihre Wirkung nicht verfehlen. Sie drangen bis zum Herzen der Zuhörer
vor, sie durchbohrten das Herz. Die Männer waren zutiefst bewegt, sie wurden
von Reue und Gewissensbissen erfüllt. Sie fühlten mit dem scharfen Elend eines
schlechten Gewissens, dass sie vor Gott Mörder waren. Das ist der Anfang der
Reue: Ein scharfes Bewusstsein der Sünde und eine tiefe Trauer über die
Beleidigung, die sie Gott damit darbringen. Dies wird durch die eifrige,
unruhige Frage der Zuhörer deutlich: Was sollen wir tun, Männer und Brüder? Sie
verzweifeln nicht an der Größe ihrer Sünde, sondern wenden sich an Petrus, um
Hilfe in ihrer großen Not zu erhalten. Es war eine bedeutsame Frage, und sie
erhielt eine klare Antwort. Als Erstes fordert Petrus sie auf, aufrichtig und
ehrlich zu bereuen und alle Schuld ohne Vorbehalt und Zweideutigkeit vor Gott
zu bekennen (Spr. 28,13). Und der zweite Schritt ist, dass jeder von denen,
deren Herz auf diese Weise mit Kummer und Reue erfüllt wurde, auf oder in den
Namen Jesu Christi getauft werden soll. Die christliche Taufe wird im Namen
Jesu vollzogen, weil das Werk Jesu die Gabe der Taufe ermöglicht hat, denn sie
wird zur Vergebung der Sünden vollzogen. Die Vergebung der Sünden, die volle
Vergebung, wird dem armen Sünder durch die Waschung der Wiedergeburt geschenkt,
Titus 3,5. Die Taufe ist kein bloßes Symbol oder eine Form der Aufnahme in die
Bruderschaft der Gläubigen, noch ist sie ein Werk, durch das Sündenerlass
erworben wird. Das Wasser der Taufe überträgt und schenkt durch die Kraft des
Wortes, das im und mit dem Wasser ist, den Erlass der Sünden, wie er durch
Jesus Christus erworben wurde. Man beachte: Petrus benutzt sowohl das Gesetz
als auch das Evangelium, ersteres, um eine volle und richtige Erkenntnis der Sündhaftigkeit
zu bewirken, letzteres, um die Schleusen der Barmherzigkeit Gottes für die
armen Sünder zu öffnen. Und es gibt noch einen dritten Punkt, den Petrus
hervorhebt. Wo Reue und Glaube im Herzen zu finden sind, dort ist die Gabe des
Heiligen Geistes gesichert, dort schüttet Gott aus reiner Barmherzigkeit den
Heiligen Geist aus. Der Geist wohnt in den Herzen derer, die getauft sind und
an den Namen des Herrn Jesus Christus glauben, und sein ständiges Werk ist es,
die Gläubigen zu heiligen. Durch die Innewohnung des
Geistes werden wir befähigt, die Früchte des Geistes hervorzubringen. Diese
Anwendung macht Petrus sehr nachdrücklich, indem er erklärt, dass die
Verheißung Gottes zum Heil ihnen gilt, sich auf sie und ihre Kinder bezieht,
ernsthaft für sie bestimmt ist. Man beachte, dass die Verheißung des
Evangeliums Gottes auch in Bezug auf die Vergebung der Sünden, wie sie durch
die Taufe übertragen wird, nicht nur den Erwachsenen, sondern auch den Kindern
gilt; die Kinder sind ganz entschieden in das Gebot der Taufe einbezogen. Und
die Verheißung des Evangeliums war nicht auf die Juden und ihr Volk beschränkt,
sondern galt auch allen, die in der Ferne waren, so viele, wie Gott berufen
wollte, die Wohltaten und Segnungen seiner Barmherzigkeit zu empfangen. Es ist
das gnädige Werk Gottes, die Macht seiner Barmherzigkeit auch unter den Heiden
zu zeigen, sein Wort unter ihnen zu ihrem Heil anzunehmen, sie zu sich zu rufen
als seine eigenen Kinder. Die Allgemeingültigkeit dieser Verheißung und die
Schönheit ihrer Bedeutung kennen keine Grenzen. Hier schließt Lukas den
mündlichen Bericht über die Rede des Petrus, indem er lediglich hinzufügt, dass
er, und zweifellos auch die anderen Apostel, mit vielen zusätzlichen Argumenten
sehr ernsthaft Zeugnis abgelegt haben. Und seinem Zeugnis fügte er eine
Ermahnung hinzu, um den neugeborenen Glauben ihrer Herzen zu bestätigen und zu
stärken, indem er sie aufforderte, gerettet zu werden oder zu werden, ihre
Seelen zu retten, indem sie sich von der verkehrten, gottlosen Generation
dieser Welt trennten. Die Kraft dazu haben sie durch den Glauben bekommen, denn
die Kraft Gottes ist in ihnen gegenwärtig, und sie müssen diese Kraft sofort
ausüben, Phil. 2,12. Es ist notwendig, dass die Christen zu allen Zeiten von
der Kraft Gottes Gebrauch machen, die sie durch den Glauben in sich aufgenommen
haben. Die Wirkung der Predigt bei der Gründung und dem Fortschritt der Kirche:
V.41. Die aber sein Wort gern annahmen, ließen sich taufen; und an demselben
Tage wurden ihnen etwa dreitausend Seelen zugerechnet. V.42. Und sie blieben
beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brechen des
Brotes und in den Gebeten. V.43. Und Furcht kam über alle Seelen, und viele
Wunder und Zeichen geschahen durch die Apostel. V.44. Und alle, die gläubig
waren, waren beieinander und hatten alles gemeinsam; V.45. Und verkauften ihre
Habe und Güter und teilten sie aus unter alle, wie es einem jeden not war.
V.46. Und sie blieben täglich einmütig im Tempel und brachen das Brot von Haus
zu Haus und aßen ihre Speise mit Freuden und lauterem Herzen, V.47. lobten Gott
und hatten Wohlgefallen an allem Volk. Und der Herr fügte der Kirche täglich
solche hinzu, die gerettet werden sollten. Das Wort Gottes, das mit solcher
Kraft gepredigt und mit so ernsten Ermahnungen befolgt worden war, blieb nicht
ohne Frucht. Durch das Wirken desselben Geistes, dessen Wunderkraft sich vor
ihren Augen zeigte, nahmen einige der Anwesenden, eine beträchtliche Anzahl von
Zuhörern, das Wort im Glauben an, sie nahmen Jesus von Nazareth als den
verheißenen Messias an und ließen sich taufen. Die Taufe auf den Namen Jesu
Christi diente zur Stärkung ihres Glaubens an das Wort des Evangeliums und zur
Bestätigung und Besiegelung ihres Heils in Christus, von dem Petrus Zeugnis
abgelegt hatte. Es ist unerheblich, ob diese große Zahl von Menschen, die auf
diese Weise zu den Jüngern hinzukamen und sich ihnen anschlossen, durch
Untertauchen getauft wurden (die notwendigen Einrichtungen waren in Jerusalem
vorhanden, wie die Befürworter des Untertauchens erklären) oder nicht, da die
Art der Taufe in der Heiligen Schrift nicht vorgeschrieben ist. Es gibt eine
ganze Reihe von Wahrscheinlichkeitsargumenten, die gegen das Untertauchen
sprechen. Wie dem auch sei, Tatsache ist, dass diese Menschen durch das
Sakrament der Taufe in die christliche Kirche aufgenommen wurden, ihre Zahl
beträgt etwa dreitausend Seelen. Die Seelen, die für Christus gewonnen werden,
werden dadurch zu seiner Kirche hinzugefügt.
Die frühe Gemeinde in Jerusalem (V.
42): Lukas zeichnet nun ein Bild der ersten christlichen Gemeinde von
Jerusalem, mit dem Kern der Apostel und den hundertzwanzig
Jüngern und mit den dreitausend Bekehrten von Pfingsten als Körperschaft. Die
Kirche wuchs nicht nur zahlenmäßig, sondern auch im Glauben und in der
Nächstenliebe. Die Mitglieder der Gemeinde hielten mit großer Treue und Hingabe
an der Lehre der Apostel fest. Diese Männer, die von Christus als Lehrer der
ganzen Christenheit eingesetzt und geweiht worden waren, waren zu jener Zeit
die Lehrer der Gemeinde in Jerusalem. Und ihre Lehre war die Lehre Christi; sie
lehrten, was sie von Christus gehört hatten; ihr Wort war das Wort Gottes.
Indem sie an diesem Wort festhielten, bewahrten die Jünger auch die
Gemeinschaft. Sie waren in demselben Glauben und derselben Liebe zu ihrem Herrn
und Meister vereint; sie waren in Gemeinschaft miteinander und in Einheit mit
Christus und dem Vater, eine wunderbare, gesegnete Vertrautheit, durch die sie
enger miteinander verbunden waren als Brüder und Schwestern nach dem Fleisch.
Ein jeder nahm Anteil an den Freuden und Leiden des anderen. Ihre innige
Gemeinschaft drückte sich im Brechen des Brotes aus. Wenn sich dieser Ausdruck
auch nicht ausschließlich auf die Feier des Heiligen Abendmahls bezieht, so
schließt er das Sakrament doch keineswegs aus. Vgl. 1. Kor. 10,16. Er bezieht
sich eindeutig nicht auf ein gewöhnliches Mahl und wurde von Lukas
wahrscheinlich verwendet, um kurz das gemeinsame Mahl zu beschreiben, das die
Gläubigen in den frühen Tagen der Kirche mit der Feier des Abendmahls
verbanden. Und so wie die Gläubigen das Wort hörten, so wie sie das Abendmahl
feierten, so waren sie auch fleißig, eifrig, im öffentlichen Gebet. Durch
gemeinsames Gebet, Lobpreis und Danksagung bekundeten die Jünger Jerusalems
ihre brüderliche Gemeinschaft und ihre geistige Einheit. All diese Tatsachen
konnten den Menschen in der Stadt natürlich nicht verborgen bleiben, auch wenn
die Mitglieder der Gemeinde es so gewollt hätten. Die Lebensweise der Christen
war ein ständiges Bekenntnis und eine Ermahnung an alle Bewohner der Stadt. Das
Ergebnis war, dass viele Juden, die mit den Gläubigen in Berührung kamen, mit
großer Furcht erfüllt wurden; die feierliche Ehrfurcht, die die Wunder und
Zeichen der Apostel hervorriefen, wurde durch die Ehrfurcht, die ihr
untadeliges Leben verlangte, noch verstärkt. Die Gegenwart Gottes und des
erhöhten Christus durch das offenkundige Wirken des Geistes inmitten der
Gemeinde musste von allen, die mit ihnen in Berührung kamen, anerkannt werden.
Und diese Ehrfurcht diente auch der Ausbreitung des Evangeliums; sie wirkte als
Hemmschuh für den Hass der Juden und hinderte sie daran, ihre Feindschaft offen
zu zeigen. Es war Gottes Absicht, dass die junge Pflanze seiner Kirche eine
Zeit lang friedlich wachsen sollte.
Das Leben der Gemeinde in brüderliche
Liebe und deren Wirkung auf das Volk (V. 43-47): Inzwischen zeigte die
brüderliche Liebe der Jünger ihre Kraft in ihrem Leben und in ihren Werken. Sie
waren zusammen, ihr Herz und ihr Verstand waren auf die gemeinsame Sache
gerichtet, was sie natürlich dazu veranlasste, sich so oft wie möglich zu treffen,
sei es im Tempel oder in Privathäusern, und zwar nicht nur zu öffentlichen
Gottesdiensten, sondern auch zum geselligen Beisammensein in einem wahrhaft
christusähnlichen Geist. Und sie hatten alle Dinge gemeinsam; sie praktizierten
keinen Kommunismus, sie hoben das Recht auf Privateigentum nicht auf. Nicht der
Besitz, sondern der Gebrauch und der Nutzen der Güter war gemeinsam. Vgl. Kap.
4,32. Jedes Mitglied der Gemeinde betrachtete sein Eigentum als ein Talent des
Herrn, mit dem es seinem Nächsten dienen sollte. In vielen Fällen bewirkte
diese brüderliche Liebe noch mehr. Sie verkauften ihre Besitztümer und Güter,
ihr gesamtes Eigentum, und teilten den Erlös unter allen Brüdern auf, so wie es
die Bedürfnisse erforderten. Das war kein Gesetz, das die Apostel vorschlugen
oder durchsetzten, sondern eine freie Äußerung wahrer
Nächstenliebe. Die wohlhabenden Christen waren bereit und eifrig, diese Opfer
zu bringen, wenn es offensichtlich war, dass dies die einzige Möglichkeit war,
die Bedürfnisse der Brüder zu decken. Es gab nichts von der hochmütigen
Abgehobenheit, die heute den Umgang der Reichen mit den Armen kennzeichnet.
Solche Liebesbekundungen hatte man selten, wenn überhaupt, auf der Erde
gesehen. Und all dies geschah ohne jeden Versuch der Zurschaustellung.
Selbstverständlich hielten die Gläubigen einmütig und in voller Einigkeit des
Geistes ihre öffentlichen Versammlungen im Tempel ab, wo sie Gelegenheit
hatten, den anderen Mitgliedern ihres Volkes von der Hoffnung zu berichten, die
sie beseelte. Und nicht nur im Tempel fanden tägliche Versammlungen statt,
sondern sie trafen sich auch von Haus zu Haus, hauptsächlich zur Feier des
Heiligen Abendmahls und des gemeinsamen Mahls, das als Agape bekannt ist, wo
sie mit großer Freude oder Jubel und übrigens mit aller Einfachheit des Herzens
gemeinsam an den Speisen teilnahmen. Die reicheren Mitglieder empörten sich
nicht darüber, dass die ärmeren Brüder an den von ihnen bereitgestellten
Speisen teilnahmen, noch hielten sie es für unter ihrer Würde, am selben Tisch
zu sitzen. Und die armen Mitglieder besaßen nichts von dem törichten Stolz der
Armut, weil sie gezwungen waren, die Großzügigkeit der anderen anzunehmen. Sie
waren alle in dem einen großen Werk vereint, Gott für all die Gaben zu preisen,
mit denen er sie beschenkt hatte. Kein Wunder, dass sie beim ganzen Volk
Anklang fanden. Jeder ehrliche, aufrichtige Jude schätzte die Gläubigen
natürlich wegen der Einfachheit, Reinheit und Nächstenliebe ihres Lebens. Und
da das Bekenntnis des Mundes durch den Beweis der Werke unterstützt und
bestätigt wurde, war das Ergebnis, dass die Zahl der Gläubigen täglich zunahm.
Aber Lukas sagt ausdrücklich, dass der Herr die, die gerettet werden sollten,
der Gemeinde hinzufügte. Die Bekehrung eines jeden Menschen ist allein das Werk
des Herrn und das Ergebnis seines gnädigen und guten Willens zur Errettung der
Sünder. Anmerkung: Die Gemeinde in Jerusalem ist durchweg ein leuchtendes
Beispiel für die christlichen Gemeinden und für die Gläubigen aller Zeiten.
Wenn dieselbe Liebe zum Wort Gottes, zum Gebrauch des Sakraments, wenn dieselbe
selbstlose Liebe zu den Brüdern in unseren Tagen sichtbar wäre, würde sich jede
Gemeinde in gleicher Weise auszeichnen. Und das ist der Wille Christi, des
Hauptes der Kirche.
Zusammenfassung: Auf das
Pfingstwunder folgt eine lange und kraftvolle Predigt des Petrus, in der er
Jesus als den Herrn und Christus darstellt, deren Wirkung sich in der festen
Gründung der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem zeigt.
Die Heilung des
Lahmen
(3,1-11)
1 Petrus aber und
Johannes gingen miteinander hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, da man
pflegte zu beten. 2 Und es war ein Mann, lahm von Mutterleib, der ließ sich
tragen. Und sie setzten ihn täglich vor des Tempels Tür, die da heißt die
schöne, dass er bettelte das Almosen von denen, die in den Tempel gingen. 3 Da
er nun sah Petrus und Johannes, dass sie wollten zum Tempel hineingehen, bat er
um ein Almosen.
4 Petrus aber sah ihn an
mit Johannes und sprach: Siehe uns an! 5 Und er sah sie an, wartete, dass er
etwas von ihnen empfinge. 6 Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht;
was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe
auf und wandele! 7 Und griff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf.
Sogleich standen seine Schenkel und Knöchel fest; 8 sprang auf, konnte gehen
und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, wandelte und sprang und lobte
Gott. 9 Und es sah ihn alles Volk wandeln und Gott loben. 10 Sie kannten ihn
auch, dass er’s war, der um das Almosen gesessen hatte vor der schönen Tür des
Tempels; und sie wurden voll Wunderns und Entsetzens über dem, was ihm
widerfahren war. 11Als aber dieser Lahme, der nun gesund war, sich zu Petrus
und Johannes hielt, lief alles Volk zu ihnen in die Halle, die da heißt
Salomos, und wunderten sich.
Der lahme Bettler (V. 1-3): Von den
vielen Zeichen und Wundern, die die Apostel zur Bekräftigung ihrer Lehre
vollbrachten (Kap. 2,43), berichtet Lukas hier eines, das sich durch die große
Aufmerksamkeit, die es erregte, von den anderen abhebt. Die Jünger gaben nach
der Himmelfahrt Christi und sogar nach dem Pfingsttag die Gebräuche der
jüdischen Religion, die nicht im Widerspruch zur Lehre Jesu standen, nicht auf.
(So ließ auch Luther mit konservativem Taktgefühl nicht zu, dass
ikonoklastische Tendenzen seine reformatorische Arbeit lenkten.) Wie zuvor
hielten sie die jüdischen Gebetszeiten ein. Um die neunte Stunde, das heißt um
drei Uhr nachmittags, der Zeit des Abendopfers, gingen Petrus und Johannes in
den Tempel hinauf, um zu beten. Zu dieser Zeit wurden die Gebete der Gläubigen
wie süßer Weihrauch in die Nase Gottes hinaufgetragen, und das Erheben der
Hände begleitete die Darbringung des Abendopfers. Doch als die beiden Apostel
am Tempel ankamen, wurden sie durch einen besonderen Umstand aufgehalten. Ein
gewisser Mann, der von Geburt an lahm war und nicht gehen konnte, sondern von
einem Ort zum anderen getragen werden musste, wurde von einigen Freunden oder
Bekannten täglich an das Tor des Tempels gestellt, das als „die Schöne“ bekannt
war, um dort seinem Beruf als Bettler nachzugehen, indem er die Besucher des
Tempels um Almosen bat. Der Tempel selbst befand sich auf einer Anhöhe über der
Stadt, so dass die Apostel hinaufsteigen mussten, um seine Höfe und Hallen zu
besuchen. „Entweder das Tor, das sich vom Frauenhof nach Osten öffnete, oder
das Tor zwischen dem Frauenhof und dem Hof Israels (es ist ungewiss, welches)
war von einem gewissen Nikanor gestiftet worden und
war aus feiner korinthischer Bronze. Es wurde manchmal ‚das schöne Tor‘ und
manchmal ‚das Tor des Nikanor‘ genannt. An diesem
Tor, also in der Nähe des Schatzhauses, wo die Menschen ihr Geld für die
Religion spendeten, fanden Petrus und Johannes den Lahmen bettelnd.“[11]
Der Lahme hatte Petrus und Johannes wahrscheinlich schon oft gesehen, aber bei
dieser Gelegenheit wollte der Herr ihm eine besondere Gnade erweisen. Er sah
die beiden Apostel an, als sie gerade eintreten wollten, und bat sie um ein
Almosen.
Das Wunder der Heilung (V. 4-11): Nachdem
die Aufmerksamkeit der Apostel auf den Bettler gelenkt worden war, an dem sie
sonst vielleicht vorbeigegangen wären, wie sie es wahrscheinlich schon oft
getan hatten, sah Petrus ihn sehr aufmerksam an. Sein Herz war tief bewegt
angesichts des hilflosen und bedauernswerten Zustands des Krüppels, und in
seinem ernsten Blick mag etwas von dem wunderbaren
Mitgefühl gelegen haben, das so oft aus dem Antlitz seines Meisters
hervorgeleuchtet hatte. Dann forderte er den Bettler auf, ihn und Johannes
anzuschauen, um seine Neugier und Aufmerksamkeit zu wecken, damit der Mann sich
sofort der Quelle der wunderbaren Heilung bewusst werden konnte. Und als der
Krüppel seine Aufmerksamkeit auf die beiden Apostel richtete, in der Erwartung,
von ihnen ein Geschenk zu erhalten, sagte Petrus schlicht, aber eindrücklich zu
ihm: Silber und Gold habe ich nicht; das zählte er nicht zu seinem Besitz und
teilte damit den Zustand seines Herrn und vieler Diener des Herrn seit seiner
Zeit. Weltliche Besitztümer zählten nicht zu seinen Schätzen; was er aber
hatte, war sicher und dauerhaft. Und das war Petrus bereit zu geben, mit dem
armen Mann zu teilen. Den Aposteln war die Macht gegeben worden, Wunder zu tun,
um das Evangelium zu verbreiten, und Petrus wollte diese Macht für die Heilung
dieses unglücklichen Krüppels einsetzen. Und so ertönte sein Befehl: Im Namen
Jesu Christi von Nazareth stehe auf und gehe. Die Macht des Petrus, Wunder zu
vollbringen, war nicht absolut, er besaß sie nur auf Befehl, in der Macht und
im Interesse seines Herrn und Meisters Jesus und konnte sie nur in seinem Namen
einsetzen. Und dann ergriff Petrus die Hand des Mannes, hielt ihn fest, um ihm
Vertrauen zu geben, und hob ihn hoch, richtete ihn auf. Das Wunder geschah
augenblicklich. Die Füße des Mannes wurden fest unter seinem Gewicht und seine
Knöchel fest; beide, Knochen und Muskeln, erhielten nicht nur die Kraft,
sondern auch die Fähigkeit, diese Kraft richtig einzusetzen. Noch während
Petrus seine Hand festhielt, sprang er auf; er stellte sich zuerst aufrecht
hin, als wollte er das Gewicht auf seinen Füßen testen oder spüren, wie es sich
anfühlt, eine aufrechte Position einzunehmen. Und dann ging er frei umher, ohne
eine Spur von Lahmheit; er ging sogar mit Petrus und Johannes in den Tempel, in
den Vorhof Israels, den Ort, wo die Menschen anbeteten. Und immer wieder ging
er in der Fülle seiner Freude umher und sprang sogar, als müsse er sich
überzeugen, dass er nicht träumte, sondern dass das Wunder Wirklichkeit war.
Seine Anbetung an jenem Nachmittag geschah aus der Tiefe eines Herzens, das vor
Dankbarkeit überquoll, weshalb er auch Gott lobte und ihm, auf den sich Petrus
in seinem Heilungsbefehl bezogen hatte, alle Ehre und Herrlichkeit erwies. All
dies geschah natürlich nicht, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Zu dieser Zeit
kamen viele Menschen zum Abendopfer in den Tempel, und sie erkannten in dem
Mann, der umherging und in der Freude seines Herzens hüpfte, den Bettler, den
sie schon oft am Tor des Tempels gesehen hatten. Die Schlussfolgerung aus der
Sache war offensichtlich. Es war ein Wunder geschehen, das sie aufrüttelte und
erschütterte, das sie mit Staunen und Verwunderung erfüllte. Ihr Erstaunen
mischte sich mit Bewunderung und Ehrfurcht, die fast an Betäubung grenzte. Aber
es gab keinen Zweifel daran, dass das Geschehen tatsächlich stattgefunden
hatte. Denn da war der Mann, der sich an die Apostel als seine Wohltäter
klammerte; da waren die Ausdrücke seiner Freude und Dankbarkeit; da war die
Tatsache, dass er gehen und springen konnte. Es dauerte daher nicht lange, bis
sich das ganze Volk, das in den Tempel gekommen war und das Abendopfer und die
Zeit des Räucherwerks vergessen hatte, um Petrus und Johannes drängte, die nun
in den schönen Säulengang oder die Halle, die als Salomons Vorhalle bekannt
war, hinausgegangen waren. Merke: Jeder, der die Hilfe des Herrn erfahren hat,
sollte ihm gebührend Lob und Dank zollen und seine Segnungen vor den Menschen
bekennen. Beachte auch: Obwohl die Gaben der Wunder und die außergewöhnlichen
Leistungen der Wunder eine besondere Auszeichnung der apostolischen Kirche
waren, wird die Hand des Herrn nicht verkürzt, wenn es darum geht, in der
Kirche Wunder zu tun. Vor allem die Wunder seiner Gnade sind so beschaffen,
dass sie zuweilen sogar die Bewunderung der Kinder der Welt hervorrufen.
Die Ansprache des
Petrus im Tempel
(3,12-26)
12 Als Petrus das sah,
antwortete er dem Volk: Ihr Männer von Israel, was wundert ihr euch darüber,
oder was seht ihr auf uns, als hätten wir diesen wandeln gemacht durch unsere
eigene Kraft oder Verdienst? 13 Der Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs, der
Gott unserer Väter, hat sein Kind Jesus verklärt, welchen ihr überantwortet und
verleugnet habt vor Pilatus, da der urteilte, ihn loszulassen. 14 Ihr aber
verleugnetet den Heiligen und Gerechten und batet, dass man euch den Mörder
schenkte; 15 aber den Fürsten des Lebens habt ihr getötet. Den hat Gott
auferweckt von den Toten; des sind wir Zeugen.
16 Und durch den Glauben
an seinen Namen hat er an diesem, den ihr seht und kennt, bestätigt seinen
Namen; und der Glaube durch ihn hat diesem gegeben diese Gesundheit vor euren
Augen. 17 Nun, liebe Brüder, ich weiß, dass ihr’s durch Unwissenheit getan habt
wie auch eure Obersten. 18 Gott aber, was er durch den Mund aller seiner
Propheten zuvor verkündigt hat, wie Christus leiden sollte, hat’s so erfüllt.
19 So tut nun Buße und
bekehrt euch, dass eure Sünden vertilgt werden, 20 auf dass da komme die Zeit
der Erquickung von dem Angesichte des HERRN, wenn, er senden wird den, der euch
jetzt zuvor gepredigt wird, Jesus Christus, 21 welcher muss den Himmel einnehmen
bis auf die Zeit, da wiedergebracht werde alles, was Gott geredet hat durch den
Mund aller seiner heiligen Propheten von der Welt an.
22 Denn Mose hat gesagt
zu den Vätern: Einen Propheten wird euch der HERR, euer Gott, erwecken aus
euren Brüdern gleichwie mich, den sollt ihr hören in allem, was er zu euch
sagen wird. 23 Und es wird geschehen, welche Seele diesen Propheten nicht hören
wird, die soll vertilgt werden aus dem Volk. 24 Und alle Propheten von Samuel
an und hernach, wieviel ihrer geredet haben, die haben von diesen Tagen
verkündigt. 25 Ihr seid der Propheten und des Bundes Kinder, welchen Gott
gemacht hat mit euren Vätern, da er sprach zu Abraham: Durch deinen Samen
sollen gesegnet werden alle Völker auf Erden. 26 Für euch zuerst hat Gott
auferweckt sein Kind Jesus und hat ihn zu euch gesandt, euch zu segnen, dass
ein jeglicher sich bekehre von seiner Bosheit.
Eine eindrückliche Anwendung des
Gesetzes (V. 12-15): In diesem Bericht, wie auch in dem des vorhergehenden
Kapitels, muss man sich über die Kühnheit des Petrus wundern. Er, der nur
wenige Wochen zuvor vor dem Spott einer Magd zurückgeschreckt war und seinen
Meister schändlich verleugnet hatte, spricht hier in Gegenwart einer großen
Menschenmenge, in der Tempelhalle selbst, und wirft den Juden die Anklage des
Mordes an den Lippen. Petrus sah mit Entsetzen, dass die Bewunderung des Volkes
auf Johannes und ihn selbst gerichtet war. Und so macht er sich sogleich daran,
diese falsche Vorstellung zu korrigieren. Die Männer von Jerusalem sollten
nicht mit Erstaunen und Verwunderung erfüllt sein, noch sollten sie sie
anstarren, als ob sie in ihrer eigenen Macht oder aufgrund ihrer eigenen
Heiligkeit den Mann zum Gehen gebracht hätten. Petrus bestreitet, dass er und
Johannes eine solche körperliche Kraft besaßen, wie das Volk sie sich
vorstellte, oder einen so würdigen Zustand und eine solche Fähigkeit der Seele.
Die Bewunderung des Volkes sollte sich auf den wahren Urheber des Wunders
richten, dessen unwürdige Vertreter und Diener die Apostel nur waren. Und indem
Petrus die Ehre allein dem himmlischen Vater und dem erhabenen Christus gibt,
hebt er die Schuld der Juden umso deutlicher hervor. Der Gott Abrahams und
Isaaks und Jakobs, von dem die Juden hochmütig als dem Gott ihrer Väter zu
sprechen pflegten, hatte sein Kind, seinen Sohn, in diesem Wunder verherrlicht,
denn es war im Namen, in der Kraft Jesu Christi geschehen. In krassem Gegensatz
zu dieser Wahrheit stand die Tatsache, dass sie Jesus in die Gewalt des
römischen Statthalters ausgeliefert und ihn mit Schimpf und Schande überhäuft
hatten. Die Juden hatten ihren Herrn vor Pilatus blasphemisch verleugnet; der
heidnische Richter war bereit gewesen, ihm die Freiheit zu geben. Den Heiligen
und Gerechten, den einzigen Menschen, der diese Attribute in der ganzen Welt
wahrhaftig verdiente, hatten die Juden verleugnet; sie hatten mit allen
Schmeicheleien und Drohungen gefordert, dass ihnen ein Mörder als
Passahgeschenk gewährt werde, dass Barabbas ihnen freigegeben werde. Die Juden
hatten Jesus getötet, ermordet, und er war der Fürst des Lebens, der Urheber,
die Quelle des Lebens. Gegen das gesamte Verhalten der Juden steht also die Art
und Weise, wie Gott für Jesus Zeugnis abgelegt hat, den er von den Toten auferweckt
hat, eine Tatsache, die alle Apostel nachdrücklich bezeugen konnten. So konnte
nur das Wunder erklärt werden.
Die Grundlagen der vor Augen liegenden
Fakten in der Weissagung (V. 16-18): Petrus hatte den versammelten Juden
das Gesetz gepredigt; er hatte ihnen die Abscheulichkeit ihrer Übertretung
gegen ihren Herrn und Erlöser vor Augen geführt; er hatte ihnen die Überzeugung
aufgedrängt, dass sie in den Augen Gottes schwer schuldig waren. Was nun das
Wunder betraf, über das sie so verblüfft waren, so war die Erklärung sehr
einfach. Es war im Namen Jesu und durch seine Macht geschehen. Auf der
Grundlage des Glaubens an Jesus, durch den Glauben an Jesus, sein Wort und
seine Verheißung, Mark. 16,17.18; Joh. 16,23, hatte der Name Christi und die
Kraft, die in seinem Namen enthalten ist, diesen Krüppel, den sie sahen und
kannten, gestärkt; das war es, was die Beteiligung der Apostel an dem Wunder
betraf. Und was den Lahmen betrifft, so hatte der Glaube, der durch Christus
ist, der von ihm gegeben wurde, dem Unglücklichen vor den Augen der Anwesenden
volle und vollkommene Gesundheit und Kraft verliehen. Die Erklärung war also
kurz und bündig die folgende: Die Macht, die Majestät des erhabenen Christus
hatte durch die Apostel gewirkt, und der Kranke hatte die Gabe der Gesundheit
im Glauben angenommen.
Nachdem so viel festgestellt worden war,
bringt Petrus nun den Sündern den Trost des Evangeliums. Er spricht die
Anwesenden als Geschwister an. Er räumt ein, dass ihr schreckliches Verbrechen
aus Unwissenheit begangen wurde, und dass ihre Herrscher mit der gleichen
Begründung entschuldigt werden können. Ihre Schuld bleibt bestehen, aber sie
ist geringer, als wenn sie das Verbrechen mit vollem Wissen und Vorsatz
begangen hätten. Und so wurde der Ratschluss und Plan Gottes verwirklicht. Was
er im Voraus durch den Mund aller Propheten verkündet hatte, nämlich dass
Christus, der Christus Gottes, auf diese Weise leiden müsse, erfüllte sich in
der Passion Jesu, wie sie stattgefunden hatte. Nur so war es möglich, Israel
und die ganze sündige Welt von aller Sünde und Schuld zu erlösen. Das Blut und
der Tod Jesu ist tatsächlich das Lösegeld für die Sünden der ganzen Welt. Denn
da er der Fürst, die Quelle, der Urheber des Lebens ist, ist es Gottes
Martyrium, Gottes Blut, Gottes Tod, der in die Waagschale gelegt wird. Und Gott
der Vater hat das Opfer angenommen, er ist mit den Sündern versöhnt. Diese
Tatsache hat er unmissverständlich bestätigt, indem er Jesus von den Toten
auferweckt und ihn zur Rechten seiner Majestät verherrlicht und erhöht hat. All
dies ist ein himmlischer Trost für die armen Sünder.
Der Weg zur Vergebung (V. 19-21): Die
Unwissenheit der Juden wurde von Petrus zwar als Entschuldigung für ihre Schuld
zugegeben, aber sie machte sie keineswegs unschuldig. Er fordert sie deshalb
auf, Buße zu tun, eine völlige Sinnes- und Herzensänderung in sich stattfinden
zu lassen und sich zu bekehren, umzukehren, sich ganz der Tilgung ihrer Sünden
zuzuwenden. Jeder, der sich von seinen Sünden abwendet und sich Christus, dem
Retter der Sünder, zuwendet, dem werden seine Sünden weggenommen, völlig ausgelöscht.
Der Glaube empfängt die Vergebung der Sünden, und wo es Vergebung der Sünden
gibt, gibt es auch Leben und Rettung. Und diese Bekehrung soll unverzüglich,
ohne Verzug geschehen, damit besondere Zeiten der Erquickung kommen, damit
Zeiten der Erholung, der Erfrischung, der Erneuerung vom Angesicht des Herrn
her kommen, und damit auch der Christus, der für euch bestimmt ist, nämlich
Jesus, gesandt wird. Jesus war nicht nur der Messias, in dem sich der mit David
geschlossene Bund erfüllte, sondern er ist auch der Herr, der messianische
König, der am jüngsten Tag in Herrlichkeit wiederkommen wird. Wenn Jesus, den
der Himmel jetzt auf Gottes Geheiß aufgenommen hat und der alle Himmel besitzt,
zur festgesetzten Zeit wiederkommt, dann beginnt die ewige Zeit der
Wiederherstellung aller Dinge, von der Gott durch den Mund aller seiner
heiligen Propheten seit Anbeginn der Welt gesprochen hat. Der Zeitpunkt, zu dem
diese wunderbare Veränderung zu erwarten ist, liegt ganz in Gottes Hand und
kann ohne Vorwarnung kommen. Es ist daher von großer Bedeutung, dass Buße und
Bekehrung so bald wie möglich und ohne Verzögerung stattfinden. Jetzt ist die
angenommene Zeit, jetzt ist der Tag des Heils, 2. Kor. 6,2.
Eine abschließende Ermahnung (V.
22-26): Dass Jesus von Nazareth tatsächlich der für die Juden bestimmte Messias
war und dass sich die Prophezeiungen in ihm erfüllten, stellt Petrus im letzten
Teil seiner Rede heraus. Mose hatte in einer seiner letzten Prophezeiungen an
die Israeliten in der Wüste eine klare Aussage gemacht, die sich nicht auf
einen bloßen menschlichen Propheten bezog, sondern auf einen, dessen Worte
absoluten Gehorsam verlangen würden. Mose hatte von diesem Propheten, der
kommen sollte, als einem solchen gesprochen, der ihm selbst gleicht. Wie Mose
der Vermittler zwischen Gott und dem Volk war, indem er ihnen Gottes
Botschaften überbrachte und zwischen den Toten und den Lebenden stand, so ist
Jesus der wahre Vermittler zwischen Gott und der sündigen Menschheit; wie Mose
der Befreier seines Volkes war, als er es aus der Knechtschaft Ägyptens
herausführte, so hatte Jesus alle Menschen von der Knechtschaft der Sünde, des
Todes und der Verdammnis befreit. Der Prophet, den Mose im Sinn hatte, kann
also kein anderer sein als Jesus Christus. Dieser größte Prophet aller Juden
muss gehorchen, wie es die Prophezeiung des Mose verlangte, 5. Mose
18,15.18.19, in seiner ganzen Lehre an sie richten. Die Strafe für den
Ungehorsam war, wie Mose gesagt hatte, dass er von jedem solchen
Widerspenstigen verlangt werden würde, gewöhnlich durch das Todesurteil, 2.
Mose 12,15.19; 3. Mose 17,4.9. Petrus gibt hier eine Umschreibung und Erklärung
der Worte Moses, indem er sagt, dass jede Seele, die sich des vorsätzlichen
Ungehorsams gegen diesen großen Propheten schuldig gemacht hat, aus dem Volk
völlig vernichtet und mit ewiger Verdammnis bestraft werden soll. Und Mose
steht mit seinem Zeugnis nicht allein, sondern seine Prophezeiung wird durch
die aller alten Propheten unterstützt und bekräftigt, angefangen bei Samuel,
dem Gründer der Prophetenschulen. Alle, die prophetisch sprachen, verkündeten
diese Tage, die Tage Christi und des messianischen Reiches mit all ihren
Heilsverheißungen. Der ganze Trost dieser Prophezeiungen und Verheißungen war,
wie Petrus seinen Zuhörern schließlich versicherte, für sie bestimmt und sollte
ihnen eine Quelle der Freude sein. Die Juden waren stolz auf ihre Abstammung
und auf ihr Volk, und in gewisser Weise hatten sie auch Grund dazu. Denn sie
waren Kinder der Propheten und des Bundes, den Gott mit ihren Vätern
aufgerichtet und geschlossen hatte. Sie waren vor allem Erben der Verheißung,
die Gott Abraham, 1. Mose 12,3; 18,18; 22,18, Isaak, 1. Mose 26,4, und Jakob,
1. Mose 28,14, gegeben hatte und in der er erklärte, dass alle Familien,
Geschlechter, Generationen oder Völker in ihrem Samen, in ihrem großen
Nachkommen, Jesus von Nazareth, gesegnet werden sollten. In Jesus Christus ist
der Segen des vollen Heils, der vollständigen Erlösung, zu allen Menschen auf
der ganzen Welt gekommen, nicht nur zu den Juden, sondern auch zu den Heiden.
Den Juden aber war es zuerst vergönnt, in den Genuss der Segnungen des
auferstandenen Herrn zu kommen, da Jesus die Zeit seines Wirkens ausschließlich
in ihrer Mitte verbracht hatte. Nachdem Gott sein Kind, seinen Sohn, von den
Toten auferweckt und damit die Annahme der von ihm vollbrachten Erlösung
besiegelt hatte, sandte er ihn, um die Juden zu segnen und ihnen die Segnungen
dieser Erlösung durch das Wirken der Apostel zu bringen. Alle Segnungen und
Wohltaten des Erlösers sollten ihnen in und durch die Bekehrung zuteil werden, und zwar dadurch, dass er jeden von seinen
Sünden abbringt. Das ist der Wille Gottes in Bezug auf jeden Sünder, dass er
sich von all seinen bösen Wegen und Übertretungen abwendet und die Segnungen
Christi und sein Sühnopfer annimmt.
Zusammenfassung: Petrus heilt
einen Lahmen am Tor des Tempels, woraufhin das Erstaunen des Volkes ihm Anlass
gibt, zu ihnen von Jesus Christus, dem Messias, und seinem Sühnetod
zu sprechen.
Petrus und
Johannes vor dem Hohen Rat der Juden (4,1-22)
1 Als sie aber zum Volk
redeten, traten zu ihnen die Priester und der Hauptmann des Tempels und die
Sadduzäer 2 (die verdross, dass sie das Volk lehrten und verkündigten an Jesus
die Auferstehung von den Toten) 3 und legten die Hände an sie und setzten sie
ein bis auf den Morgen; denn es war jetzt Abend. 4 Aber viele unter denen, die
dem Wort zuhörten, wurden gläubig; und ward die Zahl der Männer bei
fünftausend.
5 Als es nun kam auf den
Morgen, versammelten sich ihre Obersten und Ältesten und Schriftgelehrten in
Jerusalem: 6 Hannas, der Hohepriester, und Kaiphas und Johannes und Alexander,
und wieviel ihrer waren vom Hohenpriestergeschlecht,
7 und stellten sie vor sich und fragten sie: Aus welcher Gewalt oder in welchem
Namen habt ihr das getan?
8 Petrus, voll des
Heiligen Geistes, sprach zu ihnen: Ihr Obersten des Volks und ihr Ältesten von
Israel, 9 so wir heute werden gerichtet
über dieser Wohltat an dem kranken Menschen, durch welche er ist gesund worden,
10 so sei euch und allem Volk von Israel kundgetan, dass in dem Namen Jesu
Christi von Nazareth, welchen ihr gekreuzigt habt, den Gott von den Toten auferweckt hat, steht dieser allhier
gesund vor euch. 11 Das ist der Stein, von euch Bauleuten verworfen, der ist
zum Eckstein geworden 12 Und ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer
Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden.
13 Sie sahen aber an die
Freudigkeit des Petrus und Johannes und verwunderten sich; denn sie waren
gewiss, dass es ungelehrte Leute und Laien waren, und kannten sie auch wohl,
dass sie mit Jesus gewesen waren. 14 Sie sahen aber den Menschen, der gesund worden
war, bei ihnen stehen und hatten nichts dagegen zu reden.
15 Da hießen sie sie
hinausgehen aus dem Rat und handelten miteinander und sprachen: 16 Was wollen
wir diesen Menschen tun? Denn das Zeichen, durch sie geschehen, ist kund,
offenbar allen, die zu Jerusalem wohnen, und wir können’s nicht leugnen. 17
Aber auf dass es nicht weiter einreiße unter das Volk, lasset uns ernstlich sie
bedrohen, dass sie hinfort keinem Menschen von diesem Namen sagen. 18 Und
riefen sie und geboten ihnen, dass sie sich keineswegs hören ließen noch
lehrten in dem Namen Jesu. 19 Petrus aber und Johannes antworteten und sprachen
zu ihnen: Richtet ihr selbst, ob’s vor Gott recht sei, dass wir euch mehr
gehorchen als Gott. 20 Wir können’s ja nicht lassen, dass wir nicht reden
sollten, was wir gesehen und gehöret haben. 21 Aber sie drohten ihnen und
ließen sie gehen und fanden nicht, wie sie sie peinigten, um des Volks willen;
denn sie lobten alle Gott über dem, was geschehen war. 22 Denn der Mensch war
über vierzig Jahre alt, an welchem dies Zeichen der Gesundheit geschehen war.
Die Verhaftung der Apostel (V. 1-4):
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Herr zugelassen, dass das Wachstum der Kirche
ungestört verlief, dass die Arbeit der Apostel ohne Unterbrechung weiterging
und dass die Jünger reichlich Gelegenheit hatten, im Glauben gestärkt zu
werden. Aber die alten Feinde des Herrn konnten unter diesen Umständen nicht
untätig bleiben. Die gegenwärtige Gelegenheit bot ihnen eine willkommene
Gelegenheit, sich einzumischen und die Tätigkeit der Apostel zu behindern.
Petrus hatte seine Ansprache an das Volk noch nicht beendet, und auch Johannes
wandte sich gerade an einen Teil der Menge, als eine Gruppe bewaffneter Männer
über den Hof eilte. Es waren die Priester, die zweifellos verärgert waren, weil
das Volk in seinem Erstaunen über die Heilung des Lahmen das Abendopfer und die
Stunde des Räucheropfers nicht beachtet hatte. Da war der Hauptmann des
Tempels, "der Mann vom Tempelberg", der für die Priester und Leviten
verantwortlich war, die den Tempel und seine Umgebung bewachten und auch als
Polizei für das Gelände fungierten. Nachts belief sich die Zahl der Wachen für
die einundzwanzig äußeren und drei inneren Stationen auf 240 Leviten und 30
Priester.[12] Der Grund für seine Aufdringlichkeit war
wahrscheinlich, dass die Ruhe des Tempels durch die Menschenansammlung gestört
wurde. Und es waren schließlich und vor allem die Sadduzäer, die Mitglieder der
hochpriesterlichen Partei, die sich in ihrem Unmut besonders betroffen fühlten.
Denn die ganze Predigt des Petrus richtete sich gegen die Leugnung der
Auferstehung der Toten durch die Sadduzäer; alle Reden der Apostel beruhten auf
dieser einen Tatsache, dass Jesus von den Toten auferweckt worden war und dass diese
Tatsache seine Messianität bewies. Jesus hatte zwar
einmal die Auferstehung der Toten gegen den Irrtum der Sadduzäer behauptet (Matth. 22,23-33), aber diese hatten ihr Herz gegen die
Wahrheit verhärtet und waren entschlossen, ihre Lehre nicht zu dulden. Das
Bekenntnis zur Auferstehung der Toten auf der Grundlage der Auferstehung
Christi ist bis heute eine Quelle des Spottes und der Feindschaft gegenüber den
Christen. Die jüdischen Beamten wussten, dass der Erfolg ihres Plans von
schnellem Handeln abhing. Daher nahmen sie sich weder Zeit für eine Aussprache
noch für eine Anklage; sie legten einfach gewaltsam die Hände an die beiden
Apostel, verhafteten sie und brachten sie für die Nacht in Gewahrsam, da sie
beabsichtigten, sie am nächsten Morgen anzuklagen. Doch trotz dieses Vorgehens
der Machthaber blieb die Predigt von Petrus und Johannes nicht ohne Wirkung.
Denn unter den Zuhörern, die das Wort hörten, gab es viele, in deren Herzen der
Glaube entzündet wurde. die an den Herrn glaubten, der ihnen verkündet worden
war. Und so kam die Zahl der Gläubigen zustande, wobei nur die Männer gezählt
wurden, nach orientalischem Brauch insgesamt etwa fünftausend. Durch die Kraft
des Geistes im Wort, die auf die Herzen einwirkte, wuchs die Kirche trotz
drohender Gefahr.
Der Sanhedrin (Hohe Rat) wird
eingeschaltet (V. 5-7): Und es begab sich am andern Tage, dass ihre
Obersten und Ältesten und Schriftgelehrten, V. 6, und Hannas, der Hohepriester,
und Kaiphas und Johannes und Alexander und alle, die mit dem Hohenpriester
verwandt waren, zu Jerusalem versammelt wurden. V.7. Und als sie sie in die
Mitte setzten, fragten sie: Durch welche Macht oder durch welchen Namen habt
ihr das getan? Am nächsten Morgen herrschte große Aufregung in den offiziellen
Kreisen Jerusalems; denn wollten sie nicht die verhasste Sekte ausrotten, die
in ihrer Mitte mit so erschreckender Schnelligkeit Anhänger gewann? Es war also
eine sehr förmliche und sehr volle Sitzung des Sanhedrins, die zusammenkam,
sobald sie alle benachrichtigt werden konnten; denn der Text scheint darauf
hinzuweisen, dass einige außerhalb der Stadt lebten. Es waren die Obersten, die
Ältesten und die Schriftgelehrten, d.h. die prominentesten und
einflussreichsten Mitglieder der Priesterschaft, vor allem Sadduzäer, die sich
durch ihr Alter und ihre Gelehrsamkeit von den anderen abhoben, und die
Berufsjuristen, die im Allgemeinen zu den Pharisäern gehörten. An erster Stelle
standen jedoch die Mitglieder der hochpriesterlichen Familie: Hannas, der zwar
von den Römern in den Ruhestand versetzt wurde, aber viele Rechte und Pflichten
des Amtes behielt; Kaiphas, sein Schwiegersohn und der eigentlich zuständige
Hohepriester; Johannes, Alexander und wer sonst noch zu den Verwandten des
Hohenpriesters gehörte. „Hannas, den Lukas sowohl hier als auch in seiner
früheren Erzählung Hohepriester nennt, war der rechtmäßige Hohepriester, aber
er war von Valerius Gratus, dem Vorgänger des
Pilatus, abgesetzt worden, und Kaiphas, sein Schwiegersohn, war durch dasselbe
unrechtmäßige Verfahren an seine Stelle gesetzt worden, so dass, während der
letztere das Amt innehatte, der andere rechtmäßig dazu berechtigt war und vom Volk
als Hohepriester anerkannt wurde.“[13]
Nachdem das Konzil feierlich eröffnet worden war und die Mitglieder in einem
Halbkreis saßen, wurden die beiden Apostel in die Mitte vor sie gestellt. Aus
Vers 14 geht hervor, dass der ehemalige Krüppel, der nicht wollte, dass seine
Wohltäter angeklagt wurden oder ohne seine Anwesenheit und sein Mitgefühl
leiden mussten, ebenfalls erschien und seinen Platz neben ihnen einnahm. Die
Angeklagten wurden nun förmlich aufgefordert, Rechenschaft über ihr Handeln
abzulegen: Durch welche Macht und in welchem Namen habt ihr das getan? Das
Wunder selbst konnte nicht geleugnet werden. Die hochmütige und etwas spitze
Frage zielte darauf ab, herauszufinden, welche Art von Macht und Autorität sich
die Apostel anmaßen; kraft welchen Namens sie es wagen, solche Taten zu vollbringen.
Es scheint, dass das Gericht den Aposteln den Vorwurf der Wahrsagerei oder
Zauberei anhängen wollte. Vgl. 5. Mose 13. Die jüdischen Führer könnten
übrigens gehofft haben, dass Petrus und Johannes bei der Beantwortung der
absichtlich unbestimmten Frage unvorsichtige Worte sagen und so einen echten
Grund für einen Prozess liefern würden.
Die Verteidigungsrede des Petrus (V.
8-12): Bei Petrus erfüllte sich nun, was Jesus verheißen hatte, Luk. 12,12. Er
wurde mit dem Heiligen Geist erfüllt; der Heilige Geist nahm sich seines
Verstandes und seines Mundes an und lenkte das Handeln von beiden. Die Frage
des Konzils bezog sich auf den Namen und die Autorität, in der die Apostel
handelten. Feierlich, nachdrücklich und kühn wendet sich Petrus an sie als
Vorsteher des Volkes und Älteste und bekennt sich zu seinem Glauben und zu
seinem Amt. Er übergeht nicht das spöttische „Ihr“ der Frage, sondern stellt
fest: Wenn wir, über die ihr spottet, wegen der guten Tat an dem Kranken
geprüft werden, wie es der Fall ist. Man beachte die feine rhetorische Ironie
in dieser Aussage. Sie wirft den jüdischen Oberhäuptern vor, dass sie aus Taten
der Güte und Wohltätigkeit ein Verbrechen machen. Da die Mitglieder des Rates
wissen wollten, auf welche Weise, mit welchen Mitteln oder „in wem“ dieser Mann
vollständig geheilt worden war, sollte nicht nur ihnen allen, sondern auch dem
ganzen Volk Israel bekannt sein, dass dieser Mann in voller Gesundheit vor
ihnen stand, präsentiert wurde, im Namen Jesu Christi von Nazareth, den sie
gekreuzigt hatten, den Gott aber von den Toten auferweckt hatte. Dies war die
Antwort des Petrus, eine Aussage, die keines Beweises bedurfte; denn die
Richter konnten nicht leugnen, dass das Wunder tatsächlich an dem Mann, der vor
ihnen stand, vollbracht worden war. Und um die Behauptung des Petrus über die
Art und Weise des Wunders zu widerlegen, konnten sie mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit keine andere Macht oder keinen anderen Namen
anführen, durch den eine solche Tat hätte geschehen können. Die Freimütigkeit
des Petrus wird nur durch seine Kühnheit übertroffen. Denn er treibt seinen
Vorteil absichtlich noch weiter, indem er seinen Richtern die Stelle Ps. 118,22
vor Augen hält, die Jesus kurz zuvor vor einem Ausschuss desselben Sanhedrins
zitiert hatte (Matth. 21,42; Mark. 12,10; Luk.
21,17). Die Obersten der Juden waren wie Menschen, die ein Haus bauen wollten
und törichterweise den einzigen Stein verwarfen, der für die Ecke des
Fundaments zur Verfügung stand, auf dem das ganze Gebäude ruhen sollte. Jesus
war der Stein, den Gott als Fundament für seine Kirche bestimmt hatte. Aber die
Juden hatten Christus verworfen und damit das Gericht über sich selbst
gesprochen. Trotz alledem war und bleibt Jesus der Eckstein, das Fundament des
heiligen Tempels, den er sich selbst errichten will. Und nicht nur das,
sondern, wie Petrus freudig ausruft: In keinem anderen ist das Heil, denn es
ist auch kein anderer Name unter dem Himmel, der unter den Menschen gegeben
ist, in dem wir gerettet werden müssen. Das durch Jesus erworbene Heil ist
vollkommen, und es ist das einzige Heil, das es überhaupt gibt. Sein Name, das
Wort der Erlösung, ist gegeben, wird mitten unter den Menschen, in der ganzen
Welt, verkündet, und wer gerettet werden will, muss sich an diese eine Quelle und
den Urheber des ewigen Lebens wenden. „An den Namen Christi kann ich nur
glauben, wenn ich höre, dass das Verdienst Christi gepredigt wird, und wenn ich
es annehme. Deshalb werden wir durch den Glauben an den Namen Christi und nicht
durch das Vertrauen auf unsere Werke gerettet. Denn das Wort "Name"
bedeutet an dieser Stelle den Grund, durch den und aufgrund dessen die
Errettung kommt. Den Namen Christi zu rühmen und zu bekennen, ist daher so
viel, wie auf den zu vertrauen, der allein Christus ist und genannt wird, als
den Grund meines Heils und meinen Schatz, durch den ich gerettet werde.“[14]
Die Beratung des Sanhedrin (V.
13-18): Die jüdischen Machthaber hatten erwartet, dass Petrus und Johannes in
ihrer Gegenwart Furcht oder Schüchternheit zeigen, dass sie von der Würde und
Gelehrsamkeit der Ratsmitglieder eingeschüchtert würden. Stattdessen aber war
in ihrem Auftreten eine Freiheit und Zuversicht und in der Rede des Petrus eine
furchtlose Offenheit zu spüren, die ihnen Respekt abnötigte. Je länger sie das
Verhalten der Männer betrachteten, desto mehr drängte sich ihnen diese
Überzeugung auf. Und dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass die
Richter entweder an ihrer Kleidung oder an ihrem Dialekt erkannten, dass die
beiden Männer, die vor ihnen standen, wirklich ungelehrte und unwissende Männer
waren, dass sie nicht nur nicht im Gesetz und in der ganzen jüdischen
Gelehrsamkeit bewandert waren, sondern sogar nicht schreiben konnten, also ganz
und gar Analphabeten waren. Und es gab noch einen weiteren Punkt, den die
Mitglieder des Rates nun feststellten, nämlich, dass diese Männer zu der
kleinen Schar der Nachfolger Christi gehört hatten. Diese Erkenntnis kam ihnen
zu diesem Zeitpunkt, da sie Petrus und Johannes beide als Begleiter Jesu
gesehen hatten und Johannes ein persönlicher Bekannter des Kaiphas war, Joh.
18,15.18. Kein Wunder, dass all diese Tatsachen, die allmählich das Bewusstsein
der Richter absorbierten, sie in verlegenes Schweigen versetzten. Denn was das
Wunder betraf, so wäre jeder Versuch, es zu leugnen, mehr als zwecklos gewesen,
da der ehemalige Krüppel vor ihren Augen aufrecht und gesund auf seinen Füßen
stand. Die Beweise für das Wunder sprachen nicht weniger eindringlich als die
Apostel selbst. Und so hatten die Obersten nichts zu sagen. Schließlich wurde
das Schweigen durch den Vorschlag und den darauf basierenden Befehl gebrochen,
dass die Männer den Ratssaal für einige Zeit verlassen sollten, da sie
zweifelsohne unter Bewachung hinausgeführt wurden. Nun konnten die Richter frei
über die Angelegenheit nachdenken; sie tauschten ihre Gedanken und Meinungen zu
dem Fall aus. Der Kern der Diskussion wird von Lukas wiedergegeben. Es war
nicht zu leugnen, dass ein ganz offensichtliches Wunder geschehen war, von dem
auch die ganze Bevölkerung Jerusalems Kenntnis erlangt hatte. Der Versuch,
diese Tatsachen zu leugnen, wäre schlimmer als nutzlos gewesen, es wäre eine
Dummheit der extremsten Art gewesen. Dennoch schlug jemand vor, die Ausbreitung
der Wahrheit zu stoppen, und der Vorschlag wurde eifrig in die Tat umgesetzt.
Damit die Botschaft und die Bewegung, die sie begleitete, sich nicht weiter
ausbreitete und unter das gemeine Volk gestreut wurde, wie die Saat, die eine
reiche Ernte versprach, beschloss man ernsthaft, den Aposteln zu drohen, dass
sie nicht mehr über den Namen Jesu sprechen und ihn und sein Evangelium zum Gegenstand
ihrer Reden machen sollten. Mit niemandem aus dem Volk, mit keinem einzigen
Menschen, sollten sie über den Namen sprechen, den sie über alle anderen Namen
verehrten. Anmerkung: Die ungläubigen Kinder dieser Welt können nicht leugnen,
dass die Macht Gottes in der Lehre und im Leben der Christen mächtig ist. Und
doch bleiben sie dem Namen Christi feindlich gesinnt und setzen alles daran,
die Verkündigung des Evangeliums zu unterdrücken. So handeln die Ungläubigen
mit ihrem Unglauben und ihrer Feindschaft gegen Christus in direktem Gegensatz
zu ihrem eigenen Gewissen und ihrer besseren Erkenntnis.
Der Beschluss wird Petrus und Johannes
mitgeteilt (V. 19-22): Petrus und Johannes wurden nun wieder in die Sitzung
des Rates gerufen, und der Beschluss wurde ihnen in seiner strengsten Auslegung
mitgeteilt. Sie sollten auf keinen Fall ein Wort über den Namen Jesu verlieren
oder lehren. Sie sollten nicht einmal in einem privaten Gespräch, geschweige
denn vor einer öffentlichen Versammlung, etwas über Jesus sagen oder lehren. Es
war ein zusammenfassendes und umfassendes Verbot. Aber sowohl Petrus als auch
Johannes erklärten ohne zu zögern, dass sie sich über die Anordnung des
Sanhedrins hinwegsetzen wollten, ohne Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit oder
auch nur den Anschein von Zweckmäßigkeit. Dabei appellierten sie bescheiden,
aber bestimmt an das Gewissen der Richter. Ob es dem Recht und der
Gerechtigkeit vor Gott entspreche, ihnen zu gehorchen und nicht Gott, sollten
sie selbst beurteilen. Wenn wir wie vor Gott handeln und dem Diktat der ewigen
Wahrheit und Gerechtigkeit folgen, wagen wir nicht zu schweigen. Es kann nicht
richtig sein, Menschen entgegen dem Willen und dem Gebot Gottes zu gehorchen.
Es ist für uns unmöglich, das, was wir gesehen und gehört haben, nicht
auszusprechen. Den Gläubigen in Christus ist alles möglich, aber es ist ihnen
unmöglich zu schweigen, wenn es um das Wort und die Ehre Gottes und ihres Herrn
Jesus Christus geht. Denn Schweigen ist in diesem Fall gleichbedeutend mit
Verleugnung, und Verleugnung bedeutet, aus der Gnade zu fallen. So wurde die
trotzige Weigerung vor dem Sanhedrin vorgetragen, dessen Mitglieder sich
außerstande sahen zu reagieren. Sie waren gezwungen, sich mit einem anderen zu
begnügen, mit einer zusätzlichen, ernsthaften Drohung, was geschehen würde,
wenn sie es wagten, ungehorsam zu sein. Dies war also der traurige Höhepunkt
der Rachebemühungen des Sanhedrins. Sie waren gezwungen, die beiden Apostel zu
entlassen; es gab keinen Fall, keinen Grund, warum sie sie bestrafen sollten.
Und ihre Furcht vor dem Volk war ein weiterer Faktor, der zur Besonnenheit mahnte.
Denn alle Menschen waren voll des Lobes gegenüber Gott über das vollbrachte
Wunder, das umso bemerkenswerter war, als der frühere Krüppel nicht nur von
Geburt an lahm gewesen war, sondern zum Zeitpunkt seiner Heilung bereits über
vierzig Jahre alt war. Insgeheim hegten die Mitglieder des Rates natürlich
ihren Groll und waren fest entschlossen, die erste sich bietende Gelegenheit zu
nutzen, um einen entscheidenden Schlag zu führen. Merke: Die wahren Christen
sind von missionarischem Eifer erfüllt, wo immer sie hingehen und was immer sie
unternehmen. Und wenn Menschen versuchen, sie zu behindern, wenn die Regierung
die Verkündigung des Evangeliums verbietet, weigern sie sich, sich dem Willen
der Menschen zu fügen, und sind Gott gehorsam, der ihnen befohlen hat, Christus
zu bekennen und das Evangelium zu predigen.
Das Gebet und die
weitere Festigung der Gemeinde (4,23-37)
23 Und als man sie hatte
lassen gehen, kamen sie zu den Ihren und verkündigten ihnen, was die
Hohenpriester und Ältesten zu ihnen gesagt hatten. 24 Da sie das hörten,
erhoben sie ihre Stimme einmütig zu Gott und sprachen: HERR, der du bist der
Gott, der Himmel und Erde und das Meer und alles, was drinnen ist, gemacht hat;
25 der du durch den Mund Davids, deines Knechts, gesagt hast: Warum empören
sich die Heiden, und die Völker nehmen vor, was umsonst ist? 26 Die Könige der
Erde treten zusammen, und die Fürsten versammeln sich zuhauf gegen den HERRN
und gegen seinen Christ: 27 Wahrlich ja, sie haben sich versammelt über dein
heiliges Kind Jesus, welchen du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit
den Heiden und dem Volk Israel, 28 zu tun, was deine Hand und dein Rat zuvor
bedacht hat, das geschehen sollte.
29 Und nun, HERR, siehe
an ihr Drohen und gib deinen Knechten, mit aller Freudigkeit zu reden dein
Wort, 30 und strecke deine Hand aus, dass Gesundheit und Zeichen und Wunder
geschehen durch den Namen deines heiligen Kindes Jesus. 31 Und da sie gebetet hatten,
bewegte sich die Stätte; da sie versammelt waren; und sie wurden alle des
Heiligen Geistes voll und redeten das Wort Gottes mit Freudigkeit.
32 Die Menge aber der
Gläubigen war ein Herz und eine Seele; auch keiner sagte von seinen Gütern,
dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. 33 Und mit großer
Kraft gaben die Apostel Zeugnis von der Auferstehung des HERRN Jesus, und war
große Gnade bei ihnen allen. 34 Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel
hatte; denn wieviel ihrer waren, die da Äcker oder Häuser hatten, verkauften
sie diese und brachten das Geld des verkauften Guts 35 und legten’s
zu der Apostel Füßen; und man gab einem jeglichen; was ihm not war. 36 Joses
aber, mit dem Zunamen von den Aposteln genannt Barnabas (das heißt, ein Sohn
des Trostes), vom Geschlecht ein Levit aus Zypern, 37 der hatte einen Acker und
verkaufte ihn und brachte das Geld und legte es zu der Apostel Füßen.
Der Bericht der Apostel und das Gebet
der Gemeinde (V. 23-28): Durch die Kraft des Zeugnisses des Geistes durch
den Mund der Apostel waren die Feinde besiegt worden. Die beiden Jünger wurden
entlassen, weil sie nichts mehr gegen sie vorzubringen hatten. Sie kamen zu den
Ihren, zu ihren Mitjüngern, die nach ihrer Gewohnheit versammelt waren. Diesen
Mitgliedern der christlichen Gemeinde berichteten sie, was die Hohenpriester
und Ältesten, die Mitglieder des Sanhedrins, zu ihnen gesagt hatten. Das
Ergebnis war ein spontaner Gebetsausbruch der gesamten Versammlung in Form
eines Hymnus, der in die Sprache der Psalmen gekleidet war. Hier zeigte sich
das kraftvolle geistliche Leben der ersten Christen, und der Geist selbst
lehrte sie die Worte ihres kraftvollen Gebets. Sie richteten ihr Gebet an den
allmächtigen Herrn des Universums, an den, der Himmel und Erde und das Meer und
alle Geschöpfe, die sie bewohnen, gemacht hat, vor dem nichts unmöglich ist,
der die Geschicke der ganzen Welt in seiner Hand hält und sie nach seinem
Willen lenkt. Es war dieser Gott, der David zu den Worten des zweiten Psalms
inspiriert hatte, wie wir hier erfahren. Er war es, der durch seinen Diener
David die Frage stellte: "Warum machen die Völker so viel Aufruhr, und die
Menschen denken über Dinge nach, die eitel und töricht sind? Der Hochmut und
die Anmaßung aller Menschen ist von Natur aus nur mit der Eitelkeit, der Leere
ihrer Bestrebungen vergleichbar. Dies war Beweis genug für die Wahrheit der
Prophezeiung. Die Könige der Erde und die Machthaber hatten sich gegen den
Herrn und gegen seinen Christus versammelt. Ganz gleich, ob sie sonst in
erbitterter Feindschaft zueinander standen, sie vergaßen alle ihre Differenzen,
wenn ein gemeinsames Vorgehen gegen das Wort und Werk Gottes und Christi
geplant war. Sicherlich, wie die Beweise vor den Augen aller Menschen deutlich
zeigten, verbündeten sie sich gerade in dieser Stadt gegen das heilige Kind
Gottes, seinen Sohn Jesus: Herodes und Pontius Pilatus, die Heiden und die
Völker Israels - sie alle waren gegen den Gesalbten Gottes vereint. Sie konnten
natürlich nur das tun und durchsetzen, was die Hand des Herrn und sein Rat
vorhergesehen und gewusst hatten, dass es getan werden würde. Gott lenkte immer
noch die Geschicke der Nationen und auch der Menschen. Das war die Situation.
Die Feindschaft war da; sie richtete sich gegen den Herrn und seinen Christus;
die Gläubigen wussten, dass nichts ohne das Vorherwissen und die Erlaubnis
Gottes geschehen konnte. Beachten Sie, dass in dem Gebet kein Hinweis auf einen
rachsüchtigen oder nachtragenden Geist zu finden ist, sondern nur ein völliges
Vertrauen in den Herrn.
Der Schluss des Gebetes und Gottes
Antwort (V. 29-31): Die Gemeinde kam nun zu ihrem besonderen Gebet. Die
Drohungen der Feinde konzentrierten sich auf ihre kleine Herde; der Sturm
schien sich über sie zu legen. Von dieser Tatsache sollte der Herr Kenntnis
nehmen, nicht um die Glaubensprüfung zu unterdrücken oder zu beseitigen, wenn
seine Weisheit es für das Beste halten sollte, die Versuchungen kommen zu
lassen, sondern um ihnen, seinen Dienern, die nötige Kraft zu geben, sein Wort
mit aller Kühnheit zu reden und zu verkünden, ohne Furcht oder Gnade. Zu diesem
Zweck sollte er die Verkündigung seiner Wahrheit unterstützen, indem er seinen
allmächtigen Arm ausstreckt und sie mit Heilungswundern, Zeichen und Wundern
bestätigt, indem er sie im Namen und in der Kraft seines heiligen Kindes,
seines Sohnes Jesus, geschehen lässt. Der Name des Mannes, den die Juden
verachtet und gekreuzigt hatten, sollte durch diese Manifestationen seiner
Macht unter ihnen verherrlicht werden. Das waren die beiden Gaben, die die
Gemeinde und alle ihre Mitglieder damals brauchten: erstens die Kraft und die
Bereitschaft, das Wort mit Mut und Freude zu verkünden, und zweitens die
Fähigkeit, zu helfen und zu heilen, als Beweis dafür, dass der allmächtige Gott
und die Kraft des erhöhten Christus mit ihnen wohnt. Noch während sie dieses
Gebet verrichteten, gab der Herr ein Zeichen, dass er sie erhört hatte. Denn
der Ort, an dem sie versammelt waren, bewegte sich, war aufgewühlt, was die
göttliche Gegenwart anzeigte. Außerdem wurden sie alle mit dem Heiligen Geist
erfüllt; es gab eine besondere Demonstration seiner Macht, die sie befähigte,
das Wort mit aller Kühnheit und Kraft zu reden und zu verkünden. Dies war von
nun an ein ständiges Handeln der Jünger; ohne die göttliche Kraft in ihnen wäre
das Wachstum der Kirche angesichts solcher Widerstände nicht zu erklären.
Beachte: Die Kirche des Herrn hat inmitten des Wütens und der Drohungen ihrer
Feinde stets Zuflucht bei dem allmächtigen Gott gesucht und gefunden. Denn Gott
erhört immer das Rufen seiner bedrängten Kinder und gibt ihnen Kraft und Mut,
das Evangelium inmitten seiner Feinde zu verkünden.
Die Einheit und die Liebestaten der
Gemeinde (V. 32-37): Es war nun eine Schar von Gläubigen, eine Gemeinde von
etwa fünftausend Männern, Frauen und Kinder nicht mitgezählt. Und über sie alle
berichtet Lukas das höchste Lob, das einer christlichen Gemeinde zuteil werden kann. Sie waren gläubig, denn sie hielten
sich eng an die Lehre der Apostel, d.h. an die Lehre Christi. Aufgrund dieses
Glaubens waren sie ein Herz und eine Seele; es herrschte vollkommene Harmonie
in Zuneigung und Denken; es herrschte wahre Einigkeit im Geist. Es mag
bemerkenswert erscheinen, dass Menschen aus so unterschiedlichen sozialen
Verhältnissen und Bedingungen so gründlich übereinstimmen und so vollkommen
harmonisch sein können, aber das ist die Kraft des Glaubens an Jesus. Und es
gab noch eine weitere Manifestation des Glaubens an ihren Herrn und der Liebe
zu ihm, nämlich eine Selbstlosigkeit, die sie dazu veranlasste, sich um die Not
ihres Nächsten mit derselben Liebe und Sorgfalt zu kümmern wie um ihre eigene.
Die Güter eines jeden Gliedes standen den anderen Gliedern zur Verfügung, wenn
sie Hilfe brauchten. Niemand beanspruchte das Recht auf absoluten Besitz. Dies
war nicht der Ausdruck phantastischer und illusorischer sozialistischer
Theorien oder eines absoluten Kommunismus, sondern eine spontane Manifestation
christlicher Liebe. Dieser Geist wurde durch die Tatsache lebendig gehalten und
gestärkt, dass die Apostel mit großer Kraft Zeugnis von der Auferstehung Jesu
Christi gaben. Es war der Geist, die Liebe des auferstandenen Christus, der in
den Jüngern lebte, der sie anspornte und sie dazu veranlasste, ein solches
Zeugnis wahrer und selbstloser Liebe abzulegen. Es war das Ergebnis ihrer
Annahme des auferstandenen Herrn durch den Glauben, das ihnen allen große Gnade
brachte, Gunst bei Gott im Bewusstsein seiner Barmherzigkeit und Gunst bei den
Menschen wegen der unerhörten Selbstlosigkeit und reinen Nächstenliebe, die sie
praktizierten. Lukas wiederholt, dass keiner von ihnen in Not zu sein oder zu
leiden brauchte, denn die reicheren Mitglieder, diejenigen, die Ländereien oder
Häuser besaßen, verkauften sie freiwillig und ohne jegliches Drängen und
brachten den Aposteln den Erlös aus dem Verkauf, damit er an alle Bedürftigen
verteilt werden konnte. Die Gemeinde überließ damals freiwillig den Lehrern das
Recht, diese Gelder in Empfang zu nehmen und ihre ordnungsgemäße Verteilung zu
überwachen. Von den wohlhabenden Jüngern ist das Beispiel eines besonders
erwähnenswert. Es handelt sich um einen gewissen Joseph, den die Apostel Barnabas
(Sohn des Trostes) nannten. Er war Jude und hatte vor seiner Bekehrung das Amt
eines Leviten ausgeübt. Er stammte von der Insel Zypern, wo er Besitzer eines
Feldes war. Ursprünglich war es den Leviten nicht erlaubt, Landbesitz zu haben,
4. Mose 18,20; 5. Mose 10,9, aber seit dem babylonischen Exil wurde die
Verteilung von Land und der Unterhalt der Leviten nicht mehr so streng nach dem
mosaischen Gesetz gehandhabt, Neh. 13,10-14. Außerdem konnten sie Land durch
Kauf oder Erbschaft besitzen, Jer. 32,7-12. Barnabas, der von der Liebe zu
seinen bedürftigen Brüdern erfüllt war, verkaufte sein Land und brachte das
Geld zu den Aposteln, so wie es die meisten seiner Mitchristen taten. Hinweis:
Die Feindschaft der Welt führt nicht zum Schaden der Kirche. Inmitten von Kreuz
und Trübsal, von Nöten und Schwierigkeiten wird die Kirche gefestigt, und
Glaube und Liebe werden gestärkt. Wenn die Welt zu wüten und zu drohen beginnt,
halten sich die wahren Christen umso fester an das Wort, und dieses Wort zeigt
seine Kraft, indem es ihre Herzen immer fester an sich bindet.
Zusammenfassung: Petrus und
Johannes, die vor dem Sanhedrin angeklagt sind, verteidigen sich und ihre Sache
zur Verwirrung ihrer Richter; sie berichten die Sache der Gemeinde, die die
drohende Feindschaft im Gebet vor Gott legt und im Glauben und in der Liebe
gefestigt wird.
Ananias und
Saphira (5,1-11)
1 Ein Mann aber mit
Namen Ananias samt seiner Frau Saphira verkaufte seine Güter 2 und entnahm
etwas vom Geld mit Wissen seiner Frau und brachte einen Teil und legte es zu
der Apostel Füßen. 3 Petrus aber sprach: Ananias, warum hat der Satan dein Herz
erfüllt, dass du dem Heiligen Geist lügst und entwendetest etwas vom Geld des
Ackers? 4 Hättest du ihn doch wohl können behalten, da du ihn hattest, und da
er verkauft war, war es auch in deiner Gewalt. Warum hast du denn solches in
deinem Herzen vorgenommen? Du hast nicht Menschen, sondern Gott gelogen. 5 Da
Ananias aber diese Worte hörte, fiel er nieder und gab den Geist auf. Und es
kam eine große Furcht über alle, die dies hörten. 6 Es standen aber die
Jünglinge auf und taten ihn beiseite und trugen ihn hinaus und begruben ihn.
7 Und es begab sich über
eine Weile, bei drei Stunden, kam seine Frau hinein und wusste nicht, was geschehen
war. 8 Aber Petrus antwortete ihr: Sage mir, habt ihr den Acker so teuer
verkauft? Sie sprach: Ja, so teuer. 9
Petrus aber sprach zu ihr: Warum seid ihr denn eins worden, zu versuchen den
Geist des HERRN? Siehe, die Füße derer, die deinen Mann begraben haben, sind
vor der Tür und werden dich hinaustragen. 10 Und alsbald fiel sie zu seinen
Füßen und gab den Geist auf. Da kamen die Jünglinge und fanden sie tot, trugen
sie hinaus und begruben sie bei ihrem Mann. 11 Und es kam eine große Furcht
über die ganze Gemeinde und über alle, die solches hörten.
Die Sünde und der Tod des Ananias
(V. 1-6): Lukas hatte soeben ein Beispiel wahrer, wohltätiger Selbstlosigkeit
im Verhalten des Barnabas von Zypern geschildert. Leider verleitet die
Anerkennung und das Lob, das Menschen zuteil wird,
die echte Nächstenliebe gezeigt haben, oft Heuchler dazu, große Liebe
vorzutäuschen und zu zeigen, damit auch sie Worte bekommen, die für ihre
juckenden Ohren angenehm klingen. In das Paradies der frühen Kirche ist die
Schlange der Selbstsucht und des Verderbens eingedrungen. Lukas stellt keine
Überlegungen an und fügt keine Moral hinzu, sondern hält sich an seine
Gewohnheit, einfach die Fakten der Geschichte zu erzählen. Es war ein Mann, ein
Mitglied der Gemeinde in Jerusalem, mit dem Namen Ananias („dem Jahwe gnädig
war“). Der Name seiner Frau, die ebenfalls zu den Bekennern des Christentums
gehörte, war Saphira (Saphir, "die Schöne"). Nun waren sowohl Ananias
als auch seine Frau bestrebt, sich als Wohltäter ihrer ärmeren Brüder zu
erweisen, und so verkauften sie ihren Besitz, wahrscheinlich mit einigem
Aufsehen. Aber ihr Interesse an den Armen war nur Schein, und um den guten
Willen Gottes scherten sie sich nicht. Sie sonderten einen bestimmten Teil des
Verkaufserlöses ab und machten ihn sich zu eigen. Es wird ausdrücklich gesagt,
dass Saphira von dieser Vereinbarung wusste, dass sie mit ihrem vollen Wissen
und ihrer Zustimmung getroffen wurde; sie war genauso schuldig wie ihr Mann. „Wenn
wir versuchen, das Motiv des schuldigen Paares zu analysieren, werden wir
feststellen, dass ihre Tat ein Kompromiss zwischen zwei unheiligen Wünschen
war. Der Wunsch, von den Menschen gelobt zu werden, wie es Barnabas und einigen
anderen zuteil geworden war, veranlasste sie zum Verkauf und zur Schenkung,
während die Liebe zum Geld, die sie immer noch zu sehr beherrschte, sie dazu
veranlasste, einen Teil zu behalten, während sie vorgaben, alles zu geben.“[15]
Nachdem sie sich entschieden hatten, nahm Ananias die Geldsumme, die sie
beschlossen hatten, um ihren Ruhm als Spender von Almosen zu begründen, brachte
sie zum Versammlungsort der Apostel und der Gemeinde und hinterlegte sie an der
üblichen Stelle. Die Tat, die das schuldige Paar beging, war nicht nur ihre
Sünde als Einzelne, sondern brachte die ganze Kirche in große Gefahr. Denn wenn
andere von dieser List erfahren würden, wären sie geneigt, die gleiche
Heuchelei zu betreiben. Wenn aber Integrität und Wahrheit in der Gemeinde
verschwinden würden, würde die Kirche Christi ihren hellsten Schmuck verlieren,
und pharisäische Heuchelei würde an die Stelle christlicher Heiligkeit treten.
"Es war daher von entscheidender Bedeutung für die Kirche, dass die
Einführung eines Übels von solchem Ausmaß auf einen sofortigen und wirksamen
Widerstand stoßen würde. Dementsprechend stellte Petrus dem Ananias die
herzzerreißende Frage: Wie kommt es, dass der Satan dein Herz erfüllt hat, den
Heiligen Geist zu belügen? Wie der Teufel der Urheber jeder Sünde und
Übertretung ist, so gab er auch hier die Idee der Bosheit und des Betrugs in
das Herz des Ananias. Denn indem er ein Wohlwollen vortäuschte, das er
keineswegs empfand, hatte er nicht so sehr die Menschen, Petrus, die Apostel
und die Gemeinde belogen, sondern den Heiligen Geist, der durch die Apostel
sprach und handelte, der in der christlichen Gemeinde lebte und wirkte. Er
hatte den Geist Gottes versucht, der Herz und Verstand prüft, der als wahrer
Gott die innersten Gedanken des Herzens eines jeden Menschen kennt. Und Petrus
erinnerte Ananias sehr treffend daran, dass es sein Eigentum war, das er
behalten konnte, wenn er es wollte; es gab keine Zwangsgemeinschaft in der
Gemeinde. Und wenn er sich entschlossen hätte, sein Eigentum zu verkaufen und
das ganze Geld zu behalten, so lag das ganz in seiner eigenen Macht. Es wäre
sogar seine Sache gewesen, wenn er offen gesagt hätte, dass er nur einen Teil
des Erlöses mitnehmen würde, da er den Rest selbst verwenden wollte. Aber sein
Herz war darauf bedacht, sich durch Wohltätigkeit und Wohltätigkeit Anerkennung
zu verschaffen, die er nicht besaß. „Die Tatsache, dass sie ihren Besitz
verkauften, um ihn angeblich in den gemeinsamen Bestand einzubringen, gab ihnen
keine weitere Kontrolle darüber und kein Eigentum daran; und ihre Behauptung,
das Geld, das sie mitbrachten, sei der gesamte Erlös aus dem Verkauf, war eine
direkte Lüge und ein Versuch, den Heiligen Geist zu täuschen, unter dessen
Einfluss sie vorgaben zu handeln. Dies war die Schuld
ihrer Sünde.“[16]
Anmerkung: Die Tatsache, dass der Satan das Herz des Ananias erfüllt hatte und
dass er diese Sache in seinem eigenen Herzen erdacht hatte, wird auf eine Stufe
gestellt. Die Tatsache, dass Ananias der Überredung und Versuchung des Teufels
nachgegeben hatte, legte die Verantwortung, die Schuld, auf ihn. Das Gleiche
gilt für jeden Sünder bei jeder Sünde, die er begeht, vor allem, wenn sie mit
so viel Vorsatz begangen wird wie in diesem Fall. Beachte auch: Indem er den
Heiligen Geist belog, hatte Ananias Gott selbst belogen, denn der Heilige Geist
ist wahrer Gott mit dem Vater und dem Sohn. Betrug und Heuchelei jeder Art sind
offen vor seiner Allwissenheit, wie jeder, der sich dieser Sünden schuldig
gemacht hat, früher oder später zu seinem großen Leidwesen feststellen wird.
Die Sünde des Ananias erhielt sofort ihre Verurteilung und eine Strafe, die
eine Warnung für alle Zeiten sein soll. Denn kaum hatte Petrus seine ernste
Zurechtweisung beendet, kaum hatte der Schuldige diese Worte gehört, da fiel er
nieder und hauchte seine Seele aus; er starb sofort, getroffen vom Zorn des
Heiligen Geistes. Die Hinrichtung war so offensichtlich ein Akt Gottes, dass
alle, die die Strafe sahen und die Worte hörten, mit denen sie einherging, in
große Furcht gerieten. Wenn Gott spricht, wird das Herz des sündigen Menschen
mit Ehrfurcht erfüllt. Und die jungen Männer der Gemeinde, nicht eine besondere
Klasse oder gesonderte Gruppe, sondern die jüngeren Mitglieder der
Zuhörerschaft, erhoben sich von ihren Plätzen. Es war weder Zeit für eine Klage
noch für eine aufwendige Beerdigungszeremonie, wenn die Anwesenden dazu geneigt
gewesen wären; es gab kein Weinen und keine Verzögerung. Die jungen Männer
wickelten den Toten in seinen eigenen Mantel, trugen ihn hinaus und begruben
ihn. Das ist das Ende derer, die die Gnade des Herrn missbrauchen. Lasst euch
nicht täuschen, Gott lässt sich nicht spotten.
Der Tod von Saphira (V. 7-11): Ob
Saphira die Information über den Tod ihres Mannes auf Befehl des Petrus
vorenthalten wurde oder ob die Ehrfurcht vor dem Vorfall, dessen Zeuge sie geworden
waren, die Mitglieder davon abhielt, die Geschichte weiterzugeben, ist
unerheblich. Nach einer Pause von etwa drei Stunden kam Saphira, die vielleicht
wegen der langen Abwesenheit von Ananias beunruhigt war, zum Versammlungsort
der Gemeinde. Sie war fest entschlossen, sich an die Abmachung mit ihrem Mann
bezüglich des Geldes zu halten, ohne zu wissen, dass sein Schicksal schon
Stunden zuvor besiegelt worden war. Als Petrus ihr deshalb die Frage stellte,
ob sie für genau diese Summe, die noch dort lag, ihr Eigentum verkauft hätten,
antwortete sie ohne zu zögern: Ja, für genau so viel. Die Frage des Petrus war
ein letzter Appell an ihr Gewissen gewesen, eine letzte Ermahnung, die Wahrheit
zu sagen und Gott alle Ehre zu geben. Aber sie missachtete die Ermahnung,
verharrte in ihrer Sünde und unterstützte die gemeine Lüge ihres Mannes. Es war
ein vorsätzliches Verharren in der Sünde, in der Heuchelei. Beachten Sie die
dramatische Intensität der Erzählung. Petrus sprach nun im Namen Gottes, als
Prophet des Herrn, das Urteil über sie aus. Aus welchem Grund und zu welchem
Zweck hast du dich bereit erklärt, den Geist Gottes zu verführen, um zu sehen,
ob es möglich ist, sowohl ihn als auch seine Kirche zu verführen? Die Füße
derer, die deinen Mann hinaustrugen, stehen vor der Tür und werden dich
hinaustragen. Und kaum hatte Petrus das Urteil des Herrn ausgesprochen, da fiel
Saphira nieder, wie ihr Mann vor ihr, und hauchte auch ihr Leben aus. Und die
jungen Männer kamen herein, fanden sie tot und begruben sie neben ihrem Mann,
damit sie im Tod mit ihm vereint sei, wie sie es im Leben gewesen war. Das war
ein schreckliches, aber gerechtes Gericht, das der Herr hier inmitten der
ersten Gemeinde vollzog. Durch diese Tat erklärte Gott der Kirche aller Zeiten,
dass die Heuchler in seinen Augen ein Gräuel sind. Es kommt in unseren Tagen
nur selten vor, dass der Herr seine rächende Macht auf die gleiche Weise
kundtut wie hier, aber seine Hand wird auch heute nicht verkürzt, wenn seine
Ehre auf dem Spiel steht. Anmerkung: Die Sünde des Ananias und der Saphira
wiederholt sich im modernen kirchlichen Leben, auch im Zusammenhang mit der
Kasse des Herrn, nämlich dann, wenn Gemeindeglieder übertriebene Angaben über
ihre Spenden machen oder ihr Einkommen zu niedrig angeben, um ihren Beitrag für
das Reich Gottes über den der anderen herauszustellen. Das Ergebnis dieser
Geschichte sollte vielmehr sein, dass, wie damals, eine große Furcht über die
Menschen kommt, sowohl über die, die Mitglieder der Kirche sind, als auch über
die, die noch außerhalb stehen, aber von dieser Manifestation der Macht Gottes
hören. Derselbe Gott, der über Ananias und Saphira zu Gericht saß, wird es
nicht versäumen, auf seine Weise und zu der von ihm bestimmten Zeit die Sünden
über diejenigen zu bringen, die dem Beispiel dieser beiden Heuchler folgen.
Die Blüte der
Gemeinde
(5,12-16)
12 Es geschahen aber
viele Zeichen und Wunder im Volk durch der Apostel Hände, und waren alle
einmütig in der Halle Salomos. 13 Der anderen aber durfte sich keiner zu ihnen
tun, sondern das Volk hielt groß von ihnen. 14 Es wurden aber je mehr zugetan,
die da glaubten an den HERRN, eine Menge der Männer und der Frauen, 15 so dass
sie die Kranken auf die Gassen heraustrugen und legten sie auf Betten und
Bahren, auf dass, wenn Petrus käme, sein Schatten ihrer etliche überschattete.
16 Es kamen auch herzu viele von den umliegenden Städten gen Jerusalem und
brachten die Kranken, und die von unsauberen Geistern gepeinigt waren; und sie
wurden alle gesund.
Die Tätigkeit der Apostel und der Gemeinde,
die sie begleitete, äußerte sich auf zweierlei Weise: durch die Verkündigung
des Wortes und durch das Vollbringen von Wundern. Das Ansehen der Apostel wurde
natürlich durch die offensichtliche Tatsache, dass der Herr bei allem, was sie
taten, mit ihnen war, stark erhöht. Die Gemeinde konnte daher zumindest eine
Zeit lang ungehindert ihre öffentlichen Versammlungen abhalten, die in der
schönen Säulenhalle an der Ostseite des Tempels stattfanden, die als Salomons
Vorhalle bekannt war. Bei diesen öffentlichen Versammlungen ging es
hauptsächlich darum, das Evangelium zu bezeugen und neue Anhänger für den Herrn
zu gewinnen. Bei diesen regelmäßigen Versammlungen herrschte große Einmütigkeit
sowohl bei der Zusammenkunft als auch beim Zeugnis. Im Übrigen war die
Autorität der Apostel jetzt so groß, dass niemand mehr den vertrauten Umgang
mit ihnen wagte. Alle Menschen, die in irgendeiner Weise mit der Gemeinde in
Berührung kamen, hielten einen respektvollen Abstand zu den Männern, in denen
der Geist Gottes mit solchen Kraftäußerungen lebte; und sie alle schätzten sie
sehr hoch. Die Verehrung, die sie für Gott empfanden, übertrug sich in gewisser
Weise auf diese seine Diener und Werkzeuge und auf die ganze Gemeinde. Das
natürliche Ergebnis war, dass dem Herrn Gläubige hinzugefügt wurden, die sich
in die Reihen derer einreihten, die ihr Vertrauen auf Jesus als ihren Erlöser
setzten, eine Vielzahl von Männern und Frauen; es gab ein stetiges Wachstum der
Mitgliederzahl. Man beachte den Hinweis auf weibliche Jünger, der für die
Schriften des Lukas charakteristisch ist; vgl. Luk. 8,2.3. Gott war es, der in
all ihren Herzen den Glauben bewirkte und sie so der Gemeinde hinzufügte. Die
Predigttätigkeit der Apostel wurde ergänzt durch ihre Wundertätigkeit nach dem
Maß der Macht, die ihnen in jenen Tagen gegeben war, um die Allmacht Gottes zu
verherrlichen. Durch ihre Hände wurden viele Zeichen und Wunder vollbracht,
Taten gegen den Lauf der Natur, die ganz nebenbei die Macht Gottes zum Ausdruck
brachten und betonten. Der Ruhm der Apostel wurde in dieser Hinsicht so groß,
dass das Volk sogar seine Kranken auf die offene Straße trug, auf beiden Seiten
des Weges, und sie auf Liegen und Betten, auf Paletten und Sänften legte. Wenn
nur der Schatten des vorbeikommenden Petrus auf sie fallen würde, vertrauten
sie darauf, dass die Kranken wieder gesund würden. Das Volk war so eifrig, dass
die Apostel, die sich im Allgemeinen an die Kranken wandten, beteten und ihnen
die Hände auflegten, nicht alle erreichen konnten, die zu ihnen gebracht
wurden, so schnell es die Besorgnis ihrer Freunde auch wollte. Und die Zahl
derer, die zu ihnen kamen, beschränkte sich nicht nur auf die Einwohner
Jerusalems, sondern es kamen auch viele Menschen aus den umliegenden Städten,
die sowohl von gewöhnlichen Krankheiten als auch von unreinen Geistern geplagt
wurden; und sie wurden alle geheilt, ganz gleich, ob ihre Krankheit die eine
oder die andere Form hatte. Gott gab in dem Werk der Jünger eine solche Schau
seiner Macht und Herrlichkeit wie nie zuvor in der Geschichte der Welt, denn
sein Ziel war die feste Gründung seiner Kirche. Anmerkung: Wenn in einer
christlichen Gemeinde Übertretungen vorkommen, kann dies dem guten Namen
schaden und das Wachstum der Kirche behindern. Aber hier bewirkten die
plötzliche Strafe des Herrn und das Verhalten der Jünger, die Schuldigen ohne
Klage und Begräbniszeremonie zu begraben, genau das Gegenteil. Wenn die
Christen auf diese Weise zu allen Zeiten Vergehen prüfen und diejenigen aus
ihrer Mitte ausschließen, deren offene Übertretungen Anstoß erregen, dann wird
die Gemeinde nicht geschädigt. Das Urteil der Gemeinde über unverbesserliche
offene Sünder macht einen guten Eindruck auf die, die draußen sind, und kann
einige von ihnen zugunsten der Kirche und des Wortes des Herrn beeinflussen.
Verhaftung,
Befreiung und Verteidigung der Apostel (5,17-42)
17 Es standen aber auf
der Hohepriester und alle, die mit ihm waren, welches ist die Sekte der
Sadduzäer, und wurden voll Eifers 18 und legten die Hände an die Apostel und
warfen sie in das gemeine Gefängnis. 19 Aber der Engel des HERRN tat in der
Nacht die Tür des Gefängnisses auf und führte sie heraus und sprach: 20 Geht
hin und tretet auf und redet im Tempel zum Volk alle Worte dieses Lebens. 21 Da
sie das gehört hatten, gingen sie früh in den Tempel und lehrten.
Der Hohepriester aber
kam, und die mit ihm waren, und sie riefen zusammen den Rat und alle Ältesten
der Kinder von Israel und sandten hin zum Gefängnis, sie zu holen. 22 Die
Diener aber kamen dar und fanden sie nicht im Gefängnis, kamen wieder und
verkündigten 23 und sprachen: Das Gefängnis fanden wir verschlossen mit allem
Fleiß und die Hüter außen stehen vor den Türen; aber da wir auftaten, fanden
wir niemand drinnen. 24 Da diese Rede hörten der Hohepriester und der Hauptmann
des Tempels und andere Hohepriester, wurden sie darüber betreten, was doch das
werden wollte. 25 Da kam einer dar, der verkündigte ihnen: Siehe, die Männer,
die ihr ins Gefängnis geworfen habt, sind im Tempel, stehen und lehren das
Volk.
26 Da ging hin der
Hauptmann mit den Dienern und holten sie, nicht mit Gewalt; denn sie fürchteten
sich vor dem Volk, dass sie nicht gesteinigt würden. 27 Und als sie sie
brachten, stellten sie sie vor den Rat. Und der Hohepriester fragte sie 28 und
sprach: Haben wir euch nicht mit Ernst geboten, dass ihr nicht sollt lehren in
diesem Namen? Und seht, ihr habt Jerusalem erfüllt mit eurer Lehre und wollt
dieses Menschen Blut über uns führen.
29 Petrus aber
antwortete und die Apostel und sprachen: Man muss Gott mehr gehorchen denn den
Menschen. 30 Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, welchen ihr erwürgt
habt und an das Holz gehängt. 31 Den hat Gott durch seine rechte Hand erhöht zu
einem Fürsten und Heiland, zu geben Israel Buße und Vergebung der Sünden. 32
Und wir sind seine Zeugen über diese Worte und der Heilige Geist, welchen Gott
gegeben hat denen, die ihm gehorchen.
33 Da sie das hörten,
ging’s ihnen durchs Herz, und dachten, sie zu töten. 34 Da stand aber auf im
Rat ein Pharisäer mit Namen Gamaliel, ein
Schriftgelehrter, wohl gehalten vor allem Volk, und hieß die Apostel ein wenig
hinaustun 35 und sprach zu ihnen: Ihr
Männer von Israel, nehmt euer selbst wahr an diesen Menschen, was ihr tun
sollt. 36 Vor diesen Tagen stand auf Theudas und gab
vor, er wäre etwas, und hingen an ihm eine Zahl Männer, bei vierhundert; der
ist erschlagen, und alle, die ihm zufielen, sind zerstreut und zunichte worden.
37 Danach stand auf Judas aus Galiläa in den Tagen der Schätzung und machte
viel Volks abfällig ihm nach; und der ist auch umgekommen, und alle, die ihm
zufielen, sind zerstreut.
38 Und nun sage ich
euch: Lasst ab von diesen Menschen und lasst sie fahren! Ist der Rat oder das
Werk aus den Menschen, so wird’s untergehen; 39 ist’s aber aus Gott, so könnt
ihr’s nicht dämpfen, auf dass ihr nicht erfunden werdet, als die gegen Gott streiten
wollen. 40 Da fielen sie ihm zu und riefen den Aposteln, stäupten [schlugen]
sie und geboten ihnen, sie sollten nicht reden in dem Namen Jesu, und ließen
sie gehen. 41 Sie gingen aber fröhlich von des Rats Angesicht, dass sie würdig
gewesen waren, um seines Namens willen Schmach zu leiden; 42 und hörten nicht
auf alle Tage im Tempel und hin und her in Häusern zu lehren und zu predigen
das Evangelium von Jesus Christus.
Verhaftung und Befreiung (V.
17-21a): Ein Sturm war sicher überstanden worden, Kap. 4, aber ein zweiter war
im Anmarsch, der sich als etwas heftiger erweisen sollte als der vorherige. Das
ständige Wachstum der Gemeinde und das begeisterte Lob, das den Aposteln von
allen Seiten zuteil wurde, war zu viel für die
Obersten der Juden, besonders für die Sadduzäer mit ihrer Leugnung der
Auferstehung. Für sie war es ein Gräuel, dass die gesamte Verkündigung des
Evangeliums auf der wundersamen Auferstehung Jesu von den Toten beruhte. Und so
begab sich ihre Partei, mit dem Hohepriester an der Spitze, der wahrscheinlich
auch dieser Schule oder Partei angehörte, ein weiteres Mal feierlich auf die
Säulenhalle Salomos. Sie waren nicht nur entrüstet, weil die Jünger es wagten,
weiterhin im Namen Jesu zu predigen, sondern sie waren buchstäblich von
zornigem Neid erfüllt, weil die Apostel in der Gunst des Volkes zunahmen, weil
das Volk ihnen große Ehrfurcht und Verehrung entgegenbrachte. So legten diese
Führer wütend und gewaltsam Hand an die Apostel und steckten sie in das
öffentliche Gefängnis, um sie öffentlich zu diffamieren und zu entwürdigen.
Doch ihr Triumph war nur von kurzer Dauer. Denn noch in derselben Nacht öffnete
ein Engel des Herrn, wahrscheinlich ein Engel höchsten Ranges wie Gabriel,
nicht nur die Türen des Tempels, sondern führte sie auch hinaus und gab ihnen
den Befehl, in den Tempel zu gehen, vor das Volk zu treten und alle Worte
dieses Lebens zu sprechen, um das Evangelium des ewigen Heils zu predigen. Weit
davon entfernt, sich von der Behandlung, die ihnen zuteil
wurde, entmutigen zu lassen, sollten die Apostel die ihnen anvertraute
Botschaft nicht nur kühn, sondern auch an dem öffentlichsten Ort in ganz
Jerusalem verkünden. Er, der selbst die Auferstehung und das Leben ist, wollte,
dass das Wort von diesem Leben seinen Einfluss nicht nur in Jerusalem, sondern
in ganz Judäa und bis ans Ende der Welt ausdehnt. So gingen die Apostel um die
Zeit des Tagesanbruchs, sobald die Tempeltüren geöffnet wurden, um das
Morgenopfer zu bringen, in den Tempel und nahmen ihre Lehre wieder auf. Je mehr
das Wort Gottes seine Kraft entfaltet, desto mehr wird der Zorn der Welt und
des Fürsten dieser Welt entfacht. So mancher Jünger Christi ist wegen des
Namens, an den er glaubte und den er bekannte, ins Gefängnis geworfen worden.
Aber der Herr war mit ihnen und half ihnen gemäß seiner Verheißung. Und niemals
in der Geschichte der Kirche haben sich die wahren Bekenner weder durch
Verfolgung noch durch Gefängnis davon abhalten lassen, das Wort zu verkünden,
das Gott ihnen anvertraut hat.
Eine Überraschung für die Sadduzäer
(V. 21b-25): Am nächsten Morgen war der Hohepriester früh auf den Beinen. Als
er an den Ort kam, wo die Sadduzäer zusammenkamen, beriefen er und seine
Schergen eine Versammlung ein, und zwar nicht nur des gesamten Sanhedrins, des
höchsten kirchlichen Gerichts der Juden, sondern auch des Presbyteriums der
Kinder Israels, der alten und erfahrenen Lehrer des Volkes, die nicht
Mitglieder des Rates waren.[17]
Als sie nun aber nach all dieser förmlichen und eindrucksvollen Einführung
Diener zum Gefängnis hinüberschickten, um die Gefangenen zu holen, waren diese
nicht zu sehen. Die Diener kehrten zurück und teilten mit, dass sie das
Gefängnis in bewährter Weise verschlossen und gesichert vorfanden, dass die
Wachen ihre gewohnten Plätze eingenommen hatten, aber als sie die Türen
öffneten, waren keine Gefangenen da. Der Engel des Herrn hatte also nicht nur
die Wächter des Gefängnisses mit vorübergehender Blindheit geschlagen, sondern
auch die Türen wieder verschlossen, um jeden Hinweis auf die wundersame
Befreiung der Apostel zu beseitigen. Diese Nachricht löste im Sanhedrin große
Bestürzung aus. Und sie verwirrte nicht nur die Mitglieder des Rates selbst,
sondern auch den „Mann vom Tempelberg“, den Chef der Tempelpolizei.
Offensichtlich hatte hier die Hand Gottes eingegriffen, wie sie in ihrer
Ratlosigkeit indirekt zugaben, da sie nicht wussten, wohin das Ganze bei dem
derzeitigen Tempo des Fortschritts führen würde. In der Zwischenzeit kam ein
Mann und verkündete ihnen, dass die Männer, die sie ins Gefängnis geworfen
hatten, im Tempel standen und offen und mutig damit beschäftigt waren, das Volk
zu lehren. So mancher Feind des Herrn und seines Wortes wurde durch die Art und
Weise, wie der Herr die Seinen beschützt und für seine eigenen Interessen
sorgt, verblüfft. Es ist ein guter Plan, ein sicherer Plan, alles Vertrauen auf
ihn zu setzen.
Die Anklage gegen die Apostel (V.
26-28): Der Vorsteher der Tempelpolizei handelte nach den Informationen, die
dem Sanhedrin gegeben worden waren. Er verließ die Ratskammer, wahrscheinlich
die Hälfte der polierten Steine, und ging mit den Dienern hinüber, um die
Apostel zu holen. Doch anstatt den Anschein einer Verhaftung zu erwecken,
achtete der Häuptling sehr darauf, die Apostel vorsichtig und höflich zu
begleiten. Nicht einen Augenblick lang wandte er Gewalt an, denn die ganze
Schar hatte großen Respekt vor der Stimmung des Volkes und fürchtete,
gesteinigt zu werden. Nicht nur, dass die Apostel beim Volk in hohem Ansehen
standen, sondern es hatte sich zu diesem Zeitpunkt zweifellos gezeigt, auf
welche Weise sie aus dem Gefängnis befreit worden waren. Zweifellos fürchteten
sie die Masse des Volkes, denn die Mitglieder der Gemeinde hätten sich kaum
einer Gewalttat schuldig gemacht. Die Apostel ihrerseits begleiteten die
Beamten ohne Zögern oder Furcht und vertrauten einfach auf den Herrn. Und so
führten die Diener sie vor die Richter, die in dem üblichen Halbkreis saßen,
während die Angeklagten vor ihnen standen. Der Hohepriester stellte ihnen nun
die Frage, nicht ohne einige Schärfe, ob der Rat ihnen nicht sehr ernsthaft und
nachdrücklich empfohlen und sie aufgefordert habe, nicht in diesem Namen zu
lehren. Man beachte, dass der Feind Christi den verhassten Namen nicht einmal
erwähnen will. Er wirft ihnen Ungehorsam gegenüber dem Sanhedrin vor und
beklagt, dass sie ganz Jerusalem mit ihrer Lehre erfüllt haben. So viel musste
der Hohepriester zugeben, dass der Erfolg der neuen Lehre wunderbar war. Aber
sein Hauptvorwurf lautet, dass sie versuchen, das Blut Jesu über das jüdische
Volk und seine Führer zu bringen. Es scheint hier eine Anspielung auf den schrecklichen
Fluch zu geben, den die jüdischen Herrscher am Tag des Todes des Herrn
ausgesprochen hatten, als sie ausriefen: Sein Blut komme über uns und über
unsere Kinder! Matth. 27,25. Da die Auferstehung Jesu
und damit seine ewige Sohnschaft feststeht, folgt daraus natürlich, dass
diejenigen, die ihn verurteilten, Mörder waren, weil sie unschuldiges Blut
vergossen hatten. Entweder müssen sie diese Anschuldigung dem Volk überlassen,
oder sie müssen jedes Zeugnis der Auferstehung mit rücksichtsloser Gewalt unterdrücken.
Sollte das gemeine Volk einmal gegen die Mörder des unschuldigen Jesus
aufgestachelt werden, so ist zu erwarten, dass diese sehr schnell für ihr
Verbrechen bezahlen würden, Blut für Blut und Leben für Leben. Anstatt den Weg
der Heuchelei und des Verbrechens zu verlassen, entschieden sich die jüdischen
Führer daher für die schlimme Alternative, noch tiefer einzutauchen. Anmerkung:
Wenn ein Mensch, dem vernünftige Beweise für seine Schuld vorgelegt wurden, auf
seinem Weg beharrt, die Stimme seines Gewissens unterdrückt und der Liste der
ihm bereits vorgeworfenen Verbrechen weitere hinzufügt, verhärtet er sein Herz
und entzieht sich der Barmherzigkeit.
Die Verteidigung des Petrus (V.
29-32): Petrus war zwar der Hauptredner bei dieser Gelegenheit, aber die
anderen Apostel gaben eine gute Vorstellung von sich selbst, und er sprach nur
die Überzeugung ihrer Herzen aus. Schon die ersten Worte der Verteidigung der
Apostel begründeten einen großen Grundsatz in der christlichen Kirche: Gott zu
gehorchen und nicht den Menschen, das ist die Verpflichtung, die auf uns ruht.
Wenn die Obrigkeit sie des Ungehorsams anklagen wollte, so wäre diese Anklage
wohl berechtigt, und sie würden sich freudig schuldig bekennen, so wie sie den
jüdischen Führern im Voraus gesagt hatten, dass sie nicht gehorchen wollten und
könnten, Kap. 4,19.20. Wenn es um Angelegenheiten des Reiches Gottes geht, um
die Verkündigung des Evangeliums, nützt kein Verbot, keine Drohung, kein Spott
und keine Beschimpfung etwas. In diesen Angelegenheiten hat die Regierung keine
Zuständigkeit. Wo immer es eine klare Aussage der Heiligen Schrift gibt, dort
werden die Christen die Wahrheit und den Schutz des Herrn festhalten, und wenn
die ganze Welt sie verdammen würde. Und was den zweiten Teil der Anklage des
Hohenpriesters betrifft, dass die fortgesetzte Verkündigung des auferstandenen
Christus Aufruhr und Tumult verursachen könnte, so wiederholen die Apostel
kühn, was sie zuvor bezeugt hatten. Es war kein fremder Gott, sondern der Gott
ihrer Väter, den sie verkündeten, der Gott Israels, der Jesus von den Toten
auferweckt hatte, jenen Jesus, an den die Machthaber unheilige Hände gelegt
hatten, als sie ihn töteten, indem sie ihn an den Baum des Kreuzes hängten.
Dieses Zeugnis Gottes für die Person und das Werk Jesu bewies nicht nur, dass
es unschuldiges Blut war, das sie vergossen hatten, sondern es wurde auch durch
die Tatsache bestätigt, dass Gott ihn zu seiner Rechten im Himmel erhoben
hatte, um seine göttliche Majestät und Herrlichkeit voll und ständig zu
gebrauchen. Auf diese Weise hat der Herr den verachteten Jesus zu einem Führer
oder Fürsten und Retter gemacht. Und Jesus übte nun die Macht seines Amtes und
die Pflichten seines Dienstes in dem Bemühen aus, Israel Buße und Vergebung der
Sünden zu geben. Es ist sein ernster, guter und gnädiger Wille, dass das Volk
sich von seinen bösen Wegen und von der Härte seines Herzens abwendet und die
Vergebung der Sünden annimmt, die es verdient hat und die für alle Menschen
bereit ist. Sowohl die Umkehr als auch die Vergebung der Sünden sind kostenlose
Gaben der Barmherzigkeit seitens des erhöhten Christus.[18]
Und von all diesen Dingen sind die Apostel Zeugen, vom Tod, von der
Auferstehung und von der Himmelfahrt Christi. Dieses Zeugnis wird überdies
bekräftigt und bestätigt durch den Heiligen Geist, der in und mit den Aposteln
zeugt und ihr Zeugnis wirksam macht. Diesen Geist hat Gott denen gegeben, die
den Gehorsam des Glaubens haben. Am Pfingsttag hatten die Apostel eine
außergewöhnliche Demonstration seiner Macht empfangen, aber derselbe Geist wird
immer durch das Wort gegeben, durch die Annahme der großen Tatsachen unserer
Erlösung, wie sie von den Aposteln gelehrt wurden. Es ist dieser Geist, der
durch den Mund der Christen Zeugnis ablegt, wenn sie kühn über ihren Glauben
Rechenschaft ablegen. Diese kurze Verteidigungsrede, die die Apostel hier
gehalten haben, war an sich eine Gabe des Heiligen Geistes und eine
eindrucksvolle Erfüllung der Verheißung des Herrn, Matth.
11,19.
Der Rat des Gamaliel
(V. 33-37): Die Rede des Petrus, in der er und auch die anderen Apostel sich
gegen die Angriffe der jüdischen Führer verteidigten, war von jener Offenheit
und Furchtlosigkeit geprägt, die die Verkündigung der Wahrheit stets
kennzeichnen sollte. Aber die Mitglieder des Sanhedrins, anstatt der Wahrheit
Beachtung zu schenken und zuzulassen, dass Buße zur Vergebung der Sünden in
ihnen wirke, wurden buchstäblich bis ins Herz zersägt, sie wurden von
heftigster Empörung erfüllt. Ein Gedanke und ein Ziel beherrschte daher die
meisten von ihnen, nämlich sich der Jünger zu entledigen, wie sie es mit dem
Meister getan hatten, und die Apostel zu töten. Aber in dieser Krise setzte
sich der ruhigere Rat eines der Mitglieder durch. Denn an seine Stelle im Rat
trat ein Pharisäer namens Gamaliel, ein gelehrter
Gesetzeslehrer, der beim ganzen Volk hoch geachtet und geschätzt war und dessen
Wort daher großen Einfluss hatte, und er befahl zunächst, die Angeklagten für
eine Weile herauszunehmen, da er in einer vertraulichen Angelegenheit sprechen
wollte. Nachdem Gamaliel das Wort ergriffen hatte,
bis dies geschehen war, wandte er sich an den Sanhedrin und nannte sie
ehrenvoll „Männer von Jerusalem“. Er ermahnte seine Ratskollegen, in Bezug auf
diese Männer alle Vorsicht walten zu lassen und jede Handlung mit großer
Überlegung abzuwägen, bevor sie ausgeführt wird. Er untermauert seine Warnung
mit einem Verweis auf historische Tatsachen, insbesondere im Hinblick auf
Aufstände und Unruhen in ihrem Land. Nicht der von Josephus erwähnte Theudas, der 44 n. Chr. sein Ende fand, sondern ein anderer
Mann mit demselben Namen, wahrscheinlich der Vater oder ein anderer Verwandter
dieses späteren Theudas, hatte nicht lange zuvor
existiert. Dieser Mann hatte sich als jemand, als großer Mann ausgegeben und
sich so eine Anhängerschaft von etwa vierhundert Mann verschafft, so wie jeder
Demagoge mit einigen Anhängern rechnen kann. Aber dieser Mann wurde sofort
getötet, seine Anhänger wurden in alle Winde zerstreut, und die ganze Bewegung
war ergebnislos verpufft. Danach, in den Tagen der großen Volkszählung, die
Lukas so bezeichnet (6-8 n. Chr.)[19]19),
erhob sich ein anderer Rebell, Judas von Galiläa, so genannt nach dem
Schauplatz seiner Haupttaten oder Judas von Gaulanitis,
nach dem Ort seiner Geburt. Da diese große Volkszählung unter der zweiten
römischen Verwaltung des Quirinius nicht nur die Zählung und Bewertung des
Besitzes, sondern auch die Erhebung einer Steuer beinhaltete, ist es nicht
verwunderlich, dass Judas mit Leichtigkeit viele Menschen anlockte und schnell
eine Anhängerschaft gewann. Aber sein Schicksal war das gleiche wie das von Theudas. Auch er war umgekommen, hatte bald sein Ende
gefunden, und alle, die ihm Gehorsam und Vertrauen entgegengebracht hatten,
waren von den Behörden zerstreut worden. Gamaliel
hätte die Zahl der Beispiele vervielfachen können, denn, wie Josephus
berichtet, gab es in einigen Teilen Palästinas fast ständig kleinere Aufstände
und Aufstandsversuche, aber er hatte genug gesagt, um seinen Standpunkt
darzulegen.
Die Überlegung des Gamaliel
und das Ergebnis (V. 38-42): Ob Gamaliel
insgeheim die Sache Christi unterstützte, sich aber aus verschiedenen Gründen
nicht der Gemeinde anschloss, oder ob er seine Meinung aus einem natürlichen
Sinn für Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit heraus äußerte, lässt sich aus dem
biblischen Bericht nicht entscheiden. Aber was er mit den von ihm angeführten
Beispielen bezweckt, was er sagen will, ist, dass die Bewegung, die der
Sanhedrin bekämpfte, nicht mit Gewalt unterdrückt werden durfte; in der Tat war
es zweifelhaft, ob es klug war, sie überhaupt zu bekämpfen. Sein Vorschlag, den
er sehr klar und nachdrücklich formulierte, war, dass sie sich von diesen
Männern, den Aposteln, zurückziehen und sie in Ruhe lassen sollten. Und hier fügt
Gamaliel ein sprichwörtliches Sprichwort oder Axiom
hinzu, das bis heute seine Kraft nicht verloren hat: Ist dieser Rat oder dieses
Werk von Menschen, so wird man es vernichten; ist es aber von Gott, so kann man
es nicht vernichten. "Wenn es von Menschen ist, muss es sterben; wenn es
von Gott ist, kann es nicht sterben." Richtig verstanden, findet diese
Regel zu allen Zeiten ihre Anwendung. Es ist wahr, dass so manche christliche
Gemeinde und Landeskirche, die von Gott gepflanzt worden war, wie die Kirche
Kleinasiens, zerstört worden ist, und dass andererseits so manche Zitadelle des
Satans, wie das Reich des Antichristen, bis heute Bestand hat. Aber solche
Zustände und Umstände sind auf die Herzenshärte des Menschen zurückzuführen,
und die Tatsache, dass Gott ihr Bestehen zulässt, ist seine Strafe für ein
halsstarriges Volk, das die Wahrheit nicht annehmen will. Gamaliels
Rat wurde von allen Richtern als vernünftig und gut akzeptiert, und sie fassten
einen entsprechenden Beschluss. Die Apostel wurden daraufhin in die Ratskammer
zurückgebracht, wo sie als erstes gegeißelt wurden, weil sie gegen den früheren
Befehl des Rates verstoßen hatten. Vgl. 5. Mose 25,1-3; 2. Kor. 11,24; 12,10.
Bevor sie freigelassen wurden, wurden sie dann noch einmal streng ermahnt,
nicht im Namen Jesu zu reden. Merke: Diejenigen, die sich weigern, das
Evangelium zur Rettung ihrer Seelen anzunehmen, werden mit jeder Verkündigung
der Barmherzigkeit Gottes nur noch mehr verbittert und verhärtet; denn das Wort
des Evangeliums wird für sie zu einem Geschmack des Todes bis zum Tod. Doch
anstatt die Apostel durch diese harte Behandlung einzuschüchtern, veranlassten
die Richter sie zu einer großartigen Demonstration des Glaubens und des
Vertrauens. Nachdem sie die Geißelung empfangen hatten, verließen die Jünger
die Ratskammer voller Freude darüber, dass sie für würdig befunden worden
waren, die Schmach des Namens Christi zu tragen, dass sie etwas von der
gleichen Schande und Schmach auf sich geladen hatten, die auf ihren Herrn
gelegt worden war. Und ebenso offen trugen sie ihre Absicht vor, dem Sanhedrin
in der Frage der Verleugnung ihres Meisters nicht zu gehorchen. Sie hörten
nicht auf, jeden Tag im Tempel und in den Häusern, sowohl öffentlich als auch
privat, den Namen Jesu Christi, des Erlösers, zu lehren und zu predigen. Die
öffentliche Verkündigung des Wortes wurde durch individuelle Unterweisung
ergänzt, so wie es auch in unseren Tagen sein sollte. Merke: Das Wort Gottes
kann nicht ohne Gottes Erlaubnis behindert werden. Er hält seine schützenden
Hände über die Christen, die der Welt das Wort des Lebens verkünden.
Zusammenfassung: Die Heuchler
Ananias und Saphira werden vom Gericht Gottes getroffen, woraufhin die Apostel
von den Sadduzäern inhaftiert, vom Engel des Herrn befreit werden und sich vor
dem Sanhedrin verantworten müssen, wo sie nach einer Geißelung freigelassen
werden.
Die Wahl der
ersten Diakone
(6,1-8)
1 In den Tagen aber, da
der Jünger viel wurden, erhob sich ein Murren unter den Griechen gegen die
Hebräer, darum dass ihre Witwen übersehen wurden in der täglichen Handreichung.
2 Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es taugt
nicht, dass wir das Wort Gottes unterlassen und zu Tisch dienen. 3 Darum, ihr
lieben Brüder, seht unter euch nach sieben Männern, die einen guten Ruf haben
und voll Heiligen Geistes und Weisheit sind, welche wir bestellen können zu
dieser Aufgabe. 4 Wir aber wollen anhalten am Gebet und am Amt des Worts.
5 Und die Rede gefiel
der ganzen Menge wohl, und sie erwählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens
und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor
und Timon und Parmenas und
Nikolaus, den Judengenossen [Proselyt aus den Griechen] von Antiochien. 6 Diese
stellten sie vor die Apostel und beteten und legten die Hände auf sie. 7 Und
das Wort Gottes nahm zu, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß zu Jerusalem.
Es wurden auch viel Priester dem Glauben gehorsam. 8 Stephanus aber, voll
Glaubens und Kräfte, tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk.
Die Angelegenheit wird der Gemeinde
vorgelegt (V. 1-4): Nachdem Lukas die zweite Verfolgung der Apostel
geschildert hat, kehrt er noch einmal zu seiner Geschichte des Fortschritts der
christlichen Kirche zurück. Er beginnt eine neue Erzählung, einen neuen Absatz
oder Abschnitt. In jenen Tagen, als sich die Zahl der Jünger vervielfachte und
sehr schnell wuchs, entstand in der Mitte der Gemeinde eine innere Gefahr. „Die
Leichtigkeit, mit der sich unreine Elemente in der Kirche mit den reinen
verbinden konnten, stand im Verhältnis zu ihrer zahlenmäßigen Zunahme. Und als
die Versorgung der Armen immer reichlicher wurde, mag dieser Umstand selbst
viele Bedürftige angezogen haben.“[20]
Das Beunruhigende, Beunruhigende in diesem Fall war, dass in der Gemeinde ein
offenes Murren und Knurren der Unzufriedenheit aufkam. In der Gemeinde in
Jerusalem waren zwei Arten von Juden vertreten: die Juden oder Hebräer im
eigentlichen Sinne, die in Judäa geboren und inmitten der alten jüdischen
Bräuche aufgewachsen waren, und die griechischen Juden oder Hellenisten, Juden
von ausländischer Geburt und griechischer Bildung, die den üblichen
griechischen Dialekt sprachen und mehr oder weniger mit den griechischen
Lebensgewohnheiten vertraut waren. Im Allgemeinen waren die Hebräer und die
griechischen Juden in der Arbeit der Gemeinde in voller Harmonie vereint, Kap.
2,46; 4,32. Äußere Unterschiede, wie Reichtum, soziale Stellung, Sprache,
Lebensgewohnheiten usw., sollten das harmonische Wirken der Gemeinde niemals
auf unangenehme Weise beeinflussen. Aber hier war eine besondere Schwierigkeit
aufgetreten. Der Kommunismus war in keiner Weise eingeführt worden, aber durch
die Freigebigkeit der wohlhabenderen Mitglieder war für die Bedürftigen eine
sehr umfangreiche Vorsorge getroffen worden. Die so gewonnenen Mittel wurden
von den Aposteln verwaltet, Kap. 4,35, die sie an die Armen und an die Witwen
verteilten. Unter den gegebenen Umständen - das rasche Wachstum der Gemeinde,
die wachsende Zahl derer, die von der Freigebigkeit der Gemeinde abhängig
waren, die Tatsache, dass die griechischen Juden den Aposteln persönlich nicht
so gut bekannt waren - war ein Versehen leicht möglich. Eine oder mehrere
Witwen, die sich zu diesem Dienst berechtigt fühlten, waren bei den täglichen
Rundgängen der Apostel übersehen worden. Und sofort weckte der Teufel, der
Geist der Zwietracht und des Streits, den Gedanken, dass dies eine absichtliche
Kränkung sei. Ähnliche Klagen und Anschuldigungen werden manchmal auch in
unseren Tagen erhoben, und sie sind ebenso wenig begründet. Solange fehlbare
Menschen versuchen, anderen Menschen zu dienen, die ebenso fehlbar sind, kann
es zu Fehlern kommen, die ohne liebloses Gemurre bereinigt werden sollten.
Welchen Grund es auch immer für die Unzufriedenheit gegeben haben mag, die
Apostel wollten nicht, dass der Verdacht der Parteilichkeit auf ihnen lastet.
Sie beriefen daher eine Versammlung der gesamten Gemeinde ein und legten die
Angelegenheit allen Jüngern vor. Es war gewiss nicht das Richtige, das Richtige
für sie, das Wort Gottes aufzugeben, sowohl in der öffentlichen Verkündigung
als auch in der individuellen Unterweisung, um bei Tische zu dienen, um einen
Dienst zu verrichten, der gut von anderen getan werden konnte. Ihr wichtigstes
Werk war die Sorge um die Seelen, die Verkündigung des Evangeliums. Deshalb
schlugen sie der Versammlung vor, dass sie sich als Brüder nach sieben Männern
umsehen sollten. Die Qualifikationen dieser Männer werden von den Aposteln vor
allem mit drei Worten beschrieben. Sie müssen sowohl innerhalb als auch
außerhalb der Kirche einen guten Ruf als integre und untadelige Männer haben;
sie müssen vom Heiligen Geist erfüllt sein, der ihnen die Barmherzigkeit
Christi und die Kraft zu einem heiligen Leben vermittelt; sie müssen mit
Weisheit, mit praktischer Weisheit, mit gesundem Menschenverstand erfüllt sein,
der sie befähigt, komplizierte Geschäftsangelegenheiten zur vollen
Zufriedenheit aller Beteiligten zu regeln. Diese Männer sollten offiziell
ernannt werden, um sich um den gegenwärtigen Bedarf zu kümmern, um die
Geschäfte der Gemeinde zu leiten. Beachten Sie, dass die geschäftliche Seite
einer christlichen Gemeinde in der ersten erklärten Versammlung der ersten Körperschaft,
die diesen Titel trug, hervorgehoben wurde. „In diesem Fall ist diese
Geschichte nützlich und gut, dass wir das Beispiel der Apostel gut bedenken und
lernen, welche Art von Männern für dieses Amt zu gebrauchen sind, für das der
heilige Stephanus sich verwenden ließ.... Einen guten Ruf zu haben bedeutet,
dass man sich in allen Dingen ehrlich und ohne Tadel gehalten hat, dass man
nicht, wie es die Welt jetzt gemeinhin tut, entweder schändlich geizig gewesen
ist oder Geld und Güter verschwendet hat.... Dann gehört auch der Heilige Geist
hierher. Denn den Heiligen Geist zu haben, ist nichts anderes, als ein Christ
zu sein, das Wort Gottes zu lieben, es gern zu hören, sein Leben danach
auszurichten und ein gutes Gewissen zu haben. All das ist das Werk und die
Frucht des Heiligen Geistes. Nun kann es aber gut sein, dass jemand sowohl ein
gutes Zeugnis als auch den Heiligen Geist hat und dennoch nicht zu einem
solchen Amt taugt; darum sagt man: Solche Leute sollen auch weise, tüchtig und
praktisch sein.... Denn dieses Amt braucht praktische Köpfe, wenn es sonst mit
Nutzen und Anstand ausgeübt werden soll. Faule, unwillige, unvorsichtige,
untaugliche Leute können für dieses Amt nicht gebraucht werden.“[21]
Diese Qualifikationen sollten auch in unseren Tagen im Auge behalten werden,
wann immer Amtsträger der Kirche gewählt werden müssen; es gibt zu viel
gedankenlose, willkürliche Auswahl, mit der Folge von Unzufriedenheit und
Schaden für die Gemeinde. Während die so zu bestellenden Männer diesen
besonderen Dienst, die Versorgung der Armen und Witwen mit dem Nötigsten für
ihren Lebensunterhalt, übernehmen sollten, wollten die Apostel selbst ihre
ganze Zeit und Energie dem Gebet und dem Dienst am Wort widmen; in diesen
Dingen wollten sie bis zum Ausschluss von allem anderen beharrlich sein. Die
christlichen Prediger aller Zeiten haben das Amt des Dienstes am Wort. Das ist
der wichtigste Dienst im Reiche Gottes; von ihm hängt das Heil der Seelen ab.
Es ist keineswegs eine kleine und unbedeutende Sache, das Wort Gottes vor der
ganzen Gemeinde zu verkünden und es auch im Einzelfall anzuwenden. Und darüber
hinaus ist dieser Dienst ein Dienst des Gebets. Die Verantwortung für jede
einzelne Seele in der Gemeinde ruht auf dem Pastor, und er wird die Nöte aller
und jedes Einzelnen im täglichen Gebet und in der Fürbitte vor den himmlischen
Vater bringen. Dienste in der Gemeinde, die mit dieser Hauptaufgabe
kollidieren, sollten anderen Männern anvertraut werden, denen der Herr die
notwendigen Qualifikationen gegeben hat.
Die Wahl (V. 5-8): Indem sie der
Gemeinde ihren Vorschlag unterbreiteten, stellten die Apostel, obwohl sie die
inspirierten Lehrer der Kirche waren, keine willkürlichen Forderungen; es gibt
keinen Hinweis auf hierarchische Bestrebungen. Die Gemeinde sollte über ihr
Vorgehen in dieser Angelegenheit entscheiden. Aber die Weisheit der Lösung war
so offensichtlich, dass die Gemeinde nicht zögerte, danach zu handeln: Das Wort
war für sie alle angenehm. Und so gingen sie daran, sieben Männer zu wählen,
die die von den Aposteln genannten Eigenschaften hatten: Stephanus, von dem mit
Nachdruck gesagt wird, dass er voller Glauben war, nicht voller Treue, sondern
voller Glauben an den Erlöser, aus dem alle Tugenden hervorgehen; Philippus,
Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas und Nikolaus, wobei der letztgenannte ein
jüdischer Proselyt war, der aus Antiochia stammte. Es ist bemerkenswert, dass
alle Namen griechische Namen sind, und obwohl das Argument nicht schlüssig ist,
ist es sehr wahrscheinlich, dass die Großzügigkeit der Gemeinde sie dazu
veranlasste, nur griechische Juden und Griechen für das Amt auszuwählen.
Selbstsucht und Eifersucht sollten in ihrer Mitte absolut unbekannt sein. Es
entspricht ganz und gar dem Wort und dem Willen Gottes, wenn christliche Gemeinden
alle ihre Amtsträger selbst wählen und alle ihre Angelegenheiten selbst in die
Hand nehmen. Und wo immer die Gefahr der Zerrüttung besteht, ist es weit
besser, in gleichgültigen Angelegenheiten nachzugeben und allein die
Nächstenliebe walten zu lassen. Die neu gewählten Diakone wurden dann den
Aposteln vorgeführt, die über ihnen durch Handauflegung beteten. Dies war eine
schöne, bedeutsame Zeremonie, mit der sie in ihr Amt eingeführt wurden, und sie
wird in der christlichen Kirche bis heute ordnungsgemäß angewendet, aber nicht
auf göttlichen Befehl.
Durch die Ernennung dieser sieben
Amtsträger, die für die täglichen Dienste zuständig waren, gewannen die Apostel
viel Zeit für ihre wichtigen Aufgaben, für das Predigen, Lehren und Beten, mit
dem Ergebnis, dass ihre Arbeit viel effektiver war als zuvor. Das Wort Gottes
gewann an Kraft und Einfluss, die Zahl der Jünger in Jerusalem nahm stark zu,
und auch eine große Zahl von Priestern war dem Glauben gehorsam und nahm die
Lehre des Glaubens an Jesus als ihren Erlöser an. Diese Priester müssen als die
Hauptdiener der alten Formen zu den heftigsten Gegnern der Kirche gehört haben,
und ihre Bekehrung bedeutete einen großen Sieg Christi inmitten seiner Feinde.
Besonders bemerkenswert ist, dass die wunderbare Veränderung dem Wort Gottes
zugeschrieben wird, das überall, wo es verkündet wird, wirksam ist. Einer der
eifrigsten Vertreter des Wortes war zu dieser Zeit Stephanus, einer der sieben
Diakone, die von der Gemeinde gewählt worden waren. Es wird noch einmal
hervorgehoben, dass er voller Glauben und Kraft war. Sein Glaube an Jesus, den
Erlöser, war fest verankert. Und daraus erwuchs Gunst bei Gott und Menschen,
Tugend und Kraft. „Kraft bedeutet hier Aktivität oder Handlung; als ob er sagen
würde: Er hatte einen so großen Glauben, darum hat er auch viel getan und war
mächtig in der Tat. Denn wo der rechte Glaube ist, da folgt auch die Tat; und
je größer der Glaube ist, desto aktiver ist er im Tun.“[22] Aber es war eine besondere Manifestation der
Kraft des Geistes, die Stephanus befähigte, Wunder und große Zeichen unter dem
Volk zu tun. Gott tut sein Werk auf seine Weise, nach seinen eigenen Methoden,
und er brauchte Stephanus zu dieser Zeit.
Das Zeugnis des
Stephanus
(6,9-15)
9 Da stunden etliche auf
von der Synagoge, die da heißt der Libertiner und der
Kyrener und der Alexanderer
und derer, die aus Zilizien und Asien waren, und stritten mit Stephanus. 10 Und
sie vermochten nicht, zu widerstehen der Weisheit und dem Geist, aus welchem er
redete. 11 Da richteten sie zu etliche Männer, die sprachen: Wir haben ihn
gehört Lästerworte reden gen Mose und gegen Gott. 12 Und sie bewegten das Volk
und die Ältesten und die Schriftgelehrten; und
traten herzu und rissen ihn hin und führten ihn vor den Rat; 13 und stellten falsche Zeugen dar, die
sprachen: Dieser Mensch hört nicht auf,
zu reden Lästerworte gegen diese heilige Stätte und das Gesetz. 14 Denn wir
haben ihn hören sagen: Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören und
ändern die Sitten, die uns Mose gegeben hat. 15 Und sie sahen auf ihn alle, die
im Rat saßen, und sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht.
Die Aktivität, die Stephanus im Interesse
seines Herrn an den Tag legte, beschränkte sich nicht auf die Gemeinde. Der
Eifer eines jeden wahren Christen zeigt sich in echter Missionsarbeit, in dem
Versuch, durch Zeugnis und Entschuldigung Gläubige für Christus zu gewinnen.
Stephanus erregte bald die Aufmerksamkeit und die Eifersucht und Feindschaft
der ungläubigen Juden. Unter der großen Zahl von Synagogen in Jerusalem (die
rabbinischen Schriftsteller geben an, dass es 480 gab) gab es auch solche, die
von Juden aus bestimmten Ländern der Diaspora gegründet wurden, da sie sich
durch Sprache und Bräuche zueinander hingezogen fühlen würden. Es gab eine,
deren Mitglieder römische Freigelassene waren, ehemalige gefangene Juden, die
von Pompejus nach Rom gebracht worden waren; eine
andere bestand aus Juden, die aus Kyrene in Afrika stammten, eine dritte aus
solchen, die in Alexandria gelebt hatten; eine vierte hatte ausschließlich
Mitglieder aus Kilikien, eine fünfte aus der Provinz Asien am Ägäischen Meer.
Alle diese Synagogen schickten Vertreter, wahrscheinlich in den Tempel, wo die
öffentlichen Versammlungen der Gemeinde stattfanden, um mit Stephanus in
streitbaren Fragen zu debattieren. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass sich
unter diesen Männern auch Saulus von Tarsus in Kilikien befand, ein Pharisäer
der Pharisäer in Rechtgläubigkeit und Eifer. Aber was auch immer für
Argumentationsmethoden diese fähigen Debattierer anwandten, sie waren in diesem
Fall nutzlos; sie konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem Stephanus sprach,
nicht widerstehen. Denn es war der Heilige Geist selbst, der in diesem Jünger
anwesend war und in ihm und durch ihn sprach, Luk. 21,15. Die Beweise, die
Stephanus in diesem Kampf der Geister vorbrachte, waren von einer solchen Art,
dass sie von den Gegnern nicht in Frage gestellt werden konnten. Sie wurden auf
der ganzen Linie aufgerieben und mussten sich in der Verwirrung zurückziehen.
Diese Niederlage auf einem Gebiet, auf dem
sie sich als unangefochtene Meister wähnten, schmerzt diese Feinde Christi. Da
die offene Kriegsführung versagte, griffen sie zu Verleumdung und Gewalt. Sie
heuerten Männer an, die unter Eid bestimmte Aussagen wiederholten, die sich
gegen Stephanus richteten. Dieser hatte wahrscheinlich erklärt, dass die wahren
Gläubigen nicht mehr unter dem Gesetz stehen, und die ungläubigen Juden vor dem
Gericht gewarnt, das über die Heilige Stadt und den Tempel hereinbrechen würde.
Diese Worte könnten leicht als Gotteslästerung gegen die Lehre des Mose im
Sinne der Juden und gegen Gott ausgelegt werden. Mit dieser Konstruktion der
Aussagen des Stephanus war es ein Leichtes, die fanatischen Juden, das gemeine
Volk wie auch die Ältesten und Schriftgelehrten aufzurütteln, zu erregen und
tief zu bewegen. Es war ein Teil des schlauen Plans, zuerst das Volk zu
gewinnen, denn der Sanhedrin würde eher handeln, wenn er spürte, dass das Volk
in dieser Sache auf seiner Seite stand und nicht mehr die Apostel und ihre
Anhänger unterstützte. Nachdem sie so den Weg bereitet hatten, stießen sie
plötzlich auf Stephanus, überraschten ihn, als er noch nichts von ihren
feindlichen Absichten ahnte, nahmen ihn gewaltsam fest und brachten ihn vor den
Sanhedrin zur Verhandlung. Es ist unerheblich, ob der Rat regelmäßig tagte oder
in Erwartung dieser Verhaftung zusammengetreten war. Kaum war Stephanus
angeklagt, brachten sie ihre lügnerischen Zeugen vor, die sorgfältig auf ihre
Rolle vorbereitet worden waren, die sie spielen sollten. Die Meineidigen
hielten sich strikt an die Anweisungen und sagten aus, sie hätten den
Gefangenen sagen hören, Jesus von Nazareth werde diesen Ort völlig zerstören
und die Bräuche, die ihnen von Mose überliefert worden waren, völlig verändern.
Anmerkung: Die Feinde Jesu hatten offensichtlich etwas aus dem Prozess gegen
Christus und aus den nachfolgenden Erfahrungen gelernt. Die Pharisäer hatten
konkrete Anschuldigungen gegen Stephanus vorgebracht, und sie stellten Zeugen auf,
die in ihrer Rolle sorgfältig geschult worden waren. Es war ein äußerst
dramatischer, beeindruckender Moment, als die Anklage vollständig vorgetragen
und alle Zeugenaussagen gehört worden waren. Die Augen aller Ratsmitglieder
waren fest auf Stephanus gerichtet und erwarteten natürlich, dass er auf die
eine oder andere Weise auf die Anklage antworten würde. Und hier gab Gott einen
sichtbaren Beweis, dass er seinen Diener unterstützte und bis zum Ende bei ihm
sein würde. Die Richter sahen das Gesicht des Stephanus, als wäre es das
Gesicht eines Engels gewesen. Dies ist keine Beschreibung einer
außergewöhnlichen körperlichen Schönheit, sondern eines übernatürlichen
Glanzes, wie der auf dem Gesicht von Mose, nachdem er mit Gott gesprochen
hatte. Ein solcher himmlischer Glanz passte auf das Gesicht eines Menschen, dem
die Herrlichkeit des Herrn offenbart worden war. Anmerkung: Wie Stephanus kann
jeder christliche Prediger, der furchtlos von Christus und seinem Wort Zeugnis
ablegt, leicht in eine Debatte mit den Feinden Christi verwickelt werden. Und
wenn die Ungläubigen durch Tatsachen aus dem Wort Gottes besiegt worden sind,
versuchen sie, sich durch Drohungen und Lästerungen zu rächen und, wenn
möglich, die Wahrheit mit Gewalt zu unterdrücken. So mancher Zeuge für Christus
ist auf diese Weise vor geistlichen und weltlichen Gerichten als
Gotteslästerer, Verräter und Aufrührer gebrandmarkt worden.
Zusammenfassung: Um einer
dringenden Notlage abzuhelfen, wählt die Gemeinde in Jerusalem auf Vorschlag
der Apostel sieben Diakone, die sich um die Armen und Witwen kümmern sollen;
einer von ihnen, Stephanus, legt Zeugnis für Christus ab und wird vor dem
Sanhedrin angeklagt.
Die Verteidigung
des Stephanus und sein Märtyrertod (7,1-60)
1 Da sprach der
Hohepriester: Ist dem so? 2 Er aber sprach: Liebe Brüder und Väter, hört zu!
Gott der Herrlichkeit erschien unserem
Vater Abraham, da er noch in Mesopotamien war, ehe er wohnte in Haran, 3 und er sprach zu ihm: Gehe aus deinem Land und von
deiner Verwandtschaft und zieh in ein Land, das ich dir zeigen will. 4 Da ging
er aus der Chaldäer Land und wohnte in Haran. Und von
dort, da sein Vater gestorben war, brachte er ihn herüber in dies Land, darin
ihr nun wohnt. 5 Und gab ihm kein Erbteil drinnen, auch nicht einen Fuß breit;
und verhieß ihm, er wollte es geben ihm zu besitzen und seinem Samen nach ihm,
da er noch kein Kind hatte.
6 Aber Gott sprach so:
Dein Same wird ein Fremdling sein in einem fremden Land, und sie werden ihn
dienstbar machen und übel behandeln vierhundert Jahre. 7 Und das Volk, dem sie
dienen werden, will ich richten, sprach Gott; und danach werden sie ausziehen
und mir dienen an dieser Stätte. 8 Und gab ihm den Bund der Beschneidung. Und
er zeugte Isaak und beschnitt ihn am achten Tag und Isaak den Jakob und Jakob
die zwölf Erzväter.
9 Und die Erzväter
neideten Joseph und verkauften ihn nach Ägypten. Aber Gott war mit ihm 10 und
errettete ihn aus aller seiner Trübsal und gab ihm Gnade und Weisheit vor dem
König Pharao in Ägypten; der setzte ihn zum Fürsten über Ägypten und über sein
ganzes Haus. 11 Es kam aber eine teure Zeit über das ganze Land Ägypten und
Kanaan und eine große Trübsal, und unsere Väter fanden nicht Fütterung. 12
Jakob aber hörte, dass in Ägypten Getreide wäre, und sandte unsere Väter aus
zum ersten Mal. 13 Und beim zweiten Mal wurde Joseph erkannt von seinen Brüdern
und wurde Pharao Josephs Abstammung offenbar. 14 Joseph aber sandte aus und
ließ holen seinen Vater Jakob und seine ganze Verwandtschaft, fünfundsiebzig
Seelen. 15 Und Jakob zog hinab nach Ägypten und starb, er und unsere Väter. 16
Und sind herübergebracht nach Sichem und gelegt in
das Grab, das Abraham gekauft hatte ums Geld von den Kindern Hemors zu Sichem.
17 Da nun sich die Zeit
der Verheißung nahte, die Gott Abraham geschworen hatte, wuchs das Volk und
mehrte sich in Ägypten, 18 bis dass ein anderer König aufkam, der nichts wusste
von Joseph. 19 Dieser trieb Hinterlist mit unserem Geschlechte und behandelte
unsere Väter übel und schaffte, dass man die jungen Kindlein hinwerfen musste,
dass sie nicht lebendig blieben. 20 Zu der Zeit wurde Mose geboren und war ein
feines Kind vor Gott und wurde drei Monate ernährt in seines Vaters Haus. 21
Als er aber hingeworfen ward, nahm ihn die Tochter Pharaos auf und zog ihn auf
zu einem Sohn. 22 Und Mose ward gelehrt in aller Weisheit der Ägypter und war
mächtig in Werken und Worten.
23 Da er aber vierzig
Jahre alt wurde, gedachte er, zu besehen seine Brüder, die Kinder von Israel,
24 und sah einen Unrecht leiden. Da half er und rächte den, dem Leid geschah,
und erschlug den Ägypter. 25 Er meinte aber, seine Brüder sollten’s
vernehmen, dass Gott durch seine Hand ihnen Heil gäbe; aber sie vernahmen’s nicht. 26 Und am nächsten Tag kam er zu ihnen,
da sie sich miteinander haderten, und handelte mit ihnen, dass sie Frieden
hätten, und sprach: Liebe Männer, ihr
seid Brüder, warum tut einer dem andern Unrecht? 27 Der aber seinem Nächsten
Unrecht tat, stieß ihn von sich und sprach: Wer hat dich über uns gesetzt zum
Obersten und Richter? 28 Willst du mich auch töten, wie du gestern den Ägypter
tötetest? 29 Mose aber floh über dieser Rede und ward ein Fremdling im Lande
Midian. Daselbst zeugte er zwei Söhne.
30 Und nach über vierzig
Jahren erschien ihm in der Wüste auf dem Berge Sinai der Engel des HERRN in
einer Feuerflamme im Busch. 31 Da es aber Mose sah, wunderte er sich des
Gesichtes. Als er aber hinzuging, zu schauen, geschah die Stimme des HERRN zu
ihm: 32 Ich bin der Gott deiner Väter, der Gott Abrahams und der Gott Isaaks
und der Gott Jakobs. Mose aber ward zitternd und durfte nicht anschauen. 33
Aber der HERR sprach zu ihm: Zieh die Schuhe aus von deinen Füßen; denn die
Stätte, da du stehst, ist heilig Land. 34 Ich habe wohl gesehen das Leiden
meines Volks, das in Ägypten ist, und habe ihr Seufzen gehört und bin
herabkommen, sie zu erretten. Und nun komm her; ich will dich nach Ägypten
senden.
35 Diesen Mose, welchen
sie verleugneten und sprachen: Wer hat dich zum Obersten und Richter gesetzt?
den sandte Gott zu einem Obersten und Erlöser durch die Hand des Engels, der
ihm erschien im Busch. 36 Dieser führte sie aus und tat Wunder und Zeichen in
Ägypten, im Roten Meer und in der Wüste vierzig Jahre.
37 Dies ist Mose, der zu
den Kindern von Israel gesagt hat: Einen Propheten wird euch der HERR, euer
Gott, erwecken aus euren Brüdern gleichwie mich, den sollt ihr hören. 38 Dieser
ist’s, der in der Gemeinde in der Wüste mit dem Engel war, der mit ihm redete
auf dem Berge Sinai und mit unseren Vätern; dieser empfing das lebendige Wort,
uns zu geben; 39 welchem nicht wollten gehorsam werden eure Väter, sondern
stießen ihn von sich und wandten sich um mit ihren Herzen nach Ägypten 40 und
sprachen zu Aaron: Mache uns Götter, die vor uns hingehen; denn wir wissen
nicht, was diesem Mose, der uns aus dem Land Ägypten geführt hat, widerfahren
ist. 41 Und machten ein Kalb zu der Zeit und opferten dem Götzen Opfer und
freuten sich der Werke ihrer Hände.
42 Aber Gott wandte sich
und gab sie dahin, dass sie dienten des Himmels Heer; wie denn geschrieben
stehet in dem Buch des Propheten: Habt ihr vom Haus Israel die vierzig Jahre in
der Wüste mir auch je Opfer und Vieh geopfert? 43 Und ihr nahmt die Hütte
Molochs an und das Gestirn eures Gottes Remphan, die
Bilder, die ihr gemacht hattet, sie anzubeten; und ich will euch wegwerfen
jenseits Babyloniens.
44 Es hatten unsere
Väter die Hütte des Zeugnisses in der Wüste, wie er ihnen das verordnet hatte,
da er zu Mose redete, dass er sie machen sollte nach dem Vorbild, das er
gesehen hatte, 45 welche unsere Väter auch annahmen
und brachten sie mit Josua in das Land, das die Heiden innehatten, welche Gott
ausstieß vor dem Angesicht unserer Väter bis zur Zeit Davids. 46 Der fand Gnade
bei Gott und bat, dass er eine Hütte finden möchte dem Gott Jakobs. 47 Salomo
aber baute ihm ein Haus. 48 Aber der Allerhöchste wohnt nicht in Tempeln, die
mit Händen gemacht sind, wie der Prophet spricht: 49 Der Himmel ist mein Stuhl
und die Erde meiner Füße Schemel; was wollt ihr mir denn für ein Haus bauen,
spricht der HERR, oder welches ist die Stätte meiner Ruhe? 50 Hat nicht meine
Hand das alles gemacht?
51 Ihr Halsstarrigen und
Unbeschnittenen an Herzen und Ohren, ihr widerstrebt allezeit dem Heiligen
Geist, wie eure Väter, also auch ihr! 52 Welchen Propheten haben eure Väter
nicht verfolgt und sie getötet, die da zuvor verkündigten die Zukunft dieses Gerechten,
dessen Verräter und Mörder ihr nun worden seid? 53 Ihr habt das Gesetz
empfangen durch der Engel Geschäfte und habt’s nicht gehalten.
54 Da sie solches hörten,
ging’s ihnen durchs Herz, und bissen die Zähne zusammen über ihn. 55 Er aber,
voll Heiligen Geistes, sah er auf zum Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes
und Jesus stehen zur Rechten Gottes 56 und sprach: Siehe, ich sehe den Himmel
offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen.
57 Sie schrien aber laut
und hielten ihre Ohren zu und stürmten einmütig zu ihm ein, stießen ihn zur
Stadt hinaus und steinigten ihn. 58 Und die Zeugen legten ab ihre Kleider zu
den Füßen eines Jünglings, der hieß Saulus. 59 Und sie steinigten Stephanus,
der anrief und sprach: HERR Jesus, nimm meinen Geist auf! 60 Er kniete aber
nieder und schrie laut: HERR, behalt ihnen diese Sünde nicht! Und als er das
gesagt, entschlief er.
Stephanus bezieht sich auf die Berufung
Abrahams (V. 1-5): Nachdem die Anklage erhoben worden war, gab der
Vorsitzende des Sanhedrins, der Hohepriester, Stephanus die Erlaubnis, darauf
zu antworten. Und Stephanus beginnt seine Verteidigungsrede mit einer
respektvollen Ansprache an die Richter, von denen einige in seinem Alter und in
seinem Stand waren und daher wohl Brüder genannt werden könnten, während andere
ehrwürdig waren und daher Väter genannt werden sollten. Schon die ersten Worte
seiner Rede machen deutlich, dass er beabsichtigt, einige weit verbreitete Vorstellungen
zu korrigieren. Die Herrlichkeit Gottes in der Wolke des Bundes, die sogenannte
Schechina, war nicht auf die Stiftshütte oder den Tempel beschränkt, sondern
der Gott der Herrlichkeit, der Besitzer der unbegrenzten göttlichen Majestät,
offenbarte sich auch an anderen Orten, wie es seinen Zwecken entsprach. So
erschien er Abraham, als dieser noch in Mesopotamien, in Ur der Chaldäer,
lebte, bevor die ganze Familie nach Charran oder Haran umzog, 1. Mose 11,31; 12,1. In Haran
hatte Abraham den Befehl des Herrn erhalten, sowohl sein Land als auch seine
Verwandtschaft zu verlassen und in das Land zu ziehen, das auch Terach vor seinem Tod im Sinn gehabt hatte. Abraham, damals
Abram, hatte also die Übersiedlung in das Land Kanaan vollzogen, wo er als
Fremder unter den Kanaanitern lebte und nicht einmal einen Platz hatte, den er
sein eigen nennen konnte. Es stimmt zwar, dass sowohl Abraham als auch Jakob
kleine Grundstücke in Kanaan besaßen, aber sie bekamen sie durch Kauf, nicht
durch Gottes Gabe, und Abraham war sogar gezwungen, eine Begräbnisstätte für
seine Frau zu kaufen (1. Mose 23). Die Verheißung Gottes an Abraham, dass er
und seine Nachkommen nach ihm das Land besitzen sollten, zu einer Zeit, als er
noch nicht einmal ein eigenes Kind hatte, erforderte also einen sehr starken
Glauben.
Die Verheißung an Abraham (V. 6-8): Für
Abraham stellten die Verheißungen Gottes eine Glaubensprüfung nach der anderen
dar. Lange bevor er einen Sohn hatte, sagte ihm der Herr, dass seine Nachkommen
in einem fremden Land versklavt werden würden, wo sie etwa vierhundert Jahre
bleiben sollten, 1. Mose 15,13.16, die genaue Zahl wird an anderer Stelle in
der Schrift genannt, Gal. 3,17. Übrigens lag für Abraham ein Trost darin, dass
Gott verheißen hatte, die grausamen Herren zu richten, das Urteil über sie zu
sprechen, um sein Volk schließlich herauszuführen, um ihm an diesem Ort, in
Jerusalem, zu dienen und ihn anzubeten, 2. Mose 3,12. Noch später gab Gott
Abraham den Bund und den Ritus der Beschneidung, als das erste Sakrament der
alttestamentlichen Kirche, und als schließlich Isaak geboren wurde, wurde er
durch diesen Ritus in den Bund aufgenommen. Und so wurde zu gegebener Zeit
Jakob gezeugt und schließlich die zwölf Patriarchen, die Söhne Israels.
Die Geschichte von Jakob und Joseph
(V. 9-16): Der Bericht schreitet mit der gleichen interessanten, anschaulichen
Kraft wie zuvor voran und ist ebenso geschickt gekürzt. Die Brüder Josephs
waren eifersüchtig auf die Gunst, die sein Vater ihm entgegenbrachte, und
verkauften ihn in einem Anfall von Neid an die Midianiter und damit über sie
nach Ägypten, 1. Mose 37,4.11.28. Aber auch hier war Gott mit Josef, wie
Stephanus betont, und rettete ihn aus all seinem Unglück und seiner Bedrängnis,
die ihm auch im Land seiner Knechtschaft widerfuhr, und gab ihm sowohl Gunst
als auch Weisheit vor dem Pharao, dem König von Ägypten. Der hebräische Sklave,
der wenige Stunden zuvor noch unbekannt war, wurde zum Herrscher über Ägypten
und zum Verwalter des Königshauses. Dann kam die Hungersnot, die nicht nur
Ägypten, sondern auch Kanaan heimsuchte und großes Leid verursachte, da nicht
nur das gewöhnliche Brot, sondern alle aus Getreide hergestellten Lebensmittel
knapp wurden. Als aber die Nachricht eintraf, dass Ägypten mit Getreide
versorgt war, schickte Jakob seine Söhne zum ersten Mal dorthin, 1. Mose 42,1.
Bei ihrer zweiten Ankunft gab sich Joseph seinen Brüdern zu erkennen, wodurch
auch dem Pharao die Familie und die Herkunft Josephs bekannt wurden. Zu diesem
Zeitpunkt sandte Joseph aus, um seinen alten Vater und seine ganze
Verwandtschaft nach Ägypten zu holen. Stephanus spricht hier nicht im Gegensatz
zu 1. Mose 46,27, wo nur von siebzig Seelen die Rede ist, sondern folgt der
griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der sogenannten Septuaginta, die
damit vom Geist Gottes bestätigt wird. Denn mit der Zahl fünfundsiebzig folgt
der Text dem Genesisbericht und schließt die beiden Söhne Manasses, die beiden
Söhne Ephraims und den Enkel des letzteren ein. Nachdem Jakob nach Ägypten
umgezogen war, starb er dort zu gegebener Zeit, und alle seine Söhne starben
ebenfalls dort. Aufgrund einer besonderen Bitte und eines Versprechens, das
Jakob mit einem Eid von Joseph erhalten hatte, wurde sein Leichnam nach Kanaan
gebracht und in der Höhle auf dem Feld von Machpela
begraben, 1. Mose 50,13. Diese Höhle hatte Abraham von Ephron, dem Hethiter,
gekauft, 1. Mose 23,16. Jakob hatte von Emmor oder Hamor, dem Vater von Schechem [Sichem], nach dem die ganze Gegend benannt ist, ein Stück
Land gekauft, Gen. 33, 19. Dort wurde Joseph begraben, und sehr wahrscheinlich
auch alle anderen Söhne Jakobs, Jos. 24,32, wie Hieronymus, der im vierten
Jahrhundert in Palästina lebte, berichtet. So werden die beiden Berichte in dem
kurzen Bericht des Stephanus zu einem einzigen zusammengefasst.
Die Geburt und Jugend Moses (V.
17-23): Nach dem Tod Jakobs, Josephs und der Patriarchen war der Aufenthalt der
Kinder Israels in Ägypten mehrere Jahrhunderte lang angenehm genug. Aber in
demselben Maße, in dem sich die Zeit ihres Aufenthalts gemäß Gottes Verheißung
dem Ende zuneigte, wuchs das Volk in Ägypten und wurde zahlreich. Ihr rasches
Wachstum entsprach dem raschen Herannahen der von Gott festgesetzten Zeit.
Dieses bemerkenswerte Wachstum stand im Einklang mit der Verheißung, die Gott
Abraham gegeben hatte. Diese Entwicklung setzte sich fort, bis ein anderer
König in Ägypten auftauchte; eine neue Dynastie wurde durch Eroberung
errichtet. Der neue Pharao wusste natürlich nichts von Joseph und dem Segen,
den er dem Land Ägypten gebracht hatte, und kümmerte sich auch nicht um ihn; er
war vielmehr besorgt über die schnelle Vermehrung des fremden Volkes, das einen
sehr begehrten Teil des Landes besetzte. So kam er auf einen Plan, der vom
Standpunkt der Ägypter aus gesehen sicherlich ein kluger Schachzug war, obwohl
er zu einer schlechten Behandlung der Kinder Israels führte, zu Bedrängnissen
aller Art, deren Höhepunkt gewissermaßen der Befehl war, die Kinder, alle
Knaben, die den Israeliten geboren wurden, in den Nil zu werfen, damit sie
nicht am Leben bleiben würden. Als es so weit war, wurde Mose geboren, in
Übereinstimmung mit Gottes Plan zur Befreiung der Juden, wie die Worte des
Stephanus zeigen, denn er war überaus schön, schön vor Gott, im Urteil Gottes;
er war nicht nur von außergewöhnlicher körperlicher Schönheit, sondern die
Anzeichen für eine ungewöhnliche geistige Begabung waren sehr günstig. Drei
Monate lang hielt seine Mutter ihn versteckt und nährte ihn, gab ihm alle
Fürsorge, die ein Kind haben sollte. Und als sie ihn schließlich aussetzte,
geschah dies auf Geheiß Gottes an einem Ort, an dem Thermuthis,
die Tochter des Pharao, das Kind fand, es aus seinem kleinen Gefäß herausnahm
und es zu ihrem eigenen Sohn heranzog. Sie hat ihn praktisch, wenn nicht sogar
tatsächlich, adoptiert. Und in seiner Eigenschaft als Pflegesohn der Prinzessin
genoss Mose ungewöhnliche Vorteile, und Stephanus ergänzt hier den Bericht des
Alten Testaments. Mose wurde in der ganzen Weisheit der Ägypter erzogen,
unterrichtet und gebildet, wobei er sehr wahrscheinlich ihre großen
Gelehrtenschulen besuchte, die unseren heutigen Universitäten entsprechen, und
so eine geistige Ausbildung erhielt, die in der Welt jener Tage ihresgleichen
suchte. Anmerkung: Diese gründliche Ausbildung kam Mose später zugute, denn
damals wie heute gilt, dass alle Künste und Wissenschaften der Welt der einen
größten Wissenschaft, der Theologie, und der Verkündigung des Evangeliums
dienen sollen. Das Ergebnis rechtfertigte im Fall von Mose gewiss alle
Anstrengungen, die zu seinen Gunsten unternommen wurden, denn er war mächtig in
Worten und Taten. Er war voller Kraft und Energie, um jedes Projekt
voranzutreiben, auch wenn es ihm vielleicht an Ausdrucksstärke mangelte, 2.
Mose 4,10. Was ihm an Anmut und Schliff fehlte, machte er durch Tiefe und Kraft
mehr als wett. Darin ist Mose ein Vorbild für alle Menschen, die Gott in
Führungspositionen in seiner Kirche eingesetzt hat.
Mose versucht, sein Volk zu befreien
(V. 23-29): Die in 2. Mose 2 geschilderten Ereignisse werden hier kurz
wiedergegeben. Die gesamte Ausbildung des Mose unter der Leitung seiner
Pflegemutter kann durchaus bis zu einem Alter von fast vierzig Jahren gedauert
haben, denn viele Jahre waren dem Studium der Mathematik, der Naturphilosophie
und der Medizin gewidmet, in denen die Ägypter einen bemerkenswerten
Fortschritt gemacht hatten. Aber er muss sich während dieser ganzen Zeit seiner
Herkunft bewusst gewesen sein, denn seine Mutter war seine Amme gewesen und
hatte ihm zweifellos die Verheißungen des Herrn und die Prophezeiung über die
Befreiung seines Volkes aus der Knechtschaft Ägyptens vermittelt. Als Mose also
vierzig Jahre alt geworden war, entstand in seinem Herzen der Gedanke, seine
Brüder, die Kinder Israels, zu besuchen. Es ist kaum anzunehmen, dass er zu
diesem Zeitpunkt irgendeine Offenbarung des Herrn über seine künftige Stellung
unter seinen versklavten Brüdern erhalten hatte, obwohl es eine jüdische
Überlieferung gibt, die besagt, dass Amram, der Vater
des Mose, von Gott eine Andeutung erhalten hatte, dass sein Sohn der Anführer
bei der Befreiung der Juden sein würde. Bei dieser Gelegenheit sah Mose, dass
einer seiner Brüder schlecht behandelt wurde, und er setzte sich sofort für ihn
ein. Er sorgte für rasche Gerechtigkeit und Rache für den Unterdrückten, indem
er den Ägypter tötete, der seine Autorität übertreten hatte. Anmerkung: Die Tat
des Mose war in diesem Fall kein Mord, denn er war ein ägyptischer Fürst mit
absoluter Macht über Leben und Tod, und er wird in der Heiligen Schrift
nirgends dafür getadelt, aber es war eine unüberlegte Tat, denn er hatte kein
Recht, der Vorsehung Gottes vorzugreifen, nur weil er persönlich an das
göttliche Schicksal Israels glaubte. Der Versuch des Mose war verfrüht und
unberechtigt. Er nahm an, dass seine Brüder verstanden, dass Gott ihnen durch
seine Hand Rettung und Befreiung schenkte, aber sie verstanden es nicht; sie
nahmen die Einmischung des ägyptischen Fürsten als ungerechtfertigte
Aufdringlichkeit übel. Als er deshalb am nächsten Tag versuchte, zwei
streitende Israeliten zu versöhnen und Frieden zu stiften, indem er sie sanft
zurechtwies: Männer, ihr seid Brüder, warum tut ihr einander Unrecht? wurde er
entschieden zurückgewiesen: Wer hat dich als Herrscher und Richter über uns
eingesetzt? Weit davon entfernt, sich unter seiner Führung zu erheben und für
die Freiheit einzutreten, lehnten seine Landsleute alle seine Angebote vehement
ab und halfen sogar dabei, seinen Einsatz für sie öffentlich zu machen. So floh
Mose und wurde ein Fremder im Land Midian, draußen in der Wüste, wo er ein
einheimisches Mädchen heiratete und Vater zweier Söhne wurde, 2. Mose 2,22;
4,25; 18,3-5. Mose floh aus Ägypten, weil er von seinem Volk nichts mehr zu
erhoffen hatte und auch, weil sein Leben nicht mehr sicher war. Manches, was an
sich durchaus lobenswert ist, wird aus eigenem Antrieb ohne Erfolg unternommen,
aber dieselbe Sache wird später, zu Gottes Zeit, zu einem erfolgreichen
Abschluss gebracht. Eifer, der nicht der Erkenntnis entspricht, kann fast
ebenso viel Schaden anrichten wie Zögerlichkeit und Zaudern.
Die Berufung Moses (V. 30-34): Als
die vierzig Jahre vollendet waren, nachdem Mose vierzig Jahre in der Wüste in
der Nähe des Berges Sinai, damals auch Horeb genannt, gelebt hatte, widerfuhr
ihm ein seltsames Erlebnis. Der Engel des Herrn, 2. Mose 3,2, der Engel in der
besonderen Bedeutung des Wortes, die auf die Offenbarung des Gottessohnes im
Alten Testament hinweist, erschien ihm in einer Feuerflamme eines Busches, in
einem Dornbusch, der ganz in Flammen zu stehen schien. Diese Erscheinung veranlasste
Mose, sich zu wundern und näher heranzutreten, um die Sache genauer zu
betrachten. Und dann kam die Stimme des Herrn aus dem Busch zu ihm und
bezeichnete sich selbst als den Gott Abrahams und Isaaks und Jakobs. Mose, der
nun völlig verängstigt war, wagte nicht einmal, genauer hinzusehen oder das
Wunder zu untersuchen. Aber der Herr gab ihm sofort seinen Auftrag, indem er
ihm befahl, zuerst seine Sandalen zu lösen, denn der Ort, an dem er stand, war
heiliger Boden. Und dann, mit aller Feierlichkeit und Eindringlichkeit, kam der
Ruf des Herrn selbst: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und
sein Seufzen gehört, und ich bin herabgestiegen, um es zu befreien; und nun
komm her, ich will dich nach Ägypten senden. Was Mose erhofft und aus eigener
Kraft erfolglos zu verwirklichen versucht hatte, sollte nun durch Gottes Willen
und gemäß seiner Verheißung Wirklichkeit werden. Es war nun eine Angelegenheit
von Gottes Ernennung, nicht von der Wahl des Menschen, und daher von Gottes
allmächtiger Macht, den Ruf zu unterstützen. Mit Gottes Ruf, auf den man sich
verlassen kann, mit Gottes Befehl und Verheißung, die klar sind, kann jeder
Diener des Herrn mit fröhlichem Vertrauen auf den sicheren Erfolg seines
Vorhabens aufbrechen.
Mose, der Befreier (V. 35-36): Um die
Juden zu charakterisieren und zu betonen, dass sie schon immer ein ungehorsames
und starrköpfiges Volk waren, stellt Stephanus hier das ganze Volk als an der
ersten Ablehnung des Mose beteiligt dar. Sie hatten ihn verleugnet, hatten sich
geweigert, ihn als Herrscher und Richter anzuerkennen; aber Gott hatte ihn, als
er die Sache in die Hand nahm, nicht nur zum Führer oder Herrscher gemacht,
sondern ihm darüber hinaus mehr als die Funktionen eines bloßen Richters
gegeben: Er hatte ihn als ihren Befreier gesandt, mit der helfenden und
schützenden Hand des Engels, der ihm im Dornbusch erschienen war. Und Mose
hatte seine Aufgabe als Erlöser gut erfüllt. Er hatte die Israeliten aus
Ägypten herausgeführt, nachdem er in Ägypten Wunder und Zeichen vollbracht
hatte, als Gericht über den Pharao, wie er sie auch am Schilfmeer und während
der gesamten vierzigjährigen Reise durch die Wüste vollbrachte. Gerade die
Person, die die Israeliten abgelehnt und praktisch in die Hände des Pharaos
übergeben hatten, um getötet zu werden, war die Person, durch die sie aus ihrer
ägyptischen Knechtschaft erlöst wurden. Die Anwendung auf den parallelen Fall
Jesu, den Stephanus wahrscheinlich im Sinn hatte, lässt sich ohne weiteres
vornehmen.
Der Ungehorsam der Juden (V. 37-41):
Mit dem Fortschreiten seiner Verteidigungsrede nimmt die leidenschaftliche
Inbrunst der Argumente des Stephanus zu. Er predigt das Gesetz, und er hat
nicht die Absicht, dessen harte Schläge durch irgendwelche mildernden Umstände
abzumildern, bevor er seinen Standpunkt richtig dargelegt hat. Er erinnert
seine Richter noch einmal daran, dass es Mose war, auf den er sich bezog, der
über einen anderen Propheten, der ihm ähnlich war, prophezeite, Kap. 3,22, und
forderte, dass sie ihm Gehorsam leisten sollten; Mose war also ein Unterstützer
der Ansprüche Christi. Wiederum war es Mose, der inmitten der Gemeinde oder
Versammlung der Kinder Israels in der Wüste als einziger die persönliche
Bekanntschaft und Nähe des großen Engels des Herrn genoss, der zuvor am Berg
Sinai zu ihm gesprochen hatte und der nun als der allmächtige Gott zu der
gesamten versammelten Nation sprach. Wieder war es Mose, der die lebendigen
Worte, die lebendigen Orakel oder Sprüche aus dem Mund Gottes empfing, um sie
dem Volk zu geben. Die Gesetze der Juden waren nicht als toter Buchstabe
gedacht, wie die Mitteilungen, die die heidnischen Priester von ihren Göttern
zu erhalten behaupten, sondern sie besitzen eine lebendige Kraft und
Wirksamkeit. Aber trotz all dieser ausdrücklichen Bekundungen und Zeugnisse
Gottes, die die Berufung des Mose bestätigten und seine Stellung im Volk
festigten, wollten die Israeliten, die Väter des heutigen Volkes, wie Stephanus
bemerkt, dem Mose nicht gehorsam sein, sondern stießen ihn ab, verwarfen ihn
und wandten ihr Herz Ägypten zu. Sie verlangten von Aaron, dass er ihnen eine
Art von Göttern mache, die fortan als ihre Herrscher und Führer durch die Wüste
gelten sollten, denn Mose verweilte so lange auf dem Berg, dass sie nicht
wussten, welches Schicksal ihn ereilen würde, wie sie leichtsinnig bemerken.
Und so machten sie durch die Hände Aarons, der sich als ihr williges Werkzeug
erwies, in jenen Tagen die Gestalt eines Kalbes und brachten Brandopfer vor
ihrem Götzen und freuten sich, fanden ihre große Freude und ihr Glück in den
Werken ihrer eigenen Hände. Die Ironie des Stephanus ist beabsichtigt, denn
einer seiner Vorwürfe lautet, dass auch die Juden seiner Zeit auf
Äußerlichkeiten vertrauten und erwarteten, durch die äußere Einhaltung von
Bräuchen und Zeremonien, von denen sie viele selbst erfunden hatten, gerettet
zu werden. Es besteht immer die Gefahr, vor allem in einer schon länger
bestehenden Kirche, dass eine tote Orthodoxie entsteht, dass man sich an äußere
Formen klammert, obwohl das Leben nicht mehr da ist.
Gott verwirft sein Volk (V. 42-43): Stephanus
ergänzt hier den Bericht über den Pentateuch, die Bücher des Mose, mit einem
Abschnitt aus dem Propheten Amos, Kap. 5,25.26. Nach dieser schamlosen
Zurschaustellung von Ungehorsam wandte sich Gott von seinem Volk ab. Es war
eine Form seines Gerichts, dass er ihnen erlaubte, auf dem Weg des
Götzendienstes fortzufahren; es war ein Fluch über ihre Herzenshärte, dass er
sie aufgab, sie im Stich ließ; zur Anbetung der Heerscharen des Himmels, zur
Sternenanbetung, wie sie in Ägypten, Chaldäa und Phönizien praktiziert wurde.
Hierüber hatte Amos geschrieben: Habt ihr mir wirklich vierzig Jahre lang in
der Wüste geschlachtete Tiere und Schlachtopfer dargebracht? Als ob Er sagen
würde: Wie hätten sie denn wirklich und wirksam und annehmbar sein können,
solange die Zuneigung des Volkes weit vom Herrn entfernt und in der Anbetung
der Götzen verstrickt war? Und deshalb beantwortet der Herr seine Frage selbst.
Während die Israeliten so taten, als ob sie sich nur für die wahre Anbetung
interessierten, wurde die Stiftshütte Gottes für sie in Wirklichkeit zu einer
Stiftshütte des Molochs, der babylonischen Gottheit, die von vielen heidnischen
Völkern angebetet wurde, und mit abscheulichen Bräuchen, Jer. 32,35; 3. Mose
18,21. So hatten auch die Israeliten eine Figur ihres Sternengottes Remphan mit sich geführt, was der assyrische Name für den
Planeten Saturn gewesen zu sein scheint. Solchen Figuren dienten sie, indem sie
ihnen die Verehrung entgegenbrachten, die allein Gott gebührte. Und so kam die
Strafe der Verwerfung durch Gott über sie, der sie wegführen ließ, ins Exil,
nicht nur jenseits von Damaskus, wie der Prophet geschrieben hatte, sondern
sogar jenseits von Babylon, wie Stephanus hier aus den Beweisen der Geschichte
hinzufügt. Es war die Verurteilung eines götzendienerischen Volkes durch Gott,
eine Lehre für alle Zeitalter der Welt.
Die Stiftshütte und der Tempel (V.
44-50): Stephanus nimmt die Aufzählung der verschiedenen Gotteshäuser der Juden
mit einer Absicht auf, denn er will zeigen, dass die Abhängigkeit von den
Formen der äußeren Anbetung ohne den wahren Glauben des Herzens eitel ist.
Diesen Vorteil hatten die Kinder Israels in der Wüste: Sie hatten die
Stiftshütte, in der Gott selbst erschien und für sich selbst Zeugnis ablegte.
Sie hatten sie genau so gebaut, wie Gott sie in seinem langen Gespräch mit
Mose, 2. Mose 25,40, gezeigt und ihm befohlen hatte. Mose hatte das Muster und
den Plan des ganzen Zeltes und aller seiner Einrichtungen gesehen, und so wurde
es auch gemacht. Und dieselbe Stiftshütte, die dem Volk von Mose aufgetragen
worden war, nahmen sie mit, als sie unter der Führung Josuas in das verheißene
Land einzogen, als sie den früheren Besitz der Heiden einnahmen. Denn diese
hatte der Herr während mehrerer Jahrhunderte, zur Zeit der Richter und Sauls,
bis zur Zeit Davids, des Geliebten des Herrn, allmählich vor den Kindern
Israels verjagt, vertrieben. Zu seiner Zeit war die Eroberung des Landes
praktisch abgeschlossen, und die Völker, die nicht vernichtet worden waren,
waren unterworfen worden. Da David nun Gunst bei Gott gefunden hatte und bei
ihm in hohem Ansehen stand, wünschte er sich nicht nur ernsthaft, sondern bat
sogar darum, eine dauerhafte Stiftshütte für den Herrn zu bauen; und wenn der
Tempel tatsächlich den Wert gehabt hätte, den die späteren Juden ihm beimaßen,
hätte man erwarten können, dass Gott seine Zustimmung gegeben hätte. Aber der
Tempel wurde nicht von David, sondern von Salomo gebaut, 2. Chron. 6,7-9. Aber
Stephanus will seine Zuhörer daran erinnern, dass die Gegenwart des höchsten
Gottes nicht auf ein Gebäude beschränkt ist, auch wenn es die Größe und
Schönheit des salomonischen Tempels hätte. Der Erbauer des ersten Tempels hatte
dies selbst zugegeben, 1. Kge. 8,27; 2. Chron. 6,18.
Und der Prophet Jesaja hatte in demselben Sinne geschrieben, Kap. 66,1.2: Der
Himmel ist mir ein Thron und die Erde ein Schemel für meine Füße; was für ein
Haus wollt ihr mir bauen, spricht der Herr, oder was für eine Stätte für meine
Ruhe? Hat nicht Meine Hand dies alles gemacht? Die absolute Torheit der Juden,
ihren Glauben an den Tempel zu knüpfen, der den Platz des salomonischen Tempels
eingenommen hatte, und an die Stadt, in der er errichtet worden war, hätte
nicht deutlicher zum Ausdruck gebracht werden können als in diesen Worten. Der
gesamte Gottesdienst der Juden war zu einer bloßen Einhaltung von Formen und Gebräuchen
verkommen, ohne Leben und wahre Kraft. Und Stephanus hatte die Situation mit
ein paar starken, aber treffenden Worten skizziert, um sie den Augen seiner
Richter so darzustellen, wie sie tatsächlich war.
Der Abschluss der Rede (V. 51-53): Stephanus
hatte nun die ganze Geschichte der Juden Revue passieren lassen und gezeigt,
wie sie sich zu allen Zeiten gegenüber dem Herrn und dem Führer, den der Herr
ihnen gegeben hatte, verhalten hatten, indem sie sich eher auf äußere Formen
und Zeremonien, die mit einem sichtbaren Heiligtum verbunden waren, verließen,
um sich vor Gott zu rechtfertigen. Die gerechte Entrüstung des Stephanus
erreicht daher an diesem Punkt seines Vortrags ihren Höhepunkt. Kühn sagt er seinen
Richtern, sie seien halsstarrig, verstockt, widerspenstig, unwillig, auf die
Vernunft zu hören, 2. Mose 33,3.5; 34,9; 5. Mose 9,6. Und darüber hinaus sind
sie unbeschnitten an Herz und Ohren, 3. Mose 26,41; Jer. 6,10; Hes. 44,7.9. Dies waren ernste Worte des Vorwurfs und der
Verachtung, die die Führer der Juden in eine Reihe mit den heidnischen Völkern
und den abgefallenen Juden stellten. Diese strenge Verurteilung bekräftigt
Stephanus durch den Vorwurf, dass sie sich dem Heiligen Geist stets und ständig
widersetzten, sich ihm buchstäblich in den Weg stellten und so das Wirken
seiner Gnade in ihren Herzen verhinderten. Der Heilige Geist wollte auch diese
Feinde Christi bekehren, er gab ihnen jeden Beweis seines gnädigen Willens
ihnen gegenüber, indem er das Evangelium so lange vor ihnen predigen ließ; aber
sie weigerten sich absichtlich und willentlich, auf seinen Ruf zu hören. Und
hierin folgten sie ihren Vätern, von deren Ungehorsam und Eigensinn Stephanus
eine Reihe von Fällen anführte. Alle alten Propheten hatten die Juden auf die
eine oder andere Weise verfolgt, und diejenigen, die das Kommen des Gerechten
im Voraus verkündeten, hatten sie getötet. Die Propheten hatten das Kommen Jesu
Christi, des Gerechten und Heiligen, vorausgesagt, und ihr Lohn war der Tod
durch die Hand ihrer Landsleute. Und der Geist dieser Vorfahren war noch
lebendig, denn diejenigen, die im Rat saßen, um den vorliegenden Fall zu
beurteilen, waren zu Verrätern und Mördern desselben gerechten und heiligen
Christus geworden. Und nicht nur das, sondern Stephanus erklärte, dass gerade
das Gesetz, dessen sie sich rühmten, das sie durch die Anordnung der Engel
empfangen hatten, wahrscheinlich so, dass der Herr durch den Mund der Engel
sprach, als er das Gesetz auf dem Berg Sinai verkündete, dieses Gesetz nicht
gehalten hatten. So predigte Stephanus in einem Anfall von großartiger
Beredsamkeit diesen verstockten Heuchlern des Sanhedrins das Gesetz, um in
ihnen eine wahre Erkenntnis ihrer Sünde zu bewirken, die zu Reue und Glauben
führen könnte. Anmerkung: Die Predigt des Stephanus ermahnt uns Christen, auf
die großen Segnungen Gottes unter der neuen Dispensation zu achten, damit wir
nicht auch gleichgültig und dann gefühllos werden und schließlich dem Wirken
des Heiligen Geistes widerstehen.
Stephanus wird die Herrlichkeit Gottes
offenbart (V. 54-56): Wahrscheinlich war Stephanus' Rede nicht so zu Ende,
wie er es beabsichtigt hatte, aber die zunehmende Ungeduld und das Gemurmel
seiner Zuhörer erlaubten ihm nicht, so zu schließen, dass Jesus stärker in den
Vordergrund rückte. Denn die empörten Worte des Angeklagten schnitten den
Richtern ins Herz, buchstäblich, zersägten sie in oder an ihrem Herzen. In
unbändigem Zorn knirschten sie mit den Zähnen und unterbanden so jeden weiteren
Versuch, seine Rede richtig zu halten. Aber Stephanus wurde hier eine besondere
Gnade zuteil, eine Manifestation der Kraft des Heiligen Geistes, die ihn
veranlasste, seine Umgebung völlig außer Acht zu lassen und zu vergessen, und
eine Offenbarung der Herrlichkeit Gottes, wie sie nur wenigen Menschen zuteil
geworden ist. Er richtete seine Augen fest nach oben zum Himmel und sah dort
die Herrlichkeit und Majestät Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen, als
ob er sich bereit machte, seinem Diener beizustehen und ihn zu empfangen, wie
es ein Kommentator ausdrückt. In einem Anflug von Ekstase bezeugte Stephanus
das, was seine Augen durch die besondere Gnade Gottes gesehen hatten. Den
Menschensohn nannte er Jesus, den Erlöser, der gemäß seinen beiden Naturen eine
vollkommene Erlösung für alle Menschen erlangt hat. Beachte: Jesus, zur Rechten
des Vaters, ist bereit, mit offenen Armen der Liebe all jene zu empfangen, die
sich auf die von ihm erworbene Erlösung verlassen. Wo er ist, da sollen auch
seine Diener sein. Er will sie in sein Reich aufnehmen, damit sie seine
Herrlichkeit und die Herrlichkeit und Majestät des Vaters sehen können. So
werden die Gläubigen durch die Verdienste Christi aus diesem Tal der Tränen in
ihre himmlische Heimat gebracht.
Die Steinigung des Stephanus (V.
55-60): Die letzte Ankündigung des Stephanus über die Vision, die ihm zuteil wurde, steigerte den Zorn der Richter zu einem
vollkommenen Sturm der Entrüstung. Dass dieser Mann vor ihren Augen eine solche
Seligkeit empfangen sollte, ließ sie die Würde, die Gerechtigkeit, die
Menschlichkeit, all die Tugenden vergessen, derer sie sich sonst rühmten. Sie
schrien mit lauter Stimme, um jeden Versuch von Stephanus zu übertönen, sich in
dem entstehenden Lärm und Durcheinander Gehör zu verschaffen. Sie hielten sich
die Ohren zu, damit kein weiteres Wort von seinen verhassten Lippen dorthin
gelangte. Sie stürzten sich einmütig auf ihn, wie eine wahnsinnige Viehherde,
über die jede Kontrolle verloren gegangen ist. Sie warfen ihn aus der Stadt
hinaus und steinigten ihn dort. Dieses Vorgehen hatte nicht einmal den Anschein
von Recht. Es verstieß gegen alle Regeln des jüdischen Strafrechts.[23]
Man kann es nicht einmal als Hinrichtung bezeichnen, sondern nur mit dem Wort „Mord“,
begangen von einem wütenden Mob, der gegen alle Gesetze verstieß. Und doch
behielt der Mob genug Verstand, um einige Formen des Gesetzes zu beachten, wie
z.B. den Gefangenen aus der Stadt zu bringen und auch die Zeugen aufzufordern,
die Steinigung zu beginnen. Es wird ausdrücklich erwähnt, dass die Zeugen, als
sie sich für ihren mörderischen Angriff bereit machten, ihre Oberbekleidung zu
Füßen eines jungen Mannes namens Saulus niederlegten. Was Stephanus betrifft,
so starb er den Tod eines wahren christlichen Märtyrers. Während die Steine um
ihn herumflogen und nachdem er geschlagen worden war, rief er laut zu seinem
Herrn und Gott in der Person Jesu, des Erlösers. Sein erstes Gebet war, dass
der Herr Jesus, der erhabene Christus, seinen Geist aufnehmen möge. Und nachdem
er so seine Seele in die beste Obhut gegeben hatte, ließ er seinen letzten
Seufzer zu einer Fürbitte für seine Mörder werden. Er sank auf die Knie und rief
mit lauter Stimme, die zumindest einem der Anwesenden noch Jahre später in den
Ohren geklungen haben mag: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an. Und dann
schlief er ruhig in seinem Retter ein. So wurde Stephanus der erste Märtyrer
der christlichen Kirche. Seit seiner Zeit sind Tausende von Christen um des
Namens Jesu willen gemartert worden. Und ihr Tod lehrt eine Lehre, nämlich die,
dass man um des Herrn willen fröhlich zeitlichen Besitz und Vermögen opfern
soll. Am Ende erlangen wir alles, was ein Lohn der Barmherzigkeit uns geben
kann, den Himmel selbst mit all seinen Herrlichkeiten. „Schließlich ist es ein
schöner Trost, dass der heilige Stephanus hier den Himmel offen stehen sieht
und dass er entschlafen ist. Hier sollen wir merken, dass Gott, unser Herr, uns
beisteht, wenn wir glauben, und dass der Tod nicht Tod ist für die, die glauben.
So hast du hier in dieser Geschichte den ganzen evangelischen Glauben, die
Liebe, das Kreuz, den Tod und das Leben dargestellt.“[24]
Zusammenfassung: Stephanus hält
eine wortgewaltige Verteidigungsrede, die die Mitglieder des Sanhedrins so
erzürnt, dass sie ihn aus der Stadt werfen und steinigen.
Das Evangelium
fasst in Samaria Wurzel (8,1-25)
1 Saulus aber hatte
Wohlgefallen an seinem Tode. Es erhob sich aber zu der Zeit eine große
Verfolgung über die Gemeinde zu Jerusalem; und sie zerstreuten sich alle in die
Länder Judäa und Samarien ohne die Apostel. 2 Es bestatteten aber Stephanus
gottesfürchtige Männer und hielten eine große Klage über ihn. 3 Saulus aber
zerstörte die Gemeinde, ging hin und her in die Häuser und zog hervor Männer
und Frauen und überantwortete sie ins Gefängnis.
4 Die nun zerstreut
waren, gingen um und predigten das Wort. 5 Philippus aber kam hinab in eine
Stadt in Samarien und predigte ihnen von Christus. 6 Das Volk aber hörte
einmütig und fleißig zu, was Philippus sagte, und sahen die Zeichen, die er
tat. 7 Denn die unsauberen Geister fuhren aus vielen Besessenen mit großem
Geschrei; auch viel Gichtbrüchige und Lahme wurden gesund gemacht. 8 Und ward
eine große Freude in derselben Stadt.
9 Es war aber ein Mann
mit Namen Simon, der zuvor in derselben Stadt Zauberei trieb und bezauberte das
samaritische Volk und gab vor, er wäre etwas Großes.
10 Und sie sahen alle auf ihn, beide, klein und groß, und sprachen: Der ist die
Kraft Gottes, die da groß ist! 11 Sie sahen aber darum auf ihn, dass er sie
lange Zeit mit seiner Zauberei bezaubert hatte. 12 Da sie aber den Predigten
des Philippus glaubten von dem Reich Gottes und von dem Namen Jesu Christi,
ließen sich taufen beide, Männer und Frauen. 13 Da ward auch der Simon gläubig
und ließ sich taufen und hielt sich zu Philippus. Und als er sah die Zeichen
und Taten, die da geschahen, verwunderte er sich.
14 Da aber die Apostel
hörten zu Jerusalem, dass Samarien das Wort Gottes angenommen hatte, sandten
sie zu ihnen Petrus und Johannes. 15 Welche, da sie hinabkamen, beteten sie
über sie, dass sie den Heiligen getauft auf den Namen Christi Jesu. 17 Da
legten sie die Hände auf sie, und sie empfingen den Heiligen Geist.
18 Da aber Simon sah,
dass der Heilige Geist gegeben ward, wenn die Apostel die Hände auflegten, bot
er ihnen Geld an 19 und sprach: Gebt mir auch die Macht, dass, so ich jemand
die Hände auflege, der den Heiligen Geist empfange. 20 Petrus aber sprach zu
ihm: Dass du verdammet werdest mit deinem Geld, dass du meinst Gottes Gabe
werde durch Geld erlangt! 21 Du wirst weder Teil noch Anfall haben an diesem
Wort; denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott. 22 Darum tue Buße für
diese deine Bosheit und bitte Gott, ob dir vergeben werden möchte die Tücke
deines Herzens. 23 Denn ich sehe, dass du bist voll bitterer Galle und
verknüpft mit Ungerechtigkeit. 24 Da antwortete Simon und sprach: Bittet ihr
den HERRN für mich, dass der keines über mich komme, davon ihr gesagt habt! 25
Sie aber, da sie bezeugt und geredet hatten das Wort des HERRN, wandten sie
wieder um nach Jerusalem und predigten das Evangelium vielen samaritischen Dörfern.
Das Begräbnis des Stephanus und der Hass
des Saulus (V. 1-3): Der junge Saulus war Zeuge der Steinigung des
Stephanus gewesen und hatte es als Ehre empfunden, die Kleidung der Männer zu
sehen, die die Steinigung begannen, Kap. 7,58. Es wird hier ausdrücklich
gesagt, dass Saulus dem Tod des Stephanus zustimmte; er empfand große
Genugtuung, große Freude über seinen Tod, er billigte ihn mit Freude. Und sein
Gefühl wurde von seinen Mit-Pharisäern geteilt, die nun eine Verfolgung
begannen, die die gesamte Gemeinde betraf, entschlossen, die Kirche Jesu nach
Möglichkeit zu vernichten. Das Ergebnis war eine allgemeine Zerstreuung und
Verstreuung der Jünger von Jerusalem in die verschiedenen jüdischen Provinzen,
vor allem nach Judäa selbst, in die ländlichen Gebiete um Jerusalem, aber auch
in die Regionen Samarias. Vgl. Kap. 1,8. Es war nicht die Furcht vor dem
Martyrium, vor dem Tod, die diese ersten Jünger zur Flucht veranlasste, sondern
der ausdrückliche Befehl Christi, Matth. 10,23. „Wären
sie aus Furcht vor dem Tod geflohen, so hätten sie darauf geachtet, die
Verfolgung nicht zu provozieren, indem sie weiterhin dieselben Wahrheiten
verkündeten, die sie zuerst provoziert hatten.“[25]
Nur die Apostel blieben in Jerusalem. Der kleine Rest der Gemeinde, der in
Jerusalem bleiben musste, bestand sehr wahrscheinlich aus denjenigen, die die
Lehre und den Trost des Wortes am nötigsten hatten. Ein Pastor, der in Zeiten
der Verfolgung seinen Posten verlässt, wenn die Gefahr sowohl seine Mitglieder
als auch ihn selbst bedroht, kommt in den meisten Fällen einer schlichten
Untreue gleich. In der Zwischenzeit, bevor die allgemeine Zerstreuung der
Jünger stattfand, wurde das Begräbnis des Stephanus in angemessener Weise
begangen. Fromme Männer aus dem Kreis seiner Glaubensbrüder trugen ihn zu
seiner letzten Ruhestätte und kümmerten sich um alle Angelegenheiten, die mit
seinem Begräbnis zusammenhingen. Dann brachten sie eine große Klage über ihn
vor und schlugen sich wahrscheinlich an die Brust und auf den Kopf, um ihren
tiefen Schmerz zu bekunden. Es ist dem Herrn durchaus wohlgefällig, wenn
Christen ihre Toten ehrenvoll begraben, und die Klage über den Tod eines
geliebten Menschen, wenn sie sich in einem angemessenen Rahmen hält, ist durch
die Tränen Jesu selbst am Grab des Lazarus geheiligt worden. Aber all diese
Tatsachen, auch wenn sie Saulus bekannt waren und zum Teil als Protest gegen
die Ermordung des Stephanus gedacht waren, machten keinen Eindruck auf ihn. Im
Gegenteil, er wurde in seiner Feindschaft gegen Christus und die Kirche noch
unvernünftiger und wütender. Ohne Unterlass verwüstete er die Kirche, wie ein
feindliches Heer, das Verderben und Verwüstung anrichtet, Ps. 80,13. Dabei
drang er in jedes Haus ein, von dem man wusste, dass es einem Christen gehörte,
besonders in solche, die als Versammlungsorte für Christen dienten. Und die
Männer und Frauen, die er dabei antraf, schleppte er hinaus, ließ sie
herausholen, als wolle er sie vor Gericht stellen, und übergab sie mit
Zustimmung der Obrigkeit in die Obhut der Gefängniswärter. Diese Verfolgung war
die erste wirkliche Prüfung, der die Mitglieder der Gemeinde in Jerusalem
ausgesetzt waren. Bis jetzt war alles friedlich gewachsen; nun aber sollte der
Sturm die Stärke der jungen Pflanze und jedes Zweiges und jedes Sprosses an dem
zarten Stamm prüfen.
Die Missionsarbeit der Jünger und des
Philippus (V. 4-8): Während die Apostel mit dem kleinen Rest der ehemals
großen Gemeinde in Jerusalem blieben und wahrscheinlich nur aus abergläubischer
Furcht vor ihrer Wunderkraft persönlichem Schaden entgingen, waren die Jünger,
die durch die Verfolgung aus Jerusalem vertrieben wurden, stets auf das Gebot
ihres Herrn Jesus bedacht. Sie reisten überall hin, und wohin sie auch kamen,
brachten sie die frohe Botschaft des Wortes, das gnädige Evangelium des
Erlösers. Anmerkung: Die Männer, die zu dieser Zeit auszogen, waren keine
Mitglieder des Lehrkörpers der Gemeinde, sie waren so genannte Laien, und doch
brachten sie die Botschaft des Evangeliums, wohin sie auch kamen. Jeder Christ,
ob gelehrt oder ungelehrt, kann und sollte den Glauben seines Herzens bezeugen
und so versuchen, Seelen für den Erlöser zu gewinnen. - Aber in all diesen
Missionsbemühungen stach die Arbeit eines Mannes besonders hervor, nämlich die
von Philippus, einem der sieben von der Gemeinde gewählten Amtsträger, Kap. 6,5.
Nachdem seine Arbeit als Diakon durch die Verfolgung in Jerusalem beendet
worden war, wurde er Evangelist. Er reiste entweder in eine der Städte der
Gegend von Samaria oder, was wahrscheinlicher ist, in die Stadt Samaria oder
Sebaste, die Hauptstadt des Bezirks selbst. Das Thema seiner Predigten war
immer dasselbe, das eine Thema, das nie zu oft und nie zu inbrünstig gepredigt
werden kann: Christus, der Retter der Welt. Und diese einfache Verkündigung des
Evangeliums über den Messias zeigte Wirkung. Sie wurde besser aufgenommen als
bei den Juden, für deren Selbstgerechtigkeit das Wort vom Kreuz immer ein
Ärgernis war. Die Menschen, die sich um Philippus versammelten, hörten
aufmerksam auf das, was Philippus sagte, und waren einmütig. Die Kombination
aus der Predigt, die sie hörten, und den Zeichen, die er als Beweis für die
göttliche Sendung des Evangeliums tat, war so stark, dass viele von ihnen
überzeugt wurden. Denn viele Dämonische wurden von den bösen Geistern, den
unreinen Teufeln, die von ihnen Besitz ergriffen hatten, befreit, obwohl die
Geister mit lautem Geschrei protestierten, als sie ausgetrieben wurden, und
viele Gelähmte und Lahme wurden geheilt. Man beachte auch hier die
Unterscheidung zwischen der Austreibung von Dämonen und der Heilung von
Kranken. Die Beschreibung des Lukas zeigt, dass er das Wesen beider Leiden gut
kannte und dass er mit gutem Grund einen Unterschied machte. Die Folge all
dieser Ereignisse war, dass in der ganzen Stadt große Freude herrschte. Es war
eine Zeit des Segens für Leib und Seele. Philippus gehörte nicht zum Stamm der
modernen Sensationsprediger, die es verstehen, die Massen zu elektrisieren;
keiner ihrer Tricks wurde von ihm angewendet. Es war die Verkündigung Christi,
die den neuen Zustand herbeiführte, und die Wunder dienten nur zur weiteren
Bestätigung.
Die Bekehrung des Simon (V. 9-13): Lukas
fügt hier ein Stück lokaler Geschichte hinzu, die den Sieg des Evangeliums noch
deutlicher hervortreten lässt. Vor diesen Ereignissen gab es in Samaria einen
Mann namens Simon, der Zauberkünste praktizierte und die Menschen der Stadt und
der Region mit seinen Tricks und teuflischen Gaukeleien bis zur Verblödung
beeindruckt hatte. Er warb mit der für Menschen seiner Art typischen
Bescheidenheit damit, etwas Großes zu sein, über Zauberkräfte und Fähigkeiten
zu verfügen, die über das natürliche Maß hinausgingen. Er praktizierte die
Zaubersprüche und Beschwörungsformeln, die im Orient sowohl von Quacksalbern
als auch von echten Zauberern angewandt werden, die mit Hilfe des Teufels
Wunder zu vollbringen vermögen, die den Anschein eines Wunders erwecken. Die
Menschen waren so tief beeindruckt, dass sie Simon als eine Manifestation der
göttlichen Macht in menschlicher Gestalt betrachteten. Deshalb nannten sie ihn „Kraft
Gottes, die groß genannt wird“, einen, der besonders groß und göttlich war und
Kräfte besaß, die Gott eigen sind.[26]
All dies hatten die Samariter getan, weil Simon sie lange Zeit mit seinen
Zaubertricks betört hatte. Sie hatten sich seine Taten zurechtgelegt und seinen
Worten Glauben geschenkt. Das alles änderte sich mit dem Kommen des Philippus.
Denn als er das Evangelium vom Reich Gottes und vom Namen Jesu Christi
verkündete, als er diesen Benachteiligten die einzige Botschaft brachte, die
ihnen Seelenfrieden und die gesegnete Gewissheit des Heils geben konnte, da
glaubten die Samariter, der Glaube an den Erlöser wurde in ihren Herzen wach,
und sie suchten und empfingen die Taufe, das Sakrament, das Männern und Frauen
die von Christus erworbene Vergebung der Sünden besiegelt. Anmerkung: Alle
Zaubertricks, auch solche, die mit Hilfe des Teufels ausgeführt werden, dienen
keinem nützlichen Zweck, sondern nur dazu, müßige Neugierde zu erregen. Die
Wunder dagegen, sowohl die, die in der Heiligen Schrift berichtet werden, als
auch die, die der Herr bis zum heutigen Tag vollbringt, sind in jedem Fall
segensreich und der göttlichen Macht würdig. Als Simon seine frühere
Anhängerschaft so abrupt und gründlich verlor, ging er zu Philippus, um ihn zu
sehen und zu hören, und wurde selbst zum Glauben gebracht. Mit dem übrigen Volk
wurde auch er getauft und damit die Verheißung Gottes für ihn besiegelt. Nach
dem Bericht des Lukas gibt es keinen Grund, an der Realität von Simons
Bekehrung zu dieser Zeit zu zweifeln. Sie war ein sehr eindrucksvoller Beweis
für die überragende Macht und die Göttlichkeit des Evangeliums über Jesus, den Messias.
Und Simon, der bei anderen Erstaunen hervorgerufen hatte, wurde hier selbst
fast von Verblüffung überwältigt, als er ein interessierter Zuschauer der
Zeichen und der großen Wunder wurde, die vor seinen Augen geschahen. Beachte:
Dem Teufel mag es oft mit Gottes Erlaubnis gelingen, die Menschen durch seine
falschen Wunder und Gaukeleien zu verführen, aber wenn die Macht Gottes im
Gegensatz dazu auftaucht, werden er und alle seine Diener vor dem Mächtigen
zuschanden.
Besondere Gaben des Heiligen Geistes
(V. 14-17): Die Apostel unternahmen nie den Versuch, hierarchische Befugnisse
auszuüben und eine Gerichtsbarkeit zu übernehmen, die sie nicht besaßen. Aber
sie waren von Christus als Lehrer aller Völker beauftragt worden und waren
daher bestrebt, die wahre Einheit des Glaubens in allen Gemeinden herzustellen,
ganz gleich, wo sie sich befinden mochten. Es war ein wichtiger Punkt in der
Entwicklung des Christentums, dass Menschen, die nicht dem alttestamentlichen
Bund angehörten, das Evangelium empfingen und der Kirche Christi hinzugefügt
wurden. Als die Apostel daher die Nachricht erhielten, dass Samaria das Wort
Gottes angenommen und seine Bewohner sich zum Erlöser bekannt hatten, sandten
sie Petrus und Johannes als ihre persönlichen Vertreter aus, um den
Wahrheitsgehalt des Berichts zu prüfen und gegebenenfalls das Band der
brüderlichen Einheit zu knüpfen. Als der Bericht bestätigt wurde, reichten
Petrus und Johannes der samaritanischen Kirche nicht nur die Hand der Gemeinschaft,
sondern übermittelten diesen Neubekehrten auch die wunderbaren Gaben, die sie
selbst empfangen hatten. Die Samariter hatten sich taufen lassen und waren
daher im vollen Besitz der Vergebung Gottes und des heiligenden Geistes (Mark.
16,16; Apg. 2,38). Nun aber wurden sie mit außerordentlichen Gaben
ausgestattet, mit der Macht, Wunder zu tun, in fremden Sprachen zu reden, zu
weissagen und andere besondere Beweise für die Allmacht und göttliche Majestät
des Geistes zu geben.[27]
Diese außergewöhnlichen Manifestationen waren diesen Gläubigen noch nicht
verliehen worden, obwohl sie alle geistlichen Gaben durch die Taufe und durch
sie erhalten hatten. Nun aber wurden ihnen diese Kräfte durch Handauflegung
übertragen, denn es gehörte zum Plan des Herrn in der Urkirche, die
Verkündigung des Evangeliums durch Wunder und Zeichen zu bestätigen. „Der Zweck
solcher Gaben und die Art und Weise, wie sie in der Gemeinde ausgeübt wurden,
werden von Paulus in 1. Kor 12-14 ausführlich dargelegt. Diese Gaben dienten
einem vorübergehenden Zweck, bis die Tatsachen, die Lehre, die Gebote und die
Verheißungen des neuen Bundes von inspirierten Männern niedergeschrieben
wurden, als die Prophezeiungen, die Zungenrede und die Wunderkenntnisse
einzelner Lehrer an die Stelle des geschriebenen Wortes traten.“[28]
Die gotteslästerliche Bitte des Simon
(V. 18-25): Der Glaube von Simon dem Magier war anfangs zweifellos echt genug
gewesen, und er hatte nicht geheuchelt, als er darum bat, getauft zu werden.
Aber hier gab es zwei Faktoren, die zu stark für die junge Pflanze in seinem
Herzen waren. Erstens gehörte er nicht zu denjenigen, denen die
außergewöhnliche Kraft des Geistes zuteil wurde. Und
zweitens hatte die Tatsache, dass er Zeuge dieses Vorgangs geworden war, die
frühere Liebe zu Geld und Einfluss auf andere in seinem Herzen geweckt. Die
Kombination dieser Tatsachen war zu stark für ihn, und er verlor seinen
Glauben. Als er sah, dass Petrus die wunderbare Gabe des Geistes durch
Handauflegung übertrug, brachte er Geld hervor und bot es den Aposteln an, mit der
Forderung, dass sie ihm auch diese Macht geben sollten, den Heiligen Geist
durch Handauflegung zu vermitteln. Simon hatte Recht, wenn er diese Gabe eine
Kraft nannte, aber er irrte, wenn er sie für eine Tausch- und Verkaufsware
hielt. Vielleicht hatte er in seinem früheren Beruf so manches Geheimnis der
Zauberei von anderen Meistern erworben und schloss daraus, dass er auch in
diesem Fall so verfahren würde. Aber es war eine gotteslästerliche Forderung
der Habgier, und seine Sünde ist seither als Simonie bekannt. „Das ist Simonie,
wie es richtig heißt, wenn man ein geistliches Amt, einen Besitz, eine Gabe
oder eine Macht für Geld kauft oder verkauft, wie Simon Magus es tat. Als er
sah, dass der Heilige Geist durch die Handauflegung der Apostel gegeben wurde,
bot er ihnen Geld an und sagte: Gebt mir auch die Macht, dass, wenn ich
jemandem die Hände auflege, er den Heiligen Geist empfängt; so wollte er den
Heiligen Geist, nachdem er ihn für Geld gekauft hatte, in seiner Macht haben,
um ihn tun zu lassen, was ihm gefiel.“[29]
Die schändliche Forderung des Simon Magus erregte den impulsiven Groll des
Petrus. Voller gerechter Entrüstung ruft er ihm zu: Dein Geld sei mit dir ins
Verderben! Es ist ein heftiger Ausdruck des Entsetzens des Petrus, dass jemand
auch nur auf die Idee kommen könnte, die wunderbarste Gabe der Welt durch solch
gotteslästerliche Gedanken zu entweihen. Die Tatsache, dass Simon auf die Idee
gekommen ist, dass eine freie Gabe Gottes mit Geld erkauft werden kann, zeigt,
dass er die Quelle und die Bedeutung der von ihm gewünschten Macht völlig
verkennt. Petrus sagt ihm deshalb, dass er weder Anteil noch Los an dieser
Sache habe, dass er weder hoffen könne, den Besitz der Gabe mit den Gläubigen
zu teilen, noch ihren Dienst mit irgendeinem der Jünger. Die Forderung Simons
stellte ihn völlig außerhalb der Kirche; sie zeigte, dass sein Herz in seinem
Bekenntnis zum Christentum nicht aufrichtig war, es konnte nicht ohne Tadel vor
Gott bestehen. Unter diesen Umständen gab es nur einen Weg, der ratsam war,
nämlich dass er diese Ungerechtigkeit bereute und sein Herz in einen Zustand
versetzte, der Gott wohlgefällig war. Außerdem sollte er den Herrn, bei dem es
nur Vergebung gibt, darum bitten, dass er ihm die gotteslästerlichen Gedanken
seines Herzens vergebe. Die Worte des Petrus machen die Vergebung nach
aufrichtiger Reue nicht zu einer zweifelhaften Angelegenheit, aber er betont
die Notwendigkeit der Aufrichtigkeit in Bezug auf dieses schwere Vergehen. Eine
bloße Lippenbußfertigkeit würde vor den Augen des allwissenden Gottes nicht
ausreichen. Und der Ernst der Lage wird noch weiter betont, wenn Petrus sagt,
dass er Simon Magus in der intensiven, bösartigen, giftigen Bitterkeit von
Galle und Wermut wahrnimmt und fest in den Banden der Ungerechtigkeit gefangen
ist. Mit Simon scheint es so gewesen zu sein wie in der Geschichte von dem
Mann, der den unreinen Geist austrieb und mit sieben anderen zurückkehrte, die
schlimmer waren als er selbst. Die Situation verlangte nicht, dass man ein
Blatt vor den Mund nahm, sondern dass das Gesetz in seiner ganzen
kompromisslosen Strenge gepredigt wurde, und Petrus handelte entsprechend.
Diese vernichtende Rede des Petrus hatte sicherlich eine gewisse Wirkung,
nämlich die, Simon hinsichtlich der Folgen seiner Sünden gründlich zu erschrecken.
Er bittet die Apostel, für ihn zu beten, dass ihn nichts von dem trifft, wovon
Petrus gesprochen hatte. Seine Worte deuten auf Furcht vor den Folgen der Sünde
hin, aber nicht auf einen Sinneswandel im Sinne wahrer Reue. Das ist alles, was
der inspirierte Bericht über diese Angelegenheit aussagt, und obwohl die
Traditionen des zweiten Jahrhunderts viel legendäres Material hinzugefügt
haben, scheint dies in keiner Weise vertrauenswürdig zu sein. Die Geschichte in
ihrer jetzigen Form enthält einige sehr ernste Lektionen. Simon Magus ist ein
Typus für die vorübergehenden Gläubigen, für diejenigen, die sich im Glauben
Christus zugewandt haben, aber noch nicht gefestigt waren und der ersten
Versuchung erlegen sind. Das Beispiel des Petrus zeigt, wie mit solchen
Menschen umgegangen werden muss, wenn sie entlarvt werden. Die Bosheit und
Heuchelei ihrer Herzen muss mit aller Strenge zurechtgewiesen werden, damit
durch Gottes Gnade in ihnen wahre Reue zum Heil ihrer Seelen gewirkt wird. Nach
diesem unangenehmen Vorfall wandten sich die Apostel wieder dem eigentlichen
Werk zu, für das sie herabgekommen waren. Sie legten in überzeugender Weise
Zeugnis für Christus ab; sie sprachen das Wort des Herrn und erfüllten so das
Werk des Zeugnisses und der Lehre, wie der Herr es ihnen aufgetragen hatte. Und
dann, nachdem sie das Ziel ihrer Reise erreicht hatten, machten sie sich auf
den Rückweg nach Jerusalem. Aber sie reisten in aller Ruhe, so dass sie das
Evangelium in vielen Dörfern der Samariter außerhalb der Hauptstadt des Bezirks
predigen konnten. Ihr Herz war von echtem missionarischem Eifer erfüllt, der
keine Gelegenheit zur Verbreitung des Evangeliums ungenutzt verstreichen lässt.
Es war eine Zeit der fröhlichen Ernte, wie sie der Herr vorausgesagt hatte, Joh.
4,37. Solche Zeiten des geistlichen Aufbruchs und der Ernte sind seither in
mehr als einem Fall aufgezeichnet worden. In solchen Fällen scheint es, als ob
der Herr große Menschenmassen gleichzeitig beruft. Die Wirkung und der Erfolg
der Verkündigung des Evangeliums liegen in seiner Hand, eine Tatsache, die für
alle Arbeiter im Weinberg des Herrn ein Trost ist.
Der äthiopische
Eunuch
(8,26-40)
26 Aber der Engel des
HERRN redete zu Philippus und sprach: Stehe auf und gehe nach Süden [Original:
Mittag] auf die Straße, die von Jerusalem hinabgeht nach Gaza, die öde ist. 27
Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Eunuch
[Entmannter] und Gewaltiger der Kandaze, der Königin
in Äthiopien, welcher war über ihre ganze Schatzkammer, der war kommen nach
Jerusalem, anzubeten, 28 und zog wieder heim und saß auf seinem Wagen und las
den Propheten Jesaja.
29 Der Geist aber sprach
zu Philippus: Gehe hinzu und halte dich zu diesem Wagen. 30 Da lief Philippus
hinzu und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und sprach: Verstehst du
auch, was du liest? 31 Er aber sprach: Wie kann ich, so mich nicht jemand anleitet?
Und ermahnte Philippus, dass er aufträte und setzte sich zu ihm. 32 Der Inhalt
aber der Schrift, die er las, war dieser: Er ist wie ein Schaf, zur Schlachtung
geführt, und still wie ein Lamm vor seinem Scherer; so hat er nicht aufgetan
seinen Mund. 33 In seiner Niedrigkeit ist sein Gericht aufgehoben; wer wird
aber seines Lebens Länge ausreden? Denn sein Leben ist von der Erde
weggenommen.
34 Da antwortete der
Eunuch Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet solches,
von ihm selber oder von jemand anders? 35 Philippus aber tat seinen Mund auf
und fing von dieser Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. 36
Und als sie zogen der Straße nach, kamen sie an ein Wasser. Und der Eunuch
sprach: Siehe, da ist Wasser; was hindert’s, dass ich mich taufen lasse? 37
Philippus aber sprach: Glaubst du von ganzem Herzen, so mag’s wohl sein. Er antwortete und sprach: Ich glaube, dass
Jesus Christus Gottes Sohn ist. 38 Und er hieß den Wagen halten, und sie
stiegen hinab in das Wasser, beide, Philippus und der Eunuch; und er taufte
ihn. 39 Da sie aber heraufstiegen aus dem Wasser, rückte der Geist des HERRN
Philippus hinweg, und der Eunuch sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße
fröhlich. 40 Philippus aber wurde zu Aschdod gefunden und wandelte umher und
predigte allen Städten das Evangelium, bis dass er kam nach Cäsarea.
Der göttliche Auftrag an Philippus
(V. 26-28): Durch den Besuch von Petrus und Johannes war die Gemeinde in
Samaria so gründlich aufgebaut und mit besonderen Geistesgaben ausgestattet
worden, dass Philippus für andere Missionsaufgaben entlastet werden konnte. Und
so sprach ein Engel des Herrn, einer jener besonderen Boten, derer sich der
Herr bei der Ausführung des Werkes seines Reiches bedient, zu Philippus, ob in
einem Traum bei Nacht oder in einer Vision bei Tag, ist unerheblich. Er hatte
einen besonderen Auftrag für den Evangelisten. Er, der gerade Hunderten und
Tausenden das Evangelium gepredigt hatte, sollte einen weiten Weg zurücklegen,
um einer einzelnen Seele die Heilige Schrift zu eröffnen. Philippus sollte
aufstehen, sich sofort bereit machen und von Samaria aus nach Süden reisen,
hinunter zu und entlang der Straße, die von Jerusalem (auf einer Höhe von etwa
2.400 Fuß) nach Gaza führte, einer ehemaligen Stadt der Philister, nur wenige
Meilen vom Mittelmeer entfernt. Es gab eine römische Straße, die wahrscheinlich
zu militärischen Zwecken gebaut worden war und von Jerusalem fast genau nach
Südwesten führte und über Gaza hinunter nach Ägypten. Ein großer Teil des Weges
führte durch Wüstengebiete, vergleichsweise unbewohnte Gegenden. Philippus gehorchte
sofort und bedingungslos; er tat nach dem Wort des Engels. Nach Gottes
Anordnung schlug Philippus entweder die Straße ein oder war auf dem vom Engel
bezeichneten Weg unterwegs, als ein Wagen vorbeikam. In diesem Wagen saß ein
Äthiopier, ein Eunuch, der ein einflussreicher Beamter der Königin Candace war,
nämlich ihr Finanzminister oder Sekretär der Staatskasse. Obwohl er ein Eunuch
war und als solcher von der eigentlichen Mitgliedschaft in der jüdischen
Gemeinde ausgeschlossen war (5. Mose 23,1), konnte er sehr wohl ein Proselyt
der Pforte sein und zum Hof der Heiden zugelassen werden, um seine
gottesdienstlichen Handlungen zu vollziehen. Er stand im Dienst der Königin der
Äthiopier, der Königin von Nubien, deren offizieller Titel Candace war,[30]
und hatte die lange Reise ausdrücklich zu dem Zweck unternommen, seinen
religiösen Pflichten nachzukommen. Es ist schwer zu sagen, ob er in der
Jahreszeit ohne Feste heraufkam oder ob inzwischen der Herbst mit dem
Neujahrsfest, dem Versöhnungstag und dem Laubhüttenfest gekommen war, wobei
Letzteres sehr wahrscheinlich ist. Bei seiner Rückkehr nach Hause nutzte der
Eunuch seine Zeit auf die bestmögliche Weise. In seinem Wagen sitzend, las er
das Buch des Propheten Jesaja, sehr wahrscheinlich laut, nach orientalischer
Art, V. 30, und versuchte nebenbei, den Sinn des Textes zu erfassen. Damit gibt
er ein Beispiel, das in unseren Tagen durchaus nachahmenswert sein könnte. Die
Christen unserer Tage lesen die Bibel in vielen Fällen weder zu Hause noch
anderswo, während dieser heidnische Proselyt sich nicht schämte, sie auf der
öffentlichen Straße zu lesen. Es war nicht der hebräische Originaltext, den er
las, sondern die so genannte Septuaginta oder griechische Übersetzung, die fast
zwei Jahrhunderte zuvor in Ägypten angefertigt worden war.
Der Text aus Jesaja (V. 29-33): Philippus
hatte den Befehl des Engels befolgt; er war zu dem Ort gegangen, an den er
verwiesen worden war, und war bereit für weitere Anweisungen. Diese wurden ihm
durch die Eingebung des Geistes gegeben, der ihm sagte, er solle sich in der
Nähe des Wagens aufhalten, während dieser sich bewegte, in Hörweite oder
leichter Rufweite. Und als Philippus auf den Wagen zulief, konnte er die Worte
hören, die der Kämmerer vorlas, und er erkannte die Stelle, aus der sie
stammten. Die Frage, mit der er sich vorstellte, war keine unverschämte Anrede,
wie schon gesagt wurde, sondern eine, die darauf abzielte, die religiöse
Haltung und Überzeugung des Mannes herauszufinden: Verstehst du wirklich, was
du liest? Es ist eine Frage, die alle Bibelleser im Hinterkopf behalten
sollten, denn es wird viel zu viel oberflächlich gelesen, anstatt ernsthaft zu
versuchen, den Zusammenhang und die Bedeutung eines jeden Textes zu verstehen.
Die Antwort lautete: Wie soll ich das wohl können, wenn mir niemand den Weg
zeigt? Das bedeutet nicht, dass die Bibel ohne hierarchische Auslegung nicht
verstanden werden kann, sondern zeigt nur, dass ein Anfänger im Studium des
Wortes Gottes, der Prophezeiung und Erfüllung noch nicht sorgfältig verglichen
hat, gut daran tut, sich beim Vergleich von Parallelstellen und beim Aufzeigen
der Zusammenhänge helfen zu lassen. Die wenigen wirklich dunklen Stellen in der
Bibel sind auf unseren Mangel an angemessener Kenntnis der ursprünglichen
Zungen und ähnliche Gründe zurückzuführen; aber keine dieser Stellen betrifft
irgendeine Zusicherung des Seelenheils oder eine andere grundlegende Lehre. Der
Kämmerer lud Philippus nun ernsthaft ein, an seiner Seite im Wagen Platz zu
nehmen. Die Stelle, die den Leser gerade beunruhigt hatte, war der schöne
Abschnitt aus Jes. 53,7.8. Dort wird vom Messias gesagt, dass er wie ein Schaf
zur Schlachtbank geführt wurde, dass er, wie ein Lamm vor dem Scherer stumm
ist, seinen Mund nicht auftat. Das steht über das große Lamm Gottes geschrieben,
in seinem Dienst, die Sünden der Welt wegzunehmen. In Seiner Erniedrigung wurde
Sein Gericht weggenommen; in Seiner Bedrückung, als der Zorn des Vaters Ihn als
Stellvertreter für die ganze Menschheit getroffen hatte, wurde das volle
Gericht an Ihm vollzogen, und so brauchen wir Gericht und Verurteilung nicht
mehr zu fürchten, ihre Kraft war in Christus erschöpft. Sein Geschlecht, wer
soll es verkünden? Er ist in den Himmel erhoben worden und hat nun, auch nach
seinem Menschsein, kein Ende seiner Tage, hat ewige Herrlichkeit in seinem
Besitz; denn sein Leben ist von der Erde genommen: es wurde ihm plötzlich
genommen, durch den mörderischen Tod am Kreuz; aber die Folge war ewiges Heil,
endgültige Verherrlichung im Interesse seiner Gläubigen. Dies war das Evangelium
des Alten Testaments, ein schöner und klarer Bericht über das Opfer des
Messias, aber vor den Augen des Kämmerers verborgen, weil er die Erfüllung
nicht kannte.
Die Taufe des Eunuchen (V. 34-40): Wir
können uns die Szene gut vorstellen: ein schöner Herbsttag, die vergleichsweise
unbewohnte Ebene, die sich zu beiden Seiten erstreckt, der Wagenlenker, der
halb über seinen Leinen döst, die beiden Männer, die über der heiligen
Schriftrolle brüten. Man beachte, dass Lukas den Inhalt der Schriftstelle als
eine feste Größe bezeichnet, als ein Buch, das allen Juden unter diesem Namen
bekannt war. Nachdem der Kämmerer die betreffende Stelle noch einmal gemeinsam
gelesen hatte, fragte er Philippus, ob der Prophet hier von sich selbst oder
von einem anderen Menschen spreche. Seine Kenntnis der Prophetie und die
Belehrung, die er erhalten hatte, ermöglichten es ihm nicht, diesen wichtigen
Punkt zu entscheiden. Und Philippus, erfüllt von der Freude des Missionars,
wenn er einen eifrigen Sucher nach der Wahrheit findet, öffnete seinen Mund zu
einer langen Rede. Er hätte kaum einen geeigneteren Text finden können, um sein
großes Thema darzulegen, denn sein Thema war Jesus und die wunderbare Botschaft
über ihn. Er begann mit den vielen klaren und schönen Texten des Alten
Testaments und hatte eine gute Gelegenheit, die Erfüllung der Prophezeiungen im
Fall von Jesus von Nazareth zu zeigen. Und er sprach zweifellos auch von dem großen
Auftrag des Herrn, den er seinen Jüngern erteilt hatte, „alle Völker zu Jüngern
zu machen, indem sie sie taufen auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes und sie lehren halten alles, was er ihnen befohlen hatte“ (Matth. 28,19). Und während Philippus noch die Herrlichkeit
Christi in leuchtenden Farben ausmalte, kam der Wagen in die Nähe eines der
kleinen Bäche oder Teiche, die selbst in der Trockenzeit ein wenig Wasser
führen können. Und der Kämmerer, halb in Eifer, halb in Angst, deutet auf das
Wasser und fragt, ob seiner Taufe etwas im Wege stehe. Philippus stellt
daraufhin die Frage, die in jeder echten Taufformel enthalten ist, und sagt,
dass sein Wunsch sehr wohl erfüllt werden kann, wenn er von ganzem Herzen
glaubt. Und der Kämmerer, erfüllt von der Süße und Schönheit der Verkündigung
des Evangeliums, die er gerade gehört hat, spricht sein Bekenntnis aus: Ich
glaube, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist: eine kurze, aber umfassende
Formel, die auf ein Bekenntnis zum dreieinigen Gott hinausläuft. Daraufhin
befahl der Offizier, den Wagen anzuhalten, und sowohl Philippus als auch der
Kämmerer stiegen ins Wasser hinab oder hinein, wo letzterer getauft wurde,
wobei die Art und Weise nicht angegeben wird, wahrscheinlich aber entweder
durch Übergießen oder durch Untertauchen. Die Art und Weise der Taufe ist nicht
von Bedeutung, solange das Wasser verwendet und mit den Einsetzungsworten
eingesetzt wird. Aber als sie aus dem Wasser stiegen, vollbrachte der Herr, der
Geist des Herrn, ein Wunder, indem er Philippus plötzlich von der Seite des
Kämmerers und aus seinem Blickfeld entfernte. Er war aber nicht mehr auf diesen
Lehrer angewiesen; er hatte das Wesentliche gehört, das ihn befähigte, von nun
an das Alte mit dem Neuen Testament zu vergleichen, und so ging er frohgemut
seines Weges. Die alte Überlieferung besagt, dass der Eunuch seinen Landsleuten
die frohe Botschaft des Evangeliums brachte und so zum Gründer der
abessinischen Kirche wurde. Wie wahr dieser Bericht auch sein mag, sicher ist,
dass er zumindest für sich selbst seinen Retter gefunden hatte. Philippus wurde
nach Azotus, dem alttestamentlichen Aschdod, einer
anderen ehemaligen Stadt der Philister, gebracht und dort gefunden. Von dieser
Stadt aus reiste er gemächlich die Mittelmeerküste hinauf und predigte das
Evangelium, wo immer er hinkam, bis er die Stadt Cäsarea erreichte, die etwa in
der Mitte zwischen den heutigen Städten Jaffa und Haifa liegt. Anmerkung: Der
erhabene Christus legt den Weg des Evangeliums fest, ob es in
bevölkerungsreichen Städten oder in verhältnismäßig unbewohnten Orten gepredigt
werden soll. Unsere Aufgabe ist es, seinen Hinweisen zu folgen und uns von den
Umständen leiten zu lassen, die er uns vor Augen stellt, denn das Ziel ist die
Errettung von Seelen.
Zusammenfassung: Aufgrund der
Verfolgung der Gemeinde in Jerusalem wird das Evangelium außerhalb der Stadt
verbreitet, indem Philippus die Gemeinde in Samaria gründet, die nach einem
Besuch von Petrus und Johannes gegründet wird, während Philippus gesandt wird,
um den äthiopischen Kämmerer das Evangelium zu lehren und ihn zu taufen.
Die Bekehrung und
das frühe Wirken des Paulus (9-1-31)
1 Saulus aber schnaubte
noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des HERRN und ging zum
Hohenpriester 2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, auf dass,
so er etliche dieses Wegs fände, Männer und Frauen, er sie gebunden führte nach
Jerusalem. 3 Und da er auf dem Weg war und nahe an Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel. 4 Und er
fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was
verfolgst du mich? 5 Er aber sprach: HERR, wer bist du? Der HERR sprach: Ich
bin Jesus, den du verfolgst. Es wird dir schwer werden, gegen den Stachel
auszuschlagen. 6 Und er sprach mit Zittern und Zagen: HERR, was willst du, dass
ich tun soll? Der HERR sprach zu ihm: Stehe auf und gehe in die Stadt; da wird
man dir sagen, was du tun sollst. 7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren,
standen und waren erstarrt; denn sie hörten eine Stimme und sahen niemand. 8
Saulus aber richtete sich auf von der Erde, und als er seine Augen auftat, sah
er niemand. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus. 9
Und er war drei Tage nicht sehend und aß nicht und trank nicht.
10 Es war aber ein
Jünger zu Damaskus mit Namen Ananias; zu dem sprach der HERR im Gesicht:
Ananias! Und er sprach: Hier bin ich, HERR. 11 Der HERR sprach zu ihm: Stehe
auf und gehe hin in die Gasse, die da heißt die Gerade, und frage in dem Haus
des Judas nach Saulus mit Namen von Tarsus; denn siehe, er betet 12 und hat
gesehen im Gesicht einen Mann mit Namen Ananias zu ihm hineinkommen und die
Hand auf ihn legen, dass er wieder sehend werde. 13 Ananias aber antwortete:
HERR, ich habe von vielen gehört von diesem Mann, wieviel Übles er deinen
Heiligen getan hat zu Jerusalem. 14 Und er hat hier Macht von den
Hohenpriestern, zu binden alle, die deinen Namen anrufen. 15 Der HERR sprach zu
ihm: Gehe hin; denn dieser ist mir ein auserwähltes Rüstzeug, dass er meinen
Namen trage vor den Heiden und vor den Königen und vor den Kindern von Israel.
16 Ich will ihm zeigen, wieviel er leiden muss um meines Namens willen. 17 Und
Ananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach:
Lieber Bruder Saul, der HERR hat mich gesandt (der dir erschienen ist auf dem
Weg, da du herkamst), dass du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt
werdest. 18 Und sofort fiel es von seinen Augen wie Schuppen; und wurde wieder
sehend 19 und stand auf, ließ sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte
sich. Saulus aber war etliche Tage bei den Jüngern zu Damaskus. 20 Und sogleich
predigte er Christus in den Synagogen, dass derselbe Gottes Sohn ist. 21 Sie
entsetzten sich aber alle, die es hörten, und sprachen: Ist das nicht, der zu
Jerusalem zerstörte alle, die diesen Namen anrufen, und darum herkommen, dass
er sie gebunden führe zu den Hohenpriestern? 22 Saulus aber wurde immer
kräftiger und trieb die Juden in die Enge, die zu Damaskus wohnten, und bewährte
es, dass dieser ist der Christus.
23 Und nach vielen Tagen
hielten die Juden einen Rat zusammen, dass sie ihn töteten. 24 Aber es wurde
Saulus kundgetan, dass sie ihm nachstellten. Sie hüteten aber Tag und Nacht an
den Toren, dass sie ihn töteten. 25 Da nahmen ihn die Jünger bei der Nacht und
taten ihn durch die Mauer und ließen ihn in einem Korb hinab. 26 Da aber Saulus
nach Jerusalem kam, versuchte er, sich zu den Jüngern zu tun; und sie
fürchteten sich alle vor ihm und glaubten nicht, dass er ein Jünger wäre. 27
Barnabas aber nahm ihn zu sich und führte ihn zu den Aposteln und er erzählte
ihnen, wie er auf der Straße den HERRN gesehen, und er mit ihm geredet, und wie
er zu Damaskus den Namen Jesu frei gepredigt hätte. 28 Und er war bei ihnen und
ging aus und ein zu Jerusalem und predigte den Namen des HERRN Jesu frei. 29 Er
redete auch und befragte sich mit den Griechen; aber sie stellten ihm nach,
dass sie ihn töteten. 30 Da das die Brüder erfuhren, geleiteten sie ihn nach
Cäsarea und schickten ihn nach Tarsus. 31 So hatte nun die Gemeinde Frieden
durch ganz Judäa und Galiläa und Samarien und baute sich und wandelte in der
Furcht des HERRN und wurde erfüllt mit Trost des Heiligen Geistes.
Des Saulus fortgesetzte Feindschaft
gegen die Kirche (V. 1-2): In deutlichem Gegensatz zu den ernsthaften
Bemühungen des Philippus um den Aufbau der Kirche Christi stehen hier die feindseligen
und zerstörerischen Aktivitäten des Saulus. Im Laufe der Zeit ließ das Feuer
seiner Feindschaft nicht nach, sondern wurde vielmehr zu immer größerer Hitze
und Schärfe angefacht. Dieser Gemütszustand war ihm so zur Gewohnheit geworden,
dass er tatsächlich Drohungen und Morde gegen die Jünger des Herrn ausstieß.
Das war die Atmosphäre, die er atmete, in der er lebte. Die Drohungen allein
waren schon eine niederträchtige Übertretung des fünften Gebots, aber er ließ
ihnen auch tatsächlich Mord folgen; er lieferte alle Jünger, die er gefangen
nehmen konnte, dem Gefängnis und dem Tod aus. Aber seine schlimmste Sünde
bestand darin, dass er durch diesen Widerstand und diese Verfolgung den Namen
des Herrn lästerte. Saulus' größtes Vergnügen wäre es damals gewesen, sowohl
Christus als auch die ganze Christenheit an einem Tag zu vernichten, wenn er es
gekonnt hätte, 1. Tim. 1,13; Phil. 3,6; Gal. 1,13; 1. Kor. 15,9.[31]
In dieser Gemütsverfassung ging er zum Hohenpriester und bat ihn inständig um
Briefe und Beglaubigungen, die seine Ermächtigung im Namen des Sanhedrins in
Jerusalem darlegten. Denn Saulus war darauf aufmerksam gemacht worden, dass
anderswo christliche Gemeinden gegründet wurden, und die Angelegenheit ließ ihm
keine Ruhe. Damaskus hatte eine große jüdische Bevölkerung und war die
nächstgelegene ausländische Stadt von Bedeutung. Die Ausbreitung des
Evangeliums in dieser Stadt aufzuhalten, wäre ein großer Sieg für die Juden.
Der Sanhedrin hatte damals, auch unter der römischen Regierung, große Macht und
Rechtsprechung, sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen. Er konnte nicht nur
Verhaftungen durch seine eigenen Beamten vornehmen lassen, sondern sich auch mit
Fällen befassen, auf die nicht die Todesstrafe stand. Und die Behörden von
Damaskus waren nicht geneigt, solche Aktivitäten zu behindern, solange sie sich
auf die Juden beschränkten. Saulus plante daher, sein Beglaubigungsschreiben an
alle Synagogen von Damaskus zu richten, um die volle Handlungsbefugnis zu
erhalten. Sollte er dann Personen, Männer oder Frauen, „von diesem Weg“ finden,
die, wie er vermutete, dieser neuen Lehre anhingen, wollte er sie in Fesseln
nach Jerusalem bringen. Anmerkung: Die Feindseligkeit der vehementen Feinde
Christi in unseren Tagen mag sich nicht gerade auf diese Weise zeigen, aber sie
bedienen sich der fadenscheinigsten Ausreden und Ausflüchte, um die Kirche
Christi zu verfolgen. So wie Saulus, der Pharisäer, seine eigene Gerechtigkeit
gegen die Gerechtigkeit Jesu von Nazareth durchzusetzen suchte und so zum
gefährlichsten Feind Christi wurde, so nehmen die modernen Pharisäer Anstoß an
der Predigt von der Erlösung durch das Blut des gekreuzigten Christus.
Das wunderbare Gesicht (V. 3-6): Nachdem
Saulus die gewünschten Briefe erhalten hatte, verließ er Jerusalem ohne
Verzögerung. Um sein Ziel zu erreichen, musste er etwa 140 Meilen in
nordöstlicher Richtung zurücklegen. Damaskus war die alte Hauptstadt der
Provinz Syrien und lag etwa siebzig Meilen vom Mittelmeer entfernt, von dem es
durch die Gebirgszüge Libanon und Antilebanon
getrennt war. Der Fluss Abana floss durch die Stadt,
und der Pharpar verlief einige Meilen südlich der
Stadtmauern. Damaskus ist eine der ältesten Städte der Welt und soll von Uz,
dem Enkel Sems, gegründet worden sein, den Abraham schon kannte (Gen 15,15).
Die Reise, entweder auf der Karawanenstraße durch Samaria und Galiläa oder auf
der römischen Straße über Jericho und durch Peräa und
die Dekapolis, dauerte etwa sieben oder acht Tage.
Eine Tatsache ist unbestreitbar: Es ist kaum vorstellbar, dass Saulus sich in
einem für die Bekehrung ungünstigeren Geisteszustand befand, als er zu seiner
verrückten Expedition aufbrach. Er befand sich mitten in der pharisäischen
Finsternis und im Unglauben, verabscheute den Namen Christi und war voller
Groll und Hass gegen diejenigen, die sich zu diesem Namen bekannten. Aber die
Art und Weise, wie der Herr selbst mit den hoffnungslosesten Fällen und
hartnäckigsten Feinden umgeht, übersteigt das menschliche Verständnis. Denn es
war am Mittag des letzten Tages der Reise, als die Reisenden den
schneebedeckten Gipfel des Berges Hermon hinter sich gelassen hatten und
vielleicht schon die Stadt Damaskus in der Ferne vor sich sahen, als plötzlich,
ohne Vorwarnung, ein extrem helles Licht vom Himmel um Saulus herum
aufleuchtete, so hell, dass er blind wurde. Als er merkte, dass ein Wunder
geschah, stürzte er in hilflosem Schrecken zu Boden. In diesem Licht und bevor
die Dunkelheit über ihn hereinbrach, sah Saulus Christus, den Gekreuzigten, 1.
Kor 9,1. Und als er gefallen war, hörte und verstand er eine Stimme, die ihm
feierlich zurief: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Mit Furcht und Zittern
fragte Saul: „Wer bist du, Herr?“, entweder weil er nicht unterscheiden konnte,
ob die Stimme von Stephanus oder einem anderen Opfer stammte, oder weil er
sicher sein wollte, dass er nicht von einer Halluzination heimgesucht wurde.
Der Herr offenbarte sich Saulus nun in vollem Umfang als Jesus, den er durch
seine derzeitige Behandlung und durch seine geplanten Maßnahmen gegen die
Gläubigen in seinem Namen verfolgte. Zwei Tatsachen wurden so dem Verstand und
dem Herzen des Saulus eingeprägt: dass die Verbindung zwischen Christus und
seiner Kirche vollkommen und dauerhaft ist und dass deshalb die Verfolgung der
Gläubigen eine Verfolgung Christi selbst war. Und die durchdringende Liebe Jesu
zeigte sich sofort in seinem warnenden und flehenden Schrei: Es wird dir schwer
fallen, gegen die Stacheln zu stoßen, ein Bild, das vom Treiben der Ochsen mit
spitzen Stöcken stammt, gegen die sie manchmal zu treten versuchen. Hier war
die Stunde der Umkehr gekommen. „Denn es gibt kein Herz, das so stark wäre, als
wäre es nur ein Diamant, das aushielte und nicht zerbräche.“[32]
Der Feind war besiegt, denn der Stärkere war über ihn gekommen und hatte seinen
Sinn und sein Herz verändert; der Herr hatte sich ihm offenbart, Gal. 1, 16.
Saulus hat nun voller Zittern und Erstaunen nur noch ein Ziel vor Augen, den
Willen seines Herrn zu tun, und fragt, was der Herr von ihm will. „So sollen
auch wir lernen, uns recht zu richten, unsere Sünden zu bekennen und von ihnen
abzulassen, an Jesus Christus zu glauben und in seinen Leiden Trost zu finden,
und endlich dem rechten Gehorsam gegen Gott nachzugeben, damit wir nicht wieder
durch Ungehorsam von der großen Gnade abfallen und durch ein unbußfertiges
Leben in den Zorn Gottes geraten. Das heißt, das Beispiel des Paulus richtig
befolgen, das zu unserem Trost und zu unserer Belehrung geschrieben ist.“[33]
Und dann gab der Herr diesem Neubekehrten Anweisungen für sein Verhalten,
nämlich aufzustehen und in die Stadt zu gehen, wo er die Informationen erhalten
würde, die er brauchte, um seinen zukünftigen Kurs zu bestimmen. „Hier sollten
wir besonders aufpassen: Obwohl Gott vom Himmel her mit Paulus spricht, will er
doch das Predigtamt nicht aufheben, auch nicht zum Ausnahmefall machen, sondern
er weist ihn in die Stadt zur Kanzel und zum Prediger; dort soll er hören und
lernen, was zu lernen ist. Denn Gott, unser Herr, will für niemanden etwas
Besonderes aufstellen, sondern gibt seine Taufe und sein Evangelium der ganzen
Welt, dem einen wie dem anderen. Dort kann man lernen, wie man gerettet wird,
und nicht warten, ob Gott etwas Neues macht und uns einen Engel vom Himmel
schickt. Denn es ist sein Wille, dass wir hingehen und das Evangelium von denen
hören, die es predigen; dort sollen wir es finden und nirgendwo anders.“[34]
Das Gesicht ist beendet (V. 7-9): Lukas
erwähnt hier zum ersten Mal die Gefährten des Saulus und beschreibt ihr
Verhalten. Die Männer, die ihn begleiteten, standen wie verblüfft, als das
Wunder geschah; denn sie hörten den Klang der Stimme, konnten aber niemanden
sehen. Wenn wir hier das Zeugnis von Kap. 22,6-11 und Kap. 26,13-18 hinzufügen,
in denen dasselbe Ereignis beschrieben wird, erhalten wir das folgende Bild.
Das große Licht vom Himmel wurde von allen gesehen, aber nur auf Saulus hatte
es eine unmittelbare Wirkung, indem es ihn zu Boden warf. Seine Gefährten
standen einige Augenblicke lang wie erstarrt vor Angst und Beklemmung und
versuchten, die Bedeutung der Vision zu begreifen. Doch nach dem ersten Schock
konnten sie sich nicht mehr auf den Beinen halten und fielen ebenfalls zu
Boden. Und während sie am Boden lagen, hörten die Männer die Stimme, die
Äußerung von jemandem, der sprach, und Saulus verstand jedes Wort, aber sie
hörten nicht genau, noch konnten sie verstehen, wer es war, der sprach. Und
während sich Saulus die Gestalt Jesu inmitten des Lichts deutlich zeigte, sahen
die anderen nichts als das Licht. So viel also konnten diese Gefährten des
Saulus bezeugen: dass ein großes Licht erschien, dass aus dessen Mitte eine
Stimme zu hören war, dass Saulus durch das Wunder blind wurde. Saul erhob sich
nun von der Erde, aber als er versuchte, seine Augen zu öffnen, stellte er
fest, dass er sein Augenlicht verloren hatte und nichts mehr sehen konnte.
Seine Gefährten mussten ihn bei der Hand nehmen und ihn so in die Stadt führen.
Und dort hielt seine Blindheit drei Tage lang an, in denen er weder aß noch
trank. Das war die Folge des Erlebnisses, das er durchgemacht hatte und das ihn
im Innersten seines Wesens erschütterte. Die Bekehrung eines Menschen ist nicht
immer mit solchen Wundern verbunden wie im Fall von Saulus, aber sie ist immer
genauso wundersam. Es ist der Herr, der die Sünder, seine Feinde, bezwingt und
besiegt. Sein heiliges Gesetz wirft sie zu Boden, treibt sie in Angst und
Verzweiflung. Aber er folgt sofort mit der tröstlichen Botschaft des
Evangeliums, und dann geschieht das Wunder. Der Widerstand und die
Feindseligkeit des unerweckten Herzens verwandelt
sich in eine herzliche Annahme der Liebe Gottes. Das ist das Wunder der
Bekehrung.
Der HERR beauftragt Ananias (V.
10-12): In Damaskus gab es einen Jünger, der zu denen gehörte, denen Saulus
nach dem Leben und der Freiheit getrachtet hatte. Sein Name war Ananias („Jahwe
ist gnädig“), was in diesem Fall passender ist als bei seinem Namensvetter,
Kap. 5. Ob er ein Presbyter der Gemeinde in Damaskus war, wie einige Ausleger
meinen, lässt sich nicht feststellen. Ihm erschien der Herr in einer Vision, ob
in einem nächtlichen Traum oder in einem Zustand der Ekstase bei Tag, wird
nicht gesagt, und rief ihn beim Namen. In unmittelbarem Gehorsam zeigte
Ananias, dass er bereit war, auf den Befehl des Herrn zu hören, denn er
erkannte in dem Sprecher seinen Herrn, Jesus Christus, das Haupt seiner Kirche.
Und der Herr gab ihm sogleich die notwendigen, ausdrücklichen Anweisungen. Er
sollte aufstehen und sich zu der Straße begeben, die den Namen Gerade trug, die
auch heute noch in einer Stadt voller krummer und gekrümmter Straßen auffällt,
weil sie auf der Länge einer Meile nur wenige leichte Winkel aufweist. Sie
führt vom Osttor aus nach Westen in das Herz der Stadt.[35]
In dieser Straße wohnte ein Mann namens Judas, und in seinem Haus hatte Saulus
eine Unterkunft gefunden. Der Herr hatte Saulus angewiesen, in die Stadt zu
gehen, wo man ihm sagen würde, was er tun sollte. Drei Tage lang hatte der
geplagte Mann in völliger Finsternis auf die verheißene Botschaft gewartet. Es
gehört oft zu Gottes besonderem Plan, jemanden durch Krankheit oder eine andere
Bedrängnis in Untätigkeit zu versetzen. In einer solchen Zeit hat das Herz
ausreichend Gelegenheit, ernsthaft und im Gebet mit Gott zu kommunizieren. Das
neue geistliche Leben des Saulus zeigte sich im Gebet; im Gebet erlangte er
Kraft und Geduld, um die Prüfung des Herrn bis zum Ende durchzustehen. Außerdem
war ihm eine Vision zuteil geworden, in der er sah, wie eben jener Ananias, zu
dem der Herr jetzt sprach, zu ihm hereinkam und ihm durch Handauflegung das
Augenlicht wiedergab. Die Vision war Saulus gewährt worden, teils um ihm die
Gewissheit der Heilung zu geben, teils um ihn die Hand Gottes in all den
Dingen, die ihm widerfuhren, erkennen zu lassen.
Der Einwurf des Ananias wird beantwortet
(V. 13-16): Der Gehorsam des Ananias wurde durch den Auftrag des Herrn auf eine
harte Probe gestellt, als er den Namen Saulus von Tarsus hörte. Er hatte von
vielen Leuten über diesen Mann gehört, was und wie viele und wie verschiedene
böse Dinge er den Heiligen des Herrn in Jerusalem angetan hatte. Man beachte
den ehrenden Namen "Heilige", der den Christen hier zum ersten Mal
gegeben wird, als solchen, die durch das Blut Jesu gereinigt und geheiligt
worden sind. Sie sind seine Heiligen, von ihm für die Seinen erworben und
gewonnen; er ist ihr Erlöser und ihr Gott. Ananias hatte auch das sichere
Wissen, dass Saulus hier in Damaskus vom Hohenpriester in Jerusalem die
Vollmacht und Macht hatte, alle zu binden und damit zu verhaften, die den Namen
Jesu als ihren Herrn und Retter anriefen. Hier ist eine weitere ehrende
Beschreibung der Gläubigen, die sie auch genau charakterisiert. Sie vertrauen
voll und ganz auf ihren Erlöser, was sie auch dadurch zeigen, dass sie ihn anrufen.
Doch der Herr brachte den Einwand seines Dieners schnell zum Schweigen, indem
er seinen Befehl wiederholte: Geh! Und er nahm Ananias alle Befürchtungen,
indem er ihm sagte, dass Saulus ein von ihm erwähltes Gefäß sein sollte, ein
Gefäß, in dem gleichsam die Reichtümer der Barmherzigkeit Gottes zum Gebrauch
für viele aufbewahrt werden würden. Denn in diesem auserwählten Gefäß, Saulus
von Tarsus, hatte Gott bestimmt, dass sein Name vor die Heiden und vor die
Könige und vor die Kinder Israels getragen werden sollte. Der Name des Herrn
Jesus Christus ist wie ein kostbares Juwel, für das er eine passende Schatulle
ausgewählt und vorbereitet hat. Die besondere Mission des Mannes, der später
der Apostel des Herrn wurde, wurde hier bereits angedeutet. Sein Hauptwerk
sollte unter den Heiden sein, bei denen, die nicht zu den Kindern Abrahams nach
dem Fleisch gehören. Aber er sollte auch vor Königen und Herrschern Zeugnis
ablegen, wie den Statthaltern von Zypern, Achaja und
Judäa. Und schließlich sollte sein Werk auch seine Brüder nach dem Fleisch
einschließen. Der Herr öffnete hier die Tür der Zukunft weit vor den Augen des
Ananias, um in ihm die richtige Bereitschaft zur Ausführung des Auftrags zu
wirken. Aber nicht nur im Zeugnis für den Herrn würde dieser Mann, Saulus, als
ein geeignetes, auserwähltes Gefäß des Herrn gefunden werden, sondern Jesus
beabsichtigte auch, ihn um seines Namens willen Leiden erfahren zu lassen.
Diese Leiden würden über ihn kommen als Teil der Verpflichtung des Gefäßes des
Herrn. Nicht länger wird er anderen Leiden bringen, sondern er wird sich
bereitwillig der Last beugen, von der der Herr weiß, dass sie das Maß seiner
Kraft ist. Das ist das Vorrecht der Gläubigen bis zum heutigen Tag, sowohl den
Namen des Herrn zu bekennen als auch die Schmach Christi zu ertragen.
Die Taufe des Saulus (V. 17-19): Die
Befürchtungen des Ananias waren durch die Offenbarung des Herrn beseitigt
worden. Er verließ sein eigenes Haus und ging in das Haus, das ihm der Herr gezeigt
hatte. Als er Saulus fand, legte er ihm sogleich die Hände auf, um ihm die
Heilung von seiner Blindheit zu übermitteln, und sprach ihn gleichzeitig als
christlichen Bruder an. Seine Bekehrung hatte den wütenden Feind und Verfolger
in einen Menschen verwandelt, der in wahrer Gemeinschaft und Einheit mit allen
Gläubigen stand. Er erklärte den Grund seines Besuchs damit, dass der Herr ihn
gesandt habe, derselbe Jesus, der sich Saulus auf dem Weg offenbart hatte. Er
sollte nun sowohl sein Augenlicht wiedererlangen als auch mit dem Heiligen
Geist erfüllt werden. Durch seine Bekehrung hatte Saulus die Gabe des Heiligen
Geistes empfangen, und durch die jetzige Handauflegung erhielt er nicht nur
sein Augenlicht zurück, sondern auch ein neues und außerordentliches Maß an
Licht und Kraft des Geistes sowie die Macht, Wunder zu vollbringen, und wurde
so für den Dienst vorbereitet, für den er ausgewählt worden war. Als
unmittelbare Folge der Handauflegung wurde Saulus das Augenlicht wiedergegeben;
von seinen Augen fiel ein schuppenartiger Belag oder eine Haut herab, entweder
eine Kruste aufgrund einer Entzündung oder eine Wucherung, die der Herr
vorläufig verursacht hatte. Die anschließende Taufe brachte den Empfang des
Heiligen Geistes und die formelle Aufnahme in die christliche Kirche. So
erhielt auch Saulus die Zusicherung und das Siegel der Vergebung seiner Sünden,
Kap. 22,16. Nun war die Zeit der Ungewissheit und des Zweifels vorbei, die
Krise war sicher überstanden. Saul nahm nun Nahrung zu sich und stärkte sich.
Nach den Tagen schwerer Gewissensbisse brach er sein Fasten. Die Christen geben
sich entgegen der landläufigen Meinung nicht einer törichten Askese hin,
sondern nutzen die Gaben des Herrn in angemessener Weise. Der junge Bekehrte
wurde nun auch den Jüngern, den Mitgliedern der Gemeinde in Damaskus
vorgestellt; er trat offen in ihre Reihen ein und bekannte so seinen Glauben.
Anmerkung: Die Ausrede, die manchmal vorgebracht wird, dass Menschen genauso
gute Christen sein können, ohne der Kirche anzugehören, ist angesichts des hier
erzählten Beispiels nicht haltbar.
Saulus predigt Christus (V. 20-22): Saulus
hatte durch das Wort des Herrn durch Ananias und wahrscheinlich auch durch
direkten Befehl Gottes seinen Auftrag als Prediger und Missionar erhalten. Und
er verlor keine Zeit, seine Aufgaben zu übernehmen. Rasch, so schnell wie
möglich, predigte er in den Synagogen, verkündete die Botschaft und verkündete
Jesus als den Sohn Gottes. Er bewies den versammelten Juden, dass derselbe
Jesus, der von ihnen hingerichtet worden war, kein anderer sein konnte als der
verheißene Messias, der Sohn Gottes selbst, von dem Ps. 2,7 spricht. Das ist
die große Botschaft des Neuen Testaments, die Summe und Substanz aller
Predigten über die Person und das Amt des Erlösers. Das Ergebnis war, dass
alle, die Saulus reden hörten, vor Erstaunen verblüfft waren, was sie in der
erregten Frage zum Ausdruck brachten: Ist das nicht der Mann, der in Jerusalem
die vernichtet und verwüstet hat, die diesen Namen anriefen, und der hierher gekommen ist, um sie zu den Hohepriestern zu
führen? Die Mission des Saulus war unter den Juden bekannt geworden,
wahrscheinlich durch seine Gefährten oder durch eine Botschaft aus Jerusalem,
und sein früherer Hass war allgemein bekannt gewesen. Sein völliger Wandel war
daher für seine früheren Gefährten völlig unerklärlich. In der Zwischenzeit
gewann Saulus Tag für Tag an geistlicher und religiöser Kraft, an Verständnis
für die Heilige Schrift und ihr großes zentrales Thema und an der Fähigkeit,
die Bedeutung der wunderbaren Botschaft auf die Situation anzuwenden, in der er
sich befand. Wann immer sich ihm die Gelegenheit bot, brachte er sein
unerschöpfliches Thema vor und verwirrte die Juden buchstäblich, schüttete sie
zusammen, verwirrte sie und machte es ihnen unmöglich, vor seiner gewaltigen
Darlegung und Demonstration, dass dieser Mensch Jesus der Christus ist,
aufzustehen. Diese Wahrheit bewies er, indem er die Übereinstimmung zwischen
den messianischen Vorhersagen und den geschichtlichen Tatsachen im Leben Jesu
aufzeigte, und er bezeugte sie aus der Festigkeit und Bestimmtheit seiner
Überzeugung. Die Kraft des Heiligen Geistes in seiner Botschaft, die zu seiner
Zuversicht und Freude hinzukam, konnte nicht verfehlen, einen tiefen Eindruck
zu hinterlassen, so wie es auch heute noch der Fall ist.
Saulus in Lebensgefahr (V. 23-25): „Nachdem
viele Tage erfüllt waren“, nach Ablauf einer längeren Zeitspanne. Lukas sagt
nicht, wo sich Saulus während dieser Zeit aufhielt, noch beschreibt er seine
Arbeit, aber es ist wahrscheinlich, dass die Reise nach Arabien, Gal. 1, 17, zu
dieser Zeit stattfand. Ob Saulus in der Missionsarbeit tätig war oder ob der
Herr ihm eine besondere Vorbereitungszeit gewährte, können wir nicht wissen.
Aber als Saulus wieder nach Damaskus zurückkehrte, sollte er bald erfahren, dass
das Staunen seiner Landsleute nachgelassen hatte. Die Juden planten gemeinsam,
ihn zu töten, um ihn aus dem Weg zu räumen, damit er das Evangelium verkünden
konnte. Er erlebte etwas von der feindseligen Haltung und Verfolgung, die er
früher den Jüngern Jesu entgegengebracht hatte. Saulus erfuhr von dem Plan, ihn
zu töten, und plante, zu fliehen. Die Juden hatten ihre Pläne jedoch so gut
geplant, dass sie auch den Ethnarchen unter König Aretas
für sich gewinnen konnten, 2. Kor 11,32, und sie ließen alle Tore der Stadt
bewachen, mit dem Befehl, Saulus bei einem Fluchtversuch zu töten. Zweifellos
hofften sie, ihn ohne große Schwierigkeiten in der Stadt festsetzen zu können,
sobald sie die Zeit für reif hielten. In dieser Notlage fanden die Jünger einen
Weg, die Verfolger zu überlisten. Sie fanden ein Haus, das an die Stadtmauer
gebaut war oder sogar einen Aufbau hatte, der auf der Mauer ruhte, und es war
ein Leichtes, Saulus durch eine Öffnung in der Mauer mit Hilfe eines großen
Korbes hinabzulassen, wie ihn die Händler zum Transport ihrer Waren benutzten.
Auf diese Weise schickten die Jünger von Damaskus Saulus aus der Stadt und
sorgten für seine Sicherheit. Das war etwa drei Jahre nach seiner Bekehrung,
Gal. 1,18.
Saulus in Jerusalem (V. 26-31): Drei
Jahre zuvor hatte Saulus Jerusalem verlassen. ein Feind und Verfolger der
Jünger Christi. Und nun kehrte er in die Stadt zurück, selbst verfolgt und
gejagt von seinen früheren Freunden und Gefährten. Welche Gefühle sein Herz
durchströmten, als er an dem Ort vorbeikam, an dem ihm der Herr erschienen war,
oder an der Stelle, an der die Steinigung des Stephanus stattgefunden hatte,
lässt sich nur vermuten. Aber die krönende Demütigung erfuhr er in Jerusalem
durch die Behandlung der Jünger. Er versuchte, sich den Gliedern der Gemeinde
mit der Vertrautheit anzuschließen, die in jenen Tagen unter den Jüngern die
Regel war. Doch seine Bemühungen stießen auf Misstrauen, da sein früherer
Werdegang zu gut bekannt war. Wahrscheinlich befürchteten sie, dass Saulus
Interesse und Überzeugung nur vortäuschte, um in die Geheimnisse der Gemeinde
eingeweiht zu werden und die Namen der mit ihr verbundenen prominenten Personen
zu erhalten, damit er wieder seine alten Methoden anwenden konnte. In ihrem
Misstrauen fühlten sie, dass sie den stärksten Beweis für die Aufrichtigkeit
sowohl seiner Bekehrung als auch für die Aufrichtigkeit seiner Beweggründe,
sich ihnen anschließen zu wollen, brauchten. Es kann oft vorkommen, dass eine
Sünde aus früheren Tagen, auch wenn sie in teilweiser oder völliger Unkenntnis
begangen wurde, dem Ansehen einer Person in späteren Jahren schadet, trotz
aufrichtigster Reue. Glücklicherweise dauerte diese leidvolle Erfahrung des
Saulus nicht allzu lange; denn Barnabas, der ehemalige Levit, Kap. 4,36, der
Paulus vielleicht schon seit den frühen Tagen in Tarsus kannte, übernahm nun
die Bürgschaft für ihn. Er führte ihn zu den Aposteln und erzählte ihnen
ausführlich, wie die Bekehrung des ehemaligen Kirchenverfolgers erfolgt war,
als der Herr selbst ihm erschien und auf dem Weg zu ihm sprach, und dass Saulus
in Damaskus die großen Wahrheiten des Evangeliums kühn verkündet hatte. Im
Namen Jesu hatte er so frei geredet und damit denselben Auftrag erhalten wie
die Apostel selbst. Diese Einführung fand bei Petrus und Jakobus statt, Gal.
1,19, da die anderen Apostel wegen Angelegenheiten der Kirche in Jerusalem
abwesend waren. Nachdem Barnabas sich für Saulus verbürgt hatte, wurde dieser
nun als Bruder anerkannt, und er ging in der Gemeinde in Jerusalem ein und aus;
er hatte täglich vertraulichen Verkehr mit den Aposteln und mit allen Brüdern.
Und ganz selbstverständlich begann Saulus auch in Jerusalem, frei im Namen des
Herrn zu predigen. Die Botschaft des Heils, dessen Herrlichkeit und Trost er
erfahren hatte, fühlte er sich genötigt, anderen zu verkünden, Kap. 4,20. Als
er aber auch mit den Hellenisten sprach und stritt, zu denen er selbst gehört
hatte, vielleicht in derselben Synagoge, die versucht hatte, gegen die Weisheit
des Stephanus zu argumentieren, Kap. 6,9, fand er, dass sie gegen ihn als einen
Deserteur aus ihren Reihen tief verbittert waren. Aus diesem Grund nahmen sie
sich vor, ihn zu töten; sie legten zwar nicht selbst Hand an, aber sie
begannen, entsprechende Vorbereitungen zu treffen. Es stimmte also, dass die
hellenistischen Juden das Zeugnis des Saulus über Jesus nicht akzeptieren
wollten, Kap. 22,17. Die Brüder erfuhren von der Absicht, den von ihnen
hochgeschätzten Bruder zu entfernen, und vereitelten die böse Absicht. Sie
brachten Saulus nach Cäsarea am Mittelmeer, von wo aus er die Möglichkeit
hatte, nach Kleinasien, nach Tarsus in Zilizien, seiner Heimatstadt,
überzusetzen. Es scheint die Meinung der Brüder gewesen zu sein, dass es für
Saulus am besten wäre, in seiner Stadt zu warten, bis der Herr ihm eine
bestimmte Aufgabe zuweisen würde. Hier verlassen wir Saulus für eine Weile.
-Lukas fügt am Ende dieses Abschnitts die Bemerkung hinzu, dass alle Gemeinden,
die gesamte Kirche, seit ihr heftigster, eifrigster Feind besiegt worden war,
Ruhe, Frieden und Wohlstand hatte, eine gute Gelegenheit hatte, sich innerlich
und äußerlich in ganz Judäa und Galiläa und Samarien zu etablieren. Die Kirche
wurde erbaut, als solides Gebilde aufgebaut; ihr Existenzrecht wurde voll und
ganz bestätigt; ihre Glieder wandelten, führten ihr ganzes Leben durch oder in
der Furcht des Herrn, als Folge des Glaubens, der in ihren Herzen lebte; und
sie wurden mit dem Trost des Heiligen Geistes erfüllt, die verheißene Hilfe und
der Unterhalt Jesu wurde eine Tatsache, und das Ergebnis zeigte sich auch in
der wachsenden Zahl der Jünger. Es ist der Herr, der seine Kirche baut, sowohl
in den Tagen des Unfriedens und der Unterdrückung als auch in den Tagen des
Friedens und des Wohlstands, und es ist der Trost seines Geistes, der wahre
Gemeindearbeit möglich macht und auch den Anschein wahrer, ehrfürchtiger
Frömmigkeit im Leben der Gemeinden bewirkt.
Petrus führt zwei
Wunder aus
(9,32-43)
32 Es geschah aber, da
Petrus überall umherzog, dass er auch zu den Heiligen kam, die zu Lydda
wohnten. 33 Dort fand er einen Mann mit Namen Äneas, acht Jahre lang auf dem
Bett gelegen, der war gichtbrüchig. 34 Und Petrus sprach zu ihm: Äneas, Jesus
Christus macht dich gesund; stehe auf und bette dir selber. Und alsobald stand
er auf. 35 Und es sahen ihn alle, die zu Lydda und zu Saron
wohnten; die bekehrten sich zu dem HERRN.
36 Zu Joppe aber war
eine Jüngerin mit Namen Tabea34a
(welches verdolmetscht heißt ‚Gazelle‘), die war voll guter Werke und Almosen,
die sie tat. 37 Es begab sich aber zu derselben Zeit, dass sie krank wurde und
starb. Da wuschen sie diese und legten sie auf den Söller [Obergemach]. 38 Nun
aber Lydda nahe bei Joppe ist, da die Jünger hörten, dass Petrus dort war,
sandten sie zwei Männer zu ihm und ermahnten ihn, dass er sich’s nicht ließe
verdrießen, zu ihnen zu kommen. 39 Petrus aber stand auf und kam mit ihnen. Und
als er hingekommen war, führten sie ihn hinauf auf den Söller, und traten um
ihn alle Witwen, weinten und zeigten ihm die Röcke und Kleider, welche die ‚Gazelle‘
machte, als sie bei ihnen war. 40 Und da Petrus sie alle hinausgetrieben hatte,
kniete er nieder, betete und wandte sich zu dem Leichnam und sprach: Tabea,
stehe auf! Und sie tat ihre Augen auf; und da sie Petrus sah, setzte sie sich
wieder. 41 Er aber gab ihr die Hand und richtete sie auf und rief die Heiligen
und die Witwen und stellte sie lebendig dar. 42 Und es ward kund durch ganz Joppe,
und viele wurden gläubig an den HERRN. 43 Und es geschah, dass er lange Zeit zu
Joppe blieb bei einem Simon, der ein Gerber war.
Petrus in Lydda (V. 32-35): Es
scheint die Gewohnheit der Apostel gewesen zu sein, neue Abschnitte des Feldes,
die erschlossen wurden, neue Gemeinden, die gegründet wurden, zu besuchen.
Petrus und Johannes hatten dies in Samaria getan, Paulus folgte bei seiner
Missionsarbeit demselben Brauch, und hier finden wir Petrus, der durch alle
Viertel reist, durch die Teile der Provinzen, in denen in letzter Zeit
Gemeinden gegründet worden waren. Das Ziel war offensichtlich, die Einheit des
Geistes durch das Band des Friedens herzustellen und zu bewahren. So kam Petrus
auch zu den Heiligen, zu den Gliedern der Gemeinde, in und um Lydda, dem alten Lod, Neh. 7,37, etwa zwei Drittel der Strecke zwischen
Jerusalem und Joppe, im schönen Tal von Scharon, etwa drei Stunden von der
Küste entfernt. Hier in Lydda fand Petrus einen Mann, der offenbar nicht zur
Gemeinde gehörte, aber zweifellos von ihrer Arbeit gehört hatte, einen Griechen
oder hellenistischen Juden namens Aeneas. Er war gelähmt und hatte acht Jahre
lang gelitten, war bettlägerig und konnte sich nicht selbst helfen. Beachten
Sie, wie sorgfältig und genau Lukas als Arzt die Krankheit beschreibt. Petrus
sprach nur ein paar Worte zu diesem Mann und sagte ihm, dass Jesus Christus ihn
geheilt habe. Gleichzeitig befahl er ihm, aufzustehen und sich selbst ein Bett
zu machen, was ihm seine gelähmten Glieder seit Jahren nicht mehr erlaubt
hatten. Das Wunder der Heilung geschah augenblicklich. Jesus, der erhabene
Christus, der jetzt zur Rechten Gottes sitzt, ist seiner Gemeinde überall nahe,
auch in allen körperlichen Nöten. Das Wunder war so offensichtlich, dass seine
Wirkung deutlich war. Nicht nur die Menschen in und um Lydda, sondern auch die
Bewohner des großen Tals oder der Ebene von Scharon, die sich mit ihren fruchtbaren
Feldern nach Norden bis zum Berg Karmel erstreckte,
sahen den geheilten Mann, und es folgte eine allgemeine Bekehrung zum
christlichen Glauben, wie ihn Petrus und die Gemeinde in Lydda verkündeten. Die
Menschen waren davon überzeugt, dass der Anspruch Jesu als Messias begründet
sein musste, wenn sogar seine Diener solch mächtige Taten vollbringen konnten.
Das Wunder in Joppe (V. 36-43): Petrus
blieb wohl noch einige Zeit in Lydda, um die Jünger zu bestätigen und die
Gemeinde aufzubauen. Doch plötzlich wurde er in ein Trauerhaus in Joppe, der
Hafenstadt von Jerusalem, gerufen. In dieser Stadt lebte eine Jüngerin, deren
aramäischer Name Tabitha (Glanz, Schönheit) war, den Lukas in der griechischen
Form Dorcas (Gazelle) wiedergibt. Sie könnte unter
beiden Namen bekannt gewesen sein. Die Verkündigung des Evangeliums,
wahrscheinlich durch die Bemühungen von Philippus, der durch dieses Land
reiste, Kap. 8,40, hatte bei dieser Frau eine wunderbare Wirkung gezeigt. Sie
war voll und reich an guten Werken und an Taten der Barmherzigkeit, am
Almosengeben, das sie praktizierte. Sie zeugte von der Kraft des Evangeliums,
das in ihrem Herzen lebte, und die Liebe zu Christus und zu ihrem Nächsten
brach immer wieder hervor. Aber diese gute Frau erkrankte um diese Zeit und
starb, und die Leute, die ihre Güte erlebt und genossen hatten, trafen die
ersten Vorbereitungen für ihr Begräbnis, indem sie sie wuschen und im oberen
Raum des Hauses aufbahrten. In der Zwischenzeit war einem Freund zu Ohren
gekommen, dass Petrus sich dem allgemeinen Bericht zufolge in Lydda aufhielt,
und die Jünger von Joppe beschlossen, zwei Männer zu ihm zu schicken mit der
ernsten Bitte: Zögere nicht, zu uns zu kommen. Die Dringlichkeit der
Angelegenheit sollte hervorgehoben werden. Ob die Jünger einen konkreten Plan
für die wahrscheinliche Wiedererweckung von Dorcas
hatten oder ob sie einfach die Anwesenheit von Petrus wünschten, um sie in
ihrem Kummer zu trösten, wird nicht gesagt. Jedenfalls verlor Petrus keine
Zeit, sie zu begleiten, und sie hatten etwa drei Stunden Zeit, die Situation
mit ihm zu besprechen, während sie nach Joppe zurückreisten. Als Petrus ankam,
brachten sie ihn sofort in den oberen Raum, wo die verstorbene Schwester lag.
Wenn etwas getan werden sollte, war Eile geboten, denn das Klima machte eine
rasche Beerdigung notwendig. Wie bei solchen Gelegenheiten üblich, drängten
sich alle Witwen, die von Dorcas irgendeine Wohltat
erhalten hatten, um Petrus, weinten bitterlich und zeigten ihm die Unterkleider
oder Kleider und die Mäntel, die Dorcas zu Lebzeiten
für sie angefertigt hatte. Solche Werke der Nächstenliebe, obwohl sie
gewöhnlich vor den Augen der Menschen verborgen sind, werden vor Gott hoch
geschätzt. Die einfachen Werke des christlichen Dienstes, die in aller Einfalt
des Herzens getan werden, die Sorge für den Haushalt, das Nähen, das Flicken,
das Kochen und die kleinen Hilfen, die man den Nächsten erweist, werden, wenn
sie aus Liebe zu Christus getan werden, bei Gott als Lohn für Verdienste an
seinem Tag aufgezeichnet. Petrus entfernte zunächst all diese Menschen aus dem
Raum; er wollte ganz allein mit seinem himmlischen Vater und seinem Herrn Jesus
Christus im Gebet sein. Er warf sich auf die Knie und legte die Angelegenheit
im Gebet vor Gott, dann wandte er sich an den toten Körper und befahl: „Tabitha,
steh auf!“ Und durch die Kraft des Herrn wurde das Wunder vollbracht. Die Frau,
die tot war, öffnete ihre Augen und setzte sich auf, als sie Petrus sah. Und er
half ihr auf die Beine, rief die Mitglieder der Gemeinde und besonders die
Witwen, die so tief betrübt waren, und stellte sie lebendig vor. Jesus
Christus, der Fürst des Lebens, der Aeneas wieder gesund gemacht hatte, rief
auch diese Frau ins Leben zurück, damit sie ihre Werke der Barmherzigkeit für
sie fortsetzen konnte. Leben und Tod aller Christen liegen in der Hand ihres
Herrn. Das Wunder verbreitete sich bald in der ganzen Stadt, und viele glaubten
an den Herrn. Die Kraft, die nötig war, um einen Toten wieder zum Leben zu
erwecken, beeindruckte sie, und das Evangelium gewann ihre Herzen für Jesus.
Petrus blieb noch einige Zeit in Joppe, und seine Anwesenheit zu dieser Zeit
war ein besonderer Glücksfall. Ein Mann namens Simon, von Beruf Gerber, war
sein Gastgeber. Dieser Beruf war bei den Juden allgemein verhasst, aber Petrus
lernte schnell, die alten Vorurteile abzulegen und allen Menschen zu dienen,
allen alles zu werden.
Zusammenfassung: Saulus, der auf
dem Weg nach Damaskus ist, um die Jünger zu verfolgen, wird durch eine
Erscheinung des Herrn zu sich gerufen und beginnt seine Arbeit, für Jesus
Zeugnis abzulegen, während Petrus auf seinen Missionsreisen einen Gelähmten in
Lydda heilt und eine tote Frau in Joppa wieder zum Leben erweckt.
(zu Apg. 10,1-8)
Paulus, der große Heidenmissionar, wurde in
Tarsus geboren, der alten, berühmten Hauptstadt Ziliziens
in Kleinasien, am Fluss Cydnus, zwölf Meilen vom Meer
entfernt, inmitten einer fruchtbaren Ebene (Apg
22,3). Die Stadt war sowohl für ihre Kultur als auch für ihre Gelehrsamkeit
bekannt; ein Historiker stellt sie in dieser Hinsicht sogar über Athen und
Alexandria. In dieser Stadt der griechischen Gelehrsamkeit erwarb der Junge,
der selbst Sohn eines Pharisäers und somit strenger Jude war, Kenntnisse der
griechischen Sprache und der Sitten und Gebräuche der Griechen, die ihm im
späteren Leben von großem Nutzen waren. Nebenbei sei bemerkt, dass die
Einwohner von Tarsus, die sich zur Zeit Julius Cäsars den Römern gegenüber
freundlich gezeigt hatten, lediglich die Privilegien römischer Bürger erhielten
(oder Paulus' Vater könnte das Recht als Belohnung für seine Verdienste
erhalten haben), und aus diesem Grund nahm Paulus, der von Geburt an römischer
Bürger war, bei verschiedenen Gelegenheiten die Rechte eines solchen Bürgers in
Anspruch und erwarb sich damit einen großen Verdienst um die Sache, für die er
sich einsetzte. Paulus war rein jüdischer Abstammung, ein Hebräer der Hebräer,
aus dem Stamm Benjamin, und stammte von frommen Vorfahren ab, Phil. 3,4.5; 2.
Tim. 1,3. Die Unterweisung im Gesetz des Mose, die er zu Hause und in der
örtlichen Synagoge erhielt, war so gründlich wie die jedes jüdischen Jungen in
Palästina.
Nach jüdischem Brauch war eine gewisse Form
der handwerklichen Ausbildung ein notwendiger Teil der Erziehung eines jeden
Jungen. Auch der junge Saulus erlernte einen Beruf, nämlich den des Zeltmachers
(Apg. 18,3; 20,34). Das Ziegenhaar, das für die Herstellung von groben
Gewändern und Zelttüchern verwendet wurde, wurde in den Bergen Kilikiens in
großen Mengen produziert, weshalb das fertige Tuch den Namen cilicium erhielt. Dieser Handel war für Paulus in einigen
der dunklen Tage der Nachkriegszeit von großem Nutzen, Apg. 18,3; 20,34; 1.
Thess. 2,9. Sobald der kleine Saulus für die große Schule der Juden in
Jerusalem reif war, wurde er von seinem Vater dorthin geschickt und so zu den
Füßen von Gamaliel, einem der gelehrtesten Doktoren
der Juden, erzogen, dessen Klugheit und Gelassenheit ihn unter den Mitgliedern
des Sanhedrins auffällig machte, Apg. 22,3. Er war in der Religion der Juden
weiter fortgeschritten als viele seiner Zeitgenossen, da er die Überlieferungen
der Väter noch eifriger pflegte, Gal. 1,14. Er erfüllte die Forderungen des
jüdischen Gesetzes und aller Überlieferungen der Ältesten mit aller Strenge, so
dass er sich in späteren Jahren auf diejenigen berufen konnte, die wussten,
dass er das Leben eines strengen Pharisäers geführt hatte, Apg. 26,4.5; Phil.
3,6.
Sehr wahrscheinlich verließ Saulus.
Jerusalem, bevor Johannes der Täufer sein Werk begann, und war während der
Jahre des Wirkens Christi abwesend; denn es gibt in den Schriften des Paulus
keinen Hinweis auf eine persönliche Kenntnis der Ereignisse im Leben Jesu. Es
scheint, dass er etwa zu der Zeit nach Jerusalem zurückkehrte, als Stephanus
seine Debatten im Interesse der christlichen Religion begann, und an mindestens
einer dieser Diskussionen als Mitglied der Synagoge von Kilikien teilnahm. Das
spätere Leben des Paulus wird weitgehend in der Apostelgeschichte und in seinen
Briefen beschrieben, und die wahrscheinlichen Fakten über seine letzten Jahre
werden im Zusammenhang mit einigen seiner letzten Briefe erörtert.
Hauptmann
Cornelius (10,1-48)
1 Es war aber ein Mann
zu Cäsarea mit Namen Cornelius, ein Hauptmann von der Schar, die da heißt die
italische, 2 gottselig und gottesfürchtig samt seinem ganzen Haus und gab dem
Volk viel Almosen und betete immer zu Gott. 3 Der sah in einer Vision offenbar
um die neunte Stunde am Tag einen Engel Gottes zu ihm eingehen, der sprach zu
ihm: Cornelius! 4 Er aber sah ihn an, erschrak und sprach: HERR, was ist’s? Er
aber sprach zu ihm: Dein Gebet und deine Almosen sind hinaufgekommen ins
Gedächtnis vor Gott. 5 Und nun sende Männer nach Joppe und lass fordern Simon
mit dem Zunamen Petrus, 6 welcher ist zur Herberge bei einem Gerber Simon, des
Haus am Meer liegt; der wird dir sagen, was du tun sollst. 7 Und da der Engel,
der mit Cornelius redete, hinweggegangen war, rief er zwei seiner Hausknechte
und einen gottesfürchtigen Kriegsknecht von denen, die auf ihn warteten, 8 und
erzählte es ihnen alles und sandte sie nach Joppe. 3
9 Am nächsten Tag, da
diese auf dem Wege waren und nahe zur Stadt kamen, stieg Petrus hinauf auf den
Söller [Obergemach], zu beten, um die sechste Stunde. 10 Und als er hungrig
wurde, wollte er essen. Da sie ihm aber zubereiteten, wurde er entzückt 11 und
sah den Himmel aufgetan und herniederfahren zu ihm ein Gefäß wie ein großes
leinenes Tuch, an vier Zipfeln gebunden, und es wurde niedergelassen auf die
Erde. 12 Darin waren allerlei vierfüßige Tiere der Erde und wilde Tiere und
Gewürm und Vögel des Himmels. 13 Und geschah eine Stimme zu ihm: Stehe auf,
Petrus, schlachte und iss! 14 Petrus aber sprach: O nein, HERR; denn ich habe
noch nie etwas Gemeines oder Unreines gegessen. 15 Und die Stimme sprach zum
zweiten Mal zu ihm: Was Gott gereinigt hat, das mache du nicht gemein. 16 Und
das geschah dreimal; und das Gefäß wurde wieder aufgenommen zum Himmel.
17 Als aber Petrus sich
in sich selbst bekümmerte, was das Gesicht wäre, das er gesehen hatte, siehe,
da fragten die Männer, von Cornelius gesandt, nach dem Hause Simons und standen
an der Tür, 18 riefen und forschten, ob Simon mit dem Zunamen Petrus allda zur
Herberge wäre. 19 Indem aber Petrus sich besinnt über die Vision, sprach der
Geist zu ihm: Siehe, drei Männer suchen dich. 20 Aber stehe auf, steige hinab
und zieh mit ihnen und zweifle nichts; denn ich habe sie gesandt. 21 Da stieg
Petrus hinab zu den Männern, die von Cornelius zu ihm gesandt waren, und
sprach: Siehe, ich bin’s, den ihr sucht; was ist die Sache, darum ihr hier
seid? 22 Sie aber sprachen: Cornelius, der Hauptmann, ein frommer und
gottesfürchtiger Mann und guten Gerüchts bei dem ganzen Volk der Juden, hat
einen Befehl empfangen vom heiligen Engel, dass er dich sollte fordern lassen
in sein Haus und Worte von dir hören. 23 Da rief er sie hinein und herbergte
sie.
Am nächsten Tag zog
Petrus aus mit ihnen, und etliche Brüder von Joppe gingen mit ihm. 24 Und am
folgenden Tag kamen sie nach Cäsarea. Cornelius aber wartete auf sie und rief
zusammen seine Verwandten und Freunde. 25 Und als Petrus hineinkam, ging ihm
Cornelius entgegen und fiel zu seinen Füßen und betete ihn an. 26 Petrus aber
richtete ihn auf und sprach: Stehe auf; ich bin auch ein Mensch. 27 Und als er
sich mit ihm besprochen hatte, ging er hinein und fand viele, die
zusammengekommen waren. 28 Und er sprach zu ihnen: Ihr wisst, wie es ein
ungewohntes Ding ist einem jüdischen Mann, sich zu tun oder zu kommen zu einem
Fremdling; aber Gott hat mir gezeigt, keinen Menschen gemein oder unrein zu
heißen. 29 Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich wurde hergefordert. So
frage ich euch nun, warum ihr mich habt lassen fordern.
30 Cornelius sprach: Ich
habe vier Tage gefastet bis an diese Stunde, und um die neunte Stunde betete
ich in meinem Hause. Und siehe, da trat ein Mann vor mich in einem hellen
Kleide 31 und sprach: Cornelius, dein Gebet ist erhört, und deiner Almosen ist
gedacht worden vor Gott. 32 So sende nun nach Joppe und lass herrufen einen
Simon mit dem Zunamen Petrus, welcher ist zur Herberge in dem Haus des Gerbers
Simon an dem Meer; der wird dir, wenn er kommt, sagen. 33 Da sandte ich von Stund’ an zu dir. Und du hast wohlgetan, dass du gekommen
bist. Nun sind wir alle hier gegenwärtig vor Gott, zu hören alles, was dir von
Gott befohlen ist.
34 Petrus aber tat
seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich mit der Wahrheit, dass Gott die
Person nicht ansieht, 35 sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht
tut, der ist ihm angenehm. 36 Ihr wisst wohl von der Predigt, die Gott zu den
Kindern Israel gesandt hat, und verkündigen lassen den Frieden durch Jesus
Christus (welcher ist ein HERR über alles), 37 die durchs ganze jüdische Land
geschehen ist und angefangen in Galiläa nach der Taufe, die Johannes predigte:
38 Wie Gott diesen Jesus von Nazareth gesalbt hat mit dem Heiligen Geist und
Kraft; der umhergezogen ist und hat wohlgetan und gesund gemacht alle, die vom
Teufel überwältigt waren; denn Gott war mit ihm.
39 Und wir sind Zeugen
alles des, was er getan hat im jüdischen Land und zu Jerusalem. Den haben sie
getötet und an ein Holz gehängt. 40 Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und
ihn lassen offenbar werden, 41 nicht allem Volk, sondern uns, den vorerwählten
Zeugen von Gott, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er
auferstanden ist von den Toten. 42 Und er hat uns geboten, zu predigen dem Volk
und zu zeugen, dass er ist verordnet von Gott ein Richter der Lebendigen und
der Toten. 43 Von diesem zeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle,
die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.
44 Da Petrus noch diese
Worte redete, fiel der Heilige Geist auf alle, die dem Wort zuhörten. 45 Und
die Gläubigen aus der Beschneidung, die mit Petrus kommen waren, entsetzten
sich, dass auch auf die Heiden die Gabe des Heiligen Geistes ausgegossen wurde.
46 Denn sie hörten, dass sie mit Zungen redeten und Gott hoch priesen. Da
antwortete Petrus: 47 Mag auch jemand das Wasser wehren, dass diese nicht
getauft werden, die den Heiligen Geist empfangen haben gleichwie auch wir? 48
Und befahl, sie zu taufen in dem Namen des HERRN. Da baten sie ihn, dass er
etliche Tage dabliebe.
Die Vision [das Gesicht] des Cornelius
(V. 1-8): Während Saulus in seiner Stadt Tarsus auf die Zeit wartete, in der
der Herr ihm ein bestimmtes Werk unter den Heiden zuweisen würde, oder, wie
manche meinen, das Evangelium in die Provinz Zilizien brachte, rührte Gott
selbst die Herzen einiger weniger Menschen außerhalb der auserwählten Nation.
In Cäsarea am Meer, der Residenz der römischen Statthalter von Judäa, lebte ein
Mann namens Kornelius. Dieser Mann war von Geburt an ein Heide, wie sein
lateinischer Name vermuten lässt. Sein offizielles Amt war das eines Zenturio
der sogenannten italischen Kohorte, des zehnten Teils einer römischen Legion,
die in Cäsarea stationiert war. Die italischen Kohorten setzten sich aus
freiwilligen römischen Bürgern zusammen, die in Italien geboren waren, und es
ist historisch belegt, dass sie in mehreren östlichen Provinzen bestanden.
Kornelius war nicht nur gut und großzügig, sondern auch fromm, ein
gottesfürchtiger Proselyt, ein Mann, der mit seiner Familie und wahrscheinlich
auch mit seinen Dienern den wahren Gott kennengelernt hatte, ähnlich wie der
Hauptmann von Kafarnaum, Matth. 8,5. Von den Juden,
unter denen er so viele Jahre gelebt hatte, hatte Kornelius von dem kommenden
Messias gehört, durch dessen Kommen und Wirken ihm die wahre Gerechtigkeit vor
Gott zuteil werden sollte: Dieser Glaube hatte sein
Herz ergriffen und gab durch seine vielen Almosen und seine ständigen Gebete zu
Gott genügend Zeugnis davon.[36]
Kornelius war also nicht nur ein aufrechter, ehrbarer Mann von Welt, sondern
ein Gläubiger an den Messias, dessen Kommen er jedoch, wie viele der frommen
Juden, in die Zukunft verlegte, nicht wissend, dass alle Prophezeiungen in und
durch Jesus von Nazareth erfüllt worden waren. Aber der Herr kannte den Zustand
seines Herzens und beschloss, ihm und seinem ganzen Haus die volle Offenbarung
des Neuen Testaments zu geben. Dementsprechend arrangierte Gott es so, dass
Kornelius um die neunte Stunde des Tages, um die Zeit des Abendopfers im
Tempel, eine der Stunden des Gebets, in einer Vision deutlich, offenkundig,
klar, eine Täuschung unmöglich machend, einen Engel des Herrn mit einer
Botschaft zu ihm kommen sah. Der himmlische Bote rief ihn zunächst beim Namen,
was an sich schon eine Auszeichnung ist, Jes. 43,1. Aber Kornelius wich
instinktiv zurück, wie es sündige Menschen in der Gegenwart eines sündlosen
Wesens zu tun pflegen. Seine Augen waren auf den Engel gerichtet, und er war
von Furcht erfüllt, als er sagte: „Was ist das, Herr?“, denn er erkannte den
Boten Gottes. Doch die ruhigen Worte des Engels beruhigten ihn. Seine Gebete
waren von Gott erhört worden, und seine Werke der Barmherzigkeit waren Gott
bekannt geworden; sie wurden ihm im Gedächtnis des Herrn gutgeschrieben. Die Augen
Gottes schauen immer auf diejenigen, die ihn fürchten, deren Herzen ihm im
Glauben vertrauen und deren Hände bereit sind, ihm zu dienen. Er erhört ihre
Gebete und gedenkt all ihrer Werke. Der Engel sagte nun zu Kornelius, er solle
einige Männer als seine Boten nach Joppe schicken, um einen Simon zu holen, der
sich von anderen Männern gleichen Namens durch seinen Nachnamen Petrus
unterscheidet. Er wohnte bei Simon, dem Gerber, der in der Nähe des Meeres
wohnte, also außerhalb der Stadt, weil er dort sein Geschäft hatte. Dieser
Petrus war in der Lage und bereit, ihm die Informationen zu geben, die er zu
diesem Zeitpunkt benötigte. Denn obwohl Kornelius nach alttestamentlichen
Maßstäben ein wahrer Gläubiger war, vgl. Joh. 1,47, aber es fehlte ihm das
Wissen über den erschienenen Messias, und das sollte Petrus liefern. Anmerkung:
Obwohl der Engel dem Kornelius das Evangelium voll verständlich machen hätte
können, beauftragt der Herr ihn nicht damit, sondern verweist den Hauptmann an
einen seiner Heilsprediger. Durch sein heiliges Wort, das durch den Mund von
Menschen verkündet wird, ruft Gott die Menschen zur Rettung.[37]
Kaum hatte der Engel seine Botschaft überbracht, als Kornelius den Befehl, den
er erhalten hatte, auch schon umsetzte. Obwohl es schon spät am Nachmittag war,
rief er zwei seiner Hausangestellten und einen Soldaten herbei, der wie er
selbst fromm und gottesfürchtig war und zu der kleinen Wache gehörte, der er
uneingeschränkt vertrauen konnte, weil sie ihm treu ergeben war. Diesen drei
Boten erklärte Kornelius die ganze Angelegenheit in aller Vertraulichkeit,
wobei er ihnen nichts vorenthielt, was zum Verständnis der Situation beitragen
könnte, und schickte sie dann nach Joppe, das fast genau südlich von Cäsarea
lag, etwa dreißig Meilen entfernt. Anmerkung: Das hier geschilderte Verhältnis
zwischen Kornelius und denjenigen, die bei ihm angestellt waren und unter
seiner Gerichtsbarkeit standen, könnte allen Arbeitgebern und Dienern
gleichermaßen als Beispiel dienen. Wenn solche Bedingungen gegenseitigen
Respekts und Vertrauens, die auf der Furcht vor demselben Gott beruhen,
herrschen, wird es kaum ein Problem mit den Dienern oder eine Unzufriedenheit
mit der Arbeit geben.
Die Vision des Petrus (V. 9-16): Die
Reise von Cäsarea nach Joppe dürfte etwa neun bis zehn Stunden gedauert haben,
so dass die drei Boten gegen Mittag des nächsten Tages in der Nähe der
südlichen Hafenstadt ankamen. In der Zwischenzeit war es jedoch notwendig, dass
der Herr Petrus auf den bevorstehenden Besuch vorbereitete, damit er bei dem
Gedanken, bei einem Heiden zu Gast zu sein, nicht entsetzt zurückwich. Während
die Männer also ihre Reise fortsetzten und sich um die Mittagszeit der Stadt
Joppa näherten, stieg Petrus auf das Flachdach des Hauses, in dem er wohnte, um
zu beten, denn dies war eine der Gebetsstunden, die von den frommen Juden
eingehalten wurden. Doch während er diesen Gottesdienst verrichtete, wurde er
sehr hungrig und hatte ein ungewöhnliches Verlangen nach Essen, weshalb er
vorhatte, zu Mittag zu essen, was er den Bewohnern des Hauses wahrscheinlich
auch sofort mitteilte. Doch während sie unten das Essen vorbereiteten, geriet
Petrus in Trance, in einen Zustand der Ekstase. Nicht, dass er bewusstlos
gewesen wäre, aber sein Verstand und sein Geist waren vom gewöhnlichen Denken
und Fühlen losgelöst, und er war in der Lage, Dinge zu hören und zu sehen, die
ein normaler Mensch nicht hätte wahrnehmen können. In diesem Zustand sah er,
wie sich der Himmel öffnete und aus der Öffnung ein Gefäß herabkam, das wie ein
großes Tuch geformt war, dessen vier Enden oder Ecken zusammengebunden waren,
um den Inhalt zusammenzuhalten und das Herablassen zu ermöglichen. In dem
Gefäß, das so vor den vergeistigten Augen des Petrus gehalten wurde, befanden
sich alle Arten von vierfüßigen Tieren und Reptilien und Vögeln, die Unreinen
mit den Reinen in einer zusammengewürfelten Masse vermischt, ohne Rücksicht auf
die levitische Trennung oder Unterscheidung. Vgl. 3. Mose 11,9; 5. Mose 14,9.
Und in diesem Augenblick kam eine Stimme zu ihm, die ihn aufforderte,
aufzustehen, zu schlachten und zu essen. Aber der ungestüme Petrus, der noch an
der Tradition der gesetzlichen Unterscheidung der tierischen Nahrung festhielt,
wies die Aufforderung mit großem Nachdruck zurück: Auf keinen Fall, Herr, denn
ich habe noch nie etwas Gewöhnliches oder Unreines gegessen. Auf den ersten
Blick mag er die ganze Vision als eine Versuchung zum Bösen angesehen haben.
Aber die Stimme wies ihn zurecht, indem sie ihn ein zweites Mal ansprach: Was
Gott rein gemacht hat, sollst du nicht entweihen. Indem er sie Petrus opferte,
hatte Gott das levitische Gebot aufgehoben und die zuvor als unrein geltenden
Tiere gereinigt. Dreimal ließ der Herr diese Vision erscheinen, dreimal wurde
das Gefäß vor Petrus gehalten, dreimal kam die Einladung an ihn, bevor das
Gefäß schließlich wieder in den Himmel aufgenommen wurde. Mit dieser Vision
machte Gott deutlich, dass die Schranke zwischen Juden und Heiden nun
aufgehoben war, dass auch die Heiden in das Reich Gottes und Christi
aufgenommen werden sollten. Diese Lektion ist auch heute noch notwendig, wo
Rassenvorurteile manchmal ernsthaft drohen, die Missionsbemühungen zu
behindern.
Die Ankunft der Boten (V. 17-23a): Die
Vision, die Gott Petrus geschickt hatte, beunruhigte und verwirrte ihn, sie
machte ihn unruhig und unsicher, was er nun tun sollte. Die allgemeine Richtung
der beabsichtigten Mitteilung nahm er wahr, aber ihre Anwendung war ihm nicht
klar. Bedeutete sie nur die Abschaffung des zeremoniellen Teils der
alttestamentlichen Offenbarung, oder war noch mehr als das enthalten? Und auf
welchen besonderen Fall hatte der Herr Bezug genommen? Aber diese Zweifel und
Verwirrungen wurden schnell beseitigt, denn inzwischen hatten die Boten des
Kornelius die Stadt erreicht; sie hatten sich nach dem Ort des Hauses
erkundigt, zu dem sie geführt werden sollten; sie hatten den richtigen Ort
gefunden und standen jetzt vor dem Tor unten. Der gewölbte Durchgang, der in
orientalischen Häusern von der Straße in den Innenhof führte, war von außen
durch ein schweres Klapptor mit einer kleinen Pforte
verschlossen, die von einem Pförtner bewacht wurde. An dieser Pforte standen
die Boten und riefen entweder dem Pförtner oder einigen anderen Dienern zu, die
sich erkundigten, ob Simon, der mit Nachnamen Petrus hieß, dort untergebracht
sei. Petrus, der von all diesem Aufruhr nichts wusste, wurde durch den Geist
darüber informiert. Während er noch über die Vision nachdachte und versuchte,
die Absicht Gottes klar zu erkennen, sagte ihm der Geist, dass die Männer ihn
suchten, und forderte ihn auf, aufzustehen, hinabzusteigen und mit den Männern
die Reise anzutreten, ohne jeden Zweifel und ohne zu zögern, da er, Gott
selbst, die Männer gesandt habe. Hier hatte Petrus die Lösung für die
rätselhafte Frage. Er sollte nicht vor dem Gedanken zurückschrecken, die
Fremden zu begleiten, sondern bereitwillig und gern mitgehen. Petrus wusste
immer noch nicht, welche besondere Botschaft die Männer brachten, aber er
folgte dem Befehl des Geistes. Er ging zu den Männern hinunter, die anscheinend
immer noch am Tor oder auf der Durchfahrt standen, teilte ihnen seine Identität
mit und erkundigte sich nach dem Grund ihrer Anwesenheit. Und die drei treuen
Boten nutzten das Vertrauen, das ihr Herr ihnen entgegenbrachte, und zeigten
nebenbei ihre Liebe und Achtung für Kornelius. Sie bezeichnen ihn als einen
gerechten Mann, der in seinen Beziehungen zu seinen Mitmenschen nach jüdischen
Maßstäben untadelig ist, und auch als einen gottesfürchtigen Mann, der den Gott
der Juden angenommen hat und nicht mehr auf Götzen vertraut. Außerdem hatte er
einen guten Ruf, war beim ganzen Volk der Juden gut angesehen; alle Menschen
schätzten seine Rechtschaffenheit sehr. Von diesem Meister wird berichtet, dass
er von Gott gewarnt worden war, dass er von einem heiligen Engel als Bote des
Herrn eine Botschaft erhalten hatte, Petrus in sein Haus zu holen, um Worte von
ihm zu hören. „Indem er diese Botschaft, die im Auftrag eines ‚heiligen Engels‘
gesandt wurde, mit er Vision und dem Befehl des Geistes, mit den Männern zu
gehen, verband, ohne zu zweifeln, sah Petrus nun in einem Augenblick, dass er
durch göttliche Autorität, durch den Engel, durch die Vision, durch den Geist,
dazu berufen war, das zu tun, was er zuvor immer für sündhaft gehalten hatte,
nämlich in das Haus eines Heiden zu gehen und zu ihm das Wort des Herrn zu
sprechen. Nichts Geringeres als ein unmissverständlicher göttlicher Ruf hätte
ihn dazu bewegen können; aber jetzt hat er keine andere Wahl, wenn er Gott
nicht widerstehen will.“[38]
Die erste Folge dieser klaren Einsicht in die Situation war, dass Petrus die
Boten einlud, sie zu seinen Gästen machte und ihnen eine angemessene Unterkunft
bot. Petrus verstand nun, dass Gott nicht nur der Gott der Juden, sondern auch
der Heiden ist, denn er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur
Erkenntnis der Wahrheit kommen. In der ganzen Geschichte ist die Hand des Herrn
offensichtlich. Und so liegt der gesamte Lebensweg eines jeden Menschen in der
Hand Gottes, alle Umstände sind von Gott geordnet, auch die so genannten
Zufallsereignisse. Und Gott beweist immer wieder aufs Neue, dass er will, dass
die Menschen dem Wort nahe kommen, und dass er das Wort den Menschen nahe
bringen will.
Das Zusammentreffen von Petrus und
Cornelius (V. 23b-29): Petrus konnte Joppe nicht sofort verlassen, vor
allem weil er wollte, dass einige Brüder aus Joppe ihn auf dieser Reise
begleiteten. Aber am nächsten Morgen brachen die Boten mit Petrus auf, und
einige Mitglieder der Gemeinde in Joppe gingen mit ihnen. Da sie nicht ganz so
schnell unterwegs waren wie die Diener mit dem Soldaten, waren sie den ganzen
Tag unterwegs und erreichten Cäsarea erst am nächsten Morgen. Aber Kornelius,
der sich in militärischen Dingen auskannte, hatte sich sehr genau ausgerechnet,
wann er sie erwarten konnte. Er rechnete fest damit, dass sie an diesem Morgen
eintreffen würden, und hatte deshalb seine Verwandten und vertrauten Freunde
zusammengerufen, auf deren Diskretion er sich verlassen konnte und die
wahrscheinlich in Bezug auf die Verehrung des wahren Gottes mit ihm einer
Meinung waren. Die Gemütsverfassung, in der sich Kornelius an diesem Morgen
befand, lässt sich an seinem Verhalten ablesen, als Petrus schließlich sein
Haus betrat. Zweifellos ging er von der Vorstellung aus, dass der Diener und
Bote des Herrn, dessen Kommen von einem Engel gelenkt wurde, außerordentlicher
Verehrung würdig sein müsse, ging Petrus entgegen und fiel zu seinen Füßen
nieder, um ihn anzubeten und Gott in ihm zu ehren. Aber Petrus wollte nichts
von dieser Anbetung wissen. Er hob Kornelius auf seine Füße, wobei er ihn sanft
ermahnte, aufzustehen, da er selbst nur ein Mensch sei. Denn wenn er sich schon
weigert, eine solche Anbetung anzunehmen, solange er die an ihn gerichteten
Gebete hören kann, wie viel mehr muss es als töricht und schädlich angesehen
werden, Gebete an ihn zu richten, jetzt, wo er aus der Gegenwart der
christlichen Gemeinde entfernt ist! Unmittelbar nach dieser Begrüßung begannen
die beiden Männer ein Gespräch und traten, während sie sich miteinander
unterhielten, in den inneren Raum, den Vorhof, wo Petrus viele Menschen
versammelt vorfand, die alle in gespannter Erwartung auf die Worte warteten,
die Petrus zu ihnen sprechen sollte. Der Apostel richtete zunächst einige Worte
an die Versammelten, um ihnen die Situation klar zu machen; denn sie waren sich
sehr wohl bewusst, wie „ungesetzlich“, wie sehr im Widerspruch zum Gesetz, wie
es von den Juden verstanden wurde, sein Verhalten sein musste, da er, ein Jude,
hier zu Heiden, Menschen fremder Rasse, kam und sich mit ihnen vermischte, in
irgendeiner Weise mit ihnen intim wurde. Man beachte das Fingerspitzengefühl
des Petrus, der das Wort „von fremder Rasse“ anstelle des schärferen „Heiden“
verwendet. Es gab kein ausdrückliches Verbot eines solchen Verhaltens durch
Mose, aber die Traditionen der Rabbiner trieben den Grundsatz der Trennung auf
ein solches Extrem. Aber Petrus erklärt hier nicht nur, dass Gott es ihm
gesagt, sondern auch deutlich und unmissverständlich gezeigt habe, dass er
nicht von irgendeiner Person sprechen oder sie als gemein und unrein bezeichnen
solle. Die Männer im Haus des Kornelius waren zwar keine Mitglieder der
jüdischen Kirche aufgrund der Beschneidung, aber sie gehörten zu dem Volk, um
dessentwillen der Messias gekommen war, und hatten daher Anspruch auf die
Verkündigung des Evangeliums. In diesem Wissen war Petrus ohne Widerspruch oder
Widerstand zu ihnen gekommen, in einfachem Gehorsam gegenüber dem Wort des
Herrn, als sie nach ihm gerufen hatten. Und nun fragte er, zu welchem Zweck sie
ihn gerufen hatten, was sie damit bezweckten, dass er so weit reisen und vor
ihnen erscheinen sollte.
Die Erklärung des Cornelius (V.
30-33): Zweifellos trat Petrus mit tiefster Ergriffenheit durch die Tür eines
heidnischen Hauses, und Kornelius war nicht minder tief bewegt von der
offensichtlichen Erhörung seines Gebets durch den Herrn und von der Aussicht,
die sich ihm dadurch eröffnete. Die beiden waren wohl übereingekommen, dass es
im Interesse aller Anwesenden am besten wäre, den Zusammenhang der Ereignisse
noch einmal zu wiederholen, damit sich alle darüber im Klaren seien. Cornelius
wiederholt daher die Geschichte der Ereignisse, die zum jetzigen Zeitpunkt
geführt haben: dass er vor vier Tagen, am vierten Tag zuvor, um die neunte
Stunde in seinem Haus gebetet habe; dass ein Mann in einem leuchtenden Gewand
vor ihm gestanden habe, seine bescheidene Beschreibung des Engels, der ihm
erschienen sei; dass dieser Bote ihm mitgeteilt habe, dass sein Gebet erhört
worden sei und dass er an seine Almosen vor Gott gedacht habe (sowohl seine
Gebete als auch seine Almosen seien Opfer gewesen, durch die er sich selbst in
Gottes Gedächtnis gebracht habe); dass er ihm befohlen hatte, nach Joppe zu
senden und von dort Simon mit dem Beinamen Petrus zu rufen, der im Haus eines
Simon, eines Gerbers, am Meer wohnte; dass dieser Petrus, nachdem er gekommen
war, zu ihm sprechen und ihm eine sehr wichtige Botschaft überbringen würde.
Alle diese Worte des Kornelius, die ein sehr anschauliches Bild vermitteln,
waren sowohl an seine Verwandten und Freunde als auch an Petrus gerichtet. Doch
nun wendet er sich an den Apostel mit einer charakteristischen, demütigen und
schönen Aussage: Alsbald, sofort, ohne Verzug habe ich zu dir gesandt, und du
hast gut daran getan, zu kommen; nun sind wir alle hier vor Gott versammelt, um
alles zu hören, was du im Auftrag des Herrn uns zu verkünden hast. Diese Aussage
ist in zweierlei Hinsicht von großer Bedeutung: Die gesamte Versammlung war
sich der Gegenwart Gottes bewusst, und alle waren davon überzeugt, dass es sich
um eine Botschaft Gottes handelte, die Petrus zu verkünden beauftragt war.
Petrus sprach also sicherlich unter idealen Bedingungen und konnte erwarten,
dass seine Zuhörer mit der nötigen Sorgfalt und Ehrfurcht zuhören würden.
Der erste Teil der Predigt des Petrus
(V. 34-38): Unter solch idealen Bedingungen, mit einer aufmerksamen, begierigen
Zuhörerschaft, muss es ein ungewöhnliches Vergnügen gewesen sein, das
Evangelium zu predigen. Und Petrus machte das Beste aus dieser Gelegenheit.
Feierlich begann er seine Ansprache mit der Feststellung, dass er nun in
Wahrheit verstanden habe, dass Gott nicht auf Menschen Rücksicht nehme, dass er
also nicht auf das Gesicht der Menschen schaue. Das äußere Gesicht, die Gestalt
und die Haltung der Menschen haben keinen Einfluss auf das Urteil des Herrn. In
jeder Nation der Welt ist derjenige, der den Herrn wahrhaftig fürchtet, der
sein Herz in vertrauensvollem Glauben zu ihm gewandt hat und Gerechtigkeit übt,
durch seine gesamte Lebensweise zeigt, dass die Furcht des Herrn ihn in all
seinem Tun leitet, gottgefällig. Diese umfassende Aussage sprengte die
einschränkenden Fesseln des mosaischen Bundes und erwies sich als Grundton der
gesamten Missionsarbeit der Kirche von da an. Der Empfang des von Jesus
Christus verdienten Heils ist nicht mehr von der Nationalität abhängig, sondern
vom Zustand des Herzens. Der Ruf zur Erlösung gilt allen Menschen, unabhängig
von ihrer Hautfarbe, Rasse und Sprache. Nachdem diese große einleitende,
grundlegende Wahrheit gesagt worden war, konnte Petrus zu seinem Lieblingsthema
übergehen, dem Evangelium von Jesus Christus. Er sagte seinen Zuhörern, dass
sie bereits drei Fakten kannten. Sie kannten das Wort, das den Kindern Israels
als Evangelium von Gott gesandt worden war und die gute und herrliche Nachricht
vom Frieden durch Jesus Christus brachte. Letzteren unterscheidet Petrus in
einer Klammer von den gewöhnlichen Propheten und Aposteln, den Dienern des
Wortes, als den Herrn über alles, womit er seine Gottheit erklärt. Sie kannten
außerdem, wie er sagt, die geschichtliche Tatsache, dass das Wort über Jesus
von ihm selbst in seinem prophetischen Dienst bekannt gemacht wurde, beginnend
in Galiläa, nach der Taufe, die Johannes verkündet hatte. Und schließlich
wussten sie von der Person Jesu Christi von Nazareth, dass Gott selbst ihn mit
dem Heiligen Geist und mit Kraft gesalbt hatte, der dann durch das Land zog und
Gutes tat, als Wohltäter der Menschen Wunder vollbrachte und alle heilte, die
vom Teufel unterdrückt waren, als Herr und Meister, vor dem sich die Geister
der Finsternis beugen mussten; denn Gott war mit ihm. Diese Tatsachen, die
seinen Zuhörern ganz oder teilweise bekannt waren, drückt Petrus ihnen als
Tatsachen auf, deren Kenntnis für das Heil notwendig ist. Man beachte, dass
Petrus die Gottheit Jesu auch in der letzten Aussage hervorhebt, die besagt,
dass die beiden unveränderten Naturen in der Person Christi vereint sind.[39]
Der Schlussteil der Predigt des Petrus
(V. 39-43): Zu den Tatsachen, die diese Männer von Cäsarea kannten und die sie
immer etwas distanziert und objektiv, nur die Juden betreffend, betrachtet
hatten, fügt Petrus nun das Gewicht seines persönlichen Zeugnisses hinzu,
zusammen mit dem der anderen Apostel. Sie sind Zeugen all dessen, was Jesus im
Land der Juden, in Palästina im Allgemeinen und in Jerusalem, getan hat; sie
sind auch Zeugen der Tatsache, dass die Juden zu SEINEN Mördern wurden, indem
sie ihn ans Kreuz hängten. Aber diesen Jesus hatte Gott von den Toten
auferweckt und zugelassen, dass er als der lebendige Christus geoffenbart
werden sollte. Aber diese Offenbarung wurde absichtlich nicht dem ganzen Volk
zuteil; das persönliche prophetische Wirken Jesu wurde mit seinem Tod beendet.
Nur jenen Männern wurde der lebendige Christus geoffenbart, jenen Zeugen, die
zuvor ausdrücklich von Gott auserwählt worden waren und die nach seiner
Auferstehung von den Toten mit Christus gegessen und getrunken hatten. Indem
sie zu Aposteln gemacht wurden, wurden diese Männer auch als Zeugen beauftragt,
und sie machten keine willkürlichen, dunklen Behauptungen über etwas, das sie
selbst nur aus zweiter Hand kannten, sondern ihr Zeugnis beruhte auf
persönlicher Erfahrung. Darüber hinaus hatten die Apostel den Auftrag erhalten,
als seine Verkündiger dem ganzen Volk das Evangelium zu verkünden und zu
bezeugen, dass Jesus von Gott zum Richter der Lebenden und der Toten bestimmt
worden ist (Joh 5,22). Petrus hatte nun die Tatsache,
dass Rasse und Nationalität niemanden von den Segnungen Gottes ausschließen,
als grundlegende Wahrheit dargelegt; er hatte seine Zuhörer an die Geschichte
des Evangeliums erinnert, von der sie gehört und die sie unvoreingenommen
betrachtet hatten; er hatte sein persönliches Zeugnis über die großen Tatsachen
des Heilsgeschehens hinzugefügt. Und nun kommt er zum Höhepunkt seiner Predigt,
der Anwendung der soeben verkündeten Wahrheiten auf seine eigenen,
gegenwärtigen Zuhörer, wobei er mit Nachdruck darauf hinweist, dass diese
wunderbare Botschaft nicht auf die Kinder Israels beschränkt war, sondern alle
Anwesenden in höchstem Maße betraf. Denn von Jesus, so rief er aus, haben alle
Propheten Zeugnis abgelegt, dass jeder, der an ihn glaubt, durch seinen Namen
Vergebung der Sünden empfängt. Nur wenn sie die großen Wahrheiten des
Evangeliums als besonders für sie bestimmt annehmen, werden sie des Friedens
und der Freude teilhaftig, die sie für jeden Gläubigen enthalten. Das ist die
Zusammenfassung der Evangeliumsverkündigung. „Er
hätte nicht deutlicher sprechen können, als wenn er sagt: durch seinen Namen,
und hinzufügt: alle, die an ihn glauben. Wir empfangen also Vergebung der
Sünden durch den Namen Christi, das heißt um Christi willen, nicht um unseres
Verdienstes oder unserer Werke willen, und das geschieht, wenn wir glauben,
dass unsere Sünden um Christi willen vergeben sind.“[40]
„Dies will er gepredigt und geglaubt haben in der ganzen Welt, und dadurch alle
Prahlerei der Juden und aller Werkheiligen [selbstgerechten Menschen] beiseite
gestellt, damit sie wissen, dass sie die Gnade Gottes nicht durch das Gesetz
und ihre eigenen Werke empfangen können, sondern nur im Namen dieses Christus
durch den Glauben Vergebung der Sünden empfangen können.“[41]
Die Wirkung der Predigt (V. 44-48): Der
Herr hatte in diesem Fall offensichtlich vor, eine ungewöhnliche Demonstration
seiner Macht zu geben. Denn noch während Petrus die letzten eindrucksvollen
Worte seiner Rede sprach, fiel der Heilige Geist auf alle, die der Verkündigung
des Wortes zuhörten, und erfüllte sie. Zuvor hatten sie an den kommenden
Messias geglaubt, an den Christus, der den Juden die Erlösung bringen sollte;
nun glaubten sie an den Christus, der für sie auf Golgatha gestorben war und
dessen volles Heil für sie erworben worden war. Und der Heilige Geist wurde
ihnen in außerordentlichem Maße verliehen, und zwar in einer Weise, die bei
allen anwesenden Juden, sowohl bei Petrus als auch bei den Mitgliedern der
Gemeinde in Joppe, das größte Erstaunen hervorrief. Hier hatten sie einen
sichtbaren Beweis dafür, dass die Heiden dem Herrn wirklich wohlgefällig waren,
denn der Geist gab ihnen sogar die Gabe der Sprachen und befähigte sie, den
Gott ihres Heils in Sprachen zu loben und zu preisen, die ihnen bis zu diesem
Tag unbekannt gewesen waren. Vgl. Kap. 11,17. Es war kein bloßer ekstatischer
Lobpreis Gottes, von dem Lukas hier berichtet, sondern eine Wiederholung des
Pfingstwunders, wenn auch wahrscheinlich nicht in so großem Ausmaß.41a Petrus jedenfalls war völlig
überzeugt. Er drückte seine Gefühle in der emphatischen rhetorischen Frage aus:
Sicherlich würde niemand der Anwesenden das Wasser zurückhalten wollen, damit
diese Menschen nicht getauft werden! Es könne keinen Grund geben, die Aufnahme
dieser Männer in die christliche Kirche zu verweigern, bei denen der Herr so
deutlich darauf hingewiesen habe, dass auch die Heiden Aufnahme in das Reich
Christi finden sollten. Alle Unterschiede zwischen Juden und Heiden sind durch
den Tod Jesu beseitigt worden. Das volle Heil und alle Gaben des Heiligen
Geistes stehen für die ganze Welt bereit, für alle, die diese Segnungen nur mit
der Hand des Glaubens annehmen wollen. Und so gab Petrus, der in diesem Fall
nicht selbst taufte, nun den Befehl und vertraute die Ausführung wahrscheinlich
dem Evangelisten Philippus an, dessen Wirken sich bis in diese Stadt
erstreckte, dass sie auf den Namen Jesu Christi getauft und so mit allen
himmlischen Segnungen besiegelt werden sollten, die der Erlöser durch das
Wasser der Taufe erworben und sich angeeignet hat. Kein Wunder, dass Kornelius
und seine Freunde nach diesem Erlebnis Petrus inständig baten, noch ein wenig
länger bei ihnen zu bleiben, zumindest einige Tage. Sie waren begierig, mehr
von dem wunderbaren Zeugnis über Jesus, den Retter, zu hören.
Zusammenfassung: Petrus, der von
Kornelius nach Cäsarea gerufen und durch eine besondere Vision vom Himmel auf
den Besuch vorbereitet wurde, predigt den Heiden das Evangelium, die daraufhin
den Heiligen Geist empfangen und sich taufen lassen.
Die Verteidigung
des Petrus gegen judaisierende Brüder (11,1-18)
1 Es kam aber vor die
Apostel und Brüder, die in dem jüdischen Land waren, dass auch die Heiden
hätten Gottes Wort angenommen. 2 Und da Petrus hinaufkam nach Jerusalem,
zankten mit ihm, die aus der Beschneidung waren, 3 und sprachen: Du bist
eingegangen zu den Männern, die Vorhaut haben, und hast mit ihnen gegessen!
4 Petrus aber hob an und
erzählte es ihnen nacheinander her und sprach: 5 Ich war in der Stadt Joppe im
Gebet und war entzückt und sah eine Vision, nämlich ein Gefäß herniederfahren
wie ein großes leinenes Tuch mit vier Zipfeln und niedergelassen vom Himmel,
und kam bis zu mir. 6 Darin sah ich und wurde gewahr und sah vierfüßige Tiere
der Erde und wilde Tiere und Gewürm und Vögel des Himmels. 7 Ich hörte aber
eine Stimme, die sprach zu mir: Stehe auf, Petrus, schlachte und iss! 8 Ich
aber sprach: O nein, HERR; denn es ist nie etwas Gemeines noch Unreines in
meinen Mund gegangen. 9 Aber die Stimme antwortete mir zum zweiten Mal vom
Himmel: Was Gott gereinigt hat, das mache du nicht gemein. 10 Das geschah aber
dreimal; und es wurde alles wieder hinauf zum Himmel gezogen. 11 Und siehe,
gleich darauf standen drei Männer vor dem Haus, darin ich war, gesandt von
Cäsarea zu mir. 12 Der Geist aber sprach zu mir, ich sollte mit ihnen gehen und
nicht zweifeln. Es kamen aber mit mir diese sechs Brüder, und wir gingen in des
Mannes Haus. 13 Und er verkündigte uns, wie er gesehen hätte einen Engel in
seinem Haus stehen, der zu ihm gesprochen hätte: Sende Männer nach Joppe und
lass fordern den Simon mit dem Zunamen Petrus; 14 der wird dir Worte sagen,
dadurch du selig werdest und dein ganzes Haus. 15 Indem aber ich anfing zu
reden, fiel der Heilige Geist auf sie gleichwie auf uns am ersten Anfang.
16 Da dachte ich an das
Wort des HERRN, als er sagte: Johannes hat mit Wasser getauft; ihr aber sollt
mit dem Heiligen Geist getauft werden. 17 So nun Gott ihnen gleiche Gaben
gegeben hat wie auch uns, die da glauben an den HERRN Jesus Christus, wer war
ich, dass ich könnte Gott wehren? 18 Da sie das hörten, schwiegen sie still und
lobten Gott und sprachen: So hat Gott auch den Heiden Buße gegeben zum Leben!
Die Anschuldigung gegen Petrus (V.
1-3): Aus dem gesamten Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte geht hervor,
dass sich die Inspiration der Apostel nur auf ihr Lehramt bezog und dass sie
ansonsten keine außergewöhnliche Durchdringungs- und Aufklärungsgabe besaßen.
So wussten die Apostel zusammen mit den anderen Mitgliedern der Gemeinde in
Jerusalem nichts von Saulus‘ Sinneswandel und misstrauten ihm deshalb, Kap.
9,26. Und hier litten die Apostel ebenso wie die Brüder in Judäa unter dem
Handicap eines törichten und lieblosen Vorurteils. Es wurde ihnen berichtet,
dass die Heiden durch den Dienst des Petrus das Wort des Herrn empfangen
hatten. Das löste bei ihnen nicht freudiges Erstaunen, sondern ernste Besorgnis
aus. Als Petrus also nach Jerusalem hinaufkam und aus der Ebene von Cäsarea und
der Ebene von Scharon zurückkehrte, stritten die Beschneider, nicht die Juden
im Unterschied zu den Heiden, sondern die streng judaisierenden Christen
Jerusalems, wahrscheinlich solche, die Priester gewesen waren oder zu den
Pharisäern gehört hatten, Sie warfen ihm vor, er sei gleichberechtigt und
vertraut in das Haus von Unbeschnittenen, von Heiden, eingetreten und habe
sogar mit ihnen gegessen, womit sie andeuten wollten, dass er leicht von
Speisen hätte essen können, die für Juden unrein waren, und sich so
verunreinigt hätte. Dass das Evangelium auch den Heiden gepredigt werden
sollte, dass solche, die nicht dem Volk der Juden angehörten, in das Reich des
Messias aufgenommen werden sollten, war gegen alle Gepflogenheiten und Gefühle
der Judenchristen. Die Tatsache, dass die Propheten nicht nur einmal, sondern
oft vom Eintritt der Heiden in das Reich Christi geweissagt hatten, Jes. 60,3;
49,6, scheint ihnen entgangen zu sein; sie hatten diese Stellen nicht richtig
verstanden, sie mussten es erst nach und nach lernen. Merke: Es gibt viele
Verse, Stellen und Abschnitte in der Heiligen Schrift, die auch gläubige
Christen nicht auf Anhieb erfassen und verstehen können. Auch nach der Annahme
Christi schreitet die Erleuchtung nur sehr langsam voran. Wenn die Christen
aber weiter suchen, wird Gott sie Schritt für Schritt immer tiefer in die
Erkenntnis der Wahrheit führen. Und so werden auch solche Stellen, die beim
ersten Lesen anstößig sind, allmählich ihren richtigen Platz in der Gesamtheit
der Bibel erhalten. Nur müssen wir alle Teile der Offenbarung Gottes in den
Dienst der einen großen Tatsache stellen, der Rechtfertigung aller Sünder durch
den Glauben an Christus Jesus, dann werden sich die Anordnung und die relative
Bedeutung der verschiedenen Teile der Schrift wie von selbst ergeben.
Die Erzählung der Ereignisse durch
Petrus (V. 4-15): Anstatt sich mit geschickt formulierten Argumenten zu
verteidigen, hält es Petrus für das Beste, die Tatsachen für sich selbst
sprechen zu lassen, weshalb er sie in Form einer einfachen Aufzählung
wiedergibt und sie den Kritikern der Reihe nach vorstellt, so wie sie sich
zugetragen haben und wie sie in Kapitel 10 erzählt wurden. Petrus erzählt ihnen
zunächst von der besonderen Vision, die er in Joppe hatte, als er sich in einem
Zustand der Ekstase befand, als das Gefäß in Form eines großen, an den vier
Ecken zusammengebundenen Tuches aus dem Himmel herabgelassen wurde. Er betont,
dass er sehr genau hingesehen habe und dass es sich nicht um eine Illusion
gehandelt habe. Er habe in dem Gefäß sicherlich verschiedene Vierbeiner und
Tiere und Reptilien der Erde und Vögel des Himmels gesehen. Er hatte deutlich
die Stimme gehört, die ihm befahl, aufzustehen, zu schlachten und zu essen. Er
hatte sich mit Nachdruck dagegen gewehrt, weil er das Gebot über unreine
Speisen immer streng beachtet hatte. Aber die Stimme hatte zum zweiten Mal
geklungen und ihm gesagt, er solle das, was Gott selbst gereinigt habe, nicht
als gemein ansehen. Dreimal war das Gleiche geschehen, bevor das Gefäß wieder
in den Himmel hinaufgezogen worden war. Und siehe da, in diesem Augenblick
standen unten drei Männer, die aus Cäsarea gesandt worden waren, um ihn zu
holen, und der Heilige Geist hatte ihm gesagt, er solle ohne Zweifel und Zögern
mit ihnen gehen. Sie waren dann mit ihm gegangen, und auch Brüder aus Joppe,
deren Zahl Petrus hier mit sechs angibt; diese sechs, die mit ihm nach
Jerusalem zurückgekehrt waren, konnten seine Worte bekräftigen. Sie waren in
das Haus des Mannes eingetreten, der die Boten gesandt hatte, und dieser hatte ihnen
berichtet, dass er einen Engel gesehen hatte, der in seinem Haus stand und zu
ihm sprach. Dem Befehl dieses Engels folgte er, indem er nach Joppe schickte
und Simon mit dem Nachnamen Petrus holen ließ, der zu ihm Worte sprechen
sollte, durch die er und sein Haus gerettet würden. Diese letzten Worte, die in
den anderen Berichten nicht vorkommen, nehmen eine Zusammenfassung der Rede des
Petrus vorweg, in der er der Versammlung die Erfüllung der alttestamentlichen
Prophezeiungen und der neutestamentlichen Predigt in Christus, dem Retter aller
Menschen, vor Augen führt. Petrus berichtet schließlich von der Wirkung, die
seine Worte auf seine Zuhörer hatten. Bevor er seine Rede beendet und alles
gesagt hatte, was er zu diesem Thema, das unerschöpflich ist, hätte sagen
können, war der Heilige Geist auf die Heiden in der gleichen Weise
herabgefallen, wie er am Anfang auf sie selbst eingewirkt hatte. Das Argument
des Petrus war also, dass er, nachdem er die Vision gesehen, die Stimme gehört
und den Befehl des Geistes erhalten hatte, mit den Männern zu gehen, nicht
anders handeln konnte, als zu gehorchen und in das Haus des Heiden in Cäsarea
zu gehen. Und die Tatsache, dass der Heilige Geist auf diese Heiden ausgegossen
worden war, war ein weiterer Beweis für die Annahme der Heiden durch den Herrn.
Die Schlussfolgerung des Petrus (V.
16-18): Petrus selbst hatte, wie er hier seine Kritiker daran erinnert,
ernsthafte Zweifel an der ganzen Angelegenheit gehabt; aber die Abfolge der
Ereignisse konnte nicht das Ergebnis eines zufälligen Ereignisses gewesen sein.
Und seine letzten Zweifel wurden ausgeräumt, als er auf dem großen Höhepunkt
das Wirken des Heiligen Geistes genau so sah, wie er es selbst am großen
Pfingstfest erlebt hatte. Er hatte sich an das Wort des Herrn erinnert, an den
Spruch, in dem er die Verheißung gegeben hatte: Johannes hat zwar mit Wasser
getauft, ihr aber werdet mit dem Heiligen Geist getauft werden, Kap. 1,5.
Petrus beschränkt diese Verheißung nicht selbstsüchtig auf den inneren Kreis
der Jünger, auch nicht auf die Juden allein, sondern will sie jetzt überall
dort gelten lassen, wo sie nachweislich Anwendung findet. Da Gott ihnen nun
dieselbe Gabe gab, die er den Aposteln gegeben hatte, und zwar nicht aufgrund
der Beschneidung oder Unbeschnittenheit, sondern
aufgrund des Glaubens an den Herrn Jesus Christus, wer war Petrus und wie hätte
er die Kraft aufbringen können, Gott zu behindern? Wie hätte er Gott
widerstehen können, selbst wenn er in seinen Skrupeln und Zweifeln verharrt
hätte? Es ist der lebendige Gott, der seine christliche Kirche lenkt und leitet
und den Weg zeigt, auf dem seine Diener wandeln sollen. Er selbst bahnt seinem
Wort einen Weg, damit es wachsen und reichlich Frucht bringen kann. Und diese
Tatsache mussten die Christen in Jerusalem nun anerkennen. Sie schwiegen, sie
waren ruhig und zufrieden; sie hatten keine Einwände mehr vorzubringen.
Vielmehr sahen sie sich gezwungen, Gott im Bekenntnis ununterbrochen Ehre und
Lob zu geben: So hat Gott also auch den Heiden die Buße zum Leben geschenkt. So
zogen die Kritiker nicht nur stillschweigend alles zurück, was sie Petrus
vorgeworfen hatten, sondern verkündeten auch mit Begeisterung das Lob Gottes.
Sie waren sofort zufrieden und fuhren fort, Gott zu danken und ihn zu loben.
Die Umkehr, gefolgt vom Glauben an Christus, ist der Weg zum ewigen Leben, dem
freien Geschenk Gottes. Und alle Christen werden sich zu Recht freuen, wenn
Gott vielen Sündern die Umkehr zum Leben schenkt. Es ist bedauerlich, dass
dieser glückliche Zustand nicht anhielt, Kap. 15,5.
Die Errichtung der
Gemeinde in Antiochia
(11,19-30)
19 Die aber zerstreut
waren in der Trübsal, so sich über Stephanus erhob, gingen umher bis nach
Phönizien und Zypern und Antiochien und redeten das Wort zu niemand als allein
zu den Juden. 20 Es waren aber etliche unter ihnen, Männer von Zypern und
Kyrene, die kamen nach Antiochia und redeten auch zu den Griechen und predigten
das Evangelium vom HERRN Jesus. 21 Und die Hand des HERRN war mit ihnen, und
eine große Zahl wurde gläubig und bekehrte sich zu dem HERRN.
22 Es kam aber diese
Rede von ihnen vor die Ohren der Gemeinde zu Jerusalem; und sie sandten
Barnabas, dass er hinginge bis nach Antiochia, 23 welcher, da er hinkommen war
und sah die Gnade Gottes, wurde er froh und ermahnte sie alle, dass sie mit
festem Herzen an dem HERRN bleiben wollten. 24 Denn er war ein frommer Mann,
voll Heiligen Geistes und Glaubens. Und es wurde ein großes Volk dem HERRN
zugetan. 25 Barnabas aber zog aus nach Tarsus, Saulus wieder zu suchen. 26 Und
da er ihn fand, führte er ihn nach Antiochia. Und sie blieben bei der Gemeinde
ein ganzes Jahr und lehrten viel Volk; daher die Jünger am ersten zu Antiochia
Christen genannt wurden.
27 In denselben Tagen
kamen Propheten von Jerusalem nach Antiochia. 28 Und einer unter ihnen, mit
Namen Agabus, stand auf und deutete durch den Geist
eine große Teuerung, die da kommen sollte über den ganzen Kreis der Erde,
welche geschah unter dem Kaiser Claudius. 29 Aber unter den Jüngern beschloss
ein jeglicher, nachdem er vermochte, zu
senden eine Handreichung den Brüdern, die in Judäa wohnten; 30 wie sie
denn auch taten und schickten’s zu den Ältesten durch
die Hand Barnabas und Saulus.
Die Gründung der Gemeinde (V.
19-21): Lukas bezieht sich hier noch einmal auf die Zerstreuung der Jünger, die
auf die Hinrichtung des Stephanus folgte, Kap. 8,1. Sie waren zerstreut wegen
der Bedrängnis der Verfolgung, die um Stephanus herum stattfand und in die die
Mitglieder der Gemeinde im Allgemeinen verwickelt waren. Einige der Jünger
zogen damals durch das Land nach Phönizien, dem Land nördlich von Galiläa am
Mittelmeer, dessen alte Hauptstädte Tyrus und Sidon
gewesen waren. Andere setzten auf die Insel Zypern über, die im östlichen Teil
des Mittelmeers liegt. Wieder andere reisten bis nach Antiochia, einer Stadt in
Nordsyrien, am Orontes. Sie war eine schöne Stadt und durch ihren Hafen Seleucia ein wichtiges Handelszentrum, berühmt für ihre
Kunst und Literatur, aber berüchtigt für ihren Luxus und die damit verbundenen
Laster. „Das warme Klima veranlasste die Einheimischen zum maßlosen Genuss von
Ruhe und Üppigkeit, und die lebhafte Zügellosigkeit der Griechen vermischte
sich mit der ererbten Sanftheit der Syrer. Die Mode war das einzige Gesetz, das
Vergnügen das einzige Streben, und die Pracht von Kleidung und Möbeln war die
einzige Auszeichnung für die Bürger von Antiochia. Die Künste des Luxus wurden
geehrt; die ernsten und männlichen Tugenden waren Gegenstand des Spottes; und
die Verachtung der weiblichen Bescheidenheit und des ehrwürdigen Alters kündete
von der allgemeinen Verderbnis der Hauptstadt des Ostens.“[42]
Als die Jünger diese verschiedenen Länder und ihre Städte besuchten,
beschränkten sie ihre Predigten zunächst auf die Juden. Sie alle litten unter
demselben Vorurteil wie die Gläubigen in Jerusalem. Einige dieser Männer
stammten jedoch von der Insel Zypern und aus der nordafrikanischen Provinz Cyrenaica. Als hellenistische Juden waren sie von Anfang an
liberaler in ihren Ansichten und in ihrer Praxis als die Juden in Judäa. Diese
Männer machten es sich daher zur Aufgabe und Gewohnheit, auch zu den Griechen,
den Heiden von Antiochia, das Wort zu sprechen und das herrliche Evangelium von
Jesus Christus zu verkünden. Dies entsprach der richtigen Auffassung von der
Universalität der christlichen Religion. Das Werk des Petrus in Cäsarea hatte
den Weg geebnet, aber das Werk in Antiochia war das erste energische Eindringen
der Streitkräfte des Herrn in die heidnische Welt. Der Herr gab sofort ein
Zeichen seiner völligen Billigung und Zufriedenheit, denn seine Hand war mit
diesen Männern, seine Kraft begleitete ihre Bemühungen, und eine große Zahl der
Griechen wandte sich durch den Glauben dem Herrn zu. Anmerkung: Das Evangelium
von Jesus Christus ist das Mittel, um den Glauben in den Herzen der Menschen zu
entfachen. Durch das Evangelium wird der Glaube geweckt; jeder, der glaubt,
wird dadurch bekehrt. Aber es ist die Hand, die Kraft des Herrn, die durch die
Verkündigung des Wortes Buße und Glauben bewirkt, auch wenn dies durch den Mund
gewöhnlicher Jünger geschieht, Männer und Frauen, die die Überzeugung ihres Herzens
bekennen.
Barnabas in Antiochia und Tarsus (V.
22-26): Jerusalem, der Hauptsitz der Apostel, galt immer noch als die
Hauptstadt der Christenheit. Aber die Verkündigung der Einheit des Glaubens,
soweit sie die Gläubigen in Samaria betraf, war bereits erfolgt, Kap. 8,14-17.
Als daher die Nachricht Jerusalem erreichte und der Gemeinde zur Kenntnis
gebracht wurde, beauftragten die Brüder Barnabas förmlich, nach Antiochia hinabzureisen. Wenn der Bericht auf Tatsachen beruhte,
sollte er auch in dieser großen Metropole brüderliche Beziehungen zu den Jüngern
aufbauen. Barnabas machte die Reise, kam am Ziel seiner Reise an und wurde mehr
als belohnt. Er sah die Gnade Gottes; die vielen Beweise für das Wirken der
Gnade Gottes auf allen Seiten überzeugten ihn voll und ganz; er konnte nicht
anders, als diese Tatsache mit großer Freude und Dankbarkeit anzuerkennen. Und
als wahrer Sohn des Trostes und der Ermahnung ermutigte und ermahnte er alle
Brüder, unerschütterlich beim Herrn zu bleiben und sich mit voller Hingabe des
Herzens an ihn zu hängen. Die Wohltaten und Segnungen des Glaubens werden nur
dem zuteil, der in seinem Glauben standhaft bleibt. Und das ist einer der
Zwecke des Evangeliums, die Gläubigen in ihrem Glauben zu halten. Diese Predigt
und Ermahnung des Barnabas machte um so mehr
Eindruck, als er selbst ein guter Mensch war, voll des Heiligen Geistes und des
Glaubens. Seine Predigt und Ermahnung war nicht wie eine auswendig gelernte
Lektion, sondern sie entsprang der Tiefe seiner Glaubensüberzeugung und der
Kraft des Heiligen Geistes, der in ihm lebte. Es ist nicht unbedingt notwendig
für die Verkündigung des Wortes, aber es ist nicht ohne Einfluss auf die Kraft
und Lebendigkeit der Darstellung, dass der Prediger die volle Überzeugung von
der Wahrheit der Heiligen Schrift und den großen Tatsachen des Evangeliums hat.
In Antiochia war die Wirkung unmittelbar und wundervoll: eine große
Menschenmenge wurde dem Herrn zugewandt. Da die Gründung der Gemeinde nun
gesichert war und das Werk täglich an Umfang zunahm, dachte Barnabas an seinen
Freund Saulus, der sich nur wenige Kilometer von Antiochia entfernt in Tarsus
befand und der, wie Barnabas wusste, für die Arbeit unter den Heiden bestimmt
war. Barnabas reiste also über das Meer nach Tarsus, um Saulus aufzusuchen, und
als er ihn fand, führte er ihn nach Antiochia. Ein ganzes Jahr lang arbeiteten
die beiden Männer nun gemeinsam in der Gemeinde in Antiochia, die Hunderte und
Tausende von Seelen hatte, die des Heils bedurften. „Die vereinte Arbeit zweier
solcher Männer für ein ganzes Jahr in einer Gemeinde, in der das Evangelium
bereits wohlwollend eingeführt worden war, konnte nicht ohne große Ergebnisse
bleiben; und die endgültigen Ergebnisse überstiegen bei weitem jede Hoffnung,
die sie damals hegen konnten; denn sie errichteten nun sozusagen die zweite Hauptstadt
der christlichen Welt, von der nicht lange danach die fruchtbarsten Missionen
des apostolischen Zeitalters ausgingen.“[43]
Hier in Antiochia kam den Jüngern auch eine große Ehre zu, denn hier wurden sie
zum ersten Mal Christen genannt. Die Heiden nannten die Gläubigen so, weil sie
sich zum Glauben an Christus bekannten. Seitdem ist dies der Name, den die
Gläubigen als die größte Ehre betrachten, die sie tragen können. Vgl. Kap.
26,28; 1. Petr. 4,16.
Barnabas und Saulus werden auf eine Hilfsmission geschickt (V. 27-30): „In diesen Tagen", den Tagen der ersten Liebe, als das Feuer des Eifers für den Herrn und der Liebe zu den Brüdern noch hoch brannte, gab es auch außergewöhnliche Gaben des Geistes in den Versammlungen. Nachdem brüderliche Beziehungen mit der Gemeinde in Jerusalem entstanden waren, kamen aus dieser Stadt einige Propheten nach Antiochia, Männer, die die besondere Gabe erhalten hatten, die Zukunft voraussagen zu können. Einer dieser Propheten, ein Mann namens Agabus, deutete in der Kraft des Geistes an, dass eine große Hungersnot über die ganze Welt kommen würde. Diese Vorhersage erfüllte sich, wie Lukas bemerkt, in der Regierungszeit des Kaisers Claudius. Wie alle namhaften weltlichen Geschichtsschreiber - Sueton, Dion Cassius, Tacitus und auch Eusebius - bezeugen, wurde damals die gesamte zivilisierte Welt, insbesondere die Länder am Mittelmeer, von einer schweren Hungersnot heimgesucht. Doch nun wurde die Liebe Christi, die durch den Glauben in den Christen lebte, offenbar. Jeder der Jünger verpflichtete sich, nach Maßgabe seiner Möglichkeiten, den in Judäa lebenden Glaubensbrüdern Hilfe zukommen zu lassen. Da Antiochia eine wohlhabende Stadt war, ist es wahrscheinlich, dass viele der dort lebenden Christen in der einen oder anderen Form an diesem Wohlstand teilhatten und daher in der Lage waren, den weniger gut gestellten Brüdern materielle Hilfe zu leisten. Als sich also die Notwendigkeit ergab, sandte die Gemeinde in Antiochia den Ältesten in Jerusalem durch Barnabas und Saulus Hilfe, sehr wahrscheinlich in Form von Geld. Zu den Ältesten oder Presbytern gehörten alle Amtsträger der Gemeinde, sowohl diejenigen, die im Wort und in der Lehre tätig waren, als auch diejenigen, die das Werk der Diakone taten. Die Apostel waren außergewöhnliche Lehrer, nicht nur für die Gemeinde in Jerusalem, sondern für die ganze Kirche. Das Beispiel der Christen von Antiochia kann zu allen Zeiten zur Nachahmung dienen. Einzelne Christen und ganze Gemeinden sollten nicht nur ihre eigenen Bedürfnisse im Auge haben, sondern auch auf die der anderen achten und besonders derer gedenken, die ihnen mit geistlichen Gaben und Segnungen bei der Verkündigung des Evangeliums gedient haben.
Zusammenfassung: Petrus erklärt und verteidigt sein Handeln in Cäsarea gegen die Skrupel der jüdischen Kritiker, die Gemeinde in Antiochia wird von einigen der zerstreuten Jünger gegründet und von Barnabas, später mit Hilfe von Saulus, aufgebaut.
Herodes verfolgt
die Gemeinde in Jerusalem und wird von Gott gestraft (12,1-25)
1 Um diese Zeit legte
der König Herodes die Hände an etliche von der Gemeinde, sie zu peinigen. 2 Er
tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert. 3 Und da er sah,
dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und fing Petrus auch. Es waren aber eben
die Tage der süßen Brote. 4 Da er ihn nun griff, legte er ihn ins Gefängnis und
überantwortete ihn vier Vierteilen Kriegsknechten, ihn zu bewahren, und
gedachte, ihn nach Ostern dem Volk vorzustellen. 5 Und Petrus wurde zwar im
Gefängnis gehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott.
6 Und da ihn Herodes
wollte vorstellen, in derselben Nacht schlief Petrus zwischen zwei
Kriegsknechten, gebunden mit zwei Ketten, und die Hüter vor der Tür hüteten das
Gefängnis. 7 Und siehe, der Engel des HERRN kam daher, und ein Licht schien in
dem Gemach; und er schlug Petrus an die Seite und weckte ihn auf und
sprach: Stehe behände auf! Und die
Ketten fielen ihm von seinen Händen. 8 Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich
und tu deine Schuhe an! Und er tat so. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel
um dich und folge mir nach! 9 Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste
nicht, dass ihm wahrhaftig solches geschähe durch den Engel, sondern es dünkte
ihn, er sähe eine Vision. 10 Sie gingen aber durch die erste und zweite Hut und
kamen zu der eisernen Tür, welche zur Stadt führt; die tat sich ihnen von
selber auf. Und sie traten hinaus und gingen hin eine Gasse lang; und gleich
darauf schied der Engel von ihm.
11 Und da Petrus zu sich
selber kam, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der HERR seinen Engel
gesandt hat und mich errettet aus der Hand des Herodes und von allem Warten des
jüdischen Volks. 12 Und als er sich besann, kam er vor das Haus Marias, der
Mutter des Johannes, der mit dem Zunamen Markus hieß, da viele beieinander
waren und beteten. 13 Als aber Petrus an die Tür klopfte des Tores, trat hervor
eine Magd, zu horchen, mit Namen Rhode. 14 Und als sie des Petrus Stimme
erkannte, tat sie das Tor nicht auf vor Freuden, lief aber hinein und
verkündigte es ihnen, Petrus stünde vor dem Tor. 15 Sie aber sprachen zu ihr:
Du bist unsinnig. Sie aber bestand darauf, es wäre so. Sie sprachen: Es ist
sein Engel. 16 Petrus aber klopfte weiter an. Da sie aber auftaten, sahen sie
ihn und entsetzten sich.
17 Er aber winkte ihnen
mit der Hand, zu schweigen, und erzählte ihnen, wie ihn der HERR hätte aus dem
Gefängnis geführt, und sprach: Verkündigt dies Jakobus und den Brüdern. Und
ging hinaus und zog an einen anderen Ort. 18 Da es aber Tag ward, wurde nicht
eine kleine Bekümmernis unter den Kriegsknechten, wie es doch mit Petrus
gegangen wäre. 19 Herodes aber, da er ihn forderte und nicht fand, ließ er die
Hüter rechtfertigen und hieß sie wegführen und zog von Judäa hinab nach Cäsarea
und hielt allda sein Wesen.
20 Denn er gedachte,
gegen die von Tyrus und Sidon zu kriegen. Sie aber
kamen einmütig zu ihm und überredeten des Königs Kämmerer, Blastus,
und baten um Frieden, darum dass ihre Lande sich nähren mussten von des Königs
Land. 21 Aber auf einen bestimmten Tag tat Herodes das königliche Kleid an,
setzte sich auf den Richterstuhl und tat eine Rede zu ihnen. 22 Das Volk aber
rief zu: Das ist Gottes Stimme und nicht eines Menschen! 23 Sogleich schlug ihn
der Engel des HERRN, darum dass er die Ehre nicht Gott gab, und wurde gefressen
von den Würmern und gab den Geist auf. 24 Das Wort Gottes aber wuchs und mehrte
sich. 25 Barnabas aber und Saulus kamen wieder nach Jerusalem und
überantworteten die Handreichung und nahmen mit sich Johannes mit dem Zunamen
Markus.
Jakobus enthauptet, Petrus inhaftiert
(V. 1-5): Zu jener Zeit, als Barnabas und Saulus auf ihre Botschaft der
Nächstenliebe geschickt wurden, sehr wahrscheinlich im Jahr 45 oder Anfang 46
n. Chr. Seit dem Jahr 41 hatte Herodes Agrippa I., ein Enkel von Herodes dem
Großen, das gesamte Land, das zuvor von seinem Großvater regiert worden war,
mit dem Titel eines Königs unter römischer Oberhoheit besetzt. Seine Macht ging
über die eines gewöhnlichen Statthalters hinaus, und er achtete sorgfältig
darauf, sein Ansehen durch eine angemessene Haltung schmeichelhafter
Ehrerbietung gegenüber dem Kaiser zu wahren. Er war durch eine schrittweise
Beförderung zu seinem jetzigen Posten aufgestiegen, nachdem er zunächst die
Tetrarchie des Philippus (Batanea, Trachonitis und Auranitis), wenig
später die Tetrarchie des Lysanias mit dem
Königstitel, bald darauf die Tetrarchie des Herodes Antipas (Galiläa und Peräa) und schließlich Samaria und Judäa erhalten hatte.
Ohne besonderen Anlass, offenbar nur um seine tyrannische Macht zu
demonstrieren, ließ dieser Herodes seine schwere Hand über einige Mitglieder
der Kirche in Jerusalem fahren, um sie schlecht zu behandeln, zu quälen und zu
schikanieren. Als erstes tötete er Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem
Schwert. Lukas verwendet absichtlich kein Wort, um eine Hinrichtung zu
bezeichnen, auch nicht mit einem gewissen Anschein von Recht, sondern er
verwendet das richtige, passende Wort: Mord. Dieser Jakobus der Größere, der
Sohn des Zebedäus, muss von Jakobus dem Kleineren, dem Sohn des Alphäus, unterschieden werden. Die Vorhersage des Herrn, Matth.. 20, 23, hat sich hier erfüllt: Jakobus, der erste
Märtyrer aus den Reihen der Apostel, trank aus dem Kelch des Herrn und wurde
mit seiner Taufe getauft. Diese grausame und völlig ungerechtfertigte Handlung
des Königs muss die Gemeinde in Jerusalem sehr betrübt haben, denn damit wurde
einer der wichtigsten Lehrer der jungen Kirche beseitigt. Die Feuer der
Verfolgung waren bis auf wenige Glutnester erloschen, aber die Tat des Herodes
entfachte sie neu; die Juden, eingefleischte Feinde des Kreuzes, waren erfreut
über die Beseitigung eines Führers der verhassten Sekte; sie fanden, dass die
Tat ganz in ihrem Sinne war. Herodes, der sich seiner pharisäischen Frömmigkeit
rühmte, fügte daher eine zweite ungerechtfertigte Handlung hinzu, nämlich die,
Petrus gefangen zu nehmen, ihn ohne Grund und ohne Anklage zu verhaften,
einfach weil es ihm passte. Da aber gerade zu dieser Zeit das Fest der
ungesäuerten Brote gefeiert wurde, ließ Herodes, der seinen Eifer für die
jüdischen religiösen Bräuche mit allen Mitteln zeigen wollte, Petrus verhaften
und ins Gefängnis werfen, um ihn nach den Tagen des Passahfestes vor dem Volk
anzuklagen. Die Namen des Festes sind hier vertauscht, da sie unterschiedslos
verwendet wurden. Um sicherzugehen, dass sein Opfer nicht entkommen würde, traf
Herodes ungewöhnliche Vorsichtsmaßnahmen und übergab ihn vier Quaternionen von
Soldaten, vier Soldaten für jede der vier Nachtwachen, zur Bewachung.
Wahrscheinlich folgte man dem römischen Brauch, wonach der Gefangene in der
Zelle an zwei Wachen angekettet wurde, während zwei draußen Wache hielten. Da
sich viele Menschen zum Fest in Jerusalem aufhielten, hoffte Herodes, durch
diese Maßnahmen weitere Popularität zu erlangen: vor allem aber durch die
endgültige Verurteilung des Apostels in Anwesenheit des Volkes. Er war sich
nicht bewusst, dass er mit seinem Vorgehen seine schwache Kraft gegen die Macht
des allmächtigen Gottes und des erhöhten Christus stellte, was Lukas durch den
Kontrast deutlich macht: Petrus aber wurde zwar im Gefängnis bewacht, aber die
Gemeinde betete ohne Unterlass für ihn zu Gott. Es ist eine traurige Tatsache,
dass die Macht des Gebetes in unseren Tagen nicht ausreichend wahrgenommen
wird. Wenn die Gemeinden einzeln und gemeinsam das Gebet, das unaufhörliche,
eindringliche Gebet, nutzen würden, wäre der Erfolg vieler Unternehmungen eine
Selbstverständlichkeit. Man beachte, dass das Gebet der Christen für Petrus
gesprochen wurde, sehr wahrscheinlich nicht ausschließlich für seine
Freilassung, obwohl sie wussten, dass dies für den Herrn ein leichtes
Unterfangen war, sondern für Kraft und Stärke, um Verfolgung und Märtyrertod zu
ertragen, wenn es sein muss, um seines Herrn willen.
Die wunderbare Befreiung des Petrus
(V. 6-10): In der Zwischenzeit, während der Tyrann Herodes neue Triumphe
erwartete und die Gemeindemitglieder unablässig für Petrus beteten, ging der
letzte Tag des Festes zu Ende. Noch in derselben Nacht, in der Herodes seinen
Gefangenen dem Volk vorführen wollte, um ihn in dessen Anwesenheit hinrichten
zu lassen, wurden außerordentliche Vorsichtsmaßnahmen getroffen, damit Petrus
nicht entkam. Doch Petrus schien sich wenig Gedanken über die Ereignisse des
nächsten Tages zu machen. Er schlief zwischen zwei zu diesem Zweck abgeordneten
Soldaten, an die er mit zwei Ketten gefesselt war, wahrscheinlich so, dass er
an beiden Händen an jeden der Soldaten gefesselt war, "die beiden Ketten
wurden vielleicht zur größeren Sicherheit wegen der früheren Flucht
verwendet", Kap. 5, 19. Darüber hinaus bewachten Wachen vor den Türen das
Gefängnis, um jeden Befreiungsversuch von außen zu verhindern. Aber der Herr
lässt sich in seinen Plänen nicht durch solch fadenscheinige Vorsichtsmaßnahmen
aufhalten und abhalten. Der Engel des Herrn, dessen Kommen weder Wachen noch
verschlossene Türen verhindern können, erschien plötzlich und stand an der
Seite des Petrus. Nebenbei leuchtete ein Licht in der Zelle, denn das war in
der dichten Dunkelheit des inneren Gefängnisses nötig. Es war notwendig, dass
der Engel Petrus einen kräftigen Schlag auf die Seite versetzte, um ihn aus
seinem tiefen Schlaf zu wecken; denn der Apostel hatte sein Vertrauen für den
kommenden Tag so sehr auf den Herrn gesetzt, dass er in der Stille seines
Hauses so fest ruhte und schlief wie eh und je, Ps. 127,2. Dies wurde dadurch
ermöglicht, dass ihm im selben Augenblick die Ketten von den Händen fielen.
Doch Petrus befand sich noch immer in einem halb träumerischen, benommenen
Zustand und begriff nicht, was geschah, und der Engel musste ihm Anweisungen
geben. Er sollte seinen Gürtel um sein Gewand binden und seine Sandalen
schnüren. Petrus gehorchte automatisch. Er sollte seinen dicken Obermantel
anziehen und ihn um sich werfen, bevor er in die kalte Nacht hinausging. Und
Petrus folgte ihm in der gleichen selbstverständlichen Weise. Beachten Sie die
lebendige Erzählung, die malerische Beschreibung. Petrus folgte nun dem Engel
hinaus, aber sein Verstand war noch nicht klar genug, um zu erkennen, ob das,
was der Bote Gottes an ihm tat, wirklich war; er bildete sich noch ein, eine
Vision zu sehen. Auf diese Weise gingen sie durch die erste Abteilung, in der
die Wachposten stationiert waren, und dann auch durch die zweite, in der die
Wächter des gesamten Gefängnisses Dienst taten. Sie kamen zu dem großen
Eisentor, das in die Stadt führt, schwer und fest genug, um den Weg zu normalen
Zeiten wirksam zu versperren. Doch jetzt öffnete sich das schwere Tor von
selbst und gab ihnen eine breite Öffnung zur Flucht frei. Sie traten hinaus und
gingen eine Straße entlang, bis es keine Hindernisse mehr für die Flucht des
Apostels gab, als der Engel ebenso plötzlich, wie er erschienen war, wieder
verschwand. Es war eine wunderbare Befreiung von Gefängnis und Martyrium, die
der Herr hier seinem Diener gewährte, weil es ihm gefiel, ihn für die
Verbreitung seines Evangeliums zu gebrauchen. Wenn die Pläne des Herrn
ausgeführt werden sollen, wird er die Seinen aus Ketten und Gefängnis und aus
dem Mund des Todes befreien. Das Heer der Engel um die kleine Schar der
Gläubigen schützt sie vor allen Angriffen und Verfolgungen, aber mit der
Erlaubnis des Herrn.
Petrus im Haus der Maria (V. 11-16):
Nach dem Weggang des Engels, dem er bis dahin so benommen gefolgt war, kam
Petrus endlich zu sich, er wurde ganz wach, schüttelte die Lethargie des
Schlafes ab und erlangte wieder den richtigen Gebrauch seiner Sinne. Und nun
erkannte er auch, was der Herr für ihn getan hatte. Jetzt wusste er mit
Sicherheit, dass der Herr seinen Engel gesandt und ihn aus der Hand des Herodes
und aus aller ernsten Erwartung des jüdischen Volkes befreit hatte. Anders war
es nicht zu erklären, dass die schweren Ketten von seinen Armen abgenommen
worden waren, dass der Schlaf der Soldaten an seiner Seite so unnatürlich fest
gewesen war, dass die Wachen der beiden Stationen von Blindheit und Taubheit
befallen waren und dass er hier frei, sicher und gesund stand. Und so stellte
sich Peter die Szene des nächsten Tages vor, die Enttäuschung des Volkes und
den Ärger des Monarchen, dessen Hand und Macht sich als so schwach erwiesen
hatte. Diese Seite der Angelegenheit stellte sich ihm zuerst vor. Aber als er
sich der Situation noch stärker bewusst wurde, kam ihm der Gedanke, dass der
Herr ihm hier einen Hinweis gab. Und so kam ihm der Gedanke, wie er entkommen
könnte, welche Schritte er sofort unternehmen sollte, um sich zu retten. So
lenkte er seine Schritte zum Haus eines der Jünger, Maria, der Mutter des
Johannes, mit dem Nachnamen Markus, wo viele der Brüder und Schwestern als
Gemeinde versammelt und mit dem Gebet beschäftigt waren. Anmerkung: Trotz der
späten Stunde, denn die Nacht war zu diesem Zeitpunkt schon weit
fortgeschritten, wurden die Jünger durch ihre liebevolle Sorge und ehrfürchtige
Achtung vor ihrem Lehrer wachgehalten und wurden nicht müde, für ihn und sein
Wohlergehen zu beten - ein Beispiel, das man sich stets vor Augen halten
sollte. Petrus, der sich wieder voll orientiert hatte, hatte keine
Schwierigkeiten, im Licht des Mondes, der jetzt im letzten Viertel stand, das
Haus der Maria zu finden. Er klopfte an die Schlupftür des Tores, das zum
gewölbten Eingang führte, und eine Magd oder Sklavin namens Rhoda kam, um sein
Klopfen zu beantworten. Doch als sie auf seine Aufforderung hin die Stimme von
Petrus erkannte, war sie fast außer sich vor Freude und vergaß sogar, Petrus
das Tor zu öffnen. In flatterndem Eifer eilte sie zurück ins Haus und
verkündete den versammelten Jüngern, Petrus stehe draußen. Doch ihre
zuversichtliche Botschaft wurde mit einem ungläubigen Ausruf quittiert: Ihr
müsst den Verstand verloren haben. Und als sie mit großer Vehemenz betonte,
dass es wirklich so sei, dass sie sich nicht irren könne, wenn sie die Stimme
erkenne, wollten sie immer noch nicht glauben, sondern erklärten, es müsse sein
Engel sein, Matth. 18,10; Hebr. 1,14. Sie waren der
Meinung, dass der Schutzengel des Petrus seine Gestalt und Stimme angenommen
hatte und vor der Tür stand. In der Zwischenzeit klopfte Petrus weiter an die
Tür, weil er unbedingt von der Straße weg wollte, wo immer die Gefahr bestand,
dass ein zu spät kommender Passant ihn erkennen würde. Schließlich öffneten sie
die Tür, sahen und erkannten ihn und waren sehr erstaunt. Ihre Gebete waren
erhört worden, weit über ihre eigenen Erwartungen hinaus; das Wunder war zu
groß, als dass sie es hätten begreifen können. So ist die Hand des Herrn mit
seinen Dienern, um sie in all ihrem Dienst für ihn zu schützen. Beachten Sie
die freundlichen, vertrauten Beziehungen zwischen der Dienerin Rhoda und den
anderen Mitgliedern des Haushalts. Wenn diese Geschichte sowohl von den Herren
als auch von den Angestellten als Beispiel genommen würde, gäbe es in unseren
Tagen kein Dienerproblem.
Petrus verlässt Jerusalem (V.
17-19): Petrus war nun wieder völlig Herr seiner selbst und der Situation. Er
erkannte, dass jeder Ausbruch von Freude nicht nur die Aufmerksamkeit der
Nachbarschaft auf sich ziehen, sondern auch wertvolle Zeit kosten würde. Also
hob er die Hand in einer Geste, die Schweigen gebot, und erzählte ihnen
schnell, wie der Herr ihn durch seinen Engel auf übernatürliche Weise aus dem
Gefängnis befreit hatte. Dann forderte er sie auf, Jakobus und den anderen
Brüdern von der Wendung der Ereignisse zu berichten. Bei diesem Jakobus
handelte es sich höchstwahrscheinlich nicht um Jakobus, den Sohn des Alphäus, sondern um Jakobus, den Bruder des Herrn, der zur
Zeit des ersten Besuchs des Paulus mit Petrus in Jerusalem verkehrte und unter
den Ältesten der Gemeinde sehr angesehen war, Gal. 1,19; 2,9. Petrus aber ging
auf Gottes deutlichen Rat hin weg und reiste an einen anderen Ort. Seine
Anwesenheit war in Jerusalem nicht mehr erforderlich, aber der Herr brauchte
ihn und seine Dienste anderswo. Als der Morgen anbrach, herrschte unter den
Soldaten große Aufregung und Erregung. Man hatte ihnen einen Gefangenen zur
Bewachung übergeben, sehr wahrscheinlich mit der Anweisung, dass sie am
nächsten Morgen mit ihrem Leben für seine Anwesenheit bürgen mussten, und nun
war der Gefangene verschwunden; sie hatten keine Ahnung, was aus Petrus
geworden war. Natürlich musste der Bericht an den für das Gefängnis zuständigen
Offizier gehen, der wiederum Herodes davon in Kenntnis setzte. Und es kann gut
sein, dass der Tyrann, empört darüber, im letzten Moment überlistet worden zu
sein, persönlich zum Gefängnis kam, um eine gründliche Untersuchung
vorzunehmen. Aber es nützte ihm nichts; er fand Petrus nicht. Und so
untersuchte er nach der mürrischen Art unvernünftiger Tyrannen die Wächter noch
einmal und ordnete dann ihre Hinrichtung an, sehr wahrscheinlich wegen grober
Nachlässigkeit oder wegen Mitwisserschaft bei der Befreiung eines gefährlichen
Gefangenen. Jedenfalls schien Jerusalem für Herodes kein sicherer Ort mehr zu
sein. Ob ihn sein Gewissen plagte oder ob er die vorwurfsvollen und
wahrscheinlich triumphierenden Blicke der jüdischen Führer fürchtete, ist nicht
bekannt. Er verließ das eigentliche Judäa und verbrachte einige Zeit in
Cäsarea. Das Gewissen eines Tyrannen, der sich vorsätzlich ungerechtfertigter
Verbrechen schuldig gemacht hat, gönnt ihm nicht viel Ruhe. Inmitten des Luxus
fühlt er sich unwohl und wird von einem Ort zum anderen getrieben.
Gottes Gericht über Herodes (V. 20-25): Lukas fügt hier ein paar Worte über die Ursache des Todes von Herodes Agrippa I. hinzu, um die Erzählung abzurunden. Herodes war König von Palästina und von allen Provinzen südlich von Syrien, aber Phönizien, das zu Syrien gehörte, war ihm ein Dorn im Auge. Ob es sich nun um einen bloßen Handelskrieg handelte oder um Eifersucht wegen eines anderen Vorteils, den die Seeprovinz genoss, Herodes war in einen heftigen Streit mit ihnen verwickelt, der leicht in einer Art erbittertem Kampf hätte enden können. Aber die Küstenstädte konnten es sich nicht leisten, dass ein solcher Zustand eintrat, da sie ihr Getreide und andere Nahrungsmittel aus Palästina bezogen. Deshalb warteten sie einmütig auf ihn, nachdem sie ihre Abgesandten entsprechend instruiert hatten. Außerdem gelang es ihnen, das Wohlwollen des Blastus, des Kämmerers oder Finanzministers von Herodes, zu gewinnen, indem sie sich seinen guten Willen sicherten, seine guten Dienste für die Erhaltung des Friedens und die Beseitigung der Ursache der Fehde einzusetzen. Es liegt keineswegs außerhalb des Rahmens der Geschichte oder jenseits jeder vernünftigen Möglichkeit, anzunehmen, dass auf Bestechung zurückgegriffen wurde und dass das Wohlwollen des Königs auf diese Weise gewonnen wurde. Herodes war hocherfreut über seinen Erfolg in dieser Angelegenheit, und so empfing er an einem bestimmten Tag die Gesandtschaft der Phönizier, gekleidet in die Pracht all seiner königlichen Gewänder und auf seinem Thron sitzend, von dem aus er eine feierliche Ansprache an die Beauftragten und das versammelte Volk hielt. Und die ganze Menge des Volkes, die wusste, dass Schmeicheleien bei einem Tyrannen das erreichen, was vernünftige Argumente bei einem vernünftigen Menschen erreichen sollten, schrie auf: Die Stimme eines Gottes und nicht die eines Menschen! Anstatt die Schmeichler mit allen Zeichen des Entsetzens zurechtzuweisen, freute sich der Tyrann über ihr Geschrei. Und so traf die Strafe Gottes Herodes alsbald. Ein Engel des Herrn, als Diener des göttlichen Willens, schlug ihn, weil er Gott die Ehre genommen und sich damit der gemeinsten Gotteslästerung schuldig gemacht hatte. Er wurde von heftigen Unterleibsschmerzen geplagt, die dadurch verursacht wurden, dass er von Würmern zerfressen war, verharrte fünf Tage lang in großen Qualen und hauchte dann sein Leben aus. Das war ein sichtbares Gericht Gottes über den Verfolger der Kirche. Und so mancher Tyrann hat seither wegen seiner Gotteslästerung die schwere Hand des Herrn zu spüren bekommen und ein schreckliches Ende gefunden. Doch mit dem Tod des Herodes fiel der Druck auf die Gemeinden überall weg. Das Wort Gottes wuchs, breitete sich aus und vermehrte sich. Die Beseitigung dieses Hindernisses gab der Verkündigung des Evangeliums neuen Auftrieb. Nachdem Barnabas und Saulus ihren Auftrag ausgeführt und ihren Dienst der Barmherzigkeit erfüllt hatten, indem sie das Geld, das ihnen für die Leidenden anvertraut worden war, mit dem aufrichtigen Segen der Gemeinde in Antiochia weiterleiteten, kehrten sie aus Jerusalem zurück und nahmen Johannes mit dem Beinamen Markus mit. Er begleitete sie auf dieser Reise zurück nach Antiochia und erhielt nebenbei eine Ausbildung in der eigentlichen Predigttätigkeit, die für einen jungen Mann, der als Prediger in den Dienst des Herrn treten will, immer von Wert ist.
Zusammenfassung: Herodes lässt Jakobus enthaupten und Petrus einkerkern, wobei letzterer von einem Engel des Herrn befreit wird, während der König von Gott geschlagen wird; daraufhin beginnt für die Kirche wieder eine Zeit der Blüte.
Paulus und
Barnabas auf der Insel Zypern (13,1-12)
1 Es waren aber zu
Antiochien in der Gemeinde Propheten und Lehrer, nämlich Barnabas und Simon,
genannt Niger, und Lucius von Kyrene und Manahen, mit
Herodes, dem Vierfürsten, erzogen, und Saulus. 2 Da sie aber dem HERRN dienten
und fasteten, sprach der Heilige Geist: Sondert mir aus Barnabas und Saulus zu
dem Werk, dazu ich sie berufen habe. 3 Da fasteten sie und beteten und legten
die Hände auf sie und ließen sie gehen.
4 Und wie sie ausgesandt
waren vom Heiligen Geist, kamen sie gen Seleucia, und
von dannen schifften sie nach Zypern. 5 Und da sie in die Stadt Salamis kamen,
verkündigten sie das Wort Gottes in der Juden Synagogen; sie hatten aber auch
Johannes zum Diener. 6 Und da sie die Insel durchzogen bis zu der Stadt Paphos,
fanden sie einen Zauberer und falschen Propheten, einen Juden, der hieß
Bar–Jehu. 7 Der war bei Sergius Paulus dem Landvogt, einem verständigen Mann.
Dieser rief zu sich Barnabas und Saulus und begehrte, das Wort Gottes zu hören.
8 Da widerstand ihnen
der Zauberer Elymas (denn also wird sein Name
gedeutet) und trachtete, dass er den Landvogt vom Glauben wendete. 9 Saulus
aber, der auch Paulus heißt, voll Heiligen Geistes, sah ihn an 10 und sprach: O
du Kind des Teufels, voll aller List und aller Schalkheit und Feind aller
Gerechtigkeit! Du hörst nicht auf, abzuwenden die rechten Wege des HERRN. 11
Und nun siehe, die Hand des HERRN kommt über dich, und sollst blind sein und
die Sonne eine Zeitlang nicht sehen. Und sogleich fiel auf ihn Dunkelheit und
Finsternis; und ging umher und suchte Handleiter. 12 Als der Landvogt die
Geschichte sah, glaubte er und verwunderte sich der Lehre des HERRN.
Barnabas und Saulus als Missionare
ausgesandt (V. 1-3): Lukas beginnt hier den zweiten großen Teil seiner
Apostelgeschichte. Nachdem er die Geschichte der Gründung der Kirche erzählt
hat, folgt nun ein biographischer Bericht über das missionarische Wirken des
Paulus und über seine Gefangenschaft in Cäsarea und Rom. In der örtlichen
Gemeinde in Antiochia gab es als wichtige und einflussreiche Mitglieder einige
Propheten und Lehrer, Männer, denen der Geist die Macht gegeben hatte, den
Schleier der Zukunft zu lüften, wann immer er es wollte, und Männer, die die
Gabe der Lehre in einem ungewöhnlichen Maß besaßen. Bei einigen von ihnen, wie
bei Paulus, mögen beide Gaben vereint gewesen sein, Gal. 2,2; 2. Kor. 12,1. Ob
diese Männer tatsächlich zu den Presbytern der Gemeinde gehörten oder nicht,
ist unerheblich; jedenfalls hatten sie unter den Brüdern in der Gemeinde eine
ehrenvolle und wichtige Stellung. Aus dem Text scheint fast zu folgen, dass die
ersten drei sich besonders durch ihre prophetische Fähigkeit auszeichneten, die
beiden letzten durch ihre Gabe der Lehre. Barnabas wird zuerst genannt, als der
Mann, dem die Gemeinde wirklich ihre solide Gründung verdankt, dann Simeon mit
dem Beinamen Niger, dann Lucius von Kyrene, wahrscheinlich einer der Jünger, die
zuerst in Antiochia gepredigt haben, Kap. 11,20. In der zweiten Gruppe wird Manaen genannt, ein Mann mit einigem Einfluss, der die Ehre
genoss, mit Herodes Antipas, wie manche meinen, seinem Ziehbruder, aufgewachsen
und gemeinsam mit ihm erzogen worden zu sein, und schließlich Saulus. Die
Reihenfolge, in der sie genannt werden, zeigt die relative Bedeutung, die ihnen
zugemessen wird, wie es in der sorgfältigen Schrift des Lukas üblich ist.
Während diese Männer dem Herrn im Dienst des Wortes, in der Lehre und im Gebet
des öffentlichen Gottesdienstes dienten und auch den Brauch des Fastens
einhielten, den sie von den jüdischen Vorschriften übernommen hatten, aber
wahrscheinlich nicht am selben Tag einhielten, sondern Mittwoch und Freitag
statt Montag und Donnerstag wählten, gab ihnen der Heilige Geist einen Auftrag.
Entweder in einer Vision oder durch direkte prophetische Mitteilung an den
einen oder anderen dieser Männer befahl er, Barnabas und Saulus von nun an
beiseite zu stellen, in eine Klasse für sich zu stellen, um das Werk zu
verrichten, zu dem er sie berufen hatte. Nicht nur Saulus, sondern auch
Barnabas war also vom Herrn für ein besonderes Werk im Interesse seines
Reiches, für die Verkündigung des Evangeliums unter den Heiden, ausgewählt
worden. Nachdem der Wille Gottes so offenbart worden war, hielt die Gemeinde
einen feierlichen Ordinationsgottesdienst ab. Nachdem sie in Vorbereitung auf
dieses Ereignis gefastet hatten, beteten sie gemeinsam inständig, dass Gott die
beiden auserwählten Diener in ihrer Arbeit segnen und fördern möge, und legten
ihnen dann zum Zeichen des Segens und der offiziellen Einsetzung die Hände auf.
Auf diese Weise wurden sie für das Amt oder den Dienst, für den der Herr sie
bestimmt hatte, ausgesondert oder delegiert. Anmerkung: Bei ähnlichen
Gelegenheiten, auch in unseren Tagen, wenn ein Mann für den Dienst am Wort
ausgesondert wird oder wenn ein Pastor in ein neues Gebiet berufen wird, ist es
durchaus angemessen und Gott wohlgefällig, wenn die an der Bewegung Beteiligten
durch ihre Pastoren oder kirchlichen Amtsträger ihnen die Hände auflegen, und
der Brauch, zu fasten und dies zu einem feierlichen Anlass zu machen, ist
keineswegs zu verachten. Nach dieser Zeremonie wurden die beiden Missionare von
der Gemeinde weggeschickt und entlassen. Sie gingen als Delegierte der Kirche,
als Vertreter der ganzen Gemeinde, hinaus, um den Heiden das Evangelium zu
verkünden. Diese Tatsache wird in unseren Tagen oft aus den Augen verloren, und
folglich ist das Verantwortungsgefühl für die Missionen der Kirche nicht so
ausgeprägt, wie es sein könnte und sollte. In dieser Hinsicht gibt es viel
Verbesserungsbedarf.
Auf der Insel Zypern (V. 4-7): Barnabas
und Saulus waren vom Heiligen Geist ausgesandt, ihre sichtbare Trennung hatte
vor und im Namen der Gemeinde stattgefunden, aber sie waren durch eine
besondere Offenbarung des Geistes bestimmt worden, und deshalb ging der Ruf vom
Geist aus und wurde lediglich durch die Gemeinde und ihre Amtsträger
weitergegeben. Mit dieser Gewissheit im Hinterkopf können die Missionare
unserer Tage, nachdem sie den Ruf des Herrn durch die Gemeinde oder ihre
Vertreter erhalten haben, ebenso fröhlich und zuversichtlich zu ihrem Dienst
aufbrechen wie die beiden Männer, die Antiochia in Syrien zu Beginn jenes
ereignisreichen Jahres 46 n. Chr. verließen und zunächst nach Seleucia, dem Hafen von Antiochia, der an der Mündung des
Orontes lag, zur Insel Zypern reisten. Sie überquerten den Arm des Mittelmeers,
eine Entfernung von etwa sechzig Meilen, und landeten in Salamis, einem Hafen
an der südöstlichen Küste. Johannes Markus begleitete sie als Diener, als
jüngerer Bruder, der ihnen bei der kirchlichen Arbeit behilflich sein konnte
und gleichzeitig in den Genuss ihrer Unterweisung kam. In Salamis trafen die
beiden Missionare sofort Vorkehrungen, um das Wort Gottes in den Synagogen der
Juden zu verkünden. So hielten sie sich an die Regel: erst die Juden, dann die
Griechen. Auf diese Weise durchquerten sie langsam die gesamte Insel, die zu
dieser Zeit dicht besiedelt war. Bis zum westlichen Ende der Insel, zur
Hauptstadt Paphos, waren es einige hundert Meilen, wo sich ein berühmtes
Heiligtum befand, das der heidnischen Göttin Venus geweiht war und wo daher der
Götzendienst in erschreckendem Ausmaß betrieben wurde. Hier residierte der
Prokonsul der Insel, Sergius Paulus mit Namen, ein kluger, weitsichtiger Mann,
der über ein gutes Maß an gesundem Menschenverstand verfügte. Anmerkung: Die
Zuverlässigkeit des Lukas als Geschichtsschreiber ist gegen törichte Angriffe
in Bezug auf diese Passage bestätigt worden. Zypern wurde früher von einem Propraetor regiert, aber 22 v. Chr. wurde es von Augustus
an den Senat übertragen, und daher ist Prokonsul der richtige Titel.[44]
Dem Haushalt des Prokonsuls war mit einem gewissen Bar-Jesus, einem jüdischen
Zauberer und falschen Propheten, einer Art Hofgelehrten, Magier und
Beichtvater, eine besondere Persönlichkeit beigegeben. Leute dieser Art waren
in jenen Tagen an vielen Höfen anzutreffen und übten oft großen Einfluss auf
ihre Herren aus. Aber Sergius Paulus war offensichtlich der geistigen Nahrung
überdrüssig, die dieser jüdische Magier zu geben vermochte, und die Orakel und
Weissagungen befriedigten schließlich niemanden, der eine solide Grundlage für
seinen Glauben suchte. So schickte er nach Barnabas und Saulus und verlangte
ernsthaft, das Wort Gottes zu hören. Es ist wahrscheinlich, dass er sie mit
Fragen über das Wort und ihren Dienst in seinem Interesse bedrängte, und obwohl
er keineswegs geneigt war, das Evangelium anzunehmen, machte er dessen
Verkündigung keineswegs lächerlich, bevor er seine Ansprüche geprüft hatte.
Würden die Menschen unserer Zeit, die für sich sowohl eine gründliche Bildung
als auch ein gewisses Maß an gesundem Menschenverstand und Aufgeschlossenheit
beanspruchen, dem Beispiel des zypriotischen Prokonsuls folgen und die Vorzüge
des Evangeliums freimütig prüfen, so würden ihre natürlichen Vorurteile
wahrscheinlich schnell ausgeräumt werden.
Die Gegnerschaft des Elymas
(V. 8-12): Barnabas und Saulus kamen bei dem Prokonsul gut voran, als sie auf
den Widerstand eines sehr gefährlichen Gegners stießen. Denn dieser Berater des
Prokonsuls, der sich geschickt in die Vertrautheit seines Herrn eingeschlichen
hatte und den Namen Elymas, „der Weise“, als eine Art
Nachnamen trug, nutzte seinen ganzen Einfluss, um die Versuche der Missionare
zur Bekehrung des Sergius Paulus zu vereiteln, mit dem Ziel, ihn vom Glauben
abzubringen. Der Statthalter zeigte wahrscheinlich eine starke Neigung, die Wahrheit
des Evangeliums anzunehmen, und der Zauberer wusste, dass ein solches Ereignis
seinen Ruin und den Verlust seiner Stellung bedeutete. In dieser Notlage
übernahm Saulus die Führung, die er bis dahin Barnabas überlassen hatte, und
von nun an war Saulus der bedeutendere der beiden. Lukas deutet dies an, indem
er hier den Namen einfügt, unter dem Saulus fortan bekannt war und der sein
Apostelamt in der heidnischen Welt kennzeichnete. Paulus wurde hier einer
außergewöhnlichen Manifestation des Einflusses des Heiligen Geistes
unterworfen, in dessen Kraft er den Magier in Gegenwart des Prokonsuls angriff.
Er richtete seine Augen auf den heuchlerischen Juden und sagte zu ihm: Du Sohn
des Teufels, voll Betrug, List, Schalk und aller Bosheit. Die gegenwärtige
Opposition des Zauberers zeigte, dass er der natürliche Feind der Boten Gottes
und aller Gerechtigkeit war, die sie zu verbreiten versuchten. Würde er nicht
aufhören, fragte Paulus, würde er nicht aufhören, wie einer zu handeln, der die
geraden und richtigen Wege des Herrn zu verkehren und zu verdrehen pflegt? Und
die Strafe des Herrn folgte. Auf die Worte des Paulus hin wurde die Hand des
Herrn schwer auf Elymas gelegt, so dass er steinblind
wurde und eine Zeit lang nicht einmal mehr das Licht der Sonne erkennen konnte,
bis es Gott gefiel, ihm das Augenlicht wiederzugeben. Und der Fluch ließ nicht
lange auf sich warten. Er tappte umher und rief einen der erschrockenen
Umstehenden auf, ihn an der Hand zu führen und ihm den Weg aus der Gegenwart
des Paulus zu zeigen; er war auf diese Hilfe angewiesen, da er völlig blind
war. Diese Demonstration der Macht Gottes überzeugte den Prokonsul; er war
erstaunt über die Lehre, überwältigt von der Lehre des. Herrn und über den
Herrn; er glaubte, der Glaube an Jesus, den Retter, wurde in seinem Herzen
geweckt. Gewisse Inschriften, die in den letzten Jahrzehnten gefunden wurden,
lassen darauf schließen, dass Sergius Paulus fortan fest an Christus glaubte,
dass er bei den Christen eingeschrieben war.[45]
Anmerkung: Auch heute noch ist es die Arglist und List des Teufels, der die
Bekehrung und das Heil der Menschen, die Wirksamkeit des göttlichen Wortes zu
verhindern sucht, indem er falsche Propheten und Irrlehrer schickt. Diese sind
voller Arglist und Betrug und Feinde der wahren Rechtschaffenheit. Aber
Christus, der Herr seiner Kirche, ist stärker als Satan und führt sein Werk zur
Rettung der Seelen aus. Die Apostel der Finsternis aber sind endgültig zu
geistiger Blindheit und Finsternis verurteilt, so dass es ihnen unmöglich ist,
den rechten Weg zu finden.
In Antiochia in
Pisidien
(13,13-52)
13 Da aber Paulus, und
die um ihn waren, von Paphos schifften, kamen sie nach Perge
im Land Pamphylien. Johannes aber wich von ihnen und
zog wieder nach Jerusalem. 14 Sie aber zogen durch von Perge
und kamen nach Antiochien im Lande Pisidien und gingen in die Synagoge am
Sabbattage und setzten sich. 15 Nach der Lektion aber des Gesetzes und der
Propheten sandten die Vorsteher der Synagoge zu ihnen und ließen ihnen sagen:
Liebe Brüder, wollt ihr etwas reden und das Volk ermahnen, so sagt
16 Da stand Paulus auf
und winkte mit der Hand und sprach: Ihr Männer von Israel, und die ihr Gott
fürchtet, hört zu! 17 Der Gott dieses Volks hat erwählt unsere Väter und erhöht
das Volk, da sie Fremdlinge waren im Lande Ägypten, und mit einem hohen Arm
führte er sie aus demselben. 18 Und vierzig Jahre lang duldete er ihre Weise in
der Wüste. 19 Und vertilgte sieben Völker in dem Land Kanaan und teilte unter
sie nach dem Los jener Land. 20 Danach gab er ihnen Richter 450 Jahre lang, bis
auf den Propheten Samuel. 21 Und von da an baten sie um einen König. Und Gott
gab ihnen Saul, den Sohn des Kis, einen Mann aus dem
Geschlecht Benjamin, vierzig Jahre lang. 22 Und da er den wegtat, richtete er
auf über sie David zum König, von welchem er zeugte: Ich habe gefunden David,
den Sohn Jesses, einen Mann nach meinem Herzen, der soll tun allen meinen Willen.
23 Aus dieses Samen hat
Gott, wie er verheißen hat, gezeugt Jesus, dem Volk Israel zum Heiland, 24 wie
denn Johannes zuvor dem Volk Israel predigte die Taufe der Buße, ehe denn er
anfing. 25 Als aber Johannes seinen Lauf erfüllte, sprach er: Ich bin nicht
der, dafür ihr mich haltet; aber siehe, er kommt nach mir, des ich nicht wert
bin, dass ich ihm die Schuhe seiner Füße auflöse.
26 Ihr Männer, liebe
Brüder, ihr Kinder des Geschlechtes Abraham, und die unter euch Gott fürchten,
euch ist das Wort dieses Heils gesandt. 27 Denn die zu Jerusalem wohnen, und
ihre Obersten, dieweil sie diesen nicht kannten noch die Stimme der Propheten
(welche auf alle Sabbate gelesen werden), haben sie dieselben mit ihrem
Urteilen erfüllt. 28 Und wiewohl sie keine Ursache des Todes an ihm fanden,
baten sie doch Pilatus ihn zu töten. 29 Und als sie alles vollendet hatten, was
von ihm geschrieben ist, nahmen sie ihn von dem Holz und legten ihn in ein
Grab.
30 Aber Gott hat ihn
auferweckt von den Toten. 31 Und er ist erschienen viele Tage denen, die mit
ihm hinauf von Galiläa nach Jerusalem gegangen waren, welche sind seine Zeugen
an das Volk. 32 Und wir auch verkündigen euch die Verheißung, die zu unseren
Vätern geschehen ist, 33 dass diese Gott uns, ihren Kindern, erfüllt hat in
dem, dass er Jesus auferweckt hat, wie denn im zweiten Psalm geschrieben steht:
Du bist mein Sohn; heute habe ich dich gezeugt. 34 Dass er ihn aber hat von den
Toten auferweckt, dass er fort nicht mehr soll verwesen, spricht er also: Ich
will euch die Gnade, David verheißen, treu halten. 35 Darum spricht er auch am
andern Ort: Du wirst es nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe.
36 Denn David, da er zu seiner Zeit gedient hatte dem Willen Gottes, ist er
entschlafen und zu seinen Vätern getan und hat die Verwesung gesehen. 37 Den
aber Gott auferweckt hat, der hat die Verwesung nicht gesehen.
38 So sei es nun euch
kund, liebe Brüder, dass euch verkündigt wird Vergebung der Sünden durch diesen
und von dem allem, durch welches ihr nicht konntet im Gesetz Moses gerecht
werden. 39 Wer aber an diesen glaubt, der ist gerecht. 40 Seht nun zu, dass
nicht über euch komme, was in den Propheten gesagt ist: 41 Seht, ihr Verächter,
und verwundert euch und werdet zunichte; denn ich tue ein Werk zu euren Zeiten,
welches ihr nicht glauben werdet, so es euch jemand erzählen wird. 42 Da aber
die Juden aus der Synagoge gingen, baten die Heiden, dass sie zwischen den
Sabbaten ihnen die Worte sagten. 43 Und als die Gemeinde der Synagoge
voneinander ging, folgten Paulus und Barnabas nach viele Juden und
gottesfürchtige Judengenossen. Sie aber sagten ihnen und ermahnten sie, dass
sie bleiben sollten in der Gnade Gottes.
44 Am folgenden Sabbat
aber kam zusammen fast die ganze Stadt, das Wort Gottes zu hören. 45 Da aber
die Juden das Volk sahen wurden sie voll Neides und widersprachen dem, was von
Paulus gesagt wurde, widersprachen und lästerten. 46 Paulus aber und Barnabas
sprachen frei öffentlich: Euch musste zuerst das Wort Gottes gesagt werden; nun
ihr es aber von euch stoßt und achtet euch selbst nicht wert des ewigen Lebens,
siehe, so wenden wir uns zu den Heiden. 47 Denn so hat uns der HERR geboten:
Ich habe dich den Heiden zum Licht
gesetzt, dass du das Heil seist bis an das Ende der Erde.
48 Da es aber die Heiden
hörten, wurden sie froh und priesen das Wort des HERRN, und wurden gläubig,
wieviel ihrer zum ewigen Leben verordnet waren. 49 Und das Wort des HERRN wurde
ausgebreitet durch die ganze Gegend. 50 Aber die Juden bewegten die andächtigen
und ehrbaren Frauen und der Stadt Obersten und erweckten eine Verfolgung über
Paulus und Barnabas und stießen sie zu ihren Grenzen hinaus. 51 Sie aber
schüttelten den Staub von ihren Füßen über sie und kamen nach Ikonien. 52 Die Jünger aber wurden voll Freuden und
Heiligen Geistes.
Die Reise und die Ankunft in Antiochia
(V. 13-15): Einige Zeit nach den Ereignissen, die Lukas in den ersten Versen
dieses Kapitels schildert, verließen Paulus und seine Gefährten Paphos und
segelten von dort aus in nordwestlicher Richtung etwa 170 Meilen weit bis zur
Bucht von Attalia. Sie landeten jedoch nicht in Attalia, sondern fuhren den Fluss Cestrus
hinauf bis zur Stadt Perga, der Hauptstadt von Pamphylien, die etwas mehr als sieben Meilen vom Meer
entfernt liegt. Wahrscheinlich hatte Paulus die Absicht, von hier aus sofort in
das Landesinnere vorzudringen, das damals von gesetzlosen Banden heimgesucht
wurde, über deren Raub und Mord viele Geschichten im Umlauf waren. Johannes
Markus war der Situation nicht gewachsen, sondern verließ die beiden Missionare
aus irgendeinem Grund und kehrte in seine Heimat Jerusalem zurück. Es bedarf
oft nicht nur natürlicher Stärke und Kraft, sondern vor allem des Mutes und der
Kraft von oben, um den Schwierigkeiten und Gefahren zu trotzen, die mit der
Überbringung der Botschaft des Evangeliums an fremde Gestade verbunden sind,
und der Verzicht auf gewohnten Luxus und sogar auf Annehmlichkeiten muss um der
Sache willen freudig ertragen werden. Die Abtrünnigkeit von Markus
beeinträchtigte jedoch nicht die Pläne von Paulus, denn er und Barnabas
verließen Perga und zogen durch das wilde und
gesetzlose Land des pisidischen Hochlandes in die
dahinter liegenden Täler, bis sie die Stadt Antiochia erreichten, die etwa
hundert Meilen vom Mittelmeer entfernt war. Sie befand sich in einer
strategisch günstigen Lage auf einem niedrigen Plateau, das heute eine
trostlose Wüste darstellt. Seit 25 v. Chr. war sie eine römische Kolonie, und
obwohl sie im Bezirk Pisidien lag, wurde sie damals als eine Stadt der
römischen Provinz Galatien betrachtet, da die Römer einen Teil des alten Phrygien
und ganz Lykaonien und Pisidien zu Verwaltungszwecken
in diese größere Provinz eingegliedert hatten.[46]
Das pisidische Antiochia war also geographisch und
teilweise auch sprachlich phrygisch, aber politisch galatisch.[47]
Im Spätsommer, wahrscheinlich im August des Jahres 46, erreichten Paulus und
Barnabas das pisidische Antiochia. Mit der ihnen
eigenen Energie machten sie sich an die Arbeit. Am Sabbat gingen sie in die
einzige Synagoge der Stadt und setzten sich dort nieder. Sie folgten der
üblichen Ordnung des Gottesdienstes. Es wurde ein Abschnitt aus dem Gesetz gelesen,
dann ein Abschnitt aus den Propheten; dann folgten Ermahnungen, die sich auf
die gelesenen Abschnitte stützten. In den Synagogen war es üblich, einen Gastrabbiner
einzuladen, der an dieser Stelle zur Versammlung sprach, und so ließen die
Synagogenvorsteher, die vor der Versammlung auf erhöhten Plätzen saßen, Paulus
und Barnabas durch den Diener die Einladung zukommen: Brüder, wenn ihr ein Wort
der Ermahnung oder des Rates für das Volk habt, so sprecht es. Ob Paulus und
Barnabas sich vorher bei den Vorstehern der Synagoge vorgestellt hatten oder
nicht, ist von geringer Bedeutung, aber die freundliche Aufforderung passte
ganz in ihre Absicht.
Paulus beginnt seinen Vortrag (V.
16-22): Ob Paulus die Einladung nun mit oder ohne sein Suchen erhielt, er
nutzte sie sofort. Er erhob sich und streckte seine Hand in einer einladenden
Geste aus, um seine Zuhörer als Männer Israels und Gottesfürchtige
anzusprechen. Die vielen Hinweise auf die Geschichte der Kinder Israels, die
sich auch in den Predigten des Petrus, vor allem aber in der des Stephanus
finden, würden nicht nur die Juden interessieren, sondern sich auch für die
anwesenden Proselyten und Fremden als äußerst lehrreich erweisen. In gewisser
Weise wird an den Nationalstolz des Volkes appelliert, denn es war der Gott
dieses Volkes Israel, der ihre Väter aus allen Völkern der Welt zu den Seinen
erwählt hat. Durch seinen Segen wuchsen sie nicht nur an Zahl, sondern auch an
Kraft und Macht, während sie in der Fremde in Ägypten lebten. Mit erhobenem Arm
und unter Einsatz seiner allmächtigen Kraft führte er sie aus dem Land Ägypten
heraus. Vierzig Jahre lang umgab er sie in der Wüste und sorgte für sie, trotz
ihrer Undankbarkeit. Im Land Kanaan, in das der Herr die Kinder Israel führte,
vernichtete er sieben heidnische Völker vor ihnen, die Girgaschiter,
Amoriter, Hethiter, Perisiter, Kanaaniter, Hewiter und Jebusiter (Ex. 23,
23; Jos. 3, 10, und teilte das Land durch das Los an die Eroberer aus. Von der
Ankunft des Volkes in Kanaan bis zur endgültigen Unterwerfung der heidnischen
Völker zur Zeit Davids vergingen etwa vierhundertfünfzig Jahre, um diesen
Befehl des Herrn auszuführen. Der letzte und bekannteste der Richter war der
Prophet Samuel. Als Samuel alt geworden war, verlangte das Volk von ihm einen
König, und Gott gab ihm Saul, den Sohn des Kis, der
vierzig Jahre lang regierte. Aber Saul brachte seinem Volk nicht das verheißene
Heil, sondern Gott musste ihn vom Thron entfernen oder absetzen, 1. Sam. 15,16;
Dan. 2,21. Aber nach der Absetzung Sauls wurde der Thron David gegeben, den
Gott aus den Niedrigen im Lande erweckte und von dem er bezeugt, dass er David,
den Sohn Isais, für einen Mann nach seinem Herzen
hielt, der willig und fähig war, seinen ganzen Willen zu tun. Indem Paulus
diese Worte Gott zuschreibt, bezeugt er die Inspiration des Alten Testaments,
denn seine Worte sind nicht ein Zitat einer einzigen Stelle, sondern eine
Zusammenstellung aus mehreren Versen, Ps. 89,20 und 1. Sam. 13,14. Das Zeugnis
des Alten Testaments ist in allen seinen Teilen wahr, denn der, Herr sprach
durch seine Diener.
Die Verheißung des Messias (V.
23-25): Mit der Erwähnung Davids, des großen Helden der jüdischen Geschichte,
hatte Paulus den Weg zu seinem Hauptthema, der Verheißung, dem Erscheinen und
dem Wirken des verheißenen Sohnes Davids, eröffnet. Es war weder für die Juden
noch für irgendein anderes Volk in der Welt mehr nötig, auf das Kommen des
Messias zu warten, da Gott gemäß seiner Verheißung, 2. Sam. 7,12, aus der
Nachkommenschaft Davids Jesus, den Retter, nach Israel gebracht hatte. Und
dieses Ereignis wurde noch dadurch bestätigt, dass Johannes in Vorbereitung auf
sein Kommen, noch vor seinem Einzug, dem ganzen Volk Israel eine Taufe der Buße
verkündet hatte. Auch die Taufe des Johannes war eine Taufe der Buße; indem der
Sünder zur Taufe des Johannes kam, bekannte er sich öffentlich zu der Tatsache,
dass er ein Sünder war und dass er durch das Wasser der Taufe Vergebung der
Sünden suchte. Und als Johannes seine Aufgabe erfüllte, kurz vor dem Ende
seiner Laufbahn als Bußprediger, hatte er öffentlich zugunsten von Christus
Zeugnis abgelegt: Für wen haltet ihr mich? Ich bin es nicht; aber nach mir
kommt der, dessen Sandalen zu tragen ich nicht würdig bin, Matth.
3, 1; Mark. 1,7; Luk. 3,16; Joh. 1,19-27.
Die Weissagung ist erfüllt im Tod Jesu
(V. 26-29): Sehr abrupt wechselt Paulus von der einfachen geschichtlichen
Darstellung zu einem direkten Appell, dass seine Zuhörer ein persönliches
Interesse an den Dingen empfinden, die er ihnen vorstellt. Er schließt sie alle
in die Anrede der Brüder ein, sowohl die Kinder der Familie Abrahams, die Juden
durch Abstammung und Geburt, als auch die anderen anwesenden frommen Männer,
wobei er davon ausgeht, dass sie alle von Furcht und Ehrfurcht vor Gott erfüllt
sind. Das Wort von dieser Erlösung wird zu ihnen gesandt und betrifft jeden von
ihnen ganz wesentlich. Wenn ein Mensch nicht begreift, dass das Werk Christi,
die gesamte Erlösung, für ihn selbst von größter Bedeutung ist, ist die
Verkündigung des Evangeliums für ihn ohne Wert. Es war notwendig, dass Paulus
diesen dringenden Appell aussprach, denn seine nächsten Aussagen könnten als
Angriff auf die Führer der Juden in Jerusalem erscheinen. Die Bewohner der
Hauptstadt und ihre Führer kannten Christus nicht, sie erkannten ihn nicht als
das, was er in Wahrheit war, und sie verstanden die Stimmen der Prophezeiungen,
die Hinweise in allen Büchern der Propheten nicht, obwohl sie jeden Sabbat in
den Synagogen gelesen wurden. Hätten sie ein richtiges Verständnis gehabt,
wären sie sicher nicht des Unrechts schuldig geworden, das sie schließlich
begingen, Kap. 3,17. Aber gerade durch ihr Missverständnis der Prophezeiungen
und die daraus resultierende Verurteilung Christi erfüllten sie die
Prophezeiungen; denn obwohl sie keine Todesursache an ihm fanden, verlangten
sie dennoch, dass Pilatus ihn durch Kreuzigung töten sollte. Und als sie alles
vollbracht hatten, was über ihn geschrieben stand, da nahmen sie, allgemein
gesprochen, einige von den Juden, ihn vom Kreuz ab und legten ihn in ein Grab
Sehr wahrscheinlich ist der Bericht des Lukas über die Predigt des Paulus eine
kurze Zusammenfassung. Aber das, was Paulus sagen will, tritt sehr deutlich
hervor; denn die Kreuzigung Jesu, die an sich schon als Beweis dafür gelten
würde, dass er nicht der Messias war, wurde zu einem unwiderlegbaren Argument
für ihn gemacht. Und nebenbei wurde die eigentümliche, fleischliche
Vorstellung, die die Juden von der Messiasschaft
hatten, richtig korrigiert. Dasselbe Argument kann auch in unseren Tagen
verwendet werden, da die Tatsachen der Geschichte des Evangeliums, verglichen
mit der Klarheit der alttestamentlichen Prophezeiungen, mit überwältigender
Kraft überzeugen.
Das Argument aus der Auferstehung
Christi (V. 30-37): Paulus stellt die Aussage kühn an den Anfang dieses
Abschnitts seiner Rede: Gott aber hat ihn von den Toten auferweckt. Die volle
Bedeutung der Auferstehung Jesu für den christlichen Glauben muss immer im Auge
behalten werden, denn sie ist grundlegend für das Verständnis der Erlösung
durch Christus. Der erste Beweis, den Paulus für die Auferstehung bringt, ist
das Zeugnis der Augenzeugen. Jesus wurde viele Tage lang von denen gesehen, die
mit ihm von Galiläa nach Jerusalem gezogen waren, und die nun damit beschäftigt
waren, dem Volk davon Zeugnis zu geben. Aufgrund der Gewissheit dieses Wunders
brachten nicht nur die Augenzeugen, sondern auch der anwesende Redner und
Barnabas ihren Zuhörern die Nachricht des Evangeliums, dass Gott die den Vätern
gegebene Verheißung für die Anwesenden, ihre Kinder, in der Tatsache erfüllt
hatte, dass er Jesus von den Toten auferweckte. Und falls sie das Zeugnis der
Augenzeugen nicht für ausreichend hielten, bringt Paulus den Beweis aus der
Heiligen Schrift. Da waren die Worte des zweiten Psalms: Du bist mein Sohn,
heute habe ich dich gezeugt. Er war der ewige Sohn Gottes, im Vollbesitz des
ewigen Lebens. Deshalb war es für ihn unmöglich, im Tod zu verharren; er musste
auferstehen und das Leben, das ihm von Ewigkeit her zustand, voll zum Ausdruck
bringen. Die zweite Schriftstelle, die Paulus anführt, um zu beweisen, dass die
Auferstehung Christi der Prophezeiung entsprach, dass Gott ihn von den Toten
auferweckte und dass er nie wieder in die Verwesung und den Verfall zurückkehren
sollte, die ihn zu umhüllen schienen, als er dort im Grab lag, stammt aus Jes.
55,3, aus dem griechischen Text zitiert. Dort verspricht Gott seinem Volk,
einen ewigen Bund mit ihm zu schließen, indem er ihm die heiligen und sicheren
Segnungen Davids gibt. Die heiligen Verheißungen, die David gegeben wurden,
konnten nur durch den Triumph, die Auferstehung, des Heiligen Gottes
verwirklicht werden; nur durch den lebendigen Christus können die Segnungen des
Evangeliums bestätigt und gesichert werden. „Wenn nun dieser Christus, durch
den dieser Bund geschlossen ist, wahrer Mensch, wie er David von seinem Blut
und Fleisch verheißen wurde, die ewige Gnade bringen und geben soll, weshalb er
Gott sein muss, dem es allein zukommt, sie zu geben: Dann darf er nicht im Tode
bleiben, wenn er auch wie ein natürlicher Mensch stirbt, sondern er muss selbst
von den Toten auferstehen, damit er auch andere vom Tode erlöse und ihnen das
ewige Leben gebe, damit er in Wahrheit ein ewiger König der Gnade, der
Gerechtigkeit und des Lebens genannt werde und sei, wie Gott es fest verheißen
hat.“[48]
Die letzte Stelle, die Paulus zitiert, ist dieselbe, die Petrus in seiner
großen Pfingstpredigt verwendet hatte, Ps. 16,10: "Du wirst deinen
Heiligen nicht verderben lassen. Denn, wie der Redner richtig sagt, können
diese Worte nicht auf David zutreffen, da er, nachdem er das Werk seines Amtes
für sein Geschlecht vollbracht hatte, nach dem Willen Gottes entschlief und die
Verwesung und den Verfall im Tod sah. Dieser Christus aber, den Gott von den
Toten auferweckt und auch zur himmlischen Herrlichkeit erhöht hat, hat die
Verwesung nicht gesehen und ist der Verwesung nicht unterworfen worden. Eine
direktere und ausdrücklichere Vorhersage der Auferstehung Jesu ist im gesamten
Alten Testament nicht zu finden, und die Kraft der Worte muss von allen
Zuhörern empfunden worden sein.
Der Abschluss der Predigt (V.
38-43): Da die von Paulus angeführten Tatsachen die Messiasschaft
Jesu bewiesen, konnte er nun seine Rede fortsetzen, indem er seinen Zuhörern
den Nutzen der Vermittlung Christi vor Gott anbot. Er will, dass alle klar
verstehen, dass ihnen durch Christus, durch die Kraft und Vollkommenheit seiner
Erlösung, die Vergebung der Sünden verkündet wird, nicht als ein Preis, der
verdient werden muss, sondern als ein Geschenk, das sie annehmen können. Paulus
erklärt wörtlich: Und von allem, wovon sie durch das Gesetz des Mose keine
Lossprechung und Gerechtigkeit erlangen konnten, wird jeder, der glaubt, durch
dieses gerechtfertigt. Weit davon entfernt, dem Gesetz irgendeine Fähigkeit zur
Rechtfertigung zuzugestehen, wie einige Ausleger meinen, bestreitet Paulus
vielmehr, dass es so etwas wie eine Rechtfertigung durch das Gesetz gibt. Er
beruft sich auf die Erfahrung seiner Zuhörer. Trotz all ihrer Bemühungen, das
Gesetz zu erfüllen, müssen sie das Gefühl gehabt haben, dass alle diese Versuche
hoffnungslos unzureichend waren. Je mehr sie sich bemühten, jeder Forderung des
Gesetzes gerecht zu werden, desto mehr mussten sie die Verdammung und nicht die
Rechtfertigung durch das Gesetz spüren. Umso notwendiger war es für sie, sich
an Christus zu wenden, an den jeder, der glaubt, gerechtfertigt wird. Seine
Worte implizieren, dass die Rechtfertigung, die Gerechtigkeit Jesu, vor allen
Menschen gegenwärtig ist, dass aber nur diejenigen, die ihre Segnungen durch
den Glauben annehmen, tatsächlich in die Reihen derer aufgenommen werden, die
vor Gott gerechtfertigt sind. Um diese letzten Punkte seinen Zuhörern
einzuprägen, fügt Paulus ein letztes Wort der Warnung hinzu. Sie sollen sich
davor hüten, dass der Spruch aus dem Buch der Propheten bei ihnen Anwendung
findet, Hab. 1,5: Seht, ihr schamlosen Menschen, und wundert euch und kommt um
wegen eines Werkes, das ich in euren Tagen tue, ein Werk, das ihr nicht glauben
werdet, auch wenn es euch jemand erklären würde. Das ist die Strafe, die
diejenigen trifft, die die Botschaft des Evangeliums verachten und ihr Herz
gegen seine Herrlichkeiten verhärten. Sie sehen, aber verstehen nicht; sie
wundern sich, aber glauben nicht; sie werden die Beute des geistlichen und
schließlich des ewigen Todes. Das große Werk der Erlösung durch die Verdienste
Christi, das vor ihren Augen vollbracht wurde, wollen sie nicht und können
daher schließlich nicht glauben, wie oft es ihnen auch vor Augen geführt wird.
Diese Warnung ist auch heute noch völlig in Ordnung. Jeder, der das Wort des
Evangeliums hört und liest, sollte sicher sein, dass er es auf sich selbst
anwendet und den Trost der durch Christus erworbenen Vergebung der Sünden
annimmt, damit er die Barmherzigkeit Gottes nicht umsonst empfängt. Die Rede
des Paulus machte einen tiefen Eindruck, auch wenn keine unmittelbare
emotionale Reaktion erfolgte. Als er und Barnabas die Synagoge verließen, baten
die Anwesenden sie eindringlich, all diese Worte zu wiederholen und ihnen die
Botschaft des Evangeliums an einem der Tage zwischen dem Sabbat, d.h. am Montag
und Donnerstag, an denen ebenfalls Gottesdienste in der Synagoge stattfanden,
erneut zu verkünden. Und als die Gottesdienste des Vormittags beendet waren und
die Versammlung sich auflöste, folgten viele Juden, die Nachkommen Abrahams,
sowie fromme Proselyten, solche Heiden, die die jüdische Lehre angenommen
hatten und durch die Beschneidung Proselyten des Bundes geworden waren, Paulus
und Barnabas, und die Missionare nutzten die Gelegenheit, mit ihnen zu sprechen
und sie zu ermahnen, an der Gnade Gottes festzuhalten. Wenn Menschen sich
einmal für die Botschaft des Evangeliums interessiert haben, müssen sie immer
wieder ermutigt werden, auf die Gnade Gottes zu vertrauen und an ihr
festzuhalten. Die Kraft des Geistes in der Botschaft wird den Rest erledigen.
Die Gegnerschaft der Juden (V.
44-47): Am folgenden Sabbat wurden die Früchte der ersten Predigt des Paulus
und der Arbeit der beiden Missionare während der Woche sichtbar. Fast die ganze
Stadt kam zusammen, um das Wort des Herrn zu hören, sicherlich die größte
Versammlung, die die Synagoge je gesehen hatte. Aber als die Juden die
Menschenmengen sahen, die sich versammelten, um das Evangelium zu hören, wurden
sie von unangemessener Eifersucht erfüllt. Sie versuchten sich einzureden, dass
diese Demonstration einer Verunglimpfung des mosaischen Gesetzes gleichkäme,
und begannen, den Worten des Paulus zu widersprechen und schließlich sogar zu
lästern Anmerkung: Jeder vorsätzliche Widerspruch gegen das Evangelium und
seine Herrlichkeiten ist eine Lästerung Christi und seines Heils, und wenn dazu
noch der Name Christi verunglimpft wird, nimmt die Übertretung einen sehr
ernsten Aspekt an. Doch nun hatten Paulus und Barnabas den Mut, ihren
Standpunkt furchtlos und klar zu vertreten. Sie erklärten den zornigen Juden,
dass es notwendig sei, dass ihnen das Wort Gottes zuerst gepredigt werde, denn
so sei das Gebot des Herrn zu verstehen, Mark. 16,15; Luk. 24,47, und deshalb
hätten sie die Regel befolgt: Juden zuerst. Da sie nun aber das Evangelium
absichtlich beiseite schoben und seine Segnungen
abwehrten und sich damit als des ewigen Lebens nicht würdig beurteilten, hatten
die Apostel nicht mehr das geringste Zögern, sich den Heiden zuzuwenden. Denn
dieses Vorgehen entsprach genau der Prophezeiung, die nun die Kraft eines
Befehls annahm, Jes. 35,6: Ich habe dich zum Licht der Heiden bestimmt, um das
Heil zu sein und die Erlösung zu bringen bis an das Ende der Erde. So lautete
die Verheißung Gottes in Worten, die im Alten Testament an den Messias
gerichtet waren, und diese Worte sollten im Neuen Testament ihre Erfüllung
finden. Anmerkung: Wenn ein Mensch die Möglichkeit hat, das Evangelium zu hören
und seine rettende Botschaft anzunehmen, und es dann absichtlich beiseite schiebt, hat er niemand anderen als sich selbst für
die daraus resultierende Verurteilung und Verdammnis verantwortlich zu machen.
"Denn da unsere Natur durch die Sünde verdorben ist und des Zorns Gottes
und der Verdammnis würdig und verdienstlich ist, so schuldet uns Gott weder
Wort noch Geist noch Gnade, und wenn er sie aus Gnade gibt, so stoßen wir sie
oft beiseite und machen uns des ewigen Lebens unwürdig.“[49]
Ertrag und Verfolgung (V. 48-52): Der
Hinweis von Paulus und Barnabas auf den Abschnitt aus Jesaja und seine
Anwendung auf die gegenwärtige Situation erfüllte die anwesenden Heiden mit
großer Freude. Wie viele andere mögen sie die Vorstellung gehabt haben, dass
die Erlösung nur für die Juden bestimmt sei oder dass zumindest der einzige
Weg, ihre Segnungen zu erlangen, darin bestehe, sich zuerst durch den Ritus der
Beschneidung der jüdischen Kirche anzuschließen. So lobten sie das Wort des
Herrn, durch das sie die Gewissheit hatten, direkt in das Reich Gottes
aufgenommen zu werden, ohne den Zwischenschritt des Beitritts zur jüdischen
Synagoge. Und sie glaubten, nicht alle, sondern so viele, wie von Gott zum
ewigen Leben bestimmt oder berufen waren, nicht infolge eines absoluten
Dekrets, sondern in Christus Jesus, durch die Erlösung in seinem Blut, Eph.
1,4.5. Ihr Glaube war das Ergebnis dieser gnädigen Bestimmung und des
Vorherwissens, der Prädestination, Gottes, von der an anderen Stellen der
Schrift ausführlich die Rede ist, Eph. 1,3-6; Röm. 8,28-30, Und diese Tatsache
ist eine Quelle großen Trostes. Der Glaube eines Christen und seine Bewahrung
in diesem Glauben hängt nicht von seiner eigenen Vernunft und Kraft ab, einer
bestenfalls unsicheren Grundlage, sondern von der Gnade Gottes in Christus
Jesus, die ihm vor Grundlegung der Welt zugesichert wurde. „Die ewige Erwählung
Gottes sieht und weiß nicht nur im Voraus das Heil der Auserwählten, sondern
ist auch durch den gnädigen und guten Willen Gottes in Christus Jesus ein
Grund, der unser Heil und das, was dazu gehört, bewirkt, bewirkt, hilft und
fördert; worauf auch unser Heil so fest gegründet ist, dass die Pforten der
Hölle es nicht überwinden können, wie geschrieben steht ...: ‚So viele zum
ewigen Leben bestimmt waren, haben geglaubt.‘“[50]
Das Ergebnis dieser begeisterten Annahme des Wortes wurde auch in immer
weiteren Kreisen spürbar, denn das Wort des Herrn wurde durch die ganze Region
getragen. Es verbreitete sich nicht nur in Antiochia, sondern ging weit und
breit durch den ganzen Bezirk Pisidien, der an die Stadt angrenzte. Aber die
Juden, die wegen des Erfolges des Evangeliums wütender denn je waren, drängten
und stachelten die frommen Frauen der führenden und einflussreichen Familien
der Stadt sowie die ersten, repräsentativen Männer an, die sie wahrscheinlich
über ihre Frauen ansprachen. Die besten Familien der Stadt, einschließlich der
Verwaltungsklasse, waren involviert, die sozialen und politischen Kräfte des
Bezirks waren gegen sie aufgebracht. So wurde eine Verfolgung gegen Paulus und
Barnabas angezettelt, und sie wurden aus der Stadt vertrieben, in diesem Fall
nicht durch das Gesetz des Pöbels, sondern durch behördliche Maßnahmen.
Wahrscheinlich wurde ihnen befohlen, die Stadt sofort zu verlassen, und sie
wurden von Polizeibeamten begleitet, die nicht gerade zimperlich waren. Aber
die Missionare ließen sich nicht einschüchtern, schüttelten den Staub ihrer
Füße gegen sie ab, als Protest, Zeugnis und Warnung (Matth.
10,14; Mark. 6,11; Luk. 9,5), und zogen weiter nach Ikonium,
ihrer nächsten Station. Und die gewonnenen Jünger waren weit davon entfernt,
sich entmutigen zu lassen oder von Trauer und Furcht erfüllt zu sein, sondern
wurden vielmehr in ihrem Glauben gestärkt und mit Freude und dem Heiligen Geist
erfüllt. Selbst die schändliche Vertreibung der Lehrer war ein weiterer Beweis
für die Wahrheit der Worte des Herrn, und was ihren Glauben betraf, so konnte
ihnen dessen Gewissheit und Freude keine menschliche Macht nehmen, da dies
Gaben des Heiligen Geistes waren. Der Hass und die Feindschaft gegen das
Evangelium Jesu Christi wird zu Verfolgungen führen, so oft die Feinde
Gelegenheit dazu bekommen oder machen können. Aber je mehr die Welt spottet und
die Ungläubigen wüten, desto größer ist der Trost, den die Christen in ihrem
Glauben haben.
Zusammenfassung: Auf ihrer ersten
Missionsreise bereisen Paulus und Barnabas Zypern, setzen dann nach Perga in Pamphylien über und
reisen ins pisidische Antiochia, wo Paulus mit großem
Erfolg das Evangelium verkündet; die beiden Lehrer werden jedoch aufgrund von
Judenhass und Eifersucht aus der Stadt vertrieben.
Paulus und
Barnabas in Ikonium und Lystra (14,1-18)
1 Es geschah aber zu Ikonium, dass sie zusammenkamen und predigten in der Juden
Synagoge, so dass eine große Menge der Juden und der Griechen gläubig ward. 2
Die ungläubigen Juden aber erweckten und entrüsteten die Seelen der Heiden
gegen die Brüder. 3 So hatten sie nun ihr Wesen daselbst eine lange Zeit und
lehrten frei im HERRN, welcher bezeugte das Wort seiner Gnade und ließ Zeichen
und Wunder geschehen durch ihre Hände. 4 Die Menge aber der Stadt spaltete
sich; etliche hielten’s mit den Juden und etliche mit
den Aposteln. 5 Da sich aber ein Sturm erhob der Heiden und der Juden und ihrer
Obersten, sie zu schmähen und zu steinigen, 6 wurden sie des inne und entflohen
in die Städte des Landes Lykaonien, nach Lystra und Derbe und in die Gegend umher 7 und predigten
dort das Evangelium.
8 Und es war ein Mann zu
Lystra, der musste sitzen; denn er hatte böse Füße
und war lahm von Mutterleib, der noch nie gewandelt hatte. 9 Der hörte Paulus
reden. Und als er ihn ansah und merkte, dass er glaubte, ihm möchte geholfen
werden, 10 sprach er mit lauter Stimme: Stehe aufrichtig auf deine Füße! Und er
sprang auf und wandelte. 11 Da aber das Volk sah, was Paulus getan hatte, hoben
sie ihre Stimme auf und sprachen auf lykaonisch: Die
Götter sind den Menschen gleich worden und zu uns herniederkommen. 12 Und
nannten Barnabas Jupiter und Paulus Mercurius, dieweil er das Wort führte. 13
Der Priester aber Jupiters, der vor ihrer Stadt war, brachte Ochsen und Kränze
vor das Tor und wollte opfern samt dem Volk.
14 Da das die Apostel,
Barnabas und Paulus, hörten, zerrissen sie ihre Kleider und sprangen unter das
Volk, schrien 15 und sprachen: Ihr Männer, was macht ihr da? Wir sind auch
sterbliche Menschen gleichwie ihr und predigen euch das Evangelium, dass ihr
euch bekehren sollt von diesen falschen zu dem lebendigen Gott, welcher gemacht
hat Himmel und Erde und das Meer und alles, was drinnen ist; 16 der in
vergangenen Zeiten hat lassen alle Heiden wandeln ihre eigenen Wege. 17 Und
zwar hat er sich selbst nicht unbezeugt gelassen, hat
uns viel Gutes getan und vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben, unsere
Herzen erfüllt mit Speise und Freude. 18 Und da sie das sagten, stillten sie
kaum das Volk, dass sie ihnen nicht opferten.
Erfolg und Verfolgung in Ikonium (V. 1-7): Als Paulus und Barnabas Antiochia
verließen, wandten sie sich nach Osten und folgten ihrem Weg sechzig Meilen
lang über eine Hochebene mit unzähligen weidenden Schaf- und Ziegenherden,
überquerten dann einen kleinen Gebirgskamm und erreichten die blühende Stadt Ikonium, die heute noch als Konieh
existiert. Sie liegt an der Spitze einer weiten, sich nach Osten erstreckenden
Ebene, die gut bewässert ist und daher sowohl für die Landwirtschaft als auch
für Weideflächen wichtig ist. Viele Reisende vergleichen Ikonium
mit Damaskus, sowohl was die Lage als auch die Schönheit betrifft. In beiden
Fällen ist auch die frühe Geschichte in den Nebel der prähistorischen Zeit
gehüllt. Es sei daran erinnert, dass die römische Provinz Galatien das östliche
Ende des antiken Phrygiens einnahm und sowohl die Bezirke Pisidien als auch Lykaonien umfasste. Daher war Ikonium,
die Metropole des westlichen und zentralen lykaonischen
Phrygiens, und somit durch und durch phrygisch in der Sprache, eine Stadt in
Galatien entsprechend ihrer Verwaltung. „Die Römer sprachen natürlich davon,
dass Ikonium im halbbarbarischen Lykaonien
liege; aber die Menschen unterschieden sich immer von den Lykaoniern
und zogen es vor, sich als Bürger einer phrygisch-hellenischen Stadt zu
betrachten. Selbst die weiter von Nordgalatien
entfernten Städte sprachen von sich als ‚Galater‘ und genossen es, so
angesprochen zu werden. Die Stadt war stark römisch geprägt und erhielt um 41
n. Chr. einen kaiserlichen Namen.“[51]
Da Ikonium ein wichtiges Handelszentrum war, gab es
eine starke jüdische Bevölkerung und daher auch eine Synagoge. Wie es ihre
Gewohnheit war, gingen Paulus und Barnabas in die Synagoge und sprachen zu den
Anwesenden, die nicht nur aus Juden, sondern auch aus griechischen Proselyten
und wahrscheinlich auch aus anderen Griechen bestanden, die der Religion der
Juden wohlgesonnen waren. Und ihre Rede, ihr Zeugnis, machte einen solchen
Eindruck, dass eine große Schar von Juden und Griechen zum Glauben kam. Die
Schlüssigkeit der Beweise des Evangeliums, die Ernsthaftigkeit, mit der es
vorgetragen wurde, und vor allem die Kraft des Geistes im Wort überzeugten die
Zuhörer. Aber es dauerte nicht lange, bis hier dasselbe geschah wie in
Antiochia. Zwar konnten die Missionare eine Zeitlang ungehindert furchtlos vom
Herrn reden, der auch das Wort seiner Gnade, das diese Gnade verkündete und
weitergab, durch das Zeugnis von Zeichen und Wundern, die durch die Hände der
Apostel geschahen, bestätigte. Aber der Erfolg, der mit der Verkündigung des
Wortes einherging, zermürbte die Juden, die sich weigerten, zu glauben. Sie
begannen daher und setzten ihre Bemühungen fort, die Seelen des Volkes, die
Gefühle der Heiden, gegen die Brüder aufzuwiegeln und zu erzürnen. Infolge dieser
hartnäckigen Aufwiegelung spaltete sich die Bevölkerung der Stadt, wobei die
einen auf der Seite der unzufriedenen Juden, die anderen auf der Seite der
Apostel standen; aber die Partei, die für Wahrheit und Gerechtigkeit eintrat,
war, wie üblich, nicht so aktiv wie die auf Unheil ausgerichtete. So stachelten
die Aufwiegler schließlich ihre Anhänger und andere zu einer solchen Erregung
an, dass sich ein Mob bildete, der sowohl aus Heiden als auch aus Juden mit
ihren Oberen bestand. Der Tumult mit feindseligen Absichten war gerade im
Begriff, auszubrechen, und der allgemeine Plan war, Paulus und Barnabas zu
misshandeln, sie verächtlich zu behandeln und zu steinigen, als die
beabsichtigten Opfer von der sich anbahnenden Gewalt erfuhren. Da ein Mob
absolut ohne Vernunft und Verstand ist, nur darauf aus ist, Blut zu vergießen,
und nur für eine plötzliche Zurschaustellung wirksamer geistiger oder
körperlicher Kraft empfänglich ist, glaubten die Missionare nicht, dass es der
Sache des Meisters dienlich wäre, den Ansturm abzuwarten, sondern flohen aus
der Stadt. Da Ikonium nicht weit von der Grenze des
Bezirks Lykaonien entfernt war, überquerten sie die
Grenze und gingen nach Lystra, das etwa achtzehn
Meilen entfernt war.[52]
Dies war eine Bergstadt und eine römische Kolonie, in der zumindest eine Zeit
lang eine römische Garnison stationiert war. Die einheimische Sprache hatte
daher mit dem Einfluss der lateinischen Sprache zu kämpfen. Die Umgebung der
Stadt war durch und durch heidnisch und weniger von jüdischen Einflüssen
durchdrungen als in Ikonium oder Antiochia. Die
andere Stadt, Derbe, benannt als Stadt des Bezirks, in den Paulus und Barnabas
geflohen waren, lag ebenfalls im römischen Lykaonien,
am äußersten südöstlichen Rand der lakaonischen
Ebene, in den nördlichen Ausläufern des Taurusgebirges, in der Nähe eines
kegelförmigen Berges, der heute als Hadje-Baba
bekannt ist, nicht weit entfernt von dem Pass, der als Kilikische Pforte
bekannt ist und nach Tarsus hinunterführt. In dieser Region, der äußersten
Grenze des römischen Einflusses. Barnabas und Paulus waren nun schon seit
einiger Zeit damit beschäftigt, das Evangelium zu predigen, anscheinend ohne
Widerstand. Die Verfolgung und die Flucht der Christen hat die Verbreitung des
Evangeliums stets begünstigt.
Ein Wunder und seine Auswirkung auf das
Volk (V. 8-13): Da es in Lystra offenbar keine
Synagoge gab, predigten Paulus und Barnabas höchstwahrscheinlich auf dem freien
Platz vor den Toren oder auf dem Marktplatz. Ein Mann aus Lystra
aber war von Geburt an lahm und hatte keine Kraft in den Füßen, um sich
aufrecht zu halten. Er hatte nie einen Schritt tun können, sondern saß
gewöhnlich auf dem Boden in der Nähe der Plätze, wo sich die Leute versammelten
oder vorbeigingen. So war seine Geschichte von klein auf in der Stadt bekannt.
Dieser Mann hörte aufmerksam und ernsthaft zu, als Paulus sprach und sich an
die Menschenmenge wandte, die sich von Zeit zu Zeit versammelte, und als die
Aufmerksamkeit des Paulus auf den Krüppel gerichtet war, richtete er seine
Augen auf ihn, um durch diese Prüfung festzustellen, ob der unglückliche Mann
genug von der Macht des Erlösers gelernt und verstanden hatte, um zu glauben,
dass er geheilt werden konnte. Nachdem er sich davon überzeugt hatte, rief
Paulus dem Krüppel mit lauter Stimme zu: „Steh aufrecht auf deinen Füßen.“ Und
ohne jede Hilfe sprang der Mann auf seine Füße und begann zu gehen. Die Kraft
des erhöhten Christus hatte durch den Mund des Paulus dieses Wunder vollbracht.
Die Anwesenden sahen, was Paulus getan hatte, und hatten nach dem Schock der
ersten Überraschung nur eine Erklärung anzubieten, die ihrem heidnischen
Verstand sofort einfiel, nämlich, dass einige ihrer Götter, die die Gestalt von
Menschen angenommen hatten, zu ihnen herabgestiegen waren. In Übereinstimmung
mit dieser Vorstellung, die sie in ihrer Muttersprache, der Lykaonischen,
zum Ausdruck brachten, obwohl sie Griechisch sehr gut kannten und verstanden,
schlugen sie vor, Barnabas Zeus (Jupiter) zu nennen, der als der Hauptgott der
Griechen und Römer galt, und Paulus Hermes (Merkur), da er von ihnen als der
Bote der Götter zu den Menschen angesehen wurde und Paulus gewöhnlich die
Gespräche geführt hatte. Eine Inschrift, die vor einigen Jahren in einigen
Ruinen in der Nähe des antiken Lystra gefunden wurde,
zeigt, dass diese beiden Götter von den Bewohnern dieser Region
zusammengerechnet wurden.[53]
Es gab aber vor der Stadt einen Tempel oder eine Opferstätte für Jupiter, und
der heidnische Priester, der dieser Kultstätte angehörte, ließ sogleich die
Diener Ochsen und Blumenkränze zu den Toren der Stadt bringen, in die Nähe der
gewölbten Eingangsbögen, wo das Volk versammelt war. Seine Absicht war es, den
beiden Missionaren zusammen mit dem Volk ein Opfer zu bringen. Diese Szene
zeigt die Finsternis und Verblendung des Heidentums. Die Heiden dienen nicht
nur toten Götzen, sondern sie halten sogar Menschen für Götter und bringen
ihnen Opfer und Anbetung dar. Und es ist sicher ein Zeichen der Zeit, dass es
üblich wird, die Verdienste derer, die dem Land einen außergewöhnlichen Dienst
erwiesen haben, zum Himmel zu erheben, sie buchstäblich zu vergöttern und vor
ihnen anzubeten. Das ist nicht nur vom Standpunkt der menschlichen Vernunft aus
abstoßend, sondern zeigt, dass die modische Welt unserer Tage rasch auf das
Niveau der Heiden zurücksinkt.
Die schockierende Predigt des Paulus
(V. 14-18): Offensichtlich gab es hier eine zweisprachige Situation, die die
Dinge kompliziert machte. Die Bewohner der Stadt waren zwar durchaus in der
Lage, die griechische Sprache im Geschäfts- und Alltagsleben zu verwenden und
konnten auch die Missionare sehr gut verstehen, aber ihre religiöse Sprache war
die Sprache, die sie seit jeher zu diesem Zweck verwendet hatten. Sehr
wahrscheinlich verstanden Paulus und Barnabas die Aufschreie des Volkes nicht,
denn zumindest Paulus hatte die Gabe der Zungenrede. 1. Kor. 14,l8, so folgt
daraus nicht, dass er diese Gabe zu jeder Zeit besaß. Aber die Nachricht von
dem geplanten Opfer wurde den beiden Aposteln bald zu Ohren gebracht, entweder
während sie noch mit ihrer Lehre beschäftigt waren oder als sie in ihre
Unterkunft zurückgekehrt waren. Der Gedanke an das angebliche Opfer erschreckte
sie zutiefst. Paulus und Barnabas zerrissen beide ihre Mäntel als Zeichen
tiefen Kummers und Entsetzens, 1. Mose 37,29.34; Jos. 7,6, und stürzten sich in
die Menge, wobei sie laut schrien, um schnell auf sich aufmerksam zu machen.
Sie riefen aus: Männer, was ist das, was ihr da tut? Sie erklärten, sie seien
Männer, Menschen, mit denselben Neigungen wie die Bürger von Lystra. Sie hatten die gleichen Kräfte und Begierden,
brauchten Nahrung und Kleidung in gleicher Weise und waren dem Tod ausgesetzt
wie alle anderen Menschen. Sie predigten nicht selbst und stellten sich nicht
zur Anbetung, sondern waren Boten mit einer guten, einer wunderbaren Heilsbotschaft,
nämlich dass die Menschen in Lystra sich umwenden
sollten, sich ganz abwenden sollten von diesen Eitelkeiten, die sie verkündeten
und praktizierten, von ihren Götzen und ihrer Anbetung, und sich dabei dem
lebendigen Gott zuwenden sollten, dem einen Gott, der der Urheber und Spender
des Lebens war. Denn dieser wahre Gott war es, der den Himmel und die Erde und
das Meer und alles, was darin ist, gemacht hatte. Vgl. Kap. 17,24. Der
lebendige Gott hatte seine Macht und sein Leben im Schöpfungsakt unter Beweis
gestellt; der Gott der Schöpfung und der Gott der Erlösung sind eins. Paulus
appellierte hier als weiser und umsichtiger Missionar an die Erkenntnis der
natürlichen Religion, um darauf die Schönheit der geoffenbarten Religion
aufzubauen; in der Ermahnung des Paulus, das Volk solle sich von der Eitelkeit
und Torheit seines Götzendienstes abwenden, wurde angedeutet, dass ihre Wege
falsch gewesen waren. Gott hatte in Zeiten, die nun vorbei waren und nie
wiederkehren sollten, große Nachsicht und Geduld gezeigt, indem er alle Völker
ihren eigenen Weg gehen ließ. Er schlug die Heiden, die sich dem Götzendienst
zugewandt hatten, nicht nieder und vernichtete sie, sondern ließ sie leben;
denn es bestand immer die Möglichkeit, dass sie den wahren Gott suchten und
kennen lernten, Kap. 17,30. Dennoch hat sich Gott, wie Paulus betont, auch in
jenen Zeiten nicht unbezeugt gelassen. Seine
fortwährende wohltätige Tätigkeit und Güte zeigte sich darin, dass er Gutes
tat; dass er vom Himmel, von dem alles Gute kommt, Jak. 1,17, Regen und
fruchtbare Jahreszeiten, indem er ihre Herzen mit Nahrung und guter Laune
füllt. Er sagt absichtlich „Herzen“ und nicht „Körper“, denn er will seine
Zuhörer von der bloßen Sorge um den Körper und das gegenwärtige Leben zur Sorge
um ihre unsterbliche Seele führen. Es war eine taktvolle, aber nicht minder
eindrucksvolle Erinnerung an die Tatsache, dass sie in der Vergangenheit nicht
schuldlos gewesen waren, da die Beweise für Gottes schöpferische Kraft und
seine Vorsehung allgegenwärtig gewesen waren, um sie dazu zu bringen,
sorgfältiger nach dem wahren Gott zu suchen. Die Rede beruhigte das Volk kaum
und verhinderte, dass sie die Absicht, Paulus und Barnabas Opfer darzubringen,
in die Tat umsetzten. Das Verhalten der beiden Missionare dient als Beispiel
für die Missionare unserer Tage. Es ist immer töricht, die christliche Religion
an sündige, götzendienerische Praktiken anzupassen, mit der fadenscheinigen
Begründung, dies sei notwendig, um das Vertrauen des Volkes zu gewinnen. Das
Vertrauen der Menschen kann nicht durch die Leugnung der Wahrheit erhalten
werden. Jede Form der Feindschaft gegen Gott, des Götzendienstes, des Dienstes
für den Mammon, der Welt, der Sünde muss als solche gebrandmarkt werden, nicht
durch taktlosen Eifer, sondern wenn die Dinge zur Sprache kommen. Auf der
Grundlage einer solchen Belehrung kann dann die Verkündigung des Evangeliums
aufgebaut und wahrer und rettender Glaube durch den Geist Gottes gewirkt
werden.
Die Rückreise nach
Syrien
(14,19-28)
19 Es kamen aber dahin
Juden von Antiochien und Ikonium und überredeten das
Volk und steinigten Paulus und schleiften ihn zur Stadt hinaus, meinten, er
wäre gestorben. 20 Da ihn aber die Jünger umringten, stand er auf und ging in
die Stadt. Und am nächsten Tag ging er aus mit Barnabas nach Derbe. 21 Und predigten
dieser Stadt das Evangelium und unterwiesen ihrer viele und zogen wieder nach Lystra und Ikonium und Antiochia,
22 stärkten die Seelen der Jünger und ermahnten sie, dass sie im Glauben
blieben, und dass wir durch viel Trübsal müssen in das Reich Gottes gehen. 23
Und sie ordneten ihnen hin und her Älteste in den Gemeinden, beteten und
fasteten und befahlen sie dem HERRN, an den sie gläubig worden waren.
24 Und zogen durch
Pisidien und kamen nach Pamphylien. 25 Und redeten
das Wort zu Perge und zogen hinab nach Attalia. 26 Und von dort schifften sie nach Antiochia, von
wo sie verordnet waren durch die Gnade Gottes zu dem Werk, das sie hatten
ausgerichtet. 27 Da sie aber hinkamen, versammelten sie die Gemeinde und
verkündigten, wie viel Gott mit ihnen getan hatte, und wie er den Heiden hätte
die Tür des Glaubens aufgetan. 28 Sie hatten aber ihr Wesen allda nicht eine
kleine Zeit bei den Jüngern.
Gewalttätigkeit des Mobs in Lystra und das Evangelium in Derbe (V. 19-23): Die
Nachricht von diesem seltsamen Ereignis, bei dem Menschen fast wie Götter
verehrt wurden, verbreitete sich schnell über die Handelswege und erreichte
zuerst Ikonium und bald darauf auch Antiochia in
Pisidien, und die Juden schlossen sofort, dass es sich bei den beiden Männern
um keine anderen als Paulus und Barnabas handeln konnte, die sie verfolgten.
Die Tatsache, dass diese Männer ihre Arbeit in anderen Städten der Provinz
fortsetzten, erzürnte einige der Juden so sehr, dass sie nicht zögerten, die
lange Reise nach Lystra anzutreten. Hier bemühten sie
sich eifrig, die Menge zu überzeugen, und verwandelten sie bald in einen Mob,
wodurch sie erneut die Unbeständigkeit der Gemüter und die Unbeständigkeit der
Gunst, die für Menschenmengen charakteristisch ist, demonstrierten. Es scheint,
dass der Angriff auf Paulus plötzlich erfolgte, während er seinen Pflichten
nachging. Sie steinigten ihn und schleppten ihn dann aus der Stadt, in der
Annahme, er sei tot, und bereit, seinen Körper seinem Schicksal zu überlassen,
wie das eines wilden Tieres. Als aber die Mörder den Schauplatz verlassen
hatten, kamen die Jünger, von denen einige auch in dieser Stadt gewonnen worden
waren, heraus, um nachzuforschen, und als sie um Paulus herumstanden und
wahrscheinlich überlegten, wie sie ihn am besten begraben könnten, stand er auf
und ging in die Stadt. Der Herr hatte seine schützende Hand über seinen Diener
gehalten und verhindert, dass die Steine eine tödliche Wirkung auf seinen Körper
hatten. Aber dem Apostel war klar, dass er unter den gegebenen Umständen nicht
auf Erfolg in dieser Stadt hoffen konnte; die Aufwiegler waren immer noch da,
und die Menschen waren gegenüber dem Evangelium voreingenommen. Deshalb brach
er gleich am nächsten Tag mit Barnabas nach Derbe auf, das etwa zwanzig Meilen
entfernt war und fast an der Grenze zu Kilikien lag. Hier hatten sie schnell
Erfolg: Sie predigten ununterbrochen das Evangelium und brachten die frohe
Botschaft in die Stadt; sie machten viele Jünger und gründeten so auch hier
eine Gemeinde, die fast, wenn nicht ganz aus Heiden bestanden haben muss.
Paulus hätte nun leicht die Reise nach Tarsus antreten können, um sich zu
stärken und von den Strapazen dieser Missionsreise zu erholen. Aber seine Liebe
und Sorge um die neu gewonnenen Bekehrten veranlasste ihn, die Rückreise auf
demselben Weg anzutreten und in Lystra, Ikonium und Antiochia Halt zu machen, um in jeder Stadt die
Seelen der Jünger durch eine gute Verkündigung des Evangeliums und durch evangelische
Ermahnung zu stärken. Da die Verfolgung durch die Abreise des Paulus zumindest
indirekt über sie gekommen war, ermahnte er sie, er drängte sie ernsthaft, im
Glauben zu bleiben, zu verharren, zu bleiben. Nachdem sie Christus in festem
Vertrauen als ihren Erlöser angenommen hatten, sollten sie nicht zulassen, dass
Bedrängnisse und Verfolgungen ihnen diesen Glauben aus dem Herzen nehmen. Denn
das gilt für die Christen im Allgemeinen: Durch viele Bedrängnisse müssen wir
in das Reich Gottes eingehen. Das ist das unvermeidliche Los der Gläubigen, das
ist es, was sie inmitten einer sündigen und feindseligen Generation erwarten
müssen. Die Christen aller Zeiten haben eine solche Ermutigung nötig, um
inmitten von Kreuz und Verfolgung standhaft zu bleiben. Auf der gleichen Reise
ließen Paulus und Barnabas die Gemeinden in jeder Stadt durch Volksabstimmung
und Handzeichen Älteste wählen. Die Christen selbst setzten in ihrer Mitte das
Amt des Predigers ein, um das Wort Gottes fortwährend zu lehren, damit die Jünger
im Glauben gehalten und immer mehr Seelen für Christus gewonnen würden.
Anmerkung: Die Apostel machten hier keinen Gebrauch von irgendwelchen
hierarchischen Befugnissen, sondern legten die Wahl ihrer Amtsträger in die
Hände der Gemeinden. Die christliche Gemeinde macht von dieser besonderen
kirchlichen Macht Gebrauch und sollte sich dieses Recht jederzeit vorbehalten.
Paulus und Barnabas schließlich empfahlen alle Brüder durch Gebet und Fasten
dem Herrn; in der Obhut des Herrn sind sie sicher; seine Fürsorge kann sie vor
Feindseligkeit schützen und sie in der Verfolgung trösten. Diejenigen, die
glaubten, übergaben die Apostel dem Herrn; denn nur durch den Glauben wird die
Verbindung mit dem Herrn hergestellt, nur durch den Glauben kann sie aufrechterhalten
werden.
Der letzte Teil der Rückreise (V. 24-28): Es war für Paulus unmöglich, auf der Rückreise nach Syrien im Dienst seines Herrn untätig zu sein. So unternahmen er und Barnabas eine Missionsreise durch Pisidien, die Provinz, die im Süden an das römische Galatien angrenzte. So erreichten sie Pamphylien und nahmen sich nun Zeit, das Wort Gottes in Perga zu verkünden, wo sie auf der Reise in das Oberland nicht Halt gemacht zu haben scheinen, Kap. 13,13. Im Übrigen scheinen sie auf eine Gelegenheit gewartet zu haben, nach Syrien auslaufen zu können. Als sich aber keine Gelegenheit bot, fuhren sie zur Küste hinunter, zum Hafen von Attalia in Lykien, von wo aus sie nach Antiochia segelten. In dieser Stadt waren sie in ihr Amt als Missionare berufen und der Gnade Gottes für das Werk anvertraut worden, das sie nun vollendet hatten. Sie hatten auf ihrer Reise den einzigartigen, barmherzigen Segen Gottes genossen und vor allem die reichliche Gewissheit erhalten, dass es die Gnade Gottes ist, die den Menschen befähigt, im Evangelium zu wirken. Eph. 3,8. So kehrten sie mit einem Herzen voller Dankbarkeit in die Gemeinde zu Antiochia zurück, und sobald es nach ihrer Ankunft möglich war, fand eine Versammlung der Gemeinde statt, in der die beiden Missionare ausführlich über den Erfolg ihrer Arbeit berichteten, wie sie sagten, wie viele und wie große Dinge Gott mit ihnen als Werkzeuge seiner Gnade und auch für sie getan hatte, indem er mit ihnen war und ihnen half, sowohl bei der Ausführung des Werkes ihrer Berufung als auch beim Ertragen der Verfolgungen, die über sie gekommen waren. Gott ist es, der den Zuwachs geben muss, wann und wo immer das Evangelium gepredigt wird. Er war es, der den Heiden die Tür des Glaubens geöffnet, ihre Herzen willig gemacht und ihnen freien Zugang zum Heil Jesu Christi verschafft hatte. Anmerkung: Es ist Gott wohlgefällig, wenn die Missionare im In- und Ausland den Gemeinden, die sie ausgesandt haben, von ihrer Arbeit berichten und damit zeigen, dass Gott mit der Arbeit einverstanden ist und dass er die Türen für die Verkündigung des Evangeliums öffnet. Danach verbrachten Paulus und Barnabas eine lange Zeit bei den Jüngern in Antiochia, wahrscheinlich mehr als ein Jahr, und waren mit ihrer Arbeit des Predigens und der Gewinnung neuer Mitglieder für die Gemeinde Christi beschäftigt.
Zusammenfassung: Paulus und Barnabas verkündigen das Evangelium in Ikonium, Lystra und Derbe und erdulden Verfolgung um des Herrn willen. Dann kehren sie zurück, um die Brüder zu stärken, setzen ihre Arbeit in Pisidien und Pamphylien fort und kehren schließlich nach Antiochia in Syrien zurück.
Die Bibel und ihr Inhalt bedürfen keiner Rechtfertigung. Für uns Christen ist die Bibel in allen ihren Teilen das inspirierte Wort Gottes, dessen Torheit weiser ist als die der Menschen. Indem wir diesen Standpunkt einnehmen, drosseln wir nicht die Vernunft, wohl wissend, dass die Lehren der Heiligen Schrift nicht streng genommen gegen die menschliche Vernunft sind, sondern einfach über die Vernunft hinausgehen. Beim Bibelstudium setzen wir daher unsere Vernunft sehr entschieden ein, aber immer so, dass wir sie unter den Gehorsam Christi gefangen nehmen. Aus diesem Grund begrüßen wir auch alle geschichtlichen und archäologischen Forschungen, die zusätzliches Licht auf biblische Länder, biblische Bräuche, biblische Sprache und alle anderen Fragen werfen, die zu einem besseren Verständnis des Wortes der Erlösung beitragen. Aus diesem Grund empfinden wir große Genugtuung über die Tatsache, dass die Vertrauenswürdigkeit des Lukas als Historiker, abgesehen von der Tatsache der Inspiration, durch die jüngsten Untersuchungen in höchstem Maße bestätigt worden ist.
Vor einigen Jahren oder Jahrzehnten, vor allem zu der Zeit, als die rationalistische theologische Literatur den Höhepunkt ihrer Flut erreicht hatte und ihre Kritik von einem großen Teil der Christenheit fraglos akzeptiert wurde, gab es mehrere Anschuldigungen gegen Lukas als Historiker. Es wurde behauptet, dass sein Bericht über die Geburt unseres Herrn mehrere Fehler enthielt.[54] Zypern sei zur Zeit des Apostels Paulus eine Prätorianer- und keine Konsularprovinz gewesen, weshalb Sergius Paulus fälschlicherweise Prokonsul genannt worden sei. Es wurde behauptet, dass Lukas' geografische Kenntnisse über Kleinasien äußerst unklar gewesen sein müssen, um es milde auszudrücken, dass er nicht wusste, zu welcher Provinz die verschiedenen Städte gehörten, und dass seine geografischen Notizen daher völlig unzuverlässig waren. Es wurde behauptet, dass es ein offensichtlicher Fehler war, die Stadt Philippi als Kolonie zu bezeichnen.
Aber in jedem einzelnen Punkt wurde der heilige Schriftsteller so vollständig gerechtfertigt, dass die Gegner gezwungen sind, sich in völliger Unehre zurückzuziehen. Dies ist dem unermüdlichen Eifer und den unermüdlichen Anstrengungen einer Reihe von Gelehrten zu verdanken, darunter Duchesne und Collignon, Hamilton, Waddington, vor allem aber Sterret in seinem Buch Epigraphical Journey in Asia Minor von 1884 und Sir W. M. Ramsay, in seiner Reihe von Monographien, unter denen die Historische Geographie Kleinasiens, St. Paulus der Reisende und römische Bürger, Pauline and Other Studies, Was Christ Born in Bethlehem, The Cities of St. Paul, und The Bearing of Recent Research on the Trustworthiness of the New Testament zu nennen sind. Die Ergebnisse dieser Forschungen wurden von Cobem in seinem Werk The New Archeological Discoveries (Die neuen archäologischen Entdeckungen) treffend zusammengefasst.
Die Tatsache, dass Sergius Paulus nicht Prätor, sondern Prokonsul von Zypern war, ist sowohl direkt als auch indirekt bewiesen worden, wie oben erwähnt. Die Tatsache, dass Paulus auf dem Weg nach Ikonium den Bezirk Lykaonien betreten hatte und dass diese Stadt verwaltungstechnisch gesehen zu den Städten Südgalatiens gezählt wurde, hat eine Bestätigung erhalten, die jeden vernünftigen Zweifel ausräumt. Die Tatsache, dass Philippi zur Zeit des heiligen Paulus eine Kolonie war, wurde durch den Fund einer Münze bewiesen, auf der diese Tatsache vermerkt ist, kurzum, die Steine schreien geradezu danach, den biblischen Bericht und die Wahrheit der Evangeliumsgeschichte zu rechtfertigen, wovon sich jeder selbst überzeugen kann, der sich die angenehme Mühe macht, die oben genannten Bücher zu konsultieren. Und jede neue Entdeckung, die ein weiteres Zeugnis für die Wahrheit des biblischen Berichts liefert, trägt dazu bei, den Widersprechern das Maul zu stopfen, wenn nicht gar sie von der Wahrheit der Schrift zu überzeugen, und so wird die Herrlichkeit des erhöhten Christus weiter erhöht.
Die Versammlung in
Jerusalem
(15,1-35)
1 Und etliche kamen
herab von Judäa und lehrten die Brüder: Wenn ihr euch nicht beschneiden lasst
nach der Weise Moses, so könnt ihr nicht selig werden. 2 Da sich nun ein
Aufruhr erhob, und Paulus und Barnabas nicht einen geringen Zank mit ihnen
hatten, ordneten sie, dass Paulus und Barnabas und etliche andere aus ihnen
hinaufzögen nach Jerusalem zu den Aposteln und Ältesten um dieser Frage willen.
3 Und sie wurden von der Gemeinde geleitet und zogen durch Phönizien und
Samarien und erzählten den Wandel der Heiden und machten große Freude allen
Brüdern. 4 Da sie aber hinkamen nach Jerusalem, wurden sie empfangen von der
Gemeinde und von den Aposteln und von den Ältesten. Und sie verkündigten,
wieviel Gott mit ihnen getan hatte.
5 Da traten auf etliche
von der Pharisäer Sekte, die gläubig waren geworden und sprachen: Man muss sie
beschneiden und gebieten, zu halten das Gesetz Moses. 6 Aber die Apostel und
die Ältesten kamen zusammen, diese Rede zu besehen. 7 Da man sich aber lange
gezankt hatte, stand Petrus auf und sprach zu ihnen: Ihr Männer, liebe Brüder,
ihr wisst, dass Gott lange vor dieser Zeit unter uns erwählt hat, dass durch
meinen Mund die Heiden das Wort des Evangeliums hörten und glaubten. 8 Und
Gott, der Herzenskündiger, zeugte über sie und gab
ihnen den Heiligen Geist gleichwie auch uns. 9 Und machte keinen Unterschied
zwischen uns und ihnen und reinigte ihre Herzen durch den Glauben. 10 Was
versucht ihr denn nun Gott mit Auflegen des Jochs auf der Jünger Hälse, welches
weder unsere Väter noch wir haben können tragen? 11 Sondern wir glauben, durch
die Gnade des HERRN Jesus Christus selig zu werden gleicherweise wie auch sie.
12 Da schwieg die ganze Menge stille und hörte zu Paulus und Barnabas, die da
erzählten, wie große Zeichen und Wunder Gott durch sie getan hatte unter den
Heiden.
13 Danach, als, sie
geschwiegen hatten, antwortete Jakobus und sprach: Ihr Männer, liebe Brüder,
hört mir zu! 14 Simon hat erzählt, wie aufs erste Gott heimgesucht hat und
angenommen ein Volk aus den Heiden zu seinem Namen. 15 Und damit stimmen der
Propheten Reden, wie geschrieben steht: 16 Danach will ich wiederkommen und
will wieder bauen die Hütte Davids, die zerfallen ist, und ihre Lücken will ich
wieder bauen und will sie aufrichten, 17 auf dass, was übrig ist von Menschen,
nach dem HERRN frage, dazu alle Heiden, über welche mein Name genannt ist,
spricht der HERR, der das alles tut. 18 Gott sind alle seine Werke bewusst von
der Welt her. 19 Darum beschließe ich, dass man denen, so aus den Heiden zu
Gott sich bekehren; nicht Unruhe mache, 20 sondern schreibe ihnen, dass sie
sich enthalten von Unsauberkeit der Abgötter und von Hurerei und vom Erstickten
und vom Blut. 21 Denn Mose hat von langen Zeiten her in allen Städten, die ihn
predigen, und wird alle Sabbattage in den Synagogen gelesen:
22 Und es dünkte gut den
Aposteln und Ältesten samt der ganzen Gemeinde, aus ihnen Männer zu erwählen
und zu senden nach Antiochien mit Paulus und Barnabas, nämlich Judas, mit dem
Zunamen Barsabas, und Silas, welche Männer Lehrer
waren unter den Brüdern. 23 Und sie gaben eine folgende Schrift in ihre Hand:
Wir, die Apostel und Ältesten und Brüder, wünschen Heil den Brüdern aus den
Heiden, die zu Antiochien und Syrien und Zilizien sind. 24 Dieweil wir gehört
haben, dass etliche von den Unseren sind ausgegangen und haben euch mit Lehren
irregemacht und eure Seelen zerrüttet und sagen, ihr sollt euch beschneiden
lassen und das Gesetz halten, welchen wir nichts befohlen haben, 25 hat es uns
gut gedünkt, einmütig versammelt, Männer zu erwählen und zu euch zu senden mit
unsern Liebsten; Barnabas und Paulus, 26 welche Menschen ihre Seelen dargegeben haben für den Namen unsers HERRN Jesus Christus.
27 So haben wir gesandt Judas und Silas, welche auch mit Worten dasselbe
verkündigen werden. 28 Denn es gefällt dem Heiligen Geist und uns, euch keine
Beschwerung mehr aufzulegen als nur diese nötigen Stücke, 29 dass ihr euch
enthaltet vom Götzenopfer und vom Blut und vom Erstickten und von Hurerei, von
welchen, so ihr euch enthaltet, tut ihr recht. Gehabt euch wohl!
30 Da diese abgefertigt
waren, kamen sie nach Antiochien und versammelten die Menge und überantworteten
den Brief. 31 Da sie den lasen, wurden sie des Trostes froh. 32 Judas aber und
Silas, die auch Propheten waren, ermahnten die Brüder mit vielen Reden und
stärkten sie. 33 Und da sie verzogen eine Zeitlang, wurden sie von den Brüdern
mit Frieden abgefertigt zu den Aposteln. 34 Es gefiel aber Silas, dass er
dabliebe. 35 Paulus aber und Barnabas blieben in Antiochien, lehrten und
predigten des HERRN Wort samt vielen anderen.
Die Frage wegen der Beschneidung (V.
1-4): Die christlichen Gemeinden in Palästina und Syrien erfreuten sich jetzt
einer Zeit des äußeren Friedens und Wohlstands, und deshalb beschloss der
Satan, der Zwietracht sät, innere Zwietracht zu säen, und richtete damit einen
schweren Schaden an. Unter den Beschneidern in Jerusalem hatte es eine gewisse
Unzufriedenheit über das Vorgehen des Petrus gegeben, als er in das Haus des
Kornelius eintrat, Kap. 11,2.3. Damals war die Angelegenheit zufriedenstellend
geregelt worden, als Petrus die Fakten des Falles erzählte. Aber es scheint,
dass einige Glieder der Kirche seither wieder unruhig geworden waren, da ihre
jüdischen Vorurteile nicht in der Lage waren, sich mit den Bedingungen
zufrieden zu geben. Einige von ihnen machten sich, wie es scheint, absichtlich
auf die Reise nach Antiochia in Syrien und brachten diese Meinung nicht nur zum
Ausdruck, sondern begannen zu lehren und bemühten sich nach Kräften, den
Brüdern der Gemeinde ihre Lehre aufzuzwingen, indem sie erklärten, dass sie
nicht gerettet werden könnten, wenn sie nicht die Beschneidung nach dem Brauch
des Mose erhielten. Damit machten sie die Beschneidung, ein alttestamentliches
Sakrament, zu einer Bedingung für die Errettung im Neuen Testament. Natürlich
löste diese Angelegenheit eine sehr hitzige Kontroverse und Diskussion aus,
denn Paulus und Barnabas konnten angesichts eines solch offenen Angriffs auf
ihr Werk in Antiochia, auf Zypern und in Kleinasien unmöglich schweigen. Die
judaisierenden Lehrer waren also allein für den drohenden Unfrieden verantwortlich;
sie begannen die Befragung und den Streit. Es ist schwer zu ermessen, in
welcher Not und Verwirrung sich die Brüder während des Streits befunden haben
müssen. Mit solch erbittertem Nachdruck beharrten die Männer aus Judäa auf
ihrem Standpunkt, dass es Paulus und Barnabas nicht gelang, sie zum Schweigen
zu bringen. So beschloss und bestimmte die Gemeinde schließlich, dass Paulus
und Barnabas und einige andere Männer aus ihrer Mitte die Reise nach Jerusalem
antreten sollten, um diese Streitfrage nach Möglichkeit zu schlichten. Paulus
und Barnabas wurden also von der Gemeinde in Antiochia beauftragt und handelten
als deren Delegierte. Zu ihren Begleitern gehörte Titus, Gal. 2,1.3. Anmerkung:
Bei diesem Vorgehen der nördlichen Gemeinde handelte es sich nicht um eine
Berufung an ein höheres Gericht oder gar an eine Vertretungskörperschaft,
sondern einfach um eine Mission oder Delegation einer an sich unabhängigen und
selbständigen Gemeinde an eine andere, gleichrangige Gemeinde. Nachdem sie von
ihrer Gemeinde auf ihrer Reise unterstützt worden waren, und zwar
höchstwahrscheinlich in der Weise, dass die Mitglieder sie ein Stück weit
begleiteten, was sowohl die Feierlichkeit des Anlasses als auch das Interesse
der Brüder an der Sache unterstrich, reiste die kleine Gruppe langsam an der
Küste entlang durch Phönizien und durchquerte dann Samaria in Richtung
Südosten. Wo immer sie auf Brüder trafen, berichteten sie ihnen ausführlich von
der Bekehrung der Heiden, wie sie sie erlebt und bezeugt hatten. Und überall fanden
sie wohlwollende Zuhörer, denen ihre Erzählung von der wunderbaren
Barmherzigkeit des Herrn große Freude bereitete. Als sie sich Jerusalem
näherten, ließen sie eine Reihe von Gemeinden hinter sich, in denen die Herzen
in reiner Freude über das Wunder seiner Erlösung für alle Menschen zum Herrn
erhoben waren. Bei ihrer Ankunft in Jerusalem wurden Paulus und seine Gefährten
von der ganzen Gemeinde empfangen, ebenso von den Aposteln, die damals in der
Hauptstadt anwesend waren, und von den Ältesten der örtlichen Körperschaft, und
sie erstatteten einen vollständigen Bericht, in dem sie erzählten, wie viele
und wie große Dinge Gott mit ihnen als seinen Werkzeugen der Gnade und in ihrem
Namen getan hatte, indem sie das Wort bezeugten, wie es von ihnen gepredigt
wurde.
Die Forderung der früheren Pharisäer und
die Antwort des Petrus (V. 5-12): Die Dinge schienen sich sehr gut zu
regeln, als sich eine Opposition entwickelte. Einige Männer, die früher der
Sekte der Pharisäer angehört hatten, waren durch die Beweise des Evangeliums
überwunden worden und hatten Jesus im wahren Glauben angenommen. Aber einige
ihrer früheren Vorstellungen von der Notwendigkeit, das Gesetz zu halten,
blieben bestehen. Diese erhoben sich nun in der Versammlung und vertraten mit
großem Nachdruck ihre Meinung, nämlich dass es für alle Bekehrten unter den
Heiden absolut notwendig sei, sich beschneiden zu lassen und das Gesetz des
Mose, d.h. das Zeremonialgesetz, zu befolgen, wie es das Volk Gottes im Alten
Testament betraf. Es ist dieselbe falsche und gefährliche Lehre, die zu allen
Zeiten in der Kirche aufgetaucht ist, nämlich dass das Halten des Gesetzes eine
wesentliche Voraussetzung für die Erlangung des Heils sei. Dies war ein sehr
ernster Einwand, ein Misston in der Harmonie der Versammlung, und zwar so
ernst, dass die Versammlung sich vertagte, um zu einem anderen Zeitpunkt erneut
zusammenzukommen. Als die Versammlung, die Apostel und Ältesten, zusammen mit
der ganzen Gemeinde, V. 12.22.25, wieder zusammenkamen, geschah dies mit dem
ausdrücklichen Ziel, diese Angelegenheit genau zu untersuchen und zu einer
definitiven Schlussfolgerung in Bezug auf die drohende Uneinigkeit zu gelangen.
Die Versammlung begann nicht sehr verheißungsvoll. Es gab eine hitzige Debatte
mit vielen spitzen Fragen, und die pharisäische Partei bestand darauf, dass
ihre Meinung akzeptiert wurde. Doch nachdem diese Diskussion einige Zeit
gedauert hatte, stand Petrus auf und ergriff das Wort. In einer vollkommen
kühlen und sachlichen Weise legte er seine Ansichten dar. Er wandte sich an die
Versammlung als "Männer und Brüder" und erinnerte sie daran, dass sie
herausgefunden hatten und sich daher der Tatsache voll bewusst waren, dass Gott
seit den frühesten Tagen, ja fast seit der Gründung der Kirche, beschlossen
hatte, dass die Heiden durch seinen, des Petrus, Mund das Wort des Evangeliums
hören und zum Glauben kommen sollten. Er verwies auf die Demonstration, die der
Herr im Fall von Kornelius gab. Damals hatte Gott, der das Herz und den
Verstand aller Menschen kennt, Kap. 1,24, ein Zeugnis für die Heiden abgelegt,
indem er ihnen den Heiligen Geist gab, so wie er ihn den Aposteln und den
anderen jüdischen Jüngern gegeben hatte. Gott hatte keinen Unterschied, keine
Unterscheidung zwischen Juden und Heiden gemacht, sondern den letzteren die
volle Reinheit des Herzens durch den Glauben gegeben. Obwohl sie unbeschnitten
waren, war ihnen der Geist ebenso zuteil geworden wie denen, die zur
Beschneidung gehörten. Die äußere Reinigung, die mit dem jüdischen Ritus
einherging, wird hier der vollen und vollständigen Reinigung des Herzens
gegenübergestellt, die dem Glauben an Jesus, den Erlöser, folgt. „Deshalb ist
dieser Glaube, von dem der Apostel spricht, nicht eine einfache Kenntnis der
Geschichte, sondern ein starkes, mächtiges Werk des Heiligen Geistes, das die
Herzen verändert.“[55]
Da diese Dinge wahr sind, argumentiert Petrus, warum sollten sie Gott
versuchen, warum sollten sie ihn auf die Probe stellen, warum sollten sie seine
Geduld und Nachsicht auf die Probe stellen, indem sie andeuten, dass er
unwürdige Mitglieder in seine Kirche aufgenommen hat? Warum sollten sie diesem
Volk, das Gott ohne den jüdischen Ritus aufgenommen hatte, ein Joch auf den
Hals legen wollen, das Joch des Zeremonialgesetzes, das weder ihre Väter noch
sie selbst hatten tragen können? Die detaillierten Vorschriften, die selbst die
kleinsten Handlungen des täglichen Lebens regeln, hatten sich für alle Juden
stets als schwere Last erwiesen, und es wäre falsch, diese Last auf die Heiden
zu übertragen. Und dieses Argument war umso stichhaltiger, als sie alle, Juden
wie Heiden, hofften, durch Gnade gerettet zu werden, durch die unverdiente
Gnade des Herrn Jesus Christus. Jede Regel und Ordnung, die die Verdienste und
Werke des Menschen hervorhebt, würde natürlich von der Herrlichkeit der freien
Gnade des Herrn ablenken und die Errettung selbst in Frage stellen. Die
Argumente des Petrus waren unwiderlegbar und veranlassten die Gegner, zu
schweigen. Außerdem wurde die allgemeine Debatte nicht wieder aufgenommen, denn
nun ergriffen Barnabas und Paulus das Wort, und die ganze Menge hörte ihnen zu,
als sie erzählten, wie viele und wie große Zeichen und Wunder Gott durch sie
unter den Heiden getan hatte. Man beachte, dass Lukas hier wieder den Namen
Barnabas an die erste Stelle setzt. Es war Paulus, der mit dem Zauberer Elymas gesprochen hatte; es war Paulus, der den Lahmen in Lystra geheilt hatte; und es fiel natürlich Barnabas zu,
diese Tatsachen zu berichten. Indem er das Wort des Evangeliums unter den
Heiden auf diese Weise bestätigte, als Paulus und Barnabas die Heiden einluden
und sie in Gemeinden organisierten, ohne ihnen die Forderungen der mosaischen
Gesetzgebung aufzuerlegen, gab der Herr einen Beweis für seine Billigung der
Arbeit und betonte das Evangelium der freien Gnade in Christus Jesus.
Der Vorschlag des Jakobus (V.
13-21): Als Barnabas und Paulus ihre Erzählung über den Erfolg ihrer Arbeit
beendet hatten, konnten die Zuhörer keinen anderen Eindruck haben, als dass die
Bekehrung der Heiden ein Werk Gottes war und dass ihre Nachfolge, auch ohne die
Einhaltung des Zeremonialgesetzes, notwendigerweise für ihn annehmbar sein
musste. Nachdem nun niemand mehr um das Wort gebeten hatte, erhob sich Jakobus,
d.h. Jakobus der Gerechte, der Bruder des Herrn, eine der Säulen der Gemeinde
in Jerusalem, nach allgemeinem Zeugnis ihr Haupt nach dem Weggang der Apostel,
und fügte den von den Vorrednern vorgetragenen Tatsachen den Beweis
prophetischer Voraussage hinzu. Er bat die Zuhörer, aufmerksam zuzuhören, und
eröffnete seine Ausführungen mit einem Hinweis auf den Bericht des Petrus:
Simeon hat erklärt, auf welche Weise Gott von Anfang an beschlossen hat, aus
den Heiden ein Volk zu gewinnen, das seinem Namen zur Ehre und zum Lob seines
heiligen Namens dient und nach seinem Namen als seine Kinder berufen wird. Mit
dieser Tatsache stimmen die Worte der Propheten überein. Obwohl Jakobus nur
einen der Propheten zitiert, kann er entweder den Haken der Propheten im Sinn
gehabt oder angedeutet haben, dass die anderen Propheten ähnliche Aussagen
machen. Er zitiert die Worte Amos 9,11.12 nach der griechischen Übersetzung.
Dort hatte der Herr versprochen, nach dieser Zeit wiederzukommen, zu der von
ihm festgelegten Zeit in der Zukunft. Er würde dann das Zelt Davids, das
zerstört und niedergerissen worden war, neu aufbauen, wieder aufrichten. Er
spricht von der alttestamentlichen Kirche nicht als dem Haus Davids, wie an
anderen Stellen, sondern als einem Zelt, einer Bude, einer Hütte, die zerfallen
und verfallen war. Aber diese Hütte, die wie von einem Sturm niedergeworfen am
Boden lag, wollte der Herr neu aufbauen und wieder aufrichten als die Hütte des
Neuen Testaments. Dieser Wiederaufbau der Ruinen geschah in und durch Jesus
Christus, damit die Übriggebliebenen des Volkes den Herrn am eifrigsten
suchten, damit die übrigen Menschen, d. h. alle Heiden, ohne Ansehen der Person
und der Werke, alle, über die sein Name in der Verkündigung des Evangeliums
ausgesprochen wird, danach strebten, die Segnungen des Herrn zu besitzen. Es
war dieser Herr, der all diese Dinge tat, und die Art und Weise, wie er sie
ausführte, war nicht zu übersehen. Denn er hatte nicht die Angewohnheit,
irgendeines seiner Werke willkürlich auszuführen, sondern er hatte von Anfang
der Welt an nach bestimmten Plänen gearbeitet. Und er hatte diese Tatsachen von
alters her, von Anbeginn der Welt, bekannt gemacht. Auf der Grundlage dieser
klaren prophetischen Aussage, deren Erfüllung nach den Berichten an die
Versammlung niemand mehr leugnen konnte, wagte Jakobus nun eine Stellungnahme,
nicht unbedingt als Vorsitzender der Versammlung, sondern als Redner, der das
Ergebnis seiner Überlegungen in Form einer Entschließung vorträgt. Er stellte
den Antrag, dass sie die Menschen unter den Heiden, die sich zu Gott bekehrten
und von ihm im Glauben angenommen worden waren, in keiner Weise beunruhigen
oder belästigen sollten. Aber er schlug vor, ihnen Briefe zu schicken, in denen
sie vor der Verunreinigung durch Götzenanbetung, vor Unzucht, vor dem Verzehr
von Fleisch erwürgter Tiere und vor dem Verzehr von Blut gewarnt werden
sollten, denn zur Götzenanbetung gehörten auch götzendienerische Feste, bei
denen Fleisch serviert wurde, das falschen Göttern geopfert worden war. Bis zu
einem gewissen Grad wurden die Sünden gegen das Sechste Gebot auch in
Verbindung mit den Götzentempeln begangen, obwohl diese Sünden auch sonst weit
verbreitet waren und es tatsächlich zu namenlosen Verstößen gegen das
christliche Reinheitsgebot kam. Das ist der Wille Gottes an die Christen aller
Zeiten, dass sie Unzucht und alle Unreinheit meiden und von der Welt und ihren
Lüsten, einschließlich der unreinen, götzendienerischen Freuden und Genüsse der
Welt, unbefleckt bleiben. Aber dass Jakobus das Verbot des Verzehrs von Tieren,
die ohne Blutverlust betäubt oder erwürgt worden waren, und das des Blutes
selbst, 3. Mose 17,13; 5. Mose 12,16.23; 15,23, geschah aus einem anderen
Grund. Diese Praktiken waren im Alten Testament verboten und galten den Juden
als besonders abscheulich, als ein Gräuel vor dem Herrn. Und da die
Judenchristen dieses Gefühl der Abscheu und des Ekels noch nicht ablegen
konnten, dürften die Heidenchristen nach Ansicht von Jakobus in diesem Fall
durchaus Rücksicht auf ihre jüdischen Geschwister nehmen. Die christliche
Nächstenliebe verlange dies, vor allem, wenn die Mahlzeiten gemeinsam
eingenommen würden. Jakobus fügte zum Abschluss seiner Rede hinzu, dass Mose
von alters her in allen Städten Männer hatte, die ihn in den Synagogen
verkündeten, da er an jedem Sabbat im Gottesdienst gelesen wurde, das heißt,
seine Bücher wurden im Gottesdienst gelesen und erklärt. Es bestand also die
Gefahr, dass diese mosaischen Bräuche überall bekannt sein würden und ihre
Nichtbeachtung Anstoß erregen könnte, als ob der Heilsweg des Neuen Testaments
anders wäre als der des Alten. Dann bestand auch die Gefahr, dass der Verkehr
zwischen Juden- und Heidenchristen völlig zum Erliegen käme, wenn letztere
nicht bereit wären, um der Nächstenliebe willen ein Dekret zu befolgen, das
eine brüderliche Gemeinschaft ermöglichen würde. Und schließlich brauchten
diejenigen, die noch an der äußerlichen Einhaltung der mosaischen Bräuche
festhielten, nicht besorgt zu sein, da Mose zu dieser Zeit noch gelesen wurde.
Jakobus wusste sehr wohl, dass sich dies mit der Zeit ändern würde, aber er
schlug nicht vor, die Angelegenheit durch taktlose Eile zu erzwingen.
Anmerkung: Der Entwurf, den Jakobus vorlegte, war kein Kompromissbeschluss, wie
behauptet wurde. Er war nicht der Meinung, dass die Heidenchristen tatsächlich
nicht mit dem gesamten Gesetz des Mose belastet werden sollten, sondern nur mit
bestimmten Vorschriften. Selbst das kleinste Teilchen des mosaischen Gesetzes,
das ihnen als Heilsbedingung auferlegt worden wäre, hätte den Christen den
Glauben an die freie Gnade und Barmherzigkeit des Erlösers genommen. Sein
Vorschlag war lediglich ein Vorschlag um der christlichen Ordnung willen, nicht
um gläubige Herzen zu belasten, sondern um das Problem zu vereinfachen, zwei
Rassen in denselben Gemeinden zu vereinen, ohne die Gefahr ständiger Reibungen.
Diese Anweisungen betrafen nicht den Weg des Heils, denn diesen hatten die
Heidenchristen aus dem Evangelium gelernt.
Die Beschlüsse der Versammlung (V.
22-29): Die Rede von Jakobus beendete die Diskussion. Die Opposition konnte
sich gegen diese klare Darstellung nicht durchsetzen. Die Art und Weise, wie
diese Versammlung vorgegangen ist, dient bis zum heutigen Tag als Beispiel.
Wenn es in einer Gemeinde oder in einer kirchlichen Körperschaft
Meinungsverschiedenheiten gibt, insbesondere wenn es um eine christliche Lehre
geht, ist es Sache der Christen, diese in Versammlungen, in Gemeinde- oder
Synodenversammlungen, zu erörtern und zu klären. Und das Wort Gottes
entscheidet alle Fragen. Wenn ein Punkt der Lehre in der Heiligen Schrift klar
dargelegt ist, dann werden alle guten Christen gerne der Wahrheit zustimmen und
den Irrtum zurückweisen. Nachdem die Angelegenheit in Jerusalem geklärt war,
beschlossen die Apostel und Ältesten zusammen mit der ganzen Gemeinde, Männer
aus ihrer Mitte zu wählen und sie mit Paulus und Barnabas nach Antiochia zu
schicken: Die Wahl fiel auf zwei Männer, die unter den Brüdern bekannt waren, nämlich
Judas Barsabas und Silas (letzterer ist entweder
identisch mit dem Silvanus aus 2. Kor. l,19 oder mit Tertius,
Röm. 16,22). Diese Vertreter oder Delegierten der Gemeinde waren mit
entsprechenden Beglaubigungsschreiben ausgestattet, die nicht nur an die
Gemeinde in Antiochia, sondern auch an die in ganz Syrien und Zilizien
gerichtet waren, den Provinzen, in denen die Kontroverse zu dieser Zeit
wahrscheinlich bekannt war. Die Apostel und Ältesten und Brüder lehnten
zunächst jede Verantwortung für die Worte jener Männer ab, die behaupteten, aus
der Gemeinde in Jerusalem zu kommen, und die die Brüder mit ihrer Lehre
beunruhigt und verunsichert und ihre Seelen durch die unerlaubten Aussagen über
die Notwendigkeit der Beschneidung und die Notwendigkeit, das Gesetz zu halten,
verstört hatten. Diese Irrlehrer hatten ohne die Autorität und das Gebot der
Muttergemeinde gehandelt, ganz und gar willkürlich. Deshalb hatte die
Versammlung in Jerusalem, die durch die Absender des Briefes vertreten wurde,
beschlossen, Männer zu wählen und sie mit ihren eigenen Abgesandten, Paulus und
Barnabas, nach Antiochia zu schicken, da sie nun einer Meinung waren. Die
beiden letztgenannten Männer werden hoch angesehen und gepriesen als Männer,
die ihre Seele geopfert, ihr Leben riskiert haben für den Namen des Herrn Jesus
Christus, in den Verfolgungen, die über sie gekommen waren, waren diese Männer
in jeder Hinsicht Märtyrer, obwohl der Herr ihr Leben verschont hatte. Solche
Männer werden in der Kirche auch heute noch gebraucht, Missionare, die bereit
sind, sich mit all ihren Gaben, Fähigkeiten und Kräften in den Dienst des Herrn
zu stellen. Judas und Silas waren die Delegierten aus Jerusalem in dieser
Angelegenheit, und sie waren gut qualifiziert, ohne den Verdacht der Voreingenommenheit
zu erklären, was auch immer in dem schriftlichen Dokument für irgendjemanden
undurchsichtig erscheinen mag. Und dann wird der Beschluss gefasst. Sie war dem
Heiligen Geist und der ganzen Gemeinde, durch die der Heilige Geist seinen
Willen kundgetan hatte, richtig und angemessen erschienen. Der Heilige Geist,
der durch das Wort sprach, war wirklich der Urheber des Beschlusses, aber die
Gemeinde zeigte durch die Äußerung seines Wohlgefallens, dass sie durchaus
bereit war, die Entscheidung zu akzeptieren, obwohl sie selbst der jüdischen
Rasse angehörte. Den Heidenchristen sollte keine zusätzliche Last auferlegt
werden; sie sollten nicht dem mosaischen Gesetz unterworfen werden, aber sie
sollten sich verpflichtet fühlen, sich dieser notwendigen Regel zu unterwerfen,
sich von Götzenopferfleisch, vom Essen von Blut, vom Fleisch erwürgter Tiere
und von Unzucht, von sexuellem Laster in jeglicher Form zu enthalten. Der
Beschluss wurde also praktisch so gefasst, wie er von Jakobus vorgeschlagen
wurde. Wenn die Heidenchristen diesen Auftrag annehmen würden, würden sie zum
Teil den Willen des Herrn, wie er im Sittengesetz enthalten ist, und zum Teil
die Forderungen der Nächstenliebe erfüllen. Auf jeden Fall würde es ihnen gut
tun, denn der Friede und die Eintracht, die dadurch in den verschiedenen
christlichen Gemeinschaften entstehen würden, lägen in ihrem eigenen Interesse.
Der Brief schloss mit dem üblichen Abschiedsgruß. Anmerkung: Das so genannte
Konzil von Jerusalem war in keiner Weise ein allgemeines Konzil und bietet
keine Grundlage für hierarchische Ansprüche. „Das so genannte Konzil von
Jerusalem ähnelte in keiner Weise den allgemeinen Konzilien der Kirche, weder
in seiner Geschichte, noch in seiner Verfassung, noch in seinem Ziel. Es war
keine Versammlung geweihter Delegierter, sondern eine Versammlung der gesamten
Kirche von Jerusalem, die eine Delegation aus der Kirche von Antiochia empfing.“[56]
Die Resolution der Versammlung ist sehr bedeutsam in ihrer klaren Aussage über
die evangelische Freiheit und die Ablehnung von Werken. „Dieser Punkt ist gut
markiert, denn darin ist alles enthalten. Die Entschließung ... lautet wie
folgt: Das Gesetz des Mose soll den Jüngern aus den Heiden nicht auferlegt
werden, sondern sie sollen gelehrt werden, durch den Glauben gerettet zu
werden, ohne das Gesetz des Mose. Hier beobachte, ob sie nicht Lehren von
Menschen über das Wort Gottes stellen oder sich selbst darüber erheben; ja, sei
vorsichtig, denn sie stellen nichts anderes auf als den wahren Hauptteil der
christlichen Lehre, nämlich den Glauben und die christliche Freiheit, und sie
wachen mit großem Ernst darüber, dass den Jüngern nicht eine größere Last
auferlegt wird. Es soll ihnen aber erlaubt sein, im Glauben zu bleiben, wie
Christus lehrt und vom Himmel durch den Heiligen Geist bestätigt wurde.“[57]
Die Abgesandten in Antiochia (V.
30-35): Nachdem die Delegierten der Gemeinde in Jerusalem ihre
Beglaubigungsschreiben erhalten hatten, wurden sie zusammen mit Paulus und
Barnabas in brüderlicher Liebe und wahrscheinlich nach einem besonderen
Abschiedsgottesdienst weggeschickt; denn die Apostel und Ältesten waren sich
der Bedeutung ihrer Mission wohl bewusst. Die ganze Gruppe ging nach Antiochia
hinunter und legte die gesamte Strecke auf dem Landweg zurück. Dort beriefen
sie eine Versammlung der Schar, der ganzen Gemeinde, ein und übergaben den
Brief feierlich. Und als die Brüder, die von den judaisierenden Lehrern so sehr
beunruhigt worden waren, die Mitteilung gelesen hatten, freuten sie sich sehr
über den Trost, den er ihnen brachte. Die ganze Gemeinde, die von dem Gefühl
der Bedrückung, das sie in den letzten Wochen niedergedrückt hatte, befreit
war, begrüßte die Erleichterung des Briefes mit Freude. Dieser Eindruck wurde
noch verstärkt durch Judas und Silas, die, da sie selbst Propheten waren und
somit von Gott mit außerordentlichen Gaben der Anwendung des Trostes des
Evangeliums ausgestattet waren, die Brüder persönlich mit manchem Wort des
Rates ermutigten und sie zu festem Vertrauen auf das Wort und Werk des Herrn
zurückführten. Als Ergebnis dieser Mission wurde deutlich gezeigt, dass der
Herr aus Juden und Heiden einen einzigen Leib gemacht hat, die heilige
christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen. Nachdem sie einige Zeit
inmitten der Gemeinde in Antiochia verbracht hatten, wurden die Abgesandten aus
Jerusalem von den Brüdern in Frieden und in vollkommener Harmonie entlassen, um
zu denen zurückzukehren, die sie entsandt hatten. So fand die Einheit des
Geistes ihren angemessenen Ausdruck in der guten brüderlichen Beziehung, die
zwischen diesen beiden Gemeinden bestand, die sich als eins im Herrn wussten.
Die Möglichkeiten zur Missionierung waren in Antiochia keineswegs erschöpft,
was Paulus und Barnabas dazu veranlasste, in Antiochia zu bleiben und dort
einige Zeit ernsthaft zu arbeiten, indem sie privat lehrten, wo immer sie
Katechumenen fanden, und öffentlich das Evangelium verkündeten. Und bei dieser
Arbeit waren sie nicht allein, sondern fanden in anderen, die ebenfalls von der
Liebe Christi dazu gedrängt wurden, in seinem Interesse Zeugnis abzulegen und
sein Wort zu verkünden, fähige Helfer. Auf diese Weise wurde der Frieden
vollständig wiederhergestellt, und die Gemeinde kehrte bald zu ihrem früheren
Zustand des ruhigen Wachstums zurück. Durch die Gnade Gottes werden Perioden
der Unruhe in einer Gemeinde die Christen eifriger im Gebet, eifriger für die
Sache des Herrn und fester im Wort der Gnade machen.
Der Beginn der
zweiten Missionsreise des Paulus (15,36-41)
36 Nach etlichen Tagen
aber sprach Paulus zu Barnabas: Lass uns wieder ziehen und unsere Brüder
besehen durch alle Städte, in welchen wir des HERRN Wort verkündigt haben, wie
sie sich halten. 37 Barnabas aber gab Rat, dass sie mit sich nähmen Johannes,
mit dem Zunamen Markus. 38 Paulus aber achtete es billig, dass sie nicht mit
sich nähmen einen solchen, der von ihnen gewichen war in Pamphylien
und war nicht mit ihnen gezogen zu dem Werk. 39 Und sie kamen scharf
aneinander, so dass sie voneinander zogen, und Barnabas zu sich nahm Markus und
schiffte nach Zypern. 40 Paulus aber wählte Silas und zog hin, der Gnade Gottes
befohlen von den Brüdern. 41 Er zog aber durch Syrien und Zilizien und stärkte
die Gemeinden.
Nach einigen Tagen, nachdem einige Zeit vergangen war, schlug Paulus Barnabas vor, dass sie zurückkehren, den Weg, den sie zurückgelegt hatten, wieder aufnehmen und die Brüder in jeder Stadt, in der sie das Wort des Herrn verkündet hatten, besuchen sollten, um zu sehen, wie es ihnen ging. Ein wahrer Missionar begnügt sich nicht mit der Organisation von Missionsstationen und Gemeinden, sondern ist auch an deren Aufbau und Wachstum in der geistlichen Erkenntnis interessiert. Der Vorschlag scheint Barnabas gefallen zu haben, aber als sie ihre Pläne bezüglich der Begleiter besprachen, riet er dringend, seinen Neffen Johannes Markus mitzunehmen, und bestand praktisch darauf. Aber wie selbst die besten Freunde in Fragen der Zweckmäßigkeit und der persönlichen Vorlieben unterschiedlicher Meinung sind, so war es auch hier. Paulus war der Meinung, dass es ihnen und ihrer Arbeit gegenüber nicht fair war, den jüngeren Mann mitzunehmen, dessen Abtrünnigkeit in Perga, Kap. 13,13, sie wahrscheinlich ernsthaft in Verlegenheit gebracht hatte. Paulus war vielleicht der Meinung, dass Markus noch nicht die nötige Reife und Charakterstärke für eine so schwierige Arbeit besaß. Die Meinungsverschiedenheiten gingen so weit, dass es zu einem ernsthaften Ausbruch von Ärger kam, der sie veranlasste, sich zu trennen. „Es besteht kaum ein Zweifel, dass bei dieser Gelegenheit harte Worte gefallen sind. Es ist unklug, die Worte der Heiligen Schrift vorschnell zu verwässern und selbst Apostel von der Schuld freizusprechen. .... Wir können jedoch nicht annehmen, dass Paulus und Barnabas wie Feinde in Zorn und Hass auseinandergingen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie eine bewusste und freundschaftliche Vereinbarung getroffen haben, um das Gebiet ihrer ersten Mission zwischen ihnen aufzuteilen, wobei Paulus den kontinentalen und Barnabas den insularen Teil der geplanten Visitation übernahm. Zumindest in diesem Punkt sind wir sicher, dass der Streit von der göttlichen Vorsehung zu einem guten Ergebnis überstimmt wurde. Ein Strom der Missionsarbeit wurde geteilt, und die Regionen, die durch das Wasser des Lebens gesegnet wurden, vervielfachten sich proportional.“[58] 58) Dass die Entfremdung nicht von Dauer war, geht aus der Tatsache hervor, dass Paulus Barnabas als einen Mitarbeiter am Reich Gottes bezeichnet, Kol. 4,11; 1. Kor. 9, 6, und dass er von Markus spricht, der ihm für den Dienst nützlich war, 2. Tim. 4,11. Aber die Brüder in Antiochien glaubten offenbar, dass Paulus im Recht war, denn als Barnabas Markus nahm und nach Zypern segelte, gab es keine besondere Verabschiedung, während Paulus, als er Silas, den Propheten aus Jerusalem, als seinen Begleiter wählte, von den Brüdern der Gnade des Herrn empfohlen wurde. Sehr wahrscheinlich gab es eine Versammlung der Gemeinde und einen Abschiedsgottesdienst wie bei der ersten Reise des Paulus. So verließ Paulus mit seinem Begleiter Antiochia auf dem Landweg, um die Gemeinden in Syrien und Zilizien zu besuchen, die entweder von einigen der zerstreuten Brüder nach der Hinrichtung des Stephanus oder von Paulus selbst zu einem Zeitpunkt gegründet worden waren, über den wir keine weiteren Angaben haben, Gal. 1,21. Wo immer die beiden Missionare hinkamen, bestätigten sie die Gemeinden, festigten sie im Glauben und im Vertrauen durch angemessene Unterweisung und Ermahnung. Besuche dieser Art sind zwangsläufig mit Segen für die besuchten Gemeinden verbunden.
Zusammenfassung: Wegen drohender Zwietracht durch judaisierende Brüder werden Paulus und Barnabas in die Gemeinde in Jerusalem entsandt, um sich beraten zu lassen; es findet eine Versammlung statt, deren Ergebnisse in einem Brief von Judas und Silas an die Brüder in Antiochia übermittelt werden; Paulus wählt nach einem Streit mit Barnabas Silas als seinen Begleiter auf seiner zweiten Reise.
Paulus und Silas
in Kleinasien
(16,1-10)
1 Er kam aber nach Derbe
und Lystra; und siehe, ein Jünger war dort mit Namen
Timotheus, Sohn einer jüdischen Frau, die war gläubig, aber eines griechischen
Vaters. 2 Der hatte einen guten Ruf bei den Brüdern unter den Lystranern und zu Ikonium. 3
Diesen wollte Paulus lassen mit sich ziehen und nahm und beschnitt ihn um der
Juden willen, die an dem Ort waren; denn sie wussten alle, dass sein Vater war
ein Grieche gewesen.
4 Als sie aber durch die
Städte zogen, überantworteten sie ihnen, zu halten den Spruch, welcher von den
Aposteln und den Ältesten zu Jerusalem beschlossen war. 5 Da wurden die
Gemeinden im Glauben befestigt und nahmen zu an der Zahl täglich. 6 Da sie aber
durch Phrygien und das Land Galatien zogen, wurde ihnen gewehrt von dem
Heiligen Geist, zu reden das Wort in Asien. 7 Als sie aber kamen nach Mysien, versuchten sie, durch Bithynien zu reisen; und der
Geist ließ es ihnen nicht zu. 8 Da sie aber an Mysien
vorüberzogen, kamen sie hinab nach Troas.
9 Und Paulus erschien
eine Vision [Gesicht] bei der Nacht: Da war ein Mann aus Mazedonien, der stand
und bat ihn und sprach: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns! 10 Als er
aber das Gesicht gesehen hatte, da trachteten wir sogleich, zu reisen nach
Mazedonien, gewiss, dass uns der HERR dahin berufen hätte, ihnen das Evangelium
zu predigen.
Timotheus, ein christlicher Jünger
(V. 1-3): Paulus und Silas hatten Kleinasien in der äußersten südöstlichen Ecke
durch den als Syrische Pforte oder Beilan-Pass
bekannten Pass im Berg Amanus betreten. Von der
kilikischen Tiefebene, wo Paulus möglicherweise Mopsuestia,
Adam und Tarsus passierte, führte die Reise über das zerklüftete und
wunderschöne Taurusgebirge und durch den Pass, der als Kilikische Pforte
bekannt ist, hinauf in die große lykaonische Ebene.
Da Derbe die nächstgelegene Stadt an der kilikischen Grenze war, wurde hier der
erste Halt eingelegt. Aber der Apostel hielt sich offensichtlich in keiner der
Städte, die er besuchte, lange auf, denn er hatte einen festen Plan im Kopf.
Denn in Lystra, wo er auf der ersten Reise einige
Zeit verbracht hatte und auch von der Menge gesteinigt worden war, Kap.
14,8-20, gab es einen Jünger namens Timotheus, der zu denen gehörte, die Paulus
bei seinem letzten Besuch bekehrt hatte. Seine Mutter war eine Jüdin, die ihren
Glauben behalten hatte, aber sein Vater war ein Grieche und offensichtlich kein
Proselyt. Eheschließungen mit Heiden waren nach dem jüdischen Gesetz verboten (5.
Mose 7,3; 2. Mose 34,16; Esra 10,2), aber das Verbot wurde nicht streng
befolgt, vor allem nicht von den Juden außerhalb Palästinas, wo seit vielen
Jahren Kolonien errichtet worden waren und wo sich die Juden an die Religion
ihrer Mitbürger angepasst und alles andere als diese akzeptiert hatten. Hier
waren Ehen von Jüdinnen mit einflussreichen Heiden durchaus keine Seltenheit.
Timotheus war von Kindesbeinen an in der Heiligen Schrift unterwiesen worden, 2.
Tim. 1,5; 3,14.15, und wie viele andere wahre Israeliten hatte er bald gelernt,
die richtige Anwendung der Prophezeiungen auf Jesus Christus von Nazareth zu
erkennen. Und nicht nur in seiner Heimatstadt Lystra,
sondern auch in Ikonium war man von ihm sehr angetan,
und die Brüder der Gemeinden hatten alle die allerhöchste Meinung von seinem
christlichen Charakter. Diese und andere Qualitäten empfahlen den jungen Mann
in den Augen des Paulus, der ihn als Begleiter und Helfer auf seiner Reise
haben wollte, sehr hoch. Junge Männer, die in der christlichen Gemeinde einen
guten Ruf haben, weil sie einen gesunden christlichen Charakter haben, und die
auch sonst ihre Fähigkeit und Bereitschaft für die Arbeit zeigen, sind im
Weinberg des Herrn sehr gefragt. Nachdem Paulus die notwendigen Vorkehrungen
getroffen hatte, um Timotheus zu begleiten, vollzog er bei ihm zunächst den
Ritus der Beschneidung. Das war vom Standpunkt der Schrift aus nicht nötig; es
war bei der Versammlung in Jerusalem ausdrücklich abgelehnt worden und war auch
bei Titus nicht geschehen, Gal. 2,3.4. Aber in diesem Fall bewies Paulus Takt
und Weisheit. Die Juden in der ganzen Gegend, die Timotheus' Abstammung
kannten, wären geneigt gewesen, an seinem Predigen und Dienen Anstoß zu nehmen
und so sein Werk dort und anderswo zu behindern. So wurde Paulus ein Jude für
die Juden und ein Grieche für die Griechen, damit er sowohl Juden als auch
Griechen gewinne, 1. Kor. 9,20.21. Wo immer ein Christ, und besonders ein
christlicher Prediger oder Missionar, in der Lage ist, eine Ursache des
Ärgernisses zu beseitigen, ohne die Wahrheit des Evangeliums zu verleugnen,
sollte er dies mit allen Mitteln tun, denn es kann bedeuten, Seelen für Christus
zu gewinnen.
Durch Kleinasien nach Troas (V.
4-8): Der Eifer des Paulus kannte weder Müdigkeit noch Ruhe; er war stets für
seinen Herrn tätig. Als er durch die Städte reiste, in denen Gemeinden durch
seine eigenen Bemühungen oder die von Jüngern, die Missionare geworden waren,
gegründet worden waren, überbrachten er und seine Gefährten ihnen alle
Beschlüsse, die von den Aposteln und Ältesten in Jerusalem gefasst worden
waren. Alle Gemeinden wurden ermahnt, diese Beschlüsse zu befolgen, obwohl sie
nur an die Gemeinden in Syrien und Zilizien gerichtet waren. Die
Einheitlichkeit der Praxis, vor allem in so wichtigen Angelegenheiten, ist für
Gemeinden desselben Bekenntnisses sehr zu empfehlen. Auf diese Weise wurden die
Gemeinden überall im Glauben gefestigt; die ermutigenden Ermahnungen des
Apostels und seiner Gefährten stärkten ihren Glauben. Und ein zweites Ergebnis
der Visitation war, dass die Gemeinden von Tag zu Tag zahlreicher wurden. So
hat Paulus die Gemeinden in diesem ganzen Bezirk, der rassisch phrygisch, verwaltungstechnisch
aber galatisch war, besucht: Ikonium,
Antiochia und alle Stationen, die mit diesen Städten verbunden waren;
vielleicht hat er seine Arbeit sogar auf Nordgalatien
ausgedehnt, obwohl neuere Untersuchungen dieser Annahme entgegenzustehen
scheinen.[59] Unter
seiner Arbeit in Galatien entstanden viele Gemeinden, 1. Kor. 16,1, und er war
mit diesen Jüngern stets durch die Bande einer glühenden Liebe verbunden.
Nachdem er seine Missionsarbeit in dieser Provinz in dem von ihm beabsichtigten
Ausmaß ausgeführt hatte, wollte Paulus als nächstes die Provinz Asien besuchen,
eine Seeprovinz im Südwesten Kleinasiens, am Ägäischen Meer. Aber der Heilige
Geist hinderte ihn daran, in dieser Provinz das Wort zu sprechen. Dies geschah
entweder durch eine innere Offenbarung oder durch eine prophetische Andeutung,
die keine Missverständnisse zuließ. So reisten sie nach Mysien,
in die Grenzen dieser Provinz, westlich von Phrygien, und machten dort den
Versuch, nach Norden in die Provinz Bithynien am Schwarzen Meer abzubiegen.
Aber wieder griff der Geist Jesu ein und hinderte sie daran. Anmerkung: Der
Heilige Geist ist der Geist Jesu Christi, Röm. 8,9, und auch der Geist des
Vaters, Matth. 10,20. Nun blieb ihnen nichts anderes
übrig, als nach Westen zu reisen, nach Troas, einer Hafenstadt an der Ägäis,
gegenüber von Griechenland. Es ist der Herr, der den Lauf des Evangeliums auf
der Erde lenkt und bestimmt. Alle Dinge und Umstände werden von ihm so
geordnet, dass sie dem Evangelium nach seinem Willen dienen.
Das Gesicht [Vision] (V. 9-10): Der
Grund für all dieses Hin und Her wurde nun offensichtlich. In der Nacht,
offenbar noch in der Nacht nach ihrer Ankunft in Troas, erschien Paulus eine
Vision, durch die der Herr dem Apostel seinen Willen mitteilen wollte. Ein Mann
aus Mazedonien stand vor ihm, entweder im Traum oder in einem Zustand der
Ekstase, und wandte sich mit eindringlichen Bitten an ihn: Geh hinüber nach
Mazedonien; hilf uns! Als Paulus diese Vision gesehen hatte, machten er und
seine Gefährten, zu denen nun auch Lukas gehörte, sofort ernsthafte Anstalten,
nach Mazedonien aufzubrechen, denn sie waren fest davon überzeugt, dass der
Herr sie auf diese Weise berufen hatte, um das Evangelium in Europa zu
verkünden. Die kleine Gruppe bestand nun aus Paulus, Silas, Timotheus und
Lukas, von denen einer so sehr wie der andere darauf bedacht war, sich eine
baldige Überfahrt auf einem Schiff zu sichern, das zwischen den Häfen der Ägäis
verkehrte. Beachte: Wenn die Anweisungen des Herrn für ein zu verrichtendes
Werk klar sind, sollten alle Beteiligten von der gleichen Eile erfüllt sein,
sich an die Arbeit zu machen; denn sein Geschäft erfordert Eile.
Paulus und seine
Begleiter in Philippi (16,11-40)
11 Da fuhren wir aus von
Troas, und kamen mit direktem Kurs nach Samothrazien,
am nächsten Tag nach Neapolis 12 und von dort nach
Philippi, welches ist die Hauptstadt des Landes Mazedonien und eine Freistadt.
Wir hatten aber in dieser Stadt unser Wesen etliche Tage. 13 Am Sabbattag
gingen wir hinaus vor die Stadt an das Wasser, da man pflegte zu beten, und setzten
uns und redeten zu den Frauen, die da zusammenkamen.
14 Und eine
gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurkrämerin aus der Stadt der Thyatirer, hörte zu; welcher tat der HERR das Herz auf,
dass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde. 15 Als sie aber und
ihr Haus getauft wurden, ermahnte sie uns und sprach: So ihr mich achtet, dass
ich gläubig bin an den HERRN, so kommet in mein Haus und bleibt allda. Und sie
zwang uns.
16 Es geschah aber, da
wir zu dem Gebet gingen, dass eine Magd uns begegnete, die hatte einen Wahrsagergeist und trug ihren Herren viel Gewinn ein mit
Wahrsagen. 17 Diese folgte allenthalben Paulus und uns nach, schrie und sprach:
Diese Menschen sind Knechte Gottes, des Allerhöchsten, die euch den Weg der
Seligkeit verkündigen! 18 Solches tat sie manchen Tag. Paulus aber tat das weh,
und wandte sich um und sprach zu dem Geist: Ich gebiete dir in dem Namen Jesu
Christi, dass du von ihr ausfahrest! Und er fuhr aus zu derselben Stunde.
19 Da aber ihre Herren
sahen, dass die Hoffnung ihres Gewinns war ausgefahren, nahmen sie Paulus und
Silas, zogen sie auf den Markt vor die Obersten 20 und führten sie zu den
Hauptleuten und sprachen: Diese Menschen machen unsere Stadt irre und sind
Juden 21 und verkündigen eine Weise, welche uns nicht ziemt anzunehmen noch zu
tun, weil wir Römer sind. 22 Und das Volk wurde erregt gegen sie. Und die
Hauptleute ließen ihnen die Kleider abreißen und hießen sie stäupen
[auspeitschen]. 23 Und da sie sie wohl gestäupt hatten, warfen sie sie ins
Gefängnis und geboten dem Kerkermeister, dass er sie wohl bewahrte. 24 Der nahm
solch Gebot an und warf sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in
den Stock.
25 Um die Mitternacht
aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und es hörten sie die
Gefangenen. 26 Schnell aber ward ein großes Erdbeben, so dass sich bewegten die
Grundfesten des Gefängnisses. Und sogleich wurden alle Türen aufgetan und aller
Bande los. 27 Als aber der Kerkermeister aus dem Schlaf fuhr und sah die Türen
des Gefängnisses aufgetan, zog er das Schwert aus und wollte sich selbst
erwürgen; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. 28 Paulus aber rief
laut und sprach: Tue dir nichts Übles; denn wir sind alle hier.
29 Er forderte aber ein
Licht und sprang hinein und ward zitternd und fiel Paulus und Silas zu den
Füßen 30 und führte sie heraus und sprach: Liebe Herren, was soll ich tun, dass
ich selig werde? 31 Sie sprachen: Glaube an den HERRN Jesus Christus, so wirst
du und dein Haus selig. 32 Und sie sagten ihm das Wort des HERRN und allen, die
in seinem Haus waren. 33 Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht
und wusch ihnen die Striemen ab; und er ließ sogleich sich taufen und alle die
Seinen. 34 Und er führte sie in sein Haus und setzte ihnen einen Tisch vor und
freute sich mit seinem ganzen Haus, dass er an Gott gläubig worden war.
35 Und als es Tag wurde,
sandten die Hauptleute Stadtdiener und sprachen: Lass die Menschen gehen! 36
Und der Kerkermeister verkündigte diese Rede Paulus: Die Hauptleute haben hergesandt, dass ihr los sein sollt. Nun zieht aus und geht
hin mit Frieden. 37 Paulus aber sprach zu ihnen: Sie haben uns ohne Recht und
Urteil öffentlich gestäupt, die wir doch Römer sind, und in das Gefängnis
geworfen und sollten uns nun heimlich ausstoßen? Nicht so, sondern lasst sie
selbst kommen und uns hinausführen. 38 Die Stadtdiener verkündigten diese Worte
den Hauptleuten; und sie fürchteten sich, da sie hörten, dass sie Römer wären,
39 und kamen und ermahnten sie und führten sie heraus und baten sie, dass sie
auszögen aus der Stadt. 40 Da gingen sie aus dem Gefängnis und gingen zu der
Lydia. Und da sie die Brüder gesehen hatten und getröstet, zogen sie aus.
Die Reise nach Philippi (16,11-13):
In jenen Tagen des regen Handelsverkehrs zwischen den verschiedenen Häfen der
Ägäis dauerte es nicht lange, bis sie ein Schiff fanden, auf dem sie übersetzen
konnten. Paulus und seine Begleiter machten sich also auf den Weg und segelten
von Troas aus, wobei sie von einer guten steifen Brise aus Süden und Osten
begünstigt wurden, die es ihnen ermöglichte, auf geradem Weg an der Insel Imbros vorbei nach Samothrake,
einer der nördlichsten Inseln des griechischen Archipels, zu gelangen. Hier
drehten sie nach Westen ab und segelten an der Insel Thasus
vorbei zum makedonischen Hafen Neapolis, wobei der
letzte Teil der Reise nur einen Tag dauerte. Die Reise war also unter
ungewöhnlich günstigen Umständen unternommen und in außergewöhnlich kurzer Zeit
abgeschlossen worden. Die Missionare blieben jedoch nicht in Neapolis, sondern zogen weiter in die größere Stadt
Philippi, die eine römische Kolonie war, wie sowohl Münzen als auch Inschriften
die Worte des Lukas bestätigen.[60]
In ihrer Nähe fand die große Schlacht zwischen Augustus und Antonius auf der
einen Seite und Brutus und Cassius, den Mördern von Julius Cäsar, auf der
anderen Seite statt, die Schlacht, die darüber entschied, dass Rom ein Imperium
und nicht eine Republik sein würde. Zu Ehren dieses Ereignisses hatte Philippi
die Rechte einer römischen Kolonie erhalten, wie auch der Name „Prätoren“
zeigt, den Lukas zur Bezeichnung der Beamten der Stadt verwendet. Und Philippi
war die erste Stadt in diesem Bezirk oder Teil von Makedonien. Fast zwei
Jahrhunderte zuvor war Mazedonien in vier Bezirke unterteilt worden, deren
allgemeine Grenzen immer noch anerkannt wurden, obwohl sie von der Regierung
nicht mehr als politische Bezirke akzeptiert wurden. Dass Philippi die erste
und wichtigste Stadt in diesem Teil Makedoniens war, lag an ihrer Lage an der
großen Egnatianischen Straße, der wichtigsten römischen
Straße zwischen Europa und Asien. Sie war damals das, was später Byzanz oder
Konstantinopel wurde: das Tor zum Orient.[61]
Die römische Provinz Makedonien lag zwischen Griechenland und dem Ägäischen
Meer im Süden und dem Balkangebirge im Norden. In Philippi, wo Ost und West
zusammentrafen, hielten sich diese Reisenden aus dem Morgenland auf, um einige
Seelen für den Herrn zu gewinnen. Da die jüdische Bevölkerung der Stadt zu
jener Zeit nicht groß genug war, um eine Synagoge zu unterhalten, und die Juden
daher die Gewohnheit hatten, sich außerhalb der Stadttore am Ufer eines Flusses
zu versammeln und dort ihre Gebetsversammlungen abzuhalten, war dieser Ort als
Ort des Gebets bekannt geworden. Deshalb gingen Paulus und seine Gefährten am
Sabbat auch dorthin, zum Fluss Gangas oder Gangites. Wahrscheinlich gab es keinen förmlichen
Gottesdienst wie in den Synagogen, auch wenn es vielleicht Vorsteher der
Andacht gab. Jedenfalls passte sich Paulus den Gegebenheiten an. Er setzte sich
mit seiner Gruppe unter die Anbeter und verbrachte den Vormittag im Gespräch
mit den Frauen, die sich dort versammelt hatten. Es scheint also, dass die Juden
und Proselyten der Stadt größtenteils aus Frauen bestanden, von denen viele
eine Position mit beträchtlicher Freiheit und sozialem Einfluss innehatten,
eine Tatsache, die durch sorgfältige historische Forschung voll bestätigt wird.
Anmerkung: Es mag Paulus seltsam vorgekommen sein, nach all den aufwendigen
Vorbereitungen nur eine Handvoll Frauen versammelt vorzufinden, aber Gott hat
seine eigenen Wege, Dinge zu tun und die Angelegenheiten seines Reiches zu
leiten, wie der spätere Zustand der Gemeinde in Philippi zeigt.
Die Bekehrung der Lydia (V. 14-15):
Unter den Zuhörern am Flussufer befand sich an jenem denkwürdigen Morgen, an
dem der erste christliche Gottesdienst auf europäischem Boden stattfand, eine
gewisse Frau, eine Händlerin namens Lydia, ein Name, unter dem sie
wahrscheinlich aus geschäftlichen Gründen bekannt war, denn sie stammte aus Thyatira in Lydien, einem Bezirk im prokonsularischen
Asien. Sie handelte mit Purpur, d.h. mit Gewändern, die mit einem sehr teuren
Farbstoff gefärbt waren, und muss daher relativ wohlhabend gewesen sein. „Thyatira war bekannt für seine Färberei. Die Krappwurzel,
mit der sie ein türkisfarbenes Rot färbten, wächst in der Gegend reichlich. Da
die Alten mit den Namen der Farben sehr lax umgingen, wurde dies oft als Purpur
bezeichnet.“[62] Lydia
war eine gottesfürchtige Frau, das heißt, sie war eine jüdische Proselytin, sie
glaubte an den Gott der Juden und verehrte ihn, dessen Verehrung sie gelehrt
worden war. Sie hörte der ganzen Rede aufmerksam zu, und der Herr öffnete ihr
das Herz, um die von Paulus erläuterten Dinge, die Nachricht, dass Jesus von
Nazareth der verheißene Messias sei, voll aufzunehmen. Sie und alle Mitglieder
ihres Haushalts (sie war vielleicht eine Witwe mit mehreren Kindern und einer
Reihe von Bediensteten) wurden so gründlich von der Wahrheit des Evangeliums
überzeugt, dass sie und alle anderen sofort ihren Glauben bekannten und sich
taufen ließen - eine gute Keimzelle für eine Gemeinde, an deren Wohlergehen
Paulus immer großes Interesse hatte. Die Dankbarkeit der Lydia für die
Segnungen, deren sie nun teilhaftig geworden war, veranlasste sie, den
Missionaren eine herzliche Einladung auszusprechen, ihre Gastfreundschaft
anzunehmen. In Form eines ernsten Flehens sagte sie zu ihnen: Wenn ihr mich für
treu gegenüber dem Herrn haltet, da die Tatsache, dass ihr mich getauft habt,
dafür zu sprechen scheint, dass ihr mich für eine Gläubige des Herrn haltet,
dann kommt bitte in mein Haus und bleibt dort. Und sie gab nicht eher Ruhe, bis
sie die beiden überredet hatte, bei ihr zu Gast zu sein. Eine solche
Gastfreundschaft als Gegenleistung für die großen geistlichen Gaben, die sie
erhalten hat, ist ein Beweis für den Wandel des Herzens, der durch den Glauben
hervorgerufen wird, und sie ist dem Herrn wohlgefällig.
Die Begegnung mit dem Wahrsagergeist (V. 16-18): Auch in Philippi, wo es
keine Synagoge gab, hielten Paulus und seine Gefährten die Gebetszeiten ein.
Aber als sie auf dem Weg zum Gebetsort waren, vermutlich am Ufer des Flusses,
wurden sie von einer Sklavin belästigt, die buchstäblich einen Pythongeist besaß. Aber sie war nicht nur eine
Bauchrednerin, wie das Wort in weltlichen Berichten oft verstanden wird,
sondern sie hatte einen Geist der Weissagung mit prophetischer Kraft; sie war
von einem Dämon besessen. Diese Sklavin, die ihren Besitzern und Herren durch
ihre Wahrsagerei viel Geld einbrachte, machte es sich zur Gewohnheit, Tag für
Tag der Gruppe des Paulus zu begegnen und ihm dann dicht auf den Fersen zu
folgen, wobei sie mit lauter Stimme rief: "Diese Männer sind Diener
Gottes, des Höchsten, die auch euch den Weg des Heils verkünden. Das Mädchen
war nicht Herrin über sich selbst, als es so rief. Einem Ausleger zufolge war
das Mädchen einmal von dem bösen Geist, der ihr eigentlicher Herr war, überwältigt,
ein anderes Mal sehnte es sich nach Befreiung aus seiner Knechtschaft. Der böse
Geist in ihr bebte beim Anblick der Diener Christi und konnte nicht umhin, die
Wahrheit anzuerkennen. Paulus aber wurde schließlich von Ärger, Trauer, Schmerz
und Zorn erfüllt. Der Herr will nicht von bösen Geistern gepredigt werden, wie
sein Verhalten in den Evangelien zeigt. Außerdem könnte die Menge nach dem
Sinn, den sie mit den Worten des Mädchens verband, die Missionare für Diener
des Aberglaubens oder der Magie halten.[63]
Deshalb sprach Paulus nicht zu der Sklavin, sondern zu dem bösen Geist, der sie
besaß, und forderte ihn im Namen Jesu Christi auf, von ihr auszugehen. Und in
derselben Stunde, nach der griechischen Redeweise, in demselben Augenblick,
nach unserer, verließ sie der Geist und seine Macht. Anmerkung: Auch die
Wahrsager, Wahrsagerinnen und Wahrsager unserer Tage bedienen sich des Namens
und des Wortes Gottes, aber nur zu dem Zweck, die armen irregeleiteten Seelen,
die sie konsultieren, zu täuschen und so die Seelen um so
fester in ihrer Lehre und ihren teuflischen Tricks zu halten. Es ist daher
unsere Pflicht, die böse Absicht und den Betrug des Teufels zu entlarven. Denn
auch wenn er Vorhersagen macht und Taten vollbringt, die als Wunder erscheinen,
so geschehen sie doch nie auf Befehl und Verheißung des Herrn und sind immer
dem Heil der Seelen abträglich.
Paulus und Silas gefangen gesetzt
(V. 19-24): Als der böse Geist aus dem Sklavenmädchen ausfuhr, erlosch auch die
Hoffnung der Herren auf Gewinn, wie Lukas in einem schönen Wortspiel anmerkt.
Die Einkünfte aus dieser Quelle waren nicht nur gefährdet, sondern gänzlich
abgeschnitten, was sie an ihrer empfindlichsten Stelle berührte. Doch als die
Besitzer des Mädchens dies erkannten, wurden sie von Zorn erfüllt. Sie packten
Paulus und Silas und zogen und schleppten sie halb auf den Marktplatz, auf das
Forum, vor die Richter der Stadt. Hier wurden sie etwas ruhiger in ihrem
Verhalten und führten ihre Gefangenen mit einem gewissen Anschein von Ordnung
und Anstand zu den Prätoren. Die Prätoren waren die obersten Behörden der
Stadt, deren Aufgabe es war, über alle Fälle politischer Natur zu urteilen. Der
offizielle Titel der beiden Männer war duoviri, aber
sie nannten sich oft Prätoren. Die Anklage der Herren des Sklaven war etwas
eigenartig. Sie erklärten, dass Paulus und Silas, die Juden waren, nicht nur
Unruhe in der Stadt stifteten, sondern auch die Stadt aufrührten, indem sie
religiöse Bräuche verkündeten, die sie nicht annehmen und ausüben durften, da
sie Römer waren. Der Vorwurf lautete also, kurz gesagt, dass die Apostel das
gesamte soziale und religiöse System der Stadt durcheinanderbrächten, was umso
mehr zu verurteilen sei, als die Angeklagten zu den verachteten Juden gehörten.
Die Unterstellung, die auf die Einführung verbotener religiöser Bräuche
besonders verwerflicher Art hindeutete, sowie die Tatsache, dass die Männer
Juden waren, reichten aus, um die auf dem Forum anwesende Menge aufzurütteln,
eine Menge, die sich leicht aufhetzen und beeinflussen ließ. Ohne den
Gefangenen auch nur die Möglichkeit zu geben, sich gegen die Anschuldigungen zu
verteidigen, griffen die Prätoren sie an, indem sie ihnen die Kleider vom Leib
rissen und dann befahlen, sie mit Ruten zu schlagen, eine schwere und
erniedrigende Strafe. Erst nachdem Paulus und Silas viele Peitschenhiebe
erhalten hatten, war die erste Wut gestillt. Doch dann kam die weitere
Demütigung, nach der die Prätoren sie ins Gefängnis warfen und dem
Kerkermeister den ernsten Auftrag erteilten, sie mit allem Fleiß und aller
Strenge zu bewachen. Der Kerkermeister legte diesen Befehl auf seine Weise aus,
möglicherweise auch unter dem Einfluss seines eigenen Gefühls in dieser
Angelegenheit, denn er steckte sie nicht nur in den inneren Kerker, mit
mehreren Mauern zwischen ihnen und der Freiheit und einem Minimum an Licht und
Luft, um sie aufzumuntern, sondern er befestigte auch ihre Füße in den Pranger,
einem hölzernen Folterinstrument, in dem die Füße fest eingeklemmt waren, so
dass sie fest in einer Position gehalten wurden und dadurch eine Menge
Schmerzen verursachten. Das Einklemmen der Füße in den Pranger behinderte den
Blutkreislauf und verkrampfte die Muskeln, eine Folter, die mit jeder Minute
unerträglicher wurde. Anmerkung: Jeder Bekenner Christi und des Evangeliums
kann auf die gleiche Weise behandelt werden, um an der Schmach Christi
teilzuhaben. Und gerade die Menschen, die den Weg des Heils verkünden, werden
von den Kindern der Welt als Ruhestörer und Aufrührer angesehen.
Das Erdbeben um Mitternacht (V.
25-28): Petrus hatte in der Nacht vor seiner Hinrichtung in aller Ruhe im
Gefängnis geschlafen, Kap. 12,6. Und hier konnten die beiden Jünger, deren
Rücken von der unbarmherzigen Auspeitschung schmerzte und blutete, deren Beine
in dem Folterinstrument verkrampft waren und deren Gemüt von dem Gefühl des
erlittenen Unrechts geschwollen war, alle Gedanken an die Folter beiseite schieben und beten. Und im Gebet bekamen sie sogar
die nötige Kraft, Gott Hymnen zu singen, ihn in Psalmen zu preisen. Paulus und
Silas sangen, und die anderen Gefangenen hörten aufmerksam zu. Es war ein
Gottesdienst des Lobes und der Danksagung, wie man ihn selten auf dieser Welt
gesehen hatte, der erste von vielen ähnlichen, die von christlichen Märtyrern
in den Kerkern abgehalten wurden. Doch plötzlich erschütterte ein großes
Erdbeben das Gefängnis mit einer solchen Wucht, dass es in seinen Grundfesten
erschüttert wurde. Und durch die Erschütterung wurden nicht nur alle Türen
geöffnet, sondern auch die Fesseln aller Gefangenen gelöst, abgenommen. Der
Herr der Christen ist stärker als die Feinde, die versuchen, seine Diener zu
ermorden. Es ist ein Leichtes für ihn, die Seinen zu retten. Der Kerkermeister,
der durch den Schock aus dem Schlaf geweckt wurde, wurde sich der Situation mit
einem Schlag bewusst. Ein Blick genügte, um ihm die offenen Türen des
Gefängnisses zu zeigen, und da er zu dem Schluss kam, dass die Gefangenen mit
Sicherheit entkommen sein mussten, zog er sein Schwert aus der Scheide in der
Absicht, Selbstmord zu begehen; denn auf die Flucht der Gefangenen stand die
Todesstrafe. All dies geschah natürlich nicht ohne einen Aufruhr und einen
Aufschrei, was Paulus schnell zur Kenntnis nahm, der daraufhin mit lauter
Stimme sowohl den geplanten Selbstmord verhinderte als auch dem Kerkermeister
den Zuspruch gab, der am besten geeignet war, seine Selbstbeherrschung
wiederherzustellen: Tu dir nichts Böses an; wir sind alle hier. Keiner der
Gefangenen hatte einen Fluchtversuch unternommen, obwohl es nichts gab, was sie
daran gehindert hätte. Entweder waren sie wegen des Erdbebens in Panik geraten,
oder das Verhalten von Paulus und Silas hatte sie so tief beeindruckt, dass sie
sich in Bewunderung für den Mut der beiden gequälten Gefangenen verloren. Viele
von ihnen sahen zweifellos einen Zusammenhang zwischen dem Gebet der Apostel
und dem Erdbeben und waren bewegt, die Allmacht Gottes zu bewundern.
Die Bekehrung des Kerkermeisters (V.
29-34): Im Übermaß seines ersten Schreckens hatte der Wärter des Gefängnisses
nicht einmal an eine Fackel gedacht, da er nur darauf bedacht war, jede Flucht
der Gefangenen zu verhindern. Nun aber rief er den Wachen zu, Licht zu machen,
stürzte in das innere Gefängnis und fiel in größter Erregung und Angst vor
Gewissensbissen und der Furcht vor dem Übernatürlichen vor Paulus und Silas
nieder. Wahrscheinlich erinnerte er sich jetzt daran, dass Paulus, der ihn
gerufen hatte, die Rettung im Namen Jesu gepredigt hatte, und er nahm an, dass
es einen Zusammenhang zwischen dem Wanken der Erde und der ruhigen Gewissheit
des Apostels geben musste. Der Kerkermeister führte daher Paulus und Barnabas
nach draußen und fragte sie, was er tun müsse, um gerettet zu werden - die
wichtigste Frage, an die ein Mensch in seinem ganzen Leben denken kann. Und auf
diese Frage der beunruhigten und verängstigten Seelen muss immer die gleiche
Antwort gegeben werden wie hier: Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst
du und dein Haus gerettet werden. Paulus und Silas nahmen nicht den Titel „Herren“
an, sondern verwiesen den Fragenden auf den einen wahren Herrn und Meister über
alles, in dem allein das Heil ist. Der Glaube an Jesus Christus befreit von
Tod, Hölle, Zorn und Gericht und bringt ewige Erlösung. Nachdem die Missionare
dem Kerkermeister den großen zentralen Gedanken und die Lehre der gesamten
christlichen Religion vermittelt hatten, erklärten sie ihm nun den Weg des
Heils ausführlicher, indem sie ihm das Wort des Herrn sagten und verkündeten,
zusammen mit allen, die zu seinem Haushalt gehörten, Kindern und Knechten,
Freigelassenen und Sklaven. Es war eine kurze, aber umfassende Unterweisung,
die der Taufe vorausging. Und das Herz des Mannes war von den Ereignissen der
Nacht und von der Stimme Gottes in diesen Ereignissen so tief bewegt, dass er
die beiden Gefangenen noch in derselben Stunde der Nacht nahm - denn er konnte
nicht warten, bis er diese notwendige Pflicht bis zum Morgen erfüllt hatte -
und ihre Striemen abwusch, sowohl um das geronnene Blut zu entfernen als auch
um das Brennen der Schläge zu lindern. Paulus und Silas wiederum wuschen sowohl
den Kerkermeister als auch alle Mitglieder seines Haushalts, um alle Flecken
auf ihren Seelen zu entfernen, indem sie sie alle unverzüglich tauften. Dieses
Sakrament sicherte dem armen, gequälten Mann die Gnade des Herrn Jesus
Christus, die er wegen des Gefühls der Schuld und Verdammlichkeit,
das mit der Erkenntnis seiner Sünde über ihn gekommen war, so sehr brauchte.
Der Kerkermeister nahm nun Paulus und Silas als Ehrengäste in sein Haus auf;
der Tisch wurde für sie gedeckt und ein Essen serviert, das ganz anders war als
das, das sie im Gefängnis bekommen hatten. Und der Kerkermeister freute sich
sehr, und alle Mitglieder seines Hauses schlossen sich ihm an, weil der Glaube
an Gott in ihren Herzen gewirkt worden war. Die Tatsache, dass der Herr den
Glauben im Herzen eines jeden Menschen wirkt und ihn auch bereit macht, diesen
Glauben durch Taten der Güte und der Nächstenliebe unter Beweis zu stellen, ist
für jeden Christen ein Grund zur ständigen Freude.
Die Freilassung der Gefangenen (V.
35-40): Am Morgen erlebten die eingekerkerten Missionare eine besondere
Überraschung. Denn kaum war der Tag angebrochen, schickten die duoviri, die Prätoren der Stadt, die Liktoren ins Gefängnis
mit dem Befehl, die Gefangenen zu entlassen. Die Liktoren waren die
Polizeibeamten der römischen Magistrate und trugen als Insignie ihres Amtes ein
Bündel von Ruten, die um ein Beil gebunden waren. Ob das Erdbeben die Obrigkeit
zu der Annahme veranlasst hatte, dass sie am Vortag irgendeinen Gott beleidigt
hatte, oder ob ihnen die Behandlung der Apostel im Nachhinein als zu voreilig
und streng erschien, oder ob sie glaubten, ihr Ziel erreicht zu haben, indem
sie das Geschrei des Pöbels zum Schweigen brachten, geht aus dem Text nicht
hervor. Es genügt, dass der Kerkermeister die Gefangenen von dem gnädigen
Befehl unterrichtet, den die Prätoren zu ihrer Freilassung gegeben hatten. Und
er war froh, ihnen die Freiheit zu schenken und sie in Frieden und ohne weitere
Belästigung gehen zu lassen. Der Befehl der duoviri
war hochmütig und verächtlich formuliert worden; so wie der Kerkermeister ihn
übermittelte und umschrieb, waren die Worte eine freundliche Ankündigung und
Einladung, das Geschenk der Freiheit anzunehmen. Doch nun weigerte sich Paulus,
das Gefängnis zu verlassen. Im Lärm und Tumult des Überfalls vom Vortag hatte
er keine Chance gehabt, sich Gehör zu verschaffen, selbst wenn er es versucht
hätte. Nun aber erhebt er eine sehr schwere Anklage gegen die Magistrate der
Stadt. Obwohl er und Silas römische Bürger waren, hatten die Prätoren beide
nicht nur ohne Urteil, sondern sogar ohne Prozess, ohne Untersuchung des
Falles, in der Öffentlichkeit verprügeln lassen[64]
und sie auch ins Gefängnis geworfen. Nach den Gesetzen Roms waren die römischen
Bürger von Schlägen und Folter befreit, und die Verletzung der Rechte der
Bürger wurde als Hochverrat angesehen und als solcher schwer bestraft. Und nach
all diesen Übergriffen, die Paulus, wenn er nicht Christ gewesen wäre, sehr
wohl mit einem Schnellschuss hätte vergelten können (Röm. 12,19), wollten die
Prätoren sie heimlich aus dem Gefängnis holen? Gewiss nicht! Das Mindeste, was
die Prätoren tun mussten, war, zu kommen und sie hinauszuführen, als eine Form
der Entschuldigung. Als die Liktoren dies den Prätoren berichteten, waren diese
zu Recht erschrocken und verloren daher keine Zeit, persönlich zu kommen, sich
zu entschuldigen und die Apostel inständig zu bitten, zufrieden zu sein. Dann
führten sie sie aus dem Gefängnis und baten sie höflich, die Stadt aus freien
Stücken zu verlassen. Paulus und Silas nahmen die Entschuldigung an und machten
sich bereit, die Stadt zu verlassen, jedoch ohne ungebührliche und verdächtige
Eile. Sie gingen zuerst zum Haus der Lydia, das vielleicht ein Treffpunkt der
gewonnenen Jünger geworden war. Hier sahen sie die Brüder, trösteten und
ermutigten sie und verließen dann Philippi. Anmerkung: Es war nicht nur der
Gerechtigkeitssinn, der Paulus auf einer Art öffentlicher Entschuldigung
bestehen ließ, sondern auch die Tatsache, dass die öffentliche Schande, die er
und Silas erlitten hatten, die Verbreitung der Botschaft des Evangeliums ernsthaft
behindern könnte, weil viele Menschen Vorurteile gegen einen Mann haben
könnten, der in der Öffentlichkeit geschlagen worden war. Auch in unseren Tagen
sollten wir Christen durchaus bereit sein, Unrecht und Schande zu erleiden,
aber unter Umständen, besonders wenn der Lauf des Evangeliums gefährdet ist,
ist es ganz im Sinne Gottes, dass wir auf unsere Rechte als Bürger pochen. Wir
können es für unumgänglich halten, auf der Anerkennung als ehrliche und
wünschenswerte Mitglieder der Gemeinschaft zu bestehen.
Zusammenfassung: Paulus und Silas
machen eine Besuchs- und Missionsreise durch Kleinasien und werden dann vom
Geist nach Mazedonien geleitet, wo sie ihre Arbeit in der Stadt Philippi
beginnen.
(Theophanie
[Gotteserscheinung] und Angelophanie
(Engelerscheinung)
Eines der Merkmale der biblischen
Geschichte, sowohl im Alten als auch im Neuen Testament, ist der sachliche
Hinweis, den die heiligen Schriftsteller auf besondere Offenbarungen des Herrn
durch Erscheinungen, Visionen und Träume geben. In praktisch jedem Fall dieser
Art, der aufgezeichnet wurde, waren diese Erscheinungen von außergewöhnlichen,
unmittelbaren Mitteilungen Gottes an die Menschen begleitet, die sich
gewöhnlich auf ein Ereignis bezogen, das in naher Zukunft stattfinden sollte.
Die Bibel selbst spricht von diesen außergewöhnlichen Offenbarungen und
unterscheidet dabei zwischen echten und falschen Träumen und Visionen. „Wenn
ein Prophet unter euch ist, will ich, der Herr, mich ihm in einem Gesicht
offenbaren und im Traum zu ihm reden.“ (4. Mose 12,6.) „Eure Alten werden
Träume träumen, eure Jungen werden Gesichte [Visionen] sehen“, Joel 3,28. Die
Art und Weise, wie man prüft, ob ein Prophet wahr oder falsch ist, wird in 5.
Mose 13 beschrieben. „Sie prophezeien euch ein falsches Gesicht und Wahrsagerei
und einen Unsinn und den Betrug ihres Herzens“, Jer. 14,14; 23,16.
In einigen Fällen erschien Gott selbst,
entweder durch eine Stimme, in einer sichtbaren Form oder in einem mehr oder
weniger greifbaren Bild in einer Vision oder in einem Traum. Mose wurde wegen
der Art und Weise, in der der Herr mit ihm kommunizierte, vor dem ganzen Volk
Israel bevorzugt. „Mein Knecht Mose ist nicht so, der treu ist in meinem ganzen
Haus. Mit ihm will ich von Mund zu Mund reden, und zwar offenbar und nicht in
finsteren Reden; und das Gleichnis des Herrn soll er sehen“, 4. Mose 12,7.8. Zu
Abram sprach der Herr in einer Vision, 1. Mose 15,1, auch zu Jakob in den Gesichten der Nacht, 1. Mose 46,2. Bei Samuel war es eine
Vision in einem Traum, 1. Sam. 3. Salomo erschien der Herr in einem Traum bei
Nacht, 1. Kge. 3,5. Einen großen Teil, wenn nicht
alles, der Prophezeiung Jesajas empfing er in einer Vision, Jes. 1,1. Der Herr
sprach zu Ananias von Damaskus in einer Vision, Apg. 9,10.
Obwohl sie in engem Zusammenhang mit den
vorgenannten stehen, können die Erscheinungen des "Engels des Herrn",
die Offenbarungen der zweiten Person der Gottheit, des „Engels des Bundes“, im
Alten Testament als eine besondere Klasse bezeichnet werden. Der Herr erschien
Abraham in den Ebenen von Mamre, Gen. 16, 1. 17, und
ließ Schwefel und Feuer auf Sodom und Gomorra regnen, Gen. 19, 24. Der Engel
des Herrn fand Hagar in der Wüste, Gen. 16, 7. 9. Er erschien Mose zu
verschiedenen Zeiten, Ex. 3, 2; 14, 19; Apostelgeschichte 7, 30. Gideon sah
ihn, als er bei der Kelter Weizen drosch. Ri. 6,11.12. Dem Manoah
und seiner Frau sagte der Engel des Herrn die Geburt Samsons voraus. Ri. 13. Er
gab Elia, dem Thishbiter, einen Befehl, 2. Kge. 1,3.
Von diesen Visionen und Offenbarungen, die
eigentlich Theophanien (Gotteserscheinungen) genannt werden, unterscheiden wir
die Angelophanien (Engelserscheinungen), die entweder
im Traum oder bei einer gewöhnlichen Begegnung von Angesicht zu Angesicht
stattfinden. So erschien der Engel Gabriel dem Zacharias im Tempel, Luk. 1,22,
und der Maria in ihrem Haus, Luk. 1,27. Zu Josef sprach ein Engel des Herrn
wiederholt im Traum, Matth. 1,20; 2,13.19. Auch die
Warnung Gottes an die Weisen geschah im Traum. Matth.
2,12. Dass der „Mann aus Mazedonien“ in Apostelgeschichte 16,9, ein Engel war,
scheint ziemlich sicher.
Eine letzte Form der Mitteilung oder
außergewöhnlichen Offenbarung war die durch Visionen im engeren Sinne, wenn die
Sinne des Betreffenden auf ungewöhnliche Weise beeinflusst wurden und er sich
in einem Zustand der Begeisterung oder Ekstase befand. Dies war der Fall bei
Petrus in Joppe, Apg. 11,5, und wahrscheinlich auch bei Paulus zur Zeit seiner
Bekehrung, Apg. 9; 22,26. Er selbst beschreibt eine solche ekstatische Vision,
als er in das Paradies entrückt wurde und unaussprechliche Worte hörte, die zu
sagen dem Menschen nicht erlaubt ist, 2. Kor. 12,2,4. In diese Kategorie gehört
auch die Vision, die Johannes hatte, als er die Informationen erhielt und die
Bilder sah, die er im Buch der Offenbarung aufgezeichnet hat.
Es ist gut, im Zusammenhang mit den vielen
Träumen in unseren Tagen, für die die Menschen Erklärungen von Medien,
Wahrsagern usw. suchen und erhalten, daran zu denken, was Luther sagt: „Darum
sollen wir den Träumen nicht glauben, noch sie erklären, wie es unserer
Vernunft wohl scheint, sondern es Gott überlassen, wie Joseph sagt, 1. Mose 40,
8. Obwohl sie Christen und Heiden gemeinsam sind, weiß doch niemand, was sie
bedeuten, es sei denn, der Heilige Geist erklärt sie auch. Wie Petrus, 2. Ep. 1,20, gebietet, dass wir keiner Erklärung in
geistlichen Dingen glauben sollen, es sei denn, sie sei von Gott.... Darum
mögen Träume kommen und Träume gehen: Du sollst sie nicht deuten; lass Gott
dafür sorgen, sei dir selbst nicht sicher.“[65]
Paulus und Silas
in Thessalonich und Beröa (17,1-14)
1 Da sie aber durch
Amphipolis und Apollonia reisten, kamen sie nach Thessalonich
[heute: Saloniki]. Da war eine Synagoge der Juden. 2 Wie nun
Paulus gewohnt war, ging er zu ihnen hinein und redete mit ihnen an drei
Sabbaten aus der Schrift, 3 tat sie ihnen auf und legte es ihnen vor, dass
Christus musste leiden und auferstehen von den Toten, und dass, dieser Jesus,
den ich (sprach er) euch verkündige, ist der Christus. 4 Und etliche unter
ihnen fielen ihm zu und gesellten sich zu Paulus und Silas, auch der
gottesfürchtigen Griechen eine große Menge, dazu der vornehmsten Frauen nicht
wenig.
5 Aber die halsstarrigen
Juden neideten und nahmen zu sich etliche boshafte Männer Pöbelvolks, machten
eine Rotte und richteten einen Aufruhr in der Stadt an und traten vor das Haus
Jasons und suchten sie zu führen unter das gemeine Volk. 6 Da sie aber sie
nicht fanden, schleiften sie den Jason und etliche Brüder vor die Obersten der
Stadt und schrien: Diese, die den ganzen Weltkreis erregen, sind auch
herkommen; 7 die herbergt Jason; und diese alle handeln wider des Kaisers
Gebot, sagen, ein anderer sei der König, nämlich Jesus. 8 Sie bewegten aber das
Volk und die Obersten der Stadt, die solches hörten. 9 Und da sie Verantwortung
von Jason und den andern empfangen hatten, ließen sie sie los.
10 Die Brüder aber
fertigten sogleich ab bei der Nacht Paulus und Silas nach Beröa.
Da sie dahinkamen, gingen sie in die Synagoge der Juden. 11 Denn sie waren die
edelsten unter denen zu Thessalonich; die nahmen das
Wort auf ganz willig und forschten täglich in der Schrift, ob sich’s also
verhielte. 12 So glaubten nun viel aus ihnen, auch der griechischen ehrbaren
Frauen und Männer nicht wenig. 13 Als aber die Juden zu Thessalonich
erfuhren, dass auch zu Beröa das Wort Gottes von
Paulus verkündigt würde, kamen sie und bewegten auch allda das Volk. 14 Aber da
fertigten die Brüder Paulus sogleich ab, dass er ging bis an das Meer; Silas
aber und Timotheus blieben da.
Predigt in Thessalonich
(V. 1-4): Wie der Wechsel der Pronomen an dieser Stelle zeigt, blieb Lukas in
Philippi, und es könnte sein, dass Timotheus bei ihm blieb. Es gab viel zu tun,
um die Gemeinde aufzubauen und sie für eine erfolgreiche Arbeit zu
organisieren, und diese beiden Jünger arbeiteten mit großem Erfolg daran,
stabile Verhältnisse zu schaffen. Paulus und Silas aber reisten in Richtung
Südwesten, zunächst nach Amphipolis, dreiunddreißig Meilen von Philippi
entfernt, der Hauptstadt dieses Bezirks, die aber in ihrer Bedeutung hinter der
Metropole zurücksteht. Die Missionare hielten sich nicht in dieser Stadt auf,
wahrscheinlich weil es dort keine Synagoge gab, sondern zogen weiter, zunächst
nach Apollonia, dreißig Meilen weiter an der Küste, und dann nach Thessaloniki.
Sie folgten der römischen Militärstraße, der berühmten Egnatianischen
Straße, die über eine Strecke von fünfhundert Meilen vom Hellespont nach Dyrrachium [heute: Durres oder
Durazzo in Albanien] an der Adria führte. Die beiden dazwischen liegenden Orte
werden wahrscheinlich als Übernachtungsorte des Paulus erwähnt. Thessaloniki,
früher Thermae genannt, an der Spitze der Thermaischen Bucht gelegen, war in römischer Zeit die
Hauptstadt des zweiten der vier Bezirke der Provinz Makedonien, die größte und
bevölkerungsreichste Stadt der Provinz und ein großes Handelszentrum. Die
Stadt, die heute unter dem Namen Saloniki bekannt ist, ist auch heute noch von
großer Bedeutung. Paulus wählte mit seiner üblichen Weisheit und Weitsicht
dieses Zentrum der Zivilisation und der Regierung des Bezirks als einen Ort,
von dem aus die Botschaft des Evangeliums in alle Richtungen ausstrahlen
konnte. Hier befand sich auch eine Synagoge der Juden, und der Apostel setzte
seine Methode fort, die hellenistischen Juden als Medium zu wählen, durch das
er die Heiden erreichen konnte. Nach seiner Gewohnheit ging Paulus also zu
ihnen hinein, er besuchte ihre Gemeinde in der Synagoge. An drei Sabbaten und
während der Woche, in der eine Versammlung der Juden stattfand, also fast vier
Wochen lang, argumentierte er mit ihnen aus der Heiligen Schrift, wobei er sich
bei allen seinen Ausführungen auf den anerkannten kanonischen Text des Alten
Testaments stützte. Seine Methode bestand darin, den Sinn der Schrift zu
erschließen, sie durch das Vorbringen von Beweisstellen zu erklären und so den
Zusammenhang zwischen Prophezeiung und Erfüllung klar darzulegen. Er zeigte den
Verlauf der Prophezeiungen über Christus auf; er bewies deutlich, dass Christus
leiden musste, dass dies vorhergesagt war und ein wesentliches Kennzeichen des
wahren Messias war; und er erklärte, dass es laut Prophezeiung ebenso notwendig
war, dass Christus von den Toten auferstand. Dann wendete er die Prophezeiung
auf Jesus von Nazareth an, zeigte die genaue Erfüllung und legte die
Schlussfolgerung dar, dass dieser Jesus, den er predigte, kein anderer als der
Messias sein könne. Diese Form der Argumentation, die bei der Verkündigung des
Evangeliums zu jeder Zeit wirksam ist, wurde besonders durch die Haltung der
Juden gefordert, für die das Kreuz und die Kreuzigung ein Ärgernis und ein
Stolperstein war, und ihre Vorurteile mussten durch eine überzeugende
Darstellung auf der Grundlage ihrer anerkannten Schriften ausgeräumt werden.
Und das Ergebnis rechtfertigte Paulus‘ Methode voll und ganz: Einige der
Zuhörer wurden überzeugt und schlossen sich Paulus und Silas als Jünger des
Glaubens an, nicht nur Juden, sondern auch gottesfürchtige Griechen, die
Proselyten des Tores, eine große Schar und sogar eine beträchtliche Anzahl der
führenden Frauen der Stadt, die gesellschaftlich prominent waren. Die
Bedeutung, die den Frauen in Mazedonien beigemessen wurde, steht in völligem
Einklang mit den besten historischen Berichten. Die Verkündigung Jesu Christi,
des Gekreuzigten und Auferstandenen, auf der Grundlage der Bibel ist das
einzige Mittel, um echte Bekehrte für Christus und sein Reich zu gewinnen, und
darf niemals durch die gegenwärtig in Mode befindlichen Methoden ersetzt
werden, durch die Jesus Christus in einen sehr verschwommenen und obskuren
Hintergrund gedrängt wird, Methoden, die ganz und gar nicht mit der Würde des
Evangeliums in Einklang stehen und niemals zu einem wirklichen Zuwachs der
Kirche führen werden.
Durch die Juden angestachelter Aufruhr
(V. 5-9): Die Erfahrung, die Paulus im pisidischen
Antiochia gemacht hatte, Kap. 13,50, wiederholte sich hier. Die große Masse der
Juden weigerte sich, seiner Botschaft Glauben zu schenken, und diese Männer
wurden heftig eifersüchtig, nicht nur wegen der Verkündigung des Messias,
sondern auch wegen des Erfolges, der die Bemühungen von Paulus und Silas
begleitete. So griffen sie zu Methoden, die von Männern ihres Schlages oft
angewandt werden. Sie begaben sich auf das Forum und machten sich einige der
faulen, kleinkarierten Anwälte zu eigen, die damals wie heute eine Plage sind,
Marktschreier,[66] die
immer zu jeder Art von Unfug bereit sind. Mit ihrer Hilfe versammelten sie bald
einen Mob von Ganoven und versetzten die Stadt in Aufruhr. Es war ein typischer
Fall von Pöbelherrschaft, bei dem die Behörden gleichgültig oder hilflos waren.
Sie stürmten das Haus Jasons, in dem die Apostel untergebracht waren, oder den
Ort, an dem die christlichen Versammlungen stattfanden; ihr Hauptziel war es,
Paulus und Silas vor das Volk zu bringen, vor die freie Versammlung des ganzen
Volkes als politische Partei mit Exekutivrechten. Der Gedanke, der dieser
Bewegung zugrunde lag, war wohl der, dass die gesamte Bevölkerung dazu gebracht
werden könnte, sich an Ort und Stelle an den Missionaren zu rächen. Da sie aber
Paulus und Silas nicht fanden, schleppten sie Jason und einige der anderen
Christen vor die Politarchen der Stadt (denn diesen Titel trugen die Herrscher
dieser Stadt).[67] Ihre
Anklage gegen diese Männer, die sie in ihrer verblüfften Wut buchstäblich
herausbrüllten, hatte einen politischen Beigeschmack, nämlich dass Jason in
seinem Haus gefährliche politische Agitatoren aufgenommen und beherbergt habe,
Männer, die die ganze Welt in Aufruhr versetzt und im ganzen Römischen Reich
Unruhen verursacht hätten und nun hierher gekommen
seien. Allesamt waren sie Aufrührer, Männer, die immer wieder gegen die
Verordnungen des Kaisers verstießen und Hochverrat begingen, indem sie einen anderen
Menschen zum König erklärten, einen Jesus. Es war derselbe Vorwurf, der im
Falle Jesu erhoben worden war, Lukas 23, 2, und er traf die Jünger in
Übereinstimmung mit der Voraussage Jesu, dass seine Jünger das Los des Meisters
zu erwarten hätten. Die Tatsache, dass das Reich Christi nicht von dieser Welt
ist und dass seine Untertanen sich niemals in die weltliche Macht und Regierung
einmischen, solange sie sich ihrer Unterscheidung bewusst sind, wurde von den
Anklägern nicht verstanden oder absichtlich ignoriert. Ihre kühne Behauptung
erregte sowohl das Volk als auch die Politiker, denn die Anklagen deuteten auf
die Möglichkeit einer Revolution hin, wenn nicht sofort Maßnahmen zur
Unterdrückung der Bewegung ergriffen wurden. Das Ergebnis war, dass Jason, der
die Missionare nur bewirtet hatte, nicht persönlich bestraft wurde, aber die
Politarchen zwangen ihn, eine hohe Kaution zu hinterlegen, um den Frieden in
der Stadt zu wahren, ebenso wie die anderen Jünger, die vor Gericht gestellt
worden waren, woraufhin sie freigelassen wurden. Die Feinde Christi versuchen
immer wieder mit List und Gewalt, die Verkündigung des Evangeliums zu
verhindern; aber der Herr lenkt die Angelegenheiten seines Reiches zum Heil der
Menschen.
Predigt in Beröa
(V. 10-14): Hätten Paulus und Silas ihre Arbeit in Thessalonich
nach den Ereignissen jenes Tages fortgesetzt, hätten sie nicht nur riskiert,
dass ihnen persönlich Gewalt angetan wird, sondern auch, dass Jason und die
anderen Jünger ihren Bund verlieren. Und so mussten sie es erdulden, dass die
Brüder sie noch in derselben Nacht nach Beröa
schickten, einer kleinen Stadt in einer Berggegend, fast fünfzig Meilen
südwestlich von Thessalonich. Die Aufnahme des
Evangeliums in dieser Stadt unterschied sich grundlegend von der in der
Provinzmetropole; denn als die Apostel dort ankamen, gingen sie hinein und
begaben sich in die Synagoge der Juden, denn die jüdische Bevölkerung war stark
genug, um eine solche Einrichtung zu unterstützen. Und hier waren die Menschen,
sowohl Juden als auch Griechen, großzügiger gesinnt als in Thessalonich;
sie waren nicht von dem Streit und dem Neid der thessalonicher
Juden besessen, sie hegten edlere Gefühle, sie bedienten sich eines größeren
Taktes und einer größeren Fairness. Das zeigten sie nicht nur durch ihre
freudige, bedingungslose Bereitschaft, das von Paulus überbrachte Wort
anzunehmen, sondern auch durch den Ernst und den Eifer, mit dem sie jeden Tag
sorgfältig die Schrift durchforsteten, indem sie Prophezeiung und Erfüllung
verglichen und sich selbst davon überzeugten, dass die von Paulus vertretene
Lehre mit der Offenbarung Gottes übereinstimmte. Als Ergebnis dieser
gewissenhaften Prüfung kamen viele von ihnen unter der Führung des Herrn zum
Glauben an Jesus, den Retter, zusammen mit einer beträchtlichen Anzahl
prominenter Griechen, sowohl Frauen als auch Männer. Anmerkung: Der Fehler, der
in unseren Tagen mehr als jeder andere beklagt werden muss, ist die Weigerung
der Ungläubigen und Kritiker, die Ansprüche des Evangeliums geduldig und offen
zu prüfen. Ihre Unwissenheit wird daher nicht als Entschuldigung akzeptiert
werden, sondern wird sich in ihrer endgültigen Verurteilung als umso
schädlicher erweisen. Und für diejenigen, die sich als Jünger Christi bekennen,
ist es die größte Freude, in der Heiligen Schrift zu forschen und die vielfältigen
Beweise für Gottes Wahrheit und Macht zu finden.
Aber diese angenehme und gewinnbringende
Beziehung in Beröa wurde bald gestört. Die Nachricht
von der Tätigkeit des Paulus erreichte die thessalonischen Juden, die den
Aufruhr in dieser Stadt verursacht hatten. Die Tatsache, dass Paulus in Beröa das Wort Gottes verkündete, war in ihren Augen
offensichtlich ein Verbrechen ersten Ranges, so wie es auch in den Augen vieler
Feinde des Evangeliums heute ist. Deshalb reisten sie eigens nach Beröa, um die Menge aufzurütteln, um Aufruhr und Unruhe zu
stiften. Wie die jüngsten Ereignisse gezeigt haben, scheint diese Methode bis
heute bei denjenigen, die die reine Verkündigung des Evangeliums unterdrücken
wollen, großen Anklang zu finden. Bevor es jedoch zum Aufruhr kam, bevor es zu
ernsthaften Ausschreitungen des Pöbels kam, schickten die Brüder, die
Mitglieder der kleinen Gemeinde, die sich gebildet hatte, Paulus schnell auf
seine Reise ans Meer. Die Angriffe richteten sich vor allem gegen ihn, und er
sollte für die weitere Arbeit im Weinberg des Herrn geschont werden. So war es
für Paulus ein gewisser Trost, dass Silas und Timotheus in Beröa
blieben und weiter an der Gründung der jungen Gemeinde mitarbeiteten.
Paulus in Athen (17,15-34)
15 Die aber Paulus
geleiteten, führten ihn bis nach Athen. Und als sie Befehl empfingen an Silas
und Timotheus, dass sie aufs schnellstens zu ihm kämen, zogen sie hin. 16 Da
aber Paulus auf sie zu Athen wartete, ergrimmte sein Geist in ihm, da er sah
die Stadt so sehr abgöttisch. 17 Und er redete zwar zu den Juden und
Gottesfürchtigen in der Synagoge, auch auf dem Markt alle Tage zu denen, die
sich herzu fanden. 18 Etliche aber der Epikurer und
Stoiker Philosophen zankten mit ihm; und etliche sprachen: Was will dieser
Lotterbube sagen? Etliche aber: Es sieht, als wollte er neue Götter
verkündigen. Das machte, er hatte das Evangelium von Jesus und von der
Auferstehung ihnen verkündigt. 19 Sie nahmen ihn aber und führten ihn auf den
Richtplatz [Areopag] und sprachen: Können wir auch erfahren, was das für eine
neue Lehre sei, die du lehrst? 20 Denn du bringst etwas Neues vor unsere Ohren;
so wollten wir gerne wissen, was das sei. 21 Die Athener aber alle, auch die
Ausländer und Gäste, waren gerichtet auf nichts anderes, als etwas Neues zu
sagen oder zu hören.
22 Paulus aber stand
mitten auf dem Richtplatz und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe euch, dass
ihr in allen Stücken außerordentlich religiös seid. 23 Ich bin hindurchgegangen
und habe gesehen eure Gottesdienste und fand einen Altar, darauf war
geschrieben: dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch diesen, dem ihr
unwissend Gottesdienst tut. 24 Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was
drinnen ist, da er ein HERR ist Himmels und der Erde, wohnt er nicht in Tempeln
mit Händen gemacht. 25 Sein wird auch nicht von Menschenhänden gepflegt, als
der jemandes bedürfe, so er selber jedermann Leben und Atem und alles gibt. 26
Und er hat gemacht, dass von einem Blut aller Menschen Geschlechter auf dem
ganzen Erdboden wohnen, und hat Ziel gesetzt, zuvor versehen, wie lang und weit
sie wohnen sollen, 27 dass sie den HERRN suchen sollten, ob sie doch ihn fühlen
und finden möchten. Und zwar er ist nicht ferne von einem jeglichen unter uns;
28 denn in ihm leben, weben und sind wir, als auch etliche Dichter bei euch
gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.
29 So wir denn göttlichen
Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen,
silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Gedanken gemacht. 30 Und
zwar hat Gott die Zeit der Unwissenheit übersehen; nun aber gebietet er allen
Menschen an allen Enden, Buße zu tun, 31 darum dass er einen Tag gesetzt hat,
auf welchen er richten will den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit durch
einen Mann, in welchem er’s beschlossen
hat, und jedermann vorhält den Glauben, nachdem er ihn hat von den Toten
auferweckt. 32 Da sie hörten die Auferstehung der Toten, da hatten’s
etliche ihren Spott; etliche aber sprachen: Wir wollen dich davon weiter hören.
33 So ging Paulus von ihnen. 34 Etliche Männer aber hingen ihm an und wurden gläubig,
unter welchen war Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris
und andere mit ihnen.
Ankunft und erste Diskussionen (V. 15-21): Die Sorge der Jünger aus Beröa wollte es nicht zulassen, dass sie ihren geliebten Lehrer ohne Begleitung reisen ließen, und so meldeten sich einige von ihnen freiwillig, um ihn an einen sicheren Ort zu begleiten. Die ursprüngliche Absicht scheint gewesen zu sein, Paulus an die Küste zu bringen und ihn dort in einem Hafen warten zu lassen, bis Silas und Timotheus wieder zu ihm stoßen konnten. Dort konnte er sofort zur Flucht über das Meer bereit sein. Aber dieser Plan erwies sich aus irgendeinem Grund als nicht durchführbar, und so begleiteten Paulus' Freunde ihn den ganzen Weg nach Athen. Diese Stadt war eine der berühmtesten Städte der Welt, sie lag in Griechenland, in der römischen Provinz Achaia, auf der attischen Halbinsel, fünf Meilen nordöstlich des Saronischen Golfs, und war mit ihrer Hafenstadt Piräus durch lange Mauern verbunden. Auf dem Hügel, der Akropolis genannt wird, stand der berühmte Tempel Parthenon, und andere schöne öffentliche Gebäude krönten andere Erhebungen. Athen war zu dieser Zeit nicht mehr die politische Hauptstadt Griechenlands, sondern weiterhin das literarische Zentrum, wie es auch in den folgenden Jahrhunderten das der gesamten zivilisierten Welt war. Doch trotz all ihrer Gelehrsamkeit und Philosophie, auf die ihre stolzen Bürger stolz waren, war die Stadt dem sozialen Verfall und der moralischen Fäulnis zum Opfer gefallen. „In Athen selbst, wo die tiefgründigste Philosophie, die glühendste Beredsamkeit, die vorzüglichste Poesie und die raffinierteste schöpferische Kunst blühte, die die Welt je gesehen hat, gab es die vollständigste und einstudierteste Hingabe an jedes Laster, das die Leidenschaft hervorrufen oder die Phantasie erfinden konnte.“[68] In Athen angekommen, entließ Paulus die Brüder, die ihn begleitet hatten, mit dem Auftrag an Silas und Timotheus, sich ihm so schnell wie möglich anzuschließen. Doch während Paulus in Athen auf seine Helfer wartete, war er keineswegs untätig. Als er in den Straßen der berühmten Stadt auf und ab ging, wurde er heftig erregt und von Zorn erfüllt, er war stark erregt, sein Geist war so aufgewühlt, weil er sah, dass die ganze Stadt voller Götzen war; das war ein Merkmal, das Athen unter allen Städten Griechenlands auszeichnete. Tausende von Götter- und Göttinnenfiguren waren entlang der Straßen aufgestellt, und viele Altäre luden zu Opfern für diejenigen ein, die noch an die alte Form der griechischen Religion glaubten. Die große Verärgerung des Apostels über diese Zustände und sein ernsthaftes Verlangen, solche heidnischen Irrtümer aufzudecken, veranlassten ihn, nicht nur in der Synagoge mit den Juden und den Proselyten, die er dort treffen konnte, zu diskutieren und zu streiten, sondern auch täglich auf dem Forum, dem Marktplatz der Stadt. Dies war kein kahler oder leerer Platz mitten in der Stadt, sondern war von schönen Säulengängen umgeben, die mit Skulpturen berühmter Künstler geschmückt waren, wo die Gelehrten der Zeit zu philosophischen Diskussionen zusammenkamen und die philosophischen Schulen ihre Versammlungsräume hatten. Auf der einen Seite befand sich die Stoa Poikile , wo die philosophische Schule der Stoiker tagte, und nicht weit davon entfernt waren die Gärten des Epikur, wobei die eine Schule die absolute Resignation vor dem Schicksal lehrte, während die andere intellektuelle und sinnliche Genüsse in jeder Form verkündete. Für Paulus machte das aber keinen Unterschied, denn er diskutierte sowohl mit den Zufallsgästen auf dem Marktplatz als auch mit den Vertretern dieser philosophischen Schulen. Die Auseinandersetzungen nahmen manchmal die Form förmlicher Begegnungen, hitziger Debatten an, wenn Paulus versuchte, diese Philosophen zu überzeugen. Und ihre Kommentare zu seinen Bemühungen waren alles andere als schmeichelhaft. Einige fragten spöttisch, was dieser Schwätzer denn zu sagen versuche. Die Bedeutung dieses seltsamen Beinamens, der auf Paulus angewandt wurde, ist durch neuere Entdeckungen klar geworden, denn er wird auf jemanden angewandt, der die auf die Straße geworfenen Abfälle und Krümel aufhebt. „Für diese gelehrten Athener bedeutete es offensichtlich, dass Paulus trotz seiner Behauptungen kein origineller Philosoph war, sondern ein Aufsammler gewisser Reste der Philosophie, die von autorisierten und gut ausgebildeten Lehrern weggeworfen worden waren.“[69] Andere bemerkten spöttisch, Paulus scheine ein Verkünder fremder Dämonen, neuartiger und seltsamer Gottheiten, von Göttern, von denen man noch nie gehört habe, zu sein. Diese letzte Bemerkung rührte daher, dass der Apostel ihnen die Nachricht des Evangeliums verkündet hatte: Jesus und die Auferstehung. Merke: Ob wir es mit der Selbstgerechtigkeit der Juden oder mit der Weisheit der Griechen zu tun haben, es gibt immer und nur eine Aufgabe, nämlich das Evangelium des gekreuzigten und auferstandenen Christus zu verkünden. Schließlich kam die Angelegenheit zu einer Krise. Die Männer, mit denen Paulus diskutierte, nahmen ihn mit und brachten ihn auf den Areopag, mit der Bemerkung in Form einer Frage, ob es ihnen möglich sei, herauszufinden, worum es sich bei der von ihm verkündeten neuen Lehre handele. Paulus redete nicht von einer Lehre, sondern er predigte tatsächlich die christliche Lehre. Es waren seltsame, neuartige Dinge, die er ihnen zu Gehör brachte, die die Menschen, die stolz auf ihre menschliche Philosophie waren, erschreckten und verwirrten; sie waren daher entschlossen, zu wissen, was sie vermitteln wollten. Lukas fügt zur Erklärung hinzu, dass alle Athener, sowohl die Einheimischen als auch die Fremden, die sich eine Zeit lang in der Stadt aufhielten, für nichts anderes Zeit hatten, keine angenehmere oder faszinierendere Beschäftigung fanden, als etwas Neues, Neuartiges, Ungewöhnliches zu berichten oder zu hören, etwas, das ihren müden Verstand kitzelte; die allerneuesten Nachrichten in Philosophie und Wissenschaft waren ihr bester Happen. Anmerkung: Die Welt der Buchstaben hat sich in unseren Tagen zwar äußerlich verändert, aber nicht in ihrer Art. Die ewigen Wahrheiten der Bibel werden als abgedroschenes Geschwätz verachtet, aber jede neue Theorie der wahren und falschen Wissenschaft, deren Argumentation noch nie so dünn war, wird mit Freude begrüßt und allzu oft als unwiderlegbares Gesetz hingestellt.
Der erste Teil der Rede des Paulus (V. 22-29): Paulus war von den Männern, die ihn geleiteten, in die Mitte des Rates oder Gerichts auf dem Areopag gestellt worden. „Der Areopag war in der Antike ein Gerichtsrat von Athen, der seine Sitzungen auf dem ‚Mars-Hügel‘ abhielt, der etwas westlich der Akropolis liegt und von dessen Gipfel aus man ihn gut sehen kann. Auf der Spitze dieses Hügels sind noch die Felsenbänke zu sehen, auf denen die Areopagiten unter freiem Himmel saßen, und die beiden großen Felsen, auf denen die Angeklagten saßen. Es ist jedoch nicht sicher, dass Paulus offiziell vor diesem antiken Gericht verhandelt wurde. Vielleicht wurde er an diesen Ort gebracht, weil er dort am besten vor einem interessierten Publikum sprechen konnte, oder es handelte sich lediglich um eine informelle Befragung durch die Mitglieder des Gerichts über seine Lehre. Nach allem, was wir wissen, scheint es jedoch sicher zu sein, dass dieser Rat das Recht hatte, über die Qualifikationen aller Dozenten an der Universität oder in der Stadt zu entscheiden, und die offizielle Verhaftung dieses nicht zugelassenen Dozenten ist keineswegs unmöglich.“[70] Aber ob der Rat Paulus nun formell oder informell hörte, ob er auf dem Hügel neben der Akropolis oder in einem der großen Säle in der Nähe des Forums(Stoa Basileios) sprach, wo das Volk eine bessere Gelegenheit hatte, ihn zu hören, seine Ansprache vor dieser erlesenen Gesellschaft der führenden Weisen der Welt war ein kompromissloses Eintreten für Umkehr und Glauben. Er spricht die Versammlung in der üblichen Weise als „Männer von Athen“ an. Dass sie ein sehr religiöses Volk waren (wörtlich: in hohem Maße dämonenfürchtig), hatte er beobachtet, und so schien es ihm auch zu sein; sie trieben ihre religiöse Verehrung sehr weit. Denn als er durch die Straßen ihrer Stadt wanderte und mit aufmerksamem Interesse die Gegenstände ihrer religiösen Verehrung betrachtete, die Tempel, Haine, Altäre, Statuen, die sie für heilig hielten, hatte er auch einen Altar mit der Inschrift gefunden: An einen unbekannten Gott; eine Inschrift, die seither auf mindestens einem Altar zu finden ist und gelegentlich in alten Schriften erwähnt wird. Ausgehend von Röm. 1, 18-20, für das sich viele Parallelen aus weltlichen Quellen anführen lassen,[71] besteht kein Zweifel, dass viele Heiden die Unzulänglichkeit und Unangemessenheit ihrer Religion empfanden. Ihre natürliche Gotteserkenntnis veranlasste sie, den von ihrem eigenen Volk praktizierten Götzendienst zu bezweifeln und oft zu verurteilen, und hätte sie veranlassen müssen, so lange zu suchen, bis sie die Offenbarung des wahren Gottes gefunden hätten; denn es gab keine Zeit in der Geschichte der Welt, in der nicht irgendwo die Anbetung des Gottes des Himmels verkündet wurde. Die Altäre für den unbekannten Gott scheinen ein halbbewusstes Eingeständnis der Eitelkeit und Leere des Götzendienstes gewesen zu sein. Die Athener beteten also an, was sie nicht kannten; sie erkannten mit Ehrfurcht eine göttliche Existenz an, die für sie namenlos war. Aber das, was sie so andächtig verehrten, ohne es zu kennen, verkündete ihnen Paulus.
Nach dieser kurzen Einführung stellte Paulus ihnen den wahren Gott vor, damit sie seinen Namen kennen und ihn wissentlich verehren konnten. Der Gott, der die Welt, das geschaffene Universum und alles, was es enthält, erschaffen hat, ist der natürliche Herr des Himmels und der Erde und wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand gemacht sind. Paulus stellt den wahren Gott bewusst den Götzen gegenüber, die in von Menschenhand errichteten Tempeln wohnten und deren Statue oft nur eine kleine Nische eines solchen Tempels ausfüllte. Der wahre Gott wird auch nicht mit von Menschenhand gemachten Gaben oder Opfern bedient oder angebetet, als besäße er nicht Vollkommenheit und ein volles Maß von allem, sondern bedürfe noch etwas. Vielmehr ist er selbst es, der allen Menschen Leben und Atem und alles, was sie brauchen, gibt. Der Versuch, dem Geber aller guten Gaben das zukommen zu lassen, was er selbst schon immer besessen hat, ist offensichtlich ein törichtes Unterfangen, denn das Leben der Menschen und ihr Fortbestand hängen allein von ihm ab. Und dieser allmächtige Schöpfer hat aus einem einzigen Menschen, indem er Adam zum Vater des gesamten Menschengeschlechts machte, jedes Menschengeschlecht geschaffen, um auf dem gesamten Antlitz, in jedem Teil der Erde, zu wohnen. Es bedarf keiner Theorien und Vermutungen, keiner falschen Philosophie; Adam ist nach dem Willen Gottes der Stammvater des gesamten Menschengeschlechts. Und derselbe Gott hat auch die im Voraus festgelegten Zeiten und die Grenzen der Wohnorte der Menschen bestimmt. Nach seinem Willen und seiner Anordnung gibt es Zeiten, in denen die Völker das Gebiet, das sie besetzt haben, behalten dürfen, und es gibt Zeitpunkte, an denen sie enteignet werden. So steuert Gott, der alle Menschen geschaffen hat, auch die Geschichte aller Völker. Und der Zweck, den Gott mit dieser Offenbarung seiner allmächtigen Macht und Vorsehung verfolgt, besteht darin, dass die Menschen den Herrn suchen, wenn sie auf irgendeine Weise etwas von seinem Wesen erfassen und ihn so finden können. Sie sollen dazu gebracht werden, genau die Erkenntnis Gottes zu erlangen, die Paulus ihnen hier zu vermitteln versucht. Es mag ein Tappen sein, wie das eines Blinden, und bei allen Bemühungen würde es nur zu einer teilweisen Erkenntnis des Wesens Gottes führen; aber es würde weiterführen und sollte dann durch die Erkenntnis der Offenbarung ergänzt werden. Denn Er, der Schöpfer, ist nicht fern von jedem einzelnen Menschen, Seine persönliche Gegenwart ist bei jedem Seiner Geschöpfe, nicht mit einer Idee von Pantheismus, sondern mit einer persönlichen Beziehung, die Seine zärtliche Sorge für jedes einzelne Leben zeigt. In ihm leben, bewegen und existieren alle Menschen, sie sind persönliche Wesen. Ohne Gott, der uns erhält, könnten wir kein Leben zeigen, könnten wir uns nicht bewegen, ja wir könnten nicht einmal existieren. Die Erkenntnis, die Paulus auf diese Weise vermittelte, konnte auch durch die Betrachtung der Werke Gottes gewonnen werden, wie die von Paulus kurz zitierten Stellen aus den griechischen Dichtern zeigen: Denn wir sind seine Nachkommen. Die Worte finden sich in den Gedichten des Aratus und des Cleanthes und waren allen bekannt, die etwas von griechischer Poesie verstanden. Dass Paulus hier Worte aus einem heidnischen Gedicht auf den wahren Gott anwendet, sollte umso weniger Anstoß erregen, als die Dichter zweifellos die natürliche Erkenntnis Gottes zum Ausdruck brachten, die sie durch eine sorgfältige Beobachtung der Welt und ihrer Regierung verstärkt hatten. So hatte Paulus, indem er sich auf die natürliche Erkenntnis eines göttlichen Wesens stützte, die auch nach dem Sündenfall in den Herzen der Menschen zu finden ist, seinen Zuhörern eine Vorstellung von dem wahren Gott und von ihrer Beziehung zu ihm in der Schöpfung und Erhaltung gegeben. Die gleichen Argumente lassen sich unter ähnlichen Umständen auch heute noch anwenden.
Der Schluss der Rede des Paulus und ihre Wirkung (V. 29-34): Wenn seine Zuhörer die Tatsachen über das Wesen Gottes und das Verhältnis der Menschen zu Gott im Gedächtnis behalten haben, so lautet die Argumentation des Paulus, und wenn sie die Aussage akzeptieren, dass die Menschen die Nachkommen Gottes sind, dass sie als Geschöpfe Gottes von seiner Vorsehung erhalten werden, dann folgt daraus, dass die Götzenanbetung der erhabenen Abstammung der Menschen ganz und gar unwürdig ist. Sie müssen nicht nur gegen die Anbetung von Bildern, sondern auch gegen die Denkgewohnheiten, die eine solche Anbetung ermöglichen, als töricht und sinnlos schließen. Es ist nicht nur eine Beleidigung für Gott, sondern auch für den gesunden Menschenverstand, zu denken, dass die Gottheit wie Gold oder Silber oder Stein ist, geformt und modelliert durch die Kunst und hergestellt nach den Überlegungen eines Menschen. Was der Verstand eines Menschen, seine Phantasie, entworfen hat, was die Geschicklichkeit seiner Finger in Metall oder Marmor ausgeführt hat, das kann doch nicht mit den Eigenschaften der Gottheit ausgestattet sein! Und außerdem sollten seine Zuhörer wissen, dass Gott tatsächlich die Zeiten der Unwissenheit übersehen hatte, nicht als ob er die Sünden der Heiden nicht bestraft hätte, sondern dass er große Geduld und Nachsicht mit ihnen zeigte, indem er sie nicht in dem Maße bestrafte, wie es ihr Götzendienst verdient hatte. Nun aber, da die volle Offenbarung Gottes in Jesus Christus stattgefunden hat, verlangt Gott von allen Menschen eine Sinnes- und Lebensänderung, eine völlige Umkehr; diese Botschaft hat den Charakter einer nachdrücklichen Aufforderung. Diese Botschaft hat den Charakter einer nachdrücklichen Aufforderung. Sie sollen sich also in Acht nehmen, denn Gott hat einen Tag festgesetzt, an dem er die ganze Welt, alle Menschen ohne Ausnahme, in Gerechtigkeit richten will, und zwar so, dass jeder seine volle Gerechtigkeit erfährt. Dieses Gericht wird in der Person eines Menschen vollzogen werden, durch einen Richter, den Gott zu diesem Zweck eingesetzt hat, Joh. 5,22. Aber in der Zwischenzeit bietet Gott allen Menschen den Glauben an, weil er diesen Menschen, Jesus Christus, von den Toten auferweckt hat. Ausnahmslos allen Menschen wird der Glaube nahegebracht, wird der Glaube angeboten, der auf der Auferstehung Jesu Christi beruht und durch dieses große Wunder der Gnade Gottes ermöglicht wurde. So endet die Ansprache des Paulus mit einem triumphalen Ausbruch des Evangeliums, der die Heiden von der wunderbaren Schönheit dieser Botschaft beeindrucken und ihre Herzen für Christus öffnen soll. Aber der Gedanke an eine Auferstehung der Toten, der so untrennbar mit der christlichen Lehre verbunden ist, war für diese weisen Athener der Gipfel der Torheit. Solange Paulus die Torheit ihres Götzendienstes aufgezeigt hatte, hatten sie mit respektvoller Aufmerksamkeit zugehört, aber jetzt, da er die wesentliche Lehre Christi brachte, unterbrachen ihn einige der Männer in der Zuhörerschaft mit Ausrufen des Spottes, während andere, durch die kraftvolle Darlegung nachdenklich geworden, nicht nur ein kaltes Interesse an den vorgetragenen Dingen bekundeten, sondern sich bereit erklärten, ihn zu einem anderen Zeitpunkt wieder zu hören. Sie wollten Zeit haben, um über die Wahrheiten nachzudenken, die sie bis jetzt gehört hatten. So verließ Paulus die Versammlung des Gerichts ohne weiteren Widerstand. Und auch in Athen blieb das Wort nicht ohne unmittelbare Frucht, denn unter den Zuhörern befanden sich mehrere Personen, in deren Herzen der Glaube entzündet worden war, und die sich deshalb Paulus als seine Begleiter und als Jünger des Herrn anschlossen. Unter ihnen befand sich ein Mitglied des athenischen Rates, ein angesehener Mann in der Stadt namens Dionysius, und eine Frau, sehr wahrscheinlich eine Ausländerin, die sehr gebildet und einflussreich war, sowie einige andere mit ihnen. Inmitten seiner Feinde herrscht Christus und erringt Siege, obwohl das stolze Athen nur wenige Bekehrte hervorgebracht hat, 1. Kor. 1,26.27. Mögen alle Weisheit und Kunst dieser Welt mit Stolz die Wahrheit des Evangeliums anprangern, so ist doch die Torheit Gottes weiser als die Menschen; sie lehrt die himmlische Weisheit, die in Christus offenbart wurde.
Zusammenfassung: Paulus und Silas predigen das Evangelium in Thessalonich und Beröa, wobei Paulus seinen Gefährten von der letztgenannten Stadt aus nach Athen vorausreist, wo er ebenfalls die Wahrheit der Heiligen Schrift und den Glauben an Jesus predigt.
Paulus in Korinth (18,1-17)
1
Danach schied Paulus von Athen und kam nach Korinth 2 und fand einen Juden mit
Namen Aquila, der Geburt aus Pontus, welcher war neulich aus Italien gekommen,
samt seiner Frau Priscilla, darum dass der Kaiser Claudius geboten hatte allen
Juden, zu weichen aus Rom. 3 Zu denen ging er ein; und weil er gleichen
Handwerks war, blieb er bei ihnen und arbeitete; sie waren aber des Handwerks
Teppichmacher. 4 Und er lehrte in der Synagoge an allen Sabbaten und beredete beide,
Juden und Griechen. 5 Da aber Silas und Timotheus aus Mazedonien kamen, drang
Paulus der Geist, zu bezeugen den Juden Jesus, dass er der Christus sei. 6 Da
sie aber widerstrebten und lästerten, schüttelte er die Kleider aus und sprach
zu ihnen: Euer Blut sei über euer Haupt! Ich gehe von nun an rein zu den
Heiden.
7
Und machte sich von dannen und kam in ein Haus eines mit Namen Justus, der
gottesfürchtig war, und dessen Haus war zunächst an der Synagoge. 8 Crispus aber, der Vorsteher der Synagoge, glaubte an den
HERRN mit seinem ganzen Haus; und viel Korinther, die zuhörten, wurden gläubig
und ließen sich taufen. 9 Es sprach aber der HERR durch ein Gesicht in der
Nacht zu Paulus: Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! 10 Denn
ich bin mit dir und niemand soll sich unterstehen, dir zu schaden; denn ich
habe ein großes Volk in dieser Stadt. 11 Er saß aber daselbst ein Jahr und
sechs Monden und lehrte sie das Wort Gottes.
12
Da aber Gallion Landvogt war in Achaja, empörten sich
die Juden einmütig gegen Paulus und führten ihn vor den Richterstuhl 13 und
sprachen: Dieser überredet die Leute, Gott zu dienen, dem Gesetz zuwider. 14 Da
aber Paulus wollte den Mund auftun, sprach Gallion zu den Juden: Wenn es ein
Frevel oder Schalkheit wäre, liebe Juden, so hörte ich euch billig; 15 weil es
aber eine Frage ist von der Lehre und von den Worten und von dem Gesetz unter
euch, so seht ihr selber zu; ich gedenke darüber nicht Richter zu sein. 16 Und
trieb sie von dem Richterstuhl. 17 Da ergriffen alle Griechen Sostenes, den Vorsteher der Synagoge, und schlugen ihn vor
dem Richterstuhl; und Gallion nahm sich’s nicht an.
Aquila und Priscilla und der Beginn der
Arbeit (V. 1-6): Paulus hatte die Absicht, in Athen auf Silas und Timotheus
zu warten, aber die Umstände veranlassten ihn, diese Stadt zu verlassen, bevor
sie eintrafen. Er verließ Athen, die Stadt, die sich nicht für die Botschaft
des Evangeliums interessierte, und reiste hinaus. Etwas mehr als vierzig Meilen
westlich auf einer guten römischen Straße, auf der Landenge zwischen Hellas und
dem Peloponnes, lag die Stadt Korinth, die Hauptstadt der römischen Provinz Achaia
und das Zentrum von Regierung und Handel. Es war eine reiche und schöne Stadt,
deren Tempel und öffentliche Gebäude teilweise mit denen von Athen
gleichzusetzen waren. Ihr Reichtum strömte durch den östlichen Hafen Cenchreae am Saronischen Golf und
im Westen durch die Bucht von Korinth in die Stadt. Doch trotz all seiner
äußeren Schönheit, seines Reichtums und seines Ruhmes war Korinth zu einem
Synonym für Laster und Niedertracht, für Korruption und Zügellosigkeit
geworden. Jahrhunderte zuvor hatten die Phönizier auf der Akropolis von Korinth
die Verehrung der semitischen Göttin Astarte eingeführt, und die offene Weihe
schamloser Unreinheit im Dienste dieses Venustempels, wie der römische Name
lautet, übersteigt fast die Vorstellungskraft. Dennoch handelte Paulus mit
reiflicher Überlegung, als er diese Stadt als Missionsstation auswählte, denn
sie war einer der Knotenpunkte auf der Kommunikationslinie, an dem viele
untergeordnete Straßen zusammenliefen. In Korinth konnte Paulus auch seine
übliche Methode anwenden, um Zugang zum Volk zu erhalten, denn die
wirtschaftlichen Vorteile der Stadt hatten viele Juden angezogen, und es gab
eine Synagoge mit einer blühenden Gemeinde. Nachdem Paulus die Hauptstadt
Achaias erreicht hatte, fand er - nicht durch gezielte Suche, sondern durch
Zufall - einen Juden namens Aquila, der aus Pontus in Kleinasien, einer Provinz
südöstlich des Schwarzen Meeres, stammte. Dieser Mann war erst vor kurzem mit
seiner Frau Priscilla aus Italien gekommen, weil der römische Kaiser Claudius
im Jahr 50 n. Chr. alle Juden durch ein kaiserliches Dekret aus Rom vertrieben
hatte. Es muss also im Herbst dieses Jahres gewesen sein, als Paulus Aquila und
seine Frau kennenlernte und bei ihnen unterkam. Ob Priscilla einen hohen
gesellschaftlichen Rang hatte, wie vermutet wurde, oder nicht, und ob sie die
erste war, die sich Christus zuwandte, oder ob ihr Mann sie zu dem Heil geführt
hatte, das er als erster gefunden hatte, lässt sich nicht eindeutig sagen. Aber
es ist sicher, dass sie in der Gemeindearbeit sehr aktiv war, Röm. 16,3; 1.
Kor. 16,19; 2. Tim. 4,9, und dass sie einen großen Eifer im Geiste und eine
große Fähigkeit zur Leitung hatte. Die Vereinbarung, nach der Paulus bei diesen
Leuten wohnte, erwies sich als für beide Seiten angenehm und zufriedenstellend,
denn sie waren Handwerkskollegen, die von Beruf Zeltmacher waren.
Wahrscheinlich war es nicht nötig, dass sie ihr Material selbst webten, denn
das fertige Produkt aus Zilizien und anderen asiatischen Provinzen konnte in
einer Handelsstadt wie Korinth leicht beschafft werden. So arbeitete Paulus in
seinem Beruf und verdiente seinen Lebensunterhalt während der Woche durch die
Arbeit seiner Hände, Kap. 20,34. 35; 1. Thess. 2,9; 2. Thess. 3,8; 1. Kor.
4,11.12; 2. Kor. 11,9; Phil. 4,12; aber am Sabbat folgte er seiner alten
Gewohnheit, in der Synagoge zu argumentieren und zu versuchen, sowohl die Juden
als auch die Griechen, die Proselyten, die den Synagogengottesdienst besuchten,
zu überzeugen. Ob Paulus zu dieser Zeit krank war oder ob es ihm an der
gewohnten Inbrunst und Angriffslust mangelte: Er scheint jedenfalls nicht in
der Lage gewesen zu sein, den gewohnten Eindruck auf seine Zuhörer zu machen.
Aber mit der Ankunft von Silas und Timotheus aus Mazedonien, die zumindest
einen Teil seines Aufenthaltes bei ihm blieben, 2. Kor 1,19, und die auch in
den Anreden der beiden Briefe an die Thessalonicher genannt werden, trat eine
Veränderung ein. Wahrscheinlich brachten ihm seine beiden Assistenten eine
gewisse finanzielle Unterstützung durch die Gemeinde in Thessalonich,
denn er war nun ganz mit der Lehre des Heils beschäftigt und widmete seine
ganze Zeit und Energie der Verkündigung des Evangeliums, wie es in der
Prophezeiung und in der Erfüllung zu finden ist, und bezeugte mit großer Kraft
und großem Erfolg die Tatsache, dass Jesus der Christus, der verheißene Messias
ist. Wie üblich löste diese furchtlose Verkündigung eine Krise aus. Die Juden
stellten sich gegen ihn und seine Botschaft; sie beschimpften Paulus nicht nur,
sondern lästerten sein Evangelium und den Namen Christi. Und deshalb schüttelte
Paulus feierlich und eindrücklich seinen Mantel aus, schüttelte den Staub ihrer
Synagoge von seinen Kleidern, um gegen sie Zeugnis abzulegen, und sagte ihnen
gleichzeitig, dass ihr Blut auf ihrem eigenen Kopf laste, dass sie niemanden
außer sich selbst für ihre Verdammnis verantwortlich machen könnten. Er wusste,
dass er rein, unschuldig und frei von Schuld war; er hatte seine volle Pflicht
für sie erfüllt, und von da an wollte er zu den Heiden gehen. Welches blutige
Ende auch immer die unvermeidliche göttliche Strafe für sie bringen würde, sie
mussten es allein ihrer eigenen Hartherzigkeit zuschreiben; sein Gewissen
sprach ihn von jeder weiteren Verantwortung frei. Anmerkung: Wenn alle
Bemühungen, das Evangelium in eine bestimmte Gegend oder Stadt zu bringen, an
der Weigerung der Einwohner scheitern, kann man den Menschen die Folgen ihres
Widerstands mit ähnlichen Worten ankündigen wie Paulus; denn Gott lässt sich
nicht spotten.
Erfolg der Heidenpredigt (V. 7-11): Nachdem
er von dort, von der Synagoge, weggegangen war, sich aus der Mitte der
lästernden Juden entfernt hatte, war Paulus nicht lange auf der Suche nach
einem geeigneten Versammlungsort. Er begab sich sogleich in das Haus eines
Titus Justus, eines gottesfürchtigen Mannes, eines Proselyten, offensichtlich
eines römischen Bürgers mit einigem Einfluss und Vermögen, durch den Paulus
Zugang zu den gebildeten Schichten der Stadt finden konnte. Das Vorgehen der
Juden schadete dem Apostel also nicht, sondern kam, wie so oft, dem Evangelium
zugute. Auch die Lage des Hauses des Justus war günstig, denn es grenzte an die
Synagoge und war somit sowohl für Juden als auch für Griechen bequem zu
erreichen. Und dass sich nicht alle Juden der Lästerung der Botschaft des
Evangeliums anschlossen, geht daraus hervor, dass der Vorsteher der
korinthischen Synagoge, Krispus, in dieser Krise
mutig für die Sache des Herrn eintrat; er glaubte an den Herrn mit seinem
ganzen Haus, mit allen Gliedern seiner Familie und seines Haushalts, mit seinen
Kindern und seinen Knechten, 1. Kor 1,14. Und die Bewegung gewann an Kraft,
denn viele der Korinther, Heiden, als sie das Wort hörten, glaubten an den
Herrn Jesus Christus und ließen sich taufen. Die Ausbreitung des neuen Glaubens
erfolgte allmählich, aber kontinuierlich. Das entschlossene Handeln des Paulus,
der sich zu seinem Herrn bekannte, hatte die Ausbreitung des Wortes nicht
behindert, sondern befördert. Und nun wurde er in seiner kämpferischen Arbeit
durch eine nächtliche Vision gestärkt, in der der Herr ihm sagte, er solle sich
weder vor der anhaltenden bösartigen Opposition der Juden noch vor irgendeiner
anderen Gefahr fürchten, sondern weiter reden und bezeugen und auf keinen Fall
schweigen, niemals aufhören. Und diesen Befehl bekräftigte der Herr durch die
ermutigende Verheißung, dass er selbst, der allmächtige Gott, mit ihm sei und
dass niemand Hand an ihn legen werde, um ihm Schaden zuzufügen. Wer unter dem
Schutz des Herrn steht, ist sicherer, als wenn alle Armeen der Welt zu seiner
Verteidigung zusammengerufen und aufgestellt würden. Und in Korinth hatte der
Herr, wie er sagte, eine große Zahl von Menschen, die noch durch die
Verkündigung des Evangeliums gewonnen werden sollten. Gott wusste, dass sich
sein barmherziger Wille in ihrem Fall erfüllen würde, dass sie zum Glauben an
ihren Retter Jesus Christus kommen würden. So hatte der Herr inmitten des
korinthischen Volkes, dessen moralisches Niveau so niedrig war wie das jeder
anderen Stadt des Reiches, eine Gemeinde auserwählt, die durch das Blut
Christi, durch den Glauben an seine Erlösung, geheiligt werden sollte. Hier
vollbrachte das Christentum sein Wunder, wie ein Kommentator sagt, denn in
Korinth wurde das Evangelium auf eine harte Probe gestellt, und nirgendwo
triumphierte es glorreicher. Und obwohl Gott vor allem die Niedrigen aus dem
Volk erwählt hat, 1. Kor. 1,26.27, so hat er doch auch Männer von hohem Rang
berufen, einen Crispus, einen Gaius, einen Stephanas und einen Erastus, den öffentlichen Kämmerer der
Stadt, Röm. 16,23. Da seine Arbeit so großen Erfolg hatte, ließ sich Paulus
vorläufig in Korinth nieder; er führte ein ruhiges und beständiges Werk aus, um
die Gemeinde zu gründen und sie im Glauben und in der Heiligkeit wachsen zu
sehen; sein ganzer Aufenthalt dauerte ein Jahr und sechs Monate. Er predigte
das Wort des Herrn, keine törichten Phantasien seiner eigenen Phantasie oder
der Philosophie der Menschen; denn letztere werden die Kirche Christi niemals
aufbauen, wie attraktiv sie auch präsentiert werden mag.
Empörung zur Zeit des Gallio (V. 12-17): Gallio
wurde Prokonsul von Achaia und übernahm die Leitung der Provinz im Sommer 51 n.
Chr., fast ein Jahr nachdem Paulus nach Korinth gekommen war. „Ein weiterer
Beweis für die Genauigkeit des Lukasevangeliums. Achaia wurde seit 27 v. Chr.
(als es von Makedonien, mit dem es seit 146 v. Chr. vereinigt war, abgetrennt
und zu einer eigenen Provinz gemacht wurde) von einem Prokonsul regiert. Im
Jahr 15 n. Chr. hatte Tiberius sie mit Makedonien und Mysien
wiedervereinigt, und sie stand daher als kaiserliche Provinz unter einem
kaiserlichen Zegatus. Aber eine weitere Änderung trat
ein, als Claudius es 44 n. Chr. wieder zu einer senatorischen Provinz unter einem
Prokonsul machte.“[72]
Offensichtlich hielten die Juden dies für einen günstigen Zeitpunkt, um einen
Aufruhr anzuzetteln, denn sie erhoben sich einmütig, wie ein Mann, gegen Paulus
und führten ihn vor den Richterstuhl des Prokonsuls. Sie dachten wohl, der neue
Prokonsul wolle einen guten Eindruck machen und sich sofort das Wohlwollen
aller Untertanen sichern, und würden deshalb ihrer Bitte nachkommen. Die
Anklage gegen Paulus lautete, dass er entgegen dem Gesetz das Volk zur Anbetung
Gottes überredet habe. Die Formulierung der Anklage zeugt von großem Geschick,
denn in gewissem Sinne kann das Wort „Gesetz“ sowohl das römische als auch das
jüdische Gesetz umfassen, wobei das erste von der Regierung festgelegt und das
zweite durch ein besonderes Dekret erlaubt ist. Mit der Behauptung, die Lehre
des Paulus sei ungesetzlich, wollten sie den Eindruck erwecken, er verbreite
eine verbotene Religion, während sie sich in ihrem eigenen Herzen nur auf ihr
Zeremonialgesetz und die Traditionen bezogen, die ihnen heilig waren. Die Juden
bedienten sich hier also einer Mischung aus Dreistigkeit und Klugheit. Paulus
wollte gerade seine Lippen öffnen, um eine passende Antwort auf diese
sophistische Anklage zu geben, als Gallio den Juden
eine Antwort gab, die zeigte, dass er eine harte und feste Grenze zwischen
einer Anklage wegen unrechtmäßigen Handelns gegen den Staat und gegen jüdisches
Gesetz und Brauch zog. Er erklärte, wenn es sich um eine rechtswidrige
Handlung, um einen Verstoß gegen das staatliche Recht oder um ein tatsächliches
Verbrechen, ein moralisches Unrecht handele, dessen sie Paulus beschuldigten,
würde er ihnen Recht geben und den Fall nach Recht und Gerechtigkeit prüfen.
Aber wenn es um eine Diskussion über ein Wort und einen Namen ihres Gesetzes
ginge, müssten sie sich selbst darum kümmern; er habe nicht vor, in solchen
Dingen als Richter aufzutreten. Gallio war sich nicht
ganz im Klaren darüber, worum es bei der ganzen Kontroverse ging; vielleicht
hörte er einige Hinweise auf das Wort Gottes, auf den Namen Jesu, auf die
Sitten und Gebräuche der Juden. Und es war nicht notwendig, dass er in seiner
Eigenschaft als weltlicher Richter mit diesen Dingen vertraut war. Aber er
bewies, dass das hohe Lob, das ihm die Historiker zollten, indem sie ihn einen
Mann von bewundernswerter Integrität, liebenswürdig und beliebt nannten, nicht
unangebracht war. In dieser Hinsicht könnte er Staatsbeamten überall als
Beispiel dienen, indem er ihnen zeigt, dass sich die Staatsgeschäfte nur mit
Übertretungen der zweiten Tafel des Gesetzes befassen und sich nicht in die
Ausübung der Religion einmischen sollten. Das prompte und energische Handeln
des Prokonsuls, der nicht nur ohne die geringste Verzögerung ein klares Urteil
fällte, sondern auch die aufdringlichen Juden mit einiger Schärfe abwies und
das Gericht räumte, machte einen sehr günstigen Eindruck auf das Volk, das sich
auf dem Forum versammelt hatte, und wendete das Vorurteil des Volkes zugunsten
von Paulus. Die anwesenden Griechen ergriffen sofort Sosthenes, den Nachfolger
von Crispus als Vorsteher der Synagoge, und
versetzten ihm vor den Augen des Gerichts eine kräftige Tracht Prügel, und Gallio nahm die Prügel nicht offiziell zur Kenntnis, da er
zweifellos annahm, dass es eine gewisse Verbitterung gegen die Juden gab, die
sich auf diese vergleichsweise harmlose Weise Luft machen könnte. In
Übereinstimmung mit der Verheißung des Herrn, dass dem Apostel kein Leid
widerfahren sollte, war die Absicht des Gallio, sich
strikt auf seine Tätigkeit als Prokonsul zu beschränken, ein Mittel, um Paulus
vor Verfolgung und wahrscheinlich sogar vor dem Tod zu bewahren.
Rückreise nach
Antiochia und Beginn der dritten Missionsreise (18,18-28)
18
Paulus aber blieb noch lange dort. Danach machte er seinen Abschied mit den
Brüdern und wollte nach Syrien schiffen und mit ihm
Priscilla und Aquila. Und er beschor sein Haupt zu Kenchrea; denn er hatte ein Gelübde. 19 Und kam hinab nach
Ephesus und ließ sie dort. Er aber ging in die Synagoge und redete mit den
Juden. 20 Sie baten ihn aber, dass er längere Zeit bei ihnen bliebe. Und er
willigte nicht ein, 21 sondern machte seinen Abschied mit ihnen und sprach: Ich
muss unbedingt das künftige Fest zu Jerusalem halten; will’s Gott, so will ich
wieder zu euch kommen. Und fuhr weg von Ephesus. 22 Und kam nach Cäsarea und
ging hinauf und grüßte die Gemeinde und zog hinab nach Antiochia.
23
Und er verzog etliche Zeit und reiste aus und durchwandelte nacheinander das galatische Land und Phrygien und stärkte alle Jünger. 24 Es
kam aber nach Ephesus ein Jude mit Namen Apollos, der Geburt von Alexandrien,
ein beredter Mann und mächtig in der Schrift. 25 Dieser war unterwiesen in dem
Weg des HERRN und redete mit brünstigem Geist und lehrte mit Fleiß von dem
HERRN und wusste allein von der Taufe des Johannes. 26 Dieser fing an, frei zu
predigen in der Synagoge. Da ihn aber Aquila und Priscilla hörten, nahmen sie
ihn zu sich und legten ihm den Weg Gottes noch fleißiger aus. 27 Da er aber
wollte nach Achaja reisen, schrieben die Brüder und
ermahnten die Jünger, dass sie ihn aufnähmen. Und als er dahinkommen war, half
er viel denen, die gläubig waren geworden durch die Gnade. 28 Denn er überwand
die Juden beständig und bewies öffentlich durch die Schrift, dass Jesus der
Christus sei.
Von Korinth nach Antiochia (V.
18-22): Nach dem erfolglosen Aufstand der Juden, der im Herbst 51 n. Chr.
stattgefunden haben muss, blieb Paulus noch ein halbes Jahr in Korinth, viele
Tage, wie Lukas berichtet, was zeigt, dass es keine Schwierigkeiten mehr gab,
sondern dass das Evangelium frei gepredigt werden konnte. Dann aber
verabschiedete er sich von den Brüdern und schiffte sich nach Syrien ein, er
machte sich auf die Reise, mit Syrien als Ziel. Priscilla und Aquila, seine
Gastgeber und guten Freunde, begleiteten ihn. Man beachte, dass Lukas den Namen
der Frau an die erste Stelle setzt, da sie die aktivere und tatkräftigere im
Werk des Herrn war. Sie gingen zuerst zum östlichen Hafen von Korinth, der
Stadt Kenchreä, hinunter, denn hier legten die
Schiffe an, die den Handel mit Asien betrieben. Bevor er an Bord ging, ließ
sich Paulus den Kopf scheren und nahm das Haar mit, denn er hatte ein Gelübde,
das er dem Herrn zu erfüllen gedachte, wahrscheinlich am kommenden Passahfest
in Jerusalem, 4. Mose 6,13-21.[73]
Er hatte ein Nasiräer-Gelübde abgelegt und nahm nun das regelmäßige Schneiden
seines Haares wieder auf, das dann nach besonderen Vorschriften, die für solche
Fälle bestimmt waren, zum Eingang des Tempels gebracht und dort verbrannt
werden konnte. Paulus hielt sich als Jude noch an die Bräuche des jüdischen
Gesetzes und der Tradition, die die Ausübung der christlichen Religion nicht
beeinträchtigten. In gleicher Weise ließ sich Luther nicht von ikonoklastischen
Motiven leiten, sondern behielt solche Bräuche der äußeren Verehrung bei, die
an sich nicht sündhaft sind. Von Kenchreä aus
segelten Paulus und seine Gefährten ostwärts und überquerten das Ägäische Meer
mit seinen vielen schönen und geschichtsträchtigen Inseln, eine Strecke von
etwa 250 Meilen [ca. 403 km] bis nach Ephesus, der Hauptstadt der römischen
Provinz Asien, einer Stadt, die er zu Beginn seiner Reise besuchen wollte. Hier
verließ der Apostel seine Gefährten, die wahrscheinlich die Absicht hatten,
hier eine Weile zu bleiben, um bei der Missionsarbeit mitzuhelfen. Paulus
selbst konnte es sich, während sein Schiff einige Tage im Hafen lag, nicht
nehmen lassen, am Sabbat die Synagoge zu besuchen, denn er wollte, dass andere
an seiner Hoffnung auf das ewige Heil durch die Verdienste Jesu teilhaben. Zu
diesem Zweck argumentierte er mit den Juden aus der Heiligen Schrift, nicht
ohne auf sie Eindruck zu machen, denn sie baten ihn, noch länger dort zu
bleiben. Er sah sich jedoch gezwungen, die Einladung abzulehnen, und
verabschiedete sich daher von ihnen mit den Worten, er müsse unbedingt das
kommende Fest, wahrscheinlich das Passahfest, in Jerusalem feiern. Aber er
tröstete sie mit dem Versprechen, dass er zu ihnen zurückkehren würde, wenn es
der Wille Gottes sei. Beachten Sie das Beispiel, das Paulus mit seinem
bedingten Versprechen gibt. Von Ephesus aus setzte Paulus seine Reise um die
südwestliche Küste Kleinasiens herum fort und fuhr dann an der kleinen Insel
Rhodos vorbei in südöstlicher Richtung, wobei er Zypern links liegen ließ, bis
das Schiff Cäsarea erreichte, die Stadt des Hauptmanns Kornelius. Unverzüglich
reiste er auf die Berge hinauf, wo Jerusalem lag (Höhe etwa 2.500 Fuß, etwa 762
m), begrüßte die Gemeinde, legte sein Gelübde ab, nahm am Fest teil, brach dann
aber sofort auf, um auf dem Landweg nach Antiochia zu reisen, wo er zweifellos
von der Gemeinde freudig empfangen wurde. Es war das Ende seiner zweiten langen
Missionsreise, auf der er fast drei Jahre lang abwesend gewesen war.
Der Beginn der dritten Missionsreise (V. 23-28): Paulus hatte Antiochia wahrscheinlich im Frühsommer des Jahres 52 erreicht, hielt sich dort aber nicht lange auf. Sein Eifer für den Herrn und das Evangelium erlaubte es ihm nicht, sich auszuruhen. Noch bevor die Sommerhitze einsetzte, war er wieder unterwegs und reiste auf dem Landweg über dieselbe Strecke, die er auf der vorangegangenen Reise, Kap. 15,41, genommen hatte, durch Syrien nach Kilikien. 15,41, durch Syrien nach Zilizien und von dort durch die Kilikische Pforte in die Lykaonische Hochebene. Hier setzte er seine Missionsreise durch Südgalatien, in den Bezirken von Lykaonien und Phrygien, durch Derbe, Lystra, Ikonium und das pisidische Antiochia fort. Nach der Schnelligkeit seiner Reise zu urteilen, die aus den Worten des Lukas hervorgeht, muss Paulus alle Gemeinden dieser Regionen in einem solchen Zustand vorgefunden haben, dass ein längerer Besuch seinerseits nicht notwendig war. Dennoch nutzte er jede Gelegenheit, um alle Jünger zu ermahnen, zu ermutigen und zu bestärken, indem er sie ernsthaft aufforderte, am Glauben an den Herrn Jesus festzuhalten, wie er ihnen überliefert worden war. Paulus ist mit seiner Energie und seiner Arbeitsfähigkeit ein vorbildlicher Missionar für alle Zeiten; er hat sich nicht geschont in der Arbeit für seinen Herrn. Aber während er den Spätsommer und den Frühherbst im Zentrum Kleinasiens verbrachte, bereiteten die Ereignisse in Ephesus den Weg für seine Arbeit in dieser wichtigen Stadt. Denn ein gewisser Jude namens Apollos, ein gebürtiger Alexandriner, dessen Eltern und Vorfahren viele Jahre in dieser ägyptischen Stadt gelebt hatten, so dass er ein gebürtiger Alexandriner war, wenn auch ein Jude von Abstammung und Bildung, kam nach Ephesus und ließ sich dort eine Zeit lang nieder. Er war sowohl beredt als auch gelehrt und in der Heiligen Schrift sehr belesen; er war in ihr zu Hause und konnte in jeder Notlage und zur Verteidigung jeder Lehre die wichtigsten Stellen anführen. Dieser Mann hatte eine katechetische Unterweisung auf dem Weg des Herrn erhalten; er kannte den göttlichen Heilsplan, der auf die Erlösung Israels abzielte; er kannte zwar keine andere Taufe als die des Johannes, aber er kannte vielleicht einiges von den Worten und Taten Christi aus Berichten, die ägyptische Juden von ihren Besuchen in der jüdischen Hauptstadt mitbrachten. Aber was ihm an genauem Wissen fehlte, machte er durch seinen Eifer wieder wett. Sein Geist brannte vor Eifer für den Herrn, und er machte es sich zur Gewohnheit, die Dinge, die Jesus Christus betrafen, mit aller Genauigkeit zu sagen und zu lehren; sowohl in privaten Gesprächen als auch in öffentlichen Reden legte er die Tatsachen, die ihn gelehrt worden waren, so genau dar, wie er konnte. Da er in der christlichen Erkenntnis noch schwach war, begann er sogar in der Synagoge frei zu reden, denn er hatte den Mut zu seiner Überzeugung. Und Aquila und Priscilla, die es nicht für nötig befunden hatten, sich von ihren Landsleuten in Ephesus zu trennen, zeigten, als sie ihn reden hörten, feines Gespür und Fürsorge für ihn. Sie erkannten sowohl seine Vorzüge als auch seine Schwächen und nahmen ihn deshalb zu sich, um ihm den Weg des Herrn genauer darzulegen und das, was ihm noch an Wissen fehlte, durch die Informationen zu ergänzen, die sie von Paulus erhalten hatten. Das war ein schönes Zeichen für den richtigen Geist gegenüber einem Bruder, der noch schwach in der Erkenntnis war; und die Tatsache, dass Apollo diesen Dienst in dem Geist annahm, in dem er geleistet wurde, zeigt, dass er nicht mit Stolz über seine Fähigkeiten und Kenntnisse aufgeblasen war. Als er daher einige Zeit später, nachdem er in der vollen christlichen Erkenntnis gefestigt war, plante, für einen längeren Aufenthalt nach Achaia, nach Korinth, hinüberzugehen, schrieben die christlichen Brüder von Ephesus einen Empfehlungsbrief für ihn und forderten die Jünger in der griechischen Hauptstadt auf, ihn willkommen zu heißen. Dieser Liebesdienst verdient es, in unseren Tagen etwas häufiger nachgeahmt zu werden; denn nicht nur die Verwandten und engen Freunde, sondern alle christlichen Brüder sollten sich für das geistliche Wohlergehen derjenigen interessieren, die in einen anderen Teil des Landes ziehen. Aber auch das Beispiel des Apollo ist bezeichnend, denn er suchte sofort die Brüder in Korinth auf und erwies sich im Gespräch mit ihnen als große Hilfe für die, die durch die Gnade gläubig geworden waren. Was Paulus gepflanzt hatte, bewässerte Apollo; aber es war Gott, der das Wachstum schenkte. Seine Gnade wirkte den Glauben in den Herzen der Gläubigen, so wie sie es auch heute noch tut. Der Erfolg von Apollos Wirken beruhte nicht zuletzt darauf, dass er die Juden mit Macht und Vehemenz niederwarf; er widerlegte sie, auch wenn er sie nicht überzeugen konnte; denn er bewies vor dem ganzen Volk in öffentlichen Versammlungen anhand der Heiligen Schrift, der Schriften des Alten Testaments, wie sie von den Juden allgemein anerkannt waren, dass Jesus, der Prophet von Nazareth, der in Jerusalem gekreuzigt wurde, kein anderer sein konnte als der Christus, der Messias der Welt. Es ist ein Segen, eine Gabe Gottes, wenn ein Lehrer der Kirche die Fähigkeit besitzt, die Zweifler zu widerlegen und die herrlichen Tatsachen des Heils mit dem richtigen Nachdruck darzulegen.
Zusammenfassung: Paulus arbeitet in Korinth unter dem besonderen Schutz Gottes, kehrt über Ephesus, Cäsarea und Jerusalem nach Antiochia zurück und bricht zu seiner dritten Missionsreise auf, wobei Apollos in Ephesus einige Vorarbeiten für ihn leistet.
Die Arbeit von
Paulus in Ephesus
(19,1-20)
1
Es geschah aber, da Apollos zu Korinth war, dass Paulus durchwandelte die
oberen Länder und kam nach Ephesus und fand etliche Jünger. 2 Zu denen sprach
er: Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, da ihr gläubig geworden seid? Sie
sprachen zu ihm: Wir haben auch nie gehört, ob ein Heiliger Geist sei. 3 Und er
sprach zu ihnen: Worauf seid ihr denn getauft? Sie sprachen: Auf die Taufe des
Johannes. 4 Paulus aber sprach: Johannes hat getauft mit der Taufe der Buße und
sagte dem Volk, dass sie sollten glauben an den, der nach ihm kommen sollte,
das ist, an Jesus, dass der Christus sei. 5 Da sie das hörten, ließen sie sich
taufen auf den Namen des HERRN Jesus. 6 Und da Paulus die Hände auf sie legte,
kam der Heilige Geist auf sie und redeten mit Zungen und weissagten. 7 Und alle
die Männer waren zusammen zwölf.
8
Er ging aber in die Synagoge und predigte frei drei Monate lang, lehrte und
beredete sie von dem Reich Gottes. 9 Da aber etliche verstockt waren und nicht
glaubten und übel redeten von dem Weg vor der Menge, wich er von ihnen und
sonderte ab die Jünger und redete täglich in der Schule eines, der hieß Tyrannus. 10 Und das geschah zwei Jahre lang, so dass alle,
die in Asien wohnten, das Wort des HERRN Jesus hörten, beide, Juden und
Griechen. 11 Und Gott wirkte nicht geringe Taten durch die Hände des Paulus, 12
so dass sie auch von seiner Haut die Schweißtüchlein und Koller über die
Kranken hielten, und die Seuchen von ihnen wichen, und die bösen Geister von
ihnen ausfuhren.
13
Es unterwanden sich aber etliche der umlaufenden
Juden, die da Beschwörer waren, den Namen des HERRN Jesus zu nennen über die da
böse Geister hatten, und sprachen: Wir beschwören euch bei Jesus, den Paulus
predigt. 14 Es waren ihrer aber sieben Söhne eines Juden, Skeva,
des Hohenpriesters, die solches taten. 15 Aber der böse Geist antwortete und
sprach: Jesus kenne ich wohl, und Paulus weiß ich wohl; wer seid ihr aber? 16
Und der Mensch, in dem der böse Geist war, sprang auf sie und wurde ihrer mächtig
und warf sie unter sich, so dass sie nackt und verwundet aus demselben Haus
entflohen. 17 Das aber wurde kund allen, die zu Ephesus wohnten, beiden, Juden
und Griechen; und fiel eine Furcht über sie alle, und der Name des HERRN Jesus ward hochgelobt.
18
Es kamen auch viele derer, die gläubig waren geworden, und bekannten und
verkündigten, was sie ausgerichtet hatten. 19 Viele aber, die da vorwitzige
Kunst getrieben hatten, brachten die Bücher zusammen und verbrannten sie
öffentlich und überrechneten, was sie wert waren, und fanden des Geldes
fünfzigtausend Silberstücke. 20 So mächtig wuchs das Wort des HERRN und nahm
überhand.
Des Paulus Ankunft in Ephesus (V. 1-7): Während Apollos sich in Korinth aufhielt,
nachdem er nach seinem Aufenthalt in Ephesus die Reise über die Ägäis gemacht
hatte, kam Paulus, nachdem er seine Besuchsreise in den oberen, den gebirgigen
Gegenden Kleinasiens beendet hatte, nach Ephesus hinunter. Offenbar nahm Paulus
nicht die Hauptstraße vom pisidischen Antiochia, die
über Kolossä und Laodizea führte (vgl. Kol. 2,1),
sondern nahm den kürzesten Weg, weiter nördlich, durch das Kaspertal. So
gelangte er innerhalb kürzester Zeit nach Ephesus. Ephesus, die Hauptstadt des
prokonsularischen Asiens, war wie Athen eine typische Stadt des Heidentums, die
„Heimat jeder orientalischen Quacksalberei und jedes Aberglaubens in Verbindung
mit ihrem Hellenismus“. Sie lag eine Meile vom Ägäischen Meer entfernt und
hatte einen künstlichen Hafen. Auf dem Hügel über der Stadt erhob sich der
Artemis-Tempel, eines der prächtigsten Bauwerke Kleinasiens. Für Paulus war es
besonders wertvoll, dass Ephesus durch das System römischer Straßen aus allen
Teilen der Provinz leicht erreichbar war. Bei seiner Ankunft in der Stadt
stellte der Apostel fest, dass in der Gemeinde ein besonderer, ein
einzigartiger Zustand herrschte. Dank der Bemühungen von Aquila, Priscilla und
Apollos gab es dort eine Versammlung von Brüdern, von Männern und Frauen, die
Jesus als ihren Retter annahmen, aber es gab einen großen Unterschied im Stand
der christlichen Erkenntnis. Denn Paulus fand hier zwölf Männer vor, die er
nach ihrem Wissen über die christliche Lehre befragte. Eine seiner Fragen
lautete, ob sie den Heiligen Geist empfangen hatten, als sie gläubig wurden,
d.h. ob sie die außerordentliche Gabe des Heiligen Geistes empfangen hatten,
die so vielen Bekehrten zuteil geworden war. Ihre Antwort war ziemlich
überraschend, denn sie erklärten, sie hätten im Zusammenhang mit ihrer
Bekehrung noch nicht einmal von der Existenz eines Heiligen Geistes gehört. Auf
Paulus' weitere Frage, worauf sie denn getauft worden seien, d. h. welche Form
der Taufe sie empfangen hätten, antworteten sie, sie seien auf die Taufe des
Johannes getauft worden. Diese Antwort zeigte Paulus, dass ihnen das richtige
Verständnis fehlte, und er fuhr fort, ihnen die notwendige Belehrung zu geben,
nämlich dass Johannes mit der Taufe der Buße getauft hatte, wobei er den Leuten
nebenbei sagte, dass sie an den glauben sollten, der nach ihm kommen würde, das
heißt an Jesus Christus.[74]
Diese Erklärung des Paulus öffnete ihnen völlig das Verständnis, und sie nahmen
die Taufe auf den Namen des Schmalz-Jesu an und wurden so in die Zahl derer
aufgenommen, die Christus als die Seinen angehörten. „Die Papyri haben gezeigt,
dass dort, wo die Formulierung 'getauft in' vorkommt, der Getaufte zum Eigentum
der angegebenen göttlichen Person wird.“[75]
Und als Paulus, der die Taufe persönlich vollzogen zu haben scheint, den
Männern die Hände auflegte, kam der Heilige Geist mit außergewöhnlichen Gaben
über sie, und sie redeten in Zungen und prophezeiten.
Die Geschichte dieser zwölf Männer, wie sie hier erzählt
wird, erscheint im Licht des heutigen Wissens sehr seltsam, aber die
Seltsamkeit verschwindet, wenn ich die Umstände berücksichtige. Der Fall ist
vergleichbar mit dem des Apollos, dessen Unwissenheit über einen sicherlich
wichtigen Teil der christlichen Lehre ebenso groß war. Wir müssen unterscheiden
zwischen der Taufe, die Johannes persönlich vollzog, und der Taufe seiner
späteren Jünger, die gemeinhin als die Taufe des Johannes bezeichnet wird. Die Taufe,
mit der Johannes auf besonderen Befehl Gottes taufte, war ein gültiges
Sakrament, das denjenigen, die ihre Sünden bekannten und der Predigt des
Johannes glaubten, Vergebung der Sünden und die Gnade Gottes schenkte.[76]
Aber Johannes der Täufer war nur der Vorläufer Christi; seine Predigt war wie
seine Taufe ein Zeugnis von Christus, der nach ihm kommen sollte und der durch
sein Leiden und seinen Tod allen Sündern das Heil und die Vergebung verschaffen
sollte. Nachdem Christus Israel geoffenbart worden war und sein Amt förmlich
angetreten hatte, war die Zeit der Vorbereitung beendet, das Werk und das Amt
des Johannes hatten keinen Wert mehr. Und als Christus dann durch seinen Tod
sein Werk vollendet und nach seiner Auferstehung seinen Jüngern den Auftrag
gegeben hatte, alle Völker auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes zu taufen; als vor allem der Pfingsttag gekommen war und die
Jünger des Herrn nun im Namen Jesu Christi, des Gekreuzigten und Auferstandenen,
tauften, da hatte die Taufe des Johannes keinen Wert mehr, so wie das
alttestamentliche Sakrament der Beschneidung, obwohl es von den Judenchristen
noch praktiziert wurde, als bloße Zeremonie angesehen wurde.
Aber nicht alle
Jünger des Johannes waren in die Nachfolge Christi eingetreten. Selbst nach dem
Tod des Johannes und nach dem Tod Christi finden wir eine kleine Vereinigung
oder Gemeinschaft von Johannesjüngern, die sich nicht mit der Kirche
vereinigte. Sie wurden so zu einer Sekte, betrachteten Johannes als ihr
Oberhaupt und handelten gegen den Willen und das Gebot ihres eigenen Meisters.
Und deshalb war ihre Taufe, die sie als Fortsetzung der Taufe des Johannes
durchführten und verkündeten, keine wirkliche Taufe, sondern nur eine tote
Zeremonie. Diese Zeremonie war bei den zwölf Jüngern in Ephesus vollzogen
worden, wobei derjenige, der sie ihnen verabreicht hatte, ihnen
höchstwahrscheinlich nicht in der Form und mit der Kraft des Johannes bezeugte,
dass Christus mit dem Heiligen Geist und mit Feuer getauft hatte. Aber diese
Männer hatten nun die Geschichte Jesu in Ephesus gehört; durch die Gnade und
die Kraft des Heiligen Geistes waren sie zum Glauben gekommen. Und nun
empfingen auch sie durch die Spendung des Sakraments, das die wirkliche Taufe
war, die außergewöhnlichen Gaben, die anderen getauften Christen zuteil
geworden waren.[77]
Der Erfolg
des Evangeliums (V. 8-12): Auch in Ephesus folgte Paulus seiner üblichen
Methode, zuerst in die Synagoge der Juden zu gehen und einen aufrichtigen
Versuch zu unternehmen, sie für das Reich Gottes zu gewinnen. Er sprach kühn,
ohne Scheu, in einer völlig furchtlosen Weise. Drei Monate lang verfolgte er
diesen Kurs, indem er die stichhaltigsten Argumente, die überzeugendsten Punkte
in Bezug auf das Reich Gottes vorbrachte. Er predigte dieses Reich, die
Tatsache, dass Gott wollte, dass alle Menschen durch den Glauben in dieses
Reich eintreten; er setzte seine ganze Kraft ein, um Seelen für den Herrn zu
gewinnen. Aber trotz all seiner Bemühungen verhärteten sich einige der Zuhörer;
allmählich, von Tag zu Tag, wurden sie hartnäckiger, entschiedener in ihrer
Weigerung, die Botschaft des Evangeliums anzunehmen, 2. Kor .2,16. Schließlich
erklärten sie offen ihren Unglauben und schmähten den Weg des Herrn, die Lehre
und Praxis des Christentums, vor der ganzen Gemeinde, die sich in der Synagoge
zum Gottesdienst versammelt hatte. Vgl. Kap. 18,6. Dieses undankbare und
gotteslästerliche Verhalten veranlasste Paulus schließlich, zwei Dinge zu tun.
Er verzichtete für sich selbst auf jede Gemeinschaft mit der Synagoge und
trennte alle Jünger von den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, mit denen sie
bisher zusammen den Gottesdienst gefeiert hatten. Und statt sich nur einmal
oder höchstens dreimal in der Woche mit den Gläubigen zu treffen, konnte Paulus
nun täglich Gottesdienste abhalten. Denn er traf Vorkehrungen für die Nutzung
eines Hörsaals, der einem gewissen Tyrannus gehörte,
der sehr wahrscheinlich ein öffentlicher Lehrer der Philosophie oder Rhetorik
war. Die Zeiten für die Gottesdienste konnten leicht so festgelegt werden, dass
alle daran teilnehmen und viele andere zur Verkündigung des Evangeliums
mitbringen konnten. Und dieser Plan erwies sich als so zufriedenstellend, dass
er zwei Jahre lang ununterbrochen befolgt wurde. Die Ergebnisse einer so
intensiven Arbeit unter der Leitung eines so energischen Mitarbeiters waren
entsprechend erfreulich. Nicht nur die Stadt Ephesus selbst, sondern alle
Einwohner von Prokonsular-Asien, der gesamten
Provinz, sowohl Juden als auch Griechen (allgemein gesprochen), hörten das Wort
des Herrn. Entweder kamen sie persönlich nach Ephesus, um den großen Prediger
des Christentums zu hören, oder sie hörten das Wort durch die vielen Jünger,
die von der Stadt ausgingen. Diesem großen missionarischen Einsatz verdanken
wir später die sieben Gemeinden Asiens, Offb. 1,4, die alle im Gebiet von
Ephesus liegen. Die Wirkung der Predigt des Paulus wurde durch die Tatsache,
dass der Herr sie durch besondere Manifestationen seiner Macht bezeugte, noch
erheblich verstärkt. Er vollbrachte außergewöhnliche Wunder durch die Hände des
Paulus, Zeichen, die selbst in jenen Tagen der erstaunlichen Taten ungewöhnlich
waren. Wenn der Apostel nicht persönlich kommen konnte, nahmen die Menschen
seine Schweißtücher oder Taschentücher und seine kleinen Schürzen, die er sich
wie eine Art Gürtel umband, Kleidungsstücke, die mit seiner Haut in Berührung
gekommen waren, und brachten sie zu den Kranken, mit dem Ergebnis, dass die
Krankheiten verschwanden und die bösen Geister ausfuhren, eine anschauliche
Art, die vollständige Heilung von allen Arten von Leiden zu beschreiben. Alle
diese Menschen glaubten an den Herrn, dessen Diener Paulus war, und erhielten
daher diesen Beweis für die Macht des Herrn. Beachten Sie, dass Lukas auch hier
einen Unterschied zwischen Krankheit und Dämonenbesessenheit macht.
Der Vorfall
mit den Exorzisten (V. 13-17): Der Erfolg des Paulus bei der Austreibung
von Dämonen machte großen Eindruck auf einige jüdische Exorzisten, die sich zu
jener Zeit in Ephesus aufhielten. Es scheint, dass diese Form der
Dämonenheilung von bestimmten wandernden oder umherziehenden Exorzisten
praktiziert wurde, die von einer Stadt zur anderen zogen und versuchten, die
bösen Geister auszutreiben, indem sie sie im Namen eines Propheten beschworen;
in diesem Fall handelte es sich um die sieben Söhne eines Juden namens Skeva, der entweder das Oberhaupt eines der vierundzwanzig
Priesterkurse in Jerusalem war oder mit der Familie der Hohepriester verwandt.
Im vorliegenden Fall versuchten diese Männer, den Namen des Herrn Jesus als
Zauberspruch zu verwenden, um Macht über den bösen Geist zu erlangen. Ihre
Formel, die sie individuell verwendeten, lautete: Ich beschwöre euch bei Jesus,
den Paulus predigt. Es ist eine List und Täuschung des Teufels, das Wort
Gottes, den Namen Gottes und den Namen Jesu zu benutzen, um seine dunklen und
teuflischen Tricks auszuführen. Es war ein Missbrauch des Namens Gottes, ein
verbrecherisches, gotteslästerliches Spiel, das sie da trieben. Aber sie fanden
ihre Strafe mit unerwarteter Plötzlichkeit. Denn der böse Geist in dem Mann,
den sie zu heilen versuchten, antwortete ihnen, dass er Jesus kenne, dass er
mit seiner Macht und Autorität vertraut sei und dass er auch mit Paulus
vertraut sei, da einige andere Geister die Wunderkraft, die in ihm wohnte,
erlebt hätten, aber wer könnten sie sein, um den Namen beider so sicher zu
benutzen? Das war ein Ausdruck höhnischer Verachtung, denn der Teufel wollte
ihre Überlegenheit nicht anerkennen und weigerte sich, auf ihre Beschwörung zu
hören. Und mehr noch: Ihre selbstgefällige Selbstsicherheit erfüllte den bösen
Geist mit Wut. Der Mann, dessen Körper er beherrschte, stürzte sich auf sie wie
ein wütendes Tier, beherrschte sie mit größter Leichtigkeit (bei dieser
Gelegenheit waren zwei von ihnen anwesend) und überwältigte sie völlig; sie
waren wie hilflose Kinder in seinen Händen. Mit zerrissenen Kleidern und
übersät mit Wunden flohen sie aus dem Haus, das sie mit so viel Zuversicht
betreten hatten. Statt im Triumph zurückzukehren, schlichen sie in Scham und
Schande zurück. Und die Geschichte wurde allen Einwohnern von Ephesus bekannt,
sowohl den Juden als auch den Griechen, so dass sie alle in Furcht gerieten.
Infolgedessen wurde der Name des Herrn Jesus verherrlicht, hoch gelobt und von
einer wachsenden Zahl von Jüngern gepriesen. So führen die Pläne des Teufels,
das Werk des Herrn zu behindern und zu stören, nur zur Förderung seines
Reiches.
Ein weiteres
Ergebnis dieses Ereignisses (V. 18-20): Die Schläge, die die Exorzisten
wegen ihres unberechtigten Gebrauchs des Namens Jesu erhielten, hatten auch
eine gute Wirkung auf die Jünger, die zum Glauben gekommen waren und sich der
Gemeinde in Ephesus angeschlossen hatten. Die Furcht, dass Jesus mächtiger sei
als alle Götzen und Dämonen, verbreitete sich weit und breit. Nun war die Stadt
Ephesus, wie die meisten großen Städte jener Zeit, voll von Hexerei und
Aberglauben. Und diese Tatsache wurde hier auf bemerkenswerte Weise deutlich,
denn die Angst vor Strafe öffnete vielen den Mund. Sie gaben ihre Verfehlungen
in dieser Hinsicht offen zu, sie verrieten die Zaubersprüche, die sie angewandt
hatten. Und viele von denen, die Zauberkünste praktiziert hatten, sammelten
ihre Bücher über diese Themen und verbrannten sie öffentlich vor den Augen des
ganzen Volkes. Sie berechneten auch den Preis dieser Bücher und stellten fest,
dass er fünfzigtausend Silberstücke betrug, fast zehntausend Dollar. "Ihr
Wert hing nicht so sehr von ihrer Anzahl oder ihrem Umfang ab, sondern von
ihrem Inhalt; denn sie enthielten klar geschriebene Anweisungen für die
Ausführung von Gaukler- und Zauberkunststücken, und der Käufer konnte mit ein
wenig Übung ein ebenso geschickter Gaukler werden wie der ursprüngliche
Besitzer." So wuchs das Wort des Herrn mit Macht, mit solch
unwiderstehlicher Kraft überzeugte es die Herzen der Menschen und gewann neue
Bekehrte. Und mit solcher Kraft veränderte es die Herzen dieser Bekehrten, dass
sie sich freiwillig von jeglichem Aberglauben und Hexerei lossagten. Diese
Kraft Gottes wird auch heute noch durch das Wort ausgeübt und zeigt die
gleichen Ergebnisse. Die Torheit des verdrehten Verstandes der Menschen ist
zusammen mit der Macht des Reiches der Finsternis hilflos gegenüber der Macht
Gottes in seinem Wort.
Der Aufruhr des
Demetrius
(19,21-40)
21
Da das ausgerichtet war, setzte sich Paulus vor im Geist, durch Mazedonien und Achaja zu reisen und nach Jerusalem zu wandeln, und sprach:
Nach dem, wenn ich dort gewesen bin, muss ich auch Rom sehen. 22 Und sandte
zwei, die ihm dienten, Timotheus und Erastus, nach Mazedonien; er aber verzog
eine Weile in Asien.
23
Es erhob sich aber um diese Zeit eine nicht kleine Bewegung über diesem Weg. 24
Denn einer mit Namen Demetrius, ein Goldschmied, der machte der Diana silberne
Tempel und wandte denen vom Handwerk nicht geringen Gewinn zu. 25 Diese
versammelte er und die Beiarbeiter desselben
Handwerks und sprach: Liebe Männer, ihr wisst, dass wir großen Zugang von
diesem Handel haben. 26 Und ihr seht und hört, dass nicht allein zu Ephesus,
sondern auch fast in ganz Asien dieser Paulus viel Volk abfällig macht, überredet
und spricht: Es sind nicht Götter, welche von Händen gemacht sind. 27 Aber es
will nicht allein unserm Handel dahin geraten, dass er nichts gelte, sondern
auch der Tempel der großen Göttin Diana wird für nichts geachtet, und wird dazu
ihre Majestät untergehen, welcher doch ganz Asien und der Weltkreis
Gottesdienst erzeigt.
28
Als sie das hörten, wurden sie voll Zorns, schrien und sprachen: Groß ist die
Diana der Epheser! 29 Und die ganze Stadt ward voll Getümmel. Sie stürmten aber
einmütig zu dem Schauplatz und ergriffen Gajus und Aristarchus aus Mazedonien,
des Paulus Gefährten. 30 Da aber Paulus wollte unter das Volk gehen, ließen’s ihm die Jünger nicht zu. 31 Auch etliche der
Obersten in Asien, die des Paulus gute Freunde waren, sandten zu ihm und
ermahnten ihn, dass er sich nicht begäbe auf den Schauplatz. 32 Etliche schrien
so, etliche ein anderes, und war die Gemeinde irre, und die meisten wussten
nicht, warum sie zusammenkommen waren. 33 Etliche aber vom Volk zogen Alexander
hervor, da ihn die Juden hervorstießen. Alexander aber winkte mit der Hand und
wollte sich vor dem Volk verantworten. 34 Da sie aber innewurden, dass er ein
Jude war, erhob sich eine Stimme von allen und schrien bei zwei Stunden: Groß
ist die Diana der Epheser!
35
Da aber der Kanzler das Volk gestillt hatte, sprach er: Ihr Männer von Ephesus,
welcher Mensch ist, der nicht wisse, dass die Stadt Ephesus sei eine Pflegerin
der großen Göttin Diana und des himmlischen Bildes? 36 Weil nun das
unwidersprechlich ist, so sollt ihr ja still sein und nichts Unbedachtes
handeln. 37 Ihr habt diese Menschen hergeführt, die weder Kirchenräuber noch
Lästerer eurer Göttin sind. 38 Hat aber Demetrius, und die mit ihm sind vom
Handwerk, an jemand einen Anspruch, so hält man Gericht, und sind Landvögte da;
lasst sie sich untereinander verklagen. 39 Wollet ihr aber etwas anderes
handeln, so mag man es ausrichten in einer ordentlichen Gemeinde. 40 Denn wir
stehen in der Gefahr, dass wir um diese heutige Empörung verklagt konnten werden,
und doch keine Sache vorhanden ist, damit wir uns wegen solchem Aufruhr
entschuldigen möchten. Und da er solches gesagt, ließ er die Gemeinde gehen.
Einige Pläne des Paulus (V. 21-22): Nachdem
diese Dinge vollbracht waren, nachdem das Evangelium diesen großen Sieg über
die Mächte der Finsternis und über die Herzen der Menschen errungen hatte,
entschied sich Paulus, nicht nach einer vorübergehenden Vorstellung, sondern
unter der Leitung des Heiligen Geistes. Wie das Werk der Kirche zu allen Zeiten
unter seiner Leitung steht, so lenkte er in jenen frühen Tagen die Schritte
seiner Missionare auf wunderbare Weise, Kap. 16,6-10. Paulus plante eine
Missionsreise durch Mazedonien und Achaja, wo die
Gemeinden in Philippi, Thessalonich, Beröa und Korinth und möglicherweise auch in Athen und
einigen anderen Städten seinen Rat, seine Ermutigung und seine Ermahnung gut
gebrauchen konnten, und wollte dann nach Jerusalem reisen. Sein persönlicher
Wunsch war es, nach diesen Reisen Rom, die Hauptstadt des ganzen Reiches, zu
sehen. Da er nicht sofort abreisen konnte, schickte er zwei seiner Assistenten
voraus, zwei der jüngeren Männer, die ihm dienten, während sie ihre
theologischen Kenntnisse vervollkommneten, nämlich Timotheus und Erastus. Diese
beiden sollten sich zuerst nach Mazedonien begeben, aber mit dem Auftrag, auch Achaja zu besuchen und dort die Gemeinde in Korinth über
die Wege und die Lehre des Paulus zu informieren, 1. Kor. 4,17; 16,10. Paulus
selbst blieb noch einige Zeit in Ephesus, obwohl die Gemeinden im Hause Aquilas
und Priscillas und anderswo in der Provinz bereits fest gegründet waren, 1. Kor.
16,19. Durch die Hinzufügung dieses Aufenthaltes (V. 10) wird die Gesamtdauer
des Aufenthaltes in Ephesus eher drei als zwei Jahre betragen, Kap. 20,31.
Die Rede des Demetrius (V. 23-27): Zu
derselben Zeit, als der Apostel Timotheus und Erastus nach Mazedonien
vorausgeschickt hatte, entstand in Ephesus ein nicht geringer Aufruhr wegen der
Art und Weise, wie Paulus lehrte, und wegen der Verkündigung des Evangeliums
mit allem, was dazu gehörte. Denn in der Stadt lebte ein gewisser Mann, ein
Silberschmied namens Demetrius, der Meister der Zunft in jenem Jahr, wie einige
meinen. Eine antike Inschrift macht es sogar wahrscheinlich, dass er zu jener
Zeit Vorsitzender des städtischen Magistrats war. Die Silberschmiede von
Ephesus machten damals ein lukratives Geschäft, indem sie kleine Modelle des
Schreins der Göttin Diana, des großen Tempels von Ephesus, als Souvenirs
verkauften. Dieser Tempel war eines der sieben Weltwunder der Antike, 425 mal
220 Fuß [ca. 129,50 m x 67 m] groß und mit seinen weißen Marmorsäulen, die das
Dach stützen, von herrlicher Schönheit. Einige der Porphyrsäulen,
die heute in Santa Sophia in Konstantinopel zu sehen sind, sollen aus diesem
Tempel entnommen worden sein. „Der Tempel wurde im gesamten westlichen
Kleinasien verehrt. Jedes Jahr kamen viele Pilger dorthin, denen ephesische Silberschmiede kleine Nachbildungen des Tempels
verkauften. Weil das Christentum durch die Predigt des Paulus so populär wurde,
dass der gewinnbringende Verkauf dieser Heiligtümer gestört wurde, kam es zu
dem Aufruhr in Ephesus.“[78] „Bei diesen 'Schreinen' handelte es sich
nicht um bloße Statuetten der Göttin, sondern wahrscheinlich um
Miniaturdarstellungen des Tempelschreins, die der Göttin manchmal als
Votivgaben geweiht, manchmal zweifellos in den Häusern aufbewahrt oder in
Gräbern an der Seite der Toten aufgestellt wurden.“[79]
Natürlich brachte dieses Geschäft den Silberschmieden viel Geld ein, und ebenso
natürlich wurde alles, was dieses Geschäft beeinträchtigte und damit die
Handwerker in ihrem empfindlichsten Punkt, der Frage des Einkommens, berührte,
mit großem Unmut angeprangert. Die Rede des Demetrius vor seinen
Handwerkerkollegen, die er zu einer offiziellen Versammlung einberufen hatte,
enthält die Vorwürfe in sehr offener Form, nämlich dass Paulus ihrem Geschäft
schade und die Verehrung der Diana störe. Sie alle wussten, dass sie mit diesem
Geschäft ein sehr gutes Auskommen hatten. Und nun sahen sie es vor ihren Augen
und hörten es täglich, dass sich das Wirken dieses Mannes Paulus nicht auf die
Stadt Ephesus selbst beschränkte, sondern dass er fast in der ganzen Provinz
Asien eine große Menge von der alten Form der Anbetung überzeugt und abgewendet
hatte, weil er sagte, dass die von Menschenhand gemachten Figuren keine Götter
seien. Dieses Zeugnis aus dem Mund eines Gegners muss zwar bis zu einem
gewissen Grad als Übertreibung mit dem Ziel, Eindruck zu schinden, abgetan
werden, vermittelt aber dennoch ein eindrucksvolles Bild vom Erfolg der Arbeit
des Paulus. Wenn der Umfang der Geschäfte so weit
reduziert worden war, dass alle Mitglieder des Handwerks die Auswirkungen
spürten, muss die Zahl der Bekehrten zum Christentum zusammen mit dem
moralischen Einfluss ihrer ausgesprochenen oder angedeuteten Missbilligung sehr
groß gewesen sein. Aber Demetrius legt seinen Schwerpunkt geschickt auf den
zweiten Vorwurf. Er deutet an, dass der Verlust ihrer Einkünfte noch verkraftet
werden könne, dass die Gefahr, die diesem Zweig ihres Gewerbes drohe, ihn in
Verruf zu bringen, nicht der schwerwiegendste Aspekt der Situation sei, sondern
dass dies seine eigentliche Klage sei, dass nämlich das Heiligtum der großen
Göttin Artemis (Diana) in schlechten Ruf geraten würde, nicht mehr geachtet
würde und dass sie sogar ihrer Herrlichkeit enthoben und ihre Majestät, ihr
Ruhm und ihr Lob herabgesetzt würden, obwohl, wie der Redner betont, ganz Asien
und die ganze Welt sie verehrten. Sowohl die Griechen als auch die Römer
verehrten diese Göttin sehr hoch, und obwohl nur das kleinasiatische Volk
regelmäßig zu diesem Tempel pilgerte, war er in allen Teilen der zivilisierten
Welt bekannt und wurde gebührend mit der Huldigung bedacht, die der
durchschnittliche Heide den Göttern entgegenbringt, über die er unterrichtet
wurde. Die Rede des Demetrius war die eines gewitzten Demagogen, der es
verstand, mit den Leidenschaften des Volkes zu spielen, indem er ihre
empfindlichsten Punkte berührte: die Liebe zum Geld und den religiösen
Aberglauben.
Die Wirkung der Rede (V. 28-34): Wenn
Demetrius die Absicht hatte, ein Feuer zu entfachen, war er sicherlich
erfolgreicher als geplant. Kaum hatte er seine Rede beendet, prägte ein
Mitglied der Zunft oder eine andere Person im Publikum einen einprägsamen Satz,
der die Gemüter erregte: Groß ist Artemis von den Ephesern! Und voller Zorn
griffen die anderen den Ruf auf und trugen ihn auf die Straße. In kürzerer
Zeit, als man erzählen kann, hatte sich der Aufruhr in alle Viertel
ausgebreitet; er erfüllte die Stadt und schwappte hin und her wie verschiedene
Flüssigkeiten, die zusammengeschüttet wurden und sich nicht beruhigen können.
Da die Straßen viel zu eng waren, um die Gewalt des Pöbels angemessen zu
demonstrieren, wurden Aufwiegler und Pöbel gleichzeitig von der Idee ergriffen
und stürmten in das große Theater, das mit einem Durchmesser von 495 Fuß [ca.
150,80 m] und einem Fassungsvermögen von 24.500 Personen wahrscheinlich das
größte der Welt ist. Auf dem Weg dorthin gelang es ihnen jedoch, zwei Mitstreiter
des Paulus, die Mazedonier Gaius und Aristarchus, zu ergreifen und mit sich zu
nehmen. Letzterer wird auch an anderen Stellen als gebürtiger Mazedonier aus
der Stadt Thessalonich erwähnt, Kap. 20,4; 27,2. Es
ist wahrscheinlich, dass es sich bei diesen beiden Männern, die hier als
Begleiter des Paulus genannt werden, um Abgesandte der Gemeinde in Thessalonich handelte, die mit Paulus den Beitrag an die
Gemeinde in Jerusalem überbrachten. Da diese treuen Männer in Lebensgefahr
schwebten, hatte Paulus die feste Absicht, hinauszugehen und sich der wütenden
Menge zu stellen, um sie mit seinem eigenen Leben zu schützen; aber das wollten
die Mitglieder der Gemeinde nicht zulassen. Für den wütenden Mob wäre sein
Erscheinen zu diesem Zeitpunkt wie ein rotes Tuch gewesen und hätte nach aller
Wahrscheinlichkeit nichts bewirken können. Und die Jünger wurden in ihren
Bemühungen von einigen der führenden Männer der Stadt unterstützt, den Asiarchen, den Oberpriestern des Römischen Reiches in den
Provinzen, zu deren Aufgaben auch die Veranstaltung von Spielen für das Volk
gehörte. Einige dieser einflussreichen Männer waren Paulus ausgesprochen
freundlich gesinnt, wie dieser Akt der Freundlichkeit zeigt, denn sie machten
sich die Mühe, zu ihm zu schicken und ihn eindringlich zu bitten, sich nicht
auf das Theater zu wagen. In der Zwischenzeit gerieten die Mitglieder des
Pöbels in helle Aufregung, denn sie schrien weiter, die einen mehr, die anderen
weniger. Es gab keine Einheit im Denken und in der Führung: Es war eine ungesetzliche,
stürmische Versammlung, zusammengeschüttet wie Flüssigkeiten, die sich nicht
richtig vermischen. Und wie immer, wenn ein Pöbel, ein Mob, bei solchen
Gelegenheiten aus dem Boden schießt, wusste die Mehrheit der Menschen nicht,
warum sie sich eigentlich versammelt hatte. Da die Juden der Stadt
befürchteten, dass sich die Wut des Pöbels auch gegen sie richten könnte, da
Paulus Jude war und sie selbst gegen den Götzendienst waren, machten sie den
Versuch, einen aus ihren Reihen, einen Mann namens Alexander, dazu zu bringen,
der wogenden Menge die Situation zu erklären. Der Mann versuchte, den
Anweisungen zu folgen, die er erhalten hatte, während die Juden ihn nach vorne
drängten. Doch kaum hob er die Hand, um den Leuten zu signalisieren, dass er
sprechen und in diesem Fall eine Verteidigungsrede halten wolle, machte die
Nachricht die Runde, dass er ein Jude sei. Ob sie nun alle deutlich genug sehen
konnten, um seine Kleidung und seine Gesichtszüge zu erkennen, oder ob
diejenigen, die der Arena oder der Bühne am nächsten waren, das Wort
weitergaben, die ganze Menge, der wütende Pöbel, griff mit einer Stimme von
ihnen allen, wie das Gebrüll eines wütenden Ungeheuers, den Satz auf, der ihnen
in den Sinn gekommen war, als einer der Silberschmiede ihn gerufen hatte: Groß
ist Artemis von den Ephesern! Es war eine wilde Demonstration eines gesetzlosen
Pöbels, aber ein vergleichsweise harmloses Vergnügen: Es befriedigte ihre
Vorstellung von Verehrung, ohne jemanden zu verletzen. Die städtischen Behörden
griffen daher nicht ein, denn jeder Widerstand hätte den Mob zu Gewalttaten
angestachelt. Sie kannten sich offensichtlich mit der Psychologie des Pöbels
aus und warteten ab.
Das Ende des Aufruhrs (V. 35-40): Nach
zwei Stunden ununterbrochenen Schreiens hatte sich die Wut des Mobs erschöpft,
seine Mitglieder waren erschöpft. Und nun hatte der Sekretär der Stadt keine
Mühe mehr, die Leute zu beruhigen. „Er war die einflussreichste Person in
Ephesus, denn nicht nur wurden die vorzuschlagenden Dekrete von ihm und den Strategoi [den Magistraten] ausgearbeitet und der Stadt
überlassene Gelder in seine Obhut gegeben, sondern da die Macht der Ecclesia,
der öffentlichen Versammlung, unter der kaiserlichen Herrschaft abnahm, wurde
die Bedeutung des Amtes des Sekretärs erhöht, da er in engerem Kontakt mit dem
Hof des Prokonsuls stand als die anderen Magistrate der Stadt und als
Kommunikationsmedium zwischen der kaiserlichen und der städtischen Regierung
fungierte.“[80] Er
wendet sich an die Versammlung als Bürger von Ephesus und fragt, ob es wirklich
jemanden gibt, der nicht weiß, dass die Stadt Ephesus die Tempelhüterin der
großen Artemis und der vom Himmel gefallenen Figur ist. Das Bild der
fruchtbaren Artemis, eine Figur, die die Göttin als Lebensspenderin und
Ernährerin darstellt, soll vom Thron des Zeus oder Jupiters, ihres höchsten
Gottes, vom Himmel gefallen sein. Der Redner stellte diese Dinge als Tatsachen
dar, als selbstverständlich, als von niemandem angezweifelt, natürlich mit der
Folgerung, dass all diese Aufregung nicht nötig sei, da alles, was sie über
ihre Göttin gesagt hätten, allgemein anerkannt sei. Da diese Dinge
unwidersprochen blieben, da niemand diese Aussagen öffentlich angegriffen habe,
sei es die offensichtliche Pflicht aller Anwesenden, den Frieden zu wahren und
nichts Unüberlegtes zu tun. Was Gaius und Aristarchus, die beiden Männer, die
sie indirekt angeklagt hatten, betrifft, so waren sie, auch wenn sie keine
direkte Anklage gegen sie erhoben, weder Tempelräuber, noch hatten sie ihre
Göttin gelästert. Der Redner ignoriert hier die eigentliche Anklage gegen die
Jünger, nämlich die Leugnung, dass mit Händen gemachte Bilder Götter sind. Er
hat nicht die ganze Wahrheit gesagt, weil er sie vielleicht gar nicht kannte,
sondern einfach so geurteilt, wie sie ihm vor Augen stand. Paulus und seine
Gefährten hatten nie, wie spätere fanatische Missionare und Bilderstürmer,
heidnische Bilder niedergeworfen und zerstört, noch hatten sie versucht, ihren
Standpunkt durch Beschimpfungen und Angeberei durchzusetzen, sondern sie hatten
einfach die Wahrheit gelehrt und versucht, die Heiden von der Nichtigkeit ihrer
Götzen zu überzeugen. Wenn also Demetrius und seine Gesellen meinten, sie
hätten eine Anklage gegen irgendjemanden zu erheben, so fanden in diesem
Augenblick die Gerichtsversammlungen statt, die Richter waren anwesend, der
Prokonsul war im Dienst; sie sollten also ihre Anklage vorbringen. Diese
einfachen Regeln, die in einem geordneten Staat gelten müssen, sollten befolgt
werden, dann würde es Gerechtigkeit für alle geben. Wenn aber die Versammlung
irgendeinen Beschluss über das künftige Verhalten der Bürger oder der Einwohner
der Stadt fassen wolle, so müsse darüber in einer rechtmäßigen Versammlung entschieden
werden, die in rechtmäßiger Weise einberufen und befugt sei, solche Beschlüsse
zu fassen; die jetzige Versammlung falle nicht unter diese Rubrik. Schließlich
erinnerte er die Bürger an die möglichen Folgen ihres törichten Handelns. Sie
alle liefen Gefahr, für den Aufruhr an diesem Tag zur Rechenschaft gezogen zu
werden, was an sich schon eine ernste Angelegenheit sei, da sie keinen Grund
für diesen Tumult angeben könnten. Und die Krönung der taktvollen Diplomatie
war das Vorgehen des Sekretärs bei der Entlassung der Versammlung. Die Worte
implizieren die übliche förmliche Entlassung, nachdem der Vorsitzende einen
Antrag auf Vertagung gestellt hat, der von der Versammlung ordnungsgemäß
angenommen wurde. Dieser Trick sollte der Versammlung einen rechtmäßigen
Anschein verleihen und dazu beitragen, die Anwesenden im Falle einer
Untersuchung zu schützen. Es war also ein geschickter Trick des Sekretärs, um
die Leute noch mehr in Verlegenheit zu bringen und ihnen das Gefühl zu geben,
dass sie ihm zu Dank verpflichtet waren, weil er sie vor größeren
Schwierigkeiten bewahrt hatte. Anmerkung: Der Aufruhr in Ephesus hat seine
Parallelen in der zeitgenössischen Kirchengeschichte. Die wahren Prediger des
Evangeliums sind keine Kirchenräuber, keine Bilderstürmer, keine sinnlosen
Lästerer, sondern ihre Aufgabe ist es, den Heiden unserer Tage die Eitelkeit
der modernen Götzen, der Lust des Fleisches, der Lust der Augen, des Stolzes
des Lebens zu zeigen. Und diese Haltung wird von denjenigen, die sich schuldig
fühlen, bitter beklagt. Wann immer sich ihnen eine Gelegenheit bietet, hetzen
sie daher gedankenlose Menschen gegen die Kirche auf. Die Zeit der
Pöbelherrschaft ist offensichtlich noch nicht vorbei. Da aber ein wütender Mob
keinen Grund hat, werden die Christen ruhig abwarten und ihre Sache in die
Hände Gottes legen, bis sie sich wieder zum Wort bekennen und das Reich ihres
Herrn bauen können. Der erhabene Christus wacht über die Seinen inmitten aller
Gefahren.
Zusammenfassung: Paulus arbeitet
fast drei Jahre lang mit großem Erfolg in Ephesus, obwohl die Gegner versuchen,
der Sache Christi zu schaden, indem sie einen Aufruhr anstiften.
Die Reise nach
Mazedonien und zurück nach Milet (20,1-16)
1
Da nun die Empörung aufgehört hatte, rief Paulus die Jünger zu sich und segnete
sie und ging aus, zu reisen nach Mazedonien. 2 Und da er dieselben Länder
durchzog und sie ermahnt hatte mit vielen Worten, kam er nach Griechenland und
verzog allda drei Monate. 3 Da aber ihm die Juden nachstellten, als er nach
Syrien wollte fahren, beschloss er, wieder umzuwenden durch Mazedonien 4 Es
zogen aber mit ihm bis nach Asien Sopater von Beröa, von Thessalonich aber
Aristarchus und Sekundus und Gajus von Derbe und
Timotheus, aus Asien aber Tychikus und Trophimus. 5 Diese gingen voran und harrten unser zu Troas.
6
Wir aber schifften nach den Ostertagen von Philippi bis an den fünften Tag und
kamen zu ihnen nach Troas und hatten da unser Wesen sieben Tage. 7 Auf einen
Sabbat aber, da die Jünger zusammenkamen, das Brot zu brechen, predigte ihnen
Paulus und wollte am anderen Tag ausreisen und verzog das Wort bis zu
Mitternacht. 8 Und es waren viel Fackeln auf dem Söller [Obergemach], da sie
versammelt waren. 9 Es saß aber ein Jüngling mit Namen Eutychus
in einem Fenster und sank in einen tiefen Schlaf, weil Paulus so lange redete,
und wurde vom Schlaf überwunden und fiel hinunter vom dritten Söller und ward
tot aufgehoben. 10 Paulus aber ging hinab und fiel auf ihn, umfing ihn und
sprach: Macht kein Getümmel; denn seine Seele ist in ihm. 11 Da ging er hinauf
und brach das Brot und aß und redete viel mit ihnen, bis der Tag anbrach; und
also zog er aus. 12 Sie brachten aber den Jungen lebendig und wurden nicht
wenig getröstet.
13
Wir aber zogen voran auf dem Schiff und fuhren nach Assos
und wollten dort Paulus zu uns nehmen; denn er hatte es so befohlen, und er
wollte zu Fuß gehen. 14 Als er nun zu uns schlug zu Assos,
nahmen wir ihn zu uns und kamen nach Mitylene. 15 Und
von dort schifften wir und kamen am nächsten Tag hin nach Chios; und am
folgenden Tag stießen wir an Samos und blieben in Trogyllion;
und am nächsten Tag kamen wir nach Milet. 16 Denn Paulus hatte beschlossen, an
Ephesus vorüber zu schiffen, dass er nicht müsste in
Asien Zeit zubringen; denn er eilte, auf den Pfingsttag zu Jerusalem zu sein, so es ihm möglich wäre.
Der zweite Besuch in Mazedonien und in
Griechenland (Achaja) (V. 1-5): Paulus hatte vor,
eine Reise nach Mazedonien und Achaja [Griechenland]
zu unternehmen, Kap. 19,21. Dass der Aufruhr in der Stadt seine Abreise
wesentlich beschleunigt habe, oder dass das Werk des Herrn in Ephesus zum
Stillstand gekommen sei oder gar einen schweren Rückschlag erlitten habe, ist
im Text nicht enthalten, 1. Kor 16,8.9. Keiner der Jünger war in dem Tumult zu
Schaden gekommen, und die Rede des Stadtsekretärs ist sicher eher als positiv,
wenn auch negativ, zu werten. Nachdem sich der Aufruhr gelegt hatte, nachdem
die letzte Aufregung abgeklungen war, was Tage oder sogar Wochen gedauert haben
mag, beschloss Paulus, dass die Zeit zum Aufbruch gekommen war. So berief er
eine besondere Versammlung aller Jünger von Ephesus ein, denn es muss neben der
von Aquila und Priscilla noch andere Hausgemeinden gegeben haben, 1. Kor.
16,19. Bei diesem letzten Gottesdienst hielt er ihnen eine Abschiedsrede mit
Ermahnungen und Ermutigungen; dann verabschiedete er sich von ihnen mit der
üblichen Begrüßung und brach zu seiner Reise nach Mazedonien auf. Auf dem Meer
segelte er nach Troas, wo er erwartet hatte, Titus zu treffen, 2. Kor. 2,12.13.
Da er ihn aber nicht fand, verlor er keine Zeit, nach Mazedonien
weiterzureisen. Hier unternahm er seine Missionsreisen in gewohnter Weise und
besuchte alle Bezirke, in denen Gemeinden gegründet worden waren: Philippi, Thessalonich, Beröa. In all
diesen Städten trugen seine Worte der Ermutigung und Ermahnung, mit denen er
nicht sparte, dazu bei, die Brüder im Glauben und in einem gesunden Christentum
zu stärken. Er dehnte seine Reise sogar bis an die Grenzen von Illyricum, westlich von Mazedonien, aus, Röm. 15, 19. Dann
aber wandte er sich nach Süden, nach Griechenland oder Achaja,
wo er vor allem die Gemeinde in Korinth aufsuchte, weil dort ein Problem seine
Aufmerksamkeit erforderte. Er hielt sich hier volle drei Monate auf und
beabsichtigte, danach direkt nach Syrien weiterzureisen. Wahrscheinlich schrieb
er in dieser Zeit den Brief an die Galater und auch den an die Römer. Doch seine
Pläne wurden durch die Feindschaft der Juden durchkreuzt, die ein Komplott
gegen ihn schmiedeten, indem sie ihm entweder in Kenchreä
auflauerten oder Attentäter anheuerten, die ihn an Bord des Schiffes ermorden
sollten. Paulus änderte daher schnell seine Meinung und seine Pläne und reiste
auf dem Landweg durch Mazedonien, um sich in einem dieser Häfen einzuschiffen.
Er war auf dieser Reise nicht allein, sondern hatte eine Reihe von Begleitern,
von denen sechs, mit Lukas als siebtem in Philippi, den ganzen Weg mit ihm
reisten, während zwei vorausgingen, um seine Ankunft in Troas zu erwarten. Es
waren Sopater oder Sopater Pyrrus aus Beröa, Aristarchus und
Secundus aus Thessaloniki, Gaius aus Derbe und
Timotheus aus Lystra, Lukas aus Philippi und
schließlich Tychikas und Trophimus,
beide wahrscheinlich aus Ephesus. Wie ein Kommentator erklärt, änderte die
Entdeckung des jüdischen Komplotts den Plan des Paulus, und zwar im letzten
Moment, als die Delegierten der verschiedenen Gemeinden bereits versammelt waren.
Die europäischen Delegierten hatten vor, mit Paulus von Korinth aus zu segeln,
die asiatischen von Ephesus aus, aber letztere gingen, nachdem sie von der
Planänderung erfahren hatten, bis nach Troas, um die anderen zu treffen, und
begleiteten sie den Rest des Weges. Anmerkung: In all diesen Berichten wird die
liebevolle Vertrautheit zwischen Paulus und den christlichen Gemeinden
deutlich, ein großartiges Beispiel in diesen Tagen der Gleichgültigkeit und des
Egoismus.
Paulus in Troas (V. 6-12): Paulus und
seine Gefährten aus den europäischen Gemeinden, darunter auch Lukas, feierten
das Passahfest in Philippi. Nach dem Fest segelten sie aus dem Hafen von Neapolis ab, erreichten aber wegen ungünstiger Winde Troas
erst am fünften Tag, während die Reise bei günstigen Winden in zwei Tagen
zurückgelegt werden konnte, Kap. 16,11.12. In Troas waren nun alle Abgesandten,
die die verschiedenen Gemeinden in Jerusalem vertreten sollten, um ihnen die
von Paulus angeordnete Kollekte zu bringen, versammelt. Hier machte Paulus von
der "offenen Tür" Gebrauch, von der er an anderer Stelle, 2. Kor.
2,12, spricht, und blieb so lange in der Stadt, wie er es wagte, ohne seine
Pläne hinsichtlich des Zeitpunkts der Ankunft in Jerusalem zu gefährden. Am
ersten der Sabbate, am ersten Tag der Woche, versammelten sich die Jünger zum
Gottesdienst, vor allem zum Brotbrechen und zur Feier des Abendmahls. Hier
haben wir den ersten zuverlässigen Bericht über die Wahl des Sonntags als Tag des
Gottesdienstes. Da sich der Glaube der Christen auf die Auferstehung des Herrn
gründet, wählten sie diesen Tag nicht aus Notwendigkeit oder auf göttlichen
Befehl hin, sondern um das Wort Gottes zu hören und die heiligen Sakramente zu
empfangen. Es war ein Abendgottesdienst, da Paulus am Morgen abreisen wollte.
Paulus selbst hielt eine lange Lehrpredigt, die sich bis Mitternacht hinzog. Es
war sein Wunsch, den Jüngern alle mögliche Unterweisung und Ermahnung zu geben,
solange er noch bei ihnen war. Lukas berichtet, dass sie in der oberen Kammer
des Hauses, das ihnen als Gottesdienstraum diente, viele Lichter hatten, nicht
um sich vor dem Verdacht sündiger Praktiken unter den Christen zu schützen,
sondern einfach als anschauliche Beschreibung und um zumindest teilweise die
Schläfrigkeit des jungen Mannes zu erklären, den die vielen Lichter mit ihrer
flackernden Flamme zweifellos schläfrig machten, ebenso wie seine Bemühungen,
den Worten des Paulus aufmerksam zu folgen. Dieser junge Mann, der Eutychus hieß, hatte die Fensterbank als Sitzplatz gewählt
und wurde dort allmählich vom Schlaf überwältigt. Niemand scheint ihn bemerkt
zu haben, bis es zu spät war; denn sein Schlaf wurde schließlich so fest, dass
er das Gleichgewicht verlor und aus dem Fenster des dritten Stocks auf das
Pflaster darunter fiel. Das Geräusch machte die Anwesenden auf den Unfall
aufmerksam, und sie eilten hinunter, aber nur, um den jungen Mann tot
aufzuheben. Paulus aber, der ebenfalls hinuntergekommen war, streckte sich über
ihn und hielt ihn eng an seinen warmen Körper gedrückt. Danach sagte er den
besorgten Brüdern, sie sollten nicht schreien, denn seine Seele sei jetzt in
ihm. Es war ein Wunder der Wiederbelebung eines Toten, ähnlich dem des Sohnes
der Sunamitin, 2. Kge.
4,33-35. Danach kehrte Paulus in den Versammlungsraum zurück, feierte mit den
Brüdern das Heilige Abendmahl und offenbar auch das Fest, das die frühen
Christen im Zusammenhang mit dem Sakrament feierten. Nach dem Ende des
regulären Gottesdienstes sprach der Apostel noch mit den versammelten Jüngern
in einer eher zwanglosen Weise und erklärte ihnen viele Punkte, über die sie
Informationen benötigten. Die Versammlung dauerte bis zum Morgengrauen des
neuen Tages, an dem Paulus seine Reise nach Süden antrat. Doch die Jünger von
Troas brachten den Jungen gesund und munter zurück und wurden von großem Trost
und Glaubensstärke erfüllt. Sie erkannten, dass es die Kraft Gottes in Paulus
war, die dieses Wunder vollbracht hatte, und dass dieses Werk daher die
Wahrheit der Verkündigung des Paulus bezeugte. Diese Lehre ist auch heute noch
die Grundlage des Glaubens eines jeden Christen.
Von Troas nach Milet (V. 13-16): Die
Gefährten des Paulus gingen zum Schiff hinunter und schifften sich ohne ihn
ein. Sie segelten hinunter zur Stadt Assos am Golf
von Adramyttene. Die Entfernung auf dem Wasser
beträgt etwa vierzig Meilen, während der Landweg nur etwa halb so weit ist.
Paulus hatte es so angeordnet, denn er wollte die Reise zu Fuß machen und sich
von ihnen ins Schiff bringen lassen, um am Abend oder am nächsten Tag wieder
abgeholt zu werden. Paulus war erschöpft von den Mühen und der Aufregung der
vergangenen Wochen, ganz zu schweigen von der ständigen Bedrohung durch den
Judenhass. Eine kleine Reise zu Fuß, auch wenn sie nach einer schlaflosen Nacht
unternommen wurde, würde ihm daher die Gelegenheit geben, mit seinem Herrn
allein im Gebet zu sein, und außerdem die Abwechslung der ständig wechselnden
Landschaften entlang des Weges bieten, eine Wohltat für Körper und Geist.
Anmerkung: Wer zwischen den Zeilen lesen kann, findet hier viel Stoff zum
Nachdenken, sowohl über die Lasten, die ein treuer Prediger zu tragen hat, als
auch über die Notwendigkeit, zuweilen allein zu sein und sich zu erholen.
Nachdem Paulus am Abend oder am nächsten Morgen in Assos
zu seinen Begleitern auf dem Schiff gestoßen und von ihnen aufgenommen worden
war, fuhren sie weiter nach Mitylene, einem Hafen an
der Ostküste der Insel Lesbos, wo sie für die Nacht ankerten, da die Fahrrinne
in der Dunkelheit etwas gefährlich zu befahren war. Am nächsten Tag kamen sie
gut voran und erreichten einen Punkt in der Nähe des Festlandes gegenüber der
Insel Chios, wo sie für die Nacht ankerten. Ihre nächste Station war die Insel
Samos, südlich des Golfs von Kyrill und südwestlich von Ephesus. Um die Insel
zu erreichen, durchquerten sie direkt den Golf und landeten daher nicht in Ephesus.
Von Samos aus setzten sie zum Festland über, wobei sie in Trogyllium
einen Zwischenstopp einlegten, wahrscheinlich um einen Teil der Ladung
aufzunehmen oder abzuladen. Von dort war es aber nur eine kurze Fahrt nach
Milet, dem Hafen an der Mündung des Mäander, einer bevölkerungsreichen und
bedeutenden Stadt mit einem großen Binnenhandel, wo das Schiff mehrere Tage
bleiben sollte. Die Reise von Troas nach Milet hatte also von Montagmorgen bis
Samstagabend gedauert. Und Paulus nahm sich nicht die Zeit, irgendwo anzuhalten
und mit einem Schiff an der Küste nach Ephesus zu fahren, denn er hatte
beschlossen, auf dieser Reise nicht dort anzuhalten, vor allem wegen der
Verzögerung, die eine solche Aktion verursachen könnte. Seine Eile rührte
daher, dass er zum Pfingstfest in Jerusalem sein wollte. Nach diesem Plan
blieben ihm kaum sieben Wochen seit seinem Aufbruch von Philippi, und davon
waren nun etwa drei Wochen vergangen.
Paulus und die Ältesten
von Ephesus
(20,17-38)
17
Aber von Milet sandte er nach Ephesus und ließ fordern die Ältesten der
Gemeinde. 18 Als aber die zu ihm kamen, sprach er zu ihnen. Ihr wisst von dem
ersten Tag an, da ich bin nach Asien gekommen, wie ich allezeit bin bei euch
gewesen 19 und dem HERRN gedient mit aller Demut und mit viel Tränen und
Anfechtungen, die mir sind widerfahren von den Juden, so mir nachstellten; 20
wie ich nichts vorenthalten habe, das da nützlich ist, dass ich euch nicht
verkündigt hätte und euch gelehrt öffentlich und sonderlich. 21 Und habe
bezeugt beiden, den Juden und Griechen, die Buße zu Gott und den Glauben an
unsern HERRN Jesus Christus.
22
Und nun siehe, ich, im Geist gebunden, fahre hin nach Jerusalem, weiß nicht,
was mir dort begegnen wird, 23 außer dass der Heilige Geist in allen Städten
bezeugt und spricht: Bande und Trübsal warten mein daselbst. 24 Aber ich achte
der keines; ich halte mein Leben auch nicht selbst teuer, auf dass ich vollende
meinen Lauf mit Freuden und das Amt, das ich empfangen habe von dem HERRN
Jesus, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes. 25 Und nun siehe, ich
weiß, dass ihr mein Angesicht nicht mehr sehen werdet, alle die, durch welche
ich gezogen bin und gepredigt habe das Reich Gottes. 26 Darum zeuge ich euch an
diesem heutigen Tag, dass ich rein bin von aller Blut; 27 denn ich habe euch
nichts vorenthalten, dass ich nicht verkündigt hätte den ganzen Rat Gottes.
28
So habt nun acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, unter welche euch der
Heilige Geist gesetzt hat zu Bischöfen, zu weiden die Gemeinde Gottes, welche
er durch sein eigenes Blut erworben hat. 29 Denn das weiß ich, dass nach meinem
Abschied werden unter euch kommen greuliche Wölfe,
die die Herde nicht verschonen werden. 30 Auch aus euch selbst werden aufstehen
Männer, die da verkehrte Lehren reden, die Jünger an sich zu ziehen. 31 Darum
seid wacker und denkt daran, dass ich nicht abgelassen habe drei Jahre, Tag und
Nacht einen jeglichen mit Tränen zu ermahnen.
32
Und nun, liebe Brüder, ich befehle euch Gott und dem Wort seiner Gnade, der da
mächtig ist, euch zu erbauen und zu geben das Erbe unter allen, die geheiligt
werden. 33 Ich habe von euch kein Silber noch Gold noch Kleid begehrt 34 Denn
ihr wisst selber, dass mir diese Hände zu meiner Notdurft und derer, die mit
mir gewesen sind, gedient haben. 35 Ich habe es euch alles gezeigt, dass man so
arbeiten müsse und die Schwachen aufnehmen und gedenken an das Wort des HERRN
Jesu, das er gesagt hat: Geben ist seliger denn Nehmen.
36
Und als er solches gesagt, kniete er nieder und betete mit ihnen allen. 37 Es
war aber viel Weinen unter ihnen allen, und fielen Paulus um den Hals und
küssten ihn, 38 am allermeisten betrübt über dem Wort, das er sagte, sie würden
sein Angesicht nicht mehr sehen. Und geleiteten ihn in das Schiff.
Paulus wendet sich an die Ältesten von
Ephesus (V. 17-22): Milet war nur etwa dreißig Meilen [ca. 48 km] von
Ephesus entfernt und mit der Hauptstadt durch eine gute Römerstraße verbunden.
Sobald Paulus daher erfuhr, dass sich das Schiff um einige Tage verspäten
würde, sandte er eine Botschaft nach Ephesus und bat die Ältesten der Gemeinde
eindringlich, herunterzukommen. Die Gemeinde in Ephesus, in der Paulus so lange
gewirkt hatte, lag ihm besonders am Herzen, und er konnte es sich nicht
leisten, diese Chance verstreichen zu lassen. Als die Ältesten zu ihm kamen,
wandte er sich an sie mit Worten eines zärtlichen Abschieds. Er gab ihnen
zunächst einen kurzen Rückblick auf seine Arbeit in ihrer Stadt. Von dem Tag
an, an dem er zum ersten Mal einen Fuß in ihre Provinz gesetzt hatte, war er
während seines gesamten Aufenthalts um ihr geistliches und zeitliches
Wohlergehen besorgt gewesen. Er hatte seine Arbeit als treuer Diener des Herrn
und nur in seinem Interesse getan, mit der vollen und vollständigen Demut eines
solchen Dieners. Seine Haltung war nicht gleichgültig, sondern von echter Sorge
um seine Brüder und um die Welt erfüllt, die sich sogar in Tränen äußerte. Er
hatte sein Werk inmitten von Versuchungen getan, die ihn umgeben hatten und die
von allen Seiten wegen und in den Ränken der Juden aufgetaucht waren. Ihre
Feindschaft hatte sich nicht auf einen gelegentlichen Ausbruch von Bosheit
beschränkt, sondern hatte ihn ständig begleitet, immer in der Absicht, ihn in
seinem Werk für den Herrn müde zu machen. Aber trotz all dieser und anderer
Schwierigkeiten hatte er sich beim Lehren nicht zurückgehalten, wie es ein
Feigling vielleicht getan hätte, sondern er hatte ihnen offen und freimütig
verkündet, was für sie von Wert und Nutzen war. Wenn ein Pfarrer aus Angst um
sein eigenes Wohlergehen vor klaren Aussagen der Wahrheit zurückschreckt, ist
das gewöhnlich ein Zeichen von Unwürdigkeit und schadet fast immer der
Gemeinde. Paulus aber hatte die Dinge, die dem Heil der Epheser dienlich waren,
öffentlich, vor der versammelten Gemeinde, und privat, bei Besuchen von Haus zu
Haus, gelehrt. Sein ständiges Bestreben war es, sowohl vor den Juden als auch
vor den Griechen ein furchtloser und würdiger Zeuge der Umkehr zu Gott und des
Glaubens an ihren gemeinsamen Herrn Jesus Christus zu sein. Das ist kurz gesagt
die Substanz aller christlichen Predigt, dass alle Menschen, alle Sünder, ihre
Sünden anerkennen und sich von ihnen zu dem Gott ihres Heils bekehren sollen,
indem sie das volle Sühnopfer und die Erlösung durch Christus im Glauben an
diesen ihren Erlöser annehmen. „Reue ist nichts anderes, als die Sünde
wahrhaftig anzuerkennen, sie von Herzen zu bereuen und von ihr abzulassen;
diese Erkenntnis kommt aus dem Gesetz, reicht aber nicht aus für eine rettende
Bekehrung zu Gott, wenn nicht der Glaube an Christus hinzukommt, dessen
Verdienst die tröstliche Predigt des heiligen Evangeliums allen reuigen Sündern
anbietet, die durch die Predigt des Gesetzes erschreckt werden.“[81]
Paulus warnt vor kommenden Trübsalen
(V. 22-27): Die gesamte Ansprache des Paulus ist von unaussprechlicher
Traurigkeit geprägt, und der Grund für diesen traurigen Ton wird hier genannt.
Obwohl Paulus selbst keine ausdrückliche Offenbarung erhalten hatte, hatten
andere ihm den Ausgang der Reise prophezeit. Er fühlte sich vom Geist gedrängt
und gezwungen, der seine Schritte bei mehr als einer Gelegenheit lenkte; es
wäre ein direkter Ungehorsam für ihn gewesen, nicht nach Jerusalem hinaufzureisen. Er hatte keine genauen Informationen über
die Dinge, die ihm in dieser Stadt widerfahren würden, die auf ihn zukommen
würden, um ihm zu schaden, nur dass der Heilige Geist in jeder Stadt, die er in
letzter Zeit durchquert hatte, deutlich bezeugt hatte, dass ihn Fesseln, Ketten
und damit auch Trübsal erwarteten. Je näher er nach Jerusalem kam, desto
deutlicher wurden die Prophezeiungen, Kap. 21,11. Auf seinem Weg wurde Paulus
auf Schritt und Tritt gewarnt und geleitet, und ganz nebenbei wurde sein Geist
von oben mit Trost und Mut erfüllt. Er hielt sein Leben nicht für
erwähnenswert, als ein Leben, das für ihn selbst wertvoll war. Wie er immer
sein Leben, seine Fähigkeiten, seine Talente, seinen Ehrgeiz dem Willen des
Herrn untergeordnet hatte, so hatte er auch hier nur einen Gedanken, nämlich
seinen Lauf, den Dienst, den er vom Herrn Jesus empfangen hatte, zu Ende zu
führen, unermüdlich in seinem Zeugnis zu sein, das Evangelium von der Gnade
Gottes zu bezeugen. Dieser Dienst, dieses Amt, war dem Paulus von Jesus selbst
anvertraut worden, Kap. 9,6. 15; Gal. 1,1; Titus 1,3. Gnade setzt Schuld
voraus, und deshalb hatte Paulus die Verkündigung des Gesetzes nicht
abgeschwächt, sondern seine größte Freude war es immer gewesen, das Evangelium
von der Gnade Gottes in Christus Jesus zu bezeugen, um die armen Sünder zur
Barmherzigkeit ihres Erlösers zu führen. Derselbe Geist des freudigen und
bereitwilligen Dienstes muss die treibende Kraft in jedem wahren Diener des
Herrn sein, ob er nun in der Arbeit des offiziellen Dienstes tätig ist oder
nicht. All dies hatte Paulus noch einmal betont, weil es seine persönliche
Überzeugung war, die sich auf die Prophezeiungen stützte, die er kürzlich
gehört hatte, dass sie alle, die jetzt vor ihm versammelt waren und durch deren
Mitte er mit der Verkündigung des Reiches Gottes gezogen war, sein Gesicht
nicht mehr sehen würden. Alle Anzeichen wiesen in diese Richtung und ließen ihn
sehr ängstlich und besorgt werden. Und da dies der Fall war, rief Paulus die
Anwesenden an jenem Tag und in jener feierlichen Stunde als Zeugen vor Gott an,
dass er rein von ihrem Blut sei, dass nicht ein einziger von ihnen aus Mangel
an seelsorgerischer Fürsorge seine Seele von der Hand des Apostels fordern
könne; denn er hatte sich nicht zurückgehalten, er hatte sich nicht gescheut,
ihnen den ganzen Ratschluss Gottes, den Ratschluss der Erlösung und der Gnade,
zu verkünden. „Keine Epistel übertrifft die an die Epheser im Reichtum ihrer
Gedanken und in ihrer Vorstellung von einem göttlichen Plan, der sich durch die
Zeitalter zieht; keine Epistel verweilt vollständiger in der Vorstellung von
der Kirche als dem Leib Christi, oder ermahnt rührender zum Fleiß, die Einheit
des Geistes zu bewahren, oder besteht praktischer auf der heiligmachenden Kraft
des einen Geistes und dem Sinn einer göttlichen Zugehörigkeit in jedem Bereich
des menschlichen Lebens. Die reiche und umfassende Lehre des Briefes richtet
sich an Menschen, die die Erkenntnis des Apostels über das Geheimnis Christi zu
verstehen vermögen, d. h. an diejenigen, denen er den Ratschluss Gottes
umfassender als anderen verkündet hat.“[82]
Die besondere Aufgabe der Ältesten
(V. 28-31): Mit dem Beispiel des Apostels vor Augen und mit seiner Aufforderung
im Ohr sollten die Ältesten von Ephesus aufpassen, aufmerksam sein, sich selbst
hüten. Er stellt diese Sorge absichtlich an die erste Stelle, da sie der Sorge
für die Herde vorausgehen muss. Denn nur durch ständige Wachsamkeit auf sich
selbst können sie auch für die Herde, die Gemeinde, sorgen, die der richtigen
Ernährung und der treuesten Betreuung bedarf. Denn sie sind immer noch Glieder der
Herde, obwohl der Heilige Geist sie als Aufseher in die Mitte der Herde
gestellt hat, mit dem einen Ziel und Zweck, nämlich die Gemeinde, die Kirche
des Herrn an diesem Ort, mit geistlicher Speise in rechter Menge zu nähren und
zu versorgen. Man beachte, dass die Ältesten hier als Bischöfe oder Aufseher
angesprochen werden, was zeigt, dass es zur Zeit der Apostel keinen Unterschied
zwischen den beiden Ämtern gab und die Namen unterschiedslos verwendet wurden.
Es wurde keine Hierarchie durch Gottes Gebot festgelegt. Es ist sehr
bezeichnend, dass Paulus die Gemeinde des Herrn als erkauft, erkauft durch sein
eigenes Blut beschreibt. „Das ist doch ein klarer Text, aus dem ohne jeden
Widerspruch hervorgeht, dass Christus, unser Herr, durch dessen Blut die
Gemeinde erkauft wurde, Gott ist, dem die Gemeinde gehört. Denn er sagt
deutlich: Gott ist es, der durch sein Blut die Kirche gewonnen hat und dem die
Kirche gehört. Da nun, wie wir gehört haben, die Personen verschieden sind, und
hier noch geschrieben steht, dass Gott selbst durch sein Blut die Kirche
erkauft hat, so ergibt sich mit großer Kraft der Schluss, dass Gott sein
eigenes Blut hat, das er für seine Kirche vergossen hat, das heißt, dass
Christus, unser Erlöser, wahrer Gott ist, vom Vater geboren von Ewigkeit her,
danach auch durch die Jungfrau Maria in der Zeit Mensch geworden und geboren.“[83]
Da die Verantwortung so groß ist und er für so kostbare Seelen Rechenschaft
ablegen muss, warnt Paulus mit doppeltem Nachdruck vor zwei Gefahren, die seine
prophetische Vision voraussehen konnte. Er wusste, dass nach seinem Weggang von
ihnen, in einer nicht weit entfernten Zukunft, von außen her schmerzhafte,
reißende, wilde Wölfe in die Herde eindringen würden, Irrlehrer, die kein
Erbarmen mit der Herde hätten, sondern jedes Mittel anwenden würden, um die
Gemeinde zu zerrütten, um die Seelen zu ermorden, indem sie versuchen würden,
sie zur Annahme einer falschen Lehre zu überreden. Dazu kämen noch Abtrünnige
aus den eigenen Reihen, Männer, die sich ohne Berufung und Autorität erheben
und sich als Lehrer aufstellen würden, mit einer Lehre voller perverser und
antichristlicher Dinge, in der Absicht, die, die bereits Christen waren,
wegzuziehen, wodurch letztere sich des Abfalls von der Wahrheit und von der
wahren Kirche Christi schuldig machen würden. Angesichts dieser beiden Gefahren
sollten die Ältesten von Ephesus wachen, auf der Hut sein, ständige Wachsamkeit
üben und immer daran denken, dass Paulus drei Jahre lang, in runden Zahlen,
nicht aufgehört hatte, jeden einzelnen von ihnen Tag und Nacht unter Tränen zu
ermahnen. Seine Treue sollte ihnen daher als ständiger Ansporn für die gesamte
Arbeit ihres verantwortungsvollen Amtes dienen. Anmerkung: Bis heute ist es der
Heilige Geist, der den Gemeinden die Lehrer des Evangeliums gibt. Denn wenn er
auch nicht unmittelbar beruft, so bedient er sich doch der Gemeinden als seiner
Werkzeuge und leitet die Angelegenheiten seiner Kirche; darum sollen die
Gemeinden auch die von ihnen gewählten Hirten in diesem Geiste annehmen und sie
zum Lehren und Wachen verpflichten, wie Paulus es hier mit den Ältesten von
Ephesus tat.
Abschiedsworte des Paulus (V.
32-35): Paulus hatte den Ältesten von Ephesus sein eigenes Beispiel vor Augen
geführt und sie eindringlich vor den Gefahren gewarnt, die der Gemeinde
drohten. Nun weist er sie auf die einzige Quelle des Mutes und der Kraft hin,
die ihnen genügt, indem er sie Gott und seinem Wort, dem Wort der Gnade,
empfiehlt, wobei die Gnade Gottes der Hauptinhalt, die Zusammenfassung des
Evangeliums ist. Mit dem Rat und der Ermahnung Gottes, wie sie in diesem Wort
dargelegt sind, vor Augen, kann es ihnen inmitten aller Widrigkeiten nicht an
Kraft fehlen. Denn dieses Wort ist "jederzeit imstande, die Christen zu
erbauen, aufzurichten und ihnen das Erbe unter allen Geweihten nicht nur zu
verheißen, sondern tatsächlich zu geben. Die Verheißungen der Barmherzigkeit im
Wort Gottes sind so sicher, so klar, dass es keinen Zweifel an seiner
Herrlichkeit als Besitz der Gläubigen geben kann. Zum Schluss hält Paulus den
Ältesten von Ephesus noch einmal in einem eindringlichen Appell und mit anschaulicher
Deutlichkeit sein Beispiel vor Augen. Weder das Silber noch das Gold noch die
Kleider von irgendjemandem hatte er begehrt; er war nicht um des Geldes willen
unter ihnen im Dienst gewesen. Vielmehr hatte er, wie sie wussten, wegen einer
besonderen Ehre, die er zu haben wünschte, mit seinen eigenen Händen
gearbeitet, deren mühsam abgenutzte Handflächen er ihnen zeigte, um das
Lebensnotwendige für sich selbst und für die, die mit ihm dienten, zu
beschaffen. Sehr wahrscheinlich hatte Paulus auch in Ephesus in seinem Beruf
gearbeitet, entweder mit Aquila und Priscilla oder mit Philemon. Aber diese
seine bevorzugte Prahlerei war bei weitem zweitrangig gegenüber der Tatsache,
dass er sich in seinem Dienst sehr angestrengt hatte und dadurch den Christen
von Ephesus gezeigt hatte, was in dieser Arbeit erforderlich war; er hatte
ihnen in allem ein Beispiel gegeben, indem er seine manuelle Arbeit mit dem
Dienst an den Bedürftigen verband. So ist es eine Verpflichtung, den Kranken
und allen, die in Not sind, zu Hilfe zu kommen, indem man sich immer an die
Worte des Herrn Jesus erinnert, die er selbst gesprochen hatte und die von den
Jüngern bewahrt wurden, obwohl sie nicht in den Evangelien stehen: „Geben ist
seliger als nehmen.“ Diese selbstlose Hingabe an den Dienst des bedürftigen
Nächsten war von Jesus praktiziert worden; sie war von Paulus befolgt worden;
sie sollte von allen Christen nachgeahmt werden, denn nur so wird ihr Glaube
seinen richtigen Ausdruck und seine richtige Anwendung finden.
Die Ältesten wünschen ihrem Lehrer alles
Gute (V. 36-38): Die rührende Abschiedsrede des Paulus hatte alle Ältesten
von Ephesus tief bewegt. Und dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass
er, nachdem er seine Rede beendet hatte, niederkniete, sich mit ihnen auf die
Knie warf und ein inbrünstiges Flehen zum Thron der Gnade hinaufschickte, für
sich selbst, für die Gemeinde in Ephesus, für die Kirche insgesamt, und den
Schutz des Herrn für sein eigenes Werk erflehte. Die Verabschiedung war nach
der Art der warmblütigen Südländer sehr liebevoll. Alle weinten bitterlich, und
unfähig, ihre Gefühle zu beherrschen, fielen sie Paulus um den Hals und küssten
ihn wieder und wieder; denn sie waren zutiefst betroffen von dem Wort, das er
ihnen sagte, dass sie sein Gesicht nicht mehr sehen und ihn nie wieder erleben
würden, wenn er ihnen die wunderbaren Geheimnisse Gottes erklärte. Und dann
brachten sie den Apostel als letzten Beweis ihrer Zuneigung und Ehrerbietung
zum Schiff, denn der Hafen lag in einiger Entfernung von dem Ort, an dem sie
ihn getroffen hatten. Anmerkung: Eine solch zärtliche Zuneigung einer Gemeinde
zu dem Lehrer, der ihr das Wort des Lebens gebracht hat, mit ähnlichen
Ausdrücken dieser Liebe, wird sogar in unseren Tagen bezeugt; und es ist dem
Herrn sicherlich wohlgefällig, wenn die Beziehung diese Form annimmt".
Dennoch darf nie vergessen werden, dass die Zuneigung sich auf die Verkündigung
des Evangeliums und nicht auf die Person des Pastors oder Lehrers konzentrieren
sollte. Das Evangelium und das Werk der Seelenrettung müssen immer im
Vordergrund stehen, und um dieser willen sollten die Diener des Herrn sehr hoch
geachtet werden, 1. Thess. 5,13.
Zusammenfassung: Paulus unternimmt
die vorgesehene Reise nach Mazedonien und Griechenland, kehrt über Philippi und
Troas nach Asien zurück und trifft die Ältesten von Ephesus in Milet, wo er
sich in einer bewegenden Abschiedsrede an sie wendet.
Die Reise nach
Jerusalem
(21,1-16)
1
Als es nun geschah, dass wir, von ihnen gewandt, dahinfuhren, kamen wir
geradewegs nach Kos und am folgenden Tag nach Rhodos und von dort nach Patara. 2 Und als wir ein Schiff fanden, das nach Phönizien
fuhr, traten wir darein und fuhren hin. 3 Als wir aber Zypern sahen, ließen wir
es zur linken Hand und schifften nach Syrien und kamen an zu Tyrus; denn dort sollte das Schiff die Ware niederlegen. 4
Und als wir Jünger fanden, blieben wir da sieben Tage. Die sagten Paulus durch
den Geist, er sollte nicht hinauf nach Jerusalem ziehen
5
Und es geschah, da wir die Tage zugebracht hatten, zogen wir aus und wandelten.
Und sie geleiteten uns alle mit Frauen und Kindern bis hinaus vor die Stadt und
knieten nieder am Ufer und beteten. 6 Und als wir einander gesegnet, traten wir
ins Schiff; jene aber wandten sich wieder heimwärts. 7 Wir aber vollzogen die Schiffahrt von Tyrus und kamen
nach Ptolemais und grüßten die Brüder und blieben
einen Tag bei ihnen. 8 Am nächsten Tag zogen wir aus, die wir um Paulus waren,
und kamen nach Cäsarea und gingen in das Haus des Philippus, des Evangelisten,
der einer von den Sieben war, und blieben bei ihm. 9 Der hatte vier Töchter,
die waren Jungfrauen und weissagten.
10
Und als wir mehrere Tage dablieben, reiste herab ein Prophet aus Judäa mit
Namen Agabus und kam zu uns. 11 Der nahm den Gürtel
des Paulus und band seine Hände und Füße und sprach: Das sagt der Heilige
Geist: Den Mann, des der Gürtel ist, werden die Juden so binden zu Jerusalem
und überantworten in der Heiden Hände. 12 Als wir aber solches hörten, baten
wir ihn, und die an diesem Ort waren, dass er nicht hinauf nach Jerusalem zöge.
13 Paulus aber antwortete: Was macht ihr, dass ihr weint und brecht mir mein
Herz? Denn ich bin bereit, nicht allein mich binden zu lassen, sondern auch zu
sterben zu Jerusalem um des Namens willen des HERRN Jesus. 14 Da er aber sich
nicht überreden ließ, schwiegen wir und sprachen: Des HERRN Wille geschehe! 15
Und nach diesen Tagen machten wir uns fertig und zogen hinauf nach Jerusalem.
16 Es kamen aber mit uns auch etliche Jünger von Cäsarea und führten uns zu
einem mit Namen Mnason aus Zypern, der ein alter
Jünger war, bei dem wir herbergen sollten.
Von Milet nach Tyrus
(V. 1-4): Der Abschied von den Ältesten war mit solchen Schwierigkeiten
verbunden, dass Paulus und seine Gefährten sich buchstäblich aus ihren
Umarmungen losreißen mussten, so bitter empfanden sie den Abschied von dem
geliebten Apostel. Aber schließlich schifften sie sich ein und segelten fast
genau nach Süden zur Insel Coos oder Kos, kurz vor
der Öffnung des keramischen Golfs, vor der Küste von Karien, einem Bezirk von Prokonsularasien. Bei günstigem, lebhaftem Wind legten sie
diese Strecke in einem Tag zurück. Am nächsten Tag erreichten sie bei fast
ebenso günstigem Wind den Hafen von Rhodos auf der Insel Rhodos, wo der große
Koloss, der Leuchtturm des Hafens, jetzt auf dem Boden lag. Von hier aus führte
ihr Kurs fast genau nach Osten, bis zur Stadt Patara
in Lykien. Hier verließen sie das Schiff, das sie von Troas aus gebracht hatte,
entweder weil dies sein Ziel war oder weil das Schiff im Küstenverkehr tätig
war und sich für ihre Zwecke als zu langsam erwiesen hätte. Sie gingen auf ein
Schiff, das direkt nach Phönizien fuhr, gingen an Bord und stachen in See. Zu
gegebener Zeit sahen sie die Insel Zypern, die Paulus wegen seiner Arbeit, die
er dort Jahre zuvor geleistet hatte, in Erinnerung geblieben war; aber sie
ließen sie links liegen, das heißt, sie segelten südlich an der Insel vorbei
auf geradem Kurs nach Syrien, zu dessen Provinz Phönizien gehörte. Das Schiff
ankerte eine Woche lang in Tyrus, um seine Ladung zu
löschen, und Paulus und seine Gefährten gingen an Land. Das Entladen war mit
beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden und nahm viel Zeit in Anspruch, da
auch die Ballen, Bündel und Kisten in die Stadt getragen werden mussten.
Natürlich verlor die Gruppe des Apostels keine Zeit, die Jünger zu suchen, da
sie wussten, dass es in der Stadt eine Gemeinde gab (ein gutes Beispiel für
christliche Reisende in unserer Zeit, dem sie folgen sollten). Da ihre Suche
erfolgreich war, blieben sie sieben Tage in Tyrus.
Diese Jünger, einige von ihnen, erhielten hier eine besondere Offenbarung durch
den Geist, zumindest was das allgemeine Schicksal des Paulus anging, und sie
rieten ihm wiederholt, nicht nach Jerusalem hinaufzugehen. Diese Warnung
scheint nicht in der Offenbarung enthalten gewesen zu sein, sondern wurde
aufgrund ihrer Sorge um das Wohlergehen des Apostels hinzugefügt, der jedoch
trotz aller Bitten in seinem Entschluss unbewegt blieb.
Von Tyrus nach
Cäsarea (V. 5-9): Als Paulus und seine Gefährten die sieben Tage hinter
sich gebracht hatten, als sie die Zeit hinter sich gebracht hatten, als die
angegebene Zeitspanne abgelaufen war, in der sie zum Ausladen der Ladung
geblieben waren, verließen sie die Stadt, um ihre Reise fortzusetzen. Und hier
haben wir ein schönes Zeugnis von einem Augenzeugen, das auf die liebevolle
Vertrautheit hinweist, die in jenen Tagen die Beziehung der Christen im
Allgemeinen kennzeichnete. Denn die Jünger der Stadt, die ganze Gemeinde, nicht
nur die Männer, sondern auch ihre Frauen und Kinder, begleiteten sie auf ihrem
Weg aus der Stadt hinaus. Das Band der gegenseitigen Liebe, verbunden durch den
gemeinsamen Glauben, verband sie enger, als es eine irdische Freundschaft hätte
tun können. Vor der Stadt angekommen, knieten sie am Sandstrand in der Nähe des
Wassers nieder und übergaben sich und ihre Sache im Gebet an Gott. Gerade die
Einfachheit der Erzählung an dieser Stelle macht sie so beeindruckend. Dann verabschiedeten
sich die Freunde von einer Woche, die ihnen mehr am Herzen lag als andere von
Monaten und Jahren, woraufhin Paulus und seine Begleiter an Bord gingen,
während die anderen nach Hause zurückkehrten. Von Tyrus
aus hatten die Reisenden nun ihre Reise beendet; sie befanden sich auf dem
letzten Abschnitt ihrer Reise, entlang der Küste Syriens und Palästinas. Die
Reise von Makedonien aus war mit der Anlandung in Tyrus
abgeschlossen, die noch verbleibende kurze Strecke konnte ohne Schwierigkeiten
zurückgelegt werden. Ihr Schiff lief ein und ankerte in Ptolemais,
einem Hafen acht Meilen nördlich des Berges Karmel,
und so hatten sie die Gelegenheit, die Brüder in dieser Stadt zu begrüßen und
den Tag mit ihnen zu verbringen. Aber am nächsten Tag brachen sie auf und kamen
nach Cäsarea, wo die Reise auf dem Wasser endete. Hier traten sie in das Haus
des Evangelisten Philippus ein, der ursprünglich einer der sieben von der
Gemeinde in Jerusalem gewählten Diakone war, Kap. 6, der aber durch die
Verfolgung des Saulus von Tarsus aus der Stadt vertrieben wurde. Sie wurden von
Philippus einige Zeit lang mit aller Herzlichkeit bewirtet. Lukas, der hier
zusammen mit einigen seiner Gefährten die Bekanntschaft des Philippus machte,
berichtet, dass in dem Haus vier Töchter waren, Jungfrauen, die die Gabe der
Weissagung hatten. Der Text lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass sie einem
besonderen Orden angehörten oder das Gelübde der Keuschheit abgelegt hatten.
Sie nahmen einfach am häuslichen Leben ihres Vaters teil, nutzten ihre
außergewöhnlichen Gaben nur, wie der Geist es ihnen eingab, und lehrten nicht
öffentlich. Ihr Fall fällt unter die Überschrift der Erfüllung von Joel 2, 20,
aus der keine besonderen Schlussfolgerungen für unsere Tage gezogen werden
können.
Die Weissagung des Agabus
(V. 10-16): „Viele Tage“, einige Tage mehr, blieben sie, Paulus und seine
Gefährten, in Cäsarea. Paulus hatte das große Glück gehabt, eine schnelle Reise
zu haben, was ihm nun etwas mehr Zeit verschaffte, zumindest einige Tage, etwa
zehn oder zwölf Tage. Aber während dieser Zeit, die er bei dem gastfreundlichen
Philippus und seiner Familie verbrachte, erhielt Paulus die letzte und übrigens
auch die genaueste und ausdrücklichste prophetische Warnung auf dieser ganzen
Reise. Denn ein Jünger namens Agabus, der die Gabe
der Weissagung besaß, kam aus einer Stadt in Judäa, wahrscheinlich aus
Jerusalem, nach Cäsarea hinab, Kap. 11,28. Als dieser Mann das Haus des
Philippus betrat, verhielt er sich ganz im Sinne der Propheten des Alten
Testaments, indem er die Worte, die er sprach, durch eine symbolische Handlung
unterstrich. Er nahm den Gürtel ab, der das Obergewand des Paulus an Ort und
Stelle hielt, band seine eigenen Füße und Hände und erklärte dann, dass die
Juden in Jerusalem den Besitzer dieses Gürtels auf dieselbe Weise binden
würden, wie er jetzt gebunden war, und ihn in die Hände der Heiden ausliefern
würden. Dies gab er nicht als seine eigene Meinung aus, sondern erklärte
ausdrücklich, dass der Heilige Geist die Prophezeiung mache, eine Tatsache, die
jeden Widerspruch und Zweifel unmöglich machte. Die Ankündigung löste natürlich
die größte Bestürzung aus, nicht nur im Kreis der Gefährten des Paulus und im
Haushalt des Philippus, sondern in der gesamten Gemeinde von Cäsarea, den Bewohnern
der Stadt. Und sie alle, auch Lukas, baten Paulus, nicht nach Jerusalem
hinaufzugehen. Aber Paulus blieb standhaft, nicht aus falschem Streben nach der
Märtyrerkrone, denn er hatte bei anderen Gelegenheiten den Bitten seiner
Freunde nachgegeben, sondern aus einem Grund, den er nicht preisgeben wollte.
Er bat sie jedoch seinerseits inständig, davon abzulassen. Er fragte sie, was
sie mit dem Weinen meinten, warum sie darauf bestanden, ihm das Herz zu
brechen. Ihre zärtliche Sorge um sein Wohlergehen rührte ihn zutiefst, aber sie
konnte ihn nicht von seinem Entschluss abbringen. Er erklärte, er sei bereit,
sich nicht nur binden zu lassen, sondern auch in Jerusalem um des Herrn Jesus
willen zu sterben. Den Namen seines Erlösers konnte und wollte er nicht
verleugnen. Er war davon überzeugt, dass seine Berufung ihn nach Jerusalem
führte und dass es sich nicht um eine freie Entscheidung handelte. Die
Judenchristen, die seine Missionsarbeit mit Misstrauen betrachteten, mussten
von ihrer Torheit überzeugt werden, und die Einheit der Kirche zwischen Juden
und Heiden musste endgültig hergestellt werden. Dies war auch der Zweck der
Kollekte, die seine Gefährten den Brüdern in Jerusalem brachten. Obwohl Paulus
dies alles nicht ausführlich erklärte, stellten die Brüder in Cäsarea ihre
Bemühungen ein, ihn von der jüdischen Hauptstadt fernzuhalten, und legten die
Angelegenheit und ihren Ausgang ganz in die Hände des Herrn, dessen Wille
geschehen sollte. Nachdem die Tage verstrichen waren, die Paulus zugestanden worden
waren, sammelten er und seine Gefährten ihr gesamtes für die Reise
erforderliches Gepäck und machten sich auf den Weg hinauf ins Hochland, wo
Jerusalem lag, eine Entfernung von etwas mehr als sechzig Meilen. Ihre Gruppe
wurde durch einige Jünger aus Cäsarea vergrößert, die ihnen bei ihrer Ankunft
in Jerusalem halfen, indem sie sie zum Haus eines Mnason
aus Zypern führten, in dessen Haus sie für die Zeit ihres Aufenthalts
untergebracht werden sollten. Dieser Mann war ein alter Jünger, d.h. ein
ursprünglicher Jünger, einer derjenigen, die sich am großen Pfingsttag bekehrt
hatten.[84]
Man beachte, dass die christliche Tugend der Gastfreundschaft in den frühen
Tagen der Kirche in jeder Stadt, in der Paulus und seine Gruppe Zeit hatten,
Halt zu machen, frei ausgeübt wurde.
Der jüdische
Aufruhr gegen Paulus
(21,17-39)
17
Als wir nun nach Jerusalem kamen, nahmen uns die Brüder gerne auf. 18 Am
nächsten Tag aber ging Paulus mit uns ein zu Jakobus, und kamen die Ältesten
alle dahin. 19 Und als er sie gegrüßt hatte, erzählte er eins nach dem andern,
was Gott getan hatte unter den Heiden durch sein Amt.
20
Da sie aber das hörten, lobten sie den HERRN und sprachen zu ihm: Bruder, du
siehst, wieviel tausend Juden sind, die gläubig geworden sind, und sind alle
Eiferer über dem Gesetz. 21 Sie sind aber berichtet worden gegen dich, dass du
lehrst von Mose abfallen alle Juden, die unter den Heiden sind, und sagst, sie
sollen ihre Kinder nicht beschneiden, auch nicht nach dessen Weise wandeln. 22
Was ist’s denn nun? Allerdings muss die Menge zusammenkommen; denn es wird vor
sie kommen, dass du gekommen bist. 23 So tu nun das, was wir dir sagen: 24 Wir
haben vier Männer, die haben ein Gelübde auf sich; diese nimm zu dir und lass
dich reinigen mit ihnen und wage die Kosten an sie, dass sie ihr Haupt
bescheren, und alle vernehmen, dass nicht sei, wes sie gegen dich berichtet
sind, sondern dass du auch treu lebst und hältst das Gesetz. 25 Denn den
Gläubigen aus den Heiden haben wir geschrieben und beschlossen, dass sie der
keines halten sollen, als nur sich bewahren vor dem Götzenopfer, vor Blut, vor
Ersticktem und vor Hurerei.
26
Da nahm Paulus die Männer zu sich und ließ sich am nächsten Tag samt ihnen
reinigen und ging in den Tempel und ließ sich sehen, wie er aushielte die Tage
der Reinigung, bis dass für einen jeglichen unter ihnen das Opfer geopfert
wurde. 27 Als aber die sieben Tage sollten vollendet werden, sahen ihn die
Juden aus Asien im Tempel und erregten das ganze Volk, legten die Hände an ihn
und schrien: 28 Ihr Männer von Israel, helft! Dies ist der Mensch, der alle
Menschen an allen Enden lehrt gegen dies Volk, gegen das Gesetz und gegen diese
Stätte; auch dazu hat er die Griechen in den Tempel geführt und diese heilige
Stätte gemein gemacht. 29 Denn sie hatten mit ihm in der Stadt Trophimus, den Epheser, gesehen; den, meinten sie, hätte Paulus
in den Tempel geführt. 30 Und die ganze Stadt wurde bewegt, und wurde ein
Zulauf des Volks. Sie griffen aber Paulus und zogen ihn zum Tempel hinaus; und
alsbald wurden die Türen zugeschlossen.
31
Da sie ihn aber töten wollten, kam das Geschrei hinauf vor den obersten
Hauptmann der Schar, wie das ganze Jerusalem sich empörte. 32 Der nahm sogleich
die Kriegsknechte und Hauptleute zu sich und lief unter sie. Da sie aber den
Hauptmann und die Kriegsknechte sahen, hörten sie auf, Paulus zu schlagen. 33
Als aber der Hauptmann nahe herzukam, nahm er ihn an sich und hieß ihn binden
mit zwei Ketten und fragte, wer er wäre, und was er getan hätte. 34 Einer aber
rief dies, der andere das im Volk. Da er aber nichts Gewisses erfahren konnte
um des Getümmels willen, hieß er ihn in das Lager führen.
35
Und als er an die Stufen kam, mussten ihn die Kriegsknechte tragen vor Gewalt
des Volks. 36 Denn es folgte viel Volks nach und schrie: Weg mit ihm! 37 Als
aber Paulus jetzt zum Lager eingeführt wurde, sprach er zu dem Hauptmann: Darf
ich mit dir reden? Er aber sprach: Kannst du Griechisch? 38 Bist du nicht der
Ägypter, der vor diesen Tagen einen Aufruhr gemacht hat und führtest in die
Wüste hinaus viertausend Meuchelmörder? 39 Paulus aber sprach: Ich bin ein jüdischer
Mann von Tarsus, ein Bürger einer namhaften Stadt in Zilizien; ich bitte dich,
erlaube mir, zu reden zu dem Volk.
Der
Empfang in Jerusalem (V.17-19): Als Paulus und seine Gefährten in Jerusalem
ankamen, wurden sie von den Brüdern der Gemeinde mit Freude empfangen, sehr zur
Ermutigung aller. Am nächsten Tag fand eine formellere Versammlung statt, bei
der Paulus seine Gefährten nahm und sie Jakobus, dem Bruder des Herrn, dem
bedeutendsten Ältesten der Gemeinde, vorstellte. Auch alle anderen Ältesten der
Gemeinde waren bei dem Gespräch anwesend. Nachdem er sie alle begrüßt hatte,
begann Paulus zu erzählen, wörtlich: einen nach dem anderen und in allen Einzelheiten
zu berichten, was der Herr durch seinen Dienst unter den Heiden getan hatte.
Dies bezog sich besonders auf den Erfolg der zweiten und dritten Reise, denn
die Brüder in Jerusalem hatten die Geschichte der ersten Reise gehört, Kap.
15,4. Sehr wahrscheinlich hat Paulus mit seinem Bericht auch deutlich gemacht,
dass er die Beschlüsse der Konferenz in Jerusalem acht oder neun Jahre zuvor
erfüllt hatte. Berichte aus den Missionsgebieten sollten für alle christlichen
Geschwister immer höchst interessant sein und das Interesse an der Arbeit
wecken.
Ein Fall von jüdischem Vorurteil (V.
20-26): Die Reihen der Gemeinde in Jerusalem waren noch stark von jüdischen
Vorurteilen geprägt, und selbst die Ältesten, einschließlich Jakobus, hatten
noch nicht die klare Unterscheidung zwischen christlicher Freiheit und
jüdischen Bräuchen erreicht, die für eine volle Würdigung der
neutestamentlichen Segnungen notwendig war. Die Konferenz der Ältesten
antwortete auf den Bericht des Paulus mit einem Lobpreis Gottes und drückte
ihre volle Übereinstimmung mit seiner Arbeitsweise aus. Aber nebenbei hatten
sie noch eine kleine Angelegenheit, die sie für wichtig genug hielten, um sie
ihm zur Kenntnis zu bringen. Wie sie sagten, musste Paulus selbst gesehen
haben, dass es vor allem in Jerusalem Tausende von Juden gab, die gläubig waren
und Jesus wirklich als den verheißenen Messias angenommen hatten. Gleichzeitig
waren sie jedoch glühende Verfechter des Gesetzes geblieben und glaubten, dass
die Einhaltung aller Gebote und Traditionen notwendig und sogar unerlässlich
sei. Diese Juden hatten den Bericht gehört, hatten die Information über Paulus
erhalten, dass er den Abfall von Mose lehrte, und zwar nicht allgemein, sondern
für alle Juden, die in der Diaspora lebten, unter den Heiden im Ausland. Diese
allgemeine Anklage wurde in zwei Fällen präzisiert, nämlich dass Paulus sie
gelehrt habe, den Ritus der Beschneidung nicht zu praktizieren, und dass er sie
in ähnlicher Weise überredet habe, nicht nach den Sitten und Gebräuchen zu
leben, die durch Tradition und Gewohnheit verbindlich geworden waren. Diese
Vorwürfe waren jedoch nicht zutreffend. Paulus hatte die Juden nicht gelehrt,
ihre Kinder nicht zu beschneiden, sondern er selbst hatte Timotheus, einen
Halbjuden, beschnitten, weil dieser wahrscheinlich unter Juden arbeiten würde.
Paulus hatte sie nicht gelehrt, die Sitten ihrer Väter aufzugeben; denn er
selbst hatte etwa ein Jahr zuvor an die Korinther geschrieben, dass er für die
Juden ein Jude gewesen sei, 1. Kor. 9,20.21. Er verlor nie den Unterschied aus
den Augen zwischen dem, was wir um anderer willen tun dürfen, und dem, wozu wir
verpflichtet sind, um Gott zu gehorchen. Und diese Unterscheidung hatte er in
seinen Bemühungen, die Juden davon zu überzeugen, dass die alten Riten für ihr
Gewissen nicht mehr bindend waren, deutlich gemacht. Die Ältesten von Jerusalem
mögen sich all dessen mehr oder weniger bewusst gewesen sein, aber sie
fürchteten, dass die Judenchristen, die noch nicht den Wissensstand erreicht
hatten, um den Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Testament richtig
zu verstehen, in ihrem Vergehen fortfahren würden. Sie überlegten, was man
unter diesen Umständen tun könnte, und kamen zu dem Schluss, dass eine
Versammlung der gesamten Gemeinde unbedingt notwendig sei, denn die Nachricht
von der Ankunft des Paulus hatte sich inzwischen in der ganzen Stadt
verbreitet. Um Unannehmlichkeiten zu vermeiden, machten sie Paulus einen
Vorschlag, was er tun könnte, um alle falschen Eindrücke zu beseitigen und den
schwachen Brüdern wenigstens auf halbem Weg entgegenzukommen. Sie hatten in der
Gemeinde vier Männer, die unter einem Nasiräer-Gelübde standen, Num. 6,2-12,
das als unerfüllte Verpflichtung auf ihnen lag. „Dies erforderte ihre
Reinigung, die sieben Tage dauerte, die Rasur ihrer Köpfe auf dem Altar, die
Darbringung eines Sündopfers und eines Brandopfers
für jeden von ihnen und den Verlust der Zeit, die sie unter dem Gelübde
verbracht hatten. Paulus sollte erstens für sie aufkommen, d. h. einen Teil
oder die gesamten Kosten für die Opfer, die sie darzubringen hatten,
übernehmen, und zweitens in den Tempel gehen und den Priestern mitteilen, wann
ihre Tage der Reinigung erfüllt sein würden, damit ein Priester bereit sei,
ihre Opfer darzubringen. Letzteres konnten sie nicht selbst tun, denn das
Gesetz schloss sie während ihrer Unreinheit vom jüdischen Hof aus; aber da
Paulus nicht durch den Kontakt mit einem toten Körper, sondern durch einige der
vielen anderen im Gesetz genannten Ursachen unrein war, konnte er sich an einem
einzigen Tag reinigen, indem er seine Kleider wusch und sein Fleisch badete und
bis zum Abend unrein blieb, 3. Mose 15, 1-30.“[85]
Diese Handlung des Paulus würde ihnen allen zu verstehen geben, dass die Dinge,
die über ihn berichtet worden waren, ohne Grundlage waren, und dass er sich so
verhielt, dass er das Gesetz hielt. Und was die Heidenchristen betrifft, so
beruhigten die Ältesten von Jerusalem Paulus, indem sie ihn an ihren in seiner
Gegenwart gefassten Beschluss erinnerten, dass sie nicht verpflichtet seien,
das jüdische Zeremonialgesetz zu halten, dass sie sich aber davor hüten
sollten, das Fleisch von Götzenopfern, Blut und das Fleisch von erwürgten
Tieren zu essen, und dass sie Unzucht und sexuelle Laster vermeiden müssten.
Aus dieser Beschreibung geht hervor, dass die Glieder der Gemeinde in Jerusalem
immer noch eifrige Verfechter des mosaischen Zeremonialgesetzes waren, dass sie
ihre Kinder weiterhin beschnitten, dass sie die Reinigungen des
Kirchengesetzes, obwohl sie in einigen Fällen das Darbringen von Opfern
beinhalteten, als verbindlich auch für die Christen jüdischer Abstammung
ansahen, dass sie aber den heidnischen Brüdern keine dieser Observanzen
auferlegten, weil sie glaubten, dass der Beschluss der früheren Konferenz ihren
Fall vollständig abdeckt. Solange bloße Schwäche oder Mangel an geistlicher
Erkenntnis angenommen werden kann, mag ein solches Verhalten toleriert werden,
aber sobald Dinge, die an sich gleichgültig sind, als Gesetze Gottes angeführt
werden, muss auf der Freiheit des Evangeliums bestanden werden.
Der Beginn des Aufruhrs (V. 26-30): Paulus
zeigte hier, dass der Geist Christi in ihm lebte, dass er bereit war, um der
anderen willen an einer Zeremonie teilzunehmen, von der er wusste, dass sie
ihre eigentliche Bedeutung und ihren Wert verloren hatte und zu einer bloßen
leeren Form geworden war, 1. Kor. 9,20. Er nahm die vier Männer mit sich, wurde
ihr Gefährte, vollzog die erforderlichen Reinigungsriten in seinem eigenen Fall
und ging dann in den eigentlichen Tempel, den Teil, der ausschließlich den Kindern
Israels vorbehalten war, und kündigte dort den Priestern den Tag an, an dem das
Gelübde beendet werden sollte, und brachte für jeden der vier die
erforderlichen Opfergaben. Offensichtlich verbrachte auch Paulus die meiste,
wenn nicht sogar die ganze Zeit während dieser Woche im Tempel. So wurde er
allen Menschen alles. Merke: In Angelegenheiten, in denen es nicht um
grundlegende biblische Prinzipien geht, kann sich ein Christ anderen anpassen;
aber er muss sich davor hüten, dass Heuchelei und Menschenfurcht sein Motiv für
dieses Verhalten sind. Bis jetzt war alles erfreulich glatt verlaufen, und
keine Wolke schien den Horizont zu verdunkeln. Umso überraschender war die
Tatsache, dass der Sturm aus einem praktisch klaren Himmel aufzog. Denn als
sich die sieben Tage der Reinigung der Nasiräer dem Ende zuneigten, die Zeit,
in der der Apostel mit den Männern zusammen war, sahen ihn Juden aus der
Provinz Asien, wahrscheinlich sogar aus Ephesus, die zum Pfingstfest
heraufgekommen waren, im Tempel, und ihr Hass entlud sich augenblicklich zu
einer weißen Wut. Allein die Tatsache, dass dieser vermeintliche Verächter des
Tempels es wagen sollte, dessen innere Höfe zu betreten (die den Heiden bei
Todesstrafe verboten waren), war in ihren Augen eine Beleidigung. Sofort
machten sie einen Aufruhr, wühlten das Volk auf, wie Flüssigkeiten, die sich
nicht vermischen und hin und her schwappen, und legten gewaltsam die Hände an
Paulus. Gleichzeitig erhoben sie ihre Stimmen und riefen die versammelten
Israeliten zu Hilfe. Schon der Name sollte sie alle an die Würde und den Ruhm,
an die Hoffnungen und Verpflichtungen ihres Volkes erinnern. Indem sie Paulus
verächtlich als "diesen Mann", diesen Ausgestoßenen, bezeichneten,
warfen sie ihm vor, er habe es sich zur Gewohnheit gemacht, alle Menschen zu
lehren, überall, gegen das Volk, gegen das Gesetz, gegen diesen Ort, diese
Stadt. Es ist bezeichnend, dass die Anklage gegen Paulus fast mit den gleichen
Worten erhoben wird wie die gegen Stephanus, Kap. 6,13. Der schwerwiegendste Teil
der Anklage war jedoch die Behauptung, dass Paulus Griechen in den eigentlichen
Tempel gebracht hatte, innerhalb des Soreg oder der
Steinmauer, die das Heiligtum umschloss, und so das Heiligtum selbst entweiht
hatte. Die letztgenannte Anklage beruhte jedoch auf einer falschen Annahme,
nämlich dass Paulus Trophimus, den Abgesandten der ephesinischen Gemeinde, der in seiner Begleitung in der
Stadt gesehen worden war, in den Tempel gebracht hatte - eine völlig
ungerechtfertigte Schlussfolgerung. Aber die Juden waren bereit, ihren Verdacht
auf noch geringere Beweise zu stützen, wenn es ihnen nur gelänge, Paulus zu
beseitigen. Die unmittelbare Wirkung ihrer verblüffenden und vehementen Anklage
und Denunziation ließ nichts zu wünschen übrig. Die ganze Stadt war in Aufruhr,
die Aufregung hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet; es kam zu einem
tumultartigen Auflauf des Volkes; er wurde von einer Schar von Leuten umringt,
die ihn packten und aus dem Heiligtum in den Vorhof der Heiden schleppten. Und
dann wurden die Türen des Tempels, des Heiligtums, von den Leviten
verschlossen, entweder weil sie befürchteten, dass der Tempel durch das
Blutvergießen verunreinigt werden würde, oder weil sie glaubten, dass diese
Verunreinigung bereits durch den Eintritt eines Heiden in das Heiligtum
stattgefunden hatte und dass es gereinigt werden müsse, bevor es wieder
geöffnet werden könne. Anmerkung: Die Juden, genau wie ihre Nachfolger in
unseren Tagen, waren dem von Paulus gepredigten Evangelium so feindlich
gesinnt, weil er ihre pharisäische Selbstgerechtigkeit verurteilte und vor
Juden und Griechen gleichermaßen bezeugte, dass der Mensch durch den Glauben
gerechtfertigt wird, ohne die Werke des Gesetzes. Die falsche Kirche, die sich
ihrer eigenen Gerechtigkeit rühmt, und die ehrbare, tugendhafte Welt sind seit
jeher die Hauptfeinde der Kirche Christi und des Evangeliums von Gottes freier
Gnade und Barmherzigkeit gewesen.
Der Oberste der römischen Schar greift
ein (V. 31-34): Es war ein typischer Pöbel ohne Vernunft und Verstand, der
im Vorhof der Heiden hin und her wogte, jeder versuchte, den Gefangenen zu
ergreifen und ihm Gewalt anzutun, alle waren darauf aus, ihn zu töten. Nun aber
brachte jemand dem römischen Offizier im Turm von Antonia, der den Tempel und
seine Vorhöfe überblickte, die Nachricht, dass die ganze Stadt Jerusalem in
Aufruhr sei, dass ein Aufstand alle Einwohner erfasst habe. Und dieser
Offizier, der Militärtribun oder Chiliarch, der in
der Garnison tausend Mann unter seinem Kommando hatte, verlor keine Zeit,
sondern nahm mehrere hundert Mann mit ihren Zenturien oder Offizieren mit und
stürzte sich auf den brodelnden Pöbel, von der Burg bis zur unteren Plattform
des Hofes, wo sich das Zentrum des Aufruhrs befand. Dieses schnelle Handeln
rettete Paulus wahrscheinlich das Leben; denn als die Leute den Tribun sahen,
hörten sie auf, ihren Gefangenen zu verprügeln. Als der Befehlshaber näher kam,
sah er, dass Paulus der Mittelpunkt und in gewisser Weise auch der Anlass des
Aufruhrs war, und schloss daraus ganz natürlich, dass er ein Verbrecher war,
den die Juden schnell bestrafen wollten. Da dies nicht der richtige Zeitpunkt
war, um Nachforschungen anzustellen, nahm er den Gefangenen in Obhut und
befahl, ihn mit zwei Ketten zu fesseln. Nachdem er ihn so gesichert und
zumindest teilweise vor dem wütenden Ansturm des Pöbels geschützt hatte,
versuchte der Chiliarch nun herauszufinden, wer er
war und was er getan hatte. Aber wie bei einem Mob üblich, war nicht mehr klar,
worum es ging; der eine schrie das eine, der andere das andere, und bald wurde
dem Offizier klar, dass es wegen des Tumults unmöglich war, die Fakten zu
erfahren. So befahl er, Paulus in die Kaserne des Turms Antonia zu führen. So
hatte Gott das Leben seines Dieners wieder einmal gerettet, denn er wollte,
dass er vor einigen Mächtigen dieser Erde Zeugnis vom Evangelium ablegte.
Auf dem Weg in die Kaserne (V.
35-39): Als der Tribun mit seinen Kohorten kam, hatte sich der Tumult des
Volkes etwas gelegt; aber als die Soldaten sich umdrehten, um den Befehl ihres
Befehlshabers auszuführen, ergriff eine neue Raserei das Volk, denn es schien,
als würde ihnen die Beute entrissen werden. So geschah es, dass, als Paulus zu
den Stufen kam, die zum Turm der Antonia hinaufführten, das wahnsinnige Volk
sich mit zunehmender Gewalt um die kleine Gruppe von Soldaten drängte, um
Paulus zu erreichen. Die Situation war so gefährlich, dass die Soldaten
gezwungen waren, Paulus hochzuheben und zu tragen, weil das Volk so wütend war.
Denn die Menge des Volkes verfolgte ihn hartnäckig und schrie nebenbei: Tötet
ihn! Tötet ihn!", ein Ruf, den der jüdische Pöbel zu erheben pflegte
(Lukas 23, 18; Johannes 19, 15). Als die Soldaten mit dem Gefangenen in ihrer
Mitte das obere Ende der Treppe erreicht hatten, während sich unter ihnen der
gesamte Tempelbereich mit einer wirbelnden, brüllenden Menge füllte, und im
Begriff waren, in die Kaserne zu gehen, wandte sich Paulus an den Befehlshaber
mit der Frage, ob es ihm erlaubt sei, mit ihm zu sprechen. Dieser fragte
erstaunt: „Warum, verstehst du Griechisch?“ Aus der Gewalttätigkeit des Pöbels
und aus anderen Anzeichen hatte der Chiliarch
geschlossen, dass Paulus zweifellos jener Ägypter sein musste, den Josephus
ebenfalls erwähnt, der Mann, der eine Bande von viertausend Mördern,
Attentätern, in die Wüste geführt hatte. Offensichtlich dachte der Tribun, dass
der Ägypter es gewagt hatte, nach seiner schmachvollen Niederlage in die Stadt
zurückzukehren und nun als Hochstapler hingestellt wurde. Doch Paulus
berichtigte ihn mit wenigen Worten, indem er ihm sagte, er sei ein Jude aus
Tarsus in Zilizien, wobei er mit verzeihlichem Stolz hinzufügte, dass er ein
Bürger einer nicht unbedeutenden Stadt sei, denn Tarsus sei eine große und
blühende Stadt. Nachdem der ernste Verdacht des Tribuns ausgeräumt war, fügte
Paulus nun die ernsthafte Bitte hinzu, dass man ihm die Erlaubnis erteilen
möge, vor dem Volk zu sprechen. Es war seine Absicht, auch in dieser Notlage
ihre Vorurteile gegen ihn und das Evangelium Jesu zu beseitigen und so, wenn
möglich, Bekehrte für das Wort der Gnade zu gewinnen.
Zusammenfassung: Paulus setzt
seine Reise von Milet nach Tyrus und von dort nach
Cäsarea fort, von wo aus er nach Jerusalem reist, wo die Juden aus Asien einen
Tumult gegen ihn erheben und sein Leben nur durch das schnelle Eingreifen des
römischen Chiliarchen gerettet wird.
Des Paulus Rede an
die Juden (21,40-22,21)
40
Als er es aber ihm erlaubte, trat Paulus auf die Stufen und winkte dem Volk mit
der Hand. Da nun eine große Stille ward, redete er zu ihnen auf Hebräisch und
sprach: 22:1 Ihr Männer, liebe Brüder und Väter, hört mein Verantworten an
euch! 2 Da sie aber hörten, dass er auf Hebräisch zu ihnen redete, wurden sie
noch stiller. Und er sprach: 3 Ich bin ein jüdischer Mann, geboren zu Tarsus in
Zilizien und erzogen in dieser Stadt zu den Füßen Gamaliels,
gelehrt mit allem Fleiß im väterlichen Gesetz und war ein Eiferer um Gott,
gleichwie ihr alle heute seid. 4 Und ich habe diesen Weg verfolgt bis an den
Tod. Ich band sie und überantwortete sie ins Gefängnis, beide, Mann und Frau, 5
wie mir auch der Hohepriester und der ganze Haufe der Ältesten Zeugnis gibt,
von welchen ich Briefe nahm an die Brüder, und reiste nach Damaskus, dass ich,
die dort waren, gebunden führte nach Jerusalem, dass sie gepeinigt würden.
6
Es geschah aber, da ich hinzog und nahe an Damaskus kam, um den Mittag,
umblickte mich schnell ein großes Licht vom Himmel. 7 Und ich fiel zum Erdboden
und hörte eine Stimme, die sprach zu mir: Saul, Saul, was verfolgst du mich? 8
Ich antwortete aber: HE, wer bist du? Und er sprach zu mir: Ich bin Jesus von
Nazareth, den du verfolgst. 9 Die aber mit mir waren, sahen das Licht und
erschraken; die Stimme aber des, der mit mir redete, hörten sie nicht. 10 Ich
sprach aber: HERR was soll ich tun? Der HERR aber sprach zu mir: Stehe auf und
gehe nach Damaskus; da wird man dir sagen von allem, was dir zu tun verordnet
ist. 11 Als ich aber vor Klarheit dieses Lichtes nicht sehen konnte, wurde ich
bei der Hand geleitet von denen, die mit mir waren, und kam nach Damaskus.
12
Es war aber ein gottesfürchtiger Mann nach dem Gesetz, Ananias, der einen guten
Ruf hatte bei allen Juden, die dort wohnten. 13 Der kam zu mir und trat vor
mich hin und sprach zu mir: Saul, lieber Bruder, siehe auf! Und ich sah ihn an
zu derselben Stunde. 14 Er aber sprach: Der Gott unserer Väter hat dich
verordnet, dass du seinen Willen erkennen solltest und sehen den Gerechten und
hören die Stimme aus seinem Mund. 15 Denn du wirst sein Zeuge zu allen Menschen
sein des, das du gesehen und gehört hast. 16 Und nun,
was verziehst du? Stehe auf und lass dich taufen und abwaschen deine Sünden und
rufe an den Namen des HERRN.
17
Es geschah aber, da ich wieder nach Jerusalem kam und betete im Tempel, dass
ich entzückt wurde und sah ihn. 18 Da sprach er zu mir: Eile und mache dich
behände von Jerusalem hinaus: Denn sie werden nicht aufnehmen dein Zeugnis von
mir. 19 Und ich sprach: HERR, sie wissen selbst, dass ich gefangenlegte und
stäupte die, so an dich glaubten, in den Synagogen hin und her. 20 Und da das
Blut des Stephanus, deines Zeugen, vergossen wurde, stand ich auch daneben und
hatte Wohlgefallen an seinem Tode und verwahrte denen die Kleider, die ihn
töteten. 21 Und er sprach zu mir: Gehe hin; denn ich will dich ferne unter die
Heiden senden.
Über des Paulus frühes Leben und die
Verfolgung der Kirche (21,40-22,5): Der Befehlshaber der Garnison kam der
Bitte des Paulus, vor dem Volk zu sprechen, um so
bereitwilliger nach, als er sich von der Rede erhoffte, die wahren
Anschuldigungen gegen ihn zu erfahren. Nachdem die Soldaten Paulus also
abgesetzt und zumindest eine seiner Ketten gelöst hatten, stellte er sich an
den Kopf der Treppe und winkte dem Volk mit seiner charakteristischen Geste zu,
dass er zu ihnen sprechen wolle. „Welch edlerer Anblick als der des Paulus in
diesem Augenblick! Da steht er, mit zwei Ketten gefesselt, bereit, seine
Verteidigung vor dem Volk vorzutragen. Der römische Befehlshaber sitzt dabei,
um durch seine Anwesenheit für Ordnung zu sorgen. Ein wütendes Volk blickt von
unten zu ihm auf. Doch inmitten so vieler Gefahren, wie selbstsicher ist er,
wie ruhig!“ (Chrysostomus) Als dann viel Stille herrschte, als die relative
Ruhe wiederhergestellt war und die Tatsache, dass der Mann, den sie gerade zu
ermorden bereit waren, ihnen etwas mitzuteilen suchte, einen gewissen Eindruck
auf sie machte, sprach Paulus zu ihnen in hebräischem Dialekt, d. h. in der
aramäischen Sprache, wie sie damals allgemein von den Juden gesprochen wurde.
Er sprach sie als Brüder und Väter an. Obwohl es ihnen fast gelungen war, ihm
das Leben zu nehmen, und sie den Gedanken noch lange nicht aufgegeben hatten,
zeigte Paulus weder in seinem Ton noch in seinen Worten irgendeinen Zorn oder
Groll. Im Angesicht des Todes dachte er nur an das geistliche Wohlergehen
seiner Brüder nach dem Fleisch und daran, ob es ihm gelingen würde, einige von
ihnen zu retten. Er bittet sie, von seinen Lippen die Verteidigung zu hören,
die er ihnen jetzt vorzutragen gedenkt. Die Tatsache, dass er sich des
aramäischen Dialekts bediente, trug ebenfalls zur Beruhigung der Menge bei; sie
schwieg umso mehr. Viele Mitglieder der Menge, die nur die Hälfte der Anklage
hörten und sie nicht richtig verstanden, hatten zweifellos angenommen, dass der
Mann, der vor ihnen stand, selbst ein Heide war und weder die jüdische Sprache
noch die jüdischen Sitten beherrschte. Und nun legt Paulus in dem ehrlichen
Versuch, seine Zuhörer dazu zu bringen, seiner Entschuldigung wenigstens
aufmerksam zuzuhören, einige Fakten aus seinem Leben vor. Er war ein jüdischer
Mann, geboren in Tarsus in Zilizien, aber in eben dieser Stadt Jerusalem
erzogen und zu Füßen des berühmten Lehrers Gamaliel
nach der vollen Strenge des väterlichen Gesetzes unterrichtet. Die Pharisäer,
zu denen Gamaliel1 gehörte, rühmten sich der Genauigkeit ihrer Auslegung des
Gesetzes und der Wörtlichkeit, die sie bei dessen Einhaltung forderten. All
dies hatte Paulus gelernt, darin war er gedrillt worden. Und deshalb war er
eifrig, eifrig für Gott und seine Ehre, wie es auch seine Zuhörer an jenem Tag
bewiesen hatten, Röm. 10, 2. Die Worte des Paulus enthalten keine Anklage wegen
böswilliger Verstocktheit, sondern sind nur die Feststellung einer Tatsache,
die ihnen durchaus von Nutzen sein kann. Von seinem eigenen Eifer sagt er, dass
er diesen Weg, die Menschen, die den Weg des Heils durch den Glauben an die
Erlösung Jesu angenommen haben, bis zum Tod verfolgt hat, denn das war sein
Ziel und sein Interesse in dieser Sache. Und um dieses Ziel zu erreichen, hatte
er Männer und Frauen gebunden und ins Gefängnis geworfen. Und für die Wahrheit
dieser Behauptung konnte der Hohepriester jenes Jahres selbst Zeugnis ablegen
und das ganze Synkdrion, denn von ihnen hatte er
Briefe, Beglaubigungen, an die Brüder erhalten, worauf er nach Damaskus gereist
war, um auch die Jünger jener Stadt zu binden und nach Jerusalem zu bringen, um
sie in Fesseln zurück zu führen, damit ihnen eine angemessene Strafe zuteil werde. Paulus legt ein offenes Bekenntnis ab,
verschweigt seinen Zuhörern nichts und bietet keine Entschuldigung für sein
Handeln. Seine Erzählung ist eine Beschreibung des Zustands des unbekehrten
Geistes. In seinem unerweckten Zustand wird ein
Mensch entweder den fleischlichen Begierden dienen und das Gesetz Gottes mit
Füßen treten, oder er wird nach einer äußerlichen Gerechtigkeit des Gesetzes
eifern und die Kraft und Schönheit des Evangeliums verachten.
Die Vision (Gesicht) auf dem Weg nach
Damaskus (V. 6-11): Der erste Teil der Ansprache des Paulus sollte nicht
nur Sympathie für ihn selbst wecken, sondern auch Neugier auf den Grund, warum
er seine Ansichten so vollständig geändert hat. Die Erklärung wird in diesem
Teil mit viel Anschaulichkeit und Liebe zum Detail gegeben. Als er die Reise
unternommen hatte, für die er von den jüdischen Behörden eine Genehmigung
erhalten hatte, und sich der Stadt Damaskus näherte, geschah es, dass um die
Mittagszeit, als die Sonne in voller Pracht stand, plötzlich und ohne
Vorwarnung ein Licht aus dem Himmel um ihn herum aufblitzte, dessen Helligkeit
die der Sonne weit übertraf. Er war auf den festen Boden, das Pflaster der
Straße, gestürzt und hatte eine Stimme gehört und verstanden, die zu ihm
sprach: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Auf seine erschrockene Frage nach
der Identität der Stimme, die er selbst dem Herrn, Jesus, zugeschrieben hatte,
der ihm im Licht erschienen war, hatte er die Auskunft erhalten, dass es Jesus
von Nazareth selbst war, der, den er in seinen Jüngern verfolgte, der ihm hier
erschienen war. Seine Begleiter hatten das übernatürliche Licht gesehen, ohne
jedoch Jesus zu sehen, und sie hatten zwar den Klang einer Stimme gehört, aber
die Worte, die gesprochen wurden, nicht verstanden. Vgl. Kap. 9,3-7. Auf seine
weitere ängstliche Frage, was er nun tun solle, hatte der Herr ihm die
Anweisung gegeben, aufzustehen und in die Stadt Damaskus zu gehen, wo ihm alles
gesagt werden würde, was für ihn bestimmt war. Der Herr hatte alles im Voraus
arrangiert; sein ganzes Leben und alle Wechselfälle seines Lebens waren von
Jesus vorgezeichnet worden; seine Arbeit für den Rest seines Lebens war
vollständig geordnet und geplant. Und die Vision und die Stimme waren keine
Einbildung gewesen, denn die himmlische Herrlichkeit des Lichts, das ihn
umhüllt hatte, hatte ihn blind gemacht; er konnte seine Augen nicht gebrauchen,
sie verweigerten ihren Dienst. Da er völlig blind war, musste er von denen, die
ihn begleiteten, an der Hand geführt werden, und so kam er in die Stadt. So
geschah die Bekehrung des Paulus, und so geschieht die Bekehrung eines jeden
Menschen. Es gibt bei keinem Menschen eine besondere Neigung, Veranlagung oder
Veranlagung zum Glauben an Jesus, den Erlöser, sondern die Wiedergeburt ist
ausschließlich ein Werk der Macht und Barmherzigkeit Gottes. Gott verändert den
Geist des Menschen, der aus eigener Vernunft und Kraft nicht an Jesus Christus,
seinen Herrn, glauben kann, und bewirkt so den Glauben an den Erlöser.
Paulus und Ananias (V. 12-16): Paulus
gibt hier aus seiner persönlichen Erfahrung, aus den Ereignissen, die sich ihm
unauslöschlich eingeprägt hatten, einen ausführlicheren Bericht über die Worte
des Ananias, als in Kapitel 9 berichtet worden war. Dieser Ananias war
keineswegs ein Heide und auch kein Jude ohne Ansehen der Person, sondern, wie
Paulus betont, ein frommer Mann, fromm nach dem jüdischen Gesetz, nach ihren
eigenen Maßstäben, für die alle Juden in Damaskus bürgten. Durch ihn erhielt
Paulus den Auftrag, das Evangelium von Christus zu verkünden, vor allem den
Heiden, wie er hier sorgfältig hervorhebt. Zu diesem Zweck kam Ananias zu ihm
und stand neben oder über ihm, als er da lag oder saß, niedergeschlagen vor
Kummer, redete ihn wie einen Bruder an und vollbrachte durch ein einfaches
Befehlswort das Wunder der Wiederherstellung seines Augenlichts. In derselben
Stunde, das heißt in demselben Augenblick, wurde ihm das Augenlicht
wiedergegeben. Und dann hatte Ananias ihm erklärt, auf welche Weise die Pläne
des Herrn verwirklicht worden waren und verwirklicht werden sollten. Der Gott
ihrer Väter, der wahre Gott, wie ihn die Juden verehrten, hatte im Voraus
bestimmt, dass Paulus seinen Willen erfahren sollte, um herauszufinden, für
welche wichtige Aufgabe er ausgewählt worden war. Dass er den Gerechten sah und
die Stimme aus seinem Mund in der Vision in der Nähe der Stadt hörte, war
ebenfalls im Voraus von Gott bestimmt worden. Dies ist ein weiterer Beweis
dafür, dass Paulus Jesus Christus tatsächlich gesehen hat. Und dieselbe Stimme
des Herrn, die vor der Stadt zu ihm gesprochen hatte, wandte sich nun erneut an
ihn mit dem Auftrag, er solle allen Menschen ein Zeuge des Herrn sein über das,
was er gesehen und gehört hatte. Warum also sollte es einen Grund zum Zögern
geben? Ananias hatte ihn gefragt. Er hatte ihm gesagt, er solle aufstehen, sich
taufen lassen und dadurch seine Sünden abwaschen lassen, und gleichzeitig den
Namen des Herrn anrufen. Beachte: Die Taufe ist nicht nur eine äußere Form oder
ein Symbol, um den Empfang der Vergebung der Sünden vorher oder nachher
anzuzeigen, sondern durch die Waschung des Wassers in der Taufe werden die
Sünden weggenommen, der Schmutz der Seele wird abgewaschen; es ist eine
Waschung der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, Titus 3, 5.
Durch den Namen Jesu und durch den Glauben an den Erlöser, der in der Taufe dem
Wort Gottes vertraut, werden die großen Segnungen verliehen und besiegelt.
Des HERRN direkter Auftrag an Paulus
(V. 17-21): Paulus hatte mit seinen letzten Worten beabsichtigt, eine
wohlwollende Betrachtung seiner Sache zu gewinnen, indem er den Kacheljuden
zeigte, dass er, der wie sie ein Verfolger gewesen war, durch einen wunderbaren
Beweis vom Himmel zu einem Gläubigen und Verfechter von Jesus von Nazareth
geworden war. Er wollte nun den Beweis erbringen, dass seine Mission unter den
Heiden auf dieselbe Weise bestimmt worden war, durch eine direkte Offenbarung
vom Himmel, die er, wie sie wohl wussten, nicht zu missachten gewagt hätte. Als
er bei seinem ersten Besuch nach seiner Bekehrung nach Jerusalem zurückkehrte,
fiel er während des Gebets im Tempel in Trance und wurde von einer
übernatürlichen Ekstase ergriffen, in der er den Herrn sah, der ihm befahl,
Jerusalem eilig zu verlassen, da die Juden sein Zeugnis über den Erlöser nicht
annehmen würden. Dieser Bericht ergänzt den von Kap. 9,29.30, denn dort wird
die tatsächliche persönliche Gefahr erwähnt, die hier als Grund für die
Aussendung des Herrn dargestellt wird. „Könnte es nicht sein, dass der hl.
Lukas das Ereignis in Bezug auf die Juden und die Kirche und der hl. Paulus in
Bezug auf seine eigene persönliche Geschichte schildert, wobei der hl. Lukas
den äußeren Anstoß, der hl. Paulus den inneren Beweggrund angibt, so dass die
beiden Ursachen, die eine natürliche, die andere übernatürliche, nebeneinander
erwähnt werden?“[86] Paulus
hatte damals, wie er erzählt, dem Herrn widersprochen und dies damit begründet,
dass die Juden das Zeugnis von demjenigen sicher annehmen würden, von dem sie
wussten, dass er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, die an ihn Glaubenden in
jeder Synagoge ins Gefängnis zu werfen und zu schlagen; auch war ihnen bekannt,
dass er anwesend war und gerne zustimmte und sogar das Amt des Wächters der
Kleider der Zeugen übernahm, als sie das Blut von Stephanus, seinem Zeugen,
vergossen. Aber dieses Argument hatte ihm gegen den Willen des Herrn nichts
genützt, denn dieser hatte nur mit größerem Nachdruck darauf bestanden: Geh,
ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden. Vor einem anderen Publikum und
zu einer anderen Zeit wäre diese Rechtfertigung des Paulus vielleicht
akzeptabel gewesen, denn sie konnten kein einziges Argument widerlegen. Aber
die Aussage, dass Paulus von ihnen weggeschickt wurde, weil sie starrsinnig und
hartherzig waren, und dass zumindest in seinem Fall die Heiden den Juden
vorgezogen wurden, dass seine Mission in erster Linie den verachteten Heiden
galt, war zu viel für dieses Publikum. Es ist immer so gewesen, dass die volle,
kompromisslose Wahrheit des Wortes Gottes, selbst wenn zusätzliche Beweise aus
der Geschichte angeboten wurden, teils mit Skepsis, teils mit offener
Feindschaft aufgenommen wurde. Das Herz des natürlichen Menschen ist trügerisch
über alle Dinge und verzweifelt böse.
Paulus und der
römische Oberst
(22,22-30)
22
Sie hörten ihm aber zu bis auf dies Wort und hoben ihre Stimme auf und
sprachen: Hinweg mit solchem von der Erde; denn es ist nicht recht, dass er
leben soll! 23 Da sie aber schrien und ihre Kleider abwarfen und den Staub in
die Luft warfen, 24 hieß ihn der Hauptmann in das Lager führen und sagte, dass
man ihn geißeln und befragen sollte, dass er erführe um welcher Ursache willen
sie so über ihn riefen. 25 Als er ihn aber mit Riemen anband, sprach Paulus zu
dem Unterhauptmann, der dabeistand: Ists auch recht bei euch, einen römischen
Menschen ohne Urteil und Recht zu geißeln? 26 Da das der Unterhauptmann hörte,
ging er zu dem Oberst (Oberhauptmann) und verkündigte ihm und sprach: Was
willst du machen? Dieser Mensch ist römisch. 27 Da kam zu ihm der Oberhauptmann
und sprach zu ihm: Sage mir, bist du römisch? Er aber sprach: Ja. 28 Und der
Oberhauptmann antwortete: Ich habe dies Bürgerrecht mit großer Summe zuwege
gebracht. Paulus aber sprach: Ich aber bin auch römisch geboren.
29
Da traten alsbald von ihm ab, die ihn befragen sollten. Und der Oberhauptmann
fürchtete sich, da er vernahm, dass er römisch war, und er ihn gebunden hatte.
30 Am nächsten Tag wollte er gewiss erkunden, warum er verklagt würde von den
Juden, und löste ihn von den Banden und hieß die Hohenpriester und ihren ganzen
Rat kommen und führte Paulus hervor und stellte ihn unter sie.
Paulus betont sein Bürgerrecht (V.
22-28): Paulus‘ einfache Erklärung der Tatsache, dass er vom Herrn durch eine
direkte Offenbarung berufen wurde, den Heiden das Evangelium zu predigen,
versetzte die fanatischen Juden in einen vollkommenen Wutanfall. Bis zu diesem
Punkt seiner Rede hatten sie ihm zugehört, aber jetzt verhielten sie sich wie
Menschen, die ihrer Sinne beraubt sind. Sie erhoben ihre Stimmen zu einem
wütenden Geschrei und sagten, dass ein solcher Mensch sofort vom Erdboden
vertilgt werden müsse, da es nicht mehr angemessen sei, ihn am Leben zu lassen,
dass er nicht lebensfähig sei. Dieses Geschrei hielten sie aufrecht, wobei sie
in einem Anfall von unbändiger Wut ihre Kleider, ihre Mäntel, durch die Gegend
warfen und Staub in die Luft schleuderten. In ihren Handlungen vereinen sich
verblüffte Wut und äußerste Verachtung zu einer solchen Zurschaustellung, wie
sie nur ein seines Opfers beraubter Pöbel darzustellen vermag. Der Tribun
befahl nun, Paulus in die Kaserne zu bringen, und ordnete gleichzeitig an, dass
ihm die Frage gestellt werden sollte, dass er unter Folter angehört werden
sollte, während die Geißel an ihm angewendet wurde. Diese schreckliche Methode
wurde von den Römern bei Gefangenen, vor allem aus der Unterschicht, angewandt,
um ein Geständnis zu erzwingen, wenn kein geeignetes Beweismittel zur Hand war.
So wollte der Tribun herausfinden, warum das Volk ihn so anschrie. Als sie ihn
aber mit dem Rücken über den Peitschenpfahl gestreckt hatten und sich
anschickten, ihn mit Riemen zu befestigen, fragte Paulus den Hauptmann, der
dabeistand und das grausige Werk beaufsichtigte, ob es erlaubt sei, einen
römischen Bürger ohne ein ordentliches Verfahren zu geißeln. Die Frage, so
bescheiden sie auch gestellt wurde, entbehrte nicht der Ironie und des Vorwurfs
über das Vorgehen in seinem Fall. In großer Bestürzung erstattete der Zenturio
seinem Vorgesetzten, dem Befehlshaber der Garnison, Bericht: Was wollt ihr tun?
Dieser Mann ist ein römischer Bürger. Diese Information brachte den Chiliarchen
in große Eile. Er fragte Paulus direkt, ob er ein römischer Bürger sei, und
Paulus bejahte dies. Mit einem gewissen Zweifel in der Stimme sagte der Tribun
dann zu Paulus, dass er das römische Bürgerrecht durch eine beträchtliche
Geldsumme erworben habe, und gab damit einen Akt der Bestechung zu. Denn das
römische Bürgerrecht konnte man entweder durch Verleihung durch den römischen
Senat für besondere Verdienste oder durch Vererbung von einem Vater, der
römischer Bürger war, oder durch Geburt in einer freien Stadt erwerben. Und so
konnte Paulus in diesem Fall mit berechtigtem Stolz behaupten, er sei als
römischer Bürger geboren worden. Es ist durchaus richtig und zu billigen, wenn
Christen unter Umständen von ihren Bürgerrechten Gebrauch machen.
Vorbereitungen für eine weitere Anhörung (V. 29-30): Die Erklärung des Paulus, er sei ein freier römischer Bürger, zeigte sofort Wirkung. Diejenigen, die ihn mit der Folter befragen wollten, zogen sich sofort zurück, denn die Folter war bei einem römischen Bürger verboten, obwohl sie bei Sklaven und Ausländern angewendet werden durfte. Auch der Chiliarch fühlte sich vor Angst ziemlich unwohl, da er nun erfahren hatte, dass Paulus ein römischer Bürger war, und weil er ihn gefesselt hatte. Wäre Paulus rachsüchtig gewesen, hätte er dem Tribun vielleicht Schwierigkeiten bereitet, aber Rache kam ihm nicht in den Sinn, denn sein Ziel war ja erreicht. Aber der Kommandant handelte nun vorsichtiger. Er war nach wie vor fest entschlossen, den wahren Grund für die Anklage des Paulus durch die Juden herauszufinden, was der eigentliche Grund für den Ärger war. So ließ er Paulus von seinen Fesseln befreien und befahl, dass die Hohepriester und das gesamte Synedrium zusammenkommen sollten, wobei die Verhandlung wahrscheinlich in ihrem eigenen Ratssaal oder an einem anderen Ort in der Stadt außerhalb des Turms von Antonia stattfand, höchstwahrscheinlich im Hof der Heiden, wo die Römer erscheinen durften, denn er führte Paulus vom Hügel herunter und stellte ihn vor sie. Damit hatte sich die Prophezeiung des Agabus erfüllt, und Paulus befand sich in den Händen der Heiden, dorthin ausgeliefert durch die Hände seiner eigenen Landsleute.
Zusammenfassung: Die Rede des Paulus vor den Juden, die zunächst in interessiertem Schweigen gehört wurde, wird durch Zornesschreie unterbrochen, woraufhin Paulus sich vor der Geißelung durch die Soldaten rettet, indem er sein römisches Bürgerrecht erklärt.
Die Anhörung des
Paulus in Gegenwart des Sanhedrin (23,1-11)
1
Paulus aber sah den Rat an und sprach: Ihr Männer, liebe Brüder, ich habe mit
allem guten Gewissen gewandelt vor Gott bis auf diesen Tag. 2 Der Hohepriester
aber, Ananias, befahl denen, die um ihn stunden, dass sie ihn aufs Maul
schlügen. 3 Da sprach Paulus zu ihm: Gott wird dich schlagen, du getünchte
Wand! Sitzt du und richtest mich nach dem Gesetz und heißt mich schlagen gegen
das Gesetz? 4 Die aber umherstanden, sprachen: Schiltst du den Hohenpriester
Gottes? 5 Und Paulus sprach: Liebe Brüder, ich wusste es nicht, dass er der
Hohepriester ist. Denn es steht geschrieben: Dem Obersten deines Volks sollst
du nicht fluchen.
6
Da aber Paulus wusste, dass ein Teil Sadduzäer war und der andere Teil
Pharisäer, rief er im Rat: Ihr Männer, liebe Brüder ich bin ein Pharisäer und
eines Pharisäers Sohn; ich werde angeklagt um der Hoffnung und Auferstehung
willen der Toten. 7 Da er aber das sagte, ward ein Aufruhr unter den Pharisäern
und Sadduzäern, und die Menge spaltete sich. 8 Denn die Sadduzäer sagen, es sei
keine Auferstehung noch Engel noch Geist; die Pharisäer aber bekennen beides. 9
Es ward aber ein großes Geschrei. Und die Schriftgelehrten, der Pharisäer Teil,
standen auf, stritten und sprachen: Wir finden nichts Arges an diesem Menschen;
hat aber ein Geist oder ein Engel mit ihm geredet, so können wir mit Gott nicht
streiten.
10
Da aber der Aufruhr groß wurde, hatte der oberste Hauptmann Sorge, sie könnten
Paulus zerreißen, und hieß das Kriegsvolk hinabgehen und ihn von ihnen reißen
und in das Lager führen. 11 Am nächsten Tag aber in der Nacht stand der HERR
bei ihm und sprach: Sei getrost, Paulus; denn wie du von mir zu Jerusalem
gezeugt hast, so musst du auch zu Rom zeugen.
Paulus weist den Hohenpriester zurecht
(V. 1-5): Die Verhandlung war vom römischen Tribun Lysias
eröffnet worden. Die Mitglieder des Sanhedrins saßen oder standen in einem
Halbkreis, Paulus stand ihnen gegenüber und der Kommandant der Wache in der
Nähe. Die jüdischen Oberhäupter waren vom römischen Chiliarchen vorgeladen
worden, um auszusagen und ihre Anklage gegen Paulus vorzubringen. Diese
Tatsache macht die ganze Situation deutlich. „Wenn wir die Umstände betrachten,
ist es klar, dass es sich nicht um eine formelle Sitzung des Rates der Nation
handelte, sondern um eine Versammlung führender Männer, die von dem römischen
Offizier, der in Jerusalem das Kommando hatte, eilig als Berater einberufen
wurden. Der Offizier hatte die Autorität; er war der einzige Mann, der urteilen
und eine Entscheidung treffen konnte; die anderen waren nur seine Beisitzer.
Auf keinen Fall konnte eine ordnungsgemäße Versammlung des Rates einberufen
werden, wie es bei dieser Gelegenheit geschah.“[87]
Paulus war nicht unter der Jurisdiktion des Sanhedrins anwesend, sondern als
römischer Bürger im Auftrag des römischen Kommandanten von Jerusalem. Das zeigt
sich auch in seinem gesamten Verhalten. Denn anstatt darauf zu warten, dass die
Juden die Versammlung eröffnen, schaute er sie mit seinem charakteristischen
festen, unerschrockenen Blick an und lud dann ruhig ihre Anklagen ein, indem er
mit offensichtlicher Gelassenheit erklärte, dass er sich bis zu diesem Tag mit
gutem Gewissen vor Gott benommen habe. Beachten Sie, dass er sie als Brüder
anspricht und sich damit auf eine Stufe mit ihnen stellt. Und er beteuert ruhig
seine Unschuld an jeglichem Fehlverhalten in dem Sinne, wie es die Juden
forderten, denn er verwendet ein Wort, das wörtlich bedeutet, dass er seine
volle Pflicht als Bürger des Gemeinwesens Gottes erfüllt und dessen Gesetze
geachtet und befolgt hat. Aber die Aussage des Paulus erregte den heftigsten
Groll des Hohenpriesters, namentlich des Ananias. Dieser Ananias war nicht der
Hohepriester der Evangelien, sondern war von Herodes von Chalkis in dieses Amt
eingesetzt worden. Er wurde von Quadratus, dem Statthalter von Syrien, wegen
eines Streits mit den Samaritern als Gefangener nach Rom geschickt; er gewann
jedoch seinen Prozess und kehrte nach Jerusalem zurück. Er vergaß, dass er
nicht der Vorsitzende dieser Versammlung war und dass Paulus nicht unter seiner
Gerichtsbarkeit stand, und rief denjenigen, die in der Nähe des Angeklagten
standen, zu, sie sollten ihm auf den Mund schlagen und damit zu verstehen
geben, dass sie glaubten, Paulus würde eine gemeine Lüge verbreiten. Paulus'
Zurechtweisung kam prompt und auf den Punkt. Er nannte ihn eine übertünchte
Wand, wie Christus die Pharisäer übertünchte Gräber genannt hatte (Matth. 23,27). Der Anstrich mit Tünche sollte die
Schwachheit und den Schmutz darunter verdecken. Er hatte Paulus befohlen,
geschlagen zu werden: Gott würde ihn für sein heuchlerisches Verhalten
schlagen; denn er saß dort als einer der Richter nach dem Gesetz, und gegen
dieses Gesetz befahl er Paulus, geschlagen zu werden, 3. Mose 19,33; 5. Mose
25,1.2. Der Herr bestrafte diesen Hohepriester auf schreckliche Weise, denn
einige Jahre später kam er in einem Tumult um, den sein eigener Sohn
anzettelte. Die Umstehenden, die über die Worte des Paulus erschrocken waren,
fragten ihn, ob er den Hohenpriester Gottes, d.h. den Stellvertreter Gottes, so
schmähen würde, während er sein Amt ausübte (5. Mose 17,12). Die Antwort des
Paulus kann als Entschuldigung oder Entschuldigung verstanden werden. Ananias
war nur als Mitglied des Sanhedrins anwesend; er saß weder auf dem Stuhl des
Vorsitzenden, noch trug er die für sein Amt charakteristischen Gewänder; und
Paulus kannte ihn nicht persönlich. Er könnte daher beabsichtigt haben,
anzuerkennen, dass sein Verhalten, soweit es die Schmähung betraf, nicht mit 2.
Mose 22,28 übereinstimmte. Luther glaubt mit Augustinus, dass die Antwort des
Paulus beißende Ironie und Spott war.[88]
Es ist vollkommen richtig und vertretbar, wenn Christen die Sünden der
Regierung kritisieren und tadeln, aber dies muss immer mit dem nötigen Respekt
geschehen.
Eine Spaltung unter den Mitgliedern des
Sanhedrin (V. 6-9): Paulus war zu der Versammlung gekommen, in der
Hoffnung, dass es eine echte Anhörung geben würde. Er hatte sich um eine ruhige
Verteidigung bemüht, die durch die ungerechtfertigte Einmischung des
Hohenpriesters unsanft unterbrochen worden war. Da in Gegenwart solch
voreingenommener Fanatiker weder eine faire Untersuchung noch eine gerechte
Entscheidung zu erwarten war, wählte er nun eine andere Methode. Da er wusste,
dass ein Teil des Sanhedrins, der kleinere Teil, aus Sadduzäern und der andere
aus Pharisäern bestand, rief er vor allen aus, dass er ein Pharisäer und ein
Sohn oder Schüler der Pharisäer sei. Diese Aussage war kein kleiner Trick oder
eine böswillige Täuschung, wie manche dachten. Jeder in der Versammlung wusste,
dass er ein Christ war; seine Behauptung wurde daher von ihnen so verstanden,
wie sie von uns verstanden werden sollte, dass er ein Mitglied dieser Sekte
gewesen war und noch immer mit ihnen, wie viele andere frühere Pharisäer, in
bestimmten Lehren übereinstimmte. Über eine dieser Lehren wurde er nun
angeklagt, nämlich über die Hoffnung und die Realität der Auferstehung der
Toten. Dies war buchstäblich wahr und kann nicht als Ausrede betrachtet werden;
denn die grundlegende Lehre des von Paulus gepredigten Evangeliums war die
Tatsache, dass Christus von den Toten auferstanden war und dass aufgrund seiner
Auferstehung alle Gläubigen ihrer eigenen Auferstehung zum ewigen Leben sicher
waren. Kaum hatte Paulus dies gesagt, kam es zu einer Kontroverse, einer
Meinungsverschiedenheit, einem Streit zwischen den Pharisäern und den
Sadduzäern. Zuvor war die Gesamtheit des Sanhedrins, die ganze Masse, gegen
Paulus vereint gewesen, aber jetzt waren sie in zwei Parteien gespalten, in die
beiden Fraktionen, die wegen ihrer unterschiedlichen Lehrmeinungen gewöhnlich
miteinander verfeindet waren. Denn, wie Lukas hier erklärend einfügt, pflegten
die Sadduzäer zu sagen, dass es keine Auferstehung, keinen Engel und keinen
Geist gibt. Ihre Position war die der Verneinung, der Leugnung. Die Pharisäer
aber bekannten sich zur Auferstehung der Toten und zur Existenz von Geistern
und glaubten daran. Der Aufruhr in dieser Angelegenheit nahm von Minute zu
Minute zu und wurde schließlich heftig. In den Debatten der Juden war es
üblich, auf die Seite desjenigen überzuwechseln, dessen Sache man vertrat, und
so ganz nebenbei seine Stimme abzugeben. Und so stellten sich hier einige der
Schriftgelehrten unter den Pharisäern offen auf die Seite des Paulus, gingen hinüber
und stellten sich neben ihn und stritten mit Nachdruck und argumentierten sehr
vehement für ihn. Sie behaupteten, sie fänden nichts Böses an dem Angeklagten,
und was wäre, wenn ein Geist mit ihm geredet hätte oder ein Engel, wie er am
Vortag erklärt hatte? -das sei kein Grund, den Mann zu verurteilen. Damit
befanden sich die jüdischen Oberhäupter in einer schlimmeren Lage als je zuvor.
Der Befehlshaber hatte die Versammlung einberufen, um die Juden dazu zu
bringen, einen Grund zu nennen, warum sie den Tod des Paulus gefordert hatten,
und hier saßen sie nun, nicht nur ohne jede Anklage, die in den Augen der Römer
Gewicht gehabt hätte, sondern tatsächlich in eine bittere Kontroverse
untereinander verwickelt. So hat die Uneinigkeit der Ungläubigen oft zur
Freiheit oder zu einem anderen Nutzen der Gläubigen beigetragen. Das ist einer
der Wege, auf denen Gott seine Kirche inmitten dieser bösen Welt bewahrt und
schützt, dass er inmitten ihrer Feinde Zwietracht sät.
Paulus wird vom HERRN gestärkt (V.
10-11): Als der Aufruhr der Juden über Paulus mit jeder Minute größer und
heftiger wurde, wurde der Chiliarch, der die Szene
mehr als interessierter Zuschauer denn als aktiver Teilnehmer verfolgte,
beunruhigt und begann zu fürchten, dass Paulus tatsächlich von ihnen in Stücke
gerissen werden würde. Diejenigen, die sich an seiner Seite befanden, hielten
ihn fest, um ihn zu schützen, andere legten gewaltsam die Hände an ihn, um ihn
fortzureißen, und so wurde er hin und her geschleift. Da gab Lysias durch einen Befehlshaber den Befehl, dass die stets
bereitstehende Schar von Soldaten von der Ebene der Antonia aus in den
Tempelbereich hinuntermarschieren und den Gefangenen aus ihrer Mitte
herausreißen sollte, um ihn dann in die Kaserne zu führen. So wurde Lysias bei seinen Versuchen, die Fakten im Fall des Paulus
herauszufinden, einmal mehr enttäuscht; aber er muss wohl zu dem Schluss
gekommen sein, dass die Juden keine Anklage politischer Natur gegen ihn hatten,
die sie formulieren konnten oder wollten. Doch an diesem Punkt kam der Herr
seinem Diener zu Hilfe. In der Nacht nach der Anklage vor dem Sanhedrin stand
der Herr selbst in einer Vision neben oder über ihm, während er schlief, und
beruhigte ihn, indem er ihm sagte, dass er, so wie er in Jerusalem ein
zuversichtliches Zeugnis über die ihn betreffenden Tatsachen abgelegt und das
Evangelium seiner Gnade offen und furchtlos gepredigt hatte, es für ihn
notwendig sein würde, nach Gottes Willen auch in Rom Zeugnis abzulegen. Paulus
hatte vor, Rom bei der ersten Gelegenheit zu besuchen; er hatte den Christen in
Rom einen Brief geschrieben, der eine ausführliche Darlegung der christlichen
Lehre enthielt; und er würde die Stadt noch sehen, wenn auch wahrscheinlich
nicht so, wie er es geplant hatte. Die Geschicke der Kirche liegen in den
Händen des erhabenen Christus. Er ist es, der seinen treuen Bekennern auf Erden
zu allen Zeiten nahe ist, der sie stärkt und bestätigt und den Lauf des
Evangeliums nach seinem Willen lenkt.
Der Komplott der
Juden gegen Paulus
(23,12-22)
12
Da es aber Tag wurde, rotteten sich etliche Juden zusammen und verschworen
sich, weder zu essen noch zu trinken, bis dass sie Paulus getötet hätten. 13
Ihrer aber waren mehr denn vierzig, die solchen Bund machten. 14 Die traten zu
den Hohenpriestern und Ältesten und sprachen: Wir haben uns hart verschworen,
nichts zu essen, bis wir Paulus getötet haben. 15 So tut nun kund dem
Oberhauptmann und dem Rat, dass er ihn morgen zu euch führe, als wolltet ihr
ihn besser verhören; wir aber sind bereit, ihn zu töten, ehe denn er vor euch
kommt.
16
Da aber des Paulus Schwestersohn den Anschlag hörte, ging er hin und kam in das
Lager und verkündigte es Paulus. 17 Paulus aber rief zu sich einen von den
Unterhauptleuten und sprach: Diesen Jüngling führe hin zu dem Oberhauptmann;
denn er hat ihm etwas zu sagen. 18 Der nahm ihn an und führte ihn zum
Oberhauptmann und sprach: Der gebundene Paulus rief mich zu sich und bat mich,
diesen Jüngling zu dir zu führen, der dir etwas zu sagen habe. 19 Da nahm ihn
der Oberhauptmann bei der Hand und wich an einen besonderen Ort und fragte ihn:
Was ist’s, das du mir zu sagen hast? 20 Er aber sprach: Die Juden sind eins
worden, dich zu bitten, dass du morgen Paulus vor den Rat bringen lässt, als
wollten sie ihn besser verhören. 21 Du aber traue ihnen nicht; denn es halten
auf ihn mehr denn vierzig Männer unter ihnen, die haben sich verschworen, weder
zu essen noch zu trinken, bis sie Paulus töten; und sind jetzt bereit und
warten auf deine Verheißung. 22 Da ließ der Oberhauptmann den jungen Mann von
sich und gebot ihm, dass er niemand sagte, dass er ihm solches eröffnet hätte.
Der mörderische Plan der Juden (V.
12-15): Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, was in der Versammlung der
Juden geschah, nachdem Paulus von den römischen Soldaten entrissen worden war,
wie sie sich gegenseitig für ihre Dummheit tadelten und verfluchten, ihr
geplantes Opfer entkommen zu lassen, wie sie schworen, einen Weg zu finden, den
verhassten Prediger Christi bei der ersten Gelegenheit zu beseitigen. Und diese
Gelegenheit bot sich offenbar bald. Denn am folgenden Tag schmiedeten die
Juden, von denen einige besonders heftig ihren Hass gegen Paulus zum Ausdruck
brachten, eine Verschwörung, indem sie sich feierlich mit einem Fluchschwur aneinander banden und sich selbst unter ein
Anathema stellten, das sie den schrecklichsten Strafen Gottes unterwarf, falls
sie essen oder trinken würden, bevor sie Paulus getötet hätten. Diese etwa
vierzig Juden, die sich auf diese Weise eines fast unglaublichen blasphemischen
Gebrauchs des Namens Gottes schuldig machten, gehörten höchstwahrscheinlich zu
jener Klasse wilder Eiferer, die als Meuchelmörder bekannt sind und im
Interesse dessen, was sie für die wahre Orthodoxie hielten, vor keinem
Verbrechen zurückschreckten. Offensichtlich waren sie sich ihrer Sache ziemlich
sicher, denn sie zögerten nicht, zu den Hohenpriestern und den Ältesten zu
gehen und ihnen ihren Plan zu unterbreiten, vielleicht nicht offiziell, aber in
der vollen Erwartung inoffizieller Anerkennung und Zustimmung. Sie sagten ihnen
freimütig, dass sie sich durch einen großen Fluch verpflichtet hätten, keine
Nahrung zu sich zu nehmen, bis sie Paulus getötet hätten. Aber sie brauchten
die Mitarbeit der Hohenpriester bei der Ausführung ihres mörderischen Plans,
und ihr Vorschlag lautete kurz gesagt, dass die jüdischen Führer dem römischen
Tribun mitteilen sollten, dass sie die Absicht hätten, mit dem gesamten
Synedrium eine genauere Untersuchung des Falles Paulus vorzunehmen, als ob sie
seine Sache genauer beurteilen wollten. Aus diesem Grund sollte der Tribun den
Gefangenen zu ihnen hinunterführen. Und die Mörder waren bereit, ja sie waren
sogar darauf vorbereitet, Paulus unterwegs zu ermorden, bevor er überhaupt in
die Nähe des Versammlungsortes kommen würde, damit die Mitglieder des
Sanhedrins nicht in den Verdacht gerieten, an dem Verbrechen beteiligt zu sein.
Es war wahrlich ein teuflischer Plan, der offenbar zum Erfolg führen sollte. So
wird der Hass der Welt gegen die Bekenner Christi bis heute nicht zögern, zu
extremen Mitteln, zu lästerlichen Schwüren, Verschwörungen und Morden zu
greifen, um den Lauf des Evangeliums zu behindern.
Das Komplott wird offenbart (V.
16-22): Wir haben hier den ersten und einzigen direkten Hinweis auf die
Familie, zu der Paulus gehörte, denn der Sohn seiner Schwester, sein Neffe,
wird in die Geschichte eingeführt. Ob die Schwester des Paulus in Jerusalem
lebte, oder ob der junge Mann zum Pfingstfest heraufgekommen war, lässt sich
nicht feststellen. Auf irgendeine Weise erfuhr dieser junge Mann von dem
Komplott, erhielt die volle Information über den Plan der Juden, ihren
Hinterhalt. Seine Eile ist aus dem Text ersichtlich, denn er tauchte plötzlich
in Antonia auf, stieß zu ihnen und ging in die Kaserne. Offensichtlich durften
die Freunde des Paulus ihn besuchen, und deshalb hatte niemand etwas dagegen,
dass der junge Mann zu ihm ging. So erzählte er Paulus die ganze Geschichte.
Paulus erkannte sofort, dass das Komplott nur durch äußerste Geheimhaltung
vereitelt werden konnte, dass ein Mangel an Vorsicht eine ernste Krise auslösen
könnte. So rief er einen der Hauptleute zu sich und bat ihn, den jungen Mann
zum Feldherrn zu führen, da er ihm etwas mitzuteilen habe, eine Neuigkeit, die
er ihm mitteilen müsse. Der Zenturio ließ sich von dem jungen Mann zum
Chiliarchen begleiten, wo er ihn mit der Bemerkung vorstellte, Paulus, der
Gefangene, habe ihn gerufen und ihn gebeten, diesen jungen Mann zu ihm zu
führen, da er ihm etwas zu sagen habe. Der Chiliarch
spürte sofort, dass etwas Ungewöhnliches in der Luft liegen musste, und so nahm
er mit feinem Takt und einer beruhigenden Geste den jungen Mann bei der Hand, führte
ihn zur Seite und fragte ihn: Was ist die Neuigkeit, die Sie für mich haben?
Diese Behandlung gab dem Informanten das nötige Vertrauen, und er erzählte
schnell seine Geschichte und fügte solche Nuancen hinzu, die sein tiefes
Interesse verrieten. Die Juden hatten sich zusammengesetzt und den Plan
gefasst, den Kommandanten der Garnison zu bitten, Paulus ins Synedrion zu
bringen, als wolle er seinen Fall genauer untersuchen, sorgfältiger prüfen als
am Vortag. Und hier überkommt den Erzähler die Aufregung, und er bittet den
Chiliarchen eindringlich, ihnen nicht zu trauen, denn mehr als vierzig der
Juden lauerten im Hinterhalt, die sich alle mit einem furchtbaren Fluch
verpflichtet hatten, weder zu essen noch zu trinken, bis sie Paulus aus dem Weg
geräumt hätten, bis sie ihn getötet hätten. Und selbst jetzt waren sie bereit
und warteten nur noch auf die Zusage des römischen Tribuns. Das würde ihr
Signal sein, sich auf den mörderischen Angriff vorzubereiten. Auf diese Weise
hat der Herr die bösen Pläne der Feinde der Kirche und seiner Diener vereitelt,
und so tut er es auch jetzt. Ohne seine Erlaubnis darf kein einziges Haar von
ihrem Haupt zu Boden fallen. Mit einer Warnung vor der Notwendigkeit strengster
Geheimhaltung entließ Lysias den jungen Mann.
Paulus wird nach
Cäsarea gebracht
(23,23-35)
23
Und rief zu sich zwei Unterhauptleute und sprach: Rüstet zweihundert
Kriegsknechte, dass sie nach Cäsarea ziehen, und siebzig Reiter und zweihundert
Schützen auf die dritte Stunde der Nacht. 24 Und die Tiere richtet zu, dass sie
Paulus draufsetzen und bringen ihn bewahrt zu Felix, dem Landpfleger. 25 Und
schrieb einen Brief, der lautete so: 26 Claudius Lysias
dem teuren Landpfleger Felix Freude zuvor! 27 Diesen Mann hatten die Juden
gegriffen und wollten ihn getötet haben. Da kam ich mit dem Kriegsvolk dazu und
riss ihn von ihnen und erfuhr, dass er ein Römer ist. 28 Da ich mich aber
wollte erkundigen der Ursache, darum sie ihn beschuldigten, führte ich ihn in
ihren Rat. 29 Da befand ich, dass er beschuldigt wurde von den Fragen ihres
Gesetzes, aber keine Anklage hatte, des Todes oder der Bande wert. 30 Und da
vor mich kam, dass etliche Juden auf ihn hielten, sandte ich ihn sogleich zu
dir und entbot den Klägern auch, dass sie vor dir sagten, was sie gegen ihn
hätten. Gehab dich wohl!
31
Die Kriegsknechte, wie ihnen befohlen war, nahmen Paulus und führten ihn bei
der Nacht nach Antipatris. 32 Am nächsten Tag aber
ließen sie die Reiter mit ihm ziehen und wandten wieder um zum Lager. 33 Da die
nach Cäsarea kamen, überantworteten sie den Brief dem Landpfleger und stellten
ihm Paulus auch dar. 34 Da der Landpfleger den Brief las, fragte er, aus
welchem Land er wäre. Und da er erkundet, dass er aus Zilizien wäre, sprach er:
35 Ich will dich verhören, wenn deine Ankläger auch da sind. Und hieß ihn
verwahren in dem Richthaus des Herodes.
Die Vorbereitung für die Reise (V.
23-30): Es ist Lysias hoch anzurechnen, dass er sich
für den Weg entschied, den ihm sowohl die Gerechtigkeit als auch die Klugheit
vorgaben. Hätte er die erhaltenen Informationen ignoriert, wäre er vielleicht
zum Komplizen bei der Ermordung des Paulus geworden. Hätte er die Attentäter
bei ihrem Anschlag getötet, hätte er sich die Juden zu seinen erbitterten
Feinden gemacht. Doch er handelte schnell und umsichtig. Er rief zwei der ihm
unterstellten Zenturien zu sich und befahl ihnen, einen Marsch nach Cäsarea
vorzubereiten und gegen neun Uhr abends zweihundert Mann Infanterie, schwer
bewaffnete Soldaten, und siebzig Reiter sowie zweihundert leicht bewaffnete
Soldaten, Speerwerfer oder Lanzenträger, marschbereit zu haben. Es sollten auch
Satteltiere zur Verfügung gestellt werden, damit sie Paulus, wenn nötig mit
einem Wechsel, auf eines von ihnen setzen und ihn sicher zu Felix, dem
Statthalter, hinunterführen konnten, der in Cäsarea, der politischen Hauptstadt
der Provinz, residierte. Da Lysias in Jerusalem nur
über tausend Mann verfügte, 760 Mann Infanterie und 240 Mann Reiterei,
reduzierte er seine Truppen beträchtlich, um Paulus sicheres Geleit geben zu
können, aber er war sich des Ernstes der Lage bewusst und ergriff entsprechende
Maßnahmen. Er schrieb auch einen Brief an den Statthalter als den ranghöheren
Mann und das höchste Gericht in der Provinz. Dieser Brief ist interessant, weil
er vom Verständnis des Lysias geprägt ist und weil er
natürlich darauf abzielt, sein eigenes Verhalten in ein möglichst günstiges
Licht zu rücken. Lukas gibt eine Zusammenfassung dieses Briefes. Er beginnt mit
dem üblichen einleitenden Gruß des Schreibers an den Adressaten. Von Paulus,
den er mit Hochachtung erwähnt, sagt Lysias, er sei
von den Juden ergriffen worden und im Begriff gewesen, von ihnen getötet zu
werden, als er mit den von ihm befehligten Soldaten scheinbar gerade noch
rechtzeitig erschien, ihn mitnahm und so rettete. Die Tatsache, dass Lysias sich hier auf das Heer bezieht, würde natürlich
bedeuten, dass alle Soldaten der Garnison nötig waren, um den Aufruhr zu
unterdrücken, und würde den Statthalter in seiner Umsicht bestärken. Dasselbe
gilt für die Aussage, er habe dies getan, nachdem er erfahren hatte, dass
Paulus ein römischer Bürger war. Auch hier verzerrt der Tribun, um seinen Eifer
im öffentlichen Dienst zu unterstreichen, die Wahrheit, denn er erfuhr erst
nach der Rettung, dass Paulus ein Römer war. Der Schreiber erzählt dann weiter,
wie er ernsthaft den Grund für die Anklage herausfinden wollte und ihn in eine
Versammlung ihres Synedrions mitgenommen hatte. Dort habe er nur so viel
erfahren, dass er wegen gewisser Forderungen des jüdischen Gesetzes angeklagt
worden sei, dass er aber kein Verbrechen begangen habe, das den Tod oder gar
eine Gefängnisstrafe verdiene. In der Zwischenzeit hatte er erfahren, dass
einige von ihnen ein Komplott gegen ihn schmiedeten, um ihn zu töten, weshalb
er unverzüglich zum Statthalter schickte (was wiederum seinen Eifer
unterstreicht) und den Anklägern nebenbei mitteilte, dass sie ihre Sache vor
den Statthalter bringen müssten. Der gesamte Brief zeigt, dass Lysias alles unternahm, um Felix positiv zu beeindrucken,
denn im großen Spiel der Politik kann man nie sagen, wie viel ein guter
Eindruck wert sein kann, und ein Aufstieg war immer willkommen. Christen werden
solche Geschichten nutzen, indem sie sich an die Aufforderung des Herrn
erinnern, klug zu sein wie die Schlangen und harmlos wie die Tauben (Matth. 10,16).
Die Reise und die Ankunft in Cäsarea (V. 31-35): Der Aufbruch von Jerusalem erfolgte bei Nacht, um so wenig wie möglich aufzufallen, und die bewaffnete Eskorte war so stark, dass sie den Angriff einer Mörderbande leicht hätte abwehren können. Auch die Tatsache, dass die Soldaten die Straße nach Norden verließen, trug dazu bei, dass sie nicht bemerkt wurden. Sie marschierten vier Meilen nach Norden, über die alte Straße, deren Pflastersteine noch an einigen Stellen zu sehen sind, und bogen dann nach Osten ab, über die Berge von Ephraim und hinunter in die schöne Ebene von Scharon, wo Antipatris lag. Dies war ein Gewaltmarsch von fast dreißig Meilen, der für Paulus eine große Belastung gewesen sein muss. Die Gefahr eines Angriffs aus Jerusalem war nun jedoch gebannt. Die vierhundert Mann Infanterie kehrten daher an dieser Stelle um und kehrten in die Kaserne im Turm von Antonia in Jerusalem zurück, während die Kavalleristen die Reise mit Paulus fortsetzten. Diese Männer kamen rechtzeitig in Cäsarea an, übergaben den Brief dem Statthalter und stellten ihm Paulus vor. Der Prokurator las den Brief und fragte Paulus, welcher Provinz er angehöre, der kaiserlichen oder der senatorischen, da er diese Information benötigte, um den Bericht des Lysias über den Fall zu vervollständigen. „Ein Prokurator von Judäa, wie Felix, war nur dem Statthalter von Syrien unterstellt, insofern dieser in Notfällen seine höchste Macht zur Geltung bringen konnte. Das militärische Kommando und die unabhängige Gerichtsbarkeit des Prokurators gaben ihm praktisch die alleinige Macht in allen gewöhnlichen Geschäften, aber der Statthalter konnte das Oberkommando übernehmen, wenn er Grund hatte, revolutionäre oder andere ernsthafte Schwierigkeiten zu befürchten.“[89] Als Felix herausgefunden hatte, dass Paulus aus Kilikien stammte und somit in den Fall eingreifen konnte, versprach er ihm eine gerichtliche Anhörung, sobald seine Ankläger sich melden würden. In der Zwischenzeit ordnete der Statthalter an, dass Paulus im Prätorium des Herodes festgehalten werden sollte, dem Palast, den Herodes Agrippa I. dort errichten ließ, Kap. 12,19, errichtet hatte, und der auch eine Wachstube enthielt, in der Paulus gefangen gehalten werden konnte. Anmerkung: Wir finden Paulus hier noch einmal unter dem Schutz der römischen Regierung. Deshalb ist die Regierung von Gott eingesetzt worden, um friedliche Bürger, also auch die Christen, vor Aufruhr und Gewalt zu schützen. Und so hält der Herr seine schützende Hand über die Seinen. Wenn er es nicht aus eigenen Gründen zulässt, kann das Toben und Wüten aller Feinde seiner Kirche keinen Schaden zufügen.
Zusammenfassung: Paulus wird vor dem römischen Tribunal in Anwesenheit des Sanhedrins angeklagt und zum Objekt einer mörderischen Verschwörung der Juden gemacht, nach deren Entlarvung er von Lysias, dem römischen Tribun in Jerusalem, zu Felix, dem Statthalter, geschickt wird.
Die Verhandlung des Paulus vor Felix (24,1-22)
1 Nach fünf
Tage zog hinab der Hohepriester Ananias mit den Ältesten und mit dem Redner Tertullus; die erschienen vor dem Landpfleger gegen Paulus.
2 Da er aber herbeigerufen wurde, fing an Tertullus
zu verklagen und sprach: 3 Dass wir in großem Frieden leben unter dir, und viel
redliche Taten diesem Volk widerfahren durch deine Vorsicht, allerteuerster
Felix, das nehmen wir an allewege und allenthalben mit aller Dankbarkeit. 4 Auf
dass ich aber dich nicht zu lange aufhalte, bitte ich dich, du wolltest uns
kurz hören nach deiner Lindigkeit.
5 Wir haben
diesen Mann gefunden schädlich, und der Aufruhr erreget allen Juden auf dem
ganzen Erdboden, und einen Vornehmsten der Sekte der Nazarener, 6 der auch
versucht hat, den Tempel zu entweihen; welchen wir auch griffen und wollten ihn
gerichtet haben nach unserem Gesetz. 7 Aber Lysias,
der Hauptmann, unterkam das und führte ihn mit großer Gewalt aus unsern Händen
8 und hieß seine Ankläger zu dir kommen, von welchem du kannst, so du es
erforschen willst, dich des alles erkundigen, um was wir ihn verklagen. 9 Die
Juden aber redeten auch dazu und sprachen, es verhielte sich also.
10 Paulus aber,
da ihm der Landpfleger winkte zu reden, antwortete: Dieweil ich weiß, dass du
in diesem Volk nun viele Jahre ein Richter bist, will ich unerschrocken mich
verantworten. 11 Denn du kannst erkennen, dass nicht mehr als zwölf Tage sind,
dass ich bin hinauf nach Jerusalem gekommen, anzubeten. 12 Auch haben sie mich
nicht gefunden im Tempel mit jemand reden oder einen Aufruhr machen im Volk
noch in den Synagogen noch in den Städten: 13 Sie können mir auch nicht beweisen,
des sie mich verklagen.
14 Das bekenne
ich aber dir; dass ich nach diesem Weg, den sie eine Sekte heißen, diene so dem
Gott meiner Väter, dass ich glaube allem, was geschrieben stehet im Gesetz und
in den Propheten. 15 Und habe die Hoffnung zu Gott, auf welche auch sie selbst
warten, nämlich dass zukünftig sei die Auferstehung der Toten, beide, der
Gerechten und Ungerechten. 16 In diesem aber übe ich mich, zu haben ein
unverletztes Gewissen allenthalben beide, gegen Gott und die Menschen.
17 Aber nach
vielen Jahren bin ich gekommen und habe ein Almosen gebracht meinem Volk und
Opfer. 18 Darüber fanden sie mich, dass ich mich reinigen ließ im Tempel ohne
allen Rumor und Getümmel. 19 Das waren aber etliche Juden aus Asien, welche
sollten hier sein vor dir und mich verklagen, so sie etwas gegen mich hätten.
20 Oder lass diese selbst sagen, ob sie etwas Unrechtes an mir gefunden haben,
dieweil ich stehe vor dem Rat, 21 außer um des einigen Worts willen, da ich
unter ihnen stand und rief: Über der Auferstehung der Toten werde ich von euch
heute angeklagt. 22 Da aber Felix solches hörte; zog er sie auf; denn er wusste
sehr wohl um diesen Weg und sprach: Wenn Lysias, der
Hauptmann, herabkommt, so will ich mich über euere Sache erkundigen.
Die Delegation der Juden aus Jerusalem
(V. 1-4): Paulus befand sich nun wieder in Cäsarea, in der Stadt, in der der
Prophet Agabus seine Gefangennahme durch die Heiden
vorausgesagt hatte, Kap. 21,11. Noch vor wenigen Wochen hatte er hier die
Gastfreundschaft des Philippus und die freundliche Gesellschaft der Jünger der
Stadt genossen, und nun war er ein Gefangener in den Händen der Römer und wurde
vorläufig im Palast des Herodes in strenger Haft gehalten. Aber nach fünf
Tagen, gerechnet von dem Tag an, an dem Paulus Jerusalem verlassen hatte, als
die Juden von Lysias eine förmliche Nachricht
erhielten, machte sich der Hohepriester Ananias mit einigen der Ältesten und
einem gewissen Redner, Tertullus, auf den Weg von
Jerusalem hinunter nach Cäsarea. Die jüdischen Führer hatten also keine Zeit
verloren und eine repräsentative Delegation aus dem Sanhedrin ausgewählt, mit
Ananias selbst an der Spitze; und sie hatten die Dienste eines römischen
Anwalts, Tertullus, in Anspruch genommen, da sie nun
vor einem regulären römischen Gericht erscheinen mussten und daher einen Anwalt
brauchten, der mit dem Verfahren eines solchen Gerichts vertraut war. Diese
Delegation erstattete durch ihren Anwalt vor dem Prokurator förmlich Anzeige
gegen Paulus, wobei sie ihre Anklage in der von der römischen Rechtspraxis
geforderten Weise darlegte. Als Paulus dann vor diese Ankläger geladen wurde,
begann Tertullus mit großem rednerischen Einsatz
seine Anklagerede gegen den Gefangenen. Es ist bezeichnend, dass der Anwalt
versucht, die Schwäche der von ihm vertretenen Sache durch eine große Menge von
Worten zu untermauern. Die Einleitung seiner Rede diente ausschließlich dazu,
dem Statthalter zu schmeicheln und sein Wohlwollen für die Juden zu gewinnen.
Der Redner lobte in überschwänglichen Worten den einheitlichen, vollkommenen
Frieden, der über sie gekommen war und den sie durch ihn genossen, und die
Verbesserungen, Reformen oder sehr würdigen Taten, die durch seine Weitsicht,
die all diese Vorteile für die Nation im Voraus geplant hatte, zum Eigentum des
Volkes geworden waren. Und all dies, wie Tertullus
mit großer Unterwürfigkeit hervorhebt, nahmen die Juden zu allen Zeiten und an
allen Orten mit der gebührenden Dankbarkeit an. Der volle Name des ehrenwerten
Felix, wie Tertullus den Statthalter, den Prokurator
von Judäa, nennt, war Antonius Felix. Er war ein Freigelassener des Kaisers
Claudius und ein Bruder des Pallas, der ein Günstling des Nero war. Er trat
sein Amt 53 n. Chr. nach der Absetzung des Cumanus
an, übte aber, wie der Geschichtsschreiber Tacitus sagt, die Macht eines Königs
im Geiste eines Sklaven aus, was später seine Abberufung zur Folge hatte. Die
erste Aussage des Tertullus, Felix habe den Frieden
in der Provinz wiederhergestellt und aufrechterhalten, war in gewissem Maße
wahr, da er einige Räuberbanden, die das Land heimgesucht hatten, unterdrückt
hatte; sie wurde jedoch durch die Tatsache entkräftet, dass er Mörder anstellte,
um den Hohepriester Jonathan zu ermorden, und dass er gewalttätigen und
egoistischen Leidenschaften unterworfen war. Der nächste Hinweis des Anwalts
auf Reformmaßnahmen muss durch die Tatsache entkräftet werden, dass die
Historiker seine Willkür schildern, die schließlich Unruhe und Rebellion
dauerhaft machte. Und die Behauptung, das jüdische Volk sei Felix immer und
überall für seine Dienste dankbar gewesen, wurde später durch die Tatsache
widerlegt, dass die Juden selbst seine Ankläger in Rom waren. Wir können den
Titel also bestenfalls als eine leere Form betrachten. Wenn Höflichkeit und
Taktgefühl in niedere Schmeicheleien und spöttische Unterwürfigkeit ausarten,
werden Wahrheit und Ehrlichkeit unweigerlich verdrängt. Dieser Eindruck wird
durch die nächsten Worte noch verstärkt. Denn Tertullus
tut nun so, als hätte er gar nicht erst begonnen, all die lobenswerten Taten
des Felix aufzuzählen, und würde, wenn es die Zeit erlaubte, gerne noch lange
so weitermachen. Aber er deutet an, dass der Statthalter mit all seinen Plänen
für weitere Reformen so beschäftigt ist, dass er ihn nicht durch eine langwierige
Aufzählung all seiner Vorzüge behindern und ermüden darf. Er wird daher der
Ansicht sein, dass genug gesagt worden ist, und bittet den Gouverneur lediglich
darum, ihnen freundlich zuzuhören und, wenn möglich, ihren Wunsch nach seiner
Gnade zu erfüllen. Er verspricht, sich kurz zu fassen. Um die höfliche
Aufmerksamkeit von Felix nicht zu strapazieren. Ein Beispiel für kriecherische,
ekelerregende Heuchelei.
Die Vorwürfe gegen Paulus (V. 5-9): Nach
dem rhetorischen Versprechen der Einleitung ist die Anklage gegen Paulus im
Gegensatz dazu umso schwächer. Tertullus erklärt,
dass die Juden diesen Mann für eine regelrechte Plage hielten, für einen
äußerst schlechten und bösen Menschen; für einen Aufwiegler aller Juden in der
ganzen Welt, in der ganzen Länge und Breite des römischen Reiches, für einen
Zerstörer allen Friedens und aller Ordnung, indem er Zank stiftete; für einen
Rädelsführer der Sekte der Nazarener, des verächtlichen Beinamens für die Anhänger
Jesu. Dieser Mann, gegen den diese Anschuldigungen erhoben wurden, hatte als
Krönung seiner Laufbahn und als Ausdruck des ihm zugeschriebenen niedrigen
Charakters versucht, den Tempel zu entweihen. Die Juden hatten ihn daraufhin
ergriffen und verhaftet, in der Absicht, wie Tertullus
behauptet, ihm einen fairen Prozess nach ihrem Gesetz zu machen. Das war
wiederum eine Übertreibung der Wahrheit, denn die Angelegenheit im Tempel war
das Ergebnis der Gewalt des Pöbels und konnte nicht anders interpretiert
werden. Aber Lysias, der Chiliarch,
war, wie der Anwalt mit einer großen Show der empörten Gerechtigkeit sagt, über
sie gekommen und hatte den Gefangenen mit großer Gewalt, mit Waffengewalt, aus
ihren Händen weggeführt und damit, wie Tertullus
andeutete, in das Gesetz eingegriffen, nach dem die Juden von den Römern die
Erlaubnis hatten, jeden zu töten, der den Tempel entweihte. Und dann hatte Lysias den Anklägern des Paulus befohlen, zum Statthalter
zu gehen, und dieser konnte nun, so schließt der Anwalt seine Rede, durch die
Untersuchung des Gefangenen zu einer Einsicht gelangen, zu einem Schluss
kommen, was die Anschuldigungen betraf, die sie gegen ihn erhoben. Seine
Entscheidung konnte, wie der Tonfall des Tertullus
andeutet, gar nicht anders ausfallen als zugunsten der Juden. Es war ein feines
Lügengespinst, das der geschickte Advokat konstruiert hatte, indem er die
Tatsachen verdrehte, Motive hinzufügte, die zur Zeit der Ausführung bestimmter
Taten nicht bestanden hatten, und Aussagen über den Charakter des Gefangenen
machte, die nichts als Verleumdungen waren. Die Juden aber schlossen sich der
Anklage an, indem sie die Worte ihres Anwalts bestätigten und fälschlicherweise
behaupteten, dass all diese Dinge wahr seien, dass es sich um Tatsachen handele.
Mit solchen Mitteln versuchen Ungläubige und Feinde Christi, die Wahrheit zu
behindern und zu zerstören.
Paulus weist die Vorwürfe zurück (V.
10-13): Paulus befand sich in dieser Angelegenheit in einer sehr unangenehmen
Lage, denn er sah sich plötzlich durch die winkende Hand des Statthalters mit
der Notwendigkeit konfrontiert, sich vor einer sehr schwerwiegenden Anklage zu
verantworten, von denen einige in der Tat schwerwiegend genug waren, um, wenn
sie aufrechterhalten würden, eine schwere Strafe, wenn nicht sogar den Tod zur
Folge zu haben. Aber er verließ sich auf die Verheißung des Herrn, der ihm Mund
und Weisheit gab, Luk. 21,16. Seine Antwort ist auffallend frei von der
kriecherischen Schmeichelei, die das herausragende Merkmal der Rede des Tertullus gewesen war. Er stützte sich auf die Tatsache,
von der er wusste, dass sie wahr war, dass Felix viele Jahre lang Richter
dieses Volkes gewesen war, dass er eine Zeit lang die höchste richterliche
Autorität im Lande gewesen war und so eine persönliche Kenntnis der
öffentlichen Angelegenheiten und einen gewissen Einblick in die religiösen
Bräuche der Juden erworben hatte. Felix war nun etwa sechs oder sieben Jahre
lang Prokurator von Judäa gewesen, eine vergleichsweise lange Zeitspanne für
Statthalterschaften in diesem Land, und er war zwangsläufig in ständigem
Kontakt mit dem jüdischen Leben und den jüdischen Sitten gewesen. Diese
Tatsache gab Paulus den nötigen Mut, seine Verteidigung mit aller Offenheit und
Zuversicht vorzutragen. Als erstes erklärte Paulus, da Felix sich dadurch ein
genaues Bild von der Lage machen konnte, dass er erst vor zwölf Tagen nach
Jerusalem hinaufgegangen war, um dort zu beten. Diese Aussage lässt sich, wie
eine Reihe von Historikern gezeigt hat, leicht auf verschiedene Weise
begründen, wobei die genaue Abfolge der Ereignisse keine Rolle spielt. Zwei
Tatsachen stechen in diesem Satz hervor, nämlich dass der ausdrückliche Zweck
des Paulus, nach Jerusalem zu gehen, darin bestand, anzubeten, und dass die
Kürze der Zeit es ihm unmöglich erlaubt hätte, einen Aufstand anzuzetteln. Und
deshalb weist er die Anschuldigungen, die von den Juden durch ihren Anwalt
erhoben worden waren, entschieden zurück. Sie hatten ihn mit niemandem
streitend, diskutierend, zankend angetroffen; sie trafen ihn nicht bei der
Aufwiegelung des Volkes an, weder in den Synagogen noch in irgendeinem Teil der
Stadt. Sie konnten dem Statthalter keine Beweise für eine der Anschuldigungen
vorlegen, die sie jetzt gegen ihn erhoben. Paulus' schlichte Behauptung der
Wahrheit war nicht nur ein allgemeines Dementi der Anschuldigung, dass er ein
Aufwiegler unter den Juden in allen Teilen des Reiches gewesen sei, sondern
forderte nebenbei die Gegner auf, Beweise für ihre Anschuldigungen zu
erbringen. Auf diese Weise hatte Paulus die einleitenden Anschuldigungen des Tertidlus in einer Form von selbstverständlicher
Wahrhaftigkeit entsorgt, die einen tiefen Eindruck hinterlassen musste. Wenn
die Christen in unseren Tagen dieselben Methoden anwenden, werden sie ihrer
Sache in der Regel besser dienen als durch kauernde Angst und falsche
Unterwerfung.
Der Vorwurf, ein Nazarener zu sein
(V. 14-16): Paulus greift hier die nächste Anklage auf, nämlich die, ein
Rädelsführer der Nazarener zu sein. Ohne sich auf den ihm verliehenen Titel zu
berufen, bekennt er stolz die Wahrheit dieses Vorwurfs, wenn das ein Verbrechen
ist, wobei er nebenbei aber auch die Juden selbst zurechtweist. Nach dem Weg,
den sie gerne als Sekte, als schismatische Partei bezeichneten, diente er dem
Gott der Väter. Der Gedanke, der den Worten des Paulus zugrunde lag, war, dass
das Christentum keine Abspaltung, sondern vielmehr eine Erfüllung der jüdischen
Religion und des jüdischen Glaubens ist. Zwischen der alttestamentlichen und
der neutestamentlichen Religion gibt es keinen Unterschied in der Art, sondern
nur im Ausmaß; die jüdischen Patriarchen wurden durch ihren Glauben an den kommenden
Messias gerettet, während die Christen durch ihren Glauben an den Christus
gerettet werden, der gekommen ist und die wichtigsten Prophezeiungen des Alten
erfüllt hat. Nur Paulus wusste, dass sich die messianischen Hoffnungen in Jesus
von Nazareth verwirklicht hatten, während seine Ankläger noch im Dunkel und in
der Blindheit einer Hoffnung herumtappten, die sich niemals erfüllen würde. Und
er hegte dieselbe Hoffnung gegenüber Gott, die auch diese Männer akzeptierten,
nämlich dass eine Auferstehung der Gerechten wie der Ungerechten sicher
stattfinden würde. Man beachte, dass Paulus hier keinen Unterschied zwischen
dem Hohepriester, einem Sadduzäer, und den Vertretern des Sanhedrins, die
Pharisäer waren, macht, sondern sie einfach als Juden betrachtet, die die
Hoffnung ihres gesamten Volkes hegten. Aus diesem Grund übte sich Paulus in
dieser Überzeugung und bemühte sich ernsthaft, wie sie, ein reines Gewissen
gegenüber Gott und allen Menschen überall zu haben. Die stärkste Triebfeder und
treibende Kraft eines Christen ist sein Glaube an das Wort Gottes und seine
Hoffnung auf die Auferstehung der Toten. Anmerkung: Die Verteidigung des
Paulus, vor allem in diesem Abschnitt, ist eine schöne Apologie des
Christentums und des christlichen Glaubens. So werden die Gegner des wahren
Glaubens zum Schweigen gebracht, wenn sie ihre Behauptungen gegen die Christen
nicht beweisen können und wenn darüber hinaus der Glaube und das Leben der
Christen wahrheitsgemäß zu ihrer Verteidigung angeführt werden können. Die Christen
bilden keine neue Sekte; ihre Religion ist die wahre Religion, wie sie von
Anfang an in der Welt war; sie glauben an das Wort Gottes und haben die
Hoffnung auf die Auferstehung des Leibes und auf das ewige Leben.
Der Schluss der Verteidigungsrede des
Paulus (V. 17-22): Nachdem Paulus die Anschuldigungen der Juden ausgeräumt
und ihre völlige Unhaltbarkeit aufgezeigt hat, dreht er nun den Spieß um und
erwähnt einige Überlegungen, die sie in ein sehr ungünstiges Licht rücken. Er
nennt den Zweck der jetzigen Reise. Nach einer Reihe von Jahren, etwa acht oder
neun Jahren, war er heraufgekommen, um seinem Volk Almosen zu bringen, die
Sammlung, die in den Gemeinden Mazedoniens, Achaias und Asiens durchgeführt
worden war, und um Opfer darzubringen, die üblichen Festopfer oder auch die
Opfer für die nasiräischen Judenchristen. Bei der
Erfüllung dieser religiösen Pflichten, nachdem er im Tempel gereinigt worden
war, hatten ihn einige Juden aus Asien angetroffen, aber nicht mit einer
Menschenmenge, die er vielleicht zu einem Aufruhr aufstacheln wollte, und auch
nicht mit einem Tumult, der aus irgendwelchen Intrigen von ihm resultieren
konnte. Diese Juden waren es, die ihn zuerst ergriffen hatten (eine delikate
Korrektur der Aussage von V. 6), und ihre Aufgabe wäre es gewesen, bei diesem
Prozess anwesend zu sein und Anklage zu erheben, wenn die Worte des Lysias befolgt worden wären. Es war eine sehr bedeutsame
Tatsache, wie Paulus andeutet, dass die einzigen persönlichen Zeugen dessen,
was er im Tempel getan hatte, nicht anwesend waren, um gegen ihn auszusagen.
Und zu diesem bezeichnenden Schuss fügt Paulus eine weitere halbsarkastische
Bemerkung hinzu. Er fordert genau diese hier anwesenden Männer auf, zu sagen,
was sie an ihm auszusetzen hatten, als er vor dem Synedrium bei der Anhörung
des Lysias stand, es sei denn, es handelte sich um
die eine Äußerung, als er, als er dort stand, rief, dass er wegen der
Auferstehung der Toten heute vor ihnen vor Gericht stehe. Das war ein äußerst
wirksamer Hohn, denn es würde Felix zeigen, dass sie durch Parteieneid gegen
ihn aufgebracht waren, dass der ganze Streit um eine Sache ging, in der die
Juden selbst uneins waren. Alles in allem war die Verteidigung des Paulus eine
glänzende Rechtfertigung seiner Person und seiner Sache, die das Lügengebäude,
das Tertullus aufgebaut hatte, völlig umstürzte. Und
Felix konnte nicht anders, als dies zu spüren. Aber er handelte auf eine
charakteristische Weise. Er vertröstete die Juden und vertröstete Paulus auf
eine weitere Verhandlung, als ob es nicht möglich wäre, vor einer weiteren
Untersuchung der Angelegenheit sofort ein Urteil über Freispruch oder
Verurteilung zu fällen. Felix hatte eine genauere und detailliertere Kenntnis
des Weges, der christlichen Religion, da er all die Jahre nicht blind gewesen
war und es in Cäsarea eine christliche Gemeinde gab. Er wusste, dass die
Christen harmlose, unschuldige Menschen waren. Andererseits verbieten ihm
politische Gründe, offen die Rolle des Paulus zu übernehmen und damit die
Feindschaft der Juden zu provozieren. So begründete er sein Vorgehen damit,
dass er abwarten müsse, bis Lysias, der Chiliarch, herabkomme, der dann aufgrund der Zeugenaussagen
aller Seiten eine Entscheidung treffen könne. Anmerkung: Felix ist hier, wie
Pontius Pilatus, ein Beispiel für einen ungerechten Richter, der zwar grobe
Gewalt verhindert, aber gleichzeitig um die Gunst des Volkes wirbt und die
Rechte der Gläubigen beschneidet.
Paulus
wird als Gefangener zurückbehalten
(24,23-27)
23 Er befahl
aber dem Unterhauptmann, Paulus zu behalten und lassen Ruhe haben, und niemand
von den Seinen wehren, ihm zu dienen oder zu ihm zu
kommen. 24 Nach etlichen Tagen aber kam Felix mit seiner Frau Drusilla, die eine Jüdin war, und forderte Paulus und hörte
ihn von dem Glauben an Christum. 25 Da aber Paulus redete von der Gerechtigkeit
und von der Keuschheit und von dem zukünftigen Gericht, erschrak Felix und
antwortete: Gehe hin auf diesmal; wenn ich gelegene Zeit habe, will ich dich
lassen rufen. 26 Er hoffte aber daneben, dass ihm von Paulus sollte Geld
gegeben werden, dass er ihn losgäbe; darum er ihn auch oft fordern ließ und
besprach sich mit ihm. 27 Da aber zwei Jahre um waren, kam Portius Festus an des Felix Statt. Felix
aber wollte den Juden eine Wohltat erzeigen und ließ Paulus zurück als
Gefangenen.
Das Verfahren gegen Paulus war auf unbestimmte Zeit fortgesetzt worden; er wurde nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit und der Politik von Felix in Haft gehalten. Aber der Prokurator hatte wenigstens noch genug Menschlichkeit übrig, um die Haft des Paulus so leicht wie möglich zu machen. Er erteilte einem bestimmten Zenturio den ausdrücklichen Befehl, ihn in Gewahrsam zu halten, und übertrug ihm damit die Verantwortung für seine Verwahrung. Gleichzeitig sollte ihm aber Nachsicht gewährt und eine gewisse Bewegungsfreiheit zugestanden werden, und niemand von seinen eigenen Leuten, den Mitgliedern der örtlichen christlichen Gemeinde und anderen, sollte daran gehindert werden, ihm zu dienen. Jede Art von persönlichem Dienst, auch in kleinen Angelegenheiten, war erlaubt, wobei die Nachsicht so weit reichte, wie es der Hauptmann für sicher hielt. Einige Zeit später kam Felix mit seiner Frau Drusilla, einer Jüdin, die wahrscheinlich gerade von einem Besuch in der Stadt zurückgekehrt war, und schickte nach Paulus. Es handelte sich nicht um eine formelle Anhörung, sondern um ein privates Gespräch, wahrscheinlich weil Drusilla schon so oft von der christlichen Religion gehört hatte und diesen großen Lehrer dieser Sekte etwas über den Glauben an Christus erzählen hören wollte. Diese Drusilla war die jüngste Tochter von Herodes Agrippa I. und war im Alter von vierzehn Jahren mit Azizus, dem König von Emesa, verheiratet worden. Felix lernte sie kennen, war von ihrer bezaubernden Schönheit angetan und verführte sie mit Hilfe eines jüdischen Zauberers namens Simon von Zypern von ihrem Ehemann, mit dem sie nach dem Bericht des Josephus ein sehr unglückliches Leben geführt hatte. So war sie nun zwar nach römischem Recht mit Felix verheiratet, aber nach dem Gesetz Gottes lebte sie mit ihm in einer ehebrecherischen Verbindung. Wo das Wort Gottes nicht regiert, wird jeder Form von Sünde und Schande freien Lauf gelassen, wie es die Begierde des Fleisches gebietet. Paulus kam der Aufforderung bereitwillig nach und stellte gemäß dem Befehl des Herrn zunächst die Sünde und ihre Verurteilung bloß. Er sprach von der Gerechtigkeit, von der absoluten Notwendigkeit der Reinheit vor Gott, von der Sündlosigkeit vor seinem Gericht; er sprach von der Mäßigung, von der Selbstbeherrschung, von der Notwendigkeit, die Lüste und Begierden des Fleisches unter der richtigen Kontrolle zu halten; er sprach von dem zukünftigen Gericht, wenn alle diese Dinge vor den Augen des allwissenden Gottes offenbart werden würden. „Er sprach von der Gerechtigkeit zu einem Richter, von der Enthaltsamkeit zu einem Präfekten, dessen Leichtsinn und Zügellosigkeit ihn berüchtigt gemacht hatten, und von dem künftigen Gericht zu einem Mann, der es nötig hatte, an seine künftige Rechenschaft erinnert zu werden.“ Das Ergebnis war, dass Felix von Angst erfüllt war. „Als er auf die befleckte und schuldige Vergangenheit zurückblickte, hatte er Angst. Er war ein Sklave in der niederträchtigsten aller Stellungen gewesen, in der niederträchtigsten aller Epochen, in der niederträchtigsten aller Städte. Er hatte sich mit seinem Bruder Pallas in die Position eines Höflings am moralisch verkommensten aller Höfe geschlichen. Er war ein Offizier jener Hilfstruppen gewesen, die die schlimmsten aller Truppen waren. Welche Geheimnisse der Wollust und des Blutes in seinem früheren Leben verborgen lagen, wissen wir nicht; aber reichliche und unbestreitbare Zeugnisse, jüdische und heidnische, heilige und weltliche, enthüllen uns, was er gewesen war - wie gierig, wie wild, wie verräterisch, wie ungerecht, wie durchtränkt vom Blut privater Morde und öffentlicher Massaker während der acht Jahre, die er nun in der Regierung zuerst von Samaria, dann von Palästina verbracht hatte. Hinter ihm waren Schritte zu hören; er hatte das Gefühl, als sei ‚die Erde aus Glas‘.“[90]) Und es ist zweifelhaft, ob sich Drusilla während der Ansprache des Paulus wohler fühlte als ihr „Mann“. Felix hatte genug; er sagte Paulus, er könne für den Moment gehen; zu einem geeigneten Zeitpunkt würde er ihn wieder rufen. Aber diese günstige Zeit kam offenbar nie. Das ist bis heute eine beliebte Redewendung von Sündern in hohen und niedrigen Positionen: Irgendwann, nachdem sie alle Lüste der Welt gründlich genossen haben, werden sie ihr Leben ändern. Und in der Zwischenzeit ergreift die Sünde so vollständig Besitz von ihren Herzen, dass sie ihre Fesseln nicht abschütteln können; der günstige Augenblick kommt nie, und sie sind verloren. Wie wenig das Herz von Felix durch die ernsten Worte des Paulus berührt worden war, zeigt die Tatsache, dass er hoffte, von Paulus etwas Bestechungsgeld zu bekommen. Entweder hatten sich die Lebensumstände des Paulus seit dem wahrscheinlichen Tod seines Vaters gebessert, oder der Prokurator glaubte, die Christen würden bereitwillig genug Geld für ihren führenden Lehrer sammeln, um ihn von der Schande der Gefangenschaft zu befreien. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ließ er Paulus häufig zu sich kommen und unterhielt sich mit ihm, wobei er wahrscheinlich ab und zu einen Hinweis auf eine Methode gab, mit der er seine Freilassung bald erreichen könnte. Aber Paulus weigerte sich, sich an einem Verbrechen zu beteiligen, und war taub für alle Andeutungen und Vorschläge, ob offen oder versteckt. Auf diese Weise vergingen bald zwei Jahre, bis Felix um 59 n. Chr. von Nero abberufen wurde; sein Nachfolger wurde Porcius Festus. Und die allerletzte Handlung von Felix war eine Ungerechtigkeit gegenüber Paulus, denn da er sich bei den Juden für den Fall einer Rückkehr in sein Amt beliebt machen wollte, ließ er Paulus in Cäsarea in Haft. Überall, wo es im öffentlichen oder privaten Leben skrupellose Beamte gibt, findet man sie als Zeitdiener, die immer bereit sind, sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen und ihr eigenes Verhalten in ein möglichst günstiges Licht zu rücken. Dass dabei auch Unschuldige zu Schaden kommen können, spielt für sie offenbar keine Rolle. Aber die Regierung des erhabenen Christus geht trotz all dieser erbärmlichen Täuschungen und Tricks weiter.
Zusammenfassung: Paulus verteidigt sich gegen die Anklagen der Juden, die durch ihren Anwalt Tertullus vor Felix vorgetragen wurden, und sein Verfahren wird auf unbestimmte Zeit fortgesetzt, er bleibt in Haft, auch wenn Felix zurückgerufen wird.
Paulus beruft sich auf den Kaiser (25,1-12)
1 Als nun Festus ins Land gekommen war, zog er über drei Tage hinauf
von Cäsarea nach Jerusalem. 2 Da erschienen vor ihm die Hohenpriester und die
Vornehmsten der Juden gegen Paulus und ermahnten ihn 3 und baten um Gunst gegen
ihn, dass er ihn fordern ließe nach Jerusalem, und stellten ihm nach, dass sie
ihn unterwegs umbrächten. 4 Da antwortete Festus,
Paulus würde ja behalten zu Cäsarea; aber er würde in kurzem wieder
dahinziehen. 5 Welche nun unter euch (sprach er) können, die lasst mit
hinabziehen und den Mann anklagen, so etwas an ihm ist.
6 Da er aber
bei ihnen mehr als zehn Tage gewesen war, zog er hinab nach Cäsarea; und am
nächsten Tag setzte er sich auf den Richterstuhl und hieß Paulus holen. 7 Da
dieser aber vor ihn kam, traten umher die Juden, die von Jerusalem
herabgekommen waren, und brachten auf viel und schwere Klagen gegen Paulus,
welche sie nicht beweisen konnten, 8 dieweil er sich verantwortete: Ich habe
weder an der Juden Gesetz noch an dem Tempel noch an dem Kaiser mich
versündigt.
9 Festus aber wollte den
Juden eine Gunst erzeigen und antwortete Paulus und sprach: Willst du hinauf
nach Jerusalem und dort über diesem dich vor mir richten lassen? 10 Paulus aber
sprach: Ich stehe vor des Kaisers Gericht, da soll ich mich lassen richten; den
Juden habe ich kein Leid getan, wie auch du aufs
Beste weißt. 11 Habe ich aber jemand Leid getan und
des Todes wert gehandelt, so weigere ich mich nicht
zu sterben; ist aber der keines vorhanden, des sie mich verklagen, so kann mich
ihnen niemand ergeben. Ich berufe mich auf den Kaiser. 12 Da besprach sich Festus mit dem Rat und antwortete: Auf den Kaiser hast du
dich berufen, zum Kaiser sollst du ziehen.
Die Anhörung vor Festus
wird bewerkstelligt (V. 1-5): Porcius Festus, der neue Prokurator von Judäa, wird von Josephus
lobend erwähnt, weil es ihm gelang, die Räuberbanden zu vertreiben und viele
der Mörder, die das Land heimsuchten, zu töten. Er trat im Jahr 60 n. Chr. sein
Amt als Statthalter in der Provinz an, landete in Cäsarea und nahm die Verwaltungsgebäude
in Besitz. Doch schon bald, nach drei Tagen, reiste er von Cäsarea nach
Jerusalem, das noch immer die Hauptstadt der jüdischen Nation war. Offensichtlich
hatten die jüdischen Führer ihren Hass auf Paulus während seiner langen
Gefangenschaft nicht vergessen; wenn überhaupt, waren sie rachsüchtiger als je
zuvor, da ihre Pläne keinen Erfolg gehabt hatten. Denn sie nutzten die
Gelegenheit, Festus über Paulus zu informieren und
ihn förmlich und gerichtlich als Verbrecher anzuklagen. Der Hohepriester
Ananias war abgesetzt worden, und Ismael, der Sohn des Phabi,
war der amtierende Hohepriester; aber bei dieser Gelegenheit waren alle
Hohenpriester, frühere und jetzige, zusammen mit den führenden Männern der
jüdischen Nation vereint, entschlossen, Paulus um jeden Preis aus dem Weg zu
räumen. Sie baten Festus inständig um einen
besonderen Gefallen, Paulus nach Jerusalem hinaufzuschicken, nachdem sie einen
Hinterhalt gelegt hatten, um ihn auf dem Weg zu töten. Das ist eine Kombination
aus Heuchelei und Hass, wie sie nur selten vorkommt, ja nicht einmal annähernd.
Nachdem ihre mörderischen Pläne ausgereift und die Mörder engagiert sind, tun
sie so, als ginge es ihnen nur um einen neuen Prozess, bei dem sowohl Festus als auch die Hauptkläger in Jerusalem anwesend sind.
Festus, der darauf bedacht war, die Gunst der Juden
zu gewinnen und zu erhalten, hielt es jedoch für unangebracht, den Gefangenen
nach Jerusalem bringen zu lassen. Paulus befand sich zu diesem Zeitpunkt in
Cäsarea in Haft, und sein eigener Aufenthalt in Jerusalem würde sehr kurz sein,
da er die Absicht hatte, in Kürze abzureisen. So war Festus
durch die Vorsehung Gottes gezwungen, schnell nach Cäsarea zurückzukehren,
damit das Leben des Paulus nach seinen Plänen verschont werden konnte. Der
Statthalter fügte hinzu, dass diejenigen unter den Juden, die aufgrund ihres
Ranges oder ihres Amtes befugt waren, zu handeln, diejenigen, die befugt waren,
die Juden in dieser Angelegenheit zu vertreten, mit ihm nach Cäsarea
hinunterreisen sollten, und dann könnten sie ihre Anklagen gegen Paulus
vorbringen, ob wirklich etwas Verbrecherisches an ihm sei, ob er der Übeltäter
sei, für den ihre Anklagen ihn hielten. Anmerkung: Statt von Zufall und Glück
zu sprechen, sollten die Christen die Vorsehung und die Regierung Gottes an
ihre Stelle setzen, denn viele Dinge, die uns von sehr geringer Bedeutung
erscheinen, sind von größter Wichtigkeit, wie die folgende Geschichte beweist.
Der Beginn der Verhandlung (V. 6-8):
Nach der Unterredung mit den Juden blieb Festus nicht
länger als acht oder zehn Tage in Jerusalem und war die ganze Zeit damit
beschäftigt, sich mit der Kirchenverwaltung und den verschiedenen Sitten und
Gebräuchen der Juden, wie sie von der römischen Regierung anerkannt wurden,
vertraut zu machen. Danach reiste er nach Cäsarea hinunter und löste sein
Versprechen gegenüber den Juden ein, indem er den Prozess für den nächsten Tag
ansetzte. Die Erzählung deutet darauf hin, dass die Juden mit Festus hinuntergefahren waren, und zeigt auch seine
Schnelligkeit. Als er den Richterstuhl eingenommen hatte und sich im
Gerichtssaal auf das Podium gesetzt hatte, befahl er, Paulus vorzuführen. Als
der Gefangene eingetreten war und den ihm zugewiesenen Platz eingenommen hatte,
drängten sich die Juden, die von Jerusalem herabgekommen waren, so nahe wie
möglich an ihn heran und stellten sich um ihn herum, um ihn einzuschüchtern. Da
jede Bezugnahme auf ihr eigenes Gesetz und auf Streitigkeiten über ihre eigenen
Bräuche nutzlos gewesen wäre, formten sie ihre Anschuldigungen so, dass sie dem
Anlass entsprachen, und brachten viele und ernste Beschwerden vor. Aus der
Antwort des Paulus geht hervor, dass sie versuchten, sein Christsein zu einer
Sünde gegen ihr eigenes Gesetz, seine angebliche Entweihung des Tempels zu
einer Sünde gegen das Heiligtum und die angebliche Aufwiegelung zu Aufständen
zu einer Sünde gegen Caesar zu machen. Aber all ihre Behauptungen, so sicher
sie auch sein mochten, konnten vor dem römischen Gericht nicht bewiesen werden,
und einen Beweis konnten die Ankläger nicht erbringen. Was Paulus betrifft, so
hatten die drohenden Blicke, die finsteren Blicke der Juden keinerlei Wirkung
auf ihn, denn er konnte sich in Bezug auf jede Anklage ohne die geringste
Schwierigkeit verteidigen. Er behauptete, er habe weder gegen das Gesetz der
Juden noch gegen das Heiligtum noch gegen den Kaiser ein Verbrechen begangen.
So wurde die Wahrheit und das Recht gegen die Lüge und das Böse gerechtfertigt;
so wurde das Gebundensein des Paulus an seinen Herrn
mit dem Schutz des Herrn belohnt.
Der Appell des Paulus an den Kaiser
(V. 9-12): Offensichtlich hatten die Juden mit der ihnen eigenen Hartnäckigkeit
ihr Vorhaben, Paulus nach Jerusalem bringen zu lassen, noch nicht ganz
aufgegeben. Jedenfalls veranlasste der Gedanke, dass er dadurch an Popularität
gewinnen könnte, Festus, Paulus zu fragen, ob er nach
Jerusalem hinaufgehen wolle, um dort vor ihm über diese Dinge verhandelt zu
werden. Die eigentliche Gunst, die Festus den Juden
erweisen wollte, scheint darin bestanden zu haben, dass die Mitglieder des
Sanhedrins den Prozess in seiner Gegenwart führen würden. Das war ein höchst
ungewöhnlicher Vorschlag, der ganz und gar nicht dem römischen Rechtsverfahren
entsprach und der Paulus offenbar überraschte. Doch seine Antwort kam ohne
Zögern. Er wollte nicht von einem jüdischen Gericht verurteilt werden; er stand
vor dem Tribunal des Cäsar, wo Recht und Gerechtigkeit verlangten, dass er
verurteilt wurde. Das Gericht des römischen Prokurators war ein niederes
Gericht, nur eine Stufe vom kaiserlichen Gericht entfernt, und der Statthalter
hielt Gericht als Vertreter Cäsars. Paulus fügt hinzu, dass er den Juden keinen
Schaden zugefügt habe, dass er ihnen kein Unrecht getan habe, „wie du auch sehr
gut verstehst“, sagt er kühn. Festus erkannte mit
jeder Minute besser, dass die Anschuldigungen der Juden nur vorgetäuscht waren
und keine Tatsachengrundlage hatten. Was ihn selbst betraf, so war Paulus
bereit, sich jedem gerechten Prozess zu stellen. Wenn er sich eines Verbrechens
schuldig gemacht hatte, wenn er etwas getan hatte, das nach römischem Recht den
Tod verdiente, würde er sich nicht weigern, buchstäblich, er würde nicht vor
dem Tod zurückschrecken. Aber wenn die Juden ihn nicht anklagten, wenn sie ihre
Anschuldigungen gegen ihn nicht belegen konnten, hatte niemand das Recht, ihn
ihnen auszuliefern, ihnen den Gefangenen zum Geschenk zu machen, damit sie mit
ihm machen konnten, was sie wollten. Und Paulus schloss seine klangvolle
Verteidigung seiner Unschuld mit den Worten: Ich appelliere an Cäsar. Ein
römischer Bürger, der wegen eines Verbrechens angeklagt und verurteilt wurde,
hatte das Recht, sich an den Kaiser zu wenden, wenn er das Urteil des Gerichts
für ungerecht hielt; in Strafsachen konnte er sich jedoch jederzeit auf diese
Berufung berufen, wenn er der Meinung war, dass der Richter seine Befugnisse
überschritt und gegen die Gesetze verstieß. Eine solche Berufung hatte die
sofortige Unterbrechung des Verfahrens zur Folge und verurteilte alle Richter
und Amtsträger, die einen römischen Bürger, der sich im Fall des Paulus an
Cäsar gewandt hatte, zum Tode verurteilt, gefoltert, gegeißelt, eingekerkert
oder verurteilt hatten, als Störenfriede des öffentlichen Friedens, weshalb das
Verfahren sofort eingestellt wurde. Festus beriet
sich lediglich kurz mit den Beisitzern des Gerichts, d. h. den Beratern oder
Beamten, die bei der Rechtsprechung hinzugezogen werden, wobei es in diesem
Fall wahrscheinlich um die Frage ging, ob die Berufung angenommen werden
sollte, da Paulus noch nicht förmlich verurteilt worden war. Aber das Ergebnis
der Diskussion wurde von Festus festgehalten: Du hast
dich an Caesar gewandt, zu Caesar sollst du gehen! In den Worten scheint ein
gewisser Spott mitzuschwingen, der zweifellos darauf zurückzuführen ist, dass
die Berufung zu diesem Zeitpunkt auf das Misstrauen des Gefangenen gegenüber
der Unparteilichkeit des Richters hinwies. Aber diese Maßnahme mag sich für Festus als Erleichterung erwiesen haben, denn nun konnten
die Juden nicht mehr behaupten, er sei nicht bereit gewesen, ihnen ihren Segen
zu gewähren, und er war die ganze unangenehme Angelegenheit los. Der Unglaube,
der Hass der Juden auf Christus und die Ungerechtigkeit des römischen
Statthalters trugen also dazu bei, dass Paulus auch in Rom, der Hauptstadt der
Welt, das Evangelium predigen konnte. Auch heute noch dienen die Bosheit und
die Feindschaft der Welt oft dazu, das Reich Christi auf Erden zu verbreiten.
Agrippa
und Bernice in Cäsarea (25,13-27)
13 Aber nach
etlichen Tagen kamen der König Agrippa und Bernice nach Cäsarea, Festus zu empfangen. 14 Und nachdem sie viel Tage da
gewesen waren, legte Festus dem Könige den Handel von
Paulus vor und sprach: Es ist ein Mann, von Felix hinterlassen gefangen, 15 um
welches willen die Hohenpriester und Ältesten der Juden vor mir erschienen, da
ich zu Jerusalem war, und baten, ich sollte ihn richten lassen; 16 welchen ich antwortete: Es ist der
Römer Weise nicht, dass ein Mensch
ergeben werde umzubringen, ehe denn der Verklagte habe seine Kläger
gegenwärtig und Raum empfange, sich der Anklage zu verantworten. 17 Da sie aber
hierher zusammenkamen, machte ich keinen Aufschub und hielt am nächsten Tag
Gericht und hieß den Mann vorbringen. 18 Von welchem, da die Ankläger
auftraten, brachten sie der Ursachen keine auf, der ich mich versah. 19 Sie
hatten aber etliche Fragen gegen ihn von ihrem Aberglauben und von einem
verstorbenen Jesus, von welchem Paulus sagte, er lebe. 20 Da ich aber mich der
Frage nicht verstand, sprach ich, ob er wollte nach Jerusalem reisen und
daselbst sich darüber lassen richten. 21 Da aber Paulus sich berief, dass er
auf des Kaisers Erkenntnis behalten würde, hieß ich ihn behalten, bis dass ich
ihn zum Kaiser sende.
22 Agrippa aber
sprach zu Festus: Ich möchte den Menschen auch gern
hören. Er aber sprach: Morgen sollst du ihn hören. 23 Und am nächsten Tag, da
Agrippa und Bernice kamen mit großem Gepränge und gingen in das Richthaus mit
den Hauptleuten und vornehmsten Männern der Stadt, und da es Festus hieß, wurde Paulus gebracht. 24 Und Festus sprach: Lieber König Agrippa und alle ihr Männer,
die ihr mit uns hier seid, da seht ihr den, um welchen mich die ganze Menge der
Juden angegangen ist, sowohl zu Jerusalem und auch hier, und schrien, er solle
nicht länger leben. 25 Ich aber, da ich vernahm, dass er nichts getan hatte,
was des Todes wert sei, und er auch selber sich auf den Kaiser berief, habe ich
beschlossen, ihn zu senden, 26 von welchem ich nichts Gewisses habe, das ich
dem Herrn schreibe. Darum habe ich ihn lassen vor euch bringen, allermeist aber
vor dich, König Agrippa, auf dass ich nach geschehener Erforschung haben könne,
was ich schreibe; 27 denn es erscheint mir ein ungeschicktes Ding sein, einen Gefangenen
zu schicken und keine Ursache gegen ihn anzeigen.
Festus
legt die Sache Agrippa vor (V. 13-21): Einige Tage nach der
Gerichtsverhandlung, die so weitreichende Folgen haben sollte, kamen König
Agrippa und seine Schwester Bernice nach Cäsarea, um Festus
zu seinem Amtsantritt zu gratulieren. Agrippa II. war der Sohn von Herodes
Agrippa I., Kap. 12. Da er zum Zeitpunkt des Todes seines Vaters erst siebzehn
Jahre alt war, erhielt er nicht das Königreich, sondern wurde nach dem Tod
seines Onkels zum Herrscher von Chalkis, einer kleinen Stadt und einem Bezirk
in der Nähe des Antilebanon, ernannt, und auch die
Verwaltung des Tempels wurde ihm übertragen, zusammen mit dem Recht, den
Hohepriester zu ernennen. Später kamen die Tetrarchien von Philippus und Lysanias zu seinem Herrschaftsgebiet hinzu, und er trug den
Titel eines Königs, wenn auch nicht des Königs von Judäa. Bernice, seine
älteste Schwester, war mit Markus von Alexandria verlobt, heiratete dann ihren
Onkel Herodes von Chalkis, wurde einige Jahre später Witwe, lebte bei ihrem
Bruder und wurde erneut verheiratet, und zwar mit Polemon,
dem König von Kilikien, den sie jedoch bald verließ. Die Geschichte ihres
Lebens ist die einer lüsternen Frau, die nur eine einzige gute Tat vollbrachte,
als sie versuchte, den Prokurator Florus davon
abzuhalten, die Juden zu töten. Die beiden königlichen Besucher hatten sich
schon einige Zeit in der Stadt aufgehalten, als Festus
dem König den Fall Paulus vortrug, weil er sicher war, dass dieser aufgrund
seiner besseren Kenntnis der jüdischen Angelegenheiten in der Lage sein würde,
sich ein richtiges Bild von der Situation zu machen. So erklärte er die Dinge,
wie er sie verstand. Felix hatte einen Mann in Haft gelassen, über den die
Juden ihm, als er sich in Jerusalem aufhielt, Informationen vorgelegt hatten,
in denen sie ein Urteil gegen ihn forderten. Die Juden scheinen also neben dem
Versuch, die Verhandlung nach Jerusalem zu verlegen, auch andere Pläne verfolgt
zu haben. Festus hatte den Juden gesagt, dass es bei
den Römern nicht üblich sei, einen Menschen zu verurteilen, um einen anderen zu
verpflichten, bevor der Angeklagte seinen Anklägern von Angesicht zu Angesicht
gegenüberstehe und die Möglichkeit habe, sich gegen die gegen ihn erhobene
Anklage zu verteidigen. Und als sie dann in Cäsarea zusammenkamen, hatte er
keinen Aufschub gemacht, er hatte die Sache nicht auf einen anderen Tag
verschoben, sondern gleich am nächsten Tag auf dem Gericht Platz genommen und
befohlen, dass der Mann angeklagt werde. Aber als die Ankläger vor Gericht
standen, brachten sie keine böse Anklage gegen ihn vor, wie Festus
vermutet hatte. Die Verbitterung, die die Hohenpriester und die Mitglieder des
Sanhedrins in Jerusalem an den Tag gelegt hatten, hatte den Statthalter dazu
veranlasst, eine Anklage wegen eines sehr schweren Verbrechens zu erwarten.
Stattdessen hatten sie, wie der Redner verächtlich bemerkt, bestimmte Fragen
über ihre eigene Religion gegen ihn und über einen gewissen Jesus, der
gestorben war und von dem Paulus behauptete, er lebe. Während der
Gerichtsverhandlung muss auf beiden Seiten viel gesagt worden sein, was Lukas
nicht aufzeichnete, da er nur an einer Zusammenfassung der Geschichte
interessiert war. In mehreren Sätzen zeigt sich die Skepsis des Römers, wenn er
den jüdischen Glauben buchstäblich als Dämonenanbetung, als törichte Religion
bezeichnet, vgl. Kap. 17,22, und wenn er die ernsthafte Aussage des Paulus als
bloße Behauptung bezeichnet. Das Ergebnis der Angelegenheit war, dass Festus im Zweifel war, dass er nicht wusste, wie er in
diesen Fragen vorgehen sollte, und dass er deshalb fragte, ob Paulus nach
Jerusalem gehen und dort vor Gericht gestellt werden wolle. Da Paulus aber
darum gebeten hatte, seinen Fall der Entscheidung des römischen Kaisers
Augustus zu überlassen, hatte der Statthalter den Befehl gegeben, ihn so lange
in Haft zu halten, bis er ihn zu Cäsar, dem höchsten Gericht des römischen
Reiches, schicken konnte. Der Bericht von Festus ist
ziemlich korrekt, wenn auch durch sein Verständnis des Falles verfälscht. Aber
er war offensichtlich immer noch verwirrt und zählte darauf, dass Agrippa, mit
dem er bereits bekannt war, ihm mit gutem Rat zur Seite stehen würde.
Paulus wird Agrippa vorgestellt (V.
22-27): Agrippa interessierte sich natürlich für Paulus, den großen Lehrer des
Christentums, so wie sein Verwandter etwa dreißig Jahre zuvor den Wunsch hatte,
Jesus zu sehen (Luk. 23,8). Seine Familie hatte immer die gleiche Beziehung zu
Christus und dem Evangelium gehabt. Sein Großvater hatte versucht, Jesus in
Bethlehem bei der Schlachtung der Unschuldigen zu töten, sein Onkel hatte
Johannes den Täufer ermordet und Jesus verhöhnt, sein Vater hatte den Apostel
Jakobus erschlagen und die Kirche unterdrückt. Agrippa wäre wahrscheinlich
keinen Schritt weit gegangen, um Paulus zu sehen oder zu hören, aber bei dieser
unerwarteten Gelegenheit, die Lehre der Nazarener kennenzulernen, war er sehr
erfreut. So äußerte er den Wunsch, den Mann selbst zu hören, um sich dann ein
angemessenes Urteil bilden zu können; und er erhielt von Festus
das Versprechen, dass ihm diese Gelegenheit am nächsten Tag gegeben würde. Zur
festgesetzten Zeit kamen Agrippa und Bernice also mit großem Pomp, mit einer
außergewöhnlichen, orientalischen Prachtentfaltung, sehr wahrscheinlich in all
ihren königlichen Gewändern und in Begleitung eines ganzen Gefolges von
Dienern, und das alles in derselben Stadt, in der ihr Vater bei einer ähnlichen
Gelegenheit von Gott geschlagen und von Würmern gefressen worden war. Die hohen
Gäste wurden empfangen und geleitet und betraten so den Saal, der für diese
informelle Anhörung bestimmt war, kaum der Gerichtssaal, da ein formeller
Prozess nicht in Frage kam. Der Glanz des Anlasses, der den Charakter eines
Empfangs hatte, wurde durch die Anwesenheit der Chiliarchen und der vornehmsten
Männer der Stadt noch gesteigert, sicherlich die glänzendste Audienz, die
Paulus, den Festus nun hereinbringen ließ, je erlebt
hatte. Obwohl Agrippa den Zweck der Versammlung kannte, hielt der Statthalter
nun eine förmliche Rede, die an ihn und an alle Anwesenden gerichtet war und in
der er ihnen den Mann vorstellte, der diese ganze Aufregung unter den Juden
verursacht hatte. Sie sahen diesen Mann vor sich, über den die ganze Schar der
Juden mit ihm gesprochen und sich bei ihm beschwert hatte, sowohl in Jerusalem
als auch in Cäsarea. Sie hatten lautstark ihre Meinung geäußert, dass er nicht
mehr leben sollte. Aber Festus war zu dem Schluss
gekommen, dass Paulus nichts getan hatte, was des Todes würdig gewesen wäre,
und nun hatte der Gefangene selbst an Cäsar, den römischen Kaiser, appelliert,
an den Namen, der von den Römern als göttliche Ehre angesehen wurde. Und so hatte
Festus entschieden, dass er ihn schicken würde. Es
war ein feierlicher, beeindruckender Anlass, und der Statthalter machte das
Beste daraus, indem er die Bedeutung des Ereignisses hervorhob und seine Rolle
in diesem Drama übertrieb. Die Schwierigkeit, mit der er konfrontiert war, wie
er weiter erklärte, und die ihn in eine missliche Lage brachte, bestand darin,
dass er seinem Herrn, dem Kaiser, nichts Konkretes über Paulus zu schreiben
hatte. Deshalb habe er ihn vor diese illustre Versammlung und vor allem vor
König Agrippa gebracht, damit er nach einer Art Untersuchung etwas Genaues zu
schreiben habe. Denn da die Anklage des Verrats von Paulus mit großem Nachdruck
widerlegt worden war, erschien die noch verbleibende Frage teils unklar, teils
absurd. Und all dies geschah, weil es dem Statthalter unvernünftig, ja sinnlos
erschien, dass jemand, der einen Gefangenen schickt, in dem Begleitschreiben
nicht angibt, welche Gründe er für diesen Schritt hat. Die Situation war
sicherlich unangenehm. Er war im Begriff, Paulus nach Rom zu schicken, um vor
dem kaiserlichen Gericht zu erscheinen, obwohl er keine einzige Anklage gegen
ihn hatte; und gleichzeitig musste er geschickt werden, da er sich an Caesar
gewandt hatte. Agrippa würde ihm daher wahrscheinlich helfen können, damit er
in der Sache solche Briefe aufsetzen konnte, um in den Augen Neros nicht als
Narr dazustehen. So erhielt Paulus die Gelegenheit, vor dieser großen und
prächtigen Versammlung Zeugnis von Christus abzulegen. Und so haben in vielen
anderen Fällen Sünder aller Klassen die Gelegenheit, das Evangelium von Jesus
Christus zu hören, das allein ihre Seelen retten wird. Oh, wenn doch jeder von
ihnen hören würde!
Zusammenfassung: Paulus, der vor Festus angeklagt ist, sieht sich gezwungen, an Cäsar zu
appellieren, woraufhin sein Fall vor den Gast Agrippa gebracht wird.
Die Anhörung vor Agrippa (26,1-32)
1 Agrippa aber
sprach zu Paulus: Es ist dir erlaubt, für dich zu reden. Da verantwortete sich
Paulus und reckte die Hand aus: 2 Es ist mir sehr lieb, lieber König Agrippa,
dass ich mich heute vor dir verantworten soll alles, des ich von den Juden
beschuldigt werde, 3 allermeist weil du weißt alle Sitten und Fragen der Juden.
Darum bitte ich dich du wollest mich geduldig hören.
4 Zwar mein
Leben von Jugend auf, wie das von Anfang unter diesem Volk zu Jerusalem
zugebracht ist, wissen alle Juden, 5 die mich vorher gekannt haben, wenn sie es
wollten bezeugen. Denn ich bin ein Pharisäer gewesen, welche ist die strengste
Sekte unseres Gottesdienstes. 6 Und nun stehe ich und werde angeklagt über der
Hoffnung an die Verheißung, so geschehen ist von Gott zu unseren Vätern. 7 Zu
welcher hoffen die zwölf Geschlechter der Unseren zu kommen mit Gottesdienst
emsig Tag und Nacht. Dieser Hoffnung halben werde ich, lieber König Agrippa,
von den Juden beschuldigt. 8 Warum wird das für unglaublich bei euch gerichtet,
dass Gott Tote auferweckt?
9 Zwar ich
meinte auch bei mir selbst, ich müsste viel zuwider tun dem Namen Jesu von
Nazareth, 10 wie ich denn auch zu Jerusalem getan habe, da ich viel Heilige in
das Gefängnis verschloss, darüber ich Macht von den Hohenpriestern empfing; und
wenn sie erwürgt wurden, half ich das Urteil sprechen. 11 Und durch alle
Synagogen peinigte ich sie oft und zwang sie zu lästern und war überaus
unsinnig auf sie, verfolgte sie auch bis in die fremden Städte.
12 Über
welchem, da ich auch nach Damaskus reiste mit Macht und Befehl von den
Hohenpriestern, 13 mitten am Tag, lieber König, sah ich auf dem Weg, dass ein
Licht vom Himmel, heller als der Sonne Glanz, mich und die mit mir reisten, umleuchtete. 14 Da wir aber alle zur Erde niederfielen,
hörte ich eine Stimme reden zu mir, die sprach auf Hebräisch: Saul, Saul, was
verfolgst du mich? Es wird dir schwer sein, wider den Stachel zu lecken. 15 Ich
aber sprach: HERR wer bist du? Er sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst; aber
stehe auf und tritt auf deine Füße. 16 Denn dazu bin ich dir erschienen, dass
ich dich ordne zum Diener und Zeugen des, das du
gesehen hast, und das ich dir noch will erscheinen lassen. 17 Und will dich
erretten von dem Volk und von den Heiden, unter welche ich dich jetzt sende, 18
aufzutun ihre Augen, dass sie sich bekehren von der Finsternis zu dem Licht und
von der Gewalt des Satans zu Gott, zu empfangen Vergebung der Sünden und das
Erbe samt denen, die geheiligt werden durch den Glauben an mich.
19 Daher,
lieber König Agrippa, war ich der himmlischen Erscheinung nicht ungläubig, 20
sondern verkündigte zuerst denen zu Damaskus und zu Jerusalem und in alle
Gegend jüdischen Landes, auch den Heiden, dass sie Buße täten und sich
bekehrten zu Gott und täten rechtschaffene Werke der Buße. 21 Um deswillen
haben mich die Juden im Tempel ergriffen und unterstanden, mich zu töten. 22
Aber durch Hilfe Gottes ist es mir gelungen und stehe bis auf diesen Tag und
zeuge beiden, dem Kleinen und Großen, und sage nichts außer dem, was die
Propheten gesagt haben, dass es geschehen sollte, und Mose: 23 Dass Christus
sollte leiden und der Erste sein aus der Auferstehung von den Toten und
verkündigen ein Licht dem Volk und den Heiden.
24 Da er aber
solches zur Verantwortung gab, sprach Festus mit
lauter Stimme: Paulus, du rast; die große Kunst macht dich rasend. 25 Er aber
sprach: Mein teurer Festus, ich rase nicht, sondern
ich rede wahre und vernünftige Worte. 26 Denn der König weiß solches wohl, zu
welchem ich freudig rede; denn ich achte, ihm sei der keines nicht verborgen,
denn solches ist nicht im Winkel geschehen. 27 Glaubst du, König Agrippa; den
Propheten? Ich weiß, dass du glaubst. 28 Agrippa aber sprach zu Paulus: Es
fehlt nicht viel, du überredest mich, dass ich ein Christ würde. 29 Paulus aber
sprach: Ich wünschte vor Gott, es fehlte an viel oder an wenig, dass nicht
alleine du, sondern alle, die mich heute hören, solche würden, wie ich bin,
ausgenommen diese Bande.
30 Und da er
das gesagt, standen der König auf und der Landpfleger und Bernice, und die mit
ihnen saßen, 31 und entwichen zur Seite, redeten miteinander und sprachen:
Dieser Mensch hat nichts getan, was des Todes oder der Bande wert sei. 32 Agrippa
aber sprach zu Festus: Dieser Mensch hätte können
losgegeben werden, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen hätte.
Des Paulus Einleitung zu seiner Rede
(V. 1-3): Obwohl Festus der Prokurator der Provinz
war, überließ er Agrippa als seinem Gast und als König höflich den Rang des
Vorstehers. Und Agrippas einleitende Worte zeigen, dass er die Gebote der
Höflichkeit ebenso sorgfältig beachtete, denn er spricht Paulus nicht in seinem
eigenen Namen an, sondern in der dritten Person: Es ist dir gestattet, für dich
selbst zu sprechen. Hier wurde Paulus das Wort und das Vorrecht eingeräumt,
seinen Fall so darzustellen, wie er es für richtig hielt. Und Paulus eröffnete
seine Rede mit der Geste, die in so vielen antiken Statuen dargestellt ist. Er
warf seinen Mantel von der rechten Schulter, den er mit der linken Hand
festhielt, und streckte die rechte Hand in einer Geste aus, die Aufmerksamkeit
erregte. Zu seiner Verteidigung wandte er sich zunächst direkt an König
Agrippa. Er schätzte sich glücklich, dass er sich vor diesem König in Bezug auf
all die Dinge, die ihm von den Juden vorgeworfen wurden, verteidigen konnte. Im
Auftreten des Paulus war keine Spur von Selbstbewusstsein und Angst zu
erkennen. „Wäre er sich seiner Schuld bewusst gewesen, hätte er sich davor
gefürchtet, vor einem Richter, der alle Tatsachen kennt, vor Gericht gestellt
zu werden; aber es ist ein Zeichen eines reinen Gewissens, sich vor einem
Richter, der die Umstände genau kennt, nicht zu scheuen, sondern sich sogar zu
freuen und sich glücklich zu nennen.“ (Chrysostomus.) Und Paulus freute sich
umso mehr, als er wusste, dass Agrippa als langjähriger Tempelverwalter alle
Sitten und Gebräuche sowie die Fragen und theoretischen Diskussionen kannte,
die unter den Juden überall herrschten. Agrippa war wie alle Idumäer seit der Zeit Herodes des Großen im jüdischen
Glauben erzogen worden und hatte deshalb die Aufsicht über die religiösen
Angelegenheiten in Jerusalem erhalten, obwohl die Stadt ansonsten dem römischen
Prokurator unterstand. Aus diesem Grund bat Paulus den König, ihn geduldig und
mit aller Großzügigkeit anzuhören. Die Art und Weise, wie Paulus sich an ihn
wandte, war nicht von kriecherischer Unterwürfigkeit geprägt, sondern Ausdruck
eines echten Vergnügens, das wahrscheinlich zum Teil auf die Hoffnung
zurückzuführen war, Agrippa für die Sache Christi zu gewinnen. Die Rede der
Christen sollte stets darauf abzielen, wenn nicht direkt Bekehrte für Christus
zu gewinnen, so doch zumindest seiner Sache keinen Schaden zuzufügen.
Das frühe Leben und der frühere Glaube
des Paulus (V. 4-8): Paulus war schon früh, zu Beginn seiner Jugendzeit,
nach Jerusalem gekommen. Und seine Lebensweise, die Gewohnheiten seines Lebens,
wie er sich in jeder Hinsicht verhielt: all dies, da es von Anfang seiner
Ausbildung an, von seiner frühen Jugend an, inmitten seines Volkes und in
Jerusalem selbst stattgefunden hatte, wussten alle Juden und waren mit ihm
vertraut, denn sie kannten ihn vorher und von Anfang an. Wenn sie es bezeugen
wollten, könnten sie die Wahrheit sagen, dass er in Übereinstimmung mit der
strengsten Sekte, der strengsten Gruppe von Menschen in ihrer eigenen Mitte
(Paulus schließt hier sich selbst und Agrippa mit den Juden ein), die
Grundsätze lebte und dem religiösen Kult folgte, wie ein Pharisäer. Der Apostel
weist hier darauf hin, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass er gegen das
jüdische Gefühl verstoßen würde, denn ihre Bräuche waren ihm angeboren und tief
verwurzelt, und zwar nach der strengsten Auslegung. Und nun, da sein ganzes
Leben wie ein offenes Buch vor dem Volk lag und seine gründliche jüdische
Erziehung als Argument für seine Rechtgläubigkeit diente, wurde er wegen seiner
Hoffnung auf die Verheißung, die Gott den Vätern gegeben hatte, verurteilt.
Dafür stand er vor dem römischen Gericht, dafür wurde er von den Juden
verurteilt. Und doch hofften die zwölf Stämme Israels gemeinsam, dieselbe
Verheißung zu erlangen, zu erlangen durch einen Dienst in aller Eile bei Tag
und Nacht; wegen dieser Hoffnung wurde er von den Juden angeklagt, wie er dem
König nachdrücklich erklärt. Das war für Paulus das Merkwürdigste an der ganzen
Angelegenheit, dass die Juden so blind sein konnten, ihre eigene Lehre und
ihren Glauben zu verleugnen, um ihm zu schaden. Das veranlasst ihn zu schreien:
Warum haltet ihr es für unglaublich, dass Gott die Toten auferweckt? Warum
sollten sie sich mit der ganzen Kraft des Unglaubens dagegen wehren, wenn Gott
die Toten auferweckt? Diese verwirrte Frage könnte sich in unseren Tagen in
Bezug auf diese größte Wahrheit der geoffenbarten Religion, die Tatsache, auf
der die christliche Religion beruht, durchaus wiederholen. Der Widerstand der
Ungläubigen führt dazu, dass sie die herrlichste Gewissheit verlieren, die dem
Menschen zuteil werden kann, und wir können den Grund
für ihre Hartnäckigkeit nicht erkennen.
Des Paulus frühere Stellung zu Jesus
(V. 9-11): Paulus bekennt hier freimütig seine Feindschaft gegen Christus und
seine Gläubigen, um die Gnade, die er bei seiner Bekehrung empfangen hatte,
umso deutlicher hervorzuheben. Er selbst war in jenen Tagen der Meinung
gewesen, er hatte an der Überzeugung festgehalten: Es war ein Zwang, der aus
seiner willentlichen Selbsttäuschung resultierte, dass er viel gegen den Namen
Jesu von Nazareth tun müsse. Der Name Jesu war ihm so verhasst, dass er sich
ganz der Verfolgung derer hingab, die sich zum Christentum bekannten. In jenen
Tagen stand sein Eifer gegen Christus und die Kirche dem der gesamten Familie
des Herodes in nichts nach: Er sah es als seine wichtigste Lebensaufgabe an,
das Bekenntnis zum Namen Jesu zu verhindern und diese Idee mit Verfolgung und
Tötung durchzusetzen. Dies tat er in Jerusalem, indem er viele Heilige mit der
Vollmacht der Hohepriester ins Gefängnis sperrte. Man beachte, dass Paulus hier
bewusst jene Menschen als Heilige bezeichnet, die er zuvor mit so
unauslöschlichem Hass verfolgt hatte. Und als die Gläubigen hingerichtet
wurden, stimmte er für die Hinrichtung, entweder als Mitglied des Sanhedrins,
wie manche meinen, oder er sprach sich für die Maßnahme aus, wobei er seine
ganze Überzeugungskraft gegen den verhassten Namen in die Waagschale warf.
Seine Blutrünstigkeit begnügte sich auch nicht mit
den Hinrichtungen, die er herbeiführen konnte, sondern er bestrafte sie in
allen Synagogen oft, wobei er darauf achtete, keinen einzigen zu übersehen, und
er zwang sie, Christus nicht nur zu leugnen und zu verleugnen, sondern sogar zu
verfluchen, um ihr Leben zu retten; er unternahm den Versuch immer wieder: und
es ist nur zu wahrscheinlich, dass er zumindest in einigen Fällen Erfolg hatte.
Sein Hass trieb ihn schließlich bis zum äußersten Wahnsinn, bis zum Irrsinn,
was die Christen betraf, allein der Gedanke an die Ausbreitung des Glaubens
ließ ihn vor Wut toben, und er setzte seine Verfolgungen gegen sie auch in
anderen Städten außerhalb Jerusalems fort. Er hatte also gute Gründe, sich als
Gotteslästerer, Verfolger und Schädiger zu bezeichnen. 1. Tim. 1,13. Sein
Beispiel ist das eines Menschen, dem die Feindschaft gegen Christus keine Ruhe
lässt, weder bei Tag noch bei Nacht, und der sich genötigt sieht, dem Lauf des
Evangeliums mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu schaden. Mit solchen
Menschen müssen die Christen bei der Erfüllung ihrer Pflicht rechnen, und diese
Tatsache darf sie nicht zu sehr beunruhigen.
Paulus erzählt seine wunderbare
Bekehrung (V. 12-18): Paulus erzählt hier die Geschichte seiner Bekehrung
im Wesentlichen so, wie sie von Lukas, Kap. 9, und von ihm selbst in seiner
Rede vor den Juden, Kap. 22. In diesem Auftrag, in dieser Angelegenheit der
Feindschaft gegen Jesus, reiste er nach Damaskus, bewaffnet mit der Autorität
und Macht der Hohenpriester selbst; er handelte als ihr Beauftragter, als ihr
Bevollmächtigter, und hatte praktisch freie Hand, seinen Hass auf jede Art und
Weise zu zeigen, die er wollte. Mitten am Tag, im klaren,
hellen Licht des vollen Tages, hatte er ein Licht vom Himmel gesehen, heller
und greller als die Sonne, die um ihn und die, die mit ihm reisten, schien, das
sie alle in seinen blendenden Glanz einhüllte. Und als sie alle zu Boden
gefallen waren, Paulus zuerst und seine Gefährten auch, nach einigen
Augenblicken des stummen und starren Staunens, hatte er eine Stimme gehört, die
zu ihm in hebräischer, d.h. aramäischer Sprache sprach und ihn fragte, warum er
ihn verfolge, und ihm sagte, dass es ihm schwerfallen würde, gegen die Ochsen
zu treten. Im Orient bestand der Ochsenbock wie heute aus einem langen Stock,
an dessen Ende eine scharfe Eisenspitze befestigt war. Paulus war wie ein
widerspenstiger Ochse, der, wenn er angestachelt wurde, um sich schlug und sich
dadurch bei der Verfolgung der Kirche noch mehr Schmerzen zufügte; denn je
schlimmer seine wahnsinnige Feindseligkeit wurde, desto weniger Befriedigung
erhielt er durch die Befriedigung seiner Gier nach dem Blut der Christen. Es
war eine törichte und nutzlose Anstrengung für ihn, zu versuchen, Jesus in
seinen Nachfolgern zu verfolgen, „eine Anstrengung, die ihm selbst nur tiefere
Wunden zufügte, eine Anstrengung, die so müßig war wie die, die der Psalmist
beschreibt, Ps. 2, 3. 4.“ Auf Paulus' besorgte und ängstliche Frage nach der
genauen Identität des Herrn, der zu ihm sprach, hatte er die Antwort erhalten,
dass es Jesus sei, den er verfolgte. Der Herr hatte ihm daraufhin befohlen,
aufzustehen und sich auf die Füße zu stellen, da er ihm zu diesem Zweck
erschienen war, um ihn als einen Mann auszuwählen und einzusetzen, den die Hand
Gottes aus der Mitte der Gefahren, die seine Seele bedrohten, herausgerissen
hatte, um sein Diener und Zeuge der Dinge zu sein, die er gesehen hatte, sowie
der Dinge, die der Herr ihm noch zeigen wollte. Dies hatte der Herr weiter
erklärt, indem er ihm sagte, dass er ihn aus der Mitte seines eigenen Volkes
wie auch aus der der Heiden heraushebt und rettet. Und zu letzteren sandte der
Herr nun seinen Apostel, um ihre Augen zu öffnen, die in geistlichen Dingen
blind waren, um sie aus der Finsternis ihrer geistlichen Blindheit und ihres
Unglaubens zum Licht des Evangeliums und aus der Macht des Satans, in dessen
Herrschaft sie von Natur aus gehalten wurden, zu Gott, ihrem Erlöser, zu
führen, um Vergebung der Sünden und das Erbe inmitten derer zu empfangen, die
durch den Glauben an den Erlöser geheiligt sind. So nennt die Heilige Schrift
in diesem Abschnitt den natürlichen Menschen, was die geistlichen und
göttlichen Dinge betrifft, nichts als Finsternis.[91]
Der Weg des Heils, die Methode, mit der Gott die Sünder zu seiner
Barmherzigkeit führt, wird hier klar und deutlich gelehrt. Durch die
Verkündigung des Evangeliums werden den Sündern die Augen geöffnet, damit sie
Christus, ihren Erlöser, erkennen; durch das Evangelium werden die Sünder
bekehrt, damit sie sich von der Finsternis, vom Dienst der Sünde, von der Macht
des Satans abwenden und sich Gott und dem Licht und dem Heil in Christus
zuwenden, so dass sie alles Heidentum und den Aberglauben hinter sich lassen
und nichts anderes als die Erkenntnis, die Anbetung und den Dienst des
gesegneten Erlösers ihre Aufmerksamkeit erregt. Man beachte, dass der Glaube,
der das Vertrauen auf die Erlösung durch Jesus bewirkt hat, den Gläubigen ganz
nebenbei weiht, absondert und für den Dienst des Herrn heiligt.
Wie Paulus die Arbeit gemäß seiner
Berufung ausgeführt hat (V. 19-23): Die wunderbare Vision und die Worte
Christi, mit denen er ihn zum Apostel berufen hatte, hatten Paulus überzeugt;
aufgrund all dessen war er der himmlischen Vision nicht ungehorsam gewesen; die
barmherzige Macht des Herrn hatte die Veränderung seines Herzens bewirkt und
ihn willig und begierig gemacht, Botschafter des Allerhöchsten, des erhöhten
Christus zu werden. Er hatte in Damaskus damit begonnen, Christus zu predigen,
dass er der Sohn Gottes ist, Kap. 9,20. Er hatte kühn im Namen des Herrn Jesus
in Jerusalem geredet, Kap. 9,29, und in allen Gegenden Judäas. Schließlich
hatte er mindestens drei Missionsreisen in die heidnische Welt unternommen. Und
überall war seine Botschaft dieselbe gewesen; es war die Botschaft des Täufers,
es war die Botschaft Jesu, nämlich dass die Menschen Buße tun und sich zu Gott
bekehren sollten. Zuerst kommt das Eingeständnis der Sünde und ihrer Verdammlichkeit; dann verzweifelt der Sünder an sich selbst
und an all seiner Gerechtigkeit und wendet sich an Gott um Hilfe und Rettung,
während er die herrliche Botschaft des Evangeliums hört; und dann kommen die
Werke, die der Umkehr würdig sind, die sich am Maßstab der tatsächlichen Umkehr
messen, die nichts von Schein oder Betrug an sich haben, sondern das
aufrichtige Bemühen des Christen verkörpern, dem Evangelium Jesu Christi würdig
zu sein. Aus diesen Gründen, weil Paulus das Evangelium in seiner ganzen
glorreichen Reinheit verkündete, hatten die Juden ihn im Tempel ergriffen und
gewaltsam zu töten versucht. Alle anderen Punkte, die sie behauptet hatten,
waren zum Teil reine Erfindung und zum Teil Verdrehung der Wahrheit, um dem
Lauf des Evangeliums zu schaden. Das Gleiche geschieht in unseren Tagen, wenn die
Feinde Christi Vorwände erfinden, um die Verkündigung der Wahrheit zu
unterdrücken. Paulus aber hatte das Glück, von Gott Hilfe zu erhalten, und so
blieb er bis zu jenem Tag standhaft, indem er vor den Kleinen und Großen
Zeugnis ablegte, keinen Unterschied zwischen den Personen machte und nichts
anderes sagte als das, was die Propheten wörtlich gesagt hatten, dass es
geschehen sollte, und auch Mose. Die Botschaft des Neuen Testaments
unterscheidet sich nicht wesentlich von der des Alten Testaments; die Gläubigen
der Zeit vor Christus hatten die Prophezeiungen des Heils, das im Messias
kommen sollte; die Gläubigen seit seiner Zeit blicken zurück auf das Heil, wie
es durch Christi Geburt, Leben, Tod und Auferstehung erlangt worden ist, und
vertrauen darauf. Was Mose und die Propheten gepredigt haben, die große
zentrale Lehre des Christentums, das Heil durch den Glauben an Jesus, das ist
das Thema der christlichen Verkündigung bis ans Ende der Zeiten: dass Christus
nach dem Willen und Ratschluss Gottes leiden musste, dass er als erster von den
Toten auferstanden ist, dass er dazu bestimmt war, als Licht die Segnungen zu
verkünden, die Botschaft des Lichts allen Menschen zu bringen, auch den Heiden,
den Juden und den Heiden gleichermaßen. Wie üblich bestand Paulus darauf, dass
die Identität des Messias mit Jesus von Nazareth nicht nur durch sein Leiden,
wie vorhergesagt, sondern auch durch seine Auferstehung und durch die Kraft,
die die Botschaft dieser Auferstehung ausübte, um die Segnungen des geistigen
und ewigen Lichts in die Herzen der Menschen zu bringen, bewiesen wurde.
Des Paulus größter Wunsch (V.
24-29): Paulus hatte in aller Einfachheit und Wahrhaftigkeit gesprochen, ohne
den Versuch einer rhetorischen Wirkung, nur einer seiner Sätze hatte die Kraft
einer rhetorischen Phase. Aber seine Ernsthaftigkeit und die Überzeugung, mit
der er seinen Fall vortrug, konnten nicht ohne Einfluss auf seine Zuhörer
bleiben. Und fast unwillkürlich unterbrach Festus,
mitgerissen von der Wucht der Argumentation, Paulus mit dem Ausruf: Du bist
nicht bei Sinnen. Die verblüffenden Ankündigungen, die Paulus über die
Auferstehung Jesu und die Kraft seines Wortes gemacht hatte, veranlassten den
heidnischen Statthalter zu der Vermutung, dass er wahnsinnig sein müsse, dass
er sich nicht bewusst sein könne, was er da sage. Festus
glaubte, dass viel Weisheit, große Gelehrsamkeit, den Gefangenen zu
vorübergehendem Wahnsinn verleitet hatte. Vielleicht bezog er sich nur auf die
große Gelehrsamkeit, die Paulus gerade an den Tag gelegt hatte, oder er schloss
dies aus der großen Zahl von Büchern, die Paulus bei sich hatte. All dies, so
glaubte er, habe den Gefangenen in den Wahnsinn getrieben. Aber Paulus, der ihn
mit dem ehrenwerten Festus, Euer Exzellenz, ansprach,
sagte ihm ruhig, dass er nicht verrückt sei, sondern Worte der Wahrheit und
Nüchternheit spreche. Nach dem Urteil der blinden Kinder dieser Welt gilt der
Glaube der Christen und ihre ruhige Fröhlichkeit bis heute als Wahnsinn und als
Beweis dafür, dass sie unmöglich bei klarem Verstand sein können. Diejenigen
aber, die so reden, haben nicht die leiseste Ahnung von dem, was das Christentum
ist, und auch nicht von seiner ruhigen, überzeugenden Wahrheit. Zur Bestätigung
dieser Tatsache wandte sich Paulus an König Agrippa und erklärte, dieser habe
das richtige Verständnis für diese Dinge, und deshalb habe Paulus auch mit so
fröhlicher Offenheit zu ihm gesprochen. Agrippa wusste, dass die Worte des
Paulus nüchtern und fundiert waren und auf Tatsachen beruhten. Ein Christ war
der König nicht, aber für die Wahrheit der Geschichte würde er sicher
einstehen, und der Apostel war fest davon überzeugt, dass ihm nichts von diesen
Dingen verborgen war, denn die ganze Bewegung, die Einführung der christlichen
Religion, war nicht in einer Ecke, verborgen vor den Augen der Welt, geschehen,
sondern es war eine Bewegung, von der jeder im ganzen Land wissen konnte und
gehört haben musste. Paulus argumentiert hier, wie es Jesus vor ihm getan
hatte, Joh. 18,21, und verweist darauf, dass die Botschaft des Evangeliums ohne
den geringsten Versuch der Geheimhaltung verkündet worden war. Und die Kühnheit
des Paulus, die er während seiner ganzen Rede an den Tag gelegt hatte,
veranlasst ihn nun auch, sich offen an Ring Agrippa zu wenden und ihn direkt zu
fragen: Glaubst du. König Agrippa: die Propheten? Ich weiß, dass du glaubst.
Diese Frage sollte die Worte des Paulus weiter untermauern; denn auch wenn Festus seine Worte nicht als Aussagen von Wahrheit und
Nüchternheit betrachten konnte. Agrippa konnte ihnen gegenüber nicht
gleichgültig sein, da sie sich auf die Propheten stützten und Agrippa als Jude
die Bücher des Alten Testaments zumindest nominell akzeptierte und seinen
Glauben auf sie stützte. Es war ein eindringlicher Appell, der auf Herz und
Verstand des Königs hätte wirken müssen. Agrippa ließ sich jedoch nicht beugen,
sondern erwiderte: Mit wenig Überredung willst du mich zum Christen machen?
Damit wollte er entweder mit Ironie oder mit kalter Gleichgültigkeit zu
verstehen geben, dass er nicht so einfach zum Christen gemacht werden konnte.
Er wollte ein stärkeres Argument als einen bloßen Appell an seinen Glauben, um
ihn dazu zu bewegen, Christ zu werden. Der sarkastische Ton der Antwort
schüchterte Paulus jedoch nicht ein. Mit der gleichen heiteren Kühnheit wie
zuvor spricht er seinen ehrlichen Wunsch aus: Er hoffe zu Gott, dass nicht nur
Agrippa, sondern alle, die ihn an jenem Tag hörten, wie er selbst Christen
werden würden, ohne jedoch die schändlichen Zeichen der Gefangenschaft, die
Fesseln, die ihn gefangen hielten, tragen zu müssen. So ließ sich auch der
Apostel, der so rührend von der Liebe predigte (1. Kor 13), nicht leicht reizen
und nahm keine Rücksicht auf das Böse. Ebenso müssen alle Diener des Herrn
darauf bedacht sein, sich durch die versteckten oder offenen Spötteleien der
Ungläubigen weder entmutigen noch reizen zu lassen, sondern weiterhin von
Christus zu zeugen und alle Menschen einzuladen, die Botschaft des Evangeliums
anzunehmen und Christen zu werden.
Das Ende der Anhörung (V. 30-32): Nachdem
Paulus seinen letzten Appell vorgetragen hatte, erhob sich der König und gab
damit zu verstehen, dass er die Verhandlung für beendet erklärte, woraufhin der
Statthalter, Bernice und die übrigen geladenen Gäste den Saal verließen.
Nachdem sie den Saal verlassen hatten, zogen sie sich in ein anderes Gemach
zurück, um ihre Gedanken auszutauschen. Und alle waren sich einig, dass dieser
Mann, Paulus, nichts getan hatte, was den Tod oder eine Gefängnisstrafe
verdiente. Das hatte ihnen zumindest die offene und furchtlose Rede des Paulus
gezeigt. Und wenn Agrippa sich auch nicht für das Christentum gewinnen ließ, so
fühlte er sich doch verpflichtet, Festus mitzuteilen,
dass dieser Mann freigelassen werden könnte, wenn er nicht an Cäsar appelliert
hätte. Aber die Berufung war nun erfolgt und angenommen worden, und Paulus
musste nach Rom geschickt werden. Sehr wahrscheinlich beeinflusste diese von
Agrippa abgegebene Stellungnahme das Schreiben, das Festus
in dieser Angelegenheit an den kaiserlichen Hof richtete, und kann somit die
Behandlung von Paulus bei seiner Ankunft in der Hauptstadt erklären. Anmerkung:
In all diesen Tatsachen, wie sie hier dargestellt werden, ist die lenkende Hand
des erhabenen Christus, des Hauptes seiner Kirche, deutlich zu erkennen: Er
wollte, dass Paulus nach Rom kommt, aber er schützte ihn auch vor allem Unheil.
Zusammenfassung: Paulus hält bei
der Anhörung vor König Agrippa eine Verteidigungsrede, die diesen veranlasst,
zu erklären, dass er aller Verbrechen unschuldig ist und dass nur seine
Berufung der Grund dafür ist, dass er nach Rom geschickt wurde.
Die Reise von Cäsarea nach Malta (27,1-44)
1 Da es aber
beschlossen war, dass wir nach Italien schiffen sollten, übergaben sie Paulus
und etliche andere Gefangene dem Unterhauptmann mit Namen Julius von der
kaiserlichen Schar. 2 Da wir aber in ein adramyttisch
Schiff traten, dass wir an Asien hin segeln sollten, fuhren wir vom Land; und
es war mit uns Aristarchus aus Mazedonien von Thessalonich.
3 Und wir kamen am nächsten Tag in Sidon an. Und Julius hielt sich freundlich
gegen Paulus, erlaubte ihm, zu seinen guten Freunden zu gehen und seiner zu
pflegen: 4 Und von dort stießen wir ab und schifften unter Zypern hin, darum
dass uns die Winde entgegen waren. 5 Und wir überquerten das Meer in Richtung
Zilizien und Pamphylien und kamen nach Myra in Lyzien. 6 Und dort fand der Unterhauptmann ein Schiff von
Alexandrien; das schiffte nach Italien und lud uns darauf. 7 Da wir aber
langsam schifften und in vielen Tagen kaum gegen Knidus
kamen (denn der Wind wehrte uns), schifften wir unter Kreta hin nach der Stadt Salmone. 8 Und zogen kaum vorüber, da kamen wir an eine
Stätte, die da heißt Guthafen; dabei war nahe die
Stadt Lasäa.
9 Da nun viel
Zeit vergangen war, und es nunmehr gefährlich war zu schiffen,
darum dass auch das Fasten schon vorüber war, ermahnte sie Paulus 10 und sprach
zu ihnen: Liebe Männer, ich sehe, dass die Schiffahrt
will mit Leid und großem Schaden abgehen, nicht allein der Last und des
Schiffes, sondern auch unseres Lebens. 11 Aber der Unterhauptmann glaubte dem
Schiffsherrn und dem Schiffsmann mehr als dem, was Paulus sagte. 12 Und da die Anfurt ungelegen war zu wintern, bestand der größere Teil
von ihnen auf dem Rat, von dort zu fahren, ob sie könnten kommen nach Phönix, um
zu wintern, welches ist eine Anfurt an Kreta, gegen
den Wind Südwest und Nordwest. 13 Da aber der Südwind wehte, und sie meinten,
sie hätten nun ihr Vornehmen, erhoben sie sich nach Assos
und fuhren an Kreta hin.
14 Nicht lange
aber danach erhob sich gegen ihr Vornehmen eine Windsbraut, die man nennt
Nordost. 15 Und da das Schiff ergriffen wurde und konnte sich nicht gegen den
Wind richten, gaben wir’s dahin und schwebten so. 16 Wir kamen aber an eine
Insel, die heißt Klauda; da konnten wir kaum einen
Kahn ergreifen. 17 Den nahmen wir hoch mit Hilfsmitteln und banden ihn unten an
das Schiff; denn wir fürchteten, es möchte in die Syrte fallen, und ließen das
Gefäß hinunter und fuhren so. 18 Und da wir großes Unwetter erlitten hatten, da
taten sie am nächsten Tag einen Auswurf. 19 Und am dritten Tag warfen wir mit
unseren Händen aus die Bereitschaft im Schiff. 20 Da aber in vielen Tagen weder
Sonne noch Gestirn erschien, und nicht ein kleines Unwetter uns entgegen war,
war alle Hoffnung unseres Lebens dahin.
21 Und da man
lange nicht gegessen hatte, trat Paulus mitten unter sie und sprach: Liebe
Männer, man sollte mir gehorcht haben und nicht von Kreta aufgebrochen sein und
uns dieses Leides und Schadens überhoben haben. 22 Und nun ermahne ich euch, dass
ihr unverzagt seid; denn kein Leben aus uns wird umkommen, nur das Schiff. 23
Denn diese Nacht ist bei mir gestanden der Engel des Gottes, des ich bin und
dem ich diene, 24 und sprach: Fürchte dich nicht, Paulus; du musst vor den
Kaiser gestellt werden; und siehe, Gott hat dir geschenkt alle, die mit dir
schiffen. 25 Darum, liebe Männer, seid unverzagt; denn ich glaube Gott, es wird
so geschehen, wie mir gesagt ist. 26 Wir müssen aber anfahren an eine Insel.
27 Da aber die
vierzehnte Nacht kam, und wir in Adria fuhren um die Mitternacht, wähnten die
Schiffsleute, sie kämen etwa an ein Land. 28 Und sie senkten den Bleiwurf ein und fanden zwanzig Klafter tief. Und über ein
wenig von dannen senkten sie abermals und fanden fünfzehn Klafter. 29 Da
fürchteten sie sich, sie würden an harte Orte anstoßen, und warfen hinten vom
Schiff vier Anker und wünschten, dass es Tag würde. 30 Da aber die Schiffsleute
die Flucht suchten aus dem Schiffe und den Kahn niederließen in das Meer und
gaben vor, sie wollten die Anker vorn aus dem Schiffe lassen, 31 sprach Paulus
zu dem Unterhauptmann und zu den Kriegsknechten: Wenn diese nicht im Schiff
bleiben, so könnt ihr nicht beim Leben bleiben. 32 Da hieben die Kriegsknechte
die Stricke ab von dem Kahn und ließen ihn fallen.
33 Und da es
anfing, licht zu werden, ermahnte sie Paulus alle, dass sie Speise nähmen, und
sprach: Es ist heute der vierzehnte Tag, dass ihr wartet und ohne zu essen
geblieben seid und habt nichts zu euch genommen. 34 Darum ermahne ich euch,
Speise zu nehmen, euch zu laben; denn es wird euer keinem ein Haar von dem
Haupt entfallen. 35 Und da er das gesagt, nahm er das Brot, dankte Gott vor
ihnen allen und brach’s und fing an zu essen. 36 Da wurden sie alle guten Muts
und nahmen auch Speise. 37 Unser waren aber alle zusammen im Schiff zweihundert
und sechsundsiebzig Seelen. 38 Und da sie satt wurden, erleichterten sie das
Schiff und warfen das Getreide in das Meer.
39 Da es aber
Tag wurde, kannten sie das Land nicht. Einer Anfurt
aber wurden sie gewahr, die hatte ein Ufer; dahin wollten sie das Schiff
treiben, wenn es möglich wäre. 40 Und da sie die Anker aufgehoben, überließen
sie sich dem Meer und lösten die Ruderbande auf und richteten den Segelbaum
nach dem Wind und trachteten nach dem Ufer. 41 Und da wir fuhren an einen Ort,
der auf beiden Seiten Meer hatte, stieß sich das Schiff an, und das Vorderteil
blieb fest stehen unbeweglich; aber das Hinterteil zerbrach von der Gewalt der
Wellen. 42 Die Kriegsknechte aber hatten einen Rat, die Gefangenen zu töten, dass
nicht jemand, so herausschwömme, entflöhe. 43 Aber der Unterhauptmann wollte
Paulus erhalten und wehrte ihrem Vornehmen und hieß, die da schwimmen könnten,
sich zuerst in das Meer lassen und entrinnen an das Land, 44 die andern aber,
etliche auf den Brettern, etliche auf dem, was vom Schiff war. Und so geschah
es, dass sie alle erhalten ans Land kamen.
Von Cäsarea nach Guthafen
(V. 1-8): Die Anhörung vor Agrippa, die sowohl ihm als auch Festus
die Überzeugung vermittelte, dass. Die Anhörung vor
Agrippa, die sowohl ihm als auch Festus die
Überzeugung vermittelte, dass Paulus unschuldig an den Vergehen gegen das Reich
war, hatte ein gutes Ergebnis: Sie beendete die Ungewissheit der Gefangenschaft
in Cäsarea. Es wurde beschlossen, dass die Reise nach Italien, für die mehrere
Wege offen standen, ausschließlich auf dem Seeweg erfolgen sollte. Lukas
schloss sich hier, wie der Text zeigt, wieder der Gesellschaft des Paulus an.
Wahrscheinlich hatte er in den zwei Jahren dazwischen das Material gesammelt,
das er später unter der Führung des Heiligen Geistes in seinem Evangelium
verwendete. Paulus und einige andere Gefangene wurden in die Obhut eines
Zenturios namens Julius übergeben, eines Offiziers der kaiserlichen Garde oder
Kohorte, einer Truppe von Soldaten, die den Namen des Kaisers trug und
wahrscheinlich für vertrauliche Geschäfte zwischen Rom und den Provinzen
eingesetzt wurde. Da sie es etwas eilig hatten, warteten sie nicht auf die
Ankunft eines großen Schiffes, sondern schifften sich in einem Schiff aus Adramyttium ein, d. h. aus dem Hafen von Adramyttium, einem Hafen an der Küste von Mysien, nicht weit von Troas entfernt. Es handelte sich um
ein Segelschiff, das im lokalen Frachtverkehr eingesetzt wurde und zu den
kleinasiatischen Häfen unterwegs war. Julius hatte die Absicht, nach einem
größeren Schiff Ausschau zu halten, das direkt nach Italien fahren würde. Eine
Erwartung, die kaum unerfüllt bleiben konnte. Paulus hatte nicht nur Lukas als
Begleiter, sondern auch Aristarchus aus Thessalonich,
einen der Männer, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren, Kap. 20,4.
Die Tatsache, dass dieser Mann später als Mitgefangener des Paulus bezeichnet
wird, Kol. 4,10, spricht nicht dafür, dass er die Reise mit Paulus in dieser
Eigenschaft gemacht hat. Die Chancen dafür stehen gut. Lukas hätte die
Tatsache, dass er ein Gefangener war, erwähnt, wenn dies sein damaliger Zustand
gewesen wäre. Am nächsten Tag hatte das Schiff eine Strecke von fast siebzig
Meilen entlang der Küste zurückgelegt und legte in Sidon an, der ehemaligen
Hauptstadt von Phönizien, die als Handelsmetropole von Tyrus
abgelöst wurde. Hier gab Julius den ersten Beweis für den Respekt und die
Freundlichkeit, die er Paulus während der gesamten Reise entgegenbrachte: Er
behandelte ihn freundlich, nachdem er wahrscheinlich von Festus
entsprechende Anweisungen erhalten hatte und selbst von der Persönlichkeit und
dem Verhalten des Paulus beeindruckt war. Wahrscheinlich erhielt der Apostel
zusammen mit dem Soldaten, an den er gefesselt war, die Erlaubnis, zu seinen
Freunden in der Stadt, den Brüdern der dortigen Gemeinde, zu gehen und ihre
Fürsorge in Anspruch zu nehmen. Er brauchte vielleicht nicht unbedingt
ärztliche Hilfe, aber die freundlichen Worte seiner Mitchristen in dieser Zeit
waren für Paulus zweifellos mehr wert als jede bloße Unterhaltung zu seinem
Nutzen. Nachdem die Geschäfte des Schiffskapitäns in diesem Hafen abgeschlossen
waren, stachen sie von dort aus in See und segelten unter Zypern entlang, im
Windschatten dieser großen Insel im östlichen Mittelmeer. Dies machte es
erforderlich, dass das Schiff um die lange Halbinsel herumfuhr, die sich nach
Syrien hin erstreckt, anstatt das Mittelmeer südlich der Insel zu durchqueren.
Doch die Winde waren ungünstig. Nachdem das Schiff die nordöstliche Spitze
Zyperns umrundet hatte, schlich es sich langsam von Punkt zu Punkt an der Küste
Ziliziens und Pamphyliens
entlang, „wobei es, wenn möglich, die örtlichen Landwinde nutzte und die
Strömung, die an der Südküste ständig nach Westen lief“. auf diese Weise
erreichten sie den Hafen von Myra an der Südküste Lykiens, einen der großen
Häfen im Getreidehandel zwischen Ägypten und Rom. Der Hauptmann fand hier ein
Schiff aus Alexandria in Ägypten, offenbar ein Getreideschiff, das nach Italien
unterwegs war, und er brachte seine Gefangenen und ihre Freunde auf dieses
größere Handelsschiff, setzte sie an Bord und war überzeugt, dass der Rest der
Reise nun leicht zu bewältigen sei. Doch mehrere Tage lang kamen sie nur
langsam voran und erreichten nur unter großen Schwierigkeiten einen Punkt vor Knidus, einer Stadt an der Küste Kariens, in die sie nicht
einfahren konnten. Da der Wind ihr Vorankommen in der Ägäis immer noch
behinderte, wendeten sie sich nach Süden, um den Kurs im Windschatten der Insel
Kreta zu versuchen, die sie vor dem Kap Salmone an
der Ostspitze erreichten. Und auch hier segelten sie nur mit Mühe an der
Südseite der Insel entlang, bis sie einen bestimmten Ort erreichten, der Fair
Havens genannt wurde und sich etwa in der Mitte der Südküste befand; in der
Nähe lag die Stadt Lasea. Da sie im Spätsommer oder
Frühherbst des Jahres 59 oder 60 von Cäsarea aus aufgebrochen waren, nahte nun
der Winter, und die Schifffahrt wurde gefährlich.
Abfahrt von Guthafen
(V. 9-13): Aufgrund der ungünstigen Winde und des extrem langsamen Vorankommens
war die Jahreszeit schon sehr weit fortgeschritten, und die Schifffahrt war
lebensgefährlich geworden. Der große Fasttag des jüdischen Kalenders, der
Versöhnungstag, der am zehnten Tischri (entspricht in etwa unserem Oktober)
begangen wurde, war bereits vorbei. Damals hörte die Schifffahrt mit dem
Einsetzen der stürmischen Jahreszeit auf und wurde erst im Frühjahr wieder
aufgenommen. Paulus mahnte daher, sei es aus eigener Initiative oder auf Bitten
des Hauptmanns, dass die Reise, soweit er es erkennen konnte, nur mit großem
Schaden und viel Unheil, nicht nur für die Ladung und das Schiff, sondern auch
für ihr eigenes Leben, weitergehen würde. Die Elemente, vor allem die
Heftigkeit des Sturms, würden ihnen und dem Schiff sicher Schaden zufügen, und
das Ereignis rechtfertigte den Rat des Paulus voll und ganz. Aber der Hauptmann
ließ sich eher von dem Kapitän und dem Besitzer des Schiffes überzeugen als von
dem, was Paulus sagen konnte. Einigen Auslegern zufolge handelte es sich bei
den beiden Männern um den Lotsen und den Kapitän des Schiffes, und ihr
Interesse, sich dem Rat des Paulus zu widersetzen, beruhte auf geldgierigen
Motiven, denn der Proviant wurde in Rom sehnlichst erwartet, und der Unterhalt
einer großen Mannschaft während eines langen Aufenthalts in Fair Havens war ein
erheblicher Posten. Hinzu kam, dass der Hafen für die Überwinterung nicht
geeignet war, nicht so sehr aus nautischen Gründen, sondern aus dem Grund, dass
es in der Nähe keine große Stadt gab und die Seeleute unter dem Mangel an einer
geeigneten Beschäftigung leiden würden. So schlug die Mehrheit schließlich vor,
von dort aus in See zu stechen, mit der Absicht, in Phoenix zu überwintern,
einem Hafen Kretas, der nach Südwesten und Nordwesten ausgerichtet war. Das
Wetter schien sie in ihrer Meinung zu bestärken, denn anstelle des unangenehmen
und entgegengesetzten Windes aus dem Westen begann eine mäßige Brise aus dem
Süden zu wehen, die ihrer Absicht, etwa sechzig Meilen an der Küste entlang zu
fahren, durchaus förderlich erschien. In der Überzeugung, ihr Vorhaben verwirklichen
zu können, lichteten sie den Anker und segelten an Kreta entlang nach Westen,
noch näher an der Küste als zuvor, um die Küste zu umschiffen. Es war ein
gefährliches Unterfangen, aber sie waren bereit, es zu riskieren, so wie heute
viele Menschen Leib und Leben tausendfach aufs Spiel setzen, um ein paar Dollar
zu gewinnen.
Die Stürme (V. 14-20): Die sanfte
Brise scheint nur eine Flaute gewesen zu sein, während sich der Sturm
verlagerte, denn nicht lange nachdem sie von Fair Havens aufgebrochen waren und
wahrscheinlich noch bevor sie das Kap umrundet hatten, wo ihr Kurs auf Nordwest
drehte, schlug ein stürmischer Wind, ein Orkan, von Kreta und seinen Bergen
herab. Sein Name wird mit Euroclydon oder Ost-Nordost
angegeben, der heute als „Levanter“ bekannt ist, und
seine Kraft war so stark, nachdem das Schiff von ihm erfasst worden war, dass
es unmöglich war, sich dem Wind zu stellen. Also gaben die Seeleute dem Wind
nach, überließen das Schiff der Gnade des Orkans und ließen sich treiben.
Stetig wurden sie nach Südwesten getrieben, bis sie in den Windschatten einer
kleinen Insel namens Clauda gerieten. Hier war die
Wucht des Sturms nicht ganz so groß wie auf offener See, und so konnten die
Matrosen drei Vorsichtsmaßnahmen treffen. Mit einiger Mühe gelang es ihnen, das
Boot oder Skiff zu erreichen, das normalerweise am Heck schwamm, jetzt aber
Gefahr lief, gegen die Seiten des Schiffes geschleudert zu werden, und das sie
an Deck hievten. Als Nächstes untermauerten sie das Schiff, indem sie Seile um
den Rumpf legten, was in diesem Fall zweifellos der längere Weg war, um die gesamte
Beplankung des Schiffes zu sichern und die Kraft der Wellen zu brechen. Und
schließlich, da die Seeleute befürchteten, in die gefürchtete Syrte, die großen
Treibsandbänke nahe der afrikanischen Küste, getrieben zu werden, senkten sie
die Ausrüstung, die Takelage der Segel, oder setzten sie so, dass sie dem Wind
den geringstmöglichen Widerstand bot, und wurden so getrieben. Ihre
Vorsichtsmaßnahmen scheinen zumindest so viel Wirkung gezeigt zu haben, dass
der Kurs des Schiffes von Südwest auf West geändert wurde. Am nächsten Tag
tobte der Sturm mit unverminderter Heftigkeit, und da sie durch den Sturm hin
und her geworfen wurden und große Not litten, warfen sie die Ladung oder die
losen Teile davon über Bord. Am dritten Tag warfen sie die Takelage und das Takelwerk
des Schiffes mit allen Spieren und Tauwerk über Bord. Das Leid und die Not
aller Männer an Bord wurde noch dadurch vergrößert, dass sie sich bei der
Steuerung des Schiffes auf die Sterne verlassen mussten, und da nun tagelang
weder Sonne noch Sterne zu sehen waren und der Sturm mit unverminderter Kraft
wütete, gaben sie schließlich jede Hoffnung auf Rettung auf. Das war das
Ergebnis einer unbedarften Gefahr, einer reinen Anmaßung.
Paulus tröstet die Schiffsbesatzung und
Passagiere (V. 21-26): Vierzehn Tage und Nächte lang wurde das Schiff von
den Wellen des Mittelmeers wie eine Nussschale hin- und hergeworfen, und
während dieser Zeit waren Besatzung und Passagiere in zu großer Bedrängnis, um
an Essen zu denken; sie enthielten sich völlig. Als aber Paulus an einem dieser
Tage in ihre Mitte trat und vor sie hintrat, waren sie bereit, mit größerem
Respekt auf einen zu hören, dessen Urteilsvermögen gesünder war als das der
meisten, wenn nicht aller von ihnen. Ohne die geringste Spur von Bosheit in
seiner Haltung, sondern mit der Offenheit, die ihn stets auszeichnete, sagte
Paulus ihnen, sie hätten sich von ihm überreden lassen und nicht von Kreta aus
in See stechen sollen. Wenn sie nicht in See gestochen wären, wie er es ihnen
geraten hatte, hätten sie diesen Verlust nicht erlitten, sondern sich sowohl
Not als auch Schaden oder Verlust von Eigentum erspart. Nun aber ermahnte er
sie eindringlich, guten Mutes zu sein, da keiner von ihnen sein Leben verlieren
würde, es sei denn, es wäre das des Schiffes. Das Schiff würde sich bei den
kommenden Ereignissen als Totalverlust erweisen, aber alle Menschenleben würden
verschont bleiben. Und diese Ermahnung stützt Paulus durch eine Vision oder einen
Traum. In der gerade zu Ende gegangenen Nacht war der Engel des Herrn, dessen
Eigentum er war und dem er diente, bei ihm gestanden und hatte ihm gesagt, er
solle sich nicht fürchten, denn es müsse geschehen, dass er vor Cäsar gestellt
und vor dem Kaiser angeklagt werde, und Gott habe ihm das Leben aller, die mit
ihm segelten, geschenkt. Sie waren sein Geschenk, eine Gabe Gottes, mit dem
Hinweis, dass sie ohne diese Gabe alle umkommen würden. Und so ermahnt Paulus
die Männer erneut, guten Mutes zu sein, denn er hatte absolutes Vertrauen in
die Worte Gottes, dass die Dinge genau so eintreffen
würden, wie es ihm gesagt worden war. Und im Geiste der Prophezeiung fügt der
Apostel hinzu: Auf einer bestimmten Insel aber sollen wir gestrandet sein. Das
war nicht Teil der Botschaft des Engels an ihn, sondern er hatte diese
Information durch den Geist Gottes. Beachte: Jeder wahre Christ betrachtet sich
als dem Herrn zugehörig, als sein Eigentum; und jeder Christ verbringt sein
Leben im Dienst seines Herrn, so wie Paulus es tat. Beachte auch: Gott
verschont oft die Ungläubigen und Spötter um der Christen willen, die dann das
Werk des Herrn mit doppelter Kraft verrichten sollen.
Land in Sicht (V. 27-32): Um diese
Zeit wurde das Schiff, ein bloßer Spielball der Wellen, in der Adria, im
Ionischen Meer zwischen Sizilien und Griechenland, hin und her geworfen und in
einer gleichmäßigen, kontinuierlichen Bewegung nach Westen getrieben, und die
vierzehnte Nacht war über sie hereingebrochen. Es war etwa mitten in der Nacht,
als die Seeleute vermuteten, nicht weil sie in der dichten Dunkelheit etwas
erkennen konnten, sondern weil das Geräusch der Wellen, das Rollen der
Brandung, darauf hinzudeuten schien, dass dasselbe Land sich ihnen näherte, so
wie es einem Reisenden vom Deck eines Schiffes aus erscheint. Sie sondierten
also schnell und fanden eine Tiefe von zwanzig Faden (ein Faden sind sechs
Fuß); nachdem sie aber noch ein wenig weiter gefahren waren und den Peilstab
erneut ausgeworfen hatten, maßen sie fünfzehn Faden. Die Schlussfolgerung, die
sie aus diesen Peilungen zogen, ließ die Besatzung und die Passagiere
befürchten, dass sie auf felsigen Grund stoßen würden, entweder an der Küste
oder auf untergetauchte Riffe. Also ließen sie vier Anker am Heck des Schiffes
aus und wünschten sich von Herzen, dass der Tag anbrechen möge. Das Ankern vom
Heck aus, ohne zu wissen, was einige Meter von ihnen entfernt war, ermöglichte
es den Matrosen, das Schiff viel leichter zu steuern und es unter Kontrolle zu
halten, falls es sich als machbar erweisen sollte, es am Morgen an Land zu
bringen. Paul war an Deck, ebenso wie die meisten Passagiere, und so konnte er
einen heimtückischen Plan der Besatzung vereiteln. Denn die Matrosen wollten
unbedingt vom Schiff fliehen und Soldaten, Passagiere und Gefangene ihrem
Schicksal überlassen; sie ließen das kleine Boot ins Meer hinab, mit der
Begründung, sie wollten auch die Anker am Bug des Schiffes auswerfen. Sie taten
so, als müssten sie die Anker über die gesamte Kabellänge auswerfen. Doch
Paulus bemerkte ihre Täuschung und sagte dem Hauptmann und den Soldaten, dass
sie nicht alle gerettet werden könnten, wenn diese Männer nicht im Schiff
blieben. Die Soldaten machten daraufhin kurzen Prozess mit ihm. Sie kappten
einfach die Seile, die das Boot hielten, und ließen es hinunterfallen,
woraufhin die Wellen das Boot mit sich rissen. Auf diese Weise rettete Paulus
erneut das Leben aller Menschen auf dem Schiff, denn es lag auf der Hand, dass
weder die Soldaten noch die Passagiere in der Lage sein würden, das Schiff in
einer Notlage wie dieser zu steuern. Ein Christ wird immer das Wohl aller
Menschen im Auge haben und sie, soweit es in seiner Macht steht, in jeder körperlichen
Not beraten, ihnen helfen und sie beschützen.
Paulus ermutigt die anderen
Schiffsinsassen (V. 33-38): Dass die Ereignisse der letzten zwei Wochen,
die schrecklichen Stöße von Wind und Wellen, die ständige Todesgefahr, die
Abwesenheit von Sonne und Sternen, auf alle Männer an Bord eine
demoralisierende Wirkung gehabt hatten, ist leicht zu verstehen. Trotz der
aufmunternden und beruhigenden Worte von Paulus auf dem Höhepunkt des Sturms
hatte die Belastung weder der Besatzung noch den Passagieren erlaubt zu essen.
Der Mann mit der größten Gelassenheit und Selbstbeherrschung auf dem ganzen
Schiff war der Apostel; er war jetzt mit Leichtigkeit der führende Geist in der
gesamten Schiffsgesellschaft. Seit etwa Mitternacht hatte das Schiff an seinen
Ankern gezerrt, in ständiger Gefahr, dass eine ungewöhnlich schwere See die
Taue lösen und alle auf die felsigen Riffe werfen könnte. Und nun kam endlich
die späte Morgendämmerung eines tiefliegenden Novembertages. Aber gerade als
der Tag anbrechen sollte. Paulus forderte alle Männer an Bord eindringlich auf,
etwas zu essen, und erinnerte sie daran, dass es nun schon der vierzehnte Tag
war, seit sie auf der Wache waren, um nach Hilfe und Rettung Ausschau zu
halten, und dass sie während dieser ganzen Zeit ohne Nahrung gewesen waren und
nichts gegessen hatten, keine regelmäßige Mahlzeit eingenommen hatten. Ab und
zu hatte einer von ihnen vielleicht einen hastigen Bissen zu sich genommen,
aber nicht genug, um für einen Notfall genügend Kraft zu haben. „Paulus schlägt
der ganzen Gesellschaft vor, Nahrung zu sich zu nehmen, um sich für die Flucht
vom Schiff zu stärken. Dies war eine weise und notwendige Maßnahme. Sie wurde
Paulus durch die Situation aufgezwungen; aber er war der einzige, der genügend
Gelassenheit und Mut bewahrte, um an die Vorbereitung für die unmittelbare
Zukunft zu denken.“[92]
Paulus bittet sie also, etwas zu essen zu nehmen und eine gute Mahlzeit daraus
zu machen, da dies für ihre Sicherheit und für das Werk, das sie verrichten
müssten, um aus ihrer gegenwärtigen Gefahr befreit zu werden, notwendig sei.
Und er versichert ihnen erneut, dass kein einziges Haar auf ihrem Haupt
umkommen würde; sie würden weder ihr Leben verlieren noch an ihrem Körper
ernsthaft verletzt werden. Nach diesen Worten ging Paulus selbst mit gutem
Beispiel voran: Er nahm etwas Brot, dankte Gott vor allen und brach das Brot
und begann zu essen. Man beachte, dass Paulus selbst in der größten Gefahr
nicht versäumte, das Tischgebet zu sprechen und Gott zu danken, der für die
Nahrung gesorgt hatte; auch die Anwesenheit von Heiden hinderte ihn nicht
daran, in dieser Hinsicht seiner Gewohnheit zu folgen. Der Mut des Paulus war
ansteckend, denn nun war die ganze Gesellschaft guten Mutes; alle Männer an
Bord fühlten das Bedürfnis, mehr Vertrauen und Mannhaftigkeit zu zeigen, und so
nahmen sie auch selbst etwas Fleisch zu sich, nahmen an der Nahrung teil, eine
große Zahl, wie Lukas bemerkt, insgesamt zweihundertsechsundsiebzig Seelen: sie
alle waren von seinem Vertrauen beseelt. Als sie dann zu ihrer Zufriedenheit
gegessen hatten und jeder eine volle Mahlzeit zu sich genommen hatte, wurden
sie so ruhig und stark, dass sie anschließend das Schiff erleichterten, indem
sie das Getreide, das einen großen Teil der Ladung ausgemacht zu haben scheint,
ins Meer warfen. Der Zweck war, das Schiff so hoch wie möglich im Wasser fahren
zu lassen und so den Tiefgang zu verringern, um es über Ufer und Untiefen zu
heben und es so nah wie möglich an das Land zu bringen. Anmerkung: Es ist immer
zum Vorteil und Nutzen der Kinder dieser Welt, wenn Christen in ihrer Mitte
leben. Mehr als einmal haben der Rat und die Gebete der Christen in Tagen
großer Gefahr und Bedrängnis Hilfe gebracht.
Dem gestrandeten Schiff entkommen
(V. 39-44): Als es hell genug wurde, um Objekte deutlich zu erkennen,
versuchten die Seeleute, sich zu orientieren, aber sie erkannten das Land
nicht. Vielleicht waren sie schon einmal auf der Insel gewesen, aber dieser
bestimmte Abschnitt am nordöstlichen Ufer war ihnen nicht vertraut. Von ihrem
Ankerplatz aus, in der Nähe einer felsigen Landzunge, sahen oder bemerkten sie
eine kleine Bucht oder einen Meeresarm mit einem Sandstrand, der viel
einladender aussah als die Riffe weiter draußen. In diese kleine Bucht wollten
sie also, wenn möglich, das Schiff treiben; sie wollten es am Strand an Land
ziehen. Nachdem sie also die Anker gelöst hatten, indem sie die Taue, die sie
im Inneren des Schiffes hielten, durchtrennten, ließen sie sie im Meer zurück.
Gleichzeitig lösten sie die Bänder, die Befestigung der Ruder, der beiden
Schaufelruder, mit denen die Schiffe jener Tage ausgestattet waren, denn sie
brauchten sie nun, um das Schiff zu steuern. Schließlich hissten sie das Focksegel,
breiteten es im Wind aus und fuhren auf den flachen Strand zu. Doch als das
Schiff in die Fahrrinne einfuhr, stieß es plötzlich auf eine unter Wasser
liegende Bank, einen Bergrücken, eine Untiefe oder ein Riff, wobei der Bug tief
in den Schlamm oder Sand eindrang und sich festsetzte, während das Heck durch
die Wucht der Wellen zu zerbrechen begann. Es war eine äußerst gefährliche
Situation, in der die Soldaten fast ihre Selbstbeherrschung und ihren gesunden
Menschenverstand verloren. Denn ihr Plan war nun, die Gefangenen zu töten,
damit nicht einer von ihnen schwimmend entkommen konnte. Als ob die Gefahr
dafür groß gewesen wäre. Auf der felsigen Insel! Aber hier zeigte Julius, der
Zenturio, wieder seinen guten Willen. Er wollte Paulus sicher durchbringen und
hinderte sie deshalb an ihrem Plan, machte ihrem Vorhaben ein Ende. Er gab den
Befehl, dass alle, die schwimmen konnten, zuerst über Bord springen und so das
Land erreichen sollten. Und danach, wenn die See um den Schiffsrumpf herum frei
von Schwimmern war, sollten die übrigen, einige auf Planken und andere auf
Wrackteilen, dasselbe tun. Es war kein leichtes Unterfangen, bei schwerer See
und hohen Wellen am Ufer einen Ort zu erreichen, an dem keine Gefahr drohte,
aber schließlich kamen alle Männer, die sich auf dem Schiff befunden hatten,
die Besatzung, die Soldaten, die Passagiere und die Gefangenen, gemäß der
Vorhersage des Paulus in Sicherheit an. Es war eine wundersame Flucht. Hätten
sie doch nur alle anerkannt, dass dies dem Gott der Christen zu verdanken war,
dem sie das Leben und alle Segnungen verdankten!
Zusammenfassung. Die Reise nach
Rom beginnt in Cäsarea mit einem adramyttinischen
Schiff, wird in Myra mit einem alexandrinischen Schiff fortgesetzt, führt durch
die südliche Ägäis und an der Südseite Kretas entlang, wo ein schrecklicher
Sturm das Schiff nach Westen treibt und es an der Insel Malta Schiffbruch
erleidet.
Die Reise von Malta nach Rom (28,1-16)
1 Und da wir
überlebt hatten, erfuhren wir, dass die Insel Melite
[Malta] hieß. 2 Die Leute aber zeigten uns nicht geringe Freundlichkeit,
zündeten ein Feuer an und nahmen uns alle auf um des Regens, der über uns
kommen war, und um der Kälte willen. 3 Da aber Paulus einen Haufen Reiser
zusammenraffte und legte es aufs Feuer, kam eine Otter von der Hitze und fuhr
Paulus an seine Hand. 4 Da aber die Leute sahen das Tier an seiner Hand hängen,
sprachen sie untereinander: Dieser Mensch muss ein Mörder sein, welchen die
Rache nicht leben lässt, ob er gleich dem Meer entgangen ist. 5 Er aber
schlenkerte das Tier ins Feuer, und ihm widerfuhr nichts Übles. 6 Sie aber
warteten, wenn er schwellen würde oder tot niederfallen. Da sie aber lange
warteten und sahen, dass ihm nichts Ungeheures widerfuhr, änderten sie ihre
Ansicht und sprachen, er wäre ein Gott.
7 An diesen
Örtern aber hatte der Oberste in der Insel mit Namen Publius ein Vorwerk; der
nahm uns auf und herbergte uns drei Tage freundlich. 8 Es geschah aber, dass
der Vater des Publius am Fieber und an der Ruhr lag. Zu dem ging Paulus hinein
und betete und legte die Hand auf ihn und machte ihn gesund. 9 Da das geschah,
kamen auch die anderen auf der Insel herzu, die Krankheiten hatten, und ließen
sich gesund machen. 10 Und sie taten uns große Ehre, und da wir auszogen, luden
sie auf, was uns not war.
11 Nach dreien
Monaten aber schifften wir aus in einem Schiff von Alexandrien, welches bei der
Insel überwintert hatte und hatte ein Panier der Zwillinge. 12 Und da wir nach
Syrakus kamen, blieben wir drei Tage da. 13 Und da wir umschifften, kamen wir nach
Rhegium; und nach einem Tag, da der Südwind sich erhob,
kamen wir am nächsten Tag nach Puteolj. 14 Da fanden
wir Brüder und wurden von ihnen gebeten, dass wir sieben Tage dablieben. Und so
kamen wir nach Rom. 15 Und von dort, da die Brüder von uns hörten, gingen sie
aus uns entgegen bis nach Appifor und Tretabern. Da die Paulus sah, dankte er Gott und gewann
eine Zuversicht. 16 Da wir aber nach Rom kamen, über antwortete der
Unterhauptmann die Gefangenen dem obersten Hauptmann. Aber Paulus wurde erlaubt
zu bleiben, wo er wollte, mit einem Kriegsknecht, der sein hütete.
Paulus erneut in Gefahr (V. 1-6): Als
die Menschen auf dem Schiffswrack das Land sicher erreicht hatten, erfuhren sie
erst, dass die Insel Melita oder Malta hieß. Sie hatten also in den zwei Wochen
eine Strecke von fast fünfhundert Meilen [ca. 804 km] zurückgelegt; denn die
Insel liegt südlich von Sizilien und bildet mit Gozo und einigen anderen
kleineren Inseln eine Gruppe, die heute als Maltesische Inseln bekannt ist.
Lukas bezeichnet die Inselbewohner als Barbaren, nicht als Vorwurf, sondern
weil die Griechen und Römer alle Fremden, die kein Griechisch sprachen, so
nannten. Die Bewohner der Insel waren phönizischer Abstammung und waren nach
dem Zweiten Punischen Krieg unter die Herrschaft Roms gekommen. Sie erwiesen
sich hier in ungewöhnlichem Maße als gastfreundlich und begegneten den
Schiffbrüchigen mit außergewöhnlicher Freundlichkeit. Es muss ihnen
schwergefallen sein, ein Feuer zu entfachen und sie alle zu empfangen: Sie
bereiteten ihnen einen herzlichen Empfang, der zweifellos doppelt so groß war,
weil sie alle kalt und nass bis auf die Haut waren; außerdem regnete es
unaufhörlich, und die Kälte fror bis auf die Knochen. Paul hielt sich
keineswegs zurück, als die anderen damit beschäftigt waren, das Feuer wieder
aufzufüllen, sondern sammelte fröhlich mit den anderen Holzscheite. Als er
jedoch gerade dabei war, ein Bündel Stöcke aufzuschichten und auf das Feuer zu
legen, glitt eine Schlange, die durch die Wärme geweckt worden war, zwischen
den Stöcken hervor und biss ihn, bevor Paul seine Hand zurückziehen konnte, in
die Wunde. Als die Inselbewohner das Tier an seiner Hand hängen sahen, waren
sie sehr erschrocken und äußerten ihre Meinung über die Angelegenheit, indem
sie sagten, dass es sich bei diesem Mann sicherlich um einen Mörder handeln
müsse, den die Gerechtigkeit nicht am Leben gelassen hatte, obwohl er aus dem
Meer gerettet worden war. Sie wussten, dass Paulus ein Gefangener war, weil er
unter Bewachung stand, und ihre Schlussfolgerung war so voreilig wie die der
meisten Menschen unter ähnlichen Umständen. Aus Erfahrung kannten sie die
Bösartigkeit des Giftes dieser Schlangen, und in ihren Augen war Paulus bereits
tot; die Göttin der Gerechtigkeit, an die sie glaubten, hatte sich an ihm
gerächt. Doch Paulus schüttelte die Viper mit einer ruckartigen Bewegung seiner
Hand ins Feuer ab und erlitt kein Übel, keine unangenehmen Folgen, welcher Art
auch immer. Aber die Inselbewohner beobachteten ihn, weil sie sicher waren,
dass er anschwellen oder plötzlich tot umfallen würde. Aber nichts von alledem
geschah. Lukas, als Arzt, war mit solchen Symptomen bestens vertraut. Und als
sie lange gewartet und beobachtet hatten und nichts Ungewöhnliches geschah,
änderten die Bewohner ihre Meinung und sagten, er sei ein Gott. Ihr
abergläubischer Verstand konnte zu keiner anderen Schlussfolgerung gelangen; es
war der Weg, den ihre Ausbildung sie gelehrt hatte, zu gehen. Anmerkung:
Moderne Menschen mögen über diesen Aberglauben abschätzig lächeln, aber da fast
die ganze Welt in der einen oder anderen Form ähnliche Überzeugungen vertritt,
ist es sicher nicht angebracht, andere mit Steinen zu bewerfen. Es war der
Herr, der seine schützende Hand über seinen Knecht hielt, wie er es versprochen
hatte (Mark. 16,18).
Die Heilung des Vaters des Publius
(V. 7-10): Im selben Viertel, in der Nähe des Ortes, der heute als St. Paul's Bay bekannt ist, hatte der römische Herrscher der
Insel, dessen Titel der Häuptling oder der erste Mann war, wie eine antike
Inschrift zeigt, seinen Sitz. Sein Name war Publius, und er zeigte den
Schiffbrüchigen eine fast beispiellose Gastfreundschaft, die eines Legaten des
Prätors von Sizilien, zu dessen Provinz Malta gehörte, durchaus würdig war.
Denn er nahm zumindest die Passagiere und Paulus auf, wenn nicht sogar die
gesamte Schiffsbesatzung, und bot ihnen seine Gastfreundschaft an, da seine
Gebäude groß genug waren, um ein solches Arrangement zu ermöglichen. Er tat
dies drei Tage lang mit größter Höflichkeit und Wohlwollen, bis andere Mittel
gefunden werden konnten. So geschah es, dass der Vater des Publius krank im
Bett lag, mit Fieber und Ruhr, wie Lukas mit seinen medizinischen Kenntnissen
feststellen konnte, und Paulus ging als Gegenleistung für die empfangene
Gastfreundschaft zu ihm hinein, betete über ihn im Namen Jesu, legte ihm die
Hände auf und machte ihn gesund, heilte ihn, gab ihm seine Gesundheit zurück.
Wie in anderen Fällen geschah dieses Wunder, um Christus zu verherrlichen und
die Kraft des Evangeliums zu bezeugen. Die Folge war, dass auch die übrigen
Bewohner der Insel, die krank waren, zu Paulus kamen und geheilt wurden. Es war
eine Zeit der barmherzigen Heimsuchung der Insel, in der der Herr sich vielen
von ihnen offenbarte. Dementsprechend groß war die Dankbarkeit der Inselbewohner.
Um des Paulus willen ehrten sie sie mit vielen Ehren, indem sie ihnen nicht,
wie manche meinen, ein Arzthonorar aufdrängten, sondern ihnen alles gaben, was
Ehrengäste an Geschenken und Bewirtung genießen sollten; und als sie ausliefen,
nahmen sie für Paulus und die ganze Schiffsbesatzung alle Vorräte und
Annehmlichkeiten an Bord, die sie für den Rest der Reise brauchten. So steuert
Gott sogar die so genannten zufälligen Ereignisse des Lebens und lenkt sie zum
Wohl der Gläubigen und der Menschen, unter denen sie leben. Anmerkung: Es war
durchaus angemessen und lobenswert, dass die Bewohner der Insel ihre
Dankbarkeit für die barmherzige Heimsuchung Gottes an seinen Dienern zeigten.
Wenn diese angenehme Beziehung überall hergestellt würde, gäbe es weniger
Arbeit unter dem Handicap des Seufzens in der Kirche, Hebr. 13,17.
Von Malta nach Rom (V. 11-16): Der
Aufenthalt in Malta wurde so kurz wie möglich gehalten, da Julius darauf
bedacht war, seine Gefangenen an den kaiserlichen Hof zu bringen. Nach drei
Monaten, spätestens aber Ende Februar oder Anfang März, segelten sie alle mit
einem Schiff aus Alexandria ab, das auf der Insel überwintert hatte und dessen
Erkennungszeichen, entweder auf der Galionsfigur am Bug oder auf dem Wimpel,
die Zwillingsbrüder Castor und Pollux waren. Diese beiden heidnischen Götter
galten als die besonderen Beschützer der Seeleute, und die Schiffe waren oft
mit ihren geschnitzten Figuren geschmückt. Sie segelten fast genau nach Norden
und legten in Syrakus an, einer Stadt an der Ostküste Siziliens, wo sie drei
Tage lang blieben und wahrscheinlich auf günstige Winde warteten. Als sie hier
ablegten, kam der Wind immer noch aus der falschen Richtung, und sie mussten
sich durch Wenden an der Küste entlang vorarbeiten und erreichten so Rhegium, in der südwestlichen Ecke Italiens, an der Straße
von Messina. Hier hatten sie mehr Glück, denn nach nur einem Tag Aufenthalt kam
ein stetiger Südwind auf, der es ihnen ermöglichte, in zwei Tagen nach Puteoli zu gelangen. Hier beendete das Schiff seine Reise,
und Paulus und seine Mitgefangenen gingen von Bord. Die Stadt war in jenen
Tagen einer der wichtigsten Häfen Italiens, ihre Beziehung zu Rom entsprach in
etwa der von Liverpool zu London. Hier fanden Paulus und seine Gefährten
Brüder, Christen, die eine Gemeinde bildeten, und wurden von ihnen gebeten,
sieben Tage zu bleiben, bevor sie in die etwa hundertvierzig Meilen entfernte
Hauptstadt weiterreisen. Die Tatsache, dass Paulus von Julius die Erlaubnis
erhielt, der dringenden Bitte der örtlichen Christen nachzukommen, zeigt, dass
er bei dem Römer in hohem Ansehen stand. So erreichten sie hier, in Puteoli, die Grenzen des römischen Territoriums, denn Lukas
unterscheidet sorgfältig zwischen der Stadt selbst und dem weiteren Gebiet, das
man gemeinhin zu ihr rechnete.[93]
Die Nachricht von der Ankunft des Paulus war inzwischen bis in die Stadt
vorgedrungen, wo die Brüder die Ankunft ihres großen Lehrers mit großem
Interesse erwarteten. Einige der römischen Jünger gingen ihnen bis nach Appii Forum entgegen, einem Dorf an der Via Appia,
dreiundvierzig Meilen von Rom entfernt; und zehn Meilen näher an der
Hauptstadt, in Drei Tavernen, erwartete eine andere Abordnung von Christen den
Apostel. Obwohl die beiden Städtchen also sonst keine Bedeutung hatten und
eines von ihnen zumindest durch seine Straßenhäuser bekannt war, sind ihre
Namen als Rastplätze der Begleiter des Paulus in der heiligen Geschichte
erhalten geblieben. Dieses Zeichen der Achtung und Zuneigung seitens der
römischen Brüder erfüllte Paulus mit großer Freude und tröstete sein Herz; denn
als er sie sah, dankte er Gott und fasste Mut. Es ist für den Glauben erhebend
und stärkend, wenn Christen auf ihrem Lebensweg überall Brüder finden, die mit
ihnen dem wahren Gott des Himmels dienen. Als Julius mit seiner Schar von
Gefangenen Rom erreichte, übergab er Paulus den zuständigen Offizieren oder dem
Präfekten der kaiserlichen Garde. Der Bericht des Hauptmanns und der Brief des Festus müssen sehr günstig ausgefallen sein, denn Paulus
erhielt die Erlaubnis, in seiner Wohnung zu bleiben, während er darauf wartete,
dass sein Fall aufgerufen wurde, und während seines Prozesses nur einen
Soldaten als Wache bei sich hatte. Er war mit einer leichten Kette an diesen
Soldaten gefesselt, was zuweilen lästig gewesen sein muss, aber es war fast die
leichteste Form der Gefangenschaft, die die Römer kannten, und gab dem Apostel
die freie Gelegenheit, die Brüder zu sehen und alle Dienste zu verrichten, die
er wünschte. Der erhabene Christus selbst hielt seine schützende Hand über
Paulus, damit die Gemeinde in Rom in den Genuss der Lehre des Paulus kam und in
der christlichen Lehre gefestigt wurde.
Zwei
Jahre in Rom (28,17-31)
17 Es geschah
aber nach dreien Tagen, dass Paulus zusammenrief die Vornehmsten der Juden. Da
diese zusammenkamen, sprach er zu ihnen: Ihr Männer, liebe Brüder, ich habe
nichts getan gegen unser Volk noch gegen väterliche Sitten und bin doch
gefangen aus Jerusalem übergeben in der Römer Hände, 18 welche, da sie mich
verhört hatten, wollten sie mich losgeben, da keine Ursache des Todes an mir
war. 19 Da aber die Juden dagegen redeten, wurde ich genötigt, mich auf den
Kaiser zu berufen; nicht, als hätte ich mein Volk um etwas zu verklagen. 20 Um
der Ursache willen habe ich euch gebeten, dass ich euch sehen und ansprechen
möchte; denn um der Hoffnung willen Israels bin ich mit dieser Kette umgeben.
21 Sie aber
sprachen zu ihm: Wir haben weder Schrift empfangen aus Judäa deinethalben, noch
ist ein Bruder gekommen, der von dir etwas Arges verkündigt oder gesagt habe.
22 Doch wollen wir von dir hören, was du hältst. Denn von dieser Sekte ist uns
kund, dass ihr wird an allen Enden widersprochen. 23 Und da sie ihm einen Tag
bestimmten, kamen viele zu ihm in die Herberge, welchen er auslegte und
bezeugte das Reich Gottes und predigte ihnen von Jesus aus dem Gesetz Moses und
aus den Propheten vom frühen Morgen an bis an den Abend. 24 Und etliche fielen
zu dem, was er sagte; etliche aber glaubten nicht.
25 Da sie aber
untereinander uneins waren, gingen sie weg, als Paulus ein Wort redete, das
passend der Heilige Geist gesagt hat durch den Propheten Jesaja zu unsern
Vätern 26 und gesprochen: Gehe hin zu diesem Volk und sprich: Mit den Ohren
werdet ihr’s hören und nicht verstehen, und mit den
Augen werdet ihr’s sehen und nicht erkennen. 27 Denn
das Herz dieses Volks ist verstockt, und sie hören schwer mit Ohren und
schlummern mit ihren Augen, damit sie nicht dereinst sehen mit den Augen und
hören mit den Ohren und verständig werden im Herzen und sich bekehren, dass ich
ihnen hülfe. 28 So sei es euch kundgetan, dass den Heiden gesandt ist dies Heil
Gottes; und sie werden’s hören. 29 Und da er solches
redete, gingen die Juden hin und hatten viele Fragen untereinander.
30 Paulus aber
blieb zwei Jahre in seinem eignen Gedinge und nahm auf alle, die zu ihm kamen,
31 predigte das Reich Gottes und lehrte von dem HERRN Jesus mit aller
Freudigkeit unverboten.
Paulus ruft die Juden zusammen (V.
17-20): Zu dieser Zeit gab es in Rom eine blühende Gemeinde, und Paulus hätte
seine ganze Zeit den bereits versammelten Gläubigen widmen können. Aber wie an
anderen Stellen rief er auch hier absichtlich die einflussreichsten Juden
zusammen und hielt sich dabei an seine Regel: dem Juden zuerst und auch dem
Griechen, Röm. 1,16. Das Dekret des Claudius, das die Juden aus Rom verbannte,
Kap. 18,2, war inzwischen widerrufen worden, und die Juden waren wieder in die
Hauptstadt geströmt. Als die führenden Juden seiner Einladung folgten und sich
an dem von Paulus bezeichneten Ort trafen, legte er ihnen einige persönliche
Angelegenheiten vor. Er wollte vor allem alle Vorurteile ausräumen, die sie ihm
gegenüber hegen könnten, erstens wegen seiner Gefangenschaft, zweitens wegen
der Tatsache, dass er sich an den Kaiser gewandt hatte, und drittens, um die
Auswirkungen der verleumderischen Berichte zu beseitigen, die möglicherweise
aus Jerusalem gekommen waren. Er sagte ihnen, dass er nichts getan habe, dass
er sich weder gegen das jüdische Volk noch gegen die Sitten und Gebräuche der
Väter schuldig gemacht habe und dennoch in die Hände der Römer geraten sei.
Paulus verweist taktvoll darauf, dass seine Verhaftung nur indirekt von den
Juden veranlasst worden sei. Als die Römer ihn angehört hatten, wollten sie ihn
freilassen, da sie keine Todesursache in ihm sahen und dem Apostel kein
einziges Verbrechen nachgewiesen werden konnte. Als die Juden dann aber
Einspruch erhoben, war er gezwungen, sich an Cäsar zu wenden: aber nicht in dem
Sinne, wie Paulus sich beeilt hinzuzufügen, als ob er irgendeine Anklage gegen
sein eigenes Volk zu erheben hätte. Aber deshalb hatte er sie gerufen, hatte
sie gebeten, sich mit ihm zu treffen, um sie zu sehen und mit ihnen zu
sprechen, sich mit ihnen zu beraten. Denn er versichert ihnen, dass er diese
Kette trägt, die sie alle sehen konnten, dass er mit diesem Zeichen der
Gefangenschaft umgeben war, und zwar wegen der Hoffnung Israels. Die einzige
Hoffnung Israels war die auf den Messias; auf ihn hatten alle Propheten
gewartet, von ihm hatten alle Weisen gesprochen. Und weil Paulus von der
Erfüllung all dieser Hoffnungen und Vorhersagen und Prophezeiungen in der
Person Jesu Christi von Nazareth predigte, hatte ihn die Feindschaft getroffen,
die zu seiner Verhaftung führte.
Paulus bezeugt das Reich Gottes (V.
21-24): Als Paulus bei ihnen um ein faires Verfahren bat, sagten ihm die Juden
freimütig, dass sie weder schriftliche noch mündliche Mitteilungen erhalten
hätten, die gegen ihn persönlich sprachen; Briefe aus Judäa hatten sie nicht
erhalten, und keiner der Brüder, die in den letzten Jahren nach Rom gekommen
waren, hatte etwas Schlechtes gegen ihn berichtet. Aber sie hielten es für gut
und richtig, von Paulus selbst zu hören, was er dachte, um seine Meinung über
die ganze Situation zu erfahren, denn was diese neue Sekte betraf, so wussten
sie, dass sie überall auf Widerspruch und Widerstand stieß. Es hatte sich
herumgesprochen, dass die Christen eine atheistische und gottlose Sekte waren,
die von allen Menschen verabscheut wurde. Aber die führenden Juden Roms wollten
fair sein und die Geschichte des Paulus auf seine Weise hören und setzten einen
Termin fest, an dem sie in größerer Zahl zu seiner Unterkunft kommen würden.
Ihnen allen erklärte und erläuterte Paulus, nicht so sehr zur Rechtfertigung
seines eigenen Verhaltens, sondern als Zeugnis für Christus, das Reich Gottes,
indem er ihnen zeigte, was der Begriff bedeutet, auf welche Weise sie in dieses
wunderbare Reich eintreten können, was der Glaube ist, wobei er immer Jesus,
den Heiland, in den Mittelpunkt seiner überzeugenden Rede stellte. Von morgens
bis abends gab er sein Bestes, um sie von Jesus zu überzeugen, aus dem Gesetz
des Mose, aus den geschichtlichen Büchern des Alten Testaments, aus den Büchern
der Propheten, um durch einen Vergleich mit dem Leben Jesu zu beweisen, dass er
der verheißene Messias sein muss. Es war ein Tag der Segnungen des Herrn, ein
Tag seines barmherzigen Rufs an alle Anwesenden. Aber das Ergebnis war das
übliche unter ähnlichen Umständen. Einige ließen sich von dem überzeugen, was
Paulus sagte, aber andere waren stur und weigerten sich zu glauben. Wie
nachdrücklich und überwältigend die Beweise auch sein mögen, manche Menschen
werden darauf bestehen, ihr Herz gegen den gnädigen Einfluss des Evangeliums zu
verhärten und so die ihnen angebotene Gnade Gottes zu verschmähen.
Anwendung eines Wortes aus Jesaja
(V. 25-29): An diesem Punkt der Diskussion, als einige von den Worten des
Paulus überzeugt wurden und sich der Überzeugung des Wortes Gottes beugten,
während andere in ihrem Unglauben verharrten und sie sich nicht einigen
konnten, erinnerte Paulus sie an ein Wort des Propheten Jesaja, Kap. 6,9.10,
was die Versammlung veranlasste, sich aufzulösen, ohne zu einem endgültigen
Ergebnis in dieser Sache zu kommen. Er bezog sich auf die Prophezeiung über die
Selbstverhärtung, gefolgt von der Verstockung durch Gott. Jesaja hatte den
ausdrücklichen Auftrag erhalten, zu den Juden seiner Zeit zu gehen und ihnen zu
sagen, dass sie buchstäblich mit dem Gehör hören und doch nicht verstehen
würden; dass sie mit ihren Augen das Wort sehen und doch keinen Eindruck auf
ihren Verstand bekommen würden. Und der Grund für dieses Urteil war, dass das
Herz des Volkes gefühllos geworden war, dass das geistliche Hören ihrer Ohren
schwer geworden war und ihre Augen am Sehen gehindert wurden. Deshalb hatte der
Herr sie der Härte ihres Herzens überlassen, damit sie nicht mit den Augen
sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren,
damit der Herr sie heilt. Dieses furchtbare Gericht über die widerspenstigen
Juden hatte zur Zeit Jesajas begonnen, es war in den Tagen des Erlösers
angedroht worden, Matth. 13,14.15; Mark. 4,12; Luk.
8,10, angedroht worden, und es stand nun kurz davor, sich in seinem letzten
schrecklichen Fluch zu verwirklichen. Und sie würden niemanden für die schrecklichen
Folgen ihrer Feindschaft gegen Christus und Gott verantwortlich machen können
außer sich selbst. Förmlich und feierlich verkündet Paulus den versammelten
Juden diese Konsequenz ihres Widerstandes und den Weg, den er von nun an
einschlagen muss. Er möchte, dass sie wissen und verstehen, dass das Heil
Gottes im Evangelium des Messias jetzt zu den Heiden gesandt wurde und dass sie
die herrliche Botschaft hören und annehmen werden. Man beachte, dass auch diese
letzten Worte nicht nur zur Verurteilung, sondern auch zur Umkehr gesprochen
werden. Es war, als würde man den Juden den schrecklichen, gähnenden Abgrund
zeigen, an dessen Rand sie standen, nachdem sie absichtlich ihre Augen und
Ohren vor jeder Warnung verschlossen hatten. Und diese letzte Warnung scheint
etwas bewirkt zu haben, wenn der Text hier richtig ist, denn als Paulus diese
Worte sagte, verließen sie sein Quartier und diskutierten die Angelegenheit mit
großer Heftigkeit untereinander. Wenn das auf diese Weise geweckte Interesse
nur zu einer sorgfältigen Suche in der Heiligen Schrift führt, kann man sich
selbst für solche scheinbar fruchtlosen Diskussionen gut belohnt fühlen.
Zwei Jahre in Rom (V. 30-31): Paulus
konnte sich zu dieser Zeit vielleicht viele Annehmlichkeiten leisten, oder die
Freigebigkeit der verschiedenen Gemeinden machte es möglich; jedenfalls konnte
er zwei Jahre lang eine eigene Wohnung mieten und bewohnen, so lange dauerte es
wahrscheinlich, bis sein Fall vor Gericht kam und entschieden wurde. Und er war
gewiss nicht schwer zu finden oder schwer zu erreichen, denn er nahm alle auf,
die zu ihm kamen; ganz gleich, aus welcher Gemeinde die Brüder kamen, sie waren
immer willkommen. Er war noch in Haft, Phil. 1,13.17, aber es war gewiss von
der allerleichtesten Art. Und gerade zu dieser Zeit öffnete Gott eine Tür für
sein Wort. Denn Paulus verbrachte seine ganze Zeit damit, das Reich Gottes zu
verkünden, nicht nur durch gesprochene Worte, sondern auch in Briefen, denn wir
haben aus dieser Zeit seines Lebens die Briefe an die Epheser, an die Kolosser,
an die Philipper und an Philemon. Indem er die Menschen einlud, Glieder des
Reiches Gottes, der wunderbaren Gemeinschaft der Heiligen zu werden, lehrte und
wiederholte Paulus stets ohne Rast und Müdigkeit die Botschaft vom Herrn Jesus.
Mit aller Zuversicht, mit aller offenen Fröhlichkeit predigte er; seine
Predigten und privaten Gespräche waren alle mit dem Öl der gleichen kühnen
Freude durchtränkt, mit der der Herr ihn gesalbt hatte. Und durch die Gnade
Gottes konnte er dies unbehelligt und ungehindert tun. Das muss ein großer
Trost für ihn gewesen sein und hat seine Bereitschaft und die Freude an seiner
Arbeit für den Herrn stark erhöht. Die ganze Geschichte zeigt, wie das Evangelium
Christi seine Siege erringt. Denn dasselbe Evangelium, das Paulus in der
Hauptstadt der Welt verkündete, hat seitdem seinen Weg durch die Länder
genommen und wird bis zum heutigen Tag unter den Heiden gepredigt. Die Kirche,
die auf Jesus, den Felsen der Zeitalter, gegründet ist, steht heute und wird
bis ans Ende der Zeit stehen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht
überwältigen.
Zusammenfassung: Die Reise von Malta
nach Rom verläuft ohne Zwischenfälle, und Paulus nutzt in der Hauptstadt die
Gelegenheit, zu den Juden und danach zu vielen anderen zu sprechen und ihnen
das Reich Gottes und ihren Retter Jesus Christus zu predigen.
Eine einigermaßen exakte chronologische
Zusammenfassung des letzten Abschnitts im Leben des Paulus ist mit einigen
Schwierigkeiten verbunden, wie die vielen unterschiedlichen Listen,
insbesondere die von Meyer, zeigen. Selbst die sorgfältigste Untersuchung kann
keine absolute Genauigkeit beanspruchen, vor allem weil der biblische Bericht
einen so großen Spielraum zulässt. Die hier angebotene Liste ist daher
lediglich als Orientierungshilfe gedacht und kann in dieser Hinsicht ebenso
viel historische Genauigkeit beanspruchen wie jede andere Liste.
Bekehrung des Paulus. 32 oder 33 n. Chr.
Erster Besuch in Jerusalem 35 oder 86 n. Chr. Gal. 1, 18.
Beginn
der ersten Missionsreise 46 n. Chr.
Rückkehr nach Antiochia. Etwa August 48 n. Chr.
Zweite Reise nach Jerusalem und Beschlüsse zur judaistischen Lehre. 49
n. Chr., Gal. 2, 1.
Beginn der zweiten Missionsreise; Syrien und Zilizien. Herbst, 49 n. Chr.
Derbe, Lystra, Ikonium,
Antiochia. Winter 49-50 n. Chr.
Troas, Philippi. Frühling, 50 n.
Chr.
Thessalonich und Beröa. Sommer 50
n. Chr.
Athen und Korinth. Frühherbst, 50 n. Chr.
Aufstand der Juden. - Gallio. Spätsommer, 51
n. Chr.
Jerusalem und Antiochia. Frühling und Frühsommer, 52 n. Chr.
Beginn
der dritten Reise. Syrien, Zilizien, Galatien. 52-53 n. Chr.
In Ephesus. Sommer 53 n. Chr. bis Juni, 56 n. Chr.
Makedonien und Illyrien. Sommer und Herbst, 56 n. Chr.
In Korinth. Ende 57 n. Chr. und Anfang 58 n. Chr.
Jerusalem. Pfingsten 58 n. Chr.
Gefangener in Caesarea. Juni 58 n. Chr. bis Juni 60 n. Chr.
Reise nach Rom. August 60 n. Chr. bis Februar oder März 61 n. Chr.
Gefangener in Rom. Frühling 61 n. Chr. bis Frühling 63 n. Chr.
Spätere Reisen. 63-66 n. Chr.
Zweite Gefangenschaft. 66 n. Chr. oder 67 n. Chr.
Hinrichtung. 67 n. Chr. oder 68 n. Chr.[94]
I Entnommen aus: Dr.
Martin Luthers Sämtliche Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Nachdr. der 2., überarb. Aufl.
St. Louis, Missouri. Bd. 14. Groß Oesingen: Verl. der Lutherischen Buchhandlung
Heinrich Harms. 1987. Sp. 92-95
[1] McGarvey, New
Commentary on Acts, X.
[2] Luther, 14, 92.
[3] Clarke, Commentary,
5,680.
[4] McGarvey, New
Commentary on Acts, 16, 17.
[5] Schaff, Commentary, Acts, 21.
[6] Luther, zitiert in Stöckhardt, Biblische Geschichte des Neuen Testaments, 334.
[7] Luther, 13b. 2060.
2061.
[8] Luther, 13b, 2066.
[9] Luther, 13b, 2070.
2071.
[10] McGarvey, New
Commentary on Acts, 30.
[11] Barton, Archeology
and the Bible, 209. 210.
[12] Edersheim, The Temple,
147.148.
[13] McGarvery, New
Commentary on Acts, 69.
[14] Apologie. Müller, 105.
[15] McGarvery, New Commentary on Acts, 82. 83.
[16] Clarke, Commentary 5,715.
[17] Einige
Kommentatoren glauben, dass der doppelte Ausdruck, den Lukas verwendet, sich
allein auf den Sanhedrin bezieht und die Bedeutung des Falls hervorhebt. Vgl. Moulton
and Milligan. Vocabulary, und Grimm-Thayer, sub voce.
[18] Konkordienformel. Vom unfreien
Willen. Mueller, 594. 595.
[19] Ramsay, The
Bearing of Recent Discovery, 238.
[20] Schaff, Commentary,
Acts, 103.
[21] Luther, 13a, 1060.
1061.
[22] Luther, 12, 193.
[23] Edersheim, The Temple,
67.
[24] Luther, 11,2077.
[25] Clarke, Commentary,
5, 738.
[26] Ramsay, The
Bearing of Recent Discovery, 117. 118.
[27] Luther, 12,143.
[28] McGarvey, New
Commentary on Acts, 145.
[29] Luther, 1,1818.
[30] Barton, Archeology
and the Bible, 33.
[31] Luther, 12,1152; 13a, 1093.
[32] Luther, zitiert in Stöckhardt, Biblische Geschichte des Neuen Testaments, 358.
[33] Luther, 13a, 1101.
[34] Luther, 13a, 1098.
[35] Barton, Archeology
and the Bible, 214, Fig. 266.
34a Die hebräische Namensform, die sich in der
Bibel findet, lautet Tabitha.
[36] Schmalkaldische Artikel, Teil III, Art. 8,8. Mueller, 322.
[37] Konkordienformel, Ausf. Darl., II,51, Mueller, 600.
[38] McGarvey, New
Commentary on Acts, 205.
[39] Konkordienformel, Ausf. Darl., VII,36, Mueller, 654.
[40] Apologie, Art. XII,65. Mueller, 178.
[41] Luther, 12,494.
41a Wir haben hier den ersten klaren Übergang
der Mission von den Juden zu den Heiden, ähnlich, wie wir ihn zuvor (Kap. 8) zu
den Samaritern hatten. Jedes Mal sind die Apostel involviert, jedes Mal
bestätigt der Heilige Geist diesen Übergang durch die außergewöhnlichen Gaben,
die mit den Aposteln verbunden waren (vgl. 2. Kor. 12,12). So etwas findet sich
dann auch noch Mal im Blick auf den Eingang der Johannesjünger in die Gemeinde
(Apg. 19,6). Wenn wir die Heilsgeschichte betrachten, so finden wir
außergewöhnliche Wirkungen des Heiligen Geistes nur an sogenannten
„heilsgeschichtlichen Schnittstellen“, wie den Beginn des Alten Bundes bei
Mose, den Beginn der Königszeit bei Saul, die frühe Prophetenzeit bei Elia und
Elisa und dann die Zeichen des Messias und der Beginn des Neuen Bundes mit den
Aposteln. In den sonstigen Zeiten finden wir sie für gewöhnlich nicht. Und für
die letzte Zeit warnt Christus ausdrücklich, dass außergewöhnliche
Vorkommnisse, „Wunder“ dort gerade Zeichen der Irrlehrer, Verführer sein werden
(Matth. 24). (Anm. d. Hrsg.)
[42] Gibbon, Decline
and Fall of the Roman Empire, Chapter XXIV.
[43] McGarvey, New
Commentary on Acts, 227.
[44] Hopkins, Evidences
of Christianity, Lecture X; Zahn, Einleitung,
11, Exkurs II, 632.
[45] Cobern, The New
Archeological Discoveries, 538-540.
[46] Ramsay, The
Cities of St. Paul, 262. 263.
[47] Cobern, The New Archeological Discoveries, 531. 415.
[48] Luther, 12,511.
[49] Konkordienformel, Ausf. Darl. IX, 60. Müller, 717.
[50] Konkordienformel, Ausf. Darl. XI, 8. Müller, 705.
[51] Cobern, The New
Archeological Discoveries, 528; Ramsay, The Cities of St. Paul, 317.
343.
[52] Cobern, The New
Archeological Discoveries, 414. 529.
[53] Cobern, The New
Archeological Discoveries, 526.
[54] Vgl. den Artikel, der an Lukas 2 angehängt ist: „Die Historizität von Quirinius.“
[55] Apologie, IV, 99. Müller, 105.
[56] Farrar, Life of Paul, 243.
[57] Luther, zitiert in Besser, Bibelstunden, III: 2, 744.
[58] Conybeare-Howson, Life
and Letters of St. Paul, I, 270. 271.
[59] Cobern, The New
Archeological Discoveries, 415.
[60] Cobern, New
Archeological Discoveries, 545; Hopkins, Evidences of Christianity,
Lecture X.
[61] Vgl. Expositor’s Greek
Testament, II, 344. 355; Hogarth, Authority and Archeology, 349.
350.
[62] Barton, Archeology
and the Bible, 226.
[63] Ramsay, The
Bearing of Recent Discovery, 137.
[64] Ramsay, St.
Paul the Traveler and Roman Citizen, 225; Moulton and Milligan, Vocabulary,
sub voce.
[65] Luther, 8, 1023.
1024.
[66] Cobern, New
Archeological Discoveries, 129.
[67] Barton, Archeology
and the Bible, 438.
[68] McGarvey, New
Commentary on Acts, II,118.
[69] Cobern, The New
Archeological Discoveries, 489.
[70] Cobern, The New
Archeological Discoveries, 489. 490. Vgl. Barton,
Archeology and the Bible, 220.
[71] Theological
Quarterly, 10 (1906), 9 ff.
[72] Expositor's Greek Testament, II, 389.
[73] Edersheim, The Temple, 374.
[74] Sowohl aus grammatischen wie historischen Gründen kann V. 5 nicht als etwas betrachtet werden, das zu den Worten des Paulus gehört. Vgl. jedoch Syn. Ber., Minn. Dist., 1912, 39.
[75] Cobern, The New Archeological Discoseries, 229.
[76] Pieper, Christliche Dogmatik, III, 338; Syn. Ber., Minn. Distr., 1912, 36.
[77] Stöckhardt, Biblische Geschichte des Neuen
Testaments, 387. 388.
[78] Barton, Archeology
and the Bible, 223.
[79] Cobern, The
New Archeological Discoveries, 479.
[80] Expositor’s Greek Testament, II, 416.
[81]
Konkordienformel,
Ausf. Darl. V, 4.8, Müller, 634.
[82] Expositor‘s Greek Testament, II, 434.
[83] Luther, 12, 650; Konkordienformel, Kurze Darl., VIII, 14, Müller, 546.
[84] Vgl. Cobern, The New Archeological Discoveries, 129; Moulton and Milligap, Vocabulary, sub voce.
[85] McGarvey, New
Commentary on Acts, II, 208.
[86] Expositor’s Greek Testament, II, 460.
[87] Ramsay, The
Bearing of Recent Discovery, 90.
[88] Luther, 19,
695; 22, 1728.
[89] Expositor’s Greek Testament, II, 476.
[90] Farrar, Life of Paul, 550.
[91] Konkordienformel, Ausf. Darl., II,10. Müller, 590.
[92] Ramsay, The
Bearing of Recent Discovery, 312.
[93] Ramsay, The
Bearing of Recent Discovery, 44; St. Paul the Traveler, 347.
[94] Vgl. Syn. Bericht, Östlicher Distrikt 1907-1913; North Dakota
und Montana 1910 und 1912; Minnesota 1913.