Martin Luther – Ein Lehrer der Verbalinspiration

70–85 Minuten


D. Martin Luther - ein Lehrer der Verbalinspiration

 

Von Roland Sckerl

Inhaltsverzeichnis

A) Luthers Lehre von der Verbalinspiration

a) Die göttliche Eingebung der Heiligen Schrift

1. Der Heilige Geist redet zu uns durch die Bibel

2. Auch die Redeweise und Form ist vom Heiligen Geist

3. Der Heilige Geist redet auch über die alltäglichsten Dinge mit uns

4. Auch wenn Menschen die Schreiber der biblischen Bücher sind: sie haben Gottes Wort niedergeschrieben

5. Die Ausleger müssen darauf achthaben, daß sie mit Gottes Wort umgehen

b) Die Irrtumslosigkeit und Widerspruchslosigkeit der Heiligen Schrift

B) Besprechung angeblicher Problemstellen bei Luther

1. Namen der Schreiber biblischer Bücher

2. Die Antilegomena

3. Schriftauslegung

C) Anmerkungen zu Luthers Schriftauslegung

Seit im 19. Jahrhundert in Deutschland nach der finsteren Zeit des Rationalismus auch positivere Kräfte in den Landeskirchen wieder hervortraten, aber eine wirkliche Rückkaher zum altorthodoxen Luthertum nicht stattfand, haben solche "neulutherischen" Theologen sich immer wieder auf Luther als ihren Kronzeugen berufen, wenn sie die Bibel Gottes kritisierten. Es ging und geht dabei vorallem um die Inspiration der heiligen Schrift, nämlich daß jedes Wort der heiligen Schrift den heiligen Schreibern vom Heiligen Geist eingehaucht, eingegeben wurde. Das will die moderne Theologie fast durchweg nicht mehr wahrhaben, nur ganz wenige landeskirchliche Theologen (etwa Philippi in Rostock oder der Schlesier Kölling) haben sich dazu bekannt. Vielmehr behauptet die Mehrzahl, die Schrift sei ein Ineinander von Gotteswort und Menschenwort - und damit hat sie sich allerdings die Möglichkeit geschaffen, all das zu eliminieren von Gottes Lehre, was ihr nicht gefällt. Bei dem einen ist das weniger, beim anderen mehr, man denke nur an Bultmann oder die feministische "Theologie" - da fällt dann auch das Fundament des christlichen Glaubens, die Lehre von der Dreieinigkeit, von der Erbsünde, von Christus und der Rechtfertigung. Und solche modernen Theologen, auch die konservativeren unter ihnen, berufen sich dann auf Luther und sagen: die lutherische Orthodoxie habe etwas Neues aufgebracht, die Verbalinspiration habe Luther so überhaupt nicht gelehrt (so Cremer in der Realencyclopädie für protestantische Theologie, 2. u. 3. Aufl., VI, S. 755, zitiert bei Franz Pieper: Christliche Dogmatik. Bd 1. St. Louis, Mo. 1924. S. 334). Sie legen Luter eine "freiere" Stellung zur Schrift unter, etwa hinsichtlich dessen, was Gottes Wort sei, hinsichtlich der Autorennamen, hinsichtlich der Irrtumslosigkeit oder dem Umgang mit dem Wort bei der Auslegung.

  Nun ist ja auch die Kirche ungeänderter Augsburgischer Konfession nicht an Luther gebunden, sondern allein an die Schrift. Dennoch aber wäre es betrüblich, wenn festgestellt werden müßte, daß dieser große Mann, den Gott zum Reformator der Kirche berufen hatte, zu Gottes Wort eine "freiere" oder zumindest zweifelhafte Stellung gehabt hätte. Wie es sich nun damit tatsächlich verhält, soll anhand von Lutherzitaten dargelegt werden, zunächst im Zusammenhang mit der Inspiration und Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift, dann in Betrachtung  einiger immer wieder angeführter Stellen, die angeblich eine "freiere" Stellung beweisen sollen.

A) Luthers Lehre von der Verbalinspiration

a) Die göttliche Eingebung der Heiligen Schrift
1. Der Heilige Geist redet zu uns durch die Bibel

  Für Luther war es nie zweifelhaft, wer zu ihm redet, wenn er die Heilige Schrift las, nämlich Gott der Heilige Geist selbst. Von den schier unzähligen Aussagen dazu - allein im Kommentar zum ersten Buch Mose, seinem letzten großen Werk - seien nur einige angeführt:

  "Der Heilige Geist aber hat einen reineren Mund und reinere Augen, denn der Pabst, darum scheuet er sich nicht, zu gedenken der Vereinigung und ehelichen Beilagers Mannes und Weibes, welches jene Heiligen als schändlich und unrein verdammen. Und thut das der Heilige Geist nicht an Einem Ort, sondern es ist die ganze Schrift solcher Historien voll ..." (zu 1 Mose 4,1; W  2, I, 292)

  "Der Heilige Geist aber erzählt solches darum, daß wir daraus sehen, wie so bald im Anfang zweierlei Kirchen gewesen sind: eine der Kinder des Satans und des Fleisches, die  sich plötzlich und sehr vermehret hat; die andere der Kinder GOttes, die da schwach ist und sich langsam mehret." (zu 1 Mose 4,17; W 2, I, 380)

  "Darum läßt es sich ansehen, daß sie wohl verstanden haben, daß solches von dem Heiligen Geist nicht um Abrahams willen geschrieben wäre, sondern darum, daß wir uns auch solche Exempel im Glauben lehren und unterweisen ließen und in Nöthen nicht verzagen ..." (zu 1 Mose 12,16.17; W 2, I, 807)

  "Solches aber hat der Heilige Geist hier klärlich bezeugt, daß weil die Verheißung ist von einem geistlichen Samen, du gewiß daraus schließest, daß alle die, so diesen Samen annehmen oder an Christum glauben, gerecht seien. ... hier aber setzt es der Heilige Geist, da er von dem himmlischen Samen redet, auf daß diese Lehre in der Kirche zu allen Zeiten gewiß gemacht werde, nämlich, daß Alle, die mit Abraham diueser Verheißung glauben, wahrhaftig gerecht seien." (zu 1 Mose 15,6; W 2, I, 941 f.)

  "Wahrlich, der Heilige Geist beschreibt die heilige Frau, Sarah, mit solchen Farben, daß  klar hervorgeht, daß sie obwohl des ehelichen Lebens mächtig, doch die Jungfrauen an Keuschheit übertrifft." (zu 1 Mose 18,10-12; W 2, I, 1173)

  "Es soll uns aber nicht verdrießen, einerlei Ding oft zu lesen und zu hören, dieweil sich der Heilige Geist dessen nicht schämt, noch sich verdrießen läßt, von solchen Dingen mit so viel Worten zu reden und zu handeln." (zu 1 Mose 24,19.20; W 2, I, 1710)

  "In diesem Capitel steht sonst nichts, denn das Geschlechtsregister Jakobs und wie er nach Egypten hinabgezogen sei; darum scheint es vor den Weisen dieser Welt von geringer Bedeutung zu sein. Denn dieselben achten dies für ein gering Ding, und das nicht werth sei, daß es der Heilige Geist sollte haben schreiben lassen und daß es auch in der Kirche vor Propheten und Aposteln sollte gelesen werden. Aber die Gottseligen, so die Schrift und Werke des Heiligen Geistes genauer und fleißziger ansehen, dieselben sehen vornehmlich darauf und verwundern sich dessen, daß das ganze Leben der Heiligen geführt wird im Glauben an GOtt, der seinen Sohn verheißen hat." (zu 1 Mose 46,1; W 2, II, 1750)

  "Wiewohl viel Bücher sind, die sehr nütze sind, und feine, geschickte, gelehrte Leute machen können, so ist's doch alles allein zu disem vergänglichen Leben gerichtet, und weltliche Weisheit oder Gerechtigkeit; kann keinen GOttes Menschen machen, noch denselben lehren, strafen, bessern, züchtigen zur Gerechtigkeit, und zu allem guten Werk geschickt oder vollkommen machen. Welches muß allein die heilige Schrift tun, von GOtt selbst eingegeben und gelehrt. ... Wenn wir glauben könnten, daß GOtt selbst mit uns in der Schrift redete, so würden wir mit allem Fleiß darin lesen, und sie für unsere selige Werkstatt halten." (zu 2 Tim. 3,16.17; W  2, IX, 1852)

  "Daß aber diejenigen, so es nicht besser wissen, eine Anleitung und Unterricht haben, nützlich darinnen zu lesen, habe ich diese Vorrede nach meinem Vermögen, so viel mir GOtt gegeben, gestellet. Bitte und warne treulich einen jeglichen frommen Christen, daß er sich nicht stoße an der einfältigen Rede und Geschichte, so ihm oft begegnen wird, sondern zweifle nicht daran, wie schlicht es immer sich ansehen läßt, es seien eitel Worte, Werke, Gerichte und Geschicht der hohen göttlichen Majestät, Macht und Weisheit. Denn dies ist die Schrift, die alle Weisen und Klugen zu Narren macht, und allein den Kleinen und Albernen offen steht, wie Christus sagt Matth. 11,25. Darum laß deinen Dünkel und Fühlen fahren, und halte von dieser Schrift, als von dem allerhöchsten, edelsten Heiligthum, als von der allerreichsten Fundgrube, die nimmer genug ausgegründet werden mag, auf daß du die göttliche Weisheit finden mögest, welche Gott hier so alber und schlicht vorlegt, daß er allen Hochmuth dämpfe. Hier wirst du die Windeln und die Krippe finden, da Christus inne liegt, dahin auch der Engel die Hirten weist, Luc. 2,12. Schlichte und geringe Windeln sind es, aber theuer ist der Schatz, Christus, der drinnen liegt." (aus: Vorrede auf das Alte Testament. W 2, XIV, 3 f.)

  "Gottselige Herzen aber glauben, daß es GOttes Wort sei, und von GOtt durch den Heiligen Geist eingegeben sei. Deswegen haben sie Ehrerbietung gegen dessen Majestät, und wünschen, stets Schüler zu sein; sie werden durch stets Lesen nicht müde." (zu Jes. 55,1; W  2, VI, 742)

  Darum betont er auch, daß die Heilige Schrift wahrhaft Gottes, des heiligen Geistes Buch ist:

  "Der Herrn und Fürsten Briefe, sagt man, soll man dreimal lesen; aber wahrlich, unsers HErrn GOttes Briefe (denn so nennt St. Gregorius die heilige Schrift) soll man dreimal, siebenmal, ja siebenzigmal siebenmal, oder, daß ich noch mehr sage, undlichemal lesen ..." (zu 1 Mose 17,7; W 2, I, 1055)

  "Darum, wenn die Leute nicht glauben wollen, so sollst du stillschweigen; denn du bist nicht schuldig, daß du sie dazu zwingest, daß sie die Schrift für GOttes Buch oder Wort halten; es ist genug, daß du deinen Grund darauf gibst." (zu 1 Ptr. 3,15; W  2, IX, 1071)

  "Das ist des Heiligen Geistes Buch, nämlich die heilige Schrift, darin muß man Christum suchen und finden, nicht allein durch die Verheißung, sondern auch durch das Gesetz." (zu Ps. 40,8.9; W 2, IX, 1775)

  Deshalb, wenn wir die Bibel aufschlagen, haben wir es nicht mit einem Werk menschlicher Vernunft oder menschlicher Kunst, sondern mit dem Werk und der Offenbarung göttlicher Weisheit zu tun:

  "Wer nun diese Historien nicht vergeblich lesen will, der soll es gewiß dafür halten, daß die heilige Schrift keine menschliche, sondern göttliche Weisheit ist: und alsdann wird er empfinden, daß sein Herz wunderbare große Liebe und Verlangen haben wird nach den Dingen, so in der heiligen Schrift sind." (zu 1 Mose 25; W 2, II, 2)

  Nun heißt aber Eingeben der Schrift durch den Heiligen Geist nicht: der Heilige Geist hat nur die Menschen erleuchtet - das gehört allen Christen zu -, auch nicht: er hat ihnen nur die Sachen angegeben, über die sie zu schreiben hätten - denn dann wären Fehler, Irrtümer, Anpassung an den Zeitgeist immer noch nicht ausgeschlossen, wir hätten kein wirkliches Gotteswort vorliegen. Nein, bei der Verbalinspiration geht es wirklich um Plenar- oder Vollinspiration, oder, noch deutlicher gesagt: um Wörterinspiration, also daß nicht ein Wort in der Schrift sich befindet, das nicht vom Heiligen Geist ist. Und genau das ist auch die Lehre, die Luther bekennt: 

  "Die andere Sünde ist, daß Rahel ihres Vaters Götzen stiehlt. Denn der Heilige Geist trägt keine Scheu, das Wort "stehlen" zu brauchen, sondern sagt klärlich, daß Rahel, die sehr heilige Matrone und eines sehr heiligen Mannes Weib, die dem Worte GOttes glaubt und demselbigen ihren Mann ermahnt wegzuziehen, ihres Vaters Götzen (teraphim) gestohlen habe. Er sagt nicht nur, daß sie ihm dieselben genommen oder entwandt habe, sondern sagt frei heraus, sie habe es ihm gestohlen, wider das siebente Gebot ..." (zu 1 Mose 31,19; W   2, II, 639)

  "Daran ist kein Zweifel, daß dieses Wort ganz mit Recht von GOtt gebraucht wird, wie man im 22. Psalm V. 2. sehen mag: Eli eli, etc.: "Mein GOtt, mein GOtt, warum hast du mich verlassen?"" (zu 1 Mose 31,30; W 2, II, 678)

  "Denn nicht allein die Wörter, sondern auch die Weise zu reden, deren sich der Heilige Geist und die Schrift bedinet, ist von GOtt." (zu Ps. 127,3; W   2, IV, 1960)

2. Auch die Redeweise und Form ist vom Heiligen Geist

  Wenn die Heilige Schrift lehrt, daß sie vom Heiligen Geist eingehaucht ist, 2 Tim. 3,16, daß die heiligen Schreiber geredet haben, getragen, getrieben vom Heiligen Geist, 2 Ptr. 1,21, daß die Apostel unter der Inspiration nichts anderes als des Heiligen Geistes Worte geredet und geschrieben haben, 1 Kor. 2,13, so heißt das ja auch: wie die einzelnen Wörter, so ist überhaupt die gesamte Heilige Schrift mit Satzbau, Ausdrucksweise des Heiligen Geistes Werk (, der sich dabei durchaus an Stil und Ausdrucksweise seines jeweiligen Werkzeuges angepaßt hat):

  "Dieses ist aber über die Maßen lächerlich und kindisch Ding, daß man uch nichrts Schlichteres oder Geringeres sagen oder schreiben könnte. Warum ist es denn nun gleichwohl beschrieben? Antwort: Man soll allezeit vor Augen haben, das ich zum öftern pflege zu sagen, nämlich, daß der Heilige Geist der Meister sei dieses Buchs, der hat selbst Lust dazu, daß er also spielen und scherzen möge, solche geringe kindische Dinge und die nichts werth sind, zu beschreiben, und dieselbigen hält er uns vor, daß man es in der Kirche lehren soll, gleich als zu großer Besserung." (zu 1 Mose 30,14-16; W 2, II, 566)

  "Nun aber muß man darauf merken, daß dies Buch einen andern Meister hat, nämlich, den Heiligen Geist, welcher den Geschichte der Heiligen eine große unumwandelbare Kraft gibt und ihre Herzen durch Glauben und Verheißung regiert. Und weil sich derselbe nicht scheut oder es für sein unwürdig achtet, solche geringe Dinge, und die zu nichts nütze zu sein scheinen, zu beschreiben, so soll uns auch nicht verdrießen, diese Historien mit großem Fleiß zu überlesen und zu erwägen." (zu 1 Mose 43,6; W   2, II, 1570)

  "Darum habe ich oft gesagt, man soll auf den vornehmsten Meister dieser Historien sehen, nämlich, auf den Heiligen Geist, welcher ja keine leichtfertige Zunge hat oder vergebliche Dinge redet, sondern uns die wichtigsten, nützlichsten und heiligsten Dinge lehrt." (zu 1 Mose 43,6; W   2, II, 1573)

  Das gilt auch, wenn Aussagen wiederholt werden. Luther gibt uns zu beachten, daß dies ja nicht umsonst geschehen ist:

  "Hiervon muß man allein urteilen lassen geistliche Menschen; denn die wissen und sehen allein, daß der Heilige Geist nichts vergeblich wiederholt. ... Darum ist das nicht eine vergebliche Tautologie oder Wiederholung, denn der Heilige Geist treibt nicht vergebliche und unnöthige Worte, wie die groben und satten Geister denken, welche die Bibel bald, wenn sie dieselbe einmal oder zweimal gelesen haben, hinwerfen, als verstünden sie dieselbe nun wohl und wäre nichts mehr darin zu lernen: sondern es hat der Heilige Geist hiermit dem Leser angezeigt, daß er nicht denken sollte, als wäre es ihm mit diesen Worten um ein Geringes zu thun." (zu 1 Mose 7,11,12; W  2, I, 541-543)

  "Was die Ursache sei, warum Mose so reich und von vielen Worten in dieser Beschreibung ist, habe ich droben etlichemal gesagt. Denn der Heilige Geist macht nicht vergeblich viel Worte. Wer derhalben bedenkt, in welch großem Zittern, Furcht, Traurigkeit und Gefahr Noah mit den Seinen gestanden habe, der wird leichtlich erkennen können, daß es die höchste Not erfordert habe, daß GOtt einerlei Rede so oft wiederholt und einbildet." (zu 1 Mose 9,8-11; W   2, I, 602 f.)     

3. Der Heilige Geist redet auch über die alltäglichsten Dinge mit uns
 

  Den modernen Theologen mit ihrem selbsterschaffenen Gottesbild ist es oft unmöglich zu fassen, daß Gott sich auch um die scheinbar kleinen Dinge des Alltages kümmere. So ein Gott paßt nicht in ihre Vorstellungen. Aber gerade das ist ja unser Trost, daß wir einen Vater im Himmel haben durch Christum, der sich unser in allen Dingen annimmt, der sich wahrhaft wie ein Vater über Kinder erbarmt. Nichts ist ihm zu gering oder zu schmutzig, daß er sich etwa abwende und uns allein damit lasse. Und so hat er sich auch nicht gescheut, sich der Dinge des Alltages auch in seinem Worte anzunehmen, wie Luther immer wieder betont.

  "Ob nun wohl diese Historie für gering und unnütz anzusehen ist, so hat sie doch der Heilige Geist werth geachtet, daß sie zum Trost, Exempel und Lehre allen Gläubigen ausführlich beschrieben würde, daß sie dergleichen auch erwarte, mit Geduld trügen und auf Erlösung hoffeten. ... Warum gedenkt aber der Heilige Geist solches Haders? Hat er denn nicht etwas Wichtigeres und Nützlicheres zu beschreiben gehabt? Um Kinderspiel ist es ihm eigentlich hier nicht zu thun; so sind es uch keine geringe Sachen, davon hier gehandelt wird; sondern es malt der Heilige Geist in dieser Historie ab den Ursprung aller Schäden und Gefährlichkeiten, die sich zugleich im Hausregiment, in der Polizei und Kirche zutragen." (zu 1 Mose 16,5; W   2, I, 980-982)

  "Denn wie ist doch das so ein schlicht, gering Ding, daß man eine Kappe anzieht, und unterdeiß mit Essen und Trinken versorgt ist, dabei man guten Frieden, gute Gemächlichkeit, Ehre und Herrlichkeit haben kann, in Klöstern, so auf das allerschönste und herrlichste gebaut und zugerichtet sind. Darum soll man an solchen Historien nicht so unfleißig vorüber gehen, welche der Heilige Geist geschrieben und der Kirche gelassen hat, daß sie sollen gelesen werden, auf daß dadurch der Glaube erbauet und gemehret werde." (zu 1 Mose 20,1; W    2, I, 1303)

  "Derhalben hat nun GOtt Lust, solche geringe Dinge zu beschreiben, daß er damit anzeige und bezeuge, daß er nicht verschmähe, auch keinen Abscheu habe, oder auch nicht weit sein wolle von der Haushaltung, von einem frommen Ehemanne, und von Weib und Kindern. Warum thut er aber das? Antwort: Darum, daß er es geschaffen hat, derhalben regiert und erhält er es auch als seine Creatur; wiewohl das Fleisch der Sünden halben verderbet ist ..." (zu 1 Mose 30,2; W   2, II, 539)

  "Die andere Ursache, darum uns der Heilige Geist dieses vorhält, ist, daß er damit anzeigen will, daß ihm alle Werke der Heiligen oder Gläubigen, wie gering und kindisch sie auch sein mögen, angenehm und gefällig sind wie gute Früchte vor GOtt." (zu 1 Mose 33,17; W   2, II, 847)

4. Auch wenn Menschen die Schreiber der biblischen Bücher sind: sie haben Gottes Wort niedergeschrieben

  Luther hat natürlich auch gewußt, daß die Bibel nicht vom Himmel gefallen ist, sondern Menschen die Heiligen Bücher niedergeschrieben haben. Aber das hebt die Inspiration, hebt die Göttlichkeit der Heiligen Schrift, die Tatsache, daß Gott der alleinige Urheber, Autor und Verfasser ist, nicht auf: denn diese heiligen Schreiber haben nicht ihre eigenen Gedanken niedergeschrieben, haben sich nicht auf ihr Gedächtnis oder ihre Kenntnisse verlassen müssen, sondern haben Gottes Wort geschrieben, das ihnen der Heilige Geist eingehaucht, gegeben hat:

  "Menschenlehre tadeln wir nicht darum, daß es Menschen gesagt haben; sondern daß es Lügen und Gotteslästerungen sind wider die Schrift, welche, wiewohl sie auch durch Menschen geschrieben ist, doch nicht von oder aus Menschen, sondern aus GOtt." (aus: Von Menschenlehre zu meiden. W 2, XIX, 621)

  "Als, wenn sie es so vornehmen, und sagen: Du predigst, man solle nicht Menschenlehre halten, so doch St. Peter und Paulus, ja, Christus selbst, Menschen sind gewest; wenn du solche Leute hörst, die so gar verblendet und verstockt sind, daß sie leugnen, daß dies GOttes Wort sei, was Christus und die Apostel geredet und geschrieben haben, oder daran zweifeln: so schweige nur stille, rede kein Wort mit ihnen, und laß sie fahren; spricht nur also: Ich will dir Grund genug aus der Schrift geben; willst du es glauben, gut; wo nicht, so fahr immer hin." (zu 1 Ptr. 3,15; W   2, IX, 1238)

  Gott ist es, der durch die Menschen zu uns redet, sie sind sein Sprachrohr, seine Griffel und Federn:

  "Wer da will, der lese das 41. Capitel im Hiob, darin genugsam zu sehen ist, wie der Heilige Geist durch denselben Poeten gelobet habe das wunderbare Ungeheuer, den Leviathan ..." (zu 1 Mose 1,21; W 2, I, 62)

  "Erstlich nennt er den Heiligen Geist; dem gibt er alles, was die Propheten weissagen. Und auf diesen und dergleichen Sprüche sieht St. Petrus 2. Ep. 1,21.: "Es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht, sondern die heiligen Menschen GOttes haben geredet aus Eingebung des Heiligen Geistes. Daher singt man in dem Artikel des Glaubens von dem Heiligen Geist also: "Der durch die Propheten geredet hat." Also gibt man nun dem Heiligen Geiste die ganze heilige Schrift, und das äußerliche Wort und Sacrament, so unsere äußerlichen Ohren und Sinne rühren oder bewegen; denn auch unser HErr Christus selbst seine Worte dem Heiligen Geist gibt ..." (zu 2 Sam. 23,2; W   2, III, 1889 f.)

  Luther hat dabei, im Gegensatz zu vielen modernen Theologen, sehr streng unterschieden zwischen Inspiration und Erleuchtung. Der Heilige Geist erleuchtet wohl wohl auch uns Christen, insbesondere Prediger in der Verkündigung, aber darum ist deren Wort nicht inspiriertes Gotteswort. Diese Erleuchtung ist vielmehr etwas völlig anderes als die Inspiration, bei der die heiligen Schreiber eben nicht ihre Worte, sondern die Worte Gottes niederschrieben.

  "58. Weil wir aber unterdessen doch ungleiches Geistes sind, und das Fleisch wider den Geist streitet, so muß man auch um der Irrgeister willen bei den gewissen Geboten und Schriften der Apostel bleiben, damit die Kirche nicht zertrennt werde.

  59. Denn wir sind nicht alle Apostel, die uns nach dem gewissen Rathschluß GOttes als unfehlbare Lehrer gesendet worden sind.

  60. Deshalb können nicht sie, sondern wir, irren und im Glauben fallen, weil wir ohne einen solchen Rathschluß sind." (aus: Fünf Disputationen über den Spruch Röm. 3,28. W   2, XIX, 1442)

5. Die Ausleger müssen darauf achthaben, daß sie mit Gottes Wort umgehen

  Da aber die Heilige Schrift Gottes Wort ist, so sollen wir auch als solche achten. Wer wahrhaft an Christus im Wort glaubt, der kann mit der Bibel nicht umgehen wie mit einem Buch von Schiller oder Goethe oder irgendeinem Roman oder auch einer wissenschaftlichen Arbeit, denn mit der Bibel hat er ja Gottes Buch, Gottes Brief in der Hand. Auch da können wir von Luther lernen.

  "Diese Erinnerung thue ich euch oft und gern, daß man solche Historien nicht darum allein groß achten und werth halten soll, daß sie von gar trefflichen Dingen reden, sondern auch darum, daß sie GOttes Wort sind und GOtt so freundlich und viel mit dem heiligen Patriarchen redet." (zu 1 Mose 17,19-22; W   2, I, 1108)

  Auch dem Ausleger schärft Luther ein, auf die Wörter achtzugeben, denn es sind ja Gottes Wörter, die der allweise Gott nicht umsonst gesetzt hat:

  "Also sollen wir auch bei diesem Text billig auf das Achtung geben, daß der Heilige Geist zwischen der Erbseuche der Natur, die durch die Sünde verderbet ist, und seinem Werk, das ist, die Kinder gebären, einen Unterschied macht und hebt diese Gabe und Segen nicht auf um der verderbten Natur, sondern preist auch in dieser verderbten Natur, die in Unzucht und grimmiger Lust wie ein unvernünftig Thier daher geht, die Gabe, Kinder zu gebären, als einen trefflichen Segen GOttes. Denn wo dem nicht so wären, würde die Schrift der Unfruchtbarkeit Sarahs, die mit Abraham verehelicht ist, nicht gedacht haben." (zu 1 Mose 11,29.30; W   2, I, 724)

  Nun kann es aber vorkommen, daß wir mit einer Stelle Schwierigkeiten haben, daß sie uns dunkel erscheint, ja, daß wir meinen, da könne doch etwas nicht stimmen, irgendetwas sei falsch. Luther warnt uns da, vom Wort Gottes abzugehen und ermahnt uns, deshalb nicht zweifelnd zu werden, sondern darauf zu beharren, daß, auch wenn wir es jetzt nicht verstehen, so doch wir dabei bleiben, daß die Schrift richtig ist, denn der Heilige Geist hat es so gesagt; vielleicht verstehen wir es einmal später, vielleicht erst in der Ewigkeit.

  "Der König Amraphel, meinen die Juden, sei Nimrod, vom dem wir oben gesagt haben; ob man es aber damit recht treffe oder nicht, weiß ich nicht; denn wir haben keine Beweise, denen wir eigentlich trauen könnten. Darum wollen wir hier die Meisterschaft dem Heiligen Geist lassen, der solches so hat wollen geschrieben haben, und uns an dem begnügen lassen, daß dieser Amraphel sei gewesen ein König zu Babylon oder Sinear." (zu 1 Mose 14,1.2; W   2, I, 876)

  "Hier ist aber eine Frage: warum Moses nicht vorne an also gesetzt habe: Am Anfang sprach GOtt: Es werde Himmel und Erde, sondern spricht also: "Am Anfang schuf GOtt Himmel und Erde", und allererst hernach spricht: "GOtt sprach: Es werde Licht." Antwort, aufs erste: Ob wir die Ursache nicht treffen, wollen wir dem Heiligen Geist die Ehre tun, daß er es besser wisse denn wir. Aber so viel ich kann denken, ist's der Ursache halben also gesetzt. Denn, wenn er gesagt hätte: Am Anfang sprach GOtt: Es werde Himmel und Erde, würde es fast also klingen, daß das Wort nicht wäre vor dem Anfang gewesen, daß man nicht könnte wissen, ob es angefangen hätte, oder von Ewigkeit gewesen wäre. ..." (zu 1 Mose 1,3-8.11-13; W   2, III, 30)

b) Die Irrtumslosigkeit und Widerspruchslosigkeit der Heiligen Schrift

  Wie es mit der Lehre von der Verbalinspiration steht, das zeigt sich gerade auch daran, wie man es mit der Irrtumslosigkeit und Widerspruchslosigkeit der Schrift hält. Denn wer sagt, daß die Schrift zwar von Gott eingegeben sei, gleichzeitig aber behauptet, sie enthälte Irrtümer und Widersprüche oder nur von einer "relativen Irrtumslosigkeit" spricht (Sasse), der hat damit den Wert der Verbalinspiration aufgehoben, noch mehr: er hat Gott zum Lügner gemacht und damit gegen die ersten drei Gebote verstoßen, Ist Gott der Autor der Heiligen Schrift - wie er ja wahrhaft ist - so kann die Schrift gar keinen Irrtum enthalten, Joh. 10,35. Und genau das war auch Luthers Lehre:

  "Dagegen wird dieses aufgebracht, und sagen Etliche also: Wie denn, so dem also sei, dieses wahr sein könne, daß Elam und Assur vor Arphachsad geboren seien; denn so müßten sie alle drei in Einem Jahr geboren sein? Antwort: Dies hindert uns auch nichts, wenn wir gleich setzen, daß ihrer zum erstenmal Zwei mit einander auf einmal geboren sind. Aber wie gesagt, wird dadurch unser Glaube nicht gefährdet, wenn wir solches gleich nicht wissen. Denn das ist gewiß, daß die Schrift nicht lügt." (zu 1 Mose 11,11; W   2, I, 714)

  "Wenn dich nun jemand angreift und fordert Ursache deines Glaubens, so antworte: Da steht der Grund, der kann mir nicht fehlen, darum frage ich nichts darnach, was Pabst oder Bischöfe lehren und schließen." (zu 1 Ptr. 3,15; W   2, IX, 1070)

  "Unser ganzes Predigtamt geht dahin, daß wir dieses Zeugnis von dem Sohne GOttes in den Herzen der Menschen aurfrichten mögen, aber der Satan richtet alle seine Betrügereien dahin, daß Christus nicht der Sohn GOttes sein soll. Also leugnen die Schwärmer Christum, weil sie seine Worte leugnen. Deswegen schärft Johannes dieses Zeugnis einzig und allein ein, daß wir glauben, Christus sei der Sohn GOttes. Wenn ich das glaube, so glaube ich alsdann, daß GOtt in seinem Worte wahrhaftig sei, und nicht lüge." (zu 1 Joh. 5,9; W   2, IX, 1510)

  "Die Heiligen haben in ihrem Schreiben irren und in ihrem Leben sündigen können. Die Schrift kann nicht irren, und wer ihr glaubt, der kann nicht sündigen in seinem Leben." (aus: Vom Mißbrauch der Messe. W   2, XIX, 1073)

  "Denn sie auch selbst, die Kirche, nicht nach ihrem eigenen Werk und Wort, sondern nach GOttes Wort sich richtet; weiß wohl, daß sie irren und fehlen kann, und solche Fehler und Irrtümer nach dem Worte GOttes bessern und ändern muß, welches allein nicht irren kann." (zu Ps. 111,9; W   2, V, 1093)

  "Also thun wir auch mit der Kindertaufe. Das Kind tragen wir herzu der Meinung und Hoffnung, daß es glaube, und bitten, daß ihm GOtt den Glauben gebe; aber darauf taufen's wir nicht, sondern allein darauf, daß es GOtt befohlen hat. Warum das? Darum, daß wir wissen, daß GOtt nicht lügt. Ich und nächster, und Summa, alle Menschen mögen fehlen und trügen, aber GOttes Wort kann nicht fehlen." (aus: Großer Katechismus; W   2, X, 131)

  Menschen sind irrtumsfähig, Gott aber irrt nicht. Wenn etwas nicht zusammenpaßt, so liegt der Fehler nicht bei Gott oder an der Schrift, sondern bei uns:

  "Diese Sache hat mich bewogen, daß ich die Geschichtsschreiber zwar nicht ganz und gar verachtet habe, aber die heilige Schrift ihnen vorzog. Ich gebrauche derselben so, daß ich nicht gezwungen werde, der Schrift zu widersprechen. Denn ich glaube, daß in der Schrift der wahrhaftige GOtt rede, aber in den Historien gute Leute nach ihrem Vermögen ihren Fleiß und ihre Treue (aber als Menschen) erweisen, oder wenigstens, daß die Abschreiber haben irren können." (aus: Vorrede zu D. M. Luthers Chronikon. W   2, XIV, 491)

  Und weil die Schrift Gottes Wort ist und Gott sich nicht ändert, Ps. 102,28, so kann sich die Schrift auch nicht widersprechen, selbst wenn wir die Harmonie nicht finden sollten.

  "Darum, wenn er selbst das Lösegeld ist für meine Erlösung, wenn er selbst Sünde und Fluch geworden ist, um mich zu rechtfertigen und zu segnen, frage ich nichts nach allen Sprüchen der Schrift, wenn du auch tausend aufbrächtest für die Gerechtigkeit aus den Werken wider die Gerechtigkeit aus dem Glauben und schrieest, die Schrift streie wider sich selbst: ich habe den Urheber und HErrn der Schrift, auf dessen Seite will ich vielmehr stehen, als dir glauben; wiewohl es unmöglich ist, daß die Schrift mit sich selbst uneins sein sollte, das kann nur bei den unsinnigen und verstockten Heuchlern stattfinden. Aber bei den Gottseligen und Verständigen legt sie Zeugnis ab für ihren HErrn. Darum siehe du zu, wie du die Schriftstellen mit einander in Einklang bringest, von denen du sagst, daß sie wider einander streiten; ich bleibe bei dem Urheber der Schrift." (zu Gal. 3,10; W   2, IX, 356)

  "Ist es der HErr, wie Mose schreibt, wie kann es Christus sein, wie Paulus schreibt? Nun müssen sie beide recht schreiben; denn der Heilige Geist ist nicht wider sich selbst. (zu 2 Sam. 23,3; W    2, III, 1931)

  Wenn es aber nun doch Probleme gibt? Es gibt schwierige Stellen in der Schrift, das hat Luther auch zugegeben. Aber das hebt die Irrtumslosigkeit und Widerspruchslosigkeit der Schrift nicht auf. Im Gegenteil, gerade diese Tatsachen helfen uns, diese Stellen so zu akzeptieren, wie sie sind, und die Auflösung bei Gott zu lassen.

  "Nun will es sich gar nicht schicken, daß man in solchem Fall kühnen Leuten folgen wollte, welche, so bald ein solcher schwerer Handel vorfällt, daher sagen dürfen, es sei ein offenbarer Irrthum, und unterstehen sich kühnlich und ohne Scham, fremde Bücher zu verbessern. Meies Theils zwar weiß ich noch nicht, was ich auf eine solche Frage recht antworten solle, so ich doch die Jahre der Welt fleißig zusammen gebracht und gerechnet habe. Darum schließe ich nun mit demüthigem Bekenntnis meines Unverstandes, wie denn billig (denn allein der Heilige Geist ist, der Alles weiß und versteht), also, daß GOtt aus gewissem Rath es also geschickt hat, daß bei Abraham diese sechszig Jahre verloren gehen sollten darum, daß sich nicht jemand unterstünde, aus der gewissen Rechnung der Jahre der Welt etwas Gewisses von der Welt Ende zu prophezeien." (zu 1 Mose 11,27.28; W   2, I, 721)

  "Darum, wenn Mose schreibt, daß GOtt in sechs Tagen Himmel und Erde, und was darinnen ist, geschaffen habe, so laß es bleiben, daß es sechs Tage gewesen sind, und darfst keine Glosse finden, wie sechs Tage Ein Tag sind gewesen. Kannst du es aber nicht vernehmen, wie es sechs Tage sind gewesen, so thue dem Heiligen Geist die Ehre, daß er gelehrter sei, denn du. Denn du sollst also mit der Schrift handeln, daß du denkest, wie es GOtt selbst rede. Weil es aber GOtt redet, so gebührt dir nicht, sein Wort aus Frevel zu lenken, wo du hin willst, es zwinge denn die Noth, einen Text anders zu verstehen, denn wie die Worte lauten, nämlich, wenn der Glaube solchen Verstand, als die Worte geben, nicht leidet." (aus: Vorrede auf die Predigten über das erste Buch Mosis. W   2, III, 21)

  Wir stellen also fest, daß Luther eindeutig, im Allgemeinen wie in der Behandlung spezieller Bibelstellen, die Wörterinspiration wie auch die absolute Irrtumslosigkeit und Widerspruchslosigkeit der Schrift festhält und verteidigt.

  Laßt uns nun diejenigen Abschnitte betrachten, mit Hilfe deren die Modernisten meinen, Luther für sich gewinnen zu können.

B) Besprechung angeblicher Problemstellen bei Luther

  Es gibt da nun einige Stellen, die, besonders seit dem vergangenen Jahrhundet, immer wieder von denen zitiert werden, die einer Rückkehr zum rechtgläubigen Luthertum widerstreben und meinen, Luther dafür als Kronzeugen anführen zu können. Das hat auch in anderen theologischen Lagern, etwa bei Evangelikalen, dazu geführt, Luthers Stellung zur Christ eher als zwiespältig zu betrachten. Gehen wir daher nun diesen Stellen nach, um zu sehen, was Luther da jeweils wirklich gesagt hat.

1. Namen der Schreiber biblischer Bücher

  So hat man sich gestört an Luthers Aussage in der Vorrede zum Prediger Salomo:

  "Item, das Hohelied Salomo siehet auch als ein gestückt Buch, von andern aus Salomos Mund genommen. Daher auch keine Ordnung in diesen Büchern gehalten ist, sondern eins ins andere gemengt, wie sie es nicht alls zu Einer Zeit noch auf einmal gehört haben; wie solcher Bücher Art sein muß." (aus: Vorrede zum Prediger Salomo; W   2, XIV, 31 f.)

  Da haben sie nun gesagt: hier kritisiert Luther den Aufbau dieses Buches und hält es für ein Durcheinander. Außerdem meine er gar nicht, daß es von Salomo sei.

  Luther sagt, daß es nicht in systematischer Ordnung ist. Das ist richtig, und jeder Leser der Sprüche wird dies bestätigen. Aber "kritisiert" hier Luther den Heiligen Geist? Weit entfernt, sagt er doch ausdrücklich, "wie solcher Bücher Art ist", nämlich der Spruchsammlungen. Er erklärt, ja, rechtfertigt diese "Unordnung". Da mache keiner eine Kritik daraus, denn sie ist nicht vorhanden. Und was die Schreiberschaft angeht, so heißt es am Anfang der Vorrede:

  "Es ist aber das Buch freilich nicht durch König Salomo selbst mit eigener Hand geschrieben oder gestellet, sondern aus seinem Munde durch andere gehört ... es sind zu der Zeit vom König und Volk etliche Auserwählte verordnet gewesen, dies und andere Bücher von Salomo, dem einigen Hirten dargereicht, also zu stellen und ordnen, daß nicht ein jeglicher hat müssen Bücher machen, wie ihm gelüstet." (aus ebd.; W   2, XIV, 30.31), wobei er sich auf Prd. 12,11 bezieht: "Diese Worte der Weisen sind Spieße und Nägel, gestellet durch die Meister der Gemeine, und von einem Hirten dargegeben."

  Ist hier ein Zweifel daran, daß das Buch von Salomo stammt? Keineswegs! Luther gibt es ausdrücklich dem König Salomo, nur daß dieser eben nicht selbst den Griffel in die Hand genommen habe, sondern dies Schreiber getan, die an seinem Mund gehangen. Bedenken wir, daß es Röm. 16,22 hinsichtlich des Römerbriefes auch heißt, daß Tertius ihn geschrieben hat, eben diktiert von Paulus. Darum sagt jeder dennoch recht, daß es der Brief St. Pauli an die Römer ist und nicht des Tertius.

  Nun mögen einige kommen und sagen: Ja, hier mag es ja so stehen - aber in den Tischreden, da steht noch etwas ganz anderes. Da heißt es nämlich in der Erlanger Ausgabe: "Der Prediger Salomo ..." sei "zur Zeit der Makkabäer von Sirach gemacht" (EA 62,128; zitiert nach Sasse, Sacra Scriptura, in: Gottfried Wachler. Die Inspiration und Irrtumslosigkeit der Schrift. Uppsala 1984. (Biblicums Skriftserie. Nr 4.) S. 43.) Hat Luther also doch dem Salomo das Predigerbuch genommen? Hier müssen wir zunächst bedenken, daß das Original der Tischreden, von Cordatus und Lauterbach, auf Latein geschrieben ist; da heißt das Buch des Prediger Salomo schlicht 'Ecclesiastes'. Die EA aber hat nicht das Original zu Grundlage gehabt - das wurde erst später gefunden -, sondern Aurifabers Übersetzung. Bei der Neuauflage der Walch'schen Lutherausgabe, 1890-1910, konnte aber das Original hinzugezogen werden. Und was steht da? Nicht 'Ecclesiastes', sondern 'Ecclesiasticus'. Das klingt sehr ähnlich, meint aber etwas anderes, nämlich das apocryphe Buch Jesus Sirach! (Die Weimarana druckt Aurifabers Fassung gar nicht ab, weil sie einfach nicht als treu gilt, sondern gibt des Cordatus Original wieder.) (nach: Wachler, a.a.O. S. 43.)

  Aber da kommen die Modernen, auch ein Sasse, noch mit einer anderen Stelle aus den insgesamt nicht besonders beweiskräftigen Tischreden: Luther habe zum Predigerbuch gesagt: "Das Buch sollte völliger sein, ihm ist zu viel abgebrochen. Es hat weder Stiefeln noch Sporen, es reitet nur auf Stecken, gleichwie ich, da ich ein Mönch im Kloster war." (W   2, XXII, 1411) Sasse meint, Luther kritisiere hier, es sei kein Evangelium im Predigerbuch. Das ist sehr weit hergeholt, denn davon sagt Luther hier gar nichts. Dr. Wachler meint, es könne wohl eher auf die äußere Darbietung, Anordnung, des Stoffes gehen. Oder auch hier sei der Name verwechselt worden, auch bei Cordatus, wie es nachweislich diesem an anderer Stelle ebenfalls passiert ist, nämlich daß es sich auch hier um das Buch Sirach handelt (nach Wachler, a.a.O. S. 43 f.) Dem neige ich sehr zu. Denn nehmen wir noch einmal die Vorrede, so lobt der Reformator das Buch sehr, daß es wider den freien Willen geschrieben (W   2, XIV, 32) und Christi Spruch: Sorget nicht für den morgenden Tag, denn der morgende Tag wird seiner selbst Sorge haben, es ist genug daß ein jeglicher Tag sein Übel hat, auslegt. (W   2, XIV, 33) Das Predigtbuch weist uns also sehr wohl auf Gott und sein Erbarmen hin - gerade nach Luther!

2. Die Antilegomena

  Sehen wir uns nun die bekannteren Zitate an, nämlich aus den Vorreden zu den im Neuen Testament am Schluß abgedruckten Büchern. Sie besonders - vorallem die Vorrede zum Jakobusbrief - werden mit großem Genuß von allen Bibelkritikern herangezogen und jedem unter die Nase gehalten: Sieh hin, hier hast du's: er kritisiert ganz offen Gottes Wort, findet falsche Lehre, Widersprüche darinnen. Ja, er stelle einen "Kanon im Kanon" auf, um die Schrift danach zu prüfen, ob sie oder in wieweit sie Gottes Wort sei. Das ist natürlich ein harter Vorwurf. Hat Luther tatsächlich das inspirierte Gotteswort kritisiert? Ja, hat er etwa geprüft, was er in der Bibel als Gotteswort akzeptierte und was für ihn Menschenwort sei, so, wie die modernistische Theologie behauptet, die Bibel sei ein Ineinander von Gottes- und Menschenwort?

  Hören wir, was Luther zum Eingang der Vorrede auf den Hebräerbrief schreibt, was dann auch für die folgenden Vorreden gilt:

  "Bisher haben wir die rechten, gewissen Hauptbücher des Neuen Testaments gehabt. Diese vier nachfolgenden aber haben vorzeiten ein ander Ansehen gehabt." (W   2, XIV, 126)

  Dieser Satz wird geflissentlich bei der Betrachtung der Vorreden zum Hebräerbrief, Jakobusbrief, dem Judasbrief und der Offenbarung an St. Johannes übersehen. Aber er ist der Schlüssel zum Verständnis dieser Vorreden. Luther - und die lutherische Theologie nach ihm - hat unterschieden zwischen den Homologumena und den Antilegomena. Homologumena, von Griechisch homologeo bekennen, übereinstimmen, kommend, meint diejenigen Bücher des Neuen Testamentes, über die es in der frühen, noch von den Aposteln und deren direkten Schülern gelehrten Kirche keinerlei Zweifel gab, sondern sie sich völlig einig war: das sind inspirierte Schriften der Apostel (bzw. von Apostelschülern unter Aufsicht der Apostel). Für die letzten Bücher der Bibel gilt dies nicht, da gab es auch Widerspruch (antilego = widersprechen), da bestand keine völlige Einheit. Darum hat es die Kirche viele Jahrhunderte, noch bis in Luthers Zeit, so gehalten, daß sie einen Unterschied machte zwischen diesen beiden Gruppen, eben da sie unterschiedlich bezeugt waren und hat den nicht verdammt, der sagte, er teile die Zweifel hinsichtlich der Antilegomena. (In der bekenntnislutherischen Kirche werden sie heute allgemein als inspiriert angesehen.) Daran hat Luther sich gehalten. Er hat sich geweigert, so vorzugehen wie Römischen, die selbstherrlich auf dem Trienter Konzil diesen Unterschied aufhoben. Das können wir nicht; wir sind nicht an der Stelle der alten Kirche. Wir können sagen: für mich sind auch dies inspirierte Schriften, wie es ja viele in der alten Kirche ebenfalls bezeugt haben. Aber wir müssen hinsichtlich der letzten Bücher der Schrift auch die akzeptieren, die ihre Zweifel aufrechterhalten. Einem solchen fehlen keine biblischen Lehren deshalb.

  Nun seht - das war Luthers Ausgangspunkt. Er ist für sich also gerade davon ausgegangen, hier nicht inspiriertes Gotteswort vor sich zu haben. Solche Aussagen, wie wir sie nun betrachten werden, finden wir nur in den Vorreden zu diesen speziellen Büchern, nirgends aber in solchen zu denen, die unzweifelhaft feststehen als Gottes inspiriertes Wort. Ist er in letzteren auf eine schwierige Stelle gestoßen, so, wie wir schon gesehen haben, hat er sich bemüht, die Schwierigkeit zu lösen oder sie Gott anbefohlen. Da hat er nichts kritisiert. Da hat er keinen Maßstab irgendeiner Prüfung angelegt. Den hat er übrigens auch nicht bei den zweifelhaften Büchern in der Hinsicht, daß er sie für kanonisch zu erklären trachtete. Er hat nicht mit einem "Kanon im Kanon", was in der Schrift "Christum treibe" versucht festzustellen, welche er doch noch zu den Hauptschriften zählen könne. Denn zum Hebräerbrief sagt er zum Beispiel: "Wie dem allem, so ist's je eine ausbündige, feine Epistel, die vom Priestertum Christi meisterlich und gründlich aus der Schrift redet, dazu das Alte Testament fein und reichlich auslegt ..." (W   2, XIV, 127 f.) Hätte er so gehandelt, wie man von ihm behauptet im Blick auf einen "Kanon im Kanon", so hätte er sie ja dann unter die Hauptschriften zählen müssen - aber er hat es nicht getan, eben weil er gar nicht nach dieser Weise "geprüft" hat, ob er eine inspirierte Schrift vor sich hat oder nicht.

  Weil er den Hebräerbrief eben nicht für ein inspiriertes Buch ghalten, deshalb hat er auch den "Knoten", den er fand (Vers 12,17), nicht aufgelöst, wiewohl er zugab, daß eine Glosse, also Auslegung, dazu geben mag (W   2, XIV, 127). Das ist der Unterschied zu seinem Vorgehen bei den Hauptbüchern: da hat er sich abgemüht, einen solchen Knoten aufzuschnüren, weil er gewiß war: es ist Gottes Wort, da habe ich mich darunter zu beugen. Bei diesen Büchern aber, die nicht Luther, sondern die frühe Kirche in eine andere Stellung gesetzt, hat er sich dieser Mühe nicht unterzogen.

  Das müssen wir auch im Kopf haben, wenn wir uns seine Vorrede zum Jakobusbrief ansehen. Da heißt es ja: " ... daß sie stracks wider St. Paulus und alle andere Schrift den Werken die Gerechtigkeit gibt." (W   2, XIV, 128) Da sieht er also einen Widerspruch zu Paulus, sagt aber auch darüber, daß dazu eine rechte Auslegung gefundden werden möge. Weiter übt er Kritik:

  "Denn das Amt eines rechten Apostels ist, daß er von Christi Leiden und Auferstehung und Amt predige und lege denselbigen Glaubens Grund ... Und darinnen stimmen alle rechtschaffenen heiligen Bücher überein, daß sie allesamt Christum predigen und treiben. Auch ist das der rechte Prüfstein, alle Bücher zu tadeln, wenn man siehet, ob sie Christum treiben oder nicht, sintemal alle Schrift Christum zeigt, Röm. 3,21, und St. Paulus nicht denn Christus wissen will, 1 Kor. 2,2. Was Christum nicht lehrt, das ist nicht apostolisch, wenn es gleich St. Petrus oder Paulus lehrete. Wiederum, was Christum predigt, das wäre apostolisch, wenn's gleich Judas, Hannas, Pilatus und Herodes tät." (W   2, XIV, 128.129)

  Da ist nun der Satz, aufgrund dessen man behauptet, Luther habe einen "Kanon im Kanon" gehabt oder sei "christomonistisch" gewesen. Daß er keinen Kanon im Kanon hatte, sahen wir schon bei der Einschätzung des Hebräerbriefes. Daß er "christomonistisch" war, das ist richtig - denn die Schrift ist's auch: Joh. 5,39; Luk. 24,25; 1 Kor. 2,2. Jakobus nun wirft er vor, nur Gesetz und Werke zu treiben. Bedenken wir aber hier uzunächst: Luther geht, wie Teile der alten Kirche, davon aus, keine Schrift Gottes vor sich zu haben. Darum bemüht er sich nicht um eine Auflösung der Probleme. Was nun das Tadeln der Bücher angeht, so bezieht es sich eben nicht auf die gewiß inspirierten Schriften, denn gerade da tadelt der Reformator nicht, sondern auf 'rechtschaffene heilige Bücher', aus der Schrift erwachsen, wir würden sagen: Auslegungs- und Erbauungsbücher. Für ein solches nimmt er hier den Jakobusbrief. Und da stellt er fest: er lehrt nicht Christus. Nochmals: Luther hat nicht geprüft, ob er hier eventuell eine Hauptschrift, eine göttlich inspirierte Schrift vor sich habe, sondern ist apriori, von vornherein, aufgrund der Entscheidung der alten Kirche, davon ausgegangen, daß dem nicht so ist. Darum ist auch der Satz "Was Christum nicht treibet ..." kein Prüfsatz auf die gewissen Schriften der Bibel. Er steht auch im Konjunktiv, gerade im Blick auf Judas, Hannas, Pilatus und Herodes. Wir müssen dabei auch bedenken: auch die Apostel standen nicht ständig unter Inspiration. St. Petri Verhalten in Antiochien (Gal. 2) ist gerade kein apostolisches Verhalten gewesen, das als vorbildliche Lehre hätte dienen können. So haben also auch die Apostel zuzeiten Dinge sagen können, die nicht apostolisch, also nicht richtig waren - aber eben nicht in den inspirierten, kanonischen Schriften. Andererseits hat Kaiphas Joh. 11,50.51 ohne sein Wissen und gegen seine Intention einen Spruch getan, der recht Christi Opfer für uns beschreibt.

  Trotz dieser harten Kritik, auch das sollte nicht übersehen werden, schreibt Luther in dieser Vorrede vom Jakobusbrief: "Diese Epistel St. Jacobi, wiewohl sie von den Alten verworfen ist, lobe ich und halte sie doch für gut, darum, daß sie keine Menschen Ehre setzt, sondern Gottes Gesetz hart treibt." (W   2, XIV, 128) Auch will er, eben da die Bücher als zweifelhaft gelten, niemandem wehren, den Jakobusbrief für inspiriert zu halten: "... will aber damit niemand wehren, daß er ihn setze [nämlich unter die Hauptbücher, Anm. d. Verf.] und hebe, wie es ihm gelüstet, denn vieler guter Sprüche sonst darinne sind." (W   2, XIV, 130) Ebenso hat Luther sich nicht gegen die Apologie der Augsburgischen Konfession gewandt, sondern sie mitgetragen, in der die lutherische Kirche bekennt: "Also ist Jakobus St. Paulo nicht entgegen, sagt auch nicht, daß wir durch die Werke verdienen Vergebung der Sünden ..." (Apol. III, 132; Müller S. 131)

  Diese Grundaussagen über die Antilegomena sollte auch bedenken, wer die Vorrede zur Offenbarung Jesu Christi an St. Johannes aus dem Jahr 1522 liest. Wenn er aber recht Luthers Haltung haben will, so sollte er die gar nicht lesen, denn Luther hat sie selbst später zurückgezogen und unterdrückt und 1545 eine feine neue Vorrede auf dieses letzte Buch der Bibel geschrieben mit einer Einführung in die einzelnen Kapitel.

3. Schriftauslegung

  Im Zusammenhang mit der Disputation über den Glauben 1535 (W   2, XIX, 1436 ff.) hat man Luther vorgeworfen, er spiele Christus gegen die Schrift aus, weil er in der 49. These sagt: "Wenn nun unsere Widersacher auf die Schrift dringen wider Christum, so dringen wir auf Christum wider die Schrift." (W   2, XIX, 1441) Ohne den Zusammenhang zu bedenken, scheint es allerdings so: Luther konstruiert hier einen gegensatz. Nun aber müssen wir zunächst einmal hören, was Luther in dieser Thesenreihe weiter sagt: 41. These:

  "Und man muß die Schrift nicht wider, sondern für Christus verstehen, deshalb muß man sie entweder auf ihn beziehen, oder nicht für die wahre Schrift halten" und zur Erklärung, 42. These:

  "Zum Beispiel [das Wort]: "Halte die Gebote" [ Matth. 19,17.] muß, da Christus der HErr ist (dominante Christo), so verstanden werden: Halte sie, nämlich in Christo oder im Glauben an Christum." (W   2, XIX, 1441)

  Hier sehen wir, wie er es meint. Und behalten wir im Auge, gegen wen es geht, nämlich die Römischen, so wird der Ausspruch noch klarer. Konstruiert Luther einen Gegensatz? Nein! Um was es hier geht, ist nichts anderes als die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium. Die Römischen hatten ja vor Luther kaum mit der Schrift agiert, sondern nur die Kirchenväter und Petrus Lombardus' Sentenzen (Auslegung) herangezogen. Nun hatten sie sich auch etwas daran gewöhnt, mit der Schrift zu reden. Aber wie? Das hatte sich schon bei Erasmus von Rotterdam gezeigt in seiner Auseinandersetzung mit Luther über den unfreien Willen: Erasmus griff in die Schrift, wo er eine Forderung fand, und sagte: Gott fordert das - also können wir es tun, also arbeitet der Mensch an seiner Seligkeit mit. Luther hat das meisterlich in seiner Antwort an Erasmus widerlegt (W   2, XVIII, 1668 ff.): darum, daß das Gesetz etwas fordert, darum können wir das noch lange nicht tun. Ja, das ist eben das Ergebnis der Erbsünde, daß wir Gottes Willen nicht mehr genügen können. Gott zeigt uns dies eben durch die Gesetzesforderungen: wir versagen vor ihm. Und genau darum geht es hier auch wieder: um den falschen und den rechten Gebrauch der Schrift. Wer die Schrift gegen Christus gebraucht, wer also den Glauben vergesetzlicht, wer behauptet, der Mensch könne in irgendeiner Weise etwas dazu tun, daß er selig würde und nicht gänzlich pure passive sei hinsichtlich seiner Seligmachung, der gebraucht die Schrift falsch, lehrt sie falsch. Und es ist gegen diesen falschen Schriftgebrauch, daß Luther sagt, er dringt auf Christum wider die Schrift, nämlich die falsch gebrauchte, vergesetzlichte Schrift. Ganz konkret: wenn jemand die Aussage des Jakobusbriefes 2,24 nimmt, "So sehet ihr nun, daß der Mensch durch die Werke gerecht wird, nicht durch den Glauben allein", und darauf folgert: also müssen wir gute Werke tun, um selig zu werden, so lehrt er falsch, gegen die tatsächlichen Aussagen der Schrift, gegen Christus. Er sieht weder auf die Lehrstellen zur Rechtfertigung noch auf die Absicht des Jakobusbriefes und an wen er geschrieben ist (nämlich an solche, die bereits bekehrt, gerechtfertigt sind und nun im Glauben leben sollen. Denen sagt Jakobus, daß ein Glaube ohne Werke im Gefolge gar kein christlicher Glaube ist. Die Gerechtigkeit vor Gott, die soll sich erweisen gegenüber den Menschen, in den Werken. Es geht hier also gar nicht um diese Gerechtigkeit vor Gott, sondern um die Gerechtigkeit vor den Menschen, also das christliche Leben.) So ist es auch zu verstehen, wenn Luther sagt: "Soll eins von beiden, Christus oder das Gesetz, verloren gehen, so muß das Gesetz, nicht Christus, fallen." (W   2, XIX, 1441, These 51): nämlich wir glauben nicht und werden nicht selig durch das Gesetz, sondern das Evangelium; die Hauptaufgabe des Gesetzes ist es, Sündenerkenntnis und Reue zu wirken, Röm. 7,14. 

  Im Zusammenhang mit diesen Thesen haben nun einige behauptet: Luther habe die Freiheit gegeben, daß wir neue Gesetze machen könnten, an die der Bibel nicht gebunden seien. Sie beziehen sich auf die 52. These: "Haben und behalten wir Christum, so können wir leicht Gesetze machen und alles recht richten." (W   2, XIX, 1441) Nun, diese These steht da - aber man lese bitte weiter. These 58-60 lauten: "Weil wir aber unterdessen doch ungleichen Geistes sind, und das Fleisch wider den Geist streitet, so muß man auch um der Irrgeister willen bei den gewissen Geboten und Schriften der Apostel bleiben, damit die Kirche nicht zertrennet werde. Denn wir sind nicht alle Apostel, die uns nach dem gewissen Ratschluß GOttes als unfehlbare Lehrer gesendet worden sind. Deshalb können nicht sie, sondern wir irren und im Glauben fallen, weil wir ohne einen solchen Ratschluß sind." (W   2, XIX, 1442) Hier schließt also Luther gerade das aus, was etwa den Situationsethikern so sehr gefallen hätte: an die Stelle der Gebote Gottes neue Gebote setzen. In den Thesen 52-57 bezieht er sich auf Christus und die vom Geist inspirierten Apostel. Und selbst hinsichtlich dieser sagt er nicht, daß sie die alten Gebote umgestoßen und neue aufgestellt hätten, sondern: daß sie die Gebote - etwa Christus in der Bergpredigt - in ihrer Tiefe ausgelegt haben. Denn die 57. These sagt: "Gleichwie alle Propheten und Väter aus eben demselben Geist Christi alles geredet haben, was in der Schrift enthalten ist." Sie haben aus der Fülle der Schrift geschöpft - aber in solch einer Weise und Sicherheit, eben vom Geist inspiriert, wie wir es nicht mehr können. Wir haben uns an das geoffenbarte Schriftwort zu halten, wie es dasteht und nicht darüber hinaus zu gehen. Das ist Luthers Lehre an dieser Stelle.

  Im Blick auf die großartige Galaterbriefvorlesung haben einige gesagt: Luther hat eine freie Stellung zur Schrift gehabt, denn er hat sie kritisiert, daß sie zuweilen schwach und gar nicht beweiskräftig sei. Da heißt es nämlich hinsichtlich St. Pauli allegorischer Auslegung Gal. 4,21 ff: "Denn wenn Paulus die Gerechtigkeit des Glaubens nicht mit stärkeren Beweggründen wider die Gerechtigkeit aus den Werken befestigt hätte, so würde diese geistliche Deutung nichts ausrichten." (W   2, IX, 569) Nun, mir ist unverständlich, wie man daraus Bibelkritik ableiten kann. Luther spricht hier ganz allgemein zunächst über den Gebrauch der Allegorie:

  "Die geistlichen Deutungen (allegoriae) liefern in der Theologie keine festen Beweise, sondern schmücken und erläutern eine Sache gleichsam als Gemälde." (W   2, IX, 568 f.)

  Das ist eine schlichte hermeneutische (die Auslegung der Schrift betreffende) Feststellung, die besagt, daß eine andere als die buchstäbliche Auslegung zwar hilfreich sein kann - aber nicht als Lehrbeweis, sondern als Illustration einer Lehre. Luther kritisiert also den Heiligen Geist überhaupt nicht, sondern merkt nur an, daß diese Stelle nicht als Beweisstelle gegenüber den Juden verwendet werden kann. Er weist in diesem Absatz aber auch daraufhin, daß Paulus ja zuvor die klare Schriftlehre dargelegt hat am Beispiel Abrahams und eben diese nun illustriert. Und daß zur Lehre eine solche Illustration kommt, das, sagt Luther, "ist schön" (W   2, IX, 569) Man sollte, wie allgemein üblich, immer den Zusammenhang bedenken - da fallen die Argumente der Modernisten, wie hier gegen Luther, sehr schnell wie ein Kartenhaus zusammen.

  Nun ist ihm in Verbindung mit Aussagen zu Joh. 18,15-18 und Gal. 1,11.12 vorgehalten worden, er gehe zuweilen "recht salopp" über problematische Stellen hinweg. Nun, gerade bei dieser Stelle im Johannes stimmt das ganz und gar nicht. Wohl sagt er zunächst:

  "Johannes aber allein macht hier eine Verwirrung, daß er sagt, JEsus sei aufs erste geführt zu Hannas; bald hernach habe Petrus den HErrn einmal verleugnet; darnach habe Hannas JEsum gebunden gesandt zu Caiphas." (W   2, VIII, 884)

  Zunächst: Luther kritisiert hier keineswegs, sondern wendet sich vielmehr gegen die, die wegen des scheinbaren Widerspruchs zu den anderen Evangelien hier Kritik üben: "Ein unnützer Geist sollte wohl die Evangelisten darüber schelten." Aber er geht dann der Sache weiter nach, führt an, daß Johannes, im Gegensatz zu den anderen Evangelisten, nur den Hohenpriester nennt, der es tatsächlich im betreffenden Jahr war. Deshalb sagt er dann schließlich: "Und so man darauf [nämlich die Bezeichnung der Hohenpriester, Anm. d. Verf.] Achtung hat, findet es sich aus diesem Texte klar, daß Petrus den HErrn verleugnet habe in Caiphas Hause." (W   2, VIII, 884)

  Im Galaterbrief führt Luther aus:

  "Es sind aber die Historien in der Schrift oft kurz zusammengefaßt und durcheinander geworfen, so daß man sie nicht leicht miteinander reimen kann, wie dies der Fall ist bei den Verleugnungen des Petrus in der Historie des Leidens Christi etc. So erzählt Paulus hier nicht die ganze Geschichte. Ich mühe mich deshalb nicht ab, es liegt mir auch nicht viel daran, sie zusammenzureimen, sondern she hier nur darauf, was die Absicht des Paulus sei und worauf er abziele." (W   2, IX, 92)

  Luther nun hier etwas verallgemeinernd vorzuwerfen, er habe sich zuweilen "recht salopp" mit problematischen Stellen auseinandergesetzt, ist schon sehr weit hergeholt. Zum einen hat er in der angeführten Stelle aus der Passionsgeschichte ja ohne große Schwierigkeiten den Ausgleich gefunden. Hier nun gemüht er sich ausnahmsweise nicht darum (er betont ja, daß er es "hier" nicht macht), weil ihm die anderen, theologischen, Aussagen wichtiger sind. M.E. kommt manche Kritik, etwa von evangelikaler Seite, an solchen Lutherworten aus einer falschen Perspektive, nämlich der heutigen Situation, in der jeder scheinbare Widerspruch oder jede scheinbare Schwierigkeit aufgelöst werden muß, nur um den Bibelkritikern keinen Raum zu lassen. Heute ist das richtig. Zu Luthers Zeit aber war die Lage anders. Die heutige Bibelkritik war damals unbekannt. Wenn Luther sich da mit dieser Stelle nicht näher befaßte - die ja für ihn deshalb Gottes unfehlbares Wort war und blieb und keinerlei Widerspruch aufbaute -, so mußte er nicht erwarten, daß am nächsten Tag irgendein Bibelkritiker diese Stelle aufgriff, um vorzuführen, daß die Bibel sich widerspreche.

  Ebenso wird Luther ein Ausspruch in der Vorrede zu Wenzeslaus Links Anmerkungen zu den fünf Büchern Mose vorgehalten, den er "sehr ungeschützt" und in "fehlgeleiteter Anwendung eines biblischen Bildwortes" getan habe:

  "Ob aber denselben guten, treuen Lehrern und Forschern der Schrift zuweilen auch mit unterfiel Heu, Stroh, Holz und nicht eitel Silber, Gold und Edelgestein baueten, so bleibt doch der Grund da; das andere verzehrt das Feuer des Tages." (W   2, XIV, 150)

  Luther spricht hier von den alttestamentlichen Propheten. Da sagt man nun: Luther kritisiert hier massiv, behauptet, daß zumindest einige ihrer Aussagen gar nicht bestehen werden vor Gott. Sagt er das wirklich? Auch diesen Ausspruch müssen wir wieder in seinem Zusammenhang betrachten. Der Reformator schreibt die Vorrede zu seines Freundes Link Anmerkungen und will dabei ermutigen, gerade die fünf Bücher Mose fleißig zu lesen, da sie der Grund sind, auf dem die alttestamentliche, ja, auch die neutestamentliche Lehre steht. Wir sollen sie immer wieder lesen und uns Gedanken dazu machen und diese aufschreiben. "So haben wir auch vom HErrn gewissen Befehl, daß wir die Schrift erforschen sollen. Und St. Paulus Timotheo befiehlt, er solle anhalten mit Lesen [1. Tim. 4,13.]. Nun kann solch Forschen und Lesen nicht geschehen, man muß mit der Feder da sein und aufzeichnen, was ihm unter dem Lesen und Studieren sonderlich eingegeben ist, daß er es merken und behalten könne." (W   2, XIV, 150) Hier sehen wir: Luther spricht über das Studium, das wir an der Bibel treiben sollen, wozu wir uns am besten ein Buch anlegen, um die Gedanken, die uns dazu kommen, aufzuschreiben. Dann führt er, um uns anzureizen, die alttestamentlichen Propheten an, von denen er annimmt, daß sie auch beständig die Schrift studiert haben und die guten Gedanken, die ihnen der Heilige Geist eingab, in ein Buch aufschrieben. Das sind die prophetischen alttestamentlichen Bücher, die wir haben. Dann kommt der oben zitierte Ausspruch. Meint damit nun Luther die vom Heiligen Geist eingegebenen Prophetenbücher? Keineswegs! Denn da hat er ja von den "guten Gedanken, vom heiligen Geist eingegeben" gesprochen. Hier aber spricht er von ganz andern Gedanken, die nämlich nicht vom Heiligen Geist waren, die ihnen vielmehr so unterkamen, wenn sie nicht unter Inspiration des Geistes standen. Luther unterscheidet nämlich im Leben der heiligen Schreiber sehr wohl und gibt zu bedenken, daß auch sie nicht immer unter dieser besonderen Geistesleitung standen. Diese Aussage zielt also gerade nicht auf die biblischen Prophetenbücher, sondern vielmehr, wenn wir es so nennen wollen, auf deren private Anmerkungen zu Mose, so, wie hier aus Wenzeslaus Link einige aufsetzte. Und da, bei diesen Gedanken, die die Propheten privat hatten, da ist eben nicht nur Gutes dabei gewesen. Diese privaten Aufzeichnungen haben sie dann selbst abgetan, nachdem der heilige Geist ihnen die Auslegung gegeben: "Ihr sollt von den Firnen essen, und wenn das Neue kommt, das Firne wegtun." (W   2, XIV, 150), zitiert Luther die Schrift. In keiner Weise kritisiert Luther hier also die Schrift. Es geht nämlich gar nicht um Schriftaussagen!!

  Mit in diese Reihe von Aussagen, die mißbraucht bzw. mißverstanden wurden, gehört eine Bemerkung zu den Chronika- und Königebüchern. Da wird dann herausgegriffen:

  "Den Büchern der Könige ist mehr zu glauben denn der Chroniken." (W   2, XXII, 1414)

  Da will man den Eindruck etwecken, Luther halte einige kanonische Bücher für nicht sehr glaubwürdig. Das ist weit gefehlt. Auch hier ist es hilfreich, sich die vorgehenden Satzteile anzusehen:

  "Die Bücher der Könige gehen hunderttausend Schritt vor dem, der die Chronica  beschrieben hat, denn er hat nur die Summa und vornehmsten Stücke und Geschichte angezeigt, was schlicht und gering, hat er übergangen; darum ist den Büchern der Könige mehr zu glauben denn der Chroniken." (ebd.)

  Hier wird sofort klar, was der Reformator meint: Er vergleicht die beiden auf ihre historische Vollständigkeit hin und sagt: wem es darum geht, einen historisch umfassenden Bericht über Nord- und Südreich zu lesen, der greife zu den Königebüchern, die Chroniken geben nur einen Abriß davon. Und das wird jeder Bibelleser bestätigen, ist doch die Intention, die Gott in die Chroniken gelegt hat, eine ganz andere: da geht es um die geistliche Geschichte Judas. Es ist also hier keine Kritik Luthers an der Schrift, sondern ein schlichter Hinweis, wofür welches biblische Buch besser geeignet ist.

  Besonders stolpern einige über eine Aussage  Luthers zu den Propheten  im Epistelteil der Kirchenpostille, wo sie meinen: hier hat er Gottes Wort gerichtet. Da hat er gesagt:

  "... denn auch alle Propheten des Alten Testaments damit den Namen haben allermeist, daß sie Propheten heißen, daß sie von Christo gesagt haben, wie Petrus sagt Apost. 3,18. und 1. Petr. 1,10.; dazu, daß sie das Volk ihrer Zeit durch Auslegung und Verstand göttlichen Worts im Glauben recht führeten; vielmehr denn darum, daß sie zuweilen von den Königen und weltlichen Läuften etwas verkündigten; welches sie selbst übten und oft auch fehlten. Aber jenes übten sie täglich und fehlten nicht; denn der Glaube fehlet nicht, dem ihr Weissagen ähnlich war." (W   2, XII, 335)  

  Wovon spricht der Kirchenreformator hier? Es geht um die Epistel zum zweiten Sonntag nach Epiphanias, Röm. 12,7-16. Der Abschnitt handelt davon, daß das Weissagen dem Glauben ähnlich sein soll, d.i.: die Lehre soll nicht anderen Aussagen der Schrift widersprechen. Luther erklärt, was mit "Weissagen" gemeint ist. Zuvor war er schon eingegangen auf die Schwärmer, die sich mit Vorliebe auf Prophezeiungen in weltlichen Dingen stürzen. Die aber, so Luther, sind gar nicht wo wichtig, können auch vom Teufel kommen. Und dann beschreibt er, was ein Prophet eigentlich ist: jemand, der von Christus weissagt und lehrt. Das war die eigentliche und vornehmste Aufgabe der Propheten, worinnen in erster Linie auch ihr Auftrag bestand. Dann aber hießen sie weiter Propheten wegen ihrer Schriftauslegung. Das ist die zweite wichtige Aufgabe, die heute etwa durch die Pastoren in den Gemeinden wahrgenommen wird, und gerade in diesem Sinne wird ja der Begriff "weissagen" oft im Neuen Testament gebraucht. Sie führten das Volk durch Auslegung des göttlichen Wortes. Das ist also etwas anderes als die vom Geist inspirierte Weissagung auf Christus, denn diese Auslegung und Unterweisung, wie sie Luther hier beschreibt, das war der Propheten eigene Rede. Luther will damit sagen: sie haben über das hinaus, was wir in den biblischen Büchern haben, das Volk gelehrt und ihnen gepredigt. Dazu, sagt er, haben sie zuweilen auch von weltlichen Dingen - ebenfalls in diesen ihren eigenen Predigten - etwas verkündigt, denn er sagt hier ausdrücklich: "welches sie auch selbst übten und oft auch fehlten". Das hatten sie nicht vom Heiligen Geist, da hatten sie selbst sich versucht. In der Schriftauslegung, da sie ja nicht eigene Einfälle predigten, sondern die Schrift brachten, da haben sie nicht gefehlt. Luther übt also auch hier keinerlei Kritik an irgendeiner biblischen Aussage, denn das, worinnen sie fehlten, wie er annahm, waren eigene, nicht inspirierte Worte, Sachen also, die wir gar nicht in der Bibel haben. Denn in der Bibel ist, wie Luther auch selbst gesagt, kein Irrtum. Hat Luther also Gott, Gottes Wort gerichtet? Nein, denn er spricht da gar nicht von Gottes Wort.

  Noch eine Stelle laßt uns ansehen, denn hinsichtlich der haben selbst konservative Lutherforscher wie Wilhelm Walther, Rostock, gemeint, Luther halte kleine Irrtümer in der Schrift für möglich. Es geht dabei um eine Stelle in der Auslegung des Propheten Sacharja, die auch im Matthäusevangelium angeführt ist - und zwar um die dreißig Silberlinge und den Hinweis, der dort auf Jeremia gegeben wird. Hier meinen nun viele, Luther habe geglaubt, daß hier Matthäus mit diesem Hinweis sich geirrt habe, also ein Irrtum in der Bibel stünde. Betrachten wir Luthers Aussage:

  "Sodann darauf, daß er anführt, als ob es aus Jeremia sei, habe ich nichts Anderes, was ich antworten könnte, als dies bekannte Wort, daß der Prophet vielleicht zwei namen gehabt habe, oder daß er nach der Weise, die auch die andern Evangelisten haben, ganz allgemein citirt habe, unbekümmert um den Namen des Propheten. Augustinus behandelt diesen Gegenstand sorgfältig, den siehe nach. Ich möchte nicht leicht glauben, daß die Bücher der Propheten verwechselt worden seien durch Veränderung der Titel. Sodann waren bei Matthäus ohne Zweifel heilige und gelehrte Leute, voll des Heiligen Geistes, die ihn erinnert haben, daß diese Schriftsllte in Sacharja sei, die er angeführt hatte, nicht in Jeremia. Durch deren Erinnerung veranlaßt, hätte er diesen geringen Irrthum verbessern können, wenn es ihm beliebt hätte, oder wenn er dafür gehalten hätte, daß viel daran liege." (zu Sach. 11,13; W   2, XIV, 2124)  

  Nimmt Luther also an, daß hier die Bibel uns etwas Verkehrtes mitteilt, daß hier ein Irrtum vorliegt? Er gebraucht dieses Wort, das ist richtig, aber eigentlich nur, indem er die Gedanken der Zweifler aufgreift, die so gerne solches suchen. Luther selbst aber sagt, was ihn angeht, daß er nicht glaube, daß die Titel der Bücher verwechselt wurden, daß ja auch sicher Matthäus darauf aufmerksam gemacht wurde - und es dennoch stehen ließ. Das ist also Absicht, weshalb wir weiter nachforschen sollen. Selbst wenn dies aber nicht gelänge, diesen Vers zu harmonisieren, sollte man doch keinen Irrtum oder Widerspruch annehmen und sich nicht, wie diejenigen, die die Bibel kritisieren wollen, auf solche Sprüche werfen (s.a. Wachler, a.a.O. S. 48-50).

  Wie steht es also nun um Luther und seine Stellung zur Schrift? Er hat keine zweifelhafte gehabt, etwa einige gute grundsätzliche Aussagen, aber im Detail dann doch fraglich. Nein, seine Haltung war aus einem Guß, ein uneingeschränktes Ja zur Wörterinspiration, zum absolut irrtumslosen und widerspruchslosen Gotteswort, der Bibel.

C) Anmerkungen zu Luthers Schriftauslegung

  Nun ist für die Stellung zur Schrift aber nicht nur wichtig, ob jemand die Wörterinspiration und Irrtumslosigkeit festhält - das hat Rom über Jahrhunderte auch getan -, sondern ebenso, wie er dann mit dem Wort Gottes umgeht. Einige Stellen haben wir oben schon betrachtet. Einige kurze Bemerkungen seien noch angefühgt, umso mehr, da die altorthodoxe lutherische Schriftauslegung, wie sie Luther begonnen, heute vielfach, gerade im evangelikalen Bereich, nicht mehr verstanden wird. Gemeint ist damit die Christozentriertheit und die klare Trennung von Gesetz und Evangelium, wobei, wie wir im Zusammenhang mit Luthers Thesen vom Glauben gesehen haben, beides zusammengehört. Ja, Luther hat die ganze Schrift, Altes wie Neues Testament, christozentrisch ausgelegt. Ist er damit zu weit gegangen, hat er die heilsgeschichtlichen Epochen vernachlässigt? Im Blick auf die verschiedenen Bundesschlüsse müssen wir beachten, daß wir sie nicht höher bewerten als es Gott selbst in der Schrift macht. In Gal. 3 spricht er nur von zwei Zeiten: einer unter dem Gesetz als dem Zuchtmeister auf Christum und einer unter dem Evangelium. Die Zeremonien des gesamten Alten Testamentes waren Vorschattungen auf Christus, Kol. 2,17. Und weist Christus uns nicht selbst ins Alte Testament, daß wir ihn dort suchen und finden?! Joh. 5,39. Ebenso schreibt Paulus, daß er nichts gewußt habe als Christus, den Gekreuzigten, 2 Kor. 2,2. Und seine Verkündigung gründete ja im Alten Testament. Christus hat die Emmausjünger über sich belehrt, indem er ihnen das Alte Testament auslegte, Luk. 24,25-27. Wenn wir das Alte Testament nicht auf Christus hin verstehen - wo wollen wir dann die Grundlage hernehmen für die Botschaft des Neuen Testamentes? Wie hätten dann die Jünger seiner Zeit Christus erkennen können? Vom Sündenfall an, 1 Mose 3,15, ist die Botschaft von Christus, dem Heiland der Welt, dem Segen für alle Völker, das zentrale Thema der Bibel. In Christus haben wir die Erfüllung des Alten Testamentes und seiner Verheißungen und Prophezeiungen, 2 Kor. 1,20; er ist der verheißene Sohn Davids, der auf seines Vaters David Stuhl sitzt, der einige Könige Israels, nämlich des geistlichen Israels, der Kirche, Luk. 1,31-33; Röm. 2,28.29.

  Ohne die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium ist allerdings die Schrift dunkel. Wenn aber Christus, das Zentrum der Schrift - und damit die Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnaden, allein um Christi Verdienst willen, allein durch den Glauben - erkannt ist, dann leuchtet auch dieser wichtige Unterschied auf: nämlich daß das Gesetz all das ist, was von uns fordert - aber nichts gibt, uns anklagt, verdammt, so Sündenerkenntnis wirkt, Röm. 7; daß aber Evangelium alles ist, was Gott uns umsonst und frei verheißt und zueignet, nämlich alles, was mit unserer Seligkeit zusammenhängt.

  Ein dritter Grundsatz, wie wir auch schon bei Luther gesehen, ist das buchstäbliche Verständnis. Luther hat es in seiner Genesisvorlesung immer wieder betont: die Schrift ist so zu verstehen, wie die Wörter, die Buchstaben lauten, es sei denn, der Kontext im engeren oder weiteren Sinne zwinge zu einem anderen Verständnis. So, nur so, wird die Schrift ernst genommen. Und genau das hat Luther getan: er hat die Schrift, Gottes Wort, so genommen, wie es dasteht, als absolute Autorität.        

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