Kontextualisierung

Roland SckerlA

 

 

Mit dem Begriff der Kontextualisierung wird ein Phänomen beschrieben, das in den liberalen protestantischen Kreisen schon in den 1920er Jahren auftrat1, dann vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) seit 1972 propagiert wird2 und seither immer mehr auch in den evangelikalen Bereich eingedrungen ist und inzwischen auch, wegen fehlender Absonderung, konservative evangelikale Gemeinden infiltriert3. Dabei ist die Idee selbst keineswegs so neu, sondern in der römisch-katholischen Kirche unter dem Begriff der „Inkulturation“ oder „Indigenisierung“ schon seit dem 16. Und 17. Jahrhundert bekannt4. Ja, wir finden sie schon im frühen Mittelalter, etwa wenn wir an den „Heliand“ denken, ein altsächsisches Literaturdenkmal, in dem die neutestamentliche Botschaft in germanisches Gefolgschaftsdenken gekleidet wurde, wobei aber einige für Germanen besonders schwierige Dinge wie das, auch die andere Wange hinzuhalten, herausgelassen wurde, während andererseits das germanische Schicksalsdenken stark durchdringt5.

    Worum geht es bei der Kontextualisierung? Es geht dabei nicht mehr darum, dass Menschen durch die frohe Botschaft bekehrt werden aus dem Heidentum zu Jesus Christus, ihrem Retter und HERRN, sondern es geht um „Massenbekehrungen“, um „Volksbewegungen“, also letztlich um Christianisierung, um Einfluss auf die Massen. Kurz zusammengefasst heißt Kontextualisierung: Anpassung der Botschaft der Bibel an das religiös-gesellschaftlich-kulturelle Umfeld (eben: Kontext). Wir wollen hier nun schwerpunktmäßig die Kontextualisierung der Botschaft betrachten, die übrigens auch eine Kontextualisierung der Gemeinde und ihres Lebens zur Folge hat6. Es geht dabei, und das ist ganz wichtig, nicht um eine Anpassung der Vermittlung der einen Botschaft, der einen biblischen Wahrheit an den jeweiligen Verständnishorizont der Hörer, das ist ja allerdings wichtig und richtig; auch nicht darum, dass die Gemeinde verwurzelt sein sollte in ihrem Volk, in dessen Kultur, Sitten, soweit dies ohne Einschränkung der biblischen Lehre, ohne Vermischung mit dem Heidentum möglich ist. Kontextualisierung meint vielmehr die Veränderung der einen biblischen Wahrheit, der Lehre Gottes, und zwar nach dem jeweiligen religiösen, kulturellen und sozialen Umfeld. Es kommt dann zu kulturell geprägten „Gemeinschaften von Jesus-Jüngern“7, die tatsächlich noch mehr oder weniger stark auch im religiösen Umfeld verwurzelt sind, bis dahin, dass sie z.B. noch zur Moscheegemeinde gehören, zur Moschee gehen und auch eine islamisch verbogene Jesus-Lehre vertreten.

    Die meisten Begründer dieser modernen Kontextualisierung, wie Lesslie Newbigin, David Bosch, kommen zwar aus dem bibelkritischen Hintergrund und nehmen von daher die Bibel sowieso nicht als Gottes irrtumsloses, ewig gleiches Wort, aber im evangelikalen Bereich gibt es durchaus Vertreter, die formal zwar die Verbalinspiration noch bekennen, zugleich dann aber behaupten, dass wir in der Bibel eine Botschaft im hebräischen bzw. griechischen Umfeld hätten, die nun z.B. an das islamische, hinduistische, animistische oder eben westliche Umfeld anzupassen sei.8 Das hat dann verständlicherweise sehr unterschiedliche „Theologien“ zur Folge, je nach dem Umfeld, in dem sie entstanden ist.9

    Tatsächlich heißt dies, dass die Eine biblische Wahrheit geleugnet wird, dass behauptet wird, die Botschaft der Bibel sei historisch, kulturell bedingt und verändere sich damit mit ihrem Umfeld10. Hier klingt übrigens auch sehr stark die sogenannte kanonische Auslegung der Schrift an, wie auch die Literaturphilosophie, wie sie von Hans-Georg Gadamer und Umberto Eco geprägt ist. Ebenso spielt die humanistische Anthropologie hinein, die behauptet, alle Kulturen seien gleichwertig, deshalb müsse man einen „neutralen“ Zugang finden11.

    In diesem ist dann auch der Begriff der „dynamisch-äquivalenten Kirchlichkeit“ entstanden12. Dies führt uns zu einem weiteren bedeutenden Umbruch, der durch die Irrlehre der Kontextualisierung geschah, nämlich im Bereich der Bibelübersetzung. Durch den Missionar, Anthropologen und Linguisten Eugene P. Nida wurde die „dynamisch-äquivalente“ Bibelübersetzung entwickelt, bei der behauptet wird, der Text müsse von seinem ursprünglichen Wortlaut „befreit“ werden. Der erschlossene Sinn müsse in anderen, der jeweiligen Zielkultur angemessenen Begriffen, ausgedrückt werden. Dies führt zu einer massiven Veränderung der Bibeltextes und seiner Anpassung an die jeweilige Umwelt. Bedeutende evangelikale Einrichtungen, wie die Wiclif-Bibelübersetzer oder auch das Summer Language Institute (SLI) verwenden inzwischen diese Methode13. Viele der heute auf dem Markt befindlichen neueren Bibelübersetzungen beruhen auf der dynamisch-äquivalenten oder kommunikativen Methode, etwa Today’s English Version, Living Bible, im Deutschen Gute Nachricht Bibel, Hoffnung für alle, Neue Genfer Übersetzung, Neues-Leben-Bibel, Neue evangelistische Übertragung14. Es ist daher sehr wichtig, dass wir prüfen, welche Bibelübersetzungen wir im Gottesdienst, im Unterricht verwenden und für unsere Gemeinden empfehlen.

 

 

 



A Der Artikel erschien ursprünglich in: Der Bekenntnislutheraner, 2014, Heft 2. Durmersheim 2014. S. 20 ff.

1 Vgl. Rudolf Ebertshäuser: Zerstörerisches Wachstum. Steffisburg: Edition Nehemia 2012. S. 132

2 vgl. ebd. S. 131

3 vgl. ebd. S. 132

4 vgl. ebd. S. 140

5 vgl. dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Heliand

6 vgl. Ebertshäuser, a.a.O., S. 132

7 vgl. ebd. S. 137. 133

8 vgl. ebd. S. 133. 134

9 vgl. David J. Bosch: Transforming Mission. Paradigm Shifts in Theology of Missions. Marknoll, NY 1991. S. 421; in: Ebertshäuser, a.a.O., S. 137

10 vgl. Ebertshäuser, ebd. S. 134

11 vgl. ebd. S. 137

12 vgl. Charles H. Kraft: Christianity in Culture. Marknoll NY 1979. S. 315; in: Ebertshäuser, a.a.O.

13 vgl. Ebertshäuser, a.a.O., S. 138

14 vgl.: Rudolf Ebertshäuser: Moderne Bibelübersetzungen unter der Lupe. S. 9 ff. über: http://www.das-wort-der-wahrheit.de/moderne-bibeln-wortgetreu-oder-kommunikativ