D I E H E I L S O R D N U N G


D I E    LEHRE    DER    H E I L S O R D N U N G

B E I

B O    G I E R T Z

Von

Roland Sckerl

I n h a l t s v e r z e i c h n i s

Einführung

Die Berufung

Die Erleuchtung durch das Gesetz

Die Erleuchtung durch das Evangelium

Bekehrung – Rechtfertigung - Wiedergeburt

Die Heiligung

Einführung

Die Gnaden- oder Heilsordnung oder die Lehre von der Heilsordnung ist, auch im Luthertum, leider sehr in Vergessenheit geraten, umso mehr, als der ganze Bereich fast völlig eingehüllt ist in evangelikale oder reformierte Ansichten, die besonders im deutschsprachigen Raum das geistliche Denken derer, die entschiedene Christen sein wollen, bestimmen. Das ist aber ein großer Verlust und zeigt bereits heute verheerende Auswirkungen, die selbst außerhalb des Luthertums durchaus, wenn auch nicht in ihrer ganzen Tiefe, erkannt werden, etwa der fehlende Ernst der Buße und Bekehrung und der Hingabe.

Aber es geht ja um viel mehr. Es geht darum, wie Gott das geistliche Leben wirkt, was denn rechter Glaube ist. Während im evangelikalen Bereich viele durch die unbiblische arminianische „Entscheidungstheologie“ in die Irre geführt werden, ist im Luthertum das Erbe der Erweckungsbewegung weithin aufgegeben worden und die Frage nach Buße, nach Bekehrung wird kaum noch gestellt; die Verkündigung will zumeist gar nicht mehr dazu hinführen. Und dabei übersieht man völlig, dass man in großer Gefahr steht, aus der Gnade ein Ruhekissen für den alten, von der Sünde beherrschten, Menschen zu machen. Dagegen stand ja die lutherischen Erweckung im 19. Jahrhundert:

„Seit den Kindertagen war man gewöhnt zu hören, dass wir allein aus Gnade gerechtfertigt werden. Das war eine selbstverständliche Wahrheit, ohne Kraft, in solchen Herzen Widerhall zu wecken, die nie von dem Stachel des Gesetzes verwundet worden waren und niemals Anlass gehabt hatten, Gottes Zorn zu fürchten. Die unbußfertige Sicherheit wusste nur allzu gut, was sie antworten sollte, wenn das Wort Gottes mit seiner Forderung auf Buße und neues Leben kam. Sie hatte gelernt, sogar die Lehre von der Gerechtigkeit des Glaubens zu einem Harnisch zu schmieden, in dem der alte Mensch sich brüsten konnte, voller Zufriedenheit darüber, niemals etwas anderes werden zu brauchen als ein armer Sünder.“ (Bo Giertz: Fundamente einer lebendigen Kirche. Bielefeld, Gießen, Basel 1995. S. 96.97. zitiert: Fundamente ...)

Gerade im lutherischen Bereich ist es fast völlig verloren gegangen, zwischen einem lebendigen und einem toten oder besser eingebildeten Glauben zu unterscheiden, zwischen einem wirklichen und einem eingebildeten Gnadenstand. Gerade das aber geschah einst in der Erweckungszeit, wie wir sehr deutlich bei Louis Harms oder Remmer Janßen, auch Carl Ferdinand Wilhelm Walther, erkennen können und ebenso auch in der skandinavischen Erweckung. Da begann man wieder, „einen Unterschied unter den Leuten zu machen“, nämlich zwischen denen, die im lebendigen Glauben stehen und solchen, die dies noch nicht tun, etwas, das heute vielfach verpönt ist. Und doch ist es so wichtig, dass die Menschen erkennen, was echter, biblischer, rettender Glaube ist, was rechte Buße ist, was die Kennzeichen einer echten Reue sind – und was die falschen Trostgründe. Bo Giertz führt in seinen „Fundamenten...“ die Kennzeichen dieser lutherischen Erweckung an:

„Und das erste dieser Kennzeichen ist das Bewusstsein, dass mit dem Menschen etwas geschehen muss. Hat sich ein Mensch von Gott entfernt, so muss er durch eine rechte Bekehrung zurückgeführt werden. Da die meisten Menschen ihren Taufbund gebrochen und den Gott ihrer Kindheit verlassen haben, muss eine Veränderung mit ihnen geschehen, die bewirkt, dass sie von einem Früher und einem Jetzt reden können, von einem Übergang vom Tode zum Leben. Lutherisches Erweckungschristentum ist also durch und durch Bekehrungschristentum. [Hervorh. durch den Verfasser] (Fundamente ... S. 97.98) Was aber ist nun Bekehrung?

„Das nächste Kennzeichen ist die klare Einsicht, dass die Bekehrung ein Werk Gottes ist, das durch das Wort geschieht. Das Wort hat eine das Herz umgestaltende Kraft, ein vom Heiligen Geist gegebenes Vermögen, auf uns Sünder einzuwirken. Eine rechte Bekehrung besteht also nicht nur darin, dass der Mensch eine neue Einsicht empfängt, die seine Zweifel überwindet oder dass er irgendwelche willensmäßigen Entschlüsse zu einer geänderten Lebensführung fasst. Sie besteht darin, dass Gottes Wort – Gesetz wie Evangelium – zutiefst in ein Herz eindringt, seine innerste Abgewandtheit von Gott aufdeckt und es gleichzeitig spüren lässt, dass es von Gottes Liebe umschlossen ist und dass Christus gestorben ist, um mit seiner Gerechtigkeit alle seine Fehler zu verhüllen. Dieses Werk pflegt seine geraume Zeit zu fordern. Das Wort bricht Stück für Stück von dem Selbstbewusstsein des Menschen ab und nimmt ihm all das, worauf er von Natur lieber baut als auf Jesu Verdienst: die erste Freude, die leichten Siege, die Wärme im Gebetsleben. Das Letzte, was Gottes Geist als eine falsche Zuflucht enthüllt, pflegt die Zufriedenheit über die eigene Reue oder der Glaube an den eigenen Glauben zu sein.

Schartau, der bedeutendste Führer jener Erweckungsbewegung, hat uns die klassische Zusammenfassung all dessen in seiner Lehre von der Ordnung der Gnade gegeben. Sie schildert, wie Gottes Heiliger Geist das totale Unvermögen des Menschen enthüllt, sich selbst zu bekehren, Gott aufrichtig zu dienen und seinen Nächsten selbstlos zu lieben. Gerade so hilft sie ihm zu dem Erlöser, der ihm allein raten kann. Zutiefst gesehen ist die Ordnung der Gnade eine Lehre vom Glauben, nicht eine Schilderung von Stadien, die der Mensch durchschreiten muss, um ein rechter Christ zu werden. Es ist eine Schilderung all der Hindernisse in einem Menschenherzen, die sich auf dem Weg des Glaubens erheben, und des Werkes, durch das Gottes Geist sie niederreißt.

Das Wesentliche in der Ordnung der Gnade ist also nicht die Ordnung, sondern die Gnade.“ (Fundamente ... S. 98)

Es darf also, das haben auch die Väter betont, etwa Emil Wacker, der Vater der nordschleswigschen lutherischen Erweckung, in seinem Standardwerk „Die Ordnung des Heils“, kein Gesetz aus der Ordnung gemacht werden. Diese logische Ordnung oder Unterscheidung meint keine zwingende Zeitfolge.

Das dritte Kennzeichen dieser Erweckung ist die Sorge, dass der Glaube wirklich echt sei, keine Pfuscherei, keine Heuchelei, keine Einbildung; es ist der Ernst in der Frage nach der Erlösung.

„Sie ist nicht bereit, Gleichheitszeichen zwischen Ergriffenheit und Glauben oder zwischen Eifer und Bekehrung zu setzen. Sie weiß sehr wohl, dass die Juden, die „um Gott eiferten“, dennoch nicht die Erlösung fanden, solange sie versuchten, „ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten“. Sie weiß, dass der, der kraft des Gesetzes gerecht werden will, aus der Gnade fällt. Sie sieht, dass gerade dieses Streben hinter so vielem modernem geistlichen Wirken liegt und hinter so vielem Gerede, dass das Leben, das Zeugnis und der persönliche Einsatz das Wesentliche am Christentum seien. Die kirchliche Erweckung ist misstrauisch gegen jedes Reden davon, dass man bekehrt werde, indem man „sein Herz Gott gebe“, „sich für Gott entscheide“ oder „sich entschließe, ein Christ zu werden“. Von alledem kann sie sagen, dass es gut und nützlich und notwendig sei – aber es sei keine Bekehrung, es bedeute im besten Fall, dass man ein Jünger wird und auf den rechten Weg kommt. Die Väter nannten das „erweckt werden“, „ein suchender Mensch werden“ oder „zum Nachdenken kommen“. Dann verbleibt, etwas zu lernen, was wichtiger und zugleich schwerer ist. Man kann wohl „sich entschließen, ein Christ zu werden“, aber kein Entschluss reicht aus, um den Heiden in uns zu töten. Man kann wohl „Gott sein Herz geben“, aber dann bleibt die Frage, was Gott mit einem so elenden und wurmstichigen Ding machen soll. Man kann wohl „sich für Gott entscheiden“, aber es wäre fast eine Lästerung, das zu tun, wenn Gott sich nicht für uns entschieden hätte, indem er seinen eingeborenen Sohn für uns alle dahingab. Alles das lernt ein erweckter Mensch begreifen, wenn er sich demütig unterweisen lässt. Aber es ist gefährlich und auch unrecht, die Erweckten als Erlöste und Bekehrte zu bezeichnen und sie glauben zu lassen, dass ihre menschliche Ambition dasselbe sei wie das neue Leben des Heiligen Geistes, sie vortreten und von ihrer Bekehrung zeugen zu lassen und sie vielleicht zu Leitern in einer christlichen Tätigkeit zu machen. So etwas führt oft dazu, dass sie nach einer gewissen Zeit von allem enttäuscht werden und sagen, dass das ganze Christentum Humbug sei. Sie haben angefangen einzusehen, wie menschlich alles miteinander war, wie wenig Deckung sie für die großen Worte hatten und wie unverändert ihre Herzen im Grunde sind. Aber statt sich tiefer im Sündenbekenntnis und der Einsicht ihrer Ohnmacht zu beugen, geben sie dem Christentum die Schuld und sagen, dass es nicht halte, was es verspreche. Das ist eine der Gefahren falscher Lehre.“ (Fundamente ... S. 99.100)

Worin zeigt sich denn nun der rechte, der lebendige Glaube? Dies wird im vierten Kennzeichen der lutherischen Erweckung deutlich, nämlich in der energischen Betonung der täglichen Buße.

„Bekehrung kann für das Luthertum niemals eine einmalige Sache werden. Seinem Sündenbekenntnis entwächst man niemals. Gottes Wort lässt die Sünde nicht in Frieden. Ein alter, bewährter Christ braucht nicht weniger, sondern mehr Sündenvergebung und Versöhnungsgnade. Er lebt in der täglichen Bekehrung. Sein Gewissen ist empfindlich gegenüber den geringsten Bestrafungen durch das Wort. Er meint es ernst, wenn er bekennt, dass er ein großer Sünder sei. Darum nimmt er ständig aufs neue seine Zuflucht zu seinem Erlöser.“ (Fundamente ... S. 100.101)

Zum Verständnis sei angemerkt, dass allerdings zwischen der grundsätzlichen, aber wiederholbaren, und der täglichen Bekehrung oder täglichen Buße unterschieden werden muss. Denn durch die grundsätzliche Bekehrung wird aus einem Nichtwiedergeborenen ein Wiedergeborener, ein Kind Gott. Durch die tägliche Bekehrung oder Buße aber bleibt solch ein Wiedergeborener, ein Christ, in seinem Gnadenstand und wächst in der Gnade. Aber diese tägliche Buße ist allerdings notwendig, da sonst ein allmähliches, oft unbemerktes, geistliches Dahinsiechen und schließlich Sterben einsetzt.

„Innerhalb der kirchlichen Erweckung gründet man darum seine Gewissheit, Gottes Kind zu sein, nicht gern auf etwas, das man in der Vergangenheit erfahren oder erlebt hat. Statt dessen hält man sich an das Wort und bittet Gott, dass er, der ein gutes Werk begonnen hat, es auch bis zum Tag Jesu Christi vollenden möge.“ (Fundamente ..., S. 101)

Die Frage muss gestellt werden, ob nicht, neben dem Verlust der Predigt von Buße und Bekehrung, gerade auch diese tägliche Erneuerung oder Heiligung, von der Luther auch deutlich im vierten Abschnitt des Hauptstückes über die Taufe im Kleinen Katechismus spricht, weithin verloren gegangen ist. Mangelnder Heiligungsernst und mangelnde Ganzhingabe sind leider ein erschreckendes Kennzeichen unserer Zeit.

Im Folgenden soll die Heilsordnung, wie sie Bo Giertz im Anschluss an die skandinavische, vor allem schwedische, lutherische Erweckung entfaltet hat, näher betrachtet werden. Der Verfasser stützt sich dabei auf: Bo Giertz: Evangelisch glauben. 2., unveränd. Aufl. Erlangen 1983 (zitiert: Evangelisch ...) und Bo Giertz: Mit der Kirche leben. Erlangen, Fürth 1988 (zitiert: Kirche ...).

Die Heilsordnung beschreibt das Werk des Heiligen Geistes in der Bekehrung eines Menschen: Berufung, Erleuchtung, Rechtfertigung, Wiedergeburt, Heiligung, Verherrlichung, ohne aber dabei eine zementierte zeitliche Abfolge vorzugeben, sondern um aufzuzeigen: So handelt der Heilige Geist an uns, so führt er uns zu Christus, so erhält er uns bei ihm.

„Wenn wir ihnen aber im Einzelnen nachgehen, so haben wir von Anfang an zu beachten, dass damit keine bestimmte Abfolge von Stationen gemeint ist, die man durchwandern muss, um Christ zu werden. Ebensowenig sind vorgeschriebene Prüfungen gemeint, welche zu bestehen wären, oder eine Skala, auf der man nach und nach Gott immer näher käme. Es handelt sich nur um eine Zusammenfassung dessen, was wir aus der Erfahrung und aus der Heiligen Schrift lernen können: So handelt der Heilige Geist an uns. Wie er uns das erste Mal an die Hand nimmt und uns zum Glauben an Christus führt; wie er dann Tag für Tag darüber wacht, dass unser geistliches Leben nicht stockt oder abstirbt; wie er uns bei Jesus Christus im rechten, einigen Glauben erhält.“ (Evangelisch ..., S. 121.122) Für den Menschen ist dabei wichtig, „dass er von ganzem Herzen Gott gehören will und dass Gott mit ihm zu tun hat.“ (Kirche ..., S. 54) [und dass er zur Gewissheit des rettenden Glaubens kommt, Anmerkung des Verfassers.]

Die Bekehrung, um die es geht, meint dabei die neue Geburt, die eine Sinnesänderung mit sich bringt, eine Umkehr – und zwar durch Gott, durch den etwas ganz Neues entsteht. Der alte Mensch wird dabei entmachtet und wir werden in Christi Hände übergeben. (vgl. Evangelisch ..., S. 120.121)

Die Berufung

Die Berufung ist Gottes große Einladung, sein Kind zu werden. Sie beginnt bereits in der Taufe des Säuglings und setzt sich dann fort im Wort. „Wie findet der Mensch den Weg zu Gott? Zu allererst müssen wir uns klar machen, dass nicht der Mensch den Weg zu Gott findet, indem er sich allmählich zu ihm aufmacht. Es ist im Gegenteil Gott, der sich Zugang zu menschlichen Herzen sucht.“ (Kirche ..., S. 19) „Gott beginnt früh, schon in der Taufe. Wir können nicht hoch genug über unsere Taufe denken. In der Taufe wurde ich Christ, denn in diesem Augenblick erreichte mich Gottes Erwählung. ... Gott hat in der Taufe in die Geschichte meines Lebens eingegriffen, mir Anteil am Leben Christi geschenkt, einen Bund mit mir besiegelt...“ (Kirche ..., ebd.) DieTaufe ist die Aufnahme in die Gemeinschaft mit Christus, ist das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, Tit. 3,5-7, deren Gabe wir aber nur im Glauben haben. Die Taufe ist ganz und gar Gottes Tat, auf Gottes Verheißung gegründet. „Nach evangelisch-lutherischer Auffassung begann unser Jüngersein, als wir durch die Taufe in die Kirche aufgenommen wurden. Gott ließ uns verstehen, welchen Sinn das Leben hat, das er uns schenkt. Er ließ uns die Kraft empfangen, die wir zur Verwirklichung dessen brauchen, wozu wir bestimmt sind. Er ermöglichte uns, dieses unser Leben in der Gemeinschaft mit Christus zu leben.“ (Evangelisch ..., S. 114.115) Das heißt aber auch: Du wurdest getauft, um in einem neuen Leben zu wandeln, Röm. 6,3-23, das heißt, der alte Mensch, der Mensch der Sünde, soll in dir täglich getötet werden und jeden Tag soll der neue Mensch, der Christus gehört und ihm nachfolgt, auferstehen. Das ist das Leben in der täglichen Buße oder täglichen Bekehrung. Das alles gilt auch bei der Kindertaufe, denn sie ist wirkliche Taufe. „Natürlich fragte man – damals wie heute –, ob der Mensch Nutzen von der Taufe haben kann, ehe ihm bewusst werden kann, was da geschieht. Die Jünger hatten gemeint, es hätte keinen Sinn, den Meister damit zu belästigen, dass er die kleinen Kinder segnete. Aber Jesus hatte deutlich gezeigt, wie sehr es ihm darum ging, auch die Kinder Anteil an seinem Reich haben zu lassen, also Anteil an der Gemeinschaft mit Gott, die seine Gabe an alle war, die an ihn glaubten und sich um ihn sammelten. Der Glaube ist in seinem innersten Wesen Gottesgemeinschaft. Jesus kann diese Gemeinschaft, wie uns das Kinderevangelium zeigt, auch den kleinen Kindern schenken. Gottes Reich gehört auch ihnen, nicht durch die Geburt, sondern als eine Gabe Christi. Deshalb hat die Kirche von Anbeginn auch die kleinen Kinder getauft.“ (Evangelisch ..., S. 115.116) Aber mit dem Heranswachsen, wenn das Bewusstsein erwacht, muss diese Gabe nun auch bewusst empfangen, ergriffen werden. Darum muss sich die Gemeinde Jesu Christi mit großem Eifer der Erziehung und Unterweisung der Kinder, besonders der getauften Kinder, annehmen und bedacht sein, eigene Schulen zu haben. „Die Taufe können wir mit einer Adoption vergleichen. Ein Adoptivkind bekommt einen neuen Vater und damit auch das Erbrecht. Dieses Recht gilt schon lange, bevor man davon etwas ahnt. Aber eines Tages muss man das Erbe antreten und verwalten. Auf das Recht allein hin kann man noch nicht mit dem Erbe leben. Ähnlich das Recht, Gottes Kind zu sein, das wir in der Taufe bekommen haben. Zunächst ist es nur Gabe; aber mit dem Heranwachsen und Bewusstwerden muss auch die Gabe der Taufe immer bewusster empfangen und verwendet werden.“ (Evangelisch ..., S. 116.117) Der Bund Gottes in der Taufe besagt ja: Gott will dein Vater sein, du sollst sein Kind sein – aber nur im Glauben bist du in diesem Bund. Darum ist es so notwendig, dass bereits die kleinen Kinder, und noch mehr, wenn sie heranwachsen, mit dem Wort Gottes leben, das allein diesen Glauben entfalten und erhalten kann – ohne Gottes Wort aber werden sie zu einem verlorenen Sohn, einer verdorrten Rebe am Weinstock. Vor Gott aber bleibt der Taufbund bestehen, selbst wenn du ihn verlassen hast – und daher hast du auch die Möglichkeit, zurück zu kehren. Auch damit hängt auf das engste der Auftrag der Kirche zusammen, missionierende, evangelisierende Kirche zu sein. „Eine Volkskirche, welche ihre Aufgabe ernst nimmt, kann nie aufhören zu evangelisieren, das heißt: die Bekehrung zu predigen.“ (Evangelisch ..., S. 119. vgl. Evangelisch ... S. 113-119)

Da, wo ein Mensch aus der Taufgnade gefallen ist, wo er den Weg ohne Gott geht, ohne bewusste Nachfolge Jesu Christi, wo er durch Trotz gegen Gottes Gebote, Geringschätzung Gottes, Gleichgültigkeit gegen die Bibel, das Gebet, die Kirche den Taufbund verlassen hat, da ist er zu einem verlorenen Sohn geworden. Dann kann Gottes Berufung ihn unter Umständen in einer bestimmten Situation in besonderer Weise treffen: Gott benutzt vielerlei dabei, wenn er uns sucht. Das ist aber bei jedem Menschen anders. Oft arbeitet Gott langsam, schier unmerklich an der Seele – und dann kommt er irgendwann ganz direkt und persönlich mit seinem Wort zu zu ihm. „Ein wirklich persönlicher Appell wird Gottes Ruf erst, wenn ich die Botschaft von Gott selbst höre, die klare Berufung zu seinem Reich, so wie sie durch das Wort kommt, in der Verkündigung, diesem Heroldsruf Gottes, der mich vor ein unerhörtes Anerbieten und vor eine für alle Ewigkeit wichtige Entscheidung stellt. Der Ruf Gottes, der längst an mich ergangen ist, ist nun – vielleicht plötzlich und überraschend – persönlich aktuell geworden. Ich begreife, dass Gott lebt, dass das Christentum etwas ist, das mich berührt, und das Leben zugleich größer und schöner ist, als ich es jemals geahnt habe.“ (Kirche ..., S. 21) Und es gibt auch solche, bei denen es gar nicht so ist, die vielmehr durch das Wort erhalten werden in der Taufgnade, bei denen das Wort das, was in der Taufe geschehen ist, entfaltet und sie so führt zu klarer Erkenntnis der eigenen Sündenverdorbenheit, zur klaren Erkenntnis, dass sie ohne Christus in Ewigkeit verloren wären und dass sie allein durch Christi Gehorsam, Leiden und Sterben am Kreuz Rettung, ewiges Leben haben können und sich daher im Glauben an ihn halten müssen,.

Es wäre daher falsch, wenn einige meinen, es könne ein „Erziehungschristentum“ neben einem „Bekehrungschristentum“ geben. „Die Lehre von der Bekehrung gehört unlöslich zur christlichen Botschaft.“ (Evangelisch ..., S. 133) Bekehrung, wie wir im Weiteren aber noch sehen werden, meint nicht ein starkes Erlebnis, in welchem der Mensch eine Entscheidung für sein Leben trifft. So etwas kann wohl der Anfang sein. Aber dann bleibt noch ein langer Weg, den der Heilige Geist den Menschen führt, bis es zu dem rechten, rettenden Glauben an Christus kommt. Denn dabei sind, wie noch weiter ausgeführt wird, das, was die Väter die „Heilshindernisse“ nannten, zu überwinden. (vgl. Evangelisch ..., S. 133.134)

Was aber nun, wenn Gottes Ruf, diese berufende Gnade, dich trifft? Dann sollst du diesem Wort nicht ausweichen, diesen Ruf nicht abzutöten suchen, sondern dich unter ihn beugen und Gott weiter wirken lassen. Dies geschieht dadurch, dass du Gottes Wort aufmerksam liest und anfängst, im Gebet mit ihm zu sprechen, nicht auf deine Gefühle achtest – nur so kannst du zu Gott finden. Dieser Ruf Gottes führt also zu einem ersten Ja zu Gott, einer Öffnung für sein Wort, zu dem, was wir auch mit ‚Erwecktheit’ bezeichnen. So etwas kann durchaus mit Erlebnissen verbunden sein. Alte Sünden, gegen die du lange gekämpft hast, können plötzlich zurücktreten. Daher kommt es, dass viele meinen, sie seien nun schon bekehrt. (vgl. Evangelisch ..., S. 122.123; Kirche ..., S. 19-22)

Warum aber verläuft es auch nach solch einem Anfang bei vielen schließlich doch im Sande? Wichtig ist: Als Berufener, Erweckter musst du einen steten Umgang mit Gottes Wort haben und regelmäßig beten, auch den Gottesdienst regelmäßig besuchen, um die Predigt zu hören und am Gebet der Gemeinde teil zu nehmen. Es kommt also auf die Treue an in diesen Dingen, sonst wird die Berufung, wird die berufende Gnade wieder verspielt. Einer der Fehler ist dabei oft, dass man das Gefühl, das man bei der Berufung gehabt hat, mit der Bekehrung und einem fertigen Christentum verwechselt und so zu einer gefühlsbetonten Religiosität neigt und nach einer entsprechenden ‚Ergriffenheit’ sich sehnt, anstatt in nüchterner Treue an der Bibel zu hängen und im Gebet zu bleiben. Tatsächlich aber war ja das Gefühl, das durchaus von Gott gegeben war, nur eine Hilfe, um das erste Hindernis zur Seligkeit, den Widerwillen gegen Gottes Gebot und sein Wort, zu überwinden. Es gilt aber, unabhängig von den Gefühlen zu werden, und zu zu dem festen Vorsatz zu kommen, Gott und seinem Wort folgen zu wollen. (vgl. Kirche ..., S. 22-25) „Deshalb lautet der klassische Rat für einen gerufenen Menschen: Sieh zu, dass du deine Erwählung festigst! Das bedeutet: Sieh zu, dass du vollkommen unabhängig von allen Gefühlen festhältst an Gebet, Bibel und Gottesdienst. Tu dies alles mit dem festen Vorsatz, Gott Folge zu leisten und, soweit du seinen Willen erkennst, ihn auch zu tun. Halte klaren Kurs, auch wenn es etwas kostet.“ (Kirche ..., S. 25) Machst du das fest, so nimmst du deine Berufung an, wirst so zu einem Jünger Jesu, also einem Menschen, der bei dem Meister, Jesus Christus, in die Lehre geht. Selbst der Mensch, der noch nicht zum rechten Glauben gekommen ist, auch er ist ein rechter Jünger, sofern er Gottes Wort gebraucht und in dem redlichen Verlangen betet, dass Gott all das hinausführen möge, was er mit dem Menschen vorhat. Glaube ist nicht jedermanns Sache. Man kann ihn sich nicht einfach nehmen. Aber man kann sich vornehmen zu beten. Man kann Gottes Wort hervorholen und es lesen. Man kann in die Kirche gehen, um Gottes Wort anzubeten und um Klarheit und Anleitung aus der Verkündigung zu gewinnen. Wer das tut, ist ein Jünger Jesu.“ (Kirche ..., ebd.)

Wichtig ist dabei nicht, ob du Erlebnisse bei der Berufung oder auch bei der Bekehrung gehabt hast. Du musst auch nicht Rechenschaft ablegen können darüber, wann Gott seinen Weg mit dir begonnen hat. Es kann ja sein, dass du in der Taufgnade verblieben bist und nun in der lebendigen Erkenntnis wächst oder dass die Berufung allmählich erfolgt, ohne eindrückliche Einschnitte.

Eine verscherzte Berufung aber ist etwas sehr Ernstes. Gewiss, Gott kann noch einmal rufen – aber er muss es nicht. Es gibt keine Zusage, dass er es nochmals macht. Und: Je mehr der Mensch Gott zurück weist, umso verhärteter wird das menschliche Herz gegen das Rufen Gottes. (vgl. Kirche ..., S. 26-28)

Die Erleuchtung durch das Gesetz

Da aber, wo ein Mensch von dem Gnadenruf überwunden wurde, wo es vielleicht zu einer „Entscheidung für Gott“ gekommen ist, da ist der Mensch dennoch noch nicht bekehrt. Das Ja zu Gottes Ruf, zu der berufenden Gnade, das ist der Anfang der Jüngerschaft. „Tatsächlich ist er gerade erst auf den Weg gelangt, der ihn zu einem wirklichen Christentum führen kann. Der erste Akt der Handlung – die Berufung – ist glücklich überstanden. Das erste Hindernis ist weggeräumt. Jetzt kann Gott eigentlich zu wirken anfangen. Nun folgt der zweite Akt: Das Erkennen, der schwerste Schritt auf dem Wege zu Gott.“ (Kirche ..., S. 28) Er kommt auf seinem Weg als Jünger Jesu zu der so nötigen Erleuchtung durch das Gesetz. Was ist damit gemeint? Das eigene Leben wird in einem völlig neuen Licht gesehen, nämlich vom Wort Gottes, von den Forderungen Gottes, auch vom Vorbild Jesu her – und du gibst Gott Recht in seinen Forderungen durch das Gesetz. Du fängst an, dein eigenes Leben zu ändern. Hier und da mag es erste Erfolge geben – aber schließlich erlebst du das große Misslingen, dann, wenn du das Wort wirklich bis ins Letzte Ernst nimmst. „Nun meinen viele, man müsse dadurch allmählich ein besserer Mensch werden und deshalb sei dies der Weg, auf dem man zum Christen werde. Wenn man Gottes Wort ernst nimmt, erfährt man eher das große Misslingen. Man wird sich dann nämlich zunehmend seiner Sündhaftigkeit bewusst. Die äußeren, offenkundigen Fehler kann man zwar bis zu einem gewissen Grade ablegen, aber man stößt in der eigenen Natur auf etwas Unausrottbares, das sich absolut nicht ändern lässt. Wohl kann man es verhindern, dass die Sünde des Herzens als Tat hervortritt. Man kann damit aufhören, Menschen zu verleumden oder unfreundlich zu behandeln. Man kann aufhören, sich auf Kosten anderer zu bereichern. Aber man kann sein Herz nicht ändern. Man bringt es nicht fertig, sich so zu ändern, dass man Gott über alle Dinge liebt und seinen Nächsten wie sich selbst. Man möchte es gern. Nichts würde man lieber tun. Aber es wohnt eine Macht in uns, die Nein dazu sagt.“ (Evangelisch ..., S. 124.125)

Wer die Berufung, den Gnadenruf, den Ruf in die Nachfolge Jesu Christi angenommen hat, der hat häufig eine eher moralische oder gesetzliche Auffassung vom Christentum, die geprägt ist von begeisterter Hingagbe und einem bewussten Kampf gegen die Sünde. Zunächst zeichnen sich da auch erste Erfolge ab. „Nun lässt Gott langsam das zweite Erlösungshindernis entstehen: Die Liebe zur Sünde. Der Mensch macht beachtliche Fortschritte. In gleichem Maße, wie man in seine Bibel vordringt, geraten weitere Bezirke des Alltagslebens in neues Licht und man beginnt, es mit Dingen genau zu nehmen, vor denen man früher die Augen verschloss. Das Wort weckt Reue. Rechte Reue besteht nach treffender Auslegung aus drei Dingen: dass wir von Herzen unsere Sünde bekennen, dass sie uns leid tut, und dass wir das Verlangen tragen, von ihnen befreit zu werden.“ (Kirche ..., S. 31) Alle Entschuldigung für die Sünde wird durch das Wort gebrochen, die Mauern der Selbstverteidigung, der Selbstgerechtigkeit fallen eine nach der anderen. Wer sich aber hier dem Wirken des Heiligen Geistes verweigert, verstockt, der hindert Gottes Wirken, und das Leben, das beginnen sollte, verwelkt. Es muss zu einer rechten Traurigkeit über die Sünde kommen, ohne dass damit ein Maß darüber festgelegt werden kann. Tränen können, müssen aber nicht sein. Ich darf dann aber auch nicht stehen bleiben bei einem Jammern über die Sünden – sondern es gilt, sie entschlossen zu bekämpfen.

„Das sicherste Zeichen aufrichtiger Reue ist nie allein die Traurigkeit über die Sünde ohne das starke Verlangen, von ihr befreit zu werden. Ein reuevoller Mensch vermeidet nicht nur die Sünde selbst, sondern auch das, was unsere Väter Gelegenheiten zur Sünde nannten, das heißt alles, was zu einer Versuchung an den Punkten werden kann, an denen ich aus Erfahrung meine Schwächen kenne: Bestimmte Bekanntschaften, Lektüre, Vergnügungen oder Erwerbsquellen. Hier darf man nun nicht mit der Ausrede kommen, dass man auch eine missionarische Verpflichtung hat und unter die Menschen gehen muss. Man kann nämlich nicht in einer solchen Umgebung, wie sie hier gemeint ist, ohne den Glauben, der die Welt überwindet, Mission treiben – noch aber hat man diesen Glauben nicht.“ (Kirche ..., S. 32)

Es geht also nicht mehr nur um die äußeren Sünden, die wir vielleicht noch irgendwie ablegen können, nein, es geht um die innere Sündenverdorbenheit, den Hang zur Sünde. Es ist also diese furchtbare aber so unbedingt notwendige Erfahrung, dass die Erbsünde und mit ihr das Erbverderben Realität sind: Ich kann dem Gesetz nicht genügen. Hier ist es nun wichtig, an diesem Scheitern des eigenen Ich nicht dem Christentum die Schuld zu geben – sondern einzugestehen, dass ich selbst doch abgrundtief verdorben bin, von mir her nicht grundlegend änderbar, dass es also unmöglich ist, aus eigener Kraft Christ zu werden. Das heißt es also, zur rechten Sündenerkenntnis zu kommen, eben: Leid zu haben über die Sünde, traurig zu sein darüber, dass ich ein Sünder bin und sündige, ein Sehnen zu bekommen, doch die Sünde gerne los zu sein. Das ist, wie gesagt, die Reue, der Beginn der Buße – aber auch dann bist du noch kein wiedergeborener Christ. (vgl. Evangelisch ..., S. 124-126; Kirche ..., S. 28-32)

[Es wäre nun allerdings falsch, wenn irgendwie der Eindruck entstünde, dass der Mensch doch bei seiner Bekehrung in irgendeiner Weise mitarbeiten würde, als ob also die Rechtfertigung schließlich doch eine bedingte wäre, die als Voraussetzung eine bestimmte Reue, Traurigkeit über die Sünde, Kampf gegen die Sünde fordere. Aber das ist falsch. Tatsache ist: a. Die berufende Gnade, dass ein Mensch anfängt, die Bibel zu lesen, offen zu sein für Gottes Volk und Reich, das ist allein ein Werk des Heiligen Geistes durch das Wort – der Mensch kann nicht mittun, er kann von sich aus nur widerstreben. Alles weitere Wirken im Erweckten ist Wirken des Heiligen Geistes durch das Wort. b. Die Erleuchtung durch das Gesetz, die wachsende Sündenerkenntnis, die Reue über die Sünde, das ist nicht ein menschliches Werk, nicht etwas, was der Mensch als Vorbedingung für die Rechtfertigung bringen müsste – nein, es ist auch dies Wirken des Heiligen Geistes durch das Gesetz – und entweder kommt der Heilige Geist zum Ziel oder der Mensch widerstrebt und verhindert so Gottes Heilswerk. Es ist dies alles das vorbereitende Werk des Heiligen Geistes durch das Wort an dem noch unbekehrten Menschen, um so alle Selbstverteidigung, alle Mauern der Selbstgerechtigkeit zu stürmen, so dass der Mensch nur noch ein armer Bettler ist. Dabei arbeitet der Heilige Geist allerdings auch an Vernunft und Willen des Menschen und macht den Menschen willig – aber das ist des Heiligen Geistes Werk. Es ist daher sehr wichtig, dass zum Beispiel die Reue nicht als Vorbedingung oder Ursache der Rechtfertigung behandelt wird, die Menschen auch nicht zu einer Prüfung ihrer Reue oder zu einem Bußkampf aufgefordert werden. Wir können es nicht hindern, dass unbußfertige Sünder sich einen falschen Trost aus dem Evangelium zimmern. Aber es ist wichtig, dass solche, die zur rechten Sündenerkenntnis gebracht wurden, dann auch den vollen Trost aus der bedingungslosen Rechtfertigung schöpfen können. Anmerkung des Verfassers]

Diese Erleuchtung durch das Gesetz legt auch den Finger auf die besonders wunden Punkte in unserem Seelenleben, die Lieblingssünden. Da merken wir so recht, wie wenig wir dagegen tun können. Dies alles führt dann zu einer entscheidenden Krise im Leben des Menschen, es kann sogar zu einem Misstrauen und Murren gegen Gott kommen – und viele drohen genau hier dann aufzugeben. „Allen solchen Menschen muss nun klar und eindringlich gesagt werden: Denke daran, dass auch das ein Teil des Werkes Gottes ist. Was du jetzt erlebst, haben alle wirklich bekehrten Christen vor dir durchmachen müssen. Unsere Väter nannten es Erweckung, und sie wussten haargenau, was für eine schwere Zeit das ist. Sie ist schwer – und doch hast du Grund, dich zu freuen. Hier kann ein Seelsorger mit Freude und Nachdruck sagen: Gott segne dich! Was mit dir geschehen ist, beweist, dass Gott wirklich bereit ist, sein Werk an dir fortzuführen.“ (Kirche ..., S. 35) Erweckung heißt hier also: Ich lerne mich als einen Sklaven der Sünde kennen. „Nun hast du verstanden, was du sonst nie und nimmer gelernt hättest, nämlich was es heißt, ein Sklave unter der Sünde zu sein. Nun ahnst du vielleicht, dass wir wirklich erlöst werden müssen. Damit bist du tatsächlich bis vor die Pforte des Himmelreiches gekommen.“ (Kirche ..., S. 35.36) Nur so lernst du erkennen, was Sünde heißt – und was es heißt und kostet, erlöst zu werden, was Gott dafür hat geben müssen, und gegeben hat. Nun aber heißt es für dich: Vertiefe dich in die Botschaft von der Versöhnung, erkenne die Grundlage unseres christlichen Glaubens: Gottes Barmherzigkeit in Jesus Christus. „Schließlich wird dir klar werden, dass die Grundlage unseres Christentums, unseres Bundes, den der lebendige Gott mit uns in der Taufe geschlossen hat, wirklich nicht unsere Rechtfertigung [gemeint ist: Selbstrechtfertigung, Anm. d. Verfassers], unsere Besserung oder unsere Erfüllung seiner heiligen Forderungen ist, sondern Gottes unbegreifliche Barmherzigkeit, seine unverdiente Gnade und die Versöhnungstat unseres Herrn Jesus Christus auf Golgatha.“ (Kirche ..., S. 36) Hier kommt es nun darauf an, dass du die Gnadenmittel, die Jesus Christus seiner Gemeinde geschenkt hat, reichlich gebrauchst: Dass du die Möglichkeit der Einzelbeichte, wo du im Beisein eines Pastors oder eines gläubigen Christen (oder eine Frau bei einer gläubigen Christin) vor Gott deine Schuld, deine Sünden bekennst und die Vergebung Gottes, zugesprochen durch den Mund eines Menschen, als tatsächlich dir geltend ergreifst. Bleibe vor allem auch am Wort und empfange das heilige Abendmahl oft, wo Jesus Christus dir unter Brot und Wein seinen Leib, den er für dich auf Golgatha dahingegeben, und sein Blut, das er für dich vergossen hat, reicht, um dich der Vergebung deiner Sünden zu vergewissern.

„Nun wissen wir, dass das Gesetz uns zum Schweigen bringen soll, um die ganze Welt als schuldig vor Gott zu entlarven. So fasst Paulus an der berühmten Stelle im Römerbrief (3,19) die Erfahrungen zusammen, zu welchen jeder ehrliche Christ während seiner fruchtlosen Bemühungen, vor Gott unschuldig zu bleiben, gelangt. Und er fügt hinzu: Denn durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde.“ (Kirche ..., S. 38) Das ist die Aufgabe des Gesetzes – denn wir können Gottes Gebote gar nicht erfüllen. So soll all unsere Eigen- oder Selbstgerechtigkeit zerbrochen werden, damit wir nicht zu Pharisäern werden.

Die Erleuchtung durch das Evangelium

Die Gerechtigkeit aber, die vor Gott gilt, mit der du vor Gott bestehen kannst, das ist eine Gerechtigkeit, die von Gott ausgeht – empfangen durch den Glauben an Jesus Christus. Von uns aus, aus unserer Natur, sind wir alle nur Sünder – gerecht werden wir ohne Verdienst, allein aus unverdienter Gnade.

„Sie werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut.

Hier ahnen wir wohl etwas von dem Sinn des blutbesprengten Kreuzes. Könnten wir uns selbst bessern, dann hätte Gottes Gesetz ausgereicht. Könnte Gott seine Heiligkeit herabstufen und die Sünde gutheißen, so hätte Christus nie für uns zu sterben brauchen. Aber da wir uns nicht selbst erlösen können, da wir weder die Schuld aufrechnen noch sühnen können, die uns von Gott und seiner Heiligkeit trennt, sandte Gott in seiner Barmherzigkeit seinen Sohn zu uns Sündern. Er wurde ganz und gar wie einer von uns, doch ohne Sünde. Er kam nicht, um uns zu verurteilen. Er kam, um uns die Hand zu reichen, die uns allein über den Abgrund hinübertragen kann. Diese Hand heißt unverdiente Gnade, frei gegeben in der Sündenvergebung. Er kam, um zu sühnen, was wir verbrochen haben. Er ging geduldig seinen Weg bis zum Ende.“ (Kirche ..., S. 40) Das ist die Erleuchtung durch das Evangelium. „Durch das Evangelium lernen wir Jesus Christus wirklich kennen. Wir verstehen, was er für uns getan hat. Die wichtigste Aufgabe des Heiligen Geistes ist es, „Christus zu verherrli-chen“.“ (Evangelisch ..., S. 126)

Jesus Christus kennen lernen, das heißt nichts anderes als: das, was Jesus Christus getan hat, das wird zu tiefster persönlicher Erfahrung und Überzeugung, das wird persönliches Eigentum, da bricht ein Sehnen nach ihm auf, die klare Erkenntnis, dass du ihn brauchst - das ist Glaube an Jesus Christus. Du kannst dann nicht mehr ohne Jesus Christus sein, du brauchst ihn. Der Glaube ist wie eine leere Hand, die Jesus Christus füllt. „Der Glaube ist keine Leistung, kein ethisches Gut, das wir hervorbringen. Eher ist der Glaube eine Leere, ein Bedürfnis, ein Mangel, welchen Christus mit dem ausfüllt, das nur er geben kann. Deshalb ist der Glaube der leeren Hand vergleichbar, welche eine Gabe empfängt. Solange man nichts entbehrt und keine Hilfe nötig hat, glaubt man auch nicht. Aus diesem Grunde hat das Gesetz eine so große Bedeutung. Es „treibt“ zu Christus. Es zeigt, was uns fehlt. Darin liegt die Bedeutung der „Erleuchtung durch das Gesetz“.“ (Evangelisch ..., S. 127) „Glauben heißt, mit seinen Sünden zu Jesus kommen. Jesus selbst sagt, dass „an ihn glauben“ und „zu ihm kommen“ das gleiche ist.“(Evangelisch ..., ebd.)

Dieser Weg Gottes mit einem Menschen vom Gesetz über die Erweckung zur Bekehrung kann sehr lang sein, unter Umständen sich sogar über etliche Jahre hinziehen; bei anderen wieder sehr schnell. Es geht immer darum, dass wir zu dem Punkt kommen, an dem wir Gott nichts mehr bringen können und nur noch Verzweiflung bleibt – oder der Durchbruch des Glaubens, der Gnade Jesu Christi. Denn allein durch das Evangelium kommst du zurecht, dass Gott dich in Jesus Christus trotz deiner Sünde dennoch liebt und dir um Christi willen die Schuld vergibt. „Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten: Verzweiflung oder Glauben. Verzweiflung, das war der Weg des Judas. Ihm sind viele auf diesem Weg gefolgt – bis zum körperlichen oder geistlichen Selbstmord. Auf diesen Weg gerät der Mensch unweigerlich, wenn er in der Erweckung die Verbindung mit der Kirche Christi fahren lässt und das Gebet und das Wort der Schrift verliert. Das einzige, was uns in dieser Not helfen kann, ist nämlich eine Aufklärung durch das Evangelium selbst, diese Botschaft Gottes, die mir entgegen allem gesunden Menschenverstand sagt, dass Gott mich mit meiner Sünde dennoch liebt, dass meine Schuld von meinem Herrn Christus gesühnt ist und dass ich an seine völlig unverdiente Liebe glauben soll. Es ist die Botschaft von der Treue des Erlösers, die durch all meine Untreue nicht um Haaresbreite von ihrem Platz gerückt wird. Auf Jesus allein und auf nichts anderes gründe ich mein Heil.“ (Kirche ..., S. 41.42)

Dem reumütigen Menschen, der seine Schuld erkannt hat, wird es oft schwer, gerade diese unverdiente Gnade zu glauben – eine Gnade ohne Vorbedingungen. Das letzte und größte Hindernis zum Heil ist der Unglaube, nämlich das nicht glauben können, dass ich gar nichts bringen kann und alles allein auf Christus beruht. „Diese Schwierigkeit ist so groß, dass die alten Lehrer aus guten Gründen den Unglauben – mein Unvermögen zu glauben, dass am Ende alles allein auf Jesus Christus beruht – als das dritte große Hindernis zur Seligkeit ansahen. Ich bekomme nämlich keinen Frieden mit Gott, solange ich auf mich selbst sehe und wenigstens ein kleines Stück meiner eigenen Gerechtigkeit retten möchte. Weder die Reue, das Bekenntnis, die Besserung noch der Glaube werden jemals so sein, wie sie nach meiner Meinung sein müssten. Die Folge aller meiner Anstrenungen, fromm zu sein, oder zumindest demütig oder zerknirscht, bleibt unwiderruflich die gleiche: Ich fühle, dass mir alles fehlt, was man ungeheucheltes und klares Christentum nennen könnte. Hier hilft nur eines: Auf Christus sehen. Und sich immer wieder vor Augen halten, was er getan hat, und sich in seine Liebe vertiefen, der „für uns starb, da wir noch Sünder waren“ (Röm. 5,8) – und der so bewies, dass Gott nicht um unserer Reue oder Besserung willen, sondern aus lauter unbegreiflicher Barmherzigkeit mit uns zu tun haben will.“ (Kirche ..., S. 42.43). Es gilt also, immer tiefer in Gottes Barmherzigkeit einzudringen, am Wort Gottes und im Gebet zu bleiben. [Bo Giertz schreibt: „Aber man darf es nicht zu eilig haben und gleich glauben, dass nun alles vollendet ist. Das Wichtige ist nicht, dass ich sofort zum Frieden gelange, sondern dass Gott sein Werk in meinem Herzen von Grund auf vollenden kann.“ (Kirche ..., S. 43) Der erste Teil ist nicht ganz nachvollziehbar, nämlich warum dies nicht auch schnell gehen kann. Diese Einschränkung hat keinen biblischen Grund und erinnert sehr an Fresenius und seine Schüler, die auch die Frieden suchenden Christen mit einem lang andauernden Bußkampf gemartert haben (siehe C.F.W. Walther). Denken wir nur an den Gefängniswärter in Philippi, der am gleichen Abend Frieden im Glauben an Jesus Christus bekommen hat. Gott kann auch dann, wenn wir treu an seinem Wort und Sakrament bleiben und treu im Gehorsam ihm dienen wollen, sein Werk zum Ziel bringen. Anmerkung des Verfassers]

Wichtig ist dabei auch, dass du klar erfasst: Die Sünde ist nicht auszurotten, sondern du brauchst ständig neu Vergebung. Gott aber schenkt dir durch sein Evangelium die Gewissheit der Vergebung. Diese Erleuchtung durch das Evangelium wird vollendet, wenn du nun an Jesus Christus als deinen Erlöser und Versöhner glaubst – dann bist du auch wirklich bekehrt und versiegelt. „Man kann den Glauben nicht selber schaffen. Er wird von Gott geschenkt.“ (Evangelisch ..., S. 135) Das, was dann an dir geschehen ist, das ist die Rechtfertigung und die neue Geburt, was alles Gott dir durch Christus schenkt. (vgl. Kirche ..., S. 28-44)

Wahrer Glaube ist nichts anderes als dies, dass du dich ganz allein auf Jesus Christus als deinen Erlöser verlässt, nicht auf eine Entscheidung, nicht auf ein Sündenbekenntnis, nicht auf irgendeine Besserung. Darum kann dieser wahre, rettende Glaube erst durchbrechen, wenn bei dir alles zusammengebrochen ist, woran du anstelle des Erlösers dein Herz und deine Hoffnung gehängt hast. Du musst damit zu einem völligen Bankrott kommen mit deinem alten Menschen. Solch ein Licht gibt Gott oft nur Schritt für Schritt, aber umso tiefer. „Wir haben schon gesehen, wie dies in dem inneren Reifeprozess geschieht, den man „Erleuchtung durch Gesetz und Evangelium“ nennt. Es kann einen Menschen Jahre stillen Kampfes kosten, bis er in geistlicher Reife dahin gekommen ist, mit sich selbst fertig zu werden. Er selbst erlebt das als einen vollkommenen Bankrott. Seine Wahrheitsliebe sagt ihm, dass er nicht so ist, wie er sein sollte, und dass er nicht zum Christen taugt. Gleichzeitig gibt seine Wahrheitsliebe Christus in seinen Forderungen Recht, und er kann nicht von ihm lassen. In dieser Situation fängt er an, das Wort „Versöhnung“ zu verstehen. Er empfängt schon mehr Strahlen des Lichtes, zeitweise so stark, dass er glaubt, nun die volle christliche Gewissheit und den Frieden erlangt zu haben. Aber dann verschwinden sie wieder. Man darf darüber nicht erschrecken. Gott hält den Menschen auf diese Weise unter seiner Zucht. Er will ihn lehren, dass auch seine Gefühle der Ergriffenheit vom Kreuz oder der Dankbarkeit für die Liebe des Erlösers nicht dazu taugen, um darauf zu bauen. Die Versuchung ist sonst nahe bei der Hand. Sie kann das ganze christliche Leben mit Sentimentalität versumpfen und zu einem endlosen Pendeln zwischen Gefühlsschwelgerei und undankbarer Verzagtheit führen. Man soll sich stattdessen klar darüber sein, dass der Glaube Glaube an Christus ist, Glaube an das Kreuz, das fest im Boden der Wirklichkeit verankert ist und nicht um Haaresbreite verrückt werden kann, was auch immer ich fühle oder auch nicht fühle. Deswegen führt Gott jeden Menschen in die Armut des Geistes, in „den Zustand, in dem sich der Mensch von allen geistlichen Gütern entblößt weiß und nur Sünde und Elend an sich findet“, wie es in der Sprache der Frommen der alten Zeit treffend beschrieben wird. Aber hier gilt das Wort: Selig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Himmelreich. Nun erst kann Gott dem Menschen den wahren Glauben schenken und ihn in die Fülle der Erlösung hineinführen.“ (Kirche ..., S. 45.46)

Bekehrung – Rechtfertigung - Wiedergeburt

Und dann kommt der Punkt, wo deine ganze Zuversicht nur noch auf Christus gegründet ist – das FÜR DICH wird entscheidend. Da wird dir gewiss, dass Christi Werk auch dir gilt (Rechtfertigung und Versiegelung). Der genaue Zeitpunkt, wann dies völlig durchgebrochen ist, ist oft nicht zu nennen, während andere, Berufung, Gott erkennen, Entscheidung, dir bekannt sind, die aber noch gar nicht die Bekehrung waren. Denn Bekehrung heißt nichts anderes, als dass du als Sünder zum Frieden mit Gott kommst, dass du als verzweifelter Sünder Gewissheit erlangst, dass Gott dir verzeiht, dass Gott dir nicht mehr zornig ist, sondern dir um Christi willen gut ist. Das, was da geschehen ist, das wird auch als Rechtfertigung bezeichnet. „Es ist gut, nichts von „Erlebnis“ dabei zu verspüren. Das tut Gott. Die Alten drückten das so aus: Die Rechtfertigung geschieht nicht im Herzen, sondern im Himmel bei Gott.“ (Kirche ..., S. 48) Es ist dies ja nichts anderes als dies, dass Christi Gerechtigkeit dir zugerechnet wird. „Seine Schuld wird immer größer, weil er nie, sei es auch nur für einen einzigen Tag, das erste und vornehmste Gebot erfüllen kann. Dass der Mensch trotzdem gerechtfertigt werden kann, hat allein darin seinen Grund, dass Christus ihm an seiner Gerechtigkeit Anteil gibt. Er hat das Gesetz erfüllt. Er hat so gelebt, wie wir leben sollten. – Diese seine Gerechtigkeit kann uns geschenkt werden. Ebenso, wie er uns etwas von seinem eigenen Leben, von seiner Freude und von seinem Frieden schenken kann, kann er uns auch von seiner Gerechtigkeit geben. Das Neue Testament formuliert: Sie wird uns angerechnet. Dies meinen wir, wenn wir sagen: Die Rechtfertigung geschieht bei Gott im Himmel. Röm. 4,6; 2. Kor. 5,19.“ (Evangelisch ..., S. 128) Diese Rechtfertigung hast du nicht anders als durch den Glauben, der dich in die Gemeinschaft mit Jesus Christus bringt und durch den du nun Anteil hast an all dem, was Christus besitzt. „Der Glaube ist – es sei wiederholt – keine Leistung. Er ist ein Verlangen, eine Offenheit, welche die Voraussetzung dafür ist, dass wir empfangen können, was Christus uns schenken will.“ (Evangelisch ..., ebd.) Die Rechtfertigung geschieht also im Himmel – aber ihre Folgen sind auf Erden sichtbar. (vgl. Evangelisch ..., S. 127-129)

Das, was mit dem Menschen in der Bekehrung geschieht, kann aber unter dem Begriff der Wiedergeburt beschrieben werden: Er wird ein neuer Mensch, einer, der nun Christus als seinen Heiland, Erlöser liebt, der ihm als seinem Herrn sich als Frucht hingibt und ihm dienen, ihm gehorchen will. Schuld und Strafe sind weg, denn Christus hat sie ja am Kreuz längst getragen. Der alte Mensch, der Sünder, ist wohl noch da, aber die Herrschaftsmacht der Sünde ist gebrochen. (vgl. Evangelisch ..., S. 129)

Und dieser neue Mensch, der da geboren wurde durch das Wort, der ist erlöst von dem Krampf des eigenen Wollens, der eigenen Anstrengungen, doch selbst vor Gott gerecht sein zu müssen, und ruht im Glauben auf dem Felsen Golgatha, weil alles von Jesus abhängt. Dadurch kommen Frieden, Dankbarkeit, Freude in die Seele und damit auch die Freudigkeit, Gottes Willen zu tun. „Versucht der Mensch, sich diese Gewissheit zu nehmen, bevor Gott all sein Selbstvertrauen vernichtet hat, wird die Vergebung nur eine tote Theorie, mit der ich mein Gewissen betäube, während ich fortfahre, gegen besseres Wissen zu sündigen. Wenn ich aber auf Golgatha schon verurteilt worden bin und gesehen habe, was die Versöhnung meiner Sünden Gott kostete, so bin ich gezeichnet und kann die Sünde nicht mehr leicht nehmen. Die Wiedergeborenen sündigen nicht vorsätzlich, sagten die Alten, und das steht fest.“ (Kirche ..., S. 49)

Damit ist die Gemeinschaft, die Christus dir schon in der Taufe geschenkt hatte, wieder hergestellt. (vgl. Kirche ..., S. 45-49)

Die Heiligung

Wenn hier nun von der Heiligung gesprochen werden soll, dann von dem Werk, das der Heilige Geist in einem bekehrten Menschen tut. Wenn auch das Gesetz nicht mehr die Grundlage unserer Beziehung zu Gott ist, so ist es doch nicht aufgelöst. Wir können es auch als Christen in keiner Weise erfüllen, aber seine Forderungen bleiben bestehen. Aber die Motivation, die Triebfeder des neuen Lebens ist nicht mehr das Gesetz, sondern die Liebe zu unserem Heiland Jesus Christus. Aus Dankbarkeit und Liebe wollen wir jetzt zu seiner Ehre leben. Das ist nun nicht ein Prozess fortlaufender Besserung hin zur Sündenfreiheit. Vielmehr bleibst du auch als ein wiedergeborener Christ zugleich ein Gerechter und ein Sünder: in dir selbst ein Sünder, um Christi willen aber gerecht. „Weil der alte Mensch nach wie vor da ist, sind und bleiben wir unser ganzes Leben lang Sünder und stehen in einem ständigen inneren Kampf, Gal. 5,17, „denn die Selbstsucht widerstrebt dem Geist Gottes und der Geist Gottes der Selbstsucht; die beiden liegen im Streit miteinander, so dass ihr nicht tun könnt, was ihr eigentlich wollt“. Die Heiligung besteht darin, dass der Mensch sich in diesem Kampf immer neu auf die Seite des Geistes stellt, also dem alten Menschen immer neu den Abschied gibt. Das kann sehr weh tun. Man muss den Eigenwillen kreuzigen. In diesem Streit kann es zur Niederlage kommen. Aus Unvernunft und Gedankenlosigkeit, aus mangelnder Aufmerksamkeit, aus Trägheit oder Unentschlossenheit tut und lässt man vieles, wofür man später nur noch um Vergebung bitten kann.“ (Evangelisch ..., S. 130.131)

Es geht hierbei um die tägliche Buße: Es ist ein immer neues Rufen Gottes durch sein Wort, ein immer neues Erinnern an die und Aufzeigen der Sündhaftigkeit durch das Gesetz – und ein immer neues Eilen zu Jesus Christus, dem Sünderheiland, und Ergreifen der Vergebung, die er bereit hält. In dem neuen Leben fragst du: Herr, was willst du, dass ich tun soll? Und durch sein Wort willst du jeden Flecken und Fehler entdecken, der an dir ist, um bis zum Äußersten im Gehorsam unter Gottes Führung zu leben.

Es findet aber auch ein Wachstum statt, nicht zu immer größerer Vollkommenheit, aber im Glauben:

Erstens: der alte Mensch wird in seinen Grenzen gehalten. „Die Sünde, die in mir wohnt“, tritt nicht als aktuelle Tat hervor. Ich lerne es, die heimliche Selbstsucht und Eitelkeit in meinem Denken und Empfinden schon frühzeitig zu entdecken und zu enthüllen.

Zweitens entwickelt sich der Charakter des Christen. Weil ich vor meinem Heiland alles, womit ich mich beschäftige, meine Arbeit und meine Freizeit, meine Meinungen und mein Können, ausbreiten darf, lerne ich zunehmend, alles mit seinen Augen zu sehen. Ein christlicher Charakter besteht zum größten Teil aus einer auf diese Weise gesammelten Erfahrung. Sie entstand dadurch, dass man sich vor seinem Herrn immer aufs neue prüfte und man mit ihm in der Gemeinschaft blieb.“ „Erst auf diesem Wege kann das Christentum ein Volk allmählich durchdringen: Dadurch, dass Christus Tag für Tag sein Wort zu allem sagen kann, was einem Menschen begegnet und womit er sich beschäftigt.(Evangelisch ..., S. 131; Kirche ..., S. 54)

Leben in der Nachfolge Christi heißt, wie schon bei dem ersten Gnadenruf: „Auf Gottes Wort hören und es als Gottes Wort zu Herzen nehmen. Dies gilt vom ersten bis zum letzten Tag unseres Christseins.... Deshalb haben der Gottesdienst und das Lesen der Bibel solch entscheidende Bedeutung für das Christenleben.“ (Evangelisch ..., S. 135) Das Wort zeigt dir die Fehler auf, es weckt die Reue, zieht dich zum Kreuz Christi – mit und ohne Gefühle – und bestärkt den Glauben an deinen Heiland und seine Vergebung. „Ferner: Wir sollen wachen, beten und kämpfen. Wachen heißt: auf sich selbst acht geben, sich den Spiegel des Wortes vorhalten und nicht vergessen, dass wir etwas mit uns tragen, das immer wieder neu aufgedeckt und unter den Gehorsam Christi gebracht werden muss. Wenn man so das Wort zu sich reden lässt, soll man seinerseits mit Gott reden und sich angewöhnen, in dieses Gespräch mit Gott alle Dinge des täglichen Lebens, auch die Kleinigkeiten, einzubringen.... Wichtig ist, dass wir überhaupt mit Gott reden und dass wir es regelmäßig tun, nicht nur bei bestimmten herausgehobenen Gelegenheiten, sondern auch in der täglichen Arbeit, vor allem, wenn wichtige Entscheidungen zu treffen sind oder wenn Schwierigkeiten zu meistern sind, die einen Entschluss verlangen.“ „Je träger, umso beharrlicher.“ „Schließlich: Wir sollen kämpfen. Der „alte Mensch“ in uns muss bekämpft werden. Den Versuchungen, die von ihm ausgehen, muss man sich widersetzen, sobald sie wach weden, nicht erst, wenn es um Leben oder Tod geht.“ „Wachen – das bedeutet: auf sich selbst Acht geben, sich den Spiegel des Wortes vorhalten, wohl wissend, dass auf dem vergifteten Boden des Herzens Versuchungen hervorwachsen müssen und dass es gilt, sie zu entlarven, bevor sie blühen und Früchte hervorbringen. Hier geht es auch um das wache Auge für die notdürftig bemäntelte „christliche“ Schlechtigkeit, die durch eine Hintertür in die Seele hineinzuschlüpfen sucht: Die Klatschsucht, die sich als Interesse für das Wohl eines Freundes ausgibt; die Trägheit im Gebet, die sich evangelische Freiheit nennt; die Feigheit, die sich als Rücksicht darbietet, die Geldgier, die sich als Forderung nach Gerechtigkeit geben kann. Gegen all dieses gilt: Dagegen kämpfen, d. h. rechtschaffenen Widerstand leisten, sobald die Versuchung ihr Haupt erhebt.“ (Evangelisch ..., S. 135.136; Kirche ..., S. 52)

Dadurch wird Christi Treue zu uns immer besser erkannt, während wir zugleich in der Überzeugung wachsen, nichts anderes als ein armer Sünder zu sein, der immer nur aus der Gnade leben kann, während uns Christus, unser Erlöser, immer größer wird. Dieses neue Leben ist kein Leben unter dem Gesetz, das Gesetz ist nicht mehr die Grundlage unseres Verhältnisses zu Gott – das ist vielmehr die Versöhnung in Jesus Christus – wenn auch das Gesetz durchaus für den Christen noch seine Bedeutung hat, zur Sündenerkenntnis wie zur Erkenntnis des Willens Gottes. Aber: „Es ist Christus, der das christliche Leben formt und es mit Freude und Inhalt füllt. Er schafft aufs neue den Glauben, der sich dem Wort und dem Geist öffnet – einen Glauben, der sich darüber freut, zu ihm zu gehören, ihm zu dienen und der deshalb in Liebe tätig ist.“ (Evangelisch ..., S. 136) In der Heiligung leben führt dann drittens gerade auch dazu, dass der Mensch in der Gnade wächst, im absolut unerschütterlichen Glauben an die Auferstehung. Im Gnadenstand leben heißt, gerade weil wir auch noch Sünder sind: Immer auf Jesus Christus, den Versöhner, sehen. (vgl. Evangelisch ..., S. 130-136; Kirche ..., S. 50-57)

Darum: „Wir sollen das Heilige Abendmahl, und zwar recht oft, empfangen.... Wenn der Tisch des Herrn für unser Leben eine selbstverständliche Mitte darstellt und wenn wir wissen, dass wir dort dem Heiland unseres Lebens bald wieder begegnen werden, dann hat die „Alltagsmoral“ ihren festen Grund gefunden.“ „Tatsächlich ist dieses das Herz des ganzen Heiligungswerkes. Die Abendmahlsbereitschaft schärft die Wachsamkeit und treibt zu ernsterer Selbstprüfung, als wir es sonst gewöhnlich können. Wenn das Herz seinen Halt am Tisch des Abendmahls hat und wenn man weiß, dass man am nächsten Sonntag oder in einigen Wochen seinem Erlöser dort wieder begegnen wird, dann hat auch die Alltagsmoral ihren sicheren Grund gefunden. Dann steht es eindeutig vor Augen, was man darf und was man nicht darf. An allen Scheidewegen des Willens ist es leichter, recht zu wählen, wenn man instinktiv den Weg sucht, der zum Altar zurück führt. Die Gemeinschaft mit Christus während der Stunden des Alltags ist umso leichter zu bewahren, je mehr Stunden seines Lebens man der Gemeinschaft mit dem Erlöser an seinem Tisch gewidmet hat.“ (Evangelisch ..., S. 136; Kirche ..., S. 52.53)