Das ist evangelisch-lutherisch

 

 

 

Nach Ausführungen von Wilhelm Walther und Theodore Engelder

 

 

 

Überarbeitet, ergänzt und herausgegeben

 

von

 

Roland Sckerl

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Durmersheim

 

202023

 

 

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

Vorwort 2

A. VOM WESEN DER LUTHERISCHEN KIRCHE.. 3

B. DIE LEHRE DER EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE IN GRUNDZÜGEN.. 17

1. Gott 17

a. Trinität 17

b. Gottes Wesen. 18

ba. Die Liebe. 18

bb. Die Heiligkeit 20

bc. Heilige Liebe. 20

c. Gottes Endziel 21

d. Die Prädestination oder Vorherbestimmung. 23

e. Gott und die Heiligen. 27

2. Der Mensch. 27

a. Der Mensch als Geschöpf. 28

aa. Die Leiblichkeit 28

ab. Die ursprüngliche ethisch-religiöse Beschaffenheit 29

b. Der Mensch als Sünder 30

ba. Das Wesen der Sünde. 30

bb. Die Erbsünde. 30

bc. Der unfreie Wille. 32

3. Christus. 33

a. Christi Person. 33

b. Christi Werk. 35

ba. Der Kernpunkt 35

bb. Aktiver und passiver Gehorsam.. 36

bc. Die Versöhnung. 37

bd. Christus, unser Fürsprecher. 38

4. Die Kirche. 38

a. Das Wesen der Kirche. 38

b. Die Eigenschaften der Kirche. 41

ba. Una catholica (Eine allgemeine) 41

bb. Die heilige Kirche. 43

c. Die äußere Versammlung um Wort und Sakrament und das Kirchenregiment 43

ca. Die örtliche Versammlung und Kirchenkörper. 44

cb. Die kirchliche Ordnung. 45

d. Das kirchliche Amt oder der Gnadenmitteldienst 46

da. Von den Gnadenmitteln. 47

db. Von der Schlüsselgewalt 48

dc. Vom öffentlichen Predigtamt oder Gnadenmitteldienst oder Predigtamt in concreto. 49

dd. Von der Berufung ins öffentliche Predigtamt 53

e. Kirche und Staat 54

ea. Die Unabhängigkeit von Kirche und Staat 55

eb. Das Widerstandsrecht bei Luther. 56

5. Die Gnadenmittel 61

a. Heilige Schrift und Wort Gottes. 61

aa. Die Heilige Schrift ist Gottes Wort (Inspirationslehre) 61

ab. Die Heilige Schrift ist das größte Heiligtum.. 62

ac. Die Autorität der Heiligen Schrift 62

ad. Die Rechtfertigung allein aus Gnaden - der Kern der Schrift, ohne den sie nicht verstanden werden kann. 63

ae. Das Licht zum Verständnis der Schrift: die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium.. 63

af. Gottes Wort ist uns zum Glauben gegeben - die Aufgabe der Heiligen Schrift 65

ag. Gottes Wort - Gottes Gnadenmittel 66

ah. Wir sollen das Wort Gottes heilig halten, gerne hören und lernen. 67

b. Gottes Wirken durch Wort und Sakrament 67

ba. Gleichheit und Verschiedenheit von Wort und Sakrament 67

c. Die einzelnen Sakramente. 70

ca. Ihre Anzahl 70

cb. Die Taufe. 71

cba. Die Kindertaufe. 72

cc. Das Abendmahl 74

cca. Die Konsekration. 76

cd. Beichte und Absolution. 80

6. Die Heilsaneignung. 80

a.  Die Anfangsbuße. 80

aa. Die Notwendigkeit der Buße. 80

ab. Das Wesen der Buße. 82

b. Die Rechtfertigung. 83

ba. Der Hauptartikel 83

bb. Die Rechtfertigung – ein objektiver Akt 83

bc. Die Sündenvergebung. 85

bd. Rechtfertigung um Christi willen. 88

be. Der rechtfertigende Glaube. 89

bf. Luthers Lehre in der Konkordienformel 91

bg. Die Bekehrung. 93

7. Die christliche Sittlichkeit 100

a.  Gottes Wirken in der Geschichte. 100

b.  Das Wesen der christlichen Sittlichkeit 101

c. Ihre Entstehung. 103

d. Die fortschreitende Heiligung. 106

da. Die Notwendigkeit der fortschreitenden Heiligung. 106

db. Der Weg zum sittlichen Fortschreiten. 112

e. Einzelerweisungen der Sittlichkeit 114

ea. Das Verhalten gegen Gott selbst 114

eb. Das Verhalten zum natürlichen Leben im Allgemeinen. 115

ec. Ehe und Familie. 117

ed. Arbeit und Beruf 118

ee. Staat und Rechtsordnungen. 121

ef. Die Sozialverantwortung der Gemeinde Christi 130

eg. Das Erwerbsleben. 131

eh. Die Bildung. 135

ei. Der Christ und das Leid. 136

8. Die letzten Dinge. 139

a.  Der Zwischenzustand. 139

b. Das Ende. 139

ANHÄNGE.. 140

Luther und die Inspiration der Heiligen Schrift 140

Luthers Lehre von der zweifachen Gerechtigkeit 148

Abkürzungsverzeichnis. 152

 

 

 

 

 

 

Vorwort

 

    In diesem Büchlein soll das Wesen und die Lehre der evangelisch-lutherischen Kirche in ihren Grundzügen dargelegt werden, da leider das, was vielen unter „evangelisch-lutherisch“ begegnet, vor allem aus dem Bereich der sich so nennenden Landeskirchen, aber auch darüber hinaus, vielfach dass, was evangelisch-lutherisch wirklich ist, nur noch verdunkelt, verzerrt, irreführend wiedergibt, was tatsächlich „evangelisch-lutherisch“ ist. Der Hauptteil ist entnommen dem Werk des einstigen Rostocker Professors D. Dr. Wilhelm Walther: Lehrbuch der Symbolik. Leipzig, Erlangen: A. Deicherische Buchhdlg. 1924. S. 292 ff. Der erste Teil stammt aus: Theodore Engelder: Das heilsame Wort. Übers. von Roland Sckerl. Durmersheim 2009. (ursprünglich der erste Teil des Buches Popular Symbolics. The doctrines of the Churches of Christendom and of other religious bodies examined in the light of Scripture. By Th. Engelder, W. Arndt, Th. Graebner, F.E. Mayer. St. Louis, Mo: Concordia Publishing House. 1934). Der Abschnitt über die Schriftlehre ist in seinem ersten Teil ebenfalls diesem Heft entnommen, der Teil über Luthers Stellung zur Heiligen Schrift dem Heft: Roland Sckerl: Luthers Theologie in Grundzügen. Durmersheim 2020. S. 3 ffist einem Aufsatz des Herausg4ebers aus dem Jahr 2000 entnommen: Die Lehre der Heiligen Schrift in den evangelisch-lutherischen Bekenntnissen.. Abschnitte in kleinerer Schrift sind für die Aussage des Textes nicht unbedingt nötig, aber für den, der wissenschaftlich tiefer forschen will, unter Umständen interessant.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

A. VOM WESEN DER LUTHERISCHEN KIRCHE

 

    1. „Die evangelisch-lutherische Kirche ist die Gesamtheit aller derjenigen, welche sich zu der durch die Reformation Luthers wieder an den Tag gebrachten und im Jahr 1530 zu Augsburg dem Kaiser und Reich summarisch [zusammenfassend] in Schrift übergebenen und in den andern ... lutherischen Symbolen [Bekenntnissen] wiederholten und ausgeführten Lehre als zu der reinen Lehre des göttlichen Wortes rückhaltlos bekennen.“ (C.F.W. Walther: Die evangelisch-lutherische Kirche, die wahre sichtbare Kirche Gottes auf Erden. These X.)

    Das ist die Definition der lutherischen Kirche durch die lutherischen Bekenntnisse. Gemäß der Konkordienformel gehören zur lutherischen Kirche diejenigen, die unzweideutig erklären: „Wir ... bekennen uns .. als erstes zu den prophetischen und apostolischen Schriften Alten und Neuen Testaments als zu dem reinen lautern Brunnen Israels, welche alleine die einige wahrhaftige Richtschnur sind, nach der alle Lehrer und Lehre zu richten und zu beurteilen sind ... Bekennen wir uns zum andern zu den drei allgemeinen Symbolen, nämlich dem Apostolischen, Nicänischen und des heiligen Athanasius, als zu den kurzen christlichen und in Gottes Wort gegründeten herrlichen Bekenntnissen des Glaubens ... So bekennen wir uns auch zu derselben ersten ungeänderten Augsburgischen Konfession, nicht deswegen, daß sie von unsern Theologen aufgestellt, sondern weil sie aus Gottes Wort genommen und darinnen fest und wohl gegründet ist ... Zum vierten ... ist nach übergebener Konfession eine ausführliche Apologie aufgestellt und Anno 1531 durch öffentlichen Druck publiziert. Zu derselben bekennen wir uns auch einhellig... Zum fünften bekennen wir uns auch zu den Artikeln, zu Schmalkalden in der großen Versammlung der Theologen Anno 1537 aufgestellt, approbiert und angenommen ... Und dann zum sechsten, weil diese hochwichtigen Sachen auch den gemeinen Mann und Laien anbelangen, welche ihrer Seligkeit zugut als Christen zwischen reiner und falscher Lehre unterscheiden müssen: Bekennen wir uns auch einhellig zu dem kleinen und großen Katechismus Doktor Luthers.“ Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 2-8. Da die Lehre, die in den lutherischen Symbolen dargelegt ist, wie sie im Konkordienbuch stehen, ein und dieselbe ist, so bringt die tatsächliche und ausdrückliche Annahme der Augsburgischen Konfession oder von Luthers Kleinem Katechismus allein notwendig auch die tatsächliche Annahme der anderen Bekenntnisse mit sich. „Auch keiner, so ohne Falsch der Augsburgischen Konfession ist [anhängt], sich dieser Schriften beschweren, sondern sie als Zeugen gerne annehmen ... wird.“ Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 12. - Die Verkündigung der Grundsätze und Lehren, die in diesen Bekenntnissen dargelegt sind, führte zur Entstehung der lutherischen Kirche, und die volle Annahme und treue Anwendung aller dieser Grundsätze machte ihre, der lutherischen Kirche, Stärke und Ruhm aus.

 

    2. Die lutherische Kirche ist Bibelkirche. Sie anerkennt das Wort Gottes, die Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments, als die einzige Quelle und Richtschnur der Lehre, die einzige Autorität in Sachen des christlichen Glaubens und Lebens. Hinsichtlich der Autorität der Schrift (1 Petr. 4,11; Joh. 8,31.32; Jes. 8,20 u.a.) bekennt sie: „Es heißt, Gottes Wort soll Artikel des Glaubens stellen und sonst niemand, auch kein Engel“, Schmalk. Art. T. II,II,15. Nichts darf in der Kirche gelehrt werden „ohne allen Grund in der Schrift“, Apol. XII,119; IV,83. „Und bleibt allein die Heilige Schrift der einzige Richter, Regel und Richtschnur, nach welchen, als dem einzigen Probierstein, sollen und müssen alle Lehren erkannt und geurteilet werden, ob sie gut oder böse, recht oder unrecht sind.“ Konk. Formel, Kurze Darl.., Zsf. 7. SOLA SCRIPTURA, ALLEIN DIE SCHRIFT ist auf jeder Seite der Bekenntnisse der lutherischen Kirche geschrieben. „Wo steht das geschrieben“ ist ihr erstes und letztes Wort, Kl. Kat., VI,3. Der Augsburgischen Konfession geht es einzig darum zu zeigen, „was und welchergestalt sie, aufgrund göttlicher heiliger Schrift, in unsern Ländern, Fürstentümern, Herrschaften, Städten und Gebieten predigen, lehren, halten und Unterricht tun“. Augsb. Bek., Vorr. 8. Ihre letzten Worte sind: „mit Grund göttlicher heiliger Schrift“, Augsb. Bek., Schl. 7. Die katholischen Kirchen ergänzen und ersetzen die Autorität der Schrift durch die Autorität der Kirche. Die liberalen Körper haben Vernunft und Wissenschaft als die einzige Autorität aufgestellt. Indem sie für das Recht auf privates Prüfen und Richten eintreten, verlangen sie auch das Recht, so viel von der Schrift zu verwerfen, wie nicht mir ihrem Sinn der Religion zusammenpasst. Und obwohl die Reformierten das formale Prinzip: „Die Bibel, die ganze Bibel und nichts als die Bibel“, die Lehre also von der höchsten Autorität der Schrift in eine Anzahl ihrer Bekenntnisse geschrieben haben, so haben sie doch zugelassen, dass Vernunft und philosophische Erwägungen bestimmte Teile der Schrift auslegen und so einige Teile der Schrift umstoßen. Die lutherische Kirche dagegen hängt treu am Schriftprinzip und beharrt fest auf ihm. Ihre Theologen freuen sich, dass sie ausschließlich an der Schrift arbeiten. „Denn damit beschäftigt sich die Theologie, die göttlichen Wahrheiten aus der Schrift zu erkennen, zu begründen, gewiss zu machen.“ (A. Hönecke: Ev.-luth. Dogmatik, I, S. 254) Und ihre treuen Kinder beugen sich der höchsten und alleinigen Autorität der Schrift. Darin liegt ihre Stärke. Ihr Glauben und Leben ist nicht auf dem Treibsand menschlicher Meinungen gegründet, sondern auf dem unveränderlichen Fels des von Gott gegebenen Wortes. Und das erfüllt das Herz der Gläubigen mit göttlicher Gewißheit.

 

    3. Die lutherische Kirche ist Evangeliumskirche. Getreu ihrem Namen evangelisch-lutherisch bezeugt sie das Evangelium von der Gnade Gottes (Apg. 20.24) in seiner Reinheit und Fülle. Das Herz der Bibel ist das Evangelium; die Summe, und das, was das Evangelium ausmacht, ist der Artikel von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnade, durch den Glauben, um Christi stellvertretender Genugtuung willen - Erlösung, vom Anfang bis zum Ende, allein aus Gnaden, 1 Kor. 2,2; Apg. 10,43; Röm. 3,24-28; Eph. 2,8.9; und die lutherische Kirche, die ihre Lehre einzig aus der Schrift ableitet, weiß nichts anderes als Christus, nichts anderes als die Erlösung durch seine Gerechtigkeit. Die Haupt- und Zentrallehre der Bibel, der christlichen Religion, das Materialprinzip der Reformation, Rechtfertigung durch den Glauben, ist auch der Haupt- und Zentralartikel der lutherischen Theologie, der Theologie der Gnade. Augsb. Bek. IV; XXVI,4: „Erstlich ist ... die Gnade Christi und die Lehre vom Glauben ..., welche uns das Evangelium mit großem Ernst vorhält ...“ XXVII,48: „Gerechtigkeit des Glaubens, die man am meisten in der Kirche treiben soll ...“ Apol. IV,2: „Dieweil aber solcher Zank ist über dem höchsten, vornehmsten Artikel der ganzen christlichen Lehre ... welcher auch zu klarem, richtigem Verstande der ganzen Heiligen Schrift vornehmlich dient und zu dem unaussprechlichen Schatze und der rechten Erkenntnis Christi allein den Weg weist.“ Schmalk. Art. T. II, 1,5: „Von diesem Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erde oder was nicht bleiben will ... Apg. 4,12; Jes. 53,5.“ Die katholische, pelagianische Theologie hat für diesen Artikel keine Verwendung. Ihr Materialprinzip ist die Erlösung durch Werkgerechtigkeit. Die reformierten Kirchen bekennen diesen Artikel. Aber der Arminianismus hat ihn mit dem pelagianischen Virus infiziert, und der Calvinismus, da er ja das Dogma von der souveränen Majestät Gottes zu seinem Materialprinzip gemacht hat, gibt nur den Erwählten Anteil an der Gnade Gottes, der Vergebung der Sünden und weist dem Artikel von der Rechtfertigung durch den Glauben nur eine untergeordnete Stellung zu. Und die Lehre der reformierten Gruppen über die Gnadenmittel macht tatsächlich den Artikel von der Rechtfertigung durch den Glauben null und nichtig. Die volle Würdigung der Natur und der Wichtigkeit der Rechtfertigung durch den Glauben, und das heißt ja, dass die Erlösung immer und überall aus Gnaden geschieht, und der beständige Gebrauch dieses Artikels ist das hervorstechende Merkmal der lutherischen Kirche. „... dieselbe selige Lehre, das liebe, heilige Evangelium, nennen sie lutherisch.“ Apol. XV, 43. Und diese Lehre allein ist es, die voll das trifft, was der Sünder benötigt. Wenn die Gnade nicht alles macht (sola gratia, allein aus Gnaden), so ist der Sünder verloren. Und wenn die Gnade nicht für alle da ist (gratia universalis, universale Gnade), so muss der Sünder verzweifeln. „Dieser Artikel von der Rechtfertigung des Glaubens (wie die Apologie sagt) ist der vornehmste der ganzen christlichen Lehre, ohne welchen kein armes Gewissen einigen beständigen [zuverlässigen, gewissen] Trost haben oder den Reichtum der Gnade Christi recht erkennen kann.“ Konk. Formel, Ausf. Darl., III,6.

 

    4. Die lutherische Kirche ist Evangeliumskirche, der treue Verwalter des Evangeliums als dem einzigen Erlösungsmittel. Gott hat das Evangelium und die Sakramente zu den Mitteln gemacht, durch die das, was uns Christus mit seinem Erlösungswerk erworben hat, angeboten und zugeeignet und der seligmachende Glaube geschaffen und bewahrt wird, Röm. 10,6-8.17; Joh. 17,20. Demgemäß erklärt die lutherische Kirche: „Denn damit werden gegeben nicht leibliche, sondern ewige Dinge und Güter, als nämlich ewige Gerechtigkeit, der Heilige Geist und das ewige Leben.“ Augsb. Bek., XXVIII,8. „Welche Güter uns in der Verheißung des heiligen Evangeliums durch den Heiligen Geist vorgetragen werden ...“ Konk. Formel, Ausf. Darl., III,10. „Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakramente gegeben, dadurch er, als durch Mittel, den Heiligen Geist gibt ...“ Augsb. Bek., V. Die Lehre von der Erlösung durch die Gnadenmittel ist kennzeichnend für das Luthertum. Die katholischen Kirchen haben keinen Gebrauch für Gnadenmittel, für ein Evangelium und für die Sakramente, die die Erlösung als freies Geschenk anbieten. Und die reformierten Kirchen verwerfen, während sie einerseits im allgemeinen daran festhalten, dass die Erlösung aus Gnaden ist, andererseits das Evangelium und die Sakramente als Mittel der Gnade. Es ist ganz klar, dass hier Dinge von grundlegender Bedeutung betroffen sind. Der Hauptartikel der christlichen Religion, die Rechtfertigung durch den Glauben, steht und fällt mit dem Artikel von den Gnadenmitteln [Hervorh. durch Übers.] Die Rechtfertigung durch den Glauben besagt nämlich absolut nichts ohne die Gnadenmittel, durch die die Gerechtigkeit, die Christus gewonnen hat, geschenkt, und der Glaube, der das Geschenk annimmt, geschaffen wird. „Die Schwärmer heutigen Tages ... bekennen den gestorbenen Christus, der am Kreuz gehangen und uns selig gemacht, das ist wahr; aber sie leugnen das, dadurch wir ihn bekommen, das ist, das Mittel, den Weg, die Brücke und Steig, den brechen sie ein ... Sie schließen uns den Schatz zu, den sie uns sollten vor die Nase stellen und führen mich auf einen Affenschwanz; den Zutritt und die Überreichung, den Gebrauch und Besitzung des Schatzes weigert und nimmt man mir.“ Luther, Walch 2, III, 1692 f. Die Gnadenmittel sind mit den tatsächlichen Lebenskräften des Glaubens verbunden. Der Glaube lebt davon, dass ihm die Vergebung der Sünden angeboten wird, wie sie uns in der festen, gewissen Verheißung und unabdingbaren Zusage des Evangeliums und der Sakramente zukommt. Auch hier trifft das Luthertum wieder voll das, was der Sünder braucht. C.F.W. Walther hat dies so ausgedrückt: „Das charakteristische Merkmal unserer lieben evangelisch-lutherischen Kirche ist ihre Objektivität, was heißt, dass ihr gesamtes Lehren darauf abzielt, den Menschen davon abzuhalten, die Erlösung in sich selbst zu suchen, in den Kräften seiner Natur und seines Willens, in irgendetwas, das er macht oder ist, und ihn dahin zu bringen, die Erlösung außerhalb von sich zu suchen. Die Lehren aller anderen Kirchen haben einen subjektivistischen Charakter; sie führen den Menschen dahin, seine Erlösung auf sich selbst zu gründen.“ „Und das findet in einer außerordentlich markanten Weise seine Anwendung darinnen, dass sie die Schriftlehre von den Gnadenmitteln leugnen.“ F. Pieper, Lehre und Wehre, 36, 119.

 

    5. Und noch einmal: Die lutherische Kirche ist Evangeliumskirche. Sie beobachtet und hält fest die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium. „Denn Christi Wohltat und den großen Schatz des Evangeliums (welchen Paulus so hoch hebt) recht zu erkennen, müssen wir je auf einem Teil Gottes Verheißung und angebotene Gnade, auf dem andern Teil das Gesetz soweit voneinander scheiden wie Himmel und Erde.“ Apol. III, 63. Die lutherische Kirche erkennt die lebendige Beziehung an, die zwischen diesem Artikel besteht und dem Hauptartikel der christlichen Religion, der Rechtfertigung durch den Glauben. Jegliche Vermischung von Gesetz und Evangelium, nicht nur wenn das Gesetz an die Stelle des Evangeliums gesetzt wird, sondern auch, wenn gesetzliche Elemente, Forderungen, Bedingungen in das Evangelium hineingeträufelt werden, ist zerstörend für das Evangelium, für den Artikel von der Rechtfertigung aus Gnaden. Röm. 3,28; 4,14; Gal. 3,10; 5,4; Apol. III, 62. Tatsächlich bedingen sich die beiden Artikel. Die Rechtfertigung durch den Glauben heißt Rechtfertigung nicht auf der Grundlage des Gesetzes, sondern auf der Grundlage des Evangeliums. Und auch hier hat das Luthertum wieder voll das ermessen, was der Sünder braucht. Er erhält die Rechtfertigung, indem er zwischen Gesetz und Evangelium unterscheidet, indem er vom Gesetz und seinen Drohungen flieht und sich auf die Verheißung des Evangeliums wirft. Tatsächlich muss dieser Artikel jeden seiner Schritte auf dem Weg der Erlösung leiten. Wenn beide in rechter Ordnung angewandt werden, das Gesetz in seiner Schärfe und das Evangelium in seiner Lieblichkeit, wird so seine Bekehrung bewirkt, seine Heilsgewissheit, seine Heiligung, seine Bewahrung. „Wir glauben, lehren und bekennen, dass der Unterschied des Gesetzes und Evangeliums als ein besonders herrliches Licht mit großem Fleiß in der Kirche zu erhalten sei, dadurch das Wort Gottes nach der Ermahnung St. Pauli recht geteilt wird.“ Konk. Formel, Kurze Darl., V,2.

 

    6. Die lutherische Kirche ist die wahre sichtbare Kirche; sie ist nicht die Universalkirche, auch nicht die allein seligmachende Kirche, nicht die einzige christliche Kirche, sondern die wahre sichtbare Kirche; das heißt: Sie ist die Kirche des reinen Wortes und der unverfälschten Sakramente. Die unsichtbare Kirche ist einzig und ausschließlich erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, Eph. 2,20, und die sichtbare Kirche darf diesen Grund nicht verlassen. Die Christen, die sich zum gemeinsamen Bekenntnis ihres Glaubens und dem Hören und Predigen des Wortes Gottes versammeln, müssen das reine Wort predigen und bekennen. Das ist die einzige Form der sichtbaren Kirche, die Gottes Willen entspricht. Irgendeine andere Vereinigung wird von Gott nicht gutgeheißen. Die Jünger Christi müssen an seinem Wort bleiben, Joh. 8,31, alle Dinge lehren, die Christus ihnen befohlen hat, Matth. 28,20, an dem Vorbilde der heilsamen Worte festhalten, 2 Tim. 1,13; Jer. 23,28-31; Matth. 7,15; 1 Kor. 1,10; Eph. 4,3-6; 1 Tim. 4,16; Tit. 1,9; 2,1-7; 1 Petr. 4,11. Diejenige ist eine wahre sichtbare Kirche, die „beständig bleibet in der Apostel Lehre“, Apg. 2,42. Das macht die lutherische Kirche. Indem sie alle ihre Lehren aus der Schrift ableitet (Formalprinzip) und sie mit der Kernlehre der Schrift, der Rechtfertigung allein durch den Glauben (Materialprinzip) verbindet, bekennt und lehrt sie die volle christliche Wahrheit. Das Leben der lutherischen Christen ist weit davon entfernt, vollkommen zu sein, aber die Lehre der lutherischen Bekenntnisse ist vollkommen rein. Keine ihrer Lehren muss korrigiert werden. „Ich möchte fürwahr wohl gern ein rechtes christliches Konzil sehen, damit doch viel Sachen und Leuten geholfen würde. Nicht, dass wir's bedürfen; denn unsere Kirchen sind nun durch Gottes Gnade mit dem reinen Wort und rechtem Gebrauch der Sakramente, mit Erkenntnis allerlei Stände und rechten Werken also erleuchtet und beschickt [versorgt], dass wir unserethalben nach keinem Konzil fragen ...“ Schmalk. Art., Vorr. 10. Und die lutherische Kirche ist die einzige wahre sichtbare Kirche. Diejenigen religiösen Körper, die das gesamte Wesen des Evangeliums leugnen, die Gottheit Christi und das erlösende Werk Christi, sind nicht christliche Kirchen, sondern Synagogen Satans, Offenb. 2,9; 1 Joh. 2,23; 5,20.21, „außerhalb der Kirche Christi“. Apol. I. Diejenigen religiösen Körper jedoch, die zwar fundamentale Lehren der Bibel leugnen, aber noch wesentliche Teile der erlösenden Wahrheit behalten, sind, um der Gläubigen, die in ihrer Mitte durch die Wahrheit, die noch in ihrer Mitte verkündigt wird, geboren werden, tatsächlich Kirchen. „Wir müssen gewiss anerkennen, dass die Schwärmer die Schrift und Gottes Wort in anderen Artikeln haben, und wer es durch die hört und glaubt, ist erlöst.“ Luther, XVII, 2212 [aus dem Engl. übers.] Aber aufgrund dessen, dass sie grundlegende Evangeliumslehren verwerfen, sind sie falsche, unreine, heterodoxe Kirchen, Sekten. Die lutherische Kirche ist die einzige Kirche, die die reine Lehre der Schrift lehrt, unvermengt mit rationalistischen Verfälschungen oder anderen Formen menschlicher Lehre. Das setzt sie ab von allen anderen. Das macht ihre besondere Herrlichkeit aus.

    Der Unterschied zwischen der lutherischen Kirche und den Sekten ist ein durchaus radikaler. Da gibt es solche, die alle christlichen Kirchen, zumindest alle protestantischen Kirchen, als Schwesterkirchen bezeichnen, die alle gleichermaßen einen größeren oder kleineren Teil der rettenden Wahrheit besitzen, von denen keine aber frei ist von lehrmäßigen Verirrungen. Die lutherische Kirche weigert sich, solcherart klassifiziert zu werden. Sie ist vielmehr sui genere, wesensmäßig, die wahre sichtbare Kirche, die Kirche der reinen Lehre. Sie unterscheidet sich von den Sekten nicht bloß in Äußerlichkeiten, sondern in Lehrdingen. Und die Lehre ist das Wichtigste in der Kirche. Die Lehre der Schrift treibt das Thema von der ewigen Erlösung. Jede einzelne Lehre ist mit diesem Thema verbunden. Auch unterscheidet sich die lutherische Kirche von den Sekten nicht bloß in kleineren Lehrpunkten, sondern in grundlegenden Lehren, die einen direkten Bezug zum Thema der Erlösung haben. Das ist die wunderbare Herrlichkeit der lutherischen Kirche, dass sie das Evangelium in seiner Fülle und Reinheit bewahrt hat und predigt. „Dies ist fast die Summa der Lehre, welche in unsern Kirchen zu rechtem christlichen Unterricht und Trost der Gewissen, auch zur Besserung der Gläubigen gepredigt und gelehrt ist, wie wir denn unsere eigene Seele und Gewissen je nicht gerne wollten vor Gott mit Missbrauch göttlichen Namens oder Worts in die höchste und größte Gefahr setzen oder auf unsere Kinder und Nachkommen eine andere Lehre, als die dem reinen göttlichen Wort und christlicher Wahrheit gemäß, fallen lassen oder erben.“ Augsb. Bek., Zsf. des ersten Teils, 1. Das ist die Rede von Menschen, die in heiliger Ehrfurcht vor Gottes Wort standen, die erkannten, wie wichtig die seligmachende Lehre ist, und die erfüllt waren mit Dankbarkeit dafür, dass sie die volle Wahrheit des Evangeliums besaßen. Man sollte nicht versuchen, dies mit dem Schrei blinder Parteilichkeit und pharisäischer Selbstgefälligkeit zu übergehen. Auch nicht mit den Gegenforderungen anderer Kirchen. Die Frage, welche die wahre sichtbare Kirche ist, ist dem Urteil der Schrift zu unterwerfen. Die lutherische Kirche hat ihr ihre Bekenntnisse unterworfen. „Das ist fast die Summe unserer Lehre.“ Und sie ist gewiss, dass derjenige, der gewissenhaft den einzigen rechten Standard der Lehre, die Schrift, anlegt, sie als die wahre sichtbare Kirche erkennen wird. „... welche [Augsburgische Konfession] von dem Gegenteil gleichwohl sauer angesehen, aber, Gott Lob, bis auf diesen Tag unwiderlegt und unumgestoßen geblieben [ist].“ Konk. Formel, Ausf. Darl., Vorr. 3.

 

    7. Mit anderen Worten: Die lutherische Kirche ist eins mit der alten apostolischen Kirche. Die Reformation hat nicht eine neue Lehre aufgebracht, sondern hat die ursprüngliche apostolische Lehre wiederbelebt. Sie hat nicht eine neue Kirche aufgerichtet, sondern hat der Kirche ihren vormaligen Glanz zurückgegeben. Der Glanz der Kirche der Apostelzeit war, dass „sie beständig blieben in der Apostel Lehre“, Apg. 2,42. Und der Glanz der lutherischen Kirche ist, dass sie beständig an der Apostellehre festhält. Die Heilige Christliche Kirche trägt den Namen „apostolisch“ (Nicänum), weil der Glaube ihrer Glieder durch das Wort der Apostel gewirkt wird und in ihm wurzelt, Joh. 17,20; Eph. 2,20; Joh. 8,31; Röm. 16,17. Und diese Eigenschaft der christlichen Kirche findet ihren entsprechenden Ausdruck in derjenigen sichtbaren Kirche, die das ganze apostolische Wort bekennt und bewahrt. Das ist die Apostolizität der lutherischen Kirche: sie bekennt sich „zum andern zu den drei allgemeinen Symbolis, nämlich dem Apostolischen, Nicänischen und des heiligen Athanasius“ (Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 4) und bekennt dies ohne Änderung, Verkürzung, Zusatz oder Vorbehalt. Sie bekennt sich „zu den prophetischen und apostolischen Schriften Alten und Neuen Testaments“ (ebd. 3) und nimmt sie an ohne Änderung, Verkürzung, Zusatz oder Vorbehalt. „Alle Welt ... muss bekennen, dass wir das Evangelium so lauter und rein haben, ganz wie die Apostel gehabt haben, und ganz in seine erste Reinigkeit gekommen ist.“ „Die Papisten wissen selbst, dass in all diesen und in allen andern Lehren wir gleich sind mit der alten Kirche und wahrlich mögen genannt werden die alte Kirche; denn diese Dinge sind nicht neu, nicht von uns erfunden. ... Wir und sie [die alte Kirche] sind eine Kirche, lehren und glauben ein und dasselbe Wort Gottes.“ Luther, X, 471; XVII, 1324.1326. „Dadurch, dass die Kirche der Reformation wieder zu dem rechten Begriff der seligmachenden Gnade als ‚favor Dei propter Christum’ [Gottes Güte um Christi willen] im Unterschiede von der ‚gratia infusa’ [eingegossene Gnade] zurückkehrte, ist sie zur apostolischen Reinheit der christlichen Lehre zurückgekehrt.“ F. Pieper, Chr. Dogmatik, II, S. 14. Der Name ‚lutherisch’, das ist gewiss, und die lutherische Kirche als eine sichtbare Organisation entstand nicht eher als vor etwa vierhundert Jahren, aber die Sache, die dieser Name bezeichnet, die Lehre, die das Herz und das Leben der Organisation ist, ist so alt wie die Eine Heilige Allgemeine und Apostolische Kirche. Vgl. Der Lutheraner, I. S. 97 ff. Das Wesen des Luthertums hat seinen ersten Ausdruck nicht in der Augsburgischen Konfession gefunden. Es ist vielmehr voll ausgedrückt im Brief an die Römer. Was in der Augsburgischen Kofession neu war, das war die Verwerfung neuer Irrlehren, - eher alter Irrlehren in neuer Form. Die Irrlehren, die von den lutherischen Bekenntnissen zurückgewiesen werden, die Irrlehren der Papsttums und der Pseudo-Protestantismus, sind die Irrlehren, vor denen die Apostel die Kirche aller Zeiten warnten.

 

    8. Mit anderen Worten: Die lutherische Kirche ist, lehrmäßig, die wahre allgemeine (katholische) Kirche. Sie ist nicht die Heilige Christliche Kirche, die Universalkirche. Die Allgemeine Kirche des Apostolischen Glaubensbekenntnisses ist die Gemeinschaft derer, „welche hin und wieder in der Welt, vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang, an Christus wahrlich glauben, welche denn ein Evangelium, einen Christus, eine Taufe und Sakramente haben, durch einen Heiligen Geist regiert werden“, „die Christus und das Evangelium recht erkannt haben.“ Apol. VII.VIII, 10.20. Und die lutherische Kirche ist auch nicht ein Teil der Heiligen Christlichen Kirche. Nicht alle, die vom Bekenntnis her Lutheraner sind, sind auch Christen. Und es gibt Christen überall in den Sekten. „Die Erkenntnis Christi ist immer bei einigen gottseligen Menschen geblieben“ unter dem Papsttum. Apol. III, 272. „Wir machen uns gar keinen Zweifel, dass viele fromme, unschuldige Leute, auch in den Kirchen, die sich bisher mit uns nicht allerdings verglichen, zu finden sind.“ Konkordienbuch, Vorr., Trigl. S. 18. Bei weitem nicht alle Christen gehören zur lutherischen Organisation. Aber die Lehre der lutherischen Kirche ist allgemeinchristlich. Es ist diejenige Lehre, die von allen Christen Glauben fordert. Noch mehr, es ist diejenige Lehre, die alle Christen entweder in ihren wesentlichen Punkten glauben oder in all ihren Punkten annehmen würden, wenn sie richtig unterwiesen würden. Denn es ist die Lehre der Schrift. Alle Christen in der Welt nehmen die Hauptlehre der lutherischen Kirche an und glauben sie, die Erlösung aus Gnaden allein. Anders würden sie nicht Christen sein. „Wir wissen, dass die Dinge, die wir gesagt haben, in Übereinstimmung sind ... mit der gesamten Kirche Christi, die gewisslich bekennt, dass Christus der Versöhner und Rechtfertiger ist.“ Apol. III, 268. Dies, Rechtfertigung aus dem Glauben, „ist unsere Lehre, und also lehret der Heilige Geist und die ganze heilige Christenheit.“ Luther, XVI, 1689. Und wenn auch viele Christen nicht die gesamte lutherische Lehre annehmen, so hoffen wir, „wenn sie in der Lehre recht unterrichtet werden, durch Anleitung des Heiligen Geistes zu der unfehlbaren Wahrheit des göttlichen Worts mit uns und unsern Kirchen und Schulen begeben und wenden werden.“ Konkordienbuch, Vorr., Trigl. S. 18. Denn jeder Christ fürchtet Gottes Wort. Seine christliche Natur hasst falsche Lehre und liebt die Wahrheit. Daher: „Wir wissen, dass die Dinge, die wir gesagt haben, in Übereinstimmung sind ... mit der gesamten Kirche Christi.“ Apol. III, 268. „Unser Bekenntnis ist wahr, fromm und katholisch.“ Apol. XIII, 26 [nach der lat. und engl. Übers.] Die römisch-katholische Kirche ist nicht katholisch; nicht ein einziger Christ auf Erden glaubt, dass ein Mensch durch Werke gerechtfertigt wird. Die reformierten Kirchen sind nicht katholisch; nicht ein einziger Christ unterschreibt in seinem Herzen die Lehre, dass er ohne die Gnadenmittel erlöst werde. Der Glaube der ganzen Christenheit findet seinen vollen und entsprechenden Ausdruck in den Bekenntnissen der lutherischen Kirche. Das ist der ökumenische Charakter des Luthertums. „Die Lehren der Konkordienformel sind die ökumenischen Wahrheiten der Christenheit; denn das wahre Luthertum ist nichts anderes als konsequentes Christentum. Die Konkordienformel, sagt Krauth, ist ‚das vollständigste und klarste Bekenntnis, wodurch die christliche Kirche jemals ihren Glauben ausgedrückt hat.’“ Conc. Trigl. Hist. Intr., S. 256. - Die Katholizität der lutherischen Kirche ... [und ihre Größe] stehen in keiner Beziehung zueinander. Die Wahrheit wird nicht bestimmt noch bewirkt durch Zahlen, Mehrheiten. Athanasius stand alleine, „Athanasius gegen die Welt“; Luther war in Worms der einzige Sprecher für die Sache; die Bekenner zu Augsburg, eine kleine Minderheit, waren die Sprecher der Christenheit.

 

    9. Die lutherische Kirche ist das, was sie ist, nämlich die Kirche der reinen Lehre, allein aus Gottes Gnade. Sie verdankt dies nicht einer höheren Weisheit Luthers oder irgendwelcher höheren Qualität der Lutheraner. Es ist dies Geschenk aus Gottes reiner, unverdienter Gnade. „Denn unsere Kirchen sind nun durch Gottes Gnade mit dem reinen Wort und rechten Gebrauch der Sakramente ... also erleuchtet und beschickt.“ Schmalk. Art. Vorr. 10. Das ist nicht scheinheiliges Gerede, sondern der Ausdruck jemandes, der in der Theologie der Gnade lebt. Einer, der an das allein aus Gnaden glaubt, kann nicht seinen Mund in selbstgefälliger Prahlerei öffnen. Er weiß, dass er, auf sich selbst gestellt, sofort die Lehre von der Erlösung allein aus Gnaden, allein durch die Gnadenmittel verwerfen würde. „Es ist nicht meine Lehre, sie ist nicht in meiner Hand, sondern Gottes Gabe. Denn, lieber Herr Gott, ich habe sie nicht erdichtet aus meinem Kopf, sie ist in meinem Garten nicht gewachssen oder aus meinem Born gequollen, noch von mir geboren, sondern sie ist Gottes Gabe und nicht ein Menschenfündlein.“ Luther, VII, 27. „Wir sind nichts, allein Christus ist alles. Wenn er sein Antlitz abwendet, so sind wir verloren und Satan wird triumphieren, selbst wenn wir so heilig wie Petrus und Paulus wären. Lasset uns darum demütigen unter die gewaltige Hand Gottes, dass er uns erhöhe zur rechten Zeit; denn Gott widerstehet den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade, 1 Petr. 5,5 f.“ Luther, XIV, 455 [aus dem Engl. übers.] Das Luthertum züchtet keinen Eigendünkel. Das allein aus Gnade spricht vielmehr aus: „Denn wer hat dich vorgezogen? Was hast du aber, das du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, was rühmest du dich denn, als der es nicht empfangen hätte?“ 1 Kor. 4,7; Röm. 3,7-10.

 

    10. Die lutherische Kirche, die Kirche der reinen Lehre, hält die reine Lehre hoch. Sie hält sie heilig: Denn es ist ja Gottes Wahrheit, offenbart in der Schrift. Und sie liebt sie. Sie verschafft die vollkommene Erkenntnis von der Erlösung. Sie, die lutherische Kirche, hegt und hütet die reine Lehre als ihren größten Schatz und will auch nicht das geringste Teil davon verlieren. Sie freut sich, dass sie den Befehl des Herrn befolgt: „Und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“, Matth. 28,20. „halte an dem Vorbilde der heiligen Worte, die du von mir gehöret hast“, 2 Tim. 1,13. Die lutherische Kirche ist die freieste Kirche in den Bereichen, die nicht die geoffenbarte Lehre betreffen. In Dingen, in denen die Schrift schweigt, in Angelegenheiten der Zeremonie und des Kirchenregiments, ist sie bereit, Sachen ohne Zwang aufzugeben. Augsb. Bek. VII; Apol. VII,45; Konk. Formel, Ausf. Darl. X,30 f. Aber sie steht ganz und gar unbeweglich und fest, wo es um die reine Lehre geht. „Die Lehre ist nicht unser, sondern Gottes“, Luther IX, 644: Und von dem, was Gott gehört, da kann und darf kein Häkchen oder Tüttel nachgelassen werden. „Aber wir wissen die öffentliche göttliche Wahrheit, ohne welche die Kirche nicht kann sein oder bleiben, und das ewige heilige Wort des Evangeliums nicht zu verleugnen oder zu verwerfen.“ Apol. Vorr. 16.

    Die lutherische Kirche, darum, dass sie die reine Lehre liebt, hasst jegliche Art von falscher Lehre. Sie weiß, was falsche Lehre ist, nämlich Rebellion gegen Gott, eine Erfindung Satans, die die Erlösung zerstört oder gefährdet. „Denn weil wir sehen, wie die Welt so voll Rotten und falscher Lehrer ist, die alle den heiligen Namen zum Deckel und Schein ihrer Teufelslehre führen, sollten wir billig ohne Unterlass schreien und rufen gegen solche alle, beide, die falsch predigen und glauben und was unser Evangelium und reine Lehre anficht“, Gr. Kat. III, 47. „Der Feind des menschlichen Geschlechts bemüht sich, seinen Samen, falsche Lhere und Uneinigkeit, auszusprengen, in Kirchen und Schulen schädliche und ärgerliche Spaltung zu erregen, damit die reine Lehre Gottes Worts zu verfälschen.“ Konk. Buch, Vorr., Müller S. 4. Falsche Lehre ist keine harmlose Sache. Wir müssen unserer „Seligkeit zu gut ... als Christen zwischen reiner und falscher Lehre unterscheiden.“ Konk. Formel, Ausf. Darl. Zusf. 8. Die lutherische Kirche verabscheut die falsche Lehre, wie Christus und die Apostel sie verabscheut haben, Matth. 7,15; 1. Tim. 6,3 ff., und will daher nichts mit ihr zu tun haben, sondern verwirft und verdammt sie, wo immer sie sich zeigt und welche Formen immer sie auch haben mag. „Es wird auch dem geringsten Irrtum nichts eingeräumt.“ Konk. Formel, Ausf. Darl. XI, 96. „Von diesem Artikel ist auch nicht zu weichen oder nachzulassen .. Und hier ist kein Weichen oder Nachlassen ... Darum ist auch hier kein Weichen oder Nachlassen ... Darum ist auch hier kein Weichen oder Nachgeben ... Darum ist es keineswegs zu leiden.“ Schmalk. Art. II, II, 1.17.20.21. Die lutherische Kirche besteht darauf, daß der Staat sich nicht in Glaubensdinge einmischt. Treu zu ihrer Lehre von der Trennung von Kirche und Staat ruft sie nicht nach dem Staat und hat sie nicht nach ihm gegen falsche Lehrer gerufen. Sie verfolgt nicht. „Wir haben an der Verfolger Wüten ein Abscheu“, Konk. Buch, Vorr., Müller S. 17. - Luther, X, 1534; XVII, 1326; IV, 622. Aber sie duldet keine falsche Lehre in der Kirche. Sie kämpft mit aller Macht des Wortes Gottes gegen sie. Sie pflanzt die Liebe zur reinen Lehre und den Hass gegen die falsche Lehre in das Herz ihrer Kinder. „Allermeist aber gehet der Missbrauch ..., wenn falsche Prediger aufstehen und ihren Lügentand für Gottes Wort ausgeben.“ Gr. Kat. I, 54. „Da behüte vor, himmlischer Vater.“ Kl. Kat., III, 5.

    Da sie die reine Lehre als ihren größten Schatz hütet, betont die lutherische Kirche die Lehre. Sie ist eine Lehrkirche. Sie hat nichts zu tun mit jenen, die ein „undogmatisches Christentum“, „keine Lehre, sondern Leben“, „Taten, nicht Glaubensbekenntnisse“, „kein Glaubensbekenntnis, sondern Christus“ fordern. Sie hält es mit Christus: „Lehret sie halten alles“, Matth. 28,20, und mit Paulus: „Habe acht auf dich selbst und auf die Lehre“, 1 Tim. 4,16. Sie hält dafür, dass durch das Unterweisen in der Lehre des Wortes Gottes die rettende Erkenntnis von Christus und die Erkenntnis über christusgemäße Taten erzeugt werden und dass der Ruf nach Taten anstelle der Lehre seinen Ursprung in der Lehre der Erlösung durch Werke hat. Die lutherische Kirche legt den höchsten Wert auf die Lehre, die reine Lehre. Gottes reines Wort zu predigen und zu lehren ist ihr hauptsächliches Handeln, Unterweisung ihr Hauptanliegen, lehrmäßiges Predigen der ständige Tagesbefehl. „Denn der rechte äußerliche Kirchenschmuck ist rechte Predigt, rechter Gebrauch der Sakramente.“ Apol. XXIV, 51. „Die ganze christliche Lehre soll man immerdar treiben.“ Gr. Kat., Vorr., 24; Apol. XV, 41 ff; Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 8. „Sie scheuen keine Mühe, dem Volk eine Zusammenfassung der Lehre der Kirche beizubringen ... Wo das endlich hinausgehen will, können verständige Leute wohl begreifen.“ Apol. XXI, 43 [nach dem lat. Text].

    Die lutherische Kirche ist eine Kirche der Lehre und daher eine starke Kirche. Die Stärke der Kirche liegt im allmächtigen Wort Gottes. Joh. 6,63; Apg. 6,7; 20,32; 1 Petr. 1,23; Jes. 55,11. „Die Macht Christi und der Kirche wird hier nicht aus der Welt hergeholt. ... sondern sie wird zugerichtet aus dem Mund der Kinder.“ Luther, IV, 622.16. Wenn die Kraft des Wortes angewandt wird, wenn also die Kirche die rettende Lehre predigt, dann gedeiht und wächst die Kirche und tut, „was mir gefällt“ (Jes. 55,11). Die Stärke der lutherischen Kirche ist die reine Lehre, und ihre Kraft wächst in dem Maße, in dem unter ihren Gliedern die Wertschätzung ihres kostbares Erbes wächst. „Der Name unserer Kirche, ihre Geschichte, ihre Trübsale und ihre Triumphe, ihre Herrlichkeit in dem, was war, ihre Macht für das Gute, das noch sein soll, alles das ist verbunden mit dem Grundsatz, daß die Reinheit in der Lehre an erster Stelle steht, ja, so an erster, höchster Stelle steht, dass es ohne sie gar nichts an zweiter Stelle geben kann.“ C.P. Krauth, The Conservative Reformation. S. 200.

    11. Die lutherische Kirche, getreu der reinen Lehre des Wortes Gottes, ist eine Bekenntnis-Kirche. Sie ist eine bekennende Kirche. Gott fordert von der Kirche, dass sie ihren Glauben bekennt, Matth. 10,32.33; 1 Petr. 3,15. Die Wahrheit, die ihr Herz erfüllt, treibt ihren Mund dazu an, zu sprechen, Ps. 116,10; Matth. 16,16; Joh. 1,49; 6,69; Apg. 4,20. Und da fortwährend die Wahrheit verleugnet wird, so erfordert dies ein rundes, klares Bekenntnis der Wahrheit, Joh. 6,66-69; Gal. 2,11-21; 1 Tim. 3,15.16. So auch die Bekenntnisse der Kirche: „Wir legen diese Schriften zugrunde zum Zeugnis der Wahrheit ... wider der Ketzer Verfälschung“, Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 13.4. Wer ohne Bekenntnis ist, der ist unwahr. Wenn irgendeine Lehre der Bibel geleugnet wird, so muss die Kirche die Lüge in klarer, unzweideutiger Weise verwerfen, muss sie öffentlich ein Bekenntnis ihres Glaubens ablegen. Mit dem Ruf „Die Bibel ist unser einziges Bekenntnis“ wird der Wahrheit ausgewichen, und er entspringt in Wirklichkeit der Gleichgültigkeit, ja Feindseligkeit gegenüber der Lehre der Bibel. Die Wahrheit erlaubt ihren Anhängern nicht, sich zwischen zwei Meinungen zu stellen, sondern fordert und erzeugt ein aufrichtiges Bekenntnis. Die lutherischen Bekenntnisse sprechen eine geradlinige Sprache; sie übergehen nicht die Unterschiede, die die rechtgläubige Kirche von der falschgläubigen trennen. Alle Welt weiß, wo die lutherische Kirche steht. „Die Papisten können nicht rühmen, wir seien geflohen, hätten uns gefürchtet oder unsern Glauben verheimlicht.“ Luther, XVI, 928. Was den Unterschied zwischen den bekenntnislosen und den bekennenden Kirchen angeht, so stellen sich die bekennenden Kirchen der Forderung nach Wahrhaftigkeit. Und was die Unterschiede zwischen den verschiedenen bekennenden Kirchen angeht, so entspricht die lutherische Kirche in ihren Bekenntnissen all den Forderungen der Wahrheit.

    Die lutherische Kirche ist eine bekennende und eine Bekenntnis-Kirche. Sie fordert von ihren Gliedern eine uneingeschränkte Annahme der Bekenntnisse und ein Festhalten an ihnen ohne Abweichungen. Eine lutherische Gruppe, die sich weigert, unerschütterlich auf dem Boden der lutherischen Bekenntnisse zu stehen, ist nicht wirklich lutherisch. Ein Lutheraner nimmt die Bekenntnisse an, wie sie dastehen. Er nimmt sie nicht mit Einschränkungen an. Die lutherische Kirche ruft ihre Kinder auf, die Bekenntnisse nicht anzunehmen insoweit (quatenus) sie mit Gottes Wort übereinstimmen, so, als ob bestimmte Teile nicht Ausdruck der Schriftwahrheit wären, sondern ganz und unbedingt, weil (quia) alle ihre Lehraussagen göttliche Wahrheit sind. Sie erzwingt aber diese unbedingte Annahme nicht von ihren Kindern. Sie überlässt es Gottes Wort, den notwendigen Druck auszuüben. Das lutherische Bekenntnis fordert unbedingte Annahme und uneingesschränkte Treue „nicht deswegen, weil sie von uns aufgestellt, sondern weil sie aus Gottes Wort genommen und darinnen fest und wohl gegründet ist“, Konk. Formel, Ausf. Darl. Zsf. 5.10. Die lutherische Kirche verlangt keine blinde und sklavische Unterschrift unter die Bekenntnisse, sondern ruft zu einem ernsthaften christlichen Forschen auf und überlässt das andere der Macht der Wahrheit. Und niemand ist bisher, wenn er die lutherischen Bekenntnisse mit der Schrift verglichen hat, durch die Wahrheit gezwungen worden, von ihnen abzugehen. Die lutherische Haltung ist also diese: „Ich sage darum jetzt, dass ich von Gottes Gnaden alle diese Artikel habe aufs fleißigste bedacht durch die Schrift und wieder und wieder damit verglichen und will so gewiss dieselben verfechten, wie ich jetzt habe das Sakrament des Altars verfochten. Ich bin nicht trunken noch unbedacht, ich weiß, was ich rede, ... so will ich mit dieser Schrift vor Gott und aller Welt meinen Glauben Stück für Stück bekennen, darauf ich gedenk zu bleiben bis in den Tod, darinnen (dass mir Gott helfe) von dieser Welt zu scheiden und vor unsern Herrn Jesu Christi Richtstuhl zu kommen“, Konk. Formel, Ausf. Darl. VII, 29 ff. „Dies sind die Artikel, darauf ich stehen muss und stehen will bis in meinen Tod, so Gott will, und weiß darinnen nichts zu ändern noch nachzugeben“, Schmalk. Art., T. III, XV, 3. „Wenn dann dem also und unsers christlichen Bekenntnisses und Glaubens aus göttlicher, prophetischer und apostolischer Schrift gewiss ... sind ... vor ... von der einmal ... von uns erkannten und bekannten göttlichen Wahrheit ... gar nicht, weder in rebus [Sachen] noch in phrasibus [Ausdrücken] abzuweichen ... entschlossen sind“, Konk. Buch, Vorr. Müller, 19.20. vgl. Konk. Formel, Ausf. Darl., XII, 40. Sie sagen, dass die lutherische Kirche bekenntnisgebunden ist. Sie ist es allerdings. Möge sie doch nie diese Bande auflösen, diese gesegneten Bande der Schriftwahrheit. Treue zu den Bekenntnissen, lutherischer Konfessionalismus, heißt Treue zu Gottes Wort. Und Treue zu Gottes Wort erzeugt Treue zu den lutherischen Bekenntnissen.

    Die lutherische Kirche fordert, dass „nach dieser Anleitung, ..., sollen alle Lehrer angestellt und, was derselben zuwider, als unsers Glaubens einhelliger Erklärung entgegen, verworfen und verdammt werden“, Konk. Formel, Kurze Darl., Zsf. 6. Das ist ein anderes Merkmal ihres bekenntnistreuen Wesens. Sie wird keinerlei Lehre anerkennen, die nicht mit den Bekenntnissen übereinstimmt. Sie erkennt allerdings nur eine Autorität in der Kirche an, die Heilige Schrift. Die Schrift ist „alleine die einige wahrhaftige Richtschnur, nach der alle Lehrer und Lehre zu richten und zu beurteilen ist“, Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 3. Die lutherischen Bekenntnisse wollen die Schrift nicht ergänzen, noch der Schrift an die Seite gestellt werden, als seien sie von gleicher Autorität. „Alleine Gottes Wort soll die einige Richtschnur und Regel aller Lehre sein und bleiben, welchem keines Menschen Schriften gleichgeachtet, sondern demselben alles unterworfen werden soll“, Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 9. Niemand, der sich den Geist der lutherischen Bekenntnisse zu eigen gemacht hat, wird dahin gebracht, Symbololatrie [Götzendienst mit den Bekenntnissen, Anm. d. Hrsg.] zu üben. Aber da sie der Schrift entnommen sind, so sind diese Bekenntnisse auch bekleidet mit der Autorität der Schrift; die Schrift allein ist normierende Norm, die Bekenntnisse sind normierte Norm; aber da sie genau der Norm der Schrift entsprechen, werden sie selbst eine Norm, eine normierte allerdings, aber dennoch eine Norm. Und die lutherische Kirche besteht darauf, dass Menschen und Lehren nach dieser Norm geprüft werden. Nach dieser Norm, „weil sie aus Gottes Wort genommen, alle anderen Schriften, in wieweit sie zu untersuchen und anzunehmen sind, beurteilt und gebessert sollen werden“, Konk. Formel, Ausf. Darl. Zsf. 10. Die Kirche benötigt diese bekenntnismäßige Norm. Es ist notwendig, den sich wandelnden Bedingungen und der falschen Verwendung der Schrift durch die Irrlehrer mit knappen, prägnanten und eindeutigen Formulierungen der christlichen Lehre zu begegnen. Das entlarvt die Irrlehrer und stoppt die Machenschaften der „unruhigen und zankgierigen Leute“ (Konk. Buch, Vorr. Müller, 19) und dient der Klarheit des Glaubens. Die lutherische Kirche verdankt ihre lehrmäßige Reinheit dem, dass sie auf der bekenntnismäßigen Prüfung und Verpflichtung besteht.

    Die Bekenntnisse beeinflussen das Leben der lutherischen Kirche ganz wesentlich. Sie dienen nicht nur der Prüfung, durch die die Irrlehre bloßgelegt wird, sondern sie sind auch der Maßstab, nach dem sich die Glieder vereinen. „Zu gründlicher beständiger Einigkeit in der Kirche ist vor allen Dingen notwendig, dass man einen summarischen einhelligen Begriff und Form habe, dazu die allgemeine summarische Lehre, darzu die Kirchen, die der wahrhaftigen christlichen Religion zugehören, sich bekennen, aus Gottes Wort zusammengezogen“, Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 1. Die lutherischen Bekenntnisse, die ja aus der Schrift genommen sind, sind das Band, das die Lutheraner einigt. Sie kennen ihre Brüder an ihrem Bekenntnis, und sie lieben ihre Brüder aufgrund ihres gemeinsamen Bekenntnisses. Die lutherische Kirche ist nicht eine zufällige Ansammlung von Menschen mit verschiedenen Meinungen, sondern ein Körper, dessen Glieder von einerlei Sinn bewegt werden, verbunden durch das treue Hängen an dem einen biblischen Glauben.

    Der Konfessionalismus der lutherischen Kirche ist ihre Stärke. Da sie an den Bekenntnissen hängt, die auf Gottes Wort gegründet sind, und weil sie ihre Anhänger auf Gottes Wort gründet, ist sie stark mit der Macht des Wortes Gottes; Gottes Kraft erhält sie aufrecht, Gottes Gunst liegt auf ihr, Matth. 10,32; Jer. 15,19-21. „Sie ist gewillt - wie sie allerdings auch sein muss, wenn sie leben will -, bei ihren konfessionellen Grundsätzen zu bleiben und an ihnen festzuhalten“, und „ihr Wert in diesem Land hängt ab von der Treue zu ihrem Bekenntnis.“ Th. Schmauck und C. Benze, The Confessional Principle, XIII.XVIII. Sie geht zurück und sie wächst, je nachdem, wie ihre konfessionelle Grundhaltung abnimmt oder zunimmt. „Wo immer die lutherische Kirche ihre Bekenntnisse nicht beachtete oder alle oder einige von ihnen verwarf, da wurde sie zu einer leichten Beute für ihre Feinde. Aber wann immer sie ihre gottgegebene Krone festhielt, ihre Bekenntnisse hochachtete und aus ihnen lernte und sie auch tatsächlich zur Norm und Richtschnur ihres gesamten Lebens und ihrer Praxis machte, da gedieh die lutherische Kirche und machte alle ihre Feinde zunichte.“ F. Bente, Hist. Int., Trigl., S. IV.

 

    12. Die lutherische Kirche, getreu der reinen Lehre des Wortes Gottes, ist der unerbittliche Feind von jeglichem Unionismus. Sie liebt die Wahrheit und kann nicht in kirchengemeinschaftliche Beziehung mit denen treten, die sich mit der Unwahrheit verbunden haben. Die Wahrheit kann die Irrlehre nicht dulden - die Irrlehre aber kann es umgekehrt. Die Sekten, die ja aus falscher Lehre erwachsen sind, sind daher natürlicher- und konsequenterweises unionistisch. Die katholische Kirche beherbergt alle Arten gegensätzlicher Gruppen in ihrer Mitte. Die reformierten Kirchen sind von ihrer Gründung an für den Unionismus eingetreten. Die wahre lutherische Kirche dagegen, indem sie der Stimme der Wahrheit gehorcht, Röm. 16,17; Matth. 7,15; 2 Joh. 10, meidet all solche, die falsche Lehren aufbringen und festhalten. Sie verabscheut den Unionismus zutiefst wegen seiner Heuchelei, dass er eine Einheit vorgibt, wo doch in Wahrheit Unterschiede sind. Die einzige Gemeinschaft, die die lutherische Kirche anerkennt, ist diejenige, die aus der Einheit des Glaubens und der Lehre kommt. „Die christliche Kirche ... stehet vornehmlich in Gemeinschaft inwendig der ewigen Güter im Herzen, als des heiligen Geistes, des Glaubens, der Furcht und Liebe Gottes. Und dieselbe Kirche hat doch auch äußerliche Zeichen, dabei man sie kennet, nämlich wo Gottes Wort rein gehet, wo die Sakramente demselbigen gemäß gereicht werden.“ Apol., VII, 5. Kirchengemeinschaft ohne Gemeinschaft im Glauben und im Bekenntnis drückt nicht die Einheit der einen heiligen christlichen Kirche aus, Eph. 5,3-7, sondern nur eine Karikatur, ein Zerrbild. Und sie ist ein Fluch. Wenn die Irrlehre nicht beachtet oder gar verziehen wird [obwohl sie weiterbesteht, Anm. d. Übers.], so bestärkt dies den Irrlehrer nur in seiner Verblendung und stumpft die Sinne des Unionisten für die Wahrheit ab. Und das erzeugt Gleichgültigkeit gegenüber der gesamten Wahrheit. Und die Gleichgültigkeit hat in ihrem Gefolge den Verlust der Wahrheit, Gal. 5,9. Der falsche Lehrer bringt schon unsägliche Schmerzen über die Kirche, aber der Unionist noch mehr. „Eine solche Kirche ist gefährlicher als die ärgste Sekte, denn die ärgste Sekte erkennt es wenigstens für richtig an, dass in einer Kirche nur reine Lehre gepredigt werden soll; eine sogenannte unierte Kirche aber steht auf dem faulen Modergrund, dass man die reine Wahrheit gar nicht finden und haben könne, geschweige darum kämpfen solle.“ Walther: Epistelpostille. S. 72. Der Denominationalismus [das ist: Allianzdenken, Anm. d. Übers.], der besagt, Gott gefielen die Verschiedenheiten, die durch die verschiedenen Gruppen (Denominationen) dargestellt werden, so, als seien sie Variationen der gleichen Wahrheit, ist eine böse und verderbliche Sache. Der Unionismus, der vorgibt, andere Übel des Denominationalismus zu überwinden, ist, da es sein Grundsatz ist, dass die in der Schrift geoffenbarte Wahrheit mehr oder weniger gleichgültig sei, doppelt böse und verderblich. Die lutherische Kirche will von all dem nichts haben. Sie will auch nicht den geringsten Artikel der offenbarten Lehre aufgeben im Interesse eines eingebildeten Friedens und eines nur scheinbaren Gedeihens. Die anderen behaupten, es gehe nur um kleine Irrtümer. Aber „die angefallenen Streitigkeiten sind nicht Missverständnisse oder Wortgezänke, wofür sie etliche halten mögen.“ Konk. Formel, Ausf. Darl., Vorr. 9.

    Die Unterschiede nun, die die lutherische Kirche von den Sekten trennen, berühren die Grundlagen. Und aus einem beständigen Irrtum in der am wenigsten wichtigen Lehre wird ein grundlegender Irrtum, wenn er zur bewussten Zurückweisung der Autorität der Schrift führt. Die lutherische Kirche besteht auf einer völligen und aufrichten Übereinstimmung in allen in der Schrift geoffenbarten Lehren als Grundlage für Kirchengemeinschaft. Sie hat diese Haltung schon vor vierhundert Jahren eingenommen. Und sie nimmt sie ebenso auch heute noch ein. „Im Hinblick auf die Irrtümer, die sie [die katholischen und reformierten Kirchen, Anm. d. Übers.] einnehmen, wurden sie als Sekten verworfen, mit denen unsere Väter keine Kirchengemeinschaft haben konnten, ohne damit praktisch diese Irrlehren zu bestätigen und Teilhaber an ihrer Sünde zu werden. Die Lutheraner haben den reinen christlichen Glauben in der Augsburgischen Konfession dargelegt. In ihr sind sie geeinigt: Im Namen des Herrn haben sie sie als ihr Banner aufgesteckt; und weil sie das, was sie in ihrem Herzen glauben, als die tatsächliche Wahrheit Gottes aussprechen, so haben sie es eindeutig abgelehnt, irgendeine Verantwortung für das Tun und Handeln derjenigen zu übernehmen, die eine andere Lehre vertraten und andere Kirchen aufrichteten. Und das ist die Haltung der evangelisch-lutherischen Kirche bis auf den heutigen Tag.“ M. Loy, The Augsburg Confession. S. 337. Die anderen haben diese Haltung als Ausschließlichkeitsdenken gebrandmarkt. Aber die lutherische Kirche ist gebunden, so abgeschlossen, ausschließlich zu sein, wie es die Apostel waren, Röm. 16,17; 2 Joh. 10; Apg. 19,9, und sie erklärt: „Doch soll man falsche Lehre nicht annehmen oder hören.“ Apol., VII, 48. „Schwer ist es, dass man von so vielen Ländern und Leuten sich trennen und eine besondere Lehre führen will. Aber hier stehet Gottes Befehl, dass jedermann sich soll hüten und nicht mit denen einhellig sein, die unrechte Lehre führen.“ Schmalk. Art., Tract., 42. „Wir sind nicht bedacht, um zeitlichen Friedens, Ruh und Einigkeit willen etwas von der ewigen, unwandelbaren Wahrheit Gottes (wie auch solches zu tun in unserer Macht nicht stehet) aufzugeben, welcher Fried und Einigkeit, da sie gegen die Wahrheit und zur Unterdrückung derselben gemeinet, auch keinen Bestand haben würde.“ Konk. Formel, XI, 95. Das ist die Stimme des Gewissens der christlichen Kirche, das seinen Ausdruck im konfessionellen Luthertum findet. Es wurde aufgerichtet, um die seligmachende Wahrheit zu erhalten. Die lutherische Kirche will nicht die Wahrheit verraten. Ebensowenig will sie die Sache der irrenden Christen in den Sekten verraten. Sie will sie nicht ihren Verführern überlassen.

 

    13. Die lutherische Kirche verabscheut den Unionismus, aber sie liebt und sie arbeitet für eine christliche Einheit, Eph. 4,3. Sie ist nicht separatistisch. Sie beschuldigt diejenigen, die sich von ihren Brüdern wegen Uneinigkeit über Mitteldingen oder einem herrschenden Ärgernis im Bereich des Lebens trennen eines sündigen Separatismus. Augsb. Bek., VII; Apol., III, 112; VII und VIII, 49; Konk. Formel, Kurze Darl. X, 7. Sie ist sehr geduldig mit denjenigen, die aus Schwachheit in nichtfundamentalen Lehren irren. Wir müssen „einer des andern Fehler, Gebrechen dulden und tragen ..., dass sie einander vergeben, damit Einigkeit erhalten werde in der Kirche.“ Apol., III, 111. „Denn sollen Leute in Einigkeit beieinander sein oder bleiben, es sei in der Kirche oder auch weltlichem Regiment, so dürfen sie nicht alle Gebrechen gegeneinander auf der Goldwaage abrechnen.“ Apol., III, 122. Sie arbeitet mit den Irrenden in großer Nachsicht und Geduld. „Die Zeit, die brüderlichen Beziehungen mit denen abzubrechen, die in nichtfundamentalen Lehren irren, kommt erst dann, wenn sie sich beharrlich weigern, das überzeugende Zeugnis der Schrift anzunehmen.“ F.C.W. Walther, Lehre und Wehre, 14, 109. „Mir ist kein Zweifel, dass bei euch ein sehr frommes Völklein ist, das mit Ernst gerne wohltun und recht fahren wollte, darüber ich nicht eine geringe Freude und Hoffnung habe zu Gott, ob etwa noch eine Hecke sich sperret, dass mit der Zeit, so wir säuberlich tun mit dem guten schwachen Häuflein, Gott alles werde zur fröhlichen aller Irrung Aufhebung helfen, Amen.“ Luther, XVII, 2162. Auch ist die lutherische Kirche nicht daran interessiert, dass, nachdem Trennungen stattgefunden haben, die Dinge bleiben, wie sie sind. Sie steht allein, aber sie ist nicht auf sich selbst zentriert. Sie beschäftigt sich mit der Wiedervereinigung der zerbrochenen Christenheit. „Denn Gott weiß, der aller Herzen Richter ist, dass wir an dieser schrecklichen Uneinigkeit nicht Lust oder Freud haben.“ Apol., Schluss, Müller S. 290. „Mache zuschanden alle Heuchelei und Lügen, und gib Friede und Einigkeit, dass deine Ehre vorgehe und dein Reich gegen alle Pforten der Hölle kräftig ohne Unterlass wachse und zunehme.“ Apol. Vorr. 19.16; Konk. Formel, Kurze Darl. XI, 22. „Es ist gewiss, dass wir immer den Frieden gesucht haben, und wie der Psalm [34,15] sagt, ihm nachgejagt haben, dass wir ihn angeboten, erbeten haben.“ Luther, XVI, 928. „Wir sind bereit, freundlich über alle Wege und Mittel zu verhandeln, die möglich sind, damit wir zusammenkommen mögen.“ Augsb. Konfession, Vorr., 10; Konk. Formel, Ausf. Darl. XI, 96 [nach der engl. Übersetzung].

    Und der lutherische Plan, den Bruch zwischen den Kirchen zu heilen, ist der einzige gottwohlgefällige, der einzig wirksame. Sie beschönigt nicht einfach den Irrtum, sondern nennt ihn beim Namen und legt die kraftvolle Schriftwahrheit dar und ist dabei „der Zuversicht und Hoffnung, ... andere gutherzige Leute durch solches unser wiederholtes und repetiertes Bekenntnis erinnert und angereizet worden sind.“ Konk. Buch, Vorr., Müller, S. 7. Das ist rechte christliche Irenik [Friedensliebe]. Die lutherische Kirche ist polemisch, weil sie friedliebend ist. Sie ist eifrig in der Polemik nicht um des Streites oder einer Selbstverherrlichung willen, sondern im Interesse der Wahrheit und des Friedens. „‚Ehrwürdige und ernsthafte Auseinandersetzungen’, sagt Dr. Philipp Schaff, ‚die in einem christlichen und allumfassenden Geist geführt werden, fördern wahre und dauerhafte Vereinigung. Die Polemik blickt auf die Irenik. Das Ziel des Krieges ist der Frieden.’ Das ist es, was wir von Herzen unterschreiben.“ The Confessional Principle, S. 41. „Daraus ein jeder einfältige Christ nach Anleitung durch Gottes Wort und seinem einfältigen Katechismus vernehmen kann, was recht oder unrecht sei, da nicht allein die reine Lehre gesetzt, sondern auch derselben entgegengesetzte irrige Lehre ausgesetzt, verworfen, und so die eingefallenen ärgerlichen Spaltungen gründlich entschieden sind.“ Konk. Formel, Kurze Darl. XI, 22. Das Luthertum trennt nicht, sondern führt zusammen. Das geradlinige Bekenntnis der Wahrheit hat noch nie einen Riss in der Kirche verursacht. Es heilt den Bruch, den die Verleugnung der Wahrheit verursacht hat. „Jedermann muss sehen, dass Treue zu Gottes heiligem Wort nicht trennt, sondern wirklich vereint.“ C.F.W. Walther, Der Lutheraner, Nr. 28, S. 36. Das lutherische Programm „Einheit in der Wahrheit“ ist das einzige, das wirklichen Erfolg verheißt. Es spricht jeden Christen an. Der lutherische Plan fordert von ihm nicht, irgendwelche menschengemachte Bedingungen und Lehren anzunehmen, wie etwa die Unterwerfung unter den Papst oder die Annahme der apostolischen Sukzession. Kein Christ tut seinem Gewissen Gewalt an, wenn er die lutherischen Worte annimmt: Zustimmung zu „Gottes Wort, als der ewigen Wahrheit“ und zu allen und jeden Erklärungen, die diese Wahrheit bekennen, Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 13. Die lutherische Kirche, die Kirche der reinen Lehre, ist somit der einzige Körper, der in der Lage ist, eine christliche Einheit zustande zu bringen. „Gieseler, der große Historiker der Reformierten Kirche, sagt (Theol. Stud. u. Kritik, 1833, II, 1142): ‚Wenn die Frage wäre, welches der protestantischen Bekenntnisse am besten geeignet wäre, die Grundlage für eine Einheit unter den protestantischen Christen zu bilden, so erklären wir uns ohne Einschränkungen für die Augsburgische Konfession.’“ The Conservative Reformation, S. 259. Es ist geeignet, alle Christen zu vereinen, weil es sie nicht an irgendeines Menschen Seite, sondern an Gottes Seite versammelt.

 

    14. Das Wesen der lutherischen Kirche spiegelt sich wider in ihrem Kultus. Sie lebt und geht voran und hat ihr ganzes Sein in der Gnade Gottes, die zu den Menschen in den Gnadenmitteln kommt. Daher ruft sie ihre Menschen zusammen im öffentlichen Gottesdienst, um die Gnade Gottes zu erflehen, sich die Gnade Gottes anzueignen, die Gnade Gottes zu rühmen und hat daher für eine Liturgie gesorgt, die genau diesen Anforderungen des christlichen Gottesdienstes entspricht. Ihr großes Anliegen ist es, die Menschen gewissenhaft im Evangelium zu unterweisen und der Gnade Gottes völlig zu vergewissern. Dementsprechend stellt sie in den Mittelpunkt des Gottesdienstes die Predigt des Evangeliums, das die Gnade Gottes verkündigt und mitteilt, und die Verwaltung der Sakramente, die die Verheißungen des Evangeliums versiegeln und bestätigen. „Denn es soll ja alles um des Worts und Sakramente willen unter den Christen geschehen im Gottesdienst.“ Luther, X, 257. „Denn der allergrößte, heiligste, nötigste, höchste Gottesdienst ... ist Gottes Wort predigen.“ Apol., XV, 42. „Denn der rechte äußerliche Kirchenschmuck ist auch rechte Predigt, rechter Gebrauch der Sakramente, und dass das Volk mit Ernst dazu gewöhnt sei und mit Fleiß und züchtig zusammenkomme, lerne und bete. ... An etlichen Orten werden deutsche Gesänge (das Volk zu lehren und zu üben) ... gesungen.“ Apol., XXIV, 51.3; Augsb. Bek., XXIV, 7. Es gibt aber keine völlige liturgische Einheitlichkeit in der lutherischen Kirche. Das ist wiederum charakteristisch für das Luthertum, das auf Einheit in den wesentlichen Dingen, jedoch auf Freiheit in den Mitteldingen besteht. „Solchergestalt werden die Kirchen von wegen Ungleichheit der Zeremonien ... einander nicht verdammen.“ Konk. Formel, Ausf. Darl. X, 31; Augsb. Bek., VII, XV; Apol., VII und VIII, 45. Die lutherische Kirche weiß, wann und wo sie Freiheit gewähren kann. Jeglicher Gottesdienst ist wirklich lutherisch, der die Gnade Gottes predigt und preist. Wenn auch die lutherische Kirche nicht auf einer vollständigen und einheitlichen Liturgie besteht, so missbilligt sie doch unangebrachten Individualismus. Sie hebt hervor, dass das größtmögliche Maß an Einheitlichkeit der Ordnung und Unterweisung dient, 1 Kor. 14,40.26. „Wiewohl es uns auch wohlgefällt, dass die Universalzeremonien um Einigkeit und guter Ordnung willen gleichförmig gehalten werden.“ Apol., VII und VIII, 33; Konk. Formel, Ausf. Darl. X, 9. „So bitte ich nun euch alle, meine lieben Herren, ... kommt freundlich zusammen, ... dass es bei euch in eurem Strich gleich und einerlei sei.“ Luther, X, 260. Und die lutherische Kirche bietet ihren Gliedern eine Liturgie an, die sich an den Christen wendet. Sie ist weder aufwendig noch dürftig, sondern schlicht und majestätisch und darum des Evangeliums würdig, dem es dient, und eindrücklich aufgrund der Wahrheiten des Evangeliums, die sie ausdrückt. Gemäß einem anderen Zug des Luthertums, seinem Konservativismus, erhält die lutherische Gottesdienstordnung, gereinigt von den Ärgernissen, die in die Liturgie eingedrungen waren, das, was die Weisheit und Erfahrung der Kirche für die Auferbauung der Menschen anbot. „Und wir lassen uns gefallen alle guten und nützlichen Menschensatzungen, besonders, die da zu einer feinen, äußerlichen Zucht dienen der Jugend und des Volks.“ Apol. VII und VIII, 33; XV, 38; XXIV, 1. - Der Zeremonialismus und Formalismus des katholischen Kultus ist aus der katholischen Lehre erwachsen, dass der Sünder den Zorn Gottes befrieden müsse durch menschliche Werke, Werte und Verdienst. Der besondere reformierte Kultus, gemäß der reformierten Leugnung der Kraft und objektiven Natur der Gnadenmittel, stellt ein Streben nach der Gnade Gottes dar und dreht sich dabei um menschliche Tätigkeit und persönliche Erfahrung. Der lutherische Kultus bringt die Gnade Gottes in den Gnadenmitteln dem Sünder ganz nahe.

 

    15. Die Verfassung der lutherischen Kirche, wie sie vorgegeben ist in den Bekenntnissen, ist die der Apostolischen Kirche, festgelegt von Christus und den Aposteln. Ihr Grundprinzip ist die Selbstregierung (Autonomie) der örtlichen Gemeinde (Gemeindeform der Kirchenregierung). Im weiteren Sinne ist die Kirche in keiner Weise autonom. Sie ist in jeder Hinsicht, wie in einer absoluten Monarchie, der Autorität Christi und seines Wortes untertan. „Einer ist euer Meister: Christus,“ Matth. 23,8. „So jemand redet, daß er's rede als Gottes Wort,“ 1 Petr. 4,11. „Denn Christus will da, dass sie so lehren sollen, dass man durch ihren Mund Christus selbst höre. So dürfen sie ja nicht ihr eigenes Wort predigen, sondern sein Wort, seine Stimme und Evangelium, soll man Christus hören.“ Apol., XXVIII, 19; Schmalk. Art., Tract., 11. Aber im Hinblick auf die Sache mit der Autorität innerhalb der Kirche (Kirchenregiment mit dem Fachausdruck), bildet die Kirche eine reine Demokratie, eine Bruderschaft der Gläubigen, Matth. 23,8, eine Schwesternschaft von Gemeinden, wobei die örtlichen Gemeinden ihre eigenen Angelegenheiten als selbstregierende Körper selbst regeln, keiner höheren Autorität unterworfen sind und mit anderen Kirchen gemeinsam handeln im Fortführen des Werkes des Herrn auf der Grundlage völliger Gleichheit. Die Autorität der örtlichen Gemeinde ist die höchste. „Sage es der Gemeinde,“ Matth. 18,17. „Alles ist euer,“ 1 Kor. 3,21 f. „Christus gibt das höchste und letzte Gericht der Kirche, wenn er spricht: ‚Sage es der Kirche.’“ (Schmalk. Art., Tract., 24), der örtlichen Gemeinde, Matth. 18,20. Und: „Niemand soll in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder Sakramente reichen ohne ordentlichen Beruf.“ (Augsb. Bek., XIV), also berufen durch die örtliche Gemeinde. Und ebenso: „Demnach glauben, lehren und bekennen wir, dass die Gemeinde Gottes jedes Ortes und jeder Zeit derselben Gelegenheit nach guten Fug, Gewalt und Macht habe, dieselben [nämlich Mitteldinge] ohne Leichtfertigkeit und Ärgernis ordentlicher- und gebührlicherweise zu ändern, zu mindern und zu mehren.“ Konk. Formel, X, 9. Die christlichen Gemeinden, gebildet von Königen und Priestern, 1 Petr. 2,9; Offenb. 1,6, der Herrn Freiherren, sind souverän, frei von Menschenherrschaft.

    Die lutherische Kirche hat daher alle hierarchischen Systeme des Kirchenregiments verworfen, gemäß denen der Papst (päpstliches System) oder die Bischöfe (episkopales System) oder der Rat und Versammlung oder Synode (presbyteriales System, synodales System) oder irgendein Mensch oder eine Körperschaft von Menschen, wenn auch verfassungsgemäß, die Kirche und die einzelne Gemeinde oder den einzelnen Christen als aus göttlichem Recht regieren. „Der Hohepriester im Gesetze Mosis hatte das Amt aus den göttlichen Rechten“ (Schmalk. Art., Tract., 38), allerdings. aber diese Form des Kirchenregiments hat nun der Freiheit des Neuen Testamentes Platz machen müssen und darf in keiner Weise wieder aufgerichtet werden. Ebensowenig erkennen die lutherischen Bekenntnisse ein göttliches Recht des Staates an, sich am Kirchenregiment zu beteiligen (Cäsaropapismus). Christus gründete die Kirche als eine Freie Kirche. - Die Gemeinden Gottes an jedem Ort und zu jeder Zeit dürfen jedoch die Behandlung bestimmter Angelegenheiten Gruppen innerhalb der Gemeinde oder Bischöfen, Konsistorien, Synoden usw. (Repräsentativ-Kirche) übertragen, wie es gemäß der jeweiligen Umstände am besten ist. Diese Körper üben ihre Funktionen aus menschlichem Recht aus und handeln, wo die idealen Bedingungen bestehen, nur in beratender Kraft. Die lutherische Kirche behandelt diesen Bereich des Kirchenregiments als ein Mittelding, der auf der gleichen Ebene liegt, wie die „von Menschen eingesetzten Riten oder Zeremonien“ und verlangt nicht, dass sie „allenthalben gleichförmig“ sind (Augsb. Bek., VII). Sie glaubt, „das keine Kirche die andere verdammen soll, dass eine weniger oder mehr äußerliche, von Gott ungebotene, Zeremonien als die andere hat“ (Konk. Formel, Kurze Darl. X, 7.4), aber sie besteht darauf, dass, welche Formen des Kirchenregiments auch im einzelnen errichtet werden mögen, die Souveränität der örtlichen Gemeinde unangetastet bleibt.

    In der lutherischen Ordnung nehmen die Laien teil am Kirchenregiment, nicht nur innerhalb der Gemeinde, sondern auch in der Repräsentativ-Kirche im großen (Synode usw.) „Über die Lehre zu erkennen und zu richten kommt allen und jedem Christen zu, und zwar so, dass der verflucht ist, der solches Recht um ein Härlein kränkt.“ Luther, XIX, 341. So wacht die lutherische Kirche eifersüchtig über die Rechte des Christenvolkes und leitet ihre Glieder an, die Vorrechte ihres geistlichen Priestertums auszuüben. Es geht alles zurück, über den Weg der Artikel von der christlichen Freiheit und der allgemeinen Priesterschaft aller Gläubigen, auf den zentralen Artikel der Rechtfertigung durch den Glauben.

 

    16. Die lutherische Kirche hat die reine Lehre des Wortes Gottes als einen heiligen Schatz empfangen. Sie hat den besonderen Ruf, ihn treu zu hüten und zu verwalten. Die Kirche braucht das Evangelium von der Erlösung aus Gnaden, benötigt es, wie es in der lutherischen Kirche gelehrt wird. „Wie unsere Kirche in der Vergangenheit gebraucht wurde, so wird sie auch in der Gegenwart gebraucht. Sie wird nicht nur um der Mutterschaft für ihre eigenen Kinder willen gebraucht, sondern um der großen Bedürfnisse der Christenheit und der Welt willen. Sie wird benötigt als ein Zeuge derjenigen Lehre, die mit dem Wort von der gesamten protestantischen Welt anerkannt, die aber vor allem oder als notwendige Folge von einem jeglichen System angegriffen wird, das gegen das unsrige streitet - die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben.“ C.P. Krauth: The Lutheran Diet. 1877. S. 48. Das heißt, dass „wenn wir als eine Kirche diese Lehre nicht länger bezeugten, wären wir als Kirche in dieser Welt nichts mehr nütze; wir wären nicht länger das Salz der Erde und wären nur noch reif für den Misthaufen.“ F. Pieper: Ninth Report Atlantic Dist. S 34. Und die Kirche braucht für ihre Wohlfahrt die gesamte göttliche Lehre. Sie kann ihr Werk nicht ausführen, wie Gott es ausgeführt haben will, wenn sie nicht jeden einzlnen Artikel von ihr anwendet. Es ist die Aufgabe der lutherischen Kirche, sie in die Christenheit und die Welt hinaus zu verbreiten, sie mit einer lauten Stimme zu predigen und mit einem gottwohlgefälligen Leben zu ehren. Die Kirche trachtet nach Frieden und Eintracht. Das Zeugnis der lutherischen Kirche und dass sie darauf besteht, treu an der ganzen Wahrheit zu hängen, wird jenes Maß einer gottwohlgefälligen Einheit erreichen, die durch die gnädige Vorsorge Gottes auf sie wartet. Die lutherische Kirche ist beauftragt damit, die reine Lehre zu bewahren und auszubreiten. Dafür hat Gott sie aufgerichtet. Zu dem hat sie sich selbst hingegeben. „Wir wissen die öffentliche göttliche Wahrheit, ohne welche die Kirche Christi nicht kann sein oder bleiben, und das ewige heilige Wort des Evangeliums nicht zu verleugnen oder zu verwerfen.“ Apol., Vorr. 16.

 

    17. „So steht denn die evangelisch-lutherische Kirche da, zwar oft verkannt und unbekannt, aber doch bekannt; zwar anscheinend arm, aber doch reich und viele reich machend durch ihr herrliches Kleinod der reinen Lehre, welches alle Schätze dieser Welt weit, weit übertrifft; zwar nicht zusammengehalten durch eine großartige Hierarchie, aber dennoch zusammengehalten durch ihr herrliches Bekenntnis: die drei ökumenischen Symbole, die Augsburgische Konfession und deren Apologie, die Schmalkaldischen Artikel, die Katechismen Luthers und die Konkordienformel; zwar nicht geschäftig im Einstürzen und Gründen von Weltreichen, aber tätig im Bauen des Reiches Gottes und im Führen der Kriege des Herrn; demütig und doch fröhlich über alle dem Guten, das der Herr an ihr und durch sie tut; unnachgiebig und voll heiligen Zornes gegen die Verkehrer und Lästerer des Worts und doch voll Liebe und Erbarmen gegen die Verirrten.“ M. Günther: Populäre Symbolik. S. 9. „Nicht die große Zahl ihrer Anhänger; nicht ihre Organisation; nicht ihre Liebes- und anderen Einrichtungen; nicht ihre schönen Bräuche und liturgischen Formen usw., sondern die köstlichen Wahrheiten, die durch ihre Bekenntnisse in voller Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift bekannt werden, begründen ihre wahre Schönheit und die reichen Schätze unserer Kirche und sind dazu die nie versiegende Quelle ihrer Lebendigkeit und Kraft.“ F. Bente: Concordia Triglotta. S. IV.

 

 

 

 

B. DIE LEHRE DER EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE IN GRUNDZÜGEN

 

1. Gott

 

a. Trinität

 

    Indem die Konkordienformel (KF) die drei altkirchlichen, von der Trinität handelnden Bekenntnisse aufnimmt, bleibt sie nur auf der Bahn der älteren lutherischen Bekenntnisschriften. Denn die Schmalkaldischen Artikel berufen sich auf das Apostolikum und das Athanasianum (I., IV), und die Katechismen behandeln auch das Apostolikum. Zu dem Nicänum bekannten sich das Augsburger Bekenntnis und die Apologie ((I,1; III,52). (Wie aber diese Zustimmung zu den alten Symbolen näher gemeint ist, können wir aus einigen Äußerungen Luthers wenigstens in etwa entnehmen. Er unterscheidet zwischen dem sachlichen Inhalt und den Ausdrücken, in die dieser gekleidet ist. Gegen seinen Gegner Latomus, der ihn auf einen von Kirchenvätern gebrauchten Ausdruck mit der Begründung festnageln wollte, dass man sonst auch den von ihnen im Nicänum verwandten Ausdruck homousios (wesensgleich) verwerfen könne, schreibt er: „Wenn meine Seele de Ausdruck homousois hasst und ihn nicht gebrauchen wollte, so würde ich noch kein Ketzer sein, wenn ich nur die Sache festhalte, die in dem Konzil durch den Heiligen Geist definiert worden ist.“ (Erl. Ausg., var. arg. 5,506.) Auch den Ausdruck trinitatis und dessen damals übliche Übersetzung „Dreifaltigkeit“ hat er beanstandet: „Man findet ihn nirgends in der Heiligen Schrift, sondern die Menschen haben ihn erdacht und erfunden. Darum lautet es auch zumal kalt, und viel besser spräche man ‚Gott‘ als ‚Dreifaltigkeit‘.“ (E 12,40); 9,1.) Auch das Wort des Bekenntnisses „Kirche“ hätte er lieber durch „eine heilige Christenheit“ ersetzt gesehen (Gr.Kat. Teil 2, 3. Art., 48). Also nur zu dem sachlichen Inhalt der alten Bekenntnisse will er sich bekennen, nicht aber zu dessen Formulierung. Andererseits aber hat er auch die Gefahr erkannt, dass Leugner des Inhalts sich hinter der Bekämpfung der Formulierung verstecken könnten. So hätten die Arianer getan, indem sie redeten, als wollten sie nur von dem unbiblischen Ausdruck homousios nichts wissen. Daher erklärt er andererseits die Schaffung solcher Ausdrücke im Kampf um die Wahrheit doch nicht für unberechtigt. Wenn Ketzre die Schriftaussagen verkehrten, so müsse man schon, um sich über ihre wirkliche Meinung Klarheit zu verschaffen, die Schriftaussagen „in ein kurzes und Summarienwort fassen“ wie homousios (Erl. Ausg: 25,351 f.)

    Dass nach Luthers Auffassung nicht der Wortlaut der alten Bekenntnisse verbindlich ist, lehrt auch eine andere Beobachtung.  Luther hat an dem Apostolikum festgehalten, obwohl dieses „Gott den Vater“ als den „Schöpfer“ bezeichnete, während er doch in den Schmalkaldischen Artikeln die Schöpfung als das Werk des Einen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes darstellt (I,1). Er hat also angenommen, dass jene Inkorrektheit durch die Bestimmung des Athanasianums „Ein Gott in Dreiheit und die Dreiheit in der Einheit“ berichtigt werde. Doch hat er in den Katechismen, „auf dass man’s aufs leichteste und einfältigste fassen könnte, wie es für die Kinder zu lehren ist“, sich der Ausdrucksweise des Apostolikums angeschlossen und Gottes Werke auf die drei Personen der Gottheit verteilt (Gr. Kat. II,5 f.) .Ebenso hat er an dem Nicänum festgehalten, obwohl dieses mit den Worten beginnt: „Ich glaube an Einen Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer Himmels und der Erden“, während er selbst erklärt, „Vater, Sohn und Geist sei ein einiger Gott, der Himmel und Erde geschaffen habe“ (Schm.Art. I,1). Nach seiner Ansicht wird also jene Ungenauigkeit des zweiten Bekenntnisses durch das dritte zurechtgestellt. Er hat endlich an dem Athanasianum festgehalten, obwohl dieses den „Glauben“ an die Trinität als die Pflicht eines äußerlichen Festhaltens von Lehrsätzen ansieht, während er doch, wie wir gleich hören werden, den ganz anderen evangelischen Glaubensbegriff auch in Bezug auf die Trinität vertritt. Aber „die Sache“, die dieses Bekenntnis feststellen will, ist die richtige Anschauung von der Trinität, der dabei hervortretende falsche Glaubensbegriff gehört zu der unverbindlichen Einkleidung, die durch die späteren, die lutherischen, Bekenntnisse berichtigt wird.)

    An dem Inhalt der alten Bekenntnisse aber halten Luther und die Bekenntnisse nicht deshalb fest, „weil das in Deutschland geltende Recht ein Vorgehen des Kaisers, und zwar bis zur Todesstrafe, gegen Leugner der Dreieinigkeit und der Gottheit Christi gestattete“, auch nicht aus Ehrfurcht gegen das Althergebrachte, sondern weil jene Lehren ihr persönlicher Glaube waren.[1] Um das zu empfinden, braucht man nur Luthers Erklärung des Apostolikums im Kleinen Katechismus zu lesen. Nicht toten Lehrsätzen steht er da gegenüber, sondern alles ist von seinem Innersten erfasst und zu seinem persönlichen beseligenden Besitz geworden, so dass er alles von sich selbst aussagt: „Ich glaube, dass mich Gott erschaffen hat“ usw. Oder im Großen Katechismus sagt er, der Glaube sei es, wodurch „solche Kraft zu nehmen sei“, „dass wir dasselbe tun können, so wir laut der zehn Gebote tun sollen“, „der Glaube, aufs allerkürzeste in so viele Worte gGefasst: Ich glaube an Gott Vater, der mich geschaffen hat; ich glaube an Gott den Sohn, der mich erlöst hat; ich glaube an den Heiligen Geist, der mich heilig macht. Ein Gott und Ein Glaube, ab er drei Personen, darum auch drei Artikel oder Bekenntnisse.“ ((Gr. Kat. II,2 ff.) Luther ist auch der Überzeugung gewesen, dass der wesentliche Inhalt jener alten Bekenntnisse, die Lehre von der Trinität und der Gottheit Christi, nicht nur von der Heiligen Schrift bezeugt, sondern auch von dem gereifteren Christen als Wahrheit erfahren werde: „Ich habe nicht nur aus der Heiligen Schrift, sondern auch in größten Kämpfen und Anfechtungen gelernt, dass Christus Gott sei und Fleisch angezogen habe, ebenso den Artikel von der Trinität. Deshalb glaube ich es jetzt nicht sowohl, sondern weiß es aus Erfahrung, dass jene Artikel wahr sind.“ (Weim. Tischreden, 4, S. 578, 2; vgl. das. 1,269,36; 271,29.34 und öfter.) Wir werden dies dahin zu verstehen haben, es sei ihm in den Kämpfen um Heilsgewissheit klar geworden, dass das, was er durch Christus erlangt habe, von keinem Menschen seinesgleichen, sondern nur von Gottes Sohn geleistet werden konnte, ebenso, dass es drei sind, denen er das Heil zu verdanken hat, diese drei aber Eins sein müssen, insofern sie Ein Ziel verfolgen und zu dessen Erreichung stets zusammenarbeiten, sodass er alles Einem Gott verdankt.

    Indem die altkirchlichen Bekenntnisse mit ihrer Trinitätslehre einerseits nur nach ihrem Inhalt und andererseits als Bekenntnisse des auf Schrift und Erfahrung ruhenden Heilsglaubens gewertet wurden, war ihnen eine weit höhere Bedeutung zugesprochen, als sie für das Mittelalter gehabt hatten. Sie waren aus dem #Tod zum Leben erwacht.

 

b. Gottes Wesen

 

ba. Die Liebe

    „Alle Welt, wiewohl sie mit allem Fleiß danach getrachtet hat, was doch Gott wäre und was er im Sinn hätte und täte, so hat sie doch der keines je erlangen können. Hier aber [im christlichen Glauben] hast du es alles aufs allerreichste. Denn da hat er selbst offenbar und aufgetan den tiefen Abgrund seines Herzens und eitel unaussprechliche Liebe.“ (Gr. Kat., II, III,64.) „Gott ist selbst die Liebe, und sein Wesen ist eitel lauter Liebe, dass, wenn jemand Gott wollte malen und treffen, so müsste er ein solch Bild treffen, das eitel Liebe wäre, als sei die göttliche Natur nichts als ein Feuerofen und Brunst solcher Liebe, die Himmel und Erde füllt.“ (Erl. Ausg. 18,313.) So ganz und gar ist die Liebe Gottes spezifisches Wesen, dass man danach Gott definieren kann: „Was heißt einen Gott haben, oder was ist Gott? Antwort: Ein Gott heißt das, dazu man sich versehen soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten, so dass Gott haben nichts anderes ist, als ihm von Herzen trauen und glauben.“ Gott sagt zu uns: „Lass mich allein deinen Gott sein, das ist, was dir mangelt an Gutem, des versieh dich zu mir und suche es bei mir, und wo du Unglück und Not leidest, kriech [herzu] und halte dich zu mir. Ich will dir genug geben.“ „Halte mich für den, der dir helfen und mit allem Guten reichlich überschütten will.“ „Was willst du mehr haben, als dass er dir so freundlich verheißt, er wolle dein sein mit allem Guten.“ (Gr. Kat. I, I,1.4.15.41.) Wenn Psalm 82,6 die Kinder Gottes als „Götter“ bezeichnet, so erklärt Luther dies so: „Götter sind wir durch die Liebe, die uns gegen unseren Nächsten wohltätig macht. Denn göttliche Natur ist nicht anders als eitel Wohltätigkeit und Freundlichkeit und Leutseligkeit, die ihre Güter in alle Kreaturen überschwänglich ausschüttet täglich.“ (Erl. Ausg. 7,168.) Darum weil Gott Liebe ist, darum ist das Eine, was er für sich von uns erwartet, dies, dass wir ihn als das, was er ist, als Liebe erkennen und danach gegen ihn handeln, also ihm als der Liebe vertrauen. Wohl reden die lutherischen Bekenntnisschriften auch davon, dass wir Gott ehren sollen. Aber sie verstehen darunter etwas ganz anderes als Rom und Calvin. Denn das Gott über alles Auszeichnende, um deswillen er die höchste Ehre verdient, ist ihnen nicht seine Souveränität, sondern seine Liebe (vgl. unten S. 35 f.) Diese mit Herz und Handeln anerkennen, das ist die Gott gebührende Ehre: „Siehe, da hast du nun, was die rechte Ehre und Gottesdienst ist, so Gott gefällt, welchen er auch gebietet bei ewigem Zorn, nämlich, dass dein Herz keinen anderen Trost noch Zuversicht wisse als zu ihm.“ (Gr. Kat. I, I,16.) Das heißt Gott recht ehren, wenn wir aus allem, was wir erleben, auch aus den täglich uns zufließenden Gütern, „sein väterliches Herz und überschwängliche Liebe gegen uns“ erkennen, „wie sich der Vater uns gegeben hat samt allen Kreaturen.“ (Gr. Kat. II, II,23.) Die wahre „Verehrung“ Gottes besteht in dem „das Gute von Gott empfangen“ (Apol. IV, 189). Der Glaube, der die Verheißungen der Barmherzigkeit Gottes annimmt, gibt ihm die Ehre, lässt ihm, was ihm gehört“ (Apol. IV, 187). Es handelt sich also bei dem „Gott ehren“ nicht um eine absonderliche Verpflichtung, sondern einfach um die Anerkennung eines Tatbestandes, um Wahrhaftigkeit gegenüber der Tatsache, dass Gott Liebe ist. Alles, wodurch wir Gottes Liebe gleichsam auf den Leuchter stellen, ehrt ihn. So, wen wir eine richtige Vorstellung von der Prädestination vertreten, weil dadurch klar wird, „dass er allein aus Barmherzigkeit uns selig macht“ (KF, Ausf. Darl., IX, 87). Ebenso dient es zur Ehre Gottes, bestimmt zu unterscheiden zwischen der von Gott uns verliehenen Natur und ihrer durch die Erbsünde verursachten Verderbung, weil dadurch dargetan wird, dass nicht Gott irgendwie Schuld trägt an unserer traurigen Beschaffenheit, vielmehr von im nur alles Gute, das wir haben, herrührt (KF, Ausf. Darl., II, 3). Ebenso wird Gott und Christus die gebührende Ehre erwiesen durch die Lehre, dass die Gerechtigkeit des Glaubens allein in der Vergebung um des Verdienstes Christi willen besteht, weil dadurch die Liebe Gottes und Christi verherrlicht wird. Alles Gute, das der gläubige Christ ohne Zwang „Gott zu Liebe“ tut, gereicht zu Gottes „Lob“, insofern es Gottes Liebe, durch die es hervorgerufen ist, ins Licht stellt (FK, Ausf. Darl., IV, 12). 

    Worauf gründet sich diese Gottesvorstellung? Nicht auf Vernunftreflexion oder Spekulationen über Gottes Wesen. Denn „diese Weisheit geht über aller Menschen Weisheit, Sinn und Vernunft. Wir könnte nimmermehr dazu kommen, dass wir des Vaters Huld und Gnade erkennten, außer durch den Herrn Christus, der ein Spiegel ist des väterlichen Herzens.“ (Gr. Kat. II, III, 63 ff.) Oftmals hat Luther dies näher dahin ausgeführt: Weil Christus, Gottes Sohn, vom Vater gesandt ist, darum ist, was er redet und tut, ein Reden und Tun des Vaters. Wir sehen also daran, wie Gott ist, wie Gott über uns denkt, was Gott mit uns beabsichtigt; wir sehen Gott in sein Herz. „Du sollst von keinem andern Gott wissen außer jenes Menschen Jesus Christus. Diesen umfasse! Schaue einfach auf diesen Menschen, der sich uns als Mittler hinstellt und sagt: ‚Kommt her zu mir alle Mühseligen.‘ Wenn du dies tust, so wirst du die Liebe, Güte, Süßigkeit Gottes sehen; du wirst die Weisheit, Macht und Majestät [Gottes, die dich in Angst versetzen könnte] versüßt und deinem Fassungsvermögen angepasst sehen“ [indem du diese Eigenschaften Gottes als im Dienst seiner Liebe stehend erkennst]. (Erl. Ausg. Gal 1, 48 ff.) „Siehe, ist er von dem Vater ausgesandt, so muss er wahrlich etwas ausrichten und uns zu sagen haben aus des Vaters Willen und Befehl, dass wir ihn als die Majestät selbst hören sollen. Nun hören wir kein anderes Wort, als dass er soll der Welt helfen und uns den Vater zum Freund machen; sehen auch kein anderes Werk, als dass er dahin geht und solches ausrichtet, predigt, leidet und zuletzt am Kreuz stirbt. Siehe, da steht mir des Vaters Herz, Wille und Werk offen und erkenne ihn gar“ (Erl. Ausg. 50, 183 ff.), nämlich als Liebe.

    Daraus wird zugleich klar, was hier unter „Liebe“ verstanden ist. Wenn man die Liebe, wie sie auch Gott eignen soll, bestimmt hat als den stetigen Willen, einen anderen zu fördern, und zwar so, dass der Liebende darin seinen eigenen Selbstzweck verfolge, so ist diese Definition nach der uns Menschen möglichen Liebe gebildet, passt aber eben nicht auf Gottes Liebe. Diese verfolgt keinerlei Selbstzweck, weder den, dass die Menschen Gott ehren, noch den, dass sie, seiner Herrschaft sich unterstellend, das von ihm gewünschte Reich bilden. Nein, alles, wozu ihn seine Liebe gegen die Menschen bewegt, tut er „aus lauter väterlicher Güte und Barmherzigkeit“ (Kl. Kat. II, 2). Seine Liebe will nur geben, sich selbst geben. Von einem „Selbstzweck“ kann bei der Erweisung der Liebe Gottes nur insofern die Rede sein, als jede Liebe das Bedürfnis, sich zu betätigen, in sich schließt. Nicht aber denkt Gott dabei an sich, sondern an die Objekte seiner Liebe. Daher wird diese in den lutherischen Bekenntnissen als „Barmherzigkeit“ bezeichnet: Ihre Lage ist es, was sein Herz bewegt, ihr Elend.

 

bb. Die Heiligkeit

    Wie ernst es die lutherischen Bekenntnisse mit Gottes Heiligkeit nehmen, wird besonders klar aus dem, was sie über seinen Zorn sagen. „Bei ewigem Zorn gebietet“ Gott, ihn allein zum Gott zu haben. „Gottes hohe Majestät hält mit großem Ernst über seinen Geboten, zürnt und straft, die sie verachten.“ „Darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn.“ „Wie zornig Gott ist“ über die Sünder, zeigt das Wort, „dass sein Zorn nicht ablässt bis ins vierte Geschlecht.“ (Gr. Kat. I, I, 16; I, I, Schl. 330; Kl. Kat. I, 21; Gr. Kat. I, I, 31.) Auch tritt keine Vergebung der Sünden ein, ohne dass Gottes Heiligkeit die Sünde strafe, nämlich in den „Schrecken“, in denen er „die Gewissen so stark mit seinem Zorn drängt und ängstigt“ (Apol. XII/VI, 53). So groß ist die Abscheu Gottes vor aller Sünde, dass er selbst dann, wenn sie zum Erreichen seines Willens, „zum Heil seiner Auserwählten dient“, nie die Ursache des Bösen sein kann (KF, Kurze Darl., XI, 4). – Man hat nun gemeint, diese Auffassung des Zornes Gottes stehe nicht im Einklang mit Luthers Gottesvorstellung, nach der Gott nur Liebe und ein Zorn Gottes erst dann möglich sei, wenn er mit seiner Liebe nicht seine Absicht „seinen eigenen Selbstzweck“ erreicht habe, also erst in der zukünftigen Welt. Doch die soeben angeführten ersten vier Zitate sind den Katechismen Luthers entnommen. Man meint aber bei ihm andere Stellen gefunden zu haben, die damit in Widerspruch stehen, Er redet nämlich auch davon, dass Gott bisweilen „Zorn simuliere“. Hiermit soll er den Zorn Gottes als bloßen Schein bezeichnet haben. Doch so redet Luther nur von dem Verhalten Gottes gegen seine gläubigen Kinder, denen freilich sein Zorn nicht mehr gilt, die er aber in seiner Liebe solches erleben lässt, was ihnen wie Äußerung seines Zorns erscheine (z.B. Erl. Ausg. 18, 316). Obdeer Luther sagt, Gott hasse wohl die Sünde, aber nicht den Sünder (z.B. Erl. Ausg. 42,152). Aber an anderen Stellen behauptet er bestimmt: „Gott kann seine Natur nicht verleugnen, d.h. er kann nicht anders als die Sünde und den Sünder hassen; und das ist eine Notwendigkeit, sonst würde er unfromm sein.“ (Erl. Ausg. Gal 1,338.) Diese beiden scheinbar entgegengesetzten Aussagen verbindet er an anderen Stellen: „Es ist Gottes Zorn mit Liebe verbunden, das heißt mit dem Streben, die Menschen zu erhalten und selig zu machen.“ Und er züchtigt sie, „damit sie erkennen, dass Gottes Zorn über sie gekommen sei“, wie ein Vater sein Kind seinen Zorn fühlen lasse, um es zu bessern (Erl. Ausg. Exeget. Werke 24,322 f.). Die Liebe Gottes zu dem Sünder, von der Luther hier redet, ist die Liebe, die danach verlangt, den Sünder „mit allem Guten zu überschütten“, dies aber noch nicht zu tun vermag, weil der „an seiner Sünde“ hängende Mensch unter Gottes Zorn liegt. Denn „ohne den Glauben an Christus sind wir Kinder des Zorns“, denn „Gott ist die ewige Gerechtigkeit und Klarheit, welcher dann aus seiner Art hasst die Sünde (Erl. Ausg. 12, 188; vgl. Wilh. Walter: Das Erbe der Reformation. 2. Aufl. 2. Heft, S. 28 ff.) Dies ist der Unterschied zwischen der römischen und der lutherischen Anschauung von der Heiligkeit Gottes, dass er nach jener billige Gerechtigkeit übt, nach dieser aber absolut heilig ist, sodass ers gar nicht in seinem Belieben steht, ob oder wieweit er die Sünde und alles von ihr Infizierte hassen will, sondern seinem Wesen gemäß dagegen reagieren muss. Darum ist es die heilige Pflicht des Menschen, den Willen Gottes unverkürzt zu erfüllen – unverkürzt heißt: ohne Nebenzwecke, Nebenabsichten, also nicht aus Furcht vor Strafen, nicht in dem Hoffen, sich dadurch einen Vorteil zu erschaffen, auch nicht nur gelegentlich, das Gute auch nicht nur erkennen und wollen, sondern es jederzeit mit freudigem Herzen tun und um Christi willen auch von Herzen zu leiden. Gerade dann, wenn der Mensch sich dieser unbedingten Forderung Gottes aussetzt, erkennt er klar seine abgrundtiefe Verdorbenheit und Verlorenheit.[2]

 

bc. Heilige Liebe

    Freilich kann man Gottes Zorn als die „Kehrseite seiner Liebe“ bezeichnen. Aber nicht in dem Sinn, als verkehrte sich die Liebe dann, wenn sie ihre Absicht an einem Menschen nicht erreicht, in Zorn, sondern nur in dem Sinn, dass Gott infolge seines Wesens jedem Menschen zürnen muss, der in Widerspruch zu dem Wesen Gottes, d.h. in Widerspruch zu der Liebe Gottes steht. Diese fordert kategorisch Vertrauen und Gegenliebe. Wo dies fehlt oder das direkte Gegenteil davon vorliegt, also der Sünde gegeben, muss eben die Liebe Gottes zürnen und strafen, um sich Anerkennung zu erzwingen. Mit anderen Worten: Gott ist die heilige Liebe.

     Es dürfen Gottes Heiligkeit (oder Gerechtigkeit) und Gottes Liebe (oder Barmherzigkeit) nicht als zwei verschiedene Eigenschaften nebeneinandergestellt werden, so dass Gott den Einen jene, den anderen aber diese zuwenden könnte (so Calvin), sondern dem Wesen Gottes entspricht nur ihr Zusammenschluss zu dem einheitlichen Begriff „heilige Liebe“. Wohl hat Gott bald jene, bald diese offenbart, jene im Gesetz, diese im Evangelium. Aber beide sind in Gott eins, und von beiden wird sowohl das Gesetz wie das Evangelium bestimmt. Auch das Gesetz ist von der Liebe Gottes gegeben. Ist doch das Evangelium schon vor dem Gesetz und beständig neben diesem verkündigt worden (Apol. XII, 53); das Gesetz sollte Zuchtmeister auf Christus sein ((KF, Ausf. Darl. V, 24), Bahnbrecher für die Annahme der Liebe Gottes in Christus. Und wenn Gottes Heiligkeit eines Menschen Gewissen durch die Gesetzespredigt erschreckt, so bewegt Gott hierzu nur die Absicht, „Raum zu schaffen für den Trost“ (Apol. V, 51 f.). Ebenso wird in der Predigt des Evangeliums auch die Heiligkeit offenbart: „Die Predigt von Christi Leiden und Sterben ist eine ernste und schreckliche Predigt und Anzeige von Gottes Zorn“ (KF, Kurze Darl., V, 9), insofern es zeigt, dass es einer Sühnung der Sünde bedurfte. Wenn es sich also darum handelt, wie wir uns dem Wesen Gottes entsprechend verhalten, so verbinden die Bekenntnisschriften immer wieder das Doppelte zur Einheit: „Wir sollen Gott fürchten und lieben (oder: ihm vertrauen)“, wie ja Luther die Erklärung jedes der zehn Gebote beginnt. Die Heiligkeit muss gefürchtet, die Liebe geliebt werden. Die Erbsünde aber besteht darin, dass man geboren wird ohne wahre Gottesfurcht, ohne wahren Glauben an Gott (Augsb. Bek. II,1), und dieser Defekt beruht auf der Unkenntnis Gottes (Apol. II, 8), darauf, dass man Gott nicht als heilige Liebe kennt. Die schlimmsten Folgen muss es haben, wenn nur Eins verkündigt wird, Gesetz oder Evangelium. Denn dann wird nicht Gott verkündigt, wie er ist. (vgl. Erl. Ausg., 27,194; 7,305; 9,238 f.)

    Wenn aber Gott die Liebe ist und alleinwirksam, mit seiner Allmacht das gesamte Weltgeschehen trägt, wie steht es dann mit dem Leid, der Not in der Welt? Das letzte Ziel der Liebe Gottes ist es, den Menschen zu Gott zu führen. Dazu aber ist es oftmals notwendig, dass der gottferne, um sich selbst kreisende, selbstgerechte Mensch zerbrochen werde, da er sonst Gott, Christus, die Rettung gar nicht will. Dies Zerschlagen aber vollzieht Gott durch Leiden, worin der Mensch an seiner eigenen Kraft, Weisheit, Gerechtigkeit, Möglichkeiten verzweifeln soll. Oftmals lässt Gott das Böse auch auswachsen, damit es überhaupt als Böses erkannt wird (man denke nur an die totalitären Systeme und ihre Verbrechen, die von so vielen lange Zeit verkannt wurden). Leid und Not ist so einerseits auch schon Gerichtshandeln Gottes in einer gottfernen, gegen Gott in Rebellion stehenden Welt, andererseits aber darin auch seine suchende, um den Menschen ringende Liebe.

    Aber auch Christen müssen oft noch durch viel Leid, Trübsal gehen. Nicht anders ist es uns in der Bibel vorhergesagt (Apg. 14,22). Aber warum? Das gehört hinein in Gottes Pädagogik, durch die er die Seinen Christus immer ähnlicher machen will (Röm. 8,29, conformitas Christi), was gerade auch ein Teilhaben am Leiden ist, weil Christus für uns gelitten hat. Dadurch will er die Gläubigen auch in rechter Demut halten, damit sie nicht gleichgültig werden, nicht hochmütig, selbstgerecht, aber sie auch führen im Kampf gegen die Sünde und anderen zum Vorbild setzen im Ertragen des Leides. Durch das Leid aber will er sie so läutern, prägen und zur Herrlichkeit führen.[3]

 

c. Gottes Endziel

 

    Aus dem Gesagten ergibt sich schon, welches das von Gott verfolge Ziel ist. Es ist nicht seine Ehre, weder einzig (so Calvin), noch vorzugsweise (so Rom). Wohl wird schließlich alles zur Ehre Gottes ausfallen; aber nicht ist es das Motiv des Handelns Gottes an uns, das herbeizuführen. Wohl hören wir, dass wir Gott für alle seine Wohltaten zu loben und zu dienen schuldig sind (Gr. Kat. II, I, 19); nicht aber, dass dies die Absicht Gottes bei seinem Wohltun sei. Wohl wird gesagt, wir müssten alles, was wir von ihm haben, zu seiner Ehre anwenden, nicht aber, er gebe es uns, um dies zu erreichen (Gr. Kat. II, I, 23). Wohl sagt Luther, Christus habe mich erlöst, „auf dass ich sein eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit“ (Kl. Kat. II, 4); aber damit will er nicht sagen, dass Christus uns mit der egoistischen Absicht, sich von uns dienen zu lassen, erlöst habe. Denn als das Motiv Christi nennt er, „aus grundloser Güte habe sich Christus unseres Elends erbarmt“. Und wenn er von dem „Reich Christi“ redet, so denkt er nicht an eine ehrenvolle Herrschaft, die Christus zufalle, sondern an das Glück, das wir darin haben: dass wir einen Helfer haben gegen Sünde, Tod und Teufel“ (Gr. Kat. III, II, 51). Dass er „unser Herr“ ist, bedeutet nach Luther nichts anderes, als dass er unser „Erlöser“ ist, der „die Tyrannen und Stockmeister vertrieben“ und uns „unter seinen Schirm und Schutz genommen“ hat (Gr. Kat. II, II, 28 ff.). Wohl heißt es, die Gebote müssten erfüllt werden wegen der Ehre Gottes, und die Werke der Heiligen geschähen, nicht um Lohn zu erwerben, sondern zur Ehre Gottes (Apol. XII/VI, 77; IV/III, 243); nie aber, Gott fordere dies um seiner Ehre willen. Kurz, uns soll die Ehre Gottes am Herzen liegen, aber er hat ein anderes Ziel im Auge. Weil er die Liebe ist, denkt er nicht an sich, sondern an uns. Erschaffen, erlöst, geheiligt hat er uns, „dass er uns zu sich brächte“ (Gr. Kat. II, III, 63), dass „er sich ganz und gar mit allem, was er hat und vermag, uns gäbe“ (Gr. Kat. II, III, 69). Fragt man Calvin nach dem Willen Gottes, so verweist er uns auf das Gesetz; fragt man Luther, so verweist er auf das Glaubensbekenntnis. Am Schluss seiner Erklärung der drei Artikel sagt er: „Siehe, da hast du das ganze göttliche Wesen, Willen und Werk“ (Gr. Kath. II, III, 63). Unermüdlich wiederholen die lutherischen Bekenntnisse: „Gott will jedermann selig machen“ (z.B. (KF, Kurze Darl., XI, 12); oder, da diese Liebe Gottes heilige Liebe ist, so wird dieser Wille Gottes noch genauer dahin bestimmt, dass er alle durch Christus, durch den Glauben an ihn selig machen will (Apol. IV/III, 189).

    Ist aber Gottes Motiv nicht seine Ehre, sondern des Menschen Heil, dann kann er, wenn es zur Erreichung dieses Zieles notwendig ist, seine Ehre zurückstellen, kann solches tun oder zulassen, was in den Augen der Menschen zu seiner (zeitweiligen) Verunehrung dient. Freilich kann er nie etwas tun, was nicht, vom göttlichen Standpunkt aus angesehen, ihn ehrte, wohl aber solches, was verblendete Menschen dazu verleitet, ihn zu verachten, zu lästern, zu leugnen. Und dass Gott dies sozusagen ertragen kann, ist ein Beweis dafür, dass ihm der Menschen Heil über alles geht. Und darum ist gerade dies in Wirklichkeit und in den Augen des von Gottes Geist erleuchteten Gläubigen das ihn so hoch Ehrende, weil es der überzeugendste Beweis seiner alles menschliche Denken übersteigenden Liebe ist. Diesen Gedanken macht Luther gegen die Schweizer geltend, die von ihrem falschen Begriff der Ehre Gottes aus bestimmen wollten, wieweit Gott in seiner Güte gehen könne. Gegen sie schreibt Luther: „Es ist eine Ehre und Lob seiner unaussprechlichen Gnade und Güte, dass er sich uns armer Sünder so hart annimmt. Wir armen Narren halten, dass Ehre daher komme, wenn jemand seine Tugend, Güte und Wohltat beweist.“ (Erl. Ausg. 30,72.) Nicht also unterscheidet sich Calvin so von Luther, dass nur jenem, nicht aber diesem die Ehre Gottes hochheilig wäre, vielmehr nur darin, dass sie etwas Verschiedenes unter dem Gott Ehrenden verstehen. Nach Luther ist das, „wodurch Gott verherrlicht wird“, „die gesamten Wunder seiner unschätzbaren Barmherzigkeit und der Reichtum der Ehre seiner Erbarmungen“. Darum kann nach Luther nur der Mensch Gott „rühmen und verherrlichen“, der ihn seiner Liebe wegen liebt, „der diesen Glauben und diese Wissenschaft von dem Herrn hat“, dass Christus „alles nicht sich selbst, sondern uns zugut getan hat nach dem Willen Gottes des Vaters“ (Erl., Exeget. Werke, lat., 16, 140). Die Welt urteilt entgegengesetzt, nämlich so: „Es ist Gott nicht ehrlich, von gebrechlichem Leib eines Menschen geboren zu werden, ebenso, dass er gekreuzigt ist“; die Welt leugnet deshalb diese Tatsachen. Luther aber erwidert: „Einem weltlichen König wäre es unehrlich, dass er gehenkt oder gekreuzigt würde. Unsers Gottes Ehre aber ist die, so er sich um unsertwillen aufs allertiefste heruntergibt, ins Fleisch, ins Brot, in unseren Mund, Herz und Schoß, und dazu um unseretwillen leidet, dass er unehrlich behandelt wird, beide auf dem Kreuz und Altar. Leidet er doch ohne Unterlass, dass vor seinen göttlichen Augen sein Wort, sein Werk und alles, was er hat, verfolgt, geschändet, gelästert und missbraucht wird. Und sitzt dennoch in seinen Ehren“ (Erl. Ausg. 30,72 f.). Infolge dieser Auffassung des Verhaltens Gottes zu seiner Ehre, vermeidet der Schüler Luthers leichter als der Calvins die dem natürlichen Menschen naheliegende Vorstellung, als wache Gott ständig nur über seine Ehre in der Welt, als lasse er einerseits nichts geschehen oder hingehen, was ihr in den Augen der Menschen schaden könne, als beweise er andererseits seine Macht und Gerechtigkeit so auffällig, dass kein Vernünftiger sie leugnen könne. Daher kann der Schüler Luthers eher bewahrt bleiben vor dem schweren Anstoß, der darin liegt, dass Gott tatsächlich nicht so verfährt, sondern sehr oft auch grauenvoll Böses und himmelschreiende Ungerechtigkeit zulässt, weil es „seinen Auserwählten zum Heil dienen soll“ (KF, Kurze Darl. XI, 4). Darum wird ein Schüler Luthers von Gott nicht leicht auffallende Wunder erwarten, sondern auch die Wundermacht als im Dienst seiner der Menschen ewiges Heil erstrebenden Liebe stehend ansehen.

 

 

d. Die Prädestination oder Vorherbestimmung

 

    Lässt sich Gottes Wesen heilige Liebe festhalten, wenn er schon, ehe es Menschen gab, über deren ewiges Schicksal verfügt hat? Seitdem Augustin die Prädestination gelehrt, hatte sie immer wieder die Gemüter beschäftigt. Auch Luther und Melanchthon hatten sie vertreten. Als aber der letztere das erste gemeinsame Bekenntnis verfassen und dann in seiner Apologie verteidigen wollte, vermied er nach seiner eigenen Aussage (CR 2,547) geflissentlich, diesen Lehrpunkt irgendwie zu berühren, um nicht „die Gewissen durch jene unentwirrbaren Labyrinthe zu verwirren“. Er wird gemeint haben, in einem auch für Laien bestimmten Bekenntnis deshalb davon schweigen zu dürfen, weil die Hauptsache, auf die auch für Luther es bei der Behauptung der Prädestination ankam, nämlich die Alleinursächlichkeit des Heils durch Gott, schon genügend durch das über die Beschaffenheit des sündigen Menschen gelehrte sichergestellt war (Augsb. Bek. II; XVIII). Dann aber ist sicher nicht anzunehmen, dass Melanchthon doch an einer Stelle des Augsburger Bekenntnisses die Prädestination gelehrt habe. Wenn es nämlich in Art. 5 heißt, durch die Gnadenmittel gebe Gott den Heiligen Geist, „welcher den Glauben, wo und wann er will, in denen, so das Evangelium hören, wirkt“, so würde er doch, falls er hätte, wie man gemeint hat, sagen wollen, der Geist wirke den Glauben nur in den Auserwählten, nicht „wo und wann“ geschrieben haben, sondern etwa: „in welchen er will“. Er muss also nur sagen wollen, dass nicht durch jede Predigt schon alle, die sie hören, zum Glauben gebracht werden, dass vielmehr der Heilige Geist hierfür seine ihm passenden Zeiten hat, wie auch Luther öfter ausgesprochen hat, dass die Wirkung der Predigt nicht immer schon an dem Ort und zu der Zeit, wo diese erschalle, auch eintrete.

    Als aber der Calvinismus in Deutschland eingedrungen war, wurde dessen schroffe Prädestinationslehre auch von Lutheranern geprüft. Und an einem Ort, in Straßburg, wurde sie von dem Professor Hieronymus Zanchi mit voller Energie vertreten. Ihm widersprach Professor Johann Marbach. Nach langen Verhandlungen wurde durch Aufstellung einer Konsensformel der Streit beigelegt. Um eine Wiederkehr solcher Kämpfe unter den Lutheranern zu verhindern und auch in dieser Beziehung sich gegen den Calvinismus abzuschließen, konnte man in der Konkordienformel nicht zu dieser Lehre schweigen.

    Welche Auffassung hatte nun Luther zur Prädestination? Er stimmt mit dem 11. Artikel der Konkordienformel gerade in dem, was sie über das Wesen, „das Herz Gottes“ sagt, überein, in dem sie Gottes unergründliche heilige  Liebe in ein helles Licht stellt, nämlich bezeugt, „dass er aus laut er Barmherzigkeit in Christus ohne all unser Verdienst oder Werke uns selig macht nach dem Vorsatz seines Willens“, nach dem er uns „noch ehe wir geboren waren, ja, ehe der Welt Grund gelegt war, in Christus erwählte“. Dass dies einzig aus Barmherzigkeit geschah, ist ein Beweis seiner Liebe; dass es nur in Christus geschah, ist ein Beweis seiner Heiligkeit. Indem dies anerkannt wird, wird „Gott seine Ehre ganz und völlig gegeben (KF, Kurze Darl., XI, 15; Ausf. Darl., XI, 87 f.), da nichts ihn mehr ehrt als seine heilige Liebe. – In seiner Schrift „Vom unfreien Willen“ hatte Luther des Erasmus Behauptung, der Mensch habe noch den freien Willen, sicher einigermaßen dem Guten zuzuwenden, gekämpft und seine Glaubenserkenntnis und -erfahrung, dass unser Heil allein von Gott und seiner Erwählung abhängt, verfochten. Da aber Erasmus zur Stütze der eigenen Behauptung einen erbärmlichen Gottesbegriff vertreten hatte, stellte Luther dem eine andere, biblische, Gottesvorstellung entgegen, wonach Gott die absolute Macht ist, die selig machen und verdammen kann. Gott ist lebendiger, allmächtiger Wille, der nie aufhört zu schaffen. Für ihn kann es daher keine Grenze oder Schranke geben. Er hat nicht nur alles erschaffen, sondern erhält es auch; alles ist seinem allmächtigen und unwiderstehlichen Willen untertan. Gott allein ist wirksam – darum geschieht nur, was er will und geordnet hat. Der Mensch kann daher gar keinen freien Willen haben, gar nichts zu seinem Heil, seiner Errettung dazutun kann.[4]

    Gott ist aber deshalb nicht der Urheber der Sünde, der Verursacher des Bösen, auch wenn er den Abfall Luzifers, das Aufkommen des Bösen nicht verhindert hat, auch wenn er zulässt, dass ein Mensch in schlimme Sünden fällt, damit er zur Erkenntnis seiner Sündhaftigkeit, seiner Verdorben- und Verlorenheit kommt. Gott gibt zwar allen seine Kraft, auch dem Bösen, aber er treibt nicht an zum Bösen. Ebenso ergibt sich dann, wenn Gott der Alleinwirkende, der Allmächtige, der Liebende ist, die Frage, warum dann nicht alle Menschen zum rettenden Glauben kommen. Hier unterscheidet Luther dann zu Recht zwischen dem offenbarten und dem verborgenen Gotteswille, zwischen dem vor allem in Christus und in seinem Wort offenbaren Gott und dem, der sich vor unseren Augen, unserer Erkenntnis verborgen hält (Deus absconditus).[5] Wir haben es hier mit einer Antinomie zu tun, nämlich der Allwirksamkeit Gottes, seinem Hass gegen alles Böse einerseits und dass er andererseits das Aufkommen des Bösen nicht verhindert hat. Der Grund bleibt uns in diesem Leben verborgen

    Die Prädestination bezieht Luther daher nur auf die Frommen, ganz gemäß der Schrift, und verwirft einen doppelten oder gespaltenen Willen in Gott (KF, Ausf. Darl. XI, 5. 35). Er betont dabei, wie die Konkordienformel dann auch, die Alleinwirksamkeit der Gnade Gottes, von der auch die Heilige Schrift spricht. Deshalb betont Luther auch, dass wir absehen müssen von Gott in seiner Majestät und Natur; denn so haben wir nichts mit ihm zu handeln, und er hat nicht gewollt, dass wir so mit ihm handeln; sondern wir handeln mit ihm so, wie er, bekleidet mit seinem Wort, durch das er sich uns angeboten hat, hervorgetreten ist. …´Auf sein Wort müssen wir schauen und von jenem unerforschlichen Willen absehen. Denn wir müssen uns nach seinem Wort richten.. Der verkündigte Gott will, dass alle Menschen gerettet werden, da er mit dem Wort des Heils zu allen kommt, und es ist die Schuld ihres Willens, der ihn nicht wirken lässt, wie er Matth. 23 sagt: Wie oft habe ich meine Kinder zu mir versammeln wollen, und du hast es nicht gewollt. Luther betont hier die volle Selbstverantwortung des Menschen, weshalb dieser auch schuldig werden kann und wird. Diese Spannung oder Antinomie zwischen der Alleinwirksamkeit Gottes und der Verantwortlichkeit des Menschen kann und darf nicht aufgehoben oder abgeschwächt worden. Vielmehr ist der, der verloren geht, mit Recht dem Gericht Gottes verfallen.[6]

    Gegen Ende seines Lebens hat er beim Schluss seiner Genesisvorlesung gesagt: „Ich habe unter anderem geschrieben, alles müsse notwendig geschehen. Aber ich habe auch hinzugefügt, man soll den offenbarten Gott ansehen, wie wir im Psalm singen: Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein anderer Gott! Darum sollt ihr, die ihr mich jetzt hört, daran denken, dass ich gelehrt habe, man solle nicht über die Prädestination des verborgenen Gottes grübeln, sondern auf der Prädestination Ruhe finden, die durch die Berufung und das Predigtamt offenbart wird. Denn da kannst du über deinem Glauben und deinem Heil sicher sein und sagen: Ich glaube an den Sohn Gottes, der, gesagt hat: Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben.“ (Erl. Ausg., Exeg. Lat. 6,600.)

    Nicht beantwortet werden kann die Frage, warum Gott die, welche schließlich selig werden, schon von Ewigkeit her, also noch ehe sie sich für oder gegen den Glauben entscheiden konnten, erwählt hat. Der Mensch kann also absolut nichts zu seinem Heil, seiner Errettung, hinzutun. Was das Zustandekommen des Glaubens angeht, so ist das ganz und gar Gottes Werk, ein unbegreifliches Geschenk der göttlichen Gnade.[7]

    Die Frage steht dabei im Raum, warum Gott nicht alle Menschen rettet, wenn er doch allein wirksam ist. Auch sie können wir nur dahingehend beantworten, dass die Errettung eines Menschen allein Gottes Werk ist, dass ein Mensch verlorengeht aber dieser sich allein zuzuschreiben hat. Warum Gott, der doch eindeutig das Heil aller Menschen will (1. Tim. 2,4), nicht jeden zur Rettung aus dem Gericht, dem wir doch alle seit dem Sündenfall verfallen sind, durch den Glauben an Christus erwählt hat, das wissen wir nicht. Hier haben wir es wieder mit dem verborgenen Gott zu tun, mit dem hoch zu verehrenden Geheimnis der Majestät Gottes; wir aber sollen uns allein an den in Christus und seinem Wort offenbarten Gott halten, der nicht den Tod des Sünders will, sondern dass er lebe. Der verborgene Gott geht uns nichts an.[8]

    Luther hat auch immer wieder neben der alles durchdringenden Liebe den ernst des Zornes Gottes betont und hervorgehoben, denn der, der allein wahrhaft Heilige, muss dem Sünder zürnen. Gottes Zorn, sein Gericht über die Sünde, ist eine Realität, die auch nicht in Gottes Liebe einfach untergehen kann. Beide liegen aber auch nicht auf einer Ebene. Gottes Erbarmen, Gottes Liebe, das ist sein eigentliches Werk, der Zorn Gottes dagegen sein fremdes, hinter dem sich oft die Liebe Gottes verbirgt. Aber selbst der Zorn kann noch ein Zorn der Liebe sein, wenn er den Menschen zu einem in seiner Sünden-, Verdorbenheits- und Verlorenheitserkenntnis, gewirkt durch den Heiligen Geist mittels des Gesetzes, zu einem zerbrochenen Sünder macht, damit nun der Same des Evangeliums in einen vorbereiteten Herzensboden fällt. Gottes Liebe ist also keine schwächliche Güte, sondern eine ernste, väterliche Liebe. Da aber, wo der Mensch der frohen Botschaft widerstrebt, wo der Mensch in der Gottesferne der Sünde beharrt, da ist dann Gottes Zorn ein strenger, verdammender Zorn, weshalb eben nicht alle Menschen dem endgültigen Gericht Gottes zur Verdammnis entgehen.[9]

    Die Lehre von der Prädestination ist auf diesem Hintergrund so zu verstehen:[10]

    1. Der einzige Grund für unsere Erwählung ist Gottes freie Gnade in Christus. Röm. 11,5.6: „Also geht es auch zu dieser Zeit mit diesen Übergebliebenen nach der Wahl der Gnaden. Ist es aber aus Gnaden, so ist es nicht aus Verdienst der Werke, sonst würde Gnade nicht Gnade sein.“ Eph. 1,5.6: „Und hat uns verordnet zur Kindschaft gegen ihn selbst, durch Jesus Christus, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zu Lobe seiner herrlichen Gnade.“ 2. Tim. 1,9: „Der uns hat selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Vorsatz und Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt.“ Röm. 9,11.13. Da die Gnadenwahl nichts anderes ist als der ewige Vorsatz und Verordnung Gottes in Christus, das zu tun, was er nun tatsächlich in der Zeit für uns tut: bekehren, rechtfertigen, erhalten und herrlich machen, Eph. 1,3-14; Röm. 8,28-30; 2. Thess. 2,13; 2. Tim. 1,9; Apg. 13,48, ist die Erwählung wahrhaft aus Gnaden, wie ja die Bekehrung, Seligmachung allein aus Gnaden ist, Eph. 2,8; 2. Tim. 1,9; KF, Kurze Darl. XI, 5.7.20; KF, Ausf. Darl. XI, 8.75: „Unsere Wahl zum ewigen Leben ist nicht auf unsere Frömmigkeit oder Tugend, sondern allein auf Christi Verdienst und den gnädigen Willen des Vaters gegründet.“ In der Theologie derjenigen religiösen Körper, die die Seligkeit allein aus Gnaden leugnen, ist verständlicherweise kein Platz für die Gnadenwahl (Katholiken, Arminianer, Unitarier). Sie ersetzen die Gnadenwahl durch die Wahl aus Verdienst. Es gibt keinen wesensmäßigen Unterschied zwischen der Lehre der katholischen Kirche (dass Gott in Ewigkeit Menschen als sein Eigentum erwählt habe auf der Grundlage ihres guten Verhaltens, das komme aus der Zusammenarbeit von Gnade und freiem Willen), den arminianischen Kirchen (dass die Erwählung in der Zeit stattfinde, wiederum auf der Grundlage des eigenen Verhaltens der Menschen, das auf dem gleichen Wege erbracht werde) und den Unitariern, Swedenborgianern usw. (dass gar keine richtige Erwählung stattfinde, sondern dass der Mensch die ganze Sache entscheide). In all diesen Systemen ist es nicht Gott, der erwählt, sondern der Mensch; die Entscheidung Gottes beruht auf der Entscheidung der Menschen; siehe dagegen: Joh. 15,16. Und sie alle leugnen die grundlegende Wahrheit der christlichen Religion, nämlich die Erlösung allein aus Gnaden, zugunsten der Erzketzerei der Selbsterlösung. „Welches alles lästerliche und schreckliche irrige Lehren sind, dadurch den Christen aller Trost genommen ... und deswegen in der Kirche Gottes nicht darf geduldet werden.“ KF, Kurze Darl. XI, 20.21.

2. Es gibt keine Zorneswahl, keine Vorherbestimmung (Prädestination) der Menschen zur Verdammnis, wie es der Calvinismus lehrt. Die Schrift lehrt nirgends, dass es Gott gefallen habe, einen Teil der Menschheit von vornherein zur Unehre und zum Zorn zu bestimmen. Sie lehrt im Gegenteil: a) dass Gottes Gnade universal ist, nicht partikular, und bezeugt, dass Gott will, dass alle Menschen gerettet werden, 1. Tim. 2,4, und dass er seine wirkmächtige Gnade bringt, um auch an denjenigen zu wirken, die schließlich verloren gehen, Matth. 23,37; Apg.7,51; und b) dass diejenigen, die verloren gehen, einzig deswegen verloren gehen, weil sie die rettende Gnade Gottes verwerfen, Matth. 23,37; Apg. 7,51; 13,46. Die Behauptung, dass die Lehre von der Zorneswahl das notwendige Gegenstück sei zur Lehre von der Gnadenwahl („denn es könne keine Erwählung sein ohne ihrem Gegenstück, der Verdammnis“, Calvin, Inst. III, cap. 231) hätte nur ein Gewicht, wenn es der Vernunft erlaubt würde, Lehren aus logischen Schlüssen aufzustellen. Die Schrift aber weist diese Schlussfolgerung zurück. Während sie lehrt, dass die Christen ihre Erlösung allein der freien Gnade Gottes in Christus verdanken, lehrt sie andererseits auch, dass Menschen nicht verloren gehen aufgrund irgendeiner Handlung oder eines Dekretes Gottes oder dem Fehlen einer Handlung, sondern einzig aufgrund ihrer Bosheit, Apg. 13,48 und 46; Röm. 9,23 („an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er bereitet hat zur Herrlichkeit“) und 22 („hat er mit großer Geduld getragen die Gefäße des Zorns, die da zugerichtet sind zur Verdammnis“.) KF, Ausf. Darl. XI, 79.80. Was Joh. 12,40; Röm. 9,17 ff.; 11,8-10; 1. Petr. 2,8 angeht: Gott verhärtet und verwirft Menschen schließlich nicht aufgrund eines ewigen Dekretes, das die Verwerfung zum Ziel hat, sondern vielmehr, weil die Menschen selbst sich gegen Gott verhärten und das Evangelium von der Gnade verwerfen, Röm. 11,9 („Vergeltung“); 1. Petr. 2,8 („die sich stoßen an dem Wort“); Joh. 12,40 gehen die Verse voraus 35-37; Matth. 11,25 der Vers 20. KF, Kurze Darl. XI, 5.17-19.21: „Welches alles lästerliche und schreckliche Irrlehren sind.“ KF, Ausf. Darl. XI, 28.34 f. 78-86; II, 58.

3. „Dieselbe ewige Wahl oder Verordnung Gottes zum ewigen Leben ist auch nicht also ... in dem heimlichen, unerforschlichen Rat Gottes zu betrachten ... dass er allein solche Musterung gehalten: Dieser soll selig, jener soll verdammt werden.“ KF, Ausf. Darl. XI, 9. Der Calvinismus lehrt eine absolute Vorherbestimmung, was besagt, Gott habe aus seinem souveränen Gefallen eine Anzahl Menschen zur Verdammnis vorherbestimmt (Verdammungsdekret) und dass die anderen ihre Vorherbestimmung zum Leben, ihre Erlösung, demselben Machtspruch des allmächtigen Herrn verdankten. Die Schrift aber lehrt: 1) dass die Vorherbestimmung, Wahl einzig die Gotteskinder betrifft; 2) dass die Menschen nicht darum sterben, weil sie von Gott zum Tode verordnet sind, sondern einzig, weil sie die rettende Gnade Gottes verworfen haben; und 3) dass die ewige Wahl der Gotteskinder a) gegründet ist auf Christus, den Erlöser der Menschheit, als der verdienstlichen Ursache („wie er uns denn erwählt hat durch denselben, ehe der Welt Grund gelegt war“, Eph. 1,4; „nach seinem Vorsatz und Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt“, 2. Tim. 1,9), und b) fasst dies Werk der Heilige Geist in den Gnadenmitteln zusammen, durch die sie zu Gottes Eigentum gesammelt werden. Die Wahl sorgt so für die Erlösung der Gotteskinder durch Bekehrung, Rechtfertigung, Bewahrung („Gott hat euch erwählet von Anfang zur Seligkeit, in der Heiligung des Geistes und im Glauben der Wahrheit, darein er euch berufen hat durch unser Evangelium, zum herrlichen Eigentum unsers Herrn Jesus Christus.“ 2. Thess. 2,13.14; „der uns hat selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Vorsatz und Gnade“, 2. Tim. 1,9). „Demnach soll diese ewige Wahl Gottes in Christus und nicht außerhalb oder ohne Christus betrachtet werden.“ KF, Ausf. Darl. XI, 65 ff. 9-24; KF, Kurze Darl. XI, 7. Die Lehren des Calvinismus, Christus sei nicht die Ursache unserer Erwählung, sondern nur der Mittler ihrer Ausführung; er erlöse nur die Erwählten; das Evangelium sei Gottes Kraft zur Erlösung einzig für die Erwählten, und tatsächlich nicht einmal für sie, da ja angeblich ihre Erlösung einem absoluten Dekret Gottes entspringe und dem unmittelbaren Wirken des Heiligen Geistes, sind grundstürzende Irrlehren. Denn es kann keinen Glauben geben außer auf der Grundlage der univeralen Gnade Gottes in Christus, und der „Glaube“, der auf irgendetwas außerhalb der Gnadenmittel beruht, ist ein falscher, ein gemachter Glaube. Die Lehre von der absoluten Wahl kann nur so etwas hervorbringen, wie diese schädlichen Gedanken: „Hat Gott mich erwählt zur Seligkeit, so kann ich nicht verdammt werden, ich tue, was ich wolle; und wiederum: Bin ich nicht erwählt zum ewigen Leben, so hilft’s nichts, was ich Gutes tue, es ist doch alles umsonst.“ KF, Kurze Darl. XI, 9.21; KF, Ausf. Darl. XI, 10.91 – Die Zentrallehre des Calvinismus ist ja: der souveräne Wille Gottes. Die Zentrallehre des Luthertums, der Schrift dagegen ist: Christus, der Heiland aller Menschen, 1. Tim. 4,10, unsere Gerechtigkeit, unsere Erlösung, Apg. 10,43; Erlösung allein durch Gottes Gnade in Christus, Eph. 1,6; 2,8; Apg. 20,24.

4. Die Gnadenwahl vergewissert die Gotteskinder ihrer Erlösung. „Es gibt auch also diese Lehre den schönen herrlichen Trost, dass Gott eines jeden Christen Bekehrung, Gerechtigkeit und Seligkeit so hoch sich hat angelegen sein lassen und es so treulich damit gemeint, dass er „ehe der Welt Grund gelegt“ darüber Rat gehalten und „in seinem Vorsatz“ verordnet hat, wie er mich dazu bringen und darinnen erhalten wolle ... Ebenso, das er ... dieselbe in seinem ewigen Vorsatz, welcher nicht fehlen oder umgestoßen werden kann, zu bewahren gelegt hat, Joh. 10.“ KF, Ausf. Darl. XI, 45. Sie können wohl für eine Zeit den Glauben völlig verlieren, aber Gott stellt ihn wieder her. „Derhalben, wenn seine Kinder aus dem Gehorsam treten und straucheln, lässt er sie durchs Wort wieder zur Buße rufen und will der Heilige Geist dadurch in ihnen zur Bekehrung kräftig sein.“ KF, Ausf. Darl. XI, 75.8.17-21.56.89; KF, Kurze Darl. XI, 8; Röm. 8,30 („verordnet – berufen – gerecht gemacht – herrlich gemacht“); Matth. 24,24 („wo es möglich wäre“); Luk. 22,32. Die calvinistische Lehre von der Beharrung bis zum Ende ist eine Verdrehung, Entstellung der Schriftlehre von der Bewahrung bis zum Ende. Die Lehre: einmal in Gnaden – immer in Gnaden; kein wirklich Gläubiger könne völlig von der Gnade fallen, selbst wenn er gewaltige Sünden begehe, leugnet die Schriftlehre sowohl über die Zeitgläubigen, Luk. 8,13, als auch über den zeitweilig möglichen völligen Verlust des Glaubens durch den Erwählten. Augs. Bek. XII, 7; Schmalk. Art., T. III, III, 42. Darüber hinaus erzeugt sie fleischliche Sicherheit, führt zum Abfall auf Seiten der Gläubigen und hindert den Abgefallenen daran, seine wahre Lage zu erkennen und sich an das Evangelium zu klammern, und macht so die Bewahrung bis zum Ende zunichte. Die calvinistische Lehre der Beharrung bis zum Ende ist nichts anderes als das Ergebnis der Lehre von der absoluten Erwählung, des absoluten Willens Gottes, die nicht gegründet ist auf der göttlichen Offenbarung, sondern auf menschlicher Spekulation. Aber der Glaube hat es nicht mit menschlichen Spekulationen zu tun. Sein Objekt ist der geoffenbarte Wille Gottes, die Gnade Gottes in Christus, die an uns durch das Evangelium handelt. Das allein kann den Glauben erschaffen, bewahren, wieder herstellen. KF, Ausf. Darl. II,50-56; XI, 17.

5. Der Christ kann und soll seiner ewigen Erwählung gewiss sein. „Tut desto mehr Fleiß, euren Beruf und Erwählung fest zu machen.“ 2. Petr. 1,10. „Wie er uns denn erwählt hat durch denselben.“ Eph. 1,4; 1. Thess. 1,4; 2. Thess. 2,13. „Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ Luk. 10,20. Da der gegenwärtige Stand des Christen die Verwirklichung von Gottes ewigem Ratschluss ist, der Gnadenwahl, Röm. 8,30 („verordnet – berufen“); 2. Tim. 1,9, so versichert uns die Tatsache unserer Berufung, dass wir erwählt sind. Und das Evangelium vergewissert uns, indem es uns der Gnade Gottes vergewissert, dadurch unserer Erwählung und Bewahrung, so dass der Glaube, der ja immer Vertrauen ist, so vertrauensselig von der einen wie von der anderen Sache spricht. Die Gewissheit der Gnade und die Gewissheit der Erwählung sind ein und dieselbe Sache. „Schaue an die Wunden Christi und sein Blut, das er für dich vergossen hat, daraus wird die Vorsehung hervor scheinen.“ Luther, II, 181,152.  „Solche Wahl aber wird offenbar vom Himmel durch das gepredigte Wort.“ KF, Ausf. Darl. XI, 65.25-33; KF, Kurze Darl. XI, 6. Die römisch-katholische Kirche leugnet, dass der Christ seiner ewigen Erwählung gewiss sein kann und soll; und sie kann auf der Basis ihrer grundlegenden Prinzipien nicht anders als das leugnen. Wenn sich die Gnade allein auf die erstreckt, die sie verdienen, so kann der Sünder nur seiner Verdammnis gewiss sein. Die calvinistische „Gewissheit“ der Erwählung ist ein Trugbild. Es kann da keine Gewissheit geben, wo das Evangelium, die Universalität der Gnade, beharrlich geleugnet wird; und die unmittelbare Offenbarung des Heiligen Geistes, auf der, wie vorgegeben wird, die Gewissheit beruhen soll, gibt es nicht.“

 

e. Gott und die Heiligen

 

    Weil Gott heilige Liebe ist, so ist es Götzendienst, wenn „unser Herz anderswohin gafft, Hilfe und Trost sucht bei Kreaturen, Heiligen oder Teufeln“ (Gr. Kat., I, I, 21). Ehren soll man die Heiligen, aber im Grund um Gottes willen, nämlich weil Gott sie mit Gaben reich beschenkt hat. Aber davon, dass wir sie anrufen sollen, sagt die Heilige Schrift nichts. Im Gegenteil, sie anzurufen „tritt der Ehre Christi zu nahe“, der allein Mittler zwischen Gott und uns ist und für uns bittet. Damit würden wir „größeres Vertrauen zu ihrer Barmherzigkeit als zu der Christi“ beweisen. Wohl bitten die Heiligen auf Erden für uns und „vielleicht“ tun sie dies auch im Himmel. Aber daraus folgt nicht, dass wir sie darum anrufen sollen. Denn wie wissen wir ohne Schriftzeugnis, dass die Heiligen der Einzelnen Gebete hören? Noch weniger können die Heiligen um ihrer angeblichen Verdienste willen von Gott mehr erlangen als wir selbst. Mit dieser Annahme macht man sie zumindest zu Vermittlern der Erlösung, was allein Christus ist. Noch weniger können diese Heiligen ein jeder „besondere Gaben geben“, wie Anna vor Armut, Sebastian vor Pestilenz behüten sollen (Augsb. Bek. XXI; Apol. XXI; XXVII, 53; Schm. Art. II, II, 25-30; Gr. Kat. I, I, 11). Über die Heiligenbilder findet sich in den lutherischen Bekenntnissen nur nebenei eine Bemerkung von Melanchthon (Apol. XXI, 34), die Römischen hätten ihnen eine geheime Kraft zugetraut, auch wohl mit ihnen sich Betrug erlaubt. Hinsichtlich dieser Frage folgt die lutherische Kirche Luther. Religiöse Bilder sind erlaubt, auch in den Kirchen, weil sie ebenso belehren können wie Worte. In 2. Mose 20,5 ist nur verboten, Bilder zum Zweck götzendienerischer Verehrung anzufertigen. Auch wenn Bilder missbraucht worden sind, wird Gottes Ehre nicht dadurch hergestellt, dass man sie zerstört, sondern dadurch, dass man das Vertrauen zu ihnen aus den Herzen reißt.

 

 

2. Der Mensch

 

a. Der Mensch als Geschöpf

 

aa. Die Leiblichkeit

 

    Jene Geringschätzung oder gar Verachtung der Leiblichkeit, wie wir ihr in der orthodoxen, der römischen und der reformierten Kirche begegnen, findet sich in der lutherischen nicht. „Gott hat uns den Leib gegeben“, erklärt Luther, „will ihn auch geehrt haben“. Damit will er sagen: Der Mensch soll seinen Leib als das, was er nach der Anordnung Gottes ist, erkennen und behandeln. Das gehört das Doppelte: „Unser Leib soll haben seine Speise und Kleidung“ und „soll haben seine Arbeit“ (Erl. Ausg. 50,270). Denn, so führt Luther in seinen Vorlesungen über die Genesis aus, die Welt ist für den Menschen und der Mensch für die Welt erschaffen. Der Mensch soll die Güter der Welt als Gottes Verwalter besitzen und gebrauchen, und er soll die Welt bearbeiten, sie „bauen und bewahren“. Diese Grundanschauung von dem Wert und der Bedeutung der Leiblichkeit des Menschen in dem Ganzen des Leiblichen haben er und die lutherischen Bekenntnisse aufs schärfste geltend machen müssen gegen die Ausprägung der römischen Anschauung in dem Mönchsideal. Diesem gegenüber wird betont, dass der Leib nicht etwas Niedriges oder an sich Sündliches sei, dass man durch möglichste Vermeidung des Weltgenusses und der Weltarbeit möglichst negieren müsse. Dies wird immer wieder im Anschluss an Kol. 2,18.23 als „falsche“ oder „selbsterdachte Heiligkeit“, als „Geistlichkeit der Engel“ bezeichnet, da man leben will wie die körperlosen Engel (z.B. Augsb. Bek. XXVII; Apol. XXIII, 46). Weil Gott „unsere Natur“ so gemacht hat, wie sie ist, weil er unseren Leib mit bestimmten Bedürfnissen und Fähigkeiten ausgestattet hat, darum ist es „natürliches Recht“ und damit „göttliches Recht“, seine Bedürfnisse zu befriedigen und seine Fähigkeiten sich betätigen zu lassen. Auch die natürliche „Lust“ hiernach und Freude hieran ist keineswegs Sünde, sondern von Gott gewollt. Wohl ist unsere Natur jetzt durch die Sünde so verderbt, dass auch der Genuss und die Arbeit unrein sind. Aber es gilt, (im Gegensatz zu dem Irrtum des Flacius) bestimmt zu unterscheiden zwischen der von Gott uns anerschaffenen Natur und ihrer erst durch die Erbsünde verursachten Verderbung: „Nicht allein Adams und Evas Leib und Seele vor dem Fall sind von Gott geschaffen, sondern auch unser Leib und Seele nach dem Fall, unangesehen, dass sie verderbt sind; welche auch Gott noch ffrür sein Werk erkennt.“ (KF, Kurze Darl., I, 4; Ausf. Darl. I, 33 ff.) Es ist Auflehnung gegen Gott und bleibt nicht ungestraft, sich den Anforderungen unserer Natur zu widersetzen. Wer etwa den Leib nicht „mit Speise und Kleid zur Notdurft versorgen will, dass er leben und wirken möge“, sondern „so fastet, dass der Kopf toll wird oder der Magen verdirbt“, den wird „Gott als Mörder seines eigenen Leibes richten“. (Erl. Ausg. 7,43 f.) „Gott will nicht, dass man sein Geschöpf und Ordnung verachten soll“, sondern, „dass wir die Speise und den Trank gebrauchen, die er uns zu des Leibes Erhaltung geschaffen hat“ (Apol. XXIII, 19). Dies erläutern Luther und die lutherischen Bekenntnisse besonders an jenem Bestandteil des menschlichen Trieblebens, der der natürlichen Beurteilung am wenigsten ehrenvoll erscheint und von Rom durch die falsche Erhebung des Zölibats so verächtlich behandelt wird: „Die natürliche angeborene Neigung der Frau gegen den Mann, des Mannes gegen die Frau ist Gottes Geschöpf und Ordnung. Darum ist es recht, und hat es kein Mensch noch Engel zu ändern.“ „Diese natürliche Neigung zwischen Mann und Frau wäre auch gewesen in der Natur, wenn sie rein geblieben wäre.“ (Apol. XXIII, 7.) Und keinen Menschensatzungen, keine Eheverbote können diesen Tatbestand aus der Welt schaffen. Wohl wird „die Jungfrauschaft“ mit Recht gepriesen, ja, man kann sie „eine höhere Gabe“ als den Ehestand nennen; aber dies nur insofern, als man, der Mühe und Sorge des Haushaltens und der Kindererziehung ledig, freier ist für „lesen, beten, schreiben, dienen“, und nur dann, wenn Gott bei uns eine Ausnahme von der Regel gemacht und uns eine nicht nach geschlechtlicher Gemeinschaft verlangende Konstitution verliehen hat (Apol. XXIII, 16. 38. 40). Sonst aber – Gott der „Allmächtige rächt die Verachtung seiner Gabe und seiner Anordnung“. Dadurch, dass man gegen die von Gott geschaffene Natur heilig sein wollte, sind „greuliche Unzucht, Sünde und Schande, große unerhörte Laster verursacht“ worden (Apol XXIII, 52 f.). Indem nun Gott einerseits durch die uns verliehene Natur uns auf den geschlechtlichen Verkehr hinweist, andererseits auch Keuschheit verlangt, so „will er, dass man den Ehestand gebrauche, welchen er die eheliche Reinigkeit und Keuschheit zu erhalten hat eingesetzt“ (Apol. XXIII, 19). Melanchthon schwingt sich auch zu dem Gedanken auf, dass man Gott ebenso wie für die durch Speise und Trank empfangene Befriedigung, so auch für das, was der Ehestand uns gewähre, Dank sagen solle (Apol. XXIII, 32). Luther hat diese Konsequenz aus seiner Beurteilung der Leiblichkeit und ihrer Bedürfnisse in einem Brief an seinen in den Ehestand getretenen Freund Spalatin in solcher Offenheit ausgesprochen, dass der Dominikaner und Ehrendoktor der Universität Cambridge Denifle darüber geurteilt hat, solchen Trieb der bösen Lust vermöge man nur bei den verkommenen Subjekten, und da selten, zu entdecken: „ … als du deine Katharina mit den süßesten Umarmungen und Küssen an deiner Brust hieltst und so dachtest: Christus hat mir diesen Menschen geschenkt, das beste Geschöpf meines Gottes; Preis und Ehre sei ihm.“ (Enders 5, 279.)

    Wie aber unsere Leiblichkeit Gottes Ordnung ist, so ist dies auch der ganze natürliche Komplex, in den wir uns infolge unserer Leiblichkeit gestellt finden. Melanchthon hat die Hinneigung der Geschlechter zueinander als „ein allgemeines Naturgesetz“ bezeichnet und hieraus als selbstverständlich gefolgert, dass wir uns dem zu unterwerfen haben. Denn „wir sollen und müssen in diesem zeitlichen Leben uns dem Lauf der Natur als Gottes Ordnung unterwerfen.“ (Apol. XVI, 58.) Kann man bei diesem Wort noch unsicher sein, ob er die Naturgesetze als eine einmal von Gott eingerichtete und nun als eine in eigener Kraft fortwirkende Ordnung oder aber als die Ordnung nach der er selbst die Welt erhält du regiert, aufgefasst hat, so scheint jedenfalls Luther diese letztere Ansicht vertreten zu wollen, da er erklärt, es werde uns auch das, was uns nach der Naturordnung zuteil werde, von Gott selbst gegeben: „Die Kreaturen sind nur die Hände, Röhren und Mittel, dadurch uns Gott alles gibt, wie er der Mutter Brüste und Milch gibt, dem Kind zu reichen, Korn und allerlei Gewächs aus der Erde zur Nahrung, welcher Güter keine Kreatur eines selbst machen kann. Darum sind auch solche Mittel, durch die Kreaturen Gutes zu empfangen, nicht auszuschlagen, noch sind in Vermessenheit andere Wege zu suchen, als Gott befohlen hat.“ (Gr. Kat. I, I, 26.) Moderner ausgedrückt: Die Naturgesetze sind nicht selbständig waltende und wirkende Ordnungen und Kräfte, sondern was in dieser regelmäßigen Ordnung geschieht, ist von Gott selbst bewirkt, nur eben in sich gleichbleibender Ordnung, und es ist unsere Pflicht, uns dieser Ordnung zu bedienen, wenn wir etwas erreichen wollen. Wohl sehen die lutherischen Bekenntnisse die Macht, Wunder zu tun, als ein selbstverständliches Prärogativ Gottes an (z.B. (KF, Ausf. Darl. VIII, 25). Ebenso ist ihnen gewiss, dass unser Gebot auf Gott Einfluss hat, ihn also eventuell zu einem Wunder bestimmen kann (z.B. Gr. Kat. III, 19 ff.). Aber sie verlangen auch eine Ehrfurcht vor den von Gott gesetzten natürlichen Ordnungen. So will Melanchthon es nicht gelten lassen, wenn jemand den Ehestand verachtet und von dem zu ihm drängenden natürlichen Trieb durch Gebet frei werden zu können meint (Apol. XXIII, 18). Die Vermeidung von Unzucht dürfen wir nicht von einem wunderbaren Eingreifen Gottes erwarten, weil er uns dazu die natürliche Befriedigung des Triebes in der Ehe gegeben hat. Wie hinsichtlich dieses „Naturgesetzes“, so aller anderen. Der Lutheraner kann vor der falschen Wundersucht, der römischen wie der reformierten, bewahrt bleiben. Er wird in Krankheiten nicht die natürlichen Heilmittel verschmähen, wird es nicht für Unglauben erklären, sein Haus mit Blitzableiter zu versehen, wird sich nicht im Vertrauen auf Gottes Wundermacht unnötigerweise Gefahren aussetzen usw. Er wird auch das, was ihm auf natürlichem Weg widerfährt, als von Gott gekommen erkennen. Darum wird er auch kein Interesse daran haben, rein natürliche Vorgänge zu Wundern aufzubauschen. … Denn das, woran dem Christen alles liegt, nämlich in allem Gottes Hand zu sehen, behält auch dann Gültigkeit, wenn Gott das Geschehene nach der sogenannten „Naturordnung“ hat werden lassen.

 

ab. Die ursprüngliche ethisch-religiöse Beschaffenheit

    Das Augsburger Bekenntnis redet nicht eigens von dem Urstand des Menschen. Doch ist schon in dem, was Art. 2 über die Erbsünde lehrt, angedeutet, was durch den Sündenfall verloren ist. In der Apologie wird dies etwas näher ausgeführt ((II, 15 ff.): Die ursprüngliche Gerechtigkeit bestand wesentlich in dem Dreifachen, in Furcht, Liebe und Vertrauen zu Gott, und die Voraussetzung dafür war die rechte Erkenntnis Gottes. Auch der Leib des Menschen war noch ohne Mängel. Dies bezeichnet Melanchthon mit dem scholastischen Ausdruck, dass die niederen Kräfte des Menschen noch nicht perverse Neigungen zeigten, sondern standen in normalem Verhältnis zueinander und zu den höheren, geistigen Kräften, ließen sich also von diesen leiten. Diese allseitige Normalität (rectitudo) gehört also zu dem ursprünglichen Wesen des Menschen, ist nicht eine zusätzliche Gabe, auch nicht irgendwie von dem Menschen erworben. In jener körperlichen, geistigen und religiösen Normalität sieht dann Melanchthon das Bild Gottes, nach dem der Mensch erschaffen sei. Die heute gebräuchliche Auffassung des göttlichen Ebenbildes als einer mit Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung ausgestatteten Persönlichkeit liegt ihm fern, da ihn nicht die psychologische Beschaffenheit des Menschen interessiert, sondern sein Verhältnis zu Gott. Dass dieses normal war, ist die Hauptsache und bleibt es auch dann, wenn man das „Ebenbild“ als Persönlichkeit auffasst. Das Selbstbewusstsein dieser Persönlichkeit war zugleich Bewusstsein von dem, dessen Abbild sie war; ihre Selbstbestimmtheit war durch dieses Gottesbewusstsein bestimmt, der Wille auf Gott gerichtet. Vermöge dieser Normalität eignete nun dem Menschen nicht nur die bloße Wahlfreiheit, dass er sowohl Böses wie Gutes sich erwählen konnte, sondern die reale Freiheit, da weder in ihm noch außer ihm etwas war, das ihn zwingen konnte, anders zu sein, als es seinem Wesen entsprach, anders als gut zu sein. Die Frage, ob damit schon die von Gott für den Menschen gewollte Vollkommenheit erreicht worden sei, stellen die lutherischen Bekenntnisse nicht. Dass noch ein Fortschrift möglich sei und eintreten sollte, scheint die Apologie mit den Worten andeuten zu wollen, der Mensch habe Gotteserkenntnis, Glaube und Liebe zu Gott besessen, oder zumindest den Zustand und die Kraft, sie zu bewirken (Apol. II, 17). Der Mensch besaß also die Fähigkeit, Gottes Ebenbild in sich vollkommen auszuprägen, und zwar war dies nicht nur eine denkbare Möglichkeit, sondern schon eine positive Normalität; diese aber konnte noch verloren gehen, da auch die Möglichkeit vorlag, sich falsch, im Widerspruch zu dem verliehenen guten Wesen zu bestimmen. Luther hat sehr hoch von dem Urstand des Menschen geredet, doch aber ihn auch einen „mittleren Zustand“ genannt und als kindliche Herrlichkeit und kindliche Unschuld im Gegensatz zu einer Tugend bezeichnet, weil noch die Möglichkeit des Fallens vorlag, die in der „vollkommenen Unschuld“ des ewigen Lebens nicht mehr sein wird (Erl. Ausg., Exeget. 1, 139 f.).

 

b. Der Mensch als Sünder

 

ba. Das Wesen der Sünde

    Das Augsburger Bekenntnis bestimmt dieses als „keine wahre Gottesfurcht, kein wahrer Glaube an Gott von Natur, … voll böser Lust und Neigung“ (II, 1). Bei der Sünde handelt es sich also um das Verhältnis des Menschen zu Gott, so dass die Erkenntnis des gegen uns selbst und gegen andere Menschen begangenen Unrechts noch keine Sündenerkenntnis ist, ebenso wenig das Bewusstsein unserer Schwäche oder unserer Schmach. Sie besteht darin, dass der Mensch vor dem, der die Heiligkeit ist, keine Furcht hat und zu dem, der die Liebe ist, kein Vertrauen hat, also nicht Gott sein lässt, der er ist. Dasselbe wird positiv ausgedrückt: Die böse Lust (concupiscentia) beherrscht den Menschen. Dies besagt aber nicht, dass die sinnliche Neigung Übermacht besitzt über die höheren Kräfte, sondern dass in jeder Beziehung der Mensch dem zuneigt, was nicht Gott ist, oder dass alle Triebe des Menschen in verkehrter, gottwidriger Richtung gehen, auch die Triebe nach Weisheit und nach Rechtbeschaffenheit, so dass er dann auf seine fleischliche Weisheit und seine fleischliche Gerechtigkeit vertraut, nicht aber Gott vertrauen kann (Apol. II, 26). Die Sünde ist also nicht eine bloße Verwundung der menschlichen Natur oder gar nur der Verlust einer zu der Natur des Menschen hinzugekommenen zusätzlichen Gabe, sondern eine tiefe und böse Verderbung der Natur, so tief, dass der Mensch sie gar nicht mit seiner Vernunft, sondern nur durch Gottes Offenbarung erkennen kann ((Schm. Art., III, I, 3).

 

bb. Die Erbsünde

    Die Sünde überkommen wir durch Erbschaft, und diese ererbte Sündhaftigkeit unseres Wesens ist die eigentliche Sünde, „die Hauptsünde“, wie Luther sie nennt. Sündige Gedanken, Worte, Handlungen sind nichts weiter als ihre selbstverständlichen Erscheinungen oder „Früchte“ (Schm. Art., III, I, 1.2). Diese Verdorbenheit ist so tief in unser Wesen eingedrungen, dass selbst dann, wenn die Sünde uns vergeben ist und wir ein neues Herz bekommen haben, doch die böse Neigung in uns bleibt, dass sie nur durch die durch Sterben und Auferstehen geschehende Umwandlung völlig ausgeschieden wird (Apol. II, 35; KF, Kurze Darl., I, 8). Dies darf aber nicht dahin missdeutet werden, als wäre die Natur des Menschen nicht mehr eine menschliche, als wäre der Mensch zu einem unvernünftigen Tier geworden. Man hat dies besonders darin lesen wollen, dass die KF den natürlichen Menschen mit einem Klotz oder stein vergleicht oder mit einem unbändigen Tier (KF, Ausf. Darl., II, 19). Aber diesen Vergleich darf man freilich nicht über den Vergleichspunkt hinaus verwerten. Worin aber dieser gesehen werden soll, ist eben vorher angegeben: Der Sünder vermag nicht aus eigenen Kräften seine Bekehrung zu bewirken, wie ein Klotz sich nicht selbst umkehren kann; vielmehr widerstrebt der Sünder, solange er noch nicht von Gottes Geist erleuchtet ist, dem Göttlichen, wie ein unbändiges Tier sich der Leitung durch die Zügel widersetzt. Ausdrücklich aber hebt die KF hervor, dass der Mensch auch vor der Bekehrung eine mit Verstand und Willen ausgerüstete Kreatur ist und von Gott nicht wie ein Klotz behandelt, nicht zur Bekehrung gezwungen wird (KF, Ausf. Darl., II, 59. 60. 62). Selbst den Heiden spricht sie noch ein Fünklein Erkenntnis vom Dasein Gottes und von der Lehre des Gesetzes zu (natürliche Gotteserkenntnis; KF, Ausf. Darl. II, 9). Falsch ist daher auch die Lehre des Flacius, dass die Sünde zu des Menschen Substanz geworden, dass der Mensch kein wirklicher Mensch mehr sei (KF, Kurze Darl., I, 1 ff.; Ausf. Darl. I, 26 ff.). Wohl gehört jetzt die Sünde zum Wesen des Menschen, sie macht aber nicht sein Wesen aus, sondern ist wie die Fäulnis bei einem völlig verfaulten Apfel. Man kann sie seine Natur nennen, aber nicht, wenn man hierunter die Substanz, das Wesen versteht, sondern nur, wenn man damit ein Akzidenz [Hinzugekommenes] meint, so, wie man sagt, das Stechen sei der Schlangen Natur (KF, Kurze Darl., I, 21 f.).

    Diese Erbsünde ist aber wahrhaftig Sünde und verdammt (Augsb. Bek., II, 2). Sie ist wirklich Sünde (gegen Zwingli), weil zum Begriff dieser weder das Bewusstsein des Menschen um sie noch böse Handlungen gehören. Sünde ist vielmehr die dem Wesen Gottes nicht entsprechende Beschaffenheit oder Äußerung derselben. Dieser Widerspruch gegen Gott ist Sünde. Hier tritt die lutherische Auffassung der Heiligkeit Gottes hervor, das Verständnis ihrer Absolutheit, gemäß deren er alles, was seinem Wesen zuwider ist, hassen und von sich fernhalten muss, wie ein edler Mensch nicht anders kann, als vor dem sinnlos Betrunkenen Grauen zu empfinden, auch wenn dieser in Unwissenheit, durch anderer Schuld, in diesen Zustand geraten ist. Die Sünde zu verabscheuen steht nicht in dem Belieben Gottes, sondern gehört zu seinem unabänderlichen Wesen, das Wille, Allmacht, Alleinwirken, Heiligkeit ist und gegen des Menschen Wille steht. Damit aber bedingt die Sünde auch eine Schuld des Menschen, und zwar auch bei denen, die ihre Sündhaftigkeit nicht ebenso verschuldet haben wie Adam. Man wird zu unterscheiden haben zwischen subjektiver Verschuldung und objektiver Schuld. Um letztere handelt es sich hier. Wie der, welcher eine Erbschaft angetreten hat, auch die geerbten Schulden wirklich besitzt, obwohl er sie nicht verschuldet hat, und um dieser Schulden willen gerichtlich verklagt werden kann, so ist die geerbte Sündenschuld des Menschen Schuld, obwohl er sie nicht verschuldet hat, und Gott kann diesen Tatbestand, dass des Menschen Art dem göttlichen Wesen widerspricht, nicht behandeln, als bestünde sie nicht, sondern es ist etwas Nichtseinsollendes da, eine klagbare Schuld, verdammt. Die KF hat in der Absicht, die Schuld auch bei mangelnder Verschuldung anzudeuten, anstatt culpa gern den mehr objektiven Tatbestand markierenden Ausdruck reatus (Schuld) verwandt (z.B. KF, Ausf. Darl., I, 9). Infolge dieser Erbsünde und Erbschuld sind wir „Kinder des Zorns von Natur“ (KF, Ausf. Darl., I, 6). Auf die Frage, ob diese geerbte Schuld auch eine Verschuldung unsererseits einschließe, wird nicht eingegangen. Die KF freilich sagt einmal, dass die Person des Menschen werde von Gottes Gesetz angeklagt und verdammt wegen der tatsächlichen Verderbtheit der Person „und von wegen des Falls des ersten Menschen“ (das.). … - Aus dem Gesagten scheint nun zu folgen, dass die ungetauft verstorbenen Kinder der Verdammnis anheimfallen. Hat Melanchthon dies etwa noch 1530 angenommen, da wir im Augsburger Bekenntnis lesen, die Erbsünde „verdamme alle, die nicht durch Taufe und Heiligen Geist wiedergeboren werden“ (Art. II, 2)? Ebenso kann man es in der KF lesen, die die Ansicht verwirft, Kinder könnten „ohne Taufe das Heil erlangen“. (KF, Kurze Darl., XII, 6). Aber wie der Zusammenhang dieser Stelle ein anderes Verständnis möglich macht, so ist es nicht wahrscheinlich, dass hier noch die mittelalterliche Ansicht vertreten werden soll. Denn Luther hatte diese wenigstens schon 1530 aufgegeben und oftmals erklärt: „Gott kann ohne Taufe erretten, wie wir glauben, dass die Kinder, die die Taufe nicht empfangen, wie wir glauben, dass die Kinder, die die Taufe nicht empfangen, nicht deshalb verdammt werden“; der Gott, „der alle selig haben will“, „dessen Natur es ist zu vergeben und sich zu erbarmen“, wird nicht härter sein gegen die ohne ihre Schuld ungetauft verstorbenen Kinder. Es ist darüber nichts Näheres offenbart; aber wir haben die Seelen solcher Kinder „dem Willen des himmlischen Vaters zu überlassen, von dem wir wissen, dass er barmherzig ist“ (Erl. Ausg. Exeget. 4,78. 121. 129. 289; Erl. Ausg. 2,152). Diese Anschauung ist in der lutherischen Kirche allgemein geworden, und die KF hat ihr sicher nicht widersprechen wollen.

    Zur Bestimmung des Weges, auf dem die Sünde sich vererbt, fragt es sich natürlich zunächst, ob die Entstehung des einzelnen Menschen kreatianisch (Neuschöpfung) oder traduzianisch (Vererbung) gedacht wird. Einige stelle der KF setzen offenbar traduzianische Anschauung voraus (Ausf. Darl., I, 7.28), andere, die man schon im kreatianischen Sinn verstanden hat (Ausf. Darl., I, 32.38), wollen nicht mehr besagen, als was Luther, der doch traduzianisch dachte, im Kleinen Katechismus ausdrückt: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat, mir Leib und Seele gegeben hat.“ (Kl. Kat. II, 2.) Natürlich nicht als Kirchenlehre, aber doch als Ansicht der lutherischen Bekenntnisschriften dürfe zu gelten haben, dass auch die Seele durch die Zeugung entsteht; nicht aber so, als wenn diese sich nach selbständigen, Gott gegenüberstehenden Naturgesetzen abwickle, sondern Gott als der Alleinwirksame ist es, der in diesen Vorgängen wirksam ist, nur eben in einer bestimmten Ordnung (vgl. Gr. Kat. II, I, 13), wie Luther einmal in einer Tischrede beides zusammenstellt: „Die Seele entsteht aus der verderbten Materie und Samen und wird von Gott geschaffen aus der Materie des Mannes und der Frau.“ (Weim. Tischr. 5, S. 18. 23 ff., vgl. das. S. 697, 6 ff. und 3, 697, 29 ff., auch Drews, Disput Luthers 835 f., 844 ff., 878, 884 ff., 890, 896.) Warum aber wird durch die Zeugung die Sünde vererbt? Die KD erklärt, der Same der Eltern, daraus der Mensch formiert werde, sei sündig und verderbt, darum auch das Ergebnis (Ausf. Darl. I, 7.28). Eine andere Anschauung meinte man schon im Augsburger Bekenntnis gefunden zu haben, nämlich „die aus der mönchischen Anschauung Augustins stammende Verknüpfung der Erbsünde mit der Art der menschlichen Fortpflanzung“. Melanchthon soll also angenommen haben, dass der Akt der Zeugung sündig und daher auch das Ergebnis sündig sei. Man hat dies in den Worten gelesen:  Alle Menschen werden aufgrund der natürlichen Fortpflanzung mit Sünde geboren, d. i. ohne Gottesfurcht (Art. 2). Aber dies will doch nur besagen, dass nur das von dem einen auf den anderen übergehen kann, was jener hat. Der Nebensatz ‚aufgrund der natürlichen Fortpflanzung‘ sagt nichts von besonderer „Art der Fortpflanzung“, etwas dass dieser Akt sündig sei, sondern nur, dass natürliche Fortpflanzung nichts anderes als den Eltern Gleichartiges schaffen könne; und mit diesem Nebensatz wird Melanchthon den nicht auf natürliche Weise entstandenen Erlöser von der Erbsünde auszuschließen beabsichtigt haben.

 

bc. Der unfreie Wille

    Der unfreie Wille des natürlichen Menschen ist eine Konsequenz der Verderbung der menschlichen Natur. Die Schmalkaldischen Artikel verwerfen als „eitel Irrtum und Blindheit“ die Behauptung, „dass der Mensch habe einen freien Willen, Gutes zu tun und Böses zu lassen“ (III, I, 5). Nicht, als ob der Wille nicht zwischen verschiedenen Möglichkeiten frei wählen könnte. Er kann sich auch frei entscheiden für oder gegen eine äußere Rechtbeschaffenheit (also in allen Dingen, die ihm unter- oder gleichgeordnet sind). Nicht aber für die, welche vor Gott gilt. Es muss unterschieden werden zwischen der bürgerlichen Gerechtigkeit (iustitia civilis), der „Frömmigkeit der Welt“, die von den Menschen geschätzt wird, auch genannt fleischliche Gerechtigkeit, die von der fleischlichen Natur, von dem natürlichen Menschen vermöge seiner Vernunft geleistet werden kann, und andererseits der göttlichen oder geistlichen Gerechtigkeit, die vor Gott Wert hat und nur durch Gottes Geist gelehrt und gewirkt wird. Jene besteht im Tun einzelner Werke, diese dagegen in der Gesinnung, aus der die entsprechenden Werke hervorgehen. Eine unbeschränkte Freiheit hat freilich der natürliche Mensch auch in jener Beziehung (bürgerliche Gerechtigkeit) nicht, weil die angeborene böse Lust ihn immer an dem Tun dessen, was seine Vernunft als das Richtige erkennt, zu hindern sucht. Andererseits erstreckt sich seine Freiheit aber auch auf solches, was zu Gott und dessen Willen in einer gewissen Beziehung steht, wie auf das Reden von Gott, auf die äußerliche Gottesverehrung, auf fromme Handlungen. Das will sagen: Auch ohne Furcht und Liebe zu Gott, also aus egoistischen Motiven, kann der Mensch sich äußerlich religiös und moralisch zeigen. Aber er besitzt nicht die Freiheit zu dem, worauf vor Gott alles ankommt, zu den „göttlichen Sachen“, zu dem, was „Gottes Wille“ ist, nicht die Freiheit, Gott herzlich zu fürchten und ihm zu vertrauen (Augsb. Bek. XVIII, 1.2; Apol. XIX, 70 ff.). Mit anderen Worten: Der Wille des natürlichen Menschen ist dem Gefangenen gleich, der zu allem Erdenkbaren Freiheit hat, nur nicht zu dem Einen, außerhalb des Kerkers zu sein. Der Mensch kann frei wählen unter den unzähligen Möglichkeiten, die das natürliche Leben bietet, kann sich für die gemeinsten und für die höchsten Ideale entscheiden; aber er kann sich nie gegen Gott so verhalten, wie er sollte, kann nie das Gebiet der Sünde verlassen. Die Gesamtrichtung seines Willens ist schon widergöttlich bestimmt, also nicht frei. Der Mensch kann sich nicht selbst umstimmen, kann sich nicht „inwendig ein ander Herz, Sinn und Mut“ verschaffen, denn so lange er nicht zu Gottes Reich regiert und von Christus regiert wird, ist er in Satans Reich, unter der Herrschaft des Teufels. Natürlich gilt vor allem von diesem Stück der Erbsünde Luthers Behauptung, dass der natürliche Mensch von diesem Tatbestand gar keine Vorstellung haben könne. Aufgrund der ihm gebliebenen Wahlfreiheit auf dem natürlichen Gebiet erhebt er aus vollster Überzeugung Protest gegen die Lehre von der Unfreiheit seines Willens. Denn diese empfindet er gar nicht, eben weil sein Wille in seinem Verhältnis zu Gott nicht frei ist, weil er ein völlig anderes Verhältnis zu Gott gar nicht wollen kann. Erst dann, wen durch die von Gott bewirkte Bekehrung der Wille ein anderer geworden ist, erkennt der Mensch seinen früheren Willen als unfrei.

    Aber auch der Christ ist nicht frei in einem absoluten Sinn, da es keine Freiheit jenseits von Gott gibt, der Mensch, wie Luther es ausdrückte, entweder von Gott oder vom Teufel geritten wird. Und tatsächlich Gott als der Allmächtige, als der, der alles regiert, alles wirkt, als der Alleinwirksame nicht nur auch das Reich des Teufels seinem Reich dienstbar macht, sondern auch den Christen, der frei geworden ist von der Knechtschaft im Reich des Teufels, regiert, dass er nun gemäß dem Willen Gottes lebt, wenn auch noch unvollkommen, weil der Christ Gerechter und Sünder zugleich ist. Vollkommene Freiheit im biblischen Sinn bedeutet völlige Übereinstimmung mit Gott und seinem, des Schöpfers, Willen.

    Nach Luthers Tod trat der Synergismus (Mitarbeit des Menschen bei seiner Errettung) offen hervor, besonders durch Victorin Strigel vertreten. Die natürliche Kraft zum Guten sollte durch die Sünde nur latent geworden sein, sie sollte durch den Heiligen Geist nur angeregt werden, so dass der Wille bei der Bekehrung mitwirke. Im schroffen Widerspruch dazu behauptete Flacius, der menschliche Wille verhalten sich bei der Bekehrung nicht nur völlig passiv, sondern er tobe und wüte dagegen. Gegen beide Irrtümer wendet sich die KF im 2. Artikel. Gegen Strigel lehrt sie, der Wille des Unwiedergeborenen könne nichts zu seiner Bekehrung tun; bei dieser verhalte sich der Mensch völlig passiv, wie ein Klotz oder Stein, wie die Schrift von dem „steinernen Herzen“ rede, ja schlimmer als Klotz und Stein, denn er widerstrebe Gottes Wirken (Ausf. Darl., II, 89; Kurze Darl., II, 18). Wohl kann er sich dafür entscheiden, die Gnadenmittel zu gebrauchen; aber dass sie heilskräftig auf ihn wirken, steht nicht in seiner Macht. Gegen Flacius wird gelehrt, der Mensch werde nicht wie ein unbändiges Tier zur Bekehrung gezwungen, besitze noch die passive Anlage, dass Gott auf ihn einwirken, in bekehren könne. Wohl kann er dem Geist Gottes widerstreben und ist insofern schlimmer als Klotz, Stein oder Ton, aber auch dies Widerstreben kann Gottes Geist schließlich überwinden (Ausf. Darl., II, 59.82). Die Bekehrung ist also die von Gott geübte Wirksamkeit, wodurch der Sünder aus dem Stand der Gottesferne in die Gottesgemeinschaft zurückgebracht“[11], also zum lebendigen, rechtfertigenden Glauben an Jesus Christus, in eine persönliche, bewusste Gemeinschaft mit Gott gebracht wird (conversio transitiva; KF, Kurze Darl., II, 18). Erst dann, als so von Gottes Geist Bekehrter, sagt er bewusst, wollend dankbar Ja zu Christus und dem Heil in ihm (conversio intransitiva). Die unmittelbare Frucht oder Wirkung der Bekehrung durch Gottes Geist ist der Zustand einer inneren geistlichen Veränderung im Denken, Wollen, Tun des Menschen (vgl. KF, Ausf. Darl., II, 83)[12].  Die Frage steht natürlich im Raum: Wenn Gott der Alleinwirksame in der Bekehrung eines Menschen ist, darin, dass ein Mensch zum rechtfertigenden Glauben an Christus kommt, warum werden dann nicht alle Menschen gerettet, da Gott doch will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Tim. 2,4) und Gott doch allmächtig ist? Hier bewegen wir uns, ähnlich wie bei der Erwählung, dann im Bereich des verborgenen Gottes, über den wir keine Aussagen machen können. Wir sollen uns vielmehr an Christus halten, als der Offenbarung des uns liebenden, barmherzigen Gottes an uns und dem, was die Bibel zur Verantwortung des Menschen im Blick auf seine Verdammnis sagt: „Israel, du bringst dich selbst ins Unglück; dass du gerettet wirst, ist lauter meine Gnade.“ (Hos. 13,9.) Das heißt: Wer gerettet wird, wird allein aufgrund von Gottes Gnadenwahl, allein aufgrund des Rettungs- und Bewahrungshandeln des Heiligen Geistes in der Zeit gerettet; wer dagegen verloren geht, geht allein aus eigener Schuld verloren und kann Gott keinen Vorwurf machen.

    Erst nach der Bekehrung, in der Heiligung, wirkt der nun befreite Wille, wirken die natürlichen Kräfte des Menschen mit dem Heiligen Geist zusammen, doch nicht so, als wenn zwei Pferde einen Wagen ziehen, sondern unser Mitwirken geschieht „aus den neuen Kräften und Gaben, so der Heilige Geist in der Bekehrung in uns angefangen hat“ (KF, Ausf. Darl., II, 65 f.), also untergeordnet.

 

 

3. Christus

 

a. Christi Person

    In dem Abendmahlsstreit Wurde die zwischen Luther und Zwingli bestehende Differenz hinsichtlich der Christologie offenbar. Daher wurde sie im Rahmen der Abendmahlslehre behandelt. Keineswegs aber ist „die christlogische Theorie lediglich als Stütze für die abendmahlslehre ausgebildet worden“. Vielmehr ist alles, was Luther und die lutherischen Bekenntnisse über die Person Christi aussagen, durch das Doppelte bestimmt, durch die Schriftaussagen und durch das Interesse des Glaubens, der sich durch Christus erlöst weiß. Die Person Christi interessiert sie nur um des Werkes Christi willen. So sagt Luther im Großen Katechismus, für uns unter dem Zorn Gottes liegende und der Verdammnis verfallenen Menschen sei keine Hilfe mehr vorhanden gewesen, „bis dass sich dieser einige und ewige Gott4essohn unseres Jammers und Elends aus grundloser Güte erbarmte und vom Himmel kam, uns zu helfen“, „Jesus Christus, ein Herr des Lebens, Gerechtigkeit, alles Guts und Seligkeit“ (II, II, 29 f.). Auch an dem heißen Kampf gegen die Christologie Zwinglis war das Glaubensinteresse aufs lebhafteste beteiligt. Denn die gegnerische Behauptung der Unmöglichkeit einer Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl wies man aus dem Grund ab, um dessen „gewiss“ zu sein, dass Christus „nicht halb“, sondern mit allem, was er sei und habe, „auch nach der Natur, nach welcher er Fleisch und Blut hat, bei uns sein, in uns wohnen, wirken und kräftig sein will“ (KF, Ausf. Darl., VII, 79).

    Die Christologie der lutherischen Kirche ruht auf der altkirchlichen nach der Formulierung des Chalcedonense und Athanasianum: „Die göttliche und die menschliche Natur in der Einen Person (Augsb. Bek., Art. 3). Aber um jenes Glaubensinteresses willen strebt sie über dieses Nebeneinander der beiden Naturen hinaus zu einem Ineinander, zu einer gegenseitigen Durchdringung der Naturen, damit das gesamte Heilswirken des Erlösers ein Werk der einheitlichen Person des Gottmenschen sei. Daher wird die reformierte Behauptung, „das Endliche sei nicht fähig des Unendlichen“, bestimmt abgelehnt (KF, Kurze Darl., VIII, 34; Ausf. Darl., VIII, 53). Mit Vorliebe verwendet Luther das alte Gleichnis des glühenden Eisens, in dem Feuer und Eisen zu einer Einheit geworden sind, und die KF folgt ihm darin (Ausf. Darl., VIII, 18 u.ö.). Wie in dem glühenden Eisen das Eisen teilhaft an der Kraft des Feuers, zu leuchten und zu brennen, so hat jede der beiden Naturen in Christus durch die Vereinigung der Naturen und der daraus folgenden Gemeinschaft der Naturen Teil an den Eigentümlichkeiten der anderen; es ist eine Gemeinschaft der Eigenschaften oder Eigentümlichkeiten eingetreten (KF, Ausf. Darl., VIII, 31 ff. 85). Alles, was im Blick auf eine Natur ausgesagt wird, wird tatsächlich immer von dem Einen Christus, der Einen Person ausgesagt, weil die andere Natur stets mit dabei ist, Anteil daran hat. Nur solche Auffassung ist der Schrift gemäß und stärkt den Glauben. Denn, so zitiert die KF aus Luther, „wenn ich das glaube, dass allein die menschliche Natur [Christi] für mich gelitten hat, so ist mir der Christus ein schlechter Heiland, so bedarf er wohl selbst eines Heilands.“ „Die Gottheit kann nicht leiden noch sterben; dennoch, weil Gottheit und Menschheit in Christus eine Person ist, so gibt die Schrift um solcher persönlichen Einigkeit willen auch der Gottheit alles, was der Menschheit widerfährt.“ Ebenso: „Wo du mir [Christus als] Gott hinsetzt, da musst du mir die Menschheit mit hinsetzen; sie lassen sich nicht absondern und voneinander trennen, es ist Eine Person geworden.“ Wenn also Christi Gottheit im Abendmahl ist, so auch seine Menschheit. Diese nimmt an der Allgegenwart jener Teil (Erl. Ausg. 30,203.212; KF Ausf. Darl., VIII, 40.83, vgl. 20.23.29). dies ist es, worauf es Luther und der KF ankommt. Und dies wird man als das, was die KF eigentlich lehrt, anzusehen haben. – Der mannigfache Widerspruch aber nötigte zu weiteren Erörterungen. Es fragte sich, ob man die These, die beiden Naturen in Christus teilten einander ihre Eigentümlichkeiten mit, wenn auch jede derselben nach ihrem Wesen und ihren Eigentümlichkeiten von der anderen unterschieden bliebe (KF, Ausf. Darl., VIII, 11), ohne Einschränkung aufrechterhalten dürfe. Und da die göttliche Natur an sich unveränderlich ist, bleiben die Naturen in ihren wesentlichen Eigenschaften unverändert (KF, Ausf. Darl. VIII, 49), aber eine jede hat Teil an den Eigenschaften, Werk und Widerfahrnis der anderen (KF; Ausf. Darl., VIII, 38 ff.). Die menschliche Natur hat, als die bei der Zeugung durch den Heiligen Geist, in die eine Person des Sohnes Gottes aufgenommen wurde, göttliche Kraft, Leben, Gewalt, Majestät und Herrlichkeit empfangen, aber nicht so, dass sie Teil ihres Wesens und ihrer Eigentümlichkeiten geworden wären (KF, Ausf. Darl., VIII, 60 ff.) Nur dass er die göttliche Majestät und Herrlichkeit während seines Erdenlebens zumeist verborgen gehalten hat (Phil. 2,5-8; das meint die Entäußerung und macht den Stand der Erniedrigung aus; KF, Ausf. Darl., VIII, 65.26), während Christus sie gebrauchte „wo und wann er wollte“, so dass Strahlen dieser Herrlichkeit in den Wundern in der vollmächtigen Predigt immer wieder durchbrachen, so dass Johannes durch den Glauben bezeugen konnte, dass sie seine Herrlichkeit sahen (Ev. 1,14; KF, Ausf. Darl., VIII, 25). Nach seiner Lebendigmachung und Auferstehung hält Christus nun im Stand der Erhöhung nach seiner menschlichen Natur die ihr mitgeteilte göttliche Majestät nicht mehr verborgen, sondern Christi menschliche Natur übt nunmehr auch, mit Christi Himmelfahrt sozusagen inthronisiert, sitzend zur Rechten Gottes (die nicht ein Ort ist, sondern die allgegenwärtige allmächtige Kraft Gottes, KF, Ausf. Darl., VIII, 28; Kurze Darl., VII, 12), diese ihr mitgeteilten Eigenschaften, Vorzüge und Majestät, die ihr über ihre wesentlichen Eigentümlichkeiten mitgeteilt wurden, völlig mit aus (KF, Ausf. Darl., VIII, 50 ff.), z.B. die Allwissenheit, die Allgegenwart, die Allmacht (KF; Ausf. Darl., VIII, 28 f.).

    Ein besonderes Gewicht aber legt der Heilige Geist in der Heiligen Schrift um uns Menschen und unseres Glaubens willen auf die Menschheit Christi, denn sie ist die Offenbarung Gottes an uns, in ihr kommt der für uns Menschen unnahbare, unfassbare Gott zu uns, nimmt unsere Natur an (nur ohne Sünden) und lebte unter uns – und blieb zugleich doch wahrer Gott, denn in ihm wohnte die Fülle der Gottheit leibhaftig (Kol. 2,9, das Wunder, dass das Endliche des Unendlichen fähig ist), er saß ihm Schoß des Vaters auch, als er hier auf Erden war (Joh. 1,18). Dieser Mensch Jesus Christus, der zugleich wahrer Gott ist, ist der wahre und einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen (1. Tim. 2,5) in ihm schenkt Gott sich selbst uns Menschen. In ihm zeigt Gott uns seine unendliche Liebe zu uns eigentlich verlorenen und verdammten verlorenen Sündern, vor allem in Christi Unterwerfung unter das Gesetz, seinem Gehorsam, seinem Leiden für uns, seiner Liebe zu uns am Kreuz. Gerade hier erweist es sich, dass der heilige Gott vor allem Liebe ist. Aber gerade hier erscheint sie wieder verborgen unter dem Gegenteil, nämlich in Niedrigkeit, in Schwachheit, Verwundbarkeit.[13] Aber so ist der Mensch Jesus die Offenbarung Gottes schlechthin. ‚Du sollst weiterhin keinen anderen Gott kennen außer diesem Menschen und hänge dich an diesen Menschen.‘“[14] Das kann allerdings nur der Glaube durch den Heiligen Geist mittels des Worts erkennen, dass dieser Mensch Jesus von Nazareth zugleich wahrer Gott vom wahren Gott ist. Das weist aber dann auch das Werk Christi aus, dass er eben nicht nur Gottes Willen und Liebe verkündet, sondern selbst Gott ist, den Frieden, die Vergebung der Sünden selbst schenkt, damit die Rechtfertigung, das neue Leben, die Befreiung von Tod und Teufel – eben all das, was keinem Geschöpf möglich ist, sondern nur Gott selbst. In Christus wirkt Gott selbst, da Jesus Christus immer in der innigsten Gemeinschaft und Einheit mit dem Vater gewollt und gewirkt hat.[15]

 

 

b. Christi Werk

 

ba. Der Kernpunkt

    Ausgangspunkt des erlösenden, rettenden Handelns Christi ist Gottes erbarmende Liebe zu uns aus lauter Gnade, also Huld, Freundlichkeit, Leutseligkeit (Tit. 3,4) (denn Gottes Gnade ist nicht eine als Antwort auf des Menschen Anstrengungen aus Billigkeit eingegossene Kraft, um dann solche Werke zu vollbringen, die Gott um ihrer Würdigkeit willen annehme).

    Die auch in der reformierten Kirche gebräuchliche Verteilung des Werkes Christi auf seine drei Ämter findet sich so in den lutherischen Bekenntnissen noch nicht; sie ist aber von der späteren Theologie aufgenommen worden. Inhaltlich redet von dem prophetischen Tun Christi nur die KF in ihrem 5. Artikel (Von Gesetz und Evangelium). Im Anschluss an Joh. 1,17 und Luther erklärt sie, dass Christus nicht wie Mose ein Gesetzgeber, sondern „Prediger des Evangeliums“ ist. Wenn er auch „das Gesetz in die Hände genommen und es geistlich ausgelegt“ hat, so ist das „ein fremdes Werk Christi“ [die notwendige Vorbereitung], „dadurch er komme zu seinem eigenen Werk, das ist, Gottes Gnade predigen, trösten, lebendig machen“ (KF, Kurze Darl., V, 8). Auch von der Lehre Christi durch sein Beispiel und seine Wunder reden die Bekenntnisse nicht, während die reformierte Kirche vielfach eine sehr starke Betonung auf das Vorbild Christi legen und damit den Schwerpunkt entscheidend vom Evangelium auf das Gesetz verschieben.r Luther und die lutherische Kirche ist das Vorbild Christi nicht unbedeutend, aber darauf liegt nicht der Schwerpunkt, auch nicht in der Heiligen Schrift. An die Straßburger schrieb Luther zur Warnung vor Karlstadt, der alles Gewicht auf das Beispiel Christi legte: „Dass Christus ein Exempel sei, ist das geringste Stück an Christus, darin er andern Heiligen gleich ist, sondern wie er ein Geschenk Gottes ist, oder, wie Paulus sagt: Gottes Kraft, Weisheit, Gerechtigkeit, Erlösung, Heiligung, uns gegeben.“ (Erl. Ausg. 53, 276.) Wenn Luther selbst von dem Vorbild Christi handelt, so geschieht dies wesentlich nur in der durch Phil. 2,6 gewiesenen Richtung: Nicht das einzelne Tun Christi sollen wir nachahmen (das war die Imitatio Christi des Mittelalters, auch im Pietismus wieder verstärkt hervorgekommen), sondern wir sollen danach streben „gesinnt“ zu werden wie er (die conformitas Christi, ihm gleichförmig werden durch Haltung, im Leiden). Die Wunder Christi werden in den Bekenntnissen nur ganz nebenbei erwähnt bei der Frage, ob Christus die ihm eignende Allmacht auch schon im Stand der Erniedrigung besessen und gezeigt habe. Aus diesem Zusammenhang erklärt sich auch, dass sie als Manifestation seiner göttlichen Majestät gewürdigt werden (KF, Ausf. Darl., VIII, 25), womit also nicht ihre ganze Bedeutung genannt sein soll. Für Luther und die Bekenntnisschriften ist der Kernpunkt des Werkes Christi die Genugtuung (satisfactio) und sein Eintreten für uns (intercessio). Auch diesen werden freilich nicht eigene Artikel gewidmet. Aber was die Bekenntnisse darüber bei Darstellung der Heilsaneignung sagen, bildet so sehr die Grundlage dieser hochwichtigen Ausführungen, dass nur diese selbst für bekenntnismäßige Festsetzung zu erklären, nicht möglich ist.

 

bb. Aktiver und passiver Gehorsam

    Christus hat uns durch ein Doppeltes mit Gott versöhnt, durch seinen aktiven und seinen passiven Gehorsam, die jeweils verschiedenen Erfolg hatten. In den älteren Bekenntnissen wird unsere Erlösung durch das dem Leiden und Sterben Christi betont: „der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöst hat durch sein heiliges teures Blut und sein unschuldiges Leiden und Sterben.“ (Kl. Kat. II, 4; Schm. Art., III, III, 38.) Aus seinem Tod, nicht auch aus seinem tätigen Gehorsam, wird die Frucht der Rechtfertigung abgeleitet: Christus hat für uns gelitten, und dass uns um seinetwillen die Sünde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird (Augsb. Bek. IV, 4). Christi Heiligkeit wird nur insofern mit der Erlösung in Beziehung gesetzt, als nur der Sündlose die Genugtuung für unsere Sünden leisten konnte: „Die Sünden der Welt trage“ konnte nur „das unschuldige Lämmlein“ (Schm. Art. III, III, 38); ohne Sünde empfing er die Strafe der Sünde und wurde ein Opfer für uns (Apol. IV(III), 18). Die Konkordienformel geht einen Schritt darüber hinaus. Sie stellt neben Christi Leiden sein Handeln: den Gläubigen zugerechnet wird der Gehorsam, Leiden und Auferstehung Christi (KF, Ausf. Darl., III, 15.32). Da er nicht nur Mensch war, so war er „ebenso wenig unter dem Gesetz, weil er ein Herr des Gesetzes war, als dass er für seine Person hätte leiden und sterben sollen (das.). Aber beides nahm er auf sich, gehorsam dem Vater „von seiner Geburt an bis in den allerschmählichsten Tod des Kreuz (KF, Ausf. Darl. III, 22.56). Mit diesem Gehorsam hat er „unseren Ungehorsam zugedeckt“ (KF, Ausf. Darl., III, 58). Dieser Gehorsam Christi ist die Gerechtigkeit, die dem Glauben oder den Gläubigen aus lauter Gnade zugerechnet wird“ (KF; Ausf. Darl. III, 14).  Es wird also hier die Erlösung unter demselben Gesichtspunkt dargestellt wie Röm. 5,19 und Phil. 2,8, dem des Gehorsams. Wenn aber dabei seine Unterstellung unter das Gesetz und sein Leiden nebeneinander genannt werden, so sollen damit nicht zwei verschiedene Mittel zu unserer Erlösung mit verschiedener Wirkung genannt werden (wie es von Calvin geschehen), sondern zwei Arten von Erweisung seines Gehorsams. Denn bald wird das eine, bald das andere, bald noch ein anderes, seine „Auferstehung“ oder „der Gang zum Vater“ genannt ((KF Aus. Darl. III, 9.14.58). Und wie alles in dem einheitlichen „Gehorsam“ zusammengeschlossen wird, so wird auch auf diesen das gesamte Heil zurückgeführt, „Versöhnung mit Gott, Vergebung der Sünden, Gottes Gnade, die Kindschaft und Erbschaft des ewigen Lebens“ (KF; Aus. Darl. III,16). Das Neue, das die KF bietet, ist also dies, dass dem Missverstand gewehrt wird, als bestände das erlösende Tun Christi in seinem bloßen Leiden und Sterben; es muss vielmehr auch sein vorhergehendes Leben und die darauffolgende Auferstehung und Himmelfahrt dazu gerechnet werden; und sein Tod darf nicht als ein bloßes Widerfahrnis, sondern muss als freie Tat seines Gehorsams gewürdigt werden. Es wird also eine wertvolle Ergänzung zu dem in den früheren Bekenntnissen Gesagten geboten. Wenn die Anregung hierzu auch von Melanchthon herrühren mag, so hat doch auch Luther mehrmals die Bedeutung der Unterstellung Christi unter Gesetz hervorgehoben (z.B. Erl. Ausg. 1,118; 2,93 f.; 7, 312). Aufgrund der Ausführungen der KF hat dann die spätere Dogmatik die scharfe Scheidung des aktiven von dem passiven Gehorsam mit verschiedenen Wirkungen, deren Addition die vollkommene Satisfaktion ergibt, auszubilden sich erlaubt.

 

bc. Die Versöhnung

    Die Bekenntnisschriften sprechen von Christi Werk der Versöhnung im Zusammenhang mit den zentralen evangelischen Lehren:

    1. Ohne die durch Christi Tod (und Leben und Auferstehung) geschehene Erlösung würde die Menschheit noch „verloren und verdammt“ sein. Sein Tod hat nicht nebensächliche Bedeutung, vielmehr wird, wenn Christi erlösendes Tun kurz bezeichnet werden soll, immer sein „heiliges teures Blut“, sein „unschuldiges Leiden und Sterben“ genannt.

    2. Sein Tod hat satisfaktorische (genugtuende) Bedeutung: „Weiter wird gelehrt, dass wir Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit vor Gott nicht erlangen können durch unser Verdienst, Werk und Genugtun, sondern dass wir Vergebung der Sünden bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnaden um Christi willen durch den Glauben, so wird glauben, dass Christus für uns gelitten hat und dass uns um seinetwillen die Sünde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird.“ (Augsb. Bek. Art. 4,1-3.). „Darüber so ist es gewiss, dass Christi Tod eine Genugtuung ist nicht allein für die Schuld gegen Gott, sondern auch für den ewigen Tod.“ (Apol. (VI), 43); „dass er für mich genug täte und bezahlte, was ich verschuldet habe, mit seinem eigenen teuren Blut“ (Gr. Kat. II, II, 31). Diesen Erfolg konnte sein Tun nur deshalb haben, weil er sowohl Mensch als auch Gott ist: „Eine menschliche Natur allein hätte weder durch Gehorsam, noch durch Leiden dem ewigen, allmächtigen Gott für die Sünden der ganzen Welt genugtun können.“ (KF, Ausf. Darl., III, 56.) Daher werden wir gerecht nicht durch die menschliche Natur Christi allein (wie Stancarus lehrte), auch nicht durch die göttliche Natur Christi allein (wie Osiander und in anderer Weise Calvin behauptete), sondern durch die ganze Person Christi (KF, Ausf., Darl., III, 60).

    3. Diese genugtuende Bedeutung des Tuns Christi schließt aus, dass man sie nur in einer Umstimmung des Menschen sehe. Vielmehr ist dadurch eine objektive Änderung eingetreten. Das objektive Verhältnis Gottes zu uns ist ein anderes geworden: „Eins ist ein Versöhnopfer, dadurch genuggetan wird für Pein und Schuld, Gottes Zorn gestillt und versöhnt und Vergebung der Sünden für andere erlangt.“ (Apol. XXIV, 19.) „Wegen Christi Satisfaktion haben wir einen gnädigen Gott.“ (Apol. IV (III), 57.) Die KF bestimmt dies dahin: Es ist dem Gesetz genug getan (Ausf. Darl., III, 15). Christus hat den Zorn Gottes, der uns galt, auf sich genommen. Nicht war Gott,(wie Anselm lehrte) persönlich beleidigt, seine Ehre gekränkt; nicht um eine privatrechtliche Genugtuung handelt es sich; sondern das sittliche Gesetz, die dem Wesen Gottes entsprechende sittliche Naturordnung war verletzt. In die sittliche Weltordnung war eine Desorganisation gekommen durch den Widerspruch gegen das objektive sittliche Gesetz Gottes. In die sittliche Harmonie Gottes war eine Spannung gekommen, die nur durch ein Durchsetzen der moralischen Weltordnung aufgehoben werden konnte. Dies aber ist durch Christus geschehen, der unter das Gesetz getan wurde (Gal. 4,4.5) und sich dem Gesetz unterwarf. Er „hat den ganzen vollkommenen Gehorsam seinem himmlischen Vater für uns arme Sünder geleistet“, stellvertretend. Sein Gehorsam ist eine „vollkommene“ Genugtuung und Versöhnung des menschlichen Geschlechts“ ((FK, Ausf., Darl., III, 57 f.). Oder wie die Apologie es ausdrückt: „Das Gesetz verdammt alle Menschen. Aber Christus, weil er ohne Sünde die Strafe des Gesetzes auf sich nahm und ein Opfer für uns geworden ist, hat jenes Recht des Gesetzes abgetan, dass es nicht anklagt noch verdammt, die an ihn glauben, weil er für sie die Versöhnung ist, um derenwillen wir für gerecht geachtet werden.“ (IV (III.), 57.) Daher sagt die KF nicht, Christus habe Gott Genugtuung geleistet, sondern, er habe Gott Gehorsam geleistet, wodurch der ewigen, unwandelbaren Gerechtigkeit Gottes, die im Gesetz offenbart, genug geschehen“ ist. (Ausf., Darl., III, 57), also die Verletzung der sittlichen Weltordnung wieder gutgemacht ist. Die Bekenntnisse kennen auch eine deklaratorische Bedeutung des Todes Christi: „Die Predigt vom Leiden und Sterben Christi, des Sohnes Gottes, ist eine ernstliche und schreckliche Predigt und Anzeigen Gottes Zornes.“ (KF, Kurze Darl., V, 9); ebenso andererseits der Liebe Gottes; denn wenn Luther schreibt: „Des Vaters Huld und Gnade erkennen wir durch den Herrn Christus, der ein Spiegel ist des väterlichen Herzens“ (Gr. Kat. II, III, 65), so meint er vor allem die durch die Selbsthingabe Christi in den Kreuzestod bewiesene Huld. Aber, wie man sieht, ruht diese deklaratorische Bedeutung so ganz auf der stellvertretenden, erlösenden, dass mit dieser auch jene unrettbar dahinfällt. Wie sollte Christi Tod uns Gottes Liebe bezeugen, wenn er nicht etwa für uns Wertvolles bewirkt hätte? Oder soll er uns doch Christi Liebe, und insofern auch Gottes gnädiges Herz beweisen? Aber wenn es uns nichts einbrächte, so wäre es ja sinnlos, dass er aus Liebe zu uns gestorben sein soll, ja, so wäre sein freiwilliges Sterben Verbrechen.

    4. Christus hat die im Gesetz als der Offenbarung der göttlichen moralischen Weltordnung angedrohten Strafen stellvertretend für uns getragen: „Aber Christus, weil er ohnende die Strafe der Sünde auf sich nahm und zum Opferlamm für uns gemacht wurde … (Apol. IV (III.), 18.) Nicht, als ob Gott über ihn besondere Strafen verhängt hätte, sondern Christus ließ die Folgen der Verletzung der sittlichen Ordnung, die Strafe für unsere Sünden, die er als das Lamm Gottes auf sich genommen hatte, über sich ergehen. Sein stellvertretendes Leiden ist ein Strafleiden. „Er tat für mich genug und bezahlte, was ich verschuldet habe.“ (Gr. Kat. II, II, 31.) „Das einige Opfer Christi am Kreuz hat gnug getan für aller Welt Sünde.“ (Apol. XIII, 8.) Das Leiden und Sterben Christi geschah also für uns, stellvertretend. Wie dies Tragen der Strafe näher vorzustellen ist, sagen die Bekenntnisse nicht. Sie lehren nicht, wie etwa Calvin getan, dass Christus alle die einzelnen Strafen, die wir hätten tragen müssen, erduldet habe. Daher bedürfen sie auch nicht der von Calvin vorgetragenen Auffassung von der Höllenfahrt Christi, Nämlich dass Christi Seele in der Hölle Höllenqualen erlitten habe, was zur völligen Genugtuung nötig sei; sie war vielmehr ein Triumph- und Siegeszug Christi, der in der Hölle seinen Sieg proklamiert hat (KF, Ausf. Darl., IX).

    5. Durch Christi stellvertretenden Gehorsam und sein stellvertretendes Leiden und Sterben hat Christus nicht nur die Erlösung einiger weniger (der Erwählten, wie Calvin behauptete) bewirkt, sondern er hat Gott mit der Welt versöhnt, hat für jeden Menschen Vergebung der Sünden und damit den Freispruch im Jüngsten Gericht und ewiges Leben erworben. Darum rechnet Gott in Christus niemandem seine Sünde zu, sondern hat sie in Christus allen Menschen vergeben (allgemeine Rechtfertigung), das heißt, die Erlösung ist für alle Menschen bereits geschehen. Aber nur der hat sie auch, der sie im rettenden Glauben an Jesus Christus als seinen Erlöser, Retter empfängt, ergreift. Ohne den Glauben haben wir keinen Anteil an dem, was Christus uns erworben hat, und bleibt der Zorn Gottes über dem Sünder (Apol. IV (II.), 69.81.106).[16]

    6. Dass Gott wahrhaft mit der Welt, mit allen Menschen, in Christus versöhnt ist, bezeugt vor allem die leibliche Auferweckung Jesu Christi am dritten Tag. Ohne sie wäre ja Gottes Zorngericht am Kreuz das letzte Wort gewesen, nun aber zeigt gerade die Auferweckung Christi, dass Christi Kreuz nicht nur Gottes Zorngericht über die Sünde ist, sondern auch Gottes größter Liebeserweis für uns Sünder. Mit Christi Auferweckung, Auferstehung sind auch Teufel und Tod wirklich besiegt, dem Tod ist seine Macht genommen (2. Tim. 1,10; Apol. IV (III), 18.68 ff.). So ist Christi Auferweckung zugleich ein Unterpfand der zukünftigen Auferweckung der an Christus Gläubigen zum ewigen Leben. All das ist also für uns geschehen. Der leiblich auferstandene Christus will dann aber auch geistlich in den Herzen der Menschen auferstehen, sie in der Heiligung leiten und im Kampf gegen die Sünde (Christus in uns), will als der Retter auch der Herr der an ihn Gläubigen sein.[17]

 

bd. Christus, unser Fürsprecher

    Dass Christus unser Fürsprecher ist, wird in den Bekenntnissen nicht näher behandelt, sondern nur zur Abwehr der römischen Heiligenverehrung erwähnt. Christus allein ist unser Mittler, also auch Fürsprecher bei dem Vater. Daher ist auch nur er anzurufen, der „versprochen hat, er werde unsere Bitten erhören“ (Ausgsb. Bek. XXI, 2; Apol. XXI, 17 ff.).

 

 

4. Die Kirche

 

a. Das Wesen der Kirche

 

    Die Artikel 7 und 8 des Augsburger Bekenntnisses bieten die grundlegenden Aussagen. Die Kirche ist die Gemeinde der Heiligen oder wahrhaft Gläubigen, also der durch die heilsschaffende Alleinwirksamkeit durch das Christusevangelium berufenen und gesammelten Sünder zum rechtfertigenden Glauben an Christus. Nur die wahrhaft an Christus als ihren Retter aus der Sündenverlorenheit Gläubigen, die bei ihm allein ihre Vergebung suchen, von ihm allein das ewige Leben erwarten, bilden sie, sie aber alle, wo immer sie sind, zu welcher Zeit sie gelebt haben, welchem Volk, Sprache, Rasse, Klasse, Kultur sie angehören. Nur mittels des rechtfertigenden Glaubens an Christus wird der Sünder durch Gottes Geist versetzt aus dem Reich Satans in das Reich Christi; die äußere Gliedschaft in einer christlichen Gemeinde, die äußere Zustimmung zum Bekenntnis der Kirche macht es nicht, denn „christliche Kirche steht nicht allein in Gesellschaft äußerlicher Zeichen, sondern steht vornehmlich in der Gemeinschaft inwendig der ewigen Güter im Herzen, als des Heiligen Geistes, des Glaubens, der Furcht und Liebe Gottes“ (Apol. VII, 5). „Es weiß nun, Gottlob, ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei, nämlich die heiligen Gläubigen und Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören.“ (Schm. Art. III, XII, 2.) Die Kirche Christi ist also eine creatura verbi, eine Schöpfung durch den Heiligen Geist mittels des rettenden Wortes: Gottes Wort kann nicht ohne Gottes Volk (die an Christus Gläubigen, und damit die wahre Kirche) sein, wie auch umgekehrt nicht Gottes Volk ohne Gottes Wort (Luther; s.a. Jes. 55,10.11; Röm. 10,14-17; 1. Petr. 1,23; Jak. 1,18). „Das im Glauben ergriffene Evangelium erweist sich als rechtfertigend und kircheschaffend in einem.[18] Darum kann die Kirche auch nur wahre Kirche Gottes in Christus sein und bleiben, wenn sie von seinem Wort beherrscht wird und lebt, denn Gott allein will in seiner Kirche reden, wirken und regieren.[19] Es gibt also bei rechter Ordnung keine Eigengesetzlichkeit in der Kirche, schon gar keine hierarchisch-institutionalistische oder eine solche durch die religiöse Eigendynamik ihrer Glieder. Sie würde dadurch nur zu einer gesetzlichen Größe.[20]

    Die Kirche im eigentlichen Sinn, gewirkt durch das Evangelium Christi, ist also personale, durch das Evangelium getragene und zusammengehaltene Glaubensgemeinschaft, Gemeinde der wahrhaft Christusgläubigen, und nicht primär eine strukturelle, etwa gar hierarchische, Sakralinstitution, wie Rom es behauptet. Dienste und Ordnungen gehören wohl zur Kirche, aber sie sind nicht die Kirche.[21]

    Es ist aber diese Kirche nicht eine bloße Idee; kein Traum von einem platonischen Gemeinwesen, wie die Römischen höhnten, sondern sie ist eine reale Größe, eine wirkliche Gemeinde, ein Verband, dessen Glieder an den gleichen Gütern teilhaben. Luther und Melanchthon haben freilich das im Apostolischen Glaubensbekenntnis auf ecclesia (Kirche) folgende communio sanctorum als Erläuterung von ecclesia aufgefasst, das sanctorum nicht neutrisch, sondern maskulin verstanden, so dass communio sanctorum dasselbe ist wie congregatio sanctorum, Gemeinschaft der Heiligen (Apol. VII, 8). Aber sofort wird hinzugefügt: „was die Kirche heißt, nämlich den Haufen und die Versammlung, welche ein Evangelium bekennen, gleich eine Erkenntnis Christi haben, einen Geist haben, welcher ihre Herzen erneuert, heiligt und regiert“ (ebd.) Ebenso sagt Luther, communio sollte man nicht „Gemeinschaft“, sondern „Gemeinde“ übersetzen, da es eine Erklärung des Wortes „Kirche“ sei, so dass man es am klarsten mit „eine heilige Gemeinde“ wiedergeben könne. Unter „Gemeinde aber versteht er ein „Häuflein“, das gemeinsame „Güter“ hat, Ein Haupt Christus, „in Einem Glauben, Sinn und Verstand, mit mancherlei Gaben, doch einträchtig in der Liebe“ (Gr. Kat. II, III, 49 ff.)[22]. - Wie verhält sich denn diese wahre Kirche zu dem Reich Christi? Nach den Bekenntnisschriften ist die Kirche wahrhaft das Reich Christi“, dieses freilich nur als noch unter dem Kreuz verborgen, noch nicht offenbar. Als Herrlichkeitsreich Christi offenbar werden wird es erst dann, wenn er selbst offenbar werden wird (Apol. VII, 16 ff.). Als gleichbedeutend mit „Reich Christi“ nehmen die Bekenntnisschriften „Reich Gottes“; sie verstehen dieses demnach primär nicht als eine Gemeinschaft von Menschen untereinander, auch nicht als eine Herrschaft Gottes in sittlicher Beziehung, sondern als Befreitsein von der Tyrannei des Teufels und Besitz von Heil, Leben und Seligkeit (Gr. Kat. III, II, 51). Sie denken also bei „Reich Gottes“ und Christi nicht sowohl an das, was wir leisten, als vielmehr an das, was Gott uns gewährt.

    Wenngleich aber dieses Reich oder diese Kirche Christi verborgen ist, weil man weder ihr Haupt noch das ihren Gliedern Spezifische, den Glauben, sehen kann, so ist sie doch wahrnehmbar, nämlich in der Ausübung der ihr von Christus übertragenen Funktionen, also in der Ausübung der ihr anvertrauten Gnadenmittel als den Kennzeichen der Kirche (notae ecclesiae), nämlich Wort und Sakrament als den Mitteln, durch die Gottes Geist Menschen beruft, erleuchtet, zum rechtfertigenden Glauben bringt, sammelt und bei Christus erhält im rechten einigen Glauben (Apol. VII, 5.20), denn die Kirche ist ja die Versammlung, in welcher das Evangelium recht gelehrt und die Sakramente schriftgemäß verwaltet werden (Augsb. Bek. VII), denn sie haben Gottes Mandat und Verheißung, dass sie nicht leer zurückkommen (Jes. 55,10-11). Kennzeichen der wahren Kirche sind also nicht Einheit, Heiligkeit, Allgemeinheit, Amt, Kirchenzucht, Verfassung, auch nicht die persönliche Frömmigkeit ihrer Glieder. Es liegt keine Differenz darin, dass die Kirche ein Glaubensartikel ist, aber ihr Vorhandensein an den „Kennzeichen“ erkannt werden kann. Denn ihre Glieder können allerdings nicht bestimmt ausgemacht, erkannt werden, daher ist sie verborgen; erkannt werden kann sie nur in der äußeren Ausübung ihrer Funktion anhand der ihr anvertrauten Gnadenmittel. In der Apologie wird die Notwendigkeit, die Kirche zu glauben, in der Einen Beziehung erwähnt, dass ihre Heiligkeit nur durch den Glauben erkannt wird , und dass sie um dieser willen, „bis an das Ende der Welt auf Erden sein und bleiben werde“, trotzdem eine „unendliche Menge von Gottlosen in ihr selbst ist“ (Apol. VII, 9 f.), aber eben nur in der äußeren Gemeinschaft, nicht als Glieder der wahren Kirche, des Reiches Christi, sondern mit der Kirche nur so verbunden, wie der Dreck mit dem Wagenrad. Weil nämlich die geistliche Gemeinschaft der Kirche die äußerlichen Gnadenmittel verwaltet, an diesen aber auch solche teilnehmen können, die ihr innerlich nicht angehören, so können auch Ungläubige äußerlich zur Kirche gehören, selbst Ämter inne haben. „In diesem Leben sind ihr viel Heuchler und Böse beigemischt.“ (Augs. Bek. VIII.) Aber obwohl diese „in der Kirche erfunden werden“ (Apol. VII, 47), so sind sie doch nicht Kirche, sondern gehören zum Reich des Teufels (Apol. VII, 8.17).

    Wenn gesagt wird, dass es die Gemeinde der Heiligen ist, die die Gnadenmittel verwaltet, während es doch scheinbar durch die äußere Versammlung zum Wort und Sakrament geschieht, der auch Gottlose, Heuchler und Scheinchristen, angehören, so ist das kein Widerspruch, denn der Gemeinde der Heiligen sind die Gnadenmittel anvertraut, und diese kann sie nicht anders als durch die äußere Versammlung um Wort und Sakrament verwalten, die notwendig entsteht, wenn die Gemeinde der Heiligen die Gnadenmittel tatsächlich verwaltet. So ist die Gemeinde der Heiligen nur da zu glauben, wo die Gnadenmittel, Wort und Sakrament, verwaltet werden, als der wahre Kern der Versammlung, die allein um dieses Kerns willen überhaupt „Kirche“ heißt, sowie dazu noch die einzelnen Gläubigen, die fernab von äußeren Versammlungen um Wort und Sakrament leben. Denn nur den Gläubigen sind die Gnadenmittel anvertraut und der Befehl, sie zu verwalten, erteilt, wozu, zur ordentlichen öffentlichen Verwaltung von Gemeinschaftswegen Christus auch verordnet hat, dass sie Diener an Wort und Sakrament berufen sollen. Freilich können wir den Glauben nicht sehen. Daher können auch Ungläubige mit der Verwaltung der Gnadenmittel beauftragt werden.

    Es gibt also nicht zwei Kirchen, eine „unsichtbare“ und eine „sichtbare“, wie Zwingli und Calvin lehren, sondern es gibt nur die Eine heilige christliche Kirche, die Gemeinde der Heiligen, die aber wahrnehmbar wird an der Verwaltung der Gnadenmittel, was in der äußeren Versammlung geschieht, der auch Gottlose beigemischt sind, die aber nicht Glieder Christi, des Hauptes der Kirche, sind. „Darum, in welchen Christus durch seinen Geist nichts wirkt, die sind nicht Gliedmaße Christi.“ (Apol. VII, 6.)

    Es ist behauptet worden, der echt reformatorische Kirchenbegriff sei durch die Betonung des recht lehren, der Lehre des Evangeliums verändert worden. Es sei dadurch aus der Glaubensgemeinschaft eine Gemeinschaft der Lehre, eine Schule gemacht worden. Aber das Erkennungszeichen der wahren Kirche ist nun einmal die Verkündigung des Evangeliums. Wird nicht „richtig“ gelehrt, so ist es nicht das Evangelium, so geht diese Verkündigung weder aus von der Gemeinde der Heiligen, noch kann diese durch sie erhalten oder gemehrt werden. Es ist demnach nicht eine neue und andere Definition der Kirche, wenn man sie (mit einem in den Bekenntnissen nicht vorkommenden Ausdruck) als „Gemeinschaft der reinen Lehre“ bestimmt, sondern dies ist nur ein anderer Ausdruck dafür, dass ihr das heilige Evangelium anvertraut und die Ausführung des darin liegenden Auftrags ihr „Kennzeichen“ ist. Ebenso wenig hat der Betriff der wahren Kirche dadurch „eine Wandlung erfahren“, dass die Evangelischen gegen den römischen Vorwurf, sie seien eine neue, oder vielmehr gar keine Kirche, behaupten, sie seien „die rechte alte Kirche“ Damit ist nicht aus dem „rein religiösen Begriff“ der Kirche, die geglaubt wird, „ein empirischer Begriff“, „die Kirche der reinen Lehre“ geworden. Denn anerkanntermaßen werden auch noch weiter „die Gläubigen als die vera ecclesia [wahre Kirche] bezeichnet“. Wenn also für die Evangelischen der Name „rechte Kirche“ in Anspruch genommen wird, weil bei ihnen die Kennzeichen der rechten Kirche zu beobachten seien, so ist eben nur der von Anfang an behauptete Satz, die Gemeinschaft der Gläubigen werde erkannt an der rechten Verwaltung der Gnadenmittel, auf einen empirischen Kreis von Christen angewandt.

 

b. Die Eigenschaften der Kirche

 

ba. Una catholica (Eine allgemeine)

    Umfasst die wahre Kirche alle Gläubigen, so gibt es auch an allen Orten und zu allen Zeiten nur Eine Kirche: „Ich glaube, dass da sei ein heiliges Häuflein und Gemeinde auf Erden eiteler Heiliger, unter Einem Haupt Christus, durch den Heiligen Geist zusammengebracht.“ (Gr. Kat. II, III, 51.) Daher behält Luther die schon vor ihm gebräuchliche Wiedergabe des ecclesia catholica durch „christliche Kirche“ bei und rechtfertigt sie mit der Erläuterung: „wo Christen sind in der Welt“ (Erl. Ausg. 23,281; vgl. Weim. 30,1, S. 130 Anm.). Da nun die ordnungsgemäße Verwaltung der Gnadenmittel das einzige Erkennungszeichen dieser Einen Kirche ist, so ist, um zu dieser Einen Kirche zu gehören, nichts weiter erforderlich der rechtfertigende Glaube an Christus als dem Retter für Sünder; in der äußeren Versammlung aber nichts als die Übereinstimmung in der Lehre und Sakramentsverwaltung. Zur Einheit der Kirche ist also nicht erforderlich, dass auch hinsichtlich der durch Menschen geschaffenen Einrichtungen, Riten und Zeremonien Gleichheit herrsche, wie Rom fordert (Augsb. Bek. VII). Damit will Melanchthon den Vorwurf der Römischen, als gehörten die Evangelischen nicht zu der Einen wahren Kirche, entkräften. Gibt es aber nur Eine Kirche, der die Gnadenmittel anvertraut sind, so ist auch das Heil nur bei ihr zu finden (Apol. IX, 52; Gr. Kat. II, III, 45.55 f.66). Darum ist die Kirche nicht nur Glaubensgemeinschaft, sondern auch Heilsanstalt, im Blick auf die Eine verborgene Kirche insofern, als es außerhalb von ihr kein Heil gibt, im Blick auf die Kirche in ihrer äußeren Versammlung um Wort und Sakrament in der Hinsicht, als nur durch die Gnadenmittel der rechtfertigende Glaube gewirkt wird. Diese These ist gegen die Schwärmer gerichtet, wie die vorige gegen Rom.

    Die lutherischen Bekenntnisschriften gehen auch ausführlich darauf ein, was zur rechten Einheit der Kirche in ihrer äußeren Versammlung nötig ist[23]. Bereits in der Vorrede zum Konkordienbuch wird darauf verwiesen, dass das Augsburger Bekenntnis „Auf das Zeugnis der unwandelbaren Wahrheit göttlichen Worts“ gegründet ist und aufgestellt wurde mit dem Ziel, „damit künftig auch unsere Nachkommen vor unreiner, falscher und dem Wort Gottes widerwärtiger Lehre, soviel an uns, zu warnen und zu bewahren.“ (Müller, S. 6.) Damit wird deutlich, dass es lutherischer Kirche darum geht, Kirche des reinen, unverfälschten Wortes zu sein.

    Genau das drückt auch das Augsburger Bekenntnis aus, wenn es die wahre Einigkeit definiert: „Denn dieses ist genug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen, dass da einträchtig, nach reinem Verstand, das Evangelium gelehrt und die Sakramente dem göttlichen Wort gemäß gereicht werden.“ (VII,2.) Anders als eben einig in der Lehre lässt sich also Kirche gar nicht definieren. Darum heißt es in der Apologie: „Und dieselbe Kirche hat doch auch äußerliche Zeichen, dabei man sie kennt, nämlich wo Gottes Wort rein geht, wo die Sakramente demselben gemäß gereicht werden, da ist gewiss die Kirche, da sind Christen und dieselbe Kirche wird genannt der Leib Christi.“ (VII,5.)

    Falsche Lehre kann daher nicht geduldet, sondern muss bekämpft und überwunden werden. Auch das wird bereits in der Vorrede dargelegt: „denn so die eingefallenen Spaltungen von allen streitigen Artikeln gründlich und eigentlich aus Gottes Wort erklärt, entschieden und falsche Lehre ausgesetzt und verworfen, die göttliche Wahrheit aber lauter bekannt, dadurch den Widersachern mit beständigem Grund der Mund gestopft und den einfältigen frommen Herzen richtige Erklärung und Anleitung vorgestellt würde, wie sie sich in solchem Zwiespalt schicken und künftig durch Gottes Gnade vor falscher Lehre bewahrt werden möchten.“ (Müller, S. 8.) Wahrheit und Irrlehre können also nicht in einer Kirche zusammen Heimatrecht haben. Trennung ist gottgewollt und nötig, denn es darf allein „nach dem reinen, unfehlbaren und unwandelbaren Wort Gottes“ gehen, auf dessen Grundlage man „einig“ ist. (ebd. S. 12.) Darum ist es auch notwendig, dass die falsche Lehre benamt und ausdrücklich verworfen wird, damit man sich umso klarer vor ihr hüten und getrennt halten kann. (vgl. ebd. S. 16.19.) Denn, wie gesagt, allein die wahre, biblische Lehre darf in der Kirche geduldet werden, wie das in der Vorrede auch ausdrücklich heißt: „Und dieweil unser Gemüt und Meinung, wie oben gemeldet, allezeit dahin gerichtet gewesen, dass in unseren Landen, Gebieten, Schulen und Kirchen keine andere Lehre als allein die, so in der heiligen göttlichen Schrift gegründet und der Augsburgischen Konfession und Apologie geführt und getrieben, und dabei nichts, so derselben entgegen einreißen möchte, gestattet würde, dahin dann diese jetzige Vergleichung auch gestellt, gemeint und ins Werk gerichtet.“ (ebd. S. 18.) Das umso mehr, als ja allein durch die reine Lehre Gottes Name geheiligt wird: „Geheiligt werde dein Name. … Wie geschieht das? Antwort: Wo das Wort Gottes lauter und rein gelehrt wird, und wir auch heilig als die Kinder Gottes danach leben. Das hilf uns, lieber Vater im Himmel. Wer aber anders lehrt und lebt als das Wort Gottes lehrt, der entheiligt unter uns den Namen Gottes. Da behüte uns vor, himmlischer Vater.“ (Kl. Kat., III, 3-5.) Denn unter Gottes Namen, also in Gottes Kirche, falsch zu lehren, dies zu dulden, brächte dem Namen Gottes größte Schande und Unehre. (vgl. Gr. Kat., III, 41.)

    Darum wird auch im Tractatus klar zur Trennung von falscher Lehre aufgerufen: „Weil nun dem so ist, sollen alle Christen auf das Fleißigste sich hüten, dass sie solcher gottlosen Lehre, Gotteslästerung und unbilliger Wüterei sich nicht teilhaftig machen, sondern sollen vom Papst und seinen Gliedern oder Anhang als von des Antichrists Reich weichen und es verfluchen, wie Christus befohlen hat: Hütet euch vor den falschen Propheten. Und Paulus gebietet, dass man falsche Prediger meiden und als einen Greuel verfluchen soll. Und 2. Kor. 6 spricht er: ‚Zieht nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen; denn was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis?‘“ Schwer ist es, dass man von so viel Landen und Leuten sich trennen und eine gesonderte Lehre führen will. Aber hier steht Gottes Befehl, dass jedermann sich soll hüten und nicht mit denen einhellig sein, so unrechte Lehre führen oder mit Wüterei zu erhalten gedenken.“ (41-42.)

    Das hat auch Luther selbst immer wieder deutlich gesagt: „Wer seine Lehre, Glauben und Bekenntnis für wahr, recht und gewiss hält, der kann mit andern, so falsche Lehre führen oder derselben zugetan sind, nicht in einem Stall stehen noch immerdar gute Worte dem Teufel und seinen Schuppen geben. Ein Lehrer, der zu den Irrtümern still schweigt und will gleichwohl ein rechter Lehrer sein, der ist ärger als ein öffentlicher Schwärmer und tut mit seiner Heuchelei größern Schaden als ein Ketzer, und ist ihm nicht zu trauen …“ (Gespräch mit D. Georg Major, Walch XVIII, 1477.) „Die Lehre ist nicht unser, sondern Gottes ist sie, der uns allein zu Knechten und Dienern darüber berufen hat: Darum sollen und können wir den allergeringsten Titel oder Buchstaben davon nicht begeben oder nachlassen. … Darum ist dieser Spruch [Gal. 5,9] fleißig zu merken wider ihr Argument, damit sie uns mit Unwahrheit auflegen, als zerrissen wir die Liebe und Einigkeit in der Christenheit zu großem Schaden und Nachteil der heiligen Kirche. Wir sind wahrlich bereit und willig, Friede und Liebe ihnen zu erzeigen; doch sofern sie uns die Lehre des Glaubens unverletzt und ungefälscht lassen. Wo wir solches bei ihnen nicht erhalten können, ist es vergebens, dass sie die christliche Liebe so hoch rühmen. Verflucht sei die Liebe in den Abgrund der Hölle, so erhalten wird mit Schaden und Nachteil der Lehre vom Glauben, der billig alles zumal weichen soll, es sei Liebe, Apostel, Engel vom Himmel und was es sein mag. … Darum habe des keinen Zweifel, wenn du Gott in einem Artikel verleugnest, so hast du ihn gewiss in allen verleugnet. Denn er lässt sich nicht stückweise zerteilen in viele Artikel, sondern ist ganz und gar in einem jeden, und in allen zumal Ein Gott. … Aber mit der Lehre ist es viel ein ander Ding; denn sie ist heilig, rein, lauter, himmlisch, göttlich. Wer die ändern oder fälschen will, gegen den ist weder Liebe noch Barmherzigkeit zu beweisen, darum bedarf sie auch keiner Vergebung der Sünden. Darum taugt es gar nicht, dass man Lehre und Leben miteinander vergleichen will: Denn an einem Buchstaben, ja, an einem einigen Titel der Schrift ist mehr und größer gelegen als an Himmel und Erden. Darum können wir es nicht leiden, dass man sie auch in dem Allergeringsten verrückten wollte. … Darum dürfen wir den Sauerteig der falschen Lehre nicht so gering achten: Denn er sei so wenig, wie er immer sein mag, macht er gleichwohl, wenn man nicht Acht darauf hat, dass die Wahrheit und Seligkeit dadurch niederliegt und zu Bogen geht und Gott dadurch verleugnet wird. Denn wenn das Wort gefälscht und Gott (wie von Not wegen folgen muss) verleugnet und verlästert wird, ist keine Seligkeit mehr zu hoffen.“ (Auslegung des Briefs an die Galater 1535. Kap. 5,9-12, Walch VIII, 2652 ff.)

    Wie aber sehen die Bekenntnisschriften das Verhältnis der lutherischen Kirche zu der einen allgemeinen? Niemals erklären sie ihre Kirche für die einzig wahre Kirche. Der Singular „die Kirche“ meint immer nur die „über den Erdboden zerstreute“ Gemeinde der Heiligen. Ebenso auch die KF. Sie unterscheidet „die Kirche“ (Ausf. Darl., IV, 40) oder „die rechte Kirche Gottes“ (Ausf. Darl. XI, 50) und „die Kirchen, so der wahrhaftigen Religion sind (Ausf. Darl., Summ. 1) oder 2die reformierten Kirchen“ (Ausf. Darl., Summ. 5; „reformiert“ meint hier nicht die später so genannte Kirche Zwinglis und Calvins, sondern die durch das Wort reformierte Kirche im Unterschied zu der nicht reformierten Kirche Roms) oder „die reinen evangelischen Kirchen“ (Ausf. Darl., Vorr. 7). Es wird also für die lutherische Kirche nicht der Anspruch erhoben, dass sie die wahre Kirche Gottes im eigentlichen Sinn sei, sondern nur, dass sie das Kennzeichen der wahren äußeren Versammlung der Kirche habe, nämlich die schriftgemäße Verwaltung der Gnadenmittel, somit in ihr das ewige Heil am leichtesten zu finden ist.

bb. Die heilige Kirche

    Heilig ist die Kirche durch „das Wort Gottes und den rechten Glauben“ (Schm. Art. III, XII, 3), d.h. durch das Wort Gottes, das sie besitzt, wirkt der Heilige Geist in den Herzen den Glauben, der uns zu Christus führt und so zu Heiligen macht und bei ihm erhält (Gr. Kat. II, III, 37.39). Dieser Heiligkeit der Kirche wird auch dadurch kein Abbruch getan, dass ihr Gottlose und Heuchler beigemischt sind. Denn diese „sind ja nicht Kirche“, „haben nur an den äußeren Kennzeichen der Kirche Teil“ (Apol. VII, 28 f.). Alle Ungläubigen können nicht aus der Kirche entfernt werden, weil es uns unmöglich ist, das Unkraut vom Weizen zu unterscheiden (es sei denn, es wird durch offenbare Sünde, Irrlehre, Hängen an Irrlehrern offenbar). Wir würden, so erklärt Luther, mit solchem Versuch „nichts ausrichten, als dass wir auch diejenigen, so noch zu bekehren sind und [in Gottes Augen schon] zum Weizen gehören, mit ausrotten“ (Erl. Ausg. 20/II, 555 f.). In dieser Hoffnung, noch solche Gottlose zu bekehren, sollen wir sie weiter an den Gnadenmitteln teilhaben lassen. Dann ist freilich möglich, dass auch einem Ungläubigen die Verwaltung der Heiligtümer der Kirche übertragen wird. Aber die Behauptung der Schwärmer, „der Diener der Kirche könne nicht andere Leute nützlich lehren oder rechte, wahrhaftige Sakramente austeilen, welcher nicht auf für seine Person wahrhaft erneuert, wiedergeboren und fromm sei“, ist zu verwerfen (KF, Kurze Darl., XII, 27). Denn die Wirkkraft der Gnadenmittel hängt nicht von der Person des Dieners ab, sondern von #Christus, der dadurch heiligt (Augsb. Bek. VIII; Apol. VII, 19.28). Selbstverständlich soll nicht damit gesagt sein, dass es einerlei ist, ob der Diener der Kirche gläubig oder ungläubig ist. Vielmehr kann ein ungläubiger Prediger der Wirkung des Wortes Gottes Abbruch tun. Aber er kann sie nicht unmöglich machen, wie der Gläubige sie nicht schaffen kann. Noch weniger soll damit gesagt sein, dass wir nicht danach zu fragen haben, ob der Prediger ein falscher Prophet ist. Im Gegenteil, „Paulus gebietet, die falschen Prediger (impios doctores) zu meiden und als einen Greuel zu verfluchen“ (Tract. 41). – Wenngleich die Unmöglichkeit, das Vorhandensein des Glaubens sicher zu konstatieren, zur Folge hat, dass auch Ungläubige äußerlich zur Kirche gehören, so ist doch unter diesen der große Unterschied, dass manche durch ein völlig unheiliges Leben sich als Gottlose offenbaren. Wieweit ist hiergegen durch Kirchenzucht vorzugehen? Während nach reformierter Anschauung Gottes Ehre eine äußerliche Legalität von zu erzwingen fordert, liegt der lutherischen Kirche nach ihrem Gottesbegriff alles an dem Heil der Seelen. Sie arbeitet daher intensiv nach Matthäus 18 in den drei Stufen mit dem Ziel, das Innere des Menschen umzuwandeln. Selbst dann, wenn es zum Bann (Ausschluss aus der Gemeinde Christi) kommt, soll dies letztlich diesem Ziel dienen. Daher verschmäht die lutherische Kirche alle Zwangsmittel, lehnt auch den unter dem Papsttum üblichen „groß0en Bann“ ab, der auch mehr oder weniger von der bürgerlichen Gesellschaft ausschloss, als „eine lauter weltliche Strafe“ bestimmt ab (Schm. Art. III, IX). Ihr einziges Zuchtmittel ist die Androhung und nötigenfalls Verhängung des „kleinen Banns“, „dass man offenbare, halsstarrige Sünder nicht soll lassen zum Sakrament oder anderer Gemeinschaft der Kirche kommen“. Damit darf aber keinerlei weltliche Strafe verbunden werden. Und die Tendenz dabei soll einzig die sein, „dass sie sich bessern und die Sünde meiden“ (ebd.). Etwa solche Bußübungen, wie sie in der alten Kirche vor der Wiederaufnahme auferlegt wurden, hatten wohl den Zweck, die Aufrichtigkeit der Buße zu prüfen und auch andere den Ernst der Sünde fühlen zu lassen; aber sie sollten nicht erneuert werden, weil „sie nicht notwendig sind für Vergebung der Sünden vor Gott“ (Apol. (VI), 16). Zu dieser den Sündern zu verhelfen, ist das Ziel der Kirchenzucht. Daher ist deren Anwendung die Sache der ganzen Gemeinde, der „frommen Pfarrherren“ wie auch der Gemeindeglieder, da der ganzen Gemeinde, jedem Christen, die Gnadenmittel- oder Schlüsselvollmacht von Christus verliehen ist, nicht nur einer einzelnen Person oder einem bestimmten Stand in der Kirche (Matth. 18,15-18; Joh. 20,21-23; Tract. 74.76).

 

c. Die äußere Versammlung um Wort und Sakrament und das Kirchenregiment

 

ca. Die örtliche Versammlung und Kirchenkörper

    Durch die Verkündigung von Gesetz und Evangelium wirkt der Heilige Geist in den Sündern mittels des Gesetzes ein Erwachen aus dem Sündenschlaf, Sünden- und dann auch Verdorbenheits- und Verlorenheitserkenntnis und so ein Verlangen nach einem Retter aus Fluch und Verdammnis; durch das Evangelium eine lebendige Christuserkenntnis als dem Retter, der um des Sünders willen in diese Welt gekommen ist, der stellvertretend für uns Sünder das Gesetz Gottes erfüllt und dann als das Lamm Gottes die Sünden der ganzen Welt, aller Menschen aller Zeit auf sich genommen und an seinem Leib auf das Holz getragen und mit seinen Höllenqualen und seinem blutigen Leiden und Sterben am Kreuz die Strafe getragen und Gott und seinem Gesetz genug getan hat für die Sünden aller Menschen aller Zeiten und so grundsätzlich Gott mit jedem Menschen versöhnt, grundsätzlich für jeden Menschen Vergebung der Sünden, damit Frieden mit Gott, Freispruch im Jüngsten Gericht und ewiges Leben erworben hat. Wer das im Glauben, den der Heilige Geist durch das Evangelium wirkt, empfängt, ergreift, dem wird ja Christi für uns erworbene Gerechtigkeit zugerechnet, der ist vor Gott gerechtfertigt (persönliche Rechtfertigung) (Röm. 4,4 ff.; 2. Kor. 5,17 ff.). Es ist Gottes Wille und Ordnung, dass diejenigen, die so durch das Evangelium gerechtfertigt, wiedergeboren, bekehrt wurden und eins sind im Glauben und der Lehre sich zur gemeinsamen Verwaltung der Gnadenmittel verbindlich zusammentun (Hebr. 10,25), das heißt, Gott tut sie zu seiner Gemeinde hinzu (Apg. 2,47), und zwar nicht nur zur Gemeinde der Heiligen, sondern auch zur Versammlung um Wort und Sakrament. Gemäß dem Neuen Testament ist das normalerweise die Ortsgemeinde als die direkte, unmittelbare Christenversammlung um Wort und Sakrament als der grundlegenden, für den Bau des Reiches Gottes unverzichtbaren Versammlung zur Verwaltung der Gnadenmittel.

    Im Unterschied zum Alten Testament hat Gott der Herr im Neuen Testament keine Vorgaben gemacht im Blick auf die äußere Ordnung oder Verfassung seiner Kirche, ausgenommen einige Eckpunkte, nämlich dass sie Diener an Wort und Sakrament berufen soll, dass die Frau schweige in der Gemeinde, also auf der Gemeindeversammlung kein Rede- und Stimmrecht hat, nicht lehren darf, wo auch Männer zugegen sind, keine Macht über Männer ausüben darf, dass die Gemeinde Zucht übe, wo jemand in der Sünde beharrt und dass die Gemeinde eins, einmütig sein muss in Glauben, Lehre und Bekenntnis. Darum kennt die lutherische Kirche im Unterschied zu Rom und den Reformierten keine vorgegebene göttliche Gemeinde- oder Ämterordnung, Hierarchie, keine „neutestamentliche Gemeindeverfassung“ und auch keine für alle verbindliche Ordnung für Ortsgemeinden und größere Kirchenkörper (wobei die Heilige Schrift nur den Begriff der ekkleesia kennt, ob es sich nun um die Universalkirche handelt oder die Christenschar an einem bestimmten Ort oder einer Region oder um die örtliche Christenversammlung. Damit ist angezeigt, dass das Wesen all dieser Versammlungen grundsätzlich gleich ist, es sich stets immer um die Eine Kirche Christi in der Ausübung der ihr gegebenen Funktionen in dem jeweiligen Bereich handelt.). Gott will, dass die Christen die Gnadenmittel nach innen (Gemeinde, Kirche) und außen (Evangelisation, Mission) verwalten – welche Versammlungen dabei gebildet werden, welche Strukturen sich ergeben (Kirchentümer), das liegt und christlicher Freiheit und kommt aus menschlicher Übereinkunft. Alle Ordnungen, alle Strukturen aber müssen dem Einen dienen, dass Gottes Wort frei und ungehindert, klar und unverkürzt in Gesetz und Evangelium verkündigt wird und dadurch Menschen zu Christi Gemeinde gesammelt und darinnen gestärkt und erhalten werden zum ewigen Leben, müssen also dem heilschaffenden Handeln Gottes freie Bahn geben (Augsb. Bek. V; VII; VIII; Kinder, a.a.O., S. 68). Die lautere Verkündigung des Evangeliums und die stiftungsgemäße Sakramentsverwaltung müssen also bestimmenden Einfluss haben, weil durch sie allein Gemeinde gesammelt und gebaut wird.[24] Die Legitimität der Kirche und ihres Handelns hängt nicht von irgendeinem Leitungsamt oder irgendwelchen Gremien ab, sondern allein vom wirkkräftigen Wort Gottes, dem gegenüber alle Dienste und Ordnungen nur dienende Funktion haben. „Alle Gestalt und Ordnung der Kirche muss so strukturiert werden, dass sie grundsätzlich für die Eigenmächtigkeit des Evangeliums offen bleibt.“[25] Damit ist das Evangelium auch oberster Maßstab über die Gestaltwerdung der Kirche in der Geschichte, samt ihrem tatsächlichen Bekenntnisstand.[26] Das ist ganz wichtig für die Frage, ob es irgendeine bestimmte äußere Gestalt, Form von Kirche und Amt gibt, die von Gott vorgegeben wäre. Dass es Amt und Ordnung in der Kirche gibt, das ist göttliches Recht, nicht jedoch ein bestimmtes, historisch gewordenes Wie derselben. Dafür gibt es kein göttliches Mandat.[27]

 

cb. Die kirchliche Ordnung

    Die lutherischen Bekenntnisse betonen einerseits die Schlüsselgewalt und -vollmacht der Ortsgemeinde (Tract. 67 ff.), gehen andererseits, aufgrund des historischen Umfelds, von einer episkopalen Gesamtordnung aus (Augs. Bek. XXVIII), ohne dass diese als göttliche Ordnung vorgeschrieben wird. Und da, wo es vorhanden ist, ist es kein Herrschaftsamt, sondern ein Amt des Aufsehens, das mit seinem Sorgen und Aufsehen den anderen dienen soll (Erl. Augs. 8,27 f.). Jegliche Ordnung, die der Schrift, vor allem dem Evangelium, gemäß und geistlich gesund und auferbauend sein will, wird das Priestertum aller Gläubigen und die Ausübung dieses Priestertums in den Ortsgemeinden und darüber hinaus berücksichtigen (Gemeindeversammlung, Älteste, Überwachung der Lehre, Synodalräte usw.), zusehen, dass alles anständig und ordentlich abläuft (1. Kor. 14,40) und hat als Norm allein die Heilige Schrift und ihr nachgeordnet die durch sie normierten Bekenntnisse. (Der landeskirchliche bis staatskirchliche Bau, wie er sich seit den 1530er Jahren ausbildete, war eigentlich ursprünglich als eine Notordnung, eine Übergangsordnung gedacht, bis die Kirche wieder genügend aufsehende, visitierende Kräfte hatte, um unabhängig vom Staat ihr Regiment auszuüben. Die evangelischen Fürsten sollten ja eigentlich nur als die vornehmsten Glieder ihrer Kirche, 'die an Autorität und Macht über andere hinausragten, „der Kirche helfen und dafür sorgen müssten, dass [etwa durch ein wahrhaft freies Konzil] die Irrtümer abgetan und den Gewissen geholfen“ und „der grausamen Ermordung der Heiligen“ gewehrt werde (Tract. 54).‘[28] Denn es gehörte nicht zu den eigentlichen obrigkeitlichen Pflichten (Erl.Ausg. 23,6). Leider ist es durch das Beharrungsvermögen staatlicher Strukturen dazu gekommen, dass die Konsistorien nicht „zerrissen“ wurden, wie Luther es wollte, sondern faktisch bis 1918 existierten, auf lange Sicht zum unermesslichen Schaden der Kirche und des Volkes.)

    Da es keine von Gott vorgegebenen Ordnungen, Verfassungen gibt, so sind auch alle die, die um der Verkündigung des Evangeliums und des Baus der Gemeinde und Kirche nötig sind, nicht gewissensverbindlich und daher nur aus brüderlicher Liebe zu befolgen (Augsb. Bek. XV, 2; Apol. XXVIII, 15). Etwaige Verschiedenheiten heben dabei die Einheit der wahren Kirche nicht auf (Aus. Bek. VII, 3; Apol. VII, 32 f.). Die lutherische Kirche hat dabei immer dazu geneigt, bestehende Ordnungen, wenn sie nicht dem Wort Gottes widersprechen, zu belassen (Augs. Bek. XV, 1), da jede unnötige Neuerung nur Verwirrung stiftet. Während die reformierte Kirche alles, auch das Harmloseste, was nicht in dem „Gesetzbuch der Bibel“ vorgeschrieben ist, rücksichtslos abtut, erkennt die lutherische Kirche, dass auch das, was die Bibel an derartigen Gebräuchen erwähnt (aber nicht für verbindlich für alle Zeiten erklärt), nicht als ewig gültiges Gesetz gelten soll, dass vielmehr die jeweiligen Verhältnisse dafür bestimmend sind, was am besten der Ordnung dient. „Die Ordnungen“, schreibt Luther, „sollen zur Förderung des Glaubens und der Liebe dienen. Wenn sie das nicht mehr tun, so sind sie schon tot und ab und gelten nichts mehr“, weil sie „nicht mehr eine Ordnung, sondern eine Unordnung“ sind (Erl. Augs. 22,244). Es ist Sünde, einer Gemeinde Ordnungen, Zeremonien „als zum Heil notwendig“ aufzudrängen; durch Verschiedenheit der Ordnungen wird „die Einigkeit des Glaubens“ nicht aufgehoben (KF, Ausf. Darl. X, 27.31).

    Aber obwohl die von Menschen geschaffenen kirchlichen Gebräuche als von Gott weder geboten noch verboten Mitteldinge (Adiaphora) sind, ist auch der Fall möglich, dass eine Beteiligung daran eine Verleugnung der göttlichen Wahrheit in sich schließt, etwa dann, wenn sie für göttlich geboten und daher für notwendig erklärt werden, wie z.B. Luther die Elevation (Hochheben) der Abendmahlselemente, obwohl er schon „geneigt war, sie fallen zu lassen“, doch zunächst beibehielt, weil Karlstadt sie als „schreckliche Sünde“ verboten hatte (Erl. Ausg., 32 420 ff.); ebenso dann, wenn die Zeremonien mit der Absicht, die Lehre der Kirche zu erschüttern, eingeführt werden; wie es der Fall war, als 1548 der Kaiser das böse Augsburger Interim und Kurfürst Moritz von Sachsen in etwas abgemilderter Gestalt als „Leipziger Interim“ seinen Untertanen vorgeschrieben hatte und die Wittenberger Fakultät unter der Führung Melanchthons dem zustimmte,. Weil sonst die Kirche völlig zerstört werden würde (oder 1878, als die Hannoversche Landeskirche in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem Staat die Eheagende änderte oder wenn die Kirche ihre Ordnungen ändert, um sich dem Zeitgeist, dem Druck von Ideologien, dem Staat zu beugen). Deswegen von Flacius, Amsdorf und anderen Lutheranern scharf angegriffen, hatten die Philippisten die katholischen Gebräuche, an deren Wiedereinführung man Anstoß nahm, für Mitteldinge ausgegeben. Daher erklärt die KF in ihrem 10. Artikel „von Kirchenbräuchen, so man Adiaphora oder Mitteldinge nennt“, jetzt, wo die römischen Gegner durch Wiedereinführung der katholischen Gebräuche den Unterschied zwischen evangelisch und katholisch verwischen und damit die reine Lehre hinterlistigerweie unterdrücken wollten, würde ein Nachgeben der Evangelischen die Gegner in ihren Irrtümern bestärken und den Gläubigen Anstoß geben. In einer solchen Situation sind die Mitteldinge nicht mehr Mitteldinge (KF, Ausf. Darl., X, 3.5.10.16), sondern das Verhalten ihnen gegenüber ist wichtig für den Bekenntnisstand der Kirche, stütze oder erschüttere die Lehre der Kirche, auf deren Reinheit alles ankomme. Jetzt also gelte es, die Wahrheit zu bekennen.

    Die lutherische Kirche hat das überlieferte Kirchenjahr im Wesentlichen beibehalten, strich allerdings die massenhaften Heiligenfeste fast völlig, wie schon die Schmalkaldischen Artikel sagen: „Wo der Nutzen und Hilfe, beide leiblich und geistlich, nicht mehr zu hoffen ist, werden sie die Heiligen wohl bald mit Frieden lassen.2 (II, II, 28.) So hat das Kirchenjahr wieder Christus zum Herrn erhalten. Auch ergab sich eine neue Wertung des Sonntags. Die reformierte Auffassung, nach der mehr und mehr der Sonntag als Fortsetzung des alttestamentlichen Sabbaths angesehen wurde, war für Luther unmöglich, da nach Paulus die alttestamentlichen Feiern abgetan sind (Augs. Bek. XXVIII, 57 ff.). „Wir“, sagt er, „halten Feiertage erstlich auch um leiblicher Ursache und Notdurft willen“, damit die in der ganzen Woche Arbeitenden „sich auch einen Tag einziehen, zu ruhen und erquicken“; „darnach allermeist darum, dass man an solchem Ruhetag … zu Haufe komme, Gottes Wort zu hören und zu handeln, danach Gott zu loben, singen und beten“ (Gr. Kat. I, III, 83 f.). Obwohl die Wahl des Tages dafür an sich freisteht (Erl. Ausg. 20, II, 222), so soll man doch, „weil von alters her der Sonntag dazu bestellt ist, es auch dabei bleiben lassen, auf dass es in einträchtiger Ordnung gehe und niemand durch unnötige Neuerung eine Unordnung mache“ (Gr. Kat. II, III, 85). Dies ist „der christliche Verstand“ des dritten Gebots, wodurch das „Heiligen“ die Hauptsache wird, sodass also nicht völlige Enthaltung von jeder Arbeit gefordert ist. – Hinsichtlich des Kultus trat manche Vereinfachung ein. Weil die Verehrung der Heiligen aufhörte, wurden auch bald deren Altäre nicht mehr geschmückt (Apol. XIV, 44.51) und endlich nicht vor dem Verfall geschützt. Da die Auffassung der Messe als Darbringung eines Sühnopfers als falsch erkannt war, mussten die vielen Privatmessen fallen (Apol. XIV, 6 ff.). Ebenso mussten aus der übernommenen Liturgie die davon handelnden Stellen weggelassen werden. Die lateinische Sprache behielt man anfangs für die Kollekten und die biblischen Verlesungen noch bei, auch um derer willen, die Lateinisch lernten und verstanden (Apol. XIV, 3; Erl. Ausg., 22,229 f.). Doch suchte man durch Einfügung deutscher Gesänge eine stärkere Beteiligung der Gemeinde zu erreichen (Augsb. Bek. XIV,2). Diese Anfänge mussten zu rein deutschen Gottesdiensten führen, zumal da nun die alte Vorstellung, die bloß0e Anwesenheit bei der Messe, auch wenn man von dieser nichts verstehe, sei Gott wohlgefällig und ein verdienstliches Werk, nicht mehr galt (Apol. XIV, 2). Damit änderte sich der gesamte Charakter des Gottesdienstes. Er war nicht mehr eine Gott erzeigte, auf Lohn rechnende Verehrung, sondern das Mittel, um von Gott geistliche Gaben zu empfangen. Und da hierfür an erster Stelle Gottes Wort da war, so verlegte sich der Schwerpunkt des Gottesdienstes von dem guten Werk der Darbringung des Opfers auf die Verkündigung des Evangeliums, auf die Predigt. Die Folgen aber der lutherischen Anschauung über die Bedeutung der kirchlichen Ordnungen konnten nicht gering sein. Die lutherische Kirche musste alle die unwahren Behauptungen verwerfen, mit denen Rom den „Gehorsam der Kirche“, die Befolgung der kirchlichen Ordnung, die stete Teilnahme a der Messe, Beichte, Kommunion und dergleichen erzielt. Sie verschmäht ebenso den Zwang, den die reformierte Kirche durch ihre Kirchenzucht ausübt. So wird es ihr unmöglich, eine auch von den Widerwilligen geleistete Kirchlichkeit zu erwirken.

 

d. Das kirchliche Amt oder der Gnadenmitteldienst[29]

 

da. Von den Gnadenmitteln

    Im fünften Artikel des Augsburgischen Bekenntnis wird gelehrt, dass Gott das Predigtamt eingesetzt hat, nämlich das Evangelium und die Sakramente gegeben als die Mittel, durch die der Heilige Geist den rechtfertigenden Glauben in einem Menschen wirkt, und zwar wo und wann er will.

    Das heißt also: Es ist der Heilige Geist, der den Glauben wirkt und weckt, nicht ein Mensch. Und die Mittel, die er dazu verwendet, sind die Gnadenmittel, nämlich das Evangelium in Wort, Taufe und Abendmahl. Dabei aber liegt es in seiner Souveränität, wann er damit bei dem einzelnen Menschen zum Ziel kommt. Das heißt aber auch: Einen anderen Weg, den rechtfertigenden Glauben, von dem in Artikel IV die Rede ist, zu erlangen, hat Gott nicht gegeben, geordnet, als eben den durch die Gnadenmittel, einen anderen Weg auch nicht, dass wir den Heiligen Geist erlangen.

    „Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakrament gegeben, dadurch er, als durch Mittel, den Heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wann er will, in denen, so das Evangelium hören, wirket, welches da lehrt, dass wir durch Christi Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, so wir solches glauben.“ (Augsb. Bek. V, 1-3)

    Die Frage ist: Was ist hier mit „Predigtamt“ gemeint? Nun, der Artikel drückt es selbst aus, worum es geht, nämlich um die Gnadenmittel, durch die der Heilige Geist gegeben wird und den Glauben wirkt. Das drückt ja der Artikel aus. Das heißt, es geht hier nicht, wie etliche romanisierende Kräfte behaupten, um das heilige Predigtamt in concreto, sondern um das Predigtamt in abstracto oder das Amt der Schlüssel, das allen Gläubigen, allen, die den Heiligen Geist haben, gegeben ist (allgemeines Priestertum aller Gläubigen). Denn einen „geistlichen Stand“ im Unterschied von einem weltlichen Stand gibt es nicht, weil „alle Christen wahrhaft geistlichen Standes“ sind; ebenso wenig einen Priesterstand, der für die Sünden Opfer zu bringen habe. Denn soweit nach dem einmal von Christus dargebrachten Opfer noch von Priestertum zu reden ist (Apol. XIII, 7 ff.), „sind wir alle gleich Priester“ (Erl. Ausg. 21, 281 f.), durch Taufe und Glauben, denn diese Würde eignet allein der Gemeinde der Heiligen (Tract. 69). Alle ihre Glieder können ohne menschliche Mittler sich Gott nahen, bringen sich selbst ihm als Dankopfer dar, können anderen priesterlich dienen.‘[30] Wenn nämlich das Wort Glauben weckt im Herzen eines Menschen, so tritt er damit in die volle Gemeinschaft mit Gott. Eine Steigerung ist nicht mehr möglich. Daher kann es geistlich keine verschiedenen Stände, keine Hierarchie als göttliche Ordnung in der Kirche geben; ebenso wenig benötigt er noch einen priesterlichen Mittler.[31] Die Gnadenmittel, nicht das Predigtamt in concreto, sind heilsnotwendig. Dass dieses Verständnis richtig ist, wird noch durch Artikel VII der Schwabacher Artikel verdeutlicht, die ja die Grundlage für das Augsburger Bekenntnis waren. Dort heißt es: „Solchen Glauben zu erlangen oder uns Menschen zu geben, hat Gott eingesetzt das Predigtamt oder mündliche Wort, nämlich das Evangelium, durch welches [bezieht sich eindeutig auf das Evangelium, Anm. d. Hrsg.] er solchen Glauben und seine Macht, Nutz und Frommen verkündigen lässt, und gibt auch durch dasselbe, als durch ein Mittel, den Glauben mit seinem Heiligen Geist, wie und wo er will, sonst ist kein anderes Mittel noch Weise, weder Weg noch Steg, den Glauben zu bekommen. Denn Gedanken außer oder vor dem mündlichen Wort, wie heilig und gut sie scheinen, sind sie doch eitel Lügen und Irrtum.“

    Allerdings, das ist richtig, ist der öffentliche Gnadenmitteldienst mit eingeschlossen insofern, als durch ihn die Gnadenmittel öffentlich verwaltet werden. Aber dieser Einschluss ist nur ein rein dienender, kein notwendiger, da die Schrift auch ohne einen Menschen als Zwischeninstanz wirksam ist.

    Eindeutig weist das Augsburger Bekenntnis jede Neigung zur Schwärmerei zurück, jede Neigung, den Glauben anders als durch die Gnadenmittel zu begründen oder zu stärken:

    „Und werden verdammt die Wiedertäufer und andere, so lehren, dass wir ohne das leibliche Wort des Evangeliums den Heiligen Geist durch eigene Bereitung, Gedanken und Werk erlangen.“ (Augsb. Bek. V, 4)

    Auch diese Verwerfung unterstreicht noch einmal, dass es in diesem Artikel nicht um das öffentliche Predigtamt, sondern um die Gnadenmittel geht. Denn die Kirche steht nicht auf dem Amt, sondern auf dem Bekenntnis zu Christus.

    „Die rechte Kirche steht nicht auf Prälaten ihrer Gewalt halben, denn viel von hohem Stand, Fürsten und Bischöfe, auch viel von niederem Stand sind vom Glauben abgefallen. Darum steht die Kirche auf denjenigen, in welchen ist eine rechte Erkenntnis Christi, eine rechte Konfession und Bekenntnis des Glaubens und der Wahrheit.“ (Apol. VII, VIII, 22)

 

db. Von der Schlüsselgewalt

    Was ist die Gewalt oder Vollmacht der Schlüssel? Die Gewalt der Schlüssel ist nichts anderes als die Absolution durch das Evangelium, also das Lösen [oder Behalten] der Sünde.

    „Die Gewalt nun der Schlüssel, die verkündigt uns durch die Absolution das Evangelium. Denn das Wort der Absolution verkündigt mir Friede und ist das Evangelium selbst. Darum, wenn wir vom Glauben reden, wollen wir die Absolution mit begriffen haben.“ (Apol. XII, 39) Die Absolution, und das ist nun ganz wichtig, ist nicht eine bloße Verkündigung, Deklaration, Angabe einer Möglichkeit, ist effektiv auch nicht nur allgemein, sondern sie ist vielmehr konkrete persönliche Zusage, Gabe der von Christus uns am Kreuz erworbenen Vergebung der Sünden durch das Wort, woran Christus sich gebunden hat (Matth. 16,19; 18,18; Joh. 20,23). Darum sieht auch der Glaube allein auf das Wort und den durch das Wort wirkenden Christus, hängt allein am Wort. Denn die Absolution ist nicht abhängig von der Disposition, Haltung des Empfangenden (z.B. Maß der Reue, Heiligung) oder der des Absolvierenden, sondern hängt allein an Christi zusagendem, wirkkräftigen Wort. Luther schreibt daher dazu: „Es soll einerlei Werk sein, mein [Christi] und euers, nicht zweierlei; einerlei Schlüssel, meine und eure, nicht zweierlei. Tut euer Werk, so ist meins schon geschehen. Bindet und löst ihr, so habe ich schon gebunden und gelöst. Er verpflichtet und bindet sich an unser Werk. Ja, er befiehlt uns sein selbst eigen Werk. … Bleibe du bei den Worten Christi, und sei du gewiss, dass Gott keine andere Weise hat, die Sünden zu vergeben, als durch das mündliche Wort, so er uns Menschen befohlen hat. Wo du nicht die Vergebung im Wort suchst, wirst du umsonst zum Himmel gaffen nach der Gnade oder (wie sie [sc. die Schwärmer] sagen) nach der innerlichen Vergebung.“[32] Die Absolution ist also eindeutiges Wort, die Glauben und vor allem die Gewissheit des Glaubens schafft: „Im bestimmten Wort als vollendetem Werk gründet gewisser Glaube.“[33] „So wird dich das Wort behalten, und müssen deine Sünden also vergeben werden.“[34]

    Anders ausgedrückt: Das Amt, die Gewalt der Schlüssel ist die der Kirche, einem jeden Gläubigen, gegebene Vollmacht, die Sünder zu binden oder zu lösen. Da es keine geistlichen Rangunterschiede gibt, ist grundsätzlich jeder zur vollen Gnadenmittelverwaltung berechtigt, darf sie aber über den persönlichen und familiären Bereich hinaus in öffentlicher Versammlung nur gemäß der Berufung ausüben. Zum besonderen Dienst des Priesters gehört vor allem auch das Gebet, besonders die Fürbitte sowie die persönliche Evangelisation, das Zeugnis durch Wort und Wandel.[35]

    „Die Schlüssel sind ein Amt und Gewalt, der Kirche von Christus gegeben, zu binden und zu lösen die Sünde, nicht allein die groben und wohl bekannten Sünden, sondern auch die subtilen, heimlichen, die Gott allein erkennt. Wie geschrieben steht im 19. Psalm: Wer kennt, wie viel er fehlet? Und St. Paulus Röm. 7 klagt selbst, dass er mit dem Fleisch diene dem Gesetz der Sünde. Denn es steht nicht bei uns, sondern bei Gott allein zu urteilen, welche, wie groß und wie viel Sünde sind…“ (Schmalk. Art., 3. Teil, VII, 1-2)

    Die Schlüssel gehören also eigentlich und ursprünglich, zum wirklichen Gebrauch, nicht einem Menschen nur, dem Papst, oder einer Gruppe von Menschen, der Hierarchie, sondern vielmehr der ganzen Kirche, jedem Gläubigen, jedem, der den Heiligen Geist hat. Und das zeigt sich dann unter anderem darin, dass die Gemeinde die Vollmacht und das Recht hat, Diener am Wort zu berufen, zu ordinieren. Auch das letzte Gericht, Matth. 18,18, ist bei der Gemeinde, die also Inhaberin der höchsten Gewalt in der Kirche ist.

    „Über das muss man bekennen, dass die Schlüssel nicht einem Menschen allein [gegen das Papsttum gerichtet, Anm. d. Hrsg.], sondern der ganzen Kirche gehören und gegeben sind, wie denn solches mit hellen und gewissen Ursachen genugsam kann erwiesen werden. Denn gleichwie die Verheißung des Evangeliums gewiss und ohne Mittel der ganzen Kirche zugehört, also gehören die Schlüssel ohne Mittel der ganzen Kirche, dieweil die Schlüssel nichts anderes sind als das Amt, dadurch solche Verheißung jedermann, wer es begehrt, wird mitgeteilt; wie es denn im Werk vor Augen ist, dass die Kirche Macht hat, Kirchendiener zu ordinieren. Und Christus spricht bei diesen Worten: Was ihr binden werdet usw., und deutet, wem er die Schlüssel gegeben, nämlich der Kirche: Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen usw. Ebenso gibt Christus das höchste und letzte Gericht der Kirche, da er spricht: Sags der Kirche.“ (Traktat von der Gewalt des Papstes, 24)

    Diese Aussage macht auch deutlich, dass die „Kirche“ hier nicht, wie romanisierende Personen meinen, als ein Kollektivbegriff gemeint ist, so dass also nur die vollständig versammelte Kirche einschließlich des Amtes diese Gewalt hätte, sondern, da dies ja mit der Verheißung des Evangeliums parallel gesetzt wird, ist hier jeder einzelne Gläubige gemeint. Und der hat diese Vollmacht ohne Mittler, als direkte Gabe Christi durch seinen Geist, nicht erst durch den Pastor oder „Priester“ ihm gegeben.

    Darauf folgt: Wo die Kirche ist, also wo Christen sich versammeln um die Gnadenmittel, da haben sie auch die Vollmacht und den Befehl Gottes, diese Gnadenmittel zu verwalten und dazu das öffentliche Predigtamt oder den öffentlichen Gnadenmitteldienst aufzurichten. Diese Vollmacht hat sie, nochmals betont, als direktes Geschenk Gottes, und darf ihr von niemand genommen oder in ihrem Gebrauch eingeschränkt werden.

    „Denn wo die Kirche ist, das ist je der Befehl, das Evangelium zu predigen. Darum müssen die Kirchen die Gewalt behalten, dass sie Kirchendiener fordern, wählen und ordinieren. Und solche Gewalt ist ein Geschenk, welches der Kirche eigentlich von Gott gegeben und von keiner menschlichen Gewalt der Kirche kann genommen werden, wie St. Paulus zeugt Eph. 4, da er sagt: ‚Er ist in die Höhe gefahren und hat Gaben gegeben den Menschen.’ Und unter solchen Gaben, die der Kirche eigen sind, zählt er Pfarrer und Lehrer, und hängt daran, dass solche gegeben werden zur Erbauung des Leibes Christi. Darum folgt, wo eine rechte Kirche ist, dass da auch die Macht sei, Kirchendiener zu wählen und zu ordinieren. Wie denn in der Not auch ein schlichter Laie einen andern absolvieren und sein Pfarrer werden kann, wie St. Augustin in Geschichten schreibt, dass zwei Christen in einem Schiff beisammen gewesen, der einer den andern getauft und darnach von ihm absolviert sei.

    Hierher gehören die Sprüche Christi, welche zeugen, dass die Schlüssel der ganzen Kirche und nicht etlichen besonderen Personen gegeben sind, wie der Text sagt: ‚Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen.“ (Traktat von der Gewalt des Papstes, 67-68)

 

dc. Vom öffentlichen Predigtamt oder Gnadenmitteldienst oder Predigtamt in concreto

    Im Blick auf das öffentliche Predigtamt oder den öffentlichen Gnadenmitteldienst bekennt die Augsburgische Konfession, dass niemand in der Kirche dieses Amt ausüben darf, der nicht ordentlich in dieses Amt berufen wurde. Damit ist auch jegliche eigenmächtige Bildung von Konventikeln, Kreisen innerhalb der Gemeinde ohne Absprache mit dem Pastor und der Gemeindeversammlung verworfen. Dieses Amt ist nicht grundsätzlich vom Priestertum aller Gläubigen unterschieden, denn es hat dieselbe Vollmacht, sondern der Unterschied liegt in der Berufung, Beauftragung zur öffentlichen Gnadenmittelverwaltung, die mit der Berufung dem Diener übertragen wird.

    „Vom Kirchenregiment wird gelehrt, dass niemand in der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder Sakrament reichen soll ohne ordentlichen Beruf.“ (Augsb. Bek., XIV)

    Da es das Wichtigste ist, dass Menschen zur rechten Erkenntnis Christi, der Lehre Christi, des Evangeliums, also zum rechtfertigenden Glauben kommen, ist das Predigtamt in concreto das höchste Amt in der Kirche, der nötigste Gottesdienst. Die schriftgemäße Verkündigung und stiftungsgemäße Sakramentsverwaltung haben unmittelbare, göttliche Bevollmächtigung, Mandat und Verheißung für die Kirche. Zu ihrer Ausübung hat Christus geordnet, dass die Kirche Diener an Wort und Sakrament berufen soll, deren Vollmacht abgeleitet und legitimiert wird durch die ihnen von Christus mittels der Gemeinde übertragene Verkündigung und Sakramentsverwaltung.[36] Es ist also nicht, gegen Rom, als eine institutionelle Stiftung unter Absehung von seiner Funktion zu verstehen, sondern das Mandat geht auf die Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung. Es ist daher auch kein Opferpriesteramt, auch nicht primär ein Leitungsamt, sondern grundlegend Gnadenmitteldienst.  Weil das Kirchenamt also Gnadenmittelamt ist, kann es auch nur Ein Amt in der Kirche geben, das aber in vielfältiger Weise konkretisiert werden kann. Es ist also auch nicht der Zweckmäßigkeit oder christlicher Freiheit überlassen, ob Diener an Wort und Sakrament berufen werden, geschieht auch nicht aus „praktischer“ oder „innerer Notwendigkeit“ (gegen Höfling), sondern es ist göttliche evangelische Ordnung, dass dieser Dienst durch berufene Personen ausgerichtet wird, begonnen mit den unmittelbar berufenen Aposteln, heute Personen, die Christus seiner Gemeinde gibt und mittels der Gemeinde beruft. „Die Mitteilung Christi im mündlichen Wort“ ist „Zentralstück der christlichen Religion“ und geht an Bedeutung auch über die Sakramentsverwaltung.[37]

    „Denn der allergrößte, heiligste, nötigste, höchste Gottesdienst, welchen Gott im ersten und andern Gebot als das Größte hat gefordert, ist Gottes Wort predigen; denn des Predigtamt ist das höchste Amt in der Kirche. Wo nun der Gottesdienst ausgelassen wird, wie kann da Erkenntnis Gottes, die Lehre Christi oder das Evangelium sein?“ (Apol., XV, 44)

    Wer in diesem Dienst steht, der predigt nicht sich selbst, sondern Christus. Er steht deshalb an Christi Statt vor der Gemeinde, um von Christus zu zeugen. Damit tritt die Person des Predigers ganz zurück, es geht um den Dienst, es geht um sein Wort und Sakrament, was er austeilt.

    „Denn um des Berufs willen der Kirchen sind solche da, nicht für ihre eigene Person, sondern als Christus, wie Christus zeugt: ‚Wer euch hört, der hört mich.’ Also ist auch Judas zu predigen gesendet. Wenn nun gleich Gottlose predigen und Sakrament reichen, so reichen sie dieselben an Christi Statt. Und das lehrt uns das Wort Christi, dass wir in solchem Fall die Unwürdigkeit der Diener uns nicht sollen irren lassen.“ (Apol., VII/VIII, 28)

    Was ist nun die Gewalt oder Vollmacht des öffentlichen Predigt- oder Bischofsamtes? (Der Begriff „Bischof“ wird in den Bekenntnisschriften zunächst für den Dienst der die Gemeindehirten beaufsehenden Diener verwendet; es wird aber in den Ausführungen deutlich, dass ihr Dienst sich tatsächlich nicht grundlegend von dem der Gemeindediener unterscheidet, wie ja auch der biblische Begriff des episkopos eben den vorstehenden oder aufsehenden Gemeindedienst meint.) Die Gewalt oder Vollmacht des Predigtdienstes ist der Befehl Gottes, das Evangelium zu predigen und die Sakramente zu reichen, Sünden zu vergeben und Sünden zu behalten (solches in Gemeinschaft mit der Gemeinde). Diese Gewalt wird nicht anders ausgeübt als eben durch die Predigt, durch die Verkündigung des Wortes Gottes, weil durch das Wort alles ausgerichtet wird.

    Das schließt auch ein, gegen die Irrlehre vorzugehen, die biblische Lehre zu verteidigen, die falsche Lehre aber zu widerlegen und die Gemeinde vor ihr zu schützen. Ebenso sollen sie auch Zucht üben gegen die unbußfertigen und öffentlichen Sünder. Dies soll aber alles allein durch Gottes Wort geschehen. Und nur in sofern und so weit sie das Wort Gottes bringen, können sie auch Gehorsam fordern, nämlich nicht für sich, sondern für Gottes Wort. Da aber, wo sie gegen Gottes Wort lehren, darf niemand ihnen folgen, sondern müssen die Christen sich von ihnen trennen.

    „Nun lehren die unsern also, dass die Gewalt der Schlüssel oder Bischöfe sei, laut des Evangeliums, eine Gewalt und Befehl Gottes, das Evangelium zu predigen, die Sünde zu vergeben und zu behalten und die Sakramente zu reichen und zu handeln. Denn Christus hat die Apostel mit dem Befehl ausgesandt (Joh. 20,21 ff.): ‚Gleichwie mich der Vater gesandt hat, also sende ich euch auch. Nehmet hin den heiligen Geist; welchen ihr die Sünden erlassen werdet, denen sollen sie erlassen sein; und denen ihr sie behalten werdet, denen sollen sie behalten sein.

    Dieselbe Gewalt der Schlüssel oder Bischöfe übt und treibt man allein mit der Lehre und Predigt Gottes Worts und mit Handreichung der Sakramente gegen viele oder einzelne Personen, darnach der Beruf ist.“ (Augsb. Bek., XXVIII, 5-8)

    „Derhalben ist das bischöfliche Amt nach göttlichen Rechten: das Evangelium predigen, Sünde vergeben, Lehre urteilen und die Lehre, so dem Evangelium entgegen, verwerfen und die Gottlosen, deren gottloses Wesen offenbar ist, aus der christlichen Gemeinde ausschließen, ohne menschliche Gewalt, sondern allein durch Gottes Wort. Und diesfalls sind die Pfarrleute und Kirchen schuldig, den Bischöfen gehorsam zu sein, laut dieses Spruchs Christi, Lukas 10,16: ‚Wer euch hört, der hört mich.’ Wo sie aber etwas dem Evangelium entgegen lehren, setzen oder richten, haben wir Gottes Befehl in solchem Fall, dass wir nicht sollen gehorsam sein, Matth. 7,15: ‚Sehet euch vor vor den falschen Propheten.’“ (Augsb. Bek., XXVIII, 20-24)

    Damit handelt der öffentliche Gnadenmitteldienst mit ewigen geistlichen Dingen und Gütern, nämlich der ewigen Gerechtigkeit, dem heiligen Geist, dem ewigen Leben. Diese Güter werden ja nicht anders erlangt als eben durch das Evangelium. Das unterscheidet das öffentliche Predigtamt auch grundsätzlich vom Amt der Obrigkeit, die mit weltlichen, irdischen, zeitlichen Dingen handelt. Beide Ämter sind daher streng zu unterscheiden und zu trennen und dürfen nicht vermischt werden.

    Darum ist alle Gewalt oder Aufgaben, die Menschen, die im Predigtamt sind, sonst noch haben mögen über Gottes Wort hinaus, nach menschlichem Recht, aus menschlichem Übereinkommen, und nicht nach Gottes Ordnung.

    „Denn damit werden gegeben nicht leibliche, sondern ewige Dinge und Güter, als nämlich ewige Gerechtigkeit, der Heilige Geist und das ewige Leben. Diese Güter kann man nicht anders erlangen als durch das Amt der Predigt und durch die Handreichung der heiligen Sakramente. Denn St. Paulus spricht (Röm. 1,16): ‚Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, selig zu machen alle, die daran glauben.’ Dieweil nun die Gewalt der Kirchen oder Bischöfe ewige Güter gibt und allein durch das Predigtamt geübt und getrieben wird, so hindert sie die Polizei und das weltliche Regiment nirgends. Denn das weltliche Regiment geht mit viel andern Sachen um als das Evangelium; welche Gewalt schützt nicht die Seelen, sondern Leib und Gut wider äußerliche Gewalt mit dem Schwert und leiblichen Poenen [Strafen].

    Darum soll man die zwei Regimenter, das geistliche und weltliche, nicht ineinander mengen und werfen.“ (Augsb. Bek., XXVIII, 9-12)

    „Dass aber die Bischöfe sonst Gewalt und Gerichtszwang haben in etlichen Sachen, wie nämlich Ehesachen oder Zehnten, dieselben haben sie aus Kraft menschlicher Rechte.“ (Augsb. Bek., XXVIII, 29)

    Die Aufgaben oder Gewalt des öffentlichen Predigtamtes umfassen also geistliche Güter und geben dem Inhaber keine tyrannische Gewalt, keine Herrschaft über die Gemeinde.

    „So hat ein jeder christliche Bischof potestam ordinis, das ist, das Evangelium zu predigen, Sakrament zu reichen, auch die Gewalt eines geistlichen Gerichtzwangs in der Kirche, das ist, Macht und Gewalt, aus der christlichen Gemeinde auszuschließen diejenigen, so in öffentlichen Lastern gefunden werden, und dieselben, wenn sie sich bekehren, wieder aufzunehmen und ihnen die Absolution mitzuteilen. Sie haben aber nicht eine tyrannische Gewalt, das ist, ohne gewisses Gesetz zu urteilen. So haben sie auch keine königliche Gewalt, das ist, über die gegebenen Gesetze zu schaffen.“ (Apol., XXVIII, 13-14)

    „Denn die Apostel empfangen da nicht ein mandatum cum libera, das ist einen ganz freien, ungemessenen Befehl und Gewalt, sondern haben einen gemessenen Befehl, nämlich nicht ihr eigenes Wort, sondern Gottes Wort und das Evangelium zu predigen. Und der HERR Christus will in den Worten (Wer euch höret, der höret mich) alle Welt stärken, wie auch vonnöten war, dass wir sollten ganz gewiss sein, dass das leibliche Wort Gottes Kraft wäre und dass niemand vom Himmel ein anderes Wort müsste suchen oder gewarten. Darum kann dies Wort: Wer euch höret, der höret mich, von Satzungen nicht verstanden werden. Denn Christus will da, dass sie also lehren sollen, dass man durch ihren Mund Christus selbst höre. So dürfen sie ja nicht ihr eigenes Wort predigen, sondern sein Wort, seine Stimme und Evangelium, soll man Christus hören.“ (Apol., XXVIII, 18-19)

    Der Gehorsam, von dem der Hebräerbrief spricht, gilt dem Evangelium Christi, dem Wort Gottes, nicht der Person und menschlichen Anordnungen der Prediger und Bischöfe, denn über das Wort Gottes hinaus haben sie keinerlei Gewalt in der Gemeinde, darf die Gemeinde ihnen auch nicht gehorchen.

    „Auch ziehen sie diesen Spruch an zu den Hebräern im 13. Kapitel: ‚Gehorchet denen, die euch vorgehen usw.’ Dieser Spruch fordert, dass man soll gehorsam sein dem Evangelium, denn er gibt den Bischöfen nicht eine eigene Herrschaft oder Herrengewalt außer dem Evangelium; so sollen auch die Bischöfe nicht wider das Evangelium Satzung machen, noch ihre Satzungen wider das Evangelium auslegen. Denn wenn sie das tun, so verbietet uns das Evangelium, ihnen gehorsam zu sein, wie Paulus zu den Galatern sagt: ‚so euch jemand würde ein anderes Evangelium predigen, der sei verflucht.’“ (Apol., XXVIII, 20)

 

    Es gibt auch von Gottes Wort und Ordnung her keinen Unterschied zwischen der Gewalt und Vollmacht der Bischöfe und derjenigen der Prediger oder Pastoren. Es ist vielmehr immer die Gewalt und Vollmacht, der Gemeinde vorzustehen, das Evangelium zu predigen, die Sünden zu vergeben, die Sakramente zu reichen. Alle Unterschiede, die zwischen den verschiedenen Diensten oder Ämtern bestehen, sind nicht von Gott geordnet (ius divinum), sondern kommen aus menschlichem Recht (ius humanum), aus menschlicher Übereinkunft. Das heißt: Auch Prediger, Pastoren haben die Ordinationsgewalt, nach göttlichem Recht. Und: Christus hat im Neuen Testament keine spezifische äußere Gestalt oder Form des Dienstes geordnet. Göttliche Ordnung ist, dass die Christen, vorzüglich die Ortsgemeinde und weitere durch sie oder in Verbindung mit ihr (Synodalverband z.B.) stehende Einrichtungen, Diener an Wort und Sakrament berufen (Apol. XIII, 12). Im Neuen Testament finden wir dabei eine Zweigliederung in der Hinsicht, dass es den missionarisch-evangelistischen Dienst außerhalb der Gemeinde und den gemeindlichen Dienst gibt, wobei beide miteinander verwoben sind, da auch die Diener an Wort und Sakrament in der Gemeinde missionarisch und evangelistisch tätig sein sollen, während andererseits alle Missions- und Evangelisationsarbeit auf Gemeindebildung oder Stärkung bestehender Gemeinden hinzielt.

    „Denn das Evangelium gebietet denen, so den Kirchen sollen vorstehen, dass sie das Evangelium predigen, Sünde vergeben und Sakramente reichen sollen. Und über das gibt es ihnen die Jurisdiktion, dass man die, so in öffentlichen Lastern liegen, bannen, und die sich bessern wollen, entbinden und absolvieren soll.

    Nun muss es jedermann, auch unsere Widersacher, bekennen, dass diesen Befehl zugleich alle haben, die den Kirchen vorstehen, sie heißen gleich pastores oder presbyteri oder Bischöfe. Darum spricht auch Hieronymus mit hellen Worten, dass episcopi und presbyteri nicht unterschieden sind, sondern dass alle Pfarrherren zugleich Bischöfe und Priester sind, und allegiert den Text Pauli an Titus 1, da er zu Titus schreibt; ‚Ich ließ dich deshalb zu Kreta, dass du bestellest die Städte hin und her mit Priestern,’ und nennet solche hernach Bischöfe: ‚Es soll ein Bischof eines Weibes Mann sein.’ So nennen sich selbst Petrus und Johannes presbyteros oder Priester….

    Hier lehrt Hieronymus, dass solcher Unterschied der Bischöfe und Pfarrherren allein aus menschlicher Ordnung gekommen sei, wie man denn auch im Werk sieht. Denn das Amt und Befehl ist gar einerlei, und hat hernach allein die ordinatio den Unterschied zwischen Bischöfen und Pfarrherrn gemacht. Denn so hat mans hernach geordnet, dass ein Bischof auch in andern Kirchen Leute zum Predigtamt ordnete.

    Weil aber nach göttlichem Recht kein Unterschied ist zwischen Bischöfen und Pastoren oder Pfarrherrn, ists ohne Zweifel, wenn ein Pfarrherr in seiner Kirche etliche tüchtige Personen zum Kirchenamt ordnet, dass solche ordinatio nach göttlichen Rechten kräftig und recht ist.“ (Traktat von der Gewalt der Bischöfe, 60-62.63-65)

    Ebenso ist auch die Gewalt des Bannes oder geistlichen Gerichts nicht nur bei den Bischöfen, sondern bei allen Predigern (zusammen mit der Gemeinde; siehe auch S. 69 f.).

    „Dies ist gewiss, dass die gemeine Jurisdiktion die, so in öffentlichen Lastern liegen, zu bannen, alle Pfarrherrn haben sollen, und dass die Bischöfe als Tyrannen sie zu sich gezogen und zu ihrem Genieß schändlich missbraucht haben.“ (Traktat von der Gewalt der Bischöfe, 74)

 

    Das aber heißt, es muss nochmals betont werden, dass die Bischöfe keinerlei Gewalt, Vollmacht und Recht haben, etwas gegen das Evangelium zu setzen. In Dingen, die Gottes Wort frei gelassen hat, dürfen sie keine Gesetze machen, vor allem nicht solche, durch die man angeblich sich vor Gott Gnade verdienen könne oder die nötig seien zur Seligkeit, oder Gottesdienste aufzurichten, die heilig und fromm machen würden. All dies wäre ein Angriff gegen die christliche Freiheit. Die Gewalt der Bischöfe geht nicht über Gottes Wort hinaus. Wo sie sich Gewalt, Vollmacht darüber hinaus anmaßen, greifen sie die Rechtfertigung durch Christus selbst an.

    „Aber die unsern lehren in dieser Frage also, dass die Bischöfe nicht Macht haben, etwas wider das Evangelium zu setzen und aufzurichten, wie dann oben angezeigt ist, und die geistlichen Rechte durch die ganze neunte Distinktion lehren. Nun ist diese öffentlich gegen Gottes Befehl und Wort, der Meinung Gesetze zu machen oder zu gebieten, dass man dadurch für die Sünde genug tue und Gnade erlange. Denn es wird die Ehre des Verdienstes Christi verlästert, wenn wir uns mit solchen Satzungen unterwinden, Gnade zu verdienen.“ (Augsb. Bek., XXVIII, 34-36)

    „Doch hat man helle Sprüche der göttlichen Schrift, die da verbieten, solche Aufsätze aufzurichten, die Gnade Gottes damit zu verdienen, oder als sollten sie vonnöten zur Seligkeit sein.“ (Augsb. Bek., XXVIII, 43-46)

    „Derhalben, dieweil solch Ordnungen, als nötig aufgerichtet, damit Gott zu versöhnen und Gnade zu verdienen, dem Evangelium entgegen sind, so ziemt sich keineswegs den Bischöfen, solchen Gottesdienst zu erzwingen. Denn man muss in der Christenheit die Lehre von der christlichen Freiheit behalten, als nämlich, dass die Knechtschaft des Gesetzes nicht nötig ist zur Rechtfertigung, wie dann St. Paulus zu den Galatern schreibt im 5. Kapitel (V. 1): ‚So bestehet nun in der Freiheit, damit uns Christus befreit hat, und lasst euch nicht wieder in das knechtische Joch verknüpfen.’ Denn es muss ja der vornehmste Artikel des Evangeliums erhalten werden, dass wie die Gnade Gottes durch den Glauben an Christus ohne unser Verdienst erlangen und nicht durch Dienst, von Menschen eingesetzt, verdienen.

    Was soll man denn halten vom Sonntag und dergleichen andern Kirchenordnungen und Zeremonien? Dazu geben die Unsern diese Antwort, dass die Bischöfe oder Pfarrer mögen Ordnung machen, damit es ordentlich in der Kirche zugehe, nicht damit Gottes Gnade zu erlangen, auch nicht damit für die Sünde genug zu tun oder die Gewissen damit zu binden, solches für nötigen Gottesdienst zu halten und es dafür zu achten, dass sie Sünde täten, wenn sie ohne Ärgernis dieselben brechen…

    Solche Ordnung gebührt der christlichen Versammlung um der Liebe und Friedens willen zu halten und den Bischöfen und Pfarrherrn in diesen Fällen gehorsam zu sein und dieselben sofern zu halten, dass einer den andern nicht ärgere, damit in der Kirche keine Unordnung oder wüstes Wesen sei. Doch also, dass die Gewissen nicht beschwert werden, dass mans für solche Dinge halte, die Not sein sollten zur Seligkeit, und es dafür achte, dass  sie Sünde täten, wenn sie dieselben ohne der andern Ärgernis brechen; wie denn niemand sagt, dass das Weib Sünde tue, die mit bloßem Haupt ohne Ärgernis der Leute ausgeht.“ (Augsb. Bek., XXVIII, 50-56)

    „Derhalben haben die Bischöfe nicht Macht noch Gewalt, eigene erwählte Gottesdienste aufzurichten, welche sollen die Leute vor Gott heilig und fromm machen. Denn es sagen auch die Apostel Apg. 15: ‚Was versucht ihr Gott und legt eine Bürde auf die Jünger’ usw. Da schilt es Petrus als eine große Sünde, damit man Gott verlästere und versuche. Darum ist es der Apostel Meinung, dass diese Freiheit in der Kirche bleiben soll, dass keine Zeremonien, weder das Gesetz Moses noch andere Satzungen, sollen als nötige Gottesdienste geschätzt werden, wie etliche Zeremonien im Gesetz Moses als nötig mussten im Alten Testament eine Zeitlang gehalten werden.“ (Apol., XV, 31-32)

    „Man muss in der Kirche diese Lehre behalten, dass wir ohne Verdienst um Christi willen durch den Glauben Vergebung der Sünde erlangen, so muss man auch die Lehre behalten, dass alle Menschensatzungen nichts nütze sind, Gott zu versöhnen. Darum in Speise, Trank, Kleidern und dergleichen ist weder Sünde noch Gerechtigkeit zu setzen. Denn Paulus spricht: ‚Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken.’ Darum haben die Bischöfe nicht Macht, Satzungen zu machen außerhalb des Evangeliums, also dass man dadurch Vergebung der Sünden erlangen wollte, oder dass es sollten Gottesdienste sein, um welcher willen uns Gott gerecht schätze, und zu welchen sie die Gewissen verpflichten bei einer Todsünde. Das alles lehrt der einige Spruch in der Apostelgeschichte Kap. 15, da Petrus sagt: ‚dass die Herzen werden durch den Glauben gereinigt’. Und darnach verbieten sie, ein Joch oder Bürde auf die Jünger zu legen und sagen, wie gefährlich das sei. Auch geben sie zu verstehen, dass die schrecklich sündigen und wider Gott handeln und Gott versuchen, die also die Kirchen beschweren. Denn sie sagen: ‚Was versucht ihr Gott?’ Dieses harte, ernste Wort der Apostel, welches sie billig als ein Donnerschlag schrecken sollte, lassen sich die Widersacher gar nicht zu Herzen gehen, sondern wollen noch mit aller Tyrannei und Gewalt ihren erdichteten Gottesdienst verteidigen. …

    Das ewige Leben aber, welches inwendig durch Glauben in diesem Leben anfängt, wirket der Heilige Geist im Herzen durch das Evangelium. Darum werden die Widersacher nimmermehr beweisen, dass man durch Menschensatzung das ewige Leben verdiene.“ (Apol., XXVIII, 7-8.10)

 

    Das heilige Predigtamt oder der öffentliche Gnadenmitteldienst ist auch kein Opferdienst wie im Alten Testament, denn die Messe ist nicht ein Opfer, Sünden wegzunehmen, sondern eine Kommunion oder Gemeinschaft der Gemeinde, in der sie von Gott das Sakrament empfängt.

    „Dieweil nun die Messe nicht ein Opfer ist für andere, Lebendige oder Tote, ihre Sünde wegzunehmen, sondern soll eine Kommunion sein, da der Priester und andere das Sakrament empfangen für sich: So wird diese Weise bei uns gehalten, dass man an Feiertagen (auch sonst, so Kommunikanten da sind), Messe hält und etliche, so das begehren, kommuniziert. Also bleibt die Messe bei uns in ihrem rechten Brauch, wie sie vorzeiten in der Kirche gehalten, wie man beweisen kann aus St. Paulus, 1. Kor. 11, dazu auch vieler Väter Schriften.“ (Augsb. Bek., XXIV, 34-35)

 

dd. Von der Berufung ins öffentliche Predigtamt

    Da die Gemeinde und jeder einzelne Christ die Schlüsselgewalt unmittelbar und ursprünglich von Jesus Christus verliehen bekommen hat, so hat auch jede Gemeinde das Recht und ist es Gottes Ordnung, selbst tüchtige Männer zu wählen und zu ordinieren, wenn möglich im Beisein anderer Pastoren und Bischöfe.

    „Darum, wie die alten Exempel der Kirchen und der Väter uns lehren, wollen und sollen wir selbst ordinieren tüchtige Personen zu solchem Amt, und das haben sie uns nicht zu verbieten noch zu wehren, auch nach ihrem eigenen Rechte. Denn ihre Rechte sagen, dass diejenigen, so auch von Ketzern ordiniert sind, sollen ordiniert heißen und bleiben, gleichwie Hieronymus schreibt von den Kirchen zu Alexandria, dass sie erstlich ohne Bischöfe durch die Priester und Prediger insgemein regiert sind worden.“ (Schmalk. Art., 3. Teil, X, 3)

    „Ebenso, im Nizänischen Konzil ist beschlossen worden, dass eine jegliche Kirche einen Bischof für sich selbst im Beisein eines oder mehrerer Bischöfe, so in der Nähe wohnten, wählen sollte. Solches ist nicht allein im Orient eine lange Zeit, sondern auch in andern und lateinischen Kirchen gehalten worden, wie solchs klar bei Cyprianus und Augustinus ist ausgedrückt. Denn so spricht Cyprianus, epist. 4 ad Cornelium: ‚Darum soll man es fleißig nach dem Befehl Gottes und der Apostel Gebrauch halten, wie es denn bei uns und fast in allen Landen gehalten wird, dass zu der Gemeinde, da ein Bischof zu wählen ist, andere des Orts nahe gelegene Bischöfe zusammen sollen kommen, und in Gegenwart der ganzen Gemeinde, die eines jeden Wandel und Leben weiß, der Bischof soll gewählt werden, wie wir denn sehen, dass es in der Wahl Sabini, unsers Mitgesellen, auch geschehen ist, dass er nach Wahl der ganzen Gemeinde und Rat etlicher Bischöfe, so vorhanden gewesen, zum Bischof erwählt und die Hände ihm aufgelegt sind, usw.’“ (Von der Gewalt des Papstes, 13-14)

    „Zum letzten, wie kann der Papst nach göttlichen Rechten über die Kirche sein, weil doch die Wahl bei der Kirche steht.“ (Von der Gewalt des Papstes, 20)

    „Hieraus sieht man, dass die Kirche macht hat, Kirchendiener zu wählen und zu ordinieren. Darum, wenn die Bischöfe entweder Ketzer sind oder tüchtige Personen nicht wollen ordinieren, sind die Kirchen vor Gott nach göttlichem Recht schuldig, sich selbst Pfarrherrn und Kirchendiener zu ordinieren.“ (Von der Gewalt des Papstes, 72)

    Die Ordination im eigentlichen oder engeren Sinne, nämlich die Einsegnung der Berufenen unter Handauflegung, ist nichts anderes als die Bestätigung der Wahl durch die Gemeinde.

    „Solches zeugt auch der allgemeine Brauch der Kirchen. Denn vorzeiten wählt das Volk Pfarrherrn und Bischöfe; dazu kam der Bischof am selben Ort oder in der Nähe gesessen, und bestätigt den gewählten Bischof durch Auflegen der Hände, und ist dazumal die Ordination nicht anders gewesen als solche Bestätigung.“ (Von der Gewalt des Papstes, 70)

    Kann die Ordination auch als ein Sakrament verstanden werden? Dies wird ja von romanisierenden, also nach Rom und hierarchischer Ordnung Neigenden, immer wieder behauptet. Der Artikel XIII der Apologie spricht davon, aber in einem anderen Sinne als die Romanisierenden es meinen. Dort wird von der Ordination im weiteren Sinne gesprochen, nämlich wenn das Amt insgesamt verstanden wird, und zwar als die Predigt und Verwaltung der Sakramente. Das heißt, es kann die „Ordination“ nur insofern als ein Sakrament verstanden werden, als es um das Evangelium geht, also um das Wort, das ausgeteilt wird, nicht um das Amt im Sinne etwa einer hierarchischen Ordnung oder des isolierten Aktes der Handauflegung.

    „Durch das Sakrament des Ordens oder Priesterschaft verstehen die Widersacher nicht das Predigtamt und das Amt, die Sakramente zu reichen und auszuteilen, sondern verstehen von Priestern, die zu opfern geordnet sind. Gleich als müsse im Neuen Testament ein Priestertum sein, wie das levitische Priestertum gewesen, da die Priester für das Volk opfern und den andern die Vergebung der Sünde erlangen. Wir aber lehren, dass das einige Opfer Christi am Kreuz genug getan hat für aller Welt Sünde, und dass wir nicht eines andern Opfers für die Sünde bedürfen. Denn wir haben im Neuen Testament nicht ein solches Priestertum wie das levitische Priestertum war, wie die Epistel zu den Hebräern lehret. Wo man aber das Sakrament des Ordens wollt nennen ein Sakrament von dem Predigtamt und Evangelium, so hätte es keine Beschwerung, die Ordination ein Sakrament zu nennen. Denn das Predigtamt hat Gott eingesetzt und geboten, und hat herrliche Zusage Gottes, Röm. 1. ‚Das Evangelium ist eine Kraft Gottes allen denjenigen, so daran glauben’ usw. Jes. 55. ‚Das Wort, das aus meinem Munde gehet, soll nicht wieder leer zu mir kommen, sondern tun, was mir gefällt.’ Wenn man das Sakrament des Ordens also verstehen wollte, so könnte man auch das Auflegen der Hände ein Sakrament nennen. Denn die Kirche hat Gottes Befehl, dass sie soll Prediger und Diakone bestellen.“ (Apol., XIII, 7-12)

 

e. Kirche und Staat

 

ea. Die Unabhängigkeit von Kirche und Staat

    Mit vollem Recht hat sich Luther gerühmt, es habe kein Doktor fast seit der Apostel Zeiten „so herrlich von der Majestät oder der weltlichen Obrigkeit gelehrt und geschrieben“ wie er (Erl. Ausg. 31,21).  Es war ein unendlich kühner Schritt, dass er die beiden Gewalten, die geistliche und die weltliche, als zwei von Gott nebeneinander gewollte, selbständige Größen hinstellte. Verschieden sind ihre Zwecke; die geistliche soll dem Heil der Seele zum ewigen Leben dienen; die weltliche dagegen dem irdischen Wohl (Staatsziel: allgemeine Wohlfahrt, Sozialstaat), der leiblichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung (sittlicher Rechtsstaat, gegründet auf dem Naturrecht). Beiden stehen verschiedene Mittel zur Verfügung, der Kirche nur das geistliche der Gnadenmittel, der weltlichen Obrigkeit das leibliche der äußeren Zwangsgewalt. Ebenso die Bekenntnisschriften (Augsb. Bek. XVI; XXVIII; Apol. XVI; XXVIII). Damit ist das gesamte staatliche oder „weltliche Leben“ von jeder direkten Bevormundung durch die Kirche befreit. Es wird der Kirche die nach mittelalterlicher Anschauung ungeheure Selbstbeschränkung zugemutet, den Staat sich nach seiner selbsteigenen Art und seinen selbsteigenen Gesetzen betätigen zu lassen. Das hebt aber nicht auf, dass auch die Obrigkeit Gott unterworfen ist, dass Gott Herr beider Gewalten ist, durch beide Gewalten regiert, nur eben auf unterschiedliche Weise, und dass der Staat daher auch der sittlichen Naturordnung, dem sittlichen Naturrecht Gottes unterworfen ist, die ausgeht von der Schöpfung, in der Gott das Leben geschenkt hat als das von Gott allem anderen vorgegebene Urrecht der auf Gott angelegten freien Persönlichkeit, die sich nun gemäß Gottes Willen und seiner sittlichen Ordnung entfalten soll. Damit ist der Staat aufgerufen, die freie Entfaltung der Person zu gewährleisten, wozu auch die Gewährleistung der Grundbedürfnisse an Nahrung, Kleidung, Wohnung gehören, dann auch die weiteren Grundbedürfnisse wie Bildung, freie, sozial verantwortete, wirtschaftliche Betätigung, freie Religionsausübung, Schutz und freie Entfaltung von Ehe und Familie, und das alles garantiert durch einen sittlichen Rechtsstaat. Wiewohl nach dem Sündenfall es die ursprüngliche Gleichheit unter den Menschen nicht mehr gibt, zeigt Gottes Ordnung für Israel als einem Beispiel Gott wohlgefälliger Sozialordnung, dass Gott den Ausgleich zwischen reich und arm will und die Freiheit aller (keine dauerhafte Sklaverei sollte es in Israel geben).

    Natürlich wird es auf die Gestaltung des staatlichen Lebens Einfluss haben, wenn die Glieder und die Leiter des Staates auch Glieder der Kirche sind. Aber dies ist eine auch auf allen anderen Gebieten des irdischen Lebens sich geltend machende innere Beeinflussung, durch die die Selbständigkeit des Staates nicht angetastet wird. Einen „christlichen Staat“ als eine theologische, geistliche Ordnung kennt das Neue Testament nicht. Erst auf diesem von der Reformation gelegten Grund ist der moderne Staat möglich geworden. Damit ist zugleich der Kirche jede Staatsfeindschaft, auch jede Geringschätzung des Staates und des von ihm überwachten weltlichen Lebens als Auflehnung gegen „Gottes Ordnung“ untersagt (vgl. S. ) Sind aber Kirche und Staat zwei selbständige Gewalten Gottes, so hat auch umgekehrt der Staat nichts mit der Aufgabe der Kirche zu tun und darf ihr Amt und ihren Dienst in keiner Weise einschränken oder zu bestimmen versuchen. Ebenso wenig darf er sich anmaßen, durch Weltanschauungen (Ideologien) oder eine Art „Zivilreligion“ sich auch die Seele zu unterwerfen, den „ganzen Menschen“ vereinnahmen, beeinflussen zu wollen (Totalitarismus; Eingreifen des Staates in immer mehr Bereiche des Privatrechts und privaten Lebens). „Das weltliche Regiment“, lehrt Luther, „hat Gesetze, die sich nicht weiter erstrecken als über Leib und Gut und was äußerlich ist auf Erden. Denn über die Seele kann und will Gott niemand lassen regieren als sich selbst allein. Darum, wo weltliche Macht sich vermisst, der Seele Gesetze zu geben, da greift sie Gott in sein Regiment.“ (Erl. Ausg. 22,82.) Damit ist das völlig neue Prinzip der Gewissensfreiheit und der Toleranz proklamiert. Dieser Grundsatz, dass keine weltliche Gewalt der Seele etwas gebieten darf, wird auch nicht berührt durch die beiden Einschränkungen, die der Satz, dass die Obrigkeit um den Glauben ihrer Untertanen sich nicht zu kümmern hat erleidet. Die erste Einschränkung folgt daraus, dass es auch Auswirkungen der inneren religiösen Stellung gibt, die in das bürgerliche Leben hineingreifen. So darf die Obrigkeit um des Wohls ihrer Bürger willen und um der Ehre Gottes willen, der auch über den Obrigkeit steht, öffentliche Gotteslästerung (Blasphemie) nicht dulden, ebenso nicht die Verkündigung solcher Lehren, die, wie die mancher Wiedertäufer, zum Aufruhr führen oder die freiheitliche Grundordnung gefährden (wie z.B. der Islam gemäß des Koran).

    Die ungeheuer große Tragweite dieser Verselbständigung des Staates und der Kirche tritt vor allem dann scharf ans Licht, wenn man die Folgen der römischen Erhebung der Kirche über alles „Weltliche“ und die reformierte Vermischung beider Größen ins Auge fasst. Wieviel Gewissensnot, wieviel bittere Kämpfe, wieviel Blutvergießen wäre vermieden worden, wenn Luthers Anschauung von weltlicher Obrigkeit und Kirche allgemein gesiegt hätte!

 

eb. Das Widerstandsrecht bei Luther[38]

    Wie weit aber geht nun die Gewalt der Obrigkeit? Gott hat, wie gesagt, zwei Reiche. Und jedes dieser Reiche hat seine eigenen Gesetze, Ordnungen. Das Reich der Welt geht über Leib und Gut, also das, was äußerlich ist auf Erden, dagegen nicht über die Seele. „Das weltliche Regiment hat Gesetze, die sich nicht weiter erstrecken als über Leib und Gut und was äußerlich ist auf Erden. Denn über die Seele kann und will Gott niemand lassen regieren als sich selbst allein. Darum, wo weltliche Gewalt sich vermisst, der Seele Gesetze zu geben, da greift sie Gott in sein Regiment und verführt und verderbt nur die Seelen.“[39] Das heißt: Alles, was mit der Seele, mit dem Inneren des Menschen, seinen Gedanken, Ideen, Wünschen, Begierden, Ansichten und deren Ausdruck nach außen zu tun hat, so lange nicht zur Gewalt aufgerufen wird, geht die Regierung nichts an. Darüber bestimmen zu wollen, ist der Beginn totalitärer Herrschaft. Sie hat daher auch kein Recht, der Kirche in Glaubenssachen und ihrer Ausübung etwas zu gebieten. Entweder sie geht überein mit dem, was Gott sowieso geordnet hat, dann braucht die Kirche keine weltlichen Verordnungen, oder aber die Regierung würde gegen Gottes Ordnungen und Willen handelt, und dann sind ihre Anweisungen vom Teufel und die Kirche, der Christ dürfen nicht gehorchen. Die Aufgabe der Obrigkeit ist es, „die Frommen zu schützen und die Bösen zu strafen“ (Röm. 13), was letztlich nichts anderes heißt, als gemäß dem natürlichen Recht die Ordnung zu wahren und zu gestalten. „Darum ist’s gar überaus ein närrisch Ding, wenn sie gebieten, man solle der Kirche, den Vätern, Konzilien glauben, ob gleich kein Gottes Wort da sei. Teufelsapostel gebieten solches und nicht die Kirche; denn die Kirche gebietet nichts, sie wisse denn gewiss, dass es Gottes Wort sei, wie St. Petrus sagt, 1. Ep. 4,11: ‚Wer da redet, der rede es als Gottes Wort.‘“[40] In Glaubensdingen aber darf keinerlei Gewalt angewandt werden. „Weil es denn einem jeglichen auf seinem Gewissen liegt, wie er glaubt oder nicht glaubt, und damit der weltlichen Gewalt kein Abbruch geschieht, soll sie auch zufrieden sein und ihres Dinges warten und lassen glauben so oder so, wie man kann und will, und niemand mit Gewalt dringen. Denn es ist ein freies Werk um den Glauben, dazu man niemand kann zwingen. Ja, es ist ein göttlich Werk im Geist, geschweige denn, dass es äußerliche Gewalt sollte erzwingen und schaffen. Daher ist der gemeine Spruch genommen, den Augustinus auch hat: Zum Glauben kann und soll man niemand zwingen.“[41] Daher ist auch kein Christ der Obrigkeit in Sachen der Seele zum Gehorsam verpflichtet. „Wenn nun dein Fürst oder weltlicher Herr dir gebietet, es mit dem Papst zu halten, so oder so zu glauben, oder gebietet dir, Bücher von dir zu tun, sollst du so sagen: Es gebührt Luzifer nicht, neben Gott zu sitzen; lieber Herr, ich bin euch schuldig zu gehorchen mit Leib und Gut, gebietet mir nach eurer Gewalt Maß auf Erden, so will ich folgen. Heißt ihr aber mich glauben und Bücher von mir tun, so will ich nicht gehorchen; denn da seid ihr ein Tyrann und greift zu hoch, gebietet, da ihr weder Recht noch Macht habt usw. Nimmt er dir darüber dein Gut und straft solchen Ungehorsam; selig bist du, und danke Gott, dass du würdig bist, um göttlichen Worts willen zu leiden. Lass ihn nur toben, den Narren, er wird seinen Richter wohl finden.“[42] Hier wird deutlich: Der Widerstand, den der Christ der tyrannischen Obrigkeit gegenüber leistet, ist grundsätzlich ein passiver Widerstand, das heißt, er führt Anweisungen nicht aus, die sich gegen Gottes Gebot, Wort, Ordnung, Willen richten. Dafür muss er dann auch bereit sein zu leiden. Aber Gewaltanwendung ist normalerweise ausgeschlossen. Röm. 12,19; Matth. 7,1; 2. Mose 22,28; 1. Tim. 2,2; Apg. 23,5.[43] „Denn der Obrigkeit soll man nicht widerstehen mit Gewalt, sondern nur mit Erkenntnis der Wahrheit; kehrt sie sich dran, ist’s gut; wo nicht, so bist du entschuldigt und leidest Unrecht um Gottes willen.“[44] Gewalt ist nur gegen solche erlaubt, die rechtlich auf der gleichen Stufe stehen oder darunter, nicht aber gegen die, die uns übergeordnet sind. „Ist aber der Widerpart deinesgleichen oder geringer als du, oder fremder Obrigkeit; so sollst du ihm auf’s erste Recht und Friede anbieten, wie Mose die Kinder Israel lehrt. Will er dann nicht, so gedenke dein Bestes und wehre dich mit Gewalt gegen Gewalt.“[45] Es gibt also kein Recht auf eine aktive Rebellion gegen die Obrigkeit. Tut sie Unrecht, so ist das zu leiden.[46] Denn: Es sind zwei ganz verschiedene Dinge, eine Obrigkeit zu stürzen und etwas Besseren an ihre Stelle zu setzen. „Obrigkeit ändern und Obrigkeit bessern sind zwei Dinge, so weit voneinander wie Himmel und Erde. Ändern mag leicht geschehen; bessern ist misslich und gefährlich. Warum? Es steht nicht in unserem Willen und Vermögen, sondern allein in Gottes Willen und Hand.“[47] Etwas anderes ist es, wenn ein Herrscher wahnsinnig würde, also nichts Vernünftiges mehr tun oder leiden kann: Dann soll man ihn absetzen. Luther unterscheidet das sehr klar von der Tyrannei. „Das ist wohl billig, wo etwa ein Fürst, König oder Herr wahnsinnig würde, dass man denselben absetze und verwahrte. Denn der ist nun fortmehr nicht für einen Menschen zu halten, weil die Vernunft dahin ist. … Aber doch sage ich meine Meinung darauf, dass es nicht gleich ist mit einem Wahnsinnigen und Tyrannen. Denn der Wahnsinnige kann nichts Vernünftiges tun noch leiden, es ist auch keine Hoffnung da, weil der Vernunft Licht weg ist. Aber ein Tyrann tut dennoch viel dazu; so weiß er, wo er Unrecht tut, und es ist Gewissen und Erkenntnis noch bei ihm und Hoffnung auch, dass er sich möge bessern, sich sagen lassen und lernen und folgen, welches keines bei den Wahnsinnigen ist, welcher ist wie in Klotz oder Stein. Über das ist noch dahinten eine böse Folge oder Exemple; dass, wo es gebilligt wird, Tyrannen zu ermorden oder verjagen, reißt es bald ein und wird ein gemeiner Mutwille daraus, dass man Tyrannen schilt, die nicht Tyrannen sind, und sie auch ermordet, wie es dem Pöbel in den Sinn kommt; …“[48]

    Luther macht in dem Zusammenhang auch deutlich, und das war für damals (16. Jahrhundert) geradezu revolutionär: Der Staat hat ebenso kein Recht, der Ketzerei zu wehren, es fällt nicht in sein Amt. „So sprichst du abermals: Ja, weltliche Gewalt zwingt nicht zu glauben, sondern wehrt nur äußerlich, dass man die Leute mit falscher Lehre nicht verführe; wie könnte man sonst den Ketzern wehren? Antwort: Das sollen die Bischöfe tun; denen ist solch Amt befohlen, und nicht den Fürsten. Denn Ketzerei kann man nimmermehr mit Gewalt wehren, es gehört ein anderer Griff dazu, und ist hier ein anderer Streit und Handel als mit dem Schwert. Gottes Wort soll hier streiten; wenn das nichts ausrichtet, so wird’s wohl unausgerichtet bleiben von weltlicher Gewalt, ob sie gleich die Welt mit Blut füllt. Ketzerei ist ein geistlich Ding, das kann man mit keinem Eisen hauen, mit keinem Feuer verbrennen, mit keinem Wasser ertränken.“[49]

    Eine Frage im Zusammenhang mit obrigkeitlichem Dienst war auch damals schon aktuell: Kann, darf ein Christ Soldat sein? Luther sagt Ja, so lange es sich um einen Verteidigungskrieg handelt. „Denn weil dein ganzes Land in der Gefahr steht, musst du wagen, ob dir Gott helfen wollte, dass es nicht alles verderbt werde. Und ob du nicht wehren kannst, dass etliche Witwen und Waisen drüber werden; so musst du doch wehren, dass nicht alles zu Boden gehe und eitel Witwen und Waisen werde. Und hierin sind die Untertanen schuldig zu folgen, Leib und Gut daran zu setzen. Denn in solchem Fall muss einer um des andern willen sein Gut und sich selbst wagen. Und in solchem Krieg ist es christlich und ein Werk der Liebe, die Feinde getrost zu würgen, berauben und brennen, und alles tun, was schädlich ist, bis man sie überwinde, nach Kriegsläuften; nur dass man sich vor Sünden hüte, Frauen und Jungfrauen nicht schänden, und wenn man sie überwunden hat, denen, die sich ergeben und demütigen, Gnade und Friede erzeigen; so dass man in solchem Fall den Spruch lasse gehen: Gott hilft dem Kecksten.“[50] Kriegsdienst im Verteidigungsfall ist also ein Akt der Nächstenliebe, die in solch einer Situation geboten ist. Ja, Krieg ist Teil von Gottes Ordnung für die gefallene Welt und wird daher in der gefallenen Welt nicht aufhören: „Denn weil das Schwert ist von Gott eingesetzt, die Bösen zu strafen, die Frommen zu schützen und Friede handzuhaben, Röm. 13,1 ff.; 1. Petr. 3,14 ff., so ist’s auch gewaltig genug bewiesen, dass Kriegen und Würgen von Gott eingesetzt ist, und was Kriegslauft und Recht mitbringt. Was ist Krieg anders als Unrecht und Böses strafen? Warum kriegt man, als dass man Friede und Gehorsam haben will?“[51]  Etwas anderes ist es, wenn es ein ungerechter Krieg ist, ein Angriffskrieg, ein Krieg, der aus unlauteren Motiven oder hinterhältig vom Zaun gebrochen wurde, dann darf ein Christ nicht gehorchen und muss auch alle daraus kommenden Folgen tragen. Wieder anders ist es, wenn es ihm in der konkreten Situation nicht möglich ist, oder nicht mit letzter Gewissheit möglich ist, festzustellen, ob der Krieg gerechtfertigt ist oder nicht, ob es sich um einen Angriffskrieg handelt oder nicht – dann muss er gehorchen und soll getrost seinen Dienst tun. Wenn der Krieg ungerecht ist, tragen diejenigen die Schuld vor Gott, die ihn zu verantworten haben. „Wie, wenn dein Fürst unrecht hätte, ist ihm sein Volk auch schuldig zu folgen? Antwort: Nein, denn gegen Recht gebührt niemand zu tun; sondern man muss Gott, der das Recht haben will, mehr gehorchen als den Menschen, Apg. 5,29. Wie, wenn die Untertanen nicht wüssten, ob er recht hätte oder nicht? Antwort: Weil sie nicht wissen noch erfahren können durch möglichen Fleiß, so mögen sie folgen ohne Gefahr der Seelen.“[52] „Wer Krieg anfängt, der ist unrecht, und ist billig, dass er geschlagen oder doch zuletzt gestraft werde, der am ersten das Messer zuckt. … Denn weltliche Obrigkeit ist nicht eingesetzt von Gott, dass sie soll Frieden brechen und Kriege anfangen; sondern dazu, dass sie den Frieden handhabe und den Kriegen wehre, wie Paulus Röm. 13,4 sagt, des Schwertes Amt sei schützen und strafen, schützen die Frommen im Frieden und strafen die Bösen im Krieg. … Darum, lasst euch sagen, ihr lieben Herren, hütet euch vor Krieg, ews sei denn, dass ihr wehren und schützen müsst und euer aufgelegtes Amt euch zwingt zu kriegen. Alsdann so lasst’s gehen und haut drein, seid dann Männer und beweist euren Harnisch; da gilt’s denn nicht, mit Gedanken kriegen.“[53] Es kann also sehr wohl die Situation kommen, dass ein Christ passiv widerstehen muss, dann, wenn die Obrigkeit Unrecht tut, von ihm verlangt, an Unrecht sich zu beteiligen. „Wie, wenn mein Herr Unrecht hätte zu kriegen? Antwort: Wenn du weißt gewiss, dass er unrecht hat, so sollst du Gott mehr fürchten und gehorchen als Menschen, Apg. 5,29, und sollst nicht kriegen noch dienen, denn du kannst da kein gutes Gewissen vor Gott haben. Ja, sprichst du, mein Herr zwingt mich, nimmt mir mein Lehen, gibt mir mein Geld, Lohn und Sold nicht, dazu würde ich verachtet und geschändet als ein Verzagter, ja als ein Treuloser vor der Welt, der seinen Herrn in Nöten verlässt usw. Antwort: Das musst du wagen und um Gottes willen lassen fahren, was da fährt, er kann dir’s wohl hundertfältig wiedergeben, wie er im Evangelium verheißt, Matth. 19,29: ‚Wer um meinetwillen verlässt Haus, Hof, Frau, Gut, der soll’s hundertfältig wieder kriegen‘ usw.“[54] Damit ist Gewalt, wie schon oben dargelegt, ausgeschlossen, vielmehr heißt es dann: leiden. „Aber nach der Schrift will sich’s in keinem Weg ziemen, dass sich jemand, der ein Christ sein will, gegen seine Obrigkeit setze, Gott gebe, sie tue recht oder unrecht; und ein Christ soll Gewalt und Unrecht von seiner Obrigkeit leiden. Denn obgleich hierin kaiserliche Majestät unrecht täte und ihre Pflicht und Eid übertritt, ist damit seine kaiserliche Obrigkeit und seiner Untertanen Gehorsam nicht aufgehoben; so lange das Reich und die Kurfürsten ihn für einen Kaiser haben und nicht absetzen.“ [55] Die einzige Möglichkeit, die legal ist, ist also die verfassungskonforme Absetzung der Obrigkeit. Gewalt aber darf normalerweise nicht angewandt werden, auch nicht von der regionalen Obrigkeit gegen die höhere, etwa um die eigenen Bürger zu schützen. „… und schickt sich nicht, dass jemand mit Gewalt des Kaisers Untertanen gegen den Kaiser, ihren Herrn, wollte schützen; gleichwie sich’s nicht ziemt, dass der Bürgermeister zu Torgau wollte die Bürger mit Gewalt schützen gegen den Kurfürsten zu Sachsen, so lange er Kurfürst zu Sachsen ist.[56] Auch der Glauben darf nicht mit Gewalt beschützt werden, vor allem nicht von den Bürgern. „Darum achte ich’s, es sei vor dem Garn gefischt, so man um Verteidigung willen des Evangeliums sich gegen die Obrigkeit legt, und gewiss ein rechter Missglaube, der Gott nicht vertraut, dass er uns ohne unsern Witz und Macht durch mehr Weise wohl wisse zu schützen und zu helfen.“[57] Es gilt auch dann also: nicht Gewalt anwenden, sondern leiden; Gott wird zu seiner Zeit strafen. „Und derhalben entweder entsagen und legen ab Papst, Kardinäle, Bischöfe und Kaiser den Namen Christi und bekennen öffentlich, dass sie die sind, wie sie es denn gewiss sind, die in des Teufels Dienst einherreiten und sein eigen sind: So will ich raten, wie zuvor, dass man ihnen als heidnischer Obrigkeit, die das Evangelium nicht leiden wollen, Raum gebe und leide. Oder aber, wo sie unter Christi Namen gegen die rechten Christen als Widerchristliche wissentlich würden etwas anfangen und den Stein über sich werfen: So mögen sie auch gewarten, dass der Stein auf ihren Kopf falle und sie billig die Strafe des andern Gebots empfangen.“[58]

    Die Möglichkeiten der Gegenwehr damals, als es um das Evangelium ging, waren für Luther durch die damalige Konstruktion der Reichsverfassung gegeben, nämlich dass der Kaiser ja nicht Alleinherrscher war, nicht einmal die Kurfürsten eigenmächtig absetzen konnte, auch nicht eigenmächtig die Verfassung ändern.[59] Darum haben die Fürsten, besonders die Kurfürsten, damals Macht und Recht gehabt, gegen unrechte Handlungsweisen des Kaisers vorzugehen. „Weil denn das keinerlei Weise um weltlicher Händel und Sachen willen geduldet werden kann und darf; wieviel weniger wäre es zu leiden, wo kaiserliche Majestät um fremder Ursache und des Teufels willen Krieg anfinge oder vornähme.“[60] Auch hier aber ist deutlich: Der Widerstand, gerade der aktive, ist nur denen erlaubt, denen er verfassungsmäßig zusteht, nicht einfach jedem Bürger, also denen, die auch die Macht haben, die eine Obrigkeit durch eine andere zu ersetzen, ohne dass Chaos entsteht.

    Anders sah es Luther dann, wenn der Kaiser ohne Rechtssatz, also ohne päpstliche oder Reichstagsbeschlüsse (damals vor allem: vor dem Konzil), gegen das Evangelium vorgeht, da Willkür übt und damit „notorisches Unrecht“. In einem solchen Fall sah er die gewaltsame Gegenwehr als zulässig an. Luther geht dabei sogar so weit, dass er sagt, dass jede Obrigkeit schuldig sei, die Christen und den rechten Gottesdienst gegen unrechte Gewalt zu schützen.[61] „Hier ist weiter die Frage: Was einem Fürsten gegen seinen Herrn, als den Kaiser, in solchem Fall zu tun gebühre? Darauf ist auch gleiche Antwort: Erstlich, weil das Evangelium bestätigt weltliche leibliche Regimente, so soll sich ein jeglicher Fürst gegenüber seinem Herrn oder Kaiser verhalten vermöge derselben natürlichen und weltlichen Regimente und Ordnungen. Wenn der Kaiser nicht Richter ist und will gleichwohl Strafe üben, als pendente appelatione (während die Appelation noch anhängig ist), so heißt solch sein tätlich Vornehmen injuria notoria (offenbares, notorisches Unrecht). Nun ist dieses natürliche Ordnung der Regimente, dass man sich schützen möge und Gegenwehr gebrauchen gegen solche notoriam injuriam.“[62] Was aber, wenn ein entsprechender Beschluss eines Konzils, des Papstes, des Reichstages vorläge, Beschlüsse, die sich gegen das Evangelium Gottes stellen? Solch ein Beschluss, der sich damit ja gegen Gottes Wahrheit richtet, ist ebenfalls notorisches Unrecht. „Und zu setzen, dass gleich der Papst mit dem Prozess sich glimpflich erzeigt, und doch im Sentenz (Urteilsspruch) öffentliche idolotaria (Götzendienst) und Abgötterei und öffentliche injurias wollte bestätigen; so halten wir dennoch, dass die Fürsten Recht haben, sich dawider zu setzen und die Ihren hierin zu schützen. Exempel: So ein christlicher Fürst unter dem Türken wäre, und der Türke wollte den Mahomet oder andere Abgötterei in des Fürsten Gebieten aufrichten; da hätte der christliche Fürst Macht und Recht, sich gegen den Türken zu setzen; wäre auch schuldig, kraft des andern Gebots, solches zu wehren und die Seinen bei rechtem Gottesdienst zu handhaben; wie Makkabäus, 2. Makk. 3, sich gegen Antiochus setzte. Doch mag davon weiter disputiert werden, so man von dem allen reden wird.“[63] Dieses Sache ist, siehe Darlegung bei Anm. 36, durchaus fragwürdig. Klarer, das hat auch Luther so gesehen, liegt die Sache, wenn offenbar gegen die natürliche Ordnung verstoßen wird, etwa wenn die Priesterehen zerrrissen werden sollen. „Der andere Fall ist leichter: Wenn die Sentenz geht, dass der Priester Ehe unrecht sei und sollen verboten und zerrissen werden. Dieses ist eine notoria injuria, und sind weltliche Sachen, darinnen natürliche Vernunft, als Gottes Ordnung, selbst Richter ist. Wider solche öffentliche injuriam ist der Schutz und die Gegenwehr zugelassen. Als, so sich einer gegen einen Mörder auf der Straße wehrte, oder ein Ehemann tötete den Ehebrecher, begriffen in der Tat; solche Injurien sind ausgenommen in allen Pflichten und Bündnissen. Als Exempel: Konstantinus und Licinius waren beide Mitregenten und Kaiser, mit Eiden verbunden; es verfolgte aber Licinius die Christen grausam, so dass Orient Hilfe suchte bei Konstantinus. Nun waren Konstantinus und Licinius miteinander verbunden; gleichwohl, nachdem Licinius, nachdem er oft ermahnt, nicht von der Persecution (Verfolgung) lassen wollte, zog Konstantinus gegen ihn, unangesehen ihres Bündnisses. Denn in allen Bündnissen und Verpflichtungen sollen öffentliche Injurien ausgenommen seien.“[64] Auch hier ist es aber so, dass dies allein obrigkeitlichen Kräften zusteht, da diese schuldig sind, öffentliche Gewalt, Unzucht usw. zu wehren, also notorisches Unrecht, Unrecht, das gegen die natürliche, von Gott gesetzte, Ordnung ist.[65]

    Wie sieht es nun aus, wenn die Obrigkeit den Christen um seines Glaubens willen verfolgt? Dann soll der Christ das Land verlassen und sich ihr nicht widersetzen.[66] Dagegen stellt der Papst keine von Gott geordnete Obrigkeit dar, denn er gehört weder ins Hausregiment, noch ins Staats- oder ins Kirchenregiment.[67] Er kann im Kirchenregiment keine Obrigkeit sein: „Dass aber der Papst im Kirchenregiment keine Obrigkeit sei, ist darum offenbar, weil er durch seine im sogenannten geistlichen Recht enthaltenen Gotteslästerungen das Evangelium verdammt und mit Füßen tritt.“[68] Er ist vielmehr „jenes Ungeheuer, von dem Daniel spricht, dass es sich aufwerfe wider alles, was Gott ist, ja wider den Gott aller Götter, Dan. 12,1.“[69] Das heißt dann: Wenn der Papst Krieg anzettelt, als ein wütendes und besessenes Ungeheuer, dann muss man sich ihm widersetzen, weil er dann kein Bischof, kein Fürst, kein Tyrann ist, sondern ein alles verwüstendes wildes Tier.[70] Das heißt, dieses Ungeheuer verwüstet göttliche und menschliche Ordnung, darum ist ihm zu widerstehen.[71]

 

    Wenn wir all das überblicken, so erkennen wir, dass die Grundordnung und die Grundhaltung für den Christen die ist: kein aktiver Widerstand, vielmehr: leiden und wenn nötig weichen, fliehen, das Land verlassen, so weit es noch möglich ist. Widerstand anderer Kräfte der Obrigkeit ist im verfassungsrechtlichen Rahmen möglich, wenn fortgesetztes öffentliches Unrecht geschieht, alle natürliche Ordnung, Recht, Vernunft umgestoßen werden und wenn die betreffenden Obrigkeiten zu Unrecht Verfolgte gegen die unrecht handelnde Obrigkeit verteidigt.

    Als einen besonderen Fall hat Luther noch den Papst behandelt, in dem er zu Recht den Antichristen sah, der sich gegen alle Ordnungen Gottes setzt, göttliche und menschliche Ordnung umstößt, um seinen Willen durchzusetzen. Ihn hat er als ein Ungeheuer angesehen, gegen das jeder unbedingt auch aktiv Widerstand leisten muss, weil das Papsttum sich Rechte und Macht anmaßt, die ihm weder von Gott noch nach natürlichem Recht zustehen.

    Ob solche Beschreibung auch auf eine Obrigkeit übertragen werden kann? Wenn, dann nur in absoluten Ausnahmefällen. Selbst totalitäre Ordnungen fallen nicht automatisch darunter, sondern nur dann, wenn sie sich gegen jegliche göttliche und natürliche Ordnung stellen und sie umstoßen und in großem Maße in umfassend verbrecherischer Weise Unrecht verüben, so dass die von ihnen noch aufrecht erhaltenen staatlichen Ordnungen gegenüber dem furchtbaren Unrecht, mit dem sie weite Kreise überziehen, oder auch einzelne Kreise im besonderen Maß, nicht mehr wirklich ins Gewicht fallen. Auch da gilt aber, dass der aktive Widerstand der Aufrichtung rechter staatlicher Ordnung nach göttlichem und menschlichem Recht dient und auch herbeiführen kann, und nicht vielmehr Volk und Staat in noch größeres Chaos, Anarchie stürzen. Aber, wie gesagt, dies ist eine absolute Ausnahmesituation, die bei Luther direkt so nicht zu finden ist (weil es den totalitären Staat mit dem extremen Unrecht, wie wir es im 20. Jahrhundert kennengelernt haben, noch nicht gab), sondern abgeleitet.[72] Da er Empörung gegen die Obrigkeit ist, steht der aktive Widerstand in Konflikt mit Römer 13. Andererseits kann es in den absoluten Ausnahmefällen sein, dass das Unterlassen des Widerstandes Unterlassen der Nächstenliebe und der daraus folgenden Hilfe ist. Das heißt: Das ist eine Situation, in der es ohne Sündigen nicht abgeht. Entweder man sündigt, indem man den Gequälten, Unterdrückten, Verfolgten keine Hilfe leistet, oder man sündigt, weil man gegen die vorgesetzte Obrigkeit aktiv vorgeht. Wir leben in einer gefallenen Welt, in der es um des Teufels und der Sünde willen solche Situationen geben kann, in denen es ohne Sünde nicht abgeht und es abzuwägen gilt, was schwerer wiegt, welche Sünde da auf sich zu nehmen ist im Vertrauen auf die Gnade in Christus.

 

 

5. Die Gnadenmittel

 

a. Heilige Schrift und Wort Gottes[73]

 

aa. Die Heilige Schrift ist Gottes Wort (Inspirationslehre)

    Wessen Wort hören wir, wenn wir das Wort der Heiligen Schrift hören, wessen Wort lesen wir, wenn wir die Bibel lesen? Die Antwort auf diese Frage ist entscheidend für alles weitere, ja, entscheidend für die gesamte Stellung der Kirche. Die evangelisch-lutherischen Bekenntnisse beantworten diese Frage eindeutig: Und St. Petrus spricht [2 Petr. 1,21]: Die Propheten haben nicht aus menschlichem Willen, sondern aus dem heiligen Geist geweissagt, doch als die heiligen Menschen Gottes. Aber ohne äußerliche Worte waren sie nicht heilig, viel weniger hätte sie als noch Unheilige der Heilige Geist zu reden getrieben; denn sie waren heilig, spricht er, da der Heilige Geist durch sie redet. (Schm. Artikel, III, VIII, 13). Der Heilige Geist selbst redet also in der Bibel, durch Menschen, nämlich die Apostel und Propheten. Die heiligen Bücher der Bibel sind daher nicht der Propheten und Apostel Bücher in dem Sinne, dass sie die Urheber, Verfasser, Autoren derselben wären, sondern das ist der Heilige Geist, weshalb Luther die Bibel auch ganz richtig als des heiligen Geistes Buch (W 2, IX, 1775) bezeichnet. Damit ist auch jegliches angebliche Nebeneinander von Gotteswort und Menschenwort in der Heiligen Schrift abgewiesen. Das wird bekräftigt durch die Frage, die in der Apologie der Augsburgischen Konfession im Blick auf die römisch-katholische Theologie gestellt wird, die trotz so vieler klarer Schriftstellen die Rechtfertigung allein aus Gnaden, allein um Christi Verdienst willen, allein durch den Glauben leugnete und leugnet: Meinen sie, dass der Heilige Geist sein Wort nicht gewiss und bedächtig setze oder nicht wisse, was er rede? (Apol. IV, 108) Wie unmissverständlich wird doch hier gelehrt: der Heilige Geist hat die Worte gesetzt in der Heiligen Schrift, bewusst, absichtlich, auch die Wiederholungen, er hatte damit seinen Plan und seine Absicht. Und da es "Worte", Aussagen, Sätze ohne die Wörter nicht gibt, so ist es klar: die evangelisch-lutherischen BS lehren hier eindeutig die Wörterinspiration: jedes Wort in der Heiligen Schrift ist vom Heiligen Geist dahin gesetzt; nicht aus menschlichem Willen, Planen, Forschen als der Ursache haben wir es in der Bibel, und zwar gerade auch an der Stelle, wo es steht. Das bekennt die evangelisch-lutherische Kirche jedes Mal im Gottesdienst, wenn sie das auch zu ihren Bekenntnissen gehörende Nicänische Glaubensbekenntnis spricht, in dem es auch heißt: [Ich glaube] an den HERRN, den Heiligen Geist, ... der durch die Propheten geredet hat. (Nic. 7)

    Darum lehrt das evangelisch-lutherische Bekenntnis im Zusammenhang mit 2 Tim. 3,16: Und St. Paulus sagt weiter: Alle Schrift von Gott gegeben ist nütze zur Lehre, zur Strafe  etc. und strafen ist das eigentliche Amt des Gesetzes. Darum, so oft die Gläubigen straucheln, werden sie gestraft durch den heiligen Geist aus dem Gesetz und durch denselben heiligen Geist wieder aufgerichtet und getröstet mit der Predigt des heiligen Evangeliums. (KF, Ausf. Darl. VI, 14) Alle Schrift, die gesamte Bibel, ist Gottes Wort - und nur Gottes Wort; und es ist der Heilige Geist, der durch das Gesetz straft und durch das Evangelium tröstet - eben weil er der Autor ist, der, der wirkend gegenwärtig ist in der Schrift, Joh. 6,63; Jes. 55,10.11; Röm. 1,16.

    Und weil dem so ist, darum bekennt sich die evangelisch-lutherische Kirche "zu den prophetischen und apostolischen Schriften alten und neuen Testaments als zu dem reinen, lautern Brunnen Israels, welche allein die einige wahrhaftige Richtschnur ist, nach der alle Lehrer und Lehre zu richten und zu urteilen sind." (FC, SD, Summ. 3,4), d.h.: Nur aus der Heiligen Schrift als dem Wort Gottes darf die Lehre der Kirche entnommen werden, sie, die Schrift, ist Richterin; alle Lehre, die von etwas anderem entnommen wird, darf nicht kirchliche Lehre sein, wie geschrieben steht: Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege. Ps. 119. Und St. Paulus: Wenn ein Engel vom Himmel käme und predigte anders, der soll verflucht sein. Gal. 1. (KF, Kurze Darl. Summ., 1) Deshalb weiß sie auch, was sie bittet, wenn sie betet: Geheiligt werde dein Name, nämlich: Wo das Wort Gottes lauter und rein gelehrt wird, und wir auch heilig als die Kinder Gottes darnach leben. Das hilf uns, lieber Vater im Himmel. Wer aber anders lehret und lebet, als das Wort Gottes lehret, der entheiliget unter uns den Namen Gottes. Davor behüte uns, himmlischer Vater. (Kl. Kat. III, 3-5) Weil es Gottes- und nicht Menschenwort ist, darum darf die Kirche damit nicht spielen, sondern hat die heilige Verpflichtung, es rein, lauter, unverfälscht zu lehren, andernfalls versündigt sie sich zutiefst, ja, beleidigt aufs höchste die Majestät Gottes.    

 

ab. Die Heilige Schrift ist das größte Heiligtum

    Weil die Heilige Schrift Gottes Wort ist und als solches keine leere Hülse oder bloß äußeres Gerede, sondern kräftiges, wirkmächtiges Wort, wo der Heilige Geist stets wirkend gegenwärtig ist, darum ist das Wort Gottes das Heiligtum über alles Heiligtum, ja, das einzige, das wir Christen wissen und haben" (Gr. Kat. III, 91) Gott selbst begegnet uns in seinem Wort mit seiner Allmacht und Liebe. Während Rom meint, besondere Heiligtümer sammeln zu müssen, Reliquien anhäuft, so hat es tatsächlich nur tote Dinge damit, die niemand helfen, heiligen können, ist Gottes Wort der Schatz, der alle Dinge heilig macht (ebd.), eben darum, weil Gott selbst sein Werk durch das Wort an uns vollbringt: durch das Gesetz die Sünde aufzeigt, die Reue bewirkt, durch das Evangelium aber den Glauben weckt, stärkt, bewahrt. Darum aber bedürfen wir alle täglich unbedingt des Wortes Gottes, weil wir nur daraus leben können, nämlich gottesfürchtig, heilig, Gott wohlgefällig.

 

ac. Die Autorität der Heiligen Schrift

    Die Stellung, die Autorität, die die Heilige Schrift hat, weil sie allein Gottes Wort IST (nicht bloß enthält), macht der Eingang der Konkordienformel deutlich, der auch unter 1. schon zitiert wurde: Wir glauben, lehren und bekennen, dass die einzige Regel und Richtschnur, nach welcher zugleich alle Lehren und Lehrer gerichtet und geurteilt werden sollen, sind allein die prophetischen Schriften altes und neuen Testaments, wie geschrieben stehet: Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege. Ps. 119. Und St. Paulus: Wenn ein Engel vom Himmel käme und predigte anders, der soll verflucht sein. Gal. 1. (KF., Kurzfass., Summ. 1) Damit ist unmissverständlich bekannt, dass es eine weitere Autorität als die Heilige Schrift Gottes - und damit Gott selbst - in der Kirche nicht geben kann und darf. Die christliche Kirche, will sie wirklich Kirche Jesu Christi sein unter dem einen Haupt, darf nur das lehren, was die Heilige Schrift lehrt und nichts anderes; die Heilige Schrift Gottes allein ist die Lehrerin der Kirche; an sie ist die Kirche und jeder Christ unbedingt, auch in seinem Gewissen, gebunden. Alle zusätzlichen Autoritäten, die Lehre setzen oder beurteilen wollen, sind damit ausgeschlossen, es sei das Papstamt (Lehren ex cathedra) oder die Tradition oder ein magnus consensus (weitgehende Übereinstimmung) in der Kirche oder die Vernunft (die Axiome setzt, was sein könne oder nicht, oder die Lehre der Schrift Vernunftgründen unterwirft) oder irgendeine Wissenschaft (z.B. Philosophie, Naturwissenschaft, Sozialwissenschaft u.a.) oder der Zeitgeist, die Ideologie oder die Staatsmacht oder Neuoffenbarungen oder was sonst die Lehre der Kirche und ihr Amt zu beeinflussen trachtet. Luther hat dies in den Schmalkaldischen Artikeln sehr treffend kurz zusammengefasst: Es heißt, Gottes Wort soll Artikel des Glaubens stellen und sonst niemand, auch kein Engel. (Schm. Art., II, II, 15) Dagegen verstoßen auch die, - modernistische und bibelkritische Theologie (Hist.-krit. Methode), Feminismus, allegorisch-psychologische Auslegung u.a. - die der Schrift Gottes ein Verständnismuster überstülpen, nach dem sie auszulegen wäre. Denn wenn NUR Gottes Wort Artikel des Glaubens setzen kann, dann kann auch nur Schrift Schrift auslegen, nämlich dass die klare, unmissverständliche Schriftstelle das Dunklere auslegt (s. Apol. XXVII, 60). Welche Lehre aber keinen festen Schriftgrund hat, die ist unbiblisch, deshalb auch unkirchlich, daher als Irrlehre verworfen, darf kein Anrecht in der Kirche haben, sondern muss auf das Entschiedenste bekämpft werden (s. Apol. XXI, 3.9).

    Gottes Wort aber ist wahrhaftig, ohne Irrtum, denn der Grund, auf dem die Kirche steht, ist, dass Gottes Wort nicht falsch ist oder lüge. (KF, Zusammenf., VII, 13.)

    Gottes Wort ist auch deshalb absolute Autorität und bedarf nicht erst einer Auslegung durch Papst oder Bischof, weil es klar ist, ein Licht auf unserem Weg, und genugsam, ausreichend ist für alles, was Gott an uns, in uns und durch uns bewirken will. Sie ist aus ihr selbst, aus ihrem inneren Zusammenhang zu verstehen (Schrift legt Schrift aus) und zwar im buchstäblichen Sinn (es sei denn, der Zusammenhang forderte bildhaftes Verständnis) (Apol. IV, 107 ff.). Das rechte Verständnis öffnet dabei der Heilige Geist (KF, Ausf. Darl. II, 26).

 

ad. Die Rechtfertigung allein aus Gnaden - der Kern der Schrift, ohne den sie nicht verstanden werden kann

    Aber alles Bekenntnis zur Verbal- oder Wörterinspiration im Blick auf die Heilige Schrift und zur Autorität der Schrift nutzt wenig, wenn nicht der Kern der Schrift recht erkannt und so das rechte Verständnis der Schrift eröffnet wird, weil sonst Gesetz und Evangelium wild durcheinander gemengt werden.

    Was aber ist der Schlüssel zur Schrift? Das bekennt die evangelisch-lutherische Kirche in ihrem Kampf mit Rom über den Artikel über den Christus für uns, von der Rechtfertigung oder wie man vor Gott fromm und gerecht wird: Dieweil aber solcher Zank ist über dem höchsten, vornehmsten Artikel der ganzen christlichen Lehre, also dass an diesem Artikel ganz viel gelegen ist, welcher auch zu klarem richtigen Verstande der ganzen Heiligen Schrift vornehmlich dienet und zu dem unaussprechlichen Schatz und der rechten Erkenntnis Christi den Weg weist, auch in die ganze Bibel allein die Tür auftut, ohne welchen Artikel auch kein arm Gewissen einen rechten beständigen Trost haben oder die Reichtümer der Gnaden Christi erkennen mag. (Apol. IV, 2) Die Rechtfertigungslehre, das ist, dass wir Vergebung der Sünden durch Christus ohne unser Verdienst allein durch den Glauben, allein aus Gnaden erlangen: das ist der Hauptartikel der christlichen Lehre, das macht die Kirche zur christlichen Kirche (nicht das Gesetz, das nicht zum Wesen der Kirche gehört, denn die Heiden haben es auch). Denn: In der christlichen Kirche ist das kein geringer Artikel, sondern der allerhöchste und Hauptartikel, dass wir Vergebung der Sünden erlangen ohne unsern Verdienst durch Christus, und dass nicht unsere Werke, sondern Christus sei die Versöhnung für unsere Sünde." (Apol. XX, 79) "Paulus in der Epistel an die Römer behandelt vornehmlich dieses Stück, wie ein Mensch vor Gott fromm werde und schließt, dass alle, die da glauben, dass sie durch Christus einen gnädigen Gott haben, ohne Verdienst durch den Glauben gerecht werden. Und diesen gewaltigen Schluss, diese Proposition, in welcher gefasst ist die Hauptsache der ganzen Epistel, ja der ganzen Schrift, setzet er im dritten Kapitel mit dürren klaren Worten so: So halten wir es nun, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. Röm. 3,28. (Apol. IV, 87)

    Aber nicht nur das: Erst von diesem Artikel her können wir wirklich die Schrift Gottes verstehen, können Gesetz und Evangelium in ihrer Unterschiedenheit recht erkennen und dadurch auch die Aussagen der Schrift verstehen. (Wohl ist jeder Lehrartikel für sich aus seinem Sitz der Lehre zu verstehen; aber wir haben keine lineare Schriftauffassung, sondern Gott selbst hat Schwerpunkte gesetzt und von daher auch die verschiedenen Artikel der einen christlichen Lehre in eine geistliche Ordnung gebracht.)

    Wer also den Christus für uns, die Rechtfertigungslehre, nicht wirklich als Kern und Stern der Heiligen Schrift Gottes festhält, lehrt und danach die gesamte Lehre ordnet, der hat eine andere, eine der Schrift widersprechende Schriftauffassung, mag er auch sonst die Verbalinspiration bekennen (hierin gehören z.B.: Entscheidungstheologie; keine klare Unterscheidung zwischen Rechtfertigung und Heiligung; bedingte Absolution; Verschiebung des Schwerpunktes von der Lehre auf das Leben, von Gott auf den Menschen; jede Form der Mithilfe des Menschen bei seiner Bekehrung und Bewahrung). Denn Christus ist das Wort Gottes an uns Sünder schlechthin, und zwar im Alten wie im Neuen Testament.[74]

 

ae. Das Licht zum Verständnis der Schrift: die rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium

    Nur dann aber kann der göttlichen Struktur der Heiligen Schrift und ihrem Kern oder Schwerpunkt im Verständnis der Schrift wirklich gerecht geworden werden, wenn die beiden Predigten Gottes, Gesetz und Evangelium, recht unterschieden und nicht vermischt werden: Nachdem der Unterschied des Gesetzes und Evangeliums ein besonders herrliches Licht ist, welches dazu dienet, dass Gottes Wort recht geteilt und der heiligen Propheten und Apostel Schriften eigentlich erkläret und verstanden [werden]: ist mit besonderem Fleiß über demselben zu halten, damit diese zwei Lehren nicht miteinander vermischt oder aus dem Evangelium ein Gesetz gemacht, dadurch das Verdienst Christi verdunkelt und die betrübten Gewissen ihres Trostes beraubet [werden], den sie sonst in dem heiligen Evangelium haben, wenn dasselbige lauter und rein gepredigt [wird], und sich in ihren höchsten Anfechtungen wider das Schrecken des Gesetzes aufhalten können. (KF., Ausf.. Darl., V, 1) Jede Vermengung von Gesetz und Evangelium, die sowohl Abstumpfung der Schärfe des Gesetzes bedeutet, vor allem aber Verkürzung des Evangeliums, Zurückdrängen des vollen Heils und der Heilsgewissheit allein aus Gnaden, allein um Christi willen, allein durch den Glauben, muss daher, um der bluterkauften Seelen und ihres ewigen Heils willen, unbedingt unterlassen werden.

    Diese rechte Unterscheidung gilt für das Verständnis der gesamten Schrift Gottes, Alten und Neuen Testamentes: Diese zwei Predigten sind von Anfang der Welt her in der Kirche Gottes nebeneinander je und allewege mit gebührendem Unterschied getrieben worden. (KF., Ausf. Darl., V, 23) Ohne diese rechte Unterscheidung und das rechte Verständnis des Evangeliums würde die Kirche - siehe Rom - bei der Werkgerechtigkeit enden.

    Darum werden die evangelisch-lutherischen BS nicht müde, diese notwendige Unterscheidung immer wieder zu betonen, denn davon hängt es ab, ob der Hauptartikel der Schrift, die Rechtfertigungslehre, der Christus für uns, rein erhalten bleibt. Die ganze Schrift, beide, Alten und Neuen Testaments, wird in die zwei Stücke geteilt und lehret diese zwei Stücke, nämlich Gesetz und göttliche Verheißungen. Denn an etlichen Orten hält sie uns vor das Gesetz, an etlichen bietet sie uns Gnaden an durch die herrlichen Verheißungen von Christus; so, wenn im Alten Testament die Schrift verheißet den zukünftigen Christus und bietet ewigen Segen, Benedeiung, ewiges Heil, Gerechtigkeit und ewiges Leben durch ihn an; oder im Neuen Testament, wenn Christus, da er kommen ist auf Erden, im Evangelium verheißet Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und ewiges Leben. (Apol. IV, 5; s.a. IV, 102) Denn Christi Wohltat und den großen Schatz des Evangeliums (welchen Paulus so hoch hebt) recht zu erkennen, müssen wir je auf einen Teil Gottes Verheißung und angebotene Gnade, auf dem andern Teil das Gesetz so weit voneinander scheiden wie Himmel und Erde."  (Apol. III, 65)

    Es hängt von dieser Unterscheidung ab, ob die Schrift wirklich so verstanden wird, wie Gott geredet hat, oder ob ihr ein anderes, gesetzliches, das Evangelium verdunkelndes Verständnis übergestülpt wird. Die Schrift ist kein bloßes äußeres Wort, sondern ist Gottes Wort zu unserer Errettung, Joh. 20,21; Röm. 1,16.17; 10,14-17. Dieses rechte Schriftverständnis hat seine Auswirkungen dann auch in den Artikeln von der Rechtfertigung, von der Buße, von der Bekehrung, vom Verständnis von Gnade und Glaube, von Taufe und Abendmahl, von der Kirche, vom Predigtamt, von der Gnadenwahl, von den letzten Dingen. Darum entfalten die evangelisch-lutherischen BS dies immer wieder neu: Dies sind nun die vornehmsten zwei Werke, dadurch Gott in den Seinen wirket. Von den zwei Stücken redet die ganze Schrift, erstlich, dass er unsere Herzen erschrecket und uns die Sünde zeigt, zum anderen, dass er wiederum uns tröstet, aufrichtet und lebendig macht. Darum führt auch die ganze Schrift diese zweierlei Lehren. Eine ist das Gesetz, welche uns zeiget unseren Jammer, strafet die Sünde. Die andere Lehre ist das Evangelium; denn Gottes Verheißung, da er Gnade zusagt durch Christus, und die Verheißung der Gnade wird von Adam her durch die ganze Schrift immer wiederholet ... Denn durch den Glauben an das Evangelium oder an die Zusage von Christus sind alle Patriarchen, alle Heiligen von Anbeginn der Welt gerecht vor Gott worden, und nicht um ihrer Reue oder Leid oder einigerlei Werk willen. (Apol. XII, 53.54)

    Diese rechte Unterscheidung von Gesetz und Evangelium betrifft dabei nicht nur, wie jemand zum seligmachenden Glauben an Christus kommt, sondern vielmehr alles, was mit seinem Christenleben zu tun hat, auch die Heiligung, weil sonst durch die Hintertür die falsche, den Kern der Schrift umstürzende oder verdunkelnde Lehre wieder eingeführt wird: Es muss aber auch unterschiedlich erkläret werden, was das Evangelium zu dem neuen Gehorsam der Gläubigen tue, schaffe und wirke, und was hierinnen, so viel die guten Werke der Gläubigen anlanget, des Gesetzes Amt sei.

    Denn das Gesetz saget wohl, es sei Gottes Wille und Befehl, dass wir im neuen Leben wandeln sollen, es gibt aber die Kraft und Vermögen nicht dazu, dass wirs anfangen und tun können, sondern der Heilige Geist, welcher nicht durch das Gesetz, sondern durch die Predigt des Evangeliums gegeben und empfangen wird, Gal. 3, erneuert das Herz. Darnach gebrauchet der Heilige Geist das Gesetz dazu, dass er aus demselben die Wiedergebornen lehret und in den Zehn Geboten ihnen zeiget und weiset, welches da sei der wohlgefällige Wille Gottes, Röm. 12. ... und da sie in dem von wegen des Fleisches faul und nachlässig und widerspenstig sind, strafet er sie darum durchs Gesetz. ... Darum, so oft die Gläubigen straucheln, werden sie gestraft durch den heiligen Geist aus dem Gesetz und durch denselben Geist wieder aufgerichtet und getröstet mit der Predigt des heiligen Evangeliums. (KF., Ausf. Darl., VI, 10-14)  

 

af. Gottes Wort ist uns zum Glauben gegeben - die Aufgabe der Heiligen Schrift

    Warum hat Gott uns sein Wort, die Bibel, gegeben? In der Konkordienformel heißt es im Zusammenhang mit der Lehre von der Gnadenwahl: Weil alle Schrift von Gott eingegeben [ist] nicht zur Sicherheit und Unbußfertigkeit, sondern zur Strafe, Züchtigung und Besserung dienen soll, 2 Tim. 3, ebenso, weil alles in Gottes Wort darum uns vorgeschrieben ist, nicht dass wir dadurch in Verzweiflung getrieben sollen werden, sondern dass wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben, Röm. 15. (KF., Ausf.. Darl., XI, 12) Hier haben wir wieder die beiden Weisen, mit denen Gott an uns handelt, Gesetz und Evangelium, die jeweils ihr Amt ausführen sollen an den Menschen: das Gesetz strafen, züchtigen, bessern, das Evangelium aber Trost und Hoffnung geben.

    Dabei aber stehen beide nicht beziehungslos nebeneinander, sondern, wie schon oben angezeigt, dominiert eindeutig das Evangelium als das eigentliche Werk Gottes gegenüber seinem fremden Werk. Denn darum recht eigentlich hat er uns sein Wort gegeben, weshalb wir auch bitten: Dein Reich komme, nämlich: Lieber Vater, wir bitten, gib uns erstlich dein Wort, dass das Evangelium rechtschaffen in der Welt gepredigt werde; zum andern, dass es auch durch den Glauben angenommen werde, in uns wirke und lebe, dass also dein Reich unter uns gehe durch das Wort und Kraft des Heiligen Geistes und des Teufels Reich niedergelegt werde, dass er kein Recht noch Gewalt über uns habe, so lange, bis es endlich gar zerstöret, die Sünde, Tod und Hölle vertilget werde, dass wir ewig leben in voller Gerechtigkeit und Seligkeit. (Gr. Katechismus, III, II, 54) Es geht also um nichts anderes, als aus dem Reich der Finsternis in das Reich Christi versetzt zu werden: was eben durch das Evangelium - und durch das Evangelium allein - geschieht, Joh. 20,21; Apg. 5,14; Kol. 1,13. (Das Gesetz kann nur den Boden vorbereiten, indem es Sündenerkenntnis und Reue wirkt und soll später den Erlösten dienen, den Willen Gottes zu erkennen - aber Leben geben, den Glauben wirken und damit Christi Reich bauen, das kann es nicht, das kann allein das Evangelium, Röm. 1,16.17; 3,20; Gal. 2,216). Darum bekennt die evangelisch-lutherische Kirche auch: In diesen Worten gedenkt der Katechismus unsers freien Willens oder Zutuns mit keinem Wort, sondern gibt alles dem heiligen Geist, dass er durchs Predigtamt uns in die Christenheit bringe, darinnen heilige und verschaffe, dass wir täglich zunehmen im Glauben und guten Werken. (KF., Ausf. Darl., II, 38)

    Das Zentrum der Heiligen Schrift, wie unter ad. dargelegt, ist der Christus für uns, die Rechtfertigung des Sünders, des Gottlosen, allein aus Gnaden, allein um Christi Gehorsam, Leiden und Sterben willen, allein durch den Glauben, vgl. Röm. 3; 4. Darum ist das die vornehmste Aufgabe der Schrift Gottes und des von Gott eingesetzten, nichts als die Schrift verkündigenden heiligen Predigtamtes: ... dass solch Verdienst und Wohltaten Christi durch Wort und Sakrament uns sollen vorgetragen, dargereicht und ausgeteilt werden. ... dass er mit seinem Heiligen Geist durch das Wort, wenn es gepredigt, gehört und betrachtet wird, in uns wolle kräftig und tätig sein, die Herzen zu wahrer Buße bekehren und im rechten Glauben erhalten. (KF., Ausf. Darl., XI, 16.17) Durch das Evangelium den Glauben wecken und erhalten - das ist die Hauptaufgabe der Schrift, weshalb ja Paulus schreiben konnte an die Korinther, er habe nichts gewusst außer Jesus, den Gekreuzigten, 1 Kor. 2,2. Es sind die ewigen Güter, die himmlischen Güter, die Christus uns erworben hat, die Gott durch das Evangelium in Wort und Sakrament darreicht: Dieselbe Gewalt der Schlüssel oder Bischöfe übet und treibet man allein mit der Lehre und Predigt Gottes Worts und mit Handreichung der Sakramente, vielen oder einzelnen Personen, darnach der Beruf ist. Denn damit werden gegeben nicht leibliche, sondern ewige Dinge und Güter, nämlich ewige Gerechtigkeit, der Heilige Geist und das ewige Leben. Diese Güter kann man nicht erlangen als durch das Amt der Predigt und durch die Handreichung der heiligen Sakramente. (Augsb. Bek., XXVIII, 8.9; s.a. Apol., XII, 38-43.) Die Bibel ist Gottes Wort an uns, Gott redet in ihr zu einem jeden Menschen, ruft zur Sündenerkenntnis, Reue, Umkehr, zum bewussten, persönlichen Glauben an Christus und zur willentlichen Nachfolge. Es geht also nie um bloße Lehre oder um ein bloßes Gefühl oder eine „Verschmelzung“ mit Gott, sondern um das Gewissen des Sünders und in der Folge den zu bekehrenden Willen, damit es zum einem persönliches Gottesverhältnis kommt, zu einer persönlichen Gemeinschaft zwischen Gott in Christus und dem gerechtfertigten Sünder – gerade auch mit der Folge, dass dadurch auch das Leben des Gerechtfertigten erneuert und geprägt wird.[75] Der Glaube ist also „creatura verbi“, durch das Wort gewirkt.

    Das ist das eigentliche oder Hauptwerk des Wortes Gottes, weshalb richtig auch das Evangelium in Wort und Sakrament als das (Kenn-)Zeichen der Kirche gilt: Und dieselbige Kirche hat doch auch äußerliche Zeichen, dabei man sie kennet, nämlich wo Gottes Wort rein gehet, wo die Sakramente demselben gemäß gereicht werden, da ist gewiss die Kirche, da sind Christen und dieselbige Kirche wird auch genannt in der Schrift Christi Leib. (Apol., VII, 5) Danach aber hat Gottes Wort noch ein Werk an uns Christen, in dem wiederum das Evangelium im Zentrum steht: die Heiligung, die aber auch ihren Kern hat in der täglichen Vergebung der Sünden, im Trost der Gewissen. Denn jetzt bleiben wir halb und halb rein und heilig, auf dass der Heilige Geist immer an uns arbeite durch das Wort und täglich Vergebung austeile, bis in jenes Leben, da nicht mehr Vergebung wird sein, sondern ganz und gar rein und heilige Menschen ... (Gr. Kat., II, 58)

 

ag. Gottes Wort - Gottes Gnadenmittel

    Wie aber erreicht nun Gott sein Ziel mit der Heiligen Schrift? Ist sie bloße Informationsquelle, die uns den Heilsweg aufzeigt, den wir gehen müssen, um errettet zu werden? Ist Gottes Wort nur eine leere Hülse, die von etwas redet, das ganz unabhängig von ihr der Heilige Geist wirkt? Wie handelt Gott mit uns? Die Antwort der Heiligen Schrift - und im Anschluss an sie auch der evangelisch-lutherischen BS - ist eindeutig:

    Darum sollen und müssen wir darauf beharren, dass Gott nicht will mit uns Menschen handeln als nur durch sein äußerlich Wort und Sakrament. (Schm. Art., III, VIII, 10) Gott handelt allein durch das Evangelium in Wort und Sakrament an uns, Wort und Sakrament sind also die Gnadenmittel, durch die Gott die Vergebung der Sünden, den heiligen Geist, das ewige Leben zueignet. (s.a. Röm. 1,16; 10,14-17; 2 Kor. 3; Gal. 3,2.5; 1 Petr. 1,23) Nicht neben dem Wort, unabhängig von Wort und Sakrament führt Gott sein Heilswerk aus, sondern durch dieselben. Und in diesen Stücken, die das mündliche, äußerliche Wort betreffen, ist fest darauf zu bleiben, dass Gott niemand seinen Geist oder Gnade gibt als allein durch oder mit dem vorhergehenden äußerlichen Wort. (Schm. Art., III, VIII, 3) Der Heilige Geist wird uns durch das Wort gegeben und durch das Wort redet und wirkt er (s.a. Schm. Art., III, VIII, 11-13). Durchs Wort (und Sakrament) führt Gott sein Werk an uns Menschen aus und verweist uns an die Gnadenmittel - und gründet auch unser Heil darauf, damit wir wirklich Heilsgewissheit haben können: Wie Gott seinen Rat verordnet hat, dass der heilige Geist die Auserwählten durchs Wort berufen, erleuchten und bekehren, und dass er alle die, so durch rechten Glauben Christus annehmen, gerecht und selig machen wolle: also hat er auch in seinem Rat beschlossen, dass er diejenigen, so durchs Wort berufen werden, wenn sie das Wort von sich stoßen und dem heiligen Geist, der in ihnen durchs Wort kräftig sein und wirken will, widerstreben und darin verharren, sie verstocken, verwerfen und verdammen wolle. (KF., Ausf. Darl., XI, 40) Der Heilige Geist ist also bei dem gepredigten, gehörten, betrachteten Wort gewiss gegenwärtig und dadurch kräftig und wirkt (s.a. KF., Ausf. Darl., XI, 39); Gottes Wort ist nicht nur deklaratorisch, sondern wahrhaft effektiv, gibt, was es sagt. Von einem Wirken neben, unabhängig von diesen Mitteln sagt uns die Schrift nichts; Gott bindet uns an diese Mittel, die wahrhaft kräftig sind, weil der Heilige Geist darinnen wirkend gegenwärtig ist. (Darum ist es auch völlig verkehrt und zeugt von Unkenntnis, wenn nicht Verachtung der Kraft des Wortes Gottes, wenn man, gegen 1 Kor. 1,17; 2,2.4 und 1,25 ff meint, Erfolg zu haben, Resultate zu erzielen, wenn man psychologischer, sozialwissenschaftlicher vorgehe oder sich sonst der Welt anpasse und so das Ärgernis des Kreuzes tatsächlich wegnimmt.) Durch die zwei, durchs Wort und äußerliche Zeichen [Sakrament], wirket der Heilige Geist. (Apol., XXIV, 70; s.a. KF., Kurze Darl.., II, 4-6; Ausf. Darl.., XI, 75-77)

    Es ist also durch Wort und Sakrament, als den Mitteln, wodurch der Heilige Geist in uns kräftig ist und wahre Buße, den Glauben und das neue Leben im Herzen wirkt. So wollen wir nun ferner aus Gottes Wort berichten, wie der Mensch zu Gott bekehret werde, wie und durch welche Mittel (nämlich durch das mündliche Wort und die heiligen Sakramente) der Heilige Geist in uns kräftig sein und wahre Buße, Glauben und neue geistliche Kraft und Vermögen zum Guten in unsern Herzen wirken und geben wolle, und wie wir uns gegen solche Mittel verhalten und dieselben gebrauchen sollen. (KF., Ausf. Darl., II, 48) Oder in andern Worten: ... dass solch Verdienst und Wohltaten Christi durch sein Wort und Sakrament uns sollen vorgetragen, dargereicht und ausgeteilt werden. (KF., Ausf. Darl., XI, 16) Darum sind wir aufgerufen, Gottes Wort und die Sakramente fleißig, oft zu gebrauchen. Diese Predigt sollen nun alle die hören, die da wollen selig werden." (KF., Ausf. Darl., II, 52), denn es ist eben durch diese Mittel, dass Gott den Heiligen Geist gibt, den Glauben wirkt: "Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakrament gegeben, dadurch er als durch Mittel den heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wann er will, in denen, so das Evangelium hören, wirket, welches da lehret, dass wir durch Christi Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott haben, so wir solches glauben. (Augsb. Bek., V, 1-3; s.a. XXVIII, 8-11)

 

ah. Wir sollen das Wort Gottes heilig halten, gerne hören und lernen

    Da Gottes Wort Gnadenmittel ist, da der HERR dadurch von Sünden überführt und durch das Evangelium selig macht, sollen wir es, wie Luther im Kleinen Katechismus erklärt, heilig halten, gerne hören und lernen. (Kl. Kat., I, 6), es also nicht für ein gewöhnliches Wort, ein Menschenwort, ansehen, sondern bedenken, dass es des Heiligen Geist Wort und Buch ist, dass Gott selbst in der Bibel zu uns redet, zu unserer Errettung. Und darum sollen wir auch die Predigt aus seinem Wort gerne, also auch oft, hören, und sollen Gottes Wort lernen, auch auswendig lernen, so in der Erkenntnis wachsen, in rechter biblischer Erkenntnis (denn es kommt eben nicht nur darauf an, dass jemand glaubt, sondern auch, was er glaubt).

    Denn was ist das Ziel? Gott will durch sein Wort , auch in der Predigt, als des Heiligen Geistes Werkzeug, Menschen zu sich bekehren, nämlich dass der Mensch durch die Predigt des Gesetzes seine Sünde und Gottes Zorn erkennet und wahrhaftigen Schrecken, Reu und Leid im Herzen empfindet, und durch die Predigt und Betrachtung des heiligen Evangeliums von der gnadenreichen Vergebung der Sünden in Christus ein Fünklein des Glaubens in ihm angezündet wird, der Vergebung der Sünden um Christi willen annimmt und sich mit der Verheißung des Evangeliums tröstet; und wird so der Heilige Geist (welcher dieses alles wirket) in das Herz gegeben. (KF., Ausf. Darl., II, 54)

    Dadurch, dass wir täglich mit Gottes Wort umgehen, es in Herz und Mund tragen, soll unser ganzes Leben und Wesen nach Gottes Wort ausgerichtet werden. (Gr. Kat., III, 89) Denn er will eben durch dieses Wort in uns den Glauben und seine himmlischen Gaben bewahren, von Tag zu Tag stärken und bis an das Ende erhalten, worum wir auch bitten sollen. (KF., Ausf. Darl., II, 16)

 

b. Gottes Wirken durch Wort und Sakrament

 

ba. Gleichheit und Verschiedenheit von Wort und Sakrament

    Gott hat sich uns in der Heiligen Schrift offenbart, damit wir seiner Gnade teilhaftig werden können (KF, Ausf. Darl., VII, 62). Auch die andere Bedeutung der Heiligen Schrift, dass nach ihr „alle Lehren zu beurteilen sind“, ist nicht eine zweite neben jener, sondern eben deshalb, weil die Heilige Schrift Gottes Offenbarung ist und damit das Mittel zur Erlangung der Gnade, kann keine Verkündigung als Gnadenmittel wirken, die nicht mit ihr übereinstimmt. Daraus ergibt sich auch die Antwort auf die Frage, was denn eigentlich das Gnadenmittel des Wortes Gottes sei, die Heilige Schrift oder die Predigt. Die Bekenntnisse gebrauchen den Ausdruck „Gottes Wort“ bald von der Bibel (z.B. Schm. Art. II, II, 15), bald von der Predigt (z.B. Augsb. Bek. V), bald so, dass er beides meinen kann (z.B. Apol. XII, 44). Es ist eben nicht ein formaler, sondern ein inhaltlicher Begriff: Das, was Gott die Menschen zu ihrem Heil wissen lassen will. Nicht darauf kommt es an, ob dies durch Hören oder aber durch Lesen an uns herankommt, sondern darauf, dass es inhaltlich Gottes Wort ist. Und dies ist auch die Predigt, wenn sie mit der Heiligen Schrift übereinstimmt. Gott spricht zu uns, darauf beruht christlicher Glaube, nicht auf Ritualen. Gott spricht zu uns mündlich (z.B. Predigt, Zeugnis), schriftlich (Bibel) und die Sakramente, um dadurch unseren Glauben zu wirken, zu festigen, zu erhalten, so dass wir durch den Glauben ihm antworten und mit ihm leben. Im Zentrum steht dabei die Schrift, denn sie bestimmt den Inhalt des mündlichen Wortes, sie gibt an, was die Sakramente sind, und erst das Wort macht die Sakramente.

    Welche Bedeutung haben nun neben dem Wort Gottes noch die Sakramente? Die Apologie bezeichnet sie als besondere Riten und erklärt: Wort und Riten haben den gleichen Effekt. Sie beruft sich auf das Wort Augustins: Das Sakrament ist das sichtbare Wort. Es will uns etwas sagen, doch so, dass wir es nicht sowohl hören, sondern auch durch andere Sinne auffassen. Auch der beabsichtigte Erfolg ist der gleiche: „Denn dazu sind die äußeren Zeichen eingesetzt, dass dadurch bewegt werden die Herzen, nämlich durchs Wort und äußere Zeichen zugleich, dass sie glauben, wenn wir getauft werden, wenn wir des Herrn Leib empfangen, dass Gott uns wahrhaft gnädig sein will durch Christus.“ (Apol. XIII, 5.) Was zuerst auf uns wirkt, Wort oder Sakrament, ist gleichgültig, wobei aber auch beim Sakrament das Wort das Entscheidende ist (Schm. Art. III, VIII, 7; Kl. Kat. IV,2). Beides soll den Glauben, wo er noch nicht vorhanden ist, hervorrufen, und wo er schon da ist, ihn mehren (Augsb. Bek. XIII). Und beide kommen nur da zum Ziel, wo sie im Glauben empfangen, aufgenommen werden (ebd.): Es geht immer um die konkrete Heilszusage, das Hauptelement auch der Sakramente, die der Empfänger im Glauben auf sich persönlich bezieht.[76] Der scheinbare Widerspruch, dass der Glaube sowohl Voraussetzung als auch Wirkung der Gnadenmittel sein soll, ist zu lösen durch die Unterscheidung zwischen dem verlangenden und dem besitzenden Glauben: Durch die in den Gnadenmitteln ausgesprochene Verheißung soll das Verlangen nach dem Verheißenen erregt werden – und das ist schon der Glaube, der das Verheißene dann auch erlangt. Die rechtfertigende Gnade also wird durch die Sakramente nur vermittelt, wenn die mit ihnen verbundene Heilszusage im Glauben ergriffen wird. Es geht also nicht bloß um eine gewisse kirchliche Gläubigkeit, eine intellektuelle Zustimmung zur Lehre, sondern um persönliches vertrauendes Ergreifen der Heilszusage in Christus mittels des Evangeliums[77]. – Worin aber besteht dann das Besondere der Sakramente? Diese sind 1. auch ein Bekenntnis, das man vor andern ablegt; was für Zwingli die Hauptsache war. Aber sie sind vor allem ein Handeln Gottes an uns. Denn die Sakramente sind 2. „Zeichen und Zeugnisse des Willens Gottes gegen uns“ (Augsb. Bek. XIII), oder, wie die KF nach Luther sich ausdrückt, die Siegel, die dem Wort der Verheißung angehängt werden (Ausf. Darl. XI, 37). Das im Wort Gesagte wird mir durch die mit ihm verbundene Handlung bestätigt, verbürgt. Denn das ist 3. das Besondere der Sakramente, dass sie (so hatte schon Luther betont) an dem Einzelnen vollzogen werden. Weil das im Wort Gesagte allen gilt, ist hierbei immer noch die Frage möglich, ob auch ich Einzelner es mir aneignen darf. Da tritt das Sakrament ein: Es verbürgt dem Einzelnen, dass ihm die evangelische Verheißung gilt (ebd.). Da man durch die Taufe in die Gnade Gottes aufgenommen wird, so ist mir die Tatsache, dass ich zur Taufe zugelassen werde, ein Zeugnis dafür, dass ich Gottes Gnade haben soll. Da das Abendmahl aufs engste mit Christus vereinigt, so ist die Tatsache, dass mir das Abendmahl gewährt wird, ein sicherer Beweis dafür, dass Christus sich mit mir vereinigen will. Die Voraussetzung dieser Gedanken ist freilich, dass eine ernste Sündenerkenntnis es uns schwer macht, Gottes Gnadenwillen auf uns persönlich zu beziehen. Ein Luther sehnte sich nach immer neuer Vergewisserung des Glaubens. 4. Nun aber hat Christus verheißen, seine Güter uns eben durch die Sakramente zu geben. Darum reden sie nicht nur von ihm und seinem Willen, sondern sie geben, was sie bezeugen, sodass der, welcher das Verheißene im Glauben annimmt, es auch tatsächlich empfängt. „Die Taufe wirkt Vergebung der Sünden“ usw., „im Sakrament wird uns … gegeben“ (Kl. Kat.  IV, 6; VI, 6). Durch die Bestimmung aber, dass die Sakramente ihre Wirkung nur auf den ausüben, der sie im Glauben empfängt, unterscheidet sich die lutherische Auffassung weit von der römischen, nach der die Sakramente aus dem Vollzug wirken, auch ohne innere Beteiligung des Empfängers, also magisch, wirken. Es ist ein Unrecht, von „Sakramentsmagie“ bei den Lutheranern zu reden. Eine objektive Wirkung nehmen sie freilich an (das Sakrament ist tatsächlich gültig, kräftig; aber ob der Einzelne hat die Gabe zu seinem Heil nur durch den Glauben an Christus). Aber indem sie die objektive Einwirkung von dem subjektiven Glauben abhängen lassen, leugnen sie eine magische Wirkung. Wer aber daran Anstoß nimmt, dass Gott durch die Sakramente etwas geben soll, der muss es auch für unmöglich halten, dass Gott durch sein Wort etwas in uns wirken will. Und wer dazu fortschreitet, alle objektiven Vorgänge zu leugnen und in der Religion nur subjektive Vorgänge zu sehen, der hat Gott aus der Religion ausgeschieden. 5. Endlich haben die Sakramente die Eigentümlichkeit, dass dabei auch die Leiblichkeit des Menschen beteiligt ist. Sollte dies bedeutungslos sein? Als Luther von den Schweizern immer wieder hören musste, er könne nicht nachweisen, dass der Empfang von Christi Leib und Blut etwas „nütze“, hat er zwar (im März 1527) erwidert, „kein Christenmensch begehre zu wissen, was es nütze sei“, sondern glaube schlicht den Worten Gottes; dann aber suchte er doch „einigen Nutzen anzuzeigen“. Unter anderem erinnert er an den Gedanken des „Irenäus und der andern Väter“, es werde auch „unser Leib gespeist mit dem Leib Christi, auf dass unser Glaube und Hoffnung bestehe, dass unser Leib solle auch ewig leben von derselben ewigen Speise des Leibes Christi“ (Erl. Ausg. 30,132). Diesen Gedanken wiederholte er in seinem Großen Katechismus ganz kurz in Bezug auf das Abendmahl, ein wenig ausführlicher hinsichtlich der Taufe (V, 68; IV, 44 ff.). Dass damit eine magische leibliche Wirkung der Taufe oder des Abendmahls behauptet wird, ist nicht richtig. Bei dem Abendmahl sagt Luther nur, man müsse es ansehen „als eitel heilsame, tröstliche Arznei, die dir helfe und das Leben gebe, beide an Seele und Leib. Denn wo die Seele genesen ist, da ist dem Leib auch geholfen.“ Das Abendmahl hilft also der Seele zur Genesung, und dann muss auch der mit ihr verbundene Leib eine ewige Genesung erlangen. Dasselbe sagt Luther von der Taufe: „Bin ich getauft, so ist mir gesagt, ich solle selig sein und das ewige Leben haben, beide an Seele und Leib.“ Dies letztere, dass auch der Leib nicht etwas Verächtliches sei in Gottes Augen (wie Rom und Calvin meinen), bezeugt die Taufe mir dadurch, dass bei ihr „beides geschieht“, „dass der Leib begossen wird, welcher nicht mehr fassen kann als das Wasser, und dazu das Wort [der Verheißung der Seligkeit] gesprochen wird, das die Seele auch könne fassen. Weil nun beide Wasser und Wort eine Taufe ist, so müssen auch beide, Leib und Seele, selig werden und ewig leben. Dass also Gott die Sakramente, durch die er uns selig macht, sich auch auf unsere Leiblichkeit erstrecken lässt, bestätigt uns die Schriftaussagen darüber, dass auch unserem Leib ewiges Leben zugedacht ist. Wie aber erlangt nun unser Leib das ewige Leben? Üben, wie manche verstanden haben, die Sakramente eine umschaffende, verewigende Wirkung auf ihn aus? Nein, sondern „Leib und Seele müssen ewig leben, die Seele durchs Wort, daran sie glaubt, der Leib aber, weil er mit der Seele vereinigt ist und die Taufe auch ergreift, wie er’s ergreifen kann.“ In dem Glauben der Seele also liegt der Grund der Seligkeit des ganzen Menschen. Diese erstreckt sich auch auf die Leiblichkeit deshalb, weil diese mit der Seele auf das engste verbunden ist und deshalb, von dem Glauben der Seele bestimmt, sich der Taufe unterzieht. „Wo die Seele genesen ist, da ist auch dem Leib geholfen.“ Demnach gehört dieser ganze Gedanke Luthers zu dem, was er über die Vergewisserung unseres Glaubens durch die „Siegel“ der Sakramente gesagt hat: Sie bezeugen uns auch, dass unser Leib ewig leben soll.

    Von schwerwiegender Bedeutung ist die weitere Feststellung Luthers und der Bekenntnisschriften, dass Gottes Gnade auf unser Inneres nicht anders wirken will als durch die Mittel des Worts und der Sakramente. Dies wird mit solcher Energie geltend gemacht, weil die „Schwärmer“, auch die Schweizer, eine unvermittelte Einwirkung des Geistes Gottes auf unser „Innerstes“ behaupteten. Die Schmalkaldischen Artikel sagen: „Alles, was ohne solches Wort und Sakrament vom Geist gerühmt wird, das ist der Teufel.“ (III, VIII, 10), der uns bewegen will, unser eigenen Gedanken und Wünsche für Eingebungen Gottes zu halten, infolgedessen die „Enthusiasten“ „sich rühmen, ohne und vor dem Wort den Geist zu haben und dadurch die Schrift oder mündliches Wort richten, deuten und dehnen nach ihrem Gefallen“ (III, VIII, 3). Darum „ist fest darauf zu bleiben, dass Gott niemanden seinen Geist oder Gnade gibt, außer durch und mit dem vorhergehenden äußerlichen Wort.“ (das.; vgl. Augsb. Bek. V; XVIII, 3; XXVIII, 9; Apol. IV, 67; VII, 36; Gr. Kat. III, II, 53 usw.) Im Großen Katechismus deutet Luther auch an, weshalb Gott so verfährt: „Es soll und muss äußerlich sein, dass man’s mit Sinnen fassen und begreifen und dadurch ins Herz bringen könne.“ (IV, 30.) Der Mensch ist nach dem Willen Gottes des Schöpfers ein Wesen mit Geist und Leib; seine Sinne sind die Wahrnehmungsorgane, durch welche etwas außer ihm Befindliches in sein Inneres eindringen kann. Diese von Gott gesetzte Organisation des Menschen wird von Gott nicht verachtet. Denn Gott der Heilige Geist widerspricht nicht Gott dem Schöpfer, weil es Ein Gott ist. „Zusammenfassend, was Gott in uns tut und wirkt, will er durch solche äußerliche Ordnung wirken.“ Vermöge dieser hochwichtigen Erkenntnis weiß der Lutheraner, was er zu tun hat, um von Gott gefördert zu werden, dass er nämlich mit verlangendem Glauben sich dem Einfluss der Gnadenmittel auszusetzen hat, dass es also falsch ist, wenn die Schwärmer „träumen, der Geist werde aufgrund ihrer Vorbereitung gegeben, da sie müßig und schweigend an einsamem Ort dasitzen und auf die Erleuchtung warten“ (Apol. XIII, 13). Sodann kann der Lutheraner das objektiv vorliegende Wort Gottes als den Prüfstein verwenden für alle seine Gedanken, Empfindungen, Willensregungen, ob sie nämlich von Gott herrühren oder aber eigenes Fabrikat, vielleicht nur seines sündlichen Eigenwillens, sind.

    Wie Gott nur durch die Gnadenmittel wirken will, so auch überall, wo sie verwaltet werden. Dies musste die KF den Calvinisten gegenüber hervorheben. Sie bezeichnet es als Fundament unserer Religion, dass Gottes Geist bei seinem Wort sei und dadurch wirken wolle (Ausf. Darl., XI, 29 ff. 39). Wir sollen daher die durch die Predigt des Worts geschehende Berufung „für kein Spiegelfechten halten“, sondern, wenn uns die Gnadenmittel erreichen, so ist dies ein Beweis dafür, dass Gott durch seinen Geist an uns arbeiten, also uns seine Gnade zuwenden will. Damit soll nicht gesagt sein, dass Gott durch jede Predigt den Geist geben oder uns bekehren will. Vielmehr hat Luther ausgeführt, das Hören des Worts und dessen Wirkung falle vielfach nicht zeitlich zusammen; denn obwohl das Wort Gottes „des Heiligen Geistes Predigt sei, der auch allezeit dabei sei, so treffe es doch nicht allezeit bald das Herz“, wenn aber die rechte Stunde gekommen sei, erinnere der Geist „unser Herz“ an das Gehörte, so dass es 2seine Kraft und Trost zu fühlen beginne“ (Erl. Ausg. 12, 326 f.). Deshalb begegnen wir auch niemals in Luthers Predigten der bei den Schwärmern so beliebten Forderung: „Jetzt, jetzt!“ Dasselbe spricht Melanchthon im Augsburger Bekenntnis, Art, V, aus: „Durch Wort und Sakrament als durch Werkzeuge wird der Heilige Geist gegeben, der den Glauben wirkt, wo und wann es Gott gut erscheint, in denen, die das Evangelium hören“, also manchmal nicht schon an dem Ort oder zu der Zeit, wo sie es gehört haben. Ebenso die KF: „Gott hat einem jeden Zeit und Stunde seiner Berufung und Bekehrung bestimmt; weil aber uns solches nicht offenbart ist, haben wir Befehl, dass wir immer mit dem Wort anhalten, die Zeit aber und Stunde Gott befehlen sollen.“ (Ausf. Darl. XI, 56.) Wenn aber diese Zeit eintritt, das werden wir nach dem Lutherschen Grundsatz, Gott richte sich bei seinem Heilswillen nach der durch die Schöpfung gesetzten Natur des Menschen, etwa dahin zu bestimmen haben: Dann, wenn die für Erzielung des beabsichtigen Erfolgs notwendigen Voraussetzungen schon erreicht sind und die besonderen Verhältnisse zur Überwindung des dem sündigen Menschen eigenen Widerstrebens gegen Gottes Einwirkung günstig sind. Mag jedoch noch so lange Zeit seit dem Hören des Worts oder dem Empfangen des Sakraments vergangen sein, so bleibt doch das Mittel der Geisteswirkung das damals Angebotene.

 

c. Die einzelnen Sakramente

 

ca. Ihre Anzahl

    Da der Begriff „Sakrament“ nicht in der Bibel für eine bestimmte Anzahl von Handlungen festgelegt, sondern nur von der Theologie zu Lehrzwecken verwandt ist, und da über die Zahl bis auf Petrus Lombardus geschwankt wurde, erklärt die Apologie: „Kein verständiger Mann wird über die Zahl oder das Wort viel streiten, wenn nur die Dinge, die von Gott Befehl und Verheißungen haben, festgehalten werden.“ (Apol. XIV, 17; XIII, 2.) Daher herrschte in dieser Beziehung auch unter den Evangelischen anfangs noch eine leise Unsicherheit. Luther hatte in seiner Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ außer Taufe und Abendmahl zunächst noch die Buße als Sakrament angesehen, aber hinzugefügt, streng genommen seien nur jene zwei Sakramente (Erl. Ausg. Opp. v.a. 5,86, 117). Im Augsburger Bekenntnis behandelt Melanchthon die Buße in dem Abschnitt über die Sakramente (Art. 9-13). In der Apologie zählt er sie als drittes Sakrament, weil diese drei Handlungen Gottes Mandat haben und Gnade verheißen (XIII, 4; XII, 41). Doch liegt ihm so wenig an der Zahl, dass er sagt, auch die Ordination (im weiteren Sinn, also den gesamten Akt der Berufung umfassend) würde man „ohne Beschwerung ein Sakrament nennen“ können, wobei Melanchthon allerdings einen viel weiteren Sakramentsbegriff als sonst üblich verwendet (XIII, 11). In den Katechismen aber zählt Luther nur noch zwei Sakramente, in der Begründung hierfür noch die frühere Unsicherheit andeutend: „Hier siehst du, dass die Taufe, beide mit ihrer Kraft und Bedeutung, begreift auch das dritte Sakrament, welches man genannt hat die Buße, als die eigentlich nichts anderes ist als die Taufe. Denn was heißt Buße anderes als den alten Menschen mit Ernst angreifen und in ein neues Leben treten? Darum, wenn du in der Buße lebst, so gehst du in der Taufe, welche solch neues Leben nicht allein bedeutet, sondern auch wirkt, anhebt und treibt.“ (Gr. Kat. IV, 74.) Seitdem bezeichnet die lutherische Kirche nur Taufe und Abendmahl als Sakramente.

    Der Begriff „Zeichen“, den Augustinus in Verbindung mit den Sakramenten eingeführt hat, ist unglücklich und hat viel Verwirrung gestiftet. Besser ist es, die Sakramente als heilige Handlungen zu bezeichnen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einschließen, denn sie gründen in Christi Opfer am Kreuz, reichen uns Vergebung der Sünden jetzt dar und stärken uns und sollen uns mithelfen zur Auferstehung der an Christus Gläubigen. Vor allem das Abendmahl ist zugleich ein Abbild der zukünftigen Gemeinschaft des Lammes mit seiner Braut.[78]

    Das Wichtigste bei den Sakramenten sind nicht die Zeichen, sondern ist das Wort, Gottes Wort, das jeden Einzelnen direkt anspricht und zum Glauben ruft aufgrund des Wortes. Und allein durch den Glauben, der Gott in seinem Wort glaubt und vertraut, hat der Einzelne auch den geistlichen Nutzen des Sakraments. Die Zeichen sind nur gegeben, das Wort zu unterstreichen. „Ja, ich setze noch dieses hinzu: Wenn du auch nicht dächtest, du hättest genug Reue und Leid (denn dir selber kannst und sollst du nicht trauen), nichtsdestoweniger, wenn du demjenigen glaubst, der gesagt hat: ‚Wer da glaubt und getauft wird, der soll selig werden‘, so sage ich dir, dieser Glaube an sein Wort macht, dass du wahrhaftig getauft wirst, es mag um deine Reue und Leid beschaffen sein, wie es will. Deswegen ist der Glaube überall nötig. So viel hast du, so viel du glaubst.“[79] „Mit Recht habe ich also behauptet, dass die ganze Kraft der Messe in den Worten Christi liegt, mit denen er verspricht, dass die Vergebung der Sünden allen denen geschenkt werde, die da glauben, sein Leib sei für sie dahingegeben und sein Blut sei für sie vergossen. Und deswegen ist für die, die die Messe hören wollen, nichts nötiger, als dass sie diese Worte fleißig und voll Glauben betrachten; tun sie das nicht, so ist alles andere umsonst. Das ist allerdings wahr, dass Gott in der Regel zu jeder Verheißung ein Zeichen als ein Andenken oder Denkmal seiner Verheißung dazuzusetzen pflegt, damit sie umso treuer behalten würde und um so wirkungsvoller an seine Verheißung erinnerte. So hat Gott auch in der Messe, der wichtigsten aller Verheißungen, ein Zeichen als ein Denkmal der so großen Verheißung hinzugesetzt: seinen eigenen Leib und sein eigenes Blut in dem Brot und Wein, wie er sagt: ‚Das tut zu meinem Gedächtnis.‘“[80]

 

cb. Die Taufe

    Die Taufe ist das von Christus verordnete Mittel, durch das der Sünder in die Gnade Gottes aufgenommen werden soll und wirklich aufgenommen wird, wenn er die Taufe im verlangenden Glauben empfängt (Augsb. Bek. IX). Sie geschieht in Gottes Namen – Gott selbst also handelt in ihr durch den Pastor, Gott nimmt den Täufling auf in seine Gemeinschaft.[81] Sie bewirkt also 1. Vergebung der Sünden, auch der Erbsünde, freilich bleibt das Erbverderben; so wir im Glauben an Christus stehen, wird es aber nicht angerechnet (Apol. II, 35). Als in Gottes Gnade aufgenommen, empfängt der Getaufte 2. den Heiligen Geist, der nun in ihm heiligend wirkt (das.). Luther legt dabei den Schwerpunkt auf die Wirkung der Taufe nach Mark. 165,165, nämlich das „selig werden“. „Selig werden aber weiß man wohl, dass nichts anders heiße, als von Sünden, Tod, Teufel erlöst, in Christi Reich gekommen und mit ihm ewig leben.“ (Gr. Kat. IV, 24.) Aber er betont gerade auch das Leben aus der Taufe, nämlich in der täglichen Buße, Umkehr, wie gerade der vierte Teil des Hauptstücks im Kleinen Katechismus zeigt, ebenso sein „Sermon von der Taufe“ von 1518 – wie es Luther bei aller Betonung der Rechtfertigung allein aus Gnaden, allein um Christi Verdienst willen, allein durch den Glauben immer auch um die Frucht des rechtfertigenden Glaubens, den Christus für uns ging: den Christus in uns, die Erneuerung und Nachfolge. Damit hängt auch zusammen, dass in der Taufe der alte Mensch in den Tod gegeben, die Sünde abgewaschen wird und ein neuer Mensch hervorkommt aus der Taufe, der mit Christus lebt.

    Unter den anderen dazu gehörenden Gütern nennt er dann auch einmal „den Heiligen Geist mit seinen Gaben“ (Gr. Kat. IV, 41), oder er schreibt, die Taufe „gebe Gnade, Geist und Kraft, den alten Menschen zu unterdrücken, dass der neue hervorkomme und stark werde“ (Gr. Kat. IV, 75). Er sieht also alles, was die Taufe zum Zweck des Seligwerdens wirkt, als etwas Einheitliches an. Dass das an sich kraftlose Wasser „so große Dinge tun“ kann, hat seinen Grund darin, dass Christus diesem Wasser jene Verheißung erteilt hat – es liegt also alles am Wort und bedarf keiner besonderen „Weihe“ des Wassers. Dies hat Luther in seinen Katechismen, um „aufs einfältigste“, d.h. ganz populär anschaulich zu reden, auch so aus ausgedrückt: Die Taufe „ist nicht allein ein natürliches Waser, sondern ein göttliches, himmlisches, heiliges und seliges Wasser“, sie ist „ein Gotteswasser“ (Gr. Kat. IV, 14.17). Aber ausdrücklich verwehrt er, derartige Wendungen dahin zu missdeuten, als sei „das Wasser an sich selbst edler als anderes Wasser“; „wir halten es nicht mit Thomas und den Predigermönchen, die sagen, Gott habe eine geistliche Kraft ins Wasser gelegt, welche die Sünde durchs Wasser abwasche“ (Schm. Art. III, V, 2). Andererseits darf man auch nicht die Wirkung der Taufe trennen von der Verheißung Christi über dem Wasser, wie Luther fortfährt: „Auch nicht [halten wir es] mit Scotus und den Barfüßermönchen, die da lehren, dass diese Abwaschung geschieht allein durch Gottes Willen, gar nichts durchs Wort und Wasser.“ Ob aber die Taufe die von Christus gewollte Wirkung tatsächlich erreicht, hängt davon ab, ob der Mensch die ihm angebotene Gabe im Glauben annimmt: Durch die Taufe wird Gottes Gnade angeboten. (Augsb. Bek. IX.) „Nicht macht mein Glaube die Taufe, aber er empfängt sie.“ (Gr. Kat. IV, 52.) Ist also kein empfangender Glaube vorhanden, so werden die geistlichen Güter auch nicht empfangen. Es liegt also kein Automatismus, keine Wirkung durch den bloßen Vollzug vor.

    Hat aber Christus uns die Taufe als das Mittel, in die Gnade Gottes aufgenommen zu werden, gegeben, so ist sie für uns relativ heilsnotwendig (Augsb. Bek. IX, 1; Apol. IX, 51). Das heißt: Wer durch das Wort zum Glauben gekommen ist, aber die Taufe nicht erlangen kann, ist dennoch gerettet. Nur wer sie erlangen kann, aber nicht begehrt, weil er sie verachtet, sie ihm gleichgültig ist, der droht aus der Gnade zu fallen. Sie ist auch nur relativ heilsnotwendig, weil allein das Wort absolut heilsnotwendig ist, ohne das auch die Taufe wirkungslos wäre. Sündhafte Selbstüberhebung ist es, wenn die Wiedertäufer unablässig die Taufe mit dem Gedanken herabsetzten, sie sei eine äußere Sache. Denn das Alleräußerlichste ist bedeutungsvoll, wenn Gott es gebietet (Gr. Kat. IV, 7 ff.). Daher hat die lutherische Kirche die Nottaufe beibehalten (Vis.Art. 37), natürlich ohne damit sagen zu wollen, dass auch für Gott eine Notwendigkeit der Taufe bestehe. Doch hat uns die Heilige Schrift über das Schicksal der ungetauft Verstorbenen nichts offenbart.[82] – Ist aber die Taufe die Willenserklärung Gottes über diesen Einzelnen, dass Gott ihn selig machen will, so braucht sie auch dann nicht wiederholt zu werden (wie die Wiedertäufer fordern), wenn der Täufling sie  nicht im Glauben empfing, ebenso wenig, wenn er nachher „davon fällt und sündigt“. Denn „die Taufe bleibt immerdar stehen“. Es bedarf, um den Segen der Taufe zu haben, nur eines „Wiedergangs und Zutretens zur Taufe“; „wir haben immer einen Zugang dazu“. Wohl bedarf es dann der Buße; aber diese ist nicht, wie die Römischen meinen, ein neues Sakrament, als wäre das rettende Schiff zerbrochen und müssten wir auf einem anderen Brett „überfahren“. Auch ist sie nicht, wie viele Evangelikale meinen, ein menschliches Werk, eine menschlicherseits zu erbringende Voraussetzung, damit Gott uns erlösen könne, sondern vielmehr des Heiligen Geistes Werk, vornehmlich durch das Gesetz, bei den Christen auch zusätzlich durch das Evangelium. Es gilt vielmehr, in das Schiff der Taufe „wieder hineinzukommen“ (Gr. Kat. IV, 77 ff.). Und wie Gottes durch die Taufe uns zugesprochene Verheißung sich über unser ganzes Leben erstreckt, so auch die Verpflichtung, die sie uns auferlegt hat, indem uns Gott so Großes durch sie schenkte. Diese Verpflichtung ist bedeutet durch das „äußerliche Zeichen“, das Gott in diesem Sakrament verordnet hat. Dass „man uns ins Wasser senkt, das über uns hergeht, und danach wieder herauszieht“, bedeutet „die Tötung des alten Adams, danach die Auferstehung des neuen Menschen“. Dies hat begonnen, als Gott uns in seine Gnade aufnahm, wird aber in diesem Leben nicht vollendet, muss also „unser Leben lang in uns [fort-]gehen, so dass ein christliches Leben nichts anderes ist als eine tägliche Taufe, einmal angefangen und immer darin gegangen“ (Gr. Kat. IV, 64), sowohl in ihrem „Trost“, wie in ihrem „Werk“. Da dies beides unzertrennlich ist, hat Luther sehr ernst davor gewarnt, sich durch den Gedanken, wie „großes Ding es um die Taufe“ wie, in „falsche Sicherheit“ hinreißen zu lassen (z.B. Erl. Ausg. 21, 244). Er hat auch den schönen Gedanken ausgesprochen, dass, wer „sich ergibt in das Sakrament der Taufe und seine Bedeutung“, der „begehrt mit den Sünden zu sterben und am Jüngsten Tag neugemacht zu werden“ (z.B. Erl. Ausg. 21, 234). Er hat auch gewünscht, man hätte, um die ernste Bedeutung der Taufe auch durch den äußeren Hergang einzuprägen, das Untertauchen beibehalten; freilich ohne deren Wiedereinführung zu unternehmen, da davon nicht die Wirkung der Taufe abhängig ist.

 

cba. Die Kindertaufe

    Die Kindertaufe noch eigens zu behandeln, nötigen die Wiedertäufer, die den Glauben als ein von dem Menschen zu leistendes „Werk“ und als die von Gott vorgeschriebene Bedingung für den Empfang der Taufe auffassten. Als der eigentliche Grund, warum wir die Kinder zu taufen haben, wird von Luther genannt: „Sie gehören auch zu der verheißenen Erlösung, durch Christus geschehen, und die Kirche soll sie ihnen reichen.“ (Schm. Art. III, V, 4), oder: „Die Verheißung des Heils bezieht sich auch auf die Kinder“, „das Heil aber wird durch die Taufe angeboten“, „folglich müssen auch die Kinder getauft werden“ (Apol. IX, 51 ff.). Nun aber bestehen auch Luther und die lutherschen Bekenntnisse unentwegt darauf, dass ohne Glauben die Taufe nichts nütze, dies freilich ganz anders als die Wiedertäufer verstehend. Den „Einfältigen“ rät Luther (im Großen Katechismus), die Frage, ob Kinder glauben, einfach „von sich zu schlagen und zu den Gelehrten zu weisen“ (Gr. Kat. IV, 47 ff.). Wolle man doch darauf antworten, so solle man darauf hinweisen, dass die Kindertaufe Gott wohl gefallen müsse, weil er offenbar vielen als Kinder Getauften seinen Heiligen Geist gegeben hat. Wer dies leugnen wolle, erkläre die Kirche für untergegangen in der Vergangenheit (ebenso Apol. IX, 53), Aber auch dann, wenn eine nicht im Glauben empfangen werde, sei doch die Taufe „recht gewesen“, d.h. Gott hat durch sie dem Menschen seinen Gnadenwillen bezeugen lassen, hat ihm seine Gnade angeboten und zugeeignet. Habe der Mensch sie damals nicht angenommen, so würde er dies nur jetzt nachzuholen haben, um den Segen der Taufe zu empfangen. Für die taufende Kirche kann der Glaube des Täuflings nicht in der Weise Vorbedingung sein, dass wir die Taufe nicht ohne Gewissheit über seinen Glauben erteilen dürften; denn wir können niemals sicher den Glauben bei anderen feststellen. Wir haben sie vielmehr zu erteilen, wenn wir nur nicht ihres Unglaubens gewiss sein müssen und gemäß dem Reichs- und Taufbefehl Matthäus 28,18-20 auch die weitere christliche Unterweisung gewährleistet ist, etwa durch ein Eltern- oder Großelternteil. Wenn das nicht der Fall ist, wäre die Taufe zu verweigern.

    So mit der Kindertaufe: „Das Kind tragen wir herzu der Meinung und Hoffnung, dass es glaube, und bitten [deshalb bei dem Herzubringen], dass ihm Gott den Glauben gebe. Aber darauf taufen wir‘s nicht, sondern allein darauf, dass es Gott befohlen hat.“ Dies ist die nach anfänglicher Unsicherheit von Luther festgehaltene und auch in die Bekenntnisse aufgenommene Ansicht über die Möglichkeit der Entstehung von Glauben in Kindern. Das gläubige Gebet der Gemeinde, die allezeit um das Kommen des Reiches Gottes fleht, speziell das Gebet der für dieses Kind den Segen der Taufe begehrenden Eltern, Paten und anderen Teilnehmer, in Verbindung mit dem bei der Taufe gesprochenen Wort Gottes und dem Taufakt mit seinen Verheißungen kann Gott dazu bewegen, dem Kind nicht nur die Taufe zu gewähren, sondern auch den – bei dem Säugling noch unbewussten – Glauben zu schenken, der den Segen empfängt. Daher ermahnt Luther im Taufbüchlein so dringend „alle diejenigen, so da taufen, Kinder heben und dabei stehen“, „zu Herzen zu nehmen“, „wie kläglich und ernst die christliche Kirche das Kindlein herträgt und vor Gott bekennt, es sei ein Kind der Sünde und Ungnade und so fleißig bittet um Hilfe und Gnade durch die Taufe“. Sie sollen „dem armen Kindlein aus ganzem Herzen und starkem Glauben beistehen“ und in solchem Glauben auch darum beten, Gott wolle dieses Kind „durch seine grundlose Barmherzigkeit gnädig ansehen und mit rechtem Glauben im Geist beseligen, so dass es durch diese heilsame Sintflut … ewiges Leben zu erlangen würdig werde“ (Taufbüchl. 2,3.14). Dass man mit solchem Verlangen sich an Gott wenden muss, ist Luther selbstverständlich, weil nach ihm der wirkliche Glaube einzig Gottes Geschenk ist. Dass solches Gebet Gott wohlgefällig ist, bezweifelt er nicht, weil Gottes Wille, dieses Kind in seine Gnade aufzunehmen, auch den Willen, ihm den Empfang der Gnade möglich zu machen, also ihm Glauben zu schenken, in sich schließt. Freilich kann dieser Glaube nicht der seines Besitzes bewusste Glaube des Erwachsenen sein, sondern ist der seiner selbst nicht bewusste Glaube, Vertrauen, ebenso, wie das von Gott dem Kind geliehene Verlangen nach leiblicher Nahrung und die Fähigkeit, sie anzunehmen sowie das Vertrauen zur Mutter unbewusst sind. Aber unbewusster Glaube ist für Luther keineswegs ein Selbstwiderspruch. Er führt aus, der schlafende Gläubige wisse nichts von seinem Glauben und habe ihn doch, weil er sonst ewig verloren gehen würde, falls ihn im Schlaf der Tod übereile. Nicht anders ist es mit den Gläubigen, die bewusstlos geworden sind oder im Koma liegen. Und in der Anfechtung wisse der Gläubige nicht um seinen Glauben, und doch beweise seine Betrübnis über den vermeintlichen Mangel an Glauben, dass er Glauben, eben den verlangenden, habe.   

    Warum also tauft die lutherische Kirche Säuglinge? 1. Gerade in ihr kommt so überaus deutlich zum Ausdruck, dass keinerlei Tun des Menschen, keinerlei menschliche Voraussetzungen für Gottes Gnade da ist, sondern dass Gnade allein schenkendes Handeln Gottes ist.[83] 2. Weiter, weil auch sie „Fleisch sind, vom Fleisch geboren“ (Joh. 3,6), also seit ihrer Zeugung Sünder, in Sünden empfangen und geboren (Ps. 51,7) und damit unter dem Zorn und Verdammungsurteil Gottes sind und der Rettung bedürfen; dann, 3. weil der Reichs- oder Taufbefehl Christi sie nicht aus-, sondern einschließt, denn er will, dass ganze Völker zu Jüngern gemacht werden durch taufen und lehren (Matth. 28,19). Und zu den Völkern gehören die Säuglinge genauso wie die Erwachsenen. 4. Außerdem sagt Christus eindeutig, dass auch die Kleinstkinder des – wenn auch für sie noch unbewussten – Glaubens fähig sind, denn er spricht den Kleinstkindern, die auf den Armen der Mütter zu ihm gebracht wurden, das Reich Gottes zu (Mark.10,13-16), was sie aber einzig durch den Glauben haben können. Ja, er stellt den Glauben der Kinder seinen Jüngern zum Vorbild hin (Matth. 18,3). 5. Vor allem aber: Christus will ja, dass die Kinder zu ihm gebracht werden (Mark. 10,13) und will nicht, dass irgendeines von ihnen verloren geht (Matth. 18,14). Dazu aber hat er keine Segnung eingesetzt, wohl aber die Taufe. 6. Und wir lesen in der Apostelgeschichte, dass ganze Häuser getauft wurden. Bei dem Kinderreichtum der damaligen Zeit ist es eher unwahrscheinlich, dass nicht auch Kinder dabei waren. Das stimmt mit dem oikos-Begriff aus dem Alten Testament überein, denn als Gott die Beschneidung einführte, sollte Abraham alles Männliche in seinem Haushalt beschneiden – ob sie alle glaubten, danach wurde nicht gefragt, weil Abraham als der Hausvater gläubig war und sie lehren werde.

    Die Verbindung von Taufen und Lehren darf aber nicht übersehen werden, die eindeutig in Christi Reichsbefehl enthalten ist. Denn es gilt ja, dass das, was der dreieinige Gott in der Taufe dem Säugling zugeeignet hat, nämlich Tod des alten Adams, Vergebung der Sünden, neues Leben in Christus, den Heiligen Geist, und was der Säugling ja nur durch einen unbewussten Glauben hatte, dann, wenn das Kind heranwächst, doch zum bewussten, willentlichen Besitz wird, damit der Sünder als Christ in täglicher Buße, täglicher Bekehrung aus der Taufe leben kann. Das heißt aber nichts anderes, als dass jeder, der als Säugling getauft wurde, durch das Wirken des Heiligen Geistes durch das Gesetz auch zu rechter Sündenerkenntnis und dadurch auch zu tiefgehender Verdorbenheits- und damit Verlorenheitserkenntnis kommen muss, nämlich dass er lebendig erfasst, dass er ohne Christus geistlich tot in Übertretungen und Sünden ist, daher unter Gottes Zorn und Gericht, und so erfasst und begreift, warum er getauft wurde und durch das Evangelium Christus als seinen Erlöser erkennt, der auch für ihn Mensch wurde, auch um seinetwillen sich dem Gesetz unterwarf und es stellvertretend erfüllte, auch seine Sünden auf sich nahm und am Kreuz auch für sie mit seinem blutigen Leiden und Sterben bezahlte und so Gott auch mit ihm versöhnte und so auch ihm Vergebung der Sünden, den Frieden Gottes, das ewige Leben erworben hat und durch das Evangelium in Wort, Taufe und Abendmahl ihm zueignet. So erkennt er in Christus, dem Christus für uns, Gottes unbegreifliche Liebe und empfängt, eignet sich zu im Glauben an Christus all das, was Christus ihm erworben hat, eben die Rechtfertigung des Sünders, die Vergebung der Sünden, Gottes Versöhnung, den Frieden Gottes, Freispruch im Jüngsten Gericht und das ewige Leben. Und in diesem bewussten Glauben will er dann als Folge, Frucht auch Christus sich hingeben, ihm sein Leben weihen, ihm entschieden nachfolgen (Röm. 12,1; 2. Kor. 5,14-15) in täglicher Sündenerkenntnis, täglicher Reue, täglicher Umkehr, täglichem Ergreifen der Vergebung, täglichem Kampf gegen die Sünde, täglichen guten Werken in seinen Lebensbereichen (Eph. 4,22.24).

    Wer nicht, wenn er zu seinem Bewusstsein gekommen ist, zum bewussten Glauben, zu bewusster willentlicher Christusnachfolge aus solchem bewussten Glauben gekommen ist, nicht lebt mit und aus Gottes Wort, in der Gemeinschaft mit Gott steht im regelmäßigen Gebet, in täglichem Kampf gegen die Sünde und Sündenerkenntnis, der hat das nicht mehr, was er einst in der Taufe empfangen hat, der ist aus der Taufgnade gefallen. Gott aber ist treu: Solange es für ihn noch heute heißt, also bis er stirbt, ist noch Raum da zur Umkehr, um das wieder zu erlangen, zu empfangen, zu ergreifen, was er einst schon einmal in der Taufe bekam. Sonst geht er trotz seiner Taufe ewig verloren.

 

cc. Das Abendmahl

    Als Luther die Notwendigkeit erkannt hatte, das römische Messopfer zu bekämpfen, war ihm auch klar, dass er diesen Sieg am leichtesten würde erringen können, wenn er nachweisen könnte, „dass im Sakrament nichts als Brot und Wein wäre“. Darum war er nur „allzu geneigt“ zu dieser Annahme. Aber, so berichtet er, „ich bin gefangen, kann nicht heraus, der Text ist zu gewaltig und will sich mit Worten nicht lassen aus dem Sinn reißen“ (Erl. Ausg. 53,274). Und zwar war es, wie seine Abendmahlsschriften zeigten, seine vertrauensvolle Ehrfurcht gegen Christus, um dessen Worte es sich handelte, was ihm eine Umdeutung dieses „Textes“ unmöglich machte, vielmehr ihn zwang, Christus auch das zu glauben, dessen Richtigkeit nicht er selbst durch Erfahrung feststellen konnte. Entscheidend sind also, das hat Luther schon in der „Babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ betont, die Einsetzungsworte Christi, Christi Ordnung und Befehl. Auf diesem Grund stehen auch die lutherischen Bekenntnisschriften. Daher halten sie fest an der Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl, also der praesentia in rebus, der Gegenwart in den Elementen, was aber weder eine wesenshafte noch eine räumliche Gegenwart meint, sondern eine substantielle. Artikel 10 des Augsburger Bekenntnisses lehrt, „dass wahrer Leib und Blut Christi wahrhaftig unter der Gestalt des Brots und Weins im Abendmahl gegenwärtig sei und da ausgeteilt und genommen wird". Jeder also, der am Abendmahl teilnimmt, empfängt Christi Leib und Blut. Man hat darauf hingewiesen, dass hier Melanchthon im lateinischen Text gar nicht Brot und Wein erwähnt und hat hieraus versucht, Entgegengesetztes zu folgern. Die einen (Ebrard und Heppe) meinten, Melanchthon habe in reformierter Weise leugnen wollen, dass Christi Leib und Blut uns durch das Brot und den Wein gegeben werde; er sage daher nur (ähnlich wie Calvin), bei der Feier des Abendmahls sei Christi Leib und Blut gegenwärtig. Aber diese Deutung wird unmöglich schon durch die Hinzufügung des „ausgeteilt werden“: Eine „Austeilung“ von Christi Leib und Blut geschieht nur durch die Austeilung der (irdischen) Elemente, wie denn der deutsche Text sagt. Umgekehrt haben andere hier gelesen, Melanchthon habe aus Nachgiebigkeit gegen die römischen Gegner „die Transsubstantiation absichtlich eher ein- als ausgeschlossen“. Und freilich mag er die Frage, ob auch wirkliches Leib und Blut empfangen werden, unerörtert gelassen haben, um die Römischen nicht unnötig zu reizen. Aber Luther hat daran keinen Anstoß genommen. Gerade dieser 10. Artikel ist es, um deswillen er in seinem bekannten Brief an die Gemeinde in Frankfurt am Main das Augsburger Bekenntnis so sehr hoch gelobt hat (Erl. Ausg. 26,380). Hatte er doch oft erklärt, auch noch vor kurzem (1528) in seinem Bekenntnis vom Abendmahl, „dass solcher Kampf nicht vonnöten sei und nicht große Macht daran liege, es bleibe Brot oder nicht“ (Erl. Ausg. 30,292). Allerdings hat Luther in den Schmalkaldischen Artikel die Transsubstantiation klar verworfen (III, VI, 4). Obwohl Luther für die Hauptsache beim Abendmahl erklärt hatte, dass darin Christi Leib und Blut ausgeteilt werde, hatte er doch auch dargelegt, die einfachste Erklärung der Einsetzungsworte sei die, es würden auch die irdischen Elemente wirklich empfangen. Dafür gebrauchte er im Kleinen Katechismus den Ausdruck „unter dem Brot und Wein“, im Großen Katechismus „in und unter“, Melanchthon in der Apologie „mit“ (Kl. Kat. IV, 2; Gr. Kat. V, 8; Apol. X, 54). Die KF hat die drei Präpositionen zusammengestellt (Ausf. Darl. VII, 35). Davon, wie die Gegenwart von Leib und Blut Christi im Abendmahl möglich sei, schweigen die älteren Bekenntnisse noch. Dagegen bezeugen sie schon die Objektivität dieser unsichtbaren Gabe, so dass jeder, der im Abendmahl die Elemente empfängt, auch Christi Leib und Blut empfängt; die Schmalkaldischen Artikel sagen: „und werden nicht allein gereicht und empfangen von frommen, sondern auch von bösen Christen“ (III, VI, 1); der Große Katechismus: Weil „dieses hochwürdige Sakrament“ „Gottes Wort und Ordnung ist“, darum „wird ihm nichts abgebrochen und genommen, ob wir’s gleich unwürdig gebrauchen und handeln“, ebenso wie die Naturordnung bestehen bleibt, wie wir sie auch gebrauchen mögen (V, 4 ff. 15 ff.). Von dem würdigen oder unwürdigen Empfang hängt nur das ab, ob man es sich zum Segen oder zum Gericht empfängt (Apol. XI, 62; Gr. Kat. V, 69). Welchen Nutzen das Abendmahl bringt, zeigt uns das Verheißungswort: „für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden“. Wird diese Verheißung geglaubt, so hat man Vergebung und damit auch Leben und Seligkeit (Kl. Kat. VI, 6 ff.). Diesen Glauben zu erleichtern und zu festigen, gibt Christus mir als „ein gewisses Pfand und Zeichen“ seinen Leib und sein Blut also „eben dasselbe Gut, so für mich gesetzt ist gegen meine Sünde, Tod und alles Unglück“; das, was Christus zu meiner Erlösung dahingegeben hat, das gibt er mir, damit ich nicht mehr daran zweifele, dass mir die Frucht der Erlösung gilt (Gr. Kat. V, 20). Indem uns Christus mit solchem allerhöchsten Pfand „Vergebung der Sünden anbietet und verheißt, kann es nicht anders als durch den Glauben empfangen werden“ (Gr. Kat. V, 33). Im Großen Katechismus stellt Luther auch die Wirkung des Abendmahls der der Taufe gegenüber (V, 23 ff.): „Durch die Taufe werden wir erstlich neu geboren“, das Abendmahl ist dann „eine Speise der Seele, die den neuen Menschen nährt und stärkt“. Die Sündenvergebung ist keine „Vorbedingung“ für das durch das Abendmahl vermittelte Leben und Seligkeit, sondern diese werden mit und durch die Sündenvergebung, als engstens mit ihr verbunden, geschenkt – und zwar durch das Wort, das auch in den Sakramenten das entscheidende ist. „Ich darf mich auch nicht zum Gedächtnis und Erkenntnis halten des Leidens Christi, wie Karlstadt allfentzt, denn da finde ich sie auch nicht, sondern zum Sakrament oder Evangelium, da finde ich das Wort, das mir solche am Kreuz erworbene Vergebung austeilt, schenkt, darbietet und gibt.“[84] Und Luther sieht die Nährung und Stärkung des neuen Menschen in der Mehrung des Glaubens und in diesem das neue „Leben“, und dieser Glaube hat eben die Gewissheit der Vergebung. So schreibt denn Luther „darum“, weil wir durch das Abendmahl der Gnade Gottes gewiss werden (Gr. Kat. V, 20-22), nährt es den neuen Menschen (Gr. Kat. V, 23). Er will sagen, unserem Glauben stehen so viele Schwierigkeiten entgegen, dass wir „zuletzt müde werden und den Glauben fallen lassen können; da soll die Versicherung der Gnade Gottes im Abendmahl uns stärken, dass der neue Mensch in uns, dass der Glaube gegen alle Anfechtungen standhalte. – Zwingli fasst das Abendmahl in erster Linie als Bekenntnisakt auf, ein Aspekt, der den lutherischen Bekenntnissen nicht fremd ist, aber nur eine Nebensache im Sakrament ist. Die Apologie sagt, wo der Glaube sei, da fehle auch das Opfer des Dankes und Lobes nicht, und dann empfange man das Abendmahl, um zu zeigen, dass man Gottes Wohltaten hochachte; denn es sei auch ein Bekenntnis unseres Glaubens vor den Leuten, von Christus zum Zweck der Verkündigung seines Todes eingesetzt (XXIV, 74; IV (III), 89).

    Luther hat die römische Messopferlehre auf das entschiedenste verworfen und als ein Greuel bezeichnet, da durch sie Christi einmaliges Opfer auf Golgatha angegriffen und geschmälert wird (Schm. Art. II, II). Sie stellt tatsächlich den gesamten christlichen Gottesdienst auf den Kopf, da sie behauptet, dass ein menschliches Opfer Gott versöhnen könne und so das Abendmahl aus einer Gabe Gottes an uns (der Sündenvergebung) zu einer menschlichen Gabe an Gott macht.[85] Diese Gabe Gottes aber hat allein der Glaube an Christus, der sich an das Wort hängt.[86]

    Die Konkordienformel musste die Abendmahlslehre gegen die besonders bei den Kryptocalvinisten beliebte Verschleierung ihrer eigentlichen Meinung, „wodurch sie viele hohe Leute betrogen“, bestimmt herausstellen, handelt daher vorwiegend von der Realpräsenz, für die sie den Ausdruck „sakramentliche Vereinigung“ verwendet. Ähnlich wie in Christus die menschliche und die göttliche Natur vereinigt sind, so das natürliche Brot und der wahre übernatürliche Leib Christi (Ausf. Darl. VII, 35 ff.); doch aber ist nicht der Leib räumlich ins Brot eingeschlossen oder sonst beharrlich damit vereinigt außerhalb der sakramentlichen Handlung, die aus Konsekration, Austeilung und mündlichem Genuss besteht (VII, 14).

    Aus der sakramentalen Vereinigung folgt dann das „mündliche Essen“ (Kl. Kat. VI, 7), das aber „nicht auf grobe, fleischliche, kapernaitische, sondern auf übernatürliche, unbegreifliche Weise verstanden werden“ muss (KF, Ausf. Darl. VII, 64; Kurze Darl. VII, 41). Ebenso folgt, wie schon betont, dass auch die Unwürdigen Christi Leib empfangen. Das von den Calvinisten so hoch gepriesene „geistliche Essen“, das heißt, die Vereinigung mit Christus durch den Glauben, ist natürlich „allen Christen zur Seligkeit nötig“, ja, „ohne diese geistliche Nießung ist auch das sakramentliche oder mündliche Essen im Abendmahl nicht allein unheilsam, sondern auch schädlich und verdammlich“ (KF, Ausf. Darl. VII, 61 ff.). Zur Beantwortung des Einwurfs, wie der zum Himmel gefahrene Leib Christi im Abendmahl gegenwärtig sein könne, wird, wie schon von Luther dargelegt, darauf verwiesen, dass der „Himmel“ kein räumlich umgrenzter Ort ist und Christi Leib allgegenwärtig (KF, Ausf. Darl., VII, 91 ff.). Im Blick auf den Nutzen des heiligen Abendmahls verweist die Konkordienformel auch darauf, dass es uns auch dient „zu gewisser Versicherung und Vergewisserung“, dass der ganze „Mittler, Haupt, König und Hohepriester“ „auch nach der Natur, nach welcher er Fleisch und Blut hat, bei uns sein, in uns wohnen und kräftig sein will“ (Ausf. Darl. VIII, 77 ff.).

 

cca. Die Konsekration[87]

    Im Augsburger Bekenntnis heißt es im Artikel X klar, dass Christi wahrer Leib und Blut unter Brot und Wein im Abendmahl gegenwärtig, ausgeteilt und genommen wird. Damit ist eindeutig von einer gewissen Dauer der sakramentalen Vereinigung die Rede, die auf die gesamte sakramentale actio oder usus bezogen wird, nicht nur auf den mündlichen Genuss, sondern auf jeden Fall auch die Austeilung mit einbezieht, letztlich auch das, was vom Altar zur Austeilung genommen wird.

   In der Konkordienformel heißt es daher, unter Zitierung der Schmalkaldischen Artikel, dass Brot und Wein der wahrhaftige Leib und Blut Christi sind, welcher gereicht und empfangen werde, nicht allein von den frommen, sondern auch von den bösen Christen. Auch hier ist klar, dass wir bekennen, dass das, was der Pastor in der Hand hat und austeilt zum mündlichen Genuss nicht nur Brot und Wein ist, sondern Christi Leib und Blut in, mit und unter Brot und Wein.

    „Vom Abendmahl des HERRN wird so gelehrt, dass wahrer Leib und Blut Christi wahrhaftig unter der Gestalt des Brots und Weins im Abendmahl gegenwärtig sei und da ausgeteilt und genommen wird. Derhalben wird die Gegenlehre verworfen.“ (Augsburger Bekenntnis, Art. X; s.a.: Apol. X, 54; KF, Ausf. Darl., VII, 9)

     „…, dass Brot und Wein im Abendmahl sei der wahrhaftige Leib und Blut Jesu Christi, welcher gereicht und empfangen werde nicht allein von frommen, sondern auch von bösen Christen.“ (KF, Ausf. Darl., VII, 19)

    Die Grundregel oder allgemeine Regel dabei für die sakramentale Vereinigung ist die: Nichts ist ein Sakrament außerhalb des eingesetzten Gebrauchs. Das heißt: Die Konsekration allein, losgelöst von der unzertrennbaren sakramentalen Actio oder usus, macht noch nicht das Sakrament, sondern es muss die ganze heilige Handlung als Einheit betrachtet werden, nämlich die irdischen Elemente nehmen, segnen oder konsekrieren, austeilen, empfangen, mündlich genießen (und dabei auch des HERRN Tod verkündigen). Wo dies nicht geschieht, da ist auch nicht die sakramentale Vereinigung; und außerhalb dieser sakramentlichen Handlung ebenso nicht, das heißt: Wenn die Römischen die Hostie einschließen, umhertragen, so haben sie tatsächlich nichts als Brot, aber nicht Christi Leib. Diese Handlung ist, wie gesagt, als eine unzertrennbare Einheit zu betrachten, wo der Schwerpunkt weder auf die Konsekration verschoben und dann, losgelöst von der übrigen Handlung, verharrt wird bei dem, was nach der Konsekration, unabhängig von der übrigen Handlung, auf dem Altar sei, noch darf der Schwerpunkt auf den mündlichen Genuss gelegt werden und die Konsekration zu einer bloßen Erzählung, einem Gebet, einer Verkündigung werden und somit die effektive Wirksamkeit der Konsekration, als eines Wirkens Christi durch die Einsetzungsworte, verdunkelt und dann behauptet werden, erst mit dem mündlichen Genuss finde die sakramentale Vereinigung statt. Die Meinung, die Konsekration bewirke zwar die sakramentale Vereinigung, aber diese trete erst mit dem mündlichen Genuss ein, ist zwar besser als die vorige, aber weicht dennoch von Schrift und Bekenntnis ab, denn die Berichte vom heiligen Abendmahl bezeugen deutlich von den dargereichten Elementen, dass sie Christi Leib und Blut sind, wie es auch Paulus in 1. Kor. 10,16 von dem Kelch des Segens, der gesegnet wird, dem Brot, das gebrochen oder ausgeteilt wird, aussagt, dass sie die Gemeinschaft des Blutes bzw. die Gemeinschaft des Leibes Christi sind.

    „Aber dieser Segen oder die Erzählung der Worte der Einsetzung Christi, wo nicht die ganze Aktion des Abendmahls, wie die von Christus geordnet, gehalten wird, (als, wenn man das gesegnete Brot nicht austeilt, empfängt und genießt, sondern einschließt, aufopfert oder umherträgt), macht allein kein Sakrament, sondern es muss der Befehl Christi, das tut, welches die ganze Aktion oder Verrichtung dieses Sakraments, dass man in einer christlichen Zusammenkunft Brot und Wein nehme, segne, austeile, empfange, esse, trinke und des HERRN Tod dabei verkündige, zusammenfasst, unzertrennt und unverrückt gehalten werden, wie uns St. Paulus die ganze Aktion des Brotbrechens oder Austeilens und Empfangens vor die Augen stellt, 1. Kor. 10.“ (KF, Ausf. Darl., VII, 83-84)

    Es wäre also falsch, die sakramentliche Handlung oder usus auf den mündlichen Genuss zu beschränken, wie es in der Folge in der Theologie des 17. Jahrhunderts zum Teil gemacht wurde. Dies weist auch eindeutig die später durch Ägidius Hunnius aufgebrachte, von den Philippisten früher schon verbreitete, Meinung ab, dass erst mit dem mündlichen Genuss die sakramentale Vereinigung eintrete.

    „Diese wahrhaftige christliche Lehre vom heiligen Abendmahl zu erhalten und vielerlei abgöttische Missbräuche und Verkehrung dieses Testaments zu meiden und auszutilgen, ist diese nützliche Regel und Richtschnur aus den Worten der Einsetzung genommen: Nihil habet rationem sacramenti extra usum a Christo institutum oder extra actionem divinitus institutam. Das ist: Wenn man die Stiftung Christi nicht hält, wie er’s geordnet hat, ist es kein Sakrament. Welche mitnichten zu verwerfen, sondern nützlich in der Kirche Gottes kann und soll getrieben und erhalten werden. Und heißt allhier usus oder actio, das ist Gebrauch oder Handlung, vornehmlich nicht den Glauben, auch nicht allein die mündliche Nießung, sondern die ganze äußerliche Handlung des Abendmahls, die Konsekration oder Wort der Einsetzung, die Austeilung und Empfang oder mündliche Nießung des gesegneten Brots und Weins, Leibs und Bluts Christi; außer welchem Gebrauch, wenn das Brot in der papistischen Messe nicht ausgeteilt, sondern aufgeopfert oder eingeschlossen, umgetragen und anzubeten vorgestellt ist, ist es für kein Sakrament zu halten.“ (Konk. Formel, Ausf. Darl., VII, 85-87)

    Was heißt das nun für die Dauer der sakramentlichen Vereinigung? Wir wissen eindeutig, dass wir außerhalb dieses sakramentlichen usus keine sakramentliche Vereinigung haben. Wir können keinen eindeutigen Zeitpunkt festsetzen, wie es die Scholastik versuchte, mit dem die sakramentale Vereinigung beginnt oder aufhört, aber wir können gewiss davon ausgehen, gemäß den Worte Christi und seines Apostels Paulus, und bezeugt in unseren Bekenntnissen, dass das, was nach der Konsekration zur sogleich zu geschehenden Austeilung vom Altar genommen und ausgeteilt wird zum sofortigen mündlichen Genuss nicht nur Brot und Wein ist, sondern auch Christi Leib und Blut.

    Was nun die übriggebliebenen Elemente nach der Abendmahlsfeier angeht, wie mit ihnen zu verfahren ist, da hat Luther dringend empfohlen und dazu aufgefordert, sie zu verzehren oder zu verbrennen, damit alle nicht lösbaren Fragen damit abgeschnitten werden. ich ab. Es kann allerdings auch nicht behauptet werden, die Abendmahlsfeier würde erst dann enden, wenn alle konsekrierten Elemente verzehrt seien und man dies aus Christi Worten „nehmet, esset; nehmet, trinket“ ableitet. Solch eine gesetzliche Vorschrift lässt sich aus diesen Worten nicht ableiten. Eine andere Möglichkeit des Umgangs ist, wenn tatsächlich Elemente, Brot/Hostie wie auch Wein übrig bleiben, was nach Möglichkeit vermieden werden sollte, sie jeweils in gesonderten Gefäßen für Krankenabendmahl oder Abendmahl mit Sterbenden aufzubewahren.

    Was nun die Konsekration oder Segnung der irdischen Elemente Brot und Wein durch die Einsetzungsworte angeht, so sind die lutherischen Bekenntnisse auch darinnen eindeutig, lassen keine Zweifel offen, dass die Konsekration beim heiligen Abendmahl absolut notwendig ist, dass es ohne Konsekration kein Abendmahl gibt (wie auch nicht ohne Austeilung und mündlichen Genuss – die gesamte actio oder usus gehören zusammen, unzertrennt, nichts davon darf fehlen, wenn es Christi Abendmahl sein soll).

    Im Großen Katechismus macht es Luther klar, dass das Wort unbedingt zum Element hinzukommen muss, sonst haben wir kein Sakrament, sondern es bleibt Brot und Wein.

„Das Wort (sage ich) ist das, das dies Sakrament macht und unterscheidet, dass es nicht lauter Brot und Wein, sondern Christi Leib und Blut ist und heißt. Denn es heißt: Accedat verbum ad elementum, et fit sacramentum; wenn das Wort zum äußerlichen Ding kommt, so wird’s ein Sakrament. Dieser Spruch S. Augustins ist so eigentlich und wohl geredet, dass er kaum einen bessern gesagt hat. Das Wort muss das Element zum Sakrament machen; wo nicht, so bleibts ein lauter Element.“ (V, 10-11)

    Das entscheidet auch schon die Frage der Nachkonsekration, wenn nicht genügend Elemente gesegnet oder konsekriert wurden. Selbstverständlich sind dann die nachträglich hinzugenommenen Elemente mittels der laut gesprochenen Einsetzungsworte zu konsekrieren, sonst würde mit ihnen nicht mehr das heilige Abendmahl ausgeteilt. Hierin kann es gar keinen Zweifel geben.

    Dennoch aber ist es nicht so, als ob hier sozusagen der Mensch nun etwas aus eigener Machtvollkommenheit bewirken könnte, wie dies ja in römisch-katholischen Priesterseminaren zuweilen gelehrt wird, dass der Priester Macht habe, Christus ins Sakrament zu bringen (so berichtet von Gregor Dalliard, einem ehemaligen römisch-katholischen Priester, auf einem Bekenntnistag der „Internationalen Arbeitsgemeinschaft bekennender Christen“ (IABC) in Siegen 1997, vom Verfasser selbst gehört). Vielmehr betonen die lutherischen Bekenntnisse, dass kein Mensch, kein Heiliger, nicht einmal ein Engel aus Brot und Wein Christi Leib und Blut machen können,  nicht eines Menschen Wort oder Werk, Verdienst oder Sprechen des Dieners, auch nicht das Essen oder Trinken oder der Glaube des Kommunikanten es sei, wodurch die sakramentale Vereinigung bewirkt wird, sondern dass dies allein Christus durch sein vom Pastor gesprochenes Wort bewirkt, eben aus Kraft des Wortes, das zu Brot und Wein hinzu kommt, gemäß seiner Ordnung und Befehl. Etwas anderes ist es allerdings, wenn jemand zwar formal die Einsetzungsworte verwendet, wie es bei den Reformierten geschieht, aber Gottes Lehre ändert – der hat dann freilich nicht das heilige Abendmahl.

 „Denn es ist nicht gegründet auf Menschen Heiligkeit, sondern auf Gottes Wort, und wie kein Heiliger auf Erden, ja kein Engel im Himmel das Brot und Wein zu Christi Leib und Blut machen kann: Also kann’s auch niemand ändern noch wandeln, ob es gleich missbraucht wird.“ (Gr. Kat., V, 16; s.a. KF, Ausf. Darl., VII, 20-24)

    „Denn es steht nicht auf Menschen Glauben oder Unglauben, sondern auf Gottes Wort und Ordnung; es wäre dann, dass sie zuvor Gottes Wort und Ordnung ändern und anders deuten, wie die jetzigen Sakramentsfeinde tun, welche freilich eitel Brot und Wein haben; denn sie haben auch die Worte und eingesetzte Ordnung Gottes nicht, sondern dieselben nach ihrem eigenen Dünkel verkehrt und verändert.“ (KF, Ausf. Darl., VII, 32)

    „Dieweil auch von der Konsekration und von der allgemeinen Regel, dass nichts Sakrament sei, außerhalb dem eingesetzten Gebrauch, Missverstand und Spaltung zwischen etlichen der Augsburgischen Konfession Lehrern eingefallen sind, haben wir auch von dieser Sache uns brüderlich und einträchtig miteinander auf nachfolgende Meinung erklärt, nämlich, dass die wahre Gegenwärtigkeit des Leibes und Blutes Christi im Abendmahl nicht schaffe einiges Menschen Wort oder Werk, es sei das Verdienst oder Sprechen des Dieners oder das Essen und Trinken oder Glaube der Kommunikanten, sondern solches alles solle allein des allmächtigen Gottes Kraft und unsers HERRN Jesu Christi Wort, Einsetzung und Ordnung zugeschrieben werden.“ (KF, Ausf. Darl., VII, 73-74)

    Christi Worte und Einsetzung hatten also nicht nur im ersten Abendmahl Kraft, sondern sind auch heute kräftig, währen, gelten, wirken, wo immer Christi Abendmahl nach seiner Ordnung gehalten wird, nämlich sein Wort verwendet wird. Da ist auch Christi Kraft dabei, Vermögen und Werk, dass durch diese Worte Christi Christus seinen Leib und Blut wahrhaft in, mit und unter Brot und Wein gegenwärtig macht zum übernatürlichen mündlichen Genuss. Das heißt: Die Konsekration, das Sprechen oder Segnen der irdischen Elemente Brot und Wein durch den Pastor, Liturgen mittels der Einsetzungsworte ist das Werkzeug, Instrument Christi, wodurch er, wie einst im ersten Abendmahl, die tatsächliche, substantielle Gegenwart seines Leibes und Blutes in den Elementen Brot und Wein bewirkt.

    „Denn die wahrhaftigen und allmächtige Worte Jesu Christi, welche er in der ersten Einsetzung gesprochen, sind nicht allein im ersten Abendmahl kräftig gewesen, sondern währen, gelten, wirken und sind noch kräftig, dass in allen Orten, da das Abendmahl nach Christi Einsetzung gehalten und seine Worte gebraucht werden, aus Kraft und Vermögen derselben Worte, die Christus im ersten Abendmahl gesprochen, der Leib und Blut Christi wahrhaftig gegenwärtig, ausgeteilt und empfangen wird. Denn Christus selbst, wo man seine Einsetzung hält und sein Wort über dem Brot und Kelch spricht und das gesegnete Brot und Kelch austeilt, durch die gesprochenen Worte, aus Kraft der ersten Einsetzung, noch durch sein Wort, welches er da will wiederholt haben, kräftig ist, wie Chrysostomos spricht (in serm. de pass.) in der Predigt von der Passion: Christus richtet diesen Tisch selbst zu und segnet ihn; denn kein Mensch das vorgesetzte Brot und Wein zum Leib und Blut Christi macht, sondern Christus selbst, der für uns gekreuzigt ist. Die Worte werden durch des Priesters Mund gesprochen, aber durch Gottes Kraft und Gnade, durch das Wort, da er spricht: Das ist mein Leib, werden die vorgestellten Elemente im Abendmahl gesegnet. Und wie diese Rede: Wachset und vermehret euch und erfüllet die Erde, nur einmal geredet, aber allezeit kräftig ist in der Natur, dass sie wächset und sich vermehret: Also ist auch diese Rede einmal gesprochen, aber bis auf diesen Tag und bis an seine Zukunft ist sie kräftig und wirkt, dass im Abendmahl der Kirchen sein wahrer Leib und Blut gegenwärtig ist.“ (KF, Ausf. Darl., VII, 75-76)

    Die Segnung der Elemente geschieht nicht anders als durch die Wiederholung, das Sprechen der Einsetzungsworte über den Elementen (vgl. Konk. Formel, Ausf. Darl., VII, 82)

    Es darf aber nie vergessen werden, worum es im heiligen Abendmahl geht, wozu es gereicht wird. Luther betont im Großen Katechismus, dass wir darum zum Sakrament gehen, dass wir darin Vergebung der Sünden für uns holen, was angezeigt wird durch die Worte FÜR EUCH.

     „Nun siehe weiter auf die Kraft und Nutzen, darum endlich das Sakrament eingesetzt ist, welches auch das nötigste darin ist, dass man wisse, was wir da suchen und holen sollen. Das ist nun klar und leicht eben aus den gedachten Worten: Das ist mein Leib und Blut, FÜR EUCH gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünde. Das ist kürzlich so viel gesagt: Darum gehen wir zum Sakrament, dass wir da empfangen solchen Schatz, durch und in dem wir Vergebung der Sünde überkommen. Warum das? Darum, dass die Worte da stehen und uns solches geben, denn darum heißt er mich essen und trinken, dass es mein sei und mir nütze, als ein gewisses Pfand und Zeichen, ja eben dasselbe Gut, so für mich gesetzt ist wider meine Sünde, Tod und alles Unglück. … Darum ist es gegeben zur täglichen Weide und Fütterung, dass sich der Glaube erhole und stärke, dass er in solchem Kampf nicht zurück falle, sondern immerdar je stärker und stärker werde. Denn das neue Leben soll also getan sein, dass es stets zunehme und fortfahre; es muss aber dagegen viel leiden.“ (Gr. Kat. V, 20-22.24)

    Das aber wird nicht anders als allein durch den Glauben empfangen, weshalb der Glaube allein die rechte Weise ist, das heilige Abendmahl zu empfangen (wiewohl auch der Ungläubige Christi Leib und Blut unter Brot und Wein zum mündlichen Genuss empfängt, aber eben nicht zum geistlichen Segen, zur Vergebung der Sünden, sondern sich zum Gericht).

    „Nun muss man auch sehen, wer die Person sei, die solche Kraft und Nutzen empfange. Das ist aufs kürzeste, wie droben von der Taufe und sonst oft gesagt ist: Wer da solches glaubt, der hat, wie die Worte laufen und was sie bringen. … Und weil er Vergebung der Sünde anbietet und verheißet, kann es nicht anders als durch den Glauben empfangen werden. Solchen Glauben fordert er selbst in dem Wort, da er spricht: Für euch gegeben, für euch vergossen; als sollt er sagen: Darum gebe ich’s und heiße euch essen und trinken, dass ihr euchs sollt annehmen und genießen.“ (Gr. Kat. V, 33-35)

 

cd. Beichte und Absolution

    An dem römischen Sakrament der Buße ist biblisch nur die Absolution. Und da diese irgendwelches Bekennen voraussetzt, darum soll man auch „die Beichte bei Leibe nicht lassen abkommen in der Kirche“ (Schm.Art. III, VIII, 1). Auch die Sitte, vor dem Abendmahl zur Beichte zu kommen, wurde lange Zeit beibehalten (Apol. XXV, 1), heute vielfach ersetzt durch die Anmeldung und einen Beichtgottesdienst vor dem Abendmahl. Denn wer jenes mit Segen empfängt, wird auch die Absolution hochschätzen (Erm. zur Beichte, 29). Der Zweck der Beichte ist, sich Trost und Rat für die Seele zu holen. Daher darf kein Beichtzwang geübt werden (Erm. zur Beichte, 21.28 ff.), sondern der Sünder soll freiwillig kommen, wenn er von einer Sünde beschwert ist, über die er keinen Frieden bekommt. Ebenso soll, wenn man beichtet „eine Erzählung der Sünden frei sein“ (Schm. Art. III, VIII, 2). Die Betonung aber, dass „die Absolution eine Hilfe und Trost gegen die Sünde und böses Gewissen und im Evangelium von Christus gestiftet ist“, schließt zugleich in sich, dass „man sie hoch und wert halte“ (das.) und dann, wenn es zur Beruhigung des Gewissens erforderlich ist, „die Sünde bekenne, die man fühlt im Herzen“, mit der man sich „beschwert empfindet“ (Kl. Kat. V, 18.24). Noch ein zweiter Grund bewog zur Beibehaltung der Privatbeichte. Man musste befürchten, dass viele zum Abendmahl kamen, die gar nichts von dessen Bedeutung, ja, von der christlichen Lehre überhaupt wussten. Mit solchen musste man das „Beichtverhör“ halten, das heißt, „sie verhören und unterrichten in der christlichen Lehre“ (Schm. Art. VIII, 1), eine Einrichtung, die durch die Einführung der Konfirmation hinfällig geworden ist. – Die Absolution ist nicht wie bei den Römischen ein Urteil oder Gesetz (Apol. (VI), 6). Sie reicht die Vergebung dar, und diese wird dem Beichtenden allein dann zuteil, wenn er sie im Glauben annimmt. Sie ist also nicht bloß ein deklaratorischer, sondern ein effektiver Akt, „dadurch die Sünde vor Gott im Himmel vergeben wird“ (Kl. Kat. V, 16; Apol. (VI), 2); nur kann die Vergebung durch Unglauben ausgeschlagen werden, wie ich eine mir objektiv zugefallene Erbschaft ausschlagen kann.

    Einen „Fehlschlüssel“ kann es nicht geben, da die Absolution auf Christi Erlösungswerk beruht, darauf, dass er Gott mit der ganzen Welt, jedem Menschen, grundsätzlich auf Golgatha versöhnt und somit für jeden Menschen grundsätzlich Vergebung der Sünden erworben hat. Wenn der Beichtende seine Sünden nicht von Herzen bereut, daher auch die Absolution nicht als solche von Herzen empfängt, so hat er sie auch nicht, weil allein der Glaube das Evangelium, auch in der Form der Absolution, empfängt.

    Wer hat die Vollmacht zur Absolution? Wie schon zuvor gesagt, sind die Gnadenmittel nicht einzelnen Personen, auch nicht einem bestimmten Stand in der Kirche gegeben, sondern allen Christen (Schm. Art. III, VIII, 1; Tract. 24). Damit hat auch grundsätzlich jeder Christ durch Taufe und Wiedergeburt die Vollmacht zur Absolution, auch wenn sie geordneter Weise zumeist durch den Pastor am Ort ausgeübt wird.

 

 

 

6. Die Heilsaneignung

 

a.  Die Anfangsbuße

 

aa. Die Notwendigkeit der Buße

    Die KF macht darauf aufmerksam, dass das Wort „Buße“ wie im Neuen Testament, so auch in den frühen Bekenntnisschriften in verschiedenem Sinne gebraucht wird (KF, Ausf. Darl., V, 7 ff.). Hatte die römische Buße in der Reue mit Bekenntnis und Genugtuung bestanden – alles als menschliche Werke gedacht –, so fordern die Evangelischen im Anschluss an die Bibel auch den Glauben. Daher rechnet das Augsburger Bekenntnis (Art. XII) zur Buße Sündenerkenntnis (Reue und Leid) und Glauben. Die Schmalkaldischen Artikel sprechen von dem Werk Gottes durch das Gesetz, dass er damit alle Selbstgerechtigkeit, alle menschlichen Stützen zerschlägt und jeden Menschen als Sünder der Verdammnis unterwirft und so rechte Sündenerkenntnis, rechtes Herzeleid über die Sünde, die Verdorbenheit und Verlorenheit vor Gott bewirkt, die dieses Verdammungsurteil Gottes über den Sünder anerkennt, sich ihm unterwirft. Dazu kommt dann das Evangelium mit der Verheißung Gnade um Christi Verdienst willen, bietet an und eignet zu Trost und Vergebung der Sünden und ruft so zum rettenden Glauben, der das Evangelium empfängt, ergreift (III, III, 2-7.36). „Buße“ meint also „Sinnesänderung“, durch Gottes Geist gewirkte Abkehr vom selbstischen Ich, von der Selbstgerechtigkeit, der Sünde, vom Geist Gottes durch das Evangelium gewirkte Hinwendung zu Christus, dem Retter für Sünder, im herzlichen Vertrauen, dass ich durch ihn allein Vergebung der Sünden und ewiges Leben habe. So lehren also alle Bekenntnisse, dass vor dem Glauben, der das Heil empfängt, sich aneignet, die lebendige Erkenntnis der Sünde mit Zerschlagung des alten Menschen, Reue und Leid über die Sünde, die Erkenntnis, Gott nichts, gar nichts bringen zu können, die Sehnsucht, von ihr frei zu werden, vorhanden sein muss und dass dies von dem Heiligen Geist durch die Predigt des Gesetzes gewirkt wird, nicht eine menschliche Leistung, die sozusagen als Vorbedingung erst erbracht werden müsste. Es gibt keine Himmelfahrt des Glaubens ohne vorherige Höllenfahrt der Sündenerkenntnis und Buße. Gott rechtfertigt niemanden, den er nicht zuvor zur rechter Sünden-, Verdorbenheits- und Verlorenheitserkenntnis gebracht hat. Zuerst muss die Sünde von der „Donneraxt Gottes“ getroffen werden und „hören solch Urteil: Es ist nichts mit euch allen, ihr seid öffentliche Sünder oder Heilige, ihr müsst alle anders werden und anders tun als ihr jetzt seid und tut, ihr seid, wer und wie groß, weise, mächtig und heilig ihr wollt, hier ist niemand fromm.“ (Schm. Art. III, III, 3.) Der Sünder muss lebendig erkennen, dass er das Gesetz Gottes gar nicht erfüllen kann und so an sich selbst und seinen Fähigkeiten völlig verzweifeln. Um Jesus Christus als den Retter zu erkennen, muss der zuvor erkannt haben, dass er verloren ist; um ihn als den Versöhner zu begreifen, muss der Sünder zuvor erfasst haben, dass er durch die Sünde unter Gottes Zorn ist; will er die Gnade in Christus erkennen, muss er zuvor erkannt haben, wie sehr er der Gnade bedarf, wie fluchwürdig er durch die Sünde vor Gott ist, wie der Verdammnis ausgeliefert. Denn er mag zwar einzelne äußerliche Auswirkungen der Sünde mildern oder verhindern, aber das Herz kann er selbst nicht ändern. So führt Gott den zuvor sicheren Sünder in innere Not, „unter das Gericht“. Dass der Sünder so zerbrochen wird, dass er dazu ein Ja findet, das ist das Ziel des Bußwerkes des Heiligen Geistes an ihm. Die KF musste diese Lehraussagen Luthers wieder geltend machen gegen den Antinomismus des Johann Agricola, der gelehrt hatte, dass die Buße nicht aus den Zehn Geboten oder dem Gesetz zu lehren sei, sondern durch das Evangelium. Die KF wiederholt daher Luthers Hinweis darauf, dass auch Christus und seine Apostel das Gesetz gepredigt haben, wie es zum Amt des Heiligen Geistes gehört, die Welt zu strafen um die Sünde (Ausf. Darl. V, 11 ff.). Wendet man ein, Christus sei doch nicht dazu gekommen und der Heilige Geist nicht dazu gegeben, die Menschen zu erschrecken und niederzubeugen, so ist zu antworten, dass ein Verlangen und Annehmen dessen, was Christus und sein Geist dem Menschen geben will, nicht möglich, so lange der Sünder noch nicht über seine Sünde erschrocken ist. Um also „sein eigenes Werk“ ausrichten zu können, muss Gott zuvor, wie auch Luther sagte, „ein fremdes Werk verrichten“ (KF, Ausf. Darl., V, 11). Der gegnerischen Behauptung gegenüber, die wahre Buße entstehe nur aus der Predigt von der Gnade Gottes, wird nicht geleugnet, dass auch diese Predigt zum Erschrecken über die Sünde führen könne, aber erklärt, dann sei dies durch die auch im Evangelium enthaltene Gesetzesverkündigung bewirkt. Denn Gesetz ist alles, was die Sünde offenbart und straft, mag es im Alten oder im Neuen Testament stehen. Auch „das Leiden und Sterben Christi“ ist eine „schreckliche Predigt des Zornes Gottes über die Sünde“ wird aus Luther zitiert (KF, Ausf. Darl., V, 12; Kurze Darl., V, 3 ff.). Evangelium dagegen ist „alles, was tröstet, die Huld und Gnade Gottes den Übertretern des Gesetzes anbietet (KF, Ausf. Darl., V, 21 ff.). Da nun dies das Ziel der Predigt Christi und des Heiligen Geistes ist, so wird, wie richtig bemerkt wird (KF, Kurze Darl., V, 6), von Melanchthon gemäß der Bibel „die ganze Lehre Christi“ und seiner Apostel als „Predigt des Evangeliums“ bezeichnet, wie schon das Augsburger Bekenntnis von dem „Evangelium“ auch aussagt, es „strafe alle Menschen, dass sie unter der Sünde sind und des Zorns und ewigen Todes schuldig“ (Apol. IV, 62). Diese beiden Predigten, das Gesetz im eigentlichen Sinn und das Evangelium im eigentlichen Sinn, müssen inhaltlich bestimmt unterschieden und aus dem Zusammenhang darauf geachtet werden, ob diese Begriffe, Gesetz und Evangelium, jeweils im eigentlichen oder im weiteren Sinn verwendet werden. Denn sie sollen ganz Verschiedenes bewirken, das Gesetz die Reue, das Evangelium den Glauben. (KF, Ausf. Darl., V, 27). Doch dürfen diese beiden Predigten auch nicht voneinander isoliert werden. Denn isoliert richtet jede nur Verderben an. Die Gesetzespredigt allein treibt entweder zur Vermessenheit, als könnten wir das Gesetz erfüllen oder hätten ihm schon genügt, oder aber zur Verzweiflung, wenn wir unsere Sünde und sittliche Ohnmacht erkannt haben, wie es dem König Saul und dem Verräter Judas erging. Die Evangeliumspredigt allein macht die Menschen sicher (Apol. XII, 34 ff.; Schm. Art., III, III, 7; KF, Ausf. Darl., V, 9 f.). So wird das Notwendige, die Buße, verhindert.

    Was ist bei der Buße des wiedergeborenen Sünders anders? Sie wird nicht mehr getrieben von dem Schrecken vor Gott, dessen Zorn und Strafe, sondern ist neben dem Erschrecken über die Sünder gerade auch geprägt von der Liebe zu dem gnädigen Gott, der ihm in Christus mit so viel Liebe und Gnade begegnet ist und den er nun wieder durch Sünde betrübt hat. Hier erkennen wir etwas von der „Sinnesänderung“, die durch Gottes Gnade im Herzen des bekehrten Sünders bewirkt wurde.[88]

 

ab. Das Wesen der Buße

    Damit recht von Sündenerkenntnis und Buße gelehrt und gepredigt werden kann, ist es wichtig, von Gott nicht nur als vom „lieben Gott“ zu sprechen, sondern Gott auch in seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit hervorzuheben und in seinem heiligen Zorn als den, der die Sünde hasst, neben dem der Sünder an sich nicht bestehen kann, sondern in die Verdammnis muss (auch wenn es durchaus richtig ist, dass auch dieser Zorn Gottes zugleich getrieben ist von seiner Liebe, die sucht, den Sünder gerade dadurch, dass er ein geängstetes und zerschlagenes Herz bewirkt, ihn zu rechter lebendiger Verdorbenheits- und Verlorenheitserkenntnis zu führen und so den Herzensacker reif für die frohe Botschaft der Erlösung, Rettung durch Jesus Christus zu machen.)

    Die Apologie erklärt „rechte Buße …, das ist, da ein erschrockenes Gewissen Gottes Zorn und seine Sünde fühlt, Vergebung der Sünde und Gnade sucht“; sie bestimmt das Innere des Bußfertigen als Schrecken und Ängste (IV (III), 21.23). Indem hier von den Sünden fortgeschritten wird zur Sünde ist angedeutet, was Luther in den Schmalkaldischen Artikeln hervorhebt: „Diese Buße ist nicht stücklich und betttelisch wie jene [römische] und ist nicht ungewiss wie jene. Denn sie disputiert nicht, welches Sünde oder nicht Sünde sei, sondern stößt alles in Haufen, spricht, es sei alles und nur Sünde mit uns. Darum ist auch hier die Reue nicht ungewiss. Denn es bleibt nichts da, damit wir könnten etwas Gutes denken, die Sünde zu bezahlen, sondern ein bloßes, gewisses Verzagen an allem, das wir sind, denken, reden oder tun.“ (III, III, 36.)  Dies ist der erste Unterschied zwischen der Sündenerkenntnis, die auch dem natürlichen Menschen möglich ist, und der von dem Heiligen Geist gewirkten: Einzelne Verfehlungen gegen das Sittengesetz kann der Mensch von sich aus erkennen, nicht aber seine Sündhaftigkeit, also wohl Sünden, aber nicht die Sünde[nverdorbenheit]. Den zweiten Unterschied deutet die Apologie an, indem sie von „Schrecken des Gewissens“ redet, das „Gottes Zornhlt“. Der natürliche Mensch kann sich eines Unrechts bewusst sein, er weiß aber gar nicht, was Sünde ist, nämlich Vergehen gegen Gott, des Zornes Gottes wert. Nur Gottes Geist kann dessen überführen, dass das Wesen der Sünde besteht in dem Zustand „von Mutterleib an voller böser Lust und Neigung … und keine wahre Gottesfurcht, keinen wahren Glauben an Gott von Natur haben können“ (Augsb. Bek. II, 1), oder in dem Fehlen „dass wir Gott fürchten und lieben, ihn in allen Nöten allein anrufen und sonst auf nichts einigen Trost setzen, … dass wir von Gott noch Leben und allerlei Trost erwarten sollen mitten im Tod, in allen Anfechtungen seinem Willen uns gänzlich heimgeben, im Tod und Trübsal nicht von ihm fliehen, sondern ihm gehorsam sein, gerne alles leiden und tragen, wie es uns geht“ (VII, 8). Fühlt man infolgedessen „ein Verzagen“, dann tritt das dritte Kennzeichen der wahren Buße ein, der Hass gegen die Sünde mit dem zweifachen Verlangen, nach Vergebung und Befreiung. Wohl kann bei dem einen dieses, bei dem anderen jenes überwiegen, aber, wie Luther ausgeführt hat, wer nur von der Schuld und Strafe seiner Sünde befreit sein möchte, hasst nicht die Sünde, sondern nur ihre Folgen; und wer nur von der Macht der Sünde frei zu werden wünscht, hasst nicht die Sünde, sondern nur seine Schwäche. Jener will nicht geschädigt, dieser nicht beschämt werden. Der natürliche Mensch kann den Wunsch haben, diesen oder jenen Fehler abzulegen, und meint, wenn ihm dies gelingt, nun sei das Vergangene erledigt; denn der natürliche Mensch dreht sich letztlich nur um sich selbst, ist von Ichhaftigkeit und Selbstgerechtigkeit geprägt, der letztlich meint, doch irgendwie das Gesetz erfüllen und so gar Ansprüche gegenüber Gott ableiten zu können. Wer wahrhafte Buße kennt, weiß, dass es ohne Vergebung „mit uns allen verloren ist“, „müssen schlicht neue und andere Menschen werden“ (Schm. Art., III, III, 35). Der natürliche Mensch muss also, das ist das Ziel des Heiligen Geistes mit der Predigt des Gesetzes, an sich selbst völlig verzweifeln, seine eigene Ohnmacht, Verdorbenheit und Verlorenheit lebendig erkennen und so ein rechtes Verlangen nach der Rettung durch Christus bekommen (und nicht in ohnmächtigem Trotz an Gott verzweifeln und zum Gotteshass kommen), worin gerade sich die Liebe Gottes zum Sünder erweist, die zuvor unter seinem Zorn verborgen war. Frei von der Schuld und der Macht der Sünde wird man nur durch die Rechtfertigung.

 

 

b. Die Rechtfertigung

 

ba. Der Hauptartikel

    Nach Melanchthon ist der Artikel von der Rechtfertigung der Hauptartikel der christlichen Lehre (Apol. IV, 2). Manche haben angezweifelt, ob Luther tatsächlich dieses Lehrstück meine, wenn er in den Schmalkaldischen Artikeln von dem „ersten und Hauptstück“ redet und sagt: „Von diesem Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erde und was nicht bleiben will … Und auf diesem Artikel steht alles, was wir gegen den Papst, Teufel und Welt lehren und leben. Deshalb müssen wir des gar gewiss sein und nicht zweifeln, sonst ist es alles verloren.“ (II, I, 5.) Und freilich beginnt Luther diesen Abschnitt mit drei Bibelstellen, die nicht direkt von der Rechtfertigung reden, sondern von der Erlösung durch Christus, und er zitiert im folgenden Absatz noch zwei Bibelstellen desselben Inhalts. Aber aus jenen Stellen hat er gefolgert und mit diesen begründet er noch weiter, dass nur durch den Glauben diese durch Christus geschehene Erlösung „mag erlangt oder gefasst werden“, dass also „allein solcher Glaube uns gerecht mache“, wofür er zwei Bibelstellen als Beweise bringt. Und unmittelbar hieran schließen sich die Worte: „Von diesem Artikel kann man nicht weichen.“ Er meint also mit dem „Hauptartikel“ die Lehre von der Erlösung durch Christus, die, mit dem Glauben erfasst, uns vor Gott gerecht mache. Er hätte auch die Rechtfertigungslehre allein nennen können. Aber er will sie als die unabweisbare Folgerung aus der auch von den Gegnern nicht geleugneten Erlösung durch Christus, also ihre Preisgabe als Preisgabe Christi erkennen lassen. Darum schreitet er von der Erlösung zur Rechtfertigung fort und geht damit den umgekehrten Weg wie Melanchthon in dem grundlegenden Artikel 4 des Augsburger Bekenntnisses: „dass wir Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit vor Gott nicht erlangen können durch unser Verdienst, Werk und Genugtun, sondern dass wir Vergebung der Sünden bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnaden um Christi willen durch den Glauben, so wir glauben, dass Christus für uns gelitten hat und dass uns um seinetwillen die Sünden vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird. Denn diesen Glauben will Gott für Gerechtigkeit vor ihm halten und zurechnen, wie St. Paulus sagt im Römerbrief im 3. und 4. Kapitel.“ Wie Luther an jener Stelle gegen Rom betont, wir „werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade“, so erklärt hier Melanchthon die Rechtfertigung für gratis, umsonst geschehend. Wir haben also an beiden Stellen die dreifache Bestimmung: allein aus Gottes Gnade, allein um Christi Verdienst willen, allein mittels des Glaubens. Die Rechtfertigung ist allein Gottes Tun.

 

bb. Die Rechtfertigung – ein objektiver Akt

    Für Luther handelte es sich in seinen heißen Seelenkämpfen nicht, wie vielfach verstanden worden ist, „um die Frage, worauf der Christ die Zuversicht seiner Geltung vor Gott gründen könne“. Nicht nach dem „Bewusstsein der Gnade Gottes“ verlangte er, nicht nach „Heilsgewissheit“. Ihn erfüllte vielmehr das klare Bewusstsein, dass er Gottes Gnade, dass er das Heil nicht besitze. Er sehnte sich nach Änderung dieses objektiven Verhältnisses Gottes zu ihm, sehnte sich nach dem Heil: „Dass du einen gnädigen Gott kriegst!“ Kannte er doch, wie besonders die Polemik in seiner Vorlesung über den Römerbrief lehrt, sehr viele, die das Wohlgefallen Gottes, die das Heil nicht besaßen und doch an ihrer Geltung vor Gott nicht zweifelten. Wohl hat er später erklärt, auch wenn uns Gottes Gnade gelte, hätten wir nichts davon, falls wir nicht darum wüssten. Aber die Frage, wie er der Gnade Gottes gewiss werden könne, trat für ihn zunächst völlig zurück vor der anderen, wie er sie erlangen könne. Offenbar hat er nicht daran gezweifelt, dass er, wenn sie ihm gelte, dies auch wissen werde, ebenso wie er zunächst das Gegenteil wusste. Er verstand also unter der von ihm ersehnten Rechtfertigung einen Akt Gottes, der das Urteil, das Gott für ihn sei, in sich schloss. Melanchthon zeigt in der Apologie, dass nicht die römische, sondern einzig die lutherische Rechtfertigungslehre den „erschreckten“ Gewissen“ wahren Trost gewähre. Dabei unterscheidet er nicht die Frage nach dem Bewusstsein um den Heilsbesitz von dem Heilsbesitz, sondern fasst beides so in eins zusammen, dass er die Aufrichtung des erschreckten Gewissens, die Empfindung, „um Christi willen für gerecht geachtet zu werden“ als das Gerechtfertigtwerden bezeichnen kann (Apol. IV, 69). Die Rechtfertigung ist also auch für Melanchthon ein objektiver, zu einer bestimmten Zeit eintretender Akt Gottes, nicht aber ein Bewusstseinsakt des Menschen, ein Akt Gottes, den der Mensch mittels des Worts durch den Heiligen Geist im Glauben empfängt, sich aneignet. Als Tatwort für das Hauptwort Rechtfertigung wird nie ein Aktiv gesetzt, wie etwa „sich gerecht erkennen“, sondern nur ein Passiv: gerechtfertigt werden, für gerecht erklärt werden. Auch die meisten Wendungen, mit denen die Rechtfertigung näher beschrieben wird, sind so gewählt, dass sie nur einen objektiven Vorgang bezeichnen können, wie: „es werden uns die Sünden vergeben“, „es wird uns Gerechtigkeit geschenkt“, „wir werden in die Gnade aufgenommen“, sie ist „eine Annahme der ganzen Person“, „Eine Adoption zu Kindern Gottes“. Wenn Melanchthon „rechtfertigen“ auch durch „gerecht erklären“ erklärt, so denkt er dabei an ein den Angeklagten freisprechendes richterliches Urteil. Denn mehrmals erwähnt er, dass in der Bibel „rechtfertigen“ auch für eine „gerichtliche Praxis“ im Sinn von „gerecht sprechen“ gebraucht werde. So (Apol. IV (III), 131) bei der Besprechung der Jakobusstelle (2,24), dass man durch die Werke gerechtfertigt werde, nicht durch den Glauben allein, womit die römischen Gegner die evangelische Rechtfertigungslehre über den Haufen werfen zu können meinten. Hier, sagt Melanchthon, werde von denen geredet, die schon ihren Glauben durch die guten Werke beweisen. Diese erkläre Gott für Gerechte (um des Glaubens willen, der als Folge, Frucht, sich durch die Werke erweist). Dasselbe drückt Paulus Röm. 2,13 so aus: „die das Gesetz tun, werden gerecht sein“: Weil sie vermöge ihres Glaubens gute Früchte zeitigen, erkläre Gott sie für gerecht, wie ein Richter den Tatbestand der Unschuld des Angeklagten konstatiere und proklamiere. An diesen Stellen handelt es sich also nicht darum, wie ein Sünder vor Gott gerecht wird. Hiervon handelt z.B. Röm. 5,1 (Apol. IV (III), 184). Auch hier bezeichnet „rechtfertigen“ eine gerichtliche Praxis, jemanden gerecht und frei zu sprechen. Aber wird das Wort „rechtfertigen“ in anderer Hinsicht angewandt als an jenen zwei Stellen. Die Gerechterklärung erfolgt nicht aufgrund dessen, dass die sich in den Werken bezeugte schon vorhandene Rechtfertigung bekräftigt wird, sondern aufgrund einer fremden, nämlich Christi Gerechtigkeit, die uns durch den Glauben zugesprochen wird, so dass unsere von Gott zugeeignete Gerechtigkeit der Zuspruch einer fremden Gerechtigkeit ist. Die Apologie versteht also Rechtfertigung als die Erklärung des richterlich urteilenden Gottes, dass ein Mensch vor ihm, aufgrund einer fremden, Christi, Gerechtigkeit, mittels des Glaubens, gerecht ist. Es liegt hier aber keine andere Bedeutung von „Rechtfertigung“ vor als in den beiden anderen Fällen oder gar ein Widerspruch, sondern nur eine Anwendung desselben Begriffs einmal auf den Sünder in der Rechtfertigung, zum anderen, in den beiden Fällen, auf den gerechtfertigten Sünder in der Heiligung, also im Leben aus der Rechtfertigung. Die Rechtfertigung des Sünders also, um die es sich stets handelt, ist eine Gerechterklärung durch Gott aufgrund des Zuspruchs der Gerechtigkeit Christi, ist also ein objektiver göttlicher Akt. Es handelt sich, das kann nicht genug betont werden, stets um das Gerechtsprechen des Sünders, des Gottlosen (Röm. 4,4.5), dessen, der Gott gar nichts bringen kann, sondern mit leeren Händen, beladen mit seinen Sünden, vor Gott steht, nie um das Gerechtsprechen von jemandem, der Gott irgendetwas gebracht hätte, der irgendetwas aufzuweisen hätte, der es in irgendeiner Weise doch verdient hätte. Hierauf, dass es sich um einen objektiven Akt Gottes handelt, zu bestehen, wurde Melanchthon bewogen durch den Blick auf die Vielen, die „sich einbilden, Vergebung der Sünden zu verdienen, wenn sie täten, was sie vermöchten“, die „träumten, durch eigene Erfüllung des Gesetzes vor Gott als gerecht geschätzt zu werden“, weil sie den Zorn und das Gericht Gottes nicht fühlen (Apol. VII, 9.18.20). Die Überzeugung, Gottes Gnade zu besitzen, kann ohne diesen Besitz, kann als Einbildung vorhanden sein, der Bewusstseinsakt ohne den objektiven Akt, wenn die Überzeugung auf falscher Grundlage beruht. Luther selbst hat dann noch ausgeführt, dass auch umgekehrt der Mensch schon objektiv vor Gott gerechtfertigt sein könne, ohne noch dessen gewiss zu sein (z.B. Erl. Ausg. opp. var. arg. 2,153 ff.). Nur freilich hat er gefordert, dass solche Ungewissheit überwunden werde (da sonst die Gefahr besteht, dass der Mensch wieder aus der Gnade falle oder zumindest sein Christentum sehr krank wäre). Denn darin besteht das Besondere der biblischen Rechtfertigungslehre, die Luther wieder ans Licht brachte, dass sie von einem objektiven Vorgang redet, den wir uns im Glauben aneignen (wobei dieser Glaube, gerade bei solchen, die sehr stark unter dem Eindruck des Gesetzes stehen, zunächst noch unbewusst sein kann, aber dann bewusst, willentlich werden soll), so dass er zu unserem bewussten, willentlichen persönlichen Besitz wird, während Rom nur von einem objektiven Handeln Gottes weiß, über das wir nicht gewiss werden können, und der reformierte Geist in der Gefahr steht, sich mit einer subjektiven Gewissheit zu begnügen, da er sich aufgrund seiner doppelten Prädestination nicht auf die Gnadenmittel gründen kann.

 

bc. Die Sündenvergebung

    (Keine andere lutherische Bekenntnisschrift behandelt so ausführlich die Rechtfertigung wie die Apologie. Und doch sind deren Aussagen ganz verschieden gedeutet worden. Es hat dies besonders darin seinen Grund, dass sich damals noch nicht eine einheitliche Terminologie hinsichtlich der dogmatischen Ausdrücke unter den Evangelischen herausgebildet hatte und Melanchthon, wie er hervorhebt, in dieser Schrift sich möglichst der herkömmlichen, den Gegnern geläufigen Lehrweise angeschlossen (Apol. Vorr. 11), ja, um Verleumdungen von ihrer Seite zu vermeiden, nicht ebenso frei geredet hat wie er es Freunden gegenüber tat (Enders 9, 19,39). Daher ist es erforderlich, von dem heute herrschenden Verständnis der von Melanchthon jeweilig verwendeten Ausdrücke abzusehen und unter steter Erwägung, ob er damit sich nur der Ausdrucksweise seiner Gegner anbequemt hat, den eigentlichen Inhalt seiner Aufstellung festzustellen. Wenn er nun an einer Stelle, wo er die evangelische Auffassung der Rechtfertigung beweisen will, eine Definition dieses Begriffs liefert, so ist doch zunächst anzunehmen, dass er damit seine eigene Ansicht ausspricht. Nun lesen wir: „Wir halten, die Widersacher müssen bekennen, dass vor allen Dingen zu der Rechtfertigung vonnöten sei Vergebung der Sünden.“ (IV, 75 f.) und dem entsprechend gebraucht er „rechtfertigen“ (iustificari) häufig für Vergebung der Sünden zueignen (z.B. IV, 58 f.). Trotzdem wird immer wieder die Ansicht vertreten, Melanchthon habe unter „Rechtfertigung“ bald dieses, bald jenes verstanden, ja, es komme vor, „dass er das iustificari im Sinne der realen Erneuerung durch die Wiedergeburt verstehe und es von der Vergebung der Sünden unterscheide“.[89] Diese Auffassung wird so begründet: „Gleich zu Beginn des Abschnitts über die Rechtfertigung wird gesagt, dass die Gegner die Evangelischen tadeln wegen der Behauptung: „dass die Gläubigen Vergebung der Sünde durch Christus ohne alle Verdienste allein durch den Glauben erlangen (IV, 1). Dies ist daher das zur Debatte stehende Thema (vgl. IV, 45). Entsprechend heißt es dann am Ende des Aufsatzes: „Bisher haben wir reichlich angezeigt …, dass wir allein durch den Glauben Vergebung der Sünden erlangen um Christus willen, und dass wir allein durch den Glauben gerecht werden, das ist: aus Ungerechten fromm, heilig und neu geboren werden.“ (IV, 117.) Aber mit dieser auffallenden Nebeneinanderstellung von Vergebung und Rechtfertigung kann Melanchthon nicht als seine eigene Ansicht eine Verschiedenheit von Vergebung und Rechtfertigung aussprechen wollen, weil er, wie gesagt, die Rechtfertigung als Vergebung definiert hat. Jene Nebeneinanderstellung ist vielmehr durch das veranlasst, was die Confutatio der Gegner gegen die Rechtfertigungslehre des Augsburger Bekenntnisses hervorgebracht hatte. Verweist doch Melanchthon ausdrücklich auf das, was die betreffenden Artikel der Confutatio verdammt haben (IV, 1). Und hier war in der Tat der erhobene Vorwurf zu zwei Sätzen formuliert. Zu Art. 20 war die Lehre der Evangelischen getadelt, dass gute Werke nicht Vergebung der Sünden erwerben (CR 27,121). Dieser Formulierung der Gegner sich anschließend will Melanchthon beweisen, dass allein der Glaube die Vergebung der Sünden erlangt. Zu Art. 6 aber hatte die Confutatio die Evangelischen verdammt, weil sie die Rechtfertigung allein dem Glauben zusprachen. (das. 99). Dieser Formulierung sich anschließend will Melanchthon beweisen, dass allein der Glaube gerechtfertigt wird. Also damit die Gegner nicht sagen können, er habe nur den einen der beiden gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu widerlegen versucht, formuliert er das, was sie als etwas Verschiedenes ansahen, zu zwei Sätzen, obwohl er selbst es für dasselbe ansieht, Vergebung und Rechtfertigung, und redet auch sonst nicht immer von Vergebung allein, sondern auch oft von Vergebung und Rechtfertigung (z.B. IV, 5.7.12.16). Dass aber er über das Verhältnis dieser beiden Begriffe zueinander nicht ebenso denkt wie seine Gegner, ist an unserer Stelle in feiner Weise von ihm angedeutet durch die Wahl des Modus der Zeitwörter. Indem er einfach die beiden Vorwürfe der Gegner zitiert, gebraucht er für beide die gleiche Zeitform: zusprechen - rechtfertigen. Aber indem er angibt, was er dagegen bewiesen habe, schreibt er: dass zugesprochen wird Vergebung und dass gerechtfertigt – und wiedergeboren wird. Richtig ist schon dazu bemerkt worden. „Das sieht danach aus, als wenn diese Konjunktive dem „zugesprochen werden“ untergeordnet sind.“ Melanchthon will andeuten: Durch den Glauben allein erlangen wir Vergebung und eben damit werden wir gerechtfertigt; in Wirklichkeit ist beides dasselbe.

    Wie aber kann er in der zitierten Stelle schreiben: „dass wir allein aus Glauben gerechtfertigt werden, das heißt aus Ungerechten zu Gerechten geschaffen oder wiedergeboren werden“ (Übers. Georg Pöhlmann)? Erklärt er nicht damit die Rechtfertigung für die „reale Erneuerung durch die Wiedergeburt“? Was zunächst den Ausdruck „aus Ungerechten zu Gerechten schaffen“ betrifft, so hat Melanchthon diesen für die Rechtfertigung in den ersten 71 Abschnitten dieses ganzen Artikels nicht verwandt, vielmehr anstatt dessen „für gerecht halten“ gesetzt (IV, 18.26.48.69.71). Auch in den folgenden Abschnitten ist jener Ausdruck nicht der vorherrschende, und in dem darauffolgenden langen Abschnitt „Von der Liebe und Erfüllung des Gesetzes“, wo man ihn immer wieder erwarten müsste, wenn er dem Melanchthon als der beste Ausdruck für die sittliche Umwandlung erschienen wäre, kommt er nur noch einmal vor, das „für gerecht halten“ dagegen über zwanzig Mal. Melanchthon kann ihn also nicht deshalb verwandt haben, weil er ihn für den zutreffendsten und unmissverständlichsten angesehen hätte. Er wird ihn vielmehr deshalb mitverwandt haben, weil die zu widerlegenden Gegner das „rechtfertigen“ so erklärten, daher dessen Benutzung am ehesten eine Verständigung erhoffen ließ. Was aber verstand er selbst unter diesem „zu Gerechten geschaffen“? Wir begegnen diesem Ausdruck in der Apologie zuerst an jener vielumstrittenen Stelle: Wir verteidigen dies, dass wir durch den Glauben selbst richtig und wahrhaftig um Christi willen gerechtfertigt sind, oder dass wir von Gott errettet sind. Und da gerechtfertigt sein bedeutet, dass aus Ungerechten Gerechte gemacht oder wiedergeboren wurden, bedeutet es auch, dass sie zu Gerechten erklärt oder geschätzt wurden. Denn die Schrift spricht in beide Richtungen. Deshalb wollen wir zunächst zeigen, dass der Glaube allein die Ungerechten gerecht macht, das heißt, Vergebung der Sünden empfängt.“ (Apol. IV, 71 f.; Übers. d. google-Übersetzungsprogramm). Was besagt dies? Den Vorschlag einer Korrektur des Textes lehnen wir ab, da es unmöglich ist, dass, wen nur eine solche das Ganze verständlich machen könnte, nicht schon Melanchthon sie bei den späteren Auflagen vorgenommen hätte. Ebenso widerspricht der Vorschlag, eine Anzahl von Worten in Klammern zu setzen, zu stark der vorliegenden Interpunktion und Satzabteilung. Lasen wir aber das Ganze intakt, so wird man es dahin zu verstehen haben: „Wir verteidigen, dass wir ganz eigentlich und wirklich durch den Glauben selbst (nicht aber nur, weil er ein Anfang der Rechtfertigung ist) um Christi willen für gerecht geschätzt werden (wie wir uns bisher ausgedrückt haben) oder Gott wohlgefällig sind. (Indem wir nun dies beweisen wollen, können wir die bei den Gegnern übliche Definition der Rechtfertigung verwenden. Denn) weil (nach ihr) gerechtfertigt werden so viel bedeutet wie aus Ungerechten zu Gerechten gemacht oder wiedergeboren werden, so bedeutet es auch so viel wie für gerecht gehalten oder erklärt werden (denn wer gerecht gemacht ist, kann doch nicht mehr für ungerecht erklärt werden). Kommen doch auch in der Schrift beide Ausdrucksweisen für ein und dieselbe Sache vor. Folglich (um zu beweisen, was wir verteidigen, dass wir nämlich durch den Glauben selbst für gerecht erklärt werden) wollen wir zuerst dies zeigen, dass allein der Glaube aus einem Ungerechten einen Gerechten macht.“ Was aber meint das „zu Gerechten geschaffen“? Melanchthon fügt sofort die Erklärung hinzu: das heißt: Vergebung der Sünden empfängt. Mit dieser Erklärung widerspricht er der eigentlichen Meinung der von ihm aus der herkömmlichen Terminologie herübergekommenen Definition der Rechtfertigung als einer Gerechtmachung. Die Gegner verstanden hierunter eine sittliche Umschaffung des Menschen. Um dieser willen sollte er wiedergeboren sein und Gott wohl gefallen. Wohl will auch Melanchthon, dass der Mensch vor Gott tatsächlich gerecht sei. Aber das wird auf einem anderen Weg erreicht als dem der Gegner: nämlich durch Vergebung der Sünden soll man aus einem Ungerechten zu einem Gerechten gemacht werden. Denn wenn dem Menschen seine Sünde von Gott vergeben ist, so ist die Sünde nicht mehr da. Gemäß Gott, d.h., nach dem allein berechtigten Urteil des heiligen Gottes ist solch ein Mensch kein Sünder, sondern gerecht. Durch Verleihung der Vergebung der Sünden ist er gerecht. Wer nun den Charakter des Justus Jonas kennt, der wird auch verstehen, warum dieser bei seiner Verdeutschung der Apologie nicht nur das gerecht machen, sondern häufig auch das einfache rechtfertigen“ in dem Sinn von „gerecht und fromm machen“ wiedergegeben hat, so dass nun der deutsche Text diesen Ausdruck weit öfter bietet als der authentische lateinische und dadurch zu einer unrichtigen Ansicht über die Wertung dieses Ausdruckes durch Melanchthon verleiten kann (vgl. z.B. die Überschriften zu IV, 1.48.61). Selbst für „gemäß Gott für gerecht schätzen“ (reputentur esse iusti coram Deo) kann Jonas schreiben, „vor Gott gerecht und fromm werden“ (IV, 26). Er freute sich zu sehr über diesen Schachzug Melanchthons, der die gegnerische Definition von Rechtfertigung als Gerechtmachung gelten ließ, aber mit ganz anderem Inhalt erfüllte. Denn Jonas versteht mit Melanchthon darunter nichts anderes als Vergebung erlangen, wie er übersetzt: „Vergebung der Sünden erlangen und haben, dasselbe heißt vor Gott gerecht und fromm werden“ (IV, 76). Die Rechtfertigung ist also Gerechtsprechung und nicht Gerechtmachung! Es wird tatsächlich der von Gott als gerecht erklärt, geschätzt, der es qualitativ nicht ist, aber Christus als seinen Retter von Sünden im Glauben empfangen, ergriffen hat, so dass Christus in sein Herz eingezogen ist, eins mit ihm wurde, und ihm seine erworbene Gerechtigkeit, Frieden, Erlösung, ewiges Leben mitteilt (s. Luther zu Gal. 2,20 in der Galaterbrieferkl. 1535).

    Oder sollte Melanchthon doch in der Rechtfertigung noch anderes als die Sündenvergebung gesehen haben, deshalb nämlich, weil er einmal „die Sündenvergebung als in erster Linie in der Rechtfertigung notwendig‘ bezeichnet? Aber in diesem Satz spricht er nicht seine eigene Ansicht aus; diese ist vielmehr, dass die Rechtfertigung nicht nur den Beginn der Erneuerung bedeutet (IV (III), 40); sondern er zitiert die Ansicht der Gegner. Denn wir lesen: „Wir glauben, auch die Gegner gestehen, dass bei der Rechtfertigung in erster Linie die Sündenvergebung notwendig ist (IV, 75). Dies besagt: Wenn die Gegner auch nicht zugeben, dass die Rechtfertigung in der Sündenvergebung besteht, so doch so viel, dass die Sündenvergebung zur Rechtfertigung notwendig ist, da sie dieselbe für das „zuerst Erforderliche“ erklären. Und dieses Zugeständnis genügt, weil die Vergebung nicht durch Werke, sondern nur durch den Glauben erlangt wird, und es sich eben um die Frage handelt, ob Werke oder Glaube entscheidend sind. Von dem „neuen Leben aktiver Gerechtigkeit“ ist in dem ganzen Artikel „Von der Rechtfertigung“ nicht weiter die Rede, als dass zur Abwehr römisch-katholischer Angriffe nebenbei bemerkt wird, auf die Rechtfertigung folge selbstverständlich auch ein neues aktives Leben; die Liebe folgt dem Glauben (z.B. IV, 77). Hiervon auch das „zu Gerechten geschaffen“ zu verstehen, ist unmöglich gemacht schon durch jenes eine „das heißt“ in den Worten: „dass allein der Glaub e aus einem Ungerechten einen Gerechten macht, das heißt, empfängt Vergebung der Sünden (IV, 72).

    Wie aber kann Melanchthon „rechtfertigen“ gleichsetzen auch mit „wiedergebären“, indem er schreibt: „dass wir allein aus Glauben gerechtfertigt werden, das heißt, aus Ungerechten zu Gerechten geschaffen oder wiedergeboren werden (IV, 117)? Offenbar verbindet er in der Apologie noch nicht überall die gleiche Vorstellung mit „wiedergebären“. Er kann so die Bekehrung des Ungläubigen bezeichnen (wie es Luther zumeist tat) und ebenso den Fortschritt der Wiedergeborenen im Glauben und Leben (IV, 65; IV (III), 239 f.). Aber wenn er von der erstmaligen, mit der Rechtfertigung eintretenden  Wiedergeburt oder Lebendigmachung redet, so muss er doch etwas anderes als die Umschaffung zu einem aktiven sittlichen Leben meinen. Denn dieses leitet er doch von der Verleihung des Heiligen Geistes her, die erstmalige Wiedergeburt aber setzt er scheinbar vor die Geistmitteilung: „Die Wiedergeborenen empfangen den Heiligen Geist und fangen daher an, das Gesetz zu erfüllen.“ (Apol. XII, 82; IV (III), 54.4.) Aber hier ist zu unterscheiden zwischen dem Wirken des Heiligen Geistes am Sünder zum Empfang des Glaubens und der Einwohung des Heiligen Geistes, mit dem Vater und dem Sohn, im Gläubigen, und zwar gerade zur Heiligung, Erneuerung des Wiedergeborenen, das ist, Bekehrten, zum Glauben Gekommenen. Sodann: Wie beschreibt er die Wiedergeburt, solange er nicht die Liebe und Erfüllung des Gesetzes, sondern die Rechtfertigung behandelt? Nach dem heute weitverbreiteten Verständnis von „Wiedergeburt“ würde man erwarten, dass er diese als die neue Quelle sittlicher Kraft wertet. Und freilich ist auch dies der Fall, ebenso wie er von der sittlichen Triebkraft des Glaubens redet. Aber ebenso wie diese Eigenschaft des Glaubens bei der Rechtfertigungslehre nur nebenbei als apologetischer Tendenz erwähnt wird, so auch die Triebkraft der Wiedergeburt (Apol. IV (III), 229 f.). Primär wird diese vielmehr als identisch mit der Bekehrung und als Quelle des Trostes und der Freude behandelt; und auch dann, wenn aus ihr der Ansporn zu einem neuen Wandel hergeleitet wird, soll die psychologische Vermittlung der durch sie gewährte Trost sein. „In den wahren und ernsten Sachen des Gewissens“ „müssen die herzen Trost fassen. Dies geschieht, wen sie der Verheißung Christi glauben, dass wir seinetwegen Vergebung der Sünden haben. Dieser Glaube, der in jenen Schrecken aufrichtet und tröstet, empfängt Vergebung der Sünden, rechtfertigt und macht lebendig. Denn jener Trost ist das neue und geistliche Leben“ („es ist eine neue Geburt und ein neues Leben“, APOL. IV, 62). „Derselbe Glaube“, „der glaubt, dass Gott gnädig ist“, „macht lebendig, weil dieser Glaube in dem Herzen Friede und Freude und ewiges Leben schafft.“ (Apol. IV, 100.) Der Vorwurf der Gegner aber, es bedürfe keiner guten Werke, wenn diese nicht das ewige Leben verdienten, ist unberechtigt. Denn „wir werden wiedergeboren und empfangen den Heiligen Geist, damit das neue Leben neue Werke habe, neue Affekte, Furcht und Liebe gegen Gott, Hass gegen die böse Lust usw.“ (Apo. IV (III), 227 f.) Melanchthon lehrt also, dass wir durch den die Sündenvergebung ergreifenden Glauben in ein neues Dasein wiedergeboren werden, aus dem Stand eines Sünders in den eines Gerechten, aus dem Tod ins Leben versetzt werden, so dass diese neue Daseinsweise, diese Gotteskindschaft unser Trost, Friede und Freude ist. Und in diesem Sinn setzt Melanchthon das „aus einem Ungerechten ein Gerechter werden“ und „wiedergeboren werden“ einander gleich. Daher sagt auch die KF ganz richtig, in der Apologie werde „Wiedergeburt“ nicht nur in dem Sinn gebraucht, dass „es zugleich die Vergebung der Sünden und die nachfolgende Erneuerung  begreift, welche der Heilige Geist wirkt in denen, so durch den Glauben gerechtfertigt sind“, sondern auch „viel und oft“ „allein für die Vergebung der Sünden und dass wir zu Gottes Kindern angenommen werden“, „wie auch das Wort Lebendigmachung zuzeiten im gleichen Verständnis gebraucht worden ist, … in welchem Verstand dies Wort in der Apologie viel und oft gebraucht wird.“ Ausf. Darl. III, 18-20.)

    Gemäß der Apologie besteht also die Rechtfertigung in der Erlangung der Sündenvergebung. Diese macht uns zu solchen, die nach Gottes Urteil gerecht sind und so von ihn auch für gerecht erklärt werden, und versetzt uns wie eine neue Geburt in einen neuen Lebensstand.

 

bd. Rechtfertigung um Christi willen

    Unermüdlich erklären die Bekenntnisse, dass die Rechtfertigung erfolgt „um Christi willen“, das heißt zunächst, weil Christus da sei. Und dies ist nicht in dem Sinn gemeint, dass Gott uns vergeben könne, weil wir durch den Glauben „die geistigen Einwirkungen Christi in uns aufnehmen“, oder weil Christus Gott verbürgt, dass wir einst von aller Sünde frei sein werden, sondern die Sünden werden vergeben um Christi willen, der durch seinen Tod für die Sünden genug getan hat (Augsb. Bek. IV; vgl. Apol. IV; 40). Es handelt sich hier also zuerst um die Frage, wodurch es ermöglicht ist, dass der heilige Gott Sündern vergibt. Christus, der Sündlose, ist für uns ein Opfer geworden, er hat genug getan für unsere Schuld (Apol. IV (III), 58; (VI), 43; XXIV, 19). Christi Versöhnungswerk, das geschieht aus der grundlosen Liebe Gottes zu uns (Joh. 3,16; 1. Joh. 4,9), ist, wie die Bekenntnisschriften bezeugen, die unerlässliche Voraussetzung der Rechtfertigung, weshalb sie auch ihre Darlegungen über Christi Werk vor allem im Rahmen der Rechtfertigungslehre bringen. Sie bekennen: „Es ist gar nicht zu verstehen, wie ein Mensch sich einbilden kann, vor Gott gerecht zu sein, wenn er den Versöhner und Mittler Christus ausschließt.“ (Apol. IV (III), 44.) Gegen die Behauptung, wir könnten uns Verdienste erwerben, führen sie oft an: „Was bedurfte es dann dessen, dass Christus für unsere Sünden gegeben wurde?“ (Apol. IV, 21.28.52.) Noch mehr: Dass Christus geboren ist, gelitten hat, auferweckt ist, das hat als Endzweck das Eine, die Vergebung der Sünden (Apol. IV; 51). Damit liegt die Verheißung vor, „dass der Vater um Christi willen versöhnt ist und verzeiht“ (Apol. IV (III), 174). Wie aber erfüllt sich diese Verheißung an den Einzelnen? In der Rechtfertigung „werden uns Christi Verdienste geschenkt“ (Apol. IV (III), 175), wie wenn ein Freund für den anderen die Schulden bezahlt und dadurch der Schuldner durch eines anderen Verdienst, als wäre es sein eigenes, befreit wird (Apol. XXI, 19). An dieser Stelle verwendet Melanchthon auch schon den später häufigen Ausdruck: Christi Verdienste werden uns geschenkt „durch göttliche Zurechnung“. Wir werden also „für gerecht erklärt um einer fremden Gerechtigkeit willen, nämlich der Christi, welche fremde Gerechtigkeit und mitgeteilt wird durch den Glauben, so dass unsere Gerechtigkeit die Zurechnung einer fremden Gerechtigkeit ist“ (Apol. IV (III), 184). Hiermit soll aber nicht der Satz, dass die Rechtfertigung in der Sündenvergebung bestehe, irgendwie verändert werden. Manche haben wohl gemeint, die Anerkennung einer vorhandenen fremden Gerechtigkeit sei das Gegenteil von Vergebung; jenes sei nach A. Ritschls Ausdruck ein analytisches, letzteres dagegen ein synthetisches Urteil. Doch sehen wir auch davon ab, ob diese Kategorie hier anwendbar ist, so handelt es sich bei der Rechtfertigung nicht um eine bloß sachliche Schuld, die auch durch eine rein sachliche Leistung aufgehoben werden kann, sondern um eine persönliche Verschuldung. Dann aber bedarf es auch dann, wenn die erschütterte Rechtsordnung, sei es durch den Schuldigen oder durch einen anderen, wiederhergestellt ist, doch noch der Vergebung. Der Schuldige muss dabei die Notwendigkeit und Wirklichkeit der geschehenen Wiedergutmachung anerkennen, sich diese innerlich, durch den Glauben, aneignen – nur so kommt sie ihm zugute, wird sie ihm persönlich zugesprochen. Es ist also der Glaube, der aufgrund der Verheißung Gottes sich das Verdienst Christi aneignet. Dies hat Luther dem „Spott der Sophisten“ gegenüber, die „christliche Gerechtigkeit nicht kennen“, einmal so ausgedrückt: Es ist kein bloßer Ruf, sondern es beinhaltet den Glauben und die Annahme des Leidens Christi für uns, was keine leichte Angelegenheit ist; ... dieser Ruf ist wegen Christus gemacht, an den wir glauben.“ (Weim. 40,I, 372,8.) Die Zurechnung des Verdienstes Christi geschieht also nicht so, wie wenn einem Schuldner die von einem anderen, vielleicht ohne dass jener darum weiß, entrichtete Summe angerechnet wird, sondern nur so, dass der Sünder im Glauben an Christus, der für uns gelitten hat, Christi Verdienst ergreift und dadurch aneignet, zu eigen macht. Aber auch dieser Glaube ist kein menschliches Werk, keine menschliche Beteiligung, sondern ist vom Heiligen Geist durch das Evangelium gewirkt und ergreift nur das, was ihm dargereicht wird („Nehmehand“). Daher ist diese Anrechnung keineswegs, wie die spottenden Sophisten meinten, „eine leichte Sache“. Da nun Melanchthon sachlich genau dasselbe schreibt wie Luther, indem er betont, dass Gott das Verdienst Christi uns nur zueignet, wenn wir es uns im Glauben aneignen, so darf man nicht sagen, jene Äußerung Luthers „müsse einem Melanchthonianer greulich klingen“. – In dem „um Christi willen“ bei der Rechtfertigung liegt also das Doppelte, dass Gott nur um des Verdienstes Christi willen vergeben kann, durch das grundsätzlich ja für die ganze Welt, alle Menschen Christus Vergebung der Sünden erworben, Gott mit der ganzen Welt, jedem Menschen grundsätzlich versöhnt hat (allgemeine Rechtfertigung), und dass der Glaube um dieses Verdienstes Christi willen Vergebung erhofft und erlangt (persönliche Rechtfertigung.

 

be. Der rechtfertigende Glaube

    Der rechtfertigende Glaube ist nicht der römische ungeformte Glaube, der vor der Rechtfertigung vorhanden sei und in einem bloßen Fürwahrhalten besteht (Apol. IV, 48). Er ist auch nicht der römische „aus der Liebe geformte Glaube“, wobei das Fürwahrhalten nur die Voraussetzung für das Entscheidende, die Liebe, ist (Apol. IV, 109), ist also nicht der „durch die Liebe tätige Glaube“. Sondern er ist ein Wollen und Annehmen dessen, was in der Verheißung, Gottes Zusage, angeboten wird. Er ist nicht nur eine geistige Erkenntnis, sondern auch ein willentliches Vertrauen, das der Heilige Geist durch das Evangelium wirkt (Apol. IV (III), 183), oder ein Zustimmen zu der Zusage Gottes, in welcher umsonst um Christi willen die Vergebung angeboten wird (Apo. IV, 48). Der Glaube ist also die lebendige Zuversicht des Herzens in die frohe Botschaft der Erlösung um Christi Verdienst willen, gewirkt aus der Gnade, also der gnädigen, erbarmenden Liebe Gottes in Christus mittels des freisprechenden Wortes.[90] Damit sind schon die drei Ausdrücke verwandt, mit denen die späteren Dogmatiker den rechtfertigenden Glauben beschrieben haben: Erkenntnis, Zustimmung, Vertrauen. Wenn man diese Begriffsbestimmung sehr hart angefochten hat, so dürfte daran das Missverständnis schuld sein, als seien drei aufeinanderfolgende Akte des Glaubens gemeint, so dass auch schon die Erkenntnis als Glaube aufgefasst werde, während in Wirklichkeit die drei als Bestandteile des Einen rechtfertigenden Glaubens gemeint sind. Nur freilich wird auch eine Erkenntnis als erforderlich behauptet, deshalb weil es sich um eine Zusage Gottes handelt, die man kennen muss, wenn man ihr freudig zustimmen und sich auf sie verlassen soll. Denn um vor jeder Einbildung gesichert zu sein, muss der Glaube, wie Luther sagt, „etwas [objektiv Vorliegendes] haben, daran er sich halte und worauf er stehe und fuße“ (Gr. Kat. IV, 29). Dies aber ist Gottes Zusage. Der Glaube besteht also in dem Bejahen und Sichaneignen des von Gott im Wort Zugesagten. Bei der Rechtfertigung handelt es sich dann um die zentrale Zusage, die der Glaube als spezielle annimmt oder erfasst: Ein spezieller Glaube, durch den jeder glaubt, dass seine Sünden um Christi willen vergeben sind und dass Gott um Christi willen besänftigt und versöhnt ist. „Dieser Glaube erlangt die Vergebung der Sünden und rechtfertigt uns.“ (Apol. IV, 44 f.) Glauben heißt also, ganz und ungeteilt sein Herz Gott um Christi willen hingeben und dadurch in der Gemeinschaft mit ihm stehen.[91] Rechtfertigender Glaube ist also das Sich-an-Christus-Hängen, die ganze Zuversicht auf ihn allein (und sein Wort) setzen als den einzigen Heiland, durch den allein ich von meinen Sünden erlöst bin; als den einzigen Hohenpriester, der allein Gott mit mir versöhnt hat: als den einigen König und Herrn, durch den allein ich Trost habe in aller Angst und Not und so durch ihn allein erlöst bin von Sünde und Tod, Gnade und ewiges Leben und Seligkeit habe.

    Zur Rechtfertigung bedarf es also des Glaubens an Christus. Der ist etwas anderes als „allgemeines Gottvertrauen“, dass Gott gnädig sei, was auch bestehen kann neben menschlichem Mitwirken an der Erlösung, oder verstanden wird als bewirkender Faktor menschlichen Mittuns (wobei es nie zu Heilsgewissheit kommen kann).[92] Schon das Augsburger Bekenntnis (Art. 4) bestimmt den rechtfertigenden Glauben dahin, dass man glaube, man werde in die Gnade aufgenommen und erlange Vergebung der Sünden um Christi willen, der mit seinem Tod für unsere Sünden genug getan hat und so Gott mit der Welt versöhnt hat (2. Kor. 5,17 ff.). Schon die alttestamentlichen Gläubigen sind um ihres Vertrauens willen auf die Verheißung Gottes, er werde um Christi willen vergeben, gerechtfertigt worden (Apo. IV, 58 f.). Doch auch hier wird vorausgesetzt, dass nur ein auf Gottes Verheißungen sich stützender Glaube richtig ist. Gleich Zwingli anzunehmen, dass auch Heiden, ohne von Gottes Gnadenoffenbarung etwas zu wissen, durch ihren Glauben, durch ihr Vertrauen auf Gott „Freunde Gottes“ sein könnten, ist für Luther und seine Schüler gemäß der Bibel unmöglich. Luther hatte geschrieben: „Durch Jesus Christus musst du an Gott glauben. … Denn es wird kein Glaube genugsam sein als allein der christliche Glauben, welcher an Christus glaubt und allein durch Christus, und sonst nicht, empfängt diese zwei Stücke, nämlich Genugtuung göttlicher Gerechtigkeit und Gnade oder Schenkung der ewigen Seligkeit.“ (Erl. Ausg. 7,187.) Die Apologie sagt: „… das Evangelium zwingt [uns dazu], in der Rechtfertigung Christus zu benutzen.“ (Apol. IV (III), 170.) Denn die unumgängliche Voraussetzung dieser ist die Erkenntnis des sündlichen Verderbens und des Zornes Gottes (s. oben S. 127 ff.). In diesen Schrecken des Gewissens muss der Sünder etwas haben, was „das Herz tröstet und aufrichtet“, er muss „den Mittler und Versöhner Christus dem Zorn Gottes entgegensetzen“ (Apol. IV, 46); „durch den Glauben an Christus muss er die Schrecken der Sünde und des Todes besiegen.“ (Apol. IV (III), 169.) Gottes Gnade ist also Gnade in Christus; nur wer diese ergreift, wird gerechtfertigt. Ein Glaube, der unter Absehen von Christi Versöhnung auf Gottes Vergebung sich verlässt, ist nicht wirklicher, sondern „erträumter“ Glaube (Apol. IV (III), 101), während der Glaube an Christus der objektiven Realität entspricht und durch die Hinnahme, das Ergreifen der durch Christus beschafften Erlösung die Vergebung hat. Das rechnet Gott ihm zur Gerechtigkeit an, rechtfertigt ihn auf diese Weise. Christus ist also nicht zuerst und vor allem Vorbild, dem nachzufolgen sei („imitatio Christi“), sondern zuerst und vor allem Heilsmittler, Erlöser von Gesetz, Sünde und Tod. Das Evangelium ist nicht ein neues, vollkommeneres Gesetz, sondern frohe Botschaft von der Erlösung des Gottlosen ohne menschliches Mittun, ohne menschliche Werke.[93]

    Dies drückt die Apologie auch so aus: Gott rechnet diesen Glauben zur Gerechtigkeit, Röm. 3 und 4 (Augsb. Bek. IV). Das richtige Verständnis dieser Aussage ergibt sich daraus, dass wir die Apologie ausführen hörten, der Glaube teile uns die Gerechtigkeit Christi mit, und so rechnet Gott uns Christi Gerechtigkeit zu. Es darf diese Aussage über den Glauben nicht vermengt werden durch die andere, die in engster Anlehnung an Luther (z.B. Erl. Ausg. 27,181 f.) darlegt, den rechtfertigenden Glauben in seiner Betätigung in der Heiligung beschreibend, nicht allein gute Werke im Gefolge hat, sondern auch schon selbst eine religiöse Erneuerung des Menschen sei. Er ist schon das richtige Verhalten Gott gegenüber, das Erste und Höchste. Er ist schon das richtige Verhalten Gott gegenüber, das Erste und Höchste, was Gott von uns fordert, das Vertrauen, das ihm die gebührende Ehre gibt, indem es seinen Verheißungen glaubt, seine Wohltaten annimmt (Apol. IV (III), 187); er ist schon das neue Leben, das notwendigerweise neue Bewegungen im Menschen auslöst (Apol. IV (III), 129). Aber nicht dies meint die Apologie, wenn sie sagt, der Glaube werde als Gerechtigkeit angerechnet. Nicht ist nach ihr „der Glaube als das der göttlichen Gnadenordnung entsprechende Verhalten eine Gerechtigkeit, die Gott gelten lässt“. Denn Luther hat geurteilt: „Unser Glaube und alles, was wir haben mögen aus Gott, ist nicht genugsam; … nicht um unseres Glaubens willen wird uns Gnade und Seligkeit gegeben, … sondern durch desselben Christus Gnade.“ (Erl. Ausg. 8,187 f.) Und die Apologie: „Der Glaube rechtfertigt und rettet uns nicht deshalb, weil er selbst ein an sich würdiges Werk wäre, sondern weil er die verheißene Barmherzigkeit annimmt.“ (Apo. IV, 56.) „Weil die Gerechtigkeit Christi uns durch den Glauben geschenkt wird, deshalb ist der Glaube anrechnungsweise Gerechtigkeit in uns, das heißt, er ist das, wodurch wir Gott wohlgefällig werden wegen der Anrechnung und Anordnung Gottes, wie Paulus sagt: Der Glaube wird zur Gerechtigkeit gerechnet.“ (Apol. IV (III), 186.) Danach wird man es auch nicht missverstehen können, wenn es häufig heißt, aus Glauben, durch den Glauben, um des Glaubens willen würden uns die Sünden vergeben. Dies kann nicht besagen wollen, dass der Glaube als das rechte Verhalten Gott gegenüber oder als die Garantie dafür, dass der Mensch schließlich noch völlig von der Sünde freiwerden werde, Gott ermögliche, mit ihm in Gemeinschaft zu treten. Sondern dies ist nur deshalb möglich, weil der Glaube, der des Heiligen Geistes Werk mittels des Evangeliums ist, Christus durch das Wort selbst annimmt, der durch den Glauben mittels des Worts eins wird mit dem Sünder, von ihm nimmt Gesetz, Sünde, Verdammnis und ihm zueignet die fremde, erworbene Gerechtigkeit, Frieden und ewiges Leben, die aber Christi Gerechtigkeit bleibt, nicht zum Wesen des Gerechtfertigten gehört.

    Darum, weil die Bekehrung, die Rechtfertigung des Sünders allein Gottes Werk ist, darum kann der begnadigte Sünder auch wirklich Heilsgewissheit haben. Rom kann ihm das nicht geben, da dort die Erlösung nicht nur von Gott, sondern auch vom Menschen und seinen Werken abhängig gemacht wird.[94]

    Wie also wird ein Sünder bekehrt, was heißt es, zum Glauben an Christus kommen? Indem der Heilige Geist durch das Gesetz lebendige Sünden-, Verdorbenheits- und Verlorenheitserkenntnis wirkt mit Anerkennen des Urteils Gottes über den Sünder (Reue), und dann durch das Evangelium den verzweifelten, zerbrochenen Sünder überzeugt von Gottes Liebe und Erbarmen in Jesus Christus, dass er auch für mich in diese Welt kam, auch für mich das Gesetz stellvertretend erfüllte, auch meine Sünden stellvertretend auf sich nahm und so durch seinen Gehorsam und blutiges Leiden und Sterben Gott auch mit mir versöhnte und so auch mir Vergebung meiner Sünden, Frieden mit Gott, Freispruch im Jüngsten Gericht und ewiges Leben erworben hat, was alles ich im herzlichen Glauben an Christus empfange, ergreife und meine ganze Zuversicht auf Christus setze, dass ich allein um seinetwillen Vergebung der Sünden und ewiges Leben habe und daher von Gott gerecht gesprochen bin. Dabei muss unterschieden werden zwischen dem Wirken des Heiligen Geistes, der den rettenden Glauben durch das Evangelium zueignet und dabei den Unwilligen willig macht, und der daraus folgenden unmittelbaren Frucht, dass der nun Willige Christus als seinen Retter aufgrund des Wortes empfängt, ergreift.

 

bf. Luthers Lehre in der Konkordienformel

    Die Konkordienformel sah sich zu erneuter Durcharbeitung der Rechtfertigungslehre durch den von Osiander erregten Streit genötigt. Osiander hatte den evangelischen Satz, dass Christus unsere Gerechtigkeit ist, so aufgefasst: „Durch das, was Christus als der treue Mittler durch Erfüllung des Gesetzes und durch sein Leiden und Sterben mit Gott, seinem himmlischen Vater, verhandelt hat“, hat er „von Gott diese große und überschwängliche Gnade verdient und erworben, dass er [Gott] uns nicht allein die Sünde hat vergeben und die unerträgliche Bürde des Gesetzes von uns genommen, sondern auch uns durch den Glauben an Christus will rechtfertigen [, das heißt,] die Gerechtmachung oder Gerechtigkeit will eingießen.“ Dies geschehe aber so: „Durch das äußere Wort kommt das innere, lebendige Wort, das Gott selbst ist, in unser Herz. Durch diese Einwohnung Christi, des fleischgewordenen Worts in uns, wird die Sünde in uns ganz und gar abgetötet und vertilgt.“ Daraus folge zugleich: „Unser Herr Jesus Christus ist unsere Gerechtigkeit nach seiner göttlichen Natur.“ Im Gegensatz zu dieser letzten Behauptung hatte dann Franz Stancarus erklärt, Christus sei unsere Gerechtigkeit allein nach seiner menschlichen Natur. Beide Ansichten weist die KF, 1) zurück und hebt hervor, Christus ist unsere Gerechtigkeit nach beiden Naturen, da er als Gottmensch uns erlöst und gerecht und selig gemacht hat (Ausf. Darl. III, 4). 2) Worin aber besteht die Rechtfertigung? Rechtfertigen heißt hier gerecht und ledig von Sünden sprechen und der ewigen Strafe ledig zählen (Ausf. Darl. III, 17). Ermöglicht wird dies dadurch, dass Gott uns die Gerechtigkeit Christi zurechnet, die aber nicht in dessen wesentlicher göttlicher Beschaffenheit besteht, sondern in dem Verdienst, das Christus durch den im Handeln wie im Leiden bewiesenen vollkommenen Gehorsam erworben hat (Ausf. Darl. III, 9). Sein Gehorsam wird den Gläubigen, die sich allein auf Christus verlassen, zur Gerechtigkeit angerechnet (Ausf. Darl. III, 15 f.). Unsere Gerechtigkeit ist also „Glaubensgerechtigkeit“. Der Glaube rechtfertigt aber nicht, insofern er eine Tugend wäre, sondern nur insofern er sich die Gerechtigkeit Christi aneignet; er ist nur „das einige Mittel und Werkzeug, damit und dadurch wir Gottes Gnade, Christi Verdienst und Vergebung der Sünden, so uns in der Verheißung des Evangeliums vorgetragen werden, empfangen und annehmen können“ (Ausf. Darl. III, 31) (rechtfertigender Glaube = Nehmehand). 3) Voraussetzung des Glaubens und damit der Rechtfertigung ist die wahre, durch den Heiligen Geist mittels des Gesetzes gewirkte, Reue, so dass „ein wahrer, seligmachender Glaube nicht in denen ist, die ohne Reue und Leid sind und einen bösen Vorsatz haben, in Sünden zu bleiben und beharren“ (Ausf. Darl. III, 26). „Gewiss notwendige Folge“ der Rechtfertigung sind die Liebe und guten Werke, so dass „wer nicht liebt, ist ein gewisses Anzeichen, dass er nicht gerechtfertigt, sondern noch im Tod sei oder die Gerechtigkeit des Glaubens wieder verloren habe“ (Ausf. Darl. III, 27). Unter Hinweis auf Luther (Erl. Aufs. Opp. ex. lat. 3,305 f.) wird gesagt: „Der Glaube ist es allein, der den Segen ergreift, ohne die Werke, doch nimmer und zu keiner Zeit allein ist.“ (Ausf. Darl. III, 41.) Dies ist nun das Hauptanliegen der KF, zu verhindern, „dass nicht dasjenige, was vor dem Glauben hergeht und was demselben nachfolgt, zugleich in den Artikel der Rechtfertigung als dazu nötig und gehörig eingemengt oder eingeschoben werde“. „Denn nicht alles, was zur Bekehrung gehört, gehört auch zugleich in den Artikel der Rechtfertigung.“ (Ausf. Darl. III, 24 f.) Es ist also „bei dem Handel der Rechtfertigung“ „mit allem Fleiß zu halten über den Ausschließlichkeitswörtern (particulis exclusivis), dadurch das Verdienst Christi von unseren Werken gänzlich abgesondert und Christus allein die Ehre gegeben wird“, das heißt über den Bestimmungen „ohne Verdienst, ohne Gesetz, ohne Werke, welche Worte alle so viel heißen wie: Allein durch den Glauben an Christus werden wir gerecht und selig“ (Kurze Darl. III, 10; Ausf. Darl. III, 36.43). Der Grund aber, warum die Rechtfertigung so zu unterscheiden ist von allem vorhergehenden und nachfolgenden Tun des Menschen, ist der doppelte: Wenn auch unser Tun zur Rechtfertigung beitrüge, dann hätten wir nicht allein Christus Vergebung und Kindschaft zu verdanken, und dann könnten „die betrübten Herzen“ keinen beständigen Trost haben, weil all unser Tun, auch „die in uns angefangene Erneuerung unvollkommen und unrein bleibt“ (Ausf. Darl. III, 30.32.35).

    Es ist ein Charakteristikum echt lutherischer Frömmigkeit, dass sie das Objektive in seiner vollen und klaren Wirklichkeit erfassen will. Luther wusste, wie es objektiv um ihn stand, dass er nämlich Glauben und Liebe hatte; er wusste also in dieser Beziehung dasselbe wie Gott. Aber wenn es sich um die Frage handelt, ob wir für gerecht geachtet werden wegen unserer durch den Geist Gottes gewirkten Gesetzeserfüllung, dann weiß er, dass nichts anderes uns gerecht macht als Christus. Und um dies nicht nur theoretisch zu wissen, sondern auch demgemäß sich einzig an Christus anzuklammern, verfährt er, wie Melanchton das auch in einem Brief an Brenz geäußert hat, er „wende seine Augen ganz und gar ab von seiner Erneuerung und hefte sie vollständig auf die unentgeltliche Verheißung“. Luther drückt dasselbe so auch, er stelle sich diese Sache so vor, als besitze er gar keinen Glauben und Liebe. Denn solange er in Erwägung zieht, dass er diese besitzt, neigt er dazu, sein Gerechtgelten vor Gott mit abhängig zu denken von „Gesetz und Werken“. Um davon loszukommen, stellt er sich vor, wie es um ihn stehen würde, wenn er absolut nichts Gutes besäße und nur sagen könnte, er habe Christus, der ist seine Gerechtigkeit. Dann würde er genug haben und vor Gott als gerecht gelten, weil vor Gott nur auf das Ergreifen Christi es ankommt. Er handelt also wie ein Krieger auf Vorposten, der einzig auf Gott vertrauen will und doch auch sich auf seine Waffen zu verlassen geneigt ist: Er stellt sich vor, er sei ohne Waffen, so dass er dann sagen würde: Gott ist meine Wehr und Waffen. Von einem Gegensatz zwischen der Selbstbeurteilung und dem nur Gott bekannten Tatbestand ist durchaus keine Rede. Beide, Gott und der Gläubige, wissen dasselbe, nämlich dass der Gläubige Glauben und Lieb besitzt, dass aber nicht diese ihn vor Gott gerecht machen.

    Luther hat die ihn bei seinen schweren Seelenkämpfen erfüllende Sehnsucht mit den Worten beschrieben: „O wann willst du einmal fromm werden und genugtun!“ (Erl. Ausg. 19,152.) Zwar musste er erkennen, dass alle seine Bemühungen, fromm, das heißt, von reiner Liebe zu Gott erfüllt zu werden, umsonst waren; und er sah ein, dass der zu diesem Ziel führende Weg nur der die Gnade Gottes annehmende Glaube an die göttliche Verheißung der Sündenvergebung ist. Er wusste also nun, dass es zum Erlangen des normalen Verhältnisses zu Gott vor allem auf die Vergebung und den Glauben ankommt. Aber für ihn bleib doch die sittliche Erneuerung so wichtig, dass er die Sündenvergebung gerade auch darum so hoch pries, weil sie jene von selbst im Gefolge hat. Es sei nur erinnert an seine Begründung der Reihenfolge der Hauptstücke im Katechismus, die von vielen seiner Schüler nicht genügend beachtet worden ist. Nach ihm zeigt das erste Hauptstück „alles, was Gott von uns will getan und gelassen haben“. Weil aber „aller Menschen Vermögen viel zu gering und schwach ist“, die Gebote zu halten, lehrt das zweite Hauptstück, „wie man dazu komme, woher und wodurch solche Kraft zu nehmen sei“, nämlich, was wir durch den Glauben „von Gott erwarten und empfangen müssen“; und das dritte Hauptstück, „dass man Gott immerdar in Ohren liege, rufe und bitte, dass er den Glauben und Erfüllung der zehn Gebote uns gebe, erhalten und mehre“ (Gr. Kat. II, 2; III, 2). Daher hat Luther nicht nur anfangs, sondern auch später noch häufig den Ausdruck „Rechtfertigung“ für das ganze, sowohl die Vergebung wie die Erneuerung umfassende Heilswirken Gottes verwandt, obwohl er die Sündenvergebung als das Entscheidende, auch die sittliche Erneuerung Bewirkende, auffasst. In den Schmalkaldischen Artikeln kann er sogar einmal die Frage, „wie man vor Gott gerecht wird“, so beantworten, dass er die Aufnahme des Sünders in Gottes Gnade durch die erstmalige Sündenvergebung gar nicht erwähnt, weil er nämlich von dieser schon in den Artikeln „Von der Buße“ und „Vom Evangelium“ (III, III; III, IV) gehandelt hatte. Er nimmt also jetzt die Frage, wie man gerecht werde, in dem Sinn, in dem sie bei etwaigen Verhandlungen mit den römischen Gegnern von diesen gestellt werden würde und antwortet, „dass wir durch den Glauben ein anderes, reines, neues Herz kriegen und Gott um Christus willen, unseres Mittlers, uns für ganz gerecht und heilig halten will und hält“ (III, XIII, 1).

 

bg. Die Bekehrung[95]

    Die Wiedergeburt, die Bekehrung, dass aus einem gottlosen, gottfernen ein an Christus gläubiger, durch den Glauben an Christus erretteter Mensch wird, ist allein Gottes, des Heiligen Geistes Werk. „Darum ist’s gut, dass man dieses klar unterscheidet, nämlich, dass die Vernunft und freier Wille vermag, etlichermaßen äußerlich ehrbar zu leben, aber neu geboren werden, inwendig ein anderes Herz, Sinn und Mut kriegen, das wirkt allein der Heilige Geist.“ (Apol. XVIII, 75)

    Ganz klar hat Luther das in seiner Erklärung zum dritten Glaubensartikel im Kleinen Katechismus ausgeführt: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen HERRN, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten einigen Glauben.“ (Kl. Kat. II, dritter Artikel, Erklärung)

    Diese Blindheit der Vernunft in geistlichen Dingen schließt mit ein, dass der natürliche Mensch seine wirkliche Sündenverfallenheit, seine abgrundtiefe Verdorbenheit, seine ewige Verlorenheit von sich aus gar nicht erkennen kann, dass er blind ist für die Erbsünde und das daraus folgende Erbverderben.     „Solche Erbsünde ist eine so gar tiefe böse Verderbung der Natur, dass sie keine Vernunft erkennt, sondern sie muss aus der Schrift Offenbarung geglaubt werden, Ps. 51; Röm. 5; 2. Mose 33; 1. Mose 3.“ (Schm. Art. III, I, 3)

    Darum verwirft die lutherische Kirche auch ganz schriftgemäß jegliche falsche Lehre, die dem natürlichen Menschen noch irgendein Vermögen in geistlichen Dingen zuspricht, etwa dass auch nach dem Sündenfall die natürlichen Kräfte ganz und unverderbt geblieben seien, er von Natur eine rechte Vernunft und guten Willen habe, aus freiem Willen Gutes tun und Böses lassen könne und Gutes lassen und Böses tun, aus natürlichen Kräften alle Gebote Gottes tun und halten könne, Gott aus natürlichen Kräften über alles lieben und seinen Nächsten wie sich selbst, dass Gott dem Menschen Gnade gebe, der das tue, was er selbst vermag, dass man ohne den Heiligen Geist also gute Werke tun könne (vgl. Schm. Art., III, I, 4-10).

    Das heißt auch: Der Mensch kann aus eigenen Kräften, unterstützt durch göttliche Gnadenkräfte, nicht Ja sagen zu Christi Ruf, nicht Ja sagen zum Evangelium, sich also nicht bekehren.

    „Es ist unsere Lehre, Glaube und Bekenntnis …: Dass nämlich in geistlichen und göttlichen Sachen des unwiedergebornen Menschen Verstand, Herz und Wille aus eignen natürlichen Kräften ganz und gar nichts verstehen, glauben, annehmen, denken, wollen, anfangen, verrichten, tun oder mitwirken könne, sondern sei ganz und gar zum Guten erstorben und verdorbene, so dass in des Menschen Natur, nach dem Fall, vor der Wiedergeburt, nicht ein Fünklein der geistlichen Kräfte übrig geblieben noch vorhanden, mit welchen er aus sich selber sich zur Gnade Gottes bereiten oder die angebotene Gnade annehmen, noch derselben für und von sich selbst fähig sein oder sich dazu applizieren oder schicken könne oder aus seinen eigenen Kräften etwas zu seiner Bekehrung, weder zum ganzen, noch zum halben oder zu einigem dem wenigsten oder geringsten Teil, helfen tun, wirken oder mitwirken vermöge, von sich selbst, als von sich selbst, sondern sei der Sünden Knecht, Joh. 8, und des Teufels Gefangener, davon er getrieben wird, Eph. 2; 2. Tim. 2.“ (KF, Ausfl. Darl., II, 7.)

    „So nun im heiligen Paulus und andern Wiedergebornen der natürliche oder fleischliche freie Wille, auch nach der Wiedergeburt, Gottes Gesetz widerstrebt: Vielmehr wird er vor der Wiedergeburt Gottes Gesetz und Willen widerspenstig und feind sein: Daraus offenbar ist, (wie in dem Artikel von der Erbsünde weiter erklärt, darauf wir uns geliebter Kürze halben bezogen haben wollen) dass der freie Wille aus seinen eignen natürlichen Kräften nicht alleine nichts zu seiner selbst Bekehrung, Gerechtigkeit und Seligkeit wirken oder mitwirken, noch dem Heiligen Geist, so ihm durch das Evangelium Gottes Gnade und die Seligkeit anbietet, folgen, Glauben oder das Jawort dazu geben kann, sondern aus angeborner böser, widerspenstiger Art Gott und seinem Willen feindlich widerstrebt, wo er nicht durch Gottes Geist erleuchtet und regiert wird.“ (KF, Ausf. Darl., II, 18)

    Aus all dem folgt, dass die Bekehrung weder insgesamt noch zu irgendeinem kleinen Teil des Menschen Werk sein kann oder er daran mitwirken könnte, sondern sie ist allein Gottes Werk, der darin Herz, Sinn, Willen des Menschen bekehrt und so den Unwilligen willig, gläubig macht (conversio transitiva), dass er dann das, was Gott ihm darin geschenkt hat, auch für sich bewusst empfängt, annimmt, ergreift durch den bekehrten Willen, eben als Frucht der von Gott geschenkten Bekehrung (conversio intransitiva). (Letztere darf aber nicht ausbleiben, soll der Glaubende, wenn er überhaupt im Glauben bleibt, nicht einen kranken, schwachen Glauben haben, sondern auch bewusst, konsequent aus der Bekehrung in der Nachfolge Christi leben. Es ist also wichtig, dass es auch dazu kommt, dass der mit dem Glauben Beschenkte zu diesem Geschenk  Ja sagt und darin lebt.) „Und Paulus Phil. 2. ‚Gott ist’s, der in euch wirkt beide das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen.‘ Welcher liebliche Spruch allen frommen Christen, die ein kleines Fünklein und Sehnen nach Gottes Gnade und der ewigen Seligkeit in ihren Herzen fühlen und empfinden, sehr tröstlich ist, dass sie wissen, dass Gott diesen Anfang der wahren Gottseligkeit in ihren Herzen angezündet hat, und wolle sie in der großen Schwachheit ferner stärken und ihnen helfen, dass sie in wahrem Glauben bis ans Ende beharren.“ (KF, Ausf. Darl., II, 14)

    Dass der natürliche Mensch geistlich tot ist, heißt auch, dass er, siehe 1. Kor. 2,14, nichts von geistlichen Dingen vernimmt, ob er wohl auch das Evangelium hört, vor der Verdammnis gewarnt wird. Aus eigenen Kräften versteht er gar nichts davon, sondern es ist allein des Heiligen Geistes Werk durch das Wort, dass er den natürlichen Menschen erleuchtet und so Glauben, Bekehrung, Wiedergeburt in ihm wirkt.

    „Denn wie Doktor Luther im 90. Psalm spricht: In weltlichen und äußerlichen Geschäften, was die Nahrung und leibliche Notdurft betrifft, ist der Mensch witzig, vernünftig und sehr geschäftig, aber in geistlichen und göttlichen Sachen, was der Seelen Heil betrifft, da ist der Mensch wie eine Salzsäule, wie Lots Weib, ja wie Klotz und Stein, wie ein totes Bild, das weder Augen noch Mund, weder Sinn noch Herz gebraucht: Da der Mensch den grausamen, grimmigen Zorn Gottes über die Sünde und den Tod nicht sieht noch erkennt, sondern fährt immerfort in seiner Sicherheit, auch wissentlich und willig und kommt darüber in tausend Gefahren, endlich in den ewigen Tod und Verdammnis, und da hilft kein Bitten, kein Flehen, kein Ermahnen, ja auch kein Drohen, Schelten, ja alles Lehren und Predigen ist bei ihm verloren, ehe er durch den Heiligen Geist erleuchtet, bekehrt, wiedergeboren wird, dazu denn kein Stein oder Block, sondern allein der Mensch erschaffen ist.“ (KF, Ausf. Darl., II, 21)

    „Wie denn zum dritten die Heilige Schrift die Bekehrung, den Glauben an Christus, die Wiedergeburt, Erneuerung und alles, was zu derselben wirklichem Anfang und Vollziehung gehört, nicht den menschlichen Kräften des natürlichen freien Willens, weder zum ganzen noch zum halben oder zu einigem, dem wenigsten oder geringsten Teil zugelegt, sondern ganz und gar allein der göttlichen Wirkung und dem Heiligen Geist zuschreibt, wie auch die Apologie sagt.

    Die Vernunft und freier Wille vermag etlichermaßen äußerlich ehrbar zu leben; aber neu geboren werden, inwendig ein anderes Herz, Sinn und Mut bekommen, das wirkt allein der Heilige Geist. Der öffnet den Verstand und das Herz, die Schrift zu verstehen und auf das Wort acht zu geben, wie Luk. 24 geschrieben: ‚Er öffnet ihnen das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden.‘ Ebenso Apg. 16. ‚Lydia hört zu, welcher tat der Herr das Herz auf, das sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet ward. Er wirkt in uns beide, das Wollen und Vollbringen.‘ Phil. 2. Gibt Buße. Apg. 5; 2. Tim. 2. Wirkt den Glauben. Phil. 1: ‚Euch ist von Gott gegeben, dass ihr an ihn glaubt.‘ Eph. 2: ‚Gottes Gabe ist es.‘“ (KF, Ausf. Darl., II, 25-26)

    „In diesen Worten [aus dem Großen Bekenntnis vom heiligen Abendmahl] gibt D. Luther, seligen und heiligen Gedenkens, unserem freien Willen keine einige Kraft, sich zur Gerechtigkeit zu schicken oder darnach zu trachten, sondern sagt, dass der Mensch verblendet und gefangen allein des Teufels Willen und was Gott dem HERRN zuwider ist, tue. Darum ist kein Mitwirken unsers Willens in der Bekehrung des Menschen, und muss der Mensch gezogen und aus Gott neu geboren werden; sonst ist kein Gedanke in unseren Herzen, der sich zu dem heiligen Evangelium, dasselbe anzunehmen, von sich selbst wenden könnte. …

    Deshalb ist es unrecht gelehrt, wenn man vorgibt, dass der unwiedergeborene Mensch noch so viel Kräfte habe, dass er begehre, das Evangelium anzunehmen, sich mit demselben zu trösten und so der natürliche menschliche Wille in der Bekehrung etwas mitwirke. Denn solche irrige Meinung ist der Heiligen göttlichen Schrift, der christlichen Augsburgischen Konfession, derselben Apologie, den Schmalkaldischen Artikeln, dem großen und kleinen Katechismus Luthers und andern dieses vortrefflichen hocherleuchteten Theologen Schriften zuwider.“ (KF, Ausf. Darl., II, 44.45)

    Wie kommt es nun zur Bekehrung des natürlichen Menschen? Das ist ganz und gar Gottes des Heiligen Geistes Werk, das er durch Wort und Sakrament an uns ausführt, dadurch wahre Buße, Glauben wirkt und so dann neue geistliche Kräfte und das Vermögen zum Guten in unseren Herzen wirkt. Gesetz und Evangelium sind dabei die Mittel, Werkzeuge des Heiligen Geistes, dass er so rechte Sündenerkenntnis und daraus rechte Reue, Traurigkeit über die Sünde (Buße) und dann den rettenden Glauben an Christus wirke und so die Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, der an Christus Glaubenden, aus der Menschheit sich sammelt.

    „So wollen wir jetzt ferner aus Gottes Wort berichten, wie der Mensch zu Gott bekehrt werde, wie und durch welche Mittel (nämlich durch das mündliche Wort und die heiligen Sakramente) der Heilige Geist in uns kräftig sein und wahre Buße, Glauben und neue geistliche Kraft und Vermögen zum Guten in unsern Herzen wirken und geben wolle, und wie wir uns gegen solche Mittel verhalten und dieselben gebrauchen sollen. …

    Deshalb lässt Gott aus unermesslicher Güte und Barmherzigkeit sein göttliches ewiges Gesetz und den wunderbaren Rat von unserer Erlösung, nämlich das heilige, allein seligmachende Evangelium von seinem ewigen Sohn, unserm einigen Heiland und Seligmacher Jesus Christus, öffentlich predigen, dadurch er sich eine ewige Kirche aus dem menschlichen Geschlecht sammelt und in der Menschen Herzen wahre Buße und Erkenntnis der Sünden, wahren Glauben an den Sohn Gottes, Jesus Christus, wirkt, und will Gott durch dieses Mittel, und nicht anders, nämlich durch sein heiliges Wort, so man dasselbe predigen hört oder liest, und die Sakramente, nach seinem Wort gebraucht, die Menschen zur ewigen Seligkeit berufen, zu sich ziehen, bekehren, wiedergebären und heiligen.“ (KF, Ausf. Darl., II, 48.50)

    Predigt und Bibellese sind also die äußerlichen Werkzeuge, die der Heilige Geist anwendet, um die Kirche Christi zu sammeln, zu bauen. Darum ist es wichtig, dass der Mensch sich dem aussetzt, Gottes Wort in Predigt und Bibellese. Und das gehört nun in den Bereich des eingeschränkten freien Willens des natürlichen Menschen, dass er entscheiden kann, ob er die Bibel lesen will, ob er in den Gottesdienst gehen will. Alles andere muss Gottes Geist durch die Mittel, Wort und Sakrament, wirken.

    „Diese Predigt sollen nun alle die hören, die da wollen selig werden. Denn die Predigt des Wortes Gottes und das Gehör desselben sind des Heiligen Geistes Werkzeuge, bei, mit und durch welche er kräftig wirken und die Menschen zu Gott bekehren und in ihnen beides, das Wollen und das Vollbringen, wirken will.

    Dieses Wort kann der Mensch, so auch noch nicht zu Gott bekehrt und wiedergeboren ist, äußerlich hören und lesen; denn in diesen äußerlichen Dingen, wie oben gesagt, hat der Mensch auch nach dem Fall etlichermaßen einen freien Willen, dass er zur Kirche gehen, der Predigt zuhören oder nicht zuhören mag.

    Durch diese Mittel, nämlich die Predigt und Gehör seines Worts, wirkt Gott und bricht unsere Herzen und zieht den Menschen, dass er durch die Predigt des Gesetzes seine Sünde und Gottes Zorn erkennt und wahrhaftigen Schrecken, Reue und Leid im Herzen empfindet, und durch die Predigt und Betrachtung des heiligen Evangeliums von der gnadenreichen Vergebung der Sünden in Christus ein Fünklein des Glaubens in ihm angezündet wird, die Vergebung der Sünde um Christi willen annimmt und sich mit der Verheißung des Evangeliums tröstet; und wird so der Heilige Geist (welcher dieses alles wirkt) in das Herz gegeben.

    Wiewohl nun beides, des Predigers Pflanzen und Begießen und des Zuhörers Laufen und Wollen, umsonst wäre und keine Bekehrung darauf folgen würde, wo nicht des Heiligen Geistes Kraft und Wirkung dazu käme, welcher durch das gepredigte gehörte Wort die Herzen erleuchtet und bekehrt, dass die Menschen solchem Wort glauben und das Jawort dazu geben: So soll doch weder Prediger noch Zuhörer an dieser Gnade und Wirkung des Heiligen Geistes zweifeln, sondern gewiss sein, wenn das Wort Gottes nach dem Befehl und Willen Gottes rein und lauter gepredigt und die Menschen mit Fleiß und Ernst zuhören und dasselbe betrachten, dass gewiss Gott mit seiner Gnade gegenwärtig sei und gebe, wie gemeldet, was der Mensch sonst aus seinen eigenen Kräften weder nehmen noch geben kann. Denn von der Gegenwart, Wirkung und Gaben des Heiligen Geistes soll und kann man nicht allweg ex sensu, wie und wann man’s im Herzen empfindet, urteilen; sondern, weil es oft mit großer Schwachheit verdeckt wird und zugeht, sollen wir aus und nach der Verheißung gewiss sein, dass das gepredigte gehörte Wort Gottes sei ein Amt und Werk des Heiligen Geistes, dadurch er in unserm Herzen gewiss kräftig ist und wirkt, 2. Kor. 2.“ (KF, Ausf. Darl., Art. II, 52-56)

    Wenn ein Mensch sich dem verweigert, sei es, dass er gar nicht unter das Wort kommt, es nicht liest, sei es, dass er zwar das Wort akustisch hört, aber Gott nicht wirklich an seinem Herzen wirken lässt, ihm fortlaufend also widerstrebt und damit schlimmer ist als ein Stein oder Block, die eben nicht widerstreben, dann ist es seine eigene Schuld, wenn er verloren geht.

    Der natürliche Mensch ist also noch anders als ein Stein oder Block, denn er ist allerdings eine vernünftige Kreatur mit Verstand und Willen, hat aber vor der Bekehrung keinerlei Verstand in göttlichen, geistlichen Dingen, keinen Willen zu göttlich Gutem und Heilsamem. Daher kann er zu seiner Bekehrung überhaupt nichts beitragen, nur widerstreben, bis Gott ihn erweckt, erleuchtet, erneuert: Gott zwingt zwar niemand; aber doch ist es Gott allein, der einen Menschen zieht und aus dem verfinsterten Verstand einen erleuchteten, aus dem widerspenstigen Willen einen gehorsamen macht, also ein neues Herz schafft (transitive Bekehrung). Der menschliche Wille ist nicht eine der Ursachen der Bekehrung, sondern vielmehr Gegenstand der Bekehrung, d.h. muss bekehrt werden, um dann, als bekehrter, erleuchteter, erneuerter Wille willig zu sein zu Gott, seinem Willen, zum Glauben an Christus als dem Retter. Die Bekehrung im intransitiven Sinn ist also eine Frucht, eine Folge, eine Wirkung der Bekehrung im transitiven Sinn, ist ein Empfangen dessen, was Gott durch sein Evangelium geschenkt hat.

    „Wenn aber ein Mensch die Predigt nicht hören, noch Gottes Wort lesen will, sondern das Wort und die Gemeinde Gottes verachtet und stirbt so und verdirbt in seinen Sünden: Der kann weder Gottes ewiger Wahl sich trösten, noch seine Barmherzigkeit erlangen. …

    Da aber ein solcher Mensch verachtet des Heiligen Geistes Werkzeug und will nicht hören, so geschieht ihm nicht Unrecht, wenn der Heilige Geist ihn nicht erleuchtet, sondern in der Finsternis seines Unglaubens stecken und verderben lässt, davon geschrieben steht: ‚Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wolln, wie eine Henne versammelt ihre Jungen unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt?‘ Matth. 23(,37).

    Und in diesem Fall kann man wohl sagen, dass der Mensch nicht sei ein Stein oder Block. Denn ein Stein oder Block widerstrebt dem nicht, der ihn bewegt, versteht auch nicht und empfindet nicht, was mit ihm gehandelt wird, wie ein Mensch Gott dem Herrn widerstrebt mit seinem Willen, so lange, bis er bekehrt wird. Und ist gleichwohl wahr, dass ein Mensch vor der Bekehrung dennoch eine vernünftige Kreatur ist, welche einen Verstand und Willen hat, doch nicht einen Verstand in göttlichen Sachen oder einen Willen, etwas Gutes und Heilsames zu wollen. Jedoch kann er zu seiner Bekehrung (wie droben auch gemeldet) ganz und gar nichts tun, und ist in solchem Fall viel ärger als ein Stein und Block; denn er widerstrebt dem Wort und Willen Gottes, bis Gott ihn vom Tod der Sünden erweckt, erleuchtet und erneuert.

    Und wiewohl Gott den Menschen nicht zwingt, dass er müsse fromm werden (denn welche allezeit dem Heiligen Geist widerstreben und sich für und für auch der erkannten Wahrheit widersetzen, wie Stephanus von den verstockten Juden redet Apg. 7, die werden nicht bekehrt), jedoch zieht Gott der Herr den Menschen, welchen er bekehren will, und zieht ihn so, dass aus einem verfinsterten Verstand ein erleuchteter Verstand, und aus einem widerspenstigen Willen ein gehorsamer Wille wird. Und das nennt die Schrift ein neues Herz erschaffen. (Ps. 51,12.)

    Deshalb kann auch nicht recht gesagt werden, dass der Mensch vor seiner Bekehrung einen modum agendi oder eine Weise, nämlich etwas Gutes und Heilsames in göttlichen Sachen zu wirken, habe. Denn weil der Mensch vor der Bekehrung tot ist in Sünden, Eph. 2(,5), so kann ihn ihm keine Kraft sein, etwas Gutes in göttlichen Sachen zu wirken, und hat so auch keinen modum agendi oder Weise, in göttlichen Sachen zu wirken. Wenn man aber davon redet, wie Gott in dem Menschen wirkt, so hat gleichwohl Gott der Herr einen modum agendi oder Weise, zu wirken in einem Menschen als in einer vernünftigen Kreatur, und eine andere, zu wirken in einer anderen, unvernünftigen Kreatur oder in einem Stein und Block. Jedoch kann nichtsdestoweniger dem Menschen vor seiner Bekehrung kein modus agendi oder einige Weise, in geistlichen Sachen etwas Gutes zu wirken, zugeschrieben werden.“ (KF, Ausf. Darl., II, 57.58-62)

    „So auch, wenn Luther spricht, dass sich der Mensch zu seiner Bekehrung pure passive halte, das ist, ganz und gar nichts dazu tue, sondern nur leide, was Gott in ihm wirkt: Ist seine Meinung nicht, dass die Bekehrung geschehe ohne die predigt und Gehör des göttlichen Worts, ist auch die Meinung nicht, dass in der Bekehrung vom Heiligen Geist gar keine neue Bewegung in uns erweckt und keine geistliche Wirkung angefangen werde; sondern er meint, dass der Mensch von sich selbst oder aus seinen natürlichen Kräften nichts vermag oder helfen könne zu seiner Bekehrung, und dass die Bekehrung nicht allein zum Teil, sondern ganz und gar sei eine Wirkung, Gabe und Geschenk und Werk des Heiligen Geistes allein,der sie durch seine Kraft und Macht, durchs Wort, im Verstand, Willen und Herzen des Menschen, tanquam in subjecto patiente, das ist, da der Mensch nichts tut oder wirkt, sondern nur leidet, ausrichte und wirke; nicht als ein Bild in einen Stein gehauen oder ein Spiegel in Wachs, welches nichts drum weiß, solches auch nicht empfindet noch will, gedruckt wird, sondern so und auf die Weise, wie kurz zuvor erzählt du erklärt ist.“ (KF, Ausf. Darl., II, 89)

    [Es] ist abermals aus hiervor gefasster Erklärung offenbar, das die Bekehrung zu Gott allein des Heiligen Geistes Werk sei, welcher der rechte Meister ist, der allein solche sin uns wirkt, dazu er die Predigt und das Gehör seines heiligen Wortes als sein ordentliches Mittel und Werkzeug gebraucht; des unwiedergebornen Menschen Verstand aber und Wille ist anders nichts als allein subiectum convertendum, das ist, der bekehrt werden soll, als eines geistlich toten Menschen Verstand und Wille, in dem der Heilige Geist die Bekehrung und Erneuerung wirkt, zu welchem Werk des Menschen Wille, so bekehrt werden soll, nichts tut, sondern lässt allein Gott in ihm wirken, bis er wiedergeboren und alsdann auch mit dem Heiligen Geist in andern nachfolgenden guten Werken wirkt, was Gott gefällig ist, auf Weise und Maß, wie droben ausführlich erklärt worden.“ (KF, Ausf. Darl., II, 90)

    Die Bekehrung bringt eine grundlegende Veränderung im Herzen und Gemüt des Menschen mit sich, alles bewirkt durch den Heiligen Geist. Daher kann umgekehrt gesagt werden, dass da, wo diese Veränderungen in Verstand, Willen und Herzen nicht geschehen, wo keine Sündenerkenntnis, keine Angst vor Gottes Zorn ist, kein Erkennen und annehmen der Gnade in Christus und der gute Vorsatz und Fleiß, gegen die Sünde zu kämpfen, wo also all das nicht vorhanden ist, da ist ein Mensch auch nicht bekehrt, da ist er nicht oder nicht mehr in der Gnade.

    „Denn das ist einmal wahr, dass in wahrhaftiger Bekehrung müsse eine Änderung, neue Regung und Bewegung im Verstand, Willen und Herzen geschehen, dass nämlich das Herz die Sünde erkenne, vor Gottes Zorn sich fürchte, von der Sünde sich abwende, die Verheißung der Gnaden in Christus erkenne und annehme, gute geistliche Gedanken, christlichen Vorsatz und Fleiß habe und wider das Fleisch streite. Denn wo der keines geschieht oder da ist, da ist auch keine wahre Bekehrung. Weil aber die Frage ist de causa efficiente, das ist, wer solches in uns wirke und woher der Mensch das habe und wie er dazu komme, so berichtet diese Lehre: Dieweil die natürlichen Kräfte des Menschen dazu nichts tun oder helfen können, 1. Kor. 2; 2. Kor. 3, dass Gott aus unermesslicher Güte und Barmherzigkeit uns zuvor komme und sein heiliges Evangelium, dadurch der Heilige Geist solche Bekehrung und Erneuerung in uns wirken und ausrichten will, predigen lasse, und durch die Predigt und Betrachtung seines Wortes den Glauben und andere gottselige Tugenden in uns anzündet, dass es Gaben und Wirkungen des Heiligen Geistes allein sind; und weist uns diese Lehre zu den Mitteln, dadurch der Heilige Geist solches anfangen und wirken will, erinnert auch, wie dieselben Gaben erhalten, gestärkt und gemehrt werden, und ermahnt, dass wir diese Gnade Gottes an uns nicht sollen lassen vergeblich sein, sondern fleißig üben, in Betrachtung, wie schwere Sünde es sei, solche Wirkung des Heiligen Geistes zu hindern und zu widerstreben.“ (KF, Ausf. Darl., II, 70-72)

    „Denn aus vorhergehender Erklärung ist öffentlich, wo durch den Heiligen geist gar keine Veränderung zum Guten im Verstand, Willen und Herzen geschieht, und der Mensch der Verheißung ganz nicht glaubt und von Gott zur Gnade nicht geschickt gemacht wird, sondern ganz und gar dem Wort widerstrebt, dass da keine Bekehrung geschehe oder sein könne. Denn die Bekehrung ist eine solche Veränderung durch des Heiligen Geistes Wirken in des Menschen Verstand, Willen und Herzen, dass der Mensch durch solche Wirkung des Heiligen Geistes könne die angebotene Gnade annehmen [Bekehrung im intransitiven Sinn]. Und zwar alle die, so des Heiligen Geistes Wirkungen und Bewegungen, die durchs Wort geschehen, widerspenstig, beharrlich widerstreben, die empfangen nicht, sondern betrüben und verlieren den Heiligen Geist.“ (KF, Ausf. Darl., II, 83)

    „Denn die Bekehrung unsers verderbten Willens, welche anders nichts als eine Erweckung desselben von dem geistlichen Tod [ist], ist einzig und allein Gottes Werk, wie auch die Auferweckung in der leiblichen Auferstehung des Fleisches allein Gott zugeschrieben werden soll, inmaßen droben ausführlich angezeigt und mit offenbaren Zeugnissen der Heiligen Schrift erwiesen worden.

    Wie aber Gott in der Bekehrung aus Widerspenstigen und Unwilligen durch das Ziehen des Heiligen Geistes Willige macht, und dass nach solcher Bekehrung des Menschen wiedergeborner Wille in täglicher Übung der Buße nicht müß0ig gehe, sondern in allen Werken des Heiligen Geistes, die er durch uns tut, auch mitwirke, ist oben genug erklärt worden.“ (Konk.Formel., Ausf. Darl., Art. 2,87-88)

    Weil dies die klare Lehre der Bibel ist, verwirft die lutherische Kirche in der Konkordienformel auch die widerstreitenden Lehren, unter anderem die mancherlei Varianten menschlicher Mitarbeit, wie es nun, dass der Mensch die Bekehrung von sich aus beginne und dann von Gott unterstützt werde, sei es, dass Gott die Bekehrung beginne und dann der Mensch, weil noch etwas Gutes in ihm sei, er dann aus freiem Willen etwas dazu tue, sich zu Gottes Gnade schicke, sie aus eigener Kraft annehme, ergreife, dem Evangelium glaube und auch aus eigener Kraft neben dem Heiligen Geist an der Bewahrung mitarbeite.

    „Verworfen werden:

    2. Darnach der groben Pelagianer Irrtum, dass der feie Wille aus eigenen natürlichen Kräften, ohne den Heiligen Geist, sich selbst zu Gott bekehren, dem Evangelium glauben und Gottes Gesetz mit Herzen gehorsam sein, und diesem seinem freiwilligen Gehorsam Vergebung der Sünden und ewiges Leben verdienen könne.

    3. Zum dritten der Papisten und Schullehrer [Scholastiker] Irrtum, die es ein wenig subtiler gemacht und gelehrt haben, dass der Mensch aus seinen natürlichen Kräften könne den Anfang zum Guten und zu seiner eigenen Bekehrung machen, und dass alsdann der heilige Geist, weil der Mensch zum Vollbringen zu schwach, dem aus eigenen natürlichen Kräften angefangenen Guten zu Hilfe komme.

    4. Zum vierten der Synergisten Lehre, welche vorgeben, dass der Mensch nicht allerdings in geistlichen Sachen zum Guten erstorben, sondern übel verwundet und halb tot sei. Deshalb, obwohl der freie Wille zu schwach sei, den Anfang zu machen und sich selbst aus eignen Kräften zu Gott zu bekehren und dem Gesetz Gottes mit Herzen gehorsam zu sein: Dennoch, wenn der Heilige Geist den Anfang macht und uns durch das Evangelium beruft und seine Gnade, Vergebung der Sünden und ewige Seligkeit anbietet, dass alsdann der freie Wille aus seinen eigenen natürlichen Kräften Gott begegnen und etlichermaßen etwas, wiewohl wenig und schwächlich, dazu tun, helfen und mitwirken, sich zur Gnade Gottes schicken und applizieren und dieselbe ergreifen, annehmen und dem Evangelium glauben, auch in Fortsetzung und Erhaltung dieses Werks, aus seinen eigenen Kräften, neben dem Heiligen Geist mitwirken könne.

    Dagegen aber ist oben der Länge nach erwiesen, dass solche Kraft, nämlich facultas applicandi se ad gratiam, das ist, natürlich sich zur Gnade zu schicken, nicht aus unsern eigenen natürlichen Kräften, sondern allein durch des Heiligen Geistes Wirkung herkomme.“ (KF, Ausf. Darl., II, 75-78)

    Nach der Bekehrung aber, wenn der Mensch einen vom Heiligen Geist erleuchteten Verstand und gehorsamen Willen hat, dann will er auch wahrhaft Gutes tun. Aber auch das nicht losgelöst vom Heiligen Geist, sondern vielmehr getrieben vom Heiligen Geist, der ja in ihm mit dem Vater und dem Sohn Wohnung gemacht hat. Dieser Gottes Geist leitet ihn auch in dem täglichen Kampf gegen die Sünde, gegen die Anfechtungen und Versuchungen durch den Teufel, die Welt und das eigene Fleisch. Heiligung ist damit nicht ein selbständiges Werk des erneuerten Menschen. Er ist nicht sozusagen wie eine aufgezogene Uhr, die nun eigenständig abläuft, sondern vielmehr ist es so, dass der Heilige Geist den erneuerten, bekehrten Menschen regiert, leitet, führt und der Mensch mit seinem erleuchteten Verstand und erneuerten Willen dabei mitwirkt, aber eben doch nur in Schwachheit, nicht so, wie wenn zwei Pferde einen Wagen ziehen, sondern nachgeordnet. So erkennen wir, wie umfassend das Wirken, das Werk des Heiligen Geistes ist, der nicht nur an unbekehrten, sicheren Sünder wirkt, um ihn zu erwecken, ihn dann von Sünden zu überführen, ihm seine Verdorbenheit und Verlorenheit vor Augen zu führen und darüber zu überzeugen und dann diesem zerbrochenen Sünder Christus groß macht als seinen Heiland und so den rettenden Glauben in ihm wirkt. Sondern er wohnt dann auch mittels Wort und Sakrament im Glaubenden und ist fortlaufend in ihm geschäftig, ihn in seinem Leben im rettenden Glauben zu erhalten, zu guten Werken zu führen und im täglichen Kampf gegen die Sünde zu leiten und so ihn in täglicher Sündenerkenntnis, Reue, Umkehr, Vergebung, Erneuerung und Hingabe zu leiten.

    „Wenn aber der Mensch bekehrt worden und also erleuchtet ist und sein Wille erneuert, alsdann so will der Mensch Gutes (sofern er neu geboren oder ein neuer Mensch ist) und hat Lust am Gesetz Gottes, nach dem innerlichen Menschen, Röm. 7, und tut forthin so viel und so lang Gutes, so viel und lang er vom Geist Gottes getrieben wird, wie Paulus sagt: Die vom Geist Gottes getrieben werden, die sind Gottes Kinder. Und ist solcher Trieb des Heiligen Geistes nicht eine coactio oder ein Zwang, sondern der bekehrte Mensch tut freiwillig Gutes, wie David sagt: ‚Nach deinem Sieg wird ein Volk williglich opfern.‘ Und bleibt gleichwohl auch in den Wiedergebornen, das St. Paulus geschrieben Röm. 7(,22 ff.): ‚Ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und nimmt mich gefangen in der Sünden Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.‘ … Ebenso Gal. 5/,19): ‚Das Fleisch gelüstet wider den Geist und den Geist wider das Fleisch; dieselben sind gegeneinander, dass ihr nicht tut, was ihr wollt.‘

    Daraus dann folgt, alsbald der Heilige Geist, wie gesagt, durchs Wort und heilige Sakrament solches sein Werk der Wiedergeburt und Erneuerung in uns angefangen hat, so ist es gewiss, dass wir durch die Kraft des Heiligen Geistes mitwirken können und sollen, wiewohl noch in großer Schwachheit, solches aber nicht aus unsern fleischlichen, natürlichen Kräften, sondern aus den neuen Kräften und Gaben, so der Heilige Geist in der Bekehrung in uns angefangen hat, wie St. Paulus ausdrücklich und ernst ermahnt, dass wir als Mithelfer die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen, welches dann anders nicht als so soll verstanden werden, dass der bekehrte Mensch so viel und lang Gutes tue, so viel und lange ihn Gott mit seinem heiligen Geist regiert, leitet und führt, und sobald Gott seine gnädige Hand von ihm abzöge, könnte er nicht einen Augenblick in Gottes Gehorsam bestehen. Da es aber so wollte verstanden werden, dass der bekehrte Mensch neben dem Heiligen Geist dergestalt mitwirkte wie zwei Pferde miteinander einen Wagen ziehen, könnte solches ohne Nachteil der göttlichen Wahrheit keineswegs zugegeben werden.“ (KF, Ausf. Darl., II, 63-66)

    Es ist ja selbst so, dass auch die Bewahrung des Gläubigen im rettenden Glauben nicht des Menschen, sondern allein Gottes Werk ist, nur dass darum der Gläubige von Herzen bittet. Denn auch nach der Wiedergeburt ist es ja so, dass der alte Mensch in uns Gott und seinem Willen widerstrebt – wieviel mehr dann zuvor.

    „Und nachdem Gott den Anfang durch seinen Heilligen Geist in der Taufe, rechte Erkenntnis Gottes und Glauben angezündet und gewirkt, ihn ohne Unterlass bitten, dass er durch denselben Geist und seine Gnade, vermittelst täglicher Übung Gottes Worts zu lesen und zu üben, in uns den Glauben und seine himmlischen Gaben bewahren, von Tag zu Tag stärken und bis an das Ende erhalten wolle. Denn wo Gott nicht selber Schulmeister ist, so kann man nichts, das ihm angenehm und uns und andern heilsam ist, studieren und lernen.“ (KF, Ausf. Darl., II, 16)

    „So nun im heiligen Paulus und andern Wiedergebornen der natürliche oder fleischliche freie Wille, auch nach der Wiedergeburt, Gottes Gesetz widerstrebt: Vielmehr wird er vor der Wiedergeburt Gottes Gesetz und Willen widerspenstig und feind sein: Daraus offenbar ist, (wie in dem Artikel von der Erbsünde weiter erklärt, darauf wir uns geliebter Kürze halben bezogen haben wollen) dass der freie Wille aus seinen eignen natürlichen Kräften nicht alleine nichts zu seiner selbst Bekehrung, Gerechtigkeit und Seligkeit wirken oder mitwirken, noch dem Heiligen Geist, so ihm durch das Evangelium Gottes Gnade und die Seligkeit anbietet, folgen, Glauben oder das Jawort dazu geben kann, sondern aus angeborner böser, widerspenstiger Art Gott und seinem Willen feindlich widerstrebt, wo er nicht durch Gottes Geist erleuchtet und regiert wird.“ (KF, Ausf. Darl., II, 18)

    So ist auch der tägliche Kampf gegen die Sünde (Gal. 5) nicht etwas, das aus dem freien oder erneuerten Willen des Wiedergeborenen komme, sondern auch hier liegt alles am Heiligen Geist, der aber den Willen des Wiedergeborenen mit hineinnimmt. Denn es bleibt auch im Wiedergeborenen, nach dem alten Menschen, eine Widerspenstigkeit gegen Gott, seinen Willen, während der neue Mensch durch den Heiligen Geist dem Willen Gottes gehorchen will, was nur in täglichen Kämpfen möglich ist.

    „Ferner steht in den Schmalkaldischen Artikeln so: ‚Und diese Buße währt bei den Christen bis in den Tod; denn sie beißt sich mit der übrigen Sünde im Fleisch durch’s ganze Leben, wie St. Paulus Röm. 7 zeugt, dass er kämpfe mit dem Gesetz seiner Glieder, und das nicht durch eigene Kräfte, sondern durch die Gabe des Heiligen Geistes, welche folgt auf die Vergebung der Sünde. Dieselbe Gabe reinigt und fegt täglich die übrige Sünde aus und arbeitet, den Menschen recht rein und heilig zu machen.‘ Diese Worte sagen gar nichts von unserm Willen oder dass derselbe auch in den neugebornen Menschen etwas aus sich selbst wirke, sondern schreiben es zu der Gabe des Heiligen Geistes, welche den Menschen reinigt und ihn täglich frömmer und heiliger mache, und werden hiervon unsere eigenen Kräfte gänzlich ausgeschlossen. …

    In diesen Worten gedenkt der [große] Katechismus unsers freien Willens oder Zutuns mit keinem Wort, sondern gibt’s alles dem Heiligen Geist, dass er durch’s Predigtamt uns in die Christenheit bringe, darinnen heilige und verschaffe, dass wir täglich zunehmen im Glauben und guten Werken.

     Und obwohl die Neugebornen auch in diesem Leben so weit kommen, dass sie das Gute wollen und sie es lieben, auch Gutes tun und in demselben zunehmen, so ist doch solches (wie droben gemeldet), nicht aus unserm Willen und unserm Vermögen, sondern der Heilige Geist, wie Paulus selbst davon redet, wirkt solches Wollen und Vollbringen Phil. 2. Wie er auch Eph. 2 solches Werk allein Gott zuschreibt, da er sagt: ‚Wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, zu welchen uns Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.‘ …

    Diese Zeugnisse sagen, dass wir aus eignen Kräften zu Christus nicht kommen können, sondern Gott müsse uns seinen Heiligen Geist geben, dadurch wir erleuchtet, geheiligt und so zu Christus durch den Glauben gebracht und bei ihm erhalten werden, und wird weder unseres Willens noch Mitwirkens gedacht.“ (KF, Ausf. Darl., II, 34.38-39.42)

    „Nun bleibt gleichwohl auch in den Wiedergebornen eine Widerspenstigkeit, davon die Schrift meldet, dass ‚das Fleisch gelüstet wider den Geist,‘, ebenso die fleischlichen Lüste wider die Seele streiten‘, und dass ‚das Gesetz in den Gliedern widerstrebe dem Gesetz im Gemüt‘, Röm. 7.

    Deshalb der Mensch, so nicht wiedergeboren ist, Gott gänzlich widerstrebt und ist ganz und gar ein Knecht der Sünden. Der Wiedergeborne aber hat Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen, sieht aber gleichwohl in seinen Gliedern der Sünden Gesetz, welches widerstrebt dem Gesetz im Gemüt: Deshalb so dient er mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde, Röm. 7.“ (KF, Ausf. Darl., II, 84-85)

    Wenn aber die Sünde in einem Christen wieder herrschend geworden und er damit aus der Gnade gefallen ist, muss er wiederum bekehrt werden, so, wie er zuvor bekehrt worden war. „Wenn aber die Getauften wider das Gewissen gehandelt, die Sünde in sich herrschen lassen und so den Heiligen Geist in sich selbst betrübt haben und verloren: So dürfen sie zwar nicht wiederum getauft, sondern müssen wiederum bekehrt werden.“ (KF, Ausf. Darl., II, 69)

 

 

7. Die christliche Sittlichkeit

 

a.  Gottes Wirken in der Geschichte[96]

 

    Auch in der Geschichte geht es Luther um die Alleinwirksamkeit Gottes: „Mit seinem unveränderlichen und ewigen und unfehlbaren Willen sieht und ordnet er alles voraus und vollbringt es.“ (WA 18, 615, 13f.) Gottes Wirken ist also tatsächlich der einzige Grund allen Geschehens, während es für ihn und seinen Willen keinen anderen Grund oder Ursache außerhalb von ihm gibt und geben kann: „So sehen wir in allen Historien und Erfahrung, wie er ein Reich aufwirft, das andere nieder, ein Fürstentum erhebt, das andere niederdrückt, ein Volk mehrt, das andere vertilgt, wie er Assyrien, Babylonien, Persien, den Griechen, Rom getan hat, die doch meinten, sie würden ewig sitzen in ihrem Stuhl.“ (WA 7, 590, 9 ff.) Gott gibt also Wachstum und Segen, Gott trägt für die Völker Sorge und leitet sie – oder gibt sie dem Gericht hin. Für den Menschen scheint ja eher das Gegenteil real zu sein, dass er, der Mensch, selbst doch in der Geschichte tätig sei, sie völlig bestimme. Aber das erscheint nur vordergründig so. Tatsächlich sind sie alle in Gottes Hand nur Marionetten; unter ihrem Tun liegt das eigentliche Tun, das Tun Gottes, verborgen. Das heißt: Gott könnte natürlich ohne irgendeinen Menschen sein Werk vollbringen, sein Ziel erreichen. Aber er hat beschlossen durch Menschen in der Geschichte zu handeln. „So braucht er uns Menschen beide, im leiblichen und geistlichen Regiment, die Welt und alles, was drinnen ist, zu regieren.“ (WA 23, 8, 33 ff.)

    Auch diese Alleinwirksamkeit Gottes in der Geschichte ist aber wieder antinomisch zu verstehen, das heißt, sie hebt nicht die Verantwortlichkeit des Menschen für sein Tun in der Geschichte auf. Vielmehr gibt es für uns Menschen der Geschichte gegenüber keine „Zuschauerhaltung“. Gott will vielmehr, dass wir tätig sind, darum hat er ja alles erschaffen. (Schon im Paradies waren Adam und Eva angewiesen zu arbeiten.) Und für das, was wir tun (oder unterlassen) sind wir Gott verantwortlich. Es gibt kein „neutrales Mittelreich“. Dass aber Gott der Herr der Geschichte ist, dass er alles regiert und allein wirkt, ist dem menschlichen Auge in dieser Zeit verborgen. Gott bleibt also dem Nichtchristen völlig verborgen hinter den Menschen, die doch tatsächlich nur seine Larven sind. [RS1] Auch das gehört zu Kreuzestheologie. Nur so ist ein Wirken des Menschen in der Geschichte möglich, denn sonst überließe er alles Gott.

    Daher kommt es dann auch zu dem Durcheinander und Ineinander von Recht und Unrecht in der Geschichte, auch tritt viel Bosheit auf. Denn in der Welt erscheint der Teufel als der aktive Gegenspieler Gottes, versucht, gegen Gottes Reich sein Gegenreich aufzubauen. Dieses Gegeneinander gehört zum Wesen der Geschichte nach dem Sündenfall bis zum Jüngsten Tag. Denn diese Geschichte ist nicht unendlich, sondern hat einen von Gott gesetzten Endpunkt, der gewiss kommen wird.

 

b.  Das Wesen der christlichen Sittlichkeit

 

    Die von römischer Seite immer wieder gegen die Evangelischen erhobene Beschuldigung auf Antinomismus ist völlig unberechtigt, weil beide Teile „gute Werke“ für notwendig erklären (Apol. IV (III), 3). Der Unterschied zwischen ihnen ist nur der, dass die Evangelischen „auch zeigen, wie sie geschehen können“ (Apol. IV (III), 15), wobei sich dann zugleich ergibt, dass sie die Frage, worin gute Werke bestehen, richtiger beantworten als ihre Gegner, ebenso die andere, warum das Gute, das getan wird, Gott gefällt (Apol. IV (III), 19). – So hoch die Römischen die guten Werke preisen, kennen sie doch deren wahres Wesen nicht. Sie legen höchstes Gewicht auf „kindische und unnötige Werke“, wie Fasten, Bruderschaften, Wallfahrten, Heiligendienst, Rosenkränze, Mönchsstand und ähnliches (Augsb. Bek. XX, 3). Aber aller von Menschen ohne Befehl Gottes erdachter Gottesdienst steht auf derselben Stufe wie die Gottesverehrung der Heiden (Ausgsb. Bek. XXVII, 36; Apol. XV, 14 ff.). Nur die Werke, die Gottes Befehl haben, sind gut (Augsb. Bek. VI). Rom erhebt die Werke, die „seltsam“ (auffallend), „groß und schwer“ sind. Aber „was wir tun sollen, dass unser ganzes Leben Gott gefalle“, das können wir aus den Zehn Geboten ersehen, so dass außer diesen zehn Geboten „kein Werk noch Wesen gut und Gott gefällig sein kann, es sei so groß und köstlich vor der Welt, wie es wolle“ (Gr. Kat. I, 311 ff.). Wenn hier auch Luther „die zehn Gebote“ als Inbegriff der Forderungen Gottes behandelt, so ist dies keineswegs eine Herabsetzung des hohen christlich-sittlichen Ideals, wie Luther es in der Bergpredigt gefunden, auf die Stufe bloßer „Moralweisheit“; und diese angebliche Herabsetzung ist keineswegs dadurch veranlasst, dass Luther nunmehr eine „universale Kirche“, eine Massenkirche, im Auge hatte, „für die sich die religiöse Volksethik Alt-Israels besser eignete als der rein auf persönliche Innerlichkeit gerichtete Radikalismus der Bergpredigt“. Denn dass Luther überhaupt den Dekalog als kompendiöse Formulierung der göttlichen Forderungen zu verwenden wünschte, ist doch nicht verwunderlich, da derselbe als solche allgemein vertraut war. Anstatt dessen die weitläufige, und doch nicht alle sittlichen Pflichten berücksichtigende, dazu dem Gedächtnis schwer sich einprägende Bergpredigt einzusetzen, konnte er sich nicht einfallen lassen. Es musste ihm darauf ankommen, dem beibehaltenen Dekalog den reichen und tiefen Inhalt zu geben, wie Jesus in der Bergpredigt hinsichtlich einiger Gebote getan hatte. Und von Anfang an hat er die Ethik Jesu in dem Dekalog gelesen, hat bis zu seinem Ende die Forderungen der Bergpredigt vertreten. Stets hat er die zehn Gebote aus dem Gebot der Gottes- und Nächstenliebe erklärt. Denn zum Wesen der christlichen Sittlichkeit gehört ein zweites. Nicht jedes äußerlich einem Gebot Gottes entsprechende Tun ist Gott wohlgefällig. Das äußere Werk muss Äußerung geistlicher Bewegungen, der Bewegungen des Herzens sein (Apol. IV (III), 15.9). Auf die Gesinnung, auf „das gute Herz inwendig“, auf die selbstlose Liebe zu Gott und von daher auch zum Nächsten, kommt es an; wo „das Herz nicht dabei ist“, sind es „lose, taube, kalte Heuchlerwerke“ (Apol. IV (III), 15 deutsch). Fragt man aber, welches die gottgefällige Gesinnung ist, so ergibt sich die dritte Bestimmung christlicher Sittlichkeit. Die Römischen sehen auf die Vorschriften der zweiten Tafel des Dekalogs, um die erste kümmern sie sich nicht. Aber die entscheidende Hauptsache ist die Bewegung des Herzens gegenüber Gott, wie sie vorgeschrieben ist in dem „ewigen, weit über alle menschliche Vernunft hinausgehenden Gesetz: Du sollst Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen“ (Apol. IV (III), 9 f.). Diese Liebe, und nur sie, ist wirkliche Erfüllung des Gesetzes (Apol. IV (III), 168). Ohne sie ist aller Gottesdienst, wie hoch, köstlich und heilig er scheine, eitel Schale und Hülse ohne Korn, ja „eitel Unflat und Greuel vor Gott“ (Apol. XXVII, 25 deutsch). Die Sittlichkeit besteht also gerade nicht zuerst und vor allem im Unterlassen einzelner Sünden, wiewohl das auch dazu gehört, sondern in der positiven Heiligung, in der Liebe. „Willst du das Gesetz recht treffen und bei dem Kopf ergreifen, dass du wissest, was du tun und lassen und wie du dich dazu schicken sollst und nichts bedürfest weiter suchen, noch hin und her betteln? Dass du habest die Liebe.“ Denn „das Gesetz gebietet nichts anderes als die Liebe.“[97] Wenn aber nur das, was aus Liebe zu Gott und zum Nächsten geschieht, Gott wohlgefällig ist, so folgt daraus, dass alles, wodurch der Mensch „nur das Seine sucht“ vor Gott nicht gut ist, sondern Sünde. Alles, was aus Furcht vor Strafe oder Sucht nach Lohn oder Ehre geschieht, ist damit Sünde, selbst wenn vor Menschen bürgerliche Rechtschaffenheit dabei herauskommt.[98] Daraus, dass die wahre Sittlichkeit aus dem von Liebe erfüllten Herzen hervorgeht, ergibt sich die vierte Besonderheit, die von Luther sehr scharf betont worden ist, in der Apologie mehr nur angedeutet, in der Konkordienformel aber wieder hervorgehoben ist: Sie weiß nichts von einem Zwang, sondern ist durchaus frei. Wohl entspricht sie dem, was Gottes Gesetz von uns fordert, aber sie tut dies nicht, weil das Gesetz es so vorschreibt, sondern ohne Rücksicht auf das Gesetz aus freiem Willen. Denn das Gesetz ist dem wahren Christen ins Herz geschrieben (Apol. IV (III), 2 ff. 98). „Daher“, wie die Konkordienformel aus Luther zitiert, „der Mensch ohne Zwang willig und lustig wird, jedermann Gutes zu tun.“ (Ausf. Darl. IV, 12.) Das heißt: Alles, was nicht aus freiem, liebevollem Herzen geschieht, was noch unter dem Eindruck geschieht, es müsse getan werden, ist kein reines Werk vor Gott, denn ihm liegt letztlich ein geheimes Nichtwollen des Herzens zugrunde. „Wenn du meinst, du müsstest es tun, ist schon ein Gewissen da vom Gesetz, dazu Sünde und ein unreines Herz.“[99] Wozu also der Mensch sich durchringen muss, was er nur aus Gehorsam vollzieht, ist kein Werk der christlichen Sittlichkeit, so nötig es auch sein mag. Selbstüberwindung ist wohl notwendig in diesem Leben, aber das ist noch nicht die Liebe.[100] Daher gilt freilich noch nicht von allem Handeln des Christen, dass es aus der reinen Liebe geschieht. Daher wiederholt die Konkordienformel das von Luther häufig gebrauchte wichtige „so viel“: Die Rechtgläubigen leisten, so viel sie wiedergeboren, den Gehorsam nicht aus Zwang oder Treiben des Gesetzes, sondern aus freiwilligem Geist.“ (Kurze Darl. IV, 10.13.) Aber soweit dies auch noch nicht der Fall ist, sondern sie noch irgendwie unter einem Zwang des ihnen gegenüberstehenden Gesetzes stehen, ist noch nicht die christliche Sittlichkeit erreicht. Diese geschieht freiwillig, von Herzen (KF, Ausf. Darl., IV, 17). Das macht umso mehr deutlich, wie sehr auch die Werke, die wir als Christen tun, noch von Sünde durchzogen sind.

    Wohl gibt es auch eine Sittlichkeit, der diese drei letzten Teile fehlen, „äußere Werke des Gesetzes“, eine bürgerliche Gerechtigkeit, wie sie für das Zusammenleben der Menschen erwünscht ist und darum Gott wohlgefällt (Apol. IV (III), 9). Eine solche ist dem natürlichen Menschen auch außerhalb des Christentums möglich, „weil die menschliche Vernunft von Natur in gewissem Maß das Gesetz kennt. Denn ihr ist das gleiche Urteil [wie der Dekalog es über des Menschen Tun fällt] von Gott ins Innere eingeschrieben“ (Apol. IV, 7). Nicht freilich „identisch“ sind die zehn Gebote „mit dem angeborenen natürlichen Gesetz“; denn jene gebieten weit mehr als dieses Gewissen, „nicht nur äußere bürgerliche Werke, sondern auch anderes, weit über die Vernunft Hinausgehendes“ (Apo. IV, 8), nämlich das rechte Herz und Handeln gegen Gott. Auch kann die Vernunft die äußerlichen, bürgerlichen guten Handlungen nur „einigermaßen“ zustande bringen, weil sie oft durch natürliche Schwachheit und durch des Teufels Anreizung zu Schandtaten besiegt wird (Apol. IV, 23). Doch aber wird jene „bürgerliche Sittlichkeit“, wie sie z.B. von Aristoteles in vorzüglicher Weise gelehrt ist, von Gott gefordert. „Denn er will die Fleischlichen durch jene bürgerliche Zucht in Schranken gehalten haben. Auch ehrt Gott die Gerechtigkeit mit leiblichen Belohnungen.“ Dieses natürliche Recht oder Naturrecht hat aber seine Bedeutung eben darin, dass es Gott in der Schöpfung dem Menschen ins Herz geschrieben hat, es also universale, objektive Relevanz hat, weshalb auch die Heiden darauf angesprochen werden können, weil auch sie es wissen müssten (Röm. 2,14-15) und daher schuldig sind vor Gott, wenn sie es nicht gehalten haben. Und die Zehn Gebote, wie Mose sie uns gegeben hat, gelten ja nur allgemein insofern, als sie das natürliche Recht wiedergeben, das aber eben die Gebote es am Klarsten darlegen[101].[102] Zusammenfassend besagt es: Gott über alles fürchten und lieben; den Nächsten lieben; ihm das tun, was man will, dass er einem tut und will ausgelebt werden in den Grundordnungen Familie und Arbeit, Kirche, Staat und darin in den vielfältigen Lebensständen.[103] Doch ist solche „philosophische oder wenigstens pharisäische Gerechtigkeit“ etwas ganz anderes als „die christliche“ (Apol. IV, 14.16.22 ff.). Diese erwächst nicht auf natürlichem Boden.

 

c. Ihre Entstehung

 

    In verschiedener, jedoch sachlich gleicher Weise beschreibt die Apologie die Entstehung der wahren Sittlichkeit. Häufig begnügt sie sich mit der Angabe, der Heilige Geist wirke sie; wie auch Luther manchmal verfährt (z.B. Erl. Ausg. 14, 182 f.; vgl. dazu Wilhelm Walther: Die christliche Sittlichkeit nach Luther, S. 46 ff.). „Weil der Glaube den Heiligen Geist bringt und ein neues Leben in den Herzen schafft, kann es auch nicht anders sein, als dass er neue geistliche Bewegungen in den Herzen schafft. Und welches diese Bewegungen sind, zeigt der Prophet, wenn er sagt: Ich will mein Gesetz in ihre Herzen geben. Nachdem wir also durch den Glauben gerechtfertigt und wiedergeboren sind, fangen wir an, Gott zu fürchten, zu lieben, zu bitten und von ihm Hilfe zu erwarten, zu danken und zu preisen und in Leiden gehorsam zu sein. Wir fangen auch an, den Nächsten zu lieben, weil wir die geistlichen und heiligen Bewegungen haben.“ (Apol. IV (III), 4.) Hier wird die enge und entscheidende Verbindung zwischen Rechtfertigung und Heiligung deutlich, von der die Apologie mehrfach spricht. Denn der rechtfertigende Glaube, den der Heilige Geist durch das Evangelium wirkt, ist eben kein bloßer Gedanke, sondern bringt dann, als seine Frucht und Folge, zugleich auch den Anfang der Erneuerung mit sich. „So wir aber von einem solchen Glauben reden, welcher nicht ein müßiger Gedanke ist, sondern ein solches neues Licht, Leben und Kraft im Herzen, welche Herz, Sinn und Mut erneuert, einen anderen Menschen und eine neue Kreatur aus uns macht, nämlich ein neues Licht und Werk des Heiligen Geistes, so versteht ja männiglich, dass wir nicht von solchem Glauben reden, dabei Todsünde ist, wie die Widersacher vom Glauben reden. Denn wie will Licht und Finsternis beieinander sein? Denn der Glaube, wo er ist und dieweil er da ist, gebiert er gute Frucht, wie wir darnach sagen wollen.“ (Apol. IV, 64 f.) Ja, die Heiligung kann überhaupt nur geschehen, wenn zuvor der Mensch von Christus durch seinen Geist wiedergeboren, mit dem rechtfertigenden Glauben beschenkt wurde. „Dieses alles kann nicht geschehen, ehe wir durch den Glauben gerecht werden, ehe wir neu geboren werden durch den Heiligen Geist. Denn erstlich kann niemand das Gesetz halten ohne die Erkenntnis Christi, so kann auch niemand das Gesetz erfüllen ohne den Heiligen Geist. Den Heiligen Geist aber können wir nicht empfangen als durch den Glauben, wie zu den Galatern im 3. Kapitel, Vers 14 Paulus sagt, dass wir die Verheißung des Geistes durch den Glauben empfangen.“ (Apol. IV (III), 5 f.) Wenn er aber den Glauben wirkt, dann bringt er auch seine Gaben mit, durch die er den Menschen neu gestaltet, denn der rechte Glaube kann gar nicht ohne Folge, Frucht sein, so, wie ein gesunder Baum nicht ohne Frucht sein kann. „Ebenso wirkt er auch andere Gaben, Liebe, Danksagung, Keuschheit, Geduld usw. Darum vermag das Gesetz niemand ohne den Heiligen Geist zu erfüllen, darum sagt Paulus: Wir richten das Gesetz auf durch den Glauben und tun’s nicht ab; denn so können wir erst das Gesetz erfüllen und halten, wenn der Heilige Geist uns gegeben ist.“ (Apol. IV (III), 11.) „Und wir setzen noch dazu, dass es unmöglich sei, dass rechter Glaube, der das Herz tröstet und Vergebung der Sünden empfängt, ohne die Liebe Gottes sei.“ (Apol. IV (III), 22.) All ihre Kraft und Gutheit haben die Werke vom Glauben empfangen.[104] Denn: Es geht eben bei den guten Werken, den Werken, dem Leben, das Gott wirklich wohlgefällig ist, nicht um das äußere Handeln, nicht um die äußere Übereinstimmung mit dem Buchstaben des Gesetzes, sondern es geht immer um die Herzenshaltung, um die Motivation, ob es aus Liebe zu Gott und zum Nächsten geschehen ist oder nicht. Denn nur das, was aus dieser Liebe geht, kann Gott gefallen. (Dabei merkt auch der Christ, dass er nicht ein einziges vollkommenes Werk tun kann, weil bei allem immer noch seine Selbstliebe und anderes Sündiges dabei ist.)[105] Damit ist auch klar, dass echte christliche Diakonie, wie wir sie schon in der frühen Gemeinde finden, nur von Gläubigen ausgeübt werden kann.

    Dieses umfassende Wirken des in uns wohnenden Christus durch seinen Geist soll man sich aber nicht als magisch vorstellen, wozu die Katholiken und die Reformierten neigen. Daher sucht die Apologie diesen auf der Einwirkung des Geistes beruhenden Vorgang psychologisch zu vermitteln. Das durch die vom Heiligen Geist gewirkte Sündenerkenntnis erschreckte Herz sehnt sich nicht nur nach „Vergebung der Sünde“, sondern auch nach „Befreiung von der Sünde“; es möchte also nicht mehr sündigen (Apol. IV (III), 21 ff.). Zu diesem Negativen kommt dann durch das gläubige Ergreifen der Vergebung das Positive: Das erschreckte Gewissen „schöpft Trost, der es aufrichtet“, und dieses Getröstetwerden ist „ein neues und geistliches Leben“ (Apol. IV, 62), es bewirkt „Friede und Freude und ewiges Leben“ (Apol. IV, 100). Dadurch „erwachsen im Herzen weitere geistige Bewegungen, Erkenntnis Gottes, Furcht Gottes, Hoffnung, Liebe zu Gott“ (Apol. IV (III), 230). Damit hat Melanchthon in seiner Weise den von Luther oft ausgesprochenen Gedanken wiederholt, dass die Freude über das in der Rechtfertigung von Gott Empfangene, das Bewusstsein, das ewige Leben zu besitzen, uns innerlich umwandelt, so dass wir Gottes Willen tun wollen und können (vgl. z.B. Erl. Ausg. 33,110; 7,167). Endlich formuliert die Apologie das Gleiche so: Wenn wir „im Glauben die Barmherzigkeit ergriffen haben“, dann „wird uns Gott liebenswertes Objekt“ und „wird von uns geliebt“ (Apol. IV (III), 8). „Der Glaube geht voran, die Liebe folgt.“ (Apol. IV (III), 20). Die Liebe Gottes, die wir im Glauben erfahren haben, erzeugt Liebe zu Gott, also die wahre Sittlichkeit. So gibt Melanchthon die Gedanken Luthers wieder: „Der Glaube alsobald mit sich bringt die Liebe.“ Denn „durch den Glauben erkenne ich, wie lieb Gott mich hat … So ist es nicht anders möglich, ich muss ihn darum lieb haben und ihm hold sein.“ (Erl. Ausg. 16,127; 15,40). Dieses liebende Erbarmen Gottes in Jesus Christus wirkt als Frucht, als Antwort der Liebe des Christen, „dass wir unsere Leiber begeben zu einem Opfer, dass da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist, welches sei unser vernünftiger Gottesdienst“ (Röm. 12,1). Dieses „Opfer des Leibes“ beschreibt, wie Vers 2 bekräftigt, die Hingabe des ganzen Ich, der ganzen Person, die völlige Selbstverleugnung, die Hingabe an Christus, die allerdings einmal grundsätzlich erfolgen muss, das Festmachen dessen, was Christus uns gegeben hat, um dann täglich entfaltet, umgesetzt zu werden im täglichen Kampf gegen die Sünde, im täglichen Sterben des alten Ich, täglicher Erneuerung, täglichem Leben aus der Vergebung, in guten Werken. „So lehrt auch St. Petrus 1. Ep. 2,5: ‚Ihr sollt opfern geistliche Opfer‘, das ist, nicht Schafe noch Kälber, wie im Gesetz Moses, sondern euren eigenen Leib und euch selbst, durch Tötung der Sünde im Fleisch und Kasteiung des Leibes. Das tut niemand, als der zuvor gläubig ist.“ (Walch XI, 273.) Es sind also Glaube und Liebe, Rechtfertigung und Heiligung unzertrennlich miteinander verbunden. Die wahre Sittlichkeit ist nichts anderes als die Erweisung des durch die Rechtfertigung geschaffenen neuen Lebensstandes, wobei aber die Rechtfertigung immer im Zentrum bleibt. In der Sittlichkeit wird dabei alles durch die Liebe regiert. „Alles, was Gott gebietet und haben will, ist die Liebe.“[106] Die Liebe, die hier gemeint ist, die agapee, die aus der Liebe Gottes kommt, hat keinerlei eigenes Interesse dabei, sucht in keiner Weise das Eigene. „Die Natur der Liebe besteht darin, nicht das Seine zu suchen, sondern das, was des Geliebten ist.“ (Erl. Ausg. Opp. ex. 14, 288.)[107] Dabei besteht aber zwischen der Liebe zu Gott und zum Nächsten ein grundsätzlicher Unterschied: Die Liebe zu Gott vergisst nie den ungeheuren Abstand zwischen Gott und Mensch und ist daher gepaart mit der rechten Ehrfurcht gegenüber dem heiligen, gerechten und doch so barmherzigen Gott.[108] Luther hört daher aus jedem göttlichen Verbot ein Gebot heraus, die Forderung einer Liebeserweisung, wie er auch in den Erklärungen zu den zehn Geboten im Kleinen Katechismus darlegt.[109] Die wahre Sittlichkeit ist also weder, wie bei den Römischen, etwas durch äußere Vorschriften und Drohungen oder Verheißungen Hervorgerufenes, noch auch, wie bei den Reformierten, das Ergebnis eines außer der Rechtfertigung noch erforderlichen zweiten Tuns Gottes. Dies ist das Besondere der lutherischen Ethik, wie Luther in den Schmalkaldischen Artikeln sagt, „dass wir durch den Glauben ein anderes, neues, reines Herz kriegen“ (III, XII). Die große Bedeutung dieser Auffassung erhellt schon aus der Folgerung, „dass kein Glaube da sei, wenn nicht gute Werke folgen“ (Apol. IV (III), 143), oder, falls ein Mensch trotzdem zu glauben meint, „so ist der Glaube falsch und nicht recht“ (Schm. Art. III, XII, 4). Ebenso folgt aus der unlöslichen Verbindung von Glauben und Sittlichkeit, dass ein gläubiger Christ, der wieder direkt böse Werke zu tun, das heißt, mit Überlegung und Wohlgefallen zu sündigen vermag, dann, wenn er so handelt, schon den Heiligen Geist und Glauben verloren hat (Apol. IV (III), 98 ff.; Erl. Ausg. 27,195). All das macht auch deutlich: Die Liebe zu Gott ist keine bloße Gesinnung, kein mystisches Gefühl, sondern Gesinnung und Handeln gehören da zusammen. „Liebe heißt nicht, wie die Sophisten töricht behaupten, den anderen Gutes wünschen, sondern die Lasten des anderen tragen.“ (zu Gal. 3, 456. 76.)[110] Die Liebe zu Gott erweist sich in der Liebe zum Nächsten. „Siehe nur auf den Nächsten, willst du mir die Werke der Liebe erzeigen. Was du dem Menschen tust, das hast du eben mir selbst getan.“ (Erl. Ausg. 17, 260.)[111] Und die Nächstenliebe, und das ist ganz wichtig, erzeigt sich nicht nur in der äußeren Handlung, so, als könne das Herz dabei kalt bleiben, sondern die Taten der Nächstenliebe sollen aus Herzensgrund kommen, wir sollen eine herzliche Liebe zum Nächsten haben und ihm daraus helfen (Erl. Ausg. 8, 74; 51, 439).[112] Gottesliebe und Nächstenliebe gehören zusammen, aber in der rechten Ordnung: Die Gottesliebe ist das Primäre und Bestimmende; es kann keine rechte Nächstenliebe geben, die nicht aus der Liebe zu Gott kommt. Und die Liebe zum Nächsten muss immer der Liebe zu Gott untergeordnet sein. Das macht Luther schon deutlich durch den Anfang der Erklärung zu jedem Gebot: „Wir sollen Gott fürchten uns lieben.“ „Alle anderen Gebote, auch die göttlichen, müssen reguliert werden nach dem ersten Gebot. Wenn sie diesem widersprechen, so sind sie zu kassieren, auch wenn es göttliche sein sollten.“ (WA 14, 610, 12 ff.)[113]

    Die Heiligung oder christliche Sittlichkeit entfaltet sich in den (Lebens-)Ständen, in die Gott einen Menschen hineingestellt hat. Luther unterscheidet dabei drei grundsätzliche Stände, nämlich den Hausstand, der den gesamten wirtschaftlichen Lebensbereich mit umfasst; den kirchlichen Stand, der die kirchlichen Dienste umfasst; und den Wehrstand, der alles umschließt, was zur Regierung und staatlichen Verwaltung gehört. In diesen Ständen, die dann noch weiter die einzelnen Lebensbereiche umschließen, in denen sich das Leben entfaltet, übt der Christ seinen „Beruf“ aus[114], also die verschiedenen Aufgaben, in die er von Gott gesetzt ist, als Vater oder Mutter, Sohn oder Tochter, Regent oder Untertan, Unternehmer oder Arbeitnehmer, Lehrer oder Schüler, Mann oder Frau usw. Im Unterschied zu Rom, das die kirchlichen Amtsträger mit der Zwei-Schwerter-Lehre und seiner Hierarchielehre aus der gesellschaftlichen Ordnung herausgenommen hat, werden sie von Luther wieder in die Gesellschaft eingegliedert, überhaupt die „weltlichen Stände“ aufgewertet. Jeder ist dabei „geistlich“, soweit er aus dem Glauben an Christus und in Verantwortung vor ihm dem Gemeinwohl, dem Nächsten dient.[115] Damit wird auch deutlich, dass Luther und die lutherische Kirche nicht einem extremen Individualismus huldigen, sondern gemäß der Bibel die Eingliederung des Menschen in die von Gott gegebenen sozialen Grundordnungen von Familie, Sippe, Arbeitsunternehmen, Volk und Kirche beachtet als von Gott vorgeordnete Einrichtungen für das menschliche Zusammenleben, durch die er die Welt regiert. Auch wenn diese Einrichtungen Gott zum Urheber haben, so sind doch auch sie von der Sünde in Mitleidenschaft gezogen und stehen unter der Gefahr des Missbrauchs, ja, der Pervertierung.[116]

    Die Nächstenliebe, und auch das ist gerade in der heutigen Zeit wichtig zu betonen, gilt dem Menschen, nicht Pflanzen oder Tieren, denn die Gnade Gottes in Christus gilt seinem Ebenbild, dem Menschen, der allein „befähigt ist, vom Geist ergriffen und von der Gnade Gottes getränkt zu werden, weil er geschaffen ist zum ewigen Leben oder Tode“, im Unterschied von den „Bäumen und Tieren“. (Erl. Ausg. Opp. v.a. 1, 235, 246; 7, 158.)[117] Die Selbstliebe dagegen ist nicht, wie vor Luther und dann wieder im Pietismus behauptet, geboten, denn das steht so nicht im Doppelgebot der Liebe. Denn sie ist vielmehr vorhanden und soll als das beste Bespiel dafür dienen, wie die Nächstenliebe beschaffen sein soll. Dabei ist die Selbstliebe beim natürlichen Menschen nicht gut, sondern muss erst durch die Liebe zu Gott gereinigt und korrigiert werden.[118]

    Die Heiligung vollzieht sich dabei, wie Luther es gerade im vierten Teil des Hauptstücks von der Taufe dargelegt hat, im täglichen Kampf gegen die Sünde, im täglichen Töten des alten Menschen und Aufstehen des neuen – und zwar eben in den Lebensständen, in denen der Mensch lebt, mit dem Ziel, Gott im Nächsten zu dienen, also für andere da zu sein.[119] „Gott hat jedem Heiligen seine besondere Weise und Gnade gegeben, seiner Taufe Folge zu leisten.“[120] Es geht dabei immer darum, nicht nur nicht zu sündigen, sondern vielmehr, die Liebe Gottes am Nächsten zu üben, denn sie zu unterlassen ist die Hauptsünde. „Die Liebe ist die Regel und Meisterin aller Gesetze, welche sich alle müssen lenken nach der Liebe.“[121] Denn „wenn man die Gesetze lehrt und treibt ohne Liebe, da ist kein größer Unrecht, kein elenderer Jammer auf Erden. Denn da ist das Gesetz nichts anderes als eine Plage und Verderben.“[122] Es geht dabei nicht um besondere Werke, die Gott von uns fordere, sondern durch unser Leben, unser Geschlecht, unsere persönlichen Lebensumstände, unseren Beruf stellt er uns in die Verhältnisse und zu den Menschen hinein, bei denen wir die Gottes- und Nächstenliebe betätigen sollen. „Daran hat er Wohlgefallen“, weil er diese „Stände und Ordnungen geschaffen und geordnet hat.“[123] Wer also in dem ihm von Gott zugewiesenen Beruf, wie scheinbar gering er auch von Menschen angesehen ist, und den von Gott mit ihm verbundenen Menschen um Gottes willen dient, der lebt „Gott zu Ehren und dem Nächsten zu Nutz“. Solches Dienen um Gottes willen ist ein rechter Gottesdienst.[124]

 

d. Die fortschreitende Heiligung

 

da. Die Notwendigkeit der fortschreitenden Heiligung

    Nicht nur vom Glauben hat Luther gesagt: „Es ist und bleibt auf Erden nur ein Anheben und Zunehmen“ (Erl. Ausg. 27,188), sondern dieselbe Forderung erhebt er hinsichtlich der Sittlichkeit: Es ist darum getan, dass wir unsere Schwachheit erkennen und immer trachten, dass wir stärker werden. Es ist erst ein Anfang, darin man von Tag zu Tag zunehmen soll. Man soll sich damit arbeiten, solange, bis man stärker und stärker wird.“ (Erl. Ausg. 11, 284.) Ebenso begegnen wir auch schon in der Apologie immer wieder der Mahnung, in den Tugenden zu wachsen (z.B. IV (III), 232; XXVII, 37). Über die Frage aber, weshalb „gute Werke“ notwendig sind, erhob sich ein Streit, als Georg Major, Professor in Wittenberg, 1552 behauptete, „dass gute Werke zur Seligkeit nötig sind“. Deswegen von Flacius, von Amsdorf und Gallus angegriffen, erklärte er sich näher dahin, die guten Werke seien nötig, nicht um die Seligkeit zu erlangen, sondern um sie zu erhalten und nicht wieder zu verlieren. In der Hitze des Streits verstieg sich von Amsdorf zu der Behauptung: „Gute Werke sind zur Seligkeit schädlich“, sich auf Luther berufend, der aber hinzugefügt hatte: „so jemand dadurch gerechtfertigt zu werden sich wollte vermessen“ (Erl. Ausg. 27,188). Im Gegensatz zu jenem missverständlichen und diesem falschen und „ärgerlichen“ Satz erklärte die Konkordienformel in ihrem vierten Artikel „Von guten Werken“ (Kurze Darl. IV; Ausf. Darl. IV) nach einer die nicht strittigen Lehrpunkte zusammenfassenden Einleitung: 1) Objektiv notwendig sind gute Werke, weil sie der „Ordnung des unwandelbaren Willens Gottes, dessen Schuldner wir sind“, entsprechen. Subjektiv geschehen gerade „die rechten guten Werke“ ohne Zwang, „willig oder aus freiwilligem Geist von denen, die der Sohn Gottes befreit hat“, wenngleich auch in ihnen noch das „unwillige und widerspenstige Fleisch“ bleibt, so dass sie es mit seinen Lüsten kreuzigen müssen. Denn nicht in dem Sinn sind die guten Werke frei, als stünde es in unserem Belieben, ob wir sie tun oder lassen sollen. 2) Man darf nicht sagen, die guten Werke seien nötig zur Seligkeit, weil man sie damit einmengen würde in den Artikel von der Rechtfertigung, die mit der Seligkeit allein dem Glauben zugesprochen ist. 3) Auch darf man nicht sagen, die Werke seien nötig, um die Seligkeit oder den Glauben zu bewahren. Wohl gehen der Glaube und die Seligkeit verloren, wenn man ein sündliches Leben führt. Nicht aber wird positiv die Seligkeit erhalten durch die Werke. Vielmehr „ist der Glaube das einzige Mittel, dadurch Gerechtigkeit und Seligkeit nicht allein empfangen, sondern auch von Gott erhalten wird.“. „Wir glauben, lehren und bekennen auch, dass den Glauben und die Seligkeit in uns nicht die Werke, sondern allein der Geist Gottes durch den Glauben erhalte, dessen Gegenwart und Innewohnung die guten Werke Zeugen sind.“ (KF, Kurze Darl. IV, 15.) 4) Schädlich werden die guten Werke nur dann, „wenn man das Vertrauen der Seligkeit darauf setzen will“. Aber ohne diese Hinzufügung sie für schädlich zu erklären, kann nur Zuchtlosigkeit hervorrufen.

    Fehlende gute Werke, fehlende Sittlichkeit weisen hin auf einen fehlenden Glauben. „Inwendig im Geist, vor Gott, wird der Mensch allein durch den Glauben ohne alle Werke gerechtfertigt; aber äußerlich und öffentlich, vor den Leuten und vor ihm selber, wird er rechtfertig durch die Werke, das ist, er wird bekannt und gewiss dadurch, dass er inwendig rechtschaffen gläubig und fromm sei.“ (Erl. Ausg. 13, 304 f.)[125] Denn: Der wahre Glaube ist nicht eine bloße Überzeugung, dass einem Gott gnädig sei, sondern vielmehr Erfassen eines objektiven Tatbestandes, tatsächlich vorhandener Sündenvergebung. Es gibt also auch einen eingebildeten Glauben, eine unberechtigte Heilsgewissheit. Worin liegt da nun der Unterschied zwischen wahrem und eingebildetem Glauben? Gewiss nicht in irgendwelchen frommen Gefühlen oder Stimmungen oder großer Andacht beim Abendmahl oder dem Lesen des Wortes Gottes oder dem Singen christlicher Lieder, auch nicht ein „frohes Lebensgefühl. Luther lässt nur ein Kennzeichen gelten: „Auf dass wir uns nicht betrügen und auf falschen Glauben verlassen, fordert Gott, dass wir lieben und den Glauben beweisen, auf dass wir gewiss werden, dass wir recht glauben.“ Denn „ob’s wohl wahr ist, dass wir durch den Glauben alles haben und erlangen: Aber wo wir nicht auch den Glauben scheinen lassen durch die Liebe, so wird es gewiss nicht sein, sondern ein lauter falscher Traum von Glauben, damit du dich selbst betrügst. Darum siehe auf deine Früchte. Und wo die nicht rechtschaffen sind, tröste dich nur nicht deines falschen Wahns vom Glauben und der Gnade.“ (Erl. Ausg. 8, 122; 18, 330.)[126] „Es ist kein Glaube, was nicht das Herz verändert, einen neuen Menschen erzeugt, sondern ihn in seinem früheren Meinen und Wandel lässt.“ (Luther zu Gal. 2,1 f.)[127] „Denn wenn man von dem Glauben redet, wie er gerecht mache, so ist St. Pauli Lehre, dass der Glaube allein gerecht mache ohne Werke, indem er uns den Verdienst Christi, wie gesagt, appliziert und zueignet. Wenn man aber fragt: Woran und wobei ein Christ entweder bei sich selbst oder an anderen erkennen und unterscheiden möge einen wahren lebendigen Glauben von einem gefärbten toten Glauben, weil viele faule sichere Christen sich einen Wahn vom Glauben einbilden, da sie doch keinen wahren Glauben haben: Darauf gibt die Apologie diese Antwort: Jakobus nennt toten Glauben, wo nicht allerlei gute Werke und Früchte des Geistes folgen. Und auf solche Meinung sagt die lateinische Apologie: … St. Jakobus lehrt recht, da er verneint, dass wir durch einen solchen Glauben gerechtfertigt werden, der ohne die Werke ist, welches ein toter Glaube ist.“ (KF, Ausf. Darl. III, 42.)  Das macht auch deutlich: Es gibt zwar unbedingt eine klare Unterscheidung zwischen Rechtfertigung und Heiligung, aber es darf keine Scheidung der Heiligung von der Rechtfertigung geben als verschiedenen „Stufen“ des Christseins oder als etwas, das zeitlich auseinanderliegende Akte wären. Es gibt vielmehr nur eine Heiligung, die durch den Heiligen Geist im wahren Glauben, welche uns sowohl objektiv wie auch subjektiv gerecht oder heilig macht.[128] Daher hat Luther auch mit Bedacht den dritten Glaubensartikel im Kleinen Katechismus überschrieben „Von der Heiligung“. Dabei geht es aber nicht nur um die äußeren Werke an sich, da sich da sowohl ein Christ als auch ein Nichtchrist sehr täuschen kann. Kann doch auch ein Nichtchrist äußerlich (bürgerlich) gute Werke vollbringen, die aber nur den Schein haben, gute Werke zu sein, aber von Gott nicht angenommen werden, weil das Entscheidende fehlt, was nur der Glaube haben kann: die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Und merkt jemand, der ein Christ sein will, dass ihm die Liebe noch fehlt, so erkennt er auch, dass sein Glaube nur eingebildet ist.[129]

    Was ist aber unter dem „inneren“ und „äußeren Zeugnis des Heiligen Geistes“ zu verstehen? Nicht das bloße Fürwahrhalten der reinen Lehre und der fleißige Gebrauch der Gnadenmittel; nicht ein „Gefühl der Begnadigung“ und die „Meidung der Welt“, denn die Gefühle sind trügerisch und die Meidung irgendwelcher Einzeldinge kann der Nichtchrist ebenso; auch nicht ein Prüfen des „Fortschritts“ in der Heiligung, sondern es geht darum, ob das Wirken des Heiligen Geistes überhaupt zu erkennen ist..[130] Das Zeugnis des Heiligen Geistes wird gegeben durch die Liebe, und zwar zu Gott und zum Nächsten. „Du hast auch äußerliche Zeugnisse und Wahrzeichen, dabei du erkennst, dass der Heilige Geists in dir wirkt: Dass du glaubst an Christus von Herzen und den dreieinigen Gott in solchem Glauben anrufst und von ihm Hilfe erwartest; dass du Lust und Liebe hast zu seinem Wort, dasselbe vor aller Welt bekennst mit Gefahr Leibes und Lebens; ebenso dass du dem gottlosen Wesen und Sünden feind werdest und widersteht usw., welches alles nicht tun noch vermögen die Unchristen, so den Heiligen Geist nicht haben.“ (Erl. Ausg. 9, 179.)[131] Auch die Freude in Christus gehört zu den Früchten des Geistes und bleibt auch unter äußerem Leid und Not. „Das Kreuz bewährt alles. Der Gottlosen Freude übersteht dieses Kreuz nicht. Eine andere Frucht, die folgt ist … gottlose Fabeln verabscheuen, Verleumdungen, Obszönitäten und ähnlichen Schmutz der Welt.“ (Erl. Ausg. Opp. ex. 14, 266 f. vgl. noch Opp. ex. 13, 162; 14, 242; 15, 10 ff.)[132] (inneres Zeugnis des Heiligen Geistes.)

    Wie die Liebe zu Gott, so sind auch die Ausdrücke der Liebe zum Nächsten Kennzeichen des Wirkens des Heiligen Geistes am Herzen des Menschen. „Findest du es so, dass du deinem Feind hold seiest und dich deines Nächsten annehmest und helfest ihm, seinen Jammer und Leid tragen, so geht es recht.“ (Erl. Ausg. 11, 183.)[133] Zu den wichtigen und sicheren Zeichen gehört auch das Vergeben, wie Gott uns vergeben hat, also willig, ohne Bitterkeit im Herzen zurückzulassen, völlig, also das erfahrene Unrecht vergessen. Denn das ist dem natürlichen Menschen unmöglich.[134] (äußeres Zeugnis des Heiligen Geistes: sittliche Veränderung.) Warum brauchen wir diese Zeugnisse des Heiligen Geistes? Weil auch der Glaube in diesem Leben noch nicht vollkommen ist, sondern immer noch angefochten, wir seine Mangelhaftigkeit oft fühlen und wir uns auch prüfend vergewissern sollen, dass wir uns den Glauben nicht einbilden.[135]

    Letzte Gewissheit aber hat der Christ nie aus seinen Werken, seiner Liebe, weil er deren Unvollkommenheit immer erkennen muss, sondern allein daraus, dass er sich gerade wegen seiner Sünden, seiner mangelhaften Werke, seiner mangelhaften Liebe an Christus, sein blutiges Leiden und Sterben, sein vollbrachtes Erlösungs- und Versöhnungswerk hält. Der Sünder kann umgekehrt aus dem Fehlen der Liebe erkennen, dass ihm der rechtfertigende Glaube noch fehlt. „Denn wer nicht liebt, das ist ein gewisses Anzeichen, dass er nicht gerechtfertigt, sondern noch im Tod sei oder die Gerechtigkeit des Glaubens wiederum verloren habe.“ (KF, Ausf. Darl. III, 27.) Aber der Christ setzt seine Gewissheit nicht auf sich selbst, seinen Glauben, seine Werke, seine Liebe, sein Voranschreiten im Glauben, seine Erfahrungen, die er macht, sondern allein auf Jesus Christus, seinen Retter.

    Daraus, dass unser Heil allein in Gottes Hand liegt, zu schließen, dann könne der einmal Bekehrte, Wiedergeborene nicht mehr verloren gehen, wäre völlig falsch. Die Gefahr ist vielmehr gegeben, das wieder zu verlieren, was Gott uns gegeben hatte, und dann doch der Verdammnis anheimzufallen. „Denn wir sind noch nicht gar hindurch noch hinüber, da wir hin wollen, sondern gehen noch unterwegs, da wir müssen immer fortfahren in dem angefangenen Kampf wider alle Gefahr und Hindernis, so uns stößt. … Allein, dass wir nicht abfallen und die Gnade von uns schlagen durch Unglauben, Undankbarkeit, Ungehorsam und Verachtung seines Wortes.“ (Erl. Ausg. 9, 13.)[136] Die Seligkeit, die der Gläubige schon hat, kann er also verlieren, wenn er den Glauben wieder verliert. Wodurch kann das geschehen? Nun, der Teufel greift uns vielfältig an, will uns in Irrglauben, Sünde, Misstrauen gegen Gott verführen; Gott lässt Trübsal, Kreuz zu – durch all das sollte der Glauben wachsen. Aber wenn wir nicht mehr den Kampf gegen die Sünde konsequent führen, wenn wir nicht mehr um das Gute eifern, dann ist die Gefahr ganz groß, dass der Heilige Geist betrübt wird und wir willens werden zur Sünde und damit abfallen aus der Gnade. Die Sünde greift zwar an, reizt, will verführen, will wieder herrschen – aber wir dürfen sie nicht herrschen lassen, daher auch nicht mit ihr spielen. Es gilt, stets dem Trieb des Heiligen Geistes, dem Wort Gottes, zu folgen, der Sünde aber nicht folgen, sich nicht von ihr überwältigen lassen, sondern ihr widerstehen und sie ausfegen. Und dann, wenn man ihr doch gefolgt ist, unbedingt konsequent wieder umkehren, Buße tun, die Sünde Gott bekennen, sich von ihr trennen, die Vergebung Christi ergreifen. Wer dennoch, obwohl er in der Sünde bleibt, meint, noch in der Gnade zu stehen, wird spätestens beim Sterben merken, dass er kein freudiges Herz dabei hat.[137] Der Abfall geschieht dann, wenn der Wille sich für das Böse entschieden hat, da die Liebe zur Sünde die Liebe zu Gott verdrängt. „Wenn die heiligen Leute etwa in öffentliche Sünde fallen, wie David in Ehebruch, Mord und Gotteslästerung, alsdann ist der Glaube und Geist weggewesen. … Tut die Sünde, was sie will, so ist der Heilige Geist und Glaube nicht [mehr] dabei.“ (Erl. Ausg. 25, 195.)[138] Die Gefahr der fleischlichen Sicherheit ist leider immer da, nämlich dass an die Stelle des herzlichen Glaubens ein äußerliches Ritual tritt, bei dem man sich irgendwo vielleicht noch als Sünder weiß, noch die Bibel liest, in den Gottesdienst geht, das Abendmahl empfängt – und doch nicht mehr mit dem Herzen dabei ist, nicht mehr von Gottes Gesetz sich richten lässt, keine wahre Reue mehr hat, keine tägliche Sündenerkenntnis, Umkehr und Vergebung und so meint, doch von Gott angenommen werden zu müssen wegen der äußeren Rituale. Dagegen hilft nur aufrichtiges Gebet um ständige rechte Sündenerkenntnis, Reue, Umkehr, Vergebung, konsequenter täglicher Gebrauch der Bibel, Besuch des Gottesdienstes, Empfang des Abendmahls und ein Leben aus der Liebe Gottes in einem Glauben, der wieder in der Liebe tätig ist.

    Diese Sätze ergeben nun auch, dass die wahre Sittlichkeit eine fortschreitende sein muss. Ist sie Gottes unwandelbarer Wille und bleibt auch in den Gerechtfertigten das sündige Fleisch, so wird Gottes Wille auf Erden niemals vollkommen erfüllt, sondern dies bleibt das Ideal, dem der Christ immer näher kommen soll. Der Glaube muss beständig gemehrt werden, soll er nicht zurück gehen. „Das sollte aller Christen einiges Werk und Übung sein, dass sie das Wort und Christus wohl in sich bildeten [und dadurch] solchen Glauben stetig übten und mehrten.“ „[Denn] wo der Glaube nicht immer geübt und getrieben wird, so nimmt er ab, dass er wohl erlöschen müsste.“ (Erl. Ausg. 27, 188; 14, 253.)[139] Der Gläubige steht deshalb im täglichen Kampf und muss wachsen, damit nicht schwerere Kämpfe ihn später überwältigen, weil er, wie Luther es usdrückte, „Gerechter und Sünder zugleich ist, ganz gerecht nach dem neuen Menschen, ganz sündig nach dem alten Menschen, weil das alte sündige Ich, der „alte Adam“, immer noch vorhanden ist und auch nie besser wird, genauso sündig ist wie bei den Nichtchristen. „Wenn man einen Christen ansieht nach dem Glauben, so ist er lauter und rein. Denn das Wort Gottes hat nichts Unreines an sich, und wo es ins Herz kommt, dass es daran hängt, so muss es dasselbe auch gar rien machen. … Weil aber der Glaube im Fleisch ist und wir noch auf Erden leben, so fühlen wir zuzeiten böse Neigung, wie Ungeduld und Furcht des Todes. Das sind alles noch Gebrechen des alten Menschen. Denn der Glaube ist noch nicht gar durch gar durchwachsen, hat nicht vollkommen Gewalt über das Fleisch.“ (Erl. Augs. 51, 404 f.)[140] Darum gibt es auch kein einziges vollkommenes Werk des Christen, sondern jedes Werk ist eine Mischung. „Ein gutes Werk, auf das allerbeste getan, ist dennoch eine tägliche (läßliche) Sünde.“ (Erl. Ausg. 24. 135. 139.)[141] Darum braucht, wie Luther es im vierten Teil des Hauptstücks von der Taufe schon im Kleinen Katechismus ausgeführt hat, auch der Christ dies tägliche Leben aus der Taufe, das heißt, dass das, was grundsätzlich in der Taufe geschehen ist, nämlich dass der alte Mensch mit Christus gekreuzigt, in den Tod gegeben wurde und ein neuer Mensch mit Christus hervorkam, nun auch täglich praktiziert wird im täglichen Kampf gegen die Sünde, im täglichen Töten des alten Ich mit seinen Lüsten und Begierden, in täglicher Sündenerkenntnis, Reue, Umkehr, Ergreifen der Vergebung, täglicher Erneuerung der Hingabe an Christus, des willentlichen Ja zur Nachfolge Jesu Christi als dem Erlöser und Herrn, was jeder Christ, wenn er sich seiner Rechtfertigung bewusst geworden ist, als dankbare Frucht derselben grundsätzlich festmachen sollte (Röm. 12,1; 2. Kor. 5,14-15; 2. Petr. 1,10). Das ist die tägliche Buße oder Bekehrung, ohne die niemand auf Dauer im Glauben, in der Gnade Gottes bleiben kann (siehe auch Luthers erste der 95 Thesen). Diese Buße des wiedergeborenen Sünders unterscheidet sich von der Anfangsbuße, die zur Bekehrung, zum rettenden Glauben führt, dadurch, dass sie weniger aus Angst vor der Strafe durch Gott erfolgt, als vielmehr aus der Liebe zu dem Gott, der in Liebe und Erbarmen sich mir zugewandt, sich selbst für mich am Kreuz dahingegeben und so mich erlöst hat und nun in Gemeinschaft mit mir leben will. „Zum andern ist’s gewiss, dass auch diejenigen, so durch den Glauben und Heiligen Geist neu geboren sind, doch gleichwohl noch, so lange dieses Leben währt, nicht gar rein sind, auch das Gesetz nicht vollkommen halten. Denn wie wohl sie die Erstlinge des Geistes empfangen, und wiewohl sich in ihnen das neue, ja, das ewige Leben angefangen, so bleibt doch noch etwas da von der Sünde und bösen Lust und findet Das Gesetz noch viel, dass es uns anzuklagen hat. Darum, obschon Liebe Gottes und gute Werke in Christus sollen und müssen sein, sind sie dennoch vor Gott nicht gerecht um solcher ihrer Werke willen, sondern um Christi willen durch den Glauben.“ (Apol. IV (III), 39 f.) Weil der Christ Gerechter und Sünder zugleich ist, darum braucht er auch, nach dem alten Menschen, noch das Gesetz. „Den Gebrauch des Gesetzes recht zu verstehn, musst du den Menschen in zwei Stücke teilen und die beiden wohl unterscheiden, nämlich in den alten und den neuen, wie ihn St. Paulus geteilt hat. Den neuen Menschen lass uns gar unverworren mit Gesetzen; den alten treibe ohne Unterlass mit Gesetzen und lass ihm nur keine Ruhe davon. So hast du es recht und wohl gebraucht.“ (Erl. Ausg. 51, 294.)[142] Er braucht das Gesetz aber auch, um den Willen Gott richtig zu erkennen, weil die noch vorhandene Sünde auf die erneuerte Vernunft noch trübt, so dass auch der Christ nicht immer weiß, was Gottes Wille ist, wenn er nicht vom Gesetz unterrichtet wird, das ihm nun aber nicht mehr Zwang ist, sondern das er ja aus Liebe zu Gott gern erfüllen will. Ebenso ist sein innerer Antrieb nicht immer so, wie er sein soll; daher muss er von dem fordernden Gotteswillen, samt seinen Strafandrohungen und Verheißungen angespornt werden.[143] Luther nennt solche Werke „Werke der Gnade“: „Sie sind die, welche im Glauben geschehen, indem der Heilige Geist den Willen des Menschen bewegt und neu macht. Aber es istd notwendig, dass sie auch durch das Wort und das äußere Zeichen [das Sakrament], d.h. durch Drohungen und Verheißungen ermahnt und angespornt werden.“ (Erl. Ausg. Opp. v.a. 4, 395.)[144] Allerdings, das muss auch bedacht werden: Der Glaube wird zwar in den Kämpfen bewährt, gefestigt, geübt – aber wirklich gemehrt, dass er immer besser weiß, wie er kämpfen muss, wird er nur durch Gottes Wort, durch das er auch entstanden ist. „Der Glaube nimmt zu und wird geübt durch das Wort Gottes.“ (in Gal. 1, 101.)[145] So sollen alle Tugenden des Wortes auch der Seele Eigentum werden. Und das heißt immer klar erkennen „du müsstest mit alle dem, was in dir ist, ewiglich verderben“, daher „das andere Wort von seinem lieben Sohn Jesus Christus, in den wir uns mit festem Glauben ergeben und auf den wir frisch vertrauen sollen.“[146] Das Werk und die Kämpfe des Glaubens lehren, dass es unmöglich sei, aus eigenen Kräften ein gutes Werk zu denken, geschweige denn anzufangen und zu vollbringen“.[147] Darum lässt Gott auch „seine Heiligen unterweilen straucheln und leiden, dadurch ihr Glaube gestärkt und gemehrt werde und [zwar dadurch, dass] sie ihre Schwäche erkennen“ (Erl. Ausg. 13, 259), was selbst bis zu Schmach, Krankheit, Armut, Tod gehen kann – und dennoch an Gottes Güte festhalten.[148] Alle Kämpfe, alle Anfechtungen, aller Kampf gegen die Sünde kann daher nur geführt werden und zur Stärkung und Mehrung des Glaubens beitragen, wenn er durch das Gebet und den Rückgriff auf das Wort Gottes geführt wird. „Darum ist solch euer Leiden nicht die Reinigkeit [Reinigung] selbst; aber doch dient es insofern dazu, dass es den Menschen treibet, dass er das Wort desto besser und stärker fasse und halte und so der Glaube dadurch geübt werde.“ (Erl. Ausg. 49, 275. 277.)[149] Und zwar gilt es vor allem, Christus immer besser zu erfassen, als den, durch den wir Vergebung der Sünden haben und der Kraft gibt, das Gesetz zu erfüllen. Das also meint das Zunehmen des Glaubens „durch Werke“: Nicht, dass das sittliche Handeln an sich den Glauben mehrt, sondern dass dadurch der Glaube getrieben wird, „Christus in sich zu bilden“, nichts in sich zu suchen, sondern alles allein in Christus – und ihn durch das Wort. Das stärkt den Glauben.[150] Dieser Kampf, dieses christliche Streiterleben, ist kein Sprint, kein Mittelstreckenlauf, sondern ein Marathon, der über unser gesamtes Leben geht, und bei dem es darum geht, das Ziel vor Augen zu haben und zu erreichen: die Krone der Gerechtigkeit, des Lebens, die ewige Herrlichkeit bei Jesus Christus.

    Von „überschüssigen Werken“ kann daher keine Rede sein. Was Rom dafür ausgibt, ist entweder von Gott gefordert, muss also getan werden, wie etwa die Weisung, sich nicht selbst zu rächen (Augsb. Bek. XXVIII, 54), oder es ist nicht von Gott gefordert, also gegen Gottes Willen, wie etwa der Zölibat aller Priester (Augsb. Bek. XXIII, 8). Ebenso wenig erreicht jemand auf Erden Sündlosigkeit, die die Wiedertäufer und Methodisten und etliche Pfingstler für möglich hielten bzw. halten (Augsb. Bek. XII, 7), und zwar deshalb nicht, weil niemand Gott vollkommen fürchtet oder liebt (Apol. IV (III), 46). Wenn daher Paulus Röm. 7,14 ff. den Kampf zwischen Geist und Fleisch schildert, so meint er damit nicht die Art des Unbekehrten, sondern seine eigene Beschaffenheit (Schm. Art. III, III, 40; KF; Ausf. Darl. VI, 8). Will man also überhaupt von christlicher „Vollkommenheit“ reden, so besteht diese nicht in einem Vollkommensein des Lebens, sondern in einem Vollkommenwerden des Lebens. In einem ganz anderen Sinn können wir allerdings von christlicher Vollkommenheit reden, nämlich im Blick auf die Rechtfertigung. Die unterliegt keinem Wachstum, sondern sie ist sofort vollständig gegeben. Gemäß der Rechtfertigung sieht uns Gott ganz rein, sündlos, gerecht an – allein um Christi Verdienst willen. Diese Vollkommenheit ist aber eben keine qualitative, sondern eine erklärte. Nach der „Vollkommenheit des Lebens sollen wir alle streben, das heißt, dass wir wachsen in der Furcht Gottes, im Glauben, in der Liebe zum Nächsten und ähnlichen Tugenden (Apol. XXVII, 37). Soweit also der Gläubige noch nicht durch den Glauben neu geworden ist, soweit bedarf er noch der Ermahnung zu guten Werken. So erklärt sich auch ein Unterschied zwischen dem Augsburger Bekenntnis und der Apologie einerseits und der Konkordienformel andererseits. Jene sind vorwiegend für die römischen Gegner geschrieben, die der evangelischen Lehre vom Glauben eine Untergrabung der Sittlichkeit vorwarfen. Daher wird gegen sie vorwiegend hervorgehoben, dass aus dem Glauben von selbst die guten Werke hervorgehen. Die Konkordienformel dagegen ist für die Evangelischen berechnet, unter denen die Neigung, im Vertrauen auf ihren Glauben sich von der Sittlichkeit zu verabschieden, schon hervorgetreten war. Daher erklärt sie für „nicht weniger nötig, die Leute zu christlicher Zucht und guten Werken zu ermahnen“ (KF, Kurze Darl. IV, 18). In diesem Sinn behandelt sie auch die Frage, ob das Gesetz auch für den Gläubigen noch eine Bedeutung habe, die durch einen neuen antinomistischen Streit nach Luthers Tod wieder aufgerollt worden war. Seinerzeit hatte Agricola den Wert der Gesetzespredigt für die Bekehrung geleugnet (s. S. 128 f.), in Verbindung mit dem majoristischen Streit (s. S. 163) handelte es sich um die Bedeutung des Gesetzes für die Bekehrten. Andreas Poach in Erfurt, Anton Otto in Nordhausen und andere wollten nur Luthers Lehre aufrecht erhalten mit ihrer Behauptung, dass „nicht das Gesetz, sondern allein der Glaube an Christus sowohl zur Rechtfertigung wie zu den guten Werken nützlich und notwendig sei“. Sie ließen aber nicht genügend zur Geltung kommen, was Luther schon im Kampf gegen Agricola so formuliert hatte: „Soweit Christus in uns [den Gläubigen] noch nicht auferweckt ist, soweit sind wir noch unter dem Gesetz, der Sünde und dem Tod; daher muss das Gesetz sowohl den Frommen als den Gottlosen gelehrt werden.“ (Erl. Ausg. Opp. var. arg. 4,439, Th. 41 f. 35.) Deshalb handelt die Konkordienformel im Artikel 6 „Vom dritten Gebrauch des Gesetzes“. Wohl sind die Gläubigen durch den Heiligen Geist innerlich neu geworden und tun daher Gottes Willen ganz freiwillig und ohne jeden Zwang, sind also frei vom Gesetz. Aber es ist in ihnen daneben auch noch der alte Adam, der nicht weiß und nicht will, was Gott von uns habenwill. Insoweit also, als noch das Fleisch in ihnen ist, bedürfen auch sie noch der Belehrung durch das Gesetz, damit sie nicht aufgrund eingebildeter Anregung des Geistes auf „eigen erwählten Gottesdienst verfallen, und damit in ihnen die Sündenerkenntnis erhalten und gemehrt werde, und sie bedürfen der Ermahnung und Drohung des Gesetzes, damit die Abneigung ihres Fleisches gegen das Gute besiegt werde (KF, Ausf. Darl. VI, 20.21.24). Soweit nun die guten Werke des Gläubigen noch durch ds Gesetz erzwungen werden, sind es nicht „Früchte des Geistes“, sondern ebenso wie die Werke der Nichtwiedergeborenen „Werke des Gesetzes“ (KF; Ausf. Daxrl. VI, 16 ff.), das heißt, von dem Gesetz hervorgebracht. Es muss also an dem dreifachen „Gebrauch des Gesetzes“ festgehalten werden, wonach es nützt 1) „zur äußerlichen Zucht gegen die wilden ungehorsamen Leute“, 2) zur Wirkung der Sündenerkenntnis, 3) zur Weisung für die Wiedergeborenen (KF; Kurze Darl. VI, 1). Der von Luther noch hinzugefügte Gedanke, dass trotzdem ein Unterschied bleibe zwischen der Stellung der Ungläubigen zum Gesetz und der Gläubigen, insofern nämlich diese letzteren „nicht mit Verdruss und Unwillen“ wie jene, sondern mit „willigem, fröhlichen Herzen“ sich vom Gesetz beeinflussen lassen (Erl. Ausg. 51, 304), wird in der Konkordienformel vorausgesetzt und ist unbedingt festzuhalten. Auch die Konkordienformel bemerkt, dass die guten Werke der Gläubigen trotz ihrer Unvollkommenheit Gott deshalb angenehm und wohlgefällig sind, weil sie Person durch Christus Gott angenehm ist, die einen steten Kampf gegen den alten Adam führt (KF, Ausf. Darl. VI, 22 f.). Indem die Konkordienformel die Bedeutung des Gesetzes für den Wiedergeborenen auch darein setzt, dass es ihn seine Sünde gründlicher erkennen lehrt, wird auch schon angedeutet.

 

db. Der Weg zum sittlichen Fortschreiten

    Ist der Glaube die Quelle des neuen Lebens und bleibt dieses stets unvollkommen, weil der Glaube unvollkommen bleibt, so gibt es auch keinen anderen Weg zum Fortschreiten in der Heiligung als den der Mehrung des Glaubens. Dieser aber, das Ergreifen der sündenvergebenden Gnade Gottes in Christus, kann nur dadurch wachsen, dass das Bedürfnis nach dieser Gnade durch umfassendere und tiefere Sündenerkenntnis wächst. Daher führt die Apologie auf: Der Glaube muss unter guten Werken, unter Versuchungen und Gefahren befestigt werden und wachsen, dass wir danach sicherer bei uns feststellen, dass Gott uns um Christi willen ansehe, uns verziehe, uns erhöre. Dies wird nicht ohne große und viele Kämpfe gelernt. … Wenn das Gewissen uns entweder alte oder neue Sünden oder unsere natürliche Unreinheit zeigt, … wenn unter den Schrecken wir aufgerichtet werden und Trost schöpfen, wachsen zugleich die anderen geistlichen Bewegungen.“ Daher „fordern wir aufs dringendste gute Werke, da wir lehren, dass dieser Glaube in Buße wachsen muss. Und hierin setzen wir die christliche und geistliche Vollkommenheit, wenn zugleich die Buße und der Glaube in der Buße wächst.“ (IV (III),229 ff.) Wenn hier gesagt wird, der Glaube und damit die Sittlichkeit wachse unter guten Werken und Anfechtungen, so ist dies von Luther übernommen, der schon in der Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ erklärt hatte, der Glaube müsse durch gute Werke und Leiden geübt und dadurch gemehrt werden (Erl. Ausg. Opp. var. arg. 4,248). Dies will sagen: Das ernste Streben nach vollkommener Heiligkeit lehrt uns unseren Rückstand und unsere Ohnmacht immer gründlicher erkennen, und die Leiden drohen unseren Glauben zu erschüttern; infolgedessen kann und soll dieses beides uns dazu treiben, die Gnade Gottes fest zu ergreifen, so dass der Glaube gemehrt wird (vgl. Walther, Die christliche Sittlichkeit nach Luther, S. 127 ff.). Kurz „einzig darauf ist zu sehen, dass der Glaube gemehrt werde“, denn „der Glaube bewährt dies alles“ (Erl. Ausg. a.a.O.), auch das Fortschreiten in der Heiligung.

    Das also ist das eigentliche Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Glauben und christlicher Sittlichkeit, dass diese ganz, auch nach ihrem Maß, abhängig ist vom Glauben, dass aber das jeweilig von dem Glauben hervorgerufene sittliche Handeln zugleich zu einer Mehrung des Glaubens führt, so dass dann auch die Sittlichkeit eine höhere sein kann. Die hieraus sich ergebende Mahnung, dem Antrieb des Glaubens zum sittlichen Handeln Folge zu leisten, wird nun noch verschärft durch die weitere Aussage, dass andernfalls, wenn man, gegen den Antrieb des Glaubens angehend, der Reizung des Fleisches gehorcht, der Glaube und damit Gottes Gnade und das ewige Heil verloren geht. Denn schon das Augsburger Bekenntnis hat gegen die Wiedertäufer die Lehre verworfen, die einmal Gerechtfertigten könnten den Heiligen Geist nicht verlieren (XII, 7). Und häufig spricht die Apologie aus: „Der Glaube bleibt nicht in denen, die ihren Lüsten gehorchen und kann nicht zusammen bestehen mit einer Todsünde.“ (IV (III), 23). Denn der bei den Römischen betonte Unterschied zwischen läßlichen und Todsünden besteht in der Tat, muss aber anders gefasst werden. An sich ist jede Sünde verdammlich, führt also zum Tod, auch jede Sünde des Nichtgerechtfertigten. Nachdem aber bei der Rechtfertigung die Sünde vergeben ist, wird auch die noch übrigbleibende, wider Willen geschehende Sünde um Christi willen vergeben, ist also läßliche Sünde. Es kann aber auch der Gläubige zurückfallen in den Stand des natürlichen Menschen, der die Sünde liebt. Und dann ist diese Sünde Todsünde, das heißt, führt zum Tod, wenn sie nicht noch durch abermalige Reue und Glauben Vergebung findet (KF; Ausf. Darl. XI, 75). Besonders klar drückt sich Luther in den Schmalkaldischen Artikeln aus bei Zurückweisung der Lehre der „Rottengeister“, der Gläubige bleibe trotz all seiner Sünde im Glauben; ein anscheinender Abfall vom Glauben sei nur Beweis dafür, dass noch gar kein Glaube vorhanden gewesen sei. Luther erklärt, dass „die heiligen Leute“ auch in öffentliche Sünden fallen können, wie David in Ehebruch, Mord und Gotteslästerung, und dass dann, wenn sie so handeln können, schon „der Glaube und Geist weg“ sei. „Denn der Heilige Geist lässt die Sünde nicht walten und überhand gewinnen, dass sie vollbracht werde, sondern steuert und wehrt, dass sie nicht darf tun, was sie will. Tut sie aber, was sie will, so ist der Heilige Geist und Glaube nicht dabei.“ (Schm. Art. III, III, 42 ff.)  Wenn also die in dem Gläubigen noch vorhandene böse Lust zum Begehen einer Sünde anstachelt, so treibt der in ihm daneben lebende Glaube und Geist zu deren Abweisung. Dann tritt, mehr oder weniger bewusst, die Überlegung ein, wem man gehorchen will. Entschließt man sich dazu, das „Wehren“ des Glaubens zu missachten, so kann der Glaube nicht fortbestehen. Und dass man die mit seinem Glauben unvereinbare sündliche Tat zu begehen vermag, ist der Beweis, dass nun der Glaube schon weg ist. Dasselbe drückt die Apologie so aus: „Wer die Liebe [zu Gott, die das Gesetz erfüllt] von sich wirft, behält, auch wenn er großen Glauben hat, diesen nicht. Denn er behält nicht den Heiligen Geist“; so „schreibt Paulus denen, die, da sie gerechtfertigt waren, ermahnt werden mussten, dass sie gute Früchte brächten, damit sie nicht den Heiligen Geist verlören.“ (IV (III) 98 ff.)

    Noch auf eine andere Bedeutung der Heiligung für den Glauben weisen Luther und die lutherischen Bekenntnisse hin. Luther sagt beides aus, sowohl, dass der Glaube Gewissheit, Friede und Freude bringe, als auch, dass der Gläubige auch noch Zweifel und Angst kenne; dies letztere eben deshalb, weil der Glaube in uns nie vollkommen ist. Ja, im Gegensatz zu den „Schwärmern“ hat Luther darauf bestanden, nur der „Kampfglaube“ sei rechter Glaube. Zu diesen Kämpfen, in denen sich der Glaube gegen Angriffe behaupten muss, die aber dann, wenn sie siegreich bestanden werden, den Glauben wachsen machen, gehört auch der durch die Schwäche des Glaubens erregte Zweifel, ob man wirklich Glauben besitze. Das peinigende dieser Frage liegt natürlich darin, dass aus ihrer Verneinung folgen würde, wir wären noch gar nicht gerechtfertigt und hätten den Heiligen Geist noch nicht empfangen. Zur Überwindung dieser Anfechtung nun kann es dienen, wenn wir bemerken können, dass doch schon der Heilige Geist an uns gewirkt hat, dass doch schon Früchte des Glaubens an uns zu sehen sind. Diese bezeugen uns, dass wir Glauben, wenn auch schwachen, besitzen. Und auf solche Weise wird unsere Heilsgewissheit, die natürlich im letzten Grund auf Gottes Verheißungen ruht, ihre zeitweilige Ungewissheit überwinden können (vgl. Walther, Die christliche Sittlichkeit nach Luther, S. 104 bis 120 und oben S. 134). Ebenso die lutherischen Bekenntnisschriften. So sehr sie die dem Glauben eignende Heilsgewissheit betonen, reden sie doch auch, und zwar als von etwas Allbekanntem, davon, dass der Gläubige ein „furchtsames Herz“ haben, „sich furchtsam und erschrocken, kalt und schwach befinden“ könne (z.B. Apol. XII, 38; KF, Ausf. Darl. II, 68). Wenn nun das angstvolle Herz sich so fühlt, als habe es nicht wirklichen, sondern nur eingebildeten, toten Glauben, dann kann der Christ an seinen Glaubenswerken erkennen, dass er doch nicht ohne lebendigen Glauben ist (KF, Ausf. Darl. III, 42). Die Gläubigen „empfinden des Geistes Kraft und Stärke in sich selbst“. In diesem Sinn wird Röm. 8,16 verstanden: Der Heilige Geist bezeugt durch das, was er in uns wirkt, dass er in uns vorhanden ist, dass wir also wirklich Kinder Gottes sind. Um zu erklären, warum Christus bisweilen Gottes Gnadenverheißung mit unseren guten Werken, etwa Gottes Vergeben mit unserem Vergeben verknüpft, sagt die Apologie, dadurch solle erstens der eingebildete Glaube sich selbst erkennen lernen und zweitens unser furchtsames Herz Trost gewinnen aus unseren guten Werken. Denn „wie die Taufe und das Mahl des Herrn Zeichen sind, die das furchtsame Gemüt aufrichten und befestigen, dass es fester glaubt, ihm werden die Sünden vergeben, so steht dieselbe Verheißung in den guten Werken geschrieben und gemalt, so dass uns diese Werke ermuntern, fester zu glauben. … Die Frommen umfassen die Verheißungen und freuen sich, dass sie [an ihren Werken] Zeichen und Zeugnisse für eine so große Verheißung haben. Daher üben sie sich in jenen Zeichen und Zeugnissen. …  Der Glaube übt sich [dadurch] mehr und mehr und bekommt Kräfte in solchen Übungen.“ (Apol. IV (III) 154 ff.) Auch deshalb also muss zum Wachsen in der Heiligung ermahnt werden, damit wir unserer Berufung und Erwählung immer gewisser werden.

    Es dürfte nicht leicht zu verstehen sein, wie angesichts all dieser Ausführungen über die Notwendigkeit und Möglichkeit der Heiligung dem Luthertum eine Gleichgültigkeit gegen die Sittlichkeit nachgesagt werden konnte; wie etwa, mit der Erkenntnis der Sünde und Gnade „erscheine die Lebensbewegung, welcher das eigentliche Interesse des lutherischen Geistes gelte, abgeschlossen und könne streng genommen nur immer wieder repetiert werden“; oder: „Bei Luther handelte es sich im Grunde stets nur um die Heilsgewissheit und Seligkeit des Individuums, die aus der Gewissheit der Sündenvergebung sich ergibt, im Verhältnis zu der aber alles übrige nur als der Überschwang der ausströmenden Gottverbundenheit, nur selbstverständliche Folger, nicht wesentlicher Zweck ist.“ Wohl liegt dem lutherischen Geist alles an beständiger Zunahme des bußfertigen Glaubens, dies aber nicht, um „in der Sündenvergebung auszuruhen“, sondern auch deshalb, weil es der einzige Weg zum Wachstum in der wahren Heiligung ist. Denn freilich besteht zwischen der römischen und der reformierten Anschauung einerseits und der lutherischen andererseits der Unterschied, dass nach dieser Gott dem Herrn an der bloß äußerlichen Übereinstimmung des menschlichen Handelns mit seinen Geboten nichts gelegen ist, aber alles an dem Heil der Menschen und darum an dem Glauben und der Liebe und dem daraus hervorgehenden Handeln. Dies ist Gottes „wesentlicher Zweck“, die „Gottverbundenheit“ des Menschen. Wo diese erreicht ist, da hat Gott das gefunden, was in seinen Augen seine „Ehre“ ist, die in dieser Weltzeit keiner Anerkennung von Seiten der Welt bedarf, wohl aber sie seinerzeit finden wird. Folglich kommt es auch nicht darauf an, dass der Mensch sich „Gottes Ehre“ als wesentlichen Zweck setze (vgl. oben S. 30 f. und 35 f.). Auch wenn dem Christen seinem Glauben und seiner Liebe gemäß das „Reich Gottes“ am Herzen liegt, so soll er unter diesem nicht eine äußere „Gottesherrschaft“ oder gar so etwas wie eine Kulturgemeinschaft verstehen, sondern dies, dass Jesus Christus „uns erlöst und frei gemacht von der Gewalt des Teufels und zu sich bringt“; und wer für das Reich Gottes wirken will, soll dahin wirken, „dass ihrer viele zu dem Gnadenreich kommen, der Erlösung teilhaftig werden, durch den Heiligen Geist herzu gebracht.“ (Gr. Kat. III, II, 51 f.) Dies ist nach Luther der „eigentliche Zweck“ Gottes und das höchste Ziel unseres sittlichen Handelns, nicht aber, was man an dem Calvinismus im Unterschied zum Luthertum gerühmt hat, „die Rationalisierung der Ethik zu einem planmäßigen, zusammenhängenden strengen Ganzen der Lebensführung“. Denn nach Luther sagt der wahrhafte Christ: „Ich will gegen meinen Nächsten auch werden ein Christ, wie Christus mir geworden ist.“ (Erl. Ausg. 27, 1065.) Wie man trotz alledem von einem „beständigen Ausruhen in der Sündenvergebung“ bei Luther reden kann, ist schwer verständlich.

 

 

e. Einzelerweisungen der Sittlichkeit

 

ea. Das Verhalten gegen Gott selbst[151]

    „Dieweil der Glaube ein kräftiges, neues, lebendiges Wesen ist, bringt er viel Frucht, tut immer Gutes gegen Gott mit Loben, Danken, Bitten, Predigen und Lehren.“ (Erl. Ausg. 24, 341.)[152] Die Liebe zu Gott, die der Heilige Geist durch das Evangelium schenkt, erzeigt sich nicht nur in der daraus fließenden Nächstenliebe, sondern zuerst einmal im Verhalten gegen Gott selbst, aus Liebe zu ihm, ihn zu ehren, ein „Dienst, der allein Gott geschieht“, „also dass aller Gottesdienst [im engeren Sinn] im Mund steht“ (Erl. Ausg. 14, 86 f.).[153]

    Dies geschieht zuerst und vor allem im Gebet. „Man kann keinen Christen finden ohne Beten, sowenig wie einen lebendigen Menschen ohne Puls, welcher steht nimmer stille, regt und schlägt immerdar für sich, obgleich der Mensch schläft und anderes tut, dass er sein nicht gewahr wird.“ „Denn eines Christen Handwerk ist Beten.“ „Wesen und Natur des Gebets ist nichts anderes als eine Aufhebung des Gemüts oder Herzens zu Gott.“ (Erl. Ausg. 59, 2.)[154]

    Besonders aber will die Liebe zu Gott Gott ehren, ihn daher loben, ihm danken, damit auch „bekennen, dass er aus lauter Gnade und Barmherzigkeit von uns nimmt Sünde, Tod und Hölle und für uns gibt seinen lieben Sohn und uns schenkt seine Güter alle miteinander. Solch Bekenntnis muss ja ihm alle Ehre, Lob und Preis geben.“ (Erl. Ausg. 12, 172.)[155] Das heißt: Nicht haften bleiben an den Gaben, die Gott gibt, sondern allein auf ihn selbst sehen, der sie gibt. „So auch begreift das Hochloben Gottes die zwei Stücke“: „hoch von ihm halten im Herzen“ und „mit der Stimme herausbrechen und so bekennen vor der Welt, wie das Herz von Gott hält inwendig“ (Erl. Ausg. 14, 77 f.).[156]

    „Ebenso ist das Danken ‚der Christen eigentliche Tugend und höchster Gottesdienst, und [sie] tun dasselbe von ganzem Herzen. Welche Tugend sonst kein Mensch auf Erden vermag‘. Denn ‚wer Gott danken will, der muss erkennen und bekennen von Herzen, dass es lauter Gottes Gnaden und Gaben seien, dafür er dankt. Nun kann niemand Gottes Gaben erkennen durch seine Vernunft, sondern der Heilige Geist muss [es] unserem Herzen zeigen.‘“[157]

    Zu diesem Loben und Ehren Gottes zählt auch, sich ganz in Gottes Willen ergeben, und zwar nicht aus Zwang, nicht, weil es sein muss, sondern aus der Liebe zu Gott, die ganz eins ist und sein will mit dem Willen Gottes, was aber im alltäglichen Leben oft nicht rein ist, sondern eines Kampfes bedarf, was zeigt, wie unvollkommen unsere Gottesliebe doch immer noch ist. „Wenn ich Gott liebe, so liebe ich auch seinen Willen. Nun, wenn uns Gott Krankheit, Armut, Schande und Schmach zusendet, das ist sein Wille … Seinen Willen will er mit Lust und Liebe angenommen haben.“ (Erl. Ausg. 14, 8.)[158]

    Aus der Liebe zu Gott folgt auch die „Lust und Begierde, sein heiliges Wort zu hören“. Wie wir also mit Gottes Wort umgehen, wie sehr es uns ein Bedürfnis, eine Lust ist, es zu lesen – oder eben nicht –, zeigt uns auch, wie es um unsere Liebe zu Gott bestellt ist.[159]

    Die Liebe zu Gott aber bringt natürlicherweise auch den Kampf gegen die Sünde mit sich, und zwar nicht zuerst deshalb, weil die Sünde uns von Gott trennt, sondern weil die Liebe zu Gott, das Wohlgefallen damit an Gott auch den Hass gegen all das einschließt, das auch Gott hasst, also gegen das Böse. Und da wir die Sünde in uns selbst finden, müssen wir auch gegen uns selbst, die Sünde in uns, streiten. „Der innerliche Mensch ist mit Gott eins, fröhlich und lustig um Christi willen, der ihm so viel Gutes getan hat. Und besteht all seine Lust darin, dass er wiederum möchte Gott auch umsonst dienen in freier Liebe. Da findet er in seinem Fleisch einen widerspenstigen Willen, der will der Welt dienen und suchen, was ihn gelüstet. Das mag [kann] der Glaube nicht leiden und legt sich mit Lust an seinen [des bösen Willens] Hals, ihn zu dämpfen und ihm zu wehren. Denn weil die Seele Gott [als den Reinen] liebt, wollte sie gern, dass auch so alle Dinge rein wären, zuvor ihr eigener Leib. So geht es, dass ein Mensch seines eigenen Leibes halben nicht müßig gehen und muss viel gute Werke darüber üben, dass er ihn zwinge.“ (Erl. Ausg. 27, 189 f.)[160]

    So ahmen wir auch Christus als Vorbild nach nicht als ein äußerlich gegenüberstehendes Vorbild, sondern weil wir dies Bild von Herzen lieben, allerdings nicht im Sinne einer Kopie (imitatio Christi), sondern im Sinn des Lebens aus der hingebenden, sich verzehrenden Liebe, die Christus uns erzeigte und wir nun zu ihm haben, die sich dann auch in der Liebe zum Nächsten zeigt, an den Christus uns weist. „Weil er uns solche Barmherzigkeit erzeigt, dass wir nicht an Leib und Seele verloren sind, so sollen wir gegen unseren Nächsten auch so tun.“ „Die Liebe tut nun dem Nächsten, wie sie sieht, dass Christus uns getan hat.“ (Erl. Ausg. 14, 50. 393.)[161] Das ist aber eben nur möglich, wenn zuvor und vor allem Christus unser Erlöser ist. „Wenn du nun Christus hast zum Grund und Hauptgut deiner Seligkeit, dann folgt das andere Stück, dass du ihn auch zum Exempel fassest, ergebest dich auch so deinem Nächsten zu dienen, wie du siehst, dass er [Christus] sich dir ergeben hat.“[162]

 

eb. Das Verhalten zum natürlichen Leben im Allgemeinen

    Handelt es sich um die Frage, auch welchen Gebieten und in welcher Weise die christliche Sittlichkeit sich im Einzelnen betätigt, so ist vor allem festzustellen, wie der gläubige Christ über das natürliche Leben und dessen Ordnungen zu denken hat. Fragt es sich zunächst, wie er seine eigene natürliche Beschaffenheit beurteilt, so haben wir schon (oben S. 44 ff.) gesehen, dass er seine Leiblichkeit mit ihren Bedürfnissen und ihren zu deren Befriedigung anleitenden Gefühlen der Lust und der Unlust als von Gott dem Schöpfer gesetzt erkennt, daher das Verlangen nach Befriedigung dieser Bedürfnisse und das hierdurch bewirkte Wohlgefühl als dem Willen Gottes entsprechend ansieht, aber auch um die sündhafte Verzerrung aller Lust und Unlust seit dem Sündenfall weiß und dass er darum auch alle Lust und Unlust an Gottes Wort prüfen und gegebenenfalls über ihr Buße tun muss. Insofern hat auch eine gewisse Askese, wie Fasten zu bestimmten Zeiten, um Gott besser dienen und bestimmte Sünden besser bekämpfen zu können, seine Berechtigung und vor allem das geduldige Ertragen der von Gott auferlegten Leiden und das zur Vermeidung von Sünden notwendige Inzuchthalten des Fleisches durch Mäßigung und Arbeit (Augsb. Bek. XXVI, 30 ff.; Apol. XV, 45 ff.). Denn die Freude an den Gütern dieser Erde ist nicht Sünde, sondern eine Forderung dessen der sie uns geschenkt hat. Wie stark Luther diese natürliche Freude empfunden und von dem Christen gefordert hat, kann schon seine Erklärung des ersten Glaubensartikels in seinen Katechismen lehren (Kl. Kat. II, 2; Gr. Kat. II, I, 13 ff.). Diese einzelnen Aussagen hätte auch ein römischer oder reformierter Christ machen können, aber nicht in dem gleichen Freudenton. Ist es doch, als könnte Luther kein Ende finden, da er einige der „leiblichen und zeitlichen Güter“, die Gott uns schenkt, namhaft machen will. Auch für seinen Leib mit seinen Augen, Ohren und allen Gliedern, auch für Kleider und Schuhe, Essen und Trinken, Sonne, Mond und Sterne, Tag und Nacht, Luft, Feuer, Wasser, Erde muss er Gott „danken und loben und diene und gehorsam sein“. Denn auch daran „spürt und sieht“ er Gottes „väterliches Herz und überschwängliche Liebe gegen uns“. In Rührung und Beschämung staunt er diese Gaben der Güte Gottes an, die ihm „ohne all sein Verdienst und Würdigkeit“ zuteil geworden sind. Gewiss weiß er, dass es noch weit Höheres gibt; schließt er do: „ohne dass er uns sonst auch mit unaussprechlichen ewigen Gütern durch seinen Sohn und Heiligen Geist überschüttet, wie wir hören werden“ (Gr. Kat. II, I, 24). Aber ist eine Eigentümlichkeit der lutherischen Anschauung, dass sie nicht um des geistlichen und ewigen Besitzes willen die irdischen Güter verachtet, sondern dem Schöpfergott seine volle Ehre gibt neben dem Heilsgott. Selbstverständlich sind sich Luther und die Bekenntnisse völlig klar darüber, dass unsere Liebe zu dem Irdischen und unsere Verwertung desselben nicht ohne Sünde sind. Aber das ist ein Gewinn ihrer tiefen Sündenerkenntnis, dass sie zu unterscheiden vermögen zwischen der von Gott uns verliehenen Natur und deren Entstellung durch die Sünde (vgl. oben S. 48 ff.). so predigt Luther: „Solches hat Gott von Natur in unsere Herzen gepflanzt und gebildet, dass der Mensch Unglück und Schaden fliehe.“ (Erl. Ausg. 50, 270; Weim. 28, 209 f.) „Gott verwirft die Natur nicht gar, sondern lässt sie bleiben in seinen heiligen, … wie er sie geschaffen hat. Denn sofern nicht Sünde mitregiert, ist keine natürliche Bewegung böse, wie wir an Christus sehen, der allerlei gefühlt und empfunden hat nach der Natur, wie ein anderer Mensch.“ So ist die natürliche Neigung zwischen Eltern und Kindern nach Gottes Willen. Es sind „närrische Heilige“, „die da alle natürliche Neigung wollten brechen und dämpfen.“ Nicht umsonst predige er dies so oft; denn es gebe noch und schon wieder solche Heilige. Aber „Gott will sein Reich so lassen bleiben, dass es ja die Natur nicht breche.“ (Erl. Ausg. 34, 250 f. 314 f.) Die gleiche Anschauung liegt auch den Ausführungen des Augsburger Bekenntnisses und der Apologie über den Zölibat der Pfarrer und die Mönchsgelübde zugrunde (Art. 23 und 27). Es ist der viele Verirrungen abweisende Grundsatz, dass Gott der Schöpfer und Erhalter nicht verdrängt sein will durch Gott den Erlöser und Heiligmacher, dass also auch der gläubige Christ ein Mensch mit allen einem solchen eignenden Eigentümlichkeiten bleiben soll, daher nicht den in der natürlichen Welt geltenden Ordnungen entnommen ist, sondern ihnen unterstellt zu sein sich bewusst sein soll. Dies letztere betont das Augsburger Bekenntnis im Gegensatz zu der Möncherei und den Wiedertäufern. Artikel 16 handelt von den bürgerlichen Dingen (rebus civilibus), was wohl am einfachsten „Vom weltlichen Leben“ zu übersetzen ist. Denn die Verdeutschung jener Überschrift „Von Polizei und weltlichem Regiment“ ist wenigstens missverständlich, da auch vom Haus- und Ehestand geredet wird, vom Eigentumsbesitz, vom Handelsverkehr. Die auf diesen Gebieten geltenden Ordnungen werden als „gute Werke Gottes“ bezeichnet. Daher ist es nichts weniger als „christliche Vollkommenheit“, sich diesen weltlichen Diensten zu entziehen. Denn das Evangelium hat allein zu tun mit der „ewigen Gerechtigkeit des Herzens“; es stößt diese weltlichen Ordnungen nicht um, fordert vielmehr aufs ernsteste, sie zu konservieren als Gottes Anordnungen und in diesen die Liebe zu üben. Indem die Apologie dies ausführt, nennt sie auch noch die Arznei, die Bautätigkeit, Speise und Trank, und Luft als dem natürlichen Gebiet angehörende Dinge, deren der Christ sich bedienen darf und soll (Apol. XVI, 54). Luther drückt diese reinliche Scheidung gern durch den Hinweis darauf aus, dass jenes geistliche Reich durch den Heiligen Geist regiert wird, das Weltliche dagegen durch die natürliche Vernunft (z.B. Erl. Ausg. 17, 406). Etwa wie der Schuster am besten Schuhe mache, lehre ihn nicht der Heilige Geist, sondern seine Vernunft.

    Wenn aber das Reich Christi und das weltliche Leben als zwei getrennte Gebiete nebeneinander stehen, und doch der jenem Reich angehörende gläubige Christ auch an dem natürlichen Leben sich beteiligen und den für dieses geltenden Ordnungen sich unterstellen soll, lebt er dann nicht in zwei verschiedenen Welten? Muss dann nicht eine doppelte Sittlichkeit die Folge sein, eine durch den Heiligen Geist und eine durch die Vernunft und die von dieser geschaffenen Ordnungen bestimmte? In der Tat hat man gemeint, im Luthertum werde, ähnlich wie in der römischen Kirche, „in aller Form eine doppelte Moral nach entgegengesetzten Prinzipien“ gelehrt, „eine rein und radikal christliche“ und „eine natürlich-vernünftige, nur relativ christliche“. Diesen Vorwurf werden wir noch näher zu prüfen haben. Zunächst aber ist klar, dass, wenn er begründet wäre, Luther seine ethische Gesamtanschauung direkt verleugnet hätte, wie er sie z.B. so formuliert: „Willst du wissen“, „wie das Herz und Gewissen und der ganze Mensch stehen soll“, dass du nichts dürftest weiter suchen, noch hin und her betteln? Dass du habest die Liebe! Da bleib‘ bei!“ „Liebe aber heißt auf Deutsch, wie jedermann weiß, nichts anderes als von Herzen einem andern günstig und hold sein und alle Güte und Freundschaft erbieten und erzeigen.“ (Erl. Ausg. 18, 279 f.) Wie soll es vorstellbar sein, dass der so denkende Luther, dieser Mann aus Einem Guss, für richtig gehalten habe, auf dem weiten weltlichen Gebiet sich in entgegengesetzter Richtung zu bewegen? Wir lesen bei ihm etwas ganz anderes. Er setzt einmal auseinander, dass es nicht seine Sache sei, einen Schneider zu „lehren, einen Rock zu machen“, oder einen Fürsten, das Regiment zu führen. „Ich will das der Vernunft lassen und heimgeben; sondern ich will sagen, wie darin die Liebe gegen den Nächsten soll erzeigt werden.“ (Erl. Ausg. 16,474) Ebenso sagt das Augsburger Bekenntnis, das Evangelium fordere, „in diesen weltlichen Ständen als in den Anordnungen Gottes die Liebe zu üben.“ (XVI, 5.) Obwohl der gläubige Christ sich auf dem weltlichen Gebiet als ein Mensch betätigt, ist er doch ein ganz anderer Mensch als der Ungläubige. Auch im natürlichen Leben und in seinem Verhalten zu den weltlichen Ordnungen beweist er seinen Glauben und seine Liebe. Dieses sein „Inwendiges“, das vom Heiligen Geist herrührt, durchgeistet sein „auswendiges“ Tun, zu dem seine Vernunft ihn befähigt, und macht es erst zu einem sittlichen, und zwar in jeder Beziehung, sowohl nach seinem Beweggrund wie nach seiner Ausführung, wie nach seinem Endziel. Es wird zu untersuchen sein, ob dieser großartige allgemeine Grundsatz über die Sittlichkeit im weltlichen Leben auch durch die Einzelanweisungen festgehalten worden ist.

 

ec. Ehe und Familie[163]

    Die Ehe ist keine menschliche Erfindung, nicht Ergebnis irgendeiner bestimmten kulturellen Entwicklung, sondern ist ein von Gott geordneter Stand, nach dem Sündenfall vor allem auch deshalb, die Unzucht zu vermeiden, außerdem besonders auch zur Vermehrung des Menschengeschlechts (Augs. Bek. XXIII, 3) und ist daher ein für unser Leben notwendiger Stand (Gr. Kat. I, VI, 211). Die Ehelosigkeit dagegen ist eine besondere Gabe Gottes, über die der Mensch für sich keine Verfügungsgewalt hat, sondern sie nur als Gabe von Gott ausüben kann. Die normale Ordnung aber ist die Ehe, die lebenslange Verbindung eines Mannes und einer Frau, denn Gott hat den Menschen als Mann oder Frau geschaffen – mehr Geschlechter gibt es nicht. (Augsb. Bek. XXIII, 4-7). (Intersexuelle und Transsexuelle sind keine anderen Geschlechter, sondern sind Ergebnis einer fehlgesteuerten Entwicklung, die schon im Mutterleib begonnen hat, wobei sie selbst dann entscheiden müssen, welches ihr Geschlecht ist.) „Erstlich ist geschrieben 1. Mose 1, dass Mann und Frau so geschaffen sind von Gott, dass sie sollen fruchtbar sein, Kinder zeugen usw., die Frau geneigt sei zum Mann, der Mann wieder zur Frau. Und wir reden hier nicht von der unordentlichen Brunst, die nach Adams Fall gefolgt ist, sondern von natürlicher Neigung zwischen Mann und Frau, welche auch gewesen wäre in der Natur, wenn sie rein geblieben wäre. Und das ist Gottes Geschöpf und Ordnung, dass der Mann zur Frau geneigt sei, die Frau zum Mann. So nun die göttliche Ordnung und die anerschaffene Natur von niemand kann noch soll geändert werden als von Gott selbst, so folgt, dass der Ehestand durch kein menschliches Statut oder Gelübde kann abgetan werden.“ (Apol. XXIII, 7.) Weil diese Gottes Ordnung ist, gehört es auch in die von Gott gesetzte natürliche Rechtsordnung, die niemand ändern kann, weshalb jedem die Ehe frei sein muss (Apol. XXIII, 9). „Gott der Herr hat nicht allein Adam geschaffen, sondern auch Eva, nicht allein einen Mann, sondern auch eine Frau, und sie gesegnet, dass sie fruchtbar seien.“ (Apol. XXIII, 12.) Weil dieser Stand Gottes Ordnung ist, darum ist er an sich auch ein reiner, ein Gott wohlgefälliger Stand, denn er ist geheiligt durch Gottes Wort: Gott fügt die Eheleute zusammen (Matth. 19,6) (Apol. XXIII, 28-29), die sich daher auch gegenseitig als Gottes Geschenk ansehen sollen[164]. Wie hoch Gott diesen Stand achtet, zeigt sich allein daran, dass die Ehe immer wieder als ein Bild für die Gemeinschaft Christi mit seiner Braut, der Gemeinde, verwendet wird (Traubüchlein, 16), dann aber auch daran, dass er sie durch ein Gebot schützt (Gr. Kat. I, VI, 206). „Darum will er in auch von uns geehrt und so gehalten und geführt haben als einen göttlichen seligen Stand, weil er ihn erstlich vor allen anderen eingesetzt hat, und darum unterschiedlich Mann und Frau geschaffen (wie vor Augen), nicht zur Büberei, sondern dass sie sich zusammenhalten, fruchtbar seien, Kinder zeugen, nähren und aufziehen zu Gottes Ehren.“ (Gr. Kat. I, VI, 207.) Damit ist auch ein bedeutender, herausragender Zweck der Ehe angezeigt, nämlich dass aus ihr, wenn Gott es als seine Gabe schenkt, Kinder hervorgehen. Abtreibung ist gemäß dem fünften Gebot Mord; Kinder dagegen sind eine Gabe Gottes, entsprechen dem Willen Gottes für die Ehe.

    Wie hoch auch die Ehe, wie auch die Ehelosigkeit, von Gott gehalten wird, so erlangen wir weder durch die Ehe, noch durch die Ehelosigkeit die Rechtfertigung, sondern allein durch den Glauben an Christus (Apol. XXIII, 69).

    Weil die Ehe ein Teil der Schöpfungsordnung ist, darum gehört sie auch nicht in die Heilsordnung, kann daher auch kein Sakrament sein, sondern gehört dem gesamten menschlichen Geschlecht, Christen wie Heiden (Apol. XIV, 14-15).

    Die Bedeutung, die die Ehe in Gottes Ordnung für dieses Leben hat, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie soll ja vor allem der Zeugung von Kindern dienen, dann dem Schutz vor Unzucht, Hurerei, dann, durch die Zeugung und Erziehung der Kinder, dazu helfen, dass Menschen da sind, die anderen dienen und vor allem auch Gottes Wort austeilen (Gr. Kat. I, VI, 208). Darum geht dieser Stand über alle anderen Stände, ja, sie haben alle hier ihren Ursprung, Ausgangspunkt. „… so dass er nicht allein den andern Ständen gleichgesetzt ist, sondern vor und über sie alle geht, es seien Kaiser, Fürsten, Bischöfe und wer sie wollen. Denn was beide, geistliche und weltliche Stände, sind, müssen sich demütigen und alle in diesem Stand finden lassen, … Darum ist es nicht ein besonderer, sondern der allgemeinste, edelste Stand, so durch den ganzen Christenstand, ja, durch alle Welt geht und reicht.“ (Gr. Kat. I, VI, 209.)

    Dennoch ist auch dieser Lebensstand nicht ohne Kreuz, wie es seit dem Sündenfall nicht anders sein kann und wir dadurch auch Christus ähnlicher werden sollen (Traubüchlein, 14). Wie soll die Ehe geführt werden? Auch hier gilt es, die Liebe, die Gott uns in Christus geschenkt hat, auszuleben, indem der Mann seine Frau lieben soll wie Christus die Gemeinde und sich selbst, die Frau ihrem Mann in Ehrfurcht untertan sein soll wie die Gemeinde Christus (Traubüchlein, 12-13). Dabei gilt für all die Aufgaben und Pflichten in der Ehe, dass sie in dem Stand geschehen, der Gottes Wohlgefallen hat, dass darin leben heißt, Gott dienen, auch in den Werken, die vor der Welt gering, ja verachtet, sein mögen. „Ach Gott, weil ich gewiss bin, dass du mich als einen Mann erschaffen und von meinem Leib das Kind gezeugt hast, so weiß ich auch gewiss, dass es dir aufs allerbeste gefällt und bekenne dir, dass ich nicht würdig bin, dass ich das Kind wiegen sollte, noch seine Windeln wachsen, noch sein oder seiner Mutter warten.“[165] Damit wird gerade die Ehe zu dem Stand, das Verhältnis zu Gott in besonderer Weise zu bewähren, also in besonderer Weise die Nächstenliebe zu leben. „Die Ehe ist die hohe Schule der Überwindung der Selbstsucht.“[166] Denn es gilt, Tag und Nacht füreinander, wenn Kinder da sind, für mehrere da zu sein, und zwar in Liebe. „Von da aus kann sich Luther keine größere Heilige denken als eine Mutter, die ihr Leben verbraucht hat im Dienst an Mann und Kindern.“[167]

 

ed. Arbeit und Beruf

    Eine tiefe Entartung der Klöster sieht die Apologie darin, dass sie, die einst Stätten des christlichen Unterrichts waren, vielfach „nur eine faule Schar ernähren, die von den öffentlichen Almosen der Kirche wohl leben“ (XXVII, 5). Unermüdlich hat Luther verkündigt: „Gott will keine faulen Müßiggänger haben, sondern man soll treulich und fleißig arbeiten.“ (Erl. Ausg. 41, 159.) Und zwar ist die Arbeit nicht erst als ein Mittel zur Einschränkung von Sünde notwendig geworden (Erl. Ausg. 2, 464), sondern gehört zu Bestimmung des Menschen, dem Gott schon im Paradies tätig zu sein „befohlen“ hat (Erl. Ausg. 27, 190; 3, 77). Welches ist also des Christen Motiv zum Arbeiten? Schon hier tritt der gewaltige Unterschied zwischen ihm und den Ungläubigen ans Licht: „Die Gottlosen arbeiten nur aus Habgier und durch die Not gezwungen, der Fromme dagegen aus Gehorsam und Gottes Gebot.“ (Weim. 29, 442, 24.) Nicht also, als ob die Arbeit an sich ihren Gewinn bringen müsste. Vielmehr sagt er in seinem Glauben zu Gott: „Meine Arbeit tut’s und schafft’s nicht, wo du nicht das Gedeihen dazu gibst.“ (Erl. Ausg. 13, 148.) Ja, genau genommen ist es nur Gott, der uns versorgt: „Ohne meine Arbeit will Gott es nicht tun, aber doch nicht durch meine Arbeit“; sondern Gott wirkt so in der Welt, dass er sich selbst nicht sehen lässt (Theologie des Kreuzes), so dass man ihn leugnen kann; er verbirgt sich hinter den natürlichen Mitteln. Wenn er z.B. will, dass wir das Feld bestellen, oder dass wir uns gegen Feinde bewaffnen, so ist das „nur ein Spiegelfechten“, „eine Verkleidung“ (larvae) Gottes, so dass die Welt meint, unsere Arbeit habe es ausgerichtet. Aber „wenn wir uns auch zu Tode pflügten, würden wir doch nichts erreichen.“ (Weim. 16, 263; Erl. Ausg. 35, 251 f.) Das eigentliche Motiv des Christen zur Arbeit ist also der im Glauben erkannte und bejahte Wille Gottes. Darum kann er auch dann nicht müßig sein, wenn er genug, ja überflüssig viel besitzt; „die Christen“ sagen: „Obwohl ich Groschen und Gulden habe, will ich doch arbeiten, weil es befohlen ist.“ (Weim. 29, 441, 20.) Diese Liebe zu dem Willen Gottes schließt dann als Motiv auch die Nächstenliebe in sich, nach der man die anderen nicht schädigen, sondern vielmehr fördern möchte. Denn nur den „urteilt Gott für einen Christen“, der sich von seiner eigenen Arbeit nährt und nicht „von anderer Blut und Schweiß“, und der auch arbeitet, „damit er dem Dürftigen auch könne geben“ (Erl. 9, 311). Auf solche Weise wird des Christen Arbeit geadelt. Sie wird zuerst befreit von der Last der Sorge um den Erfolg: „Sorge du nicht, wie du ernährt werdest und die Arbeit dein Haus baue und erhalten. Gib das alles Gott heim und lass ihn sorgen und bauen.“ (Erl. Ausg. 41, 140); während „die Welt“ „Gottes Ordnung zu verkehren pflegt“, indem sie „sorgen und trachten will, woher sie Geld und Gut zuwege bringe“, „aber der Arbeit und des Schweißes ihres Angesichts entladen sein möchte“ (Erl. Ausg. 13, 146). Der Glaube bewahrt den Christen auch davor, bei seiner Arbeit die Rücksicht auf seine Gesundheit außer Acht zu lassen; er genießt sorgenfrei und unbefangen „die Ruhe, ohne welche niemand lange dauern kann“ (Erl. Ausg. 2, 464). Dieser Glaube und die damit verbundene Liebe, die sich sehnt, Gott zu Willen zu sein, macht ihm endlich das Arbeiten zu einer Herzensfreude. Von der Menge der hierher gehörenden herrlichen Ausführungen Luthers enthalten die Bekenntnisschriften die zum 4. Gebot, wo es z.B. heißt: „Sollte nun nicht ein Herz springen und von Freuden zerfließen, wenn es zur Arbeit ginge und täte, was ihm befohlen wäre, dass es könnte sagen: Siehe, das ist besser als aller Karthäuser Heiligkeit, ob sie sich gleich zu Tode fasten und ohne Unterlass auf den Knien beten.“ (Gr. Kat. I, IV, 120.) „Darum sollen Knechte und Mägde zusehen, dass sie … tun alles, was sie wissen, dass man von ihnen habenwill, nicht aus Zwang und Widerwillen, sondern mit Lust und Freuden, eben um voriger Ursachen willen, dass es Gottes Gebot ist und ihm vor allen anderen Werken wohlgefällt, um welches willen sie noch Lohn sollten zugeben.“ (Gr. Kat. I, IV, 143.) „Derhalben sollst du von Herzen froh sein und Gott danken, dass er dich dazu erwählt und würdig gemacht hat, ihm solche köstliche, angenehme Werke zu tun. Und halte es nur für groß und teuer, ob es gleich [als] das allergeringste und verachtetste angesehen wird.“ (Gr. Kat. I, IV, 117.) Ebenso die Apologie: Wie die Arbeit eines Paulus, Athanasius, Augustin und Davids Kriegsführung und Regieren heilige werke und wahre Opfer waren, „so denken wir auch über die einzelnen guten Werke in den niedrigsten und nichtöffentlichen Berufen“ (IV (III), 69 ff.). Auch das einfachste „Meidlein“, das „fromm und gehorsam“ in seiner Arbeit ist, kann sich glücklich und stolz fühlen, wie wenn es vom Adel wäre, – „und bist gar ein Junker“ nennt es Luther (Gr. Kat. I, IV, 148).

    Wenn man danach arbeiten soll, eben um zu arbeiten, so darf dies nicht dahin verstanden werde, als dürfte sich jeder nach Belieben eine Tätigkeit auswählen. Das würde zu einem Chaos führen, zu einer Anarchie (Erl. Ausg. Opp. ex. 1.4,112). Es muss Ordnung herrschen in dem mannigfachen ineinandergreifenden Weltgetriebe. Darum soll sich jeder seine besondere Tätigkeit von Gott anweisen lassen. Dies geschieht durch den Beruf, den Gott der Schöpfer und Erhalter den Einzelnen durch die ihnen verliehenen Eigentümlichkeiten und durch die von ihm herbeigeführten Verhältnisse zuspricht. Wen z.B. Gott als Mann erschaffen hat, der „sein Geschlecht fühlt“, der soll in den Ehestand treten; wem aber Gott ausnahmsweise „die Gabe der Keuschheit“ verliehen hat, ist davon „befreit“ (z.B. Gr. Kat. I, VI, 211; vgl. 49 ff.; 59 ff.; 235 ff.). Oder wenn „dein Kind tüchtig ist und Lust hat“ zum Studieren, so sollst du „es lassen lernen“ (Erl. Ausg. 17, 338) „und studieren“ (Gr. Kat. I, IV, 174). Wer als Kind, als Knecht oder Magd in einem Haus lebt, dem hat Gott damit seine besondere Tätigkeit angewiesen; wem Gott ein Kind anvertraut hat, der ist damit in den „Vater- oder Mutterstand“ versetzt (Gr. Kat. I, IV, 105 ff.). Bei manchen Berufsarten müssen die Befähigung und Neigung zusammentreffen mit den herrschenden äußeren Ordnungen. So ist zur Ausübung des im Namen der christlichen Gemeinde handelnden Predigtamts sowohl eine innerliche wie eine äußerliche Berufung erforderlich: „zum ersten, dass er ein Amt habe und gewiss sei, dass er [auf ordnungsgemäßem Weg] berufen und gesandt sei … zum andern, dass er gewiss sei, dass er Gottes Wort lehre und predige und nicht Menschenlehre oder Teufelslehre führe“ (Erl. Ausg. 48, 139). Mit allergrößtem Ernst warnt Luther davor, sich eine öffentliche Tätigkeit in der Kirche anzumaßen, ohne dass diese beiden Voraussetzungen zutreffen, und das Augsburger Bekenntnis erklärt, „dass niemand in der Kirche lehren oder predigen oder Sakrament reichen soll ohne ordentlichen Beruf“ (Art. XIV). Es ist ein schwerer Irrtum zu meinen, man dürfe oder müsse einer Weisung Gottes schon deshalb folgen, weil sie einmal in der Biel jemandem erteilt worden ist. Wie Luther so oft den Schwärmern vorgehalten hat, es komme nicht darauf an, ob Gott einen Befehl gegeben hat, sondern darauf, „ob er’s dir gesagt hat“, so führt die Apologie aus: Wenn Christus dem reichen Jüngling aufgibt, all das Seine zu verkaufen, um Christus nachzufolgen, so ist dieser „Beruf“ nicht allen erteilt, sondern nur „dieser Person, mit der Christus dort redet, wie die Berufung Davids zur Herrschaft, Abrahams zur Opferung seines Sohnes nicht von uns nachgeahmt werden darf. Die Berufungen sind personell, wie die Tätigkeiten verschieden sind nach den Zeiten und Personen; aber das Beispiel des Gehorsams ist generell. Die Vollkommenheit [von der Christus dort spricht] besteht darin, dass ein jeder in wahrem Glauben seiner Berufung gehorcht“ (XXVII, 48 ff.). – Soll man aber bei der Berufswahl durch die Verhältnisse, also auch durch die jeweilige Gesellschaftsordnung sich leiten lassen, so muss ein Christ auch fragen, ob alle tatsächlich bestehenden Berufsarten oder von anderen geübten Tätigkeiten dem Willen Gottes entsprechen, ob sie „göttlich“ sind. Luthers regelmäßige Antwort lautet: Kein Beruf ist göttlich, den nicht Gott geboten hat, oder auch, da Gott Liebe zum Nächsten fordert: Kein Beruf, mit dem man nicht anderen dient, wohl gar sie schädigt.[168] Die Schwärmer etwa meinten, zum „Zerbrechen der Bilder“ berufen zu sein. Dies aber ist unmöglich, da Gott das Bilderstürmen nicht geboten hat und da dieses gegen das Gebot der Liebe verstößt (Weim. 16,482,4; Erl. Ausg. 28, 226.215). Ebenso kann der Mönchsstand schon deshalb kein „göttlicher“ sein, weil er „der Liebe widerspricht“, indem er auch dann ans Kloster bindet, wenn die Eltern und die Nächsten „Not leiden oder zugrunde gehen, selbst die ganze Welt“. Nichts ist Luther in seiner Mönchszeit „schwerer aufs Gewissen gefallen als diese Grausamkeit und gotteslästerliche Versagung der Liebe“ (Erl. Ausg. Opp. v. a. 6, 309 ff.). In den weltlichen Ständen und Berufen dagegen kann man die echte Christenpflicht üben, „darauf sehen, was anderen nütze und gut und not ist“ (Erl. Ausg. 22, 71). Und „wie ein gar fein Wesen wäre es, wenn ein jeglicher des Seinen wartete und doch den anderen damit diente und also viele auf der rechten Straße gen Himmel führen“ (Erl. Ausg. 10, 249). Nach lutherischer Auffassung gehört also die Arbeit keineswegs (wie bei Calvin) in das Kapitel der Buße; auch kommt es nicht auf das bloße Arbeiten an, so dass der Beruf nur den negativen Wert einer unserer Tätigkeit gesetzten Grenze hätte (wie bei Calvin). Vielmehr sollen wir wissen, „dass durch solche Werke [des Berufs] mehr ausgerichtet wird, als wenn jemand alle Klöster gestiftet und alle Orden gehalten hätte, wenn es gleich die allergeringste Hausarbeit wäre“ (Erl. Ausg. 14, 209). Und zwar soll der Christ wissen, dass was er in seinem Beruf ausrichtet, eben etwas von Gott Gewolltes ist, mag er dies nun selbst nachrechnen können oder nur im Glauben nicht bezweifeln. Man dient damit Gott. Gott erreicht damit etwas. Daher kann Luther als gleichbedeutend ansehen unser auf Gottes Befehl verrichtetes Werk und Gottes Werk: „Wenn ich mein Handwerk treibe und arbeite“ und „also gewiss bin, dass es Gott gefällt, so sind es nicht meine, sondern Gottes Werke“ (Weim. 16, 481, 18; 483, 5.8; 484, 10 = Erl. Ausg. 36, 95 ff.). Als „Gottesdienst“ wird immer wieder die Berufsarbeit bezeichnet, und zwar in dem Sinn, dass man „damit“, dadurch etwas erreicht, was Gott erreicht haben will: „Durch die Obrigkeit gibt und erhält uns Gott Nahrung, Haus und Hof, Schutz und Sicherheit“ (Gr. Kat. I, IV, 150). Nicht nur ein Paulus, Athanasius, Augustin, „die die Kirchen gelehrt haben“,, haben mit ihrer Tätigkeit „wahre Gott wohlgefällige Opfer gebracht und Christi Kriege geführt, durch die er den Teufel zurückgedrängt hat“, sondern auch „die arbeiten eines Davids im Regieren und Kriegführen sind heilige Werke, sind Kämpfe Gottes, der jenes Volk, welches das Wort Gottes besaß, gegen den Teufel verteidigte, damit nicht die Erkenntnis Gottes verloren ginge. Ebenso bei den geringsten und privaten Berufsarten. Durch diese Werke triumphiert Christus gegen den Teufel, der dahin arbeitet, dass nicht etwas zum Lob Gottes geschehe“. Dies alles gehört zu der „äußeren Staatsordnung des Reiches Christi unter den Menschen“ (Apol. IV (III), 70 ff.). Wie man trotzdem hat behaupten können, nach Luther diene man wohl Gott in einem Beruf, aber nicht durch einen Beruf, ist schwer verständlich. Nach lutherischer Anschauung dient vielmehr jede von Gott aufgetragene Berufsarbeit dem großen Ziel Gottes, dem Aufbau seines Reiches. Und zwar glaubt der Lutheraner dies nicht nur dann, wenn er den Zusammenhang zwischen seinem handeln und dem Reich Gottes selbst erkennen kann; sondern schon in der Gewissheit, dadurch Gottes ewige Absichten zu fördern. Damit ist er vor der Verirrung gesichert, nur das als „Reichgottesarbeit“ anzusehen, was unmittelbar, so dass man es direkt beobachten kann, dem Reich Gottes förderlich ist. Daher ist es wertvoll, dass Luther es liebt, die geringsten Berufsarbeiten als Gottesdienst zu bezeichnen, wie Windeln waschen, Töpfe reinigen, Mist fahren. Er besaß Verstand genug, auch einzusehen, dass derartiges dem Bestand und der Mehrung des Reiches Gottes dient. – Aus dem Gesagten ergibt sich nun auch: Deshalb muss diese Regel beachtet werden, damit jeder in seiner Berufung bleibt und mit seiner Gabe zufrieden lebt, aber nicht begehrlich auf andere ist. (Erl. Ausg. Opp. ex. lat. 4, 112.) Wie selten Ausnahmen von dieser Regel erlaubt sein werden, folgt schon daraus, dass man dem über das Verhalten des Christen in seinem Beruf Gelehrten die meisten der zu einem Berufswechsel reizenden Beweggründe bei dem Christen fortfallen, wie Trägheit und Bequemlichkeit, Abneigung gegen Sorgen und Widerwärtigkeiten, Ehrgeiz, Neid, Habsucht, Unbeständigkeit.

    Wenn es Brauch geworden ist, Luthers Lehre vom weltlichen Beruf als die Proklamierung eines neuen „Lebensideals“ zu preisen, so darf dabei ein Dreifaches nicht vergessen werden. Zuerst: Die Berufstreue ist keineswegs das einzige Handeln gegen den Nächsten, das von dem Christen gefordert wird; vielmehr soll dieser außerdem „jedermann wohltun, helfen und fördern, wie und wo er kann, allein Gott zu Liebe und Gefallen“ (Gr. Kat. I, Schluss, 326). Jene wichtige Lehre bildet also nur ein Stück des christlichen Lebensideals. Sodann: Die geforderte Berufstreue meint nicht eine bloß äußerliche tadellose Erfüllung der Berufspflichten, sondern verlangt als das alles beherrschende Motiv den bestimmten Willen, Gott damit zu dienen. Endlich: Wenn das Augsburger Bekenntnis das wahre Christentum beschreiben will, so stellt sie das im Beruf Dienen erst an den Schluss; sie nennt vorher: Gott ernsthaft fürchten und wieder großen Glauben und Vertrauen um Christi willen entwickeln, dass wir um Christi willen einen versöhnten Gott haben. (XXVII, 49; Apol. XXVII, 27.) Und Luther schreibt: „Die Werke in den Ständen und Ämtern, die durch Gottes Wort bestätigt sind, … muss wohl jeder loben; aber der keines macht allein einen Christen, sondern allein, dass er sitze in dem Reich der Gnade, dass ihn Christus unter seine Flügel genommen.“ (Erl. Ausg. 14, 210 f.)

 

ee. Staat und Rechtsordnungen

    Die Obrigkeit und die staatlichen Ordnungen gehören zu „Gottes Anordnungen“, sind „ein Werk Gottes“ (Apol. XVII, 59). Die Obrigkeit verrichtet „rechte, heilige Werke“, „dient Gott“ (Apol. XXVIII, Schluss). Denn „Gott will, dass die Bösen durch eine äußerliche Zucht in Schranken gehalten werden. Und um diese Zucht aufrechtzuerhalten, hat er Gesetze, wissenschaftliche Kenntnisse, Gelehrsamkeit, Obrigkeiten, Strafen gegeben“ (Apo. IV, 22). Auf solche Weise „erhält uns Gott Nahrung, Haus und Hof, Schutz und Sicherheit“ (Gr. Kat. IV, 150). Und insofern dies die Voraussetzung für unsere irdische Existenz ist, wird die Obrigkeit „die höchste Wohltat Gottes auf Erden“ genannt (Augsb. Bek. XXVIII, 4). Wenn die Wiedertäufer nichts von weltlichen Obrigkeiten wissen wollen, so steckt dahinter der Teufel, der ihr ihre Krone nehmen will, um sie darnach mit Füßen zu treten und alle Ordnungen Gottes zunichte machen will (Gr. Kat. IV, 61 f.). Die Leugnung des göttlichen Rechts der Obrigkeit hat den allgemeinen Umsturz zur Folge. Der Christ aber kennt noch eine höhere Bedeutung der weltlichen Obrigkeit. Der eigentliche Grund, warum Gott Ordnung, Ruhe, Sicherheit aufrecht erhält, ist der Bestand seines Reiches. Das weltliche Regiment Davids mit den unvermeidlichen Kriegen sollte gegen des Teufels Wüten die Kenntnis Gottes, das Reich Christi erhalten (Apol. IV (III), 70). Ebenso Luther: Würde es keine Macht geben, die Recht und Ordnung schützte, so „würde eins das andere fressen, dass niemand könnte Frau und Kind ziehen, sich nähren und Gott dienen, dass die Welt wüste würde“ Hiervon aber würden vor allem die wahren Christen getroffen werden, weil „der Bösen immer viel mehr sind als der Frommen“, und weil diese eben „fromm“ sind, also sich nicht mit Gewalt wehren, deshalb wie Schafe unter den „Wölfen, Löwen und Adlern“ sein würden. Es „dient das weltliche Regiment“ „dem Evangelium damit, dass es Friede hält unter den Leuten, ohne welchen man nicht könnte predigen“. „Wenn einmal das Schwert abgetan wäre, wie lange würde die Kirche Gottes in dieser Welt bestehen, da dann niemand vor der Zügellosigkeit des Bösen seines Lebens und Besitzes sicher wäre?“ (Erl. Ausg. 22,68; 42,148; Enders 3, 190., 58.) – Aus dem Zweck der Obrigkeit folgt, dass sie Zwangsgewalt besitzen muss, und zwar bis zur Verhängung der Todesstrafe. Im fünften Gebot ist das Töten nur „dem einen gegen den anderen verboten, nicht der Obrigkeit“. Denn „Gott hat sein Recht, Übeltäter zu strafen, der Obrigkeit befohlen“ (Gr. Kat. I, V, 181; Augsb. Bek. XVI, 2; Apol. XVI, 59). Dazu ist auch zu rechnen das Recht, Krieg (zur Verteidigung) zu führen und Streitkräfte zu unterhalten (daselbst). Was dieses Recht meint, hat Luther vielfach dargestellt. „Ein jeglicher Herr und Fürst ist schuldig, die Seinen zu schützen und ihnen Friede zu schaffen.“ Folglich ist ein Krieg nur als „pflichtiger Schutz und Notwehr“ erlaubt; nur als „Notkrieg“, „aus Not und Zwang aufgedrungen, nachdem man ist von einem anderen angegriffen“. Daher will Luther auch keinen Präventivkrieg gestatten. Wenn „ein vernünftiger Fürst“ sieht, wie „seine Feinde oder Nachbarn scharren und pochen, böse Worte fahren lassen“, „so fragt er nicht groß danach, bis er sieht, dass man seine Untertanen angreift oder findet das Messer gezückt mit der Tat“. (Erl.Ausg. 22, 273 ff.) – Wenn Luther das Strafrecht der Obrigkeit mit Energie verteidigt, oder besser gesagt, ihr diese Pflicht vorhält, so bedeutet dies nicht „die Verherrlichung der Gewalt um der Gewalt willen, die auf dem Boden der Sünde das Wesen des Rechts geworden ist und daher die jeweils herrschende Macht als solche glorifiziert“ (Troeltsch). Denn wie Luther die elterliche Gewalt nicht um der Gewalt willen verherrlicht, so sieht er die Obrigkeit nur um der Ordnung, um des Schutzes des Rechts willen als mit Macht ausgestattet an, und er hat keineswegs jede jeweils herrschende Macht glorifiziert, vielmehr die unter Abbruch der von Gott geleiteten geschichtlichen Entwicklung durch bloße revolutionäre Gewalt erhobene Macht für unberechtigt erklärt. Damit ist klar, dass Gottes Ordnung nicht die Tyrannei, nicht der Willkürstaat ist, er auch nicht der Bereicherung Einzelner oder bestimmter Kreise dienen darf, sondern dass er vielmehr sittlicher Rechtsstaat sein muss, und dass auch die Gesetze nicht Willkür Raum geben, ebenso wenig der natürlichen, von Gott vorgegebenen Ordnung widersprechen dürfen (s. oben S. 88). Vielmehr sollen sie, als sittliche Rechtsordnung, die natürliche Ordnung Gottes, ausgehend vom Urrecht auf Leben, in der jeweiligen Zeit, Kultur, unter Verwendung, Weiterentwicklung und Veredelung der jeweiligen Tradition, des jeweiligen Brauchtums des jeweiligen Volks entfalten. Darum ist der Christ da zum (passiven) Widerstand verpflichtet, wo diese natürlichen Ordnungen Gottes durch den Staat angegriffen werden, etwa wenn er Abtreibungen, Euthanasie, Ehen außerhalb der Ehe von Mann und Frau zulässt, wenn er die Autonomie von Ehe und Familie angreift, die Hoheit über die Erziehung der Kinder an sich zieht, das Eigentum über die Sozialbindung hinaus in Frage stellt, die freie sittliche Entfaltung der Persönlichkeit, einschließlich der Rede- Meinungs- und Religionsfreiheit hindert oder einschränkt, das Amt der Kirche einschränkt oder behindert usw. (Weiteres zur Frage des Widerstandsrechts siehe oben, S. 90 ff. und unten, S. 188 ff.) Herrschaft ist also nicht bloß Recht, sondern vor allem und in erster Linie Pflicht, Verpflichtung, ein „Dienst des gemeinen Wesens“ oder „gemeinen Nutzens“.[169] Der Staat, die Herrschaft ist um des Volkes willen da, nicht umgekehrt.[170] Die Gewalt des Staates, des Herrschers ist daher auch keine absolute, sondern bestimmt von seinen Aufgaben, also Schutz, Frieden, Recht und Gerechtigkeit, die Freiheit aller und das allgemeine Wohl zu gewährleisten und zu fördern.[171] Jede Verletzung dieser Pflichten, jedes Überschreiten der dem Staat gesetzten Grenzen ist ein Schritt in die Tyrannei. Deshalb gibt es auch keine absolute Gehorsamspflicht, sondern sie ist bedingt durch die Rechtmäßigkeit der Herrschaft und des Befehls.[172]

    Wenn das „Recht des Schwertes“ gegen die im Inneren des Staates wie von außen drohenden „Übeltäter“ so stark betont wird, so darf das nicht dahin verstanden werden, als sei dies die einzige Aufgabe einer rechten Regierung. Es wird vielmehr nur dadurch veranlasst, dass eben jene Aufgabe der Obrigkeit sowohl von dem mönchischen wie von dem schwärmerischen Geist herabgesetzt oder gar geleugnet wurde. Luther erwartet eine viel weiter gehende Fürsorge für das leibliche wie geistige Volkswohl von der Obrigkeit, soweit dafür nicht das Haus und die Kirche sorgen können (gemeindliche und kirchliche Diakonie; zivilgesellschaftliche Sozial- und Wohlfahrtsverantwortung), betont also das Staatsziel der allgemeinen Wohlfahrt (Sozialstaat). Ihr soll die Volksernährung so sehr am Herzen liegen, dass sie nötigenfalls Vorräte an Lebensmitteln ansammelt. Sie soll sich der „Verlassenen“, besonders der Witwen und Waisen annehmen, überhaupt für die Armen sorgen. Sie soll dafür wirken, dass „Prediger, Juristen, Pfarrherren, Schreiber, Ärzte, Schulmeister und dergleichen bleiben“. Auch deshalb soll sie die Pflicht zur schulischen Unterweisung, und zwar für Knaben und Mädchen, einführen; und wenn der Vater eines „tüchtigen Knaben arm ist“, so soll sie „mit Kirchengütern dazu helfen“. Wo es aber an Schulen fehlt, soll sie solche „aufrichten und erhalten“.[173] Ebenso soll sie „Fleiß und Kosten nicht sparen“, gute öffentliche Bibliotheken anzulegen, und zwar nicht nur zum Zweck des Studiums derer, „die uns geistlich und weltlich vorstehen sollen, sondern, dass auch die guten Bücher behalten und nicht verloren werden, samt der Kunst und Sprachen, so wir jetzt von Gottes Gnade haben“. (Erl. Ausg. 43, 213; 39, 240; 17, 420 f.; 22, 170 ff. 194.) Aber damit hat Luther nicht dem Staat die Erziehung übertragen. Er soll sie vielmehr nur da ausüben und nur in dem Maß, in dem die Eltern dazu nicht in der Lage sind. Ihnen gehört von Gott her die Erziehung der Kinder. „Denn wo ein Vater nicht allein vermag sein Kind aufzuziehen, nimmt er einen Schulmeister dazu, der es lehre; ist er zu schwach, so nimmt er seine Freunde und Nachbarn zu Hilfe; geht er ab, so befiehlt er und übergibt das Regiment und Oberhand andern, die man dazu ordnet.“ (Gr. Kat. I, IV, 141.)

    Daneben aber beharrt Luther auf seinem alten Satz, dass „die weltliche Gewalt nichts mit dem Predigen und Glauben und den ersten drei Geboten zu schaffen hat“ (Erl. Ausg. 16, 198; vgl. oben S. 88 ff.). Niemals darf die Obrigkeit den Glauben ihrer Untertanen bestimmen oder sie um ihres Glaubens willen bestrafen wollen. Wenn aber zu jener Zeit sich noch als unmöglich herausstellte, dass Bekenner verschiedener Konfessionen in demselben Land friedlich beisammen wohnten, so hat Luther (im Jahr 1531) erklärt: „Es muss doch zuletzt dahin kommen, dass man einen jeglichen lasse glauben, wie er’s in seinem Gewissen weiß zu verantworten vor Gott“ (Erl. Aus. 60, 249; Weim. Tischr. 2, 419 f.). Der Ruhm also, zuerst den Gedanken der Toleranz ausgesprochen und durch die Zwei-Reiche- oder Zwei-Regimente-Lehre, die grundsätzliche Unterschiedenheit von Staat und Kirche untermauert zu haben, gebührt Luther (s. oben S. 88 f.). Über die Erwartung, die evangelischen Fürsten würden nötigenfalls ihrer Kirche zu deren Betätigung behilflich sein, sind auch die lutherischen Bekenntnisse nicht hinausgegangen. Auch nicht Melanchthon in seinem Tractatus über die Gewalt des Papstes. Nachdem er hier von den „frommen“ Gliedern der Kirche das gebührende Grauen vor den seelenverderbenden Irrtümern des Papstes und dessen Ermordung der Heiligen verlangt hat, fährt er fort: „Vornehmlich aber müssen die herausragenden Glieder der Kirche, die Könige und Fürsten der Kirche helfen und dafür sorgen, dass die Irrtümer abgetan werden“ und die Ermordung der Heiligen aufhöre (Tract. 54). Nicht also sollen die Fürsten selbst die Irrlehren angreifen, sondern der Kirche ermöglichen, dies zu tun, und so sollen sie nicht als Fürsten, sondern als Glieder der Kirche tun, weil sie als in hervorragender Stellung befindlich dazu imstande sind, wie auch nur sie etwas gegen die Verfolgung der Evangelischen zu unternehmen vermögen. Da es sich damals um die Frage handelte, ob die evangelischen Fürsten das vom Papst ausgeschriebene Konzil beschicken sollten, fährt Melanchthon fort, sie müssten der jedes päpstliche Konzil knechtenden Willkür des Papstes Schranken ziehen und bewirken, dass die Kirche ihre Vollmacht, aus dem Wort Gottes zu urteilen und zu beschließen, ausüben könne.[174]

    Wenn man die der weltlichen Obrigkeit angewiesene vielseitige Tätigkeit als „Patriarchalismus“ bezeichnet hat (Troeltsch), so ist daran soviel richtig, dass von den Fürsten gefordert wird, sie sollten sich nicht als Autokraten fühlen, sondern „ein väterliches Herz gegen die Ihren tragen“ „als die in ihrem Regiment das Vateramt treiben“, wie die Römer die Herren im Haus Familienväter, ihre Landesfürsten Landesväter genannt hatten (Gr. Kat. I, IV, 142), sie sollen also dem Volk dienen. Das heißt nicht, dass alle Aufgaben und Vollmachen bei den staatlichen Einrichtungen zu konzentrieren sind – vielmehr ist der Staatsallmacht zu wehren –, sondern nur, dass für die allgemeine Wohlfahrt von solchen, die dazu Macht und Befugnis haben, zu sorgen ist. Es sind nicht zuletzt lutherische Sozialreformer gewesen, die sich gegen die staatssozialistischen Tendenzen Bismarcks für den „mündigen Arbeitnehmer“ (Theodor Lohmann, Hans Hermann Freiherr von Berlepsch) eingesetzt haben, der zur verantwortlichen Mitarbeit in Staat und Gesellschaft erzogen und herangezogen wird, und für die „soziale Demokratie“ (Lorenz von Stein), die gerade auch die freien gleichberechtigten Arbeitnehmerorganisationen (Gewerkschaften) als wichtige Bestandteile der sozialen Marktwirtschaft kennt. Das Vateramt der Regierenden ist dabei unabhängig von der jeweiligen Staatsform. Gerade der Gedanke des Vateramtes in Verbindung mit den von Gott vorgegebenen natürlichen Ordnungen setzt obrigkeitlicher Gewalt von vornherein Grenzen, die umso wichtiger sind, da auch die Inhaber solcher Gewalt Sünder sind, weshalb die Einschränkung der Macht und ihre Verteilung auf verschiedene Institutionen sinnvoll und ratsam ist. Da sich diese überfamiliäre Gewalt ja letztlich ableitet aus dem Vateramt in der Familie als der ersten obrigkeitlichen Gewalt, und das Haus gemäß dem vierten Gebot göttliche Stiftung ist, so ist auch damit angegeben, dass obrigkeitliche Gewalt ausgeübt werden muss in der Verantwortung vor Gott und den Menschen. „Denn aus der Eltern Oberkeit fließt und breitet sich aus alle andere.“ (Gr. Kat. I, IV, 141.) „Darum übertrifft der Eltern Oberkeit und Herrschaft alle andere Oberkeit, des Papsts, Kaisers, der Könige, Fürsten und Herren. Es ist der höchste Stand, schwebt hoch über alle Stände, und die anderen sind nur Stück und Flickwerk gegen ihn, ja, alle Stände kommen daher.“ (Erl. Ausg. 36, 111.) Letztlich also ist der Staat nur die Repräsentation der einzelnen Häuser, übt die ihm von ihnen übertragenen Rechte aus – mehr aber darf er auch nicht tun.

    Aus dem Gesagten ergibt sich schon, dass das Dasein und das Handeln der Obrigkeit keineswegs im Widerspruch steht zu dem Grundprinzip des Christentums, zu der Liebe. Vielmehr ist es ein „Gottesdienst“, insofern es Gottes Absichten fördert, und ein Liebesdienst an „der Welt und dem Nächsten“, insofern es diesen „nutz und not“ ist. Dies auszuführen hatte Luther besondere Ursache hinsichtlich des obrigkeitlichen Handelns, das wie erbarmungslose Härte erschien, hinsichtlich des „Mordens“. Aber selbst das im Krieg notwendige „Würgen, Rauben und Brennen“ und den Feinden auf jede Weise zu schaden ist „christlich und ein Werk der Liebe“, der Liebe zu den bedrohten Untertanen (z.B. Erl. Ausg. 22, 101). Was aber so objektiv ein Werk der Lieb eist, das soll ein christlicher Fürst auch nur aus Liebe und in Liebe tun: „Hierin musst du nicht ansehen das Deine und wie du Herr bleibst, sondern deine Untertanen, denen du Schutz und Hilfe schuldig bist, auf dass solch Werk in der Liebe gehe.“ (daselbst.) Darum muss eine christliche Obrigkeit bei allem Strafen doch auch Erbarmen fühlen mit dem Übeltäter: „So sehen wir, dass ein frommer Richter mit Schmerz ein Urteil fällt und ihm leid ist der Tod, den das Recht über denselben bringt.“ (Erl. Ausg. 16, 209.) Ein Christ sagt sich: „Mein Gut, meine Ehre, meinen Schaden soll ich nicht achten und nicht darum zürnen, aber Gottes Ehre und Gebot und unseres Nächsten Schaden und Unrecht müssen wir wehren, die Oberen mit dem Schwert, die anderen mit Worten und Strafen, und doch alles mit Jammern derer, die die Strafe verdient haben“ (daselbst.) Noch mehr erwartet Luther von der Liebe des Richters: „So er einen bösen Menschen sieht, der sich mit5 Worten nicht will regieren lassen, so soll er denken: Ach Gott! Wie gern wollt ich für den sterben, wenn es sein könnte! Er hat eine Seele, der kann ich nicht helfen.“ Wenn er dann abwägt, was schlimmer ist, der Tod des Leibes oder der Tod der Seele, dann wird er auch aus Erbarmen mit dem Verbrecher, dessen Seele vielleicht noch durch die Verhängung der Todesstrafe zu retten ist, das gerechte Urteil fällen.“ (Erl. Ausg. 13, 172; 16, 363; Weim. 10, 3, 254 f.) Das also fordert die christliche Sittlichkeit von dem Träger eines obrigkeitlichen Amtes, dass die christliche Liebe ihn bei aller seiner Tätigkeit leitet.

    Wie nun hat sich der christliche Staatsbürger zu diesem Staatswesen und seinen Ordnungen zu stellen? Er hat die Obrigkeit als Gottes Ordnung „nicht nur zu billigen, sondern auch zu ehren und groß zu achten“ (Gr. Kat. I, IV, 150) und ihr und ihren Gesetzen sich zu unterwerfen, wie wir uns den Naturgesetzen unterwerfen, so lange das ohne Sünde geschehen kann (Augsb. Bek. XVI, 6; Apol. XVI, 58). Selbstverständlich ist keine Rede von einem „unbedingten Gehorsam“; vielmehr hebt schon das Augsburger Bekenntnis hervor: „Es sei denn, dass sie zu sündigen gebieten, denn dann muss man Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Augsb. Bek. XVI, 7; XXIII, 7; XXVIII, 75.) Hierin geht Luther so weit, dass er von den Untertanen Gehorsamsverweigerung fordert, wenn eine Obrigkeit aktive Teilnahme an einem unzweifelhaft ungerechten Krieg verlangt, und das geduldige Ertragen etwaiger schlimmer Folgen; „man muss doch solche Gefahr in allen anderen Fällen auch erwarten, da die Obrigkeit zwingt, Unrecht zu tun“ (Erl. Ausg. 22, 283). – Da nun das Staatswesen nach Gottes Willen dem Wohl des Ganzen dient, kann sich auch ein Christ aktiv daran beteiligen, also staatliche Ämter bekleiden (Augsb. Bek. XVI, 2.3); ja, er soll, falls es an Personen dazu fehlt, sich dazu anbieten, wenn er dazu tauglich ist (Erl. Ausg. 22, 73). Überhaupt soll der Christ nach Kräften die Obrigkeit unterstützen, dass sie ihre Tätigkeit gedeihlich ausüben kann. Dies gehört zu den „Werken der Liebe“ (Erl. Ausg. 22, 71). Wenn es daher zur Aufklärung eines Tatbestandes dessen bedarf, soll er den fordernden Beamten auch einen Eid ablegen (Augsb. Bek. XVI, 2; Apol. XVI, 53). Zu verwerfen sind die Wiedertäufer, die verbieten, ein obrigkeitliches Amt zu bekleiden, Gericht zu halten, Militärdienst oder einen Zeugeneid zu leisten (KF; Kurze Darl. XII, 12 ff.; Ausf. Darl. XII, 17; Gr. Kat. I, II, 65 f.). Vielmehr soll „ein jeglicher seinem Nächsten helfen zu seinem Recht und stracks darüber halten, es treffe an, was es wolle“ (Gr. Kat. I, VIII, 260). Etwa: „Siehst du jemand unschuldig zum Tod verurteilt oder in gleicher Not, und nicht rettest, so du Mittel und Wege dazu wüsstest, so hast du ihn getötet; denn du hast ihm die Liebe entzogen.“ Ebenso soll jeder, wenn die Obrigkeit nicht zur Stelle ist, „Bösem“, das dem Nächsten droht, „zuvorkommen, wahren, schützen, retten“ (Gr. Kat. I, V, 189 f.). Ferner ist es „Pflicht der ,Liebe“, „dass wir der Obrigkeit es anzeigen, wenn öffentlich gesündigt worden ist und sie nicht darum weiß“ (Erl. Ausg. Opp. ex. lat. 5, 165). Auch bei der Erfüllung ihrer Kulturaufgaben soll man sie nach Kräften unterstützen; Reiche sollen zur Erhaltung der Bildung und der ein Studium erfordernden Berufe durch Stiftung von Stipendien beitragen (Erl. Ausg. 17, 421) oder mit „Geld und Gut“ die Gründung und Erhaltung von Schulen fördern (Erl. Ausg. 22, 174). Kurz, weil ein rechter Christ auf Erden nicht sich selbst, sondern seinen Nächsten lebt und dient“, so „dient, hilft und tut er alles, was er kann, dass der Gewalt förderlich ist“ (Erl. Ausg. 22, 71).

    Wie aber, wenn man an dem Verhalten der Obrigkeit oder an den bestehenden Gesetzen etwas auszusetzen hat? Soll man dann „sich zum Wohl des Ganzen bedingungslos den von Gott und der Vernunft gestifteten Ordnungen unterwerfen“? Soll man sich dann durch die Theorie von dem „beschränkten Untertanenverstand“ beruhigen? Wenn man Luther so etwas nachgesagt hat, so wohl deshalb, weil dieser Ein Mittel zur Abstellung von Übelständen im Staatswesen eindeutig verworfen hat, die Revolution. „Dass ein Volk sich aufmacht und setzt seinen Herrn ab oder erwürgt ihn“, will Luther selbst dann nicht als berechtigt gelten lassen, wenn der Fürst „Unrecht tut“, ja tyrannisch regiert: „Mir ist noch kein solcher Fall vorgekommen, da es billig wäre, kann auch jetzt diesmal keinen erdenken.“[175] Einen dem Wahnsinn verfallenen Fürsten dürfe man freilich entfernen, da er nicht mehr als Mensch gelten könne. In einem „wütigen Tyrannen dagegen sei noch Gewissen und Erkenntnis, er könne noch sich bessern, sich sagen lassen und lernen und folgen“. Würde man gegen ihn bald das Recht der Revolution geltend machen, so würde man bald Tyrannen schelten, die es nicht seien, und nach Belieben Fürsten verjagen und ermorden, „wie es die römischen Historien uns zeigen“. Und wer verbürgt uns, dass da neue Regiment besser sein wird als das gestürzte, zumal wenn durch die Revolution die Masse, „der Haufen“, „der Pöbel“ die Gewalt in seine Hände bekommt? „Der Pöbel weiß und hält kein Maß und steckt in einem jeglichen mehr als fünf Tyrannen.“ „Obrigkeit ändern und Obrigkeit bessern sind zwei Dinge, soweit voneinander wie Himmel und Erde.“ Selbst dann, wenn ein Fürst „sich mit Eiden seinen Untertanen verpflichtet hat, nach gestellten Artikeln zu regieren, und hält sie nicht und damit schuldig sein will, auch das Regiment zu lassen“, „sollst du ihn darum angreifen, solches richten und rächten? Es müsste doch ein ordnungsgemäßer Gerichtshof da sein, der den Fürsten und seine Ankläger anhörte und den Schuldigen verurteilte.“ (Das zeigt an, dass für Luther die Justiz allerdings unabhängig von den Fürsten, der Regierung, der Exekutive sein muss; er geht also klar von der nötigen Gewaltenteilung aus.)[176] Es bleibt also für den Christen nichts anderes übrig als die Rache Gott zu befehlen; der hat Mittel genug dazu (Erl. Ausg. 22, 258 ff.). Die lutherischen Bekenntnisschriften halten es gar nicht für erforderlich, das Unrecht der Revolution darzulegen. Erwähnt wird nur der unter günstigen Umständen zum Aufruhr bereite Geist der Auflehnung, der soviel als möglich sich über die bestehenden staatlichen Ordnungen hinwegsetzt; darauf werden schwere Miss-Stände zurückgeführt: „Warum, meinst du, dass jetzt die Welt so voll Untreue, Schande, Jammer und Mord ist, wenn nicht, weil jedermann sein eigener Herr und kaiserfrei will sein, auf niemand etwas geben und alles tun, was ihn gelüstet?“ (Gr. Kat. I, IV, 154.)

    Luther hat aber seine Lehre vom Widerstand weiterentwickelt und vertieft, vor allem nach dem Augsburger Reichstag 1530, als es ganz offenbar wurde, dass die Gefahr da war, dass Kaiser und Papst zusammen gewaltsam gegen das Evangelium, die Lutheraner vorgehen werden, wie es 16 Jahre später ja auch tatsächlich geschehen ist. Luther bleibt zwar einerseits bei der Grundhaltung, dass von Seiten der Gläubigen kein Krieg begonnen werden und der Friede gesucht werden soll. Aber er sieht auch, welch ein antichristliches und auch gegen jedes Recht streitendes Wüten vor der Tür war, so dass er daran erinnert: „Gott kann aber wohl etwa einen Judas Makkabäus erwecken (obgleich ich und die Meinen still sitzen und leiden), der den Antiochus mit seinem Heer zerschmettere und recht kriegen lehre; wie er uns an den Böhmen lehrte kriegen und Frieden halten.“[177] Unter welchen Umständen kann es also dazu kommen, dass auch die Christen zu den Waffen greifen und vor allem dem Kaiser und ihrem Fürsten unter Umständen keinen Gehorsam leisten? „Weiter, wo es zum Krieg kommt, da Gott vor sei! So will ich das Teil, so sich wider die mörderischen und blutgierigen Papisten zur Wehr setzt, nicht aufrührerisch gescholten haben noch schelten lassen, sondern will’s lassen gehen und geschehen, dass sie es eine Notwehr heißen, und will sie damit ins Recht und zu den Juristen weisen. Denn ich solchem Fall, wenn die Mörder und Bluthunde je kriegen und morden wollen, so ist es auch in der Wahrheit kein Aufruhr, sich wider sie setzen und wehren. Nicht, dass ich hiermit wolle jemand reizen noch erwecken zu solcher Gegenwehr, noch sie rechtfertigen, denn das ist meines Amtes nicht, viel weniger auch meines Richtens und Urteils. Ein Christ weiß wohl, was er tun soll, dass er Gott gebe, was Gotts ist, und dem Kaiser auch, was des Kaisers ist, aber doch nicht den Bluthunden, was nicht ihr ist; sondern dass ich einen Unterschied gebe, zwischen Aufruhr und andern Taten, und den Bluthunden den Schanddeckel nicht lassen will, dass sie rühmen sollten, als kriegten sie wider aufrührerische Leute und hätten’s guten Fug nach weltlichem und göttlichem Recht, wie sich das Kätzlein gern putzen wollte und schmücken. … Dass also die Gegenwehr wider die Bluthunde nicht aufrührerisch sein kann; denn die Papisten fangen an und wollen kriegen und nicht Frieden halten, noch den andern lassen, die doch gerne Frieden hätten; dass also die Papisten dem Namen und der Tugend, so Aufruhr heißt, viel näher sind. Denn sie haben gar kein Recht, weder göttlich noch weltlich, für sich, sondern handeln aus Bosheit, wider alle göttlichen und weltlichen Rechte als die Mörder und Bösewichte. Das ist leicht zu beweisen: Denn sie wissen selbst wohl, dass unsere Lehre recht ist, und wollen sie doch ausrotten.“[178]

    Schließlich fasst Luther die Ursachen zusammen, weshalb ein Christ dem Kaiser in bestimmten Fällen nicht gehorsam sein darf: „Die erste Ursache, dass du in solchem Fall dem Kaiser nicht sollst gehorsam sein und kriegen, ist diese: Dass du (sowohl als der Kaiser selbst auch) in der Taufe geschworen hast, das Evangelium Christi zu halten und nicht zu verfolgen noch zu bestreiten.“[179] Das heißt: Da, wo es gegen Christi Lehre geht, wo das Tun eindeutig widergöttlich, widerchristlich ist, da darf der Christ nicht mitmachen. „Die andere Ursache ist: Wenn gleich unsere Lehre nicht recht wäre (wie sie doch alle anders wissen), so sollte dich doch alleine allzusehr abschrecken, dass du mit solchem Streiten auf dich ladest, dich teilhaftig und schuldig machst vor Gott aller der Greuel, die im ganzen Papsttum begangen sind und fort begangen werden. Diese Ursache begreift in sich unzählige Greuel und alle Bosheit, Sünde und Schaden.. Kurz, es ist die grundlose Hölle hier selbst, mit allen Sünden, welcher du musst aller teilhaftig sein, wo du dem Kaiser gehorsam bist in diesem Fall.“[180] Ein weiterer Grund, den Gehorsam zu verweigern, ist der, dass man sonst teilhaftig wird all der abscheulichen Sünden, Greuel und Schäden, die durch die andere Seite begangen und gefördert werden. „Die dritte Ursache, dass du dem Kaiser in solchem Aufgebot nicht sollst gehorsam sein, ist, dass du nicht allein solche Greuel musst auf dich laden und helfen stärken, sondern musst auch helfen stürzen und ausrotten all das Gute, so durch das liebe Evangelium ist wieder aufgebracht und angerichtet. Denn die Bösewichter wollen nicht genug daran haben, dass sie solche Teufelei und Greuel erhalten, dazu (wie sie im Edikt gebieten) keine Neuerung dulden, sondern ausrotten und ganz vertilgen alles, was wir je gelehrt, gelebt und getan haben und noch tun und leben.“ [181] Dies ist ein weiterer wichtiger Grund des Widerstands gegen den Kaiser, nämlich wenn alles Gute, alles, was Gott geordnet und gewollt hat, alle rechte und natürliche Ordnung und vor allem das Evangelium dadurch umgestoßen würde. Hier gilt eindeutig: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen (Apg. 5,29). Luther fordert nicht direkt zum aktiven Widerstand auf, aber er hindert ihn in solchen Fällen auch nicht, sieht ihn als gerechtfertigt an.

    Dass aber auch aktiver Widerstand gerechtfertigt ist, hat er später im Torgauer Gutachten (Oktober 1530) hervorgehoben, als er näher über den Aufbau des Reiches unterrichtet war mit seiner dualistischen Souveränität, die neben dem Kaiser auch die Reichsstände, also untere Autoritäten, kannte. „Denn was wir bisher gelehrt, stracks nicht zu widerstehen der Obrigkeit, haben wir nicht gewusst, das solches der Obrigkeit Rechte selbst geben, welchen wir doch allenthalben zu gehorchen fleißig gelehrt haben.“[182] Denn: Der Kaiser hat nicht Macht, die Gebote Gottes zu ändern; ebenso wenig hat er Fug und Recht, die Untertanen und Glieder des Reiches einfach mit Krieg zu überziehen. Der Widerstand geht dabei zuerst und vor allem von den unteren Autoritäten aus, die ihre ihnen anvertrauten Bürger schützen sollen. Zu unterscheiden ist auch zwischen dem Amt, das Gott eingesetzt hat (Obrigkeit) und den Personen, die es ausüben und unter Umständen missbrauchen.[183]

    In dem Brief, den Luther zusammen mit Justus Jonas und Johannes Bugenhagen im Juli 1539 an Kurfürst Johann Friedrich im Blick auf Bündnisse und Gegenwehr sandte, hat er dies noch weiter vertieft. Er betont dabei zunächst, dass ein jeder zunächst nach seinem Beruf, seinem Stand und Amt sich zur Gegenwehr bereit machen muss: „Dabei ist gleichwohl wahr, dass ein jeder nach seinem Beruf seine Arbeit tun muss; die Herren müssen sich rüsten mit Leuten und anderer Bereitschaft, so viel nötig, müssen streiten, so es not ist, wie Joab sprach 2. Kge 10.“[184] Er verweist weiter darauf, dass auch ohne Bündnisse ein jeder schuldig ist, dem anderen Hilfe zu leisten, wenn die rechte Sache Hilfe benötigt. Vor allem aber ist die Pflicht dann da, wenn es zur Rettung der Ehre Gottes und zur Zerstörung der Abgötterei gilt. „Und solches wird oft in leiblichen Sachen geübt, vielmehr ist man solches zur Rettung göttlicher Ehre und zur Zerstörung der Abgötterei schuldig. Denn der Potentat soll vor allen Dingen Gottes ehre schützen, handhaben und mit allem Ernst fördern.“[185] Grundsätzlich ist Gegenwehr gegen Stände, die auf derselben Ebene stehen oder unter einem geboten. Aber sie ist selbst gegen den Kaiser nötig, wenn der öffentlich und dauerhaft Gewalt ausübt. Vor allem aber ist sie geboten, wenn der Kaiser dadurch Gotteslästerung stärken und fromme Christen und Prediger verfolgen wollte. Solches Verhalten, die andauernde ungerechte Gewalt, hebt jegliche Lehenspflicht auf. Das gehört zum göttlichen wie auch natürlichen Recht, die beide durch das Evangelium bestätigt werden. „Dergleichen, so König und Kaiser öffentlich und dauerhaft Gewalt üben, ist die Gegenwehr auch recht, besonders wenn sie Krieg vornehmen zur Bestätigung öffentlicher Gotteslästerung, um fromme unschuldige Christen, Prediger und andere zu töten, eheliche Personen voneinander zu reißen. Diese und dergleichen Stücke sind öffentlich und dauerhaft unrechte Gewalt, dadurch die Lehensleute von ihrer Pflicht frei werden, wie von einem Mörder auf der Straße. Nun bestätigt das Evangelium göttliches und natürliches Gesetz, zerreißt es nicht, welches ist ein göttliches Licht und Ordnung in der Natur, wie das Evangelium andere natürliche Gaben auch preist. … Nun ist die Gegenwehr ein Stück desselben natürlichen und göttlichen Rechts, das Christen zu gebrauchen Macht haben.“[186]

    Zusammenfassend heißt das: Da, wo die Obrigkeit öffentlich und auf Dauer gegen alles Recht und Ordnung Gewalt ausübt, die göttliche Ordnung umstürzt, da ist auch der höheren Gewalt gegenüber Gegenwehr erlaubt, vor allem und zuerst den anderen Obrigkeitskräften. Das gründet schon im natürlichen Recht und soll auch dem Schutz der Unschuldigen, besonders der Familien, dienen.[187]

    Diese Lehre Luthers ist besonders in der Zeit nach dem unglücklichen Schmalkaldischen Krieg, als der Kaiser durch das Augsburger (und in Sachsen der Kurfürst durch das Leipziger) Interim versuchte, die Evangelischen in die römische Kirche zurück zu zwingen und dabei auch vor äußerster Gewalt, Vertreibung, militärischem Einsatz, besonders gegen die Stadt Magdeburg, nicht zurückschreckte, von großer Bedeutung gewesen und im Magdeburger Bekenntnis von 1550 klar bezeugt und entfaltet worden. Darin wird zunächst nochmals betont, dass die Christen vor allem Frieden und freie Religionsausübung suchen, nicht Gewalt und Krieg. In dem Zusammenhang wird dann auch betont, dass die untere Obrigkeit ihre Untertanen auch gegen die höhere Obrigkeit verteidigen darf, auch mit Gewalt, wenn die höhere mit Gewalt gegen Gottes Lehre und für die Abgötterei eintritt. „Wir wollen aber uns vornehmen zu beweisen, dass eine christliche Obrigkeit mag und soll ihre Untertanen verteidigen, auch gegen eine höhere Obrigkeit, so die Leute mit Gewalt zwingen will, Gottes Wort und rechten Gottesdienst zu verleugnen und Abgötterei anzunehmen.“[188] Grundlage dafür sind sowohl Gottes Wort als auch das von Gott gegebene natürliche Recht. Es wird auch betont, dass Christen nicht mit Gewalt zum Glauben zwingen: „Die christliche Kirche hat niemals jemand mit dem Schwert zum Glauben gezwungen.“[189]

    Da, wo eine Obrigkeit sich als Wüterich erweist, die gegen Gottes Ordnung antritt, da haben die unteren Obrigkeiten das Recht, dagegen auch mit Gewalt Widerstand zu leisten. „Müssen, sollen und wollen deshalb die Unseren und alle Christen treu lehren, ermahnen und anhalten, dass, gleichwie jene Juden und Makkabäer über das Gesetz Gottes, auch diese über die wahre Religion, das Evangelium Christi, herzlich eifern, und dass sie für das Testament unseres Gottes, dasselbe bei uns und unseren Nachkommen zu erhalten, auch mit Leib und Leben fechten, kämpfen und streiten sollen, auf Vertrauen göttlicher Gnade, ob Gott auf unserer Seite, wie bei den Makkabäern, mit Glück und seligem Sieg, wie wir bitten und hoffen, sein wollte, und seiner Kirche ein gnädiges Auskommen geben.“[190]

    Es wird weiter betont, dass die Obrigkeit gemäß Römer 13 dazu eingesetzt ist, das Gute zu schützen und zu fördern, das Böse dagegen zu verfolgen und zu bestrafen. Dann, wenn dies faktisch umgekehrt wird, wenn sie Gottes Ordnungen umstürzt und das Gute verfolgt und das Böse fördert, ist sie nicht mehr Obrigkeit nach Römer 13, sondern Handlanger des Teufels, dem auf keinen Fall gehorcht werden darf. Setzt sie dabei etwa eine gute untere Obrigkeit ab, um eine böse zu installieren, so ist solches Absetzen vor Gott ungültig und die bisherige Obrigkeit aufgerufen, ihr Schutzamt weiter auszuüben.[191]

    Dabei unterscheidet das Magdeburger Bekenntnis verschiedene Grade des Sündigens der Obrigkeit – denn nur im äußersten Fall ist gewaltsamer Widerstand erlaubt, in den meisten Fällen ist ihre Bosheit zu erleiden und die Obrigkeit zu ermahnen, vor allem wenn es sich um geringere Sachen handelt, nicht umfassend Gottes Ordnung umgestoßen wird („wunderliche Herren“, 1. Petr. 2).[192] Selbst wenn die Gewalt öffentlich wird, etwa ein ungerechter Krieg gegen eine niedere Obrigkeit, ohne damit Gottes Willen und Ordnung grundsätzlich umzustoßen, ist das zu erleiden.[193] Dann aber, wenn die Obrigkeit anfängt zu verfolgen, wenn sie sich gegen das höchste göttliche Recht, auch gegen Gottes natürliche Ordnung, setzt, alle Ordnung faktisch umstößt, um eine Unrechts„ordung“ zu installieren, dann soll man ihr wehren.[194]

    Es wurde auch betont, dass die weltliche Obrigkeit kein Recht hat, gemäß Matth. 22, sich in geistliche Dinge, in kirchliche Angelegenheiten einzumischen; ebenso wenig, sich etwas anzueignen, was ihr nicht gehört (Beispiel Ahab und Naboth).[195]

   

    Vor allem aber sucht Luther, dass auch bestehende Rechtsordnung und ihre Handhabung immer wieder überprüft und verbessert wird. Es ist ihm ganz selbstverständlich, dass der Christ, der in dem Bestehen des Staates Gottes Liebeswillen erkennt, auch dringend wünscht, dass alles im Staatswesen diesem Liebenswillen entsprechen möge. Und wer dazu imstande ist, soll eine Besserung in diesem Sinn herbeizuführen suchen. Wenn man aber Luther vorwirft, dass „für ihn jedes über freimütigen Tadel hinausgehende Widerstands- und Revolutionsrecht verschwindet“, so ist dies richtig, falls man nur hinzufügt, dass Luther auch noch „demütiges Bitten zu Gott“ fordert wie auch deutliche Kritik an Miss-Ständen und Sünde bei allen Ständen, einschließlich der obersten Staatsspitzen. Aber in jenem Verhalten Luthers spricht sich ein allgemeines Prinzip aus, das er auch bei der Bekämpfung der kirchlichen Miss-Stände in Lehre und Praxis zu befolgen für Pflicht gehalten hat, dass nämlich nicht mit äußerer Gewaltanwendung, sondern nur durch die Überzeugungskraft der Wahrheit wahrhaft bessere und dauernde Zustände herbeigeführt werden können (vgl. z.B. Erl. Ausg. 22, 52 f. 56 ff.), weil alles gute Neue nur dann heilsam wirkt, wenn es nicht gewaltsam aufgezwungen, also widerstrebend geduldet, sondern als richtig erkannt wird. Es tritt hier der allgemeinere lutherische Grundsatz in Kraft, dass nicht von außen nach innen, sondern nur von innen nach außen gewirkt werden darf. Daher soll die Losung sein: Nicht zwingen, sondern überzeugen! So auch bei unserer Frage. Selbst die lutherischen Bekenntnisse, die ja ein ganz anderes Ziel als ein sozialpolitisches verfolgen, befürworten doch eine „Änderung der Gesetze, wenn der offenbare Nutzen es anrät“. Die Apologie verlangt, dass das Gesetz des Zwangszölibats für Pfarrer und Mönche um der offenbaren schädlichen Folgen willen aufgehoben werde, und dass zur Bekämpfung der eingerissenen Zuchtlosigkeit, mit den strengsten Gesetzen der Ehestand geschützt und die Menschen zum Ehestand eingeladen würden“; dies komme der Obrigkeit zu, die die öffentliche Zucht schützen müsse (XXIII, 53 ff.). Die Schmalkaldischen Artikel erklären, „auch im weltlichen stand wären unzählige große Stücke zu bessern“; so seien „Wucher und Geiz eitel Recht geworden“; noch eine Menge von Miss-Ständen werden genannt, die durch neue Verordnungen abgestellt werden müssten (Vorw. 12). Wie unermüdlich Luther in dieser Beziehung sich bemüht hat, sollte bekannter sein, als es selbst bei manchen, die über diese Frage das Wort ergriffen haben, zu sein scheint. Selbst dann, wenn er von der Fruchtlosigkeit seiner flammenden Vorstellungen überzeugt war, wie bei der Abfassung seiner Schrift „An den christlichen Adel“, hat er es für seine Pflicht gehalten, allen klarzumachen: „Das weltliche Recht, hilf Gott! wie ist das auch eine Wildnis geworden!“ (Erl. Ausg. 21, 347.) Eine Menge anderer Gesetze kritisiert er in Predigten, Vorlesungen, Schriften, Briefen an Fürsten und Private, bis hin zu den Steuergesetzen, die auf die jeweilige Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen Rücksicht nehmen sollen, damit nicht „Land und Leute verderben“. Ebenso wie die staatlichen Ordnungen nach dem Urteil der von der Liebe erleuchteten Vernunft verbessert werden sollen, so auch die Handhabung der Gesetze. Vollendete Gerechtigkeit wird von dem Richter gefordert, auch wenn ihm daraus Gefahren erwachsen können, etwa von „Gewaltigen, die ihm viel dienen oder schaden können“. Er darf sich auch nicht beirren lassen durch die „Juristen“, „die das Recht lenken und drehen, wie es zur Sache helfen will“, indem sie „die Worte [der Gesetze] zwacken und zu Behelf nehmen, unangesehen Billigkeit und des Nächsten Notdurft“ (Gr. Kat. I, VIII, 259 f. 299). Hiermit wird auch schon eine Forderung erhoben, zu der Luther die Beobachtung bewog, dass „kein Recht so spitzig und gewiss erfunden werde, dass es alle Zufälle und Umstände fassen möge“ (Erl. Ausg. 23, 295), die Forderung der Billigkeit, die auch von der Apologie als zur christlichen Liebe gehörend erwähnt wird (IV (III) 122). Wollte man „stracks den Gesetzen nachfolgen, so wäre es das allergrößte Unrecht, wie der Heide Terentius sagt: Das strengste Recht ist das allergrößte Unrecht.“ Es gibt also Fälle, in denen „das Recht weichen und an seiner Statt die Billigkeit regieren soll“, die bedenkt: „Es kann geschehen, dass zwei ein gleiches Werk tun, aber doch mit ungleichen Herzen und Meinung“ (Erl. Ausg. 22, 254 ff.). Es muss daher von dem Richter „bei allen Verfehlungen mehr auf die Absicht des Sündigenden gesehen werden als auf seine Hand“; wobei freilich „die Absicht durch sichere Anzeichen und Nebenumstände festgestellt werden muss, damit nicht jeder sagen könne: Ich habe es wider Willen getan.“ (Weim. 14, 686, 19 ff.) Wenn aber der Tatbestand nicht völlig klar liegt, so ist es „besser zu viel Gnade als zu viel Strafe“ (Erl. Ausg. 39, 275), es ist „allzeit besser, einen Buben leben lassen als einen frommen Mann töten“; überhaupt ist „erträglicher, dass die Obrigkeit zu wenig strafe“, als zu viel (Erl. Ausg. 22, 82). Freilich weiß Luther, dass nur „ein frommer Mann“ sein obrigkeitliches Amt im Geist der „Billigkeit“ und „Bescheidenheit“ führen kann. Aber als das Ideal will er eben dies hinstellen, dass auch die Rechtspflege durch den Geist christlicher Liebe geadelt werde. Daher stellt er an den Fürsten, der „sich christlich halten will“, die vierfache Forderung, er solle „sich zu Gott stellen mit rechtem Vertrauen und herzlichem Gebet um Weisheit“, zu seinen Untertanen mit Liebe und christlichem Dienst, gegen seine Räte und Gewaltigen mit freier Vernunft und ungefangenem Verstand“, dass er „nicht seine Sinne gefangen gibt den großen Hansen und Schmeichlern“, „gegen die Übeltäter mit bescheidenem Ernst und Strenge“ (Erl. Ausg. 22, 102 f.). Endlich, wie freimütig Luther den regierenden Herren die Wahrheit gesagt und wie oft er ungerechte Entscheidungen weltlicher Behörden angefochten hat, wird doch keiner weiteren Darlegung bedürfen. Es verlangt also „der konservative Geist des Luthertums“ keineswegs eine blinde Verehrung der Regierenden und der Gesetze, im Gegenteil. Vielmehr will dieselbe Liebe zum Nächsten und zum Volksganzen, die vor gewaltsamem Umsturz ein Grauen empfindet, die staatlichen Einrichtungen immer mehr verbessert sehen und wirkt dahin, soweit sie dazu imstande ist. Der Geist des Luthertums kann ebenso wohl fortschrittlich wie konservativ sein, je nachdem es „den Nächsten nütze und not“ ist.

    Dieses soll die einzige Richtschnur sein, nach der der Christ alle seine Entscheidungen trifft, auch die über die Frage, ob er die staatlichen Ordnungen für sich selbst, um sein Recht durchzusetzen, in Anspruch nehmen soll. Die allgemeine Regel lautet, dass ihm dies nicht erlaubt ist. Denn er lebt nicht sich selbst, sondern Gott und dem Nächsten. Ihm ist also an seinem Recht und Vorteil nichts gelegen, vielmehr alles an der Förderung des Nächsten. Aber eben weil diese allein ihn bestimmt, kann auch der Fall eintreten, dass er auf sein Recht nicht verzichten darf. Dieser Fall liegt dann vor, wenn sicher zu erwarten ist, dass die Nichtbestrafung des ihm widerfahrenen Unrechts demoralisierend wirken würde. Dann fordert die Liebe zu den anderen, nicht dem Unrecht zu weichen. Und zwar kann das eine Mal mehr in Betracht kommen, dass es „nutz und not ist dem Nächsten“, das andere Mal „der Gemeinde“ (Erl. Ausg. 22, 81), dem Gemeinwesen. Falls zu fürchten ist, dass ein öffentlich mir zugefügtes Unrecht, wenn es ungestraft bleibt, die Scheu vor Gesetzesübertretung vermindert, so soll ich auch „für mich selbst und meine Sache das Schwert gebrauchen, der Meinung, dass ich nicht damit das Meine suche, sondern dass das Übel gestraft werde“, also um „das Recht und Gewalt handhaben zu helfen“ (daselbst). Oder aber es kann mich dazu die Liebe zu dem, der mir das Unrecht zugefügt hat, nötigen. Denn die Christen „trauern mehr über dessen Sünde als über den eigenen Schaden und verlangen mehr danach, ihn von der Sünde abzubringen, als das erfahrene Unrecht zu rächen. Sie werden also das ihnen Entwandte zurückfordern oder Bestrafung veranlassen, wenn sie sehen, dass der [der Übeltäter] nicht ohne Bestrafung gebessert werden kann“ (Erl. Ausg. Opp. var. arg. 2, 339). Sie lassen also die Entscheidung darüber, ob sie „dem Übel widerstreben“ sollen oder nicht, einzig davon abhängen, was für die anderen „besser“ ist. Nur freilich kann allein „ein rechter Christ“, der „des Geistes voll“ ist, so handeln. Die anderen werden, falls sie noch das Gebot der Liebe anerkennen, ihrem egoistischen Kampf ums Recht den Lügenmantel der Liebe zum Nächsten umhängen (Erl. Ausg. 22, 81). Wenn also behauptet worden ist, „der Lutheraner pflege im Bedarfsfall sich selbst das sogenannte ‚Moratorium der Bergpredigt‘ zu bewilligen“, so kann dies nur von einem unlutherischen Lutheraner gelten. Der echte Schüler Luthers kann es nur dem Anderen zugute bewilligen. Und auch dies nicht so leicht. Denn obwohl ein solches total selbstloses Verfahren das Höchste ist, so erkennt er es doch auch als sehr „gefährlich“, weil er die Verlogenheit seiner Selbstsucht kennt. Daher hat Luther vorgezogen, es nicht geradezu zu fordern. Noch lieber würde er etwas anders sehen, dass nämlich „niemand selbst Kläger wäre, sondern andere in brüderlicher Treue und Sorgfältigkeit füreinander ansagten der Obrigkeit das Unrecht, dass also die Gewalt mit Fug und rechter Ordnung durch der anderen Bezeugen zur Strafe griffe. Ja, der Leidende sollte bitten und wehren, dass man seine Sache nicht rächte, wiederum die anderen nicht ablassen, bis das Übel gestraft würde; so ginge es freundlich, christlich und brüderlich zu.“ Geschieht dies nicht, so soll der Christ, der Unrecht erfahren hat, von Herzen wünschen, dass der, der es ihm zugefügt hat, zur Erkenntnis seiner Sünde komme. Daher mag er ihn „warnen und seines Verderbens erinnern“. „Denn das ist eine christliche, brüderliche Treue, so du erschrickt und ihm sein Unrecht und Gottes Gericht vorhältst“; nur „nicht um deines Schadens willens vornehmlich, auch nicht, ihn zu bedrohen“, sondern eben aus erbarmender Liebe (Erl. Ausg. 16, 83 f. 80).

     Es kennt demnach der Christ auch hinsichtlich seiner Stellung zum Staayt und dessen Ordnungen keine „doppele Moral“, sondern nur die Eine Liebe zur Gott und dem Nächsten, mag er nun ein Amt bekleiden oder nicht, mag es sich um seine eigene Sache oder um die anderer handeln. Es muss aber diese Liebe ein verschiedenes Verfahren einschlagen je nach der Besonderheit des Einzelfalls, oder, wie Luther sich ausdrückt, der affectus ist stets derselbe, der effectus [Resultat] verschieden. „So geht’s denn beides fein miteinander, dass du zugleich Gottes Reich und der Welt Reich genug tust“ (Erl. Ausg. 22, 73). Denn aus dem Gottesreich hast du die Liebe, die allein auch dem Weltreich genugtut.

 

ef. Die Sozialverantwortung der Gemeinde Christi[196]

    Wenn auch dem Staat oder der Obrigkeit als der von Gott geordneten Einrichtung der Nation der „allgemeine Nutzen“ oder die „allgemeine Wohlfahrt“ als Staatsziel aufgegeben ist, so ist doch damit die Gemeinde Jesu Christi nicht aus ihrer Verantwortung genommen. Vielmehr ist es so, dass in allen Bereichen der Staat nur in Funktion tritt, wenn die freien Einrichtungen, gerade auch der Kirche und der Ortsgemeinden, diese nicht oder nicht völlig ausfüllen können. Die soziale Verantwortung der christlichen Gemeinde hat Luther schon durch die „Ordnung des gemeinen Kastens“ für die Gemeinde in Leisnig deutlich gemacht, der dazu dienen sollte, den Bettel überflüssig zu machen, den Armen und Schwachen zu helfen. „Ein guter Hirte hat, nachdem er das Evangelium gepredigt, auch dafür Sorge zu tragen, dass sie Armen nicht unversorgt bleiben.“ (Walch IX, 146.) Auch die Kirchenordnungen Bugenhagens etwa für die norddeutschen Städte weisen den Ortsgemeinden die Verantwortung für die christlichen Schulen zu; Armenwesen und Krankenfürsorge sind Aufgaben der Gemeinde, wie auch Vorschriften für das sittliche Wohlverhalten. Wucher fällt gemäß den Kirchenordnungen unter die offenbaren Sünden, gegen die Kirchenzucht geübt werden soll.[197]

    Wie weit die soziale Verantwortung der Gemeinde Christi geht, zeigt vor allem Luthers ersten Schreiben bei den aufkommenden Bauernunruhen, als er zur Verständigung auf der Grundlage der zwölf Artikel der Bauern aufruft und die Unterdrückung, Entrechtung und Ausbeutung der Bauernschaft durch den Adel scharf rügt. Dabei darf aber die Ausübung dieser Sozialverantwortung nie abgekoppelt sein vom Grundauftrag der Kirche, nämlich der Verkündigung des Wortes Gottes in Gesetz und Evangelium. Und die Ausübung der Sozialverantwortung ist Frucht dieser Verkündigung, ist Ausübung der Nächstenliebe, auch das darf nie in den Hintergrund treten. Gemeindliche und kirchliche Diakonie ist praktizierte Nächstenliebe, nicht bloß Sozialarbeit. Gerade darum aber dürfen der Gemeinde Christi die Armen, Schwachen, Entrechteten, Elenden, Unterdrückten, Hilflosen, Kranken, Sterbenden nie gleichgültig sein, sondern gerade an sie ist sie gewiesen, ihnen mit Wort, Sakrament und dem Werk der Nächstenliebe zu dienen.

 

eg. Das Erwerbsleben

    In der Apologie heißt es: „Die Teilung der irdischen Güter, Eigentum, Besitz sind weltliche Ordnungen, die von Gott bestätigt sind durch das Wort Gottes in dem Gebot: Du sollst nicht stehlen. Seinen Besitz aufgeben, hat keinen Befehl oder Rat in der Schrift. Die evangelische Armut [deren sich die Mönche mitten im Überfluss rühmen, XXVII, 16] besteht nicht im Verlassen der Güter, sondern darin, nicht habsüchtig zu sein und nicht auf die Schätze zu vertrauen.“ (XXVII, 46.) Diese innere Freiheit von dem irdischen Besitz ist auch bei großem Reichtum möglich (Apol. XVII, 61.63). Da also auch „den Christen erlaubt ist, Eigentum zu besitzen“ (Augsb. Bek. XVI, 2) und Gott es ist, der den Einzelnen ihre irdischen Güter gegeben hat (Kl. Kat. II, 2 usw.) so ist der Kommunismus gegen Gottes Willen (Apol. XVII, 63; KF, Kurze Darl. XII, 17). Nach Luthers Erfahrungen wollen die Kommunisten „der anderen fremde Güter allgemein haben und ihre eigenen für sich behalten“, und wollte man allgemein ein derartiges System, nach dem „den Bedürftigen umsonst gegeben“ würde, einführen, „da würde jedermann wollen essen, trinken, wohl leben von der anderen Gut und niemand arbeiten, ja, jedermann würde dem anderen das Seine nehmen und würde ein Wesen werden, dass niemand vor dem anderen leben könnte“ (Erl. Ausg. 24, 305; 22, 217). Aber „unser Herrgott will beides verboten haben, dass man nicht soll müßig gehen und soll auch nicht verschwenden, sondern was man erarbeitet, fein zu Rate halten“, „den Gewinn hinter sich legen und auf die Notdurft halten“ (Erl. Ausg. 3,80). Was aber unter „verschwenden“ zu verstehen ist, ergibt sich daraus, dass wir „alle Güter, so Gott gibt“, gebrauchen sollen „allein zur zeitlichen Notdurft, ein jeglicher in seinem Stand nach Gottes Ordnung“ (Gr. Kat. I, I, 47). Was über das zu standesgemäßen Lebensführung hinaus von Gott gegeben wird, sieht der Christ als nicht für den eigenen Gebrauch erhalten an, sondern damit soll er denen dienen, die weniger haben, die Not lindern und helfen, dass andere aus dem Elend herauskommen (Sozialverantwortung des Eigentums, das nur von Gott, dem Eigentümer aller Dinge, geliehen ist zur eigenen Notdurft und zum Liebesdienst an den Nächsten; s.a. unten S. 200).

    Hinsichtlich der Erwerbswege ist im Allgemeinen zu sagen, dass „Kaufen und Verkaufen“, Handel und Gewerbe, überhaupt Geschäfte zu machen, auch dem Christen erlaubt ist (Augsb. Bek. XVI, 2; Apol. XVI, 53). Von einer „Abneigung gegen den Kaufmanns- und Handelsstand“ an sich verraten weder die lutherischen Bekenntnisse noch Luther etwas. Wie wenig zutreffend die Ansicht ist, Luther habe „nur Landwirtschaft und Handwerk für einen wahrhaft Gott wohlgefälligen Erwerbsstand gehalten“, zeigt schon die Beobachtung, dass er den Wucher durch Aufweisung des großen Unterschieds zwischen ihm und dem Handel an den Pranger stellt (Erl. Ausg. 16, 103 ff.). Er hat also den Handel für durchaus berechtigt gehalten. Wohl hat er gegen den Handelsbetrieb, wie er schon damals sehr häufig zu beobachten war, scharfe Urteile gefällt, aber er hat auch geschrieben: „Aller Handwerke, auch der Bauern Übersetzung [Übervorteilung] haben also überhandgenommen, dass man’s mit zehn Konzilien und zwanzig Reichstagen nicht wieder wird zurechtbringen können“ (Schm. Art. Vorw. 12; Gr. Kat. I, VII, 226). Und ausdrücklich hat er erklärt: „Das kann man nicht leugnen, dass Kaufen und Verkaufen ein nötiges Ding ist, das man nicht entbehren und wohl christlich [ge]brauchen kann.“ (Erl. Ausg. 22, 201.) Zwischen Gebrauch und Missbrauch unterscheidend, vermied er den Irrweg der Wiedertäufer, die lehrten, „dass ein Christ mit gutem Gewissen kein Gastgeber [Gastwirt], Kaufmann oder Messerschmied sein könne“ (KF, Kurze Darl. XII, 18). Anstatt also zu sagen: „Luther stellt sich der neuen wirtschaftlichen Kulturperiode wesentlich pessimistisch und hemmend gegenüber“, dürfte es richtiger heißen müssen: Luther weist einerseits auf die schlimmen sozialen Folgen des zügellos gewordenen wirtschaftlichen Betriebs hin, um womöglich gesetzliche Maßnahmen zur Verhütung des drohenden Plutokratie (Herrschaft der Reichen) und Pauperismus (Verarmung vieler Menschen) zu veranlassen; und vermutlich wird doch mancher beklagen, dass es ihm nicht gelungen ist, einen energischen Kampf gegen den rücksichtslosen „Geist des Kapitalismus“, dessen Rauschen ihm so unheimlich klang, zu entzünden. Andererseits will Luther, und dies ist für die Frage nach der lutherischen Sittlichkeit das Wichtigste, denen, die wahre Christen sein wollen, den Weg zeigen, auf dem sie auch unter den versucherischen Zeitverhältnissen ohne Verletzung ihres Gewissens ihren Lebensunterhalt finden und gebrauchen können, mit anderen Worten: wie sich ihre Liebe zu Gott und dem Nächste auch auf dem Gebiet des Erwerbslebens gegenüber dem herrschenden Ungeist der Habgier und Profitsucht, der Ausbeutung und Unterdrückung, geltend zu machen hat.

    Die christliche Liebe untersagt zunächst „allen Vorteil mit des Nächsten Nachteil in allerlei Handeln“. Denn dies ist nichts anderes als stehlen oder „eines anderen Gut mit Unrecht zu sich bringen“ (wie es etwa geschieht, indem Wettbewerber als „Konkurrenten“ ausgeschaltet werden sollen; wie es geschieht durch ungerechtfertigte Preissteigerungen, durch künstliche Herbeiführung von Knappheit, durch Ausnutzung tatsächlicher Knappheit für Preiserhöhung; durch die Zerstörung der wirtschaftlichen Grundlage durch für eine Seite schädliche Handelsverträge (wie sie die EU mit afrikanischen Staaten abgeschlossen hat; wie es geschieht durch die Aufkauf von Ackerland durch westliche Konzerne in Afrika und Asien) usw.). Es hat also „keinen Fug und Recht, das Seine so teuer zu geben, wie ihn gelüstet“ oder gar durch allerlei Kunstgriffe eine „Teuerung zu machen“ (Gr. Kat. I, VII, 224); es muss vielmehr um den „gerechten Preis“ gehen. Was aber heißt „zu teuer“? Die Apologie sagt: „Es wird endlos disputiert über die Handelsgeschäfte, über die aufrichtige Gemüter nie beruhigt werden können, wenn sie nicht diese Regel verstehen, dass Handelsgeschäfte so weit vor Gott erlaubt sind, wie die Obrigkeit und die Gesetze sie billigen.“ (XVI, 64.) Sollte Melanchthon damit sagen wollen, einem Christen sei im geschäftlichen Verkehr alles gestattet, was nur nicht durch obrigkeitliche Gesetze untersagt sei, so würde er nicht Luther treu geblieben sein, der erklärt: „Die Rechte lassen auch viel böse Stücke zu, die Gott verbietet.“ (Erl. Ausg. 16, 83.) Doch, da Melanchthon nur von dem redet, was die Gesetze positiv „billigen“, so wird er hier nichts anderes gemeint haben als Luther, wenn dieser hinsichtlich des „gerechten Preises“ ausführt, es sollte die Obrigkeit durch vernünftige und redliche Männer den Preis der waren festsetzen lassen. Solange dies nicht geschehen, muss man den allgemeinen Marktpreis oder wie es Landesgewohnheit ist, innehalten. Außerdem darf man den Begriff „Gesetze“ nicht auf die obrigkeitlichen Gesetze beschränken, sondern muss das von Gott vorgegebene natürliche Recht sowie die direkten Gebote Gottes mit einbeziehen, die beide Vorrang haben vor den staatlichen Gesetzen. Damit man auch für solche Waren, die „nicht gang und gäbe“ sind, den Verkaufspreis richtig bestimmen könne, wäre es am besten, wen die Obrigkeit festsetzte, wieviel Prozent der Gewinn betragen dürfe. „Was dieselbe hierin setzte, das wäre sicher.“ Solange solche Direktive noch fehlt, also man selbst den Preis bestimmen muss, soll man sich zunächst vornehmen, nichts als seine ziemliche Nahrung zu suchen in solchem Handel, danach die „Kosten, Mühe, Arbeit und Gefahr rechnen und überschlagen und so dann die Ware selbst setzen, steigern oder erniedrigen, dass du solcher Arbeit Mühe und Lohn davon habest“. Solltest du dann einmal unwissend etwas zu viel genommen haben, so „sollst du dein Gewissen nicht damit beschweren“; es wird sich wohl schon ein andermal durch Verluste ausgleichen. Als Maßstab aber, wie hoch du den zu gewinnenden Profit berechnen darfst, kann dir das Existenzminimum eines Tagelöhners dienen, wozu dann diene größere Arbeit, deine Werbekosten und dein Risiko hinzuzurechnen sind. Denn „größere Arbeit und viel Zeit soll auch desto größeren und mehr Lohn haben“. „Wem das nicht gefällt, der mach’s besser.“ (Erl. Ausg. 22, 204 ff.) Danach darf man wohl als echt lutherisch bezeichnen, neue Zeitströmungen nicht um der Schwierigkeit willen, die sie für die Ethik bieten, einfach abzulehnen, sondern danach zu ringen, auch in ihnen den Geist christlicher Liebe zur Geltung zu bringen.

    Man hat Luther weiter deshalb getadelt, weil er „für die Produktivität des Geldes kein Verständnis“ gehabt habe und deshalb auch nicht für das „Hineinwachsen Deutschlands aus der Natural- in die Geld- und Kreditwirtschaft“. Luther hat die völlig richtige Feststellung getroffen, die auf Aristoteles zurückgeht, dass es nicht in der Natur des Geldes liegt, 2fruchtbar“ zu sein, wie dies etwa in der Natur eines Grundstücks liegt; vielmehr müsse es erst „fruchtbar“ gemacht werden, etwa durch Verwendung zum Ankauf eines Grundstücks, und ob solche Verwendung gelinge, hänge vom Zufall und Glück ab (Weim. Tischr. 5, 146,26; Erl. Ausg. 57, 360; 16, 104; 23, 300). Und die Richtigkeit dieser Bemerkung dürfte nicht zweifelhaft sein. Dass man aber mit Geld ungemein viel gewinnen kann, spricht Luther immer wieder aus, indem er sich gegen jene „Fruchtbarmachung“ des Geldes wendet (Zins, Spekulation, Preistreiberei, Wetten, Glücksspiel), durch die der Nächste und die Gesamtheit äußerst unheilvoll geschädigt werden. Luther hat aufgrund der Darlegungen des Alten und Neuen Testaments das klare Nein der alten Kirche zum Zins (Wucher) erneuert. So lange aber der Zins nicht völlig überwunden ist, sollte der Staat zusehen, dass er nicht über fünf Prozent steigt. Man kann also durchaus von einer kritischen Haltung Luthers gegen die „Kreditwirtschaft“ sprechen, und es fragt sich, ob seine Kritik an ihr nicht berechtigt gewesen ist, ob nicht überhaupt bei Befolgung der Ratschläge Luthers die „neue wirtschaftliche Kulturperiode“ eher den Namen wahrer Kultur verdienen würde als die Entwicklung, unter deren Folgen die Welt sei dem 19. Jahrhundert in allen Fugen kracht.

    Zu dem ersten Grundsatz für das Erwerbsleben des Christen wird als zweiter hinzugefügt: „Darum wisse ein jeglicher, dass er schuldig ist bei Gottes Ungnade, nicht allein seinem Nächsten keinen Schaden zu tun, … sondern auch sein Gut treu zu bewahren, seinen Nutzen zu schaffen und fördern.“ (Gr. Kat. I, VII, 233.) Und dies schließt zweierlei in sich, dem Dürftigen zu leihen und ihm zu geben. Während das Gegenteil davon in den Bekenntnisschriften nur ganz allgemein erwähnt wird: „Wucher und Geiz sind wie eine Sintflut eingerissen und eitel Recht geworden.“ (Schm. Art., Vorw. 12; Gr. Kat. I, VII, 240), hat Luther in seinen Schriften die hierhergehörenden, zu jener Zeit eifrigst behandelten Einzelfragen eingehend besprochen. Stellen wir seine wichtigsten Forderungen kurz zusammen! Leihen kann nur das unentgeltliche Leihen (also ohne Zins!) heißen. Etwas völlig anderes ist es, ein gewinnbringendes Geschäft ist es, wenn man etwas unter der Bedingung „ausleiht“, dass man mehr wiederbekommt, als man „geliehen“ hatte. Dass jenes von der christlichen Liebe gebotene unentgeltliche Leihen so gut wie ganz aufgehört hat und an dessen Stelle eine Geschäftsspekulation getreten ist, der man fälschlich jenen schönen Namen „leihen“ gegeben hat, dies ist es, was Luther vor allem bekämpft hat. Würde jenes biblische Leihen noch geübt, so würde das wucherische Zinsnehmen fast aufhören, da es in der Regel Bedürftige sind, die sich durch Zinszahlung Geld verschaffen (Erl. Ausg. 16, 108). Nur wenn der von einem anderen um ein Darlehen Angegangene auch selbst sein Geld benötigt und so nun sich selbst Geld beschaffen muss, ist er berechtigt, den entstandenen Schaden durch Zins wieder auszugleichen (daselbst), ebenso der, welcher nicht arbeiten kann und etwas Geld besitzt, von dessen Zinsen er seinen Lebensunterhalt bestreiten muss (Erl. Ausg. 23, 306). Da es aber verboten ist, die Not des Nächsten zum eigenen Vorteil auszubeuten, darf man einem Notleidenden nur unentgeltlich leihen. (Wer aber Zinsen nimmt, darf nur einen angemessenen Gewinn erzielen wollen, etwa vier oder fünf Prozent nehmen, es sei denn, dass das Steigen der Güter einen etwas höheren Zinsfuß rechtfertige. Und er soll das Geld nur als Hypothek auf ein ertragfähiges Pfand, etwa auf ein Grundstück, leihen, weil bei einem Leihen ohne Pfand die Entleiher verleitet werden, sich mehr zu borgen, als wofür sie Zinsen bezahlen können, wodurch sie zugrunde gerichtet werden (Erl. Augs. 16, 104 ff.) Aber auch diesen Zinskauf lehnt Luther eigentlich ab, weil dadurch letztlich doch nur der sich etwas Borgende ausgebeutet wird.) Es sollte auch der Geldgeber an dem Risiko des Geldnehmers teilhaben, also dann, wenn dieser ohne seine Schuld infolge unglücklicher Zufälle nicht den zu erwartenden Ertrag von dem belasteten Pfand erzielt, mit geringeren Zinsen sich zufrieden geben – oder gar keine verlangen. Denn ein Doppeltes ist es, warum Luther im Allgemeinen gegen das Zinsnehmen eingestellt ist, dass nämlich der Geldgeber sich ohne Mühe und ohne Risiko bereichert und beides auf den Geldnehmer abschiebt. Lässt sich nun auch das Risiko auf beide Teile verteilen, so bleibt noch immer die biblische Forderung unerfüllt, dass ein Gewinn durch unsere Arbeit erlangt werden soll – und eben nicht durch Zinsnehmen, Spekulation, Börsenhandel. So lange der Zins noch nicht völlig überwunden ist, liegt Luther daran, ihn möglichst auf den Großhandel, auf die „großen merklichen Summen und tapferen [beträchtlichen] Güt4er“ einzuschränken (Erl. Aug. 16, 108).

    Zu dem unentgeltlichen Leihen und zu dem reinen Geben ist aber nur der verpflichtet, der mehr besitzt, als er für sich und die Seinen braucht, und er soll nicht alles, was er jeweils überflüssig besitzt, weggeben, da wir geben sollen, solange wie wir leben. Aus soll er sich hüten, denen zu geben, „die wohl arbeiten, dienen und sich nähren könnten“ (Erl. Ausg. 23, 314 f. 318). Andererseits ist es auch Pflicht dessen, der sich etwas geliehen hat, den Geber vor Verlust zu bewahren. Wenn er etwa das Geld nicht zur verabredeten Zeit zurückgibt, so muss er dem Geber allen Schaden, den er dadurch erleidet, ersetzen (Erl. Ausg. 23, 290 ff.).

    Die dritte Forderung, dem Bedürftigen zu geben, wird auch in den Bekenntnisschriften betont. Die Almosen haben so sehr Gottes Gebot und Verheißung, dass man sie, wollte man den römischen Sakramentsbegriff gelten lassen, ein Sakrament nennen könnte (Apol. XIV, 17). Als von Gott geboten, kann das Almosengeben nicht ohne Sünde unterlasen werden (Apol. VI, 46), und es ist von Gott „mit trefflichem Segen begnadet und überschüttet, dass es reichlich soll vergolten werden, was wir unserm Nächsten zu Nutz und Freundschaft tun“ (Gr. Kat. I, VII, 252). Die Armut aber, die uns nicht zum Geben und Schenken bewogen hat, „schreit und ruft gen Himmel, und solches Seufzen und Rufen wird nicht scherzen, sondern einen Nachdruck haben, der dir und aller Welt zu schwer werden wird“ (Gr. Kat. I, VII, 247). Damit aber für alle Armen gesorgt werde, soll zu der privaten Wohltätigkeit eine öffentliche hinzutreten. Wie in der ersten Christenheit die Armen von den für die Agapen gesammelten Gaben erhielten (Apol XXIV, 86), so sollen auch heute die Armen aus dem Kirchengut versorgt werden ((Apol. IV (III), 141 f.; Gr. Kat. I, VII, 240). Noch bestimmter spricht Luther aus, dass das Ziel der Armenpflege das Verschwinden des Bettels sein soll (Erl. Ausg. 16., 87). Deshalb ist es eine völlige Entstellung des Gebots Christi, wenn die Römischen lehren, man brauche dem Bedürftigen nur dann zu geben, wenn er sich „in der höchsten Not“ befinde, zumal sie nicht anzugeben vermögen, was als höchste Not zu gelten habe (das. 92). Mit diesen Gedanken ist eine völlig neue Beurteilung der Wohltätigkeit geltend gemacht. Seit dem nachapostolischen Zeitalter war das Almosengeben als das Mittel, sich Vergebung der Sünden und die ewige Seligkeit verdienen zu können, gewertet worden. Infolgedessen strebte man natürlich durchaus nicht danach, die Gelegenheit zum Almosengeben, die Armut, auszurotten, und verschloss sich gegen die Erkenntnis, dass das Betteln menschenunwürdig ist. So konnten die Mönche auf ihr Betteln als auf einen Gottesdienst stolz sein. Diese doppelte Verirrung wurde von der Reformation überwunden (z.B. Apol. IV (III) 142; Augsb. Bek. XXVII, 48 f.). Die nun geforderte Wohltätigkeit sollte aus keinerlei Egoismus, sondern aus Liebe zu dem Bedürftigen hervorgehen, also ihm wahrhaft wohltun, daher auch ihm das beschämende Betteln ersparen. – Um die Mittel für eine so durchgreifende Armenpflege zu beschaffen, wurde der „gemeine Kasten“ eingerichtet, der nicht nur „für die gebrechlichen und alten armen Menschen“ sorgen, sondern auch solchen, die „nicht vermögen, ihre Handwerke , bürgerliche und Bauernnahrung redlich zu treiben“, Gelder vorstrecken und nötigenfalls auf Rückzahlung verzichten sollten (Erl. Ausg. 22, 124 f.). Dass diese Einrichtung nicht ganz den erwünschten Erfolg hatte, wird wohl besonders den Grund gehabt haben, dass Luther Recht hatte mit seiner Überzeugung, solche Armenpflege könne nur von wahren, allein in christlicher Liebe diese saure Arbeit übernehmenden und verrichtenden Christen in gedeihlicherweise ausgeübt werden, solche Männer aber noch nicht genügend zur Verfügung standen. Denn er erklärte, mit der Neuerung in Wittenberg warten zu sollen, „so lang, bis unser Herrgott Christen macht“ (Erl. Ausg 22, 111; 17, 61). Wenn Calvin das, was Luther erstrebte, durch Schaffung des Diakonats auszuführen vermochte, so lag das wohl daran, dass die in Genf herrschende strenge Kirchenzucht wenigstens eine äußerliche Erledigung solcher Arbeiten erzielen konnte. Ob jedoch damit Luthers Ziel, eine wahrhaft christliche Liebestätigkeit, schon erreicht wurde, ist fraglich. Von welchem Geist Luther die christliche Wohltätigkeit beseelt sehen wollte, kann auch die weitere Weisung zeigen, dass alles „Geben“ „einfältig“ geschehen müsse, d.h. „mit einfältigem Herzen, nicht um eitler Ehre willen; und tue ja, wie er kann, dass er’s vergesse, als habe er nie etwas gegeben oder wohlgetan“. Denn es sind nicht wenige, die mit dem Geben „ihren Nutzen suchen über die Maßen schändlich“; „niemand kann ihnen genug dafür danken“; sie erwarten, dass der von ihnen Unterstützte zu allem Möglichen sich ihnen verpflichtet fühle; sie wollen aus ihm gleichsam einen Leibeigenen machen. Sie sind „eitel Nehmer und wollen doch Geber heißen“. „Und ist nicht allein der Mammon ihr Gott, sondern sie wollen durch ihren Mammon auch aller Welt Gott sein und sich feiern lassen.“ „So ist’s viel besser, sie vertun tausend Gulden ins Teufels Namen, als dass sie einen Pfennig geben in Gottes Namen.“ (Erl. Ausg. 24, 316 f.)

    Nach dem Gesagten verurteil das Luthertum an dem Geist des Kapitalismus 1) das Erwerben um des Erwerbens willen, 2) das Reichwerdenwollen, sei es, um Schätze anzusammeln, sei es, um sie zu genießen, 3) das Erwerben auf Kosten anderer, 4) seinen Besitz als sein Eigentum, über das man nach Belieben verfügen könne, anzusehen und zu verwenden, 5) eine Wohltätigkeit, die nur durch Schädigung anderer möglich geworden ist und im Grunde nur egoistische Zwecke verfolgt.

    Luther hat auch die Gefahr der Monopolbildung, der Bildung wirtschaftlicher Macht erkannt, die eine Gefahr sowohl für den Markt als auch die Freiheit des Volkes und der Nationen darstellt und hat sich vehement gegen solche großen Konzerne ausgesprochen (s. Vom Kaufhandel und Wucher), denn sie ruinieren den Mittelstand und das freie Kleingewerbe. Luther hat also ganz klar die Gefahren des „freien Marktes“, der unregulierten Wirtschaft erkannt, die alles umstößt, was vom natürlichen Recht an Recht und Billigkeit vorgegeben ist. Darum ruft er den Staat auf, gegen diese Gefahren durch Preisregulierung, Monopolverbote („Anti-Trust-Gesetze“), Ausrichten des Handels am Gemeinwohl vorzugehen (Vom Kaufhandel und Wucher).

    Im Großen Katechismus hat er auch die auf Habgier und Profitsucht ausgerichtete kapitalistische Wirtschaft in ihrer Grundhaltung angegriffen: dem Materialismus, dem Mammonsdienst, dass das Geld, wirtschaftliche Macht, wirtschaftlicher Erfolg zum eigentlichen Lebensinhalt, zur eigentlichen Sicherheit, zum eigentlichen Gegenstand des Vertrauens wird – und damit tatsächlich ein Abgott ist, Götzendienst (I, I, 5 f.).

 

eh. Die Bildung[198]

    Melanchthons Begeisterung für die Wissenschaft war so groß, dass er auf allen ihren Gebieten, selbst auf dem der Naturkunde und dem der Medizin eifrigst gearbeitet hat. So ist es auch ihm zu verdanken, dass in der durch die neue Glaubenspredigt äußerst erregten Zeit der wissenschaftliche Geist nicht erlosch. Luther hat geschrieben: „Wenn es nur meine beschränkte Natur erlaubte, so … würde ich mich danach sehnen, auch über das, was nicht notwendig ist und in der Schrift nicht gelehrt wird, vollendetste Gewissheit zu haben. Denn was gibt es Elenderes als Ungewissheit?“ (Erl. Ausg. Opp. v. a. 7, 122.) Dieser sein brennender Wissensdurst ließ ihn hohe Loblieder singen auf seine Zeit. „Denn Gott der Allmächtige hat wahrlich uns Deutsche jetzt gnädig heimgesucht und ein recht goldenes Jahr aufgerichtet. Da haben wir jetzt die feinsten, gelehrtesten Gesellen und Männer, mit Sprachen und aller Kunst geziert.“ Freilich ist in erster Linie seine hohe Freude über das Aufblühen der Wissenschaft durch den Humanismus darin begründet, dass durch das erwachte Sprachstudium die Heilige Schrift wieder verständlich geworden ist, dass also die weltliche Wissenschaft auch der Theologie wertvolle Dienste leistet. Er wendet sich daher gegen die Schwärmer, die „sich des Geistes rühmten“ und darum die Wissenschaft verachteten. Denn, so führt er aus, wenn ihn auch seine Erfahrungen gelehrt haben, wie unentbehrlich der Heilige Geist für den Theologen ist, so doch auch, dass er wissenschaftliche Ausrüstung nicht das hätte leisten können, was er nach Gottes Willen geleistet hat. Denn weil der Ursprung des Christentums in einer fernen Vergangenheit liegt und dessen Quellen den Stempel und das sprachliche Gewand dieser uns zunächst fremden Welt tragen, so bedurfte Luther zu dessen richtiger Erfassung eines Studiums, das einerseits ihn selbst über das richtige Verständnis „der Schrift sicher und gewiss machte“, andererseits ihm ermöglichte, den dagegen von „Papst, Sophisten und dem ganzen antichristlichen Regiment“ erhobenen Widerspruch überzeugen zurückzuweisen. Diese seine Erfahrung hat ihn die Unentbehrlichkeit wissenschaftlicher Bildung für die Theologie gelehrt. Aber noch etwas will Luther in dieser Schrift „An die Ratsherren … dass sie christliche Schulen sollen einrichten und erhalten“ einprägen, nämlich die Notwendigkeit der Bildung für alle, wie sie durch das Aufblühen der Wissenschaftlich möglich geworden ist, insofern nun die erforderlichen Lehrkräfte vorhanden sind. Daher fordert er, „die allerbesten Schulen beide für Knaben und Mägdlein an allen Orten aufzurichten“. Vor allem ist eine bessere Bildung erforderlich für die, „welche das Volk regieren sollen“, überhaupt für alle, die irgendwie eine führende Stellung einnehmen wollen. Diese sollten auch fremde Sprachen erlernen, und zwar zur Erlangung einer Geistesbildung. Denn weil man in den hohen Schulen und Klöstern die Sprachstudien vernachlässigt hat, sei auch „die lateinische und deutsche Sprache so verderbt, dass die elenden Leute schier zu Bestien geworden sind und beinahe auch die natürliche Vernunft verloren haben“. Indem er dann die Errichtung öffentlicher Bibliotheken fordert, will er darin auch „die Poeten und Oratoren“ wissen, „unangesehen, ob sie Heiden oder Christen wären“, ferner „die Bücher von den freien Künsten und sonst von allen Künsten“, „auch der Rechte und Arznei Bücher“, vornehmlich „die Chroniken und Historien, in welcherlei Sprachen man sie haben könnte“. Und nun preist er das Studium der Geschichte (Erl. Ausg. 22, 175. 183. 188 ff. 107), zu den „ande4ren Künsten“ rechnet er auch die Naturwissenschaft. Wohl hat er gelegentlich über „Naturkündige“ stark gespottet, doch nur über solche, deren „Vernunft dichtet und weiter forscht als ihr befohlen ist“, „wo die Welt hergekommen und wo sie hin will“, oder die ihre Sternkunde zu der Torheit der Astrologie missbrauchen (Erl. Ausg. 10, 338 ff.). Wohl hat er die Entdeckung des Kopernikus, als einmal bei Tisch davon erzählt wurde, für eine Verirrung gehalten, wie ja die Kunde von umwälzenden Entdeckungen meistens, auch von Fachleuten, zunächst mit einem Lächeln aufgenommen worden ist. Aber er hat auch gesagt: „Wir sind je5tzt in der Morgenröte zukünftigen Leben; denn wir fangen an, wieder zu erlangen die Erkenntnis der Kreaturen, die wir verloren haben durch Adams Fall. Jetzt sehen wir die Kreaturen mehr an als etwa im Papsttum.“ (Erl. Aufs. 61, 110 f.). Die „Herrschaft“ aber auf dem Gebiet der Wissenschaft hat Gott der Vernunft des Menschen gegeben. Denn „in zeitlichen Dingen und die den Menschen angehen, ist der Mensch vernünftig genug; da bedarf es keines anderen als der Vernunft“. „Da lasse man der Vernunft ihr Urteil!“ (Erl. Ausg. 7, 349; 47, 337). So dankbar die Wissenschaft für die Mündigkeitserklärung hätte sein sollen, erlebte doch schon Luther den Schmerz, dass eben die von ihm so gefeierte humanistische Wissenschaft in vielen ihrer Vertreter und gerade in dem Bedeutendsten unter ihnen, dem berühmten Erasmus, ihre Grenzen überschreitend eine neue Religiosität zu schaffen unternahmen, bei der die Religion zu einem Faktor der Kultur erniedrigt wurde, und dass sie von dieser neuen Weltanschauung aus den evangelischen Glauben im Fundament angriff. Es ist bedeutsam, wie Luther dies beurteilte. Im womöglich noch den Erasmus von seinem Plan abzubringen, bat er ihn in einem Brief, er möge, da ihm „die Welt das großartige und herrliche Geschenk“ des „Blühens und Gedeihens der Wissenschaft“ verdankte, sich damit begnügen, „sein Arbeitsfeld zu bebauen“, nicht aber „über seine Grenze hinausgehen“. Denn für die weltliche Wissenschaft habe Gott „ihm Gaben verliehen“, was aber zur Erkenntnis der seligmachenden Wahrheit gehöre, der Glaube, sei ihm noch nicht „von Gott gegeben“ (Enders 4, 319 ff.).So werden immer wieder Spannung zwischen der weltlichen Wissenschaft und der Theologie eintreten, wenn eine derselben „über ihre Grenzen hinausgeht“. Aber die von der Reformation verkündete Freiheit beider wird durch den Missbrauch nicht aufgehoben. Eine Furcht, es könnte die Wissenschaft mit ihrer Vernunft ihm seinen Glauben unmöglich machen, kennt Luther nicht, weil er seinen Glauben nicht der natürlichen Vernunft verdankt, sondern dem Geist Gottes, de, wie er gegen Erasmus schreibt, „nicht Zweifelhaftes oder bloße Meinungen in unser Herz geschrieben hat, sondern eine Gewissheit, die sicherer und fester ist als das, dass wir leben und alles, was wir erleben“ (Erl. Ausg. Opp. v. a. 7, 123 f.). Trotz dieser Überzeugung aber betrübte es Luther tief, dass ein Erasmus seine Wissenschaft zur Bekämpfung der seligmachenden Wahrheit verwandte. Denn das war das Gegenteil von dem, wozu Gott uns seine Gaben verliehen hat. Der Christ soll, wie alles, was er besitzt, so auch seine Bildung, sei es die wissenschaftliche oder die allgemeine, in den Dienst der Liebe stellen, so dass wir den Nächsten dadurch wahrhaft zu fördern suchen. Dazu soll die von Luther geforderte Bildung gereichen, dass „die Männer wohl regieren könnten Land und Leute, die Frauen wohl erziehen und halten könnten Haus, Kinder und Gesinde“ (Erl. Ausg. 22, 190). Denn Gott gibt uns unsere Gaben, auch unsere „Weisheit“ dazu, dass „wir sie gebrauchen uns und anderen Leuten zu Dienst und Nutzen in diesem Leben“ (Erl. Ausg. 46, 139). Der Christ soll sagen: „Lieber Gott, du hast mir viele Gaben geschenkt; ich will sie anderen mitteilen und jedermann damit dienen, wie mir mein lieber Herr und Heiland mit seinen göttlichen Gaben gedient hat.“ (Erl. Ausg. 20, II, 539.)

 

ei. Der Christ und das Leid[199]

        Der Glaube nimmt auch das Leid aus Gottes Hand, weil er weiß, dass Gott auch damit eine gute Absicht hat und durch Not, Leid, Anfechtung uns im Glauben läutern und stärken will.[200] Das Leiden soll unter anderem auch dazu dienen, uns in unserer sicheren Haltung zu erschüttern und uns so antreiben, die Gnade Gottes in Christus umso fester zu ergreifen und so den Glauben zu mehren.[201] Leiden, Trübsal sind dabei weder als Vorbereitung auf den Glauben zu begreifen, noch als Nachbedingung der Rechtfertigung.[202] Ausgangspunkt für unsere Betrachtung des Leidens, der Trübsale muss vielmehr das Evangelium Jesu Christi, des Leidenden, Angefochtenen, Gekreuzigten und Auferstandenen sein. Christus ist sozusagen das „Urbild“ des Leidenden. Und Leid und Trübsal sind Gottes Werk, um uns Christus immer gleichförmiger zu machen (conformitas Christi). So, wie er an Christus gehandelt hat, den er doch zur Herrlichkeit führen wollte, wobei es aber durch das Verderben hindurch ging, so arbeitet er auch an uns Christen.[203] Ziel ist es, das der neue Mensch lebendig wird. Dazu muss aber der alte Mensch, das alte Ich zerbrochen, zunichte gemacht werden (Gal. 5,24), damit Gott uns gebrauchen kann. Er sondert uns damit ab von den natürlichen Werken zu den Werken Gottes. Unsere Leiden, unser Kreuz, das ist ganz wichtig, sind kein Werk, das wir Gott bringen, sondern ein Werk, das er an uns tut. Leiden, Trübsal sind deshalb ein gnädiges Handeln Gottes an uns, das dem Handeln des Vaters an seinem Sohn Christus entspricht und wie bei ihm hinzielt auf die Herrlichkeit, die wir schließlich erreichen sollen (1. Petr. 1,11).[204] Christsein ist also Leidensnachfolge und als solche Kreuzesnachfolge! Und die können wir nur leben, weil wir mit Christus verbunden sind, und so auch täglich mit ihm gekreuzigt werden. Sie zeigt sich gerade auch in der Niedrigkeit des Christen in dieser Welt, im Verzicht auf allen Stolz, allen Ruhm, alle Ehre vor der Welt und vor uns selbst, in Verlassenheit, Ohnmacht, Verzweiflung, Schwachheit und vor allem auch in der Feindschaft der Welt, bis hin zum Martyrium um Christi willen. Das sind keine selbsterwählten Leiden, die sind widerchristlich, sondern es sind die Leiden, Trübsale, Anfechtungen, die Gottes Wille und damit ein Werk des Heiligen Geistes sind.[205]

    Die Trübsale, die uns betreffen können, sind leibliche Gebrechen, Anfechtungen durch Schande und Schmach um Christi willen und die Anfechtung unseres Glaubens selbst. Aber bedenken wir: All das ist nichts Besonderes, sondern das ist normal. Christsein führt in Trübsal, Anfechtung. Das Kreuz ist sozusagen das sichtbare Kennzeichen des Christseins, wodurch wir Christus ähnlicher werden.[206] Unser Leben auf dieser Erde ist an sich ja schon mit dem allgemeinen Kreuz aller Menschen belastet, nämlich dass wir hier ohne äußeren Frieden und Sicherheit leben müssen. Dazu kommt dann noch unser Kreuz als Christen, die Feindschaft und Verfolgung durch den Teufel und die Welt. Aber das macht eben das Christsein aus: der Glaube an Christus, die Liebe zu den Armen und Schwachen und die Verfolgung um Christi willen. Es kann kein Christsein ohne Kreuz, ohne Anfechtung geben.[207]´So macht uns Gott Christus immer mehr gleichförmig. Das ist aber, das ist ganz wichtig, nicht unser Werk, können wir nicht durch Anstrengungen erzwingen, es ist vielmehr Gottes Werk und Geschenk.[208]

    Der Teufel versucht ja, die Trübsale zu verwenden, um uns vom Glauben zu ziehen, die Gewissheit der Erlösung uns zu nehmen, und schließlich in Verzweiflung zu stürzen, so zum Unglauben zu führen. Nicht zuletzt verwendet er dazu auch unsere Sünden, in die er uns erst hineingezogen hat, um sie uns dann als riesengroß und unvergebbar vor Augen zu stellen, das Evangelium in ein Gesetz zu verkehren, Bedingungen an die Vergebung zu knüpfen. Da gilt es, entschieden gegen den Teufel, seine Anfechtungen zu stehen und das Evangelium Christi entschieden fest zu halten, fest am Wort zu bleiben und im Gebet. Dann muss er weichen.[209] Wenn der Teufel dir das Gesetz vorhält, das du nicht gehalten hast, so musst du ihm allerdings Recht geben – aber bleibe nicht dabei stehen, sondern poche auf das Evangelium Christi, die unbedingte Gnade Gottes in Christus, denn in Christus bist du kein Sünder mehr.[210]

    Die schwerste Anfechtung aber ist, wenn Gott selbst sich scheint gegen uns zu stellen, sich mit seiner Gnade von uns abzuwenden und nur noch sein Zorn uns zugewandt bleibt. Da ist die Gefahr der Sünde gegen die erste Tafel, vor allem das erste Gebot, also Zweifel an Gott, Missglauben an Gott, Gotteslästerung, sehr groß. Das ist aber eine Anfechtung, die in ihrer Schärfe nur wenige erleiden.[211] Wenn du also Gottes Zorn fühlst, so halte dennoch, gegen alles Fühlen, am Evangelium fest, trotz aller eigenen Sündhaftigkeit.[212] So will Gott gerade durch das Leid, die Anfechtung uns drängen zu einem rechten Glauben, einem fröhlichen Gewissen, ist doch der Glaube gerade der rechte Gehorsam gegen das erste Gebot und gibt Gott die Ehre, weil er ihn als einen gnädigen Gott ergreift. Und das zeigt uns neben dem, dass Leid und Anfechtung zum Christenleben einfach dazugehören, einen weiteren Sinn der Trübsale und Anfechtungen: Sie führen und zum rechten Christsein und erhalten uns darin. Ja, Leiden, Kreuz, Trübsal, Anfechtung sind daher sogar notwendig für unser Christsein.[213]

    Gott bedient sich auch scharfer Mittel und Strafen wie die Nöte in dieser Welt, Katastrophen, Kriege, Seuchen, Hunger, um an dem sicheren Sünder oder eingeschlafenen Gläubigen zu arbeiten, zu rechter Sünden-, Verdorbenheits- und Verlorenheitserkenntnis zu führen, dass er so das Böse ausfege. Denn in den Nöten will Gott all das Vertrauen auf irdische Dinge zunichte machen und das alte, selbstgerechte Ich zerbrechen und den Menschen zum Suchen nach Hilfe, Vergebung treiben. Gerade die noch unbekehrten Sünder muss Gott erst zur Hölle führen, damit sie erkennen, dass sie Christus als ihren Retter brauchen. Uns Christen aber muss er immer wieder wegführen von der Gefahr, über den geistlichen Gütern, die wir haben, Gott selbst zu vergessen, selbstsicher zu werden, in Stolz und Hochmut zu geraten.[214]

    Wir sollen Trübsal, Leiden, Kreuz nicht mutwillig suchen, sie wählen, darum bitten oder uns gar mutwillig in Versuchung begeben – aber ebenso wenig dürfen wir uns der Anfechtung, wenn sie dann kommt, entziehen. Vielmehr gilt es, im Gehorsam gegen Gottes Willen auch bereit zu sein zum Leiden und daher in der Trübsal auch Gottes Stunde abzuwarten, wann er wieder herausführt.[215] Dass wir dazu bereit werden, dazu soll uns die Erinnerung an und die Betrachtung des Leidens Christi für uns stärken. So kann durch den Glauben ein Ja zum Kreuz gesprochen werden, das dann aufhört, weiterhin so drückend zu sein.[216]

    Eine besondere Bedeutung kommt den Sakramenten als Trostmittel in der Anfechtung zu. So sagt dir deine Taufe, dass deine Sünden, dein alter Mensch, mit Christus gekreuzigt ist, und dass aus der Taufe ein neuer Mensch hervorgekrochen ist.[217] Gerade das heilige Abendmahl ist für den in geistlicher oder leiblicher Not befindlichen Christen eine Quelle des Trostes, besonders dann, wenn er angefochten ist darüber, wie denn Gott zu uns steht – denn hier wird ihm Gottes Gnade so handgreiflich vor Augen geführt und geschenkt, in dem Christus ihm unter Brot und Wein seinen für ihn dahingegebenen Leib und sein für ihn vergossenes Blut darreicht zum (übernatürlichen) mündlichen Genuss, um ihn dadurch zu stärken und zu vergewissern in der Vergebung der Sünden.[218]

    Die Anfechtung lehrt aber auch aufs Wort merken, weil nur aus dem Wort die Kraft kommt, in der Anfechtung im Glauben an Christus zu bestehen. Dies gilt gerade auch dann, wenn Gott selbst es ist, der uns prüft, versucht, und wir den Eindruck haben, Gott habe sich verborgen, zurückgezogen von uns. Gerade dann gilt es gegen alles Fühlen, gegen allen Schein sich an das Wort zu halten, dennoch daran festzuhalten, dass Gott unser lieber Vater ist, der es gut mit uns meint, auch gegen allen Augenschein. Aber das ist Gottes Weise, durch die Finsternis, das finstere Tal, zum Licht, zur seligen Höhe zu führen. Dadurch lehrt er uns auch beten, immer intensiver beten.[219]

    Gott ist ein heiliger und gerechter Gott. Sein Zorn über die Sünde führt bei den Gottlosen zu deren ewigem Verderben, wenn sie nicht umkehren. Ganz anders aber bei Gottes Kindern. Da ist auch der Zorn über die Sünde, die ja auch dem an Christus Gläubigen noch anhaftet, von dem Liebe und dem Erbarmen Gottes dominiert. Luther sagt, Gott „spiele“ mit ihnen, wenn er sie in Trübsal, Not, Anfechtung führe, um ihren Glauben zu erproben, zu läutern, zu stärken, fest zu machen (er nennt das auch die „Theologie des Kreuzes“). Denn unter Anfechtung, Trübsal. Not sucht Gott uns zum Heil und ewigen Leben zu führen. Gott will ja die ewige Rettung seiner Kinder. Aber dazu führt er durch die Hölle zum Himmel, durch den Tod zum Leben. Darum ist es so wichtig zu wissen, dass in allem Leid, in aller Trübsal, in aller Not, wie immer es auch den Anschein haben mag, Gott uns nicht allein lässt; zu seiner Zeit greift er ein, redet er, hilft er heraus.[220]

 

 

8. Die letzten Dinge

 

a.  Der Zwischenzustand

 

    Über den Zustand des Menschen nach dem Tod bis zum Jüngsten Tag lehren die Bekenntnisse nur, dass es kein Fegfeuer gibt. Das hat Luther auch vielfältig ausgedrückt: „In der Heiligen Schrift ist nichts enthalten vom Fegfeuer, deshalb kann weder sie noch ihre Erklärung auf den Handel vom Fegfeuer angewandt werden.“ (Walch 15,1011.) „Das Fegfeuer ist ein Fündlein der lügenhaften Sophisten, die damit der Welt Leib und Gut, Seele und Heil fangen und umbringen.“ (Walch 18,896.) „Aus dem Text eines ungewissen Buchs, nämlich 2. Makk. 12,43 ff., gründen die Sophisten das Fegfeuer, wollen es auch damit beweisen, so doch kein Wort vom Fegfeuer drinnen steht.“ (Walch 18,878.) Über die Verstorbenen hat die Heilige Schrift uns nicht viel offenbart, außer dass es dem Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben und danach das Gericht (Hebr. 9,27), und dass ein jeglicher offenbar werden muss vor dem Richterstuhl Gottes, dass ein jeder empfange, wie er gelebt hat bei Leibesleben, es sei gut oder böse (2. Kor. 5,10). Ein Abbüßen von Sünden, wie es im Fegfeuer stattfinden soll, widerspricht dem Grundartikel, dass die Seelen nur durch Christus von Sünden frei werden (Schm. Art. II, 12; vgl. Apol. (VI), 26; XXIV, 90 usw.). Auch der Bericht Jesu vom reichen Mann und armen Lazarus zeigt an, dass direkt mit dem Tod die Seelen an den ihnen auch für die Ewigkeit ihnen bestimmten Ort kommen, Himmel oder Hölle. Darum verwirft die Apologie auch die Messen für die Toten: „So die Messe nun nicht eine Genugtuung ist weder für eine Pein noch Schuld aus dem bloßen Vollzug, so folgt, dass die Messe, so man für die Toten hält, unnütz und nichts sei. Und es bedarf nicht langer Disputation. Denn es ist gewiss, dass solche Messe halten für die Toten in der Schrift gar keinen Grund hat. Nun ist es ein Greuel, in der Kirche Gottesdienst anrichten ohne irgendein Gotteswort, ohne irgendeine Schrift.“ (Apol. XXIV, 92.) Was das Gebet für die Toten angeht, so akzeptiert die Apologie das Gebet als Danksagung für das, was Gott für sie und durch sie getan hat, aber nicht ein Gebet, das für sie Verdienste, Genugtuung oder sonst irgendwelche, ihre Situation nach dem Tod ändernde, Bedeutung hätte (XXIV, 93-96).

 

b. Das Ende

 

    Die Lehre von der Heilsvollendung eingehender zu behandeln, lag für die lutherischen Bekenntnisse kein Anlass vor. Nur einige Irrtümer weisen sie zurück. Die Schwärmer erwarteten vor der Totenauferstehung ein tausendjähriges Reich, wo die Frommen die Weltherrschaft innehaben würden. Das Augsburger Bekenntnis verwirft dies (XVII, 5). Denn wenn hier jene Erwartung als jüdische Meinungen bezeichnet wird, so ist damit nicht gemeint, dass eine christliche Vorstellung von solch einem Reich berechtigt sei, sondern es wird der Ursprung dieses Irrtums auf die falsche Messiasvorstellung der Juden zurückgeführt. Denn eben das, was die Schwärmer zu jener Annahme bewog, nämlich das brennende Verlangen, in irdischer Weise über die Gottlosen zu triumphieren und aus Bedrückten zu Herrschern zu werden, liegt dem lutherischen Geist völlig fern. Dieser sehnt sich nicht nach Beherrschung, sondern nach Rettung der Gottlosen. Er hat aber auch das sündliche Verderben des Menschen so tief erkannt, dass er auch eine solche Verstockung für möglich hält, die die ewige Gemeinschaft mit Gott gar nicht mehr will, also auch nicht erlangen kann. Daher wird vom Augsburger Bekenntnis auch die Ansicht der Wiedertäufer, dass die verdammten und die Teufel schließlich noch selig werden, die Allversöhnung, verworfen (XVII, 4; vgl. KF, Ausf. Darl. XI, 83). Das Endgericht hat vielmehr ewiges Leben und Strafe ohne Ende zur Folge (Augsb. Bek. XVII, 2.3). Hinsichtlich der Seligkeit aber musste noch gegen Rom klargestellt werden, in welchem Sinn die Heilige Schrift von eienm Lohn der guten Werke rede, Der biblische Lohn fordert nicht als entsprechenden Begriff den römischen Verdienst (Apol. IV (III), 235 ff.). Weil die Schrift alles Heil und die Seligkeit als durch Christus erworben und uns umsonst verliehen behauptet, kann sie nicht, wenn sie daneben von einem Lohn redet, hiermit ein Verdienen, ein Erwerben des Menschen aussprechen wollen. Es ist festzuhalten: 1) Von guten, einer Belohnung durch Gott gewürdigten Werken, kann nur dann die Rede sein, wenn diese aus dem Glauben hervorgehen (Apol. IV (III), 250). 2) Kein gutes Werk ist eines Lohnes wert, weil keines absolut rein ist; nur um des Glaubens willen gefällt Gott unser Tun (Apol. IV (III), 247). 3) Von dem ewigen Leben als Lohn kann nur deshalb die Rede sein, weil Gott in seiner Gnade das ewige Leben vorher verheißen hat; „Lohn“ bedeutet hier nicht die Auszahlung von etwas Verdientem, sondern die Entrichtung von etwas Versprochenem (Apol. IV (III), 241). 4) Von einem Lohn der guten Werke wird jedoch auch deshalb geredet, weil die Werke auf dem Gebiet des Gesetzes liegen, wo jedem einzelnen Tun ein entsprechendes Entgelt in Aussicht gestellt ist; daher ist auch ein solcher leiblicher oder geistlicher Lohn in diesem oder dem zukünftigen Leben ein verschiedener (Apol. IV (III), 245 f.). 5) Nicht aber sollen Straffurcht oder Lohnsucht ein Motiv unseres Handelns werden. Nicht zu diesem Zweck hat Gott gedroht und verheißen. Sondern seine Strafandrohungen sollen uns Gottes Zorn über die Sünde, also die Fluchwürdigkeit der Sünde, erkennen und Grauen vor ihr fühlen lehren; die Verheißungen sollen uns seine Gnade lehren, damit wir in den Anfechtungen nicht verzweifeln (Apol. IV (III), 243 f.). Demnach wird die ewige Seligkeit für alle einerseits dieselbe, andererseits (im Blick auf die Grade der Herrlichkeit), verschieden sein.

 

 

ANHÄNGE

 

Luther und die Inspiration der Heiligen Schrift

(entnommen aus: Franz Pieper: Christliche Dogmatik. Umgearb. Von J.T. Müller. St. Louis, Missouri: Concordia Publishing House. 1946. S. 124 ff.)

    Bekanntlich versucht die moderne Theologie bei ihrer Leugnung der Inspiration der Schrift, Luther zum particeps criminis [Mittäter] zu machen. Allgemein wird behauptet, dass erst die späteren Dogmatiker die künstliche Theorie von der Inspiration aufgebaut hätten, wonach Schrift und Gottes Wort schlechthin zu identifizieren seien. Bei Luther lasse sich eine freiere Stellung zur Schrift nicht verkennen. Seeberg z.B. kann sich wegen gewisser Äußerungen Luthers gar nicht vorstellen, dass in Luthers Geist die Verbalinspiration gewesen sein sollte[221]. Nitzsch-Stephan behauptet, dass sich bei Luther deutliche Spuren einer freien Auffassung der Inspiration fänden[222]. Bei Flacius und Chemnitz sei schon eine Verschärfung der Inspirationslehre bemerkbar; vollends aber sei die Lehre von der Inspiration ausgebildet worden von den protestantischen Scholastikern des 17. und 18. Jahrhunderts seit dem Vorbild, das Gerhard bereits 1610 im Locus de Scriptura gegeben und 1625 in der Exegesis Uberior Loci de Scriptura weitergeführt habe. In vollster scholastischer Zuspitzung begegne uns die ausgebildete Inspirationslehre bei den Dogmatikern, die das alte orthodoxe System gegen Calixt und die Synkretisten aufrechtzuhalten suchten.

    Diese Behauptungen sind jedoch gänzlich außerhalb des Gebiets der geschichtlichen Wahrheit gelegen. Der Dissensus zwischen Luther und den lutherischen Dogmatikern hinsichtlich der Inspirationslehre ist pure Erfindung. Der wirkliche Unterschied zwischen Luther und den Dogmatikern ist der, dass die Dogmatiker nur schwach nachstammeln, was Luther viel gewaltiger aus der Schrift über die Schrift gelehrt hat. Man hat z.B. Quenstedts Aussage über die Schrift: „Die kanonische Heilige Schrift im Grundtext ist unfehlbare Wahrheit und von jedem Irrtum frei oder, was dasselbe ist, in der kanonischen Heiligen Schrift findet sie keine Lüge, keine Unrichtigkeit, kein, auch nicht der geringste, Irrtum, sei es in den Sachen, sei es in den Worten, sondern alle und die einzelnen Dinge, die in ihr berichtet werden, sind durchaus wahr, ob sie die Lehre oder die Moral, ob sie die Geschichte, Zeitrechnung, Ortsbeschreibung oder Namengebung betreffen; kein Nichtwissen, keine Unbedachtsamkeit oder Vergesslichkeit, kein Gedächtnisfehler kann und darf den Schreibern des Heiligen Geistes beim Schreiben der Heiligen Schrift zugewiesen werden.“ (vgl. Systema I, 112), als ein dictum horribile bezeichnet. Aber alles, was Quenstedt über die Schrift sagt, sagt auch Luther, gerade auf die von Quenstedt erwähnten Einzelheiten eingehend, von der Schrift aus. Um dies darzutun, stellen wir hier zusammen, was Luther erstlich über die ganze Schrift sagt, und fügen dann hinzu, wie er sich über Einzelheiten geäußert, in denen man ihm eine Abweichung von der Lehre der Dogmatiker zugeschrieben hat.

    Von der ganzen Schrift sagt Luther: „Also gibt man nun dem Heiligen Geist die ganze Heilige Schrift.“ (vgl. Walch 2, III, Sp. 1890; WA 54, S. 35) „Die Heilige Schrift ist durch den Heiligen Geist gesprochen.“ (vgl. Walch 2, III, 1895; WA 54,39.) Sie ist des „Heiligen Geistes Buch“. (vgl. Walch 2, IX,1775; WA 48,43.) Sie ist „Gottes Brief an die Menschen“. (vgl. Walch 2, I, 1055; WA 42,629.) Solche und ähnliche Aussprüche lassen sich in die Hunderte vermehren.

    Aber was Luther von der ganzen Schrift sagt, das hält er auch in jeder Beziehung und in Bezug auf alle einzelnen Fragen, die betreffs der göttlichen Autorität der Schrift erhoben worden sind, konsequent fest. Bekanntlich dringt die moderne Theologie stark darauf, dass eine menschliche Seite in der Schrift anerkannt werde. Luther kennt auch eine menschliche Seite der Schrift, aber nur in dem Sinn, dass Gott sein Wort durch Menschen in menschlicher Sprache hat schreiben lassen. Luther ist entsetzt über die Leute, welche zu behaupten wagen, die Schrift sei nicht ganz und in allen Teilen Gottes Wort, weil die Schreiber der Schrift, wie Petrus und Paulus, doch auch Menschen gewesen seien. Luther bemerkt zu 1. Petr. 3,14: „Wenn du solche Leute hörst, die gar verblendet und verstockt sind, dass sie leugnen, dass das Gottes Wort sei, was die Apostel geredet und geschrieben haben, oder daran zweifeln, so schweige nur stille, rede kein Wort mit ihnen und lass sie fahren.“ (vgl. Walch 2, IX, 1238; WA 12,362.)Und diese Identifizierung von Schrift und Gottes Wort hält Luther gerade auch in Bezug auf solche Teile der Schrift fest, die uns sehr menschlich zu sein scheinen. Während man gemeint hat, man könne sich nicht wohl vorstellen, dass der Heilige Geist David das eingegeben haben solle, was David in Gestalt eines Psalms im Herzen empfand, sagte Luther von den Psalmen: „Mich dünkt, der Heilige Geist habe selbst wollen die Mühe auf sich nehmen und eine kurze Bibel und Exempelbuch von der ganzen Christenheit und allen Heiligen zusammenbringen.“ (vgl. Walch 2, XIV,23; WA 30/3,540.) Von denen, die die Psalmen, wie sie die Bewegungen des Menschenherzens beschreiben, nicht dem Heiligen Geist, sondern dem Menschen David geben wollen, urteilt Luther, dass sie ein fleischliches Herze haben.

    Aber auch die anscheinend geringen menschlichen Dinge schreibt Luther dem Heiligen Geist zu, und er warnt „jeden frommen Christen“, er wolle sich nicht dazu verführen lassen, die geringen Dinge, welche in der Schrift erwähnt und beschrieben werden, „der hohen göttlichen Majestät“ abzusprechen (vgl. Walch 2, XIV,2 f.; WA 54,4). Luther schreibt: „Gott hat Lust, solche geringen Dinge [wie z.B. Jakobs Haushaltung und Ehestand] zu beschreiben, damit er anzeige und bezeuge, dass er nicht verschmähe, auch keinen Abscheu habe oder auch nicht weit sein wolle von der Haushaltung, von einem frommen Ehemann und von Weib und Kindern.“ (vgl. Walch 2, XIV,2 f.; WA 54,4; ach Walch 2, II,537 ff.; WA 43,655 f.)

    In der Schrift Alten Testaments finden wir Stellen, in denen von groben geschlechtlichen Sünden berichtet wird. Man hat daher von Schmutzgeschichten in der Schrift geredet, mit denen man den Heiligen Geist nicht belasten dürfe. Luther aber bemerkt zu 1. Mose 38, wo von der Sünde Judas und Thamars berichtet wird: „Es ist ein wunderbarer Fleiß des Heiligen Geistes, diese schändliche, unzüchtige Historie zu beschreiben, dass er auch alles bis aufs Äußerste so gar genau ausführt. … Warum hat sich doch der allerreinste Mund des Heiligen Geistes also herniedergelassen zu solchen niedrigen, verachteten Dingen, ja die auch unzüchtig und unflätig und dazu noch verdammlich sind, als ob solche Dinge dazu etwas sollten nütze sein, dass dadurch die Kirche und Gemeinde Gottes möchte gelehrt werden?“ (vgl. Walch 2, II,1200 ff.; WA 44,327 f.) Luther zeigt dann in ausführlicher Darlegung, wie voll von Lehre, Strafe, Mahnung und Trost auch solche Schriftstellen für die Kirche Gottes aller Zeiten seien.

    Ob jemand die christliche Stellung zur Schrift einnimmt, das heißt, die Schrift Gottes Wort sein lässt, tritt stets klar daran zutage, wie er sich zur Irrtumslosigkeit der Schrift stellt. Christus lehnt die Möglichkeit eines Irrtums in der Schrift sehr entschieden ab (Joh. 10,35), und diese a-priori-Stellung ist auch Luthers Stellung zur Schrift. Luther will nicht erst a posteriori, durch menschliche Untersuchung, die Irrtumslosigkeit der Schrift festhalten, sondern ihm steht vor aller Untersuchung fest, dass sich in der Schrift kein Irrtum finden kann. Dies hält Luther nach allen Seiten hin fest, wie z.B. in Bezug auf das Sechstagewerk (Vgl. Walch 2, III,23; WA 12,443). Dasselbe hält Luther auch in Bezug auf die chronologischen Angaben der Schrift fest und tritt damit in scharfen Gegensatz zur gesamten modernen Theologie. Ihm steht  a priori fest, dass in jedem Fall, wo die Zeitangaben der Schrift von denen menschlicher Geschichtsschreiber differieren, die Heilige Schrift recht habe. Er schreibt: Ich gebrauche ihrer [der menschlichen Geschichtsschreiber] so, dass ich nicht gedrungen werde, der Schrift zuwider zu sein. Denn ich glaube, dass in der Schrift Gott rede, der wahrhaftig ist, in anderen Historien aber, dass sehr feine Leute ihren besten Fleiß und Treue, jedoch als Menschen, vorwenden oder ja zum wenigsten, dass ihre Abschreiber haben irren können.“ (vgl. Walch 2, XIV,491; WA 53,22 f.) Es ist dies ein Thema, das Luther, als ein großer Freund der Geschichtsstudien, sehr oft behandelt (vgl. Walch 2, XIV,491; WA 53,22 f.) Zu 1. Mose 11,27 f. bemerkt er, dass sich nach der Zeitrechnung „bei Abraham sechzig Jahre verlieren“; aber Luther tadelt die kühnen Leute, welche sagen dürfen, dass hier ein Irrtum vorliege. Er selbst will nicht zu den kühnen Leuten gehören, welche die Schrift eines chronologischen Irrtums zeihen, sondern schließt mit dem demütigen Bekenntnis seines „Unverstandes, wie denn billig; denn allein der Heilige Geist ist, der alles weiß und versteht“ (Walch I,721 f.; WA 42,431). Zu 1. Mose 11,11 behandelt Luther die Frage, wie Arphachsad zwei Jahre nach der Sintflut geboren sein könne, und weist auf Möglichkeiten der Harmonisierung hin, fügt aber hinzu, dass unser Glaube nicht gefährdet sei, wenn die Harmonisierungsversuche kein gewisses Resultat ergeben. Die Nichtgefährdung des Glaubens begründet er mit der Aussage: „Denn das isst gewiss, dass die Schrift nicht lügt.“ (vgl. Walch 2, I,713 f.; WA 42,426.)

    Luther hält ferner auch a priori alle Widersprüche in der Schrift für schlechthin ausgeschlossen; und diese Stellung zur Schrift hat Luther nicht bloß zu Anfang seines öffentlichen Auftretens eingenommen, wie Neuere behauptet haben, sondern er hat sie bis an das Ende seines Lebens festgehalten. Er schreibt im Jahr 1520: „Die Schrift hat noch nie geirrt.“ (vgl. Walch 2, XX,798; WA 23,122.) Im Jahr 1527: „Es ist gewiss, dass die Schrift nicht mag mit sich selbst uneins sein.“ (vgl. Walch 2, XX,798; WA 23,122.) Im Jahr 1535: „Es ist unmöglich, dass die Schrift mit sich selbst uneins sein sollte, außer dass es die unverständigen, verstockten Heuchler also dünkt.“ (vgl. Walch 2, IX,356; WA 40/1,318 f.) Vom Jahr 1541 und 1545 datiert Luthers Chronikon, in dem er sagt, dass die chronologischen Angaben der Schrift absolut zuverlässig seien. Selbst scheinbare Unordnungen in der Chronologie der Schrift sind nach Luther vom Heiligen Geist. In seiner Auslegung des Propheten Habakuk bemerkt er, dass die Propheten scheinbar keine Ordnung halten, indem sie, vom jüdischen Reich redend, kurz abbrechen und von Christus zu reden anfangen; aber auch dies ist vom Heiligen Geist. Er schreibt: „Der Heilige Geist hat müssen die Schuld haben, dass er nicht wohl reden könnte. … Es ist aber unsere Schuld, die wir die Sprache nicht verstanden noch der Propheten Weise gewusst haben. Denn das kann je nicht anders sein, der Heilige Geist ist weise und macht die Propheten auch weise.“ (vgl. Walch 2, XIV,1418; WA 19,350.) Vom Evangelium Matthäus sagt Luther, dass er Kapitel 24 Jerusalems Zerstörung und der Welt Ende „ineinander gemischt und –mengt“, fügt aber hinzu: „Und es ist auch des Heiligen Geistes Weise in der Schrift, dass er so redet.“ (Walch 2, VII,1297; WA 47,566.)

     Was Luther vom Ineinandermengen, Nicht-Ordnung-Halten usw. in den Berichten sagt, verwenden neuere Theologen als einen Beweis, dass Luther „sich die Möglichkeit von geschichtlichen Ungenauigkeiten und Widersprüchen offen gehalten“ habe.[223] Sie sagen aber nicht, dass Luther dieses Ineinandermengen auf die Intention des Heiligen Geistes zurückführt. Kahnis führt gegen die Inspiration der Schrift auch die Tatsache ins Feld, dass die Evangelisten in dem Bericht über die Einsetzung des Abendmahls nicht dieselben Worte gebrauchen.[224] Luther hingegen schreibt gegen die Papisten, die wegen Auslassung nur eines Wortes im Messkanon die Abendmahlsverwaltung für ungültig erklärten: „Sie haben nicht gemerkt, dass der Heilige Geist mit Fleiß geordnet hat, dass kein Evangelist mit dem andern in denselben Worten übereintrifft.“ (vgl. Walch 2, XIX,1104; WA 8,508.) Moderne Theologen stellen die Inspiration der Schrift wesentlich auf gleiche Stufe mit der Erleuchtung aller Christen. Luther hingegen nimmt einen spezifischen Unterscheid an zwischen Erleuchtung und Inspiration. Er schreibt: „Wir sind nicht alle Apostel, die durch einen feststehenden Beschluss Gottes als unfehlbare Lehrer gesandt worden sind. Deshalb können nicht sie, sondern wir irren und im Glauben fehlen, weil wir ohne solchen Beschluss Gottes sind.“ (vgl. Walch 2, XIX,1442; WA 391,48.) Moderne Theologen unterscheiden ferner Grade in der Inspiration. Aber Grade in der Inspiration kennt Luther nicht, sondern er gibt „die ganze Schrift dem Heiligen Geist“ (vgl. Walch 2, III,1890; WA 54,35).

    Freilich unterscheidet Luther zwischen den Büchern der Heiligen Schrift, sofern sie ihrem Inhalt nach für die Entstehung und Erhaltung des christlichen Glaubens wichtiger oder weniger wichtig sind. In diesem Sinn nennt er das Evangelium des Johannes das „einzige, zarte, rechte Hauptevangelium“, weil es vornehmlich die Lehre treibe, während die anderen Evangelisten mehr Tatsachen oder Ereignisse aus dem Leben Christi berichten. Aus demselben Grund nennt Luther auch aus den Briefen der Apostel des St. Paulus Episteln, sonderlich den an die Römer, und des St. Petrus erste Epistel den „rechten Kern und Mark“ unter allen Büchern, „welche auch billig die ersten sein sollten, und einem jeglichen Christen zu raten wäre, dass er dieselben am ersten und allermeisten läse und ihm durch täglich Lesen so gemein machte wie das tägliche Brot“ (vgl. Walch 2, XIV,90 f.; WA DB 6.10). Daraus meinen neuere Theologen beweisen zu können, dass nach Luthers eigentlicher Meinung die Schrift nicht in allen Teilen gleicherweise des Heiligen Geistes Wort sei[225]. Dies ist aber ein Missverstand und Missbrauch der Worte Luthers, denn er schreibt die ganze Schrift dem Heiligen Geist zu. Quenstedt ist es als eine schier unglaubliche Überspannung des Inspirationsbegriffs angerechnet worden, dass er die Wahl der Worte (voces) und der Ausdrucksweise (phrasis) nicht dem Belieben oder der menschlichen Erwägung der heiligen Schreiber überlässt, sondern der göttlichen Eingebung zuschreibt. Er schreibt: „Dass die heiligen Schreiber jedoch diese und nicht andere Redewendungen (phrases), die und nicht andere Worte (voces) oder gleichbedeutende (aequipollentes) gebrauchten, das kommt einzig und allein von dem göttlichen Antrieb und der göttlichen Inspiration her.“[226] Genauso beschreibt Luther die Inspiration, denn auch er lässt die Wahl der bestimmten Wörter und der bestimmten Ausdrucksweisen von der Inspiration abhängen. Er sagt z.B. zu Ps. 127,3: „Nicht allein die Wörter (vocabula), sondern auch die Ausdrucksweise (phrasis), deren sich der Heilige Geist und die Schrift bedient, ist von Gott (divina).“ (vgl. Walch 2, IV,1960; WA, 403,254.)

    Schließlich könnte auch noch erinnert werden, dass Luther unter Inspiration der Schrift nichts anderes als die Verbalinspiration verstanden hat. Er sagt nämlich zur näheren Erklärung der meditatio (in seiner Anweisung zum Studium der Schrift): „Zum andern sollst du meditieren, das ist, nicht allein im Herzen, sondern auch äußerlich die mündliche Rede und buchstabische Worte im Buch [scil. in der Heiligen Schrift] immer treiben und reiben, lesen und wiederlesen, mit fleißigem Aufmerken und Nachdenken, was der Heilige Geist damit [scil. mit dem buchstabischen Wort] meint.“ (vgl. Walch2, XIV,431 ff.; WA, 54,15 f.] So gewaltig bindet Luther das ganze theologische Studium und alle Bemühung um die Erkenntnis der göttlichen Wahrheit an die buchstabischen Worte im Buch oder an die Verbalinspiration.

    Wir können freilich diesen Abschnitt nicht schließen, ohne auf mehrere Aussprüche Luthers einzugehen, die mit großer Zuversicht von fast allen neueren Theologen als Beweise für Luthers freie Stellung zur Schrift angeführt werden. Prüfen wir aber diese Aussprüche, so stellt sich heraus, dass sie nicht Luthers freie Stellung zur Schrift, sondern die unwissenschaftliche und leichtfertige Art moderner Theologen im Zitieren Luthers beweisen. Teils handeln die zitierten Aussprüche überhaupt nicht von der Inspiration der Schrift, teils sind sie völlig aus dem Zusammenhang gerissen und geradezu wider den Sinn zitiert, in dem sie von Luther gebraucht werden. Sie gehören in die große Klasse von Zitaten, die ohne Prüfung von einer Generation auf die andere vererbt werden.

    Dies gilt in vollem Maß von einem Zitat, das vielleicht das größte Aufsehen erregt und viele an Luthers Stellung zur Schrift irre gemacht hat; wir meinen das sogenannte „Heu, Stroh und Stoppeln“-Zitat. Man hat die Worte Luthers, die in diesem Zitat angeführt werden, auf die biblischen Schriftsteller, das ist, auf die Propheten bezogen, um zu beweisen, dass Luther Irrtümer in der Schrift zugegeben hat. So Tholuck in der ersten Auflage der Herzogschen Realenzyklopädie, in der er schreibt: „In seiner Vorrede über Linkens Anmerkungen über die fünf Bücher Moses (Walch XIV,172) sagt er: ‚Haben ohne Zweifel die Propheten im Mose und die letzten Propheten in den ersten studiert und ihre guten Gedanken, vom Heiligen Geist eingegeben, in ein Buch aufgeschrieben. Ob aber denselben guten, treuen Lehrern und Forschern in der Schrift zuweilen auch mit unterfiel Heu, Stroh und Holz und nicht lauter Silber, Gold und Edelgestein bauten, so bleibt doch der Grund da; das andere verzehrt das Feuer.‘“ (RE1, VI,695 unter Inspiration; Druckjahr 1856. Walch 2, XIV,150; WA, 54,3.) In weiteren Auflagen der Realenzyklopädie sind diese Worte Luthers ebenfalls dazu benutzt worden, um darzutun, dass Luther Irrtümer in der Schrift zugestehe. Auch Kahnis behauptet, dass die Propheten nach Luther nicht immer Gold und Silber, sondern auch Heu, Stroh und Holz gebaut hätten.[227] Nitzsch-Stephan wiederholt, was Kahnis gesagt hat.[228] Die falsche Verwendung der in Rede stehenden Worte Luthers ist ferner in Luthardts Kompendium aufgenommen worden; aber hier findet sich in der zehnten Auflage in einer Anmerkung (S. 328) die Erklärung: „Diese Worte gehen aber nach rechtem Verständnis Luthers nicht auf die biblischen Schriftsteller, sondern auf die Ausleger; vgl. Kawerau, ‚Theol. Lit.-Ztg.‘ 1895, S. 216.“ Kaweraus Korrektur hat daher hier Anerkennung gefunden, nachdem die Worte Luthers viele Jahre lang in der wissenschaftlichen Theologenwelt falsch verwendet worden sind.

    In der Tat ist es ganz unmöglich, Luthers Worte auf die biblischen Schriftsteller, das ist, auf die Propheten, zu beziehen, insofern sie die Bibel des Alten Testaments geschrieben haben. Luther redet vielmehr von den Propheten des Alten Testaments zu den Zeiten, wenn sie nicht als unfehlbare Organe des Heiligen Geistes zum Schreibern der Heiligen Schrift getrieben wurden, sondern außerhalb des Zustandes der Inspiration die vorhandene Schrift Alten Testaments, gerade wie andere Leute, zum Studienobjekt machten und dabei die guten Gedanken, die ihnen der Heilige Geist bei diesem Studium eingab, in ein Buch aufgeschrieben haben. Auf dieses Studium und Schreiben außerhalb des Zustandes der Inspiration zum Niederschreibend er Heiligen Schrift beziehen sich die oben angeführten Worte Luthers. Luther lehrt nämlich, dass die Propheten des Alten Testaments nicht zu allen Zeiten, sondern nur zeitweilig aus Eingebung des Heiligen Geistes unfehlbar Gottes Wort redeten und schrieben. Er bemerkt z.B. zu 1. Mose 44,18: „Die theologi haben ein gemein Sprichwort, das sie sagen: Spiritus Sanctus non semper tangit corda prophetarum, das ist, der Heilige Geist rührt die Herzen der Propheten nicht allezedit. … Dasselbe zeigt auch an das Exempel des Propheten Elia, da er von der Sunamitin sagt 2. Kge 4,27: ‚Lass sie, denn ihre Seele ist betrübt, und der Herr hat es mir verborgen und nicht angezeigt.‘ Daselbst bekennt er, dass Gott nicht allezeit die Herzen der Propheten rühre.“ (Walch 2, II,1645; WA, 44,575.) Dass Luther an der in Rede stehenden Stelle von den Propheten außerhalb ihres eigentlichen prophetischen Amtes redet, hat sich Tholuck dadurch verdeckt, dass er bei seinem Zitieren aus Luther die Worte „auf diese Weise“ ausgelassen hat. Luthers Worte lauten: „Haben ohne Zweifel auf diese Weise die Propheten im Mose und die letzten Propheten in den ersten studiert.“ Mit dem „auf diese Weise“ weist Luther auf das Vorhergehende zurück, wo er vom Studium der Schrift redet, wie es allen Christen und allen Lehrern von Gott befohlen ist, wie er selbst [Luther] und auch Augustin die Schrift lesen und studieren. Er redet hier gleichsam von dem täglichen Privatstudium der Propheten.

    Neben dem „heu, Stroh und Stoppeln“-Zitat hat noch ein anderes Zitat aus Luther unter den modernen Theologen eine gewisse Berühmtheit erlangt, das wir kurz als das „Zum-Stich-zu-schwach“-Zitat bezeichnen können. Auch bei diesem Zitat, das ebenfalls Luthers gebrochene Stellung zur Schrift beweisen soll, ist der Zusammenhang außer Acht gelassen. Wenn z.B. Cremer schreibt: Luther weiß zu sagen, „von einem unzureichenden Beweise des Apostels Paulus Gal. 4,21 ff. (‚zum Stich zu schwach‘)“ (RE2 VI,753), so wird dadurch der Eindruck erzeugt, der auch von Cremer beabsichtigt ist, als ob Luther der von Paulus Gal. 4 gebrauchten Allegorie (Sara und Isaak bedeuten die christliche Kirche, Hagar und Ismael das Gesetzesvolk) die Beweiskraft überhaupt abspreche, während Luther nur sagt, dass die Allegorie im Streit mit den Juden (contra Iudaeos),   denen der Apostel Paulus noch keine Autorität war, „zum Stich zu schwach‘“ sei. Übrigens hätten alle, die diesen Ausdruck so stark urgieren, das lateinische Original nachsehen sollen. Der Ausdruck ist nämlich Luthers Genesiskommentar entnommen, in dem Luther bekanntlich die lateinische Sprache gebraucht. Was der Übersetzer mit „zum Stich zu schwach“ wiedergibt, laut et im Original: in acie minus valet, das ist „hat im Streit weniger Beweiskraft“. Das in acie hätte daran erinnert, dass Luther die Beweiskraft der Allegorie Gal. 4 nicht schlechthin ablehnt, sondern nur in einer bestimmten Beziehung, nämlich im Kampf mit den Juden. In dem ganzen Abschnitt erinnert Luther daran, dass ein Prediger in anderer Weise seine christlichen Zuhörer lehrt, als er mit den Feinden der Kirche disputiert (vgl. Walch 2, I,1150; WA, 43,11; die St. Louiser Ausgabe übersetzt übrigens, genauer nach dem Lateinischen, „im Kampf zu schwach“). Es tut sicherlich keinem Theologen Ehre, diese Stelle aus Luther zu zitieren, um aus ihr Luthers gebrochene Stellung zur Schrift zu beweisen.

    Ebenso ungehörig ist es, Luthers Unterscheidung zwischen Homologumena und Antilegomena als Beweis für eine freie Stellung in der Lehre von der Inspiration anzuführen. Sagt z.B. Voigt, „dass Luther die Heilige Schrift nicht Wort für Wort als ein Produkt des Heiligen Geistes ansehen könne“, weil er sich „über ganze Bücher Heiliger Schrift … das freieste Urteil erlaubt“ (Fundamentaldogmatik, S. 536), so identifiziert er damit unlogisch zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Bei der Lehre von der Inspiration der Schrift handelt es sich nicht um den Umfang des Kanons, das ist, nicht um die Frage, ob die sogenannten Antilegomena (z.B. die Briefe des Jakobus und Judas und die Offenbarung des Johannes) zum Kanon gehören, sondern um die Frage, ob die als kanonisch feststehenden Bücher (Luther nennt sie die rechten, gewissen Hauptbücher) inspiriert und Gottes unfehlbares Wort seien. Dies hält Luther, wie wir gesehen haben, unverrücklich fest. Was aber den Umfang des Kanons angeht, so hält Luther (wie auch Chemnitz usw.) an dem Unterschied fest, der nach des Eusebius Bericht (Kirchengesch. III,25) in der ersten Kirche in Bezug auf den gewissen oder nicht gewissen apostolischen Ursprung zwischen des Schriften des Neuen Testaments gemacht wurde (vgl. Walch 2, XIV,132; WA DB, 7,408). Mit Recht sagt W. Walther [Professor in Rostock, Das Erbe der Reformation im Kampfe der Gegenwart, Heft 1, S. 42 ff.], Luther habe wohl offene Fragen bezüglich des Umfangs des Kanons; aber was ihm kanonisch ist, dass habe schlechtweg Autorität für ihn als eingegebenes Wort Gottes. DAs wird jedoch immer wieder übersehen. Die neueren Theologen wollen aus Luthers Worten bezüglich einzelner Bücher immer auf seine Stellung zum Wort und dessen Inspiration schließen und so ihre freie Stellung zur Inspiration auf Luther übertragen. Vielmehr ist es gewiss, dass Luther das Wort als inspiriertes angesehen hat, und dass auf ihn als beständige Stimme der Kirche die Dogmatiker des 17. Jahrhunderts sich mit vollem Recht berufen können und also ihre Lehre Luther gegenüber keineswegs eine Neuerung ist. Wir können daher auch verstehen, dass Luther die Epistel des Jakobus „eine rechte ströherne Epistel gegen sie“ (die Episteln des Paulus und Petrus) nennt (vgl. Walch 2, XIV,105; WA DB 6,10). Dieses Urteil Luthers ist so zu erklären, dass er die Epistel des Jakobus nicht für kanonisch hielt. Daraus folgt aber noch lange nicht, dass Luther freie Ansichten über die Inspiration solcher Schriften gehabt hat, welche er für kanonisch hielt. Das gerade Gegenteil ist aus Luthers Urteil zu schließen.

    Eine weitere Behauptung moderner Theologen geht dahin, dass Luther die göttliche Autorität der Schrift auf das beschränke, was in der Schrift „Christum treibe“. Nach dem, was in der Schrift Christum treiben, wolle Luther alles übrige in der Schrift gerichtet und beurteilt haben, ob es göttliche Wahrheit sei oder nicht. Luther nehme einen „Kanon im Kanon“ an. Hiernach könne Luther unmöglich angenommen haben, dass alle Worte der Schrift vom Heiligen Geist eingegeben seien[229]. Für diese Behauptung werden vornehmlich zwei Stellen aus Luther angeführt. Einmal die Worte aus Luthers Vorrede auf die Epistel von St. Jakobus und Judas; „Was Christum nicht lehrt, das ist noch nicht apostolisch, wenn es gleich St. Petrus und Paulus lehrte. Wiederum, was Christum predigt, das wäre apostolisch, wenn’s gleich Judas, Hannas, Pilatus und Herodes täte“ (Walch 2, XIV,129; WA DB 7,384). Sodann wird auf die 49. These aus Luthers „Disputation über den Glauben“ vom Jahr 1535 verwiesen, die so lautet: „Wenn unsere Widersacher auf die Schrift dringen, so dringen wir auf Christum wider die Schrift“ (vgl. Walch 2, XIX,1441; WA 391,47).

    Diese Worte – wir gehen auf dieses Zitat zuerst ein – klingen allerdings sonderbar. Außerhalb des Zusammenhangs angesehen, möchten sie den Eindruck erwecken, als ob Luther Schrift und Christus in Gegensatz zueinander stelle und Christus, als Inhalt der Schrift gefasst, zur Korrektur der Worte der Schrift verwendet haben wolle. Sehen wir aber den Zusammenhang nach, in dem diese Worte bei Luther stehen, so gestaltet sich die Sache ganz anders. Luther versteht unter der Schrift, auf welche die Gegner dringen und gegen die Luther auf Christus dringt, die von den Gegnern (Papisten) missbrauchte, falsch verstandene und falsch verwendete Schrift. Luther denkt an den Missbrauch der Schrift, den die Römischen damit treiben, dass sie Schriftstellen, die vom Gesetz und vom menschlichen Tun handeln, gegen Christus, das ist, gegen das Evangelium und den Glauben einführen. So erklärt Luther sich selbst in den vorhergehenden Thesen 42-48. Luther erinnert darin, dass die Papisten solche Schriftstellen wie „Halte die Gebote“, „Du sollst lieben Gott, deinen Herrn“, „Tue das, so wirst du leben“ usw. wider Christus und den Glauben einführen, während sie doch für Christus zu verstehen seien, weil die genannten Werke nur in Christus geschehen können, das ist, Christus und den Glauben an ihn stets voraussetzen. Dass Luther unter Schrift die von den Papisten falsch verstandene Schrift verstehe, wenn er sagt, dass er auf Christus wider die Schrift dringe, erklärt er auch noch ausdrücklich in der 41. These, die diesen Abschnitt einleitet. Sie lautet so: „Man muss die Schrift nicht wider, sondern für Christum verstehen, deshalb muss man sie entweder auf Christum beziehen oder nicht für die wahre Schrift halten“ (vgl. Opp. v.a. IV,381).

    Übrigens sollte wohl nebenbei noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass es eine vergebliche Bemühung seitens der modernen Theologen ist, wenn sie für ihre Stellung zur Schrift hinter dem angeblichen Satz Luthers, nur das in der Schrift sei wahr, was Christus treibe, Deckung suchen. Weil die modernen Theologen nahezu einstimmig die satisfactio vicaria leugnen, so lehren sie gewiss nicht, was in der Schrift Christus treibt. Der Christus, von dem in der Schrift die Rede ist, ist stets der Christus, der durch seine satisfactio vicaria die Menschenwelt mit Gott versöhnt hat, und diesen Christus kennt die moderne Theologie nicht.

    Auch was Luther in den auf These 49 folgenden Thesen sagt, ist gegen den Zusammenhang gebraucht worden, um Luther die strenge Inspirationsvorstellung abzusprechen. Luther führt dort nämlich den Gedanken aus, den er auch sonst ausspricht, dass alle, die Christus und damit den Heiligen Geist haben, auch einen Dekalog (decalogum quendam) machen und von allen Dingen richtig urteilen könnten. In den Thesen 55-57 sagt Luther, dass, wenn die Heiden in ihrer verderbten Natur in Bezug auf Gott Verordnungen machen und sich selbst ein Gesetz sein können (Röm. 2,14.15), wieviel mehr kann Paulus oder ein vollkommener Christ, voll des Heiligen Geistes, eine Art Dekalog ordnen und über alle Dinge aufs richtigste urteilen, gleichwie alle Propheten und Väter aus demselben Geist Christi alles geredet haben, was wir in der Schrift haben. Weil Luther hier den vollkommenen Christen und die Väter neben Paulus und die Propheten stellt, als aus einem und demselben Geist redend, so ist das als ein Beweis dafür angeführt worden, dass Luther keinen spezifischen, sondern nur einen graduellen Unterschied zwischen der Erleuchtung, die allen Christen zukommt, und der Inspiration der Schreiber der Heiligen Schrift annehme, und wie durch die Erleuchtung die Christen nicht unfehlbar würden, sondern irrtumsfähig blieben, so sei dies auch bei den Schreibern der Heiligen Schrift der Fall. Aber auch hier tritt wiederum zutage, dass alle, die dies für Luthers Anschauung von der Schrift ausgeben, bei Luther nicht nachgelesen haben; denn gleich in den folgenden These 58-60 weist Luther den Gedanken entschieden ab, dass der Glaube an Christus einen Christen oder auch einen Theologen befähige und berechtige, den Worten der Schrift gegenüber eine freie Stellung einzunehmen, das ist, sich durch die Worte der Schrift nicht gebunden zu erachten, weil die Worte möglicherweise einen Irrtum enthalten könnten. Luther zieht auch an dieser Stelle die Scheidelinie zwischen den inspirierten Propheten und Aposteln einerseits und allen Christen und allen späteren Lehrern andererseits sehr scharf. Die Freiherrenstellung den Worten der Schrift gegenüber bezeichnet er als das Charakteristikum der Flattergeister (vagi spiritus), die mit ihren vom Wort der Apostel und Propheten losgelösten Gedanken in der Kirche Gottes Trennung anrichten. Luther schreibt: „Wir sind nicht alle Apostel, die durch einen feststehenden Beschluss Gottes als unfehlbare Lehrer gesandt sind. Deshalb können nicht jene, wohl aber wir irren und im Glauben fehlen, weil wir ohne solchen Beschluss sind“ (Opp. v.a. IX,381).

    In Bezug auf die Worte Luthers: „Was Christus nicht lehrt, das ist noch nicht apostolisch, wenn es gleich St. Petrus oder Paulus lehrte. Wiederum, was Christus predigt, das wäre apostolisch, wenn’s gleich Judas, Hannas, Pilatus und Herodes täte“, so deutet schon die Form der Rede dahin, dass Luther hier nur von einem angenommenen, nicht von einem wirklichen Fall redet; außerdem sagt Luther noch ausdrücklich, dass den Aposteln ihre Predigt von Christus „niemand nachtun kann, weder Hannas noch Kaiphas noch ein Mensch auf Erden“ (vgl. Erl. A. 4,183).

    Endlich sei noch ein Argument berücksichtigt, womit moderne Theologen ihre freie Stellung zur Schrift mit Luthers Autorität decken möchten. Dieses Argument verläuft so: Luther lehre, dass die Schrift nur durch den Heiligen Geist verstanden und als göttliche Autorität inwendig erfahren werde, darum könne Luther unmöglich angenommen haben, dass die Worte der Schrift die Worte des Heiligen Geistes seien. So schreibt z.B. Seeberg, Luther habe „die Anerkennung der Autorität der Schrift nicht auf kirchliche Anerkennung begründet, sondern auf die Erfahrung von ihrer Wahrheit“[230]. Seeberg zitiert an erster Stelle aus der Erlanger Lutherausgabe 28,340 die Worte: „Es muss ein jeglicher allein darum glauben, dass es Gottes Wort ist, und dass er inwendig befinde, dass es Wahrheit sei.“ Aber das Argument: „Weil die Heilige Schrift nur durch den Heiligen Geist verstanden oder erfahren wird, können die Worte der Schrift nicht vom Heiligen Geist eingegeben sein“, ist außerhalb aller Logik gelegen. Luther bringt die Erfahrung von der Wahrheit der Schrift nicht in Gegensatz zur Inspiration der Schrift, sondern lehrt an der von Seeberg zitierten Stelle die Inspiration im strengsten Sinn ganz gewaltig. Er sagt gleich auf S. 342: „Ein ander Ding ist, wenn der Mensch selbst oder wenn Gott durch den Menschen redet. Der Apostel Rede ist ihnen von Gott befohlen und mit großen Wundern bestätigt und bewiesen.“ Weiterhin sagt Luther an dieser Stelle von der Schrift, dass „darin einerlei Gotteswort vom Anfang der Welt gelehrt ist“ (vgl. die ganze Stelle in ihrem Zusammenhang).

    Es liegt somit klar zutage, dass die neueren Theologen, die Luther zum Patron ihrer freien Stellung zur Schrift machen wollen, teils Luther gar nicht gelesen, sondern nur Stellensammlungen anderer ohne Prüfung abgeschrieben haben, teils, falls sie Luther wirklich lasen, doch unfähig waren, ihn zu verstehen, weil ihr Trachten nach dem Protektorat Luthers stärker war als der Sinn für historische Wahrheit. Die erstere Tatsache tritt beispielsweise besonders bei Kahnis hervor.[231] Von andern neueren Theologen muss man urteilen, dass sie Luther wohl gelesen haben, aber mit dem Resultat, dass sie ihre Stellung zur Schrift in Luther hineinlasen, ohne dass Luther ihnen dazu eine Veranlassung gegeben hätte. Bei der Berufung auf Luther seitens moderner Theologen, um eine freie Stellung der Schrift gegenüber aus seinen Schriften zu beweisen, vermisst man leider die Ehrlichkeit, die man doch von einem wissenschaftlichen Forscher, gar nicht zu sagen, von einem Lehrer der Kirche, dem es um die göttliche Wahrheit zu tun ist, erwarten dürfte.

 

Luthers Lehre von der zweifachen Gerechtigkeit

Roland Sckerl

    Der Mensch steht als Sünder vor dem lebendigen heiligen, gerechten Gott und kann von sich aus nicht bestehen. Der natürliche Mensch versucht vielleicht, sich durch ein ordentliches, vielleicht sogar bürgerlich vorbildliches Leben hervorzutun (bürgerliche oder Zivilgerechtigkeit, entsprechend dem ersten Gebrauch des Gesetzes). Solch eine bürgerliche Gerechtigkeit ist für das Zusammenleben der Menschen nicht zu verachten, aber sie erwirbt nichts bei Gott, denn der Mensch, so edel er äußerlich auch erscheinen mag, ist vor Gott ein Sünder und erscheint nur in seinen Sünden vor Gott. Seine Gerechtigkeit ist eine Gerechtigkeit des Gesetzes und bleibt vor Gott immer unvollkommen, kann doch selbst der Christ keine vollkommenen Werke tun und werden seine Werke nur um des Glaubens der Person angenommen – wieviel weniger können dann die angenommen werden, die von jemand kommen, der nicht im rettenden Glauben an Christus steht – denn was nicht aus Glauben geht, das ist Sünde (Röm. 14,23). Luther hat diese Gerechtigkeit in seiner Predigt von der dreifachen Gerechtigkeit 1518 zunächst aufgeführt und schreibt von ihr: „Solche sind bis auf heute noch alle, die da Buße tun um der Pest, Hungersnot, Krieges oder einer andern Geißel Gottes willen, die alsdann beten, Wallfahrten machen, Gelübde den Heiligen machen. Hierher gehören auch die, welche die Heiligen verehren, und die Priester, die nur um das gegenwärtige Zeitliche dienen; desgleichen auch die Mönche und alle, die dergleichen Ähnliches tun. Und kurz, das ist die Gerechtigkeit, die schon hier ihren Lohn, im Jenseits aber, wenn auch milder als die groben Verbrecher, ihre ewige Strafe erhält.

    Zum andern, so dient diese Gerechtigkeit nicht Gott, sondern sich selbst, ist auch nicht der Söhne Gerechtigkeit, sondern der Knechte, noch ist sie den Christen allein eigentümlich, sondern auch den Juden und Heiden; so sind auch die Christen nicht zu ihr zu ermahnen, denn sie kommt nicht aus der Liebe zu Gott, sondern aus der Furcht vor Strafe oder aus der Liebe zu dem eigenen Vorteil.“[232]

    Die Gerechtigkeiten aber, die die Christen eigentlich betreffen, sind die passive und die aktive Gerechtigkeit. Da geht es zunächst um unsere grundsätzliche Stellung vor Gott, nämlich als abgrundtief verdorbene Sünder, die Gott nichts bringen können und eigentlich auf ewig verloren sind, die schon als Sünder geboren werden (Erbsünde, Ps. 51,7) und deshalb dann auch sündigen (Tat-, Charakter-, Unterlassungssünden). „Darum hatte ich sie eine wesentliche genannt, weil wir durch die Geburt sie uns zuziehen und sie uns allezeit anhängt und niemals je vorüber geht, wie die Tatsünde, sondern ist wie eine Quelle, ein Gift oder natürliches Salzwasser, gleichwie ein aussätziger Leib, der von Natur so ist, oder desgleichen blinden Leib.“[233] Dieser Sünde, diesem Verderben nun ist die fremde Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit Christi entgegengesetzt, der wir durch die Wiedergeburt teilhaftig werden mittels des Glaubens. „So wird diese Gerechtigkeit durch den Glauben unser eigen, wie es heißt, Röm. 1,17: ‚Der Gerechte lebt aus seinem Glauben.‘; und ebendaselbst 10,10: ‚Mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit.‘ Diese wird uns durch die Taufe mitgeteilt, und sie ist es eigentlich, die das Evangelium verkündet, und ist nicht die Gerechtigkeit des Gesetzes, sondern die Gerechtigkeit der Gnade.“[234] „Derhalben wird durch den Glauben an Christus die Gerechtigkeit Christi unsere Gerechtigkeit, und alles, das sein ist; ja, er wird selbst der Unsere.“[235] Durch diese Gerechtigkeit sind wir gerecht und selig, wenn wir aus Christus geboren sind, denn darin wird uns diese fremde Gerechtigkeit zugesprochen und werden durch diese fremde Gerechtigkeit erlöst, ohne alle menschlichen Werke, ohne irgendein menschliches Dazutun.[236]

    „Fragst du aber: Welches denn das Wort, das solche große Gnade bist, ist und wie soll ich’s gebrauchen? Antwort: Es ist nichts anderes als die Predigt von Christus geschehen, wie sie das Evangelium enthält, welche soll sein, und ist getan, dass du hörst deinen Gott zu dir reden, wie all dein Leben und Werke nichts seien vor Gott, sondern müssest mit alle dem, das in dir ist, ewiglich verderben. Welches, so du recht glaubst, wie du schuldig bist, so musst du an dir selbst verzweifeln und bekennen, dass wahr sei der Spruch Hosea 13,9: ‚O Israel, in dir ist nichts als dein Verderben; allein aber in mir steht deine Hilfe.‘ Dass du aber aus dir und von dir, das ist, aus deinem Verderben, kommen mögest, so setzt er dir vor seinen lieben Sohn Jesus Christus und lässt dir durch sein lebendiges, tröstliches Wort sagen, du sollst in denselben mit festem Glauben dich ergeben und frisch in ihn vertrauen, so sollen dir um desselben Glaubens willen alle deine Sünde vergeben, alle deine Verderben überwunden sein, und du gerecht, wahrhaftig, befriedet, fromm und alle Gebote erfüllt sein, [du sollst] von allen Dingen frei sein.“[237] Wichtig ist, dass in diesem Zusammenhang die Werke nichts zu suchen und zu sagen haben: „Hier ist fleißig zu merken und je mit Ernst zu behalten, dass allein der Glaube ohne alle Werke fromm, frei und selig macht.“[238] Und warum? „Denn kein gutes Werk hängt an dem göttlichen Wort wie der Glaube, kann auch nicht in der ‚Seele sein, sondern allein das Wort und Glaube regieren in der Seele. … Das ist die christliche Freiheit, der einige Glaube, der da macht, nicht, dass wir müßig gehen oder übel tun mögen, sondern dass wir keines Werks bedürfen zur Frömmigkeit und Seligkeit zu erlangen.“[239] „So denn die Werke niemand fromm machen, und der Mensch zuvor muss fromm sein, ehe er wirkt: So ist’s offenbar, dass allein der Glaube aus lauter Gnaden, durch Christus und sein Wort, die Person genugsam fromm und selig mache. Und dass kein Werk, kein Gebot einem Christen not sei zur Seligkeit, … Wiederum dem, der ohne Glauben ist, ist kein gutes Werk förderlich zur Frömmigkeit und Seligkeit.“[240] Es muss also, damit ein Sünder zum rechten seligmachenden, rettenden Glauben kommt, Gesetz und Evangelium in rechter Weise gepredigt werden: „Man darf nicht einerlei allein predigen, sondern alle beiden Worte Gottes. Die Gebote soll man predigen, die Sünder zu erschrecken und ihre Sünde zu offenbaren, dass sie Reue haben und sich bekehren. Aber da soll es nicht bleiben; man muss auch das andere Wort, die Zusagung der Gnaden, auch predigen, den Glauben zu lehren, ohne welchen die Gebote, Reue und alles andere vergebens geschieht. Es sind wohl noch geblieben Prediger, die Reue der Sünde und Gnade predigen; aber sie streichen die Gebote und Zusagung Gottes nicht aus, dass man lerne, woher und wie die Reue und Gnade komme. Denn die Reue fließt aus den Geboten, der Glaube aus der Zusagung Gottes: Und so wird der Mensch durch den Glauben göttlichen Worts gerechtfertigt und erhaben, der durch die Furcht Gottes Gebots gedemütigt und in seine Erkenntnis gekommen ist.“[241]

    Diese Gerechtigkeit, Christi Gerechtigkeit, empfangen, ergreifen wir im Glauben, der spricht: „Das ist mein, das der HERR Christus gelebt, gehandelt, getan, geredet und gelitten hat, und folgend gestorben ist, nicht anders, als wenn ich dasselbe Leben, Handeln, Wesen, Reden, Leiden und Sterben geführt und gelitten hätte, eben wie der Bräutigam alles das hat, das der Braut ist; und die Braut alles das hat, das des Bräutigams ist.“[242] Hier ist eine wichtige Wirkung, Folge des Glaubens angesprochen: die Vereinigung oder Brautgemeinschaft mit Christus durch den Glauben. Dadurch haben wir die kostbarsten Dinge, die Gott der HERR uns in Christus geschenkt hat. „Darum ist alles das unser, das der HERR Christus hat, das uns Unwürdigen und Unverdienten alles aus lauter Barmherzigkeit gnädiglich und umsonst geschenkt ist, die wir doch nicht mehr als Zorn, Verdammnis und Hölle verdient hätten.“[243] Und was ist die Wirkung? Vor Gott sind wir, um Christi Gerechtigkeit willen, im Glauben empfangen, frei von Sünden. „Dieses ist die unendliche Gerechtigkeit, die alle Sünden im Augenblick verzehrt; denn es ist unmöglich, dass eine Sünde in oder an Christus hafte und hange. Wer aber an Christus glaubt, der haftet an ihm und ist ein einiges Ding mit Christus; hat auch eine einige Gerechtigkeit mit ihm. Darum ist es unmöglich, dass in ihm die Sünde bleibe.“[244] „Derhalben entsteht durch die erste Gerechtigkeit die Stimme des Bräutigams, der da spricht zu der Seele: Ich der Deine; aber durch die andere Gerechtigkeit die Stimme der Braut, die da sagt: Ich die Deine. Alsdann ist gemacht die feste, vollkommene und verbrachte Ehe, wie in Canticis oder dem Hohelied steht, Kap. 2,15: ‚Mein Freund ist mein und ich bin sein‘; als spräche sie: mein Geliebter ist mein und ich bin die Seine. So sucht nun die Seele nicht weiter ihr selbst gerecht zu sein, sondern hat ihre Gerechtigkeit, Christus; derhalben sucht sie allein die andere Gerechtigkeit.“[245] „Hier hebt sich nun der fröhliche Wechsel und Streit. Dieweil Christus ist Gott und Mensch, welcher noch nie gesündigt hat, und seine Frömmigkeit unüberwindlich, ewig und allmächtig ist, so er denn der gläubigen Seele Sünde durch ihren Brautring, das ist der Glaube, sich selbst eigen macht, und nicht anders tut, denn als hätte er sie getan; so müssen die Sünden in ihm verschlungen und ersäuft werden. Denn seine unüberwindliche Gerechtigkeit ist allen Sünden zu stark. So wird die Seele von allen ihren Sünden lauterlich durch ihren Mahlschatz, das ist, des Glaubens halben ledig und frei, und begabt mit der ewigen Gerechtigkeit ihres Bräutigams Christus.“[246] Es ist dieser Glaube, der Gott wirklich ehrt, der ihm alles Gute, alle Wahrheit zuschreibt; die Werke können ihn so nicht ehren.[247] „Darum ist er [der Glaube] allein die Gerechtigkeit des Menschen und aller Gebote Erfüllung. Denn wer das erste Hauptgebot erfüllt, der erfüllt gewiss und leicht auch alle anderen Gebote.“[248]

    Aus diesem Glauben und damit aus dieser fremden, uns zugerechneten, Gerechtigkeit als dem Grund, der Ursache und Ursprung fließen die Werke, die aus dem Glauben getan werden, aber nur um der Person willen angenommen werden. Denn wir sündigen alle noch.[249] Dieser Zusammenhang zwischen der ersten und der zweiten, zwischen der passiven und der aktiven Gerechtigkeit, also zwischen der Gerechtigkeit Christi, die uns zugerechnet wird, und unserer Lebensgerechtigkeit, die immer nur angefangen sein wird, ist grundsätzlich, elementar und darf nicht verkleinert oder gar ausgeblendet werden. Sonst drohen entweder Gesetzlichkeit oder Antinomismus. „Diese Gerechtigkeit ist ein Werk, Frucht und Folge der ersten Gerechtigkeit, wie St. Paulus zu den Galatern (5,22) schreibt: ‚Die Früchte aber des Geistes – das ist, des geistlichen Menschen, der durch den Glauben in Christus wird – sind: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit‘ usw. … Diese Gerechtigkeit vollzieht oder macht vollkommen die erste Gerechtigkeit, denn sie arbeitet und müht sich allezeit, auf dass der Adam verderbt und der Leib der Sünde getötet werde. Darum hasst sie sich selbst und liebt den Nächsten; sie sucht nicht das Ihre, sondern was einem andern dienstlich, gut und förderlich ist.“[250]

    Diese zweite oder aktive oder Lebensgerechtigkeit „ist unser und eigen; nicht darum, dass wir sie allein wirken; sondern dass wir zusamt der ersten und fremden wirken“[251]. Dazu gehören zum einen die Werke, die wir vor Gott tun, um die Erbsünde und ihre Folgen zu mindern, also die Werke, die die Sünde austreiben, den Leib der Sünde töten. „Denn jene dritte Gerechtigkeit sucht nichts anders, als die Erbsünde auszutreiben und den Sünden-Leib zu zerstören.“[252] Welche Werke das im Einzelnen sind, hängt von der Person ab, je nachdem, wo ihre Schwächen liegen und bei ihr dem Ziel förderlich ist. „Derhalben reinigen am meisten solche Werke, die Gott haben will und nennt, daher die besten von allen sind: allerlei Kreuz, Widerwärtigkeiten, Mangel, Schmähung, Tod; denn hier wirkt Gott allein und der Menschen leidet, und wird am vollkommensten der alte Adam getötet und Christus (der Weinstock) gereinigt und seine Rebe gesäubert (Joh. 15). Das ist nämlich der beste Weg zum Heil, freilich wohl sehr verdrießlich zu gehen, aber gar fröhlich am Ende.“[253] Vor allem aber gilt es, alle selbsterwählten Werke zu vermeiden.[254] „Das ist die gute Übung in den guten Werken, erstlich, in der Tötung und Verzehrung des Fleisches und der Kreuzigung der Begierden gegen ihn selbst; wie St. Paulus zu den Galatern (5,24) schreibt: ‚Welche aber Christus angehören, die kreuzigen ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden‘ … zum dritten, in der Demut und Frucht gegen Gott..“[255] Es ist ganz wichtiger, dass dieser Aspekt der Heiligung nicht ausgeblendet wird. Ja, er ist sogar grundlegend. Es wäre völlig falsch, die zweite oder Lebensgerechtigkeit allein auf den Nächsten auszurichten, obwohl diese Richtung sehr wichtig und umfassend ist, aber eben nicht allein. Auch die Heiligung geschieht zuerst und vor allem vor dem Angesicht Gottes (coram Deo), erst daraus kann sie auch zur Welt gewandt sein (coram mundo). „… zum in der in der Liebe gegen den Nächsten.“[256] Damit ist die Heiligung vor Gott gegen sich selbst gerichtet, in der Kreuzigung des Fleisches, zu Gott, in einem gottseligen Leben; und gerecht, nämlich gegen die Menschen (Tit. 2,12) – so sollen wir in dieser Welt leben. Dadurch folgen wir Christus nach, werden seinem Bildnis gleichförmiger.[257]

    Was heißt das? „Das ist des Apostels Meinung, dass ein jeglicher Christenmensch soll, dem Exempel Christi nach, eines andern Christenmenschen Knecht werden.“[258]

    „Da heben sich nun die Werke an; hier darf er nicht müßig gehen, da muss fürwahr der Leib mit Fasten, Wachen, Arbeiten und mit aller mäßiger Zucht getrieben und geübt sein, dass er dem innerlichen Menschen und dem Glauben gehorsam und gleichförmig werde, nicht hindere noch widerstrebe, wie seine Art ist, wo er nicht gezwungen wird.“[259] Aber diese Werke, das muss immer wieder betont werden, geschehen nicht, damit ein Mensch gerettet, vor Gott gerecht werde, sondern umgekehrt, weil er durch Christus gerettet, gerechtfertigt ist, darum kann und will er überhaupt gute Werke tun. „Aber dieselben Werke dürfen nicht geschehen in der Meinung, dass dadurch der Mensch fromm werde vor Gott, denn die falsche Meinung kann der Glaube nicht leiden, der allein ist und sein muss die Frömmigkeit vor Gott, sondern nur die Meinung, dass der Leib gehorsam werde und gereinigt von seinen bösen Lüsten, und das Auge nur sehe auf die bösen Lüste, wie auszutreiben. … So geschieht’s, dass der Mensch seines eigenen Leibes halber nicht kann müßig gehen, und muss viele gute Werke drüber üben, dass er ihn zwinge; und doch die Werke nicht das rechte Gut sind, wovon er fromm und gerecht sei vor Gott, sondern tue sie aus freier Liebe umsonst, um Gott zu gefallen, nichts darin anders gesucht noch angesehen, als dass es Gott so gefällt, welches Willen er gerne täte aufs allerbeste.“[260] Der Christ, das ist immer wieder wichtig zu betonen, vollbringt keine guten Werke, um damit etwas bei Gott zu verdienen, sondern vielmehr, um seinen Leib zu zähmen und Gott zu gefallen. „Also auch eines gläubigen Menschen Werk, welcher durch seinen Glauben ist wiederum ins Paradies gesetzt und von neuem geschaffen, bedarf keiner Werke, um fromm zu werden, sondern dass er nicht müßig gehe und seinen leib bearbeite und bewahre, sind ihm solche freien Werke zu tun, allein Gott zu gefallen, befohlen.“[261] Denn: „Gute fromme Werke machen nimmermehr einen guten frommen Menschen; sondern ein guter frommer Mensch macht gute fromme Werke. Böse Werke manchen nimmermehr einen bösen Mann; sondern ein böser Mann macht böse Werke. Also, dass allewege die Person zuvor muss gut und fromm sein vor allen guten Werken, und gute Werke folgen und ausgehen von der frommen guten Person.“[262]

    Die gute Werke sind also einmal diejenigen, die der Christ vor Gott gegen sein Fleisch übt, um gegen die Sünde zu kämpfen, und dann diejenigen, die er aus Gottes Willen gegenüber den Menschen, ihnen zum Dienst, vollbringt. „Denn der Mensch lebt nicht allein in seinem Leib, sondern auch unter andern Menschen auf Erden. Darum kann er nicht ohne Werke sein gegen dieselben, er muss je mit ihnen zu reden und zu schaffen haben; wiewohl ihm derselben Werke keines not ist zur Frömmigkeit und Seligkeit. Darum soll seine Meinung in allen Werken frei und nur dahin gerichtet sein, dass er andern Leuten damit diene und nütze sei; nichts anders sich vorbilde, als was den andern not ist. Das heißt denn ein wahrhaftig Christenleben, und da geht der Glaube mit Lust und Liebe ins Werk, wie St. Paulus lehrt die Galater [Kap. 5,6].“[263] „… alle Werke sollen gerichtet sein dem Nächsten zugut, dieweil ein jeglicher für sich selbst genug hat an seinem Glauben, und alle anderen Werke und Leben ihm übrig sind, seinem Nächsten damit aus freier Liebe zu dienen.“[264]

    So ist der Christ also ganz frei durch den Glauben, aber was er noch lebt, das soll er im Glauben Christi leben, also sich willig seinem Nächsten zum Diener machen, „mit ihm handeln, wie Gott mit ihm durch Christus gehandelt hat“.[265] „Siehe, so fließt aus dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott, und aus der Liebe ein frei, willig, fröhlich Leben, dem Nächsten zu dienen umsonst. Denn zugleich wie unser Nächster Not leidet und unsers Übrigen bedarf, so haben wir vor Gott Not gelitten und seiner Gnade bedurft. Darum, wie uns Gott hat durch Christus umsonst geholfen, so sollen wir durch den Leib und seine Werke nichts anders als dem Nächsten helfen.“[266]

 

 

 

Abkürzungsverzeichnis

 

Apol. = Apologie des Augsburger Bekenntnisses

Augsb. Bek. = Augsburger Bekenntnis

Erl. Ausg. = Erlanger Ausgabe der Werke Luthers

Erl. Ausg. Opp. ex. = Erlanger Ausgabe, lateinische exegetische Werke

Erl. Ausg. Opp. v(ar). a(rg). = Erlanger Ausgabe, lateinische Werke zu
    verschiedenen Themen

Gr. Kat. = Großer Katechismus D. Martin Luthers

KF, Kurze Darl. = Konkordienformel, Kurze Darlegung (Epitome)

KF, Ausf. Darl. = Konkordienformel, Ausführliche Darlegung (Solida 
    Declaratio)

Kl. Kat. = Kleiner Katechismus D. Martin Luthers

Schm. Art. = Schmalkaldische Artikel

Tract. = Tractatus über die Gewalt des Papstes und der Bischöfe

WA = Weimarer Ausgabe der Werke Luthers

WA br = Weimarer Ausgabe der Werke Luthers, Briefe

Weim. = Weimarer Ausgabe der Werke Luthers

Weim. Tischr. = Weimarer Ausgabe der Werke Luthers, Tischreden

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



[1] Wie auch später noch ausführlicher dargelegt wird, heißt „glauben“ für Luther und die lutherische Kirche nicht bloß biblische Kenntnisse oder Lehre haben und denen zustimmen, sondern es geht vielmehr um das (normalerweise bewusste, willentliche) Vertrauen des bußfertigen Sünders auf den sich in Christus uns offenbarenden Gott und seine gerade in Christus hell strahlende Liebe als Antwort auf die persönliche Ansprache Gottes an den Sünder durch sein Wort. Das, was Gott in seinem Wort uns lehrt, gilt es auch persönlich zu erfahren. (Auch der Glaube ist dabei nicht menschliches Werk, sondern Gottes Gabe durch seinen Heiligen Geist.) (Anm. d. Hrsg.)

[2] vgl. dazu: Johannes von Walter: Die Geschichte des Christentums. 3. Halbband. 2. Durchges. Aufl. Gütersloh: C. Bertelsmann. 1939. S. 125 f.

[3] Vgl. dazu auch:  Kurt Dietrich Schmidt: Grundriss der Kirchengeschichte. 7. Aufl., 2., unveränd. Nachdr. der 5., durchges. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 1979. S. 297 f. (Zitierweise: KDS)

[4] Vgl. Kurt Dietrich Schmidt: Grundriss der Kirchengeschichte. 7. Aufl., 2., unveränd. Nachdr. der 5., durchges. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 1979KDS; a.a.O., S. 290 f.

[5] Vgl. ebd. S. 292

[6] Vgl. ebd. S. 292 f.

[7] Vgl. ebd. S. 293

[8] Vgl. ebd. S. 294 f.

[9] Vgl. ebd. S. 295 f.

[10] Entnommen aus: Theodore Engelder: Das heilsame Wort. Übers. von Roland Sckerl. Durmersheim 2009. (ursprünglich der erste Teil des Buches Popular Symbolics. The doctrines oft he Churches of Christendom and of other religious bodies examined in the light of Scripture. By Th. Engelder, W. Arndt, Th. Graebner, F.E. Mayer. St. Louis, Mo: Concordia Publishing House. 1934). S. 116-120

[11] Wilhelm Rohnert: Die Dogmatik der evangelisch-lutherischen Kirche. Braunschweig, Leipzig: Hellmuth Wollermann. 1902. S. 352

[12] Vgl. ebd.

[13] Vgl. KDS, a.a.O., S. 301

[14] WA 40 I,77,1 f.; in: KDS, ebd.

[15] Vgl. KDS, S. 301 f.

[16] vgl. KDS, a.a.O., S. 303 f.

[17] Vgl. ebd. S. 304 f.

[18] Ernst Kinder: Der evangelische Glaube und die Kirche. Berlin: Lutherisches Verlagshaus. 1958. S. 62

[19] Vgl. ebd. S. 63; ebenso: Luther: Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet. 1545. WA 54

[20] Vgl. Kinder, a.a.O., S. 66 f.

[21] vgl. ebd. S. 78 f.

[22] Diese Auffassung, wie sie Luther aufgrund der Theologie Augustins und des ihm folgenden Westens, übernommen hat, ist aber wohl nicht die ursprüngliche, auch nicht die einzig mögliche. Der ursprüngliche Sinn dürfte wohl eher derjenige der Teilnahme an den heiligen Dingen, also in erster Linie dem heiligen Abendmahl, sein, wie es auch noch ein normannisch-altfranzösisches Credo enthält. Da der Ausdruck „communio sanctorum“ selbst mehrdeutig ist, wäre wohl die rechte Formulierung, die beides umfasst, die: „die Gemeinschaft der Heiligen am Heiligen.“ Vgl. auch: Hermann Sasse: Corpus Christi. Hermannsburg: Verlag der Luth. Blätter; Erlangen: Verl. der Ev.-Luth. Mission. 1979. S. 15 ff.

[23] Die Aussagen zur Kirchengemeinschaft sind eine Einfügung des Herausgebers.

[24] Vgl. Kinder, a.a.O., S. 145

[25] Ebd. S. 71

[26] Vgl. ebd. S. 72

[27] Vgl. ebd. S. 73

[28] Der Abschnitt ‚‘ ist eine Einfügung aus Walther, a.a.O., S. 336

[29] Dieser Teil ist entnommen dem Aufsatz: Roland Sckerl: Kirche und Amt in den lutherischen Bekenntnisschriften.

[30] Der Abschnitt ‚‘ ist eine Einfügung aus Walther, a.a.O., S. 333

[31] Vgl. KDS, a.a.O., S. 316 f.

[32] Von den Schlüsseln, 1530. WA 30 II, (428-507) 497,9-24. 32-36; 468,26-30. In: Oswald Bayer: Promissio. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 1970. (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte. Bd. 24.) S. 188 f. (in heutiges Deutsch übertragen vom Hrsg.)

[33] Vgl. Bayer, a.a.O., S. 193. 194

[34] WA 2,716, 20 f. (Bußsermon 1519, § 8). In: Bayer, a.a.O., S. 194

[35] Vgl. ebd. S. 317

[36] Vgl. Kinder, a.a.O., S. 151

[37] Vgl. Martin Brecht: Martin Luther. Bd. 2. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt. 1989. S. 26.75

[38] Entnommen dem Aufsatz: Roland Sckerl: Das Widerstandrecht bei Luther. In: Der Bekenntnislutheraner. 29. Jg. Heft 2. Durmersheim 2021. S. 3 ff. Vgl. auch unten S. 187 ff.

[39] ebd. Sp. 395

[40] ebd. Sp. 396

[41] ebd. Sp. 398

[42] ebd. Sp. 401

[43] vgl. Martin Luther: Ob Kriegsleute auch in einem seligen Stand sein können. 1526. In: Walch, a.a.O., Sp. 503

[44] Obrigkeit, a.a.O., Sp. 412

[45] ebd. Sp. 412 f.

[46] vgl. Kriegsleute, a.a.O., Sp. 501

[47] ebd. Sp. 507

[48] ebd. Sp. 501.502

[49] Obrigkeit, a.a.O., Sp. 403

[50] ebd. Sp. 413

[51] Kriegsleute, a.a.O., Sp. 492

[52] Obrigkeit, a.a.O.

[53] Kriegsleute, a.a.O., Sp. 513. 516

[54] ebd. Sp. 524 f.

[55] Schreiben an Kurfürst Johann zu Sachsen, die Gegenwehr belangend. 6. März 1530. In: Walch, a.a.O., Sp. 545 f.

[56] ebd. Sp. 547

[57] ebd. Sp. 548

[58] Martin Luther: Schrift an Johann Lübeck, Pfarrer zu Cottbus, von der Gegenwehr. 8. Februar 1539. In: Walch, a.a.O., Sp. 557

[59] vgl. ebd. Sp. 557 f.

[60] ebd. Sp. 558

[61] vgl. Drittes Bedenken der Theologen zu Wittenberg von der Gegenwehr. In: Walch, a.a.O., Sp. 563. Allerdings ist es fraglich, ob man wirklich so weit gehen kann, wie Luther es in diesem Zusammenhang macht, und der Obrigkeit auch die Aufrechterhaltung des zweiten Gebots überträgt, das heißt, die Lästerung des Namens Gottes zu verhüten (Sp. 564). (Das ist übrigens wohl der theologische Hintergrund für Luthers harte Spätschriften gegen die Juden, da er davon ausging, dass in ihren Gebeten und Gottesdiensten Christus und Maria gelästert würden und dies um des zweiten Gebots willen nicht geduldet werden dürfe, solle der Staat nicht dem Gericht Gottes anheimfallen.)

[62] ebd. Sp. 564

[63] ebd. Sp. 565. Ob es allerdings mit der Begründung des zweiten Gebots wirklich zulässig wäre, wage ich zu bezweifeln, da so weit der Auftrag der Obrigkeit nicht geht. Hier wäre dann schon die Frage, ob die Gemeinde nicht vielmehr sich dem antichristlichen Handeln passiv widersetzen, Verfolgung erdulden und, wenn möglich, das Land verlassen sollte.

[64] ebd. Sp. 566 f.

[65] vgl. ebd. Sp. 567

[66] vgl. Disputation über die Worte Christi: Gehe hin und verlaufe alles, was du hast, und gib’s den Armen. Vom Besitz und Verlassen des Eigentums und vom Widerstand wider Obrigkeit und Papst. [Zirkulardisputation.]  Wittenberg. 1539. In: Walch, a.a.O., Sp. 580 f. (Thesen 36; 45)

[67] vgl. ebd. Sp. 581 (Thesen 51-52)

[68] ebd. Sp. 582 (These 53)

[69] ebd. (These 56)

[70] vgl. ebd. Sp. 583 (Thesen 66-69)

[71] vgl. ebd. Sp. 585 (Thesen 86-91)

[72] Ich selbst kann mir diesen Widerstand nur vorstellen im Zusammenhang mit dem Hitlerregime, wie es sich seit Kriegsbeginn immer mehr ausbildete, und wahrscheinlich auch hinsichtlich des Regimes der Roten Khmer, die große Teile des eigenen Volkes systematisch ermordeten. Ansonsten sehe ich die Voraussetzungen aus meiner Sicht nicht gegeben. (Selbst im Blick auf Rot-China unter Mao während der Kulturrevolution habe ich starke Bedenken, dass das Regime darunter fiele.) Absolute Aussagen sind da aber wohl nicht möglich, sondern die Einschätzung muss nach jeweils vorliegenden Kenntnissen und Einblicken und daraus folgenden Erwägungen erfolgen und kann daher unter Umständen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.

[73] Entnommen aus: Roland Sckerl: Was lehren die evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften von der Heiligen Schrift? Durmersheim 2000.

[74] Vgl. KDS, a.a.O., S. 288

[75] Vgl. ebd. S. 287 f.

[76] Vgl. Reinhard Schwarz: Luthers Rechtfertigungslehre als Eckstein der christlichen Theologie und Kirche. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche. Bd. 95. Beiheft 10. Tübingen: Mohr Siebeck 1998. S. 34

[77] Vgl. ebd.

[78] Vgl. dazu auch: Sasse, a,a,O., S. 18 ff.

[79] Luthers Werke. Hrsg. von Otto von Gerlach. Bd. 1. Berlin: G. Eichler. o.J. S. 25; zur 7. These: Ausgabe Berlin: Karl Wiegand. 1848. S. 99-100.107

[80] [80] Luther: Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche. 1520. S. 13. https://archive.org/details/von-der-babylonischen-gefangenschaft-der-kirche-von-martin-luther-1520

[81] Vgl. KDS, a.a.O., S. 319

[82] Allerdings geben uns die Worte Davids 2. Sam. 12,23 Anlass zu der Hoffnung, dass Gott sich ihrer in seiner Barmherzigkeit annimmt, denn er hat Wege über die uns verordneten Gnadenmittel hinaus. (Anm. d. Hrsg.)

[83] Vgl. ebd.

[84] Wider die himmlischen Propheten … 1525, WA 18,202,34-203,2. Weiser ebd. (203,39-204,4). In: Bayer, a.a.O., S. 198, Anm. 205 (in heutigem Deutsch vom Hrsg.)

[85] Vgl. KDS, a.a.O., S. 130 ff. 321

[86] Vgl. Ernst Volk: Dr. Pommer. Johannes Bugenhagen. Groß Oesingen: Verl. der Luth. Buchhdlg. Heinrich Harms. 1999. S. 38

[87] Der folgende Text ist entnommen dem Aufsatz: Roland Sckerl: Die Konsekration in den evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften. Durmersheim 2011.

[88] Vgl. Edward W. A. Koehler: A Summary of Christian Doctrine. 2nd rev. Ed. St. Louis: Concordia Publishing House. 1951. S. 136

[89] So z.B. Edmund Schlink in seiner „Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften“, der darauf eine völlig falsche, Rom angenäherte, Lehre von der Rechtfertigung entwickelt.

[90] Vgl. von Walter, a.a.O., S. 212

[91] Vgl. KDS, a.a.O., S. 311

[92] Vgl. Volk, a.a.O., S. 39

[93] Vgl. Volk, a.a.O., S. 42 f.

[94] Vgl. ebd. S. 312

[95] Dieser Abschnitt ist entnommen dem Aufsatz: Roland Sckerl: Die Lehre vom unfreien Willen in den lutherischen Bekenntnisschriften. Durmersheim 2022.

[96] Dieser Abschnitt lehnt sich an KDS, a.a.O., S. 298 ff. an.

[97] Erl. Ausg. 18, 269; Gal. 2,4; in: Wilhelm Walther: Die christliche Sittlichkeit. 2. Ausg. Leipzig: A. Deichertsche Verl.Buchhdlg. Werner Scholl. 1917. S. 5 (Das Erbe der Reformation. H. 3.)

[98] Vgl. Sittlichkeit, a.a.O., S. 17

[99] Erl. Ausg. 51, 286; in: Sittlichkeit, a.a.O., S. 15

[100] Vgl. Sittlichkeit, a.a.O.

[101] Vgl. Luther, American Edition 35,168 (“Moses agrees exactly with nature.”), 40,98 (“The natural laws were never so orderly and well written as by Moses,”); in: Korey D. Maas: Natural Law, Lutheranism and the Public The Magazine, March 2, 2011. https://wittness.lcms.org/2011/natural-law-lutheranism-and-the-public-good-3-2011/

[102] Vgl. Luther, American Edition 35.173; 47,89, in: Maas, a.a.O.

[103] Vgl. Gifford Grobien: A Lutheran Understanding of Natural Law in the Three Estates. In: Concordia Lutheran Quarterly. Vol. 73,7. July 2009. S. 216 ff.

[104] Vgl. von Walter, a.a.O., S. 140

[105] Vgl. ebd. S. 211

[106] Erl. Ausg. 51, 284; in: Sittlichkeit, a.a.O.

[107] Vgl. Sittlichkeit, a.a.O., S. 27

[108] Vgl. ebd. S. 29 f.

[109] Vgl. ebd. S. 15

[110] Vgl. ebd. S. 30

[111] Vgl. ebd. S. 32

[112] Vgl. ebd. S. 33

[113] Vgl. ebd. S. 35

[114] Vgl. dazu: Werner Führer: Das Amt der Kirche. Neuendettelsau: Freimund-Verlag. 2001. S. 214 f.

[115] Vgl. ebd. S. 215

[116] Vgl. ebd. S. 215 f.

[117] Vgl. Sittlichkeit, a.a.O., S. 34 f.

[118] Vgl. dazu große Galaterbriefauslegung, 3, 406 f. 400 f. 408; in: Sittlichkeit, a.a.O., S. 36

[119] Vgl. Führer, a.a.O., S. 214 f.

[120] WA 2,735, 18 f. Mod., in: Führer, a.a.O., S. 215

[121] Erl. Ausg. 17, 257; in: Sittlichkeit, a.a.O., S. 6

[122] Erl. Ausg. 8,56; in: Sittlichkeit, a.a.O.

[123] Erl. Ausg. 43, 319 ff; in: Sittlichkeit, a.a.O. S. 38

[124] Vgl. Sittlichkeit, a.a.O. S. 38. 40

[125] Vgl. ebd. S. 101

[126] Vgl. ebd. S. 102 f.

[127] Vgl. ebd. S. 103

[128] Vgl. ebd. S. 104

[129] Vgl. ebd. S. 105

[130] Vgl. ebd. S. 118

[131] Vgl. ebd. S. 106 f.

[132] Vgl. ebd. S. 107

[133] Vgl. ebd. S. 107 f.

[134] Vgl. ebd. S. 108

[135] Vgl. ebd. S. 113. 116

[136] Vgl. ebd. S. 120

[137] Vgl. ebd. S. 121-123

[138] Vgl. ebd. S. 123

[139] Vgl. ebd. S. 125

[140] Vgl. ebd.  S. 89

[141] Vgl. ebd. S. 90

[142] Vgl. ebd. S. 91

[143] Vgl. ebd. S. 91 f.

[144] Vgl. ebd. S. 92

[145] Vgl. ebd. S. 126

[146] Vgl. ebd. S. 126 f.

[147] Vgl. ebd. S. 132

[148] Vgl. ebe. S. 132 f.

[149] Vgl. ebd. S. 128

[150] Vgl. ebd. S. 128 f.

[151] Einfügung durch den Herausgeber

[152] Sittlichkeit, a.a.O., S. 56-57

[153] Vgl. ebd. S. 57

[154] Vgl. ebd.

[155] Vgl. ebd.

[156] Vgl. ebd. S. 58

[157] Ebd.

[158] Vgl. ebd. S. 59

[159] Vgl. ebd.

[160] Vgl. ebd. S. 59 f.

[161] Vgl. ebd. S. 64 f.

[162] Vgl. ebd. S. 66

[163] Dieser Abschnitt ist eine Einfügung des Herausgebers

[164] Erl. Ausg. 16, 532 f.; in: Sittlichkeit, a.a.O., S. 42

[165] Erl. Ausg. 16, 531 f.; in: Sittlichkeit, a.a.O., S. 41

[166] KDS, a.a.O., S. 322

[167] Ebd. S. 323

[168] Das zu beachten wird gerade in unserer Zeit immer wichtiger, in der sich die gottlosen, menschenverachtenden, lebensfeindlichen Einstellungen und Pressionen immer mehr verstärken, Ärzte und Krankenschwestern in staatlichen Kliniken gezwungen werden, Abtreibungen und Sterbehilfe vorzunehmen, Standesbeamte gezwungen werden alle möglichen Formen angeblicher „Ehen“  zu schließen; in denen das Wirtschaftsleben in immer weiteren Kreisen nicht von Dienst am Nächsten, sondern von Habgier und Profitsucht geprägt sind. Da muss ein Christ sehr abwägen, welchen Beruf er ergreifen will und vor allem auch, wo, bei wem er noch arbeiten kann. (Anm. d. Hrsg.)

[169] Vgl. WA 11, 273, 8 ff.; 31 I, 215, 4 ff.; 19, 625, 25; 30 II, 555,5; in: Werner Elert: Morphologie des Luthertums. Bd. 2. München: C.H. Beck 1932. S. 319

[170] Vgl. WA 11, 271, 36 ff.; 19, 648. 19; 11, 273, 9 ff.; in: Elert, a.a.O.

[171] Vgl. WA 6, 413, 7; 11, 262 ff.; 266, 5; 31 I, 192, 35; 11, 273, 20; 11, 251, 18; 18, 389, 38; 6, 428, 4; 31 I, 200, 7; 18, 396, 15; 31 I, 194, 21; in: Elert, a.a.O.

[172] Vgl. WA 6, 261 ,11; 15, 35, 30; 51, 251, 30 ff.; 6, 413, 8; 446,14; 11, 277. 28; 19, 652, 22; in: Elert, a.a.O.

[173] Luther ist für seine Zeit von einem christlich geprägten Staat ausgegangen, in dem auch die Schulen durch und durch christlich geprägt sind und unter kirchlicher Aufsicht stehen. Seit dem 19. Jahrhundert ist diese Situation nicht mehr gegeben. Daher ist es Aufgabe der Kirchen und christlichen Ortsgemeinden, für die entsprechenden Kindergärten, Schulen und Hochschulen zu sorgen und auch, wo nötig, für entsprechenden qualitativ gleichwertigen „Unterricht zu Hause“. (Anm. d. Hrsg.)

[174] Auch dieses Ansinnen hat noch das Bild eines mehr oder weniger funktionierenden „christlichen Staates“ vor Augen, den es aber spätestens seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr gibt. Daher muss heute die entschiedene Unterschiedenheit der Aufgaben beider Regimente Gottes betont und jeglichen Versuchen der Einflussnahme des Staates auf die Kirche gewehrt werden. Es ist dabei auch zu bedenken, dass es den oft behaupteten „religionslosen“ Staat nicht gibt, da er immer in irgendeiner Weise weltanschaulich ausgerichtet ist. (Anm. d. Hrsg.)

[175] Totalitäre Systeme, wie sie mit der französischen Revolution aufgekommen sind, waren damals allerdings für die Menschen unvorstellbar. Allerdings hat auch Luther im Blick auf besonders furchtbare Fälle – er sah das vor allem im Antichristen – die Möglichkeit des gewaltsamen Widerstandes offen gelassen (s. oben S. 90 ff.). Friedrich Julius Stahl hat daraus entsprechende seltene Möglichkeiten abgeleitet, die gerade den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 eine Hilfe waren.

Die Geschichte zeigt uns auch, wie richtig diese Auffassung ist. Großbritannien hat, nur kurzzeitig durch die Cromwell’sche Tyrannei unterbrochen, eine sich kontinuierlich entwickelnde Geschichte seiner staatlichen Ordnung. Auch die „Glorious Revolution“ diente nur dem Erhalt und der Vertiefung der vorgegebenen Grundordnungen. Da jedoch, wo man meinte, die bestehende Ordnung nicht gemäß der eigenen Traditionen, Geschichte, Bräuche weiterzuentwickeln, sondern sie umstürzen zu müssen, wie in Frankreich 1789, 1848, oder in Deutschland 1918 oder Russland 1917 ist das Ergebnis großes Chaos und furchtbarste Tyrannei gewesen, was alles durch einen Weiterbau an dem begonnen Gebäude der Verfassungsordnung hätte vermieden werden können. (Anm. d. Hrsg.)

[176] Es hat Luther bei seinen Aussagen zum Staat und seiner Entwicklung vor allem das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und die Reichsstaaten vor Augen, die allesamt ja damals eine Art konkurrierende Regierung hatten, vor allem auf Reichsebene, wo neben dem Kaiser gleichberechtigt die Reichsstände standen, die durch die Kurfürsten den Kaiser auch wählten (und absetzen konnten), wie auf Landesebene, vor allem in Steuerfragen, die Landstände, die eigentlich auch den Landesfürsten ebenbürtig beigeordnet waren. Wenn dazu noch bedacht wird, dass die Stände auch über die Gesetze befanden, soweit sie nicht unabhängig von allen schon von Gott vorgegeben waren, und die Richter, wie Luther anzeigte, unabhängig sein sollten, so haben wir schon die Grundzüge der Gewaltenteilung und des Ausgleichs der Machtorgane (check of balances). (Anm. d. Hrsg.)

[177] Warnung Dr. Martin Luthers an seine lieben Deutschen. 1530. In: Martin Luther: Sämtliche Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Bd. 16. Nachdr. der 2., überarb. Aufl. Groß Oesingen: Verl. der Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms. 1987. Sp. 1630

[178] Ebd. Sp. 1631-1633

[179] Ebd. Sp. 1647

[180] Ebd. Sp. 1648

[181] Ebd. Sp. 1662

[182] Gerhard Ruhbach: Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Protestanten 1523-1546. In: Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte. Hrsg. Heiz Scheible. Gütersloh 1969. S. 67. H. 10. In: Uwe Siemon-Netto: Luther als Wegbereiter Hitlers? Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 1993. S. 69

[183] Vgl. Walch 2, 17,1373; 22,1458; Ryan C. MacPherson: The Magdeburg Interpretation of Romans 13: A Lutheran Justification for Political Resistance. https://www.hausvater.org/articles/336-the-magdeburg-interpretation-of-romans-13-a-lutheran-justification-for-political-resistance.html Melanchthon zählt den Schutz der christlichen Untertanen und des rechten Gottesdienstes sowie der christlichen Lehre zur vornehmsten Aufgabe des christlichen Fürsten. Vgl. CR III, 128 f., in: : Eike Wolgast: Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände. Gütersloh: Gütersloher Verl.Haus Gerd Mohn. 1977. (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte. Bd. 47.) S. 226

[184] WA Br. 8, 3369

[185] Ebd.

[186] Ebd.

[187] Vgl. dazu auch die Zusammenfassung von Richard R. Benert in Siemon-Netto, a.a.O., S. 69 f.

[188] Bekenntnis, Unterricht und Ermahnung der Pfarrherrn und Prediger der christlichen Kirchen zu Magdeburg, Anno 1550. [S. 67] (neuhochdeutsch vom Hrsg.)

[189] Ebd. [S. 70]

[190] Ebd. [S. 77 f.]

[191] Vgl. ebd. [S. 79 f.]

[192] Vgl. ebd. [S. 81] Das Bekenntnis führt vier Grade auf: 1) Wenn die Regierung aus fleischlicher Schwachheit ihre Macht missbraucht, das soll das Volk in Ruhe tragen, die unteren Autoritäten können die Herrschenden auf ihre Grenzen und den Missbrauch hinweisen. 2) Wenn die Regierenden mehr systematisch gegen ihren Eid und das Gesetz, vor allem auch das Naturrecht, verstoßen, soll das Volk auch das leidend tragen und wenn nötig passiven Widerstand leisten; die unteren Autoritäten sind frei, zum Schutz ihrer Bürger Maßnahmen zu ergreifen. 3) Wenn die Regierenden zu bestimmten Sünden zwingen wollen, heißt das für das Volk, passiven Widerstand zu leisten und, wenn nötig, die Folgen zu erleiden; die unteren Autoritäten sollen nach sorgfältigem und eingehendem Untersuchen Widerstand leisten. 4) Wenn die Regierenden systematisch Menschen verfolgen, Gottes Ordnung bewusst umstoßen und damit die Guten terrorisieren und die Bösen ehren, ist Römer 13 auf den Kopf gestellt, dann sind alle aufgerufen, Widerstand zu leisten. Vgl. Ryan C. MacPherson: The Lutheran Teaching concerning Political Resistance in the Magdeburg Confession of 1550. https://www.hausvater.org/download/events/r2w-standing-on-the-shore-2021.pdf

[193] Vgl. ebd. [S. 82]

[194] Vgl. ebd. [S. 83-86]

[195] Vgl. ebd. [S. 87-88]

[196] Der Abschnitt ist durch den Herausgeber zugefügt und bei W. Walther ursprünglich nicht enthalten.

[197] Vgl. Elert, a.a.O., S. 415

[198] Siehe auch oben, S. 183

[199] Der Text ist entnommen dem Aufsatz: Sckerl: Lutherisch-reformatorische Frömmigkeit. Durmersheim 2022.

[200] Vgl. Gute Werke, a.a.O., S. 10

[201] Vgl. Walther, a.a.O., S. 390

[202] Vgl. Otto Hof: Luther über Trübsal und Anfechtung. Neuendettelsau: Freimund-Verl. 1951. (Bekennende lutherische Kirche. H. 5.) S. 5

[203] Vgl. ebd. S. 6

[204] Vgl. ebd. S. 7; Walther von Loewenich: Luthers Theologia crucis. 3., unveränd. Aufl. München: Chr. Kaiser. 1939. S. 158 f.

[205] Vgl. Loewenich, a.a.O., S. 157 f. 160-165

[206] Vgl. Hof, a.a.O., S. 8

[207] Vgl. ebd. S. 9 f.

[208] Vgl. Loewenich, a.a.O., S. 165. Das unterscheidet die conformitas Christi auch grundsätzlich von der imitatio Christi. Letztere ist ein mehr moralischer Begriff, der Christus als Vorbild begreift und auf unser Tun abzielt. Bei der conformitas geht es um die Leidens- und Kreuzesgemeinschaft mit Christus, die nicht selbsterwählt ist, sondern Gottes Werk und ist ganz von Christi Kreuz her geprägt. Vgl. Loewenich, a.a.O., S. 165 f. Anm. 157. Dabei muss aber zugleich Vorsicht geboten werden, wenn der durchaus berechtigte Vorbildcharakter Christi anhand des Büchleins Thomas von Kempens entfaltet werden soll. Thomas von Kempen ist durch und durch römisch-katholisch. Der Kreuzgedanke bei ihm beschreibt den „Heilsweg“, also nicht den Weg Gottes zum Menschen, sondern umgekehrt den des Menschen zu Gott und ist daher mit dem römisch-katholischen Verdienstgedanken verbunden. Die Frömmigkeit bei Thomas ist mönchische Frömmigkeit und letztlich Ausdruck der theologia gloriae oder Ruhmestheologie der römisch-katholischen Kirche und damit biblisch-reformatorischer Frömmigkeit diametral entgegen gesetzt. Vgl. Loewenich, a.a.O., S. 224. Rechtes Verständnis Christi als Vorbild kann dieses immer nur einordnen in die Leidens- und Kreuzesgemeinschaft und -nachfolge, kommt her aus dem geschenkten rettenden Glauben und ist Entfaltung des conformitas-Gedankens in den verschiedenen Bereichen des christlichen Lebens.

[209] Vgl. Hof, a.a.O., S. 11 f.

[210] Vgl. ebd. S. 15 f.

[211] Vgl. ebd. S. 13

[212] Vgl. ebd. S. 16-18

[213] Vgl. ebd. S. 20-21

[214] Vgl. ebd. S. 21 f.

[215] Vgl. Luther, Weimarer Ausgabe, 31/I, 248,23; in: Hof, a.a.O., S. 14

[216] Vgl. Hof, a.a.O., S. 14 f.

[217] Vgl. ebd. S. 18

[218] Vgl. ebd. S. 19

[219] Vgl. ebd. S. 22-23

[220] Vgl. ebd. S. 24-25

[221] vgl. Reinhold Seeberg: Dogmengeschichte. 2. Aufl. Bd. 2. S. 289, Anm. 1

[222] vgl. Evangelische Dogmatik. 3. Aufl. S. 249

[223] vgl. ebd. S. 268

[224] vgl. Kahnis: Dogmatik1. Bd. 1. S. 666

[225] vgl. Seeberg: Dogmengeschichte2, Bd. 2. S. 287 f.

[226] vgl. Quenstedt: Systema. Bd. 1. S. 109

[227] vgl. Kahnis: Dogmatik2, Bd. 1. S. 275

[228] vgl. Nitzsch-Stephan: Evangelische Dogmatik3, S. 268

[229] vgl. Dorner, Geschichte der protestantischen Theologie, S. 246; Seeberg, Dogmengeschichte2 II, 288 ff.; Luthardt, Kompendium10, S. 328).

[230] Dogmengeschichte2, II,288

[231] vgl. Zeugnis von den Grundwahrheiten des Protestantismus gegen Dr. Hengstenberg, 1862, S. 85

[232] Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Nachdr. der 2., überarb. Aufl. Bd. 10. Groß Oesingen: Verl. der Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms. 1987. Sp. 1256

[233] ebd. Sp. 1257

[234] ebd. Sp. 1258

[235] ebd. Sp. 1265

[236] vgl. ebd. Sp. 1259; Sp. 1264. 1266: „Darum ist das eine fremde Gerechtigkeit und ohne unsere Werke, allein durch die Gnade uns eingegossen, so uns inwendig der Vater zu dem Sohne Christus zieht.“

[237] Dr. Martin Luthers Sämtliche Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Nachdr. der 2., überarb. Aufl. Bd. 19. Groß Oesingen: Verl. der Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms. 1986. Sp. 991

[238] ebd. Sp. 992

[239] ebd. Sp. 993. 994

[240] ebd. Sp. 1004

[241] ebd. Sp. 1006

[242] Walch Bd. 10, a.a.O., Sp. 1264

[243] ebd. Sp. 1265

[244] ebd. Sp. 1266

[245] ebd. Sp. 1268

[246] Walch Bd. 19, a.a.O., Sp. 995

[247] vgl. ebd. Sp. 995 f.

[248] ebd. Sp. 996

[249] vgl. Walch Bd. 10, a.a.O., Sp. 1260. 1266

[250] ebd. Sp. 1267

[251] ebd. Sp. 1266 f.

[252] ebd. Sp. 1262

[253] ebd. Sp. 1263

[254] vgl. ebd.

[255] ebd. Sp. 1267

[256] ebd.

[257] vgl. ebd.

[258] vgl. Sp. 1270

[259] Walch 19, a.a.O:, Sp. 1001

[260] ebd. Sp. 1001 f.

[261] ebd. Sp. 1002 f.

[262] ebd. Sp. 1003

[263] ebd. Sp. 1006 f.

[264] ebd. Sp. 1007

[265] vgl. ebd. Sp. 1007 f.

[266] ebd. Sp. 1008


 [RS1]ch