Das ist evangelisch-lutherisch
Nach Ausführungen von Wilhelm
Walther und Theodore Engelder
Überarbeitet, ergänzt und
herausgegeben
von
Roland Sckerl
Durmersheim
202023
Inhaltsverzeichnis
A. VOM WESEN DER LUTHERISCHEN KIRCHE
B.
DIE LEHRE DER EVANGELISCH-LUTHERISCHEN KIRCHE IN GRUNDZÜGEN
d. Die
Prädestination oder Vorherbestimmung
ab.
Die ursprüngliche ethisch-religiöse Beschaffenheit
bb.
Aktiver und passiver Gehorsam
bd.
Christus, unser Fürsprecher.
b. Die
Eigenschaften der Kirche
ba.
Una catholica (Eine allgemeine)
c. Die
äußere Versammlung um Wort und Sakrament und das Kirchenregiment
ca.
Die örtliche Versammlung und Kirchenkörper
d. Das
kirchliche Amt oder der Gnadenmitteldienst
dc. Vom
öffentlichen Predigtamt oder Gnadenmitteldienst oder Predigtamt in concreto
dd. Von der
Berufung ins öffentliche Predigtamt
ea. Die
Unabhängigkeit von Kirche und Staat
eb.
Das Widerstandsrecht bei Luther
a.
Heilige Schrift und Wort Gottes.
aa. Die Heilige Schrift ist Gottes Wort
(Inspirationslehre)
ab. Die Heilige Schrift ist das größte Heiligtum
ac. Die Autorität der Heiligen Schrift
ae. Das Licht zum Verständnis der Schrift: die rechte
Unterscheidung von Gesetz und Evangelium
af. Gottes Wort ist uns zum Glauben gegeben - die
Aufgabe der Heiligen Schrift
ag. Gottes Wort - Gottes Gnadenmittel
ah. Wir sollen das Wort Gottes heilig halten, gerne
hören und lernen
b.
Gottes Wirken durch Wort und Sakrament
ba.
Gleichheit und Verschiedenheit von Wort und Sakrament
aa.
Die Notwendigkeit der Buße.
bb.
Die Rechtfertigung – ein objektiver Akt
bd.
Rechtfertigung um Christi willen
be.
Der rechtfertigende Glaube.
bf.
Luthers Lehre in der Konkordienformel
7.
Die christliche Sittlichkeit
a. Gottes Wirken in der Geschichte
b. Das Wesen der christlichen Sittlichkeit
d. Die
fortschreitende Heiligung
da.
Die Notwendigkeit der fortschreitenden Heiligung
db.
Der Weg zum sittlichen Fortschreiten
e.
Einzelerweisungen der Sittlichkeit
ea.
Das Verhalten gegen Gott selbst
eb.
Das Verhalten zum natürlichen Leben im Allgemeinen
ef.
Die Sozialverantwortung der Gemeinde Christi
Luther
und die Inspiration der Heiligen Schrift
Luthers
Lehre von der zweifachen Gerechtigkeit
In diesem Büchlein soll das Wesen und die
Lehre der evangelisch-lutherischen Kirche in ihren Grundzügen dargelegt werden,
da leider das, was vielen unter „evangelisch-lutherisch“ begegnet, vor allem
aus dem Bereich der sich so nennenden Landeskirchen, aber auch darüber hinaus,
vielfach dass, was evangelisch-lutherisch wirklich ist, nur noch verdunkelt,
verzerrt, irreführend wiedergibt, was tatsächlich „evangelisch-lutherisch“ ist.
Der Hauptteil ist entnommen dem Werk des einstigen Rostocker Professors D. Dr.
Wilhelm Walther: Lehrbuch der Symbolik. Leipzig, Erlangen: A. Deicherische
Buchhdlg. 1924. S. 292 ff. Der erste Teil stammt aus: Theodore
Engelder: Das heilsame Wort. Übers. von Roland Sckerl. Durmersheim 2009.
(ursprünglich der erste Teil des Buches Popular Symbolics. The doctrines of the
Churches of Christendom and of other religious bodies examined in the light of
Scripture. By Th. Engelder, W. Arndt, Th. Graebner, F.E. Mayer. St. Louis, Mo:
Concordia Publishing House. 1934). Der Abschnitt über
die Schriftlehre ist in seinem ersten Teil ebenfalls diesem Heft
entnommen, der Teil über Luthers Stellung zur Heiligen Schrift dem Heft: Roland
Sckerl: Luthers Theologie in Grundzügen. Durmersheim 2020. S. 3 ffist
einem Aufsatz des Herausg4ebers aus dem Jahr 2000
entnommen: Die Lehre der Heiligen Schrift in den evangelisch-lutherischen
Bekenntnissen.. Abschnitte in kleinerer Schrift sind
für die Aussage des Textes nicht unbedingt nötig, aber für den, der
wissenschaftlich tiefer forschen will, unter Umständen interessant.
1. „Die evangelisch-lutherische Kirche
ist die Gesamtheit aller derjenigen, welche sich zu der durch die Reformation
Luthers wieder an den Tag gebrachten und im Jahr 1530 zu Augsburg dem Kaiser
und Reich summarisch [zusammenfassend] in Schrift übergebenen und in den
andern ... lutherischen Symbolen [Bekenntnissen] wiederholten und
ausgeführten Lehre als zu der reinen Lehre des göttlichen Wortes rückhaltlos
bekennen.“ (C.F.W. Walther: Die evangelisch-lutherische Kirche, die wahre
sichtbare Kirche Gottes auf Erden. These X.)
Das ist die Definition der lutherischen
Kirche durch die lutherischen Bekenntnisse. Gemäß der Konkordienformel gehören
zur lutherischen Kirche diejenigen, die unzweideutig erklären: „Wir ...
bekennen uns .. als erstes zu den prophetischen und apostolischen Schriften
Alten und Neuen Testaments als zu dem reinen lautern Brunnen Israels, welche
alleine die einige wahrhaftige Richtschnur sind, nach der alle Lehrer und Lehre
zu richten und zu beurteilen sind ... Bekennen wir uns zum andern zu den drei
allgemeinen Symbolen, nämlich dem Apostolischen, Nicänischen und des heiligen
Athanasius, als zu den kurzen christlichen und in Gottes Wort gegründeten
herrlichen Bekenntnissen des Glaubens ... So bekennen wir uns auch zu derselben
ersten ungeänderten Augsburgischen Konfession, nicht deswegen, daß sie von
unsern Theologen aufgestellt, sondern weil sie aus Gottes Wort genommen und
darinnen fest und wohl gegründet ist ... Zum vierten ... ist nach übergebener
Konfession eine ausführliche Apologie aufgestellt und Anno 1531 durch
öffentlichen Druck publiziert. Zu derselben bekennen wir uns auch einhellig...
Zum fünften bekennen wir uns auch zu den Artikeln, zu Schmalkalden in der
großen Versammlung der Theologen Anno 1537 aufgestellt, approbiert und
angenommen ... Und dann zum sechsten, weil diese hochwichtigen Sachen auch den
gemeinen Mann und Laien anbelangen, welche ihrer Seligkeit zugut als Christen
zwischen reiner und falscher Lehre unterscheiden müssen: Bekennen wir uns auch
einhellig zu dem kleinen und großen Katechismus Doktor Luthers.“ Konk. Formel,
Ausf. Darl., Zsf. 2-8. Da die Lehre, die in den lutherischen Symbolen dargelegt
ist, wie sie im Konkordienbuch stehen, ein und dieselbe ist, so bringt die
tatsächliche und ausdrückliche Annahme der Augsburgischen Konfession oder von
Luthers Kleinem Katechismus allein notwendig auch die tatsächliche Annahme der
anderen Bekenntnisse mit sich. „Auch keiner, so ohne Falsch der Augsburgischen
Konfession ist [anhängt], sich dieser Schriften beschweren, sondern sie als Zeugen
gerne annehmen ... wird.“ Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 12. - Die
Verkündigung der Grundsätze und Lehren, die in diesen Bekenntnissen dargelegt
sind, führte zur Entstehung der lutherischen Kirche, und die volle Annahme und
treue Anwendung aller dieser Grundsätze machte ihre, der lutherischen Kirche,
Stärke und Ruhm aus.
2. Die lutherische Kirche ist
Bibelkirche. Sie anerkennt das Wort Gottes, die Heilige Schrift Alten und
Neuen Testaments, als die einzige Quelle und Richtschnur der Lehre, die einzige
Autorität in Sachen des christlichen Glaubens und Lebens. Hinsichtlich der
Autorität der Schrift (1 Petr. 4,11; Joh. 8,31.32; Jes. 8,20 u.a.) bekennt sie:
„Es heißt, Gottes Wort soll Artikel des Glaubens stellen und sonst niemand,
auch kein Engel“, Schmalk. Art. T. II,II,15. Nichts darf in der Kirche gelehrt
werden „ohne allen Grund in der Schrift“, Apol. XII,119; IV,83. „Und bleibt
allein die Heilige Schrift der einzige Richter, Regel und Richtschnur, nach
welchen, als dem einzigen Probierstein, sollen und müssen alle Lehren erkannt
und geurteilet werden, ob sie gut oder böse, recht oder unrecht sind.“ Konk.
Formel, Kurze Darl.., Zsf. 7. SOLA SCRIPTURA, ALLEIN DIE SCHRIFT ist auf
jeder Seite der Bekenntnisse der lutherischen Kirche geschrieben. „Wo steht das
geschrieben“ ist ihr erstes und letztes Wort, Kl. Kat., VI,3. Der Augsburgischen
Konfession geht es einzig darum zu zeigen, „was und welchergestalt sie,
aufgrund göttlicher heiliger Schrift, in unsern Ländern, Fürstentümern,
Herrschaften, Städten und Gebieten predigen, lehren, halten und Unterricht
tun“. Augsb. Bek., Vorr. 8. Ihre letzten Worte sind: „mit Grund göttlicher
heiliger Schrift“, Augsb. Bek., Schl. 7. Die katholischen Kirchen ergänzen und
ersetzen die Autorität der Schrift durch die Autorität der Kirche. Die
liberalen Körper haben Vernunft und Wissenschaft als die einzige Autorität
aufgestellt. Indem sie für das Recht auf privates Prüfen und Richten eintreten,
verlangen sie auch das Recht, so viel von der Schrift zu verwerfen, wie nicht
mir ihrem Sinn der Religion zusammenpasst. Und obwohl die Reformierten das
formale Prinzip: „Die Bibel, die ganze Bibel und nichts als die Bibel“, die
Lehre also von der höchsten Autorität der Schrift in eine Anzahl ihrer
Bekenntnisse geschrieben haben, so haben sie doch zugelassen, dass Vernunft und
philosophische Erwägungen bestimmte Teile der Schrift auslegen und so einige
Teile der Schrift umstoßen. Die lutherische Kirche dagegen hängt treu am
Schriftprinzip und beharrt fest auf ihm. Ihre Theologen freuen sich, dass sie
ausschließlich an der Schrift arbeiten. „Denn damit beschäftigt sich die
Theologie, die göttlichen Wahrheiten aus der Schrift zu erkennen, zu begründen,
gewiss zu machen.“ (A. Hönecke: Ev.-luth. Dogmatik, I, S. 254) Und ihre treuen
Kinder beugen sich der höchsten und alleinigen Autorität der Schrift. Darin liegt
ihre Stärke. Ihr Glauben und Leben ist nicht auf dem Treibsand menschlicher
Meinungen gegründet, sondern auf dem unveränderlichen Fels des von Gott
gegebenen Wortes. Und das erfüllt das Herz der Gläubigen mit göttlicher
Gewißheit.
3. Die lutherische Kirche ist
Evangeliumskirche. Getreu ihrem Namen evangelisch-lutherisch bezeugt
sie das Evangelium von der Gnade Gottes (Apg. 20.24) in seiner Reinheit und
Fülle. Das Herz der Bibel ist das Evangelium; die Summe, und das, was das
Evangelium ausmacht, ist der Artikel von der Rechtfertigung des Sünders aus
Gnade, durch den Glauben, um Christi stellvertretender Genugtuung willen -
Erlösung, vom Anfang bis zum Ende, allein aus Gnaden, 1 Kor. 2,2; Apg. 10,43;
Röm. 3,24-28; Eph. 2,8.9; und die lutherische Kirche, die ihre Lehre einzig aus
der Schrift ableitet, weiß nichts anderes als Christus, nichts anderes als die
Erlösung durch seine Gerechtigkeit. Die Haupt- und Zentrallehre der Bibel, der
christlichen Religion, das Materialprinzip der Reformation, Rechtfertigung
durch den Glauben, ist auch der Haupt- und Zentralartikel der lutherischen
Theologie, der Theologie der Gnade. Augsb. Bek. IV; XXVI,4: „Erstlich
ist ... die Gnade Christi und die Lehre vom Glauben ..., welche uns das
Evangelium mit großem Ernst vorhält ...“ XXVII,48: „Gerechtigkeit des Glaubens,
die man am meisten in der Kirche treiben soll ...“ Apol. IV,2: „Dieweil aber
solcher Zank ist über dem höchsten, vornehmsten Artikel der ganzen christlichen
Lehre ... welcher auch zu klarem, richtigem Verstande der ganzen Heiligen
Schrift vornehmlich dient und zu dem unaussprechlichen Schatze und der rechten
Erkenntnis Christi allein den Weg weist.“ Schmalk. Art. T. II, 1,5: „Von diesem
Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erde oder
was nicht bleiben will ... Apg. 4,12; Jes. 53,5.“ Die katholische,
pelagianische Theologie hat für diesen Artikel keine Verwendung. Ihr
Materialprinzip ist die Erlösung durch Werkgerechtigkeit. Die reformierten
Kirchen bekennen diesen Artikel. Aber der Arminianismus hat ihn mit dem
pelagianischen Virus infiziert, und der Calvinismus, da er ja das Dogma von der
souveränen Majestät Gottes zu seinem Materialprinzip gemacht hat, gibt nur den
Erwählten Anteil an der Gnade Gottes, der Vergebung der Sünden und weist dem
Artikel von der Rechtfertigung durch den Glauben nur eine untergeordnete
Stellung zu. Und die Lehre der reformierten Gruppen über die Gnadenmittel macht
tatsächlich den Artikel von der Rechtfertigung durch den Glauben null und
nichtig. Die volle Würdigung der Natur und der Wichtigkeit der Rechtfertigung durch
den Glauben, und das heißt ja, dass die Erlösung immer und überall aus Gnaden
geschieht, und der beständige Gebrauch dieses Artikels ist das hervorstechende
Merkmal der lutherischen Kirche. „... dieselbe selige Lehre, das liebe, heilige
Evangelium, nennen sie lutherisch.“ Apol. XV, 43. Und diese Lehre allein ist
es, die voll das trifft, was der Sünder benötigt. Wenn die Gnade nicht alles
macht (sola gratia, allein aus Gnaden), so ist der Sünder verloren. Und wenn
die Gnade nicht für alle da ist (gratia universalis, universale Gnade), so muss
der Sünder verzweifeln. „Dieser Artikel von der Rechtfertigung des Glaubens
(wie die Apologie sagt) ist der vornehmste der ganzen christlichen Lehre, ohne
welchen kein armes Gewissen einigen beständigen [zuverlässigen, gewissen] Trost
haben oder den Reichtum der Gnade Christi recht erkennen kann.“ Konk. Formel,
Ausf. Darl., III,6.
4. Die lutherische Kirche ist
Evangeliumskirche, der treue Verwalter des Evangeliums als dem einzigen
Erlösungsmittel. Gott hat das Evangelium und die Sakramente zu den Mitteln
gemacht, durch die das, was uns Christus mit seinem Erlösungswerk erworben hat,
angeboten und zugeeignet und der seligmachende Glaube geschaffen und bewahrt
wird, Röm. 10,6-8.17; Joh. 17,20. Demgemäß erklärt die lutherische Kirche:
„Denn damit werden gegeben nicht leibliche, sondern ewige Dinge und Güter, als
nämlich ewige Gerechtigkeit, der Heilige Geist und das ewige Leben.“ Augsb.
Bek., XXVIII,8. „Welche Güter uns in der Verheißung des heiligen Evangeliums
durch den Heiligen Geist vorgetragen werden ...“ Konk. Formel, Ausf. Darl.,
III,10. „Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt,
Evangelium und Sakramente gegeben, dadurch er, als durch Mittel, den Heiligen
Geist gibt ...“ Augsb. Bek., V. Die Lehre von der Erlösung durch die Gnadenmittel
ist kennzeichnend für das Luthertum. Die katholischen Kirchen haben keinen
Gebrauch für Gnadenmittel, für ein Evangelium und für die Sakramente,
die die Erlösung als freies Geschenk anbieten. Und die reformierten Kirchen
verwerfen, während sie einerseits im allgemeinen daran festhalten, dass die
Erlösung aus Gnaden ist, andererseits das Evangelium und die Sakramente als Mittel
der Gnade. Es ist ganz klar, dass hier Dinge von grundlegender Bedeutung
betroffen sind. Der Hauptartikel der christlichen Religion, die
Rechtfertigung durch den Glauben, steht und fällt mit dem Artikel von den
Gnadenmitteln [Hervorh. durch Übers.] Die Rechtfertigung durch den Glauben
besagt nämlich absolut nichts ohne die Gnadenmittel, durch die die
Gerechtigkeit, die Christus gewonnen hat, geschenkt, und der Glaube, der das
Geschenk annimmt, geschaffen wird. „Die Schwärmer heutigen Tages ... bekennen
den gestorbenen Christus, der am Kreuz gehangen und uns selig gemacht, das ist
wahr; aber sie leugnen das, dadurch wir ihn bekommen, das ist, das Mittel, den
Weg, die Brücke und Steig, den brechen sie ein ... Sie schließen uns den Schatz
zu, den sie uns sollten vor die Nase stellen und führen mich auf einen
Affenschwanz; den Zutritt und die Überreichung, den Gebrauch und Besitzung des
Schatzes weigert und nimmt man mir.“ Luther, Walch 2, III, 1692 f. Die Gnadenmittel
sind mit den tatsächlichen Lebenskräften des Glaubens verbunden. Der Glaube
lebt davon, dass ihm die Vergebung der Sünden angeboten wird, wie sie uns in
der festen, gewissen Verheißung und unabdingbaren Zusage des Evangeliums und
der Sakramente zukommt. Auch hier trifft das Luthertum wieder voll das, was der
Sünder braucht. C.F.W. Walther hat dies so ausgedrückt: „Das charakteristische
Merkmal unserer lieben evangelisch-lutherischen Kirche ist ihre Objektivität,
was heißt, dass ihr gesamtes Lehren darauf abzielt, den Menschen davon
abzuhalten, die Erlösung in sich selbst zu suchen, in den Kräften seiner Natur
und seines Willens, in irgendetwas, das er macht oder ist, und ihn dahin zu
bringen, die Erlösung außerhalb von sich zu suchen. Die Lehren aller
anderen Kirchen haben einen subjektivistischen Charakter; sie führen den
Menschen dahin, seine Erlösung auf sich selbst zu gründen.“ „Und das findet in
einer außerordentlich markanten Weise seine Anwendung darinnen, dass sie die
Schriftlehre von den Gnadenmitteln leugnen.“ F. Pieper, Lehre und Wehre, 36,
119.
5. Und noch einmal: Die lutherische
Kirche ist Evangeliumskirche. Sie beobachtet und hält fest die
Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium. „Denn Christi Wohltat und
den großen Schatz des Evangeliums (welchen Paulus so hoch hebt) recht zu
erkennen, müssen wir je auf einem Teil Gottes Verheißung und angebotene Gnade,
auf dem andern Teil das Gesetz soweit voneinander scheiden wie Himmel und Erde.“
Apol. III, 63. Die lutherische Kirche erkennt die lebendige Beziehung an, die
zwischen diesem Artikel besteht und dem Hauptartikel der christlichen Religion,
der Rechtfertigung durch den Glauben. Jegliche Vermischung von Gesetz und
Evangelium, nicht nur wenn das Gesetz an die Stelle des Evangeliums gesetzt
wird, sondern auch, wenn gesetzliche Elemente, Forderungen, Bedingungen in das
Evangelium hineingeträufelt werden, ist zerstörend für das Evangelium, für den
Artikel von der Rechtfertigung aus Gnaden. Röm. 3,28; 4,14; Gal. 3,10; 5,4;
Apol. III, 62. Tatsächlich bedingen sich die beiden Artikel. Die Rechtfertigung
durch den Glauben heißt Rechtfertigung nicht auf der Grundlage des Gesetzes,
sondern auf der Grundlage des Evangeliums. Und auch hier hat das Luthertum
wieder voll das ermessen, was der Sünder braucht. Er erhält die Rechtfertigung,
indem er zwischen Gesetz und Evangelium unterscheidet, indem er vom Gesetz und
seinen Drohungen flieht und sich auf die Verheißung des Evangeliums wirft.
Tatsächlich muss dieser Artikel jeden seiner Schritte auf dem Weg der Erlösung
leiten. Wenn beide in rechter Ordnung angewandt werden, das Gesetz in seiner
Schärfe und das Evangelium in seiner Lieblichkeit, wird so seine Bekehrung
bewirkt, seine Heilsgewissheit, seine Heiligung, seine Bewahrung. „Wir glauben,
lehren und bekennen, dass der Unterschied des Gesetzes und Evangeliums als ein
besonders herrliches Licht mit großem Fleiß in der Kirche zu erhalten sei,
dadurch das Wort Gottes nach der Ermahnung St. Pauli recht geteilt wird.“ Konk.
Formel, Kurze Darl., V,2.
6. Die lutherische Kirche ist die wahre
sichtbare Kirche; sie ist nicht die Universalkirche, auch nicht die allein
seligmachende Kirche, nicht die einzige christliche Kirche, sondern die wahre
sichtbare Kirche; das heißt: Sie ist die Kirche des reinen Wortes und der
unverfälschten Sakramente. Die unsichtbare Kirche ist einzig und ausschließlich
erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, Eph. 2,20, und die sichtbare
Kirche darf diesen Grund nicht verlassen. Die Christen, die sich zum
gemeinsamen Bekenntnis ihres Glaubens und dem Hören und Predigen des Wortes
Gottes versammeln, müssen das reine Wort predigen und bekennen. Das ist die
einzige Form der sichtbaren Kirche, die Gottes Willen entspricht. Irgendeine
andere Vereinigung wird von Gott nicht gutgeheißen. Die Jünger Christi müssen
an seinem Wort bleiben, Joh. 8,31, alle Dinge lehren, die Christus ihnen
befohlen hat, Matth. 28,20, an dem Vorbilde der heilsamen Worte festhalten, 2
Tim. 1,13; Jer. 23,28-31; Matth. 7,15; 1 Kor. 1,10; Eph. 4,3-6; 1 Tim. 4,16;
Tit. 1,9; 2,1-7; 1 Petr. 4,11. Diejenige ist eine wahre sichtbare Kirche, die
„beständig bleibet in der Apostel Lehre“, Apg. 2,42. Das macht die lutherische
Kirche. Indem sie alle ihre Lehren aus der Schrift ableitet (Formalprinzip) und
sie mit der Kernlehre der Schrift, der Rechtfertigung allein durch den Glauben
(Materialprinzip) verbindet, bekennt und lehrt sie die volle christliche
Wahrheit. Das Leben der lutherischen Christen ist weit davon entfernt,
vollkommen zu sein, aber die Lehre der lutherischen Bekenntnisse ist
vollkommen rein. Keine ihrer Lehren muss korrigiert werden. „Ich möchte fürwahr
wohl gern ein rechtes christliches Konzil sehen, damit doch viel Sachen und
Leuten geholfen würde. Nicht, dass wir's bedürfen; denn unsere Kirchen sind nun
durch Gottes Gnade mit dem reinen Wort und rechtem Gebrauch der Sakramente, mit
Erkenntnis allerlei Stände und rechten Werken also erleuchtet und beschickt
[versorgt], dass wir unserethalben nach keinem Konzil fragen ...“ Schmalk.
Art., Vorr. 10. Und die lutherische Kirche ist die einzige wahre sichtbare
Kirche. Diejenigen religiösen Körper, die das gesamte Wesen des Evangeliums
leugnen, die Gottheit Christi und das erlösende Werk Christi, sind nicht
christliche Kirchen, sondern Synagogen Satans, Offenb. 2,9; 1 Joh. 2,23;
5,20.21, „außerhalb der Kirche Christi“. Apol. I. Diejenigen religiösen Körper
jedoch, die zwar fundamentale Lehren der Bibel leugnen, aber noch wesentliche
Teile der erlösenden Wahrheit behalten, sind, um der Gläubigen, die in ihrer Mitte
durch die Wahrheit, die noch in ihrer Mitte verkündigt wird, geboren werden,
tatsächlich Kirchen. „Wir müssen gewiss anerkennen, dass die Schwärmer die
Schrift und Gottes Wort in anderen Artikeln haben, und wer es durch die hört
und glaubt, ist erlöst.“ Luther, XVII, 2212 [aus dem Engl. übers.] Aber
aufgrund dessen, dass sie grundlegende Evangeliumslehren verwerfen, sind sie
falsche, unreine, heterodoxe Kirchen, Sekten. Die lutherische Kirche ist die
einzige Kirche, die die reine Lehre der Schrift lehrt, unvermengt mit
rationalistischen Verfälschungen oder anderen Formen menschlicher Lehre. Das
setzt sie ab von allen anderen. Das macht ihre besondere Herrlichkeit aus.
Der Unterschied zwischen der lutherischen
Kirche und den Sekten ist ein durchaus radikaler. Da gibt es solche, die alle
christlichen Kirchen, zumindest alle protestantischen Kirchen, als
Schwesterkirchen bezeichnen, die alle gleichermaßen einen größeren oder
kleineren Teil der rettenden Wahrheit besitzen, von denen keine aber frei ist
von lehrmäßigen Verirrungen. Die lutherische Kirche weigert sich, solcherart
klassifiziert zu werden. Sie ist vielmehr sui genere, wesensmäßig, die
wahre sichtbare Kirche, die Kirche der reinen Lehre. Sie unterscheidet sich von
den Sekten nicht bloß in Äußerlichkeiten, sondern in Lehrdingen. Und die Lehre
ist das Wichtigste in der Kirche. Die Lehre der Schrift treibt das Thema von
der ewigen Erlösung. Jede einzelne Lehre ist mit diesem Thema verbunden. Auch
unterscheidet sich die lutherische Kirche von den Sekten nicht bloß in
kleineren Lehrpunkten, sondern in grundlegenden Lehren, die einen direkten
Bezug zum Thema der Erlösung haben. Das ist die wunderbare Herrlichkeit der
lutherischen Kirche, dass sie das Evangelium in seiner Fülle und Reinheit
bewahrt hat und predigt. „Dies ist fast die Summa der Lehre, welche in unsern
Kirchen zu rechtem christlichen Unterricht und Trost der Gewissen, auch zur
Besserung der Gläubigen gepredigt und gelehrt ist, wie wir denn unsere eigene
Seele und Gewissen je nicht gerne wollten vor Gott mit Missbrauch göttlichen
Namens oder Worts in die höchste und größte Gefahr setzen oder auf unsere
Kinder und Nachkommen eine andere Lehre, als die dem reinen göttlichen Wort und
christlicher Wahrheit gemäß, fallen lassen oder erben.“ Augsb. Bek., Zsf. des
ersten Teils, 1. Das ist die Rede von Menschen, die in heiliger Ehrfurcht vor
Gottes Wort standen, die erkannten, wie wichtig die seligmachende Lehre ist,
und die erfüllt waren mit Dankbarkeit dafür, dass sie die volle Wahrheit des
Evangeliums besaßen. Man sollte nicht versuchen, dies mit dem Schrei blinder
Parteilichkeit und pharisäischer Selbstgefälligkeit zu übergehen. Auch nicht
mit den Gegenforderungen anderer Kirchen. Die Frage, welche die wahre sichtbare
Kirche ist, ist dem Urteil der Schrift zu unterwerfen. Die lutherische Kirche
hat ihr ihre Bekenntnisse unterworfen. „Das ist fast die Summe unserer Lehre.“
Und sie ist gewiss, dass derjenige, der gewissenhaft den einzigen rechten
Standard der Lehre, die Schrift, anlegt, sie als die wahre sichtbare Kirche
erkennen wird. „... welche [Augsburgische Konfession] von dem Gegenteil
gleichwohl sauer angesehen, aber, Gott Lob, bis auf diesen Tag unwiderlegt und
unumgestoßen geblieben [ist].“ Konk. Formel, Ausf. Darl., Vorr. 3.
7. Mit anderen Worten: Die lutherische
Kirche ist eins mit der alten apostolischen Kirche. Die Reformation hat
nicht eine neue Lehre aufgebracht, sondern hat die ursprüngliche apostolische
Lehre wiederbelebt. Sie hat nicht eine neue Kirche aufgerichtet, sondern hat
der Kirche ihren vormaligen Glanz zurückgegeben. Der Glanz der Kirche der Apostelzeit
war, dass „sie beständig blieben in der Apostel Lehre“, Apg. 2,42. Und der
Glanz der lutherischen Kirche ist, dass sie beständig an der Apostellehre
festhält. Die Heilige Christliche Kirche trägt den Namen „apostolisch“
(Nicänum), weil der Glaube ihrer Glieder durch das Wort der Apostel gewirkt
wird und in ihm wurzelt, Joh. 17,20; Eph. 2,20; Joh. 8,31; Röm. 16,17. Und
diese Eigenschaft der christlichen Kirche findet ihren entsprechenden Ausdruck
in derjenigen sichtbaren Kirche, die das ganze apostolische Wort bekennt und
bewahrt. Das ist die Apostolizität der lutherischen Kirche: sie bekennt
sich „zum andern zu den drei allgemeinen Symbolis, nämlich dem Apostolischen,
Nicänischen und des heiligen Athanasius“ (Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 4)
und bekennt dies ohne Änderung, Verkürzung, Zusatz oder Vorbehalt. Sie bekennt
sich „zu den prophetischen und apostolischen Schriften Alten und Neuen
Testaments“ (ebd. 3) und nimmt sie an ohne Änderung, Verkürzung, Zusatz oder
Vorbehalt. „Alle Welt ... muss bekennen, dass wir das Evangelium so lauter und
rein haben, ganz wie die Apostel gehabt haben, und ganz in seine erste
Reinigkeit gekommen ist.“ „Die Papisten wissen selbst, dass in all diesen und
in allen andern Lehren wir gleich sind mit der alten Kirche und wahrlich mögen
genannt werden die alte Kirche; denn diese Dinge sind nicht neu, nicht von uns
erfunden. ... Wir und sie [die alte Kirche] sind eine Kirche, lehren und
glauben ein und dasselbe Wort Gottes.“ Luther, X, 471; XVII, 1324.1326.
„Dadurch, dass die Kirche der Reformation wieder zu dem rechten Begriff der
seligmachenden Gnade als ‚favor Dei propter Christum’ [Gottes Güte um Christi
willen] im Unterschiede von der ‚gratia infusa’ [eingegossene Gnade]
zurückkehrte, ist sie zur apostolischen Reinheit der christlichen Lehre
zurückgekehrt.“ F. Pieper, Chr. Dogmatik, II, S. 14. Der Name
‚lutherisch’, das ist gewiss, und die lutherische Kirche als eine sichtbare
Organisation entstand nicht eher als vor etwa vierhundert Jahren, aber die
Sache, die dieser Name bezeichnet, die Lehre, die das Herz und das Leben der
Organisation ist, ist so alt wie die Eine Heilige Allgemeine und Apostolische
Kirche. Vgl. Der Lutheraner, I. S. 97 ff. Das Wesen des Luthertums hat seinen
ersten Ausdruck nicht in der Augsburgischen Konfession gefunden. Es ist
vielmehr voll ausgedrückt im Brief an die Römer. Was in der Augsburgischen
Kofession neu war, das war die Verwerfung neuer Irrlehren, - eher alter
Irrlehren in neuer Form. Die Irrlehren, die von den lutherischen Bekenntnissen
zurückgewiesen werden, die Irrlehren der Papsttums und der
Pseudo-Protestantismus, sind die Irrlehren, vor denen die Apostel die Kirche
aller Zeiten warnten.
8. Mit anderen Worten: Die lutherische
Kirche ist, lehrmäßig, die wahre allgemeine (katholische) Kirche. Sie ist
nicht die Heilige Christliche Kirche, die Universalkirche. Die Allgemeine
Kirche des Apostolischen Glaubensbekenntnisses ist die Gemeinschaft derer,
„welche hin und wieder in der Welt, vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang,
an Christus wahrlich glauben, welche denn ein Evangelium, einen Christus, eine
Taufe und Sakramente haben, durch einen Heiligen Geist regiert werden“, „die
Christus und das Evangelium recht erkannt haben.“ Apol. VII.VIII, 10.20. Und die
lutherische Kirche ist auch nicht ein Teil der Heiligen Christlichen Kirche.
Nicht alle, die vom Bekenntnis her Lutheraner sind, sind auch Christen. Und es
gibt Christen überall in den Sekten. „Die Erkenntnis Christi ist immer bei
einigen gottseligen Menschen geblieben“ unter dem Papsttum. Apol. III, 272.
„Wir machen uns gar keinen Zweifel, dass viele fromme, unschuldige Leute, auch
in den Kirchen, die sich bisher mit uns nicht allerdings verglichen, zu finden
sind.“ Konkordienbuch, Vorr., Trigl. S. 18. Bei weitem nicht alle Christen
gehören zur lutherischen Organisation. Aber die Lehre der
lutherischen Kirche ist allgemeinchristlich. Es ist diejenige Lehre, die von
allen Christen Glauben fordert. Noch mehr, es ist diejenige Lehre, die alle
Christen entweder in ihren wesentlichen Punkten glauben oder in all ihren
Punkten annehmen würden, wenn sie richtig unterwiesen würden. Denn es ist die
Lehre der Schrift. Alle Christen in der Welt nehmen die Hauptlehre der
lutherischen Kirche an und glauben sie, die Erlösung aus Gnaden allein. Anders
würden sie nicht Christen sein. „Wir wissen, dass die Dinge, die wir gesagt
haben, in Übereinstimmung sind ... mit der gesamten Kirche Christi, die
gewisslich bekennt, dass Christus der Versöhner und Rechtfertiger ist.“ Apol.
III, 268. Dies, Rechtfertigung aus dem Glauben, „ist unsere Lehre, und also
lehret der Heilige Geist und die ganze heilige Christenheit.“ Luther, XVI,
1689. Und wenn auch viele Christen nicht die gesamte lutherische Lehre
annehmen, so hoffen wir, „wenn sie in der Lehre recht unterrichtet werden,
durch Anleitung des Heiligen Geistes zu der unfehlbaren Wahrheit des göttlichen
Worts mit uns und unsern Kirchen und Schulen begeben und wenden werden.“
Konkordienbuch, Vorr., Trigl. S. 18. Denn jeder Christ fürchtet Gottes Wort.
Seine christliche Natur hasst falsche Lehre und liebt die Wahrheit. Daher: „Wir
wissen, dass die Dinge, die wir gesagt haben, in Übereinstimmung sind ... mit
der gesamten Kirche Christi.“ Apol. III, 268. „Unser Bekenntnis ist wahr, fromm
und katholisch.“ Apol. XIII, 26 [nach der lat. und engl. Übers.] Die
römisch-katholische Kirche ist nicht katholisch; nicht ein einziger Christ auf
Erden glaubt, dass ein Mensch durch Werke gerechtfertigt wird. Die reformierten
Kirchen sind nicht katholisch; nicht ein einziger Christ unterschreibt in
seinem Herzen die Lehre, dass er ohne die Gnadenmittel erlöst werde. Der Glaube
der ganzen Christenheit findet seinen vollen und entsprechenden Ausdruck in den
Bekenntnissen der lutherischen Kirche. Das ist der ökumenische Charakter des
Luthertums. „Die Lehren der Konkordienformel sind die ökumenischen Wahrheiten
der Christenheit; denn das wahre Luthertum ist nichts anderes als konsequentes
Christentum. Die Konkordienformel, sagt Krauth, ist ‚das vollständigste und
klarste Bekenntnis, wodurch die christliche Kirche jemals ihren Glauben
ausgedrückt hat.’“ Conc. Trigl. Hist. Intr., S. 256. - Die Katholizität
der lutherischen Kirche ... [und ihre Größe] stehen in keiner Beziehung
zueinander. Die Wahrheit wird nicht bestimmt noch bewirkt durch Zahlen,
Mehrheiten. Athanasius stand alleine, „Athanasius gegen die Welt“; Luther war
in Worms der einzige Sprecher für die Sache; die Bekenner zu Augsburg, eine
kleine Minderheit, waren die Sprecher der Christenheit.
9. Die lutherische Kirche ist das, was
sie ist, nämlich die Kirche der reinen Lehre, allein aus Gottes Gnade. Sie
verdankt dies nicht einer höheren Weisheit Luthers oder irgendwelcher höheren
Qualität der Lutheraner. Es ist dies Geschenk aus Gottes reiner, unverdienter
Gnade. „Denn unsere Kirchen sind nun durch Gottes Gnade mit dem reinen
Wort und rechten Gebrauch der Sakramente ... also erleuchtet und beschickt.“
Schmalk. Art. Vorr. 10. Das ist nicht scheinheiliges Gerede, sondern der
Ausdruck jemandes, der in der Theologie der Gnade lebt. Einer, der an das allein
aus Gnaden glaubt, kann nicht seinen Mund in selbstgefälliger Prahlerei
öffnen. Er weiß, dass er, auf sich selbst gestellt, sofort die Lehre von der
Erlösung allein aus Gnaden, allein durch die Gnadenmittel verwerfen würde. „Es
ist nicht meine Lehre, sie ist nicht in meiner Hand, sondern Gottes Gabe. Denn,
lieber Herr Gott, ich habe sie nicht erdichtet aus meinem Kopf, sie ist in
meinem Garten nicht gewachssen oder aus meinem Born gequollen, noch von mir
geboren, sondern sie ist Gottes Gabe und nicht ein Menschenfündlein.“ Luther,
VII, 27. „Wir sind nichts, allein Christus ist alles. Wenn er sein Antlitz
abwendet, so sind wir verloren und Satan wird triumphieren, selbst wenn wir so
heilig wie Petrus und Paulus wären. Lasset uns darum demütigen unter die
gewaltige Hand Gottes, dass er uns erhöhe zur rechten Zeit; denn Gott
widerstehet den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade, 1 Petr. 5,5 f.“
Luther, XIV, 455 [aus dem Engl. übers.] Das Luthertum züchtet keinen
Eigendünkel. Das allein aus Gnade spricht vielmehr aus: „Denn wer hat
dich vorgezogen? Was hast du aber, das du nicht empfangen hast? So du es aber
empfangen hast, was rühmest du dich denn, als der es nicht empfangen hätte?“ 1
Kor. 4,7; Röm. 3,7-10.
10. Die lutherische Kirche, die Kirche
der reinen Lehre, hält die reine Lehre hoch. Sie hält sie heilig: Denn es
ist ja Gottes Wahrheit, offenbart in der Schrift. Und sie liebt sie. Sie
verschafft die vollkommene Erkenntnis von der Erlösung. Sie, die lutherische
Kirche, hegt und hütet die reine Lehre als ihren größten Schatz und will auch
nicht das geringste Teil davon verlieren. Sie freut sich, dass sie den Befehl
des Herrn befolgt: „Und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“,
Matth. 28,20. „halte an dem Vorbilde der heiligen Worte, die du von mir gehöret
hast“, 2 Tim. 1,13. Die lutherische Kirche ist die freieste Kirche in den
Bereichen, die nicht die geoffenbarte Lehre betreffen. In Dingen, in
denen die Schrift schweigt, in Angelegenheiten der Zeremonie und des
Kirchenregiments, ist sie bereit, Sachen ohne Zwang aufzugeben. Augsb. Bek.
VII; Apol. VII,45; Konk. Formel, Ausf. Darl. X,30 f. Aber sie steht ganz und
gar unbeweglich und fest, wo es um die reine Lehre geht. „Die Lehre ist nicht
unser, sondern Gottes“, Luther IX, 644: Und von dem, was Gott gehört, da kann
und darf kein Häkchen oder Tüttel nachgelassen werden. „Aber wir wissen die
öffentliche göttliche Wahrheit, ohne welche die Kirche nicht kann sein oder
bleiben, und das ewige heilige Wort des Evangeliums nicht zu verleugnen oder zu
verwerfen.“ Apol. Vorr. 16.
Die lutherische Kirche, darum, dass sie die
reine Lehre liebt, hasst jegliche Art von falscher Lehre. Sie weiß, was falsche
Lehre ist, nämlich Rebellion gegen Gott, eine Erfindung Satans, die die
Erlösung zerstört oder gefährdet. „Denn weil wir sehen, wie die Welt so voll
Rotten und falscher Lehrer ist, die alle den heiligen Namen zum Deckel und
Schein ihrer Teufelslehre führen, sollten wir billig ohne Unterlass schreien
und rufen gegen solche alle, beide, die falsch predigen und glauben und was
unser Evangelium und reine Lehre anficht“, Gr. Kat. III, 47. „Der Feind des
menschlichen Geschlechts bemüht sich, seinen Samen, falsche Lhere und
Uneinigkeit, auszusprengen, in Kirchen und Schulen schädliche und ärgerliche
Spaltung zu erregen, damit die reine Lehre Gottes Worts zu verfälschen.“ Konk.
Buch, Vorr., Müller S. 4. Falsche Lehre ist keine harmlose Sache. Wir müssen
unserer „Seligkeit zu gut ... als Christen zwischen reiner und falscher Lehre
unterscheiden.“ Konk. Formel, Ausf. Darl. Zusf. 8. Die lutherische Kirche
verabscheut die falsche Lehre, wie Christus und die Apostel sie verabscheut
haben, Matth. 7,15; 1. Tim. 6,3 ff., und will daher nichts mit ihr zu tun
haben, sondern verwirft und verdammt sie, wo immer sie sich zeigt und welche
Formen immer sie auch haben mag. „Es wird auch dem geringsten Irrtum nichts
eingeräumt.“ Konk. Formel, Ausf. Darl. XI, 96. „Von diesem Artikel ist auch
nicht zu weichen oder nachzulassen .. Und hier ist kein Weichen oder Nachlassen
... Darum ist auch hier kein Weichen oder Nachlassen ... Darum ist auch hier
kein Weichen oder Nachgeben ... Darum ist es keineswegs zu leiden.“ Schmalk.
Art. II, II, 1.17.20.21. Die lutherische Kirche besteht darauf, daß der Staat
sich nicht in Glaubensdinge einmischt. Treu zu ihrer Lehre von der Trennung von
Kirche und Staat ruft sie nicht nach dem Staat und hat sie nicht nach
ihm gegen falsche Lehrer gerufen. Sie verfolgt nicht. „Wir haben an der
Verfolger Wüten ein Abscheu“, Konk. Buch, Vorr., Müller S. 17. - Luther, X,
1534; XVII, 1326; IV, 622. Aber sie duldet keine falsche Lehre in der Kirche.
Sie kämpft mit aller Macht des Wortes Gottes gegen sie. Sie pflanzt die Liebe
zur reinen Lehre und den Hass gegen die falsche Lehre in das Herz ihrer Kinder.
„Allermeist aber gehet der Missbrauch ..., wenn falsche Prediger aufstehen und
ihren Lügentand für Gottes Wort ausgeben.“ Gr. Kat. I, 54. „Da behüte vor,
himmlischer Vater.“ Kl. Kat., III, 5.
Da sie die reine Lehre als ihren größten
Schatz hütet, betont die lutherische Kirche die Lehre. Sie ist eine Lehrkirche.
Sie hat nichts zu tun mit jenen, die ein „undogmatisches Christentum“, „keine
Lehre, sondern Leben“, „Taten, nicht Glaubensbekenntnisse“, „kein
Glaubensbekenntnis, sondern Christus“ fordern. Sie hält es mit Christus: „Lehret
sie halten alles“, Matth. 28,20, und mit Paulus: „Habe acht auf dich selbst und
auf die Lehre“, 1 Tim. 4,16. Sie hält dafür, dass durch das Unterweisen in der
Lehre des Wortes Gottes die rettende Erkenntnis von Christus und die Erkenntnis
über christusgemäße Taten erzeugt werden und dass der Ruf nach Taten anstelle
der Lehre seinen Ursprung in der Lehre der Erlösung durch Werke hat. Die
lutherische Kirche legt den höchsten Wert auf die Lehre, die reine Lehre.
Gottes reines Wort zu predigen und zu lehren ist ihr hauptsächliches Handeln,
Unterweisung ihr Hauptanliegen, lehrmäßiges Predigen der ständige Tagesbefehl.
„Denn der rechte äußerliche Kirchenschmuck ist rechte Predigt, rechter Gebrauch
der Sakramente.“ Apol. XXIV, 51. „Die ganze christliche Lehre soll man immerdar
treiben.“ Gr. Kat., Vorr., 24; Apol. XV, 41 ff; Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf.
8. „Sie scheuen keine Mühe, dem Volk eine Zusammenfassung der Lehre der Kirche
beizubringen ... Wo das endlich hinausgehen will, können verständige Leute wohl
begreifen.“ Apol. XXI, 43 [nach dem lat. Text].
Die lutherische Kirche ist eine Kirche der
Lehre und daher eine starke Kirche. Die Stärke der Kirche liegt im allmächtigen
Wort Gottes. Joh. 6,63; Apg. 6,7; 20,32; 1 Petr. 1,23; Jes. 55,11. „Die Macht
Christi und der Kirche wird hier nicht aus der Welt hergeholt. ... sondern sie
wird zugerichtet aus dem Mund der Kinder.“ Luther, IV, 622.16. Wenn die Kraft
des Wortes angewandt wird, wenn also die Kirche die rettende Lehre predigt,
dann gedeiht und wächst die Kirche und tut, „was mir gefällt“ (Jes. 55,11). Die
Stärke der lutherischen Kirche ist die reine Lehre, und ihre Kraft wächst in
dem Maße, in dem unter ihren Gliedern die Wertschätzung ihres kostbares Erbes
wächst. „Der Name unserer Kirche, ihre Geschichte, ihre Trübsale und ihre
Triumphe, ihre Herrlichkeit in dem, was war, ihre Macht für das Gute, das noch
sein soll, alles das ist verbunden mit dem Grundsatz, daß die Reinheit in der
Lehre an erster Stelle steht, ja, so an erster, höchster Stelle steht, dass es
ohne sie gar nichts an zweiter Stelle geben kann.“ C.P. Krauth, The
Conservative Reformation. S. 200.
11. Die lutherische Kirche, getreu
der reinen Lehre des Wortes Gottes, ist eine Bekenntnis-Kirche. Sie ist
eine bekennende Kirche. Gott fordert von der Kirche, dass sie ihren Glauben
bekennt, Matth. 10,32.33; 1 Petr. 3,15. Die Wahrheit, die ihr Herz erfüllt,
treibt ihren Mund dazu an, zu sprechen, Ps. 116,10; Matth. 16,16; Joh. 1,49;
6,69; Apg. 4,20. Und da fortwährend die Wahrheit verleugnet wird, so erfordert
dies ein rundes, klares Bekenntnis der Wahrheit, Joh. 6,66-69; Gal. 2,11-21; 1
Tim. 3,15.16. So auch die Bekenntnisse der Kirche: „Wir legen diese Schriften
zugrunde zum Zeugnis der Wahrheit ... wider der Ketzer Verfälschung“, Konk.
Formel, Ausf. Darl., Zsf. 13.4. Wer ohne Bekenntnis ist, der ist unwahr. Wenn
irgendeine Lehre der Bibel geleugnet wird, so muss die Kirche die Lüge in
klarer, unzweideutiger Weise verwerfen, muss sie öffentlich ein Bekenntnis
ihres Glaubens ablegen. Mit dem Ruf „Die Bibel ist unser einziges
Bekenntnis“ wird der Wahrheit ausgewichen, und er entspringt in Wirklichkeit der
Gleichgültigkeit, ja Feindseligkeit gegenüber der Lehre der Bibel. Die Wahrheit
erlaubt ihren Anhängern nicht, sich zwischen zwei Meinungen zu stellen, sondern
fordert und erzeugt ein aufrichtiges Bekenntnis. Die lutherischen Bekenntnisse
sprechen eine geradlinige Sprache; sie übergehen nicht die Unterschiede, die
die rechtgläubige Kirche von der falschgläubigen trennen. Alle Welt weiß, wo
die lutherische Kirche steht. „Die Papisten können nicht rühmen, wir seien
geflohen, hätten uns gefürchtet oder unsern Glauben verheimlicht.“ Luther, XVI,
928. Was den Unterschied zwischen den bekenntnislosen und den bekennenden
Kirchen angeht, so stellen sich die bekennenden Kirchen der Forderung nach
Wahrhaftigkeit. Und was die Unterschiede zwischen den verschiedenen bekennenden
Kirchen angeht, so entspricht die lutherische Kirche in ihren Bekenntnissen all
den Forderungen der Wahrheit.
Die lutherische Kirche ist eine bekennende
und eine Bekenntnis-Kirche. Sie fordert von ihren Gliedern eine
uneingeschränkte Annahme der Bekenntnisse und ein Festhalten an ihnen ohne
Abweichungen. Eine lutherische Gruppe, die sich weigert, unerschütterlich auf
dem Boden der lutherischen Bekenntnisse zu stehen, ist nicht wirklich
lutherisch. Ein Lutheraner nimmt die Bekenntnisse an, wie sie dastehen. Er
nimmt sie nicht mit Einschränkungen an. Die lutherische Kirche ruft ihre Kinder
auf, die Bekenntnisse nicht anzunehmen insoweit (quatenus) sie mit Gottes Wort
übereinstimmen, so, als ob bestimmte Teile nicht Ausdruck der Schriftwahrheit
wären, sondern ganz und unbedingt, weil (quia) alle ihre Lehraussagen göttliche
Wahrheit sind. Sie erzwingt aber diese unbedingte Annahme nicht von ihren
Kindern. Sie überlässt es Gottes Wort, den notwendigen Druck auszuüben. Das
lutherische Bekenntnis fordert unbedingte Annahme und uneingesschränkte Treue
„nicht deswegen, weil sie von uns aufgestellt, sondern weil sie aus Gottes Wort
genommen und darinnen fest und wohl gegründet ist“, Konk. Formel, Ausf. Darl.
Zsf. 5.10. Die lutherische Kirche verlangt keine blinde und sklavische
Unterschrift unter die Bekenntnisse, sondern ruft zu einem ernsthaften
christlichen Forschen auf und überlässt das andere der Macht der Wahrheit. Und
niemand ist bisher, wenn er die lutherischen Bekenntnisse mit der Schrift
verglichen hat, durch die Wahrheit gezwungen worden, von ihnen abzugehen. Die
lutherische Haltung ist also diese: „Ich sage darum jetzt, dass ich von Gottes
Gnaden alle diese Artikel habe aufs fleißigste bedacht durch die Schrift und
wieder und wieder damit verglichen und will so gewiss dieselben verfechten, wie
ich jetzt habe das Sakrament des Altars verfochten. Ich bin nicht trunken noch
unbedacht, ich weiß, was ich rede, ... so will ich mit dieser Schrift vor Gott
und aller Welt meinen Glauben Stück für Stück bekennen, darauf ich gedenk zu
bleiben bis in den Tod, darinnen (dass mir Gott helfe) von dieser Welt zu
scheiden und vor unsern Herrn Jesu Christi Richtstuhl zu kommen“, Konk. Formel,
Ausf. Darl. VII, 29 ff. „Dies sind die Artikel, darauf ich stehen muss und
stehen will bis in meinen Tod, so Gott will, und weiß darinnen nichts zu ändern
noch nachzugeben“, Schmalk. Art., T. III, XV, 3. „Wenn dann dem also und unsers
christlichen Bekenntnisses und Glaubens aus göttlicher, prophetischer und
apostolischer Schrift gewiss ... sind ... vor ... von der einmal ... von uns
erkannten und bekannten göttlichen Wahrheit ... gar nicht, weder in rebus
[Sachen] noch in phrasibus [Ausdrücken] abzuweichen ... entschlossen sind“,
Konk. Buch, Vorr. Müller, 19.20. vgl. Konk. Formel, Ausf. Darl., XII, 40. Sie
sagen, dass die lutherische Kirche bekenntnisgebunden ist. Sie ist es
allerdings. Möge sie doch nie diese Bande auflösen, diese gesegneten Bande der
Schriftwahrheit. Treue zu den Bekenntnissen, lutherischer Konfessionalismus,
heißt Treue zu Gottes Wort. Und Treue zu Gottes Wort erzeugt Treue zu den
lutherischen Bekenntnissen.
Die lutherische Kirche fordert, dass „nach
dieser Anleitung, ..., sollen alle Lehrer angestellt und, was derselben
zuwider, als unsers Glaubens einhelliger Erklärung entgegen, verworfen und
verdammt werden“, Konk. Formel, Kurze Darl., Zsf. 6. Das ist ein anderes
Merkmal ihres bekenntnistreuen Wesens. Sie wird keinerlei Lehre anerkennen, die
nicht mit den Bekenntnissen übereinstimmt. Sie erkennt allerdings nur eine
Autorität in der Kirche an, die Heilige Schrift. Die Schrift ist „alleine die
einige wahrhaftige Richtschnur, nach der alle Lehrer und Lehre zu richten und
zu beurteilen ist“, Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 3. Die lutherischen
Bekenntnisse wollen die Schrift nicht ergänzen, noch der Schrift an die Seite
gestellt werden, als seien sie von gleicher Autorität. „Alleine Gottes Wort
soll die einige Richtschnur und Regel aller Lehre sein und bleiben, welchem
keines Menschen Schriften gleichgeachtet, sondern demselben alles unterworfen
werden soll“, Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 9. Niemand, der sich den Geist
der lutherischen Bekenntnisse zu eigen gemacht hat, wird dahin gebracht,
Symbololatrie [Götzendienst mit den Bekenntnissen, Anm. d. Hrsg.] zu üben. Aber
da sie der Schrift entnommen sind, so sind diese Bekenntnisse auch bekleidet
mit der Autorität der Schrift; die Schrift allein ist normierende Norm,
die Bekenntnisse sind normierte Norm; aber da sie genau der Norm der
Schrift entsprechen, werden sie selbst eine Norm, eine normierte
allerdings, aber dennoch eine Norm. Und die lutherische Kirche besteht
darauf, dass Menschen und Lehren nach dieser Norm geprüft werden. Nach dieser
Norm, „weil sie aus Gottes Wort genommen, alle anderen Schriften, in wieweit
sie zu untersuchen und anzunehmen sind, beurteilt und gebessert sollen werden“,
Konk. Formel, Ausf. Darl. Zsf. 10. Die Kirche benötigt diese bekenntnismäßige
Norm. Es ist notwendig, den sich wandelnden Bedingungen und der falschen
Verwendung der Schrift durch die Irrlehrer mit knappen, prägnanten und
eindeutigen Formulierungen der christlichen Lehre zu begegnen. Das entlarvt die
Irrlehrer und stoppt die Machenschaften der „unruhigen und zankgierigen Leute“
(Konk. Buch, Vorr. Müller, 19) und dient der Klarheit des Glaubens. Die
lutherische Kirche verdankt ihre lehrmäßige Reinheit dem, dass sie auf der
bekenntnismäßigen Prüfung und Verpflichtung besteht.
Die Bekenntnisse beeinflussen das Leben der
lutherischen Kirche ganz wesentlich. Sie dienen nicht nur der Prüfung, durch
die die Irrlehre bloßgelegt wird, sondern sie sind auch der Maßstab, nach dem
sich die Glieder vereinen. „Zu gründlicher beständiger Einigkeit in der Kirche
ist vor allen Dingen notwendig, dass man einen summarischen einhelligen Begriff
und Form habe, dazu die allgemeine summarische Lehre, darzu die Kirchen, die
der wahrhaftigen christlichen Religion zugehören, sich bekennen, aus Gottes
Wort zusammengezogen“, Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 1. Die lutherischen
Bekenntnisse, die ja aus der Schrift genommen sind, sind das Band, das die
Lutheraner einigt. Sie kennen ihre Brüder an ihrem Bekenntnis, und sie lieben
ihre Brüder aufgrund ihres gemeinsamen Bekenntnisses. Die lutherische Kirche
ist nicht eine zufällige Ansammlung von Menschen mit verschiedenen Meinungen,
sondern ein Körper, dessen Glieder von einerlei Sinn bewegt werden, verbunden
durch das treue Hängen an dem einen biblischen Glauben.
Der Konfessionalismus der lutherischen
Kirche ist ihre Stärke. Da sie an den Bekenntnissen hängt, die auf Gottes Wort
gegründet sind, und weil sie ihre Anhänger auf Gottes Wort gründet, ist sie
stark mit der Macht des Wortes Gottes; Gottes Kraft erhält sie aufrecht, Gottes
Gunst liegt auf ihr, Matth. 10,32; Jer. 15,19-21. „Sie ist gewillt - wie sie
allerdings auch sein muss, wenn sie leben will -, bei ihren konfessionellen
Grundsätzen zu bleiben und an ihnen festzuhalten“, und „ihr Wert in diesem Land
hängt ab von der Treue zu ihrem Bekenntnis.“ Th. Schmauck und C. Benze, The
Confessional Principle, XIII.XVIII. Sie geht zurück und sie wächst, je nachdem,
wie ihre konfessionelle Grundhaltung abnimmt oder zunimmt. „Wo immer die
lutherische Kirche ihre Bekenntnisse nicht beachtete oder alle oder einige von
ihnen verwarf, da wurde sie zu einer leichten Beute für ihre Feinde. Aber wann
immer sie ihre gottgegebene Krone festhielt, ihre Bekenntnisse hochachtete und
aus ihnen lernte und sie auch tatsächlich zur Norm und Richtschnur ihres
gesamten Lebens und ihrer Praxis machte, da gedieh die lutherische Kirche und
machte alle ihre Feinde zunichte.“ F. Bente, Hist. Int., Trigl., S. IV.
12. Die lutherische Kirche, getreu
der reinen Lehre des Wortes Gottes, ist der unerbittliche Feind von
jeglichem Unionismus. Sie liebt die Wahrheit und kann nicht in
kirchengemeinschaftliche Beziehung mit denen treten, die sich mit der
Unwahrheit verbunden haben. Die Wahrheit kann die Irrlehre nicht dulden - die
Irrlehre aber kann es umgekehrt. Die Sekten, die ja aus falscher Lehre
erwachsen sind, sind daher natürlicher- und konsequenterweises unionistisch.
Die katholische Kirche beherbergt alle Arten gegensätzlicher Gruppen in ihrer
Mitte. Die reformierten Kirchen sind von ihrer Gründung an für den Unionismus
eingetreten. Die wahre lutherische Kirche dagegen, indem sie der Stimme der
Wahrheit gehorcht, Röm. 16,17; Matth. 7,15; 2 Joh. 10, meidet all solche, die
falsche Lehren aufbringen und festhalten. Sie verabscheut den Unionismus
zutiefst wegen seiner Heuchelei, dass er eine Einheit vorgibt, wo doch in
Wahrheit Unterschiede sind. Die einzige Gemeinschaft, die die lutherische
Kirche anerkennt, ist diejenige, die aus der Einheit des Glaubens und der Lehre
kommt. „Die christliche Kirche ... stehet vornehmlich in Gemeinschaft inwendig
der ewigen Güter im Herzen, als des heiligen Geistes, des Glaubens, der Furcht
und Liebe Gottes. Und dieselbe Kirche hat doch auch äußerliche Zeichen, dabei
man sie kennet, nämlich wo Gottes Wort rein gehet, wo die Sakramente
demselbigen gemäß gereicht werden.“ Apol., VII, 5. Kirchengemeinschaft ohne
Gemeinschaft im Glauben und im Bekenntnis drückt nicht die Einheit der einen heiligen
christlichen Kirche aus, Eph. 5,3-7, sondern nur eine Karikatur, ein Zerrbild.
Und sie ist ein Fluch. Wenn die Irrlehre nicht beachtet oder gar verziehen wird
[obwohl sie weiterbesteht, Anm. d. Übers.], so bestärkt dies den Irrlehrer nur
in seiner Verblendung und stumpft die Sinne des Unionisten für die Wahrheit ab.
Und das erzeugt Gleichgültigkeit gegenüber der gesamten Wahrheit. Und die
Gleichgültigkeit hat in ihrem Gefolge den Verlust der Wahrheit, Gal. 5,9. Der
falsche Lehrer bringt schon unsägliche Schmerzen über die Kirche, aber der
Unionist noch mehr. „Eine solche Kirche ist gefährlicher als die ärgste Sekte,
denn die ärgste Sekte erkennt es wenigstens für richtig an, dass in einer
Kirche nur reine Lehre gepredigt werden soll; eine sogenannte unierte
Kirche aber steht auf dem faulen Modergrund, dass man die reine Wahrheit gar
nicht finden und haben könne, geschweige darum kämpfen solle.“ Walther:
Epistelpostille. S. 72. Der Denominationalismus [das ist: Allianzdenken, Anm. d.
Übers.], der besagt, Gott gefielen die Verschiedenheiten, die durch die
verschiedenen Gruppen (Denominationen) dargestellt werden, so, als seien sie
Variationen der gleichen Wahrheit, ist eine böse und verderbliche Sache. Der
Unionismus, der vorgibt, andere Übel des Denominationalismus zu überwinden,
ist, da es sein Grundsatz ist, dass die in der Schrift geoffenbarte Wahrheit
mehr oder weniger gleichgültig sei, doppelt böse und verderblich. Die
lutherische Kirche will von all dem nichts haben. Sie will auch nicht den geringsten
Artikel der offenbarten Lehre aufgeben im Interesse eines eingebildeten
Friedens und eines nur scheinbaren Gedeihens. Die anderen behaupten, es gehe
nur um kleine Irrtümer. Aber „die angefallenen Streitigkeiten sind nicht
Missverständnisse oder Wortgezänke, wofür sie etliche halten mögen.“ Konk.
Formel, Ausf. Darl., Vorr. 9.
Die Unterschiede nun, die die lutherische
Kirche von den Sekten trennen, berühren die Grundlagen. Und aus einem
beständigen Irrtum in der am wenigsten wichtigen Lehre wird ein grundlegender
Irrtum, wenn er zur bewussten Zurückweisung der Autorität der Schrift führt.
Die lutherische Kirche besteht auf einer völligen und aufrichten
Übereinstimmung in allen in der Schrift geoffenbarten Lehren als Grundlage für
Kirchengemeinschaft. Sie hat diese Haltung schon vor vierhundert Jahren
eingenommen. Und sie nimmt sie ebenso auch heute noch ein. „Im Hinblick auf die
Irrtümer, die sie [die katholischen und reformierten Kirchen, Anm. d. Übers.]
einnehmen, wurden sie als Sekten verworfen, mit denen unsere Väter keine
Kirchengemeinschaft haben konnten, ohne damit praktisch diese Irrlehren zu
bestätigen und Teilhaber an ihrer Sünde zu werden. Die Lutheraner haben den
reinen christlichen Glauben in der Augsburgischen Konfession dargelegt. In ihr
sind sie geeinigt: Im Namen des Herrn haben sie sie als ihr Banner aufgesteckt;
und weil sie das, was sie in ihrem Herzen glauben, als die tatsächliche
Wahrheit Gottes aussprechen, so haben sie es eindeutig abgelehnt, irgendeine
Verantwortung für das Tun und Handeln derjenigen zu übernehmen, die eine andere
Lehre vertraten und andere Kirchen aufrichteten. Und das ist die Haltung der
evangelisch-lutherischen Kirche bis auf den heutigen Tag.“ M. Loy, The Augsburg
Confession. S. 337. Die anderen haben diese Haltung als
Ausschließlichkeitsdenken gebrandmarkt. Aber die lutherische Kirche ist
gebunden, so abgeschlossen, ausschließlich zu sein, wie es die Apostel waren,
Röm. 16,17; 2 Joh. 10; Apg. 19,9, und sie erklärt: „Doch soll man falsche Lehre
nicht annehmen oder hören.“ Apol., VII, 48. „Schwer ist es, dass man von so
vielen Ländern und Leuten sich trennen und eine besondere Lehre führen will.
Aber hier stehet Gottes Befehl, dass jedermann sich soll hüten und nicht mit
denen einhellig sein, die unrechte Lehre führen.“ Schmalk. Art., Tract., 42.
„Wir sind nicht bedacht, um zeitlichen Friedens, Ruh und Einigkeit willen etwas
von der ewigen, unwandelbaren Wahrheit Gottes (wie auch solches zu tun in
unserer Macht nicht stehet) aufzugeben, welcher Fried und Einigkeit, da sie
gegen die Wahrheit und zur Unterdrückung derselben gemeinet, auch keinen
Bestand haben würde.“ Konk. Formel, XI, 95. Das ist die Stimme des Gewissens
der christlichen Kirche, das seinen Ausdruck im konfessionellen Luthertum
findet. Es wurde aufgerichtet, um die seligmachende Wahrheit zu erhalten. Die
lutherische Kirche will nicht die Wahrheit verraten. Ebensowenig will sie die
Sache der irrenden Christen in den Sekten verraten. Sie will sie nicht ihren
Verführern überlassen.
13. Die lutherische Kirche verabscheut
den Unionismus, aber sie liebt und sie arbeitet für eine christliche
Einheit, Eph. 4,3. Sie ist nicht separatistisch. Sie beschuldigt
diejenigen, die sich von ihren Brüdern wegen Uneinigkeit über Mitteldingen oder
einem herrschenden Ärgernis im Bereich des Lebens trennen eines sündigen
Separatismus. Augsb. Bek., VII; Apol., III, 112; VII und VIII, 49; Konk.
Formel, Kurze Darl. X, 7. Sie ist sehr geduldig mit denjenigen, die aus
Schwachheit in nichtfundamentalen Lehren irren. Wir müssen „einer des andern
Fehler, Gebrechen dulden und tragen ..., dass sie einander vergeben, damit
Einigkeit erhalten werde in der Kirche.“ Apol., III, 111. „Denn sollen Leute in
Einigkeit beieinander sein oder bleiben, es sei in der Kirche oder auch
weltlichem Regiment, so dürfen sie nicht alle Gebrechen gegeneinander auf der
Goldwaage abrechnen.“ Apol., III, 122. Sie arbeitet mit den Irrenden in großer
Nachsicht und Geduld. „Die Zeit, die brüderlichen Beziehungen mit denen
abzubrechen, die in nichtfundamentalen Lehren irren, kommt erst dann, wenn sie
sich beharrlich weigern, das überzeugende Zeugnis der Schrift anzunehmen.“
F.C.W. Walther, Lehre und Wehre, 14, 109. „Mir ist kein Zweifel, dass bei euch
ein sehr frommes Völklein ist, das mit Ernst gerne wohltun und recht fahren
wollte, darüber ich nicht eine geringe Freude und Hoffnung habe zu Gott, ob
etwa noch eine Hecke sich sperret, dass mit der Zeit, so wir säuberlich tun mit
dem guten schwachen Häuflein, Gott alles werde zur fröhlichen aller Irrung
Aufhebung helfen, Amen.“ Luther, XVII, 2162. Auch ist die lutherische Kirche nicht
daran interessiert, dass, nachdem Trennungen stattgefunden haben, die Dinge
bleiben, wie sie sind. Sie steht allein, aber sie ist nicht auf sich selbst
zentriert. Sie beschäftigt sich mit der Wiedervereinigung der zerbrochenen
Christenheit. „Denn Gott weiß, der aller Herzen Richter ist, dass wir an dieser
schrecklichen Uneinigkeit nicht Lust oder Freud haben.“ Apol., Schluss, Müller
S. 290. „Mache zuschanden alle Heuchelei und Lügen, und gib Friede und
Einigkeit, dass deine Ehre vorgehe und dein Reich gegen alle Pforten der Hölle
kräftig ohne Unterlass wachse und zunehme.“ Apol. Vorr. 19.16; Konk. Formel,
Kurze Darl. XI, 22. „Es ist gewiss, dass wir immer den Frieden gesucht haben,
und wie der Psalm [34,15] sagt, ihm nachgejagt haben, dass wir ihn angeboten,
erbeten haben.“ Luther, XVI, 928. „Wir sind bereit, freundlich über alle Wege
und Mittel zu verhandeln, die möglich sind, damit wir zusammenkommen mögen.“
Augsb. Konfession, Vorr., 10; Konk. Formel, Ausf. Darl. XI, 96 [nach der engl.
Übersetzung].
Und der lutherische Plan, den Bruch
zwischen den Kirchen zu heilen, ist der einzige gottwohlgefällige, der einzig
wirksame. Sie beschönigt nicht einfach den Irrtum, sondern nennt ihn beim Namen
und legt die kraftvolle Schriftwahrheit dar und ist dabei „der Zuversicht und
Hoffnung, ... andere gutherzige Leute durch solches unser wiederholtes und
repetiertes Bekenntnis erinnert und angereizet worden sind.“ Konk. Buch, Vorr.,
Müller, S. 7. Das ist rechte christliche Irenik [Friedensliebe]. Die
lutherische Kirche ist polemisch, weil sie friedliebend ist. Sie ist eifrig in
der Polemik nicht um des Streites oder einer Selbstverherrlichung willen,
sondern im Interesse der Wahrheit und des Friedens. „‚Ehrwürdige und ernsthafte
Auseinandersetzungen’, sagt Dr. Philipp Schaff, ‚die in einem christlichen und
allumfassenden Geist geführt werden, fördern wahre und dauerhafte Vereinigung.
Die Polemik blickt auf die Irenik. Das Ziel des Krieges ist der Frieden.’ Das
ist es, was wir von Herzen unterschreiben.“ The Confessional Principle, S. 41.
„Daraus ein jeder einfältige Christ nach Anleitung durch Gottes Wort und seinem
einfältigen Katechismus vernehmen kann, was recht oder unrecht sei, da nicht
allein die reine Lehre gesetzt, sondern auch derselben entgegengesetzte irrige
Lehre ausgesetzt, verworfen, und so die eingefallenen ärgerlichen Spaltungen
gründlich entschieden sind.“ Konk. Formel, Kurze Darl. XI, 22. Das Luthertum
trennt nicht, sondern führt zusammen. Das geradlinige Bekenntnis der Wahrheit
hat noch nie einen Riss in der Kirche verursacht. Es heilt den Bruch, den die
Verleugnung der Wahrheit verursacht hat. „Jedermann muss sehen, dass Treue zu
Gottes heiligem Wort nicht trennt, sondern wirklich vereint.“ C.F.W. Walther,
Der Lutheraner, Nr. 28, S. 36. Das lutherische Programm „Einheit in der
Wahrheit“ ist das einzige, das wirklichen Erfolg verheißt. Es spricht jeden
Christen an. Der lutherische Plan fordert von ihm nicht, irgendwelche
menschengemachte Bedingungen und Lehren anzunehmen, wie etwa die Unterwerfung
unter den Papst oder die Annahme der apostolischen Sukzession. Kein Christ tut
seinem Gewissen Gewalt an, wenn er die lutherischen Worte annimmt: Zustimmung
zu „Gottes Wort, als der ewigen Wahrheit“ und zu allen und jeden Erklärungen,
die diese Wahrheit bekennen, Konk. Formel, Ausf. Darl., Zsf. 13. Die
lutherische Kirche, die Kirche der reinen Lehre, ist somit der einzige Körper,
der in der Lage ist, eine christliche Einheit zustande zu bringen. „Gieseler,
der große Historiker der Reformierten Kirche, sagt (Theol. Stud. u. Kritik,
1833, II, 1142): ‚Wenn die Frage wäre, welches der protestantischen
Bekenntnisse am besten geeignet wäre, die Grundlage für eine Einheit unter den
protestantischen Christen zu bilden, so erklären wir uns ohne Einschränkungen
für die Augsburgische Konfession.’“ The Conservative Reformation, S. 259. Es
ist geeignet, alle Christen zu vereinen, weil es sie nicht an irgendeines
Menschen Seite, sondern an Gottes Seite versammelt.
14. Das Wesen der lutherischen Kirche
spiegelt sich wider in ihrem Kultus. Sie lebt und geht voran und hat ihr
ganzes Sein in der Gnade Gottes, die zu den Menschen in den Gnadenmitteln
kommt. Daher ruft sie ihre Menschen zusammen im öffentlichen Gottesdienst, um
die Gnade Gottes zu erflehen, sich die Gnade Gottes anzueignen, die Gnade
Gottes zu rühmen und hat daher für eine Liturgie gesorgt, die genau diesen
Anforderungen des christlichen Gottesdienstes entspricht. Ihr großes Anliegen
ist es, die Menschen gewissenhaft im Evangelium zu unterweisen und der Gnade
Gottes völlig zu vergewissern. Dementsprechend stellt sie in den Mittelpunkt
des Gottesdienstes die Predigt des Evangeliums, das die Gnade Gottes verkündigt
und mitteilt, und die Verwaltung der Sakramente, die die Verheißungen des
Evangeliums versiegeln und bestätigen. „Denn es soll ja alles um des Worts und
Sakramente willen unter den Christen geschehen im Gottesdienst.“ Luther, X,
257. „Denn der allergrößte, heiligste, nötigste, höchste Gottesdienst ... ist
Gottes Wort predigen.“ Apol., XV, 42. „Denn der rechte äußerliche
Kirchenschmuck ist auch rechte Predigt, rechter Gebrauch der Sakramente, und
dass das Volk mit Ernst dazu gewöhnt sei und mit Fleiß und züchtig
zusammenkomme, lerne und bete. ... An etlichen Orten werden deutsche Gesänge
(das Volk zu lehren und zu üben) ... gesungen.“ Apol., XXIV, 51.3; Augsb. Bek.,
XXIV, 7. Es gibt aber keine völlige liturgische Einheitlichkeit in der
lutherischen Kirche. Das ist wiederum charakteristisch für das Luthertum, das
auf Einheit in den wesentlichen Dingen, jedoch auf Freiheit in den Mitteldingen
besteht. „Solchergestalt werden die Kirchen von wegen Ungleichheit der
Zeremonien ... einander nicht verdammen.“ Konk. Formel, Ausf. Darl. X, 31;
Augsb. Bek., VII, XV; Apol., VII und VIII, 45. Die lutherische Kirche weiß,
wann und wo sie Freiheit gewähren kann. Jeglicher Gottesdienst ist wirklich
lutherisch, der die Gnade Gottes predigt und preist. Wenn auch die lutherische
Kirche nicht auf einer vollständigen und einheitlichen Liturgie besteht, so
missbilligt sie doch unangebrachten Individualismus. Sie hebt hervor, dass das
größtmögliche Maß an Einheitlichkeit der Ordnung und Unterweisung dient, 1 Kor.
14,40.26. „Wiewohl es uns auch wohlgefällt, dass die Universalzeremonien um
Einigkeit und guter Ordnung willen gleichförmig gehalten werden.“ Apol., VII
und VIII, 33; Konk. Formel, Ausf. Darl. X, 9. „So bitte ich nun euch alle,
meine lieben Herren, ... kommt freundlich zusammen, ... dass es bei euch in
eurem Strich gleich und einerlei sei.“ Luther, X, 260. Und die lutherische
Kirche bietet ihren Gliedern eine Liturgie an, die sich an den Christen wendet.
Sie ist weder aufwendig noch dürftig, sondern schlicht und majestätisch und
darum des Evangeliums würdig, dem es dient, und eindrücklich aufgrund der
Wahrheiten des Evangeliums, die sie ausdrückt. Gemäß einem anderen Zug des
Luthertums, seinem Konservativismus, erhält die lutherische
Gottesdienstordnung, gereinigt von den Ärgernissen, die in die Liturgie
eingedrungen waren, das, was die Weisheit und Erfahrung der Kirche für die
Auferbauung der Menschen anbot. „Und wir lassen uns gefallen alle guten und
nützlichen Menschensatzungen, besonders, die da zu einer feinen, äußerlichen
Zucht dienen der Jugend und des Volks.“ Apol. VII und VIII, 33; XV, 38; XXIV,
1. - Der Zeremonialismus und Formalismus des katholischen Kultus ist aus
der katholischen Lehre erwachsen, dass der Sünder den Zorn Gottes befrieden
müsse durch menschliche Werke, Werte und Verdienst. Der besondere reformierte
Kultus, gemäß der reformierten Leugnung der Kraft und objektiven Natur der
Gnadenmittel, stellt ein Streben nach der Gnade Gottes dar und dreht sich dabei
um menschliche Tätigkeit und persönliche Erfahrung. Der lutherische Kultus
bringt die Gnade Gottes in den Gnadenmitteln dem Sünder ganz nahe.
15. Die Verfassung der lutherischen
Kirche, wie sie vorgegeben ist in den Bekenntnissen, ist die der Apostolischen
Kirche, festgelegt von Christus und den Aposteln. Ihr Grundprinzip ist die
Selbstregierung (Autonomie) der örtlichen Gemeinde (Gemeindeform der
Kirchenregierung). Im weiteren Sinne ist die Kirche in keiner Weise autonom.
Sie ist in jeder Hinsicht, wie in einer absoluten Monarchie, der Autorität
Christi und seines Wortes untertan. „Einer ist euer Meister: Christus,“ Matth.
23,8. „So jemand redet, daß er's rede als Gottes Wort,“ 1 Petr. 4,11. „Denn
Christus will da, dass sie so lehren sollen, dass man durch ihren Mund Christus
selbst höre. So dürfen sie ja nicht ihr eigenes Wort predigen, sondern sein
Wort, seine Stimme und Evangelium, soll man Christus hören.“ Apol., XXVIII, 19;
Schmalk. Art., Tract., 11. Aber im Hinblick auf die Sache mit der Autorität
innerhalb der Kirche (Kirchenregiment mit dem Fachausdruck), bildet die
Kirche eine reine Demokratie, eine Bruderschaft der Gläubigen, Matth. 23,8,
eine Schwesternschaft von Gemeinden, wobei die örtlichen Gemeinden ihre eigenen
Angelegenheiten als selbstregierende Körper selbst regeln, keiner höheren
Autorität unterworfen sind und mit anderen Kirchen gemeinsam handeln im
Fortführen des Werkes des Herrn auf der Grundlage völliger Gleichheit. Die
Autorität der örtlichen Gemeinde ist die höchste. „Sage es der Gemeinde,“
Matth. 18,17. „Alles ist euer,“ 1 Kor. 3,21 f. „Christus gibt das höchste und
letzte Gericht der Kirche, wenn er spricht: ‚Sage es der Kirche.’“ (Schmalk.
Art., Tract., 24), der örtlichen Gemeinde, Matth. 18,20. Und: „Niemand soll in
der Kirche öffentlich lehren oder predigen oder Sakramente reichen ohne
ordentlichen Beruf.“ (Augsb. Bek., XIV), also berufen durch die örtliche Gemeinde.
Und ebenso: „Demnach glauben, lehren und bekennen wir, dass die Gemeinde Gottes
jedes Ortes und jeder Zeit derselben Gelegenheit nach guten Fug, Gewalt und
Macht habe, dieselben [nämlich Mitteldinge] ohne Leichtfertigkeit und Ärgernis
ordentlicher- und gebührlicherweise zu ändern, zu mindern und zu mehren.“ Konk.
Formel, X, 9. Die christlichen Gemeinden, gebildet von Königen und Priestern, 1
Petr. 2,9; Offenb. 1,6, der Herrn Freiherren, sind souverän, frei von
Menschenherrschaft.
Die lutherische Kirche hat daher alle hierarchischen
Systeme des Kirchenregiments verworfen, gemäß denen der Papst
(päpstliches System) oder die Bischöfe (episkopales System) oder der Rat
und Versammlung oder Synode (presbyteriales System, synodales System)
oder irgendein Mensch oder eine Körperschaft von Menschen, wenn auch
verfassungsgemäß, die Kirche und die einzelne Gemeinde oder den einzelnen
Christen als aus göttlichem Recht regieren. „Der Hohepriester im Gesetze Mosis
hatte das Amt aus den göttlichen Rechten“ (Schmalk. Art., Tract., 38),
allerdings. aber diese Form des Kirchenregiments hat nun der Freiheit des Neuen
Testamentes Platz machen müssen und darf in keiner Weise wieder aufgerichtet
werden. Ebensowenig erkennen die lutherischen Bekenntnisse ein göttliches Recht
des Staates an, sich am Kirchenregiment zu beteiligen (Cäsaropapismus).
Christus gründete die Kirche als eine Freie Kirche. - Die Gemeinden Gottes an
jedem Ort und zu jeder Zeit dürfen jedoch die Behandlung bestimmter Angelegenheiten
Gruppen innerhalb der Gemeinde oder Bischöfen, Konsistorien, Synoden usw. (Repräsentativ-Kirche)
übertragen, wie es gemäß der jeweiligen Umstände am besten ist. Diese Körper
üben ihre Funktionen aus menschlichem Recht aus und handeln, wo die idealen
Bedingungen bestehen, nur in beratender Kraft. Die lutherische Kirche behandelt
diesen Bereich des Kirchenregiments als ein Mittelding, der auf der gleichen
Ebene liegt, wie die „von Menschen eingesetzten Riten oder Zeremonien“ und
verlangt nicht, dass sie „allenthalben gleichförmig“ sind (Augsb. Bek., VII).
Sie glaubt, „das keine Kirche die andere verdammen soll, dass eine weniger oder
mehr äußerliche, von Gott ungebotene, Zeremonien als die andere hat“ (Konk.
Formel, Kurze Darl. X, 7.4), aber sie besteht darauf, dass, welche Formen des
Kirchenregiments auch im einzelnen errichtet werden mögen, die Souveränität der
örtlichen Gemeinde unangetastet bleibt.
In der lutherischen Ordnung nehmen die Laien
teil am Kirchenregiment, nicht nur innerhalb der Gemeinde, sondern auch in der
Repräsentativ-Kirche im großen (Synode usw.) „Über die Lehre zu erkennen und zu
richten kommt allen und jedem Christen zu, und zwar so, dass der verflucht ist,
der solches Recht um ein Härlein kränkt.“ Luther, XIX, 341. So wacht die
lutherische Kirche eifersüchtig über die Rechte des Christenvolkes und leitet
ihre Glieder an, die Vorrechte ihres geistlichen Priestertums auszuüben. Es
geht alles zurück, über den Weg der Artikel von der christlichen Freiheit und
der allgemeinen Priesterschaft aller Gläubigen, auf den zentralen Artikel der
Rechtfertigung durch den Glauben.
16. Die lutherische Kirche hat die reine
Lehre des Wortes Gottes als einen heiligen Schatz empfangen. Sie hat den
besonderen Ruf, ihn treu zu hüten und zu verwalten. Die Kirche braucht das
Evangelium von der Erlösung aus Gnaden, benötigt es, wie es in der lutherischen
Kirche gelehrt wird. „Wie unsere Kirche in der Vergangenheit gebraucht wurde,
so wird sie auch in der Gegenwart gebraucht. Sie wird nicht nur um der
Mutterschaft für ihre eigenen Kinder willen gebraucht, sondern um der großen
Bedürfnisse der Christenheit und der Welt willen. Sie wird benötigt als ein
Zeuge derjenigen Lehre, die mit dem Wort von der gesamten protestantischen Welt
anerkannt, die aber vor allem oder als notwendige Folge von einem jeglichen
System angegriffen wird, das gegen das unsrige streitet - die Lehre von der
Rechtfertigung durch den Glauben.“ C.P. Krauth: The Lutheran Diet. 1877. S. 48.
Das heißt, dass „wenn wir als eine Kirche diese Lehre nicht länger bezeugten,
wären wir als Kirche in dieser Welt nichts mehr nütze; wir wären nicht länger
das Salz der Erde und wären nur noch reif für den Misthaufen.“ F. Pieper: Ninth
Report Atlantic Dist. S 34. Und die Kirche braucht für ihre Wohlfahrt die
gesamte göttliche Lehre. Sie kann ihr Werk nicht ausführen, wie Gott es
ausgeführt haben will, wenn sie nicht jeden einzlnen Artikel von ihr anwendet.
Es ist die Aufgabe der lutherischen Kirche, sie in die Christenheit und die
Welt hinaus zu verbreiten, sie mit einer lauten Stimme zu predigen und mit
einem gottwohlgefälligen Leben zu ehren. Die Kirche trachtet nach Frieden und
Eintracht. Das Zeugnis der lutherischen Kirche und dass sie darauf besteht,
treu an der ganzen Wahrheit zu hängen, wird jenes Maß einer gottwohlgefälligen
Einheit erreichen, die durch die gnädige Vorsorge Gottes auf sie wartet. Die
lutherische Kirche ist beauftragt damit, die reine Lehre zu bewahren und
auszubreiten. Dafür hat Gott sie aufgerichtet. Zu dem hat sie sich selbst
hingegeben. „Wir wissen die öffentliche göttliche Wahrheit, ohne welche die
Kirche Christi nicht kann sein oder bleiben, und das ewige heilige Wort des
Evangeliums nicht zu verleugnen oder zu verwerfen.“ Apol., Vorr. 16.
17. „So steht denn die
evangelisch-lutherische Kirche da, zwar oft verkannt und unbekannt, aber doch
bekannt; zwar anscheinend arm, aber doch reich und viele reich machend durch
ihr herrliches Kleinod der reinen Lehre, welches alle Schätze dieser Welt weit,
weit übertrifft; zwar nicht zusammengehalten durch eine großartige Hierarchie,
aber dennoch zusammengehalten durch ihr herrliches Bekenntnis: die drei
ökumenischen Symbole, die Augsburgische Konfession und deren Apologie, die
Schmalkaldischen Artikel, die Katechismen Luthers und die Konkordienformel;
zwar nicht geschäftig im Einstürzen und Gründen von Weltreichen, aber tätig im
Bauen des Reiches Gottes und im Führen der Kriege des Herrn; demütig und doch
fröhlich über alle dem Guten, das der Herr an ihr und durch sie tut;
unnachgiebig und voll heiligen Zornes gegen die Verkehrer und Lästerer des
Worts und doch voll Liebe und Erbarmen gegen die Verirrten.“ M. Günther:
Populäre Symbolik. S. 9. „Nicht die große Zahl ihrer Anhänger; nicht ihre
Organisation; nicht ihre Liebes- und anderen Einrichtungen; nicht ihre schönen
Bräuche und liturgischen Formen usw., sondern die köstlichen Wahrheiten, die
durch ihre Bekenntnisse in voller Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift
bekannt werden, begründen ihre wahre Schönheit und die reichen Schätze unserer
Kirche und sind dazu die nie versiegende Quelle ihrer Lebendigkeit und Kraft.“ F. Bente: Concordia Triglotta. S. IV.
Indem die Konkordienformel (KF) die drei
altkirchlichen, von der Trinität handelnden Bekenntnisse aufnimmt, bleibt sie
nur auf der Bahn der älteren lutherischen Bekenntnisschriften. Denn die
Schmalkaldischen Artikel berufen sich auf das Apostolikum und das Athanasianum
(I., IV), und die Katechismen behandeln auch das Apostolikum. Zu dem Nicänum
bekannten sich das Augsburger Bekenntnis und die Apologie ((I,1; III,52). (Wie
aber diese Zustimmung zu den alten Symbolen näher gemeint ist, können wir aus
einigen Äußerungen Luthers wenigstens in etwa entnehmen. Er unterscheidet
zwischen dem sachlichen Inhalt und den Ausdrücken, in die dieser gekleidet ist.
Gegen seinen Gegner Latomus, der ihn auf einen von Kirchenvätern gebrauchten
Ausdruck mit der Begründung festnageln wollte, dass man sonst auch den von
ihnen im Nicänum verwandten Ausdruck homousios (wesensgleich) verwerfen könne,
schreibt er: „Wenn meine Seele de Ausdruck homousois hasst und ihn nicht
gebrauchen wollte, so würde ich noch kein Ketzer sein, wenn ich nur die
Sache festhalte, die in dem Konzil durch den Heiligen Geist definiert
worden ist.“ (Erl. Ausg., var. arg. 5,506.) Auch den Ausdruck trinitatis und
dessen damals übliche Übersetzung „Dreifaltigkeit“ hat er beanstandet: „Man
findet ihn nirgends in der Heiligen Schrift, sondern die Menschen haben ihn
erdacht und erfunden. Darum lautet es auch zumal kalt, und viel besser spräche
man ‚Gott‘ als ‚Dreifaltigkeit‘.“ (E 12,40); 9,1.) Auch das Wort des
Bekenntnisses „Kirche“ hätte er lieber durch „eine heilige Christenheit“
ersetzt gesehen (Gr.Kat. Teil 2, 3. Art., 48). Also nur zu dem sachlichen
Inhalt der alten Bekenntnisse will er sich bekennen, nicht aber zu dessen Formulierung.
Andererseits aber hat er auch die Gefahr erkannt, dass Leugner des Inhalts
sich hinter der Bekämpfung der Formulierung verstecken könnten. So
hätten die Arianer getan, indem sie redeten, als wollten sie nur von dem
unbiblischen Ausdruck homousios nichts wissen. Daher erklärt er andererseits
die Schaffung solcher Ausdrücke im Kampf um die Wahrheit doch nicht für
unberechtigt. Wenn Ketzre die Schriftaussagen verkehrten, so müsse man schon,
um sich über ihre wirkliche Meinung Klarheit zu verschaffen, die
Schriftaussagen „in ein kurzes und Summarienwort fassen“ wie homousios (Erl.
Ausg: 25,351 f.)
Dass nach Luthers Auffassung nicht der
Wortlaut der alten Bekenntnisse verbindlich ist, lehrt auch eine andere
Beobachtung. Luther hat an dem Apostolikum
festgehalten, obwohl dieses „Gott den Vater“ als den „Schöpfer“ bezeichnete,
während er doch in den Schmalkaldischen Artikeln die Schöpfung als das Werk des
Einen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes darstellt (I,1).
Er hat also angenommen, dass jene Inkorrektheit durch die Bestimmung des
Athanasianums „Ein Gott in Dreiheit und die Dreiheit in der Einheit“ berichtigt
werde. Doch hat er in den Katechismen, „auf dass man’s aufs leichteste und
einfältigste fassen könnte, wie es für die Kinder zu lehren ist“, sich der
Ausdrucksweise des Apostolikums angeschlossen und Gottes Werke auf die drei
Personen der Gottheit verteilt (Gr. Kat. II,5 f.) .Ebenso hat er an dem Nicänum
festgehalten, obwohl dieses mit den Worten beginnt: „Ich glaube an Einen
Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer Himmels und der Erden“, während
er selbst erklärt, „Vater, Sohn und Geist sei ein einiger Gott, der Himmel und
Erde geschaffen habe“ (Schm.Art. I,1). Nach seiner Ansicht wird also jene
Ungenauigkeit des zweiten Bekenntnisses durch das dritte zurechtgestellt. Er
hat endlich an dem Athanasianum festgehalten, obwohl dieses den „Glauben“ an
die Trinität als die Pflicht eines äußerlichen Festhaltens von Lehrsätzen
ansieht, während er doch, wie wir gleich hören werden, den ganz anderen
evangelischen Glaubensbegriff auch in Bezug auf die Trinität vertritt. Aber
„die Sache“, die dieses Bekenntnis feststellen will, ist die richtige
Anschauung von der Trinität, der dabei hervortretende falsche Glaubensbegriff
gehört zu der unverbindlichen Einkleidung, die durch die späteren, die lutherischen,
Bekenntnisse berichtigt wird.)
An dem Inhalt der alten Bekenntnisse aber
halten Luther und die Bekenntnisse nicht deshalb fest, „weil das in Deutschland
geltende Recht ein Vorgehen des Kaisers, und zwar bis zur Todesstrafe, gegen
Leugner der Dreieinigkeit und der Gottheit Christi gestattete“, auch nicht aus
Ehrfurcht gegen das Althergebrachte, sondern weil jene Lehren ihr persönlicher
Glaube waren.[1]
Um das zu empfinden, braucht man nur Luthers Erklärung des Apostolikums im
Kleinen Katechismus zu lesen. Nicht toten Lehrsätzen steht er da gegenüber,
sondern alles ist von seinem Innersten erfasst und zu seinem persönlichen
beseligenden Besitz geworden, so dass er alles von sich selbst aussagt: „Ich
glaube, dass mich Gott erschaffen hat“ usw. Oder im Großen Katechismus
sagt er, der Glaube sei es, wodurch „solche Kraft zu nehmen sei“, „dass
wir dasselbe tun können, so wir laut der zehn Gebote tun sollen“, „der Glaube, aufs
allerkürzeste in so viele Worte gGefasst: Ich glaube an
Gott Vater, der mich geschaffen hat; ich glaube an Gott den Sohn, der mich
erlöst hat; ich glaube an den Heiligen Geist, der mich heilig macht. Ein Gott
und Ein Glaube, ab er drei Personen, darum auch drei Artikel oder Bekenntnisse.“ ((Gr.
Kat. II,2 ff.) Luther ist auch der Überzeugung gewesen, dass der wesentliche
Inhalt jener alten Bekenntnisse, die Lehre von der Trinität und der Gottheit
Christi, nicht nur von der Heiligen Schrift bezeugt, sondern auch von dem
gereifteren Christen als Wahrheit erfahren werde: „Ich habe nicht nur aus der
Heiligen Schrift, sondern auch in größten Kämpfen und Anfechtungen gelernt,
dass Christus Gott sei und Fleisch angezogen habe, ebenso den Artikel von der
Trinität. Deshalb glaube ich es jetzt nicht sowohl, sondern weiß
es aus Erfahrung, dass jene Artikel wahr sind.“ (Weim. Tischreden, 4, S.
578, 2; vgl. das. 1,269,36; 271,29.34 und öfter.) Wir werden dies dahin zu
verstehen haben, es sei ihm in den Kämpfen um Heilsgewissheit klar geworden,
dass das, was er durch Christus erlangt habe, von keinem Menschen
seinesgleichen, sondern nur von Gottes Sohn geleistet werden konnte, ebenso,
dass es drei sind, denen er das Heil zu verdanken hat, diese drei aber Eins
sein müssen, insofern sie Ein Ziel verfolgen und zu dessen Erreichung stets
zusammenarbeiten, sodass er alles Einem Gott verdankt.
Indem die altkirchlichen Bekenntnisse mit
ihrer Trinitätslehre einerseits nur nach ihrem Inhalt und andererseits als
Bekenntnisse des auf Schrift und Erfahrung ruhenden Heilsglaubens gewertet
wurden, war ihnen eine weit höhere Bedeutung zugesprochen, als sie für das
Mittelalter gehabt hatten. Sie waren aus dem #Tod zum Leben erwacht.
„Alle
Welt, wiewohl sie mit allem Fleiß danach getrachtet hat, was doch Gott wäre und
was er im Sinn hätte und täte, so hat sie doch der keines je erlangen können.
Hier aber [im christlichen Glauben] hast du es alles aufs allerreichste. Denn
da hat er selbst offenbar und aufgetan den tiefen Abgrund seines Herzens und
eitel unaussprechliche Liebe.“ (Gr. Kat., II, III,64.) „Gott ist
selbst die Liebe, und sein Wesen ist eitel lauter Liebe, dass, wenn jemand Gott
wollte malen und treffen, so müsste er ein solch Bild treffen, das eitel Liebe
wäre, als sei die göttliche Natur nichts als ein Feuerofen und Brunst solcher
Liebe, die Himmel und Erde füllt.“ (Erl. Ausg. 18,313.) So ganz und gar ist die
Liebe Gottes spezifisches Wesen, dass man danach Gott definieren kann: „Was heißt einen Gott
haben, oder was ist Gott? Antwort: Ein Gott heißt das, dazu man sich versehen
soll alles Guten und Zuflucht haben in allen Nöten, so dass Gott haben nichts
anderes ist, als ihm von Herzen trauen und glauben.“ Gott sagt zu uns:
„Lass mich allein deinen
Gott sein, das ist, was dir mangelt an Gutem, des versieh dich zu mir
und suche es bei mir, und wo du Unglück und Not leidest, kriech [herzu] und
halte dich zu mir. Ich will dir genug geben.“ „Halte mich für den, der
dir helfen und mit allem Guten reichlich überschütten
will.“
„Was willst du mehr
haben, als dass er dir so freundlich verheißt, er wolle dein sein mit allem Guten.“ (Gr. Kat. I,
I,1.4.15.41.) Wenn Psalm 82,6 die Kinder Gottes als „Götter“ bezeichnet, so
erklärt Luther dies so: „Götter sind wir durch die Liebe, die uns gegen unseren
Nächsten wohltätig macht. Denn göttliche Natur ist nicht anders als eitel
Wohltätigkeit und Freundlichkeit und Leutseligkeit, die ihre Güter in alle
Kreaturen überschwänglich ausschüttet täglich.“ (Erl. Ausg. 7,168.) Darum weil
Gott Liebe ist, darum ist das Eine, was er für sich von uns erwartet, dies,
dass wir ihn als das, was er ist, als Liebe erkennen und danach gegen ihn
handeln, also ihm als der Liebe vertrauen. Wohl reden die lutherischen
Bekenntnisschriften auch davon, dass wir Gott ehren sollen. Aber sie
verstehen darunter etwas ganz anderes als Rom und Calvin. Denn das Gott über
alles Auszeichnende, um deswillen er die höchste Ehre verdient, ist ihnen nicht
seine Souveränität, sondern seine Liebe (vgl. unten S. 35
f.) Diese mit Herz und Handeln anerkennen, das ist die Gott
gebührende Ehre: „Siehe, da hast du nun,
was die rechte Ehre und Gottesdienst ist, so Gott gefällt, welchen er auch
gebietet bei ewigem Zorn, nämlich, dass dein Herz keinen anderen Trost noch
Zuversicht wisse als zu ihm.“ (Gr. Kat. I, I,16.) Das heißt Gott
recht ehren, wenn wir aus allem, was wir erleben, auch aus den täglich uns
zufließenden Gütern, „sein väterliches Herz und überschwängliche Liebe gegen
uns“ erkennen, „wie sich der Vater uns gegeben hat samt allen
Kreaturen.“ (Gr. Kat. II, II,23.) Die wahre „Verehrung“ Gottes besteht in dem „das
Gute von Gott empfangen“ (Apol. IV, 189). Der Glaube, der die Verheißungen der
Barmherzigkeit Gottes annimmt, gibt ihm die Ehre, lässt ihm, was ihm gehört“
(Apol. IV, 187). Es handelt sich also bei dem „Gott ehren“ nicht um eine
absonderliche Verpflichtung, sondern einfach um die Anerkennung eines
Tatbestandes, um Wahrhaftigkeit gegenüber der Tatsache, dass Gott Liebe ist.
Alles, wodurch wir Gottes Liebe gleichsam auf den Leuchter stellen, ehrt ihn.
So, wen wir eine richtige Vorstellung von der Prädestination vertreten, weil
dadurch klar wird, „dass er allein aus Barmherzigkeit uns selig macht“ (KF,
Ausf. Darl., IX, 87). Ebenso dient es zur Ehre Gottes, bestimmt zu
unterscheiden zwischen der von Gott uns verliehenen Natur und ihrer durch die
Erbsünde verursachten Verderbung, weil dadurch dargetan wird, dass nicht Gott
irgendwie Schuld trägt an unserer traurigen Beschaffenheit, vielmehr von im nur
alles Gute, das wir haben, herrührt (KF, Ausf. Darl., II, 3). Ebenso wird Gott
und Christus die gebührende Ehre erwiesen durch die Lehre, dass die
Gerechtigkeit des Glaubens allein in der Vergebung um des Verdienstes Christi
willen besteht, weil dadurch die Liebe Gottes und Christi verherrlicht wird.
Alles Gute, das der gläubige Christ ohne Zwang „Gott zu Liebe“ tut, gereicht zu
Gottes „Lob“, insofern es Gottes Liebe, durch die es hervorgerufen ist, ins
Licht stellt (FK, Ausf. Darl., IV, 12).
Worauf gründet sich diese
Gottesvorstellung? Nicht auf Vernunftreflexion oder Spekulationen über Gottes
Wesen. Denn „diese Weisheit geht über
aller Menschen Weisheit, Sinn und Vernunft. Wir könnte nimmermehr dazu kommen,
dass wir des Vaters Huld und Gnade erkennten, außer durch den Herrn
Christus, der ein Spiegel ist des
väterlichen Herzens.“ (Gr. Kat. II, III, 63 ff.) Oftmals hat
Luther dies näher dahin ausgeführt: Weil Christus, Gottes Sohn, vom Vater
gesandt ist, darum ist, was er redet und tut, ein Reden und Tun des Vaters. Wir
sehen also daran, wie Gott ist, wie Gott über uns denkt, was Gott mit uns
beabsichtigt; wir sehen Gott in sein Herz. „Du sollst von keinem andern Gott
wissen außer jenes Menschen Jesus Christus. Diesen umfasse! Schaue einfach auf
diesen Menschen, der sich uns als Mittler hinstellt und sagt: ‚Kommt her zu mir
alle Mühseligen.‘ Wenn du dies tust, so wirst du die Liebe, Güte, Süßigkeit
Gottes sehen; du wirst die Weisheit, Macht und Majestät [Gottes, die dich in
Angst versetzen könnte] versüßt und deinem Fassungsvermögen angepasst sehen“
[indem du diese Eigenschaften Gottes als im Dienst seiner Liebe stehend
erkennst]. (Erl. Ausg. Gal 1, 48 ff.) „Siehe, ist er von dem Vater ausgesandt,
so muss er wahrlich etwas ausrichten und uns zu sagen haben aus des Vaters
Willen und Befehl, dass wir ihn als die Majestät selbst hören sollen. Nun hören
wir kein anderes Wort, als dass er soll der Welt helfen und uns den Vater zum
Freund machen; sehen auch kein anderes Werk, als dass er dahin geht und solches
ausrichtet, predigt, leidet und zuletzt am Kreuz stirbt. Siehe, da steht mir
des Vaters Herz, Wille und Werk offen und erkenne ihn gar“ (Erl. Ausg. 50, 183
ff.), nämlich als Liebe.
Daraus wird zugleich klar, was hier unter
„Liebe“ verstanden ist. Wenn man die Liebe, wie sie auch Gott eignen soll,
bestimmt hat als den stetigen Willen, einen anderen zu fördern, und zwar so,
dass der Liebende darin seinen eigenen Selbstzweck verfolge, so ist diese
Definition nach der uns Menschen möglichen Liebe gebildet, passt aber eben
nicht auf Gottes Liebe. Diese verfolgt keinerlei Selbstzweck, weder den,
dass die Menschen Gott ehren, noch den, dass sie, seiner Herrschaft sich
unterstellend, das von ihm gewünschte Reich bilden. Nein, alles, wozu ihn seine
Liebe gegen die Menschen bewegt, tut er „aus lauter väterlicher Güte und
Barmherzigkeit“ (Kl. Kat. II, 2). Seine Liebe will nur geben, sich selbst
geben. Von einem „Selbstzweck“ kann bei der Erweisung der Liebe Gottes nur
insofern die Rede sein, als jede Liebe das Bedürfnis, sich zu betätigen, in
sich schließt. Nicht aber denkt Gott dabei an sich, sondern an die Objekte
seiner Liebe. Daher wird diese in den lutherischen Bekenntnissen als „Barmherzigkeit“
bezeichnet: Ihre Lage ist es, was sein Herz bewegt, ihr Elend.
Wie ernst es die lutherischen Bekenntnisse
mit Gottes Heiligkeit nehmen, wird besonders klar aus dem, was sie über seinen
Zorn sagen. „Bei ewigem Zorn gebietet“ Gott, ihn allein zum Gott zu haben.
„Gottes hohe Majestät hält mit großem Ernst über seinen Geboten, zürnt und
straft, die sie verachten.“ „Darum sollen wir uns fürchten vor seinem Zorn.“
„Wie zornig Gott ist“ über die Sünder, zeigt das Wort, „dass sein Zorn nicht
ablässt bis ins vierte Geschlecht.“ (Gr. Kat.
I, I, 16; I, I, Schl. 330; Kl. Kat. I, 21; Gr. Kat. I, I, 31.) Auch
tritt keine Vergebung der Sünden ein, ohne dass Gottes Heiligkeit die Sünde
strafe, nämlich in den „Schrecken“, in denen er „die Gewissen so stark mit
seinem Zorn drängt und ängstigt“ (Apol. XII/VI, 53). So groß ist die Abscheu
Gottes vor aller Sünde, dass er selbst dann, wenn sie zum Erreichen seines
Willens, „zum Heil seiner Auserwählten dient“, nie die Ursache des Bösen sein
kann (KF, Kurze Darl., XI, 4). – Man hat nun gemeint, diese Auffassung des
Zornes Gottes stehe nicht im Einklang mit Luthers Gottesvorstellung,
nach der Gott nur Liebe und ein Zorn Gottes erst dann möglich sei, wenn
er mit seiner Liebe nicht seine Absicht „seinen eigenen Selbstzweck“ erreicht
habe, also erst in der zukünftigen Welt. Doch die soeben angeführten ersten
vier Zitate sind den Katechismen Luthers entnommen. Man meint aber bei ihm
andere Stellen gefunden zu haben, die damit in Widerspruch stehen, Er redet
nämlich auch davon, dass Gott bisweilen „Zorn simuliere“. Hiermit soll er den
Zorn Gottes als bloßen Schein bezeichnet haben. Doch so redet Luther nur von
dem Verhalten Gottes gegen seine gläubigen Kinder, denen freilich sein Zorn
nicht mehr gilt, die er aber in seiner Liebe
solches erleben lässt, was ihnen wie Äußerung seines Zorns erscheine (z.B. Erl.
Ausg. 18, 316). Obdeer
Luther sagt, Gott hasse wohl die Sünde, aber nicht den Sünder (z.B. Erl. Ausg.
42,152). Aber an anderen Stellen behauptet er bestimmt: „Gott kann seine Natur
nicht verleugnen, d.h. er kann nicht anders als die Sünde und den
Sünder hassen; und das ist eine Notwendigkeit, sonst würde er unfromm
sein.“ (Erl. Ausg. Gal 1,338.) Diese beiden scheinbar entgegengesetzten
Aussagen verbindet er an anderen Stellen: „Es ist Gottes Zorn mit Liebe verbunden,
das heißt mit dem Streben, die Menschen zu erhalten und selig zu machen.“ Und
er züchtigt sie, „damit sie erkennen, dass Gottes Zorn über sie gekommen sei“,
wie ein Vater sein Kind seinen Zorn fühlen lasse, um es zu bessern (Erl. Ausg.
Exeget. Werke 24,322 f.). Die Liebe Gottes zu dem Sünder, von der Luther hier
redet, ist die Liebe, die danach verlangt, den Sünder „mit allem Guten
zu überschütten“, dies aber noch nicht zu tun vermag, weil der „an seiner
Sünde“ hängende Mensch unter Gottes Zorn liegt. Denn „ohne den Glauben an
Christus sind wir Kinder des Zorns“, denn „Gott ist die ewige Gerechtigkeit und
Klarheit, welcher dann aus seiner Art hasst die Sünde (Erl. Ausg. 12,
188; vgl. Wilh. Walter: Das Erbe der Reformation. 2. Aufl. 2. Heft, S. 28 ff.)
Dies ist der Unterschied zwischen der römischen und der lutherischen Anschauung
von der Heiligkeit Gottes, dass er nach jener billige Gerechtigkeit übt, nach
dieser aber absolut heilig ist, sodass ers
gar nicht in seinem Belieben steht, ob oder wieweit er die Sünde und alles von
ihr Infizierte hassen will, sondern seinem Wesen gemäß dagegen reagieren muss.
Darum ist es die heilige Pflicht des Menschen, den
Willen Gottes unverkürzt zu erfüllen – unverkürzt heißt:
ohne Nebenzwecke, Nebenabsichten, also nicht aus Furcht vor Strafen, nicht in
dem Hoffen, sich dadurch einen Vorteil zu erschaffen,
auch nicht nur gelegentlich, das Gute auch nicht nur erkennen und wollen,
sondern es jederzeit mit freudigem Herzen tun und um Christi
willen auch von Herzen zu leiden. Gerade dann, wenn
der Mensch sich dieser unbedingten Forderung Gottes aussetzt, erkennt er klar
seine abgrundtiefe Verdorbenheit und Verlorenheit.[2]
Freilich kann man Gottes Zorn als die
„Kehrseite seiner Liebe“ bezeichnen. Aber nicht in dem Sinn, als verkehrte sich
die Liebe dann, wenn sie ihre Absicht an einem Menschen nicht erreicht, in
Zorn, sondern nur in dem Sinn, dass Gott infolge seines Wesens jedem Menschen zürnen
muss, der in Widerspruch zu dem Wesen Gottes, d.h. in Widerspruch zu der Liebe
Gottes steht. Diese fordert kategorisch Vertrauen und Gegenliebe. Wo dies fehlt
oder das direkte Gegenteil davon vorliegt, also der Sünde gegeben, muss eben
die Liebe Gottes zürnen und strafen, um sich Anerkennung zu erzwingen. Mit
anderen Worten: Gott ist die heilige Liebe.
Es dürfen Gottes Heiligkeit (oder
Gerechtigkeit) und Gottes Liebe (oder Barmherzigkeit) nicht als zwei
verschiedene Eigenschaften nebeneinandergestellt werden, so dass Gott den Einen
jene, den anderen aber diese zuwenden könnte (so Calvin), sondern dem Wesen
Gottes entspricht nur ihr Zusammenschluss zu dem einheitlichen Begriff „heilige
Liebe“. Wohl hat Gott bald jene, bald diese offenbart, jene im Gesetz, diese im
Evangelium. Aber beide sind in Gott eins, und von beiden wird sowohl das Gesetz
wie das Evangelium bestimmt. Auch das Gesetz ist von der Liebe Gottes gegeben.
Ist doch das Evangelium schon vor dem Gesetz und beständig neben diesem
verkündigt worden (Apol. XII, 53); das Gesetz sollte Zuchtmeister auf Christus
sein ((KF, Ausf. Darl. V, 24), Bahnbrecher
für die Annahme der Liebe Gottes in Christus. Und wenn Gottes Heiligkeit eines
Menschen Gewissen durch die Gesetzespredigt erschreckt, so bewegt Gott hierzu
nur die Absicht, „Raum zu schaffen für den Trost“ (Apol. V, 51 f.).
Ebenso wird in der Predigt des Evangeliums auch die Heiligkeit offenbart: „Die
Predigt von Christi Leiden und Sterben ist eine ernste und schreckliche Predigt
und Anzeige von Gottes Zorn“ (KF, Kurze Darl., V, 9), insofern es zeigt, dass
es einer Sühnung der Sünde bedurfte. Wenn es sich also darum handelt, wie wir
uns dem Wesen Gottes entsprechend verhalten, so verbinden die
Bekenntnisschriften immer wieder das Doppelte zur Einheit: „Wir sollen Gott
fürchten und lieben (oder: ihm vertrauen)“, wie ja Luther die Erklärung jedes
der zehn Gebote beginnt. Die Heiligkeit muss gefürchtet, die Liebe geliebt
werden. Die Erbsünde aber besteht darin, dass man geboren wird ohne wahre
Gottesfurcht, ohne wahren Glauben an Gott (Augsb. Bek. II,1), und dieser Defekt
beruht auf der Unkenntnis Gottes (Apol. II, 8), darauf, dass man Gott nicht als
heilige Liebe kennt. Die schlimmsten Folgen muss es haben, wenn nur Eins
verkündigt wird, Gesetz oder Evangelium. Denn dann wird nicht Gott
verkündigt, wie er ist. (vgl. Erl. Ausg., 27,194; 7,305; 9,238 f.)
Wenn aber Gott die Liebe ist und
alleinwirksam, mit seiner Allmacht das gesamte Weltgeschehen
trägt, wie steht es dann mit dem Leid,
der Not in der Welt? Das letzte Ziel der
Liebe Gottes ist es, den Menschen zu Gott zu führen. Dazu aber ist es oftmals
notwendig, dass der gottferne, um sich selbst
kreisende, selbstgerechte Mensch zerbrochen werde, da er sonst Gott, Christus,
die Rettung gar nicht will. Dies Zerschlagen aber
vollzieht Gott durch Leiden, worin der Mensch an seiner eigenen Kraft,
Weisheit, Gerechtigkeit, Möglichkeiten verzweifeln soll.
Oftmals lässt Gott das Böse auch auswachsen, damit es überhaupt als Böses
erkannt wird (man denke nur an die totalitären Systeme und ihre Verbrechen, die
von so vielen lange Zeit verkannt wurden). Leid und Not ist so
einerseits auch schon Gerichtshandeln Gottes in
einer gottfernen, gegen Gott in Rebellion stehenden Welt, andererseits aber
darin auch seine suchende, um den Menschen ringende Liebe.
Aber auch Christen
müssen oft noch durch viel Leid, Trübsal gehen. Nicht anders ist es uns in der
Bibel vorhergesagt (Apg. 14,22). Aber warum? Das gehört hinein in
Gottes Pädagogik, durch die er die Seinen Christus immer ähnlicher machen will
(Röm. 8,29, conformitas Christi), was gerade auch ein
Teilhaben am Leiden ist, weil Christus für uns gelitten hat. Dadurch
will er die Gläubigen auch in rechter Demut halten,
damit sie nicht gleichgültig werden, nicht hochmütig, selbstgerecht, aber sie
auch führen im Kampf gegen die Sünde und anderen zum
Vorbild setzen im Ertragen des Leides. Durch das Leid aber will er sie so
läutern, prägen und zur Herrlichkeit
führen.[3]
Aus dem Gesagten ergibt sich schon, welches
das von Gott verfolge Ziel ist. Es ist nicht seine Ehre, weder einzig
(so Calvin), noch vorzugsweise (so Rom). Wohl wird schließlich alles zur Ehre
Gottes ausfallen; aber nicht ist es das Motiv des Handelns Gottes an uns, das
herbeizuführen. Wohl hören wir, dass wir Gott für alle seine Wohltaten zu loben
und zu dienen schuldig sind (Gr. Kat. II, I, 19); nicht aber, dass dies die
Absicht Gottes bei seinem Wohltun sei. Wohl wird gesagt, wir müssten alles, was
wir von ihm haben, zu seiner Ehre anwenden, nicht aber, er gebe es uns, um dies
zu erreichen (Gr. Kat. II, I, 23). Wohl sagt Luther, Christus habe mich erlöst,
„auf dass ich sein eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe und ihm diene
in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit“ (Kl. Kat. II, 4); aber damit
will er nicht sagen, dass Christus uns mit der egoistischen Absicht, sich von
uns dienen zu lassen, erlöst habe. Denn als das Motiv Christi nennt er, „aus
grundloser Güte habe sich Christus unseres Elends erbarmt“. Und wenn er von dem
„Reich Christi“ redet, so denkt er nicht an eine ehrenvolle Herrschaft, die
Christus zufalle, sondern an das Glück, das wir darin haben: dass wir
einen Helfer haben gegen Sünde, Tod und Teufel“ (Gr. Kat. III, II, 51). Dass er
„unser Herr“ ist, bedeutet nach Luther nichts anderes, als dass er unser
„Erlöser“ ist, der „die Tyrannen und Stockmeister vertrieben“ und uns „unter
seinen Schirm und Schutz genommen“ hat (Gr. Kat. II, II, 28 ff.). Wohl heißt
es, die Gebote müssten erfüllt werden wegen der Ehre Gottes, und die Werke der
Heiligen geschähen, nicht um Lohn zu erwerben, sondern zur Ehre Gottes (Apol.
XII/VI, 77; IV/III, 243); nie aber, Gott fordere dies um seiner Ehre willen.
Kurz, uns soll die Ehre Gottes am Herzen liegen, aber er hat ein anderes Ziel
im Auge. Weil er die Liebe ist, denkt er nicht an sich, sondern an uns.
Erschaffen, erlöst, geheiligt hat er uns, „dass er uns zu sich brächte“ (Gr.
Kat. II, III, 63), dass „er sich ganz und gar mit allem, was er hat und vermag,
uns gäbe“ (Gr. Kat. II, III, 69). Fragt man Calvin nach dem Willen
Gottes, so verweist er uns auf das Gesetz; fragt man Luther, so verweist er auf
das Glaubensbekenntnis. Am Schluss seiner Erklärung der drei Artikel sagt er:
„Siehe, da hast du das ganze göttliche Wesen, Willen und Werk“
(Gr. Kath. II, III, 63). Unermüdlich wiederholen die lutherischen Bekenntnisse:
„Gott will jedermann selig machen“ (z.B. (KF, Kurze Darl., XI, 12);
oder, da diese Liebe Gottes heilige Liebe ist, so wird dieser Wille Gottes noch
genauer dahin bestimmt, dass er alle durch Christus, durch den Glauben an ihn
selig machen will (Apol. IV/III, 189).
Ist aber Gottes Motiv nicht seine Ehre,
sondern des Menschen Heil, dann kann er, wenn es zur Erreichung dieses Zieles
notwendig ist, seine Ehre zurückstellen, kann solches tun oder zulassen,
was in den Augen der Menschen zu seiner (zeitweiligen) Verunehrung dient.
Freilich kann er nie etwas tun, was nicht, vom göttlichen Standpunkt aus
angesehen, ihn ehrte, wohl aber solches, was verblendete Menschen dazu verleitet,
ihn zu verachten, zu lästern, zu leugnen. Und dass Gott dies sozusagen ertragen
kann, ist ein Beweis dafür, dass ihm der Menschen Heil über alles geht. Und
darum ist gerade dies in Wirklichkeit und in den Augen des von Gottes Geist
erleuchteten Gläubigen das ihn so hoch Ehrende, weil es der überzeugendste
Beweis seiner alles menschliche Denken übersteigenden Liebe ist. Diesen
Gedanken macht Luther gegen die Schweizer geltend, die von ihrem falschen
Begriff der Ehre Gottes aus bestimmen wollten, wieweit Gott in seiner Güte
gehen könne. Gegen sie schreibt Luther: „Es ist eine Ehre und Lob seiner
unaussprechlichen Gnade und Güte, dass er sich uns armer Sünder so hart
annimmt. Wir armen Narren halten, dass Ehre daher komme, wenn jemand seine
Tugend, Güte und Wohltat beweist.“ (Erl. Ausg. 30,72.) Nicht also unterscheidet
sich Calvin so von Luther, dass nur jenem, nicht aber diesem die Ehre Gottes
hochheilig wäre, vielmehr nur darin, dass sie etwas Verschiedenes unter dem
Gott Ehrenden verstehen. Nach Luther ist das, „wodurch Gott verherrlicht wird“,
„die gesamten Wunder seiner unschätzbaren Barmherzigkeit und der
Reichtum der Ehre seiner Erbarmungen“. Darum kann nach Luther nur der
Mensch Gott „rühmen und verherrlichen“, der ihn seiner Liebe wegen
liebt, „der diesen Glauben und diese Wissenschaft von dem Herrn hat“, dass
Christus „alles nicht sich selbst, sondern uns zugut getan hat nach dem Willen
Gottes des Vaters“ (Erl., Exeget. Werke, lat., 16, 140). Die Welt urteilt
entgegengesetzt, nämlich so: „Es ist Gott nicht ehrlich, von gebrechlichem Leib
eines Menschen geboren zu werden, ebenso, dass er gekreuzigt ist“; die Welt
leugnet deshalb diese Tatsachen. Luther aber erwidert: „Einem weltlichen König
wäre es unehrlich, dass er gehenkt oder gekreuzigt würde. Unsers Gottes
Ehre aber ist die, so er sich um unsertwillen aufs allertiefste heruntergibt,
ins Fleisch, ins Brot, in unseren Mund, Herz und Schoß, und dazu um
unseretwillen leidet, dass er unehrlich behandelt wird, beide auf dem Kreuz und
Altar. Leidet er doch ohne Unterlass, dass vor seinen göttlichen Augen sein
Wort, sein Werk und alles, was er hat, verfolgt, geschändet, gelästert und
missbraucht wird. Und sitzt dennoch in seinen Ehren“ (Erl. Ausg. 30,72 f.).
Infolge dieser Auffassung des Verhaltens Gottes zu seiner Ehre, vermeidet der
Schüler Luthers leichter als der Calvins die dem natürlichen Menschen
naheliegende Vorstellung, als wache Gott ständig nur über seine Ehre in der
Welt, als lasse er einerseits nichts geschehen oder hingehen, was ihr in den
Augen der Menschen schaden könne, als beweise er andererseits seine Macht und
Gerechtigkeit so auffällig, dass kein Vernünftiger sie leugnen könne. Daher
kann der Schüler Luthers eher bewahrt bleiben vor dem schweren Anstoß, der
darin liegt, dass Gott tatsächlich nicht so verfährt, sondern sehr oft auch
grauenvoll Böses und himmelschreiende Ungerechtigkeit zulässt, weil es „seinen
Auserwählten zum Heil dienen soll“ (KF, Kurze Darl. XI, 4). Darum wird ein
Schüler Luthers von Gott nicht leicht auffallende Wunder erwarten, sondern auch
die Wundermacht als im Dienst seiner der Menschen ewiges Heil erstrebenden
Liebe stehend ansehen.
Lässt sich Gottes Wesen heilige Liebe
festhalten, wenn er schon, ehe es Menschen gab, über deren ewiges Schicksal
verfügt hat? Seitdem Augustin die Prädestination gelehrt, hatte sie immer
wieder die Gemüter beschäftigt. Auch Luther und Melanchthon hatten sie
vertreten. Als aber der letztere das erste gemeinsame Bekenntnis verfassen und
dann in seiner Apologie verteidigen wollte, vermied er nach seiner eigenen
Aussage (CR 2,547) geflissentlich, diesen Lehrpunkt irgendwie zu berühren, um
nicht „die Gewissen durch jene unentwirrbaren Labyrinthe zu verwirren“. Er wird
gemeint haben, in einem auch für Laien bestimmten Bekenntnis deshalb davon
schweigen zu dürfen, weil die Hauptsache, auf die auch für Luther es bei der
Behauptung der Prädestination ankam, nämlich die Alleinursächlichkeit des Heils
durch Gott, schon genügend durch das über die Beschaffenheit des sündigen
Menschen gelehrte sichergestellt war (Augsb. Bek. II; XVIII). Dann aber ist
sicher nicht anzunehmen, dass Melanchthon doch an einer Stelle des Augsburger
Bekenntnisses die Prädestination gelehrt habe. Wenn es nämlich in Art. 5 heißt,
durch die Gnadenmittel gebe Gott den Heiligen Geist, „welcher den Glauben, wo
und wann er will, in denen, so das Evangelium hören, wirkt“, so würde er doch,
falls er hätte, wie man gemeint hat, sagen wollen, der Geist wirke den Glauben
nur in den Auserwählten, nicht „wo und wann“ geschrieben haben, sondern etwa:
„in welchen er will“. Er muss also nur sagen wollen, dass nicht durch jede
Predigt schon alle, die sie hören, zum Glauben gebracht werden, dass vielmehr
der Heilige Geist hierfür seine ihm passenden Zeiten hat, wie auch Luther öfter
ausgesprochen hat, dass die Wirkung der Predigt nicht immer schon an dem Ort
und zu der Zeit, wo diese erschalle, auch eintrete.
Als aber der Calvinismus in Deutschland
eingedrungen war, wurde dessen schroffe Prädestinationslehre auch von
Lutheranern geprüft. Und an einem Ort, in Straßburg, wurde sie von dem
Professor Hieronymus Zanchi mit voller Energie vertreten. Ihm widersprach
Professor Johann Marbach. Nach langen Verhandlungen wurde durch Aufstellung
einer Konsensformel der Streit beigelegt. Um eine Wiederkehr solcher Kämpfe
unter den Lutheranern zu verhindern und auch in dieser Beziehung sich gegen den
Calvinismus abzuschließen, konnte man in der Konkordienformel nicht zu
dieser Lehre schweigen.
Welche Auffassung hatte nun Luther
zur Prädestination? Er stimmt mit dem 11. Artikel der Konkordienformel gerade
in dem, was sie über das Wesen, „das Herz Gottes“ sagt, überein, in dem sie
Gottes unergründliche heilige Liebe in ein helles Licht stellt,
nämlich bezeugt, „dass er aus laut er Barmherzigkeit in Christus ohne all unser
Verdienst oder Werke uns selig macht nach dem Vorsatz seines Willens“, nach dem
er uns „noch ehe wir geboren waren, ja, ehe der Welt Grund gelegt war, in
Christus erwählte“. Dass dies einzig aus Barmherzigkeit geschah, ist ein Beweis
seiner Liebe; dass es nur in Christus geschah, ist ein Beweis seiner
Heiligkeit. Indem dies anerkannt wird, wird „Gott seine Ehre ganz und völlig
gegeben (KF, Kurze Darl., XI, 15; Ausf. Darl., XI, 87 f.), da nichts ihn mehr
ehrt als seine heilige Liebe. – In seiner Schrift „Vom unfreien Willen“ hatte
Luther des Erasmus Behauptung, der Mensch habe noch den freien Willen, sicher
einigermaßen dem Guten zuzuwenden, gekämpft und seine Glaubenserkenntnis und
-erfahrung, dass unser Heil allein von Gott und seiner Erwählung abhängt,
verfochten. Da aber Erasmus zur Stütze der eigenen Behauptung einen
erbärmlichen Gottesbegriff vertreten hatte, stellte Luther dem eine andere,
biblische, Gottesvorstellung entgegen, wonach Gott die absolute Macht ist, die
selig machen und verdammen kann. Gott ist lebendiger, allmächtiger Wille, der
nie aufhört zu schaffen. Für ihn kann es daher keine Grenze oder Schranke
geben. Er hat nicht nur alles erschaffen, sondern erhält es auch; alles ist
seinem allmächtigen und unwiderstehlichen Willen untertan. Gott allein ist
wirksam – darum geschieht nur, was er will und geordnet hat. Der Mensch kann
daher gar keinen freien Willen haben, gar nichts zu seinem Heil, seiner
Errettung dazutun kann.[4]
Gott ist aber deshalb nicht der
Urheber der Sünde, der Verursacher des Bösen, auch wenn er den
Abfall Luzifers, das Aufkommen des Bösen nicht verhindert hat, auch
wenn er zulässt, dass ein Mensch in schlimme Sünden fällt, damit er zur
Erkenntnis seiner Sündhaftigkeit, seiner Verdorben- und Verlorenheit kommt.
Gott gibt zwar allen seine Kraft, auch dem Bösen, aber er treibt nicht an zum
Bösen. Ebenso ergibt sich dann, wenn Gott der Alleinwirkende, der Allmächtige,
der Liebende ist, die Frage, warum dann nicht alle Menschen zum rettenden
Glauben kommen. Hier unterscheidet Luther dann zu Recht zwischen dem
offenbarten und dem verborgenen Gotteswille, zwischen dem vor allem in Christus
und in seinem Wort offenbaren Gott und dem, der sich vor unseren Augen, unserer
Erkenntnis verborgen hält (Deus absconditus).[5] Wir haben es hier mit
einer Antinomie zu tun, nämlich der Allwirksamkeit Gottes, seinem Hass gegen
alles Böse einerseits und dass er andererseits das Aufkommen des Bösen nicht
verhindert hat. Der Grund bleibt uns in diesem Leben verborgen
Die Prädestination bezieht
Luther daher nur auf die Frommen, ganz gemäß der Schrift, und verwirft einen
doppelten oder gespaltenen Willen in Gott (KF, Ausf. Darl. XI, 5. 35). Er
betont dabei, wie die Konkordienformel dann auch, die Alleinwirksamkeit der
Gnade Gottes, von der auch die Heilige Schrift spricht. Deshalb betont Luther
auch, dass wir absehen müssen von Gott in seiner Majestät und Natur; denn so
haben wir nichts mit ihm zu handeln, und er hat nicht gewollt, dass wir so mit
ihm handeln; sondern wir handeln mit ihm so, wie er, bekleidet mit seinem Wort,
durch das er sich uns angeboten hat, hervorgetreten ist. …´Auf sein Wort müssen
wir schauen und von jenem unerforschlichen Willen absehen. Denn wir müssen uns
nach seinem Wort richten.. Der verkündigte Gott will, dass alle Menschen
gerettet werden, da er mit dem Wort des Heils zu allen kommt, und es ist die
Schuld ihres Willens, der ihn nicht wirken lässt, wie er Matth. 23 sagt:
Wie oft habe ich meine Kinder zu mir versammeln wollen, und du hast es nicht
gewollt. Luther betont hier die volle Selbstverantwortung des Menschen, weshalb
dieser auch schuldig werden kann und wird. Diese Spannung oder Antinomie
zwischen der Alleinwirksamkeit Gottes und der Verantwortlichkeit des Menschen
kann und darf nicht aufgehoben oder abgeschwächt worden. Vielmehr ist der, der
verloren geht, mit Recht dem Gericht Gottes verfallen.[6]
Gegen Ende seines Lebens hat er beim
Schluss seiner Genesisvorlesung gesagt: „Ich habe unter anderem geschrieben,
alles müsse notwendig geschehen. Aber ich habe auch hinzugefügt, man soll den
offenbarten Gott ansehen, wie wir im Psalm singen: Er heißt Jesus Christ, der
Herr Zebaoth, und ist kein anderer Gott! Darum sollt ihr, die ihr mich jetzt
hört, daran denken, dass ich gelehrt habe, man solle nicht über die
Prädestination des verborgenen Gottes grübeln, sondern auf der Prädestination
Ruhe finden, die durch die Berufung und das Predigtamt offenbart wird. Denn da
kannst du über deinem Glauben und deinem Heil sicher sein und sagen: Ich glaube
an den Sohn Gottes, der, gesagt hat: Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben.“
(Erl. Ausg., Exeg. Lat. 6,600.)
Nicht beantwortet werden kann die Frage, warum
Gott die, welche schließlich selig werden, schon von Ewigkeit her, also noch
ehe sie sich für oder gegen den Glauben entscheiden konnten, erwählt hat. Der
Mensch kann also absolut nichts zu seinem Heil, seiner Errettung, hinzutun. Was
das Zustandekommen des Glaubens angeht, so ist das ganz und gar Gottes Werk,
ein unbegreifliches Geschenk der göttlichen Gnade.[7]
Die Frage steht dabei im Raum, warum Gott
nicht alle Menschen rettet, wenn er doch allein wirksam ist. Auch sie können
wir nur dahingehend beantworten, dass die Errettung eines Menschen allein
Gottes Werk ist, dass ein Mensch verlorengeht aber dieser sich allein
zuzuschreiben hat. Warum Gott, der doch eindeutig das Heil aller Menschen will
(1. Tim. 2,4), nicht jeden zur Rettung aus dem Gericht, dem wir doch alle seit
dem Sündenfall verfallen sind, durch den Glauben an Christus erwählt hat, das
wissen wir nicht. Hier haben wir es wieder mit dem verborgenen Gott zu tun, mit
dem hoch zu verehrenden Geheimnis der Majestät Gottes; wir aber sollen uns allein
an den in Christus und seinem Wort offenbarten Gott halten, der nicht den Tod
des Sünders will, sondern dass er lebe. Der verborgene Gott geht uns nichts an.[8]
Luther hat auch immer wieder neben der
alles durchdringenden Liebe den ernst des Zornes Gottes betont und
hervorgehoben, denn der, der allein wahrhaft Heilige, muss dem Sünder zürnen.
Gottes Zorn, sein Gericht über die Sünde, ist eine Realität, die auch nicht in
Gottes Liebe einfach untergehen kann. Beide liegen aber auch nicht auf einer
Ebene. Gottes Erbarmen, Gottes Liebe, das ist sein eigentliches Werk, der Zorn
Gottes dagegen sein fremdes, hinter dem sich oft die Liebe Gottes verbirgt.
Aber selbst der Zorn kann noch ein Zorn der Liebe sein, wenn er den Menschen zu
einem in seiner Sünden-, Verdorbenheits- und Verlorenheitserkenntnis, gewirkt
durch den Heiligen Geist mittels des Gesetzes, zu einem zerbrochenen Sünder
macht, damit nun der Same des Evangeliums in einen vorbereiteten Herzensboden
fällt. Gottes Liebe ist also keine schwächliche Güte, sondern eine ernste,
väterliche Liebe. Da aber, wo der Mensch der frohen Botschaft widerstrebt, wo
der Mensch in der Gottesferne der Sünde beharrt, da ist dann Gottes Zorn ein
strenger, verdammender Zorn, weshalb eben nicht alle Menschen dem endgültigen
Gericht Gottes zur Verdammnis entgehen.[9]
Die Lehre von der Prädestination ist auf
diesem Hintergrund so zu verstehen:[10]
„1. Der einzige Grund für unsere Erwählung ist Gottes freie Gnade in Christus.
Röm. 11,5.6: „Also geht es auch zu dieser Zeit mit diesen Übergebliebenen nach
der Wahl der Gnaden. Ist es aber aus Gnaden, so ist es nicht aus Verdienst der
Werke, sonst würde Gnade nicht Gnade sein.“ Eph. 1,5.6: „Und hat uns verordnet
zur Kindschaft gegen ihn selbst, durch Jesus Christus, nach dem Wohlgefallen
seines Willens, zu Lobe seiner herrlichen Gnade.“ 2. Tim. 1,9: „Der uns hat
selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken,
sondern nach seinem Vorsatz und Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus
vor der Zeit der Welt.“ Röm. 9,11.13. Da die Gnadenwahl nichts anderes ist als
der ewige Vorsatz und Verordnung Gottes in Christus, das zu tun, was er nun
tatsächlich in der Zeit für uns tut: bekehren, rechtfertigen, erhalten und
herrlich machen, Eph. 1,3-14; Röm. 8,28-30; 2. Thess. 2,13; 2. Tim. 1,9; Apg.
13,48, ist die Erwählung wahrhaft aus Gnaden, wie ja die Bekehrung,
Seligmachung allein aus Gnaden ist, Eph. 2,8; 2. Tim. 1,9; KF, Kurze Darl. XI,
5.7.20; KF, Ausf. Darl. XI, 8.75: „Unsere Wahl zum ewigen Leben ist nicht auf
unsere Frömmigkeit oder Tugend, sondern allein auf Christi Verdienst und den
gnädigen Willen des Vaters gegründet.“ In der Theologie derjenigen religiösen
Körper, die die Seligkeit allein aus Gnaden leugnen, ist verständlicherweise
kein Platz für die Gnadenwahl (Katholiken, Arminianer, Unitarier). Sie ersetzen
die Gnadenwahl durch die Wahl aus Verdienst. Es gibt keinen
wesensmäßigen Unterschied zwischen der Lehre der katholischen Kirche (dass Gott
in Ewigkeit Menschen als sein Eigentum erwählt habe auf der Grundlage ihres
guten Verhaltens, das komme aus der Zusammenarbeit von Gnade und freiem
Willen), den arminianischen Kirchen (dass die Erwählung in der Zeit stattfinde,
wiederum auf der Grundlage des eigenen Verhaltens der Menschen, das auf dem
gleichen Wege erbracht werde) und den Unitariern, Swedenborgianern usw. (dass
gar keine richtige Erwählung stattfinde, sondern dass der Mensch die ganze
Sache entscheide). In all diesen Systemen ist es nicht Gott, der erwählt,
sondern der Mensch; die Entscheidung Gottes beruht auf der Entscheidung der
Menschen; siehe dagegen: Joh. 15,16. Und sie alle leugnen die grundlegende
Wahrheit der christlichen Religion, nämlich die Erlösung allein aus Gnaden,
zugunsten der Erzketzerei der Selbsterlösung. „Welches alles lästerliche und
schreckliche irrige Lehren sind, dadurch den Christen aller Trost genommen ...
und deswegen in der Kirche Gottes nicht darf geduldet werden.“ KF, Kurze Darl.
XI, 20.21.
2. Es gibt keine Zorneswahl, keine Vorherbestimmung (Prädestination) der
Menschen zur Verdammnis, wie es der Calvinismus lehrt. Die Schrift lehrt
nirgends, dass es Gott gefallen habe, einen Teil der Menschheit von vornherein
zur Unehre und zum Zorn zu bestimmen. Sie lehrt im Gegenteil: a) dass Gottes
Gnade universal ist, nicht partikular, und bezeugt, dass Gott will, dass alle
Menschen gerettet werden, 1. Tim. 2,4, und dass er seine wirkmächtige Gnade
bringt, um auch an denjenigen zu wirken, die schließlich verloren gehen, Matth.
23,37; Apg.7,51; und b) dass diejenigen, die verloren gehen, einzig deswegen
verloren gehen, weil sie die rettende Gnade Gottes verwerfen, Matth. 23,37;
Apg. 7,51; 13,46. Die Behauptung, dass die Lehre von der Zorneswahl das
notwendige Gegenstück sei zur Lehre von der Gnadenwahl („denn es könne keine
Erwählung sein ohne ihrem Gegenstück, der Verdammnis“, Calvin, Inst. III, cap.
231) hätte nur ein Gewicht, wenn es der Vernunft erlaubt würde, Lehren aus
logischen Schlüssen aufzustellen. Die Schrift aber weist diese Schlussfolgerung
zurück. Während sie lehrt, dass die Christen ihre Erlösung allein der freien
Gnade Gottes in Christus verdanken, lehrt sie andererseits auch, dass Menschen
nicht verloren gehen aufgrund irgendeiner Handlung oder eines Dekretes Gottes
oder dem Fehlen einer Handlung, sondern einzig aufgrund ihrer Bosheit, Apg.
13,48 und 46; Röm. 9,23 („an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er bereitet
hat zur Herrlichkeit“) und 22 („hat er mit großer Geduld getragen die Gefäße des
Zorns, die da zugerichtet sind zur Verdammnis“.) KF, Ausf. Darl. XI, 79.80. Was
Joh. 12,40; Röm. 9,17 ff.; 11,8-10; 1. Petr. 2,8 angeht: Gott verhärtet und
verwirft Menschen schließlich nicht aufgrund eines ewigen Dekretes, das die
Verwerfung zum Ziel hat, sondern vielmehr, weil die Menschen selbst sich gegen
Gott verhärten und das Evangelium von der Gnade verwerfen, Röm. 11,9
(„Vergeltung“); 1. Petr. 2,8 („die sich stoßen an dem Wort“); Joh. 12,40 gehen
die Verse voraus 35-37; Matth. 11,25 der Vers 20. KF, Kurze Darl. XI,
5.17-19.21: „Welches alles lästerliche und schreckliche Irrlehren sind.“ KF,
Ausf. Darl. XI, 28.34 f. 78-86; II, 58.
3. „Dieselbe ewige Wahl oder Verordnung Gottes zum ewigen Leben ist auch
nicht also ... in dem heimlichen, unerforschlichen Rat Gottes zu betrachten ...
dass er allein solche Musterung gehalten: Dieser soll selig, jener soll
verdammt werden.“ KF, Ausf. Darl. XI, 9. Der Calvinismus lehrt eine absolute
Vorherbestimmung, was besagt, Gott habe aus seinem souveränen Gefallen eine
Anzahl Menschen zur Verdammnis vorherbestimmt (Verdammungsdekret) und dass die
anderen ihre Vorherbestimmung zum Leben, ihre Erlösung, demselben Machtspruch
des allmächtigen Herrn verdankten. Die Schrift aber lehrt: 1) dass die
Vorherbestimmung, Wahl einzig die Gotteskinder betrifft; 2) dass die Menschen
nicht darum sterben, weil sie von Gott zum Tode verordnet sind, sondern einzig,
weil sie die rettende Gnade Gottes verworfen haben; und 3) dass die ewige Wahl
der Gotteskinder a) gegründet ist auf Christus, den Erlöser der Menschheit, als
der verdienstlichen Ursache („wie er uns denn erwählt hat durch denselben, ehe
der Welt Grund gelegt war“, Eph. 1,4; „nach seinem Vorsatz und Gnade, die uns
gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt“, 2. Tim. 1,9), und b)
fasst dies Werk der Heilige Geist in den Gnadenmitteln zusammen, durch die sie
zu Gottes Eigentum gesammelt werden. Die Wahl sorgt so für die Erlösung der
Gotteskinder durch Bekehrung, Rechtfertigung, Bewahrung („Gott hat euch
erwählet von Anfang zur Seligkeit, in der Heiligung des Geistes und im Glauben
der Wahrheit, darein er euch berufen hat durch unser Evangelium, zum herrlichen
Eigentum unsers Herrn Jesus Christus.“ 2. Thess. 2,13.14; „der uns hat selig
gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern
nach seinem Vorsatz und Gnade“, 2. Tim. 1,9). „Demnach soll diese ewige Wahl
Gottes in Christus und nicht außerhalb oder ohne Christus betrachtet werden.“
KF, Ausf. Darl. XI, 65 ff. 9-24; KF, Kurze Darl. XI, 7. Die Lehren des
Calvinismus, Christus sei nicht die Ursache unserer Erwählung, sondern nur der
Mittler ihrer Ausführung; er erlöse nur die Erwählten; das Evangelium sei
Gottes Kraft zur Erlösung einzig für die Erwählten, und tatsächlich nicht
einmal für sie, da ja angeblich ihre Erlösung einem absoluten Dekret Gottes
entspringe und dem unmittelbaren Wirken des Heiligen Geistes, sind grundstürzende
Irrlehren. Denn es kann keinen Glauben geben außer auf der Grundlage der
univeralen Gnade Gottes in Christus, und der „Glaube“, der auf irgendetwas
außerhalb der Gnadenmittel beruht, ist ein falscher, ein gemachter Glaube. Die
Lehre von der absoluten Wahl kann nur so etwas hervorbringen, wie diese
schädlichen Gedanken: „Hat Gott mich erwählt zur Seligkeit, so kann ich nicht
verdammt werden, ich tue, was ich wolle; und wiederum: Bin ich nicht erwählt
zum ewigen Leben, so hilft’s nichts, was ich Gutes tue, es ist doch alles
umsonst.“ KF, Kurze Darl. XI, 9.21; KF, Ausf. Darl. XI, 10.91 – Die
Zentrallehre des Calvinismus ist ja: der souveräne Wille Gottes. Die
Zentrallehre des Luthertums, der Schrift dagegen ist: Christus, der Heiland
aller Menschen, 1. Tim. 4,10, unsere Gerechtigkeit, unsere Erlösung, Apg.
10,43; Erlösung allein durch Gottes Gnade in Christus, Eph. 1,6; 2,8; Apg.
20,24.
4. Die Gnadenwahl vergewissert die Gotteskinder ihrer Erlösung. „Es
gibt auch also diese Lehre den schönen herrlichen Trost, dass Gott eines jeden
Christen Bekehrung, Gerechtigkeit und Seligkeit so hoch sich hat angelegen sein
lassen und es so treulich damit gemeint, dass er „ehe der Welt Grund gelegt“
darüber Rat gehalten und „in seinem Vorsatz“ verordnet hat, wie er mich dazu
bringen und darinnen erhalten wolle ... Ebenso, das er ... dieselbe in seinem
ewigen Vorsatz, welcher nicht fehlen oder umgestoßen werden kann, zu bewahren
gelegt hat, Joh. 10.“ KF, Ausf. Darl. XI, 45. Sie können wohl für eine Zeit den
Glauben völlig verlieren, aber Gott stellt ihn wieder her. „Derhalben, wenn
seine Kinder aus dem Gehorsam treten und straucheln, lässt er sie durchs Wort
wieder zur Buße rufen und will der Heilige Geist dadurch in ihnen zur Bekehrung
kräftig sein.“ KF, Ausf. Darl. XI, 75.8.17-21.56.89; KF, Kurze Darl. XI, 8;
Röm. 8,30 („verordnet – berufen – gerecht gemacht – herrlich gemacht“); Matth.
24,24 („wo es möglich wäre“); Luk. 22,32. Die calvinistische Lehre von der Beharrung
bis zum Ende ist eine Verdrehung, Entstellung der Schriftlehre von der
Bewahrung bis zum Ende. Die Lehre: einmal in Gnaden – immer in Gnaden; kein
wirklich Gläubiger könne völlig von der Gnade fallen, selbst wenn er gewaltige
Sünden begehe, leugnet die Schriftlehre sowohl über die Zeitgläubigen, Luk.
8,13, als auch über den zeitweilig möglichen völligen Verlust des Glaubens
durch den Erwählten. Augs. Bek. XII, 7; Schmalk. Art., T. III, III, 42. Darüber
hinaus erzeugt sie fleischliche Sicherheit, führt zum Abfall auf Seiten der
Gläubigen und hindert den Abgefallenen daran, seine wahre Lage zu erkennen und
sich an das Evangelium zu klammern, und macht so die Bewahrung bis zum Ende
zunichte. Die calvinistische Lehre der Beharrung bis zum Ende ist nichts
anderes als das Ergebnis der Lehre von der absoluten Erwählung, des absoluten
Willens Gottes, die nicht gegründet ist auf der göttlichen Offenbarung, sondern
auf menschlicher Spekulation. Aber der Glaube hat es nicht mit menschlichen
Spekulationen zu tun. Sein Objekt ist der geoffenbarte Wille Gottes, die Gnade
Gottes in Christus, die an uns durch das Evangelium handelt. Das allein kann
den Glauben erschaffen, bewahren, wieder herstellen. KF, Ausf. Darl. II,50-56;
XI, 17.
5. Der Christ kann und soll seiner ewigen Erwählung gewiss sein.
„Tut desto mehr Fleiß, euren Beruf und Erwählung fest zu machen.“ 2. Petr.
1,10. „Wie er uns denn erwählt hat durch denselben.“ Eph. 1,4; 1. Thess.
1,4; 2. Thess. 2,13. „Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben
sind.“ Luk. 10,20. Da der gegenwärtige Stand des Christen die Verwirklichung
von Gottes ewigem Ratschluss ist, der Gnadenwahl, Röm. 8,30 („verordnet –
berufen“); 2. Tim. 1,9, so versichert uns die Tatsache unserer Berufung, dass
wir erwählt sind. Und das Evangelium vergewissert uns, indem es uns der Gnade
Gottes vergewissert, dadurch unserer Erwählung und Bewahrung, so dass der
Glaube, der ja immer Vertrauen ist, so vertrauensselig von der einen wie von
der anderen Sache spricht. Die Gewissheit der Gnade und die Gewissheit der
Erwählung sind ein und dieselbe Sache. „Schaue an die Wunden Christi und
sein Blut, das er für dich vergossen hat, daraus wird die Vorsehung hervor
scheinen.“ Luther, II, 181,152. „Solche
Wahl aber wird offenbar vom Himmel durch das gepredigte Wort.“ KF, Ausf. Darl.
XI, 65.25-33; KF, Kurze Darl. XI, 6. Die römisch-katholische Kirche leugnet,
dass der Christ seiner ewigen Erwählung gewiss sein kann und soll; und sie kann
auf der Basis ihrer grundlegenden Prinzipien nicht anders als das leugnen. Wenn
sich die Gnade allein auf die erstreckt, die sie verdienen, so kann der Sünder
nur seiner Verdammnis gewiss sein. Die calvinistische „Gewissheit“ der
Erwählung ist ein Trugbild. Es kann da keine Gewissheit geben, wo das
Evangelium, die Universalität der Gnade, beharrlich geleugnet wird; und die
unmittelbare Offenbarung des Heiligen Geistes, auf der, wie vorgegeben wird,
die Gewissheit beruhen soll, gibt es nicht.“
Weil Gott heilige Liebe ist, so ist es
Götzendienst, wenn „unser Herz anderswohin gafft, Hilfe und Trost sucht bei
Kreaturen, Heiligen oder Teufeln“ (Gr. Kat., I, I, 21). Ehren soll man die
Heiligen, aber im Grund um Gottes willen, nämlich weil Gott sie mit Gaben reich
beschenkt hat. Aber davon, dass wir sie anrufen sollen, sagt die Heilige
Schrift nichts. Im Gegenteil, sie anzurufen „tritt der Ehre Christi zu nahe“,
der allein Mittler zwischen Gott und uns ist und für uns bittet. Damit würden
wir „größeres Vertrauen zu ihrer Barmherzigkeit als zu der Christi“ beweisen.
Wohl bitten die Heiligen auf Erden für uns und „vielleicht“ tun sie dies auch
im Himmel. Aber daraus folgt nicht, dass wir sie darum anrufen sollen. Denn wie
wissen wir ohne Schriftzeugnis, dass die Heiligen der Einzelnen Gebete hören?
Noch weniger können die Heiligen um ihrer angeblichen Verdienste willen von
Gott mehr erlangen als wir selbst. Mit dieser Annahme macht man sie zumindest
zu Vermittlern der Erlösung, was allein Christus ist. Noch weniger können diese
Heiligen ein jeder „besondere Gaben geben“, wie Anna vor Armut, Sebastian vor
Pestilenz behüten sollen (Augsb. Bek. XXI; Apol. XXI; XXVII, 53; Schm. Art. II,
II, 25-30; Gr. Kat. I, I, 11). Über die Heiligenbilder findet sich in
den lutherischen Bekenntnissen nur nebenei eine Bemerkung von Melanchthon
(Apol. XXI, 34), die Römischen hätten ihnen eine geheime Kraft zugetraut, auch
wohl mit ihnen sich Betrug erlaubt. Hinsichtlich dieser Frage folgt die
lutherische Kirche Luther. Religiöse Bilder sind erlaubt, auch in den Kirchen,
weil sie ebenso belehren können wie Worte. In 2. Mose 20,5 ist nur verboten,
Bilder zum Zweck götzendienerischer Verehrung anzufertigen. Auch wenn Bilder
missbraucht worden sind, wird Gottes Ehre nicht dadurch hergestellt, dass man
sie zerstört, sondern dadurch, dass man das Vertrauen zu ihnen aus den Herzen
reißt.
Jene Geringschätzung oder gar Verachtung
der Leiblichkeit, wie wir ihr in der orthodoxen, der römischen und der
reformierten Kirche begegnen, findet sich in der lutherischen nicht. „Gott hat
uns den Leib gegeben“, erklärt Luther, „will ihn auch geehrt haben“.
Damit will er sagen: Der Mensch soll seinen Leib als das, was er nach der
Anordnung Gottes ist, erkennen und behandeln. Das gehört das Doppelte: „Unser
Leib soll haben seine Speise und Kleidung“ und „soll haben seine Arbeit“ (Erl.
Ausg. 50,270). Denn, so führt Luther in seinen Vorlesungen über die Genesis
aus, die Welt ist für den Menschen und der Mensch für die Welt erschaffen. Der
Mensch soll die Güter der Welt als Gottes Verwalter besitzen und gebrauchen,
und er soll die Welt bearbeiten, sie „bauen und bewahren“. Diese
Grundanschauung von dem Wert und der Bedeutung der Leiblichkeit des Menschen in
dem Ganzen des Leiblichen haben er und die lutherischen Bekenntnisse aufs
schärfste geltend machen müssen gegen die Ausprägung der römischen Anschauung
in dem Mönchsideal. Diesem gegenüber wird betont, dass der Leib nicht etwas
Niedriges oder an sich Sündliches sei, dass man durch möglichste Vermeidung des
Weltgenusses und der Weltarbeit möglichst negieren müsse. Dies wird immer
wieder im Anschluss an Kol. 2,18.23 als „falsche“ oder „selbsterdachte Heiligkeit“,
als „Geistlichkeit der Engel“ bezeichnet, da man leben will wie die körperlosen
Engel (z.B. Augsb. Bek. XXVII; Apol. XXIII, 46). Weil Gott „unsere Natur“ so
gemacht hat, wie sie ist, weil er unseren Leib mit bestimmten Bedürfnissen und
Fähigkeiten ausgestattet hat, darum ist es „natürliches Recht“ und damit
„göttliches Recht“, seine Bedürfnisse zu befriedigen und seine Fähigkeiten sich
betätigen zu lassen. Auch die natürliche „Lust“ hiernach und Freude hieran ist
keineswegs Sünde, sondern von Gott gewollt. Wohl ist unsere Natur jetzt durch
die Sünde so verderbt, dass auch der Genuss und die Arbeit unrein sind. Aber es
gilt, (im Gegensatz zu dem Irrtum des Flacius) bestimmt zu unterscheiden
zwischen der von Gott uns anerschaffenen Natur und ihrer erst durch die
Erbsünde verursachten Verderbung: „Nicht
allein Adams und Evas Leib und Seele vor dem Fall sind von Gott geschaffen,
sondern auch unser Leib und Seele nach dem Fall, unangesehen, dass sie verderbt
sind; welche auch Gott noch ffrür sein Werk erkennt.“ (KF, Kurze Darl.,
I, 4; Ausf. Darl. I, 33 ff.) Es ist Auflehnung gegen Gott und
bleibt nicht ungestraft, sich den Anforderungen unserer Natur zu widersetzen. Wer
etwa den Leib nicht „mit Speise und Kleid zur
Notdurft versorgen will, dass er leben und wirken möge“, sondern „so fastet,
dass der Kopf toll wird oder der Magen verdirbt“, den wird „Gott als
Mörder seines eigenen Leibes richten“. (Erl. Ausg. 7,43 f.) „Gott
will nicht, dass man sein Geschöpf und Ordnung verachten soll“, sondern, „dass
wir die Speise und den Trank gebrauchen, die er uns zu
des Leibes Erhaltung geschaffen hat“ (Apol. XXIII, 19). Dies erläutern Luther
und die lutherischen Bekenntnisse besonders
an jenem Bestandteil des menschlichen Trieblebens, der der
natürlichen Beurteilung am wenigsten ehrenvoll erscheint und von Rom durch die
falsche Erhebung des Zölibats so verächtlich behandelt wird:
„Die natürliche angeborene Neigung der Frau gegen den Mann, des Mannes gegen
die Frau ist Gottes Geschöpf und Ordnung. Darum ist es recht, und hat es kein
Mensch noch Engel zu ändern.“ „Diese natürliche Neigung zwischen Mann
und Frau wäre auch gewesen in der Natur, wenn sie rein geblieben wäre.“ (Apol.
XXIII, 7.) Und keinen Menschensatzungen, keine Eheverbote können diesen
Tatbestand aus der Welt schaffen. Wohl wird „die Jungfrauschaft“
mit Recht gepriesen, ja, man kann sie „eine höhere Gabe“ als den Ehestand
nennen; aber dies nur insofern, als man, der Mühe und Sorge des Haushaltens und
der Kindererziehung ledig, freier ist für „lesen, beten, schreiben, dienen“,
und nur dann, wenn Gott bei uns eine Ausnahme von der Regel gemacht
und uns eine nicht nach geschlechtlicher Gemeinschaft verlangende Konstitution
verliehen hat (Apol. XXIII, 16. 38. 40). Sonst aber – Gott
der „Allmächtige rächt die Verachtung seiner Gabe und seiner Anordnung“.
Dadurch, dass man gegen die von Gott geschaffene Natur heilig sein wollte, sind
„greuliche Unzucht, Sünde und Schande, große unerhörte Laster verursacht“
worden (Apol XXIII, 52 f.). Indem nun Gott einerseits durch
die uns verliehene Natur uns auf den geschlechtlichen Verkehr hinweist,
andererseits auch Keuschheit verlangt, so „will er, dass man den Ehestand
gebrauche, welchen er die eheliche Reinigkeit und Keuschheit zu
erhalten hat eingesetzt“ (Apol. XXIII, 19). Melanchthon schwingt sich auch zu
dem Gedanken auf, dass man Gott ebenso wie für die durch Speise und Trank
empfangene Befriedigung, so auch für das, was der Ehestand uns gewähre, Dank
sagen solle (Apol. XXIII, 32). Luther hat diese Konsequenz aus seiner
Beurteilung der Leiblichkeit und
ihrer Bedürfnisse in einem Brief an seinen in den
Ehestand getretenen Freund Spalatin in solcher Offenheit ausgesprochen, dass
der Dominikaner und Ehrendoktor der Universität Cambridge Denifle darüber
geurteilt hat, solchen Trieb der bösen Lust vermöge man nur bei den verkommenen
Subjekten, und da selten, zu entdecken: „ … als du deine
Katharina mit den süßesten Umarmungen und Küssen an deiner Brust hieltst und so
dachtest: Christus hat mir diesen Menschen geschenkt, das beste Geschöpf meines
Gottes; Preis und Ehre sei
ihm.“
(Enders 5, 279.)
Wie aber unsere
Leiblichkeit Gottes Ordnung ist, so ist dies auch der ganze natürliche Komplex,
in den wir uns infolge unserer Leiblichkeit gestellt finden. Melanchthon hat
die Hinneigung der Geschlechter zueinander als „ein allgemeines Naturgesetz“
bezeichnet und hieraus als selbstverständlich gefolgert, dass wir uns dem zu
unterwerfen haben. Denn „wir sollen und müssen in diesem zeitlichen
Leben uns dem Lauf der Natur als Gottes Ordnung unterwerfen.“
(Apol. XVI, 58.) Kann man bei diesem Wort noch unsicher sein, ob er die
Naturgesetze als eine einmal von Gott eingerichtete und nun als eine in eigener
Kraft fortwirkende Ordnung oder aber als die Ordnung
nach der er selbst die Welt erhält du regiert, aufgefasst hat, so scheint
jedenfalls Luther diese letztere Ansicht vertreten zu wollen, da er erklärt, es
werde uns auch das, was uns nach der Naturordnung zuteil werde, von Gott selbst
gegeben: „Die Kreaturen sind nur die Hände, Röhren und Mittel,
dadurch uns Gott alles gibt, wie er der Mutter Brüste und Milch gibt,
dem Kind zu reichen, Korn und allerlei Gewächs aus der Erde zur Nahrung,
welcher Güter keine Kreatur eines selbst machen kann. Darum sind auch solche
Mittel, durch die Kreaturen Gutes zu empfangen, nicht
auszuschlagen, noch sind in Vermessenheit andere Wege zu suchen, als Gott
befohlen hat.“ (Gr. Kat. I, I, 26.) Moderner ausgedrückt: Die
Naturgesetze sind nicht selbständig waltende und wirkende Ordnungen und Kräfte,
sondern was in dieser regelmäßigen Ordnung geschieht, ist von Gott selbst
bewirkt, nur eben in sich gleichbleibender Ordnung, und es ist unsere Pflicht,
uns dieser Ordnung zu bedienen, wenn wir etwas
erreichen wollen. Wohl sehen die lutherischen Bekenntnisse die Macht, Wunder zu
tun, als ein selbstverständliches Prärogativ Gottes an (z.B. (KF, Ausf. Darl.
VIII, 25). Ebenso ist ihnen gewiss, dass unser Gebot auf Gott
Einfluss hat, ihn also eventuell zu einem Wunder bestimmen kann (z.B. Gr.
Kat. III, 19 ff.). Aber
sie verlangen auch eine Ehrfurcht vor den von Gott gesetzten natürlichen
Ordnungen. So will Melanchthon
es nicht gelten lassen, wenn jemand den Ehestand verachtet
und von dem zu ihm drängenden natürlichen Trieb durch Gebet frei werden zu
können meint (Apol. XXIII, 18). Die Vermeidung von Unzucht dürfen wir nicht von
einem wunderbaren Eingreifen Gottes erwarten, weil er uns dazu die natürliche
Befriedigung des Triebes in der Ehe gegeben hat. Wie hinsichtlich dieses
„Naturgesetzes“, so aller anderen. Der Lutheraner kann vor der falschen
Wundersucht, der römischen wie der reformierten, bewahrt bleiben. Er wird in
Krankheiten nicht die natürlichen Heilmittel verschmähen, wird es nicht für
Unglauben erklären, sein Haus mit Blitzableiter zu versehen,
wird sich nicht im Vertrauen auf Gottes Wundermacht unnötigerweise Gefahren
aussetzen usw. Er wird auch das, was ihm auf natürlichem Weg widerfährt, als
von Gott gekommen erkennen. Darum wird er auch kein Interesse daran haben, rein
natürliche Vorgänge zu Wundern aufzubauschen. … Denn das, woran
dem Christen alles liegt, nämlich in allem Gottes Hand zu sehen, behält auch
dann Gültigkeit, wenn Gott das Geschehene nach der
sogenannten „Naturordnung“ hat werden lassen.
Das Augsburger
Bekenntnis redet nicht eigens von dem
Urstand des Menschen. Doch ist schon in dem, was Art. 2 über die Erbsünde
lehrt, angedeutet, was durch den Sündenfall verloren ist. In der Apologie wird
dies etwas näher ausgeführt ((II, 15 ff.): Die ursprüngliche
Gerechtigkeit bestand wesentlich in dem Dreifachen, in Furcht, Liebe und
Vertrauen zu Gott, und die Voraussetzung dafür
war die rechte Erkenntnis Gottes. Auch
der Leib des Menschen war noch ohne Mängel. Dies bezeichnet Melanchthon mit dem
scholastischen Ausdruck, dass die niederen Kräfte
des Menschen noch nicht perverse Neigungen zeigten, sondern standen in normalem
Verhältnis zueinander und zu den höheren, geistigen Kräften,
ließen sich also von diesen leiten. Diese allseitige
Normalität (rectitudo) gehört also zu dem ursprünglichen Wesen des Menschen,
ist nicht eine zusätzliche Gabe, auch nicht irgendwie von dem
Menschen erworben. In jener körperlichen, geistigen und religiösen Normalität
sieht dann Melanchthon das Bild Gottes, nach dem der Mensch erschaffen sei. Die
heute gebräuchliche Auffassung des göttlichen Ebenbildes als
einer mit Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung ausgestatteten Persönlichkeit
liegt ihm fern, da ihn nicht die psychologische Beschaffenheit des Menschen
interessiert, sondern sein Verhältnis zu Gott. Dass dieses normal war, ist die
Hauptsache und bleibt es auch dann, wenn man das „Ebenbild“ als Persönlichkeit
auffasst. Das Selbstbewusstsein dieser Persönlichkeit war zugleich Bewusstsein
von dem, dessen Abbild sie war; ihre Selbstbestimmtheit
war durch dieses Gottesbewusstsein bestimmt, der Wille auf
Gott gerichtet. Vermöge dieser Normalität eignete nun dem Menschen nicht nur
die bloße Wahlfreiheit, dass er sowohl Böses wie Gutes sich erwählen konnte,
sondern die reale Freiheit, da weder in ihm noch außer ihm
etwas war, das ihn zwingen konnte, anders zu sein, als es seinem Wesen
entsprach, anders als gut zu sein. Die Frage, ob damit schon die von Gott für
den Menschen gewollte Vollkommenheit erreicht worden sei, stellen
die lutherischen Bekenntnisse nicht. Dass noch ein Fortschrift möglich sei und
eintreten sollte, scheint die Apologie mit den Worten andeuten zu wollen, der
Mensch habe Gotteserkenntnis, Glaube
und Liebe zu Gott besessen, oder zumindest den
Zustand und die Kraft, sie zu bewirken (Apol. II, 17). Der
Mensch besaß also die Fähigkeit, Gottes Ebenbild in sich vollkommen
auszuprägen, und zwar war dies nicht nur eine denkbare Möglichkeit, sondern
schon eine positive Normalität; diese
aber konnte noch verloren gehen, da auch die Möglichkeit vorlag, sich falsch,
im Widerspruch zu dem verliehenen guten Wesen zu bestimmen. Luther hat sehr
hoch von dem Urstand des Menschen geredet,
doch aber ihn auch einen „mittleren Zustand“ genannt und als
kindliche Herrlichkeit und kindliche Unschuld im Gegensatz zu einer Tugend
bezeichnet, weil noch die Möglichkeit des Fallens vorlag, die in der
„vollkommenen Unschuld“ des ewigen Lebens nicht mehr sein wird
(Erl. Ausg., Exeget. 1, 139 f.).
Das Augsburger
Bekenntnis bestimmt dieses als „keine wahre Gottesfurcht, kein wahrer Glaube an
Gott von Natur, … voll böser Lust und Neigung“ (II,
1). Bei der Sünde handelt
es sich also um das Verhältnis des Menschen zu Gott, so dass die Erkenntnis
des gegen uns selbst und gegen andere Menschen begangenen Unrechts noch keine
Sündenerkenntnis ist, ebenso wenig das Bewusstsein unserer Schwäche oder
unserer Schmach. Sie besteht
darin, dass der Mensch vor dem, der die Heiligkeit ist,
keine Furcht hat und zu dem, der die Liebe ist, kein Vertrauen hat, also nicht
Gott sein lässt, der er ist. Dasselbe wird positiv ausgedrückt: Die böse Lust
(concupiscentia) beherrscht den Menschen.
Dies besagt aber nicht, dass die sinnliche Neigung Übermacht besitzt über die
höheren Kräfte, sondern dass in jeder Beziehung der Mensch dem zuneigt, was
nicht Gott ist, oder dass alle Triebe des Menschen in verkehrter, gottwidriger
Richtung gehen, auch die Triebe nach Weisheit und nach
Rechtbeschaffenheit, so dass er dann auf seine fleischliche Weisheit und seine
fleischliche Gerechtigkeit vertraut, nicht aber Gott vertrauen kann (Apol.
II, 26). Die Sünde ist also nicht eine bloße Verwundung der menschlichen Natur
oder gar nur der Verlust einer zu
der Natur des Menschen hinzugekommenen zusätzlichen Gabe,
sondern eine tiefe und böse Verderbung der Natur, so tief,
dass der Mensch sie gar nicht mit seiner Vernunft, sondern nur durch Gottes
Offenbarung erkennen kann ((Schm. Art., III, I, 3).
Die Sünde überkommen wir durch Erbschaft,
und diese ererbte Sündhaftigkeit unseres Wesens ist die eigentliche
Sünde, „die Hauptsünde“, wie Luther sie nennt. Sündige Gedanken, Worte,
Handlungen sind nichts weiter als ihre selbstverständlichen
Erscheinungen oder „Früchte“ (Schm. Art., III, I, 1.2). Diese Verdorbenheit ist
so tief in unser Wesen eingedrungen, dass selbst dann, wenn die Sünde uns
vergeben ist und wir ein neues Herz bekommen haben, doch die böse Neigung in
uns bleibt, dass sie nur durch die durch Sterben und Auferstehen geschehende
Umwandlung völlig ausgeschieden wird (Apol. II, 35; KF,
Kurze Darl., I, 8). Dies darf aber nicht dahin missdeutet werden,
als wäre die Natur des Menschen nicht mehr eine menschliche, als wäre der
Mensch zu einem unvernünftigen Tier
geworden. Man hat dies besonders darin lesen wollen, dass die KF den
natürlichen Menschen mit einem Klotz oder stein vergleicht oder mit
einem unbändigen Tier (KF, Ausf. Darl., II, 19). Aber diesen Vergleich darf man
freilich nicht über den Vergleichspunkt hinaus verwerten. Worin
aber dieser gesehen werden soll, ist eben vorher angegeben: Der Sünder vermag
nicht aus eigenen Kräften seine Bekehrung zu bewirken, wie ein Klotz sich nicht
selbst umkehren kann; vielmehr widerstrebt der Sünder, solange er noch nicht
von Gottes Geist erleuchtet ist, dem Göttlichen, wie ein unbändiges
Tier sich der Leitung durch die Zügel widersetzt. Ausdrücklich aber hebt die KF
hervor, dass der Mensch auch vor der Bekehrung eine mit Verstand und Willen
ausgerüstete Kreatur ist und von Gott nicht wie ein Klotz behandelt, nicht zur
Bekehrung gezwungen wird (KF, Ausf. Darl., II,
59. 60. 62). Selbst den Heiden spricht sie noch ein Fünklein Erkenntnis vom
Dasein Gottes und von der Lehre des Gesetzes zu (natürliche
Gotteserkenntnis; KF, Ausf. Darl. II, 9). Falsch ist daher auch die Lehre des
Flacius, dass die Sünde zu des Menschen Substanz geworden, dass
der Mensch kein wirklicher Mensch mehr sei (KF, Kurze Darl., I, 1 ff.; Ausf.
Darl. I, 26 ff.). Wohl gehört jetzt die Sünde zum Wesen des Menschen, sie macht
aber nicht sein Wesen aus, sondern ist wie die Fäulnis bei einem völlig
verfaulten Apfel. Man kann sie seine Natur nennen, aber nicht,
wenn man hierunter die Substanz, das Wesen versteht, sondern nur, wenn man
damit ein Akzidenz [Hinzugekommenes]
meint, so, wie man sagt, das Stechen sei der Schlangen Natur
(KF, Kurze Darl., I, 21 f.).
Diese Erbsünde ist aber wahrhaftig
Sünde und verdammt (Augsb. Bek., II, 2). Sie ist wirklich
Sünde (gegen Zwingli), weil zum Begriff dieser weder das Bewusstsein des
Menschen um sie noch böse Handlungen gehören. Sünde ist vielmehr die dem Wesen
Gottes nicht entsprechende Beschaffenheit oder Äußerung derselben. Dieser
Widerspruch gegen Gott ist Sünde. Hier tritt die lutherische Auffassung der
Heiligkeit Gottes hervor, das
Verständnis ihrer Absolutheit, gemäß deren er alles, was seinem Wesen zuwider
ist, hassen und von sich fernhalten muss, wie ein edler Mensch nicht
anders kann, als vor dem sinnlos Betrunkenen Grauen zu
empfinden, auch wenn dieser in Unwissenheit, durch anderer Schuld, in diesen
Zustand geraten ist. Die Sünde zu verabscheuen steht nicht in dem Belieben
Gottes, sondern gehört zu seinem unabänderlichen Wesen,
das Wille, Allmacht, Alleinwirken, Heiligkeit ist und gegen des Menschen Wille
steht. Damit aber bedingt die Sünde auch eine Schuld
des Menschen, und zwar auch bei denen, die ihre Sündhaftigkeit nicht ebenso
verschuldet haben wie Adam. Man wird zu
unterscheiden haben zwischen subjektiver Verschuldung und objektiver Schuld. Um
letztere handelt es sich hier. Wie der, welcher
eine Erbschaft angetreten hat, auch die geerbten Schulden wirklich besitzt,
obwohl er sie nicht verschuldet hat, und um dieser Schulden willen gerichtlich
verklagt werden kann, so ist die geerbte Sündenschuld des Menschen Schuld,
obwohl er sie nicht verschuldet hat, und Gott
kann diesen Tatbestand, dass des Menschen Art dem göttlichen Wesen
widerspricht, nicht behandeln, als bestünde sie nicht, sondern es ist etwas
Nichtseinsollendes da, eine klagbare Schuld, verdammt.
Die KF hat in der Absicht, die Schuld
auch bei mangelnder Verschuldung anzudeuten, anstatt culpa gern den mehr
objektiven Tatbestand markierenden Ausdruck reatus (Schuld)
verwandt (z.B. KF, Ausf. Darl., I, 9). Infolge dieser Erbsünde und Erbschuld
sind wir „Kinder des Zorns von Natur“ (KF,
Ausf. Darl., I, 6). Auf die Frage, ob
diese geerbte Schuld auch eine Verschuldung unsererseits einschließe, wird
nicht eingegangen. Die KF freilich sagt einmal, dass die Person
des Menschen werde von Gottes Gesetz angeklagt und verdammt
wegen der tatsächlichen Verderbtheit der
Person „und von wegen des Falls des ersten Menschen“
(das.). … - Aus dem Gesagten scheint nun zu folgen, dass
die ungetauft verstorbenen Kinder der Verdammnis
anheimfallen. Hat Melanchthon dies etwa
noch 1530 angenommen, da wir im
Augsburger Bekenntnis lesen, die Erbsünde „verdamme alle, die nicht durch Taufe
und Heiligen Geist wiedergeboren werden“ (Art. II, 2)?
Ebenso kann man es in der KF lesen, die die Ansicht verwirft, Kinder könnten
„ohne Taufe das Heil erlangen“. (KF,
Kurze Darl., XII, 6). Aber wie der
Zusammenhang dieser Stelle ein anderes Verständnis möglich macht,
so ist es nicht wahrscheinlich, dass hier noch die mittelalterliche Ansicht
vertreten werden soll. Denn Luther hatte
diese wenigstens schon 1530 aufgegeben und oftmals erklärt: „Gott kann ohne
Taufe erretten, wie wir glauben, dass die Kinder, die die Taufe nicht
empfangen, wie wir glauben, dass die Kinder, die die Taufe nicht empfangen,
nicht deshalb verdammt werden“; der Gott, „der alle
selig haben will“, „dessen
Natur es ist zu vergeben und sich zu erbarmen“, wird nicht härter sein gegen
die ohne ihre Schuld ungetauft verstorbenen Kinder. Es ist darüber nichts Näheres
offenbart; aber wir haben die Seelen solcher
Kinder „dem Willen des himmlischen Vaters zu überlassen, von dem
wir wissen, dass er barmherzig ist“ (Erl. Ausg. Exeget. 4,78.
121. 129. 289; Erl. Ausg. 2,152). Diese Anschauung ist in der lutherischen
Kirche allgemein geworden, und die KF hat ihr sicher nicht widersprechen
wollen.
Zur Bestimmung des
Weges, auf dem die Sünde sich vererbt, fragt es sich natürlich zunächst, ob die
Entstehung des einzelnen Menschen kreatianisch (Neuschöpfung) oder traduzianisch
(Vererbung) gedacht wird. Einige stelle der KF setzen offenbar traduzianische
Anschauung voraus (Ausf. Darl., I,
7.28), andere, die man schon im kreatianischen Sinn verstanden hat (Ausf.
Darl., I, 32.38), wollen nicht mehr besagen, als was Luther, der doch traduzianisch
dachte, im Kleinen Katechismus ausdrückt: „Ich
glaube, dass mich Gott geschaffen hat, mir Leib und Seele gegeben hat.“ (Kl.
Kat. II, 2.) Natürlich nicht als Kirchenlehre, aber doch als
Ansicht der lutherischen Bekenntnisschriften dürfe zu gelten haben, dass auch
die Seele durch die Zeugung entsteht; nicht aber so, als wenn diese sich nach
selbständigen, Gott gegenüberstehenden Naturgesetzen abwickle,
sondern Gott als der Alleinwirksame ist es, der in diesen Vorgängen
wirksam ist, nur eben in einer bestimmten Ordnung (vgl. Gr. Kat. II, I, 13),
wie Luther einmal in einer Tischrede beides zusammenstellt: „Die Seele entsteht
aus der verderbten Materie und Samen und wird von Gott geschaffen aus der
Materie des Mannes und der Frau.“ (Weim. Tischr. 5,
S. 18. 23 ff., vgl. das. S. 697, 6 ff. und 3, 697, 29 ff.,
auch Drews, Disput Luthers 835 f., 844 ff., 878, 884 ff., 890, 896.) Warum aber
wird durch die Zeugung die Sünde vererbt? Die KD erklärt, der Same der Eltern,
daraus der Mensch formiert werde, sei
sündig und verderbt, darum auch das Ergebnis (Ausf. Darl. I, 7.28). Eine andere
Anschauung meinte man schon im
Augsburger Bekenntnis gefunden zu haben,
nämlich „die aus der mönchischen
Anschauung Augustins stammende Verknüpfung der Erbsünde mit der
Art der menschlichen Fortpflanzung“. Melanchthon soll also
angenommen haben, dass der Akt der Zeugung sündig und daher auch das Ergebnis
sündig sei. Man hat dies in den Worten gelesen: Alle Menschen werden
aufgrund der natürlichen Fortpflanzung mit Sünde geboren, d. i. ohne
Gottesfurcht (Art. 2). Aber dies will doch
nur besagen, dass nur das von dem einen auf den anderen übergehen kann, was
jener hat. Der Nebensatz ‚aufgrund der natürlichen Fortpflanzung‘ sagt nichts
von besonderer „Art der Fortpflanzung“, etwas dass dieser Akt
sündig sei, sondern nur, dass natürliche Fortpflanzung nichts anderes als den
Eltern Gleichartiges schaffen könne; und mit diesem Nebensatz wird Melanchthon
den nicht auf natürliche Weise entstandenen Erlöser von der Erbsünde
auszuschließen beabsichtigt
haben.
Der unfreie Wille
des natürlichen Menschen ist eine Konsequenz der Verderbung der menschlichen
Natur. Die Schmalkaldischen Artikel
verwerfen als „eitel Irrtum und Blindheit“ die Behauptung, „dass der Mensch
habe einen freien Willen, Gutes zu tun und Böses zu lassen“ (III,
I, 5). Nicht, als ob der Wille nicht zwischen
verschiedenen Möglichkeiten frei wählen könnte. Er
kann sich auch frei entscheiden für oder gegen eine äußere Rechtbeschaffenheit
(also in allen Dingen, die ihm unter- oder gleichgeordnet sind). Nicht aber für
die, welche vor Gott gilt. Es muss unterschieden werden zwischen der bürgerlichen
Gerechtigkeit (iustitia civilis), der „Frömmigkeit der Welt“, die von den
Menschen geschätzt wird, auch genannt fleischliche Gerechtigkeit, die von der
fleischlichen Natur, von dem natürlichen Menschen
vermöge seiner Vernunft geleistet werden kann, und andererseits der göttlichen
oder geistlichen Gerechtigkeit, die vor Gott Wert
hat und nur durch Gottes Geist gelehrt und gewirkt wird. Jene besteht im Tun
einzelner Werke, diese dagegen in der Gesinnung, aus der die entsprechenden
Werke hervorgehen. Eine unbeschränkte Freiheit hat freilich der natürliche
Mensch auch in jener Beziehung (bürgerliche
Gerechtigkeit) nicht, weil die angeborene böse Lust ihn immer an dem Tun
dessen, was seine Vernunft als das Richtige erkennt, zu hindern sucht. Andererseits
erstreckt sich seine Freiheit aber auch auf solches, was zu Gott und dessen
Willen in einer gewissen Beziehung steht, wie auf das Reden von Gott, auf die
äußerliche Gottesverehrung, auf fromme Handlungen.
Das will sagen: Auch ohne Furcht und Liebe zu Gott, also aus egoistischen
Motiven, kann der Mensch sich äußerlich religiös und moralisch zeigen. Aber er
besitzt nicht die Freiheit zu dem, worauf vor Gott alles ankommt, zu den
„göttlichen Sachen“, zu dem, was „Gottes Wille“ ist, nicht die Freiheit, Gott
herzlich zu fürchten und ihm zu vertrauen (Augsb. Bek.
XVIII, 1.2; Apol. XIX, 70 ff.). Mit anderen Worten:
Der Wille des natürlichen Menschen ist dem Gefangenen gleich, der zu allem
Erdenkbaren Freiheit hat, nur nicht zu dem Einen, außerhalb des Kerkers zu
sein. Der Mensch kann frei wählen unter den unzähligen Möglichkeiten, die das
natürliche Leben bietet, kann sich für die gemeinsten
und für die höchsten Ideale entscheiden; aber er kann sich nie gegen Gott so
verhalten, wie er sollte, kann nie das Gebiet der Sünde verlassen. Die
Gesamtrichtung seines Willens ist schon widergöttlich bestimmt, also nicht
frei. Der Mensch kann sich nicht selbst umstimmen,
kann sich nicht „inwendig ein ander Herz, Sinn und Mut“ verschaffen, denn so
lange er nicht zu Gottes Reich regiert und von Christus regiert
wird, ist er in Satans Reich, unter der Herrschaft des Teufels. Natürlich gilt
vor allem von diesem Stück der Erbsünde Luthers Behauptung, dass der natürliche
Mensch von diesem Tatbestand gar keine Vorstellung haben könne. Aufgrund der
ihm gebliebenen Wahlfreiheit auf dem natürlichen Gebiet erhebt er
aus vollster Überzeugung Protest gegen die Lehre von der Unfreiheit seines
Willens. Denn diese empfindet er gar nicht, eben weil sein Wille in seinem
Verhältnis zu Gott nicht frei ist, weil er ein völlig anderes Verhältnis zu
Gott gar nicht wollen kann. Erst dann, wen durch die von Gott bewirkte
Bekehrung der Wille ein anderer geworden ist, erkennt der
Mensch seinen früheren Willen als unfrei.
Aber auch der Christ
ist nicht frei in einem absoluten Sinn, da es keine Freiheit jenseits von Gott
gibt, der Mensch, wie Luther es ausdrückte, entweder von Gott oder vom Teufel
geritten wird. Und tatsächlich Gott als der Allmächtige,
als der, der alles regiert, alles wirkt, als der Alleinwirksame nicht nur auch
das Reich des Teufels seinem Reich dienstbar macht, sondern auch den Christen,
der frei geworden ist
von der Knechtschaft im Reich des Teufels,
regiert, dass er nun gemäß dem Willen
Gottes lebt, wenn auch noch unvollkommen, weil der Christ Gerechter und Sünder
zugleich ist. Vollkommene Freiheit im biblischen Sinn bedeutet völlige
Übereinstimmung mit Gott und seinem, des Schöpfers, Willen.
Nach Luthers Tod trat der
Synergismus
(Mitarbeit des Menschen bei seiner Errettung) offen hervor, besonders durch
Victorin Strigel vertreten. Die natürliche Kraft zum Guten sollte durch die
Sünde nur latent geworden sein, sie
sollte durch den Heiligen Geist nur angeregt werden, so dass der Wille bei der
Bekehrung mitwirke. Im schroffen Widerspruch dazu behauptete
Flacius, der menschliche Wille verhalten sich bei der Bekehrung nicht nur
völlig passiv, sondern er tobe und wüte dagegen. Gegen beide
Irrtümer wendet sich die KF im 2. Artikel. Gegen Strigel lehrt sie, der Wille
des Unwiedergeborenen könne nichts zu seiner
Bekehrung tun; bei dieser verhalte sich der Mensch völlig
passiv, wie ein Klotz oder Stein, wie die Schrift von dem „steinernen Herzen“
rede, ja schlimmer als Klotz und Stein, denn er widerstrebe
Gottes Wirken (Ausf. Darl., II, 89; Kurze
Darl., II, 18). Wohl kann er sich dafür entscheiden, die
Gnadenmittel zu gebrauchen; aber dass sie heilskräftig auf ihn wirken, steht
nicht in seiner Macht. Gegen Flacius wird gelehrt, der
Mensch werde nicht wie ein unbändiges Tier zur Bekehrung gezwungen, besitze
noch die passive Anlage, dass Gott auf ihn einwirken, in bekehren könne.
Wohl kann er dem Geist Gottes widerstreben und ist insofern schlimmer als
Klotz, Stein oder Ton, aber auch dies Widerstreben kann Gottes Geist
schließlich überwinden (Ausf. Darl., II,
59.82). „Die
Bekehrung ist also die von Gott geübte Wirksamkeit, wodurch der Sünder aus dem
Stand der Gottesferne in die Gottesgemeinschaft
zurückgebracht“[11],
also zum lebendigen, rechtfertigenden Glauben an Jesus Christus,
in eine persönliche, bewusste Gemeinschaft mit Gott
gebracht wird (conversio transitiva;
KF, Kurze Darl., II, 18).
Erst dann, als so von Gottes Geist Bekehrter, sagt er bewusst,
wollend dankbar Ja zu Christus und dem Heil in ihm
(conversio intransitiva). Die unmittelbare Frucht oder Wirkung der Bekehrung
durch Gottes Geist ist der Zustand
einer inneren geistlichen Veränderung im Denken,
Wollen, Tun des Menschen (vgl. KF, Ausf. Darl.,
II, 83)[12]. Die Frage steht
natürlich im Raum: Wenn Gott der Alleinwirksame in der Bekehrung eines Menschen
ist, darin, dass ein Mensch zum rechtfertigenden Glauben an Christus kommt,
warum werden dann nicht alle Menschen gerettet, da Gott doch will, dass alle
Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen (1. Tim. 2,4)
und Gott doch allmächtig ist? Hier bewegen wir
uns, ähnlich wie bei der Erwählung, dann im Bereich des verborgenen Gottes,
über den wir keine Aussagen machen können. Wir sollen
uns vielmehr an Christus halten, als der Offenbarung des uns liebenden,
barmherzigen Gottes an uns und dem, was die Bibel zur Verantwortung des Menschen
im Blick auf seine Verdammnis sagt: „Israel, du bringst dich selbst ins
Unglück; dass du gerettet wirst, ist lauter meine Gnade.“ (Hos. 13,9.)
Das heißt: Wer gerettet wird, wird allein aufgrund von Gottes Gnadenwahl,
allein aufgrund des Rettungs- und Bewahrungshandeln
des Heiligen Geistes in der Zeit gerettet; wer dagegen
verloren geht, geht allein aus eigener Schuld verloren und kann Gott keinen
Vorwurf machen.
Erst nach der Bekehrung, in der Heiligung,
wirkt der nun befreite Wille, wirken die
natürlichen Kräfte des Menschen mit dem Heiligen Geist zusammen, doch nicht so,
als wenn zwei Pferde einen Wagen ziehen, sondern unser Mitwirken geschieht „aus
den neuen Kräften und Gaben, so der Heilige Geist in der Bekehrung in uns angefangen
hat“ (KF, Ausf. Darl., II, 65 f.), also untergeordnet.
In dem Abendmahlsstreit
Wurde die zwischen Luther und Zwingli bestehende Differenz hinsichtlich der
Christologie offenbar. Daher wurde sie im Rahmen der Abendmahlslehre behandelt.
Keineswegs aber ist „die christlogische Theorie lediglich als Stütze für die
abendmahlslehre ausgebildet worden“. Vielmehr ist alles,
was Luther und die lutherischen Bekenntnisse über die Person Christi aussagen,
durch das Doppelte bestimmt, durch die Schriftaussagen und durch das Interesse
des Glaubens, der sich durch Christus erlöst weiß. Die Person
Christi interessiert sie nur um des Werkes Christi willen. So sagt Luther im
Großen Katechismus, für uns unter dem Zorn Gottes
liegende und der Verdammnis verfallenen Menschen sei keine Hilfe mehr vorhanden
gewesen, „bis dass sich dieser einige und ewige Gott4essohn unseres Jammers und
Elends aus grundloser Güte erbarmte und vom Himmel kam, uns zu helfen“, „Jesus
Christus, ein Herr des Lebens, Gerechtigkeit, alles Guts und Seligkeit“ (II,
II, 29 f.). Auch an dem heißen Kampf gegen die Christologie Zwinglis war das
Glaubensinteresse aufs lebhafteste beteiligt. Denn die gegnerische
Behauptung der Unmöglichkeit einer Gegenwart des Leibes und Blutes Christi im
Abendmahl wies man aus dem Grund ab, um dessen „gewiss“ zu sein, dass Christus
„nicht halb“, sondern mit allem, was er sei und habe, „auch nach der Natur,
nach welcher er Fleisch und Blut hat, bei uns sein, in uns wohnen,
wirken und kräftig sein will“ (KF, Ausf. Darl., VII, 79).
Die Christologie der lutherischen Kirche
ruht auf der altkirchlichen nach der Formulierung des Chalcedonense und
Athanasianum: „Die göttliche und die menschliche Natur in der Einen Person
(Augsb. Bek., Art. 3). Aber um jenes Glaubensinteresses willen strebt sie über
dieses Nebeneinander der beiden Naturen hinaus zu einem
Ineinander, zu einer gegenseitigen Durchdringung der Naturen, damit das gesamte
Heilswirken des Erlösers ein Werk der einheitlichen Person
des Gottmenschen sei. Daher wird die reformierte Behauptung, „das Endliche sei
nicht fähig des Unendlichen“, bestimmt abgelehnt (KF,
Kurze Darl., VIII, 34; Ausf. Darl., VIII, 53). Mit
Vorliebe verwendet Luther das alte Gleichnis des glühenden Eisens, in dem Feuer
und Eisen zu einer Einheit geworden sind, und die KF folgt ihm darin (Ausf.
Darl., VIII, 18 u.ö.). Wie in dem glühenden Eisen das Eisen teilhaft
an der Kraft des Feuers, zu leuchten und zu brennen, so hat jede der beiden
Naturen in Christus durch die Vereinigung der Naturen und der daraus folgenden
Gemeinschaft der Naturen Teil an den
Eigentümlichkeiten der anderen; es ist eine Gemeinschaft der Eigenschaften oder
Eigentümlichkeiten eingetreten (KF, Ausf. Darl., VIII, 31 ff. 85). Alles,
was im Blick auf eine Natur ausgesagt wird, wird tatsächlich immer von dem
Einen Christus, der Einen Person ausgesagt, weil die andere
Natur stets mit dabei ist, Anteil daran hat. Nur
solche Auffassung ist der Schrift gemäß
und stärkt den Glauben. Denn, so zitiert
die KF aus Luther, „wenn ich das glaube, dass allein die menschliche Natur
[Christi] für mich gelitten
hat, so ist mir der Christus ein schlechter Heiland,
so bedarf er wohl selbst eines Heilands.“ „Die Gottheit kann nicht leiden noch
sterben; dennoch, weil Gottheit und Menschheit in Christus eine Person ist, so
gibt die Schrift um solcher persönlichen Einigkeit willen auch der Gottheit
alles, was der Menschheit widerfährt.“ Ebenso: „Wo du mir [Christus als] Gott
hinsetzt, da musst du mir die Menschheit mit hinsetzen; sie lassen sich nicht absondern
und voneinander trennen, es
ist Eine Person geworden.“ Wenn also Christi Gottheit im Abendmahl ist, so auch
seine Menschheit. Diese nimmt an der Allgegenwart
jener Teil (Erl. Ausg. 30,203.212; KF Ausf. Darl., VIII, 40.83, vgl. 20.23.29).
dies ist es, worauf es Luther und der KF ankommt. Und dies wird man als das,
was die KF eigentlich lehrt, anzusehen haben. – Der mannigfache Widerspruch
aber nötigte zu weiteren Erörterungen. Es fragte sich, ob man die These, die
beiden Naturen in Christus teilten einander ihre
Eigentümlichkeiten mit, wenn auch jede derselben nach ihrem Wesen und ihren
Eigentümlichkeiten von der anderen unterschieden bliebe (KF, Ausf. Darl., VIII,
11), ohne Einschränkung aufrechterhalten dürfe. Und
da die göttliche Natur an sich unveränderlich ist, bleiben die
Naturen in ihren wesentlichen Eigenschaften unverändert (KF, Ausf. Darl. VIII,
49), aber eine jede hat Teil an den Eigenschaften,
Werk und Widerfahrnis der anderen (KF; Ausf. Darl.,
VIII, 38 ff.). Die menschliche Natur hat, als die bei der
Zeugung durch den Heiligen Geist, in die eine Person des Sohnes Gottes
aufgenommen wurde, göttliche Kraft,
Leben, Gewalt, Majestät und Herrlichkeit
empfangen, aber nicht so, dass sie Teil ihres Wesens und ihrer
Eigentümlichkeiten geworden wären (KF, Ausf. Darl., VIII, 60 ff.)
Nur dass er die göttliche Majestät und Herrlichkeit während seines
Erdenlebens zumeist verborgen gehalten hat (Phil. 2,5-8; das meint die Entäußerung
und macht den Stand der Erniedrigung aus; KF, Ausf. Darl.,
VIII, 65.26), während Christus sie
gebrauchte „wo und wann er wollte“, so dass Strahlen dieser
Herrlichkeit in den Wundern in der vollmächtigen Predigt immer wieder
durchbrachen, so dass Johannes durch den
Glauben bezeugen konnte, dass sie seine Herrlichkeit
sahen (Ev. 1,14; KF, Ausf. Darl., VIII, 25).
Nach seiner Lebendigmachung und Auferstehung hält
Christus nun im Stand der Erhöhung nach seiner
menschlichen Natur die ihr mitgeteilte göttliche Majestät nicht mehr verborgen,
sondern Christi menschliche Natur übt
nunmehr auch, mit Christi Himmelfahrt sozusagen
inthronisiert, sitzend zur Rechten Gottes (die nicht ein Ort
ist, sondern die allgegenwärtige allmächtige Kraft Gottes, KF,
Ausf. Darl., VIII, 28; Kurze Darl., VII, 12),
diese ihr mitgeteilten Eigenschaften, Vorzüge und Majestät,
die ihr über ihre wesentlichen Eigentümlichkeiten mitgeteilt wurden, völlig mit
aus (KF, Ausf. Darl.,
VIII, 50 ff.), z.B. die Allwissenheit, die Allgegenwart, die
Allmacht (KF; Ausf. Darl., VIII, 28 f.).
Ein besonderes Gewicht aber legt der
Heilige Geist in der Heiligen Schrift um uns Menschen und unseres Glaubens
willen auf die Menschheit Christi, denn sie ist die Offenbarung Gottes an uns,
in ihr kommt der für uns Menschen unnahbare, unfassbare
Gott zu uns, nimmt unsere Natur an (nur ohne Sünden) und lebte unter uns – und
blieb zugleich doch wahrer Gott, denn in ihm wohnte die Fülle der Gottheit
leibhaftig (Kol. 2,9, das Wunder, dass
das Endliche des Unendlichen fähig ist), er saß ihm Schoß des Vaters auch, als
er hier auf Erden war (Joh. 1,18). Dieser Mensch Jesus
Christus, der zugleich wahrer Gott ist, ist der wahre und einzige Mittler zwischen
Gott und den Menschen (1. Tim. 2,5) in ihm schenkt Gott
sich selbst uns Menschen. In ihm zeigt Gott
uns seine unendliche Liebe zu uns eigentlich verlorenen und verdammten
verlorenen Sündern, vor allem in Christi
Unterwerfung unter das Gesetz, seinem Gehorsam, seinem Leiden für uns, seiner
Liebe zu uns am Kreuz. Gerade hier erweist es sich, dass der heilige Gott vor
allem Liebe ist. Aber gerade hier erscheint sie wieder verborgen
unter dem Gegenteil, nämlich in Niedrigkeit, in Schwachheit, Verwundbarkeit.[13]
Aber „so ist
der Mensch Jesus die Offenbarung
Gottes schlechthin. ‚Du sollst
weiterhin keinen anderen Gott kennen außer diesem Menschen und hänge dich an
diesen Menschen.‘“[14]
Das kann allerdings nur der Glaube durch den Heiligen Geist mittels des Worts
erkennen, dass dieser Mensch Jesus von Nazareth zugleich wahrer Gott vom wahren
Gott ist. Das weist aber dann auch das Werk Christi aus,
dass er eben nicht nur Gottes Willen und Liebe verkündet, sondern selbst Gott
ist, den Frieden, die Vergebung der Sünden selbst
schenkt, damit die Rechtfertigung, das neue Leben,
die Befreiung von Tod und Teufel – eben all das, was keinem Geschöpf möglich
ist, sondern nur Gott selbst. In
Christus wirkt Gott selbst, da Jesus Christus immer in der innigsten
Gemeinschaft und Einheit mit dem Vater gewollt und gewirkt hat.[15]
Ausgangspunkt des
erlösenden, rettenden Handelns Christi ist Gottes erbarmende Liebe zu
uns aus lauter Gnade, also Huld, Freundlichkeit, Leutseligkeit (Tit.
3,4) (denn Gottes Gnade ist nicht eine als Antwort auf des Menschen
Anstrengungen aus Billigkeit eingegossene Kraft, um dann solche Werke zu
vollbringen, die Gott um ihrer Würdigkeit willen annehme).
Die auch in der
reformierten Kirche gebräuchliche Verteilung des Werkes Christi auf seine drei
Ämter findet sich so in den lutherischen Bekenntnissen noch nicht;
sie ist aber von der späteren Theologie aufgenommen worden. Inhaltlich redet
von dem prophetischen
Tun Christi nur die KF in ihrem 5. Artikel (Von Gesetz und Evangelium). Im
Anschluss an Joh. 1,17 und Luther erklärt sie,
dass Christus nicht wie Mose ein Gesetzgeber, sondern „Prediger des
Evangeliums“ ist. Wenn er auch „das Gesetz in die Hände genommen
und es geistlich ausgelegt“ hat, so ist das „ein fremdes Werk Christi“ [die
notwendige Vorbereitung], „dadurch er komme zu seinem eigenen Werk, das ist,
Gottes Gnade predigen, trösten, lebendig machen“ (KF, Kurze
Darl., V, 8). Auch von der Lehre Christi durch sein Beispiel und
seine Wunder reden die Bekenntnisse
nicht, während die reformierte Kirche vielfach eine sehr
starke Betonung auf das Vorbild Christi legen und damit den
Schwerpunkt entscheidend vom Evangelium auf das Gesetz verschieben. Für
Luther und die lutherische Kirche ist das Vorbild Christi nicht unbedeutend,
aber darauf liegt nicht der Schwerpunkt, auch nicht in der Heiligen Schrift. An
die Straßburger schrieb Luther zur Warnung vor Karlstadt, der alles Gewicht auf
das Beispiel Christi legte: „Dass Christus ein
Exempel sei, ist das geringste Stück an Christus, darin er andern Heiligen
gleich ist, sondern wie er ein Geschenk Gottes ist, oder, wie Paulus sagt:
Gottes Kraft, Weisheit, Gerechtigkeit, Erlösung, Heiligung, uns gegeben.“
(Erl. Ausg. 53, 276.) Wenn Luther selbst von dem Vorbild
Christi handelt, so geschieht dies wesentlich nur in der durch Phil. 2,6
gewiesenen Richtung: Nicht das einzelne Tun Christi sollen wir nachahmen (das
war die Imitatio Christi des Mittelalters, auch im Pietismus wieder verstärkt
hervorgekommen), sondern wir sollen danach streben
„gesinnt“ zu werden wie er (die conformitas Christi, ihm gleichförmig werden
durch Haltung, im Leiden). Die Wunder Christi
werden in den Bekenntnissen nur ganz nebenbei erwähnt bei der Frage, ob
Christus die ihm eignende Allmacht auch schon im Stand der Erniedrigung
besessen und gezeigt habe. Aus diesem
Zusammenhang erklärt sich auch, dass sie als Manifestation seiner göttlichen
Majestät gewürdigt werden (KF, Ausf. Darl., VIII, 25), womit
also nicht ihre ganze Bedeutung genannt sein soll. Für Luther und die
Bekenntnisschriften ist der Kernpunkt des Werkes Christi die Genugtuung
(satisfactio) und sein Eintreten für
uns (intercessio). Auch diesen werden freilich nicht
eigene Artikel gewidmet. Aber was die
Bekenntnisse darüber bei Darstellung der Heilsaneignung sagen, bildet so sehr
die Grundlage dieser hochwichtigen Ausführungen, dass nur diese selbst für
bekenntnismäßige Festsetzung zu erklären, nicht möglich ist.
Christus hat
uns durch ein Doppeltes mit Gott versöhnt, durch
seinen aktiven und seinen passiven Gehorsam, die jeweils verschiedenen Erfolg
hatten. In den älteren
Bekenntnissen wird unsere Erlösung
durch das dem Leiden und
Sterben Christi betont: „der mich verlorenen und
verdammten Menschen erlöst hat durch sein heiliges teures Blut und
sein unschuldiges Leiden und Sterben.“
(Kl. Kat. II, 4; Schm. Art., III, III, 38.)
Aus seinem Tod, nicht auch aus seinem tätigen Gehorsam, wird die Frucht der
Rechtfertigung abgeleitet:
Christus hat für uns gelitten, und dass uns um seinetwillen die
Sünde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird (Augsb. Bek. IV,
4). Christi Heiligkeit wird nur insofern mit der Erlösung in Beziehung gesetzt,
als nur der Sündlose die Genugtuung für unsere Sünden leisten konnte: „Die
Sünden der Welt trage“ konnte nur „das unschuldige Lämmlein“ (Schm.
Art. III, III, 38); ohne Sünde empfing er
die Strafe der Sünde
und wurde ein Opfer für uns
(Apol. IV(III), 18).
Die Konkordienformel
geht einen Schritt darüber hinaus. Sie stellt neben Christi Leiden sein
Handeln: den Gläubigen zugerechnet wird der Gehorsam, Leiden
und Auferstehung Christi (KF, Ausf. Darl., III, 15.32).
Da er nicht nur Mensch war, so war er „ebenso wenig unter dem Gesetz, weil er
ein Herr des Gesetzes war, als dass er für seine Person
hätte leiden und sterben sollen (das.). Aber beides
nahm er auf sich, gehorsam dem Vater „von seiner Geburt an bis in den
allerschmählichsten Tod des Kreuz (KF, Ausf.
Darl. III, 22.56).
Mit diesem Gehorsam hat er „unseren Ungehorsam zugedeckt“ (KF, Ausf. Darl.,
III, 58). Dieser Gehorsam Christi
ist „die Gerechtigkeit,
die dem Glauben oder den Gläubigen aus lauter Gnade zugerechnet wird“ (KF;
Ausf. Darl. III, 14). Es wird also hier die Erlösung unter demselben
Gesichtspunkt dargestellt wie Röm. 5,19 und Phil. 2,8, dem des Gehorsams. Wenn
aber dabei seine Unterstellung unter das Gesetz
und sein Leiden nebeneinander genannt werden, so sollen damit nicht zwei verschiedene
Mittel zu unserer Erlösung mit verschiedener Wirkung genannt werden (wie es von
Calvin geschehen),
sondern zwei Arten von Erweisung seines Gehorsams. Denn bald wird das eine,
bald das andere, bald noch ein anderes, seine „Auferstehung“ oder
„der Gang zum Vater“ genannt ((KF Aus. Darl. III, 9.14.58).
Und wie alles in dem einheitlichen „Gehorsam“ zusammengeschlossen wird, so wird
auch auf diesen das gesamte Heil zurückgeführt,
„Versöhnung mit Gott, Vergebung der Sünden, Gottes Gnade, die Kindschaft und
Erbschaft des ewigen Lebens“ (KF; Aus. Darl.
III,16). Das Neue, das die KF bietet, ist also dies, dass dem Missverstand
gewehrt wird, als bestände das
erlösende Tun Christi in seinem bloßen Leiden und Sterben; es muss vielmehr
auch sein vorhergehendes Leben und die darauffolgende Auferstehung und
Himmelfahrt dazu gerechnet werden; und sein Tod
darf nicht als ein bloßes Widerfahrnis, sondern muss als freie Tat seines
Gehorsams gewürdigt werden. Es wird also eine wertvolle Ergänzung zu dem in
den früheren Bekenntnissen Gesagten geboten. Wenn die Anregung hierzu auch von
Melanchthon herrühren mag, so hat doch auch Luther mehrmals die
Bedeutung der Unterstellung Christi unter Gesetz hervorgehoben (z.B. Erl.
Ausg. 1,118; 2,93 f.; 7, 312). Aufgrund
der Ausführungen der KF hat dann die spätere Dogmatik die scharfe
Scheidung des aktiven von dem passiven Gehorsam mit verschiedenen Wirkungen,
deren Addition die vollkommene Satisfaktion ergibt, auszubilden
sich erlaubt.
Die
Bekenntnisschriften sprechen von Christi Werk der Versöhnung im Zusammenhang
mit den zentralen evangelischen Lehren:
1. Ohne die durch
Christi Tod (und Leben und Auferstehung)
geschehene Erlösung würde die Menschheit noch „verloren und verdammt“ sein.
Sein Tod hat nicht nebensächliche Bedeutung, vielmehr wird, wenn Christi
erlösendes Tun kurz bezeichnet werden soll, immer sein „heiliges teures Blut“,
sein „unschuldiges Leiden und Sterben“ genannt.
2. Sein Tod hat
satisfaktorische (genugtuende) Bedeutung: „Weiter wird
gelehrt, dass wir Vergebung der Sünden und Gerechtigkeit vor Gott nicht
erlangen können durch unser Verdienst, Werk und Genugtun, sondern dass wir
Vergebung der Sünden bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnaden um Christi
willen durch den Glauben, so wird glauben, dass Christus für uns gelitten
hat und dass uns um seinetwillen die Sünde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges
Leben geschenkt wird.“ (Augsb. Bek. Art. 4,1-3.).
„Darüber so ist es gewiss, dass Christi Tod eine Genugtuung
ist nicht allein für die Schuld gegen Gott, sondern auch für den ewigen Tod.“
(Apol. (VI), 43); „dass er für mich genug
täte und bezahlte, was ich verschuldet habe, mit seinem eigenen teuren
Blut“ (Gr. Kat. II, II, 31). Diesen Erfolg konnte sein Tun nur
deshalb haben, weil er sowohl Mensch als auch Gott ist: „Eine
menschliche Natur allein hätte weder durch Gehorsam, noch durch Leiden dem
ewigen, allmächtigen
Gott für die Sünden der ganzen Welt genugtun können.“ (KF,
Ausf. Darl., III, 56.) Daher werden wir
gerecht nicht durch die menschliche Natur Christi allein (wie Stancarus
lehrte), auch nicht durch die göttliche Natur Christi allein (wie Osiander und
in anderer Weise Calvin behauptete), sondern durch die ganze Person Christi
(KF, Ausf., Darl., III, 60).
3. Diese genugtuende
Bedeutung des Tuns Christi schließt aus, dass man sie nur in einer Umstimmung
des Menschen sehe. Vielmehr ist dadurch eine objektive Änderung eingetreten.
Das objektive Verhältnis Gottes zu uns ist ein anderes geworden: „Eins
ist ein Versöhnopfer, dadurch genuggetan wird für Pein und Schuld, Gottes Zorn
gestillt und versöhnt und Vergebung der Sünden für andere erlangt.“ (Apol. XXIV,
19.) „Wegen Christi Satisfaktion haben wir einen gnädigen Gott.“ (Apol. IV
(III), 57.) Die KF bestimmt dies dahin: Es ist dem Gesetz
genug getan (Ausf. Darl., III, 15). Christus
hat den Zorn Gottes, der uns galt, auf sich genommen. Nicht
war Gott,(wie Anselm lehrte) persönlich beleidigt, seine Ehre gekränkt; nicht
um eine privatrechtliche Genugtuung handelt es sich; sondern das sittliche
Gesetz, die dem Wesen Gottes entsprechende sittliche Naturordnung war verletzt.
In die sittliche
Weltordnung war eine Desorganisation gekommen durch den Widerspruch gegen das
objektive sittliche Gesetz Gottes. In die sittliche
Harmonie Gottes war eine Spannung gekommen, die nur durch ein Durchsetzen der
moralischen Weltordnung aufgehoben werden konnte. Dies aber ist durch Christus
geschehen, der unter das Gesetz getan wurde (Gal. 4,4.5) und
sich dem Gesetz unterwarf. Er „hat den ganzen vollkommenen Gehorsam seinem
himmlischen Vater für uns arme Sünder geleistet“, stellvertretend.
Sein Gehorsam ist eine „vollkommene“ Genugtuung und Versöhnung des menschlichen
Geschlechts“ ((FK, Ausf., Darl., III, 57 f.). Oder wie die
Apologie es ausdrückt: „Das Gesetz verdammt alle Menschen. Aber Christus, weil
er ohne Sünde die Strafe des Gesetzes auf sich nahm und ein Opfer für uns
geworden ist, hat jenes Recht des Gesetzes abgetan, dass es nicht anklagt noch
verdammt, die an ihn glauben, weil er für sie die Versöhnung
ist, um derenwillen wir für gerecht geachtet werden.“ (IV (III.), 57.) Daher
sagt die KF nicht, Christus habe Gott Genugtuung geleistet, sondern, er habe
Gott Gehorsam geleistet, wodurch der ewigen, unwandelbaren Gerechtigkeit
Gottes, die im Gesetz offenbart, genug geschehen“ ist. (Ausf.,
Darl., III, 57), also
die Verletzung der sittlichen Weltordnung wieder gutgemacht ist. Die
Bekenntnisse kennen auch eine deklaratorische Bedeutung des Todes Christi:
„Die Predigt vom Leiden und Sterben Christi, des Sohnes Gottes, ist eine
ernstliche und schreckliche Predigt und Anzeigen Gottes Zornes.“ (KF,
Kurze Darl., V, 9); ebenso andererseits der Liebe Gottes; denn wenn Luther
schreibt: „Des Vaters Huld und Gnade erkennen wir durch den Herrn Christus,
der ein Spiegel ist des väterlichen Herzens“ (Gr. Kat. II, III, 65), so meint
er vor allem die durch die Selbsthingabe Christi in den Kreuzestod bewiesene
Huld. Aber, wie man sieht, ruht diese deklaratorische
Bedeutung so ganz auf der stellvertretenden, erlösenden, dass mit dieser auch
jene unrettbar dahinfällt. Wie sollte Christi Tod uns Gottes Liebe bezeugen,
wenn er nicht etwa für uns Wertvolles bewirkt hätte?
Oder soll er uns doch Christi Liebe, und insofern auch Gottes gnädiges Herz
beweisen? Aber wenn es uns nichts
einbrächte, so wäre es ja sinnlos, dass er aus Liebe zu uns
gestorben sein soll, ja, so wäre sein freiwilliges Sterben Verbrechen.
4. Christus hat die im
Gesetz als der Offenbarung der göttlichen moralischen Weltordnung angedrohten
Strafen stellvertretend für uns getragen: „Aber Christus, weil
er ohne Sünde die Strafe der Sünde
auf sich nahm und zum Opferlamm für uns
gemacht wurde …“ (Apol. IV
(III.), 18.) Nicht, als ob Gott über ihn besondere Strafen verhängt hätte,
sondern Christus ließ die Folgen der Verletzung der sittlichen Ordnung,
die Strafe für unsere Sünden, die er als das Lamm
Gottes auf sich genommen hatte,
über sich ergehen. Sein stellvertretendes Leiden
ist ein Strafleiden. „Er tat für mich genug und
bezahlte, was ich verschuldet habe.“ (Gr. Kat. II, II, 31.) „Das
einige Opfer Christi am Kreuz hat gnug getan für
aller Welt Sünde.“ (Apol. XIII, 8.) Das Leiden und
Sterben Christi geschah also für uns, stellvertretend. Wie
dies Tragen der Strafe näher vorzustellen
ist, sagen die Bekenntnisse nicht. Sie lehren nicht, wie etwa
Calvin getan, dass Christus alle die einzelnen Strafen, die wir hätten tragen
müssen, erduldet habe. Daher bedürfen sie auch nicht der von Calvin
vorgetragenen Auffassung von der Höllenfahrt Christi,
Nämlich dass Christi Seele in der Hölle Höllenqualen erlitten habe, was zur
völligen Genugtuung nötig sei; sie war vielmehr
ein Triumph- und Siegeszug Christi, der in der Hölle
seinen Sieg proklamiert hat (KF, Ausf. Darl., IX).
5.
Durch Christi stellvertretenden Gehorsam und sein stellvertretendes Leiden und
Sterben hat Christus nicht nur die Erlösung einiger
weniger (der Erwählten, wie Calvin behauptete) bewirkt, sondern er hat Gott mit
der Welt versöhnt, hat für jeden Menschen Vergebung der Sünden und damit den
Freispruch im Jüngsten Gericht und ewiges Leben erworben. Darum rechnet Gott in
Christus niemandem seine Sünde zu, sondern hat sie in
Christus allen Menschen vergeben
(allgemeine Rechtfertigung), das heißt, die Erlösung ist für alle Menschen
bereits geschehen. Aber nur der hat
sie auch, der sie im rettenden Glauben an Jesus Christus als seinen Erlöser,
Retter empfängt, ergreift. Ohne den Glauben haben wir keinen Anteil an dem, was
Christus uns erworben hat, und bleibt der Zorn Gottes
über dem Sünder (Apol. IV (II.), 69.81.106).[16]
6. Dass Gott wahrhaft mit der Welt, mit
allen Menschen, in Christus versöhnt ist,
bezeugt vor allem die leibliche Auferweckung
Jesu Christi am dritten Tag. Ohne
sie wäre ja Gottes Zorngericht am Kreuz das letzte Wort gewesen,
nun aber zeigt gerade die Auferweckung Christi, dass Christi Kreuz nicht nur
Gottes Zorngericht über die Sünde ist, sondern auch Gottes größter Liebeserweis
für uns Sünder. Mit Christi Auferweckung, Auferstehung sind auch
Teufel und Tod wirklich besiegt, dem Tod ist seine Macht genommen (2. Tim. 1,10;
Apol. IV (III), 18.68 ff.). So
ist Christi Auferweckung zugleich ein Unterpfand der zukünftigen Auferweckung
der an Christus Gläubigen zum ewigen Leben. All das ist also für
uns geschehen. Der leiblich auferstandene Christus will dann aber auch
geistlich in den Herzen der Menschen auferstehen, sie
in der Heiligung leiten und im Kampf
gegen die Sünde (Christus in uns), will als der Retter
auch der Herr der an ihn Gläubigen sein.[17]
Dass Christus unser Fürsprecher
ist, wird in den Bekenntnissen nicht näher behandelt,
sondern nur zur Abwehr der römischen Heiligenverehrung erwähnt. Christus allein
ist unser Mittler, also auch Fürsprecher bei dem Vater. Daher ist auch nur er
anzurufen, der „versprochen hat, er werde unsere
Bitten erhören“ (Ausgsb. Bek.
XXI, 2; Apol. XXI, 17 ff.).
Die Artikel 7 und 8 des Augsburger
Bekenntnisses bieten die grundlegenden Aussagen. Die
Kirche ist die Gemeinde der Heiligen oder wahrhaft
Gläubigen, also der durch die heilsschaffende
Alleinwirksamkeit durch das
Christusevangelium berufenen und gesammelten Sünder zum rechtfertigenden
Glauben an Christus. Nur die wahrhaft an
Christus als ihren Retter aus der
Sündenverlorenheit Gläubigen, die bei
ihm allein ihre Vergebung suchen, von ihm allein das ewige
Leben erwarten, bilden sie, sie aber alle,
wo immer sie sind, zu welcher Zeit sie gelebt haben, welchem Volk, Sprache,
Rasse, Klasse, Kultur sie angehören. Nur mittels des
rechtfertigenden Glaubens an Christus wird der Sünder durch Gottes Geist
versetzt aus dem Reich Satans in das Reich Christi; die
äußere Gliedschaft in einer christlichen Gemeinde, die äußere Zustimmung zum
Bekenntnis der Kirche macht es nicht, denn „christliche Kirche steht
nicht allein in Gesellschaft äußerlicher Zeichen, sondern steht vornehmlich in der
Gemeinschaft inwendig der ewigen Güter im Herzen, als des Heiligen Geistes, des
Glaubens, der Furcht und Liebe Gottes“
(Apol. VII, 5). „Es
weiß nun, Gottlob, ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei, nämlich die
heiligen Gläubigen und Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören.“
(Schm. Art. III, XII, 2.) Die Kirche Christi
ist also eine creatura verbi,
eine Schöpfung durch den Heiligen Geist mittels des rettenden
Wortes: Gottes Wort kann nicht ohne Gottes Volk (die an Christus
Gläubigen, und damit die wahre Kirche) sein, wie auch umgekehrt nicht Gottes
Volk ohne Gottes Wort (Luther; s.a.
Jes. 55,10.11; Röm. 10,14-17; 1. Petr. 1,23; Jak. 1,18).
„Das im Glauben ergriffene Evangelium erweist sich als rechtfertigend und kircheschaffend in
einem.“[18] Darum
kann die Kirche auch nur wahre Kirche Gottes in Christus sein und bleiben, wenn
sie von seinem Wort beherrscht wird und lebt, denn Gott allein
will in seiner Kirche reden, wirken und regieren.[19] Es
gibt also bei rechter Ordnung keine
Eigengesetzlichkeit in der Kirche, schon gar keine hierarchisch-institutionalistische
oder eine solche durch die religiöse Eigendynamik ihrer Glieder.
Sie würde dadurch nur zu einer gesetzlichen Größe.[20]
Die Kirche im eigentlichen Sinn, gewirkt
durch das Evangelium Christi, ist also personale,
durch das Evangelium getragene und zusammengehaltene
Glaubensgemeinschaft, Gemeinde der
wahrhaft Christusgläubigen, und nicht primär eine strukturelle,
etwa gar hierarchische, Sakralinstitution, wie Rom es behauptet. Dienste
und Ordnungen gehören wohl zur Kirche, aber sie sind nicht die Kirche.[21]
Es ist aber diese
Kirche nicht eine bloße Idee; kein Traum von einem
platonischen Gemeinwesen, wie die Römischen höhnten, sondern sie ist eine reale
Größe, eine wirkliche Gemeinde, ein Verband, dessen
Glieder an den gleichen Gütern teilhaben. Luther und Melanchthon haben freilich
das im Apostolischen Glaubensbekenntnis auf ecclesia (Kirche)
folgende communio sanctorum als Erläuterung von ecclesia aufgefasst, das
sanctorum nicht neutrisch, sondern maskulin verstanden, so dass communio
sanctorum dasselbe ist wie congregatio sanctorum,
Gemeinschaft der Heiligen (Apol. VII, 8). Aber sofort wird
hinzugefügt: „was die Kirche heißt, nämlich den Haufen und die
Versammlung, welche ein Evangelium bekennen,
gleich eine Erkenntnis Christi haben, einen Geist haben, welcher ihre Herzen
erneuert, heiligt und regiert“ (ebd.) Ebenso sagt Luther, communio sollte man
nicht „Gemeinschaft“, sondern „Gemeinde“
übersetzen, da es eine Erklärung des Wortes „Kirche“ sei, so dass man es am
klarsten mit „eine heilige Gemeinde“ wiedergeben könne. Unter „Gemeinde aber
versteht er ein „Häuflein“, das gemeinsame „Güter“
hat, Ein Haupt Christus, „in Einem Glauben, Sinn und Verstand,
mit mancherlei Gaben, doch einträchtig in der Liebe“ (Gr. Kat. II, III, 49 ff.)[22]. -
Wie verhält sich denn diese wahre Kirche zu dem Reich Christi? Nach den
Bekenntnisschriften ist „die
Kirche wahrhaft das Reich Christi“, dieses freilich nur als noch unter
dem Kreuz verborgen, noch nicht offenbar. Als Herrlichkeitsreich
Christi offenbar werden wird es erst dann, wenn er selbst offenbar werden wird
(Apol. VII, 16 ff.). Als gleichbedeutend
mit „Reich Christi“ nehmen die Bekenntnisschriften „Reich Gottes“;
sie verstehen dieses demnach primär nicht als eine Gemeinschaft von Menschen
untereinander, auch nicht als eine Herrschaft Gottes in sittlicher Beziehung,
sondern als Befreitsein von der Tyrannei des Teufels und Besitz von Heil, Leben
und Seligkeit (Gr. Kat. III, II, 51). Sie denken
also bei „Reich Gottes“ und Christi nicht sowohl an das, was wir leisten, als
vielmehr an das, was Gott uns gewährt.
Wenngleich aber dieses Reich oder diese
Kirche Christi verborgen ist, weil man
weder ihr Haupt noch das ihren Gliedern Spezifische, den Glauben, sehen kann,
so ist sie doch wahrnehmbar, nämlich in der Ausübung
der ihr von Christus übertragenen Funktionen, also in der Ausübung der ihr
anvertrauten Gnadenmittel als den Kennzeichen der Kirche (notae ecclesiae),
nämlich Wort und Sakrament als den Mitteln, durch die Gottes Geist Menschen
beruft, erleuchtet, zum rechtfertigenden Glauben bringt, sammelt und bei
Christus erhält im rechten einigen Glauben (Apol. VII, 5.20),
denn die Kirche ist ja die Versammlung, in welcher das Evangelium recht gelehrt
und die Sakramente schriftgemäß
verwaltet werden (Augsb. Bek. VII), denn sie haben
Gottes Mandat und Verheißung, dass sie nicht leer zurückkommen (Jes. 55,10-11). Kennzeichen
der wahren Kirche sind also nicht Einheit, Heiligkeit,
Allgemeinheit, Amt, Kirchenzucht,
Verfassung, auch nicht die persönliche Frömmigkeit ihrer
Glieder. Es liegt keine Differenz darin, dass die Kirche ein
Glaubensartikel ist, aber ihr Vorhandensein an den „Kennzeichen“
erkannt werden kann. Denn ihre Glieder können allerdings nicht bestimmt
ausgemacht, erkannt werden, daher ist
sie verborgen; erkannt werden kann sie nur in der äußeren Ausübung ihrer
Funktion anhand der ihr anvertrauten Gnadenmittel. In der Apologie wird
die Notwendigkeit, die Kirche zu glauben, in der Einen Beziehung
erwähnt, dass ihre Heiligkeit nur durch den Glauben erkannt wird , und
dass sie um dieser willen, „bis an das Ende der Welt auf Erden
sein und bleiben
werde“, trotzdem eine „unendliche Menge von Gottlosen in ihr selbst ist“
(Apol. VII, 9 f.), aber eben nur in der äußeren Gemeinschaft,
nicht als Glieder der wahren Kirche, des Reiches Christi, sondern mit der
Kirche nur so verbunden, wie der Dreck mit dem Wagenrad. Weil nämlich die
geistliche Gemeinschaft der Kirche die äußerlichen Gnadenmittel verwaltet, an
diesen aber auch solche teilnehmen können, die ihr innerlich
nicht angehören, so können auch Ungläubige äußerlich zur Kirche gehören, selbst
Ämter inne haben. „In diesem Leben sind ihr viel Heuchler und Böse
beigemischt.“ (Augs. Bek. VIII.) Aber obwohl
diese „in der Kirche erfunden werden“ (Apol. VII, 47), so sind sie doch nicht
Kirche, sondern gehören zum Reich des Teufels (Apol. VII, 8.17).
Wenn gesagt wird, dass es die Gemeinde der
Heiligen ist, die die Gnadenmittel verwaltet, während es doch scheinbar durch
die äußere Versammlung zum Wort und Sakrament geschieht, der
auch Gottlose, Heuchler und Scheinchristen, angehören, so ist das kein
Widerspruch, denn der Gemeinde der Heiligen sind die Gnadenmittel anvertraut,
und diese kann sie nicht anders als durch die äußere Versammlung um Wort und
Sakrament verwalten, die notwendig entsteht,
wenn die Gemeinde der Heiligen die Gnadenmittel tatsächlich verwaltet. So ist
die Gemeinde der Heiligen nur da zu glauben, wo die
Gnadenmittel, Wort und Sakrament, verwaltet werden, als der wahre Kern der
Versammlung, die allein um dieses Kerns willen überhaupt „Kirche“
heißt, sowie dazu noch die einzelnen Gläubigen, die fernab von äußeren
Versammlungen um Wort und Sakrament leben. Denn nur den
Gläubigen sind die Gnadenmittel anvertraut und der Befehl, sie zu verwalten,
erteilt, wozu, zur ordentlichen öffentlichen Verwaltung
von Gemeinschaftswegen Christus auch verordnet hat, dass sie Diener an Wort und
Sakrament berufen sollen. Freilich können wir
den Glauben nicht sehen. Daher können auch Ungläubige
mit der Verwaltung der Gnadenmittel beauftragt werden.
Es gibt also nicht zwei Kirchen, eine
„unsichtbare“ und eine „sichtbare“, wie Zwingli und Calvin lehren, sondern
es gibt nur die Eine heilige christliche Kirche, die Gemeinde der Heiligen, die
aber wahrnehmbar wird an der Verwaltung der Gnadenmittel, was in der äußeren
Versammlung geschieht, der auch Gottlose beigemischt
sind, die aber nicht Glieder Christi, des Hauptes
der Kirche, sind. „Darum, in welchen
Christus durch seinen Geist nichts wirkt, die sind nicht Gliedmaße Christi.“
(Apol. VII, 6.)
Es ist behauptet
worden, der echt reformatorische Kirchenbegriff sei durch die Betonung des
recht lehren, der Lehre
des Evangeliums verändert worden. Es sei dadurch aus der Glaubensgemeinschaft
eine Gemeinschaft der Lehre, eine Schule gemacht worden. Aber das
Erkennungszeichen der wahren Kirche ist nun einmal die Verkündigung des
Evangeliums. Wird nicht „richtig“ gelehrt, so ist es nicht
das Evangelium, so geht diese Verkündigung weder aus von der Gemeinde der
Heiligen, noch kann diese durch sie erhalten oder gemehrt werden. Es ist
demnach nicht eine neue und andere Definition der Kirche, wenn man sie (mit
einem in den Bekenntnissen nicht vorkommenden Ausdruck) als „Gemeinschaft der
reinen Lehre“ bestimmt, sondern dies ist nur ein anderer Ausdruck dafür, dass
ihr das heilige Evangelium anvertraut und die Ausführung des darin liegenden
Auftrags ihr „Kennzeichen“ ist. Ebenso wenig hat der
Betriff der wahren Kirche dadurch „eine Wandlung erfahren“, dass die
Evangelischen gegen den römischen Vorwurf, sie seien eine neue,
oder vielmehr gar keine Kirche, behaupten, sie seien „die rechte alte Kirche“
Damit ist nicht aus dem „rein religiösen Begriff“ der Kirche, die geglaubt
wird, „ein empirischer Begriff“,
„die Kirche der reinen Lehre“ geworden. Denn anerkanntermaßen werden auch noch
weiter „die Gläubigen als die vera ecclesia [wahre Kirche] bezeichnet“. Wenn
also für die Evangelischen der Name „rechte Kirche“
in Anspruch genommen wird, weil bei ihnen die
Kennzeichen der rechten Kirche zu beobachten seien, so ist eben nur der von
Anfang an behauptete Satz, die Gemeinschaft der Gläubigen werde erkannt an der
rechten Verwaltung der Gnadenmittel, auf einen empirischen Kreis von Christen
angewandt.
Umfasst die wahre
Kirche alle Gläubigen, so gibt es auch an allen Orten und zu allen Zeiten nur
Eine Kirche: „Ich glaube, dass da sei ein heiliges Häuflein und Gemeinde auf
Erden eiteler Heiliger, unter Einem Haupt Christus,
durch den Heiligen Geist zusammengebracht.“
(Gr. Kat. II, III, 51.) Daher behält Luther die schon vor ihm gebräuchliche
Wiedergabe des ecclesia catholica durch
„christliche Kirche“ bei und rechtfertigt sie mit der Erläuterung: „wo Christen
sind in der Welt“ (Erl. Ausg. 23,281; vgl. Weim. 30,1, S. 130 Anm.). Da nun die
ordnungsgemäße Verwaltung der Gnadenmittel das
einzige Erkennungszeichen dieser Einen Kirche ist, so ist, um zu dieser Einen
Kirche zu gehören, nichts weiter erforderlich der rechtfertigende
Glaube an Christus als dem Retter für Sünder; in der äußeren Versammlung aber
nichts als die Übereinstimmung in der Lehre
und Sakramentsverwaltung. Zur Einheit der Kirche ist also nicht erforderlich,
dass auch hinsichtlich
der durch Menschen geschaffenen Einrichtungen, Riten und Zeremonien Gleichheit
herrsche, wie Rom fordert (Augsb. Bek. VII). Damit will
Melanchthon den Vorwurf der Römischen, als gehörten die Evangelischen nicht zu
der Einen wahren Kirche, entkräften. Gibt es aber nur Eine Kirche, der die
Gnadenmittel anvertraut sind, so ist auch das Heil nur bei ihr zu finden (Apol.
IX, 52; Gr. Kat. II, III, 45.55 f.66). Darum
ist die Kirche nicht nur Glaubensgemeinschaft, sondern auch Heilsanstalt, im
Blick auf die Eine verborgene Kirche insofern, als es außerhalb von ihr kein Heil
gibt, im Blick auf die Kirche in ihrer äußeren Versammlung um Wort und
Sakrament in der Hinsicht, als nur durch die Gnadenmittel
der rechtfertigende Glaube gewirkt wird. Diese These ist gegen die Schwärmer
gerichtet, wie die vorige gegen Rom.
Die lutherischen
Bekenntnisschriften gehen auch ausführlich darauf ein, was zur rechten Einheit
der Kirche in ihrer äußeren Versammlung nötig ist[23].
Bereits in der Vorrede zum Konkordienbuch wird darauf verwiesen, dass das
Augsburger Bekenntnis „Auf das Zeugnis der unwandelbaren Wahrheit göttlichen
Worts“ gegründet ist und aufgestellt wurde mit dem Ziel, „damit künftig
auch unsere Nachkommen vor unreiner, falscher und dem Wort Gottes widerwärtiger
Lehre, soviel an uns, zu warnen und zu bewahren.“ (Müller, S. 6.) Damit
wird deutlich, dass es lutherischer Kirche darum geht, Kirche des reinen,
unverfälschten Wortes zu sein.
Genau das drückt auch das Augsburger
Bekenntnis aus, wenn es die wahre Einigkeit definiert: „Denn dieses ist
genug zu wahrer Einigkeit der christlichen Kirchen, dass da einträchtig, nach
reinem Verstand, das Evangelium gelehrt und die Sakramente dem göttlichen Wort
gemäß gereicht werden.“ (VII,2.) Anders als eben einig in der Lehre lässt
sich also Kirche gar nicht definieren. Darum heißt es in der Apologie: „Und
dieselbe Kirche hat doch auch äußerliche Zeichen, dabei man sie kennt, nämlich
wo Gottes Wort rein geht, wo die Sakramente demselben gemäß gereicht werden, da
ist gewiss die Kirche, da sind Christen und dieselbe Kirche wird genannt der
Leib Christi.“ (VII,5.)
Falsche Lehre kann daher nicht geduldet,
sondern muss bekämpft und überwunden werden. Auch das wird bereits in der
Vorrede dargelegt: „denn so die eingefallenen Spaltungen von allen
streitigen Artikeln gründlich und eigentlich aus Gottes Wort erklärt,
entschieden und falsche Lehre ausgesetzt und verworfen, die göttliche Wahrheit
aber lauter bekannt, dadurch den Widersachern mit beständigem Grund der Mund
gestopft und den einfältigen frommen Herzen richtige Erklärung und Anleitung
vorgestellt würde, wie sie sich in solchem Zwiespalt schicken und künftig durch
Gottes Gnade vor falscher Lehre bewahrt werden möchten.“ (Müller, S. 8.)
Wahrheit und Irrlehre können also nicht in einer Kirche zusammen Heimatrecht
haben. Trennung ist gottgewollt und nötig, denn es darf allein „nach dem
reinen, unfehlbaren und unwandelbaren Wort Gottes“ gehen, auf dessen
Grundlage man „einig“ ist. (ebd. S. 12.) Darum ist es auch notwendig,
dass die falsche Lehre benamt und ausdrücklich verworfen wird, damit man sich
umso klarer vor ihr hüten und getrennt halten kann. (vgl. ebd. S. 16.19.) Denn,
wie gesagt, allein die wahre, biblische Lehre darf in der Kirche geduldet
werden, wie das in der Vorrede auch ausdrücklich heißt: „Und dieweil unser
Gemüt und Meinung, wie oben gemeldet, allezeit dahin gerichtet gewesen, dass in
unseren Landen, Gebieten, Schulen und Kirchen keine andere Lehre als allein
die, so in der heiligen göttlichen Schrift gegründet und der Augsburgischen Konfession
und Apologie geführt und getrieben, und dabei nichts, so derselben entgegen
einreißen möchte, gestattet würde, dahin dann diese jetzige Vergleichung auch
gestellt, gemeint und ins Werk gerichtet.“ (ebd. S. 18.) Das umso mehr, als
ja allein durch die reine Lehre Gottes Name geheiligt wird: „Geheiligt werde
dein Name. … Wie geschieht das? Antwort: Wo das Wort Gottes lauter und rein
gelehrt wird, und wir auch heilig als die Kinder Gottes danach leben. Das hilf
uns, lieber Vater im Himmel. Wer aber anders lehrt und lebt als das Wort Gottes
lehrt, der entheiligt unter uns den Namen Gottes. Da behüte uns vor,
himmlischer Vater.“ (Kl. Kat., III, 3-5.) Denn unter Gottes Namen, also in
Gottes Kirche, falsch zu lehren, dies zu dulden, brächte dem Namen Gottes
größte Schande und Unehre. (vgl. Gr. Kat., III, 41.)
Darum wird auch im Tractatus klar zur
Trennung von falscher Lehre aufgerufen: „Weil nun dem so ist, sollen alle
Christen auf das Fleißigste sich hüten, dass sie solcher gottlosen Lehre,
Gotteslästerung und unbilliger Wüterei sich nicht teilhaftig machen, sondern
sollen vom Papst und seinen Gliedern oder Anhang als von des Antichrists Reich
weichen und es verfluchen, wie Christus befohlen hat: Hütet euch vor den
falschen Propheten. Und Paulus gebietet, dass man falsche Prediger meiden und
als einen Greuel verfluchen soll. Und 2. Kor. 6 spricht er: ‚Zieht nicht am
fremden Joch mit den Ungläubigen; denn was hat das Licht für Gemeinschaft mit
der Finsternis?‘“ Schwer ist es, dass man von so viel Landen und Leuten sich
trennen und eine gesonderte Lehre führen will. Aber hier steht Gottes Befehl,
dass jedermann sich soll hüten und nicht mit denen einhellig sein, so unrechte
Lehre führen oder mit Wüterei zu erhalten gedenken.“ (41-42.)
Das hat auch Luther selbst immer wieder
deutlich gesagt: „Wer seine Lehre, Glauben und Bekenntnis für wahr, recht
und gewiss hält, der kann mit andern, so falsche Lehre führen oder derselben
zugetan sind, nicht in einem Stall stehen noch immerdar gute Worte dem Teufel
und seinen Schuppen geben. Ein Lehrer, der zu den Irrtümern still schweigt und
will gleichwohl ein rechter Lehrer sein, der ist ärger als ein öffentlicher
Schwärmer und tut mit seiner Heuchelei größern Schaden als ein Ketzer, und ist
ihm nicht zu trauen …“ (Gespräch mit D. Georg Major, Walch XVIII, 1477.) „Die
Lehre ist nicht unser, sondern Gottes ist sie, der uns allein zu Knechten und
Dienern darüber berufen hat: Darum sollen und können wir den allergeringsten
Titel oder Buchstaben davon nicht begeben oder nachlassen. … Darum ist dieser
Spruch [Gal. 5,9] fleißig zu merken wider ihr Argument, damit sie uns
mit Unwahrheit auflegen, als zerrissen wir die Liebe und Einigkeit in der
Christenheit zu großem Schaden und Nachteil der heiligen Kirche. Wir sind
wahrlich bereit und willig, Friede und Liebe ihnen zu erzeigen; doch sofern sie
uns die Lehre des Glaubens unverletzt und ungefälscht lassen. Wo wir solches
bei ihnen nicht erhalten können, ist es vergebens, dass sie die christliche
Liebe so hoch rühmen. Verflucht sei die Liebe in den Abgrund der Hölle, so erhalten
wird mit Schaden und Nachteil der Lehre vom Glauben, der billig alles zumal
weichen soll, es sei Liebe, Apostel, Engel vom Himmel und was es sein mag. …
Darum habe des keinen Zweifel, wenn du Gott in einem Artikel verleugnest, so
hast du ihn gewiss in allen verleugnet. Denn er lässt sich nicht stückweise
zerteilen in viele Artikel, sondern ist ganz und gar in einem jeden, und in
allen zumal Ein Gott. … Aber mit der Lehre ist es viel ein ander Ding; denn sie
ist heilig, rein, lauter, himmlisch, göttlich. Wer die ändern oder fälschen
will, gegen den ist weder Liebe noch Barmherzigkeit zu beweisen, darum bedarf
sie auch keiner Vergebung der Sünden. Darum taugt es gar nicht, dass man Lehre
und Leben miteinander vergleichen will: Denn an einem Buchstaben, ja, an einem
einigen Titel der Schrift ist mehr und größer gelegen als an Himmel und Erden.
Darum können wir es nicht leiden, dass man sie auch in dem Allergeringsten
verrückten wollte. … Darum dürfen wir den Sauerteig der falschen Lehre nicht so
gering achten: Denn er sei so wenig, wie er immer sein mag, macht er
gleichwohl, wenn man nicht Acht darauf hat, dass die Wahrheit und Seligkeit
dadurch niederliegt und zu Bogen geht und Gott dadurch verleugnet wird. Denn
wenn das Wort gefälscht und Gott (wie von Not wegen folgen muss) verleugnet und
verlästert wird, ist keine Seligkeit mehr zu hoffen.“ (Auslegung des Briefs
an die Galater 1535. Kap. 5,9-12, Walch VIII, 2652 ff.)
Wie aber sehen die Bekenntnisschriften das
Verhältnis der lutherischen Kirche zu der einen allgemeinen? Niemals
erklären sie ihre Kirche für die einzig wahre Kirche. Der
Singular „die Kirche“ meint immer nur die „über den Erdboden zerstreute“
Gemeinde der Heiligen. Ebenso auch die KF.
Sie unterscheidet „die Kirche“ (Ausf. Darl., IV, 40) oder „die rechte Kirche
Gottes“ (Ausf. Darl. XI, 50) und „die Kirchen, so der
wahrhaftigen Religion
sind (Ausf. Darl., Summ. 1) oder 2die reformierten Kirchen“ (Ausf. Darl., Summ.
5; „reformiert“ meint hier nicht die später so genannte
Kirche Zwinglis und Calvins, sondern die durch das Wort reformierte Kirche im
Unterschied zu der nicht reformierten Kirche Roms)
oder „die reinen evangelischen Kirchen“ (Ausf. Darl., Vorr. 7). Es wird also
für die lutherische Kirche nicht der Anspruch erhoben, dass sie die wahre
Kirche Gottes im eigentlichen Sinn sei,
sondern nur, dass sie das Kennzeichen der
wahren äußeren Versammlung der Kirche habe, nämlich die schriftgemäße
Verwaltung der Gnadenmittel, somit in ihr das
ewige Heil am leichtesten zu finden ist.
Heilig ist die Kirche
durch „das Wort Gottes und den rechten Glauben“ (Schm.
Art. III, XII, 3), d.h. durch das Wort Gottes, das sie besitzt, wirkt
der Heilige Geist in den Herzen den Glauben, der uns zu Christus führt und so
zu Heiligen macht und bei ihm erhält (Gr. Kat. II, III, 37.39). Dieser Heiligkeit
der Kirche wird auch dadurch kein Abbruch getan, dass ihr Gottlose und Heuchler
beigemischt sind. Denn diese „sind ja nicht Kirche“, „haben nur an den äußeren
Kennzeichen der Kirche Teil“ (Apol. VII, 28 f.). Alle
Ungläubigen können nicht aus der Kirche entfernt werden, weil es uns unmöglich
ist, das Unkraut vom Weizen zu unterscheiden (es sei denn, es wird durch
offenbare Sünde, Irrlehre, Hängen an Irrlehrern offenbar). Wir
würden, so erklärt Luther, mit solchem Versuch „nichts ausrichten, als dass wir
auch diejenigen, so noch zu bekehren sind und [in Gottes Augen schon] zum
Weizen gehören, mit ausrotten“ (Erl. Ausg. 20/II, 555 f.). In
dieser Hoffnung, noch solche Gottlose zu bekehren, sollen wir sie weiter an den
Gnadenmitteln teilhaben lassen. Dann ist freilich möglich, dass auch einem
Ungläubigen die Verwaltung der Heiligtümer der Kirche übertragen wird. Aber die
Behauptung der Schwärmer, „der Diener der Kirche könne
nicht andere Leute nützlich lehren oder rechte, wahrhaftige Sakramente
austeilen, welcher nicht auf für seine Person wahrhaft erneuert, wiedergeboren
und fromm sei“, ist zu verwerfen (KF, Kurze Darl., XII,
27). Denn die Wirkkraft der Gnadenmittel hängt nicht von der Person des Dieners
ab, sondern von #Christus, der dadurch heiligt (Augsb. Bek. VIII; Apol.
VII, 19.28). Selbstverständlich soll nicht damit gesagt sein, dass es einerlei
ist, ob der Diener der Kirche gläubig oder ungläubig ist. Vielmehr kann ein
ungläubiger Prediger der Wirkung des Wortes Gottes Abbruch tun. Aber er kann
sie nicht unmöglich machen, wie der Gläubige sie nicht
schaffen kann. Noch weniger soll damit gesagt sein, dass wir nicht danach zu
fragen haben, ob der Prediger ein falscher Prophet ist. Im Gegenteil, „Paulus
gebietet, die falschen Prediger (impios doctores) zu meiden und als einen
Greuel zu verfluchen“ (Tract. 41). –
Wenngleich die Unmöglichkeit, das Vorhandensein des Glaubens sicher zu
konstatieren, zur Folge hat, dass auch Ungläubige äußerlich zur Kirche gehören,
so ist doch unter diesen der große Unterschied, dass manche durch ein völlig
unheiliges Leben sich als Gottlose offenbaren. Wieweit ist
hiergegen durch Kirchenzucht vorzugehen? Während nach reformierter Anschauung
Gottes Ehre eine äußerliche Legalität von zu erzwingen fordert, liegt der
lutherischen Kirche nach ihrem
Gottesbegriff alles an dem Heil der Seelen. Sie arbeitet daher intensiv nach
Matthäus 18 in den drei Stufen mit dem Ziel, das Innere des Menschen
umzuwandeln. Selbst dann, wenn es zum Bann
(Ausschluss aus der Gemeinde Christi) kommt, soll dies letztlich diesem Ziel
dienen. Daher verschmäht die lutherische Kirche alle Zwangsmittel, lehnt auch
den unter dem Papsttum üblichen „groß0en
Bann“ ab, der auch mehr oder weniger von der bürgerlichen Gesellschaft
ausschloss, als „eine lauter weltliche Strafe“ bestimmt ab (Schm.
Art. III, IX). Ihr einziges Zuchtmittel ist die Androhung und nötigenfalls
Verhängung des „kleinen Banns“, „dass man offenbare, halsstarrige
Sünder nicht soll lassen zum Sakrament oder anderer Gemeinschaft der Kirche
kommen“. Damit darf aber keinerlei weltliche Strafe verbunden werden. Und die
Tendenz dabei soll einzig die sein, „dass sie sich bessern und die Sünde
meiden“ (ebd.). Etwa solche Bußübungen, wie sie in
der alten Kirche vor der Wiederaufnahme auferlegt wurden, hatten wohl den
Zweck, die Aufrichtigkeit der Buße zu prüfen und auch andere den Ernst der
Sünde fühlen zu lassen; aber sie sollten nicht erneuert werden, weil
„sie nicht notwendig sind für Vergebung der Sünden vor Gott“ (Apol.
(VI), 16). Zu dieser den Sündern zu verhelfen, ist das Ziel der Kirchenzucht.
Daher ist deren Anwendung die Sache der ganzen Gemeinde, der „frommen
Pfarrherren“ wie auch der Gemeindeglieder, da der ganzen Gemeinde,
jedem Christen, die Gnadenmittel- oder Schlüsselvollmacht von Christus
verliehen ist, nicht nur einer einzelnen Person oder einem
bestimmten Stand in der Kirche (Matth. 18,15-18;
Joh. 20,21-23; Tract. 74.76).
Durch die
Verkündigung von Gesetz und Evangelium wirkt der Heilige Geist in den Sündern
mittels des Gesetzes ein Erwachen aus dem Sündenschlaf, Sünden- und dann auch
Verdorbenheits- und Verlorenheitserkenntnis und so ein
Verlangen nach einem Retter aus Fluch und Verdammnis; durch das Evangelium eine
lebendige Christuserkenntnis als dem Retter, der um
des Sünders willen in diese Welt gekommen ist, der stellvertretend für uns
Sünder das Gesetz Gottes erfüllt und dann als das Lamm Gottes die Sünden der
ganzen Welt, aller Menschen aller Zeit auf sich genommen und an seinem Leib auf
das Holz getragen und mit seinen
Höllenqualen und seinem blutigen Leiden und Sterben am Kreuz die Strafe
getragen und Gott und seinem Gesetz genug getan hat für die Sünden aller
Menschen aller Zeiten und so grundsätzlich Gott mit jedem
Menschen versöhnt, grundsätzlich für jeden Menschen Vergebung der Sünden, damit
Frieden mit Gott, Freispruch im Jüngsten Gericht und ewiges Leben erworben hat.
Wer das im Glauben, den der Heilige Geist durch das
Evangelium wirkt, empfängt, ergreift, dem wird ja Christi für uns erworbene
Gerechtigkeit zugerechnet, der ist vor Gott gerechtfertigt
(persönliche Rechtfertigung) (Röm. 4,4 ff.; 2. Kor. 5,17 ff.). Es
ist Gottes Wille und Ordnung, dass diejenigen, die so durch das Evangelium
gerechtfertigt, wiedergeboren, bekehrt wurden und eins sind im Glauben und der
Lehre sich zur gemeinsamen Verwaltung der Gnadenmittel
verbindlich zusammentun (Hebr. 10,25), das heißt, Gott tut sie zu seiner
Gemeinde hinzu (Apg. 2,47), und zwar nicht nur zur Gemeinde der Heiligen,
sondern auch zur Versammlung um Wort und Sakrament. Gemäß dem Neuen Testament
ist das normalerweise die Ortsgemeinde als die direkte, unmittelbare
Christenversammlung um Wort und Sakrament als der
grundlegenden, für den Bau des Reiches Gottes unverzichtbaren Versammlung zur
Verwaltung der Gnadenmittel.
Im Unterschied zum Alten
Testament hat Gott der Herr im Neuen
Testament keine Vorgaben gemacht im Blick auf die äußere Ordnung oder
Verfassung seiner Kirche, ausgenommen einige Eckpunkte, nämlich dass sie Diener
an Wort und Sakrament berufen soll, dass die Frau schweige in der
Gemeinde, also auf der Gemeindeversammlung kein Rede- und Stimmrecht hat, nicht
lehren darf, wo auch Männer zugegen sind, keine Macht über Männer ausüben darf,
dass die Gemeinde Zucht übe, wo jemand in der Sünde beharrt
und dass die Gemeinde eins, einmütig sein muss in Glauben, Lehre und
Bekenntnis. Darum kennt die lutherische Kirche im Unterschied zu Rom und den
Reformierten keine vorgegebene göttliche Gemeinde- oder
Ämterordnung, Hierarchie, keine
„neutestamentliche Gemeindeverfassung“ und auch keine für alle verbindliche
Ordnung für Ortsgemeinden und größere Kirchenkörper
(wobei die Heilige
Schrift nur den Begriff der ekkleesia kennt, ob es sich nun um die
Universalkirche handelt oder die Christenschar an einem bestimmten Ort oder
einer Region oder um die örtliche Christenversammlung. Damit ist angezeigt,
dass das Wesen all dieser Versammlungen
grundsätzlich gleich ist, es sich stets immer um die Eine Kirche Christi in der
Ausübung der ihr gegebenen Funktionen in dem jeweiligen Bereich handelt.).
Gott will, dass die Christen die Gnadenmittel nach innen (Gemeinde, Kirche) und
außen (Evangelisation, Mission) verwalten –
welche Versammlungen dabei gebildet werden, welche Strukturen sich ergeben
(Kirchentümer), das liegt und christlicher Freiheit und kommt aus
menschlicher Übereinkunft. Alle Ordnungen, alle
Strukturen aber müssen dem Einen dienen, dass Gottes Wort frei und
ungehindert, klar und unverkürzt in Gesetz und Evangelium verkündigt wird und
dadurch Menschen zu Christi Gemeinde gesammelt und darinnen gestärkt und
erhalten werden zum ewigen Leben, müssen also dem
heilschaffenden Handeln Gottes freie Bahn geben (Augsb. Bek. V; VII;
VIII; Kinder, a.a.O., S. 68). Die
lautere Verkündigung des Evangeliums und die stiftungsgemäße
Sakramentsverwaltung müssen also bestimmenden Einfluss haben,
weil durch sie allein Gemeinde gesammelt und gebaut wird.[24]
Die Legitimität der Kirche und ihres Handelns hängt
nicht von irgendeinem Leitungsamt oder irgendwelchen Gremien ab, sondern allein
vom wirkkräftigen Wort Gottes, dem gegenüber alle
Dienste und Ordnungen nur dienende Funktion haben.
„Alle Gestalt und Ordnung der Kirche muss so strukturiert werden, dass sie grundsätzlich
für die Eigenmächtigkeit des Evangeliums offen bleibt.“[25]
Damit ist das Evangelium auch oberster Maßstab über die
Gestaltwerdung der Kirche in der Geschichte, samt ihrem tatsächlichen
Bekenntnisstand.[26]
Das ist ganz wichtig für die Frage, ob es irgendeine bestimmte äußere Gestalt,
Form von Kirche und Amt gibt, die von Gott vorgegeben wäre. Dass es Amt und
Ordnung in der Kirche gibt, das ist göttliches Recht, nicht jedoch ein bestimmtes,
historisch gewordenes Wie derselben. Dafür gibt es kein
göttliches Mandat.[27]
Die lutherischen
Bekenntnisse betonen einerseits die Schlüsselgewalt und
-vollmacht der Ortsgemeinde (Tract. 67 ff.), gehen andererseits, aufgrund des
historischen Umfelds, von einer episkopalen Gesamtordnung aus (Augs.
Bek. XXVIII), ohne dass diese als göttliche Ordnung vorgeschrieben wird. Und
da, wo es vorhanden ist, ist es kein Herrschaftsamt,
sondern ein Amt des Aufsehens, das mit seinem Sorgen und Aufsehen den anderen
dienen soll (Erl. Augs. 8,27 f.). Jegliche Ordnung, die
der Schrift, vor allem dem Evangelium, gemäß und geistlich gesund und
auferbauend sein will, wird das Priestertum aller Gläubigen und
die Ausübung dieses Priestertums in den Ortsgemeinden und darüber hinaus
berücksichtigen (Gemeindeversammlung, Älteste, Überwachung der Lehre, Synodalräte
usw.), zusehen, dass alles anständig und ordentlich
abläuft (1. Kor. 14,40) und hat als Norm
allein die Heilige Schrift und ihr nachgeordnet die durch sie normierten
Bekenntnisse. (Der
landeskirchliche bis staatskirchliche Bau, wie er sich seit den 1530er Jahren
ausbildete, war eigentlich ursprünglich als eine Notordnung, eine
Übergangsordnung gedacht, bis die Kirche wieder genügend aufsehende,
visitierende Kräfte hatte, um unabhängig vom Staat ihr Regiment auszuüben. Die
evangelischen Fürsten sollten ja eigentlich nur als die
vornehmsten Glieder ihrer Kirche, 'die an Autorität und Macht über andere hinausragten,
„der Kirche helfen und dafür sorgen müssten,
dass [etwa durch ein wahrhaft freies Konzil] die Irrtümer abgetan und den
Gewissen geholfen“ und „der grausamen Ermordung der Heiligen“ gewehrt werde
(Tract. 54).‘[28]
Denn es gehörte nicht zu den eigentlichen
obrigkeitlichen Pflichten (Erl.Ausg. 23,6). Leider
ist es durch das Beharrungsvermögen staatlicher Strukturen dazu gekommen, dass
die Konsistorien nicht „zerrissen“ wurden, wie Luther es wollte, sondern
faktisch bis 1918 existierten, auf lange Sicht zum unermesslichen Schaden der
Kirche und des Volkes.)
Da es keine von Gott vorgegebenen
Ordnungen, Verfassungen gibt, so sind auch
alle die, die um der Verkündigung des Evangeliums und des Baus der Gemeinde und
Kirche nötig sind, nicht gewissensverbindlich
und daher nur aus brüderlicher Liebe zu befolgen (Augsb. Bek. XV, 2; Apol.
XXVIII, 15). Etwaige Verschiedenheiten
heben dabei die Einheit der wahren Kirche nicht auf (Aus. Bek. VII, 3; Apol.
VII, 32 f.). Die lutherische Kirche
hat dabei immer dazu geneigt,
bestehende Ordnungen, wenn sie nicht dem Wort Gottes widersprechen, zu belassen
(Augs. Bek. XV, 1), da jede unnötige Neuerung nur Verwirrung stiftet.
Während die reformierte Kirche alles, auch das Harmloseste, was nicht in dem
„Gesetzbuch der Bibel“ vorgeschrieben ist,
rücksichtslos abtut, erkennt die lutherische Kirche, dass auch das, was die
Bibel an derartigen Gebräuchen erwähnt (aber nicht für verbindlich für alle
Zeiten erklärt), nicht als
ewig gültiges Gesetz gelten soll, dass vielmehr die jeweiligen
Verhältnisse dafür bestimmend sind, was am besten der Ordnung dient. „Die
Ordnungen“, schreibt Luther, „sollen zur Förderung des Glaubens und der Liebe
dienen. Wenn sie das nicht mehr tun, so sind sie schon tot und ab
und gelten nichts mehr“, weil sie „nicht mehr eine Ordnung, sondern eine
Unordnung“ sind (Erl. Augs. 22,244). Es ist Sünde, einer
Gemeinde Ordnungen, Zeremonien „als zum Heil notwendig“
aufzudrängen; durch Verschiedenheit der Ordnungen wird „die Einigkeit des
Glaubens“ nicht aufgehoben (KF, Ausf. Darl. X, 27.31).
Aber obwohl die von Menschen geschaffenen
kirchlichen Gebräuche als von Gott weder geboten noch verboten Mitteldinge (Adiaphora)
sind, ist auch der Fall möglich, dass eine Beteiligung daran
eine Verleugnung der göttlichen Wahrheit in sich schließt, etwa dann, wenn sie
für göttlich geboten und daher für notwendig erklärt werden,
wie z.B. Luther die Elevation (Hochheben) der Abendmahlselemente, obwohl er
schon „geneigt war, sie fallen zu lassen“, doch zunächst
beibehielt, weil Karlstadt
sie als „schreckliche Sünde“ verboten hatte (Erl. Ausg., 32 420 ff.); ebenso
dann, wenn die Zeremonien mit der Absicht, die
Lehre der Kirche zu erschüttern, eingeführt werden; wie es der Fall war, als
1548 der Kaiser das böse Augsburger
Interim und Kurfürst Moritz von Sachsen in
etwas abgemilderter Gestalt als „Leipziger Interim“
seinen Untertanen vorgeschrieben hatte und die Wittenberger Fakultät unter der
Führung Melanchthons dem zustimmte,. Weil sonst die Kirche völlig
zerstört werden würde (oder 1878, als die Hannoversche Landeskirche in
vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem Staat die Eheagende änderte oder wenn die
Kirche ihre Ordnungen ändert, um sich dem Zeitgeist, dem Druck von
Ideologien, dem Staat zu beugen). Deswegen von
Flacius, Amsdorf und anderen Lutheranern scharf angegriffen, hatten die
Philippisten die katholischen Gebräuche, an deren Wiedereinführung man Anstoß
nahm, für Mitteldinge ausgegeben. Daher erklärt die KF in
ihrem 10. Artikel „von Kirchenbräuchen, so man Adiaphora oder Mitteldinge
nennt“, jetzt, wo die römischen Gegner durch
Wiedereinführung der katholischen Gebräuche den Unterschied zwischen
evangelisch und katholisch verwischen und damit die reine Lehre
hinterlistigerweie unterdrücken wollten, würde ein Nachgeben der Evangelischen
die Gegner in ihren Irrtümern bestärken und den Gläubigen
Anstoß geben. In einer solchen Situation sind die Mitteldinge nicht mehr
Mitteldinge (KF, Ausf. Darl., X,
3.5.10.16), sondern das Verhalten ihnen gegenüber ist wichtig
für den Bekenntnisstand der Kirche, stütze oder erschüttere die Lehre der
Kirche, auf deren Reinheit alles ankomme. Jetzt also gelte es, die Wahrheit zu
bekennen.
Die lutherische Kirche hat das überlieferte
Kirchenjahr im Wesentlichen beibehalten, strich allerdings die massenhaften Heiligenfeste
fast völlig, wie schon die Schmalkaldischen Artikel sagen: „Wo der Nutzen und
Hilfe, beide leiblich und geistlich, nicht mehr zu hoffen ist, werden sie die
Heiligen wohl bald mit Frieden lassen.2 (II, II, 28.) So hat
das Kirchenjahr wieder Christus zum Herrn erhalten. Auch ergab sich eine
neue Wertung des Sonntags. Die reformierte
Auffassung, nach der mehr und mehr der Sonntag als Fortsetzung des
alttestamentlichen Sabbaths angesehen wurde, war für Luther unmöglich, da nach
Paulus die alttestamentlichen Feiern abgetan sind (Augs.
Bek. XXVIII, 57 ff.). „Wir“, sagt er, „halten Feiertage erstlich auch
um leiblicher Ursache und Notdurft willen“, damit die
in der ganzen Woche Arbeitenden „sich auch einen Tag einziehen, zu ruhen und
erquicken“; „darnach allermeist darum, dass man an solchem Ruhetag … zu Haufe
komme, Gottes Wort zu hören und zu handeln,
danach Gott zu loben, singen und beten“ (Gr. Kat. I, III, 83 f.). Obwohl die
Wahl des Tages dafür an sich freisteht (Erl. Ausg. 20, II, 222), so
soll man doch, „weil von alters her der Sonntag dazu bestellt ist, es auch
dabei bleiben lassen, auf dass es in einträchtiger Ordnung gehe und niemand
durch unnötige Neuerung eine Unordnung mache“ (Gr. Kat. II, III,
85). Dies ist „der christliche Verstand“ des dritten Gebots, wodurch das
„Heiligen“ die Hauptsache wird, sodass also nicht völlige Enthaltung von
jeder Arbeit gefordert ist. – Hinsichtlich des Kultus trat manche
Vereinfachung ein. Weil die Verehrung der Heiligen aufhörte, wurden auch bald
deren Altäre nicht mehr geschmückt (Apol. XIV, 44.51) und
endlich nicht vor dem Verfall geschützt. Da die Auffassung der Messe als
Darbringung eines Sühnopfers als falsch erkannt war, mussten die vielen
Privatmessen fallen (Apol. XIV, 6 ff.).
Ebenso mussten aus der übernommenen Liturgie die davon handelnden Stellen
weggelassen werden. Die lateinische Sprache behielt man anfangs
für die Kollekten und die biblischen Verlesungen noch bei, auch um derer
willen, die Lateinisch lernten und verstanden (Apol. XIV, 3; Erl. Ausg., 22,229
f.). Doch suchte man durch Einfügung deutscher Gesänge
eine stärkere Beteiligung der Gemeinde zu erreichen (Augsb. Bek. XIV,2). Diese
Anfänge mussten zu rein deutschen Gottesdiensten führen,
zumal da nun die alte Vorstellung, die bloß0e Anwesenheit bei der Messe, auch
wenn man von dieser nichts verstehe, sei Gott wohlgefällig und ein
verdienstliches Werk, nicht mehr galt
(Apol. XIV, 2). Damit änderte sich der gesamte Charakter des Gottesdienstes. Er
war nicht mehr eine Gott erzeigte, auf Lohn rechnende Verehrung, sondern
das Mittel, um von Gott geistliche Gaben zu
empfangen. Und da hierfür an erster Stelle Gottes Wort da war, so verlegte sich
der Schwerpunkt des Gottesdienstes von dem guten Werk der Darbringung des
Opfers auf die Verkündigung des Evangeliums, auf die Predigt. – Die
Folgen aber der lutherischen Anschauung über die Bedeutung der kirchlichen
Ordnungen konnten nicht gering sein. Die lutherische Kirche musste alle die
unwahren Behauptungen verwerfen, mit denen Rom den „Gehorsam der Kirche“, die
Befolgung der kirchlichen Ordnung, die stete Teilnahme a der Messe,
Beichte, Kommunion und dergleichen erzielt. Sie verschmäht ebenso den Zwang,
den die reformierte Kirche durch ihre Kirchenzucht ausübt. So
wird es ihr unmöglich, eine auch von den Widerwilligen geleistete Kirchlichkeit
zu erwirken.
Im fünften Artikel des Augsburgischen
Bekenntnis wird gelehrt, dass Gott das Predigtamt eingesetzt hat, nämlich das
Evangelium und die Sakramente gegeben als die Mittel, durch die der Heilige
Geist den rechtfertigenden Glauben in einem Menschen wirkt, und zwar wo und
wann er will.
Das heißt also: Es ist der Heilige Geist,
der den Glauben wirkt und weckt, nicht ein Mensch. Und die Mittel, die er dazu
verwendet, sind die Gnadenmittel, nämlich das Evangelium in Wort, Taufe und
Abendmahl. Dabei aber liegt es in seiner Souveränität, wann er damit bei dem
einzelnen Menschen zum Ziel kommt. Das heißt aber auch: Einen anderen Weg, den
rechtfertigenden Glauben, von dem in Artikel IV die Rede ist, zu erlangen, hat
Gott nicht gegeben, geordnet, als eben den durch die Gnadenmittel, einen anderen
Weg auch nicht, dass wir den Heiligen Geist erlangen.
„Solchen
Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und
Sakrament gegeben, dadurch er, als durch Mittel, den Heiligen Geist gibt,
welcher den Glauben, wo und wann er will, in denen, so das Evangelium hören,
wirket, welches da lehrt, dass wir durch Christi Verdienst, nicht durch unser
Verdienst, einen gnädigen Gott haben, so wir solches glauben.“ (Augsb. Bek.
V, 1-3)
Die Frage ist: Was ist hier mit
„Predigtamt“ gemeint? Nun, der Artikel drückt es selbst aus, worum es geht,
nämlich um die Gnadenmittel, durch die der Heilige Geist gegeben wird und den
Glauben wirkt. Das drückt ja der Artikel aus. Das heißt, es geht hier nicht,
wie etliche romanisierende Kräfte behaupten, um das heilige Predigtamt in concreto,
sondern um das Predigtamt in abstracto oder das Amt der Schlüssel, das allen
Gläubigen, allen, die den Heiligen Geist haben, gegeben ist
(allgemeines Priestertum aller Gläubigen). ‚Denn
einen „geistlichen Stand“ im Unterschied von
einem weltlichen Stand gibt es nicht, weil „alle Christen wahrhaft geistlichen
Standes“ sind; ebenso wenig einen Priesterstand, der für die Sünden Opfer zu
bringen habe. Denn soweit nach dem einmal von Christus
dargebrachten Opfer noch von Priestertum zu reden ist (Apol. XIII, 7 ff.), „sind
wir alle gleich Priester“ (Erl. Ausg. 21, 281 f.), durch Taufe und Glauben,
denn diese Würde eignet allein der Gemeinde der
Heiligen (Tract. 69). Alle ihre Glieder
können ohne menschliche Mittler sich Gott nahen, bringen sich selbst ihm als
Dankopfer dar, können anderen priesterlich
dienen.‘[30]
Wenn nämlich das Wort Glauben
weckt im Herzen eines Menschen, so tritt er damit in die volle Gemeinschaft mit
Gott. Eine Steigerung ist nicht mehr möglich. Daher kann es geistlich keine
verschiedenen Stände, keine Hierarchie als
göttliche Ordnung in der Kirche geben; ebenso wenig
benötigt er noch einen priesterlichen Mittler.[31]
Die Gnadenmittel, nicht das Predigtamt in concreto,
sind heilsnotwendig. Dass dieses Verständnis richtig ist, wird noch durch
Artikel VII der Schwabacher Artikel verdeutlicht, die ja die Grundlage für das
Augsburger Bekenntnis waren. Dort heißt es: „Solchen Glauben zu erlangen oder
uns Menschen zu geben, hat Gott eingesetzt das Predigtamt oder mündliche Wort,
nämlich das Evangelium, durch welches [bezieht sich eindeutig auf das
Evangelium, Anm. d. Hrsg.] er solchen Glauben und seine Macht, Nutz und Frommen
verkündigen lässt, und gibt auch durch dasselbe, als durch ein Mittel, den
Glauben mit seinem Heiligen Geist, wie und wo er will, sonst ist kein anderes
Mittel noch Weise, weder Weg noch Steg, den Glauben zu bekommen. Denn Gedanken
außer oder vor dem mündlichen Wort, wie heilig und gut sie scheinen, sind sie
doch eitel Lügen und Irrtum.“
Allerdings, das ist richtig, ist der
öffentliche Gnadenmitteldienst mit eingeschlossen insofern, als durch ihn die
Gnadenmittel öffentlich verwaltet werden. Aber dieser Einschluss ist nur ein
rein dienender, kein notwendiger, da die Schrift auch ohne einen Menschen als
Zwischeninstanz wirksam ist.
Eindeutig weist das Augsburger Bekenntnis
jede Neigung zur Schwärmerei zurück, jede Neigung, den Glauben anders als durch
die Gnadenmittel zu begründen oder zu stärken:
„Und
werden verdammt die Wiedertäufer und andere, so lehren, dass wir ohne das
leibliche Wort des Evangeliums den Heiligen Geist durch eigene Bereitung,
Gedanken und Werk erlangen.“ (Augsb. Bek. V, 4)
Auch diese Verwerfung unterstreicht noch
einmal, dass es in diesem Artikel nicht um das öffentliche Predigtamt, sondern
um die Gnadenmittel geht. Denn die Kirche steht nicht auf dem Amt, sondern auf
dem Bekenntnis zu Christus.
„Die
rechte Kirche steht nicht auf Prälaten ihrer Gewalt halben, denn viel von hohem
Stand, Fürsten und Bischöfe, auch viel von niederem Stand sind vom Glauben
abgefallen. Darum steht die Kirche auf denjenigen, in welchen ist eine rechte
Erkenntnis Christi, eine rechte Konfession und Bekenntnis des Glaubens und der
Wahrheit.“ (Apol. VII, VIII, 22)
Was ist die Gewalt oder Vollmacht der
Schlüssel? Die Gewalt der Schlüssel ist nichts anderes als die Absolution durch
das Evangelium, also das Lösen [oder Behalten] der Sünde.
„Die
Gewalt nun der Schlüssel, die verkündigt uns durch die Absolution das
Evangelium. Denn das Wort der Absolution verkündigt mir Friede und ist das
Evangelium selbst. Darum, wenn wir vom Glauben reden, wollen wir die Absolution
mit begriffen haben.“ (Apol. XII, 39) Die Absolution, und das
ist nun ganz wichtig, ist nicht eine bloße Verkündigung, Deklaration, Angabe
einer Möglichkeit, ist effektiv auch nicht nur allgemein, sondern sie ist
vielmehr konkrete persönliche Zusage, Gabe der von Christus uns am Kreuz
erworbenen Vergebung der Sünden durch das Wort, woran Christus sich gebunden
hat (Matth. 16,19; 18,18; Joh. 20,23). Darum sieht auch der Glaube allein auf
das Wort und den durch das Wort wirkenden Christus, hängt allein am Wort. Denn
die Absolution ist nicht abhängig von der Disposition, Haltung des Empfangenden
(z.B. Maß der Reue, Heiligung) oder der des Absolvierenden, sondern hängt
allein an Christi zusagendem, wirkkräftigen Wort. Luther schreibt daher dazu: „Es
soll einerlei Werk sein, mein [Christi] und euers, nicht zweierlei; einerlei
Schlüssel, meine und eure, nicht zweierlei. Tut euer Werk, so ist meins schon
geschehen. Bindet und löst ihr, so habe ich schon gebunden und gelöst. Er
verpflichtet und bindet sich an unser Werk. Ja, er befiehlt uns sein selbst
eigen Werk. … Bleibe du bei den Worten Christi, und sei du gewiss, dass Gott
keine andere Weise hat, die Sünden zu vergeben, als durch das mündliche Wort,
so er uns Menschen befohlen hat. Wo du nicht die Vergebung im Wort suchst,
wirst du umsonst zum Himmel gaffen nach der Gnade oder (wie sie [sc. die
Schwärmer] sagen) nach der innerlichen Vergebung.“[32]
Die Absolution ist also eindeutiges Wort, die Glauben und vor allem die
Gewissheit des Glaubens schafft: „Im bestimmten Wort als vollendetem Werk
gründet gewisser Glaube.“[33]
„So wird dich das Wort behalten, und müssen deine Sünden also vergeben
werden.“[34]
Anders ausgedrückt: Das Amt, die Gewalt der
Schlüssel ist die der Kirche, einem jeden Gläubigen, gegebene Vollmacht, die
Sünder zu binden oder zu lösen. Da es keine
geistlichen Rangunterschiede gibt, ist grundsätzlich jeder zur vollen
Gnadenmittelverwaltung berechtigt, darf sie aber über den persönlichen und
familiären Bereich hinaus in öffentlicher Versammlung nur gemäß
der Berufung ausüben. Zum besonderen Dienst des Priesters gehört vor allem auch
das Gebet, besonders die Fürbitte sowie die persönliche
Evangelisation, das Zeugnis durch Wort und Wandel.[35]
„Die
Schlüssel sind ein Amt und Gewalt, der Kirche von Christus gegeben, zu binden
und zu lösen die Sünde, nicht allein die groben und wohl bekannten Sünden,
sondern auch die subtilen, heimlichen, die Gott allein erkennt. Wie geschrieben
steht im 19. Psalm: Wer kennt, wie viel er fehlet? Und St. Paulus Röm. 7 klagt
selbst, dass er mit dem Fleisch diene dem Gesetz der Sünde. Denn es steht nicht
bei uns, sondern bei Gott allein zu urteilen, welche, wie groß und wie viel
Sünde sind…“ (Schmalk. Art., 3. Teil, VII, 1-2)
Die Schlüssel gehören also eigentlich und
ursprünglich, zum wirklichen Gebrauch, nicht einem Menschen nur, dem Papst,
oder einer Gruppe von Menschen, der Hierarchie, sondern vielmehr der ganzen
Kirche, jedem Gläubigen, jedem, der den Heiligen Geist hat. Und das zeigt sich
dann unter anderem darin, dass die Gemeinde die Vollmacht und das Recht hat,
Diener am Wort zu berufen, zu ordinieren. Auch das letzte Gericht, Matth.
18,18, ist bei der Gemeinde, die also Inhaberin
der höchsten Gewalt in der Kirche ist.
„Über
das muss man bekennen, dass die Schlüssel nicht einem Menschen allein [gegen
das Papsttum gerichtet, Anm. d. Hrsg.], sondern der ganzen Kirche gehören und
gegeben sind, wie denn solches mit hellen und gewissen Ursachen genugsam kann
erwiesen werden. Denn gleichwie die Verheißung des Evangeliums gewiss und ohne
Mittel der ganzen Kirche zugehört, also gehören die Schlüssel ohne Mittel der
ganzen Kirche, dieweil die Schlüssel nichts anderes sind als das Amt, dadurch
solche Verheißung jedermann, wer es begehrt, wird mitgeteilt; wie es denn im
Werk vor Augen ist, dass die Kirche Macht hat, Kirchendiener zu ordinieren. Und
Christus spricht bei diesen Worten: Was ihr binden werdet usw., und deutet, wem
er die Schlüssel gegeben, nämlich der Kirche: Wo zwei oder drei versammelt sind
in meinem Namen usw. Ebenso gibt Christus das höchste und letzte Gericht der
Kirche, da er spricht: Sags der Kirche.“ (Traktat von der Gewalt des
Papstes, 24)
Diese Aussage macht auch deutlich, dass die
„Kirche“ hier nicht, wie romanisierende Personen meinen, als ein
Kollektivbegriff gemeint ist, so dass also nur die vollständig versammelte
Kirche einschließlich des Amtes diese Gewalt hätte, sondern, da dies ja mit der
Verheißung des Evangeliums parallel gesetzt wird, ist hier jeder einzelne
Gläubige gemeint. Und der hat diese Vollmacht ohne Mittler, als direkte Gabe
Christi durch seinen Geist, nicht erst durch den Pastor oder „Priester“ ihm
gegeben.
Darauf folgt: Wo die Kirche ist, also wo
Christen sich versammeln um die Gnadenmittel, da haben sie auch die Vollmacht
und den Befehl Gottes, diese Gnadenmittel zu verwalten und dazu das öffentliche
Predigtamt oder den öffentlichen Gnadenmitteldienst aufzurichten. Diese
Vollmacht hat sie, nochmals betont, als direktes Geschenk Gottes, und darf ihr
von niemand genommen oder in ihrem Gebrauch eingeschränkt werden.
„Denn
wo die Kirche ist, das ist je der Befehl, das Evangelium zu predigen. Darum
müssen die Kirchen die Gewalt behalten, dass sie Kirchendiener fordern, wählen
und ordinieren. Und solche Gewalt ist ein Geschenk, welches der Kirche
eigentlich von Gott gegeben und von keiner menschlichen Gewalt der Kirche kann
genommen werden, wie St. Paulus zeugt Eph. 4, da er sagt: ‚Er ist in die Höhe
gefahren und hat Gaben gegeben den Menschen.’ Und unter solchen Gaben, die der
Kirche eigen sind, zählt er Pfarrer und Lehrer, und hängt daran, dass solche
gegeben werden zur Erbauung des Leibes Christi. Darum folgt, wo eine rechte
Kirche ist, dass da auch die Macht sei, Kirchendiener zu wählen und zu
ordinieren. Wie denn in der Not auch ein schlichter Laie einen andern absolvieren
und sein Pfarrer werden kann, wie St. Augustin in Geschichten schreibt, dass
zwei Christen in einem Schiff beisammen gewesen, der einer den andern getauft
und darnach von ihm absolviert sei.
Hierher
gehören die Sprüche Christi, welche zeugen, dass die Schlüssel der ganzen
Kirche und nicht etlichen besonderen Personen gegeben sind, wie der Text sagt:
‚Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter
ihnen.“
(Traktat von der Gewalt des Papstes, 67-68)
Im Blick auf das öffentliche Predigtamt
oder den öffentlichen Gnadenmitteldienst bekennt die Augsburgische Konfession,
dass niemand in der Kirche dieses Amt ausüben darf, der nicht ordentlich in
dieses Amt berufen wurde. Damit ist auch jegliche eigenmächtige Bildung von
Konventikeln, Kreisen innerhalb der Gemeinde ohne Absprache mit dem Pastor und
der Gemeindeversammlung verworfen. Dieses Amt ist nicht
grundsätzlich vom Priestertum aller Gläubigen unterschieden, denn es hat
dieselbe Vollmacht, sondern der Unterschied liegt in der
Berufung, Beauftragung zur öffentlichen Gnadenmittelverwaltung, die mit der
Berufung dem Diener übertragen wird.
„Vom
Kirchenregiment wird gelehrt, dass niemand in der Kirche öffentlich lehren oder
predigen oder Sakrament reichen soll ohne ordentlichen Beruf.“ (Augsb. Bek., XIV)
Da es das Wichtigste ist, dass Menschen zur
rechten Erkenntnis Christi, der Lehre Christi, des Evangeliums,
also zum rechtfertigenden Glauben kommen, ist das
Predigtamt in concreto das höchste Amt in der Kirche, der nötigste
Gottesdienst. Die schriftgemäße
Verkündigung und stiftungsgemäße Sakramentsverwaltung haben unmittelbare,
göttliche Bevollmächtigung, Mandat und Verheißung für die Kirche. Zu ihrer
Ausübung hat Christus geordnet, dass die Kirche Diener
an Wort und Sakrament berufen soll, deren Vollmacht abgeleitet und legitimiert
wird durch die ihnen von Christus mittels der Gemeinde übertragene Verkündigung
und Sakramentsverwaltung.[36] Es
ist also nicht, gegen Rom, als eine
institutionelle Stiftung unter Absehung von seiner Funktion zu verstehen,
sondern das Mandat geht auf die Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung. Es
ist daher auch kein Opferpriesteramt,
auch nicht primär ein Leitungsamt, sondern grundlegend Gnadenmitteldienst. Weil das Kirchenamt also Gnadenmittelamt ist,
kann es auch nur Ein Amt in der Kirche geben, das aber in vielfältiger Weise
konkretisiert werden kann. Es ist also auch
nicht der Zweckmäßigkeit oder christlicher Freiheit überlassen, ob Diener an
Wort und Sakrament berufen werden, geschieht auch nicht
aus „praktischer“ oder „innerer Notwendigkeit“ (gegen Höfling), sondern
es ist göttliche evangelische Ordnung, dass dieser Dienst durch berufene
Personen ausgerichtet wird, begonnen mit den
unmittelbar berufenen Aposteln, heute Personen,
die Christus seiner Gemeinde gibt und
mittels der Gemeinde beruft. „Die Mitteilung Christi im mündlichen
Wort“ ist „Zentralstück der christlichen Religion“ und geht an Bedeutung auch
über die Sakramentsverwaltung.[37]
„Denn der
allergrößte, heiligste, nötigste, höchste Gottesdienst, welchen Gott im ersten
und andern Gebot als das Größte hat gefordert, ist Gottes Wort predigen; denn
des Predigtamt ist das höchste Amt in der Kirche. Wo nun der Gottesdienst
ausgelassen wird, wie kann da Erkenntnis Gottes, die Lehre Christi oder das
Evangelium sein?“ (Apol., XV, 44)
Wer in diesem Dienst steht, der predigt
nicht sich selbst, sondern Christus. Er steht deshalb an Christi Statt vor der
Gemeinde, um von Christus zu zeugen. Damit tritt die Person des Predigers ganz
zurück, es geht um den Dienst, es geht um sein Wort und Sakrament, was er
austeilt.
„Denn
um des Berufs willen der Kirchen sind solche da, nicht für ihre eigene Person,
sondern als Christus, wie Christus zeugt: ‚Wer euch hört, der hört mich.’ Also
ist auch Judas zu predigen gesendet. Wenn nun gleich Gottlose predigen und
Sakrament reichen, so reichen sie dieselben an Christi Statt. Und das lehrt uns
das Wort Christi, dass wir in solchem Fall die Unwürdigkeit der Diener uns
nicht sollen irren lassen.“ (Apol., VII/VIII, 28)
Was ist nun die Gewalt oder Vollmacht des
öffentlichen Predigt- oder Bischofsamtes? (Der Begriff „Bischof“ wird in den
Bekenntnisschriften zunächst für den Dienst der die Gemeindehirten
beaufsehenden Diener verwendet; es wird aber in den Ausführungen deutlich, dass
ihr Dienst sich tatsächlich nicht grundlegend von dem der Gemeindediener
unterscheidet, wie ja auch der biblische Begriff des episkopos eben den
vorstehenden oder aufsehenden Gemeindedienst meint.) Die Gewalt oder Vollmacht
des Predigtdienstes ist der Befehl Gottes, das Evangelium zu predigen und die
Sakramente zu reichen, Sünden zu vergeben und Sünden zu behalten (solches in
Gemeinschaft mit der Gemeinde). Diese Gewalt wird nicht anders ausgeübt als
eben durch die Predigt, durch die Verkündigung des Wortes Gottes, weil durch
das Wort alles ausgerichtet wird.
Das schließt auch ein, gegen die Irrlehre
vorzugehen, die biblische Lehre zu verteidigen, die falsche Lehre aber zu
widerlegen und die Gemeinde vor ihr zu schützen. Ebenso sollen sie auch Zucht
üben gegen die unbußfertigen und öffentlichen Sünder. Dies soll aber alles
allein durch Gottes Wort geschehen. Und nur in sofern und so weit sie das Wort
Gottes bringen, können sie auch Gehorsam fordern, nämlich nicht für sich,
sondern für Gottes Wort. Da aber, wo sie gegen Gottes Wort lehren, darf niemand
ihnen folgen, sondern müssen die Christen sich von ihnen trennen.
„Nun
lehren die unsern also, dass die Gewalt der Schlüssel oder Bischöfe sei, laut
des Evangeliums, eine Gewalt und Befehl Gottes, das Evangelium zu predigen, die
Sünde zu vergeben und zu behalten und die Sakramente zu reichen und zu handeln.
Denn Christus hat die Apostel mit dem Befehl ausgesandt (Joh. 20,21 ff.):
‚Gleichwie mich der Vater gesandt hat, also sende ich euch auch. Nehmet hin den
heiligen Geist; welchen ihr die Sünden erlassen werdet, denen sollen sie
erlassen sein; und denen ihr sie behalten werdet, denen sollen sie behalten
sein.
Dieselbe
Gewalt der Schlüssel oder Bischöfe übt und treibt man allein mit der Lehre und
Predigt Gottes Worts und mit Handreichung der Sakramente gegen viele oder
einzelne Personen, darnach der Beruf ist.“ (Augsb. Bek.,
XXVIII, 5-8)
„Derhalben ist das bischöfliche Amt nach göttlichen Rechten: das
Evangelium predigen, Sünde vergeben, Lehre urteilen und die Lehre, so dem
Evangelium entgegen, verwerfen und die Gottlosen, deren gottloses Wesen offenbar
ist, aus der christlichen Gemeinde ausschließen, ohne menschliche Gewalt,
sondern allein durch Gottes Wort. Und diesfalls sind die Pfarrleute und Kirchen
schuldig, den Bischöfen gehorsam zu sein, laut dieses Spruchs Christi, Lukas
10,16: ‚Wer euch hört, der hört mich.’ Wo sie aber etwas dem Evangelium
entgegen lehren, setzen oder richten, haben wir Gottes Befehl in solchem Fall,
dass wir nicht sollen gehorsam sein, Matth. 7,15: ‚Sehet euch vor vor den
falschen Propheten.’“ (Augsb. Bek., XXVIII, 20-24)
Damit handelt der öffentliche
Gnadenmitteldienst mit ewigen geistlichen Dingen und Gütern, nämlich der ewigen
Gerechtigkeit, dem heiligen Geist, dem ewigen Leben. Diese Güter werden ja
nicht anders erlangt als eben durch das Evangelium. Das unterscheidet das
öffentliche Predigtamt auch grundsätzlich vom Amt der Obrigkeit, die mit
weltlichen, irdischen, zeitlichen Dingen handelt. Beide Ämter sind daher streng
zu unterscheiden und zu trennen und dürfen nicht vermischt werden.
Darum ist alle Gewalt oder Aufgaben, die
Menschen, die im Predigtamt sind, sonst noch haben mögen über Gottes Wort
hinaus, nach menschlichem Recht, aus menschlichem Übereinkommen, und nicht nach
Gottes Ordnung.
„Denn
damit werden gegeben nicht leibliche, sondern ewige Dinge und Güter, als
nämlich ewige Gerechtigkeit, der Heilige Geist und das
ewige Leben. Diese Güter kann man nicht anders erlangen als durch das Amt der
Predigt und durch die Handreichung der heiligen Sakramente. Denn St. Paulus
spricht (Röm. 1,16): ‚Das Evangelium ist eine Kraft Gottes, selig zu machen alle,
die daran glauben.’ Dieweil nun die Gewalt der Kirchen oder Bischöfe ewige
Güter gibt und allein durch das Predigtamt geübt und getrieben wird, so hindert
sie die Polizei und das weltliche Regiment nirgends. Denn das weltliche
Regiment geht mit viel andern Sachen um als das Evangelium; welche Gewalt
schützt nicht die Seelen, sondern Leib und Gut wider äußerliche Gewalt mit dem
Schwert und leiblichen Poenen [Strafen].
Darum
soll man die zwei Regimenter, das geistliche und weltliche, nicht ineinander
mengen und werfen.“ (Augsb. Bek., XXVIII, 9-12)
„Dass
aber die Bischöfe sonst Gewalt und Gerichtszwang haben in etlichen Sachen, wie
nämlich Ehesachen oder Zehnten, dieselben haben sie aus Kraft menschlicher
Rechte.“
(Augsb. Bek., XXVIII, 29)
Die Aufgaben oder Gewalt des öffentlichen
Predigtamtes umfassen also geistliche Güter und geben dem Inhaber keine
tyrannische Gewalt, keine Herrschaft über die Gemeinde.
„So
hat ein jeder christliche Bischof potestam ordinis, das ist, das Evangelium zu
predigen, Sakrament zu reichen, auch die Gewalt eines geistlichen Gerichtzwangs
in der Kirche, das ist, Macht und Gewalt, aus der christlichen Gemeinde
auszuschließen diejenigen, so in öffentlichen Lastern gefunden werden, und
dieselben, wenn sie sich bekehren, wieder aufzunehmen und ihnen die Absolution
mitzuteilen. Sie haben aber nicht eine tyrannische Gewalt, das ist, ohne gewisses
Gesetz zu urteilen. So haben sie auch keine königliche Gewalt, das ist, über
die gegebenen Gesetze zu schaffen.“ (Apol., XXVIII, 13-14)
„Denn
die Apostel empfangen da nicht ein mandatum cum libera, das ist einen ganz
freien, ungemessenen Befehl und Gewalt, sondern haben einen gemessenen Befehl,
nämlich nicht ihr eigenes Wort, sondern Gottes Wort und das Evangelium zu
predigen. Und der HERR Christus will in den Worten (Wer euch höret, der höret
mich) alle Welt stärken, wie auch vonnöten war, dass wir sollten ganz gewiss
sein, dass das leibliche Wort Gottes Kraft wäre und dass niemand vom Himmel ein
anderes Wort müsste suchen oder gewarten. Darum kann dies Wort: Wer euch höret,
der höret mich, von Satzungen nicht verstanden werden. Denn Christus will da,
dass sie also lehren sollen, dass man durch ihren Mund Christus selbst höre. So
dürfen sie ja nicht ihr eigenes Wort predigen, sondern sein Wort, seine Stimme
und Evangelium, soll man Christus hören.“ (Apol., XXVIII, 18-19)
Der Gehorsam, von dem der Hebräerbrief
spricht, gilt dem Evangelium Christi, dem Wort Gottes, nicht der Person und
menschlichen Anordnungen der Prediger und Bischöfe, denn über das Wort Gottes
hinaus haben sie keinerlei Gewalt in der Gemeinde, darf die Gemeinde ihnen auch
nicht gehorchen.
„Auch
ziehen sie diesen Spruch an zu den Hebräern im 13. Kapitel: ‚Gehorchet denen,
die euch vorgehen usw.’ Dieser Spruch fordert, dass man soll gehorsam sein dem
Evangelium, denn er gibt den Bischöfen nicht eine eigene Herrschaft oder
Herrengewalt außer dem Evangelium; so sollen auch die Bischöfe nicht wider das
Evangelium Satzung machen, noch ihre Satzungen wider das Evangelium auslegen.
Denn wenn sie das tun, so verbietet uns das Evangelium, ihnen gehorsam zu sein,
wie Paulus zu den Galatern sagt: ‚so euch jemand würde ein anderes Evangelium
predigen, der sei verflucht.’“ (Apol., XXVIII, 20)
Es gibt auch von Gottes Wort und Ordnung
her keinen Unterschied zwischen der Gewalt und Vollmacht der Bischöfe und
derjenigen der Prediger oder Pastoren. Es ist vielmehr immer die Gewalt und
Vollmacht, der Gemeinde vorzustehen, das Evangelium zu predigen, die Sünden zu
vergeben, die Sakramente zu reichen. Alle Unterschiede, die zwischen den
verschiedenen Diensten oder Ämtern bestehen, sind nicht von Gott geordnet (ius
divinum), sondern kommen aus menschlichem Recht (ius humanum), aus menschlicher
Übereinkunft. Das heißt: Auch Prediger, Pastoren haben die Ordinationsgewalt,
nach göttlichem Recht. Und: Christus hat im
Neuen Testament keine spezifische äußere Gestalt oder Form des Dienstes geordnet.
Göttliche Ordnung ist, dass die Christen, vorzüglich die Ortsgemeinde und
weitere durch sie oder in Verbindung mit ihr (Synodalverband z.B.) stehende
Einrichtungen, Diener an Wort und Sakrament berufen
(Apol. XIII, 12). Im Neuen Testament finden wir dabei eine
Zweigliederung in der Hinsicht, dass es den missionarisch-evangelistischen
Dienst außerhalb der Gemeinde und den gemeindlichen Dienst gibt,
wobei beide miteinander verwoben sind, da auch die Diener an Wort und Sakrament
in der Gemeinde missionarisch und evangelistisch tätig sein sollen, während
andererseits alle Missions- und Evangelisationsarbeit
auf Gemeindebildung oder Stärkung bestehender Gemeinden hinzielt.
„Denn
das Evangelium gebietet denen, so den Kirchen sollen vorstehen, dass sie das
Evangelium predigen, Sünde vergeben und Sakramente reichen sollen. Und über das
gibt es ihnen die Jurisdiktion, dass man die, so in öffentlichen Lastern
liegen, bannen, und die sich bessern wollen, entbinden und absolvieren soll.
Nun muss
es jedermann, auch unsere Widersacher, bekennen, dass diesen Befehl zugleich
alle haben, die den Kirchen vorstehen, sie heißen gleich pastores oder
presbyteri oder Bischöfe. Darum spricht auch Hieronymus mit hellen Worten, dass
episcopi und presbyteri nicht unterschieden sind, sondern dass alle Pfarrherren
zugleich Bischöfe und Priester sind, und allegiert den Text Pauli an Titus 1,
da er zu Titus schreibt; ‚Ich ließ dich deshalb zu Kreta, dass du bestellest
die Städte hin und her mit Priestern,’ und nennet solche hernach Bischöfe: ‚Es
soll ein Bischof eines Weibes Mann sein.’ So nennen sich selbst Petrus und
Johannes presbyteros oder Priester….
Hier
lehrt Hieronymus, dass solcher Unterschied der Bischöfe und Pfarrherren allein
aus menschlicher Ordnung gekommen sei, wie man denn auch im Werk sieht. Denn
das Amt und Befehl ist gar einerlei, und hat hernach allein die ordinatio den
Unterschied zwischen Bischöfen und Pfarrherrn gemacht. Denn so hat man‘s
hernach geordnet, dass ein Bischof auch in andern Kirchen Leute zum Predigtamt
ordnete.
Weil aber
nach göttlichem Recht kein Unterschied ist zwischen Bischöfen und Pastoren oder
Pfarrherrn, ists ohne Zweifel, wenn ein Pfarrherr in seiner Kirche etliche
tüchtige Personen zum Kirchenamt ordnet, dass solche ordinatio nach göttlichen
Rechten kräftig und recht ist.“ (Traktat von der Gewalt der Bischöfe, 60-62.63-65)
Ebenso ist auch die Gewalt des Bannes oder
geistlichen Gerichts nicht nur bei den Bischöfen, sondern bei allen Predigern
(zusammen mit der Gemeinde; siehe auch S. 69
f.).
„Dies
ist gewiss, dass die gemeine Jurisdiktion die, so in öffentlichen Lastern
liegen, zu bannen, alle Pfarrherrn haben sollen, und dass die Bischöfe als
Tyrannen sie zu sich gezogen und zu ihrem Genieß schändlich missbraucht haben.“
(Traktat von der Gewalt der Bischöfe, 74)
Das aber heißt, es muss nochmals betont
werden, dass die Bischöfe keinerlei Gewalt, Vollmacht und Recht haben, etwas
gegen das Evangelium zu setzen. In Dingen, die Gottes Wort frei gelassen hat,
dürfen sie keine Gesetze machen, vor allem nicht solche, durch die man
angeblich sich vor Gott Gnade verdienen könne oder die nötig seien zur
Seligkeit, oder Gottesdienste aufzurichten, die heilig und fromm machen würden.
All dies wäre ein Angriff gegen die christliche Freiheit. Die Gewalt der
Bischöfe geht nicht über Gottes Wort hinaus. Wo sie sich Gewalt, Vollmacht
darüber hinaus anmaßen, greifen sie die Rechtfertigung durch Christus selbst
an.
„Aber
die unsern lehren in dieser Frage also, dass die Bischöfe nicht Macht haben,
etwas wider das Evangelium zu setzen und aufzurichten, wie dann oben angezeigt
ist, und die geistlichen Rechte durch die ganze neunte Distinktion lehren. Nun
ist diese öffentlich gegen Gottes Befehl und Wort, der Meinung Gesetze zu
machen oder zu gebieten, dass man dadurch für die Sünde genug tue und Gnade
erlange. Denn es wird die Ehre des Verdienstes Christi verlästert, wenn wir uns
mit solchen Satzungen unterwinden, Gnade zu verdienen.“ (Augsb. Bek.,
XXVIII, 34-36)
„Doch
hat man helle Sprüche der göttlichen Schrift, die da verbieten, solche Aufsätze
aufzurichten, die Gnade Gottes damit zu verdienen, oder als sollten sie
vonnöten zur Seligkeit sein.“ (Augsb. Bek., XXVIII, 43-46)
„Derhalben,
dieweil solch Ordnungen, als nötig aufgerichtet, damit Gott zu versöhnen und
Gnade zu verdienen, dem Evangelium entgegen sind, so ziemt sich keineswegs den
Bischöfen, solchen Gottesdienst zu erzwingen. Denn man muss in der Christenheit
die Lehre von der christlichen Freiheit behalten, als nämlich, dass die
Knechtschaft des Gesetzes nicht nötig ist zur Rechtfertigung, wie dann St.
Paulus zu den Galatern schreibt im 5. Kapitel (V. 1): ‚So bestehet nun in der
Freiheit, damit uns Christus befreit hat, und lasst euch nicht wieder in das
knechtische Joch verknüpfen.’ Denn es muss ja der vornehmste Artikel des
Evangeliums erhalten werden, dass wie die Gnade Gottes durch den Glauben an
Christus ohne unser Verdienst erlangen und nicht durch Dienst, von Menschen eingesetzt,
verdienen.
Was soll
man denn halten vom Sonntag und dergleichen andern Kirchenordnungen und
Zeremonien? Dazu geben die Unsern diese Antwort, dass die Bischöfe oder Pfarrer
mögen Ordnung machen, damit es ordentlich in der Kirche zugehe, nicht damit
Gottes Gnade zu erlangen, auch nicht damit für die Sünde genug zu tun oder die
Gewissen damit zu binden, solches für nötigen Gottesdienst zu halten und es
dafür zu achten, dass sie Sünde täten, wenn sie ohne Ärgernis dieselben brechen…
Solche
Ordnung gebührt der christlichen Versammlung um der Liebe und Friedens willen
zu halten und den Bischöfen und Pfarrherrn in diesen Fällen gehorsam zu sein
und dieselben sofern zu halten, dass einer den andern nicht ärgere, damit in
der Kirche keine Unordnung oder wüstes Wesen sei. Doch also, dass die Gewissen
nicht beschwert werden, dass mans für solche Dinge halte, die Not sein sollten
zur Seligkeit, und es dafür achte, dass
sie Sünde täten, wenn sie dieselben ohne der andern Ärgernis brechen; wie
denn niemand sagt, dass das Weib Sünde tue, die mit bloßem Haupt ohne Ärgernis
der Leute ausgeht.“ (Augsb. Bek., XXVIII, 50-56)
„Derhalben
haben die Bischöfe nicht Macht noch Gewalt, eigene erwählte Gottesdienste
aufzurichten, welche sollen die Leute vor Gott heilig und fromm machen. Denn es
sagen auch die Apostel Apg. 15: ‚Was versucht ihr Gott und legt eine Bürde auf
die Jünger’ usw. Da schilt es Petrus als eine große Sünde, damit man Gott
verlästere und versuche. Darum ist es der Apostel Meinung, dass diese Freiheit
in der Kirche bleiben soll, dass keine Zeremonien, weder das Gesetz Moses noch
andere Satzungen, sollen als nötige Gottesdienste geschätzt werden, wie etliche
Zeremonien im Gesetz Moses als nötig mussten im Alten Testament eine Zeitlang
gehalten werden.“ (Apol., XV, 31-32)
„Man
muss in der Kirche diese Lehre behalten, dass wir ohne Verdienst um Christi
willen durch den Glauben Vergebung der Sünde erlangen, so muss man auch die
Lehre behalten, dass alle Menschensatzungen nichts nütze sind, Gott zu
versöhnen. Darum in Speise, Trank, Kleidern und dergleichen ist weder Sünde
noch Gerechtigkeit zu setzen. Denn Paulus spricht: ‚Das Reich Gottes ist nicht
Essen und Trinken.’ Darum haben die Bischöfe nicht Macht, Satzungen zu machen
außerhalb des Evangeliums, also dass man dadurch Vergebung der Sünden erlangen
wollte, oder dass es sollten Gottesdienste sein, um welcher willen uns Gott
gerecht schätze, und zu welchen sie die Gewissen verpflichten bei einer
Todsünde. Das alles lehrt der einige Spruch in der Apostelgeschichte Kap. 15,
da Petrus sagt: ‚dass die Herzen werden durch den Glauben gereinigt’. Und
darnach verbieten sie, ein Joch oder Bürde auf die Jünger zu legen und sagen,
wie gefährlich das sei. Auch geben sie zu verstehen, dass die schrecklich
sündigen und wider Gott handeln und Gott versuchen, die also die Kirchen
beschweren. Denn sie sagen: ‚Was versucht ihr Gott?’ Dieses harte, ernste Wort
der Apostel, welches sie billig als ein Donnerschlag schrecken sollte, lassen
sich die Widersacher gar nicht zu Herzen gehen, sondern wollen noch mit aller
Tyrannei und Gewalt ihren erdichteten Gottesdienst verteidigen. …
Das ewige
Leben aber, welches inwendig durch Glauben in diesem Leben anfängt, wirket der
Heilige Geist im Herzen durch das Evangelium. Darum werden die Widersacher
nimmermehr beweisen, dass man durch Menschensatzung das ewige Leben verdiene.“ (Apol., XXVIII,
7-8.10)
Das heilige Predigtamt oder der öffentliche
Gnadenmitteldienst ist auch kein Opferdienst wie im Alten Testament, denn die
Messe ist nicht ein Opfer, Sünden wegzunehmen, sondern eine Kommunion oder
Gemeinschaft der Gemeinde, in der sie von Gott das Sakrament empfängt.
„Dieweil
nun die Messe nicht ein Opfer ist für andere, Lebendige oder Tote, ihre Sünde
wegzunehmen, sondern soll eine Kommunion sein, da der Priester und andere das
Sakrament empfangen für sich: So wird diese Weise bei uns gehalten, dass man an
Feiertagen (auch sonst, so Kommunikanten da sind), Messe hält und etliche, so
das begehren, kommuniziert. Also bleibt die Messe bei uns in ihrem rechten
Brauch, wie sie vorzeiten in der Kirche gehalten, wie man beweisen kann aus St.
Paulus, 1. Kor. 11, dazu auch vieler Väter Schriften.“ (Augsb. Bek., XXIV,
34-35)
Da die Gemeinde und jeder einzelne Christ
die Schlüsselgewalt unmittelbar und ursprünglich von Jesus Christus verliehen
bekommen hat, so hat auch jede Gemeinde das Recht und ist es Gottes Ordnung,
selbst tüchtige Männer zu wählen und zu ordinieren, wenn möglich im Beisein
anderer Pastoren und Bischöfe.
„Darum,
wie die alten Exempel der Kirchen und der Väter uns lehren, wollen und sollen
wir selbst ordinieren tüchtige Personen zu solchem Amt, und das haben sie uns
nicht zu verbieten noch zu wehren, auch nach ihrem eigenen Rechte. Denn ihre
Rechte sagen, dass diejenigen, so auch von Ketzern ordiniert sind, sollen
ordiniert heißen und bleiben, gleichwie Hieronymus schreibt von den Kirchen zu
Alexandria, dass sie erstlich ohne Bischöfe durch die Priester und Prediger
insgemein regiert sind worden.“ (Schmalk. Art., 3. Teil, X, 3)
„Ebenso,
im Nizänischen Konzil ist beschlossen worden, dass eine jegliche Kirche einen
Bischof für sich selbst im Beisein eines oder mehrerer Bischöfe, so in der Nähe
wohnten, wählen sollte. Solches ist nicht allein im Orient eine lange Zeit,
sondern auch in andern und lateinischen Kirchen gehalten worden, wie solchs
klar bei Cyprianus und Augustinus ist ausgedrückt. Denn so spricht Cyprianus,
epist. 4 ad Cornelium: ‚Darum soll man es fleißig nach dem Befehl Gottes und
der Apostel Gebrauch halten, wie es denn bei uns und fast in allen Landen
gehalten wird, dass zu der Gemeinde, da ein Bischof zu wählen ist, andere des
Orts nahe gelegene Bischöfe zusammen sollen kommen, und in Gegenwart der ganzen
Gemeinde, die eines jeden Wandel und Leben weiß, der Bischof soll gewählt
werden, wie wir denn sehen, dass es in der Wahl Sabini, unsers Mitgesellen,
auch geschehen ist, dass er nach Wahl der ganzen Gemeinde und Rat etlicher
Bischöfe, so vorhanden gewesen, zum Bischof erwählt und die Hände ihm aufgelegt
sind, usw.’“ (Von der Gewalt des Papstes, 13-14)
„Zum
letzten, wie kann der Papst nach göttlichen Rechten über die Kirche sein, weil
doch die Wahl bei der Kirche steht.“ (Von der Gewalt des Papstes, 20)
„Hieraus
sieht man, dass die Kirche macht hat, Kirchendiener zu wählen und zu
ordinieren. Darum, wenn die Bischöfe entweder Ketzer sind oder tüchtige
Personen nicht wollen ordinieren, sind die Kirchen vor Gott nach göttlichem
Recht schuldig, sich selbst Pfarrherrn und Kirchendiener zu ordinieren.“
(Von der Gewalt des Papstes, 72)
Die Ordination im eigentlichen oder engeren
Sinne, nämlich die Einsegnung der Berufenen unter Handauflegung, ist nichts
anderes als die Bestätigung der Wahl durch die Gemeinde.
„Solches
zeugt auch der allgemeine Brauch der Kirchen. Denn vorzeiten wählt das Volk
Pfarrherrn und Bischöfe; dazu kam der Bischof am selben Ort oder in der Nähe
gesessen, und bestätigt den gewählten Bischof durch Auflegen der Hände, und ist
dazumal die Ordination nicht anders gewesen als solche Bestätigung.“ (Von der Gewalt des
Papstes, 70)
Kann die Ordination auch als ein Sakrament
verstanden werden? Dies wird ja von romanisierenden, also nach Rom und
hierarchischer Ordnung Neigenden, immer wieder behauptet. Der Artikel XIII der
Apologie spricht davon, aber in einem anderen Sinne als die Romanisierenden es
meinen. Dort wird von der Ordination im weiteren Sinne gesprochen, nämlich wenn
das Amt insgesamt verstanden wird, und zwar als die Predigt und Verwaltung der
Sakramente. Das heißt, es kann die „Ordination“ nur insofern als ein Sakrament
verstanden werden, als es um das Evangelium geht, also um das Wort, das
ausgeteilt wird, nicht um das Amt im Sinne etwa einer hierarchischen Ordnung
oder des isolierten Aktes der Handauflegung.
„Durch
das Sakrament des Ordens oder Priesterschaft verstehen die Widersacher nicht
das Predigtamt und das Amt, die Sakramente zu reichen und auszuteilen, sondern
verstehen von Priestern, die zu opfern geordnet sind. Gleich als müsse im Neuen
Testament ein Priestertum sein, wie das levitische Priestertum gewesen, da die
Priester für das Volk opfern und den andern die Vergebung der Sünde erlangen.
Wir aber lehren, dass das einige Opfer Christi am Kreuz genug getan hat für
aller Welt Sünde, und dass wir nicht eines andern Opfers für die Sünde
bedürfen. Denn wir haben im Neuen Testament nicht ein solches Priestertum wie
das levitische Priestertum war, wie die Epistel zu den Hebräern lehret. Wo man
aber das Sakrament des Ordens wollt nennen ein Sakrament von dem Predigtamt und
Evangelium, so hätte es keine Beschwerung, die Ordination ein Sakrament zu
nennen. Denn das Predigtamt hat Gott eingesetzt und geboten, und hat herrliche
Zusage Gottes, Röm. 1. ‚Das Evangelium ist eine Kraft Gottes allen denjenigen,
so daran glauben’ usw. Jes. 55. ‚Das Wort, das aus meinem Munde gehet, soll
nicht wieder leer zu mir kommen, sondern tun, was mir gefällt.’ Wenn man das
Sakrament des Ordens also verstehen wollte, so könnte man auch das Auflegen der
Hände ein Sakrament nennen. Denn die Kirche hat Gottes Befehl, dass sie soll
Prediger und Diakone bestellen.“ (Apol., XIII, 7-12)
Mit vollem Recht hat
sich Luther gerühmt, es habe kein Doktor fast seit der Apostel
Zeiten „so herrlich von der Majestät oder der weltlichen Obrigkeit gelehrt und
geschrieben“ wie er (Erl. Ausg. 31,21). Es war ein unendlich kühner Schritt, dass er
die beiden Gewalten, die geistliche und die weltliche, als
zwei von Gott nebeneinander gewollte, selbständige Größen hinstellte.
Verschieden sind ihre Zwecke; die geistliche soll dem Heil der Seele zum ewigen
Leben dienen; die weltliche dagegen dem irdischen Wohl (Staatsziel:
allgemeine Wohlfahrt, Sozialstaat), der leiblichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung
(sittlicher Rechtsstaat, gegründet auf dem Naturrecht).
Beiden stehen verschiedene Mittel zur Verfügung, der Kirche nur das geistliche
der Gnadenmittel, der weltlichen Obrigkeit das leibliche der äußeren
Zwangsgewalt. Ebenso die Bekenntnisschriften (Augsb. Bek. XVI;
XXVIII; Apol. XVI; XXVIII). Damit ist das gesamte staatliche oder „weltliche
Leben“ von jeder direkten Bevormundung durch die Kirche befreit. Es
wird der Kirche die nach mittelalterlicher Anschauung ungeheure
Selbstbeschränkung zugemutet, den Staat sich nach seiner selbsteigenen Art und
seinen selbsteigenen Gesetzen betätigen zu lassen. Das
hebt aber nicht auf, dass auch die Obrigkeit Gott unterworfen ist, dass Gott
Herr beider Gewalten ist, durch beide Gewalten regiert, nur eben auf
unterschiedliche Weise, und dass der Staat
daher auch der sittlichen Naturordnung, dem sittlichen Naturrecht Gottes
unterworfen ist, die ausgeht von der
Schöpfung, in der Gott das Leben geschenkt hat als das von Gott allem anderen
vorgegebene Urrecht der auf Gott angelegten freien Persönlichkeit,
die sich nun gemäß Gottes Willen und seiner sittlichen Ordnung entfalten soll.
Damit ist der Staat aufgerufen, die
freie Entfaltung der Person zu gewährleisten, wozu auch die Gewährleistung der
Grundbedürfnisse an Nahrung, Kleidung, Wohnung gehören, dann auch die weiteren
Grundbedürfnisse wie Bildung, freie, sozial
verantwortete, wirtschaftliche
Betätigung, freie Religionsausübung, Schutz
und freie Entfaltung von Ehe und Familie, und das alles
garantiert durch einen sittlichen Rechtsstaat. Wiewohl nach dem Sündenfall es
die ursprüngliche Gleichheit unter den Menschen nicht mehr gibt,
zeigt Gottes Ordnung für Israel als einem Beispiel Gott wohlgefälliger
Sozialordnung, dass Gott den Ausgleich zwischen reich und arm will und die
Freiheit aller (keine dauerhafte Sklaverei sollte es in Israel
geben).
Natürlich wird es auf
die Gestaltung des staatlichen Lebens Einfluss haben, wenn die Glieder und die
Leiter des Staates auch
Glieder der Kirche sind. Aber dies ist eine
auch auf allen anderen Gebieten des irdischen Lebens sich geltend machende
innere Beeinflussung, durch die die Selbständigkeit des Staates nicht
angetastet wird. Einen „christlichen Staat“ als eine
theologische, geistliche Ordnung kennt das Neue Testament nicht. Erst auf
diesem von der Reformation
gelegten Grund ist der moderne Staat möglich
geworden. Damit ist zugleich der Kirche jede Staatsfeindschaft,
auch jede Geringschätzung des Staates und des von ihm überwachten weltlichen
Lebens als Auflehnung gegen „Gottes Ordnung“ untersagt (vgl. S. ) Sind aber
Kirche und Staat zwei selbständige
Gewalten Gottes, so hat auch umgekehrt der Staat nichts mit der Aufgabe der
Kirche zu tun und darf ihr Amt und ihren Dienst in keiner Weise einschränken
oder zu bestimmen versuchen. Ebenso wenig darf er
sich anmaßen, durch Weltanschauungen (Ideologien) oder eine Art
„Zivilreligion“ sich auch die Seele zu unterwerfen, den „ganzen Menschen“
vereinnahmen, beeinflussen zu wollen (Totalitarismus;
Eingreifen des Staates in immer mehr Bereiche des Privatrechts und privaten
Lebens). „Das weltliche Regiment“, lehrt Luther, „hat
Gesetze, die sich nicht weiter
erstrecken als über Leib und Gut und was äußerlich ist auf Erden.
Denn über die Seele kann und will Gott niemand lassen regieren als sich selbst
allein. Darum, wo weltliche Macht sich vermisst, der Seele Gesetze zu geben, da
greift sie Gott in sein Regiment.“
(Erl. Ausg. 22,82.) Damit ist das völlig neue Prinzip der Gewissensfreiheit
und der Toleranz proklamiert.
Dieser Grundsatz, dass keine weltliche Gewalt der Seele etwas gebieten darf,
wird auch nicht berührt durch die beiden Einschränkungen, die der Satz, dass
die Obrigkeit um den Glauben ihrer Untertanen sich nicht zu kümmern hat
erleidet. Die erste Einschränkung folgt daraus, dass es
auch Auswirkungen der inneren religiösen Stellung gibt, die in das bürgerliche
Leben hineingreifen. So darf die Obrigkeit um des Wohls ihrer
Bürger willen und um der Ehre Gottes willen, der auch über den Obrigkeit steht,
öffentliche Gotteslästerung (Blasphemie) nicht dulden, ebenso
nicht die Verkündigung solcher Lehren, die, wie die mancher Wiedertäufer, zum
Aufruhr führen oder die freiheitliche Grundordnung
gefährden (wie z.B. der Islam gemäß des Koran).
Die ungeheuer große Tragweite dieser
Verselbständigung des Staates und der Kirche tritt vor allem dann scharf ans
Licht, wenn man die Folgen der römischen Erhebung der Kirche über alles „Weltliche“
und die reformierte Vermischung beider Größen ins Auge fasst. Wieviel
Gewissensnot, wieviel bittere Kämpfe, wieviel Blutvergießen wäre vermieden
worden, wenn Luthers Anschauung von weltlicher Obrigkeit und Kirche allgemein
gesiegt hätte!
Wie weit aber geht
nun die Gewalt der Obrigkeit? Gott hat, wie gesagt, zwei Reiche. Und jedes
dieser Reiche hat seine eigenen Gesetze, Ordnungen. Das Reich der Welt geht
über Leib und Gut, also das, was äußerlich ist auf Erden, dagegen nicht über
die Seele. „Das weltliche
Regiment hat Gesetze, die sich nicht weiter erstrecken als über Leib und Gut
und was äußerlich ist auf Erden. Denn über die Seele kann und will Gott niemand
lassen regieren als sich selbst allein. Darum, wo weltliche Gewalt sich
vermisst, der Seele Gesetze zu
geben, da greift sie Gott in sein Regiment und verführt und verderbt nur die
Seelen.“[39] Das heißt: Alles,
was mit der Seele, mit dem Inneren des Menschen, seinen Gedanken, Ideen,
Wünschen, Begierden, Ansichten und deren Ausdruck nach außen zu tun hat, so
lange nicht zur Gewalt aufgerufen wird, geht die Regierung nichts an. Darüber
bestimmen zu wollen, ist der Beginn totalitärer Herrschaft. Sie hat daher auch
kein Recht, der Kirche in Glaubenssachen und ihrer Ausübung etwas zu gebieten.
Entweder sie geht überein mit dem, was Gott sowieso geordnet hat, dann braucht
die Kirche keine weltlichen Verordnungen, oder aber die Regierung würde gegen
Gottes Ordnungen und Willen handelt, und dann sind ihre Anweisungen vom Teufel
und die Kirche, der Christ dürfen nicht gehorchen. Die Aufgabe der
Obrigkeit ist es, „die Frommen zu schützen und die Bösen zu strafen“ (Röm. 13),
was letztlich nichts anderes heißt, als gemäß dem natürlichen Recht die Ordnung
zu wahren und zu gestalten. „Darum
ist’s gar überaus ein närrisch Ding, wenn sie gebieten, man solle der Kirche,
den Vätern, Konzilien glauben, ob gleich kein Gottes Wort da sei.
Teufelsapostel gebieten solches und nicht die Kirche; denn die Kirche gebietet
nichts, sie wisse denn gewiss, dass es Gottes Wort sei, wie St. Petrus sagt, 1.
Ep. 4,11: ‚Wer da redet, der rede es als Gottes Wort.‘“[40] In
Glaubensdingen aber darf keinerlei Gewalt angewandt werden. „Weil
es denn einem jeglichen auf seinem Gewissen liegt, wie er glaubt oder nicht
glaubt, und damit der weltlichen Gewalt kein Abbruch geschieht, soll sie auch
zufrieden sein und ihres Dinges warten und lassen glauben so oder so, wie man
kann und will, und niemand mit Gewalt dringen. Denn es ist ein freies Werk um
den Glauben, dazu man niemand kann zwingen. Ja, es ist ein göttlich Werk im
Geist, geschweige denn, dass es äußerliche Gewalt sollte
erzwingen und schaffen. Daher ist der gemeine Spruch genommen, den Augustinus
auch hat: Zum Glauben kann und soll man niemand zwingen.“[41]
Daher ist auch kein Christ der Obrigkeit in Sachen der Seele zum Gehorsam
verpflichtet. „Wenn nun dein Fürst
oder weltlicher Herr dir gebietet, es mit dem Papst zu halten, so oder so zu
glauben, oder gebietet dir, Bücher von dir zu tun, sollst du so sagen: Es
gebührt Luzifer nicht, neben Gott zu sitzen; lieber Herr, ich bin euch schuldig
zu gehorchen mit Leib und Gut, gebietet mir nach eurer Gewalt Maß auf Erden, so
will ich folgen. Heißt ihr aber mich glauben und Bücher von mir tun, so will
ich nicht gehorchen; denn da seid
ihr ein Tyrann und greift zu hoch, gebietet, da ihr weder Recht noch Macht habt
usw. Nimmt er dir darüber dein Gut und straft solchen Ungehorsam; selig bist
du, und danke Gott, dass du würdig bist, um göttlichen Worts willen zu leiden.
Lass ihn nur toben, den Narren, er wird seinen Richter wohl finden.“[42] Hier
wird deutlich: Der Widerstand, den der Christ der tyrannischen Obrigkeit
gegenüber leistet, ist grundsätzlich ein passiver Widerstand, das heißt, er
führt Anweisungen nicht aus, die sich gegen Gottes Gebot, Wort, Ordnung, Willen
richten. Dafür muss er dann auch bereit sein zu leiden. Aber Gewaltanwendung
ist normalerweise ausgeschlossen. Röm. 12,19; Matth.
7,1; 2. Mose 22,28; 1. Tim. 2,2; Apg. 23,5.[43] „Denn
der Obrigkeit soll man nicht widerstehen mit Gewalt,
sondern nur mit Erkenntnis der Wahrheit; kehrt sie sich dran, ist’s gut; wo
nicht, so bist du entschuldigt und leidest Unrecht um Gottes willen.“[44] Gewalt ist nur gegen
solche erlaubt, die rechtlich auf der gleichen Stufe stehen oder darunter,
nicht aber gegen die, die uns übergeordnet sind. „Ist
aber der Widerpart deinesgleichen oder geringer als du, oder fremder Obrigkeit;
so sollst du ihm auf’s erste Recht und Friede anbieten, wie Mose die Kinder
Israel lehrt. Will er dann nicht, so gedenke dein Bestes und wehre dich mit
Gewalt gegen Gewalt.“[45] Es gibt also kein
Recht auf eine aktive Rebellion gegen die Obrigkeit. Tut sie Unrecht, so ist
das zu leiden.[46] Denn: Es sind zwei
ganz verschiedene Dinge, eine Obrigkeit zu stürzen und etwas Besseren an ihre
Stelle zu setzen. „Obrigkeit ändern und
Obrigkeit bessern sind zwei Dinge, so weit voneinander wie Himmel und Erde.
Ändern mag leicht geschehen; bessern ist misslich und gefährlich. Warum? Es
steht nicht in unserem Willen und Vermögen, sondern allein in Gottes Willen und
Hand.“[47] Etwas anderes ist es,
wenn ein Herrscher wahnsinnig würde, also nichts Vernünftiges mehr tun oder
leiden kann: Dann soll man ihn absetzen. Luther unterscheidet das sehr klar von
der Tyrannei. „Das ist wohl billig,
wo etwa ein Fürst, König oder Herr wahnsinnig würde, dass man denselben absetze
und verwahrte. Denn der ist nun fortmehr nicht für einen Menschen zu halten,
weil die Vernunft dahin ist. … Aber doch sage ich meine Meinung darauf, dass es
nicht gleich ist mit einem Wahnsinnigen und Tyrannen. Denn der
Wahnsinnige kann nichts Vernünftiges tun noch leiden, es ist auch keine
Hoffnung da, weil der Vernunft Licht weg ist. Aber ein Tyrann tut dennoch viel
dazu; so weiß er, wo er Unrecht tut, und es ist Gewissen und Erkenntnis noch
bei ihm und Hoffnung auch, dass er sich möge bessern, sich sagen lassen und
lernen und folgen, welches keines bei den Wahnsinnigen ist, welcher ist wie in
Klotz oder Stein. Über das ist noch dahinten eine böse Folge oder Exemple;
dass, wo es gebilligt wird, Tyrannen zu ermorden oder
verjagen, reißt es bald ein und wird ein gemeiner Mutwille daraus, dass man
Tyrannen schilt, die nicht Tyrannen sind, und sie auch ermordet, wie es dem
Pöbel in den Sinn kommt; …“[48]
Luther macht in dem Zusammenhang auch
deutlich, und das war für damals (16. Jahrhundert) geradezu revolutionär: Der
Staat hat ebenso kein Recht, der Ketzerei zu wehren, es fällt nicht in sein
Amt. „So sprichst du
abermals: Ja, weltliche Gewalt zwingt nicht zu glauben, sondern wehrt nur
äußerlich, dass man die Leute mit falscher Lehre nicht verführe; wie könnte man
sonst den Ketzern wehren? Antwort: Das sollen die Bischöfe tun; denen ist solch
Amt befohlen, und nicht den Fürsten. Denn Ketzerei kann man nimmermehr
mit Gewalt wehren, es gehört ein anderer Griff dazu, und ist hier ein anderer
Streit und Handel als mit dem Schwert. Gottes Wort soll hier streiten; wenn das
nichts ausrichtet, so wird’s wohl unausgerichtet bleiben von weltlicher Gewalt,
ob sie gleich die Welt mit Blut füllt. Ketzerei ist ein geistlich Ding, das
kann man mit keinem Eisen hauen, mit keinem Feuer verbrennen, mit keinem Wasser
ertränken.“[49]
Eine Frage im Zusammenhang mit
obrigkeitlichem Dienst war auch damals schon aktuell: Kann, darf ein Christ
Soldat sein? Luther sagt Ja, so lange es sich um einen Verteidigungskrieg
handelt. „Denn weil dein
ganzes Land in der Gefahr steht, musst du wagen, ob dir Gott helfen wollte,
dass es nicht alles verderbt werde. Und ob du nicht wehren kannst, dass etliche
Witwen und Waisen drüber werden; so musst du doch wehren, dass nicht alles zu
Boden gehe und eitel Witwen und Waisen werde. Und hierin sind die Untertanen
schuldig zu folgen, Leib und Gut daran zu setzen. Denn in solchem Fall muss
einer um des andern willen sein Gut und sich selbst wagen. Und in solchem Krieg
ist es christlich und ein Werk der Liebe, die Feinde getrost zu würgen,
berauben und brennen, und alles tun, was schädlich ist, bis man sie überwinde,
nach Kriegsläuften; nur dass man sich vor Sünden hüte, Frauen und Jungfrauen
nicht schänden, und wenn man sie überwunden hat, denen, die sich ergeben und
demütigen, Gnade und Friede erzeigen; so dass
man in solchem Fall den Spruch lasse gehen: Gott hilft dem Kecksten.“[50] Kriegsdienst im
Verteidigungsfall ist also ein Akt der Nächstenliebe, die in solch einer
Situation geboten ist. Ja, Krieg ist Teil von Gottes Ordnung für die gefallene
Welt und wird daher in der gefallenen Welt nicht aufhören: „Denn
weil das Schwert ist von Gott eingesetzt, die Bösen zu strafen, die Frommen zu
schützen und Friede handzuhaben, Röm. 13,1 ff.; 1. Petr. 3,14 ff., so ist’s
auch gewaltig genug bewiesen, dass Kriegen und Würgen von Gott eingesetzt ist,
und was Kriegslauft und Recht mitbringt. Was
ist Krieg anders als Unrecht und Böses strafen? Warum kriegt man, als dass man
Friede und Gehorsam haben will?“[51] Etwas anderes ist es,
wenn es ein ungerechter Krieg ist, ein Angriffskrieg, ein Krieg, der aus
unlauteren Motiven oder hinterhältig vom Zaun gebrochen wurde, dann darf ein
Christ nicht gehorchen und muss auch alle daraus kommenden Folgen tragen.
Wieder anders ist es, wenn es ihm in der konkreten Situation nicht möglich ist,
oder nicht mit letzter Gewissheit möglich ist, festzustellen, ob der Krieg
gerechtfertigt ist oder nicht, ob es sich um einen Angriffskrieg handelt oder
nicht – dann muss er gehorchen und soll getrost seinen Dienst tun. Wenn der
Krieg ungerecht ist, tragen diejenigen die Schuld vor Gott, die ihn zu
verantworten haben. „Wie, wenn dein Fürst
unrecht hätte, ist ihm sein Volk auch schuldig zu folgen? Antwort: Nein, denn
gegen Recht gebührt niemand zu tun; sondern man muss Gott, der das Recht haben
will, mehr gehorchen als den Menschen, Apg. 5,29. Wie, wenn die Untertanen nicht
wüssten, ob er recht hätte oder nicht? Antwort: Weil sie nicht wissen noch
erfahren können durch möglichen Fleiß, so
mögen sie folgen ohne Gefahr der Seelen.“[52] „Wer
Krieg anfängt, der ist unrecht, und ist billig, dass er geschlagen oder doch
zuletzt gestraft werde, der am ersten das Messer zuckt. … Denn weltliche
Obrigkeit ist nicht eingesetzt von Gott, dass sie soll Frieden brechen und
Kriege anfangen; sondern dazu, dass sie den Frieden handhabe und den Kriegen
wehre, wie Paulus Röm. 13,4 sagt, des Schwertes Amt sei schützen und strafen,
schützen die Frommen im Frieden und strafen die Bösen im Krieg. … Darum, lasst
euch sagen, ihr lieben Herren, hütet euch vor Krieg,
ews sei denn, dass ihr wehren und schützen müsst und euer aufgelegtes Amt euch
zwingt zu kriegen. Alsdann so lasst’s gehen und haut drein, seid dann Männer
und beweist euren Harnisch; da gilt’s denn nicht, mit Gedanken kriegen.“[53] Es kann also sehr
wohl die Situation kommen, dass ein Christ passiv widerstehen muss, dann, wenn
die Obrigkeit Unrecht tut, von ihm verlangt, an Unrecht sich zu beteiligen. „Wie,
wenn mein Herr Unrecht hätte zu kriegen? Antwort: Wenn du weißt gewiss, dass er
unrecht hat, so sollst du Gott mehr fürchten und gehorchen als Menschen, Apg.
5,29, und sollst nicht kriegen noch dienen, denn du kannst da kein gutes
Gewissen vor Gott haben. Ja, sprichst du, mein Herr zwingt mich, nimmt mir mein
Lehen, gibt mir mein Geld,
Lohn und Sold nicht, dazu würde ich verachtet und geschändet als ein Verzagter,
ja als ein Treuloser vor der Welt, der seinen Herrn in Nöten verlässt usw.
Antwort: Das musst du wagen und um Gottes willen lassen fahren, was da fährt,
er kann dir’s wohl hundertfältig wiedergeben, wie er im Evangelium verheißt,
Matth. 19,29: ‚Wer um meinetwillen verlässt Haus, Hof, Frau, Gut, der soll’s
hundertfältig wieder kriegen‘ usw.“[54] Damit ist Gewalt, wie
schon oben dargelegt, ausgeschlossen, vielmehr heißt es dann: leiden. „Aber
nach der Schrift will sich’s in keinem Weg ziemen, dass sich jemand, der ein
Christ sein will, gegen seine Obrigkeit setze, Gott gebe, sie tue recht oder
unrecht; und ein Christ soll Gewalt und Unrecht von seiner Obrigkeit leiden.
Denn obgleich hierin kaiserliche Majestät unrecht täte und ihre Pflicht und Eid
übertritt, ist damit seine kaiserliche Obrigkeit und seiner Untertanen Gehorsam
nicht aufgehoben; so lange
das Reich und die Kurfürsten ihn für einen Kaiser haben und nicht absetzen.“ [55] Die einzige
Möglichkeit, die legal ist, ist also die verfassungskonforme Absetzung der
Obrigkeit. Gewalt aber darf normalerweise nicht angewandt werden, auch nicht
von der regionalen Obrigkeit gegen die höhere, etwa um die eigenen Bürger zu
schützen. „… und schickt sich
nicht, dass jemand mit Gewalt des Kaisers Untertanen gegen den Kaiser, ihren
Herrn, wollte schützen; gleichwie sich’s nicht ziemt, dass der Bürgermeister zu
Torgau wollte die Bürger mit Gewalt schützen gegen den Kurfürsten zu Sachsen,
so lange er Kurfürst zu
Sachsen ist.[56] Auch der Glauben darf
nicht mit Gewalt beschützt werden, vor allem nicht von den Bürgern. „Darum
achte ich’s, es sei vor dem Garn gefischt, so man um Verteidigung willen des
Evangeliums sich gegen die Obrigkeit legt, und gewiss ein rechter Missglaube,
der Gott nicht vertraut, dass er uns ohne unsern Witz und Macht durch mehr
Weise wohl wisse zu schützen und zu helfen.“[57] Es gilt auch dann
also: nicht Gewalt anwenden, sondern leiden; Gott wird zu seiner Zeit strafen. „Und
derhalben entweder entsagen und legen ab Papst, Kardinäle, Bischöfe und Kaiser
den Namen Christi und bekennen öffentlich, dass sie die sind, wie sie es denn
gewiss sind, die in des Teufels Dienst einherreiten und sein eigen sind: So
will ich raten, wie zuvor, dass man ihnen als heidnischer Obrigkeit, die das
Evangelium nicht leiden wollen, Raum gebe und leide. Oder aber, wo sie unter
Christi Namen gegen die
rechten Christen als Widerchristliche wissentlich würden etwas anfangen und den
Stein über sich werfen: So mögen sie auch gewarten, dass der Stein auf ihren
Kopf falle und sie billig die Strafe des andern Gebots empfangen.“[58]
Die Möglichkeiten der Gegenwehr damals, als
es um das Evangelium ging, waren für Luther durch die damalige Konstruktion der
Reichsverfassung gegeben, nämlich dass der Kaiser ja nicht Alleinherrscher war,
nicht einmal die Kurfürsten eigenmächtig absetzen konnte, auch nicht
eigenmächtig die Verfassung ändern.[59] Darum haben die
Fürsten, besonders die Kurfürsten, damals Macht und Recht gehabt, gegen
unrechte Handlungsweisen des Kaisers vorzugehen. „Weil
denn das keinerlei Weise um weltlicher Händel und Sachen willen geduldet werden
kann und darf; wieviel weniger wäre es zu leiden, wo kaiserliche Majestät um
fremder Ursache und des Teufels willen Krieg anfinge oder vornähme.“[60] Auch hier aber ist
deutlich: Der Widerstand, gerade der aktive, ist nur denen erlaubt, denen er
verfassungsmäßig zusteht, nicht einfach jedem Bürger, also denen, die auch die
Macht haben, die eine Obrigkeit durch eine andere zu ersetzen, ohne dass Chaos
entsteht.
Anders sah es Luther dann, wenn der Kaiser
ohne Rechtssatz, also ohne päpstliche oder Reichstagsbeschlüsse (damals vor
allem: vor dem Konzil), gegen das Evangelium vorgeht, da Willkür übt und damit
„notorisches Unrecht“. In einem solchen Fall sah er die gewaltsame Gegenwehr
als zulässig an. Luther geht dabei sogar so weit, dass er sagt, dass jede
Obrigkeit schuldig sei, die Christen und den rechten Gottesdienst gegen
unrechte Gewalt zu schützen.[61] „Hier
ist weiter die Frage: Was einem Fürsten gegen seinen Herrn, als den Kaiser, in
solchem Fall zu tun gebühre? Darauf ist auch gleiche Antwort: Erstlich, weil
das Evangelium bestätigt weltliche leibliche Regimente, so soll sich ein
jeglicher Fürst gegenüber seinem Herrn oder Kaiser verhalten vermöge derselben
natürlichen und weltlichen Regimente und Ordnungen. Wenn der Kaiser nicht
Richter ist und will gleichwohl Strafe üben, als pendente appelatione (während
die Appelation noch anhängig ist), so heißt solch
sein tätlich Vornehmen injuria notoria (offenbares, notorisches Unrecht). Nun
ist dieses natürliche Ordnung der Regimente, dass man sich schützen möge und
Gegenwehr gebrauchen gegen solche notoriam injuriam.“[62] Was aber, wenn ein
entsprechender Beschluss eines Konzils, des Papstes, des Reichstages vorläge,
Beschlüsse, die sich gegen das Evangelium Gottes stellen? Solch ein Beschluss,
der sich damit ja gegen Gottes Wahrheit richtet, ist ebenfalls notorisches Unrecht.
„Und zu setzen, dass
gleich der Papst mit dem Prozess sich glimpflich erzeigt, und doch im Sentenz
(Urteilsspruch) öffentliche idolotaria (Götzendienst) und Abgötterei und
öffentliche injurias wollte bestätigen; so halten wir dennoch, dass die Fürsten
Recht haben, sich dawider zu setzen und die Ihren hierin zu schützen. Exempel:
So ein christlicher Fürst unter dem Türken wäre, und der Türke wollte den
Mahomet oder andere Abgötterei in des Fürsten Gebieten aufrichten; da hätte der
christliche Fürst Macht und Recht, sich gegen den Türken zu setzen; wäre auch
schuldig, kraft des andern Gebots, solches zu wehren und die Seinen bei rechtem
Gottesdienst zu handhaben; wie Makkabäus, 2. Makk. 3, sich gegen Antiochus
setzte. Doch mag davon weiter disputiert werden,
so man von dem allen reden wird.“[63] Dieses Sache ist,
siehe Darlegung bei Anm. 36, durchaus fragwürdig. Klarer, das hat auch Luther
so gesehen, liegt die Sache, wenn offenbar gegen die natürliche Ordnung
verstoßen wird, etwa wenn die Priesterehen zerrrissen werden sollen. „Der
andere Fall ist leichter: Wenn die Sentenz geht, dass der Priester Ehe unrecht
sei und sollen verboten und zerrissen werden. Dieses ist eine notoria injuria,
und sind weltliche Sachen, darinnen natürliche Vernunft, als Gottes Ordnung,
selbst Richter ist. Wider solche öffentliche
injuriam ist der Schutz und die Gegenwehr zugelassen. Als, so sich einer gegen
einen Mörder auf der Straße wehrte, oder ein Ehemann tötete den Ehebrecher,
begriffen in der Tat; solche Injurien sind ausgenommen in allen Pflichten und
Bündnissen. Als Exempel: Konstantinus und Licinius waren beide Mitregenten und
Kaiser, mit Eiden verbunden; es verfolgte aber Licinius die Christen grausam,
so dass Orient Hilfe suchte bei Konstantinus. Nun waren Konstantinus und
Licinius miteinander verbunden; gleichwohl,
nachdem Licinius, nachdem er oft ermahnt, nicht von der Persecution
(Verfolgung) lassen wollte, zog Konstantinus gegen ihn, unangesehen ihres
Bündnisses. Denn in allen Bündnissen und Verpflichtungen sollen öffentliche
Injurien ausgenommen seien.“[64] Auch hier ist es
aber so, dass dies allein obrigkeitlichen Kräften zusteht, da diese schuldig
sind, öffentliche Gewalt, Unzucht usw. zu wehren, also notorisches Unrecht,
Unrecht, das gegen die natürliche, von Gott gesetzte, Ordnung ist.[65]
Wie sieht es nun aus, wenn die Obrigkeit
den Christen um seines Glaubens willen verfolgt? Dann soll der Christ das Land
verlassen und sich ihr nicht widersetzen.[66] Dagegen stellt der
Papst keine von Gott geordnete Obrigkeit dar, denn er gehört weder ins
Hausregiment, noch ins Staats- oder ins Kirchenregiment.[67] Er kann im
Kirchenregiment keine Obrigkeit sein: „Dass
aber der Papst im Kirchenregiment keine Obrigkeit sei, ist darum offenbar, weil
er durch seine im sogenannten geistlichen Recht enthaltenen Gotteslästerungen
das Evangelium verdammt und mit Füßen tritt.“[68] Er ist vielmehr „jenes
Ungeheuer, von dem Daniel spricht, dass es sich aufwerfe wider alles, was Gott
ist, ja wider den Gott aller Götter, Dan. 12,1.“[69] Das heißt dann: Wenn
der Papst Krieg anzettelt, als ein wütendes und besessenes Ungeheuer, dann muss
man sich ihm widersetzen, weil er dann kein Bischof, kein Fürst, kein Tyrann
ist, sondern ein alles verwüstendes wildes Tier.[70] Das heißt, dieses
Ungeheuer verwüstet göttliche und menschliche Ordnung, darum ist ihm zu
widerstehen.[71]
Wenn wir all das überblicken, so erkennen
wir, dass die Grundordnung und die Grundhaltung für den Christen die ist: kein
aktiver Widerstand, vielmehr: leiden und wenn nötig weichen, fliehen, das Land
verlassen, so weit es noch möglich ist. Widerstand anderer Kräfte der Obrigkeit
ist im verfassungsrechtlichen Rahmen möglich, wenn fortgesetztes öffentliches
Unrecht geschieht, alle natürliche Ordnung, Recht, Vernunft umgestoßen werden
und wenn die betreffenden Obrigkeiten zu Unrecht Verfolgte gegen die unrecht
handelnde Obrigkeit verteidigt.
Als einen besonderen Fall hat Luther noch
den Papst behandelt, in dem er zu Recht den Antichristen sah, der sich gegen
alle Ordnungen Gottes setzt, göttliche und menschliche Ordnung umstößt, um
seinen Willen durchzusetzen. Ihn hat er als ein Ungeheuer angesehen, gegen das
jeder unbedingt auch aktiv Widerstand leisten muss, weil das Papsttum sich
Rechte und Macht anmaßt, die ihm weder von Gott noch nach natürlichem Recht
zustehen.
Ob solche Beschreibung auch auf eine
Obrigkeit übertragen werden kann? Wenn, dann nur in absoluten Ausnahmefällen.
Selbst totalitäre Ordnungen fallen nicht automatisch darunter, sondern nur
dann, wenn sie sich gegen jegliche göttliche und natürliche Ordnung stellen und
sie umstoßen und in großem Maße in umfassend verbrecherischer Weise Unrecht
verüben, so dass die von ihnen noch aufrecht erhaltenen staatlichen Ordnungen
gegenüber dem furchtbaren Unrecht, mit dem sie weite Kreise überziehen, oder
auch einzelne Kreise im besonderen Maß, nicht mehr wirklich ins Gewicht fallen.
Auch da gilt aber, dass der aktive Widerstand der Aufrichtung rechter
staatlicher Ordnung nach göttlichem und menschlichem Recht dient und auch
herbeiführen kann, und nicht vielmehr Volk und Staat in noch größeres Chaos,
Anarchie stürzen. Aber, wie gesagt, dies ist eine absolute Ausnahmesituation,
die bei Luther direkt so nicht zu finden ist (weil es den totalitären Staat mit
dem extremen Unrecht, wie wir es im 20. Jahrhundert kennengelernt haben, noch
nicht gab), sondern abgeleitet.[72] Da er Empörung gegen
die Obrigkeit ist,
steht der aktive Widerstand in Konflikt mit Römer 13. Andererseits kann es in
den absoluten Ausnahmefällen sein, dass das Unterlassen des Widerstandes
Unterlassen der Nächstenliebe und der daraus folgenden Hilfe ist. Das heißt:
Das ist eine Situation, in der es ohne Sündigen nicht abgeht. Entweder man
sündigt, indem man den Gequälten, Unterdrückten, Verfolgten keine Hilfe
leistet, oder man sündigt, weil man gegen die vorgesetzte Obrigkeit aktiv
vorgeht. Wir leben in einer gefallenen Welt, in der es um des Teufels und der
Sünde willen solche Situationen geben kann, in denen es ohne Sünde nicht abgeht
und es abzuwägen gilt, was schwerer wiegt, welche Sünde da auf sich zu nehmen
ist im Vertrauen auf die Gnade in Christus.
Wessen
Wort hören wir, wenn wir das Wort der Heiligen Schrift hören, wessen Wort lesen
wir, wenn wir die Bibel lesen? Die Antwort auf diese Frage ist entscheidend für
alles weitere, ja, entscheidend für die gesamte Stellung der Kirche. Die
evangelisch-lutherischen Bekenntnisse beantworten diese Frage eindeutig: „Und
St. Petrus spricht [2 Petr. 1,21]: ‚Die
Propheten haben nicht aus menschlichem Willen, sondern aus dem heiligen Geist
geweissagt, doch als die heiligen Menschen Gottes.‘
Aber ohne äußerliche Worte waren sie nicht heilig, viel weniger hätte sie als
noch Unheilige der Heilige
Geist zu reden getrieben; denn sie waren heilig, spricht er, da der Heilige
Geist durch sie redet.“
(Schm. Artikel, III, VIII, 13). Der Heilige
Geist selbst redet also in der Bibel, durch Menschen, nämlich die Apostel und
Propheten. Die heiligen Bücher der Bibel sind daher nicht der Propheten und
Apostel Bücher in dem Sinne, dass
sie die Urheber, Verfasser, Autoren derselben wären, sondern das ist der
Heilige Geist, weshalb Luther die Bibel auch ganz richtig als des „heiligen
Geistes Buch“ (W 2, IX, 1775)
bezeichnet. Damit ist auch jegliches angebliche Nebeneinander von Gotteswort
und Menschenwort in der Heiligen Schrift abgewiesen. Das wird bekräftigt durch
die Frage, die in der Apologie der Augsburgischen Konfession im Blick auf die
römisch-katholische Theologie gestellt wird, die trotz so vieler klarer
Schriftstellen die Rechtfertigung allein aus Gnaden, allein um Christi
Verdienst willen, allein durch den Glauben leugnete und leugnet: „Meinen
sie, dass der Heilige
Geist sein Wort nicht gewiss
und bedächtig setze oder nicht wisse, was er rede?“
(Apol. IV, 108) Wie unmissverständlich
wird doch hier gelehrt: der Heilige Geist hat die Worte gesetzt in der Heiligen
Schrift, bewusst, absichtlich, auch
die Wiederholungen, er hatte damit seinen Plan und seine Absicht. Und da es
"Worte", Aussagen, Sätze ohne die Wörter nicht gibt, so ist es klar:
die evangelisch-lutherischen BS lehren hier eindeutig die Wörterinspiration: jedes
Wort in der Heiligen Schrift ist vom Heiligen Geist dahin gesetzt; nicht aus
menschlichem Willen, Planen, Forschen als der Ursache haben wir es in der
Bibel, und zwar gerade auch an der Stelle, wo es steht. Das bekennt die
evangelisch-lutherische Kirche jedes Mal
im Gottesdienst, wenn sie das auch zu ihren Bekenntnissen gehörende Nicänische
Glaubensbekenntnis spricht, in dem es auch heißt: „[Ich
glaube] an den HERRN,
den Heiligen Geist, ...
der durch die Propheten geredet hat.“
(Nic. 7)
Darum lehrt das evangelisch-lutherische
Bekenntnis im Zusammenhang mit 2 Tim. 3,16: „Und
St. Paulus sagt weiter: ‚Alle
Schrift von Gott gegeben ist nütze zur Lehre, zur Strafe‘ etc. und strafen ist das eigentliche Amt des
Gesetzes. Darum, so oft die Gläubigen straucheln, werden sie gestraft durch den
heiligen Geist aus dem Gesetz und durch denselben heiligen Geist wieder
aufgerichtet und getröstet mit der Predigt des heiligen Evangeliums.“ (KF, Ausf.
Darl. VI, 14) Alle Schrift, die gesamte Bibel, ist
Gottes Wort - und nur Gottes Wort; und es ist der Heilige Geist, der durch das
Gesetz straft und durch das Evangelium tröstet - eben weil er der Autor ist,
der, der wirkend gegenwärtig ist in der Schrift, Joh. 6,63; Jes. 55,10.11; Röm.
1,16.
Und weil dem so ist, darum bekennt sich die
evangelisch-lutherische Kirche "zu den prophetischen und apostolischen
Schriften alten und neuen Testaments als zu dem reinen, lautern Brunnen
Israels, welche allein die einige wahrhaftige Richtschnur ist, nach der alle
Lehrer und Lehre zu richten und zu urteilen sind." (FC, SD, Summ.
3,4), d.h.: Nur aus der Heiligen Schrift als dem Wort Gottes darf die Lehre der
Kirche entnommen werden, sie, die Schrift, ist Richterin; alle Lehre, die von
etwas anderem entnommen wird, darf nicht kirchliche Lehre sein, „wie
geschrieben steht: ‚Dein
Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.‘
Ps. 119. Und St. Paulus: ‚Wenn
ein Engel vom Himmel käme und predigte anders, der soll verflucht sein.‘
Gal. 1.“ (KF, Kurze
Darl. Summ., 1) Deshalb weiß sie auch, was sie bittet,
wenn sie betet: Geheiligt werde dein Name, nämlich: „Wo
das Wort Gottes lauter und rein gelehrt wird, und wir auch heilig als die
Kinder Gottes darnach leben. Das hilf uns, lieber Vater im Himmel. Wer aber
anders lehret und lebet, als das Wort Gottes lehret, der entheiliget unter uns
den Namen Gottes. Davor behüte uns, himmlischer Vater.“
(Kl. Kat. III, 3-5) Weil es
Gottes- und nicht Menschenwort ist, darum darf die Kirche damit nicht spielen,
sondern hat die heilige Verpflichtung, es rein, lauter, unverfälscht zu lehren,
andernfalls versündigt sie sich zutiefst, ja, beleidigt
aufs höchste die Majestät Gottes.
Weil die Heilige Schrift Gottes Wort ist
und als solches keine leere Hülse oder bloß äußeres Gerede, sondern kräftiges,
wirkmächtiges Wort, wo der Heilige Geist stets wirkend gegenwärtig ist, darum
ist „das Wort Gottes das
Heiligtum über alles Heiligtum, ja, das einzige, das wir Christen wissen und
haben“"
(Gr. Kat. III, 91) Gott selbst
begegnet uns in seinem Wort mit seiner Allmacht und Liebe. Während Rom meint,
besondere ‚Heiligtümer‘
sammeln zu müssen, Reliquien anhäuft, so hat es tatsächlich nur tote Dinge
damit, die niemand helfen, heiligen können, ist „Gottes
Wort der Schatz, der alle Dinge heilig macht“
(ebd.), eben darum, weil Gott selbst sein Werk durch das Wort an uns
vollbringt: durch das Gesetz die Sünde aufzeigt, die Reue bewirkt, durch das
Evangelium aber den Glauben weckt, stärkt, bewahrt. Darum aber bedürfen wir
alle täglich unbedingt des Wortes Gottes, weil wir nur daraus leben können,
nämlich gottesfürchtig, heilig, Gott wohlgefällig.
Die Stellung, die Autorität, die die
Heilige Schrift hat, weil sie allein Gottes Wort IST (nicht bloß enthält),
macht der Eingang der Konkordienformel deutlich, der auch unter 1. schon
zitiert wurde: „Wir
glauben, lehren und bekennen, dass
die einzige Regel und Richtschnur, nach welcher zugleich alle Lehren und Lehrer
gerichtet und geurteilt werden sollen, sind allein die prophetischen Schriften
altes und neuen Testaments, wie geschrieben stehet: ‚Dein
Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.‘
Ps. 119. Und St. Paulus: ‚Wenn
ein Engel vom Himmel käme und predigte anders, der soll verflucht sein.‘
Gal. 1.“ (KF.,
Kurzfass., Summ. 1) Damit ist unmissverständlich
bekannt, dass es eine weitere
Autorität als die Heilige Schrift Gottes - und damit Gott selbst - in der
Kirche nicht geben kann und darf. Die christliche Kirche, will sie wirklich
Kirche Jesu Christi sein unter dem einen Haupt, darf nur das lehren, was die
Heilige Schrift lehrt und nichts anderes; die Heilige Schrift Gottes allein ist
die Lehrerin der Kirche; an sie ist die Kirche und jeder Christ
unbedingt, auch in seinem Gewissen, gebunden. Alle zusätzlichen
Autoritäten, die Lehre setzen oder beurteilen wollen, sind damit
ausgeschlossen, es sei das Papstamt (Lehren ex cathedra) oder die Tradition
oder ein ‚magnus consensus‘
(weitgehende Übereinstimmung) in der Kirche oder die Vernunft (die Axiome
setzt, was sein könne oder nicht, oder die Lehre der Schrift Vernunftgründen
unterwirft) oder irgendeine Wissenschaft (z.B. Philosophie, Naturwissenschaft,
Sozialwissenschaft u.a.) oder der Zeitgeist, die Ideologie oder die Staatsmacht
oder Neuoffenbarungen oder was sonst die Lehre der Kirche und ihr Amt zu
beeinflussen trachtet. Luther hat dies in den Schmalkaldischen Artikeln sehr
treffend kurz zusammengefasst: „Es
heißt, Gottes Wort soll Artikel des Glaubens stellen und sonst niemand, auch
kein Engel.“ (Schm. Art., II, II,
15) Dagegen verstoßen auch die, - modernistische und bibelkritische Theologie
(Hist.-krit. Methode), Feminismus, allegorisch-psychologische Auslegung u.a. -
die der Schrift Gottes ein Verständnismuster überstülpen, nach dem sie auszulegen
wäre. Denn wenn NUR Gottes Wort Artikel des Glaubens setzen kann, dann kann
auch nur Schrift Schrift auslegen, nämlich dass
die klare, unmissverständliche
Schriftstelle das Dunklere auslegt (s. Apol. XXVII, 60). Welche Lehre aber
keinen festen Schriftgrund hat, die ist unbiblisch, deshalb auch unkirchlich,
daher als Irrlehre verworfen, darf kein Anrecht in der Kirche haben, sondern muss
auf das Entschiedenste bekämpft werden (s. Apol. XXI, 3.9).
Gottes Wort aber ist wahrhaftig, ohne
Irrtum, denn der Grund, auf dem die Kirche steht, ist, „dass
Gottes Wort nicht falsch ist oder lüge.“ (KF,
Zusammenf., VII, 13.)
Gottes Wort ist auch deshalb absolute
Autorität und bedarf nicht erst einer Auslegung durch Papst oder Bischof, weil
es klar ist, ein Licht auf unserem Weg, und genugsam, ausreichend ist
für alles, was Gott an uns, in uns und durch uns bewirken will. Sie ist aus ihr
selbst, aus ihrem inneren Zusammenhang zu verstehen (Schrift legt Schrift aus)
und zwar im buchstäblichen Sinn (es sei denn, der Zusammenhang forderte
bildhaftes Verständnis) (Apol. IV, 107 ff.).
Das rechte Verständnis öffnet dabei der
Heilige Geist (KF, Ausf. Darl. II, 26).
Aber alles Bekenntnis zur Verbal- oder
Wörterinspiration im Blick auf die Heilige Schrift und zur Autorität der
Schrift nutzt wenig, wenn nicht der Kern der Schrift recht erkannt und so das
rechte Verständnis der Schrift eröffnet wird, weil sonst Gesetz und Evangelium
wild durcheinander gemengt werden.
Was aber ist der Schlüssel zur Schrift? Das
bekennt die evangelisch-lutherische Kirche in ihrem Kampf mit Rom über den
Artikel über den Christus
für uns, von der Rechtfertigung oder wie man vor Gott fromm
und gerecht wird: „Dieweil
aber solcher Zank ist über dem höchsten, vornehmsten Artikel der ganzen
christlichen Lehre, also dass an
diesem Artikel ganz viel gelegen ist, welcher auch zu klarem richtigen
Verstande der ganzen Heiligen
Schrift vornehmlich dienet und zu dem unaussprechlichen Schatz und der rechten
Erkenntnis Christi den Weg weist, auch in die ganze Bibel allein die Tür
auftut, ohne welchen Artikel auch kein arm Gewissen einen rechten beständigen
Trost haben oder die Reichtümer der Gnaden Christi erkennen mag.“
(Apol. IV, 2) Die Rechtfertigungslehre, das ist, dass
wir Vergebung der Sünden durch Christus ohne unser Verdienst allein durch den
Glauben, allein aus Gnaden erlangen: das ist der Hauptartikel der christlichen
Lehre, das macht die Kirche zur christlichen Kirche (nicht das Gesetz, das
nicht zum Wesen der Kirche gehört, denn die Heiden haben es auch). Denn: „In
der christlichen Kirche ist das kein geringer Artikel, sondern der allerhöchste
und Hauptartikel, dass
wir Vergebung der Sünden erlangen ohne unsern Verdienst durch Christus, und dass
nicht unsere Werke, sondern Christus sei die Versöhnung für unsere Sünde." (Apol.
XX, 79) "Paulus in der Epistel an die Römer behandelt vornehmlich
dieses Stück, wie ein Mensch vor Gott fromm werde und schließt, dass
alle, die da glauben, dass
sie durch Christus einen gnädigen Gott haben, ohne Verdienst durch den Glauben
gerecht werden. Und diesen gewaltigen Schluss,
diese Proposition, in welcher gefasst ist die Hauptsache der ganzen Epistel, ja
der ganzen Schrift, setzet er im dritten Kapitel mit dürren klaren Worten so: ‚So
halten wir es nun, dass
der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.‘
Röm. 3,28.“ (Apol. IV, 87)
Aber nicht nur das: Erst
von diesem Artikel her können wir wirklich die Schrift Gottes verstehen, können
Gesetz und Evangelium in ihrer Unterschiedenheit recht erkennen und dadurch
auch die Aussagen der Schrift verstehen. (Wohl ist jeder Lehrartikel für sich
aus seinem Sitz der Lehre zu verstehen; aber wir haben keine lineare
Schriftauffassung, sondern Gott selbst hat Schwerpunkte gesetzt und von daher
auch die verschiedenen Artikel der einen christlichen Lehre in eine geistliche
Ordnung gebracht.)
Wer also den Christus für uns, die
Rechtfertigungslehre, nicht wirklich als Kern und Stern der Heiligen Schrift
Gottes festhält, lehrt und danach die gesamte Lehre ordnet, der hat eine
andere, eine der Schrift widersprechende Schriftauffassung, mag er auch sonst
die Verbalinspiration bekennen (hierin gehören z.B.: Entscheidungstheologie;
keine klare Unterscheidung zwischen Rechtfertigung und Heiligung; bedingte
Absolution; Verschiebung des Schwerpunktes von der Lehre auf das Leben, von
Gott auf den Menschen; jede Form der Mithilfe des Menschen bei seiner Bekehrung
und Bewahrung). Denn Christus ist das
Wort Gottes an uns Sünder schlechthin, und zwar im Alten wie im Neuen
Testament.[74]
Nur dann aber kann der göttlichen Struktur
der Heiligen Schrift und ihrem Kern oder Schwerpunkt im Verständnis der Schrift
wirklich gerecht geworden werden, wenn die beiden Predigten Gottes, Gesetz und
Evangelium, recht unterschieden und nicht vermischt werden: „Nachdem
der Unterschied des Gesetzes und Evangeliums ein besonders herrliches Licht
ist, welches dazu dienet, dass
Gottes Wort recht geteilt und der heiligen Propheten und Apostel Schriften
eigentlich erkläret und verstanden [werden]: ist mit besonderem Fleiß über
demselben zu halten, damit diese zwei Lehren nicht miteinander vermischt oder
aus dem Evangelium ein Gesetz gemacht, dadurch das Verdienst Christi verdunkelt
und die betrübten Gewissen ihres Trostes beraubet [werden], den sie sonst in
dem heiligen Evangelium haben, wenn dasselbige lauter und rein gepredigt
[wird], und sich in ihren höchsten Anfechtungen wider das Schrecken des
Gesetzes aufhalten können.“ (KF., Ausf..
Darl., V, 1) Jede Vermengung von Gesetz und Evangelium, die sowohl Abstumpfung
der Schärfe des Gesetzes bedeutet, vor allem
aber Verkürzung des Evangeliums, Zurückdrängen des vollen Heils und der
Heilsgewissheit allein aus
Gnaden, allein um Christi willen, allein durch den Glauben, muss
daher, um der bluterkauften Seelen und ihres ewigen Heils willen, unbedingt
unterlassen werden.
Diese rechte Unterscheidung gilt für das
Verständnis der gesamten Schrift Gottes, Alten und Neuen Testamentes: „Diese
zwei Predigten sind von Anfang der Welt her in der Kirche Gottes nebeneinander
je und allewege mit gebührendem Unterschied getrieben worden.“ (KF., Ausf.
Darl., V, 23) Ohne diese rechte Unterscheidung und das rechte Verständnis des
Evangeliums würde die Kirche - siehe Rom - bei der Werkgerechtigkeit enden.
Darum werden die evangelisch-lutherischen
BS nicht müde, diese notwendige Unterscheidung immer wieder zu betonen, denn
davon hängt es ab, ob der Hauptartikel der Schrift, die Rechtfertigungslehre,
der Christus für uns, rein erhalten bleibt. „Die
ganze Schrift, beide, Alten und Neuen Testaments, wird in die zwei Stücke
geteilt und lehret diese zwei Stücke, nämlich Gesetz und göttliche
Verheißungen. Denn an etlichen Orten hält sie uns vor das Gesetz, an etlichen
bietet sie uns Gnaden an durch die herrlichen Verheißungen von Christus; so,
wenn im Alten Testament die Schrift verheißet den zukünftigen Christus und
bietet ewigen Segen, Benedeiung, ewiges Heil, Gerechtigkeit und ewiges Leben
durch ihn an; oder im Neuen Testament, wenn Christus, da er kommen ist auf
Erden, im Evangelium verheißet Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und
ewiges Leben.“ (Apol. IV, 5; s.a.
IV, 102) „Denn Christi Wohltat
und den großen Schatz des Evangeliums (welchen Paulus so hoch hebt) recht zu
erkennen, müssen wir je auf einen Teil Gottes Verheißung und angebotene Gnade,
auf dem andern Teil das Gesetz so weit voneinander scheiden wie Himmel und
Erde." (Apol. III, 65)
Es hängt von dieser Unterscheidung ab, ob
die Schrift wirklich so verstanden wird, wie Gott geredet hat, oder ob ihr ein
anderes, gesetzliches, das Evangelium verdunkelndes Verständnis übergestülpt
wird. Die Schrift ist kein bloßes äußeres Wort, sondern ist Gottes Wort zu
unserer Errettung, Joh. 20,21; Röm. 1,16.17; 10,14-17. Dieses rechte
Schriftverständnis hat seine Auswirkungen dann auch in den Artikeln von der
Rechtfertigung, von der Buße, von der Bekehrung, vom Verständnis von Gnade und
Glaube, von Taufe und Abendmahl, von der Kirche, vom Predigtamt, von der
Gnadenwahl, von den letzten Dingen. Darum entfalten die
evangelisch-lutherischen BS dies immer wieder neu: „Dies
sind nun die vornehmsten zwei Werke, dadurch Gott in den Seinen wirket. Von den
zwei Stücken redet die ganze Schrift, erstlich, dass er
unsere Herzen erschrecket und uns die Sünde zeigt, zum anderen, dass er
wiederum uns tröstet, aufrichtet und lebendig macht. Darum führt auch die ganze
Schrift diese zweierlei Lehren. Eine ist das Gesetz, welche uns zeiget
unseren Jammer, strafet die Sünde. Die andere Lehre ist das Evangelium;
denn Gottes Verheißung, da er Gnade zusagt durch Christus, und die Verheißung
der Gnade wird von Adam her durch die ganze Schrift immer wiederholet ... Denn durch
den Glauben an das Evangelium oder an die Zusage von Christus sind alle
Patriarchen, alle Heiligen von Anbeginn der Welt gerecht vor Gott worden, und
nicht um ihrer Reue oder Leid oder einigerlei Werk willen.“
(Apol. XII, 53.54)
Diese rechte Unterscheidung von Gesetz und
Evangelium betrifft dabei nicht nur, wie jemand zum seligmachenden Glauben an
Christus kommt, sondern vielmehr alles, was mit seinem Christenleben zu tun
hat, auch die Heiligung, weil sonst durch die Hintertür die falsche, den Kern
der Schrift umstürzende oder verdunkelnde Lehre wieder eingeführt wird: „Es
muss aber auch
unterschiedlich erkläret werden, was das Evangelium zu dem neuen Gehorsam der
Gläubigen tue, schaffe und wirke, und was hierinnen, so viel die guten Werke
der Gläubigen anlanget, des Gesetzes Amt sei.
Denn das Gesetz saget wohl, es sei Gottes
Wille und Befehl, dass
wir im neuen Leben wandeln sollen, es gibt aber die Kraft und Vermögen nicht
dazu, dass wir‘s
anfangen und tun können, sondern der Heilige
Geist, welcher nicht durch das Gesetz, sondern durch die Predigt des
Evangeliums gegeben und empfangen wird, Gal. 3, erneuert das Herz. Darnach
gebrauchet der Heilige Geist das
Gesetz dazu, dass er
aus demselben die Wiedergebornen lehret und in den Zehn Geboten ihnen zeiget
und weiset, welches da sei der wohlgefällige Wille Gottes, Röm. 12. ... und da
sie in dem von wegen des Fleisches faul und nachlässig und widerspenstig sind,
strafet er sie darum durchs Gesetz. ... Darum, so oft die Gläubigen straucheln,
werden sie gestraft durch den heiligen Geist aus dem Gesetz und durch denselben
Geist wieder aufgerichtet und getröstet mit der Predigt des heiligen
Evangeliums.“ (KF., Ausf.
Darl., VI, 10-14)
Warum hat Gott uns sein Wort, die Bibel,
gegeben? In der Konkordienformel heißt es im Zusammenhang mit der Lehre von der
Gnadenwahl: „Weil alle Schrift von
Gott eingegeben [ist] nicht zur Sicherheit und Unbußfertigkeit, sondern zur
Strafe, Züchtigung und Besserung dienen soll, 2 Tim. 3, ebenso, weil alles in
Gottes Wort darum uns vorgeschrieben ist, nicht dass
wir dadurch in Verzweiflung getrieben sollen werden, sondern dass
wir durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben, Röm. 15.“ (KF., Ausf.. Darl.,
XI, 12) Hier haben wir wieder die beiden Weisen, mit denen Gott an uns handelt,
Gesetz und Evangelium, die jeweils ihr Amt ausführen sollen an den Menschen:
das Gesetz strafen, züchtigen, bessern, das Evangelium aber Trost und Hoffnung
geben.
Dabei aber stehen beide nicht beziehungslos
nebeneinander, sondern, wie schon oben angezeigt, dominiert eindeutig das
Evangelium als das eigentliche Werk Gottes gegenüber seinem fremden Werk. Denn
darum recht eigentlich hat er uns sein Wort gegeben, weshalb wir auch bitten: „Dein
Reich komme“, nämlich: „Lieber
Vater, wir bitten, gib uns erstlich dein Wort, dass
das Evangelium rechtschaffen in der Welt gepredigt werde; zum andern, dass es
auch durch den Glauben angenommen werde, in uns wirke und lebe, dass
also dein Reich unter uns gehe durch das Wort und Kraft des Heiligen
Geistes und des Teufels Reich niedergelegt werde, dass er
kein Recht noch Gewalt über uns habe, so lange, bis es endlich gar zerstöret,
die Sünde, Tod und Hölle vertilget werde, dass
wir ewig leben in voller Gerechtigkeit und Seligkeit.“
(Gr. Katechismus, III, II, 54) Es geht also um nichts anderes, als aus dem
Reich der Finsternis in das Reich Christi versetzt zu werden: was eben durch
das Evangelium - und durch das Evangelium allein - geschieht, Joh. 20,21; Apg.
5,14; Kol. 1,13. (Das Gesetz kann nur den Boden vorbereiten, indem es
Sündenerkenntnis und Reue wirkt und soll später den Erlösten dienen, den Willen
Gottes zu erkennen - aber Leben geben, den Glauben wirken und damit Christi
Reich bauen, das kann es nicht, das kann allein das Evangelium, Röm. 1,16.17;
3,20; Gal. 2,216). Darum bekennt die evangelisch-lutherische Kirche auch: „In
diesen Worten gedenkt der Katechismus unsers freien Willens oder Zutuns mit
keinem Wort, sondern gibt alles dem heiligen Geist, dass er
durchs Predigtamt uns in die Christenheit bringe, darinnen heilige und
verschaffe, dass wir täglich zunehmen
im Glauben und guten Werken.“ (KF., Ausf.
Darl., II, 38)
Das Zentrum der Heiligen Schrift, wie unter
ad.
dargelegt, ist der Christus für uns, die Rechtfertigung des Sünders, des
Gottlosen, allein aus Gnaden, allein um Christi Gehorsam, Leiden und Sterben
willen, allein durch den Glauben, vgl. Röm. 3; 4. Darum ist das die vornehmste
Aufgabe der Schrift Gottes und des von Gott eingesetzten, nichts als die
Schrift verkündigenden heiligen Predigtamtes: „...
dass solch Verdienst und
Wohltaten Christi durch Wort und Sakrament uns sollen vorgetragen, dargereicht
und ausgeteilt werden.“ „...
dass er mit seinem Heiligen
Geist durch das Wort, wenn es gepredigt, gehört und betrachtet wird, in uns
wolle kräftig und tätig sein, die Herzen zu wahrer Buße bekehren und im rechten
Glauben erhalten.“ (KF., Ausf.
Darl., XI, 16.17) Durch das Evangelium den Glauben wecken und erhalten - das
ist die Hauptaufgabe der Schrift, weshalb ja Paulus schreiben konnte an die
Korinther, er habe nichts gewusst
außer Jesus, den Gekreuzigten, 1 Kor. 2,2. Es sind die ewigen Güter, die
himmlischen Güter, die Christus uns erworben hat, die Gott durch das Evangelium
in Wort und Sakrament darreicht: „Dieselbe
Gewalt der Schlüssel oder Bischöfe übet und treibet man allein mit der Lehre
und Predigt Gottes Worts und mit Handreichung der Sakramente, vielen oder
einzelnen Personen, darnach der Beruf ist. Denn damit werden gegeben nicht
leibliche, sondern ewige Dinge und Güter, nämlich ewige Gerechtigkeit, der Heilige
Geist und das ewige Leben. Diese Güter kann man nicht erlangen als durch das
Amt der Predigt und durch die Handreichung der heiligen Sakramente.“
(Augsb. Bek., XXVIII, 8.9; s.a.
Apol., XII, 38-43.) Die
Bibel ist Gottes Wort an uns, Gott redet in ihr zu einem jeden Menschen, ruft
zur Sündenerkenntnis, Reue, Umkehr, zum bewussten,
persönlichen Glauben an Christus und zur willentlichen Nachfolge. Es
geht also nie um bloße Lehre oder um ein bloßes Gefühl oder eine
„Verschmelzung“ mit Gott, sondern um das Gewissen des Sünders und in der Folge
den zu bekehrenden Willen, damit es zum einem
persönliches Gottesverhältnis kommt, zu einer persönlichen Gemeinschaft
zwischen Gott in Christus und dem gerechtfertigten Sünder –
gerade auch mit der Folge, dass dadurch auch das Leben des Gerechtfertigten
erneuert und geprägt wird.[75]
Der Glaube ist also „creatura verbi“, durch das Wort gewirkt.
Das ist das eigentliche oder Hauptwerk des
Wortes Gottes, weshalb richtig auch das Evangelium in Wort und Sakrament als
das (Kenn-)Zeichen der Kirche gilt: „Und
dieselbige Kirche hat doch auch äußerliche Zeichen, dabei man sie kennet,
nämlich wo Gottes Wort rein gehet, wo die Sakramente demselben gemäß gereicht
werden, da ist gewiss
die Kirche, da sind Christen und dieselbige Kirche wird auch genannt in der
Schrift Christi Leib.“
(Apol., VII, 5) Danach aber hat Gottes Wort noch ein Werk an uns Christen, in
dem wiederum das Evangelium im Zentrum steht: die Heiligung, die aber auch
ihren Kern hat in der täglichen Vergebung der Sünden, im Trost der Gewissen. „Denn
jetzt bleiben wir halb und halb rein und heilig, auf dass
der Heilige Geist immer an
uns arbeite durch das Wort und täglich Vergebung austeile, bis in jenes Leben,
da nicht mehr Vergebung wird sein, sondern ganz und gar rein und heilige
Menschen ...“ (Gr. Kat., II, 58)
Wie aber erreicht nun Gott sein Ziel mit
der Heiligen Schrift? Ist sie bloße Informationsquelle, die uns den Heilsweg
aufzeigt, den wir gehen müssen, um errettet zu werden? Ist Gottes Wort nur eine
leere Hülse, die von etwas redet, das ganz unabhängig von ihr der Heilige
Geist wirkt? Wie handelt Gott mit uns? Die Antwort der Heiligen Schrift - und
im Anschluss an sie auch der
evangelisch-lutherischen BS - ist eindeutig:
„Darum
sollen und müssen wir darauf beharren, dass
Gott nicht will mit uns Menschen handeln als nur durch sein äußerlich Wort und
Sakrament.“ (Schm. Art., III,
VIII, 10) Gott handelt allein durch das Evangelium in Wort und Sakrament an
uns, Wort und Sakrament sind also die Gnadenmittel, durch die Gott die
Vergebung der Sünden, den heiligen Geist, das ewige Leben zueignet. (s.a. Röm.
1,16; 10,14-17; 2 Kor. 3; Gal. 3,2.5; 1 Petr. 1,23) Nicht neben dem Wort,
unabhängig von Wort und Sakrament führt Gott sein Heilswerk aus, sondern durch
dieselben. „Und in diesen
Stücken, die das mündliche, äußerliche Wort betreffen, ist fest darauf zu
bleiben, dass Gott niemand seinen
Geist oder Gnade gibt als allein durch oder mit dem vorhergehenden äußerlichen
Wort.“ (Schm. Art., III,
VIII, 3) Der Heilige Geist wird uns durch das Wort gegeben und durch das Wort
redet und wirkt er (s.a. Schm. Art., III, VIII, 11-13). Durchs Wort (und
Sakrament) führt Gott sein Werk an uns Menschen aus und verweist uns an die
Gnadenmittel - und gründet auch unser Heil darauf, damit wir wirklich Heilsgewissheit
haben können: „Wie
Gott seinen Rat verordnet hat, dass
der heilige Geist die Auserwählten durchs Wort berufen, erleuchten und
bekehren, und dass er alle die, so
durch rechten Glauben Christus annehmen, gerecht und selig machen wolle: also
hat er auch in seinem Rat beschlossen, dass er
diejenigen, so durchs Wort berufen werden, wenn sie das Wort von sich stoßen
und dem heiligen Geist, der in ihnen durchs Wort kräftig sein und wirken will,
widerstreben und darin verharren, sie verstocken, verwerfen und verdammen
wolle.“ (KF., Ausf.
Darl., XI, 40) Der Heilige Geist ist also bei dem gepredigten, gehörten,
betrachteten Wort gewiss
gegenwärtig und dadurch kräftig und wirkt (s.a. KF., Ausf.
Darl., XI, 39); Gottes Wort ist nicht nur deklaratorisch, sondern
wahrhaft effektiv, gibt, was es sagt. Von einem Wirken
neben, unabhängig von diesen Mitteln sagt uns die Schrift nichts; Gott bindet
uns an diese Mittel, die wahrhaft kräftig sind, weil der Heilige Geist darinnen
wirkend gegenwärtig ist. (Darum ist es auch völlig verkehrt und zeugt von Unkenntnis,
wenn nicht Verachtung der Kraft des Wortes Gottes, wenn man, gegen 1 Kor. 1,17;
2,2.4 und 1,25 ff meint, „Erfolg“ zu
haben, „Resultate“ zu
erzielen, wenn man psychologischer, sozialwissenschaftlicher vorgehe oder sich
sonst der Welt anpasse und so das Ärgernis des Kreuzes tatsächlich wegnimmt.) „Durch
die zwei, durchs Wort und äußerliche Zeichen [Sakrament], wirket der Heilige
Geist.“ (Apol., XXIV, 70;
s.a. KF., Kurze
Darl.., II, 4-6; Ausf. Darl..,
XI, 75-77)
Es ist also durch Wort und Sakrament, als
den Mitteln, wodurch der Heilige
Geist in uns kräftig ist und wahre Buße, den Glauben und das neue Leben im
Herzen wirkt. „So
wollen wir nun ferner aus Gottes Wort berichten, wie der Mensch zu Gott
bekehret werde, wie und durch welche Mittel (nämlich durch das mündliche Wort
und die heiligen Sakramente) der Heilige
Geist in uns kräftig sein und wahre Buße, Glauben und neue geistliche Kraft und
Vermögen zum Guten in unsern Herzen wirken und geben wolle, und wie wir uns
gegen solche Mittel verhalten und dieselben gebrauchen sollen.“ (KF., Ausf.
Darl., II, 48) Oder in andern Worten: „...
dass solch Verdienst und
Wohltaten Christi durch sein Wort und Sakrament uns sollen vorgetragen,
dargereicht und ausgeteilt werden.“ (KF., Ausf.
Darl., XI, 16) Darum sind wir aufgerufen, Gottes Wort und die Sakramente
fleißig, oft zu gebrauchen. „Diese
Predigt sollen nun alle die hören, die da wollen selig werden." (KF., Ausf.
Darl., II, 52), denn es ist eben durch diese Mittel, dass
Gott den Heiligen Geist gibt,
den Glauben wirkt: "Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das
Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakrament gegeben, dadurch er als durch
Mittel den heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wann er will, in
denen, so das Evangelium hören, wirket, welches da lehret, dass
wir durch Christi Verdienst, nicht durch unser Verdienst, einen gnädigen Gott
haben, so wir solches glauben.“
(Augsb. Bek., V, 1-3; s.a.
XXVIII, 8-11)
Da Gottes Wort Gnadenmittel ist, da der HERR
dadurch von Sünden überführt und durch das Evangelium selig macht, sollen wir
es, wie Luther im Kleinen Katechismus erklärt, „heilig
halten, gerne hören und lernen.“
(Kl. Kat., I, 6), es also nicht für ein gewöhnliches Wort, ein Menschenwort,
ansehen, sondern bedenken, dass es
des Heiligen Geist Wort und Buch ist, dass
Gott selbst in der Bibel zu uns redet, zu unserer Errettung. Und darum sollen
wir auch die Predigt aus seinem Wort gerne, also auch oft, hören, und sollen
Gottes Wort lernen, auch auswendig lernen, so in der Erkenntnis wachsen, in
rechter biblischer Erkenntnis (denn es kommt eben nicht nur darauf an, dass
jemand glaubt, sondern auch, was er glaubt).
Denn was ist das Ziel? Gott will durch sein
Wort , auch in der Predigt, als des Heiligen Geistes Werkzeug, Menschen zu sich
bekehren, nämlich dass
der Mensch durch die Predigt des Gesetzes „seine
Sünde und Gottes Zorn erkennet und wahrhaftigen Schrecken, Reu und Leid im
Herzen empfindet, und durch die Predigt und Betrachtung des heiligen
Evangeliums von der gnadenreichen Vergebung der Sünden in Christus ein Fünklein
des Glaubens in ihm angezündet wird, der Vergebung der Sünden um Christi willen
annimmt und sich mit der Verheißung des Evangeliums tröstet; und wird so der Heilige
Geist (welcher dieses alles wirket) in das Herz gegeben.“ (KF., Ausf.
Darl., II, 54)
Dadurch, dass
wir täglich mit Gottes Wort umgehen, es in Herz und Mund tragen, soll „unser
ganzes Leben und Wesen nach Gottes Wort“
ausgerichtet werden. (Gr. Kat., III, 89) Denn er will eben durch dieses Wort „in
uns den Glauben und seine himmlischen Gaben bewahren, von Tag zu Tag stärken
und bis an das Ende erhalten“,
worum wir auch bitten sollen. (KF., Ausf.
Darl., II, 16)
Gott hat sich uns in
der Heiligen Schrift offenbart, damit wir seiner Gnade teilhaftig werden können
(KF, Ausf. Darl., VII, 62). Auch die andere Bedeutung der Heiligen Schrift,
dass nach ihr „alle Lehren zu beurteilen sind“, ist nicht
eine zweite neben jener, sondern eben deshalb, weil die Heilige Schrift Gottes
Offenbarung ist und damit das Mittel zur Erlangung der Gnade,
kann keine Verkündigung als Gnadenmittel wirken, die nicht mit ihr
übereinstimmt. Daraus ergibt sich auch die Antwort auf die Frage, was denn
eigentlich das Gnadenmittel des Wortes Gottes sei, die Heilige Schrift oder die
Predigt. Die Bekenntnisse gebrauchen den Ausdruck
„Gottes Wort“ bald von der Bibel (z.B. Schm. Art. II, II, 15), bald von der
Predigt (z.B. Augsb. Bek. V), bald so, dass er beides meinen kann (z.B. Apol.
XII, 44). Es ist eben nicht ein formaler, sondern ein inhaltlicher Begriff:
Das, was Gott die Menschen zu ihrem Heil wissen lassen will. Nicht darauf kommt
es an, ob dies durch
Hören oder aber durch Lesen an uns herankommt, sondern darauf,
dass es inhaltlich Gottes Wort ist. Und dies ist auch die Predigt, wenn sie mit
der Heiligen Schrift übereinstimmt. Gott spricht zu uns, darauf
beruht christlicher Glaube, nicht auf Ritualen. Gott spricht zu uns mündlich
(z.B. Predigt, Zeugnis), schriftlich (Bibel) und die Sakramente, um dadurch
unseren Glauben zu wirken, zu festigen, zu erhalten, so dass wir durch den
Glauben ihm antworten und mit ihm leben. Im Zentrum steht dabei die Schrift,
denn sie bestimmt den Inhalt des mündlichen Wortes, sie gibt an, was die
Sakramente sind, und erst das Wort macht die Sakramente.
Welche Bedeutung haben
nun neben dem Wort Gottes noch die Sakramente? Die Apologie bezeichnet
sie als besondere Riten und erklärt: Wort und Riten haben den gleichen Effekt.
Sie beruft sich auf das Wort Augustins:
Das Sakrament ist das sichtbare Wort. Es will uns etwas sagen, doch so, dass
wir es nicht sowohl hören, sondern auch durch andere Sinne auffassen. Auch der
beabsichtigte Erfolg ist der gleiche: „Denn
dazu sind die äußeren Zeichen eingesetzt, dass dadurch bewegt werden die Herzen,
nämlich durchs Wort und äußere Zeichen zugleich,
dass sie glauben, wenn wir getauft werden, wenn wir des Herrn
Leib empfangen,
dass Gott uns wahrhaft gnädig sein will durch Christus.“
(Apol. XIII, 5.) Was zuerst auf uns wirkt, Wort oder Sakrament, ist
gleichgültig, wobei aber auch beim Sakrament das Wort das
Entscheidende ist (Schm. Art. III, VIII, 7;
Kl. Kat. IV,2). Beides soll den Glauben, wo er noch nicht
vorhanden ist, hervorrufen, und wo er schon da ist, ihn mehren (Augsb.
Bek. XIII). Und beide kommen nur da zum Ziel, wo sie im Glauben empfangen,
aufgenommen werden (ebd.): Es geht immer um die konkrete
Heilszusage, das Hauptelement auch der Sakramente, die der Empfänger im Glauben
auf sich persönlich bezieht.[76] Der
scheinbare Widerspruch, dass der Glaube sowohl Voraussetzung als auch Wirkung
der Gnadenmittel sein soll, ist zu lösen durch die Unterscheidung zwischen dem
verlangenden und dem besitzenden Glauben: Durch die in den Gnadenmitteln
ausgesprochene Verheißung soll das
Verlangen nach dem Verheißenen erregt werden – und das ist schon der Glaube,
der das Verheißene dann auch erlangt. Die rechtfertigende Gnade
also wird durch die Sakramente nur vermittelt, wenn die mit ihnen verbundene
Heilszusage im Glauben ergriffen wird. Es geht also nicht bloß um eine gewisse
kirchliche Gläubigkeit, eine intellektuelle Zustimmung zur Lehre, sondern um
persönliches vertrauendes Ergreifen der Heilszusage in Christus mittels des
Evangeliums[77]. –
Worin aber besteht dann das Besondere der
Sakramente? Diese sind 1. auch
ein Bekenntnis, das man vor andern ablegt; was für Zwingli die Hauptsache war.
Aber sie sind vor allem ein Handeln Gottes an uns. Denn die Sakramente sind 2.
„Zeichen und Zeugnisse des Willens Gottes gegen uns“ (Augsb. Bek. XIII),
oder, wie die KF nach Luther sich
ausdrückt, die Siegel, die dem Wort der Verheißung angehängt werden (Ausf.
Darl. XI, 37). Das im Wort Gesagte wird mir durch
die mit ihm verbundene Handlung bestätigt, verbürgt. Denn das ist 3. das
Besondere der Sakramente, dass sie (so hatte schon Luther
betont) an dem Einzelnen vollzogen werden. Weil das im Wort Gesagte allen gilt,
ist hierbei immer noch die Frage möglich, ob auch ich Einzelner es mir aneignen
darf. Da tritt das Sakrament ein: Es verbürgt dem Einzelnen, dass ihm die
evangelische Verheißung gilt (ebd.). Da man durch die Taufe
in die Gnade Gottes aufgenommen wird, so ist mir die Tatsache, dass ich zur
Taufe zugelassen werde, ein Zeugnis dafür, dass ich Gottes Gnade haben soll. Da
das Abendmahl aufs engste mit
Christus vereinigt, so ist die Tatsache, dass mir das Abendmahl
gewährt wird, ein sicherer Beweis dafür, dass Christus sich mit mir vereinigen
will. Die Voraussetzung dieser Gedanken ist freilich, dass eine ernste
Sündenerkenntnis es uns schwer macht, Gottes Gnadenwillen
auf uns persönlich zu beziehen. Ein Luther sehnte sich nach immer neuer
Vergewisserung des Glaubens. 4. Nun aber hat Christus verheißen,
seine Güter uns eben durch die Sakramente zu geben. Darum reden sie
nicht nur von ihm und seinem Willen, sondern sie geben, was sie
bezeugen, sodass der, welcher das Verheißene im Glauben annimmt, es
auch tatsächlich empfängt. „Die Taufe wirkt Vergebung der Sünden“ usw.,
„im Sakrament wird uns … gegeben“ (Kl. Kat. IV, 6; VI, 6). Durch die Bestimmung aber,
dass die Sakramente ihre Wirkung nur auf den ausüben,
der sie im Glauben empfängt, unterscheidet sich die lutherische Auffassung weit
von der römischen, nach der die Sakramente aus dem Vollzug wirken, auch ohne
innere Beteiligung des Empfängers, also magisch, wirken. Es
ist ein Unrecht, von „Sakramentsmagie“ bei den Lutheranern
zu reden. Eine objektive Wirkung nehmen sie freilich an (das
Sakrament ist tatsächlich gültig, kräftig; aber ob der Einzelne hat die Gabe zu
seinem Heil nur durch den Glauben an Christus). Aber
indem sie die objektive Einwirkung von dem subjektiven
Glauben abhängen lassen, leugnen sie eine magische
Wirkung. Wer aber daran Anstoß nimmt, dass Gott durch
die Sakramente etwas
geben soll, der muss es auch für unmöglich halten, dass Gott durch sein Wort
etwas in uns wirken will. Und wer dazu fortschreitet,
alle objektiven Vorgänge zu leugnen und in der Religion nur subjektive Vorgänge
zu sehen, der hat Gott aus der Religion ausgeschieden.
5. Endlich haben die Sakramente
die Eigentümlichkeit, dass dabei auch die
Leiblichkeit des Menschen beteiligt ist. Sollte dies bedeutungslos sein?
Als Luther von den Schweizern immer wieder hören musste, er könne nicht
nachweisen, dass der Empfang von Christi Leib und Blut
etwas „nütze“, hat er zwar (im März 1527) erwidert, „kein Christenmensch
begehre zu wissen, was es nütze sei“, sondern glaube schlicht den Worten
Gottes; dann aber suchte er doch „einigen Nutzen anzuzeigen“.
Unter anderem erinnert er an den Gedanken des
„Irenäus und der andern Väter“, es werde auch „unser Leib gespeist mit dem Leib
Christi, auf dass unser Glaube und Hoffnung bestehe, dass
unser Leib solle auch ewig leben von derselben ewigen Speise des Leibes
Christi“ (Erl. Ausg. 30,132). Diesen Gedanken wiederholte er in seinem Großen
Katechismus ganz kurz in Bezug auf das Abendmahl, ein wenig ausführlicher
hinsichtlich der Taufe (V, 68; IV, 44 ff.). Dass damit eine
magische leibliche Wirkung der Taufe oder des Abendmahls
behauptet wird, ist nicht richtig. Bei dem Abendmahl sagt Luther nur, man müsse
es ansehen „als eitel heilsame, tröstliche Arznei, die dir helfe und das Leben
gebe, beide an Seele und Leib. Denn wo die Seele genesen ist, da ist dem Leib
auch geholfen.“ Das Abendmahl hilft
also der Seele zur Genesung, und dann muss auch der mit ihr verbundene Leib
eine ewige Genesung erlangen. Dasselbe sagt Luther von der Taufe: „Bin ich
getauft, so ist mir gesagt, ich solle selig sein und das ewige Leben haben,
beide an Seele und Leib.“ Dies letztere, dass
auch der Leib nicht etwas Verächtliches sei in Gottes Augen (wie Rom und Calvin
meinen), bezeugt die Taufe mir dadurch, dass bei ihr „beides geschieht“, „dass
der Leib begossen wird, welcher nicht mehr fassen kann als das Wasser, und dazu
das Wort [der Verheißung der Seligkeit]
gesprochen wird, das die Seele auch könne fassen. Weil nun beide Wasser und
Wort eine Taufe ist, so müssen auch beide, Leib und Seele, selig werden und
ewig leben. Dass also Gott die Sakramente, durch die er
uns selig macht, sich auch auf unsere Leiblichkeit erstrecken lässt, bestätigt
uns die Schriftaussagen darüber, dass auch unserem Leib ewiges Leben zugedacht
ist. Wie aber erlangt nun unser Leib das ewige Leben? Üben, wie manche
verstanden haben, die Sakramente eine umschaffende, verewigende Wirkung auf ihn
aus? Nein, sondern „Leib und Seele müssen ewig leben,
die Seele durchs Wort, daran sie glaubt, der Leib aber, weil er mit der Seele
vereinigt ist und die Taufe auch ergreift, wie er’s ergreifen kann.“ In dem Glauben
der Seele also liegt der Grund der Seligkeit des ganzen Menschen. Diese
erstreckt sich auch auf die Leiblichkeit deshalb, weil diese mit der Seele auf
das engste verbunden ist und deshalb, von dem Glauben der Seele bestimmt, sich
der Taufe unterzieht. „Wo die Seele genesen ist, da ist auch dem Leib
geholfen.“ Demnach gehört dieser ganze Gedanke Luthers zu
dem, was er über die Vergewisserung unseres Glaubens durch die „Siegel“ der
Sakramente gesagt hat: Sie bezeugen uns auch, dass unser Leib ewig leben soll.
Von schwerwiegender Bedeutung ist die
weitere Feststellung Luthers und der Bekenntnisschriften, dass
Gottes Gnade auf unser Inneres nicht anders wirken will als durch die Mittel
des Worts und der Sakramente. Dies wird mit solcher Energie geltend gemacht,
weil die „Schwärmer“, auch die Schweizer, eine unvermittelte Einwirkung des
Geistes Gottes auf unser „Innerstes“
behaupteten. Die Schmalkaldischen Artikel sagen: „Alles, was ohne solches Wort
und Sakrament vom Geist gerühmt wird, das ist der Teufel.“ (III, VIII, 10),
der uns bewegen will, unser eigenen Gedanken und Wünsche für Eingebungen Gottes
zu halten, infolgedessen die „Enthusiasten“ „sich rühmen, ohne und vor dem Wort
den Geist zu haben und dadurch die Schrift oder mündliches Wort richten, deuten
und dehnen nach ihrem Gefallen“ (III, VIII, 3). Darum „ist
fest darauf zu bleiben, dass Gott niemanden seinen Geist
oder Gnade gibt, außer durch und mit dem vorhergehenden äußerlichen Wort.“
(das.; vgl. Augsb. Bek. V; XVIII, 3; XXVIII, 9; Apol.
IV, 67; VII, 36; Gr. Kat. III, II, 53
usw.) Im Großen Katechismus deutet
Luther auch an, weshalb Gott so verfährt: „Es soll und muss äußerlich sein,
dass man’s mit Sinnen fassen und begreifen und dadurch
ins Herz bringen könne.“ (IV, 30.) Der Mensch ist nach dem Willen Gottes des
Schöpfers ein Wesen mit Geist und Leib; seine Sinne sind die
Wahrnehmungsorgane, durch welche etwas außer ihm Befindliches in sein Inneres
eindringen kann. Diese von Gott gesetzte Organisation des Menschen wird von
Gott nicht verachtet. Denn Gott der Heilige Geist widerspricht nicht Gott dem
Schöpfer, weil es Ein Gott ist. „Zusammenfassend, was
Gott in uns tut und wirkt, will er durch solche äußerliche Ordnung
wirken.“ Vermöge dieser hochwichtigen Erkenntnis weiß der Lutheraner, was er zu
tun hat, um von Gott gefördert zu werden, dass er nämlich mit verlangendem
Glauben sich dem Einfluss der Gnadenmittel auszusetzen hat, dass
es also falsch ist, wenn die Schwärmer „träumen, der Geist werde aufgrund ihrer
Vorbereitung gegeben, da sie müßig und schweigend an einsamem Ort dasitzen und
auf die Erleuchtung warten“ (Apol. XIII, 13).
Sodann kann der Lutheraner das objektiv vorliegende Wort Gottes als den
Prüfstein verwenden für alle seine Gedanken,
Empfindungen, Willensregungen, ob sie nämlich von Gott
herrühren oder aber eigenes Fabrikat, vielleicht nur seines sündlichen
Eigenwillens, sind.
Wie Gott nur durch die Gnadenmittel
wirken will, so auch überall, wo sie verwaltet werden. Dies
musste die KF den Calvinisten gegenüber hervorheben. Sie bezeichnet es als
Fundament unserer Religion, dass Gottes Geist bei seinem Wort sei und
dadurch wirken wolle (Ausf. Darl., XI, 29
ff. 39). Wir sollen daher die durch die Predigt des Worts geschehende Berufung
„für kein Spiegelfechten halten“, sondern, wenn uns die Gnadenmittel erreichen,
so ist dies ein Beweis dafür, dass Gott durch seinen Geist an uns arbeiten,
also uns seine Gnade zuwenden will. Damit soll nicht gesagt sein, dass
Gott durch jede Predigt den Geist geben oder uns bekehren will. Vielmehr hat
Luther ausgeführt, das Hören des Worts und dessen Wirkung falle vielfach nicht
zeitlich zusammen; denn obwohl das Wort Gottes „des Heiligen Geistes Predigt
sei, der auch allezeit dabei sei, so treffe es doch
nicht allezeit bald das Herz“, wenn aber die rechte Stunde gekommen sei,
erinnere der Geist „unser Herz“ an das Gehörte, so dass es 2seine Kraft und
Trost zu fühlen beginne“ (Erl. Ausg. 12, 326 f.). Deshalb
begegnen wir auch niemals in Luthers Predigten der bei den Schwärmern so
beliebten Forderung: „Jetzt, jetzt!“ Dasselbe spricht Melanchthon im Augsburger
Bekenntnis, Art, V, aus: „Durch Wort und Sakrament als durch
Werkzeuge wird der Heilige Geist gegeben, der den Glauben wirkt, wo und wann es
Gott gut erscheint, in denen, die das Evangelium hören“, also manchmal nicht
schon an dem Ort oder zu der Zeit, wo sie es gehört haben.
Ebenso die KF: „Gott hat einem jeden Zeit und Stunde seiner Berufung
und Bekehrung bestimmt; weil aber uns solches nicht offenbart ist, haben wir Befehl,
dass wir immer mit dem Wort anhalten, die Zeit aber und Stunde
Gott befehlen sollen.“ (Ausf. Darl. XI, 56.)
Wenn aber diese Zeit eintritt, das werden wir nach dem Lutherschen
Grundsatz, Gott richte sich bei seinem Heilswillen nach der durch die Schöpfung
gesetzten Natur des Menschen, etwa dahin zu bestimmen haben: Dann,
wenn die für Erzielung des beabsichtigen Erfolgs notwendigen Voraussetzungen
schon erreicht sind und die besonderen Verhältnisse zur Überwindung des dem
sündigen Menschen eigenen Widerstrebens gegen
Gottes Einwirkung günstig sind. Mag jedoch noch so lange Zeit seit dem Hören
des Worts oder dem Empfangen des Sakraments vergangen sein, so bleibt doch das
Mittel der Geisteswirkung das damals Angebotene.
Da der Begriff
„Sakrament“ nicht in der Bibel für eine bestimmte Anzahl von Handlungen
festgelegt, sondern nur von der Theologie zu Lehrzwecken
verwandt ist, und da über die Zahl bis auf Petrus Lombardus geschwankt wurde,
erklärt die Apologie: „Kein verständiger Mann wird über die Zahl oder das Wort
viel streiten, wenn nur die Dinge, die von Gott Befehl und Verheißungen haben,
festgehalten werden.“ (Apol.
XIV, 17; XIII, 2.) Daher herrschte in dieser Beziehung auch unter den
Evangelischen anfangs noch eine leise Unsicherheit.
Luther hatte in seiner Schrift „Von der babylonischen Gefangenschaft der
Kirche“ außer Taufe und Abendmahl zunächst noch die Buße als Sakrament
angesehen, aber hinzugefügt, streng genommen seien nur jene zwei Sakramente
(Erl. Ausg. Opp. v.a. 5,86, 117). Im Augsburger Bekenntnis
behandelt Melanchthon die Buße in
dem Abschnitt über die Sakramente (Art. 9-13). In
der Apologie zählt er sie als drittes Sakrament, weil diese drei Handlungen
Gottes Mandat haben und Gnade verheißen (XIII, 4; XII, 41).
Doch liegt ihm so wenig an der Zahl, dass er sagt, auch die Ordination (im
weiteren Sinn, also den gesamten Akt der Berufung umfassend) würde man „ohne
Beschwerung ein Sakrament nennen“ können, wobei Melanchthon allerdings
einen viel weiteren Sakramentsbegriff als sonst üblich verwendet (XIII, 11). In
den Katechismen aber zählt Luther nur noch zwei Sakramente, in der Begründung
hierfür noch die frühere Unsicherheit andeutend: „Hier siehst du, dass die
Taufe, beide mit ihrer Kraft und Bedeutung, begreift auch das dritte Sakrament,
welches man genannt hat die Buße, als die eigentlich nichts anderes ist als die
Taufe. Denn was heißt Buße anderes als den alten Menschen mit Ernst angreifen und in ein neues Leben
treten? Darum, wenn du in der Buße lebst, so gehst du in der Taufe, welche
solch neues Leben nicht allein bedeutet, sondern auch wirkt, anhebt und
treibt.“ (Gr. Kat. IV, 74.)
Seitdem bezeichnet die lutherische Kirche nur Taufe und Abendmahl als
Sakramente.
Der Begriff „Zeichen“, den Augustinus in
Verbindung mit den Sakramenten eingeführt hat, ist unglücklich und hat viel
Verwirrung gestiftet. Besser ist es, die Sakramente als heilige Handlungen zu
bezeichnen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einschließen, denn sie
gründen in Christi Opfer am Kreuz, reichen uns Vergebung der Sünden jetzt dar
und stärken uns und sollen uns mithelfen zur Auferstehung der an Christus
Gläubigen. Vor allem das Abendmahl ist zugleich ein Abbild der zukünftigen
Gemeinschaft des Lammes mit seiner Braut.[78]
Das Wichtigste bei den Sakramenten sind
nicht die Zeichen, sondern ist das Wort, Gottes Wort, das jeden Einzelnen
direkt anspricht und zum Glauben ruft aufgrund des Wortes. Und allein durch den
Glauben, der Gott in seinem Wort glaubt und vertraut, hat der Einzelne auch den
geistlichen Nutzen des Sakraments. Die Zeichen sind nur gegeben, das Wort zu
unterstreichen. „Ja, ich setze noch dieses hinzu: Wenn du auch nicht
dächtest, du hättest genug Reue und Leid (denn dir selber kannst und sollst du
nicht trauen), nichtsdestoweniger, wenn du demjenigen glaubst, der gesagt hat:
‚Wer da glaubt und getauft wird, der soll selig werden‘, so sage ich dir,
dieser Glaube an sein Wort macht, dass du wahrhaftig getauft wirst, es mag um
deine Reue und Leid beschaffen sein, wie es will. Deswegen ist der Glaube überall
nötig. So viel hast du, so viel du glaubst.“[79] „Mit Recht habe ich also behauptet,
dass die ganze Kraft der Messe in den Worten Christi liegt, mit denen er
verspricht, dass die Vergebung der Sünden allen denen geschenkt werde, die da
glauben, sein Leib sei für sie dahingegeben und sein Blut sei für sie
vergossen. Und deswegen ist für die, die die Messe hören wollen, nichts
nötiger, als dass sie diese Worte fleißig und voll Glauben betrachten; tun sie
das nicht, so ist alles andere umsonst. Das ist allerdings wahr, dass Gott in
der Regel zu jeder Verheißung ein Zeichen als ein Andenken oder Denkmal seiner
Verheißung dazuzusetzen pflegt, damit sie umso treuer behalten würde und um so
wirkungsvoller an seine Verheißung erinnerte. So hat Gott auch in der Messe,
der wichtigsten aller Verheißungen, ein Zeichen als ein Denkmal der so großen
Verheißung hinzugesetzt: seinen eigenen Leib und sein eigenes Blut in dem Brot
und Wein, wie er sagt: ‚Das tut zu meinem Gedächtnis.‘“[80]
Die Taufe ist das von
Christus verordnete Mittel, durch das der Sünder in die Gnade Gottes
aufgenommen werden soll und wirklich aufgenommen wird, wenn er die Taufe im
verlangenden Glauben empfängt (Augsb. Bek. IX). Sie
geschieht in Gottes Namen – Gott selbst also handelt in ihr durch den Pastor,
Gott nimmt den Täufling auf in seine Gemeinschaft.[81]
Sie bewirkt also 1. Vergebung der Sünden,
auch der Erbsünde, freilich bleibt das Erbverderben; so
wir im Glauben an Christus stehen, wird es aber nicht angerechnet (Apol. II,
35). Als in Gottes Gnade aufgenommen, empfängt der
Getaufte 2. den Heiligen Geist, der nun in ihm heiligend wirkt (das.).
Luther legt dabei den Schwerpunkt auf die
Wirkung der Taufe nach Mark. 165,165, nämlich das „selig werden“. „Selig werden
aber weiß man wohl, dass nichts anders heiße, als von Sünden, Tod, Teufel
erlöst, in Christi Reich gekommen und mit ihm ewig leben.“ (Gr.
Kat. IV, 24.) Aber er betont gerade
auch das Leben aus der Taufe, nämlich in der täglichen Buße, Umkehr, wie gerade
der vierte Teil des Hauptstücks im Kleinen
Katechismus zeigt, ebenso sein „Sermon von der Taufe“ von 1518 –
wie es Luther bei aller Betonung der Rechtfertigung allein aus Gnaden, allein
um Christi Verdienst willen, allein durch den Glauben immer auch um die Frucht des
rechtfertigenden Glaubens, den Christus für uns ging: den Christus in uns, die
Erneuerung und Nachfolge. Damit hängt auch
zusammen, dass in der Taufe der alte Mensch in den Tod gegeben,
die Sünde abgewaschen wird und ein neuer Mensch hervorkommt aus der Taufe, der
mit Christus lebt.
Unter den anderen dazu gehörenden
Gütern nennt er dann auch einmal „den Heiligen Geist mit
seinen Gaben“ (Gr. Kat. IV, 41), oder
er schreibt, die Taufe „gebe Gnade, Geist und Kraft, den alten Menschen zu unterdrücken,
dass der neue hervorkomme und stark werde“ (Gr. Kat. IV, 75). Er sieht also
alles, was die Taufe zum Zweck des Seligwerdens wirkt,
als etwas Einheitliches an. Dass das an sich kraftlose Wasser „so große Dinge
tun“ kann, hat seinen Grund darin, dass Christus diesem Wasser jene Verheißung
erteilt hat – es liegt also alles am Wort und bedarf keiner
besonderen „Weihe“ des Wassers. Dies hat Luther in seinen Katechismen, um „aufs
einfältigste“, d.h. ganz populär anschaulich zu reden, auch so aus ausgedrückt:
Die Taufe „ist nicht allein ein natürliches
Waser, sondern ein göttliches, himmlisches, heiliges und
seliges Wasser“, sie ist „ein Gotteswasser“ (Gr. Kat. IV, 14.17). Aber ausdrücklich
verwehrt er, derartige Wendungen dahin zu missdeuten,
als sei „das Wasser an sich selbst edler als anderes Wasser“; „wir halten es
nicht mit Thomas und den Predigermönchen, die sagen, Gott habe eine geistliche
Kraft ins Wasser gelegt, welche die Sünde durchs Wasser abwasche“
(Schm. Art.
III, V, 2). Andererseits darf man auch nicht die Wirkung
der Taufe trennen von der Verheißung Christi über dem Wasser, wie Luther
fortfährt: „Auch nicht [halten wir es] mit Scotus und den Barfüßermönchen, die
da lehren, dass diese Abwaschung geschieht
allein durch Gottes Willen, gar nichts durchs Wort
und Wasser.“ Ob aber die Taufe die von Christus gewollte Wirkung tatsächlich
erreicht, hängt davon ab, ob der Mensch die ihm angebotene Gabe im Glauben
annimmt: Durch die Taufe wird Gottes Gnade angeboten. (Augsb. Bek. IX.)
„Nicht macht mein Glaube die Taufe, aber er empfängt sie.“ (Gr.
Kat. IV, 52.) Ist also kein empfangender Glaube vorhanden, so werden die
geistlichen Güter auch nicht empfangen. Es liegt
also kein Automatismus, keine Wirkung durch den bloßen Vollzug vor.
Hat aber Christus uns die Taufe als das
Mittel, in die Gnade Gottes aufgenommen zu
werden, gegeben, so ist sie für uns relativ heilsnotwendig (Augsb. Bek. IX, 1;
Apol. IX, 51). Das heißt: Wer durch das Wort zum Glauben gekommen
ist, aber die Taufe nicht erlangen kann, ist dennoch gerettet. Nur wer sie
erlangen kann, aber nicht begehrt, weil er sie verachtet,
sie ihm gleichgültig ist, der droht aus der Gnade zu fallen. Sie ist auch nur
relativ heilsnotwendig, weil allein das Wort absolut heilsnotwendig ist, ohne
das auch die Taufe wirkungslos wäre. Sündhafte
Selbstüberhebung ist es, wenn die
Wiedertäufer unablässig die Taufe mit dem Gedanken herabsetzten, sie sei eine
äußere Sache. Denn das Alleräußerlichste ist bedeutungsvoll, wenn Gott es
gebietet (Gr. Kat. IV, 7 ff.). Daher hat die
lutherische Kirche die Nottaufe beibehalten (Vis.Art. 37),
natürlich ohne damit sagen zu wollen, dass auch für Gott eine Notwendigkeit der
Taufe bestehe. Doch hat uns die Heilige Schrift über das Schicksal der
ungetauft Verstorbenen nichts offenbart.[82] –
Ist aber die Taufe die Willenserklärung Gottes über diesen
Einzelnen, dass Gott ihn selig machen will, so braucht sie auch dann nicht
wiederholt zu werden (wie die Wiedertäufer fordern), wenn der Täufling sie nicht im Glauben empfing, ebenso wenig, wenn
er nachher „davon fällt und sündigt“. Denn „die Taufe bleibt immerdar stehen“.
Es bedarf, um den Segen der Taufe zu haben, nur
eines „Wiedergangs und Zutretens zur Taufe“; „wir haben immer einen Zugang
dazu“. Wohl bedarf es dann der Buße; aber diese ist nicht, wie die Römischen
meinen, ein neues Sakrament, als wäre das rettende Schiff zerbrochen und
müssten wir auf einem anderen Brett „überfahren“.
Auch ist sie nicht, wie viele Evangelikale meinen, ein menschliches Werk, eine menschlicherseits
zu erbringende Voraussetzung, damit Gott uns erlösen könne,
sondern vielmehr des Heiligen Geistes Werk, vornehmlich durch das Gesetz, bei
den Christen auch zusätzlich durch das Evangelium. Es
gilt vielmehr, in das Schiff der Taufe „wieder hineinzukommen“ (Gr.
Kat. IV, 77 ff.). Und wie Gottes durch
die Taufe uns zugesprochene Verheißung sich über unser ganzes Leben erstreckt,
so auch die Verpflichtung, die sie uns auferlegt hat, indem uns Gott so
Großes durch sie schenkte. Diese Verpflichtung ist bedeutet durch das „äußerliche
Zeichen“, das Gott in diesem Sakrament verordnet hat. Dass „man uns ins Wasser
senkt, das über uns hergeht, und danach wieder herauszieht“, bedeutet „die
Tötung des alten Adams, danach die Auferstehung des neuen
Menschen“. Dies hat begonnen, als Gott uns in seine Gnade aufnahm, wird aber in
diesem Leben nicht vollendet, muss also „unser Leben lang in uns [fort-]gehen,
so dass ein christliches Leben nichts anderes ist als eine tägliche Taufe,
einmal angefangen und immer darin gegangen“ (Gr. Kat. IV, 64),
sowohl in ihrem „Trost“, wie in ihrem „Werk“. Da dies beides unzertrennlich
ist, hat Luther sehr ernst davor gewarnt, sich durch den Gedanken, wie „großes
Ding es um die Taufe“ wie, in „falsche
Sicherheit“ hinreißen zu lassen (z.B. Erl. Ausg. 21, 244). Er hat auch den
schönen Gedanken ausgesprochen, dass, wer „sich ergibt in das Sakrament der
Taufe und seine Bedeutung“, der „begehrt mit den Sünden zu sterben
und am Jüngsten Tag neugemacht zu werden“ (z.B. Erl. Ausg. 21, 234). Er hat
auch gewünscht, man hätte, um die ernste Bedeutung der Taufe auch durch den äußeren
Hergang einzuprägen, das Untertauchen beibehalten; freilich ohne deren
Wiedereinführung zu unternehmen, da davon nicht die Wirkung der Taufe abhängig
ist.
Die Kindertaufe noch eigens zu behandeln,
nötigen die Wiedertäufer, die den Glauben als ein von dem Menschen zu
leistendes „Werk“ und als die von Gott vorgeschriebene Bedingung für den
Empfang der Taufe auffassten. Als der eigentliche Grund, warum wir die Kinder
zu taufen haben, wird von Luther genannt: „Sie gehören
auch zu der verheißenen Erlösung, durch Christus geschehen, und die Kirche soll
sie ihnen reichen.“ (Schm. Art. III, V, 4), oder: „Die Verheißung des Heils
bezieht sich auch auf die Kinder“, „das Heil aber wird durch die Taufe
angeboten“, „folglich müssen auch die Kinder getauft werden“
(Apol. IX, 51 ff.). Nun aber bestehen auch Luther und die lutherschen
Bekenntnisse unentwegt darauf, dass ohne Glauben die Taufe nichts nütze, dies
freilich ganz anders als
die Wiedertäufer verstehend. Den „Einfältigen“ rät Luther (im Großen
Katechismus), die Frage, ob Kinder glauben, einfach „von sich zu schlagen und
zu den Gelehrten zu weisen“ (Gr. Kat. IV, 47 ff.).
Wolle man doch darauf antworten, so solle man darauf hinweisen, dass die
Kindertaufe Gott wohl gefallen müsse, weil er offenbar vielen als Kinder
Getauften seinen Heiligen Geist gegeben hat. Wer dies leugnen wolle, erkläre
die Kirche für untergegangen in der Vergangenheit (ebenso Apol. IX, 53), Aber
auch dann, wenn eine nicht im Glauben
empfangen werde, sei doch die Taufe „recht gewesen“, d.h. Gott hat durch sie
dem Menschen seinen Gnadenwillen bezeugen lassen, hat
ihm seine Gnade angeboten und zugeeignet. Habe der Mensch sie damals nicht
angenommen, so würde er dies nur jetzt nachzuholen haben, um den Segen der
Taufe zu empfangen. Für die taufende Kirche kann der Glaube des
Täuflings nicht in der Weise Vorbedingung sein, dass wir die Taufe nicht ohne
Gewissheit über seinen Glauben erteilen dürften; denn wir können niemals sicher
den Glauben bei anderen feststellen. Wir haben sie vielmehr zu erteilen, wenn
wir nur nicht ihres Unglaubens gewiss sein müssen und gemäß dem Reichs- und
Taufbefehl Matthäus 28,18-20 auch die weitere christliche Unterweisung
gewährleistet ist, etwa durch ein Eltern- oder Großelternteil.
Wenn das nicht der Fall ist, wäre die Taufe zu verweigern.
So mit der Kindertaufe: „Das Kind tragen wir herzu der Meinung
und Hoffnung, dass es glaube, und bitten [deshalb bei dem Herzubringen], dass
ihm Gott den Glauben gebe. Aber darauf taufen wir‘s nicht, sondern allein
darauf, dass es Gott befohlen hat.“
Dies ist die nach anfänglicher Unsicherheit von Luther
festgehaltene und auch in die Bekenntnisse aufgenommene Ansicht über die
Möglichkeit der Entstehung von Glauben in Kindern. Das
gläubige Gebet der Gemeinde, die allezeit um das Kommen des Reiches Gottes
fleht, speziell das Gebet der für dieses Kind den Segen
der Taufe begehrenden Eltern, Paten und anderen Teilnehmer, in Verbindung mit
dem bei der Taufe gesprochenen Wort Gottes und dem Taufakt mit seinen
Verheißungen kann Gott dazu bewegen, dem Kind nicht nur die
Taufe zu gewähren, sondern auch den – bei dem Säugling noch unbewussten –
Glauben zu schenken, der den Segen empfängt. Daher ermahnt Luther im
Taufbüchlein so dringend „alle diejenigen, so da taufen, Kinder heben und dabei
stehen“, „zu Herzen zu nehmen“, „wie kläglich und ernst die christliche Kirche
das Kindlein herträgt und vor Gott bekennt, es sei ein Kind der Sünde und
Ungnade und so fleißig bittet um Hilfe und Gnade durch die Taufe“.
Sie sollen „dem armen Kindlein aus ganzem Herzen und starkem Glauben beistehen“
und in solchem Glauben auch darum beten, Gott wolle dieses Kind „durch seine
grundlose Barmherzigkeit gnädig
ansehen und mit rechtem Glauben im Geist beseligen, so
dass es durch diese heilsame Sintflut … ewiges Leben zu erlangen würdig werde“
(Taufbüchl. 2,3.14). Dass man mit solchem Verlangen
sich an Gott wenden muss, ist Luther selbstverständlich, weil nach ihm
der wirkliche Glaube einzig Gottes Geschenk ist.
Dass solches Gebet Gott wohlgefällig ist, bezweifelt er nicht, weil
Gottes Wille, dieses Kind in seine Gnade aufzunehmen, auch
den Willen, ihm den Empfang der Gnade möglich zu machen, also ihm Glauben zu
schenken, in sich schließt. Freilich kann dieser Glaube nicht der seines
Besitzes bewusste Glaube des Erwachsenen sein, sondern ist der seiner selbst
nicht bewusste Glaube, Vertrauen, ebenso, wie
das von Gott dem Kind geliehene Verlangen nach leiblicher Nahrung und die
Fähigkeit, sie anzunehmen sowie das Vertrauen zur Mutter unbewusst sind. Aber
unbewusster Glaube ist für Luther keineswegs ein Selbstwiderspruch. Er
führt aus, der schlafende Gläubige wisse nichts von seinem Glauben und habe ihn
doch, weil er sonst ewig verloren gehen würde, falls ihn im Schlaf der Tod
übereile. Nicht anders ist es mit den Gläubigen, die
bewusstlos geworden sind oder im Koma liegen. Und in der Anfechtung
wisse der Gläubige nicht um seinen Glauben, und doch beweise seine Betrübnis
über den vermeintlichen Mangel an Glauben,
dass er Glauben, eben den verlangenden, habe.
Warum also tauft die lutherische Kirche
Säuglinge? 1. Gerade in ihr kommt
so überaus deutlich zum Ausdruck, dass keinerlei Tun des Menschen, keinerlei
menschliche Voraussetzungen für Gottes Gnade da ist, sondern dass Gnade allein
schenkendes Handeln Gottes ist.[83]
2. Weiter,
weil auch sie „Fleisch sind, vom Fleisch geboren“ (Joh. 3,6), also seit ihrer
Zeugung Sünder, in Sünden empfangen und geboren (Ps. 51,7) und damit unter dem
Zorn und Verdammungsurteil Gottes sind und der Rettung bedürfen;
dann, 3. weil der Reichs- oder
Taufbefehl Christi sie nicht aus-, sondern einschließt, denn er will, dass
ganze Völker zu Jüngern gemacht werden durch taufen und lehren
(Matth. 28,19). Und zu den Völkern
gehören die Säuglinge genauso wie die Erwachsenen. 4. Außerdem
sagt Christus eindeutig, dass auch die Kleinstkinder des – wenn auch für sie
noch unbewussten – Glaubens fähig sind, denn er spricht den Kleinstkindern, die
auf den Armen der Mütter zu ihm gebracht wurden, das
Reich Gottes zu (Mark.10,13-16),
was sie aber einzig durch den Glauben haben können.
Ja, er stellt den Glauben der Kinder seinen Jüngern zum Vorbild hin (Matth.
18,3). 5. Vor allem aber:
Christus will ja, dass die Kinder zu ihm gebracht werden (Mark. 10,13) und will
nicht, dass irgendeines von ihnen
verloren geht (Matth. 18,14). Dazu aber hat er keine Segnung eingesetzt, wohl
aber die Taufe. 6. Und wir lesen in der
Apostelgeschichte, dass ganze Häuser getauft wurden. Bei dem Kinderreichtum der
damaligen Zeit ist es eher unwahrscheinlich, dass nicht auch Kinder dabei waren.
Das stimmt mit dem oikos-Begriff aus dem
Alten Testament überein, denn als Gott die Beschneidung einführte, sollte
Abraham alles Männliche in seinem Haushalt beschneiden – ob sie alle glaubten,
danach wurde nicht gefragt, weil Abraham als der Hausvater gläubig war
und sie lehren werde.
Die Verbindung von Taufen und Lehren darf
aber nicht übersehen werden, die eindeutig in Christi Reichsbefehl enthalten
ist. Denn es gilt ja, dass das, was der dreieinige Gott in der Taufe dem
Säugling zugeeignet hat, nämlich Tod des
alten Adams, Vergebung der Sünden, neues Leben in Christus, den Heiligen Geist,
und was der Säugling ja nur durch einen unbewussten Glauben hatte, dann, wenn
das Kind heranwächst, doch zum bewussten,
willentlichen Besitz wird, damit der Sünder als Christ in täglicher Buße,
täglicher Bekehrung aus der Taufe leben kann. Das heißt aber nichts anderes,
als dass jeder, der als Säugling getauft wurde, durch das
Wirken des Heiligen Geistes durch das Gesetz auch zu rechter Sündenerkenntnis
und dadurch auch zu tiefgehender Verdorbenheits- und damit
Verlorenheitserkenntnis kommen muss, nämlich dass er lebendig erfasst, dass er
ohne Christus geistlich tot in Übertretungen
und Sünden ist, daher unter Gottes Zorn und Gericht, und so erfasst und
begreift, warum er getauft wurde und durch das Evangelium Christus als seinen
Erlöser erkennt, der auch für ihn Mensch wurde, auch um
seinetwillen sich dem Gesetz unterwarf und es stellvertretend erfüllte, auch
seine Sünden auf sich nahm und am Kreuz auch für sie mit seinem blutigen Leiden
und Sterben bezahlte und so Gott auch mit ihm versöhnte und so auch ihm
Vergebung der Sünden, den Frieden Gottes, das ewige Leben
erworben hat und durch das Evangelium in Wort, Taufe und Abendmahl ihm zueignet.
So erkennt er in Christus, dem Christus für uns, Gottes unbegreifliche Liebe
und empfängt, eignet sich zu im Glauben an Christus all
das, was Christus ihm erworben hat, eben die Rechtfertigung des Sünders, die
Vergebung der Sünden, Gottes Versöhnung, den Frieden Gottes, Freispruch im
Jüngsten Gericht und das ewige Leben. Und in diesem bewussten
Glauben will er dann als Folge, Frucht auch Christus sich hingeben, ihm sein
Leben weihen, ihm entschieden nachfolgen (Röm. 12,1; 2. Kor.
5,14-15) in täglicher Sündenerkenntnis, täglicher Reue, täglicher Umkehr,
täglichem Ergreifen der Vergebung, täglichem Kampf gegen die Sünde, täglichen
guten Werken in seinen Lebensbereichen (Eph. 4,22.24).
Wer nicht, wenn er zu seinem Bewusstsein
gekommen ist, zum bewussten Glauben, zu bewusster
willentlicher Christusnachfolge aus solchem bewussten Glauben gekommen ist,
nicht lebt mit und aus Gottes Wort, in der Gemeinschaft mit Gott steht im
regelmäßigen Gebet, in täglichem Kampf
gegen die Sünde und Sündenerkenntnis, der hat das nicht mehr, was er einst in
der Taufe empfangen hat, der ist aus der Taufgnade gefallen. Gott aber
ist treu: Solange es für ihn noch heute heißt, also bis er stirbt, ist noch Raum
da zur Umkehr, um das wieder zu erlangen, zu empfangen, zu ergreifen, was er
einst schon einmal in der Taufe bekam. Sonst geht er trotz seiner Taufe ewig
verloren.
Als Luther die
Notwendigkeit erkannt hatte, das römische Messopfer zu bekämpfen, war ihm auch
klar, dass er diesen Sieg am leichtesten würde erringen können, wenn er
nachweisen könnte, „dass im Sakrament
nichts als Brot und Wein wäre“. Darum war er nur „allzu geneigt“ zu dieser
Annahme. Aber, so berichtet er, „ich bin gefangen, kann nicht heraus, der Text
ist zu gewaltig und will sich mit Worten nicht lassen aus dem Sinn reißen“
(Erl. Ausg. 53,274). Und zwar war es, wie seine
Abendmahlsschriften zeigten, seine vertrauensvolle Ehrfurcht gegen Christus, um
dessen Worte es sich handelte, was ihm eine Umdeutung dieses „Textes“
unmöglich machte, vielmehr ihn zwang, Christus auch das zu glauben, dessen
Richtigkeit nicht er selbst durch Erfahrung feststellen konnte. Entscheidend
sind also, das hat Luther schon in der „Babylonischen Gefangenschaft der
Kirche“ betont, die Einsetzungsworte Christi, Christi
Ordnung und Befehl. Auf diesem Grund stehen auch die lutherischen
Bekenntnisschriften. Daher halten sie fest an der Realpräsenz des Leibes
und Blutes Christi im Abendmahl, also der praesentia in
rebus, der Gegenwart in den Elementen, was aber weder eine wesenshafte
noch eine räumliche Gegenwart meint, sondern eine substantielle.
Artikel 10 des Augsburger Bekenntnisses lehrt, „dass wahrer Leib und Blut
Christi wahrhaftig unter der Gestalt
des Brots und Weins im Abendmahl gegenwärtig sei und da ausgeteilt und genommen
wird". Jeder also, der am Abendmahl teilnimmt, empfängt
Christi Leib und Blut. Man hat darauf hingewiesen, dass hier Melanchthon
im lateinischen Text gar nicht Brot und Wein erwähnt und hat hieraus versucht,
Entgegengesetztes zu folgern. Die einen (Ebrard und Heppe) meinten, Melanchthon
habe in reformierter Weise leugnen wollen, dass Christi Leib und Blut uns
durch das Brot und den Wein gegeben werde; er sage daher nur (ähnlich wie
Calvin), bei der Feier des Abendmahls sei Christi Leib und Blut gegenwärtig.
Aber diese Deutung wird unmöglich schon durch die Hinzufügung des
„ausgeteilt werden“: Eine „Austeilung“ von Christi Leib und Blut geschieht nur
durch die Austeilung der (irdischen) Elemente, wie denn der deutsche Text sagt.
Umgekehrt haben andere hier gelesen, Melanchthon
habe aus Nachgiebigkeit gegen die römischen Gegner „die Transsubstantiation
absichtlich eher ein- als ausgeschlossen“. Und freilich mag er die Frage, ob
auch wirkliches Leib
und Blut empfangen werden, unerörtert gelassen haben, um die Römischen
nicht unnötig zu reizen. Aber Luther hat daran keinen Anstoß genommen. Gerade
dieser 10. Artikel ist es, um deswillen er in seinem bekannten Brief an die
Gemeinde in Frankfurt am Main das Augsburger Bekenntnis so sehr hoch gelobt hat
(Erl. Ausg. 26,380). Hatte er doch oft erklärt, auch noch
vor kurzem (1528) in seinem Bekenntnis vom Abendmahl, „dass solcher Kampf nicht
vonnöten sei und nicht große Macht daran liege, es bleibe Brot oder nicht“
(Erl. Ausg. 30,292).
Allerdings hat Luther in den Schmalkaldischen Artikel die Transsubstantiation
klar verworfen (III, VI, 4). Obwohl Luther für
die Hauptsache beim Abendmahl
erklärt hatte, dass darin Christi Leib und Blut ausgeteilt werde, hatte er doch
auch dargelegt, die einfachste Erklärung der Einsetzungsworte sei
die, es würden auch die irdischen Elemente wirklich empfangen. Dafür gebrauchte
er im Kleinen Katechismus den Ausdruck „unter dem Brot und Wein“,
im Großen Katechismus „in und unter“, Melanchthon in der Apologie „mit“ (Kl.
Kat. IV, 2; Gr. Kat. V, 8; Apol. X, 54). Die KF hat die drei
Präpositionen zusammengestellt (Ausf. Darl. VII, 35). Davon,
wie die Gegenwart von Leib und Blut Christi im Abendmahl
möglich sei, schweigen die älteren Bekenntnisse noch. Dagegen bezeugen sie
schon die Objektivität dieser unsichtbaren Gabe, so dass jeder,
der im Abendmahl die Elemente empfängt, auch Christi Leib und Blut empfängt;
die Schmalkaldischen Artikel sagen: „und werden nicht
allein gereicht und empfangen von frommen, sondern auch von bösen Christen“
(III, VI, 1); der Große Katechismus: Weil „dieses hochwürdige
Sakrament“ „Gottes Wort und Ordnung ist“, darum „wird ihm nichts abgebrochen
und genommen, ob wir’s gleich unwürdig gebrauchen und handeln“, ebenso wie die
Naturordnung bestehen bleibt, wie wir sie auch
gebrauchen mögen (V, 4 ff. 15 ff.). Von dem würdigen oder unwürdigen Empfang
hängt nur das ab, ob man es sich zum Segen oder zum Gericht
empfängt (Apol. XI, 62; Gr. Kat. V, 69). Welchen Nutzen das
Abendmahl bringt, zeigt uns das Verheißungswort: „für euch gegeben und
vergossen zur Vergebung der Sünden“. Wird diese Verheißung geglaubt, so
hat man Vergebung und damit auch Leben und Seligkeit (Kl. Kat. VI, 6 ff.).
Diesen Glauben zu erleichtern und zu festigen, gibt Christus
mir als „ein gewisses Pfand und Zeichen“
seinen Leib und sein Blut also „eben dasselbe Gut, so für mich gesetzt ist
gegen meine Sünde, Tod und alles Unglück“; das, was Christus zu meiner Erlösung
dahingegeben hat, das gibt er mir, damit ich nicht
mehr daran zweifele, dass mir die Frucht der Erlösung gilt (Gr. Kat. V, 20).
Indem uns Christus mit solchem allerhöchsten Pfand „Vergebung der Sünden
anbietet und verheißt, kann es nicht anders als
durch den Glauben empfangen werden“ (Gr. Kat. V, 33). Im Großen Katechismus
stellt Luther auch die Wirkung des Abendmahls der der Taufe gegenüber (V, 23
ff.): „Durch die Taufe werden wir erstlich
neu geboren“, das Abendmahl ist dann „eine Speise der Seele, die den neuen
Menschen nährt und stärkt“. Die Sündenvergebung
ist keine „Vorbedingung“ für das durch
das Abendmahl vermittelte Leben und Seligkeit, sondern diese werden mit und
durch die Sündenvergebung, als engstens mit ihr verbunden, geschenkt
– und zwar durch das Wort, das auch in den Sakramenten das entscheidende ist. „Ich
darf mich auch nicht zum Gedächtnis und Erkenntnis halten des Leidens Christi,
wie Karlstadt allfentzt, denn da finde ich sie auch nicht, sondern zum
Sakrament oder Evangelium, da finde ich das Wort, das mir solche am Kreuz
erworbene Vergebung austeilt, schenkt, darbietet und gibt.“[84]
Und Luther sieht die Nährung und Stärkung des neuen
Menschen in der Mehrung des Glaubens und in diesem das neue „Leben“, und dieser
Glaube hat eben die Gewissheit der Vergebung. So
schreibt denn Luther „darum“, weil wir durch das Abendmahl
der Gnade Gottes gewiss werden (Gr. Kat. V, 20-22), nährt es
den neuen Menschen (Gr. Kat. V, 23). Er will sagen, unserem Glauben stehen so
viele Schwierigkeiten entgegen, dass wir „zuletzt müde werden“
und den Glauben fallen lassen können; da soll die Versicherung
der Gnade Gottes im Abendmahl uns stärken, dass der neue Mensch in uns, dass
der Glaube gegen alle Anfechtungen standhalte. – Zwingli fasst das Abendmahl in
erster Linie als Bekenntnisakt auf, ein
Aspekt, der den lutherischen Bekenntnissen nicht fremd ist, aber nur eine
Nebensache im Sakrament ist. Die Apologie sagt, wo der
Glaube sei, da fehle auch das Opfer des Dankes und Lobes nicht, und dann
empfange man das Abendmahl, um zu zeigen, dass man Gottes Wohltaten hochachte;
denn es sei auch ein Bekenntnis unseres Glaubens vor den Leuten, von Christus
zum Zweck der Verkündigung seines Todes eingesetzt (XXIV,
74; IV (III), 89).
Luther hat die römische Messopferlehre auf
das entschiedenste verworfen und als ein Greuel bezeichnet, da durch sie
Christi einmaliges Opfer auf Golgatha angegriffen und
geschmälert wird (Schm. Art. II, II). Sie stellt
tatsächlich den gesamten christlichen Gottesdienst auf den Kopf, da sie
behauptet, dass ein menschliches Opfer Gott versöhnen könne
und so das Abendmahl aus einer Gabe Gottes an uns (der
Sündenvergebung) zu einer menschlichen Gabe an Gott macht.[85]
Diese Gabe Gottes aber hat allein der Glaube an Christus, der sich an das Wort
hängt.[86]
Die Konkordienformel musste die
Abendmahlslehre gegen die besonders bei den Kryptocalvinisten beliebte
Verschleierung ihrer eigentlichen Meinung, „wodurch sie viele hohe Leute
betrogen“, bestimmt herausstellen, handelt daher
vorwiegend von der Realpräsenz, für die sie den Ausdruck „sakramentliche
Vereinigung“ verwendet. Ähnlich
wie in Christus die menschliche und die göttliche Natur vereinigt sind, so das
natürliche Brot und der wahre
übernatürliche Leib Christi (Ausf. Darl. VII, 35 ff.); doch
aber ist nicht der Leib räumlich ins Brot eingeschlossen oder sonst beharrlich
damit vereinigt außerhalb der sakramentlichen Handlung, die aus Konsekration,
Austeilung und mündlichem Genuss besteht (VII, 14).
Aus der sakramentalen Vereinigung folgt
dann das „mündliche Essen“ (Kl. Kat. VI, 7),
das aber „nicht auf grobe, fleischliche, kapernaitische, sondern auf
übernatürliche, unbegreifliche Weise verstanden werden“ muss (KF, Ausf. Darl.
VII, 64; Kurze Darl. VII, 41). Ebenso folgt, wie schon
betont, dass auch die Unwürdigen Christi Leib empfangen.
Das von den Calvinisten so hoch gepriesene
„geistliche Essen“, das heißt, die Vereinigung mit Christus durch den Glauben,
ist natürlich „allen Christen zur Seligkeit nötig“, ja,
„ohne diese geistliche Nießung ist auch das sakramentliche oder mündliche Essen
im Abendmahl nicht allein unheilsam, sondern auch schädlich und verdammlich“
(KF, Ausf. Darl. VII, 61 ff.). Zur Beantwortung des
Einwurfs, wie der zum Himmel gefahrene Leib Christi im Abendmahl gegenwärtig
sein könne, wird, wie schon von Luther dargelegt, darauf verwiesen, dass der
„Himmel“ kein räumlich umgrenzter Ort ist und Christi Leib
allgegenwärtig (KF, Ausf. Darl., VII,
91 ff.). Im Blick auf den Nutzen des
heiligen Abendmahls verweist die Konkordienformel auch darauf, dass es uns auch
dient „zu gewisser Versicherung und Vergewisserung“, dass der ganze „Mittler,
Haupt, König und Hohepriester“ „auch nach der Natur, nach
welcher er Fleisch und Blut hat, bei uns sein, in uns wohnen und kräftig sein
will“ (Ausf. Darl. VIII, 77 ff.).
Im Augsburger
Bekenntnis heißt es im Artikel X klar, dass Christi wahrer Leib und Blut unter
Brot und Wein im Abendmahl gegenwärtig,
ausgeteilt und genommen wird. Damit ist
eindeutig von einer gewissen Dauer der sakramentalen Vereinigung die Rede, die
auf die gesamte sakramentale actio oder usus bezogen wird, nicht nur auf den
mündlichen Genuss, sondern auf jeden Fall auch die Austeilung mit einbezieht,
letztlich auch das, was vom Altar zur Austeilung genommen wird.
In der Konkordienformel heißt es daher,
unter Zitierung der Schmalkaldischen Artikel, dass Brot und Wein der
wahrhaftige Leib und Blut Christi sind, welcher gereicht
und empfangen
werde, nicht allein von den frommen, sondern auch von den bösen Christen. Auch
hier ist klar, dass wir bekennen, dass das, was der Pastor in der Hand hat und
austeilt zum mündlichen Genuss nicht nur Brot und Wein ist, sondern Christi
Leib und Blut in, mit und unter Brot und Wein.
„Vom
Abendmahl des HERRN wird so gelehrt, dass wahrer Leib und Blut Christi
wahrhaftig unter der Gestalt des Brots und Weins im Abendmahl gegenwärtig sei
und da ausgeteilt und genommen wird. Derhalben wird die Gegenlehre verworfen.“ (Augsburger
Bekenntnis, Art. X; s.a.: Apol. X, 54; KF,
Ausf. Darl., VII, 9)
„…,
dass Brot und Wein im Abendmahl sei der wahrhaftige Leib und Blut Jesu Christi,
welcher gereicht und empfangen werde nicht allein von frommen, sondern auch von
bösen Christen.“ (KF,
Ausf. Darl., VII, 19)
Die Grundregel oder allgemeine Regel dabei
für die sakramentale Vereinigung ist die: Nichts ist ein Sakrament außerhalb
des eingesetzten Gebrauchs. Das heißt: Die Konsekration allein, losgelöst von
der unzertrennbaren sakramentalen Actio oder usus, macht noch nicht das
Sakrament, sondern es muss die ganze heilige Handlung als Einheit betrachtet
werden, nämlich die irdischen Elemente nehmen, segnen oder konsekrieren,
austeilen, empfangen, mündlich genießen (und dabei
auch des HERRN Tod verkündigen). Wo dies nicht geschieht, da ist auch nicht die
sakramentale Vereinigung; und außerhalb dieser sakramentlichen Handlung ebenso
nicht, das heißt: Wenn die Römischen die Hostie einschließen, umhertragen, so
haben sie tatsächlich nichts als Brot, aber nicht Christi Leib. Diese Handlung
ist, wie gesagt, als eine unzertrennbare Einheit zu betrachten, wo der
Schwerpunkt weder auf die Konsekration verschoben und dann, losgelöst von der
übrigen Handlung, verharrt wird bei dem, was nach der Konsekration, unabhängig
von der übrigen Handlung, auf dem Altar sei, noch darf der Schwerpunkt auf den
mündlichen Genuss gelegt werden und die Konsekration zu einer bloßen Erzählung,
einem Gebet, einer Verkündigung werden und somit die effektive Wirksamkeit der
Konsekration, als eines Wirkens Christi durch die Einsetzungsworte, verdunkelt
und dann behauptet werden, erst mit dem mündlichen Genuss finde die
sakramentale Vereinigung statt. Die Meinung, die Konsekration bewirke zwar die
sakramentale Vereinigung, aber diese trete erst mit dem mündlichen Genuss ein,
ist zwar besser als die vorige, aber weicht dennoch von Schrift und Bekenntnis
ab, denn die Berichte vom heiligen Abendmahl bezeugen deutlich von den
dargereichten Elementen, dass sie Christi Leib und Blut sind, wie es auch
Paulus in 1. Kor. 10,16 von dem Kelch des Segens, der gesegnet wird, dem Brot,
das gebrochen oder ausgeteilt wird, aussagt, dass sie die Gemeinschaft des
Blutes bzw. die Gemeinschaft des Leibes Christi sind.
„Aber
dieser Segen oder die Erzählung der Worte der Einsetzung Christi, wo nicht die
ganze Aktion des Abendmahls, wie die von Christus geordnet, gehalten wird,
(als, wenn man das gesegnete Brot nicht austeilt, empfängt und genießt, sondern
einschließt, aufopfert oder umherträgt), macht allein kein Sakrament, sondern
es muss der Befehl Christi, das tut, welches die ganze Aktion oder Verrichtung
dieses Sakraments, dass man in einer christlichen Zusammenkunft Brot und Wein
nehme, segne, austeile, empfange, esse,
trinke und des HERRN Tod dabei verkündige, zusammenfasst, unzertrennt und
unverrückt gehalten werden, wie uns St. Paulus die ganze Aktion des
Brotbrechens oder Austeilens und Empfangens vor die Augen stellt, 1. Kor. 10.“ (KF,
Ausf. Darl., VII, 83-84)
Es wäre also falsch, die sakramentliche
Handlung oder usus auf den mündlichen Genuss zu beschränken, wie es in der
Folge in der Theologie des 17. Jahrhunderts zum Teil gemacht wurde. Dies weist
auch eindeutig die später durch Ägidius Hunnius aufgebrachte, von den
Philippisten früher schon verbreitete, Meinung ab, dass erst mit dem mündlichen
Genuss die sakramentale Vereinigung eintrete.
„Diese
wahrhaftige christliche Lehre vom heiligen Abendmahl zu erhalten und vielerlei
abgöttische Missbräuche und Verkehrung dieses Testaments zu meiden und
auszutilgen, ist diese nützliche Regel und Richtschnur aus den Worten der
Einsetzung genommen: Nihil habet rationem sacramenti extra usum a Christo
institutum oder extra actionem divinitus institutam. Das ist: Wenn man die
Stiftung Christi nicht hält, wie er’s geordnet hat, ist es kein Sakrament.
Welche mitnichten zu verwerfen, sondern nützlich in der Kirche
Gottes kann und soll getrieben und erhalten werden. Und heißt allhier usus oder
actio, das ist Gebrauch oder Handlung, vornehmlich nicht den Glauben, auch
nicht allein die mündliche Nießung, sondern die ganze äußerliche Handlung des
Abendmahls, die Konsekration oder Wort der Einsetzung, die Austeilung und
Empfang oder mündliche Nießung des gesegneten Brots und Weins, Leibs und Bluts
Christi; außer welchem Gebrauch, wenn das Brot in der papistischen Messe nicht
ausgeteilt, sondern aufgeopfert oder eingeschlossen,
umgetragen und anzubeten vorgestellt ist, ist es für kein Sakrament zu halten.“ (Konk. Formel, Ausf.
Darl., VII, 85-87)
Was heißt das nun für die Dauer der
sakramentlichen Vereinigung? Wir wissen eindeutig, dass wir außerhalb dieses
sakramentlichen usus keine sakramentliche Vereinigung haben. Wir können keinen
eindeutigen Zeitpunkt festsetzen, wie es die Scholastik versuchte, mit dem die
sakramentale Vereinigung beginnt oder aufhört, aber wir können gewiss davon
ausgehen, gemäß den Worte Christi und seines Apostels Paulus, und bezeugt in
unseren Bekenntnissen, dass das, was nach der Konsekration zur sogleich zu
geschehenden Austeilung vom Altar genommen und ausgeteilt wird zum sofortigen
mündlichen Genuss nicht nur Brot und Wein ist, sondern auch Christi Leib und
Blut.
Was nun die übriggebliebenen Elemente nach
der Abendmahlsfeier angeht, wie mit ihnen zu verfahren ist, da hat
Luther dringend empfohlen und dazu aufgefordert, sie zu verzehren oder zu
verbrennen, damit alle nicht lösbaren Fragen damit
abgeschnitten werden. ich ab. Es kann allerdings
auch nicht behauptet werden,
die Abendmahlsfeier würde erst dann enden, wenn alle konsekrierten Elemente
verzehrt seien und man dies aus Christi Worten „nehmet, esset; nehmet, trinket“
ableitet. Solch eine gesetzliche Vorschrift lässt sich aus diesen Worten nicht
ableiten. Eine andere Möglichkeit des Umgangs ist, wenn tatsächlich Elemente,
Brot/Hostie wie auch Wein übrig bleiben, was nach Möglichkeit
vermieden werden sollte, sie jeweils in
gesonderten Gefäßen für Krankenabendmahl oder Abendmahl mit Sterbenden
aufzubewahren.
Was nun die Konsekration oder Segnung der
irdischen Elemente Brot und Wein durch die Einsetzungsworte angeht, so sind die
lutherischen Bekenntnisse auch darinnen eindeutig, lassen keine Zweifel offen,
dass die Konsekration beim heiligen Abendmahl absolut notwendig ist, dass es
ohne Konsekration kein Abendmahl gibt (wie auch nicht ohne Austeilung und
mündlichen Genuss – die gesamte actio oder usus gehören zusammen, unzertrennt,
nichts davon darf fehlen, wenn es Christi Abendmahl sein soll).
Im Großen Katechismus macht es Luther klar,
dass das Wort unbedingt zum Element hinzukommen muss, sonst haben wir kein
Sakrament, sondern es bleibt Brot und Wein.
„Das
Wort (sage ich) ist das, das dies Sakrament macht und unterscheidet, dass es
nicht lauter Brot und Wein, sondern Christi Leib und Blut ist und heißt. Denn
es heißt: Accedat verbum ad elementum, et fit sacramentum; wenn das Wort zum
äußerlichen Ding kommt, so wird’s ein Sakrament. Dieser Spruch S. Augustins ist
so eigentlich und wohl geredet, dass er kaum einen bessern gesagt hat. Das Wort
muss das Element zum Sakrament machen; wo nicht, so bleibts ein lauter
Element.“
(V, 10-11)
Das entscheidet auch schon die Frage der
Nachkonsekration, wenn nicht genügend Elemente gesegnet oder konsekriert
wurden. Selbstverständlich sind dann die nachträglich hinzugenommenen Elemente
mittels der laut gesprochenen Einsetzungsworte zu konsekrieren, sonst würde mit
ihnen nicht mehr das heilige Abendmahl ausgeteilt. Hierin kann es gar keinen
Zweifel geben.
Dennoch aber ist es nicht so, als ob hier
sozusagen der Mensch nun etwas aus eigener Machtvollkommenheit bewirken könnte,
wie dies ja in römisch-katholischen Priesterseminaren zuweilen gelehrt wird,
dass der Priester Macht habe, Christus ins Sakrament zu bringen (so berichtet
von Gregor Dalliard, einem ehemaligen römisch-katholischen Priester, auf einem
Bekenntnistag der „Internationalen Arbeitsgemeinschaft bekennender Christen“
(IABC) in Siegen 1997, vom Verfasser selbst gehört). Vielmehr betonen die lutherischen
Bekenntnisse, dass kein Mensch, kein Heiliger, nicht einmal ein Engel aus Brot
und Wein Christi Leib und Blut machen können,
nicht eines Menschen Wort oder Werk, Verdienst oder Sprechen des
Dieners, auch nicht das Essen oder Trinken oder der Glaube des Kommunikanten es
sei, wodurch die sakramentale Vereinigung bewirkt wird, sondern dass dies
allein Christus durch sein vom Pastor
gesprochenes Wort bewirkt, eben aus
Kraft des Wortes, das zu Brot und Wein hinzu kommt, gemäß seiner
Ordnung und Befehl. Etwas anderes ist
es allerdings, wenn jemand zwar formal die Einsetzungsworte verwendet, wie es
bei den Reformierten geschieht, aber Gottes Lehre ändert – der hat dann
freilich nicht das heilige Abendmahl.
„Denn es ist nicht gegründet auf Menschen
Heiligkeit, sondern auf Gottes Wort, und wie kein Heiliger auf Erden, ja kein
Engel im Himmel das Brot und Wein zu Christi Leib und Blut machen kann: Also
kann’s auch niemand ändern noch wandeln, ob es gleich missbraucht wird.“ (Gr. Kat.,
V, 16; s.a. KF, Ausf. Darl., VII,
20-24)
„Denn
es steht nicht auf Menschen Glauben oder Unglauben, sondern auf Gottes Wort und
Ordnung; es wäre dann, dass sie zuvor Gottes Wort und Ordnung ändern und anders
deuten, wie die jetzigen Sakramentsfeinde tun, welche freilich eitel Brot und
Wein haben; denn sie haben auch die Worte und eingesetzte Ordnung Gottes nicht,
sondern dieselben nach ihrem eigenen Dünkel verkehrt und verändert.“ (KF,
Ausf. Darl., VII, 32)
„Dieweil
auch von der Konsekration und von der allgemeinen Regel, dass nichts Sakrament
sei, außerhalb dem eingesetzten Gebrauch, Missverstand und Spaltung zwischen
etlichen der Augsburgischen Konfession Lehrern eingefallen sind, haben wir auch
von dieser Sache uns brüderlich und einträchtig miteinander auf nachfolgende
Meinung erklärt, nämlich, dass die wahre Gegenwärtigkeit des Leibes und Blutes
Christi im Abendmahl nicht schaffe einiges Menschen Wort oder Werk, es sei das
Verdienst oder Sprechen des Dieners
oder das Essen und Trinken oder Glaube der Kommunikanten, sondern solches alles
solle allein des allmächtigen Gottes Kraft und unsers HERRN Jesu Christi Wort,
Einsetzung und Ordnung zugeschrieben werden.“ (KF,
Ausf. Darl., VII, 73-74)
Christi Worte und Einsetzung hatten also
nicht nur im ersten Abendmahl Kraft, sondern sind auch heute kräftig, währen,
gelten, wirken, wo immer Christi Abendmahl nach seiner Ordnung gehalten wird,
nämlich sein Wort verwendet wird. Da ist auch Christi Kraft dabei, Vermögen und
Werk, dass durch diese Worte Christi Christus seinen Leib und Blut wahrhaft in,
mit und unter Brot und Wein gegenwärtig macht zum übernatürlichen mündlichen
Genuss. Das heißt: Die Konsekration, das Sprechen oder Segnen der irdischen
Elemente Brot und Wein durch den Pastor, Liturgen mittels der Einsetzungsworte
ist das Werkzeug, Instrument Christi, wodurch er, wie einst im ersten
Abendmahl, die tatsächliche, substantielle Gegenwart seines Leibes und Blutes
in den Elementen Brot und Wein bewirkt.
„Denn
die wahrhaftigen und allmächtige Worte Jesu Christi, welche er in der ersten
Einsetzung gesprochen, sind nicht allein im ersten Abendmahl kräftig gewesen,
sondern währen, gelten, wirken und sind noch kräftig, dass in allen Orten, da
das Abendmahl nach Christi Einsetzung gehalten und seine Worte gebraucht
werden, aus Kraft und Vermögen derselben Worte, die Christus im ersten
Abendmahl gesprochen, der Leib und Blut Christi wahrhaftig gegenwärtig,
ausgeteilt und empfangen wird. Denn Christus selbst, wo man
seine Einsetzung hält und sein Wort über dem Brot und Kelch spricht und das
gesegnete Brot und Kelch austeilt, durch die gesprochenen Worte, aus Kraft der
ersten Einsetzung, noch durch sein Wort, welches er da will wiederholt haben,
kräftig ist, wie Chrysostomos spricht (in serm. de pass.) in der Predigt von
der Passion: Christus richtet diesen Tisch selbst zu und segnet ihn; denn kein
Mensch das vorgesetzte Brot und Wein zum Leib und Blut Christi macht, sondern
Christus selbst, der für uns gekreuzigt ist.
Die Worte werden durch des Priesters Mund gesprochen, aber durch Gottes Kraft
und Gnade, durch das Wort, da er spricht: Das ist mein Leib, werden die
vorgestellten Elemente im Abendmahl gesegnet. Und wie diese Rede: Wachset und
vermehret euch und erfüllet die Erde, nur einmal geredet, aber allezeit kräftig
ist in der Natur, dass sie wächset und sich vermehret: Also ist auch diese Rede
einmal gesprochen, aber bis auf diesen Tag und bis an seine Zukunft ist sie
kräftig und wirkt, dass im Abendmahl der Kirchen
sein wahrer Leib und Blut gegenwärtig ist.“ (KF,
Ausf. Darl., VII, 75-76)
Die Segnung der Elemente geschieht nicht
anders als durch die Wiederholung, das Sprechen der Einsetzungsworte über den
Elementen (vgl. Konk. Formel,
Ausf. Darl., VII, 82)
Es darf aber nie vergessen werden, worum es
im heiligen Abendmahl geht, wozu es gereicht wird.
Luther betont im Großen Katechismus, dass wir darum zum Sakrament gehen, dass
wir darin Vergebung der Sünden für uns holen, was angezeigt wird durch die
Worte FÜR EUCH.
„Nun
siehe weiter auf die Kraft und Nutzen, darum endlich das Sakrament eingesetzt
ist, welches auch das nötigste darin ist, dass man wisse, was wir da suchen und
holen sollen. Das ist nun klar und leicht eben aus den gedachten Worten: Das
ist mein Leib und Blut, FÜR EUCH gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünde.
Das ist kürzlich so viel gesagt: Darum gehen wir zum Sakrament, dass wir da
empfangen solchen Schatz, durch und in dem wir Vergebung der Sünde überkommen.
Warum das? Darum, dass die Worte da stehen
und uns solches geben, denn darum heißt er mich essen und trinken, dass es mein
sei und mir nütze, als ein gewisses Pfand und Zeichen, ja eben dasselbe Gut, so
für mich gesetzt ist wider meine Sünde, Tod und alles Unglück. … Darum ist es
gegeben zur täglichen Weide und Fütterung, dass sich der Glaube erhole und
stärke, dass er in solchem Kampf nicht zurück falle, sondern immerdar je
stärker und stärker werde. Denn das neue Leben soll also getan sein, dass es
stets zunehme und fortfahre; es muss aber dagegen
viel leiden.“ (Gr. Kat. V,
20-22.24)
Das aber wird nicht anders als allein durch
den Glauben empfangen, weshalb der Glaube allein die rechte Weise ist, das
heilige Abendmahl zu empfangen (wiewohl auch der Ungläubige Christi Leib und
Blut unter Brot und Wein zum mündlichen Genuss empfängt, aber eben nicht zum
geistlichen Segen, zur Vergebung der Sünden, sondern sich zum Gericht).
„Nun
muss man auch sehen, wer die Person sei, die solche Kraft und Nutzen empfange.
Das ist aufs kürzeste, wie droben von der Taufe und sonst oft gesagt ist: Wer
da solches glaubt, der hat, wie die Worte laufen und was sie bringen. … Und
weil er Vergebung der Sünde anbietet und verheißet, kann es nicht anders als
durch den Glauben empfangen werden. Solchen Glauben fordert er selbst in dem
Wort, da er spricht: Für euch gegeben, für euch vergossen; als sollt er sagen:
Darum gebe ich’s und heiße euch essen und
trinken, dass ihr euchs sollt annehmen und genießen.“ (Gr. Kat. V,
33-35)
An dem römischen
Sakrament der Buße ist biblisch nur die Absolution. Und da diese irgendwelches
Bekennen voraussetzt, darum soll man auch „die Beichte bei
Leibe nicht lassen abkommen in der Kirche“ (Schm.Art. III, VIII, 1). Auch die
Sitte, vor dem Abendmahl zur Beichte zu kommen, wurde
lange Zeit beibehalten (Apol. XXV, 1),
heute vielfach ersetzt durch die Anmeldung und einen Beichtgottesdienst vor dem
Abendmahl. Denn wer jenes mit Segen empfängt, wird auch die
Absolution hochschätzen (Erm. zur Beichte,
29). Der Zweck der Beichte
ist, sich Trost und Rat für die Seele zu holen. Daher darf
kein Beichtzwang geübt werden (Erm. zur Beichte, 21.28 ff.), sondern
der Sünder soll freiwillig kommen, wenn er von einer Sünde beschwert ist, über
die er keinen Frieden bekommt. Ebenso soll, wenn man
beichtet „eine Erzählung der Sünden frei sein“ (Schm. Art. III, VIII, 2). Die
Betonung aber, dass „die Absolution eine
Hilfe und Trost gegen die Sünde und böses Gewissen und im Evangelium von
Christus gestiftet ist“, schließt zugleich in sich, dass „man sie hoch und wert
halte“ (das.) und dann, wenn es zur Beruhigung des Gewissens erforderlich ist,
„die Sünde bekenne, die
man fühlt im Herzen“, mit der man sich „beschwert empfindet“ (Kl. Kat. V,
18.24). Noch ein zweiter Grund bewog zur Beibehaltung
der Privatbeichte. Man musste befürchten, dass viele zum Abendmahl kamen, die
gar nichts von dessen Bedeutung, ja, von der christlichen Lehre überhaupt
wussten. Mit solchen musste man das „Beichtverhör“ halten, das heißt, „sie
verhören und unterrichten in der christlichen
Lehre“ (Schm. Art. VIII, 1), eine Einrichtung, die durch die Einführung der
Konfirmation hinfällig geworden ist. – Die Absolution ist nicht wie bei den
Römischen ein Urteil oder Gesetz (Apol. (VI), 6). Sie
reicht die Vergebung dar, und diese wird dem Beichtenden allein dann
zuteil, wenn er sie im Glauben annimmt. Sie ist also nicht
bloß ein deklaratorischer, sondern ein effektiver Akt, „dadurch die Sünde vor
Gott im Himmel vergeben wird“ (Kl. Kat. V, 16; Apol. (VI), 2);
nur kann die Vergebung durch Unglauben ausgeschlagen werden, wie ich eine mir
objektiv zugefallene Erbschaft ausschlagen kann.
Einen „Fehlschlüssel“ kann es nicht geben,
da die Absolution auf Christi Erlösungswerk beruht,
darauf, dass er Gott mit der ganzen Welt, jedem Menschen, grundsätzlich auf
Golgatha versöhnt und somit für jeden Menschen grundsätzlich Vergebung der
Sünden erworben hat. Wenn der Beichtende seine Sünden nicht von Herzen bereut,
daher auch die Absolution nicht als solche von Herzen
empfängt, so hat er sie auch nicht, weil allein der Glaube das Evangelium, auch
in der Form der Absolution, empfängt.
Wer hat die Vollmacht zur Absolution? Wie
schon zuvor gesagt, sind die Gnadenmittel nicht einzelnen
Personen, auch nicht einem bestimmten Stand in der Kirche gegeben, sondern
allen Christen (Schm. Art. III, VIII, 1; Tract.
24). Damit hat auch grundsätzlich jeder Christ durch Taufe und Wiedergeburt die
Vollmacht zur Absolution, auch wenn sie geordneter Weise zumeist durch den
Pastor am Ort ausgeübt wird.
Die KF macht darauf
aufmerksam, dass das Wort „Buße“
wie im Neuen Testament, so auch in den frühen
Bekenntnisschriften in verschiedenem Sinne gebraucht wird (KF, Ausf. Darl., V,
7 ff.). Hatte die römische Buße in der Reue mit
Bekenntnis und Genugtuung bestanden – alles als menschliche Werke gedacht –, so
fordern die Evangelischen im Anschluss an die Bibel auch den Glauben. Daher
rechnet das Augsburger Bekenntnis
(Art. XII) zur Buße Sündenerkenntnis (Reue und Leid)
und Glauben. Die Schmalkaldischen Artikel sprechen von dem Werk
Gottes durch das Gesetz, dass er damit alle Selbstgerechtigkeit, alle
menschlichen Stützen zerschlägt und jeden Menschen
als Sünder der Verdammnis unterwirft – und
so rechte Sündenerkenntnis, rechtes Herzeleid über
die Sünde, die Verdorbenheit und Verlorenheit vor Gott bewirkt,
die dieses Verdammungsurteil Gottes über den Sünder anerkennt, sich ihm
unterwirft. Dazu kommt dann das Evangelium mit der Verheißung
Gnade um Christi Verdienst willen, bietet an und eignet zu Trost und Vergebung
der Sünden und ruft so zum rettenden Glauben,
der das Evangelium empfängt, ergreift (III, III, 2-7.36).
„Buße“ meint also „Sinnesänderung“, durch Gottes Geist gewirkte
Abkehr vom selbstischen Ich, von der Selbstgerechtigkeit, der Sünde, vom Geist
Gottes durch das Evangelium gewirkte Hinwendung zu Christus, dem Retter für
Sünder, im herzlichen Vertrauen, dass ich durch ihn allein Vergebung der Sünden
und ewiges Leben habe. So lehren also alle Bekenntnisse, dass vor dem
Glauben, der das Heil empfängt, sich aneignet, die lebendige Erkenntnis der
Sünde mit Zerschlagung des alten Menschen, Reue und Leid über
die Sünde, die Erkenntnis, Gott nichts, gar nichts bringen zu
können, die Sehnsucht, von ihr frei zu werden, vorhanden sein
muss und dass dies von dem Heiligen Geist durch die Predigt des Gesetzes
gewirkt wird, nicht eine menschliche Leistung, die sozusagen
als Vorbedingung erst erbracht werden müsste. Es
gibt keine Himmelfahrt des Glaubens ohne vorherige Höllenfahrt der
Sündenerkenntnis und Buße. Gott rechtfertigt niemanden, den er nicht zuvor zur
rechter Sünden-, Verdorbenheits- und Verlorenheitserkenntnis gebracht hat.
Zuerst muss die Sünde von der „Donneraxt Gottes“ getroffen werden und „hören solch Urteil: Es ist nichts mit
euch allen, ihr seid öffentliche Sünder oder Heilige, ihr müsst alle anders
werden und anders tun als ihr jetzt seid und tut, ihr seid,
wer und wie groß, weise, mächtig und heilig ihr wollt, hier ist niemand fromm.“
(Schm. Art. III, III, 3.) Der
Sünder muss lebendig erkennen, dass er das Gesetz Gottes gar nicht erfüllen
kann und so an sich selbst und seinen Fähigkeiten
völlig verzweifeln. Um
Jesus Christus als den Retter zu erkennen, muss der zuvor erkannt haben, dass
er verloren ist; um ihn als den Versöhner zu begreifen, muss der Sünder zuvor
erfasst haben, dass er durch die Sünde unter Gottes Zorn ist; will er die Gnade
in Christus erkennen, muss er zuvor erkannt haben, wie sehr er der Gnade
bedarf, wie fluchwürdig er durch die Sünde vor Gott ist, wie der Verdammnis
ausgeliefert. Denn er mag zwar einzelne äußerliche Auswirkungen
der Sünde mildern oder verhindern, aber das Herz kann er selbst nicht ändern.
So führt Gott den zuvor sicheren Sünder in innere Not, „unter das Gericht“.
Dass der Sünder so zerbrochen wird, dass er dazu ein Ja
findet, das ist das Ziel des Bußwerkes des Heiligen Geistes an ihm. Die
KF musste diese Lehraussagen Luthers wieder geltend machen gegen den
Antinomismus des Johann Agricola, der gelehrt hatte,
dass die Buße nicht aus den Zehn Geboten oder dem Gesetz zu lehren sei, sondern
durch das Evangelium. Die KF wiederholt daher Luthers Hinweis darauf, dass auch
Christus und seine Apostel das Gesetz
gepredigt haben, wie es zum Amt des Heiligen Geistes gehört, die Welt zu
strafen um die Sünde (Ausf. Darl. V, 11
ff.). Wendet man ein, Christus sei
doch nicht dazu gekommen und der Heilige Geist nicht dazu gegeben, die Menschen
zu erschrecken und niederzubeugen, so ist zu antworten,
dass ein Verlangen und Annehmen dessen, was Christus
und sein Geist dem Menschen geben will, nicht möglich, so lange der Sünder noch
nicht über seine Sünde erschrocken ist. Um also „sein eigenes Werk“ ausrichten
zu können, muss Gott zuvor,
wie auch Luther sagte, „ein fremdes Werk verrichten“ (KF, Ausf. Darl., V,
11). Der gegnerischen Behauptung gegenüber, die wahre Buße entstehe nur aus der
Predigt von der Gnade Gottes, wird nicht geleugnet, dass auch diese Predigt zum
Erschrecken über die Sünde führen könne, aber erklärt,
dann sei dies durch die auch im Evangelium enthaltene Gesetzesverkündigung
bewirkt. Denn Gesetz ist alles, was die Sünde offenbart und straft, mag es im
Alten oder im Neuen Testament stehen. Auch „das Leiden und Sterben Christi“ ist
eine „schreckliche Predigt des Zornes Gottes über die
Sünde“ wird aus Luther zitiert (KF, Ausf. Darl., V, 12; Kurze Darl., V, 3 ff.).
Evangelium dagegen ist „alles, was tröstet, die Huld und Gnade Gottes den
Übertretern des Gesetzes anbietet (KF, Ausf.
Darl., V, 21 ff.). Da nun dies das Ziel der Predigt Christi und des Heiligen
Geistes ist, so wird, wie richtig bemerkt wird (KF, Kurze Darl., V, 6), von
Melanchthon gemäß der Bibel „die ganze Lehre Christi“ und seiner Apostel
als „Predigt des Evangeliums“ bezeichnet, wie schon das Augsburger Bekenntnis
von dem „Evangelium“ auch aussagt, es „strafe alle Menschen,
dass sie unter der Sünde sind und des Zorns und ewigen Todes schuldig“ (Apol.
IV, 62). Diese beiden Predigten, das Gesetz im
eigentlichen Sinn und das Evangelium im eigentlichen Sinn, müssen inhaltlich
bestimmt unterschieden und aus dem Zusammenhang darauf
geachtet werden, ob diese Begriffe, Gesetz und Evangelium, jeweils im
eigentlichen oder im weiteren Sinn verwendet werden. Denn sie sollen ganz
Verschiedenes bewirken, das Gesetz die Reue, das
Evangelium den Glauben. (KF, Ausf. Darl., V, 27). Doch dürfen diese beiden
Predigten auch nicht voneinander isoliert werden. Denn isoliert richtet jede
nur Verderben an. Die Gesetzespredigt allein treibt entweder
zur Vermessenheit, als könnten wir das Gesetz erfüllen oder hätten ihm schon
genügt, oder aber zur Verzweiflung, wenn wir unsere Sünde und sittliche
Ohnmacht erkannt haben, wie es dem König Saul und dem Verräter Judas erging.
Die Evangeliumspredigt allein macht die Menschen sicher (Apol.
XII, 34 ff.; Schm. Art., III, III, 7; KF, Ausf. Darl., V, 9 f.). So
wird das Notwendige, die Buße, verhindert.
Was ist bei der Buße des wiedergeborenen
Sünders anders? Sie wird nicht mehr getrieben von dem Schrecken vor Gott,
dessen Zorn und Strafe, sondern ist neben dem Erschrecken über die Sünder
gerade auch geprägt von der Liebe zu dem gnädigen Gott,
der ihm in Christus mit so viel Liebe und Gnade begegnet ist und den er nun
wieder durch Sünde betrübt hat. Hier erkennen wir
etwas von der „Sinnesänderung“, die durch Gottes Gnade im Herzen des bekehrten
Sünders bewirkt wurde.[88]
Damit recht von Sündenerkenntnis und Buße
gelehrt und gepredigt werden kann, ist es
wichtig, von Gott nicht nur als vom „lieben Gott“ zu sprechen, sondern Gott
auch in seiner Heiligkeit und Gerechtigkeit hervorzuheben und in seinem
heiligen Zorn als den, der die Sünde hasst, neben dem der Sünder an
sich nicht bestehen kann, sondern in die Verdammnis muss (auch wenn es durchaus
richtig ist, dass auch dieser Zorn Gottes zugleich getrieben ist von seiner
Liebe, die sucht, den Sünder gerade dadurch, dass er ein geängstetes und
zerschlagenes Herz bewirkt, ihn zu
rechter lebendiger Verdorbenheits- und Verlorenheitserkenntnis zu führen und so
den Herzensacker reif für die frohe Botschaft der Erlösung, Rettung durch Jesus
Christus zu machen.)
Die Apologie erklärt
„rechte Buße …, das ist, da ein erschrockenes Gewissen Gottes Zorn
und seine Sünde fühlt, Vergebung der Sünde und Gnade sucht“; sie bestimmt
das Innere des Bußfertigen als Schrecken und Ängste (IV
(III), 21.23). Indem hier von den Sünden fortgeschritten wird zur Sünde ist
angedeutet, was Luther in den Schmalkaldischen Artikeln hervorhebt: „Diese Buße ist nicht
stücklich und betttelisch wie jene [römische] und ist nicht ungewiss wie jene.
Denn sie disputiert nicht, welches Sünde oder nicht Sünde sei, sondern stößt
alles in Haufen, spricht, es sei alles und nur Sünde mit uns. Darum ist
auch hier die Reue nicht ungewiss. Denn es bleibt nichts da, damit wir könnten
etwas Gutes denken, die Sünde zu bezahlen, sondern ein bloßes, gewisses
Verzagen an allem, das wir sind, denken, reden oder tun.“ (III,
III, 36.) Dies ist der erste
Unterschied zwischen der Sündenerkenntnis, die auch dem natürlichen Menschen
möglich ist, und der von dem Heiligen Geist gewirkten: Einzelne Verfehlungen
gegen das Sittengesetz kann der Mensch von sich aus erkennen, nicht aber seine
Sündhaftigkeit, also wohl Sünden, aber nicht die Sünde[nverdorbenheit].
Den zweiten Unterschied deutet die Apologie an, indem sie von „Schrecken des Gewissens“
redet, das „Gottes Zorn fühlt“. Der natürliche
Mensch kann sich eines Unrechts bewusst sein, er weiß aber gar nicht, was Sünde
ist, nämlich Vergehen gegen Gott, des Zornes Gottes wert. Nur Gottes
Geist kann dessen überführen, dass das Wesen der Sünde besteht in
dem Zustand „von Mutterleib an voller böser
Lust und Neigung … und keine
wahre Gottesfurcht,
keinen wahren
Glauben an Gott
von Natur haben können“ (Augsb. Bek. II,
1), oder in dem Fehlen „dass
wir Gott fürchten und lieben, ihn in allen Nöten allein anrufen und sonst auf
nichts einigen Trost setzen, … dass wir von Gott
noch Leben und allerlei Trost erwarten sollen mitten im Tod, in allen
Anfechtungen seinem Willen uns gänzlich heimgeben, im Tod und Trübsal nicht von
ihm fliehen,
sondern ihm gehorsam sein, gerne alles leiden und tragen, wie es uns geht“
(VII, 8). Fühlt man infolgedessen „ein Verzagen“, dann
tritt das dritte Kennzeichen der wahren Buße ein, der Hass gegen die Sünde
mit dem zweifachen Verlangen, nach Vergebung und Befreiung. Wohl kann bei dem
einen dieses, bei dem anderen jenes überwiegen, aber, wie
Luther ausgeführt hat, wer nur von der Schuld und Strafe seiner Sünde
befreit sein möchte, hasst nicht die Sünde, sondern nur ihre Folgen; und wer
nur von der Macht der Sünde frei zu
werden wünscht, hasst nicht die Sünde, sondern nur seine Schwäche. Jener will
nicht geschädigt, dieser nicht beschämt werden. Der natürliche Mensch kann den
Wunsch haben, diesen oder jenen Fehler abzulegen, und meint,
wenn ihm dies gelingt, nun sei das Vergangene erledigt;
denn der natürliche Mensch dreht sich letztlich nur um sich selbst, ist von
Ichhaftigkeit und Selbstgerechtigkeit geprägt, der letztlich
meint, doch irgendwie das Gesetz erfüllen und so gar Ansprüche gegenüber Gott
ableiten zu können. Wer wahrhafte Buße
kennt, weiß, dass es ohne Vergebung „mit uns allen verloren ist“, „müssen
schlicht neue und andere Menschen werden“ (Schm. Art., III, III,
35). Der natürliche Mensch muss also, das ist das Ziel
des Heiligen Geistes mit der Predigt des Gesetzes, an sich selbst völlig
verzweifeln, seine eigene Ohnmacht, Verdorbenheit und Verlorenheit lebendig
erkennen und so ein rechtes Verlangen nach der Rettung durch Christus bekommen
(und nicht in ohnmächtigem Trotz an Gott verzweifeln und
zum Gotteshass kommen), worin gerade sich
die Liebe Gottes zum Sünder erweist, die zuvor unter
seinem Zorn verborgen war. Frei
von der Schuld und der Macht der Sünde wird man nur
durch die Rechtfertigung.
Nach Melanchthon ist
der Artikel von der Rechtfertigung der Hauptartikel der christlichen Lehre
(Apol. IV, 2). Manche haben angezweifelt, ob Luther tatsächlich
dieses Lehrstück meine, wenn er in den Schmalkaldischen Artikeln von dem
„ersten und Hauptstück“ redet und sagt: „Von
diesem Artikel kann man nichts weichen oder nachgeben, es falle Himmel und Erde
und was nicht bleiben will … Und auf diesem
Artikel steht alles, was wir gegen den Papst, Teufel und Welt lehren und leben.
Deshalb müssen wir des gar gewiss sein und nicht zweifeln, sonst ist es alles
verloren.“ (II, I, 5.) Und
freilich beginnt Luther diesen Abschnitt mit drei Bibelstellen, die nicht
direkt von der Rechtfertigung reden, sondern von der Erlösung durch Christus,
und er zitiert im folgenden Absatz noch zwei Bibelstellen
desselben Inhalts. Aber aus jenen Stellen hat er gefolgert und mit diesen
begründet er noch weiter, dass nur durch den Glauben diese
durch Christus geschehene Erlösung „mag erlangt oder gefasst werden“, dass also
„allein solcher Glaube uns gerecht mache“, wofür er zwei Bibelstellen
als Beweise bringt. Und unmittelbar hieran
schließen sich die Worte: „Von diesem Artikel kann man nicht weichen.“
Er meint also mit dem „Hauptartikel“ die Lehre von der
Erlösung durch Christus, die, mit dem Glauben erfasst, uns vor Gott gerecht
mache. Er hätte auch die Rechtfertigungslehre allein nennen können. Aber er
will sie als die unabweisbare Folgerung aus der auch von den Gegnern nicht
geleugneten Erlösung durch Christus, also ihre Preisgabe als
Preisgabe Christi erkennen lassen. Darum schreitet er von der Erlösung zur
Rechtfertigung fort und geht damit den
umgekehrten Weg wie Melanchthon in dem grundlegenden Artikel 4 des Augsburger
Bekenntnisses: „dass wir Vergebung
der Sünden und Gerechtigkeit vor Gott nicht erlangen können
durch unser Verdienst, Werk und Genugtun, sondern dass wir Vergebung der Sünden
bekommen und vor Gott gerecht werden aus Gnaden um Christi willen durch den
Glauben, so wir glauben, dass Christus für uns gelitten
hat und dass uns um seinetwillen die Sünden vergeben, Gerechtigkeit und ewiges
Leben geschenkt wird. Denn diesen Glauben will Gott für Gerechtigkeit vor
ihm halten und zurechnen, wie St. Paulus sagt im Römerbrief im 3. und 4.
Kapitel.“ Wie Luther an jener
Stelle gegen Rom betont, wir „werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade“,
so erklärt hier Melanchthon die Rechtfertigung für gratis, umsonst geschehend.
Wir haben also an beiden Stellen die dreifache Bestimmung: allein aus Gottes Gnade,
allein um Christi Verdienst willen, allein mittels des Glaubens. Die Rechtfertigung
ist allein Gottes Tun.
Für Luther handelte
es sich in seinen heißen Seelenkämpfen nicht, wie vielfach verstanden worden
ist, „um die Frage, worauf der Christ die Zuversicht seiner
Geltung vor Gott gründen könne“. Nicht nach dem „Bewusstsein der Gnade Gottes“
verlangte er, nicht nach „Heilsgewissheit“. Ihn erfüllte vielmehr das
klare Bewusstsein, dass er Gottes Gnade, dass er das Heil nicht
besitze. Er sehnte sich nach Änderung dieses objektiven
Verhältnisses Gottes zu ihm, sehnte sich nach dem Heil: „Dass
du einen gnädigen Gott kriegst!“ Kannte er doch, wie besonders die Polemik in
seiner Vorlesung über den Römerbrief lehrt, sehr viele, die das Wohlgefallen
Gottes, die das Heil nicht
besaßen und doch an ihrer Geltung vor Gott nicht zweifelten. Wohl hat er später
erklärt, auch wenn uns Gottes Gnade gelte, hätten wir nichts davon, falls wir
nicht darum wüssten. Aber die Frage, wie er der Gnade Gottes gewiss
werden könne, trat für ihn zunächst völlig zurück vor der anderen, wie er sie erlangen
könne. Offenbar hat er nicht daran gezweifelt, dass
er, wenn sie ihm gelte, dies auch wissen werde, ebenso
wie er zunächst das Gegenteil wusste. Er verstand also unter der von ihm
ersehnten Rechtfertigung einen Akt Gottes, der das Urteil, das Gott für ihn
sei, in sich schloss. Melanchthon zeigt in der Apologie, dass nicht die
römische, sondern einzig die lutherische
Rechtfertigungslehre den „erschreckten“ Gewissen“ wahren Trost gewähre. Dabei
unterscheidet er nicht die Frage nach dem Bewusstsein um den Heilsbesitz von
dem Heilsbesitz, sondern
fasst beides so in eins zusammen, dass er die Aufrichtung des erschreckten
Gewissens, die Empfindung, „um Christi willen für gerecht geachtet zu werden“ als
das Gerechtfertigtwerden bezeichnen kann (Apol. IV, 69). Die
Rechtfertigung ist also auch für Melanchthon ein
objektiver, zu einer bestimmten Zeit eintretender Akt Gottes, nicht aber ein
Bewusstseinsakt des Menschen, ein Akt Gottes, den der Mensch mittels
des Worts durch den Heiligen Geist im Glauben empfängt, sich aneignet.
Als Tatwort für das Hauptwort Rechtfertigung wird nie ein Aktiv gesetzt, wie
etwa „sich gerecht erkennen“, sondern
nur ein Passiv: gerechtfertigt werden, für gerecht erklärt werden. Auch die
meisten Wendungen, mit denen die Rechtfertigung näher beschrieben wird, sind so
gewählt, dass sie nur einen objektiven Vorgang bezeichnen
können, wie: „es werden uns die Sünden vergeben“, „es wird uns Gerechtigkeit
geschenkt“, „wir werden in die Gnade aufgenommen“, sie ist „eine
Annahme der ganzen Person“, „Eine Adoption zu Kindern Gottes“. Wenn Melanchthon
„rechtfertigen“ auch durch „gerecht erklären“ erklärt, so denkt er dabei an ein
den Angeklagten freisprechendes richterliches Urteil. Denn
mehrmals erwähnt er, dass in der Bibel „rechtfertigen“ auch für
eine „gerichtliche Praxis“ im Sinn von „gerecht sprechen“
gebraucht werde. So (Apol. IV (III), 131) bei der Besprechung der Jakobusstelle
(2,24), dass man durch die Werke gerechtfertigt werde, nicht durch den Glauben
allein, womit die römischen Gegner die evangelische Rechtfertigungslehre über
den Haufen werfen zu können meinten. Hier, sagt Melanchthon,
werde von denen geredet, die schon ihren Glauben durch die guten Werke beweisen.
Diese erkläre Gott für Gerechte (um des Glaubens willen, der als Folge, Frucht,
sich durch die Werke erweist). Dasselbe drückt
Paulus Röm. 2,13 so aus: „die das Gesetz tun,
werden gerecht sein“: Weil sie vermöge ihres Glaubens gute
Früchte zeitigen, erkläre Gott sie für gerecht, wie ein Richter den Tatbestand
der Unschuld des Angeklagten konstatiere und proklamiere. An diesen Stellen
handelt es sich also nicht darum, wie ein Sünder vor Gott gerecht wird.
Hiervon handelt z.B. Röm. 5,1 (Apol. IV (III), 184). Auch
hier bezeichnet „rechtfertigen“ eine gerichtliche Praxis, jemanden gerecht und
frei zu sprechen. Aber wird das Wort
„rechtfertigen“ in anderer Hinsicht angewandt als an jenen zwei Stellen. Die
Gerechterklärung erfolgt nicht aufgrund dessen,
dass die sich in den Werken bezeugte schon vorhandene Rechtfertigung bekräftigt
wird, sondern aufgrund einer fremden, nämlich Christi
Gerechtigkeit, die uns durch den Glauben zugesprochen wird, so
dass unsere von Gott zugeeignete Gerechtigkeit der Zuspruch
einer fremden Gerechtigkeit ist. Die
Apologie versteht also
Rechtfertigung als die Erklärung des richterlich urteilenden Gottes, dass ein
Mensch vor ihm, aufgrund einer fremden,
Christi,
Gerechtigkeit, mittels des Glaubens, gerecht ist. Es
liegt hier aber keine andere Bedeutung von „Rechtfertigung“
vor als in den beiden anderen Fällen oder gar ein Widerspruch, sondern nur eine
Anwendung desselben Begriffs einmal auf den Sünder in der Rechtfertigung, zum
anderen, in den beiden Fällen, auf den gerechtfertigten
Sünder in der Heiligung, also im Leben aus der Rechtfertigung.
Die Rechtfertigung des Sünders
also, um die es sich stets handelt, ist eine Gerechterklärung durch Gott
aufgrund des Zuspruchs der Gerechtigkeit Christi, ist also ein objektiver göttlicher
Akt. Es handelt sich, das kann nicht genug betont werden, stets um das
Gerechtsprechen des Sünders, des Gottlosen (Röm. 4,4.5), dessen,
der Gott gar nichts bringen kann, sondern mit leeren Händen, beladen mit seinen
Sünden, vor Gott steht, nie um das Gerechtsprechen von jemandem, der Gott
irgendetwas gebracht hätte, der irgendetwas aufzuweisen hätte, der es in irgendeiner
Weise doch verdient hätte. Hierauf, dass es sich um einen objektiven Akt Gottes
handelt, zu bestehen, wurde Melanchthon bewogen durch den Blick auf die Vielen,
die „sich einbilden, Vergebung der Sünden zu
verdienen, wenn sie täten, was sie vermöchten“, die „träumten, durch eigene
Erfüllung des Gesetzes vor Gott als gerecht geschätzt zu werden“, weil sie „den
Zorn und das Gericht Gottes nicht fühlen“
(Apol. VII, 9.18.20). Die Überzeugung,
Gottes Gnade zu besitzen, kann ohne diesen Besitz, kann als Einbildung
vorhanden sein, der Bewusstseinsakt ohne den objektiven Akt, wenn die
Überzeugung auf falscher Grundlage beruht. Luther selbst hat dann noch
ausgeführt, dass auch umgekehrt der Mensch schon objektiv vor Gott gerechtfertigt
sein könne, ohne noch dessen gewiss zu sein (z.B. Erl. Ausg. opp. var. arg.
2,153 ff.). Nur freilich hat er gefordert, dass solche
Ungewissheit überwunden werde (da sonst die Gefahr besteht, dass der Mensch
wieder aus der Gnade falle oder zumindest sein Christentum sehr krank wäre).
Denn darin besteht das Besondere der biblischen Rechtfertigungslehre, die
Luther wieder ans Licht brachte, dass sie von einem objektiven Vorgang redet,
den wir uns im Glauben aneignen (wobei dieser Glaube, gerade bei solchen, die
sehr stark unter dem Eindruck des Gesetzes stehen, zunächst
noch unbewusst sein kann, aber dann bewusst, willentlich werden soll), so dass
er zu unserem bewussten, willentlichen persönlichen Besitz
wird, während Rom nur von einem objektiven Handeln Gottes weiß, über das wir
nicht gewiss werden können, und der reformierte Geist in der Gefahr steht, sich
mit einer subjektiven Gewissheit zu begnügen, da er sich aufgrund seiner
doppelten Prädestination nicht auf die Gnadenmittel gründen kann.
(Keine
andere lutherische Bekenntnisschrift behandelt so ausführlich die
Rechtfertigung wie die Apologie. Und doch sind deren Aussagen ganz verschieden
gedeutet worden. Es hat dies besonders
darin seinen Grund, dass sich damals noch nicht eine einheitliche Terminologie
hinsichtlich der dogmatischen Ausdrücke unter den Evangelischen herausgebildet
hatte und Melanchthon, wie er hervorhebt, in dieser Schrift sich möglichst der
herkömmlichen, den Gegnern geläufigen Lehrweise angeschlossen
(Apol. Vorr. 11), ja, um Verleumdungen von ihrer Seite zu vermeiden, nicht
ebenso frei geredet hat wie er es Freunden gegenüber tat (Enders 9, 19,39).
Daher ist es erforderlich, von dem heute herrschenden Verständnis der von Melanchthon
jeweilig verwendeten Ausdrücke abzusehen und unter steter Erwägung, ob er damit
sich nur der Ausdrucksweise seiner Gegner anbequemt hat, den eigentlichen Inhalt seiner Aufstellung
festzustellen. Wenn er nun an einer Stelle, wo er die evangelische Auffassung der Rechtfertigung
beweisen will, eine Definition dieses Begriffs liefert, so ist doch zunächst
anzunehmen, dass er damit seine eigene Ansicht ausspricht. Nun lesen wir: „Wir
halten, die Widersacher müssen bekennen, dass vor allen Dingen zu der
Rechtfertigung vonnöten sei Vergebung der Sünden.“ (IV, 75 f.) und dem
entsprechend gebraucht er „rechtfertigen“
(iustificari) häufig für Vergebung der Sünden zueignen (z.B. IV, 58 f.). Trotzdem
wird immer wieder die Ansicht vertreten, Melanchthon habe unter
„Rechtfertigung“ bald dieses, bald jenes verstanden,
ja, es komme vor, „dass er das iustificari im Sinne der realen Erneuerung durch
die Wiedergeburt verstehe und es von der Vergebung der Sünden unterscheide“.[89]
Diese Auffassung wird so begründet: „Gleich zu Beginn des Abschnitts über die
Rechtfertigung wird gesagt, dass die Gegner die Evangelischen tadeln wegen der
Behauptung: „dass die Gläubigen Vergebung der Sünde durch
Christus ohne alle Verdienste allein durch den Glauben erlangen“
(IV, 1). Dies ist daher das zur Debatte stehende Thema (vgl.
IV, 45). Entsprechend heißt es dann am Ende des Aufsatzes: „Bisher
haben wir reichlich angezeigt …, dass wir allein durch den Glauben Vergebung
der Sünden erlangen um Christus willen,
und dass wir allein durch den Glauben gerecht werden, das ist: aus Ungerechten
fromm, heilig und neu geboren werden.“
(IV, 117.) Aber mit dieser auffallenden Nebeneinanderstellung von Vergebung
und Rechtfertigung kann Melanchthon nicht als seine eigene Ansicht eine
Verschiedenheit von Vergebung und Rechtfertigung aussprechen wollen, weil er,
wie gesagt, die Rechtfertigung als Vergebung definiert hat.
Jene Nebeneinanderstellung ist vielmehr durch das veranlasst, was die
Confutatio der Gegner gegen die Rechtfertigungslehre des Augsburger
Bekenntnisses hervorgebracht hatte. Verweist doch Melanchthon
ausdrücklich auf das, was die betreffenden Artikel der Confutatio verdammt
haben (IV, 1). Und hier war in der Tat der erhobene Vorwurf zu zwei Sätzen formuliert.
Zu Art. 20 war die Lehre der Evangelischen getadelt, dass gute Werke nicht
Vergebung der Sünden erwerben (CR 27,121). Dieser Formulierung der Gegner
sich anschließend will Melanchthon beweisen, dass allein der Glaube die
Vergebung der Sünden erlangt. Zu Art. 6 aber hatte die Confutatio die
Evangelischen verdammt, weil sie die Rechtfertigung allein dem
Glauben zusprachen. (das. 99). Dieser Formulierung sich anschließend will
Melanchthon beweisen, dass allein der Glaube gerechtfertigt
wird. Also damit die Gegner nicht sagen können, er habe nur den einen der
beiden gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu widerlegen
versucht, formuliert er das, was sie als etwas Verschiedenes ansahen, zu
zwei Sätzen, obwohl er selbst es für dasselbe ansieht, Vergebung und
Rechtfertigung, und redet auch sonst nicht immer von Vergebung allein, sondern
auch oft von Vergebung und Rechtfertigung (z.B. IV, 5.7.12.16).
Dass aber er über das Verhältnis dieser beiden Begriffe zueinander nicht ebenso
denkt wie seine Gegner, ist an unserer Stelle in feiner Weise von ihm
angedeutet durch die Wahl des Modus der Zeitwörter. Indem er
einfach die beiden Vorwürfe der Gegner zitiert, gebraucht er für beide die
gleiche Zeitform: zusprechen -
rechtfertigen. Aber indem er angibt, was er dagegen
bewiesen habe, schreibt er: dass zugesprochen wird Vergebung und dass
gerechtfertigt – und wiedergeboren wird. Richtig ist schon dazu bemerkt
worden. „Das sieht danach aus, als wenn diese Konjunktive dem „zugesprochen
werden“ untergeordnet sind.“ Melanchthon will andeuten: Durch den Glauben
allein erlangen wir Vergebung und eben damit
werden wir gerechtfertigt; in Wirklichkeit ist beides dasselbe.
Wie aber kann er in
der zitierten Stelle
schreiben: „dass wir allein aus Glauben gerechtfertigt werden,
das heißt aus Ungerechten zu Gerechten geschaffen oder wiedergeboren werden“
(Übers. Georg Pöhlmann)? Erklärt er nicht
damit die Rechtfertigung für die „reale Erneuerung durch die
Wiedergeburt“? Was zunächst den Ausdruck „aus
Ungerechten zu Gerechten schaffen“ betrifft, so hat Melanchthon diesen für die
Rechtfertigung in den ersten 71 Abschnitten dieses ganzen
Artikels nicht verwandt, vielmehr anstatt dessen „für
gerecht halten“ gesetzt (IV, 18.26.48.69.71). Auch in den
folgenden Abschnitten ist jener Ausdruck nicht der vorherrschende, und in dem
darauffolgenden langen Abschnitt „Von der Liebe und Erfüllung des Gesetzes“,
wo man ihn immer wieder erwarten müsste, wenn er dem Melanchthon als der beste
Ausdruck für die sittliche Umwandlung erschienen wäre, kommt er nur noch einmal
vor, das „für gerecht halten“ dagegen über zwanzig Mal. Melanchthon
kann ihn also nicht deshalb verwandt haben, weil er ihn für den zutreffendsten
und unmissverständlichsten angesehen hätte. Er wird ihn vielmehr deshalb
mitverwandt haben, weil die zu widerlegenden Gegner das
„rechtfertigen“ so erklärten, daher dessen Benutzung am ehesten eine Verständigung
erhoffen ließ. Was aber verstand
er selbst unter diesem „zu
Gerechten geschaffen“? Wir begegnen diesem Ausdruck in der Apologie zuerst an
jener vielumstrittenen Stelle: „Wir
verteidigen dies, dass wir durch den Glauben selbst richtig und wahrhaftig um
Christi willen gerechtfertigt sind, oder dass wir von Gott errettet sind. Und
da gerechtfertigt sein bedeutet, dass
aus Ungerechten Gerechte gemacht oder
wiedergeboren wurden, bedeutet es auch, dass sie
zu
Gerechten erklärt oder geschätzt
wurden. Denn
die Schrift spricht in beide Richtungen. Deshalb
wollen wir zunächst zeigen, dass der Glaube allein die Ungerechten gerecht
macht, das heißt, Vergebung
der Sünden empfängt.“
(Apol. IV, 71 f.; Übers. d.
google-Übersetzungsprogramm). Was besagt dies? Den Vorschlag einer Korrektur
des Textes lehnen wir ab, da es unmöglich ist, dass, wen nur eine solche das
Ganze verständlich machen könnte, nicht schon Melanchthon sie bei den späteren
Auflagen vorgenommen hätte. Ebenso widerspricht der
Vorschlag, eine Anzahl von Worten in Klammern zu setzen, zu stark der
vorliegenden Interpunktion und Satzabteilung. Lasen wir aber das Ganze intakt,
so wird man es dahin zu verstehen haben: „Wir verteidigen, dass wir ganz
eigentlich und wirklich durch den
Glauben selbst (nicht aber nur, weil er ein Anfang der Rechtfertigung
ist) um Christi willen für gerecht geschätzt werden (wie wir uns bisher ausgedrückt
haben) oder Gott wohlgefällig sind. (Indem wir nun dies beweisen wollen, können
wir die bei den Gegnern übliche Definition der Rechtfertigung verwenden. Denn)
weil (nach ihr) gerechtfertigt werden so viel bedeutet wie aus Ungerechten zu
Gerechten gemacht oder wiedergeboren werden, so bedeutet es auch so viel wie
für gerecht gehalten oder erklärt werden (denn wer
gerecht gemacht ist, kann doch nicht mehr für ungerecht erklärt werden). Kommen
doch auch in der Schrift beide Ausdrucksweisen für ein und dieselbe Sache vor.
Folglich (um zu beweisen,
was wir verteidigen, dass wir nämlich durch den Glauben selbst für gerecht erklärt
werden) wollen wir zuerst dies zeigen, dass allein der Glaube aus einem
Ungerechten einen Gerechten macht.“ – Was
aber meint das „zu Gerechten geschaffen“? Melanchthon fügt
sofort die Erklärung hinzu: das heißt: Vergebung der Sünden empfängt. Mit
dieser Erklärung widerspricht er der eigentlichen Meinung
der von ihm aus der herkömmlichen Terminologie herübergekommenen Definition der
Rechtfertigung als einer Gerechtmachung. Die Gegner verstanden hierunter eine
sittliche Umschaffung des Menschen. Um dieser willen sollte er wiedergeboren
sein und Gott wohl gefallen. Wohl will auch
Melanchthon, dass der Mensch vor Gott tatsächlich gerecht sei. Aber das wird
auf einem anderen Weg erreicht als dem der Gegner:
nämlich durch Vergebung der Sünden soll man aus einem Ungerechten zu einem
Gerechten gemacht werden. Denn wenn dem Menschen seine Sünde von Gott vergeben
ist, so ist die Sünde nicht mehr da. Gemäß Gott, d.h.,
nach dem allein berechtigten Urteil des heiligen Gottes ist solch ein Mensch
kein Sünder, sondern gerecht. Durch Verleihung der Vergebung der Sünden ist er
gerecht. Wer nun den Charakter des Justus Jonas
kennt, der wird auch verstehen, warum dieser bei seiner Verdeutschung der
Apologie nicht nur das „gerecht
machen“, sondern häufig auch
das einfache „rechtfertigen“ in
dem Sinn von „gerecht und fromm machen“ wiedergegeben hat, so dass nun der
deutsche Text diesen Ausdruck weit öfter bietet als der authentische
lateinische und dadurch zu einer unrichtigen Ansicht über die
Wertung dieses Ausdruckes durch Melanchthon verleiten kann (vgl. z.B. die
Überschriften zu IV, 1.48.61). Selbst für „gemäß Gott für
gerecht schätzen“ (reputentur esse
iusti coram Deo)
kann Jonas schreiben, „vor Gott gerecht und fromm
werden“ (IV, 26). Er freute sich zu sehr über diesen Schachzug Melanchthons,
der die gegnerische Definition von Rechtfertigung als Gerechtmachung gelten
ließ, aber mit ganz anderem Inhalt erfüllte.
Denn Jonas versteht mit Melanchthon
darunter nichts anderes als Vergebung erlangen, wie er übersetzt: „Vergebung
der Sünden erlangen und haben, dasselbe heißt vor
Gott gerecht und fromm werden“ (IV, 76). Die
Rechtfertigung ist also Gerechtsprechung
und nicht Gerechtmachung! Es
wird tatsächlich der von Gott als gerecht erklärt, geschätzt, der es qualitativ
nicht ist, aber Christus als seinen Retter von Sünden im Glauben
empfangen, ergriffen hat, so dass Christus in sein Herz eingezogen
ist, eins mit ihm wurde, und ihm seine erworbene Gerechtigkeit, Frieden,
Erlösung, ewiges Leben mitteilt (s. Luther zu Gal. 2,20 in der
Galaterbrieferkl. 1535).
Oder sollte Melanchthon doch in der
Rechtfertigung noch anderes
als die Sündenvergebung gesehen haben, deshalb nämlich, weil er einmal „die
Sündenvergebung als ‚in
erster Linie in der Rechtfertigung notwendig‘ bezeichnet? Aber
in diesem Satz spricht er nicht seine eigene Ansicht aus; diese ist vielmehr, dass
die Rechtfertigung nicht nur den Beginn der Erneuerung bedeutet (IV
(III), 40); sondern er
zitiert die Ansicht
der Gegner.
Denn wir lesen: „Wir glauben, auch die Gegner gestehen, dass bei
der Rechtfertigung in erster Linie die Sündenvergebung notwendig ist“
(IV, 75). Dies besagt: Wenn
die Gegner auch nicht zugeben,
dass die Rechtfertigung in der Sündenvergebung besteht, so doch so viel, dass
die Sündenvergebung zur Rechtfertigung notwendig
ist, da sie dieselbe für das „zuerst Erforderliche“ erklären. Und dieses
Zugeständnis genügt, weil die Vergebung nicht durch Werke,
sondern nur durch den Glauben erlangt wird, und es sich eben um die Frage
handelt, ob Werke oder Glaube entscheidend sind. Von dem „neuen Leben aktiver
Gerechtigkeit“ ist in dem ganzen
Artikel „Von der Rechtfertigung“ nicht weiter die Rede,
als dass zur Abwehr römisch-katholischer Angriffe nebenbei bemerkt wird, auf
die Rechtfertigung folge selbstverständlich auch ein neues aktives Leben; die
Liebe folgt dem Glauben (z.B. IV, 77). Hiervon auch das „zu Gerechten
geschaffen“ zu verstehen, ist unmöglich gemacht schon
durch jenes eine „das heißt“ in den Worten: „dass allein der Glaub e aus einem
Ungerechten einen Gerechten macht, das heißt, empfängt Vergebung
der Sünden (IV, 72).
Wie aber kann Melanchthon
„rechtfertigen“ gleichsetzen auch mit „wiedergebären“, indem er
schreibt: „dass wir
allein aus
Glauben gerechtfertigt werden,
das heißt, aus Ungerechten zu Gerechten geschaffen oder wiedergeboren werden
(IV, 117)? Offenbar verbindet er in der Apologie noch nicht überall die gleiche
Vorstellung mit „wiedergebären“. Er kann so die Bekehrung des Ungläubigen
bezeichnen (wie es Luther zumeist tat) und ebenso den Fortschritt
der Wiedergeborenen im Glauben und Leben (IV, 65; IV
(III), 239 f.). Aber wenn er von der erstmaligen, mit der Rechtfertigung
eintretenden Wiedergeburt oder
Lebendigmachung redet, so muss er doch etwas anderes als die Umschaffung
zu einem aktiven sittlichen Leben meinen. Denn dieses leitet
er doch von der Verleihung des Heiligen Geistes her, die erstmalige Wiedergeburt
aber setzt er scheinbar vor die Geistmitteilung: „Die Wiedergeborenen
empfangen den Heiligen Geist und fangen daher an, das Gesetz zu erfüllen.“ (Apol.
XII, 82; IV (III), 54.4.) Aber hier ist zu
unterscheiden zwischen dem Wirken des Heiligen Geistes am Sünder zum Empfang
des Glaubens und der Einwohung des Heiligen Geistes, mit dem Vater
und dem Sohn, im Gläubigen, und zwar gerade zur Heiligung, Erneuerung des
Wiedergeborenen, das ist, Bekehrten, zum Glauben Gekommenen. Sodann: Wie
beschreibt er die Wiedergeburt,
solange er nicht die Liebe und Erfüllung
des Gesetzes, sondern die Rechtfertigung behandelt? Nach dem heute
weitverbreiteten Verständnis von „Wiedergeburt“ würde man erwarten, dass er
diese als die neue Quelle sittlicher Kraft wertet. Und freilich
ist auch dies der Fall, ebenso wie er von der sittlichen Triebkraft des
Glaubens redet. Aber ebenso wie diese Eigenschaft des Glaubens bei der
Rechtfertigungslehre nur nebenbei als apologetischer Tendenz erwähnt wird, so
auch die Triebkraft der Wiedergeburt (Apol. IV (III),
229 f.). Primär wird diese vielmehr als identisch mit der
Bekehrung und als Quelle des Trostes
und der Freude behandelt; und auch dann,
wenn aus ihr der Ansporn zu einem neuen Wandel hergeleitet wird, soll die
psychologische Vermittlung der durch sie gewährte Trost sein. „In den
wahren und ernsten Sachen des Gewissens“ „müssen die herzen
Trost fassen. Dies geschieht, wen sie der Verheißung Christi glauben, dass wir
seinetwegen Vergebung der Sünden haben. Dieser Glaube, der in jenen Schrecken aufrichtet
und tröstet,
empfängt Vergebung der Sünden, rechtfertigt und macht lebendig. Denn
jener Trost ist das neue und geistliche Leben“ („es ist eine neue Geburt und
ein neues Leben“, APOL. IV, 62).
„Derselbe Glaube“, „der glaubt, dass Gott gnädig ist“, „macht lebendig, weil dieser
Glaube in dem Herzen Friede und Freude und ewiges Leben schafft.“
(Apol. IV, 100.) Der Vorwurf der Gegner aber, es bedürfe keiner guten Werke,
wenn diese nicht das ewige Leben verdienten, ist unberechtigt. Denn „wir werden
wiedergeboren und empfangen den Heiligen
Geist, damit das neue Leben neue Werke habe, neue Affekte, Furcht und Liebe
gegen Gott, Hass gegen die böse Lust usw.“ (Apo. IV (III), 227 f.) Melanchthon lehrt
also, dass wir durch den die Sündenvergebung
ergreifenden Glauben in ein neues Dasein wiedergeboren werden, aus dem Stand
eines Sünders in den eines Gerechten, aus dem Tod
ins Leben versetzt werden, so dass diese neue Daseinsweise, diese
Gotteskindschaft unser Trost, Friede und Freude ist. Und in diesem Sinn
setzt Melanchthon das „aus
einem Ungerechten ein Gerechter werden“ und „wiedergeboren
werden“ einander gleich. Daher sagt auch die KF ganz richtig, in der Apologie
werde „Wiedergeburt“ nicht nur in dem Sinn gebraucht,
dass „es zugleich die Vergebung der Sünden und die nachfolgende Erneuerung begreift, welche der Heilige Geist wirkt in
denen, so durch den Glauben gerechtfertigt sind“, sondern auch „viel und oft“
„allein für die Vergebung der Sünden und dass
wir zu Gottes Kindern angenommen werden“, „wie auch das Wort Lebendigmachung
zuzeiten im gleichen Verständnis gebraucht worden ist, … in welchem Verstand
dies Wort in der Apologie viel und oft gebraucht wird.“ Ausf.
Darl. III, 18-20.)
Gemäß der Apologie besteht also die
Rechtfertigung in der Erlangung der Sündenvergebung. Diese macht uns zu
solchen, die nach Gottes Urteil gerecht sind und so von ihn auch
für gerecht erklärt werden, und versetzt uns
wie eine neue Geburt in einen neuen Lebensstand.
Unermüdlich erklären
die Bekenntnisse, dass die Rechtfertigung erfolgt „um Christi willen“, das
heißt zunächst, weil Christus da sei. Und dies ist nicht
in dem Sinn gemeint, dass Gott uns vergeben könne, weil wir durch den Glauben
„die geistigen Einwirkungen Christi in uns aufnehmen“, oder weil Christus Gott
verbürgt, dass wir einst von aller Sünde frei sein werden, sondern
die Sünden werden vergeben um Christi willen, der durch seinen Tod für
die Sünden genug getan hat (Augsb. Bek. IV; vgl. Apol. IV;
40). Es handelt sich hier also zuerst um die Frage, wodurch es ermöglicht ist,
dass der heilige Gott Sündern vergibt. Christus, der Sündlose, ist für uns ein
Opfer geworden, er hat genug getan für unsere Schuld (Apol.
IV (III), 58; (VI), 43; XXIV, 19). Christi
Versöhnungswerk, das geschieht aus
der grundlosen Liebe Gottes zu uns (Joh. 3,16; 1. Joh. 4,9), ist,
wie die Bekenntnisschriften bezeugen, die unerlässliche Voraussetzung der
Rechtfertigung, weshalb sie auch ihre Darlegungen über Christi Werk vor
allem im Rahmen der Rechtfertigungslehre bringen. Sie bekennen: „Es ist gar
nicht zu verstehen, wie ein Mensch sich einbilden kann, vor Gott gerecht zu
sein, wenn er den Versöhner und Mittler Christus ausschließt.“
(Apol. IV (III), 44.) Gegen die Behauptung,
wir könnten uns Verdienste erwerben, führen sie
oft an: „Was bedurfte es dann dessen, dass Christus für unsere Sünden gegeben
wurde?“ (Apol. IV, 21.28.52.) Noch mehr: Dass
Christus geboren ist, gelitten hat, auferweckt ist, das
hat als Endzweck das Eine, die Vergebung der Sünden (Apol. IV; 51). Damit liegt
die Verheißung vor, „dass der Vater um
Christi willen versöhnt ist und verzeiht“ (Apol. IV (III),
174). Wie aber erfüllt sich diese Verheißung an den Einzelnen? In der
Rechtfertigung „werden uns Christi Verdienste geschenkt“ (Apol. IV (III), 175),
wie wenn ein Freund für den anderen die Schulden bezahlt und dadurch der
Schuldner durch eines anderen Verdienst, als wäre es sein eigenes, befreit
wird (Apol. XXI, 19). An dieser Stelle
verwendet Melanchthon auch schon den später häufigen Ausdruck: Christi
Verdienste werden uns geschenkt „durch göttliche
Zurechnung“. Wir werden also „für gerecht erklärt um einer fremden
Gerechtigkeit willen, nämlich der Christi, welche fremde
Gerechtigkeit und mitgeteilt wird
durch den Glauben, so dass unsere Gerechtigkeit die Zurechnung
einer fremden Gerechtigkeit ist“ (Apol. IV (III), 184). Hiermit soll aber nicht
der Satz, dass die Rechtfertigung in der
Sündenvergebung bestehe, irgendwie verändert werden. Manche
haben wohl gemeint, die Anerkennung einer vorhandenen
fremden Gerechtigkeit sei das Gegenteil von Vergebung;
jenes sei nach A. Ritschls Ausdruck ein analytisches, letzteres dagegen ein
synthetisches Urteil. Doch sehen wir auch davon ab, ob
diese Kategorie hier anwendbar ist, so handelt es sich bei der Rechtfertigung
nicht um eine bloß sachliche Schuld,
die auch durch eine rein sachliche Leistung aufgehoben werden kann, sondern um
eine persönliche Verschuldung. Dann aber bedarf es auch dann, wenn die erschütterte
Rechtsordnung, sei es durch den Schuldigen
oder durch einen anderen, wiederhergestellt ist, doch noch der Vergebung. Der
Schuldige muss dabei die Notwendigkeit und Wirklichkeit der
geschehenen Wiedergutmachung anerkennen, sich diese innerlich, durch den
Glauben, aneignen – nur so kommt sie ihm zugute, wird sie ihm
persönlich zugesprochen. Es ist also der Glaube, der aufgrund der Verheißung
Gottes sich das Verdienst Christi aneignet. Dies hat Luther dem
„Spott der Sophisten“ gegenüber, die „christliche Gerechtigkeit nicht kennen“,
einmal so ausgedrückt: „Es
ist kein bloßer
Ruf, sondern es
beinhaltet den Glauben und die Annahme des Leidens Christi für uns, was keine leichte
Angelegenheit ist; ... dieser Ruf ist
wegen Christus gemacht, an den wir glauben.“
(Weim. 40,I, 372,8.) Die Zurechnung des Verdienstes Christi geschieht also
nicht so, wie wenn einem Schuldner die von einem anderen, vielleicht ohne dass
jener darum weiß, entrichtete Summe angerechnet wird,
sondern nur so, dass der Sünder im Glauben an Christus, der für uns gelitten
hat, Christi Verdienst ergreift und dadurch aneignet,
zu eigen macht. Aber auch dieser Glaube ist kein menschliches Werk, keine
menschliche Beteiligung, sondern ist vom Heiligen Geist durch das Evangelium
gewirkt und ergreift nur das, was ihm dargereicht wird („Nehmehand“).
Daher ist diese Anrechnung keineswegs, wie die spottenden Sophisten meinten,
„eine leichte Sache“. Da nun Melanchthon sachlich genau dasselbe schreibt wie
Luther, indem er betont, dass Gott das Verdienst Christi uns
nur zueignet, wenn wir es uns im Glauben aneignen, so darf man nicht sagen,
jene Äußerung Luthers „müsse einem Melanchthonianer
greulich klingen“. – In dem „um Christi willen“ bei der Rechtfertigung liegt
also das Doppelte, dass Gott nur um des Verdienstes Christi willen vergeben
kann, durch das grundsätzlich ja für die ganze Welt,
alle Menschen Christus Vergebung der Sünden
erworben, Gott mit der ganzen Welt, jedem Menschen grundsätzlich versöhnt hat
(allgemeine Rechtfertigung), und dass der Glaube
um dieses Verdienstes Christi willen Vergebung erhofft
und erlangt (persönliche Rechtfertigung.
Der rechtfertigende
Glaube ist nicht der römische ungeformte Glaube, der vor
der Rechtfertigung vorhanden sei und in einem bloßen
Fürwahrhalten besteht (Apol. IV, 48). Er ist auch nicht der römische
„aus der Liebe geformte Glaube“, wobei das Fürwahrhalten nur die Voraussetzung
für das Entscheidende, die Liebe, ist (Apol. IV, 109), ist also
nicht der „durch die Liebe tätige Glaube“. Sondern
er ist ein Wollen und Annehmen dessen, was in der
Verheißung, Gottes Zusage, angeboten wird. Er
ist nicht nur eine geistige Erkenntnis,
sondern auch ein willentliches Vertrauen, das der Heilige Geist
durch das Evangelium wirkt (Apol. IV (III),
183), oder ein Zustimmen zu der Zusage
Gottes, in welcher umsonst um Christi willen die Vergebung angeboten wird (Apo.
IV, 48). Der Glaube ist also die lebendige Zuversicht des Herzens
in die frohe Botschaft der Erlösung um Christi Verdienst willen, gewirkt aus
der Gnade, also der gnädigen, erbarmenden Liebe Gottes in Christus mittels des freisprechenden
Wortes.[90]
Damit sind schon die drei Ausdrücke verwandt, mit denen
die späteren Dogmatiker den rechtfertigenden Glauben beschrieben haben:
Erkenntnis, Zustimmung, Vertrauen. Wenn man diese Begriffsbestimmung sehr hart
angefochten hat, so dürfte daran das Missverständnis schuld sein, als seien
drei aufeinanderfolgende Akte des Glaubens
gemeint, so dass auch schon die Erkenntnis als Glaube aufgefasst werde, während
in Wirklichkeit die drei als Bestandteile des Einen rechtfertigenden Glaubens
gemeint sind. Nur freilich wird auch eine Erkenntnis als
erforderlich behauptet, deshalb weil es sich um eine Zusage
Gottes handelt, die man kennen muss, wenn man ihr freudig zustimmen und sich
auf sie verlassen soll. Denn um vor jeder Einbildung gesichert zu sein, muss
der Glaube, wie Luther sagt, „etwas [objektiv Vorliegendes] haben, daran er sich
halte und worauf er stehe und fuße“ (Gr. Kat. IV, 29). Dies aber ist Gottes Zusage.
Der Glaube besteht also in dem
Bejahen und Sichaneignen des von Gott im
Wort Zugesagten. Bei der
Rechtfertigung handelt es sich dann um die zentrale Zusage,
die der Glaube als spezielle annimmt oder erfasst: Ein spezieller Glaube, durch den jeder
glaubt, dass seine Sünden um Christi willen vergeben sind und dass
Gott um Christi willen
besänftigt und versöhnt ist.
„Dieser Glaube erlangt die Vergebung der Sünden und rechtfertigt uns.“ (Apol. IV,
44 f.) Glauben heißt also, ganz
und ungeteilt sein Herz Gott um Christi willen hingeben und dadurch in der
Gemeinschaft mit ihm stehen.[91]
Rechtfertigender Glaube ist also das Sich-an-Christus-Hängen, die ganze
Zuversicht auf ihn allein (und sein Wort) setzen als den einzigen Heiland,
durch den allein ich von meinen Sünden erlöst bin; als den einzigen
Hohenpriester, der allein Gott mit mir versöhnt hat: als den einigen König und
Herrn, durch den allein ich Trost habe in aller Angst und Not und so durch ihn
allein erlöst bin von Sünde und Tod, Gnade und ewiges Leben und Seligkeit habe.
Zur Rechtfertigung
bedarf es also des Glaubens an Christus. Der ist etwas
anderes als „allgemeines Gottvertrauen“, dass Gott gnädig sei, was auch
bestehen kann neben menschlichem Mitwirken an der Erlösung, oder verstanden
wird als bewirkender Faktor menschlichen Mittuns (wobei es nie zu
Heilsgewissheit kommen kann).[92] Schon
das Augsburger Bekenntnis (Art. 4) bestimmt den
rechtfertigenden Glauben dahin, dass man glaube, man werde in die Gnade
aufgenommen und erlange Vergebung der Sünden um Christi willen, der mit
seinem Tod für unsere Sünden genug getan hat und so Gott mit
der Welt versöhnt hat (2. Kor. 5,17 ff.). Schon die
alttestamentlichen Gläubigen
sind um ihres Vertrauens willen auf die Verheißung Gottes, er werde
um Christi willen vergeben, gerechtfertigt worden (Apo. IV, 58 f.). Doch auch
hier wird vorausgesetzt, dass nur ein auf Gottes Verheißungen
sich stützender Glaube richtig ist. Gleich Zwingli anzunehmen, dass auch
Heiden, ohne von Gottes Gnadenoffenbarung etwas zu wissen, durch ihren
Glauben, durch ihr Vertrauen auf Gott „Freunde Gottes“ sein könnten, ist
für Luther und seine Schüler gemäß der Bibel unmöglich. Luther hatte
geschrieben: „Durch Jesus Christus musst du an Gott glauben. … Denn es wird
kein Glaube genugsam sein als allein der christliche Glauben, welcher an
Christus glaubt und allein durch Christus, und sonst nicht, empfängt diese zwei
Stücke, nämlich Genugtuung göttlicher Gerechtigkeit und
Gnade oder Schenkung der ewigen Seligkeit.“ (Erl. Ausg. 7,187.)
Die Apologie sagt: „… das Evangelium
zwingt [uns dazu], in der Rechtfertigung Christus zu benutzen.“ (Apol. IV
(III), 170.) Denn die unumgängliche Voraussetzung dieser
ist die Erkenntnis des sündlichen Verderbens und des Zornes Gottes (s. oben S.
127 ff.). In diesen Schrecken des Gewissens muss der
Sünder etwas haben, was „das Herz tröstet und aufrichtet“, er muss „den Mittler
und Versöhner Christus dem Zorn Gottes entgegensetzen“ (Apol.
IV, 46); „durch den Glauben an Christus muss er die Schrecken der Sünde und des
Todes besiegen.“ (Apol. IV (III), 169.) Gottes Gnade ist
also Gnade in Christus; nur wer diese ergreift, wird gerechtfertigt. Ein
Glaube, der unter Absehen von
Christi Versöhnung auf Gottes Vergebung
sich verlässt, ist nicht wirklicher, sondern „erträumter“ Glaube (Apol. IV
(III), 101), während der Glaube an Christus der objektiven
Realität entspricht und durch die Hinnahme, das Ergreifen der durch Christus
beschafften Erlösung die Vergebung hat.
Das rechnet Gott ihm zur Gerechtigkeit an, rechtfertigt ihn auf diese Weise.
Christus ist also nicht zuerst und vor allem Vorbild, dem nachzufolgen sei
(„imitatio Christi“), sondern zuerst und vor allem Heilsmittler, Erlöser von
Gesetz, Sünde und Tod. Das Evangelium ist nicht ein neues, vollkommeneres
Gesetz, sondern frohe Botschaft von der Erlösung des Gottlosen ohne
menschliches Mittun, ohne menschliche Werke.[93]
Dies drückt die Apologie
auch so aus: Gott rechnet diesen Glauben zur Gerechtigkeit, Röm.
3 und 4 (Augsb.
Bek. IV). Das richtige Verständnis dieser Aussage ergibt sich daraus, dass wir die
Apologie ausführen hörten, der Glaube teile
uns die Gerechtigkeit Christi mit, und so rechnet
Gott uns Christi Gerechtigkeit zu. Es darf diese Aussage
über den Glauben nicht vermengt werden durch die andere,
die in engster Anlehnung an Luther (z.B. Erl. Ausg. 27,181 f.) darlegt, den
rechtfertigenden Glauben in seiner Betätigung in der Heiligung beschreibend,
nicht allein gute Werke im Gefolge hat,
sondern auch schon selbst eine religiöse Erneuerung des Menschen sei. Er ist
schon das richtige Verhalten Gott
gegenüber, das Erste und Höchste. Er ist schon das
richtige Verhalten Gott gegenüber, das Erste und
Höchste, was Gott von uns fordert, das Vertrauen, das ihm die gebührende Ehre
gibt, indem es seinen Verheißungen glaubt, seine Wohltaten annimmt (Apol.
IV (III), 187); er ist schon das neue Leben, das notwendigerweise neue
Bewegungen im Menschen auslöst (Apol. IV (III), 129). Aber
nicht dies meint die Apologie, wenn sie
sagt, der Glaube werde als Gerechtigkeit angerechnet.
Nicht ist nach ihr „der Glaube als das
der göttlichen Gnadenordnung entsprechende Verhalten eine Gerechtigkeit, die
Gott gelten lässt“. Denn Luther hat geurteilt: „Unser Glaube und alles, was
wir haben mögen aus Gott, ist nicht genugsam; … nicht um unseres
Glaubens willen wird uns Gnade und Seligkeit gegeben, … sondern durch
desselben Christus Gnade.“ (Erl. Ausg. 8,187 f.) Und die Apologie: „Der Glaube rechtfertigt
und rettet uns nicht deshalb, weil er selbst ein an sich würdiges Werk wäre,
sondern weil er die verheißene
Barmherzigkeit annimmt.“
(Apo. IV, 56.) „Weil die Gerechtigkeit
Christi uns durch den Glauben geschenkt wird, deshalb ist der Glaube
anrechnungsweise Gerechtigkeit in uns, das heißt, er ist das, wodurch wir Gott wohlgefällig
werden wegen der Anrechnung und Anordnung Gottes, wie Paulus sagt: Der Glaube
wird zur Gerechtigkeit gerechnet.“
(Apol. IV (III), 186.) Danach wird man es
auch nicht missverstehen können, wenn es häufig heißt, aus Glauben, durch den
Glauben, um des Glaubens willen würden uns die Sünden vergeben. Dies kann nicht
besagen wollen, dass der Glaube als das rechte Verhalten Gott
gegenüber oder als die Garantie dafür, dass der Mensch schließlich noch völlig
von der Sünde freiwerden werde, Gott ermögliche, mit ihm in Gemeinschaft zu
treten. Sondern dies ist nur deshalb möglich, weil der Glaube, der des Heiligen
Geistes Werk mittels des Evangeliums ist, Christus durch das Wort selbst
annimmt, der durch den Glauben mittels
des Worts eins wird mit dem Sünder, von ihm nimmt Gesetz, Sünde, Verdammnis und
ihm zueignet die fremde, erworbene Gerechtigkeit, Frieden und ewiges Leben, die
aber Christi Gerechtigkeit bleibt, nicht zum Wesen des Gerechtfertigten gehört.
Darum, weil die Bekehrung, die
Rechtfertigung des Sünders allein Gottes Werk ist, darum kann der
begnadigte Sünder auch wirklich Heilsgewissheit haben. Rom kann ihm das
nicht geben, da dort die Erlösung nicht nur von Gott, sondern auch vom Menschen
und seinen Werken abhängig gemacht wird.[94]
Wie also wird ein Sünder bekehrt, was heißt
es, zum Glauben an Christus kommen? Indem der Heilige Geist durch das Gesetz
lebendige Sünden-, Verdorbenheits- und
Verlorenheitserkenntnis wirkt mit Anerkennen des Urteils Gottes über den Sünder
(Reue), und dann durch das Evangelium den verzweifelten,
zerbrochenen Sünder überzeugt von Gottes Liebe und
Erbarmen in Jesus Christus, dass er auch für mich in diese Welt kam, auch für
mich das Gesetz stellvertretend erfüllte, auch meine Sünden stellvertretend auf
sich nahm und so durch seinen Gehorsam und blutiges Leiden
und Sterben Gott auch mit mir versöhnte und so auch mir Vergebung meiner
Sünden, Frieden mit Gott, Freispruch im Jüngsten Gericht und ewiges Leben
erworben hat, was alles ich im herzlichen Glauben an Christus
empfange, ergreife und meine ganze Zuversicht
auf Christus setze, dass ich allein um seinetwillen Vergebung der Sünden und
ewiges Leben habe und daher von Gott gerecht gesprochen bin.
Dabei muss unterschieden werden zwischen dem Wirken des Heiligen Geistes, der
den rettenden Glauben durch das Evangelium zueignet und dabei den Unwilligen
willig macht, und der daraus folgenden unmittelbaren Frucht, dass der nun
Willige Christus als seinen Retter aufgrund des Wortes empfängt, ergreift.
Die Konkordienformel
sah sich zu erneuter Durcharbeitung der Rechtfertigungslehre durch den von
Osiander erregten Streit genötigt. Osiander hatte den
evangelischen Satz, dass Christus unsere Gerechtigkeit ist, so aufgefasst:
„Durch das, was Christus als der treue Mittler durch Erfüllung des Gesetzes und
durch sein Leiden und Sterben mit Gott, seinem himmlischen Vater, verhandelt
hat“, hat er „von Gott diese große und überschwängliche Gnade
verdient und erworben, dass er [Gott] uns nicht allein die Sünde hat vergeben
und die unerträgliche Bürde des Gesetzes von uns genommen, sondern auch uns
durch den Glauben an Christus will rechtfertigen
[, das heißt,] die Gerechtmachung oder Gerechtigkeit will eingießen.“ Dies
geschehe aber so: „Durch das äußere Wort kommt das innere,
lebendige Wort, das Gott selbst ist, in unser Herz. Durch diese Einwohnung
Christi, des fleischgewordenen Worts in uns, wird die Sünde in uns ganz und gar
abgetötet und vertilgt.“ Daraus folge
zugleich: „Unser Herr Jesus Christus ist unsere Gerechtigkeit nach seiner göttlichen
Natur.“ Im Gegensatz zu dieser letzten Behauptung hatte
dann Franz Stancarus erklärt, Christus sei unsere Gerechtigkeit allein nach
seiner menschlichen Natur. Beide
Ansichten weist die KF, 1)
zurück und hebt hervor, Christus ist unsere Gerechtigkeit nach beiden
Naturen, da er als Gottmensch uns erlöst und gerecht und selig gemacht hat (Ausf.
Darl. III, 4). 2) Worin aber besteht die Rechtfertigung?
Rechtfertigen heißt hier gerecht und ledig von Sünden sprechen und der ewigen
Strafe ledig zählen (Ausf. Darl. III, 17). Ermöglicht wird dies
dadurch, dass Gott uns die Gerechtigkeit
Christi zurechnet, die aber nicht in dessen wesentlicher göttlicher
Beschaffenheit besteht, sondern in dem Verdienst, das Christus durch den im
Handeln wie im Leiden bewiesenen vollkommenen Gehorsam erworben hat (Ausf. Darl.
III, 9). Sein Gehorsam wird den Gläubigen, die sich allein auf Christus
verlassen, zur Gerechtigkeit angerechnet (Ausf. Darl. III, 15 f.). Unsere
Gerechtigkeit ist also „Glaubensgerechtigkeit“.
Der Glaube rechtfertigt aber nicht, insofern er eine Tugend wäre, sondern nur
insofern er sich die Gerechtigkeit Christi aneignet; er ist nur „das einige
Mittel und Werkzeug, damit und dadurch wir Gottes Gnade, Christi Verdienst und
Vergebung der Sünden, so uns in der Verheißung des
Evangeliums vorgetragen werden, empfangen und annehmen können“ (Ausf. Darl.
III, 31) (rechtfertigender Glaube = Nehmehand). 3) Voraussetzung
des Glaubens und damit der Rechtfertigung ist die wahre, durch den Heiligen
Geist mittels des Gesetzes gewirkte,
Reue, so dass „ein wahrer, seligmachender Glaube nicht
in denen ist, die ohne Reue und Leid sind und einen bösen Vorsatz haben, in
Sünden zu bleiben und beharren“ (Ausf. Darl. III, 26). „Gewiss
notwendige Folge“ der Rechtfertigung sind die Liebe und guten Werke, so
dass „wer nicht liebt, ist ein gewisses Anzeichen, dass er nicht
gerechtfertigt, sondern noch im Tod sei oder die Gerechtigkeit des Glaubens
wieder verloren habe“ (Ausf. Darl. III,
27). Unter Hinweis auf Luther (Erl. Aufs. Opp. ex. lat. 3,305 f.) wird gesagt: „Der
Glaube ist es allein, der den Segen ergreift, ohne die Werke, doch nimmer und
zu keiner Zeit allein ist.“
(Ausf. Darl. III, 41.) Dies ist nun das Hauptanliegen der KF, zu verhindern,
„dass nicht dasjenige, was vor dem Glauben hergeht und
was demselben nachfolgt, zugleich in den Artikel der Rechtfertigung als dazu
nötig und gehörig eingemengt oder eingeschoben werde“. „Denn nicht alles, was
zur Bekehrung gehört, gehört auch zugleich in den Artikel der Rechtfertigung.“
(Ausf. Darl. III, 24 f.) Es ist also „bei dem Handel
der Rechtfertigung“ „mit allem Fleiß zu halten über den
Ausschließlichkeitswörtern (particulis
exclusivis), dadurch das Verdienst Christi von unseren Werken gänzlich
abgesondert und Christus allein die Ehre gegeben wird“, das heißt über den
Bestimmungen „ohne Verdienst, ohne Gesetz, ohne Werke, welche Worte alle so
viel heißen wie: Allein durch den
Glauben an Christus werden wir gerecht und selig“ (Kurze Darl. III, 10; Ausf.
Darl. III, 36.43). Der Grund aber, warum die
Rechtfertigung so zu unterscheiden ist von allem vorhergehenden und
nachfolgenden Tun des Menschen, ist der doppelte: Wenn auch unser Tun zur
Rechtfertigung beitrüge, dann hätten wir nicht allein Christus
Vergebung und Kindschaft zu verdanken, und dann könnten
„die betrübten Herzen“ keinen beständigen Trost haben, weil all unser Tun, auch
„die in uns angefangene Erneuerung unvollkommen und unrein
bleibt“ (Ausf. Darl. III, 30.32.35).
Es ist ein
Charakteristikum echt lutherischer Frömmigkeit, dass sie das Objektive in
seiner vollen und klaren Wirklichkeit erfassen will. Luther
wusste, wie es
objektiv um ihn stand, dass er nämlich Glauben und Liebe hatte; er wusste also
in dieser Beziehung dasselbe wie Gott. Aber wenn es sich um die Frage handelt,
ob wir für gerecht geachtet werden wegen unserer durch
den Geist Gottes gewirkten Gesetzeserfüllung, dann weiß er, dass nichts anderes
uns gerecht macht als Christus. Und um dies nicht nur theoretisch zu wissen,
sondern auch demgemäß sich einzig an Christus anzuklammern, verfährt
er, wie Melanchton das auch in einem Brief an Brenz geäußert
hat, er „wende seine Augen ganz und gar ab von seiner Erneuerung und hefte sie
vollständig auf die unentgeltliche
Verheißung“. Luther drückt dasselbe so auch, er stelle sich diese Sache so vor,
als besitze er gar keinen Glauben und Liebe. Denn solange er in Erwägung zieht,
dass er diese besitzt, neigt er dazu, sein Gerechtgelten vor Gott mit abhängig
zu denken von „Gesetz und Werken“. Um davon loszukommen,
stellt er sich vor, wie es um ihn stehen würde, wenn er absolut nichts Gutes
besäße und nur sagen könnte, er habe Christus, der ist seine
Gerechtigkeit. Dann würde er genug haben und vor Gott als
gerecht gelten, weil vor Gott nur auf das Ergreifen Christi es ankommt.
Er handelt also wie ein Krieger auf Vorposten, der einzig auf Gott vertrauen
will und doch auch sich auf seine Waffen zu verlassen geneigt ist: Er stellt
sich vor, er sei ohne Waffen, so dass er dann sagen würde: Gott ist meine Wehr
und Waffen. Von einem Gegensatz zwischen der
Selbstbeurteilung und dem nur Gott bekannten Tatbestand ist durchaus keine
Rede. Beide, Gott und der Gläubige, wissen dasselbe, nämlich dass der Gläubige
Glauben und Lieb besitzt, dass aber nicht diese ihn vor Gott gerecht machen.
Luther hat die ihn bei seinen schweren
Seelenkämpfen erfüllende Sehnsucht mit den Worten beschrieben: „O wann willst
du einmal fromm werden und genugtun!“ (Erl. Ausg. 19,152.)
Zwar musste er erkennen, dass alle seine Bemühungen, fromm, das heißt, von
reiner Liebe zu Gott erfüllt zu werden, umsonst waren; und er sah ein, dass der
zu diesem Ziel führende Weg nur der die Gnade
Gottes annehmende Glaube an die göttliche Verheißung
der Sündenvergebung ist. Er wusste also nun, dass es zum Erlangen des normalen
Verhältnisses zu Gott vor allem auf die Vergebung und den Glauben ankommt. Aber
für ihn bleib doch die sittliche Erneuerung so wichtig, dass er die Sündenvergebung
gerade auch darum so hoch pries, weil sie jene von selbst im Gefolge hat. Es
sei nur erinnert an seine Begründung der Reihenfolge der Hauptstücke im
Katechismus, die von vielen seiner Schüler nicht genügend beachtet worden ist.
Nach ihm zeigt das erste Hauptstück „alles, was Gott
von uns will getan und gelassen haben“. Weil aber „aller Menschen Vermögen viel
zu gering und schwach ist“, die Gebote zu halten, lehrt das zweite Hauptstück,
„wie man dazu komme, woher und wodurch solche Kraft zu nehmen sei“,
nämlich, was wir durch den Glauben „von Gott erwarten und empfangen müssen“;
und das dritte Hauptstück, „dass man Gott immerdar in Ohren liege, rufe und
bitte, dass er den Glauben und Erfüllung der zehn Gebote uns gebe, erhalten und
mehre“ (Gr. Kat. II, 2; III, 2). Daher
hat Luther nicht nur anfangs, sondern auch später
noch häufig den Ausdruck „Rechtfertigung“ für das ganze, sowohl die Vergebung
wie die Erneuerung umfassende Heilswirken Gottes verwandt, obwohl er die
Sündenvergebung als das Entscheidende, auch die sittliche Erneuerung
Bewirkende, auffasst. In den Schmalkaldischen Artikeln kann
er sogar einmal die Frage, „wie man vor Gott gerecht wird“, so beantworten,
dass er die Aufnahme des Sünders in Gottes Gnade durch die erstmalige
Sündenvergebung gar nicht erwähnt, weil er nämlich von dieser schon in den
Artikeln „Von der Buße“ und „Vom Evangelium“ (III, III; III, IV)
gehandelt hatte. Er nimmt also jetzt die Frage, wie man gerecht
werde, in dem Sinn, in dem sie bei etwaigen Verhandlungen mit den römischen
Gegnern von diesen gestellt werden würde und antwortet, „dass wir durch den
Glauben ein anderes, reines, neues Herz kriegen und Gott um Christus
willen, unseres Mittlers, uns für ganz gerecht und heilig halten will und hält“
(III, XIII, 1).
Die Wiedergeburt, die
Bekehrung, dass aus einem gottlosen, gottfernen ein an Christus gläubiger,
durch den Glauben an Christus erretteter Mensch wird, ist allein Gottes, des
Heiligen Geistes Werk. „Darum
ist’s gut, dass man dieses klar unterscheidet, nämlich, dass die Vernunft und
freier Wille vermag, etlichermaßen äußerlich ehrbar zu leben, aber neu geboren
werden, inwendig ein anderes Herz, Sinn und Mut kriegen, das wirkt allein der
Heilige Geist.“ (Apol.
XVIII, 75)
Ganz klar hat Luther das in seiner
Erklärung zum dritten Glaubensartikel im Kleinen Katechismus ausgeführt: „Ich
glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus,
meinen HERRN, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat
mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten
Glauben geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden
beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten
einigen Glauben.“ (Kl. Kat. II,
dritter Artikel, Erklärung)
Diese Blindheit der Vernunft in geistlichen
Dingen schließt mit ein, dass der natürliche Mensch seine wirkliche
Sündenverfallenheit, seine abgrundtiefe Verdorbenheit, seine ewige Verlorenheit
von sich aus gar nicht erkennen kann, dass er blind ist für die Erbsünde und
das daraus folgende Erbverderben. „Solche Erbsünde ist
eine so gar tiefe böse Verderbung der Natur, dass sie keine Vernunft erkennt,
sondern sie muss aus der Schrift Offenbarung geglaubt werden, Ps. 51; Röm. 5;
2. Mose 33; 1. Mose 3.“ (Schm.
Art. III, I, 3)
Darum verwirft die lutherische Kirche auch
ganz schriftgemäß jegliche falsche Lehre, die dem natürlichen Menschen noch
irgendein Vermögen in geistlichen Dingen zuspricht, etwa dass auch nach dem
Sündenfall die natürlichen Kräfte ganz und unverderbt geblieben seien, er von
Natur eine rechte Vernunft und guten Willen habe, aus freiem Willen Gutes tun
und Böses lassen könne und Gutes lassen und Böses tun, aus natürlichen Kräften
alle Gebote Gottes tun und halten könne, Gott aus natürlichen Kräften über alles
lieben und seinen Nächsten wie sich selbst, dass Gott dem Menschen Gnade gebe,
der das tue, was er selbst vermag, dass man ohne den Heiligen Geist also gute
Werke tun könne (vgl. Schm.
Art., III,
I, 4-10).
Das heißt auch: Der Mensch kann aus eigenen
Kräften, unterstützt durch göttliche Gnadenkräfte, nicht Ja sagen zu Christi
Ruf, nicht Ja sagen zum Evangelium, sich also nicht bekehren.
„Es ist unsere Lehre,
Glaube und Bekenntnis …: Dass nämlich in geistlichen und göttlichen Sachen des
unwiedergebornen Menschen Verstand, Herz und Wille aus eignen natürlichen
Kräften ganz und gar nichts verstehen, glauben, annehmen, denken, wollen, anfangen,
verrichten, tun oder mitwirken könne, sondern sei ganz und gar zum Guten
erstorben und verdorbene, so dass in des Menschen Natur, nach dem Fall, vor der
Wiedergeburt, nicht ein Fünklein der geistlichen Kräfte übrig geblieben noch
vorhanden, mit welchen er aus sich selber sich zur Gnade Gottes bereiten oder
die angebotene Gnade annehmen, noch derselben für und von sich selbst fähig
sein oder sich dazu applizieren oder schicken könne oder aus seinen eigenen
Kräften etwas zu seiner Bekehrung, weder zum ganzen, noch zum halben oder zu
einigem dem wenigsten oder geringsten Teil, helfen tun, wirken oder mitwirken
vermöge, von sich selbst, als von sich selbst, sondern sei der Sünden Knecht,
Joh. 8, und des Teufels Gefangener, davon er getrieben wird, Eph. 2; 2. Tim.
2.“ (KF,
Ausfl. Darl., II, 7.)
„So nun im heiligen
Paulus und andern Wiedergebornen der natürliche oder fleischliche freie Wille,
auch nach der Wiedergeburt, Gottes Gesetz widerstrebt: Vielmehr wird er vor der
Wiedergeburt Gottes Gesetz und Willen widerspenstig und feind sein: Daraus
offenbar ist, (wie in dem Artikel von der Erbsünde weiter erklärt, darauf wir
uns geliebter Kürze halben bezogen haben wollen) dass der freie Wille aus
seinen eignen natürlichen Kräften nicht alleine nichts zu seiner selbst
Bekehrung, Gerechtigkeit und Seligkeit wirken oder mitwirken, noch dem Heiligen
Geist, so ihm durch das Evangelium Gottes Gnade und die Seligkeit anbietet,
folgen, Glauben oder das Jawort dazu geben kann, sondern aus angeborner böser,
widerspenstiger Art Gott und seinem Willen feindlich widerstrebt, wo er nicht
durch Gottes Geist erleuchtet und regiert wird.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 18)
Aus all dem folgt, dass die Bekehrung weder
insgesamt noch zu irgendeinem kleinen Teil des Menschen Werk sein kann oder er
daran mitwirken könnte, sondern sie ist allein Gottes Werk, der darin Herz,
Sinn, Willen des Menschen bekehrt und so den Unwilligen willig, gläubig macht
(conversio transitiva), dass er dann das, was Gott ihm darin geschenkt hat,
auch für sich bewusst empfängt, annimmt, ergreift durch den bekehrten Willen,
eben als Frucht der von Gott geschenkten Bekehrung (conversio intransitiva). (Letztere
darf aber nicht ausbleiben, soll der Glaubende, wenn er überhaupt im Glauben
bleibt, nicht einen kranken, schwachen Glauben haben, sondern auch bewusst,
konsequent aus der Bekehrung in der Nachfolge Christi leben. Es ist also
wichtig, dass es auch dazu kommt, dass der mit dem Glauben Beschenkte zu diesem
Geschenk Ja sagt und darin lebt.) „Und
Paulus Phil. 2. ‚Gott ist’s, der in euch wirkt beide das Wollen und das
Vollbringen nach seinem Wohlgefallen.‘ Welcher liebliche Spruch allen frommen
Christen, die ein kleines Fünklein und Sehnen nach Gottes Gnade und der ewigen
Seligkeit in ihren Herzen fühlen und empfinden, sehr tröstlich ist, dass sie
wissen, dass Gott diesen Anfang der wahren Gottseligkeit in ihren Herzen
angezündet hat, und wolle sie in der großen Schwachheit ferner stärken und
ihnen helfen, dass sie in wahrem Glauben bis ans Ende beharren.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 14)
Dass der natürliche Mensch geistlich tot
ist, heißt auch, dass er, siehe 1. Kor. 2,14, nichts
von geistlichen Dingen vernimmt, ob er wohl auch das Evangelium hört, vor der
Verdammnis gewarnt wird. Aus eigenen Kräften versteht er gar nichts davon,
sondern es ist allein des Heiligen Geistes Werk durch das Wort, dass er den
natürlichen Menschen erleuchtet und so Glauben, Bekehrung, Wiedergeburt in ihm
wirkt.
„Denn wie Doktor Luther im 90. Psalm
spricht: In weltlichen und äußerlichen Geschäften, was die Nahrung und
leibliche Notdurft betrifft, ist der Mensch witzig, vernünftig und sehr
geschäftig, aber in geistlichen und göttlichen Sachen, was der Seelen Heil
betrifft, da ist der Mensch wie eine Salzsäule, wie Lots Weib, ja wie Klotz und
Stein, wie ein totes Bild, das weder Augen noch Mund, weder Sinn noch Herz
gebraucht: Da der Mensch den grausamen, grimmigen Zorn Gottes über die Sünde
und den Tod nicht sieht noch erkennt, sondern fährt immerfort in seiner
Sicherheit, auch wissentlich und willig und kommt darüber in tausend Gefahren,
endlich in den ewigen Tod und Verdammnis, und da hilft kein Bitten, kein
Flehen, kein Ermahnen, ja auch kein Drohen, Schelten, ja alles Lehren und
Predigen ist bei ihm verloren, ehe er durch den Heiligen Geist erleuchtet,
bekehrt, wiedergeboren wird, dazu denn kein Stein oder Block, sondern allein
der Mensch erschaffen ist.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 21)
„Wie denn zum dritten die Heilige Schrift
die Bekehrung, den Glauben an Christus, die Wiedergeburt, Erneuerung und alles,
was zu derselben wirklichem Anfang und Vollziehung gehört, nicht den
menschlichen Kräften des natürlichen freien Willens, weder zum ganzen noch zum
halben oder zu einigem, dem wenigsten oder geringsten Teil zugelegt, sondern
ganz und gar allein der göttlichen Wirkung und dem Heiligen Geist zuschreibt,
wie auch die Apologie sagt.
Die Vernunft und freier Wille vermag
etlichermaßen äußerlich ehrbar zu leben; aber neu geboren werden, inwendig ein
anderes Herz, Sinn und Mut bekommen, das wirkt allein der Heilige Geist. Der
öffnet den Verstand und das Herz, die Schrift zu verstehen und auf das Wort
acht zu geben, wie Luk. 24 geschrieben: ‚Er öffnet ihnen das Verständnis, dass
sie die Schrift verstanden.‘ Ebenso Apg. 16. ‚Lydia hört zu, welcher tat der
Herr das Herz auf, das sie darauf Acht hatte, was von Paulus geredet ward. Er
wirkt in uns beide, das Wollen und Vollbringen.‘ Phil. 2. Gibt Buße. Apg. 5; 2.
Tim. 2. Wirkt den Glauben. Phil. 1: ‚Euch ist von Gott gegeben, dass ihr an ihn
glaubt.‘ Eph. 2: ‚Gottes Gabe ist es.‘“ (KF,
Ausf. Darl., II, 25-26)
„In
diesen Worten [aus dem Großen Bekenntnis vom heiligen Abendmahl]
gibt D. Luther, seligen und heiligen Gedenkens, unserem freien Willen keine
einige Kraft, sich zur Gerechtigkeit zu schicken oder darnach zu trachten,
sondern sagt, dass der Mensch verblendet und gefangen allein des Teufels Willen
und was Gott dem HERRN zuwider ist, tue. Darum ist kein Mitwirken unsers
Willens in der Bekehrung des Menschen, und muss der Mensch gezogen und aus Gott
neu geboren werden; sonst ist kein Gedanke in unseren Herzen, der sich zu dem
heiligen Evangelium, dasselbe anzunehmen, von sich selbst wenden könnte. …
Deshalb ist es unrecht gelehrt, wenn man
vorgibt, dass der unwiedergeborene Mensch noch so viel Kräfte habe, dass er
begehre, das Evangelium anzunehmen, sich mit demselben zu trösten und so der
natürliche menschliche Wille in der Bekehrung etwas mitwirke. Denn solche
irrige Meinung ist der Heiligen göttlichen Schrift, der christlichen
Augsburgischen Konfession, derselben Apologie, den Schmalkaldischen Artikeln,
dem großen und kleinen Katechismus Luthers und andern dieses vortrefflichen
hocherleuchteten Theologen Schriften zuwider.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 44.45)
Wie kommt es nun zur Bekehrung des
natürlichen Menschen? Das ist ganz und gar Gottes des Heiligen Geistes Werk,
das er durch Wort und Sakrament an uns ausführt, dadurch wahre Buße, Glauben
wirkt und so dann neue geistliche Kräfte und das Vermögen zum Guten in unseren
Herzen wirkt. Gesetz und Evangelium sind dabei die Mittel, Werkzeuge des
Heiligen Geistes, dass er so rechte Sündenerkenntnis und daraus rechte Reue,
Traurigkeit über die Sünde (Buße) und dann den rettenden Glauben an Christus
wirke und so die Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen, der an Christus
Glaubenden, aus der Menschheit sich sammelt.
„So wollen wir jetzt ferner aus Gottes Wort
berichten, wie der Mensch zu Gott bekehrt werde, wie und durch welche Mittel
(nämlich durch das mündliche Wort und die heiligen Sakramente) der Heilige
Geist in uns kräftig sein und wahre Buße, Glauben und neue geistliche Kraft und
Vermögen zum Guten in unsern Herzen wirken und geben wolle, und wie wir uns
gegen solche Mittel verhalten und dieselben gebrauchen sollen. …
Deshalb lässt Gott aus unermesslicher Güte
und Barmherzigkeit sein göttliches ewiges Gesetz und den wunderbaren Rat von
unserer Erlösung, nämlich das heilige, allein seligmachende Evangelium von
seinem ewigen Sohn, unserm einigen Heiland und Seligmacher Jesus Christus,
öffentlich predigen, dadurch er sich eine ewige Kirche aus dem menschlichen
Geschlecht sammelt und in der Menschen Herzen wahre Buße und Erkenntnis der
Sünden, wahren Glauben an den Sohn Gottes, Jesus Christus, wirkt, und will Gott
durch dieses Mittel, und nicht anders, nämlich durch sein heiliges Wort, so man
dasselbe predigen hört oder liest, und die Sakramente, nach seinem Wort
gebraucht, die Menschen zur ewigen Seligkeit berufen, zu sich ziehen, bekehren,
wiedergebären und heiligen.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 48.50)
Predigt und Bibellese sind also die
äußerlichen Werkzeuge, die der Heilige Geist anwendet, um die Kirche Christi zu
sammeln, zu bauen. Darum ist es wichtig, dass der Mensch sich dem aussetzt,
Gottes Wort in Predigt und Bibellese. Und das gehört nun in den Bereich des
eingeschränkten freien Willens des natürlichen Menschen, dass er entscheiden
kann, ob er die Bibel lesen will, ob er in den Gottesdienst gehen will. Alles
andere muss Gottes Geist durch die Mittel, Wort und Sakrament, wirken.
„Diese Predigt sollen nun alle die hören,
die da wollen selig werden. Denn die Predigt des Wortes Gottes und das Gehör
desselben sind des Heiligen Geistes Werkzeuge, bei, mit und durch welche er
kräftig wirken und die Menschen zu Gott bekehren und in ihnen beides, das
Wollen und das Vollbringen, wirken will.
Dieses Wort kann der Mensch, so auch noch
nicht zu Gott bekehrt und wiedergeboren ist, äußerlich hören und lesen; denn in
diesen äußerlichen Dingen, wie oben gesagt, hat der Mensch auch nach dem Fall etlichermaßen einen freien Willen, dass
er zur Kirche gehen, der Predigt zuhören oder nicht zuhören mag.
Durch
diese Mittel, nämlich die Predigt und Gehör seines Worts, wirkt Gott und bricht
unsere Herzen und zieht den Menschen, dass er durch die Predigt des Gesetzes
seine Sünde und Gottes Zorn erkennt und wahrhaftigen Schrecken, Reue und Leid
im Herzen empfindet, und durch die Predigt und Betrachtung des heiligen
Evangeliums von der gnadenreichen Vergebung der Sünden in Christus ein Fünklein
des Glaubens in ihm angezündet wird, die Vergebung der Sünde um Christi willen
annimmt und sich mit der Verheißung des Evangeliums tröstet; und wird so der
Heilige Geist (welcher dieses alles wirkt) in das Herz gegeben.
Wiewohl
nun beides, des Predigers Pflanzen und Begießen und des Zuhörers Laufen und
Wollen, umsonst wäre und keine Bekehrung darauf folgen würde, wo nicht des
Heiligen Geistes Kraft und Wirkung dazu käme, welcher durch das gepredigte
gehörte Wort die Herzen erleuchtet und bekehrt, dass die Menschen solchem Wort
glauben und das Jawort dazu geben: So soll doch weder Prediger noch Zuhörer an
dieser Gnade und Wirkung des Heiligen Geistes zweifeln, sondern gewiss sein,
wenn das Wort Gottes nach dem Befehl und Willen Gottes rein und lauter
gepredigt und die Menschen mit Fleiß und Ernst zuhören und dasselbe betrachten,
dass gewiss Gott mit seiner Gnade gegenwärtig sei und gebe, wie gemeldet, was
der Mensch sonst aus seinen eigenen Kräften weder nehmen noch geben kann. Denn
von der Gegenwart, Wirkung und Gaben des Heiligen Geistes soll und kann man
nicht allweg ex sensu, wie und wann man’s im Herzen empfindet, urteilen;
sondern, weil es oft mit großer Schwachheit verdeckt wird und zugeht, sollen
wir aus und nach der Verheißung gewiss sein, dass das gepredigte gehörte Wort
Gottes sei ein Amt und Werk des Heiligen Geistes, dadurch er in unserm Herzen
gewiss kräftig ist und wirkt, 2. Kor. 2.“ (KF,
Ausf. Darl., Art. II, 52-56)
Wenn ein Mensch sich dem verweigert, sei
es, dass er gar nicht unter das Wort kommt, es nicht liest, sei es, dass er
zwar das Wort akustisch hört, aber Gott nicht wirklich an seinem Herzen wirken
lässt, ihm fortlaufend also widerstrebt und damit schlimmer ist als ein Stein
oder Block, die eben nicht widerstreben, dann ist es seine eigene Schuld, wenn
er verloren geht.
Der natürliche Mensch ist also noch anders
als ein Stein oder Block, denn er ist allerdings eine vernünftige Kreatur mit
Verstand und Willen, hat aber vor der Bekehrung keinerlei Verstand in
göttlichen, geistlichen Dingen, keinen Willen zu göttlich Gutem und Heilsamem.
Daher kann er zu seiner Bekehrung überhaupt nichts beitragen, nur widerstreben,
bis Gott ihn erweckt, erleuchtet, erneuert: Gott zwingt zwar niemand; aber doch
ist es Gott allein, der einen Menschen zieht und aus dem verfinsterten Verstand
einen erleuchteten, aus dem widerspenstigen Willen einen gehorsamen macht, also
ein neues Herz schafft (transitive Bekehrung). Der menschliche Wille ist nicht
eine der Ursachen der Bekehrung, sondern vielmehr Gegenstand der Bekehrung,
d.h. muss bekehrt werden, um dann, als bekehrter, erleuchteter, erneuerter
Wille willig zu sein zu Gott, seinem Willen, zum Glauben an Christus als dem
Retter. Die Bekehrung im intransitiven Sinn ist also eine Frucht, eine Folge,
eine Wirkung der Bekehrung im transitiven Sinn, ist ein Empfangen dessen, was
Gott durch sein Evangelium geschenkt hat.
„Wenn aber ein Mensch die Predigt nicht
hören, noch Gottes Wort lesen will, sondern das Wort und die Gemeinde Gottes
verachtet und stirbt so und verdirbt in seinen Sünden: Der kann weder Gottes
ewiger Wahl sich trösten, noch seine Barmherzigkeit erlangen. …
Da aber ein solcher Mensch verachtet des
Heiligen Geistes Werkzeug und will nicht hören, so geschieht ihm nicht Unrecht,
wenn der Heilige Geist ihn nicht erleuchtet, sondern in der Finsternis seines
Unglaubens stecken und verderben lässt, davon geschrieben steht: ‚Wie oft habe
ich deine Kinder versammeln wolln, wie eine Henne versammelt ihre Jungen unter
ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt?‘ Matth. 23(,37).
Und in diesem Fall kann man wohl sagen,
dass der Mensch nicht sei ein Stein oder Block. Denn ein Stein oder Block
widerstrebt dem nicht, der ihn bewegt, versteht auch nicht und empfindet nicht,
was mit ihm gehandelt wird, wie ein Mensch Gott dem Herrn widerstrebt mit
seinem Willen, so lange, bis er bekehrt wird. Und ist gleichwohl wahr, dass ein
Mensch vor der Bekehrung dennoch eine vernünftige Kreatur ist, welche einen
Verstand und Willen hat, doch nicht einen Verstand in göttlichen Sachen oder
einen Willen, etwas Gutes und Heilsames zu wollen. Jedoch kann er zu seiner
Bekehrung (wie droben auch gemeldet) ganz und gar nichts tun, und ist in
solchem Fall viel ärger als ein Stein und Block; denn er widerstrebt dem Wort
und Willen Gottes, bis Gott ihn vom Tod der Sünden erweckt, erleuchtet und
erneuert.
Und wiewohl Gott den Menschen nicht zwingt,
dass er müsse fromm werden (denn welche allezeit dem Heiligen Geist
widerstreben und sich für und für auch der erkannten Wahrheit widersetzen, wie
Stephanus von den verstockten Juden redet Apg. 7, die werden nicht bekehrt),
jedoch zieht Gott der Herr den Menschen, welchen er bekehren will, und zieht
ihn so, dass aus einem verfinsterten Verstand ein erleuchteter Verstand, und
aus einem widerspenstigen Willen ein gehorsamer Wille wird. Und das nennt die
Schrift ein neues Herz erschaffen. (Ps. 51,12.)
Deshalb kann auch nicht recht gesagt
werden, dass der Mensch vor seiner Bekehrung einen modum agendi oder eine
Weise, nämlich etwas Gutes und Heilsames in göttlichen Sachen zu wirken, habe.
Denn weil der Mensch vor der Bekehrung tot ist in Sünden, Eph. 2(,5), so
kann ihn ihm keine Kraft sein, etwas Gutes in göttlichen Sachen zu wirken, und
hat so auch keinen modum agendi oder Weise, in göttlichen Sachen zu wirken.
Wenn man aber davon redet, wie Gott in dem Menschen wirkt, so hat gleichwohl
Gott der Herr einen modum agendi oder Weise, zu wirken in einem Menschen als in
einer vernünftigen Kreatur, und eine andere, zu wirken in einer anderen,
unvernünftigen Kreatur oder in einem Stein und Block. Jedoch kann
nichtsdestoweniger dem Menschen vor seiner Bekehrung kein modus agendi oder
einige Weise, in geistlichen Sachen etwas Gutes zu wirken, zugeschrieben
werden.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 57.58-62)
„So auch, wenn Luther spricht, dass sich
der Mensch zu seiner Bekehrung pure passive halte, das ist, ganz und gar nichts
dazu tue, sondern nur leide, was Gott in ihm wirkt: Ist seine Meinung nicht,
dass die Bekehrung geschehe ohne die predigt und Gehör des göttlichen Worts,
ist auch die Meinung nicht, dass in der Bekehrung vom Heiligen Geist gar keine
neue Bewegung in uns erweckt und keine geistliche Wirkung angefangen werde;
sondern er meint, dass der Mensch von sich selbst oder aus seinen natürlichen Kräften
nichts vermag oder helfen könne zu seiner Bekehrung, und dass die Bekehrung
nicht allein zum Teil, sondern ganz und gar sei eine Wirkung, Gabe und Geschenk
und Werk des Heiligen Geistes allein,der sie durch seine Kraft und Macht,
durchs Wort, im Verstand, Willen und Herzen des Menschen, tanquam in subjecto
patiente, das ist, da der Mensch nichts tut oder wirkt, sondern nur leidet,
ausrichte und wirke; nicht als ein Bild in einen Stein gehauen oder ein Spiegel
in Wachs, welches nichts drum weiß, solches auch nicht empfindet noch will,
gedruckt wird, sondern so und auf die Weise, wie kurz zuvor erzählt du erklärt
ist.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 89)
„[Es]
ist abermals aus hiervor gefasster Erklärung offenbar, das die Bekehrung zu
Gott allein des Heiligen Geistes Werk sei, welcher der rechte Meister ist, der
allein solche sin uns wirkt, dazu er die Predigt und das Gehör seines heiligen
Wortes als sein ordentliches Mittel und Werkzeug gebraucht; des
unwiedergebornen Menschen Verstand aber und Wille ist anders nichts als allein
subiectum convertendum, das ist, der bekehrt werden soll, als eines geistlich
toten Menschen Verstand und Wille, in dem der Heilige Geist die Bekehrung und
Erneuerung wirkt, zu welchem Werk des Menschen Wille, so bekehrt werden soll,
nichts tut, sondern lässt allein Gott in ihm wirken, bis er wiedergeboren und
alsdann auch mit dem Heiligen Geist in andern nachfolgenden guten Werken wirkt,
was Gott gefällig ist, auf Weise und Maß, wie droben ausführlich erklärt
worden.“ (KF, Ausf. Darl., II, 90)
Die Bekehrung bringt eine grundlegende
Veränderung im Herzen und Gemüt des Menschen mit sich, alles bewirkt durch den
Heiligen Geist. Daher kann umgekehrt gesagt werden, dass da, wo diese
Veränderungen in Verstand, Willen und Herzen nicht geschehen, wo keine
Sündenerkenntnis, keine Angst vor Gottes Zorn ist, kein Erkennen und annehmen
der Gnade in Christus und der gute Vorsatz und Fleiß, gegen die Sünde zu
kämpfen, wo also all das nicht vorhanden ist, da ist ein Mensch auch nicht
bekehrt, da ist er nicht oder nicht mehr in der Gnade.
„Denn das ist einmal wahr, dass in
wahrhaftiger Bekehrung müsse eine Änderung, neue Regung und Bewegung im
Verstand, Willen und Herzen geschehen, dass nämlich das Herz die Sünde erkenne,
vor Gottes Zorn sich fürchte, von der Sünde sich abwende, die Verheißung der
Gnaden in Christus erkenne und annehme, gute geistliche Gedanken, christlichen
Vorsatz und Fleiß habe und wider das Fleisch streite. Denn wo der keines
geschieht oder da ist, da ist auch keine wahre Bekehrung. Weil aber die Frage
ist de causa efficiente, das ist, wer solches in uns wirke und woher der Mensch
das habe und wie er dazu komme, so berichtet diese Lehre: Dieweil die
natürlichen Kräfte des Menschen dazu nichts tun oder helfen können, 1. Kor. 2;
2. Kor. 3, dass Gott aus unermesslicher Güte und Barmherzigkeit uns zuvor komme
und sein heiliges Evangelium, dadurch der Heilige Geist solche Bekehrung und
Erneuerung in uns wirken und ausrichten will, predigen lasse, und durch die
Predigt und Betrachtung seines Wortes den Glauben und andere gottselige
Tugenden in uns anzündet, dass es Gaben und Wirkungen des Heiligen Geistes
allein sind; und weist uns diese Lehre zu den Mitteln, dadurch der Heilige
Geist solches anfangen und wirken will, erinnert auch, wie dieselben Gaben
erhalten, gestärkt und gemehrt werden, und ermahnt, dass wir diese Gnade Gottes
an uns nicht sollen lassen vergeblich sein, sondern fleißig üben, in
Betrachtung, wie schwere Sünde es sei, solche Wirkung des Heiligen Geistes zu
hindern und zu widerstreben.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 70-72)
„Denn aus vorhergehender Erklärung ist
öffentlich, wo durch den Heiligen geist gar keine Veränderung zum Guten im
Verstand, Willen und Herzen geschieht, und der Mensch der Verheißung ganz nicht
glaubt und von Gott zur Gnade nicht geschickt gemacht wird, sondern ganz und
gar dem Wort widerstrebt, dass da keine Bekehrung geschehe oder sein könne.
Denn die Bekehrung ist eine solche Veränderung durch des Heiligen Geistes
Wirken in des Menschen Verstand, Willen und Herzen, dass der Mensch durch
solche Wirkung des Heiligen Geistes könne die angebotene Gnade annehmen [Bekehrung
im intransitiven Sinn]. Und zwar alle die, so des Heiligen Geistes Wirkungen
und Bewegungen, die durchs Wort geschehen, widerspenstig, beharrlich
widerstreben, die empfangen nicht, sondern betrüben und verlieren den Heiligen
Geist.“ (KF, Ausf. Darl., II, 83)
„Denn die Bekehrung unsers verderbten
Willens, welche anders nichts als eine Erweckung desselben von dem geistlichen
Tod [ist], ist einzig und allein Gottes Werk, wie auch die Auferweckung in der
leiblichen Auferstehung des Fleisches allein Gott zugeschrieben werden soll,
inmaßen droben ausführlich angezeigt und mit offenbaren Zeugnissen der Heiligen
Schrift erwiesen worden.
Wie aber Gott in der Bekehrung aus
Widerspenstigen und Unwilligen durch das Ziehen des Heiligen Geistes Willige
macht, und dass nach solcher Bekehrung des Menschen wiedergeborner Wille in
täglicher Übung der Buße nicht müß0ig gehe, sondern in allen Werken des
Heiligen Geistes, die er durch uns tut, auch mitwirke, ist oben genug erklärt
worden.“
(Konk.Formel., Ausf. Darl., Art. 2,87-88)
Weil dies die klare Lehre der Bibel ist,
verwirft die lutherische Kirche in der Konkordienformel auch die
widerstreitenden Lehren, unter anderem die mancherlei Varianten menschlicher
Mitarbeit, wie es nun, dass der Mensch die Bekehrung von sich aus beginne und
dann von Gott unterstützt werde, sei es, dass Gott die Bekehrung beginne und
dann der Mensch, weil noch etwas Gutes in ihm sei, er dann aus freiem Willen
etwas dazu tue, sich zu Gottes Gnade schicke, sie aus eigener Kraft annehme,
ergreife, dem Evangelium glaube und auch aus eigener Kraft neben dem Heiligen
Geist an der Bewahrung mitarbeite.
„Verworfen werden:
2. Darnach der groben Pelagianer Irrtum,
dass der feie Wille aus eigenen natürlichen Kräften, ohne den Heiligen Geist,
sich selbst zu Gott bekehren, dem Evangelium glauben und Gottes Gesetz mit
Herzen gehorsam sein, und diesem seinem freiwilligen Gehorsam Vergebung der
Sünden und ewiges Leben verdienen könne.
3. Zum dritten der Papisten und Schullehrer
[Scholastiker]
Irrtum, die es ein wenig subtiler gemacht und gelehrt haben, dass der Mensch
aus seinen natürlichen Kräften könne den Anfang zum Guten und zu seiner eigenen
Bekehrung machen, und dass alsdann der heilige Geist, weil der Mensch zum
Vollbringen zu schwach, dem aus eigenen natürlichen Kräften angefangenen Guten
zu Hilfe komme.
4. Zum vierten der Synergisten Lehre,
welche vorgeben, dass der Mensch nicht allerdings in geistlichen Sachen zum
Guten erstorben, sondern übel verwundet und halb tot sei. Deshalb, obwohl der
freie Wille zu schwach sei, den Anfang zu machen und sich selbst aus eignen
Kräften zu Gott zu bekehren und dem Gesetz Gottes mit Herzen gehorsam zu sein:
Dennoch, wenn der Heilige Geist den Anfang macht und uns durch das Evangelium
beruft und seine Gnade, Vergebung der Sünden und ewige Seligkeit anbietet, dass
alsdann der freie Wille aus seinen eigenen natürlichen Kräften Gott begegnen
und etlichermaßen etwas, wiewohl wenig und schwächlich, dazu tun, helfen und
mitwirken, sich zur Gnade Gottes schicken und applizieren und dieselbe
ergreifen, annehmen und dem Evangelium glauben, auch in Fortsetzung und
Erhaltung dieses Werks, aus seinen eigenen Kräften, neben dem Heiligen Geist
mitwirken könne.
Dagegen aber ist oben der Länge nach
erwiesen, dass solche Kraft, nämlich facultas applicandi se ad gratiam, das
ist, natürlich sich zur Gnade zu schicken, nicht aus unsern eigenen natürlichen
Kräften, sondern allein durch des Heiligen Geistes Wirkung herkomme.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 75-78)
Nach der Bekehrung aber, wenn der Mensch
einen vom Heiligen Geist erleuchteten Verstand und gehorsamen Willen hat, dann
will er auch wahrhaft Gutes tun. Aber auch das nicht losgelöst vom Heiligen
Geist, sondern vielmehr getrieben vom Heiligen Geist, der ja in ihm mit dem
Vater und dem Sohn Wohnung gemacht hat. Dieser Gottes Geist leitet ihn auch in
dem täglichen Kampf gegen die Sünde, gegen die Anfechtungen und Versuchungen
durch den Teufel, die Welt und das eigene Fleisch. Heiligung ist damit nicht
ein selbständiges Werk des erneuerten Menschen. Er ist nicht sozusagen wie eine
aufgezogene Uhr, die nun eigenständig abläuft, sondern vielmehr ist es so, dass
der Heilige Geist den erneuerten, bekehrten Menschen regiert, leitet, führt und
der Mensch mit seinem erleuchteten Verstand und erneuerten Willen dabei
mitwirkt, aber eben doch nur in Schwachheit, nicht so, wie wenn zwei Pferde
einen Wagen ziehen, sondern nachgeordnet. So erkennen wir, wie umfassend das
Wirken, das Werk des Heiligen Geistes ist, der nicht nur an unbekehrten,
sicheren Sünder wirkt, um ihn zu erwecken, ihn dann von Sünden zu überführen,
ihm seine Verdorbenheit und Verlorenheit vor Augen zu führen und darüber zu
überzeugen und dann diesem zerbrochenen Sünder Christus groß macht als seinen
Heiland und so den rettenden Glauben in ihm wirkt. Sondern er wohnt dann auch
mittels Wort und Sakrament im Glaubenden und ist fortlaufend in ihm geschäftig,
ihn in seinem Leben im rettenden Glauben zu erhalten, zu guten Werken zu führen
und im täglichen Kampf gegen die Sünde zu leiten und so ihn in täglicher
Sündenerkenntnis, Reue, Umkehr, Vergebung, Erneuerung und Hingabe zu leiten.
„Wenn aber der Mensch bekehrt worden und
also erleuchtet ist und sein Wille erneuert, alsdann so will der Mensch Gutes
(sofern er neu geboren oder ein neuer Mensch ist) und hat Lust am Gesetz
Gottes, nach dem innerlichen Menschen, Röm. 7, und tut forthin so viel und
so lang Gutes, so viel und lang er vom Geist Gottes getrieben wird, wie Paulus
sagt: Die vom Geist Gottes getrieben werden, die sind Gottes Kinder. Und
ist solcher Trieb des Heiligen Geistes nicht eine coactio oder ein Zwang,
sondern der bekehrte Mensch tut freiwillig Gutes, wie David sagt: ‚Nach deinem
Sieg wird ein Volk williglich opfern.‘ Und bleibt gleichwohl auch in den
Wiedergebornen, das St. Paulus geschrieben Röm. 7(,22 ff.): ‚Ich habe Lust an
Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen, ich sehe aber ein anderes Gesetz in
meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und nimmt mich
gefangen in der Sünden Gesetz, welches ist in meinen Gliedern.‘ … Ebenso Gal.
5/,19): ‚Das Fleisch gelüstet wider den Geist und den Geist wider das Fleisch;
dieselben sind gegeneinander, dass ihr nicht tut, was ihr wollt.‘
Daraus dann folgt, alsbald der Heilige
Geist, wie gesagt, durchs Wort und heilige Sakrament solches sein Werk der
Wiedergeburt und Erneuerung in uns angefangen hat, so ist es gewiss, dass wir
durch die Kraft des Heiligen Geistes mitwirken können und sollen, wiewohl noch
in großer Schwachheit, solches aber nicht aus unsern fleischlichen, natürlichen
Kräften, sondern aus den neuen Kräften und Gaben, so der Heilige Geist in der
Bekehrung in uns angefangen hat, wie St. Paulus ausdrücklich und ernst ermahnt,
dass wir als Mithelfer die Gnade Gottes nicht vergeblich empfangen,
welches dann anders nicht als so soll verstanden werden, dass der bekehrte
Mensch so viel und lang Gutes tue, so viel und lange ihn Gott mit seinem
heiligen Geist regiert, leitet und führt, und sobald Gott seine gnädige Hand
von ihm abzöge, könnte er nicht einen Augenblick in Gottes Gehorsam bestehen.
Da es aber so wollte verstanden werden, dass der bekehrte Mensch neben dem
Heiligen Geist dergestalt mitwirkte wie zwei Pferde miteinander einen Wagen
ziehen, könnte solches ohne Nachteil der göttlichen Wahrheit keineswegs
zugegeben werden.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 63-66)
Es ist ja selbst so, dass auch die
Bewahrung des Gläubigen im rettenden Glauben nicht des Menschen, sondern allein
Gottes Werk ist, nur dass darum der Gläubige von Herzen bittet. Denn auch nach
der Wiedergeburt ist es ja so, dass der alte Mensch in uns Gott und seinem
Willen widerstrebt – wieviel mehr dann zuvor.
„Und nachdem Gott den
Anfang durch seinen Heilligen Geist in der Taufe, rechte Erkenntnis Gottes und
Glauben angezündet und gewirkt, ihn ohne Unterlass bitten, dass er durch denselben
Geist und seine Gnade, vermittelst täglicher Übung Gottes Worts zu lesen und zu
üben, in uns den Glauben und seine himmlischen Gaben bewahren, von Tag zu Tag
stärken und bis an das Ende erhalten wolle. Denn wo Gott nicht selber
Schulmeister ist, so kann man nichts, das ihm angenehm und uns und andern
heilsam ist, studieren und lernen.“ (KF, Ausf.
Darl., II, 16)
„So nun im heiligen
Paulus und andern Wiedergebornen der natürliche oder fleischliche freie Wille,
auch nach der Wiedergeburt, Gottes Gesetz widerstrebt: Vielmehr wird er vor der
Wiedergeburt Gottes Gesetz und Willen widerspenstig und feind sein: Daraus offenbar
ist, (wie in dem Artikel von der Erbsünde weiter erklärt, darauf wir uns
geliebter Kürze halben bezogen haben wollen) dass der freie Wille aus seinen
eignen natürlichen Kräften nicht alleine nichts zu seiner selbst Bekehrung,
Gerechtigkeit und Seligkeit wirken oder mitwirken, noch dem Heiligen Geist, so
ihm durch das Evangelium Gottes Gnade und die Seligkeit anbietet, folgen,
Glauben oder das Jawort dazu geben kann, sondern aus angeborner böser,
widerspenstiger Art Gott und seinem Willen feindlich widerstrebt, wo er nicht
durch Gottes Geist erleuchtet und regiert wird.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 18)
So ist auch der tägliche Kampf gegen die
Sünde (Gal. 5) nicht etwas, das aus dem freien oder erneuerten Willen des
Wiedergeborenen komme, sondern auch hier liegt alles am Heiligen Geist, der
aber den Willen des Wiedergeborenen mit hineinnimmt. Denn es bleibt auch im
Wiedergeborenen, nach dem alten Menschen, eine Widerspenstigkeit gegen Gott,
seinen Willen, während der neue Mensch durch den Heiligen Geist dem Willen
Gottes gehorchen will, was nur in täglichen Kämpfen möglich ist.
„Ferner steht in den Schmalkaldischen
Artikeln so: ‚Und diese Buße währt bei den Christen bis in den Tod; denn sie
beißt sich mit der übrigen Sünde im Fleisch durch’s ganze Leben, wie St. Paulus
Röm. 7 zeugt, dass er kämpfe mit dem Gesetz seiner Glieder, und das nicht durch
eigene Kräfte, sondern durch die Gabe des Heiligen Geistes, welche folgt auf
die Vergebung der Sünde. Dieselbe Gabe reinigt und fegt täglich die übrige
Sünde aus und arbeitet, den Menschen recht rein und heilig zu machen.‘ Diese
Worte sagen gar nichts von unserm Willen oder dass derselbe auch in den
neugebornen Menschen etwas aus sich selbst wirke, sondern schreiben es zu der
Gabe des Heiligen Geistes, welche den Menschen reinigt und ihn täglich frömmer
und heiliger mache, und werden hiervon unsere eigenen Kräfte gänzlich
ausgeschlossen. …
In diesen Worten gedenkt der [große]
Katechismus unsers freien Willens oder Zutuns mit keinem Wort, sondern gibt’s
alles dem Heiligen Geist, dass er durch’s Predigtamt uns in die Christenheit
bringe, darinnen heilige und verschaffe, dass wir täglich zunehmen im Glauben
und guten Werken.
Und obwohl die Neugebornen auch in diesem
Leben so weit kommen, dass sie das Gute wollen und sie es lieben, auch Gutes
tun und in demselben zunehmen, so ist doch solches (wie droben gemeldet), nicht
aus unserm Willen und unserm Vermögen, sondern der Heilige
Geist, wie Paulus selbst davon redet, wirkt solches Wollen und Vollbringen
Phil. 2. Wie er auch Eph. 2 solches Werk allein Gott zuschreibt, da er sagt:
‚Wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, zu welchen
uns Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.‘ …
Diese Zeugnisse sagen, dass wir aus eignen
Kräften zu Christus nicht kommen können, sondern Gott müsse uns seinen Heiligen
Geist geben, dadurch wir erleuchtet, geheiligt und so zu Christus durch den
Glauben gebracht und bei ihm erhalten werden, und wird weder unseres
Willens noch Mitwirkens gedacht.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 34.38-39.42)
„Nun bleibt gleichwohl auch in den
Wiedergebornen eine Widerspenstigkeit, davon die Schrift meldet, dass ‚das
Fleisch gelüstet wider den Geist,‘, ebenso die fleischlichen Lüste wider die
Seele streiten‘, und dass ‚das Gesetz in den Gliedern widerstrebe dem Gesetz im
Gemüt‘, Röm. 7.
Deshalb der Mensch, so nicht wiedergeboren
ist, Gott gänzlich widerstrebt und ist ganz und gar ein Knecht der Sünden. Der
Wiedergeborne aber hat Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen,
sieht aber gleichwohl in seinen Gliedern der Sünden Gesetz, welches widerstrebt
dem Gesetz im Gemüt: Deshalb so dient er mit dem Gemüt dem Gesetz Gottes, aber
mit dem Fleisch dem Gesetz der Sünde, Röm. 7.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 84-85)
Wenn aber die Sünde in einem Christen
wieder herrschend geworden und er damit aus der Gnade gefallen ist, muss er
wiederum bekehrt werden, so, wie er zuvor bekehrt worden war. „Wenn
aber die Getauften wider das Gewissen gehandelt, die Sünde in sich herrschen
lassen und so den Heiligen Geist in sich selbst betrübt haben und verloren: So
dürfen sie zwar nicht wiederum getauft, sondern müssen wiederum bekehrt
werden.“ (KF,
Ausf. Darl., II, 69)
Auch in der Geschichte geht es Luther um
die Alleinwirksamkeit Gottes: „Mit seinem unveränderlichen und ewigen und
unfehlbaren Willen sieht und ordnet er alles voraus und vollbringt es.“ (WA 18,
615, 13f.) Gottes Wirken ist also tatsächlich der einzige Grund allen
Geschehens, während es für ihn und seinen Willen keinen anderen Grund oder
Ursache außerhalb von ihm gibt und geben kann: „So sehen wir in allen Historien
und Erfahrung, wie er ein Reich aufwirft, das andere nieder, ein Fürstentum
erhebt, das andere niederdrückt, ein Volk mehrt, das andere vertilgt, wie er
Assyrien, Babylonien, Persien, den Griechen, Rom getan hat, die doch meinten,
sie würden ewig sitzen in ihrem Stuhl.“ (WA 7, 590, 9 ff.) Gott gibt also
Wachstum und Segen, Gott trägt für die Völker Sorge und leitet sie – oder gibt
sie dem Gericht hin. Für den Menschen scheint ja eher das Gegenteil real zu
sein, dass er, der Mensch, selbst doch in der Geschichte tätig sei, sie völlig
bestimme. Aber das erscheint nur vordergründig so. Tatsächlich sind sie alle in
Gottes Hand nur Marionetten; unter ihrem Tun liegt das eigentliche Tun, das Tun
Gottes, verborgen. Das heißt: Gott könnte natürlich ohne irgendeinen Menschen
sein Werk vollbringen, sein Ziel erreichen. Aber er hat beschlossen durch Menschen
in der Geschichte zu handeln. „So braucht er uns Menschen beide, im leiblichen
und geistlichen Regiment, die Welt und alles, was drinnen ist, zu regieren.“
(WA 23, 8, 33 ff.)
Auch diese Alleinwirksamkeit Gottes in der
Geschichte ist aber wieder antinomisch zu verstehen, das heißt, sie hebt nicht
die Verantwortlichkeit des Menschen für sein Tun in der Geschichte auf.
Vielmehr gibt es für uns Menschen der Geschichte gegenüber keine
„Zuschauerhaltung“. Gott will vielmehr, dass wir tätig sind, darum hat er ja
alles erschaffen. (Schon im Paradies waren Adam und Eva angewiesen zu
arbeiten.) Und für das, was wir tun (oder unterlassen) sind wir Gott
verantwortlich. Es gibt kein „neutrales Mittelreich“. Dass aber Gott der Herr
der Geschichte ist, dass er alles regiert und allein wirkt, ist dem
menschlichen Auge in dieser Zeit verborgen. Gott bleibt also dem Nichtchristen
völlig verborgen hinter den Menschen, die doch tatsächlich nur seine Larven
sind. [RS1] Auch
das gehört zu Kreuzestheologie. Nur so ist ein Wirken des Menschen in der
Geschichte möglich, denn sonst überließe er alles Gott.
Daher kommt es dann auch zu dem
Durcheinander und Ineinander von Recht und Unrecht in der Geschichte, auch
tritt viel Bosheit auf. Denn in der Welt erscheint der Teufel als der aktive
Gegenspieler Gottes, versucht, gegen Gottes Reich sein Gegenreich aufzubauen.
Dieses Gegeneinander gehört zum Wesen der Geschichte nach dem Sündenfall bis
zum Jüngsten Tag. Denn diese Geschichte ist nicht unendlich, sondern hat einen
von Gott gesetzten Endpunkt, der gewiss kommen wird.
Die von römischer
Seite immer wieder gegen die Evangelischen erhobene Beschuldigung auf
Antinomismus ist völlig unberechtigt, weil beide Teile
„gute Werke“ für notwendig erklären (Apol. IV (III), 3). Der Unterschied
zwischen ihnen ist nur der, dass die Evangelischen „auch zeigen, wie sie
geschehen können“ (Apol. IV (III), 15), wobei sich dann zugleich ergibt, dass
sie die Frage, worin gute Werke bestehen, richtiger beantworten als
ihre Gegner, ebenso die andere, warum das
Gute, das getan wird, Gott gefällt (Apol. IV (III), 19). – So hoch die
Römischen die guten Werke preisen, kennen sie doch deren wahres Wesen nicht.
Sie legen höchstes Gewicht auf „kindische und unnötige
Werke“, wie Fasten, Bruderschaften, Wallfahrten, Heiligendienst, Rosenkränze,
Mönchsstand und ähnliches (Augsb. Bek. XX, 3). Aber
aller von Menschen ohne Befehl Gottes erdachter Gottesdienst steht auf
derselben Stufe wie die Gottesverehrung der Heiden (Ausgsb.
Bek. XXVII, 36; Apol. XV, 14 ff.). Nur die Werke, die Gottes Befehl
haben, sind gut (Augsb. Bek. VI). Rom erhebt die Werke, die „seltsam“
(auffallend), „groß und schwer“ sind. Aber „was wir tun sollen, dass unser
ganzes Leben Gott gefalle“, das können wir aus den Zehn
Geboten ersehen, so dass außer diesen zehn Geboten „kein Werk noch Wesen
gut und Gott gefällig sein kann, es sei so groß und köstlich vor der Welt, wie
es wolle“ (Gr. Kat. I, 311 ff.). Wenn hier auch Luther „die
zehn Gebote“ als Inbegriff der Forderungen Gottes behandelt, so ist dies
keineswegs eine Herabsetzung des hohen christlich-sittlichen Ideals, wie Luther
es in der Bergpredigt gefunden, auf die
Stufe bloßer „Moralweisheit“; und diese angebliche Herabsetzung ist keineswegs
dadurch veranlasst, dass Luther nunmehr eine „universale
Kirche“, eine Massenkirche, im Auge hatte, „für die sich die religiöse
Volksethik Alt-Israels besser eignete als der rein auf persönliche
Innerlichkeit gerichtete Radikalismus der
Bergpredigt“. Denn dass Luther überhaupt den Dekalog als kompendiöse
Formulierung der göttlichen Forderungen zu verwenden wünschte, ist doch nicht
verwunderlich, da derselbe als solche allgemein vertraut war. Anstatt dessen
die weitläufige, und doch nicht
alle sittlichen Pflichten berücksichtigende, dazu dem
Gedächtnis schwer sich einprägende Bergpredigt einzusetzen, konnte er sich
nicht einfallen lassen. Es musste ihm darauf ankommen, dem beibehaltenen
Dekalog den reichen und tiefen Inhalt zu geben, wie Jesus in der
Bergpredigt hinsichtlich einiger Gebote getan hatte. Und von Anfang
an hat er die Ethik Jesu in dem Dekalog gelesen, hat bis zu seinem Ende die
Forderungen der Bergpredigt vertreten. Stets hat er die
zehn Gebote aus dem Gebot der Gottes- und Nächstenliebe
erklärt. Denn zum Wesen der christlichen Sittlichkeit gehört ein zweites. Nicht
jedes äußerlich einem Gebot
Gottes entsprechende Tun ist Gott wohlgefällig. Das äußere Werk muss Äußerung geistlicher
Bewegungen, der Bewegungen des Herzens sein (Apol. IV (III), 15.9).
Auf die Gesinnung, auf „das gute Herz
inwendig“, auf die selbstlose Liebe zu Gott und von daher auch zum
Nächsten, kommt es an; wo „das Herz nicht
dabei ist“, sind es „lose, taube, kalte Heuchlerwerke“ (Apol. IV (III), 15
deutsch). Fragt man aber, welches die gottgefällige Gesinnung ist, so ergibt
sich die dritte Bestimmung christlicher Sittlichkeit. Die
Römischen sehen auf die Vorschriften der zweiten Tafel des Dekalogs, um die
erste kümmern sie sich nicht. Aber die entscheidende Hauptsache ist die
Bewegung des Herzens gegenüber Gott, wie sie
vorgeschrieben ist in dem „ewigen, weit über alle menschliche Vernunft
hinausgehenden Gesetz: Du sollst Gott deinen Herrn lieben von ganzem Herzen“
(Apol. IV (III), 9 f.). Diese Liebe,
und nur sie, ist wirkliche Erfüllung des Gesetzes (Apol. IV (III), 168).
Ohne sie ist aller Gottesdienst, wie hoch, köstlich und heilig er scheine,
eitel Schale und Hülse ohne Korn, ja „eitel Unflat
und Greuel vor Gott“ (Apol. XXVII, 25
deutsch). Die Sittlichkeit besteht also gerade nicht zuerst und
vor allem im Unterlassen einzelner Sünden, wiewohl das auch dazu gehört,
sondern in der positiven Heiligung, in der Liebe. „Willst du das Gesetz
recht treffen und bei dem Kopf ergreifen, dass du wissest, was du tun und
lassen und wie du dich dazu schicken sollst und nichts bedürfest weiter suchen,
noch hin und her betteln? Dass du habest die Liebe.“ Denn „das Gesetz
gebietet nichts anderes als die Liebe.“[97] Wenn aber nur das, was
aus Liebe zu Gott und zum Nächsten geschieht, Gott wohlgefällig ist, so folgt
daraus, dass alles, wodurch der Mensch „nur das Seine sucht“ vor Gott nicht gut
ist, sondern Sünde. Alles, was aus Furcht vor Strafe oder Sucht nach Lohn oder
Ehre geschieht, ist damit Sünde, selbst wenn vor Menschen bürgerliche
Rechtschaffenheit dabei herauskommt.[98] Daraus, dass die
wahre Sittlichkeit aus dem von Liebe erfüllten Herzen hervorgeht, ergibt sich
die vierte Besonderheit, die von Luther sehr scharf betont
worden ist, in der Apologie mehr nur angedeutet, in der Konkordienformel aber
wieder hervorgehoben ist: Sie weiß nichts von einem Zwang, sondern ist durchaus
frei. Wohl entspricht sie dem, was Gottes Gesetz von uns fordert, aber
sie tut dies nicht, weil das Gesetz es so vorschreibt,
sondern ohne Rücksicht auf das Gesetz aus
freiem Willen. Denn das Gesetz ist dem wahren Christen ins
Herz geschrieben (Apol. IV (III), 2 ff. 98). „Daher“, wie die
Konkordienformel aus Luther zitiert, „der Mensch ohne Zwang willig und lustig
wird, jedermann Gutes zu tun.“ (Ausf. Darl. IV, 12.) Das
heißt: Alles, was nicht aus freiem, liebevollem Herzen geschieht, was noch
unter dem Eindruck geschieht, es müsse getan werden, ist kein reines
Werk vor Gott, denn ihm liegt letztlich ein geheimes Nichtwollen des Herzens
zugrunde. „Wenn du meinst, du müsstest es tun, ist schon ein Gewissen da
vom Gesetz, dazu Sünde und ein unreines Herz.“[99] Wozu also der Mensch sich
durchringen muss, was er nur aus Gehorsam vollzieht, ist kein Werk der
christlichen Sittlichkeit, so nötig es auch sein mag. Selbstüberwindung ist
wohl notwendig in diesem Leben, aber das ist noch nicht die Liebe.[100] Daher gilt
freilich noch nicht von allem Handeln des Christen,
dass es aus der reinen Liebe geschieht. Daher wiederholt
die Konkordienformel das von Luther häufig gebrauchte wichtige „so viel“: „Die Rechtgläubigen
leisten, so viel sie wiedergeboren, den Gehorsam nicht aus Zwang oder Treiben
des Gesetzes, sondern aus freiwilligem Geist.“ (Kurze
Darl. IV, 10.13.) Aber soweit dies auch noch nicht der Fall ist, sondern sie
noch irgendwie unter einem Zwang des ihnen gegenüberstehenden Gesetzes stehen,
ist noch nicht die christliche Sittlichkeit erreicht. Diese
geschieht freiwillig, von Herzen (KF, Ausf. Darl., IV, 17). Das
macht umso mehr deutlich, wie sehr auch die Werke, die wir als Christen tun,
noch von Sünde durchzogen sind.
Wohl gibt es auch
eine Sittlichkeit, der diese drei letzten Teile fehlen, „äußere Werke des
Gesetzes“, eine bürgerliche Gerechtigkeit, wie sie für das Zusammenleben
der Menschen erwünscht ist und darum Gott wohlgefällt (Apol.
IV (III), 9). Eine solche ist dem natürlichen Menschen auch außerhalb des
Christentums möglich, „weil die menschliche Vernunft von Natur in gewissem Maß
das Gesetz kennt. Denn ihr ist das gleiche Urteil
[wie der Dekalog es über des Menschen Tun fällt] von Gott ins Innere eingeschrieben“
(Apol. IV, 7). Nicht freilich „identisch“
sind die zehn Gebote „mit dem angeborenen natürlichen Gesetz“; denn jene gebieten
weit mehr als dieses Gewissen, „nicht nur äußere bürgerliche Werke, sondern
auch anderes, weit über die Vernunft Hinausgehendes“ (Apo. IV,
8), nämlich das rechte Herz und Handeln gegen Gott. Auch kann die Vernunft die
äußerlichen, bürgerlichen guten Handlungen nur „einigermaßen“ zustande bringen,
weil sie oft durch natürliche Schwachheit und durch des Teufels Anreizung zu
Schandtaten besiegt wird (Apol. IV, 23). Doch aber wird jene „bürgerliche
Sittlichkeit“, wie sie z.B. von Aristoteles in
vorzüglicher Weise gelehrt ist, von Gott gefordert. „Denn er will die
Fleischlichen durch jene bürgerliche Zucht in Schranken gehalten haben. Auch
ehrt Gott die Gerechtigkeit mit leiblichen Belohnungen.“ Dieses
natürliche Recht oder Naturrecht hat aber seine Bedeutung eben darin,
dass es Gott in der Schöpfung dem Menschen ins Herz geschrieben hat, es also
universale, objektive Relevanz hat, weshalb auch die Heiden darauf angesprochen
werden können, weil auch sie es wissen müssten (Röm. 2,14-15) und daher
schuldig sind vor Gott, wenn sie es nicht gehalten haben. Und die Zehn Gebote,
wie Mose sie uns gegeben hat, gelten ja nur allgemein insofern, als sie das
natürliche Recht wiedergeben, das aber eben die Gebote es am Klarsten darlegen[101].[102] Zusammenfassend besagt
es: Gott über alles fürchten und lieben; den Nächsten lieben; ihm das tun, was
man will, dass er einem tut und will ausgelebt werden in den Grundordnungen
Familie und Arbeit, Kirche, Staat und darin in den vielfältigen Lebensständen.[103] Doch ist solche
„philosophische oder wenigstens pharisäische Gerechtigkeit“ etwas
ganz anderes als „die christliche“ (Apol. IV, 14.16.22 ff.). Diese erwächst
nicht auf natürlichem Boden.
In verschiedener,
jedoch sachlich gleicher Weise beschreibt die Apologie die Entstehung der
wahren Sittlichkeit. Häufig begnügt sie sich mit der Angabe, der Heilige
Geist wirke sie; wie auch Luther manchmal verfährt
(z.B. Erl. Ausg. 14, 182 f.; vgl. dazu Wilhelm Walther: Die christliche
Sittlichkeit nach Luther, S. 46 ff.). „Weil der Glaube den
Heiligen Geist bringt und ein neues Leben in den Herzen schafft, kann es auch
nicht anders sein, als dass er neue geistliche Bewegungen in den Herzen
schafft. Und welches diese Bewegungen sind, zeigt der Prophet, wenn er sagt:
Ich will mein Gesetz in ihre Herzen geben. Nachdem wir also durch
den Glauben gerechtfertigt und wiedergeboren sind, fangen wir an, Gott zu
fürchten, zu lieben, zu bitten und von ihm Hilfe zu erwarten, zu danken und zu
preisen und in Leiden gehorsam zu sein. Wir fangen auch an, den Nächsten zu
lieben, weil wir die geistlichen und heiligen Bewegungen
haben.“ (Apol. IV (III), 4.) Hier
wird die enge und entscheidende Verbindung zwischen Rechtfertigung und
Heiligung deutlich, von der die Apologie mehrfach
spricht. Denn der rechtfertigende Glaube, den der Heilige Geist durch das
Evangelium wirkt, ist eben kein bloßer Gedanke, sondern bringt dann, als seine
Frucht und Folge, zugleich auch den Anfang der
Erneuerung mit sich. „So wir aber von einem
solchen Glauben reden, welcher nicht ein müßiger Gedanke ist, sondern ein
solches neues Licht, Leben und Kraft im Herzen, welche
Herz, Sinn und Mut erneuert, einen
anderen Menschen und eine neue Kreatur aus uns macht, nämlich ein neues Licht
und Werk des Heiligen Geistes, so versteht ja männiglich, dass
wir nicht von solchem Glauben reden, dabei Todsünde ist, wie die Widersacher
vom Glauben reden. Denn wie will Licht und Finsternis beieinander sein? Denn
der Glaube, wo er ist und dieweil er da ist, gebiert er gute
Frucht, wie wir darnach sagen wollen.“
(Apol. IV, 64 f.) Ja, die Heiligung
kann überhaupt nur geschehen, wenn zuvor der Mensch von Christus
durch seinen Geist wiedergeboren, mit dem rechtfertigenden Glauben beschenkt
wurde. „Dieses alles kann nicht
geschehen, ehe wir durch den Glauben gerecht werden, ehe wir neu geboren werden
durch den Heiligen Geist.
Denn erstlich kann niemand das Gesetz halten ohne die Erkenntnis Christi, so
kann auch niemand das Gesetz erfüllen ohne den Heiligen Geist. Den Heiligen
Geist aber können wir nicht empfangen als durch den Glauben, wie zu den
Galatern im 3. Kapitel, Vers 14 Paulus
sagt, dass wir die Verheißung des
Geistes durch den Glauben empfangen.“
(Apol. IV (III), 5 f.) Wenn er aber den
Glauben wirkt, dann bringt er auch seine Gaben mit, durch die er den Menschen
neu gestaltet, denn der rechte Glaube kann gar nicht ohne Folge, Frucht sein,
so, wie ein gesunder Baum nicht ohne Frucht sein kann. „Ebenso wirkt er auch
andere Gaben, Liebe, Danksagung, Keuschheit, Geduld usw. Darum vermag das
Gesetz niemand ohne den Heiligen Geist zu erfüllen, darum sagt Paulus: Wir
richten das Gesetz auf durch den Glauben und tun’s nicht ab; denn so können wir
erst das Gesetz erfüllen und halten, wenn der Heilige
Geist uns gegeben ist.“
(Apol. IV (III), 11.) „Und wir setzen noch
dazu, dass es unmöglich sei, dass rechter Glaube, der das Herz tröstet und Vergebung der
Sünden empfängt, ohne die Liebe Gottes sei.“
(Apol. IV (III), 22.) All ihre Kraft und Gutheit haben die Werke
vom Glauben empfangen.[104] Denn: Es geht eben bei
den guten Werken, den Werken, dem Leben, das Gott wirklich wohlgefällig ist,
nicht um das äußere Handeln, nicht um die äußere Übereinstimmung mit dem
Buchstaben des Gesetzes, sondern es geht immer um die Herzenshaltung, um die
Motivation, ob es aus Liebe zu Gott und zum Nächsten geschehen ist oder nicht.
Denn nur das, was aus dieser Liebe geht, kann Gott gefallen. (Dabei merkt auch
der Christ, dass er nicht ein einziges vollkommenes Werk tun kann, weil bei
allem immer noch seine Selbstliebe und anderes Sündiges dabei ist.)[105] Damit ist auch klar,
dass echte christliche Diakonie, wie wir sie schon in der frühen Gemeinde
finden, nur von Gläubigen ausgeübt werden kann.
Dieses umfassende
Wirken des in
uns wohnenden Christus
durch seinen Geist soll man
sich aber nicht als magisch vorstellen, wozu die Katholiken und die Reformierten
neigen. Daher sucht die Apologie diesen auf der Einwirkung des Geistes
beruhenden Vorgang psychologisch zu vermitteln. Das durch die vom Heiligen
Geist gewirkte Sündenerkenntnis erschreckte Herz sehnt sich nicht nur nach
„Vergebung der Sünde“, sondern auch
nach „Befreiung von der Sünde“; es möchte
also nicht mehr sündigen (Apol. IV (III), 21 ff.). Zu diesem Negativen kommt
dann durch das gläubige Ergreifen der Vergebung das Positive:
Das erschreckte Gewissen „schöpft Trost, der es aufrichtet“, und dieses Getröstetwerden
ist „ein neues und geistliches Leben“ (Apol. IV, 62),
es bewirkt „Friede und Freude und ewiges Leben“ (Apol. IV, 100). Dadurch
„erwachsen im Herzen weitere geistige
Bewegungen, Erkenntnis Gottes, Furcht Gottes, Hoffnung, Liebe zu Gott“
(Apol. IV (III), 230). Damit hat Melanchthon in seiner Weise den von Luther oft
ausgesprochenen Gedanken wiederholt, dass die Freude über das in der
Rechtfertigung von Gott Empfangene, das Bewusstsein, das ewige
Leben zu besitzen, uns innerlich umwandelt, so dass wir Gottes Willen tun
wollen und können (vgl. z.B. Erl. Ausg. 33,110; 7,167). Endlich formuliert die
Apologie das Gleiche so: Wenn wir „im Glauben
die Barmherzigkeit ergriffen haben“, dann „wird uns Gott liebenswertes
Objekt“ und „wird von uns geliebt“ (Apol. IV (III), 8). „Der Glaube geht voran,
die Liebe folgt.“ (Apol. IV (III), 20).
Die Liebe Gottes, die wir im Glauben erfahren haben, erzeugt Liebe zu Gott,
also die wahre Sittlichkeit. So gibt
Melanchthon die Gedanken Luthers wieder: „Der Glaube alsobald mit sich bringt
die Liebe.“ Denn „durch den Glauben erkenne ich, wie lieb Gott mich hat … So
ist es nicht anders möglich, ich muss ihn darum lieb haben und ihm hold sein.“
(Erl. Ausg. 16,127; 15,40). Dieses liebende
Erbarmen Gottes in Jesus Christus wirkt als Frucht, als Antwort der Liebe des
Christen, „dass wir unsere Leiber begeben zu einem Opfer, dass da lebendig,
heilig und Gott wohlgefällig ist, welches sei unser vernünftiger Gottesdienst“
(Röm. 12,1). Dieses „Opfer des Leibes“ beschreibt, wie Vers 2 bekräftigt, die
Hingabe des ganzen Ich, der ganzen Person, die völlige Selbstverleugnung, die Hingabe
an Christus, die allerdings einmal grundsätzlich erfolgen muss, das Festmachen
dessen, was Christus uns gegeben hat, um dann täglich entfaltet, umgesetzt zu
werden im täglichen Kampf gegen die Sünde, im täglichen Sterben des alten Ich,
täglicher Erneuerung, täglichem Leben aus der Vergebung, in guten Werken. „So
lehrt auch St. Petrus 1. Ep. 2,5: ‚Ihr sollt opfern geistliche Opfer‘, das ist,
nicht Schafe noch Kälber, wie im Gesetz Moses, sondern euren eigenen Leib und
euch selbst, durch Tötung der Sünde im Fleisch und Kasteiung des Leibes. Das
tut niemand, als der zuvor gläubig ist.“ (Walch XI, 273.) Es sind also Glaube
und Liebe, Rechtfertigung und Heiligung unzertrennlich miteinander verbunden.
Die wahre Sittlichkeit ist nichts anderes als die Erweisung des durch die
Rechtfertigung geschaffenen neuen Lebensstandes, wobei aber die
Rechtfertigung immer im Zentrum bleibt. In der
Sittlichkeit wird dabei alles durch die Liebe regiert. „Alles, was Gott
gebietet und haben will, ist die Liebe.“[106] Die Liebe, die hier
gemeint ist, die agapee, die aus der Liebe Gottes kommt, hat keinerlei eigenes
Interesse dabei, sucht in keiner Weise das Eigene. „Die Natur der Liebe besteht
darin, nicht das Seine zu suchen, sondern das, was des Geliebten ist.“ (Erl.
Ausg. Opp. ex. 14, 288.)[107] Dabei besteht aber
zwischen der Liebe zu Gott und zum Nächsten ein grundsätzlicher Unterschied:
Die Liebe zu Gott vergisst nie den ungeheuren Abstand zwischen Gott und Mensch
und ist daher gepaart mit der rechten Ehrfurcht gegenüber dem heiligen,
gerechten und doch so barmherzigen Gott.[108] Luther hört daher aus
jedem göttlichen Verbot ein Gebot heraus, die Forderung einer Liebeserweisung,
wie er auch in den Erklärungen zu den zehn Geboten im Kleinen Katechismus
darlegt.[109]
Die wahre Sittlichkeit ist also weder, wie bei den Römischen, etwas durch
äußere Vorschriften und Drohungen oder
Verheißungen Hervorgerufenes, noch auch, wie bei den Reformierten, das Ergebnis
eines außer der Rechtfertigung noch erforderlichen zweiten Tuns Gottes. Dies
ist das Besondere der lutherischen Ethik, wie Luther in den Schmalkaldischen
Artikeln sagt, „dass wir durch den Glauben ein anderes, neues, reines
Herz kriegen“ (III, XII). Die große Bedeutung
dieser Auffassung erhellt schon aus der Folgerung, „dass kein Glaube da sei,
wenn nicht gute Werke folgen“ (Apol. IV (III), 143),
oder, falls ein Mensch trotzdem zu glauben meint, „so ist der Glaube falsch und
nicht recht“ (Schm. Art. III, XII, 4). Ebenso folgt aus der
unlöslichen Verbindung von Glauben und Sittlichkeit, dass ein gläubiger Christ,
der wieder direkt böse Werke zu tun, das heißt, mit Überlegung und Wohlgefallen
zu sündigen vermag, dann, wenn er so handelt, schon den Heiligen Geist und
Glauben verloren hat (Apol. IV (III), 98
ff.; Erl. Ausg. 27,195). All das macht auch deutlich: Die Liebe zu
Gott ist keine bloße Gesinnung, kein mystisches Gefühl, sondern Gesinnung und
Handeln gehören da zusammen. „Liebe heißt nicht, wie die Sophisten
töricht behaupten, den anderen Gutes wünschen, sondern die Lasten des anderen
tragen.“ (zu Gal. 3, 456. 76.)[110] Die Liebe zu Gott
erweist sich in der Liebe zum Nächsten. „Siehe nur auf den Nächsten, willst du
mir die Werke der Liebe erzeigen. Was du dem Menschen tust, das hast du eben
mir selbst getan.“ (Erl. Ausg. 17, 260.)[111] Und die Nächstenliebe,
und das ist ganz wichtig, erzeigt sich nicht nur in der äußeren Handlung, so,
als könne das Herz dabei kalt bleiben, sondern die Taten der Nächstenliebe
sollen aus Herzensgrund kommen, wir sollen eine herzliche Liebe zum Nächsten haben
und ihm daraus helfen (Erl. Ausg. 8, 74; 51, 439).[112] Gottesliebe und
Nächstenliebe gehören zusammen, aber in der rechten Ordnung: Die Gottesliebe
ist das Primäre und Bestimmende; es kann keine rechte Nächstenliebe geben, die
nicht aus der Liebe zu Gott kommt. Und die Liebe zum Nächsten muss immer der
Liebe zu Gott untergeordnet sein. Das macht Luther schon deutlich durch den
Anfang der Erklärung zu jedem Gebot: „Wir sollen Gott fürchten uns lieben.“
„Alle anderen Gebote, auch die göttlichen, müssen reguliert werden nach dem
ersten Gebot. Wenn sie diesem widersprechen, so sind sie zu kassieren, auch
wenn es göttliche sein sollten.“ (WA 14, 610, 12 ff.)[113]
Die Heiligung oder christliche Sittlichkeit
entfaltet sich in den (Lebens-)Ständen, in die Gott einen Menschen
hineingestellt hat. Luther unterscheidet dabei drei grundsätzliche Stände,
nämlich den Hausstand, der den gesamten wirtschaftlichen Lebensbereich mit
umfasst; den kirchlichen Stand, der die kirchlichen Dienste umfasst; und den
Wehrstand, der alles umschließt, was zur Regierung und staatlichen Verwaltung
gehört. In diesen Ständen, die dann noch weiter die einzelnen Lebensbereiche
umschließen, in denen sich das Leben entfaltet, übt der Christ seinen „Beruf“
aus[114], also die verschiedenen
Aufgaben, in die er von Gott gesetzt ist, als Vater oder Mutter, Sohn oder
Tochter, Regent oder Untertan, Unternehmer oder Arbeitnehmer, Lehrer oder
Schüler, Mann oder Frau usw. Im Unterschied zu Rom, das die kirchlichen
Amtsträger mit der Zwei-Schwerter-Lehre und seiner Hierarchielehre aus der
gesellschaftlichen Ordnung herausgenommen hat, werden sie von Luther wieder in
die Gesellschaft eingegliedert, überhaupt die „weltlichen Stände“ aufgewertet.
Jeder ist dabei „geistlich“, soweit er aus dem Glauben an Christus und in
Verantwortung vor ihm dem Gemeinwohl, dem Nächsten dient.[115] Damit wird auch
deutlich, dass Luther und die lutherische Kirche nicht einem extremen
Individualismus huldigen, sondern gemäß der Bibel die Eingliederung des
Menschen in die von Gott gegebenen sozialen Grundordnungen von Familie, Sippe,
Arbeitsunternehmen, Volk und Kirche beachtet als von Gott vorgeordnete
Einrichtungen für das menschliche Zusammenleben, durch die er die Welt regiert.
Auch wenn diese Einrichtungen Gott zum Urheber haben, so sind doch auch sie von
der Sünde in Mitleidenschaft gezogen und stehen unter der Gefahr des
Missbrauchs, ja, der Pervertierung.[116]
Die Nächstenliebe, und auch das ist gerade
in der heutigen Zeit wichtig zu betonen, gilt dem Menschen, nicht Pflanzen oder
Tieren, denn die Gnade Gottes in Christus gilt seinem Ebenbild, dem Menschen,
der allein „befähigt ist, vom Geist ergriffen und von der Gnade Gottes getränkt
zu werden, weil er geschaffen ist zum ewigen Leben oder Tode“, im Unterschied
von den „Bäumen und Tieren“. (Erl. Ausg. Opp. v.a. 1, 235, 246; 7, 158.)[117] Die Selbstliebe dagegen
ist nicht, wie vor Luther und dann wieder im Pietismus behauptet, geboten, denn
das steht so nicht im Doppelgebot der Liebe. Denn sie ist vielmehr vorhanden
und soll als das beste Bespiel dafür dienen, wie die Nächstenliebe beschaffen
sein soll. Dabei ist die Selbstliebe beim natürlichen Menschen nicht gut,
sondern muss erst durch die Liebe zu Gott gereinigt und korrigiert werden.[118]
Die Heiligung vollzieht sich dabei, wie
Luther es gerade im vierten Teil des Hauptstücks von der Taufe dargelegt hat,
im täglichen Kampf gegen die Sünde, im täglichen Töten des alten Menschen und
Aufstehen des neuen – und zwar eben in den Lebensständen, in denen der Mensch
lebt, mit dem Ziel, Gott im Nächsten zu dienen, also für andere da zu sein.[119] „Gott hat jedem Heiligen
seine besondere Weise und Gnade gegeben, seiner Taufe Folge zu leisten.“[120] Es geht dabei immer
darum, nicht nur nicht zu sündigen, sondern vielmehr, die Liebe Gottes am
Nächsten zu üben, denn sie zu unterlassen ist die Hauptsünde. „Die Liebe ist
die Regel und Meisterin aller Gesetze, welche sich alle müssen
lenken nach der Liebe.“[121] Denn „wenn man die
Gesetze lehrt und treibt ohne Liebe, da ist kein größer Unrecht, kein elenderer
Jammer auf Erden. Denn da ist das Gesetz nichts anderes als eine Plage und
Verderben.“[122]
Es geht dabei nicht um besondere Werke, die Gott von uns fordere, sondern durch
unser Leben, unser Geschlecht, unsere persönlichen Lebensumstände, unseren
Beruf stellt er uns in die Verhältnisse und zu den Menschen hinein, bei denen
wir die Gottes- und Nächstenliebe betätigen sollen. „Daran hat er
Wohlgefallen“, weil er diese „Stände und Ordnungen geschaffen und geordnet
hat.“[123]
Wer also in dem ihm von Gott zugewiesenen Beruf, wie scheinbar gering er auch
von Menschen angesehen ist, und den von Gott mit ihm verbundenen Menschen um
Gottes willen dient, der lebt „Gott zu Ehren und dem Nächsten zu Nutz“. Solches
Dienen um Gottes willen ist ein rechter Gottesdienst.[124]
Nicht nur vom Glauben
hat Luther gesagt: „Es ist und bleibt auf Erden nur ein Anheben und Zunehmen“
(Erl. Ausg. 27,188), sondern dieselbe Forderung erhebt
er hinsichtlich der Sittlichkeit: Es ist darum getan, dass wir unsere
Schwachheit erkennen und immer trachten,
dass wir stärker werden. Es ist erst ein Anfang, darin man von Tag zu Tag
zunehmen soll. Man soll sich damit arbeiten,
solange, bis man stärker
und stärker wird.“ (Erl. Ausg. 11, 284.) Ebenso begegnen wir auch schon in der
Apologie immer wieder der Mahnung, in den Tugenden zu wachsen (z.B. IV
(III), 232; XXVII, 37). Über die Frage aber,
weshalb „gute Werke“ notwendig sind, erhob sich ein Streit, als Georg
Major, Professor in Wittenberg, 1552 behauptete, „dass
gute Werke zur Seligkeit nötig sind“. Deswegen von Flacius, von Amsdorf
und Gallus angegriffen, erklärte er sich näher dahin, die guten Werke seien
nötig, nicht um die Seligkeit zu erlangen, sondern um sie zu erhalten
und nicht wieder zu verlieren. In der Hitze des Streits verstieg
sich von Amsdorf zu der Behauptung: „Gute Werke sind zur Seligkeit schädlich“,
sich auf Luther berufend, der aber hinzugefügt hatte: „so jemand dadurch gerechtfertigt
zu werden sich wollte vermessen“ (Erl. Ausg. 27,188). Im Gegensatz zu jenem
missverständlichen und diesem falschen und „ärgerlichen“ Satz erklärte die
Konkordienformel in ihrem vierten Artikel „Von guten Werken“
(Kurze Darl. IV; Ausf. Darl. IV) nach einer die nicht strittigen Lehrpunkte
zusammenfassenden Einleitung: 1) Objektiv
notwendig sind gute Werke, weil sie der „Ordnung des
unwandelbaren Willens Gottes, dessen Schuldner wir sind“, entsprechen.
Subjektiv geschehen gerade „die rechten guten Werke“ ohne Zwang, „willig oder
aus freiwilligem Geist von denen, die der Sohn Gottes befreit
hat“, wenngleich auch in ihnen noch das „unwillige und widerspenstige Fleisch“
bleibt, so dass sie es mit seinen Lüsten kreuzigen müssen. Denn nicht in dem
Sinn sind die guten Werke frei, als stünde es in unserem Belieben, ob
wir sie tun oder lassen sollen. 2) Man darf nicht sagen, die guten Werke seien
nötig zur Seligkeit, weil man sie damit einmengen würde in den Artikel
von der Rechtfertigung, die mit der Seligkeit allein dem Glauben zugesprochen
ist. 3) Auch darf man nicht sagen, die Werke seien nötig, um die Seligkeit oder
den Glauben zu bewahren. Wohl gehen der Glaube
und die Seligkeit verloren, wenn man ein sündliches Leben führt. Nicht aber
wird positiv die Seligkeit erhalten durch die Werke. Vielmehr „ist der Glaube
das einzige Mittel, dadurch Gerechtigkeit und Seligkeit nicht allein empfangen,
sondern auch von Gott erhalten wird.“. „Wir glauben, lehren und
bekennen auch, dass den Glauben und die Seligkeit in uns nicht die Werke,
sondern allein der Geist Gottes durch den Glauben erhalte, dessen Gegenwart und
Innewohnung die guten Werke Zeugen sind.“ (KF, Kurze Darl. IV, 15.) 4)
Schädlich werden die guten Werke nur dann, „wenn man
das Vertrauen der Seligkeit darauf setzen will“. Aber ohne diese Hinzufügung
sie für schädlich zu erklären, kann nur Zuchtlosigkeit hervorrufen.
Fehlende gute Werke, fehlende
Sittlichkeit weisen hin auf einen fehlenden Glauben. „Inwendig im Geist, vor
Gott, wird der Mensch allein durch den Glauben ohne alle Werke
gerechtfertigt; aber äußerlich und öffentlich, vor den Leuten und vor ihm
selber, wird er rechtfertig durch die Werke, das ist, er wird bekannt
und gewiss dadurch, dass er inwendig rechtschaffen gläubig und fromm sei.“
(Erl. Ausg. 13, 304 f.)[125] Denn: Der wahre Glaube
ist nicht eine bloße Überzeugung, dass einem Gott gnädig sei, sondern vielmehr
Erfassen eines objektiven Tatbestandes, tatsächlich vorhandener
Sündenvergebung. Es gibt also auch einen eingebildeten Glauben, eine
unberechtigte Heilsgewissheit. Worin liegt da nun der Unterschied zwischen
wahrem und eingebildetem Glauben? Gewiss nicht in irgendwelchen frommen
Gefühlen oder Stimmungen oder großer Andacht beim Abendmahl oder dem Lesen des
Wortes Gottes oder dem Singen christlicher Lieder, auch nicht ein „frohes
Lebensgefühl. Luther lässt nur ein Kennzeichen gelten: „Auf dass wir uns
nicht betrügen und auf falschen Glauben verlassen, fordert Gott, dass wir lieben
und den Glauben beweisen, auf dass wir gewiss werden, dass wir recht
glauben.“ Denn „ob’s wohl wahr ist, dass wir durch den Glauben alles haben und
erlangen: Aber wo wir nicht auch den Glauben scheinen lassen durch die Liebe,
so wird es gewiss nicht sein, sondern ein lauter falscher Traum von Glauben,
damit du dich selbst betrügst. Darum siehe auf deine Früchte. Und wo die
nicht rechtschaffen sind, tröste dich nur nicht deines falschen Wahns vom
Glauben und der Gnade.“ (Erl. Ausg. 8, 122; 18, 330.)[126] „Es ist kein
Glaube, was nicht das Herz verändert, einen neuen Menschen erzeugt, sondern ihn
in seinem früheren Meinen und Wandel lässt.“ (Luther zu Gal. 2,1 f.)[127] „Denn wenn man von
dem Glauben redet, wie er gerecht mache, so ist St. Pauli Lehre, dass der
Glaube allein gerecht mache ohne Werke, indem er uns den Verdienst Christi, wie
gesagt, appliziert und zueignet. Wenn man aber fragt: Woran und wobei ein
Christ entweder bei sich selbst oder an anderen erkennen und unterscheiden möge
einen wahren lebendigen Glauben von einem gefärbten toten Glauben, weil viele
faule sichere Christen sich einen Wahn vom Glauben einbilden, da sie doch
keinen wahren Glauben haben: Darauf gibt die Apologie diese Antwort: Jakobus
nennt toten Glauben, wo nicht allerlei gute Werke und Früchte des Geistes
folgen. Und auf solche Meinung sagt die lateinische Apologie: … St. Jakobus
lehrt recht, da er verneint, dass wir durch einen solchen Glauben
gerechtfertigt werden, der ohne die Werke ist, welches ein toter Glaube ist.“
(KF, Ausf. Darl. III, 42.) Das macht
auch deutlich: Es gibt zwar unbedingt eine klare Unterscheidung zwischen
Rechtfertigung und Heiligung, aber es darf keine Scheidung der Heiligung von
der Rechtfertigung geben als verschiedenen „Stufen“ des Christseins oder als
etwas, das zeitlich auseinanderliegende Akte wären. Es gibt vielmehr nur eine
Heiligung, die durch den Heiligen Geist im wahren Glauben, welche uns sowohl
objektiv wie auch subjektiv gerecht oder heilig macht.[128] Daher hat Luther auch
mit Bedacht den dritten Glaubensartikel im Kleinen Katechismus überschrieben
„Von der Heiligung“. Dabei geht es aber nicht nur um die äußeren Werke an sich,
da sich da sowohl ein Christ als auch ein Nichtchrist sehr täuschen kann. Kann
doch auch ein Nichtchrist äußerlich (bürgerlich) gute Werke vollbringen, die
aber nur den Schein haben, gute Werke zu sein, aber von Gott nicht
angenommen werden, weil das Entscheidende fehlt, was nur der Glaube haben kann:
die Liebe zu Gott und zum Nächsten. Und merkt jemand, der ein Christ sein will,
dass ihm die Liebe noch fehlt, so erkennt er auch, dass sein Glaube nur
eingebildet ist.[129]
Was ist aber unter dem „inneren“ und
„äußeren Zeugnis des Heiligen Geistes“ zu verstehen? Nicht das bloße
Fürwahrhalten der reinen Lehre und der fleißige Gebrauch der Gnadenmittel;
nicht ein „Gefühl der Begnadigung“ und die „Meidung der Welt“, denn die Gefühle
sind trügerisch und die Meidung irgendwelcher Einzeldinge kann der Nichtchrist
ebenso; auch nicht ein Prüfen des „Fortschritts“ in der Heiligung, sondern es
geht darum, ob das Wirken des Heiligen Geistes überhaupt zu erkennen ist..[130] Das Zeugnis des Heiligen
Geistes wird gegeben durch die Liebe, und zwar zu Gott und zum Nächsten. „Du
hast auch äußerliche Zeugnisse und Wahrzeichen, dabei du erkennst, dass der
Heilige Geists in dir wirkt: Dass du glaubst an Christus von Herzen und den
dreieinigen Gott in solchem Glauben anrufst und von ihm Hilfe erwartest; dass
du Lust und Liebe hast zu seinem Wort, dasselbe vor aller Welt bekennst mit
Gefahr Leibes und Lebens; ebenso dass du dem gottlosen Wesen und Sünden feind
werdest und widersteht usw., welches alles nicht tun noch vermögen die
Unchristen, so den Heiligen Geist nicht haben.“ (Erl. Ausg. 9, 179.)[131] Auch die Freude in
Christus gehört zu den Früchten des Geistes und bleibt auch unter äußerem Leid
und Not. „Das Kreuz bewährt alles. Der Gottlosen Freude übersteht dieses Kreuz
nicht. Eine andere Frucht, die folgt ist … gottlose Fabeln verabscheuen, Verleumdungen,
Obszönitäten und ähnlichen Schmutz der Welt.“ (Erl. Ausg. Opp. ex. 14, 266 f.
vgl. noch Opp. ex. 13, 162; 14, 242; 15, 10 ff.)[132] (inneres Zeugnis des Heiligen
Geistes.)
Wie die Liebe zu Gott, so sind auch die
Ausdrücke der Liebe zum Nächsten Kennzeichen des Wirkens des Heiligen Geistes
am Herzen des Menschen. „Findest du es so, dass du deinem Feind hold
seiest und dich deines Nächsten annehmest und helfest ihm, seinen Jammer und
Leid tragen, so geht es recht.“ (Erl. Ausg. 11, 183.)[133] Zu den wichtigen und
sicheren Zeichen gehört auch das Vergeben, wie Gott uns vergeben hat, also
willig, ohne Bitterkeit im Herzen zurückzulassen, völlig, also das erfahrene
Unrecht vergessen. Denn das ist dem natürlichen Menschen unmöglich.[134] (äußeres Zeugnis des
Heiligen Geistes: sittliche Veränderung.) Warum brauchen wir diese Zeugnisse
des Heiligen Geistes? Weil auch der Glaube in diesem Leben noch nicht
vollkommen ist, sondern immer noch angefochten, wir seine Mangelhaftigkeit oft
fühlen und wir uns auch prüfend vergewissern sollen, dass wir uns den Glauben
nicht einbilden.[135]
Letzte Gewissheit aber hat der
Christ nie aus seinen Werken, seiner Liebe, weil er deren Unvollkommenheit
immer erkennen muss, sondern allein daraus, dass er sich gerade wegen seiner
Sünden, seiner mangelhaften Werke, seiner mangelhaften Liebe an Christus, sein
blutiges Leiden und Sterben, sein vollbrachtes Erlösungs- und Versöhnungswerk
hält. Der Sünder kann umgekehrt aus dem Fehlen der Liebe erkennen, dass
ihm der rechtfertigende Glaube noch fehlt. „Denn wer nicht liebt, das ist
ein gewisses Anzeichen, dass er nicht gerechtfertigt, sondern noch im Tod sei
oder die Gerechtigkeit des Glaubens wiederum verloren habe.“ (KF, Ausf.
Darl. III, 27.) Aber der Christ setzt seine Gewissheit nicht auf sich
selbst, seinen Glauben, seine Werke, seine Liebe, sein Voranschreiten im
Glauben, seine Erfahrungen, die er macht, sondern allein auf Jesus
Christus, seinen Retter.
Daraus, dass unser Heil allein in Gottes
Hand liegt, zu schließen, dann könne der einmal Bekehrte, Wiedergeborene nicht
mehr verloren gehen, wäre völlig falsch. Die Gefahr ist vielmehr gegeben, das
wieder zu verlieren, was Gott uns gegeben hatte, und dann doch der
Verdammnis anheimzufallen. „Denn wir sind noch nicht gar hindurch noch hinüber,
da wir hin wollen, sondern gehen noch unterwegs, da wir müssen immer fortfahren
in dem angefangenen Kampf wider alle Gefahr und Hindernis, so uns stößt. …
Allein, dass wir nicht abfallen und die Gnade von uns schlagen durch
Unglauben, Undankbarkeit, Ungehorsam und Verachtung seines Wortes.“ (Erl. Ausg.
9, 13.)[136]
Die Seligkeit, die der Gläubige schon hat, kann er also verlieren, wenn er den
Glauben wieder verliert. Wodurch kann das geschehen? Nun, der Teufel greift uns
vielfältig an, will uns in Irrglauben, Sünde, Misstrauen gegen Gott verführen;
Gott lässt Trübsal, Kreuz zu – durch all das sollte der Glauben wachsen. Aber
wenn wir nicht mehr den Kampf gegen die Sünde konsequent führen, wenn wir nicht
mehr um das Gute eifern, dann ist die Gefahr ganz groß, dass der Heilige Geist
betrübt wird und wir willens werden zur Sünde und damit abfallen aus der Gnade.
Die Sünde greift zwar an, reizt, will verführen, will wieder herrschen – aber
wir dürfen sie nicht herrschen lassen, daher auch nicht mit ihr spielen. Es
gilt, stets dem Trieb des Heiligen Geistes, dem Wort Gottes, zu folgen, der
Sünde aber nicht folgen, sich nicht von ihr überwältigen lassen, sondern ihr
widerstehen und sie ausfegen. Und dann, wenn man ihr doch gefolgt ist,
unbedingt konsequent wieder umkehren, Buße tun, die Sünde Gott bekennen, sich
von ihr trennen, die Vergebung Christi ergreifen. Wer dennoch, obwohl er in der
Sünde bleibt, meint, noch in der Gnade zu stehen, wird spätestens beim Sterben
merken, dass er kein freudiges Herz dabei hat.[137] Der Abfall geschieht
dann, wenn der Wille sich für das Böse entschieden hat, da die Liebe zur Sünde
die Liebe zu Gott verdrängt. „Wenn die heiligen Leute etwa in öffentliche Sünde
fallen, wie David in Ehebruch, Mord und Gotteslästerung, alsdann ist der Glaube
und Geist weggewesen. … Tut die Sünde, was sie will, so ist der Heilige
Geist und Glaube nicht [mehr] dabei.“ (Erl. Ausg. 25, 195.)[138] Die Gefahr der fleischlichen
Sicherheit ist leider immer da, nämlich dass an die Stelle des herzlichen
Glaubens ein äußerliches Ritual tritt, bei dem man sich irgendwo vielleicht
noch als Sünder weiß, noch die Bibel liest, in den Gottesdienst geht, das
Abendmahl empfängt – und doch nicht mehr mit dem Herzen dabei ist, nicht mehr
von Gottes Gesetz sich richten lässt, keine wahre Reue mehr hat, keine tägliche
Sündenerkenntnis, Umkehr und Vergebung und so meint, doch von Gott angenommen
werden zu müssen wegen der äußeren Rituale. Dagegen hilft nur aufrichtiges
Gebet um ständige rechte Sündenerkenntnis, Reue, Umkehr, Vergebung,
konsequenter täglicher Gebrauch der Bibel, Besuch des Gottesdienstes, Empfang
des Abendmahls und ein Leben aus der Liebe Gottes in einem Glauben, der wieder
in der Liebe tätig ist.
Diese Sätze ergeben nun auch, dass die
wahre Sittlichkeit eine fortschreitende sein muss. Ist sie
Gottes unwandelbarer Wille und bleibt auch in den Gerechtfertigten das sündige
Fleisch, so wird Gottes Wille auf Erden niemals vollkommen erfüllt, sondern
dies bleibt das Ideal, dem der Christ immer näher kommen soll. Der
Glaube muss beständig gemehrt werden, soll er nicht zurück gehen. „Das sollte
aller Christen einiges Werk und Übung sein, dass sie das Wort und Christus wohl
in sich bildeten [und dadurch] solchen Glauben stetig übten und mehrten.“
„[Denn] wo der Glaube nicht immer geübt und getrieben wird, so nimmt er ab,
dass er wohl erlöschen müsste.“ (Erl. Ausg. 27, 188; 14, 253.)[139] Der Gläubige
steht deshalb im täglichen Kampf
und muss wachsen, damit nicht schwerere Kämpfe ihn später überwältigen,
weil er, wie Luther es usdrückte, „Gerechter
und Sünder zugleich“
ist, ganz gerecht nach dem neuen Menschen, ganz sündig
nach dem alten Menschen, weil das alte sündige Ich,
der „alte Adam“, immer noch vorhanden ist und auch nie besser wird, genauso
sündig ist wie bei den Nichtchristen. „Wenn man einen Christen
ansieht nach dem Glauben, so ist er lauter und rein. Denn das Wort
Gottes hat nichts Unreines an sich, und wo es ins Herz kommt, dass es daran
hängt, so muss es dasselbe auch gar rien machen. … Weil aber der Glaube im
Fleisch ist und wir noch auf Erden leben, so fühlen wir zuzeiten böse
Neigung, wie Ungeduld und Furcht des Todes. Das sind alles noch Gebrechen des alten
Menschen. Denn der Glaube ist noch nicht gar durch gar durchwachsen, hat
nicht vollkommen Gewalt über das Fleisch.“ (Erl. Augs. 51, 404 f.)[140] Darum gibt es auch kein
einziges vollkommenes Werk des Christen, sondern jedes Werk ist eine Mischung.
„Ein gutes Werk, auf das allerbeste getan, ist dennoch eine tägliche (läßliche)
Sünde.“ (Erl. Ausg. 24. 135. 139.)[141] Darum
braucht, wie Luther es im vierten Teil des Hauptstücks von der Taufe schon im
Kleinen Katechismus ausgeführt hat, auch der Christ dies tägliche Leben aus der
Taufe, das heißt, dass das, was grundsätzlich in der Taufe geschehen ist,
nämlich dass der alte Mensch mit
Christus gekreuzigt, in den Tod gegeben wurde und ein neuer Mensch mit Christus
hervorkam, nun auch täglich praktiziert wird im täglichen Kampf gegen die
Sünde, im täglichen Töten des alten Ich mit seinen
Lüsten und Begierden, in täglicher Sündenerkenntnis, Reue, Umkehr, Ergreifen
der Vergebung, täglicher Erneuerung der Hingabe an Christus,
des willentlichen Ja zur Nachfolge Jesu Christi als
dem Erlöser und Herrn, was jeder Christ, wenn er sich seiner Rechtfertigung
bewusst geworden ist, als dankbare Frucht derselben grundsätzlich
festmachen sollte (Röm. 12,1; 2. Kor. 5,14-15; 2. Petr. 1,10). Das
ist die tägliche Buße
oder Bekehrung, ohne die niemand auf Dauer im Glauben, in der Gnade Gottes
bleiben kann (siehe auch Luthers erste der 95 Thesen). Diese
Buße des wiedergeborenen Sünders unterscheidet sich von der Anfangsbuße, die
zur Bekehrung, zum rettenden Glauben führt, dadurch, dass sie weniger
aus Angst vor der Strafe durch Gott erfolgt, als vielmehr aus der Liebe zu dem
Gott, der in Liebe und Erbarmen sich mir zugewandt, sich selbst für mich am
Kreuz dahingegeben und so mich erlöst hat und nun in
Gemeinschaft mit mir leben will. „Zum andern ist’s gewiss,
dass auch diejenigen, so durch den Glauben und Heiligen Geist neu geboren sind,
doch gleichwohl noch, so lange dieses Leben währt, nicht gar rein sind, auch
das Gesetz nicht vollkommen halten. Denn wie wohl sie
die Erstlinge des Geistes empfangen, und wiewohl sich in ihnen das neue, ja,
das ewige Leben angefangen, so bleibt doch noch etwas da von der Sünde und
bösen Lust und findet Das Gesetz noch viel, dass es uns anzuklagen hat. Darum, obschon
Liebe Gottes und gute Werke in Christus sollen und müssen
sein, sind sie dennoch vor Gott nicht gerecht um
solcher ihrer Werke willen, sondern um Christi willen durch den Glauben.“
(Apol. IV (III), 39 f.)
Weil der Christ Gerechter und Sünder zugleich ist, darum braucht er auch, nach
dem alten Menschen, noch das Gesetz. „Den Gebrauch des Gesetzes recht zu
verstehn, musst du den Menschen in zwei Stücke teilen und die beiden wohl
unterscheiden, nämlich in den alten und den neuen, wie ihn St. Paulus geteilt
hat. Den neuen Menschen lass uns gar unverworren mit Gesetzen; den alten treibe
ohne Unterlass mit Gesetzen und lass ihm nur keine Ruhe davon. So hast du es
recht und wohl gebraucht.“ (Erl. Ausg. 51, 294.)[142] Er braucht das Gesetz
aber auch, um den Willen Gott richtig zu erkennen, weil die noch vorhandene
Sünde auf die erneuerte Vernunft noch trübt, so dass auch der Christ nicht
immer weiß, was Gottes Wille ist, wenn er nicht vom Gesetz unterrichtet wird,
das ihm nun aber nicht mehr Zwang ist, sondern das er ja aus Liebe zu Gott gern
erfüllen will. Ebenso ist sein innerer Antrieb nicht immer so, wie er
sein soll; daher muss er von dem fordernden Gotteswillen, samt seinen
Strafandrohungen und Verheißungen angespornt werden.[143] Luther nennt solche
Werke „Werke der Gnade“: „Sie sind die, welche im Glauben geschehen, indem der
Heilige Geist den Willen des Menschen bewegt und neu macht. Aber es istd
notwendig, dass sie auch durch das Wort und das äußere Zeichen [das
Sakrament], d.h. durch Drohungen und Verheißungen ermahnt und angespornt
werden.“ (Erl. Ausg. Opp. v.a. 4, 395.)[144] Allerdings, das muss
auch bedacht werden: Der Glaube wird zwar in den Kämpfen bewährt, gefestigt,
geübt – aber wirklich gemehrt, dass er immer besser weiß, wie er kämpfen
muss, wird er nur durch Gottes Wort, durch das er auch entstanden ist.
„Der Glaube nimmt zu und wird geübt durch das Wort Gottes.“ (in Gal. 1, 101.)[145] So sollen alle Tugenden
des Wortes auch der Seele Eigentum werden. Und das heißt immer klar erkennen
„du müsstest mit alle dem, was in dir ist, ewiglich verderben“, daher
„das andere Wort von seinem lieben Sohn Jesus Christus, in den wir uns mit
festem Glauben ergeben und auf den wir frisch vertrauen sollen.“[146] Das Werk und die Kämpfe
des Glaubens lehren, dass es unmöglich sei, aus eigenen Kräften ein
gutes Werk zu denken, geschweige denn anzufangen und zu vollbringen“.[147] Darum lässt Gott auch
„seine Heiligen unterweilen straucheln und leiden, dadurch ihr Glaube
gestärkt und gemehrt werde und [zwar dadurch, dass] sie ihre Schwäche erkennen“
(Erl. Ausg. 13, 259), was selbst bis zu Schmach, Krankheit, Armut, Tod gehen
kann – und dennoch an Gottes Güte festhalten.[148] Alle Kämpfe, alle
Anfechtungen, aller Kampf gegen die Sünde kann daher nur geführt werden und zur
Stärkung und Mehrung des Glaubens beitragen, wenn er durch das Gebet und den
Rückgriff auf das Wort Gottes geführt wird. „Darum ist solch euer Leiden
nicht die Reinigkeit [Reinigung] selbst; aber doch dient es insofern
dazu, dass es den Menschen treibet, dass er das Wort desto besser und stärker
fasse und halte und so der Glaube dadurch geübt werde.“ (Erl. Ausg. 49, 275.
277.)[149]
Und zwar gilt es vor allem, Christus immer besser zu erfassen, als den, durch
den wir Vergebung der Sünden haben und der Kraft gibt, das Gesetz zu erfüllen.
Das also meint das Zunehmen des Glaubens „durch Werke“: Nicht, dass das
sittliche Handeln an sich den Glauben mehrt, sondern dass dadurch der Glaube
getrieben wird, „Christus in sich zu bilden“, nichts in sich zu suchen, sondern
alles allein in Christus – und ihn durch das Wort. Das stärkt den Glauben.[150] Dieser Kampf, dieses
christliche Streiterleben, ist kein Sprint, kein Mittelstreckenlauf, sondern
ein Marathon, der über unser gesamtes Leben geht, und bei dem es darum geht,
das Ziel vor Augen zu haben und zu erreichen: die Krone der Gerechtigkeit, des
Lebens, die ewige Herrlichkeit bei Jesus Christus.
Von „überschüssigen
Werken“ kann daher keine Rede sein. Was Rom dafür ausgibt, ist entweder von
Gott gefordert, muss also getan werden, wie etwa die Weisung,
sich nicht selbst zu rächen (Augsb. Bek. XXVIII, 54), oder es ist nicht von
Gott gefordert, also gegen Gottes Willen, wie etwa der Zölibat aller Priester
(Augsb. Bek. XXIII, 8). Ebenso wenig erreicht jemand auf Erden
Sündlosigkeit, die die Wiedertäufer und Methodisten und etliche Pfingstler für
möglich hielten bzw. halten (Augsb. Bek. XII, 7), und zwar deshalb
nicht, weil niemand Gott vollkommen fürchtet oder liebt (Apol. IV (III), 46). Wenn
daher Paulus Röm. 7,14 ff. den Kampf zwischen Geist und Fleisch schildert, so
meint er damit nicht die Art des Unbekehrten, sondern seine eigene Beschaffenheit
(Schm. Art. III, III, 40; KF; Ausf. Darl. VI, 8).
Will man also überhaupt von christlicher „Vollkommenheit“ reden, so besteht
diese nicht in einem Vollkommensein des Lebens, sondern in einem
Vollkommenwerden
des Lebens. In einem ganz anderen Sinn können wir allerdings von christlicher
Vollkommenheit reden, nämlich im Blick auf die Rechtfertigung. Die unterliegt
keinem Wachstum, sondern sie ist sofort vollständig gegeben. Gemäß
der Rechtfertigung sieht uns Gott ganz rein, sündlos, gerecht an – allein um
Christi Verdienst willen. Diese Vollkommenheit ist aber eben keine qualitative,
sondern eine erklärte. Nach der
„Vollkommenheit des Lebens sollen wir alle streben, das heißt, dass wir wachsen
in der Furcht Gottes, im Glauben, in der Liebe zum Nächsten und ähnlichen
Tugenden“ (Apol.
XXVII, 37). Soweit also der Gläubige noch nicht durch den Glauben neu geworden
ist, soweit bedarf er noch der
Ermahnung zu guten Werken. So erklärt sich auch ein Unterschied zwischen dem
Augsburger Bekenntnis und der Apologie einerseits und der Konkordienformel
andererseits. Jene sind vorwiegend für die römischen Gegner geschrieben, die
der evangelischen Lehre vom Glauben eine Untergrabung der Sittlichkeit
vorwarfen. Daher wird gegen sie vorwiegend
hervorgehoben, dass aus dem Glauben von selbst die guten Werke hervorgehen. Die
Konkordienformel dagegen ist für die Evangelischen berechnet, unter denen die
Neigung, im Vertrauen auf ihren Glauben sich von der Sittlichkeit zu
verabschieden, schon hervorgetreten war. Daher erklärt sie
für „nicht weniger nötig, die Leute zu christlicher
Zucht und guten Werken zu ermahnen“ (KF, Kurze Darl. IV,
18). In diesem Sinn behandelt sie auch die Frage, ob das Gesetz auch für den
Gläubigen noch eine Bedeutung habe, die durch einen neuen antinomistischen
Streit nach Luthers Tod wieder aufgerollt worden war. Seinerzeit hatte Agricola
den Wert der Gesetzespredigt für die Bekehrung geleugnet
(s. S. 128 f.), in Verbindung mit dem majoristischen
Streit (s. S. 163) handelte es sich um die
Bedeutung des Gesetzes für die Bekehrten. Andreas Poach in Erfurt, Anton Otto
in Nordhausen und andere wollten nur Luthers Lehre aufrecht erhalten mit ihrer
Behauptung, dass „nicht das Gesetz, sondern allein der Glaube an Christus
sowohl zur Rechtfertigung wie zu den guten Werken nützlich
und notwendig sei“. Sie ließen aber nicht genügend zur Geltung kommen, was
Luther schon im Kampf gegen Agricola so formuliert hatte: „Soweit Christus in
uns [den Gläubigen] noch nicht auferweckt ist, soweit sind wir noch unter dem
Gesetz, der Sünde und dem Tod; daher muss
das Gesetz sowohl den Frommen als den Gottlosen gelehrt werden.“ (Erl. Ausg.
Opp. var. arg. 4,439, Th. 41 f. 35.) Deshalb handelt die Konkordienformel im
Artikel 6 „Vom dritten Gebrauch des Gesetzes“. Wohl sind die Gläubigen durch
den Heiligen Geist innerlich neu geworden und tun daher Gottes Willen ganz
freiwillig und ohne jeden Zwang, sind also frei vom Gesetz. Aber es
ist in ihnen daneben auch noch der alte Adam, der nicht weiß und nicht will, was
Gott von uns habenwill. Insoweit also, als noch das Fleisch in ihnen ist,
bedürfen auch sie noch der Belehrung durch das Gesetz, damit sie nicht aufgrund
eingebildeter Anregung des Geistes auf „eigen
erwählten Gottesdienst verfallen, und damit in ihnen die Sündenerkenntnis
erhalten und gemehrt werde, und sie bedürfen der Ermahnung und Drohung des
Gesetzes, damit die Abneigung ihres Fleisches gegen das Gute besiegt werde (KF,
Ausf. Darl. VI, 20.21.24). Soweit nun die guten Werke des Gläubigen noch durch
ds Gesetz erzwungen werden, sind es nicht „Früchte des
Geistes“, sondern ebenso wie die Werke der Nichtwiedergeborenen „Werke des
Gesetzes“ (KF; Ausf. Daxrl. VI, 16 ff.), das heißt, von dem
Gesetz hervorgebracht. Es muss also an dem dreifachen „Gebrauch des Gesetzes“
festgehalten werden, wonach es nützt 1) „zur äußerlichen Zucht gegen die wilden
ungehorsamen Leute“, 2) zur Wirkung der Sündenerkenntnis,
3) zur Weisung für die Wiedergeborenen (KF; Kurze Darl. VI, 1). Der von Luther
noch hinzugefügte Gedanke, dass
trotzdem ein Unterschied
bleibe zwischen der Stellung der Ungläubigen zum Gesetz und der Gläubigen,
insofern nämlich diese letzteren „nicht mit Verdruss und Unwillen“ wie jene,
sondern mit „willigem, fröhlichen Herzen“
sich vom Gesetz beeinflussen lassen (Erl. Ausg. 51, 304), wird in
der Konkordienformel vorausgesetzt und ist unbedingt festzuhalten. Auch die
Konkordienformel bemerkt, dass die guten Werke
der Gläubigen trotz ihrer Unvollkommenheit Gott deshalb angenehm und
wohlgefällig sind, weil sie Person durch Christus Gott angenehm ist, die einen
steten Kampf gegen den alten Adam führt (KF, Ausf. Darl. VI, 22 f.). Indem
die Konkordienformel die Bedeutung des Gesetzes für den Wiedergeborenen
auch darein setzt, dass es ihn seine Sünde gründlicher erkennen lehrt, wird
auch schon angedeutet.
Ist der Glaube die
Quelle des neuen Lebens und bleibt dieses stets unvollkommen, weil der Glaube
unvollkommen bleibt, so gibt es auch keinen anderen Weg zum Fortschreiten in
der Heiligung als den der Mehrung des Glaubens. Dieser
aber, das Ergreifen der sündenvergebenden Gnade Gottes in Christus, kann nur
dadurch wachsen, dass das Bedürfnis nach dieser Gnade durch umfassendere und
tiefere Sündenerkenntnis wächst. Daher führt die Apologie auf: „Der
Glaube muss unter guten Werken, unter Versuchungen und Gefahren befestigt
werden und wachsen, dass wir danach sicherer bei uns feststellen, dass Gott uns
um Christi willen ansehe, uns verziehe, uns
erhöre. Dies wird nicht ohne große und viele Kämpfe gelernt. … Wenn das
Gewissen uns entweder alte oder neue Sünden oder unsere natürliche Unreinheit
zeigt, … wenn unter den Schrecken wir aufgerichtet werden und Trost schöpfen,
wachsen zugleich die anderen geistlichen Bewegungen.“
Daher „fordern wir aufs dringendste gute Werke, da
wir lehren, dass dieser Glaube in Buße wachsen muss. Und hierin setzen wir die
christliche und geistliche Vollkommenheit, wenn
zugleich die Buße und der Glaube in der Buße wächst.“
(IV (III),229 ff.) Wenn hier gesagt wird, der
Glaube und damit die Sittlichkeit wachse unter guten Werken und Anfechtungen,
so ist dies von Luther übernommen, der schon in der
Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ erklärt hatte, der Glaube müsse
durch gute Werke und Leiden geübt und dadurch gemehrt werden (Erl. Ausg. Opp.
var. arg. 4,248). Dies will sagen: Das ernste Streben nach vollkommener
Heiligkeit lehrt uns unseren Rückstand und unsere Ohnmacht
immer gründlicher erkennen, und die Leiden drohen unseren Glauben zu
erschüttern; infolgedessen kann und soll dieses beides uns dazu treiben, die
Gnade Gottes fest zu ergreifen, so dass der Glaube gemehrt
wird (vgl. Walther, Die christliche Sittlichkeit nach Luther, S. 127 ff.). Kurz
„einzig darauf ist zu sehen, dass der Glaube gemehrt werde“, denn „der Glaube
bewährt dies alles“ (Erl. Ausg. a.a.O.), auch das Fortschreiten in der
Heiligung.
Das also ist das eigentliche
Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Glauben und christlicher Sittlichkeit, dass
diese ganz, auch nach ihrem Maß, abhängig ist vom Glauben, dass aber das
jeweilig von dem Glauben hervorgerufene sittliche Handeln
zugleich zu einer Mehrung des Glaubens führt, so dass dann auch die
Sittlichkeit eine höhere sein kann. Die hieraus sich ergebende Mahnung, dem
Antrieb des Glaubens zum sittlichen Handeln Folge zu
leisten, wird nun noch verschärft durch die weitere Aussage, dass andernfalls,
wenn man, gegen den Antrieb des Glaubens angehend, der Reizung des Fleisches
gehorcht, der Glaube und damit Gottes Gnade
und das ewige Heil verloren geht. Denn schon das Augsburger Bekenntnis
hat gegen die Wiedertäufer die Lehre verworfen, die einmal Gerechtfertigten
könnten den Heiligen Geist nicht verlieren (XII, 7). Und
häufig spricht die Apologie aus: „Der Glaube bleibt nicht in denen, die
ihren Lüsten gehorchen und kann nicht zusammen bestehen mit einer Todsünde.“
(IV (III), 23). Denn der bei den Römischen betonte
Unterschied zwischen läßlichen und Todsünden
besteht in der Tat, muss aber anders gefasst werden. An sich ist jede Sünde
verdammlich, führt also zum Tod, auch jede Sünde des Nichtgerechtfertigten. Nachdem
aber bei der Rechtfertigung
die Sünde vergeben ist, wird
auch die noch übrigbleibende, wider Willen geschehende Sünde um Christi willen vergeben,
ist also läßliche Sünde. Es kann aber auch der Gläubige
zurückfallen in den Stand des natürlichen Menschen, der die Sünde liebt. Und
dann ist diese Sünde Todsünde, das heißt,
führt zum Tod, wenn sie nicht noch durch abermalige Reue und Glauben
Vergebung findet (KF; Ausf. Darl. XI, 75). Besonders
klar drückt sich Luther in den Schmalkaldischen Artikeln aus bei Zurückweisung
der Lehre der „Rottengeister“, der Gläubige bleibe
trotz all seiner Sünde im Glauben; ein anscheinender Abfall
vom Glauben sei nur Beweis dafür, dass noch gar kein Glaube vorhanden gewesen
sei. Luther erklärt, dass „die heiligen Leute“ auch in
öffentliche Sünden fallen können, wie David in Ehebruch, Mord und
Gotteslästerung, und dass dann, wenn sie so handeln können, schon „der Glaube
und Geist weg“ sei. „Denn der Heilige Geist lässt die Sünde nicht walten und
überhand gewinnen, dass sie vollbracht werde, sondern
steuert und wehrt, dass sie nicht darf tun, was sie will. Tut sie aber, was sie
will, so ist der Heilige Geist und Glaube nicht dabei.“ (Schm.
Art. III, III, 42 ff.) Wenn also die in dem
Gläubigen noch vorhandene böse Lust zum
Begehen einer Sünde
anstachelt, so treibt der in
ihm daneben lebende Glaube und Geist zu deren Abweisung. Dann
tritt, mehr oder weniger bewusst, die Überlegung ein, wem man gehorchen will.
Entschließt man sich dazu, das „Wehren“ des Glaubens zu missachten,
so kann der Glaube nicht fortbestehen. Und dass man die mit seinem Glauben
unvereinbare sündliche Tat zu begehen vermag, ist der Beweis, dass nun der
Glaube schon weg ist. Dasselbe drückt die Apologie so aus: „Wer die Liebe [zu
Gott, die das Gesetz erfüllt] von sich wirft, behält, auch wenn er
großen Glauben hat, diesen nicht. Denn er behält nicht
den Heiligen Geist“; so „schreibt Paulus denen, die, da sie gerechtfertigt
waren, ermahnt werden mussten, dass sie gute Früchte brächten, damit sie nicht
den Heiligen Geist verlören.“ (IV (III) 98 ff.)
Noch auf eine
andere Bedeutung der Heiligung für den Glauben weisen Luther und die
lutherischen Bekenntnisse hin. Luther sagt beides aus, sowohl, dass der
Glaube Gewissheit, Friede und Freude bringe, als auch, dass der Gläubige
auch noch Zweifel und Angst kenne; dies letztere eben
deshalb, weil der Glaube in uns nie vollkommen ist. Ja, im Gegensatz zu den
„Schwärmern“ hat Luther darauf bestanden, nur der „Kampfglaube“ sei
rechter Glaube. Zu diesen Kämpfen, in denen sich der
Glaube gegen Angriffe behaupten muss, die aber dann, wenn sie siegreich
bestanden werden, den Glauben wachsen machen, gehört auch der durch die
Schwäche des Glaubens erregte Zweifel, ob man wirklich Glauben besitze. Das
peinigende dieser Frage liegt natürlich darin, dass aus ihrer Verneinung folgen
würde, wir wären noch gar nicht gerechtfertigt und
hätten den Heiligen Geist noch nicht empfangen. Zur Überwindung dieser
Anfechtung nun kann es dienen, wenn wir bemerken können, dass doch schon der
Heilige Geist an uns gewirkt hat, dass doch schon Früchte des
Glaubens an uns zu sehen sind. Diese bezeugen uns, dass wir Glauben,
wenn auch schwachen,
besitzen. Und auf solche Weise wird unsere Heilsgewissheit, die natürlich im
letzten Grund auf Gottes Verheißungen ruht, ihre zeitweilige
Ungewissheit überwinden können (vgl. Walther, Die christliche Sittlichkeit nach
Luther, S. 104 bis 120 und oben S. 134).
Ebenso die lutherischen Bekenntnisschriften. So sehr sie die dem Glauben
eignende Heilsgewissheit betonen, reden sie doch
auch, und zwar als von etwas Allbekanntem, davon, dass der Gläubige ein
„furchtsames Herz“ haben, „sich furchtsam und erschrocken, kalt und schwach
befinden“ könne (z.B. Apol. XII, 38; KF,
Ausf. Darl. II, 68). Wenn nun das angstvolle Herz sich so fühlt, als habe es
nicht wirklichen, sondern nur eingebildeten, toten Glauben,
dann kann der Christ an seinen Glaubenswerken erkennen, dass er doch nicht ohne
lebendigen Glauben ist (KF, Ausf. Darl. III, 42). Die Gläubigen „empfinden des
Geistes Kraft und Stärke in sich selbst“. In diesem Sinn wird
Röm. 8,16 verstanden: Der Heilige Geist bezeugt durch das, was er in uns wirkt,
dass er in uns vorhanden ist, dass wir also wirklich Kinder Gottes sind. Um zu
erklären, warum Christus bisweilen Gottes Gnadenverheißung mit
unseren guten Werken, etwa Gottes Vergeben mit unserem Vergeben verknüpft, sagt
die Apologie, dadurch solle erstens der eingebildete Glaube sich selbst
erkennen lernen und zweitens unser furchtsames Herz Trost gewinnen aus unseren
guten Werken. Denn „wie die Taufe und das Mahl des Herrn Zeichen sind, die das
furchtsame Gemüt aufrichten und befestigen, dass es fester glaubt, ihm werden
die Sünden vergeben, so steht dieselbe Verheißung in den guten Werken
geschrieben und gemalt, so dass uns
diese Werke ermuntern, fester zu glauben. … Die Frommen umfassen die
Verheißungen und freuen sich, dass sie [an ihren Werken] Zeichen und Zeugnisse
für eine so große Verheißung haben. Daher üben sie sich in
jenen Zeichen und Zeugnissen. … Der
Glaube übt sich [dadurch] mehr und
mehr und bekommt Kräfte in solchen Übungen.“ (Apol. IV (III) 154
ff.) Auch deshalb also muss zum Wachsen in der Heiligung ermahnt werden, damit
wir unserer Berufung und Erwählung immer gewisser werden.
Es dürfte nicht
leicht zu verstehen sein, wie angesichts all dieser Ausführungen über die
Notwendigkeit und Möglichkeit der Heiligung dem Luthertum
eine Gleichgültigkeit gegen die Sittlichkeit nachgesagt werden konnte;
wie etwa, mit der Erkenntnis der Sünde und Gnade „erscheine die Lebensbewegung,
welcher das eigentliche Interesse des lutherischen Geistes
gelte, abgeschlossen und könne streng genommen nur immer wieder repetiert
werden“; oder: „Bei Luther handelte es sich im Grunde stets nur um die
Heilsgewissheit und Seligkeit des Individuums, die aus der
Gewissheit der Sündenvergebung sich ergibt, im Verhältnis zu der aber alles
übrige nur als der Überschwang der ausströmenden Gottverbundenheit, nur
selbstverständliche Folger, nicht wesentlicher Zweck ist.“
Wohl liegt dem lutherischen Geist alles an beständiger Zunahme des bußfertigen
Glaubens, dies aber nicht, um „in der Sündenvergebung auszuruhen“, sondern auch
deshalb, weil es der einzige Weg zum Wachstum in der wahren Heiligung ist. Denn
freilich besteht zwischen der römischen und der reformierten Anschauung einerseits
und der lutherischen andererseits der Unterschied, dass nach dieser Gott dem
Herrn an der bloß äußerlichen Übereinstimmung des menschlichen Handelns mit
seinen Geboten nichts gelegen ist, aber alles an dem Heil der Menschen und
darum an dem Glauben und der Liebe und
dem daraus hervorgehenden Handeln. Dies ist Gottes
„wesentlicher Zweck“, die „Gottverbundenheit“ des Menschen. Wo diese erreicht
ist, da hat Gott das gefunden, was in seinen Augen seine „Ehre“ ist, die in
dieser Weltzeit keiner Anerkennung von Seiten der Welt bedarf, wohl aber sie
seinerzeit finden wird. Folglich kommt es auch nicht darauf an, dass der Mensch
sich „Gottes Ehre“ als wesentlichen Zweck setze (vgl. oben S. 30
f. und 35 f.). Auch wenn dem Christen seinem Glauben und seiner Liebe gemäß das
„Reich Gottes“ am Herzen liegt, so soll er unter diesem nicht eine äußere
„Gottesherrschaft“ oder gar so etwas wie eine Kulturgemeinschaft
verstehen, sondern dies, dass Jesus Christus „uns erlöst und frei gemacht
von der Gewalt des Teufels und zu sich bringt“; und wer für das Reich Gottes
wirken will, soll dahin wirken, „dass ihrer viele zu dem Gnadenreich
kommen, der Erlösung teilhaftig werden, durch den Heiligen Geist
herzu gebracht.“ (Gr. Kat. III, II, 51 f.) Dies ist nach Luther der
„eigentliche Zweck“ Gottes und das höchste Ziel unseres sittlichen Handelns,
nicht aber, was man an dem Calvinismus im Unterschied zum Luthertum gerühmt
hat, „die Rationalisierung der Ethik zu einem planmäßigen, zusammenhängenden
strengen Ganzen der Lebensführung“. Denn nach Luther sagt der wahrhafte Christ:
„Ich will gegen meinen Nächsten auch werden ein Christ, wie Christus mir
geworden ist.“ (Erl. Ausg. 27, 1065.) Wie man trotz alledem von einem
„beständigen Ausruhen in der Sündenvergebung“ bei Luther reden kann, ist
schwer verständlich.
„Dieweil der Glaube ein kräftiges, neues,
lebendiges Wesen ist, bringt er viel Frucht, tut immer Gutes gegen Gott
mit Loben, Danken, Bitten, Predigen und Lehren.“ (Erl. Ausg. 24, 341.)[152] Die Liebe zu Gott, die
der Heilige Geist durch das Evangelium schenkt, erzeigt sich nicht nur in der
daraus fließenden Nächstenliebe, sondern zuerst einmal im Verhalten gegen Gott
selbst, aus Liebe zu ihm, ihn zu ehren, ein „Dienst, der allein Gott geschieht“,
„also dass aller Gottesdienst [im engeren Sinn] im Mund steht“ (Erl. Ausg. 14,
86 f.).[153]
Dies geschieht zuerst und vor allem im
Gebet. „Man kann keinen Christen finden ohne Beten, sowenig wie
einen lebendigen Menschen ohne Puls, welcher steht nimmer stille, regt und
schlägt immerdar für sich, obgleich der Mensch schläft und anderes tut, dass er
sein nicht gewahr wird.“ „Denn eines Christen Handwerk ist Beten.“ „Wesen und
Natur des Gebets ist nichts anderes als eine Aufhebung des Gemüts oder Herzens
zu Gott.“ (Erl. Ausg. 59, 2.)[154]
Besonders aber will die Liebe zu Gott Gott
ehren, ihn daher loben, ihm danken, damit auch „bekennen, dass er aus lauter
Gnade und Barmherzigkeit von uns nimmt Sünde, Tod und Hölle und für uns gibt
seinen lieben Sohn und uns schenkt seine Güter alle miteinander. Solch
Bekenntnis muss ja ihm alle Ehre, Lob und Preis geben.“ (Erl. Ausg. 12, 172.)[155] Das heißt: Nicht haften
bleiben an den Gaben, die Gott gibt, sondern allein auf ihn selbst sehen, der
sie gibt. „So auch begreift das Hochloben Gottes die zwei Stücke“: „hoch von
ihm halten im Herzen“ und „mit der Stimme herausbrechen und so bekennen vor der
Welt, wie das Herz von Gott hält inwendig“ (Erl. Ausg. 14, 77 f.).[156]
„Ebenso ist das Danken ‚der Christen
eigentliche Tugend und höchster Gottesdienst, und [sie] tun dasselbe von ganzem
Herzen. Welche Tugend sonst kein Mensch auf Erden vermag‘. Denn ‚wer Gott
danken will, der muss erkennen und bekennen von Herzen, dass es lauter Gottes
Gnaden und Gaben seien, dafür er dankt. Nun kann niemand Gottes Gaben erkennen
durch seine Vernunft, sondern der Heilige Geist muss [es] unserem Herzen
zeigen.‘“[157]
Zu diesem Loben und Ehren Gottes zählt
auch, sich ganz in Gottes Willen ergeben, und zwar nicht aus Zwang, nicht, weil
es sein muss, sondern aus der Liebe zu Gott, die ganz eins ist und sein will
mit dem Willen Gottes, was aber im alltäglichen Leben oft nicht rein ist,
sondern eines Kampfes bedarf, was zeigt, wie unvollkommen unsere Gottesliebe
doch immer noch ist. „Wenn ich Gott liebe, so liebe ich auch seinen
Willen. Nun, wenn uns Gott Krankheit, Armut, Schande und Schmach zusendet, das
ist sein Wille … Seinen Willen will er mit Lust und Liebe angenommen haben.“
(Erl. Ausg. 14, 8.)[158]
Aus der Liebe zu Gott folgt auch die „Lust
und Begierde, sein heiliges Wort zu hören“. Wie wir also mit Gottes Wort
umgehen, wie sehr es uns ein Bedürfnis, eine Lust ist, es zu lesen – oder eben
nicht –, zeigt uns auch, wie es um unsere Liebe zu Gott bestellt ist.[159]
Die Liebe zu Gott aber bringt
natürlicherweise auch den Kampf gegen die Sünde mit sich, und zwar nicht
zuerst deshalb, weil die Sünde uns von Gott trennt, sondern weil die Liebe zu
Gott, das Wohlgefallen damit an Gott auch den Hass gegen all das
einschließt, das auch Gott hasst, also gegen das Böse. Und da wir die Sünde in
uns selbst finden, müssen wir auch gegen uns selbst, die Sünde in uns,
streiten. „Der innerliche Mensch ist mit Gott eins, fröhlich und lustig um Christi
willen, der ihm so viel Gutes getan hat. Und besteht all seine Lust darin,
dass er wiederum möchte Gott auch umsonst dienen in freier Liebe. Da findet er
in seinem Fleisch einen widerspenstigen Willen, der will der Welt dienen
und suchen, was ihn gelüstet. Das mag [kann] der Glaube nicht leiden
und legt sich mit Lust an seinen [des bösen Willens] Hals, ihn zu dämpfen und
ihm zu wehren. Denn weil die Seele Gott [als den Reinen] liebt, wollte sie
gern, dass auch so alle Dinge rein wären, zuvor ihr eigener Leib. So
geht es, dass ein Mensch seines eigenen Leibes halben nicht müßig gehen und
muss viel gute Werke darüber üben, dass er ihn zwinge.“ (Erl. Ausg. 27, 189 f.)[160]
So ahmen wir auch Christus als Vorbild
nach nicht als ein äußerlich gegenüberstehendes Vorbild, sondern weil wir dies
Bild von Herzen lieben, allerdings nicht im Sinne einer Kopie (imitatio
Christi), sondern im Sinn des Lebens aus der hingebenden, sich verzehrenden
Liebe, die Christus uns erzeigte und wir nun zu ihm haben, die sich dann auch
in der Liebe zum Nächsten zeigt, an den Christus uns weist. „Weil er uns solche
Barmherzigkeit erzeigt, dass wir nicht an Leib und Seele verloren sind, so
sollen wir gegen unseren Nächsten auch so tun.“ „Die Liebe tut nun dem
Nächsten, wie sie sieht, dass Christus uns getan hat.“ (Erl. Ausg. 14, 50.
393.)[161]
Das ist aber eben nur möglich, wenn zuvor und vor allem Christus unser Erlöser
ist. „Wenn du nun Christus hast zum Grund und Hauptgut deiner Seligkeit, dann
folgt das andere Stück, dass du ihn auch zum Exempel fassest, ergebest dich
auch so deinem Nächsten zu dienen, wie du siehst, dass er [Christus] sich dir
ergeben hat.“[162]
Handelt es sich um die Frage, auch welchen
Gebieten und in welcher Weise die christliche Sittlichkeit sich im Einzelnen
betätigt, so ist vor allem festzustellen, wie der gläubige Christ über das
natürliche Leben und dessen Ordnungen zu denken hat. Fragt es sich zunächst,
wie er seine eigene natürliche Beschaffenheit beurteilt, so haben wir schon
(oben S. 44 ff.) gesehen, dass er seine Leiblichkeit mit ihren
Bedürfnissen und ihren zu deren Befriedigung anleitenden Gefühlen der Lust und
der Unlust als von Gott dem Schöpfer gesetzt erkennt, daher das Verlangen nach
Befriedigung dieser Bedürfnisse und das hierdurch bewirkte Wohlgefühl als dem
Willen Gottes entsprechend ansieht, aber auch um die sündhafte Verzerrung aller
Lust und Unlust seit dem Sündenfall weiß und dass er darum auch alle Lust und
Unlust an Gottes Wort prüfen und gegebenenfalls über ihr Buße tun muss.
Insofern hat auch eine gewisse Askese, wie Fasten zu bestimmten Zeiten, um Gott
besser dienen und bestimmte Sünden besser bekämpfen zu können, seine
Berechtigung und vor allem das geduldige Ertragen der von Gott auferlegten
Leiden und das zur Vermeidung von Sünden notwendige Inzuchthalten des Fleisches
durch Mäßigung und Arbeit (Augsb. Bek. XXVI, 30 ff.; Apol. XV, 45 ff.). Denn
die Freude an den Gütern dieser Erde ist nicht Sünde, sondern eine
Forderung dessen der sie uns geschenkt hat. Wie stark Luther diese natürliche
Freude empfunden und von dem Christen gefordert hat, kann schon seine Erklärung
des ersten Glaubensartikels in seinen Katechismen lehren (Kl. Kat. II, 2; Gr.
Kat. II, I, 13 ff.). Diese einzelnen Aussagen hätte auch ein römischer oder
reformierter Christ machen können, aber nicht in dem gleichen Freudenton. Ist
es doch, als könnte Luther kein Ende finden, da er einige der „leiblichen und
zeitlichen Güter“, die Gott uns schenkt, namhaft machen will. Auch für seinen
Leib mit seinen Augen, Ohren und allen Gliedern, auch für Kleider und Schuhe,
Essen und Trinken, Sonne, Mond und Sterne, Tag und Nacht, Luft, Feuer, Wasser,
Erde muss er Gott „danken und loben und diene und gehorsam sein“. Denn auch
daran „spürt und sieht“ er Gottes „väterliches Herz und überschwängliche Liebe
gegen uns“. In Rührung und Beschämung staunt er diese Gaben der Güte Gottes an,
die ihm „ohne all sein Verdienst und Würdigkeit“ zuteil geworden sind. Gewiss
weiß er, dass es noch weit Höheres gibt; schließt er do: „ohne dass er uns
sonst auch mit unaussprechlichen ewigen Gütern durch seinen Sohn und Heiligen
Geist überschüttet, wie wir hören werden“ (Gr. Kat. II, I, 24). Aber ist eine
Eigentümlichkeit der lutherischen Anschauung, dass sie nicht um des geistlichen
und ewigen Besitzes willen die irdischen Güter verachtet, sondern dem
Schöpfergott seine volle Ehre gibt neben dem Heilsgott. Selbstverständlich sind
sich Luther und die Bekenntnisse völlig klar darüber, dass unsere Liebe zu dem
Irdischen und unsere Verwertung desselben nicht ohne Sünde sind. Aber das ist
ein Gewinn ihrer tiefen Sündenerkenntnis, dass sie zu unterscheiden vermögen
zwischen der von Gott uns verliehenen Natur und deren Entstellung durch die
Sünde (vgl. oben S. 48 ff.). so predigt Luther: „Solches hat Gott von
Natur in unsere Herzen gepflanzt und gebildet, dass der Mensch Unglück und
Schaden fliehe.“ (Erl. Ausg. 50, 270; Weim. 28, 209 f.) „Gott verwirft die
Natur nicht gar, sondern lässt sie bleiben in seinen heiligen, … wie er sie
geschaffen hat. Denn sofern nicht Sünde mitregiert, ist keine natürliche
Bewegung böse, wie wir an Christus sehen, der allerlei gefühlt und empfunden
hat nach der Natur, wie ein anderer Mensch.“ So ist die natürliche Neigung
zwischen Eltern und Kindern nach Gottes Willen. Es sind „närrische Heilige“,
„die da alle natürliche Neigung wollten brechen und dämpfen.“ Nicht umsonst
predige er dies so oft; denn es gebe noch und schon wieder solche Heilige. Aber
„Gott will sein Reich so lassen bleiben, dass es ja die Natur nicht breche.“
(Erl. Ausg. 34, 250 f. 314 f.) Die gleiche Anschauung liegt auch den
Ausführungen des Augsburger Bekenntnisses und der Apologie über den Zölibat der
Pfarrer und die Mönchsgelübde zugrunde (Art. 23 und 27). Es ist der viele
Verirrungen abweisende Grundsatz, dass Gott der Schöpfer und Erhalter nicht
verdrängt sein will durch Gott den Erlöser und Heiligmacher, dass also auch der
gläubige Christ ein Mensch mit allen einem solchen eignenden Eigentümlichkeiten
bleiben soll, daher nicht den in der natürlichen Welt geltenden Ordnungen
entnommen ist, sondern ihnen unterstellt zu sein sich bewusst sein soll. Dies
letztere betont das Augsburger Bekenntnis im Gegensatz zu der Möncherei und den
Wiedertäufern. Artikel 16 handelt von den bürgerlichen Dingen (rebus
civilibus), was wohl am einfachsten „Vom weltlichen Leben“ zu übersetzen
ist. Denn die Verdeutschung jener Überschrift „Von Polizei und weltlichem
Regiment“ ist wenigstens missverständlich, da auch vom Haus- und Ehestand
geredet wird, vom Eigentumsbesitz, vom Handelsverkehr. Die auf diesen Gebieten
geltenden Ordnungen werden als „gute Werke Gottes“ bezeichnet. Daher ist es
nichts weniger als „christliche Vollkommenheit“, sich diesen weltlichen
Diensten zu entziehen. Denn das Evangelium hat allein zu tun mit der „ewigen
Gerechtigkeit des Herzens“; es stößt diese weltlichen Ordnungen nicht um,
fordert vielmehr aufs ernsteste, sie zu konservieren als Gottes Anordnungen und
in diesen die Liebe zu üben. Indem die Apologie dies ausführt, nennt sie auch
noch die Arznei, die Bautätigkeit, Speise und Trank, und Luft als dem
natürlichen Gebiet angehörende Dinge, deren der Christ sich bedienen darf und
soll (Apol. XVI, 54). Luther drückt diese reinliche Scheidung gern durch den
Hinweis darauf aus, dass jenes geistliche Reich durch den Heiligen Geist
regiert wird, das Weltliche dagegen durch die natürliche Vernunft (z.B. Erl.
Ausg. 17, 406). Etwa wie der Schuster am besten Schuhe mache, lehre ihn nicht
der Heilige Geist, sondern seine Vernunft.
Wenn aber das Reich Christi und das
weltliche Leben als zwei getrennte Gebiete nebeneinander stehen, und doch der
jenem Reich angehörende gläubige Christ auch an dem natürlichen Leben sich
beteiligen und den für dieses geltenden Ordnungen sich unterstellen soll, lebt
er dann nicht in zwei verschiedenen Welten? Muss dann nicht eine doppelte
Sittlichkeit die Folge sein, eine durch den Heiligen Geist und eine durch
die Vernunft und die von dieser geschaffenen Ordnungen bestimmte? In der Tat
hat man gemeint, im Luthertum werde, ähnlich wie in der römischen Kirche, „in
aller Form eine doppelte Moral nach entgegengesetzten Prinzipien“ gelehrt,
„eine rein und radikal christliche“ und „eine natürlich-vernünftige, nur
relativ christliche“. Diesen Vorwurf werden wir noch näher zu prüfen haben.
Zunächst aber ist klar, dass, wenn er begründet wäre, Luther seine ethische
Gesamtanschauung direkt verleugnet hätte, wie er sie z.B. so formuliert:
„Willst du wissen“, „wie das Herz und Gewissen und der ganze Mensch
stehen soll“, dass du nichts dürftest weiter suchen, noch hin und
her betteln? Dass du habest die Liebe! Da bleib‘ bei!“ „Liebe aber heißt
auf Deutsch, wie jedermann weiß, nichts anderes als von Herzen einem andern
günstig und hold sein und alle Güte und Freundschaft erbieten und erzeigen.“
(Erl. Ausg. 18, 279 f.) Wie soll es vorstellbar sein, dass der so denkende
Luther, dieser Mann aus Einem Guss, für richtig gehalten habe, auf dem weiten
weltlichen Gebiet sich in entgegengesetzter Richtung zu bewegen? Wir lesen bei
ihm etwas ganz anderes. Er setzt einmal auseinander, dass es nicht seine
Sache sei, einen Schneider zu „lehren, einen Rock zu machen“, oder einen
Fürsten, das Regiment zu führen. „Ich will das der Vernunft lassen und
heimgeben; sondern ich will sagen, wie darin die Liebe gegen den
Nächsten soll erzeigt werden.“ (Erl. Ausg. 16,474) Ebenso sagt das Augsburger
Bekenntnis, das Evangelium fordere, „in diesen weltlichen Ständen als in den
Anordnungen Gottes die Liebe zu üben.“ (XVI, 5.) Obwohl der gläubige
Christ sich auf dem weltlichen Gebiet als ein Mensch betätigt, ist er doch ein
ganz anderer Mensch als der Ungläubige. Auch im natürlichen Leben und in seinem
Verhalten zu den weltlichen Ordnungen beweist er seinen Glauben und seine
Liebe. Dieses sein „Inwendiges“, das vom Heiligen Geist herrührt, durchgeistet
sein „auswendiges“ Tun, zu dem seine Vernunft ihn befähigt, und macht es erst
zu einem sittlichen, und zwar in jeder Beziehung, sowohl nach seinem
Beweggrund wie nach seiner Ausführung, wie nach seinem Endziel. Es wird zu
untersuchen sein, ob dieser großartige allgemeine Grundsatz über die
Sittlichkeit im weltlichen Leben auch durch die Einzelanweisungen festgehalten
worden ist.
Die Ehe ist keine menschliche Erfindung,
nicht Ergebnis irgendeiner bestimmten kulturellen Entwicklung, sondern ist ein
von Gott geordneter Stand, nach dem Sündenfall vor allem auch deshalb, die
Unzucht zu vermeiden, außerdem besonders auch zur Vermehrung des
Menschengeschlechts (Augs. Bek. XXIII, 3) und ist daher ein für unser Leben
notwendiger Stand (Gr. Kat. I, VI, 211). Die Ehelosigkeit dagegen ist eine
besondere Gabe Gottes, über die der Mensch für sich keine Verfügungsgewalt hat,
sondern sie nur als Gabe von Gott ausüben kann. Die normale Ordnung aber ist
die Ehe, die lebenslange Verbindung eines Mannes und einer Frau, denn Gott hat
den Menschen als Mann oder Frau geschaffen – mehr Geschlechter gibt es nicht.
(Augsb. Bek. XXIII, 4-7). (Intersexuelle und Transsexuelle sind keine anderen
Geschlechter, sondern sind Ergebnis einer fehlgesteuerten Entwicklung, die
schon im Mutterleib begonnen hat, wobei sie selbst dann entscheiden müssen,
welches ihr Geschlecht ist.) „Erstlich ist geschrieben 1. Mose 1, dass Mann
und Frau so geschaffen sind von Gott, dass sie sollen fruchtbar sein, Kinder
zeugen usw., die Frau geneigt sei zum Mann, der Mann wieder zur Frau. Und wir
reden hier nicht von der unordentlichen Brunst, die nach Adams Fall gefolgt
ist, sondern von natürlicher Neigung zwischen Mann und Frau, welche auch
gewesen wäre in der Natur, wenn sie rein geblieben wäre. Und das ist Gottes
Geschöpf und Ordnung, dass der Mann zur Frau geneigt sei, die Frau zum Mann.
So nun die göttliche Ordnung und die anerschaffene Natur von niemand kann noch
soll geändert werden als von Gott selbst, so folgt, dass der Ehestand durch
kein menschliches Statut oder Gelübde kann abgetan werden.“ (Apol. XXIII,
7.) Weil diese Gottes Ordnung ist, gehört es auch in die von Gott gesetzte
natürliche Rechtsordnung, die niemand ändern kann, weshalb jedem die Ehe frei
sein muss (Apol. XXIII, 9). „Gott der Herr hat nicht allein Adam geschaffen,
sondern auch Eva, nicht allein einen Mann, sondern auch eine Frau, und sie
gesegnet, dass sie fruchtbar seien.“ (Apol. XXIII, 12.) Weil dieser Stand
Gottes Ordnung ist, darum ist er an sich auch ein reiner, ein Gott
wohlgefälliger Stand, denn er ist geheiligt durch Gottes Wort: Gott fügt die
Eheleute zusammen (Matth. 19,6) (Apol. XXIII, 28-29), die sich daher auch
gegenseitig als Gottes Geschenk ansehen sollen[164]. Wie hoch Gott diesen
Stand achtet, zeigt sich allein daran, dass die Ehe immer wieder als ein Bild
für die Gemeinschaft Christi mit seiner Braut, der Gemeinde, verwendet wird
(Traubüchlein, 16), dann aber auch daran, dass er sie durch ein Gebot schützt
(Gr. Kat. I, VI, 206). „Darum will er in auch von uns geehrt und so gehalten
und geführt haben als einen göttlichen seligen Stand, weil er ihn erstlich vor
allen anderen eingesetzt hat, und darum unterschiedlich Mann und Frau
geschaffen (wie vor Augen), nicht zur Büberei, sondern dass sie sich
zusammenhalten, fruchtbar seien, Kinder zeugen, nähren und aufziehen zu Gottes
Ehren.“ (Gr. Kat. I, VI, 207.) Damit ist auch ein bedeutender,
herausragender Zweck der Ehe angezeigt, nämlich dass aus ihr, wenn Gott es als
seine Gabe schenkt, Kinder hervorgehen. Abtreibung ist gemäß dem fünften Gebot
Mord; Kinder dagegen sind eine Gabe Gottes, entsprechen dem Willen Gottes für
die Ehe.
Wie hoch auch die Ehe, wie auch die
Ehelosigkeit, von Gott gehalten wird, so erlangen wir weder durch die Ehe, noch
durch die Ehelosigkeit die Rechtfertigung, sondern allein durch den Glauben an
Christus (Apol. XXIII, 69).
Weil die Ehe ein Teil der Schöpfungsordnung
ist, darum gehört sie auch nicht in die Heilsordnung, kann daher auch kein
Sakrament sein, sondern gehört dem gesamten menschlichen Geschlecht, Christen
wie Heiden (Apol. XIV, 14-15).
Die Bedeutung, die die Ehe in Gottes
Ordnung für dieses Leben hat, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie
soll ja vor allem der Zeugung von Kindern dienen, dann dem Schutz vor Unzucht,
Hurerei, dann, durch die Zeugung und Erziehung der Kinder, dazu helfen, dass
Menschen da sind, die anderen dienen und vor allem auch Gottes Wort austeilen
(Gr. Kat. I, VI, 208). Darum geht dieser Stand über alle anderen Stände, ja,
sie haben alle hier ihren Ursprung, Ausgangspunkt. „… so dass er nicht
allein den andern Ständen gleichgesetzt ist, sondern vor und über sie alle
geht, es seien Kaiser, Fürsten, Bischöfe und wer sie wollen. Denn was beide,
geistliche und weltliche Stände, sind, müssen sich demütigen und alle in diesem
Stand finden lassen, … Darum ist es nicht ein besonderer, sondern der
allgemeinste, edelste Stand, so durch den ganzen Christenstand, ja, durch alle
Welt geht und reicht.“ (Gr. Kat. I, VI, 209.)
Dennoch ist auch dieser Lebensstand nicht
ohne Kreuz, wie es seit dem Sündenfall nicht anders sein kann und wir dadurch
auch Christus ähnlicher werden sollen (Traubüchlein, 14). Wie soll die Ehe
geführt werden? Auch hier gilt es, die Liebe, die Gott uns in Christus
geschenkt hat, auszuleben, indem der Mann seine Frau lieben soll wie Christus
die Gemeinde und sich selbst, die Frau ihrem Mann in Ehrfurcht untertan sein
soll wie die Gemeinde Christus (Traubüchlein, 12-13). Dabei gilt für all die
Aufgaben und Pflichten in der Ehe, dass sie in dem Stand geschehen, der Gottes
Wohlgefallen hat, dass darin leben heißt, Gott dienen, auch in den Werken, die
vor der Welt gering, ja verachtet, sein mögen. „Ach Gott, weil ich gewiss bin,
dass du mich als einen Mann erschaffen und von meinem Leib das Kind gezeugt
hast, so weiß ich auch gewiss, dass es dir aufs allerbeste gefällt und bekenne
dir, dass ich nicht würdig bin, dass ich das Kind wiegen sollte, noch seine
Windeln wachsen, noch sein oder seiner Mutter warten.“[165] Damit wird gerade die
Ehe zu dem Stand, das Verhältnis zu Gott in besonderer Weise zu bewähren, also
in besonderer Weise die Nächstenliebe zu leben. „Die Ehe ist die hohe Schule
der Überwindung der Selbstsucht.“[166] Denn es gilt, Tag und
Nacht füreinander, wenn Kinder da sind, für mehrere da zu sein, und zwar in
Liebe. „Von da aus kann sich Luther keine größere Heilige denken als eine
Mutter, die ihr Leben verbraucht hat im Dienst an Mann und Kindern.“[167]
Eine tiefe Entartung der Klöster sieht die
Apologie darin, dass sie, die einst Stätten des christlichen Unterrichts waren,
vielfach „nur eine faule Schar ernähren, die von den öffentlichen Almosen der
Kirche wohl leben“ (XXVII, 5). Unermüdlich hat Luther verkündigt: „Gott will
keine faulen Müßiggänger haben, sondern man soll treulich und fleißig
arbeiten.“ (Erl. Ausg. 41, 159.) Und zwar ist die Arbeit nicht erst als ein
Mittel zur Einschränkung von Sünde notwendig geworden (Erl. Ausg. 2, 464),
sondern gehört zu Bestimmung des Menschen, dem Gott schon im Paradies
tätig zu sein „befohlen“ hat (Erl. Ausg. 27, 190; 3, 77). Welches ist also des
Christen Motiv zum Arbeiten? Schon hier tritt der gewaltige Unterschied
zwischen ihm und den Ungläubigen ans Licht: „Die Gottlosen arbeiten nur aus
Habgier und durch die Not gezwungen, der Fromme dagegen aus Gehorsam und Gottes
Gebot.“ (Weim. 29, 442, 24.) Nicht also, als ob die Arbeit an sich ihren Gewinn
bringen müsste. Vielmehr sagt er in seinem Glauben zu Gott: „Meine Arbeit tut’s
und schafft’s nicht, wo du nicht das Gedeihen dazu gibst.“ (Erl. Ausg. 13, 148.)
Ja, genau genommen ist es nur Gott, der uns versorgt: „Ohne meine Arbeit will
Gott es nicht tun, aber doch nicht durch meine Arbeit“; sondern Gott
wirkt so in der Welt, dass er sich selbst nicht sehen lässt (Theologie des
Kreuzes), so dass man ihn leugnen kann; er verbirgt sich hinter den natürlichen
Mitteln. Wenn er z.B. will, dass wir das Feld bestellen, oder dass wir uns
gegen Feinde bewaffnen, so ist das „nur ein Spiegelfechten“, „eine Verkleidung“
(larvae) Gottes, so dass die Welt meint, unsere Arbeit habe es ausgerichtet.
Aber „wenn wir uns auch zu Tode pflügten, würden wir doch nichts erreichen.“
(Weim. 16, 263; Erl. Ausg. 35, 251 f.) Das eigentliche Motiv des Christen zur
Arbeit ist also der im Glauben erkannte und bejahte Wille Gottes. Darum kann er
auch dann nicht müßig sein, wenn er genug, ja überflüssig viel besitzt; „die
Christen“ sagen: „Obwohl ich Groschen und Gulden habe, will ich doch arbeiten,
weil es befohlen ist.“ (Weim. 29, 441, 20.) Diese Liebe zu dem Willen Gottes
schließt dann als Motiv auch die Nächstenliebe in sich, nach der man die
anderen nicht schädigen, sondern vielmehr fördern möchte. Denn nur den
„urteilt Gott für einen Christen“, der sich von seiner eigenen Arbeit nährt und
nicht „von anderer Blut und Schweiß“, und der auch arbeitet, „damit er dem
Dürftigen auch könne geben“ (Erl. 9, 311). Auf solche Weise wird des Christen Arbeit
geadelt. Sie wird zuerst befreit von der Last der Sorge um den Erfolg:
„Sorge du nicht, wie du ernährt werdest und die Arbeit dein Haus baue und erhalten.
Gib das alles Gott heim und lass ihn sorgen und bauen.“ (Erl. Ausg. 41, 140);
während „die Welt“ „Gottes Ordnung zu verkehren pflegt“, indem sie „sorgen und
trachten will, woher sie Geld und Gut zuwege bringe“, „aber der Arbeit und des
Schweißes ihres Angesichts entladen sein möchte“ (Erl. Ausg. 13, 146). Der
Glaube bewahrt den Christen auch davor, bei seiner Arbeit die Rücksicht auf seine
Gesundheit außer Acht zu lassen; er genießt sorgenfrei und unbefangen „die
Ruhe, ohne welche niemand lange dauern kann“ (Erl. Ausg. 2, 464). Dieser Glaube
und die damit verbundene Liebe, die sich sehnt, Gott zu Willen zu sein, macht
ihm endlich das Arbeiten zu einer Herzensfreude. Von der Menge der hierher
gehörenden herrlichen Ausführungen Luthers enthalten die Bekenntnisschriften
die zum 4. Gebot, wo es z.B. heißt: „Sollte nun nicht ein Herz springen und
von Freuden zerfließen, wenn es zur Arbeit ginge und täte, was ihm befohlen
wäre, dass es könnte sagen: Siehe, das ist besser als aller Karthäuser
Heiligkeit, ob sie sich gleich zu Tode fasten und ohne Unterlass auf den Knien
beten.“ (Gr. Kat. I, IV, 120.) „Darum sollen Knechte und Mägde zusehen,
dass sie … tun alles, was sie wissen, dass man von ihnen habenwill, nicht aus
Zwang und Widerwillen, sondern mit Lust und Freuden, eben um voriger Ursachen
willen, dass es Gottes Gebot ist und ihm vor allen anderen Werken wohlgefällt,
um welches willen sie noch Lohn sollten zugeben.“ (Gr. Kat. I, IV, 143.)
„Derhalben sollst du von Herzen froh sein und Gott danken, dass er dich dazu
erwählt und würdig gemacht hat, ihm solche köstliche, angenehme Werke zu tun.
Und halte es nur für groß und teuer, ob es gleich [als] das allergeringste und
verachtetste angesehen wird.“ (Gr. Kat. I, IV, 117.) Ebenso die Apologie: Wie
die Arbeit eines Paulus, Athanasius, Augustin und Davids Kriegsführung und
Regieren heilige werke und wahre Opfer waren, „so denken wir auch über die
einzelnen guten Werke in den niedrigsten und nichtöffentlichen Berufen“ (IV
(III), 69 ff.). Auch das einfachste „Meidlein“, das „fromm und gehorsam“ in
seiner Arbeit ist, kann sich glücklich und stolz fühlen, wie wenn es vom Adel
wäre, – „und bist gar ein Junker“ nennt es Luther (Gr. Kat. I, IV, 148).
Wenn man danach arbeiten soll, eben um zu
arbeiten, so darf dies nicht dahin verstanden werde, als dürfte sich jeder nach
Belieben eine Tätigkeit auswählen. Das würde zu einem Chaos führen, zu einer
Anarchie (Erl. Ausg. Opp. ex. 1.4,112). Es muss Ordnung herrschen in dem
mannigfachen ineinandergreifenden Weltgetriebe. Darum soll sich jeder seine
besondere Tätigkeit von Gott anweisen lassen. Dies geschieht durch den Beruf,
den Gott der Schöpfer und Erhalter den Einzelnen durch die ihnen verliehenen
Eigentümlichkeiten und durch die von ihm herbeigeführten Verhältnisse
zuspricht. Wen z.B. Gott als Mann erschaffen hat, der „sein Geschlecht fühlt“,
der soll in den Ehestand treten; wem aber Gott ausnahmsweise „die Gabe der
Keuschheit“ verliehen hat, ist davon „befreit“ (z.B. Gr. Kat. I, VI, 211; vgl.
49 ff.; 59 ff.; 235 ff.). Oder wenn „dein Kind tüchtig ist und Lust hat“ zum
Studieren, so sollst du „es lassen lernen“ (Erl. Ausg. 17, 338) „und studieren“
(Gr. Kat. I, IV, 174). Wer als Kind, als Knecht oder Magd in einem Haus lebt,
dem hat Gott damit seine besondere Tätigkeit angewiesen; wem Gott ein Kind
anvertraut hat, der ist damit in den „Vater- oder Mutterstand“ versetzt (Gr.
Kat. I, IV, 105 ff.). Bei manchen Berufsarten müssen die Befähigung und Neigung
zusammentreffen mit den herrschenden äußeren Ordnungen. So ist zur Ausübung des
im Namen der christlichen Gemeinde handelnden Predigtamts sowohl eine
innerliche wie eine äußerliche Berufung erforderlich: „zum ersten, dass er ein
Amt habe und gewiss sei, dass er [auf ordnungsgemäßem Weg] berufen und gesandt
sei … zum andern, dass er gewiss sei, dass er Gottes Wort lehre und predige und
nicht Menschenlehre oder Teufelslehre führe“ (Erl. Ausg. 48, 139). Mit
allergrößtem Ernst warnt Luther davor, sich eine öffentliche Tätigkeit in der
Kirche anzumaßen, ohne dass diese beiden Voraussetzungen zutreffen, und das
Augsburger Bekenntnis erklärt, „dass niemand in der Kirche lehren oder predigen
oder Sakrament reichen soll ohne ordentlichen Beruf“ (Art. XIV). Es ist ein schwerer
Irrtum zu meinen, man dürfe oder müsse einer Weisung Gottes schon deshalb
folgen, weil sie einmal in der Biel jemandem erteilt worden ist. Wie Luther so
oft den Schwärmern vorgehalten hat, es komme nicht darauf an, ob Gott einen
Befehl gegeben hat, sondern darauf, „ob er’s dir gesagt hat“, so führt
die Apologie aus: Wenn Christus dem reichen Jüngling aufgibt, all das Seine zu
verkaufen, um Christus nachzufolgen, so ist dieser „Beruf“ nicht allen erteilt,
sondern nur „dieser Person, mit der Christus dort redet, wie die Berufung
Davids zur Herrschaft, Abrahams zur Opferung seines Sohnes nicht von uns
nachgeahmt werden darf. Die Berufungen sind personell, wie die Tätigkeiten
verschieden sind nach den Zeiten und Personen; aber das Beispiel des Gehorsams
ist generell. Die Vollkommenheit [von der Christus dort spricht] besteht darin,
dass ein jeder in wahrem Glauben seiner Berufung gehorcht“ (XXVII, 48 ff.).
– Soll man aber bei der Berufswahl durch die Verhältnisse, also auch durch die
jeweilige Gesellschaftsordnung sich leiten lassen, so muss ein Christ auch
fragen, ob alle tatsächlich bestehenden Berufsarten oder von anderen
geübten Tätigkeiten dem Willen Gottes entsprechen, ob sie „göttlich“
sind. Luthers regelmäßige Antwort lautet: Kein Beruf ist göttlich, den nicht
Gott geboten hat, oder auch, da Gott Liebe zum Nächsten fordert: Kein Beruf,
mit dem man nicht anderen dient, wohl gar sie schädigt.[168] Die Schwärmer etwa
meinten, zum „Zerbrechen der Bilder“ berufen zu sein. Dies aber ist unmöglich,
da Gott das Bilderstürmen nicht geboten hat und da dieses gegen das Gebot der
Liebe verstößt (Weim. 16,482,4; Erl. Ausg. 28, 226.215). Ebenso kann der Mönchsstand
schon deshalb kein „göttlicher“ sein, weil er „der Liebe widerspricht“, indem
er auch dann ans Kloster bindet, wenn die Eltern und die Nächsten „Not leiden
oder zugrunde gehen, selbst die ganze Welt“. Nichts ist Luther in seiner
Mönchszeit „schwerer aufs Gewissen gefallen als diese Grausamkeit und
gotteslästerliche Versagung der Liebe“ (Erl. Ausg. Opp. v. a. 6, 309 ff.). In
den weltlichen Ständen und Berufen dagegen kann man die echte Christenpflicht
üben, „darauf sehen, was anderen nütze und gut und not ist“ (Erl. Ausg. 22,
71). Und „wie ein gar fein Wesen wäre es, wenn ein jeglicher des Seinen wartete
und doch den anderen damit diente und also viele auf der rechten
Straße gen Himmel führen“ (Erl. Ausg. 10, 249). Nach lutherischer Auffassung
gehört also die Arbeit keineswegs (wie bei Calvin) in das Kapitel der Buße;
auch kommt es nicht auf das bloße Arbeiten an, so dass der Beruf nur den
negativen Wert einer unserer Tätigkeit gesetzten Grenze hätte (wie bei Calvin).
Vielmehr sollen wir wissen, „dass durch solche Werke [des Berufs] mehr
ausgerichtet wird, als wenn jemand alle Klöster gestiftet und alle Orden
gehalten hätte, wenn es gleich die allergeringste Hausarbeit wäre“ (Erl.
Ausg. 14, 209). Und zwar soll der Christ wissen, dass was er in seinem Beruf
ausrichtet, eben etwas von Gott Gewolltes ist, mag er dies nun selbst
nachrechnen können oder nur im Glauben nicht bezweifeln. Man dient damit
Gott. Gott erreicht damit etwas. Daher kann Luther als gleichbedeutend ansehen
unser auf Gottes Befehl verrichtetes Werk und Gottes Werk: „Wenn ich mein
Handwerk treibe und arbeite“ und „also gewiss bin, dass es Gott gefällt, so
sind es nicht meine, sondern Gottes Werke“ (Weim. 16, 481, 18; 483, 5.8; 484,
10 = Erl. Ausg. 36, 95 ff.). Als „Gottesdienst“ wird immer wieder die
Berufsarbeit bezeichnet, und zwar in dem Sinn, dass man „damit“, dadurch etwas
erreicht, was Gott erreicht haben will: „Durch die Obrigkeit gibt und
erhält uns Gott Nahrung, Haus und Hof, Schutz und Sicherheit“ (Gr. Kat. I, IV,
150). Nicht nur ein Paulus, Athanasius, Augustin, „die die Kirchen gelehrt
haben“,, haben mit ihrer Tätigkeit „wahre Gott wohlgefällige Opfer gebracht
und Christi Kriege geführt, durch die er den Teufel zurückgedrängt hat“,
sondern auch „die arbeiten eines Davids im Regieren und Kriegführen sind
heilige Werke, sind Kämpfe Gottes, der jenes Volk, welches das Wort Gottes
besaß, gegen den Teufel verteidigte, damit nicht die Erkenntnis Gottes verloren
ginge. Ebenso bei den geringsten und privaten Berufsarten. Durch diese Werke
triumphiert Christus gegen den Teufel, der dahin arbeitet, dass nicht etwas zum
Lob Gottes geschehe“. Dies alles gehört zu der „äußeren Staatsordnung des
Reiches Christi unter den Menschen“ (Apol. IV (III), 70 ff.). Wie man
trotzdem hat behaupten können, nach Luther diene man wohl Gott in einem Beruf,
aber nicht durch einen Beruf, ist schwer verständlich. Nach lutherischer
Anschauung dient vielmehr jede von Gott aufgetragene Berufsarbeit dem großen
Ziel Gottes, dem Aufbau seines Reiches. Und zwar glaubt der Lutheraner dies
nicht nur dann, wenn er den Zusammenhang zwischen seinem handeln und dem Reich
Gottes selbst erkennen kann; sondern schon in der Gewissheit, dadurch Gottes
ewige Absichten zu fördern. Damit ist er vor der Verirrung gesichert, nur das
als „Reichgottesarbeit“ anzusehen, was unmittelbar, so dass man es direkt
beobachten kann, dem Reich Gottes förderlich ist. Daher ist es wertvoll, dass
Luther es liebt, die geringsten Berufsarbeiten als Gottesdienst zu bezeichnen,
wie Windeln waschen, Töpfe reinigen, Mist fahren. Er besaß Verstand genug, auch
einzusehen, dass derartiges dem Bestand und der Mehrung des Reiches Gottes
dient. – Aus dem Gesagten ergibt sich nun auch: Deshalb muss
diese Regel beachtet werden, damit jeder in seiner Berufung bleibt und mit
seiner Gabe zufrieden lebt, aber nicht begehrlich auf andere ist. (Erl. Ausg.
Opp. ex. lat. 4, 112.) Wie selten Ausnahmen von dieser Regel erlaubt sein
werden, folgt schon daraus, dass man dem über das Verhalten des Christen in
seinem Beruf Gelehrten die meisten der zu einem Berufswechsel reizenden
Beweggründe bei dem Christen fortfallen, wie Trägheit und Bequemlichkeit,
Abneigung gegen Sorgen und Widerwärtigkeiten, Ehrgeiz, Neid, Habsucht,
Unbeständigkeit.
Wenn es Brauch geworden ist, Luthers Lehre
vom weltlichen Beruf als die Proklamierung eines neuen „Lebensideals“ zu
preisen, so darf dabei ein Dreifaches nicht vergessen werden. Zuerst: Die
Berufstreue ist keineswegs das einzige Handeln gegen den Nächsten, das von dem
Christen gefordert wird; vielmehr soll dieser außerdem „jedermann wohltun,
helfen und fördern, wie und wo er kann, allein Gott zu Liebe und Gefallen“ (Gr.
Kat. I, Schluss, 326). Jene wichtige Lehre bildet also nur ein Stück des
christlichen Lebensideals. Sodann: Die geforderte Berufstreue meint nicht eine
bloß äußerliche tadellose Erfüllung der Berufspflichten, sondern verlangt als
das alles beherrschende Motiv den bestimmten Willen, Gott damit zu
dienen. Endlich: Wenn das Augsburger Bekenntnis das wahre Christentum
beschreiben will, so stellt sie das im Beruf Dienen erst an den Schluss; sie
nennt vorher: Gott ernsthaft fürchten und wieder großen Glauben und Vertrauen
um Christi willen entwickeln, dass wir um Christi willen einen versöhnten Gott
haben. (XXVII, 49; Apol. XXVII, 27.) Und Luther schreibt: „Die Werke in den
Ständen und Ämtern, die durch Gottes Wort bestätigt sind, … muss wohl jeder
loben; aber der keines macht allein einen Christen, sondern allein, dass er
sitze in dem Reich der Gnade, dass ihn Christus unter seine Flügel genommen.“
(Erl. Ausg. 14, 210 f.)
Die Obrigkeit und die staatlichen Ordnungen
gehören zu „Gottes Anordnungen“, sind „ein Werk Gottes“ (Apol. XVII,
59). Die Obrigkeit verrichtet „rechte, heilige Werke“, „dient Gott“ (Apol.
XXVIII, Schluss). Denn „Gott will, dass die Bösen durch eine äußerliche Zucht
in Schranken gehalten werden. Und um diese Zucht aufrechtzuerhalten, hat er
Gesetze, wissenschaftliche Kenntnisse, Gelehrsamkeit, Obrigkeiten, Strafen
gegeben“ (Apo. IV, 22). Auf solche Weise „erhält uns Gott Nahrung, Haus und
Hof, Schutz und Sicherheit“ (Gr. Kat. IV, 150). Und insofern dies die
Voraussetzung für unsere irdische Existenz ist, wird die Obrigkeit „die höchste
Wohltat Gottes auf Erden“ genannt (Augsb. Bek. XXVIII, 4). Wenn die
Wiedertäufer nichts von weltlichen Obrigkeiten wissen wollen, so steckt
dahinter der Teufel, der ihr ihre Krone nehmen will, um sie darnach mit Füßen
zu treten und alle Ordnungen Gottes zunichte machen will (Gr. Kat. IV, 61 f.).
Die Leugnung des göttlichen Rechts der Obrigkeit hat den allgemeinen Umsturz
zur Folge. Der Christ aber kennt noch eine höhere Bedeutung der weltlichen
Obrigkeit. Der eigentliche Grund, warum Gott Ordnung, Ruhe, Sicherheit aufrecht
erhält, ist der Bestand seines Reiches. Das weltliche Regiment Davids mit den
unvermeidlichen Kriegen sollte gegen des Teufels Wüten die Kenntnis Gottes, das
Reich Christi erhalten (Apol. IV (III), 70). Ebenso Luther: Würde es keine
Macht geben, die Recht und Ordnung schützte, so „würde eins das andere fressen,
dass niemand könnte Frau und Kind ziehen, sich nähren und Gott dienen, dass die
Welt wüste würde“ Hiervon aber würden vor allem die wahren Christen getroffen
werden, weil „der Bösen immer viel mehr sind als der Frommen“, und weil diese
eben „fromm“ sind, also sich nicht mit Gewalt wehren, deshalb wie Schafe unter
den „Wölfen, Löwen und Adlern“ sein würden. Es „dient das weltliche Regiment“
„dem Evangelium damit, dass es Friede hält unter den Leuten, ohne welchen man
nicht könnte predigen“. „Wenn einmal das Schwert abgetan wäre, wie lange würde
die Kirche Gottes in dieser Welt bestehen, da dann niemand vor der
Zügellosigkeit des Bösen seines Lebens und Besitzes sicher wäre?“ (Erl. Ausg.
22,68; 42,148; Enders 3, 190., 58.) – Aus dem Zweck der Obrigkeit folgt, dass
sie Zwangsgewalt besitzen muss, und zwar bis zur Verhängung der
Todesstrafe. Im fünften Gebot ist das Töten nur „dem einen gegen den anderen
verboten, nicht der Obrigkeit“. Denn „Gott hat sein Recht, Übeltäter zu
strafen, der Obrigkeit befohlen“ (Gr. Kat. I, V, 181; Augsb. Bek. XVI, 2; Apol.
XVI, 59). Dazu ist auch zu rechnen das Recht, Krieg (zur Verteidigung) zu
führen und Streitkräfte zu unterhalten (daselbst). Was dieses Recht meint, hat
Luther vielfach dargestellt. „Ein jeglicher Herr und Fürst ist schuldig, die
Seinen zu schützen und ihnen Friede zu schaffen.“ Folglich ist ein Krieg nur
als „pflichtiger Schutz und Notwehr“ erlaubt; nur als „Notkrieg“, „aus Not und
Zwang aufgedrungen, nachdem man ist von einem anderen angegriffen“. Daher will
Luther auch keinen Präventivkrieg gestatten. Wenn „ein vernünftiger Fürst“
sieht, wie „seine Feinde oder Nachbarn scharren und pochen, böse Worte fahren
lassen“, „so fragt er nicht groß danach, bis er sieht, dass man seine
Untertanen angreift oder findet das Messer gezückt mit der Tat“. (Erl.Ausg. 22,
273 ff.) – Wenn Luther das Strafrecht der Obrigkeit mit Energie verteidigt,
oder besser gesagt, ihr diese Pflicht vorhält, so bedeutet dies nicht „die
Verherrlichung der Gewalt um der Gewalt willen, die auf dem Boden der Sünde das
Wesen des Rechts geworden ist und daher die jeweils herrschende Macht als
solche glorifiziert“ (Troeltsch). Denn wie Luther die elterliche Gewalt nicht
um der Gewalt willen verherrlicht, so sieht er die Obrigkeit nur um der Ordnung,
um des Schutzes des Rechts willen als mit Macht ausgestattet an, und er
hat keineswegs jede jeweils herrschende Macht glorifiziert, vielmehr die unter
Abbruch der von Gott geleiteten geschichtlichen Entwicklung durch bloße
revolutionäre Gewalt erhobene Macht für unberechtigt erklärt. Damit ist klar,
dass Gottes Ordnung nicht die Tyrannei, nicht der Willkürstaat ist, er auch
nicht der Bereicherung Einzelner oder bestimmter Kreise dienen darf, sondern dass
er vielmehr sittlicher Rechtsstaat sein muss, und dass auch die Gesetze nicht
Willkür Raum geben, ebenso wenig der natürlichen, von Gott vorgegebenen Ordnung
widersprechen dürfen (s. oben S. 88). Vielmehr sollen sie, als sittliche
Rechtsordnung, die natürliche Ordnung Gottes, ausgehend vom Urrecht auf Leben,
in der jeweiligen Zeit, Kultur, unter Verwendung, Weiterentwicklung und
Veredelung der jeweiligen Tradition, des jeweiligen Brauchtums des jeweiligen
Volks entfalten. Darum ist der Christ da zum (passiven) Widerstand
verpflichtet, wo diese natürlichen Ordnungen Gottes durch den Staat angegriffen
werden, etwa wenn er Abtreibungen, Euthanasie, Ehen außerhalb der Ehe von Mann
und Frau zulässt, wenn er die Autonomie von Ehe und Familie angreift, die
Hoheit über die Erziehung der Kinder an sich zieht, das Eigentum über die
Sozialbindung hinaus in Frage stellt, die freie sittliche Entfaltung der
Persönlichkeit, einschließlich der Rede- Meinungs- und Religionsfreiheit
hindert oder einschränkt, das Amt der Kirche einschränkt oder behindert usw.
(Weiteres zur Frage des Widerstandsrechts siehe oben, S. 90 ff. und unten, S.
188 ff.) Herrschaft ist also nicht bloß Recht, sondern vor allem und in erster
Linie Pflicht, Verpflichtung, ein „Dienst des gemeinen Wesens“ oder „gemeinen
Nutzens“.[169]
Der Staat, die Herrschaft ist um des Volkes willen da, nicht umgekehrt.[170]
Die Gewalt des Staates, des Herrschers ist daher auch keine absolute, sondern
bestimmt von seinen Aufgaben, also Schutz, Frieden, Recht und Gerechtigkeit,
die Freiheit aller und das allgemeine Wohl zu gewährleisten und zu fördern.[171]
Jede Verletzung dieser Pflichten, jedes Überschreiten der dem Staat gesetzten
Grenzen ist ein Schritt in die Tyrannei. Deshalb gibt es auch keine absolute
Gehorsamspflicht, sondern sie ist bedingt durch die Rechtmäßigkeit der
Herrschaft und des Befehls.[172]
Wenn das „Recht des Schwertes“ gegen die im
Inneren des Staates wie von außen drohenden „Übeltäter“ so stark betont wird,
so darf das nicht dahin verstanden werden, als sei dies die einzige Aufgabe
einer rechten Regierung. Es wird vielmehr nur dadurch veranlasst, dass eben
jene Aufgabe der Obrigkeit sowohl von dem mönchischen wie von dem
schwärmerischen Geist herabgesetzt oder gar geleugnet wurde. Luther erwartet
eine viel weiter gehende Fürsorge für das leibliche wie geistige Volkswohl
von der Obrigkeit, soweit dafür nicht das Haus und die Kirche sorgen können
(gemeindliche und kirchliche Diakonie; zivilgesellschaftliche Sozial- und
Wohlfahrtsverantwortung), betont also das Staatsziel der allgemeinen
Wohlfahrt (Sozialstaat). Ihr soll die Volksernährung so sehr am Herzen
liegen, dass sie nötigenfalls Vorräte an Lebensmitteln ansammelt. Sie soll sich
der „Verlassenen“, besonders der Witwen und Waisen annehmen, überhaupt für die
Armen sorgen. Sie soll dafür wirken, dass „Prediger, Juristen, Pfarrherren, Schreiber,
Ärzte, Schulmeister und dergleichen bleiben“. Auch deshalb soll sie die Pflicht
zur schulischen Unterweisung, und zwar für Knaben und Mädchen, einführen; und
wenn der Vater eines „tüchtigen Knaben arm ist“, so soll sie „mit Kirchengütern
dazu helfen“. Wo es aber an Schulen fehlt, soll sie solche „aufrichten und
erhalten“.[173]
Ebenso soll sie „Fleiß und Kosten nicht sparen“, gute öffentliche Bibliotheken
anzulegen, und zwar nicht nur zum Zweck des Studiums derer, „die uns geistlich
und weltlich vorstehen sollen, sondern, dass auch die guten Bücher behalten und
nicht verloren werden, samt der Kunst und Sprachen, so wir jetzt von Gottes
Gnade haben“. (Erl. Ausg. 43, 213; 39, 240; 17, 420 f.; 22, 170 ff. 194.) Aber
damit hat Luther nicht dem Staat die Erziehung übertragen. Er soll sie vielmehr
nur da ausüben und nur in dem Maß, in dem die Eltern dazu nicht in der Lage
sind. Ihnen gehört von Gott her die Erziehung der Kinder. „Denn wo ein Vater
nicht allein vermag sein Kind aufzuziehen, nimmt er einen Schulmeister dazu,
der es lehre; ist er zu schwach, so nimmt er seine Freunde und Nachbarn zu
Hilfe; geht er ab, so befiehlt er und übergibt das Regiment und Oberhand
andern, die man dazu ordnet.“ (Gr. Kat. I, IV, 141.)
Daneben aber beharrt Luther auf seinem
alten Satz, dass „die weltliche Gewalt nichts mit dem Predigen und Glauben und
den ersten drei Geboten zu schaffen hat“ (Erl. Ausg. 16, 198; vgl. oben S. 88
ff.). Niemals darf die Obrigkeit den Glauben ihrer Untertanen bestimmen oder
sie um ihres Glaubens willen bestrafen wollen. Wenn aber zu jener Zeit sich
noch als unmöglich herausstellte, dass Bekenner verschiedener Konfessionen in
demselben Land friedlich beisammen wohnten, so hat Luther (im Jahr 1531)
erklärt: „Es muss doch zuletzt dahin kommen, dass man einen jeglichen lasse
glauben, wie er’s in seinem Gewissen weiß zu verantworten vor Gott“ (Erl. Aus.
60, 249; Weim. Tischr. 2, 419 f.). Der Ruhm also, zuerst den Gedanken der Toleranz
ausgesprochen und durch die Zwei-Reiche- oder Zwei-Regimente-Lehre, die
grundsätzliche Unterschiedenheit von Staat und Kirche untermauert zu haben,
gebührt Luther (s. oben S. 88 f.). Über die Erwartung, die evangelischen
Fürsten würden nötigenfalls ihrer Kirche zu deren Betätigung behilflich sein,
sind auch die lutherischen Bekenntnisse nicht hinausgegangen. Auch nicht
Melanchthon in seinem Tractatus über die Gewalt des Papstes. Nachdem er hier
von den „frommen“ Gliedern der Kirche das gebührende Grauen vor den
seelenverderbenden Irrtümern des Papstes und dessen Ermordung der Heiligen
verlangt hat, fährt er fort: „Vornehmlich aber müssen die herausragenden
Glieder der Kirche, die Könige und Fürsten der Kirche helfen und dafür sorgen,
dass die Irrtümer abgetan werden“ und die Ermordung der Heiligen aufhöre
(Tract. 54). Nicht also sollen die Fürsten selbst die Irrlehren angreifen,
sondern der Kirche ermöglichen, dies zu tun, und so sollen sie nicht als
Fürsten, sondern als Glieder der Kirche tun, weil sie als in hervorragender
Stellung befindlich dazu imstande sind, wie auch nur sie etwas gegen die
Verfolgung der Evangelischen zu unternehmen vermögen. Da es sich damals um die
Frage handelte, ob die evangelischen Fürsten das vom Papst ausgeschriebene
Konzil beschicken sollten, fährt Melanchthon fort, sie müssten der jedes
päpstliche Konzil knechtenden Willkür des Papstes Schranken ziehen und
bewirken, dass die Kirche ihre Vollmacht, aus dem Wort Gottes zu urteilen und
zu beschließen, ausüben könne.[174]
Wenn man die der weltlichen Obrigkeit
angewiesene vielseitige Tätigkeit als „Patriarchalismus“ bezeichnet hat
(Troeltsch), so ist daran soviel richtig, dass von den Fürsten gefordert wird,
sie sollten sich nicht als Autokraten fühlen, sondern „ein väterliches Herz
gegen die Ihren tragen“ „als die in ihrem Regiment das Vateramt treiben“, wie
die Römer die Herren im Haus Familienväter, ihre Landesfürsten Landesväter
genannt hatten (Gr. Kat. I, IV, 142), sie sollen also dem Volk dienen. Das
heißt nicht, dass alle Aufgaben und Vollmachen bei den staatlichen
Einrichtungen zu konzentrieren sind – vielmehr ist der Staatsallmacht zu wehren
–, sondern nur, dass für die allgemeine Wohlfahrt von solchen, die dazu Macht
und Befugnis haben, zu sorgen ist. Es sind nicht zuletzt lutherische
Sozialreformer gewesen, die sich gegen die staatssozialistischen Tendenzen
Bismarcks für den „mündigen Arbeitnehmer“ (Theodor Lohmann, Hans Hermann
Freiherr von Berlepsch) eingesetzt haben, der zur verantwortlichen Mitarbeit in
Staat und Gesellschaft erzogen und herangezogen wird, und für die „soziale
Demokratie“ (Lorenz von Stein), die gerade auch die freien gleichberechtigten
Arbeitnehmerorganisationen (Gewerkschaften) als wichtige Bestandteile der
sozialen Marktwirtschaft kennt. Das Vateramt der Regierenden ist dabei
unabhängig von der jeweiligen Staatsform. Gerade der Gedanke des Vateramtes in
Verbindung mit den von Gott vorgegebenen natürlichen Ordnungen setzt
obrigkeitlicher Gewalt von vornherein Grenzen, die umso wichtiger sind, da auch
die Inhaber solcher Gewalt Sünder sind, weshalb die Einschränkung der Macht und
ihre Verteilung auf verschiedene Institutionen sinnvoll und ratsam ist. Da sich
diese überfamiliäre Gewalt ja letztlich ableitet aus dem Vateramt in der
Familie als der ersten obrigkeitlichen Gewalt, und das Haus gemäß dem vierten
Gebot göttliche Stiftung ist, so ist auch damit angegeben, dass obrigkeitliche
Gewalt ausgeübt werden muss in der Verantwortung vor Gott und den Menschen.
„Denn aus der Eltern Oberkeit fließt und breitet sich aus alle andere.“ (Gr.
Kat. I, IV, 141.) „Darum übertrifft der Eltern Oberkeit und Herrschaft alle
andere Oberkeit, des Papsts, Kaisers, der Könige, Fürsten und Herren. Es ist
der höchste Stand, schwebt hoch über alle Stände, und die anderen sind nur
Stück und Flickwerk gegen ihn, ja, alle Stände kommen daher.“ (Erl. Ausg. 36,
111.) Letztlich also ist der Staat nur die Repräsentation der einzelnen Häuser,
übt die ihm von ihnen übertragenen Rechte aus – mehr aber darf er auch nicht
tun.
Aus dem Gesagten ergibt sich schon, dass
das Dasein und das Handeln der Obrigkeit keineswegs im Widerspruch steht zu dem
Grundprinzip des Christentums, zu der Liebe. Vielmehr ist es ein
„Gottesdienst“, insofern es Gottes Absichten fördert, und ein Liebesdienst an
„der Welt und dem Nächsten“, insofern es diesen „nutz und not“ ist. Dies
auszuführen hatte Luther besondere Ursache hinsichtlich des obrigkeitlichen
Handelns, das wie erbarmungslose Härte erschien, hinsichtlich des „Mordens“.
Aber selbst das im Krieg notwendige „Würgen, Rauben und Brennen“ und den
Feinden auf jede Weise zu schaden ist „christlich und ein Werk der Liebe“, der
Liebe zu den bedrohten Untertanen (z.B. Erl. Ausg. 22, 101). Was aber so
objektiv ein Werk der Lieb eist, das soll ein christlicher Fürst auch nur aus
Liebe und in Liebe tun: „Hierin musst du nicht ansehen das Deine und wie du
Herr bleibst, sondern deine Untertanen, denen du Schutz und Hilfe schuldig
bist, auf dass solch Werk in der Liebe gehe.“ (daselbst.) Darum muss
eine christliche Obrigkeit bei allem Strafen doch auch Erbarmen fühlen mit dem
Übeltäter: „So sehen wir, dass ein frommer Richter mit Schmerz ein
Urteil fällt und ihm leid ist der Tod, den das Recht über denselben
bringt.“ (Erl. Ausg. 16, 209.) Ein Christ sagt sich: „Mein Gut, meine Ehre,
meinen Schaden soll ich nicht achten und nicht darum zürnen, aber Gottes Ehre
und Gebot und unseres Nächsten Schaden und Unrecht müssen wir wehren, die
Oberen mit dem Schwert, die anderen mit Worten und Strafen, und doch alles mit Jammern
derer, die die Strafe verdient haben“ (daselbst.) Noch mehr erwartet Luther von
der Liebe des Richters: „So er einen bösen Menschen sieht, der sich mit5 Worten
nicht will regieren lassen, so soll er denken: Ach Gott! Wie gern wollt ich für
den sterben, wenn es sein könnte! Er hat eine Seele, der kann ich nicht
helfen.“ Wenn er dann abwägt, was schlimmer ist, der Tod des Leibes oder der
Tod der Seele, dann wird er auch aus Erbarmen mit dem Verbrecher, dessen Seele
vielleicht noch durch die Verhängung der Todesstrafe zu retten ist, das
gerechte Urteil fällen.“ (Erl. Ausg. 13, 172; 16, 363; Weim. 10, 3, 254 f.) Das
also fordert die christliche Sittlichkeit von dem Träger eines obrigkeitlichen
Amtes, dass die christliche Liebe ihn bei aller seiner Tätigkeit leitet.
Wie nun hat sich der christliche Staatsbürger
zu diesem Staatswesen und seinen Ordnungen zu stellen? Er hat die Obrigkeit als
Gottes Ordnung „nicht nur zu billigen, sondern auch zu ehren und groß zu
achten“ (Gr. Kat. I, IV, 150) und ihr und ihren Gesetzen sich zu unterwerfen,
wie wir uns den Naturgesetzen unterwerfen, so lange das ohne Sünde geschehen
kann (Augsb. Bek. XVI, 6; Apol. XVI, 58). Selbstverständlich ist keine Rede von
einem „unbedingten Gehorsam“; vielmehr hebt schon das Augsburger
Bekenntnis hervor: „Es sei denn, dass sie zu sündigen gebieten, denn dann muss
man Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Augsb. Bek. XVI, 7; XXIII, 7;
XXVIII, 75.) Hierin geht Luther so weit, dass er von den Untertanen
Gehorsamsverweigerung fordert, wenn eine Obrigkeit aktive Teilnahme an einem
unzweifelhaft ungerechten Krieg verlangt, und das geduldige Ertragen etwaiger
schlimmer Folgen; „man muss doch solche Gefahr in allen anderen Fällen auch
erwarten, da die Obrigkeit zwingt, Unrecht zu tun“ (Erl. Ausg. 22, 283). – Da
nun das Staatswesen nach Gottes Willen dem Wohl des Ganzen dient, kann sich
auch ein Christ aktiv daran beteiligen, also staatliche Ämter bekleiden (Augsb.
Bek. XVI, 2.3); ja, er soll, falls es an Personen dazu fehlt, sich dazu
anbieten, wenn er dazu tauglich ist (Erl. Ausg. 22, 73). Überhaupt soll der
Christ nach Kräften die Obrigkeit unterstützen, dass sie ihre Tätigkeit
gedeihlich ausüben kann. Dies gehört zu den „Werken der Liebe“ (Erl.
Ausg. 22, 71). Wenn es daher zur Aufklärung eines Tatbestandes dessen bedarf,
soll er den fordernden Beamten auch einen Eid ablegen (Augsb. Bek. XVI, 2;
Apol. XVI, 53). Zu verwerfen sind die Wiedertäufer, die verbieten, ein
obrigkeitliches Amt zu bekleiden, Gericht zu halten, Militärdienst oder einen
Zeugeneid zu leisten (KF; Kurze Darl. XII, 12 ff.; Ausf. Darl. XII, 17; Gr.
Kat. I, II, 65 f.). Vielmehr soll „ein jeglicher seinem Nächsten helfen zu
seinem Recht und stracks darüber halten, es treffe an, was es wolle“ (Gr. Kat.
I, VIII, 260). Etwa: „Siehst du jemand unschuldig zum Tod verurteilt oder in
gleicher Not, und nicht rettest, so du Mittel und Wege dazu wüsstest, so hast
du ihn getötet; denn du hast ihm die Liebe entzogen.“ Ebenso soll jeder,
wenn die Obrigkeit nicht zur Stelle ist, „Bösem“, das dem Nächsten droht,
„zuvorkommen, wahren, schützen, retten“ (Gr. Kat. I, V, 189 f.). Ferner ist es
„Pflicht der ,Liebe“, „dass wir der Obrigkeit es anzeigen, wenn öffentlich
gesündigt worden ist und sie nicht darum weiß“ (Erl. Ausg. Opp. ex. lat. 5,
165). Auch bei der Erfüllung ihrer Kulturaufgaben soll man sie nach Kräften
unterstützen; Reiche sollen zur Erhaltung der Bildung und der ein Studium
erfordernden Berufe durch Stiftung von Stipendien beitragen (Erl. Ausg. 17,
421) oder mit „Geld und Gut“ die Gründung und Erhaltung von Schulen fördern
(Erl. Ausg. 22, 174). Kurz, weil ein rechter Christ auf Erden nicht sich
selbst, sondern seinen Nächsten lebt und dient“, so „dient, hilft und tut er
alles, was er kann, dass der Gewalt förderlich ist“ (Erl. Ausg. 22, 71).
Wie aber, wenn man an dem Verhalten der
Obrigkeit oder an den bestehenden Gesetzen etwas auszusetzen hat? Soll man dann
„sich zum Wohl des Ganzen bedingungslos den von Gott und der Vernunft
gestifteten Ordnungen unterwerfen“? Soll man sich dann durch die Theorie von
dem „beschränkten Untertanenverstand“ beruhigen? Wenn man Luther so etwas
nachgesagt hat, so wohl deshalb, weil dieser Ein Mittel zur Abstellung von
Übelständen im Staatswesen eindeutig verworfen hat, die Revolution.
„Dass ein Volk sich aufmacht und setzt seinen Herrn ab oder erwürgt ihn“, will
Luther selbst dann nicht als berechtigt gelten lassen, wenn der Fürst „Unrecht
tut“, ja tyrannisch regiert: „Mir ist noch kein solcher Fall vorgekommen, da es
billig wäre, kann auch jetzt diesmal keinen erdenken.“[175]
Einen dem Wahnsinn verfallenen Fürsten dürfe man freilich entfernen, da er
nicht mehr als Mensch gelten könne. In einem „wütigen Tyrannen dagegen sei noch
Gewissen und Erkenntnis, er könne noch sich bessern, sich sagen lassen und
lernen und folgen“. Würde man gegen ihn bald das Recht der Revolution geltend
machen, so würde man bald Tyrannen schelten, die es nicht seien, und nach
Belieben Fürsten verjagen und ermorden, „wie es die römischen Historien uns
zeigen“. Und wer verbürgt uns, dass da neue Regiment besser sein wird als das
gestürzte, zumal wenn durch die Revolution die Masse, „der Haufen“, „der Pöbel“
die Gewalt in seine Hände bekommt? „Der Pöbel weiß und hält kein Maß und steckt
in einem jeglichen mehr als fünf Tyrannen.“ „Obrigkeit ändern und Obrigkeit
bessern sind zwei Dinge, soweit voneinander wie Himmel und Erde.“ Selbst dann,
wenn ein Fürst „sich mit Eiden seinen Untertanen verpflichtet hat, nach
gestellten Artikeln zu regieren, und hält sie nicht und damit schuldig sein
will, auch das Regiment zu lassen“, „sollst du ihn darum angreifen,
solches richten und rächten? Es müsste doch ein ordnungsgemäßer Gerichtshof da
sein, der den Fürsten und seine Ankläger anhörte und den Schuldigen
verurteilte.“ (Das zeigt an, dass für Luther die Justiz allerdings unabhängig
von den Fürsten, der Regierung, der Exekutive sein muss; er geht also klar von
der nötigen Gewaltenteilung aus.)[176]
Es bleibt also für den Christen nichts anderes übrig als die Rache Gott zu
befehlen; der hat Mittel genug dazu (Erl. Ausg. 22, 258 ff.). Die lutherischen
Bekenntnisschriften halten es gar nicht für erforderlich, das Unrecht der
Revolution darzulegen. Erwähnt wird nur der unter günstigen Umständen zum
Aufruhr bereite Geist der Auflehnung, der soviel als möglich sich über die
bestehenden staatlichen Ordnungen hinwegsetzt; darauf werden schwere
Miss-Stände zurückgeführt: „Warum, meinst du, dass jetzt die Welt so voll
Untreue, Schande, Jammer und Mord ist, wenn nicht, weil jedermann sein eigener
Herr und kaiserfrei will sein, auf niemand etwas geben und alles tun, was ihn
gelüstet?“ (Gr. Kat. I, IV, 154.)
Luther hat aber seine Lehre vom Widerstand
weiterentwickelt und vertieft, vor allem nach dem Augsburger Reichstag 1530,
als es ganz offenbar wurde, dass die Gefahr da war, dass Kaiser und Papst
zusammen gewaltsam gegen das Evangelium, die Lutheraner vorgehen werden, wie es
16 Jahre später ja auch tatsächlich geschehen ist. Luther bleibt zwar
einerseits bei der Grundhaltung, dass von Seiten der Gläubigen kein Krieg
begonnen werden und der Friede gesucht werden soll. Aber er sieht auch, welch
ein antichristliches und auch gegen jedes Recht streitendes Wüten vor der Tür
war, so dass er daran erinnert: „Gott kann aber wohl etwa einen Judas
Makkabäus erwecken (obgleich ich und die Meinen still sitzen und leiden), der
den Antiochus mit seinem Heer zerschmettere und recht kriegen lehre; wie er uns
an den Böhmen lehrte kriegen und Frieden halten.“[177] Unter welchen Umständen kann es also dazu kommen,
dass auch die Christen zu den Waffen greifen und vor allem dem Kaiser und ihrem
Fürsten unter Umständen keinen Gehorsam leisten? „Weiter, wo es zum Krieg
kommt, da Gott vor sei! So will ich das Teil, so sich wider die mörderischen
und blutgierigen Papisten zur Wehr setzt, nicht aufrührerisch gescholten haben
noch schelten lassen, sondern will’s lassen gehen und geschehen, dass sie es
eine Notwehr heißen, und will sie damit ins Recht und zu den Juristen weisen.
Denn ich solchem Fall, wenn die Mörder und Bluthunde je kriegen und morden
wollen, so ist es auch in der Wahrheit kein Aufruhr, sich wider sie setzen und
wehren. Nicht, dass ich hiermit wolle jemand reizen noch erwecken zu solcher
Gegenwehr, noch sie rechtfertigen, denn das ist meines Amtes nicht, viel
weniger auch meines Richtens und Urteils. Ein Christ weiß wohl, was er tun
soll, dass er Gott gebe, was Gotts ist, und dem Kaiser auch, was des Kaisers
ist, aber doch nicht den Bluthunden, was nicht ihr ist; sondern dass ich einen
Unterschied gebe, zwischen Aufruhr und andern Taten, und den Bluthunden den
Schanddeckel nicht lassen will, dass sie rühmen sollten, als kriegten sie wider
aufrührerische Leute und hätten’s guten Fug nach weltlichem und göttlichem
Recht, wie sich das Kätzlein gern putzen wollte und schmücken. … Dass also die
Gegenwehr wider die Bluthunde nicht aufrührerisch sein kann; denn die Papisten
fangen an und wollen kriegen und nicht Frieden halten, noch den andern lassen,
die doch gerne Frieden hätten; dass also die Papisten dem Namen und der Tugend,
so Aufruhr heißt, viel näher sind. Denn sie haben gar kein Recht, weder
göttlich noch weltlich, für sich, sondern handeln aus Bosheit, wider alle
göttlichen und weltlichen Rechte als die Mörder und Bösewichte. Das ist leicht
zu beweisen: Denn sie wissen selbst wohl, dass unsere Lehre recht ist, und
wollen sie doch ausrotten.“[178]
Schließlich
fasst Luther die Ursachen zusammen, weshalb ein Christ dem Kaiser in bestimmten
Fällen nicht gehorsam sein darf: „Die erste Ursache, dass du in solchem Fall
dem Kaiser nicht sollst gehorsam sein und kriegen, ist diese: Dass du (sowohl
als der Kaiser selbst auch) in der Taufe geschworen hast, das Evangelium
Christi zu halten und nicht zu verfolgen noch zu bestreiten.“[179] Das heißt: Da, wo es gegen Christi Lehre geht, wo das
Tun eindeutig widergöttlich, widerchristlich ist, da darf der Christ nicht
mitmachen. „Die andere Ursache ist: Wenn gleich unsere Lehre nicht recht
wäre (wie sie doch alle anders wissen), so sollte dich doch alleine allzusehr
abschrecken, dass du mit solchem Streiten auf dich ladest, dich teilhaftig und
schuldig machst vor Gott aller der Greuel, die im ganzen Papsttum begangen sind
und fort begangen werden. Diese Ursache begreift in sich unzählige Greuel und
alle Bosheit, Sünde und Schaden.. Kurz, es ist die grundlose Hölle hier selbst,
mit allen Sünden, welcher du musst aller teilhaftig sein, wo du dem Kaiser
gehorsam bist in diesem Fall.“[180] Ein weiterer Grund, den Gehorsam zu verweigern, ist
der, dass man sonst teilhaftig wird all der abscheulichen Sünden, Greuel und
Schäden, die durch die andere Seite begangen und gefördert werden. „Die
dritte Ursache, dass du dem Kaiser in solchem Aufgebot nicht sollst gehorsam
sein, ist, dass du nicht allein solche Greuel musst auf dich laden und helfen
stärken, sondern musst auch helfen stürzen und ausrotten all das Gute, so durch
das liebe Evangelium ist wieder aufgebracht und angerichtet. Denn die Bösewichter
wollen nicht genug daran haben, dass sie solche Teufelei und Greuel erhalten,
dazu (wie sie im Edikt gebieten) keine Neuerung dulden, sondern ausrotten und
ganz vertilgen alles, was wir je gelehrt, gelebt und getan haben und noch tun
und leben.“ [181] Dies ist ein weiterer wichtiger Grund des
Widerstands gegen den Kaiser, nämlich wenn alles Gute, alles, was Gott geordnet
und gewollt hat, alle rechte und natürliche Ordnung und vor allem das
Evangelium dadurch umgestoßen würde. Hier gilt eindeutig: Man muss Gott mehr
gehorchen als den Menschen (Apg. 5,29). Luther fordert nicht direkt zum
aktiven Widerstand auf, aber er hindert ihn in solchen Fällen auch nicht, sieht
ihn als gerechtfertigt an.
Dass aber
auch aktiver Widerstand gerechtfertigt ist, hat er später im Torgauer Gutachten
(Oktober 1530) hervorgehoben, als er näher über den Aufbau des Reiches
unterrichtet war mit seiner dualistischen Souveränität, die neben dem Kaiser
auch die Reichsstände, also untere Autoritäten, kannte. „Denn was wir bisher
gelehrt, stracks nicht zu widerstehen der Obrigkeit, haben wir nicht gewusst,
das solches der Obrigkeit Rechte selbst geben, welchen wir doch allenthalben zu
gehorchen fleißig gelehrt haben.“[182] Denn: Der Kaiser hat nicht Macht, die Gebote Gottes
zu ändern; ebenso wenig hat er Fug und Recht, die Untertanen und Glieder des
Reiches einfach mit Krieg zu überziehen. Der Widerstand geht dabei zuerst und
vor allem von den unteren Autoritäten aus, die ihre ihnen anvertrauten Bürger
schützen sollen. Zu unterscheiden ist auch zwischen dem Amt, das Gott
eingesetzt hat (Obrigkeit) und den Personen, die es ausüben und unter Umständen
missbrauchen.[183]
In dem
Brief, den Luther zusammen mit Justus Jonas und Johannes Bugenhagen im Juli
1539 an Kurfürst Johann Friedrich im Blick auf Bündnisse und Gegenwehr sandte,
hat er dies noch weiter vertieft. Er betont dabei zunächst, dass ein jeder
zunächst nach seinem Beruf, seinem Stand und Amt sich zur Gegenwehr bereit
machen muss: „Dabei ist gleichwohl wahr, dass ein jeder nach seinem Beruf
seine Arbeit tun muss; die Herren müssen sich rüsten mit Leuten und anderer
Bereitschaft, so viel nötig, müssen streiten, so es not ist, wie Joab sprach 2.
Kge 10.“[184] Er verweist weiter darauf, dass auch ohne Bündnisse
ein jeder schuldig ist, dem anderen Hilfe zu leisten, wenn die rechte Sache
Hilfe benötigt. Vor allem aber ist die Pflicht dann da, wenn es zur Rettung der
Ehre Gottes und zur Zerstörung der Abgötterei gilt. „Und solches wird oft in
leiblichen Sachen geübt, vielmehr ist man solches zur Rettung göttlicher Ehre
und zur Zerstörung der Abgötterei schuldig. Denn der Potentat soll vor allen
Dingen Gottes ehre schützen, handhaben und mit allem Ernst fördern.“[185] Grundsätzlich ist Gegenwehr gegen Stände, die auf
derselben Ebene stehen oder unter einem geboten. Aber sie ist selbst gegen den
Kaiser nötig, wenn der öffentlich und dauerhaft Gewalt ausübt. Vor allem aber
ist sie geboten, wenn der Kaiser dadurch Gotteslästerung stärken und fromme
Christen und Prediger verfolgen wollte. Solches Verhalten, die andauernde
ungerechte Gewalt, hebt jegliche Lehenspflicht auf. Das gehört zum göttlichen
wie auch natürlichen Recht, die beide durch das Evangelium bestätigt werden. „Dergleichen,
so König und Kaiser öffentlich und dauerhaft Gewalt üben, ist die Gegenwehr
auch recht, besonders wenn sie Krieg vornehmen zur Bestätigung öffentlicher
Gotteslästerung, um fromme unschuldige Christen, Prediger und andere zu töten,
eheliche Personen voneinander zu reißen. Diese und dergleichen Stücke sind
öffentlich und dauerhaft unrechte Gewalt, dadurch die Lehensleute von ihrer
Pflicht frei werden, wie von einem Mörder auf der Straße. Nun bestätigt das
Evangelium göttliches und natürliches Gesetz, zerreißt es nicht, welches ist
ein göttliches Licht und Ordnung in der Natur, wie das Evangelium andere
natürliche Gaben auch preist. … Nun ist die Gegenwehr ein Stück desselben
natürlichen und göttlichen Rechts, das Christen zu gebrauchen Macht haben.“[186]
Zusammenfassend heißt das: Da, wo die Obrigkeit öffentlich und auf Dauer
gegen alles Recht und Ordnung Gewalt ausübt, die göttliche Ordnung umstürzt, da
ist auch der höheren Gewalt gegenüber Gegenwehr erlaubt, vor allem und zuerst
den anderen Obrigkeitskräften. Das gründet schon im natürlichen Recht und soll
auch dem Schutz der Unschuldigen, besonders der Familien, dienen.[187]
Diese Lehre
Luthers ist besonders in der Zeit nach dem unglücklichen Schmalkaldischen
Krieg, als der Kaiser durch das Augsburger (und in Sachsen der Kurfürst durch
das Leipziger) Interim versuchte, die Evangelischen in die römische Kirche
zurück zu zwingen und dabei auch vor äußerster Gewalt, Vertreibung,
militärischem Einsatz, besonders gegen die Stadt Magdeburg, nicht
zurückschreckte, von großer Bedeutung gewesen und im Magdeburger
Bekenntnis von 1550 klar bezeugt und entfaltet worden. Darin wird zunächst
nochmals betont, dass die Christen vor allem Frieden und freie
Religionsausübung suchen, nicht Gewalt und Krieg. In dem Zusammenhang wird dann
auch betont, dass die untere Obrigkeit ihre Untertanen auch gegen die höhere
Obrigkeit verteidigen darf, auch mit Gewalt, wenn die höhere mit Gewalt gegen
Gottes Lehre und für die Abgötterei eintritt. „Wir wollen aber uns vornehmen
zu beweisen, dass eine christliche Obrigkeit mag und soll ihre Untertanen
verteidigen, auch gegen eine höhere Obrigkeit, so die Leute mit Gewalt zwingen
will, Gottes Wort und rechten Gottesdienst zu verleugnen und Abgötterei
anzunehmen.“[188] Grundlage dafür sind sowohl Gottes Wort als auch das
von Gott gegebene natürliche Recht. Es wird auch betont, dass Christen nicht
mit Gewalt zum Glauben zwingen: „Die christliche Kirche hat niemals jemand
mit dem Schwert zum Glauben gezwungen.“[189]
Da, wo eine
Obrigkeit sich als Wüterich erweist, die gegen Gottes Ordnung antritt, da haben
die unteren Obrigkeiten das Recht, dagegen auch mit Gewalt Widerstand zu
leisten. „Müssen, sollen und wollen deshalb die Unseren und alle Christen
treu lehren, ermahnen und anhalten, dass, gleichwie jene Juden und Makkabäer
über das Gesetz Gottes, auch diese über die wahre Religion, das Evangelium
Christi, herzlich eifern, und dass sie für das Testament unseres Gottes,
dasselbe bei uns und unseren Nachkommen zu erhalten, auch mit Leib und Leben
fechten, kämpfen und streiten sollen, auf Vertrauen göttlicher Gnade, ob Gott
auf unserer Seite, wie bei den Makkabäern, mit Glück und seligem Sieg, wie wir
bitten und hoffen, sein wollte, und seiner Kirche ein gnädiges Auskommen
geben.“[190]
Es wird
weiter betont, dass die Obrigkeit gemäß Römer 13 dazu eingesetzt ist, das Gute
zu schützen und zu fördern, das Böse dagegen zu verfolgen und zu bestrafen.
Dann, wenn dies faktisch umgekehrt wird, wenn sie Gottes Ordnungen umstürzt und
das Gute verfolgt und das Böse fördert, ist sie nicht mehr Obrigkeit nach Römer
13, sondern Handlanger des Teufels, dem auf keinen Fall gehorcht werden darf.
Setzt sie dabei etwa eine gute untere Obrigkeit ab, um eine böse zu
installieren, so ist solches Absetzen vor Gott ungültig und die bisherige
Obrigkeit aufgerufen, ihr Schutzamt weiter auszuüben.[191]
Dabei
unterscheidet das Magdeburger Bekenntnis verschiedene Grade des Sündigens der
Obrigkeit – denn nur im äußersten Fall ist gewaltsamer Widerstand erlaubt, in
den meisten Fällen ist ihre Bosheit zu erleiden und die Obrigkeit zu ermahnen,
vor allem wenn es sich um geringere Sachen handelt, nicht umfassend Gottes
Ordnung umgestoßen wird („wunderliche Herren“, 1. Petr. 2).[192] Selbst wenn die Gewalt öffentlich wird, etwa ein
ungerechter Krieg gegen eine niedere Obrigkeit, ohne damit Gottes Willen und
Ordnung grundsätzlich umzustoßen, ist das zu erleiden.[193] Dann aber, wenn die Obrigkeit anfängt zu verfolgen,
wenn sie sich gegen das höchste göttliche Recht, auch gegen Gottes natürliche
Ordnung, setzt, alle Ordnung faktisch umstößt, um eine Unrechts„ordung“ zu
installieren, dann soll man ihr wehren.[194]
Es wurde
auch betont, dass die weltliche Obrigkeit kein Recht hat, gemäß Matth. 22, sich
in geistliche Dinge, in kirchliche Angelegenheiten einzumischen; ebenso wenig,
sich etwas anzueignen, was ihr nicht gehört (Beispiel Ahab und Naboth).[195]
Vor allem aber sucht Luther, dass auch
bestehende Rechtsordnung und ihre Handhabung immer wieder überprüft und
verbessert wird. Es ist ihm ganz selbstverständlich, dass der Christ, der in
dem Bestehen des Staates Gottes Liebeswillen erkennt, auch dringend wünscht,
dass alles im Staatswesen diesem Liebenswillen entsprechen möge. Und wer dazu
imstande ist, soll eine Besserung in diesem Sinn herbeizuführen
suchen. Wenn man aber Luther vorwirft, dass „für ihn jedes über freimütigen
Tadel hinausgehende Widerstands- und Revolutionsrecht verschwindet“, so ist
dies richtig, falls man nur hinzufügt, dass Luther auch noch „demütiges Bitten
zu Gott“ fordert wie auch deutliche Kritik an Miss-Ständen und Sünde bei allen
Ständen, einschließlich der obersten Staatsspitzen. Aber in jenem Verhalten
Luthers spricht sich ein allgemeines Prinzip aus, das er auch bei der
Bekämpfung der kirchlichen Miss-Stände in Lehre und Praxis zu befolgen für
Pflicht gehalten hat, dass nämlich nicht mit äußerer Gewaltanwendung, sondern nur
durch die Überzeugungskraft der Wahrheit wahrhaft bessere und dauernde Zustände
herbeigeführt werden können (vgl. z.B. Erl. Ausg. 22, 52 f. 56 ff.), weil alles
gute Neue nur dann heilsam wirkt, wenn es nicht gewaltsam aufgezwungen, also
widerstrebend geduldet, sondern als richtig erkannt wird. Es tritt hier der
allgemeinere lutherische Grundsatz in Kraft, dass nicht von außen nach innen,
sondern nur von innen nach außen gewirkt werden darf. Daher soll die Losung
sein: Nicht zwingen, sondern überzeugen! So auch bei unserer Frage. Selbst
die lutherischen Bekenntnisse, die ja ein ganz anderes Ziel als ein
sozialpolitisches verfolgen, befürworten doch eine „Änderung der Gesetze, wenn
der offenbare Nutzen es anrät“. Die Apologie verlangt, dass das Gesetz des
Zwangszölibats für Pfarrer und Mönche um der offenbaren schädlichen Folgen
willen aufgehoben werde, und dass zur Bekämpfung der eingerissenen
Zuchtlosigkeit, mit den strengsten Gesetzen der Ehestand geschützt und die
Menschen zum Ehestand eingeladen würden“; dies komme der Obrigkeit zu, die die
öffentliche Zucht schützen müsse (XXIII, 53 ff.). Die Schmalkaldischen Artikel
erklären, „auch im weltlichen stand wären unzählige große Stücke zu bessern“;
so seien „Wucher und Geiz eitel Recht geworden“; noch eine Menge von
Miss-Ständen werden genannt, die durch neue Verordnungen abgestellt werden
müssten (Vorw. 12). Wie unermüdlich Luther in dieser Beziehung sich bemüht hat,
sollte bekannter sein, als es selbst bei manchen, die über diese Frage das Wort
ergriffen haben, zu sein scheint. Selbst dann, wenn er von der Fruchtlosigkeit
seiner flammenden Vorstellungen überzeugt war, wie bei der Abfassung seiner
Schrift „An den christlichen Adel“, hat er es für seine Pflicht gehalten, allen
klarzumachen: „Das weltliche Recht, hilf Gott! wie ist das auch eine Wildnis
geworden!“ (Erl. Ausg. 21, 347.) Eine Menge anderer Gesetze kritisiert er in
Predigten, Vorlesungen, Schriften, Briefen an Fürsten und Private, bis hin zu
den Steuergesetzen, die auf die jeweilige Leistungsfähigkeit der
Steuerpflichtigen Rücksicht nehmen sollen, damit nicht „Land und Leute
verderben“. Ebenso wie die staatlichen Ordnungen nach dem Urteil der von der
Liebe erleuchteten Vernunft verbessert werden sollen, so auch die Handhabung
der Gesetze. Vollendete Gerechtigkeit wird von dem Richter gefordert, auch
wenn ihm daraus Gefahren erwachsen können, etwa von „Gewaltigen, die ihm viel
dienen oder schaden können“. Er darf sich auch nicht beirren lassen durch die
„Juristen“, „die das Recht lenken und drehen, wie es zur Sache helfen will“,
indem sie „die Worte [der Gesetze] zwacken und zu Behelf nehmen, unangesehen
Billigkeit und des Nächsten Notdurft“ (Gr. Kat. I, VIII, 259 f. 299). Hiermit
wird auch schon eine Forderung erhoben, zu der Luther die Beobachtung bewog,
dass „kein Recht so spitzig und gewiss erfunden werde, dass es alle Zufälle und
Umstände fassen möge“ (Erl. Ausg. 23, 295), die Forderung der Billigkeit,
die auch von der Apologie als zur christlichen Liebe gehörend erwähnt wird (IV
(III) 122). Wollte man „stracks den Gesetzen nachfolgen, so wäre es das
allergrößte Unrecht, wie der Heide Terentius sagt: Das strengste Recht ist das
allergrößte Unrecht.“ Es gibt also Fälle, in denen „das Recht weichen und an
seiner Statt die Billigkeit regieren soll“, die bedenkt: „Es kann geschehen,
dass zwei ein gleiches Werk tun, aber doch mit ungleichen Herzen und Meinung“
(Erl. Ausg. 22, 254 ff.). Es muss daher von dem Richter „bei allen Verfehlungen
mehr auf die Absicht des Sündigenden gesehen werden als auf seine Hand“; wobei
freilich „die Absicht durch sichere Anzeichen und Nebenumstände festgestellt
werden muss, damit nicht jeder sagen könne: Ich habe es wider Willen getan.“
(Weim. 14, 686, 19 ff.) Wenn aber der Tatbestand nicht völlig klar liegt, so
ist es „besser zu viel Gnade als zu viel Strafe“ (Erl. Ausg. 39, 275), es ist
„allzeit besser, einen Buben leben lassen als einen frommen Mann töten“;
überhaupt ist „erträglicher, dass die Obrigkeit zu wenig strafe“, als zu viel
(Erl. Ausg. 22, 82). Freilich weiß Luther, dass nur „ein frommer Mann“ sein
obrigkeitliches Amt im Geist der „Billigkeit“ und „Bescheidenheit“ führen kann.
Aber als das Ideal will er eben dies hinstellen, dass auch die Rechtspflege
durch den Geist christlicher Liebe geadelt werde. Daher stellt er an den
Fürsten, der „sich christlich halten will“, die vierfache Forderung, er solle
„sich zu Gott stellen mit rechtem Vertrauen und herzlichem Gebet um Weisheit“,
zu seinen Untertanen mit Liebe und christlichem Dienst, gegen seine Räte und
Gewaltigen mit freier Vernunft und ungefangenem Verstand“, dass er „nicht seine
Sinne gefangen gibt den großen Hansen und Schmeichlern“, „gegen die Übeltäter
mit bescheidenem Ernst und Strenge“ (Erl. Ausg. 22, 102 f.). Endlich, wie
freimütig Luther den regierenden Herren die Wahrheit gesagt und wie oft er ungerechte
Entscheidungen weltlicher Behörden angefochten hat, wird doch keiner weiteren
Darlegung bedürfen. Es verlangt also „der konservative Geist des Luthertums“
keineswegs eine blinde Verehrung der Regierenden und der Gesetze, im Gegenteil.
Vielmehr will dieselbe Liebe zum Nächsten und zum Volksganzen, die vor
gewaltsamem Umsturz ein Grauen empfindet, die staatlichen Einrichtungen immer
mehr verbessert sehen und wirkt dahin, soweit sie dazu imstande ist. Der Geist
des Luthertums kann ebenso wohl fortschrittlich wie konservativ sein, je
nachdem es „den Nächsten nütze und not“ ist.
Dieses soll die einzige Richtschnur sein,
nach der der Christ alle seine Entscheidungen trifft, auch die über die Frage,
ob er die staatlichen Ordnungen für sich selbst, um sein Recht durchzusetzen,
in Anspruch nehmen soll. Die allgemeine Regel lautet, dass ihm dies nicht
erlaubt ist. Denn er lebt nicht sich selbst, sondern Gott und dem Nächsten.
Ihm ist also an seinem Recht und Vorteil nichts gelegen, vielmehr alles an der
Förderung des Nächsten. Aber eben weil diese allein ihn bestimmt, kann auch der
Fall eintreten, dass er auf sein Recht nicht verzichten darf. Dieser Fall liegt
dann vor, wenn sicher zu erwarten ist, dass die Nichtbestrafung des ihm
widerfahrenen Unrechts demoralisierend wirken würde. Dann fordert die Liebe zu
den anderen, nicht dem Unrecht zu weichen. Und zwar kann das eine Mal mehr in
Betracht kommen, dass es „nutz und not ist dem Nächsten“, das andere Mal
„der Gemeinde“ (Erl. Ausg. 22, 81), dem Gemeinwesen. Falls zu fürchten
ist, dass ein öffentlich mir zugefügtes Unrecht, wenn es ungestraft bleibt, die
Scheu vor Gesetzesübertretung vermindert, so soll ich auch „für mich selbst und
meine Sache das Schwert gebrauchen, der Meinung, dass ich nicht damit das Meine
suche, sondern dass das Übel gestraft werde“, also um „das Recht und Gewalt
handhaben zu helfen“ (daselbst). Oder aber es kann mich dazu die Liebe zu dem,
der mir das Unrecht zugefügt hat, nötigen. Denn die Christen „trauern mehr über
dessen Sünde als über den eigenen Schaden und verlangen mehr danach, ihn von
der Sünde abzubringen, als das erfahrene Unrecht zu rächen. Sie werden also das
ihnen Entwandte zurückfordern oder Bestrafung veranlassen, wenn sie sehen, dass
der [der Übeltäter] nicht ohne Bestrafung gebessert werden kann“ (Erl. Ausg.
Opp. var. arg. 2, 339). Sie lassen also die Entscheidung darüber, ob sie „dem
Übel widerstreben“ sollen oder nicht, einzig davon abhängen, was für die
anderen „besser“ ist. Nur freilich kann allein „ein rechter Christ“, der „des
Geistes voll“ ist, so handeln. Die anderen werden, falls sie noch das Gebot der
Liebe anerkennen, ihrem egoistischen Kampf ums Recht den Lügenmantel der Liebe
zum Nächsten umhängen (Erl. Ausg. 22, 81). Wenn also behauptet worden ist, „der
Lutheraner pflege im Bedarfsfall sich selbst das sogenannte ‚Moratorium
der Bergpredigt‘ zu bewilligen“, so kann dies nur von einem unlutherischen
Lutheraner gelten. Der echte Schüler Luthers kann es nur dem Anderen zugute
bewilligen. Und auch dies nicht so leicht. Denn obwohl ein solches total selbstloses
Verfahren das Höchste ist, so erkennt er es doch auch als sehr „gefährlich“,
weil er die Verlogenheit seiner Selbstsucht kennt. Daher hat Luther vorgezogen,
es nicht geradezu zu fordern. Noch lieber würde er etwas anders sehen, dass
nämlich „niemand selbst Kläger wäre, sondern andere in brüderlicher
Treue und Sorgfältigkeit füreinander ansagten der Obrigkeit das Unrecht, dass
also die Gewalt mit Fug und rechter Ordnung durch der anderen Bezeugen zur
Strafe griffe. Ja, der Leidende sollte bitten und wehren, dass man seine Sache
nicht rächte, wiederum die anderen nicht ablassen, bis das Übel gestraft würde;
so ginge es freundlich, christlich und brüderlich zu.“ Geschieht dies nicht, so
soll der Christ, der Unrecht erfahren hat, von Herzen wünschen, dass der, der
es ihm zugefügt hat, zur Erkenntnis seiner Sünde komme. Daher mag er ihn
„warnen und seines Verderbens erinnern“. „Denn das ist eine christliche,
brüderliche Treue, so du erschrickt und ihm sein Unrecht und Gottes Gericht
vorhältst“; nur „nicht um deines Schadens willens vornehmlich, auch nicht, ihn
zu bedrohen“, sondern eben aus erbarmender Liebe (Erl. Ausg. 16, 83 f. 80).
Es kennt demnach der Christ auch
hinsichtlich seiner Stellung zum Staayt und dessen Ordnungen keine „doppele
Moral“, sondern nur die Eine Liebe zur Gott und dem Nächsten, mag er nun ein
Amt bekleiden oder nicht, mag es sich um seine eigene Sache oder um die anderer
handeln. Es muss aber diese Liebe ein verschiedenes Verfahren einschlagen je
nach der Besonderheit des Einzelfalls, oder, wie Luther sich ausdrückt, der
affectus ist stets derselbe, der effectus [Resultat] verschieden. „So geht’s
denn beides fein miteinander, dass du zugleich Gottes Reich und der Welt
Reich genug tust“ (Erl. Ausg. 22, 73). Denn aus dem Gottesreich hast du die
Liebe, die allein auch dem Weltreich genugtut.
Wenn auch dem Staat oder der Obrigkeit als
der von Gott geordneten Einrichtung der Nation der „allgemeine Nutzen“ oder die
„allgemeine Wohlfahrt“ als Staatsziel aufgegeben ist, so ist doch damit die
Gemeinde Jesu Christi nicht aus ihrer Verantwortung genommen. Vielmehr ist es
so, dass in allen Bereichen der Staat nur in Funktion tritt, wenn die freien
Einrichtungen, gerade auch der Kirche und der Ortsgemeinden, diese nicht oder
nicht völlig ausfüllen können. Die soziale Verantwortung der christlichen Gemeinde
hat Luther schon durch die „Ordnung des gemeinen Kastens“ für die Gemeinde in
Leisnig deutlich gemacht, der dazu dienen sollte, den Bettel überflüssig zu
machen, den Armen und Schwachen zu helfen. „Ein guter Hirte hat, nachdem er das
Evangelium gepredigt, auch dafür Sorge zu tragen, dass sie Armen nicht
unversorgt bleiben.“ (Walch IX, 146.) Auch die Kirchenordnungen Bugenhagens
etwa für die norddeutschen Städte weisen den Ortsgemeinden die Verantwortung
für die christlichen Schulen zu; Armenwesen und Krankenfürsorge sind Aufgaben
der Gemeinde, wie auch Vorschriften für das sittliche Wohlverhalten. Wucher
fällt gemäß den Kirchenordnungen unter die offenbaren Sünden, gegen die
Kirchenzucht geübt werden soll.[197]
Wie weit die soziale Verantwortung der
Gemeinde Christi geht, zeigt vor allem Luthers ersten Schreiben bei den
aufkommenden Bauernunruhen, als er zur Verständigung auf der Grundlage der
zwölf Artikel der Bauern aufruft und die Unterdrückung, Entrechtung und
Ausbeutung der Bauernschaft durch den Adel scharf rügt. Dabei darf aber die
Ausübung dieser Sozialverantwortung nie abgekoppelt sein vom Grundauftrag der
Kirche, nämlich der Verkündigung des Wortes Gottes in Gesetz und Evangelium.
Und die Ausübung der Sozialverantwortung ist Frucht dieser Verkündigung, ist
Ausübung der Nächstenliebe, auch das darf nie in den Hintergrund treten.
Gemeindliche und kirchliche Diakonie ist praktizierte Nächstenliebe, nicht bloß
Sozialarbeit. Gerade darum aber dürfen der Gemeinde Christi die Armen,
Schwachen, Entrechteten, Elenden, Unterdrückten, Hilflosen, Kranken, Sterbenden
nie gleichgültig sein, sondern gerade an sie ist sie gewiesen, ihnen mit Wort,
Sakrament und dem Werk der Nächstenliebe zu dienen.
In der Apologie heißt es: „Die Teilung der
irdischen Güter, Eigentum, Besitz sind weltliche Ordnungen, die von Gott
bestätigt sind durch das Wort Gottes in dem Gebot: Du sollst nicht stehlen.
Seinen Besitz aufgeben, hat keinen Befehl oder Rat in der Schrift. Die
evangelische Armut [deren sich die Mönche mitten im Überfluss rühmen, XXVII,
16] besteht nicht im Verlassen der Güter, sondern darin, nicht habsüchtig zu
sein und nicht auf die Schätze zu vertrauen.“ (XXVII, 46.) Diese innere
Freiheit von dem irdischen Besitz ist auch bei großem Reichtum möglich (Apol.
XVII, 61.63). Da also auch „den Christen erlaubt ist, Eigentum zu besitzen“
(Augsb. Bek. XVI, 2) und Gott es ist, der den Einzelnen ihre irdischen Güter
gegeben hat (Kl. Kat. II, 2 usw.) so ist der Kommunismus gegen Gottes Willen
(Apol. XVII, 63; KF, Kurze Darl. XII, 17). Nach Luthers Erfahrungen wollen die
Kommunisten „der anderen fremde Güter allgemein haben und ihre eigenen für sich
behalten“, und wollte man allgemein ein derartiges System, nach dem „den
Bedürftigen umsonst gegeben“ würde, einführen, „da würde jedermann wollen
essen, trinken, wohl leben von der anderen Gut und niemand arbeiten, ja,
jedermann würde dem anderen das Seine nehmen und würde ein Wesen werden, dass
niemand vor dem anderen leben könnte“ (Erl. Ausg. 24, 305; 22, 217). Aber
„unser Herrgott will beides verboten haben, dass man nicht soll müßig gehen und
soll auch nicht verschwenden, sondern was man erarbeitet, fein zu Rate halten“,
„den Gewinn hinter sich legen und auf die Notdurft halten“ (Erl. Ausg. 3,80).
Was aber unter „verschwenden“ zu verstehen ist, ergibt sich daraus, dass wir
„alle Güter, so Gott gibt“, gebrauchen sollen „allein zur zeitlichen Notdurft,
ein jeglicher in seinem Stand nach Gottes Ordnung“ (Gr. Kat. I, I, 47). Was
über das zu standesgemäßen Lebensführung hinaus von Gott gegeben wird, sieht
der Christ als nicht für den eigenen Gebrauch erhalten an, sondern damit
soll er denen dienen, die weniger haben, die Not lindern und helfen, dass
andere aus dem Elend herauskommen (Sozialverantwortung des Eigentums, das nur
von Gott, dem Eigentümer aller Dinge, geliehen ist zur eigenen Notdurft und zum
Liebesdienst an den Nächsten; s.a. unten S. 200).
Hinsichtlich der Erwerbswege ist im Allgemeinen
zu sagen, dass „Kaufen und Verkaufen“, Handel und Gewerbe, überhaupt Geschäfte
zu machen, auch dem Christen erlaubt ist (Augsb. Bek. XVI, 2; Apol. XVI, 53).
Von einer „Abneigung gegen den Kaufmanns- und Handelsstand“ an sich
verraten weder die lutherischen Bekenntnisse noch Luther etwas. Wie wenig
zutreffend die Ansicht ist, Luther habe „nur Landwirtschaft und Handwerk für
einen wahrhaft Gott wohlgefälligen Erwerbsstand gehalten“, zeigt schon die
Beobachtung, dass er den Wucher durch Aufweisung des großen Unterschieds
zwischen ihm und dem Handel an den Pranger stellt (Erl. Ausg. 16, 103 ff.). Er
hat also den Handel für durchaus berechtigt gehalten. Wohl hat er gegen den
Handelsbetrieb, wie er schon damals sehr häufig zu beobachten war, scharfe
Urteile gefällt, aber er hat auch geschrieben: „Aller Handwerke, auch der
Bauern Übersetzung [Übervorteilung] haben also überhandgenommen, dass man’s mit
zehn Konzilien und zwanzig Reichstagen nicht wieder wird zurechtbringen können“
(Schm. Art. Vorw. 12; Gr. Kat. I, VII, 226). Und ausdrücklich hat er erklärt:
„Das kann man nicht leugnen, dass Kaufen und Verkaufen ein nötiges Ding ist,
das man nicht entbehren und wohl christlich [ge]brauchen kann.“ (Erl. Ausg. 22,
201.) Zwischen Gebrauch und Missbrauch unterscheidend, vermied er den Irrweg
der Wiedertäufer, die lehrten, „dass ein Christ mit gutem Gewissen kein
Gastgeber [Gastwirt], Kaufmann oder Messerschmied sein könne“ (KF, Kurze Darl.
XII, 18). Anstatt also zu sagen: „Luther stellt sich der neuen wirtschaftlichen
Kulturperiode wesentlich pessimistisch und hemmend gegenüber“, dürfte es
richtiger heißen müssen: Luther weist einerseits auf die schlimmen sozialen
Folgen des zügellos gewordenen wirtschaftlichen Betriebs hin, um womöglich
gesetzliche Maßnahmen zur Verhütung des drohenden Plutokratie (Herrschaft der
Reichen) und Pauperismus (Verarmung vieler Menschen) zu veranlassen; und
vermutlich wird doch mancher beklagen, dass es ihm nicht gelungen ist, einen
energischen Kampf gegen den rücksichtslosen „Geist des Kapitalismus“, dessen
Rauschen ihm so unheimlich klang, zu entzünden. Andererseits will Luther, und
dies ist für die Frage nach der lutherischen Sittlichkeit das Wichtigste,
denen, die wahre Christen sein wollen, den Weg zeigen, auf dem sie auch unter
den versucherischen Zeitverhältnissen ohne Verletzung ihres Gewissens ihren
Lebensunterhalt finden und gebrauchen können, mit anderen Worten: wie sich ihre
Liebe zu Gott und dem Nächste auch auf dem Gebiet des Erwerbslebens gegenüber
dem herrschenden Ungeist der Habgier und Profitsucht, der Ausbeutung und
Unterdrückung, geltend zu machen hat.
Die christliche Liebe untersagt
zunächst „allen Vorteil mit des Nächsten Nachteil in allerlei Handeln“. Denn
dies ist nichts anderes als stehlen oder „eines anderen Gut mit Unrecht zu sich
bringen“ (wie es etwa geschieht, indem Wettbewerber als „Konkurrenten“
ausgeschaltet werden sollen; wie es geschieht durch ungerechtfertigte
Preissteigerungen, durch künstliche Herbeiführung von Knappheit, durch
Ausnutzung tatsächlicher Knappheit für Preiserhöhung; durch die Zerstörung der
wirtschaftlichen Grundlage durch für eine Seite schädliche Handelsverträge (wie
sie die EU mit afrikanischen Staaten abgeschlossen hat; wie es geschieht durch
die Aufkauf von Ackerland durch westliche Konzerne in Afrika und Asien) usw.).
Es hat also „keinen Fug und Recht, das Seine so teuer zu geben, wie ihn
gelüstet“ oder gar durch allerlei Kunstgriffe eine „Teuerung zu machen“ (Gr.
Kat. I, VII, 224); es muss vielmehr um den „gerechten Preis“ gehen. Was aber
heißt „zu teuer“? Die Apologie sagt: „Es wird endlos disputiert über die
Handelsgeschäfte, über die aufrichtige Gemüter nie beruhigt werden können, wenn
sie nicht diese Regel verstehen, dass Handelsgeschäfte so weit vor Gott erlaubt
sind, wie die Obrigkeit und die Gesetze sie billigen.“ (XVI, 64.) Sollte
Melanchthon damit sagen wollen, einem Christen sei im geschäftlichen Verkehr
alles gestattet, was nur nicht durch obrigkeitliche Gesetze untersagt sei, so
würde er nicht Luther treu geblieben sein, der erklärt: „Die Rechte lassen auch
viel böse Stücke zu, die Gott verbietet.“ (Erl. Ausg. 16, 83.) Doch, da
Melanchthon nur von dem redet, was die Gesetze positiv „billigen“, so wird er
hier nichts anderes gemeint haben als Luther, wenn dieser hinsichtlich des
„gerechten Preises“ ausführt, es sollte die Obrigkeit durch vernünftige und redliche
Männer den Preis der waren festsetzen lassen. Solange dies nicht geschehen,
muss man den allgemeinen Marktpreis oder wie es Landesgewohnheit ist,
innehalten. Außerdem darf man den Begriff „Gesetze“ nicht auf die
obrigkeitlichen Gesetze beschränken, sondern muss das von Gott vorgegebene
natürliche Recht sowie die direkten Gebote Gottes mit einbeziehen, die beide
Vorrang haben vor den staatlichen Gesetzen. Damit man auch für solche Waren,
die „nicht gang und gäbe“ sind, den Verkaufspreis richtig bestimmen könne, wäre
es am besten, wen die Obrigkeit festsetzte, wieviel Prozent der Gewinn betragen
dürfe. „Was dieselbe hierin setzte, das wäre sicher.“ Solange solche Direktive
noch fehlt, also man selbst den Preis bestimmen muss, soll man sich zunächst vornehmen,
nichts als seine ziemliche Nahrung zu suchen in solchem Handel, danach die
„Kosten, Mühe, Arbeit und Gefahr rechnen und überschlagen und so dann die Ware
selbst setzen, steigern oder erniedrigen, dass du solcher Arbeit Mühe und Lohn
davon habest“. Solltest du dann einmal unwissend etwas zu viel genommen haben,
so „sollst du dein Gewissen nicht damit beschweren“; es wird sich wohl schon
ein andermal durch Verluste ausgleichen. Als Maßstab aber, wie hoch du den zu
gewinnenden Profit berechnen darfst, kann dir das Existenzminimum eines
Tagelöhners dienen, wozu dann diene größere Arbeit, deine Werbekosten und dein
Risiko hinzuzurechnen sind. Denn „größere Arbeit und viel Zeit soll auch desto
größeren und mehr Lohn haben“. „Wem das nicht gefällt, der mach’s besser.“
(Erl. Ausg. 22, 204 ff.) Danach darf man wohl als echt lutherisch bezeichnen,
neue Zeitströmungen nicht um der Schwierigkeit willen, die sie für die Ethik
bieten, einfach abzulehnen, sondern danach zu ringen, auch in ihnen den Geist
christlicher Liebe zur Geltung zu bringen.
Man hat Luther weiter deshalb getadelt,
weil er „für die Produktivität des Geldes kein Verständnis“ gehabt habe
und deshalb auch nicht für das „Hineinwachsen Deutschlands aus der Natural- in
die Geld- und Kreditwirtschaft“. Luther hat die völlig richtige Feststellung
getroffen, die auf Aristoteles zurückgeht, dass es nicht in der Natur des
Geldes liegt, 2fruchtbar“ zu sein, wie dies etwa in der Natur eines Grundstücks
liegt; vielmehr müsse es erst „fruchtbar“ gemacht werden, etwa durch Verwendung
zum Ankauf eines Grundstücks, und ob solche Verwendung gelinge, hänge vom
Zufall und Glück ab (Weim. Tischr. 5, 146,26; Erl. Ausg. 57, 360; 16, 104; 23,
300). Und die Richtigkeit dieser Bemerkung dürfte nicht zweifelhaft sein. Dass
man aber mit Geld ungemein viel gewinnen kann, spricht Luther immer wieder aus,
indem er sich gegen jene „Fruchtbarmachung“ des Geldes wendet (Zins,
Spekulation, Preistreiberei, Wetten, Glücksspiel), durch die der Nächste und
die Gesamtheit äußerst unheilvoll geschädigt werden. Luther hat aufgrund der
Darlegungen des Alten und Neuen Testaments das klare Nein der alten Kirche zum
Zins (Wucher) erneuert. So lange aber der Zins nicht völlig überwunden ist,
sollte der Staat zusehen, dass er nicht über fünf Prozent steigt. Man kann also
durchaus von einer kritischen Haltung Luthers gegen die „Kreditwirtschaft“
sprechen, und es fragt sich, ob seine Kritik an ihr nicht berechtigt gewesen
ist, ob nicht überhaupt bei Befolgung der Ratschläge Luthers die „neue
wirtschaftliche Kulturperiode“ eher den Namen wahrer Kultur verdienen würde als
die Entwicklung, unter deren Folgen die Welt sei dem 19. Jahrhundert in allen
Fugen kracht.
Zu dem ersten Grundsatz für das
Erwerbsleben des Christen wird als zweiter hinzugefügt: „Darum wisse ein
jeglicher, dass er schuldig ist bei Gottes Ungnade, nicht allein seinem
Nächsten keinen Schaden zu tun, … sondern auch sein Gut treu zu bewahren,
seinen Nutzen zu schaffen und fördern.“ (Gr. Kat. I, VII, 233.) Und dies
schließt zweierlei in sich, dem Dürftigen zu leihen und ihm zu geben.
Während das Gegenteil davon in den Bekenntnisschriften nur ganz allgemein
erwähnt wird: „Wucher und Geiz sind wie eine Sintflut eingerissen und eitel
Recht geworden.“ (Schm. Art., Vorw. 12; Gr. Kat. I, VII, 240), hat Luther in
seinen Schriften die hierhergehörenden, zu jener Zeit eifrigst behandelten
Einzelfragen eingehend besprochen. Stellen wir seine wichtigsten Forderungen
kurz zusammen! Leihen kann nur das unentgeltliche Leihen (also ohne Zins!)
heißen. Etwas völlig anderes ist es, ein gewinnbringendes Geschäft ist es, wenn
man etwas unter der Bedingung „ausleiht“, dass man mehr wiederbekommt, als man
„geliehen“ hatte. Dass jenes von der christlichen Liebe gebotene unentgeltliche
Leihen so gut wie ganz aufgehört hat und an dessen Stelle eine
Geschäftsspekulation getreten ist, der man fälschlich jenen schönen Namen
„leihen“ gegeben hat, dies ist es, was Luther vor allem bekämpft hat. Würde
jenes biblische Leihen noch geübt, so würde das wucherische Zinsnehmen fast
aufhören, da es in der Regel Bedürftige sind, die sich durch Zinszahlung Geld
verschaffen (Erl. Ausg. 16, 108). Nur wenn der von einem anderen um ein Darlehen
Angegangene auch selbst sein Geld benötigt und so nun sich selbst Geld
beschaffen muss, ist er berechtigt, den entstandenen Schaden durch Zins wieder
auszugleichen (daselbst), ebenso der, welcher nicht arbeiten kann und etwas
Geld besitzt, von dessen Zinsen er seinen Lebensunterhalt bestreiten muss (Erl.
Ausg. 23, 306). Da es aber verboten ist, die Not des Nächsten zum eigenen
Vorteil auszubeuten, darf man einem Notleidenden nur unentgeltlich leihen. (Wer
aber Zinsen nimmt, darf nur einen angemessenen Gewinn erzielen wollen,
etwa vier oder fünf Prozent nehmen, es sei denn, dass das Steigen der Güter
einen etwas höheren Zinsfuß rechtfertige. Und er soll das Geld nur als Hypothek
auf ein ertragfähiges Pfand, etwa auf ein Grundstück, leihen, weil bei einem
Leihen ohne Pfand die Entleiher verleitet werden, sich mehr zu borgen, als
wofür sie Zinsen bezahlen können, wodurch sie zugrunde gerichtet werden (Erl.
Augs. 16, 104 ff.) Aber auch diesen Zinskauf lehnt Luther eigentlich ab, weil
dadurch letztlich doch nur der sich etwas Borgende ausgebeutet wird.) Es sollte
auch der Geldgeber an dem Risiko des Geldnehmers teilhaben, also dann, wenn
dieser ohne seine Schuld infolge unglücklicher Zufälle nicht den zu erwartenden
Ertrag von dem belasteten Pfand erzielt, mit geringeren Zinsen sich zufrieden
geben – oder gar keine verlangen. Denn ein Doppeltes ist es, warum Luther im
Allgemeinen gegen das Zinsnehmen eingestellt ist, dass nämlich der Geldgeber
sich ohne Mühe und ohne Risiko bereichert und beides auf den Geldnehmer
abschiebt. Lässt sich nun auch das Risiko auf beide Teile verteilen, so bleibt
noch immer die biblische Forderung unerfüllt, dass ein Gewinn durch unsere
Arbeit erlangt werden soll – und eben nicht durch Zinsnehmen, Spekulation,
Börsenhandel. So lange der Zins noch nicht völlig überwunden ist, liegt Luther
daran, ihn möglichst auf den Großhandel, auf die „großen merklichen Summen und
tapferen [beträchtlichen] Güt4er“ einzuschränken (Erl. Aug. 16, 108).
Zu dem unentgeltlichen Leihen und zu dem
reinen Geben ist aber nur der verpflichtet, der mehr besitzt, als er für sich
und die Seinen braucht, und er soll nicht alles, was er jeweils überflüssig
besitzt, weggeben, da wir geben sollen, solange wie wir leben. Aus soll er sich
hüten, denen zu geben, „die wohl arbeiten, dienen und sich nähren könnten“
(Erl. Ausg. 23, 314 f. 318). Andererseits ist es auch Pflicht dessen, der sich
etwas geliehen hat, den Geber vor Verlust zu bewahren. Wenn er etwa das Geld nicht
zur verabredeten Zeit zurückgibt, so muss er dem Geber allen Schaden, den er
dadurch erleidet, ersetzen (Erl. Ausg. 23, 290 ff.).
Die dritte Forderung, dem Bedürftigen zu geben,
wird auch in den Bekenntnisschriften betont. Die Almosen haben so sehr Gottes
Gebot und Verheißung, dass man sie, wollte man den römischen Sakramentsbegriff
gelten lassen, ein Sakrament nennen könnte (Apol. XIV, 17). Als von Gott
geboten, kann das Almosengeben nicht ohne Sünde unterlasen werden (Apol. VI,
46), und es ist von Gott „mit trefflichem Segen begnadet und überschüttet, dass
es reichlich soll vergolten werden, was wir unserm Nächsten zu Nutz und Freundschaft
tun“ (Gr. Kat. I, VII, 252). Die Armut aber, die uns nicht zum Geben und
Schenken bewogen hat, „schreit und ruft gen Himmel, und solches Seufzen und
Rufen wird nicht scherzen, sondern einen Nachdruck haben, der dir und aller
Welt zu schwer werden wird“ (Gr. Kat. I, VII, 247). Damit aber für alle
Armen gesorgt werde, soll zu der privaten Wohltätigkeit eine öffentliche
hinzutreten. Wie in der ersten Christenheit die Armen von den für die Agapen
gesammelten Gaben erhielten (Apol XXIV, 86), so sollen auch heute die Armen aus
dem Kirchengut versorgt werden ((Apol. IV (III), 141 f.; Gr. Kat. I, VII, 240).
Noch bestimmter spricht Luther aus, dass das Ziel der Armenpflege das Verschwinden
des Bettels sein soll (Erl. Ausg. 16., 87). Deshalb ist es eine
völlige Entstellung des Gebots Christi, wenn die Römischen lehren, man brauche
dem Bedürftigen nur dann zu geben, wenn er sich „in der höchsten Not“ befinde,
zumal sie nicht anzugeben vermögen, was als höchste Not zu gelten habe (das.
92). Mit diesen Gedanken ist eine völlig neue Beurteilung der Wohltätigkeit
geltend gemacht. Seit dem nachapostolischen Zeitalter war das Almosengeben als
das Mittel, sich Vergebung der Sünden und die ewige Seligkeit verdienen zu
können, gewertet worden. Infolgedessen strebte man natürlich durchaus nicht
danach, die Gelegenheit zum Almosengeben, die Armut, auszurotten, und
verschloss sich gegen die Erkenntnis, dass das Betteln menschenunwürdig ist. So
konnten die Mönche auf ihr Betteln als auf einen Gottesdienst stolz sein. Diese
doppelte Verirrung wurde von der Reformation überwunden (z.B. Apol. IV (III)
142; Augsb. Bek. XXVII, 48 f.). Die nun geforderte Wohltätigkeit sollte aus
keinerlei Egoismus, sondern aus Liebe zu dem Bedürftigen hervorgehen, also ihm
wahrhaft wohltun, daher auch ihm das beschämende Betteln ersparen. – Um die
Mittel für eine so durchgreifende Armenpflege zu beschaffen, wurde der „gemeine
Kasten“ eingerichtet, der nicht nur „für die gebrechlichen und alten armen
Menschen“ sorgen, sondern auch solchen, die „nicht vermögen, ihre Handwerke ,
bürgerliche und Bauernnahrung redlich zu treiben“, Gelder vorstrecken und
nötigenfalls auf Rückzahlung verzichten sollten (Erl. Ausg. 22, 124 f.). Dass
diese Einrichtung nicht ganz den erwünschten Erfolg hatte, wird wohl besonders
den Grund gehabt haben, dass Luther Recht hatte mit seiner Überzeugung, solche
Armenpflege könne nur von wahren, allein in christlicher Liebe diese saure
Arbeit übernehmenden und verrichtenden Christen in gedeihlicherweise ausgeübt
werden, solche Männer aber noch nicht genügend zur Verfügung standen. Denn er
erklärte, mit der Neuerung in Wittenberg warten zu sollen, „so lang, bis unser
Herrgott Christen macht“ (Erl. Ausg 22, 111; 17, 61). Wenn Calvin das, was
Luther erstrebte, durch Schaffung des Diakonats auszuführen vermochte, so lag
das wohl daran, dass die in Genf herrschende strenge Kirchenzucht wenigstens
eine äußerliche Erledigung solcher Arbeiten erzielen konnte. Ob jedoch damit
Luthers Ziel, eine wahrhaft christliche Liebestätigkeit, schon erreicht wurde,
ist fraglich. Von welchem Geist Luther die christliche Wohltätigkeit beseelt
sehen wollte, kann auch die weitere Weisung zeigen, dass alles „Geben“
„einfältig“ geschehen müsse, d.h. „mit einfältigem Herzen, nicht um eitler Ehre
willen; und tue ja, wie er kann, dass er’s vergesse, als habe er nie etwas
gegeben oder wohlgetan“. Denn es sind nicht wenige, die mit dem Geben „ihren
Nutzen suchen über die Maßen schändlich“; „niemand kann ihnen genug dafür
danken“; sie erwarten, dass der von ihnen Unterstützte zu allem Möglichen sich
ihnen verpflichtet fühle; sie wollen aus ihm gleichsam einen Leibeigenen
machen. Sie sind „eitel Nehmer und wollen doch Geber heißen“. „Und ist nicht
allein der Mammon ihr Gott, sondern sie wollen durch ihren Mammon auch aller
Welt Gott sein und sich feiern lassen.“ „So ist’s viel besser, sie vertun
tausend Gulden ins Teufels Namen, als dass sie einen Pfennig geben in Gottes
Namen.“ (Erl. Ausg. 24, 316 f.)
Nach dem Gesagten verurteil das Luthertum
an dem Geist des Kapitalismus 1) das Erwerben um des Erwerbens willen,
2) das Reichwerdenwollen, sei es, um Schätze anzusammeln, sei es, um sie zu
genießen, 3) das Erwerben auf Kosten anderer, 4) seinen Besitz als sein
Eigentum, über das man nach Belieben verfügen könne, anzusehen und zu
verwenden, 5) eine Wohltätigkeit, die nur durch Schädigung anderer möglich
geworden ist und im Grunde nur egoistische Zwecke verfolgt.
Luther hat auch die Gefahr der
Monopolbildung, der Bildung wirtschaftlicher Macht erkannt, die eine Gefahr
sowohl für den Markt als auch die Freiheit des Volkes und der Nationen
darstellt und hat sich vehement gegen solche großen Konzerne ausgesprochen (s.
Vom Kaufhandel und Wucher), denn sie ruinieren den Mittelstand und das freie
Kleingewerbe. Luther hat also ganz klar die Gefahren des „freien Marktes“, der
unregulierten Wirtschaft erkannt, die alles umstößt, was vom natürlichen Recht
an Recht und Billigkeit vorgegeben ist. Darum ruft er den Staat auf, gegen
diese Gefahren durch Preisregulierung, Monopolverbote („Anti-Trust-Gesetze“),
Ausrichten des Handels am Gemeinwohl vorzugehen (Vom Kaufhandel und Wucher).
Im Großen Katechismus hat er auch die auf
Habgier und Profitsucht ausgerichtete kapitalistische Wirtschaft in ihrer
Grundhaltung angegriffen: dem Materialismus, dem Mammonsdienst, dass das Geld,
wirtschaftliche Macht, wirtschaftlicher Erfolg zum eigentlichen Lebensinhalt,
zur eigentlichen Sicherheit, zum eigentlichen Gegenstand des Vertrauens wird –
und damit tatsächlich ein Abgott ist, Götzendienst (I, I, 5 f.).
Melanchthons Begeisterung für die
Wissenschaft war so groß, dass er auf allen ihren Gebieten, selbst auf dem der
Naturkunde und dem der Medizin eifrigst gearbeitet hat. So ist es auch ihm zu
verdanken, dass in der durch die neue Glaubenspredigt äußerst erregten Zeit der
wissenschaftliche Geist nicht erlosch. Luther hat geschrieben: „Wenn es nur
meine beschränkte Natur erlaubte, so … würde ich mich danach sehnen, auch über
das, was nicht notwendig ist und in der Schrift nicht gelehrt wird,
vollendetste Gewissheit zu haben. Denn was gibt es Elenderes als Ungewissheit?“
(Erl. Ausg. Opp. v. a. 7, 122.) Dieser sein brennender Wissensdurst ließ ihn
hohe Loblieder singen auf seine Zeit. „Denn Gott der Allmächtige hat wahrlich
uns Deutsche jetzt gnädig heimgesucht und ein recht goldenes Jahr aufgerichtet.
Da haben wir jetzt die feinsten, gelehrtesten Gesellen und Männer, mit Sprachen
und aller Kunst geziert.“ Freilich ist in erster Linie seine hohe Freude über
das Aufblühen der Wissenschaft durch den Humanismus darin begründet, dass durch
das erwachte Sprachstudium die Heilige Schrift wieder verständlich geworden
ist, dass also die weltliche Wissenschaft auch der Theologie
wertvolle Dienste leistet. Er wendet sich daher gegen die Schwärmer, die „sich
des Geistes rühmten“ und darum die Wissenschaft verachteten. Denn, so führt er
aus, wenn ihn auch seine Erfahrungen gelehrt haben, wie unentbehrlich der
Heilige Geist für den Theologen ist, so doch auch, dass er wissenschaftliche
Ausrüstung nicht das hätte leisten können, was er nach Gottes Willen geleistet
hat. Denn weil der Ursprung des Christentums in einer fernen Vergangenheit
liegt und dessen Quellen den Stempel und das sprachliche Gewand dieser uns
zunächst fremden Welt tragen, so bedurfte Luther zu dessen richtiger Erfassung
eines Studiums, das einerseits ihn selbst über das richtige Verständnis „der
Schrift sicher und gewiss machte“, andererseits ihm ermöglichte, den dagegen
von „Papst, Sophisten und dem ganzen antichristlichen Regiment“ erhobenen
Widerspruch überzeugen zurückzuweisen. Diese seine Erfahrung hat ihn die
Unentbehrlichkeit wissenschaftlicher Bildung für die Theologie gelehrt. Aber
noch etwas will Luther in dieser Schrift „An die Ratsherren … dass sie
christliche Schulen sollen einrichten und erhalten“ einprägen, nämlich die
Notwendigkeit der Bildung für alle, wie sie durch das Aufblühen der
Wissenschaftlich möglich geworden ist, insofern nun die erforderlichen
Lehrkräfte vorhanden sind. Daher fordert er, „die allerbesten Schulen beide für
Knaben und Mägdlein an allen Orten aufzurichten“. Vor allem ist eine bessere
Bildung erforderlich für die, „welche das Volk regieren sollen“, überhaupt für
alle, die irgendwie eine führende Stellung einnehmen wollen. Diese sollten auch
fremde Sprachen erlernen, und zwar zur Erlangung einer Geistesbildung. Denn
weil man in den hohen Schulen und Klöstern die Sprachstudien vernachlässigt
hat, sei auch „die lateinische und deutsche Sprache so verderbt, dass die
elenden Leute schier zu Bestien geworden sind und beinahe auch die natürliche
Vernunft verloren haben“. Indem er dann die Errichtung öffentlicher
Bibliotheken fordert, will er darin auch „die Poeten und Oratoren“ wissen, „unangesehen,
ob sie Heiden oder Christen wären“, ferner „die Bücher von den freien Künsten
und sonst von allen Künsten“, „auch der Rechte und Arznei Bücher“, vornehmlich
„die Chroniken und Historien, in welcherlei Sprachen man sie haben könnte“. Und
nun preist er das Studium der Geschichte (Erl. Ausg. 22, 175. 183. 188 ff.
107), zu den „ande4ren Künsten“ rechnet er auch die Naturwissenschaft. Wohl hat
er gelegentlich über „Naturkündige“ stark gespottet, doch nur über solche,
deren „Vernunft dichtet und weiter forscht als ihr befohlen ist“, „wo die Welt
hergekommen und wo sie hin will“, oder die ihre Sternkunde zu der Torheit der
Astrologie missbrauchen (Erl. Ausg. 10, 338 ff.). Wohl hat er die Entdeckung
des Kopernikus, als einmal bei Tisch davon erzählt wurde, für eine Verirrung
gehalten, wie ja die Kunde von umwälzenden Entdeckungen meistens, auch von
Fachleuten, zunächst mit einem Lächeln aufgenommen worden ist. Aber er hat auch
gesagt: „Wir sind je5tzt in der Morgenröte zukünftigen Leben; denn wir fangen
an, wieder zu erlangen die Erkenntnis der Kreaturen, die wir verloren haben
durch Adams Fall. Jetzt sehen wir die Kreaturen mehr an als etwa im Papsttum.“
(Erl. Aufs. 61, 110 f.). Die „Herrschaft“ aber auf dem Gebiet der Wissenschaft
hat Gott der Vernunft des Menschen gegeben. Denn „in zeitlichen Dingen
und die den Menschen angehen, ist der Mensch vernünftig genug; da bedarf es
keines anderen als der Vernunft“. „Da lasse man der Vernunft ihr Urteil!“ (Erl.
Ausg. 7, 349; 47, 337). So dankbar die Wissenschaft für die
Mündigkeitserklärung hätte sein sollen, erlebte doch schon Luther den Schmerz,
dass eben die von ihm so gefeierte humanistische Wissenschaft in vielen ihrer
Vertreter und gerade in dem Bedeutendsten unter ihnen, dem berühmten Erasmus, ihre
Grenzen überschreitend eine neue Religiosität zu schaffen unternahmen, bei
der die Religion zu einem Faktor der Kultur erniedrigt wurde, und dass sie von
dieser neuen Weltanschauung aus den evangelischen Glauben im Fundament angriff.
Es ist bedeutsam, wie Luther dies beurteilte. Im womöglich noch den Erasmus von
seinem Plan abzubringen, bat er ihn in einem Brief, er möge, da ihm „die Welt
das großartige und herrliche Geschenk“ des „Blühens und Gedeihens der
Wissenschaft“ verdankte, sich damit begnügen, „sein Arbeitsfeld zu
bebauen“, nicht aber „über seine Grenze hinausgehen“. Denn für die weltliche
Wissenschaft habe Gott „ihm Gaben verliehen“, was aber zur Erkenntnis der
seligmachenden Wahrheit gehöre, der Glaube, sei ihm noch nicht „von Gott
gegeben“ (Enders 4, 319 ff.).So werden immer wieder Spannung zwischen der
weltlichen Wissenschaft und der Theologie eintreten, wenn eine derselben „über
ihre Grenzen hinausgeht“. Aber die von der Reformation verkündete Freiheit
beider wird durch den Missbrauch nicht aufgehoben. Eine Furcht, es könnte die
Wissenschaft mit ihrer Vernunft ihm seinen Glauben unmöglich machen, kennt
Luther nicht, weil er seinen Glauben nicht der natürlichen Vernunft verdankt,
sondern dem Geist Gottes, de, wie er gegen Erasmus schreibt, „nicht Zweifelhaftes
oder bloße Meinungen in unser Herz geschrieben hat, sondern eine Gewissheit,
die sicherer und fester ist als das, dass wir leben und alles, was wir erleben“
(Erl. Ausg. Opp. v. a. 7, 123 f.). Trotz dieser Überzeugung aber betrübte es
Luther tief, dass ein Erasmus seine Wissenschaft zur Bekämpfung der
seligmachenden Wahrheit verwandte. Denn das war das Gegenteil von dem, wozu
Gott uns seine Gaben verliehen hat. Der Christ soll, wie alles, was er besitzt,
so auch seine Bildung, sei es die wissenschaftliche oder die allgemeine, in den
Dienst der Liebe stellen, so dass wir den Nächsten dadurch wahrhaft zu
fördern suchen. Dazu soll die von Luther geforderte Bildung gereichen, dass
„die Männer wohl regieren könnten Land und Leute, die Frauen wohl erziehen und
halten könnten Haus, Kinder und Gesinde“ (Erl. Ausg. 22, 190). Denn Gott gibt
uns unsere Gaben, auch unsere „Weisheit“ dazu, dass „wir sie gebrauchen uns und
anderen Leuten zu Dienst und Nutzen in diesem Leben“ (Erl. Ausg. 46, 139). Der
Christ soll sagen: „Lieber Gott, du hast mir viele Gaben geschenkt; ich will
sie anderen mitteilen und jedermann damit dienen, wie mir mein lieber Herr und
Heiland mit seinen göttlichen Gaben gedient hat.“ (Erl. Ausg. 20, II, 539.)
Der Glaube nimmt auch das Leid aus
Gottes Hand, weil er weiß, dass Gott auch damit eine gute Absicht hat und durch
Not, Leid, Anfechtung uns im Glauben läutern und stärken will.[200] Das Leiden soll unter
anderem auch dazu dienen, uns in unserer sicheren Haltung zu erschüttern und
uns so antreiben, die Gnade Gottes in Christus umso fester zu ergreifen und so
den Glauben zu mehren.[201] Leiden, Trübsal sind
dabei weder als Vorbereitung auf den Glauben zu begreifen, noch als
Nachbedingung der Rechtfertigung.[202] Ausgangspunkt für unsere
Betrachtung des Leidens, der Trübsale muss vielmehr das Evangelium Jesu
Christi, des Leidenden, Angefochtenen, Gekreuzigten und Auferstandenen sein.
Christus ist sozusagen das „Urbild“ des Leidenden. Und Leid und Trübsal sind Gottes
Werk, um uns Christus immer gleichförmiger zu machen (conformitas Christi). So,
wie er an Christus gehandelt hat, den er doch zur Herrlichkeit führen wollte,
wobei es aber durch das Verderben hindurch ging, so arbeitet er auch an uns
Christen.[203]
Ziel ist es, das der neue Mensch lebendig wird. Dazu muss aber der alte Mensch,
das alte Ich zerbrochen, zunichte gemacht werden (Gal. 5,24), damit Gott uns
gebrauchen kann. Er sondert uns damit ab von den natürlichen Werken zu den
Werken Gottes. Unsere Leiden, unser Kreuz, das ist ganz wichtig, sind kein
Werk, das wir Gott bringen, sondern ein Werk, das er an uns tut. Leiden,
Trübsal sind deshalb ein gnädiges Handeln Gottes an uns, das dem Handeln des
Vaters an seinem Sohn Christus entspricht und wie bei ihm hinzielt auf die
Herrlichkeit, die wir schließlich erreichen sollen (1. Petr. 1,11).[204] Christsein ist also
Leidensnachfolge und als solche Kreuzesnachfolge! Und die können wir nur
leben, weil wir mit Christus verbunden sind, und so auch täglich mit ihm
gekreuzigt werden. Sie zeigt sich gerade auch in der Niedrigkeit des Christen
in dieser Welt, im Verzicht auf allen Stolz, allen Ruhm, alle Ehre vor der Welt
und vor uns selbst, in Verlassenheit, Ohnmacht, Verzweiflung, Schwachheit und
vor allem auch in der Feindschaft der Welt, bis hin zum Martyrium um Christi
willen. Das sind keine selbsterwählten Leiden, die sind widerchristlich,
sondern es sind die Leiden, Trübsale, Anfechtungen, die Gottes Wille und damit
ein Werk des Heiligen Geistes sind.[205]
Die Trübsale, die uns betreffen können,
sind leibliche Gebrechen, Anfechtungen durch Schande und Schmach um Christi
willen und die Anfechtung unseres Glaubens selbst. Aber bedenken wir: All das
ist nichts Besonderes, sondern das ist normal. Christsein führt in
Trübsal, Anfechtung. Das Kreuz ist sozusagen das sichtbare Kennzeichen des
Christseins, wodurch wir Christus ähnlicher werden.[206] Unser Leben auf dieser
Erde ist an sich ja schon mit dem allgemeinen Kreuz aller Menschen belastet,
nämlich dass wir hier ohne äußeren Frieden und Sicherheit leben müssen. Dazu
kommt dann noch unser Kreuz als Christen, die Feindschaft und Verfolgung durch
den Teufel und die Welt. Aber das macht eben das Christsein aus: der Glaube an
Christus, die Liebe zu den Armen und Schwachen und die Verfolgung um Christi
willen. Es kann kein Christsein ohne Kreuz, ohne Anfechtung geben.[207]´So macht uns Gott
Christus immer mehr gleichförmig. Das ist aber, das ist ganz wichtig, nicht
unser Werk, können wir nicht durch Anstrengungen erzwingen, es ist vielmehr
Gottes Werk und Geschenk.[208]
Der Teufel versucht ja, die Trübsale zu
verwenden, um uns vom Glauben zu ziehen, die Gewissheit der Erlösung uns zu
nehmen, und schließlich in Verzweiflung zu stürzen, so zum Unglauben zu führen.
Nicht zuletzt verwendet er dazu auch unsere Sünden, in die er uns erst
hineingezogen hat, um sie uns dann als riesengroß und unvergebbar vor Augen zu
stellen, das Evangelium in ein Gesetz zu verkehren, Bedingungen an die
Vergebung zu knüpfen. Da gilt es, entschieden gegen den Teufel, seine
Anfechtungen zu stehen und das Evangelium Christi entschieden fest zu halten,
fest am Wort zu bleiben und im Gebet. Dann muss er weichen.[209] Wenn der Teufel dir das
Gesetz vorhält, das du nicht gehalten hast, so musst du ihm allerdings Recht
geben – aber bleibe nicht dabei stehen, sondern poche auf das Evangelium
Christi, die unbedingte Gnade Gottes in Christus, denn in Christus bist du kein
Sünder mehr.[210]
Die schwerste Anfechtung aber ist, wenn
Gott selbst sich scheint gegen uns zu stellen, sich mit seiner Gnade von uns
abzuwenden und nur noch sein Zorn uns zugewandt bleibt. Da ist die Gefahr der
Sünde gegen die erste Tafel, vor allem das erste Gebot, also Zweifel an Gott,
Missglauben an Gott, Gotteslästerung, sehr groß. Das ist aber eine Anfechtung,
die in ihrer Schärfe nur wenige erleiden.[211] Wenn du also Gottes Zorn
fühlst, so halte dennoch, gegen alles Fühlen, am Evangelium fest, trotz
aller eigenen Sündhaftigkeit.[212] So will Gott gerade
durch das Leid, die Anfechtung uns drängen zu einem rechten Glauben, einem
fröhlichen Gewissen, ist doch der Glaube gerade der rechte Gehorsam gegen das
erste Gebot und gibt Gott die Ehre, weil er ihn als einen gnädigen Gott
ergreift. Und das zeigt uns neben dem, dass Leid und Anfechtung zum
Christenleben einfach dazugehören, einen weiteren Sinn der Trübsale und
Anfechtungen: Sie führen und zum rechten Christsein und erhalten uns darin. Ja,
Leiden, Kreuz, Trübsal, Anfechtung sind daher sogar notwendig für unser
Christsein.[213]
Gott bedient sich auch scharfer Mittel und
Strafen wie die Nöte in dieser Welt, Katastrophen, Kriege, Seuchen, Hunger, um
an dem sicheren Sünder oder eingeschlafenen Gläubigen zu arbeiten, zu rechter
Sünden-, Verdorbenheits- und Verlorenheitserkenntnis zu führen, dass er so das
Böse ausfege. Denn in den Nöten will Gott all das Vertrauen auf irdische Dinge
zunichte machen und das alte, selbstgerechte Ich zerbrechen und den Menschen
zum Suchen nach Hilfe, Vergebung treiben. Gerade die noch unbekehrten Sünder
muss Gott erst zur Hölle führen, damit sie erkennen, dass sie Christus als
ihren Retter brauchen. Uns Christen aber muss er immer wieder wegführen von der
Gefahr, über den geistlichen Gütern, die wir haben, Gott selbst zu vergessen,
selbstsicher zu werden, in Stolz und Hochmut zu geraten.[214]
Wir sollen Trübsal, Leiden, Kreuz nicht
mutwillig suchen, sie wählen, darum bitten oder uns gar mutwillig in Versuchung
begeben – aber ebenso wenig dürfen wir uns der Anfechtung, wenn sie dann kommt,
entziehen. Vielmehr gilt es, im Gehorsam gegen Gottes Willen auch bereit zu
sein zum Leiden und daher in der Trübsal auch Gottes Stunde abzuwarten, wann er
wieder herausführt.[215] Dass wir dazu bereit
werden, dazu soll uns die Erinnerung an und die Betrachtung des Leidens Christi
für uns stärken. So kann durch den Glauben ein Ja zum Kreuz gesprochen werden,
das dann aufhört, weiterhin so drückend zu sein.[216]
Eine besondere Bedeutung kommt den
Sakramenten als Trostmittel in der Anfechtung zu. So sagt dir deine Taufe, dass
deine Sünden, dein alter Mensch, mit Christus gekreuzigt ist, und dass aus der
Taufe ein neuer Mensch hervorgekrochen ist.[217] Gerade das heilige
Abendmahl ist für den in geistlicher oder leiblicher Not befindlichen Christen
eine Quelle des Trostes, besonders dann, wenn er angefochten ist darüber, wie
denn Gott zu uns steht – denn hier wird ihm Gottes Gnade so handgreiflich vor
Augen geführt und geschenkt, in dem Christus ihm unter Brot und Wein seinen für
ihn dahingegebenen Leib und sein für ihn vergossenes Blut darreicht zum
(übernatürlichen) mündlichen Genuss, um ihn dadurch zu stärken und zu
vergewissern in der Vergebung der Sünden.[218]
Die Anfechtung lehrt aber auch aufs Wort
merken, weil nur aus dem Wort die Kraft kommt, in der Anfechtung im Glauben an
Christus zu bestehen. Dies gilt gerade auch dann, wenn Gott selbst es ist, der
uns prüft, versucht, und wir den Eindruck haben, Gott habe sich verborgen,
zurückgezogen von uns. Gerade dann gilt es gegen alles Fühlen, gegen allen
Schein sich an das Wort zu halten, dennoch daran festzuhalten, dass Gott
unser lieber Vater ist, der es gut mit uns meint, auch gegen allen Augenschein.
Aber das ist Gottes Weise, durch die Finsternis, das finstere Tal, zum Licht,
zur seligen Höhe zu führen. Dadurch lehrt er uns auch beten, immer intensiver
beten.[219]
Gott ist ein heiliger und gerechter Gott.
Sein Zorn über die Sünde führt bei den Gottlosen zu deren ewigem Verderben,
wenn sie nicht umkehren. Ganz anders aber bei Gottes Kindern. Da ist auch der
Zorn über die Sünde, die ja auch dem an Christus Gläubigen noch anhaftet, von
dem Liebe und dem Erbarmen Gottes dominiert. Luther sagt, Gott „spiele“ mit
ihnen, wenn er sie in Trübsal, Not, Anfechtung führe, um ihren Glauben zu
erproben, zu läutern, zu stärken, fest zu machen (er nennt das auch die
„Theologie des Kreuzes“). Denn unter Anfechtung, Trübsal. Not sucht Gott uns
zum Heil und ewigen Leben zu führen. Gott will ja die ewige Rettung seiner
Kinder. Aber dazu führt er durch die Hölle zum Himmel, durch den Tod zum Leben.
Darum ist es so wichtig zu wissen, dass in allem Leid, in aller Trübsal, in
aller Not, wie immer es auch den Anschein haben mag, Gott uns nicht allein
lässt; zu seiner Zeit greift er ein, redet er, hilft er heraus.[220]
Über den Zustand des Menschen nach dem Tod
bis zum Jüngsten Tag lehren die Bekenntnisse nur, dass es kein Fegfeuer gibt. Das
hat Luther auch vielfältig ausgedrückt: „In der Heiligen Schrift ist nichts
enthalten vom Fegfeuer, deshalb kann weder sie noch ihre Erklärung auf den
Handel vom Fegfeuer angewandt werden.“ (Walch 15,1011.) „Das Fegfeuer ist ein
Fündlein der lügenhaften Sophisten, die damit der Welt Leib und Gut, Seele und
Heil fangen und umbringen.“ (Walch 18,896.) „Aus dem Text eines ungewissen Buchs,
nämlich 2. Makk. 12,43 ff., gründen die Sophisten das Fegfeuer, wollen es auch
damit beweisen, so doch kein Wort vom Fegfeuer drinnen steht.“ (Walch 18,878.)
Über die Verstorbenen hat die Heilige Schrift uns nicht viel offenbart, außer
dass es dem Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben und danach das Gericht
(Hebr. 9,27), und dass ein jeglicher offenbar werden muss vor dem Richterstuhl
Gottes, dass ein jeder empfange, wie er gelebt hat bei Leibesleben, es sei gut
oder böse (2. Kor. 5,10). Ein Abbüßen von Sünden, wie es im Fegfeuer
stattfinden soll, widerspricht dem Grundartikel, dass die Seelen nur durch
Christus von Sünden frei werden (Schm. Art. II, 12; vgl. Apol. (VI), 26; XXIV,
90 usw.). Auch der Bericht Jesu vom reichen Mann und armen Lazarus zeigt an,
dass direkt mit dem Tod die Seelen an den ihnen auch für die Ewigkeit ihnen
bestimmten Ort kommen, Himmel oder Hölle. Darum verwirft die Apologie auch die
Messen für die Toten: „So die Messe nun nicht eine Genugtuung ist weder für
eine Pein noch Schuld aus dem bloßen Vollzug, so folgt, dass die Messe, so man
für die Toten hält, unnütz und nichts sei. Und es bedarf nicht langer
Disputation. Denn es ist gewiss, dass solche Messe halten für die Toten in der
Schrift gar keinen Grund hat. Nun ist es ein Greuel, in der Kirche Gottesdienst
anrichten ohne irgendein Gotteswort, ohne irgendeine Schrift.“ (Apol. XXIV,
92.) Was das Gebet für die Toten angeht, so akzeptiert die Apologie das Gebet
als Danksagung für das, was Gott für sie und durch sie getan hat, aber nicht
ein Gebet, das für sie Verdienste, Genugtuung oder sonst irgendwelche, ihre
Situation nach dem Tod ändernde, Bedeutung hätte (XXIV, 93-96).
Die Lehre von der Heilsvollendung eingehender
zu behandeln, lag für die lutherischen Bekenntnisse kein Anlass vor. Nur einige
Irrtümer weisen sie zurück. Die Schwärmer erwarteten vor der Totenauferstehung
ein tausendjähriges Reich, wo die Frommen die Weltherrschaft innehaben
würden. Das Augsburger Bekenntnis verwirft dies (XVII, 5). Denn wenn hier jene
Erwartung als jüdische Meinungen bezeichnet wird, so ist damit nicht gemeint,
dass eine christliche Vorstellung von solch einem Reich berechtigt sei,
sondern es wird der Ursprung dieses Irrtums auf die falsche Messiasvorstellung
der Juden zurückgeführt. Denn eben das, was die Schwärmer zu jener Annahme
bewog, nämlich das brennende Verlangen, in irdischer Weise über die Gottlosen
zu triumphieren und aus Bedrückten zu Herrschern zu werden, liegt dem
lutherischen Geist völlig fern. Dieser sehnt sich nicht nach Beherrschung,
sondern nach Rettung der Gottlosen. Er hat aber auch das sündliche Verderben
des Menschen so tief erkannt, dass er auch eine solche Verstockung für möglich
hält, die die ewige Gemeinschaft mit Gott gar nicht mehr will, also auch nicht
erlangen kann. Daher wird vom Augsburger Bekenntnis auch die Ansicht der
Wiedertäufer, dass die verdammten und die Teufel schließlich noch selig werden,
die Allversöhnung, verworfen (XVII, 4; vgl. KF, Ausf. Darl. XI, 83). Das
Endgericht hat vielmehr ewiges Leben und Strafe ohne Ende zur Folge (Augsb.
Bek. XVII, 2.3). Hinsichtlich der Seligkeit aber musste noch gegen Rom
klargestellt werden, in welchem Sinn die Heilige Schrift von eienm Lohn der
guten Werke rede, Der biblische Lohn fordert nicht als entsprechenden
Begriff den römischen Verdienst (Apol. IV (III), 235 ff.). Weil die Schrift
alles Heil und die Seligkeit als durch Christus erworben und uns umsonst
verliehen behauptet, kann sie nicht, wenn sie daneben von einem Lohn redet,
hiermit ein Verdienen, ein Erwerben des Menschen aussprechen wollen. Es ist
festzuhalten: 1) Von guten, einer Belohnung durch Gott gewürdigten Werken, kann
nur dann die Rede sein, wenn diese aus dem Glauben hervorgehen (Apol. IV (III),
250). 2) Kein gutes Werk ist eines Lohnes wert, weil keines absolut rein ist;
nur um des Glaubens willen gefällt Gott unser Tun (Apol. IV (III), 247). 3) Von
dem ewigen Leben als Lohn kann nur deshalb die Rede sein, weil Gott in seiner
Gnade das ewige Leben vorher verheißen hat; „Lohn“ bedeutet hier nicht die
Auszahlung von etwas Verdientem, sondern die Entrichtung von etwas
Versprochenem (Apol. IV (III), 241). 4) Von einem Lohn der guten Werke wird
jedoch auch deshalb geredet, weil die Werke auf dem Gebiet des Gesetzes liegen,
wo jedem einzelnen Tun ein entsprechendes Entgelt in Aussicht gestellt ist;
daher ist auch ein solcher leiblicher oder geistlicher Lohn in diesem oder dem
zukünftigen Leben ein verschiedener (Apol. IV (III), 245 f.). 5) Nicht aber
sollen Straffurcht oder Lohnsucht ein Motiv unseres Handelns werden. Nicht zu
diesem Zweck hat Gott gedroht und verheißen. Sondern seine Strafandrohungen
sollen uns Gottes Zorn über die Sünde, also die Fluchwürdigkeit der Sünde,
erkennen und Grauen vor ihr fühlen lehren; die Verheißungen sollen uns seine
Gnade lehren, damit wir in den Anfechtungen nicht verzweifeln (Apol. IV (III),
243 f.). Demnach wird die ewige Seligkeit für alle einerseits dieselbe,
andererseits (im Blick auf die Grade der Herrlichkeit), verschieden sein.
(entnommen aus: Franz Pieper: Christliche Dogmatik. Umgearb. Von
J.T. Müller. St. Louis, Missouri: Concordia Publishing House. 1946. S. 124 ff.)
Bekanntlich versucht die moderne Theologie
bei ihrer Leugnung der Inspiration der Schrift, Luther zum particeps
criminis [Mittäter] zu machen. Allgemein wird behauptet, dass erst die
späteren Dogmatiker die künstliche Theorie von der Inspiration aufgebaut
hätten, wonach Schrift und Gottes Wort schlechthin zu identifizieren seien. Bei
Luther lasse sich eine freiere Stellung zur Schrift nicht verkennen. Seeberg
z.B. kann sich wegen gewisser Äußerungen Luthers gar nicht vorstellen, dass in
Luthers Geist die Verbalinspiration gewesen sein sollte[221].
Nitzsch-Stephan behauptet, dass sich bei Luther deutliche Spuren einer freien
Auffassung der Inspiration fänden[222]. Bei
Flacius und Chemnitz sei schon eine Verschärfung der Inspirationslehre
bemerkbar; vollends aber sei die Lehre von der Inspiration ausgebildet worden
von den protestantischen Scholastikern des 17. und 18. Jahrhunderts seit dem
Vorbild, das Gerhard bereits 1610 im Locus de Scriptura gegeben und 1625
in der Exegesis Uberior Loci de Scriptura weitergeführt habe. In
vollster scholastischer Zuspitzung begegne uns die ausgebildete
Inspirationslehre bei den Dogmatikern, die das alte orthodoxe System gegen
Calixt und die Synkretisten aufrechtzuhalten suchten.
Diese Behauptungen sind jedoch gänzlich
außerhalb des Gebiets der geschichtlichen Wahrheit gelegen. Der Dissensus
zwischen Luther und den lutherischen Dogmatikern hinsichtlich der
Inspirationslehre ist pure Erfindung. Der wirkliche Unterschied zwischen Luther
und den Dogmatikern ist der, dass die Dogmatiker nur schwach nachstammeln, was
Luther viel gewaltiger aus der Schrift über die Schrift gelehrt hat. Man hat
z.B. Quenstedts Aussage über die Schrift: „Die kanonische Heilige Schrift im
Grundtext ist unfehlbare Wahrheit und von jedem Irrtum frei oder, was dasselbe
ist, in der kanonischen Heiligen Schrift findet sie keine Lüge, keine
Unrichtigkeit, kein, auch nicht der geringste, Irrtum, sei es in den Sachen,
sei es in den Worten, sondern alle und die einzelnen Dinge, die in ihr
berichtet werden, sind durchaus wahr, ob sie die Lehre oder die Moral, ob sie
die Geschichte, Zeitrechnung, Ortsbeschreibung oder Namengebung betreffen; kein
Nichtwissen, keine Unbedachtsamkeit oder Vergesslichkeit, kein Gedächtnisfehler
kann und darf den Schreibern des Heiligen Geistes beim Schreiben der Heiligen
Schrift zugewiesen werden.“ (vgl. Systema I, 112), als ein dictum
horribile bezeichnet. Aber alles, was Quenstedt über die Schrift sagt, sagt
auch Luther, gerade auf die von Quenstedt erwähnten Einzelheiten eingehend, von
der Schrift aus. Um dies darzutun, stellen wir hier zusammen, was Luther
erstlich über die ganze Schrift sagt, und fügen dann hinzu, wie er sich über
Einzelheiten geäußert, in denen man ihm eine Abweichung von der Lehre der
Dogmatiker zugeschrieben hat.
Von der ganzen Schrift sagt Luther: „Also
gibt man nun dem Heiligen Geist die ganze Heilige Schrift.“ (vgl. Walch 2, III,
Sp. 1890; WA 54, S. 35) „Die Heilige Schrift ist durch den Heiligen Geist
gesprochen.“ (vgl. Walch 2, III, 1895; WA 54,39.) Sie ist des „Heiligen Geistes
Buch“. (vgl. Walch 2, IX,1775; WA 48,43.) Sie ist „Gottes Brief an die
Menschen“. (vgl. Walch 2, I, 1055; WA 42,629.) Solche und ähnliche Aussprüche
lassen sich in die Hunderte vermehren.
Aber was Luther von der ganzen Schrift
sagt, das hält er auch in jeder Beziehung und in Bezug auf alle einzelnen
Fragen, die betreffs der göttlichen Autorität der Schrift erhoben worden sind,
konsequent fest. Bekanntlich dringt die moderne Theologie stark darauf, dass
eine menschliche Seite in der Schrift anerkannt werde. Luther kennt auch eine
menschliche Seite der Schrift, aber nur in dem Sinn, dass Gott sein Wort durch
Menschen in menschlicher Sprache hat schreiben lassen. Luther ist entsetzt über
die Leute, welche zu behaupten wagen, die Schrift sei nicht ganz und in allen
Teilen Gottes Wort, weil die Schreiber der Schrift, wie Petrus und Paulus, doch
auch Menschen gewesen seien. Luther bemerkt zu 1. Petr. 3,14: „Wenn du solche
Leute hörst, die gar verblendet und verstockt sind, dass sie leugnen, dass das
Gottes Wort sei, was die Apostel geredet und geschrieben haben, oder daran
zweifeln, so schweige nur stille, rede kein Wort mit ihnen und lass sie
fahren.“ (vgl. Walch 2, IX, 1238; WA 12,362.)Und diese Identifizierung von
Schrift und Gottes Wort hält Luther gerade auch in Bezug auf solche Teile der
Schrift fest, die uns sehr menschlich zu sein scheinen. Während man gemeint
hat, man könne sich nicht wohl vorstellen, dass der Heilige Geist David das eingegeben
haben solle, was David in Gestalt eines Psalms im Herzen empfand, sagte Luther
von den Psalmen: „Mich dünkt, der Heilige Geist habe selbst wollen die Mühe auf
sich nehmen und eine kurze Bibel und Exempelbuch von der ganzen Christenheit
und allen Heiligen zusammenbringen.“ (vgl. Walch 2, XIV,23; WA 30/3,540.) Von
denen, die die Psalmen, wie sie die Bewegungen des Menschenherzens beschreiben,
nicht dem Heiligen Geist, sondern dem Menschen David geben wollen, urteilt
Luther, dass sie ein fleischliches Herze haben.
Aber auch die anscheinend geringen
menschlichen Dinge schreibt Luther dem Heiligen Geist zu, und er warnt „jeden
frommen Christen“, er wolle sich nicht dazu verführen lassen, die geringen
Dinge, welche in der Schrift erwähnt und beschrieben werden, „der hohen
göttlichen Majestät“ abzusprechen (vgl. Walch 2, XIV,2 f.; WA 54,4). Luther
schreibt: „Gott hat Lust, solche geringen Dinge [wie z.B. Jakobs Haushaltung
und Ehestand] zu beschreiben, damit er anzeige und bezeuge, dass er nicht
verschmähe, auch keinen Abscheu habe oder auch nicht weit sein wolle von der
Haushaltung, von einem frommen Ehemann und von Weib und Kindern.“ (vgl. Walch
2, XIV,2 f.; WA 54,4; ach Walch 2, II,537 ff.; WA 43,655 f.)
In der Schrift Alten Testaments finden wir
Stellen, in denen von groben geschlechtlichen Sünden berichtet wird. Man hat
daher von Schmutzgeschichten in der Schrift geredet, mit denen man den Heiligen
Geist nicht belasten dürfe. Luther aber bemerkt zu 1. Mose 38, wo von der Sünde
Judas und Thamars berichtet wird: „Es ist ein wunderbarer Fleiß des Heiligen
Geistes, diese schändliche, unzüchtige Historie zu beschreiben, dass er auch
alles bis aufs Äußerste so gar genau ausführt. … Warum hat sich doch der allerreinste
Mund des Heiligen Geistes also herniedergelassen zu solchen niedrigen,
verachteten Dingen, ja die auch unzüchtig und unflätig und dazu noch
verdammlich sind, als ob solche Dinge dazu etwas sollten nütze sein, dass
dadurch die Kirche und Gemeinde Gottes möchte gelehrt werden?“ (vgl. Walch 2,
II,1200 ff.; WA 44,327 f.) Luther zeigt dann in ausführlicher Darlegung, wie
voll von Lehre, Strafe, Mahnung und Trost auch solche Schriftstellen für die
Kirche Gottes aller Zeiten seien.
Ob jemand die christliche Stellung zur
Schrift einnimmt, das heißt, die Schrift Gottes Wort sein lässt, tritt stets
klar daran zutage, wie er sich zur Irrtumslosigkeit der Schrift stellt.
Christus lehnt die Möglichkeit eines Irrtums in der Schrift sehr entschieden ab
(Joh. 10,35), und diese a-priori-Stellung ist auch Luthers Stellung zur
Schrift. Luther will nicht erst a posteriori, durch menschliche
Untersuchung, die Irrtumslosigkeit der Schrift festhalten, sondern ihm steht
vor aller Untersuchung fest, dass sich in der Schrift kein Irrtum finden kann.
Dies hält Luther nach allen Seiten hin fest, wie z.B. in Bezug auf das
Sechstagewerk (Vgl. Walch 2, III,23; WA 12,443). Dasselbe hält Luther auch in
Bezug auf die chronologischen Angaben der Schrift fest und tritt damit in
scharfen Gegensatz zur gesamten modernen Theologie. Ihm steht a priori fest, dass in jedem Fall, wo die
Zeitangaben der Schrift von denen menschlicher Geschichtsschreiber differieren,
die Heilige Schrift recht habe. Er schreibt: Ich gebrauche ihrer [der
menschlichen Geschichtsschreiber] so, dass ich nicht gedrungen werde, der
Schrift zuwider zu sein. Denn ich glaube, dass in der Schrift Gott rede, der
wahrhaftig ist, in anderen Historien aber, dass sehr feine Leute ihren besten
Fleiß und Treue, jedoch als Menschen, vorwenden oder ja zum wenigsten, dass
ihre Abschreiber haben irren können.“ (vgl. Walch 2, XIV,491; WA 53,22 f.) Es
ist dies ein Thema, das Luther, als ein großer Freund der Geschichtsstudien,
sehr oft behandelt (vgl. Walch 2, XIV,491; WA 53,22 f.) Zu 1. Mose 11,27 f.
bemerkt er, dass sich nach der Zeitrechnung „bei Abraham sechzig Jahre
verlieren“; aber Luther tadelt die kühnen Leute, welche sagen dürfen, dass hier
ein Irrtum vorliege. Er selbst will nicht zu den kühnen Leuten gehören, welche
die Schrift eines chronologischen Irrtums zeihen, sondern schließt mit dem
demütigen Bekenntnis seines „Unverstandes, wie denn billig; denn allein der
Heilige Geist ist, der alles weiß und versteht“ (Walch I,721 f.; WA 42,431). Zu
1. Mose 11,11 behandelt Luther die Frage, wie Arphachsad zwei Jahre nach der
Sintflut geboren sein könne, und weist auf Möglichkeiten der Harmonisierung
hin, fügt aber hinzu, dass unser Glaube nicht gefährdet sei, wenn die
Harmonisierungsversuche kein gewisses Resultat ergeben. Die Nichtgefährdung des
Glaubens begründet er mit der Aussage: „Denn das isst gewiss, dass die Schrift
nicht lügt.“ (vgl. Walch 2, I,713 f.; WA 42,426.)
Luther hält ferner auch a priori
alle Widersprüche in der Schrift für schlechthin ausgeschlossen; und diese
Stellung zur Schrift hat Luther nicht bloß zu Anfang seines öffentlichen
Auftretens eingenommen, wie Neuere behauptet haben, sondern er hat sie bis an
das Ende seines Lebens festgehalten. Er schreibt im Jahr 1520: „Die Schrift hat
noch nie geirrt.“ (vgl. Walch 2, XX,798; WA 23,122.) Im Jahr 1527: „Es ist
gewiss, dass die Schrift nicht mag mit sich selbst uneins sein.“ (vgl. Walch 2,
XX,798; WA 23,122.) Im Jahr 1535: „Es ist unmöglich, dass die Schrift mit sich
selbst uneins sein sollte, außer dass es die unverständigen, verstockten
Heuchler also dünkt.“ (vgl. Walch 2, IX,356; WA 40/1,318 f.) Vom Jahr 1541 und
1545 datiert Luthers Chronikon, in dem er sagt, dass die chronologischen
Angaben der Schrift absolut zuverlässig seien. Selbst scheinbare Unordnungen in
der Chronologie der Schrift sind nach Luther vom Heiligen Geist. In seiner
Auslegung des Propheten Habakuk bemerkt er, dass die Propheten scheinbar keine
Ordnung halten, indem sie, vom jüdischen Reich redend, kurz abbrechen und von
Christus zu reden anfangen; aber auch dies ist vom Heiligen Geist. Er schreibt:
„Der Heilige Geist hat müssen die Schuld haben, dass er nicht wohl reden
könnte. … Es ist aber unsere Schuld, die wir die Sprache nicht verstanden noch
der Propheten Weise gewusst haben. Denn das kann je nicht anders sein, der
Heilige Geist ist weise und macht die Propheten auch weise.“ (vgl. Walch 2,
XIV,1418; WA 19,350.) Vom Evangelium Matthäus sagt Luther, dass er Kapitel 24
Jerusalems Zerstörung und der Welt Ende „ineinander gemischt und –mengt“, fügt
aber hinzu: „Und es ist auch des Heiligen Geistes Weise in der Schrift, dass er
so redet.“ (Walch 2, VII,1297; WA 47,566.)
Was Luther vom Ineinandermengen,
Nicht-Ordnung-Halten usw. in den Berichten sagt, verwenden neuere Theologen als
einen Beweis, dass Luther „sich die Möglichkeit von geschichtlichen
Ungenauigkeiten und Widersprüchen offen gehalten“ habe.[223] Sie
sagen aber nicht, dass Luther dieses Ineinandermengen auf die Intention des
Heiligen Geistes zurückführt. Kahnis führt gegen die Inspiration der Schrift
auch die Tatsache ins Feld, dass die Evangelisten in dem Bericht über die
Einsetzung des Abendmahls nicht dieselben Worte gebrauchen.[224] Luther
hingegen schreibt gegen die Papisten, die wegen Auslassung nur eines
Wortes im Messkanon die Abendmahlsverwaltung für ungültig erklärten: „Sie haben
nicht gemerkt, dass der Heilige Geist mit Fleiß geordnet hat, dass kein
Evangelist mit dem andern in denselben Worten übereintrifft.“ (vgl. Walch 2,
XIX,1104; WA 8,508.) Moderne Theologen stellen die Inspiration der Schrift
wesentlich auf gleiche Stufe mit der Erleuchtung aller Christen. Luther
hingegen nimmt einen spezifischen Unterscheid an zwischen Erleuchtung und
Inspiration. Er schreibt: „Wir sind nicht alle Apostel, die durch einen
feststehenden Beschluss Gottes als unfehlbare Lehrer gesandt worden sind.
Deshalb können nicht sie, sondern wir irren und im Glauben fehlen, weil wir
ohne solchen Beschluss Gottes sind.“ (vgl. Walch 2, XIX,1442; WA 391,48.)
Moderne Theologen unterscheiden ferner Grade in der Inspiration. Aber Grade in
der Inspiration kennt Luther nicht, sondern er gibt „die ganze Schrift dem
Heiligen Geist“ (vgl. Walch 2, III,1890; WA 54,35).
Freilich unterscheidet Luther zwischen den
Büchern der Heiligen Schrift, sofern sie ihrem Inhalt nach für die Entstehung
und Erhaltung des christlichen Glaubens wichtiger oder weniger wichtig sind. In
diesem Sinn nennt er das Evangelium des Johannes das „einzige, zarte, rechte
Hauptevangelium“, weil es vornehmlich die Lehre treibe, während die anderen
Evangelisten mehr Tatsachen oder Ereignisse aus dem Leben Christi berichten.
Aus demselben Grund nennt Luther auch aus den Briefen der Apostel des St. Paulus
Episteln, sonderlich den an die Römer, und des St. Petrus erste Epistel den
„rechten Kern und Mark“ unter allen Büchern, „welche auch billig die ersten
sein sollten, und einem jeglichen Christen zu raten wäre, dass er dieselben am
ersten und allermeisten läse und ihm durch täglich Lesen so gemein machte wie
das tägliche Brot“ (vgl. Walch 2, XIV,90 f.; WA DB 6.10). Daraus meinen neuere
Theologen beweisen zu können, dass nach Luthers eigentlicher Meinung die
Schrift nicht in allen Teilen gleicherweise des Heiligen Geistes Wort sei[225]. Dies
ist aber ein Missverstand und Missbrauch der Worte Luthers, denn er schreibt
die ganze Schrift dem Heiligen Geist zu. Quenstedt ist es als eine schier
unglaubliche Überspannung des Inspirationsbegriffs angerechnet worden, dass er
die Wahl der Worte (voces) und der Ausdrucksweise (phrasis) nicht dem Belieben
oder der menschlichen Erwägung der heiligen Schreiber überlässt, sondern der
göttlichen Eingebung zuschreibt. Er schreibt: „Dass die heiligen Schreiber
jedoch diese und nicht andere Redewendungen (phrases), die und nicht andere
Worte (voces) oder gleichbedeutende (aequipollentes) gebrauchten, das kommt
einzig und allein von dem göttlichen Antrieb und der göttlichen Inspiration
her.“[226]
Genauso beschreibt Luther die Inspiration, denn auch er lässt die Wahl der
bestimmten Wörter und der bestimmten Ausdrucksweisen von der Inspiration
abhängen. Er sagt z.B. zu Ps. 127,3: „Nicht allein die Wörter (vocabula),
sondern auch die Ausdrucksweise (phrasis), deren sich der Heilige Geist und die
Schrift bedient, ist von Gott (divina).“ (vgl. Walch 2, IV,1960; WA, 403,254.)
Schließlich könnte auch noch erinnert
werden, dass Luther unter Inspiration der Schrift nichts anderes als die
Verbalinspiration verstanden hat. Er sagt nämlich zur näheren Erklärung der meditatio
(in seiner Anweisung zum Studium der Schrift): „Zum andern sollst du
meditieren, das ist, nicht allein im Herzen, sondern auch äußerlich die
mündliche Rede und buchstabische Worte im Buch [scil. in der Heiligen
Schrift] immer treiben und reiben, lesen und wiederlesen, mit fleißigem
Aufmerken und Nachdenken, was der Heilige Geist damit [scil. mit dem
buchstabischen Wort] meint.“ (vgl. Walch2, XIV,431 ff.; WA, 54,15 f.] So
gewaltig bindet Luther das ganze theologische Studium und alle Bemühung um die
Erkenntnis der göttlichen Wahrheit an die buchstabischen Worte im Buch oder an
die Verbalinspiration.
Wir können freilich diesen Abschnitt nicht
schließen, ohne auf mehrere Aussprüche Luthers einzugehen, die mit großer
Zuversicht von fast allen neueren Theologen als Beweise für Luthers freie
Stellung zur Schrift angeführt werden. Prüfen wir aber diese Aussprüche, so
stellt sich heraus, dass sie nicht Luthers freie Stellung zur Schrift, sondern
die unwissenschaftliche und leichtfertige Art moderner Theologen im Zitieren
Luthers beweisen. Teils handeln die zitierten Aussprüche überhaupt nicht von
der Inspiration der Schrift, teils sind sie völlig aus dem Zusammenhang
gerissen und geradezu wider den Sinn zitiert, in dem sie von Luther gebraucht
werden. Sie gehören in die große Klasse von Zitaten, die ohne Prüfung von einer
Generation auf die andere vererbt werden.
Dies gilt in vollem Maß von einem Zitat,
das vielleicht das größte Aufsehen erregt und viele an Luthers Stellung zur
Schrift irre gemacht hat; wir meinen das sogenannte „Heu, Stroh und
Stoppeln“-Zitat. Man hat die Worte Luthers, die in diesem Zitat angeführt
werden, auf die biblischen Schriftsteller, das ist, auf die Propheten bezogen,
um zu beweisen, dass Luther Irrtümer in der Schrift zugegeben hat. So Tholuck
in der ersten Auflage der Herzogschen Realenzyklopädie, in der er schreibt: „In
seiner Vorrede über Linkens Anmerkungen über die fünf Bücher Moses (Walch
XIV,172) sagt er: ‚Haben ohne Zweifel die Propheten im Mose und die letzten
Propheten in den ersten studiert und ihre guten Gedanken, vom Heiligen Geist
eingegeben, in ein Buch aufgeschrieben. Ob aber denselben guten, treuen Lehrern
und Forschern in der Schrift zuweilen auch mit unterfiel Heu, Stroh und Holz
und nicht lauter Silber, Gold und Edelgestein bauten, so bleibt doch der Grund
da; das andere verzehrt das Feuer.‘“ (RE1, VI,695 unter Inspiration;
Druckjahr 1856. Walch 2, XIV,150; WA, 54,3.) In weiteren Auflagen der
Realenzyklopädie sind diese Worte Luthers ebenfalls dazu benutzt worden, um
darzutun, dass Luther Irrtümer in der Schrift zugestehe. Auch Kahnis behauptet,
dass die Propheten nach Luther nicht immer Gold und Silber, sondern auch Heu,
Stroh und Holz gebaut hätten.[227]
Nitzsch-Stephan wiederholt, was Kahnis gesagt hat.[228] Die
falsche Verwendung der in Rede stehenden Worte Luthers ist ferner in Luthardts
Kompendium aufgenommen worden; aber hier findet sich in der zehnten Auflage in
einer Anmerkung (S. 328) die Erklärung: „Diese Worte gehen aber nach rechtem
Verständnis Luthers nicht auf die biblischen Schriftsteller, sondern auf die
Ausleger; vgl. Kawerau, ‚Theol. Lit.-Ztg.‘ 1895, S. 216.“ Kaweraus Korrektur
hat daher hier Anerkennung gefunden, nachdem die Worte Luthers viele Jahre lang
in der wissenschaftlichen Theologenwelt falsch verwendet worden sind.
In der Tat ist es ganz unmöglich, Luthers
Worte auf die biblischen Schriftsteller, das ist, auf die Propheten, zu
beziehen, insofern sie die Bibel des Alten Testaments geschrieben haben. Luther
redet vielmehr von den Propheten des Alten Testaments zu den Zeiten, wenn sie
nicht als unfehlbare Organe des Heiligen Geistes zum Schreibern der Heiligen
Schrift getrieben wurden, sondern außerhalb des Zustandes der Inspiration die
vorhandene Schrift Alten Testaments, gerade wie andere Leute, zum Studienobjekt
machten und dabei die guten Gedanken, die ihnen der Heilige Geist bei diesem
Studium eingab, in ein Buch aufgeschrieben haben. Auf dieses Studium und
Schreiben außerhalb des Zustandes der Inspiration zum Niederschreibend er
Heiligen Schrift beziehen sich die oben angeführten Worte Luthers. Luther lehrt
nämlich, dass die Propheten des Alten Testaments nicht zu allen Zeiten, sondern
nur zeitweilig aus Eingebung des Heiligen Geistes unfehlbar Gottes Wort redeten
und schrieben. Er bemerkt z.B. zu 1. Mose 44,18: „Die theologi haben ein
gemein Sprichwort, das sie sagen: Spiritus Sanctus non semper tangit corda
prophetarum, das ist, der Heilige Geist rührt die Herzen der Propheten
nicht allezedit. … Dasselbe zeigt auch an das Exempel des Propheten Elia, da er
von der Sunamitin sagt 2. Kge 4,27: ‚Lass sie, denn ihre Seele ist betrübt, und
der Herr hat es mir verborgen und nicht angezeigt.‘ Daselbst bekennt er, dass
Gott nicht allezeit die Herzen der Propheten rühre.“ (Walch 2, II,1645; WA,
44,575.) Dass Luther an der in Rede stehenden Stelle von den Propheten
außerhalb ihres eigentlichen prophetischen Amtes redet, hat sich Tholuck
dadurch verdeckt, dass er bei seinem Zitieren aus Luther die Worte „auf diese
Weise“ ausgelassen hat. Luthers Worte lauten: „Haben ohne Zweifel auf diese
Weise die Propheten im Mose und die letzten Propheten in den ersten studiert.“
Mit dem „auf diese Weise“ weist Luther auf das Vorhergehende zurück, wo er vom
Studium der Schrift redet, wie es allen Christen und allen Lehrern von Gott
befohlen ist, wie er selbst [Luther] und auch Augustin die Schrift lesen und
studieren. Er redet hier gleichsam von dem täglichen Privatstudium der
Propheten.
Neben dem „heu, Stroh und Stoppeln“-Zitat
hat noch ein anderes Zitat aus Luther unter den modernen Theologen eine gewisse
Berühmtheit erlangt, das wir kurz als das „Zum-Stich-zu-schwach“-Zitat
bezeichnen können. Auch bei diesem Zitat, das ebenfalls Luthers gebrochene
Stellung zur Schrift beweisen soll, ist der Zusammenhang außer Acht gelassen.
Wenn z.B. Cremer schreibt: Luther weiß zu sagen, „von einem unzureichenden
Beweise des Apostels Paulus Gal. 4,21 ff. (‚zum Stich zu schwach‘)“ (RE2
VI,753), so wird dadurch der Eindruck erzeugt, der auch von Cremer beabsichtigt
ist, als ob Luther der von Paulus Gal. 4 gebrauchten Allegorie (Sara und Isaak
bedeuten die christliche Kirche, Hagar und Ismael das Gesetzesvolk) die
Beweiskraft überhaupt abspreche, während Luther nur sagt, dass die Allegorie im
Streit mit den Juden (contra Iudaeos),
denen der Apostel Paulus noch keine Autorität war, „zum Stich zu
schwach‘“ sei. Übrigens hätten alle, die diesen Ausdruck so stark urgieren, das
lateinische Original nachsehen sollen. Der Ausdruck ist nämlich Luthers
Genesiskommentar entnommen, in dem Luther bekanntlich die lateinische Sprache
gebraucht. Was der Übersetzer mit „zum Stich zu schwach“ wiedergibt, laut et im
Original: in acie minus valet, das ist „hat im Streit weniger
Beweiskraft“. Das in acie hätte daran erinnert, dass Luther die
Beweiskraft der Allegorie Gal. 4 nicht schlechthin ablehnt, sondern nur in
einer bestimmten Beziehung, nämlich im Kampf mit den Juden. In dem ganzen
Abschnitt erinnert Luther daran, dass ein Prediger in anderer Weise seine
christlichen Zuhörer lehrt, als er mit den Feinden der Kirche disputiert (vgl.
Walch 2, I,1150; WA, 43,11; die St. Louiser Ausgabe übersetzt übrigens, genauer
nach dem Lateinischen, „im Kampf zu schwach“). Es tut sicherlich keinem
Theologen Ehre, diese Stelle aus Luther zu zitieren, um aus ihr Luthers
gebrochene Stellung zur Schrift zu beweisen.
Ebenso ungehörig ist es, Luthers
Unterscheidung zwischen Homologumena und Antilegomena als Beweis für eine freie
Stellung in der Lehre von der Inspiration anzuführen. Sagt z.B. Voigt, „dass
Luther die Heilige Schrift nicht Wort für Wort als ein Produkt des Heiligen
Geistes ansehen könne“, weil er sich „über ganze Bücher Heiliger Schrift … das
freieste Urteil erlaubt“ (Fundamentaldogmatik, S. 536), so identifiziert er
damit unlogisch zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Bei der Lehre
von der Inspiration der Schrift handelt es sich nicht um den Umfang des Kanons,
das ist, nicht um die Frage, ob die sogenannten Antilegomena (z.B. die Briefe
des Jakobus und Judas und die Offenbarung des Johannes) zum Kanon gehören,
sondern um die Frage, ob die als kanonisch feststehenden Bücher (Luther nennt
sie die rechten, gewissen Hauptbücher) inspiriert und Gottes unfehlbares Wort
seien. Dies hält Luther, wie wir gesehen haben, unverrücklich fest. Was aber
den Umfang des Kanons angeht, so hält Luther (wie auch Chemnitz usw.) an dem
Unterschied fest, der nach des Eusebius Bericht (Kirchengesch. III,25) in der
ersten Kirche in Bezug auf den gewissen oder nicht gewissen apostolischen
Ursprung zwischen des Schriften des Neuen Testaments gemacht wurde (vgl. Walch 2,
XIV,132; WA DB, 7,408). Mit Recht sagt W. Walther [Professor in Rostock, Das
Erbe der Reformation im Kampfe der Gegenwart, Heft 1, S. 42 ff.], Luther habe
wohl offene Fragen bezüglich des Umfangs des Kanons; aber was ihm kanonisch
ist, dass habe schlechtweg Autorität für ihn als eingegebenes Wort Gottes. DAs
wird jedoch immer wieder übersehen. Die neueren Theologen wollen aus Luthers
Worten bezüglich einzelner Bücher immer auf seine Stellung zum Wort und dessen
Inspiration schließen und so ihre freie Stellung zur Inspiration auf Luther
übertragen. Vielmehr ist es gewiss, dass Luther das Wort als inspiriertes
angesehen hat, und dass auf ihn als beständige Stimme der Kirche die Dogmatiker
des 17. Jahrhunderts sich mit vollem Recht berufen können und also ihre Lehre
Luther gegenüber keineswegs eine Neuerung ist. Wir können daher auch verstehen,
dass Luther die Epistel des Jakobus „eine rechte ströherne Epistel gegen sie“
(die Episteln des Paulus und Petrus) nennt (vgl. Walch 2, XIV,105; WA DB 6,10).
Dieses Urteil Luthers ist so zu erklären, dass er die Epistel des Jakobus nicht
für kanonisch hielt. Daraus folgt aber noch lange nicht, dass Luther freie
Ansichten über die Inspiration solcher Schriften gehabt hat, welche er für
kanonisch hielt. Das gerade Gegenteil ist aus Luthers Urteil zu schließen.
Eine weitere Behauptung moderner Theologen
geht dahin, dass Luther die göttliche Autorität der Schrift auf das beschränke,
was in der Schrift „Christum treibe“. Nach dem, was in der Schrift Christum
treiben, wolle Luther alles übrige in der Schrift gerichtet und beurteilt
haben, ob es göttliche Wahrheit sei oder nicht. Luther nehme einen „Kanon im
Kanon“ an. Hiernach könne Luther unmöglich angenommen haben, dass alle Worte
der Schrift vom Heiligen Geist eingegeben seien[229]. Für
diese Behauptung werden vornehmlich zwei Stellen aus Luther angeführt. Einmal
die Worte aus Luthers Vorrede auf die Epistel von St. Jakobus und Judas; „Was
Christum nicht lehrt, das ist noch nicht apostolisch, wenn es gleich St. Petrus
und Paulus lehrte. Wiederum, was Christum predigt, das wäre apostolisch, wenn’s
gleich Judas, Hannas, Pilatus und Herodes täte“ (Walch 2, XIV,129; WA DB
7,384). Sodann wird auf die 49. These aus Luthers „Disputation über den
Glauben“ vom Jahr 1535 verwiesen, die so lautet: „Wenn unsere Widersacher auf
die Schrift dringen, so dringen wir auf Christum wider die Schrift“ (vgl. Walch
2, XIX,1441; WA 391,47).
Diese Worte – wir gehen auf dieses Zitat
zuerst ein – klingen allerdings sonderbar. Außerhalb des Zusammenhangs
angesehen, möchten sie den Eindruck erwecken, als ob Luther Schrift und
Christus in Gegensatz zueinander stelle und Christus, als Inhalt der Schrift
gefasst, zur Korrektur der Worte der Schrift verwendet haben wolle. Sehen wir
aber den Zusammenhang nach, in dem diese Worte bei Luther stehen, so gestaltet
sich die Sache ganz anders. Luther versteht unter der Schrift, auf welche die
Gegner dringen und gegen die Luther auf Christus dringt, die von den Gegnern
(Papisten) missbrauchte, falsch verstandene und falsch verwendete Schrift.
Luther denkt an den Missbrauch der Schrift, den die Römischen damit treiben,
dass sie Schriftstellen, die vom Gesetz und vom menschlichen Tun handeln, gegen
Christus, das ist, gegen das Evangelium und den Glauben einführen. So erklärt
Luther sich selbst in den vorhergehenden Thesen 42-48. Luther erinnert darin,
dass die Papisten solche Schriftstellen wie „Halte die Gebote“, „Du sollst
lieben Gott, deinen Herrn“, „Tue das, so wirst du leben“ usw. wider Christus
und den Glauben einführen, während sie doch für Christus zu verstehen seien,
weil die genannten Werke nur in Christus geschehen können, das ist, Christus
und den Glauben an ihn stets voraussetzen. Dass Luther unter Schrift die von
den Papisten falsch verstandene Schrift verstehe, wenn er sagt, dass er auf
Christus wider die Schrift dringe, erklärt er auch noch ausdrücklich in der 41.
These, die diesen Abschnitt einleitet. Sie lautet so: „Man muss die Schrift
nicht wider, sondern für Christum verstehen, deshalb muss man sie entweder auf
Christum beziehen oder nicht für die wahre Schrift halten“ (vgl. Opp. v.a.
IV,381).
Übrigens sollte wohl nebenbei noch darauf
aufmerksam gemacht werden, dass es eine vergebliche Bemühung seitens der
modernen Theologen ist, wenn sie für ihre Stellung zur Schrift hinter dem
angeblichen Satz Luthers, nur das in der Schrift sei wahr, was Christus treibe,
Deckung suchen. Weil die modernen Theologen nahezu einstimmig die satisfactio
vicaria leugnen, so lehren sie gewiss nicht, was in der Schrift Christus
treibt. Der Christus, von dem in der Schrift die Rede ist, ist stets der
Christus, der durch seine satisfactio vicaria die Menschenwelt mit Gott
versöhnt hat, und diesen Christus kennt die moderne Theologie nicht.
Auch was Luther in den auf These 49
folgenden Thesen sagt, ist gegen den Zusammenhang gebraucht worden, um Luther
die strenge Inspirationsvorstellung abzusprechen. Luther führt dort nämlich den
Gedanken aus, den er auch sonst ausspricht, dass alle, die Christus und damit
den Heiligen Geist haben, auch einen Dekalog (decalogum quendam) machen
und von allen Dingen richtig urteilen könnten. In den Thesen 55-57 sagt Luther,
dass, wenn die Heiden in ihrer verderbten Natur in Bezug auf Gott Verordnungen
machen und sich selbst ein Gesetz sein können (Röm. 2,14.15), wieviel mehr kann
Paulus oder ein vollkommener Christ, voll des Heiligen Geistes, eine Art
Dekalog ordnen und über alle Dinge aufs richtigste urteilen, gleichwie alle
Propheten und Väter aus demselben Geist Christi alles geredet haben, was wir in
der Schrift haben. Weil Luther hier den vollkommenen Christen und die Väter
neben Paulus und die Propheten stellt, als aus einem und demselben Geist
redend, so ist das als ein Beweis dafür angeführt worden, dass Luther keinen
spezifischen, sondern nur einen graduellen Unterschied zwischen der
Erleuchtung, die allen Christen zukommt, und der Inspiration der Schreiber der
Heiligen Schrift annehme, und wie durch die Erleuchtung die Christen nicht
unfehlbar würden, sondern irrtumsfähig blieben, so sei dies auch bei den
Schreibern der Heiligen Schrift der Fall. Aber auch hier tritt wiederum zutage,
dass alle, die dies für Luthers Anschauung von der Schrift ausgeben, bei Luther
nicht nachgelesen haben; denn gleich in den folgenden These 58-60 weist Luther
den Gedanken entschieden ab, dass der Glaube an Christus einen Christen oder
auch einen Theologen befähige und berechtige, den Worten der Schrift gegenüber
eine freie Stellung einzunehmen, das ist, sich durch die Worte der Schrift
nicht gebunden zu erachten, weil die Worte möglicherweise einen Irrtum
enthalten könnten. Luther zieht auch an dieser Stelle die Scheidelinie zwischen
den inspirierten Propheten und Aposteln einerseits und allen Christen und allen
späteren Lehrern andererseits sehr scharf. Die Freiherrenstellung den Worten
der Schrift gegenüber bezeichnet er als das Charakteristikum der Flattergeister
(vagi spiritus), die mit ihren vom Wort der Apostel und Propheten
losgelösten Gedanken in der Kirche Gottes Trennung anrichten. Luther schreibt:
„Wir sind nicht alle Apostel, die durch einen feststehenden Beschluss Gottes
als unfehlbare Lehrer gesandt sind. Deshalb können nicht jene, wohl aber wir
irren und im Glauben fehlen, weil wir ohne solchen Beschluss sind“ (Opp. v.a.
IX,381).
In Bezug auf die Worte Luthers: „Was
Christus nicht lehrt, das ist noch nicht apostolisch, wenn es gleich St. Petrus
oder Paulus lehrte. Wiederum, was Christus predigt, das wäre apostolisch,
wenn’s gleich Judas, Hannas, Pilatus und Herodes täte“, so deutet schon die
Form der Rede dahin, dass Luther hier nur von einem angenommenen, nicht von
einem wirklichen Fall redet; außerdem sagt Luther noch ausdrücklich, dass den
Aposteln ihre Predigt von Christus „niemand nachtun kann, weder Hannas noch
Kaiphas noch ein Mensch auf Erden“ (vgl. Erl. A. 4,183).
Endlich sei noch ein Argument
berücksichtigt, womit moderne Theologen ihre freie Stellung zur Schrift mit
Luthers Autorität decken möchten. Dieses Argument verläuft so: Luther lehre,
dass die Schrift nur durch den Heiligen Geist verstanden und als göttliche
Autorität inwendig erfahren werde, darum könne Luther unmöglich angenommen
haben, dass die Worte der Schrift die Worte des Heiligen Geistes seien. So
schreibt z.B. Seeberg, Luther habe „die Anerkennung der Autorität der Schrift
nicht auf kirchliche Anerkennung begründet, sondern auf die Erfahrung von ihrer
Wahrheit“[230].
Seeberg zitiert an erster Stelle aus der Erlanger Lutherausgabe 28,340 die
Worte: „Es muss ein jeglicher allein darum glauben, dass es Gottes Wort ist,
und dass er inwendig befinde, dass es Wahrheit sei.“ Aber das Argument: „Weil
die Heilige Schrift nur durch den Heiligen Geist verstanden oder erfahren wird,
können die Worte der Schrift nicht vom Heiligen Geist eingegeben sein“, ist
außerhalb aller Logik gelegen. Luther bringt die Erfahrung von der Wahrheit der
Schrift nicht in Gegensatz zur Inspiration der Schrift, sondern lehrt an der
von Seeberg zitierten Stelle die Inspiration im strengsten Sinn ganz gewaltig.
Er sagt gleich auf S. 342: „Ein ander Ding ist, wenn der Mensch selbst oder
wenn Gott durch den Menschen redet. Der Apostel Rede ist ihnen von Gott
befohlen und mit großen Wundern bestätigt und bewiesen.“ Weiterhin sagt Luther
an dieser Stelle von der Schrift, dass „darin einerlei Gotteswort vom Anfang
der Welt gelehrt ist“ (vgl. die ganze Stelle in ihrem Zusammenhang).
Es liegt somit klar zutage, dass die
neueren Theologen, die Luther zum Patron ihrer freien Stellung zur Schrift
machen wollen, teils Luther gar nicht gelesen, sondern nur Stellensammlungen
anderer ohne Prüfung abgeschrieben haben, teils, falls sie Luther wirklich
lasen, doch unfähig waren, ihn zu verstehen, weil ihr Trachten nach dem
Protektorat Luthers stärker war als der Sinn für historische Wahrheit. Die
erstere Tatsache tritt beispielsweise besonders bei Kahnis hervor.[231] Von
andern neueren Theologen muss man urteilen, dass sie Luther wohl gelesen haben,
aber mit dem Resultat, dass sie ihre Stellung zur Schrift in Luther
hineinlasen, ohne dass Luther ihnen dazu eine Veranlassung gegeben hätte. Bei
der Berufung auf Luther seitens moderner Theologen, um eine freie Stellung der
Schrift gegenüber aus seinen Schriften zu beweisen, vermisst man leider die
Ehrlichkeit, die man doch von einem wissenschaftlichen Forscher, gar nicht zu
sagen, von einem Lehrer der Kirche, dem es um die göttliche Wahrheit zu tun
ist, erwarten dürfte.
Roland Sckerl
Der Mensch steht als Sünder vor dem
lebendigen heiligen, gerechten Gott und kann von sich aus nicht bestehen. Der
natürliche Mensch versucht vielleicht, sich durch ein ordentliches, vielleicht
sogar bürgerlich vorbildliches Leben hervorzutun (bürgerliche oder
Zivilgerechtigkeit, entsprechend dem ersten Gebrauch des Gesetzes). Solch eine bürgerliche
Gerechtigkeit ist für das Zusammenleben der Menschen nicht zu verachten,
aber sie erwirbt nichts bei Gott, denn der Mensch, so edel er äußerlich auch
erscheinen mag, ist vor Gott ein Sünder und erscheint nur in seinen Sünden vor
Gott. Seine Gerechtigkeit ist eine Gerechtigkeit des Gesetzes und bleibt vor
Gott immer unvollkommen, kann doch selbst der Christ keine vollkommenen Werke
tun und werden seine Werke nur um des Glaubens der Person angenommen – wieviel
weniger können dann die angenommen werden, die von jemand kommen, der nicht im
rettenden Glauben an Christus steht – denn was nicht aus Glauben geht, das ist
Sünde (Röm. 14,23). Luther hat diese Gerechtigkeit in seiner Predigt von der
dreifachen Gerechtigkeit 1518 zunächst aufgeführt und schreibt von ihr: „Solche
sind bis auf heute noch alle, die da Buße tun um der Pest, Hungersnot, Krieges
oder einer andern Geißel Gottes willen, die alsdann beten, Wallfahrten machen,
Gelübde den Heiligen machen. Hierher gehören auch die, welche die Heiligen
verehren, und die Priester, die nur um das gegenwärtige Zeitliche dienen;
desgleichen auch die Mönche und alle, die dergleichen Ähnliches tun. Und kurz,
das ist die Gerechtigkeit, die schon hier ihren Lohn, im Jenseits aber, wenn
auch milder als die groben Verbrecher, ihre ewige Strafe erhält.
Zum andern, so dient diese Gerechtigkeit
nicht Gott, sondern sich selbst, ist auch nicht der Söhne Gerechtigkeit,
sondern der Knechte, noch ist sie den Christen allein eigentümlich, sondern
auch den Juden und Heiden; so sind auch die Christen nicht zu ihr zu ermahnen,
denn sie kommt nicht aus der Liebe zu Gott, sondern aus der Furcht vor Strafe
oder aus der Liebe zu dem eigenen Vorteil.“[232]
Die Gerechtigkeiten aber, die die Christen
eigentlich betreffen, sind die passive und die aktive Gerechtigkeit.
Da geht es zunächst um unsere grundsätzliche Stellung vor Gott, nämlich als
abgrundtief verdorbene Sünder, die Gott nichts bringen können und eigentlich
auf ewig verloren sind, die schon als Sünder geboren werden (Erbsünde, Ps.
51,7) und deshalb dann auch sündigen (Tat-, Charakter-, Unterlassungssünden).
„Darum hatte ich sie eine wesentliche genannt, weil wir durch die Geburt sie
uns zuziehen und sie uns allezeit anhängt und niemals je vorüber geht, wie die
Tatsünde, sondern ist wie eine Quelle, ein Gift oder natürliches Salzwasser,
gleichwie ein aussätziger Leib, der von Natur so ist, oder desgleichen blinden
Leib.“[233]
Dieser Sünde, diesem Verderben nun ist die fremde Gerechtigkeit, die
Gerechtigkeit Christi entgegengesetzt, der wir durch die Wiedergeburt
teilhaftig werden mittels des Glaubens. „So wird diese Gerechtigkeit durch den
Glauben unser eigen, wie es heißt, Röm. 1,17: ‚Der Gerechte lebt aus seinem
Glauben.‘; und ebendaselbst 10,10: ‚Mit dem Herzen glaubt man zur
Gerechtigkeit.‘ Diese wird uns durch die Taufe mitgeteilt, und sie ist es
eigentlich, die das Evangelium verkündet, und ist nicht die Gerechtigkeit des
Gesetzes, sondern die Gerechtigkeit der Gnade.“[234] „Derhalben wird durch
den Glauben an Christus die Gerechtigkeit Christi unsere Gerechtigkeit, und
alles, das sein ist; ja, er wird selbst der Unsere.“[235] Durch diese
Gerechtigkeit sind wir gerecht und selig, wenn wir aus Christus geboren sind,
denn darin wird uns diese fremde Gerechtigkeit zugesprochen und werden durch
diese fremde Gerechtigkeit erlöst, ohne alle menschlichen Werke, ohne irgendein
menschliches Dazutun.[236]
„Fragst du aber: Welches denn das Wort, das
solche große Gnade bist, ist und wie soll ich’s gebrauchen? Antwort: Es ist
nichts anderes als die Predigt von Christus geschehen, wie sie das Evangelium
enthält, welche soll sein, und ist getan, dass du hörst deinen Gott zu dir
reden, wie all dein Leben und Werke nichts seien vor Gott, sondern müssest mit
alle dem, das in dir ist, ewiglich verderben. Welches, so du recht glaubst, wie
du schuldig bist, so musst du an dir selbst verzweifeln und bekennen, dass wahr
sei der Spruch Hosea 13,9: ‚O Israel, in dir ist nichts als dein Verderben;
allein aber in mir steht deine Hilfe.‘ Dass du aber aus dir und von dir, das
ist, aus deinem Verderben, kommen mögest, so setzt er dir vor seinen lieben
Sohn Jesus Christus und lässt dir durch sein lebendiges, tröstliches Wort
sagen, du sollst in denselben mit festem Glauben dich ergeben und frisch in ihn
vertrauen, so sollen dir um desselben Glaubens willen alle deine Sünde
vergeben, alle deine Verderben überwunden sein, und du gerecht, wahrhaftig,
befriedet, fromm und alle Gebote erfüllt sein, [du sollst] von allen Dingen
frei sein.“[237]
Wichtig ist, dass in diesem Zusammenhang die Werke nichts zu suchen und zu
sagen haben: „Hier ist fleißig zu merken und je mit Ernst zu behalten, dass
allein der Glaube ohne alle Werke fromm, frei und selig macht.“[238] Und warum? „Denn kein
gutes Werk hängt an dem göttlichen Wort wie der Glaube, kann auch nicht in der
‚Seele sein, sondern allein das Wort und Glaube regieren in der Seele. … Das
ist die christliche Freiheit, der einige Glaube, der da macht, nicht, dass wir
müßig gehen oder übel tun mögen, sondern dass wir keines Werks bedürfen zur
Frömmigkeit und Seligkeit zu erlangen.“[239] „So denn die Werke
niemand fromm machen, und der Mensch zuvor muss fromm sein, ehe er wirkt: So
ist’s offenbar, dass allein der Glaube aus lauter Gnaden, durch Christus und
sein Wort, die Person genugsam fromm und selig mache. Und dass kein Werk, kein
Gebot einem Christen not sei zur Seligkeit, … Wiederum dem, der ohne Glauben
ist, ist kein gutes Werk förderlich zur Frömmigkeit und Seligkeit.“[240] Es muss also, damit ein
Sünder zum rechten seligmachenden, rettenden Glauben kommt, Gesetz und
Evangelium in rechter Weise gepredigt werden: „Man darf nicht einerlei allein
predigen, sondern alle beiden Worte Gottes. Die Gebote soll man predigen, die
Sünder zu erschrecken und ihre Sünde zu offenbaren, dass sie Reue haben und
sich bekehren. Aber da soll es nicht bleiben; man muss auch das andere Wort,
die Zusagung der Gnaden, auch predigen, den Glauben zu lehren, ohne welchen die
Gebote, Reue und alles andere vergebens geschieht. Es sind wohl noch geblieben
Prediger, die Reue der Sünde und Gnade predigen; aber sie streichen die Gebote
und Zusagung Gottes nicht aus, dass man lerne, woher und wie die Reue und Gnade
komme. Denn die Reue fließt aus den Geboten, der Glaube aus der Zusagung
Gottes: Und so wird der Mensch durch den Glauben göttlichen Worts
gerechtfertigt und erhaben, der durch die Furcht Gottes Gebots gedemütigt und
in seine Erkenntnis gekommen ist.“[241]
Diese Gerechtigkeit, Christi Gerechtigkeit,
empfangen, ergreifen wir im Glauben, der spricht: „Das ist mein, das der HERR
Christus gelebt, gehandelt, getan, geredet und gelitten hat, und folgend
gestorben ist, nicht anders, als wenn ich dasselbe Leben, Handeln, Wesen,
Reden, Leiden und Sterben geführt und gelitten hätte, eben wie der Bräutigam
alles das hat, das der Braut ist; und die Braut alles das hat, das des
Bräutigams ist.“[242] Hier ist eine wichtige
Wirkung, Folge des Glaubens angesprochen: die Vereinigung oder
Brautgemeinschaft mit Christus durch den Glauben. Dadurch haben wir die
kostbarsten Dinge, die Gott der HERR uns in Christus geschenkt hat. „Darum ist
alles das unser, das der HERR Christus hat, das uns Unwürdigen und Unverdienten
alles aus lauter Barmherzigkeit gnädiglich und umsonst geschenkt ist, die wir
doch nicht mehr als Zorn, Verdammnis und Hölle verdient hätten.“[243] Und was ist die Wirkung?
Vor Gott sind wir, um Christi Gerechtigkeit willen, im Glauben empfangen, frei
von Sünden. „Dieses ist die unendliche Gerechtigkeit, die alle Sünden im
Augenblick verzehrt; denn es ist unmöglich, dass eine Sünde in oder an Christus
hafte und hange. Wer aber an Christus glaubt, der haftet an ihm und ist ein
einiges Ding mit Christus; hat auch eine einige Gerechtigkeit mit ihm. Darum
ist es unmöglich, dass in ihm die Sünde bleibe.“[244] „Derhalben entsteht
durch die erste Gerechtigkeit die Stimme des Bräutigams, der da spricht zu der
Seele: Ich der Deine; aber durch die andere Gerechtigkeit die Stimme der Braut,
die da sagt: Ich die Deine. Alsdann ist gemacht die feste, vollkommene und
verbrachte Ehe, wie in Canticis oder dem Hohelied steht, Kap. 2,15: ‚Mein
Freund ist mein und ich bin sein‘; als spräche sie: mein Geliebter ist mein und
ich bin die Seine. So sucht nun die Seele nicht weiter ihr selbst gerecht zu
sein, sondern hat ihre Gerechtigkeit, Christus; derhalben sucht sie allein die
andere Gerechtigkeit.“[245] „Hier hebt sich nun der
fröhliche Wechsel und Streit. Dieweil Christus ist Gott und Mensch, welcher
noch nie gesündigt hat, und seine Frömmigkeit unüberwindlich, ewig und
allmächtig ist, so er denn der gläubigen Seele Sünde durch ihren Brautring, das
ist der Glaube, sich selbst eigen macht, und nicht anders tut, denn als hätte
er sie getan; so müssen die Sünden in ihm verschlungen und ersäuft werden. Denn
seine unüberwindliche Gerechtigkeit ist allen Sünden zu stark. So wird die
Seele von allen ihren Sünden lauterlich durch ihren Mahlschatz, das ist, des
Glaubens halben ledig und frei, und begabt mit der ewigen Gerechtigkeit ihres
Bräutigams Christus.“[246] Es ist dieser Glaube,
der Gott wirklich ehrt, der ihm alles Gute, alle Wahrheit zuschreibt; die Werke
können ihn so nicht ehren.[247] „Darum ist er [der
Glaube] allein die Gerechtigkeit des Menschen und aller Gebote Erfüllung. Denn
wer das erste Hauptgebot erfüllt, der erfüllt gewiss und leicht auch alle
anderen Gebote.“[248]
Aus diesem Glauben und damit aus dieser
fremden, uns zugerechneten, Gerechtigkeit als dem Grund, der Ursache und
Ursprung fließen die Werke, die aus dem Glauben getan werden, aber nur um der
Person willen angenommen werden. Denn wir sündigen alle noch.[249] Dieser Zusammenhang
zwischen der ersten und der zweiten, zwischen der passiven und der aktiven
Gerechtigkeit, also zwischen der Gerechtigkeit Christi, die uns zugerechnet
wird, und unserer Lebensgerechtigkeit, die immer nur angefangen sein wird, ist
grundsätzlich, elementar und darf nicht verkleinert oder gar ausgeblendet
werden. Sonst drohen entweder Gesetzlichkeit oder Antinomismus. „Diese
Gerechtigkeit ist ein Werk, Frucht und Folge der ersten Gerechtigkeit, wie St.
Paulus zu den Galatern (5,22) schreibt: ‚Die Früchte aber des Geistes – das
ist, des geistlichen Menschen, der durch den Glauben in Christus wird – sind:
Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit‘ usw. … Diese Gerechtigkeit
vollzieht oder macht vollkommen die erste Gerechtigkeit, denn sie arbeitet und
müht sich allezeit, auf dass der Adam verderbt und der Leib der Sünde getötet
werde. Darum hasst sie sich selbst und liebt den Nächsten; sie sucht nicht das
Ihre, sondern was einem andern dienstlich, gut und förderlich ist.“[250]
Diese zweite oder aktive oder
Lebensgerechtigkeit „ist unser und eigen; nicht darum, dass wir sie allein
wirken; sondern dass wir zusamt der ersten und fremden wirken“[251]. Dazu gehören zum einen
die Werke, die wir vor Gott tun, um die Erbsünde und ihre Folgen zu mindern,
also die Werke, die die Sünde austreiben, den Leib der Sünde töten. „Denn jene
dritte Gerechtigkeit sucht nichts anders, als die Erbsünde auszutreiben und den
Sünden-Leib zu zerstören.“[252] Welche Werke das im
Einzelnen sind, hängt von der Person ab, je nachdem, wo ihre Schwächen liegen
und bei ihr dem Ziel förderlich ist. „Derhalben reinigen am meisten solche
Werke, die Gott haben will und nennt, daher die besten von allen sind: allerlei
Kreuz, Widerwärtigkeiten, Mangel, Schmähung, Tod; denn hier wirkt Gott allein
und der Menschen leidet, und wird am vollkommensten der alte Adam getötet und
Christus (der Weinstock) gereinigt und seine Rebe gesäubert (Joh. 15). Das ist
nämlich der beste Weg zum Heil, freilich wohl sehr verdrießlich zu gehen, aber
gar fröhlich am Ende.“[253] Vor allem aber gilt es,
alle selbsterwählten Werke zu vermeiden.[254] „Das ist die gute Übung
in den guten Werken, erstlich, in der Tötung und Verzehrung des Fleisches und
der Kreuzigung der Begierden gegen ihn selbst; wie St. Paulus zu den Galatern
(5,24) schreibt: ‚Welche aber Christus angehören, die kreuzigen ihr Fleisch
samt den Lüsten und Begierden‘ … zum dritten, in der Demut und Frucht gegen
Gott..“[255]
Es ist ganz wichtiger, dass dieser Aspekt der Heiligung nicht ausgeblendet
wird. Ja, er ist sogar grundlegend. Es wäre völlig falsch, die zweite oder
Lebensgerechtigkeit allein auf den Nächsten auszurichten, obwohl diese Richtung
sehr wichtig und umfassend ist, aber eben nicht allein. Auch die Heiligung
geschieht zuerst und vor allem vor dem Angesicht Gottes (coram Deo), erst
daraus kann sie auch zur Welt gewandt sein (coram mundo). „… zum in der in der
Liebe gegen den Nächsten.“[256] Damit ist die Heiligung
vor Gott gegen sich selbst gerichtet, in der Kreuzigung des Fleisches, zu Gott,
in einem gottseligen Leben; und gerecht, nämlich gegen die Menschen (Tit. 2,12)
– so sollen wir in dieser Welt leben. Dadurch folgen wir Christus nach, werden
seinem Bildnis gleichförmiger.[257]
Was heißt das? „Das ist des Apostels
Meinung, dass ein jeglicher Christenmensch soll, dem Exempel Christi nach,
eines andern Christenmenschen Knecht werden.“[258]
„Da heben sich nun die Werke an; hier darf
er nicht müßig gehen, da muss fürwahr der Leib mit Fasten, Wachen, Arbeiten und
mit aller mäßiger Zucht getrieben und geübt sein, dass er dem innerlichen
Menschen und dem Glauben gehorsam und gleichförmig werde, nicht hindere noch
widerstrebe, wie seine Art ist, wo er nicht gezwungen wird.“[259] Aber diese Werke, das
muss immer wieder betont werden, geschehen nicht, damit ein Mensch gerettet,
vor Gott gerecht werde, sondern umgekehrt, weil er durch Christus gerettet,
gerechtfertigt ist, darum kann und will er überhaupt gute Werke tun. „Aber dieselben
Werke dürfen nicht geschehen in der Meinung, dass dadurch der Mensch fromm
werde vor Gott, denn die falsche Meinung kann der Glaube nicht leiden, der
allein ist und sein muss die Frömmigkeit vor Gott, sondern nur die Meinung,
dass der Leib gehorsam werde und gereinigt von seinen bösen Lüsten, und das
Auge nur sehe auf die bösen Lüste, wie auszutreiben. … So geschieht’s, dass der
Mensch seines eigenen Leibes halber nicht kann müßig gehen, und muss viele gute
Werke drüber üben, dass er ihn zwinge; und doch die Werke nicht das rechte Gut
sind, wovon er fromm und gerecht sei vor Gott, sondern tue sie aus freier Liebe
umsonst, um Gott zu gefallen, nichts darin anders gesucht noch angesehen, als
dass es Gott so gefällt, welches Willen er gerne täte aufs allerbeste.“[260] Der Christ, das ist
immer wieder wichtig zu betonen, vollbringt keine guten Werke, um damit etwas
bei Gott zu verdienen, sondern vielmehr, um seinen Leib zu zähmen und Gott zu
gefallen. „Also auch eines gläubigen Menschen Werk, welcher durch seinen Glauben
ist wiederum ins Paradies gesetzt und von neuem geschaffen, bedarf keiner
Werke, um fromm zu werden, sondern dass er nicht müßig gehe und seinen leib
bearbeite und bewahre, sind ihm solche freien Werke zu tun, allein Gott zu
gefallen, befohlen.“[261] Denn: „Gute fromme Werke
machen nimmermehr einen guten frommen Menschen; sondern ein guter frommer
Mensch macht gute fromme Werke. Böse Werke manchen nimmermehr einen bösen Mann;
sondern ein böser Mann macht böse Werke. Also, dass allewege die Person zuvor
muss gut und fromm sein vor allen guten Werken, und gute Werke folgen und
ausgehen von der frommen guten Person.“[262]
Die gute Werke sind also einmal diejenigen,
die der Christ vor Gott gegen sein Fleisch übt, um gegen die Sünde zu kämpfen,
und dann diejenigen, die er aus Gottes Willen gegenüber den Menschen, ihnen zum
Dienst, vollbringt. „Denn der Mensch lebt nicht allein in seinem Leib, sondern
auch unter andern Menschen auf Erden. Darum kann er nicht ohne Werke sein gegen
dieselben, er muss je mit ihnen zu reden und zu schaffen haben; wiewohl ihm
derselben Werke keines not ist zur Frömmigkeit und Seligkeit. Darum soll seine
Meinung in allen Werken frei und nur dahin gerichtet sein, dass er andern
Leuten damit diene und nütze sei; nichts anders sich vorbilde, als was den
andern not ist. Das heißt denn ein wahrhaftig Christenleben, und da geht der
Glaube mit Lust und Liebe ins Werk, wie St. Paulus lehrt die Galater [Kap.
5,6].“[263]
„… alle Werke sollen gerichtet sein dem Nächsten zugut, dieweil ein jeglicher
für sich selbst genug hat an seinem Glauben, und alle anderen Werke und Leben
ihm übrig sind, seinem Nächsten damit aus freier Liebe zu dienen.“[264]
So ist der Christ also ganz frei durch den
Glauben, aber was er noch lebt, das soll er im Glauben Christi leben, also sich
willig seinem Nächsten zum Diener machen, „mit ihm handeln, wie Gott mit ihm
durch Christus gehandelt hat“.[265] „Siehe, so fließt aus
dem Glauben die Liebe und Lust zu Gott, und aus der Liebe ein frei, willig,
fröhlich Leben, dem Nächsten zu dienen umsonst. Denn zugleich wie unser
Nächster Not leidet und unsers Übrigen bedarf, so haben wir vor Gott Not
gelitten und seiner Gnade bedurft. Darum, wie uns Gott hat durch Christus
umsonst geholfen, so sollen wir durch den Leib und seine Werke nichts anders
als dem Nächsten helfen.“[266]
Apol. = Apologie
des Augsburger Bekenntnisses
Augsb. Bek. =
Augsburger Bekenntnis
Erl. Ausg. =
Erlanger Ausgabe der Werke Luthers
Erl. Ausg. Opp.
ex. = Erlanger Ausgabe, lateinische exegetische Werke
Erl. Ausg. Opp. v(ar).
a(rg). = Erlanger Ausgabe, lateinische Werke zu
verschiedenen Themen
Gr. Kat. = Großer
Katechismus D. Martin Luthers
KF, Kurze Darl. =
Konkordienformel, Kurze Darlegung (Epitome)
KF, Ausf. Darl. =
Konkordienformel, Ausführliche Darlegung (Solida
Declaratio)
Kl. Kat. = Kleiner
Katechismus D. Martin Luthers
Schm. Art. =
Schmalkaldische Artikel
Tract. = Tractatus
über die Gewalt des Papstes und der Bischöfe
WA = Weimarer
Ausgabe der Werke Luthers
WA br = Weimarer
Ausgabe der Werke Luthers, Briefe
Weim. = Weimarer
Ausgabe der Werke Luthers
Weim. Tischr. =
Weimarer Ausgabe der Werke Luthers, Tischreden
[1]
Wie auch
später noch ausführlicher dargelegt wird, heißt „glauben“ für Luther und die
lutherische Kirche nicht bloß biblische Kenntnisse oder Lehre haben und denen
zustimmen, sondern es geht vielmehr um das (normalerweise bewusste,
willentliche) Vertrauen des bußfertigen Sünders auf den sich in Christus uns
offenbarenden Gott und seine gerade in Christus hell strahlende Liebe als
Antwort auf die persönliche Ansprache Gottes an den Sünder durch sein Wort. Das,
was Gott in seinem Wort uns lehrt, gilt es auch persönlich zu erfahren. (Auch
der Glaube ist dabei nicht menschliches Werk, sondern Gottes Gabe durch seinen
Heiligen Geist.) (Anm. d. Hrsg.)
[2] vgl. dazu: Johannes
von Walter: Die Geschichte des Christentums. 3. Halbband. 2. Durchges. Aufl.
Gütersloh: C. Bertelsmann. 1939. S. 125 f.
[3] Vgl. dazu auch: Kurt Dietrich
Schmidt: Grundriss der Kirchengeschichte. 7. Aufl., 2., unveränd. Nachdr. der
5., durchges. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 1979. S. 297 f.
(Zitierweise: KDS)
[4] Vgl. Kurt Dietrich
Schmidt: Grundriss der Kirchengeschichte. 7. Aufl., 2., unveränd. Nachdr. der
5., durchges. Aufl. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 1979KDS;
a.a.O., S. 290 f.
[5] Vgl. ebd. S. 292
[6] Vgl. ebd. S. 292 f.
[7] Vgl. ebd. S. 293
[8] Vgl. ebd. S. 294 f.
[9]
Vgl. ebd. S.
295 f.
[10]
Entnommen
aus: Theodore Engelder: Das heilsame Wort. Übers. von Roland Sckerl.
Durmersheim 2009. (ursprünglich der erste Teil
des Buches Popular Symbolics. The doctrines oft he Churches of Christendom and
of other religious bodies examined in the light of Scripture. By Th. Engelder,
W. Arndt, Th. Graebner, F.E. Mayer. St. Louis, Mo: Concordia Publishing House.
1934). S. 116-120
[11] Wilhelm Rohnert: Die
Dogmatik der evangelisch-lutherischen
Kirche. Braunschweig, Leipzig: Hellmuth Wollermann. 1902. S. 352
[12] Vgl. ebd.
[13] Vgl.
KDS, a.a.O., S. 301
[14] WA 40 I,77,1 f.; in:
KDS, ebd.
[15] Vgl. KDS, S. 301 f.
[16] vgl. KDS, a.a.O., S.
303 f.
[17] Vgl. ebd. S. 304 f.
[18] Ernst Kinder: Der
evangelische Glaube und die Kirche. Berlin: Lutherisches Verlagshaus. 1958. S.
62
[19] Vgl. ebd. S. 63; ebenso:
Luther: Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet. 1545.
WA 54
[20] Vgl. Kinder, a.a.O.,
S. 66 f.
[21] vgl. ebd. S. 78 f.
[22]
Diese
Auffassung, wie sie Luther aufgrund der Theologie Augustins und des ihm
folgenden Westens, übernommen hat, ist aber wohl nicht die ursprüngliche, auch
nicht die einzig mögliche. Der ursprüngliche Sinn dürfte wohl eher derjenige
der Teilnahme an den heiligen Dingen, also in erster Linie dem heiligen
Abendmahl, sein, wie es auch noch ein normannisch-altfranzösisches Credo
enthält. Da der Ausdruck „communio sanctorum“ selbst mehrdeutig ist, wäre wohl
die rechte Formulierung, die beides umfasst, die: „die Gemeinschaft der
Heiligen am Heiligen.“ Vgl. auch: Hermann Sasse: Corpus Christi. Hermannsburg:
Verlag der Luth. Blätter; Erlangen: Verl. der Ev.-Luth. Mission. 1979. S. 15
ff.
[23] Die Aussagen zur
Kirchengemeinschaft sind eine Einfügung des Herausgebers.
[24] Vgl. Kinder, a.a.O.,
S. 145
[25] Ebd. S.
71
[26] Vgl. ebd. S. 72
[27] Vgl. ebd. S. 73
[28] Der Abschnitt ‚‘ ist eine Einfügung aus Walther, a.a.O., S. 336
[29] Dieser Teil ist
entnommen dem Aufsatz: Roland Sckerl: Kirche und Amt in den lutherischen
Bekenntnisschriften.
[30] Der Abschnitt ‚‘ ist
eine Einfügung aus Walther, a.a.O., S.
333
[31] Vgl. KDS, a.a.O., S. 316 f.
[32]
Von den
Schlüsseln, 1530. WA 30 II, (428-507) 497,9-24. 32-36; 468,26-30. In: Oswald
Bayer: Promissio. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. 1970. (Forschungen zur
Kirchen- und Dogmengeschichte. Bd. 24.) S. 188 f. (in heutiges Deutsch
übertragen vom Hrsg.)
[33] Vgl. Bayer, a.a.O.,
S. 193. 194
[34] WA 2,716, 20 f.
(Bußsermon 1519, § 8). In: Bayer, a.a.O., S. 194
[35] Vgl. ebd. S. 317
[36] Vgl. Kinder, a.a.O.,
S. 151
[37]
Vgl. Martin
Brecht: Martin Luther. Bd. 2. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt. 1989. S.
26.75
[38] Entnommen dem
Aufsatz: Roland Sckerl: Das Widerstandrecht bei Luther.
In: Der Bekenntnislutheraner. 29. Jg. Heft 2. Durmersheim
2021. S. 3 ff. Vgl. auch unten S. 187 ff.
[39] ebd. Sp. 395
[40] ebd. Sp. 396
[41] ebd. Sp. 398
[42] ebd. Sp. 401
[43] vgl. Martin Luther:
Ob Kriegsleute auch in einem seligen Stand sein können. 1526. In: Walch,
a.a.O., Sp. 503
[44] Obrigkeit, a.a.O.,
Sp. 412
[45] ebd. Sp. 412 f.
[46] vgl. Kriegsleute,
a.a.O., Sp. 501
[47] ebd. Sp. 507
[48] ebd. Sp. 501.502
[49] Obrigkeit, a.a.O.,
Sp. 403
[50] ebd. Sp. 413
[51] Kriegsleute, a.a.O.,
Sp. 492
[52] Obrigkeit, a.a.O.
[53] Kriegsleute, a.a.O.,
Sp. 513. 516
[54] ebd. Sp. 524 f.
[55] Schreiben an Kurfürst
Johann zu Sachsen, die Gegenwehr belangend. 6. März 1530. In: Walch, a.a.O.,
Sp. 545 f.
[56] ebd. Sp. 547
[57] ebd. Sp. 548
[58] Martin Luther:
Schrift an Johann Lübeck, Pfarrer zu Cottbus, von der Gegenwehr. 8. Februar
1539. In: Walch, a.a.O., Sp. 557
[59] vgl. ebd. Sp. 557 f.
[60] ebd. Sp. 558
[61] vgl. Drittes Bedenken
der Theologen zu Wittenberg von der Gegenwehr. In: Walch, a.a.O., Sp. 563.
Allerdings ist es fraglich, ob man wirklich so weit gehen kann, wie Luther es
in diesem Zusammenhang macht, und der Obrigkeit auch die Aufrechterhaltung des
zweiten Gebots überträgt, das heißt, die Lästerung des Namens Gottes zu
verhüten (Sp. 564). (Das ist übrigens wohl der theologische Hintergrund für
Luthers harte Spätschriften gegen die Juden, da er davon ausging, dass in ihren
Gebeten und Gottesdiensten Christus und Maria gelästert würden und dies um des
zweiten Gebots willen nicht geduldet werden dürfe, solle der Staat nicht dem
Gericht Gottes anheimfallen.)
[62] ebd. Sp. 564
[63] ebd. Sp. 565. Ob es
allerdings mit der Begründung des zweiten Gebots wirklich zulässig wäre, wage
ich zu bezweifeln, da so weit der Auftrag der Obrigkeit nicht geht. Hier wäre
dann schon die Frage, ob die Gemeinde nicht vielmehr sich dem antichristlichen
Handeln passiv widersetzen, Verfolgung erdulden und, wenn möglich, das Land
verlassen sollte.
[64] ebd. Sp. 566 f.
[65] vgl. ebd. Sp. 567
[66] vgl. Disputation über
die Worte Christi: Gehe hin und verlaufe alles, was du hast, und gib’s den
Armen. Vom Besitz und Verlassen des Eigentums und vom Widerstand wider
Obrigkeit und Papst. [Zirkulardisputation.] Wittenberg. 1539. In: Walch, a.a.O., Sp. 580
f. (Thesen 36; 45)
[67] vgl. ebd. Sp. 581 (Thesen 51-52)
[68] ebd. Sp. 582 (These 53)
[69] ebd. (These 56)
[70] vgl. ebd. Sp. 583 (Thesen 66-69)
[71] vgl. ebd. Sp. 585 (Thesen 86-91)
[72] Ich selbst kann mir
diesen Widerstand nur vorstellen im Zusammenhang mit dem Hitlerregime, wie es
sich seit Kriegsbeginn immer mehr ausbildete, und wahrscheinlich auch
hinsichtlich des Regimes der Roten Khmer, die große Teile des eigenen Volkes
systematisch ermordeten. Ansonsten sehe ich die Voraussetzungen aus meiner
Sicht nicht gegeben. (Selbst im Blick auf Rot-China unter Mao während der
Kulturrevolution habe ich starke Bedenken, dass das Regime darunter fiele.)
Absolute Aussagen sind da aber wohl nicht möglich, sondern die Einschätzung
muss nach jeweils vorliegenden Kenntnissen und Einblicken und daraus folgenden
Erwägungen erfolgen und kann daher unter Umständen zu unterschiedlichen
Ergebnissen kommen.
[73] Entnommen aus: Roland
Sckerl: Was lehren die evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften von der
Heiligen Schrift? Durmersheim 2000.
[74] Vgl. KDS, a.a.O., S.
288
[75] Vgl. ebd. S. 287
f.
[76]
Vgl. Reinhard
Schwarz: Luthers Rechtfertigungslehre als Eckstein der christlichen Theologie
und Kirche. In: Zeitschrift für Theologie und Kirche. Bd. 95. Beiheft 10.
Tübingen: Mohr Siebeck 1998. S. 34
[77]
Vgl. ebd.
[78]
Vgl. dazu
auch: Sasse, a,a,O., S. 18 ff.
[79] Luthers Werke. Hrsg. von Otto von
Gerlach. Bd. 1. Berlin: G. Eichler. o.J. S. 25; zur 7. These: Ausgabe Berlin:
Karl Wiegand. 1848. S. 99-100.107
[80]
[80] Luther: Von der babylonischen
Gefangenschaft der Kirche. 1520. S. 13. https://archive.org/details/von-der-babylonischen-gefangenschaft-der-kirche-von-martin-luther-1520
[81] Vgl. KDS, a.a.O., S. 319
[82] Allerdings geben uns
die Worte Davids 2. Sam. 12,23 Anlass zu der Hoffnung,
dass Gott sich ihrer in seiner Barmherzigkeit annimmt, denn er hat Wege über
die uns verordneten Gnadenmittel hinaus. (Anm. d. Hrsg.)
[83] Vgl. ebd.
[84]
Wider die
himmlischen Propheten … 1525, WA 18,202,34-203,2. Weiser ebd. (203,39-204,4). In:
Bayer, a.a.O., S. 198, Anm. 205 (in heutigem Deutsch vom Hrsg.)
[85] Vgl. KDS, a.a.O., S. 130 ff. 321
[86]
Vgl. Ernst
Volk: Dr. Pommer. Johannes Bugenhagen. Groß Oesingen: Verl. der Luth. Buchhdlg.
Heinrich Harms. 1999. S. 38
[87] Der folgende Text ist
entnommen dem Aufsatz: Roland Sckerl: Die Konsekration in den
evangelisch-lutherischen Bekenntnisschriften. Durmersheim 2011.
[88] Vgl. Edward W. A.
Koehler: A Summary of Christian Doctrine. 2nd rev. Ed. St. Louis: Concordia
Publishing House. 1951. S. 136
[89] So z.B. Edmund
Schlink in seiner „Theologie der lutherischen Bekenntnisschriften“, der darauf
eine völlig falsche, Rom angenäherte, Lehre von der Rechtfertigung entwickelt.
[90]
Vgl. von
Walter, a.a.O., S. 212
[91] Vgl. KDS, a.a.O., S. 311
[92]
Vgl. Volk,
a.a.O., S. 39
[93] Vgl. Volk, a.a.O.,
S. 42 f.
[94] Vgl. ebd. S. 312
[95] Dieser Abschnitt ist
entnommen dem Aufsatz: Roland Sckerl: Die Lehre vom unfreien Willen in den
lutherischen Bekenntnisschriften. Durmersheim 2022.
[96]
Dieser
Abschnitt lehnt sich an KDS, a.a.O., S. 298 ff. an.
[97]
Erl. Ausg.
18, 269; Gal. 2,4; in: Wilhelm Walther: Die christliche Sittlichkeit. 2. Ausg.
Leipzig: A. Deichertsche Verl.Buchhdlg. Werner Scholl. 1917. S. 5 (Das Erbe der
Reformation. H. 3.)
[98]
Vgl.
Sittlichkeit, a.a.O., S. 17
[99]
Erl. Ausg.
51, 286; in: Sittlichkeit, a.a.O., S. 15
[100]
Vgl.
Sittlichkeit, a.a.O.
[101] Vgl. Luther,
American Edition 35,168 (“Moses agrees exactly with nature.”), 40,98 (“The
natural laws were never so orderly and well written as by Moses,”); in: Korey
D. Maas: Natural Law, Lutheranism and the Public The Magazine, March 2, 2011. https://wittness.lcms.org/2011/natural-law-lutheranism-and-the-public-good-3-2011/
[102] Vgl. Luther,
American Edition 35.173; 47,89, in: Maas, a.a.O.
[103] Vgl. Gifford
Grobien: A Lutheran Understanding of Natural Law in the Three Estates. In:
Concordia Lutheran Quarterly. Vol. 73,7. July 2009. S. 216 ff.
[104] Vgl. von Walter,
a.a.O., S. 140
[105]
Vgl. ebd. S.
211
[106]
Erl. Ausg.
51, 284; in: Sittlichkeit, a.a.O.
[107]
Vgl.
Sittlichkeit, a.a.O., S. 27
[108]
Vgl. ebd. S.
29 f.
[109]
Vgl. ebd. S.
15
[110]
Vgl. ebd. S.
30
[111]
Vgl. ebd. S.
32
[112]
Vgl. ebd. S.
33
[113]
Vgl. ebd. S.
35
[114]
Vgl. dazu:
Werner Führer: Das Amt der Kirche. Neuendettelsau: Freimund-Verlag. 2001. S.
214 f.
[115]
Vgl. ebd. S.
215
[116]
Vgl. ebd. S.
215 f.
[117]
Vgl.
Sittlichkeit, a.a.O., S. 34 f.
[118]
Vgl. dazu
große Galaterbriefauslegung, 3, 406 f. 400 f. 408; in: Sittlichkeit, a.a.O., S.
36
[119]
Vgl. Führer, a.a.O.,
S. 214 f.
[120]
WA 2,735, 18
f. Mod., in: Führer, a.a.O., S. 215
[121]
Erl. Ausg.
17, 257; in: Sittlichkeit, a.a.O., S. 6
[122]
Erl. Ausg.
8,56; in: Sittlichkeit, a.a.O.
[123]
Erl. Ausg.
43, 319 ff; in: Sittlichkeit, a.a.O. S. 38
[124]
Vgl.
Sittlichkeit, a.a.O. S. 38. 40
[125]
Vgl. ebd. S.
101
[126]
Vgl. ebd. S.
102 f.
[127]
Vgl. ebd. S.
103
[128]
Vgl. ebd. S.
104
[129]
Vgl. ebd. S.
105
[130]
Vgl. ebd. S.
118
[131]
Vgl. ebd. S.
106 f.
[132]
Vgl. ebd. S.
107
[133]
Vgl. ebd. S.
107 f.
[134]
Vgl. ebd. S.
108
[135]
Vgl. ebd. S.
113. 116
[136]
Vgl. ebd. S.
120
[137]
Vgl. ebd. S.
121-123
[138]
Vgl. ebd. S.
123
[139]
Vgl. ebd. S.
125
[140]
Vgl. ebd. S. 89
[141]
Vgl. ebd. S.
90
[142]
Vgl. ebd. S.
91
[143]
Vgl. ebd. S.
91 f.
[144]
Vgl. ebd. S.
92
[145]
Vgl. ebd. S.
126
[146]
Vgl. ebd. S.
126 f.
[147]
Vgl. ebd. S.
132
[148]
Vgl. ebe. S.
132 f.
[149]
Vgl. ebd. S.
128
[150]
Vgl. ebd. S.
128 f.
[151]
Einfügung
durch den Herausgeber
[152]
Sittlichkeit,
a.a.O., S. 56-57
[153]
Vgl. ebd. S.
57
[154]
Vgl. ebd.
[155]
Vgl. ebd.
[156]
Vgl. ebd. S.
58
[157]
Ebd.
[158]
Vgl. ebd. S.
59
[159]
Vgl. ebd.
[160]
Vgl. ebd. S.
59 f.
[161]
Vgl. ebd. S.
64 f.
[162]
Vgl. ebd. S.
66
[163]
Dieser
Abschnitt ist eine Einfügung des Herausgebers
[164]
Erl. Ausg.
16, 532 f.; in: Sittlichkeit, a.a.O., S. 42
[165]
Erl. Ausg.
16, 531 f.; in: Sittlichkeit, a.a.O., S. 41
[166] KDS, a.a.O., S.
322
[167] Ebd. S. 323
[168]
Das zu
beachten wird gerade in unserer Zeit immer wichtiger, in der sich die
gottlosen, menschenverachtenden, lebensfeindlichen Einstellungen und Pressionen
immer mehr verstärken, Ärzte und Krankenschwestern in staatlichen Kliniken
gezwungen werden, Abtreibungen und Sterbehilfe vorzunehmen, Standesbeamte
gezwungen werden alle möglichen Formen angeblicher „Ehen“ zu schließen; in denen das Wirtschaftsleben
in immer weiteren Kreisen nicht von Dienst am Nächsten, sondern von Habgier und
Profitsucht geprägt sind. Da muss ein Christ sehr abwägen, welchen Beruf er
ergreifen will und vor allem auch, wo, bei wem er noch arbeiten kann. (Anm. d.
Hrsg.)
[169]
Vgl. WA 11,
273, 8 ff.; 31 I, 215, 4 ff.; 19, 625, 25; 30 II, 555,5; in: Werner Elert:
Morphologie des Luthertums. Bd. 2. München: C.H. Beck 1932. S. 319
[170]
Vgl. WA 11,
271, 36 ff.; 19, 648. 19; 11, 273, 9 ff.; in: Elert, a.a.O.
[171] Vgl. WA 6, 413, 7;
11, 262 ff.; 266, 5; 31 I, 192, 35; 11, 273, 20; 11, 251, 18; 18, 389, 38; 6,
428, 4; 31 I, 200, 7; 18, 396, 15; 31 I, 194, 21; in: Elert, a.a.O.
[172]
Vgl. WA 6,
261 ,11; 15, 35, 30; 51, 251, 30 ff.; 6, 413, 8; 446,14; 11, 277. 28; 19, 652,
22; in: Elert, a.a.O.
[173]
Luther ist
für seine Zeit von einem christlich geprägten Staat ausgegangen, in dem auch
die Schulen durch und durch christlich geprägt sind und unter kirchlicher
Aufsicht stehen. Seit dem 19. Jahrhundert ist diese Situation nicht mehr
gegeben. Daher ist es Aufgabe der Kirchen und christlichen Ortsgemeinden, für
die entsprechenden Kindergärten, Schulen und Hochschulen zu sorgen und auch, wo
nötig, für entsprechenden qualitativ gleichwertigen „Unterricht zu Hause“.
(Anm. d. Hrsg.)
[174]
Auch dieses
Ansinnen hat noch das Bild eines mehr oder weniger funktionierenden
„christlichen Staates“ vor Augen, den es aber spätestens seit dem 18.
Jahrhundert nicht mehr gibt. Daher muss heute die entschiedene
Unterschiedenheit der Aufgaben beider Regimente Gottes betont und jeglichen
Versuchen der Einflussnahme des Staates auf die Kirche gewehrt werden. Es ist
dabei auch zu bedenken, dass es den oft behaupteten „religionslosen“ Staat
nicht gibt, da er immer in irgendeiner Weise weltanschaulich ausgerichtet ist.
(Anm. d. Hrsg.)
[175]
Totalitäre
Systeme, wie sie mit der französischen Revolution aufgekommen sind, waren
damals allerdings für die Menschen unvorstellbar. Allerdings hat auch Luther im
Blick auf besonders furchtbare Fälle – er sah das vor allem im Antichristen –
die Möglichkeit des gewaltsamen Widerstandes offen gelassen (s. oben S. 90
ff.). Friedrich Julius Stahl hat daraus entsprechende seltene Möglichkeiten
abgeleitet, die gerade den Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 eine Hilfe
waren.
Die Geschichte zeigt uns auch, wie
richtig diese Auffassung ist. Großbritannien hat, nur kurzzeitig durch die
Cromwell’sche Tyrannei unterbrochen, eine sich kontinuierlich entwickelnde
Geschichte seiner staatlichen Ordnung. Auch die „Glorious Revolution“ diente
nur dem Erhalt und der Vertiefung der vorgegebenen Grundordnungen. Da jedoch,
wo man meinte, die bestehende Ordnung nicht gemäß der eigenen Traditionen,
Geschichte, Bräuche weiterzuentwickeln, sondern sie umstürzen zu müssen, wie in
Frankreich 1789, 1848, oder in Deutschland 1918 oder Russland 1917 ist das
Ergebnis großes Chaos und furchtbarste Tyrannei gewesen, was alles durch einen
Weiterbau an dem begonnen Gebäude der Verfassungsordnung hätte vermieden werden
können. (Anm. d. Hrsg.)
[176]
Es hat Luther
bei seinen Aussagen zum Staat und seiner Entwicklung vor allem das Heilige
Römische Reich Deutscher Nation und die Reichsstaaten vor Augen, die allesamt
ja damals eine Art konkurrierende Regierung hatten, vor allem auf Reichsebene,
wo neben dem Kaiser gleichberechtigt die Reichsstände standen, die durch die
Kurfürsten den Kaiser auch wählten (und absetzen konnten), wie auf Landesebene,
vor allem in Steuerfragen, die Landstände, die eigentlich auch den
Landesfürsten ebenbürtig beigeordnet waren. Wenn dazu noch bedacht wird, dass
die Stände auch über die Gesetze befanden, soweit sie nicht unabhängig von
allen schon von Gott vorgegeben waren, und die Richter, wie Luther anzeigte,
unabhängig sein sollten, so haben wir schon die Grundzüge der Gewaltenteilung
und des Ausgleichs der Machtorgane (check of balances). (Anm. d. Hrsg.)
[177]
Warnung Dr.
Martin Luthers an seine lieben Deutschen. 1530. In: Martin Luther: Sämtliche
Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Bd. 16. Nachdr. der 2., überarb. Aufl.
Groß Oesingen: Verl. der Lutherischen Buchhandlung Heinrich Harms. 1987. Sp.
1630
[178]
Ebd. Sp.
1631-1633
[179]
Ebd. Sp. 1647
[180]
Ebd. Sp. 1648
[181]
Ebd. Sp. 1662
[182]
Gerhard
Ruhbach: Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Protestanten 1523-1546.
In: Texte zur Kirchen- und Theologiegeschichte. Hrsg. Heiz Scheible. Gütersloh
1969. S. 67. H. 10. In: Uwe Siemon-Netto: Luther als Wegbereiter Hitlers? Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 1993. S. 69
[183] Vgl. Walch 2,
17,1373; 22,1458; Ryan C. MacPherson: The Magdeburg Interpretation of Romans
13: A Lutheran Justification for Political Resistance. https://www.hausvater.org/articles/336-the-magdeburg-interpretation-of-romans-13-a-lutheran-justification-for-political-resistance.html Melanchthon zählt
den Schutz der christlichen Untertanen und des rechten Gottesdienstes sowie der
christlichen Lehre zur vornehmsten Aufgabe des christlichen Fürsten. Vgl. CR
III, 128 f., in: : Eike Wolgast: Die Wittenberger Theologie und die Politik der
evangelischen Stände. Gütersloh: Gütersloher Verl.Haus Gerd Mohn. 1977.
(Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte. Bd. 47.) S. 226
[184]
WA Br. 8,
3369
[185]
Ebd.
[186] Ebd.
[187]
Vgl. dazu
auch die Zusammenfassung von Richard R. Benert in Siemon-Netto, a.a.O., S. 69
f.
[188]
Bekenntnis,
Unterricht und Ermahnung der Pfarrherrn und Prediger der christlichen Kirchen
zu Magdeburg, Anno 1550. [S. 67] (neuhochdeutsch vom Hrsg.)
[189]
Ebd. [S. 70]
[190]
Ebd. [S. 77
f.]
[191]
Vgl. ebd. [S.
79 f.]
[192]
Vgl. ebd. [S.
81] Das Bekenntnis führt vier Grade auf: 1) Wenn die
Regierung aus fleischlicher Schwachheit ihre Macht missbraucht, das soll das
Volk in Ruhe tragen, die unteren Autoritäten können die Herrschenden auf ihre
Grenzen und den Missbrauch hinweisen. 2) Wenn die Regierenden mehr systematisch
gegen ihren Eid und das Gesetz, vor allem auch das Naturrecht, verstoßen, soll
das Volk auch das leidend tragen und wenn nötig passiven Widerstand leisten;
die unteren Autoritäten sind frei, zum Schutz ihrer Bürger Maßnahmen zu
ergreifen. 3) Wenn die Regierenden zu bestimmten Sünden zwingen wollen, heißt
das für das Volk, passiven Widerstand zu leisten und, wenn nötig, die Folgen zu
erleiden; die unteren Autoritäten sollen nach sorgfältigem und eingehendem
Untersuchen Widerstand leisten. 4) Wenn die Regierenden systematisch Menschen
verfolgen, Gottes Ordnung bewusst umstoßen und damit die Guten terrorisieren
und die Bösen ehren, ist Römer 13 auf den Kopf gestellt, dann sind alle
aufgerufen, Widerstand zu leisten. Vgl. Ryan C. MacPherson: The Lutheran Teaching concerning
Political Resistance in the Magdeburg Confession of 1550. https://www.hausvater.org/download/events/r2w-standing-on-the-shore-2021.pdf
[193]
Vgl. ebd. [S.
82]
[194]
Vgl. ebd. [S.
83-86]
[195]
Vgl. ebd. [S.
87-88]
[196]
Der Abschnitt
ist durch den Herausgeber zugefügt und bei W. Walther ursprünglich nicht
enthalten.
[197]
Vgl. Elert,
a.a.O., S. 415
[198]
Siehe auch
oben, S. 183
[199]
Der Text ist
entnommen dem Aufsatz: Sckerl: Lutherisch-reformatorische Frömmigkeit.
Durmersheim 2022.
[200]
Vgl. Gute
Werke, a.a.O., S. 10
[201]
Vgl. Walther,
a.a.O., S. 390
[202]
Vgl. Otto
Hof: Luther über Trübsal und Anfechtung. Neuendettelsau: Freimund-Verl. 1951.
(Bekennende lutherische Kirche. H. 5.) S. 5
[203]
Vgl. ebd. S.
6
[204]
Vgl. ebd. S.
7; Walther von Loewenich: Luthers Theologia crucis. 3., unveränd. Aufl.
München: Chr. Kaiser. 1939. S. 158 f.
[205]
Vgl.
Loewenich, a.a.O., S. 157 f. 160-165
[206] Vgl. Hof, a.a.O.,
S. 8
[207] Vgl. ebd. S. 9 f.
[208] Vgl. Loewenich,
a.a.O., S. 165. Das
unterscheidet die conformitas Christi auch grundsätzlich von der imitatio
Christi. Letztere ist ein mehr moralischer Begriff, der Christus als Vorbild
begreift und auf unser Tun abzielt. Bei der conformitas geht es um die Leidens-
und Kreuzesgemeinschaft mit Christus, die nicht selbsterwählt ist, sondern
Gottes Werk und ist ganz von Christi Kreuz her geprägt. Vgl. Loewenich, a.a.O.,
S. 165 f. Anm. 157. Dabei muss aber zugleich Vorsicht geboten werden, wenn der
durchaus berechtigte Vorbildcharakter Christi anhand des Büchleins Thomas von
Kempens entfaltet werden soll. Thomas von Kempen ist durch und durch
römisch-katholisch. Der Kreuzgedanke bei ihm beschreibt den „Heilsweg“, also
nicht den Weg Gottes zum Menschen, sondern umgekehrt den des Menschen zu Gott
und ist daher mit dem römisch-katholischen Verdienstgedanken verbunden. Die
Frömmigkeit bei Thomas ist mönchische Frömmigkeit und letztlich Ausdruck der
theologia gloriae oder Ruhmestheologie der römisch-katholischen Kirche und
damit biblisch-reformatorischer Frömmigkeit diametral entgegen gesetzt. Vgl.
Loewenich, a.a.O., S. 224. Rechtes Verständnis Christi als Vorbild kann dieses
immer nur einordnen in die Leidens- und Kreuzesgemeinschaft und -nachfolge,
kommt her aus dem geschenkten rettenden Glauben und ist Entfaltung des
conformitas-Gedankens in den verschiedenen Bereichen des christlichen Lebens.
[209] Vgl. Hof, a.a.O.,
S. 11 f.
[210] Vgl. ebd. S. 15 f.
[211] Vgl. ebd. S. 13
[212] Vgl. ebd. S. 16-18
[213] Vgl. ebd. S. 20-21
[214]
Vgl. ebd. S.
21 f.
[215]
Vgl. Luther,
Weimarer Ausgabe, 31/I, 248,23; in: Hof, a.a.O., S. 14
[216] Vgl. Hof, a.a.O.,
S. 14 f.
[217] Vgl. ebd. S. 18
[218] Vgl. ebd. S. 19
[219] Vgl. ebd. S. 22-23
[220] Vgl. ebd. S. 24-25
[221] vgl. Reinhold Seeberg: Dogmengeschichte. 2. Aufl. Bd. 2. S. 289, Anm. 1
[222] vgl. Evangelische Dogmatik. 3. Aufl. S. 249
[223] vgl. ebd. S. 268
[224] vgl. Kahnis: Dogmatik1. Bd. 1. S. 666
[225] vgl. Seeberg: Dogmengeschichte2, Bd. 2. S. 287 f.
[226] vgl. Quenstedt: Systema. Bd. 1. S. 109
[227] vgl. Kahnis: Dogmatik2, Bd. 1. S. 275
[228] vgl. Nitzsch-Stephan: Evangelische Dogmatik3, S. 268
[229] vgl. Dorner, Geschichte der protestantischen Theologie, S. 246; Seeberg, Dogmengeschichte2 II, 288 ff.; Luthardt, Kompendium10, S. 328).
[230] Dogmengeschichte2, II,288
[231] vgl. Zeugnis von den Grundwahrheiten des Protestantismus gegen Dr. Hengstenberg, 1862, S. 85
[232]
Dr. Martin
Luthers Sämtliche Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Nachdr. der 2.,
überarb. Aufl. Bd. 10. Groß Oesingen: Verl. der Lutherischen Buchhandlung
Heinrich Harms. 1987. Sp. 1256
[233]
ebd. Sp. 1257
[234]
ebd. Sp. 1258
[235]
ebd. Sp. 1265
[236]
vgl. ebd. Sp.
1259; Sp. 1264. 1266: „Darum ist das eine fremde Gerechtigkeit und ohne unsere
Werke, allein durch die Gnade uns eingegossen, so uns inwendig der Vater zu dem
Sohne Christus zieht.“
[237]
Dr. Martin
Luthers Sämtliche Schriften. Hrsg. von Joh. Georg Walch. Nachdr. der 2.,
überarb. Aufl. Bd. 19. Groß Oesingen: Verl. der Lutherischen Buchhandlung
Heinrich Harms. 1986. Sp. 991
[238]
ebd. Sp. 992
[239]
ebd. Sp. 993.
994
[240]
ebd. Sp. 1004
[241]
ebd. Sp. 1006
[242]
Walch Bd. 10,
a.a.O., Sp. 1264
[243]
ebd. Sp. 1265
[244]
ebd. Sp. 1266
[245]
ebd. Sp. 1268
[246] Walch Bd. 19, a.a.O.,
Sp. 995
[247] vgl. ebd. Sp. 995
f.
[248] ebd. Sp. 996
[249] vgl. Walch Bd. 10,
a.a.O., Sp. 1260. 1266
[250] ebd. Sp. 1267
[251] ebd. Sp. 1266 f.
[252] ebd. Sp. 1262
[253] ebd. Sp. 1263
[254] vgl. ebd.
[255] ebd. Sp. 1267
[256] ebd.
[257] vgl. ebd.
[258] vgl. Sp. 1270
[259] Walch 19, a.a.O:,
Sp. 1001
[260] ebd. Sp. 1001 f.
[261] ebd. Sp. 1002 f.
[262] ebd. Sp. 1003
[263] ebd. Sp. 1006 f.
[264] ebd. Sp. 1007
[265] vgl. ebd. Sp. 1007
f.
[266]
ebd. Sp. 1008
[RS1]ch