Buße in Luthers Theologie
Roland Sckerl
Luther im Besonderen und dem Luthertum im Allgemeinen ist von verschiedenen Kreisen, nicht zuletzt in Anlehnung an den Pietismus, immer wieder der Vorwurf gemacht worden, es habe das persönliche Glaubensleben und auch die persönliche Bekehrung nicht im Blick gehabt. Dies ist aber, schon allein mit Blick auf den Kleinen Katechismus, völlig falsch. Vielmehr spielen Buße und Glauben die zentrale Rolle im Leben und in der Theologie Luthers und daher auch des Luthertums. Gerade das Ringen um die Buße prägte auch Luthers persönliche theologische und Glaubensentwicklung bereits vor dem Thesenanschlag und der reformatorischen Entdeckung, wie er nicht zuletzt in seinem Beibrief zu den Resolutionen zu den 95 Thesen an Johann von Staupitz deutlich macht. Hier soll nun versucht werden, einen kleinen Überblick über Luthers Lehre von der Buße zu geben.
In seinen Anfechtungen hatte Luther von Staupitz als wichtigen Hinweis dies bekommen, dass die wahre Buße beim Christen, also dem, der schon im rechtfertigenden Glauben an Christus steht, aus der Liebe zu Gott und zur Gerechtigkeit Gottes kommt, diese der Anfang jeder rechten Buße des Christen ist und damit die Buße nicht auf das Ich, sondern auf Gott ausgerichtet ist.
Worum geht es in der Buße? Es geht um das fröhliche Gewissen, das aus der Vergebung der Sünden (dem „himmlischen Ablass“) folgt aufgrund der Versöhnung mit Gott.[1] Erst daraus dann sind gute Werke möglich, nicht umgekehrt, dass gute Werke die Buße fördern oder überhaupt uns vor Gott ein gutes Konto bereiteten: „Die Austreibung der Sünde tut gute Werke.“[2] Die Buße, und das ist ganz wichtig, ist zuerst und vor allem eine innerliche Buße, das heißt eine Sache des Herzens und Gewissens vor Gott; denn alles Äußerliche, einschließlich der Beichte, kann geheuchelt sein. Allerdings muss diese innerliche Buße dann auch äußerliche Folgen zeigen, nämlich in der Abtötung des Fleisches als einer Folge, Frucht der Buße.[3]
Was gehört nun zur rechten Buße? Zunächst muss der Sünder – und das gilt für den Christen genauso wie für den, der noch nicht im rettenden Glauben steht – Klarheit über seine Fehlleistung bekommen, das heißt, er muss zu rechter, lebendiger Sündenerkenntnis kommen, was der Heilige Geist gerade durch das Gesetz bewirkt[4]. Die wird dann zunächst auch zu einem Kampf gegen die erkannte Sünde führen, auf die Dauer aber auch, trotz einiger äußerer Erfolge, erkennen, dass er die Sünde nicht wirklich überwinden, beseitigen kann. Zu rechter lebendiger Sündenerkenntnis gehört so auch die Erkenntnis der eigenen abgrundtiefen Verdorbenheit und der damit verbundenen Unfähigkeit, Gott irgendetwas zu bringen, also die lebendige Erkenntnis der Verlorenheit, was Luther mit der Verzweiflung an der eigenen Gerechtigkeit beschreibt. Jeder muss vor Gott sich recht als ein Sünder erkennen, als jemand, der Gott nichts bringen kann, der sich als verloren erkennt und begreift, dass er angewiesen ist auf die Gnade Gottes in Jesus Christus. Dazu kommt der Hass, Ekel, Abscheu gegen die Sünde, wovon Luther auch in der Erklärung zur ersten These schreibt.[5] Soweit ist die Buße im engeren oder eigentlichen Sinn beschrieben.
Zur Buße im weiteren Sinn aber muss dann unbedingt hinzukommen, damit der Sünder nicht in der Verzweiflung stecken bleibt, dass er alle seine Hoffnung allein auf Christus und die Gnade Gottes in Christus setzt, also zum rettenden Glauben an Jesus Christus als seinen alleinigen und einzigen Heiland kommt mittels des Evangeliums in Wort und Sakrament, was dann auch als Frucht, Folge, neues Leben ermöglicht (vivificatio). Hier, bei der Absolution, sind wir beim Zentrum, beim Kern der Buße (im weiteren Sinn) und damit dem, was die Buße (und Beichte) wirklich ausmacht: die Vergebung der Sünden um Christi willen, allein aus Gottes Gnade in Christus, empfangen, ergriffen allein durch den Glauben. Das sind die drei Kernelemente, neben der Sündenerkenntnis und dem aus ihr folgenden Bekenntnis der Sünden (zumindest vor Gott, unter Umständen auch vor Menschen, auf jedem Fall gegenüber denen, an denen man gesündigt hat) Der Glaube hält sich dabei an die Worte der Zusage Christi, die Absolution, Lossprechung durch Christus (in der Beichte mittels des Predigers oder eines Bruders, einer Schwester) – denn allein durch den Glauben wird das ergriffen, empfangen, was Christus schenkt.[6]
Ganz wichtig ist also, gerade im Gegensatz zur römischen Lehre: Es geht nicht um die Würdigkeit der Reue, nicht um vorhergehende oder nachfolgende Werke, auf die der Sünder bzw. (bei der Beichte) der Beichtvater zu sehen hätte, es geht nicht um die eigene Frömmigkeit, denn all das ist immer unvollkommen und schwach, sondern es geht allein um Christus und seine Zusage, sein Wort des Evangeliums. Die Vergebung steht allein auf Christi Wort. An ihm und seinem Wort liegt alles. „Daraus folgt zum ersten, dass die Vergebung der Schuld und der himmlische Ablass werden niemand gegeben um der Würdigkeit willen seiner Reue für die Sünde, noch um der Werke willen der Genugtuung, sondern allein um des Glaubens willen, auf die Versprechung oder Verheißung Gottes: Alles, was du löst, soll los sein usw. Wiewohl die Reue und gute Werke nicht nachzulassen sind, ist doch auf sie in keiner Weise zu bauen, sondern allein auf die gewissen Worte Christi, der dir zusagt: Wenn dich der Priester löst, sollst du los sein. Deine Reue und Werke können dich betrügen, und der Teufel wird sie gar bald umstoßen im Tod und in der Anfechtung; aber Christus, dein Gott, wird dir nicht lügen noch wanken, und der Teufel wird ihm sein Wort nicht umstoßen. … Darum, so du glaubst des Priesters Wort, wenn er dich absolviert, …, so sind die Sünden gewiss los vor Gott, vor allen Engeln und vor allen Kreaturen; nicht um deinetwillen, nicht um des Priesters willen, sondern um des wahrhaftigen Worts Christi willen, der dir nicht lügen kann, wenn er spricht: Alles, was du löst, soll los sein. … Du sollst aber nicht allererst disputieren, ob deine Reue genugsam sei oder nicht, sondern des gewiss sein, dass nach all deinem Fleiß deine Reue ungenugsam sei, und darum zu Gottes Gnaden fliehen, sein genugsames Wort im Sakrament hören, mit freiem fröhlichem Glauben aufnehmen und gar nicht zweifeln, du seist zu Gnaden gekommen; nicht durch deine Verdienste oder Reue, sondern durch seine gnädige göttliche Barmherzigkeit, die dir laut er umsonst Vergebung der Sünde zusagt, anbietet und erfüllt.“[7]
Die Folge dieser Buße, die Frucht, ist die Abwendung von der Sünde, das Abtöten der Sünde, Kreuzigen des Fleisches (mortificatio), was allein durch den Glauben an Christus möglich ist, da er uns zur Gerechtigkeit, zur Erlösung und Heiligung gemacht ist, und daraus dann das neue Leben als Braut Christi in der Nachfolge Christi. Buße, und das hat Luther aus dem griechischen Wort metanoia klar erfasst, meint Sinnesänderung, radikale Umkehr, nämlich weg von der eigenen Gerechtigkeit, dem eigenen Bemühen, der Ich-Konzentration, hin zu Christus, dem Retter der Welt, bei dem daher allein auch Rettung ist für jeden einzelnen Sünder und der den überführten und zerbrochenen Sünder durch das Evangelium lockt und ruft zum Glauben, zum herzlichen Vertrauen. Und das ist etwas, was jeden Menschen angeht, er mag groß oder klein, weise oder unweise, mächtig oder schwach, reich oder arm, fromm oder nicht fromm sein.[8] Daraus folgt dann alles andere, nämlich das neue Leben in täglicher Sündenerkenntnis, Reue, Umkehr, Vergebung, Glauben, Erneuerung als dem Weg der Nachfolge. Mit der einen Hand ergreift der Sünde die Gnade Gottes, damit er mit der anderen Hand aus der Fülle Gottes dem Nächsten geben kann.[9] Die Frucht der Buße, das macht Luther im Kleinen Katechismus (s.u.) deutlich, erschöpft sich aber nicht im Abtöten des Fleisches, im täglichen Ersäufen und Sterben des alten Adam, sondern es gilt ja, dass dann auch der neue Mensch hervorkomme, der in Gerechtigkeit und Reinigkeit vor Gott lebe. Und das umfasst das gesamte Leben der Nachfolge, die guten Werke, das Erfüllen der zehn Gebote in den jeweiligen Lebensständen, in die Gott einen Christen hineingestellt hat. Auch dafür hat Luther ja, etwa im Großen Katechismus oder im Sermon von den guten Werken, ausführliche Hilfestellung gegeben. All das ist, wenn wir Luthers Ausführungen im Kleinen Katechismus und im Sermon vom Sakrament der Taufe (1519) folgen, wobei er von Röm. 6,3 ff. sich hat leiten lassen, der tägliche Vollzug der Taufe, im täglichen Kampf gegen die Sünde und täglicher aktiver Nachfolge, und zwar nicht nur gemäß der zweiten Tafel (4.-10. Gebot), sondern auch der ersten (1.-3. Gebot), ist doch der Christ Braut seines Heilandes, des Bräutigams Jesus Christus, dass er daher auch in einer lebendigen Beziehung mit ihm stehe im Hören auf sein Wort (tägliche Bibellese), seiner Unterweisung (Gottesdienst, Bibelstunde) und im täglichen Anrufen (Gebet) und der häufigen Stärkung durch sein Sakrament (Abendmahl).
Da auch der Christ den alten Menschen, den Sünder, immer noch bei sich hat, Gerechter und Sünder zugleich ist (simul iustus et peccator), ist diese Buße nicht nur ein einmaliger Vorgang (grundsätzliche Bekehrung), sondern vielmehr ein das ganze Leben andauernder, wie ja auch Paulus Gal. 5,16 ff. und Eph. 4,22 ff. es beschreibt. Täglich gilt es, die Sünde abzutöten, aus der Vergebung Christi im Glauben zu leben und so erneuert zu werden. Abtöten der Sünde und Lebendigwerden des neuen Menschen prägen den christlichen Alltag (tägliche Buße oder Bekehrung als Kernelement biblisch-lutherischer Frömmigkeit), das zeigt auch die erste These Luthers („Wenn unser Herr und Meister Jesus Christus sagt: Tut Buße! so will er, dass unser ganzes Leben der Gläubigen auf Erden eine stete oder unaufhörliche Buße sei.“). So hat Luther es auch im Kleinen Katechismus im vierten Teil zum Hauptstück von der Taufe ausgeführt: „Was bedeutet denn solch Wassertaufen? Antwort: Es bedeutet, dass der alte Adam in uns durch tägliche Reue und Buße soll ersäuft werden und sterben mit allen Sünden und bösen Lüsten, und wiederum täglich herauskommen und auferstehen ein neuer Mensch, der in Gerechtigkeit und Reinigkeit vor Gott ewig lebe.“[10] Es geht um das tägliche und andauernde Kreuzigen und Abtöten des Fleisches mit seinen Lüsten und Begierden.[11] „Und diese Buße währt bei den Christen bis in den Tod; denn sie beißt sich mit der übrigen Sünde im Fleisch durchs ganze Leben, wie S. Paulus Röm. 7[,14-25] zeugt, dass er kämpfe mit dem Gesetz seiner Glieder, und das nicht durch eigene Kräfte, sondern durch die Gabe des Heiligen Geistes, welche folgt auf die Vergebung der Sünden.“[12] Wo aber die Sünde wieder mächtig geworden ist, etwa durch öffentliche Sünde oder weil eine (oder mehrere) Sünde wieder herrschend geworden ist, wie bei David oder Petrus, so ist die Person aus der Gnade gefallen.[13] Aber auch für sie gilt: In wahrer Buße die Sünde recht als Sünde erkennen, sich selbst als abgrundtief verdorbenen und verlorenen Sünder und mit all dem zu Christus eilen, die Sünde bekennen und die Vergebung ergreifen im Glauben an Jesus Christus, den Heiland und dann wieder als ein Kind Gottes leben, eben in täglicher Buße und Glauben, täglicher Umkehr, täglicher Vergebung und Erneuerung.
Dabei ist aber wichtig zu bedenken: Im Zentrum der Buße (im weiteren Sinn, also einschließlich des Glaubens) steht die Absolution Christi, die Vergebung, die er dem Sünder schenkt und die der Glaube empfängt, ergreift. Das ist der eigentliche Kern der Buße. „Diese heiligen, tröstlichen, gnadenreiche Worte Gottes [Matth. 16,19] muss ein jeglicher Christenmensch tief und wohl zu Herzen nehmen und mit großem Dank in sich bilden. Denn hier liegt das Sakrament der Buße, Vergebung der Sünde, Trost und Friede des Gewissens, alle Freude und Seligkeit des Herzens wider die Sünde, wider alle Erschreckung des Gewissens, wider Verzweiflung und Anfechtung der Pforten der Hölle.“[14] Denn: Christliche Existenz ist Leben aus der Absolution, aus der Vergebung der Sünden.[15]
So wird deutlich, dass das biblisch-reformatorische Luthertum gerade das persönliche Glaubensleben, einschließlich der grundsätzlichen Bekehrung, sehr wohl im Auge hat, und zwar ganz grundlegend, und alles zusammenfasst unter dem Begriffspaar „Buße“ und „Glauben“ als des Heiligen Geistes Werk, das nicht nur einmal, in der (grundsätzlichen) Bekehrung, geschieht, sondern das ganze Leben betrifft; auch der Blick dabei nicht auf das Ich und seine Handlung, seine Aktion gerichtet ist, sondern vor allem und zuerst auf Christus und das, was er für uns getan hat und was er mir durch das Evangelium schenkt und so eine frohe Nachfolge möglich wird.
Weiter ist zu bedenken, dass das biblisch-reformatorische Luthertum, der Bibel folgend, das Christenleben mit der Taufe beginnen lässt als dem Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, wodurch Vergebung der Sünden geschenkt, vom Tod und Teufel erlöst und die ewige Seligkeit geschenkt wird – aber nicht magisch, durch die bloße Handlung, sondern „allen, die es glauben, wie das Wort und die Verheißung Gottes lauten“.[16] Nur der Glaube hat das, was Gott in der Taufe gibt. Und wenn ein Säugling getauft wird, so muss er, wie er im profanen Leben wachsen muss, vieles lernen, so auch im geistlichen Leben es lernen, als Christ zu leben, zu lebendiger Sünden-, Verdorbenheits- und Verlorenheitserkenntnis und schließlich zu lebendiger Christuserkenntnis und so von einem unbewussten zu einem bewussten persönlichen Glauben an Christus als seinen Heiland kommen, damit auch bewusst das ergreifen, was er schon unbewusst in der Taufe empfangen hat – und dann auch in täglicher Buße bis an sein Lebensende leben, nicht anders als derjenige, der als Erwachsener getauft wurde, der das ebenfalls bedarf, in täglicher Sündenerkenntnis, Reue, Umkehr, Vergebung, neuer Hingabe zu leben, täglich aus der Kraft der Taufe, im Ausleben, Vollziehen und Umsetzen dessen, was in der Taufe grundsätzlich geschehen ist: Abtöten des alten Menschen, Auferstehen des neuen Menschen.
„12. Zum ersten, dass du dich ergibst in das Sakrament der Taufe und seiner Bedeutung, das ist, dass du begehrst mit den Sünden zu sterben und am Jüngsten Tag neu gemacht zu werden nach Anzeige des Sakraments; wie gesagt ist. Das nimmt Gott auf von dir und lässt dich taufen und hebt von Stund an, dich neu zu machen, gießt dir ein seine Gnade und Heiligen Geist, der anfängt, die Natur und Sünde zu töten und zu bereiten zum Sterben und zum Auferstehen am Jüngsten Tag.
13. Zum zweiten. Verbindest du dich also zu bleiben und immer mehr und mehr zu töten deine Sünde, solange du lebst, bis in den Tod: So nimmt dasselbe Gott auch auf und übt dich dein Leben lang mit vielen guten Werken und mancherlei Leiden; damit er tut, dass du begehrt hast in der Taufe, das ist, dass du willst die Sünde los werden, sterben und neu auferstehen am Jüngsten Tag und so die Taufe vollbringen. Darum lesen wir und sehen, wie er seine lieben Heiligen so hart lässt martern und viel leiden, dass sie nur bald getötet, dem Sakrament der Taufe genug täten, stürben und neu würden. Denn so das nicht geschieht und wir nicht leiden noch Übung haben, so überwindet die böse Natur den Menschen, dass er ihm die Taufe unnütz macht und fällt in Sünde, bleibt ein alter Mensch, wie zuvor.
14. Zum zehnten: Dieweil nun solches dein Verbinden mit Gott steht, tut dir Gott wieder die Gnade und verbindet sich dir, er wolle dir die Sünden nicht zurechnen, die nach der Taufe in deiner Natur sind, will sie nicht ansehen, noch dich darum verdammen. Lässt sich daran genügen und hat ein Wohlgefallen, dass du in steter Übung und Begierde seist, dieselben zu töten und mit deinem Sterben sie loszuwerden. Deshalb, ob sich wohl böse Gedanken oder Begierden regen, ja, ob du auch zuweilen sündigst und fällst; so du doch wieder aufstehst und in den Bund trittst, so sind sie in Kraft des Sakraments und Bundes schon dahin, wie St. Paulus, Röm. 8,1, sagt: „Es verdammt die natürliche böse, sündliche Neigung keinen, der an Christus glaubt und derselben nicht folgt noch drein willigt.“ Und St. Johannes in seiner Epistel [Brief] spricht: „Und ob jemand fiele in Sünde, so haben wir einen Fürsprecher bei Gott, Jesus Christus, der eine Vergebung geworden ist für unsere Sünde“, 1. Joh. 2,1.2. Dasselbe geschieht alles in der Taufe, da wird uns Christus gegeben.“[17]
So ist die Buße letztlich nichts anderes als das tägliche Leben aus der Taufe, tägliche Umsetzen dessen, was in der Taufe grundsätzlich begonnen hat.[18] Buße und Glauben – mit der Taufe im Hintergrund – beschreibt also nicht etwas, das ab und an mal nötig wäre, sondern vielmehr das gesamte christliche Leben, den stetigen geistlichen Kampf, das stetige In-den-Tod-Geben des alten Menschen und dann stetige Lebendigwerden des neuen Menschen durch den Glauben an Christus, ein täglicher Vollzug dessen, was in der Taufe uns grundsätzlich zugerechnet und auszuführen begonnen wurde. Und da gehören auch alle Anfechtungen, alle Nöte, alles Leid, ja selbst furchtbare Ereignisse und Verfolgung mit hinein, als Kreuz im Christenleben, als Mittel Gottes, uns zu reinigen und vorzubereiten auf die ewige Herrlichkeit, wo es dann keine Sünde und dadurch auch keinerlei Leid mehr geben wird; denn dazu hat sich Gott in der Taufe verbunden, wie er uns darin verpflichtet hat, den alten Menschen steig in den Tod zu geben und uns verheißen, unserer Sünden nicht zu gedenken, so wir nur immer wieder umkehren, sie ihm bekennen und seine Vergebung ergreifen. Und wer, weil die Sünde wieder die Herrschaft bekommen hat, aus der Taufgnade gefallen ist, er sei als Säugling oder als Erwachsener getauft, bedarf der erneuten Umkehr, erneuten Bekehrung durch Buße und Glauben, wie es beschrieben wurde, aber ohne erneute Taufe, denn die Buße ist dann Rückkehr in die Taufe.[19] Der Glaube hält sich dabei gerade an Christus und sein Wort in der Taufe als der objektiven Gabe der Vergebung der Sünden und des neuen Lebens.[20] Luther rechnet durchaus damit, dass es zu diesem Fallen aus der Gnade, zur erneuten Herrschaft der Sünde auch im Leben eins Gläubigen kommen kann. Darum ermahnt er auch so ernsthaft dazu, diesen täglichen Kampf gegen die Sünde mit aller Entschiedenheit zu kämpfen. Dass wir von der Sünde in ihrer vielfältigen Form angefochten werden, das ist normal, es geht nur darum, nicht in die Sünde zu willigen. Wenn dies aber geschehen ist, dann gilt es, nicht in der Sünde zu bleiben, sondern sie wieder als Sünde zu erkennen, sie zu verabscheuen und erneut die Vergebung Christi ergreifen, erneut zurückzukehren zu der Verheißung Gottes in der Taufe (s.a. Luthers Auslegung zu Gal. 5,16 ff. in der großen Galaterbriefvorlesung). „Darum, wenn wir von Sünden aufstehen oder Buße tun, so tun wir nichts anderes, als dass wir wiederkehren zu der Taufe Kraft und Glauben, daraus wir gefallen waren, und wieder kommen zu der Verheißung, die uns damals [in der Taufe] geschehen ist, die wir durch die Sünde verlassen hatten. Denn es bleibt allezeit die Wahrheit der Verheißung, die einmal geschehen ist, die uns mit ausgestreckten Händen aufnehmen will, wenn wir umkehren. … Da siehst du zugleich, wie gefährlich, ja, wie falsch es sei, wenn man vermeint, dass die Buße das zweite Brett sei nach dem Schiffbruch, und wie es ein so schändlicher Irrtum sei, wenn man dafür hält, dass wegen der Sünden die Kraft der Taufe gänzlich vergangen und dieses Schiff zertrümmert sei. Es bleibt dieses Eine, feste und unüberwindliche Schiff und wird niemals in Stücke zerreißen, in welchem alle die geführt werden, die zu dem Hafen der Seligkeit gebracht werden, das ist, die Wahrheit Gottes, die da in den Sakramenten etwas verheißt. Das geschieht freilich, dass viele aus dem Schiff freventlich in das Meer springen und verderben; das sind die, welche den Glauben an die Verheißung fahren lassen und sich in Sünde stürzen. Aber das Schiff selbst bleibt und geht unversehrt hindurch in seinem Lauf. Kann er durch eine Gnade wieder zu dem Schiff kommen, so wird er durch keine Stücke, sondern durch das ganze Schiff zum Leben geführt werden. Das ist der, welcher zu er festen und bleibenden Verheißung Gottes durch den Glauben wieder zurückkehrt. Daher straft Petrus 2. Ep. 1,9 diejenigen, die da sündigen, dass ‚sie vergessen die Reinigung der vorigen Sünden‘, wo er ohne Zweifel die Undankbarkeit in Bezug auf die empfangene Taufe und ihren gottlosen Unglauben straft. “[21]
Luthers Darlegungen zur biblischen Lehre von der Buße oder Sinnesänderung oder Umkehr des Menschen zeigen die Kernpunkte auf, auf die es ankommt, dass ein Sünder zum rettenden persönlichen Glauben kommt und darin erhalten bleibt, denn die Kernpunkte sind für beides die gleichen: Die Taufe als Gottes Werk, in dem der alte Mensch grundsätzlich in den Tod gegeben wird und grundsätzlich ein neuer Mensch hervorgeht, der Gott gehört. Diese Gaben Gottes aber haben für den Sünder nur Relevanz, nutzen ihm tatsächlich nur etwas, wenn er sie im rechten Glauben an Gottes Zusage in Jesus Christus empfängt, ergreift. Denn die Taufe ohne den Glauben ist ihm nichts nütze, im Gegenteil, sie schadet ihm, weil er dann Gottes Verheißung in der Taufe verachtet. Darum ist auch im Blick auf die Taufe das Wichtigste nicht die Taufe selbst, sondern Gottes Zusage der Gerechtigkeit in Christus und der Glaube, der Christus und seine Gerechtigkeit ergreift. Dazu aber ist es nötig, dass er durch den Heiligen Geist zu lebendiger Sündenerkenntnis anhand des Gesetzes, vor allem der Zehn Gebote, gebracht wird und dadurch dann auch zu rechter lebendiger Erkenntnis der eigenen abgrundtiefen Verdorbenheit, Verzweiflung an aller eigenen Gerechtigkeit und der Erkenntnis der Verlorenheit vor Gott ohne Jesus Christus, Hass, Ekel, Abscheu gegen die Sünde. Durch das Evangelium aber schenkt der Heilige Geist lebendige Christuserkenntnis, nämlich dass der Sünder erfasst, dass Christi Menschwerdung, Unterwerfung unter das Gesetz, Gesetzeserfüllung auch ihm galt, auch für ihn geschah; ebenso, dass Christus auch seine Sünden trug, auch für sie am Kreuz das volle Lösegeld Gott bezahlte und so Gott auch mit ihm versöhnte, auch im die Vergebung der Sünden, den Frieden mit Gott, Freispruch im Jüngsten Gericht und das ewige Leben erworben hat und ihm nun anbietet, darreicht, zueignet durch das Evangelium im Wort, in der Taufe und im Abendmahl – und so der Heilige Geist auch den Glauben wirkt, das herzliche Vertrauen, dass Jesus Christus das alles für ihn getan hat und ihm zuruft, einlädt, dies doch eben in rechtem Vertrauen anzunehmen, zu ergreifen. So wird der alte Mensch immer neu in den Tod gegeben, kommt immer wieder der neue Mensch hervor, der vom Heiligen Geist beschenkt ist durch das Evangelium mit einem neuen Leben, einem neuen Willen, neuem Denken, neuem Wünschen, neuem Begehren, ganz ausgerichtet auf Jesus Christus, seinem Retter, Bräutigam und HERRN, um sich ihm nun, als Frucht, aus Dankbarkeit, in herzlicher Liebe, zu weihen, hinzugeben, um ihm zu folgen, ihm zu dienen, seien eigen zu sein. Und dies alles eben nicht nur im Blick auf die grundsätzliche Bekehrung, sondern auch im täglichen Kampf mit der Sünde, im täglichen Ringen um die Nachfolge im herzlichen Vertrauen auf Jesus Christus, im Hängen an seinen Zusagen, wie er es auch in der Taufe Gott versprochen hat.